Identität: (4., unveränderte Auflage 2013) [4., unveränderte Auflage 2013] 9783839402429

Die Einführung gibt einen Einblick in die aktuelle sozial- und kulturwissenschaftliche Identitätsdebatte, die weit über

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Inhalt
Einleitung: Identität in der Krise
1. Leben im Plural: Identitätsbildung in der ›Postmoderne‹
2. Eröffnung des Welthorizonts: Entgrenzte Identitäten in Zeiten der Globalisierung
3. Neuere sozialwissenschaftliche Identitätsmodelle
I. Das dezentrierte Subjekt: Konzepte spätmoderner Identitätsarbeit
1. Verlorene Sicherheiten – gewonnene Freiheiten: Paradoxien der Individualisierung
1.1 Das Marktgesetz und der Zerfall der Sinnwelten
1.2 Vervielfältigung der sozialen Welten
1.3 Zum ›eigenen Leben‹ verdammt
2. Postmoderne Konstruktionen des Selbst
2.1 Bastelexistenz: Das Selbst als reflexives Projekt
2.2 Jenseits des Eindeutigkeitszwangs: Das Patchwork der Identitäten
2.3 Das flexible Selbst: Prekäre Identitätsarbeit in der Ära des neuen Kapitalismus
2.4 Das nomadische Selbst: Prototypen postmoderner Lebensführung
II. Arenen der Identitätspolitik in der globalen Moderne
1. Eröffnung des Welthorizonts: Entgrenzung der Identitäten in Zeiten der Globalisierung
1.1 Globalisierung als Zeit-Raum-Verdichtung
1.2 Globalisierung der Kultur:›McWorld‹ oder globale Melange?
1.3 Migration und Postkolonialismus
2. Kulturelle Identitäten in der Spätmoderne: Entzaubert, zerstreut, umkämpft
2.1 Nationale Identität als Konstruktion
2.2 ›Rasse‹, Ethnizität und die Konstruktion von Andersheit
2.3 ›Rasse‹ und Rassismus
2.4 Ver-rückte Zugehörigkeiten: Zur Kategorie Geschlecht
3. ›Ein Liebeslied für Bastarde‹: Hybride Identitäten
Nachwort: Wir Landstreicher
Literatur
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Identität: (4., unveränderte Auflage 2013) [4., unveränderte Auflage 2013]
 9783839402429

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Rolf Eickelpasch Claudia Rademacher Identität

2004-07-21 16-51-55 --- Projekt: T242.einsichten.eickelpasch-rademacher.identität / Dokument: FAX ID 01c158448464448|(S.

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Die Beiträge der Reihe Einsichten werden durch Materialien im Internet ergänzt, die Sie unter www.transcript-verlag.de abrufen können. Das zu den einzelnen Titeln bereitgestellte Leserforum bietet die Möglichkeit, Kommentare und Anregungen zu veröffentlichen. Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme!

Einen Einblick in die ersten 10 Bände der Einsichten gibt die Multi-Media-Anwendung »Einsichten – Vielsichten«. Neben Textauszügen aus jedem Band enthält die Anwendung ausführliche Interviews mit den Autorinnen und Autoren. Die CD-ROM ist gegen eine Schutzgebühr von 2,50 € im Buchhandel und beim Verlag erhältlich.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2004 transcript Verlag, Bielefeld Satz: digitron GmbH, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-242-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff.

2004-07-08 10-27-40 --- Projekt: T242.einsichten.eickelpasch-rademacher.identität / Dokument: FAX ID 01da57325184752|(S.

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Inhalt

Einleitung: Identität in der Krise 5 1. Leben im Plural: Identitätsbildung in der ›Postmoderne‹ 6 2. Eröffnung des Welthorizonts: Entgrenzte Identitäten in Zeiten der Globalisierung 7 3. Neuere sozialwissenschaftliche Identitätsmodelle 9 I. Das dezentrierte Subjekt: Konzepte spätmoderner Identitätsarbeit 15 1. Verlorene Sicherheiten – gewonnene Freiheiten: Paradoxien der Individualisierung 16 1.1 Das Marktgesetz und der Zerfall der Sinnwelten 16 1.2 Vervielfältigung der sozialen Welten 17 1.3 Zum ›eigenen Leben‹ verdammt 19 2. Postmoderne Konstruktionen des Selbst 21 2.1 Bastelexistenz: Das Selbst als reflexives Projekt 21 2.2 Jenseits des Eindeutigkeitszwangs: Das Patchwork der Identitäten 26 2.3 Das flexible Selbst: Prekäre Identitätsarbeit in der Ära des neuen Kapitalismus 29 2.4 Das nomadische Selbst: Prototypen postmoderner Lebensführung 37 II. Arenen der Identitätspolitik in der globalen Moderne 55 1. Eröffnung des Welthorizonts: Entgrenzung der Identitäten in Zeiten der Globalisierung 56 1.1 Globalisierung als Zeit-Raum-Verdichtung 56 1.2 Globalisierung der Kultur: ›McWorld‹ oder globale Melange? 59 1.3 Migration und Postkolonialismus 64 2. Kulturelle Identitäten in der Spätmoderne: Entzaubert, zerstreut, umkämpft 68 2.1 Nationale Identität als Konstruktion 68

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2.2 ›Rasse‹, Ethnizität und die Konstruktion von Andersheit 77 2.3 ›Rasse‹ und Rassismus 78 2.4 Ver-rückte Zugehörigkeiten: Zur Kategorie Geschlecht 94 3. ›Ein Liebeslied für Bastarde‹: Hybride Identitäten 104 Nachwort: Wir Landstreicher 116 Literatur 120

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Einleitung: Identität in der Krise Das Thema ›Identität‹ dominiert seit einer Reihe von Jahren die öffentlichen, politischen und wissenschaftlichen Debatten so sehr, dass vom »Inflationsbegriff Nr. 1« (Brunner 1987: 63) die Rede war. Die Identitätsformel »Sich Erkennen, Erkannt- und Anerkanntwerden« (Greverus 1995: 219) ist zum Leitmotiv von Einzelnen und Gruppen, Minderheiten und Mehrheitsgesellschaft, Institutionen und Nationen, Wissenschaftsdisziplinen und Künsten geworden. Der politische Diskurs hat uns das Thema einer ›nationalen Identität‹ und einer deutschen ›Leitkultur‹ beschert, Firmen pflegen ihre ›Corporate Identity‹, die Ratgeberliteratur empfiehlt uns ›Identity Styling‹, in esoterischen Zirkeln begibt man sich auf die Reise zum ›wahren Selbst‹. Was steckt hinter dieser inflationären »Sucht, mit sich identisch zu sein« (Grawert-May 1992)? Was erklärt diesen Eifer, mit dem Individuen und Kollektive um ihre Selbstvergewisserung und Selbstdarstellung kämpfen? Die Mehrzahl der sozialwissenschaftlichen Beobachter stimmt darin überein, dass der lust- und angstvolle Eifer, mit dem Einzelne und Gruppen um ihre Identität, d.h. ihr Erkannt- und Anerkanntwerden, bangen und kämpfen, Ausdruck tief greifender gesellschaftlicher Veränderungsprozesse in den letzten Jahrzehnten ist. Identität, so scheint es, wird in Alltag und Wissenschaft zum Dauerthema, weil die tradierten gesellschaftlichen und kulturellen Grundlagen für eine stabile soziale Verortung und Einbindung der Menschen zunehmend wegbrechen. »Identität wird nur in ihrer Krise zum Problem«, wie wie der Kulturkritiker Kobena Mercer (zit. nach Hall 1994g: 181) feststellt. Es sind vor allem zwei – sich wechselseitig verstärkende – gesellschaftliche Umbrüche, die in ihrer Kombination ein ›kulturelles Erdbeben‹ bewirkt haben, das die bislang vertrauten Rahmenbedingungen für Anerkennung und Zugehörigkeit grundlegend erschüttert und die gewohnten ›Passformen‹ für die Ausbildung individueller und sozialer Identitäten in Frage stellt. Üblicherweise werden diese beiden vielschichtigen, für die Identitätsbildung der Menschen äußerst folgenreichen Veränderungskomplexe un5

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ter den ebenso modischen wie unscharfen Sammelbegriffen ›Postmoderne‹ bzw. ›Globalisierung‹ verhandelt.

1. Leben im Plural: Identitätsbildung in der ›Postmoderne‹ Seit den 1960er Jahren werden durch gesellschaftliche Prozesse der Differenzierung, Individualisierung und Pluralisierung, die vor allem mit zeitdiagnostischen Etiketten wie ›Postmoderne‹, ›Zweite Moderne‹, ›Spätmoderne‹ oder auch ›Risikogesellschaft‹ angesprochen sind, traditionelle Formen der Vergemeinschaftung und ›sozial-moralische Milieus‹ (Mooser 1984: 227) kontinuierlich weggeschmolzen. Erhöhte Mobilitätserfordernisse des entwickelten Kapitalismus, die Dynamik des Arbeitsmarktes, wachsende Bildungsabhängigkeiten, die ›Durchmarktung‹ aller Lebensbereiche und ein durchschnittlich hohes Niveau der Existenzsicherung führen dazu, dass die Menschen aus den vertrauten Bindungen von Klasse, Beruf, Nachbarschaft, Familie und Geschlechterverhältnissen freigesetzt und in ihren Lebenswegen und Lebenslagen durcheinander gewirbelt werden. Über Generationen als ›Notgemeinschaften‹ unverzichtbare Klassensolidaritäten lösen sich auf; der Beruf verliert durch die Flexibilisierung der Arbeitswelt, das Schwinden der Erwerbsarbeit und die Zerstückelung von Erwerbsbiografien seine traditionelle Bedeutung als Rückgrat der Lebensführung und zentraler Sinn- und Identitätsanker der Individuen. Die Mobilitätszwänge des Arbeitsmarktes gefährden die Stabilität familialer Bindungen. Und besonders wichtig: Durch die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen wird die Klarheit einer über Generationen unhinterfragten geschlechtsspezifischen Aufteilung der Welt in eine ›Männerwelt Beruf‹ und eine ›Frauenwelt Familie‹ (Beck-Gernsheim 1980) aufgekündigt. Die Erosion stabiler sozialer Zusammenhänge und identitätsverbürgender Lebensformen hat tiefgreifende Konsequenzen für die ›Innenseite‹ des Subjekts, d.h. für die individuelle Lebensführung und die Identitätsbildung der Menschen. Biografien werden im Zuge der fortschreitenden Differenzierung, Pluralisierung und Enttraditionalisierung sozialer Verhältnisse aus traditionalen Vor6

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gaben ›entbettet‹ und dadurch als Aufgabe in das Handeln jedes Einzelnen gelegt. Der Einzelne wird im Zuge gesellschaftlicher Individualisierungsprozesse selbst zum Handlungszentrum, zum »Planungsbüro in bezug auf seinen eigenen Lebenslauf« (Beck 1986: 217). Nach der Auflösung kulturell vordefinierter Identitätsmuster wird dem Einzelnen die Verarbeitung der verschiedenen Rollen, Lebensformen und Sinnelemente zu einem Sinnganzen als permanente Eigenleistung und Konstruktionsaufgabe zugemutet. Das Individuum wird in der Spätmoderne zum Baumeister seines eigenen Selbst, der sich aus den institutionell vorgegebenen »Bausätzen biographischer Kombinationsmöglichkeiten« (ebd.) sowie aus sozial verfügbaren Lebensstilen und Identitätsangeboten – vorwiegend vermittelt über Mode, Medien und Populärkultur – seine eigene »Wahlbiografie« und sein ganz persönliches »Existenzdesign« (Kellner/Heuberger 1988: 334) zusammenstellt. Sozialwissenschaftliche Interpreten sehen in den beschriebenen gesellschaftlichen Veränderungen einen höchst zwiespältigen Prozess mit einer Gewinn- und einer Verlustseite. Sie begreifen die neuen Formen der Identitätsarbeit als ›riskante Chance‹. Dem Gewinn an Wahlmöglichkeiten und Optionsspielräumen für die Ausgestaltung eines ›eigenen Lebens‹ steht ein Verlust kollektiver Sicherheit und Zugehörigkeit gegenüber. Die gesellschaftliche Forderung, sich aus vorgefertigten Fragmenten und Versatzstücken eine eigene Biografie und eine eigene Identität zu konstruieren, stellt für den Einzelnen ein anstrengendes, störungsanfälliges, riskantes Unterfangen dar. Vor allem in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit und ›neuer Knappheit‹ wird das Fehlen kollektiver Formen der solidarischen Unterstützung schmerzlich bewusst.

2. Eröffnung des Welthorizonts: Entgrenzte Identitäten in Zeiten der Globalisierung Die beschriebenen Prozesse der Enttraditionalisierung und Pluralisierung identitätsverbürgender Lebensformen in der ›Postmoderne‹ werden in den letzten Jahrzehnten durch den sich drama7

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tisch beschleunigenden Globalisierungsprozess ergänzt und verstärkt. Der Zwang zur Selbst-Verwirklichung, die an den Einzelnen gerichtete Forderung, Baumeister seines ›eigenen Lebens‹ und seiner Identität zu sein, geht Hand in Hand mit der Einbindung der Individuen in weltweite Zusammenhänge. ›Globalisierung‹ meint dabei nicht nur ein ökonomisches Phänomen; es wäre auch verkürzt, es mit dem Aufkommen eines ›kapitalistischen Weltsystems‹ gleichzusetzen. Kern und Grundlage des Globalisierungsprozesses ist vielmehr die »Intensivierung weltweiter sozialer Beziehungen« (Giddens 1995: 85), die »Eröffnung des Welthorizonts« (Beck 1997: 48) für ehemals ortsgebundene Handlungen, Entscheidungen und Sozialbeziehungen. Neben dieser Globalisierung der Sozialbeziehungen hat vor allem die kulturelle Globalisierung einschneidende Auswirkungen auf die Identitätsbildung der Menschen. Durch die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien kommt es zu einem weltweiten Austausch von Bildern, Symbolen und Ideen, von Lebensstilen und Identitätsschablonen. Die über das globale Mediennetz vermittelte neue Vielfalt ermöglicht es, ja zwingt geradezu dazu, die eigene Selbst- und Weltdeutung vor dem Hintergrund vieler anderer Deutungen zu spiegeln und zu relativieren. Die schon in der ›postmodernen‹ Konstellation beobachtbare Tendenz zur ›Entbettung‹ und Entwertung überkommener Lebensformen und Biografiemuster wird dadurch dramatisch verstärkt. Das meint nicht, dass Traditionen im Zeitalter der Globalisierung keine Rolle mehr spielen (oft ist das Gegenteil der Fall). Traditionen und Lebensformen verlieren aber in der vernetzten Welt ihren Schein des Selbstverständlichen und ›Natürlichen‹. Im Horizont von Alternativen wird ihr Konstruktionscharakter und damit ihre Veränderbarkeit unwiderruflich sichtbar. Sie müssen gewählt, permanent neu ausgehandelt, oft erfunden werden und gelten nur im Durchgang durch die Entscheidungen und Erfahrungen der Individuen. Eben darauf zielt die Feststellung von Giddens (1995: 24), dass der Globalisierungsprozess mit der Entstehung einer »posttraditionalen Gesellschaft« und der Ausbreitung »sozialer Reflexivität« einhergehe. Nicht nur durch die globale Zirkulation von Waren, Bildern, 8

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Symbolen, Ideen und Lebensstilen wird die Identitätsbildung der Menschen destabilisiert und ›entgrenzt‹, sondern vor allem durch die weltweite Mobilisierung und Verstreuung der Menschen selbst. Zwar gibt es grenzüberschreitende Wanderungsströme bereits seit Jahrhunderten, doch haben sie im Zeitalter des globalen Kapitalismus durch die fortschreitende Spaltung der Weltbevölkerung in ›Globalisierungsgewinner‹ und ›Globalisierungsverlierer‹ (vgl. Bauman 1997b), durch die Herausbildung eines internationalen Arbeitsmarktes sowie durch die verbesserten Kommunikations- und Transporttechnologien eine neue Dimension erreicht. Unter den Bedingungen der Globalisierung haben politische Umbrüche, Armut und Hunger, Gewalt und Vertreibung weltweite Ströme von Arbeitsmigranten, Flüchtlingen und Vertriebenen, von Herumirrenden, Fliehenden, Ziehenden in Gang gesetzt. Die globalen Migrationsbewegungen können zu Entwurzelung, Diasporabildung, Auflösung tradierter Lebensformen und zur Destabilisierung von individuellen und kulturellen Identitäten führen. Biografische Unsicherheit wird zum charakteristischen Merkmal der globalen Moderne, ja zur gesellschaftlichen Basiserfahrung. Die Erfahrung des ›Zwischen-allen-Stühlen-Sitzens‹ kann unbequem sein, irritierend und lästig. Sie kann zum ängstlichen Festhalten an den Traditionen der ›Heimat‹ und zum ›Rückzug ins Ghetto‹ oder zur (Über-)Anpassung an die Normen des Aufnahmelandes führen. Das ›Leben im Zwischenreich‹ hat aber auch eine andere Seite: Es kann den Blick schärfen und Quelle kreativer Selbstfindung und subversiver Kraft sein. Die neuen Ureinwohner des global village können – wie das Beispiel intellektueller Migranten und Migrantinnen zeigt – aus ihrer »Bindestrich-Existenz« (Iyer 1996: 12) und ihrer Unzugehörigkeit Inspiration und Kraft schöpfen.

3. Neuere sozialwissenschaftliche Identitätsmodelle Die beschriebenen gesellschaftlichen Umbrüche der letzten Jahrzehnte, in deren Verlauf die Identitätsbildung der Menschen krisenhaft aus traditionalen Vorgaben und Lebensmustern heraus9

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wächst, haben in den Sozialwissenschaften eine »hektische Betriebsamkeit in der Identitätsdebatte« (Keupp 1989: 48) ausgelöst. Rasch und auf breiter Front setzte sich die Einsicht durch, dass die ›moderne‹ Leitidee eines ›autonomen‹, selbstbestimmten, einheitlichen, kohärenten Subjekts, das seit dem Deutschen Idealismus im Zentrum philosophischer Weltentwürfe steht und noch den ›klassischen‹ Identitätstheorien in den Sozialwissenschaften zugrunde liegt, sich weitgehend von den realen Alltagserfahrungen und Identitätsbildungsprozessen der Menschen in einer »zerrissenen Welt des Sozialen« (Honneth 1990) entfernt hat. Vor allem die Denker der ›Postmoderne‹ in Philosophie und Sozialwissenschaften rütteln kräftig am ›heroischen Subjekt‹ der Moderne und plädieren vehement für eine ›Dezentrierung des Subjekts‹. Dem aufklärerischen Glauben an die rationale Planbarkeit und Gestaltbarkeit der Welt und an ein vernunftgeleitetes autonomes Subjekt setzen sie den bewussten Verzicht auf jede Einheits- und Ganzheitsvision entgegen. »Wir haben die Sehnsucht nach dem Ganzen und dem Einen teuer bezahlt«, sagt JeanFrançois Lyotard (1988: 203), der Begründer der philosophischen Postmoderne. Unter der Parole ›Krieg dem Ganzen‹ beantworten die Postmodernisten die totalitären Ordnungs- und Uniformierungszwänge der Moderne mit einer Therapie der Vervielfältigung. Postmoderne ist die »Verfassung radikaler Pluralität« (Welsch 1987: 4), die Feier von Vielheit und Differenz. Die Erfahrung einer pluralisierten und widersprüchlichen Alltagswelt erzwingt in dieser Sicht eine Haltung, für die ein ›Identitätszwang‹ und das Streben nach Eindeutigkeit nur Fesseln wären. »Identität ist immer weniger monolithisch, sondern nur noch plural möglich. Leben unter heutigen Bedingungen ist Leben im Plural, will sagen: Leben im Übergang zwischen unterschiedlichen Lebensformen« (Welsch 1990: 171). In der pluralisierten und fragmentierten Sozialwelt der (Post-) Moderne hat das klassische neuzeitliche Modell des ich-starken, souveränen Subjekts als Leitbild und ›Gussform‹ für die Lebensführung der Menschen ausgedient. Wenn aber ein »Leben aus einem Guss« (Keupp 1993: 236) nicht mehr möglich ist, dann liegt es in der Logik postmoderner Verhältnisse, dass die Kon10

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struktion alternativer Identitätsmodelle, die der »zersprungenen Einheit der Welt« gerecht werden, auf erhebliche theoretische Schwierigkeiten stößt. Was uns von postmodernen Denkern angeboten wird, sind oft weniger theoretisch elaborierte Modelle ›dezentrierter‹ Identitäten als Bilder und Metaphern, die – zum Teil in enger Tuchfühlung zum Zeitgeist – die Existenzform der Menschen nach dem ›Ende der Gewissheiten‹ zu verdeutlichen suchen. Gemeinsam ist den Identitätskonzepten ›postmoderner‹ Sozialwissenschaftler die Basisannahme, dass Sinngebung und Identitätsbildung in der zersplitterten Sozialwelt zu einer privaten Angelegenheit jedes Einzelnen geworden, gewissermaßen in ›eigene Regie‹ übergegangen sind. – So sieht die »Theorie der Bastel-Mentalität« (Gross 1985) den ›Bastler‹ als Sinnbild des zeitgenössischen Menschen. Wie der Heimwerker im Baumarkt vorgefertigte Bausätze angeboten bekommt, so gibt es für die individualisierten Menschen der Spätmoderne den Markt vorgefertigter Sinnangebote und ›Stil-Pakete‹, unter denen sie mehr oder minder frei wählen können (und müssen), um ihre ›individuellen Lebens-Collagen‹ zusammenzustellen. – Ähnlich wie das Modell der »Bastelexistenz« (Hitzler/Honer 1994) akzentuiert auch das Konzept der »Patchwork-Identität« (Keupp 1989) deutlich die Chancenseite des höchst widersprüchlichen Individualisierungsprozesses in der Spätmoderne. Postmoderne ›Identitätsarbeit‹ ist in dieser Sicht ein kreativer Prozess der Selbstorganisation, die gelungene, oft überraschende Verknüpfung von Lebensmustern, Stilelementen und Sinnangeboten zu einem Sinnganzen. – Richard Sennett (1998) mit seinem Modell des »flexiblen Menschen« und Zygmunt Bauman (1997a) mit seiner metaphorischen Beschreibung »postmoderner Lebensstrategien« (Touristen, Vagabunden) nehmen demgegenüber stärker die Verlustseite der ökonomischen und kulturellen Wandlungsdynamiken in den Blick. Der neue Kapitalismus mit seinem »Regime der Kurzfristigkeit«, so die gemeinsame Grundannahme, zerstört alle längerfristigen Bindungen und erzeugt Gefühle der 11

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Wurzellosigkeit, Zerrissenheit und Angst, die den Individuen die Chance zu einer selbstbestimmten Lebensführung nehmen und den Nährboden für Gewalt bilden können. Von den erwähnten ›postmodernen‹ Identitätsmodellen, die nach den Auswirkungen innergesellschaftlicher Modernisierungsdynamiken auf die individuellen Lebensläufe und Selbstentwürfe der Menschen fragen, lassen sich in der sozial- und kulturwissenschaftlichen Identitätsdebatte Ansätze unterscheiden, die den Prozess einer fortschreitenden ›Dezentrierung‹ von Identitäten durch Globalisierung und anwachsende Migrationsströme beschreiben. Vor allem in den ›postkolonialistischen‹ und den ›postfeministischen‹ Debatten wird die Frage nach Identität im Zusammenhang derjenigen globalen Prozesse gestellt, die zur Unterminierung und Zersplitterung der großen kollektiven Zugehörigkeiten – Nation, Kultur, Ethnie, Geschlecht – geführt haben. Die Konstruktion und Neukonstruktion von Identitäten findet in der Perspektive dieser Ansätze immer in umkämpften Räumen statt. Sie ist Teil eines ›Kampfes um Anerkennung‹, den unterprivilegierte und entrechtete Gruppen führen. Die Artikulation von Identitätsansprüchen im globalen Raum ist demnach primär politisch und zielt im Sinne eines empowerment auf die Veränderung der als ungerecht empfundenen Situation ab. Darauf zielt das Konzept der Identitätspolitik. Die theoretischen Debatten im Umkreis des anglo-amerikanischen ›Postkolonialismus‹ und des ›Postfeminismus‹ konzentrieren sich auf folgende globale Arenen identitätspolitischer Kämpfe: – Nation und Nationalkultur als Bezugspunkte für normativ festgelegte Identitäten werden in einer postkolonialen Welt der Grenzüberschreitungen und kulturellen ›Übersetzungen‹ nachhaltig entzaubert und zerstreut. Durch die Kreuzung, Durchmischung und ›Dezentrierung‹ nationaler und kultureller Zugehörigkeiten eröffnen sich »Terrains der Verstörung« (Hall 1999b: 104), die zu Phänomenen der Entwurzelung und Zerrissenheit führen können, aber auch Einzelnen und Grup-

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pen Möglichkeiten bieten, sich in identitätspolitischen Kämpfen neu zu ›verorten‹. – Mit dem Niedergang und der Destabilisierung des Nationalstaats und der nationalen Identitäten geht die Fragmentierung und Erosion der kollektiven Identität von ›Rasse‹ und Ethnizität einher, die seit den Anfängen kolonialer Expansion bis in die Gegenwart das zweite große Koordinatensystem lieferte, das der Platzierung, Verankerung und Stabilisierung individueller Identitäten und Biografien diente. Die scheinbar biologische Kategorie ›Rasse‹ wird von den Literaten und Theoretikern des Postkolonialismus als soziale Konstruktion entlarvt, als symbolische Repräsentation, die ihre Ursprünge in der kolonialen Machtgeometrie ›Der Westen und der Rest‹ hat. Die Skepsis gegenüber starren Oppositionen und die Sensibilisierung für Differenzen hat die Theoretiker der Cultural Studies zur Entwicklung neuer Konzepte zur Beschreibung kollektiver Zugehörigkeiten und Verortungen – die ja in den politischen Anerkennungskämpfen unverzichtbar sind – geführt. So geht Stuart Halls Konzept der ›neuen Ethnizität‹ von brüchigen, unsicheren, stets vorläufigen Identitätsformationen und Zugehörigkeiten aus. Die ›neue Ethnizität‹ ist eine »Ethnizität, die die Rolle der Differenz bei der Entdeckung ihrer selbst nicht leugnen kann« (Hall 1999a: 96). – Wie Nation und ›Rasse‹ ist auch das Geschlecht nichts ›Reales‹ und ›Natürliches‹, sondern eine soziokulturelle Konstruktion, die durch machtvolle Diskurse fortlaufend reproduziert und stabilisiert wird. Die Aufdeckung des Konstruktionscharakters – und damit der Veränderbarkeit – von Geschlechtsidentitäten folgt im Postfeminismus deutlich einem sexualpolitischen Impetus. Ziel ist es, das System der Zweigeschlechtlichkeit als ganz und gar von Machtverhältnissen durchsetztes Konstrukt zu entlarven und durch eine ›Geschlechterverwirrung‹, d.h. durch eine Vervielfältigung möglicher Geschlechtspositionen zu überwinden. Die klassische, uns lieb gewordene Vorstellung einer stabilen, in sich ›stimmigen‹, quasi naturhaften Identität von Menschen und

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Gruppen ist, wie unsere knappe Skizze gezeigt hat, in den letzten Jahrzehnten durch tief greifende gesellschaftliche und kulturelle Umbrüche nachhaltig unterminiert worden. Die gesellschaftlichen Freisetzungsprozesse und die weltweiten Tendenzen der Fragmentierung, Relativierung und Durchmischung von sinnstiftenden ›Heimaten‹, Traditionen und Sinnwelten schlagen, so scheint es, unmittelbar auf die Identitätsbildungsprozesse von Individuen und Kollektiven durch. Kurz: Eine fragmentierte, aus den Fugen geratene Sozialwelt erzeugt prekäre, zerrissene Identitäten. Identitäten gleichen in der zerrissenen Welt der Spätmoderne nicht fertigen Behausungen mit einem dauerhaften Fundament und einem schützenden Sinn-Dach, sondern permanenten, lebenslangen Baustellen, auf denen die freigesetzten oder ›versetzten‹ (dislocated) Individuen ohne festgelegten Bauplan und unter Verwendung vorhandener Bausätze und Sinnangebote sich (bis auf weiteres) eine Unterkunft schaffen. Je nach situativem und biografischem Erfordernis sind An- oder Umbauten fällig. Diese Form spätmoderner Identitätskonstruktion ohne traditionale Garantien und Sicherungen erfordert eine hohe pragmatische Kompetenz im Bewältigen problematischer Situationen. Sie birgt eine Vielzahl von Risiken, eröffnet aber auch neue Chancen, indem sie Fluchtwege aus dem »stahlharten Gehäuse der Zugehörigkeit« (Nassehi 1997: 177) fest gefügter kultureller, nationaler, ›rassischer‹ oder geschlechtlicher Identitäten aufzeigt.

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I. Das dezentrierte Subjekt: Konzepte spätmoderner Identitätsarbeit »Ich habe oft das Bedürfnis, zu jemandem hinzugehen und zu fragen, du sag’ mal, wer bin ich eigentlich? […] Manchmal erschrecke ich Freunde, weil ich so vieles bin. Sie halten mich für so oder so. Im nächsten Moment denken sie, ich bin ein Umspringbild. Von mir könnte jemand, wenn ich spazieren gehe, alle zehn Meter ein anderes Bild bekommen« (Peter Handke, in: DIE ZEIT, 3.3.1989: 79). Beim ersten Lesen ist man geneigt, diese Aussage des Schriftstellers Peter Handke für den etwas spleenigen Einfall eines exzentrischen Künstlers zu halten. Vieles spricht aber dafür, dass Handke hier etwas von der schwierigen und verwirrenden Suche nach einer persönlichen Identität zur Sprache bringt, die für den modernen Menschen so typisch geworden ist. »Was bin ich?« – das ist in einer Gesellschaft, die in eine Vielzahl widersprüchlicher Lebensformen, Werte und Sinnwelten zersplittert ist, zu einer belastenden Frage geworden. Begriffe wie Identitätsstress oder Identitätsterror machen die Runde. Die klassischen Identitätsmodelle in Psychologie und Sozialwissenschaften, die unter »Identität« ein einheitliches, eindeutiges, lebenslang gültiges Selbstbild, einen »inneren Besitzstand« verstehen, werden den veränderten Verhältnissen nicht mehr gerecht. In letzter Zeit werden daher Ansätze diskutiert, die sich um ein Identitätsverständnis bemühen, das eher auf den nie abschließbaren, belastenden und stets riskanten Prozess der »Identitätsarbeit« (vgl. Keupp/Höfer 1997) zielt. Welche gesellschaftlichen Umbrüche sind es aber, die die Individuen der Spätmoderne immer mehr aus vorgegebenen Identitätsschablonen und Sinnmustern herauslösen und ihnen abverlangen, ihre Lebensentwürfe in eigene Regie zu nehmen?

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1. Verlorene Sicherheiten – gewonnene Freiheiten: Paradoxien der Individualisierung Der aktuelle Identitätsdiskurs in den Sozialwissenschaften, der um das Konzept der Identitätsarbeit zentriert ist, bezieht wesentliche Einsichten aus der soziologischen Gegenwartsdiagnose, die Ulrich Beck in seinem Buch »Risikogesellschaft« (1986), einem der einflussreichsten und meistgelesenen soziologischen Werke der letzten Jahrzehnte, vorgelegt hat. Für Beck sind wir Augenzeugen eines epochalen Gestaltwandels im Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, den er unter dem Oberbegriff der Individualisierung beschreibt. Die einzelnen Bedingungsfaktoren und Problemebenen des Individualisierungsprozesses können hier nur stichwortartig skizziert werden.

1.1 Das Marktgesetz und der Zerfall der Sinnwelten Ab den 1960er Jahren werden infolge des forcierten Industrialisierungsprozesses (›Wirtschaftswunder‹) immer neue Bevölkerungsgruppen den Bedingungen des Arbeitsmarktes unterworfen. Die Lohnarbeiterexistenz wird zur Normalform des männlichen, zunehmend auch des weiblichen Erwachsenen. Im Zuge der Generalisierung von Lohnarbeitsbedingungen werden die Menschen durch wachsende Bildungsabhängigkeit, durch Marktmobilität und Arbeitsmarktkonkurrenz aus den hergebrachten Lebensformen und Traditionen von Familie, Nachbarschaft, Klasse, Schicht, Geschlechterrollen, Religion etc. herausgelöst und in ihren Lebenswegen vereinzelt und durcheinander gewirbelt. Im Verlaufe dieser Entwicklung werden die traditionellen ›sozialmoralischen Milieus‹, auf die sich die industrielle Modernisierung über zwei Jahrhunderte gestützt hat, kontinuierlich weggeschmolzen. »Zu den Moralbeständen verhält sich der Markt wie die große Industrie zu den fossilen Brennstoffen. Sie werden im Zuge ihrer Expansion verbrannt« (Dubiel 1986: 278). Schon der Übergang von der Stände- zur Industriegesellschaft war von einem Enttraditionalisierungsprozess, d.h. von einem Zerfall der alten sinnstiftenden Traditionen und Weltbilder begleitet. 16

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»Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht«, wie die zeitgenössischen Beobachter Karl Marx (18181883) und Friedrich Engels (1820-1895) (1972: 465) feststellen. Die dadurch entstehenden Unsicherheiten und Risiken wurden aber in der bürgerlichen Gesellschaft immer wieder abgefedert durch die Bindungen und Solidaritäten von Familie, Klasse, dörflicher Gemeinschaft und Geschlechtsrollen. Aus diesen selbst schon wieder zur Tradition gewordenen, quasi ›ständischen‹ Sozialformen der Industriegesellschaft werden die Menschen unter den Bedingungen eines hohen Lebensstandards und hoher sozialer Sicherheiten herausgelöst und auf ihr individuelles Arbeitsmarktschicksal mit allen Risiken und Chancen verwiesen. Individualisierung bedeutet für Beck also Freisetzung der Menschen aus den Traditionen des Sexuallebens, der Ehegestaltung, aus den überkommenen Rollenzuweisungen des Geschlechts und den Fixierungen von ›Normalbiografien‹. Das bedeutet ein Aufbrechen von Wahlmöglichkeiten und das Entstehen eines ›Möglichkeitsraums‹ für die Gestaltung des eigenen Lebens. Der Einzelne wird zunehmend zum Zentrum seiner eigenen Lebensplanung.

1.2 Vervielfältigung der sozialen Welten Der Zwang und die Möglichkeit, eine eigene Biografie und eine eigene Identität zu entwerfen – kurz: ein ›eigenes Leben‹ zu führen – wird zusätzlich forciert durch die fortschreitende funktionale Differenzierung der Gesellschaft und die damit einhergehende Pluralisierung der Lebenswelten. Auch diese Entwicklung hat ihre Ursprünge bereits im Übergang von der Stände- zur Industriegesellschaft, erfährt aber in der Spätmoderne eine dramatische Beschleunigung. In der alten Gesellschaft war der Einzelne als ganzer Mensch Teil der Sozialordnung: Gewissermaßen ›mit Haut und Haaren‹ war er Hausvater, Handwerksmeister oder Mönch. In die moderne Gesellschaft, die in eine Vielzahl von Teilsystemen untergliedert ist, werden die Menschen nur in ihrer jeweiligen Rolle – als permanente Wanderer zwischen den Funktionswelten – eingebunden: als Steuerzahler/-in, Patient/-in, Autofahrer/-in, Konsu17

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ment/-in, Wähler/-in etc. Als ganze Person kommt der Einzelne in der modernen Gesellschaft nicht vor. Er erfährt sich nicht als Individuum (wörtlich: das Unteilbare), sondern als Dividuum, als zersplittert und zerlegt in eine Vielzahl oft widersprüchlicher Rollen und Funktionsbezüge (vgl. Fuchs 1992: 199ff.). »Das In-dividuum ist durch Teilbarkeit definiert«, sagt Niklas Luhmann (1994: 193). »Es benötigt ein musikalisches Selbst für die Oper, ein strebsames Selbst für den Beruf, ein geduldiges Selbst für die Familie. Was ihm für sich selbst bleibt, ist das Problem seiner Identität.« Die Ausbildung der persönlichen Identität, die in der alten Gesellschaft weitgehend sozial und kulturell vorgeprägt war, wird jetzt dem Einzelnen als Eigenleistung abverlangt. Gefordert ist jener von Sigmund Freud (1856-1939) beschriebene Persönlichkeitstypus, der gewissermaßen mit einem ›inneren Kreiselkompass‹ ausgestattet ist, der es ihm erlaubt, alle Rollen ›unter einen Hut zu bringen‹ und sich auch in wechselnden sozialen Bezügen als Einheit zu empfinden. Gerade in der zersplitterten Sozialwelt der Moderne, die den Einzelnen in eine Vielzahl von Rollen und Funktionen zerlegt, werden also paradoxerweise Individualität, Ich-Autonomie und Selbstbestimmung zu den obersten Leitwerten und Persönlichkeitsidealen. Die Imagination eines ›eigenen Lebens‹ wird zum Fluchtpunkt des Einzelnen in einer zunehmend aus den Fugen geratenden Sozialwelt. Erst der Zerfall traditionaler Sinnwelten, die Öffnung der Gesellschaft, die Vervielfältigung und das Widersprüchlichwerden ihrer Funktionsbereiche gibt der Idee eines autonomen, selbstbestimmten Ich Raum und Sinn. »Identität kann nur als ein Problem existieren«, wie Zygmunt Bauman (1997a: 134) feststellt, »sie war von Geburt an ein Problem, wurde als Problem geboren.«

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Tabelle 1: Individuum und Gesellschaft in der modernen und vormodernen Welt vormoderne Gesellschaft

moderne Gesellschaft

Sozialstruktur

einheitliche, wenig ge- Gesellschaft ist in spegliederte Sozialordnung zialisierte Teilsysteme aufgeteilt: ›funktionale Differenzierung‹ versachlichte, anonyme unmittelbare face-toRollenbeziehungen face-Beziehungen

Kultur

einheitliche religiössymbolische Sinnwelt

unterschiedliche, z.T. widersprüchliche Sinnwelten der einzelnen Teilsysteme

Person

Der Einzelne ist als ganze Person Teil der Sozialordnung.

Der Einzelne ist für die Gesellschaft nur als Träger spezialisierter Rollen von Interesse. Der Aufbau persönlicher Identität wird zur Eigenleistung des Einzelnen. Der Mensch erfährt sich als Individuum.

Die persönliche Identität ist sozial und kulturell vordefiniert.

1.3 Zum ›eigenen Leben‹ verdammt Individualisierung ist, wie gesehen, kein historisch neues Phänomen. Die Devise ›Jeder ist seines Glückes Schmied‹ hat ihren Ursprung in den gesellschaftlichen Umbrüchen beim Übergang von der Stände- zur Industriegesellschaft, die von einem Zerfall traditionaler Sinnwelten und Lebensformen sowie einer Vervielfältigung von Funktionsbereichen und Lebenswelten begleitet waren. Was ist nun aber neu und spezifisch an den Individualisierungsprozessen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts? Becks 19

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Antwort lautet knapp und direkt: »Das historisch Neue besteht darin, dass das, was früher wenigen zugemutet wurde – ein eigenes Leben zu führen – nun mehr und mehr Menschen, im Grenzfall allen abverlangt wird« (Beck/Beck-Gernsheim 1994: 21). Das Neue ist zum einen die Demokratisierung von Individualisierungsprozessen, zum anderen die Tatsache, dass Grundbedingungen der entfalteten Industriegesellschaft – Arbeitsmarkt, Mobilitäts- und Ausbildungserfordernisse, Arbeits- und Sozialrecht, Rentensystem etc. – den Einzelnen zwingen, sein Leben in eigene Regie zu nehmen – auf eigene Rechnung und eigenes Risiko. Individualisierung meint also nicht die Befreiung des Menschen von den Fesseln der Gesellschaft, sondern eine bestimmte, historisch neue Form der Vergesellschaftung. Individualisierung bezeichnet eine gesellschaftliche Zumutung, einen paradoxen Zwang. »Du darfst und du kannst, ja du sollst und du musst eine eigenständige Existenz führen, jenseits der alten Bindungen von Familie und Sippe, Herkunft und Stand« (Beck/Beck-Gernsheim 1994: 25). Auch in der individualisierten Gesellschaft ist die Lebensgestaltung – was häufig übersehen wird – in eine Vielzahl von Kontrollen und Vorgaben eingeschnürt. Der Unterschied zur traditionalen Gesellschaft besteht aber darin, dass die neuen Vorgaben – des Bildungssystems, des Arbeitsmarktes, der Bürokratie – nicht mehr ganze ›Normalbiografien‹ festlegen und vordefinieren. Sie liefern vielmehr die »Bausätze biographischer Kombinationsmöglichkeiten« (Beck 1986: 217), aus denen die Individuen der Spätmoderne ihr ›eigenes Leben‹ konstruieren. Die Entscheidungen über Ausbildung, Beruf, Arbeitsplatz, Wohnort, Heirat etc. können nicht nur, sondern müssen ›in eigener Regie‹ getroffen werden: Der Einzelne wird zum biografischen Planungsbüro seiner selbst. Die Rede von ›Entscheidungen‹, von ›Planung‹ und ›Regie‹ trifft dabei nur die halbe Wahrheit. Ihr liegt immer noch das klassische Modell des autonomen Ich, des souveränen und selbstbestimmten Subjekts der Moderne zugrunde. In der widersprüchlichen und hochgradig fragmentierten Lebenswelt der entfalteten Moderne hat dieses Modell aber weitgehend seine gesellschaftliche Passform verloren. Mag sein, dass der Einzelne sich ange20

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sichts der aufbrechenden Entscheidungsmöglichkeiten und Abstimmungszwänge als Regisseur seiner eigenen Biografie erfährt oder als Architekt, der das Haus seines eigenen Lebens plant. Häufig wird er aber ein dilettantischer Situations-Bastler bleiben, der wendig, kreativ und pfiffig aus den vorhandenen gesellschaftlichen Vorgaben und Sinnelementen seine eigenen kleinen lebbaren Konstruktionen zusammenfügt – nicht ein für allemal, sondern stets ›bis auf weiteres‹. Unter (post-)modernen Lebensverhältnissen ist Identität nicht mehr ein einheitliches, in sich stimmiges, lebenslang gültiges Selbstbild ›aus einem Guss‹, sondern »ein immer nur vorläufiges Resultat kreativer, konstruktiver Akte, man könnte fast sagen: sie ist geschaffen für den Augenblick« (Straub 1998: 93).

Zur vertiefenden Lektüre Beck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Beck, Ulrich/Beck-Gernsheim, Elisabeth (Hg.) (1994): Riskante Freiheiten. Individualisierung in modernen Gesellschaften, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Junge, Matthias (2002): Individualisierung, Frankfurt/M.: Campus.

2. Postmoderne Konstruktionen des Selbst

2.1 Bastelexistenz: Das Selbst als reflexives Projekt Der Bastler als Typus Ronald Hitzler und Anne Honer verwenden die Metapher des Bastlers, um die spezifische Existenzform des individualisierten Menschen der Spätmoderne zu veranschaulichen. Verstrickt in eine Vielzahl von disparaten Beziehungen, Orientierungen und Einstellungen, konfrontiert mit heterogenen Situationen, Begegnungen, Gruppierungen, Milieus und Teilkulturen, sieht sich der moderne Sinnbastler gezwungen, die diversen Zeit-, Sinn- und Orientierungsfragmente zu einem Sinnganzen, einem ›eigenen 21

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Leben‹ zusammenzufügen. »Er gestaltet, subjektiv hinlänglich, aus heterogenen symbolischen Äußerungsformen seine Existenz. Er stückelt seine Tage aus ›Zeit-Blöcken‹ oder ›Zeit-Teilen‹ zusammen. Er montiert sein Leben – nicht nur, aber vor allem – als Teilhaber an verschiedenen sozialen Teilzeit-Aktivitäten« (Hitzler/Honer 1994: 311). Typisch für den individualisierten Menschen ist, dass er im Alltag ständig von Gruppenorientierung zu Gruppenorientierung wechselt. Er schlüpft in immer neue Rollen, kann seinen Beruf, seine Partnerschaften und Familienkonstellationen, seine Partei- und Religionszugehörigkeiten wechseln. Wesentlich ist dabei nach der »Theorie der Bastel-Mentalität« (Gross 1985), dass die Erfahrung einer widersprüchlichen, zerrissenen Alltagswelt keineswegs ein fragmentiertes, zerrissenes Selbst erzwingt – dies käme einer pathologischen Identitätsverwirrung gleich. Vielmehr folgt die alltägliche Identitätsarbeit, das Gestalten, Stückeln und Montieren des ›eigenen Lebens‹ ästhetischen Stilkriterien: Das stilisierende Sinnbasteln ist ein kreativer Prozess der Selbstorganisation. Das Selbst wird in der zersprungenen Sozialwelt zum reflexiven Projekt. Es zeichnet sich durch ein bislang unbekanntes Maß an Selbstreflexivität und Kreativität aus und muss sich in einem kontinuierlichen Prozess der Selbstbefragung und Selbststilisierung stets von neuem erschaffen.

Im Baumarkt der Existenzen Die Feststellung, dass in der entfalteten Moderne die Sinngebung des Lebens zu einer privaten Angelegenheit jedes Einzelnen geworden ist, besagt nun keineswegs, dass die Menschen ihre je eigenen Lebensstile und Identitäten exklusiv ›erfinden‹ müssten. Vielmehr sieht sich der individualisierte Mensch permanent mit einer verwirrenden Fülle von Deutungs-, Stilisierungs- und Identitätsangeboten konfrontiert, aus denen er mehr oder minder ›frei‹ sein Lebenspuzzle zusammensetzen muss. Der Verlust an traditionellen Orientierungen und Sicherheiten führt zu einer Inflation von Wahl- und Sinndeutungsmöglichkeiten, raubt aber zugleich den einzelnen kulturellen Symbolen und Leitbildern ihre fraglose Gültigkeit und ihre bindende Kraft. Es entsteht eine Art Sinn-Markt, ein kultureller Supermarkt für Lebensstil- und Welt22

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deutungsangebote, die zu immer kurzlebigeren Modephänomenen werden. Äußerst plastisch weisen Hitzler/Honer (1994: 308) darauf hin, »daß der Mensch heute mental typischerweise ›im Freien‹ steht und berieselt, beregnet, überschüttet wird mit religiösen, esoterischen, chauvinistischen, nationalistischen, internationalistischen, klassenkämpferischen, konsumistischen, ökologischen, sexistischen und dergleichen Ideen mehr«. Was die Menschen an ›Möglichkeitsraum‹ hinzugewonnen haben, ist immer in Gefahr, gleich wieder fremdbesetzt zu werden. Das gilt für die Sexualität, die tendenziell in Marktmechanismen eingebunden wird, für die Gestaltung des Aussehens und den angestrebten Lebensstil. Das gilt aber auch für die Bilder in den Köpfen, für Wünsche, Träume und Phantasien, die durch Medien, Produktwerbung und Kulturindustrie in einem Zuge freigesetzt und enteignet werden. Marktmechanismen und gesellschaftliche Medien dringen auf breiter Front in die durch die Auflösung traditionaler Bindungen unterbestimmte Privatsphäre ein und liefern die Menschen bis in alle Fasern der Existenz an eine bislang unbekannte Außensteuerung aus.

Do-it-yourself als Arbeit am eigenen Selbst Gegen die gesellschaftlichen Tendenzen zur zunehmenden Außensteuerung und Fremdbestimmung, durch die das Individuum zum »Spielball von Moden, Verhältnissen, Konjunkturen und Märkten« (Beck 1986: 211) wird, rebelliert der moderne Sinnbastler. Wie der originale Bastler sich den Normierungs- und Standardisierungszwängen der Warenwelt zu entziehen sucht, indem er zumindest sein Haus und seinen Garten aus den diversesten Elementen zusammenbastelt – gegen die übergreifenden Entwürfe von Chefplanern, Außen- und Innenarchitekten –, so wählt der stilisierende Sinnbastler unter den je aktuellen Lebenssinn- und Lebensstilangeboten die Elemente und Versatzstücke aus, aus denen er sein individuelles Lebensstilpaket zusammenstellt. Wie in Bastelkursen der Reiz darin liegt, dass jeder aus dem gleichen Material etwas Eigenes macht, in das Produkt also ›etwas von sich hineinlegt‹, so ist das Sinnbasteln des individualisierten Menschen stets die Verarbeitung von vorgefertigten Sinnelementen zu einem originellen Sinnganzen. 23

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Im Unterschied zum Konstruieren, das nach einem festen Plan und unter professioneller Anleitung erfolgt, meint Basteln ein »durchaus zwischen Dilettantismus und Genialität changierendes Werkeln und Wirken« (Hitzler/Honer 1994: 310). Die Materialien und Mittel des Bastlers sind im Vergleich zu denen des Fachmanns oft abwegig. »Die Regel seines Spiels besteht immer darin, jederzeit mit dem, was ihm zur Hand ist, auszukommen« (Lévi-Strauss 1968: 30). Gerade indem das Sinn- und Identitätsbasteln ohne festen Entwurf arbeitet und sich mit den zuhandenen Mitteln behelfen muss, zeitigt es oft »glänzende und unvorhergesehene Ergebnisse« (ebd.). Der spätmoderne Sinnbastler kann unbeschwert von Vorschriften und Normen sein Leben gestalten, verschiedene Wege ausprobieren, mit unterschiedlichen Formen experimentieren. Im Vergleich zum zielgerichteten ›heroischen Subjekt‹ der Moderne verfügt er über eine größere Fähigkeit zur ›Kontingenzbewältigung‹, d.h., er kann weit besser Zufälle, Widersprüche und Ungereimtheiten aushalten – eben weil er nicht den ›großen Plan‹ im Hinterkopf hat, ein Ziel, das er unter allen Umständen verwirklichen will. Das Konzept eines stilisierenden Sinnbastelns als eines quasikünstlerischen Verfahrens, in dem diverse und disparate Elemente zu einem ästhetischen Sinnganzen verarbeitet werden, das dem Leben eine Form verleiht, weist deutliche Parallelen zu den – von der antiken Philosophie inspirierten und theoretisch ungleich anspruchsvolleren – Konzepten einer »Ästhetik der Existenz« und der »Lebenskunst« bei Michel Foucault (vgl. 1989a, 1989b) und (in seiner Nachfolge) bei Wilhelm Schmid (1991) auf. Unter »Ästhetik der Existenz« bzw. »Lebenskunst« versteht Foucault bestimmte Selbstpraktiken, mit denen die Menschen »sich selber zu transformieren, sich in ihrem besonderen Sein zu modifizieren und aus ihrem Leben ein Werk zu machen suchen, das gewisse ästhetische Werte trägt und gewissen Stilkriterien entspricht« (Foucault 1989a: 18; Hervorh. E/R). Wie die Lebenskunst hat das stilisierende Sinnbasteln sein Paradigma in der Existenz des Künstlers. Analog zur Kunsterfahrung geht es um den kreativen Umgang mit dem Multiplen, die experimentelle Gestaltung des Eigenen im Mannigfaltigen, den Mut 24

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zur Offenheit und Unabgeschlossenheit einer Arbeit, in der sich der Raum für neue Erfahrung auftun kann. Das schöpferische Subjekt der Lebenskunst wie des Sinnbastelns ist weder das ›Genie‹ noch das ›authentische Subjekt‹, das in der Regel mit dem Konzept der Kreativität verbunden ist. In beiden Fällen von ›Selbsttechniken‹ liegt die Kreativität vielmehr in ihrer technischen Seite – in der Fähigkeit, prinzipienentlastet und ohne festen Plan mit diversen Techniken und Materialen zu experimentieren, in der Bereitschaft, Regeln zu befolgen und zu durchbrechen, um sie neu zu formulieren. Ziel ist es in jedem Falle, dem eigenen Leben Stil zu geben, es in eine – zumindest provisorische – Form zu bringen. Beispiele für den Versuch, eine Brücke zwischen Kunst und Leben zu schlagen, finden sich bei den Avantgardekünstlern zu Beginn des vorigen Jahrhunderts, den Surrealisten und Dadaisten. War damals die Bastelmentalität aber noch auf eine künstlerische Elite beschränkt, in der sie zum Teil kuriose Blüten getrieben hat, so nehmen in der Spätmoderne, wie es scheint, Alltag und Lebenslauf jedes Einzelnen dadaeske Züge an.

Zur vertiefenden Lektüre Hitzler, Ronald (1988): Sinnwelten, Opladen: Westdeutscher Verlag. Hitzler, Ronald (1993): »Sinnbasteln. Zur subjektiven Aneignung von Lebensstilen«. In: Ingo Mörth/Gerhard Fröhlich (Hg.), Kultur und soziale Ungleichheit, Frankfurt/M.: Campus. Hitzler, Ronald/Honer, Anne (1994): »Bastelexistenz. Über subjektive Konsequenzen der Individualisierung«. In: Ulrich Beck/Elisabeth Beck-Gernsheim (Hg.), Riskante Freiheiten, Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 307-315.

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2.2 Jenseits des Eindeutigkeitszwangs: Das Patchwork der Identitäten Vom ›klassischen Patchwork‹ zum ›Crazy Quilt‹ Stärker noch als das Modell der ›Bastelexistenz‹ akzentuiert die von dem Münchner Sozialpsychologen Heiner Keupp eingeführte Metapher von der »Patchwork-Identität«, die in der sozialwissenschaftlichen Identitätsdebatte der letzten Jahre große Resonanz gefunden hat, den Projekt- und Prozesscharakter sowie die ästhetisch-kreative Dimension von Identitätsbildungsprozessen in der enttraditionalisierten und fragmentierten Sozialwelt der Spätmoderne. Keupp versucht, die Differenz zwischen den Identitätsformationen in der ›Ersten Moderne‹ und in der ›Zweiten Moderne‹ zu veranschaulichen, indem er die jeweiligen Typen der Identitätsbildung mit zwei unterschiedlichen Verfahren bei der Herstellung eines Flickenteppichs analogisiert: – Dem herkömmlichen, von dem amerikanischen Sozialpsychologen Erik H. Erikson (1902-1994) klassisch formulierten Identitätsbegriff mit seinen Vorstellungen von Einheit, Kontinuität und Kohärenz sowie seiner Betonung eines in der Adoleszenz zu erwerbenden ›inneren Kerns‹ der Persönlichkeit entsprechen nach Keupp die »klassischen Patchworkmuster«. »Da sind geometrische Muster in einer sich wiederholenden Gleichförmigkeit geschaffen worden. Sie gewinnen eine Geschlossenheit in diesem Moment der durchstrukturierten Harmonie, in einem Gleichgewichtszustand von Formund Farbelementen« (Keupp 1989: 64). Das Identitätskonzept Eriksons, das Identität als lebensgeschichtlich zu erwerbenden ›inneren Besitzstand‹ begreift, der dem Individuum eine erfolgreiche Lebensbewältigung sichert, sieht Keupp als unlösbar mit dem Projekt der Moderne verbunden. Es überträgt das spezifisch moderne Ordnungs- und Fortschrittsdenken auf die Identitätsthematik und unterstellt eine gesellschaftliche Einheit und Kontinuität, in die sich die Identitätsbildungsprozesse der Individuen verlässlich einbinden lassen. – Durch die gesellschaftlichen Prozesse der Enttraditionalisie26

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rung, Individualisierung, Pluralisierung und Entgrenzung, die mit Begriffen wie ›Risikogesellschaft‹, ›Postmoderne‹ oder ›Zweite Moderne‹ angesprochen sind, verlieren die Biografien und Selbstfindungsprozesse der Individuen ihre gesellschaftliche ›Passform‹. Keupp vergleicht die Identitätsbildung unter diesen gesellschaftlichen Bedingungen mit einem ›Crazy Quilt‹. »Der ›Crazy Quilt‹ […] lebt von seiner überraschenden, oft wilden Verknüpfung von Formen und Farben, zielt selten auf bekannte Symbole und Gegenstände. Gerade in dem Entwurf und der Durchführung eines solchen ›Fleckerlteppichs‹ kann sich eine beeindruckende schöpferische Potenz ausdrücken« (Keupp 1989: 64). Die klassische Vorstellung von Identität als einer fortschreitenden und abschließbaren Akkumulation eines ›inneren Besitzstandes‹ wird in dieser Sicht abgelöst von der Idee, dass unter spätmodernen Bedingungen die Identitätsbildung die Form einer offenen, prinzipiell unabschließbaren ›alltäglichen Identitätsarbeit‹, einer »permanenten Passungsarbeit zwischen inneren und äußeren Welten« (Keupp 1999: 30) annimmt. Identitätsarbeit als kontinuierliches matching von innerer und äußerer Welt, das die Subjekte mit der sozialen und kulturellen Welt verklammert, wird notwendig in einer zunehmend komplexen und pluralisierten Sozialwelt, in der ein unproblematisches Hineinwachsen der nachwachsenden Generation in eine sozial vorgezeichnete, gesicherte und dauerhafte Identität nicht mehr möglich ist. »In uns wirken widersprüchliche Identitäten, die in verschiedene Richtungen drängen, so dass unsere Identifikationen beständig wechseln. […] Die völlig vereinheitlichte, vervollkommnete, sichere und kohärente Identität ist eine Illusion. In dem Maße, in dem sich die Systeme der Bedeutung und der kulturellen Repräsentation vervielfältigen, werden wir mit einer verwirrenden, fließenden Vielfalt möglicher Identitäten konfrontiert, von denen wir uns zumindest zeitweilig mit jeder identifizieren können« (Hall 1994g: 183). Unter diesen Bedingungen verlieren Vorstellungen eines kompakten, unteilbaren, selbstidentischen Ich ihre soziale Passform. Angesichts des Zerfalls überkommener Identitätsschablonen und handlungsleitender Gewissheiten findet das Ich keinen Haltepunkt mehr, kei27

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nen »Fels, an dem der Spaten sich zurückbiegt« (Adorno). Selbst die Kernbestände unserer Identitätskonstruktionen – Geschlechtsidentität, Klassenidentität, ethnische Identität – haben ihre ›natürliche‹ Qualität als Identitätsgaranten verloren. In dem Maße, in dem die soziokulturellen Identitätsgarantien wegschmelzen, entsteht die Gefahr einer Dissoziation, einer Aufsplitterung des Subjekts. Entsprechend bestimmen Verfallsmetaphern vom Ich als »proteischem Chamäleon« (Robert Lifton), als »zersplittertem Hohlspiegel« (Ulrich Beck), als »mittelpunktlosem Netz« (Richard Rorty) oder als »Straßenkreuzung, auf der es rauscht« (Peter Gross) den aktuellen Identitätsdiskurs. Die von dem Aufklärer Michel Montaigne (1533-1592) schon zu Beginn der Moderne formulierte Diagnose, das Individuum sei »aus lauter Flicken und Fetzen so kunterbunt unförmlich zusammengestückt, daß jeder Lappen jeden Augenblick sein eigenes Spiel treibt« (zit. nach Welsch 2000: 838), scheint sich demnach in der Spätmoderne endgültig zu bewahrheiten. In scharfer Absetzung zu der verbreiteten kulturkritischen Verfallsrhetorik hält Keupp mit der Metapher von der ›Crazy Quilt‹-Identität daran fest, dass Identitätsbildung unter Bedingungen der Spätmoderne einen ästhetisch-kreativen Prozess von Selbstorganisation darstellt. »Wir haben es nicht mit ›Zerfall‹ oder ›Verlust der Mitte‹ zu tun, sondern eher mit einem Zugewinn kreativer Lebensmöglichkeiten« (Keupp 1989: 64).

Zur vertiefenden Lektüre Keupp, Heiner (1993): »Grundzüge einer reflexiven Sozialpsychologie. Postmoderne Perspektiven«. In: Heiner Keupp (Hg.), Zugänge zum Subjekt. Perspektiven einer reflexiven Sozialpsychologie, Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 226-274. Keupp, Heiner/Höfer, Renate (Hg.) (1997): Identitätsarbeit heute. Klassische und aktuelle Perspektiven der Identitätsforschung, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Keupp, Heiner et al. (1999): Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne, Reinbek: Rowohlt.

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2.3

Das flexible Selbst: Prekäre Identitätsarbeit in der Ära des neuen Kapitalismus

Die dargestellten Modelle der ›Bastelexistenz‹ und der ›Patchwork-Identität‹ akzentuieren, wie gesehen, die Offenheit und den ästhetisch-kreativen Charakter von Identitätsbildungsprozessen in der individualisierten und fragmentierten Sozialwelt der Spätmoderne. Die Ausbildung einer offenen und flexiblen Identität, in der immer wieder neue Lebensformen erprobt werden, stellt jedoch, wie sozialwissenschaftliche Beobachter betonen, ein höchst belastendes, störungsanfälliges und riskantes Projekt dar, das hohe Anforderungen an die Individuen und die Gesellschaft stellt. Gefordert sind vor allem – – – –

ausreichende materielle Absicherung, Beziehungs- und Kommunikationsfähigkeit, Fähigkeit zum Aushandeln, kreative Gestaltungskompetenz.

Letztlich setzen all diese Bedingungen die soziale Anerkennung des Einzelnen und seine Teilhabe am gesellschaftlichen Lebensprozess voraus. In einer Gesellschaft, die zunehmend allein auf die Regulationskraft des Marktes vertraut, kollektive Formen solidarischer Unterstützung abbaut und immer größere Bevölkerungskreise von der sozialen Teilhabe ausschließt, wird für viele Menschen die Suche nach Identität und Lebenssinn zu Zerreißprobe. Allzu leicht wird dann die Bastelbiografie zur Bruch- oder Zusammenbruchsbiografie (vgl. Beck 1995: 11). Was die massenhafte Ausbreitung von Arbeitslosigkeit, ungesicherten Beschäftigungsverhältnissen und diskontinuierlichen, ›zerhackten‹ Erwerbsverläufen unter den Bedingungen der neoliberalen Ökonomie für die Identitätsbildung der Menschen bedeutet, wird deutlich, wenn man einen Blick auf den Zusammenhang von persönlicher Identität und Erwerbsarbeit in der klassischen ›Moderne‹ richtet.

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Identität und Erwerbsarbeit Wer auf einer Abendeinladung mit einem Unbekannten ins Gespräch kommt und von diesem nach einer Weile gefragt wird »Was sind Sie?«, wird in aller Regel spontan nicht sein Hobby (»Segler«), sein Sternzeichen (»Wassermann«), seinen Familienstand (»Vater«), seine sexuelle Orientierung (»Hetero«), seine Religion (»katholisch«) oder seine Parteizugehörigkeit (»Sozialdemokratin«) preisgeben, sondern den Beruf nennen: »Kaufmann«, »Apothekerin« oder »Studienrat«. So seltsam es ist, eine Person mit ihrem Beruf gleichzusetzen: In unserer Gesellschaft dient der Beruf als Identitätsschablone, mit deren Hilfe wir uns selbst unserer Umwelt präsentieren und andere Menschen bzgl. Einkommen, Ansehen, Sozialkontakten, Interessen, Lebensstil und Geschmack taxieren. Arbeit – genauer: Erwerbsarbeit – ist für die Menschen in der Industriegesellschaft zum Rückgrat ihrer gesamten Lebensführung geworden. Neben der Familie bildet sie den zweiten großen Sinn- und Identitätsanker, der den Menschen in der Moderne geblieben ist. In unserer Gesellschaft wird Leben als Arbeit und Arbeit als Erwerbsarbeit wahrgenommen. Die Industriegesellschaft ist durch und durch eine Arbeitsgesellschaft, genauer: eine Erwerbsarbeitsgesellschaft. Unser Alltag, unsere Biografie, unsere ganze Lebensweise ist um die Erwerbsarbeit zentriert. Die Erwerbsarbeit ermöglicht soziale Teilhabe, sie weist uns einen sozialen Status zu, verleiht Prestige, soziale Anerkennung und Selbstachtung. Sie trägt so wesentlich dazu bei, uns direkt oder indirekt in die Gesellschaft einzubinden. Die Erwerbsarbeit ist in der industriellen Arbeitsgesellschaft das Hauptmedium der Vergesellschaftung und der Identitätsbildung. Auch nach der klassischen Identitätstheorie von Erik H. Erikson (1973) ist die Berufsarbeit der entscheidende Stützpfeiler für die lebenslang stabile Identität des Einzelnen. Die Berufswahl ist für Erikson die zentrale identitätsstiftende Entscheidung, die der Jugendliche nach einer Phase ›krisenhafter Auseinandersetzung‹ trifft. Das ›commitment‹, d.h. das Sich-Verpflichten auf einen gewählten Beruf, ist für Erikson das wesentliche Kriterium gelin30

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gender Identität. Berufswahl und Berufseinstieg sind demnach die ausschlaggebenden Kriterien dafür, ob der Jugendliche ›seinen Platz‹ in der Erwachsenenwelt und die damit verbundene Anerkennung findet.

Das industrielle Zeitregime und das erzählte Selbst Zum Anker für die persönliche Identität wird die Erwerbsarbeit für die Menschen in der industriellen Moderne vor allem dadurch, dass sie dem Alltag wie dem gesamten Lebenslauf ihren zeitlichen Rhythmus aufprägt. Sie unterteilt den Tag in die Sinnbezirke Arbeit und Freizeit, das Jahr in Arbeitstage und Urlaubstage, das Leben – zunächst der Männer, zunehmend auch der meisten Frauen – in die Phasen der Ausbildung, der Berufstätigkeit und des ›Ruhestands‹. Auch die (erwerbs-)arbeitsfreien Zeiten und Lebensphasen erhalten in diesem industriellen ›Zeitregime‹ ihren Sinn und Wirklichkeitsgehalt erst durch die klare Grenzziehung zur Erwerbsarbeit: als ›Ausgleich‹, ›Erholung‹ oder ›Ergänzung‹. Die Erwerbsarbeit ermöglicht in der industriell-kapitalistischen Gesellschaft eine verlässliche »Einbettung« (Giddens 1997: 123) der individuellen Lebensführung in einen stabilen zeitlichen und kulturellen Rahmen, der Sicherheit, Klarheit und Kontinuität verbürgt. Die Vorstellung einer ›Normalbiografie‹ – die auf der Unterstellung einer zeitlich stabilen, lebenslangen Ganztagsarbeit beruht – liefert dem Einzelnen gewissermaßen die zeitlichen Korsettstangen, die es ihm erlauben, die Vielfalt lebensgeschichtlicher Episoden, Fragmente und Erfahrungen zu einer einheitlichen, kohärenten Lebensgeschichte, d.h. zu einer sinnhaften ›Biografie‹ zu bündeln. Biografien wie Identitäten sind ›narrative Konstruktionen‹ (Kraus 1996). Ihre Kohärenz, ihr ›Sinn‹ wird über erzählte Geschichten gestiftet. »Erst in einer Geschichte, in einer geordneten Sequenz von Ereignissen und deren Interpretation gewinnt das Chaos von Eindrücken und Erfahrungen, dem jeder Mensch täglich unterworfen ist, eine gewisse Struktur, vielleicht sogar einen Sinn«, wie Heiko Ernst (1996: 202) betont. In der industriellen Moderne liefert, wie gesehen, die Berufsarbeit mit ihren festgelegten Funktionen, langfristigen Bindun31

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gen und klaren Karrierepfaden die Sinnstruktur, gewissermaßen den ›roten Faden‹ der erzählten Lebensgeschichte und der Identität des Einzelnen. Sie stellt die Schnittmuster bereit, nach denen Menschen sich biografisch entwerfen und ihrem Leben Sinn und ›Realität‹ verleihen. Schon Sigmund Freud (1856-1939) (1994: 46) hat betont: »Keine andere Technik der Lebensführung bindet den einzelnen so fest an die Realität als die Betonung der Arbeit, die ihn wenigstens in ein Stück der Realität, in die menschliche Gemeinschaft sicher einfügt.«

Systemwandel der Erwerbsarbeit und das ›Regime der Kurzfristigkeit‹ Ein Zukunftsszenario: In 25 Jahren stehen Millionen beschäftigungsloser Menschen nahezu menschenleeren Fabriken gegenüber. Computer, Telekommunikation und Roboter haben einen derartigen Produktivitätszuwachs bewirkt, dass 20 % der arbeitsfähigen Bevölkerung ausreichen, um die Wirtschaft in Schwung zu halten. Dies ist nicht die Horrorvision eines Zynikers oder notorischen Schwarzsehers, sondern die Zukunftsprojektion führender Politiker, Wirtschaftsführer und Wissenschaftler auf einer Weltkonferenz in San Francisco vor wenigen Jahren. Wir nähern uns, so die Annahme, einer ›20:80-Gesellschaft‹: Nur noch ein Fünftel der Bevölkerung wird für die Produktion benötigt, der Rest bleibt ohne Job. Diese Vision mag übertrieben sein, doch an einer Einsicht führt kein Weg vorbei: Es gibt kein Zurück zur Vollbeschäftigung. Arbeitslosigkeit wird im globalen Informationszeitalter zur gesellschaftlichen ›Normalität‹. Die anhaltend hohe offizielle Arbeitlosenquote bildet dabei nur die Spitze des Eisbergs. Wir haben es mit einem dramatischen »Systemwandel der Erwerbsarbeit« (Beck 1999: 94) zu tun, der eine sich permanent ausweitende Grauzone zwischen Arbeit und Nichtarbeit (in Form ungesicherter und fragmentierter Beschäftigungsverhältnisse) eröffnet und sich für immer größere Bevölkerungskreise als ›Fahrstuhl nach unten‹, als Abstieg ins Prekäre vollzieht. Stand die in den letzten 100 Jahren entstandene indus32

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trielle ›Arbeitsgesellschaft‹ unter dem Vorzeichen einer hochgradigen Standardisierung der Arbeit (des Arbeitsvertrages, des Arbeitsortes und der Arbeitszeit), so weicht in der deregulierten, ›postfordistischen‹ Ökonomie des globalen Kapitalismus das System der betrieblich organisierten »lebenslangen Ganztagsarbeit« einem »Risokoregime« (ebd.: 75), d.h. einer politischen Ökonomie der Unsicherheit, Ungewissheit und Entgrenzung. Mit dem Risikoregime entsteht ein »entstandardisiertes, fragmentiertes, plurales ›Unterbeschäftigungssystem‹ mit hochflexiblen, arbeitszeitlich und räumlich dezentralen, deregulierten Einsatzformen von Erwerbsarbeit« (ebd.: 80). Nach Ulrich Beck (ebd.: 94ff.) droht den westlichen Industrieländern eine »Brasilianisierung« der Arbeitswelt, d.h. eine rasante Zunahme informeller, prekärer, geringwertiger ›McJobs‹. Insbesondere die kurzfristig Beschäftigten drohen zu einer neuen Klasse der working poor zu werden. In Deutschland wird nach Schätzungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung schon in wenigen Jahren nur noch die Hälfte der abhängig Beschäftigten arbeits- und sozialrechtlich abgesicherte Vollarbeitsplätze haben. »Die höchste Zuwachsrate überall auf der Welt haben flexible Arbeit und prekäre Beschäftigung. Das gilt auch für Deutschland. Von 1980 bis 1995 sank der Anteil von abhängig Beschäftigten in Normalarbeitsverhältnissen hierzulande von 80 auf etwa 68 Prozent. Noch Anfang der 70er Jahre standen einem Nicht-Normbeschäftigten fünf Normbeschäftigte gegenüber. Anfang der 80er Jahre lag das Verhältnis bei 1:4, Mitte der 80er Jahre bereits bei 1:3, Mitte der 90er Jahre bei 1:2. Bei Fortschreibung dieses Trends wird das Verhältnis in 15 Jahren bei 1:1 liegen« (ebd.: 86). Der globalisierte, digitalisierte, deregulierte Markt spaltet die Gesellschaft in eine Minderheit von Gewinnern (Eigner des globalisierten Kapitals, Zeitarbeiter und Selbstunternehmer mit spezifischen Bildungspatenten in hochdotierten Positionen) und eine Mehrheit von Verlierern (Gering- und Unqualifizierte mit mehreren Billigjobs). Beide Gruppen sehen sich letztlich der gleichen unerbittlichen Forderung des Marktes gegenüber: Verhalte dich flexibel, sei offen für kurzfristige Veränderungen und bereit, ständig Risiken einzugehen!

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Der ›flexible Mensch‹ – eine Collage aus Fragmenten Für den amerikanischen Soziologen Richard Sennett wirft vor allem die Zeitdimension des neuen Kapitalismus – das »Regime der Kurzfristigkeit« – gravierende Fragen für das Gefühlsleben und die Identitätsbildung der Menschen auf: »Wie lassen sich langfristige Ziele in einer auf Kurzfristigkeit angelegten Gesellschaft anstreben? Wie sind dauerhafte soziale Bindungen aufrechtzuerhalten? Wie kann ein Mensch in einer Gesellschaft, die aus Episoden und Fragmenten besteht, seine Identität und Lebensgeschichte zu einer Erzählung bündeln?« (Sennett 1998: 31). Für Sennett verändert der kurzfristig agierende Kapitalismus nicht nur die ›Passformen‹ für Lebenssinn und ein kohärentes Selbstbild, er bedroht vielmehr die Identitätsbildung schlechthin. Den kurzfristigen, prekären, ständig riskanten Beschäftigungsverhältnissen entspricht als Subjektstruktur ein »nachgiebiges Ich, eine Collage aus Fragmenten, die sich ständig wandelt, sich immer neuen Erfahrungen öffnet« (ebd.: 182). Die »moderne Politökonomie« mit ihren fragmentierten, ›zerhackten‹ Erwerbsbiografien raubt den Individuen die Möglichkeit, eine zusammenhängende Lebensgeschichte zu erzählen. Ergebnis ist eine »Psyche in einem Zustand endlosen Werdens – ein Selbst, das sich nie vollendet« (ebd.: 182). Zwar trifft sich diese Diagnose durchaus mit den erwähnten ›postmodernen‹ Konzeptionen von ›Bastelexistenzen‹ und ›Patchwork-Identitäten‹, doch akzentuiert Sennett stärker die Verlustseite der ökonomischen und kulturellen Wandlungsdynamiken. Orientiert am Kohärenzprinzip der klassischen Identitätsforschung, hat er weniger die erweiterten Möglichkeitsräume und die kreativen Akte der Selbstorganisation in der ›reflexiven Moderne‹ im Blick als die um sich greifenden Gefühle der Unbehaustheit, der Orientierungslosigkeit und des Kontrollverlustes. Keupp et al. (1999: 59) sehen in Sennetts Bild des ›flexiblen Menschen‹ im neuen Kapitalismus gar einen »intellektuellen Trauergesang auf den Verlust einer kohärenten Identität«.

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Identität jenseits der Erwerbsarbeit? »[…] auf den Einzelnen kommen kaum mehr als vier Stunden Arbeit am Tage. Die übrige Zeit kann jeder nach seinem Belieben mit angenehmen Studien, mit Disputieren, Lesen, Erzählen, Schreiben, Spazierengehen oder mit geistigen und körperlichen Übungen zubringen.« Im Jahre 1623 entwarf der italienische Philosoph Tommaso Campanella (1568-1639) die Utopie einer Gesellschaft, in der die Menschen weitgehend vom Zwang fremdbestimmter Arbeit befreit sind und ausreichend Zeit haben, sich selbstbestimmten, sinnvollen Tätigkeiten zu widmen. Campanellas Vision vom ›Sonnenstaat‹ hat eine verblüffende Aktualität. In Politik und Sozialwissenschaften gibt es seit Jahren eine intensive Debatte um die ›Zukunft der Arbeit‹. Da der Weg zurück in die Vollbeschäftigung verbaut scheint, wird viel Gedankenarbeit und soziale Phantasie auf ein grundlegend neues Verhältnis von Arbeit und Leben, auf den Entwurf einer Gesellschaft nach der Arbeitsgesellschaft verwandt. Die verschiedenen Modelle zur ›Zukunft der Arbeit‹ bzw. zur ›Arbeit der Zukunft‹ – von Friedrich Fürstenbergs Idee einer »dualen Wirtschaft« (1987) über Claus Offes Vorschlag eines freiwilligen Verzichts auf die Teilnahme am Arbeitsmarkt (1995) bis zu Ulrich Becks Vision einer »Bürgerarbeit« (1999) – treffen sich in der Absicht, den Rückgang der Erwerbsarbeit durch die Ausweitung eines gemeinwirtschaftlichen Beschäftigungssektors zu kompensieren, in dem gesellschaftlich nützliche Tätigkeiten verrichtet werden. Freiwillige, selbst organisierte Formen bürgerschaftlichen Engagements könnten, so die gemeinsame Grundidee, jenseits bezahlter Erwerbsarbeit als »alternative Aktivitätsund Identitätsquelle« (Beck 1999: 129) dienen, die den Menschen Befriedigung und Lebenssinn verschafft. Derartige Modelle, die eine Geringerbewertung der Erwerbsarbeit und eine Aufwertung niedrigbezahlter Eigenarbeit propagieren, klingen in den Ohren der Betroffenen vermutlich eher zynisch, verraten sie doch, dass Überlebensformen mit einem Einkommen unter dem Existenzniveau dem Forschungsblick der Experten offenkundig schwer zugänglich sind. Abgesehen davon 35

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verfehlen sie, wie Keupp et al. (1999: 123) zu Recht hervorheben, den Kern der Bedeutung von Erwerbsarbeit für die Identitätsentwicklung, der in der Möglichkeit produktiver Selbstverwirklichung, sozialer Anerkennung und gesellschaftlicher Teilhabe besteht. »Solange die Gesellschaft ein bestimmtes – an der Logik des Kapitals orientiertes – Verständnis von Erwerbsarbeit in das Zentrum ihrer gesellschaftlichen Organisation stellt, solange soziale Anerkennung und gesellschaftlicher Einfluss dadurch vermittelt werden, solange Produktivität, (materieller) Gewinn und Konsum vor allem in ihren quantitativen Dimensionen die herrschenden Werte dieser Gesellschaft sind, bleibt Erwerbsarbeit die wesentliche Schnittstelle, an der sich die einzelnen an dieser Gesellschaft beteiligen und die sie mitgestalten können. Alles andere sind nicht nur schlechter bezahlte, sondern auch geringer geschätzte, weniger ernstzunehmende, weniger anerkannte und letztlich eher privat bleibende ›Hobbys‹« (Keupp et al. 1999: 123f.). Teilhabe an der Erwerbsarbeit ist bis heute für viele Menschen die wichtigste, nicht selten die einzige Möglichkeit, die Erfahrung der Zugehörigkeit zu machen, soziale Beziehung zu erleben, Anerkennung und Wertschätzung zu erfahren. Vor allem für junge Erwachsene ist die Erwerbsarbeit als Sinn- und Identitätsanker ohne Alternative. Nach wie vor gilt ein Arbeitsplatz als Eintrittskarte in unsere Gesellschaft. Empirische Studien zeigen einen (scheinbar) paradoxen Befund: Je geringer der Anteil von Jugendlichen, die einen Arbeitsplatz haben, desto höher die Wertschätzung der Erwerbsarbeit. In der »Shell-Studie« von 1997 bezeichnen 64 Prozent der Jugendlichen Arbeitslosigkeit als »das Hauptproblem der Jugendlichen«. »Arbeitslosigkeit und die in ihrem Kontext stehenden Schwierigkeiten sind für die Jugendlichen heute die gravierendsten Probleme von Gesellschaft und werden als die große Belastung und Beeinträchtigung der persönlichen Zukunft empfunden« (Jugendwerk der Deutschen Shell 1997: 293). Sicher stellt die ausschließliche Orientierung auf Erwerbsarbeit, die sich in derartigen Befunden zeigt, angesichts der prekären Arbeitsmarktsituation im digitalen Kapitalismus einen biografischen Drahtseilakt mit erheblichem Risiko dar. Die Gefahr 36

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des Abstürzens ganzer Generationen und Bevölkerungsschichten und ihres Ausschlusses von der sozialen Teilhabe lässt sich nicht durch den »öffentlich zelebrierten Glauben an die Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung« (Beck 1999: 93) bannen, sondern nur durch energische Anstrengungen, Fehlentwicklungen der industriegesellschaftlichen Moderne, vor allem die ›totale Mobilmachung für die Arbeit‹, zu korrigieren. Die zynische Aufforderung an junge Menschen, etwas anderes als Erwerbsarbeit ins Zentrum ihrer Identitätsarbeit zu stellen, schiebt jedoch die Verantwortung für die Lösung eines gesellschaftlich produzierten Problems den Individuen zu. Sie setzt die Individuen Zerreißlagen aus, die sie mit den ihnen verfügbaren Ressourcen und Kontrollmöglichkeiten hoffnungslos überfordern.

Zur vertiefenden Lektüre Beck, Ulrich (1999): Schöne neue Arbeitswelt. Vision: Weltbürgergesellschaft, Frankfurt/M.: Campus. Negt, Oskar (2003): »Flexibilität und Bindungsvermögen. Grenzen der Funktionalisierung«. In: Alexander Meschnig/ Mathias Stuhr (Hg.), Arbeit als Lebensstil, Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 13-25. Rifkin, Jeremy (1995): Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft, Frankfurt/M.: Fischer. Sennett, Richard (1998): Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin: Berlin Verlag.

2.4 Das nomadische Selbst: Prototypen postmoderner Lebensführung »Heutzutage scheint sich alles gegen […] lebenslange Entwürfe, dauerhafte Bindungen, ewige Bündnisse, unwandelbare Identitäten zu verschwören. Ich kann nicht langfristig auf meinen Arbeitsplatz, meinen Beruf, ja nicht einmal auf meine eigenen Fähigkeiten bauen. […] Auch auf Partnerschaft oder Familie ist Zukunft nicht mehr zu gründen; […] die Bindung gilt von vornherein nur ›bis auf weiteres‹, die intensive 37

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Bindung von heute macht Frustrationen morgen nur um so heftiger« (Bauman 1993: 17). Der britisch-polnische Soziologe Zygmunt Bauman, wohl der bedeutendste unter den soziologischen Interpreten der ›Postmoderne‹, beschreibt hier eine verbreitete Grunderfahrung der Menschen in fortgeschrittenen Industriegesellschaften. Er vergleicht die Situation des Menschen in der ›Postmoderne‹ mit der Lebensform des Nomaden, der ruhe- und orientierungslos seine Aufenthaltsorte wechselt, fortgetrieben von der »nie versagenden Hoffnung, der nächste Ort [...] möchte frei sein von den Mängeln, die ihm die bisherigen verleidet haben« (ebd.: 17). Der Angelpunkt der postmodernen Lebensstrategie heißt für Bauman nicht Identitätsbildung, sondern Vermeidung jeglicher Bindung und Festlegung. Bestand das Problem der Identität in der Moderne darin, ein stabiles und dauerhaftes Selbst zu konstruieren, so besteht es in der Postmoderne darin, sich alle Optionen offen zu halten, »sich vor langfristigen Bindungen zu hüten: Sich zu weigern, auf die eine oder andere Weise ›festgelegt‹ zu werden; […] keinem Menschen und keiner Sache Beständigkeit oder Treue zu schwören« (Bauman 1997a: 145). Ähnlich wie Sennett sieht auch Bauman den bestimmenden Grundzug der Lebensführung in spätmodernen Gesellschaften im »Regime der kurzfristigen Zeit«. Charakteristisch für das »postmoderne Lebensspiel« ist das Leben im Augenblick. Aus Angst, sich die Zukunft zu verbauen, wird der lineare Fluss der Zeit in eine stete Gegenwart eingeebnet. Ergebnis ist die Fragmentierung der Zeit in Episoden, jede in sich geschlossen, losgelöst von Vergangenheit und Zukunft. »Die Zeit entspricht nicht mehr einem Fluss, sondern einer Ansammlung von Teichen und Tümpeln« (ebd.: 148). Als Ursache für das ›Kurzfristigkeitsregime‹ in der spätmodernen Lebensführung verweist auch Bauman auf die tiefgreifenden sozio-ökonomischen Transformationsprozesse der letzten Jahrzehnte, genauer: auf den Wechsel vom ›fordistischen‹ Regime standardisierter, ortsgebundener Massenproduktion zum ›postfordistischen‹, global agierenden Kapitalismus mit seiner Enträumlichung, Dezentralisierung und Diversifizierung von 38

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Produktionsweisen und Märkten. Während es für Sennett aber vorrangig die Erfahrungen in der modernen Arbeitswelt mit ihrem Mangel an Loyalität und Verbindlichkeit sind, die die Identitätsbildungsprozesse der Menschen bedrohen, scheinen sich für Bauman im postmodernen Persönlichkeitstypus mit seiner chronischen Rastlosigkeit und der geradezu fieberhaften Suche nach Glück und Lebenssinn vor allem die Zwänge der neuartigen und dramatisch erweiterten Konsumsphäre mit ihrer ständigen Bedürfnisstimulation und der Kurzlebigkeit von Reizen und Eindrücken zu spiegeln. »Die Individuen in unserer Zeit sind zuallererst als Konsumenten und nicht als Produzenten gefragt« (Bauman 1995: 79). Die ökonomischen, gesellschaftlichen und kulturellen Umbrüche, die in Baumans Sicht dem Wechsel von der modernen zur postmodernen ›Lebensstrategie‹ zugrunde liegen, sollen hier kurz skizziert werden.

Von der Moderne zur Postmoderne Der Wechsel von der ›modernen‹ zur ›postmodernen‹ Identitätsformation reflektiert für Bauman einen tief greifenden kulturellen Epochenbruch: den Wechsel zwischen ›Modernität‹ und ›Postmodernität‹ als zwei paradigmatischen, grundlegend verschiedenen Sichtweisen der Welt. Das postmoderne Lebensspiel mit seinem ›Kurzfristigkeitsregime‹ ist Teil eines umfassenden, historisch neuartigen ›Wissensregimes‹, eines spezifisch ›postmodernen‹ Typus der Welt- und Selbstdeutung. Bauman hat die kulturellen Aspekte der Postmoderne – den Wandel von Denk- und Wissensformen, von Mentalitäten, Moralvorstellungen und ästhetischen Ausdrucksweisen – ins Zentrum seiner zeitdiagnostischen Betrachtungen und seiner Theoriebildung gestellt, was ihm wiederholt den Vorwurf des ›Kulturalismus‹ eingetragen hat. Dabei wird aber übersehen, dass für Bauman Kultur nicht losgelöst von Macht betrachtet werden kann, was ihn immer wieder zum Wechsel der thematischen Konzentration von kulturellen zu polit-ökonomischen und sozialstrukturellen Fragestellungen veranlasst. Postmoderne Lebensstrategien und Identitätskonstruktionen sind Bauman zufolge ebenso wie die kulturellen Manifestationen der Postmoderne nur als »Aspek39

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Tabelle 2: Moderne und Postmoderne nach Zygmunt Bauman Moderne

Postmoderne

Ökonomie/ Staat

ProduktionskapitalisKonsumkapitalismus mus betriebsabhängige Mas- Enträumlichung, Desenproduktion zentralisierung, Diversifizierung der Produktion und der Märkte lebenslange Ganztags- fragmentierte Erwerbsarbeit biografien; Job-Nomaden Ordnungsfunktion des Schwächung des Staates durch das globale Staates Kapital Abbau des Sozialstaats starker Sozialstaat

Kultur/ Wissen

Kultur als System verbindlicher Werte

Person/ Lebensführung

stabile Ich-Identität

Pluralismus von Traditionen, Werten, Ideologien Krieg gegen Differenz Leben mit Kontingenz und Vielfalt und Ambivalenz Skepsis gegenüber WisWissen als Kontrollsenschaft, Technik, Raund Herrschaftsinstionalität trument Intellektuelle als »InIntellektuelle als ›Gesetzgeber‹ des Wissens terpreten« von Bedeutungen Fortschrittsoptimismus Bewusstsein der Unsicherheit und Selbstgefährdung wechselnde Selbst-Entwürfe; Spiel mit Identitäten langfristige Bindungen Vermeidung von Festlegung Verzicht, Askese Sicherheit und Selbst- Suche nach Genuss Angst und Orientievertrauen rungslosigkeit Zukunftsorientierung Gegenwartsorientierung

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te einer umfassenderen, systemischen Transformation« (ebd.: 75) zu denken. Sozio-ökonomische, kulturelle und personale Dimensionen dieses epochalen Strukturwandels von der ›Moderne‹ zur ›Postmoderne‹ sind für Bauman aufs Engste miteinander verschränkt (vgl. Tabelle 2).

Von der Arbeits- zur Konsumgesellschaft Postmoderne Phänomene im Bereich der Kultur, der Kunst, der Moral, der Lebensstile und Identitätskonstruktionen sind für Bauman »Oberflächenphänomene einer viel tiefgreifenderen Veränderung der sozialen Welt« (ebd.: 96). Den Schlüssel zum Verständnis der kulturellen Postmoderne sucht er in einer epochalen Transformation des kapitalistischen Gesellschaftstypus: dem Übergang vom Produktions- zum Konsumkapitalismus. War im ›modernen‹ Kapitalismus die Arbeit der zentrale Mechanismus der sozialen Integration, d.h. das Band, das die Lebenswelten der Individuen mit der Rationalität des Systems verklammert und so die Gesellschaft zusammenhält, so ist diese Funktion in der ›Postmoderne‹ auf den Konsum übergegangen. Ansteigende Löhne und die Ausweitung der Freizeit haben im entwickelten Kapitalismus zu einer ›Revolution der Erwartungen‹ geführt, die den Bedarf nach den Produkten der kapitalistischen Industrie in immer schwindelerregendere Höhen treibt und die Konsumtion nachhaltig von allen traditionellen Beschränkungen befreit. Der entfesselte Konsumismus bedroht nicht etwa das kapitalistische System, sondern wird zu seinem neuen Antriebsmotor. »In seiner gegenwärtigen Konsumphase setzt das kapitalistische System das Lustprinzip zu seiner eigenen Verewigung ein«, schreibt Bauman (ebd.: 80). Während der klassische Produktionskapitalismus auf Triebverzicht, Befriedigungsaufschub und asketischer Arbeitsdisziplin beruhte, werden im deregulierten, global agierenden Kapitalismus der Postmoderne die Konsummärkte und ihre Attraktionen zum effizienten Mechanismus sozialer Kontrolle und systemischer Reproduktion. Unter diesen Bedingungen kommt es auf mehreren Ebenen zu einem Rückzug des Staates. Zum einen werden staatliche Kontrollund Repressionsmethoden, die stets die Gefahr des Widerstands

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in sich bergen, zunehmend durch die effizienteren und weniger kostenaufwendigen Mechanismen des Marktes (Verführung, Bedürfnisstimulation) ersetzt. »Verführung kann nun […] den Platz der Repression als übergreifendes Vehikel systemischer Kontrolle und gesellschaftlicher Integration einnehmen« (ebd.: 81). Zum anderen kann der Sozialstaat keynesianischer Prägung im postfordistischen Kapitalismus demontiert werden. Da der digitale Kapitalismus in der Lage ist, billige Arbeitskraft von jeder Stelle des Globus aus anzuheuern und zudem Wettbewerbsfähigkeit ohnehin nicht mehr notwendigerweise von der Rentabilität der Produktion, sondern von den Aktienkursen abhängt, sind die traditionellen Leistungen des Sozialstaates (Erzeugung und Wiederherstellung der Arbeitskraft) für das globale Kapital zunehmend verzichtbar. Im »globalen Kuhhandel« (Beck 1997: 17) um die niedrigsten Steuern und die günstigsten Infrastrukturleistungen können die transnationalen global players unter den Schlagworten Deregulierung, Liberalisierung und Flexibilisierung den Staaten ihre Bedingungen diktieren und so eine Entmächtigung nationalstaatlicher Politik betreiben. An die Stelle des Staates tritt zunehmend der Markt als zentrale Steuerungs- und Integrationsinstanz der postmodernen Gesellschaft.

Moderne und postmoderne Weltauffassung Die erwähnten sozio-ökonomischen Transformationsprozesse sind in Baumans Sicht auf kultureller Ebene begleitet von epochalen Verschiebungen zwischen zwei konträren Weltauffassungen und kollektiven Mentalitäten. Das normative Selbstverständnis der ›Moderne‹ ist durch eine Weltsicht geprägt, die sich als »Kultur der Eindeutigkeit« (Nassehi 1999: 41) umschreiben ließe. Auf der Suche nach Sicherheit und umfassender Kontrolle wird allem Mehrdeutigen, Differenten, Ambivalenten der Krieg erklärt. Die ›kulturelle Moderne‹ kommt für Bauman letztlich dem geradezu wahnhaften Versuch gleich, der widerspenstigen, chaotischen Realität mit Hilfe klarer Prinzipien – die in ›objektiver‹ wissenschaftlicher Erkenntnis und in ›universellen‹ moralischen Gesetzen gesucht werden – eine vollkommen homogene und rationale Ordnung aufzuzwingen. Wissen ist in dieser Weltsicht ein Kontroll- und Herrschaftsinstrument, es dient der rationalen Steuerung 42

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der Gesellschaft und der Schaffung eines effizienten Systems sozialer Kontrolle. Dem ›postmodernen Wissen‹ liegt demgegenüber in Baumans Sicht die Erfahrung zugrunde, dass das ›Projekt der Moderne‹ mit seinen großen Visionen von Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und rationaler Ordnung gescheitert ist. Der Modernisierungsprozess hat – wie gegen Ende des 20. Jahrhunderts deutlich wird – neue, bislang unbekannte Dimensionen von Unwissen, Unsicherheit, Unfreiheit und Ungerechtigkeit geschaffen. Die Menschen reagieren auf diese Erkenntnis mit einer tiefen Skepsis gegenüber dem aufklärerischen Glauben an die rationale Planbarkeit und Gestaltbarkeit der Welt. Sie beantworten die Ordnungs- und Uniformierungszwänge der Moderne mit einer bewussten Anerkennung der Vielfalt von Kulturen, Traditionen und Lebensentwürfen. ›Postmodern‹ ist demnach, wer sich der Vielfalt unterschiedlicher Denk- und Lebensformen bewusst ist, wer sensibel ist für das Eigenrecht alles Ausgegrenzten, Abweichenden, Fremden, Zufälligen, Mehrdeutigen, Unbestimmten. An die Stelle der alten Ordnungs- und Ganzheitsvisionen tritt in der Postmoderne eine Kultur der Vielfalt und der Differenz, das Leben mit Ambivalenz, Unsicherheit und Kontingenz.

Das ›freie Individuum‹ in der Postmoderne Bauman geht davon aus, dass die zersetzenden Kräfte des globalen Marktes – Deregulierung, Liberalisierung, Rückzug des Staates – sich nicht nur auf der Ebene der kulturellen Orientierungen und der Wissenssysteme, sondern auch auf der Mikroebene der Lebensführung und der Identität des Subjekts widerspiegeln. Nachdem die ›modernen‹ Träume von objektiver Wahrheit und universeller Moral zerbrochen und alle kollektiven Verbindlichkeiten, Loyalitäten und Maßstäbe unter der Sonne des globalen Marktes verdampft sind, fallen alle institutionellen und kulturellen Stützen für die Lebensführung und Identitätsentwicklung der Subjekte weg. Die freigesetzten, von allen traditionellen Bindungen und Vorgaben ›entbetteten‹ Individuen werden zum Zentrum ihrer eigenen Lebensplanung. Die Identitätsentwicklung der Menschen wird zu einem offenen, unabschließbaren »Prozeß der Selbstkonstitution« (Bauman 1995: 229). 43

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Die Entbettung von Identitäten und die ›Verflüssigung‹ verbindlicher Autoritäten, Institutionen und Orientierungen in der Postmoderne zeitigt nach Bauman höchst widersprüchliche Effekte. Auf der einen Seite verschiebt der neue Pluralismus von Autoritäten und das Fehlen überindividueller verbindlicher Normen entscheidend den Schwerpunkt der postmodernen Existenz von fremdbestimmter Kontrolle zu einer selbstbestimmten Lebensführung. Selbstkontrolle, Selbstreflexion und Selbstbewertung werden zu den wichtigsten Aktivitäten der freigesetzten Subjekte, die sich nun direkt mit den Konsequenzen ihrer Entscheidungen und Handlungen konfrontiert sehen. Die erweiterte Autonomie der Individuen begünstigt potenziell die »Schärfung des moralischen Selbstbewusstseins« (ebd.: 239). Auf der anderen Seite erzeugt der Verlust traditionaler Gewissheiten und Verbindlichkeiten bei den Individuen Gefühle der Angst und Orientierungslosigkeit, die sie in einem rastlosen Streben nach Genuss und einem zwanghaften Konsumismus zu betäuben suchen. Die von den Freiheits- und Entscheidungszumutungen einer deregulierten Welt überforderten Individuen liefern sich so dem offensichtlich unerschöpfbaren Konsummarkt als einer heteronomen Macht aus, die dauerhaft die Ausübung von Autonomie unterminiert und verhindert, dass die Menschen ihr eigenes Leben kontrollieren. Der Massenbetrug des postmodernen Konsumkapitalismus besteht für Bauman darin, dass er Freiheit auf Konsumfreiheit reduziert: »Der Konsumismus verspricht etwas, was er nicht halten kann. Er verspricht die Universalität des Glücks. Jeder hat die Freiheit zu wählen, und wenn nur jeder Zutritt zum Laden hat, dann ist jeder gleich glücklich« (ebd.: 261). Das Bedürfnis der aus hergebrachten Gewissheiten und Sinnwelten ›entbetteten‹, ›mental obdachlosen‹ Individuen der Postmoderne nach Orientierung und Lebenssinn trifft in der Konsumgesellschaft auf gesellschaftlich vorgefertigte, von ›Experten‹ entworfene Lösungen aller Art und jeglicher Preislage. Es entsteht ein Sinn-Markt, eine Art kultureller Supermarkt für Sinnangebote und »Identitätsbausätze zur Zusammensetzung des Selbst« (ebd.: 236). In der Illusion, für sich selbst frei zu entscheiden, scheinen die verunsicherten Subjekte nur allzu bereit, sich von

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der anstrengenden Identitätsarbeit und dem permanenten Entscheidungsdruck zu entlasten, indem sie sich kommerziellen, politischen oder religiösen Sinnlieferanten, den allgegenwärtigen ›Händlern in Sachen Gewissheit‹, anvertrauen. Die Paradoxie individueller Freiheit in der Postmoderne besteht für Bauman darin, dass die gleiche Marktlogik, die die traditionellen Gewissheiten und Bindungen kontinuierlich weggeschmolzen und dadurch einen ›Möglichkeitsraum‹ für die Gestaltung des eigenen Lebens geschaffen hat, die freigesetzten Bedürfnisse, Träume und Phantasien in Marktmechanismen einbindet und so gleich wieder fremd besetzt. Das Versprechen autonomer Wahlund Entscheidungsfreiheit wird durch den Marktmechanismus erzeugt und im gleichen Zuge permanent widerrufen. Nicht das autonome, sondern das verführte Individuum ist in Baumans Sicht der Prototyp postmoderner Existenz.

Touristen und Vagabunden: Helden und Opfer der Postmoderne Neben dem Versprechen der Autonomie ist Bauman zufolge auch das in der postmodernen Markt- und Multioptionsgesellschaft enthaltene Versprechen der Gleichheit, der ›Universalität des Glücks‹, zutiefst selbstwidersprüchlich. Er sieht keinerlei Anzeichen dafür, dass sich unter postmodernen Verhältnissen die für die moderne Klassengesellschaft typischen Ungleichheiten und Verteilungskonflikte abschwächen. Im Gegenteil: Auch die postmoderne Konsumgesellschaft ist eine zutiefst gespaltene Gesellschaft. Während aber in der Moderne die Ungleichheiten und Konflikte sich vorrangig an der Verteilung des Einkommens festmachten, beziehen sich unter postmodernen Bedingungen die sozialen Ungleichheiten auf die Spaltung »zwischen Wahlfreiheit und fehlender Wahlfreiheit, zwischen der Fähigkeit zur Selbstkonstitution und der Verweigerung einer solchen Fähigkeit, zwischen autonom entwickelten Selbstdefinitionen und aufgezwungenen Kategorisierungen, die als beschränkend und lähmend empfunden werden« (ebd.: 233). Wahlfreiheit ist für Bauman der bei weitem folgenreichste Ungleichheitsfaktor in der postmodernen Gesellschaft: »Je mehr Wahlfreiheit, desto höher der eigene

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Rang in der postmodernen sozialen Hierarchie. Postmoderne soziale Unterschiede beruhen auf der jeweiligen Breite des Spektrums realistischer Optionen« (Bauman 1999: 166). Die postmoderne Welt mit ihrer ›Verflüssigung‹ hergebrachter Autoritäten und Bindungen sowie ihrer Forderung an die Individuen, zwischen frei konkurrierenden Stilen und Lebensentwürfen zu wählen und sich eine flexible Identität ohne festes Zentrum und ›bis auf Weiteres‹ zu konstruieren, teilt die Gesellschaft in Gewinner und Verlierer, in ›Helden‹ und ›Opfer‹ der Postmoderne. Die einen – Bauman nennt sie ›Touristen‹ – verfügen über alle Voraussetzungen, um an dem konsumistischen Lebensspiel mit seiner rastlosen Suche nach Genuss und Lebensglück teilzunehmen. Sie wechseln ruhelos die Orte und tauschen ein Stück Sicherheit gegen ein selbst gewähltes (wenn auch flüchtiges) Glück. Die anderen, die ›Vagabunden‹, haben nicht die Kompetenzen und Ressourcen, um sich am Konsumspiel des globalen Kapitalismus zu beteiligen. Gegen sie, die »defizitären Konsumenten« (ebd.: 31), richten sich die Straf- und Repressionsaktionen der postmodernen Gesellschaft. Auch in der postmodernen Welt pluraler Lebensformen mit ihrer vielbeschworenen ›Kultur der Differenz‹ gibt es also ein strenges Reinheitsgebot, dem sich jeder, der sich um Zulassung bewirbt, unterwerfen muss: »Man muß in der Lage sein, sich von den grenzenlosen Möglichkeiten des Verbrauchermarktes und der von ihm propagierten ständigen Erneuerung verführen zu lassen; man muß sich freuen können über die Chance, Identitäten anzunehmen und wieder abzulegen und sein Leben auf der endlosen Jagd nach immer intensiveren Gefühlserlebnissen und immer aufregenderen Erfahrungen zu verbringen« (Bauman 1999: 30). Menschen, die nicht auf die Attraktionen und Verführungen der Konsumgesellschaft reagieren – Arbeitslose, Migranten, Obdachlose, Straftäter etc. –, sind aus der Perspektive des liberalen Marktes überflüssig. Sie sind der ›Schmutz‹, den es von den Kathedralen des neuen Konsumismus fernzuhalten gilt.

Mobilität als Lebensspiel: Die Welt des ›Touristen‹ Inbegriff der postmodernen Lebensstrategie mit ihrer Furcht vor Gebundenheit und Festlegung sowie ihrer rastlosen Jagd nach 46

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Lebensgenuss ist für Bauman die Gestalt des ›Touristen‹. Während das Subjekt der Moderne sein Leben im Vertrauen auf die Linearität und Kontinuität der Zeit als ›Pilgerschaft‹, d.h. als zielund zukunftsgerichtetes Projekt erfuhr und den Angelpunkt seines Lebens im Befriedigungsaufschub, im ›Sparen für die Zukunft‹, sah, verliert für den ›Touristen‹, den Prototyp des postmodernen Konsumenten, aller Aufschub, auch der ›Befriedigungsaufschub‹, seine Bedeutung: »Es gibt keinen Zeitpfeil mehr, um ihn zu messen« (Bauman 1997: 146). In der postmodernen Welt des globalen Kapitalismus, die auf Konsum angelegt ist, auf ständige Bedürfnisstimulation und rasche Befriedigung, herrscht das ›Regime der Kurzfristigkeit‹. Das Spiel des Lebens ist schnell, fesselnd und Aufmerksamkeit beanspruchend, es lässt keine Zeit für langfristige Planungen und Strategien. Das ›moderne‹ Charakterideal des selbstdisziplinierten, durch unkontrollierte Triebimpulse nicht irritierbaren ›Pilgers‹, der entschlossen und zielorientiert sein Lebensprojekt verfolgt, hat in einer solchen Welt ausgedient. Der von der postmodernen Konsumwelt geforderte Sozialcharakter ist vielmehr der durch kleinste Bedürfnisimpulse zu irritierende, durch ständig wechselnde Konsumreize jederzeit stimulierbare Sofort-Befriediger. Zum leitenden Prinzip allen rationalen Verhaltens wird in der deregulierten Welt des liberalen Konsummarktes die Devise, ›das Spiel kurz zu halten‹: Plane deine Reisen nicht zu lang; binde dich nicht zu sehr an Orte, Menschen, Aufgaben; lebe ausschließlich im Augenblick; vor allem: Widerstehe keiner Versuchung, verschaffe dir Genuss und Befriedigung hier und jetzt. Mobilität heißt das Lebensspiel des postmodernen Konsumnomaden. Man muss jederzeit in der Lage sein aufzubrechen, wenn sich Bedürfnisse melden oder Träume rufen, wenn es gilt, neue und attraktive Erlebnisse und Erfahrungen zu sammeln. Anders als beim ›Pilger‹ der Moderne bilden beim postmodernen ›Touristen‹ die aufeinanderfolgenden Aufenthaltsorte nicht die Stationen auf dem Weg zu einem angestrebten Ziel, vielmehr gilt die Devise ›Der Weg ist das Ziel‹. Die Reise zerfällt in eine Vielzahl in sich abgeschlossener und zusammenhangloser Episoden, die sich nicht zu einem bedeutungsvollen Projekt bündeln. Der Fluss der Zeit wird in eine kontinuierliche Gegenwart abgeflacht. 47

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Obschon getrieben von einem nahezu unstillbaren Erlebnishunger, begeben sich die Konsumtouristen der Postmoderne subjektiv aus freiem Entschluss auf die Reise. Sie brechen auf, um der Routine des Alltags zu entrinnen und in fremden Gefilden aufregende Abenteuer und Erlebnisse zu finden. Dabei ist es für sie befriedigend und tröstlich, ein Zuhause zu haben, wohin man jederzeit zurückkehren kann, einen Heimathafen, der jede Abenteuersuche zu einem ungetrübt angenehmen Zeitvertreib macht. Diese stets verfügbare Rückzugsmöglichkeit bietet den Touristen das beruhigende Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben. Inbegriff der postmodernen Lebensstrategie ist für Bauman die Gestalt des Touristen in erster Linie durch die Vermeidung langfristiger Bindungen und Verpflichtungen. Touristen verhalten sich wie Durchreisende, ihre Begegnungen mit Einheimischen bleiben absolut zufällig und episodenhaft. Sie halten geflissentlich Abstand und sorgen dafür, dass dieser Abstand nicht zur Nähe schrumpft. »Sie verbringen das Wunder, am rechten Ort und doch fehl am Platz zu sein« (Bauman 1999: 160). Eine dauerhafte, festgefügte Identität, die die eigene Lebensgeschichte zu einer kohärenten Erzählung bündelt, ist auf der endlosen Jagd nach immer intensiveren Erlebnissen auf dem postmodernen Konsummarkt keine Errungenschaft mehr, sondern wird zunehmend zu einer Belastung. »Der Angelpunkt der postmodernen Lebensstrategie ist nicht, eine Identität zu fundieren, sondern eine Festlegung zu vermeiden« (ebd.: 166).

Defizitäre Konsumenten: Die Lebensform der ›Vagabunden‹ Die Möglichkeit zur Teilnahme am postmodernen Konsumspiel teilt die Gesellschaft in Gewinner und Verlierer, in ›Touristen‹ und ›Vagabunden‹. Während die Touristen sich von den grenzenlosen Möglichkeiten der Verbrauchermärkte verführen lassen, sind die Vagabunden nicht in der Lage, auf die Anreize des Marktes zu reagieren, weil ihnen die erforderlichen Mittel fehlen: Sie sind fehlerhafte Konsumenten, denen der Zutritt zu den Tempeln des Konsums und zu den Wohnquartieren der Wohlhabenden versperrt werden muss. Aus der Perspektive des freien Marktes sind sie schlichtweg überflüssig, ›fehlplatziert‹. Sie sind der »Abfall einer Welt, die sich den Touristen zu Diensten verschrie48

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ben hat« (ebd.: 165). Mit den ›Touristen‹ teilen die ›Vagabunden‹ – Migranten, prekär Beschäftigte etc. – die rastlose Mobilität, die Nichtsesshaftigkeit der Lebensweise. Während die Touristen jedoch aus freien Stücken reisen, ziehen die Vagabunden umher, weil sie keine andere Wahl haben. Diese werden von schierer Not getrieben, jene von chronischem Erlebnishunger. Der Vagabund ist das alter ego des Touristen. Dieses bildet den dunklen Hintergrund, vor dem der Glanz der touristischen Lebensform um so heller erstrahlt. »Je abstoßender und widerwärtiger das Los des Vagabunden, desto erträglicher erscheinen die kleinen Unbequemlichkeiten und großen Risiken des Touristenlebens« (ebd.: 167). Als Opfer eines deregulierten, aller sozialen Sicherungen entkleideten Marktes, der die Touristen zu seinen Helden gemacht hat, haben die Vagabunden ihren Nutzen und ihre Funktion – quasi als Mülleimer für den Abfall der Touristen. Zu beachten ist, dass für Bauman Touristen und Vagabunden – neben Flaneuren und Spielern – Metaphern des postmodernen Lebens sind. Sie verbildlichen nicht die physische Mobilität des postmodernen Menschen, sondern seine existenzielle und moralische Situation: seine Weigerung bzw. Unfähigkeit, ›feste Bindungen‹ und langfristige Verpflichtungen einzugehen. Tourist und Vagabund bilden die Pole eines Kontinuums zwischen freiwilliger und unfreiwilliger ›Nichtsesshaftigkeit‹ im Sinne moralischer Bindungslosigkeit, auf dem wir alle angesiedelt sind. Wo immer wir uns aufhalten, wir sind zumindest teilweise displaced – am falschen Ort oder fehl am Platz. Keiner von uns kann sicher sein, ein für allemal das Recht auf einen bestimmten Platz – im Erwerbsleben, in der sozialen Hierarchie oder im Privatleben – erworben zu haben. Auch die Helden der Postmoderne führen riskante »Drahtseilbiografien« (Beck) – bei ständig drohender Gefahr des Absturzes in die Existenzform des Vagabunden.

Flucht in die Eindeutigkeit: Die Neostämme der Postmoderne In denkbar scharfem Kontrast zum trendigen Postmodernismus mit seiner Feier von Vielheit und Differenz entwirft Bauman – zumal in seinen späteren Schriften – ein eher düsteres Bild der Lebenssituation des Menschen in der Postmoderne. Die Grunderfahrung der Individuen in der Postmoderne ist für ihn eine des 49

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Verlustes: des Verlustes an Gewissheit, Ordnung, Selbstsicherheit. Die aus allen traditionalen Bindungen, Ordnungen und Gemeinschaftsformen ›entbetteten‹ und der Anarchie des wild gewordenen liberalen Marktes überlassenen Individuen reagieren auf die geänderte Situation mit Gefühlen der Angst und Orientierungslosigkeit. »Postmodernes Leben ist ein Leben voller Angst«, wie Bauman (zit. nach Kron 2002: 368) pointiert. Nicht Freiheit ist das Resultat der postmodernen Individualisierungs- und Entbettungsprozesse, sondern Unfreiheit, die sich vor allem in ständiger Unsicherheit äußert: Die Welt der Postmoderne ist eine Art »Makro-Ungewissheit« (Bauman 1998: 3). Die Entwertung der traditionalen Gemeinschaftsbindungen und Zugehörigkeiten und der permanente Zwang zur Selbstvermarktung in der durch und durch flexibilisierten Marktgesellschaft stellen für viele Menschen eine Überforderung dar. Entwurzelte, von Arbeitslosigkeit bedrohte Menschen suchen dem sozialen Kältestrom zu entrinnen, indem sie in die Arme von Agitatoren flüchten, die völkische Gemeinschaftsgefühle aufwärmen und den Fremdenhass als Mittel der Krisenlösung propagieren. Andere ziehen sich in enge Pseudo-Gemeinschaften, in kleine stammesähnliche Lebensstil-Enklaven oder Ghettos zurück, die den ›transzendental obdachlosen‹ Menschen der Postmoderne eine zumindest provisorische Geborgenheit versprechen. Postmoderne Gemeinschaften haben für Bauman den Charakter von Neostämmen. Im Unterschied zu ›echten‹ Stämmen und zu den vorgestellten Gemeinschaften der Moderne (Nation, Volk, ›Rasse‹, Klasse), in denen man immer schon war, ist die Zugehörigkeit zu den postulierten Gemeinschaften der Postmoderne das Ergebnis einer freien, jederzeit revidierbaren individuellen Entscheidung. Es sind Wahlgemeinschaften, nicht Herkunftsgemeinschaften. Die Neostämme der Postmoderne (Lebensstilgruppen, Erlebnismilieus, Gangs, Jugendszenen etc.) haben kein anderes Bindemittel als den Wunsch, dazuzugehören. Man kann ihnen nach Belieben beitreten und sie nach Belieben verlassen – so scheint es jedenfalls. Denn wenn auch die Neostämme ihre Türen weit geöffnet lassen, gibt es doch eine Instanz, die über den Zugang wacht: den Markt. Der Zugang zum Konsum – und damit zu einem bestimmten Konsum- bzw. Lebensstil – erfolgt über 50

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den Markt. Zwar liegen alle Lebensstile wie im Supermarkt griffbereit parat, doch bleiben denjenigen Menschen, die nicht über die notwendigen Mittel verfügen, die Türen zu den ›besseren‹ und prestigeträchtigsten Lebensstilen verschlossen. Die Kaufkraft ist der einzige Rechtsanspruch, den der Markt anerkennt. »Der Markt […] entwertet alle Mittel der Ungleichheit, bis auf Preisschilder« (Bauman 2000: 291).

Paradoxe Vehikel der Selbstkonstruktion Die Neostämme der Postmoderne entspringen dem Wunsch zur ästhetischen Selbstinszenierung bzw. Selbsterschaffung der aus den überkommenen Bindungen freigesetzten Individuen. Lebensstile sind für Bauman »Vehikel individueller Selbstdefinition« (Bauman 1995: 172). Das Angebot einer großen Vielfalt von Neostämmen und zugehörigen Lebensstilen übt einen machtvollen, aber zwiespältigen Einfluss auf die nach ihrer Identität suchenden Menschen aus. Einerseits sehen die aus den sozialmoralischen Traditionen und Normalbiografien der Moderne freigesetzten Individuen jetzt alle Schranken niedergerissen, die ihr Leben einengten. Sie können jetzt frei aus dem nahezu unbegrenzten, öffentlich zur Schau gestellten Sinn- und Identitätsangebot der verfügbaren Lebensstile auswählen. Das empfinden die Menschen – zu Recht – als Befreiung: als das berauschende Gefühl, keinen Beschränkungen des Standes, der Klasse, der ›Rasse‹, des Geschlechts mehr ausgeliefert zu sein. Die Kehrseite dieser neuen, beglückenden Freiheiten besteht darin, dass die Anziehungs- und Verführungskraft eines einmal gewählten Lebensstils und Identitätsentwurfs in der Regel von begrenzter Dauer ist. Die prinzipielle Verfügbarkeit und öffentliche Zugänglichkeit von neuen Versuchungen zieht jede einmal getroffene Wahl in Zweifel. »Wenn ich gerade darangehen will, die Früchte einer lange währenden Anstrengung zu kosten, taucht eine neue Verlockung am Horizont auf, und die genießerische Spannung ist dahin« (Bauman 2000: 286). Die rastlose Suche nach einem befriedigenden Lebens- und Identitätsstil findet deshalb keinen Haltepunkt: Die postmodernen Identitätssucher scheinen zu ewiger Entbehrung und Enttäuschung verdammt. Dies erklärt die Kurzlebigkeit und den episodischen Cha51

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rakter postmoderner Gemeinschaften und Identitätskonstruktionen. Die unvermeidliche Enttäuschung der Bemühungen, innerhalb derart flüchtiger Gruppierungen ein befriedigendes Selbst zu konstruieren, führt zu einer hektischen Suche nach immer neuen Lebensstilen und Zugehörigkeiten, die wiederum eine Zerstreuung und Fragmentierung sowie eine ständig wachsende Pluralisierung von Gemeinschaften und Lebensstilen zur Folge hat. »Die Postmoderne […] ist das Zeitalter der Gemeinschaft: der Lust auf Gemeinschaft, der Suche nach Gemeinschaft, der Gemeinschaftsphantasien« (Bauman 1995: 168). Bauman bezeichnet diese für postmoderne Gesellschaften charakteristische Gemeinschaftssehnsucht als »Neotribalismus«.

Neotribalismus und Gewalt Die für die Postmoderne charakteristische Angst der Menschen vor einer regellosen Welt ohne alle Sicherheiten und die Träume von gemeinschaftlichen, lokalen Wahrheiten und Gewissheiten bilden den Nährboden für Gewalt. Bauman (1996: 59f.) nennt zwei Hauptgründe für die enge Verbundenheit zwischen dem postmodernen Neotribalismus und der Gewalt. Der erste Grund ist in der Tatsache zu suchen, dass die frei wählbaren Gemeinschaften der Postmoderne weit flüchtiger, instabiler und durchlässiger sind als die klassischen Gemeinschaften der Moderne. Damit hängt ein weiteres Problem zusammen. Die stabile Unterscheidung zwischen ›uns‹ und ›denen da‹, zwischen dem Eigenen und dem Fremden, die den Menschen der Moderne das Koordinatensystem ihrer Weltorientierung bot, wird in der Postmoderne unscharf. Das Verhältnis zum Anderen wird in den flüchtigen Wahlgemeinschaften der Postmoderne zu einem Verhältnis, das ich selbst – als souveränes Subjekt – bestimme. In den Neostämmen der Postmoderne binden und entbinden wir uns quasi täglich. Sie haben daher kein stabiles und lokalisierbares Außen. War das Problem der Moderne ihr Drang, alles Fremde und Unbestimmbare auszuschließen, um Ordnung zu stiften, so besteht das Problem der Postmoderne darin, dass in Ermangelung stabiler und organisatorisch abgestützter Freund/Feind- und Innen/Außen-Schemata die Andersartigkeit des Anderen immer 52

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wieder aufs Neue bearbeitet werden muss. Die Bestimmung des Unbestimmbaren, die Vereindeutigung des Uneindeutigen wird zur täglichen, prinzipiell unlösbaren Daueraufgabe. Unter diesen Bedingungen scheint sich in der Postmoderne endgültig durchgesetzt zu haben, was Georg Simmel (1858-1919) schon vor einem Jahrhundert für die Großstadt beschrieben hat: die Verallgemeinerung der Fremdheit. Die fehlende Garantie, dass der Andere auch morgen noch einer klar identifizierbaren und damit kontrollierbaren Fremdgruppe zugeordnet werden kann, nährt die Versuchung, sich seiner hier und jetzt zu entledigen. Gewalt erscheint unter den Bedingungen universeller Fremdheit und Unsicherheit in der Postmoderne als adäquates Mittel zur Selbstbehauptung. Eine weitere Hauptursache postmoderner Gewalt liegt in der Tatsache, dass die ›Neostämme‹ in einer Medien- und Informationsgesellschaft, in der öffentliche Aufmerksamkeit die knappste aller Ressourcen ist, darauf angewiesen sind, wahrgenommen zu werden. In diesem kulturellen Kontext werden die einzelnen symbolischen Selbstdarstellungsformen nicht nur vielfältiger und bunter, sondern auch zwanghafter und aufdringlicher. So führt das Bemühen um Auffälligkeit nicht nur bei ›Lebensstil‹-Gruppierungen, sondern auch bei Skins, Hooligans, Popgruppen oder den von Martin Walser als »Kostümfaschisten« bezeichneten sogenannten ›jugendlichen Rechtsradikalen‹ zu einer »kaum mehr steigerungsfähigen Selbstemblematisierung« (Soeffner 2000: 261). Unter der Devise ›Ich werde wahrgenommen, also bin ich‹ dienen gewaltsame Handlungen dazu, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Gerade ihre Ziel- und Sinnlosigkeit gilt dabei als beste Strategie. Auch wenn nicht ausgemacht ist, wen die Aktionen treffen, da es keine klare Identifikation der anderen Seite mehr gibt, so vermögen sie doch zumindest für einen flüchtigen Moment und symbolisch den ›Schrecken der Uneindeutigkeit‹ zu lindern, der für die nomadisierenden Subjekte der Postmoderne jeden zum potenziell Anderen und damit zum potenziellen Feind macht.

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Zur vertiefenden Lektüre Bauman, Zygmunt (1997): Flaneure, Spieler und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen, Hamburg : Hamburger Edition. Bauman, Zygmunt (1999): Unbehagen in der Postmoderne, Hamburg: Hamburger Edition. Junge, Matthias/Kron, Thomas (Hg.) (2002): Zygmunt Bauman. Soziologie zwischen Postmoderne und Ethik, Opladen: Leske + Budrich.

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II. Arenen der Identitätspolitik in der globalen Moderne Im Teil I wurde dargelegt, wie die Lebensläufe der Menschen in der Spätmoderne im Gefolge gesellschaftlicher Individualisierungs- und Differenzierungsprozesse sowie unter den Zwängen einer zunehmend flexibilisierten und liberalisierten Marktökonomie aus traditionalen Vorgaben und Gussformen freigesetzt worden sind. Die Identitäten wurden im Zuge dieser Prozesse zunehmend destabilisiert, fragmentiert und pluralisiert. Identitätsentwicklung wurde zur Eigenleistung des Subjekts, zum ›persönlichen Projekt‹. Dieser Prozess einer fortschreitenden Dezentrierung der Identität wird in den letzten Jahrzehnten durch den sich dramatisch beschleunigenden Prozess der Globalisierung ergänzt und verstärkt. Vor allem die großen kollektiven Zugehörigkeiten – Nation, Kultur, Klasse, ›Rasse‹, Geschlecht – werden durch die wachsende Entgrenzung ökonomischer, sozialer und kultureller Beziehungen erschüttert und durcheinander geschüttelt. Über die gesamte Epoche der Moderne hinweg bildeten diese kollektiven Identitäten die übergreifenden Bezugs- und Koordinatensysteme, in denen die individuellen Identitäten und Biografien verankert und stabilisiert wurden. »Wenn man seine Klasse kannte, kannte man seinen Platz im gesellschaftlichen Universum. Wenn man seine Rasse kannte, kannte man seine rassische Position innerhalb der großen Rassen der Welt. […] Wenn man sein Geschlecht kannte, konnte man sich in den umfassenden gesellschaftlichen Kategorien von Mann und Frau einordnen. Wenn man seine nationale Identität kannte, wusste man sicherlich von der Hackordnung des Universums« (Hall 1999a: 87f.). Diese identitätsverbürgenden Kollektivitäten der Vergangenheit werden, so scheint es, in unserer Zeit durch die fortschreitende ›Eröffnung des Welthorizonts‹ für alle sozialen Beziehungen unterminiert, die ›Gehäuse der Zugehörigkeit‹ zersplittern unter dem Druck der globalen Modernisierung. Im Teil II wird es darum gehen, die Frage nach Identitäten im Zusammenhang derjenigen historischen Prozesse zu stellen, die zur Unterhöhlung und Destabilisierung bislang vergleichsweise konstant wirkender Formationen – Nation, Kultur, ›Rasse‹, Eth55

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nizität, Geschlecht – geführt haben. Wesentlich ist dabei die Erkenntnis, dass in der spätmodernen, postkolonialen Welt die Konstruktion von individuellen und kollektiven Identitäten nicht in einem machtfreien Raum stattfindet, sondern Teil eines ›Kampfes um Anerkennung‹ ist, den unterdrückte oder marginalisierte Gruppen führen. Die Frage von sozialem Ein- oder Ausschluss, von Selbst- und Fremdverortung ist zentral für die Artikulation ihrer Ansprüche. Identitätskonstruktion ist in diesem Kontext stets Identitätspolitik. Entsprechend sind Identitäten keine stabilen und festgefügten Selbstdefinitionen, sondern jeweils historisch spezifische, ständigen Veränderungen unterworfene Positionierungen in einem Machtspiel, das immer ›gewonnen‹ und ›verloren‹ werden kann. Identität ist in dieser Perspektive kein Zustandsbegriff, sondern ein strategisches Konzept. Ausgewählte Bühnen und Arenen der Identitätspolitik, der strategischen Identifikationen und Gegenidentifikationen, die sich im Zuge der Auflösung ›alter‹ Identitäten und Zugehörigkeiten durch den Prozess einer weltweiten Neuverteilung von Macht und Ohnmacht, von Reichtum und Armut, von Freiheit und Unfreiheit eröffnen, sollen im Weiteren vorgestellt werden.

1. Eröffnung des Welthorizonts: Entgrenzung der Identitäten in Zeiten der Globalisierung

1.1 Globalisierung als Zeit-Raum-Verdichtung Die vielfältigen Kräfte, die um die Jahrtausendwende zu einer Entgrenzung und Zerstreuung nationaler, kultureller, ethnischer und geschlechtlicher Identitäten geführt haben, werden üblicherweise unter dem nebulösen Schlagwort Globalisierung zusammengefasst. Je nach Verwendungszweck und politischer Stoßrichtung nimmt der Begriff eine oder mehrere der folgenden Bedeutungen an: – weltweite Ausdehnung von Handelsbeziehungen – international operierende Großkonzerne (global players) – weltweite Verflechtung der Geld- und Finanzströme 56

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– Internationalisierung politischer Entscheidungsprozesse – weltweiter Daten- und Informationsaustausch – weltweite Verfügbarkeit von Waren, kulturellen Symbolen, Konsummustern und Lebensstilen Die skizzierten Bedeutungsvarianten lassen sich (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) zu unterschiedlichen Dimensionen der Globalisierung bündeln: ökonomische, politische, informationstechnische, kulturelle Globalisierung. Sucht man nach einem gemeinsamen Nenner der verschiedenen Globalisierungsdimensionen, so lässt sich – in Anlehnung an den britischen Soziologen Anthony Giddens – Globalisierung als Handeln über Entfernungen hinweg definieren. Im Kern handelt es sich demzufolge beim Prozess der Globalisierung um eine »Intensivierung weltweiter sozialer Beziehungen, durch die entfernte Orte in solcher Weise miteinander verbunden werden, dass Ereignisse an einem Ort durch Vorgänge geprägt werden, die sich an einem viele Kilometer entfernten Ort abspielen, und umgekehrt« (Giddens 1995: 85). Zunehmend bildet nicht mehr der Ort, die Nachbarschaft, die Region oder die Nation den Bezugspunkt für das Handeln der Menschen, sondern die ›Eine Welt‹. Globalisierung meint – so gesehen – die Eröffnung des Welthorizonts für ehemals ortsgebundene Handlungen, Entscheidungen, Sozialbeziehungen und Lebensstile. Tabelle 3: Dimensionen der Globalisierung Dimensionen

Erscheinungsformen

ökonomisch

Globalisierung der Produktion, des Handels, der Märkte weltweite Geld- und Finanzströme

politisch

Internationalisierung politischer Entscheidungsprozesse; Schwächung des Nationalstaats

informationstechnisch

weltweiter Datenaustausch durch Computer, Internet etc.

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kulturell

weltweite Vereinheitlichung von Symbolen, Konsum- und Identitätsmustern gleichzeitig: Wiederbelebung lokaler Kulturen u. Identitäten, Entstehung von Mischkulturen

sozial (grundlegend)

Eröffnung des Welthorizonts für das Alltagshandeln Zeit-Raum-Verdichtung

Globalisierung bedeutet im Kern die erfahrbare Enträumlichung und Entgrenzung alltäglichen Handelns in den Bereichen der Wirtschaft, der Politik, der Information, der kulturellen Lebensund Identitätsformen und der sozialen Beziehungen. Zu den bedeutendsten Aspekten der Globalisierung, die kulturelle Identitäten betreffen, gehört, wie David Harvey aufgezeigt hat, die Entstehung neuer Raum-Zeit-Verbindungen, durch die nationale Grenzen durchschnitten, lokale Gemeinschaften, Organisationen und Lebensformen auf neuartige Weise integriert und miteinander in Beziehung gesetzt werden. Jüngste verkehrs- und kommunikationstechnologische Entwicklungen haben zu einer »Zeit-Raum-Verdichtung« (Harvey 1993: 240), einem sowohl ›objektiven‹ wie auch erfahrungsweltlichen Schrumpfen raum-zeitlicher Entfernungen geführt. Dabei ist die Verdichtung zeitlicher und räumlicher Welten, die die Welt zunehmend zu einem ›globalen Dorf‹ ökonomischer und kultureller Interdependenzen schrumpfen lässt, keineswegs ein neues Phänomen, sondern eine dem Kapitalismus von Beginn an innewohnende Tendenz. Die aktuelle Beschleunigung dieses Prozesses ist das Ergebnis der Transformation des kapitalistischen Systems in Richtung ›PostFordismus‹ bzw. ›Differenzkapitalismus‹. Dieser beruht nicht mehr auf der Logik der Massenproduktion und des Massenkonsums, sondern auf flexiblen Akkumulationsstrategien, segmentierten Märkten und der Nutzung lokaler Vorteile und Unterschiede sowohl im Produktions- als auch im Konsumbereich. Vor allem die Veränderungen in der Konsumsphäre im Gefolge der kapitalistischen Modernisierung haben erhebliche Auswirkungen darauf, wie Identitäten verortet und inszeniert werden. Hier zeigt sich die »Vernichtung des Raumes durch die Zeit« 58

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(ebd.: 205) vor allem in der Schnelllebigkeit von materieller (z.B. Tragedauer von Kleidung) und symbolischer (z.B. Moden, Musikstile) Konsumtion sowie in den beschleunigten ›Umschlagszeiten‹ von Lebensstilkulturen und Identitätsformen. Das Infragestellen alter und die Unsicherheit und Flüchtigkeit neuer Grenzen und Schranken bezüglich Identität, Lebensstil und Geschmack sowie die Auflösung vertrauter soziokultureller ›Verortungen‹ durch die wechselseitige Durchdringung von Lokalem und Globalem führt zu einem permanenten Ringen um biografische und kulturelle Identität und Selbstverortung in einer global vernetzten »Crossover-Kultur« (Nederveen Pieterse 1998: 103). Vor allem in den Metropolen der globalen Moderne verschwimmen zunehmend die Grenzen zwischen Lokalem und Globalem, Eigenem und Fremdem, ›Realem‹ und ›Simulation‹, Vergangenheit und Gegenwart. Die Formung sozialer, kultureller und lokaler Identitäten wird unter diesen Bedingungen zu einem offenen, prinzipiell unabschließbaren Prozess der symbolischen und ästhetischen Selbstverortung und Selbstinszenierung.

Zur vertiefenden Lektüre Beck, Ulrich (1997): Was ist Globalisierung? Irrtümer des Globalismus – Antworten auf Globalisierung, Frankfurt/M.: Suhrkamp. Dürrschmidt, Jörg (2002): Globalisierung, Bielefeld: transcript. Giddens, Anthony (1995): Konsequenzen der Moderne, Frankfurt/M.: Suhrkamp.

1.2

Globalisierung der Kultur: ›McWorld‹ oder globale Melange?

Für die Frage nach der Formung individueller und kollektiver Identitäten in der Spätmoderne sind die kulturellen Aspekte des Globalisierungsprozesses von besonderer Bedeutung. Mit der Entwicklung globaler Medien- und Kulturindustrien und der weltweiten Verbreitung und Vermarktung von Symbolen, Ideen und Lebensstilen gewinnen Identitätsfragen eine neue Brisanz. 59

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Wo bleibt in einer zunehmend vereinheitlichten (und amerikanisierten) Weltkultur – so die in öffentlichen Debatten häufig gestellte Frage – Raum für unser Bedürfnis nach sinnhafter Verortung, lokaler Zugehörigkeit und kultureller Verwurzelung? Das Bild einer homogenisierten Weltkultur, das derartigen Überfremdungsängsten zugrunde liegt, trifft unbestreitbar wichtige Sachverhalte, ist aber auch Quelle verbreiteter Missverständnisse. Es verstellt den Blick auf die Komplexität kultureller Identitäten in einer globalisierten Welt.

McDonaldisierung der Welt? Hollywood beglückt die halbe Erdkugel mit Richard Gere und Julia Roberts, amerikanische Fernsehserien werden in Kalkutta ebenso gesehen wie im anatolischen Dorf; der Marlboro-Mann reitet in den Anden wie im bayerischen Wald. Coca Cola und der Big Mac schmecken ohnehin überall gleich. Ohne Frage lassen sich viele Beispiele anführen, die das Szenario einer uniformen Weltkultur stützen. Wir sind, so scheint es, Zeugen eines Prozesses, in dem der ganze Globus zu einer einheitlichen Waren- und Konsumwelt zusammenschmilzt. In einer Welt, die durch das immer hemmungslosere Vordringen des american way of live – verkörpert in seinen kulturellen Schlüsselsymbolen MTV, McDonald’s, Nike und Coca Cola – gekennzeichnet ist, scheinen alle nationalen und regionalen Traditionen und Besonderheiten abgeschliffen und durch WarenweltSymbole ersetzt zu werden, die der Werbeabteilung weniger Großkonzerne entstammen. Menschen in abgeschiedenen Dörfern der armen ›Dritten Welt‹ werden mit den Botschaften und Bildern der reichen Konsumkultur des Westens bombardiert. Über Fernsehanlagen und Transistorradios sind sie eingebunden in das ›globale Dorf‹ der neuen Kommunikationsnetzwerke. Die Befürchtung ›Wir trinken alle Coca Cola, wir werden alle gleich‹ scheint sich allerorts zu bestätigen. Für den Soziologen George Ritzer (1996) ist der weltweit einheitliche ›Hamburger‹ das Symbol für die ›McDonaldisierung‹, d.h. für die kulturelle Gleichschaltung der Welt. 60

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Das Lokale im Globalen – Das Globale im Lokalen Gegen die Vorstellung einer zunehmend homogenisierten, verwestlichten Weltkultur sind in letzter Zeit eine Reihe von Einwänden erhoben worden. Sie verkennt die von der neueren Kultursoziologie herausgearbeitete Tatsache, dass wir es in der Spätmoderne nicht mit einer uniformen Weltkultur, sondern mit einer Pluralisierung und Entgrenzung kultureller Zusammenhänge und Lebensentwürfe, mit einer »globalen Melange« (Nederveen Pieterse 1998: 101) westlicher und nicht-westlicher Einflüsse zu tun haben. Globale Kultur, das heißt eben nicht nur die McDonaldisierung der Welt, sondern auch afrikanischer Karneval in London, asiatischer Rap in Paris, Thai-Boxen marokkanischer Mädchen in Amsterdam oder Bauchtanz bei westfälischen Landfrauen. An solchen Phänomenen wird deutlich, dass kulturelle Globalisierung keine Einbahnstraße in Richtung Uniformität und Standardisierung ist. Das bedeutet keineswegs, dass die Vorstellung einer Homogenisierung der Weltkultur schlichtweg falsch ist. Sie überschätzt jedoch die Homogenität der westlichen Kultur, übersieht die wechselseitige Durchdringung globaler und lokaler Einflüsse und ignoriert die aktive und eigensinnige lokale Aneignung westlicher Elemente durch nicht-westliche Kulturen. Globalisierung bezeichnet eben nicht einen Prozess der kulturellen Gleichschaltung, in dem alle lokalen Besonderheiten und Identitäten verdampfen, sondern eine paradoxe »Dynamik der Gleichzeitigkeit und gegenseitigen Durchdringung von Globalem und Lokalem« (Dürrschmidt 2002: 55). Der englische Soziologe Roland Robertson (1998) hat für diesen Prozess einer simultanen Globalisierung des Lokalen und Lokalisierung des Globalen den Begriff der »Glokalisierung« geprägt. Mit diesem Begriff soll der Sachverhalt bezeichnet werden, dass in vielen Bereichen das Globale und das Lokale nicht Gegenspieler sind, sondern zwei Seiten derselben Medaille. Auf der einen Seite muss das Globale stets lokale Bindungen eingehen, um neue Produkte oder Ideen weltweit zu ›verorten‹. Das gilt für die Fast-Food-Industrie und die Popmusik ebenso wie für Modetrends und Lebensstile. Die noch vor einigen Jahrzehnten von vielen vorausgesagte ›Globalisierung der Märkte‹, d.h. die globale Verbreitung und einheitliche Vermarktung standardisier61

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ter Produkte, hat sich in vielen Bereichen nicht bewahrheitet. Der Markt ist vielmehr in der ›postfordistischen‹ Phase des Kapitalismus zu einer gigantischen »Differenzierungsmaschine« (Hall 1999b: 111) geworden. Hing in den 1930er Jahren noch alles von massenhafter Vermarktung und Standardisierung ab, so basiert heute alles auf dem »Prinzip der marginalen Differenz«. Abgesehen von einer kleinen Anzahl wirklich globaler Marken, die bewusst mit ihrem Bezug zum Globalen werben – Coca Cola zelebriert die ›Eine Welt‹, Benetton die United Colours of the World –, sind die meisten Firmen inzwischen dazu übergegangen, unter der Devise ›globale Lokalisierung‹ Produkte und Werbung an die kulturellen Besonderheiten regionaler und lokaler Märkte anzupassen. Gerade die genaue Kenntnis des jeweiligen kulturellen Umfelds der Absatzmärkte verhilft den internationalen Großkonzernen zu einem Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren Konkurrenten. Selbst McDonald’s passt sich in seinem Produktangebot und in der Werbung nationalen und kulturellen Unterschieden an. Andererseits bieten die äußerst diversifizierten Absatzmärkte aber auch lokalen Unternehmern Chancen, kulturelle Innovationen für lokale Marktnischen zu entwickeln. Gegen die Annahme, die Globalisierung von Konsummärkten führe zu einer uniformen ›McWorld‹, spricht noch ein weiterer Sachverhalt: Die weltweite Päsenz bestimmter Waren und kultureller Güter sagt etwas über die globalen Marktstrategien bestimmter Unternehmen aus, aber zunächst noch gar nichts über die eigensinnige Verarbeitung und Aneignung dieser kulturellen Artefakte in unterschiedlichen soziokulturellen Milieus. So hat Friedman (1992: 314ff.) die innovative Umdeutung und Re-Kontextualisierung globaler Modelabels durch Jugendliche im urbanen Kongo und Zaire beschrieben. In der (globalen) Konsumgesellschaft ist der Konsum von Waren und kulturellen Gütern immer auch ein Spiel mit Symbolen und Bedeutungen. Der Konsum dient zur Ästhetisierung des Alltags, er wird zum Mittel der Identitätsbildung. Der Konsument, statt sich im Dschungel der Waren, Zeichen und Symbole zu verfangen, wird zum Experten im Umcodieren und in der eigensinnigen Verarbeitung vorgegebener kultureller Codes. Unter den Analytikern der zeitgenössischen Szenerie ist man sich weitgehend 62

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darüber einig, dass die Massenproduktion ›kulturellen Materials‹ nicht kulturelle Gleichschaltung und Vereinheitlichung bedeutet. Neue Transport- und Kommunikationsnetzwerke haben wohl eine globale Arena von Kultur und Identität hervorgebracht. Diese muss aber als Ansammlung von Möglichkeiten begriffen werden, die unterschiedliche Kombinationen erlaubt und aus der höchst neuartige und ungewohnte Kollektionen zusammengestellt werden können. »Aus dem globalen Garn werden kulturelle Symbole herausisoliert, verschiedenartige Identitäten gewoben«, wie Bauman (1997b: 323) sagt. Die im Schatten von Coca Cola, McDonald’s, Madonna und Michael Jackson heraufziehende Weltkultur ist demnach nicht eine uniforme, verwestlichte ›McWorld‹, sondern ein »globaler Sinnpool« (Hannerz 1998: 50), d.h. ein Fundus an Symbolen, Ideen, Stilelementen, Konzepten und Erzählungen, aus dem sich die Bewohner des ›globalen Dorfes‹ bedienen können, um sich ihre eigensinnigen, lokalen Identitäten zu konstruieren. Bei der kulturellen Globalisierung handelt es sich also um einen paradoxen Prozess, in dem Gegensätzliches möglich und wirklich wird: auf der einen Seite eine zunehmende Gleichförmigkeit weltweit verfügbarer (westlicher) Symbole und Ideen, auf der anderen Seite eine aktive und eigenwillige lokale Aneignung dieser Elemente. Abbildung: Weltkultur als widersprüchliches Gebilde Kulturelle Globalisierung Entgrenzung Zentralisierung Verdichtung Vereinheitlichung Auflösen von Traditionen

Abgrenzung Dezentralisierung Zerstreuung Vervielfältigung Erfindung von Traditionen

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Die Rede von der Weltkultur als ›globalem Sinnpool‹ darf allerdings nicht zu der (postmodernen) Auffassung verleiten, Kulturen seien »offene Bauchläden, an denen man sich beliebig bedienen könne« (Hall 1999b: 106). Die Konstruktion lokaler Identitäten beruht nicht auf einer freien Wahl oder Kombinationsmöglichkeit, sie ist stets von bestimmten Grenzen und Machtkonstellationen eingeschränkt. Kultur – zumal Globalkultur – ist kein machtfreier Raum, sondern ein »Gefüge von Einschränkungen« (ebd.). Macht- und Hegemonieverhältnisse sind der kulturellen Globalisierung, den Prozessen der Durchkreuzung und Vermischung globaler und lokaler Einflüsse, der Mobilisierung lokaler Gruppen gegen westliche Überfremdung immer schon eingeschrieben. Jede Differenz muss ausgehandelt, die eigene Position gegen Widerstände verteidigt werden. Stets sind die Schwellen, Grenzen und Machtgeometrien zwischen den unterschiedlichen Bedeutungsmengen mit zu bedenken. Mit einem Wort: Identitätskonstruktion ist in der Welt der globalen Moderne immer und unumgänglich Identitätspolitik.

Zur vertiefenden Lektüre Breidenbach, Joana/Zukrigl, Ina (1998): Tanz der Kulturen. Kulturelle Identität in einer globalisierten Welt, München: Kunstmann. Dürrschmidt, Jörg (2002): Globalisierung, Bielefeld: transcript. Engelmann, Jan (Hg.) (1999): Die kleinen Unterschiede. Der Cultural Studies-Reader, Frankfurt/M.: Campus. Nederveen Pieterse, Jan (1998): »Der Melange-Effekt«. In: Ulrich Beck (Hg.), Perspektiven der Weltgesellschaft, Frankfurt/ M.: Suhrkamp.

1.3 Migration und Postkolonialismus Ein wichtiger Faktor, der zur Destabilisierung der alten, nationalen Kulturformationen und zu einer ›globalen Melange‹ kultureller Einflüsse und Identitäten geführt hat, sind sicherlich die Migrationsströme der Nachkriegszeit. Die globale Zirkulation von 64

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Zeichen, Waren und Informationen und die weltweiten Wanderungsbewegungen von Menschen unterschiedlicher nationaler, sozialer, ökonomischer, kultureller und religiöser Herkunft ergänzen und verstärken sich wechselseitig. Grenzüberschreitende Migrationsprozesse vollziehen sich im Zeitalter der Globalisierung in Form von Flucht, Vertreibung, Arbeitsmigration oder freiwilliger Auswanderung. Bei den Grenzen, die aus unterschiedlichen Gründen überschritten werden, handelt es sich nicht nur um Staatsgrenzen, sondern auch um Kultur-, Sprach- oder Religionsgrenzen. Neu an den globalen Migrationsbewegungen der letzten Jahrzehnte im Vergleich zu den alten, kolonialen Wanderungsbewegungen ist nicht nur ihr quantitatives Ausmaß, sondern die Umkehr ihrer Richtung: Vor allem bei der kontinuierlich ansteigenden Arbeitsmigration handelt es sich um Wanderungsströme von der Peripherie ins Zentrum, von der ›Dritten‹ in die ›Erste Welt‹. »Genau in dem Moment, als Britannien sich endlich davon überzeugt hatte, dass es sich entkolonisieren und die anderen loswerden müsse, kommen wir alle zurück nach Hause. Als sie die Flagge einholten, bestiegen wir den Bananendampfer und segelten direkt nach London« (Hall 1994c: 48). Große Teile der ärmeren Völker dieser Erde haben, so scheint es, die ›Botschaft‹ des globalen Konsumismus erhört und wandern – getrieben von Armut, Hungersnot, wirtschaftlicher Unterentwicklung und Bürgerkriegen – in das ›gelobte Land‹: die Metropolen des Kapitalismus. Die Migrationserfahrung kann zur zwanghaften Anpassung an die Kultur des Aufnahmelandes, aber auch zur fundamentalistischen Rückbesinnung auf eine (imaginierte) ›Ursprungskultur‹ führen. Die Alternative Assimilation oder Rückkehr zu den ›Wurzeln‹ stellt aber nach Befunden der neueren Migrationsforschung ein Scheindilemma dar, da sie die alltagsweltliche Lebenspraxis der großen Mehrheit der Migranten und Migrantinnen verfehlt. Vor allem für die zweite und dritte Migrantengeneration ist eine – nicht nur vorübergehende – kulturelle Gespaltenheit und Zerrissenheit charakteristisch. Während solche Phänomene über lange Zeit als Übergangserscheinungen auf dem Weg zur vollen ›Assimilation‹ gedeutet wurden, scheint das ›Leben im Zwischenreich‹ 65

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zur normalen Existenzform der Migranten zu werden. Durch soziale, ideelle oder berufliche Gemeinsamkeiten entstehen in der Migrationssituation »transnationale soziale Räume« (Pries 1998) jenseits von Herkunfts- und Ankunftsregion, d.h. von neuen, delokalisierten sozialen Verflechtungszusammenhängen, die wichtige Bezugspunkte für die alltägliche Lebenspraxis, für biografische Projekte und für die Identitäten der Menschen bilden. Typisch für derartige ›entörtlichte‹ Netzwerke ist, dass alte kulturelle Zugehörigkeiten und Identifikationen durch neue Differenzierungen ersetzt und überlagert werden (vgl. Hannerz 1998: 64). Charakteristisch für die ›postkoloniale‹ Lebenssituation der Migranten und Migrantinnen in den westlichen Metropolen ist, dass sich in ihr die alten, die Kolonialära begleitenden Gegensätze zwischen dem ›Westen‹ und dem ›Rest‹, dem Zentrum und der Peripherie zunehmend auflösen. Die postkoloniale Welt ist eine Welt des gegenseitigen Grenzverkehrs zwischen Zentrum und Peripherie, Aufnahme- und Herkunftskultur. Die Migranten tragen die Spuren ihrer Herkunftskultur und das Erbe von Sklaverei, Kolonisation und Befreiung in sich, sind jedoch gezwungen, mit den Kulturen, in denen sie leben, zurechtzukommen, ohne sich einfach zu assimilieren und ihre eigene Identität vollständig aufzugeben. Sie erkennen die Vergangenheit an bei dem gleichzeitigen Versuch, die »eingezäunten Orte kolonialer Identitätskonstruktion« (Härtling 1994: 22) in der Gegenwart zu überschreiten, und mit der Vision selbst bestimmter Identität in der Zukunft. Der indo-angloamerikanische Literaturwissenschaftler Homi Bhabha – neben Stuart Hall, Gayatri Spivak und Paul Gilroy einer der führenden Köpfe der Postkolonialismustheorie – hat für die postkoloniale Welt der Grenzüberschreitungen und kulturellen Übergänge das Bild des »dritten Raumes« (Bhabha 1994) geprägt. Für Migranten lösen sich die Grenzen zwischen Heimat und Fremde auf, sie leben in einem Raum des Dazwischen (in-betweenspace), in dem es darum geht, sich selbst ständig und erneut in den Wechseln zwischen zu Hause (home) und anderswo (abroad) zu verorten. Als ›versetzte Menschen‹ (displaced persons) sind sie unwiderruflich Übersetzer. Sie lernen, mindestens zwei Identitäten anzunehmen, zwei kulturelle Sprachen zu sprechen, um zwischen ihnen zu übersetzen und zu vermitteln. 66

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Um die Migrationssituation als Raum der Übersetzung in den Blick zu bekommen, müssen wir uns von der gängigen Vorstellung trennen, die Kultur und Identität als feste und stabile Gegebenheiten begreift, deren Wurzeln tief in die Geschichte reichen und in der Gemeinschaft fest verankert sind. Wir müssen uns – auch über den Migrationskontext hinaus – für eine Sicht auf Kultur und Identität öffnen, die die kulturellen Differenzen, die Ränder und Überschneidungen zum Ausgangspunkt nimmt. Kultur und – in noch größerem Maße – Identität sind als fluktuierende, durchlässige Orte zu beschreiben, die ein Denken in Differenzen, Veränderungen, Austausch ermöglichen, ein ständiges Unterwegssein, ohne jemals anzukommen. Nicht nach den roots kultureller Identitäten gilt es nach Stuart Hall zu fragen, sondern nach ihren routes, d.h. nach den verzweigten Pfaden ihres Gewordenseins, nach den Spuren vergangener Geschichten, Erfahrungen und Erzählungen, die den aktuellen, stets veränderlichen Selbstwahrnehmungen und Selbstverortungen zugrunde liegen (vgl. Ha 1999: 122).

Zur vertiefenden Lektüre Chambers, Iain (1996): Migration, Kultur, Identität, Tübingen: Stauffenburg. Engelmann, Jan (Hg.) (1999): Die kleinen Unterschiede. Der Cultural Studies-Reader, Frankfurt/M.: Campus. Ha, Kein Nghi (1999): Ethnizität und Migration, Münster: Westfälisches Dampfboot. Hall, Stuart (1994a): Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte Schriften 2, Hamburg: Argument. Pries, Ludger (2002): Internationale Migration, Bielefeld: transcript.

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2. Kulturelle Identitäten in der Spätmoderne: Entzaubert, zerstreut, umkämpft

2.1 Nationale Identität als Konstruktion In der modernen Welt gehört die Zugehörigkeit zu einer Nationalkultur, in die man hineingeboren wird, sicher zu den machtvollsten Quellen kollektiver Identität. Auf die Frage, was wir sind, antworten wir oft ganz selbstverständlich mit ›Deutsche(r)‹, ›Italiener(in)‹ oder ›Japaner(in)‹. Eine Nationalität zu haben, gilt heute gleichsam als eine Selbstverständlichkeit, als Teil unserer wesenhaften Natur. »Ein Mensch braucht eine Nationalität, so wie er eine Nase und zwei Ohren haben muss«, wie Ernest Gellner (1991: 15) sagt. Die Einheitlichkeit und Unveränderlichkeit der nationalen Identität ist, wie sich bei näherem Hinsehen erweist, nichts ›Reales‹ und Naturhaftes, sondern ein sozial konstruierter Schein, der fortlaufend durch machtvolle Erzählungen und Überlieferungen beglaubigt und bestätigt wird. ›Real‹ ist eine Nation ausschließlich im Sinne einer mentalen Realität, d.h. im Bewusstsein ihrer Angehörigen. Nationen sind »vorgestellte Gemeinschaften« (Anderson 1988: 15). Als ›vorgestellt‹ bezeichnet Anderson die Nation deswegen, weil sie sich aus Individuen zusammensetzt, die sich mit einem Kollektiv ›identifizieren‹, von dessen Angehörigen sich die wenigsten jemals zu Gesicht bekommen. Nationen konstruieren ein fiktives, imaginiertes ›Wir‹ – ›Wir Deutsche‹, ›Wir Türken‹, ›Wir Tschechen‹ –, das von der realen Differenz und Ungleichheit ihrer Mitglieder abstrahiert. Die Definition eines einheimischen ›Wir‹ setzt dabei die Abgrenzung von den ›Fremden‹ voraus, denn ohne Fremde würde sich der Begriff der Einheimischen in Differenzierungen auflösen. Die Einheimischen bilden nur deshalb eine Einheit, eine Gruppe, ein Ganzes, weil sie alle das gleiche Merkmal besitzen: Keiner von ›uns‹ ist wie ›die da‹. Umgekehrt bilden die Fremden nur deshalb ein (diffuses) Kollektiv, weil keiner von ihnen ›einer von uns‹ ist.

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Die Erzählung der Nation Was Nationen zu Nationen macht, ist nicht die Gemeinsamkeit eines Territoriums, einer Ethnie oder einer Sprache, sondern ein Diskurs, d.h. »eine Weise, Bedeutungen zu konstruieren, die sowohl unsere Handlungen als auch unsere Auffassungen von uns selbst beeinflusst und organisiert« (Hall 1994g: 201). Nationale Kulturen konstruieren Identitäten, die in den Geschichten enthalten sind, die über die Nation erzählt werden, in den Erinnerungen, die ihre Gegenwart mit ihrer Vergangenheit verbinden und in den Vorstellungen, die über sie konstruiert werden. Wie kommt aber eine solche Erzählung nationaler Zusammengehörigkeit zustande? Die wichtigste diskursive Strategie, die der ›Erzählung der Nation‹ zugrunde liegt, ist zweifellos die Herstellung einer identitätsstiftenden gemeinsamen Vergangenheit. Tradition, Geschichte, Herkunft sind immer wieder zitierte und herbeizitierte Säulen nationaler Identität. Die Konstruktion einer gemeinsamen Vergangenheit dient dazu, den einzelnen Individuen das Gefühl einer zeitlichen Einbettung in einen kollektiven Gang der Geschichte zu vermitteln, sie erklärt, warum etwas so und nicht anders ist und darum nicht verändert werden darf. Durch die Beschwörung von Tradition und Herkunft – ein hervorragendes Moment in Sozialisationsprozessen – werden die Individuen zu einer ›Schicksalsgemeinschaft‹ zusammengeschweißt, die bedingungslose Loyalität und Opferbereitschaft beansprucht. Bestehende gesellschaftliche Strukturen und Herrschaftsverhältnisse erhalten durch die Rückführung auf eine kollektive Geschichte die Aura des Ewigen und Unveränderlichen, das jeder rationalen Rechtfertigung und Kritik entzogen ist. »Vergangenheit verleiht den Heiligenschein der Legitimität«, sagt Eric Hobsbawm (1994: 49). Der für nationale Erzählungen typische enorme Konstruktionsaufwand hängt mit dem Umstand zusammen, dass Nationen historisch etwas sehr Junges und Künstliches sind und keineswegs bis in die Tiefen einer unvordenklichen Vergangenheit zurückreichen, wie es Nationalisten gerne nahe legen. Die Konstruktion einer Identität stiftenden gemeinsamen Vergangenheit basiert daher notwendigerweise auf einem massiven Vergessen. 69

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»Nicht nur in dem, was die Dauer der Existenz von Nationen, sondern vor allem auch darin, was den gewaltsamen Akt der Entstehung von Nationen betrifft, zeichnet sich das nationale Bewusstsein mehr durch Vergessen als durch Erinnern aus«, stellt Mona Singer (1997: 91) fest. Den Schleier des ›Vergessens‹ breiten die Erzählungen der Nation vor allem über die Tatsache, dass die auf politischen Weltkarten eingezeichneten nationalen Grenzen oft Spuren der Gewalt sind, dass Nationalstaaten eben nicht ›natürliche‹, historisch gewachsene, sondern extrem künstliche Gebilde darstellen, an deren Anfang regelmäßig Gewalt und Terror stehen. Da Nationen also weder alt noch ewig sind, da es keine Tiefen der Vergangenheit gibt, auf der sie ihr Existenzrecht gründen könnten, sind sie auf die »Erfindung der Tradition« angewiesen, wie Hobsbawm und Ranger (1983) betonen. Erfundene Traditionen suggerieren eine historische Kontinuität mit einer konstruierten historischen Vergangenheit, wie die Autoren am Beispiel der britischen Monarchie aufzeigen: »Nichts erscheint altertümlicher und stärker mit einer unvordenklichen Vergangenheit verbunden als der Prunk, der die britische Monarchie und ihre öffentlichen, zeremoniellen Auftritte umgibt. Er ist aber in seiner modernen Form ein Produkt des späten neunzehnten und des zwanzigsten Jahrhunderts« (ebd.; zitiert nach Hall 1994g: 203 ). Lügen, Leugnungen und Anachronismen gehören zu den Strategien des Vergessens, die für nationale Erzählungen charakteristisch sind. Die Leugnung des Völkermords an den Armeniern im Jahre 1915 durch die gegenwärtige türkische Regierung sowie die Verklärung der – gegen die Osmanen verlorenen – ›glorreichen Schlacht auf dem Amselfeld‹ von 1389 durch die serbische Mythologie zu einer Rettung Mitteleuropas vor den Türken sind nur die augenfälligsten Beispiele. Zu den wichtigsten Instrumenten für die Erfindung einer nationalen Tradition zählt der Gründungsmythos, d.h. eine Erzählung, die den Ursprung der Nation, des Volkes und seiner nationalen Identität im Trüben einer vorgeschichtlichen ›mythischen Zeit‹ verankert. Der Mythos suggeriert, dass die Nation, selbst wenn sie ein Produkt von Machtkämpfen in der jüngsten Vergangenheit ist, im Verlauf ihrer Geschichte zu einem wahrhaften 70

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›Natur‹-Phänomen geworden ist, das sich menschlicher Kontrolle und Kritik entzieht. Er verwandelt Chaos in Ordnung und ›Gemeinschaft‹, Niederlagen in Triumphe (z.B. Dünkirchen, Schlacht auf dem Amselfeld). Ursprungsmythen dienen aber nicht nur der Machtsicherung der Herrschenden, sie sind auch eine wichtige ideologische Waffe in der Hand von Minderheiten und unterdrückten Gruppen in ihrem Kampf um Selbstbehauptung und Unabhängigkeit. Sie helfen den Entrechteten, »Vorurteile zu hegen und in verständlichen Begriffen auszudrücken« (ebd.: 1). So können sich unterprivilegierte Gruppen in den ehemaligen Kolonien eine alternative Geschichte konstruieren, die ihren Ursprung in eine ferne ›verlorene Zeit‹ weit vor den Brüchen der Kolonisation verlegt und ihrem Befreiungskampf dadurch Legitimität verschafft. Als Beispiel für das Mobilisierungspotenzial solcher »Gegenerzählungen« führt Stuart Hall (1994g: 203) die ›schwarze‹ Rastafari-Religion auf Jamaika an, die das gebrochene Selbstwertgefühl der vertriebenen Armen in Kingston aufrichtete, indem sie ihnen eine Rückkehr zur Gleichberechtigung von Schwarz und Weiß im mythischen ›Zion‹ versprach.

Staat und Nation – Bürger als Eingeborene In großen Teilen der Welt sind Staat und Nation ein Zweckbündnis eingegangen: Sie haben sich zu einem Nationalstaat vereinigt. Wie ist diese wechselseitige Anziehung von Staat und Nation zu erklären? Der Staat ist seinem Wesen nach eine Wahlgemeinschaft, d.h. ein zur Verfolgung gemeinsamer Interessen eingegangenes Bündnis freier Bürger und Bürgerinnen. Sein Anspruch auf Gehorsam und bedingungslose Loyalität gegenüber der gesetzlichen Ordnung wird durch das Monopol auf physische Gewaltanwendung innerhalb eines staatlichen Territoriums abgesichert. Selbst im Idealfall besteht aber, wie Bauman (2000: 232ff.) aufzeigt, ein natürliches Spannungsverhältnis zwischen den Loyalitätsansprüchen des Staates und den Bedürfnissen seiner Angehörigen. – Die Staatsbürger sehen sich häufig gezwungen, ihre Bürgerrechte gegen die Bedrohung durch wachsende Ansprüche des Staates zu verteidigen. 71

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– Die Staatsmacht ist aufgrund des Territorialprinzips ein natürlicher Gegner lokaler Autonomie. Der exklusive Anspruch staatlicher Macht innerhalb des Staatsgebiets stellt eine Herausforderung für regionalistische Bewegungen (z.B. von Basken, Kurden oder Tschetschenen) dar, die unter Hinweis auf die Besonderheit örtlicher Interessen und kultureller Traditionen eine lokale Selbstverwaltung oder politische Autonomie fordern. – Der Staat sucht patriotische Disziplin und Gehorsam durch Appell an Vernunft und Berechnung sicherzustellen: Es gereiche allen zum Vorteil, wenn jedermann gehorsam sei. Die Logik einer solchen Argumentation legt es aber nahe, die Kosten des Gehorsams gegen die Gewinne aufzurechnen, die man sich von aktivem Widerstand verspricht. Dieses notorische, nie ganz zu behebende Legitimationsdefizit staatlicher Macht liefert nun den Grund dafür, dass Staaten versucht sind, das legitimitäts- und identitätsstiftende Potenzial nationaler Erzählungen für ihre Zwecke einzuspannen. Der Staat bedient sich gern der Autorität der Nation, um seiner Forderung nach Disziplin zusätzliches Gewicht zu verleihen. Die Loyalität zur Nation ist frei von den inneren Widersprüchen, die die Disziplin gegenüber dem Staat belasten. Der Nationalismus fordert Loyalität und Gehorsam nicht aus Vernunftgründen, sondern als Selbstzweck, als Dienst an der ›nationalen Sache‹. Umgekehrt erscheint Ungehorsam nicht nur als Gesetzesbruch, sondern als schändlicher, unmoralischer Verrat an der gemeinsamen Sache. Nationen predigen den Sinn einer gemeinsamen Aufgabe, eines gemeinsamen Schicksals, einer gemeinsamen Bestimmung. Das Bündnis mit der Nation erlaubt es dem Staat – als Nationalstaat – auch, regionalistische Teilungs- und Autonomiebestrebungen besser in Schach zu halten. Die Zugehörigkeit zu einer Nation ist anders als die Staatsbürgerschaft prinzipiell unkündbar und unteilbar. Nationen sind keine freiwillig eingegangenen Bündnisse zur Verfolgung gemeinsamer Interessen, sondern alternativlose (wenngleich fiktive) Bluts- und Abstammungsgemeinschaften. Nationalstaaten befördern ethnische, religiöse, sprachliche und kulturelle Homogenität und Uniformität, indem sie 72

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Staatsbürger in Eingeborene (natus = geboren) verwandeln. »Wenn es das erste Mal die Augen aufschlägt, sollte ein Kind das Vaterland sehen und bis zu seinem Tode sollte es nie etwas anderes sehen. […] Mit zwanzig sollte ein Pole nichts als ein Pole sein«, riet schon Rousseau (zit. nach Bauman 1991: 35) dem polnischen König bei der Konstruktion Polens. Die nationale Ideologie mit ihrem Appell an den ›Nationalgeist‹ und dem mythisch begründeten Anspruch auf die ›Natürlichkeit‹ nationaler Zugehörigkeit dient dem Staat als verlässliche Stütze und Legitimation seiner Forderung nach ›patriotischer‹ Loyalität, bedingungsloser Disziplin und territorialer Homogenität. Umgekehrt neigen Nationen zur Bildung von Staaten, um das Durchsetzungspotenzial der Staatsmacht zur Sicherung ihrer – notorisch gefährdeten – Einheit und Kohärenz zu nutzen. Nur die Staatsmacht kann einheitliche Verhaltensregeln erzwingen und allgemein verbindliche Gesetze erlassen. »Während der Staat den Nationalismus zu seiner Legitimation benötigt, ist ein effektiver Nationalismus in gleichem Maße auf den Staat angewiesen. Der Nationalstaat ist das Produkt dieser wechselseitigen Anziehung« (Bauman 2000: 239). Seit der Moderne, also seit etwa zwei Jahrhunderten, hat sich Nationalismus ohne Staat als ebenso schwach und letztlich ohnmächtig erwiesen wie Staatenbildung ohne Nationalismus – bis schließlich das eine ohne das andere als nahezu undenkbar erscheint.

Nationale Identität – Einheit und Differenz Die Einheitlichkeit und innere Kohärenz der Nation und der Nationalkultur ist nicht, wie nationalistische Ideologien suggerieren, etwas ›Natürliches‹ und historisch Gewachsenes, sondern ein Produkt der Macht: einerseits der physischen Macht in Form gewaltsamer Unterdrückung kultureller Differenzen, andererseits der kulturellen Macht starker nationaler Diskurse und Erzählungen, die versuchen, alle inneren Spaltungen und Differenzen zu einer Einheit zu vernähen. – Die meisten modernen Nationen bestehen aus disparaten Ethnien, Kulturen und Sprachgemeinschaften, die nur durch 73

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einen langen Prozess gewaltsamer Eroberungen vereinigt wurden. Die ›ethnischen Säuberungen‹ im ehemaligen Jugoslawien haben ein Charakteristikum moderner Nationen offensichtlich gemacht: die mit der Idee nationaler Einheit einhergehende Gewaltbereitschaft. Mit wenigen Ausnahmen sind alle modernen Nationen aus Kriegen hervorgegangen. »Die Revolutionskriege haben die Idee der Nation in Frankreich und Nordamerika blutig untermauert«, betont Dieter Langewiesche (1998: 47), »und alle weiteren Nationalstaaten, die im 19. Jahrhundert entstanden, waren ebenfalls Kriegsgeburten.« Wie Ernest Renan (1993: 295) bemerkte, mussten die gewaltsamen Anfänge, die an den Ursprüngen moderner Nationen standen, erst ›vergessen‹ werden, bevor ein ›Nationalgeist‹, d.h. die Treue und Folgebereitschaft gegenüber einer als einheitlich und homogen gedachten Nation, ausgebildet werden konnte. – Die Tatsache, dass Nationen immer von tiefen ethnischen, sprachlichen, kulturellen und religiösen Spaltungen durchzogen sind, erzeugt den Hang, die Differenzen unter eine ›Nationalkultur‹ zu subsumieren, d.h. sie unter einer kulturellen Identität zu ›vereinen‹, die alle Unterschiede einebnet. »Kultur ist heute das notwendige gemeinsame Medium, das Lebensblut oder vielmehr besser die minimale gemeinsame Atmosphäre, innerhalb derer allein die Mitglieder einer Gesellschaft atmen und überleben und produzieren können«, bemerkt Ernest Gellner (1991: 61). Sieht man einmal von kruden – und aussichtslosen – Versuchen ab, die Einheit der Nation über die Ethnie oder die ›Rasse‹ zu definieren (›ethnische Säuberungen‹ auf dem Balkan, Umdefinition der Kurden zu ›Bergtürken‹ in der Türkei), so besteht eine bevorzugte Strategie, Nationen diskursiv zu vereinheitlichen, in dem Versuch, sie als Ausdruck einer ihr zugrunde liegenden Kultur eines ›Volkes‹ darzustellen. Aber dieser Glaube wird in der modernen Welt ein Mythos, wie Stuart Hall (1994g: 207) bemerkt: »Westeuropa hat keine Nation, die nur aus einem Volk, einer Kultur oder Ethnizität besteht. Alle modernen Nationen sind kulturell hybrid.« Noch schwieriger ist der Versuch, die nationale Identität 74

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über die Sprache zu definieren. Unbestreitbar unterscheiden sich Nationen üblicherweise durch eine gemeinsame Sprache. Was aber als gemeinsame und eigene Sprache gilt, ist häufig das Ergebnis willkürlicher nationalistischer Definitionsmacht. Einerseits werden regionale Sprachen und Dialekte aktiv unterdrückt (etwa das Kurdische in der Türkei), andererseits werden lokale Sprachvarianten mit relativ geringen Unterschieden (wie Norwegisch und Schwedisch, Niederländisch und Flämisch) in den Rang einer eigenen Sprache erhoben und zum Unterscheidungsmerkmal einer eigenen Nation erklärt. Die Sprache ist aber – ebenso wie das Territorium – noch aus einem anderen, prinzipiellen Grund ein denkbar ungeeigneter Kandidat, um der Nation und der nationalen Identität den Nimbus von Einheit, Exklusivität und ›Natürlichkeit‹ zu verleihen: Man kann sie wechseln. Die dem Nationalstaat zugrunde liegende Idee einer einheitlichen Nationalkultur und einer exklusiven nationalen Identität ist, wie bereits dargelegt, durch die Migrationsbewegungen von Menschen unterschiedlicher nationaler, kultureller, sprachlicher und religiöser Herkunft und durch die globale Zirkulation von Zeichen, Symbolen, Waren und Informationen nachhaltig unterminiert worden. Das Einströmen ›fremder‹ Elemente in die Nation, die Erfahrung, dass Menschen, die gestern noch ›Fremde‹ waren, sich vor unseren Augen in ›Einheimische‹ verwandeln, weckt Zweifel an der Einheit und ›Natürlichkeit‹ von Nationalkulturen und nationalen Identitäten. Globalisierung und Migration führen ›Einheimischen‹ und ›Zugewanderten‹ gleichermaßen den widerruflichen, veränderlichen Charakter von Nation und nationaler Zugehörigkeit vor Augen. Im Horizont alternativer Möglichkeiten werden vormals für ›natürlich‹ gehaltene Zuordnungen entzaubert und es entsteht unwiderruflich ein spezifisch (spät-)modernes Bewusstsein für die Bedingtheit und Änderbarkeit nationaler und kultureller Zugehörigkeiten und Identitäten. Überall entstehen durch die Erosion hergebrachter Verortungen nationale und kulturelle Identitäten, »die nicht fixiert sind, sondern im Übergang zwischen verschiedenen Positionen 75

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schweben, die zur gleichen Zeit auf verschiedene kulturelle Traditionen zurückgreifen« (Hall 1994g: 218). Solche Mischidentitäten, wie sie in Zeiten der Globalisierung und globaler Migrationsbewegungen üblich werden, sind das Resultat komplizierter Kreuzungen und kultureller Verbindungen. Sie sind Produkte der neuen Diaspora, die durch die postkoloniale Migration geschaffen wurde. Der »globalen Melange« (Nederveen Pieterse) von Kulturen und Traditionen entspricht also auf der individuellen Ebene eine Melange innerhalb der persönlichen Identität. Die Literaten und Theoretiker des Postkolonialismus sehen, wie noch zu zeigen sein wird, in derartigen – als ›synkretistisch‹, ›kreolisiert‹ oder ›hybrid‹ bezeichneten – Identitäten und dem mit ihnen verbundenen Bewusstsein für Heterogenität und Differenz ein produktives und innovatives Moment in einer globalen, von nationaler Abschottung und rückwärtsgewandten Fundamentalismen bedrohten Welt. So versteht der indisch-britische Schriftsteller Salman Rushdie, in dessen Lebenslauf sich mehrere Kulturen kreuzen, seinen Roman Satanische Verse als »Liebeslied für Bastarde«: »Mischmasch, ein bißchen von diesem und ein bißchen von jenem, das ist es, wodurch das Neue in die Welt tritt« (Rushdie 1992: 457). Bezeichnenderweise fühlten sich die iranischen Fundamentalisten durch den Roman mit seiner säkularen Feier des ›übersetzten Menschen‹ so provoziert, dass sie Rushdie wegen Blasphemie zum Tode verurteilten. Wie das Beispiel zeigt, gibt es machtvolle Versuche von Staaten und politisch-kulturellen Bewegungen, der Auflösung stabiler, Halt gebender Identitäten und Lebensformen mit der fundamentalistischen Wiederentdeckung ›reiner‹ Identitäten zu begegnen. Die Wiederentdeckung kultureller ›Wurzeln‹ und die Rückkehr zur religiösen Orthodoxie, wie sie in manchen Ländern der Dritten Welt und in postkolonialen Gesellschaften und Regionen zu beobachten ist, stellt vor allem für nationale Minoritäten und unterprivilegierte Gruppen eine wirksame Quelle der Gegenidentifikation dar. Das »Wiederaufleben von Ethnizität« (Bauman 1991: 48) – also die unerwartete Rückbesinnung auf ›rassische‹ und kulturelle Zugehörigkeiten – lässt sich als Reaktion auf die zentrifugalen Kräfte westlicher Modernisierung interpretieren. Die Entwertung und Entzauberung aller sinnstiftenden Traditionen 76

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und Loyalitäten im Zuge kultureller Globalisierungsprozesse wird beantwortet mit dem – mehr oder weniger hilflosen – Versuch einer Wiederverzauberung partikularer Bindungen und Identitäten durch Rückkehr zur (imaginierten) nationalen, kulturellen, ethnischen oder religiösen Einheit und ›Reinheit‹ der Ursprünge.

Zur vertiefenden Lektüre Anderson, Benedict (1988): Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, Frankfurt/M.: Campus. Bauman, Zygmunt (2000): Vom Nutzen der Soziologie, Frankfurt/M.: Suhrkamp, Kap. 9: Staat und Nation. Hall, Stuart (1994a): Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte Schriften 2, Hamburg: Argument. Hobsbawm, Eric J. (1991): Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1780, Frankfurt/M.: dtv. Renan, Ernest (1993): »Was ist eine Nation?«. In: Michael Jeismann/Henning Ritter (Hg.), Grenzfälle. Über neuen und alten Nationalismus, Leipzig: Reclam, S. 290-311.

2.2 ›Rasse‹, Ethnizität und die Konstruktion von Andersheit In seinem Buch »Schwarze Haut – weiße Masken« schildert Frantz Fanon (1925-1961) eine Szene, in der er als junger Antillaner in Paris auf ein weißes Kind mit seiner Mutter trifft. Das Kind zieht die Mutter am Arm und sagt: »Sieh nur, Mama, ein schwarzer Mann.« Fanon schreibt: »Das erste Mal in meinem Leben wusste ich, wer ich bin. Das erste Mal fühlte ich mich, als sei ich in dem Blick, dem gewalttätigen Blick des Anderen explodiert und gleichzeitig als ein anderer neu zusammengesetzt worden« (zit. nach Hall 1994d: 73). Die Szene verdeutlicht auf eindringliche Weise, dass die persönliche Identität, das Bewusstsein des eigenen Selbst, von den Zuschreibungen, Wahrnehmungen und Benennungen Anderer abhängig ist. Identität muss stets »durch das Nadelöhr des Anderen gehen, bevor sie sich selber konstruieren kann«, wie Hall (1994e: 77

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45) sagt. Das Ich ist unaufhebbar in den Blick des Anderen eingeschrieben. Nun ist dieses »Eingeschriebensein der Identität in den Blick des Anderen« (Hall 1994d: 73) sicher eine anthropologische Konstante, d.h. für den Menschen als ›sozialem Wesen‹ unhintergehbar. Problematisch wird es erst, wenn Macht ins Spiel kommt, wenn der Blick des Anderen ›gewalttätig‹ ist. In diesem Fall besteht keine Wechselseitigkeit der Wahrnehmungen und Perspektiven. ›Wir‹ und die ›Anderen‹ setzen sich nicht ins Verhältnis zueinander und verhindern damit die Relativierung ihres jeweiligen ›Blicks‹. Nirgends lassen sich die diskriminierenden Wirkungen einer asymmetrischen Klassifikations- und Bezeichnungspraxis, die eine unterlegene Gruppe einseitig der Definitions- und Unterscheidungsgewalt einer dominanten Gruppe ausliefert, schlagender demonstrieren als am Beispiel des Rassismus. ›Rasse‹ ist – neben und in vielfältiger Wechselwirkung mit Nation, Klasse und Geschlecht – sicher eine der wirkungsmächtigsten Kollektivkategorien, die bis in die Gegenwart hinein die Welt in Innen und Außen, in Zugehörige und Nicht-Zugehörige spaltet.

2.3 ›Rasse‹ und Rassismus Der Begriff ›Rasse‹ als analytische und soziale Kategorie wird im anglo-amerikanischen Sprachraum wesentlich unbefangener als im Deutschen und daher zumeist ohne Anführungszeichen verwandt. Im deutschsprachigen Raum ist der Begriff aufgrund seiner Konnotationen im Zusammenhang mit dem Holocaust seit der Nachkriegszeit mit einem gewissen Tabu behaftet. Die grundsätzliche Beibehaltung des Begriffs ›Rasse‹ erscheint aber um so notwendiger, als inzwischen gerade nationalistische und fremdenfeindliche Gruppierungen und Strömungen ihn durch andere, weniger verfängliche Konzepte – wie etwa der ›Ethnie‹ oder der ›kulturellen Identität‹ – ersetzen. Auf diese Weise werden rassistische Ausgrenzungspraktiken verschleiert und gleichzeitig gesellschaftsfähig gemacht. »Das vornehme Wort Kultur tritt anstelle des verpönten Ausdrucks Rasse, bleibt aber ein bloßes Deckbild für den brutalen Herrschaftsanspruch«, wie Adorno (1986: 377) sagt. 78

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Für die Beibehaltung des Begriffs ›Rassismus‹ spricht nach Mona Singer (1997: 53), dass er »am treffendsten auf den Punkt bringt, worum es sich, auch bei sehr subtilen Formen der Ausgrenzung, aktuell zumeist handelt: nämlich um einen abwertenden, pauschalisierenden, vereinheitlichenden Diskurs über ›erkennbar‹ gemachte Fremde, der mit einer Ausschließungs- und Diskriminierungspraxis gekoppelt ist.« In den – kaum noch überschaubaren – wissenschaftlichen Debatten um eine Definition des Rassismus herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass jede Form des Rassismus zumindest zwei Bestandteile enthält: ein Wissen und eine Ausgrenzungspraxis. Erst das Ensemble von spezifischen Wissensformen und spezifischen Ausgrenzungspraktiken gewährleistet die für alle Varianten des Rassismus charakteristische Konstruktion von Andersheit, das othering. Es handelt sich beim Rassismus demnach um etwas, was Foucault als ›Dispositiv‹ bezeichnet hat, also um einen MachtWissen-Komplex, in dem »es keine Machtbeziehung gibt, ohne daß sich ein entsprechendes Wissensfeld konstituiert, und kein Wissen, das nicht gleichzeitig Machtbeziehungen voraussetzt und konstituiert« (Foucault 1977: 39). Entscheidendes Merkmal jedes Rassismus ist eine Bezeichnungs- und Definitionspraxis, die ein ›Wissen‹ über ›natürliche‹ Unterschiede zwischen ›uns‹ und ›den Anderen‹ hervorbringt. Zwar stützt sich der schlichte Rassismus des Alltags auf die ›Evidenz‹ sichtbarer Unterschiede – wir wissen z.B. sehr genau, wer eine ›Türkin‹, ein ›Araber‹ oder ein ›Schwarzer‹ ist –, doch zeigt sich bei näherem Hinsehen, dass die ›sichtbaren‹ Unterschiede nichts ›Reales‹ und ›Natürliches‹, sondern das Produkt lange eingeübter und kulturell tief verankerter Wahrnehmungs- und Zuschreibungspraktiken sind. Der Kern des Rassismus besteht nicht – wie zahlreiche Rassismusdefinitionen nahe legen – in der Verabsolutierung und im agitatorischen Missbrauch von Unterschieden zwischen Menschengruppen, sondern darin, »daß einschlägige politische Interessen in angeblich natürliche Tatsachen verwandelt werden« (Hund 1999: 16). ›Rassen‹ sind nicht biologische Tatsachen, sondern soziale Konstruktionen, hinter denen sich machtvolle politische Interessen verbergen. So hat Hund schlagend dargelegt, dass der politische Gehalt der Rassengliede79

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rung Carl von Linnés nicht allein darin besteht, dass er Afrikaner für faul, Asiaten für herrschsüchtig, Amerikaner für genügsam und Europäer für scharfsinnig hält, sondern bereits in der Farbskala selbst liegt. Die Aufteilung der Menschheit in weiße Europäer, rote Amerikaner, gelbe Asiaten und schwarze Afrikaner spiegelt nicht körperliche Unterschiede zwischen Menschengruppen, sondern die Farbenlehre des Kolonialismus. »Es handelt sich nicht um die Pigmentierung der natürlichen, sondern um die Farbgebung einer sozialen Haut« (ebd.: 20). Es kann also keineswegs angenommen werden, dass es zuerst ›Rassen‹ gab, die dann später in eine hierarchische Rangordnung gebracht wurden. Vielmehr ist ›Rasse‹ eine relativ moderne – zutiefst politische – Kategorie zur Bezeichnung nationaler oder kultureller Differenzen. ›Rassen‹ gehen nicht dem Rassismus voraus, sondern sind dessen Produkte. Dieser Prozess der »Rassifizierung« (Terkessidis 1998: 74) – also der Festlegung ›naturgegebener‹ Unterschiede zwischen Menschengruppen, die ein Verhältnis der Über- bzw. Unterlegenheit begründen – basiert nach Mona Singer (1997: 45) auf einer »asymmetrischen Bezeichnungspraxis«. Wesentliches Merkmal einer asymmetrischen Bezeichnungspraxis ist, »daß die Bezeichnenden sich selbst nicht als etwas Meßbares und als etwas Relatives – wie die Bezeichneten – in die Rede einbringen, sondern als Maßstab selbst, der dann selbst nichts zu Messendes ist« (ebd.: 49). Das zweite Glied einer binären Unterscheidung – man denke nur an die Unterscheidungen zwischen Griechen und Barbaren, Christen und Heiden, Zivilisierten und Wilden – ist stets nur das Andere des ersten, die degradierte, unterdrückte Seite des ersten. Binäre, also zweiwertige Klassifikationen enthalten immer einen markierten und einen unmarkierten Pol. Die dominante, bezeichnende Gruppe ist unmarkiert, d.h. neutral und ›normal‹; die unterlegene, bezeichnete Seite ist markiert, d.h. anders und ›unnormal‹. Colette Guillaumin hat diese Asymmetrie prägnant beschrieben: »Es ist klar, dass Frauen sich von Männern unterscheiden, die selbst nicht verschieden sind […]. Schwarze sind verschieden (Weiße sind einfach), Chinesen sind verschieden (Europäer sind), Frauen sind verschieden (Männer sind)« (zit. nach Singer 1997: 49). Die in der asymmetrischen Bezeichnungspraxis des Rassismus 80

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gegenübergestellten beiden Seiten des Gegensatzes gehören stets zusammen, sie definieren sich wechselseitig. Die Bezeichnenden müssen wissen, wer sie nicht sind, um zu wissen, wer sie sind. »Die Engländer sind nicht deshalb rassistisch, weil sie die Schwarzen hassen, sondern weil sie ohne die Schwarzen nicht wissen, wer sie sind«, sagt Stuart Hall (1999a: 93). Das ›Schwarzsein‹ der Afrikaner widerspiegelt das ›Weißsein‹ der Europäer: Das Selbst und der Andere sind gleichermaßen in eine gemeinsame (europäische) Bedeutungswelt eingeschlossen. Die rassistische Konstruktion von Andersheit (othering) beruht also auf einer Klassifikations- und Bezeichnungspraxis, in die immer schon massiv Hierarchie und Macht eingelassen sind. Die dominante Gruppe, die über die Definitionsmacht verfügt, setzt sich selbst ins Zentrum; die Anderen, die Markierten, werden im wörtlichen Sinne marginalisiert, d.h. an den Rand gedrängt. »Rassismus ist eine Struktur des Diskurses und der Repräsentation, die den Anderen symbolisch zu vertreiben sucht – ihn auslöschen, ihn da drüben in die Dritte Welt setzen, an den Rand« (ebd.: 93). In der rassistischen Klassifikationspraxis spiegelt sich so die koloniale Machtgeometrie: die Spaltung der Welt in Zentrum und Peripherie. Wenn der Rassismus seine verlässlichste Stütze in einer bestimmten Klassifikations- und Benennungspraxis hat, dann folgt daraus, dass jeder kollektive Widerstand gegen rassistische Unterdrückung und Diskriminierung sich auf das Feld der Klassifikationskämpfe begeben muss. Wie jeder andere politische Kampf ist auch der antirassistische Kampf zuerst und vor allem ein Kampf um die ›legitime Weltsicht‹. Als ›Kampf um Repräsentationen‹ ist der politische Kampf seiner Logik nach Teil der symbolischen Auseinandersetzungen um die legitime Benennung und Interpretation sozialer Gruppen und der sozialen Welt schlechthin. »Politische Subversion setzt kognitive Subversion voraus, Konversion der Weltsicht«, wie Pierre Bourdieu (1930-2002) (1990: 104) betont. Neben dem rassistischen Wissen, also der klassifikatorischen Definition von ›Rassen‹, ist jede Form des Rassismus durch eine spezifische Ausgrenzungspraxis gekennzeichnet. Dabei haben wir es mit einem dialektischen Verhältnis von Eingrenzung und Aus81

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grenzung zu tun, und zwar in doppelter Hinsicht: Einerseits bestimmen Ausgrenzungspraxen, die beispielsweise Personen aus bestimmten Ländern den Zugang zum Arbeitsmarkt verweigern, zugleich implizit die Kriterien, nach denen anderen Zutritt gewährt wird. Ausgrenzung definiert immer Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit zugleich. Andererseits war die koloniale Ausbeutung seit je durch die Gleichzeitigkeit und Widersprüchlichkeit von Einverleibung und Ausgrenzung der kolonisierten Subjekte gekennzeichnet. Wie Stuart Hall (1994b: 30) schreibt, wurden diese Menschen nicht nur als Andere konstruiert, sondern durch die Ausübung von kultureller Macht dazu gebracht, »dass wir uns selbst als ›Andere‹ wahrnahmen.« Diese »innere Enteignung der kulturellen Identität« bringt entstellte, beschädigte Subjekte hervor, »Menschen ohne Ufer, ohne Grenzen, ohne Farbe, Heimatlose, Nicht-Verwurzelte, Engel« (Fanon 1981: 185).

›Rasse‹ und Nation Der rassistische Macht-Wissen-Komplex bedarf zu seiner Reproduktion der Durchsetzungsmacht. Von Rassismus im eigentlichen Sinne kann man daher erst sprechen, wenn eine Gruppe auch über die Machtmittel verfügt, ihre Definition und die damit einhergehenden Ausgrenzungspraxen gegen eine andere Gruppe durchzusetzen (vgl. Jäger 1992: 15). Die effektivsten Machtmittel, der sich rassistische Ideologien zur Durchsetzung ihrer Ausschließungspraxen bedienten, lieferte in der Geschichte stets der Nationalstaat. Umgekehrt bediente sich der Nationalstaat häufig rassistischer Ideologien zur Befestigung seines Anspruchs auf ›natürliche‹ Einheit und Homogenität. Offenkundig ist Rassismus keineswegs, wie Hannah Arendt (1906-1975) schreibt, »überall ein dem Nationalismus entgegengesetzter und ihn wie jede Form des Patriotismus untergrabender Faktor« (Arendt 1955: 271), vielmehr scheint zwischen Rassismus und Nationalismus ein ähnliches Verhältnis wechselseitiger Anziehung zu bestehen, wie es im vorangehenden Kapitel für das Verhältnis von Staat und Nation dargelegt worden ist. Wie ›Nationen‹ sind auch ›Rassen‹ nichts ›Reales‹ und ›Natürliches‹, sondern »vorgestellte Gemeinschaften« im Sinne Benedict Andersons (1988). »Wie ›Nationen‹, so werden auch ›Rassen‹ 82

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imaginiert, in dem doppelten Sinne, dass sie keine biologische Grundlage haben und dass die durch Bedeutungskonstitution dazugehörenden Mitglieder sich niemals alle kennen können, sich aber dennoch einbilden, ein kameradschaftlicher Verbund zu sein« (Miles 2000: 31). Nationalismus und Rassismus sind machtvolle – im Zusammenspiel komplexer ökonomischer und politischer Verhältnisse historisch entstandene – klassen- und geschlechtsübergreifende Formen der Kategorisierung von Menschen, d.h. der Konstruktion von Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit. In spezifischen historischen Situationen können nationalistische und rassistische Ideologien ein enges Bündnis eingehen. So vertrat der ›wissenschaftliche‹ Rassismus seit dem 18. Jahrhundert in seiner extremsten Form die Auffassung, das kulturelle Vermögen und die historische Entwicklungsfähigkeit des Menschen seien durch die ›Rasse‹ bestimmt und bekämen durch ›Nation‹ historische Gestalt. ›Rasse‹ und ›Nation‹ werden in dieser Konstruktion als nahezu identisch gedacht (vgl. ebd.). Daraus kann zwar nicht auf eine enge logische Verknüpfung von Rassismus und Nationalismus geschlossen werden, doch tendieren ›Rasse‹ und Nationalstaat dazu, sich wechselseitig für ihre Interessen einzuspannen. Balibar (1991: 178) vertritt gar die These, »daß in einem gewissen Sinn oder unter bestimmten Voraussetzungen der Nationalismus notwendig zum Rassismus führt«. Den Hauptgrund dafür sieht er darin, dass alle modernen Nationen künstliche, äußerst heterogene Gebilde mit einer Vielzahl innerer sozialer Differenzen darstellen. Dies erklärt die Neigung von Nationen, ihren Anspruch auf ›natürliche Einheit‹ und Gemeinschaft durch Konstruktion einer »fiktiven Ethnizität« (ebd.: 186) abzusichern, die ein ›Vergessen‹ der inneren Differenzen zum Ziel hat. Da die sozialen Differenzen – etwa die Klassenantagonismen – aber fortbestehen und das ›Vergessen‹ nie vollständig gelingt, zeigen Nationen den notorischen Hang, die ›inneren Fremden‹ durch kulturelle Kreuzzüge zur Konversion zu bringen bzw. sie durch Rassifizierung als ›Schädlinge am Volkskörper‹ zu brandmarken. So konnten sich die nationalen Gemeinschaften bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts durch die permanente Rassifizierung der Juden beständig ihrer inneren Einheit und Integration versichern. Der Rassismus fungiert hier als 83

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eine Art »Übernationalismus« (ebd.: 187), der dazu tendiert, den Kern der nationalen Identität (als ›Deutsche‹, ›Engländer‹ oder ›Franzosen‹) in Begriffen rassischer oder kultureller Reinheit zu definieren.

Der Westen und der Rest: Das koloniale Syndrom Von der ersten ›Urszene‹ des Rassismus, die die Binnenverhältnisse der europäischen Staaten betrifft, lässt sich mit Geiss (1988: 15) eine zweite ›Urszene‹ unterscheiden: ein durch die koloniale Expansion geschaffenes rassistisches Wissen, das soziale und kulturelle Unterschiede in Abstufungen der Hautfarbe übersetzt. Die von den europäischen Eroberern durch Völkermord und unvorstellbare Brutalitäten in den Kolonien geschaffenen ›Rassen-Kasten-Gesellschaften‹ tragen keineswegs atavistische Züge, sondern kündigen im Gegenteil das Erscheinen der Moderne an. »Was die Spanier entdecken«, schreibt Todorov (1982: 176), »ist der Kontrast zwischen Metropole und Kolonie.« Die koloniale Spaltung der Welt in Zentrum und Peripherie, in ›The West and the Rest‹ bestimmt, wie die Theoretiker/-innen des ›Postkolonialismus‹ (Stuart Hall, Paul Gilroy, Edward Said, Gayatri Spivak etc.) dargelegt haben, bis heute die Bilder des rassistischen Diskurses. Alle nationalen, kulturellen und geschlechtlichen Identitäten und Differenzen werden dominiert und überlagert durch die eine zentrale, auf kolonialer Willkür basierende Unterscheidung: Der Westen und der Rest. Tabelle 4: The West and the Rest The West

The Rest

modern

vormodern

Zentrum

Peripherie

entwickelt

unterentwickelt

zivilisiert

unzivilisiert

Der binäre Code ›The West and the Rest‹ macht die Welt ›lesbar‹, indem er sie unter Vernachlässigung aller internen Differenzen 84

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in zwei homogene Blöcke einteilt. Die beiden Pole dieser Differenz sind dabei weniger geografische Ortsbestimmungen als Elemente eines ›Repräsentationssystems‹, d.h. einer Sprechweise, die eine bestimmte Denk- und Wissensstruktur in Bewegung setzt und suggestive Bilder vor unser geistiges Auge ruft. Auch hier folgt die konstruierte Differenz dem Muster einer ›asymmetrischen Bezeichnungspraxis‹ (siehe S. 79): Die erste Seite des Vergleichsmodells liefert den Maßstab zur Bewertung der zweiten, die stets als das Andere, das Negative der ersten bestimmt wird. »Mit ›Westen‹ meinen wir einen Gesellschaftstyp, der als entwickelt, industrialisiert, städtisch, kapitalistisch, säkularisiert und modern beschrieben wird.« Und für den ›Rest‹ gilt: »›nichtwestlich‹ = nicht-industrialisiert = ländlich = landwirtschaftlich = unterentwickelt« (Hall 1994f: 138f.). Dieses Wissen, diese Bilder und Metaphern haben ihren Ursprung im kolonialen Imperialismus, büßen ihre Wirksamkeit aber keineswegs mit dem Ende des Kolonialismus ein. Sie dauern vielmehr an, indem sie sich verändern, entfalten und fortwuchern. ›Post-kolonial‹ bezeichnet deshalb nicht etwa eine Epoche nach dem Ende des Kolonialismus, sondern das Fortdauern des ›kolonialen Syndroms‹ in veränderter Form und an veränderten Orten, nämlich in den globalisierten Metropolen. In Britannien, in London beispielsweise, wo die Einwanderer aus ehemaligen Kolonien stammen – »We are here, because you were there« – setzt sich die komplizierte Geschichte der Verstrickungen zwischen dem Eigenen und dem Fremden fort. Die polare Spaltung der Welt in ›The West and the Rest‹ – in der sich letztlich die Differenz Kolonisatoren/Kolonisierte spiegelt – liegt der Trennung der Weltbevölkerung in eine ›weiße‹ und eine ›schwarze‹ Rasse zugrunde. Die vergangenen Gewaltakte und die mit ihnen verbundenen Bilder und Deutungsmuster bilden gewissermaßen das Archiv, aus dem sich bis heute der rassistische Diskurs speist. Sie liefern die »Grundbilder in der ›Grammatik der Rasse‹« (Hall 1989: 160).

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Tabelle 5: Die rassistische Spaltung der Weltbevölkerung ›Weiß‹

›Schwarz‹

rational

emotional

kultiviert

primitiv

zivilisiert

wild

triebbeherrscht

triebhaft

Vernunftwesen

Körperwesen

selbstständig

unselbstständig

vernunftgeleitet

instinktgeleitet

Die Spaltung der Welt in den binären Gegensatz von ›Weiß‹ und ›Schwarz‹ bildet den »Innenraum des Rassismus« (Hall 2000: 13), der große Teile der Weltbevölkerung nicht nur ökonomisch, politisch und sozial unterprivilegiert, sondern sie symbolisch aus der Familie der Nation, der Gemeinschaft ausschließt. Wie im Diskurs ›The West and the Rest‹ ist auch hier das zweite Glied des jeweiligen Gegensatzpaares immer nur das Andere des ersten, dessen negative, degradierte, unterdrückte Seite. Die Anderen haben in dieser Logik nicht eine andere Kultur, sondern sie sind kulturlos und ›primitiv‹; sie haben nicht eine andere Rationalität, sondern sie sind ›emotional‹ und ›triebhaft‹ etc. In der Einseitigkeit der Bezeichnungsmacht in der rassistischen Unterscheidungs- und Klassifikationspraxis spiegelt sich das Machtgefälle zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten.

Die ›Natur‹ der Anderen Seine verlässlichste Stütze findet der Herrschaftsanspruch gegenüber den ›Anderen‹ und ›Fremden‹ seit je in der ideologischen Naturalisierung der Ausgegrenzten. Die Kategorien in der rechten Spalte der obigen Tabelle rücken die ›Schwarzen‹ in die Nähe bloßer ›Naturwesen‹: Sie sind ›wesenhaft‹ wild, primitiv, triebhaft und instinktgeleitet. Die ›Weißen‹ erscheinen demgegenüber als Vertreter der ›Kultur‹. Durch die Naturalisierung des einen Pols der Unterscheidung wird gleichzeitig die Differenz selbst als ›naturgegeben‹ und un86

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veränderlich behauptet. Reale, historisch entstandene Verhältnisse von Macht, Herrschaft und Ausbeutung werden derart durch rassistische Klassifikationsmuster in die biologische Ausstattung von Menschen verlegt und so mit dem Schleier des ›Natürlichen‹ und damit Unveränderlichen umgeben. Die Ideologie unveränderlicher Eigenschaften von Menschengruppen hat die Funktion, den historischen Ursprung von Gewaltverhältnissen ›vergessen‹ zu machen und sie dadurch zu legitimieren. Im Kern war der Rassismus ja, wie Claussen (1994: 15) feststellt, »nie etwas anderes als ein Legitimationsmuster von unmittelbaren Gewaltverhältnissen«. Rassistisches ›Wissen‹ bildet demnach – entgegen der Grundannahme antirassistischer ›Vorurteilsbekämpfung‹ – nicht den primären Erklärungsgrund für eine konkrete, historisch beschreibbare Gewalt- und Verfolgungspraxis, sondern wird vielmehr als deren Resultat hervorgebracht (vgl. Reemtsma 1991: 280). Die auch nach dem Ende der kolonialen Ära anhaltend weite Verbreitung und offenkundige Unausrottbarkeit eines biologisierenden Rassismus hat ihre Ursache darin, dass er gegenüber anderen Legitimationsideologien einen entscheidenden Vorzug besitzt: Er kann sich an äußerlich sichtbare, für jedermann erkennbare Unterscheidungsmerkmale wie Hautfarbe, Körpergröße, Gesichtszüge etc. anheften. Die ›Anderen‹ muss man nicht kennen; entscheidend ist, dass man sie erkennt. Der ›Mann auf der Straße‹ weiß, dass es Rassen gibt, wenn er einem Araber, einem Japaner oder einem Afrikaner begegnet. Die Behauptung, »alle Rassen seien gleich«, setzt sich, wie Adorno (1989: 130) bemerkt, »der bequemen Widerlegung durch die Sinne aus«. »Der Rassismus ist besonders mächtig und seine Wirkung auf das Alltagsbewusstsein besonders prägend, weil er in solchen ›Rasse‹-Merkmalen wie Hautfarbe, ethnische Herkunft, geografische Position etc. etwas ausdrückt, was andere Ideologien erst aufbauen müssen: eine offenbar ›natürliche‹ oder universelle Basis in der Natur selbst« (Hall 1994e: 135).

›Rassismus ohne Rassen‹: Kultur als Schicksal Rassistische Denkweisen zehren, wie erwähnt, bis heute von den naturalisierenden Grundbildern der Rasse, die ihren Ur87

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sprung im Kolonialismus und Imperialismus des Westens haben. Dennoch hat der rassistische Diskurs in der postkolonialen Ära immer wieder bedeutende Modifikationen in seiner Denk- und Argumentationsstruktur erfahren. In den letzten Jahrzehnten hat, wie viele Beobachter feststellen, ein entscheidender Paradigmenwechsel in den rassistischen Argumentationen stattgefunden, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Multikulturalismusdebatte. Entkolonisierung und Arbeitsmigration haben zu einer neuen Situation zwischen ›uns‹ und ›ihnen‹ geführt: ›Sie‹ sind jetzt mitten unter uns in den westlichen Metropolen, es geht nicht mehr um Expansion, sondern um Abgrenzung auf dem eigenen Territorium. »Zu diesem Zeitpunkt wagt es der Rassist nicht mehr, ohne Schminke aufzutreten«, schreibt Frantz Fanon (1956: 43) schon 1956: »Er verleugnet sich. Immer häufiger versteckt sich der Rassist. Der, der vorgab sie zu ›riechen‹, sie zu ›erraten‹, entdeckt, daß er selbst ins Auge gefaßt, beobachtet, verurteilt wird.« Der »verpönte Ausdruck Rasse« (Adorno) wird in dieser Situation zunehmend ersetzt durch das »vornehme Wort Kultur«. Das ›Wissen‹ um die ›natürliche‹ Ungleichheit der verschiedenen Rassen weicht der Vorstellung einer Unaufhebbarkeit kultureller Differenzen (vgl. Balibar/Wallerstein 1990: 28). In der Behauptung einer absoluten und wesenhaften Verschiedenheit menschlicher Lebensformen zeigen sich aber auffallende Parallelen zwischen dem biologischen Rassismus und dem ›Rassismus ohne Rassen‹, auch ›Neorassismus‹, ›kultureller Rassismus‹ oder ›differenzieller Rassismus‹ genannt. Beides sind Theorien der totalen Determinierung des Individuums und führen zu analogen Ergebnissen, wie der Philosoph Pierre-André Taguieff (1991: 239) hervorhebt: »Das Individuum wird darauf reduziert, diese oder jene Totalität zu repräsentieren; sei es das ›Rassen-Gefängnis‹, den ›Volks-Organismus‹, die ›GesellschaftsZelle‹ oder den ›Kultur-Kerker‹.« In jedem Falle wird es, um die Metapher von Armin Nassehi noch einmal aufzugreifen, in ein ›Gehäuse der Zugehörigkeit‹ eingesperrt, sei dieses nun aus biologistischen oder aus kulturalistischen Versatzstücken gezimmert. Rassistisch ist der kulturelle Rassismus nicht aufgrund einer ex88

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pliziten Diskriminierung des Fremden, sondern aufgrund der Logik seiner Argumentation. Auch wo von wohlmeinenden Vertretern einer multikulturellen Gesellschaft in dezidiert antirassistischer Absicht ein ›Recht auf Differenz‹ propagiert wird, kann diese Argumentation leicht ins Gegenteil des Beabsichtigten umschlagen. Indem er beständig die Kultur der Einheimischen der Kultur der Ausländer oder den Kulturen anderer Nationalitäten gegenüberstellt, errichtet der Multikulturalismus eben jene Mauern zwischen vermeintlich geschlossenen Symbolwelten und Kulturen, die er einzureißen beabsichtigt. Er stellt, wie Frank-Olaf Radtke (1990: 32) mahnt, »die Konzeptionen zur Verfügung, mit denen Grenzlinien gezogen und Konflikte aufgebaut werden, deren Lösung zu sein er vorgibt«. In der Wahrnehmung von Migrant/-innen erfüllt die Betonung kultureller Differenz und ›authentischer‹ kultureller Identität ähnliche Funktionen wie ein biologischer Rassismus. Sie fühlen sich im Namen von Toleranz und Anerkennung kultureller Differenz auf das klischeehafte Bild einer traditionalen Herkunftskultur verpflichtet, das keinerlei Differenzen zulässt und sie in ihren Entwicklungsmöglichkeiten beschneidet. »In dem Moment, wo man dem anderen Menschen seine Kultur zurückgibt, nimmt man ihm seine Freiheit. […] Unter dem Vorwand, ihn bedingungslos anzunehmen, verbaut man ihm jede Bewegungsfreiheit, jeden Ausweg, verbietet man ihm die Eigenständigkeit, lockt man ihn hinterhältig in die Falle der Andersartigkeit« (Finkielkraut 1989: 81). Wie im biologischen Rassismus geht es auch im kulturalistischen Neorassismus letztlich darum, durch die Konstruktion unverrückbarer ›Identitäten‹ ein Verhältnis von Über- und Unterlegenheit zwischen den dominierenden und den marginalisierten Gruppen herzustellen und zu zementieren. Indem die ›Anderen‹ auf ihre (imaginierte) Andersheit fixiert werden – sei es mittels biologischer oder kultureller Kategorien, sei es (was in der Regel der Fall ist) mittels eines undefinierbaren Gebräus aus beidem –, wird die Welt aufgespalten in Innen und Außen, in jene, die dazugehören, und jene, die nicht dazugehören. In jedem Fall geht es nicht um die Beschreibung ›natürlicher‹ oder ›kultureller‹ Tatsachen, vielmehr »um die Produktion von Wissen selbst«, wie Stuart Hall (2000: 14) betont. 89

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Ethnizität und die Politik der Identität Die ›kulturalistische Wende‹ im rassistischen Wissen lässt sich an der Konjunktur eines einzigen Begriffes ablesen: des unscharfen und vieldeutigen Konzepts der Ethnizität. Dieser Begriff begann seine sozialwissenschaftliche Karriere in den 1960er Jahren in den Vereinigten Staaten und kündigt dort das Scheitern des Melting Pot an. Galt bis dahin in der amerikanischen Soziologie die Erwartung, die kulturellen und ethnischen Identitäten der unterschiedlichen Einwanderergruppen würden sich im Zuge von Modernisierungsprozessen im großen Schmelztiegel auflösen, so erwies sich diese Erwartung zunehmend als illusionär. Im Gegenteil: Viele marginalisierte Gruppen zeigten keinerlei Assimilationsbereitschaft, sie beharrten auf ihrer sozialen und kulturellen Identität und auf der Besonderheit ihrer Geschichte und Tradition. Wissenschaft und Politik reagierten auf diese Situation mit dem Paradigma der Ethnizität, das der Sozialwissenschaftler Robert Ezra Park schon 1950 entwickelt hatte (vgl. Park 1950). Park wandte sich gegen den damals vorherrschenden biologischen Rassismus, indem er versuchte, die offenbar unüberwindbaren Modernisierungshemmnisse bei vielen Einwanderergruppen kulturell zu begründen. Er entwarf ein binäres Klassifikationsschema, in dem – unter Ausblendung aller weiteren Differenzierungen – auf der einen Seite die modernen, demokratischen, städtischen ›Subjekte‹, auf der anderen die ungebildeten, undemokratischen, primitiven, bäuerlichen ›Objekte‹ standen. »Die Zuordnung«, so fasst Steiner-Khamsi (1992: 23) zusammen, »erfolgte aufgrund der Herkunftsgesellschaft, genauer: einer Einteilung in ›primitive‹ und ›komplexe‹ Gesellschaften. Aus ›Rasse‹ wurde ›Ethnizität‹, aus ›genetischem Mangel‹ ›Kulturdefizit‹.« Der Begriff ›Ethnizität‹ hat einen zentralen Stellenwert im Diskurs des ›differenziellen Rassismus‹, dem die Vorstellung unüberwindbarer Differenzen zwischen ethnischen Gruppen, vor allem aber zwischen der dominanten ›Leitkultur‹ der Einheimischen auf der einen Seite und den kulturellen Besonderheiten der ›Anderen‹ auf der anderen Seite zugrunde liegt. Ethnizität bezeichnet in diesem Kontext also eine Fremdzuschreibung kultureller Identität und Besonderheit. 90

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Im theoretischen Diskurs des ›Postkolonialismus‹, der sich als Teil der Emanzipations- und Anerkennungskämpfe von Einwanderergruppen in den westlichen Metropolen versteht, wird der Begriff ›Ethnizität‹ in einer neuen, ›entkolonisierten‹ Bedeutung verwendet. ›Ethnizität‹ meint jetzt nicht mehr die kulturelle Fremdverortung marginalisierter Gruppen, sondern ihre Selbstverortung im Rahmen der identitätspolitischen Anerkennungskämpfe. Im postkolonialen Denken steht ›Ethnizität‹ für das Bemühen der Subalternen um die Wiederentdeckung eines Ortes, einer Vergangenheit, der eigenen Wurzeln. »Es ist dieses Greifen nach den Grundlagen, das ich Ethnizität nenne«, schreibt Hall (1994c: 61). ›Ethnizität‹ bezeichnet in diesem Kontext keinen Zustand, keine vorgegebene soziale Struktur oder Kultur, sondern eine strategische Praxis im Rahmen einer ›Politik des Lokalen‹: die Suche nach einem Standort, von dem aus man sprechen kann, nach einem Ort der Selbstermächtigung und des politischen Selbstbewusstseins. In dieser Verwendung des Begriffs drückt sich die für die Postcolonial Studies – und die Cultural Studies insgesamt – zentrale Einsicht aus, dass die westlichen Wissenschaften von ›den Anderen‹ bislang die Handlungsfähigkeit der untersuchten ›Anderen‹ selbst weitgehend unterschlagen hatten. Um der ›Handlungsmächtigkeit‹ (agency) der sozialen Akteure Rechnung zu tragen, verzichtet man daher in den eigenen Untersuchungen bewusst darauf, den Untersuchten gewisse vorab definierte Wesenheiten, Kulturen oder Identitäten zuzuschreiben und konzentriert sich stattdessen auf die vielfältigen, oft wechselnden Praktiken der Selbstdeutung, der Selbstverortung und Selbstermächtigung. Nicht auf fixierte Identitäten richtet sich das Augenmerk, sondern auf den fortlaufenden, nie zum Abschluss kommenden Prozess der Selbstidentifizierung sozialer Gruppen. Der Verzicht auf die Unterstellung fixer, ›natürlicher‹ Identitäten – etwa auf die Annahme eines wesenhaften, unveränderlichen ›schwarzen Subjekts‹ – ist jedoch im postkolonialen Denken keineswegs mit der Annahme verbunden, kulturelle Selbstverortung und Identitätskonstruktion bewegten sich in einem macht- und geschichtsfreien Raum und unterlägen der gänzlich freien Wahl der sozialen Akteure. Im Gegenteil: Stuart Hall, Gayatri Spivak 91

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und andere Denker/-innen des Postkolonialismus haben immer wieder darauf hingewiesen, dass der Spielraum zur Aushandlung von Identität in den Befreiungskämpfen entrechteter Gruppen begrenzt ist. Menschen sprechen, handeln und kämpfen nicht in einem historischen und sozialen Vakuum, sondern stets von einem bestimmten Standort, von einer Position aus. »Menschen brauchen immer einen Grund, einen Ort, eine Position, worauf sie stehen können« (Hall 1994d: 78). Die jeweilige Position ist von einer ›verborgenen Geschichte‹, von kollektiven Erfahrungen, Erzählungen und Erinnerungen, sprich: von einem kulturellen Erbe bestimmt. Als ererbte Kollektividentität bildet diese Position den begrenzenden, aber auch ermöglichenden Rahmen für die strategischen Neupositionierungen in den identitätspolitischen Anerkennungskämpfen. Nach Hall lassen sich zwei Phasen in den identitätspolitischen Kämpfen von Einwanderergruppen in den Zentren des Westens unterscheiden, je nachdem, wie die beteiligten Akteure ihre Selbstpositionierung vornahmen. Identitätspolitik I: Diese erste Phase der Identitätspolitik – die Hall am Beispiel der antirassistischen Kämpfe in Großbritannien in den 1970er Jahren erläutert – war von der Suche nach den Wurzeln, von der Wiederentdeckung einer verlorenen ›Heimat‹ bestimmt. Von jedem Zugang zur Identität des Aufnahmelandes ausgeschlossen, entwickelten die Menschen eine defensive kollektive Gegenidentität, indem sie rassistische Stigmatisierungen ins Positive wendeten und ins Selbstbild übernahmen. »Wir sagten: ›Ihr habt fünf-, sechs- oder siebenhundert Jahre damit verbracht, eine Symbolik zu entwickeln, in der ›schwarz‹ zu einem negativen Faktor wurde. Jetzt will ich keinen anderen Ausdruck. Ich will diesen negativen Ausdruck, genau den‹« (Hall 1994d: 80). Unter Berufung auf eine gemeinsame ›schwarze‹ Identität und eine ›schwarze‹ Erfahrung führten Migranten und Migrantinnen aus Pakistan, Kenia und Jamaika in den Gemeinden und Stadtteilen ihren antirassistischen Kampf. ›Schwarzsein‹ war in dieser Phase des Befreiungskampfes der entscheidende identitätsstiftende Faktor. Unter bestimmten politischen Verhältnissen kann nach Hall die Berufung auf eine ›natürliche‹, wesenhafte Kollek-

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tividentität – ›Ich bin eine Frau‹, ›Ich bin schwarz‹ – eine unverzichtbare Mobilisierungsfunktion haben. Identitätspolitik II: Dem Übergang von der ersten zur zweiten Phase identitätspolitischer Kämpfe liegt die Erfahrung zugrunde, dass die Berufung auf eine ›schwarze Andersartigkeit‹ mit erheblichen Kosten verbunden ist, die in die Isolation führen und den Weg in die Gesellschaft versperren können. In dieser Phase der Identitätspolitik tritt das »Spiel der Differenz« (Hall 1999b: 95) auf, d.h. die Erkenntnis, dass die Kategorie ›Schwarzsein‹ eine Reihe anderer Zugehörigkeiten überdeckt, mit denen jeweils unterschiedliche Interessenlagen verbunden sind. So gab es ethnische Gruppen, die sich keineswegs als ›Schwarze‹ identifizierten, andererseits überkreuzte sich die ›schwarze Identität‹ in vielfacher Weise mit den Zugehörigkeiten zu Klasse und Geschlecht. Schwarze der Arbeiterklasse hatten durchaus ähnliche Interessen wie weiße Angehörige der gleichen Klasse. Schwarze Frauen hatten im schwarzen Kontext zwangsläufig andere Interessen als die weißen Frauen, konnten sich im feministischen Kontext aber durchaus mit diesen gegen die Macho-Ehemänner verbünden. Die Konsequenz dieser Erfahrungen war das ›Ende der Unschuld‹ in der Identitätspolitik, d.h. die Entdeckung der Differenz, die Anerkennung der Tatsache, »dass wir alle aus vielen sozialen Identitäten, nicht aus einer einzigen, zusammengesetzt sind« (Hall 1994d: 84). Diese zweite Phase der Identitätspolitik, in der es keine fixen, einheitlichen Identitäten mehr geben kann und die Frage der Identifikation immer neu gestellt werden muss, erfordert auch eine neue Form der Ethnizität. Die neue ›Gegenpolitik des Lokalen‹ basiert auf einer – höchst widersprüchlichen und paradoxen – Selbstverortung der Marginalisierten, die gewissermaßen mit der Differenzerfahrung der Moderne ›gebeizt‹ ist: Sie gibt die unschuldige Vorstellung einer ›natürlichen‹ schwarzen Identität auf und ist sich der Tatsache bewusst, dass ›schwarz‹ eine politisch und kulturell konstruierte Kategorie ist, die keinerlei Garantien mehr in der Natur findet. Diese neue, reflexive Form der Ethnizität erschöpft sich nicht in der Zelebration des ›Schwarzseins‹ und in der Suche nach den (imaginären) Wurzeln ›schwarzer Identität‹, sondern versucht Identität in der Differenz

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zu leben, indem sie die verlorenen Geschichten in der Vielfalt schwarzer Erfahrungen wieder entdeckt und gerade die Verschiedenheit von Identifikationen zur Quelle der Mobilisierung macht. Dabei müsste sie »zugleich ein Mittel sein, sich gegen die zugeschriebene Andersartigkeit zu wehren, und das Ergebnis einer Politik des Kulturellen und der Identität, in der die gemeinsamen Erfahrungen und nicht die Vorfahren betont werden« (Anthias 1992: 93).

Zur vertiefenden Lektüre Ha, Kein Nghi (1999): Ethnizität und Migration, Münster: Westfälisches Dampfboot. Hall, Stuart (1994a): Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte Schriften 2, Hamburg : Argument. Räthzel, Nora (Hg.) (2000): Theorien über Rassismus, Hamburg: Argument. Singer, Mona (1997): Fremd. Bestimmung. Zur kulturellen Verortung von Identität, Tübingen: edition diskord. Terkessidis, Mark (1998): Psychologie des Rassismus, Opladen: Westdeutscher Verlag.

2.4 Ver-rückte Zugehörigkeiten: Zur Kategorie Geschlecht Neben ›Nation‹ und ›Rasse‹ ist ›Geschlecht‹ eine der zentralen Kategorien, die die Identität der Menschen symbolisch und sozial in übergreifenden, scheinbar ›objektiven‹ Zugehörigkeiten verankern. Wie die Zugehörigkeit zu einer ›Rasse‹ verdankt dabei die Identität als ›Mann‹ oder ›Frau‹ ihren besonderen Anschein von ›Natürlichkeit‹ und Unhintergehbarkeit dem Umstand, dass sie sich an sichtbare Körpermerkmale anheften kann, also im Alltag beständig durch die Evidenz der Sinne bestätigt wird. Geschlecht und ›Rasse‹ fungieren – getrennt und in vielfacher Wechselwirkung miteinander – als globale Zeichen zur Identifizierung von unterschiedlichen Körpern, als sichtbare ›Beweise‹ für Differenzen zwischen Menschen, die als unveränderlich erscheinen. 94

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Dessen ungeachtet ist auch die seit je für die Selbstverortung der Menschen fundamentale Identitätskategorie ›Geschlecht‹ von den gesellschaftlichen Umbrüchen und politischen Bewegungen der letzten Jahrzehnte nicht verschont geblieben. – Die in Kap. 1.1 erwähnten gesellschaftlichen Individualisierungs- und Differenzierungsprozese der Nachkriegsjahrzehnte haben einen rapiden Wandel der Geschlechterrollen – vor allem der Frauenrolle – mit sich gebracht, der die überkommenen Auffassungen vom ›Wesen‹ der Geschlechter und von der natürlichen Ungleichheit zwischen den Geschlechtern ins Wanken gebracht hat. – In den USA hat seit den 1980er Jahren die sexualpolitische Schwulen- und Lesbenbewegung, flankiert von neuen Entwicklungen in der (post-)feministischen Forschung, breite Debatten über Fragen der Geschlechtszugehörigkeit und der Geschlechtsidentität ausgelöst. Für Judith Butler etwa – die prominenteste Vertreterin des theoretischen Postfeminismus – sind die Identitäten von ›Frau‹ und ›Mann‹ Produkt eines tief im Patriarchat verwurzelten Zwangssystems der Zweigeschlechtlichkeit, einer »heterosexuellen Matrix« (Butler 1990: 220). In der Lesben- und der Queer-Bewegung sieht sie die Vorreiter einer Kulturrevolution, die das Ziel verfolgt, dieses System der Zwangsheterosexualität durch subversive Strategien der ›Geschlechterverwirrung‹ (gender trouble), der Maskerade und der parodistischen Imitation normierter Geschlechtsidentitäten von innen her aufzubrechen. – Unabhängig davon haben im globalen Kontext Unterdrückungs- und Ausgrenzungserfahrungen von Migrantinnen in den Metropolen des Westens, Erfahrungen ›farbiger‹ Frauen in der schwarzen Bürgerrechtsbewegung (Women of Color), aber auch neuere Entwicklungen in der Geschlechterforschung und in der ›Postkolonialismus‹-Theorie den Blick dafür geschärft, dass die Vorstellung eines einheitlichen und stabilen Kollektivsubjekts ›Frau‹, auf das sich eine politische Bewegung gründen könnte, eine Fiktion darstellt. In der sozialen und politischen Realität wird vielmehr die Geschlechterdifferenz beständig durchquert und durchkreuzt von anderen 95

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›Achsen der Differenz‹ (wie ›Rasse‹, Ethnizität, Klasse, Nation), über die sie in globale und lokale Machtsysteme eingebunden wird. Die Differenzkategorie ›Geschlecht‹ ist demnach niemals allein wirksam, vielmehr wird sie in spezifischen Kontexten gleichzeitig mit und durch andere Differenzen artikuliert und sozial realisiert. Eine ›weiße‹ deutsche Arbeiterin kann im beruflichen Kontext ähnliche Interessen haben wie ihre Kollegin aus Ghana, in anderen Zusammenhängen ist sie durch Welten von dieser getrennt. Während die im ersten Punkt angesprochenen Entwicklungen lediglich die inhaltliche Definition und Ausgestaltung der Geschlechterrollen betreffen, wird durch die in den beiden letzten Punkten skizzierten Bewegungen und Theoriekonzepte die grundsätzliche Frage nach Geschlechtszugehörigkeit und Geschlechtsidentität überhaupt aufgeworfen. Ohne die gesamtgesellschaftliche Relevanz der genannten (sexual-)politischen Bewegungen zu überschätzen, lässt sich doch mit Hall (1994g: 198) feststellen, dass sich hier eine weitreichende ›Dezentrierung‹ der Geschlechtsidentitäten abzeichnet, d.h. eine prinzipielle Erschütterung und Verunsicherung der überkommenen Vorstellungen davon, was es heißt, ein ›Mann‹ oder eine ›Frau‹ zu sein. Wie wir als geschlechtliche Subjekte geformt und geschaffen werden, wird nicht mehr der ›Natur‹ überlassen, sondern zu einer politischen und sozialen Gestaltungsaufgabe erklärt. Identität wird zu einer Frage der Identitätspolitik. Vor allem die unter dem letzten Punkt angesprochene ›Dezentrierung‹, d.h. die Frage nach der geschlechtlichen Identität im Überschneidungsbereich mit anderen Zugehörigkeitskategorien (›Rasse‹, Klasse, Nation), verdient im vorliegenden Zusammenhang besondere Aufmerksamkeit. Um Ursachen und Tragweite der aktuellen Tendenzen einer Dezentrierung, Zerstreuung und Zersplitterung geschlechtlicher Identitäten einschätzen zu können, ist ein kurzer Blick auf diejenigen kulturellen Prozesse angezeigt, die zu ihrer Zentrierung geführt haben, die also dem Geschlecht den Status einer fundamentalen und unverrückbaren, scheinbar in der ›Natur› verankerten Kategorie menschlicher Selbst- und Fremdverortung verliehen haben. 96

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Aus Kultur wird Natur: Geschlecht als Konstruktion In der neueren Geschlechterforschung herrscht ein breiter Konsens darüber, dass die Zweigeschlechtlichkeit – also die polare, keine Zwischenformen zulassende Gegenüberstellung von ›Mann‹ und ›Frau‹ – kein biologischer Tatbestand, sondern ein ›kulturelles System‹ ist (vgl. Hagemann-White 1984: 78ff.). Die Kulturabhängigkeit dieses Systems zeigt sich einerseits darin, dass auch aus strikt biologischer Perspektive eine trennscharfe Unterscheidung von ›männlich‹ und ›weiblich‹ beim Menschen problematisch ist, andererseits in dem empirischen Tatbestand, dass es durchaus Gesellschaften gibt, die mehr als zwei Geschlechter zulassen und ihren Mitgliedern ein Leben nicht nur als Mann oder Frau ermöglichen. Die Identitäten von ›Mann‹ und ›Frau‹ müssen also als Ergebnis gesellschaftlicher und kultureller Definitions- und Zuschreibungsprozesse aufgefasst werden. Die erstaunliche, über Jahrhunderte währende Beharrungskraft in den grundlegenden Bildern und Stereotypen von ›Mannsein‹ und ›Frausein‹ erklärt sich nicht aus ihrer Verankerung in der Biologie, sondern aus ihrem kulturell konstruierten Nimbus von ›Natürlichkeit‹ und ›Objektivität‹. Kulturelle Zuschreibungsprozesse wirken gerade dort besonders nachhaltig, wo sie sich mit dem Schleier der Natürlichkeit umgeben. »Es gehört zu den fundamentalsten Paradoxa in unserem sozialen Leben«, wie Willis (1979: 184) schreibt, »daß die natürlichsten und alltäglichsten Bereiche unseres Lebens gleichzeitig auch diejenigen sind, die am stärksten kulturell konstituiert sind.« Das System der Zweigeschlechtlichkeit mit seiner Polarisierung der Geschlechtsidentitäten von Mann und Frau hat seine Wurzeln in einer kulturell tief verankerten Klassifikations- und Benennungspraxis, in der sich das Machtsystem des Patriarchats spiegelt. Die polare Gegenüberstellung von Mann und Frau folgt dabei dem gleichen Kultur-Natur-Schema, dem wir schon bei der rassistischen Spaltung der Weltbevölkerung in ›Weiß‹ und ›Schwarz‹ begegnet sind (vgl. S. 84f.). Während der ›Mann‹ wie die ›Weißen‹ mit ›Kultur‹ assoziiert wird (er gilt als rational, sachorientiert, beherrscht, zivilisiert, selbstständig, erwachsen), wird die ›Frau‹ wie die ›Schwarzen‹ symbolisch in die Nähe der ›Natur‹ und des ›Natürlichen‹ gerückt (sie gilt als emotional, un97

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beherrscht, instinktgeleitet, unselbstständig und kindhaft). »Der Instinkt macht das Weib tierähnlich, unselbstständig, sicher und heiter«, konnte der Nervenarzt und Frauenverächter Paul J. Möbius (1853-1907) (1990: 34) noch vor 100 Jahren schreiben. Diese – in vielen Kulturen anzutreffende – Benennungspraxis, die durch die Naturalisierung des weiblichen Pols der Differenz auch die Differenz insgesamt als ›naturgegeben‹ erscheinen lässt, gehört zum Kernbestand patriarchalischer Ideologie. Durch die Asymmetrie dieser Bezeichnungspraxis – der Mann bezeichnet, die Frau wird bezeichnet – ist bereits in die Logik der Klassifikation eine Hierarchie, sprich: ein Machtverhältnis eingeschrieben. Das ›Männliche‹ liefert den Maßstab zur Beschreibung des ›Weiblichen‹: Frauen unterscheiden sich von Männern, die selbst nicht verschieden sind. Der Mann ist ›normal‹, die Frau wird als Nicht-Mann, als das ›andere Geschlecht‹ konstruiert.

Die symbolische Gewalt des Geschlechterdualismus Bourdieu hat die Gewaltsamkeit der Klassifikationspraxis, die die soziale Welt in den polaren Gegensatz von männlich und weiblich spaltet, eindrucksvoll beschrieben (vgl. Bourdieu 1997a, b). Geschlechtliche Identität ist für ihn das Ergebnis einer Arbeit des Differenzierens, Unterscheidens und Klassifizierens, einer Arbeit, die aus Vereinseitigungen und Ausschließungen, aus der Unterdrückung alles Mehrdeutigen entlang dem binären Code männlich/weiblich besteht. Seine enorme Beharrungskraft verdankt nach Bourdieu dieses Klassifikationsschema der Tatsache, dass es im Laufe des Sozialisationsprozesses tief im Habitus der Menschen – also in den Gewohnheiten des Denkens, Fühlens, Wahrnehmens und Handelns – verankert wird. Die Unterscheidung in männlich und weiblich wird den Menschen zur ›zweiten Natur‹, indem sie sich ›inkorporiert‹, d.h. tief in den Körper einschreibt. Sie bewirkt die Formung und Gestaltung des Körpers, prägt Mimik und Gestik, die Körperwahrnehmung, das Körpererleben, die sinnliche Wahrnehmung, die Möglichkeiten, Freude und Schmerz auszudrücken. In den Gewohnheiten des Leibes ›verkörpert‹ sich im wörtlichen Sinne die Ungleichheit der Geschlechter, sie gibt sich als ›natürliche‹ Ordnung der Welt. 98

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Die tief im Habitus der Menschen verankerte Ungleichheit der Identitäten von Mann und Frau hat nach Bourdieu (1997a: 158) den Charakter einer nahezu unentrinnbaren ›symbolischen Gewalt‹. Die symbolische Gewalt von Herrschaftsverhältnissen – auch und vor allem der männlichen Herrschaft – liegt für ihn darin, dass sie sich jeder Reflexion und Kritik zu entziehen suchen, indem sie sich über Praktiken und Diskurse (Erzählungen, Deutungen, Sprechweisen, Redensarten etc.) mit einem ›symbolischen Schleier‹ umgeben, der zu einem ›Verkennen‹ der realen Unterdrückungsverhältnisse führt. Die Unterdrückten – in diesem Falle die Frauen – können gar nicht anders als die ›legitime Weltsicht‹ der Herrschenden zu übernehmen. Die in der binären Klassifikation männlich/weiblich enthaltene Sicht der Männer auf Frauen – mit ihrer Setzung des Männlichen als des Universellen und Normalen, des Weiblichen als des Besonderen, Abweichenden und Anderen – bestimmt auch das Denken und die Wahrnehmung der Frauen. »Wer jemals Frauen in fröhlicher Männerrunde hat mitlachen sehen, weiß, was diese Inkorporation der herrschenden Sichtweise bedeutet: Man trägt immer auch in sich, was einen angreift, herabwürdigt oder sogar zerstört«, bemerken Krais/Gebauer (2002: 53). Es ist diese ›stillschweigende Komplizenschaft‹ der Frauen, die seit je der stabilste Eckpfeiler männlicher Herrschaft war.

Aus dem Zentrum in die Überschneidungen Geschlecht ist keine isolierte und kohärente soziale Strukturkategorie, vielmehr artikulieren und realisieren sich die Kategorien ›Geschlecht‹ und ›Geschlechtsidentität‹ auf vielfältig gebrochene Weise in den Überschneidungsräumen mit anderen sozialen ›Achsen der Differenz‹. Sie sind daher als relationale Kategorien aufzufassen, »von anderen Kategorien oder Beziehungen durchkreuzt und differenziert […], die sie ihrerseits ebenfalls durchkreuzen und differenzieren« (Kossek 1997: 187). Bourdieu hat vor allem auf die vielfältigen Verschränkungen zwischen den Variablen ›Geschlecht‹ und ›Klasse‹ aufmerksam gemacht. So demonstriert er die Verquickung von Geschlecht und sozialer Ungleichheit an folgender Beobachtung: »Ist Fisch z.B. nichts für den Mann aus den unteren Klassen, dann nicht allein 99

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deshalb, weil es sich dabei um eine leichte Kost handelt, die ›nicht vorhält‹ […], hinzukommt, dass Fisch wie Obst […] zu jenen delikaten Dingen gehört, mit denen Männerhände nicht umzugehen wissen, vor denen Männer gleichsam wie Kinder sind. Nicht zuletzt aber will Fisch auf eine Weise gegessen sein, die in allem dem männlichen Essen zuwiderläuft: mit Zurückhaltung, maßvoll, in kleinen Happen, durch sachtes Kauen, mit dem Vordermund und der Zungenspitze (wegen der Gräten)« (Bourdieu 1987: 307f.). ›Männlichkeit‹ und Klassenzugehörigkeit sind, wie das Beispiel zeigt, untrennbar miteinander verwoben und manifestieren sich beide am Körper und durch den Körper. Fisch zu essen ist nicht etwa für alle Männer tabu, sondern nur für den Mann der unteren Klassen. Die Qualitäten ›zurückhaltend‹, ›maßvoll‹, ›sachte‹ sind – bis tief in die Körperreaktionen hinein – vergeschlechtlichte und von der sozialen Lage durchzogene Eigenschaften. In Die männliche Herrschaft demonstriert Bourdieu an mehreren Beispielen, dass die weiblichen Dispositionen zur Unterordnung und zum Dienen in der Bourgeosie und im Adel eine völlig andere Ausprägung erfahren als in der Arbeiterklasse. »Man findet […] die gleichen Herrschaftsstrukturen wieder, aber so stark modifiziert, dass die unterlegenen Dispositionen in den herrschenden Klassen oft als überlegene erscheinen können. Sie sind unterlegene Dispositionen, wenn man sie auf die Dispositionen der Männer desselben Milieus bezieht, aber überlegene, wenn man sie mit denen der Frauen anderer Milieus vergleicht« (Bourdieu 1997b: 223). Während Bourdieu seine Aufmerksamkeit auf das Zusammenspiel von Geschlecht und Klasse beschränkt, ist in letzter Zeit im Rahmen der ethnomethodologischen Geschlechterforschung auf die Verschränkung der drei Differenzkategorien ›Rasse‹, Klasse und Geschlecht hingewiesen worden. Das doing gender – also die alltäglichen Interaktionen, Deutungs- und Zuschreibungspraktiken, in denen sich die Geschlechtsidentitäten darstellen und herstellen – ist nach den Befunden dieser Forschungsrichtung aufs engste verflochten mit den Ungleichheitskategorien ›Rasse‹ und Klasse. »Ethnizität (race), Klasse und Geschlecht sind ineinandergreifende Kategorien, die alle Aspekte menschlicher 100

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Erfahrung betreffen«, schreiben Andersen/Collins (1995: XI; Übers. E/R). Die Prozesse der Identitätsbildung als ›Frau‹ oder ›Mann‹ sind demnach je nach historischem und sozialem Kontext gleichzeitig und unausweichlich verknüpft mit anderen Unterscheidungsweisen und Ungleichheitsmustern. Was es also in einer bestimmten historischen Situation und in einer bestimmten sozialen Lage heißt, eine ›Frau‹ zu sein, braucht unter anderen historischen, kulturellen und sozialen Umständen nicht zwangsläufig zu gelten. Die Vorstellung einer Gleichzeitigkeit und wechselseitigen Bedingtheit der Strukturkategorien ›Rasse‹, Klasse und Geschlecht setzt sich kritisch ab von dem bislang vorherrschenden Modell einer ›Mehrfachunterdrückung‹ der Frau. Dieses Modell, dem die Erfahrung von Differenzen innerhalb der Frauenbewegung zugrunde liegen, geht davon aus, dass schwarze Frauen ›doppelt‹, schwarze Arbeiterinnen ›dreifach‹ diskriminiert sind (vgl. West/ Fenstermaker 1995). Übersehen wird in diesem Konzept, dass die Erfahrung, eine Schwarze oder eine Arbeiterin oder eine Migrantin zu sein, sich nicht einfach zu der Erfahrung des Frauseins hinzuaddiert, sondern die geschlechtliche Erfahrung selbst tangiert und mitgestaltet. Auch das in letzter Zeit von US-amerikanischen Feministinnen entwickelte Modell einer »Intersektionalität« betont die Gleichzeitigkeit und wechselseitige Überschneidung der Differenzkategorien Geschlecht, ›Rasse‹/Ethnizität, Klasse und Nationalität (vgl. Lutz 2001: 217ff.). Ausgangspunkt der Argumentation ist hier die Feststellung, dass Menschen im Überschneidungsbereich (intersection) der verschiedenen Differenzachsen positioniert sind und hier ihre Identitäten und Selbstverortungen entwickeln. Die komplexe Verflochtenheit der Kategorien ›Geschlecht‹ und ›Rasse‹ hat Ruth Frankenberg anhand von Erfahrungen in der feministischen Bewegung in den USA eindrucksvoll illustriert. Sie hat beobachtet, dass bei weißen Feministinnen die Positionen ›Frausein‹ und ›Weißsein‹ in der politischen Praxis vielfach miteinander verschränkt sind. In der Position der ›weißen Frau‹ durchkreuzen sich die Dominanzsysteme ›Geschlecht‹ und ›Rasse‹. Weder ist ›Frausein‹ ein Ort absoluter Benachteiligung, noch ist ›Weißsein‹ ein Ort absoluter Privilegierung, vielmehr sind 101

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beides relationale Kategorien – Kategorien also, die ihre Bedeutung und inhaltliche Ausprägung erst in ihrem wechselseitigen Zusammenspiel in konkreten sozialen und politischen Kontexten erhalten. Als weiße Frauen kämpfen die Feministinnen Seite an Seite mit ihren schwarzen Mitstreiterinnen gegen patriarchalische Unterdrückung, als weiße Frauen sind sie oft tief in den Denkmustern des Rassismus befangen – auch da, wo sie sich ostentativ gegen rassistisch begründete Benachteiligungen aussprechen. Die Schwierigkeit, sich dieser unabsichtlichen Komplizenschaft mit dem Rassismus bewusst zu werden, liegt für Frankenberg darin begründet, dass die Feministinnen als Weiße innerhalb des rassistischen Bezeichnungssystems (vgl. S. 79) auf der Seite der Bezeichnenden stehen: Sie erfahren ihre eigene Position als neutral, normal und normativ. Um diese universalisierende, rassistisch ausgrenzende Denk- und Sprechweise zu demonstrieren, zitiert Frankenberg eine weiße US-Amerikanerin, die über die Alltagskultur ihrer Kindheit sagt, »dass sie keine Kultur zu sein schien, weil jeder das gleiche tat. Sie sind anders, aber ich war so wie alle anderen auch […] Sie essen eigenartige, fremdartige Dinge, aber ich esse dasselbe wie jeder hier in den Staaten […] Als ich aufwuchs, stellte ich mir vor, dass jeder, der so ist wie ich, Amerikaner wäre, andere Leute aber waren von dieser oder jener Abstammung« (Frankenberg 1996: 62). Hier artikuliert sich ein weißes Selbst, das für sich ›rassische‹ und kulturelle ›Normalität‹ beansprucht. Der rassistische Blick der weißen Frau retuschiert die durch die Differenzen von Geschlecht und Klasse gezogenen Spaltungen und lässt die kulturelle Gemeinschaft homogen und ›natürlich‹ erscheinen. Solche Beispiele zeigen, wie Frankenberg (ebd.: 61) resümiert, dass die Identität weißer Frauen »ebenso wie […] jene von anderen weißen Menschen von einer Vielfalt von Spuren durchzogen ist, die rassistischen, kolonialen und postkolonialen Diskursen entstammen. Diese sind einmal wohlwollend, dann wieder extrem brutal, im besten Falle verzerrend und im schlimmsten Fall erlogen.« Durch eine derartige postkoloniale Perspektive wird der Blick auf geschlechtliche, ›rassische‹, kulturelle, soziale und nationale Identitäten und Zugehörigkeiten in eigentümlicher Weise ver102

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rückt. Dabei wird deutlich, dass die Dezentrierung und Durchmischung ehemals eindeutig definierter Identitätsformationen ein Doppelgesicht hat: Einerseits tragen die neuen, ›unreinen‹ Mischidentitäten Spuren von kolonialer und patriarchalischer Gewalt, die sich in ihnen durchkreuzen; andererseits können die vielfältigen Uneindeutigkeiten, Verstörungen und Verschiebungen auch neue Erfahrungen und Blicke freisetzen und einen Möglichkeitsraum für kreative, selbstbestimmte Neuverortungen eröffnen. »Sind unsere historisch klassifizierten und beherrschten Körper, die wir zu klassifizieren und zu beherrschen gewohnt sind«, so fragt sich Kossek (1997: 226f.), »wirklich eindeutig schwarz, weiß, weiblich, männlich, homosexuell, heterosexuell? Es ist aufregend, ins Auge stechende ›natürliche‹ und ›natürlich kulturell‹ empfundene Grenzen verschwimmen zu sehen.« Die vielfältigen Überschneidungen von Unterdrückungsformen – vor allem im Hinblick auf die Differenzachsen von ›Rasse‹, Ethnizität und Geschlecht – und die Auflösung von Vorstellungen einer ›natürlichen Ordnung‹ der Geschlechter haben in der feministischen Forschung und Aktion zu einer wachsenden Sensibilisierung für Differenzen zwischen Frauen und ihre Auswirkungen auf die Formierung und Erfahrung von geschlechtlichen Identitäten geführt.

Zur vertiefenden Lektüre Bourdieu, Pierre (1997): »Die männliche Herrschaft«. In: Irene Dölling/Beate Krais (Hg.), Ein alltägliches Spiel. Geschlechterkonstruktion in der sozialen Praxis, Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 153-217. Fuchs, Brigitte/Habinger, Gabriele (Hg.) (1996): Rassismen & Feminismen, Wien: Promedia. Knapp, Gudrun-Axeli (2001): »Dezentriert und viel riskiert: Anmerkungen zur These vom Bedeutungsverlust der Kategorie Geschlecht«. In: Gudrun-Axeli Knapp/Angelika Wetterer (Hg.), Soziale Verortung der Geschlechter. Gesellschaftstheorie und feministische Kritik, Münster: Westfälisches Dampfboot, S. 15-62.

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Schein, Gerlinde/Strasser, Sabine (Hg.) (1997): Intersexions. Feministische Anthropologie zu Geschlecht, Kultur und Sexualität, Wien: Milena.

3. ›Ein Liebeslied für Bastarde‹: Hybride Identitäten Die Sensibilisierung für Differenzen und die gleichzeitig wachsende Skepsis gegenüber Vorstellungen von einheitlichen und kohärenten Identitäten und kulturellen Zugehörigkeiten hat im sozialwissenschaftlichen Diskurs des Postkolonialismus zu Bemühungen geführt, die beobachteten ›Vermischungen‹ und Fragmentierungen theoretisch zu fassen. Die Debatten – die mit einiger Zeitverzögerung nun auch den deutschsprachigen Raum erreicht haben – werden vor allem von dem unscharfen und vieldeutigen Schlüsselbegriff der Hybridität bestimmt, der andere Konzepte wie ›kulturelle Melange‹, ›Kreolisierung‹, ›kultureller Synkretismus‹ oder ›Crossover-Kultur‹ inzwischen weitgehend verdrängt hat. In den heutigen akademischen Diskussionen über Migration, Globalisierung, kulturelle Identität, Ethnizität, interkulturelle Erziehung etc. ist ›Hybridität‹ zum Leit- und Modebegriff geworden. Vor allem in den deutschen Debatten, wo Hybridität nicht selten als buntes Multi-Kulti-Spektakel und grenzenlose Transkultur der Postmoderne gefeiert wird, wird häufig übersehen, dass der Begriff eine lange Vorgeschichte hat, die unter dem Schlagwort ›Bastardisierung‹ bis in die Zeit der europäischen Kolonial- und Sklavengesellschaften in der ›Neuen Welt‹ zurückreicht. Der Begriff ›Hybridität‹ ist, wie der deutsch-vietnamesische Politikwissenschaftler Ha (2003: 159) bemerkt, »angefüllt mit kolonialen Verbrechen und geschichtlichem Terror«. Im anglo-amerikanischen Denken des Postkolonialismus bezieht das Hybriditätskonzept sein kritisches Potenzial gerade daraus, dass in ihm durch positive Umdeutung von ›Rassenmischung‹ und ›Bastardisierung‹ die Erinnerung an rassistische Reinheitsgebote und koloniale Gewalt bewahrt wird. Hier bezeichnet die Metapher ›Hybridität‹ die Brüchigkeit und Unsicherheit entwurzelter und sich ständig verändernder Identitäten 104

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als Produkt kolonialer Willkür, aber auch die Chancen und produktiven Momente, die sich aus den Fragmentierungen und Brüchen und dem aus dieser Erfahrung hervorgehenden Bewusstsein für Heterogenität ergeben. Für Hall liefert seine Heimat Jamaika den biografischen Hintergrund für dieses analytische Modell: »Mich interessieren Kulturen, die nicht das Produkt einer einheitlichen, organischen Formation sind, und zwar weil ich selbst aus einer solchen Kultur komme. Das Karibische ist ganz typisch eine hybride Kultur, die für mich trotz der schrecklichen Geschichte ganz gut funktioniert, eben weil sie keine Ursprünge hat. Die Menschen, die dort lebten, sind von den Spaniern innerhalb von 150 Jahren ausgelöscht worden. Daher gibt es heute auch keine ›Eingeborenen‹ mehr. Jeder, der dort lebt, kommt gewissermaßen von anderswo her, aus Portugal, aus Frankreich, aus Afrika, aus Indien und so weiter« (Hall 1999b: 105). Das ›Karibische‹ wird für Hall zum Sinnbild für kulturelle Hybridbildung. »Wenn wir das Einmalige, das ›eigentlich‹ Karibische benennen wollen, dann finden wir es gerade in der Mischung der Farben, der Pigmentierungen, der Physiognomien, in den ›Variationen des Geschmacks‹, die die karibische Küche ausmachen, und in der Ästhetik des ›Cross-Overs‹, des ›Cut-and-Mix‹ […], der das Herz und die Seele der schwarzen Musik ist« (Hall 1994b: 41).

Leben im Zwischenreich: Entgrenzte Identitäten Es ist wohl kein Zufall, dass es vor allem intellektuelle Migrant/-innen wie Hall, Salman Rushdie, Homi Bhabha oder Gayatri Spivak waren, die die grundlegende Frage nach einer Verortung von Identitäten und Zugehörigkeiten in einer postkolonialen und postmodernen Welt der Grenzüberschreitungen und Übersetzungen aufgeworfen haben. Ihnen gemeinsam ist die ›Diaspora‹-Erfahrung in den Metropolen des Westens und die ›Bindestrich-Existenz‹. Sie sind »Amphibien, die nicht so sehr eine alte und eine neue Heimat haben, sondern eher zwei Halbwegsheimaten. Alle lassen sich in gewisser Weise dadurch definieren, daß sie undefinierbar sind« (Iyer 1996: 12). Ihr zentrales Thema ist die »prekäre Situation derer, die zwischen Mutterländern und Muttersprachen zerrissen sind, die Lage der not quites […], der nicht ganz Dazugehörigen, nicht ganz Definierbaren« (ebd.: 13). 105

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Homi Bhabha (1994: 218) sieht durch Globalisierung und Migration einen »dritten Raum« oder einen »Raum des Dazwischen« (in-between-space) im Entstehen, der hybride Identitäten im Sinne von »Grenz-Existenzen« (borderline existences) hervorbringt, die befreiendes und kritisches Potenzial in sich bergen. Das Leben im Zwischenreich kann den Blick schärfen und Quelle kreativer Selbstfindung und subversiver Kraft sein. Es waren Kulturschaffende wie die texanische Chicana Gloria Anzaldua, die das neue Identitätskonzept der borderlands formulierten und dem damit verbundenen Lebensgefühl sprachlichen Ausdruck verliehen: »Ich bin eine Frau der Grenze. […] Mein Leben lang stand ich gleichzeitig auf beiden Seiten der texanisch-mexikanischen Grenze. Diese Landschaft der Widersprüche erlaubt kein bequemes Leben. Haß, Wut und Ausbeutung sind ihre herausragenden Merkmale. Dennoch fand ich als ›mestiza‹ [halb Indianerin, halb Europäerin] meine Entschädigung und hatte meinen Spaß. In Grenz- und Randbereichen zu leben und dabei die eigene wechselnde und vielschichtige Identität zu wahren, lässt sich mit Schwimmversuchen in einem neuen, einem ›fremden‹ Element vergleichen« (zit. nach Ha 1999: 119). Wie Anzaldua hat auch der Schriftsteller Salman Rushdie – selbst Produkt mehrerer sich kreuzender Kulturen – gezeigt, welche neuartigen und fruchtbaren Übersetzungsmöglichkeiten hybride Kulturen und Identitäten bieten können. In seinem Buch Die satanischen Verse feiert er »die Bastardisierung, die Unreinheit, die Mischung, die Verwandlung, die durch neue, unerwartete Kombinationen von Menschen, Kulturen, Ideen […] entsteht. Das Buch erfreut sich am Mischen der Rassen und fürchtet den Absolutismen des Reinen. […] Die Satanischen Verse plädieren für Veränderung durch Fusion, Veränderung durch Vereinigung. Sie sind ein Liebeslied auf unser Bastard-Ich« (Rushdie 1992: 457f.). Dies als postmoderne Hymne auf Mischung und Vielheit zu lesen, würde sicherlich zu kurz greifen und die Pointe des Hybriditätskonzepts im postkolonialen Denken verfehlen. In den Arbeiten der postkolonialen Schriftsteller und Wissenschaftler spiegelt sich das Wissen über die Brüche in ihren Biografien wider, werden die verschiedenen Herkünfte deutlich und die gesellschaftlichen Auflösungsprozesse vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrun106

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gen reflektiert. Im grenzüberschreitenden ›Crossover‹ zeigt sich keineswegs die Überwindung der ungleichen Machtverteilungen zwischen Zentrum und Peripherie, sondern lediglich ihre veränderte Artikulation. »Die Hybridität des Grenzlandes entspringt einer Grenzsituation, die keine einfache und ahistorische Vermischung erlaubt«, schreibt Ha (1999: 126). »Wer die Kämpfe und die Marginalisierung dabei ignoriert, vergisst, dass das Leben hart an der Grenze seine eigenen Geschichten hervorbringt, die dem Subjekt eine bestimmte Position geben.« Die borderlands sind ein ›dritter Raum‹ zwischen den Kulturen, ein fruchtbares und widersprüchliches Grenzgebiet, das den Marginalisierten einen privilegierten Blick ermöglicht: die »einzigartig beidseitige Perspektive nach innen und außen« (Ha 1999: 117). Zwar ist das ›hybride‹ Leben im Grenzland nicht so privilegiert, dass es als selbst bestimmt anzusehen wäre, aber die Menschen haben sich über Generationen hinweg darin bewegt, sich mit ihren jeweiligen Geschichten und Besitztümern dort eingerichtet. Vor allem haben sie gelernt, am Rand zu überleben und von dort aus Politik zu machen. Kultur und Identität sind in diesem ›dritten Raum‹ aller Sicherungen durch Tradition und Herkunft beraubt und radikal dezentriert. Sie folgen keinen vorgegebenen, historisch verankerten Mustern mehr, vielmehr entstehen ihre Bedeutungsfragmente immer erst im Moment ihrer Aushandlung, Übersetzung und ›Hybridisierung‹. Identität wird in dieser Situation zu einem fortlaufenden Prozess der Identifizierung, der beständigen Neupositionierung ohne Fixpunkte und Garantien, zu einem »Terrain der Verstörung, das man konsequent weiterbearbeiten muß, auf dem nichts ein für allemal gegeben ist« (Hall 1999b: 104).

Subversives Vergnügen: Hybride Kulturen des Widerstands Die kritische, ›verstörende‹ Funktion kultureller Hybridität ergibt sich weniger aus der bloßen Vermischung verschiedener kultureller Fragmente als aus ihrer Unreinheit und ihren inneren Widersprüchen. Vor allem an ästhetischen und populärkulturellen Formen des Widerstands (Musikszenen, Tanz, Straßentheater, Literatur, Film) lässt sich dies demonstrieren. John Fiske hat am Beispiel des ›Banda‹ – einer unter hispano107

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amerikanischen und mexikanischen Jugendlichen beliebten Form des Rock, in der sich spanische, bayrische, afroamerikanische und einheimische Einflüsse kreuzen – aufgezeigt, dass sich in der Populärkultur stets tiefe Spuren dessen zeigen, was sie nicht ist. »Sie ist von den Spuren von dominanten anderen durchsetzt, deren Herrschaft bezwungen und verändert worden ist. […] Sie ist immer hybrid und mit widersprüchlichen Kräften durchsetzt, die kreuz und quer durch das Leben von untergeordneten sozialen Formationen laufen« (Fiske 2001: 302). Im ›Banda‹ sieht er einen privilegierten Ort für die Widerstandskämpfe gegen den ›Machtblock‹, weil seine verschiedenartigen Ursprünge die gleichen Widersprüche aufweisen wie die sozialen Identitäten seiner Anhänger. Kobena Mercer sieht die subversive Kraft derartiger popkultureller Hybridbildungen vor allem in ihrer »synkretistischen Dynamik, die die Elemente des herrschenden Codes der dominanten Kulturen kritisch aneignet und ›kreolisiert‹, vorgegebene Zeichen desartikuliert und ihre symbolischen Bedeutungen reartikuliert« (zit. nach Hall 1994b: 41). Für Homi Bhabha (1994: 85ff.) stellen die Widerstandskulturen, Lebensstile und politischen Aktionen marginalisierter Gruppen Formen der ›Mimikry‹ dar, also des strategischen Einsatzes von entblößender Imitation, Ironie und Parodie, eine Art postkoloniale Eulenspiegelei, die der Kultur der Herrschenden den Spiegel vorhält und sie so untergräbt. Ihre subversive Sprengkraft erhält die Wiederholung der Bedeutungen, Zeichen und Bezeichnungen der dominanten Kultur dadurch, dass die ›nachgeäfften‹ Bedeutungen zwangsläufig stets um eine Nuance verdreht und ver-rückt sind. Die Kopie entspricht nie ganz dem Original, sie ist almost the same, but not quite. Es ist dieser feine Unterschied zwischen Original und Kopie, der das dominante Wissen – mit seinen etablierten Unterscheidungsmustern schwarz/weiß, gut/böse, überlegen/minderwertig, zivilisiert/wild etc. – in Aufruhr versetzt und der Lächerlichkeit preisgibt. Paradigmatisches Beispiel für derartige Strategien der Zersetzung durch verfälschende Wiederholung, Mimikry und Umcodierung ist der Karneval auf Trinidad, der als spektakuläres Volksfest zelebriert wird. Charakteristisch ist, dass der Karneval dort im 18. 108

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Jahrhundert von den französischen Kolonialherren eingeführt, aber mit der Zeit von den einheimischen ›Schwarzen‹ vereinnahmt, mit einer Mischung aus abgewandelten afrikanischen Ritualen und lokalen Traditionen durchsetzt und verfälscht wurde. Die närrische Zeit mit ihrer Verspottung der herrschenden Verhältnisse und der Machthaber wurde in der Geschichte Trinidads immer wieder zu einem Kulminationspunkt der Rebellion. Bis heute hat sich diese hybride Widerstandskultur trotz aller Kommerzialisierungsversuche erhalten (vgl. Ha 1999: 133). Solche Phänomene der subversiven Verwirrung und Verunsicherung der imperialen Herrenidentitäten durch Camouflage und hinterlistige Wiederholung sind auch durchgängiges Motiv in der postkolonialen Literatur (vgl. ebd.: 137ff.) Die indoamerikanische Autorin Bharati Mukherjee schildert in ihrem Roman Jasmine (1993) den chamäleonhaften Identitätswechsel der Heldin an den verschiedenen Stationen ihrer Migration auf dem indischen Subkontinent. Als es sie schließlich nach New York verschlägt, eignet sie sich die amerikanische Art des Gehens, des Sprechens und des Kleidens an, sodass man sie für eine gebürtige Amerikanerin hält. Wie Elisabeth Bronfen (1995: 26) in ihrer Analyse des Romans aufzeigt, lernt sie »die Kunst dessen, was Homi Bhabha postkolonialistische Mimikry nennt«. Sie verwandelt sich in eine Figur, die alle festgefügten Kategorien dessen, was als amerikanisch gilt, zersetzt und untergräbt. Am Endes des Romans wird Jasmine von ihrer Vergangenheit in Gestalt eines unerwarteten Zusammentreffens mit dem Mörder ihres ersten Mannes eingeholt. Wie Bronfen feststellt, versinnbildlicht die Migrationsodyssee der Protagonistin »eine nicht auflösbare Dialektik von Verortung und Entortung, ein rastloses, stets zirkulierendes Spiel der Selbsterfahrung und Selbstvermittlung« (ebd.: 10). Auch für Hall haben hybride Formen künstlerischer Praxis, wie sie sich im neuen schwarzen Film, in der Literatur und in der Musik, in der Malerei und in Fotoausstellungen zeigen, im Rahmen der Anerkennungs- und Widerstandskämpfe der Subalternen einen prominenten Stellenwert. Indem die kulturellen und künstlerischen Praxen den marginalen Akteuren einen Artikulationsraum außerhalb des hegemonialen ›Repräsentationsregimes‹ bieten, in dem sie für sich selber sprechen können und 109

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sich ihrer eigenen Geschichte bewusst werden, können sie zu einem Ort der Selbstermächtigung und des politischen Widerstands werden. »Es ist zwar ein Raum mit geringer Macht, aber dennoch ein Machtraum« (Hall 1994c: 59). Nun lässt sich mit Gayatri Spivak (1994), Cornel West (1997), Nikos Papastergiadis (1997) und anderen Kritiker/-innen des Hybriditätskonzepts durchaus bezweifeln, ob ›hybride‹ künstlerische und rhetorische Formen der Artikulation von Minderheiten innerhalb der dominanten Kultur ein politisches Veränderungspotenzial in sich bergen. Das Dilemma besteht ja stets darin, dass die Subalternen in dem Moment, in dem sie sich innerhalb der dominanten Kultur zu repräsentieren versuchen, vom Mainstream vereinnahmt werden und sich so aus ihrem eigenen Kontext der Unterdrückung entfernen, sodass Entfremdung zum Preis ihrer Repräsentation wird. Selbst wenn aber das politische Veränderungspotenzial kultureller und künstlerischer Praxen der margins in den Metropolen des Westens als begrenzt einzuschätzen ist, so sind doch ihre Auswirkungen auf die dominante Kultur, d.h. auf die Selbstrepräsentationen, Selbstdeutungen und Lebensstile der Metropolenbewohner unübersehbar und allgegenwärtig. Mit ihren Praktiken des Schneidens, Mixens und Umcodierens, der Nachahmung und Maskerade decken die marginalen Akteure auf, dass nicht nur ihre eigenen Identitäten, sondern auch die Identitäten der ›Einheimischen‹ vieldeutig, unrein, widersprüchlich und fragmentiert, sprich: hybride sind. Sie pflanzen damit in die Mehrheitskultur unwiderruflich den Keim eines Bewusstseins der Differenz und entlarven die Idee homogener und festgefügter Verortungen und Zugehörigkeiten als Fiktion. So gesehen kann der von Homi Bhabha beschriebene »dritte Raum« auch als Paradigma für die generelle »Verwirrung des Lebens« (Ha 1999: 126) in der Spätmoderne verstanden werden.

›Hybrid Chic‹: Fremdheit und Differenz im Zentrum Hall hat vor einiger Zeit von einer Podiumsdiskussion mit Rushdie und Bhabha im Londoner Institute for Contemporary Arts berichtet, bei der das vorwiegend englische Publikum so vehement sein Englischsein abstritt und versicherte, wie ›unrein‹ und 110

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›hybrid‹ es sei, dass er sich plötzlich ganz ›zentriert‹ fühlte. »Jeder wollte an dieser ominösen Marginalität teilhaben und fing an, seine eigene marginale, hybride Position zu konstruieren« (Hall 1999b: 107). Die Episode zeigt eine eigentümliche Perspektivenverkehrung im Verhältnis von Mehrheit und Minderheit, von Zentrum und Peripherie, wie sie in letzter Zeit vermehrt in westlichen Ländern zu beobachten ist. Offenbar identifizieren sich die Menschen des Westens unter dem Schlagwort multikultureller ›Bereicherung‹ zunehmend mit den von ihnen ehemals so vehement abgelehnten Mischungen. Dieselben Leute, die nicht das geringste Interesse an einer Integration der ›farbigen‹ Jugendlichen zeigen, haben unter Umständen gleichzeitig ein massives Verlangen nach deren vermeintlichen Geheimnissen in Bezug auf Musik, Tanz, Körper etc., wodurch diese – ökonomisch meist an den Rand gedrängten – Minderheiten paradoxerweise eine gewisse Zentrierung erfahren. Noller/Ronneberger haben am Beispiel der neuen Dienstleistungsklasse der urban professionals diese Paradoxie im Umgang mit dem Fremden aufgezeigt. Einerseits werden kulturelle Differenzen als »Verfeinerung des Geschmacks« positiv bewertet, andererseits werden gleichzeitig Migranten und Migrantinnen in »erwünschte und unerwünschte Arbeitskräfte« eingeteilt. Den Kosmopolitismus der neuen Dienstleistungsklasse deuten die Autoren als »modernisierte Form des Eurozentrismus, dessen zentrales Merkmal in der Fähigkeit besteht, eine Vielzahl von kulturellen Differenzen integrieren und ausbeuten zu können« (Noller/Ronneberger 1996: 211). In der vereinnahmenden Exotisierung des Fremden bei gleichzeitiger Verweigerung sozialer und ökonomischer Teilhabe wiederholt sich, so scheint es, die Dialektik von Ausgrenzung und Begehren, die seit je den westlichen Kolonialismus und Imperialismus begleitet hat. Mark Terkessidis (1999: 240) hat den Trend zur harmonisierenden ›Hybridisierung‹ der Alltagskultur an einem Beispiel aus der Werbung illustriert: »Seit einigen Jahren erzählt die Werbung für den Kaffee der Firma Melitta kleine Geschichten rund um den mittlerweile äußerst populären Melitta-Mann, einen ausgemachten ›Softie‹. In den ausgehenden Neunzigern wird nur ein Teil der Kampagne unter einem sehr aktuellen Motto gefahren: ›Die 111

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Mischung macht’s!‹ Man sieht den Melitta-Mann […] immer im Kreise von zumeist dunkel pigmentierten Personen, welche die Herkunft der verschiedenen, in die Mischung eingeflossenen Kaffeesorten symbolisieren. Dabei geschieht nun etwas seltsames: Damit die vorgeblich grenzenlose neue Mischung funktioniert, müssen letztlich ganz alte Klischees wieder aufgerufen werden. Denn ihrer symbolischen Aufgabe können die Personen rund um den Melitta-Mann offenkundig nur nachkommen, wenn ihr Auftritt durch Hautfarbe und andere kulturelle Accessoires signalisiert: Wir bringen euch Natürlichkeit, Kraft, Sinnlichkeit, Rhythmus, Feuer.« Unübersehbar bedient sich hier die Konsumkultur der ›Farbenlehre des Kolonialismus‹ (vgl. S. 79), um den Massenprodukten des neuen Kapitalismus exotisches Kolorit zu verleihen. Charakteristisch für diese Form der Kolonialnostalgie in der Konsumkultur ist, dass in ihr das ›Fremde‹ nur noch als schmückendes Accessoire dient und so der Unterschied zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten zum Verschwinden gebracht wird. Judith Williamson hat den gleichen Effekt am Beispiel der Modewerbung in einer Reflexion über den ›Safari-Stil‹ der 1980er Jahre aufgezeigt: »Glamouröse, langbeinige Frauen in Jeanshemden an Tankstellen, schmollende Frauen in Arbeitsanzügen mit Kappen in Fabriken, […] oder Frauen in Khaki auf Kamelen oder Landrovern in der Wüste – im kolonialen Safari-Look. In diesen Mixturen […] werden die Anleihen an das Exotische besonders deutlich. Aber die Kleider rufen in ihrer Kombination von SafariWickeltuch und militärischem Khaki immer Kolonisatoren und Kolonisierte gleichermaßen auf […]: die gesamte koloniale Beziehung kommt in einem Outfit zum Ausdruck« (Williamson, zit. nach Mayer 1998: 172). Aber nicht nur in der Konsumkultur, auch in den akademischen Debatten über ›Hybridität‹ im deutschen Sprachraum findet sich nicht selten eine unkritische Feier (sub-)kultureller Differenzen und Mischungen. Für einen Teil der Intellektuellen wird das Konzept der Hybridität gar zu einem visionären Modell multikulturellen Zusammenlebens. So heißt es bei Bronfen/Marius (1997: 24): »Hybride, plurale, heterotopische Räume; Bindestrich-Personen, Collage- und Pastiche-Identitäten […] können sich zu einem stimmigen Arrangement fügen. Das

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macht Hoffnung, daß das Zusammenleben […] von Mischlingen aus den verschiedensten Kultur- und Traditionsresten auch in der Realität gelingen kann.« In diesem »Dorado der Vermischung« (Terkessidis 1999: 239) avanciert der Migrant, der fremde Andere, zum Prototyp postmoderner Lebensführung. Problematisch an derartigen Deutungen ist vor allem die Unterstellung, in der pluralisierten und globalisierten Welt der Spätmoderne seien alle Menschen in gleicher Weise von biografischer Unsicherheit und Zerrissenheit betroffen. Nun ist sicher unstrittig, dass in den letzten Jahrzehnten tiefgreifende soziale und ökonomische Transformationsprozesse in den westlichen Industrieländern erhebliche biografische Verwerfungen und eine ›Entbettung‹ und Destabilisierung von Identitäten und Lebensformen in breiten Bevölkerungskreisen bewirkt haben (im ersten Teil dieses Buches war ausführlich die Rede davon). Mit Bauman ist aber daran zu erinnern, dass der neue, ›deregulierte‹ Konsumkapitalismus die Gesellschaft mit einer tiefen Spaltung durchzieht: Er teilt die Bevölkerung – je nach finanzieller Ausstattung – in ›perfekte‹ und ›defizitäre Konsumenten‹. Zwar sind wir alle »teilweise displaced – am falschen Ort oder fehl am Platz. Hier jedoch endet das Gemeinsame unserer Lage und beginnen die Unterschiede« (Bauman 1999: 166). Da aber die Konsumsphäre in der ›flüchtigen Moderne‹ das ausgezeichnete Feld der Identitätsbildung ist – ›Ich konsumiere, also bin ich‹ –, haben diese neuen Ungleichheiten gravierende Auswirkungen auf Selbst- und Fremdverortungen. In Bezug auf das Eigene und das Fremde stellt sich für Terkessidis (vgl. 1999: 240) die entscheidende Frage ›Wer konsumiert?‹ bzw. ›Wer wird konsumiert?‹ Die Ausbeutung des exotisierten Fremden für die eigenen Wünsche und die Nutzung kultureller Differenzen zur ›Verfeinerung des Geschmacks‹ und zur ästhetischen Selbstinszenierung scheint jedenfalls eher dem kaufkräftigen Metropolenbewohner vorbehalten zu sein. Dabei erweist sich die Begeisterung für Differenz und Ethnizität als effizientes Schmiermittel des Marktes, der ja im neuen Kapitalismus zu einer gigantischen »Differenzkonsummaschine« (ebd.: 240) geworden ist – solange die ungleichen Zugangsbedingungen zum Markt und die damit verbunde-

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nen Grenzkontrollen nicht in Frage gestellt werden. »Hybridität und Differenz verkaufen sich gut; der Markt bleibt intakt«, bemerkt Hutnyk (1997: 122; Übers. E/R). Wenn Bronfen/Marius (1997: 12) ihrer Gesellschaftsutopie in der Metapher einer »Club-Nacht, in der nationale und (sub-)kulturelle Differenzen […] produktiv eingesetzt werden können«, Ausdruck verleihen, dann zeigt sich hier ein harmonisierender »Postkolonialismus-Hype« (Rodríguez 2003: 28), der über die reale Ausschließung, die Nicht-Repräsentation und Fremdbestimmung der konkreten Anderen hinwegtäuscht, anstatt diese zu benennen. ›Postkolonialismus‹ und ›Hybridität‹ avancieren in derartigen Deutungen zur multikulturellen Staffage im neo-liberalen Supermarkt der Diversität. Zu Recht hat Iain Chambers (1996: 36) vor einer Idealisierung des ›Zwischenraums‹ gewarnt und darauf aufmerksam gemacht, dass ›Hybridität‹ als universale Metapher »nicht die realen Differenzen verwischen [darf] zwischen den erzwungenen Wanderungsbewegungen und Exilsituationen von Individuen und Völkern […] und jener diffusen Mobilität, die das Leben in der Metropole charakterisiert«. Einiges spricht dafür, dass sich hinter der Begeisterung für Differenz und kulturelle Vielfalt in den Zentren des Westens nicht zuletzt das Bemühen verbirgt, das Eigene durch Einverleibung des Fremden vor der Auflösung und Auszehrung zu bewahren. Die Andersartigkeit marginalisierter Gruppen und Lebensstile könnte dazu dienen, »eine dominante nationale und kulturelle Identität, die im Zuge der Globalisierung selbst ihre Konturen mehr und mehr verliert, sozusagen von ihren Rändern her zu markieren« (Mayer/Terkessidis 1998: 16).

Zur vertiefenden Lektüre Bronfen, Elisabeth/Marius, Benjamin/Steffen, Therese (Hg.) (1997): Hybride Kulturen. Beiträge zur anglo-amerikanischen Multikulturalismusdebatte, Tübingen: Stauffenburg. Nederveen Pieterse, Jan (1998): »Der Melange-Effekt«. In: Ulrich Beck (Hg.), Perspektiven der Weltgesellschaft, Frankfurt/ M.: Suhrkamp, S. 87-124.

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Hall, Stuart (1999): »Ein Gefüge von Einschränkungen. Gespräch zwischen Stuart Hall und Christian Höller«. In: Jan Engelmann (Hg.), Die kleinen Unterschiede. Der Cultural Studies-Reader, Frankfurt/M., New York: Campus, S. 99122. Rademacher, Claudia (1999): »Ein ›Liebeslied für Bastarde‹? Anmerkungen zum Hybridisierungskonzept im Globalisierungsdiskurs«. In: Claudia Rademacher/Markus Schroer/Peter Wiechens (Hg.), Spiel ohne Grenzen? Ambivalenzen der Globalisierung, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 255-269.

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Nachwort: Wir Landstreicher Im Verlaufe dieser Abhandlung wurden an ausgewählten Problemfeldern und aus unterschiedlichen analytischen Perspektiven die diversen gesellschaftlichen und globalen Umbrüche und Transformationsprozesse in der Spätmoderne nachgezeichnet, die zu einer ›Entbettung‹ und Destabilisierung menschlicher Lebensläufe und Identitäten geführt haben. Im Gefolge gesellschaftlicher Individualisierungs- und Differenzierungsprozesse, unter den Zwängen einer deregulierten Marktökonomie und unter dem Druck globaler Migrationsströme zersplittern die traditionalen, identitätsverbürgenden ›Gehäuse der Zugehörigkeit‹. Alte Identitätsmuster und Wertorientierungen haben, wie Oskar Negt (2002: 530) feststellt, »nicht nur in der zweiten Realität, in den Zonen der Marginalisierung, sondern auch in der ersten Realität, welche die wohlgeordnete Gesellschaft ausmacht, weitgehend ihre Gültigkeit verloren«. Vertreibung aus gewachsenen Lebensverhältnissen, aus dem Erwerbsleben, aus Heimat und Wohnmilieu wird immer mehr zur Normalerfahrung in unserer Gesellschaft. »Wir sind wie Landstreicher« – unter diesem bezeichnenden Titel hat Bauman (1993) die »ontologische Bodenlosigkeit« der Spätmoderne beschrieben. Der Verlust von verlässlichen Fundamenten der Selbstverortung löst bei den entwurzelten Individuen Gefühle der Verunsicherung und Angst aus. Diese nähren ein unstillbares Bedürfnis nach scheinbar unverrückbaren und ›natürlichen‹ Fundamenten der Beheimatung, die viele in den abbruchreifen Identitätsgehäusen von ›Nation‹, ›Rasse‹, ›Ethnie‹ oder ›Kultur‹ zu finden hoffen. In seinem Aufsatz Soil, Blood and Identity (1992) beschreibt Bauman eindrucksvoll die verzweifelte Identitäts- und Heimatsuche der spätmodernen »Nomaden« oder »Landstreicher«, denen jede stabile Orientierung, jedes gesicherte Gefüge und jeder verlässliche Ort abhanden gekommen ist. Aber nicht jede Verunsicherung treibt notwendig in die Regression, in die (fiktive) Hoffnung, in den geschlossenen Sinnwelten von Rassismus, von religiösem Fundamentalismus oder Nationalismus Geborgenheit, Eindeutigkeit und Heimat zu finden. Der Auszug aus den überkommenen ›Gehäusen der Zuge116

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hörigkeit‹ – die ja stets auch »Gehäuse der Hörigkeit« (Weber) sind – eröffnet den ›mental obdachlosen‹ Individuen der Spätmoderne auch Optionsräume für die Gestaltung des eigenen Lebens. Das Aufbrechen neuer Freiheits- und Möglichkeitsräume für die Lebensgestaltung infolge des Zerfalls identitätsstiftender Bindungen und Sinnwelten bedeutet für das Leben der Menschen »einen riesigen Schritt weg vom Schicksal hin zur freien Entscheidung« (Berger 1994: 95). Die Voraussetzungen dafür, dass die sich neu eröffnenden Chancen der eigenen Lebensgestaltung auch genutzt werden, sind allerdings bedeutend. Die Freisetzung der Menschen aus überkommenen Normalbiografien und Identitätsmustern kann sich – je nach den verfügbaren materiellen, sozialen und kulturellen Ressourcen – als individueller Optionsraum oder aber als individueller Überforderungshorizont darstellen. Ganz ohne Frage bedarf ein offenes Identitätsprojekt, in dem neue Lebensentwürfe erprobt und entwickelt werden, an erster Stelle der materiellen Absicherung. »Ohne Teilhabe am gesellschaftlichen Lebensprozeß in Form sinnvoller Tätigkeit und angemessener Bezahlung wird Identitätsbildung zu einem zynischen Schwebezustand, den auch ein ›postmodernes Credo‹ nicht zu einem Reich der Freiheit aufwerten kann«, betont Keupp (1994: 344) zu Recht. Die trotz aller Deregulierung von Arbeitsverhältnissen ungebrochene Bedeutung der Erwerbsarbeit für die Identitätsbildung liegt vor allem darin, dass sie die Individuen nicht nur mit »ökonomischem Kapital« (Einkommen), sondern auch mit »sozialem Kapital« (Beziehungsnetze) und mit »kulturellem Kapital« (Wissen, Bildung) ausstattet (vgl. Bourdieu 1983). Dabei ist weniger der bloße Besitz dieser Kapitalien von Belang als vielmehr die Art, wie diese von den Subjekten in identitätsbezogene innere Ressourcen und Kompetenzen übersetzt werden. Am Beispiel des sozialen Kapitals lässt sich dies gut demonstrieren: Die – ganz wesentlich über Erwerbsarbeit und Einkommen vermittelten – sozialen Beziehungsnetze eröffnen den Subjekten Möglichkeitsräume für Identitätsentwürfe. Sie sind jener Ort, in dem die Lebensperspektiven, Regeln, Normen, Ziele und Wege beständig neu ausgehandelt werden. Vor allem aber wird im sozialen Netzwerk etwas vermittelt, was gerade in der zerris117

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senen Sozialwelt der Spätmoderne für die Identitätsbildung unverzichtbar ist: soziale Anerkennung. Soziale Netzwerke wirken darüber hinaus in Orientierungskrisen als Rückhalt und emotionale Stütze. Gerade wenn der Prozess der Identitätskonstruktion durch die Auflösung tradierter Gewissheiten und stabiler Lebensverlaufsmuster prekär wird, bieten funktionierende soziale Netzwerke den Individuen Möglichkeiten des ›Krisenmanagements‹. Sie vermitteln den sozialen Akteuren die erforderlichen Kompetenzen zur Unsicherheitsbewältigung (vgl. Bittlingmayer 2002: 234ff.; Berger 1996: 42ff.), die sie in die Lage versetzen, den Verfall langfristig stabiler Bindungen und die Offenheit normativer Vorgaben produktiv für die eigene Lebensgestaltung zu nutzen. Diese individuellen Kompetenzen, der gesamtgesellschaftlich gestiegenen Produktion von Unsicherheit aktiv und selbstbewusst zu begegnen, sind nun aber, da sie ganz wesentlich vom Zugang zu ökonomischem, sozialem und kulturellem Kapital – sprich: von sozialer Teilhabe – abhängen, sozial ungleich verteilt. Hier liegt das zentrale sozial- und gesellschaftspolitische Problem. »Mangelt es an solchen Kompetenzen für eine ›nachtraditionale‹ Lebensführung […], sind nicht nur relative Nachteile zu erwarten. Vielmehr wird sich dann auch häufig eine Weltsicht einstellen, aus der ›Umstände‹ als unabwendbares Schicksal, dessen hilfloser ›Spielball‹ mann oder frau ist, erscheinen« (Berger 1999: 157). Sennett (1998: 119) hat nachdrücklich darauf hingewiesen, dass die gestiegenen biografischen Unsicherheiten und Flexibilitätszumutungen herkunftsbedingte soziale Ungleichheit dramatisch verschärfen. »Für das Leben als Landstreicher sind offenbar die meisten Menschen nicht besonders gut vorbereitet und gerüstet«, wie Keupp (1997: 26) unterstreicht. Die (wichtige) Betonung notwendiger subjektiver Ressourcen und Kompetenzen des Umgangs mit biografischer Unsicherheit – wie Verhandlungs-, Beziehungs-, Kommunikations- und Konfliktfähigkeit – darf jedoch nicht dazu verleiten, den Persönlichkeitstypus des wendigen und vollmobilen Selbstvermarkters mit einem Heiligenschein von Autonomie und Selbstbestimmung zu versehen. Sennetts ›flexibler Mensch‹ und Baumans ›nomadisches Selbst‹ sind, wie wir sahen, Metaphern beschädigter Identi118

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tät, nicht autonomer Lebensgestaltung. Sie versinnbildlichen die spannungs- und widerstandslos ins globale System der deregulierten Marktökonomie eingepassten Sozialcharaktere der Spätmoderne. Zu Recht hat Oskar Negt (vgl. 2002: 530) darauf aufmerksam gemacht, dass der auch in manchen pädagogischen Konzepten neuerdings propagierte Typus des flexiblen, risikobereiten, allseitig verfügbaren Menschen, der sich alle Optionen offen hält und sich vor dauerhaften Bindungen hütet, den Unsicherheits- und Flexibilitätszumutungen der »flüchtigen Moderne« (Bauman 2003) nichts entgegenzusetzen hat. In einer Welt, in der nicht nur in den marginalisierten Zonen, sondern zunehmend auch in den Zentren der westlichen Industriestaaten die Menschen aus ihren gewohnten Lebenszusammenhängen herausgerissen und mit dem Verlust von Selbstwertgefühl und Anerkennung konfrontiert sind, gehört nicht die flexible Unterwerfung unter die Imperative des Marktes bzw. des dominanten Systems zu den erforderlichen Strategien der Selbstbehauptung, sondern eine Fähigkeit, die Negt (2002: 530) als »Identitätskompetenz« bezeichnet hat. Gemeint ist eine Haltung, die den Menschen eine eigensinnige und reflektierte – stets vorläufige und unabschließbare – Selbstidentifizierung und Selbstpositionierung in gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen erlaubt: die nicht nur subjektive, sondern letztlich politische Kompetenz einer aufgeklärten, kritischen, gegebenenfalls widerständigen und kämpferischen Umgangsweise mit verweigerter sozialer Anerkennung und bedrohter Identität. »Wo der Mensch kein zu Hause mehr hat, kein äußeres und kein inneres zu Hause, da wird lernender und wissender Umgang mit bedrohter und gebrochener Identität zur Lebensfrage« (Negt 1998: 34).

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Einsichten. Themen der Soziologie

Gabriele Abels, Alfons Bora

Ansgar Thiel

Demokratische

Soziale Konflikte

Technikbewertung

2003, 102 Seiten,

Juni 2004, ca. 120 Seiten,

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ISBN: 3-933127-21-1

ISBN: 3-89942-188-4

Beate Krais, Gunter Gebauer Habitus

Stefan Kühl Arbeits- und

2002, 94 Seiten,

Industriesoziologie

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April 2004, 180 Seiten,

ISBN: 3-933127-17-3

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Thomas Kurtz

ISBN: 3-89942-189-2

Berufssoziologie Rainer Schützeichel

2002, 92 Seiten,

Historische Soziologie

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April 2004, 140 Seiten,

ISBN: 3-933127-50-5

kart., 12,50 €,

Jörg Dürrschmidt

ISBN: 3-89942-190-6

Globalisierung Hannelore Bublitz

2002, 132 Seiten,

Diskurs

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2003, 122 Seiten,

ISBN: 3-933127-10-6

kart., 11,50 €,

Stefanie Eifler

ISBN: 3-89942-128-0

Kriminalsoziologie Peter Weingart

2002, 108 Seiten,

Wissenschaftssoziologie

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2003, 172 Seiten,

ISBN: 3-933127-62-9

kart., 13,80 €, ISBN: 3-933127-37-8

Martin Endreß Vertrauen 2002, 110 Seiten, kart., 10,50 €, ISBN: 3-933127-78-5

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de

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Einsichten. Themen der Soziologie Paul B. Hill

Raimund Hasse, Georg Krücken

Rational-Choice-Theorie

Neo-Institutionalismus

2002, 92 Seiten,

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ISBN: 3-933127-30-0

ISBN: 3-933127-28-9

Gunnar Stollberg

Volkhard Krech

Medizinsoziologie

Religionssoziologie

2001, 100 Seiten,

1999, 100 Seiten,

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ISBN: 3-933127-26-2

ISBN: 3-933127-07-6

Ludger Pries

Uwe Schimank, Ute Volkmann

Internationale Migration

Gesellschaftliche Differenzierung

2001, 84 Seiten, kart., 9,50 €,

1999, 60 Seiten,

ISBN: 3-933127-27-0

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Klaus Peter Japp Risiko

Sabine Maasen Wissenssoziologie

2000, 128 Seiten, kart., 12,00 €,

1999, 94 Seiten,

ISBN: 3-933127-12-2

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Urs Stäheli Poststrukturalistische Soziologien 2000, 88 Seiten, kart., 10,50 €, ISBN: 3-933127-11-4

Theresa Wobbe Weltgesellschaft 2000, 100 Seiten, kart., 10,50 €, ISBN: 3-933127-13-0

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de

2004-07-08 10-27-47 --- Projekt: T242.einsichten.eickelpasch-rademacher.identität / Dokument: FAX ID 01da57325184752|(S. 134-135) anzeige einsichten frühjahr 04

Bibliothek dialektischer Grundbegriffe

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Sterben (bio-ethisch)

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Mai 2004, 52 Seiten,

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ISBN: 3-89942-185-X

ISBN: 3-933127-96-3

Jörg Zimmer

Angelica Nuzzo

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System

2003, 52 Seiten,

2003, 52 Seiten,

kart., 7,60 €,

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ISBN: 3-89942-166-3

ISBN: 3-89942-121-3

Thomas Metscher

Jörg Zimmer

Mimesis

Metapher

2003, 52 Seiten,

2003, 52 Seiten,

kart., 7,60 €,

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ISBN: 3-89942-165-5

ISBN: 3-89942-123-X

Michael Weingarten

Hans Heinz Holz

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2003, 52 Seiten,

2003, 82 Seiten,

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ISBN: 3-89942-125-6

ISBN: 3-89942-122-1

Christoph Hubig

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2002, 52 Seiten,

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ISBN: 3-933127-91-2

ISBN: 3-933127-92-0

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de

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) T01_07 anzeige sozrevue.p 561317321