Probleme der konkreten Normenkontrolle,: insbesondere die Zuständigkeit zur Verwerfung verfassungswidriger Gesetze nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und nach der Verfassung der Republik Korea [1 ed.] 9783428425501, 9783428025503


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Probleme der konkreten Normenkontrolle,: insbesondere die Zuständigkeit zur Verwerfung verfassungswidriger Gesetze nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und nach der Verfassung der Republik Korea [1 ed.]
 9783428425501, 9783428025503

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 171

Probleme der konkreten Normenkontrolle Von Young Huh

Duncker & Humblot · Berlin

YOUNG

HUH

Probleme der konkreten Normenkontrolle

Schriften zum ö f f e n t l i c h e n Band 171

Recht

Probleme der konkreten Normenkontrolle Insbesondere die Zuständigkeit zur Verwerfung verfassungswidriger Gesetze nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und nach der Verfassung der Republik Korea

Von

Dr. Young H u h

DUNCKER

&

HUMBLOT

/

BERLIN

Alle Rechte vorbehalten © 1971 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1971 bei Alb. Sayffaerth, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 02550 4

Dem Andenken

meines Vaters

Vorwort Das Rechtsinstitut der konkreten Normenkontrolle w i r f t heute wie früher eine Reihe von schwierigen Verfassungsrechtsfragen auf. Wenn auch die meisten dieser Fragen inzwischen durch die vielfältigen Darstellungen i n der Wissenschaft weitgehend entwirrt werden konnten, glaubt der Verfasser i n der Überfülle von Schriften doch eine kleine Lücke entdeckt zu haben. Diese Lücke sucht die vorliegende Arbeit zu schließen. Die Untersuchung hat als Inaugural-Dissertation der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München vorgelegen. Nach Abschluß des Manuskripts wurde vom Bundestag und Bundesrat die 4. Novelle zum BVerfGG verabschiedet; diese Novelle konnte noch berücksichtigt werden. Neues Schrifttum ist bis zum Februar 1971 nachgetragen. Es ist m i r eine angenehme Pflicht, meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Peter Lerche, für die Anregung zu dieser Arbeit und für seine besonders sorgfältige Betreuung auch an dieser Stelle herzlich zu danken. Mein Dank gilt auch den Herren Regierungsräten Dr. Peter Seißer und Dr. A r n u l f Brandstetter für fördernde Gespräche und Ratschläge. Zu Dank bin ich außerdem dem Freistaat Bayern und dem D A A D verpflichtet, die m i r während meines Studiums ein Stipendium gewährten. Für die Aufnahme der Arbeit i n der Reihe „Schriften zum öffentlichen Recht" und für die besondere Beschleunigung der Publizierung danke ich Herrn Ministerialrat a. D. Dr. Johannes Broermann. München, i m August 1971 Young Huh

Inhaltsverzeichnis

AbkiirzungsVerzeichnis

14

Einleitung

19

ERSTER T E I L Allgemeine Betrachtung 1. Kapitel:

Normenproblem

22

§ 1 Normenkollisionen i n der Rechtsordnung

22

I. Normenkollisionen als relevante Rechtsfrage

22

I I . Kollisionsregel

23

1. Positi vierte Rangordnung

23

A) Die Supreme L a w - und Bindungsklausel

24

B) Erhöhte Bestandsgarantie der Verfassung

24

2. Theorie der „Normenhierarchie"

27

I I I . Rangordnung der Normen als logische Voraussetzung der Normenkontrolle

28

IV. Exkurs: Verfassungstheoretische Grundlage der primären Geltung der Verfassung

29

1. Normlogismus

29

2. Dezisionismus

30

3. Bei H. Heller

31

4. Zusammenfassung

32

§ 2 Normenkontrolle als konsequente Folge der Normenkollisionen

34

I. Kollisions- und Erkenntnisregel I I . Normenkontrolle legungsproblem

bei vorhandenen

34 Erkenntnisregeln

als

Aus-

I I I . Normenkontrolle bei fehlenden Erkenntnisregeln als Problem der Verfassungstheorie

35 35

1. Normenkontrolle als Vorgang der Normanwendung?

36

2. Die sogenannte „Bindungstheorie"

37

10

nsverzeichnis A) „Bindungstheorie" i m klassischen Sinne

37

B) „Bindungstheorie" i m Zusammenhang m i t weiteren Verfassungstheorien

38

C) „Bindungstheorie" klausel

39

als

Kehrseite

der

Unabhängigkeits-

3. Verhältnis des Bindungsgrundsatzes zu der richterlichen N o r menkontrollbefugnis §3 Zusammenfassung 2. Kapitel:

Ausgestaltung

41 45

der Normenkontrolle

§ 4 Historische Betrachtung I. Überblick über die geschichtliche Entwicklung der richterlichen Normenkontrolle: Ob-Stufe als Ausgangspunkt

46 46 46

1. Positivrechtliche Stationen des Normenkontrollproblems

47

2. Schwerpunkte rechtstheoretischer Auseinandersetzung A) Rechtsdogmatische Rangfrage als Zentralproblem B) Hervorhebung der Rechtssicherheitsfrage als Ansatz neuer Problementwicklung

49 49

3. Gerichtspraxis

56

53

I I . Gegenwartszustand der Normenkontrollfrage: Wie-Stufe als Gestaltungsproblem

57

§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung i n modernen Staaten ..

60

I. Der nordamerikanische T y p und sein Einfluß

61

1. Verfassungsrechtliche Grundlage und die Gerichtspraxis i n den USA A) „Diffuse" Prüfungskompetenz als Basis der Normenkontrolle B) Praxis „diffuser" Prüfungskompetenz (a) Problematik „diffuser" Prüfungskompetenz (b) Lösungsversuch durch den Grundsatz „ i n der sicheren Erwartung"

66

2. Einfluß des nordamerikanischen Gedankengutes

69

I I . System konzentrierter Normenkontrolle u n d seine besondere Geltung i n Westeuropa 1. Monopolisierung der Verwerfungsbefugnis u n d ihre Beweggründe A) Gebot der charakteristischen Besonderheiten der Verfassung (a) Normativer und politischer Charakter der Verfassung . . (b) Eignungsproblem (c) Aus dem Wirkungsaspekt B) Rechtsstaatlicher Aspekt (a) Das Problem der Rechtssicherheit (b) Gedanke des Gleichheitssatzes

61 62 64 64

71 73 74 74 77 81 82 82 85

nsverzeichnis

11

C) Demokratischer Aspekt (a) Zug zum totalen Wohlfahrtsstaat u n d E f f e k t i v i t ä t der Normenkontrolle (b) Schutz des Gesetzgebers

87 89

D) Normenkontrolle u n d Verfahrensökonomie

90

E) Zusammenfassende Feststellung

92

2. Gestaltung monopolisierter Verwerfung Gesetze

verfassungswidriger

A) Das zuständige Organ (a) Ausschließliche Kompetenz eines O G H (b) Errichtung eines besonderen Verfassungsorgans (aa) I n Gestalt eines VerfG (bb) Berufung eines politischen Gremiums (c) Berufungsmodalität des zuständigen Organs

87

93 93 94 96 96 98 99

B) Tätigwerden des zuständigen Organs (a) „Offizialmaxime" oder „Dispositionsmaxime"? (aa) Von A m t s wegen (bb) Richtervorlage u n d die Prozeßbeteiligten (cc) Zurücknahme der Vorlage (b) Gegenstand der Richtervorlage (aa) Beschränkung auf „formelle" und „nachkonstitutionelle" Gesetze? (bb) Gesetzgeberisches Unterlassen als Vorlagegegenstand?

103 103 104 106 109 111

115

C) Maßstab für die Normenkontrolle (a) Positives Recht (b) Überpositives Recht (c) Stufenfolge von Verfassungsnormen

122 122 122 125

D) W i r k u n g der Verwerfungsentscheidung (a) Ipso j u r e nichtig oder vernichtbar? (b) E x - t u n c - oder ex-nunc-Wirkung?

126 128 131

111

ZWEITER T E I L Das Zuständigkeitsproblem am Beispiel der koreanischen Verfassung 3. Kapitel : Das Rechtsinstitut Zuständigkeitsproblem § 6 Einführende Bemerkung

der Normenkontrolle

in Korea

und das

134 134

§7 Verfassungsrechtliche Grundlage der richterlichen Normenkontrolle u n d die herrschende Auffassung bei der Auslegung der betreffenden Bestimmungen 135

12

nsverzeichnis I. A r t . 102 Abs. 1 V R K als unmittelbare Grundbestimmung über die Verwerfungskompetenz verfassungswidriger Gesetze 135 1. „Diffuse" oder „monopolisierte" Verwerfungskompetenz?

136

2. Entstehungsgeschichte

137

I I . Die f ü r die Normenkontrolle relevanten Trabantenvorschriften .. 139 1. Eigenart der Gewaltenstruktur i n Korea A) Skepsis gegenüber dem Parlament B) Allmacht des Staatspräsidenten

140 140 142

2. Die Stellung der rechtsprechenden Gewalt i n der Verfassungsordnung 144 A) Scheinbarer Primat der Justiz? B) Der O G H als Beständigkeitsfaktor i n der Verfassungsdynamik (a) Zusammensetzung (b) Zuständigkeit (aa) Revisionszuständigkeit (bb) Ausschließliche Zuständigkeit (a) Verwerfung verfassungswidriger Gesetze . . . . (β) Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit von politischen Parteien 0>) Wahlgerichtsbarkeit (c) Verfahrensart C) Die Rechtsstellung der Richter (a) Persönliche Unabhängigkeit (b) Sachliche Unabhängigkeit

144 145 145 146 146 147 148 148 149 150 151 151 153

§ 8 Eigene Stellungnahme — Einwendungen gegen die herrschende A u f fassung 154 I. System konzentrierter Verwerfungskompetenz beim O G H 1. A r t . 98 V R K als konstitutive Verfassungsnorm f ü r das richterliche Prüfungsrecht A) Verfassungs- und Gesetzesbindung des Richters (a) Trennung der verfassungs- u n d gesetzgebenden Gewalt (b) Vorrang der Verfassung und das richterliche Prüfungsrecht B) A r t . 102 V R K — eine Gestaltungsnorm

154 155 155 156 157 158

2. Textexegese als Begründungsfaktor 159 A) Die Bedeutung des Wortes „endgültig" i n A r t . 102 159 B) Der Sinn des Wortlautes: „Bildet die Frage, ob ein Gesetz verfassungswidrig ist, eine Vorfrage bei der gerichtlichen Entscheidung,..." 162 3. Unbegründetheit des Hinweises auf das Prozeßrecht

164

4. Umkehrschluß aus A r t . 102 Abs. 2 V R K

167

5. Sinn und Zweck des A r t . 102 V R K 170 A) Verwaltungsstaatliche Tendenz u n d das richterliche P r ü fungsrecht 171 B) Der O G H als Hüter der Verfassung

172

C) Gerichtlicher Schutz der Grundrechte

172

nsverzeichnis

13

6. Betrachtung des A r t . 102 V R K aus rechtsvergleichender Sicht 173 I I . GesetzgebungsVorschläge

175

1. Notwendigkeit eines Ausführungsgesetzes

175

2. Konkrete Vorschläge

175

§ 9 Abschließende Zusammenfassung

178

Anhang (koreanischer Verfassungstext)

179

Literaturverzeichnis

203

Abkürzungsverzeichnis a. A . (a. Μ.) a.a.O. Abs. Abschn. Anh. Anm. AöR Aufl. B. BAG BayVBl. BayVerf. BayVerfGH BB Bd. bes. BFH BGH BGHZ BK. BR BT BT-Prot. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG bzw. ders., dies. Der Staat Diss. D JZ DöV DRiZ

andere Ansicht (Meinung) am angegebenen Ort Absatz Abschnitt Anhang Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Auflage Beschluß Bundesarbeitsgericht der B R D Bayerische Verwaltungsblätter Verfassung des Freistaates Bayern v o m 2.12.1946 Bayerischer Verfassungsgerichtshof Der Betriebsberater Band besonders Bundesfinanzhof der B R D Bundesgerichtshof der B R D Entscheidungen des Bundesgerichtshofes i n Z i v i l sachen Bonner Kommentar Deutscher Bundesrat Deutscher Bundestag Stenographische Berichte der Sitzungen des Deutschen Bundestages Bundesverfassungsgericht der B R D Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes Gesetz über das Bundesverfassungsgericht v. 12.3. 1951 Bundesverwaltungsgericht der B R D beziehungsweise derselbe, dieselbe (n) Der Staat, Zeitschrift f ü r Staatslehre, öffentliches Recht u n d Verfassungsgeschichte Dissertation Deutsche Juristenzeitung Die öffentliche V e r w a l t u n g Deutsche Richterzeitung

Abkürzungsverzeichnis Drucks. DV DVB1. E ebd. Erl. EntstG. Entw. f., ff. Festschr. Fn. FR GBL. Ged.Schr. gem. GG ggf. HA HA-Prot. Halbbd. HchB HchE HdbDStR Hess.Verf. h. L., h. M. hrsg. i. d. F. i. d. R. i. e. S. insb. i. V. m. JöR JR JUS JZ Komm. Leits. m. a. W. MDR m. E. m. w. Nachw.

15

Drucksache Deutsche Verwaltung, Zeitschrift f ü r Verwaltungsrecht Deutsches Verwaltungsblatt Entscheidung ebenda Erläuterung Entstehungsgeschichte E n t w u r f (Entwürfe) folgende Seite (n) Festschrift Fußnote Finanzrundschau Gesetzblatt Gedächtnisschrift gemäß Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland v o m 23. 5.1949 gegebenenfalls Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates Verhandlungen des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates, Stenographische Berichte Halbband Herrenchiemseer Bericht Herrenchiemseer E n t w u r f Handbuch des Deutschen Staatsrechts, hrsg. von G. Anschütz u n d R. Thoma, Tübingen 1932 Verfassung des Landes Hessen v. 1.12.1946 herrschende Lehre (Meinung) herausgegeben i n der Fassung i n der Regel i m engeren Sinne insbesondere i n Verbindung m i t Jahrbuch des öffentlichen Rechts Juristische Rundschau Juristische Schulung Juristenzeitung Kommentar Leitsatz m i t anderen Worten Monatsschrift f ü r Deutsches Recht meines Erachtens m i t weiteren Nachweisen

16 Nachw.

Abkürzungsverzeichnis Nachweis (e)

Nat. Versig.

Nationalversammlung der Republik Korea

N. F.

Neue Folge

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

LEd.

Lawyer's Edition, United States Supreme Court Reports

NRW OGH ParlR. Prot. RG RGZ Rh.-Pf. RK Rn. RV RVO s. S. S JZ Sp. StGH st. Rspr. U. USA u. a. v. a. Verf. VerfGH VerwArch. VerwGH vgl. VO VRK VVDStRL WVR z. B. ZgesStW Ziff. zit. Ztg. ZRP ZZP

Nordrhein-Westfalen Oberster Gerichtshof Parlamentarischer Rat Protokoll Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts i n Zivilsachen Rheinland-Pfalz Die Republik Korea Randnummer Reichsverfassung Rechtsverordnung(en) siehe Seite Süddeutsche Juristenzeitung Spalte Staatsgerichtshof ständige Rechtsprechung Urteil Die Vereinigten Staaten von A m e r i k a unter anderm (andern) vor allem Verfassung Verfassungsgerichtshof Verwaltungsarchiv Verwaltungsgerichtshof vergleiche Verordnung(en) Verfassung der Republik Korea v. 12. 7.1948 Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verfassung des Deutschen Reichs v. 11. 8.1919 zum Beispiel Zeitschrift f ü r die gesamte Staatswissenschaft Ziffer zitiert Zeitung Zeitschrift f ü r Rechtspolitik Zeitschrift f ü r Zivilprozeß

Abkürzungsverzeichnis

17

Abkürzungen koreanischer Gesetze FamilienGO GOG ImpeachmentG KParteienG RichterdisziplinarG KStPO VolksabstG KVwGO KWahlG WahlG. d. Stpräsident. WehrdisziplinarGO KZPO

Familiengerichtsordnung v o m 13.12.1963, Gesetz-Nr. 1498 Gerichtsorganisationsgesetz v o m 26. 9.1949, i. d. F. v. 9. 3.1966, Gesetz-Nr. 1762 Impeachmentgesetz v o m 31.12.1964, i. d. F. v. 17. 3. 1965, Gesetz-Nr. 1686 Parteiengesetz v o m 31.12.1962, Gesetz-Nr. 1246 Gesetz über das Richterdisziplinarverfahren v o m 20.1. 1956, i. d. F. v. 13.12.1963, Gesetz-Nr. 1504 Strafprozeßordnung v o m 23. 9.1954, i. d. F. v. 13.12. 1963, Gesetz-Nr. 1500 Gesetz über die Volksabstimmung v o m 18. 3.1963, Gesetz-Nr. 1308 Verwaltungsgerichtsordnung v o m 24. 8.1951, i. d. F. v. 2. 5.1963, Gesetz-Nr. 1339 Wahlgesetz der Nationalversammlung v o m IC. 1.1963, i. d. F. v. 14.12.1966, Gesetz-Nr. 1849 Gesetz über die Wahl des Staatspräsidenten vom 1. 2. 1963, i. d. F. v. 14.12.1966, Gesetz-Nr. 1848 Wehrdisziplinargerichtsordnung v o m 20.1.1962. i. d. F. v. 3.4.1965, Gesetz-Nr. 1693 Zivilprozeßordnung v o m 4.4.1960, i. d. F. v. 13.12. 1963, Gesetz-Nr. 1499

Einleitung Das Problem der „konkreten Normenkontrolle" ist die Kernfrage der modernen Verfassungsgerichtsbarkeit und eine der zentralsten Staatsrechtsfragen. Dabei geht es u m die Frage, ob der Fallrichter befugt ist, i m Rahmen eines anhängigen Rechtsstreites die Verfassungsmäßigkeit einer anzuwendenden Gesetzesvorschrift zu überprüfen und ggf. eine seines Erachtens verfassungswidrige Gesetzesvorschrift außer Anwendung zu lassen. Die Bejahung oder Verneinnung der richterlichen Prüfungsbefugnis und die Ausgestaltung der Normenkontrolle sind aber i n besonderem Maße national bedingt und hängen m i t den jeweils gegebenen historischen, sozialen und politischen Gegebenheiten der politischen Einheit aufs engste zusammen. Deshalb ergeben sich für eine rechtsvergleichende Untersuchung des Normenkontrollproblems Grenzen, wenn „die Rechtsvergleichung auch den Zweck der besseren Erkenntnis des eigenen Rechts mitverfolgen" 1 soll. Die vorliegende Arbeit bezweckt auch keine Rechtsvergleichung i m eigentlichen Sinne, sondern sie geht lediglich von der Erkenntnis aus, daß es unentbehrlich ist, u m die Konstruktion der Normenkontrolle richtig zu verstehen, die Entwicklung der richterlichen Normenkontrolle sichtbar zu machen und die m i t der Normenkontrolle verknüpften Probleme genau zu untersuchen. Außerdem ist der Umstand ermutigend, daß die Typisierungstendenz auf dem Gebiet der Normenkontrolle, soweit die rechtsvergleichende Betrachtung dies heute erkennen läßt, mittlerweile so weit vorangetrieben wurde, daß es eine völlig atypische Ausgestaltung der Normenkontrolle selten gibt. Man kann ohnehin von zwei Grundtypen der Normenkontrolle sprechen; der eine Typus ist die Normenkontrolle in Gestalt „diffuser" 2 Verwerfungsbefugnis, und der andere ist die Normenkontrolle i n Gestalt „monopolisierter" Verwerfungsbefugnis. Der erstere ist bekanntlich i n den Vereinigten Staaten von Amerika entstanden und w i r d v. a. dort immer noch praktiziert. Der letztere hat i n Österreich seinen Ursprung und findet heute i n Westeuropa, insbesondere i n der Bundesrepublik Deutschland, seine besondere Geltung. 1

W. Schick, AöR, Bd. 94 (1969), S. 353 ff. (368). C. Schmitt, Der Hüter, 1931, S. 18, A n m . 3. C. Schmitt verwendete dort den Ausdruck „diffuse Inzidentkontrolle" u n d schlug vor, das W o r t „diffus" als Bezeichnung des Gegensatzes zu einem bei einer einzigen Instanz konzentrierten Prüfungsrecht zu gebrauchen. 2

2*

20

Einleitung

Ob die richterliche Normenkontrolle des koreanischen Verfassungssystems ein am deutschen oder amerikanischen Recht orientiertes Verfassungsinstitut darstellt, ist zweifelhaft. Die Normenkontrolle i n Korea ist jedoch wegen ihrer mehrmaligen Umformung i m Anfangsstadium steckengeblieben, während sie sich i n der BRD und i n den USA ihrer institutionellen Vollendung zu nähern scheint. Die i m Rahmen der Normenkontrollpraxis auftauchenden Streitfragen sind besonders i n der BRD Gegenstand vieler Betrachtungen und inzwischen weitgehend geklärt. Diese fortentwickelte und viel praktizierte Verfassungsrechtslage der BRD i m Hinblick auf die Normenkontrolle, i n der „sich der ,Bonner Stil' abwägender belesener Juristenerfahrung m i t seiner Neigung zum Perfektionismus der Streiterledigung i n gewissem Ausmaß widerspiegelt" 3 , bietet sich für das Rechtsinstitut der Normenkontrolle i n Korea als Vorb i l d an. I n der Tat werden die Verfassungsrechtsprechung und die Literatur der BRD i n Korea stark beachtet und als eine der beliebtesten Zitatquellen herangezogen. Dieses Phänomen macht es notwendig, bei der Untersuchung der Normenkontrolle nach dem koreanischen Recht, zunächst zu klären, wie die Normenkontrolle i n den Ursprungsländern, i n den USA und i n der BRD, gehandhabt w i r d und welche Probleme dabei relevant sind, bevor das Normenkontrollproblem i n Korea betrachtet werden soll. Die vorliegende Arbeit ist aber von der Überzeugung ausgegangen, daß sich die Erfahrungen, welche die USA und die BRD m i t der richterlichen Normenkontrolle gemacht haben, nicht ohne weiteres auf die ganz anders gearteten koreanischen Verhältnisse übertragen lassen. Der unmittelbaren Übernahme fremder Ergebnisse stehen nicht nur die andersartige Konstruktion der koreanischen Normenkontrolle, die Verschiedenheit der materiellen Verfassungen und der jeweiligen Verfassungswirklichkeit i m Wege, sondern vor allem auch die Unterschiedlichkeit der verfassungstheoretischen Traditionen. Die Lösungen, die i n anderen Ländern für die Normenkontrolle gefunden wurden, sind deswegen für die Lösung der eigenen Normenkontrollprobleme nur von beschränkter Bedeutung. Bei der Untersuchung der jeweiligen Normenkontrollprobleme muß das jeweilige nationale Recht i n den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt werden. Der Aufbau der vorliegenden Arbeit beruht gerade auf dieser Erkenntnis. Es soll vermieden werden, das deutsche und das koreanische Institut der Normenkontrolle gleichzeitig oder parallel zu untersuchen. I m ersten Teil w i r d deshalb ausschließlich das deutsche, auch i n beschränktem Ausmaß das nordamerikanische Recht, behandelt. Dabei werden primär die 3

H. P. Ipsen, Die Nachprüfung, in: Beiträge, S. 19 ff. (32).

Einleitung

institutionellen Grundlagen der Normenkontrolle untersucht und einige notwendige Feststellungen getroffen. Der erste Teil beinhaltet daher an sich keine konkreten Lösungen des Normenkontrollproblems, sondern er dient vielmehr als Grundlegung der Darstellung des zweiten Teils. Er soll jedoch i n einem umgrenzten Ausmaß auch zur Klärung einiger Probleme der konkreten Normenkontrolle, die einer weiteren wissenschaftlichen Klärung bedürfen 4 , einen Beitrag leisten. I m zweiten Teil w i r d danach erörtert, wie das Zuständigkeitsproblem der Normenkontrolle i n der koreanischen Verfassung geregelt ist und wie die Normenkontrolle von der herrschenden Lehre ausgelegt wird. Zum Schluß w i r d die eigene Auffassung dargelegt.

4 z. B. die Frage nach dem Rechtscharakter der Normenkontrolle: die Frage, ob das gesetzgeberische Unterlassen als solches zum Gegenstand der konkreten Normenkontrolle gemacht werden kann: u n d schließlich das Rückwirkungsproblem der Verwerfungsentscheidung, u m n u r einige Probleme zu nennen.

Erster

Teil

Allgemeine Betrachtung Erstes

Kapitel

Normenproblem §1

Normenkollisionen in der Rechtsordnung

I . Normenkollisionen als relevante Rechtsfrage Das S y s t e m der Rechtserzeugung m o d e r n e r R e c h t s o r d n u n g w i r d d u r c h e i n e n P l u r a l i s m u s v o n N o r m g e b e r n getragen. E i n e zwangsläufige F o l g e dieses p l u r a l i s t i s c h e n N o r m g e b e r s y s t e m s ist es, daß F ä l l e e i n t r e t e n , b e i denen N o r m w i d e r s p r ü c h e v e r s c h i e d e n a r t i g e r R e c h t s q u e l l e n 1 v o r l i e g e n . Solange i n einer R e c h t s o r d n u n g m e h r e r e rechtsetzende O r g a n e u n t e r schiedlichen Ranges 2 u n d d a m i t auch verschiedenartige Rechtsquellen bestehen, s i n d solche N o r m w i d e r s p r ü c h e — „ N o r m e n k o l l i s i o n e n " 3 — n i c h t zu v e r m e i d e n 4 . 1 Z u m Begriff der „Rechtsquelle" vgl. u . a . ff. J. Wolff , V e r w R I, S. 103f.; ferner etwa ff. Nawiasky, Rechtslehre, S. 54 ff. 2 Die Staatsorgane werden seit jeher i n einer vertikalen Hierarchie aufgebaut. Der Rangunterschied zwischen verschiedenen Normgebern untereinander ist daher die konsequente Folge dieses vertikalen Staatsbaus. Der Rangunterschied zwischen Normgebern w i r d auch von W. Henke , Der Staat, 3. Bd. (1964), S. 433 ff. (443), anerkannt, auch w e n n er den Rangunterschied zwischen Normen bestreitet. Gegen solche inkonsequente Auffassung kritisch u. a. J. R. Schmidt , Diss. S. 120 ff. 3 Der Begriff der „Normenkollision " ist hier dem der „Normenkontrolle " entsprechend restriktiv zu verstehen. Das ist auch der herrschende Sprachgebrauch. Danach w i r d sie auf diejenigen Kollisionsfälle beschränkt, die zwischen verschiedener Rangstufe eintreten, u . a . Verfassungsrecht—Gesetzesrecht, Gesetzesrecht—Verordnungsrecht, Bundesrecht—Landesrecht, u m n u r die wichtigsten Kollisionsfälle zu nennen. Dagegen w i l l z.B. L. Renck , Diss. S. 119 f., unter dem Begriff der „Normenkontrolle" auch „horizontale Normenkontrolle" verstanden wissen. Aber f ü r solche Kollisionsfälle, die i n horizontaler N o r m ebene eintreten, gelten ohnehin die unstrittigen Regeln, die die Anwendbarkeit der einen oder anderen N o r m fordern: „lex specialis derogat legi generali" u n d „ l e x posterior derogat legi priori". Daher sehe ich keinen Grund, den Begriff der „Normenkollision" u n d „Normenkontrolle" extensiv zu verstehen. So auch z. B. Fuß , Diss. S. 6, u n d G. Groß , Diss. S. 32.

I I . Kollisionsregel

23

Sie sind sogar i n der modernen Rechtsordnung durch die Erscheinung von Maßnahmegesetzen5, die als M i t t e l zur Erfüllung der sozialstaatlichen Aufgaben unentbehrlich erscheinen, beinahe eine Selbstverständlichkeit geworden. Der Konflikt mehrerer Normen untereinander aber widerspricht der Idee der Rechtsordnung, „ i n sich eine Einheit zu bilden" 6 und „auf eine Rechtsfrage nur eine richtige A n t w o r t bereitzuhalten" 7 . „Daß einem Normensystem zwei gegensätzliche Normen nicht angehören können" 8 , liegt auf der Hand. Deswegen muß das Verhältnis der Normen untereinander, v. a. die Frage, welcher von kollidierenden Rechtsnormen der Vorrang gebührt und welche zu weichen hat, geklärt werden.

I I . Kollisionsregel 1. Positivierte Rangordnung

Die Normenkollisionsfälle können vor allem an Hand der positiven Bestimmungen gelöst werden, die die Rang- bzw. Geltungsordnung 9 innerhalb der in einer Rechtsordnung vorhandenen Normen festlegen. I n der Tat pflegt der Normgeber i m modernen Verfassungsstaat dafür Sorge zu tragen, das Rangverhältnis der Normen untereinander von vornherein klar festzulegen 10 . Die positiv-rechtliche Rangfestsetzung der Normen gilt dabei i n besonderem Maße für das Verhältnis der Verfassung zu einfachem Gesetz, denn verfassungsgeschichtlich war das Rangverhältnis beider Rechtsnormen nicht immer klar. I m folgenden sei deshalb kurz untersucht, wie der Vorrang der Verfassung i m positiven Recht ausdrücklich geregelt werden kann. 4 I n diesem Sinne äußert E. Forsthoff, DöV 1959, S. 41 ff. (43 f.), wie folgt: „ B e i einem so engmaschigen, so subtil ineinandergreifenden Normativsystem, wie es die moderne Rechtsordnung ist, können sich Versehen bei der Koordination von Normen ergeben, . . . " Ferner vgl. Schönke, Einführung i n die Rechtswissenschaft, 1946, S. 4 f. 5 Über die Probleme, die Maßnahmegesetze m i t sich bringen, vgl. etwa die kurz zusammengefaßte Darstellung von P. Bockelmann, Einführung i n das Recht, 1963, S. 131 ff. Ferner die ausführliche Darstellung, i n : Maunz-DürigHerzog, GG-Kommentar, Rn. 93 ff. zu A r t . 20 GG; auch P. Lerche, Übermaß, S. 46 ff.; E. Forsthoff, i n : W. Jellinek-Gedächtnisschrift, S. 221 ff. 8 H. J. Wolff, V e r w R I, § 26, S. 125. 7 H. J. Wolff, a.a.O., ebd. Vgl. ferner A. Hensel, HdbDStR I I , S. 313 ff. (313). 8 H. Nawiasky, Rechtslehre, S. 91. ® I m Sinne von H. J. Wolff, a.a.O., S. 125 ff., w i r d die Rangordnung bzw. Geltungsordnung der Rechtsquelle als „die Stufe der Geltungskraft innerhalb einer gegliederten Rechtsordnung" verstanden. 10 z. B. vgl. A r t . 31; 1, Abs. 3; 20, Abs. 3; 79, Abs. 3; 25; 123, Abs. 1 u n d 142 a GG.

24

§ 1 Normenkollisionen i n der Rechtsordnung

A. Die Supreme Law- und Bindungsklausel Die Höherrangigkeit der Verfassung gegenüber anderen Rechtsquellen kann am deutlichsten durch die sog. „Supreme Law of the land-Klausel" , die der Verfassung den höchsten Geltungsrang einräumt, zum Ausdruck gebracht werden 1 1 . Der Vorrang der Verfassung ist dann nicht mehr zu bestreiten. Eine ähnliche Bedeutung kommt auch der sog. „Bindungsklausel" zu, die alle staatlichen Gewalten einschließlich der gesetzgebenden Gewalt für an die Verfassung gebunden erklärt. So spricht ζ. B. das Bonner GG i n A r t . 20 Abs. 3 i. V. m. A r t . 1 Abs. 3 eindeutig aus, daß die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden ist. Diese Bindungsklausel kann logischerweise nur bedeuten, daß das Verfassungsrecht allen anderen Rechtsquellen vorgeht, die von den an die Verfassung gebundenen staatlichen Gewalten geschaffen werden 1 2 . B. Erhöhte Bestandsgarantie

der Verfassung

Die primäre Geltung des Verfassungsrechts findet ferner darin ihren Ausdruck, daß die Verfassung sich selbst nur durch ein erschwertes Ä n derungsverfahren — sei es Volksabstimmung 1 3 , sei es Zweidrittelmehrheitsbeschluß des Parlaments 1 4 — abändern läßt oder sogar der verfassungsändernden Gewalt 1 5 eine Grenze setzt, indem sie i n sich die sog. „Unabänderlichkeitsklausel" enthält 1 6 . 11 ζ. B. A r t . V I , clause 2 der Verfassung der U S A : „This Constitution . . . shall be the supreme l a w of the land . . . " Vgl. ferner A r t . 98 Abs. 1 der Japanischen Verfassung von 1946. 12 U n t e r der Geltung des GG ist daher der Rangunterschied zwischen dem GG u n d einfachem Gesetz einmütig anerkannt. Vgl. etwa A. Arndt, B B 1960, S. 993; Bachof, AöR 87, S. 4, A n m . 10 u n d S. 16; Hoffmann, JZ 1961, S. 195; Hall, DöV 1965, S. 253 ff. (256) ; E. W. Fuß, Diss. S. 108,113 u n d 137; Scheuner, B B 1960, S. 1253ff. (1254); Ehmke, AöR 79, S. 398; F. Werner, DVB1. 1959, S. 527; H. J. Wolff, V e r w R I, S. 127; Dürig, i n : Maunz-Dürig-Herzog, GG-Kommentar, Rn. 103 zu A r t . 1 GG; Hamann, GG, Einf. I D 7 a. 13 ζ. B. w i e A r t . 121 V R K . Nach der V R K bedarf jede Verfassungsänderung der Zustimmung des Volkes, nachdem sie i n der Nationalversammlung m i t Zweidrittel-Mehrheit beschlossen worden ist. Die V R K kennt jedoch keine Sperrnormen, w i e sie etwa das Bonner GG enthält. 14 Wie z.B. A r t . 79 Abs. 2 GG; A r t . 120 Abs. 2 V R K ; A r t . V der Verf. der USA. — Über das Verfassungsänderungsverfahren i n den Vereinigten Staaten vgl. u. a. K. Loewenstein, Verfassungsrecht USA, z. B. S. 40, 243. 15 Z u dem Begriff der „verfassungsgebenden" u n d „verfassungsändernden" Gewalt vgl. v. a. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 75 ff. C. Schmitt hat m i t besonderem Nachdruck den Unterschied beider Gewalten herausgestellt. 16 A u f die dogmatische Bedeutung solcher „Barriereklausel", v. a. auf die Frage, ob die verfassungsändernde Gewalt an die Entscheidung der „zufällig" verfassungsgebenden Gewalt „ewig" gebunden zu sein braucht, k a n n hier nicht näher eingegangen werden. P. Lerche, A k t u e l l e föderalistische Verfassungsfragen, S. 45, bezeichnet diese Frage als „eine Ewigkeitsfrage". Nach der überwiegenden Auffassung soll dieser Barriereklausel jedoch rechtsverbindlicher Charakter zukommen (vgl. Lerche, a.a.O., S. 45 A n m . 102 m. w . Nachw.). Über

I I . Kollisionsregel

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So e r k l ä r t z. B . A r t . 79 A b s . 3 G G , daß die „ t y p i s c h e Substanz der V e r f a s s u n g " 1 7 — die bundesstaatliche S t r u k t u r 1 8 , die M i t w i r k u n g der L ä n d e r b e i der Gesetzgebung u n d die i n A r t . 1 u n d 20 n i e d e r g e l e g t e n G r u n d sätze — der V e r f a s s u n g s ä n d e r u n g f ü r i m m e r entzogen i s t 1 9 . A u c h sonstige B e s t i m m u n g e n des G G k ö n n e n gemäß A r t . 79 A b s . 1 u n d 2 G G n u r d u r c h Z w e i d r i t t e l - M e h r h e i t s b e s c h l u ß des Bundestages u n d des B u n d e s rates abgeändert w e r d e n , u n d dabei m u ß der „ W o r t l a u t des G G a u s d r ü c k l i c h " g e ä n d e r t oder ergänzt w e r d e n 2 0 . D i e a u f diese Weise z u m A u s d r u c k gebrachte „ e r h ö h t e Bestandsgarantie" 21 der V e r f a s s u n g k a n n n u r d a h i n v e r s t a n d e n w e r d e n , daß die V e r fassung gegenüber a n d e r e n R e c h t s q u e l l e n 2 2 e i n e n h ö h e r e n R a n g e i n n i m m t 2 3 . Sonst w ä r e j a die p o s i t i v - r e c h t l i c h v e r a n k e r t e e r h ö h t e B e standsgarantie der V e r f a s s u n g nichts m e h r als eine leere F i k t i o n 2 4 . Es k a n n d a h e r gesagt w e r d e n , daß der V o r r a n g der V e r f a s s u n g v o r a n d e r e n Rechtsquellen ü b e r a l l d o r t besteht, w o die V e r f a s s u n g d u r c h eine e r h ö h t e B e s t a n d s g a r a n t i e v o n d e n ü b r i g e n Rechtsquellen abgehoben i s t 2 5 . die ganze Problematik der Verfassungsänderung vgl. statt vieler H. Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung, 1953. 17 P. Lerche, a.a.O., S. 45. 18 Über die Grenzen der Verfassungsänderung speziell i m Hinblick auf die bundesstaatliche S t r u k t u r der B R D vgl. P. Lerche, a.a.O., insbes. S. 43 ff. 19 Das GG hat auf diese Weise eine „verfassungsändernde Gewalt" i m Schmittschen Sinne konstituiert, die i m Gegensatz zu der „verfassungsgebenden Gewalt keineswegs allmächtig sein kann". Vgl. C. Schmitt, Verfassungslehre, z. B. S. 26, 99,102 ff. 20 Damit ist die Möglichkeit der sog. „legalen Verfassungsdurchbrechung" schlechthin ausgeschlossen. Dazu vgl. u.a. K . Hesse, Grundzüge, S. 16, 253 f.; T. Maunz, Staatsrecht, S. 221. 21 T. Maunz, a.a.O., S. 47. „Eine solche erhöhte Bestandsgarantie der V e r fassung k o m m t " aber, u m m i t H. Nawiasky, Rechtslehre, S. 39, zu sprechen, „allerdings i. d. R. n u r bei geschriebenen Verfassungen i n Betracht, die durch eine besondere Form ausgezeichnet u n d dadurch v o n den übrigen legislativen Erlassen abgehoben sind". Es ist daher k e i n Zufall, daß Länder, die keine geschriebene Verfassung haben (z. B. England), das I n s t i t u t der Normenkontrolle i m eigentlichen Sinne nicht kennen. 22 Hier kommen n u r die nachkonstitutionellen Rechtsquellen i n Betracht, da die primäre Geltungskraft des GG gegenüber vorkonstitutionellen Rechtsquellen ohnehin durch A r t . 123 I GG gewährleistet ist. Vgl. G. Groß, Diss. S. 34: Ipsen, DVB1.49, S. 486 ff. (488,490). 23 Die Frage, w a r u m sich aus der erhöhten Bestandsgarantie der Verfassung unbedingt der Vorrang der Verfassung ergeben muß, kann vorläufig zurückgestellt bleiben. Vgl. darüber unten, § 1, I V . 24 So auch L. Adamovich, Die Prüfung, S. 40. 25 I n diesem Sinne weist Giacometti, Allgemeine Lehren des rechtsstaatlichen Verwaltungsrecht, Bd. 1, 1960, S. 139 ff., darauf hin, daß die Rangordnung der formellen Rechtsquellen i m Rechtsstaat als „gelten" betrachtet w e r den muß. Schack, der unter der Geltung der W R V entschieden gegen die richterliche Normenkontrolle sich aussprach, leitet aus bestimmten Verfassungsändreungsvorschriften eine „höhere formelle K r a f t " u n d „materielle Überordnung der Verfassung" ab. (Vgl. Schack, Die Prüfung, S. 140 ff.)

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§ 1 Normenkollisionen i n der Rechtsordnung

Diese Feststellung ist deshalb von fundamentaler Bedeutung, weil die Normenkontrolle i n dieser oder jener Form unmittelbar mit der Rangordnung der Rechtsquellen zusammenhängt 26 2 7 . 26 Deshalb hebt z. B. Bettermann, ZZP, Bd. 72 (1959), S. 32 ff. (37) m i t Recht hervor, daß man die Problematik der Normenkontrolle nicht etwa bei dem Gewaltenteilungsprinzip oder Rechtsstaatsprinzip zu suchen hat, sondern die Rangordnung der Rechtsquellen als Grundlage der Normenkontrolle zu betrachten hat. Es erscheint m i r auch beinahe unumgänglich, zuerst das V o r handensein solcher Rangordnung i m positiven Recht festzustellen. Dazu vgl. auch Scheuner, DVB1. 1952, S. 294; Imboden, i n : H. Huber-Festschrift, S. 133 ff. (133). 27 Der sich aus der positivierten Rangordnung der Normen ergebende V o r rang der Verfassung hat, wie Schmidt-Salzer, DöV 1969, S. 97 ff. (99), hervorhebt, eine doppelte Bedeutung: Einerseits f ü h r t der Vorrang zu einer K o l l i sionsregel (also zu einer Normenkontrolle), daß Gesetze, die m i t der Verfassung nicht vereinbar sind, nichtig sein müssen; andererseits f ü h r t er zu einer Auslegungsregel — nämlich zur verfassungskonformen Gesetzesauslegung —, daß einfache Gesetze i n einer m i t der Verfassung vereinbaren A r t u n d Weise auszulegen sind. Die Abgrenzungsschwierigkeit v o n Normenkontrolle u n d verfassungskonformer Gesetzesauslegung ist schließlich auf diese Doppelbedeutung der Rangordnung zurückzuführen. Dennoch darf die Grenze zwischen der Normenkontrolle u n d der verfassungskonformen Auslegung nicht verwischt werden. Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung unterscheidet sich von der Normenkontrolle zunächst dadurch, daß die Verfassungsnormen bei der verfassungskonformen Auslegung als Auslegungsmaßstab herangezogen w e r den, während sie bei der Normenkontrolle den Prüfungsmaßstab bilden. (Vgl. dazu Michel, JUS 1961, S. 275.) Sie unterscheiden sich ferner dadurch, daß jedes Gericht zur verfassungskonformen Gesetzesauslegung befugt ist, wenn n u r eine Rangordnung vorhanden ist, während f ü r das I n s t i t u t der Normenkontrolle das Vorhandensein der Rangordnung allein noch nicht — zumindest i. d. R. — ausreicht. (Deshalb k a n n ich der Ansicht von Haak, Normenkontrolle, S. 274, nicht beipflichten, dem BVerfG als Normenkontrollinstanz fehle die Kompetenz zur verfassungskonformen Gesetzesauslegung. Gegen Haak auch etwa H. Bogs, DVB1.1965, S. 633 ff. (633); E. Schumann, JZ 1964, S. 664.) U m über die Frage der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zu entscheiden (Normenkontrolle), w i r d m a n zuerst den Norminhalt des Gesetzes verfassungsbezogen ermitteln müssen (verfassungskonforme Gesetzesauslegung). Deswegen hat jeder Richter, wenn i h m auch kein Recht auf Normenkontrolle zusteht, zuerst zu versuchen, den konkreten Rechtsfall durch verfassungskonforme Gesetzesauslegung zu entscheiden, bevor er das Normenkontrollproblem aufgreift. Diesen Zusammenhang verdeutlicht Imboden, i n : H. Huber-Festschrift, S. 139, durch die Formulierung, daß „sich verfassungskonforme Auslegung aus inneren Notwendigkeiten jeder Normenkontrolle ergibt". Dabei muß aber besonders beachtet werden, daß kein Richter den Grundsatz der verfassungskonformen Gesetzesauslegung dazu mißbrauchen darf, ein Gesetz umzudeuten. D a r i n besteht die Gefahr der verfassungskonformen Gesetzesauslegung und ihre Grenze, aber darauf k a n n hier nicht näher eingegangen werden. Es sei hier n u r noch erwähnt, daß man die verfassungskonforme Gesetzesauslegung nicht n u r als logische Folge der Rangordnung der Normen zu begreifen hat, sondern auch als Ausdruck jener Bestrebung, die i n jedem f u n k tionsteilenden L a n d zu beobachten ist, nämlich die v o m Gesetzgeber erlassenen Gesetze möglichst aufrechtzuerhalten. Spitzt m a n diese Überlegung zu, dann glaube ich, sagen zu können, daß die verfassungskonforme Gesetzesauslegung eine Einschränkung der Normenkontrolle darstellt. Vgl. zum Problem der Abgrenzung von Normenkontrolle u n d verfassungskonformer Gesetzesauslegung etwa folgende L i t e r a t u r : Haak, Normenkontrolle, passim, insb. S. 237 ff.; M. Imboden, i n : H. Huber-Festschrift, S. 133 ff. (138 ff.); F. Schack, JUS 1961, S. 269 ff.; Michel, JUS 1961, S. 274 ff.; Friauf, AöR

I I . Kollisionsregel

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2. Theorie der „Normenhierarchie" F e h l e n solche p o s i t i v e n Regeln, die die R a n g o r d n u n g der R e c h t s q u e l l e n a u s d r ü c k l i c h b e s t i m m e n , d a n n w i r d z u r L ö s u n g der N o r m e n k o l l i s i o n e n die T h e o r i e der sogenannten „ N o r m e n h i e r a r c h i e " 2 8 herangezogen. Diese T h e o r i e besagt, daß die einzelnen Rechtsquellen i n e i n e m R a n g v e r h ä l t n i s z u e i n a n d e r stehen, w o b e i r a n g h ö h e r e a l l e n r a n g n i e d r i g e r e n vorgehen. N a c h dieser L e h r e steht die V e r f a s s u n g s n o r m a n der Spitze der N o r m e n h i e r a r c h i e . „ A u f G r u n d der V e r f a s s u n g w e r d e n die Gesetze erlassen, welche e v e n t u e l l die E r m ä c h t i g u n g z u g e n e r e l l e n V o l l z i e h u n g s a k t e n i n F o r m v o n V e r o r d n u n g e n geben; d a r a n schließen sich die k o n k r e t e n A u s f ü h r u n g s a k t e der B e h ö r d e n u n d die R e c h t s h a n d l u n g e n d e r E i n z e l personen a n 2 9 . " Diese verschiedenen E r s c h e i n u n g s f o r m e n b i l d e n l e t z t l i c h eine e i n h e i t l i c h e Rechtsordnung. D i e V e r f a s s u n g s n o r m w i r d d a h e r e i n e r seits als „ G e l t u n g s g r u n d " 3 0 , andererseits auch als „ B e s t i m m u n g s g r u n d " 3 1 a l l e r u n t e r i h r stehenden R e c h t s n o r m e n angesehen. D a r a u s f o l g t z w i n gend, daß jede v e r f a s s u n g s w i d r i g e N o r m o h n e h i n „ v o n A n f a n g a n " nichtig ist32. 85, S. 224 ff. (230); Menger, VerwArch. 50, S. 387 ff. (389 f.); derselbe, VerwArch. 52, S. 305 ff. (312 ff.); derselbe, JUS 1960, S. 169 f.; H. Bogs, DVB1. 1965, S. 633 ff.; R. Herzog, BayVBl. 1959, S. 276 f.; J. Schmidt-Salzer, DöV 1969, S. 97 ff.; H. Krüger, DöV 1961, S. 721 ff.; E. Forsthoff, Z u r Problematik der Verfassungsauslegung, 1961; J. Wolff, Der Betrieb 1969, 21, S. 911 ff.; K . Stern, Diss. 28 Die Theorie der Normenhierarchie wurde v. a. von Merkl u n d Kelsen entwickelt, und sie verbreitete sich nach dem ersten Weltkrieg weitgehend. Vgl. zu dieser Theorie v. a. A. Hensel, i n : HdbDStR, Bd. 2, § 84, S. 313 ff.; Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 9 ff.; H. Maschke, Die Rangordnung der Rechtsquellen, 1932 Basel; H. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 228 ff.; derselbe, A l l g e meine Staatslehre, S. 233 ff., 248 ff. ; derselbe, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, S. X V f. m. w . Nachw.; Merkl, Die Lehre v o n der Rechtskraft, insb. S. 178 f., 213 ff.; derselbe, Allgemeines Verwaltungsrecht, insb. S. 171 ff.; derselbe, Prolegomena einer Theorie des rechtlichen Stufenbaus, in: Gesellschaft, Staat und Recht von Verdross, 1931 Wien, S. 252 ff.; derselbe, AöR 37 (1918), S. 56 ff.; H. Nawiasky, Rechtslehre, S. 31 ff., insb. S. 43 ff.; H. J. Wolff , V e r w R I, S. 125 ff. 20 H. Nawiasky, a.a.O., S. 31. 30 Infolgedessen muß bei deren Wegfall das ganze Normgefüge zusammenbrechen. Das ist häufig der Fall, w e n n der Verfassungswechsel m i t einer grundlegenden Änderung der politischen S t r u k t u r verbunden ist. Aber praktisch w i r d ein damit verbundenes Chaos regelmäßig dadurch vermieden, daß eine s t i l l schweigende „Rezeption" stattfindet. Dazu vgl. etwa H. Nawiasky, a.a.O., S. 93 f. 31 Sind die ranghöheren Normen des Verfassungsrechts nicht n u r Geltungsgrund der einfachen Gesetze, sondern bestimmen sie auch deren Inhalt, dann läßt sich darin die Geltungsgrundlage der verfassungskonformen Gesetzesauslegung erblicken, denn der Vorrang der Verfassung ist damit evident, wenn der Vorrang auch n u r rechtstheoretischer Natur sein mag. 32 D a r i n liegt die logische Stärke der Auffassung der „ipso-jure-Nichtigkeit" verfassungswidriger Gesetze. Aber w i e es sich noch zeigen w i r d , ergibt sich aus dem Stufenbau der Rechtsordnung allein noch nicht die Folge, daß die m i t der Verfassung kollidierenden Gesetze „nichtig sind", sondern n u r der Schluß, daß solche Gesetze „nichtig sein müssenHier beginnt die formelle Erkenntnisfrage der Normenkollision.

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§ 1 Normenkollisionen i n der Rechtsordnung I I I . Rangordnung der N o r m e n als logische Voraussetzung der Normenkontrolle

Gegen die Theorie der Stufenordnung der Rechtsquellen, insbesondere gegen die daraus abgeleitete Auffassung der „ipso-jure-Nichtigkeit" verfassungswidriger Gesetze erhebt neuerdings Böckenförde 33 Einwendungen, vor allem deswegen, weil er glaubt, daß die Theorie der ipso-jureNichtigkeit verfassungswidriger Gesetze die gesamte Problematik der Normenkontrolle nur „ i n den Bereich der Rechtstheorie verschiebt" 34 und die rechtspolitische Zielsetzung der Normenkontrolle aus den Augen verliert 3 5 . Nach seiner Meinung geht es bei der Normenkontrolle „nicht um die Erhaltung eines widerspruchsfreien Bereiches des Rechts an sich", sondern handelt es sich dabei nur „ u m den Schutz der Verfassung vor dem Zugriff des Gesetzgebers" 36 . Der Ansicht von Böckenförde ist insofern zuzustimmen, als er m i t Recht die formelle Erkenntnisfrage des Normenkonflikts von der materiellen Frage der Rangordnung der Rechtsquellen unterscheidet. Aus der vorhandenen Rangordnung der Rechtsquellen kann gewiß nicht ohne weiteres die Antwort auf die rechtspolitische Frage, wem die Erkenntniskompetenz zusteht und wie sich die Entscheidung auswirkt, abgeleitet werden. Sie sind zweifellos sehr eng zusammengebunden, dennoch sind sie zwei verschiedene Fragen, die man unbedingt zu unterscheiden hat 3 7 . Jedoch verdient Böckenförde keine Zustimmung, wenn er sich, u m die Auffassung der „ipso-jure-Nichtigkeit" verfassungswidriger Gesetze ins Feld zu führen, von der „Rangordnungsvorstellung" selbst distanziert. Seine logische Inkonsequenz ist v. a. darin zu erblicken, daß er selbst stillschweigend von der „Rangordnung" der Rechtsquellen ausgeht, indem er vom „Verfassungsschutz vor dem Zugriff des Gesetzgebers" spricht, obwohl er solche Rangordnungsvorstellung als „klassisch" bezeichnet und entschieden zurückgewiesen hat. Sein Ausgangspunkt, daß die Normenkontrolle dem Schutz der Verfassung vor dem Zugriff des Gesetzgebers diene, ist nur dann logisch, wenn man der Verfassung, die geschützt werden soll, eine besondere Schutzwürdigkeit gegenüber anderen Rechtsquellen zuerkennt. Diese besondere Schutzwürdigkeit der Verfassung ist aber i m Grunde genommen nichts anderes als deren Geltungsvorrang gegenüber anderen Rechtsquellen. Ohne den Geltungsvorrang der Verfassung fehlt es an jeglicher Grundlage für die Notwendigkeit des Verfassungsschutzes. Der Geltungsvorrang der Verfassung ist 33 34 35 36 37

Die sog. Nichtigkeit, passim, insb. S. 27 ff. a.a.O., S. 32. Vgl. a.a.O. ebenda. a.a.O., S. 32. Dazu vgl. unten § 2,1.

IV. Grundlage der primären Geltung der Verfassung

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gerade die logische Voraussetzung seiner These. Man darf das Normenkontrollproblem, wie er betont, gewiß nicht nur als „ein reines Normenproblem" 3 8 begreifen, jedoch läßt es sich auch nicht nur aus der verfassungspolitischen Perspektive betrachten, wie er fälschlich annimmt. Die Normenkontrolle findet überall dort und nur dort statt, wo die abgestufte Geltungskraft der verschiedenartigen Rechtsquellen — sei es i m positiven Recht, sei es in der Vorstellung des staatstragenden Willens — vorhanden ist 3 9 .

I V . Exkurs: Verfassungstheoretische Grundlage der primären Geltung der Verfassung

Es erscheint angebracht, an dieser Stelle exkursweise auf die Frage einzugehen, die sowohl für die positivierte Rangordnung der Rechtsquellen als auch für die Lehre der Normenhierarchie von Bedeutung ist, und die bei Böckenförde als selbstverständlich vorausgesetzt wird, nämlich auf die Frage, worauf die Höchstrangigkeit bzw. primäre Geltungskraft der Verfassung gestützt werden kann, m. a. W. warum sich aus der erhöhten Bestandsgarantie der Verfassung unbedingt der Vorrang der Verfassung ergeben muß. Das ist ohne Zweifel eine schwer zu beantwortende Frage. Deshalb ist es verständlich, wenn bisher darauf verschiedene Antworten vorliegen, die jeweils beanspruchen, richtig zu sein. 1. Normlogismus

Bei Kelsen ist der „Staat" nichts anderes als die „Rechtsordnung" 40 , die wiederum als „System stufenweise abfolgender Normenschichten" 41 aufgefaßt wird. A n der Spitze dieses Systems steht die Verfassung. Sie ist die höchste Norm, die nicht der Legalisierung durch eine höhere Norm bedarf 42 . I n diesem Sinne w i r d sie als „Norm der Normen" oder „Grundn o r m " 4 3 bezeichnet und als „souverän" angesehen. Sie ist deshalb souverän, weil der Staat als eine auf dieser „Grundnorm" beruhende Einheit von Rechtsnormen betrachtet w i r d 4 4 . 38 z.B. H. Wobst, Diss. S. 48, betrachtet die Normenkontrolle als ein „reines Normenproblem", u n d dabei beruft er sich auf Bötticher, Leipz. Z. 1926, Sp. 882 ff. (885). So auch Feigenspan, Diss. S. 24. 39 Dabei geht es nicht darum, ob m a n die Theorie der „Normenhierarchie" als solche i n allen Einzelheiten übernimmt oder nicht. Die Uber- u n d Unterordnung von Normen k a n n auch allein aus der Über- u n d Unterordnung der hinter den Normen stehenden Subjekte folgen. Vgl. oben S. 22 A n m . 2. Vgl. ferner Ipsen, D V 1949, S. 490; Bettermann, Z Z P 72, S. 39. 40 Vgl. z. B. Allgemeine Staatslehre, S. 16 f. 41 Vgl. a.a.O., S. 250. 42 Vgl. Hauptprobleme, S. X I V . 43 Vgl. Hauptprobleme, S. X V m. w . Nachw. 44 Vgl. z. B. Allgemeine Staatslehre, S. 16 f.

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§ 1 Normenkollisionen i n der

echtsordnung

N a c h dieser R e i n e n Rechtslehre g i l t die V e r f a s s u n g a l l e i n k r a f t i h r e r S o u v e r ä n i t ä t 4 5 , u n d die p r i m ä r e G e l t u n g s k r a f t der V e r f a s s u n g w i r d aus d e r „ S o u v e r ä n i t ä t " derselben abgeleitet. 2. Dezisionismus D e r L e h r e Kelsens, die, obgleich e i n e r a n d e r e n L o g i k folgend, z u m gleichen E r g e b n i s k o m m t w i e die L e h r e v o n Krabbe 4e, t r i t t u. a . 4 7 C. Schmitt entgegen m i t seinem b e r ü h m t g e w o r d e n e n „ D e z i s i o n i s m u s " , b e i d e m das L e g i t i m i t ä t s p r o b l e m i m V o r d e r g r u n d s t e h t 4 8 . „ V e r f a s s u n g " ist b e i Schmitt eine g r u n d l e g e n d e „ p o l i t i s c h e Entscheid u n g " 4 9 des Verfassunggebers, welche die politische D a s e i n s f o r m e i n e r p o l i t i s c h e n E i n h e i t a n g i b t u n d die g r u n d l e g e n d e V o r a u s s e t z u n g f ü r a l l e w e i t e r e n N o r m i e r u n g e n b i l d e t . Infolgedessen g i l t alles, w a s es i n n e r h a l b eines Staates a n Gesetzlichkeit u n d an N o r m a t i v i t ä t g i b t , n u r a u f dieser G r u n d l a g e u n d n u r i m R a h m e n dieser E n t s c h e i d u n g e n 5 0 . D u r c h diese k o n k r e t e E n t s c h e i d u n g o f f e n b a r t der V e r f a s s u n g g e b e r seinen „ W i l l e n " , die F o r m u n d A r t der k o n k r e t e n s t a a t l i c h e n E x i s t e n z zu b e s t i m m e n . K r a f t dieses „ W i l l e n s " d e r verfassunggebenden G e w a l t g i l t die V e r f a s s u n g 5 1 . F u n g i e r t das V o l k als T r ä g e r der verfassunggebenden G e w a l t , d a n n ist der „ W i l l e " des V o l k e s „das w e s e n t l i c h E x i s t e n z i e l l e " 5 2 des G e l t u n g s 45 Vgl. Hauptprobleme, S. X I V ; Allg. Staatslehre, S. 102 ff. (104), S. 233 ff. u n d S. 248 ff. 46 Von i h m stammt die Lehre von der „Rechtssouveränität". Die Lehre besagt, wie Krabbe, Die moderne Staatsidee, S. 2, selbst darstellt, daß „die i m Staat gegebene A u t o r i t ä t u n d die A u t o r i t ä t des Rechts identisch sind, so daß die Grundlage der Herrschaft des Staates m i t der bindenden K r a f t des Rechts zusammenfällt". Krabbe, a.a.O., S. 9, f ü h r t weiter aus: „ W i r leben jetzt nicht mehr unter der Herrschaft von Personen, seien es natürliche oder konstruierte (Rechts-) Personen, sondern unter der Herrschaft von N o r m e n . . . " Siehe über seine Lehre, v. a. Die moderne Staatsidee, 1919, passim, insb. S. 3 ff. u n d S. 39 ff. (Dieses Buch wurde u. a. i n englische Sprache übersetzt, The modern idea of the state, 1922/The hague.) Ferner, Kritische Darstellung der Staatslehre, 1930. 47 Vgl. z. B. die kritische Bemerkung zur Kelsenschen Lehre von H. Nawiasky, Rechtslehre, z. B. S. 35; H. Krüger, Staatslehre, insb. S. 135 f.; R. Smend, Verfassung u n d Verfassungsrecht, S. 119 ff., passim. 48 Η . Krüger, a.a.O., S. 150 f., erblickt i n der „Integrationslehre" von R. Smend (a.a.O.) einen engen Gedankenzusammenhang m i t dem Schmittschen „Dezisionismus". Jedoch nach der Selbstdarstellung von Smend, a.a.O., S. 186, unterscheidet sich seine „Integrationslehre" von der dezisionistischen Lehre Schmitts dadurch, daß die erstere „geistwissenschaftlich die Wirklichkeit der Dezision als politischer Selbstdarstellung nachzuweisen" versucht, während die letztere „Dezision" als solche zum K e r n p u n k t des Staatsproblems macht. 49 Vgl. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 23; ferner, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, i n : Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 69 f. 50 Vgl. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 24. 51 Dazu führt C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 22, aus: „Die Verfassung gilt k r a f t des existierenden politischen Willens desjenigen, der sie gibt." 52 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 76.

IV. Grundlage der primären Geltung der Verfassung

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grundes der Verfassung 5 3 5 4 . Nach C. Schmitt folgt die primäre Geltungskraft der Verfassung aus dem „Willen" des Verfassunggebers. 3. Bei H. Heller

Man hat auch den Schmittschen Dezisionismus ins Feld geführt, und zwar nicht nur von Autoren aus der Reihe der Kelsenschen Lehre, sondern auch etwa von H. Heller 55. Heller 56 w i r f t Schmitt vor allem vor, daß er jede „Normativität" aus der Verfassung ausmerzen wolle. Nach Heller müsse jede gefallene Entscheidung als „Norm" vergegenständlicht werden, sobald sie willensbindende Geltung, sei es für den Entscheidenden selbst, sei es für Andere, beanspruche. Bei i h m ist jede politische Verfassung nur als „normgeformtes Sein" 5 7 zu begreifen. Ohne Normativität vermöge keine Entscheidung Normalität und damit Kontinuität des Verhaltens hervorzurufen 58 . Heller fährt fort, der machtbildende Charakter des Rechts verbiete es uns, die Verfassung als „Entscheidung" einer normlosen Macht zu verstehen. Die Verfassung werde von den für die Machtstruktur ausschlaggebenden Teilen der Machtunterworfeneri deshalb befolgt, weil sie ihnen „als gelten sollende, vorbildliche oder verbindliche Normen entgegentreten" 59 . Indessen w i r d bei Heller auch ein verfassunggebendes Subjekt vorausgesetzt, und er bezeichnet es als „souverän" 6 0 . Jedoch spricht er dem „normlosen" Volk die verfassunggebende Gewalt ab, indem er denjeni53 Dabei unterscheidet C. Schmitt „Verfassungsgesetz" von der „Verfassung". A u f der Grundlage der „fundamentalen Entscheidungen" des Volkes, die er als „Verfassung" bezeichnet, w i r d ein „Verfassungsgesetz" normiert. Die „Verfassung" i n ihren Grundentscheidungen ist absolut unantastbar, während das „Verfassungsgesetz" der Verfassungsänderung unterliegt. Die Unterscheidung zwischen der verfassunggebenden u n d verfassungsändernden Gewalt findet hier die logischen Ansätze. (Vgl. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 75 ff.) Nach C. Schmitt ist eine „Verfassung" von einem „Verfassungsgesetz" qualitativ verschieden (vgl. a.a.O. S. 20 ff.). Die Verfassung gilt k r a f t des politischen Willens des Verfassunggebers, während „die Verfassungsgesetze erst auf Grund der Verfassung gelten" (a.a.O., S. 22). „ E i n Verfassungsgesetz ist seinem I n h a l t nach die ausführende Normierung des verfassunggebenden Willens. Es steht ganz unter der Voraussetzung u n d auf der Grundlage der i n diesem W i l l e n enthaltenen politischen Gesamtentscheidung" (vgl. a.a.O., S. 76). Vgl. auch unten § 5, I I , 2, C (c). Daß i n der vorliegenden Arbeit aber dieser juristisch exakte Begriffsunterschied nicht i m m e r beachtet u n d das Wort „Verfassung" i n Ubereinstimmung m i t dem allgemeinen Sprachgebrauch i m relativierten formellen Sinne gebraucht w i r d , sei hier vorgemerkt. 54 Weiterhin vgl. die kritische Auseinandersetzung Schmitts m i t der Kelsenschen Lehre, Verfassungslehre, S. 7 ff., auch, Der Hüter, 1931, S. 39 ff. 35 Vgl. H. Heller, Staatslehre, insb. S. 249 ff. 56 Vgl. a.a.O., S. 259, auch S. 253, 264 f. u n d 276 ff. 57 z. B. a.a.O., S. 250, 253. 58 Vgl. a.a.O., S. 265. 59 H. Heller, a.a.O., S. 277. 60 Vgl. a.a.O., S. 244.

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§ 1 Normenkollisionen in der Rechtsordnung

gen politischen Willen, dessen „Macht und Autorität" imstande ist, die Existenz der politischen Einheit i m Ganzen zu bestimmen, als verfassunggebende Gewalt bezeichnet. Nach seiner Auffassung komme das Volk erst dann als verfassunggebende Gewalt i n Betracht, wenn es diese Eigenschaft „normativ" erworben habe. Ohne Normierung habe aber eine Menschenmenge weder einen entscheidungsfähigen Willen, noch eine aktionsfähige Macht, am allerwenigsten aber besitze sie Autorität 6 1 . Diese mehr auf die soziale Wirklichkeit bezogene Auffassung Hellers läßt sich jedoch i n ihrem AVesensgehalt nicht unterscheiden von dem der «Schrmtischen Lehre. Bei Heller w i r d auch, wie bei Schmitt, um m i t Smend zu sprechen, „die souveräne ,Dezision' als Kernpunkt des Staatsproblems aufgezeigt" 62 , wenn er von der „souveränen verfassunggebenden Gewalt" 6 3 redet und Verfassung als „normgeformtes Sein" 6 4 zu begreifen versucht. Ein faktischer Unterschied besteht nur darin, daß Heller unter der „verfassunggebenden Gewalt" nur „genormtes" V o l k 6 5 verstanden wissen w i l l , während Schmitt das „ V o l k " als solches als verfassunggebende Gewalt bezeichnet. Abgesehen von dieser faktischen Nuancierung, w i r d sowohl nach Schmitt als auch nach Heller das „ V o l k " als „Quelle" der verfassunggebenden Gewalt und damit auch als „Quelle" der primären Geltungskraft der Verfassung betrachtet. 4. Zusammenfassung

Nach der vorangegangenen kurzen Untersuchung läßt sich feststellen, daß der Kelsensche Normlogismus in einer demokratisch gesinnten Gesellschaft schwer anzuerkennen ist, vor allem deswegen, weil er dem dynamischen Charakter der Verfassung keine Beachtung schenkt. Der Verfassung den menschlichen Entscheidungscharakter abzusprechen und die Verfassung nur als souveräne Grundnorm zu betrachten, ist unter den heutigen sozialen Gegebenheiten eine nicht mehr vertretbare A n sicht. Wenn man wenigstens die Verfassung als eine dynamische „Wirklichk e i t " 6 6 zu begreifen versucht, die durch menschlichen Kompromiß herbeigeführt wird, ist der Verfassung der menschliche Entscheidungscharakter nicht abzusprechen 67 . I n einer pluralistischen Gesellschaft kommt die 61

Vgl. a.a.O., S. 278. Vgl. R. Smend, Verfassung u n d Verfassungsrecht, S. 186. Vgl. ferner H. Triepel, W D S t R L , Heft 5, S. 2 ff. (7). 63 H. Heller, a.a.O., S. 244. 64 H. Heller, a.a.O., S. 250, 253. 65 Z u r Unterscheidung zwischen „Menge" u n d „ V o l k " u n d über ihre p o l i t i sche Bedeutung i n einer Demokratie siehe etwa H. Krüger, Staatslehre, S. 247 ff. 66 Vgl. R. Smend, Verfassung u n d Verfassungsrecht, 1928, S. 80. 67 I n diesem Sinne stellt auch etwa Pestalozza, Der Staat, 2. Bd. 1963, S. 425 ff. 62

IV. Grundlage der primären Geltung der Verfassung

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Verfassung sogar „sehr oft als das Ergebnis eines Kampfes verschiedener politischer Richtungen zustande" 68 . Es ist daher kein Zufall, daß man die Verfassung als „politische N o r m " 6 9 bezeichnet und darin die besondere Schwierigkeit der Verfassungsauslegung erblickt 7 0 . Betrachtet man so die Verfassung als „Kompromißfrucht", die zwischen verschiedenen miteinander streitenden Interessengruppen gefunden worden ist, eine „Gemeinschaft existentieller Verbundenheit" 7 1 zu schaffen, dann muß dieser Kompromiß als „oberster Wert" 72 von allen nachgeordneten Gewalten respektiert werden. Ohne diese Respektierung ist ein demokratischer Verfassungsstaat überhaupt nicht denkbar. Sollte sich dennoch ein Staat für einen demokratischen Verfassungsstaat ausgeben, dann ist er nur eine Scheindemokratie. Daher w i r d dieser Respektierung sehr oft dadurch Rechnung getragen, daß der Verfassunggeber die von i h m geschaffene Verfassung nur durch ein besonders erschwertes Verfahren oder nur unter seiner unmittelbaren Beteiligung 7 3 abändern läßt oder sogar den Verfassungskern für unabänderlich erklärt. Der auf diese Weise geschützten Verfassung den Geltungsvorrang zu geben und sie besonders zu beachten, sind die Existenzgrundlage einer durch sie „geformten" Gesellschaft. Es ist indessen eine andere Frage, daß die Verfassung durch Revolution u. ä. ihre Geltung suspendiert bzw. abgeschafft werden kann, oder durch die Konstituierung einer neuen verfassunggebenden Gewalt 7 4 ein neues Gesicht bekommt. Solange dies nicht geschieht, kann der Vorrang der Verfassung von keinen Gewalten beeinträchtigt werden. (426), fest — wenn auch i n einem anderen Zusammenhang —, daß Verfassung nicht außerhalb menschlicher Entscheidung stehen kann. 68 H. Spanner, Die richterliche Prüfung, S. 71 m. Hinweis auf C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 31 ff. 69 z. B. H. Krüger, N J W 1949, S. 163. Vgl. unten § 5, I I , 1, A (a). 70 Vgl. unten § 5, I I , 1, A. Uber das Problem der Verfassungsauslegung ist allein nach dem letzten Weltkrieg eine Unmenge L i t e r a t u r erschienen. Aus der fast unübersehbaren Fülle des Schrifttums siehe etwa: H. Krüger, DöV 1961, S. 721 ff.; derselbe, DVB1. 1961, S. 685 ff.; Scheuner, DVB1. 1952, S. 269; P. Lerche, DVB1. 1961, S. 690 ff.; E. Forsthoff, Verfassungsauslegung; derselbe, in: C. Schmitt-Festschrift, S. 35 ff.; F. Klein, DöV 1964, S. 471 ff.; Freund, DöV 1968, S. 204 ff.; Ossenbühl, DöV 1965, S. 649 ff.; P. Schneider, V V D S t R L , Heft 20 (1963), S. 1 ff.; H. Ehmke, V V D S t R L , Heft 20, S. 53 ff.; W. Schick, AöR 94 (1969), S. 353ff.; Maunz, BayVBl. 1969, S. I f f . ; G. Weber, DVB1. 1961, S. 116ff.; W. Leisner, DöV 1961, S. 641 ff.; R. Herzog, BayVBl. 1959, S. 276 f.; Pestalozza, Der Staat, 2. Bd., S. 425 ff. 71 H. Krüger, Staatslehre, S. 190 ff. 72 Von der Frage, ob eine vorverfassungsrechtliche Wertordnung, die der Verfassung verbindlich zugrunde gelegt werden muß, existieren könne, w i r d hier vorläufig abgesehen. Vgl. darüber unten § 5, I I , 2, c, (b). 73 Vgl. z. B. A r t . 121 V R K , ferner oben § 1, I I , 1, B. 74 Dabei denke ich an jenen Ausspruch, den der 3. amerikanische Staatspräsident Thomas Jefferson (1743 - 1826) gesagt haben soll: Jede Generation 3

Huh

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§ 2 Normenkontrolle als Folge der Normenkollisionen

§2

Normenkontrolle als

konsequente Folge der Normenkollisionen I . Kollisions- und Erkenntnisregel

„Normenkontrolle ist die Prüfung der Vereinbarkeit einer Norm mit einer höherrangigen Norm" 7 5 . Dabei „werden Normen an Normen gemessen, Normen auf ihre Normgemäßheit geprüft" 7 6 . Deshalb setzt Normenkontrolle eine abgestufte Geltungsrangordnung innerhalb der Normen voraus 77 . Diese Voraussetzung ist, wie oben festgestellt wurde, schlechthin vorhanden — sei es positiv-rechtlich, sei es nur in der rechtstheoretischen Vorstellung. Jedoch ergibt sich aus der Feststellung, daß eine Rangordnung besteht, noch keine A n t w o r t darauf, wie der Normanwender bei einer Normenkollision zu handeln hat, wem die Erkenntniskompetenz zusteht und wie sich die Erkenntnis auswirken soll u. ä. mehr, denn die Rangordnungsregel bzw. -lehre hat nur die Aufgabe, die widerspruchslose Einheit der staatlichen Rechtsordnung zu gewährleisten 78 . Darum w i r d man die materielle „Kollisionsfrage" von der formellen „Erkenntnisfrage" streng unterscheiden müssen 79 . Die Frage, ob der Normanwender befugt ist, das rangniedere Gesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit zu prüfen, ob er kompetent ist, den Widerspruch zwischen beiden zu erkennen, und ob er schließlich das Gesetz, falls es der Verfassung widerspricht, außer Anwendung lassen kann, werden durch die „Kollisionsregeln" als solche nicht bestimmt, sondern sie bleiben der jeweiligen konkreten Erkenntnisregelung überlassen 80 .

habe das Recht, eine neue Verfassung zu schaffen. Vgl. ferner H. Krüger, Staatslehre, S. 702, A n m . 136. 75 K . Hesse, Grundzüge, S. 245; vgl. auch Maunz, in: Maunz u. a., BVerfGG, Vorbemerkung Rn. 23. 76 K. A. Bettermann,, Z Z P Bd. 72 (1959), S. 32 ff. (37). 77 Vgl. K . A. Bettermann, a.a.O., S. 37 f. 78 Vgl. A. Hamann, N J W 1959, S. 1465 ff. (1468). So auch etwa H. Maschke, Die Rangordnung der Rechtsquellen, S. 7 ff.; Hensel y HdbDStR I I , S. 313 ff. (313 f. u n d 325). Hensel (a.a.O., S. 325) betrachtet diese Frage aus der Perspektive des Normgebers u n d spricht von einer „Pflicht" des normsetzenden Organs, „zuvor zu prüfen, ob die geplante Normschaffung m i t den Rangordnungsbestimmungen vereinbar ist". 79 I n diesem Sinne auch u. a. L. Renck, Diss. S. 21 m. w. Nachw.; G. Groß, Diss. S. 30 u n d 37; Bachof, AöR 87, S. 32 u n d 36; Kokemüller, Diss. S. 88. 80 Vgl. Bachof, AöR 87, S. 4 A n m . 10.

I I I . Normenkontrolle bei fehlenden Erkenntnisregeln

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I I . Normenkontrolle bei vorhandenen Erkenntnisregeln als Auslegungsproblem

Es sind daher für das Institut der Normenkontrolle relativ wenige verfassungstheoretische Probleme aufzuwerfen, wenn das positive Recht außer Kollisionsregeln auch Erkenntnisregeln enthält. Selbst i m Falle einer ausdrücklichen Regelung der Erkenntnisfragen bieten sich viele Regelungsmöglichkeiten an, d. h. die Normenkontrolle kann entweder allgemein zugelassen 81 oder ausgeschlossen82 oder ausschließlich einem besonderen Organ — sei es einem nichtparlamentarischen politischen Gremium 8 3 , sei es einem obersten Gericht 8 4 oder einem Verfassungsgericht 8 5 — zugewiesen sein. Bei solchen Fällen beschränkt sich das Normenkontrollproblem v. a. auf das Auslegungsproblem der jeweils gegebenen positiven Bestimmungen, worauf i m zweiten Kapitel näher einzugehen sein wird. I I I . Normenkontrolle bei fehlenden Erkenntnisregeln als Problem der Verfassungstheorie

Enthält das positive Recht dagegen nur Kollisionsregeln und fehlt es an ausdrücklichen Regeln für die Erkenntnisfragen, dann muß zuerst die entscheidende Frage geklärt werden, ob überhaupt eine Gesetzesnorm auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft werden muß und ggf. wer darüber zu befinden hat. Eine A n t w o r t auf diese „Ob-Frage" läßt sich aber aus der vorhandenen Rangordnung allein nicht ableiten, denn, wie schon angedeutet wurde, daraus folgt nicht zwingend, daß eine Gesetzesnorm unbedingt auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft werden muß 8 6 . Daher kann diese Frage 81 Das heißt jeder Normanwender, v. a. jedes Gericht ist zur Normenkontrolle befugt. Selbst i n einem solchen F a l l w i r d jedoch dem Organwalter der V e r w a l t u n g die Normenkontrollbefugnis abgesprochen, was auf die besondere Rechtsstruktur der V e r w a l t u n g zurückzuführen ist. Darüber vgl. unten S. 40 Anm. 108. 82 N u r dem Gesetzgeber selbst w i r d die Erkenntnisbefugnis zur Feststellung der Normenkollision eingeräumt, z. B. A r t . 64 I I der Berliner Verfassung. Uber dessen Grundgesetzwidrigkeit vgl. u. a. Bettermann, Z Z P 72, S. 34. Etwa A r t . 113 Abs. 3 der Schweizer Bundesverfassung gehört auch hierzu. 83 z. B. A r t . 61 Abs. 2 der Verfassung Frankreichs v. 28. 9.1958; A r t . 81 Abs. 2 ff. der V R K i. d. F. v o m 12. 7.1948. 84 z. B. A r t . 102 der V R K i. d. F. v o m 26.12.1962. 85 z. B. A r t . 100 Abs. 1, A r t . 93 Abs. 1 Nr. 2, A r t . 126 GG; A r t . 134 Abs. 1 der Verfassung Italiens i. d. F. v. 27.12.1963; A r t . 139, 140 der Verfassung Österreichs i. d. F. v. 15.7.1964; A r t . 147 Abs. 1 und A r t . 151 der Verfassung der T ü r k e i v o m 27. 5.1961. 86 Das hat schon der Chief Justice Marshall i n der berühmten Entscheidung „Marbury v. Madison " von 1803 richtig erkannt, indem er sich nicht n u r auf die materiell-rechtlichen, sondern auch auf die funktionell-rechtlichen Überlegungen stützte. Vgl. unten § 5,1,1 A .

3*

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§ 2 Normenkontrolle als Folge der Normenkollisionen

erst dann beantwortet werden, wenn man das Problem aus der Perspektive des Normanwenders untersucht und den Gesamtgehalt der Verfassung i n Erwägung zieht, d. h. die Frage muß mangels ausdrücklicher Erkenntnisregeln aus allgemeinen verfassungsrechtlichen Prinzipien gelöst werden. 1. Normenkontrolle als Vorgang der Normanwendung?

Dabei kommen zuerst diejenigen Überlegungen i n Betracht, die die Notwendigkeit der Normenkontrolle aus der Natur der Normanwendung ableiten wollen. Die Gedankengänge solcher Überlegungen sind etwa folgende: Jede Normanwendung setzt Norminterpretation voraus, deshalb muß jeder Normanwender zuerst die anzuwendende Norm interpretieren. Diese Interpretation umschließt aber die Frage, ob eine Norm gegen eine Norm höheren Ranges, insbesondere gegen die Verfassung verstößt 87 . Diese Beweisführungen sind jedoch nicht unbedingt überzeugend, weil bei dieser Argumentation die institutionelle Verschiedenheit der Normenkontrolle und der verfassungskonformen Gesetzesauslegung nicht genügend beachtet w i r d 8 8 . Es ist zwar richtig, daß jede Normanwendung Norminterpretation voraussetzt und diese Normauslegung nicht schon mit der grammatikalischen, teleologischen usw. Auslegung beendet wird, sondern daß der Gedanke der Einheit der Rechtsordnung sowie die daraus folgende Stufenfolge der Normen eine letzte und abschließende Inbeziehungssetzung der Norm zur Verfassung verlangt. Dennoch kann diese abschließende Stufe des Auslegungsverfahrens nicht ohne weiteres mit der Normenkontrolle identifiziert werden. Die Grenze, die zwischen verfassungskonformer Gesetzesauslegung und Normenkontrolle verläuft, darf nicht überschritten werden 8 9 . 87 Derartige Beweisführung w i r d v. a. von Autoren vorgenommen, die angesichts des Schweigens des GG die Normenkontrolle durch die Exekutive für richtig halten. Vgl. etwa Bachof, AöR 87, S. I f f . (41); Abelein, BayVBl. 1967, S. 145 ff. (147). V o n dem Normenkontrollproblem der Exekutive unabhängig versucht Fuß, Diss. S. 92 ff., die These aufzustellen, daß „sich die Prüfung von Rechtssätzen auf ihre Vereinbarkeit m i t dem GG als ein Vorgang der Rechtsanwendung darstellt" (S. 114). Ä h n l i c h auch Strauß, Die oberste Bundesgerichtsbarkeit, S. 34; v. Hippel, HdbDStR I I , S. 546 ff. (547); Nawiasky, DJZ 1923, S. 41; Larenz, Das Problem der Rechtsgeltung, S. 38; Theisen, AöR 8 (1925), S. 274; J. R. Schmidt, Diss. S. 132 ff. 88 Über den Unterschied zwischen Normenkontrolle und verfassungskonformer Auslegung vgl. oben S. 26 Anm. 27. 89 Die K r i t i k von E. W. Fuß, Diss. S. 92 ff. (102, 114) u n d J. R. Schmidt, Diss. S. 132 ff., an der Auffassung von C. Schmitt, Der Hüter, 1931, S. 32 ff., u n d W. Henke, Der Staat, Bd. 3, S. 433 ff., Normenkontrolle u n d Rechtsanwendungsvorgang seien wesentlich verschieden, ist deshalb verfehlt. Der Ansicht von Fuß (a.a.O.) u n d J. R. Schmidt (a.a.O.), die Normenkontrolle sei grundsätzlich ein

I I I . Normenkontrolle bei fehlenden Erkenntnisregeln

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Darin liegt das sprunghafte Moment dieser Gedankengänge und damit die Unzulänglichkeit des Versuchs, die Notwendigkeit der Normenkontrolle nur aus der Natur der Normanwendung ableiten zu wollen. 2. Die sogenannte „Bindungstheorie"

A. „Bindungstheorie"

im klassischen Sinne

Ein anderes Argument, das auf derselben Grundlage beruht, jedoch einer anderen Logik folgt, ist die sog. „Bindungstheorie" 90 . Diese Theorie geht davon aus, daß die prinzipielle Bindung aller Richter an das „Gesetz" auch die Bindung an die Verfassung umschließe, da die Verfassung auch ein „Gesetz" sei. Ist der Richter gleichzeitig an die Verfassung und an das Gesetz gebunden, dann ist der Richter der Verfassung als der ranghöheren Norm größeren Gehorsam schuldig. Die Folge davon könne nur die sein, daß der Richter die Anwendung des verfassungswidrigen Gesetzes abzulehnen und sich unmittelbar nach der Verfassung zu richten habe 91 . Daß die Verfassung als Direktive des ursprünglichen Verfassunggebers für die Gesetzgebung und Rechtsprechung die Richtschnur darstellt und daß, wo immer ein Widerspruch zwischen der Verfassung und dem einfachen Gesetz auftaucht, die Verfassung den Vorrang vor dem einfachen Gesetz haben sollte, dürfte unter den heutigen verfassungsrechtlichen Verhältnissen kaum bestreitbar sein. Die „gesteigerte Bindung" des Richters an die Verfassung, wovon allerdings die sog. „Bindungstheorie" ausgeht, ist nur unter dieser primären Geltungskraft der Verfassung logisch denkbar. Methodisch umgekehrter Versuch Haaks 92, aus der unmittelbaren Verfassungsbindung des Richters 9 3 und sogar aus dem Bestehen „einer diffusen richterlichen Verwerfungskompetenz" 94 den Vorrang der Verfassung abzuleiten, ist schon Vorgang der Rechtsanwendung, k a n n nicht beigepflichtet werden. J. R. Schmidt, a.a.O., f ü h r t wörtlich aus: „daß der »Vergleich 4 verschiedenrangiger Normen . . . nichts anderes ist, als die Anwendung der höheren N o r m auf die niedrigere" (a.a.O., S. 134). „Die Tätigkeit des Richters bei Feststellung eines Widerspruchs i n irgendeinem Bereich der Normenhierarchie unterscheidet sich demnach i n ihrer logischen Grundstruktur i n nichts von anderen Rechtsanwendungsvorgängen" (a.a.O., S. 164). Darauf stützt J. R. Schmidt seine These, die Normenkontrolle gehöre materiell zur Rechtsprechung. Der Rechtsprechungscharakter der Normenkontrolle läßt sich aber genauso beweisen, wenn m a n auch von der Verschiedenheit der Normenkontrolle und Rechtsanwendung ausgeht. Vgl. dazu z. B. Bettermann, Z Z P 72, S. 36 f.; H. Krüger, Staatslehre, S. 696 u n d 708. 90 U m den zusammenhängigen Gedankenkomplex zu bezeichnen, w i r d hier diese Terminologie verwendet. 91 Dieser Gedanke stammt ursprünglich aus der Marshall-Entscheidung in Marbury v. Madison i m Jahre 1803. Daher kann man i h n als klassisch bezeichnen. Derselbe Gedanke findet sich auch bei H. Kelsen, V V D S t R L , Heft 5, S. 30 ff. (55 f.). Neuerdings auch bei Haak, Normenkontrolle, S. 120 ff. 92 Vgl. Haak, a.a.O., S. 109 ff. 93 Vgl. Haak, a.a.O., S. 127 A n m . 92. 94 Vgl. Haak, a.a.O., S. 133.

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§ 2 Normenkontrolle als Folge der Normenkollisionen

deswegen unrichtig, weil sich beim Fehlen eines Rangunterschiedes zwischen Verfassung und Gesetz die These kaum beweisen läßt, daß der Richter an die Verfassung stärker als an einfache Gesetze gebunden sein soll. Die Schwierigkeit solcher Beweisführung ist bereits an den Erfahrungen der Weimarer Zeit zu erkennen, wo der fehlende — besser gesagt umstrittene — Vorrang der Verfassung immer wieder als Hauptargument gegen das richterliche Prüfungsrecht herangezogen wurde 9 5 . Die „Bindungstheorie" läßt sich daher erst auf der Grundlage einer festgestellten Rangordnung begründen. Außerdem besagt der dogmatische Umstand, daß der Richter an die Verfassung stärker als an einfache Gesetze gebunden ist, noch nichts darüber, ob diese „gesteigerte Bindung" des Richters an die Verfassung bereits die Befugnis desselben impliziert, die anzuwendenden Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit h i n zu prüfen und die Anwendung verfassungswidriger Gesetze abzulehnen. B. „Bindungstheorie" im Zusammenhang mit weiteren Verfassungstheorien Diese Frage kann daher, wie Bettermann 96 mit Recht bemerkt, erst dann beantwortet werden, wenn man die an sich gegebene „Nichtigkeit" verfassungswidriger Gesetze voraussetzt und weitere verfassungstheoretische Überlegungen anstellt. Was dabei die Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze anbelangt, so ist es die elementare Substanz einer Rechtsnorm, daß sie nur verbindlich sein kann, soweit sie nicht einer Rechtsnorm höheren Ranges widerspricht 97 . Die Unverbindlichkeit verfassungswidriger Gesetze ist auch die rechtslogische Folge der Verfassungsgebundenheit des Gesetzgebers. Aus der Verfassungsgebundenheit des Gesetzgebers ergibt sich die Pflicht des Gesetzgebers, seine Entscheidungen an der Verfassung zu orientieren 98 und zuvor zu prüfen, ob die geplante Normschaffung mit der Verfassung vereinbar ist 9 9 . Die richterliche Prüfungskompetenz kann aus dem Vorausgegangenen schlüssig nur begründet werden, wenn man an weiteren verfassungsrechtlichen Prinzipien festhält; z. B., daß die Verfassung „unmittelbar geltendes Recht" darstellt und daß der Richter „funktionell-rechtlich" 1 0 0 95

Vgl. unten § 4,1, 2, A . Vgl. Bettermann, Z Z P 72, S. 40 f. 97 Vgl. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 196; Hensel, HdbDStR I I , S. 316. 98 I n diesem Sinne spricht z. B. Ossenbühl, DöV 1965, S. 649 ff. (650), daß E n t scheidungen durch Gesetzgebung ebenfalls ein Stück Verfassungsauslegung darstelle. So ähnlich auch H. Ehmke, V V D S t R L , Heft 20, S. 53 ff. (68); H. Heller, V V D S t R L , Heft 4, S. 119. 99 Vgl. Hensel, a.a.O., S. 325. 100 Vgl. zu dieser Terminologie H. Ehmke, a.a.O. 96

I I I . Normenkontrolle bei fehlenden Erkenntnisregeln

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einem Entscheidungszwang unterworfen ist und er seine Tätigkeit unabhängig und gewissenhaft auszuüben hat. Verfassung als unmittelbar geltendes Recht verlangt vom Richter, über seinen speziell-sachlichen Horizont hinauszuschauen und „seine Argumentation durch die Einbeziehung der adäquaten verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte zu bereichern" 1 0 1 . Der funktionell-rechtliche Entscheidungszwang des Richters, dem für die Herleitung einer richterlichen Prüfungskompetenz eine der wichtigsten Bedeutung beizumessen ist, muß i m Zusammenhang m i t dem Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit, der sich sinngemäß i n allen modernen Verfassungen findet, noch näher untersucht werden. C. „Bindungstheorie"

als Kehrseite der Unabhängigkeitsklausel

Es liegt auf der Hand, daß sich der Grundsatz, die Richter seien unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen 1 0 2 , verfassungshistorisch gesehen, i n erster Linie gegen die „Kabinettsjustiz" wendet und damit weisungsungebundene sachlich-unabhängige Rechtsprechungstätigkeit des Richters zu wahren beabsichtigt 103 . Der Sinn dieses Grundsatzes erschöpft sich jedoch nicht i n der sachlichen Unabhängigkeit des Richters, sondern es muß auch daraus entnommen werden, daß der Richter an das Gesetz gebunden sein muß 1 0 4 . „Seine sachliche Unabhängigkeit ist, „wie Reuß betont, „lediglich die Kehrseite seiner ausschließlichen Unterwerfung unter das Gesetz" 105 . Diese Bindung an das „Gesetz" kann aber unmöglich nur die Bindung an das „einfache Gesetz" bedeuten, sondern sie umfaßt zweifellos die Bindung an die „Verfassung", denn der Begriff „Gesetz" ist i m materiellen Sinne zu verstehen 106 . Die Bindung des Richters an „Verfassung und Gesetz" ist angesichts der primären Geltungskraft der Verfassung nur so zu verstehen, daß der Richter „keinen Schritt tun darf, ohne vorher der Verfassung gehuldigt zu haben" 1 0 7 . Das bedeutet, daß sich die inzidente Prüfungskompe101

H. Krüger, N J W 1949, S. 165. Vgl. z. B. A r t . 97 Abs. 1 GG; A r t . 102 W R V ; A r t . 98 V R K . Vgl. dazu u. a. Anschütz, Kommentar WRV, A n m . 1 ff. zu A r t . 102 W R V ; Hesse, Grundzüge, S. 205; Hamann, GG, S. 402, A n m . 2; Leibholz-Rinck, GG-Kommentar, S. 456; Holtkotten, i n : Bonner Kommentar, Erl. I I , 1 a zu A r t . 97 GG; Maunz, Staatsrecht, 13. Aufl., S. 230 I I 1. 104 Vgl. etwa Holtkotten, a.a.O., Erl. I I , 2 zu A r t . 97 GG; Hamann, a.a.O., S. 401 A n m . A ; Maunz, a.a.O., S. 230. 105 H. Reuß, DöV 1963, S. 361 ff. (363). Reuß meint ferner, diese Bindung an das Gesetz sei die einzige innere Rechtfertigung f ü r die Unabhängigkeit des Richters. 108 So auch z. B. Holtkotten, a.a.O., Entstehungsgeschichte u n d Erl. I I , 2 a zu A r t . 97 GG; Leibholz-Rinck, a.a.O., S. 466; Hamann, a.a.O., S. 402 A n m . 3; Hesse, a.a.O., S. 205 A n m . 49 u n d S. 206; Maunz, a.a.O., S. 230 I I (1); Wernicke, i n : Bonner-Kommentar, Erl. 3 e zu A r t . 20 GG; Bachof, i n : H. Huber-Festschrift, S. 26 ff. (46) ; K . B. v. Doemming, JöR, N. F. 1 (1951), S. 717. 107 Krüger, GG und Kartellgesetzgebung, S. 3. 102

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§ 2 Normenkontrolle als Folge der Normenkollisionen

tenz des Richters, wenn es i n der Verfassung nicht anders geregelt ist, aus der richterlichen Unabhängigkeitsklausel und aus den oben geschilderten verfassungsrechtlichen Prinzipien ohne weiteres rechtslogisch ergibt 1 0 8 . 108 Wie z. B. Menger, VerwArch. 52, S. 305 ff. (305 f.), darauf hinweist, ergibt sich das Problem der Inzidentprüfung der Normen nicht n u r für den Richter, sondern auch f ü r den Organwalter der vollziehenden Gewalt, denn der Organwalter der Exekutive ist auch an Verfassung u n d Gesetz gebunden (vgl. A r t . 1 Abs. 3 und A r t . 20 Abs. 3 GG) und er hat auch einen konkreten Sachverhalt i m Wege der Rechtsfindung zu lösen u n d zu entscheiden. Dennoch läßt sich die hier entwickelte Erkenntnis wegen der Verschiedenheiten der richterlichen u n d verwaltungsrechtlichen Bindung an das Gesetz, nämlich die normative Orientierung bei den Gerichten u n d die mehr teleologische Orientierung der Exekutive, und die Weisungsgebundenheit des Organwalters i m Gegensatz zu dem Richter nicht i n vollem Umfang auf die inzidente Normenkontrolle des Organwalters anwenden. M a n t u t daher diesen strukturellen Verschiedenheiten unrecht, wenn man trotzdem behaupten würde, daß dem Organwalter dieselbe inzidente Prüfungsbefugnis zustünde wie dem Richter. Andererseits w i r d m a n sich wiederum von einer Meinung distanzieren müssen, der Organwalter wäre n u r zum blinden Gesetzesgehorsam verpflichtet. Die allgemeine Pflicht des Organwalters, v o r einem Handeln die Verfassungsmäßigkeit seiner gesetzlichen Grundlage zu prüfen, läßt sich schwer verneinen. Es ist allerdings nicht zu verkennen, daß sich m i t dieser grundsätzlichen Bejahung der Prüfungspflicht des Organwalters eine Reihe von Problemen ergibt, v. a. das Problem, welche Konsequenz er aus dem Prüfungsergebnis zu ziehen hat. I m Rahmen dieser Arbeit k a n n dies aber nicht erörtert werden: ein kurzer Hinweis auf den Meinungsstand mag genügen. Bisher ist dieser Problemkomplex, der übrigens erst i n jüngster Zeit besonders aktuell geworden ist, hauptsächlich i m Zusammenhang m i t der Frage der ipso-jure-Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze behandelt und diskutiert worden. Soweit ersichtlich, hat sich inzwischen eine überwiegende Meinung n u r dahingehend herausgebildet, daß der Organwalter ebenso wie der Richter befugt u n d verpflichtet ist, die von i h m anzuwendenden Normen auf ihre Verfassungsmäßigkeit h i n zu prüfen (vgl. u. a. Hamann, N J W 1959, S. 1465 ff.; Michel, N J W 1960, S. 841 ff.; Forsthoff, DöV 1959, S. 41 ff.; Maisch, N J W 1959, S. 1475 ff.; Arndt. B B 1959, S. 533 ff.; derselbe, N J W 1959, S. 863 f.; Scheuner, B B 1960, S. 1253 ff.; Abelein, BayVBl. 1967, S. 145 ff.; Schaar, N J W 1960, S. 852 f.; Bachof, AöR 87, S. I f f . ; derselbe, DöV 1962, S. 659 ff.; Hoffmann, JZ 1961, S. 193 ff.; Menger, VerwArch., Bd. 52, S. 305 ff.; Maunz-Dürig-Herzog, GG-Kommentar, Rn. 66 zu A r t . 20 GG; Kratzer, BayVBl. 1967, S. 150 f.; H. J. Wolff, V e r w R I, S. 155; Hall, DöV 1965, S. 253 ff.; derselbe, DöV 1968, S. 641 ff.; Groß, Diss, passim; Kabisch, Prüfung, passim; Μ . Kokemüller, Diss, passim, insb. S. 66 ff., 105 ff.). Aber was die Frage anbelangt, welche Konsequenz der Organwalter aus seinem P r ü fungsergebnis zu ziehen hat, gehen die Meinungen auseinander. U. a. Hall, DöV 1965, S. 253 ff., hat versucht, die verschiedenen Auffassungen unter die T e r m i n i „Aussetzungstheorie" (hierzu gehören u. a. Hoffmann, Schaar, Menger, Maunz-Dürig-Herzog u n d H. J. Wolff), „Verwerfungskompetenztheorie" (u. a. Hamann, Michel, Forsthoff, Maisch, Arndt, Scheuner und Abelein) und „eingeschränkter Verwerfungskompetenztheorie" (u. a. Bachof) systematisch zu gruppieren. Hall selbst weist sowohl die Verwerfungskompetenztheorie einschließlich der eingeschränkten als auch die Aussetzungstheorie zurück u n d v e r t r i t t die Auffassung, daß der Organwalter zwar seine „summarische Prüfungskompetenz" pflichtgemäß auszuüben hat, aber seine etwaigen Bedenken wegen der Verfassungsmäßigkeit der anzuwendenden Gesetzesvorschriften nur dem V o r gesetzten mitzuteilen und auf dem Dienstweg geltend zu machen hat. Hall hat damit das abstrakte Normenkontrollverfahren nach A r t . 93 Abs. 1 Ziff. 2 GG i m Auge. Nach H a l l ist der Organwalter weder befugt noch verpflichtet, den V o l l zug eines für verfassungswidrig angesehenen Gesetzes auszusetzen, geschweige

I I I . Normenkontrolle bei fehlenden Erkenntnisregeln

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Dieses E r g e b n i s f ü h r t dazu, daß die sog. „ B i n d u n g s t h e o r i e " i m k l a s s i schen S i n n e als Kehrseite der richterlichen Unabhängigkeitsklausel bet r a c h t e t w e r d e n m u ß u n d erst m i t H i l f e w e i t e r e r v e r f a s s u n g s t h e o r e t i scher G r u n d s ä t z e i h r e e m i n e n t e Ü b e r z e u g u n g s k r a f t v o l l beanspruchen kann. 3. Verhältnis des Bindungsgrundsatzes zu der richterlichen Normenkontrollbefugnis Dagegen v e r t r i t t z. B. Rönitz die A n s i c h t , daß der B i n d u n g s g r u n d s a t z f ü r die r i c h t e r l i c h e P r ü f u n g s b e f u g n i s v o n k e i n e r B e d e u t u n g sei. N a c h Rönitz r e g e l t A r t . 100 A b s . 1 G G allein die r i c h t e r l i c h e P r ü f u n g s k o m p e tenz konstitutiv 109. Seiner A n s i c h t k a n n n i c h t z u g e s t i m m t w e r d e n . Seine D a r s t e l l u n g ist v o r a l l e m deswegen u n g l ü c k l i c h , w e i l er den V e r s u c h u n t e r n i m m t , die sich a u f den B i n d u n g s g r u n d s a t z stützende P r ü f u n g s k o m p e t e n z des O r g a n w a l t e r s ins F e l d zu f ü h r e n . Abgesehen d a v o n , daß sogar d e m O r g a n w a l t e r der v o l l z i e h e n d e n G e w a l t die P r ü f u n g s k o m p e t e n z schwer abzusprechen i s t 1 1 0 , w i r d m a n sich ü b e r die strukturelle Verschiedenheit der rechtsprechenden und vollziehenden Gewalt i m k l a r e n sein müssen. W ü r d e m a n m e i n e n , daß die v o l l z i e h e n d e u n d rechtsprechende G e w a l t zum i n d e s t h i n s i c h t l i c h der sich aus A r t . 20 A b s . 3 G G ergebenden P r ü f u n g s denn es zu verwerfen. Bis zu einer endgültigen Entscheidung des BVerfG habe der Organwalter das Gesetz anzuwenden (vgl. Hall, a.a.O.). Neuerdings greift z.B. Groß, a.a.O., erneut dieses Problem auf und versucht auf ähnliche Weise wie H a l l die bereits vertretenen verschiedenen Auffassungen i n ein System zu bringen. Er lehnt aber die bisherigen Lösungen i n ihrer üblichen Ausprägung ab u n d schlägt eine sich p r i m ä r auf § 80 V w G O stützende „Zweifeistheorie" vor, w o r i n übrigens ein Element der Aussetzungstheorie zu erblicken ist, wie er selbst sagt (vgl. a.a.O., S. 189). Nach Groß ist der Organwalter einerseits verpflichtet, auf dem Dienstweg die zuständigen Gerichte anzurufen, sobald sich die Zweifel an einer N o r m als begründet herausgestellt haben, u n d er hat andererseits unter Abwägung aller Interessen eine gerechte „Interimslösung" zu finden, ggf. bis zur Klarstellung der Rechtslage auszusetzen (vgl. a.a.O., insb. S. 170 ff., 180 ff., 185 ff., 192 ff., 208 u n d 216). Dagegen lehnen n u r wenige Autoren die Prüfungsbefugnis des Organwalters ab u n d behaupten, daß der Organwalter davon ausgehen könne und müsse, die Gesetze seien verfassungsmäßig, bis das BVerfG das Gegenteil festgestellt habe. A m deutlichsten w o h l Rönitz, N J W 1960, S. 226 ff. (280) u n d R. Zuck, DöV 1962, S. 657 ff. (659). Schnorr, AöR 85, S. 121 ff. (141 A n m . 43 a), stimmt zwar Rönitz (a.a.O.) zu, aber i m Grunde genommen ist er n u r gegen die selbständige Entscheidungsbefugnis des Organwalters. Daher w i r d man i h n nicht als Gegner einer Prüfung durch den Organwalter betrachten können, wie er bisher gesehen wurde (vgl. seine gesamte Darstellung, a.a.O.). Z u dem Problem vgl. ferner folgende problemklärende Kontroversen: Hall (DöV 1965, S. 253 ff.) - Abelein (BayVBl. 1967, S. 145 ff.) - Hall (DöV 1968, S. 641 ff.); Abelein (a.a.O.) — Kratzer (a.a.O.); Hamann (a.a.O.) — Rönitz (a.a.O.); Rönitz - Michel (a.a.O.); Rönitz (a.a.O.) — Schaar (a.a.O.); Zuck (a.a.O.) — Bachof (DöV 1962, S. 659 ff.). 109 Vgl. Rönitz, N J W 1960, S. 226 ff. 110 Vgl. oben S. 40 Anm. 108.

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§ 2 Normenkontrolle als Folge der Normenkollisionen

k o m p e t e n z gleich b e h a n d e l t w e r d e n m ü ß t e n , w e i l A r t . 20 A b s . 3 G G beide G e w a l t e n gleichermaßen f ü r a n „Gesetz u n d R e c h t " 1 1 1 g e b u n d e n e r k l ä r t , so v e r d i e n t diese M e i n u n g k e i n e Z u s t i m m u n g 1 1 2 . A u ß e r d e m i s t n i c h t einzusehen, wieso d e r B i n d u n g s g r u n d s a t z f ü r die r i c h t e r l i c h e P r ü f u n g s k o m p e t e n z u n e r h e b l i c h sein soll. D e r U m s t a n d , daß A r t . 100 A b s . 1 G G außer d e m v e r f a h r e n s v o r s c h r i f t l i c h e n C h a r a k t e r des „ W i e - P r o b l e m s " , n ä m l i c h die Monopolisierung der Verwerfungskompetenz, auch einen gewissen k o n s t i t u t i v e n G e h a l t des „ O b - P r o b l e m s " , n ä m l i c h die A n e r k e n n u n g der r i c h t e r l i c h e n P r ü f u n g s k o m p e t e n z , b e i n h a l t e t 1 1 3 , schließt die r i c h t e r l i c h e i n z i d e n t e P r ü f u n g s k o m p e t e n z , die sich aus d e m B i n d u n g s g r u n d s a t z i. V . m . w e i t e r e n verfassungsrechtlichen G r u n d s ä t z e n e r g i b t , n i c h t aus. Das i s t n i c h t als a l t e r n a t i v e s , sondern als ergänzendes Verhältnis zu verstehen. D i e A n s i c h t , daß A r t . 100 A b s . 1 G G eine a b schließende R e g e l u n g der P r ü f u n g s - u n d V e r w e r f u n g s k o m p e t e n z e n t halte, k a n n deshalb n i c h t s t i m m e n . 111 Z u m Verhältnis des A r t . 20 Abs. 3 GG zu A r t . 97 Abs. 1 GG u n d über den Widerspruch der Ausdrucksweise, dort „Gesetz u n d Recht", hier „Gesetz", vgl. z. B. Mangoldt-Klein, GG, S. 603. Mangoldt-Klein versteht das Begriffspaar „Gesetz und Recht" i n A r t . 20 Abs. 3 GG so, daß „Gesetz" „Positivität ohne Wertgehalt" und „Recht" „Wertgehalt ohne Positivität" beinhalten, und Mangoldt-Klein setzt den Begriff „Gesetz" i n A r t . 97 Abs. 1 GG u n d das Begriffspaar „Gesetz und Recht" i n A r t . 20 Abs. 3 GG gleich. Er f ü h r t dazu wörtlich aus: „Was i m letzteren (sc. A r t . 97 Abs. 1 GG) kurz „Gesetz" heißt, ist i m ersteren (sc. A r t . 20 Abs. 3 GG) i n seine Elemente Positivität u n d Wertgehalt z e r l e g t . . . " „Es besteht keine Identität des Begriffes „Gesetz" i n A r t . 20 Abs. 3 und A r t . 97 Abs. 1 ; der Begriff ist an der ersteren Stelle inhaltsärmer, aber schärfer umrissen" (vgl. Mangoldt-Klein, a.a.O.). I n diesem Sinne auch Schräders, Recht - Staat - Wirtschaft, Bd. 3, S. 84; ähnlich Wernicke , i n : Bonner-Kommentar, Erl. 3 e zu A r t . 20 GG. Speziell über die Rechtsidee des A r t . 20 Abs. 3 GG vgl. u. a. G. Schnorr, AöR, Bd. 85 (1960), S. 121 ff. Schnorr versteht das Begriffspaar „Gesetz u n d Recht" wie folgt: „Das Gesetz ist Anwendungsbefehl einer Herrschaftsmacht, es w i r d der Form nach als Recht angesehen, muß aber nicht auch inhaltlich Recht sein (ungerechte Gesetze). Das Recht dagegen ist stets inhaltlich i n der Rechtsidee v e r k ö r p e r t , . . . es ist ein Wert, an dem das Gesetz gemessen werden soll" (a.a.O., S. 124). Schnorr spricht aber dem A r t . 20 Abs. 3 GG eine materielle Qualifikation ab u n d sieht i n i h m n u r einen formalen Rechtssatz, der lediglich aussprechen soll, woran vollziehende Gewalt und Rechtsprechung i n einem Rechtsstaat potentiell gebunden sind, ohne daß damit allein eine konkrete Qualifikation dieser Begriffe u n d ihres Verhältnisses zueinander verbunden ist (vgl. a.a.O., S. 128). Nach Schnorr sind Rechtsverstoß u n d Gesetzesverstoß identisch, w e i l das GG die Grundsätze der Rechtsidee i n seine ersten drei A r t i k e l aufgenommen habe. Aus dieser Überlegung lehnte er die Fragestellung ab, ob der Richter mehr an das Gesetz oder an das Recht gebunden sein soll (vgl. a.a.O., S. 139). Er w i r d jedoch die dahingehende Fragestellung nicht ablehnen können, ob der Richter mehr an die Verfassung oder an das einfache Gesetz gebunden sein soll. 112 I n diesem Sinne auch etwa Forsthoff, DöV 1959, S. 41 ff. (43) ; ähnlich auch Schnorr, AöR, Bd. 85, S. 130 und S. 132 Anm. 32. 113 So auch z. B. Arndt, B B 1960, S. 993 ff. (993). Dagegen sieht z. B. Hamann, N J W 1959, S. 1465 ff. (1468 f.), i n A r t . 100 Abs. 1 GG n u r eine Verfahrensregelung. Hamann kann nicht beigepflichtet werden.

I I I . Normenkontrolle bei fehlenden Erkenntnisregeln

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Daß man eine Verfassungsbestimmung nicht isoliert als einzeln zu betrachten, sondern i m Zusammenhang m i t anderen Verfassungsvorschriften sinnvariabel zu sehen hat, ist ein allgemein anerkannter Auslegungsgrundsatz 114 . Die sich aus dem Bindungsgrundsatz rechtslogisch ergebende inzidente Prüfungskompetenz des Richters kann daher niemals m i t Art. 100 Abs. 1 GG kollidieren, sondern sie w i r d bloß durch Art. 100 Abs. 1 GG modifiziert. Es mag sein, wie Rönitz meint, daß der Verfassunggeber gewollt hat, das in der Weimarer Zeit umstrittene Prüfungsrecht des Richters vor allem durch Art. 100 Abs. 1 GG zu kodifizieren. Man w i r d jedoch nicht verkennen können, daß die richterliche Prüfungsbefugnis in der Weimarer Zeit besonders deshalb umstritten war, weil es damals an den dafür notwendigen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen, nämlich dem Vorrang der Verfassung und der materiellen Bindungsklausel i m Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG, fehlte 1 1 5 . Unter der gegenwärtigen Verfassungsrechtsordnung, in der der Vorrang der Verfassung vor anderen Rechtsquellen einmütig anerkannt ist, stellt die Verfassung den höchsten positiven Wert dar, an dem das einfache Gesetz gemessen werden muß 1 1 6 . Daß diese Meßtätigkeit von denjenigen ausgeübt wird, die Verfassung und Gesetze anzuwenden haben und die an die Verfassung stärker gebunden sind, liegt auf der Hand, weil die Bindung an das Recht als die verfassungsmäßige Pflicht verstanden werden muß, das Vorliegen eines Widerspruchs zwischen rangniedrigerer Rechtsnorm und Verfassung vor der Anwendung der ersteren zu prüfen 1 1 7 . Alle diese Überlegungen führen dazu, festzuhalten, daß dem Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit bzw. dem Bindungsgrundsatz der konstitutive Normcharakter für die richterliche inzidente Prüfungsbefugnis zuerkannt werden muß, und infolgedessen die inzidente Prüfung des Richters hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der anzuwendenden Gesetze eigentlich keiner weiteren ausdrücklichen Verfassungsbestimmung mehr bedarf 1 1 8 . 114

Vgl. z. B. BVerfGE 1,14; Schnorr, a.a.O., S. 128. Vgl. unten § 4,1, 2 A . 116 Vgl. Schnorr, AöR, Bd. 85, S. 124. 117 So auch Schnorr, a.a.O., S. 140. Die Darstellung Schnorrs ist insofern zweideutig, als er einmal i n dem Bindungssatz die richterliche Prüfungspflicht erblickt u n d i m gleichen Atemzug ein paar Zeilen später behauptet, daß sich die Prüfungspflicht des Richters nur aus A r t . 100 Abs. 1 GG ergäbe. Seine Ausführung kann aber logischerweise n u r so verstanden werden, daß sich die P r ü fungspflicht sowohl aus dem Bindungsgrundsatz als auch aus A r t . 100 Abs. 1 GG ergibt, daß aber wegen A r t . 100 Abs. 1 GG keine Entscheidungsbefugnis aus dem Bindungsgrundsatz zu folgern ist (a.a.O., S. 131 f., S. 143 u n d S. 148). 118 Soweit ersichtlich, neigt die einhellige Meinung i n der BRD auch dazu, daß die richterliche Prüfungskompetenz nicht erst wegen A r t . 100 Abs. 1 GG son115

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§ 2 Normenkontrolle als Folge der Normenkollisionen

Diese S c h l u ß f o l g e r u n g m a g angesichts i h r e s historischen U r s p r u n g s geradezu klassisch k l i n g e n . D e n n o c h k a n n m a n n i c h t b e z w e i f e l n , daß i h r e logische E v i d e n z i m m e r zu v e r h e l f e n v e r m a g , w e n n b e i m F e h l e n der E r k e n n t n i s r e g e l die r i c h t e r l i c h e i n z i d e n t e P r ü f u n g s k o m p e t e n z b e s t r i t t e n wird119. D a b e i m u ß n u r besonders beachtet w e r d e n , daß die a u f diese Weise hergeleitete r i c h t e r l i c h e P r ü f u n g s k o m p e t e n z ebenfalls i h r e Schranke m i t sich b r i n g t , w o n a c h die P r ü f u n g i m m e r Inzident b z w . akzessorisch sein m u ß u n d die E n t s c h e i d u n g n u r f ü r d e n k o n k r e t e n S t r e i t f a l l i h r e W i r k u n g hat. A u s dieser B e s c h r ä n k u n g ergeben sich jedoch v i e l e r l e i B e d e n k e n , ü b e r die sich der Verfassunggeber m o d e r n e r S t a a t e n n i c h t h i n w e g s e t z e n k a n n dern schon wegen A r t . 20 Abs. 3 i. V. m. A r t . 1 Abs. 3 GG besteht, z. B. meint Hamann, N J W 1959, S. 1469: „Schon aus A r t . 20 Abs. 3 GG würde, w e n n der Text des A r t . 100 Abs. 1 S. 1 GG nicht eine ausdrückliche Vorschrift dieses I n halts darstellen würde, sich die Pflicht jedes Richters ergeben, die Verfassungsmäßigkeit der von i h m anzuwendenden Gesetze zu prüfen." Nach Hesse, Grundzüge, S. 246, „ist jedes Gericht, das einen Einzelfall zu entscheiden hat, wegen seiner Bindung an Verfassung und Gesetz zur Prüfung verpflichtet, ob die Rechtsnorm, auf die es f ü r die Entscheidung des Falles ankommt, gültig ist". Spanner, Die richterliche Prüfung, S. 59 f., f ü h r t auch aus: „Geht man von der Tatsache aus, daß die Verfassung die bindende Grundlage f ü r Gesetzgeber und Regierung ist, dann erscheint die Einrichtung einer solchen Verfassungsgerichtsbarkeit (sc. gemeint ist die richterliche Prüfungskompetenz) als eine mehr oder weniger selbstverständliche Sicherung für die Einhaltung und u n bedingte Geltung der Verfassung." Renck, Diss. S. 62, versteht auch die richterliche Inzidentkontrollbefugnis als Teilinhalt der richterlichen Unabhängigkeit. A. Diehl, Diss. S. 63 ff., leitet die richterliche Normenkontrollbefugnis aus dem Vorrang der Verfassung und aus der richterlichen Gebundenheit an „Gesetz und Recht" ab. So auch Bachof, i n : H. Huber-Festschrift, S. 26 ff. (46), Bachof führt, a.a.O., aus: „ . . . gegen das Gesetz entscheiden kann der Richter nicht, es sei eben denn, das Gesetz stehe i m Widerspruch zur V e r f a s s u n g . . . und selbst dann bleibt der Richter „an das Gesetz gebunden"; denn auch die Verfassung ist „Gesetz" i m Sinne solcher Bindung, der Richter folgt dann n u r i m Widerstreit zwischen Gesetzen verschiedenen Ranges dem höherrangigen Gesetz" (vgl. auch AöR 87, S. 16; Verfassungswidrige Verfassungsnormen, S. 49). Ä h n liche Gedankengänge findet man auch bei Arndt, z. B. N J W 1959, S. 864, B B 1959, S. 534. Auch nach Fuß, Diss. S. 92 ff. (97), der die richterliche Normenkontrolle als Rechtsanwendungsvorgang betrachtet, ist für die Normenkontrolle eine besondere Zuständigkeitsnorm nicht erforderlich. Forsthoff, DöV 1959, S. 41 ff. (42), sieht auch offenbar A r t . 100 Abs. 1 GG als n u r Verfahrensregel. Groß, Diss. S. 81 A n m . 2, glaubt sogar das richterliche Prüfungsrecht, auch ohne A r t . 100 I GG, aus A r t . 19 Abs. 4 GG ableiten zu können. Ferner vgl. u. a. Holtkotten, i n : Bonner-Kommentar, Erl. 2 b β zu A r t . 97 GG; Wobst, Diss. S. 44 und 50; K . Stern, i n : Bonner-Kommentar, Rn. 9 zu A r t . 100 GG; H. Angerer, BayVBl. 1969, S. 274 f. (275); J. R. Schmidt, Diss. S. 176; Bettermann, ZZP, Bd. 72, S. 40 f.; Michel, N J W 1960, S. 841 ff. (841) ; Ebers, Der Richter u n d das unsittliche Gesetz, S. 108 f.; H. Triepel, V V D S t R L , Heft 5 (1929), S. 15 f. 119 Die Ansicht Thomas, AöR, N. F. Bd. 4, S. 267 ff. (285), beim Schweigen der Verfassung gebe es keine logisch-juristische Nötigung zur Bejahung der N o r menkontrolle, scheint m i r nicht mehr zeitgerecht zu sein, w e i l sie die Ranggleichheit der Verf. und des zu prüfenden Gesetzes voraussetzt.

§ 3 Zusammenfassung

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und die durch eine zweckmäßige Ausgestaltung des Instituts der Normenkontrolle beseitigt werden müssen. Darüber w i r d noch i m zweiten Kapitel ausführlich zu behandeln sein.

§3

Zusammenfassung

1. Alle bisherigen Darlegungen lassen sich zusammenfassend wiederholen: Normenkollisionen sind eine Folge des pluralistischen Normgebersystems, jedoch duldet das Erfordernis einer widerspruchsfreien Rechtsordnung keine Normenkollision. Aus dieser Zwangslage entwickeln sich die Kollisionsregeln, deren Aufgabe sich darin erschöpft, eine abgestufte Geltungsrangordnung der Normen zu bewahren und den Normgeber dazu zu verpflichten, vom Erlaß rechtswidriger Normen abzusehen. Diese Pflicht w i r d oft durch eine verfassungsrechtliche Bindungsklausel einer potentiellen 120 Sanktion unterworfen. Eine erhöhte Bestandsgarantie der Verfassung, die durch die Bestimmungen, die ein erschwertes Verfassungsänderungsverfahren regeln, zum Ausdruck gebracht wird, muß immer als positivierte Rangordnung zwischen Verfassung und anderen Rechtsquellen gesehen werden. 2. Besondere Beachtung verdient es, Erkenntnis fragen und Kollisionsfragen klar auseinanderzuhalten. Die Kollisionsregel als solche besitzt keine Rechtskraft, darüber zu bestimmen, wer mit welcher Rechtswirkung i m Normenkonflikt zu entscheiden hat. Diesen Sachverhalt zu klären, ist Sache der Erkenntnisregelung. Beim Schweigen der Verfassung über die Erkenntnisfragen ist für die Lösung immer maßgebend, ob eine positivierte Rangordnung vorhanden ist. Falls eine Rangordnung besteht, ist die richterliche inzidente Prüfungsbefugnis als konsequente Folge der richterlichen Bindung an das Gesetz zu betrachten. Deshalb muß dem Grundsatz der richterlichen Gesetzesbindung der konstitutive Normcharakter für die richterliche inzidente Prüfungskompetenz zuerkannt werden.

120 U n d zwar deshalb potentiell, w e i l ein pflichtwidrig erlassenes rechtswidriges Gesetz v o m Normanwender, der den Normwiderspruch erkennt, ignoriert werden kann.

Zweites

Kapitel

Ausgestaltung der Normenkontrolle §4

Historische Betrachtung

Es erscheint geboten, bevor dem institutionellen Ausgestaltungsproblem der richterlichen Normenkontrolle nachgegangen werden soll, kurz einen Blick auf die Vergangenheit der richterlichen Prüfungsbefugnis zu werfen, die besonders unter der Geltung der WRV das zentrale Staatsrechtsproblem bildete. Eine ausführliche Darstellung der historischen Entwicklung des Normenkontrollproblems kann hier jedoch erspart bleiben, zumal viele eingehende Abhandlungen darüber bereits vorhanden sind 1 und daher nichts Neues gesagt werden kann. Es kommt i m Rahmen dieser Arbeit primär darauf an, einige gewichtige Argumente, die immer wieder für und gegen die richterliche Prüfungskompetenz vorgetragen wurden, unter dem materiell-rechtlichen Aspekt zu untersuchen und aus dem Gestaltungsblickwinkel zu analysieren.

I . Überblick über die geschichtliche Entwicklung der richterlichen Normenkontrolle: Ob-Stufe als Ausgangspunkt

Betrachtet man m i t Jahrreiss 2 die Normenkontrollfunktion als die A u f gabe zu klären, „ob ein Satz, der als Norm auftritt, als eine Norm der 1 Eine umfangreiche historische Darstellung (vom Mittelalter bis zum GG) findet sich etwa bei G. Jähn, Diss. S. 7 - 6 7 ; man findet auch bei Schack, Die Prüfung, eine gründliche Untersuchung v o m Mittelalter bis zur Weimarer Zeit. L i t e r a t u r über den Streit der Weimarer Zeit u m die richterliche Prüfungszuständigkeit ist fast unübersehbar. Vgl. u. a. Anschütz, Kommentar WRV, S. 367 ff., 401 ff., 474 ff.; R. Thoma, AöR, N. F. Bd. 4 (1922), S. 267 ff.; Schack, a.a.O., S. 96 ff.; Triepel, AöR Bd. 39, S. 456 ff.; v. Hippel, HdbDStR I I , S. 546 ff.; H. Müller, Diss. S. 7 - 5 8 ; R. Feigenspan, Diss. S. 12ff.; Maurer, DöV 1963, S. 683 ff. Speziell zur Frage der richterlichen Prüfungskompetenz i m nationalsozialistischen Deutschland vgl. z. B. Mast, Diss. ; S. Grundmann, Die richterliche Nachprüfung von politischen Führungsakten nach geltendem deutschen Verfassungsrecht, ZgesStW 100 (1940), S. 511 ff. Über die Entwicklungsgeschichte der Normenkontrolle der vollziehenden Gewalt vgl. etwa die Zusammenstellung von Hall, DVB1. 1965, S. 556 ff. 2 Vgl. Recht - Staat - Wirtschaft, Bd. I V (1953), S. 203 ff. (217).

I. Überblick über die geschichtliche Entwicklung

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jetzt und hier geltenden Ordnung geboren wurde oder nicht", dann dürfte der Ursprung der richterlichen Normenkontrolle sehr weit i n die Vergangenheit zurückreichen. Z. B. kann Jahns 3 bis zum Mittelalter zurückgehende historische Untersuchung des Problems i n dieser Hinsicht als nützlich bewertet werden. Aber andererseits scheint diese historische Untersuchung schon deswegen entbehrlich zu sein, weil die richterliche Normenkontrolle i m heutigen Sinne nur unter gewissen Voraussetzungen i n Frage kommt. Sie setzt nämlich voraus: Zum einen die Existenz einer greifbaren Verfassung, die den Maßstab für die Prüfung eines Gesetzes auf seine Verfassungsmäßigkeit zu bilden hat, und zum anderen eine weisungsunabhängige Rechtsprechung, die nur an das Gesetz gebunden ist 4 . So stellt z. B. Spanner 5 fest, daß sowohl die absolute Monarchie als auch moderne autoritäre oder diktatorische Systeme ein richterliches Prüfungsrecht von Gesetzen ausschließen. Es genügt daher an dieser Stelle, wenn die historische Untersuchung auf das 19. Jh. beschränkt wird. 1. Positivrechtliche Stationen des Normenkontrollproblems

A n erster Stelle kommen einige Verfassungen i n Betracht: Die Reichsverfassung von 1849 wegen ihrer ausdrücklichen Bejahung der richterlichen Normenkontrolle, die Bayerische Verfassung von 1919, und die Preußischen Verfassungen von 1850 und 1920 wegen ihrer negativen Haltung gegenüber der richterlichen Prüfungskompetenz. Die Reichsverfassung von 18496 enthielt i n § 126 a 7 eine ausdrückliche Bestimmung, die dem Reichsgericht die materielle Prüfungsbefugnis von Reichsgesetzen einräumte, wenn auch eine Nachprüfung nur i m Rahmen der Zuständigkeit des RG über die Verfassungsstreitigkeiten zwischen Einzelstaaten und Reich geschehen sollte. Obgleich diese Verfassung auf Grund der politischen Verhältnisse nie in K r a f t trat, sollte man ihr i n 3

Vgl. Diss. S. 7 - 67. M a n dürfte w o h l aus diesem Grund die Entscheidung des Chief Justice Marshall i n der Sache „Marbury v. Madison " (vgl. unten § 5,1,1, A) von 1803 als den eigentlichen Ausgangspunkt des richterlichen Prüfungsrechts ansehen können. I n diesem Sinne auch etwa Thierfelder, DöV 1965, S. 227 ff. (227). 5 Vgl. Die richterliche Prüfung, S. 53; vgl. ferner D. Schef old, i n : Evangelisches Staatslexikon, 1966, Sp. 2354. 6 Die von der Nationalversammlung i n Frankfurt beschlossene Reichsverfassung v o m 28. 3.1849. 7 § 126 a lautete wie folgt: „ Z u r Zuständigkeit des RG gehören: a) Klagen eines Einzelstaates gegen die Reichsgewalt wegen Verletzung der RV durch E r lassung von Reichsgesetzen und durch Maßregeln der R e i c h s r e g i e r u n g . . A b gedruckt bei B. Dennewitz, Die Verfassung der modernen Staaten, Bd. I I I (1948), S. 61 f. Der i n § 126 enthaltene Zuständigkeitskatalog des RG w a r sehr umfangreich (A bis N) u n d weist insofern verwandte Züge m i t § 13 BVerfGG auf. 4

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zweierlei Hinsicht Aufmerksamkeit schenken, nämlich weil sie als erste i n der deutschen Verfassungsgeschichte die richterliche Prüfungsbefugnis positiviert hat und zweitens i m Hinblick auf die Regelung der alleinigen Prüfungskompetenz des Obersten Gerichtes — des RG. Wenn heute noch vom maßgeblichen Einfluß dieser Verfassung gesprochen w i r d 8 , so ist dies kein Zufall. Auch die Verfassungsurkunde des Freistaates Bayern vom 14. 8. 1919 regelte i n Art. 729 ausdrücklich die richterliche Normenkontrollkompetenz, und zwar in Gestalt einer inzidenten Normenkontrolle. A u f Grund dieser Bestimmung stand unbestreitbar jedem Richter die Befugnis zu. Bayerische Gesetze auf ihre materielle Vereinbarkeit m i t der Bayer. Verfassung, und auch mit der Reichsverfassung, zu prüfen 1 0 . Dagegen verdienen die beiden Preußischen Verfassungen von 185011 und 192012 wegen ihrer negativen Haltung gegenüber der materiellen Prüfungsbefugnis des Richters Beachtung. Sowohl Art. 106 der Preußischen Verfassung von 1850 als auch A r t . 61 der Preußischen Verfassung von 1920 schlossen mittelbar die materielle Prüfungskompetenz des Richters aus, indem sie nur die formelle Prüfungsbefugnis anerkannten 13 . Während die oben genannten Verfassungen ausdrücklich einschlägige Vorschriften über die Frage der richterlichen Prüfungsbefugnis teils bejahend teils verneinend enthielten, nahm die Reichsverfassung vom 16. 4. 187114, wie auch die Weimarer Reichsverfassung vom 11. 8. 191915, weder positiv noch negativ Stellung zu derselben Frage. Die Frage, ob dem Richter die Prüfungskompetenz zukommen soll, mußte deswegen aus allgemeinen verfassungsrechtlichen Prinzipien gelöst werden. Es ist verständlich, daß sich die Wissenschaft mit Eifer auf das Problem der richterlichen Prüfungskompetenz stürzte und sich die Literatur über dieses Problem unübersehbar mehrte. 8 Vgl. z.B. W. Geiger , BVerfGG, Einl. S. X I V ; Wagner , DRiZ 1961, S. 281; Wintrich-Lechner, Grundrechte Bd. III/2, S. 654. 9 A r t . 72 hatte folgenden Wortlaut: „Die m i t der Rechtspflege betrauten Behörden prüfen bei ihren Entscheidungen, ob ein anzuwendendes Gesetz nicht m i t einer Bestimmung der Verfassung des Deutschen Reichs, dieser Verfassung oder einem anderen Verfassungsgesetz i n Widerspruch steht." Abgedruckt z. B. bei H. Nawiasky, Bayer. Verfassungsrecht, 1923, S. 545. 10 Vgl. u. a. H. Nawiasky, a.a.O., S. 374 f. 11 Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat v o m 31.1.1850. Text abgedruckt bei B. Dennewitz, a.a.O., S. 72 ff. 12 Verfassung des Freistaates Preußen v o m 30.11.1920. Text vgl. z.B. bei F. Stier-Somlo, Kommentar, 1921. 13 Vgl. etwa F. Stier-Somlo, a.a.O., S. 195 f. u Text abgedruckt z. B. bei B. Dennewitz, a.a.O., S. 90 ff. 15 Die W R V umging absichtlich eine Entscheidung f ü r oder gegen die richterliche Normenkontrolle u n d überließ die endgültige Anerkennung oder A b l e h nung dieser Frage der Wissenschaft u n d der Gerichtspraxis. Vgl. dazu z. B. R. Thoma, AöR, N. F. Bd. 4 (1922), S. 267 ff. (269).

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2. Schwerpunkte rechtstheoretischer Auseinandersetzung D i e v i e l e n A r g u m e n t e , die d a m a l s f ü r oder gegen die r i c h t e r l i c h e P r ü fungskompetenz vorgetragen wurden, können hier nicht i n allen Einzelh e i t e n w i e d e r g e g e b e n w e r d e n . Es m a g genügen, sich a u f die z w e i D i n g e zu beschränken, die v o n d e n P r ü f u n g s g e g n e r n i m m e r w i e d e r als zentrale A u g u m e n t e herangezogen w u r d e n , n ä m l i c h die rechtsdogmatische Rangfrage u n d das rechtspolitische Zuständigkeitsproblem. A. Rechtsdogmatische

Rangfrage

als

Zentralproblem

E i n e m a t e r i e l l e N a c h p r ü f u n g der Gesetze a u f i h r e V e r f a s s u n g s m ä ß i g k e i t h i n w a r f ü r die P r ü f u n g s g e g n e r neben a n d e r e n B e d e n k e n 1 6 v o r a l l e m deswegen n i c h t m e h r d i s k u t a b e l , w e i l f ü r sie k e i n R a n g u n t e r s c h i e d z w i schen V e r f a s s u n g u n d Gesetz bestand. I n dieser H i n s i c h t m u ß Schack als eine A u s n a h m e gelten, w e i l er die r i c h t e r l i c h e P r ü f u n g s b e f u g n i s a b lehnte, o b w o h l er, i m Gegensatz zu a n d e r e n P r ü f u n g s g e g n e r n 5 7 , d e n V o r r a n g der V e r f a s s u n g v o r d e m einfachen Gesetz a n e r k a n n t e 1 8 . D i e R a n g g l e i c h h e i t v o n V e r f a s s u n g u n d einfachem Gesetz g l a u b t e m a n aus A r t . 76 W R V a b l e i t e n zu k ö n n e n 1 9 2 0 . A r t . 76 W R V befaßte sich z w a r m i t d e m e r s c h w e r t e n V e r f a s s u n g s ä n d e r u n g s v e r f a h r e n 2 1 , diese B e s t i m 16 Aus dem B l i c k w i n k e l der Entstehung des Gesetzes wurde v. a. die „ A u s fertigungstheorie" vorgetragen, die von Laband (z. B. StaatsR. Bd. 2, S. 44 ff.) ausging u n d sich auf A r t . 70 W R V stützte. Nach Thoma ist aber die „Ausfertigungstheorie" eine „offene petitio p r i n c i p i i " (vgl. a.a.O., S. 270). Außerdem wurde immer wieder auf folgende Punkte hingewiesen: Die staatsrechtliche Stellung der gesetzgebenden Organe, die Politisierungsgefahr der Justiz, das Gewaltenteilungs-Prinzip u n d nicht minder das demokratische Prinzip. Hierzu vgl. u. a. die eingehende Darstellung v o n H. Müller, Diss. S. 7 - 58; auch Feigenspan, Diss. S. 13 ff.; ferner Bachofs kritische Betrachtung unter dem heutigen Aspekt, i n : H. Hub er-Festschrift, S. 26 ff. (41 ff.); H. Triepel, V V D S t R L , Heft 5, S. 12 ff. 17 Vgl. u. a. die erschöpfende Aufzählung bei R. Feigenspan, Diss. S. 32. 18 Vgl. die Prüfung, insb. S. 140 -144. Schack begründete daher seine These vom Fehlen einer richterlichen Prüfungskompetenz m i t anderen Argumenten. Er berief sich dabei p r i m ä r auf die Über- u n d Unterordnung der Gewalten (vgl. a.a.O., S. 143) u n d auf die Verschiedenheit der Rechtmäßigkeit u n d Verbindlichkeit von Rechtsnormen (vgl. a.a.O., S. 49 f.). Dazu vgl. auch die kritische Bemerkung von Stier-Somlo, AöR, Bd. 42, S. 106. 19 Während z. B. R. Feigenspan, Diss. S. 21, aus demselben A r t i k e l (Art. 76) den Vorrang der Verfassung vor dem einfachen Gesetz herleitete. 20 I m Gegensatz zu A r t . 76 W R V beinhaltete A r t . 13 Abs. 1 W R V f ü r das Verhältnis „Reichsrecht-Landesrecht" eine klare Aussage, u n d angesichts der klaren Aussage des A r t . 13 Abs. 1 W R V w a r damals die höhere Geltungskraft des Reichsrechtes gegenüber dem Landesrecht unbestritten. A r t . 13 Abs. 2 WRV, der dem RG das Prüfungsrecht einräumte, die Vereinbarkeit einer landesrechtlichen Vorschrift m i t dem Reichsrecht i n einem abstrakten Normenkontrollverfahren zu überprüfen, wurde als rechtliche Folge des A r t . 13 Abs. 1 W R V angesehen. Darüber vgl. statt vieler Anschütz, Kommentar WRV, S. 101 ff. 21 A r t . 76 Abs. 1 Satz 1 W R V hatte folgenden W o r t l a u t : „Die Verfassung k a n n i m Wege der Gesetzgebung abgeändert werden."

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mung wurde jedoch so ausgelegt, „daß Verfassungsgesetz und einfaches Gesetz Willensäußerungen ein und derselben Gewalt, der gesetzgebenden Gewalt, darstellen". Daher „steht die Verfassung nicht über der Legislative, sondern zur Disposition derselben, mit der Maßgabe, daß die Legislative gegebenenfalls verpflichtet ist, die für Verfassungsänderungen vorgeschriebenen besonderen Formen zu wahren" 2 2 . Laband 2 3 , W. Jellinek 24 und viele andere 25 vertraten dieselbe Auffassung 26 . Bei einer Annahme der Ranggleichheit von Verfassung und einfachem Gesetz bedeutete die Kollisionsfrage zwischen der Verfassung und den einfachen Gesetzen für die Prüfungsgegner nichts anderes als die Frage der temporalen Normenkollision, die nach der allgemeinen Kollisionsregel „lex posterior derogat legi priori" zu lösen ist. Verständlicherweise wurden gegen die richterliche Prüfungskompetenz gegenüber Verordnungen und gegen die formelle Prüfungsbefugnis des Richters gegenüber Gesetzen keine nennenswerten Einwendungen erhoben 27 . Die formelle Prüfungskompetenz des Richters gegenüber Gesetzen dürfte schon deswegen als selbstverständlich angenommen worden sein, weil man glaubte, daß es bei der formellen Prüfung nicht darauf ankomme, ob die Verfassung einen Vorrang vor dem Gesetz hat oder nicht, 22 Anschütz, Kommentar WRV, Nr. 1 zu A r t . 76 W R V (S. 401); vgl. auch Nr. 4 zu A r t . 70 W R V (S. 371) u n d Nr. 3 zu A r t . 102 W R V (S. 476). 23 Laband, StaatsR, S. 39, äußerte sich zu dem Rangproblem w i e folgt: „Die i n der Verfassung enthaltenen Rechtssätze können zwar n u r unter erschwerten Bedingungen abgeändert werden, aber eine höhere A u t o r i t ä t als anderen Gesetzen k o m m t ihnen nicht zu." Vgl. auch AöR, Bd. 9, S. 273. 24 Vgl. z. B. DJZ 1921, Sp. 753 ff. 25 z. B. J. Hatschek, Deutsches u. Preußisches Staatsrecht, 2. A u f l . (1930), Bd. 1, S. 50 ff.; Scheicher , Fischers Zeitschrift, Bd. 56 (1924), S. 77 u n d Bd. 59 (1926), S. 73 f.; Zinn, Diss. S. 30. 26 Dagegen wandte sich v. a. C. Schmitt energisch u n d w a r f ihnen vor, daß „ m a n die verfassunggebende Gewalt des deutschen Volkes m i t der Zuständigkeit verwechselt, die der Reichstag, der Reichsrat oder die Wählerschaft i n A r t . 76 erhalten haben" (Verfassungslehre, S. 20). C. Schmitt f u h r fort: „Die Zuständigkeit, verfassungsgesetzliche Änderungen vorzunehmen, ist eine i m Rahmen der Verfassung verbleibende, durch sie selbst begründete u n d nicht über sie hinausgehende Zuständigkeit. Sie enthält nicht die Befugnis, eine neue Verfassung zu g e b e n . . . " (ebenda). Vgl. auch a.a.O., S. 98 Nr. 2. Dieses Argument C. Schmitts beruht auf der von i h m herausgestellten Unterscheidung zwischen „Verfassung" u n d „Verfassungsgesetz" (vgl. a.a.O., S. 20 ff.), s. auch oben S. 31 Anm. 53. I m Schmittschen Sinne äußerte sich auch etwa C. Billfinger , Nationale Demokratie als Grundlage der WRV, S. 17. 27 Vgl. Laband, StaatsR. Bd. 2, S. 57; Schack , Die Prüfung, S. 123 und S. 255 ff.; Thoma, AöR, N. F. Bd. 4, S. 281; Scheicher , Fischers Zeitschrift, Bd. 59, S. 30; Görres, JW 1924, S. 1565 f. Die formelle Prüfungskompetenz gegenüber Gesetzen wurde schon 1863 von R. Gneist (Gutachten f ü r den 4. Deutschen J u ristentag 1863, S. 22 u n d S. 32) bejaht, u n d zur Frage der Nachprüfung von V O hatte bereits ein Jahr zuvor der 3. Deutsche Juristentag 1862 i m positiven Sinne beschlossen. Vgl. den Wortlaut dieses Beschlusses bei Gneist , a.a.O., S. 6.

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sondern es ausschließlich darum gehe, sich vor Anwendung eines Gesetzes zuerst davon zu überzeugen, ob das Gesetz überhaupt von der Legislative herrührt und ob die für den Erlaß des Gesetzes vorgeschriebene Vorschrift beachtet wurde. Diese Annahme w i r d durch die Darstellung von Anschütz unterstützt. Anschiitz folgerte nämlich die formelle Prüfungsbefugnis des Richters 28 , wie auch die materielle Prüfungsbefugnis gegenüber RVO 2 9 , aus dem Unabhängigkeitsgrundsatz des A r t . 102 W R V 3 0 . Anschütz ließ ferner i n seiner dortigen Darstellung erkennen, daß er angesichts des A r t . 102 WRV auch die materielle Prüfungskompetenz des Richters gegenüber Gesetzen anerkennen würde, wenn die Verfassung nur einen Rang höher stünde als das einfache Gesetz. Er führte dazu aus: Das Prüfungsrecht bei Verordnungen habe man zu bejahen. „Denn was für das Verhältnis der Verfassung zum einfachen Gesetz nicht zutrifft (sc. gemeint ist der Rangunterschied), gilt für das Verhältnis des Gesetzes zur Verordnung: Das Gesetz ist der Verordnung gegenüber eine Norm höheren Ranges" 31. Der dogmatische Umstand, daß Anschütz das Rangproblem für die Frage des richterlichen Prüfungsrechts für „grundlegend" wichtig hielt 3 2 und seine These vorzugsweise auf die Annahme der Ranggleichheit stützte, w i r d noch deutlicher durch seine folgende Behauptung: I n Staaten, i n denen eine besondere verfassungsgesetzgebende Körperschaft besteht, sei ein richterliches Prüfungsrecht zweifellos vorhanden, denn die Befehle der übergeordneten Gewalt, die Verfassungsbestimmungen, gingen denen der untergeordneten Gewalt, den einfachen Gesetzen, vor. Aus diesem Grund müsse der Richter die Übereinstimmung von Gesetz und Verfassung prüfen. I n den Ländern, in denen die Verfassungsgesetzgebung der Legislative obliege, sei ein Rangunterschied zwischen Gesetz und Verfassung infolgedessen nicht vorhanden, die Verfassung sei eben auch nur ein Gesetz. I n diesem Falle dürfe der Richter also nur dann eine Nachprüfung ausführen, wenn dies in der Verfassung vom Gesetzgeber ausdrücklich konzediert sei. Da die Reichsverfassung schweige, bestehe also für Deutschland ein richterliches Prüfungsrecht nicht 3 3 . Das Vorausgegangene erhellt, daß das Fehlen einer eindeutigen Bestimmung i n der WRV, die das Rangverhältnis der Verfassung zu einfachem Gesetz ausdrücklich regelte, für die Prüfungsgegner das zentrale 28

Vgl. Anschütz, Kommentar WRV, Nr. 3 zu A r t . 102 WRV (S. 475 f.). Vgl. Anschütz, a.a.O., Nr. 5 zu A r t . 102 W R V (S. 478). 30 A r t . 102 W R V lautete: „Die Richter sind unabhängig u n d n u r dem Gesetz unterworfen." 31 a.a.O., Nr. 5 zu A r t . 102 W R V (S. 478). 32 Vgl. a.a.O., Nr. 1 zu A r t . 76 W R V (S. 401). 33 Vgl. Meyer-Anschütz, Staatsrecht, 7. A u f l . (1919), S. 743 f.; ähnliche Gedankengänge finden sich auch bei Arndt, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 5. Aufl. (1913), S. 144 f.; auch bei Schack, Die Prüfung, ζ. B. S. 139,143 u n d 144. 29

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Argument lieferte. W. Jellinek, der damals ein entschiedener Gegner der richterlichen Prüfungsbefugnis war, schrieb i m Jahre 1948: „Bei Fertigstellung der endgültigen Verfassungen konnten die „verfassunggebenden" (Bayern, Württemberg-Baden) oder „verfassungsberatenden" (Hessen) Landesversammlungen der Frage des richterlichen Prüfungsrechts nicht mehr ausweichen, nachdem die Bestimmungen über die Verfassungsgesetzgebung gegenüber der WRV drei tiefgreifende Änderungen erfahren hatten: Notwendigkeit eines Volksentscheides, Verbot der Verfassungsdurchbrechung und Schranken der Verfassungsänderung 34 ." Aus all dem kann der Schluß gezogen werden, daß unter der Voraussetzung eines Vorranges der Verfassung vor dem Gesetz der Streit um die richterliche Prüfungskompetenz wesentlich anders verlaufen wäre, als er i n der Weimarer Zeit verlaufen ist. Welches Argument gegen das richterliche Prüfungsrecht wäre denn noch den Prüfungsgegnern verblieben, wenn sie gewollt hätten, dem höheren Rang des Gesetzes gegenüber der Verordnung dadurch Rechnung zu tragen, indem sie die richterliche Nachprüfung der Gesetzmäßigkeit anerkannten? Dann hätten sie auch dem höheren Rang der Verfassung gegenüber Gesetzen ebenso durch Anerkennung des materiellen richterlichen Prüfungsrechts Rechnung tragen müssen. Die These von Schack kann daher als inkonsequent bezeichnet werden. Wenn Schack selbst zugibt, daß die Verfassung einen Rang höher hat als das einfache Gesetz 35 , dann ist es nicht einzusehen, wie man noch unter dieser Voraussetzung logisch zwingend das Nichtvorhandensein der richterlichen Prüfungsbefugnis nachweisen w i l l . Trotzdem versucht er dies, indem er die Überordnung des Gesetzgebers mit Nachdruck betont und den Richter einer unbedingten Gehorsamspflicht unterwirft 3 6 . Nach Schack betrifft die Höherrangigkeit der Verfassung nur den Gesetzgeber, und der Richter soll dazu gezwungen sein, auch beim eindeutig verfassungswidrigen Gesetz so zu tun, als läge ein verfassungsmäßiges Gesetz vor. Damit übersieht er offenbar zwei Dinge, die nicht minderwertiger sein können als die Verfassungsgebundenheit des Gesetzgebers; einmal die elementare rechtslogische Substanz einer Rechtsnorm, die nur verbindlich ist, soweit sie nicht mit einer Rechtsnorm höheren Ranges kollidiert 3 7 ; und zum anderen die verfassungsrechtlich gebotene Verfassungsbindung des Richters (Art. 102 WRV) 3 8 . Hat die Verfassung Vorrang vor dem ein34

Laim-Festschrift, S. 269 ff. (271). Vgl. Schack, Die Prüfung, S. 140. 36 Vgl. Schack, a.a.O., S. 143 f. 37 Vgl. dazu u. a. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 196; Jeschke, JW 1922, S. 81 f.; Hensel, I i d b D S t R I I , S. 316. 38 Vgl. Nawiasky, D J Z 1923, S. 40 f.; Stier-Somlo, Deutsches Reichs- u n d L a n desstaatsrecht, 1924, Bd. 1, S. 316; derselbe , Besprechung zu Schack (Prüfung), 35

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fachen Gesetz, dann bindet sie auch subjektiv den Richter und verlangt von ihm, sich primär an ihr zu orientieren. Die richterliche Prüfungsbefugnis ist damit grundsätzlich, d. h., wenn die Verfassung selbst sie nicht ausschließt, anzuerkennen 30 . B. Hervorhebung der Rechtssicherheitsfrage als Ansatz neuer Problementwicklung Außer dem oben dargestellten rechtslogischen Argument spielte bei Prüfungsgegnern noch ein rechtspolitischer Gesichtspunkt eine sehr wichtige Rolle, nämlich die mit dem Rechtssicherheitsproblem verknüpfte Zuständigkeitsfrage. Vor allem R. Thoma 40 betrachtete die Frage der richterlichen Prüfungskompetenz unter dem rechtspolitischen Aspekt und stellte auf die „Interessenabwägung" ab 4 1 . Nach Thoma geht es beim richterlichen Prüfungsproblem einzig und allein darum, abzuwägen, ob die schon vorhandenen Verfassungsschutzmittel für die Verfassungsgarantie ausreichen oder nicht. Nach seiner Meinung bestünden bereits ausreichende und zuverlässige Verfassungsschutzmittel 42 gegen den Machtmißbrauch der parlamentarischen Mehrheit, daher habe man keinen Grund, die richterliche Prüfungsbefugnis zum Verfassungsschutz zu Hilfe zu rufen 4 3 . Die Ansicht Thomas geht daher davon aus, daß die Verfassung „als das Fundament der gesamten republikanischen Rechtsordnung" 44 vor der parlamentarischen Mißachtung geschützt werden muß. Da die Verfassung aber ohne die richterliche Prüfungskompetenz schon wirksam geschützt werden kann, sei die richterliche Prüfungsbefugnis traditionsgemäß abzulehnen 45 . AöR, N. F. Bd. 3 (1922), S. 105 ff. (107); Görres, J W 1924, S. 1566; Bendix , J W 1924, S. 528; Morstein-Marx, Variationen, S. 97 u n d 157; Bühler , DJZ 1921, S. 582. 39 So auch schon Feigenspan , Diss. S. 21. Die Ansicht Thomas , AöR, N. F. Bd. 4, S. 267 ff. (271), daß man aus einem besonderen „Pouvoir Constituant" bzw. dem Vorrang der Verfassung keinen juristisch zwingenden Schluß auf die Überprüfbarkeit der Gesetze ziehen könne, ist m i t wesentlichen Einschränkungen zuzustimmen. Deshalb sollte m a n das Problem unter dem funktionellrechtlichen Aspekt betrachten. Vgl. oben § 2, I I I 2 B, C. 40 z. B. AöR, N. F. Bd. 4, S. 267 ff., auch DJZ 1922, S. 729. 41 Vgl. z. B. AöR, a.a.O., S. 272 ff. Thoma lehnt damit sowohl die „Ausfertigungstheorie" als auch die auf den Rangunterschied gestützte Theorie ab (vgl. a.a.O., S. 270 u n d 271). 42 Thoma meint damit offensichtlich A r t . 70 (Ausfertigungsrecht des Reichspräsidenten), A r t . 73 Abs. 2 (Volksentscheid), A r t . 74 (Vetorecht des Reichsrates) und A r t . 72 (Antragsrecht der Reichstagsminderheit auf Aussetzung der Gesetzesverkündung) WRV. Vgl. AöR, N. F. Bd. 4, S. 275 ff. u n d S. 286. 43 Vgl. Thoma y a.a.O., S. 279. 44 Thoma , a.a.O., S. 275 u n d S. 285. 45 Vgl. dazu die kritische Bemerkung von Morstein-Marx , Variationen, S. 73 ff.

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Daraus zieht Thoma die Konsequenz, daß die richterliche Prüfungskompetenz anzuerkennen sei, falls die Gefahr besteht, daß das Parlament i n einem erheblichen Maße verfassungswidrige Gesetze erzeugt 46 . Thomas Bedenken gegen die richterliche Prüfungskompetenz beruhten ferner auf den Gesichtspunkten der Rechtssicherheit und der Rechtsgewißheit* 7 . Diese Gesichtspunkte spielten nicht nur bei Thoma eine erhebliche Rolle, sondern auch bei den meisten Prüfungsgegnern. Man machte gegen die allgemeine richterliche Prüfungskompetenz die bedenklichen Wirkungen geltend, die aus voneinander abweichenden Inzidententscheidungen folgen müssen. Darin sah man eine Gefährdung von Rechtssicherheit und Rechtseinheit. Dazu führte z. B. Anschütz aus: „ . . . Zuerkennung des Prüfungsrechts an alle Gerichte ohne Unterschied der Instanz ist rechtspolitisch nicht tragbar, vor allem nicht, wegen der hiermit unausweichlich verbundenen Gefährdung der Rechtssicherheit und Rechtseinheit durch widersprechende und irrevisible Entscheidungen unterer Instanzen 48 ." U m die Gefahr der Rechtssicherheit nach Möglichkeit zu beseitigen, schlug man vor, die Entscheidung über Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze einem einzigen Gerichtshof zu übertragen 49 . Heute hebt z. B. Maurer hervor, wie wichtig dieses Rechtssicherheitsproblem damals gewesen sein dürfte, indem er schreibt: „Rechtspolitisch wäre zwar das richterliche Prüfungsrecht grundsätzlich anerkannt gewesen, hätte aber nicht jedem Richter die Befugnis gegeben, ein Gesetz wegen angeblicher Verfassungswidrigkeit unangewendet zu lassen 50 ." Dieser Hinweis Maurers t r i f f t durchaus zu. Man braucht sich gar nicht allzu große Mühe zu geben, u m festzustellen, wie viele Stimmen sich damals schon für die Monopolisierung der Normenkontrolle aussprachen. Anschütz z. B. vertrat die Ansicht, nachdem er zunächst Bedenken gegen die allgemeine inzidente Prüfungskompetenz geäußert hatte, daß das Prüfungsrecht nur tragbar sei, wenn es durch Gesetz zentralisiert, d. h., einem obersten, für das ganze Reich zuständigen Gerichtshof . . . ausschließlich übertragen werde 5 1 . Thoma 52, Radbruch 53, W. Jeliinefc 54 , Schack 55 und viele andere 56 waren derselben Ansicht 5 7 . 46

Vgl. a.a.O., S. 285. Vgl. a.a.O., S. 273. 48 Kommentar WRV, S. 374 m. w. Nachw. 49 Vgl. Feigenspan , Diss. S. 33 f. (34). 50 DöV 1963, S. 686 f. 51 Vgl. Anschütz , Kommentar WRV, S. 374 f. 52 Thoma brachte seine Zuneigung zur Monopolisierung der Normenkontrolle dadurch zum Ausdruck, indem er das zentralisierte österreichische Normenkontrollsystem lobte u n d es als V o r b i l d bezeichnete. Vgl. AöR, N. F. Bd. 4, S. 267 ff. (274), ferner D J Z 1925, S. 573. 47

I. Überblick über die geschichtliche Entwicklung

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B e i dieser i m m e r l a u t e r g e w o r d e n e n F o r d e r u n g nach der M o n o p o l i s i e r u n g der r i c h t e r l i c h e n P r ü f u n g s k o m p e t e n z g i n g es n i c h t m e h r a l l e i n u m die „ O b - F r a g e " 5 8 , s o n d e r n h a n d e l t e es sich g l e i c h z e i t i g u m die „WieFrage" 59 der N o r m e n k o n t r o l l e . D a m i t t r a t e n die b e i d e n F r a g e n z u m ersten M a l g e t r e n n t i n Erscheinung, u n d m a n w u r d e sich a l l m ä h l i c h dessen b e w u ß t , daß das N o r m e n k o n t r o l l p r o b l e m außer der „ O b - F r a g e " auch die „ W i e - F r a g e " umschließt, so daß die A n t w o r t a u f die „ O b - F r a g e " a l l e i n f ü r die L ö s u n g des P r o b l e m s n i c h t ausreicht. S p r i c h t m a n h e u t e v o n der T r e n n u n g zwischen „Prüfungskompetenz" u n d „Entscheidungskompetenz" u n d e r b l i c k t m a n d a r i n eine S e l b s t v e r s t ä n d l i c h k e i t , d a n n sollte m a n sich auch d a r ü b e r i m k l a r e n sein, daß erst b e i der „ W i e - F r a g e " dieser U n t e r s c h i e d v o n B e d e u t u n g ist. I m m e r h i n w u r d e dieser S t r ö m u n g i n der Wissenschaft d a d u r c h Rechn u n g getragen, daß m a n v e r s c h i e d e n t l i c h G e s e t z e s e n t w ü r f e 6 0 v o r l e g t e , d u r c h die die M o n o p o l i s i e r u n g d e r r i c h t e r l i c h e n N o r m e n k o n t r o l l e b e i e i n e m O b e r s t e n Gericht, d e m Staatsgerichtshof, e r r e i c h t w e r d e n sollte. D e r b e k a n n t e s t e G e s e t z e n t w u r f w a r der v o n d e m R e i c h s m i n i s t e r des I n n e r n D r . Külz 1926 b e k a n n t g e g e b e n e E n t w u r f 6 1 . A u f die E i n z e l h e i t e n 53

Vgl. etwa Justiz, Bd. 1 (1925), S. 16. W. Jellinek sprach auch f ü r die Monopolisierung der Normenkontrolle m i t Hinweis auf die ausländischen Lösungen u n d insb. auf die Verfahrensökonomie. Vgl. V V D S t R L , Heft 2 (1925), S. 8 ff. (40 u n d 94 f.). 55 Schack deutete gewisse Sympathie f ü r den Gedanken eines Verfassungsgerichtshofes nach österreichischem V o r b i l d an. Vgl. Besprechung zu „ V a r i a tionen" von Morstein-Marx, i n : Archiv f ü r Rechts- u n d Wirtschaftsphilosophie, Bd. 20, S. 610 ff. (614). 56 Vgl. die Literaturhinweise bei Anschütz, Kommentar WRV, S. 374, A n m . 2 und S. 375, A n m . 1. 57 Unter Prüfungsanhängern vermehrte sich auch diese Ansicht. Vgl. z. B. Triepel, Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages, 1924, S. 59 ff. (59 f.), auch AöR, Bd. 39, S. 456 ff. (537 ff.); Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 292, u n d V V D S t R L , Heft 5, S. 30 ff. (80 u n d 85); Nawiasky, DJZ 1923, S. 41. Dagegen lehnte u. a. Morstein-Marx, Variationen, S. 105 ff. (143 ff.), die Monopolisierung der richterlichen Prüfungskompetenz ab u n d entschied sich f ü r die allgemeine richterliche Prüfungsbefugnis. 58 Damit ist die Frage gemeint, ob der Richter, oder wer i m m e r sonst befugt sein soll, ein formelles Gesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit nachzuprüfen. 59 Gegenüber der „Ob-Frage" ist damit das Problem zum Ausdruck gebracht, wie die Normenkontrolle am besten gestaltet werden soll. Bei der Fragestellung des „ W i e " w i r d deshalb die Lösung der „Ob-Frage" vorausgesetzt. 60 Vgl. v. Hippel, HdbDStR I I , S. 546 ff. (558, A n m . 52). 61 Die erste Fassung des Entwurfes w a r i n der D J Z (1926, S. 837 ff.) v e r öffentlicht. Der Wortlaut der ersten Fassung ist auch abgedruckt bei R. Grau, AöR, N. F. Bd. 11 (1926), S. 287 ff. (288 f.) und bei Morstein-Marx, Variationen, S. 129 ff. Die erste Fassung wurde dem Reichstag der 3. Wahlperiode vorgelegt (RT-Drucks. III/2855). Der erste E n t w u r f w a r auf Grund v o n Anregungen des 34. Juristentages (Sept. 1926 i n K ö l n stattgefunden) i n einzelnen Punkten abgeändert worden, u n d die zweite Fassung wurde dem Reichstag der 4. W a h l periode wieder vorgelegt (RT-Drucks. IV/382). Vgl. hierzu u. a. Anschütz, Kommentar WRV, S. 375; v. Hippel, a.a.O.; Feigenspan, Diss. S. 33. 54

56

§ 4 Historische Betrachtung

dieses Entwurfes braucht hier nicht eingegangen zu werden. Es sei aber darauf hingewiesen, daß die zweite endgültige Fassung des Entwurfes aus dem Jahre 1928 sowohl ein konkretes als auch ein abstraktes Normenkontrollverfahren vorsah 6 2 und dem einzelnen Richter nur die Prüfungskompetenz einräumte, indem er allein dem Staatsgerichtshof die Verv/erfungskompetenz zuerkannte 63 . Obgleich keiner dieser Gesetzentwürfe verwirklicht wurde, so zeichnete sich immerhin eine klare Entwicklungslinie ab vom anfänglichen Streit um die „Ob-Frage" zur „Wie-Frage" der richterlichen Normenkontrolle. Die heutige Gestaltung des Instituts der Normenkontrolle im GG muß als ein logischer Niederschlag dieses Entwicklungsprozesses aufgefaßt werden. 3. Gerichtspraxis

Schließlich sei i n diesem Zusammenhang noch ein Wort zu jener „bahnbrechenden" 64 Entscheidung des 5. Zivilsenats des Reichsgerichtes vom 4. 11. 192565 gesagt. I n dieser Entscheidung erkannte das RG zum erstenmal 66 die materielle Prüfungskompetenz des Richters gegenüber formellen Gesetzen ausdrücklich an 6 7 . Das RG bediente sich i n diesem Urteil der zweistufigen Methode, wie es der Chief Justice Marshall i n seiner berühmten Entscheidung 68 getan hatte, und baute seine Argumente, von dem rechtslogischen Vorrang der 62 Dagegen sah die erste Fassung n u r ein abstraktes Verfahren vor, und darin w u r d e n weder die inzidente Prüfungskompetenz noch ein Vorlageverfahren geregelt. Vgl. den Wortlaut des Entwurfes, z. B. bei R. Grau, a.a.O., Grau setzt sich m i t dem ersten E n t w u r f heftig auseinander. 63 Vgl. Maurer, DöV 1963, S. 687. Ferner die kritische Bemerkung von v. Hippel, HdbDStR I I , S. 558. s. auch BVerfGE 2,132 f. 64 Feigenspan, Diss. S. 26. 65 RGZ 111, 320 ff. Es handelte sich i n diesem U r t e i l u m die Frage, „ob das Aufwertungsgesetz v o m 16. 7. 1925, also ein Reichsgesetz, wegen Verstoßes gegen die Reichsverfassung nichtig sei" (vgl. Feigenspan, a.a.O.). 66 V o r dieser Entscheidung haben sich bereits das Reichsversorgungsgericht durch sein U r t e i l v o m 21. 10. 1924 (RVersG 4, 168) u n d der Reichsfinanzhof durch das U r t e i l v o m 23. 3. 1921 (RFinH. 5, 333) f ü r das richterliche Prüfungsrecht ausgesprochen, aber wegen ihrer unklaren u n d knappen Begründung ist diesen nicht so große Bedeutung beizumessen. Vgl. dazu v. Hippel, HdbDStR I I , S. 557; Feigenspan, Diss. S. 27 ff. 67 Das RG hatte sich bereits i n seinem U r t e i l v o m 28. 4. 1921 (RGZ 102, 161 (164)) auf seine ständige Rechtsprechung berufen, die richterliche Prüfungskompetenz anerkannt zu haben. Aber dieser Hinweis wurde v o n vielen A u t o ren als unzutreffend zurückgewiesen. Vgl. z. B. Feigenspan, Diss. S. 25 f.; v. Hippel, a.a.O., S. 557; H. Wobst, Diss. S. 48 f.; Maurer, a.a.O., S. 684, Anm. 19 m. w. Nachw. 68 1 Cranch 137, vgl. darüber unten § 5,1, 1, A. Marshalls These i n dieser E n t scheidung soll erst v o n v. Mohl (Staatsrecht, Völkerrecht u n d Politik, 1860, S. 82 ff.) i n Deutschland eingeführt u n d deren stichhaltige Begründung auch vom RG i n seine Entscheidung (RGZ 111, 320) übernommen worden sein. Vgl. dazu Jahn, Diss. S. 20, A n m . 3 u n d S. 27.

I I . Gegenwartszustand der Normenkontrollfrage

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Verfassung ausgehend, auf dem funktionell-rechtlichen Bindungsgrundsatz auf. Das RG begründete nämlich das Vorhandensein der richterlichen Prüfungskompetenz m i t folgender Beweisführung: „Die Reichsverfassung hat i m A r t . 102 den i m § 1 G V G aufgestellten G r u n d satz angenommen, daß die Richter unabhängig u n d nur dem Gesetz unterworfen sind. Diese letztere Bestimmung schließt nicht aus, daß einem Reichsgericht oder einzelnen seiner Bestimmungen v o m Richter die Gültigkeit soweit aberkannt werden kann, als sie m i t anderen, v o m Richter zu beachtenden Vorschriften, die ihnen vorgehen, i n Widerspruch stehen. Das ist der Fall, w e n n ein Gesetz einem i n der Reichsverfassung aufgestellten Rechtssatz widerspricht u n d bei seinem Erlaß die durch A r t . 76 R V für eine V e r fassungsänderung vorgeschriebenen Erfordernisse nicht vorgelegen haben. Denn die Vorschriften der Reichsverfassung können n u r durch ein ordnungsgemäß zustandegekommenes verfassungsänderndes Gesetz außer K r a f t gesetzt werden. Sie bleiben daher auch gegenüber abweichenden Bestimmungen eines späteren ohne Beobachtung der Erfordernisse des A r t . 76 erlassenen Reichsgesetzes f ü r den Richter verbindlich und nötigen ihn, die w i d e r sprechenden Bestimmungen des späteren Gesetzes außer Anwendung zu lassen 69 ."

M i t dieser Entscheidung wurde die umstrittene richterliche Prüfungskompetenz zumindest 70 i n der Gerichtspraxis endgültig realisiert, und das RG, wie andere Gerichte, hielt in späteren Entscheidungen an dieser Entscheidung fest 71 .

I I . Gegenwartszustand der Normenkontrollfrage: Wie-Stufe als Gestaltungsproblem

Die am Ende der Weimarer Zeit angesetzte klare Entwicklungslinie der richterlichen Normenkontrollfrage führte, von den bitteren Erfahrungen i m Dritten Reich unterstützt, schließlich dazu, daß man nach dem Zusammenbruch das Normenkontrollproblem nunmehr als eine Gestaltungsfrage ansah. Die „Ob-Frage" verlor weitgehend an Bedeutung und die Diskussion wurde vielmehr auf die „Wie-Frage" verlagert. Die Bemühungen, der Verfassung einen festen Boden, einen unbestreitbaren Vorrang vor anderen Rechtsquellen, zu verschaffen, dürften diese Problemverlagerung erst ermöglicht haben. Die Einsicht W. Jellineks, daß das richterliche Prüfungsrecht i n den Länderverfassungen eine unausweichliche Folge des positivierten Vorranges der Verfassung sei 72 , bestätigt diesen Umstand 7 3 . 69

RGZ 111, 320 ff. (322 f.). Z i t i e r t bei Feigenspan, Diss. S. 26. Der wissenschaftliche Streit ging auch nach dieser Entscheidung weiter. Dennoch bildete sich allmählich eine überwiegende Meinung heraus, die die richterliche Prüfungsbefugnis anerkannte. Vgl. den Meinungsstand am Ende der Weimarer Zeit bei Feigenspan, Diss. S. 29 ff., danach stand es zahlenmäßig 68 (Für) zu 31 (Gegen). 71 Vgl. v. Hippel, HdbDStR I I , S. 557; Feigenspan, a.a.O., S. 27. 72 Vgl. i n : Laun-Festschrift, S. 269 ff. (271). 70

58

§ 4 Historische Betrachtung

Diese Problemverlagerung war insbesondere bei den Beratungen der verfassunggebenden Landesversammlung deutlich zu erkennen. Die Landesversammlungen gingen bei ihren Beratungen über die richterliche Normenkontrolle stillschweigend von der Voraussetzung einer bestehenden richterlichen Prüfungskompetenz aus, beschäftigten sich nur mit dem Rechtssicherheitsproblem und gelangten zu dem Ergebnis, daß die Verwerfungsbefugnis bei den Verfassungsgerichten monopolisiert werden solle 7 4 7 5 . Der Parlamentarische Rat sah i n Art. 137 HchE (Art. 100 GG) eine reine Verfahrensvorschrift einer schon anderweitig vorhandenen richterlichen Prüfungskompetenz, und bei seinen Beratungen wurde daher nurmehr die Frage erörtert, wie man diese Prüfungskompetenz i m Hinblick auf „die Einheitlichkeit der Rechtsprechung" 76 zweckmäßig zu gestalten habe 77 . Es wurde weiter die Frage erörtert, ob man die alleinige Verwerfungskompetenz, die aus dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit zwingend geboten erschien, einem Obersten Bundesgericht oder einem Bundesverfassungsgericht zukommen lassen solle 78 . Dieser Entstehungsgeschichte entsprechend mißt die heute herrschende Meinung Art. 100 GG v. a. eine verfahrensrechtliche Bedeutung bei, nämlich die Bedeutung, das Verfahren der bereits bestehenden richterlichen Prüfungskompetenz zu regulieren und die Verwerfungskompetenz bei den Verfassungsgerichten zu monopolisieren 79. Unter diesen veränderten Umständen spricht sich, soweit ersichtlich, heute nur noch W. Apelt 80 gegen die richterliche Normenkontrolle aus, weil er glaubt, daß die Autorität und Vertrauenswürdigkeit des demokratischen Parlaments durch die Anerkennung richterlicher Prüfungskompetenz geschmälert wird. Dazu äußert W. Apelt wörtlich: „ M i t demselben 73

Vgl. Chr. Böckenförde, Die sog. Nichtigkeit, S. 46 f. Vgl. W. Schätzel , N J W 1947/48, S. 450 ff.; auch W. Jellinek, i n : Laun-Festschrift, S. 269 ff. 75 Vgl. die einschlägigen Bestimmungen der Länderverfassungen: z. B. A r t . 92 Bay .Verf.; A r t . 130 Rh.-Pfälz.Verf.; A r t . 142 Brem.Verf.; A r t . 92 W t i r t temberg-Bad.Verf . ; A r t . 132 Hess.Verf.; A r t . 114 Bad.Verf.; A r t . 62 W ü r t t . Hoh.Verf. 76 v. Doemming, JöR, N. F. Bd. 1, S. 735. 77 Vgl. v. Doemming, a.a.O.; auch K . Stern, i n : B K , Entstehungsgeschichte zu A r t . 100 GG. 78 Vgl. v. Doemming, a.a.O., S. 736 u. 737, auch S. 673 ff. 79 Vgl. Sigloch, i n : Maunz u. a. BVerfGG, Rn. 15 zu § 80; Leibholz-Rinck, GGKommentar, Rn. 1 zu A r t . 100 GG; K. Stern, i n : B K , Rn. 6 zu A r t . 100 GG m. w. Nachw.; P. Lerche, Übermaß, S. 333; R. Schneider, AöR, Bd. 89, S. 24 f f (51); H. F. Zacher, AöR 93, S. 341 ff. (346); Hamann, N J W 1959, S. 1465 ff. (1469); Michel, N J W 1960, S. 841 ff. (843); Rönitz, N J W 1960, S. 226 ff. (227); H. Angerer, BayVBl. 1969, S. 274 f. (275). 80 Vgl. Geschichte der Weimarer Verfassung, insb. S. 286 ff. (288 f.). 74

I I . Gegenwartszustand der Normenkontrollfrage

59

Recht, m i t dem man es i n der konstitutionellen Monarchie abgelehnt hat, ein richterliches Prüfungsrecht anzuerkennen, muß es i n der demokratischen Republik das souveräne Volk ablehnen, den Willen der von i h m gewählten Repräsentativorgane unter die Justiz zu beugen. Gegen die Auslegung des politischen Verfassungsrechtes i m geordneten Wege der Gesetzgebung die Justiz als Element der Reaktion einzuschalten, ist ein bedenklicher Fehlgriff, der die Autorität der Rechtsprechung nicht weniger als die der Gesetzgebung schädigen muß 8 1 ." Von dieser unzeitgemäßen Ansicht W. Apelts distanziert sich sogar R. Thoma, der als früherer Gegner der richterlichen Normenkontrolle deren Notwendigkeit also jetzt bejaht 8 2 . Man mag heute noch die richterliche Normenkontrolle, wie sie i n der Weimarer Zeit gesehen wurde, als rein objektive, juristische Tätigkeit auffassen, die mit dem Wesen der Rechtsprechung begriffsnotwendig eng verbunden ist 8 3 , oder sie kann, z. B. wie bei Bachof M, als eine zwangsläufige, zusätzliche Tätigkeit des Richters betrachtet werden, die durch die gewandelten sozialen Verhältnisse, u. a. durch weitgehenden Funktionswandel des Gesetzes und durch Strukturänderung des Parlamentes, heraufbeschworen worden ist. Aber jedenfalls steht fest, daß eine völlige Ablehnung der richterlichen Prüfungskompetenz unter den heutigen staatsrechtlichen Verhältnissen kaum eine Stütze finden wird. Die richterliche Prüfungsbefugnis ist heutzutage Bestandteil jeder Verfassung. Es geht daher in der Gegenwart nur noch u m die zweckmäßigste Ausgestaltung der bereits bestehenden richterlichen Prüfungskompetenz, die gegenüber der früheren „Ob-Stufe" als „Wie-Stufe" bezeichnet werden kann. Die Ausgestaltung des Instituts der Normenkontrolle hängt aber aufs engste mit den jeweils gegebenen politischen und historischen Verhältnissen zusammen, worauf nun mehr i m nächsten Abschnitt eingegangen wird.

S1

W. Apelt, a.a.O., S. 288 f. Vgl. R. Thoma, Besprechung zu Apelt, a.a.O., i n : AöR, N. F. Bd. 35 (1948), S. 106 ff. (109,114). 83 z. B. H. Triepel, V V D S t R L , Heft 5 (1929), S. 16, bezeichnet die richterliche Normenkontrolle — die Verfassungsgerichtsbarkeit überhaupt — als ein bloßes „Akzessorium" der richterlichen Gewalt. 84 Vgl. z. B. i n : H. Huber-Festschrift, S. 26 ff. (35 ff.). 82

§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung in modernen Staaten Wie schon angedeutet, ist beim Normenkontrollproblem i m Laufe der Zeit eine schwerwiegende Gewichtsverlagerung vollzogen worden, und zwar von der „Ob-Frage" zur „Wie-Frage". Es geht heute infolgedessen nicht mehr um die grundsätzliche Bejahung oder Verneinung der richterlichen Prüfungskompetenz, sondern um die zeitgemäße Ausgestaltung der richterlichen Normenkontrolle. Eben diese Ausgestaltung des Instituts der Normenkontrolle ist i m besonderen Maße national bedingt und hängt m i t den jeweils gegebenen historischen, sozialen und politischen Umständen der politischen Einheit aufs engste zusammen. Wegen dieser Tatsache mag es gerade unsinnig erscheinen, wenn man dennoch den Versuch unternimmt, die äußerst verschiedenen Ausgestaltungsformen ungeachtet ihrer Nuancierung in einige Gruppen einzuteilen. Aber auf der anderen Seite ist die Typisierungstendenz auf dem Gebiet der Normenkontrolle indessen so weit vorangetrieben, daß man ohnehin von zwei Grundtypen derselben sprechen kann; der eine Typus ist das Institut der Normenkontrolle in Gestalt „diffuser" Verwerfungsbefugnis, und der andere ist das Institut der Normenkontrolle i n Gestalt „monopolisierter" Verwerfungsbefugnis. Der erstere ist bekanntlich i n den Vereinigten Staaten von Amerika entstanden und w i r d v. a. dort immer noch praktiziert. Der letztere hat in Österreich seinen Ursprung und findet heute noch in Westeuropa seine besondere Geltung. Bei einer Verfassungsrechtsvergleichung zwischen uns bekanntgewordenen verschiedenen Typen des Rechtsinstituts der Normenkontrolle findet man entweder einen der beiden Typen, oder es zeigt sich eine variierte Form derselben 1 . Daher scheint es angebracht zu sein, ohne den Einzelheiten nachzugehen, wenigstens auf die besondere Problematik beider Grundtypen einzugehen, zumal die Klärung dieser Problematik für das Verständnis des Instituts der Normenkontrolle der Republik Korea von außerordentlicher Bedeutung sein dürfte. 1 Vgl. v. a. die Länderberichte u n d Rechtsvergleichung über die Verfassungsgerichtsbarkeit, i n : Verfassungsgerichtsbarkeit i n der Gegenwart, hrsg. v o n H. Mosler, 1962, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und V ö l k e r recht, Bd. 36. Ferner vgl. D. Engelhardt , JöR, N. F. Bd. 8, S. 101 ff.

I. Der nordamerikanische T y p u n d sein Einfluß

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I . D e r nordamerikanische T y p und sein Einfluß 1. Verfassungsrechtliche Grundlage und die Gerichtspraxis in den USA

Die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika wurde 1787 „für damals dünn besiedelte Agrargebiete der dreizehn Kolonien" 2 geschaffen. Dennoch gilt diese Verfassung mit nur wenigen Textänderungen 3 heute noch für eine Nation, die i n mancher Hinsicht zur beherrschenden Macht i n der heutigen Welt geworden ist. A n dieser Lebensdauer der Verfassung soll u. a. die von dem Supreme Court 4 praktizierte Ausübung des richterlichen Prüfungsrechts einen wesentlichen Anteil gehabt haben 5 . Es w i r d i n diesem Zusammenhang oft darauf hingewiesen, daß es dem Supreme Court auch möglich war, die Verfassung auf die sich verändernden Gegebenheiten hin zu interpretieren und so die notwendigen und legitimen Verfassungswandlungen positiv zu legitimieren, gerade weil er Bundesgesetze notwendigenfalls für verfassungswidrig erklären und annullieren konnte 6 . So erblickt E. Wolf i n der Normenkontrollkompetenz der amerikanischen Gerichte „das typische Institut des amerikanischen Staatsrechts" 7 und preist es als „dasjenige. Institut, das dem amerikanischen Verfassungsrecht sein eigentliches Gepräge gegeben hat" 8 . Um so auffallender ist der Umstand, daß die amerikanische Verfassung keine ausdrückliche Bestimmung über die richterliche Prüfungskompetenz gegenüber Bundesgesetzen enthält 9 . Bekanntlich hat sich die richterliche Prüfungskompetenz gegenüber Bundesgesetzen 10 i n der Gerichtspraxis entwickelt und durchgesetzt seit der „epochalen Entscheidung" n i m Falle „Marbury ν . Madison" 12, die der Supreme Court unter seinem berühmten Chief Justice J. Marshall i m Jahre 1803 gefällt hat 1 3 . 2 K. Loewenstein, Verfassungsrecht USA, S. 35. — Über die Entstehung der amerikanischen Verfassung vgl. auch S. 8 ff. 3 Der Verfassungstext ist abgedruckt z. B. bei K. Loewenstein, a.a.O., S. 625 ff. 4 The Supreme Court wurde durch den Judiciary A c t v o m 24. 9. 1789 (1 Stat. 73) konstituiert. Dazu vgl. z. B. C. E. Hughes, The supreme Court of the United States, 1928/N. Y. S. 25. 5 Vgl. K . Loewenstein, a.a.O., S. 36; H. Reschke, DöV 1952, S. 142 ff. (142). 6 Vgl. F. W. Scharpf, Grenzen der richterlichen Verantwortung, 1965, S. 1. 7 E. Wolf, Verfassungsgerichtsbarkeit u n d Verfassungstreue i n den V e r einigten Staaten, 1961/Basel, S. 1. 8 E. Wolf, ebenda. Ä h n l i c h bezeichnet E. Fraenkel, JöR, N. F. Bd. 2, S. 36, die richterliche Prüfungskompetenz als „das Kernstück des amerikanischen V e r fassungsrechts". E. Freund, Das öffentliche Recht, S. 84, bezeichnet sie als „der prägnanteste Zug des amerikanischen Verfassungssystems". 9 Vgl. K. Loewenstein, a.a.O., S. 397; E. Wolf, a.a.O., S. 6; F. W. Scharpf, a.a.O., S. 4; E. Fraenkel, a.a.O., S. 36. 10 Die richterliche Prüfungskompetenz gegenüber Gesetzen der Gliedstaaten regelt A r t . V I cl. 2 der Verfassung USA ausdrücklich. Hierzu vgl. H. Spanner, Die richterliche Prüfung, S. 7; E. Wolf, a.a.O., S. 8 f.; E. Freund, a.a.O., S. 86. 11 K . Loewenstein, a.a.O., S. 17.

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§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

Es ist jedoch nicht zu verkennen, daß die MarshaU-Entscheidung nur zustande kommen konnte, weil die Verfassung der Vereinigten Staaten immerhin einige, für die richterliche Prüfungsbefugnis relevante Vorschriften enthielt: Nämlich die klare Trennung zwischen verfassungsgebender und gesetzgebender Gewalt 1 4 , die sich auf diese Trennung stützende „Supremacy and Bound-Klausel" (Art. V I , cl. 2) 15 und schließlich 16 Art. I I I , sec. 2, cl. I , der die Funktion der richterlichen Gewalt für alle Streitfälle „arising under this constitution " für zuständig erklärt. Es mag wohl auch die gegensätzliche Ansicht vertretbar sein, daß die richterliche Prüfungskompetenz schon aus der oben genannten Einzelbestimmung abzuleiten sei 17 , aber es scheint außer Zweifel zu stehen, daß man eine richterliche Prüfungskompetenz schwer ablehnen kann, wenn man die genannten relevanten Verfassungsbestimmungen insgesamt i n Erwägung zieht 1 8 . I n diesem Sinne spricht K. Loewenstein von einem Zusammenwirken verschiedener Verfassungsbestimmungen 10 oder von einem Schlummern der Prüfungszuständigkeit i m Wortlaut der Verfassung 20 . Die Ansicht Haaks, daß der eigentliche Grund für das Prüfungsrecht i n den Vereinigten Staaten weniger i n den Argumenten Marshalls als in der i n Amerika besonders lebendigen Vorstellung, daß in der Verfassung unmittelbar der Volkswille selbst spreche, sowie i n der besonders starken Stellung des amerikanischen Richters liege 21 , kann i n diesem Zusammenhang als treffend bezeichnet werden. A. „Diffuse " Prüfungskompetenz

als Basis der Normenkontrolle

Fest steht jedenfalls, daß auf dieser verfassungsrechtlichen Grundlage die berühmte Entscheidung Marshalls i n Marbury v. Madison 22 2 3 beruht, 12

1 Cranch 137; 2 L E d 60 (1803). Vgl. H. Spanner, a.a.O., S. 7. Vgl. A r t . V der Verfassung USA. Ferner über das Verfassungsänderungsverfahren i n den USA vgl. z. B. K . Loewenstein, a.a.O., S. 38 ff. (40). 15 Vgl. den Wortlaut z. B. bei K . Loewenstein , a.a.O., S. 633. Die deutsche Ubersetzung des A r t i k e l s findet sich z. B. bei E. Wolf, a.a.O., S. 7. 16 Vgl. den Wortlaut z. B. bei K. Loewenstein , a.a.O., S. 631; ferner bei E. Wolf, a.a.O., S. 10. 17 Vgl. zu den verschiedenen Ansichten über die Auslegung der Einzelbestimmung z. B. E. Wolf, a.a.O., S. 6 ff. 18 z. B. E. Wolf , a.a.O., S. 37, der die Entscheidung Marshalls sehr kritisch betrachtet, gibt auch zu, daß die Annahme des Bestehens richterlicher P r ü fungskompetenz auf G r u n d der Verfassung durchaus vertretbar ist. 19 Vgl. K . Loewenstein, a.a.O., S. 418 f. 20 Vgl. K. Loewenstein, a.a.O., S. 421. Er f ü h r t wörtlich aus: „ O b j e k t i v betrachtet läßt es sich k a u m bestreiten, daß die Prüfungszuständigkeit i m W o r t laut der Verfassung schlummerte." L. Uprimny, i n : Mosler, S. 352, meint auch, Marshall habe das richterliche Prüfungsrecht „nicht geschaffen", sondern „erhalten". 21 Vgl. Haak, Normenkontrolle, S. 151. So ähnlich auch E. Wolf, a.a.O., S. 26. 22 Uber den Sachverhalt des Falles vgl. u. a. die kurze Schilderung bei E Wolf, a.a.O., S. 32; E. Fraenkel, JöR, N. F. Bd. 2, S. 37; F. W. Scharpf, a.a.O., 13

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I. Der nordamerikanische T y p und sein Einfluß

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d u r c h die das akzessorische P r ü f u n g s r e c h t des Richters i n d e n V e r e i n i g ten Staaten erfolgreich i n Anspruch genommen w u r d e 2 4 . Es k a n n jedoch i m R a h m e n dieser A r b e i t n i c h t auf die E i n z e l h e i t e n der M a r s h a ü - B e g r ü n d u n g eingegangen w e r d e n . Angesichts der b a h n brechenden B e d e u t u n g dieser E n t s c h e i d u n g f ü r die r i c h t e r l i c h e N o r m e n k o n t r o l l e sei h i e r n u r d a r a u f h i n g e w i e s e n , daß Marshall seine j u r i s t i s c h u n d politisch meisterhaften A r g u m e n t e i m wesentlichen auf zwei Säulen s t ü t z t : E i n e „materiell-rechtliche" u n d eine „funktionell-rechtliche" 2 5 . A u s der Feststellung, daß die V e r f a s s u n g der B e f u g n i s einzelner staatlicher O r g a n e gewisse S c h r a n k e n gesetzt h a t , l e i t e t Marshall den V o r r a n g der Verfassung, die V e r f a s s u n g s g e b u n d e n h e i t a l l e r s t a a t l i c h e n G e w a l t e n u n d schließlich die N i c h t i g k e i t v e r f a s s u n g s w i d r i g e r Gesetze a b 2 6 , u n d aus d e m Wesen der Rechtsprechung f o l g t Marshall das Recht u n d die Pflicht j e d e n Richters, a l l e entscheidungserheblichen R e c h t s n o r m e n auszulegen u n d ggf. zu entscheiden, welche v o n k o l l i d i e r e n d e n N o r m e n a n z u w e n d e n sei 2 7 . I n seiner B e w e i s f ü h r u n g erscheinen die bindungstheoretischen Gedankengänge 28, w e n n m a n besonders f o l g e n d e n Passus der Marshall-Argumentation betrachtet: „ I f then, the courts are to regard the constitution, and the constitution is superior to any ordinary act of the legislature, the constitution, and not such ordinary act, must govern the case to which they both apply 2 9 ." S. 6; K. Loewenstein , a.a.O., S. 421 f.; Lawrence B. Evans , Leading cases on American Constitutional L a w , 2. Ed. 1925/Chicago, S. 241. 23 Der beinahe vollständige Wortlaut dieser Entscheidung findet sich ζ. B. bei Lawrence B. Evans, a.a.O., S. 241 f. Der wesentliche Passus dieser Entscheidung w i r d abgedruckt z. B. bei E. Freund, a.a.O., S. 85, A n m . 1 ; auch bei Haak, a.a.O., S. 103 f. u n d 105 f.; bei C. E. Hughes, The Supreme Court of the United States, 1928/N. Y., S. 87 f. Eine deutsche Übersetzung des wesentlichen Passus findet sich z. B. bei E. Wolf, a.a.O., S. 33 f.; auch bei E. Fraenkel, a.a.O., S. 37 f. 24 Es soll schon 7 Jahre früher (1796) als diese MarshaZZ-Entscheidung i n H y l t o n v. United States, 3 Dallas (U.S.) 171 = 1 LEd. 556 (1796), v o m Gericht die Verfassungsmäßigkeit einer Bundessteuer bestätigt worden sein. Vgl. dazu C. Warren, The Supreme Court i n United States History, 2. Ed., 1926, 1. Bd., S. 146 ff.; Alfred H. Kelly and Winfred B. Harbison, The American Constitution, 1948, S. 193 u n d 229 f.; W. Geiger, BVerfGG, Einf. S. X V I I . Dennoch gilt die MarsJiaZi-Entscheidung als „leading case" des Problems (vgl. L . B. Evans, a.a.O., S. 138; Uprimny, i n : Mosler, S. 349 ff.). 25 Z u diesen T e r m i n i vgl. H. Ehmke, V V D S t R L , Heft 20 (1963), S. 53 ff. (73). 26 Vgl. 1 Cranch 176 f.; bei L. B. Evans, a.a.O., S. 243 f. Dies hebt Marshall i n dem Schlußsatz seiner Entscheidung m i t Nachdruck nochmals hervor: „ . . that a law repugnant to the constitution is void; and that courts, as w e l l as other departments, are bound by that instrument." (L. B. Evans, a.a.O., S. 246). 27 Vgl. 1 Cranch 177 f.; bei L. Β . Evans, a.a.O., S. 244. — Marshall verweist zur Unterstützung u n d Bestätigung dieses Punktes auf A r t . I I I sec. 2 ci. 1 der Verfassung h i n u n d spricht aus: „The judicial power of the United States is extended to all cases arising under the constitution. Could i t be the intention of those who gave this power, to say, that i n using it, the constitution should not be looked into? That a case arising under the constitution should be decided, w i t h o u t examining the instrument under which i t arises? This is too extravagant to be maintained" (L. B. Evans, S. 245). 28 Vgl. zur Bindungstheorie oben § 2, I I I , 2. 29 1 Cranch 178. Zitiert bei L. B. Evans, a.a.O., S. 244.

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§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

Dies ist das zentrale Argument Marshalls , das die gewichtigste Überzeugungskraft besitzt und seine Entscheidung als ganze zum Meisterstück erhebt. Jedoch darf man den Umstand nicht aus den Augen verlieren, daß trotz dieser logischen Beweisführung Marshalls kritische Stimmen nicht erspart geblieben sind 3 0 . Man mag die Begründung Marshalls für die richterliche Prüfungsbefugnis für schlüssig oder dogmatisch für richtig halten oder nicht, fest steht jedenfalls, daß Marshalls Thesen i n dieser Form zur Grundlage der richterlichen Prüfungsbefugnis geworden sind und diese Prüfungsbefugnis i n den USA i n der Gerichtspraxis fest verankert ist. Fest steht ferner auch, daß Marshalls Thesen konsequenterweise eine Gestaltungsform der Normenkontrolle mit sich bringen, und zwar i n Form einer akzessorischen Normenkontrolle. Denn eine richterliche Prüfungsbefugnis, die sich auf das Wesen der Rechtsprechung stützt und die lediglich als eine Handhabung der i n der Justizhoheit notwendigerweise eingeschlossenen Pflicht zur Interpretation von Gesetzen betrachtet wird, steht und fällt mit der Konkreten Fallentscheidung. Damit scheidet die abstrakte Normenkontrolle automatisch von vornherein aus 31 . Durch diese l i m i tierende Konsequenz der MarshciZZ-Entscheidung hat das amerikanische Institut der Normenkontrolle seine eigentliche Ausprägung erhalten. B. Praxis „diffuser " Prüfungskompetenz a) P r o b l e m a t i k

„diffuser"

Prüfungskompetenz

Nach dem amerikanischen System ist also die richterliche Normenkontrolle eine reine akzessorische Angelegenheit, die angesichts des Entscheidungszwangs für jeden Richter von enormer Bedeutung ist und daher auch von jedem Richter selbst entschieden werden muß. Daraus erklärt sich der Umstand, daß die Prüfungsbefugnis des Richters notwendig die Verwerfungsbefugnis umschließt 32 . Infolgedessen hat jeder Richter das Recht und die Pflicht, i m Rahmen eines anhängigen Rechtsstreites die Verfassungsmäßigkeit der anzuwendenden Normen zu prüfen und einer verfassungswidrig erachteten Gesetzesnorm die Anwendung zu versagen 33. Die Entscheidung des Außer30 Vgl. etwa die kritische Analyse v o n E. Wolf , a.a.O., S. 35 ff. u n d dortige Literaturnachweise. 31 Vgl. u. a. K . Loewenstein, a.a.O., S. 427; Paul G. Kauper, i n : Mosler, S. 568 ff. (605 f.) ; Engelhardt, JöR, N. F. Bd. 8, S. 113 f., 124 u n d 122. 32 Die Tatsache, daß es zwischen Prüfungs- u n d Entscheidungsrecht bis i n die jüngste Vergangenheit nicht k l a r unterschieden wurde, hat darin ihren Grund. Darauf weist L . Renck, Diss. S. 47 f., hin. 33 Vgl. u. a. E. Fraenkel, JöR, N. F. Bd. 2, S. 38; K . Loewenstein , a.a.O., S. 422, 445 f.; E. Freund, a.a.O., S. 88; Engelhardt , a.a.O., S. 109; P. G. Kauper, a.a.O., S. 607; E. Wolf, a.a.O., S. 222 f.; Maunz, i n : Maunz u. a., BVerfGG, Vorbemerkung zum BVerfGG, Rn. 10.

I. Der nordamerikanische T y p u n d sein Einfluß

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anwendunglassens hat aber nur für den konkreten Streitfall ihre W i r kung, andere Gerichte und Organe sind an diese Entscheidung nicht gebunden. Die Gesetzesnorm selbst bleibt trotz der etwaigen Verfassungswidrigkeit bestehen und w i r d als geltende Norm betrachtet 34 . Daher ist durchaus denkbar, daß dieselbe Gesetzesnorm von einem anderen Gericht als verfassungsmäßig angesehen und angewendet wird. Was die Folge davon ist, versteht sich von selbst: Eine vielfältige Verfassungsauslegung und damit verbundene Rechtsunsicherheit, die m i t dem Rechtsstaatsprinzip schwer zu vereinbaren ist. Angesichts dieser schwerwiegenden Problematik erscheint es recht sonderbar, wenn gelegentlich behauptet wird, daß das nordamerikanische Normenkontrollsystem die „beste Entpolitisierungsform" 3 5 , „das objektivste System" 3 6 des Instituts der Normenkontrolle darstelle und „die dem Idealtypus des Richterstaates letztlich am nächsten kommende Überprüfungsform" 3 7 sei. Man w i r d diese Behauptung noch genau unter die Lupe nehmen müssen, sie soll einstweilen zurückgestellt werden 3 8 . Man sollte aber nicht glauben, daß die Lobspender für das amerikanische Normenkontrollsystem die aus der Handhabung der akzessorischen Normenkontrolle resultierende Problematik verkannt haben. I m Gegenteil, sie haben die Problematik deutlich erkannt, aber sie glauben, die Rechtssicherheit zugunsten der an sich fraglichen Entpolitisierung der Normenkontrolle preisgeben zu können. Die Preisgabe der Rechtssicherheit w i r d dabei oft damit begründet, daß die Gefahr der Rechtssicherheit wegen der einheitlichen Ausgestaltung des Gerichtswesens relativ gering sei 39 . Es mag sein, daß die sich aus der akzessorischen Normenkontrolle ergebenden Rechtsunsicherheitsfaktoren je nach dem Ausbau des Gerichtswesens verschiedener Natur sein können, aber die Betonung der Justizeinheit als rechtsunsicherheitsmindernder Grund läuft i m Endeffekt auf die Zentralisierung der Normenkontrolle hinaus, und die akzessorische Normenkontrolle verliert damit ihr charakteristisches Merkmal. Denn die Betonung der Justizeinheit bei der Handhabung der Normenkontrolle kann nur bedeuten, daß man mit Sicherheit erwartet, daß die „diffuse" Normprüfung i m Wege des Instanzenzuges bei einem einzigen 34

Vgl. u. a. P. G. Kauper, a.a.O., S. 611; Engelhardt, a.a.O., S. 132. H. Nef, Sinn u n d Schutz verfassungsmäßiger Gesetzgebung u n d rechtmäßiger V e r w a l t u n g i m Bunde, ZSR, N. F. Bd. 69 (1950), S. 256a. 36 H. Triepel, V V D S t R L , Heft 5, S. 16 u. 26. 37 M. Imboden, i n : H. Huber-Festschrift, S. 147. H. Ehmke, V V D S t R L , Heft 20, S. 66 f., gibt Imboden, a.a.O., seine Zustimmung. 38 Vgl. unten § 5, I I , 1, A , b). 39 Vgl. Maunz, i n : Maunz u. a. BVerfGG, Vorbemerkung zum BVerfGG, Rn. 10; auch L. Renck, Diss. S. 10 m. w . Nachw.; M . Imboden, a.a.O., S. 146 f. 35

5

Huh

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§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

obersten Gericht konzentriert w i r d und letztlich nur eine einzige Instanz über den Zweifel an der Gültigkeit der Norm entscheidet. Wenn aber diese Erwartung trotz der Justizeinheit durch eine andere Gerichtspraxis widerlegt wird, was durchaus anzunehmen ist 4 0 , bringt die akzessorische Normenkontrolle erhebliche Rechtsunsicherheitsprobleme mit sich, die paradoxerweise dem Zweck der Normenkontrolle, eine einheitliche Rechtsordnung zu gewähren, widersprechen. b) L ö s u n g s v e r s u c h d u r c h d e n G r u n d s a t z „ i n der sicheren E r w a r t u n g " Der i n den Vereinigten Staaten von Amerika praktizierte Grundsatz „ i n der sicheren Erwartung" 4 1 kann als eine der notwendigen Abhilfemaßnahmen gegen divergierende Inzidententscheidungen betrachtet werden. Nach diesem Grundsatz kann jedes Gericht die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der anzuwendenden Norm vornehmen, aber nur „ i n der sicheren Erwartung, daß sich in letzter Instanz der Oberste Gerichtshof (sc. der Supreme Court) damit befassen w i r d " 4 2 . Dieser Grundsatz ist durch das Gerichtsverfassungsgesetz gesichert. Nach dem Gesetz müssen alle Fälle, i n denen von einem unteren Bundesgericht (District Court) ein Bundes- oder Landesgesetz für verfassungsw i d r i g erklärt wird, von Rechts wegen vor den Supreme Court gebracht werden. Ebenso besteht Revisionszwang , wenn das Oberste Gericht eines Gliedstaates (the state's highest court) ein Gesetz seines Staates für unvereinbar m i t einer Bundesnorm erachtet oder wenn dies von einer der Parteien behauptet wurde 4 3 . Außer diesem strengen Revisionszwang schreibt das Gesetz den District Courts die „Drei-Richter-Entscheidung" vor für die Fälle, i n denen es auf die Verfassungswidrigkeit eines Bundesgesetzes ankommt. Bei diesen Drei-Richter-Entscheidungen findet unter Umgehung des Berufungsgerichts (the Court of Appeals) Sprungregreß zum Supreme Court statt 4 4 . Dazu kommt noch die Revision beim Supreme Court i m Wege des „certiorari-Verfahren" f wonach der Supreme Court ein unteres Gericht anweist, ihm die Akten eines Falles zur Revision zu überstellen. Der Supreme Court pflegt von diesem certiorariVerfahren dann Gebrauch zu machen, wenn einem Fall eine bedeutsame 40 W e i l ohne Revisionszwang nicht alle Streitfälle bei einem Revisionsgericht anhängig gemacht werden können. 41 K . Loewenstein , a.a.O., S. 422. 42 K. Loewenstein , a.a.O., S. 422. 43 28 U.S. Code, sec. 1257. Vgl. Engelhardt , JöR, N. F. Bd. 8, S. 109; P. G. Kauper, a.a.O., S. 608, 613 und 614; K . Loewenstein, a.a.O., S. 450. 44 28 U.S. Code, sec. 1252, 1253, 2281, 2282 u n d 2284. Vgl. Engelhardt, a.a.O., S. 109 f.; P. G. Kauper, a.a.O., S. 613, 614; K . Loewenstein, a.a.O., S. 399 u n d 445.

I. Der nordamerikanische T y p u n d sein Einfluß

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verfassungsrechtliche Frage zugrunde liegt 4 5 . Schließlich w i r d den Bundesberufungsgerichten (the Federal Courts of Appeals) die Möglichkeit gegeben, über verfassungsrechtliche Fragen eine vorherige Entscheidung des Supreme Courts herbeizuführen 46 . A l l diese gesetzlichen Maßnahmen zielen, wie Engelhardt bemerkt, darauf, „das Verfahren zu beschleunigen und die Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zu konzentrieren" 4 7 . Durch diese Monopolisierungsmaßnahmen w i r d der Notwendigkeit einer einheitlichen Rechtsprechung i n gewissem Umfang Rechnung getragen. Dennoch bleiben gewisse Rechtsunsicherheitsfaktoren bestehen, die m i t dem akzessorischen Normenkontrollsystem untrennbar verbunden sind. Die Rechtsunsicherheitsfaktoren hängen vor allem damit zusammen, daß bei dem amerikanischen Normenkontrollsystem das Gericht kein Initiativrecht für die Normenkontrolle hat, sondern es von den Parteien abhängt, ob eine Gesetzesbestimmung überhaupt streitig wird. Wenn einmal die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes tatsächlich vor einem Gericht streitig werden sollte, dann dauert es i n der Regel jahrelang, bis der Fall vom Supreme Court endgültig entschieden w i r d 4 8 . Dies hat zur Folge, daß viele verfassungswidrige Gesetze überhaupt nicht Gegenstand eines Rechtsstreits werden oder jahrelang zur Anwendung kommen können, ehe sie schließlich für verfassungswidrig erklärt werden. Hierin besteht immer noch eine erhebliche Rechtsunsicherheit 49 . Was schließlich den Grundsatz von „stare decisis "50 anbelangt, so ist ihm nicht so große Bedeutung beizumessen, weil, wie E. Wolf 51 darstellt, sich der Supreme Court an seine früheren Entscheidungen nicht gebunden fühlt 5 2 . Darin verbirgt sich noch ein weiterer Rechtsunsicherheitsfaktor. Nach alldem darf gesagt werden, daß die gesetzlichen Maßnahmen, die auf die Konzentrierung der Normenkontrolle hinauslaufen, nur eine kleine Teillösung der gesamten Problematik akzessorischer Normenkontrolle darstellen und daß auf der anderen Seite damit das ursprüngliche Normenkontrollsystem der Vereinigten Staaten eine tiefgreifende 45

Vgl. K. Loewenstein, a.a.O., S. 450. 28 U.S. Code, sec. 1254 (3). Vgl. P. G. Kauper, a.a.O., S. 608,613. 47 Engelhardt, a.a.O., S. 110. 48 Vgl. K . Loewenstein, a.a.O., S. 427; P. G. Kauper, a.a.O., S. 607. 49 Deshalb meint z. B. K. Loewenstein, a.a.O., S. 427, gewisse Rechtsunsicherheit müsse bei der amerikanischen Gerichtspraxis m i t i n K a u f genommen w e r den. 50 Vgl. zu diesem Grundsatz P. G. Kauper, a.a.O., S. 611; K . Loewenstein, a.a.O., S. 425 f. 51 Vgl. Verfassungsgerichtsbarkeit u n d Verfassungstreue i n den Vereinigten Staaten, 1961/Basel, insb. S. 211. 52 Vgl. ferner K . Loewenstein, a.a.O., S. 426; Engelhardt, a.a.O., S. 132,135. 46

5*

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§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

Gestaltungswandlung erfahren hat. Man möchte fast meinen, daß die richterliche Prüfungskompetenz, die „ i m Wortlaut der Verfassung schlummerte" 53 , von dem mutigen Chief Justice Marshall entdeckt wurde und erst durch das Gerichtsverfassungsgesetz ihre Form erhalten hat. Es kann angesichts dieser Gestaltungsänderung zweifelhaft erscheinen, ob überhaupt noch von einer „diffusen " Verwerfungskompetenz zu sprechen ist. Dennoch w i r d man den Umstand nicht völlig außer acht lassen können, daß dem amerikanischen Richter, i m Gegensatz zum deutschen Richter 54 , immerhin eine Verwerfungsbefugnis zusteht, wenn dadurch auch nur eine zeitlich beschränkte Rechtsfolge herbeigeführt werden kann. Ob diese revidierbare Verwerfungsbefugnis trotzdem einen Sinn haben kann, ist eine andere Frage, die erst i m nächsten Abschnitt näher erörtert werden wird. Vorläufig genügt es, an dieser Stelle festzustellen, daß die Entwicklung i n den Vereinigten Staaten i m Ausland vielfach den Anschein erweckt hat, als ob i n den USA ein Verfassungsgericht namens „Supreme Court " existieren würde 5 5 . So glaubt z. B. R. Marcic 56, den Supreme Court m i t dem BVerfG der BRD vergleichen zu können 5 7 , und er bezeichnet die USA wegen der zentralen Position des Supreme Court als einen „Justizstaat". Was man von dieser Ansicht auch immer halten mag, jedenfalls steht außer Zweifel, daß der Supreme Court i m amerikanischen Verfassungsgefüge eine zentrale Position einnimmt und seine Position durch die oben dargestellten Zentralisierungsmaßnahmen wesentlich verstärkt wurde. Wenn das amerikanische Regierungssystem verschiedentlich als „Judiziokratie" oder „Regierung der Richter" angesprochen und der Supreme Court die „Dritte Kammer der Gesetzgebung" genannt w i r d 5 8 , dann w i l l man damit auf die starke Position des Supreme Court hinweisen. Ob diese starke Position für das Verfassungsleben der USA nützlich war und ist, kann natürlich nicht mit einem Wort beantwortet werden. Es sei hier nur auf die bekannte Tatsache hingewiesen, daß sich die starke Position des Supreme Court nicht immer nur positiv auszuwirken vermochte 59 , und 53

K. Loewenstein , a.a.O., S. 421. Dem deutschen Richter steht auch gemäß A r t . 100 GG eine Verwerfungsbefugnis zu, aber n u r gegenüber vorkonstitutionellen u n d untergesetzlichen Normen. Darüber s. unten § 5, I I , 2, Β b) aa). 55 Uber die Organisation u n d Zuständigkeit des Supreme Court vgl. ζ. B. K . Loewenstein , JöR, N. F. Bd. 4, S. 1 ff. (119 ff.). 5ß Vgl. v o m Gesetzesstaat, S. 357 f. 57 H. Ehmke, Wirtschaft u n d Verfassung, S. 463, meint auch, der Supreme Court sei i m K e r n ein Verfassungsgericht. Vgl. ferner die vergleichende Darstellung beider Institutionen u. a. R. Katz, DöV 1954, S. 97 ff.; E. Klinge , A n waltsblatt 1969, S. 1 ff.; Taylor Cole, JöR, N. F. Bd. 8, S. 29 ff. 58 Vgl. K. Loewenstein, Verfassungslehre, 1959, S. 249. 59 Dabei denke ich besonders an den K o n f l i k t zwischen Roosevelt u n d dem Supreme Court. Vgl. darüber u. a. K. Loewenstein , JöR, N. F. Bd. 4, S. 1 ff. 54

I. Der nordamerikanische T y p u n d sein Einfluß

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daß die i m I n - u n d A u s l a n d v i e l gelobte sog. „richterliche Selbstbeschränkung bzw. Zurückhaltung" (Judicial selfrestraint) des S u p r e m e C o u r t eine E r f a h r u n g s w e i s h e i t desselben d a r s t e l l t 6 0 . Z u m Schluß sei noch e r w ä h n t , daß die r i c h t e r l i c h e P r ü f u n g s k o m p e t e n z , welche G e s t a l t sie auch i m m e r h a t , i n d e n U S A i n z w i s c h e n so i n t e g r i e r t ist, daß sie „aus d e m a m e r i k a n i s c h e n Verfassungssystem einfach n i c h t w e g z u d e n k e n i s t " 6 1 . Castberg 62 g l a u b t sogar, angesichts der festen v e r fassungsrechtlichen G r u n d l a g e , a u f der die r i c h t e r l i c h e P r ü f u n g s b e f u g n i s i n T h e o r i e u n d P r a x i s i n d e n U S A r u h t , d a v o n ausgehen zu müssen, daß k e i n R i c h t e r d u r c h e i n einfaches Gesetz z u r A n w e n d u n g e i n e r gesetzl i c h e n B e s t i m m u n g v e r a n l a ß t w e r d e n k a n n , d e r e n I n h a l t er f ü r v e r f a s sungswidrig hält. 2. Einfluß des nordamerikanischen Gedankengutes W i e z u m w i e d e r h o l t e n M a l e d a r a u f h i n g e w i e s e n , w i r d die MarshallE n t s c h e i d u n g i n Marbury ν . Madison i m J a h r e 1803 als A u s g a n g s p u n k t der richterlichen N o r m e n k o n t r o l l e betrachtet 63. Daher w i r d m a n den E i n f l u ß des M a r s h a l l s c h e n G e d a n k e n g u t e s a u f das h e u t i g e I n s t i t u t der Normenkontrolle nicht gering bewerten können. D a b e i d ü r f t e m a n zwischen „konstitutivem" u n d „gestaltendem" Einfluß des M a r s h a l l s c h e n G e d a n k e n g u t e s u n t e r s c h e i d e n k ö n n e n . V o n e i n e m (17 ff.). Über die Krisenzeit des Supreme Court vgl. auch H. Thierfelder, DöV 1965, S. 227 ff. 60 A u f den damit zusammenhängenden Problemkomplex, nämlich die Rechtsprechungsmethode des Supreme Court insb. i m Hinblick auf die „politicalquestion-Doktrin" kann i m Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden. Vgl. dazu die spezielle Untersuchung z. B. von H. Ehmke, Wirtschaft u n d V e r fassung, 1961, insb. S. 459 ff.; ferner F. W. Scharpf, Grenzen der richterlichen Verantwortung, 1965, passim; Κ. F. Reuß, DVB1. 1969, S. 154 f.; auch etwa Charles Evan Hughes, The supreme court of the United States, Its Foundation methods and archievements: A n interpretation, 1928/N. Y.; C. Warren , The supreme Court i n United States History, i n 3 volumes, 1924/Boston; Martin Shapiro , L a w and Politics i n the Supreme Court, 1964/N. Y. Hier sei n u r darauf hingewiesen, daß der amerikanische Begriff der „political question" etwa m i t dem vergleichbar ist, was m i t den französischen „actes de gouvernement" u n d den englischen „acts of state" gemeint ist. Er ist aber w e i t weniger umfassend als der Begriff der Justizfreien Hoheitsakte der deutschen Verfassungslehre. Eine political-question w i r d i n den USA maßgebend definiert als „eine Frage, die sich auf die Innehabung der politischen Macht, Souveränität oder Regierungsgewalt bezieht u n d deren Entscheidung Sache des Kongresses u n d Präsidenten ist, deren Beschlüsse die Gerichte binden". (Vgl. K. Loewenstein, V e r fassungslehre, S. 252 f.) Uber den Begriff der „politischen Fragen" der deutschen Verfassungslehre vgl. u. a. E. Kaufmann, V V D S t R L , Heft 9 (1952), S. 1 ff. (4 ff.) ; M. Drath, V V D S t R L , Heft 9, S. 17 ff. (52 ff.). 61 K . Loewenstein, Verfassungsrecht USA, S. 436. 62 Vgl. die Zuständigkeit, S. 16. 63 Vgl. z. B. E. Fraenkel, JöR, N. F. Bd. 2, S. 36; L . Uprimny, i n : Mosler, S. 338 ff. (349); Thierfelder, DöV 1965, S. 227 ff. (227); H. Spanner, Die richterliche Prüfung, S. 7; E. Schumann, i n : Evang. Staatslexikon, 1966, Sp. 1882.

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§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

„konstitutiven " Einfluß könnte man sprechen, wenn die akzessorische Normprüfung i m Marshallschen Sinne wegen ihrer rechtslogischen und daher leicht realisierbaren Eigenschaften viele Nationen dazu veranlaßt haben sollte, sie sich zum Vorbild zu nehmen: Das ist, wie Engelhardt 64 herausstellt, i n besonderem Maße in vielen asiatischen 65 , lateinamerikanischen 66 und skandinavischen 67 Ländern der Fall. Aber i m Grunde genommen ist die akzessorische Normprüfung i n jenen Ländern keine importierte verfassungsrechtliche Institution, sondern sie stellt vielmehr, wie an Hand der jeweiligen Verfassung unschwer festzustellen ist, einen rechtslogischen Ausfluß der Verfassung einzelner Nationen dar. Dennoch ist insofern von einer amerikanischen Einflußnahme zu sprechen, da man bei der Handhabung der akzessorischen Normprüfung immer wieder, insbesondere wenn die Verfassung darüber schweigt, auf die Marshallschen Thesen zurückgreifen muß, wie es z. B. i n den skandinavischen Ländern der Fall ist 6 8 . I n diesem Zusammenhang muß noch betont werden, daß man sich von einer unmittelbaren Übernahme einer fremden Normenkontrollpraxis als solcher distanzieren sollte, schon deshalb, weil die materielle Verfassung, die jeweilige Verfassungswirklichkeit und auch die verfassungstheoretische Tradition niemals identisch sein können 6 9 . Der Versuch vieler koreanischer Autoren, die die nordamerikanische Normenkontroll64

Vgl. JöR, N. F. Bd. 8, S. 101 ff. Vgl. Engelhart, a.a.O., S. 106 f. Speziell über den amerikanischen Einfluß auf das japanische Normenkontrollinstitut vgl. z. B. S. Kiyomiya, i n : Mosler, S. 326 ff. (328, 330 f. u n d 336); N. Shimizu , DöV 1962, S. 401 ff. (406); T. Ohgushi, JöR, N. F. Bd. 5 (1956), S. 301 ff. (303 u n d 316f.); H. Herrfahrdt, DVB1. 1951, S. 746 ff. Der japanische Verfassungstext ist i n englischer Sprache abgedruckt, z. B. bei Ohgushi, a.a.O., S. 321 ff. 66 Vgl. Engelhardt, a.a.O., S. 104 m i t A n m . 24; ferner J. A. Barberis, i n : Mosler, S. 39 ff. (41, 42 u n d 54 ff.); L. Uprimny, i n : Mosler, S. 338 ff. (372 ff.); J. A. Barberis, i n : Mosler, S. 392 ff. (394 u n d 401 ff.). 67 Keine Verfassung der skandinavischen Länder (Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland) enthält ausdrückliche Bestimmungen über die richterliche Prüfungskompetenz. Unter diesen verfassungsrechtlichen Gegebenheiten hat sich inzwischen i n Dänemark u n d Norwegen unter dem unverkennbaren Einfluß der Marshallschen Thesen eine inzidente richterliche Prüfungskompetenz entwickelt u n d durchgesetzt. Vgl. dazu Castberg, Die Zuständigkeit, passim, insb. S. 5; derselbe, i n : Mosler, S. 417 ff., insb. S. 418, 420, 423, 426, 428 und 436 f. I n Schweden erkennt m a n auch indessen richterliche Inzidentprüfungskompetenz an, w e n n sie auch nicht so fest verankert ist wie i n Norwegen u n d Dänemark. Vgl. z. B. H. Herlitz, i n : Mosler, S. 489 ff., insb. S. 493 ff. (496). I n F i n n land w i r d wegen seiner verfassungshistorischen Besonderheit richterliche P r ü fungskompetenz n u r als „eine unsichere hypothetische Möglichkeit" angesehen (vgl. u. a. P. Kastari, i n : Mosler, S. 198 ff., insb. S. 202, 215 ff. u n d 227). Dennoch hält Kastari (a.a.O., S. 227) eine positive Entwicklung zugunsten der richterlichen Prüfungskompetenz i n Z u k u n f t für „möglich". 68 Vgl. oben A n m . 67. 69 Dazu vgl. etwa Scharpf, Grenzen der richterlichen Verantwortung, S. 2; H. Triepel, V V D S t R L , Heft 5, S. 16. 65

I I . System konzentrierter Normenkontrolle

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praxis unmittelbar i n Korea einführen wollen, muß aus diesem Grunde entschieden abgelehnt werden 7 0 . Von einem „gestaltenden" Einfluß des Marshallschen Gedankengutes kann insofern gesprochen werden, als die i n den USA praktizierte akzessorische Normprüfung wegen ihrer institutionellen Mängel die i n Westeuropa eingeschlagene Monopolisierungstendenz beeinflußt und beschleunigt haben dürfte. Die i n Westeuropa einsetzende Entwicklung zur konzentrierten Normenkontrolle mag natürlich m i t der kontinentaleuropäischen Rechtstradition zusammenhängen 71 , dennoch w i r d man eine gewisse Einflußnahme des Marshallschen Gedankengutes nicht völlig verneinen können. Das t r i f f t i n besonderem Maße auf Deutschland zu, weil die Marshallschen Thesen schon i n der Weimarer Zeit die Auseinandersetzung um das richterliche Prüfungsrecht beeinflußt haben 72 und das jetzige Institut der Normenkontrolle des GG bekanntlich auf den Ergebnissen jener Auseinandersetzung ruht. Eine Feststellung jedoch, wieweit das Marshallsche Gedankengut i n dieser oder jener Weise auf die einzelne Erscheinungsform des heutigen Instituts der Normenkontrolle Einfluß genommen haben könnte, kann unterlassen bleiben. Eine nähere Untersuchung dieser Frage fällt aus dem Rahmen der vorliegenden Arbeit. Es genügt festzustellen, daß die Marshallschen Thesen wegen ihrer logischen Evidenz besonders überall dort ihren Einfluß bemerkbar machen, wo die Verfassung zur richterlichen Prüfungskompetenz keine Stellung nimmt. Enthält daher eine Verfassung ausdrückliche Bestimmungen über die richterliche Prüfungskompetenz, dann w i r d man genau untersuchen müssen, ob die Bestimmung nur die Positivierung richterlicher Prüfungskompetenz bezweckt oder auch etwa einen gestaltenden Zweck, z. B. Monopolisierung der Verwerfungskompetenz u. ä., mitverfolgt.

I I . System konzentrierter Normenkontrolle und seine besondere Geltung in Westeuropa

Würde man die richterliche Inzidentprüfung von Gesetzen wegen ihrer institutionellen Herkunft als „nordamerikanisch" bezeichnen, dann dürfte das System konzentrierter Normenkontrolle vor allem wegen seiner be70

Vgl. unten § 7,1, 2 u. § 8,1. 6. ζ. Β . Η . Triepel, V V D S t R L , Heft 5, S. 10, erklärt den Umstand, „daß die Verfassungsgerichtsbarkeit i n Deutschland, Österreich u n d i n der Schweiz stärker als irgendwo anders entwickelt worden ist", damit, „daß dem germanischen Staatsdenken die Notwendigkeit eines Rechtsschutzes auch f ü r das öffentliche Recht immer lebendig geblieben ist". 72 Vgl. oben S. 56 Anm. 68. 71

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§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

sonderen Geltung i n Westeuropa als „kontinentaleuropäisch " gekennzeichnet werden können. Diese Kennzeichnung beider Typen des Instituts der Normenkontrolle besagt aber keineswegs, daß sie etwa wesensverschiedene Elemente i n sich tragen und sich gegenseitig ausschließen; sie sind vielmehr aufeinander angewiesen und stehen zu einem integrierenden Verhältnis, indem die Inzidentprüfung als rechtslogisch fundierte Basisform 73 dem mehr verfassungspolitisch motivierten System konzentrierter Normenkontrolle die institutionelle Grundlage bietet. Was dabei beide Typen unterscheidet, ist lediglich der Umstand, daß das System konzentrierter Normenkontrolle institutionell von der Trennung der „Prüfungs-" und „Verwerfungsbefugnis" 74 ausgeht, während bei der Inzidentnormenkontrolle beide voll bei dem erkennenden Richter liegen. So sehr aber diese Trennung der Prüfungs- und Verwerfungsbefugnis heutzutage selbstverständlich erscheinen mag, so läßt sich doch nicht verkennen, daß sie i n Wirklichkeit eine gewisse Beschränkung der richterlichen Normenkontrollbefugnis bedeutet: d. h. bei dem System konzentrierter Normenkontrolle w i r d die Verwerfungskompetenz dem Richter entzogen und einem einzigen Organ, sei es einem obersten Gericht oder wer sonst es immer sein mag, schlechthin übertragen. Dies hat zur Folge, daß dem erkennenden Richter nur noch die Prüfungskompetenz übrig bleibt. Der Richter muß sich also bei der Handhabung der Normprüfung darauf beschränken, die zur Fallentscheidung in Betracht kommende Gesetzesnorm auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfen, bei etwaigem Gültigkeitszweifel aber die Entscheidung eines dafür zuständigen Organs herbeizuführen. Diese Letztentscheidungskompetenz w i r d Verwerfungs-kompetenz genannt. Angesichts dieser Rechtslage bezweifelt etwa Haak 75, ob die beschränkte Prüfungskompetenz des Richters m i t dem verfassungsrechtlichen Gebot seiner „qualifizierten Verfassungsbindung " vereinbar sein könnte. Haak glaubt, die Beantwortung dieser Frage davon abhängig machen zu können, ob das für die Verwerfung verfassungswidriger Gesetze zuständige Organ dem Wesen nach ein „Gericht " i m eigentlichen Sinne ist oder nicht 7 6 . Er meint damit offenbar, daß der Entzug der Ver73

ζ. Β . Η . Triepel, V V D S t R L , Heft 5, S. 16, betrachtet die Inzidentprüfung als bloßes „Akzessorium" der richterlichen Gewalt u n d bezeichnet sie wegen ihrer rechtslogischen K o n s t r u k t i o n als „singuläre Form". 74 Z u dem begrifflichen Unterschied vgl. z. B. G. Hoffmann, JZ 1961, S. 193 ff. (199) m i t A n m . 68; O. Bachof, AöR, Bd. 87, S. 1 ff. (15); E. Schumann, i n : Evangelisches Staatslexikon, Sp. 1882; Zuck, DöV 1962, S. 657. 75 Vgl. Normenkontrolle, S. 161 u n d 163. 76 Vgl. Haak , a.a.O., S. 161 ff., insb. S. 163 A n m . 15 u n d S. 171 A n m . 44. Haak, a.a.O., gibt allerdings keine klare A n t w o r t .

I I . System konzentrierter Normenkontrolle

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werfungskompetenz schon dann nicht dem „qualifizierten" Bindungsgrundsatz widerspräche, wenn die entzogene Verwerfungskompetenz innerhalb der rechtsprechenden Gewalt verbleiben würde. Aus dem Organcharakter des verwerfenden Organs ergibt sich aber keine A n t w o r t auf diese Frage. Die Lösung der Frage muß vielmehr darin gesehen werden, daß die Herleitung einer Inzidentprüfungskompetenz und deren Beschränkung zwei verschiedene Probleme sind. Wenn man die Inzidentprüfungskompetenz aus dem Bindungsgrundsatz unter Heranziehung weiterer verfassungsrechtlicher Grundsätze ableitet 7 7 , geht es dabei allein um die elementare Rechtslogik, während es sich bei der Beschränkung der so abgeleiteten Inzidentprüfungskompetenz durch Monopolisierung der Verwerfungskompetenz um eine Frage des verfassungspolitischen Bereiches handelt. Beide Fragen liegen nicht auf derselben Ebene. Der Bereich der Rechtslogik entfaltet sich von selbst nur insofern, als er von der Verfassungspolitik nicht erfaßt wird. M i t anderen Worten, Rechtslogik w i r d i n der Verfassungspraxis oft durch Verfassungspolitik umgeformt oder umgestaltet. Daher kann die verfassungspolitisch motivierte Beschränkung der Inzidentprüfung durch Monopolisierung der Verwerfungsbefugnis bei einem Organ, von dessen Organcharakter unabhängig, nicht aus dem rechtslogischen Blickwinkel betrachtet werden. Eine solche Beschränkung w i r d allein aus den verfassungspolitischen Gesichtspunkten bewertet werden müssen. Ehe man aber beginnt aufzuzeigen, wie die monopolisierte Verwerfungskompetenz i m einzelnen funktioniert, empfiehlt es sich, zunächst die Frage zu untersuchen, was die verfassungspolitischen Beweggründe gewesen sein dürften, die Verwerfungsbefugnis dem Richter zu entziehen und einem einzigen Organ zu übertragen. 1. Monopolisierung der Verwerfungsbefugnis und ihre Beweggründe

Wurde die Beschränkung der Inzidentprüfungsbefugnis als ein verfassungspolitisches Problem aufgefaßt, das durch einen anderen Leitgedanken bestimmt w i r d als die reine Rechtslogik, dann hängt es vor allem damit zusammen, daß viele Gesichtspunkte und Argumente, die zur Monopolisierung der Verwerfungsbefugnis veranlaßt haben dürften, überwiegend „verfassungspolitischer Natur" sind. Gerade i n der Tatsache, daß die Monopolisierung der Verwerfungsbefugnis primär verfassungspolitische Beweggründe hat, stecken sowohl die Vor- als auch die Nachteile des monopolisierten Verwerfungssystems, worauf nun i m folgenden näher eingegangen werden wird. 77

Vgl. oben § 2, I I I , 2, B.

74

§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

A. Gebot der charakteristischen

Besonderheiten der Verfassung

Was man immer unter „Normenkontrolle " verstehen mag 7 8 , so hat sie jedenfalls als „Kernstück der Verfassungsgerichtsbarkeit" 79 mit der Verfassung i m materiellen Sinne zu tun 8 0 . Das erklärt sich daraus, daß die Prüfung eines Gesetzes auf seine Verfassungsmäßigkeit begriffsnotwendig die Verfassungsauslegung bzw. „Verfassungskonkretisierung" 81 voraussetzt 82 . Betrachtet man dabei die bei der Normenkontrolle maßstabbildenden Verfassungssätze bloß als ranghöhere Normen, die sich i n ihrem Rechtscharakter von anderen Rechtsnormen nicht unterscheiden, und behält man außerdem den Umstand i m Auge, daß Auslegung und Konkretisierung von Rechtsnormen zu den „permanenten Aufgaben" jedes Richters gehören 83 , dann w i r d man eine sachliche Unterscheidung zwischen der Funktion des Verfassungsrichters und des ordentlichen Richters nicht begründen können 8 4 . a) N o r m a t i v e r und p o l i t i s c h e r C h a r a k t e r der V e r f a s s u n g Dennoch werden als Grund für die Monopolisierung der Verwerfungskompetenz oft die charakteristischen Besonderheiten der Verfassung geltend gemacht, und es w i r d i n diesem Zusammenhang besonders auf das 78 Z u r Begriffsdefinition vgl. etwa Hesse, Grundzüge, S. 245 ; K.A. Bettermann , ZZP 72, S. 34; Jahrreiss , Recht-Staat-Wirtschaft, Bd. 4 (1953), S. 203 ff . (217); Geiger , BVerfGG, Vorbem. vor § 76 Nr. 1; K . Stern , i n : B K , Rn. 19 zu A r t . 100 GG; E. Schumann, i n : Evang. Staatslexikon, Sp. 1881; D. Schef old, in: Evang. Staatslexikon, Sp. 2358. 79 D. Schef old, a.a.O., Sp. 2358. 80 Vgl. H. Triepel, V V D S t R L 5, S. 23. 81 H. Krüger, Staatslehre, z. B. S. 708. 82 Über die Rechtsnatur der „Verfassungskonkretisierung" bzw. der Normenkontrolle gehen die Meinungen auseinander; dabei geht der Streit v. a. darum, ob die richterliche Normenkontrolle materiell der Rechtsprechung oder der Gesetzgebung zugeordnet werden soll. Z. B. C. Schmitt (AöR, N. F. Bd. 16, S. 167 ff., 186 ff., 194 ff.; Der Hüter, 1931, S. 36 ff . (45); Festgabe für das RG, 1929, Bd. 1, S. 163 ff.) u n d H. Krüger (a.aO., S. 707 ff., 794 f.) sehen die richterliche Normenkontrolle der Gesetzgebung angehörig oder i m gewissen Sinne als „Verfassungsgebung durch den Richter" an. Die Ansicht z. B. von Bergmann (VerwArch, Bd. 51, S. 39), Kratzer (DöV 1954, S. 44) u n d H. Kelsen (VVDStRL, Heft 5, S. 56), die richterliche Normenkontrolle sei eine „negative Gesetzgebung", befindet sich auch auf derselben Linie, aber nach der einhelligen Meinung handelt es sich bei der richterlichen Normenkontrolle u m „echte Rechtsprechung". Vgl. u. a. G. Leibholz, Der Status des BVerfG, i n : Das BVerfG, 1963, S. 61 ff.; F. Münch, Die Bundesregierung, 1954, S. 47; A. Arndt, DVB1.1952, S. 1 ff.; E. Friesenhahn, HdbDStR I I , 1932, S. 523 ff. (524, 525); derselbe, Wesen und Grenzen der Verfgbkt, i n : Zeitschrift f ü r Schweizerisches Recht, N. F. Bd. 73 (1954), S. 129 ff.; J. R. Schmidt, Diss, passim, insb. S. 123 ff. u n d 155 ff. I m Rahmen dieser Arbeit k a n n aber dem Streit nicht weiter nachgegangen werden. 83 Vgl. H. Lauf er, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 287 f. 84 So z. B. Leibholz, Strukturprobleme, S. 177.

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K r i t e r i u m hingewiesen, das die Verfassung von den übrigen Rechtsnormen unterscheidet, nämlich auf den politischen Charakter der Verfassung 85. So fragt etwa Lauf er nicht unberechtigt, „ob . . . die Verwirklichung der der Verfassung zugrundeliegenden obersten Rechtswerte . . . noch m i t den gewöhnlichen Funktionen eines Gerichtes zu vereinbaren sind" 8 6 . Damit w i l l er die Besonderheit der Verfassungshandhabung betont wissen. I n der Tat ist die Auslegung der „knapp und auf einer hohen Abstraktionsebene formulierten Verfassungsnormen" 87 der Auslegung von übrigen Rechtsnormen nicht gleich zu setzen. Solche für die Verfassung typischen unbestimmten Begriffe und weitgespannten Formulierungen 8 8 , die nicht leicht einer näheren inhaltlichen Umschreibung zugänglich sind, hängen übrigens, wie Leibholz 89 mit Recht bemerkt, mit der grundsätzlichen Tendenz des politischen Handelns, sich nach Möglichkeit der Umklammerung durch die Norm zu entziehen, aufs engste zusammen. Daher ist die Notwendigkeit, bei der Beurteilung einer Rechtsfrage Bewertungsgesichtspunkte zu beachten, die nicht oder nicht konkret genug i m Gesetz ausgesprochen worden sind, i m Verfassungsrecht besonders ausgeprägt. Die i m Verfassungsrecht verwandten Begriffe sind meist noch weniger bestimmt als die anderen Rechtsgebiete. Die ungeschriebenen Auslegungskriterien der Rechtsmethode sind i m Verfassungsrecht noch stärker umstritten als dort. Die Urteilswirkungen reichen i m Verfassungsrecht viel weiter und haben i n der Regel größeres Gewicht. Hier gewinnen die Grenzen richterlicher Auslegungsbefugnisse ganz andere Dimensionen als i n bürgerlichen oder strafrechtlichen Rechtsstreitigkeiten und größere Bedeutung als i n Verwaltungsprozessen 90 . Dazu kommt noch der Umstand, daß sich die Verfassunggebung nicht als eine „vulkanische Eruption" vollzieht, sondern einen „kontinuierlichen Prozeß" 91 darstellt und als „ein Ringen u m den Ausgleich und die richtigen Relationssetzungen divergierender ideologischer, wirtschaftlicher, konfessioneller und politischer Strömungen und Auffassungen" 92 zu verstehen ist. Eine aus solchen Spannungsverhältnissen entstandene 85 Vgl. u. a. R. Smend, Verfassung u n d Verfassungsrecht, i n : Staatsrechtliche Abhandlungen, 1968, S. 119 ff. (238). 88 a.a.O., S. 287 f. 87 H. Lauf er, a.a.O., S. 287. 88 z. B. nach Leisner, DöV 1961, S. 641 ff. (649 f.), ist die Weite der Formulierungen eine „Besonderheit" der Verfassungsnorm, und Verfassungsnormen unterscheiden sich, mehr noch durch die Weite ihrer Formulierungen, von anderen Rechtsregeln. 80 Vgl. Strukturprobleme, S. 177. 90 Vgl. K. F. Reuß, DVB1.1969, S. 154. 91 Vgl. H. Krüger, Staatslehre, S. 702. 92 F. Ossenbühl, DöV 1965, S. 649 ff. (655).

76

§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

Verfassung trägt naturgemäß einen „Kompromißcharakter" 9 3 , und solche Kompromisse sind i. d. R. nichts mehr als bloße „Scheinkompromisse" 94 oder „dilatorische Formelkompromisse" 95 , die nur durch Hinausschiebung sachlicher Entscheidung zustande gekommen sind und deshalb einer nachträglichen sachlichen Entscheidung bedürfen. Hierin erblickt man das politische Moment der Verfassung, und deshalb w i r d das Verfassungsrecht als „politisches Recht" bezeichnet 96 . Außer diesem politischen Moment der Verfassung w i r d auch oft auf ihre strukturellen und inhaltlichen Besonderheiten hingewiesen. So nennt z. B. H. Ehmke besonders zwei Momente, die die Eigenart des Verfassungsrechtes bestimmen: Nämlich den „konstituierenden , Einheits-stiftenden Charakter " und das „Auf-Sich-Selbst-Angewiesen-Sein" der Verfassung 97 . Nach Ehmke 98 gehört zu der Eigenart der Verfassung auch die andersartige Aufgabe der Verfassung, nämlich die Dynamik des politischen Lebens richtungweisend einzudämmen. H. Krüger 99 erblickt auch u. a. i n der „apodiktischen " und „sanktionslosen " Struktur der Verfassungssätze die Eigenart des Verfassungsrechtes, stellt diese Eigenart der Verfassungssätze der des übrigen Rechtssatzes gegenüber, der „regelmäßig i n der Gestalt eines hypothetischen Urteils auftritt", und faßt die Verfassungssätze als „Normen von sehr eigener A r t " 1 0 0 auf. Diese Eigenart der Verfassung läßt diese als Normgefüge i n die unmittelbare Nachbarschaft der Politik rücken 1 0 1 , und wenn auch die „Normativität" 102 der Verfassung nicht ganz verneint werden darf 1 0 3 , verlangt 93

Vgl. H. Spanner , Die richterliche Prüfung, S. 71. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 31. C. Schmitt, a.a.O., S. 32 u n d 118. 98 Vgl. z. B. H. Triepel , V V D S t R L , Heft 5, S. 8, 17 u n d 23; derselbe, Staatsrecht und Politik, 1927, insb. S. 12; H. Krüger, N J W 1949, S. 163; derselbe, Staatslehre, insb. S. 697 ff.; F. Ossenbühl, DöV 1965, S. 651; H. Ehmke , V V D S t R L , Heft 20, S. 53 (65 f.); K . Franz, DöV 1968, S. 471 ff. (476); U. Scheuner, DVB1. 1952, S. 296; Freund, DöV 1968, S. 204 ff. (204); R. Smend, Verfassung u n d Verfassungsrecht, i n : Staatsrechtliche Abhandlungen, 1968, S. 238; derselbe, Die politische Gewalt i m Verfassungsstaat, i n : Festschrift f. W. Kahl, 1923, I I I , S. 19; C. Schmitt, V e r fassungslehre, z. B. S. 20 ff., 117 f. und 136; derselbe, Das RG als Hüter der V e r fassung, i n : Verfassungsrechtliche Aufsätze, 1958, S. 63 ff. (69 f.); G. Leibholz , Strukturprobleme, S. 177; Bilfinger, Betrachtungen über politisches Recht, i n : Zeitschrift f ü r ausländisches öffentliches Recht u n d Völkerrecht, Bd. 1 (1929), S. 58 und 72. 97 Vgl. H. Ehmke, V V D S t R L , Heft 20, S. 65 f. m. Hinweis auf R. Smend, H. Heller u n d H. Krüger. 98 Vgl. a.a.O., S. 65. 99 Vgl. Staatslehre, S. 699 f. 100 H. Krüger, a.a.O., S. 703. 101 Vgl. dazu F. Ossenbühl, DÖV 1965, S. 649 ff. (649). 102 Vgl. zu dieser Terminologie H. Krüger, a.a.O., S. 700 ff. 103 Heute wie früher w i r d die „ N o r m a t i v i t ä t " der Verfassung von Gegnern der Verfassungsgerichtsbarkeit verneint. Sie entkleiden somit die auslegungsbedürftigen und -fähigen verfassungsrechtlichen Normen ihres rechtlichen, d. h. positivierbaren, Gehaltes, u m sodann die verfassungsgerichtliche Kontrolle ad absurdum zu führen. Vgl. G. Leibholz, i n : Das BVerfG, S. 61 ff. (69). 94

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diese Andersartigkeit der Verfassung doch einerseits eine besondere Umgangsmethode, wie es bei anderen rein „normativen" Rechtsnormen der Fall ist 1 0 4 , und andererseits die institutionelle Absonderung der Verfassungsrechtsprechung von der übrigen Justiz 1 0 5 . Daher fordert Leibholz vom Richter, bei Entscheidungen über verfassungsrechtliche Zweifelsfragen dem besonderen Charakter des Verfassungsrechtes Rechnung zu tragen und eine Entscheidung zu suchen, die dem objektiven politischen Sinngehalt der Verfassung gerecht w i r d 1 0 6 . Er sieht es sogar als Pflicht des Richters an, „seine Entscheidung i n den Gesamtzusammenhang der Verfassung einzuordnen" und „die politischen Folgen und Wirkungen seiner Entscheidungen i n den Bereich seiner Erwägungen einzubeziehen" 107 . Diese Forderungen beruhen gerade auf der Einsicht, daß „sich Verfassungsstreitigkeiten, wenn man auch sie auf den Rechtsweg verweist, gar nicht entpolitisieren lassen" 108 . Das t r i f f t i n besonderem Maße für die Normenkontrolltätigkeit zu, denn die Normenkontrolle ist letzten Endes ein Tätigkeitsbereich i n Frage der Verfassung, und das politische Moment ist i n der Normenkontrolljustiz besonders ausgeprägt. Daher bezeichnet z. B. Ipsen 109 die Normenkontrolle als eine „eminent politische Aufgabe" und glaubt, die richterliche Unabhängigkeit gerade durch diese politische Aufgabe des Richters gefährdet werden zu können 1 1 0 . Diese Gefahr w i r d aber besonders nahe liegen, wenn der Richter bei der Handhabung der Verfassungsnorm die charakteristische Eigenart der Verfassung nicht berücksichtigt und nur der steifen Rechtslogik Genüge tut. b)

Eignungsproblem

Damit ist das Problem angesprochen, ob solche politische Aufgabe überhaupt von jedem Richter selbst erledigt werden kann, oder ob man für die Bewältigung dieser Aufgabe einer besonderen Fähigkeit bedarf. Das ist das Eignungsproblem des Richters zur Normenkontrolle schlechthin. Die Monopolisierung der Verwerfungskompetenz bei einem einzigen Organ geht i n gewissem Sinne vom Mißtrauen gegen den Richter zumin104 z u r Problematik der Verfassungsauslegung vgl. etwa die oben S. 33 Anm. 70 angeführte Literatur. 105 z. B. muß bei der Verfassungsgerichtsbarkeit jene Möglichkeit ausgesucht werden, die politisch am zweckmäßigsten ist, während sich i n der ordentlichen J u d i k a t u r das Moment der Zweckmäßigkeit niemals niederlassen darf. Vgl. R. Marcie , V o m Gesetzesstaat, S. 365. 106 Vgl. G. Leibholz, JöR, N. F. Bd. 6, S. 109 ff. (122). 107 G. Leibholz, a.a.O. So ähnlich auch H. Krüger, Staatslehre, S. 705 f. 108 G. Leibholz, a.a.O., S. 121. Ä h n l i c h H. Triepel, V V D S t R L , Heft 5, S. 8 u n d 27. Vgl. ferner K . Eichenberger, Die Unabhängigkeit, S. 126 ff. 109 Vgl. die Nachprüfung, i n : Beiträge, S. 19 ff. (46). 110 So auch E. Kaufmann, V V D S t R L , Heft 9, S. 12.

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§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

dest unterer Instanzen aus 1 1 1 . Verschiedentlich stellt man die Fähigkeit des Richters, die „eminent politische Aufgabe" zu bewältigen, i n Frage. So meint z. B. Bachof, nicht jeder Richter sei ein geeigneter Verfassungsrichter 1 1 2 . Nach i h m ist „eine gewisse kontinuierliche Nähe zum Verfassungsleben und zum Verfassungsrecht, ein ständiger Umgang m i t der Verfassung, unerläßlich" 1 1 3 , um die politische Aufgabe zu beherrschen 114 . Leibholz erwartet auch vom Verfassungsrichter eine über die erforderlichen allgemeinen Rechtskenntnisse hinausgehende besondere Fähigkeit, „etwas vom Wesen des Politischen zu verstehen und insbesondere den i n einem demokratischen Rechtsstaat wirkenden, politischen Kräften Verständnis" 1 1 5 entgegenzubringen. Nach den Erfahrungen und der Überzeugung Bachofs aber fehle es dem Richter i m üblichen Sinne gerade an dieser „Verfassungsnähe" , und deshalb sei der Richter nicht i n der Lage, „eine gleichmäßige und kontinuierliche Verfassungsinterpretation hervorzubringen" 1 1 6 1 1 7 . Nadelmann meint offenbar auch dasselbe, wenn er ausführt, daß „die Richterschaft sich i m allgemeinen nicht für die Bewältigung der ebenso politischen wie rechtlichen Probleme eignet, die bei der Arbeit eines Verfassungsgerichtes auftreten" 1 1 8 . Es ist heutzutage ohnehin ein „Gemeingut wissenschaftlicher Erkenntnis" 1 1 9 , daß man die Rechtsanwendung nicht bloß als „Subsumtion", sondern als eine rechtsfortbildende schöpferische Tätigkeit betrachtet 120 . Daher erblickt man auch in der Verfassungsauslegung ein verfassungsfortbildendes Element, obwohl man unbedingt vermieden wissen w i l l , über die Verfassungsauslegung zur Verfassungsänderung zu kommen, und die klare Auseinanderhaltung von Verfassungsauslegung und Verfassungsänderung als ein Lebenselement einer rigiden Verfassung betrachtet 1 2 1 . U m dieser paradoxen Erscheinung gerecht zu werden, versucht man i n der Verfassungsgerichtsbarkeit einen neuen Zweig der Rechtspflege zu erblicken, dem die Aufgabe zugedacht sein soll, „die unerläßliche ma111 112

(41).

113

Vgl. u. a. K . Stern, i n : B K , Entstehungsgeschichte des A r t . 100 GG. Vgl. O. Bachof, i n : Mosler, S. 832, auch i n : H. Huber-Festschrift, S. 26 ff.

O. Bachof, i n : Mosler, S. 832. Scheuner, i n : Mosler, S. 838, stimmt Bachof, a.a.O., zu. Vgl. ferner E. Kaufmann, V V D S t R L , Heft 9, S. 3 u n d 12. 115 G. Leibholz, JöR, N. F. Bd. 6, S. 122. 116 O. Bachof, i n : Mosler, S. 833. 117 Aus ähnlichen Überlegungen äußert Castberg, i n : Mosler, S. 772, Bedenken gegen die Verwerfungskompetenz unterer Instanzen. Dazu vgl. auch die zustimmende Stellungnahme von Friesenhahn, i n : Mosler, S. 779. Vgl. ferner Menzel, JöR, N. F. Bd. 1, S. 735. 118 K . Nadelmann, AöR, Bd. 90 (1965), S. 440 ff. (449). So ähnlich auch z. B. Wobst, Diss. S. 52 f. u n d 123; H. Grossart, Diss. S. 124 f. 119 G. Leibholz, Der Status des BVerfG, i n : Das BVerfG, 1963, S. 61 ff. (69). 120 Vgl. H. Krüger, DöV 1961, S. 721 ff. (725); O. Bachof, GG u n d Richtermacht, 1959, S. 8 f.; Wieacker, Gesetz u n d Richterkunst, S. 7 und A n m . 18. 121 Vgl. H. Krüger, DöV 1961, S. 721 ff. (721). 114

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ter ielle Verfassungsänderung justizstaatlich überhaupt, i n spezifischer Form und Verfahren insbesondere zu bewirken" 1 2 2 . Dieses Phänomen macht die von Natur aus schwierige Verfassungshandhabung noch schwieriger und fordert vom Richter über das „normativ-juristische Denken" hinaus ein „enzyklopädisches" 123 Wissen und Denken. Die von Bachof besonders bezweifelte Eignungsfrage des Richters w i r d daher zuerst einmal davon abhängen, ob jeder Richter über solch ein „enzyklopädisches Wissen und Denken" verfügt oder nicht. Zum anderen kann die Eignungsfrage unabhängig von solchem „enzyklopädischen Wissen und Denken" aus einem anderen Gesichtspunkt betrachtet werden. Ist die Sache nämlich so, daß der Normenkontrolle der politische Charakter nicht zu nehmen ist und die Richter unterer Instanzen eine gewisse „Verfassungsnähe" nicht aufweisen und von ihnen ein „soziales und politisches Verständnis" der Verfassungsnormen nicht zu erwarten ist, dann erscheint die Monopolisierung der Verwerfungskompetenz eher als die der Normenkontrolle zweckentsprechende Lösung. Sollten aber auf der anderen Seite die Richter unterer Instanzen über diese Erfordernisse verfügen und bei der Normenkontrolle bewußt oder unbewußt von politischen Erwägungen motiviert werden, was man wohl mit Ehmke 124 annehmen kann, dann ist es wohl beinahe besser, die Verwerfungsbefugnis bei einem einzigen Organ zu konzentrieren, weil dieses System, wie H. Kelsen dartut, die Verwirklichung des Zustandes wesentlich näher liegt, „an Stelle eines inoffiziellen und unkontrollierbaren parteipolitischen Einflusses die legitime Beteiligung der politischen Parteien bei der Bildung des Gerichts zu akzeptieren" 1 2 5 . Die Auffassung von H. Triepel, „je politischer die Angelegenheiten sind, die der Verfassungsgerichtsbarkeit unterstellt werden, u m so angemessener w i r d für diese eine Verfahrensart sein, die dem ordentlichen Prozeß am unähnlichsten i s t " 1 2 6 , weist auch auf die Fruchtbarkeit der monopolisierten Verwerfungskompetenz hin. Triepel 127 fürchtet sogar, daß ein an sich politisch harmloser Z i v i l - oder Strafprozeß nur wegen der diffusen Verwerfungskompetenz des Richters politisiert werden kann. Denkt man an dieser Stelle an jene Behauptung zurück, die i n dem System diffuser Verwerfungskompetenz die „beste Entpolitisierungs122

H. Krüger, a.a.O., S. 728. E. A. Kramer, ZRP 1970, S. 82 ff. (84). Wirtschaft u n d Verfassung, insb. S. 459 ff. (464). Ehmke weist auf die amerikanischen Erfahrungen hin, daß auch der Supreme Court seine politisch bedeutsamen Funktionen nicht außerhalb des politischen Kräftefeldes ausüben könne. So auch E. Wolf, Verfassungsgerichtsbarkeit i n den USA, S. 228. 125 H. Kelsen, V V D S t R L , Heft 5, S. 30 ff. (57). 126 H. Triepel, V V D S t R L , Heft 5, S. 26. 127 Vgl. a.a.O., S. 27. 123

124

80

§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

form" des Instituts der Normenkontrolle erblicken zu können glaubt 1 2 8 , dann mag die Befürchtung Triepels beinahe als eine Paradoxie klingen. Dennoch muß man Triepel Recht geben, wenn man bedenkt, daß dem „Politischen " die Politisierung der Justiz wesentlich leichter fallen w i r d als der Justiz die „Entpolitisierung" ihrer selbst. Gegen diese Darstellung mag es bezüglich der diffusen Verwerfungsform auch Enthusiasten geben, die u. a. darauf hinweisen, daß die Auslegung der Normen i n allen Bereichen des Rechts zur Tätigkeit des Richters gehöre 129 und der Richter an der politischen Funktion der Verfassung mitzuwirken habe 1 3 0 . Daher solle man, solange der Verfassung nicht nur „Existentialität", sondern auch „ N o r m a t i v i t ä t " 1 3 1 immanent ist, die Zivil-, Straf- und Verwaltungsjustiz dazu ermuntern, ihre Argumentation durch die adäquaten verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte zu bereichern 132 . Krüger findet es aus diesen Überlegungen unbegreiflich, daß man dem Fallrichter das richterliche Prüfungsrecht 133 entzieht 1 3 4 . Außerdem erblickt man i n dem Entzug der Verwerfungskompetenz die Gefahr, daß der Fallrichter unterer Instanzen die Verfassung nunmehr als einen Normenkomplex betrachten könnte, mit dem er i n der gerichtlichen Praxis nicht sehr viel zu tun habe 1 3 5 . Wie sehr auch diese Argumente t r i f t i g erscheinen mögen, so kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, daß der Fallrichter unterer Instanzen aus Bequemlichkeit ein Gesetz lieber unbeanstandet läßt, als das Verwerfungsorgan zu bemühen, oder sich dem Haftungsbereich möglichst entzieht und sogar die Verantwortung auf das Verwerfungsorgan abwälzt. Solche Erwägungen würden, wie W. Jellinek 136 m i t Recht betont, dem Fallrichter unrecht tun. Außerdem w i r d man auch davon ausgehen können, daß sich der an der Verfassung und an sein Gewissen gebundene Richter verpflichtet fühlt, das Gesetz, das er anzuwenden hat, i m Rahmen seiner Prüfungskompetenz auf die Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfen und diese zu Ende zu denken, auch wenn er nicht dazu be128

Vgl. oben § 5,1, B, (a). Vgl. G. Leibholz , Strukturprobleme, S. 177. 130 Vgl. H. Krüger , N J W 1949, S. 163. 131 Über den latenten K o n f l i k t zwischen „Existentialität" u n d „ N o r m a t i v i t ä t " i n der Verfassung vgl. etwa G. Leibholz , JöR, N. F. Bd. 6, S. 121 f. (122); derselbe, Strukturprobleme, S. 177. 132 Vgl. H. Krüger , a.a.O., S. 165. 133 Gemeint ist offenbar die Verwerfungskompetenz. 134 Vgl. H. Krüger , a.a.O., S. 165. Diese Ansicht Krügers scheint m i r überholt zu sein, w e i l er (Staatslehre, S. 706) die „Konzentration der richterlichen P r ü fung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen" besonders für den heutigen Rechtsgestaltungsstaat u n d i n kritischer Staatssituation für notwendig hält. 135 Vgl. H. Huber , Diss. S. 15. 136 Vgl. i n : Laun-Festschrift, S. 269 ff. (274). 129

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81

fugt sein sollte, es zu verwerfen. Das Unterlassen solcher Prüfungstätigkeit kann für ihn eine „seelische Unmöglichkeit" 1 3 7 sein. Wägt man schließlich die Vor- und Nachteile, die durch die Monopolisierung der Verwerfungskompetenz eintreten, gegeneinander ab, so w i r d man sagen können, daß durch die Monopolisierung der Verwerfungskompetenz der charakteristischen Eigenart der Verfassung und der richterlichen Fähigkeit besser Rechnung getragen wird. c) A u s

dem

Wirkungsaspekt

I n diesem Zusammenhang sei noch ein weiterer Aspekt erwähnt, der aus der Überlegung die Monopolisierung der Verwerfungskompetenz für unbedingt notwendig hält, daß das Problem des Widerspruchs zwischen der Verfassung und einem gewöhnlichen Gesetz schon an sich immer allgemeinen Charakter habe und sich somit von einer solchen Streitfrage unterscheide, die dem Gericht zur Entscheidung vorgelegt werde 1 3 8 . Der allgemeine Charakter des Konfliktes zwischen der Verfassungsnorm und Gesetzesnorm zeige sich außerdem darin, führt Kastari aus, „daß die Folgen der Entscheidung eines Widerstreites zwischen einem Gesetz und der Verfassung, wenn das Gesetz als verfassungswidrig angesehen wird, sehr weit reichen und — auch dann, wenn das Gericht dieselbe Entscheidung fällt — praktisch auch über den Kreis der Parteien hinausgehen" 139 . Bettermann 140 sieht auch die allgemeine Wirkung der Normenkontrollentscheidung als eine konsequente, „denknotwendige" Folge aus der „Allgemeinheit" und „Absolutheit" des Normenkontrollgegenstandes. Nach i h m kann eine Rechtsnorm entweder allgemein gelten oder allgemein unwirksam sein. Eine relative Unwirksamkeit von Rechtsnormen lehnt er daher entschieden ab 1 4 1 . Bettermann argumentiert weiter: Aus dieser Allgemeinheit der Rechtsnormen ergebe sich die Notwendigkeit, „die Zuständigkeit zu solcher Entscheidung bei einem einzigen Gericht zu konzentrieren" 1 4 2 . I m Anschluß an Bettermann bezeichnet z. B. Rende 143 die allgemein wirkende Normentscheidung ohne konzentrierte Erkenntniszuständigkeit als „ein Unding". Diese Ansicht läuft letzten Endes darauf hinaus, daß man die Allgemeinverbindlichkeit der Normenkontrollentscheidung nicht als Folge der monopolisierten Verwerfungs137

W. Jellinek, a.a.O. Vgl. Kastari, i n : Mosler, S. 225 f. 139 Kastari, i n : Mosler, S. 226. 140 Vgl. AöR, Bd. 86, S. 163. 141 Vgl. K . A. Bettermann, a.a.O., S. 156 und 160. So auch M. Goessl, Organstreitigkeiten innerhalb des Bundes, 1961/Berlin, S. 45. 142 K . A. Bettermann, a.a.O., S. 163. Vgl. ferner derselbe, ZZP, Bd. 72, S. 32 ff. (40). So ähnlich auch z.B. H. Kalkbrenner, DVB1. 1962, S. 695 ff. (700); Engelhardt, JöR, N. F. Bd. 8, S. 108. 143 Vgl. Diss. S. 88. 138

6

Huh

82

§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

kompetenz betrachten soll, sondern gerade umgekehrt. D. h. die Monopolisierung der Verwerfungsbefugnis soll man als das notwendige Erfordernis der allgemeinen Wirkung der Rechtsnormen auffassen. B. Rechtsstaatlicher

Aspekt

Es wurde bereits oben 1 4 4 angedeutet, daß das System diffuser Verwerfungskompetenz wegen des sich daraus ergebenden Mißstandes, vor allem wegen der m i t diffuser Verwerfung verfassungswidriger Gesetze verbundenen Rechtsunsicherheit, mit dem Rechtsstaatsprinzip schwer zu vereinbaren ist. Daher ist es verständlich, wenn die Monopolisierung der Verwerfungskompetenz gerade aus rechtsstaatlichen Überlegungen m i t besonderem Nachdruck gefordert w i r d . a) D a s

Problem

der

Rechtssicherheit

aa) Zweifellos gehören zum Wesen eines Rechtsstaates Rechtssicherheit und Rechtsfriede. „Das Rechtsstaatsprinzip enthält", nach den Worten des BVerfG, „als wesentlichen Bestandteil die Gewährleistung der Rechtssicherheit" 145 . Das BVerfG mißt ferner „Rechtsfriede" und „Rechtssicherheit" eine derartige zentrale Bedeutung bei, „daß um ihretwillen die Möglichkeit einer i m Einzelfall vielleicht unrichtigen Entscheidung i n Kauf genommen werden m u ß " 1 4 6 . Ähnlich betrachtet auch F. Scholz die Rechtssicherheit als „einen notwendigen Bestandteil des Rechtsstaates" und geradezu als „dessen K r i t e r i u m " 1 4 7 , und W. Henschel 148 zählt die Rechtssicherheit i m Anschluß an Engisch 149 zu den ungeschriebenen Verfassungsgrundsätzen. Zur „Rechtssicherheit" gehört aber „ i n erster Linie die Gewähr dafür, daß ordnungsgemäß erlassene Gesetzesbestimmungen uneingeschränkt gelten, bis sie mit allgemeiner Wirkung aufgehoben werden" 1 5 0 . „Rechtssicherheit meint" auch nach Marcie „Meßbarkeit und Berechenbarkeit der Rechtsordnung, nämlich die Gewißheit 1 5 1 , daß das Recht nicht heute und hier so, morgen und dort anders ausgelegt und angewendet werden k a n n " 1 5 2 . „Soweit ein Staat diese Sicherheit nicht gewährleistet, fehlt" 144

Vgl. oben § 5,1,1, B. BVerfGE 2, 403. 146 BVerfGE 2, 403. Vgl. dazu Maunz, i n : Maunz u.a., BVerfGG, Vorbemerkung, Rn. 20. 147 V g l i Scholz, Die Rechtssicherheit, 1955/Berlin, S. 5. 145

148

Vgl. JZ 1967, S. 727 ff. (727). Vgl. ζ. Β. Einführung, S. 166 bei Fußnote 214. 150 V g l > F > Preiser, DVB1.1968, S. 545 ff. (545). 149

151 Z u r „Rechtsgewißheit" gehören nach Herschel, JZ 1967, S. 727 ff. (728), die „Beständigkeit" u n d „ K l a r h e i t " . 152 R. Marcic, V o m Gesetzesstaat, S. 237.

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nach Meinung Preisers Rechtsstaatlichkeit".

153

„eine fundamentale Voraussetzung

83

seiner

bb) Die Monopolisierung der Verwerfungsbefugnis bei einem einzigen Organ w i r d gerade als eine Gewähr für die Rechtssicherheit betrachtet und besonders i m Interesse der Rechtssicherheit intensiv gefordert 1 5 4 . Bettermann hält es daher m i t den Anforderungen der Rechtssicherheit für unvereinbar, „daß mehrere Gerichte prinzipiell über die Gültigkeit ein und derselben Norm entscheiden können und folglich ein Gericht die gleiche Norm für gültig, das andere Gericht sie für ungültig erklären" 1 5 5 . Daß eine solche divergierende Rechtsprechung der Rechtssicherheit und Rechtsgewißheit abträglich ist, bedarf keiner näheren Erörterung, zumal auf diese, mit der diffusen Verwerfung verbundene Rechtsunsicherheit schon oft genug hingewiesen worden ist 1 5 6 . Dagegen betrachtet etwa Renck 157 die m i t der diffusen Verwerfung verbundene Rechtsunsicherheit nur als die Folge des außerhalb der diffusen Verwerfung liegenden Umstandes mehrerer unabhängig nebeneinander und nicht koordinierter Rechtsprechungszweige. Er glaubt sagen zu können, daß diese Gefahr für die Rechtssicherheit dort trotz diffuser Verwerfung nicht besteht, wo, wie etwa i m nordamerikanischen Recht, strenge Justizeinheit herrscht. Er weist zur Begründung auf die i m Instanzenzug liegende Konzentrierung hin, so daß letztlich doch nur eine einzige Instanz über den Zweifel an der Gültigkeit der Norm entscheidet. Renck verdient insofern Zustimmung, falls er meint, daß die mit der diffusen Verwerfung zusammenhängende Rechtsunsicherheit je nach dem Gerichtssystem verschiedene Intensität aufweist. Daran besteht eigentlich kein Zweifel, daß die sich aus diffuser Verwerfung ergebende Rechtsunsicherheit bei einem einheitlichen Gerichtssystem je nach der prozessualen Gestaltung des Instanzenzuges wesentlich verringert werden kann, während sie bei fehlender Einheitlichkeit der Justiz sehr fühlbar zum Vorschein kommen wird. Was jedoch die Behauptung Rencks betrifft, daß die Rechtsunsicherheit trotz diffuser Verwerfung dort regel153

DVB1.1968, S. 545. Vgl. u.a. Anschütz, Kommentar WRV, S. 374f.; Feigenspan, Diss. S. 34; Maurer, DöV 1963, S. 686; H. Huber, Diss. S. 6; Henrichs, M D R 1952, S. 528; Wobst, Diss. S. 123; H. Kelsen, V V D S t R L , Heft 5, S. 48; Haak, Normenkontrolle, S. 156; Engelhardt, JöR, N. F. Bd. 8, S. 132; Ipsen, DVB1. 1949, S. 487; Loewenstein, Verfassungsrecht USA, S. 460; H. Spanner, Die richterliche Prüfung, S. 76 f.; derselbe, Über die Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 320; Sigloch, i n : Maunz u.a., BVerfGG, Rn. 75 zu § 80 BVerfGG; W. Jellinek, i n : Laun-Festschrift, S. 274; K . Stern, i n : B K , Rn. 18 zu A r t . 100 GG. 155 K . A. Bettermann, AöR, Bd. 86, S. 163 und 165. So ähnlich auch z. B. H. Kelsen, V V D S t R L , Heft 5, S. 30 ff. (48). 156 Vgl. dazu oben § 5,1,1, B. 157 Vgl. Diss. S. 10. 154

β*

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§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

mäßig nicht bestünde, wo nur „strenge Justizeinheit " herrscht, so kann dem nicht zugestimmt werden. Denn, wie Spanner mit Recht bemerkt, selbst unter Berücksichtigung des allenfalls möglichen Instanzenzuges an ein oberstes Gericht sind divergierende gerichtliche Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit ein und derselben Rechtsnorm durchaus möglich, weil die bestehende Justizeinheit als solche und der mögliche Instanzenzug keine Gewähr für die ausnahmslose Konzentrierung aller Rechtsstreitfälle bei einem obersten Gericht bieten 1 5 8 . Das bestätigt insbesondere die historische Tatsache, daß der amerikanische Präsident Roosevelt i n seiner Kongreßbotschaft vom 5. 2. 1937 auf den Mißstand hinwies, der dadurch entstand, daß ein Bundesgesetz von einem Gericht als gültig angesehen und verwendet wurde, während ein anderes Gericht dasselbe Gesetz für verfassungswidrig und daher für nichtig hielt und es nicht anwendete. I n diesem Zusammenhang wies Roosevelt ferner darauf hin, daß das Gesetz hierdurch sein unerläßlichstes Element, die Gleichheit, verliert 1 5 9 . Aus diesem Grund wurde die Forderung erhoben, das Prüfungsrecht beim Supreme Court zu konzentrieren 1 6 0 . Diese absolute Konzentrierung, wie sie der Präsident Roosevelt gemeint hat, kann aber selbst bei einem einheitlichen Gerichtssystem nur durch eine gesetzliche Maßnahme erreicht werden, wie sie inzwischen i n den USA geschehen ist 1 6 1 . cc) Man kann gewiß m i t Herschel die wachsende Rechtsunsicherheit als ein zeitliches Phänomen auffassen, das vor allem mit der fortschreitenden kulturellen und technischen Entwicklung zusammenhängt: Herschel meint dazu wörtlich: „Je mehr sich K u l t u r und Technik des Rechts verfeinerten, um so mehr wuchs die Rechtsunsicherheit 162 ." Es ist auch nicht zu leugnen, „daß überall, wo eine Norm durch Auslegung präzisiert wird, ein gewisses Maß von Rechtsunsicherheit obwaltet" 1 6 3 , und daß das Institut der richterlichen Normenkontrolle „eine vermehrte Rechtsunsicherheit" m i t sich bringt, die w i r „als Preis für den rechtsstaatlichen Gewinn in Kauf zu nehmen haben" 1 6 4 . Nach der Ansicht Herschels 165 vermag daher der Umstand, daß „die Nachprüfung zum Teil beim BVerfG monopolisiert ist", daran nichts zu ändern. Wenn sich aber Rechtsunsicherheit nicht m i t Rechtsstaatlichkeit verträgt und wenn die divergierenden gerichtlichen Entscheidungen über die 158 Vgl. H. Spanner , Die richterliche Prüfung, S. 76. So auch z. B. E. Schumann, in: Evang. Staatslexikon, Sp. 1882. 159 Vgl. H. Spanner , a.a.O., S. 77. 160 Vgl. H. Spanner , a.a.O., S. 100. 161 Vgl. oben § 5,1,1, B, (b). 162 W. Herschel, J Z 1967, S. 727 ff. (727). 163 W. Herschel , a.a.O., S. 729. 164 W. Herschel, a.a.O., S. 730 f. 165 Vgl. a.a.O., S. 731.

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Rechtmäßigkeit einer Rechtsnorm eine der wichtigsten und verhängnisvollsten Quellen der Rechtsunsicherheit darstellen, so taucht doch die Frage auf, ob die diffuse Verwerfung, die diese Rechtsunsicherheit verursacht, überhaupt der Bestandteil eines Rechtsstaates sein kann. Daher muß, auch wenn die „vermehrte Rechtsunsicherheit" ein unhaltbares zeitliches Phänomen sein sollte, der Versuch unternommen werden, der Gefährdung der Rechtssicherheit wirksam zu begegnen und die Möglichkeit divergierender Entscheidungen zu reduzieren. „Denn die Rechtssicherheit ist jedenfalls der Unberechenbarkeit des Richters vorzuziehen 166 ." Bei der Monopolisierung der Verwerfungskompetenz geht es gerade um diesen Versuch, und wenn auch dadurch nicht die absolute Rechtssicherheit herbeigeführt werden sollte, so ist sie immerhin eine „bessere Lösung" 1 6 7 und „ i n jeder Hinsicht gerechtfertigt" 1 6 8 . Und schließlich gilt: „Nur so kann das hohe Gut der Rechtssicherheit aus dem Rechtsstaatsgedanken besser geschützt werden 1 6 9 ." Man darf nur nicht allzu fanatisch werden und sollte sich darüber i m klaren sein, daß, so sehr die monopolisierte Verwerfung verfassungswidriger Gesetze zu begrüßen ist, sie doch auch ein Minus an Rechtssicherheit bringt, besonders dann, wenn die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit einer Rechtsnorm m i t „Rückwirkung" ausgestattet wird. Die Forderung Preisers, A r t . 100 Abs. 1 GG, § 78 und § 79 BVerfGG dahingehend zu ändern, daß das BVerfG nur die Befugnis behalten solle, eine verfassungswidrige Rechtsnorm für die Zukunft, pro futuro, aufzuheben 170 , beruht auch auf dieser Einsicht 1 7 1 . b) G e d a n k e

des

Gleichheitssatzes

Die „Rechtssicherheit" ist weder das einzige noch das allein entscheidende Moment, das für die Monopolisierung der Verwerfungskompetenz spricht. Der Gedanke des Gleichheitssatzes wohnt ebenso dem Wesen der monopolisierten Verwerfungskompetenz inne. D. h. die diffuse Verwerfung verfassungswidriger Rechtsnorm ist nicht nur der Rechtssicherheit abträglich, sondern sie widerspricht auch dem Gleichheitsgrundsatz, der dem Sinne nach in jeder modernen, rechtsstaatlichen Verfassung enthalten ist. 166

W. Geiger, DRiZ 1963, S. 170 ff. (173). H. Spanner, Die richterliche Prüfung, S. 76 f. 168 H. Kelsen, V V D S t R L , Heft 5, S. 48. 168 Leisner, DöV 1961, S. 641 ff. (651). 170 Vgl. F. Preiser, DVB1. 1968, S. 545 ff. Dazu s. auch die kritische Bemerkung von D. Puppe, DVB1.1968, S. 873 f. 171 Schon H. Kelsen, V V D S t R L , Heft 5, S. 30 ff. (71) vertrat die Ansicht, „ i m Interesse der Rechtssicherheit der Kassation genereller Normen grundsätzlich keine Rückwirkung einzuräumen". 107

86

§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

„Die Gleichheit ist" sicherlich „keine mechanische Einheit oder Größe, über die der Rechenstift nach mathematischen Regeln entscheidet 172 ." Die rechtliche Bedeutung des Gleichheitsgrundsatzes erschöpft sich auch nicht darin, daß es sich bei ihm nur um eine reine Rechtsidee handelt. Der Gleichheitssatz begründet vielmehr einen Anspruch auf Gleichheit vor dem Gesetz und verbietet eine unterschiedliche Behandlung i n der A n wendung des Rechts. Gerade durch den Umstand, daß dem Gleichheitssatz eine über Verwaltung und Rechtsprechung hinaus auch den Gesetzgeber bindende Wirkung zuerkannt worden ist 1 7 3 , w i r d der Grundrechtscharakter des Gleichheitssatzes wesentlich verstärkt: Der eigentliche Inhalt des Gleichheitsgrundrechtes ist gerade „das Recht auf gleiche A n wendung des Gesetzes" 174 . Das Grundrecht auf „Rechtsanwendungsgleichheit" 175 w i r d aber v. a. durch eine unterschiedliche Behandlung i n der Rechtsanwendung aufs tiefste verletzt. Eine unterschiedliche Behandlung i n der Rechtsanwendung liegt nach Bettermann dann vor, „wenn ein Gericht die gleiche Norm für gültig, das andere Gericht sie für ungültig erklären, also über die gleiche Norm bloß deshalb verschieden entscheiden dürfte, weil jeweils ein anderer Bürger klagte" 1 7 6 . Das ist i n der Tat bei der diffusen Verwerfung verfassungswidriger Gesetze der Fall, und dadurch werden der Gleichheitsgrundsatz und das Grundrecht des Bürgers auf Rechtsanwendungsgleichheit berührt und sogar verletzt. Es ist schwer zu begreifen, daß ein Institut wie die richterliche Normenkontrolle, das als „sehr viel mehr als die Krönung des Rechtsstaates" 1 7 7 angesehen w i r d und das u. a. „dem Individualschutz und der Realisierung der Grundrechte dienen" 1 7 8 soll, sich durch die diffuse Verwerfungspraxis für ein Grundrecht schädlich auswirkt und einen für einen Rechtsstaat untragbaren Dauerzustand herbeiführt. Daher scheint eine Maßnahme unerläßlich zu sein, durch die dieser antinomische Rechtszustand beseitigt oder zumindest gemildert werden kann. Sollte es sich 172

R. Marcie , V o m Gesetzesstaat, S. 260. Vgl. dazu u.a. Anschütz , Kommentar WRV, S. 460 ff.; G. Leibholz , Die Gleichheit, S. 34 ff., 166 ff., 202 ff. und 238 ff.; v. Mangoldt-Klein , GG, A r t . 3 GG I I I 4 a; R. Thoma , DVB1.1951, S. 457 ff.; W. Böckenförde , Der allgemeine Gleichheitssatz, S. 8 ff.; P. Seißer, Diss. insb. S. 32 f. m. w. Nachw.; E. Kaufmann, V V D S t R L , Heft 3 (1927), S. 2 ff.; J. Seiwerth, Zulässigkeit, S. 65; BVerfGE, z. B. 1,16-18. 174 Vgl. Götz, DVB1. 1968, S. 93 ff. (93). Vgl. dazu auch P. Seißer, Diss. S. 34 ff. 175 V. Götz, a.a.O., S. 95. Auch P. Seißer, Diss. S. 35. 176 K . A. Bettermann , AöR, Bd. 86, S. 165. So ähnlich auch K . Loewenstein, Verfassungsrecht USA, S. 440. Loewenstein (a.a.O.) findet den Zustand unerträglich, daß der Schutz der Freiheitsrechte davon abhängt, vor welchem Gericht er beansprucht w i r d , also von der Zufälligkeit des Wohnsitzes. 177 Vgl. Scheuner, i n : Mosler, S. 838. 178 Vgl. Ipsen, DVB1. 1949, S. 487; so auch R. Marcic, V o m Gesetzesstaat, z. B. S. 361. 173

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bei der Monopolisierung der Verwerfungskompetenz um eine dieser Maßnahmen handeln, dann muß man einfach diese Maßnahme ergreifen, damit die Menschheit „ihre große Errungenschaft, den Rechtsstaat, nie wieder aus den Händen geben möge" 1 7 9 . C. Demokratischer a) Z u g z u m t o t a l e n und E f f e k t i v i t ä t der

Aspekt

Wohlfahrtsstaat Ν ο r m e η k ο η t r ο 11 e

Es ist i n letzter Zeit sehr viel darüber geredet und geschrieben worden, daß die Macht des Staates immer weiter wächst und sein Einfluß i n immer verborgenere Bezirke des Menschen eindringt, so daß man von einem „neutralen Staat" des liberalen 19. Jh. nicht mehr sprechen kann. Diese Tendenz zur Totalität bezeichnet C. Schmitt 180 als unverkennbare „dialektische Entwicklung", und Marcic 181 erblickt i m „Bedürfnis des Menschen nach vollkommener sozialer Sicherheit" die Ursache dieser „dialektischen Entwicklung". Wie stark auch das menschliche Bedürfnis nach vollkommener sozialer Sicherheit, der Quelle dieser Entwicklung, sein mag, so bedeutet es doch nicht, daß der „egoistische" Mensch unter Preisgabe aller anderen Bedürfnisse nur einen „Wohlfahrtsstaat" will. Ein „Wohlfahrtsstaat" hat nur dann einen Sinn, wenn er zugleich als ein „demokratischer Rechtsstaat" i n vollem Umfang zu funktionieren vermag. Jedenfalls beobachtet man schon lange dieses Phänomen und man weiß nun ganz genau, daß der „Wohlfahrtsstaat" ohnehin „zwangsläufig als Folge der Technisierung und Zusammenballung ökonomischer Staatsmacht einen gewaltigen Zuwachs an Omnipotenz sowohl der Legislative wie der Exekutive aufweist" 1 8 2 . Dieser Machtzuwachs von Exekutive und Legislative hat, wenn ein starkes und wirksames Gegengewicht nicht geschaffen wird, eine unerfreuliche Verschiebung des innerstaatlichen Gewaltengleichgewichts zur Folge und diese Gleichgewichtsverschiebung, etwa durch allzu große Machtkonzentration, ist gerade für einen demokratischen Rechtsstaat schädlich. Daher muß, je stärker der Zug zum totalen Wohlfahrtsstaat einsetzt, ein desto stärkeres Gegengewicht geschaffen werden, wenn man nicht zulassen will, daß der demokratische Rechtsstaat zu einer „Formaldemokratie" 1 8 3 , deren letzte Konsequenz die Diktatur ist, umgewandelt wird. 179 180 181 182 183

R. Marcic, a.a.O., S. 405. Vgl. Der Hüter der Verfassung, 1931, S. 79. Vgl. V o m Gesetzesstaat, S. 368. O. Bachof, i n : Mosler, S. 830 f. u n d i n : H. Huber-Festschrift, S. 42. R. Marcie , a.a.O., S. 339 f.

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§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

Solch ein starkes Gegengewicht kann aber angesichts der Homogenität der Parlamentsmehrheit und der Regierung nur die rechtsprechende Gewalt sein. Nach Marcio ist das notwendige Gegengewicht erst dann hergestellt, wenn die Politik dem Recht unterworfen w i r d „und die Frage, ob ein Beschluß des Gesetzgebers oder sonst irgend ein Fürsorgeakt des Staates sich noch auf dem Boden des Rechts bewegt, der Zuständigkeit der richterlichen Kontrolle anheim" 1 8 4 gegeben wird. Bachof 185 betrachtet auch unter dem Aspekt der Gewaltenteilung die Machtbeschränkung des Parlaments und der Regierung durch die richterliche Kontrolle als „eine notwendige Korrektur" und als einen „sehr bescheidenen Versuch zur Wiederherstellung des Gleichgewichts". Kelsen 1 8 6 hält aus ähnlichen Überlegungen die gerichtlichen Kontrolleinrichtungen für „Existenzbedingungen" einer demokratischen Republik. Die Verfassungsgerichtsbarkeit i m allgemeinen und die richterliche Normenkontrolle i m besonderen sind zweifellos das Mittel, mit dessen Hilfe man das gestörte innerstaatliche Gewaltengleichgewicht wieder herzustellen hat und m i t dessen Hilfe man den „ungesund geschwollenen K ö r p e r " 1 8 7 der Exekutive und Legislative heilen kann. Deshalb preist Marcie 188 die richterliche Kontrolle des politischen Geschehens als den „Königsgedanken des modernen demokratischen Rechtsstaates", und H. Lauf er 189 bezeichnet das richterliche Prüfungsrecht als „einen wesentlichen Bestandteil" und „ein Essential der konstitutionellen Demokratie". Nach Lauf er kann eine Verfassung ohne richterliches Prüfungsrecht kaum noch „als demokratische Verfassung klassifiziert" werden 1 9 0 , und für ihn bedeutet die ersatzlose Beseitigung des richterlichen Prüfungsrechts eine Beseitigung der demokratischen Ordnung selbst 191 . So sehr auch die gerichtliche Kontrolle des politischen Geschehens i m allgemeinen und die richterliche Prüfungsbefugnis gegenüber Gesetzen im besonderen unter dem demokratischen Aspekt geboten und notwendig erscheinen mögen, wie viele Autoren hervorheben, so kann jedoch nicht verkannt werden, daß diese Kontrolle nur dann ihrem Zweck dient und die Störung des Gleichgewichts wettzumachen vermag, wenn sie effektiv durchgeführt wird. Diese Effektivität kann aber nur erwartet werden, wenn eine Einrichtung vorhanden ist, „die w i r k k r ä f t i g die Beständigkeit und Stetigkeit des Gemeinwesens gewährleistet". Marcie 192 nennt diese 184

R. Marcie , V o m Gesetzesstaat, S. 322 f., auch S. 247 f. Vgl. i n : H. Huber-Festschrift, S. 42. lee V g l . W D S t R L , Heft 5, S. 80, auch S. 55. 187 Morstein-Marx, Variationen, S. 18 f. 188 Vgl. a.a.O., S. 343. 189 Vgl. Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 154. 190 Ebenda. 191 Vgl. a.a.O., S. 154 u n d 155. 192 Vgl. V o m Gesetzesstaat, S. 336 f. 185

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Einrichtung den „Beständigkeitsfaktor", und nach seiner Meinung kommt als dieser „Beständigkeitsfaktor" nur das „Höchstgericht" i n Betracht 1 9 3 . I n der Tat kann nicht ernsthaft bezweifelt werden, daß die Schwere des Gegengewichts erst dann recht spürbar wird, wenn eine angesehene Instanz eingerichtet wird, die i n der Lage ist, eine Rechtsnorm m i t allgemeiner Wirkung für nichtig zu erklären. Sieht man die Normenkontrolle nicht als „Selbstzweck" an, deren Sinn sich darin erschöpfen soll, i n der Rechtsordnung aufgetretene Normfehler zu korrigieren, sondern versteht man die Notwendigkeit der Normenkontrolle i m Lichte der „Existenzberechtigung" eines Gemeinschaftswesens, dann scheint die Monopolisierung der Verwerfungskompetenz bei dem Obersten Gericht ein besonders geeignetes Mittel zu sein, u m den, für die Existenz eines Gemeinschaftswesens maßgeblichen höheren Gesichtspunkten zum Durchbruch zu verhelfen, denn die monopolisierte Verwerfungskompetenz kann i n einer kritischen Staatssituation der politischen Wirklichkeit besser Rechnung tragen 1 9 4 . b) S c h u t z

des

Gesetzgebers

Schließlich spricht noch ein anderer demokratischer Gesichtspunkt für die Monopolisierung der Verwerfungskompetenz. Man kann aus den oben dargestellten Gründen auf die richterliche Kontrollfunktion nicht verzichten. Auch w i r d man sich heutzutage nicht auf den Satz von Blunschli verlassen können, daß „der gesetzgebende Körper in seiner B i l dung die wichtigsten Garantien trägt, daß er nicht seine Befugnis i n verfassungswidrigem Geiste ausübe" 195 . V. Hippel betont besonders, daß „die Befugnis des Gesetzgebers dort endet, wo die blanke W i l l k ü r beginnt, weshalb ein Gesetz, das wirklich und nur unsittlich ist, auch als verbindlich nicht betrachtet werden k a n n " 1 9 6 . Der Strukturwandel der Demokratie — von der schrankenlosen Demokratie zur „grundsatzgebundenen Demokratie" 1 9 7 — hängt m i t diesen latenten Willkürmöglichkeiten des Gesetzgebers zusammen. Der Gesetzgeber w i r d darum i n gewissem Umfang m i t der Einbuße an seiner Souveränität rechnen müssen, und er 193

Vgl. a.a.O., S. 338. Vgl. dazu H. Krüger, Staatslehre, S. 706; E. Schumann, i n : Evang. Staatslexikon, Sp. 1882. 195 Blunschli, Allgemeines Staatsrecht, Bd. 1, S. 562. Die ähnlich lautende, beliebte Argumentation, daß der „ w a h r e " Wille des Gesetzgebers stets auf die Bewahrung der Verfassung gerichtet sei, so daß er i n W i r k l i c h k e i t schon von sich aus die betreffende N o r m nicht i n einem verfassungswidrigen Sinne habe setzen „wollen", ist auf diesen Spruch von Blunschli zurückzuführen, aber diese Argumentation ist, w i e sie auch immer formuliert werden mag, u m m i t P. Lerche (AöR 90, S. 354, Anm. 44) zu sprechen, „wenig einleuchtend". 196 Vgl. v. Hippel, AöR, N. F. Bd. 18, S. 116. 197 Dazu vgl. H. Kelsen, V V D S t R L , Heft 5, S. 81; H. Mosler, i n : Mosler, S. 764; R. Marcic, Vom Gesetzesstaat, S. 339 f. 194

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§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

w i r d ferner die i h m auferlegte gerichtliche Kontrolle als ein wesentliches Merkmal der „grundsatzgebundenen Demokratie" hinnehmen müssen. Dennoch ist ein Stück Respekt vor dem Gesetzgeber i n einem demokratisch gesinnten Staat genau so unerläßlich wie die gerichtliche Kontrolle schlechthin, denn „Demokratie" ist nicht nur Demut gegenüber „Recht", „Verfassung" und „Gesetz", sondern sie verlangt auch Respekt vor dem Mehrheitsbeschluß des demokratischen Gesetzgebers. Diffuse Verwerfungskompetenz kann man aber m i t diesem Gebot nicht vereinbaren, weil sich jedes Gericht über den Willen des demokratischen Gesetzgebers hinwegsetzen, indem es Akte der gesetzgebenden Gewalt, „die zur Überwindung einer Katastrophe absolut notwendig sind", m i t oft nicht einwandfreier juristischer Begründung zu Fall bringen und außer Anwendung lassen kann 1 9 8 . Dagegen kann die Monopolisierung der Verwerfungskompetenz als adäquate Lösung betrachtet werden, da sie nicht nur eine Machtminderung der Legislative, sondern auch zugleich eine Stärkung deren Autorität bedeutet 1 9 9 . Inzwischen besteht auch darüber eine Meinung, daß es der Sinn des Art. 100 GG ist, die richterliche Prüfungskompetenz zu regulieren und die Verwerfungskompetenz bei den Verfassungsgerichten zu monopolisieren, damit der Gesetzgeber vor den allgemeinen Gerichten i n Schvvtz genommen und die Autorität des Gesetzgebers gewahrt w i r d 2 0 0 . D. Normenkontrolle

und Verfahrensökonomie

Nicht zuletzt w i r d auf die verfahrensökonomischen Nachteile hingewiesen, die sich i m akzessorischen Normenkontrollsystem verbergen 201 . Bei einem akzessorischen Normenkontrollsystem muß, abgesehen vom möglichen Berufungsverzicht der Prozeßparteien, ein Rechtsstreit, i n dem die Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm gerügt wird, erst alle Instanzen durchlaufen, bis der Oberste Gerichtshof i n letzter Instanz eine allgemeingültige Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit cler gerügten Rechtsnorm trifft. Das hat zwangsweise zur Folge, daß Verfassungsfragen erst nach langwierigem und oft mehrere Jahre dauerndem Instanzenzug geklärt werden können. Das bedeutet wiederum, daß die Prozeß108 Vgl. H. Krüger , Staatslehre, S. 706; K . Stern, i n : B K , Entstehungsgeschichte zu A r t . 100 GG. 199 Vgl. O. Bachof, i n : H. Huber-Festschrift, S. 42 f. 200 Vgl. u. a. BVerfGE 1, 184 (197), 2, 124 (129 f.), 2, 406 (411), 4, 340, st. Rspr.; K . Stern, a.a.O., Rn. 18, 64 u n d 100 zu A r t . 100 GG; Haak, Normenkontrolle, S. 155; L. Renck, Diss. S. 68; K . Hesse, Grundzüge, S. 247; Hamann, GG, A r t . 100 Anm. A 1; Leibholz-Rinck, GG-Kommentar, S. 474; E. Friesenhahn, i n : Mosler, S. 136 f.; Sigloch, i n : Maunz u.a., BVerfGG, Rn. 15, 39, 50, 72 u n d 154 zu § 80 BVerfGG. 201 Vgl. H. Spanner, Die richterliche Prüfung, S. 100; D. Engelhardt , JöR, N. F. Bd. 8, S. 108; L. Renck, Diss. S. 10 f.

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Parteien die sich daraus ergebenden höheren Prozeßkosten i n Kauf nehmen müssen. Wer sich aber nicht i n der Lage befindet, die hohen Prozeßkosten zu tragen, ist eben gezwungen, auf den langwierigen Instanzenzug zu verzichten. Damit w i r d eine Verfassungsfrage, die dringend einer gerichtlichen Klärung bedarf, wieder i m politischen Alltag versinken. W i l l man nun angesichts der großen Bedeutung, die regelmäßig Verfassungsfragen zukommt, prozeßrechtlich für alle Streitfälle, i n denen die Verfassungsmäßigkeit der anzuwendenden Gesetzesnormen erheblich ist, einen Berufungszwang vorschreiben, u m eventuelle Beruf ungsverzichte der Prozeßparteien unmöglich zu machen, dann w i r d man vorher genau überlegen müssen, ob Verfassungsfragen tatsächlich alle Instanzen durchlaufen sollen oder ob man nicht besser auf die mittleren Instanzen verzichten könnte, da Entscheidungen mittlerer Instanzen sowieso keine endgültige Rechtskraft zukommt und letzten Endes doch das Oberste Gericht in letzter Instanz autoritativ zu entscheiden hat. Man könnte sich dabei für das Einschalten mittlerer Instanzen entscheiden, und zwar m i t dem Argument, daß der Oberste Gerichtshof die umfangreiche Aufgabe, wie es die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes darstellt, unmöglich allein bewältigen könne und er daher auf die Vor- und Mitarbeit der mittleren Instanzen angewiesen sei, die zudem wichtige Argumente für dessen Rechtsprechung beizusteuern vermögen und das Oberste Gericht davor bewahren, sich i n Monologen zu ergehen. Aber diese Begründung dürfte keineswegs gewichtig genug sein, den sinnlosen, langwierigen Instanzenzug zu rechtfertigen. Was die „ V o r " und „Mitarbeit" der mittleren Instanzen anbelangt, w i r d sie ohne weiteres auch auf einem anderen Weg geschehen können 2 0 2 . Außerdem ist ein Oberstes Gericht, das von Fall zu Fall die unteren Gerichte u m „Denk-" und „Wissenshilfe" bitten muß, u m mit seiner Aufgabe zurecht zu kommen, ohnehin nicht imstande, die i h m anvertraute Verfassungsaufgabe zu bewältigen, geschweige denn der „Hüter" der Verfassung zu sein. Diese Erwägung führt dazu, daß die Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes auch i m Interesse der Verfahrensökonomie und der Zweckmäßigkeit unter Umgehung des Instanzenzuges unmittelbar beim Obersten Gericht monopolisiert werden sollte. Nur dadurch können mehrere Prozesse um dieselbe Rechtsfrage verhindert werden, und schließlich kommt die abschließende Klärung i n einem einzigen Verfahren der Verfahrensökonomie zugute 2 0 3 . 202 Dabei denke ich z. B. an die Methode, die v o m BVerfG praktiziert w i r d . Vgl. dazu E. Friesenhahn, i n : Mosler, S. 89 ff. (138 f.). 203 Vgl. D. Engelhardt, a.a.O., S. 108; Renck, a.a.O., S. 11.

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E. Zusammenfassende Feststellung Wenn man die Vor- und Nachteile „diffuser " und „monopolisierter " Verwerfungskompetenz nach alldem abschließend gegeneinander abwägt, w i r d man sagen können, daß viele schwerwiegende Gesichtspunkte für die Zentralisierung der Verwerfungskompetenz sprechen und daß das „diffuse" Verwerfungssystem trotz seines Vorzugs, leicht realisierbar zu sein, wegen seiner überwiegenden Mängel nicht mehr als zeitgemäß betrachtet werden kann. So glaubt Engelhardt 204 auch eine allgemeine Tendenz zur Konzentrierung der Verwerfungskompetenz feststellen zu können. Er stellt ferner fest, daß die Entwicklung der richterlichen Normenkontrolle dazu neigt, „entweder ein besonderes Organ mit der Aufgabe zu betrauen oder sie wenigstens bei einem Gericht zu konzentrieren" 2 0 5 . Diese klare Entwicklungstendenz spiegelt sich außerdem darin, daß die schon 1863 von Gneist 206 geäußerten und danach u. a. von MorsteinMarx 207 und H. Müller 208 wieder geltend gemachten Bedenken gegen die Konzentrierung nach dem letzten Weltkrieg, soweit ersichtlich, nicht mehr ernsthaft geltend gemacht worden sind 2 0 9 . Es waren nur gelegentlich Stimmen zu hören, die dagegen vorschlugen, die Normenkontrollaufgabe einem ständig wechselnden „politischen Gremium " anzuvertrauen 210 . Selbst diese Stimmen befürworteten aber eine Monopolisierung der Verwerfungskompetenz bei einem „Obersten Gericht" 211. Daneben wurden auch Bedenken an einer zu starken Ausweitung der Verfassungsgerichtsbarkeit angemeldet 212 . Es gab jedoch keine nennenswerten Meinungen, die eine konzentrierte Verwerfungskompetenz für unzweckmäßig hielten. Schwankende Ansichten bestanden nur insofern, als man sich entscheiden mußte, bei wem die Verwerfungskompetenz monopolisiert werden soll: Bei einem Verfassungsgericht, bei einem Obersten Gericht oder bei einem anderen Organ. Trotz etwaiger Bedenken einiger Autoren gegen die Berufung eines Bundesverfassungsgerichts hat die Lösung des GG, das die Verwer204

Vgl. JöR, N. F. Bd. 8, S. 109. Engelhardt , a.a.O., S. 110. 208 Vgl. Verhandlungen des 4. Dt. Juristentages, Bd. 2, S. 30. 207 V g l i Variationen, insb. S. 143 ff. 205

208

Vgl. Diss. S. 69 ff. Die Auffassung K. Conzens, Diss. S. 131 ff., nach der A r t . 100 Abs. 1 GG zugunsten der inzidenten Normenkontrollform neu geregelt werden soll, hat keine Zustimmung erhalten. 210 Vgl. z. B. W. Schätzel , N J W 1947/48, S. 450 ff. (452). 211 Vgl. W. Schätzel , a.a.O. 212 Vgl. ζ. Β. W. Weber , Spannungen, S. 31 f.; derselbe , DVB1. 1969, S. 413 ff.; H. Spanner , Über die Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 336 f. 209

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fungskompetenz bei den Verfassungsgerichten von Bund und Ländern monopolisiert, doch einhellige Zustimmung erhalten 2 1 3 . Wie diese neue Einrichtung, die übrigens kein Vorbild haben soll 2 1 4 , i m allgemeinen und die konzentrierte Verwerfungskompetenz i m besonderen funktionieren, w i r d nunmehr i m folgenden Abschnitt untersucht werden. 2. Gestaltung monopolisierter Verwerfung verfassungswidriger Gesetze

Wurde nach den bisherigen Untersuchungen festgestellt, daß das monopolisierte Verwerfungssystem eher die dem Zweck der Normenkontrolle entsprechende und der Entwicklung der richterlichen Normenkontrolle adäquate Form darstellt als das diffuse Verwerfungssystem, so ist damit noch nichts darüber gesagt, wie dieses System funktionsfähig und w i r kungsvoll ausgestaltet werden und wie die Gestaltung i m einzelnen aussehen soll. Insbesondere rücken dabei folgende Probleme i n den Vordergrund: Wem soll die monopolisierte Befugnis zur Verwerfung verfassungswidriger Gesetze übertragen werden? Wie soll das Normenkontrollverfahren in Gang gebracht werden? Nach welchen Kriterien und Maßstäben hat das zuständige Organ zu entscheiden? Und schließlich: M i t welchen Wirkungen sollen Entscheidungen des zuständigen Organs ausgestattet sein? Diesen Problemen i m einzelnen nachzugehen und die damit zusammenhängenden Fragen einzeln zu behandeln, würde die vorliegende Arbeit zu sehr ausweiten. Außerdem lassen sich die genannten Fragen allein aus der Natur der Sache heraus wohl nicht lösen. Vielmehr w i r d die Antwort dieser oder jener Frage von den verfassungstheoretischen Traditionen und von der Verfassungswirklichkeit des jeweiligen Staates abhängen. Jeder Versuch, auf diese Fragen generell geltende Antwort zu geben, wäre deswegen von vornherein zum Scheitern verurteilt. I m folgenden w i r d daher nur von den zentralsten Punkten des jeweiligen Problems die Rede sein. A. Das zuständige Organ Die Frage, bei wem die Verwerfungskompetenz monopolisiert werden soll, kann an sich verschiedene Lösungen in sich tragen. Dabei sind v. a. an folgende Lösungen zu denken: Die Verwerfungskompetenz kann 213 Vgl. u. a. O. Bachof, i n : H. Huber-Festschrift, S. 26 ff. (41); R. Smend, Das BVerfG, i n : Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 581 ff.; Vìe, DVB1. 1943, S. 13, Anm. 8; H. Schäfer, N J W 1954, S. 2; U. Scheuner, DVB1. 1952, S. 293 ff. (297 f.), kritisch aber w o h l ; Ipsen, DVB1. 1949, S. 487 f.; H. Huber, Diss. S. 33, 38 und 49; H. G. Grossart, Diss. S. 133 und 142; H. Lauf er, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 151 ff. 214 Vgl. BVerfGE 2, 84; W. Grundmann, DVB1.1959, S. 272.

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§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

einem besonderen Verfassungsorgan übertragen werden, das u. a. für diesen Zweck „neben" oder „über" den allgemeinen Gerichten zu errichten ist. M. a. W., es kann ein besonderer VerfGH mit dem Verwerfungsmonopol ausgestattet werden. Seine Mitglieder werden m i t besonderer Sorgfalt ausgewählt, u m sachliche Befähigung und politische Unparteilichkeit zu gewährleisten. Einschlägige Beispiele sind u. a. der VerfGH i n Österreich 215 , das BVerfG der BRD und das VerfG Koreas während der Zeit der Chang-Regierung (1960 - 61). Es kann auch ein Gremium berufen werden, das i m Gegensatz zum VerfG mehr politisch akzentuiert ist. Das „Verfassungskomitee" (1948 bis 1960) der Republik Korea unter der Lie-Regierung war ein derartiges politisches Gremium, das u. a. zum Zweck der Monopolisierung der Verwerfungskompetenz eingerichtet wurde 2 1 6 . „Le comité constitutionel" der französischen Verfassung von 1946 und „Le conseil constitutionel" der französischen Verfassung von 1958 w i r d man insofern auch dazu zählen können, als die Normenkontrollfunktion, auch wenn sie nur eine präventive Funktion hat, bei einem Organ monopolisiert ist. I m Grunde genommen sind aber die französischen Institutionen völlig anderer Rechtsnatur, weil die genannten französischen Verfassungen kein „allgemeines richterliches Prüfungsrecht" kennen und daher sich sowohl „Le comité constitutionel" als auch „Le conseil constitutionel" nur mit vorbeugender Funktion begnügen müssen 217 . Die Verwerfung verfassungswidriger Gesetze kann aber auch zur ausschließlichen Kompetenz eines Obersten Gerichtes erklärt werden, sofern man kein besonderes Verfassungsorgan für diese Funktion errichtet. Der OGH der geltenden koreanischen Verfassung von 1962 dürfte eines solcher Beispiele sein 2 1 8 . a) A u s s c h l i e ß l i c h e

Kompetenz

eines

OGH

Es ist äußerst schwierig, einem der genannten Typen den Vorzug zu geben. Jeder Typ hängt mit verschiedenen verfassungspolitischen K r i terien so eng zusammen, daß man keine allgemein gültige Beurteilung abgeben kann, bevor man die verfassungspolitischen Gegebenheiten der jeweiligen Gemeinschaft genau untersucht hat. 215 Vgl. über das österreichische Normenkontrollsystem u. a. L. Adamovich, Die Prüfung; H. Spanner , DöV 1955, S. 65 ff.; Melichar, i n : Mosler , S. 439 ff. (457ff.); B. Simma, Probleme u m den A r t . 145 des österreichischen B - V G , i n : Juristische Blätter 1969, S. 257 ff.; L. Adamovich - H. Spanner, Handbuch, S. 395 ff.; Ermacora-Klecatsky-Ringhof er, Rechtsprechung des VerfGH, 1954/ Wien. 216 Dazu vgl. unten § 6, A n m . 2. 217 Über beide französische Institutionen und über die Normenkontrolle i n Frankreich vgl. u. a. W. Buerstedde, JöR, N. F. Bd. 7, S. 167 ff.; L. Buerstedde, JöR, N. F. Bd. 12, S. 145 ff.; Ch. Eisenmann - L. Hamon, i n : Mosler, S. 231 ff. 218 Vgl. unten § 8, insb. 1,1, B.

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Dennoch darf gesagt werden, daß diejenigen Gesichtspunkte, die für eine monopolisierte Verwerfungskompetenz sprechen, nicht unbedingt die Errichtung eines besonderen Verfassungsorgans fordern. Der Mißstand, der sich aus der Praxis diffuser Verwerfung ergibt, kann schon dadurch beseitigt werden, daß man das Verwerfungsmonopol einem bereits bestehenden Obersten Gericht anvertraut. Dies w i r d besonders dort leicht realisierbar sein, wo die staatliche Gemeinschaft zentralistische Staatsform hat und das Gerichtssystem einheitlich aufgebaut ist. I n einem solchen Staat w i r d es auch möglich sein, ein besonderes Verfassungsorgan, sei es ein VerfG oder sei es ein politisches Gremium, zu berufen, um es für die gesamte Verfassungsgerichtsbarkeit zuständig zu machen, zumal das Institut der Normenkontrolle nicht das einzige Schutzmittel der Verfassungsordnung ist. Abgesehen von dieser ausgeweiteten Verfassungsgerichtsbarkeit w i r d man wohl sagen müssen, daß ein besonderes Organ ausschließlich zur Normenkontrolle nicht so großen Sinn haben würde. Diese Sachlage w i r d auch dadurch nicht geändert, daß die Normenkontrolle, wie bereits untersucht, eine „politische Aufgabe" darstellt. Man könnte sich diesbezüglich allerdings fragen, welchen Zweck es haben soll, wenn man die Verwerfungskompetenz, die u. a. aus verfassungspolitischen Gründen dem „Richter" entzogen ist, wieder dem „Richter" gleicher Kategorie überträgt. Derartige Bedenken werden aber nicht als ausschlaggebend empfunden werden können, denn „Richter" sind ja nicht immer „Richter" gleicher Qualität. Man w i r d doch von einem Richter des Obersten Gerichtes mehr erwarten dürfen als von dem einer unteren Instanz. Ferner könnten die Bedenken erhoben werden, daß durch die Konzentration der Verwerfungskompetenz bei einem ordentlichen Obersten Gericht die Gefahr heraufbeschworen werde, daß das Oberste Gericht — damit die ganze Justiz — i n den politischen Kampf hineingezogen werde. Diese Gefahr läßt sich i n der Tat nicht ganz vermeiden, dennoch w i r d die Intensität dieser Gefahr von der Standfestigkeit des jeweiligen Obersten Gerichts abhängen und man w i r d sie durch geeignete organisatorische Regeln vermindern können. Einem anderen Gedankengang folgend lehnte auch W. Schätzel 219 die Übertragung der Verwerfungskompetenz auf einen Staats- oder VerfGH ab. Er hielt es für angebracht, „sobald es i n Deutschland wieder ein gemeinsames oberstes ordentliches Gericht gibt", die Verwerfung verfassungswidriger Gesetze zu dessen Aufgabe zu machen 220 . 219

Vgl. N J W 1947/48, S. 450 ff. (452). So ähnlich auch H. Krüger, N J W 1949, S. 165 Anm. 14; Haak, Normenkontrolle, S. 163 Anm. 15. 220

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I n diesem Zusammenhang sei noch erwähnt, daß sich W. Strauß i m ParlR. energisch dafür einsetzte, die Befugnis zur Verwerfung verfassungswidriger Gesetze nicht dem BVerfG, sondern dem von ihm vorgeschlagenen einheitlichen Obersten Bundesgericht 221 anzuvertrauen 222 . b) E r r i c h t u n g e i n e s besonderen V erf assuηgsοrgaηs aa) I n Gestalt eines VerfG Der Umstand, daß sich W. Strauß mit seinen Vorschlägen i m ParlR. nicht durchsetzen konnte, geht nicht auf die Schwäche seiner Argumentation zurück, sondern man hat die Ursache vor allem i n den damaligen allgemeinen Bestrebungen nach einer ausgeweiteten Verfassungsgerichtsbarkeit zu suchen. Es scheint so, als ob die Entscheidung für ein VerfG m i t ausgeweiteter Verfassungsgerichtsbarkeit angesichts der „integrierenden und normativierenden F u n k t i o n " 2 2 3 des VerfG regelmäßig dort nahe liegt, wo es nötig ist, nach einer politisch harten Zeit unter ungünstigen äußeren und inneren Bedingungen eine neue werterfüllte Verfassungsordnung durchzusetzen. Die BRD nach dem Dritten Reich befand sich i n einer solchen politischen Situation wie die Republik Korea i m Jahre 1960 nach dem Zusammenbruch der „diktatorischen" Lee-Regierung. Es mag ein reiner Zufall gewesen sein, daß sowohl i n der BRD als auch i n der Republik Korea die Einsicht entstand, den völlig zerstörten Rechtszustand und die schwankende Rechtsordnung durch Einrichtung eines VerfG und durch den Aufbau einer massiven Verfassungsgerichtsbarkeit zu normalisieren und zu stabilisieren. Dennoch kann man aus diesen beiden naheliegenden Beispielen erkennen, daß die Berufung eines VerfG von einem Leitgedanken motiviert wird, der das Gebot der Konzentration der Verwerfungskompetenz weit übertrifft und dem Gedanken eines „Rechtswegstaates" 224 und „Justizstaates" sehr nahe steht 2 2 5 . 221 Vgl. dazu W. Strauß . Die Oberste Bundesgerichtsbarkeit, 1949, insb. S. 8 ff. und 29 ff. 222 Vgl. H A - P r o t . S. 274 f. Ferner vgl. die ausführliche Darstellung über die Debatte u m diese Frage i m ParlR., H. Laufer , Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 54 ff. 223 P. Lerche, Übermaß, S. 343. 224 Z u dieser Terminologie vgl. Jahrreiss, Demokratischer Staat und Rechtsprechung, i n : Recht - Staat - Wirtschaft, Bd. 2, S. 203 ff. Ferner Schick, AöR, Bd. 94 (1969), S. 353 ff. (364). 225 Forsthoff, i n : C. Schmitt-Festschrift, 1959, S. 35 ff. (56 ff.), betrachtet das Bestehen u n d die Wirkungsweise eines m i t weitreichenden Kompetenzen ausgestatteten VerfG als das besondere Stigma des Justizstaates. Vgl. auch die strukturanalytischen Bemerkungen Forsthoffs (DöV 1959, S. 41 ff.) zum Übergang v o m Rechtsstaat zum Justizstaat.

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Jedenfalls hat es das GG versucht, wie Weber 226 bemerkt, durch die Errichtung des BVerfG einen „Rechtswegstaat" zu verwirklichen. I n der Tat ist durch diese Einrichtung ein Machtfaktor geschaffen worden, der i m westdeutschen Verfassungsgefüge und i n der Verfassungsdynamik dieses Landes eine zentrale Position einnimmt. Es wurden jedoch Bedenken an der Institution „BVerfG" und an seinen umfangreichen Aufgaben besonders i n der Anfangszeit angemeldet 227 , und das BVerfG hat auch eine harte Krisenzeit überstehen müssen 228 . I m Hinblick auf das Verwerfungsmonopol des BVerfG bei der konkreten Normenkontrolle wurden auch Bedenken gemeldet. So w i r f t Haak zweifelnd die Frage auf, ob man bei einem solchen System noch von einer „qualifizierten Bindung" des Richters an die Verfassung sprechen könne 2 2 9 . Er glaubt die A n t w o r t darauf davon abhängig machen zu können, daß das BVerfG zu den „Gerichten" zu zählen ist 2 3 0 . Aber, wie bereits widerlegt 2 3 1 , bewegen sich die Fragen i n zwei verschiedenen Problemkreisen und diese zwei Probleme müssen klar unterschieden werden. Man w i r d daher das Verwerfungsmonopol des BVerfG allein aus dem verfassungspolitischen Gesichtspunkt bewerten müssen, ob es unter den gegebenen politischen Verhältnissen die verfassungspolitisch zweckmäßigste Lösung darstellt. Dabei dürfte festgestellt werden, daß die Monopolisierung der Verwerfungskompetenz beim BVerfG für die BRD, auch bedingt durch ihre fehlende Justizeinheit und durch ihre bundes226

Vgl. die kritische Bemerkung, DVB1.1969, S. 413 ff. (418). Vgl. auf das BVerfG und dessen Aufgabe bezogene folgende Literatur, u. a. U. Scheuner, DVB1. 1952, S. 293 ff.; H. Spanner, Über die Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 312 ff.; E. Kaufmann, V V D S t R L , Heft 9 (1952), S. 1 ff.; M. Drath, V V D S t R L , Heft 9, S. 17 ff.; A. Arndt, DVB1. 1951, S. 297 ff.; derselbe, DVB1. 1952, S. 1 ff.; J. Wintrich, i n : Laforet-Festschrift, S. 227 ff.; derselbe, i n : NawiaskyFestschrift, S. 191 ff.; G. Leibholz, JöR, N. F. Bd. 6 (1957), S. 109 ff.; W. Roemer, JZ 1951, S. 193 ff.; J. Federer, JöR, N. F. Bd. 3 (1954), S. 15 ff.; E. Forsthoff, i n : C. Schmitt-Festschrift (1959), S. 35 ff., insb. S. 50 ff.; G. Roellecke, P o l i t i k und Verfassungsgerichtsbarkeit, Über immanente Grenzen der richterlichen Gewalt des BVerfG, 1961/Heidelberg, dazu auch A. Arndt, DVB1. 1962, S. 350; A. Wagner, DRiZ 1961, S. 280 ff.; W. Tietgen, DVB1. 1962, S. 172 ff.; F. Klein, DöV 1964, S. 471 ff.; E. Friesenhahn, i n : Mosler, S. 89 ff.; P. Lerche, AöR, Bd. 90 (1965), S. 341 ff.; Hans H. Klein, B V e r f G und Staatsraison, 1968, dazu die Bemerkungen von F. Knöpfle, DVB1. 1969, S. 442 ff. und P. Häberle, DöV 1969, S. 150 f.; W. Geiger, DöV 1952, S. 481 ff.; derselbe, i n : H. Nawiasky-Festschrift (1956), S. 211 ff.; W. Seuffert, N J W 1969, S. 1369 ff.; Schneider, DVB1. 1969, S. 325 ff.; J. Burmeister, DVB1. 1969, S. 605 ff.; R. Wildenmann, Die Rolle des BVerfG und der Deutschen Bundesbank i n der politischen Willensbildung, 1969; G. Müller, i n : Das Parlament, 1969, S. 16; Müller, DöV 1969, S. 119 ff.; Smend, in: Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 581 ff.; W. Billing, Das Problem der Richterw a h l zum BVerfG, 1969/Berlin; Wittig, i n : Der Staat, Bd. 8 (1969), S. 137 ff. 228 Z u der anfänglichen Krise des BVerfG vgl. u. a. die dokumentarische Darstellung H. Laufers, Verfassungsgerichtsbarkeit, insb. S. 169 ff. 229 Vgl. Haak, Normenkontrolle, S. 163. 230 Vgl. Haak, a.a.O., S. 163 A n m . 15. 231 Vgl. oben § 5, I I . 227

7

Huh

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staatliche Struktur , verfassungspolitisch als die zweckmäßigste Lösung betrachtet werden muß. Bachof betrachtet das Problem aus einer anderen Perspektive und meint, daß die Entscheidung für ein VerfG vor allem dort angebracht ist, „wo es an einer anderweitigen Tradition fehlt" 2 3 2 , und nach seiner Beurteilung hat das BVerfG erwiesen, daß es seine Aufgaben erfüllen kann, „ohne den legitimen Funktionen von Gesetzgebung, Regierung und Verwaltung zu schaden" 233 . Es mögen sicherlich hier und dort reformbedürftige organisatorische Mängel bestehen, z. B. die existentielle Abhängigkeit des BVerfG von Bundestag und Bundesrat 2 3 4 , die unterschiedliche Rechtsstellung der Richter des BVerfG 2 3 5 und das Problem der „dissenting opinion" 2 3 6 und dergleichen mehr, um nur einige Beispiele zu nennen. Die Tatsache aber, daß das BVerfG durch seine gebotene Zurückhaltung und durch seine zeitgemäße, rechtsstaatsfördernde Verfassungsrechtsprechung inzwischen hohes Ansehen genießt und ein effektiver Hüter der Verfassungsordnung geworden ist, kann keineswegs geleugnet werden. bb) Berufung eines politischen Gremiums Das Verwerfungsmonopol kann aber auch anstelle eines VerfG einem politischen Gremium übertragen werden, das i m Vergleich mit einem VerfG noch stärker politisch akzentuiert ist. Das Gremium w i r d i n dieser Gestaltung der Natur der Sache nach existentiell und funktionell von den jeweiligen politischen Machtverhältnissen i m Parlament stark ab232

I n : Huber-Festschrift, S. 26 ff. (41). a.a.O., S. 47. 234 Diesbezüglich schlägt z. B. H. Lauf er, a.a.O., S. 206, vor, A r t . 94 I I GG dahingehend zu ändern, „daß das BVerfG selbst, ohne die M i t w i r k u n g von Bundestag und Bundesrat, über seine Verfassung und seine Verfahren e n t scheidet". 235 Dieses Problem ist n u n durch das 4. Gesetz zur Änderung des BVerfGG v. 21.12.1970 (BGBl. I 1765) gelöst. Die Novelle schafft u. a. einen einheitlichen Richterstatus f ü r alle Bundesverfassungsrichter. Die Amtszeit ist nunmehr für alle Richter am BVerfG einheitlich auf 12 Jahre, jedoch längstens bis zur Altersgrenze, beschränkt, u n d eine Wiederwahl ist ausgeschlossen (vgl. § 4 Abs. 1 - 3 BVerfGG). Siehe dazu u.a. R. Rupprecht, N J W 1971, S. 169 ff.; M. Dietlein, DVB1.1971, S. 125 ff.; C. Arndt, DRiZ 1971, S. 37 ff. 236 Das 4. Gesetz zur Änderung des BVerfGG v. 21.12.1970 läßt die Erstattung von Sondervoten zu (vgl. § 30 Abs. 2 n. F. BVerfGG). Dies gehört zu den meistdiskutierten Regelungen, die die Novelle gebracht hat. Jedenfalls können Richter am BVerfG k ü n f t i g nach amerikanischem V o r b i l d ein Sondervotum abgeben. Das bedeutet, daß ein von der Mehrheit des Gerichts überstimmter Richter sowohl zu einem U r t e i l (dissenting opinion) als auch zu dessen Begründung (concurring opinion) seine abweichende Rechtsauffassung i n einem Sondervotum niederlegen kann. Das Schriftstück m i t dem Sondervotum w i r d dem U r t e i l beigefügt. Diese neue Regelung w i r d bereits seit dem A b h ö r - U r t e i l des Zweiten Senats v. 15.12.1970 (DVB1. 1971, S. 49 ff.) praktiziert. Über die Ä n d e rung des BVerfGG vgl. u.a. R. Rupprecht, N J W 1971, S. 169 ff.; M. Dietlein, DVB1.1971, S. 125 ff.; C. Arndt, DRiZ 1971, S. 37 ff. 233

I I . System konzentrierter Normenkontrolle

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hängig sein, weil die Mitglieder dieses Gremiums i. d. R. ausschließlich vom Parlament gewählt oder vom Machthaber des jeweiligen Staates ernannt werden. Folglich kann die Parlaments- oder Machthaberabhängigkeit dieses Gremiums dadurch nicht aufgehoben werden, daß sich unter den Mitgliedern dieses Gremiums einige qualifizierte Richter oder durchgebildete Juristen befinden, denn die Mitglieder werden ja primär wegen ihrer politischen „Färbung" gewählt werden. Daher läuft dieser Typus letzten Endes darauf hinaus, daß die Verwerfung verfassungswidriger Gesetze doch der gesetzgebenden Gewalt selbst überlassen bleibt. Dem Gesetzgeber zuzumuten, „ein von ihm beschlossenes Gesetz aus dem Grund seiner Verfassungswidrigkeit aufzuheben", wäre, wie Kelsen 237 meint, „eine politische Naivität". Daß diese keusche Zumutung tatsächlich eine „politische Naivität" ist, wurde u. a. durch die Praxis des „Verfassungskomitees" der Republik Korea bestät i g t 2 3 8 . Es überrascht deswegen nicht, wenn W. Schätzel entschieden ablehnt, das Prüfungsrecht „einem ständig wechselnden politischen Gremium" anzuvertrauen 239 . c) B e r u f u n g s m o d a l i t ä t

des z u s t ä n d i g e n

Organs

Schließlich folgt aus den genannten negativen Seiten dieses Typus, daß die Sinnerfüllung des konzentrierten Verwerfungssystems nicht allein davon abhängt, welches Organ dafür zuständig ist. Eine noch maßgebendere Rolle spielen dabei das Verfahren zur Berufung der Mitglieder des zuständigen Organs und dessen Unabhängigkeit von der legislativen und exekutiven Gewalt. So hat man m i t Kelsen 240 die Unabhängigkeit des zur Verwerfung kompetenten Organs als „eine selbstverständliche Forderung" zu betrachten. Gerade i m Hinblick auf die Unabhängigkeit des für das Verwerfungsmonopol zuständigen Organs ist die A r t der Berufung seiner Mitglieder von ausschlaggebender Bedeutung 2 4 1 . Ohne ein Berufungsverfahren, das die erforderliche existentielle und funktionelle Unabhängigkeit dieses Organs gewährleistet, ist deshalb ein Verwerfungsmonopol, mag es bei einem Obersten Gericht, bei einem VerfG oder bei einem politischen Gremium liegen, dem Institut der Normenkontrolle eher schädlich. I m folgenden sei deshalb kurz auf die Berufungsarten i n der Republik Korea, i n der BRD und i n den USA hingewiesen und ein knapper Vergleich zwischen ihnen angestellt. 237 V 238

239 V 240

g L

W D S t R L , Heft 5, S. 53.

s. unten § 6, Anm. 2. g L

N J W

1 9 4 7 j s>

452.

Vgl. V V D S t R L , Heft 5, S. 55. 241 Dies hebt insb. W. Billing , Das Problem der Richterwahl zum BVerfG, z. B. S. 17, m i t besonderem Nachdruck hervor. 7*

100

§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

aa) Der Oberste Gerichtshof (OGH) der Republik Korea setzt sich aus einem Gerichtspräsidenten und aus 12 Richtern zusammen 242 . Der Gerichtspräsident des OGH w i r d auf Vorschlag des Richterwahlausschusses vom Staatspräsidenten m i t Zustimmung der Nationalversammlung ernannt. Schlägt der Richterwahlausschuß einen Kandidaten für das A m t des Gerichtspräsidenten vor, dann muß der Staatspräsident dem Vorschlag entsprechen und die Nationalversammlung ersuchen, der Ernennung zuzustimmen. Stimmt die Nationalversammlung m i t ihrer absoluten Mehrheit 2 4 3 zu, dann muß der Staatspräsident den Vorgeschlagenen zum Gerichtspräsidenten ernennen 244 . Folgende 9 Personen bilden den Richterwahlausschuß: Der Gerichtspräsident des OGH, 3 Richter, die vom Plenum des OGH aus dessen Mitte zu wählen sind, der Vorsitzende des nationalen Rechtsanwaltsvereins, ein weiterer Rechtsanwalt, den die Vorsitzendenversammlung der regionalen Rechtsanwaltsvereine zu wählen hat, ein vom Staatspräsidenten nominierter Professor der Rechte, der Justizminister und der Generalstaatsanwalt des OGH 2 4 5 . Die Funktion des Vorsitzes i m Richterwahlausschuß übt der Gerichtspräsident des OGH aus; ein Kandidatenvorschlag für ein Richteramt erfolgt immer m i t absoluter Mehrheit 2 4 6 . Die übrigen 12 Richter des OHG werden auf Vorschlag des Gerichtspräsidenten, der übrigens mit Zustimmung des Richterwahlausschusses vorzuschlagen hat, vom Staatspräsidenten ernannt. I m Gegensatz zum Gerichtspräsidenten des OGH bedarf die Ernennung keiner Zustimmung der Nationalversammlung, der Staatspräsident muß aber die Vorgeschlagenen ernennen 247 . Die übrigen Richter unterer Instanzen werden auf Plenarbeschluß des OGH vom Gerichtspräsidenten des OGH ernannt 2 4 8 . Die Amtsdauer des Gerichtspräsidenten des OGH beträgt 6 Jahre, eine anschließende Neuberufung ist nicht zulässig. Die Amtsdauer der sonstigen Richter beträgt 10 Jahre, aber eine Neuberufung, auch eine anschließende, ist zulässig. Alle Richter treten jedoch mit der Vollendung des 65. Lebensjahres i n den Ruhestand 249 . 242

Vgl. A r t . 97 Abs. 2 der Verfassung der Republik Korea (VRK); § 5 Abs. 2 des Gerichtsorganisationsgesetzes (GOG) Koreas. 243 Vgl. § 102 des Nationalversammlungsgesetzes (NVSG). 244 Vgl. A r t . 99 Abs. 1 V R K . 245 Vgl. A r t . 99 Abs. 4 u n d 5 V R K ; § 45 GOG. 240 Vgl. § 46, 60 Abs. 2 und 61 Abs. 1 GOG. 247 Vgl. A r t . 99 Abs. 2 V R K . 248 Vgl. A r t . 99 Abs. 3 V R K . 249 Vgl. A r t . 100 V R K .

I I . System konzentrierter Normenkontrolle

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bb) Die Mitglieder des BVerfG der BRD werden dagegen ausschließlich vom Parlament bestellt, und zwar w i r d eine Hälfte der Mitglieder 2 5 0 vom Bundestag nach einem sehr komplizierten indirekten Verfahren gewählt, das die politischen Überlegungen auf ein M i n i m u m reduzieren soll, die andere Hälfte w i r d vom Bundesrat m i t Zweidrittelmehrheit direkt berufen 2 5 1 . cc) I n den Vereinigten Staaten hat der Staatspräsident die Initiative bei der Bestellung der Bundesrichter beim Supreme Court. Die Ernennung der Mitglieder des Supreme Court vollzieht sich nach dem dreistufigen Verfahren: Der Staatspräsident schlägt den Kandidaten vor (nomination), der Senat bestätigt ihn (confirmation), und der Staatspräsident vollzieht dann die formelle Ernennung (appointement). Dabei ist zu beachten, daß eine Verwerfung der Ernennung eines Bewerbers durch den Senat durchaus möglich und auch in der Praxis schon oft vorgekommen ist 2 5 2 . dd) Vergleicht man die genannten drei Berufungsarten miteinander, dann kann man leicht feststellen, daß bei allen drei Typen das Parlament mehr oder weniger bei der Richterwahl beteiligt ist. Bei dieser gemeinsamen Regelung zeigt sich deutlich das Bestreben, einen gewissen Einfluß politischer Parteien oder ihrer Exponenten auf die Besetzung des VerfG oder OGH zu ermöglichen. Man mag hiergegen Bedenken haben, die Regelung beruht aber zweifellos auf der Einsicht, daß es i n einer Parteiendemokratie wohl kaum jemals möglich und auch nicht tunlich ist, die Mitverantwortung der staatstragenden Parteien, einerlei, ob sie i n der Regierung wirken oder sich in Opposition befinden, bei der personellen Zusammensetzung des höchsten Gerichtes völlig auszuschalten 253 . So regte H. Kelsen 254 schon 1928 an, an Stelle des inoffiziellen und unkontrollierbaren parteipolitischen Einflusses die legitime Beteiligung bei der Richterwahl zu akzeptieren 255 , und er schlug daher einen Wahlmodus vor, bei dem das Parlament und die Regierung zusammenwirken sollen 2 5 6 . 250

Das BVerfG besteht aus zwei Senaten, u n d i n jedem Senat werden 8 Richter gewählt. Vgl. § 2 BVerfGG. 251 Vgl. A r t . 94 GG; § 5, 6 u n d 7 BVerfGG. Dazu vgl. Klein, i n : Maunz u. a., BVerfGG, Kommentar zu § 5; ferner H. Lauf er, a.a.O., S. 206 ff.; E. Friesenhahn, i n : Mosler, S. 89 ff. (101 f.); W. Billing, Das Problem der Richterwahl zum BVerfG, insb. S. 119 ff. m i t Literaturhinweisen. 252 v g L näheres hierüber z. B. K . Loewenstein, Verfassungsrecht USA, S. 301 ff. u n d 409 ff.; W. Billing, a.a.O., S. 262 ff. Das Ernennungsverfahren i n den USA stützt sich verfassungsrechtlich auf A r t . I I , sec. 2, ci. 2, s. 2, wo es heißt: „ . . . and he shall nominate, and, by and w i t h the advice and consent of the Senate, shall a p p o i n t . . . judges of the Supreme C o u r t . . . " . 253 Vgl. R. Marcie, V o m Gesetzesstaat, S. 340 f. 254 V g l . V V D S t R L , Heft 5, S. 57. 255 So ähnlich auch Η . Spanner, Die richterliche Prüfung, S. 94 f. ; Μ . Drath, V V D S t R L , Heft 9, S. 17 ff. (102); H. Lauf er, a.a.O., S. 211. 256 Vgl. H. Kelsen, a.a.O., S. 56.

102

§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

Marcic hält sogar „beim Höchstgericht i m modernen Staat, beim VerfG", eine derartige „parteidemokratische Legitimation" für „notwendig" 2 5 7 . Dagegen kann man schwerlich etwas einwenden. Die Frage ist aber nur, ob solche Einflüsse i n Grenzen gehalten werden können und ob die politischen Parteien es in einem gewissen erträglichen Maße offen t u n würden. Wenn man die kurz dargestellten drei Wahlmodi unter diesem Gesichtspunkt näher betrachtet, w i r d man dem Koreanischen den Vorzug geben können, weil dort der Staatspräsident verfassungsrechtlich keine allzu große Möglichkeit hat, einen entscheidenden Einfluß auf die Zusammensetzung des OGH zu nehmen und das Parlament wiederum nur bei der Wahl des Gerichtspräsidenten des OGH direkt mitzuwirken hat. Noch wichtigere Bedeutung kommt beim koreanischen Wahlmodus dem Richterwahlausschuß zu, denn die Zusammensetzung des OGH und seine parteipolitische „Färbung " hängen letzten Endes von der Zusammensetzung des Richterwahlausschusses ab. Noch ein weiterer Vorzug des koreanischen Systems muß darin gesehen werden, daß das Wahl- und das Berufungsverfahren weitgehend verfassungsrechtlich verankert sind, während diese i n der BRD und i n den USA nur gesetzlich geregelt sind und daher durch einfaches Gesetz geändert werden können 2 5 8 . Wenn sich die deutsche und die amerikanische Verfassungs- und Bundesrichterschaft beim BVerfG bzw. Supreme Court trotz der unbefriedigenden Berufungsarten i m großen ganzen politisch neutral verhalten, dann liegt dies, wie K. Loewenstein m i t Recht bemerkt, „eher an den Persönlichkeiten auf den Richterstühlen als an der A r t und Weise ihrer Berufung" 2 5 9 . Dabei mag auch die Ernennung der Verfassungs- und Bundesrichter auf Lebenszeit 260 eine nicht geringe Rolle gespielt haben, weil 257

Vgl. R. Marcic , a.a.O., S. 269. So auch H. Lauf er, a.a.O., S. 210 f. So findet O. Bachof , i n : H. Huber-Festschrift, S. 45, die deutsche Regelung nicht befriedigend, v. a. deswegen, w e i l Zusammensetzung, Amtsdauer u n d Wahlmodus des BVerfG nicht verfassungsrechtlich verankert sind. Auch bringt H. Lauf er, a.a.O., S. 206 und 208 ff., wegen der institutionellen Abhängigkeit des B V e r f G von den gesetzgebenden Organen seine Unzufriedenheit zum Ausdruck. Vgl. ferner die kritische Darstellung von W. Billing, a.a.O., S. 119 ff. und seine Vorschläge (a.a.O., S. 301 ff.). H. Spanner, Die richterliche Prüfung, S. 88, weist u. a. auf den Mangel des amerikanischen Systems hin, daß die amerikanische Verfassung keine ziffernmäßige Beschränkung der Zahl der Mitglieder des Supreme Court enthält; er sieht darin die Gefahr eines Mißbrauchs durch die Legislative u n d Exekutive. 259 K . Loewenstein, Verfassungslehre, S. 240. 280 I n den USA werden alle Bundesrichter beim Supreme Court auf Lebenszeit ernannt (vgl. A r t . I I I sec. 1 der Verfassung USA). I n der BRD wurden die Bundesverfassungsrichter bisher entweder auf Lebenszeit oder für 8 Jahre gewählt, wobei Wiederwahl zulässig war. Nach der bisherigen Regelung i n § 4 BVerfGG gehörten jedem Senat 3 Bundesrichter für die Dauer ihres Amtes an 258

I I . System konzentrierter Normenkontrolle

103

es selten e i n e m P r ä s i d e n t e n oder e i n e m P a r l a m e n t , die n u r a u f k u r z e Z e i t g e w ä h l t w e r d e n , g e l i n g e n d ü r f t e , die M e h r h e i t des B V e r f G oder des S u p r e m e C o u r t zu e r n e u e r n u n d nach i h r e n p a r t e i p o l i t i s c h e n Gesichtsp u n k t e n zu gestalten. W e n n dennoch die koreanische Richterschaft b e i m O G H t r o t z des i n s t i t u t i o n e l l v o r z ü g l i c h e n B e r u f u n g s v e r f a h r e n s v o n der A l l g e m e i n h e i t als p a r t e i p o l i t i s c h ü b e r m ä ß i g beeinflußt e m p f u n d e n w i r d , so m u ß m a n die Ursache h i e r f ü r i n der t y p i s c h koreanischen M a c h t s t r u k t u r 2 6 1 u n d i n der r e l a t i v k u r z e n V e r f a s s u n g s t r a d i t i o n suchen. B. Tätigwerden a) oder

des zuständigen

Organs

„ O f f i z i a l m a x i m e " „ D i s p o s i t i o n s m a x i m e " ?

W e n n feststeht, daß die K o m p e t e n z z u r V e r w e r f u n g v e r f a s s u n g s w i d r i ger Gesetze b e i e i n e m e i n z i g e n O r g a n m o n o p o l i s i e r t ist, d a n n d r ä n g t sich als nächstes die F r a g e auf, w e r die K o n t r o l l t ä t i g k e i t dieses Organs i n G a n g setzen k a n n . Diese F r a g e ist aber b e i der k o n k r e t e n N o r m e n k o n t r o l l e , u m die es h i e r geht, v o n g e r i n g e r B e d e u t u n g , w ä h r e n d sie b e i der a b s t r a k t e n N o r m e n k o n t r o l l e eine größere R o l l e zu spielen p f l e g t 2 6 2 . einem Obersten Gerichtshof (i. d. R. bis zur Vollendung des 68. Lebensjahres) und 5 weitere auf 8 Jahre gewählte Mitglieder an. Das 4. Gesetz zur Änderung des BVerfGG v. 21.12.1970 (BGBl. I 1765) ersetzt n u n diese viel kritisierte Regelung durch die Schaffung einer einheitlichen Rechtsstellung für alle Bundesverfassungsrichter. Nach dem Gesetz sollen Richter am BVerfG k ü n f t i g einheitlich für 12 Jahre ohne die Möglichkeit einer Wiederwahl gewählt werden. 261 Vgl. darüber unten § 7, I I , 1. 262 Die Auswahl der Antragsteller prägt den Charakter der abstrakten Normenkontrolle. Die abstrakte Normenkontrolle w i r d i n der B R D gemäß A r t . 93 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 13 Nr. 6 u n d § 76 BVerfGG durch A n t r a g der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Drittels der Mitglieder des Bundestages ausgelöst (vgl. darüber näheres etwa bei G. Babel, Diss. insb. S. 13 ff.; Schmidt-Bleibtreu, i n : Maunz u.a., BVerfGG, Rn. 22 ff. zu § 76 BVerfGG). Über die Frage der Anfechtungslegitimation bei der abstrakten Normenkontrolle w i r d sehr viel diskutiert. Dabei konzentriert sich die Diskussion besonders auf die Probleme, ob man eine Popularklage zulassen soll u n d ob man einer qualifizierten Minderheit des Parlaments die Legitimation gewähren soll, die abstrakte Normenkontrolle auszulösen. Die Probleme können hier nicht näher verfolgt werden. I m folgenden seien nur einige Meinungen wiedergegeben. Gegen die Popularklage sprechen etwa H. Kelsen (VVDStRL, Heft 5, S. 74), Adamovich (Juristische Blätter 1950, S. 74) und H. Spanner (Die richterliche Prüfung, S. 98), während z. B. R. Marcie (a.a.O., S. 255) für die Popularklage spricht, indem er sie als „Schlußstein i m Gefüge des demokratischen Rechtsstaates" bezeichnet. H. Kelsen (a.a.O., S. 81) betrachtet „die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze" als „ein eminentes Interesse der M i n o r i t ä t " , daher gilt f ü r i h n die Anfechtungslegitimation der Parlamentsminorität als eine Selbstverständlichkeit. R. Marcie (a.a.O., S. 360) schließt sich Kelsen (a.a.O.) an; ebenso Müller (Diss. S. 42 f.). Gegen diese Ansicht erhebt z. B. Spanner (a.a.O., S. 103 f.) unter Hinweis auf die Mißbrauchsgefahr Bedenken. Außerdem stellt H. Kelsen (a.a.O., S. 75) die Institution eines „Verfassungsanwalts" zur Diskus-

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§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

Die konkrete Normenkontrolle setzt, i m Gegensatz zur abstrakten Normenkontrolle, voraus, daß vor einem Gericht eine zivil-, straf- oder verwaltungsrechtliche Streitigkeit anhängig ist und die Entscheidung des Gerichts davon abhängt, ob eine an sich anzuwendende Rechtsnorm mit der Verfassung i n Einklang steht. I m Rahmen eines solchen anhängigen Verfahrens hat jeder Richter von Verfassungs wegen das Recht und die Pflicht, die Verfassungsmäßigkeit der anzuwendenden Norm zu überprüfen. Durch die Monopolisierung der Verwerfungskompetenz ist ihm aber die Befugnis entzogen, eine Rechtsnorm zu verwerfen. Infolgedessen muß jedes Gericht über die Möglichkeit verfügen, das zuständige Verwerfungsorgan anzurufen (Richtervorlage), falls er eine Rechtsnorm für verfassungswidrig hält. Bei der konkreten Normenkontrolle geht es deswegen nur darum, auf welchem prozessualen Wege eine Richtervorlage vor dem zuständigen Organ anhängig gemacht werden kann, und ob dem Verwerfungsorgan selbst die Befugnis eingeräumt werden soll, ein konkretes Normenkontrollverfahren von Amts wegen einzuleiten (Offizialmaxime) oder ob das „Anhängigwerden" und „Anhängigbleiben" eines konkreten Normenkontrollverfahrens ausschließlich vom Willen des vorlegenden Gerichts bzw. der Prozeßparteien abhängig sein sollen ( Dispositionsmaxime) 263. I n diesem Zusammenhang w i r d auch die Frage von Bedeutung sein, welchen Einfluß die Prozeßbeteiligten auf die Richtervorlage bzw. überhaupt auf das konkrete Normenkontrollverfahren haben können. Die Behandlung der prozeßrechtlichen Natur dieser Probleme w i r d i m folgenden nur auf das Wesentliche beschränkt. Bezüglich der Einzelheiten sei auf die einschlägige Literatur verwiesen 2 6 4 . aa) Von Amts wegen Das BVerfGG kennt keine Einleitung eines konkreten Normenkontrollverfahrens von Amts wegen, und die einschlägigen Vorschriften des G G 2 6 5 sion, was u. a. von H. Spanner (a.a.O., S. 102 f.) abgelehnt w i r d . H. Spanner (a.a.O., S. 99) v e r t r i t t dagegen i m Anschluß an Adamovich (a.a.O., S. 74 f.) die Ansicht, den Vertretungen der juristischen Berufe, den Rechtsanwaltskammern u n d Notariatskammern ein Anfechtungsrecht einzuräumen, und ebenso den in den Bereichen des Wirtschaftslebens errichteten Kammern. 263 Vgl. E. Friesenhahn, i n : Mosler, S. 182 f. 204 Y g i statt vieler die ausführliche prozeßrechtliche Darstellung m i t u m fangreichen Literaturnachweisen bei Sigloch, i n : Maunz u. a., Kommentierung zu § 80 BVerfGG. Z u den einzelnen Verfahrensfragen vgl. ferner W. Henrichs, M D R 1952, S. 528; G. Höhn, N J W 1961, S. 443 ff.; M. Schulte , M D R 1952, S. 520 f.; O. Bachof, DöV 1955, S. 492 f.; W. Gross, DVB1. 1952, S. 206; J. Fr owein, N J W 1962, S. 1091; W. Grussendorf, N J W 1952, S. 88 f.; K . O. Zimmer, N J W 1960, S. 1892 f.; Schlitzberger, N J W 1963, S. 1901; H. Sigloch, J Z 1961, S. 118 f.; H. Schäfer, N J W 1954, S. I f f . u n d 409 ff.; H. Neidhard, J Z 1952, S. 266 f.; W. Schätzel, AöR, Bd. 78, S. 228 ff.; H. Koban, Diss.; Η . P. Tüttenberg, Diss. 265 Vgl. A r t . 100 Abs. 1 u n d A r t . 94 Abs. 2 GG.

I I . System konzentrierter Normenkontrolle

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und des BVerfGG 2 6 6 stellen eindeutig auf die „Dispositionsmaxime" ab 2 6 7 . Danach w i r d die konkrete Normenkontrolle immer von einem anderen Gericht 2 6 8 eingeleitet. Das vorlegende Gericht ist außerdem auch i n der Lage, durch Zurücknahme seiner Vorlage 2 6 9 das Normenkontrollverfahren zu beenden 270 . Demzufolge hat das BVerfG keine Befugnis, von Amts wegen das konkrete Normenkontrollverfahren auszulösen. I h m ist damit verwehrt, an sich selbst, auch von einem Senat an den anderen, vorzulegen 2 7 1 2 7 2 . Wenn das BVerfG i n einem anderen als einem Normenkontrollverfahren 2 7 3 eine Rechtsnorm für verfassungswidrig hält, steht i h m nur die inzidente Prüfungskompetenz zur Verfügung, die für ungültig gehaltene Rechtsnorm einfach außer Anwendung zu lassen, ohne deren Nichtigkeit gesetzeskräftig feststellen zu können 2 7 4 . Wie aber das österreichische Beispiel zeigt, ist eine Einleitung eines konkreten Normenkontrollverfahrens von Amts wegen durchaus denkbar. Sie liegt besonders dort nahe, wo der ordentliche OGH als Verwerfungsorgan fungiert, was z. B. i n Korea der Fall ist, weil der ordentliche OGH dann nicht nur i n der Normenkontrollfunktion, sondern auch als Revisionsgericht für die ordentliche Gerichtsbarkeit tätig sein wird. Auch ist anzunehmen, daß die Frage der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm, die bei den unteren Instanzen gar nicht gerügt oder erkannt wurde, i m Revisionsverfahren vor diesem Gericht akut werden kann. Daß i n diesen Fällen dem Verwerfungsorgan nur eine inzidente Prüfungskompetenz 275 zustehen soll anstelle einer konkreten Normenkontrollbefug268

Vgl. § 13 Nr. 11, § 80 - 82, § 77 - 79 u n d § 31 Abs. 2 BVerfGG. Vgl. H. Spanner, DöV 1963, S. 648 ff. (649); E. Friesenhahn, i n : Mosler, S. 183; R. Marcie , V o m Gesetzesstaat, S. 358. 288 Z u dem Gerichtsbegriff des A r t . 100 Abs. 1 GG vgl. u. a. Sigloch, i n : Maunz u. a., BVerfGG, Rn. 167 ff. zu § 80; K . Stern, i n : B K , Rn. 42 ff. zu A r t . 100 GG; Leibholz-Rupprecht, BVerfGG, Rn. 17 zu § 80 BVerfGG. 289 Über die möglichen Fälle der Vorlagezurücknahme vgl. u. a. Sigloch, a.a.O., Rn. 322 ff. zu § 80 BVerfGG. 270 Vgl. E. Friesenhahn, a.a.O., S. 182 und 183; H. Spanner, a.a.O., S. 649; Leibholz-Rupprecht, a.a.O., Rn. 33 zu § 80 BVerfGG. 271 Vgl. Sigloch, a.a.O., Rn. 171 zu § 80; K. Stern, AöR 91, S. 223 ff. (236). 272 Dagegen besteht z. B. i n Österreich die Möglichkeit, daß der V e r f G H von Amts wegen i n das Verfahren zur Prüfung des Gesetzes e i n t r i t t (Art. 139 Abs. 1 und A r t . 140 Abs. 1 B V G : Text z.B. i n : Mosler, S. 964f.). s. dazu u.a. H. Spanner, Über die Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 321; E. Melichar, i n : Mosler, S. 439 ff. (459); R. Marcie, V o m Gesetzesstaat, S. 332, 358 und 443; Adamovich-Spanner, Handbuch, S. 396. 273 w e i l das BVerfG außer der Normenkontrollfunktion viele andere A u f gaben zu erfüllen hat. 274 Vgl. Sigloch, a.a.O., Rn. 171 zu § 80 BVerfGG; K . Stern, a.a.O., Rn. 51 zu A r t . 100 GG; Leibholz-Rupprecht, a.a.O., Rn. 17 zu § 80 BVerfGG. 275 M i t der Folge, daß eine verfassungswidrig erachtete N o r m i m konkreten F a l l nicht angewendet w i r d . 287

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§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

nis 2 7 6 , erscheint m i r nicht verständlich. Das elementare rechtsstaatliche Erfordernis, daß eine Rechtsnorm entweder m i t allgemeiner Wirkung gilt oder nicht gilt, kann nicht vom prozessualen Zufall abhängig gemacht werden, vor welcher Instanz die Verfassungswidrigkeit einer Rechtsnorm gerügt oder von welcher Instanz die Verfassungswidrigkeit erkannt wird. Beachtet man außerdem den objektiven Charakter des Normenkontrollverfahrens, der sehr häufig besonders betont w i r d 2 7 7 , so erscheint es notwendig, daß zumindest dort, wo der ordentliche OGH als Verwerfungsorgan fungiert, das konkrete Normenkontrollverfahren von Amts wegen eingeleitet wird. bb) Richtervorlage und die Prozeßbeteiligten Von diesen Fällen der Einleitung von Amts wegen abgesehen, w i r d das Verwerfungsorgan i. d. R. erst dann tätig werden können, wenn ihm eine Richtervorlage von anderen Gerichten herangetragen wird. So sind etwa nach A r t . 100 Abs. 1 GG i. V. m. § 13 Nr. 11 und § 80 BVerfGG die Gerichte zur Vorlage berechtigt und zugleich verpflichtet, wenn sie ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig halten. Sie haben, je nachdem, ob es sich um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit der Verfassung eines Landes oder u m die Verletzung des GG durch ein Bundesgesetz oder Landesrecht handelt, an das Landes- oder BundesVerfG vorzulegen 278 . Sie müssen ferner das BVerfG anrufen, wenn es um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetz geht. So statuiert Art. 100 Abs. 1 GG drei Richter vor lagefälle 279 . Die Vorlage erfolgt durch einen „Vorlagebeschluß " des Spruchkörpers in der Zusammensetzung, in der er auch die Entscheidung des Hauptverfahrens zu treffen hätte 2 8 0 . Dabei hat die Vorlage kraft Verfassungsrecht die Aussetzung des Hauptverfahrens zur Folge. Bei dem Vorlagebeschluß 276 M i t der Folge der Nichtigkeitsfeststellung, die die betreffenden Rechtsnormen allgemein ungültig macht. 277 Vgl. ζ. Β . BVerfGE 1, 396 (414); E 8, 184; Leibholz-Rupprecht, a.a.O., Rn. 4 zu § 80 BVerfGG; Schmidt-Bleibtreu , i n : Maunz u. a. BVerfGG, Rn. 2 zu § 76 BVerfGG; W. Geiger , BVerfGG, A n m . 1 zu § 82 (S. 259), A n m . 9 zu § 76 (S. 246) BVerfGG; Leibholz-Rinck, GG-Kommentar, Nachtrag, S. Ν 149 zu Anm. 1 zu A r t . 100 Abs. 1 GG. 278 Das sich daraus ergebende Problem, an welches VerfG — an das BVerfG, an das LandesVerfG oder gleichzeitig an das BVerfG u n d LandesVerfG — vorzulegen ist, wenn ein Gesetz inhaltsgleiches Bundes- u n d Landesverfassungsrecht verletzt, kann hier nicht näher verfolgt werden. Vgl. darüber u. a. Sigloch , a.a.O., Rn. 24 und 112 zu § 80 BVerfGG und die dortigen L i t e r a t u r h i n weise. Ferner vgl. ζ. B. W. Rüfner, DöV 1967, S. 668 ff.; E. Milleker , DVB1. 1969, S. 129 ff. 279 Vgl. K . Hesse, Grundzüge, S. 246 f.; Sigloch , a.a.O., Rn. 23 u n d 167 zu § 80 BVerfGG; K. Stern , a.a.O., Rn. 41 zu A r t . 100 GG. 280 Vgl. Leibholz-Rupprecht , a.a.O., Rn. 29 zu § 80 BVerfGG; Sigloch , a.a.O., Rn. 207 zu § 80 BVerfGG.

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ist ein Antrag oder eine Rüge der Prozeßparteien nicht erforderlich. Die Vorlage geschieht vielmehr von Amts wegen 2 8 1 . Damit ist allerdings die dem einzelnen Staatsbürger offenstehende Möglichkeit, i n einem Gerichtsverfahren die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm aufzuwerfen, nicht beeinträchtigt. Die Prozeßparteien können natürlich die etwaige Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes vor dem Gericht geltend machen, aber sie können die Vorlage weder erzwingen noch verhindern. Die von den Prozeßbeteiligten vorgetragenen Argumente oder die von ihnen gestellten diesbezüglichen Anträge können keine Rechtswirkung i m eigentlichen Sinne entfalten, sie dienen lediglich dazu, das Gericht anzuregen. Die Prozeßbeteiligten haben nicht die Befugnis, den Vorlagebeschluß oder die Nicht-Vorlage anzufechten 282 . Daher bleibt den Beteiligten nur die Möglichkeit, das Endurteil mit den normalen Rechtsmitteln anzugreifen. Diese Folge ist richtig, weil es eine tiefgreifende Beeinträchtigung der inzidenten richterlichen Prüfungskompetenz bedeuten dürfte, wenn die Vorlage oder Nicht-Vorlage von der Rüge oder von den Anträgen der Prozeßbeteiligten abhängig gemacht würde. § 80 Abs. 3 BVerfGG, der die Richtervorlage von der Rüge der Prozeßbeteiligten für unabhängig erklärt, dürfte auch auf solchen verfassungsrechtlichen Erwägungen beruhen. Nur angesichts der m i t einer Vorlage und einer Aussetzung verbundenen Verzögerung des Hauptverfahrens w i r d es unter Umständen zweckmäßig sein, vor dem Erlaß des Vorlagebeschlusses den Prozeßbeteiligten Gelegenheit zu geben, dazu Stellung zu nehmen und ggf. das Hauptverfahren mit zulässigen Prozeßhandlungen (z. B. Rücknahme der Klage) gegenstandslos zu machen 283 . A u f das mit diesen Prozeßhandlungen zusammenhängende Problem, nämlich ob die Zurücknahme der Vorlage m i t dem objektiven Charakter des Normenkontrollverfahrens vereinbar sein kann, w i r d noch zurückgekommen. Jedenfalls erfolgt die Vorlage gemäß § 80 Abs. 1 BVerfGG i n allen Fällen unmittelbar an das BVerfG. „Unmittelbar" bedeutet, daß die Vorlage weder i m Instanzen- noch i m Justizverwaltungsweg, auch nicht etwa 281 Vgl. § 80 Abs. 3 BVerfGG. Ferner vgl. Geiger, BVerfGG, A n m . 5 zu § 80; Leibholz-Rupprecht, a.a.O., Rn. 28 zu § 80; Sigloch, a.a.O., Rn. 258 zu § 80; W. Henrichs, M D R 1952, S. 528 ff. (529). Henrichs (a.a.O., A n m . 12) sieht darin eine echte Konsequenz, „daß es z. B. Bestellung eines Pflichtverteidigers für einen Angeklagten, dessen Verfahren unterbrochen w i r d , nicht geben kann". 282 Das ist w o h l die herrschende Auffassung. Vgl. u. a. Leibholz-Rupprecht, a.a.O., Rn. 30 zu § 80; Sigloch, a.a.O., Rn. 306 und 308 zu § 80 BVerfGG; H. Huber, Diss. S. 65 und 77 ff.; Schäfer, N J W 1954, S. 410; K . Stern, i n : B K , Rn. 180 zu A r t . 100 GG; W. Geiger, BVerfGG, Anm. 6 zu § 80 BVerfGG. Dagegen vertreten einige Autoren die Ansicht, daß der Vorlagebeschluß auch anfechtbar sei, z. B. Schulte, M D R 1952, S. 520 f. (521); Brüggemann, M D R 1952, S. 185 f. (186). 283 So ζ. Β. Sigloch, a.a.O., Rn. 258 und 265 zu § 80 BVerfGG.

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über den Gerichtspräsidenten 284 , erfolgen soll. Die Vorlage geht deshalb vom erkennenden Gericht, d. h. von dem Spruchkörper, aus, der den Vorlagebeschluß erlassen hat und bei dem die Rechtsstreitigkeit anhängig ist 2 8 5 . Diese unmittelbare Vorlage an das BVerfG ist heute eine Selbstverständlichkeit 2 8 6 2 8 7 , und diese Erkenntnis w i r d erst recht dort gelten müssen, wo der ordentliche OGH über das Verwerfungsmonopol verfügt, weil dort noch weniger davon die Rede sein kann, daß die Vorlage über die zuständige mittlere Instanz an den OGH herangetragen werden soll. I m Interesse einer intensiveren Rechtspflege und einer möglichst schnellen Beilegung von Verfassungsstreitigkeiten wäre es gerade notwendig, daß bei Fragen, die nur der OGH endgültig entscheiden kann, dieses Gericht möglichst frühzeitig m i t der Sache befaßt wird. Hier auf eine Erschöpfung des langwierigen Instanzenzuges Wert zu legen und die unmittelbare Vorlage zu verwehren, hieße Sinn und Zweck des Instanzenzuges völlig übersehen. Der Instanzenzug soll verhindern, daß Fragen, die innerhalb der mittleren Instanzen geklärt werden können, dem OGH zu früh unterbreitet werden. Bei Streitgegenständen, die nicht der Entscheidung durch die mittelinstanzlichen Gerichte unterliegen, ist aber ein Durchschreiten des Instanzenzuges sinnlos 288 . Die etwaigen Gesichtspunkte, die die Einschaltung der oberen Bundesgerichte rechtfertigen könnten 2 8 9 , finden dort keine Stütze.

284 Geschieht die Vorlage durch den Gerichtspräsidenten als Behörde, so w i r d sie allerdings hierdurch dann nicht unzulässig, wenn der Präsident „tatsächlich keinen Einfluß" auf den Vorgang der Vorlage oder Nichtvorlage und auf den I n h a l t des Vorlagebeschlusses ausgeübt hat (vgl. Leibholz-Rupprecht , a.a.O., Rn. 32 zu § 80 BVerfGG; BVerfGE 3, 45 [48]). 285 Vgl. u. a. BVerfGE 6, 223; Sigloch , a.a.O., Rn. 300 ff. zu § 80; Hamann, GG, S. 411 A n m . 6; Geiger , a.a.O., Anm. 2 zu § 80 (S. 256); Leibholz-Rupprecht, Rn. 32 zu § 80 BVerfGG. 288 Vgl. E. Friesenhahn, i n : Mosler, S. 89 ff. (138); Sigloch, a.a.O., Rn. 9 zu § 80 BVerfGG. 287 Nach der alten Fassung des § 80 Abs. 1 BVerfGG hatten die erkennenden Gerichte bis auf die oberen Bundesgerichte nicht unmittelbar sondern über das zuständige obere Bundesgericht die Entscheidung des BVerfG einzuholen. Zu der m i t der alten Fassung zusammenhängenden Problematik und zu den damaligen Auseinandersetzungen vgl. statt vieler Sigloch, a.a.O., Rn. 1 ff. zu § 80 BVerfGG; H. Neidhard, JZ 1952, S. 266 f. 288 Vgl. E. Schumann, AöR Bd. 88, S. 331 ff. (336). 289 z. B. sollten die i n letzter Instanz für die anhängigen Streitsachen zuständigen oberen Bundesgerichte einen Überblick erhalten über die für sie interessanten Zweifel hinsichtlich der Gültigkeit einer Rechtsvorschrift. M a n solle den oberen Bundesgerichten Gelegenheit geben, ihre Sachkunde u n d E r fahrung durch Beifügung einer Meinungsäußerung dem BVerfG zur Verfügung zu stellen. Vgl. z. B. W. Geiger , BVerfGG, Anm. 2 zu § 80 BVerfGG (S. 257).

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cc) Zurücknahme der Vorlage Um auf das vorher aufgeworfene Problem zurückzukommen, muß noch untersucht werden, wieweit eine Vorlage zurückgenommen werden darf. Zweifellos ist das konkrete Normenkontrollverfahren von seinem konkreten Anlaß, vom Ausgangsverfahren, abhängig. Entfällt dieser konkrete Anlaß, so w i r d auch das Normenkontrollverfahren gegenstandslos 2 9 0 . A u f der anderen Seite erscheint aber die Frage nicht unberechtigt, ob die Zurücknahme der Vorlage unbedingt die Einstellung des Normenkontrollverfahrens zur Folge haben muß, da es bei der Normenkontrolle i m Prinzip nicht um einen Streit zwischen Parteien, sondern um das Recht selbst geht 2 9 1 . Bezüglich des abstrakten Normenkontrollverfahrens hat das BVerfG öfters seine Objektivität betont und ausgeführt, „daß die Zurücknahme eines zulässigen Antrages auf Durchführung eines Normenkontrollverfahrens nicht notwendigerweise zur Einstellung des Verfahrens führen" müsse 292 und daß es ihm freisteht, ein Normenkontrollverfahren auch gegen den Willen des Antragstellers fortzusetzen, da „für die Gestaltung und Durchführung des Verfahrens nicht die Anträge und Anregungen des Antragstellers, sondern ausschließlich Gesichtspunkte des öffentlichen Interesses maßgebend sind" 2 9 3 . Diese Feststellung dürfte auch für die konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG zutreffen, wonach das BVerfG, angerufen durch ein anderes Gericht, gleichfalls Normen prinzipiell für mit dem GG vereinbar oder für unvereinbar und nichtig erklärt 2 9 4 . Denn schließlich dient die konkrete Normenkontrolle auch unmittelbar der Erhaltung der Verfassungsordnung schlechthin. Deshalb ist nach Geiger die konkrete Normenkontrolle auch ein „objektives Verfahren" 2 9 5 . Er w i l l unter diesem Gesichtspunkt alle Normenkontrollverfahren als „abstrakte Normenkontrolle" bezeichnen 296 . Maunz weist auf die Ungenauigkeit der Termini der „abstrakten" und „konkreten" Normenkontrolle hin und hebt hervor, 290

Vgl. BVerfGE 14,140 (142). Vgl. Geiger, a.a.O., Vorbemerkung 1 vor § 76 BVerfGG. 292 BVerfGE 1, 396 (414). Vgl. auch BVerfGE 8, 183 f. (184); zuletzt E 25, 308 f. [309]). 291

203

Ebenda. Vgl. § 31 Abs. 2 BVerfGG. 295 Geiger, a.a.O., Rn. 1 zu § 82 BVerfGG (S. 259). So auch G. Babel, Diss. S. 11; K . Hesse, Grundzüge, S. 248; H. Rädle, Diss. S. 31. Rädle (a.a.O.) w i l l aus diesem Grund die Normenkontrolle nach A r t . 93 Abs. 1 Nr. 2 GG als „AntragsNormenkontrolle" und die nach A r t . 100 Abs. 1 GG als „Vorlage-Normenkontrolle" bezeichnen. 298 Vgl. Geiger, a.a.O., A n m . 2 u n d 3 der Vorbemerkung vor § 76 und Anm. 1 der Vorbemerkung vor § 80 BVerfGG. Ferner DöV 1952, S. 481 ff. (485). 294

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daß „auch die durch einen konkreten Sachverhalt veranlaßte Normenkontrolle nach A r t . 100 GG . . . zu einer abstrakten 297 Überprüfung des Gesetzes führt" und daß die Wirkung der Entscheidung i n beiden Fällen die gleiche ist 2 9 8 . So stellt sich die Frage, ob es allgemeine Ansicht sein kann, daß bei der abstrakten Normenkontrolle nach A r t . 93 Abs. 1 Nr. 2 GG die Zurücknahme des Normenkontrollantrages nicht notwendigerweise zur Einstellung des Verfahrens führt, während das Verfahren bei der konkreten Normenkontrolle nach A r t . 100 Abs. 1 GG i m weiteren Verlauf der Verfügung des Antragstellers überlassen bleibt 2 9 9 . Diese Ansicht ist v. a. deshalb bedenklich, weil sie die prozeßrechtliche Seite überbetont, während sie auf das öffentliche Interesse an der Klärung der verfassungsrechtlichen Fragen zu wenig Rücksicht nimmt. Das etwaige öffentliche Interesse solle man, so w i r d vorgetragen, i m Verfahren der abstrakten Normenkontrolle verfolgen. Diese Möglichkeit besteht i n der BRD 3 0 0 . Auch w i r d man nicht außer Acht lassen können, daß der Bürger i n der BRD außerdem die Möglichkeit hat, auf dem Wege der Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 ff. BVerfGG) ein Normenkontrollverfahren i n Gang zu bringen. Die Rechtslage ist aber dort anders, wo man neben dem Institut der konkreten Normenkontrolle weder die abstrakte noch die Verfassungsbeschwerde kennt. I n einem solchen Land, wie i n der Republik Korea, ist nicht ausgeschlossen, daß das Institut der konkreten Normenkontrolle durch die extreme „Dispositionsmaxime" früher oder später zur inhaltsleeren Fiktion wird. Es scheint durchaus möglich zu sein, daß eine Richtervorlage einfach deshalb zurückgenommen wird, weil die Prozeßbeteiligten wegen eines politischen Druckes oder einer etwaigen politischen Belohnung die Ausgangsklage zurückziehen. Wo diese Gefahr besteht, kann die „Dispositionsmaxime" nicht in vollem Umfang ihre Geltung beanspruchen. Statt der extremen „Dispositionsmaxime" sollte dort der objektive Charakter des Normenkontrollverfahrens als solches besonders hervorgehoben werden, und dem öffentlichen Interesse an der Klärung der verfassungsrechtlichen Fragen gegenüber den Prozeßregeln der Vorzug gegeben werden 3 0 1 . 297

Hervorhebung von mir. Vgl. Maunz , i n : Maunz u.a. BVerfGG, Vorbemerkung zum BVerfGG, Rn. 25. 299 Siehe hierzu die Bedenken etwa von E. Friesenhahn , i n : Mosler , S. 182 f.; Sigloch, i n : Maunz u.a. BVerfGG, Rn. 322 ff. zu § 80 BVerfGG; Figge, M D R 1953, S. 393; Geiger, BVerfGG, A n m . 6 a E zu § 80 BVerfGG. 300 Vgl. A r t . 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, § 13 Nr. 6, § 76 ff. BVerfGG; A r t . 126 GG m i t A r t . 124, 125 GG, § 13 Nr. 14 und § 86 ff. BVerfGG. I n diesem Zusammenhang scheint m i r die Ansicht von M. Härtung, Diss, passim, interessant zu sein, der keine institutionelle Notwendigkeit der abstrakten Normenkontrolle sieht und vorschlägt, die abstrakte Normenkontrolle ersatzlos zu streichen. 301 Darauf w i r d i m zweiten Teil noch zurückzukommen sein. 298

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b) G e g e n s t a n d

der

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Richtervorlage

N u n ist zu untersuchen, ob alle Rechtsnormen, die von dem erkennenden Gericht für verfassungswidrig gehalten werden, vorlagefähig sind oder welche aus der Vorlagepflicht ausgeklammert werden sollen und ferner ob das gesetzgeberische Unterlassen als solches zum Gegenstand der Richtervorlage gemacht werden kann. Diese Fragen sind i n der BRD besonders deshalb umstritten, w e i l sich A r t . 100 Abs. 1 GG zur Beschreibung der vorlagepflichtigen Normen nicht eines einheitlichen Begriffs bedient, sondern i n Satz 1 den Begriff „Gesetz", i n Satz 2 m i t der Formulierung „Landesrecht" auch den Begriff „Recht" verwendet. Dennoch hat des B V e r f G 3 0 2 stritten ist nur tervorlage auf kann.

sich nach den diesbezüglichen Grundsatzentscheidungen inzwischen eine herrschende Meinung gebildet. Heftig u m noch das zuletzt genannte Problem, nämlich ob die Richdie Unterlassung einer Normsetzung erstreckt werden

aa) Beschränkung auf „formelle" und „nachkonstitutionelle" Gesetze? Nach der Auffassung des BVerfG können Vorlagegegenstand i n den F ä l l e n des A r t . 100 Abs. 1 G G n u r verkündete, 304

formelle

303

und

nachkon-

305

stitutionelle Gesetze sein. Demzufolge ist die Vorlagepflicht auf formelle Gesetze 306 beschränkt, die nach dem Inkrafttreten des GG (24. 5. 1949) erlassen worden sind. RVO und vorkonstitutionelle Gesetze 307 können die Gerichte selbst verwerfen, wenn sie ihre Rechtsgültigkeit verneinen. Diese Rechtsprechung des BVerfG hat i m S c h r i f t t u m 3 0 8 weitgehende B i l l i g u n g gefunden, insbesondere bezüglich der Ausklammerung des vor302

Vgl. BVerfGE 1,184; E 2,124. Vgl. BVerfGE 1,184, st. Rspr. 304 Vgl. BVerfGE 2,124, st. Rspr., zuletzt BVerfGE 25, 25 (26 f.), 213 (215). 305 Einschließlich der i m Gesetzgebungsnotstand gemäß A r t . 81 GG erlassenen Gesetze (vgl. BVerfGE 1,184 [184, 201], st. Rspr.). 306 Formelle Gesetze sind diejenigen Rechtsetzungsakte, „die i n einem bestimmten verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Verfahren durch Legislativorgane zustandegekommen sind und i. d. R. als Gesetz bezeichnet werden ohne Rücksicht auf ihren I n h a l t " (K. Stern, i n : B K , Rn. 63 zu A r t . 100 GG). 307 Die damit zusammenhängenden Fragen, ob Gesetze der Ubergangszeit (v. 23. 5.1949 bis zum 7. 9.1949) dem vorkonstitutionellen Recht gleichzusetzen sind, was das BVerfG (E 2, 137 [139] ; 4, 214 [218] ; 4, 331 [341] ; 7, 330 [335] ; 18, 216 [220]) verneint, und ob den formellen Gesetzen solche RVO gleichzustellen sind, die unmittelbar auf Grund der Verfassung ergehen können, müssen zurückgestellt bleiben. Siehe dazu zum Beispiel Schäfer, NJW 1954, S. I f f . ; Η . Krüger, N J W 1953, S. 1738; B V e r w G E vom 8.9.1953 = N J W 1953, S. 1886; Figge , MDR 1953, S. 392; F. Oswald, DVB1.1958, S. 563 ff. (565). 308 Vgl. u.a. Schäfer, JZ 1951, S. 199 ff. (202 und 203); derselbe, N J W 1954, 303

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k o n s t i t u i o n e l l e n Rechts aus der V o r l a g e p f l i c h t 3 0 9 . T r o t z d e m s i n d k r i t i s c h e G e g e n s t i m m e n 3 1 0 , die rechtstheoretisch u n d t e x t e x e g e t i s c h durchaus f u n d i e r t sind, n i c h t v e r s t u m m t . B e k a n n t l i c h s t e l l t das B V e r f G i n d e n g e n a n n t e n E n t s c h e i d u n g e n d a r a u f ab, „ d a ß A r t . 100 A b s . 1 G G i m Gegensatz zu A r t . 93 A b s . 1 N r . 2 G G p r i m ä r d e m Schutz des Gesetzgebers v o r d e m R i c h t e r d i e n e " 3 1 1 . D a m i t e r b l i c k t das B V e r f G i m a b s t r a k t e n u n d i m k o n k r e t e n N o r m e n k o n t r o l l v e r f a h r e n unterschiedliche F u n k t i o n e n . Das B V e r f G m e i n t , daß b e i der a b s t r a k t e n N o r m e n k o n t r o l l e nach A r t . 93 A b s . 1 N r . 2 G G seine A u f g a b e d a r i n besteht, „Hüter der Verfassung " zu sein, w ä h r e n d b e i der k o n k r e t e n N o r m e n k o n t r o l l e nach A r t . 100 A b s . 1 G G die A u f g a b e des V e r f a s sungsschutzes z u r ü c k t r e t e h i n t e r d e n Schutz des Gesetzgebers v o r der N i c h t a n w e n d u n g seiner N o r m e n d u r c h „einfache " G e r i c h t e 3 1 2 . M i t dieser E r k e n n t n i s ist das B V e r f G k o n s e q u e n t e r w e i s e zu d e m E r gebnis gelangt, „das jedes G e r i c h t s e l b s t ä n d i g die Rechtsfrage z u p r ü f e n u n d zu entscheiden h a t , ob die v o r I n k r a f t t r e t e n des G G erlassenen Gesetze" u n d die R V O „ m i t d e m G G v e r e i n b a r s i n d oder n i c h t " , w e i l „ d i e S. 1 ff. (3); L. Renck , Diss. S. 67; H. Huber , Diss. S. 33 und 38; Maurer , ZRP 1969, S. 100 ff. (101); Hamann, GG, Anm. Β 2 zu A r t . 100 GG; derselbe , N J W 1959, S. 1465 ff. (1468); Michel , JUS 1961, S. 274 ff. (280); derselbe , N J W 1960, S. 841 ff. (843); Obermayer, DVB1.1965, S. 627 ff. (631); Heck, i n : Mosler, S. 796; J. Federer, i n : Das BVerfG, S. 39 ff. (46 f.); Sigloch, i n : Maunz u. a. BVerfGG, Rn. 40 ff. u n d 70 ff. zu § 80; Höhn, N J W 1961, S. 443 f. (444); Scheuner, DVB1. 1952, S. 613 ff. (615); Götz, N J W 1960, S. 1177 ff. (1178 f.); Bettermann, ZZP Bd. 72, S. 32 ff. (41); Bachof , DVB1.1951, S. 13 ff. u n d 110; M. Abelein, BayVBl. 1967, S. 145 ff. (145 f.) ; Figge, M D R 1953, S. 391 ff. (392); E. Friesenhahn, i n : Mosler, S. 89 ff. (136 f. und 145); Leibholz-Rinck, GG-Kommentar, Rn. 2 u n d 3 zu A r t . 100 GG; W. Weißauer, DöV 1966, S. 114 ff. (116); F. Oswald, DVB1. 1958, S. 563 ff.; W. Thomas, DVB1. 1959, S. 203 f. (204); E. R. Sievers, DRiZ 1957, S. 78 ff. (78); R. Schneider, AöR 89, S. 24 ff. (52); derselbe, DVB1. 1966, S. 133 ff. (134 f.); E. Schumann, AöR 88, S. 331 ff. (335 und 341); K . Stahler, Diss. S. 122 f.; Leibholz-Rupprecht, BVerfGG, Rn. 6 u n d 7 zu § 80; Schmidt-Bleibtreu-Klein, GG 1970, Rn. 5 zu A r t . 100 GG, S. 752. 309 W e i l man die Kollision zwischen vorkonstitutionellem Recht und GG offenbar als Problem der „temporalen Normenkollision" auffaßt, die nach dem Grundsatz „lex posterior derogat legi p r i o r i " gelöst werden soll. Vgl. z. B. BVerfGE 2, 124 (130); Leibholz-Rupprecht, a.a.O., Rn. 7 zu § 80; O. Bachof, DVB1. 1951, S. 13 ff.; E. R. Sievers, a.a.O.; Sigloch, a.a.O., Rn. 70 und 112 zu § 80; K . Stahler, a.a.O.; grundsätzlich auch H. Kelsen, V V D S t R L , Heft 5, S. 64. 310 Vgl. u. a. K . Hesse, Grundzüge, S. 247 f.; F. Hufnagel, DVB1. 1951, S. 277 f.; Zuck, DöV 1962, S. 657 ff. (659 A n m . 24); K . Stern, i n : B K , Rn. 60 zu A r t . 100 GG; H. P. Ipsen, DVB1. 1949, S. 486 ff. (489); derselbe, i n : Beiträge, S. 19 ff. (45); W. Geiger, DRiZ 1951, S. 174; H. Kalkbrenner, DVB1. 1962, S. 695 ff. (697); K . Kleinrahm, DVB1. 1950, S. 298 ff. (299); H. Rädle, Diss. Rädle setzt sich insbesondere m i t der BVerfGE 1, 184 auseinander (S. 32 ff.) und v e r t r i t t die A n sicht, daß „die vom BVerfG seit einem Jahrzehnt praktizierte Beschränkung der Vorlagepflicht nach A r t . 100 Abs. 1 GG auf förmliche Gesetze m i t dem GG nicht vereinbar ist" (a.a.O., S. 121). 311 BVerfGE 1,184 (197), E 2,124 (129); Κ . Hesse, Grundzüge, S. 247. 312 Vgl. BVerfGE 1,184 (195 ff.).

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Entscheidung über die Vereinbarkeit vorkonstitutionellen Rechts" und von RVO „ m i t dem GG die Autorität der gesetzgebenden Gewalt unberührt läßt" 3 1 3 . Auch setze sich ein Gericht, wenn es vorkonstitutionelles Recht oder RVO wegen Unvereinbarkeit mit dem GG für „verfassungswidrig" hält und deshalb außer Anwendung läßt, nicht über den Willen des Gesetzgebers hinweg 3 1 4 . Aber diese „funktionellrechtliche Betrachtungsweise" des BVerfG ist, wie es K. Hesse 315 treffend formuliert, nicht unbedenklich; vor allem deshalb, weil es ziemlich gekünstelt erscheint, daß das BVerfG seine Aufgabe aufspaltet und i m Falle der konkreten Normenkontrolle nicht der „Hüter der Verfassung" sein w i l l wie i m Falle der abstrakten Normenkontrolle 3 1 6 . Erklärt das BVerfG i m Rahmen einer konkreten Normenkontrolle eine Rechtsnorm für verfassungswidrig und nichtig, dann fungiert es genau so als „Hüter der Verfassung" wie bei einer abstrakten Normenkontrolle. Die Formel vom „Schutz des Gesetzgebers", worauf das BVerfG i n den Fällen des A r t . 100 Abs. 1 GG abstellt, ist keineswegs die institutionelle Substanz der konkreten Normenkontrolle. Sie ist lediglich Motiv und Ausfluß der monopolisierten Verwerfungskompetenz. Institutionell besteht daher ein Unterschied zwischen der konkreten und abstrakten Normenkontrolle nicht i n ihrem Zweck oder i n ihrer Funktion, sondern ausschließlich in der Art der Einleitung des Verfahrens 317 . Man w i r d sich deshalb fragen müssen, ob A r t . 100 Abs. 1 GG tatsächlich gewollt hat, vorkonstitutionelles Recht und RVO als Vorlagegegenstand auszuschließen, oder ob er, wie Babel meint, „nicht vielmehr die Normverwerfung deshalb beim BVerfG konzentriert, u m abweichende Inzidententscheidungen der Instanzgerichte zu vermeiden" 3 1 8 . Es ist indes äußerst schwierig festzustellen, welches unter den vielen Motiven 3 1 9 für die Gestaltung des Art. 100 Abs. 1 GG das ausschlaggebende gewesen ist. Man sollte daher darauf verzichten, einem Motiv den Vorzug zu geben, vielmehr sollte man sich statt dessen bemühen, eine Lösung zu finden, die allen i n Betracht kommenden Motiven Rechnung trägt. Die richtige Lösung dürfte es sein, daß das BVerfG nicht nur formelle und nachkonstitutionelle Gesetze, sondern auch RVO und vorkonstitutio313

BVerfGE 2,124 (129). Vgl. BVerfGE 2,124 (129). 315 Vgl. Grundzüge, S. 248. 316 Vgl. K. Hesse, a.a.O., S. 248; K . Stahler, Diss. S. 115 f. u n d 117, betont auch den objektiven Zweck der konkreten Normenkontrolle. 317 z. B. K . Stahler, Diss. S. 115 f. und 117, hebt auch die Wesens- und Zweckidentität der abstrakten und konkreten Normenkontrolle hervor. 318 G. Babel, Diss. S. 11; so auch F. Hufnagl, DVB1. 1951, S. 277 f.; siehe auch H. Eisenmann, Diss. S. 82. 319 Siehe dazu oben § 5, I I , 1. 314

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nelle Gesetze in sein Verwerfungsmonopol einbezieht 320 . A u f diese Weise werden auch die Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und der Rechtsgewißheit berücksichtigt, die nicht minder zur Gestaltung des A r t . 100 Abs. 1 GG beigetragen haben dürften als der Gesichtspunkt des „Schutzes des Gesetzgebers". Dies gilt in besonderem Maße für Korea, weil dort keine Möglichkeit besteht, der großen Gefahr der Rechtsunsicherheit und Rechtszersplitterung , die durch die Beschränkung der Vorlage auf formelle und nachkonstitutionelle Gesetze heraufbeschworen wird, effektiv zu begegnen. Zur Abwehr dieser Gefahr beruft sich das BVerfG auf die Möglichkeit, RVO und vorkonstitutionelle Gesetze i m Wege der abstrakten Normenkontrolle (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 und Art. 126 GG) seiner Prüfung zugänglich zu machen und bei diesen eine allgemeinverbindliche Entscheidung herbeizuführen 321 . Diese Rechtswege kennt aber die koreanische Verfassung nicht. A n Stelle dieser Differenzierung wählt die V R K die einfachere Lösung, indem sie i n Art. 102 V R K nicht nur formelle Gesetze sondern auch RVO und Satzungen dem Verwerfungsmonopol des OGH unterwirft 3 2 2 . Viele koreanische Autoren berufen sich gerade auf diese Bestimmung, um damit ihre Auffassung zu rechtfertigen, aus A r t . 102 Abs. 1 V R K ergäbe sich nur die richterliche Inzidentprüfungskompetenz, aber kein Verwerfungsmonopol des OGH. A u f die Unrichtigkeit dieser Beweisführung und die gesetzgebungstechnische Ungereimtheit hinsicht320 So auch K. Hesse, Grundzüge, S. 248; F. Oswald , DVB1. 1958, S. 563 ff. F. Oswald (a.a.O.) stimmt zwar der BVerfGE 2,124 zu, aber er hält es für richtig, die Verwerfungskompetenz möglichst f ü r einen weiteren Bereich dem BVerfG zuzusprechen. Deshalb v e r t r i t t er die Ansicht, „daß durch teilweise Änderung eines vorkonstitutionellen Gesetzes dieses zur Gänze zu einem nachkonstitutionellen w i r d " (a.a.O., S. 563 f.). 321 Vgl. BVerfGE 1,184 (199); E 2,124 (131). 322 Vgl. A r t . 102 Abs. 2 V R K . I n ähnlicher Weise entziehen einige Landesverfassungen der B R D den Gerichten die Kontrolle von Landesverordnungen auf ihre Ubereinstimmung m i t dem Landesverfassungsrecht. I n Bremen, H a m burg und Hessen müssen die Gerichte das Verfahren auch i n diesem Falle aussetzen und die Frage der Gültigkeit der Verordnung dem L V e r f G zur Entscheidung vorlegen. Die BayVerf. kennt zwar keine solche Bestimmung, dennoch hat der BayVerfGH (Urteil v. 13. 4.1951, VerwRspr. 4, S. 18) den Standpunkt vertreten, daß die bayerischen Gerichte nach A r t . 92 BayVerf. verpflichtet seien, i h n auch dann anzurufen, wenn sie nur eine RVO für verfassungswidrig halten. Nawiasky-Lechner, Ergänzungsband zum Handkommentar der BayVerf., Bemerk. 3 zu A r t . 65, billigen diese Rechtsprechung des BayVerfGH, während zum Beispiel Apelt, VerwRspr. 4, S. 26 f., eine andere Ansicht vertritt. Das BVerfG (E 1, 184 [201]) geht auf diese gegensätzliche Rechtsprechung des B a y V e r f G H nicht ein, w e i l nach seinen Worten „die Stellung beider Gerichte und ihre Aufgaben verschieden sind". Geller-Kleinrahm, Bern. 4 zu A r t . 75 Nordrh.-Westf.Verf., sind der Auffassung, daß der Prüfung des V e r f G H „alle Rechtsnormen, also auch RVO und Satzungen" unterliegen. Hinsichtlich der Rh.-Pf.Verf. sind Süsterhenn-Schäfer, Bern. 5 b zu A r t . 130 Rh.-Pf.Verf., auch derselben Meinung.

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lieh des A r t . 102 Abs. 2 V R K w i r d noch im zweiten Teil ausführlich eingegangen werden 3 2 3 . A n dieser Stelle sei nur noch festgestellt, daß die Ausklammerung des vorkonstitutionellen Rechtes und der RVO sowohl i n der BRD als auch i n der Republik Korea der konkreten Normenkontrolle insbesondere dem Verwerfungsmonopol systemfremd ist. bb) Gesetzgeberisches Unterlassen als Vorlagegegenstand? I m Rahmen dieser Arbeit interessiert das Problem des „gesetzgeberischen Unterlassens" nur bezüglich der Frage, ob das gesetzgeberische Unterlassen als solches zum Gegenstand der konkreten Normenkontrolle gemacht werden kann. Die Auseinandersetzung mit dieser Frage hat erst i n neuerer Zeit in Rechtsprechung und Literatur Eingang gefunden. Daß dieses Problem erst so spät aktuell wurde, hängt v. a. damit zusammen, daß als Regelfall der konkreten Normenkontrolle derjenige gilt, bei dem allein die „gesetzte", „positive" Regelung der Gegenstand der Richtervorlage ist. Insofern stellt die aufgezeigte Frage eine neuartige verfassungsrechtliche Problematik dar, die, worauf Lerche 324 mit Recht hinweist, auf einer materiellrechtlichen Voraussetzung beruht, auch wenn sie erst i n prozessualer Fragestellung relevant werden sollte 3 2 5 . Daher scheint es unentbehrlich zu sein, zunächst einen Blick auf die materielle Seite der Problematik zu werfen. Der Problemkomplex „gesetzgeberischen Unterlassens" hängt m i t einer gewandelten Verfassungsvorstellung und Verfassungsstruktur zusammen, nämlich mit dem „dirigierenden Verfassungsbild" 326. I m Geltungsbereich der „dirigierenden Verfassung" werden Gesetzgebungsaufträge als „verbindliche Direktiven der Verfassung an den Gesetzgeber jeden Inhalts" 3 2 7 verstanden. Hier w i r d daher die Gesetzgebung nicht mehr völlig der Autonomie des Gesetzgebers überlassen. Die gesetzgebebende Gewalt ist nunmehr an die an sie gerichteten Verfassungsdirektiven gebunden: Der Sinn dieser Verfassungsdirektiven besteht, abgesehen von der verschiedenartigen Struktur der einzelnen Verfassungsdirektive 3 2 8 , i n Wahrheit i m Gebot, die geistige Zwecksetzung des Staates 323

Siehe unten § 8,1, 4. Vgl. AöR Bd. 90, S. 341 ff. 325 Daher lehnt P. Lerche, a.a.O., die herkömmliche übermäßige Betonung der prozessualen Seite ab und versucht, die materielle Seite des Problems ans Licht zu bringen. 326 Z u dieser Terminologie vgl. P. Lerche, a.a.O., S. 369. 327 P. Lerche, a.a.O., S. 341. 328 Über die verschiedenen Kategorien von Verfassungsdirektiven und die verschiedenartige S t r u k t u r der einzelnen Verfassungsdirektive siehe u. a. die präzise Darstellung von P. Lerche, a.a.O., S. 341 ff. Hinsichtlich des „ V e r h ä l t nisses des zum Handeln beauftragten Gesetzgebers zur beauftragenden V e r fassung" distanziert sich Lerche sowohl von der Betrachtungsweise der „ V e r 324

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zu verwirklichen 3 2 9 . Daraus erhellt, daß der Gesetzgeber zu tätigem Handeln verpflichtet ist, das dem störungsfreien Funktionieren der staatlichen Gemeinschaft dient. Erfordert daher die soziale Lebensordnung für ihr störungsfreies Funktionieren die Vornahme legislativer Akte, so hat der Gesetzgeber die notwendigen Gesetze zu erlassen 330 . Der Gesetzgeber ist i n solchen Fällen gerade zu sozialer Aktivität verpflichtet 331 . Die verfassungsrechtliche Aufgabe des Gesetzgebers, Gesetze zu erlassen, die den Idealen der sozialen Gerechtigkeit, der Freiheit und Gleichheit entsprechen, kann deshalb nicht nur als organschaftliche Befugnis und Kompetenz verstanden werden wie früher, sondern sie ist nur „berechtigte Pflicht" 332. Versäumt der Gesetzgeber willkürlich diese Pflicht, dann handelt er damit wider die Verfassungsdirektiven, und dies stellt eine klare Verfassungsverletzung dar 3 3 3 . Hieraus erwächst „möglicherweise dem Einzelnen ein verfolgbarer Anspruch" 3 3 4 . I n dieser Hinsicht kann von einer „Gleichwertigkeit " verfassungswidriger positiver Regelung und verfassungswidrig unterlassener Regelung ausgegangen werden. Zwar sind gesetzgeberisches Unterlassen und positiver Verfassungsverstoß, auch wenn sie den gleichen verfassungswidrigen Effekt haben, nicht ohne weiteres gleichzusetzen. Wenn aber das legislatorische Nichthandeln gegen ein Handlungsgebot der Verfassung verstößt, dann ist es wie ein von der Verfassung mißbilligtes positives Tun zu bewerten 3 3 5 . Aus dieser materiellrechtlichen Verfassungslage ergibt sich die prozessuale Frage, ob und wie dieses pflichtwidrige Unterlassen des Gesetzgebers gerügt werden kann. A u f die verschiedenen prozessualen Möglichkeiten kann jedoch i m Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht eingegangen werden 3 3 6 . I m folgenden w i r d deshalb nur auf die Frage eingegangen, ob das gesetzgeberische Unterlassen i m konkreten Normenkontrollverfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG von Bedeutung sein kann. waltungsnähe" (vgl. a.a.O., S. 343 ff.) als auch von der Überbetonung der gesetzgeberischen Freiheit (vgl. a.a.O., S. 345) und gelangt nach einer grundsätzlichen Untersuchung der verschiedenen Typen von Verfassungsdirektiven (vgl. a.a.O., S. 346 ff.) zu dem Ergebnis, daß sich die Stellung des Gesetzgebers zur beauftragenden Verfassung nur relativ bestimmen lasse (vgl. a.a.O., S. 371 f.). Zu demselben Problem vgl. ferner H. Kalkbrenner , DöV 1963, S. 41 ff. 329 Vgl. Hamann, GG, Einf. I c 2. 330 Vgl. Seiwerth, Zulässigkeit, S. 42. 331 Das BVerfG (z.B. E 1, 97 [100]; E 2, 287 [291]) betrachtet solche soziale A k t i v i t ä t als notwendige Folge des Sozialstaatsprinzips. 332 Seiwerth, a.a.O., S. 43 m. w. Nachw. 333 Hier w i r d man die „Schlechterfüllung" dem „Unterlassen" gleichsetzen können. Vgl. Lerche, a.a.O., S. 351 und 352. 334 BVerfGE 1, 97 (105). 335 V g L ρ Lerche, a.a.O., S. 352 f. 336 Hier darf u. a. auf folgende L i t e r a t u r verwiesen werden: Sommer, Diss.; Κ . Strahler, Diss.; Η . Kalkbrenner, DöV 1963, S. 41 ff. (46 ff.); R. Schneider , AöR Bd. 89, S. 24ff.; Seiwerth, a.a.O.; E. Schumann, AöR, Bd. 88, S. 331 ff.; H. Zacher, AöR, Bd. 93, S. 341 ff.; H. Thierfelder, i n : Die Verwaltungspraxis, Jg. 31 (1953), S. 12 ff.

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D i e Frage, ob das gesetzgeberische U n t e r l a s s e n z u m G e g e n s t a n d einer R i c h t e r v o r l a g e nach A r t . 100 A b s . 1 G G gemacht w e r d e n k a n n , tauchte erstmals auf, als das B V e r f G i m Gegensatz zu seiner f r ü h e r e n S p r u c h p r a x i s das I n s t i t u t d e r Verfassungsbeschwerde a u f d e n F a l l gesetzgeberischen Unterlassens ausdehnte, u m so die V e r f a s s u n g s w i d r i g k e i t der gesetzgeberischen U n t ä t i g k e i t festzustellen u n d e i n H a n d e l n des Gesetzgebers zu veranlassen. Das B V e r f G bejaht seit der E 6, 257 (265 f.) die Z u l ä s s i g k e i t der u n m i t t e l b a r gegen das gesetzgeberische U n t e r l a s s e n ger i c h t e t e n Verfassungsbeschwerde u n d die M ö g l i c h k e i t der r e i n e n Fests t e l l u n g der G r u n d r e c h t s v e r l e t z u n g d u r c h das U n t e r l a s s e n des Gesetzg e b e r s 3 3 7 3 3 8 . I n z w i s c h e n ist das B V e r f G e i n e n S c h r i t t w e i t e r gegangen, i n d e m es (E 15, 46) eine Verfassungsbeschwerde auch gegen die auf der U n t ä t i g k e i t des Gesetzgebers b e r u h e n d e n E n t s c h e i d u n g z u l ä ß t 3 3 9 3 4 ° . Diese Rechtsprechung des B V e r f G h a t e i n i g e n A u t o r e n A n l a ß gegeben, h i e r a u s K o n s e q u e n z zu ziehen u n d die These aufzustellen, daß die R i c h t e r v o r l a g e auch b e i m gesetzgeberischen U n t e r l a s s e n zulässig sei. So ist e t w a nach R. Schneider 341 u n d K . Stahler 342 die Z u l a s s u n g der k o n k r e t e n N o r m e n k o n t r o l l e b e i gesetzgeberischem U n t e r l a s s e n die logische Konsequenz der J u d i k a t u r des B V e r f G 3 4 3 . 337 Damit hat das BVerfG seinen ursprünglichen Standpunkt aufgegeben, wonach Verfassungsbeschwerden nur gegen erlassene Gesetze zagelassen w e r den sollen (vgl. ζ. Β. E 1, 97 [100] ; E 2, 287 [291]). 338 Das BVerfG w i l l allerdings nur m i t erheblicher Beschränkung eine V e r fassungsbeschwerde gegen das gesetzgeberische Unterlassen zulassen, nämlich n u r dann, „ w e n n der Beschwerdeführer sich auf einen ausdrücklichen A u f t r a g des GG berufen kann, der I n h a l t u n d Umfang der Gesetzgebungspflicht i m wesentlichen umgrenzt hat" (E 6, 257 [264], E 11, 255 [261], E 12, 139 [142]). Vgl. dazu die kritische Bemerkung Lerches, a.a.O., S. 350 ff. Lerche (a.a.O.) v e r t r i t t i m Gegensatz zum BVerfG (a.a.O.) die Ansicht, daß die Verfassungsbeschwerde gegen das Unterlassen des Gesetzgebers uneingeschränkt zugelassen werden soll (siehe insb. a.a.O., S. 353 und 362 f.). Kritisch aber Scheuner, AöR, Bd. 95 (1970), S. 353 ff. (361 A n m . 28). 339 Derartige Verfassungsbeschwerden bezeichnet E. Schumann, AöR, Bd. 88, S. 337, als „Urteils-Verfassungsbeschwerde bei gesetzgeberischem Unterlassen". K . Stahler, Diss. S. 72 ff., übernimmt diesen Sprachgebrauch. I m folgenden w i r d auch diese Terminologie verwendet. 340 Z u dem Problem der Verfassungsbeschwerde gegen das gesetzgeberische Unterlassen siehe u.a. P. Lerche, a.a.O.; R. Schneider, AöR, Bd. 89, S. 24ff.; J. Seiwerth, Zulässigkeit; K . Stahler, Diss. S. 37 ff.; E. Schumann, AöR, Bd. 88, S. 331 ff. 341 Vgl. AöR, Bd. 89, S. 24 ff. (51) u n d DVB1.1966, S. 133 ff. (134). 342 Vgl. Diss. S. 119 f. 343 So auch w o h l P. Lerche, AöR, Bd. 90, S. 341 ff. (353 A n m . 38). Diese Konsequenz sieht übrigens auch E. Schumann, AöR, Bd. 88, S. 331 ff. (336) ein. Deshalb lehnt er die Zulässigkeit der „Urteils-Verfassungsbeschwerde" bei gesetzgeberischem Unterlassen schlechthin ab, u m das gesetzgeberische Unterlassen als solches nicht zum Gegenstand einer konkreten Normenkontrolle werden zu lassen (vgl. a.a.O., S. 337 u n d 345). Kritisch dazu z.B. R. Schneider, a.a.O., S. 42 ff. ; K . Stahler, a.a.O., S. 78 f.

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§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

Die Argumentation dieser Autoren läßt sich etwa wie folgt kurz zusammenfassen: Würde man die Zulassung der konkreten Normenkontrolle bei gesetzgeberischem Unterlassen ablehnen, so würde es darauf hinauslaufen, daß das gesetzgeberische Unterlassen zwar auf dem Wege einer Verfassungsbeschwerde gegen die darauf beruhende richterliche Entscheidung gerügt werden kann, daß aber ein Instanzgericht, das bereits ein Unterlassen des Gesetzgebers als verfassungswidrig erkannt hat, außerstande sein soll, eine diesbezügliche Entscheidung des BVerfG nach A r t . 100 Abs. 1 GG herbeizuführen. Die Erkenntnis, daß kein Gericht genötigt werden kann, eine nach seiner Überzeugung verfassungswidrige Entscheidung zu fällen (die auf Verfassungsbeschwerde ohnehin aufgehoben würde), zwinge zur Zulassung der Normenkontrolle 3 4 4 . Auch wenn diese Beweisführung logisch erscheinen mag, so ist sie doch nicht unbedenklich, vor allem deshalb, weil sie die institutionelle Verschiedenheit der Verfassungsbeschwerde und der konkreten Normenkontrolle nicht genügend beachtet. M i t der Wesensverschiedenheit beider Rechtsinstitute verträgt es sich kaum, wenn man Grundsätze, die i n der Praxis einer der beiden Rechtsinstitute gelten, ohne weiteres auf das andere zu übertragen versucht. Es gibt sicherlich gewisse Berührungspunkte zwischen den beiden Rechtsinstituten, aber es gibt auch Prinzipien, die dem einen oder dem anderen Rechtsinstitut nicht zugänglich sind. Dies ist einmal durch die Verfolgung verschiedener Zwecke bei den beiden Rechtsinstituten bedingt. M i t der Normenkontrolle w i r d ein anderes Ziel angestrebt als mit der Verfassungsbeschwerde, die, wie Lerche 345 sagt, vor allem „Grundrechtsverteidigung" ist 3 4 6 . Die primäre 344

Vgl. R. Schneider , a.a.O., insb. S. 51 f.; derselbe , DVB1. 1966, S. 134; K . Stahler , a.a.O., S. 119 f. 345 Vgl. AöR, Bd. 90, S. 358. 346 Es kann auf die Einzelheiten des Rechtsinstituts der Verfassungsbeschwerde, das von F. Werner (in: Mosler , S. 809) als „rechtsstaatlicher L u x u s " bezeichnet w i r d , nicht eingegangen werden. Siehe dazu u. a. Das Kolloquium, i n : Mosler , S. 797 ff.; J. Wintrich, Schutz der Grundrechte durch Verfassungsbeschwerde u n d Popularklage; A. H. Schuler, Die Verfassungsbeschwerde in der Schweiz, der B R D u n d Österreich; H. Huber, Die Verfassungsbeschwerde; G. Pfeiffer, Die Verfassungsbeschwerde i n der Praxis; H. Rupp, Die Verfassungsbeschwerde i m Rechtsmittelsystem, i n : Zs. f. Zivilprozeß, 1969, S. I f f . ; W. Geiger, DRiZ 1969, S. 137 ff.; E. Friesenhahn, i n : Mosler, S. 89 ff. (160 ff.). Uber die Einzelprobleme der Verfassungsbeschwerde siehe u. a. R. Zuck, DöV 1965, S. 863 ff.; W. Grundmann, DöV 1963, S. 754 ff.; H. Seide, DöV 1969, S. 674 ff.; R. Schneider , DVB1. 1969, S. 325 ff.; W. Schmitt, DöV 1968, S. 788 ff.; E. J. Lampe, J Z 1969, S. 287 ff.; H. Ostermeyer, N J W 1967, S. 1595 ff.; J. Burmeister, DVB1. 1969, S. 605 ff. Z u m Problem der Verfassungsbeschwerde gegen Gesetze u n d RVO siehe u. a. K . A. Bettermann, AöR, Bd. 86, S. 129 ff.; O. Bachof, AöR, Bd. 86, S. 186 ff.; derselbe, N J W 1968, S. 1065 ff.; L. Renck, DöV 1964, S. 651 ff.; G. Ulsamer, N J W 1968, S. 2042 ff.

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Aufgabe der Normenkontrolle ist es aber, die objektive Rechtsordnung zu wahren. Der Umstand, daß das Institut der Verfassungsbeschwerde unmittelbar der Erhaltung der Verfassungsordnung dient und auch durch die Normenkontrolle mittelbar subjektive Rechtspositionen geschützt werden können, vermag an dieser Verschiedenheit des Aufgabenbereichs beider Rechtsinstitute nichts zu ändern. Die Unübertragbarkeit der Verfassungsbeschwerdepraxis auf die Normenkontrolle ist zum anderen textexegetischer Natur. Es mag sein, daß bei der Verfassungsbeschwerde, wie Lerche 347 darauf hinweist, die Gleichstellung von „Tun" und „Unterlassen" als Angriffsgegenstand keine Schwierigkeiten bereitete, weil der Wortlaut des A r t . 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG und des § 90 Abs. 1 BVerfGG so neutral gefaßt ist, daß auch das gesetzgeberische Unterlassen als „Akt der öffentlichen Gewalt" angesehen werden kann, obwohl nicht ausdrücklich i n diesen Bestimmungen davon die Rede ist. Der eindeutige Wortlaut des Art. 100 Abs. 1 GG, § 13 Nr. 11 und des § 80 BVerfGG läßt aber eine derartige Gleichstellung von „Tun" und „Unterlassen" nicht zu. Es ist daher nur verständlich, wenn das BVerfG seine funktionelle „Umstellung von der ausschließlichen Nichtigkeitskontrolle zur Verfassungswidrigkeits-Feststellung" 348 nur auf die Praxis der Verfassungsbeschwerde beschränkt und i n der Praxis der konkreten Normenkontrolle von einer anderen Voraussetzung ausgeht 349 . Diese Erkenntnis führt schließlich dazu, daß man von der auf die Praxis der Verfassungsbeschwerde zurückgreifenden Beweisführung absehen und nunmehr versuchen sollte, die Zu- oder Unzulässigkeit einer Richtervorlage wegen gesetzgeberischen Unterlassens primär aus dem Zweck der Normenkontrolle bzw. aus dem Wortsinn des A r t . 100 Abs. 1 GG abzuleiten, falls dies überhaupt möglich ist. Was aber den Wortsinn des A r t . 100 Abs. 1 GG anbelangt, so ist, wie schon angedeutet, eine Auslegung des Art. 100 Abs. 1 GG dahingehend, daß auch eine Richtervorlage wegen gesetzgeberischer Unterlassungen möglich sei, nicht vertretbar. Gegen eine solche Auslegung spricht der eindeutige Wortlaut des Art. 100 Abs. 1 GG, wonach eine Richtervorlage nur dann, aber dann auch immer zulässig ist, wenn ein Gericht ein „Gesetz", auf dessen „Gültigkeit" es bei der Entscheidung eines bei i h m anhängigen Verfahrens ankommt, für verfassungswidrig hält. Es müssen also stets bereits erlassene Gesetze vorliegen, da nur dann von einem „Gesetz" gesprochen werden und nur dann Zweifel über dessen Gültigkeit auftauchen können 3 5 0 . Daher überrascht es nicht, wenn die meisten 347

Vgl. AöR, Bd. 90, S. 353 A n m . 38. H. Zacher, AöR, Bd. 93, S. 341 ff. (351). 349 Vgl. hierzu BVerfGE 8, 28; E 9, 250; E 11, 64; E 14, 308; E 15, 121; E 1, 184; E 2,124. 350 Vgl. Sigloch , in: Maunz u. a. BVerfGG, Rn. 141 zu § 80 BVerfGG. 348

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§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

Autoren nach einer textexegetischen Untersuchung zu dem Ergebnis gelangen, daß Unterlassungen des Gesetzgebers begrifflich niemals Gegenstand der konkreten Normenkontrolle sein können 3 5 1 . Es steht jedenfalls fest, daß das Gegenteil, zumindest textexegetisch, nicht begründbar ist, obwohl Rudolf Schneider 352 glaubt behaupten zu können, daß man den Begriff „Gesetz" i n A r t . 100 Abs. 1 GG auch analog auf Unterlassungen des Gesetzgebers beziehen sollte. K. Stahler 353 erkennt die Unzulänglichkeit dieser textexegetischen Beweisführung und greift die teleologische Methode auf, u m die Ausdehnbarkeit der Richtervorlage auf die gesetzgeberische Unterlassung zu beweisen. Er beruft sich dabei i m wesentlichen darauf, daß das Rechtsinstitut der konkreten Normenkontrolle wie das der abstrakten Normenkontrolle den Zweck verfolge, die objektive Rechtsordnung zu wahren und die Verfassung zu schützen. Diesem Zweck aber könne besser Rechnung getragen werden, wenn eine verfassungswidrige gesetzgeberische Unterlassung genau so zum Gegenstand der Normenkontrolle gemacht w i r d wie erlassene verfassungswidrige Rechtsnormen. Er führt wörtlich aus: „Sollte die abstrakte Normenkontrolle dazu dienen, das Ergebnis gesetzgeberischer Tätigkeit an höherrangigen Normen zu messen und dadurch zur rechtlichen Harmonie der gesamten Rechtsordnung beizutragen, so gilt das gleiche auch für die konkrete Normenkontrolle" 3 5 4 . Unter dem Aspekt des Verfassungsschutzes sei aber „der Unterschied zwischen einem verfassungswidrigen Untätigsein des Gesetzgebers und dem Setzen einer verfassungswidrigen Norm so gering, daß sich die Nichteinbeziehung des legislatorischen Unterlassens unter die Kontrolle i m Normenkontrollverfahren m i t Rücksicht auf den Gleichheitssatz nicht mehr rechtfertigen ließe" 3 5 5 . Nach Stahler „handelt es sich bei verfassungswidrigem gesetzgeberischem Tun und beim Unterlassen jeweils um ein Verhalten des gleichen Subjektes, das den gleichen Effekt i m Verhältnis zum gleichen angegriffenen Rechtsgut erzielt". „Da es nun", so zieht er das Fazit, „der Interessenlage nach unbefriedigend ist, nur die eine Form dieser gesetzgeberischen Verhaltensweisen verfassungsgerichtlich nachprüfen zu können, ist wegen der i n wesentlichen Punkten bestehenden Gleichheit i n analoger Anwendung der Vorschrif351 Vgl. E. Friesenhahn, i n : Mosler, S. 149; so auch H. Kalkbrenner, DöV 1963, S. 41 ff. (49); K . Stahler, Diss. S. 113 f.; Schmidt-Bleibtreu, i n : Maunz u.a. BVerfGG, Rn. 107 zu § 90 BVerfGG; Sigloch, a.a.O., Rn. 27, 139, 141 und 148 zu § 80 BVerfGG; Leibholz-Rupprecht, BVerfGG, Rn. 12 zu § 80 BVerfGG, S. 244; E. Schumann, AöR, Bd. 88, S. 334; derselbe, J Z 1964, S. 664; Sommer, Diss. S. 37; Scherer, Diss. S. 329. 352 Vgl. AöR, Bd. 89, S. 51. 353 Vgl. Diss. insb. S. 96 ff. (105 f. und 111) u n d S. 113 ff. (115 ff.). 354 K . Stahler, a.a.O., S. 115. 355 K . Stahler , a.a.O., S. 111.

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ten über die konkrete Normenkontrolle auch die Nachprüfung gesetzgeberischen Unterlassens vor dem BVerfG zuzulassen 356 ." Die Spur dieser teleologischen Betrachtungsweise findet man auch bei H. Kalkbrenner, wenn er aus dem Grundgedanken des Normenkontrollverfahrens „ i m allgemeinen Interesse die objektive Rechtslage klarzustellen", und „auf Grund der in diesem Verfahren denkbar weitgezogenen Kompetenz des Gerichts", die Anfechtbarkeit des verfassungswidrigen gesetzgeberischen Unterlassens i m Verfahren der abstrakten Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG ableitet 3 5 7 . Er führt nur seine teleologische Beweisführung nicht bis zur letzten Konsequenz durch, sondern er beschränkt sie, i m Gegensatz zu K. Stahler, auf die abstrakte Normenkontrolle. Bei der Problembetrachtung i m konkreten Normenkontrollverfahren läßt er sich durch die textexegetischen Überlegungen überwältigen und lehnt es ab, die konkrete Normenkontrolle auf die Unterlassung einer Normsetzung auszudehnen 358 . Jedenfalls scheint diese teleologische Betrachtungsweise die einzig mögliche Methode zu sein, m i t der man die Zulässigkeit einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG wegen gesetzgeberischen Unterlassens wenigstens formell-theoretisch begründen kann. Dennoch darf nicht übersehen werden, daß die Ausdehnung der Richtervorlage auf das gesetzgeberische Unterlassen, mag es auch unter dem Gesichtspunkt besseren Verfassungsschutzes willkommen erscheinen, den Rahmen hergebrachter Normenkontrolle deutscher Provenienz sprengt 3 5 9 und zugleich den Kreis der bloßen Unterlassungs-Feststellungen des BVerfG gegenüber dem Gesetzgeber vergrößern und somit alle damit verbundenen Gefahren, insbesondere die des gesetzgeberischen Ungehorsams, erhöhen könnte 3 6 0 . Eine Richtervorlage, die letztlich das Untätigbleiben des Gesetzgebers rügt und auf dessen Tätigwerden abzielt, vermag wesensnotwendig erst durch das „Handeln des Gesetzgebers" ihren Zweck zu erfüllen, es sei denn, man betrachtete die Richtervorlage bzw. konkrete Normenkontrolle als „Selbstzweck". Daher sind das Problem des gesetzgeberischen Unterlassens und dessen Verfassungswidrigkeitsfeststellung in besonderem Maße auf die loyale Mitarbeit und auf das loyale Entgegenkommen des Gesetzgebers angewiesen. Wo m i t dieser loyalen Mitarbeit nicht zu rechnen ist, w i r d die Ausdehnung der konkreten Normenkontrolle auf die Unterlassung einer Normsetzung nur als eine Überheblichkeit der Justiz bzw. als politische Provokation empfunden werden. I n diesem verfassungspolitischen K l i m a muß deswegen über das Ausdehnungsproblem 356 357 358 359 360

K . Stahler, a.a.O., S. 119. Vgl. H. Kalkbrenner, DöV 1963, S. 41 ff. (48). Vgl. H. Kalkbrenner, a.a.O., S. 48 f. Vgl. H. Zacher, AöR, Bd. 93, S. 350. Vgl. H. Zacher, a.a.O., S. 348.

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§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

noch mehr nachgedacht werden. Es empfiehlt sich beinahe, die Richtervorlage, sofern die Verfassung nichts anderes ausdrücklich bestimmt, von vornherein auf das gesetzte Recht zu beschränken, damit wenigstens das minimale Schutzmittel der Verfassungsordnung funktionsfähig bleibt. Die endgültige Klärung des hier angedeuteten Problems muß jedoch weiteren vertiefenden Bemühungen der Wissenschaft und vor allem der Judikatur des BVerfG überlassen bleiben. C. Maßstab für die Normenkontrolle a) P o s i t i v e s

Recht

Für das Organ, das zur Verwerfung verfassungswidriger Gesetze berufen ist, spielt die Klärung der Frage, an welchen Maßstäben es die ihm vorgelegten Normen zu prüfen hat, eine wichtige Rolle. Aus der Natur der Sache ergibt sich unzweifelhaft, daß die Verfassungsmäßigkeit der gerügten Rechtsnormen vor allem am Maßstab der Verfassung geprüft wird. Dabei sind unter „Verfassung" nicht nur die i n die Verfassungsurkunde aufgenommenen Rechtssätze, sondern auch die aus ihr ableitbaren Verfassungsprinzipien und „Leitgrundsätze" 361 zu verstehen, denn alle diese Sätze stehen i n einem inneren Sinnzusammenhang 862 . b) Ü b e r p o s i t i v e s

Recht

Zweifelhaft ist dagegen, ob das sog. „überpositive Recht" 363 als Prüfungsmaßstab herangezogen werden kann. Das Problem, ob die Verfassungsnorm selbst i m konkreten Normenkontrollverfahren auf ihre Vereinbarkeit mit Rechtsprinzipien, die als noch höherrangig angesehen werden, geprüft werden können, gehört zu demselben Problemkomplex. Die A n t w o r t kann aber sicherlich aus dem Wortlaut des geltenden positiven Rechts nicht abgeleitet werden, denn die Anerkennung überpositiven Rechts ist, wie der BayVerfGH meint, „eine Sache der — weitgehend i m religiösen oder weltanschaulichen Bereich wurzelnden — Überzeugung" 3 6 4 und „jedes Anerkennen oder Verwerfen überpositiven Rechts ist gleichzeitig eine sittliche und religiöse Entscheidung" 365 . Wenn 361 Siehe dazu i m einzelnen u. a. H. J. Müller, Diss. 2. Abschnitt; K . Stern, i n : B K , Rn. 104 ff. u n d 107 zu A r t . 100 GG; Sigloch, a.a.O., Rn. 118 ff. (145 ff.) zu § 80 BVerfGG; E. Friesenhahn, i n : Mosler, S. 151; Scheuner, DVB1.1952, S. 613. 362 Vgl. dazu W. Geiger, BVerfGG, Anm. 6 zu § 76, S. 245; BVerfGE 1,14 (32). 363 Die verschiedenen Termini, w i e z. B. „überpositives", „übergesetzliches", „überstaatliches", „vorstaatliches" Recht und „Naturrecht" u. ä., sollen eine normative Rechtsordnung jenseits des positiven Rechts ausdrücken. Dennoch sind die Existenz solcher Rechtsordnung schlechthin und insbesondere ihre Justiziab i l i t ä t sehr umstritten. 364 VerwRspr. 11, Nr. 218, S. 905 ff. (908). 305

H. Marti, i n : Berner Festgabe (1955), S. 74 ff. (75).

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daher die M e i n u n g e n d a r ü b e r w e i t auseinandergehen, ist es n u r v e r s t ä n d lich. E i n e ausgiebige S t e l l u n g n a h m e zu den verschiedenen M e i n u n g e n u n d eine eingehende E r ö r t e r u n g dieser i n d e n B e r e i c h der Rechts- u n d S t a a t s p h i l o s o p h i e h i n e i n r e i c h e n d e n F r a g e n w ü r d e n aber d e n R a h m e n der v o r l i e g e n d e n A r b e i t sprengen. D a h e r k a n n die F r a g e i m f o l g e n d e n n u r k u r z angedeutet w e r d e n . W ä r e n d das B V e r f G 3 6 6 i m A n s c h l u ß a n d e n B a y V e r f G H u n d i n Ü b e r e i n s t i m m u n g m i t zahlreichen A u t o r e n 3 6 7 zu e r k e n n e n gegeben h a t , daß es sich g r u n d s ä t z l i c h f ü r z u s t ä n d i g h ä l t , Gesetze a u f i h r e Ü b e r e i n s t i m m u n g m i t ü b e r p o s i t i v e m Recht zu messen, h a b e n sich v i e l e A u t o r e n gegen die E x i s t e n z 3 6 8 ü b e r p o s i t i v e n Rechtes sowie gegen die H e r a n z i e h u n g 3 6 9 ü b e r p o s i t i v e n Rechtes als P r ü f u n g s m a ß s t a b g e w a n d t . D a b e i pflegen s o w o h l die V e r f e c h t e r als auch die V e r w e r f e r ü b e r p o s i t i v e n Rechtes als P r ü f u n g s m a ß s t a b a u f die Zweiseitigkeit des P r o b l e m s h i n z u w e i s e n , n ä m l i c h a u f die m a t e r i e l l e u n d f o r m e l l e Seite. Sie t r e n n e n die b e i d e n S e i t e n d e r F r a g e m e t h o d i s c h v o n e i n a n d e r , i n d e m sie g e t r e n n t untersuchen, ob m a t e r i e l l die E x i s t e n z ü b e r p o s i t i v e n Rechtes 366 Das BVerfG hat schon i n E 1, 14 (18, Leitsatz 27) „die Existenz überpositiven, auch den Verfassungsgeber bindenden Rechtes" anerkannt und sich für „zuständig" erklärt, „das gesetzte Recht daran zu messen". Ferner hat es die damit zusammenhängende Frage, ob es verfassungswidrige Verfassungsnormen gibt, i n E 1, 14 (32) unter D 2 bejaht, indem es sich vorbehaltlos zu der einschlägigen Rechtsprechung des B a y V e r f G H (vgl. VerwRspr. 2, Nr. 2, S. 3 ff. [Leitsatz 1 u n d S. 5]; Nr. 65, S. 273 ff. [Leits. 1 u n d S. 279 f/|; VerwRspr. 11, Nr. 218, S. 905 ff. [906]) bekannt hat. Daraufhin ist das B V e r f G i n E 3, 225 (230 ff.) erneut auf die Frage eingegangen u n d hat ausgesprochen, daß man „den Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit höher zu werten" hat als das positive Recht (s. a.a.O., S. 232) u n d folglich „die N o r m einer Verfassung dann nichtig sein kann, wenn sie grundlegende Gerechtigkeitspostulate, die zu den Grundentscheidungen dieser Verfassung selbst gehören, i n schlechthin unerträglichem Maße mißachtet" (siehe a.a.O., S. 225 Leits. 2). 367 Vgl. u. a. O. Bachof, Verfassungswidrige Verfassungsnormen?, insb. S. 32 ff.; derselbe, N J W 1952, S. 242 ff.; derselbe, D Ö V 1961, S. 927 ff.; H. Schäfer, N J W 1954, S. 1 ff. (4); H. Huber, Diss. S. 44 ff. (46); Figge, M D R 1953, S. 391 ff. (393); K . Conzen, Diss. S. 1; A. Hamann, GG, S. 4; derselbe, N J W 1959, S. 1465 ff. (1465); W. Geiger, BVerfGG, A n m . 4 (S. 242) u n d A n m . 6 (S. 245) zu § 76 BVerfGG; derselbe, DRiZ 1963, S. 170 ff. (174, 176); R. Marcie , V o m Gesetzesstaat, S. 258, 275; Götz, N J W 1958, S. 1021; Holtkotten, i n : B K , S. 29 f. zu A r t . 131 GG; H. Marti, i n : Berner Festgabe, 1955, S. 74 ff. (passim, insb. S. 92). 368 z.B. H. Nawiasky, J Z 1954, S. 717 ff. (719); H. J. Wolff , i n : W. JellinekGedächtnisschrift, 1955, S. 33 ff. (z. B. S. 34 u n d 36). v. Pestalozza, Der Staat, Bd. 2 (1963), S. 425 ff. (436 f. m. w. Nachw.), lehnt auch die vorverfassungsrechtliche Wertordnung ab. 389 Vgl. u. a. Sigloch, i n : Maunz u. a. BVerfGG, Rn. 45, 150 u n d 166 zu § 80; H. Spanner, Die richterliche Prüfung, z. B. S. 63 - 70; D. Engelhardt, JöR, N. F. Bd. 8, S. 101 ff. (128); K . Stern, i n : B K , Rn. 65 und 108 zu A r t . 100 GG; H. Ehmke, V V D S t R L , Heft 20, S. 53 ff. (79); A. Arndt, DVB1. 1951, S. 297 ff. (299); H. P. Ipsen, DVB1. 1949, S. 486 ff. (490); W. Apelt, N J W 1952, S. 1 ff. und S. 733; derselbe, JZ 1954, S. 401 ff.; G. König, Diss. S. 108; H. Müller, Diss. S. 72 f.; E. Friesenhahn, i n : Mosler, S. 89 ff. (151); K . Hesse, Grundzüge, S. 21.

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§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

überhaupt anerkannt werden könne und ob formell sich ein Gericht i m Rahmen des Normenkontrollverfahrens auf das überpositive Recht zu berufen und sogar ggf. über die Verfassung hinwegzusetzen habe. Abgesehen von einigen Autoren, die materiell grundsätzlich die Existenz überpositiven Rechtes verneinen 3 7 0 , bringen die meisten Verwerfer überpositiven Rechtes als Prüfungsmaßstab v. a. formelle — „funktionell-rechtliche" — Bedenken zum Ausdruck. So hält es ζ. Β. H. Ehmke 371 für „ausgeschlossen", daß das VerfG, das selbst eine Schöpfung der Verfassung ist, den Verfassungsgeber korrigiert, indem es Bestimmungen der ursprünglichen Verfassung am überpositiven Recht mißt. Sigloch fragt zweifelnd, „wieso ein Richter, der seine richterliche Autorität letztlich doch nur auf das GG und nicht auf das Naturrecht zurückführen kann, eben kraft dieser Kompetenz befugt sein sollte, sich über das GG hinwegzusetzen" 372 . Derselbe Gedanke t r i t t auch bei W. Apelt 373 und bei anderen Autoren 3 7 4 stark i n den Vordergrund. Ein derartig methodischer Vorgang dürfte aber auf der logischen Einsicht beruhen, daß materiell die Existenz überpositiven Rechtes nicht ernsthaft bezweifelt werden kann, obgleich die Existenz dieser übergeordneten Werte nicht so leicht beweisbar ist wie das Vorhandensein positiver Rechtssätze. So meint H. Ehmke unter Hinweis auf O. Bachof 375, daß „der Verfassunggeber nicht i m rechtlich luftleeren Raum arbeitet und ihm Probleme und Lösungsmöglichkeiten vorgegeben sind" 3 7 6 . Er erkennt ausdrücklich jene Grenzen an, „die der Verfassungsgeber entweder faktisch nicht überschreiten kann oder aber nicht überschreiten darf, ohne seine Legitimität zur Verfassungsgebung zu verlieren" 3 7 7 . I n der Tat w i r d man den etwaigen „ethischen Gehalt " des positiven Rechtes nicht übersehen können, und man w i r d ständig i m Auge behalten müssen, daß das überpositive Recht „ein ethisches Minimum verbürgt, unter welches das positive Recht nicht sinken darf, ohne seinen ethischen Gehalt — und damit seinen Rechtscharakter zu verlieren" 3 7 8 . Eine Rechtsordnung, die keine Gerechtigkeit intendiert und keine fundamentalen 370

A m deutlichsten H. Nawiasky, JZ 1954, S. 717 ff.; ferner w o h l auch H. J. a.a.O. Vgl. V V D S t R L , Heft 20, S. 79. 372 Sigloch, i n : Maanz u. a. BVerfGG, Rn. 45 zu § 80 BVerfGG. 373 Vgl. N J W 1952, S. 1 ff. und S. 733; auch JZ 1954, S. 401 ff. 374 Vgl. oben S. 123 Anm. 369. 375 Verfassungswidrige Verfassungsnormen?, S. 27 ff., wo Bachof von der Begrenztheit der Macht des Verfassungsgebers ausgehend feststellt, daß „der materielle Verfassungsbegriff eine Berücksichtigung des übergesetzlichen Rechtes erfordert" (a.a.O., S. 31). 376 H. Ehmke, V V D S t R L , Heft 20, S. 78; vgl. ferner auch H. Marti, a.a.O., S. 77. 377 H. Ehmke, Grenzen, S. 85 ff. (87) ; dort leitet er übrigens aus dem Vorgang der B i l d u n g der verfassunggebenden Gewalt und Verfassungsgebung die U n haltbarkeit der These von der Omnipotenz des Verfassungsgebers ab. 378 H. Marti, i n : Berner Festgabe, 1955, S. 85. Wolff, 371

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Gerechtigkeitsgrundsätze realisiert, vermag sich von einem Terrorsystem und einer wie immer gearteten Gewaltherrschaft nicht zu unterscheiden; sie ist dann nichts mehr als eine Zwangsordnung. Sich diesem „ethischen Gehalt" und an derartigen fundamentalen Gerechtigkeitsgrundsätzen zu orientieren, ist das elementare Bedürfnis des Menschen, der das reine Gewissen höher zu schätzen weiß als das „weltliche" positive Recht 379 . Daher kann die Verfassung i m Normenkontrollverfahren wohl der wichtigste Prüfungsmaßstab sein, aber nicht der höchste. c) S t u f e n f o l g e

von

Verfassungsnormen

A n dieser Stelle muß das weitere Problem erwähnt werden, ob selbst innerhalb der Verfassung eine Rangordnung einzelner Verfassungsnormen besteht. Das BVerfG verneint dies mit dem Hinweis, daß die Verfassung nur als Einheit begriffen werden könne 3 8 0 . Demgegenüber vertritt der BayVerfGH die Ansicht, daß es selbst innerhalb der Verfassungsordnung eine Rangordnung gibt, so daß „eine höherrangige Verfassungsnorm zum Maßstab für eine andere Verfassungsnorm, der dieser Rang nicht zukommt, genommen und daran i m verfassungsgerichtlichen Verfahren die Gültigkeit dieser Norm geprüft werden k a n n " 3 8 1 . Auch wenn man mit dem BVerfG eine Rangordnung auf der Ebene der Verfassung für undenkbar hält, w i r d man die Überprüfbarkeit des „sekundären" Verfassungsrechts am Maßstab des „primären"* 82 Verfassungsrechts nicht leugnen können 3 8 3 . Deshalb beschränkt sich das Rangproblem von Verfassungsnormen auf die Meßbarkeit der ursprünglichen Verfassungsnormen aneinander. Hierbei darf jedoch nicht übersehen werden, daß die Lehre von C. Schmitt, der das „Verfassungsgesetz" von der „Verfassung" unterscheidet und von der qualitativen Verschieden379 Daher kann das Widerstandsrecht, unabhängig von seiner Positivierung, seine legitime Geltung beanspruchen. Siehe dazu H. Marti, a.a.O., S. 91 ff. Speziell zum Thema des Widerstandsrechts siehe u. a. G. Scheidle, Das Widerstandsrecht, 1969/Berlin; J. Isensee, Das legalisierte Widerstandsrecht, m i t u m fangreichem Literaturnachweis. 380 Vgl. BVerfGE 3, 225 (231). sei v g L VerwRspr. 2, Nr. 65, S. 273 ff. (Leits. 1, S. 279 f.); VerwRspr. 11, Nr. 218, S. 905 ff. (Leits. 1, S. 909, m. w. Literaturnachw.). 382 Unter dem „ p r i m ä r e n " Verfassungsrecht w i r d i m Anschluß an Sigloch (in: Maunz u. a. BVerfGG, Rn. 45 f. zu § 80) die ursprüngliche Fassung des V e r fassungsrechts verstanden, während die durch den Gesetzgeber geänderten Verfassungsnormen als „sekundäres" Verfassungsrecht bezeichnet werden. 383 I n diesem Sinne auch H. Ehmke, V V D S t R L , Heft 20, S. 53 ff. (79), indem er die Frage, ob Bestimmungen der ursprünglichen Verfassung an elementaren Rechtsgrundsätzen überprüft werden können, von der Uberprüfung verfassungsändernder Gesetze etwa an A r t . 79 Abs. 3 GG für grundverschieden hält. So auch ferner Figge , M D R 1953, S. 391 ff. (392).

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§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

h e i t v o n „ V e r f a s s u n g " u n d „Verfassungsgesetz" a u s g e h t 3 8 4 , v o m G G r e z i p i e r t 3 8 5 u n d daß i n n e r h a l b des G G e i n gewisser S t u f e n r a n g d e r N o r m s t ä r k e n e i n g e f ü h r t w u r d e 3 8 6 . D e s h a l b w i r d m a n m i t Maunz sagen müssen, daß „ d i e p o s i t i v e n V e r f a s s u n g s n o r m e n " schlechthin „ u n t e r e i n a n d e r n i c h t gleichwertig sind"387. Das B V e r f G g i n g auch e i n m a l i m Südweststaat-Urteil (E 1, 14 [32]) u n t e r H i n w e i s a u f A r t . 79 A b s . 3 G G v o n einer N o r m e n h i e r a r c h i e i n n e r h a l b der V e r f a s s u n g s v o r s c h r i f t e n aus, w ä h r e n d es, w i e schon e r w ä h n t , i n seiner späteren Rechtsprechung (ζ. Β . E 3, 225 [231 f.]) das G e g e n t e i l z u m A u s d r u c k gebracht h a t 3 8 8 . D. Wirkung

der

Verwerfungsentscheidung

D i e Frage, m i t w e l c h e n W i r k u n g e n E n t s c h e i d u n g e n des V e r w e r f u n g s organs ausgestattet sein sollen, ist eines der s c h w i e r i g s t e n P r o b l e m e , die sich b e i der G e s t a l t u n g m o n o p o l i s i e r t e r V e r w e r f u n g s k o m p e t e n z stellen. D a b e i steht jedoch fest, daß E n t s c h e i d u n g e n des V e r w e r f u n g s o r g a n s allgemeine W i r k u n g (erga omnes) h a b e n müssen. Dies e r g i b t sich schon daraus, daß es angesichts des g e n e r e l l e n u n d a b s o l u t e n C h a r a k t e r s v o n Rechtsnormen keine relative Rechtskraft von Normenkontrollentscheid u n g e n geben k a n n 3 8 9 3 9 °. D e r A l l g e m e i n h e i t u n d A b s o l u t h e i t des N o r m e n 384

Vgl. oben S. 31 A n m . 53. P. Lerche, Aktuelle föderalistische Verfassungsfragen, S. 45, spricht auch i n bezug auf A r t . 79 Abs. 3 GG von der Rezipierung der Schmittschen Lehre. 386 So ist z. B. H. Nawiasky, J Z 1954, S. 717 ff. (718), der Ansicht, daß „es i n dem Text einer Verfassung eine Zweistufigkeit von Normen geben kann, ohne daß dadurch etwas an dem positiven Charakter beider Normenstufen geändert w i r d " . I n diesem Sinne hält auch H. J. Wolff, der sich allerdings gegen die Existenz überpositiven Rechts entscheidet (vgl. dazu i n : W. Jellinek-Gedächtnisschrift [1955], S. 33 ff. [34 u n d 36]), den Begriff „der verfassunggestaltenden Grundentscheidung" von dem des „Verf assungsgesetzes" auseinander und räumt dem ersteren den unbedingten Vorrang ein. Vgl. V e r w R I, S. 112 und 127; ferner auch in: W. Jellinek-Gedächtnisschrift, S. 33 ff. (47 ff.). 387 T. Maunz, Staatsrecht, S. 55. So auch ζ. Β. Leisner, DöV 1961, S. 641 ff. (646). Dagegen aber ζ. B. Figge, M D R 1953, S. 391 ff. (392). 388 U. a. H. Ehmke, V V D S t R L , Heft 20, S. 53 ff. (78 f.), weist auf die U n k l a r heiten und Widersprüche dieser Rechtsprechung des BVerfG hin. 389 Vgl. dazu u. a. Κ . A. Bettermann, AöR, Bd. 86, S. 155 f. und 160 f.; Bachof, AöR 86, S. 191; H. Spanner, Die richterliche Prüfung, S. 78; Marcic, V o m Gesetzesstaat, S. 342. 390 Hinsichtlich der W i r k u n g von Normenkontrollentscheidungen kann es daher einen Unterschied zwischen der konkreten und abstrakten Normenkontrolle nicht geben. Aus demselben G r u n d versteht es sich von selbst, daß Normenkontrollentscheidungen, die i m Rahmen einer Verfassungsbeschwerde zustande kommen, eine allgemeine W i r k u n g haben müssen. Der gegenteiligen Ansicht Rencks (vgl. Diss. S. 81, 85 und 90 ff.), der von der Unterscheidung zwischen „Beanstandungs-" und „Rechtsschutzverfahren" ausgehend allgemeinverbindliche Normentscheidungen i m Rahmen einer Verfassungsbeschwerde ins Feld f ü h r t u n d die W i r k u n g auf den konkreten F a l l beschränkt wissen w i l l , kann nicht zugestimmt werden. 385

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kontrollgegenstandes besser Rechnung zu tragen, war ja schließlich eines der Hauptmotive der Monopolisierung der Verwerfungskompetenz 3 9 1 3 9 2 . Schwierig ist dagegen zu beantworten, ob Entscheidungen des Verwerfungsorgans m i t ex-tunc-, ex-nunc- oder ex-post- Wirkung ausgestattet sein sollen: D. h. ob und wieweit eine Rückwirkung mit der Nichtigkeitsfeststellung verknüpft sein soll. Von diesem rechtspolitischen Problem zu unterscheiden ist der mehr rechtstheoretische Streit, ob ein verfassungswidriges Gesetz bloß als ein vernichtbarer Rechtsakt betrachtet werden soll oder ob es schon als ipso jure nichtig anzusehen ist. Die herrschende Lehre 3 9 3 und Praxis 3 9 4 gehen von der Ipso-jure-Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze aus und messen der Erkenntnis des BVerfG nur eine deklaratorische Bedeutung (also Feststellungscharakter) bei, während die Mindermeinung 3 9 5 vom Standpunkt der Vernichtbarkeit verfassungswidriger Gesetze dem Ausspruch eine konstitutive Wirkung beilegt und die Normenkontrollentscheidung des BVerfG als Gestaltungsurteil auffaßt. 391

Dazu siehe oben § 5, I I , 1, A, (c). Vgl. zur Bindungs- und Gesetzeskraft der Normenkontrollentscheidungen des BVerfG, § 31 BVerfGG und dazu u.a. Maunz, i n : Maunz u.a. BVerfGG, Rn. 6, 7, 11 - 13, 15, 20, 23 und 30 zu § 31 BVerfGG; Geiger, BVerfGG, Anm. 1 - 3 und 6 zu § 31 BVerfGG. 393 Vgl. u. a. A. Arndt, N J W 1957, S. 363; derselbe, N J W 1959, S. 863 ff. (864) und S. 2145; derselbe, DöV 1959, S. 81 ff.; derselbe, JZ 1960, S. 488 f.; derselbe, B B 1959, S. 533 ff.; derselbe, B B 1960, S. 993 ff. u n d 1351 ff.; v. Olshausen, JZ 1967, S. 116 ff.; A. Hamann, N J W 1959, S. 1465 ff. (1467); Michel, N J W 1960, S. 841 ff.; derselbe, JUS 1961, S. 274 ff.; H. Wobst, Diss. insb. S. 75 ff.; Scheuner, B B 1960, S. 1253 ff. (1255); Renck, Diss. S. 30 f. u n d 94; H. Maurer, ZRP 1969, S. 100 ff. (102); Bungeroth, ZRP 1969, S. 73 ff.; Bettermann, ZZP, Bd. 72, S. 32 ff. (33 und 37); H. J. Wolff, V e r w R I, S. 139; Stoldt, B B 1960, S. 1257 ff. (1260); Schaar, N J W 1960, S. 852; K . Stern, i n : B K , Rn. 141 zu A r t . 100 GG; E. Ballweg, DöV 1952, S. 401 f.; O. Bachof, AöR 87, S. I f f . (32 ff.); derselbe, N J W 1968, S. 1065 ff. (1066); Maunz, Staatsrecht, S. 265; H. Angerer, BayVBl. 1969, S. 274 f. (274); Sigloch, in: Maunz u.a. BVerfGG, Rn. 19 zu § 80; derselbe, JZ 1958, S. 80 ff.; Leibholz-Rupprecht, BVerfGG, Rn. 5 zu § 78; J. Wintrich, in: Nawiasky-Festschrift, S. 191 ff. (204); Kopacek, B B 1959, S. 837 f.; H. Spanner. Die richterliche Prüfung, S. 49; G. Groß, Diss., insb. S. 79 ff.; Menger, VerwArch. 52, S. 305 ff. (306); H. J. Müller, Diss., S/15 ff.; E. Forsthoff, DöV 1959, S. 41 ff. (42); derselbe, V e r w R I, 3. Aufl. (1953), S. 116; Maisch, N J W 1959, S. 227 ff. und S. 1475 ff.; Geiger, BVerfGG, A n m . 4 zu § 78; E. Friesenhahn, i n : Mosler, S. 89 ff. (142 f.). 394 Seit BVerfGE 1, 284 st. Rspr. 395 Vgl. u.a. Götz, N J W 1960, S. 1177 ff.; H. Kipp, in: Festschrift für Ebers, S. 85 ff. (96 ff.); Flor, N J W 1957, S. 243 ff. (246); Grund, N J W 1957, S. 1624 f.; Rönitz, N J W 1960, S. 226 ff. (228); H. Huber, Diss., S. 106; Hoffmann, J Z 1961, S. 193 ff..; H. Schäfer, N J W 1954, S. 1465 ff. (1467); Ch. Böckenförde, Die sog. Nichtigkeit, passim, insb. S. 19, 109 ff. und 147; derselbe, ZRP 1969, S. 130 ff. (132); Schick, JZ 1969, S. 371 ff. (372); derselbe, AöR, Bd. 92, S. 293 ff.; Windisch, Diss., passim, insb. S. 45 f.; Sandtner, BayVBl. 1969, S. 232 ff. 892

128

§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

Dieses rechtstheoretische Nichtigkeitsproblem wurde bei vielen Autoren von dem oben angesprochenen rechtspolitischen Wirkungsproblem nicht immer klar getrennt behandelt. Man hat nicht einmal die Frage der Prüfungskompetenz der vollziehenden Gewalt und das Nichtigkeitsproblem verfassungswidriger Gesetze auseinandergehalten 396 . Diese drei Fragen wurden vielfach dergestalt miteinander vertauscht, daß man nicht selten der Ansicht begegnet, daß sich aus der Ipso-jure-Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze zwingend die ex-tunc-Wirkung der Normenkontrollentscheidung ergäbe 397 sowie die Prüfungskompetenz der vollziehenden Gewalt 3 9 8 . Der Grund für diese Vertauschung liegt wohl darin, daß der Ipso-jureNichtigkeit die ex-tunc-Wirkung scheinbar nahe liegt und sich die Prüfungskompetenz der vollziehenden Gewalt vom Standpunkt der anfänglichen Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze noch besser begründen läßt. Dennoch übersehen diese Schlußfolgerungen eine wichtige Tatsache, worauf P. Lerche 399 schon längst hingewiesen hat, nämlich, daß eine Rückwirkung (ex-tung-Wirkung) sowohl mit einem Feststellungs- als auch mit einem Gestaltungsurteil verknüpft sein k a n n 4 0 0 und eine exnunc- oder ex-post-Wirkung bei einem Feststellungsurteil genauso möglich ist wie bei einem Gestaltungsurteil. Außerdem kann sich allein aus der ipso-jure-Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze unmöglich die Prüfungskompetenz der vollziehenden Gewalt ergeben. Man sollte deshalb die drei Fragen klar getrennt untersuchen, wenn sie auch eng verwandte Fragen sind. I m folgenden w i r d auf die einzelnen Fragen in gebotener Kürze eingegangen 401 . a) I p s o

jure

nichtig

oder

vernichtbar?

Rechtstheoretisch-logisch betrachtet, w i r d man die an sich gegebene Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze schwer leugnen können. Daher erkennt auch Ch. Böckenförde, der entschieden für Vernichtbarkeit verfassungswidriger Gesetze und ex-nunc-Wirkung der Normenkontroll396 ] \ j u r W e n i g e Autoren weisen auf die Verschiedenheit beider Fragen hin. z.B. vgl. Bachof, AöR, Bd. 87, S. I f f . (32 ff.); Hoffmann , a.a.O., S. 195 - 198; Hall, DöV 1965, S. 253 ff. (262); Zuck, DöV 1962, S. 657 ff. (658); Götz, a.a.O. 397 Siehe die oben S. 127 Anm. 393 angeführte Literatur. 398 Siehe oben S. 40 A n m . 108 und dortige Literaturhinweise. 399 Vgl. DVB1. 1952, S. 396 ff. (396 A n m . 4); vgl. auch, Ordentlicher Rechtsweg oder Verwaltungsrechtsweg, S. 48 A n m . 147. 400 Neuerdings auch so W. Sandtner, BayVBl. 1969, S. 232 ff. (233). 401 Die Frage der Prüfungskompetenz der vollziehenden Gewalt kann im Rahmen dieser Arbeit nicht näher verfolgt werden, siehe dazu oben S. 40 A n m . 108.

I I . System konzentrierter Normenkontrolle

129

entscheidung eintritt 4 0 2 , „die logische Evidenz" der ipso-jure-Nichtigkeitstheorie an 4 0 3 . Es sollte heute wirklich müßig sein, über die Existenz einer hinter der positiven Regelung der Verfassung stehenden metaphysischen Wert- oder Rangordnung und einer positivierten Rangordnung der Rechtsquellen — und damit über die Höherrangigkeit der Verfassung gegenüber einfachen Gesetzen — zu streiten 4 0 4 . Unter einer solchen positivierten Rangordnung versteht es sich von selbst, daß eine Rechtsnorm nur verbindlich sein kann, soweit sie nicht einer Rechtsnorm höheren Ranges widerspricht 4 0 5 . Die Unverbindlichkeit verfassungswidriger Gesetze ist auch die rechtslogische Folge der Verfassungsgebundenheit des Gesetzgebers und des unmittelbar geltenden Verfassungsrechts 406 . Daher tritt, wie Bettermann 407 betont, die Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze nicht erst durch den Richterspruch ein, sondern eine verfassungswidrige Rechtsnorm ist wegen ihrer formellen und materiellen Unvereinbarkeit mit der Verfassung von Anfang an oder von dem Augenblick an nichtig, i n dem dieser Widerspruch entsteht. Diese von sich eintretende Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze ist rein rechts- und normlogischer Natur, folglich ist sie davon völlig unabhängig, wer die Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze autoritativ feststellt und welche Konsequenz aus dieser Feststellung gezogen wird. Die darüber zu besstimmenden Erkenntnisregeln sind mehr rechtspolitischer Natur, da sie primär auf Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten beruhen 4 0 8 . Der Versuch Ch. Böckenfördes 409, i n der Erkenntnisregel des A r t . 100 Abs. 1 GG und i n dem darin verankerten Verwerfungsmonopol des BVerfG den zwingenden Beweis dafür sehen zu wollen, daß verfassungswidrige Gesetze bis zu ihrer Aufhebung gültig seien und die Theorie der ipso-jure-Nichtigkeit m i t dem GG unvereinbar wäre, ist schon deshalb unrichtig, weil er das rechtslogische Nichtigkeitsproblem m i t dem rechtspolitischen Erkenntnisproblem vertauscht. Daß A r t . 100 Abs. 1 GG nur eine Erkenntnisregel ist, die die Verwerfungskompetenz aus den schon 402

Vgl. Ch. Böckenförde, Die sog. Nichtigkeit, passim, insb. S. 21 ff. und 109 ff. Vgl. Ch. Böckenförde, a.a.O., S. 16. 404 Ch. Böckenförde, a.a.O., S. 27 ff., bestreitet eben die Rangordnungsvorstellung der Rechtsquellen, u n d er v e r t r i t t die Ansicht (vgl. a.a.O., S. 16, 21 ff. und 42), daß zwischen Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit kein rechtslogischer Zusammenhang bestünde. So ähnlich auch neuerdings Schick, J Z 1969, S. 371 ff. (372). Siehe dazu die eingehende kritische Auseinandersetzung v. Olshausens, JZ 1967, S. 116ff., m i t Ch. Böckenförde (a.a.O.); ferner vgl. K . Stern, in: B K , Rn. 141 zu A r t . 100 GG. 405 Siehe dazu oben, § 2, I I I , 2, B. 406 Siehe dazu oben § 2, I I I , 2, B. 407 Vgl. ZZP, Bd. 72, S. 32 ff. (37). 408 Eine zweckmäßige Lösung einer Rechtsfrage ist bekanntlich nicht immer identisch m i t der rechtslogischen Lösung derselben Frage. 409 Vgl. Die sog. Nichtigkeit, S. 61 ff. (62). 403

9

Huh

130

§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

dargelegten Gründen 4 1 0 bei dem BVerfG oder den LVerfG zu konzentrieren beabsichtigt, bedarf keiner nochmaligen Erörterung. Aus A r t . 100 Abs. 1 GG läßt sich daher für die rechtslogische Frage, ob ein verfassungswidriges Gesetz ipso jure nichtig oder bloß vernichtbar ist, nichts entnehmen. Darauf weist Olshausen zu Recht h i n 4 1 1 , und auch Groß hebt hervor, daß die Konzentration der Verwerfungskompetenz i n Normenkontrollsachen bei einem Gericht nicht zur Anerkennung der Vernichtbarkeitstheorie hinsichtlich verfassungswidriger Gesetze führen muß 4 1 2 . Er warnt davor, zu glauben, daß mit der Monopolisierung der Verwerfungskompetenz die Vernichtbarkeit „Hand i n Hand" gehen müsse 413 . Wenn Ch. Böckenförde 414 sich fragt, wie durch ein anfänglich nichtiges, „nur tatsächlich bestehendes" verfassungswidriges Gesetz rechtserhebliche Wirkungen hervorgerufen werden können, kann man beinahe annehmen, daß i h m die Unterscheidung zwischen „Rechtmäßigkeit " und „Gültigkeit " nicht geläufig ist 4 1 5 . Er übersieht damit offenbar den Umstand, daß Rechtmäßigkeit und Gültigkeit nicht gleichbedeutend sind: Objektiv rechtmäßig ist ein Gesetz dann, wenn es formell und materiell der übergeordneten Norm, also der Verfassung, entspricht: Relativ gültig , d. h. für den Richter oder für die Staatsbürger verbindlich, kann es dagegen schon dann sein, wenn es nur i n seiner äußeren Erscheinung die Merkmale des Gesetzes trägt und als solches formgerecht ausgefertigt wurde 4 1 6 . So ergibt sich die Böckenförde paradox erscheinende Möglichkeit, daß ein verfassungswidriges Gesetz trotz seiner Unrechtmäßigkeit vorerst gültig sein kann und rechtserhebliche Wirkungen hervorrufen kann. M. a. W. muß mit Olshausen darauf hingewiesen werden, daß „die soziale Effektivität nicht durch normlogische Kriterien bedingt i s t " 4 1 7 . Dies bedeutet, daß sich allein aus der rechtslogischen ipso-jure-Nichtigkeit eines verfassungswidrigen Gesetzes nicht die alle Staatsorgane und die Staatsbürger bindende Unbeachtlichkeit ableiten läßt 4 1 8 . Diese weitere Folge muß erst durch Normenkontrollentscheidungen herbeigeführt werden, die insofern also nicht nur deklaratorische, sondern auch konstitutive Bedeutung haben 4 1 9 . Nach dem Willen des GG soll diese Folge erst der Spruch des BVerfG oder LVerfG auslösen. 410

Siehe dazu oben § 5, I I , 1. Vgl. JZ 1967, S. 116 ff. (118). Vgl. Groß, Diss. S. 62. 413 Vgl. Groß, Diss. S. 89. 414 Vgl. a.a.O., S. 104. 415 Vgl. etwa a.a.O., S. 62. 416 Siehe dazu K . Rebmann, Diss. S. 28; F. Schack, Die Prüfung, S. 100. 417 v. Olshausen , J Z 1967, S. 116 ff. (119). 418 Vgl. H. Angerer , BayVBl. 1969, S. 274 f. (274); H. H. Rupp, JUS 1963, S. 469 ff. (471). 419 Daher spricht P. Lerche, Ordentlicher Rechtsweg, S. 48 Anm. 147, von einem „Anfechtungsverfahren i m Gewände eines Feststellungsverfahrens". H. Huber , Diss., S. 106, v e r t r i t t auch die Ansicht: Die Entscheidung des BVerfG 411

412

I I . System konzentrierter Normenkontrolle

b) E x - t u n c -

oder

131

ex-nunc-Wirkung

Abschließend ist noch das Problem der ex-tunc-, ex-nunc- oder expost-Wirkung von Normkontrollentscheidungen zu erwähnen, die die Verfassungswidrigkeit einer Norm feststellen. Es ist nicht schwer zu erkennen, daß eine Normenkontrolle oder eine Verfassungswidrigkeitsfeststellung überhaupt erst dann einen Sinn hat, wenn sich daraus irgendwelche Rechtsfolgen ergeben. M i t welchen Rechtsfolgen eine Normenkontrolle bzw. Verfassungswidrigkeitsfeststellung ausgestattet sein soll, ob gerichtliche Entscheidungen und Verwaltungsakte, die vor Feststellung der Nichtigkeit auf Grund eines solchen Gesetzes erlassen worden sind, gänzlich rückwirkend wegfallen sollen oder die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt bleiben sollen, ist aber eine rechtspolitische Frage, die von dem oben geschilderten rechtstheoretischen Nichtigkeitsproblem unabhängig durch den Verfassungsgeber oder den Gesetzgeber zu regeln ist. Bei der Regelung der Wirkungen einer Normenkontrollentscheidung befindet sich aber jeder Verfassungs- oder Gesetzgeber an einem Schnittpunkt zwischen der Rechtssicherheit und der materiellen Gerechtigkeit: Sich zwischen den beiden einander gegenüberstehenden hohen Rechtsgütern, auf die der Rechtsstaat nie verzichten kann, für das eine oder das andere, zu entscheiden, ist, wie Melichar meint, „eine Entscheidung über Rechtswerte" 420 . Deshalb kann man die Entscheidung weder in dem einen noch dem anderen Sinne restlos rechtfertigen. Wie immer aber die Entscheidung über das Wirkungsproblem auch ausfallen mag, ist es unzweifelhaft, daß der Gesetzgeber das Ideal nicht erreichen kann, alle Entscheidungen auszulöschen, die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen. „Gegebenheiten i n der Wirklichkeit, die das verfassungswidrige Gesetz oft sogar mitgestaltet hat, verbieten das zumeist. Darum muß der Gesetzgeber hier immer einen Kompromiß finden" 4 2 1 . Der Bonner Gesetzgeber hat i n diesem Sinne i n § 79 BVerfGG einen Kompromiß zwischen den beiden Forderungen nach Rechtssicherheit und Gerechtigkeit versucht, indem er dem Grundsatz der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens vor jenem der Gerechtigkeit den Vorzug gegeben hat, mit einer Ausnahme, nämlich bei Strafurteilen, die unter Anwendung der stelle, soweit sie die Feststellung der Nichtigkeit der N o r m betrifft, ein Feststellungsurteil, unter dem Gesichtspunkt, daß eine Berufung auf die Nichtigkeit erst auf Grund der Entscheidung möglich ist, ein Gestaltungsurteil dar. So auch W. Geiger, BVerfGG, A n m . 4 zu § 78 BVerfGG; Grund, N J W 1957, S. 1624 ff. (1625). 420 E. Melichar, i n : Mosler, S. 789. 421 W. Schick, AöR, Bd. 92, S. 293 ff. (294). ö*

132

§ 5 Verschiedene Konzeptionen der Ausgestaltung

als nichtig festgestellten Norm ausgesprochen wurden. Bei diesen Strafurteilen ist der Bonner Gesetzgeber i n § 79 Abs. 1 BVerfGG offensichtlich davon ausgegangen, daß „das elementare Rechtsgefühl es gebiete, dem auf Grund einer nichtigen strafrechtlichen Norm Verurteilten die Möglichkeit einzuräumen, das Strafverfahren noch einmal aufzurollen" 4 2 2 . Dagegen hat gemäß § 79 Abs. 2 BVerfGG die verfassungsgerichtliche Nichtigkeitsfeststellung von Gesetzen für die anderen nicht mehr anfechtbaren Hoheitsakte, die auf der als nichtig erkannten Norm beruhen, keine beeinträchtigende Wirkung. „Sie bleiben grundsätzlich unberührt, d. h. sie haben Bestand, bleiben in Kraft, äußern die sonst mit ihnen verbundene Rechtswirkung" 4 2 3 4 2 4 . Ob diese Kompromißlösung rechtspolitisch klug war, kann natürlich nicht einheitlich beantwortet werden. Es hat allerdings an kritischen Stimmen nicht gefehlt, die sich unter Hinweis auf die österreichische exnunc- bzw. ex-post-Lösung 425 für die ex-nunc-Wirkung aussprechen 426 und die die Ursache der i n der BRD bestehenden Rechtsunsicherheit i n der Rückwirkung der Normenkontrollentscheidungen des BVerfG erblicken 4 2 7 und es daher für besser halten, das BVerfG zur selbständigen Regelung der Folgen der Verfassungswidrigkeitsfeststellung zu ermächtigen 4 2 8 . Eine lebhafte Diskussion hat sich durch den Änderungsplan bezüglich § 79 BVerfGG 4 2 9 erneut an § 79 BVerfGG entzündet 430 . Nach dem Ände422

Schmidt-Bleibtreu , i n : Maunz u. a. BVerfGG, Rn. 2 zu § 79 BVerfGG. W. Geiger , BVerfGG, A n m . 3 zu § 79 BVerfGG. Deshalb spricht z. B. H. Spanner , FR 1968, S. 425 ff. (426 f.), von einer „grundsätzlichen e x - n u n c - W i r k u n g m i t einigen Ausnahmen". 425 Vgl. A r t . 139 Abs. 2 und A r t . 140 Abs. 3 der österreichischen Bundesverfassung. Dazu siehe u. a. H. Spanner , Die richterliche Prüfung, S. 82; R. Marcie, Vom Gesetzesstaat, S. 367 m. w. Nachw.; Adamovich-Spanner, Handbuch, S. 398 ff. und 391 ff.; E. Melichar, i n : Mosler, S. 439 ff. (459). Ä h n l i c h auch i n der T ü r k e i (vgl. T. B. Balta, i n : Mosler, S. 550 ff. [564 f.]) und i n I t a l i e n (vgl. A. M. Sandulli, i n : Mosler, S. 292 ff. [307 f.]). 426 z. B. H. Spanner, Die richterliche Prüfung, S. 82. 427 z. B. F. Preiser, DVB1. 1968, S. 545 ff. Kritisch dagegen D. Puppe, DVB1. 1968, S. 873 f. — I n diesem Zusammenhang siehe ferner die Auseinandersetzung zwischen A. Arndt (BB 1960, S. 993 ff. u n d 1351 ff.) u n d U. Scheuner (BB 1960, S. 1253 ff.) darüber, ob eine Einführung der e x - n u n c - W i r k u n g einer V e r fassungswidrigkeitsfeststellung i m Wege der Verfassungsänderung zulässig sein könne. Dieser Streit ist aber aus dem hier vertretenen Standpunkt, daß eine e x - n u n c - W i r k u n g bei der ipso-jure-Nichtigkeitstheorie genauso denkmöglich ist wie bei der Vernichtbarkeitstheorie, gegenstandslos. 428 z. B. Ch. Böckenförde, Die sog. Nichtigkeit, S. 103; auch ZRP 1969, S. 130 ff. (132). 429 Die Regierungsvorlage der Vierten Novelle zum BVerfGG. BT-Drucks. V/3816, BR-Drucks. 594/68. 430 Vgl. u.a. R. Zundel, ZRP 1969, S. 16; Bungeroth , ZRP 1969, S. 73 ff.; H. Maurer, ZRP 1969, S. 100 ff.; Ch. Böckenförde , ZRP 1969, S. 130 ff.; W. Schick, JZ 1969, S. 371 ff.; W. Sandtner, BayVBl. 1969, S. 232 ff. (234 f.); D. Puppe, DVB1. 1969, S. 136 f.; F. Oswald, BayBeamtenztg. 1969, S. 138 f.; derselbe, Steuerwarte 1969, S. 89 ff.; H. Brinckmann, B B 1969, S. 642 ff.; K . H. Friauf, FR 1969, S. 319 ff. 423

424

I I . System konzentrierter Normenkontrolle

133

rungsplan, der inzwischen gescheitert ist, soll k ü n f t i g ein für nichtig festgestelltes Gesetz, das für den einzelnen öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Geldleistungspflichten begründet oder erweitert, m i t dem A b lauf des Jahres, das der Entscheidung vorhergeht, „als außer K r a f t getreten" gelten, wobei das BVerfG i m Einzelfall eine andere Regelung vorsehen kann 4 3 1 . Das Motiv für diesen Änderungsplan war zweifellos der finanzpolitische Gesichtspunkt, der auf die Funktionsfähigkeit des Staates abstellte. Es w i r d sicherlich für den Staat zu unerträglichen Haushaltsbelastungen führen, wenn ein Steuergesetz m i t ex-tunc-Wirkung für verfassungsw i d r i g festgestellt und infolgedessen eine große Anzahl von Steuergeldern, die dazu nicht zur Verfügung stehen, zurückgezahlt werden soll. Ohne aber der m i t diesem Änderungsplan verknüpften Diskussion nachzugehen, sei an dieser Stelle abschließend noch einmal festgestellt, daß der wesentlich auf die ex-nunc-Wirkung abzielende Änderungsplan des § 79 BVerfGG nicht aus den Überlegungen hätte abgelehnt werden dürfen, daß m i t der ipso-jure-Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze die ex-nunc-Wirkung unvereinbar wäre. Die ipso-jure-Nichtigkeitsfeststellung verfassungswidriger Gesetze kann, wie erwähnt, sowohl m i t der ex-tunc-Wirkung als auch ex-nunc-Wirkung als auch ex-post-Wirkung ausgestattet sein, wenn die allein dafür maßgeblichen verfassungs- bzw. rechtspolitischen Gesichtspunkte es dringend erfordern. Die immer lauter werdenden Stimmen, die das BVerfG unter bestimmten Voraussetzungen ermächtigt wissen wollen, unter Abwägung der beteiligten Interessen die Frage, ob die W i r k u n g der Verfassungswidrigkeitsfeststellung ex-tunc oder ex-nunc sein soll, individuell zu entscheiden 432 » 433 , haben i n dieser Hinsicht recht.

431 Vgl. A r t . 1 Nr. 12 der Regierungsvorlage. Siehe dazu auch die A n m e r k u n gen D. Puppes, DVB1.1969, S. 136 f. 432 Vgl. z.B. W. Sandtner, BayVBl. 1969, S. 232 ff.; ferner auch W. Schick, JZ 1969, S. 371 ff. (373); Ch. Böckenförde, ZRP 1969, S. 130 ff. (132). 433 Die Probleme, die m i t der R ü c k w i r k u n g verfassungsgerichtlicher Nichtigkeitserkenntnisse zusammenhängen, w u r d e n i n der V I . Legislaturperiode durch den Regierungsentwurf (BT-Drucks. VI/388) abermals aktuell. Die Bundesregierung schlug i n dem E n t w u r f vor, § 79 BVerfGG so zu ändern, daß das BVerfG ermächtigt werden sollte, „aus schwerwiegenden Gründen des öffentlichen Wohls i n seiner Entscheidung zu bestimmen, daß ein für nichtig erklärtes Gesetz erst zu einem v o m Gericht zu bestimmenden Zeitpunkt als außer K r a f t getreten g i l t " (vgl. A r t . 1 Nr. 15 des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. VI/388 u n d VI/1471). Dieser P u n k t des Entwurfs blieb aber wegen höchst kontroverser Auffassungen auf der Strecke u n d mußte von der Novelle abgetrennt werden. Vgl. zu dem Problem die ausführliche Darstellung von Pestalozza, AöR, Bd. 96 (1971), S. 27 ff.

Zweiter

Teil

Das Z u s t ä n d i g k e i t s p r o b l e m a m B e i s p i e l d e r K o r e a n i s c h e n Verfassung Drittes

Kapitel

Das Rechtsinstitut der Normenkontrolle in Korea und das Zuständigkeitsproblem §6

Einführende Bemerkung

Da die Normenkontrollfrage mit der Entstehung moderner Verfassung eng zusammenhängt, versteht es sich von selbst, daß das Normenkontrollproblem i n Korea auch erst seit der Entstehung der geltenden Verfassung (12. 7.1948)1 aktuell geworden ist. Trotz dieser relativ kurzen Verfassungsgeschichte Koreas hat aber das Institut der Normenkontrolle i n der koreanischen Verfassung eine mehrmalige Umformung erleben müssen. Das hängt u. a. mit dem typisch koreanischen politischen Stil zusammen, daß die Verfassung bei jedem Machtwechsel eine tiefgreifende Änderung zu erfahren pflegt. Ferner hängt es mit dem Umstand zusammen, daß der Machthaber die Ausgestaltung des Rechtsinstituts der Normenkontrolle für seine Machtentfaltung so wichtig findet, daß er es unbedingt nach seiner Vorstellung geändert wissen w i l l und es dadurch nach jedem Machtwechsel ein neues Gesicht bekommt 2 . 1 Über die Entstehungsgeschichte der Verfassung i n Korea und die Verfassungsentwicklung nach dem zweiten Weltkrieg siehe z. B. K . S. Yun, JöR, N. F. Bd. 12 (1963), S. 461 ff.; Y. S. Choue, i n : G. Leibholz-Festschrift, 1966. Bd. 2, S. 3 ff. 2 Nach der ursprünglichen Verfassung v o m 12. 7.1948 stand die Verwerfungskompetenz einem elfköpfigen Gremium, dem Verfassungskomitee zu, das aus dem Vizestaatspräsidenten, 5 Abgeordneten des Parlaments und 5 Richtern des O G H bestand (Art. 81 Abs. 3 V R K i. d. F. v o m 12. 7.1948). Das Verfassungskomitee konnte n u r auf A n r u f u n g von Gerichten, denen die richterliche P r ü fungskompetenz gegenüber Gesetzen eingeräumt worden war, die konkrete Normenkontrollfunktion ausüben (Art. 81 Abs. 2 VRK). Nach dem Sturz der Lie-Regierung (1960) wurde das Verfassungskomitee, das so unfähig war, daß es 12 Jahre lang n u r 7 Fälle behandeln u n d für verfassungsmäßig erklären konnte, von der nachfolgenden Changf-Regierung abgeschafft und an dessen

I. A r t . 102 Abs. 1 V R K als Grundbestimmung

135

Das hat zur Folge, daß das Institut der Normenkontrolle i n Korea mehr oder weniger ein „Papier-Institut" wurde und wegen dessen institutioneller Kurzlebigkeit keine feste Praxis gebildet werden konnte. Die mehrmalige Neugestaltung des Instituts der Normenkontrolle löste auch i n der Wissenschaft nur spärliche Diskussion aus. Es ist daher kein Wunder, daß i n Korea keine nennenswerte Normenkontrollentscheidung vorhanden ist, und daß man über das Normenkontrollproblem kaum Literatur findet. Die vorliegende Arbeit w i r d i n der vagen Hoffnung geschrieben, daß sich dadurch i n Korea eine lebhafte Diskussion an dem Normenkontrollproblem entzünden möge und die Verfassungsbestimmungen über die Normenkontrolle nicht i n einer verkehrten Richtung ausgelegt werden. Da jedoch das Institut der Normenkontrolle der koreanischen Verfassung ein am deutschen oder amerikanischen Recht orientiertes Verfassungsinstitut darstellt, ist es unerläßlich, zunächst i m ersten Teil die institutionellen Grundlagen der Normenkontrolle zu untersuchen und einige notwendige Feststellungen zu treffen. Danach w i r d erörtert, wie das Zuständigkeitsproblem i n der koreanischen Verfassung geregelt ist und wie die Bestimmung über die Normenkontrolle von der herrschenden Lehre ausgelegt wird. Zum Schluß w i r d die eigene Auffassung dargelegt.

§ 7 Verfassungsrechtliche Grundlage der richterlichen Normenkontrolle und die herrschende Auffassung bei der Auslegung der betreffenden Bestimmungen I . A r t . 102 Abs. 1 V R K als unmittelbare Grundbestimmung über die Verwerfungskompetenz verfassungswidriger Gesetze

Die geltende Verfassung der Republik Korea (VRK) 3 t r i f f t i n ihrem Art. 102 zur Verwerfung verfassungswidriger Gesetze folgende Regelung: „ B i l d e t die Frage der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes eine Vorfrage bei der gerichtlichen Entscheidung, so hat der Oberste Gerichtshof das Recht, eine endgültige Entscheidung zu treffen." (Abs. 1) Stelle das Verfassungsgericht m i t erweiterter Verfassungsgerichtsbarkeit v o r gesehen, und i h m wurde die Verwerfungskompetenz verfassungswidriger Gesetze übertragen (Art. 83-3 und 4 V R K i. d. F. v. 15. 6.1960). Aber bevor das Verfassungsgericht ins Leben gerufen werden konnte, verlor die Chang-Regierung die Macht. Die jetzige Park-Regierung hat nach der Machtübernahme (1961) die Bestimmungen über das Verfassungsgericht gestrichen u n d die N o r menkontrollfunktion dem O G H zukommen lassen. Dies ist also die dritte Neugestaltung des Instituts der Normenkontrolle, die die koreanische Verfassung i n knapp 20 Jahren hat erleben müssen. 3 Die Verfassung der Republik Korea v o m 12. 7.1948, i. d. F. v o m 26.12.1962.

136 § 7 Grundlage der Normenkontrolle und die herrschende Auffassung „ B i l d e t die Frage der Verfassungs- oder Gesetzmäßigkeit einer Rechtsverordnung, Satzung oder eines Verwaltungsaktes eine Vorfrage bei der gerichtlichen Entscheidung, so hat der Oberste Gerichtshof das Recht, eine endgültige Entscheidung zu treffen." (Abs. 2) 4

Dies ist die einzige, unmittelbare Bestimmung in der koreanischen Verfassung über die Verwerfungskompetenz. Der Verfassunggeber hat sich jedoch i n der Formulierung des A r t . 102 V R K einer so unklaren Ausdrucksweise bedient, daß diese Bestimmung zu vielen Zweifeln Anlaß gibt. Gerade dieses für das Rechtsleben i n einem Staat so wichtige Institut der Verwerfung verfassungswidriger Gesetze hätte jedoch einer klaren und eindeutigen Regelung bedurft. Der einzelne Richter, der i n einem konkreten Rechtsstreit Zweifel an der Gültigkeit eines Gesetzes, das er seinem Urteil zugrundelegen w i l l , bekommt, muß wissen, welchen Weg er zur Klärung dieser Frage einzuschlagen hat. Dieser Weg geht aber leider aus der genannten Bestimmung nicht klar hervor. 1. „Diffuse" oder „monopolisierte" Verwerfungskompetenz?

Bei einer oberflächlichen Betrachtung scheint Art. 102 V R K insofern unproblematisch zu sein, als zumindest angesichts dieser Verfassungsvorschrift die richterliche Prüfungsbefugnis schwer zu verneinen ist und die abstrakte Normenkontrolle von vornherein nicht i n Frage kommt. Aber bei einer näheren Untersuchung kommt man zu der Feststellung, daß Art. 102 V R K doch viele schwierige Probleme enthält. Vor allem stellt sich die Frage, ob diese Bestimmung als bloße Positivierung der allgemeinen richterlichen Prüfungskompetenz, die seit der Gründung der Republik Korea nie bestritten worden ist, verstanden werden soll oder ob man sie eher auslegen soll als eine Verfassungsvorschrift, die die alleinige Verwerfungskompetenz des OGH ausspricht. Somit müssen bei der Handhabung der Normenkontrolle folgende Zuständigkeitsprobleme geklärt werden: Es ist zu untersuchen, ob Art. 102 V R K zum Inhalt hat, daß jedes Gericht sowohl über die Prüfungs - als auch über die Verwerfungskompetenz verfügen und der OGH nur als Revisionsinstanz über die Verfassungsmäßigkeit eines gerügten Gesetzes „endgültig " befinden soll, oder daß die Prüfungskompetenz jedem Gericht zustehen aber die Verwerfungskompetenz nur dem OGH, den die Verfassung besonders erwähnt, vorbehalten bleiben soll. Ferner muß geklärt werden, ob A r t . 102 V R K ein konstitutiver Normcharakter zukommt, so daß die richterliche 4 Eigene Übersetzung. Die amtliche Übersetzung i n die englische Sprache hat folgenden W o r t l a u t : "Whenever the decision of the case depends on the determination of the constitutionality of the law, the Supreme Court shall have jurisdiction to decide finally" (Abs. 1). "Whenever the decision of the case depends on the determination of the constitutionality or legality of a d m i n i strative orders, regulations or dispositions, the Supreme Court shall have jurisdiction to decide finally" (Abs. 2). Siehe auch den Text der Koreanischen Verfassung unten i m Anhang.

I. A r t . 102 Abs. 1 V R K als Grundbestimmung

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Prüfungskompetenz ohne A r t . 102 V R K verfassungsrechtlich undenkbar wäre, oder ob Art. 102 V R K nur eine Gestaltungsbestimmung darstellt, deren primäre Aufgabe ist, die Verwerfungskompetenz zu regulieren 5 . Die einmütig herrschende Auffassung in Korea versteht A r t . 102 V R K im ersteren Sinne. Man betrachtet Art. 102 V R K als eine konstitutive Verfassungsbestimmung, aus der sich erst die richterliche Prüfungskompetenz ergibt, und legt A r t . 102 V R K so aus, daß nicht nur dem OGH, sondern auch unteren Gerichten, für deren Entscheidung es auf die Gültigkeit einer Rechtsnorm ankommt, sowohl die Befugnis zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit als auch die Kompetenz, eine für verfassungswidrig erachtete Rechtsnorm außer Anwendung zu lassen, zusteht. Der OGH, den Art. 102 V R K besonders hervorhebt, soll nur i m Rahmen des Instanzenzuges, sollte der Streitfall überhaupt vor ihm anhängig werden, die Sache „endgültig" überprüfen 6 . Diese herrschende Auffassung in Korea läßt an die nordamerikanische Normenkontrollpraxis 7 denken und ferner an die Gerichtspraxis i n Deutschland unter der WRV, die seit der Entscheidung des RG (RGZ 111, 320 v. 4.11. 1925) in der Rechtsprechung Deutschlands festen Boden fand 8 . Diese Praxis kann jedoch nicht auf die koreanische Verfassungsauslegung übertragen werden, da die Rechtsgrundlage weitgehend unterschiedlich ist. Während es sich dort um eine rechtsdogmatische Notmaßnahme handelt, geht es bei Art. 102 V R K um die objektive Verfassungsauslegung einer positiven Verfassungsbestimmung. Deshalb muß A r t . 102 V R K unter Berücksichtigung des Gesamtinhalts der koreanischen Verfassung daraufhin untersucht werden, ob sich die herrschende Auffassung zu dieser Bestimmung rechtfertigen läßt. 2. Entstehungsgeschichte

Der Versuch jedoch, aus der Entstehungsgeschichte des Art. 102 V R K einen Beweis für diese oder jene Auslegung zu bringen, bleibt von vorn5 Außer diesem Zuständigkeitsproblem enthält A r t . 102 V R K weitere U n klarheiten, nämlich wer das Normenkontrollverfahren einzuleiten hat — von Amts wegen oder auf A n t r a g von Prozeßparteien —, an welchen Maßstäben der Richter Normen zu prüfen hat, m i t welchen Folgen die Prüfung der V e r fassungsmäßigkeit gekoppelt sein soll u n d schließlich ob A r t . 102 V R K eine unmittelbar anwendbare Verfassungsbestimmung darstellt oder ob er durch ein Ausführungsgesetz konkretisiert werden muß, obwohl er ein solches Gesetz nicht vorsieht. Darauf w i r d noch zurückzukommen sein. Vgl. unten § 8, I I , 1. 6 Vgl. u. a. Τ. Υ. Han, Verfassungsrecht, S. 553; H. J. Muhn, Koreanisches V e r fassungsrecht, S. 545 f.; Β . K. Kai, Die richterliche Prüfung, S. 155 und 164; B. D. Kang, Neues Verfassungsrecht, S. 409; S. B. Han, Koreanisches Verfassungsrecht, S. 417 u n d 419; Ζ. K. Lie, Neues Verfassungsrecht, S. 309; I. K. Park, Neues Verfassungsrecht, S. 505 und 507. 7 Siehe darüber oben § 5,1, B. 8 Vgl. oben § 4,1,3.

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§ 7 Grundlage der Normenkontrolle u n d die herrschende Auffassung

herein zum Scheitern verurteilt, weil die geltende Verfassung Koreas unter politisch ungewöhnlichen Umständen zustande kam. Die geltende Verfassung ist, wie schon erwähnt, von der Park-Regierung erlassen worden, die durch den Militärputsch vom 16. Mai 1961 die Macht ergriffen hat 9 . A m 16. Mai 1961, nach dem gelungenen Militärputsch, setzte General Park, der Führer des Putsches, die damalige Verfassung 10 außer Kraft und verhängte das Kriegsrecht über das Land. Dadurch wurden alle legitimen Staatsorgane aufgelöst und sämtliche Staatsgewalt (Exekutive, Legislative und Judikative) dem Militärrevolutionskomitee, dem sog. „Supreme Council for National Reconstruction" (SCNR) übertragen. Das SCNR bestand aus 25 höheren Offizieren, die den Militärputsch getragen haben. Das SCNR arbeitete unter Beteiligung von 21 Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis einen Entwurf zur Verfassungsänderung aus und brachte ihn am 17. 12. 1962 zur Volksabstimmung, bei der er m i t großer Mehrheit 1 1 angenommen wurde. Durch diese Verfassungsänderung 12 kam auch der Art. 102 V R K zustande, der die alten Bestimmungen über das VerfG ersetzen sollte. Aber was das SCNR mit dieser Neuregelung wirklich beabsichtigt hat, geht aus den damaligen Materialien nicht hervor. Es ist nur aus den spärlichen Äußerungen jener Fachleute, die bei der Ausarbeitung des Entwurfs m i t gewirkt haben, zu erkennen, daß das SCNR starke Abneigung gegen das 9 Über den Vorgang des Putsches siehe z. B. K. S. Yun, JöR, N. F. Bd. 12, S. 461 ff. (487). 10 V R K i. d. F. v. 15. 6.1960. Diese Verfassung wies liberale Züge auf. (Über die Einzelheiten dieser Verfassung siehe z. B. K . S. Yun, a.a.O., S. 483 ff.) U m n u r ein Beispiel zu nennen, sei darauf hingewiesen, daß diese Verfassung ein VerfG vorsah, das sich i n mancher Hinsicht an das BVerfG der B R D erinnerte. Gemäß A r t . 83-3, Ziff. 1 dieser Verfassung stand die Verwerfung verfassungswidriger Gesetze allein dem VerfG zu. Außerdem wurden dem VerfG folgende Aufgaben anvertraut: Endgültige Verfassungsauslegung, Entscheidung über Organstreitigkeiten, Auflösung verfassungswidriger politischer Parteien, I m peachment und Wahlgerichtsbarkeit (Art. 83-3). Das VerfG setzte sich aus 9 Richtern zusammen, von denen je ein D r i t t e l v o m Staatspräsidenten, O G H und Senat gewählt wurden. Die Amtsdauer des Richters des VerfG betrug 6 Jahre, jedoch sollten, u m die K o n t i n u i t ä t der Rechtsprechung zu wahren, jede zwei Jahre n u r 3 Mitglieder neu gewählt werden (Art. 83-4). Die I n s t i t u t i o n des VerfG und dessen weitgehende Aufgaben, die denen des B V e r f G der B R D ähnlich sind, ist ein Hinweis dafür, daß die damalige Chang-Regierung das GG der B R D zum V o r b i l d genommen hat. Dieser Gedanke der Verfassung wurde aber wegen der Kurzlebigkeit der Chang-Regierung (8 Monate) nie v e r w i r k licht. 11 Stimmberechtigte 12 412 798; abgegebene Stimmen 10 585 998; Ja-Stimmen 8 339 333; Nein-Stimmen 2 008 801; ungültige Stimmen 237 864. (Statistik zitiert bei H. J. Muhn, Koreanisches Verfassungsrecht, S. 114.) 12 Darüber, ob man dies w i r k l i c h als Verfassungsänderung zu bezeichnen hat oder ob man dies vielmehr als Schaffung einer neuen Verfassung ansehen muß, gehen die Meinungen auseinander, worauf hier nicht eingegangen w e r den kann. Die herrschende Auffassung betrachtet es als Verfassungsänderung.

I I . Die Trabantenvorschriften

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VerfG gezeigt hatte und daß die Fassung von Art. 102 V R K die Folge dieser Abneigung darstellt 1 3 . Mehr kann man aus den zugänglichen Materialien nicht feststellen. A u f der anderen Seite würde es jedoch keineswegs die endgültige K l ä rung des Zuständigkeitsproblems i n diesem oder jenem Sinne bedeuten, auch wenn die Absicht des SCNR aus den zugänglichen Materialien hervorgehen würde. Denn „die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder ist über die Bedeutung einer Bestimmung nicht entscheidend" 14 . „Das Gesetz kann und muß", um mit Radbruch zu sprechen, „klüger sein als seine Verfasser" 15 . Der objektive Sinn geht der subjektiven Absicht einiger ihrer Zeit verhafteter Menschen vor. Deshalb ist für die Auslegung des Verfassungsgesetzes allein maßgebend der darin zum Ausdruck kommende „objektive Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, i n den diese hineingestellt ist" 1 6 . Die Entstehungsgeschichte, von deren Zufälligkeit die auszulegende Norm zu lösen ist, kann nur zur Bestätigung des so gewonnenen Auslegungsergebnisses herangezogen werden 1 7 . Diese Überlegungen führen dazu, daß man der Enstehungsgeschichte nicht so große Bedeutung beizumessen hat, sondern i n erster Linie die übrigen Vorschriften der Verfassung, die für das Rechtsinstitut der Normenkontrolle relevant sind, i n die engere Betrachtung einbezieht und anschließend den genannten A r t . 102 V R K i m Zusammenhang m i t diesen Vorschriften näher untersucht. I I . Die für die Normenkontrolle relevanten Trabantenvorschriften

Die geltende Verfassung der Republik Korea weist gewisse Züge eines Primats der Justiz auf, da sie i m Gegensatz zu früheren Fassungen der V R K 1 8 die Normenkontrollfunktion ausschließlich der rechtsprechenden Gewalt anvertraut. Daher ist es erforderlich, die Eigenart der koreanischen Gewaltenstruktur kurz zu betrachten und sich m i t dem verfassungsmäßigen Standort der rechtsprechenden Gewalt vertraut zu machen, um das Institut der Normenkontrolle koreanischer Prägung richtig zu verstehen. 13 Vgl. T. Y. Han, Verfassungsrecht, S. 80; H. J. Muhn, Koreanisches Verfassungsrecht, S. 113. 14 BVerfGE 1,312. 15 G. Radbruch, Rechtsphilosophie, 7. Aufl. 1970, S. 211. 16 BVerfGE 1, 312. 17 Vgl. BVerfGE, a.a.O. 18 Vgl. oben § 6, A n m . 2.

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§ 7 Grundlage der Normenkontrolle und die herrschende Auffassung 1. Eigenart der Gewaltenstruktur in Korea

Die geltende Verfassung hat das Gewaltentrennungsprinzip als Grundprinzip ihrer Gewaltenstruktur aufgenommen. Infolgedessen sind die Staatsfunktionen in die Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung geteilt und jeweils der Nationalversammlung (The National Assembly) 19 , Regierung 20 und den Gerichten 21 übertragen. A. Skepsis gegenüber dem Parlament Die Gesetzgebung ist demzufolge die Aufgabe der Nationalversammlung, die aus 150 - 200 22 Abgeordneten besteht, die i n allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl 2 3 auf 4 Jahre 2 4 gewählt werden. I m Gegensatz zu der Verfassung der Chang-Regierung hat die geltende Verfassung das Ein-Kammer system eingeführt 2 5 , wobei die Neuerung angeblich auf der Einsicht beruhte, daß sich das Zwei-Kammersystem unter der Chang-Regierung überhaupt nicht bewährt habe und das EinKammersystem für die schnelle Erledigung der i m Zusammenhang m i t dem Wiederaufbau des Landes zu lösenden dringlichen Aufgaben eher zweckdienlich sei 26 . Aber in erster Linie spiegelt sich in der Einführung des Ein-Kammersystems und damit i n der einschneidenden Kürzung der Abgeordnetenzahl 2 7 die Tatsache, daß die jetzige Park-Regierung gegenüber dem Parlamentarismus ihre skeptische Haltung nicht hat verbergen können 2 8 . Um dies zu verdeutlichen, seien i m folgenden einige typische Bestimmungen erwähnt, wodurch die Park-Regierung ihre Absicht zum Ausdruck gebracht hat, das Parlament möglichst zu schwächen: Nach A r t . 36 Abs. 3 V R K ist die Parteizugehörigkeit eine notwendige Voraussetzung für die Bewerbung um das A m t des Parlamentsabgeordneten; A r t . 38 V R K verbietet den Abgeordneten den Parteiwechsel während der Legislaturperiode, indem er vorschreibt, daß ein Abgeordneter sein Mandat 19

Vgl. A r t . 35 V R K . Vgl. A r t . 63 Abs. 1 V R K . 21 Vgl. A r t . 96 Abs. 1 V R K . 22 Vgl. A r t . 36 Abs. 2 V R K . Nach dem derzeitigen Wahlgesetz besteht die Nationalversammlung aus 175 Abgeordneten, unter denen 131 direkt nach dem Mehrheitswahlsystem u n d 44 Abgeordneten nach dem Verhältniswahlsystem gewählt werden (§ 124 und 125 Abgeordneten-Wahlgesetz i. d. F. v. 14.12.1966, Gesetz-Nr. 1849). 23 Vgl. A r t . 36 Abs. 1 V R K . 24 Vgl. A r t . 37 V R K . 25 I n der 2. Republik Korea (Chang- Regierung) bestand das Parlament aus zwei Kammern, die jeweils aus Abgeordneten bestanden, die v o m V o l k direkt gewählt wurden. (Art. 31 ff. V R K i. d. F. v. 15. 6.1960.) 26 Vgl. H. J. Muhn, Koreanisches Verfassungsrecht, S. 131. 27 I n der 2. Republik Korea setzte sich das Oberhaus aus 58, u n d das Unterhaus aus 234 Abgeordneten zusammen. 28 Vgl. T. Y. Han, Verfassungsrecht, S. 81. 20

I I . Die Trabantenvorschriften

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verliert, wenn er während der Legislaturperiode aus der Partei austritt oder die Partei, aus welchem Grund auch immer, wechselt 29 ; A r t . 39 V R K regelt, daß ein Abgeordneter weder das A m t des Staatspräsidenten noch des Ministerpräsidenten bzw. Ministers und noch ein anderes öffentliches und privates besoldetes A m t ausüben darf. Diese Regelung, die die Abgeordneten an die Partei fest bindet, kann man als eine konsequente Maßnahme jener Bestrebung der geltenden Verfassung ansehen, die sich die Verwirklichung einer parteienstaatlichen Demokratie i m Sinne von G. Leibholz 30 zum Ziele gesetzt hat 3 1 . Dennoch w i r d man, worauf Prof. Han 3 2 mit Recht hinweist, nicht verkennen können, daß diese Regelung zugleich eine potentielle Gefahrenquelle darstellt, die dem Staatspräsidenten den Weg öffnet, durch die Partei auch Herr über das Parlament zu werden. Diese Bedenken verstärken sich, wenn man erwägt, daß es dem ersten Staatspräsidenten der Republik Korea, Sung-Man Lie, auch ohne solche Regelung gelungen war, durch die Regierungspartei das Parlament zu beherrschen und seine diktatorische Macht zu festigen. Wenn man dazu die politische Wirklichkeit i n Korea i m Auge behält, daß der Staatspräsident zugleich als Parteivorsitzender absolut über die Regierungspartei verfügt und es der Opposition wegen der Homogenität der Parlamentsmehrheit und der Regierung und wegen der Symbiose zwischen Parlament und Regierung nie gelingt, Regierungsvorhaben zu blockieren, muß gesagt werden, daß diese Regelung doch eine negative Wirkung zur Folge haben könnte 3 3 . Dazu kommt noch der Umstand, daß das Parlament gegenüber der Regierung über keine wirksame Kontrollmacht verfügt. Gemäß Art. 59 Abs. 1 und 2 V R K kann zwar das Parlament dem Staatspräsidenten vorschlagen, den Ministerpräsidenten oder einen Minister zu entlassen, aber der Staatspräsident ist daran nicht gebunden (Art. 59 Abs. 3 V R K ) 3 4 . Außerdem steht dem Parlament das Anklagerecht gegen den Staatspräsidenten und die Regierungsmitglieder zu (Art. 61 VRK), aber wegen der regelmäßigen Homogenität der Parlamentsmehrheit und der Regierung kann niemals eine solche Anklage zustande kommen. Aus demselben 29 Diese Bestimmung ist auch i m Hinblick auf den Scheinübertritt des B u n destagsabg. Geldner i m November 1970 von der F D P zur CSU interessant. 30 Vgl. Strukturprobleme, insb. S. 88 ff. 31 Vgl. auch A r t . 7 u n d 64 Abs. 3 V R K . 32 Vgl. T. Y. Han, Verfassungsrecht, S. 79. 33 Die Homogenität der Parlamentsmehrheit und der Regierung w i r d auch dadurch grundsätzlich gewährleistet, daß die Amtszeit des Staatspräsidenten und der Abgeordneten zeitlich aufeinander abgestimmt sind (Art. 37 u n d 69 VRK). 34 Das Parlament hat nach der geltenden Verfassung kein Recht auf ein M i ß trauensvotum gegen den Statspräsidenten. Deshalb hat sich der Staatspräsident nur unmittelbar dem V o l k gegenüber zu verantworten.

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§ 7 Grundlage der Normenkontrolle u n d die herrschende Auffassung

Grund kann dem Untersuchungsrecht des Parlaments gegenüber der Regierung (Art. 57 VRK) keine große Bedeutung beigemessen werden. Ein gewisses Mißtrauen der Verfassung gegenüber dem Parlament kommt auch i n Art. 49 Abs. 2 ff. V R K deutlich zum Ausdruck: A r t . 49 Abs. 2 räumt dem Staatspräsidenten das Vetorecht ein, womit er notfalls 3 5 gegen das oppositionelle Parlament vorgehen kann. Dieses Kampfmittel w i r d allerdings dann keine durchsetzende Wirkung haben, wenn die Zwei-Drittelmehrheit des Parlaments gegen den Staatspräsidenten wäre. Aber ein derartiges Machtverhältnis war in der koreanischen Verfassungsgeschichte niemals eingetreten und w i r d auch i n absehbarer Zukunft nicht eintreten. Aus den erwähnten Bestimmungen ergibt sich eine relativ schwache Position des Parlaments und eine starke Abhängigkeit des Abgeordneten von der Partei und damit vom Staatspräsidenten selbst. Dieses i n der Verfassung zum Ausdruck gekommene Mißtrauen gegen das Parlament unterscheidet sich grundsätzlich von dem demokratischen Mißtrauen deutscher Prägung, das z. B. i n einer Reihe einzelner Vorschriften des GG enthalten ist 3 6 . Denn in Deutschland findet das demokratische Mißtrauen gegen den Gesetzgeber verfassungsorganisatorisch i n einer bisher unbekannten Aufwertung der rechtsprechenden Gewalt seinen Niederschlag, während es i n Korea nur die übermäßige Machtkonzentration an dem Staatspräsidenten zur Folge hat. Darin liegt der Grund des Rückschlages des Parlamentarismus in Korea. B. Allmacht des Staatspräsidenten I m Gegensatz zu der schwachen Position des Parlaments ist das A m t des Staatspräsidenten mit einer großen Fülle von Machtbefugnissen ausgerüstet. Der Staatspräsident w i r d wie die Parlamentsabgeordneten in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl auf vier Jahre 3 7 gewählt 3 8 . Angesichts A r t . 64 Abs. 3 V R K ist ein parteiloser Staatspräsident i n Korea völlig undenkbar, und i n der Regel werden sich nur Spitzen35 Dies wäre n u r dann erforderlich, wenn die Parlamentsmehrheit ausnahmsweise gegen i h n sein sollte. Unter den derzeitigen Gegebenheiten ist dies allerdings nicht vorstellbar. 36 Z u nennen sind u. a. A r t . 1 Abs. 3, 20 Abs. 3, 19 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4, 79 Abs. 1 Satz 1 u n d Abs. 3. Sodann ist hier auf die Vorschriften hinzuweisen, die speziell die fehlende Übereinstimmung von Gesetz u n d Verfassung behandeln, nämlich A r t . 93 Abs. 1 Nr. 2 u n d 4 a, A r t . 94 Abs. 2, A r t . 100 und A r t . 126 GG. 37 Vgl. A r t . 69 Abs. 1 V R K . 38 Vgl. A r t . 64 Abs. 1 V R K .

I I . Die Trabantenvorschriften

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Politiker der Parteien u m das A m t des Staatspräsidenten bewerben können. Die Verfassung sorgt ferner dafür, daß die Wahlperiode des Staatspräsidenten und Parlaments identisch sind 3 9 . Dadurch w i l l man die Homogenität der Parlamentsmehrheit und Regierung sichern und die Grundlage für eine stabile, handlungsfähige Regierung schaffen. Aber auf der anderen Seite, wie schon erwähnt, ermöglicht dies dem Staatspräsidenten, über die Partei das Parlament zu beherrschen. Seine Position gegenüber dem Parlament w i r d noch durch das i h m eingeräumte VetoRecht (Art. 49 Abs. 2 u. 3) erheblich gestärkt. Außerdem kann er jederzeit i m Parlament seine Meinung äußern 40 und Gesetzesvorlagen einbringen 41 . Die Verfassung verleiht dem Staatspräsidenten durch das Notverordnungsrecht (Art. 73 VRK) und das Recht auf Proklamation von „states of siege" (Art. 75 VRK) weitere wichtige Kompetenzen, m i t denen er die Funktion des Parlaments lahmlegen und sich einen Weg zur diktatorischen Alleinherrschaft bahnen könnte. Nicht nur gegenüber dem Parlament ist der Staatspräsident der stärkere Mann, sondern er ist auch innerhalb der vollziehenden Gewalt unbeschränkter Herrscher. Die vollziehende Gewalt steht zwar dem „State Council" zu, das aus dem Staatspräsidenten, dem Ministerpräsidenten und den Ministern besteht, und i n dem der Staatspräsident wie die anderen Mitglieder nur eine Stimme hat 4 2 . Jedoch ist das „State Council" i n Wirklichkeit nur ein beratendes Verfassungsorgan, weil alle Mitglieder dieses Organs ausschließlich vom Staatspräsidenten ernannt und entlassen werden und sich ihm allein zu verantworten haben 43 . Außerdem sind viele wichtige Sonderorgane der Verwaltung dem Staatspräsidenten unmittelbar untergeordnet, so z. B. das „National Security Council" (Art. 87 VRK), das „Board of Inspection " (Art. 92 VRK) und das „Economic and Scientific Council" (Art. 118 VRK), sodaß der Staatspräsident auf allen Gebieten der Verwaltung die direkte Kontrollmöglichkeit innehat. Diese starke Position des Staatspräsidenten hängt sicherlich i n gewissem Umfang mit der Annahme des Präsidialsystems nordamerikanischer Prägung zusammen 44 , dennoch ist die „total power" 45, die die geltende Verfassung dem Staatspräsidenten einräumt, das typische Merkmal der koreanischen Machtstruktur, die sich an das Neo-Präsidialsystem anlehnt. 39

Vgl. A r t . 69 Abs. 2 V R K . Vgl. A r t . 79 V R K . 41 Vgl. A r t . 48 V R K u n d A r t . 50 V R K . 42 Vgl. A r t . 63 Abs. 1 ; A r t . 83; A r t . 85; A r t . 86 V R K . 43 Vgl. A r t . 84, 85 Abs. 2, 88 und 89 V R K . 44 Die Verfassung der 2. Republik hatte sich für das parlamentarische Regierungssystem entschieden. 45 Siehe darüber näheres A. Wittfogel, Oriental Despotism: A Comparative Study of Total Power, 1957/Yale, insb. S. 101 ff. 40

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§ 7 Grundlage der Normenkontrolle und die herrschende Auffassung 2. Die Stellung der rechtsprechenden Gewalt in der Verfassungsordnung

A. Scheinbarer Primat der Justiz? Bisher wurde festgestellt, daß i n Korea verfassungsrechtlich der Staatspräsident wegen der neu eingeführten parteienstaatlichen Struktur das gesetzgebende Organ beliebig zur Ausführung seiner politischen Ziele verleiten kann. Nun soll untersucht werden, ob i n der rechtsprechenden Gewalt das notwendige Gegengewicht gegeben ist. Es wurde schon i n einem anderen Zusammenhang 46 festgestellt, daß allzu große Machtkonzentration gerade einem demokratischen Rechtsstaat schädlich ist und daß es daher unbedingt notwendig ist, zur Wahrung der Demokratie ein starkes Gegengewicht zu schaffen. Es wurde ferner festgestellt, daß heutzutage angesichts der Symbiose zwischen Parlament und Regierung nur die rechtsprechende Gewalt als ein solches Gegengewicht i n Frage kommt und daß dabei die richterliche Normenkontrolle als „eine notwendige Korrektur" und als ein „bescheidener Versuch zur Wiederherstellung des Gleichgewichts" betrachtet werden muß 4 7 . Einen solchen „bescheidenen Versuch" unternimmt die koreanische Verfassung, indem sie die Normenkontrollbefugnis ausschließlich der rechtsprechenden Gewalt überträgt. Es ist aber wirklich nur ein „bescheidener Versuch", denn die koreanische Verfassung kennt keine anderen Mittel, die der Wiederherstellung des Gleichgewichts dienen können. Das Institut der Normenkontrolle, die konkrete Normenkontrolle, ist das einzige Mittel, mit dem man den Machtmißbrauch seitens des Parlaments und des Staatspräsidenten bekämpfen kann. Deshalb bezeichnet Prof. Η an die geltende Verfassung als „einen Rückschlag i m Hinblick auf die justizstaatliche Machtkontrolle" 4 8 . Immerhin hat die koreanische Verfassung dieses Kampfmittel der rechtsprechenden Gewalt überlassen und sich damit zu einem Primat der Justiz — zumindest dem Schein nach — bekannt. Ob dieser in der Verfassung festgelegte Primat der Justiz tatsächlich zu einem Justizstaat" oder zur „Judiziokratie" führen wird, wie es etwa in den USA der Fall ist, oder ob sich der Primat der Justiz nur zu einer Verfassungsdekoration umwandeln wird, hängt m. E. entscheidend von der institutionellen Gestaltung der richterlichen Normenkontrolle und von der effektiven Handhabung dieses Instituts ab. Die Feststellung Prof. Hans, daß es angesichts einer fehlenden Verfassungstradition, die tief i m Bewußtsein des Volkes wurzelt, der rechtsprechenden Gewalt kaum gelingen wird, sich ihre Un48 47 48

Vgl. oben § 5, I I , 1, C, (a). Vgl. O. Bachof, i n : H. Huber-Festschrift, S. 42. Τ. Y. Han, Verfassungsrecht, S. 80 f.

I I . Die Trabantenvorschriften

145

abhängigkeit zu behaupten, geschweige denn, die Träger nichtrichterlicher Gewalt zu kontrollieren 4 9 , dürfte i m Hinblick auf die Erfahrungen i n der ersten Republik richtig sein. Um so dringlicher erscheint es m i r aber, das gegebene Institut der Normenkontrolle richtig zu verstehen und es als ein effektives Rechtsinstitut auszugestalten. Der herrschenden Auffassung, die dem A r t . 102 V R K nur einen konstitutiven Normcharakter beimißt und aus der richterlichen Normenkontrolle ein nutzloses A n hängsel zu machen versucht, kann auch unter diesem Gesichtspunkt nicht beigepflichtet werden. Die Notwendigkeit, aus dem Institut der Normenkontrolle eine wirksame Einrichtung zur Machtkontrolle zu machen, ist unter der geltenden Verfassung besonders groß, denn ohne ein solches Kontrollinstitut w i r d i n Korea eines Tages nur eine „Formaldemokratie" gedeihen. B. Der OGH als Beständigkeitsfaktor

in der Verfassungsdynamik

Die Aufgabe aber, ein derartiges Umfunktionieren der Demokratie zu verhindern, kann unter der geltenden Verfassung niemand anderem zugemutet werden als dem OGH. Wenn man sich überhaupt m i t Marcic 50 des Terminus „Beständigkeitsfaktor" bedienen darf, ist i n der koreanischen Verfassungsdynamik der OGH eben dieser Beständigkeitsfaktor. Diese Funktion kommt i h m nicht nur wegen seines Verfassungsorgancharakters 51 zu, sondern besonders wegen seines Gesamtbildes, das in der koreanischen Verfassung ausgeprägt ist. Dabei ist insbesondere an seine ausschließliche Zuständigkeit, die sehr wirksam dazu dient, die Beständigkeit und Stetigkeit des Gemeinwesens zu gewährleisten, zu denken. Deshalb sei i m folgenden die ausschließliche Zuständigkeit des OGH etwas näher erörtert. a)

Zusammensetzung

52

Wie schon dargelegt , setzt sich der OGH aus einem Gerichtspräsidenten und aus 12 Richtern zusammen, deren Berufungsmodalität weitgehend i n der Verfassung selbst geregelt ist. Ebenfalls ist bereits erwähnt, daß nach dem koreanischen Verfahren zur Richterwahl der Richterwahlausschuß (Judge Recommendation Councilder aus 9 Mitgliedern (4 Richtern des OGH, 2 Rechtsanwälten, einem Professor der Rechte, dem Justizminister und dem Generalstaatsanwalt) besteht, bei der Be49

Vgl. T. Y. Han, a.a.O., S. 80 f. Vgl. v o m Gesetzesstaat, S. 336 f. 51 Dem O G H ist die Stellung eines Verfassungsorgans zuzuerkennen, w e i l der O G H von der Verfassung selbst eingesetzt ist und dessen Organisation und Z u ständigkeit weitgehend i n der Verfassung selbst geregelt sind. Vgl. A r t . 96 Abs. 2; 97 Abs. 1 und 2; 99; 100 Abs. 1: Ferner A r t . 7 Abs. 3; 102; 104; 106 Abs. 2 VRK. 52 Vgl. oben § 5, I I , 2, A. (c). 50

10

Huh

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§ 7 Grundlage der Normenkontrolle u n d die herrschende Auffassung

setzung des OGH eine maßgebliche Rolle zu spielen hat, während der Staatspräsident und das Parlament auf die Richterwahl keinen so großen Einfluß zu nehmen vermögen 53 . Dieser Modus der Richterwahl gewährt dem OGH die notwendige Unabhängigkeit gegenüber dem Staatspräsidenten und dem Parlament, und verwehrt dem Staatspräsidenten und Parlament, sich i m OGH eine gefügige Mehrheit zu verschaffen. Diese Unabhängigkeit des OGH bedeutet i m weiteren die Unabhängigkeit der gesamten Rechtsprechung, w e i l die Richter unterer Instanzen ausschließlich auf Plenarbeschluß des OGH vom Gerichtspräsidenten des OGH ernannt werden und der Staatspräsident und das Parlament auf die Besetzung unterer Instanzen keinen Einfluß haben 54 . So gesehen muß gesagt werden, daß auch die geltende Verfassung die Unabhängigkeit des OGH ermöglicht. I m Hinblick auf das Institut der Normenkontrolle wollte die Verfassung dem OGH die für die rechtsstaatliche Demokratie unerläßliche Kontrollmacht zukommen lassen. Diese Ansicht läßt sich durch eine nähere Untersuchung der ausschließlichen, politischen Zuständigkeit, die dem OGH zugedacht ist, begründen. b)

Zuständigkeit

aa) Revisionszuständigkeit Der OGH ist kein Verfassungsgericht i m eigentlichen Sinne, sondern er ist i n erster Linie das Revisionsgericht, das in zivil-, straf- und verwaltungsrechtlichen Rechtsstreitigkeiten die oberste Instanz bildet 5 5 . Da i n Korea das Gerichtssystem einheitlich aufgebaut ist, kommen alle Revisonsfälle aus verschiedenen Rechtsgebieten i n letzter Instanz vor den OGH 5 6 . Jedoch nach dem jeweiligen Prozeßrecht ist Revision vor dem OGH nur auf Rechtsfragen beschränkt, so daß der OGH ausschließlich eine rechtliche Nachprüfung vornimmt 5 7 . Dem OGH kommt infolgedessen die Aufgabe zu, die Einheit des Rechts zu wahren, d. h. eine einheitliche Rechtsauslegung in grundsätzlichen Rechtsfragen zu sichern. 53

Vgl. oben § 5, I I , 2, A, (c), (dd). Vgl. A r t . 99 Abs. 3 V R K . 55 Das Gerichtsverfahren ist i n Korea nach dem Drei-Instanzen-Prinzip aufgebaut: Die „District Courts" als erste Instanz, die „Courts of Appeals" als zweite Instanz u n d der „Supreme Court" (OGH) als letzte Instanz (§ 3 Abs. 1, § 17, § 25, § 29, § 32-5 Gerichtsorganisationsgesetz [GOG], i. d. F. v. 9.3.1966, Gesetz-Nr. 1762). Die Verwaltungsgerichtsbarkeit bildet insofern eine Ausnahme, als bei i h r n u r zwei Instanzen — die „Courts of Appeals" als erste Instanz u n d der O G H als letzte Instanz — bestehen (§ 4 Abs. 1 K V w G O , i. d. F. v. 2. 5.1963, Gesetz-Nr. 1339). 56 Vgl. § 17 GOG. 57 Vgl. § 393, 400, 402 K Z P O , § 383, 384 u n d 390 KStPO. § 349 KStPO regelt eine Ausnahme, die auf dem Gerechtigkeitsgesichtspunkt beruht, indem bei Straftätern, die i n erster und (oder) zweiter Instanz zum Tode oder zu lebens54

I I . Die Trabantenvorschriften

147

bb) Ausschließliche Zuständigkeit Die wahre Aufgabe des OGH kann aber nicht i n dieser Revisionszuständigkeit gesehen werden, sondern seine gewichtigere Aufgabe liegt i n seiner originären Zuständigkeit, der verfassungspolitisch weit größere Bedeutung zukommt. Diese Zuständigkeit ist die ausschließliche Kompetenz des OGH, nach den Bestimmungen der Verfassung politische Parteien aufzulösen, Gesetze wegen Verfassungswidrigkeit zu verwerfen, und bei Verstoß gegen die Gesetze eine Präsidentschaftswahl, Parlamentswahl oder Volksabstimmung für nichtig zu erklären, worauf noch zurückzukommen sein wird. Dies ist echte Verfassungsgerichtsbarkeit, die die geltende Verfassung aus gutem Grund allein dem OGH anvertraut hat. I m Vergleich zum Supreme Court der Vereinigten Staaten, der allgemein als Verfassungsgericht bezeichnet wird, kann man m i t einer viel stärkeren Berechtigung den OGH der Republik Korea als Verfassungsgericht betrachten: Während dem Supreme Court der Vereinigten Staaten nur zwei verfassungspolitisch unbedeutende originäre Aufgaben zustehen — nämlich das diplomatische Personal betreffende Fälle und diejenigen Klagen, in denen ein Staat als Prozeßpartei auftritt — 5 8 , hat der OGH der Republik Korea weit bedeutendere politische Aufgaben. Dem japanischen OGH, der auch nach dem Vorbild des amerikanischen Supreme Court gebildet worden ist 5 9 , kommt dieser Verfassungsgerichtscharakter schon allein deshalb nicht zu, weil die Richter des japanischen OGH vom Kabinett bzw. vom Kaiser ernannt werden 6 0 und man daher von einer Unabhängigkeit dieser Richter wohl nicht sprechen kann. Wegen des unterschiedlichen Charakters der genannten Gerichtshöfe in ihrer Funktion als Verfassungsgericht kann daher der i n Korea herrschenden Auffassung, daß den koreanischen OGH dem beider Länder gleichzusetzen ist und auch die Gerichtspraxis beider Länder zu übernehmen ist, nicht gefolgt werden. U m die Stellung des koreanischen OGH als Verfassungsgericht i n der Verfassungsordnung noch zu verdeutlichen, seien die originäre Verfaslänglichem Zuchthaus verurteilt worden sind, eine Zwangsrevision vor dem O G H vorgeschrieben ist. I n solchen Fällen judiziert der O G H ausnahmsweise auch als Sachinstanz. 58 Vgl. A r t . I I I , sec. 2, cl. 2 der Verfassung der U S A : Dazu siehe etwa K. Loewenstein, Verfassungsrecht USA, S. 446, 449 u n d 454. 59 Vgl. u. a. Shimizu, DöV 1962, S. 401 ff. (401, 402 u n d 406); Ohgushi, JöR, N. F. Bd. 5, S. 301 ff. (303 m i t A n m . 3, 309 u n d 318); Kiyomiya, i n : Mosler, S. 326 ff. (328 und 336 f.). 60 Der Gerichtspräsident des O G H w i r d vom Kaiser u n d die übrigen Richter des O G H (zur Zeit 14) werden v o m Kabinett ernannt (Art. 79 u n d 80 der japanischen Verfassung). Dazu vgl. Kiyomiya, a.a.O., S. 336 f.; W. Röhl, Die japanische Verfassung, S. 134 f. 10·

148

§ 7 Grundlage der Normenkontrolle und die herrschende Auffassung

sungsgerichtsbarkeit dargelegt. α) Verwerfung

des OGH und die Verfahrensart des OGH näher

verfassungswidriger

Gesetze

Es wurde bereits gelegentlich angedeutet, daß der herrschenden Auffassung i n Korea, die A r t . 102 V R K als rein konstitutive Verfassungsnorm für die richterliche Normenkontrolle versteht und daraus eine „diffuse" Verwerfungskompetenz jeden Gerichts herleitet, nicht beigepflichtet werden kann. Dies w i r d i m Verlauf der Darstellung noch näher begründet werden. Es sei an dieser Stelle nur so viel gesagt, daß A r t . 102 V R K keine konstitutive Norm, sondern eine Gestaltungsiiorm darstellt, die den Zweck verfolgt, die Verwerfungskompetenz verfassungswidriger Gesetze beim OGH zu monopolisieren. Folglich hat man die Verwerfung verfassungswidriger Gesetze zu den ausschließlichen Kompetenzen des OGH zu rechnen. ß) Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit von politischen Parteien Außer dieser Verwerfungskompetenz verfassungswidriger Gesetze hat der OGH eine weitere wichtige politische Kompetenz inne, die die Verfassung unmittelbar und ausschließlich dem OGH verliehen hat, nämlich die Kompetenz, über die Verfassungswidrigkeit politischer Parteien zu befinden und ggf. die Parteien aufzulösen 61 . Diese Zuständigkeit des koreanischen OGH ist i n ihrer institutionellen Substanz m i t der Befugnis zu vergleichen, die dem BVerfG der BRD gemäß Art. 21 Abs. 2 GG i. V. m. § 13 Zif. 2 u. § 43 ff. BVerfG zusteht. Diese Parallele, die sich bis in den Wortlaut von A r t . 7 V R K und Art. 21 GG erstreckt 62 , zeigt, daß die koreanische Verfassung bei der Übernahme der parteienstaatlichen Struktur das Bonner GG zum Vorbild genommen hat. Durch diese Übernahme von Gedanken des Grundgesetzes hat die koreanische Verfassung i m Bestreben eine parteienstaatliche Demokratie zu verwirklichen, dafür Vorsorge getroffen, daß politische Parteien nicht von der Regierung willkürlich unterdrückt oder gar aufgelöst werden. Denn ohne ausreichenden Schutz politischer Parteien ist eine parteienstaatliche Demokratie überhaupt nicht denkbar. Durch die Regelung von A r t . 7 Abs. 3 V R K steht nur dem OGH das Recht zu, über die Verfassungswidrigkeit von politischen Parteien zu entscheiden. Dabei nimmt der OGH dieses Recht nicht von Amts wegen, sondern nur dann wahr, wenn ein Antrag von der Regierung gestellt wird. Der Antrag der Regierung bedarf seinerseits gemäß A r t . 86 Zif. 14 V R K eines Beschlusses des Kabinetts (State Council). 61 62

Vgl. A r t . 7 Abs. 3, A r t . 86 Ziff. 14 und A r t . 103 V R K . Siehe unten den koreanischen Verfassungstext i m Anhang.

I I . Die Trabantenvorschriften

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Eine politische Partei ist laut A r t . 7 Abs. 3 V R K verfassungswidrig, wenn der Zweck und die Tätigkeit der Partei der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zuwiderläuft. Was man konkret unter der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung" zu verstehen hat, ist durch die Rechtsprechung des OGH noch nicht näher erläutert. Es ist jedoch zu erwarten, daß der OGH i n Korea bei der Auslegung dieses vieldeutigen Wortlautes von der inzwischen i n der BRD ergangenen Judikatur des BVerfG zu Art. 21 Abs. 2 GG nicht sehr stark abweichen wird. Die außerordentliche Bedeutung, die die geltende Verfassung der A u f lösung einer politischen Partei zuerkennt, kommt u. a. dadurch zum Ausdruck, daß zur Auflösung einer Partei mindestens eine Drei-Fünftel· Mehrheit der Mitglieder des OGH erforderlich ist (Art. 103 V R K ) 6 3 . Der eine Partei auflösende Ausspruch des OGH besitzt konstitutive Wirkung, d. h. eine politische Partei w i r d erst und schon durch diesen Ausspruch aufgelöst. Deshalb ist die Durchführung der Auflösung, die nach § 40 KParteienG dem zentralen Wahlaufsichtskomitee (The Central Election Committee j64 zusteht, nur eine Formsache 65 . Die Auflösung einer politischen Partei hat zur Folge, daß die Schaffung von Ersatzorganisation verboten ist (§ 42 KParteienG) und daß die Parlamentsabgeordneten, die der aufgelösten Partei zugehörten, ihr Mandat verlieren (Art. 38 VRK). Diese Folgen sind endgültig, weil gegen die Entscheidung des OGH, durch die eine Partei aufgelöst wird, kein Rechtsmittel zulässig ist. Somit dürfte auch die Tatsache, daß die geltende Verfassung dem OGH die Kompetenz für Parteiverbote gegeben hat, ein Anzeichen dafür sein, daß der OGH ein Faktor der Kontinuität in der i m Werden begriffenen Demokratie i n Korea sein soll. y) Wahlgerichtsbarkeit Während die oben dargestellten beiden originären Kompetenzen des OGH i n der Verfassung selbst geregelt sind, ist die Wahlgerichtsbarkeit, die auch ausschließlich dem OGH zusteht, nur i m einfachen Gesetz geregelt. Dennoch kommt der Wahlgerichtsbarkeit keine geringere Bedeutung zu als der Verwerfung verfassungswidriger Gesetze und der Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit von politischen Parteien. Die Folgen, die sich aus einer Entscheidung ergeben würden, durch die eine Präsidentschaftswahl oder eine Wahl zur Nationalversammlung für ungültig erklärt wird, dürften politisch ebenso weitreichend sein wie die 63 Das einzelne Verfahren ist i n dem KParteienG (insb. § 40 ff.) u n d i n der K V w G O (§ 9) geregelt, worüber hier nicht näher erörtert werden kann. 64 Vgl. A r t . 107 und 108 V R K . 65 Das ist die herrschende Auffassung i n Korea. Vgl. u. a. T. Y. Han, Verfassungsrecht, S. 183; H. J. Muhn, Koreanisches Verfassungsrecht, S. 351.

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§ 7 Grundlage der Normenkontrolle u n d die herrschende Auffassung

Auflösung einer politischen Partei. Dies dürfte der Grund sein, daß die Verfassung die Wahlgerichtsbarkeit allein dem OGH anvertraut hat. I m Gegensatz zum Bonner Grundgesetz, daß grundsätzlich den Bundestag für die Wahlprüfung zuständig erklärt und nur Beschwerden gegen die Bundestag-Entscheidung an das BVerfG zuläßt 66 , w i r d i n Korea durch das Gesetz über die Wahl des Staatspräsidenten 67 und das Wahlgesetz der Nationalversammlung 6 8 die Befugnis zur Wahlprüfung ausschließlich dem OGH übertragen 69 . Dem OGH steht ferner die Aufgabe zu, die Gültigkeit von Volksabstimmungen, die für Verfassungsänderungen erforderlich sind, zu überprüfen 70 . Diese Regelung sowie die oben dargestellten Verfassungsbestimmungen (Art. 7 Abs. 3 und A r t . 102 VRK) haben zur Folge, daß sämtliche Verfassungsgerichtsbarkeit, soweit sie als politische Gerichtsbarkeit empfunden wird, beim OGH monopolisiert und von unteren Gerichten ferngehalten wird. c)

Verfahrensart

Der Doppelcharakter des OGH, einmal als der ordentliche Oberste Gerichtshof und zum anderen als das Verfassungsgericht, w i r d noch zusätzlich durch seine zweierlei Verfahrensarten deutlich: I n seiner ersteren Eigenschaft entscheidet der OGH nach dem Senatsprinzip und i n seiner Eigenschaft als Verfassungsgericht nach dem Plenarprinzip. Die verfassungsrechtliche bzw. gesetzliche Grundlage dieser Praxis ist Art. 97 Abs. 1 u. 2 V R K und § 7 Abs. 1 GOG. Das GOG hat grundsätzlich das sog. Plenarsystem i n der Form vorgesehen, daß ein einheitlicher Gerichtskörper von Zweidrittel seiner Mitglieder gebildet w i r d (§ 7 GOG). Für die Beschlußfähigkeit ist erforderlich, daß mindestens Zweidrittel seiner Mitglieder anwesend sind (§ 7 u. § 61 GOG). Die Entscheidung des OGH erfolgt gemäß § 59 Abs. 1 GOG mit absoluter Mehrheit der an der Entscheidung mitwirkenden Mitglieder, soweit nicht die Verfassung und das GOG etwas anderes bestimmt 7 1 . ββ Vgl. A r t . 41 GG; § 13 Ziff. 3, § 48 BVerfGG; § 1, § 18 W a h l p r ü f G ; § 5 Gesetz über die Wahl des Bundespräsidenten. 67 Vgl. § 123 ff. des Gesetzes über die W a h l des Staatspräsidenten v o m 1. 2. 1963, i. d. F. v. 14.12.1966, Gesetz-Nr. 1848. 68 Vgl. § 136 ff. WahlG der Nationalversammlung, i. d. F. v o m 14.12. 1966, Gesetz-Nr. 1849. 69 Den einzelnen Verfahrensvorschriften der Wahlgerichtsbarkeit k a n n hier natürlich nicht nachgegangen werden. 70 Vgl. § 69 des Gesetzes über die Volksabstimmung (vom 18. 3.1963, GesetzNr. 1308). Nach A r t . 121 V R K muß bei jeder Verfassungsänderung eine Volksabstimmung abgehalten werden. 71 Die Bestimmung des A r t . 103 V R K , die für die Entscheidung der Auflösung einer politischen Partei eine Mehrheit von drei Fünftel der Mitglieder des O G H vorschreibt, ist eine solche Ausnahme-Regel.

I I . Die Trabantenvorschriften

151

§ 7 Abs. 1 GOG läßt jedoch für zivil-, straf- und verwaltungsgerichtliche Verfahren den Dreier-Ausschuß unter der Voraussetzung zu, daß die 3 Richter, die den Dreier-Ausschuß bilden, über die Zuständigkeit einig sind. Daher können i m Rahmen der Revisionszuständigkeit des OGH Senate mit jeweils mindestens drei Richtern gebildet werden. Dagegen kann nach § 7 Abs. 1 Ziff. 1 ff. GOG nur das Plenum über die ausschließliche Zuständigkeit des OGH entscheiden 72 . Gemäß § 20 GOG ist die Bekanntgabe der abweichenden Meinung (Dissenting Vote) zulässig. Diese Praxis soll dazu beitragen, die Richterperscnlichkeit aus der Anonymität zu befreien, die Freiheit des Gewissens und der richterlichen Überzeugung zu gewährleisten, die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern und der i n der Demokratie gebotenen Wahrhaftigkeit und Offenheit Rechnung zu tragen. Nach alldem läßt sich feststellen, daß die geltende Verfassung zwar die Institution des VerfG der zweiten Republik abgeschafft, aber den größten Teil seiner Aufgaben dem OGH übertragen hat, um dadurch auch unter der neuen Verfassung das innerstaatliche Gleichgewicht zu wahren. Das hat zur Folge, daß der OGH i n der koreanischen Verfassungsordnung eine starke Machtposition einnimmt, die Korea zu einer rechtsstaatlichen Entwicklung verhelfen könnte. Diese Erkenntnis, daß die geltende Verfassung ein Verfassungsorgan eingerichtet hat, das imstande ist, über alle politischen Fragen, soweit sie überhaupt justiziabel sind, aus dem Gesichtspunkt der Gesamtinteressen zu befinden und dadurch die Beständigkeit des koreanischen Gemeinwesens zu sichern, muß bei der Auslegung des Art. 102 V R K beachtet werden. C. Die Rechtsstellung der Richter Die Feststellung, daß Korea dank der außerordentlich starken verfassungsrechtlichen Stellung des OGH sich zu einem Justizstaat entwickeln könnte, w i r d durch eine nähere Untersuchung der Rechtsstellung der Richter gleichzeitig bestätigt und eingeschränkt. a) P e r s ö n l i c h e

Unabhängigkeit

Die persönliche Unabhängigkeit der Richter w i r d dadurch besonders stark gewährleistet, daß die koreanische Verfassung, i m Gegensatz zum Bonner Grundgesetz, den Modus der Richterwahl weitgehend selbst regelt, die Amtsdauer der Richter aller Instanzen festlegt 73 und schließlich die Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit der Richter ausspricht 74 . 72 Außerdem entscheidet das Plenum, wenn der O G H eine von seinen früheren Entscheidungen abweichende Entscheidung treffen möchte (§ 7 Abs. 1 Ziff. 3 GOG). 73 Vgl. oben § 5, I I , 2, A , (c). 74 Vgl. A r t . 101 V R K ; § 41 GOG. Nach dieser Verfassungsbestimmung ist die

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§ 7 Grundlage der Normenkontrolle u n d die herrschende Auffassung

D u r c h die Ü b e r t r a g u n g der Geschäftsaufsicht d e m O G H , n i c h t a n die J u s t i z v e r w a l t u n g s b e h ö r d e , w i r d diese U n a b h ä n g i g k e i t noch v e r s t ä r k t ( A r t . 104 V R K ) . Jedoch k a n n dieser U m s t a n d n i c h t d a r ü b e r h i n w e g t ä u s c h e n , daß die persönliche U n a b h ä n g i g k e i t d e r Richter, m a g sie auch s t a r k i n der V e r fassung v e r a n k e r t sein, d u r c h die verfassungsrechtliche M ö g l i c h k e i t der Richteranklage (Impeachment) i n gewissem M a ß e b e e i n t r ä c h t i g t w i r d . E i n e solche B e e i n t r ä c h t i g u n g w ü r d e besonders d a n n e i n t r e t e n , w e n n die N a t i o n a l v e r s a m m l u n g das Recht a u f R i c h t e r a n k l a g e , das i h r gemäß A r t . 61 V R K 7 5 zusteht, aus w e l c h e n G r ü n d e n i m m e r , m i ß b r a u c h e n w ü r d e . E i n e M i ß b r a u c h s m ö g l i c h k e i t der R i c h t e r a n k l a g e w i r d d a d u r c h erleicht e r t , daß die N a t i o n a l v e r s a m m l u n g zugleich A n k l a g e b e h ö r d e ist u n d ü b e r die M e h r h e i t der Sitze i m „Impeachment Council" v e r f ü g t . Diese T a t sache k a n n die U n a b h ä n g i g k e i t der Rechtsprechung s t a r k b e e i n t r ä c h tigen. Das „Impeachment Council" besteht aus 9 M i t g l i e d e r n , u n d z w a r aus 4 R i c h t e r n des O G H u n d 5 A b g e o r d n e t e n d e r N a t i o n a l v e r s a m m l u n g — ist der G e r i c h t s p r ä s i d e n t des O G H der A n g e k l a g t e , d a n n aus 3 R i c h t e r n des O G H u n d '6 A b g e o r d n e t e n d e r N a t i o n a l v e r s a m m l u n g 7 6 ; eine E n t scheidung, die d e n A n g e k l a g t e n f ü r s c h u l d i g befindet, b e d a r f mindestens Entlassung der Richter, abgesehen von dem F a l l einer freiwilligen Demission, nur durch Impeachment oder strafrechtliche Bestrafung zulässig, worauf noch zurückzukommen sein w i r d . Außerdem die Dienstenthebung, Gehaltskürzung. Versetzung, vorzeitige Ruhestandsversetzung bei etwa länger dauernder E r k r a n k u n g oder notorischer Dienstunfähigkeit und sonstige Benachteiligung sind n u r durch Disziplinarmaßnahmen des Richterdisziplinarausschusses möglich, der beim O G H i m Wege der Selbstverwaltung bestellt w i r d und aus 7 Richtern bestehendes innergerichtliches Organ ist. Vgl. § 42 GOG; § 4 ff. RichterdisziplinarG. 75 A r t . 61 V R K regelt, daß die Nationalversammlung m i t absoluter Mehrheit ihrer Mitglieder u. a. gegen Richter vor dem „Impeachment Council" Anklage erheben kann, wenn Richter bei einer Amtshandlung gegen die Verfassung oder das Gesetz verstoßen. Die Nationalversammlung n i m m t dabei n u r Anzeigen von mindestens 30 ihrer Mitglieder entgegen (Art. 61 Abs. 2 V R K ) . Andere Personen können keine Anzeige erstatten. Die Erhebung der Anklage hat die Suspendierung v o m A m t zur Folge (Art. 61 Abs. 3 V R K ) . Gemäß A r t . 62 V R K besteht das „Impeachment Council" aus Abgeordneten der Nationalversammlung und Richtern des OGH. Das „Impeachment Council" w i r d n u r auf Anklage der National-Versammlung tätig. Dessen Verfahren regelt das Impeachment-Gesetz, worauf hier nicht näher eingegangen werden kann. Es sei n u r erwähnt, daß die Entscheidung des „Impeachment Council", die der Anklage stattgibt, die Absetzung des Amtsträgers zur Folge hat und diese Sanktion nicht ausschließt, daß daneben ein Verfahren vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit zulässig ist, wenn die Tat einen strafbaren Tatbestand erfüllt (Art. 62 Abs. 4 V R K ) . Gegen das U r t e i l des „Impeachment Council" kann kein Rechtsmittel eingelegt werden; Angeklagte, die für schuldig befunden und von ihrem A m t entlassen worden sind, können gemäß § 31 ImpeachmentG erst nach A b l a u f von drei Jahren wieder Ä m t e r ausüben, die i n A r t . 61 Abs. 1 V R K genannt sind. 76 Vgl. A r t . 62 Abs. 2 V R K .

I I . Die Trabantenvorschriften

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6 Ja-Stimmen 7 7 . Diese Regelung gibt der Nationalversammlung formell die Möglichkeit, sich des Gerichtspräsidenten des OGH durch das I m peachment zu entledigen. I m Zusammenhang damit muß die Verfassungsbestimmung gesehen werden, nach der für eine wirksame Ernennung des Gerichtspräsidenten des OGH die Zustimmung der Nationalversammlung erforderlich ist 7 8 . Diese Regelung mag sich unter dem Gesichtspunkt der demokratischen Legitimation des höchsten Gerichts rechtfertigen. Auch mag der Richteranklage der Gedanke einer besonderen politischen Verantwortlichkeit des Richters zugrunde liegen 79 . Dennoch darf nicht verkannt werden, daß das Impeachment eine gefährliche Verfassungsinstitution darstellt, die durch die Nationalversammlung für politische Zwecke mißbraucht werden kann. Die unvollständige Absicherung der richterlichen Unabhängigkeit in der geltenden Verfassung gibt zu Bedenken Anlaß. Da die Verfassung die Normenkontrollfunktion der Rechtsprechung überträgt und das Institut der Normenkontrolle i n Korea das wichtigste M i t t e l ist, um eine Entwicklung zu einer nur formalen Demokratie zu verhindern, muß m. E. das Impeachment gegen Richter ersatzlos gestrichen werden. Erst dann kann man von einer wahren Unabhängigkeit der Richter sprechen und das Institut der Normenkontrolle kann erst dann seine volle Wirksamkeit entfalten. Es braucht i n diesem Zusammenhang nicht besonders darauf hingewiesen zu werden, daß die freiheitliche Verfassungsordnung, der demokratische Rechtsstaat, wesensnotwendig und untrennbar mit der Institution des unabhängigen Richters verbunden ist, und daß die Freiheit dann eingeschränkt ist, wenn die Gerichte eine starke Abhängigkeit von Exekutive und Legislative haben. Deshalb soll dem Richter, wie Marcic 80 betont, eine so mächtig ausgebaute unabhängige Stellung eingeräumt werden, daß alle Interventionen an ihm abprallen. „Er darf", um mit Marcic zu sprechen, „von der Administrative und Legislative nichts zu hoffen und nichts zu fürchten haben 81 ." Die verfassungsrechtliche Institution der Richteranklage koreanischer Prägung ist aber m i t dieser Forderung nicht vereinbar. Der Forderung unabhängiger Richter ist erst dann Rechnung getragen, wenn die Möglichkeit einer Richteranklage nicht mehr gegeben ist. b) S a c h l i c h e

Unabhängigkeit

Die Unabhängigkeit des Richters umfaßt neben der persönlichen Unabhängigkeit, daß kein Richter für sein Verhalten zur Verantwortung gezogen werden kann, auch die sachliche Unabhängigkeit, die darin be77 78 79 80 81

Vgl. A r t . 62 Abs. 3 V R K . Vgl. A r t . 99 Abs. 1 V R K . Dazu auch oben § 5, I I , 2, A, c, (aa). Vgl. T. Maunz, Staatsrecht, 15. Aufl., S. 242. Vgl. v o m Gesetzesstaat, S. 323. R. Marcic, a.a.O., S. 323.

154

§ 8 Eigene Stellungnahme

steht, daß er i n der Ausübung seiner richterlichen Tätigkeit an keine Weisungen anderer Staatsorgane gebunden ist. Die koreanische Verfassung gewährt dem Richter nicht nur die persönliche Unabhängigkeit i n der oben dargelegten Weise, sondern auch die sachliche Unabhängigkeit, indem sie i n Art. 98 V R K regelt, daß die Richter unabhängig, nach bestem Gewissen und „in conformity with the Constitution and law " ihr A m t auszuüben haben. Dieser Verfassungssatz stellt eine traditionelle Formel dar, die die sachliche Unabhängigkeit der Richter ausdrückt. Aus A r t . 98 V R K ergibt sich ferner, daß die Richter Weisungen, insbesondere durch die Regierung, nicht unterworfen sind und daß derartige Weisungen an den Richter verfassungswidrige Handlungen bedeuten würden 8 2 . Der Sinn des A r t . 98 V R K erschöpft sich jedoch nicht i n der Regelung der sachlichen Unabhängigkeit der Richter, Art. 98 V R K normiert darüber hinaus die inzidente Kontrollbefugnis der Richter schlechthin. Da die Verfassung allen Richtern aufträgt, nach bestem Gewissen und „ i n conform i t y w i t h the Constitution" ihr A m t auszuüben, wäre es widersinnig, falls die Richter trotzdem zur Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes verpflichtet sein sollten. Daher ist zu untersuchen, ob A r t . 102 V R K trotz A r t . 98 V R K überhaupt lediglich die inzidente Kontrollbefugnis der Richter meinen könnte. Darauf w i r d i m folgenden Abschnitt näher einzugehen sein.

§ 8 Eigene Stellungnahme — Einwendungen gegen die herrschende Auffassung I . System konzentrierter Verwerfungskompetenz beim O G H

I n den bisherigen Darlegungen wurde gezeigt, daß die herrschende Auffassung, die aus A r t . 102 V R K nur einen verfassungsrechtlichen Annex abzuleiten versucht, indem sie A r t . 102 V R K als konstitutive Norm für das richterliche Prüfungsrecht betrachtet und jedem Richter das Recht eingeräumt wissen w i l l , Rechtsnormen nach seinem Gutdünken zu verwerfen, nicht geteilt werden kann. Es wurde auch festgestellt, daß die Entstehungsgeschichte der V R K keinen Beitrag zur Problemlösung 82 So die einmütige Auffassung i n Korea. Vgl. u. a. H. J. Muhn, Koreanisches Verfassungsrecht, S. 529; C. O. Yu, Verfassungsrecht, S. 244; I. K . Park/Y. S. Yang , Grundzüge des Verfassungsrechtes, S. 184; I. K . Park, Neues Verfassungsrecht, S. 488 f.; T. Y. Han, Verfassungsrecht, S. 515 f.; K . B. Kim, Verfassungsrecht, S. 407; B. D. Kang, Neues Verfassungsrecht, S. 384; S. B. Han, Kommentar, S. 351; Z. K . Lie, Neues Verfassungsrecht, S. 185 f.

I. System konzentrierter Verwerfungskompetenz beim O G H

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leisten kann, da über die Zielsetzung beim Erlaß von A r t . 102 V R K keine Hinweise vorliegen. Außerdem wurde darauf hingewiesen, daß die Auslegung des Art. 102 V R K i m Sinne der herrschenden Auffassung schon angesichts der übermäßigen Machtkonzentration i n Korea mit der demokratischen Grundtendenz der Verfassung nicht übereinstimmt. I m folgenden soll die eigene Auffassung, daß Art. 102 V R K ein System konzentrierter Verwerfungskompetenz beim OGH eingeführt hat, näher dargelegt und begründet werden. 1. Art. 98 V R K als konstitutive Verfassungsnorm für das richterliche Prüfungsrecht

Die herrschende Auffassung geht davon aus, daß allein Art. 102 V R K die richterliche Prüfungskompetenz konstitutiv regelt. Deshalb ist zuerst zu prüfen, ob die richterliche Prüfungskompetenz ausschließlich in Art. 102 V R K verankert ist. A. Verfassungs- und Gesetzesbindung des Richters Art. 98 V R K regelt, daß die Richter unabhängig, nach bestem Gewissen verfassungs- und gesetzeskonform zu judizieren haben 83 . Diese Verfassungsbestimmung wollte i n erster Linie die sachliche Unabhängigkeit der Richter normieren und eine weisungsunabhängige Rechtsprechung gewähren. Jedoch erschöpft sich der Sinn dieser Verfassungsvorschrift darin nicht, sondern es muß aus Art. 98 V R K entnommen werden, daß die Richter an die Verfassung, an das Gesetz und an ihr Gewissen gebunden sind. Dabei ist von Bedeutung, daß die koreanische Verfassung, i m Gegensatz etwa zum Bonner GG (Art. 97 Abs. 1), die „Verfassung " aus dem materiellen „Gesetzes"-Begriff herausgenommen, ausdrücklich erwähnt und damit die Verfassungsbindung der Richter besonders hervorgehoben hat. Hieraus müssen zwei Konsequenzen gezogen werden, nämlich, daß der Verfassunggeber bei der Regelung des A r t . 98 V R K dem Rangunterschied zwischen Verfassung und Gesetz besondere Bedeutung beigemessen hat und daß er den Richtern eine Verhaltensdirektive erteilt hat, wie sie sich bei der Normenkollision zu verhalten haben. So betrachtet, ist die richterliche Inzidentnormenkontrolle eine normlogische Folge des Art. 98 VRK. Daher würde es den verfassungsrechtlichen Gegebenheiten widersprechen, den Richtern zuzumuten, die verfassungsrechtliche Ver83 Die englische Übersetzung des A r t . 98 V R K hat folgenden Wortlaut: "The judges shall judge independently according to their consciences and i n conf o r m i t y w i t h the Constitution and law." Es muß darauf geachtet werden, daß der Wortlaut von A r t . 98 V R K u n d von A r t . 97 Abs. 1 GG nicht identisch ist; A r t . 98 V R K ist bedeutend weiter gefaßt als A r t . 97 Abs. 1 GG u n d ähnelt eher Art. 121 der Rh.-Pf.-Verfassung.

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§ 8 Eigene Stellungnahme

haltensdirektive nicht zu beachten und Gesetze, die nach ihrer Meinung verfassungswidrig sind, anzuwenden. Die Verhaltensdirektive des A r t . 98 V R K setzt aber voraus, daß die Verfassung gegenüber Gesetzen höherrangig ist 8 4 . Dieser Vorrang der Verfassung ist, wie sich herausstellen wird, durch eine klare Trennung der verfassunggebenden und gesetzgebenden Gewalt positivrechtlich i n der Verfassung statuiert. a) T r e n n u n g d e r v e r f a s s u n g s und gesetzgebenden Gewalt Die koreanische Verfassung sieht zwar keinen Verfassungskonvent vor, den die nordamerikanische Verfassung kennt und dem freisteht, alle ihm richtig erscheinenden Verfassungsänderungen vorzunehmen und sogar eine völlig neue Verfassung zu erlassen 85 , jedoch trennt sie die verfassunggebende Gewalt von der gesetzgebenden Gewalt, indem sie für Verfassungsänderungen die Volksabstimmung vorschreibt (Art. 121 VRK). Dies ergibt sich aus Art. 119 ff. VRK, wonach eine Verfassungsänderung erst dann zustande kommt, wenn sie bei der Volksabstimmung, wobei mehr als 50 °/o der Stimmberechtigten 80 an der Volksabstimmung teilgenommen haben müssen, m i t absoluter Mehrheit der abgegebenen Stimmen angenommen wird, nachdem die Nationalversammlung m i t Zweidrittelmehrheit 8 7 ihrer gesetzlichen Mitglieder die Verfassungsänderung beschlossen hat 8 8 . Durch diese klare Trennung der verfassungs- und gesetzgebenden Gewalt zeigt sich der starre Charakter der koreanischen Verfassung und der Rangunterschied zwischen Verfassung und einfachem Gesetz. 84

Über die Bedeutung des Rangproblems für das richterliche Prüfungsrecht i n der Weimarer Zeit siehe oben § 4,1, 2, A. 85 Dazu siehe K . Loewenstein, Verfassung USA, S. 40. 88 I n Korea ist das aktive Wahlalter 20 Jahre (Art. 21 V R K , jedoch nach deutscher Altersrechnung 19 Jahre). Das passive Wahlalter zum Parlament ist 25 Jahre, nach deutscher Altersrechnung 24 Jahre (§ 9 K W a h l G ) u n d zum Staatspräsidenten 40 Jahre, nach deutscher Altersrechnung 39 Jahre (Art. 64 Abs. 2 V R K ) . 87 Bei der normalen Gesetzgebung braucht die Nationalversammlung gemäß A r t . 45 V R K i. d. R. n u r eine absolute Mehrheit der anwesenden Mitglieder, wobei das Beschlußquorum — das ist die Mehrheit der gesetzlichen M i t g l i e der — anwesend sein muß. 88 Die koreanische Verfassung kennt aber keine dem A r t . 79 Abs. 3 GG entsprechende Unabänderlichkeitsklausel. Das dürfte w o h l damit zusammenhängen, daß i n Korea das V o l k unmittelbar bei der Verfassungsänderung beteiligt ist u n d es i h m nach dem Prinzip der Volkssouveränität freistünde, sogar die Staatsform zu ändern. Außerdem geschieht die Verfassungsänderung nicht etwa wie i n den USA durch „amendment" sondern i n Form einer „revision".

I. System konzentrierter Verwerfungskompetenz beim O G H

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Der Umstand, daß die koreanische Verfassung keine „Supreme-Law of the land-Klausel" , die ζ. Β. die nordamerikanische 89 und japanische Verfassung 90 kennen, und daß sie keine „Bindungsklausel " nach A r t des GG 9 1 enthält, schränkt den Vorrang der Verfassung nicht ein. Angesichts dieser eindeutigen Verfassungslage war i n Korea der Geltungsvorrang der Verfassung in der Lehre und Praxis nie bestritten 9 2 .

und

b) V o r r a n g d e r V e r f a s s u n g das r i c h t e r l i c h e Ρ r ü f u η g sr e c h t

Art. 98 V R K beruht gerade auf diesem klaren Vorrang der Verfassung und schreibt dem Richter vor, dem Rechnung zu tragen. Dem verfassungsrechtlichen Gebot des A r t . 98 V R K an die Richter, bei der Fallentscheidung verfassungs konform zu judizieren, entspricht das verfassungsrechtliche Verbot, i m Einzelfall einfache Gesetze, die der Verfassung inhaltlich widersprechen, anzuwenden. Prof. Han 9 3 meint i m Zusammenhang mit A r t . 98 VRK, um die Unabhängigkeit und Gesetzesgebundenheit der Richter zu betonen, daß die Richter „ M u n d des Gesetzes" und sogar „Sklaven des Gesetzes" seien. Aber, wie ich meinen möchte, soll nach A r t . 98 V R K der Richter eher „Mund der Verfassung" und „Sklave der Verfassung" sein, als einem verfassungswidrigen Gesetz Vorschub zu leisten. Denn wenn i n einer Verfassungsordnung, i n der die primäre Geltung der Verfassung unbestritten ist, die Verfassung bestimmt, daß die Richter ihr A m t gewissenhaft „ i n accordance w i t h the Constitution and law" auszuüben haben, kann es nur bedeuten, daß die Richter der „Constitution " als der ranghöheren Norm größeren Gehorsam schuldig sind und deshalb zu prüfen haben, ob ein anzuwendendes „laiv" verfassungswidrig ist. Andernfalls müssen die Richter m i t Vorwürfen rechnen, daß sie bei der Amtsausübung verfassungswidrig gehandelt hätten, was gemäß Art. 61 V R K das „Impeachment" zur Folge haben könnte. Daher muß gesagt werden, daß die Znzidentnormenkontrollbefugnis der Richter als logische Konsequenz des Vorrangs der Verfassung und als Teilinhalt der richterlichen Unabhängigkeit, die A r t . 98 V R K deklariert, 89 Vgl. A r t . V I : "This C o n s t i t u t i o n . . . shall be the supreme l a w of the land.. 90 Vgl. A r t . 98: „Diese Verfassung ist das oberste Gesetz des Landes . . ( v g l . W. Röhl , Die japanische Verfassung, S. 142). 91 Vgl. A r t . 1 Abs. 3 u n d A r t . 20 Abs. 3 GG. 92 Vgl. u. a. T. Y. Han, Neues Verfassungsrecht, S. 486; derselbe , Verfassungsrecht, S. 500 f.; H. J. Muhn, Neues Verfassungsrecht, S. 254, 258, 268; derselbe, Koreanisches Verfassungsrecht, S. 51, 530; C. O. Yu, Verfassungsrecht, S. 244; I. K . Park/Y. S. Yang, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 188, 234; B. K . Kai, Die richterliche Prüfung, S. 156. 93 Vgl. T. Y. Han, Verfassungsrecht, S. 497.

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§ 8 Eigene Stellungnahme

allen Richtern durch die Verfassung übertragen ist, und zwar unabhängig von der Bestimmung des A r t . 102 V R K 9 4 . B. Art. 102 VRK — eine Gestaltungsnorm Aus dieser Feststellung ergibt sich, daß man die richterliche Prüfungskompetenz i n Korea nicht erst wegen Art. 102 V R K anzuerkennen hat, wie die herrschende Auffassung behauptet, sondern daß sie schon durch Art. 98 V R K eingeführt ist. Man sollte deshalb nicht Art. 102 VRK, sondern Art. 98 VRK als konstitutive Verfassungsnorm für die richterliche Prüfungskompetenz betrachten. Art. 102 V R K dagegen t r i f f t keine Aussage über die Einführung der richterlichen Normenkontrolle schlechthin, sondern nur zur Übertragung der Verwerfungsbefugnis an den OGH, da wegen der grundsätzlichen Anerkennung der richterlichen Normenkontrolle i n Art. 98 V R K nur die Übertragung der Verwerfungsbefugnis einer anderweitigen verfassungsrechtlichen Regelung bedarf. Geht man dagegen mit einigen koreanischen Autoren davon aus, daß sowohl Art. 102 V R K als auch Art. 98 V R K der konstitutive Normcharakter zukäme 95 , dann ist nicht recht ersichtlich, warum der Verfassunggeber ein und denselben Inhalt zweimal normiert haben soll. Wenn man nach dieser Ansicht beide Normen für konstitutiv ansieht, könnte auf eine von ihnen (z. B. Art. 102 VRK) verzichtet werden, es sei denn, eine dieser Bestimmungen hätte einen überschießenden Normgehalt oder man zieht eine doppelte verfassungsrechtliche Absicherung vor. So meine ich, daß es sich bei Art. 102 VRK in erster Linie um eine Gestaltungsnorm, die das „Wie-Problem" regelt, und um ein Verwerfungsinstitut handelt, während es bei Art. 98 VRK u m eine konstitutive Verfassungsnorm geht, die das „Ob-Problem" i m Auge hat. M. a. W. Art. 98 V R K beläßt das Recht, die Verfassungsmäßigkeit der anzuwendenden Gesetze zu prüfen, zunächst dem einzelnen, jeweils i n der Sache zuständigen Gericht. Aber dieses kann ein seines Erachtens verfassungswidriges Gesetz nicht verwerfen, weil i h m Art. 102 V R K die Verwerfungskompetenz entzieht. Das hat zur Folge, daß den unteren Gerichten nach Art. 98 V R K nur die Prüfungsbefugnis zukommt und die Verwerfungsbefugnis nach Art. 102 V R K nur dem OGH zusteht. Damit hat sich die koreanische Verfassung auf den Standpunkt gestellt, daß die Prüfungs- und Verwerfungsbefugnis nicht unbedingt zusammenfallen müssen, und sie hat i n Übereinstimmung m i t der heutigen verfassungsrechtlichen Entwicklung 9 6 die Verwerfungskompetenz von der Prüfungskompetenz getrennt und bei einem einzigen Organ, dem OGH, monopolisiert. 94 Z u m Verhältnis der Unabhängigkeitsklausel zu der richterlichen Normenkontrollbefugnis vgl. oben § 2, I I I , 2, C. 95 Vgl. B. D. Kang, Neues Verfassungsrecht, S. 384; K. B. Kim, Verfassungsrecht, S. 407 f.; Z. K . Lie, Neues Verfassungsrecht, S. 189 f. 98 Dazu siehe insbesondere oben § 5, I I .

I. System konzentrierter Verwerfungskompetenz beim O G H

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Diese Trennung und Monopolisierung ist jedoch i m Grunde für Korea keine Neuheit, sie ist vielmehr eine feste Verfassungstradition seit 1948. Wie schon erwähnt, wurde in der ersten Republik unter der Lie-Regierung (1948 - 1960) die Verwerfungskompetenz bei dem Verfassungskomitee monopolisiert, während sie i n der zweiten Republik unter der Chang-Regierung (1960 - 1961) ausschließlich dem VerfG übertragen wurde 9 7 . Die jetzige Regelung, die die Verwerfungskompetenz beim OGH konzentriert, ist daher nur insofern neu, als die Verwerfungskompetenz nun innerhalb der rechtsprechenden Gewalt verbleibt, während sie früher weitgehend in den Händen politischer Gremien lag. I n dieser Verfassungstradition, nach der die Verwerfungskompetenz immer bei einem „politischen" Gremium monopolisiert war und ist, spiegelt sich die koreanische Denkweise, die Verwerfung eines von der Nationalversammlung erlassenen Gesetzes in erster Linie als eine politische Angelegenheit zu betrachten. Auch unter diesem Gesichtspunkt erscheint der Versuch der herrschenden Auffassung, untere Gerichte auch mit der Entscheidung von Fragen zu befassen, die den Bereich des „Politischen" berühren, sehr fragwürdig. Dies würde auch die Gefahr in sich bergen, daß die öffentliche Meinung die Entscheidung unterer Gerichte als eine „Politische" auffassen und werten würde, was der Unabhängigkeit der Rechtsprechung wenig förderlich wäre. Nach der gegenwärtigen Verfassungslage ist es daher nötig, die Verwerfungskompetenz beim OGH zu monopolisieren, der durch die M i t w i r k u n g erfahrener und bedeutender Persönlichkeiten die genannte Gefahr verhindern würde. 2. Textexegese als Begründungsfaktor

Die herrschende Auffassung, Art. 102 V R K sei eine konstitutive Verfassungsnorm für die richterliche Prüfungskompetenz und statuiere diffuse Verwerfungskompetenz, ist unhaltbar auch unter dem Gesichtspunkt einer Wortinterpretation des Art. 102 VRK. A. Die Bedeutung des Wortes „endgültig"

i n Art. 102

Die herrschende Auffassung zieht offensichtlich ihre Schlußfolgerung hauptsächlich aus dem Wörtchen „endgültig" (finally) i n A r t . 102 VRK. Denn wenn Art. 102 V R K ohne dieses Wörtchen „endgültig" lauten würde: „Bildet die Frage der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes eine Vorfrage bei der gerichtlichen Entscheidung, so hat der OGH das Recht, eine Entscheidung zu treffendürfte niemand auf die Idee gekommen sein, daß diese Bestimmung doch die Verwerfungskompetenz unterer Gerichte statuiere. 97

Vgl. oben § 6, Anm. 2.

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§ 8 Eigene Stellungnahme

I n der Tat weist die herrschende Auffassung zur Begründung ihrer Thesen einmütig auf das Wörtchen „endgültig" hin 9 8 . Daher ist es unentbehrlich, dieses Zauberwörtchen näher zu untersuchen und zu prüfen, ob sich daraus wirklich die diffuse Verwerfungskompetenz unterer Gerichte ergeben kann. Um es vorweg zu sagen, kann dem Wörtchen „endgültig" eine derartige folgenschwere Bedeutung nicht zukommen. Es wurde schon dargestellt, daß die koreanische Verfassung bei der Regelung des Instituts der Normenkontrolle seit jeher von der notwendigen Unterscheidung zwischen Prüfungskompetenz und Verwerfungskompetenz ausgegangen ist und i n Art. 98 V R K die erstere und i n A r t . 102 V R K die letztere normiert hat. Das Wörtchen „endgültig" in A r t . 102 V R K beruht gerade auf dieser institutionellen Trennung und deutet die Prüfungskompetenz unterer Gerichte an, die ihnen wegen Art. 98 V R K zusteht. Es ist richtig, daß der Richter aller Instanzen nach A r t . 98 V R K berechtigt und verpflichtet ist, das anzuwendende Gesetz zu prüfen und ein verfassungswidriges Gesetz i m konkreten Fall nicht anzuwenden. Dies gilt jedoch nur unter der Voraussetzung, daß die Verfassung nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt — wobei vor allem an die Einsetzung einer besonderen Instanz zur Verwerfung verfassungswidriger Gesetze gedacht ist. Gerade A r t . 102 V R K — spezifisch das Wörtchen „endgültig" — macht unteren Gerichten eine solche Einschränkung. Daher kann das Wörtchen „endgültig" i n A r t . 102 V R K nicht bedeuten, wie es die herrschende Lehre auszulegen pflegt, daß untere Gerichte über die Verfassungsmäßigkeit eines anzuwendenden Gesetzes eine „endgültige" Entscheidung treffen sollen, sei es i m positiven oder sei es i m negativen Sinne, und der OGH nur auf dem Instanzenweg, falls die Sache überhaupt ihm anhängig werden sollte, sie allerletztlich nochmals überprüfen soll. Der Begriff „endgültig" i n A r t . 102 V R K setzt demnach ein ungeklärtes Problem voraus, das der „endgültigen" Klärung durch den OGH bedarf. Wenn man aber mit herrschender Auffassung die Bedeutung dieses Wörtchens darin erblicken würde, daß untere Gerichte auch ein verfassungswidriges Gesetz i m konkreten Fall „endgültig" verwerfen dürfen, dann bleibt kein ungeklärtes Verfassungsproblem mehr übrig, das der „endgültigen" Klärung durch den OGH bedarf. Man könnte natürlich auf den prozeßrechtlichen Instanzenzug hinweisen, nämlich daß der OGH 98 Vgl. T. Y. Han, Verfassungsrecht, S. 521, 533, 506 f.; H. J. Muhn, Koreanisches Verfassungsrecht, S. 134, 538, 530, 545; B. K. Kai, Die richterliche Prüfung. S. 146, 155, 156, 164, 165; Z. K. Lie, Neues Verfassungsrecht, S. 309; S. B. Han, Kommentar, S. 365; B. D. Kang, Neues Verfassungsrecht, S. 505; K . B. Kim, Verfassungsrecht, S. 416, 417,419.

I. System konzentrierter Verwerfungskompetenz beim O G H

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als Revisionsinstanz doch die Möglichkeit hätte, sich m i t dem Verfassungsproblem allerletztlich zu befassen, und zwar i n dem Fall, daß auch untere Gerichte ihrerseits ein verfassungswidriges Gesetz i m konkreten Fall nicht angewendet hätten. Aber, wie Prof. M u h n " und Park 100 selber zugeben, und wie Spanner 101 mit Recht darauf hinweist, bieten die bestehende Justizeinheit als solche und der mögliche Instanzenzug keine Gewähr für die ausnahmslose Konzentrierung aller Rechtsstreitsfälle bei dem OGH. Und das ist, wie noch später darzulegen sein w i r d 1 0 2 , tatsächlich i n Korea der Fall. Deshalb bleibt bei dieser Auslegung das Paradoxon, daß die Verfassungsbestimmung des A r t . 102 V R K i n ihr Gegenteil gekehrt wird. Sie soll die verfassungsmäßige Rechtsordnung bewahren. Durch die Auslegung i m Sinne der herrschenden Auffassung w i r d aber dem OGH das Recht entzogen, über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen endgültig zu befinden. Solche Paradoxie kann nur vermieden werden, wenn man das Wörtchen „endgültig" nicht auf untere Gerichte, sondern auf den OGH bezogen so auslegt, daß untere Gerichte zuerst zu prüfen haben, ob ein anzuwendendes Gesetz verfassungswidrig ist, aber die „endgültige " Entscheidung darüber nur der OGH zu treffen vermag. Wenn die Verfassung i n Art. 102 V R K tatsächlich zum Ausdruck hätte bringen wollen, wie die herrschende Lehre meint, daß der OGH nur eine Letztentscheidungsbefugnis i m Instanzenweg ausüben soll, hätte Art. 102 V R K lauten können: „Bildet die Frage der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes eine Vorfrage bei der gerichtlichen Entscheidung, so hat das Gericht das Recht, darüber zu entscheiden". Schon m i t dieser Formulierung würde der Letztentscheidungsbefugnis des OGH i m Instanzenweg Genüge getan, weil unter dem geltenden einheitlichen Gerichtssystem in Korea der OGH sowieso für alle Revisionsfälle zuständig ist und das zur Folge haben würde, was die herrschende Auffassung als Auslegung des jetzigen A r t . 102 V R K zu erreichen versucht. Und man möchte fast meinen, daß durch die Formulierung „ . . . , so hat das Gericht . . . " dem konstitutiven Normcharakter des A r t . 102 V R K wesentlich besser hätte Rechnung tragen können. Daher stellt sich die Frage, was wohl den Verfassunggeber dazu bewegt haben könnte, daß er doch auf solche klare Ausdrucksweise verzichten und sich der jetzigen Formulierung bedienen mußte. Darauf gibt es nur eine Antwort, nämlich daß der Verfassunggeber traditionstreu ein System konzentrierter Verwerfungskompetenz i m Auge hatte und die Verwerfungskompetenz beim OGH, den er in A r t . 102 V R K besonders hervorhebt, monopolisieren wollte. 99

Vgl. H. J. Muhn, Koreanisches Verfassungsrecht, S. 539. 100 Vgl. ι . χ. Park, Neues Verfassungsrecht, S. 505.

101 102

Vgl. Die richterliche Prüfung, S. 76. Vgl. unten § 8,1, 3.

11 Huh

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§ 8 Eigene Stellungnahme

So gesehen, muß dem Wörtchen „endgültig" die Bedeutung beigemessen werden, die die Absolutheit und Ausschließlichkeit der Verwerfungskompetenz des OGH betont. Es mag sein, daß Art. 102 V R K durch dieses Wörtchen „endgültig" eher noch verwirrend w i r k t und viele Autoren i n Korea irreführt. Deshalb ist zu empfehlen, A r t . 102 V R K so zu sehen, als wäre das Wörtchen „endgültig" nicht vorhanden. B. Der Sinn des Wortlautes: „Bildet die Frage, ob ein Gesetz verfassungswidrig ist, eine Vorfrage bei der gerichtlichen Entscheidung,..." Der Gestaltungsnormcharakter des A r t . 102 V R K kommt auch i m folgenden Wortlaut deutlich zum Ausdruck: „Bildet die Frage der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes eine Vorfrage bei der gerichtlichen Entscheidung, . . . " . Dieser Wortlaut läßt zuerst einmal keine Zweifel darüber, daß es bei Art. 102 V R K nur um eine konkrete Normenkontrolle geht. Angesichts des gleichen Wortlautes des Art. 102 Abs. 1 und Abs. 2 V R K besteht des weiteren dann keine Frage mehr, ob man das „Gesetz" i m formellen oder i m materiellen Sinne zu verstehen hat 1 0 3 . Dagegen ist dieser Wortlaut i n bezug auf die Verwerfungskompetenz nicht so eindeutig, daß er entweder eine diffuse oder monopolisierte Verwerfungskompetenz statuiert. Bei einer näheren Betrachtung gelangt man jedoch zum Schluß, daß zumindest aus diesem Wortlaut eine Verwerfungskompetenz unterer Gerichte nicht hergeleitet werden kann. Man braucht, um zu diesem Schluß zu kommen, nur zwei Dinge zu klären: Einmal was man unter dem Begriff „Entscheidung" zu verstehen hat und zum anderen, was überhaupt eine „Vorfrage" ist. Nach der einhelligen Meinung i n Korea ist der Begriff „Entscheidung" i n A r t . 102 V R K m i t dem i n der KZPO (§ 183 ff.), KStPO (§ 37 ff.) und K V w G O (§ 4 Abs. 2) identisch. Demzufolge gehören zu dem Begriff „Entscheidung" nicht nur „Gerichtsurteile", sondern dazu gehören auch „Gerichtsbeschlüsse" und „Gerichtsverfügungen". Deshalb kann die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes nicht nur bei einem Gerichtsurteil erheblich werden, sondern der Fall kann auch bei einem Gerichtsbeschluß oder bei einer Verfügung eintreten, denn das Gericht muß auch seinem 103 v g L hierzu oben § 5, I I , 2, B, (b), (aa). Außerdem ist der Streit, ob unter dem Begriff „Gesetz" nur nachkonstitutionelles oder auch vorkonstitutionelles Gesetz verstanden werden soll, i n Korea schon deshalb gegenstandslos, w e i l alle vorkonstitutionellen Gesetze, die vor dem 12. 7.1948 erlassen wurden, durch Novellierung inzwischen außer K r a f t gesetzt oder neu erlassen worden sind. U n d schließlich ist das Problem, ob das gesetzgeberische Unterlassen als solches zum Gegenstand der konkreten Normenkontrolle gemacht werden könnte, i n Korea noch nicht aufgetaucht. Vgl. dazu oben § 5, I I , 2, B, (b), (bb).

I. System konzentrierter Verwerfungskompetenz beim O G H

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Beschluß oder seiner Verfügung ein verfassungsmäßiges Gesetz zugrunde legen. Ein Gerichtsurteil, ein Gerichtsbeschluß oder eine Verfügung w i r d jedoch erst dann zustande kommen können, wenn alle prozeßrechtlichen Vorfragen geklärt sind. Zu solchen Vorfragen gehören u. a. die Prüfung der Zuständigkeit (z. B. § 1 KStPO, § 29 KZPO) und Beweisaufnahme (z. B. § 106 ff. KStPO, § 261 ff. KZPO), u m nur einige Beispiele zu nennen. Solche Vorfragen sind angesichts ihrer prozeßrechtlichen Natur i. d. R. i m einzelnen Prozeßrecht ausführlich geregelt. Denkbar ist es jedoch auch, daß eine Vorfrage ausnahmsweise in einem anderen Gesetz, z. B. i n der Verfassung selbst, geregelt ist. Wenn daher Art. 102 V R K eine Gerichtsentscheidung von der Klärung der Frage, ob ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, verfassungswidrig ist, abhängig macht, dann statuiert er damit eine „Vorfrage" , die vor einer Gerichtsentscheidung geklärt werden muß. Und nach dem Sinn des A r t . 102 V R K soll dem OGH die Befugnis zukommen, diese „Vorfrage" endgültig zu klären, damit untere Gerichte ihrerseits Sachentscheidungen treffen können. Der OGH soll nicht, wie die herrschende Auffassung fälschlich annimmt, die „Gerichtsentscheidung" i n der Hauptsache selbst, die irgendein unteres Gericht verkündet hat, endgültig prüfen, sondern er soll über die „Vorfrage", nämlich darüber, ob ein Gesetz verfassungswidrig ist, eine klärende Entscheidung treffen und es unteren Gerichten ermöglichen , ihrerseits auf dieser Grundlage in dem Hauptverfahren ihre „Sachentscheidung" zu treffen. Der OGH kann als Revisionsinstanz „Sachentscheidungen" selbst prüfen und nötigenfalls revidieren. Dies geschieht aber schon allein wegen des Instanzenzuges, den bereits das GOG und das einzelne Prozeßrecht ausführlich regeln. Daher bedarf derartige Revisonstätigkeit des OGH keiner anderweitigen Verfassungsbestimmung mehr. A r t . 102 V R K regelt nach alldem nur zu deutlich, wer darüber zu befinden hat, falls die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes für die vom Fallrichter zu treffende Sachentscheidung eine „Vorfrage" bildet. Darüber aber, auf welchem Prozeßwege die Klärung der „Vorfrage" geschehen soll, schweigt A r t . 102 V R K leider. Außerdem ist nach dem Wortlaut des A r t . 102 V R K ein darüber bestimmendes Ausführungsgesetz nicht vorgesehen. Und solch ein Ausführungsgesetz ist bis heute nicht erlassen worden. Dennoch kann die Notwendigkeit eines Ausführungsgesetzes, das den A r t . 102 V R K konkretisierend regelt, nicht bestritten werden. Prof. Han 1 0 4 , der m i t Prof. Muhn an der Spitze der herrschenden 104 v g l γ γ H a n ^ verfassungsrecht, S. 536. So auch I. K . Park , Neues V e r fassungsrecht, S.505. u ·

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§ 8 Eigene Stellungnahme

Auffassung steht, weist auch, i m Zusammenhang m i t der Anfechtungslegitimation, auf die Notwendigkeit eines Ausführungsgesetzes hin. I n der Tat ist A r t . 102 V R K ohne ein Ausführungsgesetz wenig praktikabel. Diese bedauerliche Feststellung t r i f f t nicht nur die hier vertretene Auffassung, sondern sie gilt auch, wie Prof. Han einsieht, für die herrschende Auffassung i n Korea, weil Art. 102 V R K auch darüber nichts aussagt, wie ein Normenkontrollverfahren i n Gang gebracht werden soll und welche Wirkung eine Verwerfung verfassungswidriger Gesetze haben soll u. ä. mehr. Das Schweigen des A r t . 102 V R K über ein Ausführungsgesetz könnte jedenfalls viele Autoren i n Korea dazu veranlaßt haben, anzunehmen, daß A r t . 102 V R K eben eine diffuse Verwerfungsbefugnis statuiere und nur eine Monopolisierung beim OGH i m Instanzenzug hätte absichern wollen. Aus der Tatsache, daß A r t . 102 V R K ein Ausführungsgesetz nicht vorsieht, kann eine derartige Schlußfolgerung nicht gezogen werden: Einmal weil es als zulässig angenommen werden muß, daß der Gesetzgeber i n dem durch das Verfassungsrecht nicht ausdrücklich und abschließend geregelten Bereich des Rechtsinstituts der Normenkontrolle ohne besondere verfassungsrechtliche Ermächtigung tätig werden kann 1 0 5 , und zum anderen weil man folglich davon ausgehen dürfte, daß der Verfassunggeber gerade aus solcher Einsicht in A r t . 102 V R K über ein Ausführungsgesetz nicht ausdrücklich erwähnt hat. Jedenfalls ist zu untersuchen, ob die Behauptung, daß Art. 102 V R K deshalb kein Ausführungsgesetz vorgesehen hätte, weil er nur Monopolisierung beim OGH i m Instanzenzug hätte absichern wollen, durch das geltende Prozeßrecht tatsächlich Rechnung getragen ist. 3. Unbegründetheit des Hinweises auf das Prozeßrecht

Daß dies nicht der Fall ist und prozeßrechtlich keine Garantie für eine ausnahmslose Monopolisierung aller Normenkontrollfälle beim OGH besteht, erkennt man sofort, wenn man das geltende Prozeßrecht kurz überblickt. Aus keiner einzigen Prozeßordnung geht hervor, daß der OGH bezüglich der Normenkontrolle unbedingt als letzte Instanz zu fungieren hat. Das GOG (§§ 17, 25, 29 und 32-5), die KZPO (§§ 360, 392, 393) und die KStPO (§§ 357, 371) statuieren zwar das Drei-Instanzen-Prinzip für alle Rechtsstreitfälle, so daß gegen Urteile der District Courts Berufung und gegen Urteile der Berufungsgerichte (Courts of Appeals) Revision einge105

Dazu vgl. C. Arndt, AöR, Bd. 87, S. 197 ff. (200 f. m. Nachw.).

I. System konzentrierter Verwerfungskompetenz beim O G H

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legt werden können. Außerdem sind gegen Beschlüsse und Verfügungen Beschwerden zugelassen. Dennoch ist an keiner Stelle davon die Rede, daß alle Rechtsstreitfälle, i n denen von unteren Gerichten ein Gesetz für verfassungswidrig erklärt und außer Anwendung gelassen worden ist, von Rechts wegen vor den OGH gebracht werden sollen. Das GOG (§ 7 Abs. 1 Ziff. 1 u. 2) schreibt dem OGH lediglich dann einen Plenarbeschluß vor, wenn er ein Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit verwerfen w i l l 1 0 6 , und er bringt damit zum Ausdruck, daß die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen sogar beim OGH besonders behutsam vorgenommen werden soll. Von einer Zuständigkeit anderer Gerichte über die Normenkontrolle und von etwaigen Verfahrensarten der Normenkontrolle bei unteren Gerichten ist i m GOG nicht die Rede. Die KZPO enthält ausführliche Vorschriften über das Rechtsmittelverfahren 1 0 7 . Gegen erstinstanzliche Endurteile kann gemäß § 360 KZPO ohne Beschränkung Berufung eingelegt werden. Die KZPO kennt jedoch keine Vorschrift über eine Zwangsberufung. Deshalb ist die Ingangsetzung des Berufungsverfahrens gegen ein Endurteil, auch i m Falle einer unter Umständen relevanten Verfassungsfrage, den Prozeßparteien überlassen. Verzichten die Prozeßparteien auf das Recht der Berufung, was gemäß § 364 f. KZPO durchaus statthaft ist, dann ist das Hauptverfahren damit abgeschlossen und das erstinstanzliche Endurteil w i r d rechtskräftig. Falls das erstinstanzliche Endurteil möglicherweise darauf sich stützt, daß ein Gesetz verfassungswidrig ist, dann hat die Verwerfung dieses Gesetzes für den abgeschlossenen konkreten Fall eine endgültige Bedeutung. Bei solchem Fall bleibt für den OGH keine Möglichkeit, die mit der Sachentscheidung gekoppelten Verfassungsfrage von sich aus zu überprüfen. Die sog. Monopolisierung der Verwerfungskompetenz beim OGH i m Instanzenzug, worauf sich die herrschende Auffassung beruft, scheitert damit schon an dem Berufungsstadium. Käme ein erstinstanzliches Endurteil, das m i t wichtiger Verfassungsfrage zusammenhängt, zufälligerweise zur zweitinstanzlichen Nachprüfung, dann gibt es wiederum keine prozeßrechtliche Gewähr dafür, daß dieser Fall nach der berufungsinstanzlichen Entscheidung unbedingt vor dem OGH anhängig wird. § 393 KZPO regelt zwar, daß die Revision nur darauf gestützt werden kann, daß die Entscheidung auf der Verfassungs-, Gesetzes-, Verordnungs- oder Satzungsverletzung beruht 1 0 8 . Dennoch findet sich i n der 106

Vgl. oben § 7, I I , 2, B, (c). Hier kann beispielsweise n u r auf das Berufungs- und Revisionsverfahren Bezug genommen werden, u n d das Beschwerdeverfahren muß außer Acht gelassen werden. 108 § 394 K Z P O regelt weiter über die absoluten Revisionsgründe, die i n h a l t lich denen des § 551 ZPO der B R D ähnlich sind. 107

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§ 8 Eigene Stellungnahme

KZPO keine Bestimmung über eine eventuelle Zwangsrevision , durch die alle Verfassungsfragen vor den OGH gebracht werden würden. Natürlich kann gemäß § 393 KZPO gegen eine berufungsinstanzliche Entscheidung, bei der es darauf ankommt, ob ein ihr zugrunde gelegtes Gesetz verfassungswidrig ist, Revision eingelegt werden. Dies bedeutet aber längst nicht, daß kraft § 393 KZPO alle Verfassungsstreitfragen beim OGH monopolisiert werden. Denn bei § 393 KZPO handelt es sich nur um eine „Kann-Bestimmung" , aus der nicht der Effekt einer „Muß-Bestimmung" zu erwarten ist. „Kann-Bestimmung" heißt eben, daß es bei § 393 KZPO dem Einzelnen überlassen bleibt, seine prozeßrechtlichen Rechte zu wahren, was für ihn m i t enormem Kostenrisiko und Zeitaufwand verbunden ist. Die herrschende Auffassung aber, die i n A r t . 102 V R K nur eine Monopolisierung der Verwerfungskompetenz i m Instanzenzug erblickt, darf logischerweise nur auf einer prozeßrechtlichen Muß-Bestimmung beruhen, die ihretwegen die Rechtsfolge herbeizuführen vermag, daß alle Verfassungsstreitfragen beim OGH zu konzentrieren sind. Der Hinweis darauf, daß man diese Kann-Bestimmung (§ 393 KZPO) als Muß-Bestimmung auslegen könnte, wenn es u m ein Revisionsverfahren gegen ein auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruhendes Urteil geht, ist nur ein Beweis dafür, daß sich die herrschende A u f fassung nicht nur verfassungsrechtlich, sondern auch prozeßrechtlich auf eine bloße Hypothese stützt. Zu demselben Schluß kommt man auch, wenn man die KStPO , die FamilienGO 109 und die WehrdisziplinarGO no näher betrachtet, w e i l man auch dort überall nur Kann-Bestimmungen begegnet 111 . Deshalb ist es verständlich, wenn Prof. Muhn und Park, Verfechter herrschender A u f fassung, als Nachteil der diffusen Verwerfung verfassungswidriger Gesetze darauf hinweisen, daß divergierende gerichtliche Entscheidungen über die Verfassungsmäßigkeit einer und derselben Rechtsnorm durchaus möglich sind, weil das geltende Rechtssystem keine Gewähr für die ausnahmslose Monopolisierung aller Verfassungsfragen beim OGH bietet 1 1 2 . 109 Durch die FamilienGO u n d das GOG (§ 32/2 ff.) w u r d e n die Familiengerichte für die Rechtsprechung oder Schlichtung i n Familien- und erbrechtlichen Sachen u n d für die Jugendgerichtsbarkeit parallel zu den District Courts errichtet. Sie sind dennoch keine Sondergerichte, u n d für die Familiengerichtsbarkeit gilt auch der Instanzenzug, wobei die Courts of Appeals und der O G H jeweils die zweite u n d die letzte Instanz bilden. 110 Die Wehrdisziplinargerichte sind eine verfassungsrechtliche Einrichtung, die i n A r t . 106 Abs. 1 V R K vorgesehen ist. Durch die WehrdisziplinarGO w u r den de Wehrdisziplinargerichte errichtet, denen die Wehrdisziplinarstrafgerichtsbarkeit zusteht. Der O G H ist die Revisionsinstanz der Wehrdisziplinargerichtsbarkeit (vgl. A r t . 106 Abs. 2 V R K ) . 111 Vgl. § 357; 361-5, Ziff. 1; 371; 383, Ziff. 1; 403; 415 StPO; § 32, 34, 35 F a m l i lienGO; § 9, 404 Ziff. 1, 432, Ziff. 1, 444 und 454 WehrdisziplinarGO. 112 Vgl. H. J. Muhn, Koreanisches Verfassungsrecht, S. 539; I. K . Park, Neues Verfassungsrecht, S. 505.

I. System konzentrierter Verwerfungskompetenz beim O G H

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Dennoch begnügen sie sich mit diesem Hinweis auf die Rechtsunsicherheitsfaktoren, und bieten keine alternative Lösung an. Wörtlich schreibt Prof. Muhn: „Es kann nichts unternommen werden, wenn ein Gericht dasselbe Gesetz, das von einem anderen Gericht als verfassungswidrig angesehen und verworfen worden ist, für verfassungsmäßig erachtet und anwendet" 1 1 3 . Prof H a n 1 1 4 gibt auch zu, daß die diffuse Verwerfung verfassungswidriger Gesetze der Rechtssicherheit abträglich ist. Auch er kann aber keinen Weg weisen, wie man dieser Gefahr für die Rechtssicherheit entgegentreten kann. So ist wirklich nicht einzusehen, daß ein Verfassungsinstitut wie das Institut der Normenkontrolle, das nach Spanner 115 ein Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips sein und dem Rechtsfrieden bzw. der Rechtssicherheit dienen soll, durch falsche Verfassungsauslegung dem Rechtsstaat eher schädlich sein sollte und ein wahres Justizchaos zu verursachen drohen sollte. Denkt man an dieser Stelle an die historische Tatsache, daß die Monopolisierung der Verwerfungskompetenz gerade aus rechtsstaatlichen Überlegungen heraus mit besonderem Nachdruck gefordert w u r d e 1 1 6 und daß der i n den USA praktizierende Grundsatz „in der sicheren Erwartung" eine notwendige gesetzliche Abhilfemaßnahme gegen divergierende gerichtliche Normenkontrollentscheidungen darstellt 1 1 7 , dann kann mit Fug und Recht gesagt werden, daß die herrschende Auffassung i n Korea, die aus Art. 102 V R K eine diffuse Verwerfungskompetenz ableitet, ohne irgendwelche Maßnahmen gegen die daraus resultierende Rechtsunsicherheit bieten zu können, eine bloße Behauptung ist, die letzten Endes auf den Verzicht auf das Rechtsstaatsprinzip hinausläuft. 4. Umkehrschluß aus Art. 102 Abs. 2 V R K

Die Unrichtigkeit der herrschenden Auffassung ergibt sich schließlich auch aus A r t . 102 Abs. 2 VRK, der eine Normenkontrolle gegenüber untergesetzlichen Rechtsnormen festlegt. Der Art. 102 Abs. 2 V R K hat den gleichen Wortlaut wie A r t . 102 Abs. 1 V R K bis auf ein Wort: Nämlich das Wort „Gesetz " i n Abs. 1 des Art. 102 V R K ist in Abs. 2 des A r t . 102 V R K mit den Wörtern „RVO, Satzung und VA" vertauscht. Dabei ist die Absicht des Verfassunggebers nicht ersichtlich, warum er die Normenkontrolle gegenüber Gesetzen i m formellen Sinne und untergesetzlichen Rechtsnormen getrennt jeweils i n Abs. 1 113 114 115 116 117

H. J. Muhn, Koreanisches Verfassungsrecht, S. 546. Vgl. T. Y. Han, Verfassungsrecht, S. 536. Vgl. H. Spanner , Über die Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 320. Siehe darüber oben § 5, I I , 1, B. Dazu siehe oben § 5,1,1, B, (b).

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§ 8 Eigene Stellungnahme

und Abs. 2 geregelt hat. Man hätte wohl die Normenkontrolle ohne solche Trennung i n einem Zug normieren können, wie etwa A r t . 81 der japanischen Verfassung 118 . Wenn aber der Verfassunggeber auf solchen einfacheren gesetzgebungstechnischen Weg verzichtet und bei der Regelung der Normenkontrolle für Gesetze und untergesetzliche Rechtsnormen jeweils einen anderen Absatz wählt, dann dürfte es nicht ohne Grund gewesen sein. So meine ich, daß sich der Verfassunggeber der unterschiedlichen Tragweite der Normenkontrolle gegenüber Gesetzen und untergesetzlichen Normen bewußt war und diesem Unterschied Rechnung zu tragen gewillt war. A u f der anderen Seite dürfte auch angenommen werden, daß der Verfassunggeber nicht nur „Gesetz" i m formellen Sinne, sondern auch überhaupt „Gesetz" i m materiellen Sinne zum Gegenstand monopolisierter Verwerfungskompetenz machen wollte. Gleich wie man aber immer die gesetzgebungstechnische Trennung zwischen Normenkontrolle gegenüber Gesetzen und untergesetzlichen Normen interpretieren mag, so steht zumindest eines fest, daß nämlich schon wegen des gleichen Wortlauts des Abs. 1 und Abs. 2 des Art. 102 V R K bei der näheren gesetzlichen Gestaltung des Art. 102 V R K zwischen Gesetzen und untergesetzlichen Normen keine so große institutionelle Abweichung gelten darf. Nach der einheitlichen Auffassung 119 i n Korea ist Art. 102 Abs. 2 V R K gerade die verfassungsrechtliche Grundlage, auf der die Verwaltungsgerichtsbarkeit i n Korea aufgebaut ist. Die herrschende Lehre legt Art. 102 Abs. 2 V R K so aus, daß die Errichtung eines besonderen Verwaltungsgerichts kontinentaleuropäischer Prägung nicht i n Frage komme und deshalb auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit dem allgemeinen ordentlichen Gericht übertragen werden müsse. Dennoch verbiete es A r t . 102 Abs. 2 V R K nicht, die Verwaltungsgerichtsbarkeit einem bestimmten ordentlichen Gericht, dem Court of Appeals, anzuvertrauen. Die geltende K V w G O beruht auf dieser herrschenden Lehre, und § 4 Abs. 1 K V w G O weist dem Court of Appeals 1 2 0 die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu. Das hat zur Folge, daß der Court of Appeals 1 2 1 i m ersten 118 A r t . 81 der japanischen Verfassung lautet: „Der O G H ist das Gericht der letzten Instanz m i t der Befugnis, über die Verfassungsmäßigkeit aller Gesetze, Verordnungen, Bestimmungen u n d Hoheitsakte zu entscheiden." (Zitiert bei W. Röhl, Die japanische Verfassung, S. 136.) 119 Vgl. u. a. C. O. Yu, Verfassungsrecht, S. 241, 247; H. J. Muhn, Neues V e r fassungsrecht, S. 248; derselbe, Koreanisches Verfassungsrecht, S. 521 f.; T. Y. Han, Neues Verfassungsrecht, S. 251, 473; derselbe, Verfassungsrecht, S. 519; I. K . Park, Verfassungsrecht, S. 319. 120 Derzeit (1970) bestehen 3 Courts of Appeals. 121 Gemäß § 7 Abs. 2 GOG muß der Court of Appeals immer i n der Besetzung von 3 Richtern entscheiden.

I. System konzentrierter Verwerfungskompetenz beim O G H

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Rechtszug über alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten entscheidet und dem District Court sogar die Zuständigkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher A r t entzogen ist. I m Vergleich mit dem amerikanischen Verwaltungsgerichtssystem, das das koreanische wesentlich beeinflußt haben dürfte, weicht das koreanische Verwaltungsgerichtssystem insofern von dem amerikanischen ab, als in Amerika nach § 10 A P A (The Administrative Prosedure A c t ) 1 2 2 grundsätzlich, d. h. wenn das einzelne Gesetz nichts anderes regelt 1 2 3 , der District Court auch für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig ist; dies ist so geregelt, obwohl i n Amerika ein V A unter quasi-justizieller Kontrolle von Examiner oder Agency nach einem sachlichen „Notice-" und „Hearing-Verfahren" erlassen zu werden pflegt 1 2 4 . So betrachtet, läßt sich das koreanische Verwaltungsgerichtssystem, nach dem der District Court i m Gegensatz zu dem amerikanischen District Court von der öffentlich-rechtlichen Streitigkeit strikt ausgeschlossen ist, nur damit erklären, daß i n Korea das Mißtrauen gegen untere Gerichte wesentlich größer ist als i n Amerika. Sonst ist kein Grund ersichtlich, daß nicht auch der District Court für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten zuständig sein sollte. Bei dieser Sachlage ist auch nicht recht einzusehen, wie der koreanische District Court, der nicht einmal i n der Lage sein soll, die Verfassungs- und Gesetzmäßigkeit 125 von V A zu prüfen, gerade für die viel schwierigere Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen berufen sein sollte. Außerdem ist nicht recht verständlich, wieso aus einer und derselben Verfassungsbestimmung verschiedene Rechtsinstitutionen mit verschiedener Rechtsfolge abgeleitet werden soll. Betrachtet die herrschende Lehre i n Korea Abs. 2 des Art. 102 V R K als die verfassungsrechtliche Grundlage des geltenden Verwaltungsgerichtssystems und versteht sie es als eine Selbstverständlichkeit, dem District Court die Befugnis zur Überprüfung der Verfassungs- und Gesetzmäßigkeit von V A zu nehmen, dann stellt sich die Frage, warum die122

60 Stat. 237 (1946), 5 U.S.C.A. § 1001. Z u m Beispiel the I n t e r n a l Revenue Code, sec. 7482 entzieht den District Courts die Zuständigkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten, die i m Z u sammenhang m i t den Entscheidungen des T a x Court entstehen, u n d weist sie den Courts of Appeals zu. 124 Z u r Verwaltungsgerichtsbarkeit i n den USA vgl. u. a. R. A. Riegert, Das Amerikanische Administrative L a w , 1967, insb. S. 119 ff.; C. Byse/R. A. Riegert, Das amerikanische Bundesverwaltungsverfahrensgesetz von 1946, i n : Staatsbürger und Staatsgewalt, Bd. 1, S. 405 ff.; B. Schwartz , American A d m i n i s t r a tive Law, 1950. K . Loewenstein, Verfassungsrecht USA, S. 398 f., 449, 464 ff. 125 Es versteht sich von selbst, daß eine RVO, Satzung oder ein V A ungültig ist, nicht n u r wenn er dem Gesetz widerspricht, sondern auch wenn er m i t der Verfassung nicht i n Einklang steht. 123

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§ 8 Eigene Stellungnahme

selbe Verfassungsbestimmung es überhaupt verbieten soll, dem District Court die Kompetenz zur Verwerfung verfassungswidriger R V O 1 2 6 und Satzungen 127 zu entziehen. Warum soll A r t . 102 Abs. 1 V R K es dem OGH entziehen, über Verwerfung verfassungswidriger Gesetze allein zu befinden, wenn schon A r t . 102 Abs. 2 V R K dem Court of Appeals es erlaubt, i m ersten Rechtszug über verwaltungsrechtliche Fragen zu entscheiden? I n einem Rechtsstaat, wo die Rechtsordnung hierarchisch aufgebaut ist, vermag die Ansicht, wonach Gesetze schon durch Entscheidungen unterster Instanzen verworfen werden sollen, während die unterste Stufe solcher Normenhierarchie nur durch Entscheidungen zumindest m i t t lerer Instanzen verworfen werden kann, keinen Raum zu gewinnen. Es mag sein, daß Art. 102 Abs. 2 V R K in der koreanischen Verfassungsordnung deshalb eine besondere Bedeutung zukommt, weil die koreanische Verfassung gewisse Züge des Primats der Verwaltung aufweist und vom Mißtrauen gegen die gesetzgebende Körperschaft ausgeht 128 . Dennoch darf die institutionell-entwicklungshistorische Tatsache, daß das richterliche Prüfungsrecht gegenüber RVO und Satzungen schon früher anerkannt wurde als gegenüber Gesetzen 129 , nicht außer Acht gelassen werden. Wenn Art. 102 Abs. 2 V R K die Aufgabe zugedacht sein soll, untergesetzliche Rechtsnormen, die von der Exekutive erlassen worden sind, vor dem unsachgemäßen Eingriff unterer Gerichte i n Schutz zu nehmen, versteht es sich von selbst, daß Art. 102 Abs. 1 V R K eher die Aufgabe haben muß, Gesetze, die die Grundlage untergesetzlicher Rechtsnormen bilden, auch vor solchem Eingriff zu schützen. Damit ist das Problem angesprochen, was überhaupt Sinn und Zweck des Art. 102 V R K sein dürfte. 5. Sinn und Zweck des Art. 102 V R K

Wie sich aus bisherigen Untersuchungen ergeben haben dürfte, geht es bei A r t . 102 V R K weder um eine konstitutive Verfassungsnorm, die die richterliche Normenkontrollbefugnis als solche nur konstitutiv regelt, noch um eine Verfassungsbestimmung, die die diffuse Verwerfungskompetenz statuiert. Es handelt sich bei A r t . 102 V R K lediglich um eine Gestaltung snorm, deren Sinn und Zweck darin liegt, die Verwerfungskompetenz von der Prüfungskompetenz zu trennen und die erstere ausschließlich beim OGH zu monopolisieren. Deshalb scheint angebracht zu sein, zu untersuchen, was den Verfassunggeber dazu veranlaßt haben dürfte, unteren Gerichten die Möglichkeit zu nehmen, Gesetze als verfassungswidrig nicht anzuwenden, 128 127 128 12P

Vgl. A r t . 74, 90 u n d 91 V R K . Vgl. A r t . 60 Abs. 1,104 u n d 109 Abs. 1 V R K . Siehe dazu oben § 7, I I , 1. Vgl. oben § 4,1,1.

I. System konzentrierter Verwerfungskompetenz beim O G H

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und die Verwerfungskompetenz ausschließlich beim OGH zu konzentrieren. A. Verwaltungsstaatliche Tendenz und das richterliche Prüfungsrecht Es wurde schon i n einem anderen Zusammenhang hervorgehoben, daß die koreanische Verfassung durch drei Merkmale gekennzeichnet werden kann: Nämlich Mißtrauen gegen das Parlament, Allmacht des Staatspräsidenten und scheinbarer Primat der Justiz 1 3 0 . Und die koreanische Verfassung, die mit diesen Merkmalen gewisse Züge des Neo-Präsidialsystems aufweist, findet ihre Rechtfertigung darin, daß sich Korea i n einem permanenten Ideologiekampf befindet und daher ständig in der Lage sein muß, der drohenden kommunistischen Gefahr effektiv zu begegnen. Diese gespannte politische Lage zwingt das Land, sich unter einem starken Führer zu einigen und sich als funktionsfähiger Verwaltungsstaat zu organisieren. Dennoch konnte Korea, das seit 1948 ein demokratischer Rechtsstaat ist, auf rechtsstaatliches Kontrollorgan nicht ganz verzichten. Man mußte nur darauf achten, daß das Kontrollorgan der gesamtstaatlichen Entwicklung nicht zu sehr zur Last fällt. Deshalb hat man sich von dem VerfG der zweiten Republik distanziert. Der Grund der Abschaffung des VerfG mag auch darin liegen, daß sich die Verwaltung überhaupt von der Kontrolle entziehen wollte, die von einem Organ ausgeübt wird, in dem das Parlament das gewichtige Wort hat. Jedenfalls hat die geltende Verfassung einen Mittelweg gefunden, der ihrer verwaltungsstaatlichen Tendenz nicht i m Wege zu stehen scheint, nämlich sie gab sich das B i l d „scheinbaren Primats der Justizindem sie die Verwerfung verfassungswidriger Gesetze allein der rechtsprechenden Gewalt, dem OGH, anzuvertrauen wußte. Damit wollte sie zum Ausdruck bringen, daß das Institut der Normenkontrolle zwar unter dem Gesichtspunkt des Rechtsstaates unerläßlich ist. Jedoch soll durch eine zweckmäßige Ausgestaltung die wider-verwaltungsstaatliche Folge vermieden werden, daß untere Gerichte zum Wiederaufbau des Staates notwendige gesetzliche Maßnahmen mit oft nicht einwandfreier juristischer Begründung zu Fall bringen. Dieser Gedanke spiegelt sich i n Abs. 2 des Art. 102 V R K und i n dem auf diesem Absatz stützenden Verwaltungsgerichtssystem besonders deutlich, wonach unteren Gerichten sogar öffentlichrechtliche Streitigkeiten von vornherein nicht zugänglich sind. So gesehen, stehen Sinn und Zweck des A r t . 102 V R K in Einklang m i t der Abneigung der koreanischen Verfassung einerseits gegen die parlamentarische Kontrolle und andererseits gegen die Intervention unterer Gerichte gegenüber der Verwaltung. 180

Siehe dazu oben § 7, I I , 1.

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§ 8 Eigene Stellungnahme

Während der Sinn des A r t . 100 Abs. 1 GG darin besteht, um m i t BVerfG zu sprechen, „zu verhüten, daß jedes einzelne Gericht sich über den Willen des Gesetzgebers hinwegsetzt" 1 3 1 , w i l l A r t . 102 V R K nicht nur die Autorität der gesetzgebenden Gewalt, sondern auch die der Verwaltung schützen. Daher soll der OGH für sich aus Art. 102 V R K — der i h m das Verwerfungsmonopol vorbehält — die Rolle ableiten, den „guten Willen" der gesetzgebenden und vollziehenden Gewalt, den Staat möglichst schnell auf die Beine zu bringen, vor den unteren Gerichten in Schutz zu nehmen. B. Der OGH als Hüter der Verfassung Außer dem oben genannten Zweck des Art. 102 V R K läßt sich aus Art. 102 V R K auch die Aufgabe des OGH als Hüter der Verfassung herleiten. Wie sehr auch die politische Lage Koreas eine starke Machtkonzentration erfordert und die verwaltungsstaatliche Entwicklung rechtfertigen mag, so darf dennoch nicht ernsthaft bezweifelt werden, daß Bremsen in das Staatsgefüge eingebaut werden müssen, die verhindern, daß sich der Zug zur Totalität zu schnell i n Bewegung setzt. Solche Bremsenfunktion kann aber unter den Staatsgewalten i n Korea nur der rechtsprechenden Gewalt zukommen, und zwar nur dem OGH. Weil, wie Leibholz m i t Recht darauf hinweist, „unter einem ,Hüter der Verfassung' dasjenige Organ zu verstehen ist, das mit letzter rechtlicher Verbindlichkeit für Volk und Staat die i h m zur Beurteilung zugewiesenen Streitigkeiten entscheidet" 1 3 2 . Der OGH i n Korea ist zweifellos der „Hüter der Verfassung" i m Leibholzsdaen Sinne, denn er ist organisatorisch unabhängig und er ist i n der Lage, mit der durch A r t . 102 V R K ihm zugewiesenen Verwerfungskompetenz und m i t weiteren originären Kompetenzen 183 die Verfassungsordnung zu wahren und die verfassungsmäßigen Grundrechte des Bürgers gegen ungerechtfertigte Eingriffe der gesetzgebenden und vollziehenden Gewalt zu schützen. Daher ist es nicht übertrieben, wenn man sagt, daß das Gelingen der Demokratie in Korea u. a. von der Standfestigkeit und Entschlußkraft des OGH abhängt, die ihm zugewiesene Rolle als Hüter der Verfassung ernst zu nehmen. Obwohl der OGH bisher nicht nur seine positive Seite gezeigt hat, gibt es genug Anzeichen dafür, daß der OGH doch eines Tages das wahre Gegengewicht i n der koreanischen Gewaltenstruktur darstellen wird. C. Gerichtlicher Schutz der Grundrechte Schließlich sollte man den Sinn und Zweck des A r t . 102 V R K unter dem Gesichtspunkt des Grundrechtsschutzes für den Bürger betrachten. 131 132 133

BVerfGE 1,184 (197); E 2,124 (129). G. Leibholz, Strukturprobleme, S. 173. Vgl. oben § 7, I I , 2, B, (b), (bb).

I. System konzentrierter Verwerfungskompetenz beim O G H

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Es ist heutzutage ohnehin anerkannte Tatsache, daß die modernen Lebens- und Rechtsverhältnisse sowie die Undurchschaubarkeit staatlicher Maßnahmen es immer dringender notwendig machen, daß der Richter den Bürger ausreichend gegen ungerechtfertigte Eingriffe der vollziehenden Gewalt des Staates schützt. Dieser Erkenntnis kommt i n Korea eine besondere Bedeutung zu, weil die koreanische Verfassung eine ungewöhnlich starke vollziehende Gewalt statuiert und dadurch die Gefahr der ungerechtfertigten Eingriffe der vollziehenden Gewalt erheblich größer geworden ist. Dennoch trägt die koreanische Verfassung für den gerichtlichen Grundrechtsschutz nicht genügend Sorge. Sie räumt zwar den Grundrechten einen breiteren Platz ein, jedoch der Grundrechtskatalog ist lückenhaft und bisweilen mehrdeutig 1 3 4 . Deshalb besteht die Gefahr, daß die institutionell gegebenen Grundrechte von der vollziehenden Gewalt beliebig mißdeutet und damit nur eine Papier-Institution werden könnten, zumal der Bürger, abgesehen von dem Verwaltungsgerichtsweg, über keine wirksamen Rechtsmittel verfügt, wenn er glaubt durch einen V A oder unmittelbar durch ein Gesetz in einem seiner verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte verletzt zu sein. Das koreanische Verfassungsrecht kennt eben weder das Institut der abstrakten Normenkontrolle noch das Institut der Verfassungsbeschwerde, geschweige denn die Popularklage. Das Institut der konkreten Normenkontrolle ist das einzige Verfassungsinstitut, mit dessen Hilfe man den Grundrechtseingriffen seitens der vollziehenden und gesetzgebenden Gewalt erfolgreich begegnen kann. Folglich ist das Institut der konkreten Normenkontrolle in Korea wirklich „das wichtigste Bollwerk der bürgerlichen Freiheit" 1 3 5 . Desto effektiver muß dieses einzige Verfassungsrechtliche Institut gestaltet werden, und, wie ich sehe, i n keiner Hand kann dieses Institut effektiver gehandhabt werden als i n der Hand des OGH. Schon allein aus diesen zwingenden Gründen, zur Verwirklichung der Grundrechte, muß man das Verw T erfungsmonopol des OGH als Sinn des Art. 102 V R K betrachten. 6. Betrachtung des Art. 102 V R K aus rechtsvergleichender Sicht

Die herrschende Auffassung i n Korea hat offensichtlich die nordamerikanische Normenkontrollpraxis i m Auge. Die verfassungsrechtliche bzw. gesetzliche Grundlage beider Länder ist jedoch derart verschieden, daß sich die Heranziehung jener Praxis i n Korea nicht rechtfertigen kann. Die unmittelbare Übernahme einer fremden Praxis verbietet sich damit von selbst erst recht. 134 135

Vgl. A r t . 8 - 3 4 V R K . Triepel, AöR, Bd. 39 (1920), S. 537.

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§ 8 Eigene Stellungnahme

Wie schon gesehen, geht es bei der akzessorischen Normenkontrolle i n Amerika i n erster Linie u m eine rechtsdogmatische und gerichtspraktische Verfassungstradition, die seit der berühmten Marshall-Entscheidung i m Jahre 1803 i n Amerika praktiziert w i r d und i m Laufe der Zeit durch das Gerichtsverfassungsgesetz wesentlich modifiziert ist 1 3 6 . Bei Art. 102 V R K geht es dagegen um eine von Verfassungs wegen gegebene Ausgestaltung der Normenkontrolle. Deshalb kann i n den Vereinigten Staaten das Institut der Normenkontrolle sogar, aus weichem Motiv auch immer, durch ein einfaches Kongreßgesetz abgeschafft werden, was i n Korea nur durch eine Verfassungsänderung, d. h. nur durch Volksabstimmung, möglich ist. Diese verfassungsrechtliche Grundverschiedenheit der Normenkontrolle dort und hier macht es unmöglich zu behaupten, daß es dem Geist des A r t . 102 V R K genügt, wenn Normenkontrollfragen überhaupt auf dem Instanzenweg beim OGH monopolisiert werden, wie es i n Amerika der Fall ist. Abgesehen davon, daß das koreanische Prozeßrecht, i m Gegensatz zu dem amerikanischen Gerichtsverfassungsgesetz, gar nicht imstande ist, A r t . 102 V R K solche Genugtuung zu leisten, darf man den klaren Sinn und Zweck des Art. 102 VRK, unteren Gerichten undurchdachte Normverwerfung zu verwehren, nicht dermaß verfälschen. Eine Verfassungsbestimmung wie A r t . 102 V R K kennt das amerikanische Verfassungsrecht überhaupt nicht. Schreibt das Gerichtsverfassungsgesetz i n den USA das Prinzip „ I n der sicheren E r w a r t u n g " 1 3 7 vor, dann ist das nur ein gesetzgeberischer Versuch, die sich aus der akzessorischen Normenkontrollpraxis ergebenden institutionellen Mängel zu beheben. Wenn Art. 102 V R K das Verwerfungsmonopol des OGH statuiert, ist dagegen ein verfassungsrechtliches System kontinentaleuropäischer Provenienz, das in der Republik Korea seit ihrer Gründung feste Verfassungstradition geworden ist, zu erkennen. Denkt man an dieser Stelle an die allgemeine Entwicklungstendenz des Instituts der Normenkontrolle, das unverkennbar einen monopolisierenden Trend aufweist 1 3 8 , dann fragt sich, wieso das koreanische Institut der Normenkontrolle, das seit jeher immer der allgemeinen Entwicklung entsprechend ausgestaltet war, auf einmal sich an jenem problematischen amerikanischen System orientieren soll, das deutlich eine rückschreitende Tendenz aufweist. Daher sollte man bei der Auslegung des Art. 102 V R K von der nordamerikanischen oder japanischen Normenkontrollpraxis absehen und den objektiven Normgehalt des Art. 102 V R K i n der eigenen Verfassung suchen. Vgl. oben § 5,1,1. ~ 3 7 Dazu siehe oben § 5,1,1, B, (b). 138 Vgl. oben § 5, I I , 1, E.

I I . Gesetzgebungsvorschläge

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I I . Gesetzgebungsvorschläge 1. Notwendigkeit eines Ausführungsgesetzes

Steht aus dem Vorausgegangenen einmal fest, daß Art. 102 V R K ein System konzentrierter Verwerfungskompetenz beim OGH i n Korea eingeführt hat, dann muß nun die Frage beantwortet werden, wie dieses System wirkungsvoll ausgestaltet werden und wie die Gestaltung i m einzelnen aussehen soll. Insbesondere müssen die verfahrensrechtlichen Probleme geklärt werden, z. B. wie das Normenkontrollverfahren überhaupt in Gang gesetzt werden soll, auf welchem prozessualen Wege eine „endgültige" Normenkontrollentscheidung des OGH eingeholt werden soll und ferner mit welchen Wirkungen Normenkontrollentscheidungen des OGH ausgestattet sein sollen u. ä. mehr. Solche prozeßrechtlichen Fragen können i n einem Ausführungsgesetz, dessen Art. 102 V R K dringend bedarf, i m einzelnen geregelt werden. Wie schon darauf hingewiesen wurde 1 3 9 , ist Art. 102 V R K ohne ein Ausführungsgesetz wie Diamant ohne Glanz. Deshalb muß man, auch wenn A r t . 102 V R K ein Ausführungsgesetz nicht ausdrücklich vorsieht, davon ausgehen, daß auch der einfache Gesetzgeber die Normenkontrolle ohne weiteres zu regeln befugt ist, weil nach einem ungeschriebenen Grundsatz nicht alle Sätze des materiellen Verfassungsrecht auch i n der Verfassungsurkunde enthalten sein müssen 140 . Es ist daher zulässig, daß der Gesetzgeber i n dem durch das Verfassungsrecht nicht ausdrücklich und abschließend geregelten Bereich des Instituts der Normenkontrolle ohne besondere verfassungsrechtliche Ermächtigung tätig wird. 2. Konkrete Vorschläge

Bei der Regelung der genannten prozessualen Fragen dürften die betreffenden Bestimmungen des BVerfGG und die Gerichtspraxis i n der BRD zum Vorbild genommen werden, zumal die früheren Gesetze über das Verfassungskomitee und VerfG in der ersten und zweiten Republik Korea m i t dem BVerfGG der BRD sehr viel Ähnlichkeit aufgewiesen haben. Bloß darf man dabei nicht außer acht lassen, daß eine Regel oder Praxis eines fremden Landes nicht immer die idealste Regel oder Praxis für das eigene Land sein kann. Aus diesem Gesichtspunkt läßt sich sagen, daß sich einige prozessuale Regeln, die i n der BRD gesetzlich oder in der Gerichtspraxis fest verankert sind und hier durchaus unproblematisch erscheinen, sich i n Korea nicht ohne weiteres praktizieren lassen. Einzelheiten solcher notwendigen Abweichungen wurden schon i n einem anderen Zusammenhang ausführ130 140

Vgl. oben § 8,1, 2, B. Vgl. C. Arndt, AöR, Bd. 87, S. 197 ff. (200 f. m. Nachw.).

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§ 8 Eigene Stellungnahme

lieh dargelegt 141 . Deshalb sei, um unnötige Wiederholung zu vermeiden, hier nur kurz zusammengefaßt. Es besteht kein Zweifel daran, daß eine konkrete Normenkontrolle u. a. vom erkennenden Richter ausgehen muß, weil der Richter von Verfassungs wegen das Recht und die Pflicht hat, die Verfassungsmäßigkeit anzuwendender Rechtsnormen zu überprüfen.Deshalb w i r d eine Richtervorlage i. d. R. von Amts wegen geschehen müssen, unabhängig davon, ob die Prozeßparteien Bedenken wegen einer etwaigen Verfassungswidrigkeit einer Rechtsnorm geltend machen oder nicht. Dennoch ist eine solche Praxis strikter Normenkontrolleinleitung von Amts wegen in Korea wenig sachdienlich, weil es, wie geschildert, in Korea keine andere Möglichkeit gibt, verfassungswidrige Gesetze anzufechten. Die konkrete Normenkontrolle ist das einzige Mittel i n Korea, womit man gegen ein verfassungswidriges Gesetz vorgehen kann. Deswegen sollte man bei der Regelung der Anfechtungslegitimation darauf Bedacht nehmen, daß der Bürger wenigstens die Möglichkeit hat, i m Rahmen eines anhängigen Rechtsstreites das Normenkontrollverfahren in Gang zu bringen. Sein Recht darf dabei nicht nur darauf beschränkt werden, als Prozeßpartei i n einem Gerichtsverfahren die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm aufzuwerfen, sondern i h m sollte das Recht eingeräumt werden, den Vorlagebeschluß oder die Nicht-Vorlage anzufechten. Dadurch würde ermöglicht, daß einmal aufgetauchte Verfassungsfragen möglichst früh vor den OGH kommen und ein für alle mal objektiv geklärt werden. Aus demselben Gedanken ergibt sich auch die Notwendigkeit, zuzulassen, daß der OGH auch an sich selbst vorlegen kann, was in der BRD nicht zulässig ist 1 4 2 . Weiterhin scheint notwendig zu sein, dafür zu sorgen, daß die Zurücknahme der Vorlage nicht unbedingt die Einstellung des Normenkontrollverfahrens zur Folge haben muß 1 4 3 . Das w i r d schon deshalb erforderlich sein, weil die Klärung der verfassungsrechtlichen Frage i. d. R. von allgemeiner Bedeutung und der angestrengte Prozeß ein sog. „Musterprozeß" ist und ferner beim Gericht noch eine größere Anzahl gleichliegender Prozesse anhängig sein könnte. Unter solchen Umständen dürfte es zweckmäßig sein, dem objektiven Charakter der Normenkontrolle dadurch Rechnung zu tragen, daß man dem OGH das Anordnungsrecht einräumt, bei allen Gerichten anhängige gleichgelagerte Verfahren bis zu seiner Entscheidung aussetzen zu lassen. I n solchen Fällen schafft die Normenkontrollentscheidung des OGH nicht nur einen konkreten Streit aus der Welt, sondern bringt zugleich in dieser Frage für die Zukunft Rechtsklarheit und Rechtsfriede. A u f diese Weise würde der OGH neuen Streit um dieselbe Frage unmöglich machen. 141 142 143

Vgl. oben § 5, I I , 2. Vgl. oben § 5, I I , 2, B, (a), (aa). Vgl. oben § 5, I I , 2, B, (a), (cc).

I I . Gesetzgebungsvorschläge

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Daß Normenkontrollentscheidungen des OGH formelle und materielle Rechtskraft haben müssen, ergibt sich damit zwangsläufig. Außerdem versteht es sich von selbst, daß Normenkontrollentscheidungen des OGH nicht inter partes, sondern eine allgemeine Wirkung (inter omnes) haben müssen. Dabei scheint eine ex-nunc- bzw. ex-post-Wirkung verfassungspolitisch die bessere Lösung zu sein als eine ex-tunc-Wirkung 1 4 4 . Außerdem ist das Problem, ob die Vorlage nur auf formelle Gesetze beschränkt werden soll oder auch materielle Gesetze zum Gegenstand der Vorlage gemacht werden sollen, in Korea von Verfassungs wegen gelöst (Art. 102 Abs. 2 V R K ) 1 4 5 . Selbstverständlich ist es auch i n Korea, daß die Richtervorlage ohne Zwischenschaltung vom erkennenden Gericht unmittelbar an den OGH erfolgen muß 1 4 6 . Diese unmittelbare Vorlage an den OGH schließt aber nicht aus, daß Verfassungsorgane vor dem OGH zur Vorlage Stellung nehmen. Das Äußerungsrecht der Verfassungsorgane ist notwendige Konsequenz der ihnen von der Verfassung eingeräumten Stellung. Und ein Gesetz darf nicht für nichtig erklärt werden, ohne daß die Organe, die es geschaffen haben, dazu Stellung nehmen können 1 4 7 . Zur Erfüllung des Sinn und Zwecks des Art. 102 V R K erscheint ferner unerläßlich, außer sofortigem Erlaß eines Ausführungsgesetzes i m oben angedeuteten Sinne, den OGH zu reformieren. Dabei denke ich u. a. die Richterzahl i m OGH zu erhöhen. Obwohl Art. 97 Abs. 2 V R K bis 16 Richter i m OGH zuläßt, besteht der OGH derzeit nur aus 13 Richtern. Die sehr niedrige Richterzahl i m OGH mag das Autoritätsgefühl des einzelnen dazu gehörenden Richters erhöhen, dennoch führt es angesichts der umfangreichen Aufgaben des OGH unvermeidlich zu einer Überlastung des OGH, was wiederum eine Funktionsstagnation zur Folge haben könnte. Daher scheint es unbedingt notwendig zu sein, die Richterzahl i m OGH bis zu den verfassungsrechtlich zugelassenen 16 Richtern zu erweitern und wenigstens einige sachkundige Verfassungsrechtler zu berufen. Die derzeitigen Richter am OGH sind alle unbestritten qualifizierte erfahrene Richter, denen man ohne weiteres die Verfassungsgerichtsbarkeit anvertrauen kann. Dennoch dürfte der Umstand, daß sich unter den Richtern des OGH kein einziger Verfassungsrechtler befindet, nicht v o l l befriedigen. Die verfassungsgesetzlich an den OGH gestellten Anforderungen, nämlich nicht nur als Revisionsgericht die Einheit des Rechts zu wahren, sondern vielmehr als Verfassungsgericht die verfassungsmäßige Rechtsordnung zu sichern, können nur dadurch sachgerecht erfüllt werden. 144 145 148 147

12

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Huh

oben § 5, I I , 2, D. oben § 5, I I , 2, B, (b), (aa). oben § 5, I I , 2, B, (a), (bb). Sigloch, i n : Maunz u. a. BVerfGG, Rn. 4 zu § 82 BVerfGG.

178

§ 9 Abschließende Zusammenfassung

§9

Abschließende Zusammenfassung

Die Untersuchung hat gezeigt, daß Art. 102 V R K eine Gestaltungsnorm ist, die das Verwerfungsmonopol des OGH statuiert. Sie hat weiterhin aber auch ergeben, daß das richterliche Prüfungsrecht als solches nicht erst i n Art. 102 VRK, sondern schon i n A r t . 98 V R K konstitutiv normiert ist. Sieht man dagegen i n A r t . 98 V R K lediglich einen Unabhängigkeitsgrundsatz und w i l l man A r t . 102 V R K als einzig relevante Norm für das Institut der Normenkontrolle, so wäre dies ein Rückfall ins vergangene Jahrhundert. Die i n der geltenden koreanischen Verfassung erfolgte Zuweisung der Verwerfungskompetenz an den OGH war zudem auch die alleinige sachgerechte Entscheidung des Verfassunggebers gewesen, unter folgendem Gesichtspunkt: Die seit jeher i n Korea i m Bereich des Rechtsinstituts der Normenkontrolle gewachsene Überzeugung und Verfassungstradition, daß die Verwerfung verfassungswidriger Gesetze bei einem einzigen Organ monopolisiert werden müsse, bleibt beachtet und w i r d fortgesetzt. Die i m Vorangegangenen gewonnene Erkenntnis des Verwerfungsmonopols des OGH sollte vor allem dazu dienen, daß die i n einem Rechtsstaat notwendige und gebotene richterliche Machtkontrolle wirksam ausgeübt wird. Die koreanische Gewaltenstruktur i n dem Verfassungsgesetz und i n der Verfassungswirklichkeit erfordert geradezu eine wirksame Kontrolle, die unter derzeitigen Gegebenheiten nur von dem OGH wahrgenommen werden kann. Wollte man nun aber wider den Sinn und Zweck des Art. 102 V R K die Verwerfung verfassungswidriger Gesetze nur als akzessorische A n gelegenheit ansehen, so brächte dieses Vorgehen die Gefahr mit sich, daß das einzige Kontrollmittel — die konkrete Normenkontrolle —, m i t dessen Hilfe man eine Formaldemokratie i n Korea zu verhüten hat, wirkungslos hinter dem Verfassungsleben zurücktritt und seine Schärfe verliert.

Anhang Koreanischer Verfassungstext

(Die Verfassung der Republik Korea vom 12. 7.1948, i. d. F. vom 26.12.1962) The Constitution of the Republic of Korea 1 December 26,1962 Preamble We, the people of Korea, possessing a glorious tradition and history from time immemorial, imbued w i t h the sublime spirit of independence as m a n i fested i n the March 1st Movement i n the year of K i m i (A. D. 1919), now being engaged i n the establishment of a new democratic Republic on the basis of ideals as manifested i n the A p r i l 19th Righteous Uprising and the May 16th Revolution, determined; To consolidate national u n i t y through justice, humanity and fraternity, To eliminate outmoded social customs of all kinds and, To establish democratic institutions, To afford equal opportunities to every person, To provide for the fullest development of the capacity of each i n d i v i d u a l i n all fields of political, economic, social and cultural life, To help each person discharge his duties and responsibilities, To promote the welfare of the people at home and to strive to maintain permanent international peace and thereby to ensure the security, liberty and happiness of ourselves and our posterity eternally. We do hereby amend, through national referendum, the Constitution, ordained and established on the T w e l f t h Day of J u l y i n the year of Nineteen Hundred and Forty Eight A . D. The T w e n t y S i x t h Day of December i n the year of Nineteen Hundred and S i x t y T w o A . D.

1 Amtliche Ubersetzung i n die englische Sprache. Abgedruckt u.a. i n : The National Assembly of the Republic of Korea, Jahrgang 1964, hrsg. v. d. Kanzlei der „National Assembly" i n Seoul.

12*

180

Anhang

Chapter I General Provisions Article

1

(1) The Republic of Korea shall be a democratic republic. (2) The sovereignty of the Republic of Korea shall reside i n the people and a l l state authority shall emanate from the people. Article

2

The conditions necessary for being a Korean national shall be determined by law. Article

3

The territory of the Republic of Korea shall consist of the Korean Peninsula and its accessory islands. Article

4

The Republic of Korea shall endeavor to m a i n t a i n international peace and renounce a l l aggressive wars. Article

5

(1) Treaties duly ratified and promulgated i n accordance w i t h this Constit u t i o n and the generally recognized rules of international l a w shall have the same effect as that of the domestic l a w of the Republik of Korea. (2) The status of aliens shall be guaranteed i n accordance w i t h international law and treaties. Article

6

(1) A l l public officials shall be servants of the entire people and shall be responsible to the people. (2) The status and the political i m p a r t i a l i t y of a public official shall be guaranteed i n accordance w i t h the provisions of law. Article

7

(1) The establishment of political parties shall be free and the p l u r a l party system shall be guaranteed. (2) Organization and activities of a political party shall be democratic and political parties shall have necessary organizational arrangements to enable the people to participate i n the formation of political w i l l . (3) Political parties shall enjoy the protection of the State. However, i f the purposes or activities of a political party are contrary to the basic democratic order, the Government shall b r i n g an action against i t i n the Supreme Court for its dissolution and the political party shall be dissolved i n accordance w i t h the decision of the Supreme Court.

181

Anhang

Chapter II Rights and Duties of the Citizens Article

8

A l l Citizens shall have the dignity and value as human beings, and i t shall be the duty of the State to guarantee fundamental rights of the people to the utmost. Article

9

(1) A l l citizens shall be equal before the law and there shall be no discrimination i n political, economic, social or cultural life on account of sex, religion or social status. (2) No privileged castes shall be recognized, nor be ever established i n any form. (3) The awarding of decorations or marks of honour i n any form shall be effective only for recipients and no privileged status shall be created thereby. Article

10

(1) A l l citizens shall enjoy personal liberty. No person shall be arrested, detained, searched, seized, interrogated or punished except as provided by law, and shall not be subject to involuntary labour except on account of a criminal sentence. (2) No citizens shall be subject to torture of any kinds, nor shall be compelled to testify against himself i n criminal cases. (3) The warrant issued by a judge upon request from prosecutor must be presented i n case of arrest, detention, search or seizure. However, i n case the criminal is flagrante delicto or i n case where there is danger that the criminal, who committed a crime subject to imprisonment for three years or more i n long term, may escape or destroy evidence, the investigating authorities may request an ex post facto warrant. (4) A l l persons who are arrested or detained shall have the right to a prompt assistance of counsel. When criminal defendant is unable to secure the same by his o w n efforts, the State shall assign a counsel to the use of the defendant as provided by law. (5) A l l persons who are arrested or detained shall have the right to request the court for a review of the legality of the arrest or detention. When a person is deprived of personal freedom by other private individual, he shall have the right to request the court for a remedy. (6) I n case the confession of a defendant is considered to have been made against his w i l l by means of torture, acts of violence, threat, u n d u l y prolonged arrest, and deceit, etc.,or i n case the confession of a defendant is the only evidence against him, such confession shall not be admitted as evidence for his conviction nor shall he be punished on the basis of such a confession. Article

11

(1) No person shall be prosecuted for a c r i m i n a l offense unless such act constitutes a crime prescribed b y l a w at the time i t was committed, nor shall he be placed i n double jeopardy.

182

Anhang

(2) No restrictions shall be imposed upon the political rights of any citizen nor shall any person be deprived of the property right b y means of retroactive legislation. Article

12

A l l citizens shall have freedom of residence and of the change thereof. Article

13

A l l citizens shall have freedom of choice of occupations. Article

14

A l l citizens shall be free from violation of their residence. I n case of search or seizure i n the residence, the warrant of a judge must be presented. Article

15

The privacy of correspondence of a l l citizens shall be guaranteed. Article

16

(1) A l l citizens shall enjoy freedom of religion. (2) No State religion shall be recognized, and religion and state shall be separated. Article

17

A l l citizens shall enjoy freedom of conscience. Article

18

(1) A l l citizens shall enjoy freedom of speech and press, and freedom of assembly and association. (2) Licensing or censorship i n regard to speach and press or permit of assembly and association shall not be recognized. However, censorship i n regard to motion pictures and dramatic plays may be authorized for the maintenance of public morality and social ethics. (3) The standard for publication installations of a newspaper or press may be prescribed by law. (4) Regulation of the time and place of outdoor assembly may be determined i n accordance w i t h the provision of law. (5) The press or publication shall not impugn the personal honour or rights of an individual, nor shall it infringe upon public m o r a l i t y and social ethics. Article

19

(1) A l l citizens shall have freedom of science and arts. (2) The right of authors, inventors and artists shall be protected by law.

183

Anhang A r t i d e

20

(1) The right of property of a l l citizens shall be guaranteed. Its contents and restrictions shall be determined by law. (2) The exercise of property rights shall conform to public welfare. (3) I n case of expropriation, use or restriction of private property for public purposes, due compensation shall be paid i n accordance w i t h the provisions of law. Article

21

A l l citizens who have attained the age of t w e n t y shall have the right to elect public officials i n accordance w i t h the provisions of law. Article

22

A l l citizens shall have the right to hold public office i n accordance w i t h the provisions of law. Article

23

(1) A l l citizens shall have the right to submit w r i t t e n petitions to any State authority i n accordance w i t h the provisions of law. (2) The State authority shall be obliged to examine such petitions. Article

24

(1) A l l citizens shall have the right to be tried i n conformity w i t h the l a w by competent judges as qualified by the Constitution and law. (2) Citizens who are not on active service or employees of the m i l i t a r y forces shall not be tried i n the court m a r t i a l except i n case of espionage on m i l i t a r y affairs and i n case of crimes i n regard to sentinel, sentry-posts, provision of h a r m f u l food, and prisoners of w a r as defined b y law, as w e l l as except w h e n they are under an extraordinary state of siege i n the territory of the Republic of Korea. (3) A l l citizens shall have the r i g h t to a speedy trial. The c r i m i n a l defendant shall have the right to a public t r i a l w i t h o u t delay i n the absence of justifiable reasons. Article

25

I n case the c r i m i n a l defendant under detention is found innocent, he shall be entitled to a claim against the State for compensation i n accordance w i t h the provisions of law. Article

26

I n case a person has suffered damages by u n l a w f u l acts of public officials done i n the exercise of their official duties, he may request for redress from the State of public entity however, the public officials concerned shall not be exempt from liabilities.

184

Anhang A r t i d e

27

(1) A l l citizens shall have the right to receive an equal education correspondent to their abilities. (2) A l l citizens who have children under their protection shall be responsible for their elementary education. (3) Such compulsory education shall be free. (4) Independence and political i m p a r t i a l i t y of education shall be guaranteed. (5) Fundamental matters pertaining to the educational system and its operation shall be determined by law. Article

28

(1) A l l citizens shall have the r i g h t to w o r k . The State shall endeavor to promote the employment of workers through social and economic means. (2) A l l citizens shall have the duty to work. The contents and conditions of the d u t y to w o r k shall be determined by l a w i n conformity w i t h democratic principles. (3) Standards of w o r k i n g conditions shall be determined by law. (4) Special protection shall be accorded to the w o r k i n g women and children. Article

29

(1) Workers shall have the right of independent association, collective bargaining and collective action for the purpose of improving their w o r k i n g conditions. (2) The right to association, collective bargaining, and collective action shall not be accorded to the workers who are public officials except for those authorized by the provisions of law. Article

30

(1) A l l citizens shall be entitled to a decent human life. (2) The State shall endeavor to promote social security. (3) Citizens who are incapable of making a l i v i n g shall be protected by the State i n accordance w i t h the provisions of law. Article

31

A l l citizens shall be protected by the State for the p u r i t y of marriage and health. Article

32

(1) Liberties and rights of the citizens shall not be ignored for the reasons that they are not enumerated i n the constitution. (2) A l l liberties and rights of citizens may be restricted by l a w only i n cases deemed necessary for the maintenance of order and public welfare. I n case of such restriction, the essential substances of liberties and rights shall not be infringed.

185

Anhang A r t i d e

33

A l l Citizens shall have the duty to pay taxes levied in accordance with the provisions of law. Article

34

A l l citizens shall have the duty to defend the national territory i n accordance w i t h the provisions of law.

Chapter

III

Organs of Government Section I

The National Article

Assembly

35

The legislative power shall be exercised by the National Assembly. Article

36

(1) The National Assembly shall be composed of members elected by u n i versal, equal, direct and secret elections of the citizens. (2) The number of the members of the National Assembly shall be determ i n d by l a w w i t h i n the range of no less than one hundred and fifty and no more than t w o hundred persons. (3) A n y person desiring to become a candidate for the National Assembly shall be recommended by the political party to which he belongs. (4) Matters pertaining to the election of the members of the National Assembly shall be determined b y law. Article

37

The terms of office of the members of the National Assembly shall be four years. Article

38

A person shall lose his membership i n the National Assembly during his tenure when he leaves or changes his party, or w h e n his party is dissolved. However, the provisions of this article shall not apply i n cases of changes in party membership caused b y amalgamation of parties or i n case he has been expelled from his party. Article

39

No member of the National Assembly shall concurrently hold the position of the Presidency, the Prime Minister, a member of the State Council, a member of the local council, or any other public or private positions as determined b y law.

186

Anhang A r t i d e

40

A l l members of the National Assembly shall be prohibited from seeking, through abuse of their position, any rights or interests i n property or position, or from facilitating the securing of the same i n behalf of others, by means of contract w i t h , or disposition of, a State or public agency or any enterprise determined b y law.

Article

41

(1) D u r i n g the sessions of the National Assembly, no member of the National Assembly shall be arrested or detained w i t h o u t the consent of the National Assembly except i n case of flagrante delicto. (2) I n case of apprehension and detention of a member prior to the opening of the session, such member shall be released during the session upon the request of the National Assembly except i n case of flagrante delicto. Article

42

Members of the National Assembly shall not be held responsible outside the National Assembly for opinions expressed or votes cast w i t h i n the Assembly. Article

43

(1) A regular session of the National Assembly shall be convened once every year i n accordance w i t h the provisions of law. (2) I n case of extraordinary necessity, the Speaker of the National Assembly shall publicly notify the convocation of an extraordinary session of the National Assembly upon the request of the President or one-fourth or more of the members duly elected and seated. (3) The period of regular session shall not exceed one hundred and t w e n t y days and the extraordinary session t h i r t y days. Article

44

The National Assembly shall elect one Speaker and t w o Vice Speakers. Article

45

Unless otherwise provided for i n the Constitution or i n laws, the attendance of more than one half of the members d u l y elected and seated and the concurrence of more than one half of the members present shall be necessary for decisions of the National Assembly. I n case of a tie vote, the matter shall be considered to be rejected by the National Assembly. Article

46

The session of the National Assembly shall be open to the public. However, it may not be open to the public w i t h the concurrence of more than one half of the members present.

187

Anhang Article

47

Bills and other subjects submitted to the National Assembly for deliberation shall be not abandoned for the reason that they are not decided upon during the session. However, i t shall be otherwise i n case the tenure of the members of the National Assembly has expired. Article

48

Bills may be introducted by the members of the National Assembly or by the Executive. Article

49

(1) Each b i l l passed by the National Assembly shall be sent to the Executive and the President shall promulgate i t w i t h i n fifteen days. (2) I n case of objection to the bill, the President may, w i t h i n the period referred to i n the preceding paragraph, return i t to the National Assembly w i t h the w r i t t e n explanation of his objection, and may request its reconsideration. The President may do the same during the adjournment of the National Assembly. (3) The President may not request the National Assembly to reconsider the b i l l i n part or w i t h proposed amendments. (4) I n case there is a request for reconsideration of a bill, the National Assembly shall reconsider i t and if the National Assembly repasses the b i l l in the original form w i t h the attendance of more than one half of the members d u l y elected and seated, and w i t h concurrence of t w o - t h i r d s or more of the members present, the b i l l shall become a law. (5) I f the President does not promulgate the b i l l or does not request the National Assembly to reconsider i t w i t h i n the period referred to i n the first paragraph, the b i l l shall become a law. (6) The President shall w i t h o u t delay promulgate the l a w as determined in accordance w i t h the foregoing paragraph (4) and paragraph (5). I f the President does not promulgate a l a w w i t h i n five days after it has been determined under the foregoing paragraphs, or after i t has been returned to the Executive under paragraph (4), the Speaker shall promulgate it. (7) A l a w shall become effective t w e n t y days after the date of promulgation unless otherwise stipulated. Article

50

(1) The National Assembly shall deliberate and decide upon the national budgets. (2) The Executive shall formulate the budget for each fiscal year and submit it to the National Assembly w i t h i n one hundred t w e n t y days before the beginning of a fiscal year. The National Assembly shall decide upon the budget w i t h i n t h i r t y days before the beginnung of the fiscal year. (3) I f the budget is not adopted w i t h i n the period referred to i n the foregoing paragraph, the Executive may, w i t h i n the l i m i t of revenue and i n conformity w i t h the budget for the previous fiscal year, disburse the following expenditures u n t i l the adoption of the budget by the National Assembly:

188

Anhang

1. The emoluments of public officials and basic expenditures for the conduct of administration. 2. Maintenance costs for agencies and institutions established by the Constit u t i o n or l a w and the obligatory expenditures provided by law. 3. Expenditures for continuous projects already provided i n the budget. Article

51

(1) I n case it shall be necessary to make continuous disbursements for a period of more than one fiscal year, the Executive shall determine the length of the period for such continuous disbursement. The continuous disbursements shall be approved the National Assembly. (2) The establishment of a reserve fund for unforeseen expenditures not provided i n the budget or for any disbursement i n excess of the budget shall be approved by the National Assembly i n advance. The disbursement of the reserve fund shall be approved by the subsequent session of the National Assembly. Article

52

When i t is necessary to amend the budget because of circumstances arising after the adoption of the budget, the Executive may formulate a supplementary revised budget and submit i t to the National Assembly. Article

53

The National Assembly shall, w i t h o u t the consent of the Executive, neither increase the sum of any item of expenditure nor create new items of expenditure i n the budget submitted by the Executive. Article

54

When the Executive plans to issue national bonds or to conclude contracts which may create financial obligation for the State outside the budget, i t shall have the prior decision of the National Assembly. Article

55

The items and rates of all taxes shall be determined b y law. Article

56

(1) The National Assembly shall have the right of concurrence to the r a t i fication of treaties pertaining to m u t u a l assistance or m u t u a l security, treaties concerning international organizations, treaties of commerce, fishery, peace, treaties which shall cause a financial obligation for the State or nationals, treaties concerning the status of alien forces i n the territory, or treaties related to legislative matters. (2) The National Assembly shall also have the right to concurrence to the declaration of war, to the dispatch of the armed forces to foreign states or to the stationing of alien forces i n the territory of the Republic of Korea.

189

Anhang A r t i d e

57

The National Assembly may inspect the administration of the State, demand the production of necessary documents, the appearance of a witness i n person, and the furnishing of testimony or opinions. However, the National Assembly shall not interfere w i t h j u d i c i a l trial, c r i m i n a l investigation i n process or prosecution. Article

58

The Prime Minister, the State Council Members and Representatives of the Executive may attend meetings of the National Assembly or its committees to report on the state of administration or to state opinions and answer questions and, upon request from the National Assembly, its committees, or from more than t h i r t y members of the National Assembly, they shall appear i n any meeting of the National Assembly and answer questions. Article

59

(1) The National Assembly may advise to the President the removal of the Prime Minister or any State Council Member. (2) The advise of the preceding paragraph shall have the concurrence of more than one half of the members of the National Assembly d u l y elected and seated. (3) When the advises referred to i n paragraph (1) and paragraph (2) are submitted, the President shall agree thereto unless there is a special reason to be otherwise. Article

60

(1) The National Assembly may establish rules concerning its agenda and internal regulations, provided they are not contrary to law. (2) The National Assembly shall review the qualification of its members and take disciplinary actions against its members. (3) The concurrence of a t w o - t h i r d s or more of the members of the National Assembly d u l y elected and seated shall be required for the expulsion of any member. (4) No action shall be brought to court w i t h regard to the disposition under paragraph (2) and paragraph (3). Article

61

(1) I n case the President, the Prime Minister, State Council Members, Ministers of the Executive Branch, Judges, Members of the Central Election Committee, Members of the Board of Inspection and other public officials designated by l a w have violated this Constitution or other laws i n the exercise of their duties, the National Assembly shall have power to pass motions for their impeachment. (2) The motion for impeachment, pursuant to the preceding paragraph, shall be proposed by t h i r t y members or more of the National Assembly. The vote of more than one half of the members of the National Assembly d u l y elected and seated shall be necessary to institute impeachment. (3) A n y person against w h o m impeachment has been instituted shall be suspended from exercising his power u n t i l the impeachment has been tried.

Anhang

190

A r t i d e

62

(1) A n Impeachment Council shall be established to t r y impeachment. (2) The Impeachment Council shall be composed of the Chief Justice of the Supreme Court who shall serve as Chairman, three justices of the Supreme Court, and five members of the National Assembly. However, i n case of t r i a l for impeachment of the Chief Justice, the Speaker of the National Assembly shall become the Chairman of the Council. (3) The concurrence of six or more members of the Impeachment Council shall be required for the decision on impeachment. (4) The decision on impeachment shall not cause other than dismissal from public position. However, i t shall not exempt the impeachment person from c i v i l or c r i m i n a l l i a b i l i t y . (5) Matters pertaining to the impeachment t r i a l shall be determined by law.

Section II

The Executive

1. The President Article

63

(1) The Executive power shall be vested i n an Executive headed by a President. (2) The President shall represent the State vis-à-vis foreign states. Article

64

(1) The President shall be elected by a universal, equal, direct and secret ballot of the people. However, i n case of vacancy i n the office of the President w i t h remaining terms of t w o years or less, the President shall be elected by the National Assembly. (2) Citizens who are qualified to be elected to the National Assembly and who, on the date of the Presidential election, shall have resided continuously w i t h i n the country for five years or more and have attained the age of forty years or more, shall be eligible to be elected to the Presidency. I n this case, the period during which a person is dispatched overseas on official duty shall be considered as a period of domestic residence. (3) A n y person desiring to become a Presidential candidate shall be recommended by the political party to which he belongs. (4) Matters pertaining to the Presidential election shall be determined by law. Article

65

(1) When more than one Presidential candidate have received the highest number of votes i n the popular Presidential election, they shall be voted by the National Assembly i n open session attended by more than one half of the members of the National Assembly duly elected and seated, and the person receiving a p l u r a l i t y shall be elected the President. (2) When there shall be only one Presidential candidate, he shall not be elected unless he has received a one-third or more votes of total number of electors.

191

Anhang Article

66

(1) I n case of the election of the President by the National Assembly, the person who receives a t w o - t h i r d s or more votes of the members of the National Assembly attended by t w o - t h i r d s or more of its members duly elected and seated shall be elected the President. (2) I f no person shall receive the number of votes referred to i n the preceding paragraph, a second voting shall be conducted and if no person shall receive the same of votes referred to i n the preceding paragraph, and there was only one person w i t h the highest votes, a final voting shall be conducted between the person w i t h the highest votes and one w i t h next highest votes, or between the person w i t h the highest votes i n case there were more than one person w i t h the highest votes, and the person who shall receive a m a j o r i t y of votes i n such election shall be elected the President. Article

67

(1) The president shall be elected w i t h i n seventy to forty days before the term of the incumbent President expires. (2) I n case of vacancy i n the office of the President, an election shall be held immediately. The same shall apply i n case the President elect dies, or loses his qualification as President due to decisions of the court or other reasons. Article

68

(1) Before the President assumes his office he shall take the following oath: " I do solemnly swear before the people that I shall observe the Consitution, defend the State, promote freedom and welfare of the people and shall faithf u l l y execute the duties of the office of the President." (2) The members of the National Assembly and justices of the Supreme Court shall witness the Presidential oath referred to i n the preceding paragraph. Article

69

(1) The t e r m of the office of the President shall be four years. (2) I n case of vacancy i n the office of the President, the successor shall hold office during the remaining t e r m of his predecessor. (3) The President may be re-elected only for one more term. Article

70

I n case of vacancy i n the office of the President or of his i n a b i l i t y to perform his duties, the Prime Minister and the members of the State Council i n consecutive orders as determined by l a w shall act as the President. Article

71

The President shall conclude and r a t i f y treaties, accredit, receive or dispatch diplomatic envoys, declare w a r and conclude peace. Article

72

(1) The President shall exercise supreme command of the National A r m e d Forces i n accordance w i t h the provisions of the Constitution and law.

192

Anhang

(2) The organization and formation of the National A r m e d Forces shall be determined by law. Article

73

(1) When i n time of c i v i l war, i n a dangerous situation arising from foreign relations, i n case of natural calamity or on account of a grave economic or financial crisis, i t is necessary to take urgent measures for the maintenance of public safety and order, the President shall have power to take the m i n i m u m necessary financial and economic dispositions and to issue ordinances having the effect of law, provided, however, that the President shall exercise such power only w h e n i t is not possible to convene the National Assembly i n time. (2) The President shall have power to issue ordinances having the effect of l a w only when i t is necessary to the national security under the state of armed hostilities, and when it is not possible to convene the National Assembly i n time. (3) The ordinances or dispositions set forth i n paragraph (1) and paragraph (2) shall be reported w i t h o u t delay to the National Assembly for approval. (4) I f the approval referred to i n the preceding paragraph is not obtained, such ordinances or dispositions shall lose their effect thereafter. However, any law, revised or repealed by such ordinances, shall be duly reinstated from the time they were disapproved by the National Assembly. (5) The President shall announce to the public w i t h o u t delay the circumstances and reasons i n connection w i t h paragraph (1) and paragraph (2). Article

74

The President may issue Presidential Ordinances concerning matters that are w i t h i n the scope specifically delegated by l a w and that are required for the enforcement of law. Article

75

(1) The President shall, i n time of war, armed conflict, or similar national emergency when there is a m i l i t a r y necessity or when it is necessary to m a i n t a i n the public safety and order by mobilization of the m i l i t a r y forces, proclaim a state of siege i n accordance w i t h the provisions of law. (2) The state of siege shall consist of an extraordinary state and a precautionary state. (3) Under the proclaimed state of siege, special measures may be taken, i n accordance w i t h provisions of law, w i t h regard to the warrant system, freedom of speech, press, assembly and association, or w i t h regard to the rights and the powers of the Executive or the Judiciary. (4) The President shall immediately notify the National Assembly of the proclamation of a state of siege. (5) When the National Assembly so requests, the President shall l i f t the proclaimed state of siege. Article

76

The President shall appoint public officials i n accordance w i t h the provisions of the Constitution and law.

193

Anhang Article

77

(1) The President may grant amnesty, commutation and rehabilitation in accordance w i t h the provisions of law. (2) I n granting general amnesty, the President shall receive the consent of the National Assembly. (3) Matters pertaining to amnesty, commutation and rehabilitation, shall be determined by law. Article

78

The President shall award decorations and other honours i n accordance w i t h the provisions of law. Article

79

The President may attend and address the National Assembly or express his view by w r i t t e n message. Article

80

The acts of the President i n accordance w i t h l a w shall be executed by w r i t t e n documents, and all such documents shall be counter-signed by the Prime Minister and by the members of the State Council concerned. The same shall apply to the m i l i t a r y affairs. Article

81

The President shall not hold concurrently the offices of the Prime Minister, the State Council, the head of any Executive M i n i s t r y , or other official and private positions as determined by l a w nor engage i n private business. Article

82

The President shall not be charged w i t h c r i m i n a l offense during his tenure of office except for insurrection or treason. 2. The State Council Article

83

(1) The State Council shall deliberate on important policies that f a l l w i t h i n the powers of the Executive. (2) The State Council shall be composed of the President, the Prime Minister, and the members of the State Council whose number shall be no more than t w e n t y and no less than ten. Article

84

(1) The Prime Minister shall be appointed by the President, and members of the State Council shall be appointed by the President upon the proposal of the Prime Minister. (2) No m i l i t a r y personnel shall be appointed as the Prime Minister or a member of the State Council unless he has retired f r o m active service. 13

Huh

194

Anhang

(3) The Prime Minister may recommend to the President the removal of a member of the State Council f r o m office. Article

85

(1) The President shall be the Chairman of the State Council. (2) The Prime Minister shall assist the President and shall be the ViceChairman of the State Council. Article

86

The following matters shall be referred to the State Council for deliberation: 1) Basic plans on State affairs, and general policies of the Executive; 2) Declaration of war, conclusion of peace and other important matters pertaining to foreign policy; 3) Proposed treaties, legislative bills, proposed ordinances of the President; 4) Proposed budgets, closing accounts, basic plan on disposal of the State properties, conclusion of a contract creating financial obligation for the State, and other important financial matters; 5) Proclamation and termination of a state of siege; 6) Important m i l i t a r y affairs; 7) Matters pertaining to the request for convening the extraordinary sessions of the National Assembly; 8) A w a r d i n g of honour; 9) Granting of amnesty, commutation and rehabilitation; 10) Matters regarding the determination of jurisdiction between executive Ministries; 11) Basic plan concerning delegation or allocation of powers w i t h i n the Executive; 12) Evaluation and analysis of the administration of the State affairs; 13) Formulation and coordination of important policies of each executive Ministry; 14) Impeachment for the dissolution of a political party; 15) Examination of petitions pertaining to executive policies submitted or referred to the Executive; 16) Appointment of the Prosecutor General, the Presidents of the National Universities, Ambassadors, the Chiefs of Staff of each armed service, Marine Corps Commandant, diplomatic ministers, other public officials designated by law, and the managers of important state-operated enterprises; 17) Other matters presented by the President, the Prime Minister or a State Council member. Article

87

(1) The National Security Council shall be established to advise the President on the formulation of foreign, m i l i t a r y and domestic policies related to the national security prior to their deliberation by the State Council.

195

Anhang

(2) The meeting of the National Security Council shall be presided over by the President. (3) The Organization, the scope of functions, and other matters pertaining to the National Security Council shall be determined by law.

3. The Executive Ministries Article

88

Heads of Executive Ministries shall be appointed by the President from among the State Council members upon the proposal of the Prime Minister. Article

89

The Prime Minister shall supervise, under order of the President, the Executive Ministries i n their administration. Article

90

The Prime Minister or the head of each Executive M i n i s t r y may, under the delegation of powers by l a w or Presidential Ordinances, or ex oficio, issue ordinances of the Prime Minister or the M i n i s t r y concerning matters that are w i t h i n their jurisdiction. Article

91

The establishment, organization, and the scope of functions of each M i n i s t r y shall be determined by law.

4. The Board of Inspection Article

92

The Board of Inspection shall be established under the President to inspect the closing accounts of revenues and expenditures, the accounts of the State and other organizations as determined by law, and to inspect the administrative functions of the executive agencies and public officials. Article

93

(1) The Board shall be composed of no less than five and no more than eleven members including its Chairman. (2) The Chairman of the Board shall be appointed by the President w i t h the approval of the National Assembly. The t e r m of the tenure of the Chairman shall be four years, and he may be reappointed only for one more consecutive term. (3) I n case of vacancy i n the office of the Chairman, the tenure of a successor shall be the remaining period of the predecessor. (4) The members of the Board shall be appointed by the President upon the proposal of the Chairman for a period of four years, and may be reappointed consecutively as determined b y law. 13*

196

Anhang A r t i d e

94

The Board of Inspection shall inspect the closing accounts of the revenues and expenditures every year, and report the results to the President and the National Assembly i n the following year. Article

95

The organization of the Board, the scope of functions, the qualifications of the members of the Board, the range of the public officials subject to inspection, and other necessary matters shall be determined by law.

Section III

The Courts

Article

96

(1) The j u d i c i a l power shall be vested i n courts composed of judges. (2) The courts shall be composed of the Supreme Court, which is the highest Court of the State, and other courts at specific levels. (3) The qualifications for judges shall be determined by law. Article

97

(1) Departments may be established w i t h i n the Supreme Court. (2) The number of justices for the Supreme Court shall be less than sixteen. (3) The organization of the Supreme Court and lower courts shall be determined by law. Article

98

The judges shall judge independently according to their consciences and i n conformity w i t h the Constitution and law. Article

99

(1) The Chief Justice of the Supreme Court shall be appointed by the President w i t h the consent of the National Assembly upon the proposal of the Judge Recommendation Council. Upon a proposal of the Council, the President shall request the National Assembly for its consent and shall appoint the Chief Justice after the consent of the National Assembly has been obtained. (2) Justices of the Supreme Court shall be appointed by the President upon the proposal of the Chief Justice after he has secured the consent of the Judge Recommendation Council. I f such a proposal is submitted, the President shall appoint the proposed person. (3) Judges other than the Chief Justice and Justices of the Supreme Court shall be appointed by the Chief Justice through the decision of the Council of the Supreme Court Justices. (4) The Judge Recommendation Council shall be composed of four judges, t w o lawyers, one professor of l a w nominated by the President, the Minister of Justice and the Prosecutor General. (5) Matters pertaining to the Judge Recommendation Council shall be determined by law.

197

Anhang A r t i d e

100

(1) The tenure of the Chief Justice shall be six years and he shall not serve a consecutive term. (2) The tenure of the judges shall be ten years and they may be reappointed i n accordance w i t h the provisions of law. (3) The judges shall retire from office at the age of sixty five. Article (1) No criminal reduced, ciplinary

101

judge shall be dismissed f r o m office except by impeachment or punishment, nor shall he be suspended from office or his salary or suffer f r o m other unfavourable measures, except through dismeasures.

(2) I n the event a judge is unable to discharge his duty because of mental or physical deficiencies, he may be removed from office i n accordance w i t h the provisions of law. Article

102

(1) Whenever the decision of the case depends on the determination of the constitutionality of the law, the Supreme Court shall have jurisdiction to decide finally. (2) Whenever the decision of the case depends on the determination of the constitutionality or legality of administrative orders, regulations or a d m i nistrative actions, the Supreme Court shall have jurisdiction to decide finally. Article

103

A n y decision to dissolve a political party shall have the concurrence of a three-fifths or more of the duly authorized number of justices of the Supreme Court. Article

104

The Supreme Court may establish, w i t h i n the scope not inconsistent w i t h law, procedures pertaining to j u d i c i a l proceedings, internal rules and regulations on routine administrative matters of the courts. Article

105

Trials and decisions of the courts shall be open to the public; however, trials may be closed to the public by a court decision when there is a possibility that such trials may disturb the public safety and order or be h a r m f u l to decent customs. Article

106

(1) Court martials may be established as special courts to exercise j u r i s diction over m i l i t a r y trials. (2) The Supreme Court shall have the final appellate jurisdiction over the court martials.

Anhang

198

(3) The m i l i t a r y trials under an extraordinary state of siege may be l i m i t e d to the original jurisdiction only i n cases of crimes of soldiers and c i v i l i a n employees of the armed forces, i n cases of espionage on m i l i t a r y affairs, and crimes as defined by l a w i n regard to sentinels, sentry-posts, provision of h a r m f u l food, and prisoners of war.

Section IV

Election

Article

Management 107

(1) Election Committees shall be established for the purpose of fair management of elections. (2) The Central Election Committee shall be composed of two members appointed by the President, t w o members elected by the National Assembly, and five members elected by the Council of Supreme Court Justices. The Chairman of the Committee shall be elected from among its members. (3) The terms of office of the Committee members shall be five years and it may be renewed by consecutive reappointment. (4) The members of the Committee shall not j o i n political parties nor shall they participate i n political activities. (5) No member shall be dismissed except through impeachment or criminal punishment. (6) The Central Election Committee may, w i t h i n the l i m i t of l a w and ordinance, establish regulations pertaining to the management of elections. (7) The organization, the scope of functions and other necessary matters of the Election Committees of each level shall be determined by law. Article

108

(1) Election campaigns shall be conducted under the management of the Election Committees of each level w i t h i n the l i m i t determined by law. Equal opportunity shall be guaranteed. (2) The expenditures incident to the elections shall not be borne by political parties or candidates except where otherwise provided for i n the law.

Section V

Local

Self-Government

Article

109

(1) The local self-government bodies shall deal w i t h matters pertaining to the welfare of local residents, manage properties, and may establish, w i t h i n the l i m i t of laws and ordinances, rules and regulations regarding local selfgovernment. (2) The kinds of local self-government bodies shall be determined by law. Article

110

(1) The local self-government body shall have a council.

199

Anhang

(2) The organization, powers and the election of the members of the local councils, the methods of the election for the heads of local self-government bodies, and other matters pertaining to the organization and operation of such bodies shall be determined by law.

Chapter

IV

The Economy Article

111

(1) The economic order of the Republic of Korea shall be based on the principle of respect for freedom and creative ideas of the i n d i v i d u a l i n economic affairs. (2) The State shall regulate and coordinate economic affairs w i t h i n the l i m i t necessary for the realization of social justice and for the development of a balanced national economy to fulfil the basic l i v i n g requirements of a l l citizens. Article

112

License to exploit, develop or utilize mines, and a l l other important underground resources, marine resources, water power, natural powers available for economic use may be granted for l i m i t e d periods i n accordance w i t h the provisions of law. Article

113

A g r i c u l t u r a l tenancy shall be prohibited i n accordance w i t h the provisions of law. Article

114

The State may impose restrictions or obligations, necessary for the efficient utilization of the f a r m and forest land i n accordance w i t h the provisions of law. Article

115

The State shall encourage the development of cooperatives founded on the self-help spirit of the farmers, fishermen, and the small and medium businessmen, and shall guarantee their political i m p a r t i a l i t y . Article

116

The State shall encourage the foreign trade, and shall regulate and coordinate it. Article

117

Private enterprises shall not be transferred to the State or public ownership nor shall their management be controlled or administered by the State except i n cases determined by l a w to meet urgent necessities of national defense or national economy.

200

Anhang A r t i d e

118

(1) A n Economic and Scientific Council shall be established to advise the President on the formulation of important policies concerning the development of national economy and the promotion of sciences for the purpose of such development prior to their deliberation by the State Council. (2) The President shall preside over the Economic and Scientific Council. (3) The organization, the scope of functions, and other necessary matters of the Economic and Scientific Council shall be determined by law.

Chapter

V

Amendments to the Constitution Article

119

(1) A motion to amend the constitution shall be introduced either by a onet h i r d or more of the members of the National Assembly d u l y elected and seated, or by the concurrence of five hundred thousands or more of the voters eligible for the election of the members of the National Assembly. (2) Proposed amendments to the Constitution shall be announced by the President to the public for more than t h i r t y days. Article

120

(1) The National Assembly shall decide upon proposed amendments to the Constitution w i t h i n s i x t y days of its public announcement. (2) The decision on a proposed amendment to the Constitution shall require the concurrence of a t w o - t h i r d s or more of the members of the National Assembly d u l y elected and seated. Article

121

(1) A f t e r an amendment to the Constitution has been adopted, i t shall be submitted to a national referendum w i t h i n sixty days and shall receive the affirmative votes of more than one half of votes cast by more than one half of a l l voters eligible to vote for the election of the members of the National Assembly. (2) When the proposed amendment to the Constitution has received the affirmative votes referred to i n the preceding paragraph, the Constitution shall be thus amended, and the President shall promulgate the amendment immediately. Supplementary Article

Rules 1

(1) This Constitution shall come into force on the date of the first convocation of the National Assembly which is constituted pursuant to this Constitution. However, the enactment of the necessary legislation for the enforcement of this Constitution, the elections of the President and the members of the National Assembly pursuant to this Constitution and other preparations may be carried out prior to the enforcement of this Constitution.

201

Anhang

(2) The L a w Regarding the Extraordinary Measures for National Reconstruction shall lose its effect upon the coming into force of this Constitution. Article

2

The first general election for the President and the members of the National Assembly and the first convocation of the National Assembly pursuant to this Constitution shall take place w i t h i n one year f r o m the date of the promulgation of this Constitution. The t e r m of the President and the members of the National Assembly, thus elected, shall begin f r o m the date of the first convocation of the National Assembly and end on June 30,1967. Article

3

The laws, orders and treaties pursuant to the L a w Regarding the E x t r a ordinary Measures for National Reconstruction shall remain i n force to the extent not incompatible w i t h this Constitution. Article

4

(1) The Special L a w Regarding the Punishment of Special Crimes, the L a w for the Punishment of Those I n v o l v e d i n Fraudulent Elections, the L a w Regarding the Purification of Political Activities, and the L a w Regarding the Disposition of I l l i c i t Profiteering, and other laws related thereto shall remain i n force, and no objection thereto shall be raised. (2) The L a w regarding the Purification of Political Activities, the L a w Regarding the Disposition of I l l i c i t Profiteering and other laws related thereto shall not be amended or abolished. Article

5

The trials, the budget or disposition pursuant to the L a w Regarding the Extraordinary Measures for National Reconstruction, or pursuant to the orders and decrees on the basis of the L a w , shall remain i n force and shall not be brought to court action on account of this Constitution. Article

6

The public officials and the staffs of enterprises appointed by the government at the time of coming into force of this Constitution shall be considered to have been appointed pursuant to this Constitution. However, the public officials, for w h o m the method of selection has been changed b y this Constitution, shall perform their functions u n t i l the successors are selected i n accordance w i t h this Constitution. Article

7

(1) The organs which are, at the time of the coming into force of this Constitution, performing the functions belonging to the jurisdiction of the organs to be n e w l y established pursuant to this Constitution, shall continue to perform their functions u n t i l the new organs are established under this Constitution. (2) The organs to be n e w l y established pursuant to the Constitution shall be organized w i t h i n one year after the coming into force of this Constitution.

202

Anhang

(3) The time of the establishment of the first local councils pursuant to this Constitution shall be determined by law. Article

8

The number of the members of the National Assembly after the recovery of the national territory shall be separately determined by law. Article

9

The orders of the President, the orders of the State Council, and the Cabinet ordinances existing at the time of the coming into force of this Constitution shall be considered to be the presidential ordinances issued pursuant to this Constitution.

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