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German Pages 80 [81] Year 2008
RKW Edition
Herbert Lippmann, Ingrid M. Motyka
2., überarbeitete Auflage
Produkte und Sortimente erfolgreich managen Der praktische Nutzen des Lebenszyklusmodells für den Mittelstand
Verlag Wissenschaft & Praxis
RKW-Edition
Herbert Lippmann Ingrid M. Motyka
Produkte und Sortimente erfolgreich managen Der praktische Nutzen des Lebenszyklusmodells für den Mittelstand 2., überarbeitete Auflage
Verlag Wissenschaft & Praxis
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
ISBN 978-3-89673-455-6
© Verlag Wissenschaft & Praxis Dr. Brauner GmbH 2008 D-75447 Sternenfels, Nußbaumweg 6 Tel. 07045/930093 Fax 07045/930094
Alle Rechte vorbehalten Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany
Gewidmet all denjenigen Unternehmen, die mit Mut und ihrem Ohr direkt am Kunden ihren Zielgruppen immer wieder neue, noch nützlichere Produkte bereitstellen.
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Vorwort zur zweiten Auflage Kann eine Theorie dem Praktiker überhaupt helfen? Wir glauben 'ja', und nach dem Feedback auf die erste Auflage wissen wir es definitiv: Das Lebenszykluskonzept hat einen praktischen Nutzen. Bestimmte Phänomene während eines Produktlebens sind durch Beobachtung und Analyse vieler unterschiedlicher Produkte erkannt, systematisiert und auch immer wieder bestätigt worden. So gesehen steckt in diesem Modell die Erfahrung aus vielen Einzelprodukten. Der Leser kann sich diese Erfahrung zunutze machen. Da die Produktmärkte zunehmend internationaler werden, haben wir uns nicht gescheut, in diesem Buch auch englische Fachausdrücke zu verwenden. Ihre Produkte sind nun einmal der wichtigste Erfolgsfaktor in Ihrem Unternehmen. Sie können rationalisieren und outsourcen, Sie können sich schlank organisieren und Ihre Prozesse optimieren, aber ohne gute Produkte und Dienstleistungen geht nun einmal gar nichts. In Zeiten kürzerer Lebenszyklen sind deshalb Methoden, die bei der laufenden Optimierung Ihres Leistungsangebotes helfen, nützlich und hilfreich. Für unsere Leser haben wir die Erkenntnisse zum Produkt-Lebenszyklus aufbereitet und verdichtet, und wir haben sie mit unseren praktischen Erfahrungen aus der Beratung vieler Unternehmen angereichert. Als Berater wenden wir das Lebenszykluskonzept gerne an, und wir sind immer wieder erstaunt, welchen Erkenntniswert Lebenszyklusbetrachtungen unseren Kunden gebracht haben. Wenn allen Entscheidern bewusst war, wo sich das ProduktPortfolio im Lebenszyklus befindet, dann haben sich daraus meist sehr konkrete Vorstellungen ergeben, was nun strategisch oder auch operativ zu tun sei. Das Lebenszykluskonzept nimmt Ihnen nicht die Entscheidung über das 'Wie' ab. Sie werden immer eigene Ideen brauchen, mit welcher Art der Marktbearbeitung, d.h. mit welchem Marketing Sie den Erfolg für Ihre Produkte suchen. Das Konzept liefert Ihnen Denkanstöße, worauf Sie in bestimmten Lebenszyklusphasen besonders achten sollten – nicht mehr, aber auch nicht weniger. München 2008
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Inhaltsverzeichnis Vorwort zur zweiten Auflage......................................................................... 7 1. Management summary ........................................................................... 11 2. Das Lebenszykluskonzept ...................................................................... 13 3. Ziehen Sie Bilanz – so ermitteln Sie die Zukunftschancen Ihres heutigen Produkt-Portfolios............................................................ 21 4. So entwickeln Sie Ihr Sortiment zukunfts- und ertragsorientiert weiter.... 27 5. Mit Innovationen die Erfolgsbringer für morgen schaffen........................ 29 5.1 So schaffen Sie Ideenvielfalt........................................................... 33 5.2 Wer die Wahl hat, hat die Qual – welche Produktideen sollen weiter verfolgt werden? ........................................................ 37 5.3 Beschreiben Sie Ihre Neuproduktanforderungen eindeutig in einem Lastenheft ........................................................................ 48 5.4 Warum braucht man trotzdem noch ein Pflichtenheft?.................... 51 5.5 Eine Testphase erhöht die Sicherheit............................................... 52 5.6 So führen Sie neue Produkte erfolgreich im Markt ein..................... 54 5.7 Ihr Marketingdruck in der Wachstumsphase entscheidet über Ihren späteren Marktanteil .............................................................. 59 6. Mit Produktvarianten Märkte besser ausschöpfen ................................... 63
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INHALTSVERZEICHNIS
7. Alternative Marketingkonzepte für reife Märkte...................................... 65 7.1 Gutes kann man oft noch besser machen – der Produkt-Relaunch ..................................................................... 67 7.2 Erfolge multiplizieren...................................................................... 69 7.3 Dem Marktrückgang zuvorkommen – gezielter Ausstieg sichert den Ertrag................................................ 70 8. Die Vielzahl muss beherrschbar bleiben – regelmäßige Sortimentsbereinigung ....................................................... 73 Verwendete und weiterführende Literatur ................................................... 79 Zu den Autoren ........................................................................................... 80
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1. Management summary •
Auf dem Markt hat jedes Produkt und jede Dienstleistung nur eine begrenzte Lebensdauer. Tendenziell werden diese immer kürzer.
•
Wir trennen zwischen dem Lebenszyklus Ihrer eigenen Produkte und dem Produkt-Markt-Lebenszyklus. Je nachdem, wann Sie mit neuen Produkten auf den Markt kommen, sind Sie entweder der 'Pionier', der einen neuen Produktmarkt erschließt, oder der 'Folger', der später auf einen sich erfolgreich entwickelnden Markt aufzuspringen versucht.
•
Die Einordnung Ihrer einzelnen Produkte im Produkt-Markt-Lebenszyklus zeigt Ihnen, welches Potenzial Sie dort erwarten dürfen. Für die Zukunft des Unternehmens ist ein ausgeglichenes Produkt-Portfolio von 'jungen' sowie von 'reifen' Produkten anzustreben.
•
Der Lebenszyklusverlauf, d.h. die Umsatz-, Absatz- und Deckungsbeitragsentwicklung über die Zeit hinweg, kann aktiv durch Ihr Unternehmen gestaltet werden.
•
Durch bewusste Gestaltung der Produktebene können Sie Ihr gesamtes Sortiment unter Zukunfts- und Ertragsaspekten optimieren.
•
Es reicht nicht aus, die Markteinführung gut zu meistern. Ein Produkt muss über die gesamte Lebensdauer gemanagt werden. Hierfür bieten sich Produktmanager an.
•
Das Modell, das von vier unterscheidbaren Lebensphasen ausgeht, liefert Erkenntnisse darüber, was typischerweise in den einzelnen Phasen passiert. Darauf aufbauend lassen sich Anregungen für Ihr Marketing ableiten, das in jeder Lebenszyklusphase unterschiedlich sein wird.
•
Der zukünftige Erfolg eines Produktes beginnt mit dem richtigen Innovationsprozess. Dieser erfordert nicht nur brillante technische Lösungen, sondern auch ein hervorragendes Marketing. Viele gute Ideen scheitern nicht an der technischen Lösung, sondern an deren Vermarktung.
•
Die Markteinführungsphase ist entscheidend für den späteren Produkterfolg. Hier gilt es, die Kräfte und Mittel zu konzentrieren.
•
Während des weiteren Lebenszyklus gibt es vielfältige Ansatzpunkte, die Umsatz- und Ertragsentwicklung eines Produktes oder einer Dienstleistung positiv zu gestalten.
•
Tabelle 1 zeigt praxisbewährte Lösungsansätze im Rahmen des Lebenszyklusmanagement.
MANAGEMENT SUMMARY
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Tabelle 1: Lösungsansätze bei Fehlentwicklungen im Produkt-Lebenszyklus Fehlentwicklungen im Produkt-Lebenszyklus
Lösungsansätze durch Lebenszyklusmanagement Gutes Lasten-/Pflichtenheft Konsequentes Projektmanagement
•
Zu späte Fertigstellung von Innovationen, Entwicklung dauert länger als geplant
•
Produkte nicht ausreichend getestet Ö
Marketing dringt auf Test und hilft bei der Organisation (z.T. Testinstallation)
•
Produkt fertig – Einführung verzögert sich; Marketing gap
Rechtzeitig mit der Einführungsplanung beginnen; gute Koordination aller Beteiligten
Ö Ö
Ö Ö
•
Einführung geht langsam, dauert zu lange
Ö
Ressourceneinsatz erhöhen, klotzen statt kleckern, vor allem in Vertrieb und Werbung
•
Neue Produkte werden ein Flop
Ö
Zielgruppenorientierung im Produktentstehungsprozess verbessern
•
Wachstumsphase verläuft relativ flach, Wettbewerber wachsen schneller
Ö
Konsequentere Marktbearbeitung; möglichst breite Marktabdeckung erreichen, Verantwortung für die Zeit nach der Einführung regeln – Lebenszyklusverantwortung
•
Marktanteilsverluste in der Sättigungsphase
Ö
Marketingmäßig rechtzeitig auf andere Marktsituation einstellen
•
Vom Markt erzwungene Produktaufgabe
Ö
Rechtzeitig bewusste Rückzugsstrategie einleiten – Outphasing-Strategie
Ö
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2. Das Lebenszykluskonzept Marketingleiter Wenzel kann sich freuen. Er hat in diesem Jahr zusammen mit der Entwicklung eine ganz besondere Innovation in der Magnettechnik geschaffen. Deshalb konzentriert er im zweiten Halbjahr den Großteil seines Marketingbudgets auf die Markteinführung seines innovativen Magneten. Dieser kann mit neuer Technologie der Zielgruppe vielfältige Anwendungsmöglichkeiten zu einem höchst attraktiven Preis-Leistungsverhältnis erschließen. Er weiß, dass er bei der Markteinführung 'klotzen' muss, um die überwiegend neuen Anwender möglichst rasch für den Einsatz dieser neuen Magnettechnologie zu gewinnen. Sein Ziel ist es, seine Zielgruppe so schnell wie möglich auszuschöpfen, denn mit Wettbewerb ist auch bei dieser Innovation bald zu rechnen. Herr Wenzel stützt sich bei seinen Entscheidungen auf die ProduktLebenszyklus-Theorie. Er hat sein Konzept im Team besprochen, und alle waren sich einig, dass die eingeführten Produkte nicht wesentlich leiden werden, wenn Kommunikations-, Verkaufsförderungs- und Messeetat vorübergehend auf ein Minimum heruntergefahren werden. Die Chance, mit dem innovativen Magneten schnell zu wachsen, besteht nur am Anfang. Wenn erst einmal mehrere Wettbewerber mit vergleichbaren Produkten im Markt sind, würde die Zielgruppe schnell abgedeckt sein und es bliebe nur noch der steinige Weg der Verdrängung. Die Weichen für einen Ziel-Marktanteil von 40 Prozent müssen also jetzt am Anfang gestellt werden. Produktmanager Kühn beschäftigt ein anderes Problem. Die Produktgruppe, die er vor kurzem übernommen hat, erscheint ihm sehr umfangreich und teilweise technisch veraltet. Da auch er die Phänomene des ProduktLebenszyklus kennt, arbeitet er derzeit an einer Sortimentsbereinigung, denn er vermutet, dass manche 'alten' Produkte keinen oder fast keinen Ertrag mehr erwirtschaften. Eine Deckungsbeitragsanalyse bestätigt seine Vermutung. So wie diesen beiden Marketing-Praktikern hilft das Wissen um den Lebenszyklus von Produkten vielen Marketingverantwortlichen bei ihren Entscheidungen. Es ist ein Modell, das bestimmte, häufig wiederkehrende Phänomene während der Lebensphase von Produkten und Dienstleistungen beschreibt. Ein Modell trifft nicht immer und überall zu. Wie alle Theorien verallgemeinert auch das Lebenszykluskonzept und beschreibt einen 'typischen' Lebenszyklus, der aber an einer Vielzahl von Produkten nachgewiesen werden
DAS LEBENSZYKLUSKONZEPT
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konnte. Wenn wir akzeptieren, dass es einen solchen Lebenszyklus bei Produkten gibt, dann lassen sich daraus auch allgemeingültige Hinweise für eine erfolgreiche Vermarktung in den unterschiedlichen Phasen des Lebenszyklus ableiten. Hier sind anhand einer Vielzahl von Produkten aus unterschiedlichsten Bereichen Erfahrungen gesammelt worden, die Sie sich zunutze machen können, ohne den steinigen Weg der Versuch- und Irrtum-Methode gehen zu müssen. Die Erkenntnisse zum Produkt-Lebenszyklus basieren auf zwei wesentlichen Säulen: Zum einen gibt es als Vorbild die Natur, die biologisches Leben in ein 'biologisches Gesetz vom Werden und Vergehen' gefasst hat, das sich auf 'künstliche' Leistungen eines Unternehmens übertragen lässt. Auch Produkte, Systeme und Dienstleistungen werden ”gezeugt” im Zuge der Entwicklungsarbeiten im Unternehmen, ”werden geboren” durch die Markteinführung, ”wachsen” während der Ausdehnung ihres Abnehmerkreises, ”reifen” bis zum Höhepunkt ihres Lebens und ”altern” danach bis sie ”sterben” (vgl. Becker 2006, S. 723). Zum Zweiten hat ein Amerikaner namens Rogers bereits in den sechziger Jahren untersucht, wie sich Innovationen im Zeitverlauf in einer Zielgruppe ausbreiten. Bei allen von ihm betrachteten Innovationen hat er einen ähnlichen Verlauf gefunden, den er in folgender Kurve dargestellt hat (vgl. Rogers, 1962, S. 162): Erstkäufer in % frühe Mehrheit 34 %
frühe Übernehmer 13,5 % Innovatoren 2,5 %
späte Mehrheit 34 %
Nachzügler 16 %
Zeit
Bild 1: Das Diffusionsmodell von Innovationen nach Rogers
DAS LEBENSZYKLUSKONZEPT
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Die einzelnen Kunden innerhalb einer Zielgruppe, die Sie mit einer Innovation ansprechen, unterscheiden sich deutlich in ihrer Innovationsbereitschaft. Dieses Phänomen kennen wir alle aus unserem Bekanntenkreis. Wenn ein neues technisches Konsumgut auf den Markt kommt wie z.B. die Digitalkamera, dann sind es ganz bestimmte Personen, die solche Innovationen trotz eines hohen Preises zuerst kaufen, sie stolz vorführen und, wenn sie zufrieden sind, auch richtig Mund-zu-Mund-Werbung für diese tolle Innovation machen. Bei anderen Produktgruppen wie bei modischen Produkten, sind es wahrscheinlich ganz andere Menschen, die hierbei als 'Innovatoren' auftreten. Auch für Personen aus der 'späten Mehrheit' haben Sie sicher Beispiele. Dies sind meist Menschen, die innovativen Dingen erst einmal eher skeptisch gegenüberstehen und die sich nur dann zum Kauf entscheiden, wenn es viele vor ihnen bereits ausprobiert haben. Für sie ist Sicherheit beim Kauf besonders wichtig. Für Ihre Werbung bedeutet dies, dass Sie Inhalte und Art der Ansprache im Zeitablauf verändern sollten. Während Sie anfangs das Neue, den Spaß oder Nutzen des Früh-Dabei-Seins und auch etwas die Eitelkeit der Innovatoren ansprechen können, geht es bei den frühen und späten Mehrheiten mehr um detaillierte Information, um Referenzen und positive Testberichte oder um das ausgebaute Servicenetz, das eine sichere Verwendung gewährleistet. Im Produkt-Lebenszyklus werden all diese Erkenntnisse vereint. Er kann als allgemein gültiges Modell der Umsatz-, Absatz- bzw. Gewinnentwicklung von Produkten im Zeitablauf aufgefasst werden. Horizontal wird die Zeit, also die Lebensdauer abgetragen; auf der Ordinate meistens Umsatz und Gewinn des Produktes. Es ergibt sich ein typischer Kurvenverlauf, der in vier deutlich abgrenzbare Phasen unterteilt werden kann.
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Umsatz
Umsatz/ Gewinn
Gewinn
Einführungsphase
Wachstumsphase
Reife-, Sättigungsphase
Rückgangsphase
Zeit
Bild 2: Der vierphasige Produkt-Lebenszyklus
Daraus lassen sich erste wichtige Erkenntnisse ableiten: •
Jedes Produkt hat auf dem Markt nur eine begrenzte Lebensdauer.
•
Die absolute Lebensdauer kann zwischen Jahrzehnten und einigen Monaten schwanken. Sehr lange Lebenszyklen haben Marken wie Coca Cola (seit 1896), Odol (seit 1893), Aspirin (seit 1899), Tesa (seit 1907), Melitta Filtertüten (seit 1908) oder Nivea (seit 1912). Produkte mit recht kurzen Lebenszyklen sind beispielsweise Modeartikel, PC-Drucker oder Software.
•
Im Lauf seines Lebens durchläuft ein Produkt diese vier Phasen. Jede ist durch andere Marktrahmenbedingungen gekennzeichnet.
•
Deshalb sind in den einzelnen Phasen unterschiedliche Marketingstrategien erforderlich.
•
Höhe und Länge des Kurvenverlaufs sind eine Folge der Marktbearbeitung, wobei die Höhe der Kurve den erreichten Marktanteil widerspiegelt. Durch Ihr eigenes Marketing beeinflussen Sie den Kurvenverlauf. Der Lebenszyklus kann zum Teil von Ihnen selbst aktiv gestaltet werden.
•
Lebenszyklen einzelner Produkte werden in der Regel durch neue, bessere Technologien beendet.
Beim 'Produkt'-Lebenszyklus sprechen wir von einem konkreten Produkt, von Systemen oder auch von Dienstleistungen Ihres Hauses, also von Ihren eigenen Produkten. Bieten mehrere Hersteller vergleichbare Leistungen an, kann parallel auch die Entwicklung eines gesamten Produktmarktes betrachtet
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werden. Dementsprechend gibt es neben dem Lebenszyklus der eigenen Produkte auch einen 'Produkt-Markt'-Lebenszyklus. Dieser entsteht durch Addition der Lebensläufe aller in diesem Markt vorhandenen, sich konkurrierenden Einzelprodukte. Wenn ein Unternehmen eine wirkliche, also für den Markt neue Innovation hervorbringt, dann wird mit diesem Produkt auch ein neuer Produkt-Markt-Lebenszyklus begründet. Neu entstehende Produktmärkte werden in dieser ersten Phase auch als 'junge Märkte' bezeichnet. An dieser Stelle sucht der faktenorientierte Marketingmanager leider vergeblich nach einer Messlatte, an der er exakt ablesen kann, wo genau im Lebenszyklus ein Produkt oder ein Markt sich gerade befindet. Zwar liefert die Beobachtung der Umsätze bzw., sofern ermittelbar, der Marktgrößen einen Hinweis auf den bisherigen Verlauf des Lebenszyklus, aber nicht jeder Rückgang des Umsatzzuwachses muss gleich den Übergang zur Reife bedeuten. Vielleicht sind es nur zeitlich begrenzte Einflüsse auf der Kundenseite oder die verzögerte Wirkung eigener Marketingmaßnahmen, die zu einer Wachstumsdelle, aber nicht zu einem generellen Wachstumsrückgang führen. Demnach hätte der Lebenszyklus seinen Zenit bei weitem noch nicht erreicht. Diese Schwäche in der Arbeit mit Lebenszyklen kann teilweise dadurch ausgeglichen werden, dass sich die einzelnen Phasen ganz gut beschreiben lassen. So kann es anhand beobachtbarer Phänomene gelingen, die IST-Situation im Lebenszyklus hinreichend exakt zu ermitteln, um daraus die nächsten Schritte ableiten zu können. Eine abgesicherte Prognose des restlichen Lebenszyklus ist nicht möglich, da wir heute noch nicht wissen, mit welchen Maßnahmen die einzelnen Anbieter das zukünftige Leben ihrer Produkte gestalten wollen. Bei technischen Produkten lässt sich teilweise durch Beobachtung und Beurteilung des technischen Fortschritts erkennen, wann eine Folgetechnologie, die den Lebenszyklus der heutigen Produkte beenden kann, marktreif sein wird.
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Tabelle 2: Checkliste zur Abgrenzung der einzelnen Produkt-Markt-Lebensphasen Phasen
Kennzeichen
Markteinführungs- • beginnt mit der Produkteinführung phase • erst langsam, dann stetig steigender Umsatz • zunächst Verluste durch hohe Vorlaufkosten • bei echten Innovationen anfangs kein Wettbewerb • Erstkäufe/ Probekäufe • langsam wachsende Produktbekanntheit • endet, wenn das Produkt offensichtlich im Markt Fuß gefasst hat, z.B. erkennbar an ersten Wiederholungskäufen Marktwachstums- • Absatzmengen steigen rasch an; deutliche Beschleunigung des phase Umsatzwachstums, weil das Marketing-Mix des Innovators spürbar greift • die Gewinne steigen; u.a. durch sinkende Fertigungsstückkosten aufgrund des Erfahrungskurveneffekts • bei echten Innovationen: Auftreten erster Wettbewerber, die das Marktwachstum beschleunigen • langsam zunehmende Wettbewerbsintensität • zunehmende Produktakzeptanz führt zu weiterer Verbreitung im Markt; deutlich anwachsender Kundenkreis bei stabilen oder bereits leicht fallenden Preisen • die Phase des beschleunigten Wachstums geht später in die Phase des verlangsamten Wachstums über; hier liegt der Wendepunkt der Umsatzkurve Marktreife/Markt- • Sättigungserscheinungen im Markt, verlangsamte bis stagniesättigungsphase rende Absatz-/Umsatzentwicklung • Verlagerung von Neu- auf Ersatzbedarf • starker Wettbewerb mit zumindest vergleichbaren Produkten; dies führt zu einem stärker werdenden Preiswettbewerb • rückläufige Deckungsbeiträge durch Preisdruck oder wieder höhere Marketingaufwendungen • starker Wettbewerb und zunehmende Sättigung bremsen Wachstum bis zum leichten Rückgang; erste Wettbewerber ziehen sich zurück Marktrückgangs• Massiver Umsatzrückgang, erste Verluste phase • deutlicher Rückgang der Nachfrage, Käufer wandern ab, rückläufige Kundenzahlen, der Markt schrumpft • Verdrängung durch Substitutionsprodukte • weitere Wettbewerber ziehen sich zurück • evtl. bleibt eine produkttreue Restkundschaft
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Nicht bei jedem Produkt verläuft die Lebenszykluskurve in der hier vorgestellten Form. So wurde beispielsweise bei kleineren Küchengeräten festgestellt, dass der Markt nach dem Wachstum erst einmal einbrach, um dann auf etwas niedrigerem Niveau langfristig zu stagnieren. Nach einer ersten Euphorie bleibt längerfristig nur ein kleinerer Kreis von Intensivverwendern bei diesen Produkten. Der gewissenhafte Anwender wird also zuerst prüfen, ob sich bei früheren Produkten typische Lebenszyklen nachweisen lassen und wie diese aussehen. Nehmen Sie also zuerst einmal ältere Ihrer Produkte und tragen Sie deren Absatz- und Umsatzentwicklung auf einer Zeitachse ab. Prüfen Sie dann, ob Ihnen für den Produktmarkt über denselben Zeitraum auch Marktzahlen, z.B. aus der amtlichen Statistik oder von Ihrem Verband vorgelegen haben. Tragen Sie auch diese Zahlen auf einer Zeitachse ab. Vergleichen Sie nun die verschiedenen Kurven und beurteilen Sie, ob Sie ähnliche oder gar einheitliche Verläufe erkennen können. Dort wo solche Lebenszyklen nachweisbar sind, kann das Modell wichtige Hinweise für die unterschiedliche Ausgestaltung des Marketing in den verschiedenen Phasen des Lebenszyklus geben. Interessant ist es auch, den Lebenszyklus eines eigenen Produktes im Marktumfeld zu betrachten. Je nachdem, in welcher Phase des Produkt-MarktLebenszyklus Firmenneuheiten auf dem Markt eingeführt werden unterscheidet man zwischen: •
first to market: Der Pionier, der als Erster ein völlig neues Produkt oder eine neue Technologie anbietet. Strategisch bedeutet dies, dass für diese Marktinnovation der Markt geschaffen werden muss. Man spricht deshalb auch von der 'Strategie des Marktmachens'. Hier kann vorübergehend eine Quasi-Monopolstellung entstehen, die durch Patente, Spezial Know-how oder Fertigungsinnovationen eine gewisse Zeit lang vor Nachahmern verteidigt werden kann. Daraus ergeben sich preispolitische Spielräume. Der Pionier hat die Chance, den Markt schnell zu besetzen. Auf der Risikenseite ist der Pionier mit hohen Markterschließungskosten, mit eventuellen Widerständen auf der Kundenseite und mit einer relativ großen Unsicherheit konfrontiert.
•
second to market: Frühe Folger kommen relativ schnell mit einer vergleichbaren Problemlösung auf den Markt, die als reines me-too-Produkt absolut vergleichbar sein kann oder die bereits Verbesserungen gegenüber dem Erstprodukt aufweist. Sie können die kommunikativen Vorarbeiten des Pioniers nutzen und aus dessen Erfahrungen lernen. Manchmal gelingt es frühen Folgern, trotzdem noch einen eigenen Standard zu
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DAS LEBENSZYKLUSKONZEPT
etablieren. Kundengewinnung ist noch relativ leicht möglich, weil sich nach der Diffusionstheorie die großen Anwendergruppen erst langsam für diese Innovation erwärmen werden und weil der Markt noch nicht verteilt ist. •
late to market: Späte Folger wollen, nachdem sie wachsende Märkte erkannt haben, noch schnell an diesem Boom teilhaben. Um in dieser späten Phase noch eine Chance haben zu können, muss der späte Folger mit seinen vergleichbaren Produkten entweder deutliche Kosten- und Preisvorteile haben, oder es gelingt ihm, eine Nische zu besetzen, die von den Vorreitern noch nicht ausgeschöpft worden ist. Auf der Risikenseite bleibt die Frage, ob ein später Folger noch ausreichend am Marktwachstum teilnehmen kann oder ob er bei stagnierenden Märkten nur noch durch Verdrängung Kunden gewinnen kann. Preiskämpfe können schnell die angestrebten Renditen zunichte machen.
Wenn Sie früh in innovative Märkte einsteigen wollen, sollten Sie prüfen, ob Sie die finanzielle Kraft haben, Ihre Innovation im Markt auch wirkungsvoll durchsetzen zu können. Der erfolgreiche Abschluss der Entwicklung ist nur ein Teilerfolg. Über den wirtschaftlichen Erfolg Ihrer Innovation entscheiden die Kunden. Bei späterem Markteinstieg sollten Sie Ihre Entscheidung davon abhängig machen, ob Sie für Ihr neues Produkt noch genügend Potenzial im Markt erschließen können, um Ihre Vorleistungen sicher zurück verdienen zu können und zwar auch dann, wenn der Preis deutlich einbrechen würde. Nach diesen Grundüberlegungen zum Lebenszykluskonzept wollen wir nun die konkreten Anwendungsmöglichkeiten im industriellen Unternehmen näher betrachten.
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3. Ziehen Sie Bilanz – so ermitteln Sie die Zukunftschancen Ihres heutigen Produkt-Portfolios Eine Schlüsselfrage bei Planungsüberlegungen lautet "Welche zukünftigen Entwicklungs- und Ertragsmöglichkeiten stecken in unseren Produkten?" Bei der Suche nach Antworten auf diese Frage kann Ihnen das Lebenszykluskonzept helfen. Wenn Sie erkennen, wo Ihre einzelnen Produkte derzeit im Produkt-Markt-Lebenszyklus stehen, dann wird schnell deutlich, welche Ihrer Leistungsbereiche noch Potenzial für weiteres Wachstum besitzen und welche nicht. Das Ziel einer solchen Analyse ist es, die Stellung der einzelnen Produkte im Lebenszyklus zu ermitteln, um daraus sowohl produktspezifischen wie auch gesamtunternehmerisch-strategischen Handlungsbedarf zu erkennen. Da die aktuelle Position im Lebenszyklus – wie oben gezeigt – nicht mathematisch ermittelt werden kann, empfehlen wir, diese Bewertung im Team vornehmen zu lassen. Dazu gibt es zwei alternative Arbeitsweisen:
Aufgabe: Ermittlung der aktuellen LebenszyklusLebenszyklusposition aller Produkte
A durch ein kleines Expertenteam
B durch Einschätzung auf breiter Basis via Befragung
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ZIEHEN SIE BILANZ – ZUKUNFTSCHANCEN IHRES PRODUKT-PORTFOLIOS
Zu A: Sie bilden ein Bewertungsteam, das aus fünf bis maximal neun Mitarbeitern besteht, die alle Kenntnisse von Ihren wichtigen Produkten und den dazugehörenden Märkten haben. Folgende Funktionen werden gerne in solch ein Team berufen: •
Unternehmensleitung
•
Marketing- und/oder Vertriebsleitung
•
Produktmanager
•
qualifizierte Vertriebsmitarbeiter aus dem Außen- und Innendienst
•
Entwicklungsleitung oder Entwicklungsgruppenleiter
•
Kundendienst- und/oder Serviceleitung
•
Externe Marktkenner, z.B. aus Instituten oder den einschlägigen Medien.
Das Team nimmt gemeinsam, am besten mit der Pinnwand-Methode, die Einschätzungen pro Produkt vor. Mit Hilfe einer anonymen Punktbewertung sollte zuerst jedes Teammitglied seine Bewertung abgeben, bevor dann gemeinsam die Plausibilität des Ergebnisses diskutiert wird. Zu B: Mit Hilfe einer schriftlichen Befragung beziehen Sie einen großen Kreis von Mitarbeitern (alle Führungsmitarbeiter bis zur Gruppenleiterebene und alle Vertriebsmitarbeiter, eventuell sogar Auslandspartner) in die Ermittlung der IST-Markt-Lebenszyklen ein. Sie erklären zu Anfang der Befragung kurz das Lebenszykluskonzept und erläutern, analog Tabelle 2, anhand welcher Phänomene die einzelnen Lebenszyklusphasen erkennbar sind. Ggf. stellen Sie auch noch Zahlen zur Dokumentation der bisherigen Marktentwicklung pro Produkt zur Verfügung. Danach soll jeder Befragte für jedes wichtige Produkt eine Einschätzung vornehmen. Die IST-Position im Lebenszyklus wird rechnerisch durch Mittelwertbildung bestimmt.
ZIEHEN SIE BILANZ – ZUKUNFTSCHANCEN IHRES PRODUKT-PORTFOLIOS
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Tabelle 3: Beispiel eines Bewertungsbogens eines Kfz-Zulieferers
ProduktProdukt-/ Produktgruppe
Markt-Lebenszyklusphasen MarktMarktMarktreife-/ Markteinführung wachstum stagnation rückgang 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Katalysatoren Otto-Motoren Katalysatoren Diesel-Motoren Rußentsorgung Diesel Wärmespeicher Standheizung Klimananlage Abgasschalldämpfer
Unabhängig davon, welchen Ansatz Sie bevorzugen, wird mit beiden Vorgehensweisen versucht, die IST-Position der einzelnen Produkte pragmatisch zu bestimmen. Für die Bewertung im Team bzw. im Rahmen der Befragung hat es sich bewährt, nicht nur nach den vier Phasen zu fragen, sondern den ganzen Lebenszyklus in 12 Abschnitte nach folgendem Muster zu unterteilen:
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ZIEHEN SIE BILANZ – ZUKUNFTSCHANCEN IHRES PRODUKT-PORTFOLIOS
Absatz Umsatz
8
7 6
9 5
1 1 1
10
4 11
3 1
2
Markteinführung
12 Marktwachstum
Marktreife-/ -stagnation
Zeit
Marktrückgang
Bild 3: Bewertungsraster zur Ermittlung der IST-Position im Markt-Lebenszyklus
Wenn Sie folgende Fakten ergänzend bereitstellen, dann erleichtert dies die Bewertungsarbeit im Team bzw. bei der Befragung: •
Produkthistorie, wann ist das erste Produkt eingeführt worden
•
Marktentwicklung seit Markteinführung, gemessen an Stückzahlen oder am Umsatz
•
Anzahl der Wettbewerber; wer ist wann in den Produktmarkt eingetreten
•
Bei standardisierten Produkten: Deren Preisentwicklung seit Markteinführung
•
Als Hilfsgröße bei Produkten, die über den Handel vertrieben werden: Distributionszahlen; wie viele der möglichen Händler führen das Produkt bereits.
Ist die Lebenszyklusposition der einzelnen Produkte bestimmt, so können nun alle Ergebnisse in einer Darstellung zusammengefasst werden. Sie benötigen dazu noch die IST-Umsätze oder -Umsatzanteile der untersuchten einzelnen
ZIEHEN SIE BILANZ – ZUKUNFTSCHANCEN IHRES PRODUKT-PORTFOLIOS
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(29%) Katalysator Ottom otoren
Standheizung (7% )
Klimaanlagen (9% )
Katalysatoren Die sel-Motoren (6% )
Wärmespeicher (6%)
Rußentsorgung
Diesel (1%)
Umsatz
Abgasschalldämp fer (42 %)
Produkte. Nun wird sich weisen, wie sich Ihr Umsatz heute nach einzelnen Lebenszyklusphasen verteilt und was dies für die Zukunft bedeuten kann. Bei dem oben genannten Kfz-Zulieferer ergab sich am Ende der Analyse folgendes Bild:
Zeit
Umsatzverteilung
Markteinführung
Marktwachstum
1%
12 %
Marktreife-/ -stagnation
87 %
Marktrückgang
0%
Bild 4: Produkt-Portfolio eines Kfz-Zulieferers im Marktlebenszyklus
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ZIEHEN SIE BILANZ – ZUKUNFTSCHANCEN IHRES PRODUKT-PORTFOLIOS
Das Ergebnis machte allen schnell deutlich, warum das Unternehmen in den letzten zwei Jahren kaum noch gewachsen ist, denn die Verteilung im Lebenszyklus war stark rechtslastig. 87 % seines Umsatzes tätigte das Unternehmen in stagnierenden Produktmärkten. Innovativ hatte die Firma nur ein Eisen im Feuer, dessen Zukunft jedoch sehr fraglich war, weil dieser Produktmarkt nicht aus eigener Kraft entwickelt werden konnte, sondern er bedurfte gesetzlicher Regelungen. Diese relativ teuren Rußvernichter wurden bislang von der Nutzfahrzeugindustrie kaum eingesetzt. Ein wachsender Markt würde nur entstehen, wenn solche Produkte gesetzlich vorgeschrieben werden. So konnte diese Erfindung damals nicht zu einem Markterfolg werden. Die Suche nach neuen Produkten hat seit dieser Analyse und bis heute höchste Priorität für dieses Unternehmen. Nach Untersuchungen des Ifo-Instituts zeichnen sich stark wachsende Unternehmen durch eine intensive Neuproduktpolitik aus. Sie erzielen etwa 10 % ihres Umsatzes mit neu eingeführten Produkten, also den Wachstumsbringern von morgen. Ca. 35 % des Umsatzes fallen in die Wachstumsphase. Alle diese Produkte haben ebenfalls noch Entwicklungsmöglichkeiten; vor allem wird durch sie der Ertrag verbessert. Das umgekehrte Phänomen konnte ebenfalls nachgewiesen werden. Schrumpfende Unternehmen schaffen mit ihren Produkten in der Einführungs- und in der Wachstumsphase weniger als 20 % ihres Umsatzes. Dadurch kann nicht kompensiert werden, was mit 'alten' Produkten verloren wird. Oder: Mittelständische Chemieunternehmen tätigen etwa 25 % ihres Umsatzes mit Produkten, die jünger als drei Jahre sind. Nach den allgemeinen Erfahrungen wird unter den Aspekten Wachstumsmöglichkeit, Ertragskraft und Risiko eine Verteilung von ca. 50 % 'jungen' und 50 % 'alten' Produkten als gesunde und wachstumsfördernde Portfoliostruktur gesehen. (vgl. Kotler 2005 S. 501) Entscheidend hierbei ist die Stellung im Marktlebenszyklus und nicht diejenige der individuellen Produkt-Lebenszyklen. Als später Folger in einem Markt kann es sich aus Firmensicht durchaus um eine Innovation handeln, die in der Marktsättigung jedoch nur noch auf ein eingeschränktes Marktpotenzial trifft und die deshalb auch nur geringe Wachstumsmöglichkeiten bietet.
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4. So entwickeln Sie Ihr Sortiment zukunftsund ertragsorientiert weiter Das Leistungsprogramm Ihres Unternehmens – auch Sortiment genannt – setzt sich aus der Gesamtheit der Einzelprodukte zusammen. Durch bewusste Gestaltung der Produktebene können Sie Ihr Sortiment unter Zukunfts- und Ertragsaspekten optimieren. In Abhängigkeit davon, wann Sie innerhalb des Produkt-Lebenszyklus aktiv werden, kann zwischen vier produktbezogenen Maßnahmenbereichen unterschieden werden (vgl. Meffert, 2000, S. 360 ff.): •
Produktinnovationen entstehen, wenn Firmen technische Neuerungen erstmalig anbieten, unabhängig davon, ob andere dies vor Ihnen schon getan haben. 'Neu' ist dabei relativ zu sehen. Es wird von jedem selbst festgelegt. Die Spannweite geht von der Weltneuheit, z.B. erster PC, über die Neuheit für einen bestimmten Markt, z.B. Fast Food in Deutschland, das bereits in USA eingeführt war, bis zur Neuheit für eine Zielgruppe, obwohl andere Zielgruppen mit ähnlichen Lösungen bereits bedient werden, z.B. die Übertragung des Post-it-Prinzips auf Flipcharts.
•
Produktdifferenzierung baut auf einem bereits eingeführten Produkt auf. Durch Veränderung einzelner Elemente entstehen parallel Produktvarianten, mit denen die Firma den Bedürfnissen unterschiedlicher Zielgruppen gerecht werden will. BMW geht diesen Weg, indem aus einer 3-er Limousine ein Coupé, ein Touring, ein kürzerer Compact, ein Cabrio und ein extrem sportliches M-Modell entwickelt werden. Jeder Fahrzeugtyp zielt auf eine andere Käufergruppe ab.
•
Produktverbesserung zielt auf die Veränderung/Verbesserung von Produkten ab, die bereits im Markt eingeführt sind. Die Anzahl der Produkte bleibt dabei unverändert. Nach dem Grad der Veränderung unterscheidet man zwischen Produktpflege, die eher kleinere Änderungen umfasst, und Produktmodifikation, also einer grundlegenden Produktüberarbeitung, die im englischen Sprachraum mit 'Relaunch' bezeichnet wird. Durch eine grundlegende Überarbeitung soll sich das Produkt wieder von den mittlerweile vergleichbaren Wettbewerbsprodukten abheben und damit noch mal einen Wachstumsschub ermöglichen. Ein gelungener Relaunch bringt nicht nur neues Wachstum sondern auch eine Verlängerung des Lebenszyklus mit sich.
•
Produktaufgabe – Sortimentsbereinigung soll eine zwischenzeitlich zu groß gewordene Leistungspalette wieder verkleinern. Durch Abbau von
28 SO ENTWICKELN SIE IHR SORTIMENT ZUKUNFTS- UND ERTRAGSORIENTIERT WEITER
Verlustbringern und Produkten mit geringen Deckungsbeiträgen sowie durch Reduktion der Vielfaltskosten wird die Ertragskraft verbessert. Konzentration steigert die Leistungsfähigkeit insgesamt, und letztlich kann auch das Profil der Firma durch Rückbesinnung auf die Kernkompetenzen wieder geschärft werden. Etliche Gründe sprechen dafür, der Sortimentsbereinigung mehr Aufmerksamkeit zu widmen, als dies heute in vielen Unternehmen der Fall ist. Diese produktpolitischen Maßnahmen können dem Produkt-Lebenszyklus zeitlich gut zugeordnet werden. Mit diesen vier Maßnahmenbereichen wollen wir uns nun im Detail beschäftigen. Produktverbesserung
Umsatz/ Gewinn ProduktProduktdifferenzierung
ProduktProduktaufgabe
ProduktProduktinnovation
Einführungsphase
Wachstumsphase
Reife-, Sättigungsphase
Rückgangsphase
Bild 5: Maßnahmen im Produkt-Lebenszyklus-Management
Zeit
MIT INNOVATIONEN DIE ERFOLGSBRINGER FÜR MORGEN SCHAFFEN
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5. Mit Innovationen die Erfolgsbringer für morgen schaffen Wer träumt nicht von tollen Innovationen, die vom Markt und von den Medien begierig aufgenommen werden und die einen vorübergehend jeglichen Wettbewerb vergessen lassen? Innerhalb der produktpolitischen Maßnahmen ist das Finden und Einführen neuer Produkte die 'Königsdisziplin'. Viele Firmen, gerade aus dem Mittelstand, beweisen tagtäglich, dass es immer wieder möglich ist, Neues zu entdecken und mit interessantem Nutzen bei den richtigen Zielgruppen zu platzieren. Der Begriff 'Innovation' wird heute sehr weit gefasst. Neben der reinen Produktinnovation sind auch Konzeptinnovationen, z.B. ein völlig neuer Vertriebsweg über das Internet, Serviceinnovationen, z.B. ein 24-StundenBestellsystem, oder Fertigungsinnovationen denkbar. So wurde beispielsweise die Swatch-Uhr als preiswerte Modeuhr nur möglich durch neue kostengünstige Fertigungsverfahren. Hier wollen wir uns auf Produktinnovationen beschränken, wobei 'Produkt' immer als Oberbegriff für alle betrieblichen Leistungen verwendet wird. Übrigens: Kennen Sie den Unterschied zwischen 'Erfindung' und 'Innovation'? – Bei der Erfindung ruft der Erfinder 'hurra', bei der Innovation der Markt! Dies ist sicher etwas überspitzt formuliert, aber Innovation sollte nicht mit 'Erfindung' oder mit höchster Technologie verwechselt werden, denn eine Innovation ist immer auf neuen, zusätzlichen Nutzen für eine Zielgruppe ausgerichtet. Nur wenn die angesprochene Kundengruppe den Nutzen einer neuen Leistung für sich erkennt und diese dann auch tatsächlich beschafft, dann hat diese Innovation ihr eigentliches Ziel erreicht, nämlich Markterfolge zu erzielen. Natürlich sind viele Marktneuheiten aus dem technischen Fortschritt, also aus technischen Erfindungen, entstanden. Die technische Lösung allein reicht jedoch in der Regel nicht aus; sie muss auf die Erwartungen der Zielgruppe abgestimmt sein und wirkungsvoll vermarktet werden. Nicht immer setzen sich deshalb die technisch besten Konzepte im Markt durch, wie z.B. das Grundig Videorecordersystem 2000, das gegen das international vermarktete japanische VHS-System schnell zum Exoten im Markt geworden war. Innovationen bieten große Chancen; sie beinhalten aber auch Risiken:
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Chancen mit neuen Produkten: •
Durch die Fähigkeit, Innovationen in kürzester Zeit auf den Markt zu bringen, ist das Unternehmen in der Lage, sich rechtzeitig und schnell an Marktveränderungen anzupassen und Kundenwünsche noch genauer zu erfüllen.
•
Echte Innovationen schaffen Wettbewerbsvorteile bis hin zu einer vorübergehenden Alleinstellung.
•
Erfolgreiche neue Produkte wirken sich positiv auf das Image des Unternehmens aus.
•
Neue Produkte beinhalten die Chance für Zusatzumsatz; sie erschließen zukünftige Umsatzpotenziale. Innovative Firmen wachsen schneller und verdienen dabei besser.
•
Neue Produkte, die bestehende sinnvoll ergänzen, verbessern die Sortimentskompetenz.
•
Neue Leistungsbereiche führen zu einer Risikoverteilung; das Unternehmen steht auf mehreren 'Produktbeinen'.
Risiken mit neuen Produkten •
Hohe Investitionen für Entwicklung und Markteinführung, die im schlimmsten Fall nicht zurück verdient werden können ('Flop').
•
Die Entwicklung wird länger und teurer, als geplant; die Gewinnschwelle verschiebt sich, wenn höhere Preise nicht durchsetzbar sind.
•
Das neue Produkt ersetzt ein anderes eigenes Produkt und schafft somit keinen Zusatzumsatz und kein Unternehmenswachstum. Man nennt diesen Effekt 'Kannibalisierung'.
•
Neuproduktentwicklungen haben eine nach Branchen unterschiedliche, aber zum Teil hohe Misserfolgswahrscheinlichkeit.
•
Ein nicht erfolgreiches Produkt beinhaltet die Gefahr eines Imageverlustes bei der Zielgruppe.
Für Innovationen gibt es keine Erfolgsgarantie. Solche Aktivitäten, die in die Zukunft hinein gerichtet sind, erfolgen immer unter Unsicherheit und deshalb auch mit Risiken. Durch systematische Arbeit im Neuproduktentstehungsprozess kann das Risiko abgemildert werden. Diesen Prozess wollen wir hier besprechen und uns seine einzelnen Phasen genauer anschauen (siehe Bild 6).
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Alternativ zur Eigenentwicklung könnte ein Unternehmen Innovationen auch durch Übernahme ganzer Unternehmen (Einkauf in neue Technologien), durch Kauf von Patenten oder durch die Übernahme von Lizenzen oder Franchise-Konzepten zukaufen. Verantwortung Marketing/ Produktmanagement
IDEEN
Grobfilter
Feinfilter Go-Entscheidung UL
Lastenheft/ Pflichtenheft
Verantwortung F&E Meilensteinentscheidungen
Markteinführungskonzept Einführungskontrolle
Tests
Produktfreigabe Markteinführung INNOVATION
Bild 6: Der Neuproduktentstehungsprozess
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Voraussetzung für Innovation ist, dass möglichst viele Ideen vorhanden sind. Diese gilt es zu prüfen und zu bewerten. Hierzu schlagen wir einen zweistufigen Ausfilterungsprozess vor. Nach einer 'Go-Entscheidung', die meist relativ weit oben im Unternehmen getroffen wird, werden die konkreten Anforderungen an das neue Produkt und an dessen Entwicklung in Form von Lasten- und Pflichtenheft konkretisiert. Nun beginnt die eigentliche Entwicklungsphase, meist unter der Federführung von F+E, bei der Anwender- und Akzeptanztests nicht ausgelassen werden sollten. Mit der Produktfreigabe nehmen die Auftraggeber die Entwicklungsleistung offiziell ab. Die Markteinführung kann gestartet werden. Marketing bzw. das Produktmanagement haben in diesem Prozess eine Initiativ-Funktion. Dieser Prozess läuft ab, bevor mit der Markteinführung ein Lebenszyklus überhaupt beginnen kann. So gesehen gibt es firmenintern diese Produktentwicklungsphase, die dem eigentlichen Lebenszyklus vorgeschaltet ist, die aber ganz wesentlich den späteren Erfolg des Produktes beeinflusst.
Umsatz/ Gewinn
Umsatz
Gewinn
Produktentwicklungsphase
Einführungsphase
Wachstumsphase
Reife-, Sättigungsphase
Rückgangsphase
Zeit
Bild 7: Lebenszyklus mit vorausgehender Produktentwicklungsphase
Das Schaffen neuer erfolgreicher Produkte ist nicht, wie fälschlicherweise manchmal geäußert wird, nur eine Frage der Kreativität, sondern es ist konzentrierte, systematische Arbeit unter Einbeziehung mehrerer Personen und Abteilungen. Oder, anders ausgedrückt: 'Innovation ist nur zu 5 Prozent Inspiration aber zu 95 Prozent Transpiration'. Viele Firmen haben heute offensichtliche Schwächen, den Innovationsprozess bei sich erfolgreich zu gestalten. Mit der Hauptschwäche der Großunterneh-
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men – die mangelnde Risikobereitschaft der Manager – haben mittelständische Unternehmen nicht zu kämpfen. Sie sind deutlich risikobereiter (vgl. Berth, 2001, S. 336 ff.). Eine Studie des Instituts für Unternehmensführung der Universität München belegt, dass der Mittelstand dem Thema 'Produktinnovation' den höchsten Stellenwert beimisst (vgl. Burger u.a., 2006, S. 33). Allerdings wird dort weniger an 'Durchbruchsinnovationen' gedacht, sondern an viele kleinere und größere Neuerungen, die ein Produkt, einen Service oder einen Prozess deutlich verbessern und einen direkten Kundennutzen erbringen. Nach diesem kurzen Überblick wollen wir zeigen, worauf es in den einzelnen Phasen besonders ankommt.
5.1 So schaffen Sie Ideenvielfalt Am Anfang steht immer eine Idee – aber die Hälfte der kleinen und mittelständischen Unternehmen hat bereits große Schwierigkeiten bei der Ideenfindung. Da die Ausfallsrate von Produktideen im Laufe des gesamten Innovationsprozesses sehr hoch sein kann, ist es wichtig, in dieser Phase möglichst viele Ideen zu gewinnen. Hier gilt das "Gesetz der großen Zahl". Je mehr Ideen vorliegen, desto größer ist die Chance, dass eine "zündende" dabei ist. In dieser Stufe des Innovationsprozesses spielt die Kreativität, aber auch das gezielte Erfassen der Kundenbedürfnisse eine besondere Rolle. Im Konsumgüterbereich, so haben empirischen Untersuchungen gezeigt, sind durchschnittlich 77 Ideen in Form von Basiskonzepten erforderlich, um einen einzigen Treffer landen zu können (vgl. Berth, 2001). Ideen für neue Produkte können aus einer Vielzahl von Quellen sprudeln. Tabelle 4 gibt einen Überblick.
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Tabelle 4: Quellen für Neuproduktideen Externe Quellen
Interne Quellen
•
Zielgruppen und hier besonders Kunden
•
Vertrieb Kundenideen, ungelöste Kundenprobleme
•
Absatzmittler - Händler
•
F&E-Abteilung technische Ideen, neue technische Lösungen
•
Lieferanten
•
Technischer Service; Erkenntnisse direkt von den Anwendern
•
In- und ausländische Wettbewerber
•
Fehleranalysen aus Kundendienstprotokollen
•
Marktforschungsinstitute
•
Produktionsabteilung; Qualitätszirkel
•
Forschungsinstitute
•
Beschaffung/Einkauf
•
Wissenschaftler an Hochschulen
•
Marktforschungsabteilung
•
Patentrecherchen
•
Geschäftsleitung
•
Designagenturen
•
andere Produktmanager
•
Erfinder
•
Mitarbeiter aller Abteilungen betriebliches Vorschlagswesens
•
Fachpresse
•
Innovationszirkel; Kreativteams
•
Internet
•
Auswertung von Kundenbeschwerden
•
Messen/Ausstellungen/Kongresse
•
Reklamationsauswertungen
•
Innovationsberater
•
Benchmarking – Vergleich mit Wettbewerbsprodukten
Am wichtigsten sind die marktbezogenen Quellen, also Kunden, Händler und Lieferanten, aber nur, wenn Sie aktiv auf diese Partner zugehen. Gegenüber den Kunden und Händlern hat der Vertrieb die Aufgabe, neben dem Verkaufen auch noch Bedarfsforschung zu betreiben. Da dies nicht kurzfristig umsatzwirksam ist, vermeiden viele Verkäufer gerne derartige Fragen. Motivierte Verkäufer, die sich bemühen, Ideen weitergeben, verlieren schnell die Lust, wenn sie das Gefühl haben, dass ihre Anregungen im Haus nicht aufgegriffen werden. Hier hat zum einen die Vertriebsführung eine Motivationsaufgabe. Zum zweiten kann die Ideensuche bei Kunden angeregt werden, indem in den Außendienstberichten eine spezielle Rubrik für Kundenanregungen und -ideen eingerichtet wird. Zum dritten hilft eine verbesserte Feedback-
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Kultur. Die Verantwortlichen im Marketing sollten den Ideengebern eine Rückmeldung geben, was sie mit ihrer Idee machen werden. Auch auf Vertriebstagungen lässt sich gut präsentieren, wie welche Ideen aufgegriffen und umgesetzt wurden. Gleiches gilt für die Einkäufer und deren Gespräche mit Lieferanten. Auch sie kennen die Technologien und den Wettbewerb. Nach einer amerikanischen Studie haben Ideen von Lieferanten und Kunden besonders positive Einflüsse auf den späteren Erfolg von Innovationen. Sie können aber auch noch aktiver werden, indem z.B. Produktmanager in Abstimmung mit dem Vertrieb direkt auf ausgewählte Kunden zugehen und sie bitten, ihnen, die ja nichts verkaufen wollen, eventuelle Probleme mit den derzeitigen Produkten zu schildern. PM können auch die Anwender beim Einsatz der Produkte beobachten und so eventuelle Verwenderprobleme entdecken (siehe dazu Beispiel der Firma Schroff in Tabelle 5). Interessante Ergebnisse bringen auch moderierte Gesprächsrunden mit Kunden oder Verwendern sowie Kundenbefragungen. Tabelle 5: Fallbeispiel – Innovationsideen aus Anwenderforschung Die Schroff GmbH stellt Verkabelungsschränke und Gehäuse her. Ein klassischer Verkabelungsschrank besteht aus einer Rahmenkonstruktion mit Trägern im Inneren, an denen alle Schaltelemente und Kabel montiert werden. Der Platz im Schrank ist begrenzt und das Handling im Schrankinneren ist mühsam. Die Schroff-Leute haben sich intensiv mit den Verwendern und ihren Problemen beschäftigt. Sie sind den Technikern auf die Baustelle gefolgt und haben deren Arbeit genau beobachtet. Es haben Gesprächsrunden mit Planern, Ingenieuren und mit Facharbeitern stattgefunden, um herauszufinden, was beim Einsatz solcher Schränke Probleme macht und was deren Herausforderungen in ihren Märkten sind. Dabei wurde deutlich, dass der Bestückungsvorgang als solcher zeit- und damit kostenintensiv ist und dass der Preisdruck in deren Märkten zunimmt. Diese Anregungen haben zu einem vollkommen andersartigen Schrankkonzept geführt, dem so genannten 'comrack'. Hier besteht die Grundfläche aus einer H-förmigen Bodenplatte, so dass die tragenden Teile nach innen verlegt werden konnten. Alle Verkleidungen sind einfach abnehmbar; das Gerippe ist leicht zugänglich. Die Kabel können nun einfach eingelegt werden und brauchen nicht mehr mühsam eingefädelt zu werden. Statt bislang 300 können hier maximal 600 Kabel verlegt werden. Obwohl der comrack im Kauf teurer ist, ist er für die Anwender die deutlich kostengünstigere und die angenehmer zu bearbeitende Lösung.
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Bei technischen Produkten sollten die Kundenkontakte der Servicemitarbeiter nicht ungenutzt bleiben. Kundendiensttechniker sind oft die einzigen, die mit dem Anwender oder Bediener sprechen können und so deren Probleme im täglichen Umgang mit den Produkten aus erster Hand erfragen können. Zudem können sie aus ihrer Servicetätigkeit häufig Hinweise für Produktverbesserungen geben. Neben Ideen, die bei Marktpartnern erfragt werden, gibt es auch noch die Möglichkeit, Ideen im Unternehmen zu kreieren. Hierzu zählt einmal das betriebliche Vorschlagswesen, über das alle Mitarbeiter in die Ideenproduktion einbezogen werden, und die Anwendung von Kreativitätstechniken. Bei richtigem Einsatz dieser Techniken können kleine Teams bewusst zu vorgegebenen Themen neue Einfälle entwickeln (zu kreativen Techniken vgl. Knieß, 2006). Nach unserer Erfahrung wird im Mittelstand die Kreativität der eigenen Mitarbeiter zu wenig aktiviert: Mögliche Ursachen sind zu hoher Arbeitsdruck als Folge restriktiver Personalpolitik, eine F+E-Abteilung, die das 'Monopol' für Innovation hat, der Chef, der alles besser weiß, fehlende Bereitschaft, Neues anzunehmen (Killerphrasen: das haben wir doch schon immer so gemacht) und zu wenig Erfahrungen mit dem wirkungsvollen Einsatz von Kreativitätsmethoden. Aus einer Beobachtung und Analyse von Wettbewerbsprodukten können ebenfalls Anregungen entstehen. Im Rahmen des Benchmarking wird versucht, sich mit den eigenen Produkten an den Branchenbesten zu messen. Hierbei können Leistungslücken eigener Produkte deutlich werden. Diese Erkenntnisse helfen jedoch mehr in Richtung Produktverbesserung/-optimierung. Insgesamt empfinden wir beim Thema 'Innovation' den Vergleich zum Wettbewerb nur bedingt als hilfreich, denn er macht lediglich deutlich, was andere schon gelöst haben. Er führt selten zu wirklich neuen Ideen. Andere Ideenquellen haben einen eher passiven Charakter. Wenn sie regelmäßig genutzt werden, kann sich aber auch daraus die eine oder andere fruchtbare Idee ergeben. Entscheidend ist, dass die Ideen auch bei den Stellen im Unternehmen ankommen, die sie weiter vorantreiben werden. Hauptansprechpartner sind normalerweise Produktmanager (vgl. Lippmann, 2005, S. 164) oder, falls es solche nicht geben sollte, das Marketing und bei kleinen Unternehmen auch die Chefs, die nicht selten Neuproduktpolitik zur Chefsache machen. In der Praxis gehen heute zu viele Ideen verloren. Oft fehlt ein Ideenmanagement. Ideen wären vorhanden, aber sie gelangen nicht an die richtigen Stellen und werden deshalb nicht in die Entscheidungen einbezo-
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gen. Wir brauchen klare Ansprechpartner innerhalb des Unternehmens. Jeder Mitarbeiter sollte wissen, auf welchem Weg er seine Ideen ins Unternehmen einbringen kann. Der Zugang sollte für jeden so einfach wie möglich sein. Die innerbetriebliche Vernetzung in Verbindung mit Datenbanksystemen schafft dazu optimale technische Voraussetzungen. Eine Ideendatenbank, in die jeder oder jedes Team seine Vorschläge eingeben kann und aus der auch ersichtlich ist, wer einzelne Ideen aufgreift und was damit gemacht wird, wäre ein Schritt zum modernen Wissensmanagement im Unternehmen. Inwieweit sich Ihre ganze Organisation mit Energie und Freude an der Ideensuche beteiligt, hängt ganz wesentlich davon ab, welchen Stellenwert das Thema 'Innovation' in Ihren Firmenzielen hat und ob Sie ein Klima im Unternehmen haben schaffen können, in dem Neues gewünscht und gefördert und Mut zum innovativen Risiko honoriert werden. Wer Nachteile wegen Flops zu befürchten hat, taucht lieber in das graue Heer der Risikovermeider ab. Diese aber bewegen nichts.
5.2 Wer die Wahl hat, hat die Qual – welche Produktideen sollen weiter verfolgt werden? Nach einer erfolgreichen Ideensammlung geht es nun um die Reduktion der Vielfalt. Die einzelnen Neuproduktideen sind zu prüfen und zu bewerten, um 'die Spreu vom Weizen' zu trennen. In diesem Ausleseprozess bewegen Sie sich auf einer Gratwanderung. Zum einen werden Sie bemüht sein, Ablehnungsfehler zu vermeiden, d.h. Ideen zu schnell fallen zu lassen. Vielleicht haben Sie sich auch schon einmal über Wettbewerber geärgert, die mit einer Idee erfolgreich waren, die Sie doch eigentlich zuerst gehabt hätten. (Wussten Sie, dass das Telefax ursprünglich von Siemens entwickelt worden ist?) Andererseits werden Sie auch gegen Annahmefehler ankämpfen, denn hier würden Sie Ideen weiter bearbeiten, die sich schlimmstenfalls erst im Markt als Fehlschlag herausstellen. Bis dorthin wären aber bereits beträchtliche Ressourcen verbraucht worden; ein Verlust wäre die Folge. Das Abschätzen der Erfolgswahrscheinlichkeiten von Neuproduktideen wird in vielen mittelständischen Unternehmen wenig systematisch durchgeführt. Entscheidungen werden hier oftmals rein intuitiv getroffen. Um die Gefahr von Fehlentscheidungen möglichst gering zu halten, empfehlen wir folgende Systematik bei der Weiterverarbeitung Ihrer Produktideen:
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Ideendatenbank
Ideenaufbereitung
- k.o.k.o.-Kriterien - BewertungsBewertungsKriterien
schnelle Grobauswahl
Idee verwerfen
Feinauswahl: WirtschaftlichkeitsWirtschaftlichkeitsanalysen und Konzepttests
Idee verwerfen
Entscheidung Neuproduktgremium
Idee verwerfen
Projektantrag
- Produktkonzept - Konzepttests - MarktMarkt- und BetriebswirtBetriebswirtschaftsanalysen
Stop
Go Bild 8: Systematische Weiterverarbeitung von Produktideen
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In der Regel werden es Produktmanager oder Marketingverantwortliche sein, die sich Ideen aus der Ideendatenbank herausholen, die in ihren Produktmarkt passen, bzw. in ihren Verantwortungsbereich gehören. Die Qualität der Ideenbeschreibungen und -konkretisierungen wird sehr unterschiedlich sein. Außerdem ist denkbar, dass ähnliche Ideen aus verschiedenen Quellen genannt wurden, die zu einem Thema zusammengefasst werden können. Deshalb ist der erste Schritt eine Ideenaufbereitung. Hier soll jede Idee benannt und so konkret beschrieben werden, dass der Kerngedanke dieser Idee deutlich wird. Gegebenenfalls sind hierzu Rückfragen beim Ideengeber erforderlich. In der Grobauswahl wird auch in zwei Schritten gearbeitet. Jede benannte Produktidee zuerst in einer Vorauswahl anhand weniger K.O.-Kriterien bewertet. Bestimmen Sie für sich, ob zwei oder vielleicht sogar nur ein nicht erfüllter Punkt ausreichen sollen, um eine Idee zu kippen. In Tabelle 6 finden Sie einen Vorschlag, mit welchen Kriterien gearbeitet werden kann. Während die Punkte 1 - 5 eindeutige K.O.-Kriterien sind, sind die Punkte 6 - 8 etwas anders zu sehen, denn Strategien, Sortiment und Absatzwege sind veränderbar. Es wären jedoch tief greifende Einschnitte, die gut überlegt sein wollen. Deshalb können Ideen, die diese Punkte nicht erfüllen, trotzdem weiter untersucht werden, wenn dort große Chancen vermutet werden.
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Tabelle 6: Grobauswahl – Bewertungsraster für die Vorauswahl
Produktidee:
__________________________________________________ __________________________________________________ __________________________________________________ ja
nein
1.
Passend zu unserer Firmenphilosophie
2.
Gesetzlich zulässig
3.
technisch-physikalisch machbar
4.
(Inlands-)Markt vorhanden oder erzeugbar?
5.
Zugang zu notwendigem Technologie-Know how vorhanden oder schaffbar
6.
Strategiekonform
7.
Verträglich mit unseren anderen Produkten
8.
Wenn auf einem Absatzweg fixiert: Vertrieb über diesen Absatzweg möglich?
Resümee:
Idee weiterverfolgen Idee zurückstellen Idee uninteressant Ö löschen
Ideen, die diese Erstbewertung überstanden haben, werden nun in einem zweiten Schritt einer genaueren Analyse unterzogen. Der 'owner' dieser Idee, also derjenige, der sie weiter vorantreiben möchte, wird nun schnelle und wenig aufwendige Markteinschätzungen vornehmen, um dem Bewertungsteam eine Entscheidungshilfe geben zu können. Das Bewertungssystem einer Messgerätefirma in Tabelle 7 macht deutlich, mit welchem Konkretisierungsgrad hier gearbeitet werden soll.
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Tabelle 7: Praxisbeispiel: Zweite Bewertungsstufe in der Grobauswahl Gewicht Themen
Bewertungskriterien
Bewertung 5
3/2/1
4
(++)
Produktidee - völlig neuer Kundennutzen - schützbar z.B. patentfähig Zielmarkt/ - für internationalen Markt Zielgruppe - ermöglicht Erschließung vieler neuer Kunden in unserer Zielgruppe - Markeintritt erfordert keinen Investitionsbedarf Wettbewerb - deutliche Wettbewerbsvorteile; Alleinstellungsmerkmale Absatzwege/ - ausschließlich heutige nutzbar Distribution - niedrige Eintrittsbarrieren für neue Distributionswege - steigert den Umsatz Sortider alten Produkte mentsauswirkung - bringt Zusatzumsatz Entwicklung - überschaubar; geringe Risiken - kurzfristig realisierbar - benötigtes Knowhow vorhanden Produktion
- mit vorhandenen unausgelasteten Maschinen möglich Gewichteter Punktwert: Resümee: Idee weiterverfolgen Idee zurückstellen
3
2
1 (--) - kein neuer Kundennutzen - nicht schützbar - nur für regionale Märkte - führt zu abnehmender Kundenzahl - Markteintritt erfordert hohen Investitionsbedarf - keine Wettbewerbsvorteile - ausschließlich neu erforderlich - hohe Markteintrittsbarrieren - verringert den Umsatz der alten Produkte - kein Zusatzumsatz ersetzt vorhandene Produkte - kaum abschätzbar; hohe Risiken - längerfristig; erfordert Grundlagenforschung - Know-how ist gänzlich neu zu beschaffen - erfordert völlig neue Maschine
Idee uninteressant Ö löschen
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Die Gegensatzpaare können im Team schnell bewertet werden. Der Gewichtungsfaktor erlaubt es, für die Firma besonders wichtige Kriterien, z.B. Kernaussagen der Firmenstrategie, mit maximal '3' höher zu gewichten. Bei unserer Beispielfirma wurden alle Kriterien in Richtung Wachstum höher bewertet, weil 'Wachstum' ein erklärtes Unternehmensziel war. Ideen mit hohen gewichteten Punktwerten werden weiter bearbeitet, wobei die Grenze relativ, also im Vergleich mit der Bewertung anderer Ideen, gezogen wird. Durch solche Bewertungssysteme und durch die gemeinsame Entscheidung im Team wird die Ideenauswahl objektiviert. Tragisch ist, wenn gute Ideen mit den typischen Killerphrasen wie: 'das geht bei uns nicht', 'das haben wir früher schon mal ohne Erfolg gemacht', 'das ist in unserer Branche nicht üblich' oder 'jetzt ist dafür nicht der richtige Zeitpunkt' ohne Sachargumentation kaputt geredet werden. Bei den dargestellten Bewertungsverfahren ist die Entscheidung nachvollziehbar, und sie wird im Konsens auf der Basis qualifizierter Einschätzungen getroffen. Nur ausgewählte Ideen werden in der Feinauswahl noch detaillierteren Wirtschaftlichkeitsanalysen und vielleicht sogar Tests des Produktkonzeptes unterzogen. Da der Arbeitsaufwand hierfür beträchtlich sein kann, gibt es Firmen, die vor der Weiterarbeit eine Genehmigung durch ein Gremium vorgesehen haben. Vor diesem Gremium präsentieren die 'owner' ihre ausgewählten Ideen mit der dazugehörigen Bewertung. Nur wenn auch dieses Gremium überzeugt werden kann, gibt es grünes Licht für den nächsten detaillierten Bewertungsschritt. Andere Firmen überlassen diese Entscheidung dem Marketing. Dort will die Unternehmensleitung nur konkret realisierbare Ideen präsentiert bekommen. Nun werden also die betriebswirtschaftlichen Auswirkungen dieser möglichen Innovation beleuchtet. Um diese rechenbar machen zu können, muss die Produktidee in Form eines Produktkonzeptes konkretisiert werden, und es sind bereits in dieser frühen Phase Überlegungen zum Markteinführungskonzept anzustellen. Mit einem Produktkonzept wird eine Idee soweit konkretisiert, dass sich die Entscheider und auch eventuelle Kunden die Innovation ausreichend genau vorstellen können. Bei einem gesundheitsorientierten Müsliriegel z.B. stellt sich die Frage nach der Zielgruppe. Ein 'Kinder'-Produkt zum Naschen wird anders aussehen als ein 'Senioren'-Snack für neue Energie zwischendurch. Es unterscheiden sich die verwendeten Rohstoffe, Größe, Form und Farbe. Je nach Positionierung wird auch das Marketingkonzept mit unterschiedlicher
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Preisstellung, deutlich anderen Absatzwegen und verschiedenartiger Werbung grundverschieden ausfallen. Vom Zielmarkt hängen wiederum die absetzbaren Mengen ab. Solche Überlegungen sind schon in dieser frühen Phase ergänzend zu einer Idee anzustellen, um deren wirtschaftliche Auswirkungen ermitteln zu können. Bei technischen Produkten gibt es das Instrument QFD – Quality Funktion Deployment, mit dem Kundenwünsche in konkrete Funktionen und Leistungen eines Produktes übersetzt werden. Grundlage von QFD ist die Trennung der Kundenanforderung (was wird gefordert?) von den technischen Funktionen des Produkts (wie wird es erfüllt?). Die Ergebnisse des QFD-Prozesses werden im so genannten 'House of Quality' visualisiert. (vgl. dazu Klein, 1999). Das House of Quality sorgt dafür, dass Forschung und Entwicklung aus Kundensicht gelenkt werden. Es ist die Schnittstelle zwischen Ihren Kunden, dem Marketing und der F+E in Ihrem Unternehmen. Ein Quality Function Deployment (QFD) führen Sie am besten im Team und im Rahmen von Workshops durch. Als Vorbereitung definieren Sie zunächst das Marktsegment und die Zielgruppe, die Sie mit Ihren Leistungen oder Ihrem Produkt ansprechen wollen. Je klarer Sie Ihre Zielgruppe definieren, desto klarer können Sie anschließend Ihre Leistungen treffsicher auf diese ausrichten. Die Methode QFD besteht aus den folgenden neun Arbeitschritten: 1. Im ersten Schritt erfassen Sie genau die Anforderungen und Wünsche Ihrer Zielgruppe. Sie können diese von Ihrem Vertrieb erfragen lassen, ein Marktforschungsinstitut einschalten, Ihre Kunden selbst befragen oder beobachten. Dabei kann zwischen Basisanforderungen, Leistungsanforderungen und Begeisterungsanforderungen unterschieden werden. Aus diesen Anforderungen erstellen Sie ein House of Quality (vgl. Bild 9) Konzentrieren Sie sich auf die etwa zehn wichtigsten Anforderungen. Fassen Sie gegebenenfalls einzelne Anforderungen zusammen. 2. Da für den Kunden nicht alle Kriterien die gleiche Bedeutung haben, gewichten Sie im zweiten Schritt die Kundenanforderungen nach ihrer Wichtigkeit für die Kaufentscheidung. Verteilen Sie die zu vergebenden 100 Punkte auf die jeweiligen Anforderungen (in diesem Beispiel für "hohe Sicherheit" – 30 Punkte, "großes Platzangebot" – 10 Punkte etc.). 3. Nun ziehen Sie den Wettbewerb in die Analyse mit ein. Beschränken Sie sich auf die drei bis vier wichtigsten Wettbewerber. Bewerten Sie die Leistungen Ihrer Wettbewerber und ihres eigenen Produktes bezüglich der im vorigen Schritt ermittelten Kundenanforderungen anhand einer Skala von
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0 bis 5. Geben Sie eine 0 ein, wenn eine Kundenanforderung wie z.B. niedriger Verbrauch nicht erfüllt ist und z.B. eine 5, wenn die Kundenanforderung "hohe Sicherheit" außerordentlich gut erfüllt ist. 4. Die ermittelten Kundenwünsche werden in diesem Schritt in technische Leistungsmerkmale Ihrer Produkte und Dienstleistungen umgesetzt. Listen Sie alle Merkmale auf, die tatsächlich zur Realisierung von Kundenwünschen beitragen (hier im Beispiel "Karosseriedesign", "Exterieur"). Sie können dies beispielsweise anhand der wesentlichen Baugruppen oder Funktionen Ihrer Produkte tun. Denken Sie aber auch an produktbegleitende Dienstleistungen und Services, die helfen können, die Kundenanforderungen zu erfüllen. Die Merkmale sollten so allgemein formuliert sein, dass damit nicht schon festgelegt wird, mit welcher Technik das Merkmal erfüllt werden wird. Diese technische Ausprägung wird erst später festgelegt. Konzentrieren Sie sich auf die wichtigsten fünf bis zehn Merkmale, da die Matrix sonst zu unübersichtlich würde. 5. Nun zeigen Sie die Interdependenzen zwischen den Leistungsmerkmalen auf. Vor allem bei komplexen Kundenproblemen müssen die Abhängigkeiten zwischen den technischen Spezifikationen geklärt werden, um komplementäre, neutrale oder konfliktträchtige Beziehungen offen zu legen. Im "Dach" des House of Quality vergeben Sie ein +, wenn die Verbesserung bei einem Merkmal zu einer Verbesserung beim anderen Merkmal führt, ein –, wenn die Verbesserung bei einem Merkmal zu einer Verschlechterung beim anderen Merkmal führt, eine 0 oder ein leeres Feld, wenn keine Zusammenhänge vorliegen. 6. Erstellen Sie im sechsten Schritt eine Beziehungsmatrix zwischen Kundenwünschen und technischen Anforderungen. Beurteilen Sie, in welchem Maße die technischen Merkmale zur Erfüllung der Kundenanforderungen beitragen (1 = schwacher Zusammenhang, 3 = mittlerer; 9 = starker Zusammenhang). Dabei erkennen Sie, ob Sie alle Kundenanforderungen durch Ihre Leistungen abdecken, und Sie sehen, ob alle Ihre Leistungen von Kunden überhaupt gefordert werden. Hier können Zielkonflikte auftreten, falls ein bestimmtes technisches Detail die Erfüllung eines oder mehrerer Kundenwünsche behindert. 7. Bewerten Sie nun die Leistungsmerkmale mithilfe der Gewichtungen, die Sie in Schritt 2 festgelegt haben. Sie ermitteln so die Bedeutung der einzelnen technischen Merkmale für die Erfüllung der Kundenbedürfnisse.
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Das "Karosseriedesign" hat in diesem Beispiel den höchsten Punktwert (780) und trägt daher am meisten zur Erfüllung der Kundenanforderungen bei. 8. Die einzelnen technischen Merkmale werden nun unter Angabe quantifizierbarer Messkriterien, z.B. Gewicht in Kilogramm, sowohl für Ihr eigenes Produkt als auch für die Produkte der Wettbewerber näher bestimmt. Falls dies nicht möglich ist, bewerten Sie die Leistungsmerkmale der Wettbewerber und ihre eigenen mit einer Skala von 0 (gar nicht erfüllt) bis 5 (sehr gut erfüllt). Sie erkennen, welche Leistungsmerkmale dazu führen, dass Wettbewerbslösungen von den Kunden als 'besonders gut' oder 'schlecht' bewertet werden. 9. Aus den Gewichten der einzelnen Leistungsmerkmale (siehe Schritt 7) und Ihrer Position im Wettbewerb leiten Sie nun die Ziele für die Entwicklung bzw. Produktverbesserung ab. Sie erkennen, welche Merkmale für die Kunden besonders wichtig sind und wo Sie im Vergleich zum Wettbewerb möglicherweise Defizite haben. Kundenwünsche mit hoher Priorität sollten dabei möglichst mit technischen Spezifikationen realisiert werden, die dem Konkurrenzprodukt überlegen sind. Damit haben Sie Ihr House of Quality gefüllt. Abschließend diskutieren Sie nochmals die Gesamtergebnisse im Team und leiten daraus konkrete Maßnahmen ab.
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Schritt 5: Abhängigkeiten bei Leistungsmerkmalen (positive Wechselwirkung = +, negative Wirkung = -, keine Wechselwirkung = 0) Karosseriedesign Exterieur Interieur Motor Antriebsstrang Aggregate Fahrwerk
Wir
Hersteller C
Hersteller B
Wettbewerber
Hersteller A
Elektronik
Fahrwerk
Aggregate
Antriebsstrang
Motor
Interieur
Exterieur
Schritt 4: Leistungsmerkmale/technische Merkmale Karosseriedesign
Schritt 2: Wichtigkeit
Elektronik
Schritt 1: Kundenanforderungen
100 Schritt 6: Zusammenhang: 1 schwach, 3 mittel, 9 stark
Schritt 3: Wettbewerbsvergleich Noten 0 (nicht erfüllt) bis 5 (sehr gut erfüllt)
hohe Sicherheit
30
9
3
9
3
1
1
9
9
4
4
5
4
großes Platzangebot
10
9
1
9
1
1
1
1
1
4
3
2
2
sportliches Fahren
30
9
3
3
9
9
3
9
3
4
4
5
3
niedriger Verbrauch
15
9
3
1
9
9
3
3
9
3
4
3
4
geringe Anschaffungskosten
5
1
3
9
9
3
9
3
3
3
4
4
2
viele Ausstattungen
10
1
3
9
1
1
1
1
9
5
5
5
3
Schritt 7: Gewichte 780 280 600 560 470 230 620 610 Schritt 8: Technischer Leistungsvergleich (wenn möglich, über konkrete Kennzahlen) Hersteller A
4
3
4
3
2
3
3
4
Hersteller A
Hersteller B
4
2
4
5
4
2
5
2
Hersteller B
Hersteller C
5
3
2
4
3
5
3
4
Hersteller C
Wir
4
3
2
5
3
2
4
5
Wir
Schritt 9: Zielwerte
Bild 9: House of Quality – Erfassung und Bewertung der Kundenanforderungen am Beispiel eines KFZ-Zulieferers
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Ein tiefgehender Ansatz, um neue Produkte und Dienstleistungen nutzenoptimal für die Zielgruppe gestalten zu können, ist eine Methode namens 'Conjoint-Measurement'. Mithilfe umfangreicher Marktforschung bei der Zielgruppe wird geklärt, welchen Nutzenbeitrag einzelne Bestandteile eines Angebotes erbringen. Solche Analysen gehen über das reine Produkt hinaus, denn es können beispielsweise auch der Einfluss des Preises, der Marke oder der Einkaufsstätte als 'Teilnutzwert' untersucht werden. Wenn so der Nutzenbeitrag einzelner Teilleistungen messbar geworden ist, kann eine Kombination von Leistungen gefunden werden, bei der der Gesamtnutzen für die Zielgruppe maximiert wird. Es könnte auch ermittelt werden, welchen Preis die Kunden für einzelne Produktmerkmale bereit sind zu zahlen. So kann mit Conjoint Measurement auch geklärt werden, welche Feature-Kombination bei einem Produkt wirklich sinnvoll wäre. Für eine tiefer gehende Beschäftigung mit dieser Methode möchten wir auf die entsprechende Fachliteratur verweisen (siehe dazu Tacke, 2003). Nach Abschluss der Wirtschaftlichkeitsanalyse sollte eine mittelfristige Vorschau – in der Regel drei oder fünf Jahre – für folgende Zahlen vorliegen: Tabelle 8: Kennzahlen einer Wirtschaftlichkeitsberechnung Vorlauf 1. Absatzmenge (Stück) 2. Durchschnittspreis (€/ Stück) 3. Umsatz (€) 4. variable Kosten (€) 5. Deckungsbeitrag I (€) 6. Entwicklungskosten (€) 7. Marketingkosten (€) 8. sonstige direkt zurechenbare Kosten (€) 9. Deckungsbeitrag II (€) 10. sonstige Zu-/ Abrechnungen (€) 11. Abschreibungen auf produktspezifische Investitionen (€) 12. Deckungsbeitrag III (€) 13. Diskontierter Deckungsbeitrag (z.B. erwartete Kapitalrendite + Risiko 15%) (€) 14. Kumulierter diskontierter Deckungsbeitrag (€)
Jahr 1
Jahr 2
Jahr 3
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In Zeile 8 gehören nicht aktivierungspflichtige Kosten, die aber eindeutig dieser Innovation zuzurechnen sind, z.B. Kosten für Testinstallationen. Unter Zuund Abrechnungen (Zeile 10) können zwei gegenläufige Effekte berücksichtigt werden. Zurechnungen sind zusätzliche Deckungsbeiträge, die durch den Mitverkauf anderer Produkte hinzukommen. Umgekehrt werden unter Abrechnungen DB-Verluste erfasst, die sich aus einer eventuellen Kannibalisierung ergeben. Bei sehr kurzlebigen Produkten orientieren sich die kalkulatorischen Abschreibungen (Zeile 11) am voraussichtlichen Lebenszyklus und nicht an den steuerlich zulässigen Werten. Ab Zeile 13 erfolgt eine Diskontierung der Deckungsbeiträge auf einen Gegenwartswert. Durch die Vorlaufkosten wird dieser Wert anfangs negativ sein. Der höchste negative Wert in dieser Zeile zeigt das maximale finanzielle Projektrisiko, das Sie mit dieser Innovation eingehen werden. Auch die Gewinnschwelle kann aus diesen Zahlen leicht berechnet werden. Spätestens an diesem Punkt soll ein Neuproduktgremium, in dem die Unternehmensleitung und die wichtigsten Führungskräfte vertreten sind, gemeinsam entscheiden, ob diese Idee nun in ein Entwicklungsprojekt überführt werden kann. Bei jeder ausgefilterten Idee wird festgelegt, ob diese vielleicht später wieder aufgegriffen werden kann und damit zurück in die Ideendatenbank geht oder ob sie ganz aufgegeben und damit gelöscht werden soll.
5.3 Beschreiben Sie Ihre Neuproduktanforderungen eindeutig in einem Lastenheft Nach diesen Vorarbeiten ist es für das Marketing nur noch ein kleiner Schritt, die konkreten Anforderungen für die Entwicklungsabteilung in Form eines Lastenheftes auszuformulieren. Dem Produktmanager fällt hier die Schlüsselrolle zu. Je genauer die Entwicklung die Anforderungen 'des Marktes' vermittelt bekommt, desto zielgerichteter kann sie arbeiten. Das Lastenheft ist somit eine "Wunschliste des Marketing" an die Entwicklungsabteilung. Der Umfang eines Lastenheftes sollte sechs Seiten nicht übersteigen. Bei Produkten mit anspruchsvoller Technologie holt sich der PM Unterstützung bei den Entwicklern, wobei die Verantwortung für die richtige Ausrichtung des Produktes auf die Zielgruppe bei ihm bleibt. Leider passiert es auch heute immer noch häufig, dass Entwicklungen gestartet werden, ohne dass die Anforderungen an das Produkt aus Kunden- und
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Marktsicht vorher genau definiert wurden. Untersuchungen beweisen, dass der Erfolg eines Produktes zu 70 % durch die Definition der Anforderungen bestimmt wird. Bis zu 80 % der Produktkosten werden bereits in dieser Konzeptphase festgelegt. Drei Beispiele mögen deutlich machen, wie ein gutes Lastenheft die Arbeit der Entwicklung lenkt: •
Die Vorgabe des Zielpreises und damit der Zielherstellkosten hat entscheidenden Einfluss auf die Arbeit der Entwickler. Hat die Marktrecherche ergeben, dass eine preisgünstige Lösung gefragt ist, so wird der Entwickler nach anderen technischen Lösungen suchen, als wenn das Produkt für das obere Preissegment konzipiert worden wäre.
•
Um den Anforderungen des Handels entsprechen zu können, wird sich ein Entwickler Gedanken über die Stapelbarkeit und das Handling des Produktes machen.
•
Ein Konstrukteur wird zu ganz unterschiedlichen Lösungen und somit zu unterschiedlichen Herstellkosten kommen, je nachdem ob von dem neuen Produkt aufgrund einer Marktpotenzialschätzung 150 oder aber 20.000 Stück zu produzieren sind.
Tabelle 9 zeigt mögliche Inhalte eines Lastenheftes. Der Bearbeiter kann diese Gliederung als Checkliste nutzen.
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Tabelle 9: Vorschlag für die Inhalte eines Lastenheftes Inhalte eines Lastenheftes – Was gehört in ein Lastenheft? • Produktidee • Kurzbeschreibung der Idee • Grundnutzen (Funktionsbeschreibung) • Mögliche Zusatznutzen (Soll/ Kann) • Ziel der Neuproduktentwicklung • Zielgruppe(n) (ggf. auch Absatzmittlerzielgruppen) • typische Einsatzgebiete: An-/Verwendungssituationen • spezielle Kundenwünsche (auch Absatzmittlerwünsche) • spezielle Produktanforderungen (technische Anforderungen) z.B. • Leistungsmerkmale/-daten quantitativ und qualitativ • Materialwünsche • spezielle Technologien • Relevante Vorschriften/Normen • Recyclingfähigkeit; Umweltschutzaspekte • Wettbewerbsprodukte, die es überbieten soll • Produktvergleiche • Vorteils-/Nachteilsanalysen • Preisvergleiche • Zielpreis/Zielherstellkosten • Qualitätsstandards • ausgewählte Marktdaten • generelle Marktinformationen (z.B. Größe, Wachstum) • Zusammenhang Marketingkonzept – Produktidee • Stellung des Neuproduktes in unserem Sortiment • Ergänzung zu ... • oder Substitution von ... • Stückzahlenschätzungen für das Neuprodukt • gewünschter Einführungszeitpunkt, Termine
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5.4 Warum braucht man trotzdem noch ein Pflichtenheft? Das Lastenheft ist als 'Wunschliste' zu verstehen. Dabei ist noch nicht untersucht worden, ob diese Wünsche alle in einem Produkt kombinierbar sind, ja ob sie technologisch so überhaupt machbar sind. Deshalb klärt im nächsten Schritt die Entwicklungsabteilung, wie sie die Anforderungen des Marketing bis wann und mit welchem Aufwand erfüllen kann. Das Ergebnis dieses Abklärungsprozesses schreibt die Entwicklungsabteilung im Pflichtenheft nieder. Mit dem Pflichtenheft "verpflichtet" sich die Entwicklungsabteilung, die Produktidee unter den genannten Bedingungen zu realisieren. Das Pflichtenheft ist wichtig, weil hier der Abgleich des technisch Machbaren mit den Anforderungen des Marktes erfolgt. Hier entscheidet es sich, wie die Entwicklungsabteilung glaubt, die Produktanforderungen erfüllen zu können. Wenn sie die Vorgaben des Lastenheftes nicht einhalten kann, wird gemeinsam nach einer machbaren Lösung gesucht, wobei das Marketing immer versuchen wird, soviel Nutzen wie möglich für die Zielgruppe zu retten. Bei zu großen Abweichungen muss gegebenenfalls das gesamte Produktkonzept nochmals überprüft werden. Mit der Annahme des Pflichtenheftes durch Produktmanagement/Marketing einerseits und Entwicklung/Konstruktion andererseits wird ein neues Entwicklungsprojekt begründet. Die Leitung dieses Projektes sollte bei F+E liegen. Der PM ist Mitglied im Projektteam und nimmt an den regelmäßig stattfindenden Entwicklungsmeetings teil. Seine Aufgabe ist es, dem Team beratend zur Seite zu stehen und die Einhaltung von Lasten- und Pflichtenheft zu überwachen. Er trägt Sorge dafür, dass nicht unbemerkt von dem ursprünglichen Produktkonzept abgerückt wird. Ergeben sich während der Projektbearbeitung neue Erkenntnisse, die eine Anpassung des Pflichtenheftes erforderlich machen, so hat eine formale Änderung mit Zustimmung aller Beteiligten zu erfolgen. Gründe für eine Anpassung könnten zum Beispiel veränderte Kundenwünsche, neu auftretende Wettbewerbsprodukte mit vergleichbarem Produktkonzept oder gestiegene Materialpreise sein. Dass eine Änderung des Pflichtenheftes zu Terminverlängerungen oder Kostensteigerungen führen können, darüber sollten sich alle im Klaren sein. Die Arbeit mit Pflichtenheft und Projektmanagement ist heute in vielen mittelständischen Unternehmen durch die Zertifizierung gut organisiert. Deswegen wollen wir diesen Teil nicht weiter vertiefen. Aus leidvoller Erfahrung sei
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hier nur angemerkt, dass diese ganzen Instrumente nur dann Sinn machen, wenn sie auch konsequent eingesetzt werden. Der zertifizierte Automobilzulieferer, der nur einen Teil seiner Projekte mit detaillierten Projektplänen und gewissenhaftem Projektmanagement abwickelt und der dann plötzlich eine wichtige Kundenentwicklung ohne jegliche Planung leichtfertig aufs Spiel setzt, ist leider keine Ausnahme. Hier sind Unternehmer und Führungsmannschaft gefragt, eine systematische Arbeit einzufordern, denn sonst gefährden Sie nicht nur ein Entwicklungsprojekt, sondern den ganzen daran hängenden Lebenszyklus mit all seinen Umsatz- und Ertragschancen.
5.5 Eine Testphase erhöht die Sicherheit Manche Firmen überspringen die sich nun anschließende Testphase. Oft geschieht dies aus Zeitgründen – die Messe steht unmittelbar bevor – wenn Firmen notwendige Tests nur verkürzt durchführen oder gar ganz wegfallen lassen. Diese Firmen benutzen den Markt direkt, also ihre Kunden, um erste Erfahrungen mit dem Produkt zu sammeln. Aus diesen Kundenerfahrungen – ehrlicher müsste man 'Reklamationen' sagen – ergeben sich für das Produkt Verbesserungsnotwendigkeiten, die nun nach und nach umgesetzt werden. So erhält die Innovation erst Schritt für Schritt ihre wirkliche Marktreife. Ein solches Vorgehen birgt jedoch zum einen das Risiko, dass Erstkäufer enttäuscht werden. Diese unzufriedenen Kunden geben erfahrungsgemäß ihre schlechten Produkterfahrungen besonders gerne weiter. In der Startphase des Lebenszyklus ist dies jedoch fatal. Zum anderen drohen Kundenverluste, die dann meist auch andere Produkte des Unternehmens betreffen. Dieses Vorgehen gleicht einem Trapezkünstler, der aus Zeitgründen auf sein Netz verzichten würde. Mit einer Testphase können Sie hier vorbeugen. Zumindest sollten anhand von Prototypen oder mit Modellen der Nullserie Funktions-/Verwendungstests durchgeführt werden. Sowohl unter Labor- als auch unter realen Anwendungsbedingungen wird festgestellt, inwieweit das Produkt zuverlässig und effektiv funktioniert. Hier wird z.B. geprüft, ob das Fahrverhalten eines neuen Autos den Anforderungen des Lastenheftes auch wirklich entspricht, ob das neue Fertiggericht im Handling tatsächlich so einfach ist oder ob die neue Maschine auch unter realen Einsatzbedingungen den erwarteten Rationalisierungsvorteil bringt. Hier werden neue Putze auf ihre Verarbeitungsfähigkeit an Objekten direkt auf der Baustelle getestet, oder
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es wird in Feldversuchen erprobt, wie Handwerker mit einer neuen Verbindungstechnik zurechtkommen. Neue Investitionsgüter werden auf Leistungsdaten, Zuverlässigkeit, Betriebskosten oder Serviceaspekte hin untersucht. Bei all diesen Beispielen geht es immer um dieselbe Zielsetzung, nämlich sicherzustellen, dass das neue Produkt auch wirklich den angestrebten Nutzen für den Verwender erbringen kann. Bei großen Maschinen oder Systemen, bei denen solche punktuellen Tests nicht möglich sind, geht man einen anderen Weg, indem man sich einen Pilotkunden sucht, mit dem gemeinsam das neue System im praktischen Einsatz optimiert wird. Die Risiken und die zusätzlichen Belastungen, die der Pilotkunde auf sich nimmt, werden kompensiert, durch Preisvorteile und/oder durch den Zeitvorteil, der dadurch entsteht, dass er die neue Technologie als erster einsetzen kann. Dies kann für ihn ein Anreiz sein, wenn er sich dadurch Wettbewerbsvorteile verschaffen kann. Darüber hinaus kann bereits während der Entwicklung die voraussichtliche Akzeptanz durch die Zielgruppe getestet werden. Im Konsumgüterbereich reicht die Spannweite von Produkt- und Verpackungstests unter Einbeziehung von Konsumenten im Labor bis hin zu Testverkäufen in ausgewählten Läden, so genannten Store-Tests, oder dem probeweisen Verkauf in einer begrenzten Region, in so genannten Testmärkten. Im Investitionsgüterbereich kann ein kleiner Kreis von Vertrauenskunden in verschiedenen Entwicklungsstufen hinzugezogen werden, um die Akzeptanz von Lösungen zu testen oder um bei der Auswahl alternativer Lösungen zu beraten. Mit Hilfe von 3-D-Darstellungen am Computer kann so schon sehr nahe an der späteren Realität diskutiert werden. Eine weitere gängige Testmethode ist die Präsentation eines neuen Produktes auf einer Fachmesse. Diese werden von Einkäufern und Anwendern genutzt, um sich über Neuheiten zu informieren. Folgende Erkenntnisse können möglicherweise aus solch einem Messetest gezogen werden: •
Wie stark ist das Interesse an dem neuen Produkt?
•
Welche Vor- und Nachteile weist die technische Lösung aus Sicht der Anwender und Einkäufer auf?
•
Wie werden die Produkteigenschaften beurteilt?
•
Wie werden Preisstellung und Zahlungsbedingungen empfunden?
•
Wie viele Interessenten äußern Kaufabsichten?
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Der Nachteil dieses Vorgehens liegt darin, dass Wettbewerber relativ früh über das neue Produkt informiert werden und dass Kaufinteresse bei der Zielgruppe geweckt wird, das dann auch bald befriedigt werden sollte. Das Unternehmen sollte also zu diesem Zeitpunkt bereits für eine baldige Markteinführung vorbereitet sein. Diese beginnt, sobald das Marketing und in mittelständischen Unternehmen meist auch die Unternehmensleitung die Entwicklungslösung akzeptiert und freigegeben haben.
5.6 So führen Sie neue Produkte erfolgreich im Markt ein Bereits lange vor der endgültigen Produktfreigabe beginnen die Vorarbeiten für das Markteinführungskonzept. In der mittelständischen Praxis wird häufig zu spät mit den Marketingaktivitäten begonnen. Manche Produkteinführung verzögert sich unnötigerweise; es wird kostbare Lebenszykluszeit verschenkt. Dieses Marketingdefizit bei der Neuprodukteinführung wird auch als Marketing-gap bezeichnet (siehe Bild 10). Arbeitsintensität
PM-Soll
Marketing - gap *)
PM (IST) Entwicklung Zeit Produktidee
Entwicklungsbriefing
Einführungszeitpunkt
*) Häufig zu beobachtendes Marketingdefizit in technisch orientierten Unternehmen
Bild 10: Wechselnde Arbeitsintensitäten von F+E und Marketing im Neuproduktentstehungsprozess
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Im Vorfeld der Markteinführung können, parallel zum Fortschritt in der Entwicklung, bereits eine Vielzahl von Detailaktivitäten vorbereitet oder begonnen werden. Dazu zählen z.B. •
Zulassungen
•
Patentfragen
•
Namensfindung und Namensschutz
•
technische Dokumentation
•
Bedienungsanleitung
•
Nutzenargumente für den Vertrieb
•
Verpackungsgestaltung
•
Erstdispositionen
•
u.a.m.
Mit dem Einführungsmarketing werden folgende Ziele verfolgt: •
Aufbau von Produktbekanntheit bei den potentiellen Abnehmern
•
Motivation für den Erstkauf
•
Schnelle Erschließung wichtiger Kunden bzw. der Distributionskanäle
•
Aufbau von Markteintrittsbarrieren für potentielle Wettbewerber.
Hier gilt die Devise 'Klotzen statt Kleckern'. Bitte bedenken Sie, dass auch die tollste Innovation alleine gar nichts bewirkt. Nur wenn es gelingt, potentielle Kunden auf Ihr innovatives Angebot aufmerksam zu machen und wenn die Interessenten den Nutzen für sich erkennen, dann kann es zum Erstkauf kommen. Erst danach entscheidet die Verwendungserfahrung mit dem Produkt über mögliche Folgekäufe. Dies bedeutet, dass für eine erfolgreiche Markteinführung ein ausreichend großes Budget bereitgestellt werden muss. Für eine Markteinführungsplanung sind vorab folgende Grundsatzfragen zu klären: •
Haben wir den richtigen Einführungszeitpunkt gewählt? Sind wir bei einer echten Innovation wirklich noch der Pionier oder ist uns ein Wettbewerber bereits zuvorgekommen? Wenn wir Technologiefolger sind: Kommen wir noch rechtzeitig im Produkt-Markt-Lebenszyklus?
•
Auf welchem Markt soll das neue Produkt eingeführt werden? In einem regionalen Teilmarkt, bundesweit oder gleich international?
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•
Wen von unserer Zielgruppe wollen wir ansprechen? Gleich die gesamte Zielgruppe oder selektiv jene Teile der Zielgruppe, die als Innovatoren und frühe Übernehmer in Frage kommen und die ihrerseits als Referenzen oder als Multiplikatoren für die Wachstumsphase genutzt werden können?
•
Soll direkt an die Zielgruppe vertrieben werden oder wäre ein indirekter Vertrieb über Absatzmittler vorteilhafter? Wenn ja, welche Absatzkanäle sollen Priorität haben?
•
Was ist unsere Intension bezüglich Schnelligkeit der Marktdurchdringung und der Erreichung der Gewinnschwelle? Beide Ziele können nicht gleichzeitig erreicht werden.
Bei der Gestaltung Ihres konkreten Marketingkonzeptes geht es um die sinnvolle Kombination aller fünf Marketing-Instrumente. Tabelle 10 kann hierfür als Checkliste dienen.
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Tabelle 10: Checkliste zum Einsatz der Marketing-Instrumente im Rahmen der Markteinführungsstrategie Marketing-Instrumente Produkt- und Sortimentspolitik
Einsatzmöglichkeiten/Überlegungen • Einführung eines einzelnen neuen Produktes • Einführung einer Produktfamilie; Basisprodukt und Varianten • Einführung des neuen Produktes als Erweiterung des bisherigen Sortimentes
Servicepolitik
• Soll es für die Innovation spezielle produktergänzende Serviceleistungen geben?
Preis- und Konditionenpolitik • hohe Einführungspreise, um die Vorinvestitionen schnell zurück zu verdienen (Skimming-Pricing) • niedrige Preise, um möglichst schnell breite Käufergruppen zu erschließen und den Wettbewerb abzuhalten (PenetrationsPricing) • Konditionen, die speziell zum Erstkauf anreizen, z.B. längeres Zahlungsziel, Einführungsrabatt, kostenlose Zusatzleistungen bei den Erstkunden Kommunikationspolitik
• Was ist das wirklich Neue, das kommuniziert werden soll? • Was sind die wesentlichen Nutzen und was sind Alleinstellungsmerkmale? • Ist der Einsatz von Massenmedien bei der EinführungsZielgruppe sinnvoll? • Kann die Zielgruppe mit Direktwerbung erreicht werden? • Wird ein eigener Produktprospekt benötigt? • Kann das Internet unterstützend eingesetzt werden? • Mit welchen Maßnahmen kann der Abverkauf im Handel gefördert werden (Verkaufsförderung)? • Soll die Einführung in Verbindung mit einer Messe stattfinden? • Ist ein eigenes Event speziell zur Produkteinführung sinnvoll? • Unterstützende Produkt-PR
Distributionspolitik
• Verkaufsmaterialien für die eigene Verkaufsorganisation • Schulungen für den Vertrieb • Anreize für den Vertrieb zum Verkauf des Neuproduktes • Hotline • Bevorratung für die Markteinführung • Auswahl der gewünschten Vertriebswege im indirekten Vertrieb
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Das Marketing für Ihre Einführungsstrategie wird nicht gänzlich neu zu erarbeiten sein, sondern es sollte eine Weiterentwicklung Ihrer Marketingüberlegungen aus der Ideenbewertungsphase sein. Nur wenn sich Rahmenbedingungen gegenüber damals grundlegend verändert haben, kann dies zu einem gänzlich neuen Einführungskonzept führen. Aus Untersuchungen haben sich bestimmte Faktoren herauskristallisiert, die den Erfolg der Markteinführung besonders beeinflussen (vgl. Meffert, 2000, S. 419 ff.): •
eine systematisch geplante Einführungsstrategie,
•
ein überdurchschnittlicher Ressourceneinsatz bei der Markteinführung,
•
die Wahl des 'richtigen' Einführungszeitpunktes.
Aus unserer Erfahrung möchten wir noch ergänzen: Die Einbeziehung des Vertriebes schon in den Innovationsprozess und ganz besonders die Motivation der Vertriebsmitarbeiter für den Verkauf des neuen Produktes, vor allem dann, wenn damit auch neue Kunden angesprochen und gewonnen werden müssen. Nach erfolgter Markteinführung brauchen Sie kurzfristige Controlling-Instrumente, um die Wirkungen der Einführungsstrategie schnell erfassen zu können. Die monatliche Messung aus dem üblichen Plan-IST-Vergleich ist hierfür zu langsam. Interessant sind folgende Frühindikatoren, die Ihnen zeigen, ob Ihre Innovation wie geplant bei Ihrer Zielgruppe Fuß fassen kann: Tabelle 11: Frühindikatoren zur Messung des Einführungserfolges Messgröße
Quelle
Erhebungszeitraum
• Durchgeführte Produktpräsentationen
Außendienstberichte
täglich oder wöchentlich
• Anfragen
Vertriebsinnendienst
täglich oder wöchentlich
• Angebote
Vertriebsinnendienst
täglich oder wöchentlich
• Auftragseingänge/ Bestellungen
Vertriebsinnendienst
täglich oder wöchentlich
• gewonnene Kunden
Vertriebsinnendienst
wöchentlich
• Wiederholungskäufe/ Nachorders
Vertriebsinnendienst
wöchentlich
• Kundenreaktionen
telefonische Kundenbefra• nach den ersten Verwengungen durch das Marketing dungserfahrungen oder • beim Ausbleiben von Erstkäufen
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5.7 Ihr Marketingdruck in der Wachstumsphase entscheidet über Ihren späteren Marktanteil Dort, wo eine Lebenszyklus-Verantwortung nicht eindeutig geregelt ist, fühlen sich die Mitarbeiter, meist die Produktmanager, oft nur für die Markteinführung neuer Produkte verantwortlich. Dieses Missverständnis hat fatale Folgen, denn mit einer geglückten Einführung ist zwar der Start gelungen, das Rennen aber noch nicht gewonnen. Die Markteinführungsphase endet, wenn das neue Produkt offensichtlich seinen Platz im Markt gefunden hat, wenn an Reaktionen oder Wiederholungskäufen deutlich geworden ist, dass die Kunden dieses Produkt als nützlich empfinden und es annehmen. Der eigentliche Wachstumsschub müsste aber jetzt erst folgen. Der 'Treibsatz' der Einführungsphase reicht dazu meist nicht aus. Im Marketing muss, um bei dem Raketenbild zu bleiben, die zweite Stufe gezündet werden, die Ihre Innovation auf eine möglichst hohe Lebenszyklusbahn bringen soll. Mit dem Marketing in der Wachstumsphase können folgende Ziele verfolgt werden: •
Den Markt möglichst gut durchdringen und schnell besetzen; intensive Neukundengewinnung. Bei echten Innovationen geht es um die Verteidigung der Marktführerschaft gegen neue Wettbewerber
•
Pflege der Beziehung zu den gewonnen Kunden; Aufbau von Kundenbindung
•
Verbesserung der eigenen Leistung durch Produktabrundung und/oder Produktverbesserung
•
Eventuell Standards im Markt setzen
•
Weitere Steigerung der Produktbekanntheit bzw. Markenbekanntheit
•
Erreichen und Überschreiten der Gewinnschwelle
•
Markteintritt für Wettbewerber erschweren
Gegenüber der Markteinführung wird sich das Marketingkonzept in vielen Punkten verändern (siehe dazu Checkliste in Tabelle 12). Vor dem Hintergrund der größer werdenden Zielgruppe und eventuell neuer Absatzwege bleibt der Marketingaufwand hoch. Die Gewinnschwelle wird primär durch das Umsatz- und Deckungsbeitragswachstum und nicht durch Sparen im Marketing erreicht.
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Wenn Sie als Pionier einen neuen Marktlebenszyklus begründet haben, dann sollte an dieser Stelle der Wunsch und der Mut stehen, diesen Markt möglichst gut auszuschöpfen und hohe Marktanteile am Ende der Wachstumsphase anzustreben. Bei vielen technischen Unternehmen haben wir den Eindruck, dass Sie entweder glauben, ihr technischer Innovationsgrad sei ausreichend, den gesamten Markt erobern zu können oder dass sie zu zurückhaltend gegenüber einem progressiven Marketing sind – Zitat: 'das geht bei Zahnpasta, aber nicht in unserer Branche'. Beides sind Fehleinschätzungen, die dazu führen, dass der Marketingdruck zu früh reduziert wird. Die Folge: Langsames Wachstum, niedriger Marktanteil und unbefriedigende Ertragssituation. Sie haben die Lebenszyklus-Entwicklung Ihrer Innovation selbst in der Hand!
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Tabelle 12: Checkliste zum Einsatz der Marketing-Instrumente im Rahmen einer Marktwachstumsstrategie Marketing-Instrumente Produkt- und Sortimentspolitik Servicepolitik
Einsatzmöglichkeiten/Überlegungen • Produktschwächen möglichst rasch beseitigen • Erweiterung des Programms; Varianten für verschiedene Teilzielgruppen • Abbau spezieller Services der Einführungsphase • Schaffung zusätzlicher Serviceangebote zur Verbesserung der Kundenbindung
Preis- und Konditionenpolitik • In Abhängigkeit von der Entwicklung des Wettbewerbs prüfen, ob Preisanpassungen schon erforderlich sind • Neue Konditionen für größere Abnahmemengen • Bonusregelungen Kommunikationspolitik
• Welche Teilzielgruppen sollen als nächste beworben werden? • Geeignete Medien für diese Zielgruppen auswählen • Werbliche Argumentation auf die frühe Mehrheit ausrichten • Referenzkunden oder Testergebnisse für die Werbung nutzen? • Welche Messen sollen beschickt werden? • Beim Vertrieb über den Handel: Neue Verkaufsförderungsaktionen einplanen • Sind weitere produktbezogene Events sinnvoll? • Kundenbindung via Internet? • ggf. PR mit Erfolgsstories
Distributionspolitik
• prüfen, ob Verkaufsmaterialien aktualisiert werden müssen • Verkaufsargumente vor dem Hintergrund neuer Wettbewerbsprodukte überarbeiten und im Vertrieb kommunizieren • Erfahrungsaustausch im Vertrieb mit dem Verkauf des Produktes organisieren • Verstärkte Vertriebsinformationen zur sich ändernden Wettbewerbssituation • Weitere Anreize zur Neukundengewinnung • Ausweitung der Distribution in den Absatzwegen und ggf. neue Distributionskanäle erschließen • Optimierung der Logistik im Hinblick auf das Wachstum; Lieferbereitschaft sicherstellen
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6. Mit Produktvarianten Märkte besser ausschöpfen Gerade hatten wir in der Wachstumsphase eine Erweiterung des Programms in Form von Varianten angesprochen. Solch eine Produktdifferenzierung resultiert aus der Überlegung, dass Zielgruppen selten in sich absolut homogen sind, sondern dass es Teilzielgruppen geben kann, die unterschiedliche Anforderungen an ein Produkt stellen. Diese Erkenntnisse gewinnt man im Laufe der Einführungs- und der frühen Wachstumsphase. Darauf aufbauend kann nun das Basisprodukt weiterentwickelt werden. Durch Veränderung einzelner Produktelemente entstehen Produktvarianten die gezielt auf die Bedürfnisse und Einkaufsentscheidungen unterschiedlicher Teilzielgruppen abgestimmt sind. Dies kann zum Beispiel durch veränderte Materialien, erweiterte Funktionalitäten, Farben oder Designvariationen geschehen. Somit entwickelt sich das Startprodukt zu einem Programm oder Teilsortiment. Die Anzahl der insgesamt angebotenen Einzelprodukte wächst. Produktvarianten ermöglichen es dem Unternehmen, jedes Teilsegment auszuschöpfen und damit insgesamt eine höhere Marktausschöpfung zu erreichen. Möglicherweise gelingt es damit auch, dem Wettbewerbsdruck beim Ursprungsprodukt auszuweichen. So kann beispielsweise ein neuartiges elektronisches Temperaturmessgerät variiert werden für verschiedene Temperaturbereiche, für den Einsatz in unterschiedlichen Medien, als stationäres oder mobiles Gerät sowie als Einzelgerät oder als Komponente von Steuerungsprozessen mit entsprechender Software. Bei modischen Produkten reicht möglicherweise eine Variation von Farben und Formen. Häufig erfolgt die Produktdifferenzierung nicht nur über verschiedene Produktvarianten, sondern über Serviceleistungen, die auf einzelne Abnehmergruppen abgestimmt sind (Value-Added-Services). Dies kann dann weiterhelfen, wenn die Möglichkeiten der technologischen Differenzierung beschränkt sind. Bei der Suche nach solchen Serviceleistungen ist es hilfreich, sich an den verschiedenen Kaufphasen zu orientieren. Dazu einige Beispiele: In der Vorkaufphase z.B. Problemanalysen, technische Beratung, Rentabilitätsberechnungen, Probelieferungen; in der Kaufphase z.B. Lieferservice, Anlieferung, Installation, Inbetriebnahme, Finanzierung und in der Nachkaufphase z.B. Ersatzteilversorgung, Schulung, Wartung, Rücknahme, Entsorgung.
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MIT PRODUKTVARIANTEN MÄRKTE BESSER AUSSCHÖPFEN
Die Chancen auf Zusatzumsätze durch Produktvarianten sind offensichtlich. Auf der Risikenseite gibt es aber auch einiges zu bedenken. •
•
An erster Stelle stehen die Kosten der Komplexität, die mit der Variantenvielfalt entstehen. Erfahrungen haben gezeigt, dass bis zu 50 Prozent der Gemeinkosten der Infrastruktur proportional zur Anzahl der Varianten steigen, unabhängig von deren späterem Umsatz. Stückkostendegressionen werden nicht wirksam, wenn sich die Gesamtstückzahl auf unterschiedliche Varianten verteilt. Teilweise kann dies durch Baukasten- bzw. Modulsysteme ausgeglichen werden.
In manchen Fällen führt Variantenvielfalt zur internen Konkurrenz der Produkte. Es wird kein Mehrumsatz erreicht. In diesem Zusammenhang ist darauf zu achten, nicht jedem Wunsch des Vertriebes nachzugeben. Die pauschale Aussage des Vertriebs "der Markt fordert diese Variante" wird sich bei einer genaueren Analyse in vielen Fällen als gegenstandslos erweisen.
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7. Alternative Marketingkonzepte für reife Märkte Wenn Sie die Absatz- und Umsatzentwicklung der ursprünglichen Innovation zusammen mit ihren Varianten bei sich und im Markt beobachten, werden Sie irgendwann rückläufige Zuwachsraten erkennen. Parallel dazu hat sich wahrscheinlich der Wettbewerb intensiviert. Eine Reihe von Konkurrenten sind mit direkt vergleichbaren oder ähnlichen Lösungen am Markt. Manche decken den Produktmarkt ähnlich breit wie Sie ab, andere werden sich nur auf Nischen spezialisiert haben. Die Kunden sind jetzt vertraut mit dieser Art von Produkten. Sie kennen den Markt und werden preisbewusster. Außerdem sinkt bei vergleichbaren Angeboten das Risiko eines Lieferantenwechsels. Durch Überangebot und verändertes Nachfragerverhalten nimmt der Druck auf die Preise direkt oder indirekt über höhere Rabatte zu. Die Ertragskraft beginnt sich abzuschwächen. Sie befinden sich jetzt am Übergang von der Wachstums- in die Reifephase. Diese dauert normalerweise länger als die vorangegangenen Zyklusphasen. Während anfangs noch geringe Zuwachsraten im Markt vorhanden sind, wird in der dann folgenden Marktstagnation ein Umsatzwachstum nur noch durch Verdrängung oder durch Eroberung von Nischen möglich sein. Viele Produktmärkte befinden sich heute in allen entwickelten Wirtschaftsregionen der Welt in dieser Reife- oder Sättigungsphase. Für diese Phase können folgende Ziele Bedeutung gewinnen: •
Zumindest Verteidigung des erreichten Marktanteils, besonders dann, wenn Sie die Marktführerschaft erreicht haben
•
die bisherige Produkterfahrung für den Aufbau neuer Produktvorteile nutzen
•
Übertragung des erfolgreichen Produktkonzeptes auf andere Anwendungen, um damit den Markt insgesamt zu vergrößern
•
Festigung der Kundenbindung
•
Sicherung oder Verbesserung des erreichten Images
•
Übertragung dieses Erfolges auf andere Ländermärkte
•
Verbesserung der Produktivität; Lernkurveneffekt nutzen und Rationalisierung aufgrund der gestiegenen Mengen.
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ALTERNATIVE MARKETINGKONZEPTE FÜR REIFE MÄRKTE
Für die Marketingverantwortlichen bringt diese Phase anspruchsvolle Aufgaben, denn die veränderten Rahmenbedingungen erfordern neue Konzepte. Auch dazu einige Anregungen für Ihr Marketing (siehe Tabelle 13). Auf drei Basisstrategien möchten wir näher eingehen. Tabelle 13: Checkliste zum Einsatz der Marketing-Instrumente in reifen, stagnierenden Märkten Marketing-Instrumente
Einsatzmöglichkeiten/Überlegungen
Produkt- und Sortimentspolitik
• Erschließung von Nischen mit weiteren Produktvarianten • Mengendegressionseffekte in der Produktgruppe nutzen • Produktaktualisierung; die bisherige Produkterfahrung für den Aufbau neuer Produktvorteile nutzen
Servicepolitik
• Ausweitung des Serviceangebotes zur Verbesserung der Kundenbindung • Zusätzliche Services als eigenständige 'Produkte' anbieten
Preis- und Konditionenpolitik
• Preise senken oder Konditionen ausweiten, wenn dadurch neue Kunden gewonnen werden können • Preiskonstanz oder sogar -erhöhung in Nischen
Kommunikationspolitik
• Breitenwerbung reduzieren, wenn Bekanntheitsgrad und Imageposition ausreichend und gefestigt sind • Werbeschwerpunkte bei noch zu erschließenden Teilzielgruppen • Bei Vertrieb über den Handel: Mit neuen Verkaufsförderungsaktionen den Abverkauf unterstützen
Distributionspolitik
• Verkaufsargumente vor dem Hintergrund neuer Wettbewerbsprodukte überarbeiten und im Vertrieb kommunizieren • Verstärkte Vertriebsinformationen zur sich ändernden Wettbewerbssituation • Distributionslücken erkennen und gezielt erschließen • Gibt es noch neue Absatzmittler? • Optimierung der Logistik im Hinblick auf die Kundenzufriedenheit; Lieferbereitschaft sicherstellen
ALTERNATIVE MARKETINGKONZEPTE FÜR REIFE MÄRKTE
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7.1 Gutes kann man oft noch besser machen – der Produkt-Relaunch Wenn Sie als Pionier oder als einer der frühen Wettbewerber einen neuen Produktmarkt mit gestaltet haben, dann verfügen Sie jetzt zu Beginn der Marktreife über viel Erfahrung mit diesem Produkt. Aus zahlreichen Verkaufsgesprächen oder aus Kundenbefragungen kennen Sie die Einstellung der Kunden zu diesem Produkt, und Sie haben sicher inzwischen einige Ideen, was sich an diesem Produkt oder System verbessern ließe. Vielleicht haben sich die Technologie weiterentwickelt oder auch die Anforderungen der Kunden verändert, so dass Ihr Produkt heute 'nicht mehr auf dem Punkt' ist. Letztlich können auch veränderte rechtliche Rahmenbedingungen eine Produktanpassung erforderlich machen. Produktverbesserungen, amerikanisch Produkt-Relaunch oder facelift genannt, sollen ein Produkt wiederbeleben, indem es für die Zielgruppe attraktiver gemacht wird. Durch die Verbesserung sollen neue Vorteile kreiert werden, durch die es sich aus dem Heer vergleichbarer Produkte erneut abheben kann. Mit neuer Wettbewerbsstärke ausgestattet kann auch in einem stagnierenden Markt nochmals ein Umsatzschub erreicht werden. Produktverbesserungen tragen auf diese Weise wesentlich zur Verlängerung des Lebenszyklus bei. Persil beispielsweise hat seit seiner Markteinführung im Jahre 1907 viele Wandlungen und Weiterentwicklungen durchgemacht und so den Lebenszyklus auf 100 Jahre gestreckt. Im Gegensatz zur Produktdifferenzierung, wo das Wachstum aus zusätzlichen Varianten kommt, werden bei der Produktverbesserung bestehende Produkte überarbeitet. Bei einschneidenden Veränderungen gibt es einen Grenzbereich, in dem man diskutieren kann, ob es noch eine Veränderung eines bestehenden Produktes ist oder ob es nicht ein vollkommen neues, innovatives Produkt geworden ist. Wenn die Grundfunktion erhalten bleibt und wenn die bisherigen Wettbewerbsprodukte von den Kunden zumindest teilweise weiter als Alternative empfunden werden, dann trifft die Bezeichnung 'Relaunch' zu. Das verbesserte Produkt wird ein bestehendes ersetzen. Das Vorgängermodell sollte dann auch konsequent aus dem Markt genommen werden. Nach dem Grad der Veränderung kann unterschieden werden zwischen Produktpflege im Sinne von kontinuierlichen kleinen Verbesserungen und dem eigentlichen Produkt-Relaunch, bei dem es um eine umfassende Veränderung meist mehrerer Komponenten geht. Bild 11 zeigt Ansatzpunkte für eine
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ALTERNATIVE MARKETINGKONZEPTE FÜR REIFE MÄRKTE
Produktdifferenzierung, abgeleitet aus den einzelnen Elementen eines Produktes (in Anlehnung an Meffert, 2000, S. 423). Es ist einsichtig, dass mit einem Produkt-Relaunch auch das übrige Marketingkonzept überarbeitet und angepasst werden muss. Physikalische und funktionale Eigenschaften
Ästhetische Eigenschaften
(z.B. Materialart, techn. Konstruktion, Qualität Haltbarkeit)
(z.B. Design, Farbe, Form)
Grundfunktion/ -nutzen (wie "Leuchten", "Befördern"usw.)
Symbolische Eigenschaften
Ergänzende Serviceleistungen/ Zusatznutzen
(z.B. Produktname, Marke, Markenzeichen)
(z.B. Kundendienst, Hotline)
Bild 11: Produktelemente – Ansatzpunkte für eine Produktverbesserung
Ähnlich wie beim Innovationsprozess wird wiederum die Initiative von den Produktmanagern ausgehen. Der Ablauf ist vergleichbar, jedoch in Abhängigkeit vom Grad der Veränderung zum Teil wesentlich verkürzt. Wann ist es nicht sinnvoll, einen Produkt-Relaunch durchzuführen? •
•
•
Wenn das bisherige Produkt so gut konzipiert war, dass mit einer Modifikation kaum etwas hinzugewonnen werden kann. Manche Pionierprodukte haben dies erreicht z.B. "4711", Nivea oder Coca Cola, wobei teilweise Verpackungen oder Markenauftritte modernisiert wurden. Wenn das Produkt sowieso nur für kurze, begrenzte Lebensdauer entwickelt wurde. Modifikationen erweisen sich dann als überflüssig. Beispiel: modische Produkte. Wenn das Produkt technisch veraltet ist und auch durch Modifikation nicht mehr aktualisiert werden kann. Beispiel: Das VW-Käfer-Konzept.
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7.2 Erfolge multiplizieren Wenn nun der ursprünglich angepeilte Produktmarkt zunehmend gesättigt ist und Ihr Produkt in diesem Markt überaus erfolgreich war, dann kann überlegt werden, ob das gesamte Marktvolumen nicht durch Erschließung weiterer Teilmärkte vergrößert werden kann. In erster Linie denkt man hierbei an die Ausweitung der Aktivitäten in andere Länder, da mittelständische Unternehmen mit einer Innovation selten gleich den Weltmarkt bearbeiten. Unter der Überschrift "hier ist die Lösung – wo ist das Problem" gilt es zunächst, den angepeilten Ländermarkt mit folgenden Fragestellungen zu untersuchen: Tabelle 14: Checkfragen: Übertragbarkeit einer Innovation auf andere Länder
•
Sind die rechtlichen Rahmenbedingungen vergleichbar? Könnte unser Produkt in diesem Land ohne Einschränkungen verkauft werden?
•
Gibt es dort ein vergleichbares Verwender- und Kaufverhalten, d.h. gibt es eine ähnliche Zielgruppe?
•
Wenn ja, wie groß ist diese?
•
Müsste unser Produkt ggf. angepasst werden, wenn ja, in welcher Form?
•
Was ergibt sich daraus für ein Marktpotential?
•
Wie sieht die landesspezifische Wettbewerbssituation aus?
•
Wo liegt das Marktpreisniveau für vergleichbare Lösungen?
•
Welche Vertriebswege haben in diesem Land welche Bedeutung; welche könnten für das eigene Produkt genutzt werden?
Ein anderes Suchfeld geht in Richtung neue Anwendungen. Gibt es für das Produkt andere Anwendungsbereiche, bei denen unsere Produktfähigkeiten Vorteile für jene Anwendergruppen erbringen könnten? Ein gutes Beispiel hierfür ist die Firma Gore, die mit ihrem innovativen Material "Goretex" nicht nur den Markt für Sporttextilien revolutioniert hat, sondern auch interessante Anwendungen bei technischen Geweben und sogar in der Medizintechnik gefunden hat. Die Analysen, die für jede entdeckte Anwendergruppe durchzuführen sind, entsprechen im Wesentlichen denen für die Erschließung neuer Länder. Ein Schwerpunkt wird hierbei jedoch auf der Analyse der Anwenderbedürfnisse zu legen sein, um herauszufinden, ob das eigene Produkt bzw. dessen Technologie wirklich für neue Anwendergruppen von Nutzen sein kann.
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7.3 Dem Marktrückgang zuvorkommen – gezielter Ausstieg sichert den Ertrag Im Verlauf der Sättigungsphase nimmt die Ertragskraft eines Produktes immer weiter ab (siehe nochmals Bild 2), wenn keine der bisher besprochenen Gegensteuerungsmaßnahmen eingeleitet worden ist. Trotzdem besteht in vielen Firmen die Tendenz, den Marktaustritt solange wie möglich hinauszuschieben. Solche Abschöpfungsstrategien sind sinnvoll, wenn das Produktgeschäft mit einem relativ festen Kundenstamm kontinuierlich ohne neue große Investitionen fortgesetzt werden kann, d.h. solange es mehr Ertrag erwirtschaftet, als in dieses Produkt investiert werden muss. Tabelle 15: Checkliste für eine Abschöpfungsstrategie in der Marktrückgangsphase
•
Gibt es einen festen Kundenstamm, der mit geringem Aufwand weiter betreut werden kann?
•
Gibt es noch 'Nachzügler', die zusätzlich erschlossen werden können oder mit denen der Rückgang bei anderen Kunden ausgeglichen werden kann?
•
Rechtfertigt der Ersatzbedarf für das Produkt ein Verbleiben in diesem Markt?
•
Sind bereits Wettbewerber aus diesem Produktmarkt ausgeschieden?
•
Sind Preisreduktionen oder Sonderkonditionen für diese späte Verwendergruppe erforderlich? Kann der Preis gehalten oder vielleicht sogar erhöht werden?
•
Ist eine Änderung der Distributionsstrategie erforderlich, um die Verwendergruppe der 'Nachzügler' erreichen zu können?
•
Ist dazu nochmals Werbung erforderlich oder kennt die gesamte Zielgruppe das Produkt ausreichend?
Wenn die Firma jedoch eine innovative Nachfolgeentwicklung marktreif verfügbar hat, ändert sich die Beurteilung, weil jetzt die Chance besteht, wieder der erste in einem neuen Marktlebenszyklus zu sein, mit all den Gestaltungsmöglichkeiten, aber auch den Risiken, die wir bereits kennen gelernt haben. Zugunsten des frühzeitigen Markteintritts der nachfolgenden Innovati-
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on wird das Vorläufer-Produkt 'geopfert', weil die Innovation nach Erreichen des break even points dann die deutlich besseren Gewinnaussichten hat. Hewlett Packard oder auch 3 M gehen so vor, indem sie mit ihren Innovationen immer wieder eigene Produkte ablösen und damit das Gesetz des Handelns in der Hand behalten. Voraussetzung ist eine hohe Innovationsfähigkeit in Verbindung mit der Kraft und dem Mut, mit jeder Neuerung ins unternehmerische Risiko zu gehen.
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8. Die Vielzahl muss beherrschbar bleiben – regelmäßige Sortimentsbereinigung In der Praxis beschäftigen sich die meisten Firmen gerne und intensiv mit neuen oder verbesserten Leistungen. Es kommen stets weitere Angebote hinzu; das Sortiment wächst beständig. Nicht wenige mittelständische Unternehmen kommen unter Berücksichtigung aller Produkte mit unterschiedlichen Größen, Typen, Varianten, Farben usw. auf 10.000 oder mehr Einzelartikel! Diese Vielfalt verbraucht relativ unbemerkt beträchtliche Ressourcen. Jedes Produkt wird gepflegt: Produktänderungen ziehen eine Reihe von unterschiedlichen Arbeiten nach sich, angefangen von der Stücklistenänderung über die Dokumentation bis hin zur Preispflege in der jeweils aktualisierten Preisliste. Produktbezogene EDV-Listen werden enorm dick und nicht selten sind Exotenprodukte das zentrale Thema in Verkaufskonferenzen. In umsatzschwachen Randprodukten stecken einige betriebswirtschaftliche Risiken und 'versteckte Kosten', die umso höher werden können, je länger ein Produkt im Sortiment bleibt. Mögliche Ursachen hierfür sind: •
Unwirtschaftliche Losgrößen in der Produktion
•
relativ hohe Lagerbestände
•
Verschlechterung der Beschaffungspreise durch rückgängige Mengen
•
viele Kleinkunden und Kleinaufträge
•
relativ steigende Vertriebskosten bei immer kleineren Auftragsgrößen
•
konstante Kosten für Prospekte, Drucksachen und Preislisten steigen bei rückläufigem Umsatz relativ
•
'verstopfen' der Absatzkanäle für jüngere attraktivere Produkte
•
'mitschleppen' dieser Produkte in der gesamten Administration.
Weitere Nachteile können sich ergeben, wenn mit Rücksicht auf Altprodukte die Entwicklung von Nachfolgeprodukten hinausgezögert wird oder wenn sich ein hoher Anteil von Altprodukten nachteilig auf das Image auswirkt. Außerdem ist oft zu beobachten, dass für manche Altprodukte überdurchschnittlich viel Managementzeit aufgewendet wird, vor allem, wenn diese Produkte wesentlichen Anteil an der Firmenentwicklung gehabt haben oder das 'Lieblingskind des Chefs' waren. Kritisch kann es auch werden, wenn Sor-
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DIE VIELZAHL MUSS BEHERRSCHBAR BLEIBEN – SORTIMENTSBEREINIGUNG
timentsumfang als absolute Stärke empfunden wird, unabhängig vom Nachweis der Leistungsfähigkeit einzelner Produkte, und wenn gleichzeitig die Kosten der Komplexität nicht erkannt werden. In allen Fällen reduziert ein nicht unerheblicher Anteil der Produkte die Ertragskraft des Unternehmens. Mindestens einmal im Jahr sollte deshalb eine systematische Sortimentsbereinigung vorgenommen werden. Dafür empfehlen wir Ihnen ein zweistufiges Vorgehen: Stufe 1: Erkennen eliminierungsverdächtiger Produkte Erste Ansatzpunkte liefern am einfachsten ABC-Analysen nach Umsatz, Absatz und Deckungsbeitrag mit den Zahlen des laufenden Jahres oder des Vorjahres. Daraus wird die Struktur des Produktsortiments deutlich. Grundlage hierfür sind EDV-Listen aller Produkte, die nach Umsatz, Absatz oder DB absteigend geordnet werden. Das Produkt mit der größten Umsatzbedeutung steht an erster Stelle usw. Aus dieser Übersicht werden Sie schnell erkennen, welche und wie viele Produkte einen hohen, eine mittleren und einen geringen Beitrag zum Gesamten leisten. Diese Produkte werden dann als A, B bzw. C-Produkte bezeichnet. Je steiler die Kurve verläuft, umso höher ist die Konzentration auf einige wenige Produkte. Dies wäre aus Kosten- und Rationalisierungsgesichtspunkten wünschenswert. Andererseits bedeutet dies jedoch hohe Risiken der Abhängigkeit, wenn dahinter nur wenige Kunden stehen, die aufgrund ihrer großen Abnahmemengen und ihrer Macht auf die Preise drücken. Deshalb gibt es folgende Erfahrungswerte für die produzierende Industrie, bei denen man sagt, die Sortimentsstruktur sei 'gesund': – A-Produkte:
Auf ca. 15 % der Produkte entfallen ca. 65 % des Umsatzes
– B-Produkte:
Mit etwa 20 % der Produkte tätigen Sie auch ca. 20 % des Umsatzes
– C-Produkte:
Mit rund 65 % der Produkte erwirtschaften Sie die restlichen 15 % des Umsatzes.
DIE VIELZAHL MUSS BEHERRSCHBAR BLEIBEN – SORTIMENTSBEREINIGUNG
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Anteil am Umsatz 100%
C-Produkte
B-Produkte 80%
60%
A-Produkte
40%
20%
20%
40%
60%
80%
100% Anteil an den Produkten
Bild 12: Beispiel einer ABC-Analyse eines Zulieferbetriebes
Bild 12 zeigt das Beispiel eines Zulieferunternehmens mit einer sehr hohen Konzentration des Umsatzes (82 %) auf wenige Produkte (5 %). Durch diese ABC-Analyse wurde sich das Unternehmen der Vielzahl seiner Klein- und Kleinstprodukte bewusst. Daraufhin wurde gegengesteuert. Heute wird mit der Hälfte der Produkte ein deutlich höherer Gesamtumsatz erzielt. Ziehen Sie bei Ihren ABC-Analysen willkürlich eine Grenze, z.B. bei Produkten, die weniger als 0,5 % Anteil haben. Alle Produkte, die sowohl beim Absatz, wie auch bei Umsatz und DB unter diese Werte fallen werden als 'bereinigungsverdächtig' eingestuft.
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DIE VIELZAHL MUSS BEHERRSCHBAR BLEIBEN – SORTIMENTSBEREINIGUNG
Stufe 2: Beibehaltungsentscheidung im Einzelfall Stellen Sie sich geistig erst einmal darauf ein, sich von all diesen Produkten zu trennen, denn es ist psychologisch leichter, nun im Team darüber zu diskutieren, was eventuell dafür spricht, ein Produkt im Sortiment zu behalten. Als Vorbereitung für die Arbeit im Team sind noch folgende ausgewählte Informationen zu den bereinigungsverdächtigen Produkten zu beschaffen: •
Umsatz-, Absatz- und Deckungsbeitragsentwicklung in den letzten drei Jahren
•
Preisentwicklung in den letzten drei Jahren
•
Übersicht über die kaufenden Kunden, wer kauft was in welchen Mengen
•
Lagerumschlagshäufigkeit
•
aktuelle Bestände
•
Das Team mit fünf bis maximal sieben Personen kann sich aus folgenden Abteilungen zusammensetzen:
•
Marketing (hier sollten die jeweils verantwortlichen Produktmanager teilnehmen)
•
Vertrieb (eventuell ein oder zwei Außendienstmitarbeiter)
•
Entwicklung
•
Rechnungswesen/Controlling
•
Einkauf, zumindest dann, wenn viele Handelswaren betroffen sind.
Im mittelständischen Unternehmen wird häufig die Unternehmensleitung auf solche Entscheidungen Einfluss nehmen wollen. Um die gemeinsame Entscheidungsfindung zu objektivieren und damit zu erleichtern, schlagen wir vor, für jedes bereinigungsverdächtige Produkt einen Produktbewertungsbogen (siehe Bild 13) gemeinsam auszufüllen. Zu Beginn sollte Sie sich auf eine Gewichtung der sieben Kriterienbereiche einigen. Wenn Sie sich beispielsweise ehrgeizige Deckungsbeitragsziele in der Firma vorgenommen haben, dann sollte Sie den Punkt 6 'welchen DB erbringt das Produkt' hoch gewichten.
DIE VIELZAHL MUSS BEHERRSCHBAR BLEIBEN – SORTIMENTSBEREINIGUNG
Produktbewertungsbogen Produktbezeichnung:
__________________________________
Produkt-Nr.:
__________________________________
Datum:
__________________________________
Kriterien
Gewichtungsfaktor
Bewertung (B)
gewichteter Punktwert
1. Wie groß ist das zukünftige Marktpotential für dieses Produkt?
|___|___|___|___|
2. Wie viel könnte durch eine Produktveränderung gewonnen werden?
|___|___|___|___|
3. Wie viel könnte durch eine MarketingStrategie-Veränderung gewonnen werden?
|___|___|___|___|
4. Wie viel nutzbare Managementzeit könnte durch das Ausscheiden dieses Produktes freigesetzt werden?
|___|___|___|___|
5. Wie gut sind die alternativen Möglichkeiten der Firma?
|___|___|___|___|
6. Welchen Deckungsbeitrag erbringt das Produkt?
|___|___|___|___|
7. Wie viel trägt das Produkt zum Verkauf anderer Produkte bei?
|___|___|___|___|
1 2 klein
3
4
1 2 nichts
3
4
3
4
1 2 sehr gut
max. 5
4
5
sehr wenig
3
4
5
sehr schlecht 3
4
keinen
1 2 nichts
5 viel
1 2 3 ein großer Teil
2
5 viel
1 2 nichts
1
5 groß
5
überdurchschnittlichen 3
4
5 viel
Produkt-BeibehaltungsIndex
Bild 13: Produktbewertungsbogen für die Sortimentsbereinigung
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DIE VIELZAHL MUSS BEHERRSCHBAR BLEIBEN – SORTIMENTSBEREINIGUNG
Als Ergebnis des Bewertungsdurchgangs sollen die aufzugebenden Produkte identifiziert sein. Dazu können Sie entweder einen Mindestwert für den 'Produkt-Beibehaltungs-Index' festlegen, z.B. 60 % des maximal möglichen Wertes, oder Sie bilden eine Rangreihe und entscheiden dann gemeinsam, wo die Grenze gezogen werden soll. Oft ergibt sich aus der Bewertung eh eine Zweiteilung, so dass die Grenzziehung leicht fällt. Ist Einigkeit im Team über die aufzugebenden Produkte erzielt worden und gibt es darüber hinaus keine gravierenden Gründe, die gegen die Einstellung dieses Produktes sprechen, dann erhalten die Produktmanager, bzw. das Marketing die Aufgabe, geeignete Auslaufstrategien zu entwickeln und umzusetzen. Sinnvollerweise sollte das Team gleich jetzt beschließen, bis wann die Sortimentsbereinigung abgeschlossen sein soll. Sortimentsbereinigung ist wie eine Entschlackungskur. Regelmäßig durchgeführt werden Kleinprodukte und Verlustträger erkannt und gezielt aufgegeben. Das Unternehmen kann sich wieder auf jüngere und zukunftsträchtigere Produkte konzentrieren. Außerdem wird durch rechtzeitiges Aus-dem-MarktNehmen Handlungsspielraum für einen 'geordneten Rückzug' gewonnen. Es gibt beeindruckende Beispiele wie Firmen mit bewusster Sortimentsbereinigung nicht nur Ballast abgebaut sondern auch Kraft gewonnen haben. Procter & Gamble beispielsweise analysierte den Gesamtumsatz nach Produkten. 51 % davon erzielten nur für 5 % des Umsatzes. Daraufhin wurde eine drastische Sortimentsbereinigung durchgeführt. Die Auslistung der Windel 'Luvs' führte dabei nicht zu Umsatzeinbußen sondern steigerte die Verkaufszahlen der ebenfalls hauseigenen 'Pampers'. Faber Castell reduzierte seine Schreibgeräte von 6.000 auf 2.000 Artikel ohne Umsatzeinbruch. Ein mittelständischer Verpackungshersteller trennte sich von Produkten, die insgesamt 20 % seines Umsatzes ausmachten. Nach dem dadurch möglichen Kostenabbau war die Firma wieder profitabel. Mit einer bewussten Produktaufgabe bestimmen Sie selbst autark darüber, wann Sie einen Produktlebenszyklus beenden wollen. Zum Wirtschaften gehört diese 'schöpferische Zerstörung', die den Weg für neue zukunftsweisende Produkte freimacht. Damit schließt sich der Kreis mit dem Anfang des Produkt-Lebenszyklus nun jedoch für Ihr Folgeprodukt.
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Verwendete und weiterführende Literatur Barsche, H., u.a.
Das innovative Unternehmen: Produkte, Prozesse, Dienstleistungen, (Hrsg.), Digitale Fachbibliothek, Wiesbaden 2003
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Marketing-Konzeption – Grundlagen des Ziel-, Strategischen und Operativen Marketing-Managements, 8. Auflage, München 2006
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Burger, J., u.a. (Hrsg.)
Innovationen. Mehr Wert für Deutschland, Heidelberg 2006 QFD – Quality Function Deployment. Konzept, Anwendung und Umsetzung für Produkte und Dienstleistungen, Renningen 1999
Klein, B.
Knieß, M.
Kreativitätstechniken – Methoden und Übungen, München 2006
Kotler, P./Bliemel, F.
Marketing-Management – Analyse, Planung und Verwirklichung, 10. aktualisierte und überarbeitete Auflage, Stuttgart 2005
Lindemann, U.
Methodische Entwicklung technischer Produkte, 2. bearbeitete Auflage, Berlin 2006
Lippmann, H.
Marktchancen nutzen mit Produktmanagement, 8. überarbeitete und aktualisierte Auflage, Eschborn 2005
Meffert, H.
Marketing – Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung, 9. Auflage, Wiesbaden 2000
Nieschlag, R./Dichtl, E./ Marketing, 19. Auflage, Berlin 2002 Hoerschgen, H. Rogers, E.M. Tacke, G./ Pohl, A.
Diffusion of Innovations, New York 1962 Den Kundennutzen bestimmen durch Conjoint-Measurement, in Das innovative Unternehmen: Produkte, Prozesse, Dienstleistungen, Digitale Fachbibliothek, Wiesbaden 2003
Zu den Autoren Dr. Herbert J. Lippmann (Diplom-Ökonom), Jahrgang 1949. Studium Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mit Schwerpunkt Marketing, anschließende Assistentenzeit und Promotion an der Universität Augsburg. Geschäftsführender Vorstand eines Instituts. 1979 bis 1989 Marketing- und Strategieberatung in einer großen deutschen Beratungsgesellschaft; Partner des Unternehmens. Seit Gründung des eigenen Unternehmens 1990 geschäftsführender Gesellschafter der Marketing Consult GmbH. Beratungsschwerpunkte sind marktorientierte Unternehmensstrategien, Marketing und Firmenorganisationen sowie Aufbau und Optimierung von Produktmanager-Organisationen. Fachbuchautor: Marktchancen nutzen mit Produktmanagement, 8. Auflage, Eschborn 2005; diverse Fachartikel in Zeitschriften und Sammelwerken. Lehraufträge an der Fachhochschulen München und Wels und zahlreiche Vorträge. Ingrid M. Motyka (Diplom-Kaufmann), Jahrgang 1962. Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Schwerpunkt Marketing und Organisation. Produktmanagerin bei einem weltweit führenden Unternehmen der Medizintechnik. 1987 bis 1990 Unternehmensberaterin bei einer großen Münchner Beratungsgesellschaft. Seit 1990 selbständige Beraterin und Trainerin. Zusatzqualifikationen als Suggestopädin (DGSL) für gehirngerechtes Lernen und in interkultureller Kommunikation. Seit 1996 Seniorberaterin und auf Produktmanagement spezialisierte Trainerin bei der Marketing Consult GmbH, München. Beratungsschwerpunkte sind Strategische Beratung und Marketingberatung in mittelgroßen Unternehmen sowie Beratung und Training für Produktmanagement.