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German Pages 40 [41] Year 1968
SITZUNGSBERICHTE DER DEUTSCHEN AKADEMIE D E R W I S S E N S C H A F T E N ZU B E R L I N Klasse für Sprachen, Literatur und Kunst Jahrgang 1967 • Nr. 2
KARL-HEINZ
WIRZBERGER
PROBLEME DER BÜRGERRECHTSBEWEGUNG IN DER AMERIKANISCHEN PROSALITERATUR DER GEGENWART
AKADEMIE-VERLAG • BERLIN 1967
S I T Z U N G S B E R I C H T E DER D E U T S C H E N AKADEMIE D E R W I S S E N S C H A F T E N ZU B E R L I N Klasse für Sprachen, Literatur und Kunst Jahrgang 1967 • Nr. 2
KARL-HEINZ
WIRZBERGER
PROBLEME DER BÜRGERRECHTSBEWEGUNG IN DER AMERIKANISCHEN PROSALITERATUR DER GEGENWART
A K A D E M I E - V E R L A G . B ERL IN 1967
Vorgetragen und für die Sitzungsberichte angenommen in der Sitzung der Klasse für Sprachen, Literatur und-Kunst am 17. 11. 1966, auagegeben am 12.5.67
Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, 108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 Copyright 1967 by Akademie-Verlag GmbH Lizenznummer: 202 • 100/107/67 Herstellung: IV/2/14 VEB Werkdruck,445 Gräfenhainichen • 2806 Bestellnummer: 2010/67/V/2 • ES 7 F 2,70
Wenn in der folgenden Darstellung von der Bürgerrechtsbewegung gesprochen wird, so ist damit nicht nur die Aktivität seit Erlaß des Civil Rights Law von 1964, durch das vorhergehende Gesetz gleicher Art von 1957 und 1960 ergänzt worden sind, gemeint. Tatsächlich hat der Kampf um die Durchsetzung der Bürgerrechte für die amerikanischen Neger bereits lange vor dem Bürgerkrieg zwischen den Nord- und Südstaaten begonnen. Er hat mit der Formulierung und Annahme der 13., 14. und 15. Verfassungsergänzung (in den Jahren 1865, 1868 und 1870) einen ersten Höhepunkt erreicht und ist seitdem gleichermaßen beharrlich und verbissen geführt worden: von den Negern, um in den vollen Genuß der ihnen gesetzlich verbrieften Gleichberechtigung und Freiheit zu gelangen, und von den Gegnern der Bürgerrechtsbewegung, um den für sie sozial-ökonomisch vorteilhaften Zustand der Beschneidung der Rechte und der ökonomischen und gesellschaftlichen Möglichkeiten so lange wie möglich zu erhalten. 1 Aus den sehr zahlreichen und ständig sich vermehrenden Materialien sind ihrer besonderen Repräsentanz wegen im folgenden in erster Linie Zeugnisse von Autoren, die selbst Neger sind, herangezogen worden. 2 Seit den ersten Veröffentlichungen von W. E. B. Du Bois (1868—1963), der um die Jahrhundertwende begann, den Kampf seines eigenen Volkes in grundlegenden Publikationen zu würdigen 3 , hat sich die Zahl der farbigen amerikanischen Historiker, die ihre eigene Geschichte schreiben, vermehrt 4 . Seit den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts, die als „Negro Renaissance" in die Literatur- und Kulturgeschichte eingegangen sind, mehren sich auch die Beiträge, in denen sich die amerikanischen Negerautoren zu ihrem eigenen literarischen Schaffen äußern. John Oliver Killens (1916 geb.), LeRoi Jones (1934 geb.) und James BaldwinS (1924 geb.) repräsentieren mit ihren unlängst erschienenen Arbeiten in dieser Hinsicht eine neue Qualität, die für die sechziger Jahre charakteristisch ist. Ausgehend davon, daß es nicht allein genügt, Neger zu sein, um sich mit Gewicht und Verantwortlichkeit zum größten ungelösten Problem der amerikanischen Nation äußern zu können 6 , analysieren die genannten drei Schriftsteller die verschiedenen Aspekte des Problems und die in funktioneller Abhängigkeit sich ergeben-
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den literarisch-künstlerischen Konsequenzen. Ihre Darlegungen und die besonders seit dem zweiten Weltkrieg erschienene belletristische Literatur aus der Feder von Negerautoren ist als Materialbasis heute immerhin breit genug, um einige der bestimmenden Züge der Reflexion des Negerproblems in der Gegenwartsliteratur der Vereinigten Staaten hervortreten zu lassen. Es kann nicht Aufgabe des Literaturwissenschaftlers sein, die juristische Seite der Bürgerrechtsbewegung 7 zu würdigen. Die gesellschaftlichen und ökonomischen Wandlungsprozesse hingegen, die bewirkt haben, daß der Bürgerrechtskampf gerade seit den frühen sechziger Jahren mit besonderer Heftigkeit entbrannt ist und eine entsprechend lebendige Widerspiegelung im Werk amerikanischer Negerschriftsteller gefunden hat, verdienen auch die Aufmerksamkeit des Literaturhistorikers. Martin Luther King (1929 geb.) sieht die Gründe dafür, warum die Bürgerrechtsbewegung gerade im Jahre 1963, dem 100. Jubiläumsjahr seit Erlaß der Emancipation Proclamation, einen Kulminationspunkt hatte, im Zusammentreffen eines echten sozialen Notstands mit den für die amerikanischen Neger sichtbaren Ergebnissen der Befreiungsbewegung in den ehemaligen kolonialen und abhängigen Gebieten und einer durch eine Reihe innenpolitischer Ereignisse hervorgerufenen Protesthaltung der Negerbevölkerungder USA.8 Von den bei King genannten Faktoren verdienen die ökonomischen Gegebenheiten, die den Neger zwingen, „auf einer einsamen Insel wirtschaftlicher Unsicherheit inmitten eines Meeres materiellen Reichtums" 9 zu leben, die größte Beachtung, weil der Neger unter den herrschenden Bedingungen noch vor dem weißen Proletarier zum ersten Opfer des technischen Fortschritts geworden ist. Und da der Zugang zur Bildung und Erziehung in der modernen Industriegesellschaft eine wichtige Schlüsselfunktion hat, gebührt an zweiter Stelle der schleppenden Verwirklichung der gesetzgeberischen Maßnahmen auf dem Gebiet des Erziehungswesens unsere Aufmerksamkeit. Der gesellschaftlich und politisch bewußt handelnde Teil der fast 20 Millionen amerikanischen Bürger schwarzer Hautfarbe führt den Kampf um die Gewinnung der Bürgerrechte entweder in den Reihen der 1965 von Martin Luther King und anderen begründeten „Southern Christian Leadership Conference" und stellt sich damit auf die Seite derer, die in Anlehnung an das Vorbild Mahatma Gandhis ihre Ziele mit den Mitteln des gewaltlosen Widerstands durchsetzen wollen, oder er unterstützt in wachsendem Maße die Bestrebungen der außerordentlich aktiven, ursprünglich aus studentischen Organisationen hervorgegangenen Gruppierungen vom Typ des „Student Nonviolent Coordinating Committee" (SNCC). und des „Congress of Racial Equality" (CORE). Während King und seine Anhänger an der Gewaltlosigkeit festhalten, bekennen sich seit dem Sommer 1966 SNCC, CORE und ähnliche Gruppierungen zur Konzeption der „Black Power", 10 die den Begriff der Gewaltlosigkeit zugunsten des
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Rechts auf Selbstverteidigung im Falle eines Angriffs verwirft und darüber hinaus verstanden werden will als Mittel zur Erringung politischer Macht in den Gebieten, in denen die Neger zahlenmäßig überwiegen; die Befürworter von „Black Power" fühlen sich zugleich als Bewegung zur Mobilisierung aller Kräfte mit dem Ziel der Überwindung der Rassendiskriminierung einschließlich ihrer Ursachen. Die am weitesten gehenden Vorstellungen sind bei den Kräften vorhanden, die einen Lösungsweg im Zusammengehen der farbigen und weißen Angehörigen der Arbeiterklasse suchen und damit das Problem nicht als isolierte Rassenfrage, sondern gleichermaßen als Klassenfrage sehen. 1 1 Der Anteil der Neger an der Gesamtbevölkerungszahl der Vereinigten Staaten beträgt etwa 1 0 % ; er spiegelt sich jedoch nicht in dem Anteil wider, den die amerikanischen Neger an der Gestaltung und schöpferischen Formung des Lebens ihrer Nation als Ganzes haben. Das gilt auch für den Beitrag, den sie zur amerikanischen Literatur leisten konnten. Die bisher einzige Form von Kunstübung, in der eine beinahe ungehinderte Ausprägung möglich war, j a nachgerade in bestimmten Perioden gefördert wurde, ist die Musik, die sowohl durch die traditionellen Schöpfungen der Plantations
Songs und Spirituals
als auch
durch die Blues und den Jazz unserer Tage eine so große Bereicherung erfahren hat, daß das amerikanische Musikschaffen ohne den von den Negern beigetragenen Teil überhaupt nicht vorstellbar ist. Die Neger selbst sind ihre eigenen unbestechlichen Kritiker. Sie analysieren das Zurückbleiben der von Negern geschaffenen Literatur im Vergleich zu ihrem Beitrag zur Musik und nennen als Gründe sowohl den für viele Negerautoren charakteristischen sozialen Status eines Mittelklassenangehörigen, als auch das Streben, es in imitativer Weise den Weisen gleichtun zu wollen und durch das eigene Schaffen zu beweisen, daß man eigentlich auch weiß sei. Diesem Identitätsverlust, oder schlimmer noch: Dieser freiwilligen Identitätsaufgabe wird die bewußte Pflege, Erhaltung und Weiterentwicklung der Volkstraditionen gegenüberstellt, die für das Schaffen amerikanischer Negerkomponisten und -interpreten typisch sind und die bewirkt haben, daß sich schöpferische Intentionen bewußt kunstschaffender Menschen und die Überlieferung der leidgeprüften untersten Bevölkerungsschichten begegneten und ergänzten. 1 2 Die jahrhundertelange Denaturierung der Amerikaner schwarzer Hautfarbe hat zu einem empfindlichen Verlust an literarischem Potential geführt, das unter der Sklavenmentalität verschüttet blieb. Und doch vermochten einzelne Neger schon zur Zeit des Bestehens der Sklaverei als feste gesellschaftliche und ökonomische Einrichtung der Südstaaten, ihre Existenz literarisch zu manifestieren. Einem von ihnen, Frederick Douglass (1817—1895), der als Sklave geboren war, gelang es, durch sein literarisches, vorwiegend autobiographisches Schaffen
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einen festen Platz in der Geschichte der amerikanischen Nationalliteratur
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zu erringen; andere, 14 die auf Douglass anregend gewirkt haben, werden nur, noch in spezialisierten Bibliographien und in der Geschichtsschreibung geführt. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert, also bis zum Vorabend der sogenannten „Negro Renaissance", ist das Werk der amerikanischen Negerautoren oft durch eine Beschränkung auf die Darstellung ihrer Leiden und Bedrückung charakterisiert. Es reflektiert in erster Linie den Zustand des Negervolks, besonders die Züge, die seine Existenz und seine Erfahrung so grundlegend von der der Weißen unterscheiden. Dies gilt für Autoren wie den Prosaschriftsteller Charles Waddell Chesnutt (1858—1932), aber auch für Lyriker wie Paul Laurence Dunbar (1872 bis 1906), deren Werk mehr durch Reflexion und Analyse des Vorgefundenen als durch einen Appell zum Verändern, einen Aufruf zur Revolte, bestimmt ist. Wie überhaupt um die Jahrhundertwende unter dem Einfluß der Lehren des Reformers Booker T. Washington (1856—1915) ein unübersehbarer Zug der Bescheidung auf ein Minimalprogramm sichtbar wird, das die den Negern bereits eingeräumten Möglichkeiten in der Landwirtschaft und den manuellen Berufen weiter zu nutzen und zu entwickeln bemüht war („Werft die Eimer an der Stelle des Meeres aus, an der Ihr Euch befindet!"), das ihnen aber dringlich abriet, nach deren Sternen greifen zu wollen und vor allem politische Abstinenz forderte. Der eigene Lebensweg, wie ihn Washington in seiner Autobiographie Up }rom Slavery (1900) dargestellt hatte, sollte Trost und Verheißung sein. Für die Beurteilung eines wichtigen Teils der von Negern geschriebenen Gegenwartsliteratur ist es wichtig, daß sich ihre Militanz und ihre Kompromißlosigkeit ebenfalls auch bereits um die Jahrhundertwende etwa in der einflußreichen Analyse The Souls of Black Folk (1903) von Du Bois als eine deutlich erkennbare Qualität abzeichnet, deren erste Keime sich schon bei Douglass finden. Das heißt aber, daß die Entwicklung der amerikanischen Negerliteratur im Grunde seit ihrer Entstehung einen antithetischen Charakter hatte und sich zu jeder Zeit engagierte Kämpfer und duldende Künder der Bedrängnis gegenüberstellen lassen. Mitunter schneiden sich auch beide Linien in einem Werk. James Weldon Johnsons Autobiography of an Ex-Coloured Man erschien 1912; es spiegelt die Problematik der Zeit vor der Jahrhundertwende und kurz danach wider, als wir mit noch keinem sehr hohen Grad der Bewußtheit in der Rassenfrage unter der Masse der Neger selbst rechnen können. Johnson (1871—1931) hat einerseits trotz der Verehrung, den der autobiographisch-fiktive Held für Du Bois empfindet, das von Booker T. Washington im Tuskeegee Normal and Industrial Institute praktizierte Programm für ein Optimum gehalten und den Standpunkt vertreten, daß vor allem die farbige Gebildetenschicht als bürgerliche Elite die Verantwortung für die Weiterentwicklung ihrer bedrängten Rassengenossen
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habe. Entsprechend fallen die gedanklichen Hilfskonstruktionen aus, mit denen der Held und Erzähler des trotz des Titels als Roman zu wertenden Werks seinen Rückzug in die Welt der Weißen rechtfertigt. In dem Bemühen, die Sympathien des Lesers für den Protagonisten zu erhalten, wird sein Einschwenken auf den Weg des geringsten Widerstandes mit der glaubhaft gemeinten Entschuldigung motiviert, er habe sich, da er als Neger weißer Hautfarbe gewesen sei, aus seiner eigenen Rasse entfernt, um wie ein Emigrant seinem Volk von draußen besser helfen zu können. Es ist dies eine Haltung, die die Neger der sechziger Jahre nicht mehr verstehen würden. Tatsächlich hat Johnson auch in einer späteren echten Autobiographie (Along This Way, 1933) Sorge dafür getragen, daß bei den Lesern, die die autobiographische Form des Buches aus dem Jahre 1912 nicht als Fiktion erkannten, keine falschen Identitätsvorstellungen entstanden. Diese Schwächen des Buches werden ausgeglichen durch die für weite Strecken bezeichnende Tiefgründigkeit der Analyse, die einen Ausschnitt aus einer individuellen Lebensgeschichte so aufhellt, daß Erkenntnisse von allgemeiner Schlüssigkeit abgeleitet werden können. Johnson beschränkt sich dabei nicht nur auf Erscheinungen, die charakteristisch für die Existenz der Neger sind, sondern dringt auch zu Nachfolgeerscheinungen des ungelösten Negerproblems, z. B. zum verkrüppelnden Einfluß, den der bestehende Zustand auf das Dasein auch der Weißen hat, vor. 1 5 Von theoretischer Bedeutsamkeit und von Konsequenz für die literarisch-künstlerische Praxis sind die Bemerkungen, die Johnson über den von der Rassenzugehörigkeit determinierten Autor-Standpunkt macht, und die so lange Geltung haben werden, wie das Negerproblem der Vereinigten Staaten ungelöst ist. Er schreibt hinsichtlich des erniedrigenden und verzerrenden Einflusses, dem jeder Neger in den USA unterworfen ist: "He is forced to take his outlook on all things, not from the view-point of a Citizen, or a man, or even a human being, but from the view-point of a coloured man." Einschränkend, so als sei er nicht davon überzeugt, daß die Perspektive des Negers einer Erkenntnismöglichkeit nicht hinderlich sei, ja, bestimmte Aufschlüsse überhaupt erst ermögliche, fährt Johnson fort: "It is wonderful to me that the race has progressed so broadly as it has, since most of its thought and all of its activity must run through the narrow neck of this one funnel." 1 6 Mit dieser eingeschränkten Feststellung vertritt Johnson vor dem ersten Weltkrieg einen Standpunkt, der in seinem Kern der Haltung einer bestimmten Gruppe zeitgenössischer Negerschriftsteller ähnelt, als deren Sprecher der Romanautor Ralph Ellison (1914 geb.) gelten kann. Anläßlich der Würdigung seines bisher einzigen Romans Invisible Man (1952) betonte er, daß seine Existenz als Neger nicht notwendigerweise etwas mit der besonderen Qualität dieses Buches zu tun habe und daß er „über mehr als nur das Leben der Neger" schreiben wollte. 17 Andererseits erweist jedoch Ellisons künstlerische Praxis,
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manifestiert in der Wahl der wichtigsten Charaktere seines Romans, daß er nicht daran dachte, der Auswertung der Hauptquelle seiner Erfahrungen, seines Existenzbewußtseins als Neger, zu entraten. Dem widerspricht auch Ellisons ausdrückliches Bekenntnis zum Negeridiom als wesentlichem Gestaltungselement. 18 Gleichermaßen fortgeschritten erscheinen uns die Postulate, die Johnson in der Autobiography of an Ex-Coloured Man hinsichtlich des künstlerischen und gesellschaftlichen Auftrags der aus dem amerikanischen Negervolk stammenden Autoren aufstellt. Er polemisiert gegen das in der amerikanischen Literatur der Jahrhundertwende verbreitete Bild des primitiv-glücklichen und zugleich gemütvoll-drolligen Farbigen, der vor der Blockhütte sitzend Banjo spielt und singt und weist auf die aus dieser Situation heraus sich ergebende Gelegenheit für den zukünftigen Neger-Romanschriftsteller und Negerdichter hin, "to give the country something new and unknown, in depicting the life, the ambitions, the struggles, and the passions of those of their race who are striving to break the narrow limits of traditions". 19 Auch hinsichtlich der von Johnson entwickelten drei Stufen, in denen sich der Bürgerrechtskampf vollzieht — 1. Kampf um die Anerkennung der Neger als menschliche Wesen, 2. Kampf um den Nachweis seiner Bildungsfähigkeit und Bildungswürdigkeit und 3. Kampf um die gesellschaftliche, sozial-ökonomische Anerkennung — müssen wir heute, von der Warte der dritten Stufe her, die Präzision und fortdauernde Gültigkeit seiner Erkenntnis bewundernd würdigen. 20 Johnsons Autobiography of an Ex-Coloured Man markiert den Ubergang zur neuen Qualität der größeren Bewußtheit und des höheren theoretischen Niveaus unter den amerikanischen Negerautoren am Vorabend des ersten Weltkrieges. In der darauffolgenden „Negro Renaissance" der zwanziger Jahre manifestiert sich, daß es nun nicht mehr nur einzelnen Negern als Ausnahme gelingt, am kulturellen Leben der Nation teilzuhaben, sondern daß das Schaffen einer ständig wachsenden Zahl farbiger Künstler im Zusammenwirken mit einer immer breiter werdenden farbigen Bildungsschicht bewirkt, daß die Neger nicht nur teilhaben an der Kultur der Nation, sondern beginnen, die kulturelle Physiognomie Amerikas merklich zu beeinflussen und mitzugestalten. Von den Voraussetzungen, die erfüllt sein mußten, ehe die Neger fast ein Jahrhundert nach den weißen Amerikanern ihre „geistige Unabhängigkeitserklärung" 2 1 abgeben konnten, muß in erster Linie die Massenwanderung der Neger in die Industriestädte des Nordens und Westens genannt werden, die allein zwischen 1890 und 1920 über zwei Millionen Neger aus der Enge und kulturellen Sterilität der südlichen Agrarstaaten löste und sie dem großstädtischen Ghettoproletariat (Harlem, Watts) eingliederte. 22 Jeder zweite Neger lebt heute in einer Großstadt des Nordens; allein zwischen 1950 und 1960 haben weitere 1,5 Mil-
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lionen Neger den Süden verlassen. 95 % von ihnen bevölkern heute die Negerghettos der großen Industriestädte der Staaten Kalifornien, New York, Illinois und Michigan. 23 Das Negerghetto ist also in jüngerer Zeit vornehmlich zu einer spezifischen Einrichtung des Nordens geworden, entsprechend intensiv ist die Widerspiegelung seiner charakteristischen Züge in der zeitgenössischen Literatur. Harlem, um bei diesem Beispiel zu bleiben, hat sich erst nach dem ersten Weltkrieg zu einem ausgesprochenen Negerwohngebiet mit Ghettocharakter entwickelt und besonders seit den zwanziger Jahren fast 250 000 Neger angezogen, die sich im Vergleich zu ihrer südlichen Heimat bessere Bedingungen, vor allem aber eine größere ökonomische Chance im gelobten Land des Nordens erhofften. Mit dem Ortswechsel wurde zugleich der Wechsel aus der Agrargesellschaft in die industrielle Wettbewerbungsgesellschaft vollzogen, die die zugewanderten Neger mit neuen Formen der Ausbeutung, der Konkurrenz und des Profitstrebens konfrontierte. Sie kamen in eine Umgebung, in der sich sehr schnell die Untauglichkeit der „accomodating leadership", des Einlenkens und der Selbstbescheidung eines Booker T. Washington, erwies und sich als Kulmination einer jahrhundertelangen Entwicklung die Forderung nach gleichen Rechten, nach sozialer Anerkennung und politischer Repräsentanz, wie sie von Du Bois und der Niagara-Bewegung vertreten worden war, zwangsläufig aus der bestehenden und nun ständig sich verschärfenden Situation ergab. In der Chronologie der Werke, die am Beginn der etwa ein Jahrzehnt andauernden „Negro Renaissance" standen, sind der Gedichtband Harlem Skadows (1922) von Claude McKay (1890—1948), die im gleichen Jahr erscheinende Lyrikanthologie von James Weldon Johnson, Book of American Negro Poetrij, und die 1925 von Alain Locke (1886—1954) besorgte Sammlung von Gedichten, Short Stories und Essays, The New Negro, zu nennen. Das erste Gedicht des Negerlyrikers Langston Hughes (1902 geb.), das überhaupt im Druck erschien, wurde 1921 in der von Du Bois herausgegebenen Zeitschrift Crisis publiziert. Es hat bis heute noch nichts von der Patina eines bewährten Anthologiestücks angesetzt, obschon es immer wieder als Manifestation für das in der „Negro Renaissance" erwachende Bewußtsein zitiert wurde, Erbe und Verwalter, Träger und Vermehrer einer alten Menschheitskultur zu sein, die sich unabhängig von der usurpierten Vorherrschaft der weißen Herrenrassen herausgebildet hat. Es ergänzte den Ton des Protestes, wie er von Claude McKay in seinem berühmten Poem If We Must Die 2 4 angeschlagen worden war, nach der Seite der kulturellen Selbständigkeitsbestrebungen hin und war der künstlerischen Selbstbesinnung auf die eigene, z. T. bis nach Afrika zurückweisenden Traditionen außerordentlich förderlich: eine Bestrebung, die in unserem Jahrzehnt durch die zu politischer und kultureller Selbständigkeit gelangenden afrikanischen Völker eine außerordentliche Belebung erfahren hat.
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Langston Hughes war es auch, der in einem grundlegenden Beitrag in Alain Lockes Chrestomatie neben die Besinnung auf das Erbe der Vergangenheit eine programmatische Formulierung der Ziele zukünftigen künstlerischen Wollens stellte. Er schrieb: "We younger Negro artists who create now intend to express our individual dark-skinned selves without fear or shame. If white people are pleased we are glad. If they are not, it does not matter. We know we are beautiful. And ugly too. The tom-tom cries and the tom-tom laughs. If colored people are pleased we are glad. If they're not, their displeasure doesn't matter either. We build our temples for tomorrow, strong as we know how, and we stand on top of the mountain, free within ourselves." 2 5 Diesen hohen Anspruch zu erfüllen haben sich die Besten des amerikanischen Negervolkes bemüht und haben so einen wesentlichen Beitrag zur Verschiebung der im Kulturleben seit der kolonialen Zeit gesetzten Akzente geleistet. Damit aber sind sich die Neger und die Weißen auf dem einen Sektor, der bei Lage der Dinge noch am ehesten eine Berührung ermöglichte, etwas näher gekommen und haben in der Periode der „Negro Renaissance" begonnen, das Bild der absolut getrennten Kulturen, das Alain Locke gezeichnet hatte, zu korrigieren. "The fiction is," so schrieb er, "that the life of the races is separate, and increasingly so. The fact is that they touch too closely at the unfavorable and too lightly at the favorable levels. 26 " Die literarische Mündigkeitserklärung der Neger, die von Langston Hughes formuliert worden war, wurde begleitet von einem stürmischen Aufschwung im musikalischen Schaffen, vor allem in der Komposition und Interpretation des Jazz. Er verdankt seine Beliebtheit sicher nicht nur dem Umstand, daß es die bürgerliche Nachkriegsgesellschaft auf der Suche nach Zerstreuung für schick hielt, den Neger als Symbol für einen Primitivitätskult und als nationales Vergnügungsobjekt zu entdecken und zu kultivieren. Von den ernsthafteren Beobachtern der Szene ist der Jazz vielmehr in erster Linie als eine bewußte Durchbrechung hemmender und den freien künstlerischen Ausdruck verkrüppelnder Tabus gewertet worden, und in dieser Funktion ist er auch fruchtbar für das Schaffen der Negerdichter der zwanziger Jahre, der sogenannten Harlem School, geworden. Langston Hughes, dessen Gedichtband The Weary Blues (1926) noch fast ausschließlich von der Bitterkeit der erniedrigenden Erfahrung durchdrungen ist, sieht in der Rückerinnerung in dem Memoirenband The Big Sea (1940) auch die Gefahren, die der „Negro Renaissance" vor allem durch die Verquikkung kultureller Bestrebungen mit den Vergnügungsbedürfnissen weißer Klienten und einer damit verbundenen künstlerischen Inflation durch Überproduktion und Kommerzialisierung drohten. Auch er erwähnt die Zerstörung der Illusionen, wie sie sich schließlich in dem Roman Infants of the Spring (1932) von Wallace Thurman (1902—1934) ausdrückte. Aber das Harlem, an das sich
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Hughes in seinen autobiographischen Schriften und in seinen Erzählungen über den Schweijk-Typus Jesse B. Simple 27 erinnert, ist doch bei allem ein Ort, an dem man leben kann. Nicht idyllisch, aber doch so, daß der Mensch sich zurechtzufinden vermag und seine Existenz behaupten kann. Sogar Heimatgefühle sind möglich, und die Aufhebung der Häßlichkeit und des Kritikwürdigen erfolgt — vor allem in den Simple gewidmeten Erzählungen — in satirischer Form, als Prosavariante der Blues-Zeile „Wenn du mich lachen siehst — ich lache, um nicht zu weinen." 2 8 Die Harlemer „Negro Renaissance" leistete mit ihrem Ringen um künstlerische Selbstdarstellung und -ausprägung der nationalen Eigenarten des Negervolks einen unmittelbar wirksamen Beitrag zur Bürgerrechtsbewegung. Ein weiteres Stück der Wegstrecke, die zur heutigen Problemstellung und zu ihrer literarischen Bewältigung führt, ist Richard Wright (1908—1960) gegangen. Sein Roman Native Son (1940) ist hinsichtlich seiner Wirkung und wegen der Gestaltung eines Menschenschicksals, in dem sich Hauptlinien schneiden, die gleichermaßen das Los der Gesellschaft und des Individuums bestimmen, mit Theodore Dreisers bedeutsamstem Werk, An American Tragedy (1925), verglichen worden. Im Negerghetto Chikagos — so wie Wright es sieht — gibt es keine Idylle mehr, die an bestimmte Züge des Harlem der „Negro Renaissance" erinnern könnte: Mit grimmigem Mut zur Wrahrheit wird das Eröfinungssymbol des Buches, die Tötung einer ekelhaften schwarzen Ratte, umgesetzt in die Darstellung des Lebens- und Leidensweges eines jungen Gewaltverbrechers, der wider Willen tötete, der unter dem Zwang dieser Tat und ihrer Folgen zu einem Menschen wird, den wir fürchten und verabscheuen müssen und dem wir dennoch Interesse und Anteilnahme nicht versagen können, weil wir seine Unmenschlichkeit letztlich als Folge einer bereits über Generationen sich erstreckenden Entfremdung des Negers von seiner wahren menschlichen Existenz und seinen guten Potenzen erkennen. Aber auch Richard Wright vermag in seiner 1945 erschienenen Autobiographie Black Boy noch nicht, eine kompromißlose Formel für den Fortgang des Kampfes und die endlich zu erreichenden Ziele zu finden. Seine am Schluß des Buches geäußerte Erwartung richtet sich auf einen allgemeinen Humanismusbegriff, der auch die Hoffnung auf einen Wandel zum Guten, zur Menschlichkeit in den amerikanischen Südstaaten nicht ausschließt. 29 Das Werk Richard Wrights hat eine Frage aufgeworfen, die bereits von Literaturkritikern, die selbst Neger waren, in den zwanziger Jahren anläßlich des Erscheinens des Gedichtbandes Fine Clothes to the Jew (1927) von Langston Hughes gestellt worden ist: Soll die Darstellung von schonungsloser Offenheit sein, also auch die eigenen, dem Negervolk eigenen Schwächen enthüllen und den Blicken der Weißen preisgeben, oder soll sie aus didaktischen Erwägungen
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heraus, wie Eustace Gay dies formuliert hat, nur die höheren Ziele und Aspirationen, das bessere Ich der Neger beinhalten? 30 Die Antwort haben die amerikanischen Negerautoren in ihrem Schaffen selbst gegeben. Einige von ihnen sind, wie z. B. Georg S. Schuyler (1895 geb.), auf die Linie der Negerbourgeoisie eingeschwenkt, und andere haben, wie Willard Motley (1912—1965) und Frank Yerby (1916 geb.), die Technik des sogenannten „rassenlosen Protests" entwickelt und sind mit Romanen, in denen es keine wichtigen Negercharaktere gibt, auf eine in der Rassenfrage unverfängliche Literatur des allgemeinen sozialen Engagement ausgewichen. 31 Die Mehrzahl aber, und vor allem die führenden Negerautoren der „Negro Renaissance" wie Langston Hughes und Richard Wright, haben sich in ihrem für die Negerrasse engagierten aber nicht voreingenommenn Wahrheitsstreben nicht beirren lassen. Sie sind es, die in den Jahrzehnten zwischen den beiden Weltkriegen durch die Schonungslosigkeit ihrer Selbstdarstellung einen unschätzbaren Beitrag geleistet haben. Sie bereiteten den Boden dafür vor, daß heute auf der Grundlage der durch sie gewonnenen Selbsterkenntnis und gestützt durch das von ihrer Leistung gestärkte Bewußtsein des Eigenwerts die Forderung nach Freiheit und schließlich nach „Black Power" unverschlüsselt gestellt werden kann. Wenn Richard Wright es bereits vor mehr als fünfundzwanzig Jahren wagen konnte, die von den weißen Männern erzeugte und geförderte Häßlichkeit in seinem Menschenbild des amerikanischen Negers zur Dominante zu machen, so nutzen Autoren der sechziger Jahre, wie etwa James Baldwin den von ihm erstrittenen Vorteil und setzen den Neger in seine vollen Bürgerrechte ein. Im Gegensatz zu früher, wo selbst das Streben nach Tugendhaftigkeit ihn nicht vor dem Untergang zu bewahren vermochte, wird ihm nun — etwa in dem Drama Blues for Mr. Charlie (1964) von Baldwin — vom Autor ausdrücklich eingeräumt, auch schlecht, zumindest so schlecht wie seine weißen Mitbürger sein zu dürfen. Damit aber erreicht die den Werken zeitgenössischer Negerautoren immanente Kritik einen Grad der Subtilität und weist in so vielverzweigten Beziehungen literarischer und soziologischer Art bei strenger Bewahrung des Rassenstandpunktes weit über das ursprünglich begrenzte Anliegen hinaus, daß wir seit den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren von einer neuen Qualität der amerikanischen Negerliteratur sprechen können. Wurde die „Negro Renaissance" in gewisser Weise durch die Autobiography of an Ex-Coloured Man von Johnson vorbereitet, so kündigte sich die neue Qualität der Negerliteratur der fünfziger und sechziger Jahre im ersten und bisher einzigen Roman von Ralph Ellison, Invisible Man (1952), an. Ellison hat in Sprechern der engagierten zeitgenössischen Negerautoren wie John Oliver Killens Kritiker gefunden, die nicht glücklich darüber sind, daß er den Kampf der Bürgerrechtsbewegung nicht aktiver und offener unterstützt und die ihn lieber auf dem Forum der öffentlichen Auseinandersetzung als hinter dem
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Schirm akademischer Institutionen sehen möchten. Aber bei alledem sollte nicht bestritten werden, daß Ellisons Roman trotz des Zurückbleibens hinter der Protesthaltung, die für Native Son charakteristisch war, in zweifacher Hinsicht neue Wege der literarischen Gestaltung und Bewältigung des Negerproblems gewiesen hat. Der Autor nutzte zum erstenmal in der Geschichte der Negerliteratur mit Konsequenz und zugleich mit außerordentlichem Erfolg sprachliche Ausdrucksmittel, um Erscheinungen, die für die Existenz der Neger besonders typisch sind (wie die Unsicherheit, Widersinnigkeit und Ironie in ihrem Dasein) durch adäquate künstlerisch-literarische Gestaltungselemente augenfällig zu machen und sie durch die besondere gestalterische Aufmerksamkeit, die er ihnen angedeihen läßt, als bedeutsam aus dem Gesamtzusammenhang hervorzuheben. Damit beschritt er einen Weg, den nach ihm auch andere Prosaautoren schwarzer Hautfarbe gegangen sind. Unbestritten sollte auch trotz der Kritik, die an der gegenwärtigen Zurückhaltung Ellisons geübt worden ist, der symbolhafte Verallgemeinerungswert der Titelthematik bleiben, der den Verlust der Identität und Integrität als typische Beeinträchtigungsform des Daseins des Einzelnen und der ganzen Gruppe darstellt. Diese sogar über die Begrenzung auf die farbigen Amerikaner hinaus tragfähige Zentralthematik wird in vielen Details gestützt durch gleichermaßen verallgemeinerungsfähige Teilsymbole, die die verschiedenen Stationen des sozialen und individuellen Werdegangs des Helden aufhellen: als das prägnanteste in dieser Reihe die weiße „Liberty Paint", die trotz ihrer Beimischung von 10 % Schwarz von garantierter Denkkraft ist. 32 Invisible Man markiert insofern eine neue Qualität der Prosa, als der Roman stärker, als dies im Werk der Negerautoren früherer Perioden der Fall war, die angestrengte Suche nach einem der beabsichtigten Aussage dienlichen, adäquaten sprachlichen Gestaltungselement erkennen läßt. Eine solche Entwicklung zur literarisch-künsterischen Verdichtung hin hatte sich bereits bei Richard Wright in Native Son angedeutet; sie erreicht bei Ellison dadurch, daß er die Aussagemittel kalkuliert, systematisch und durchgängig zu einem der entscheidenden Faktoren bei der Realisierung seines Vorhabens macht, in den frühen fünfziger Jahren jenen vergleichsweise hohen Stand der Sprachmeisterung, der seitdem auch für das Schaffen anderer amerikanischer Gegenwartsautoren schwarzer Hautfarbe verpflichtend ist. Das Kontinuum im Bemühen um formale Meisterschaft ist unverkennbar; es rechtfertigt den künstlerischen Anspruch, mit dem sich die Generation der Negerautoren der sechziger Jahre — James Baldwin, LeRoi Jones, John Oliver Killens, Lorraine Hansberry (1930 geb.), Claude Brown — zum Wort meldet und Gehör verschafft. Die inhaltliche Seite der amerikanischen Negerliteratur der fünfziger und sechziger Jahre ist hingegen im Vergleich zu den progressiven Zügen, die für die zwanziger und dreißiger Jahre typisch waren, eher durch Diskontinuität
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gekennzeichnet. Der Negerautor unseres Jahrzehnts protestiert scharf, und er protestiert so, daß niemand ihn überhören kann. Aber sein Engagement ist nicht mehr, wie dies noch bis hin zum Frühwerk von Richard Wright und in den frühen vierziger Jahren der Fall war, durch seine Bindung an die Arbeiterbewegung und ihre Organisationen, besonders die Kommunistische Partei der USA, bestimmt. Wie schon einmal nach 1918, als ein Teil der kulturellen und vor allem künstlerisch-literarischen Energien in der von Rassenschranken unbehinderten Bohème Harlems und des New Yorker Greenwich Village gebunden wurde, so ist auch nach dem zweiten Weltkrieg die Entwicklung, durch die die Negerliteratur ein Profil gewinnt, zum Teil eng mit dem Weg verbunden, den die im Schoß des bürgerlichen Nonkonformismus sich entwickelnde Protestliteratur geht. Ihre philosophische Grundlage ist ein für den begrenzten Zweck adaptierter Existentialismus; einer ihrer am meisten in Anspruch genommenen Gebrauchsphilosophen ist Sigmund Freud. Der Hauptaspekt, unter dem sie die menschliche Existenz innerhalb der Gesellschaft betrachten, ist der der Entfremdung (Alienation)ß^ All diese Einflüsse zeichnen sich auch in der Negerliteratur der Nachkriegsjahrzehnte nach dem zweiten Weltkrieg ab: Sie sollen hier vornehmlich im Prosaschaffen (in autobiographischen Schriften, Essays und Romanen) nachgewiesen werden. In der Lyrik und im Drama finden sie sich, weil dort keine grundsätzlich anderen Verhältnisse vorliegen, ebenfalls als wesensbestimmende Merkmale. Die Erfahrung der amerikanischen Negerautoren, ihre Anschauung vom Leben und ihrem Beruf, ihre Ziele und Intentionen spiegeln sich im allgemeinen in autobiographischen Schriften in einer direkteren, weniger gebrochenen Darstellungsform wider als in den stärker sublimierten Prosaformen des Romans und der Erzählung. Daher waren die fiktive Autobiographie von Johnson und die Lebenserinnerungen von Hughes und Wright für uns von fast paradigmatischem Charakter und empfahlen sich als Markierungspunkte bei der Periodisierung. Zugleich mögen sie wenigstens teilweise zum Vergleich dienen, um einige der Züge zu verdeutlichen, die der Negerliteratur'der jüngsten Zeit eigen sind. Manchild
in the Promised
Land (1965) h a t als Erstveröffentlichung des j u n -
gen New Yorker Negerschriftstellers Claude Brown außerordentliche Aufmerksamkeit bei Lesern und Kritikern gefunden. Es ist der autobiographische Bericht über eine Jugend und Kindheit, die der Autor im Negerghetto Harlem, auf der Straße und auf Hinterhöfen, in Kneipen und Rauschgiftkaschemmen, in Reformschulen und Besserungsanstalten verbracht hat und an dessen Ende wir erfahren, daß es ihm durch eigene Kraftanstrengungen und durch eine glückliche Fügung gelungen ist, aus dem Ghettomilieu auszubrechen und sich einen Zugang zu Bildung und Erziehung zu erobern. Es ist ein wichtiges Buch, weil es wie eine Kunde aus einer anderen Welt Einblicke erschließt, wie sie
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sonst, etwa durch das Studium essayistisch-soziologischer Untersuchungen des gleichenPhänomens in der gleichen Intensität nicht hätten gewonnen werden können. Man muß aber bei aller Anerkennung der unheimlichen Dichte und der Wucht, mit der die Tatsachen — der Enthüllungsliteratur der Jahrhundertwende nicht ungleich — auf den Leser einstürmen, nicht übersehen, daß Manchild in the Promised Land ein Buch ist, das die Komplexität der Erscheinung Harlem und die Existenz der in Harlem lebenden Menschen undifferenziert erfaßt und sie auf Aspekte reduziert, die dringlich der Ergänzung aus den Bereichen des Seins und des Wollens bedürfen, die der Verfasser nicht zu überschauen vermag, die aber der engagierten Negerliteratur vor dem zweiten Weltkrieg Richtung und Impulse verliehen hatten. Brown sieht den Menschen vornehmlich in seiner Erniedrigung, ausgeliefert an seine Sexualität, an Religion, Alkohol, Drogen und Gewalttätigkeit und meint, wenn es ihm persönlich nicht gelungen wäre, Harlem zu bewältigen, dann hätte er nie erfahren, daß es außer diesen Dingen noch etwas anderes gibt. 35 Aber dieses stillschweigend vorausgesetzte Vorhandensein von Werten und Zielen, wie das Streben nach Bildung z. B., das nicht nur einige wenige Neger auszeichnet, wie Bewährungssituationen in der Arbeit, wie Freundschaft und Solidarität (im Gegensatz zur Kumpanei der Deklassierten) spielt in der durch den Autor gestalteten Harlemer Wirklichkeit keine Rolle oder wird nur randständig erwähnt. Unter den Hunderttausenden, die in Harlem wohnen, sind aber viele Menschen, die arbeiten, die in einer kaum vorstellbaren Anstrengung ihre Kinder zu erziehen bemüht sind und dabei auch Erfolg haben, und die mit einer Bewußtheit, wie wir sie in dem Bericht Browns vermissen, gegen die Verhältnisse, die man ihnen aufgezwungen hat, opponieren. Ihre Revolte erschöpft sich nicht in einer Flucht ins Rauschgift, die von Brown ,als Rebellion deklariert wird. 36 Manchild in the Promised Land ist so geschrieben, daß ziemlich von Anfang an erkennbar ist, daß der Autor mit Harlem fertig werden wird. Aber die Schritte dieser Bewältigung, dieses Ringens um die Bewahrung der Menschenwürde bekommen in der literarischen Gestaltung kein Gewicht. Uber sie wird referiert; der künstlerischen Ausformung und Hervorhebung über die Ebene des Referats und der Mitteilung hinaus unterliegen jedoch all die Erfahrungen und Erlebnisse, die der Erzähler zwischen seinem siebenten und siebzehnten Lebensjahr als Mitglied jugendlicher Diebesbanden, als Insasse von Besserungsanstalten und als Drogenhändler machen mußte. Hier liegt der Schwerpunkt bei der Gewichtung der einzelnen Inhaltskomplexe, und hier wird nicht zuletzt, auch und gerade durch Mittel der formalen Gestaltung und Akzentsetzung das Buch zu einer Studie der Auflösung und Zersetzung. Der Ausbruch des Autors aus dem Teufelskreis gewinnt die Qualität eines Wunders oder (auch diese Möglichkeit
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schließt die Textinterpretation nicht aus) muß als naturgesetzliches Ergebnis des Älterwerdens gewertet werden. 37 Der Lebensweg des Claude Brown mündet ein in einen (individuell begrenzt bleibenden) Kampf um die Resozialisierung. In Parallele dazu läßt sich auch das gestalterische Vorgehen Claude Browns als ein wahrscheinlich weitgehend unbewußtes und in Abhängigkeit von seiner Erfahrung und Weltsicht sich vollziehendes Ringen ansehen, als Autor, als gestaltendes Subjekt nicht den gleichen Auswirkungen der Entfremdung zu erliegen, die den Lebensweg seines literarischen Helden als Objekt zu ruinieren drohten. Anders ausgedrückt: Das Harlan, in dem sich in den zwanziger und dreißiger Jahren ein Langston Hughes noch zurechtfinden konnte, ist in den fünfziger und sechziger Jahren zu einem Großstadtslum geworden, in dem — so will es einzelnen Schriftstellern scheinen — der Mensch nicht mehr menschlich sein kann und in dem den Autoren der Blick für die Angriffspunkte der wirklichkeitsändernden Kräfte verstellt wird. Sie sehen nur noch die Faktoren, die dem Menschen eine harmonische Existenz im Kreise seiner Mitbürger unmöglich machen; ihre eigene, oft von kleinbürgerlichen Vorstellungen ihrer mittelständischen Existenz bestimmte gefährdete Lebenslage liefert sie schließlich der Entfremdung aus, derer sie sich oft durchaus bewußt sind und die sie gern bekämpften, wenn sie nur wüßten wie. Die Gründe für diese Diskontinuität in der Anschauung der Wirklichkeit und ihrer Widerspiegelung sind komplexer Natur und müssen, wenn man ihren Ansatzkern sucht, wahrscheinlich in einer Reihe von Unstimmigkeiten und Mißverständnissen gesehen werden, die seit den frühen vierziger Jahren das Verhältnis der progressiven Negerintelligenz zu den Organisationen der politischen Linken, vor allem zur Kommunistischen Partei, belastet haben. Ihr Ausgangspunkt lag in unterschiedlichen Auffassungen über die mögliche oder nicht zu erreichende Gleichzeitigkeit von Kriegsanstrengungen im Rahmen der Antihitlerkoalition und von verstärkten Kampfmaßnahmen in der Bürgerrechtsbewegung. Ralph Ellison hat einen Teil seiner Kritik und Vorbehalte in dem vitriolischen Porträt der sogenannten „Brotherhood" in dem Roman Invisible Man abreagiert; Richard Wright hat überhaupt der fortschrittlichen Bewegung den Rücken gekehrt und so seine Desillusionierung ausgedrückt. Dazu kommt, daß besonders seit den fünfziger Jahren sowohl ältere, des Kämpfens müde gewordene Veteranen als auch jüngere Radikale unter dem Eindruck der Erfahrungen mit Senator McCarthy und dem House Committee on Un-American Activity es vorzogen, jede Form von politischer Organisation zu meiden und dem Engagement lediglich in der Form der individuellen Revolte zur Wirkung zu verhelfen. Der entschlossene, weitgehend bewußte und organisierte Protest der dreißiger Jahre wird so in unseren Tagen zur persönlichen Rebellion, die oft
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nur noch das allgemeine Ziel erkennen läßt und bei der die Literatur, die eine Waffe sein könnte, oft ihren Beitrag, die Kräfte zu sammeln und den Weg zu weisen, schuldig bleibt. Die Kraft eines auf die soziale Gruppe gestützten gesellschaftlichen Auftrags, die Brown nicht nutzen kann, weshalb seinem Werk eine ganze Dimension fehlt, wächst einem anderen Autobiographie-Verfasser, dem 1965 in einer Harlemer Versammlung ermordeten Malcolm X (1927—1965), dem Führer der „Black Muslims" (Nation of Islam) und Stellvertreter von deren Oberhaupt Elijah Muhammad, aus seiner .Bindung an seine militante Glaubensgemeinschaft zu. Der Lebensweg, den er in seiner Autobiography of Malcolm X (1965) 38 ' nacherzählt, ist zugleich ein Zeugnis für die unter Anstrengungen vollzogene Selbstdisziplinierung und ein Abriß eines Programms und einer Konzeption zur Lösung des Negerproblems entsprechend den Vorstellungen der „Black Muslims". Uber deren Ziele und die Möglichkeit, sie zu verwirklichen, soll hier nicht geurteilt werden. Für die Aufgabenstellung dieser Darlegungen ist relevant, daß Malcolm X in seiner Autobiographie den Nachweis erbringt, daß das Erliegen gegenüber der erdrückenden allgegenwärtigen Evidenz von Entfremdungserscheinungen nicht — wie es bei Brown schien — fast zwangsläufig wie eine Gesetzlichkeit beobachtet werden kann, die typisch ist für die moderne bürgerliche Nachkriegsgesellschaft, sondern daß Ziel und Auftrag, Bewußtheit und Uberzeugung von der Richtigkeit der eigenen Mission, daß Verantwortungsbereitschaft und ein Gefühl für den Eigenwert dem Aspekt der Entfremdung keinen Raum lassen. Deutlich reflektiert wird die Bürgerrechtsbewegung in der literarischen Publizistik, vornehmlich in den von Negerautoren publizierten Essaybänden. Sowohl James Baldwins Notes of a Native Son (1955), Nobody Knows My Name (1961) und The Fire Next Time (1963) als auch John Oliver Killens' Black Man's Bürden (1965 und LeRoi Jones' Home (1966) streben ein hohes Niveau der Analyse des vorgefundenen Zustands, der Beurteilung und der auf Veränderung zielenden Schlußfolgerungen an. Sie spiegeln ein Meinungsspektrum wider, das von der Auseinandersetzung James Baldwins mit dem Christentum und den „Black Muslims" 39 bis hin zu den extremen Positionen schwarzer Nationalisten, wie sie LeRoi Jones vertritt, reicht und eine Reihe sehr prinzipieller Überlegungen von Killens einschließt, der weder religiös gebunden noch trotz seiner anti-imperialistischen Auffassungen politisch fraktionell festgelegt ist. Der hohe Anspruch wird jedoch in unterschiedlicher Weise und mit unterschiedlichem Erfolg realisiert. Fast alle Phänomene, die das Schicksal der Neger gestalten oder zumindest mitbeeinflussen, finden in den Analysen ihren Platz. Mit der gleichen Intensität, mit der Baldwin über die Rolle und den Einfluß des Christentums und Islams 2
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handelt, untersucht z. B. Killens die historischen Aspekte des Negerproblems. Dabei wird deutlich, daß sich aus der besonderen Autorenperspektive, auf die bereits James Weldon Johnson 1912 in seiner als moderner Bezugspunkt für die Memoirenliteratur geltenden Autobiography of an Ex-Coloured Man hingewiesen hatte, mit Notwendigkeit eine durch die Erfahrungen des Negervolkes in ihrer Geschichte geprägte besondere historische Perspektive ableiten läßt. Bedeutende Historiker wie Du Bois haben die Geschichte der amerikanischen Neger und ihrer Kämpfe unter diesem Gesichtspunkt geschrieben; Killens, der literarische Essayist, kann daher auch unmißverständlich formulieren: "We even have a different historical perspective." 4 0 Neben der historischen Fragestellung steht bei Killens das zentrale Thema des gegenwärtigen Kampfes des Civil Rights Movement, das er in der Gegenüberstellung der Konzeption der Gewaltlosigkeit (Nonviolence) und des Rechts auf Selbstverteidigung (Right of SelfDefense) sieht. LeRoi Jones vertritt einerseits Thesen, die den Negerschriftsteller in die gleiche Lage und vor die gleiche Aufgabe stellen, die für den schwarzen und weißen proletarischen Autor der Jahrzehnte nach dem ersten Weltkrieg charakteristisch waren. 41 Andererseits jedoch verführt ihn die besondere Lage des Negervolkes zu einem allgemeinen Kulturpessimismus und zu theoretischen Überlegungen, in denen sich richtige Einschätzungen hinsichtlich der besonderen Erfahrungsbasis der Negerliteratur und ihrer Hauptschwierigkeiten 43 verbinden mit Ausbrüchen extremer Bitterkeit 44 und mit Maximen, die die Lösung des jahrhundertealten Konflikts sicher nicht in einem aufgeklärten, progressiven, dem Klassencharakter des Problems gerechtwerdenden Sinne ermöglichen oder befördern, etwa mit dem Appell im abschließenden State/meant (1965): "The Black Artist must teach the White Eyes their deaths, and teach the black man how to bring these deaths about." 4 5 Diese Position, die nicht eben als Werbung und als Solidaritätsappell an mögliche Mitstreiter und nichtfarbige Klassenbrüder geeignet scheint, stellt innerhalb der theoretischen Überlegungen von LeRoi Jones einen extremen Endpunkt dar. der in seiner abrupten Leugnung des Schicksalszusammenhangs zwischen bestimmten weißen und farbigen Bevölkerungsschichten und in seiner Absage an die Möglichkeit einer Formierung von klassenbedingten Kampf- und Interessengemeinschaften 46 ebenfalls eine Seite der hier schon mehrmals nachgewiesenen Diskontinuität in der amerikanischen Negerliteratur nach dem zweiten Weltkrieg repräsentiert. 47 Bei Jones vermischen sich entsprechend dem eklektizistischen Herangehen an die theoretischen Fragen der Existenz der Neger und ihrer Widerspiegelung in der Literatur fundierte Aussagen von hohem Erkenntniswert — etwa hinsichtlich der zwei Kulturen innerhalb der USA 4 8 — mit engen und nationalistischen Konzeptionen. 49 Viele der von James Baldwin hinsichtlich der Ziele,.
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Grundlagen und Möglichkeiten seines Schaffens bezogenen Positionen waren ebenfalls durch Widersprüche, durch ein allgemeines Bekenntnis zum Humanismus einerseits, aber auch durch eine gewisse Theoriefeindlichkeit, durch politisch-soziales Disengangement und durch Irrationalismus gekennzeichnet. 50 John Oliver Killens verdient mit seinen Darlegungen über die Stellung und die Aufgaben des Negerschriftstellers in Black Man's Bürden große Aufmerksamkeit, da er ohne Preisgabe prinzipieller Positionen gerade in den Fragen seiner Kunstübung und des Auftrags des Negerschriftstellers eine gleichermaßen ausgewogene wie kompromißlose Haltung vertritt, die die Lösung des Problems nicht außerhalb der Welt, in der auch die Weißen leben, sieht. Er hatte bereits 1964 gefordert, "to work things out once and for all, to examine and avaluate the diflerences between us and the diflerences inside of us." 5 1 In Black Maris Bürden hat er diese Gedanken weiter ausgeführt und aus der ewigen und unausweichlichen Konfrontation des Autors mit der Gesellschaft unter Betonung seines von der besonderen Erfahrung geprägten Standpunkts als amerikanischer Neger das Recht zu einer Themenwahl verteidigt, in deren Zentrum die Negroness, die Negritude, steht. 52 Dies sei um so dringlicher, als der Neger trotz der jetzt vorhandenen revolutionären Ansätze, die hingegen noch keine wirkliche Negerrevolution seien, seine kulturelle Identität noch nicht kraft eigener kultureller Leistungen hinreichend dauerhaft manifestieren und bestätigen konnte. Hinsichtlich einer wichtigen Voraussetzung zur Etablierung des amerikanischen Negers im Kulturleben der Nation knüpft Killens an die Postulate an, die Langston Hughes bereits als Programm der „Negro Renaissance" aufgestellt hatte: Auch Killens fordert eine Festigung des Geschichts- und Nationalbewußtseins des in den USA lebenden Negervolks. Um sich des bedrohten und gefährdeten Eigenwerts bewußt werden zu können, müssen die Potenzen der Geschichte und der zurückliegenden kulturell-geistigen Leistungen der amerikanischen Neger wieder aktiviert werden. Dabei werden das eigene Geschichtsbewußtsein und die von den Erfahrungen als unterdrückte Rasse diktierte Perspektive, unter der Gegenwart und Vergangenheit zu betrachten sind, Urteile und Einschätzungen garantieren, die nicht mehr wie bisher in Anlehnung an das imitierte Vorbild entstehen, welches sich im Kulturmonopol der Weißen ausgeprägt hat. Zu wissen, woher man komme, werde eine große Hilfe sein, wenn es darum gehe, den Weg zu bestimmen, den man gehen wolle. Womit von Killens jedoch keine Wiederbelebung der Bewegung „Back to Africa" eines Marcus Garvey (1887—1940) gemeint oder beabsichtigt ist, sondern vielmehr nach praktikablen Wegen gesucht wird, um eine Aufhebung der Rassentrennung in den Köpfen des amerikanischen Volkes zu bewirken, die weit über das hinausgehen müßte, was durch die Aufhebung der Rassentrennung im Erziehungswesen erreicht werden kann. Killens ist bemüht, so den Weg frei zu 2*
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machen zu einer neuen Wertung der Nationalkultur in Vergangenheit und Gegenwart und zu einer zukünftigen Integrierung der wertvollen Beiträge, die beide Kulturen zu leisten vermögen. Damit aber bekommt die Besinnung auf das eigene, oft erst noch aus dem Dunkel einer verleugneten und verschütteten Vergangenheit zu rettende kulturelle Erbe eine neue Bedeutung, die über das hinausgreift, was Langston Hughes als Voraussetzung für eine bewußte künstlerische Äußerung der amerikanischen Neger gefordert hatte, und wird zu einem der tragfähigsten Aspekte, unter denen sich die kulturelle Entwicklung innerhalb des Bürgerrechtskampfes vollziehen wird. Die Aufschlüsse, die die von Negern in den letzten Jahren geschriebene Essayliteratur über die kulturellen und besonders die künstlerisch-literarischen Probleme des Civil Rights Movement gewährt, ermöglichen in ihrer Summe trotz der teilweisen Pauschalverdammung, die den Weißen durch einige Negerautoren zuteil wird, und trotz des sorgsamen Disengagements anderer die Erkenntnis, daß im Grunde nicht die Weißen schlechthin, sondern die Oligarchie der weißen Sklavenhalter und in unserer Zeit ihre modernen Nachfolger die Urheber der Misere sind. Daraus folgt, daß sich ein allgemeiner, klassenindifferenter Appell zum Handeln schwerlich zu einer Lösung des Problems empfiehlt und daß der Ausweg, den die Geschichte als richtig bestätigen wird, nur gefunden werden kann, wenn sich die ökonomischen, sozialen und kulturellen Interessenvertreter des amerikanischen Volkes über die Rassenschranke hinweg auf einer Ebene treffen, die es ermöglicht, die progressivsten Bestrebungen von Vergangenheit und Gegenwart aufzunehmen und zu verknüpfen. In der literarischen Publizistik treten die Gestaltungsprobleme hinter den inhaltlichen Fragen zurück. Im Roman hingegen spielen sie, so wie wir dies auch schon bei der Gattung der autobiographischen Schriften beobachten konnten, eine weitaus größere Rolle. Unter den wenigen Negerautoren, die in den fünfziger und sechziger Jahren bekannt geworden sind und die als Romanschriftsteller Anerkennung gefunden haben, steht abermals James Baldwin an exponierter Stelle. In drei Romanen, Go Teil It on the Mountain (1954), Giovanni's Room (1957) und Another Country (1962), die sämtlich Bezug zur Negerfrage haben, zeigt sich, daß es für Baldwin kaum Brücken zur Tradition der Negerliteratur bis zum zweiten Weltkrieg gibt, sondern daß sich das, was im Vorhergegangenen über die Diskontinuität und die neue Qualität der Autobiographien der Nachkriegsperiode gesagt wurde, auch im Romanschaflen Baldwins bestätigt findet. Dabei ist Go Teil It on the Mountain der wirklichkeitsnaheste der drei Romane. Mit seinen autobiographischen Einblicken und mit den Lebensbildern aus dem Familienkreis des Autors, der als Mikrokosmos begriffen wird, leistet der Roman insofern einen Beitrag zur Negerfrage als literarische Problemstel-
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lung, als der am besonderen Beispiel und in einer zur höheren Stufe der Verallgemeinerung drängenden Darstellungsweise das Wesen, die innere und die äußere Bewegung typischer Schicksale als relevante Teile eines gesamtgesellschaftlichen Zusammenhangs sichtbar macht bzw. sichtbar zu machen sich bemüht. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß ein Teil des Konflikts in die Sprach- und Begriffswelt einer geistlich-religiösen Auseinandersetzung bzw. in eine Konfrontation von Vater und Sohn verschlüsselt wird; denn der Leser verliert, auch wenn er in der Bewertung der Erscheinungen (z. B. der Rolle der Kirche innerhalb der Civil Rights-Traditionen 53 nicht mit Baldwin gehl, keineswegs die Tatsache aus den Augen, daß das primäre Anliegen bei allem, was irrelevant zu sein scheint, doch die Negerfrage ist, gebrochen freilich im Prisma der Persönlichkeit des Autors, temperiert durch seine besonderen Erfahrungen als Laienprediger und als Kind des Harlemer Ghettomilieus kleinbürgerlicher Prägung. Ist man bereit, bei Go Teil It on the Mountain zumindest die in der gedanklichen Durchdringung durch den Leser vorstellbare Ausdehnung der individuellen Geltungsphäre auf einen größeren und weiteren, welthaltigen sozialen Sektor für möglich, ja, für berechtigt zu halten, so verbietet sich eine solche Generalisierungsmöglichkeit bei den beiden anderen Romanen. Giovanni's Room, vorwiegend auf einem europäischen Schauplatz angesiedelt, erweist sich als Studie der Homosexualität, die sicherlich einerseits zu den auffälligen Phänomenen der bürgerlichen, vor allem der amerikanischen Gegenwartsgesellschaft gehört, die besonders in den Massenmedien breit und freimütig diskutiert und darüberhinaus in bestimmten Bohemekreisen nachgerade als katalytisch wirkender Faktor bei der Überwindung der Rassentrennung angesehen wird. Aber sie gewinnt dadurch für uns nicht an wirklich tragfähiger sozialer Relevanz, bzw. wird ihr diese gesellschaftliche Bedeutsamkeit dort, wo man sie als einen TeiJaspekt der Entfremdung sehen und in ihren über das Individuum hinausgehenden Sinnbezug stellen müßte, vom Autor vorenthalten. Das gleiche gilt für Another Country, wo der bereits im Titel implizierte hohe Anspruch nicht erfüllt wird und sich das Rassenproblem, um das unter furchtbaren Opfern seit Jahrhunderten gerungen wird, als Sexualkonkurrenz zwischen Schwarz und Weiß darstellt, die dort, wo ihr Ausgang unbefriedigend ist, in einer erneuten Zuwendung zur Homosexualität eine Auflösung findet: eine Umkehrung der Gleichung, wonach wir erwarten, daß das Individuelle, das Besondere und Unverwechselbare Züge birgt, die eine Erkenntnis des Allgemeinen der Motivationen und der Zusammenhänge ermöglichen, gleich, ob diese Erkenntnis artikuliert wird oder nicht. Die Frage, die überdies bereits spätestens durch Sherwood Anderson (1876—1941) entschieden wurde, ist also nicht, ob die Sexualität einen legitimen Platz unter den literarisch darstellungswürdigen und für die allseitige Er-
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fassung der komplexen Realität eines menschlichen Charakters darstellungsnotwendigen Gestaltungsfaktoren hat, sondern ob nicht der individuelle wie der gesellschaftliche Wahrheitsgehalt der Literatur beeinträchtigt wird, wenn das Randständige, dem keine tragfähige Verallgemeinerungswürdigkeit eignet, mit einem Anspruch auf Generalisierung auftritt oder so bewertet werden will, als eigne es sich zur Aufhellung einer für die ganze Nation außerordentlich entscheidenden Problematik. Hier, darüber können auch stilistische Brillanz und kunstvolle Strukturen nicht hinwegtäuschen, hat der Romancier James Baldwin die Erwartungen nicht erfüllt, die man von ihm als Essayist hätte haben können, und es fehlt noch immer der große, von einem Neger geschriebene Roman, der sich an Native Son anschließt und in dem sich die Traditionen der zwanziger und dreißiger Jahre fortsetzen. John Oliver Killens ist einer von denen, auf die der Mantel eines Langston Hughes und eines Richard Wright einmal fallen könnte. Eingebettet in soziale Bindungen, die er selbst gesucht hat, ist er ganz offenbar nicht jener Isolierung und Vereinsamung erlegen, die Baldwin für „The Great Creative Dilemma", für die "fearful alonens that one sees in the eyes of someone who is suffering, whom we cannot lielp" ansieht. Für Killens sind die Beziehungen des Individuums und der Gesellschaft nicht durch einen schicksalhaften Zustand der Entfremdung und der Isolierung der Individuen voneinander bestimmt, sondern dadurch, daß die vorgefundene Zivilisation ein von Menschen gemachter Dschungel 55 ist, der verändert werden kann und den auszulichten besonders dem Negerautor zufällt, weil er mehr als alle anderen daran interessiert sein muß, dem Licht der historischen und gesellschaftlichen Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen. Diesem Streben ist die Zielstellung des ersten Romans von Killens, Youngblood (1954), untergeordnet. Er spiegelt den im Milieu des Negerproletariats der Südstaaten sich vollziehenden Kampf um die Erringung der elementarsten Bürgerrechte wider und folgt damit den Traditionen des sozialen Protestromans der dreißiger Jahre, der in der amerikanischen Literatur weißer Autoren zu einem so nachhaltigen Engagement und zu einer so engen Annäherung vieler Autoren an die ideologischen Positionen der am weitesten fortgeschrittenen Kräfte des Bürgertums und der Arbeiterklasse geführt hat, daß das Jahrzehnt als „rote Dekade" (red decade) in die Geschichte der Literatur der Vereinigten Staaten eingegangen ist. Und er knüpft zugleich an Wrights Native Son an, ohne jedoch die Dichte und Konzentration dieses Romans aus dem Jahre 1940 zu erreichen. Die Ähnlichkeit besteht vielmehr vor allem in den gemeinsamen weltanschaulichen Grundlagen sozialistischer Prägung. Der Glaube an die Veränderbarkeit der unbefriedigenden Realität wird künstlerisch konkretisiert im Bericht darüber, wie die Gründung einer örtlichen Zweigstelle der „National
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Association for the Advancement of Colored People" (NAACP) durchgesetzt wird. Dem Streben nach Wirklichkeitsnähe entspricht die Bemühung des Autors, dort, wo Wright geraflt oder nur angedeutet hätte, in ausführlichen Darlegungen dem Leser soziale Informationen zugänglich zu machen und ihn über taktische Fragen z. B. des Kampfes oder über die verschiedenen, am Ringen beteiligten gesellschaftlichen Gruppierungen einschließlich der Negerbourgeoisie zu unterrichten. Die für Youngblood charakteristische künstlerische Methode wird auch in Killens' zweitem Roman And Then We Heard the Thunder (1963) nicht verändert. Der Unterschied besteht vielmehr in einigen neuen Akzentuierungen, die den zweiten Roman gegenüber Youngblood abheben und Killens als einen Autor ausweisen, dessen frühes Werk, obschon es nach dem Ende des zweiten Weltkriegs erschien, noch den Traditionen der dreißiger Jahre zugeordnet werden kann, dessen Schaffen in unserem Jahrzehnt jedoch den Klassenaspekt des Rassenproblems kaum noch berücksichtigt und der spontanen Revolte gegenüber dem organisierten Handeln den Vorzug gibt. In dem Roman lernen wir den zweiten Weltkrieg durch die Erfahrungen des Negersoldaten Solly Saunders kennen, der mit dem Widerspruch zwischen dem vorgeblich demokratischen Kriegsziel und der brutalen Rassendiskriminierung in der amerikanischen Armee leben und als tapferer Soldat gegen die deutschen und japanischen Herrenrassensoldaten kämpfen soll. Solly vermag den wegen seines inneren Widersinns unauflösbaren Gegensatz zwischen humanistischer Propaganda und unmenschlicher Truppenpraxis nicht aufzulösen, weshalb ihm der Autor zubilligt, sich vom Krieg und der Armee zu entfernen. Dieser Entschluß — nicht unähnlich dem privaten Abschied von den Waffen, den Hemingways Held des Romans A Farewell to Arms gegen Ende des ersten Weltkriegs nahm — ist subjektiv absolut verständlich und muß Sollys gutes Recht bleiben. Aber Sollys Absicht, mit dem Krieg und der Armee zu brechen, hätte in der wertenden Gestaltung durch den Autor als tragische Fehlentscheidung gesehen werden müssen, die zeigt, wohin der Rassenwahn der Weißen die farbigen Patrioten und Antifaschisten schließlich treiben konnte. Statt dessen aber wird in Yerkennung der Ziele, für die die Antihitlerkoalition gekämpft hat und die sie schließlich mit der Vernichtung des Hitlerfaschismus auch durchsetzen konnte, der ursprüngliche Glaube des Solly Saunders an den antifaschistischen Charakter des Krieges nachträglich als Irrtum bewertet. Auf die Frage, wer der Hauptgegner sei, wird von einem der konsequentesten Feinde der amerikanischen Armee, die es in Sollys Einheit gibt, geantwortet: "White folks." 5 6 Und abermals gibt es keine Zeichen dafür, daß sich der Autor mit dieser Meinung, die einem Negersoldaten wegen seiner besonderen Situation zugebilligt werden muß, nicht identifiziert. Bestehende Zweifel darüber, ob Killens die Klassenfrage, die
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mitbestimmend für den Charakter des zweiten Weltkriegs ist. zugunsten des Rassenaspekts völlig aufgegeben hat, werden spätestens am Schluß des Romans ausgeräumt, wo der Held sich nach einem Aufstand der zum Äußersten provozierten Negersoldaten an einen seiner Kameraden mit besonderer Wärme erinnert. Dieser Negersoldat hatte bei jedem Luftangriff des Gegners eine unbändige Freude über das Können der japanischen Piloten empfunden, die er für Vorkämpfer jener farbigen Welt 5 7 hielt, die ohnehin im Begriff stand, durch den Sieg des japanischen Imperators Tojo ihre Herrschaft über den Erdball anzutreten. Und an eben diesen Soldaten erinnert sich Solly Saunders am Ende und meint: "Maybe he was the wisest of them all. With his 'bottom coming to the top.' Perhaps the New World would come raging out of Africa and Asia. with a new and différent dialogue that was people-oriented. What other hope was there?" 5 8 Eine Orientierung auf das Volk, eine bewußt progressive Haltung ist also nach der vom Autor unwidersprochenen Meinung des Solly Saunders in erster Linie Menschen schwarzer Hautfarbe möglich; es bleibt zweifelhaft, ob nicht überhaupt die negativen Erlebnisse und die kaum in ihrem ganzen Umfang nachzuempfindende Verbitterung Killens und anderen zeitgenössischen Schriftstellern den Blick dafür verstellen, daß sie in ihrem Kampf mehr Bündnispartner und Mitstreiter haben als ihnen bewußt ist. Obschon hier über Prosaliteratur gehandelt wird, scheint dennoch ein Seitenblick auf das dramatische Schaffen von zeitgenössischen Negerschriftstellern angezeigt, denn eine Untersuchung macht gewisse Züge, die für die neue Qualität der Prosa charakteristisch sind, im Vergleich als Parallelerscheinung deutlich, die auch in der Dramenliteratur gefunden werden kann. Lorraine Hansberry z. B. ist einen Weg gegangen, der dem von John Oliver Killens nicht unähnlich ist. In ihrem ersten Stück, A Raisin in the Sun (1959), überwiegt noch die Zustandsschilderung, in der am Beispiel einer im Chikagoer Negerviertel lebenden Familie die Bedrückung dargestellt und (mehr in der Andeutung und Verheißung als in der Realisierung) der Ausweg aus der Misere vorgezeichnet wird. The Sign in Sidney Brustein's Window (1965) ist ein synthetisches Weltanschauungsstück, in dem die Verfasserin ihre Gedanken zur Frage der persönlichen Verantwortung und des individuellen Engagements klärt. Und im nachgelassenen Drama Les Blancs (1966), das als Antwort auf die Clown Show Les Nègres (1958) von Jean Genet konzipiert wurde, vertritt sie endlich einen Standpunkt, der in seiner antikolonialistischen und antikonfessionellen Kompromißlosigkeit und seiner Verabsolutierung des Rassenkriteriums der Haltung von Killens nahesteht. Modellcharakter hinsichtlich der Vorstellungen, die LeRoi Jones vom Leben des Negers in der auf Profitstreben und Wettbewerb eingestellten Gesellschaft hat, besitzt sein Einakter Dutchman (1964), in dem jedoch insofern Raum für ein komplexeres Weltbild ist, als der zum Untergang
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verurteilte Held, ein Neger, gleichzeitig sowohl das Opfer als auch der Kritiker und die Urteilsinstanz seiner weißen Widersacher und ihrer von der Käuflichkeit charakterisierten Erfolgsphilosophie ist. Baldwins Drama Blues for Mr. Charlie (1964) fällt aus der Reihe der dramatischen Gestaltungen, die in unserem Jahrzehnt Beachtung gefunden haben, in einer Beziehung heraus. In Les Blancs und in Dutchman konnte es keinen Kompromiß und kein Arrangement geben, weil ihren Autoren wegen ihrer Lage und Erfahrung der Zugang zu den möglichen Bundesgenossen versperrt blieb. Baldwin hingegen realisiert in seinem Bühnenstück, das die Revolte und den Untergang eines selbstbewußten jungen Negers gestaltet, der das Recht für sich in Anspruch nimmt, so schlecht zu sein wie andere Menschen auch, seine bereits in den Essays vertretene Ansicht, daß die Lösung des Problems nur in einem Zusammenfinden und Zusammengehen von Negern und Weißen möglich wird. Nach Erörterung der Frage des gewaltlosen Widerstandes oder des entschlossenen Einsatzes der jeweils nötigen Mittel, in der sich Baldwin für die militante Lösung entscheidet, räumt er ganz am Schluß des Dramas an akzentuierter Stelle einem potentiellen weißen Mitstreiter eine Chance ein, seinen guten Willen mit einer Tat zu erhärten. Eine solche Möglichkeit war zwar auch von Killens in seinem Kriegsroman nicht ausgeschlossen worden, allein dort war dem weißen Freund und Kampfgefährten, einem jüdischen Offizier, der sich auf die Seite der aufständischen Negersoldaten stellt, dieser Stellungswechsel als die unerhörte Ausnahme unverständlich schwer gemacht worden, während bei Baldwin — ohne daß damit etwas über die unterschiedliche Motivierung ausgesagt werden soll — die Möglichkeit eines Bündnisses von vornherein im Bereich des Erstrebten und Erwarteten zu liegen scheint. Die bisher erwähnten Probleme der Entwicklung des Romans, wie wir sie am Beispiel von James Baldwin und John Oliver Killens erkannt haben, waren vorwiegend inhaltlicher, zumeist ideologischer Natur. Sie waren zum Teil dadurch bedingt, daß bei dem unmittelbaren, mit Notwendigkeit emotionsgeladenen Engagement das distanzierende Bewußtsein fehlte und besonders in der letzten Phase der Zuspitzung des Bürgerrechtskampfes das Unerhörte der Erfahrung die Negerautoren drängte, die Mitteilung über das Unrecht, die Kränkung und Unterdrückung, die Herzlosigkeit und Brutalität spontan mit der einzig denkbaren Antwort zu verbinden, die dem Tort angemessen scheint: dem Appell zum kompromißlosen Kampf. Unter der Voraussetzung, daß die Literaturgesellschaft nicht in die beiden sich im Civil Rights Movement gegenüberstehenden Lager zerfällt, sondern noch über die Rassenschranke hinweg funktioniert, wenden sich die Negerautoren mit ihrem Werk an beide Seiten: an ihre Rassenbrüder, um sie über ihren eigenen Zustand aufzuklären, um die herrschenden Verhältnisse in der Analyse durchschaubar zu machen und um
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die Dinge dadurch einer Veränderung entgegenzutreiben, daß der Beschreibung und der Deutung der ausgesprochene oder implizierte Ratschlag zum Handeln folgt. Und sie wenden sich an ihre weißen Widersacher, nicht mehr, um ihren Eigenwert bestätigt zu sehen, oder um für Verständnis und Mitleid zu werben, sondern um zu warnen und den Kampf anzusagen. Das steht unausgesprochen zwischen den Zeilen all der Werke, die den Neger nicht als zum Untergang verurteiltes Opfer der Isolierung und Entfremdung überantworten; dieses Ziel der Warnung und der Kampfansage beherrscht in prägnanter Formulierung aber auch — dies sei wenigstens am Rande erwähnt — die dem Ringen um die Bürgerrechte gewidmete Tageslyrik, die spontan auf das reagiert, was auf dem Forum geschieht. 59 Formale und inhaltliche, die Qualität der literarischen Gestaltung berührende Mängel, die in der unzureichenden philosophischen und gestalterischen Bewältigung des Materials liegen, gehen zum Teil darauf zurück, daß die amerikanischen Negerschriftsteller, seit die ersten von ihnen um die Mitte des vorigen Jahrhunderts zu schreiben begannen, beim Fehlen anderer Vorbilder auf das Modell der weißen Autoren angewiesen waren. Die krisenhaften Zustände, die die Literatur des weißen Amerika durchlaufen hat, haben sich daher auch in der Negerliteratur ausgewirkt. Das Echo dieser literarischen Krisen kann besonders in den Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg u. a. als Widerschein der Dekadenz und der Entfremdung, der gestörten Partnerbeziehungen und der gefährdeten Wirklichkeitsrelation wahrgenommen werden. Es zeigte sich nicht zuletzt im Persönlichkeitsverlust, den der literarische Held erleidet und der ihn, denken wir an die unglücklichen Existenzen in Baldwins Romanen oder in Browns Autobiographie, an die Seite der frustrierten, um ihre Existenz bangenden „Helden" weißer bürgerlicher Mittelklassenautoren stellt. 60 Die Entfremdung darstellen, heißt aber nicht, ihr als Autor selbst mit Notwendigkeit erliegen. Die Geister — und das gilt auch für die amerikanischen Negerschriftstcller — scheiden sich vielmehr hinsichtlich der Perspektive, unter der sie die Entfremdung betrachten, und hinsichtlich ihrer Zuversicht oder ihres Zweifels über die Veränderbarkeit von Umständen, die nicht naturgesetzlich sind, sondern, von Menschen herbeigeführt, auch von Menschen gebessert werden können. Der Bürgerrechtsbewegung am nächsten stehen daher auch die Autoren, die in Vergangenheit und Gegenwart am konsequentesten mit den Mitteln ihrer Kunstübung dafür eingetreten sind, daß mit der Lösung des Rassenproblems ein altes historisches, sozial-ökonomisches und menschliches Unrecht beseitigt wird und der Mensch schwarzer Hautfarbe endlich auch die unveräußerlichen Rechte genießen kann, die ihm bisher selbst die Unabhängigkeitserklärung und die Verfassung der USA, der Kampf der Abolitionisten und der entschlossene Einsatz der Bürgerrechtsbewegung nicht zu garantieren vermochten.
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Ein Problem, das besonders in der Ausnahmesituation, in der sich die amerikanischen Negerautoren befinden, deutlich wird, betrifft Gattungsfragen. Selbst bei den recht eindeutig definierten Genres herrschte und herrscht Unklarheit: James Weldon Johnsons Autobiography of an Ex-Coloured Man, die tatsächlich ein Roman war und auch als solcher zu erkennen gewesen wäre, wurde für ein echtes Stück Memoirenliteratur gehalten; 6 1 Claude Browns Manchild in the Promised Land hingegen, das ganz eindeutig den Charakter einer Autobiographie hat, wird als Roman bezeichnet. 62 Ein schwerwiegendes Gattungsproblem gibt der Nestor der amerikanischen Negerschriftsteller und -Wissenschaftler W. E. B. Du Bois den Kritikern und Literaturhistorikern mit seinem dreibändigen Romanzyklus The Black Flame (The Ordeal of Mansart, 1957; Mansart Builds a School, 1959; Worlds of Color, 1961) auf. In allen drei Bänden der Trilogie wechseln Passagen, die der Entfaltung und Fortentwicklung einer fiktiven Romanhandlung gewidmet sind, mit umfangreichen nicht-belletristischen Abhandlungen über die verschiedenen Aspekte, die man bei der Betrachtung eines in der historischen Entwicklung dargestellten gesellschaftlichen Phänomens, wie es die Negerfrage in der Sicht von Du Bois ist, nicht aus dem Auge verlieren sollte. Solche eingesprengten Kollegs sind nun nicht eben neu oder selten in der amerikanischen Prosalilerat.ur; sie fanden sich aber in den liier behandelten Werken (als Beispiel mag wieder die Johnson'sche Autobiographie dienen) als integrierender Bestandteil des über ihre Informationsfunktion hinausgehenden spezifisch literarischen Anliegens. Wenn Johnson über den Jazz und die Rag time-Musik 6 3 oder über die neu im Entstehen begriffenen New Yorker Unterhaltungsklubs 6 4 handelt, dann erschöpft er sich nicht in der Mitteilung von Fakten. Bei Du Bois hingegen steht die Mitteilung im Vordergrund. Sein Interesse ist primär historisch. Für ihn ist die schöne Literatur nicht ein Anliegen im Sinne der künstlichen Bewältigung, sondern er verwendet die Kunstmittel der Belletristik, um seine historische Mission besser durchführen zu können und um bestimmte Fakten und Zusammenhänge des geschichtlichen Ablaufs in Formen darzustellen, die nach Nützlichkeitserwägungen auf ihre Verwendbarkeit und ihr Leistungsvermögen hin getestet wurden. Du Bois ist sich dieser Anleihen, die er für ein vorwiegend sozial-historisches Geschichtswerk bei der schönen Literatur gemacht hat, voll bewußt; in einer Nachrede zum ersten Band der Trilogie charakterisiert er dieses Buch als "more history than fiction"65, •eine Einschätzung, die auch für die beiden nachfolgenden Bände gilt. Ein Überblick über die von amerikanischen Negern geschriebene Prosaliteratur berechtigt den Historiker wie den Kritiker, die Entwicklung dieses speziellen Zweiges der Literatur der USA vornehmlich als ein Realismusproblem zu sehen. Diese Auffassung läßt sich stützen durch die Tatsache, daß die theore-
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tische Ausgangsbasis in einem unerschütterten Wirklichkeitsbezug und in einer unmittelbar zum Tragen kommenden Erfahrungsgrundlage gegeben ist. In der Periode der Herausbildung des bürgerlichen Realismus um die Jahrtausendwende herrschte bei den führenden Theoretikern dieser Schaffensmethode die gleiche Überzeugung 66 , die sich heute in Baldwins Erklärung spiegelt, wenn er schreibt: "One writes out of one thing only — one's own experience. Everything depends on how relentlessly one forces from this experience the last drop, sweet or bitter, it can possibly give." 6 7 Die Parallelität der Entwicklung der Negerliteratur und die Herausbildung des Realismus als literarische Schaffensmethode zeigt sich aber auch am Beispiel der beharrlichen Durchsetzung des Typischen als einer zentralen Kategorie realistischen Schaffens. Bei James Weldon Johnson (und z. T. auch noch in den Rückerinnerungen von Langston Hughes) spiegelt sich z. B. der fortschreitende Prozeß der Verstädterung als wichtiger Zug der sozial-ökonomischen Entwicklung in unserem Jahrhundert zunächst vorwiegend in bestimmten Erscheinungsformen, die ihren Ursprung im Harlemer Kultur- und Vorgniigungsleben der ersten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts haben, wider. Hier zeigten sich die auffälligsten Phänomene, die aber nicht notwendigerweise auch die von der größten Typik geprägten Erscheinungen waren. Heute, nachdem ein weiteres halbes Jahrhundert die wirklich typischen Züge hat evident werden lassen, dominiert im literarischen Bild des Harlemer Negerghettos nicht mehr der Saloon und der Club, sondern die Mietskaserne. Weitere theoretische Aufschlüsse, die uns die amerikanische Negerliteratur der Gegenwart gewährt, können wegen der noch vergleichsweise schmalen Materialbasis nur teilweise als gesichert angesehen werden; zu einem anderen Teil werden sie noch durch weitere Beobachtungen und Einzelanalysen erhärtet werden müssen. Zu den gesicherten Erkenntnissen sollte die auch zu anderen Zeiten des revolutionären Umbruchs sich bewahrheitende Beobachtung gerechnet werden, daß der Essay, der persönliche Erfahrungsbericht und z. T. auch die Lyrik reaktionsschneller sind und operativer wirksam werden können als die großen Prosaformen des Romans und des Dramas. Zu den noch zu erhärtenden Erkenntnissen gehören die interessanten Aufschlüsse, die sich bei Johnson, aber auch bei Dick Gregory bzw. seinem literarischen Mitarbeiter über das Entstehen der Satire als Schutzreflex ergeben, der dadurch, daß man die Lacher auf seine Seite bringt, die Neger davor bewahrt, selbst Zielscheibe des Spotts zu werden: "Once you get man to laugh with you, it's hard for him to laugh at you." 6 8 Suchen wir nach Wertungskriterien, um das bisher in Erfahrung gebrachte Material beurteilen zu können, so sollte die Frage nach der künstlerischen Bewältigung der selbstgewährten und zugleich von der Gesellschaft gestellten Auf-
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gäbe eine ausschlaggebende Rolle spielen. Der Beurteilung der Art, in der die verschiedenen Schriftsteller den Eigentümlichkeiten der einzelnen literarischen Gattungen gerecht geworden sind, kommt dabei eine große Bedeutung zu. Dieses Kriterium kann nicht ausgeklammert werden, wenn die Literatur nicht zu einer besonderen, lediglich Illustrationscharakter besitzenden Form der Darstellung der Sozialgeschichte reduziert werden soll, die ihre eigene, in den Gattungen sich ausprägende Spezifik, ihre eigenen Möglichkeiten zu ordnen und zu urteilen, Unüberblickbares überschaubar zu machen, bestimmte Entwicklungen zu fördern oder sie zu hemmen. Unaufgeschlossenes zu deuten und die spezielle Erkenntnis zu verallgemeinern, aufgibt. Um einen solchen Preis muß der Literarhistoriker auch bereit sein, so wertvolle Werke wie die Mansart-Trilogie von Du Bois aus der Belletristik auszugliedern und sie — den Intentionen des Autors entsprechend — den mit literarischen Mitteln dargestellten historischen Wissenschaften zuzuordnen. Räumen wir ferner ein, daß dem von seiner Existenz als Neger beeinflußten und entscheidend geprägten Autorstandpunkt und der von der Position des Autors abhängigen Perspektive seiner Weltsicht eine große Bedeutung für die Wertung zukommen, so spitzt sich die Problematik, den Platz der amerikanischen Negerliteratur innerhalb der Entwicklung der Nationalliteratur der Vereinigten Staaten zu bestimmen, immer deutlicher zu der Frage zu: Ist es primär eine iVegerliteratur oder ist es in erster Linie amerikanische Literatur, deren Autoren Neger sind? Auf diese Frage haben die Negerautoren selbst verschiedene Antworten gegeben. Ralph Ellison, Willard Motley und Frank Yerby stehen für eine Gruppe, die die besondere, nur für den Neger typische Erfahrungsbasis nicht leugnet, sonst aber die Rassenzugehörigkeit nicht zum wichtigsten Ordnungskriterium erhebt. John Oliver Killens und LeRoi Jones hingegen führen gute Gründe dafür an, daß die Besonderheit der Existenz als Neger sich in so deutlicher Weise in ihrem literarischen Schaffen niederschlägt, daß allein schon diese spezifische Wirklichkeitssicht und -Spiegelung uns berechtigen, von einer Negerliteratur sui generis zu sprechen. Jones schreibt dazu: "The Negro writer is in a peculiar position, because if he is honest, most of what he has seen und experienced in America will not flatter it nor can that seeing and experiencing be translated honestly into art by euphemism. And while this is true of any good writer in America, black or white, it is a little weirder for the Negro, since if that Negro is writing about his own life and his own experience, that writing must be seperated from what the owners and the estimators think of as reality, not only by the intellectual gulf that causes any serious man to be estranged by the social and cultural estrangement from that mainstream that has characterized Negro life in America which his work will reflect. 6 9 ... Black people
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have and musl realize that we have, our own Standards and references for judging the world. And we must begin to make use of them, and regard what the white man says as dealing withanotherreality, becauseweknow, weblackpeople know, what our own reality is." 70 Und dennoch sollte die von Negern in den USA geschriebene Literatur nicht aus dem Gesamtzusammenhang der amerikanischen Nationalkultur herausgelöst und verselbständigt werden. In jeder Nationalkultur, die sich unter den Bedingungen einer zerspaltenen Klassengesellschaft entwickelt hat, gibt es zwei Kulturen, die den unterschiedlichen Standpunkt, die unterschiedlichen Erfahrungen und Intentionen der sozialen Antipoden widerspiegeln. LeRoi Jones hat an einer anderen Stelle 7 1 selbst von zwei verschiedenen Kulturen gesprochen, womit er die Kultur der Weißen und der Neger meinte. Wenn man aber nicht nur den Rassenaspekt sieht und verabsolutiert, sondern nach dem gemeinsamen sozial-ökonomischen Kern sucht, der der Unterdrückung in weißer und in schwarzer Haut zugrunde liegt, auf den schon Marx hinwies 72 und der von den progressiven Chronisten der Geschichte des amerikanischen Negervolkes bis hin zu Killens 7 3 immer wieder an den Entstehungspunkt des gesellschaftlichen Unrechts gestellt wird, dann findet sich letztlich auch mit Notwendigkeit und ohne den vorgefundenen literarischen Tatsachen Gewalt anzutun ein Platz für die Negerliteratur innerhalb der sich gegenüberstehenden zwei Kulturen der amerikanischen Nation. Erst dann wird einerseits die nationale Spezifik nicht zum Deckmantel, um einen antagonistischen Gegensatz zwischen den Rassen zu verhüllen; erst dann ist aber auch das Rasscnspezifikum nicht Anlaß, um einen der wichtigsten Beiträge, den Vertreter des amerikanischen Negervolkes geleistet haben, aus dem Gesamlzusammenhang, in den sie gehören, auszugliedern und damit die Summe aller kulturellen Manifestationen des amerikanischen Volkes empfindlich um einen ihrer wertvollsten Teile zu reduzieren. Aus dem gesellschaftlichen Auftrag, den die amerikanischen Negerautoren spürten, und aus ihrem Bemühen, einem hohen künstlerischen Anspruch gerecht zu werden, war die für die Schöpfer der Literatur und für ihre Kritiker gleichermaßen wichtige Frage erwachsen, wie die Neger sich selbst in der Literatur sehen wollten: in idealisierter Darstellung oder in realistischer Widerspiegelung. Die Mehrheit hat sich bemüht, entsprechend der gesellschaftlichen Funktion der Kunst eine realistische Gestaltungsmethode anzustreben. Dabei haben sich jedoch die besonders bedrückende Lebenserfahrung und die besondere Existenzproblematik der amerikanischen Negerautoren so ausgewirkt, daß viele von ihnen — kaum, daß sie der Scylla der Idealisierung ihres eigenen Menschenbildes entronnen waren — der Charybdis der Entfremdung und ihren hemmenden und anti-realistischen Auswirkungen zu erliegen drohten. Dieser Prozeß ist bei der augenblicklichen Lage der Dinge und bei den Auswirkungen, die der Zustand
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der von weißen Autoren geschriebenen bürgerlichen Gegenwartsliteratur auf die Negerschriftsteller hat, nicht abgeschlossen und nötigt uns, die Situation ständig zu beobachten. Das Dilemma, in dem sich die modernen Negerautoren befinden, macht deutlich, daß Rassenindifferenz und Uberkompensation durch Imitierung der Kultur der Weißen auf der einen Seite und Yerabsolutierung des Rassenaspekts auf der anderen ohne Perspektive sind, sich in einer Diskontinuität der Entwicklung auswirken und sich als historisch nicht haltbar und als unvereinbar mit der Wirklichkeit erweisen. Wenn die von Negern geschriebene Literatur der Vereinigten Staaten bei der Verwirklichung ihrer ästhetischen und didaktischen Zielstellungen zugleich auch einen förderlichen Beitrag zur Bürgerrechtsbewegung geleistet hat, dann geschah dies schwerlich auf dem Wege über eine Orientierung auf Extreme, die sich als untauglich erwiesen haben. Die Voraussetzung für ein Einwirken der Literatur auf komplexe und komplizierte gesellschaftliche Vorgänge war vielmehr eine Wirklichkeitserfassung und -durchdringung, die der Komplexität der vorgefundenen Wirklichkeit gerecht wurde und die zugleich erkennen ließ, daß der Autor von ihrer Veränderbarkeit überzeugt war. Die Erfüllung so weitgehender Postulate ist nur in einemProzeß der Annäherung an das Ideal möglich. Sterling A. Brown (1901 geb.) einer der aus dem Negervolk selbst kommenden Kritiker der amerikanischen Literatur, hat diesen Aspekt der inneren Dynamik hervorgehoben. "Literature by Negro authors about Negro experience," so schreibt er, "is a literature in process and like all such literature must be considered significant... because of the illumination it sheds upon a social reality." 74 Damit aber, und mit ihrem über die Aufhellungsfunktion der sozialen Wirklichkeit hinausgreifenden ästhetischen Gesamtbeitrag, den die Negerliteratur zur amerikanischen Nationalkultur leistet, hat sie einen Teil der Prognose die Alain Locke dieser Literatur vor mehr als zwanzig Jahren stellte, bereits Wirklichkeit werden lassen. Locke schrieb: "The position of the Negro in American culture today ist strategic and promising; it is his spiritual recompense for generations of long-suffering and will for some generations yet furnish the basis of his contribution to the spiritual treasury of the nation." 7 5
ANMERKUNGEN
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William Z. Foster, The Negro People in American History, New York 1954; Jürgen Kuczynski, Die Geschichte der Lage der Arbeiter in den Vereinigten Staaten von Amerika von 1775 bis in die Gegenwart, Berlin 1955; E. Franklin Frazier, The Negro in the United States, New York 1957; s. auch John Oliver Killens, Black Man's Burden, New York 1965. Das Werk weißer amerikanischer Gegenwartsautoren wird mitbehandelt bei R. Orlowa, „Stimmen der Negerrevolution", Kunst und Literatur, 5/1966, 506—524. Von den frühen Arbeiten Du Bois' sind vor allem zu nennen: Suppression of the African Slave Trade, 1896; The Philadelphia Negro, 1899; The Souls of Black Folk, 1903; John Brown, 1909. Seine historischen Interessen der mittleren und späten Schaffensperiode spiegeln sich u. a. in: Black Reconstruction in America, 1 8 6 0 - 1 8 8 0 , 1935; Black Folk, Then and Now, 1939; Dusk of Dawn, 1940; Color and Democracy, 1945; In Battle for Peace, 1952. Vgl. auch die sehr frühen historischen Darstellungen durch die Negerautoren James W. C. Pennington, A Textbook of the Origin and History of the Colored People, Hartford 1841; Joseph T. Wilson, Emancipation: Its Course and Progress, 1882; Ders., The Black Phalanx, 1888; George Washington Wilhams, History of the Negro Race in America, 2 Vols, 1882. Harry Haywood, Negro Liberation, New York 1948; Langston Hughes, Fight for Freedom, New York 1962; Ders. u. Milton Meitzer, A Pictorical History of the Negro in America, New York 1963; Langston Hughes, Famous Negro Heroes of America, New York 1958; The Movement, Documentary of a Struggle for Equality, Text by Lorraine Hansberry, New York 1964. S. auch Earl Spangler, Bibliography of Negro History, Minneapolis, Minn. 1963. James Baldwin, "Everybody's Protest Novel", Partisan Review, VI/1949; Ders., "Many Thousands Gone", ebd., X I , XII/1951; beide auch in Notes of a Native Son, Boston 1955; Ders., "Alas, Poor Richard", Nobody Knows My Name, New York 1961. S. auch Anm. 54. Ralph Ellison, "Hidden Name and Complex Fate", A Writer's Experience in the U.S., Washington 1964. John Oliver KiUens, "The Black Writer Vis-a-Vis His Country", Black Man's Burden, 23-54. LeRoi Jones, "Myth of Negro Literature", "A Dark Bag", "Black Writing", "LeRoi Jones Talking", "The Revolutionary Theatre", Home, New York 1966. Dick Gregory with Robert Lipsyte, Nigger, an Autobiography, New York 1965, 155. Wirzberger
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Anmerkungen
Donald B. King, Charles W. Quick (Editors), Legal Aspects of the Civil Rights Movement, Detroit 1965. 8 Martin Luther King, Why We Can't Wait, New York 1964; auch Saturday Review, 30. V. 1964,17-20, 76. 9 "The Negro also had to recognize that 100 years after emancipation he lived on a lonely island of economic insecurity in the midst of a vast ocean of material prosperity". Saturday Review, a. a. O., 76; vgl. auch John F. Kennedy, Broadcast to the Nation, 11. VI. 1963 (The Movement, 19). S. auch Jürgen Kuczynski, a. a. 0 . 10 William A. Price, "SNCC takes a more radical turn", National Guardian, 28. V. 1966, 1, 8; "SNCC'S path? Carmichael answers", National Guardian, 4. VI. 1966, 1, 8; "Black Power Defined", New York Times, 15. VII. 1966, 30; James A. Jackson, "The Meaning of 'Black Power'", Political Affairs, Vol. XLV, No. 9, Sept. 1966, 1-9. 11 New Program of the Communist Party USA, New York 1966; Claude Lightfoot, "Civil Rights: A New Phase", Political Affairs, Vol. XLV, No. 4, Apr. 1966, 5 - 1 4 ; vgl. auch National Guardian, 2. VII. 1966, 5 u. The Worker, 4. IX. 1966, 3. 12 S. o. Anm. 5, John Oliver Killens u. LeRoi Jones. 13 Narrative of the Life of Frederick Douglass, An American Slave, Written by Himself, Boston 1845; My Bondage and My Freedom, New York 1855; Life and Times of Frederick Douglass, New York 1882; Philip S. Foner, The Life and Writings of Frederick Douglass, 4 Vols., New York 1950—54. Vgl. auch die Douglass-Biographien: F. M. Holland, Frederick Douglass, the Colored Orator, 1891; Charles Waddell Chesnutt, Frederick Douglass, a Biography, 1899; Booker T. Washington, Frederick Douglass, 1907; Edmund Fuller, A Star Pointed North, 1946; Shirley Graham, There Was Once a Slave, 1947. 14 Walker's Appeal. . . to the Coloured Citizens of the World, Boston 1830; Slavery in the United Staates: a Narrative of the Life and Adventures of Charles Ball, a Black Man, New York 1837; The Narrative of Lunsford Lane, formerly of Raleigh, N. C., Boston 1842; The Life and Adventures of Zamba, an African Negro King, and His Experience of Slavery in South Carolina, London 1847; The Fugitive Blackmith; or Events in the History of James W. C. Pennington, London 1849; Narrative of Sojourner Truth, a Northern Slave, New York 1853; The Rev. J. W. Loguen as a Slave and as a Freeman, Syracuse, N. Y. 1859. 15 The Autobiography of an Ex-Coloured Man, New York 1948, 55. 16 Ebd., 20. 17 Saturday Review, 14. II. 1953, 20. 18 The Writer's Experience, Washington 1964,14. 19 A. a. 0., 115. 20 Ebd., 54 f. 21 Man hat die zum Thema "The American Scholar" von Ralph Waldo Emerson (1803 bis 1882) vor der Phi Beta Kappa Society in Cambridge, Mass. am 31. VIII. 1837 gehaltene Ansprache auch als "Intellectual Declaration of Independence" bezeichnet, die der politischen und sozial-ökonomischen Unabhängigkeitserklärung gefolgt ist. S. auch J a y B. Hubbell (Ed.), American Life in Literature, Vol. I, New York 1949,
Anmerkungen
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800. Zum Hintergrund der "Negro Renaissance" vgl. Robert A. Bone, The Negro Novel in America, New Haven, Conn. 1958, 53 ff. 2 2 Kenneth B. Clark, Dark Ghetto, Dilemmas of Social Power, New York 1965; Gilbert Osopsky, Harlem: the Making of a Ghetto, New York 1966. 23 Clark, a. a. 0., 21 ff., bes. 25. 2 4 In: Harlem Shadows, New York 1922. 26 Nach Alain Locke, "The Negro in American Culture", Anthology of American Negro Literature, ed. by Sylvestre C. Watkins, New York 1944, 159. 26 Hughes u. Meitzer, a. a. 0., 272. 27 Simple Speaks His Mind, New York 1950; Simple Takes a Wife, New York 1952; Simple Stakes a Claim, New York 1957. 28 "You don't know, /You don't know my mind-/When you see me laughing/I'm laughin' to keep from cryin'." Dieser Blues-Text hat Langston Hughes zu seinem "Homesick Blues" ("To keep from cryin'/I opens ma mouth an' laughs") angeregt. 29 Black Boy, New York 1945, 228. 3 0 Philadelphia Tribune, 5. II. 1927; s. auch Langston Hughes, The Big Sea, New York 1963, 267. 3 1 Willard Motley, Knock on Any Door, 1947; We Fished All Night, 1951; Let No Man Write My Epitaph, 1958. Frank Yerby, The Foxes of Harrow, 1946; The Vixens, 1947; The Golden Hawk, 1948; Pride's Caste, 1949; Floodtide, 1950; A Woman Called Fancy, 1951; The Saracen Blade, 1952. Vgl. auch Bone, a. a. 0., 169. 3 2 Invisible Man, chapter 10. 33 S. die ausgewählte Bibliographie bei Fritz Pappenheim, The Alienation of Modern Man, New York 1959, 163—183; s. ferner Auguste Cornu, Karl Marx — die ökonomisch-philosophischen Manuskripte, Vorträge und Schriften der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin,- Heft 57, Berlin 1955; Ernst Fischer, „Entfremdung, Dekadenz, Realismus," Sinn und Form, 14. Jahr, 1962, Heft 5/6, 816—854; Charles I. Glicksberg, The Seif in Modern Literature, New York 1963; Wolfgang Heise, „Uber die Entfremdung und ihre Uberwindung", Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 6/1965, 684 ff.; T. J . Oisermann, Die Entfremdung als historische Kategorie, Berlin 1965; Sidney Finkelstein, "The Existentialist Trap: Norman Mailer and Edward Albee", American Dialog, Febr.-Mar. 1965, 23—28; Ders., Existentialism and Alienation in American Literature, New York 1965; Herbert Aptheker (Ed.), Marxism and Alienation, New York 1965. 3 4 S. Anm. 22. 3 5 Manchild in the Promised Land, New York 1965, 281. 3 6 Ebd., 282. 3 7 Ebd., 366. 38 Abgefaßt unter Mitwirkung von Alex Haley. 39 Besonders in The Fire Next Time, New York 1963, 61 ff. 40 Black Man's Burden, 15. 4 1 Home, 41, 210 ff. 4 2 Ebd., 181. 43 Ebd., 186, 235. 4 4 Ebd., 212. 4 5 Ebd., 252. 4 6 S. Anm. 11. 47 S. o., 15, 21 ff. 48 Ebd., 193. 4 9 Ebd., 120. 3*
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Anmerkungen
'° Vgl. Heinz Wüstenhagen, „James Baldwins Essays und Romane", Zeitschrift für Anglistik und Amerikanistik, 13. Jg. 1965, Heft 2, 117-157; Phillip Bonosky, "The Negro Writer and Commitment", Mainstream, Febr. 1962, 16—22. 51 "The Explanation of the 'Black Psyche'", The New York Times Magazine, 7. VI. 1964. 52 53 Black Man's Burden, 2 5 - 5 4 . Vgl. Wüstenhagen, a. a. 0., 133. 54 Saturday Review, 8. II. 1964,15. 53 "Dialog with John 0 . Killens", American Dialog, Febr.-Mar. 1965, 32. 5,1 And Then We Heard the Thunder, New York 1964, 329. 57 58 Ebd., 268. Ebd., 498f. 5!) Vgl. "Will there be another riot in Watts?" von Harry E. Dolan, einem Angehörigen des Writers' Workshop von Budd Schulberg in Watts, Los Angeles, im National Guardian, 3. IX. 1966, 4. S. ferner Langston Hughes, Harlem Call (After the 1964 riots), American Dialog, Oct.-Nov. 1964, 37; Lucille Banta, To Lorraine, Ebd., Febr.-Mar. 1965, 38; Four Poets Looking South, Ebd., May-June 1965, 1 6 - 1 8 ; Horace Julian Bond, Three Poems, Ebd., Oct.-Nov. 1965, 13. co Mary McCarthy, „Der Tod der literarischen Gestalt", Sinn und Form, 18. Jahr, 1966, Heft 1, 223—241 u. Karl-Heinz Wirzberger, „Der impotente Retter: Das Dilemma des bürgerlichen amerikanischen Romans der Gegenwart", Ebd., 18. Jahr, 1966, Heft 3, 987-996. 61 Dem Autor, der sein Werk zunächst anonym veröffentlicht hatte, wurde das Vergnügen zuteil, mit Menschen zusammen zu kommen, die behaupteten, die Vf. der Autobiographie zu sein. 02 Sonntag, No. 33/66, 10. (a The Autobiography of an Ex-Coloured Man, 70. w Ebd., 73 ff. or ' The Ordeal of Mansart, New York 1957, 316. 6,1 S. auch Karl-Heinz Wirzberger, "The Simple, the Natural, and the Honest. (William Dean Ilowells als Kritiker und die Durchsetzung des Realismus in der amerikanischen Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts)", Zeitschrift für Anglistik und Amerikanistik, 9. Jg. 1961, Heft 1, 5—48. ,i7 Notes of a Native Son, Boston 1955, 7. 68 Dick Gregory, Nigger, 41; vgl. auch James Weldon Johnson, The Autobiography of an Ex-Coloured Man, 42. 6(1 70 Home, 186. Ebd., 235. 71 Ebd., 193, 246. 72 Karl Marx, Das Kapital, Bd. I, Berlin 1947, 315. 73 Black Man's Burden, 50 ff. 7i Nach Hughes u. Meitzer, A Pictorial History of the Negro in America, 274. 7n "The Negro in American Culture,", Anthology of American Negro Literature, 173. S. auch Hugh Morris Gloster, Negro Voices in American Fiction, Chapel Hill 1948 u. New York 1965; Herbert Aptheker, "The Superiority of the Negro", American Dialog, Oct.-Nov. 1965, 3 3 - 3 5 ; Ders., The Soul of the Republic: The Negro Today, New York 1964.
Deutsche Historiker-Gesellschaft 1917-1945
Neue Probleme der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung in Forschung und Lehre Protokoll der konstituierenden Tagung der Fachgruppe „Geschichte der neuesten Zeit 1917—1945" am 31. Oktober und 1. November 1964 in Brandenburg/Havel 1965. 265 Seiten - gr. 8° - MDN
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Die konstituierende Tagung beschäftigte sich mit Problemen der Strategie und Taktik der deutschen Arbeiterbewegung während der Weimarer Republik und des Hitlerfaschismus. Im Mittelpunkt standen zwei Themen: Das Ringen der K P D um die Einheitsfront der Arbeiterklasse und das Suchen der Partei nach Wegen, um die Massen schrittweise an den Kampf um die Eroberung der Macht heranzuführen. So gab es interessante Beiträge, die insbesondere den Geschichtsunterricht bereichern können, auch zur Entwicklung der USPD und der SPD, ferner zur Politik der herrschenden Klasse und zur Behandlung der Zeit von 1917 bis 1945 im Geschichtsunterricht in beiden deutschen Staaten.
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Kunwar Mohammad Ashraf An Indian Scholar and Revolutionary 1903-1962 Edited by Dr.
HOBST KRÜGEE
— Der Ashraf-Gedenkband erscheint in englischer Sprache — (Veröffentlichungen des Instituts für Orientforsohung der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Nr. 63) 1966. XVI, 459 Seiten -13 Abbildungen - gr. 8° - MDN
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Dieser Band ist dem Andenken des bedeutenden indischen Historikers und Revolutionärs K. M. Ashraf gewidmet. In den Aufsätzen führender Historiker und Indologen aus Indien, England, der UdSSR und der DDR werden Probleme der historischen und kulturellen Entwicklung Indiens untersucht. In den Erinnerungen hervorragender Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Indien an K. M. Ashraf wird ein Stück des nationalen Befreiungskampfes der Völker Indiens lebendig. Den Abschluß des Gedenkbandes bilden einige kleinere Arbeiten K. M. Ashrafs, in denen er u. a. seinen Weg vom bürgerlichen Nationalisten zum marxistischen Revolutionär schildert, Probleme der indischen Geschichtswissenschaft behandelt und schließlich in einem Interview zu Fragen der politischen Entwicklung Indiens in den letzten Jahrzehnten Stellung nimmt.
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