Der christliche Aktivismus Nordamerikas in der Gegenwart [Reprint 2019 ed.] 9783111401034, 9783111271866


158 78 4MB

German Pages 51 [56] Year 1925

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Inhalt
Religion und Kirchen im öffentlichen Leben der Vereinigten Staaten von Nordamerika
Die Äußere Mission der nordamerikanischen Kirchen und Sekten in der Gegenwart
Die Theologische Amerika-Bibliothek 1913—1924
Recommend Papers

Der christliche Aktivismus Nordamerikas in der Gegenwart [Reprint 2019 ed.]
 9783111401034, 9783111271866

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Hefte der Theologischen Amerika-Bibliothek Herausgeber: D. Karl Bornhausen ord. Professor der evangelischen Theologie an der Universität Breslau

Heft 2

Breslau

1925

Der Christliche Aktivismus Nordamerikas in der Gegenwart von

Karl Bornhausen

1925 Verlag von Alfred Töpelmann in Glessen

Inhalt Religion und Kirchen im öffentlichen Leben der Vereinigten Staaten von Nordamerika . . . . Seite 5 1. Evangelische Kirche und die Weltlage 2. Religion im Inland 3. Christentum und Jugend Die Äußere Mission der nordamerikanischen Kirchen und Sekten in der Gegenwart Die Missionsarbeit in der Heimat

. . . .

1. Die Mission der Kirchen 2. Das Student Volunteer Movement 3. Oesamtverbände und Presse

.

.

.

.

.

.

1. Church Union 2. Young Men's Christian Association

.

Die Arbeit auf den Missionsgebieten

Ansichten und Aussichten der Mission

.

.

1. Änderung des Urteils über das Fremdvolk 2. Mehr Wissenschaft und Philosophie . 3. Weniger Amerikanismus Die Theologische Amerika-Bibliothek 1913—1924 1. Die Entwicklung der Bücherei . . 2. Arbeit und Aufgabe des Instituts .

. .

Religion und Kirchen im öffentlichen Leben der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Ein Volk exportiert das, wovon es zu viel hat oder was es selbst nicht mehr braucht. Die Vereinigten Staaten exportieren Religion, und zwar erst seit dem Weltkrieg in so erheblichem Umfang, daß ihre geistige Ausfuhrbilanz davon deutlich Kunde gibt. Dieser Vorgang verdient europäische Beachtung. Vor 1914 galten die Vereinigten Staaten Nordamerikas in Europa für das Land der Religionsfreiheit, d. h. für ein Volk ohne Religion. Wenn es hoch kam, wußte man in Europa, daß die Eröffnung des Kongresses in Washington mit einem Gebet erfolgt und daß der Präsident Angehöriger einer protestantischen Kirche oder Sekte sein kann. Man hatte außerdem von einem sehr hohen Prozentsatz von bei keiner Kirche eingeschriebenen Bürgern der U. S. A. gehört, der etwa dem unter dem neuen Wahlrecht der Preußischen Landeskirche nicht in die kirchlichen Wählerlisten eingeschriebenen preußischen Evangelischen entspricht. Auch das wirkte als höchst unkirchlich auf den Fernstehenden. Kurz, die Amerikaner als Ganzes galten als gottloses Volk. Demjenigen aber, der auch nur vorübergehend das Land der unbegrenzten Möglichkeiten betrat, ergab sich der krasse Irrtum dieser Vorstellung. Er fand in Religion, Theologie und Kirchen ein stark aufblühendes Leben, er sah den christlichen Gedanken in Volk und Staat, innerer und äußerer Politik bedeutende Fortschritte erreichen; er beobachtete eine Arbeiterschaft, eine Jugend, deren Idealismus nach den Formen des Christentums verlangte. Er lernte Kirchen kennen, die ihre verschiedenen Glaubensbekenntnisse zurücktreten ließen, um gemeinsame praktische Aufgaben des sozialen Volksaufbaus zu lösen 1 ). Der religiöse Aufschwung im öffentlichen Leben der U. S. A. kettete das Volk für den Krieg und im Krieg zusammen; ohne diese Kräfte wäre ein Eingriff Amerikas in Europas Schicksal nicht möglich gewesen. *) Vgl. Bornhausen, „Religion in Amerika", und Heft 1 der Th. A. B. Gießen, Töpelmann, 1914.

-

6



Das hat Europa seit 1919 begriffen und ist in eine erhebliche Bewunderung amerikanischer Christlichkeit umgeschwenkt, dabei vergessend, daß auch in den U. S. A. der Weltkrieg einen bedeutsamen Niedergang der Sittlichkeit und Religion bewirkt hat. Da man ja das exportiert, was man selbst nicht mehr braucht, so kam eine Masse amerikanischer Religion ohne Visum nach Europa; besonders der Deutsche mußte unter dem caritativen und religiösen Ansturm des Methodismus und Baptismus, des Quäkertums und der amerikanischen Lutheraner den Eindruck von unvergleichlicher Vitalität des Protestantismus nach dem Krieg haben. Leider enthüllt sich Vieles davon als Propaganda, die den deutschen Christen zu sehr imponiert, um nicht gefährlich zu sein. Was Religion und Kirchen heute im öffentlichen Leben Amerikas bedeuten, ist daher wissenswert. Dabei entnehme ich meine Beobachtungen jüngsten Zeugnissen des Jahres 1924. 1. Die Qegenwartslage der Religion in den U. S. A. beschreibt der Theologieprofessor G. A. Johnston Ross, New York, in der neuen englischen „Review of the Churches": „Seit kurzem hat sich ein weitverbreiteter Widerspruch gegen Autorität und christliche Sittlichkeit geltend gemacht. Zum guten Teil mag das in der Reaktion gegen die Sentimentalität begründet sein, die die Kriegsüberanstrengung begleitete und die vielleicht in Amerika infolge der weiten Entfernung vom Kriegsschauplatz größer als in der übrigen Welt war. Manche nachdenkliche Leute führen den Ausbruch der Unbotmäßigkeit darauf zurück, daß das Alkoholverbot von einem Volk zum Gesetz erhoben wurde, das für den Vernunftsinn dieses Gesetzes noch längst nicht genügend erzogen war. Aber die Ursache liegt wohl darin, daß lange vor dem Krieg die Grundlagen, auf denen die Autorität der christlichen Moral und der sie verbreitenden Institutionen beruht, erschüttert waren. Beispielsweise war bürgerliche Ehrlichkeit in vielen Schulen kaum mehr zu finden; die Kinder zeigten wenig Empfindung für den Unterschied von Mein und Dein. Die Korruption, die in der Politik anerkannter- und kaum verhülltermaßen umging, hatte sich über weite Gebiete des Volkslebens ausgedehnt. Vor allem aber hatten die Kirchen ihre wichtigsten Aufgaben darin gesehen, einen kirchlichen Sittenkodex, der im wesent-



7



liehen negativ war und kaum Berührung mit dem wirklichen Leben zeigte, aufrecht zu erhalten. Der durch die Kriegswandlungen verursachte geistige Aufruhr hat jetzt an die Oberfläche gespült, was schon lange auf dem Boden lag. Und erst jetzt sind die Kirchen in Alarm und eilen zur Verteidigung, die viele von ihnen in dem Aufwärmen seit mehreren Generationen verschollener Gedanken bestehen lassen wollen 2 )." Diese Darstellung des amerikanischen Theologieprofessors, wird den Amerikanern selbst keineswegs gefallen; denn sie widerspricht dem Dogma, daß in den U. S. A. religiös und moralisch, politisch und sozial alles gut stehe. Schon die sehr zurückhaltende Kritik an dem Anti-Alkohol-Gesetz ist dafür Kennzeichen. Sie erinnert an das Urteil, das der Präsident der Columbia-Universität, Prof. Butler, unlängst über die Prohibitionsdurchführung und ihre schlechten moralischen Folgen wagte. Da erhob sich gegen ihn ein derartiger Massensturm moralischer und religiöser Entrüstung, daß die Kritiker schnell verstummten. Der Schwede Helmer Key hat in seinem Buch „Amerika-Reise" 1922 sehr wertvolle Bemerkungen gerade über die Alkoholfrage, die in den U. S. A. eine besondere Angelegenheit der Religion und der Kirchen ist, gemacht 3 ). Auch hier trifft wieder das Exportgesetz zu. Die amerikanischen Kirchen und Sekten exportieren in weitem Umfang Prohibition, weil sie selbst zu viel davon haben. Und wenn in Europa der Kampf gegen den Alkohoigenuß mit religiösem Enthusiasmus getrieben wird, wenn die Anständigkeit des bescheidensten Dünnbieres bezweifelt wird, wenn die Behauptung vertreten wird, der Weltkrieg sei durch eine deutsche betrunkene Kompanie uns verloren gegangen und Deutschland würde durch radikales Alkoholverbot von allen Nöten der Politik und Wirtschaft mit einem Schlag befreit sein, so ist das alles amerikanische religiöse Propaganda. Daran sieht man, wie sich der Amerikaner den Einfluß der Religion auf das öffentliche Leben vorstellt. Er will handgreifliche praktische Erfolge der Religion sehen, die sich bezahlt machen. Wenn Kirchen und Religion durch Unterdrückung des Alkohols das Leben der Frauen und Kinder sicherer gestalten, die Anzahl der s ) Q. A. J. Ross, „Religious Life in America", The R e v i e w of the Churches Vol.1 Nr. 4, London 1924, S . 4 8 1 f . ®) München, Drei-Masken-Verlag, 2. Auflage, Kap. XVI, S. 193 ff.



Kapitalverbrechen leeren,

ist



verringern, die Gefängnisse und

Irrenanstalten

das ein imponierender und für das öffentliche

höchst erfreulicher Erfolg. darauf

8

gedrungen,

daß

Leben

D a h e r haben Religion und Kirchen 1924 das G e s e t z

des Alkoholverbots

wirklich

radikal durchgeführt w u r d e ; viele S t a a t e n haben Enforcement-Bills angenommen. Die sittlich-religiöse Majoritätsauffassung der U. S . A. wird durch den J a h r e s b e r i c h t der „New Y o r k T i m e s " über

1924

f o l g e n d e r m a ß e n 4 ) gut w i e d e r g e g e b e n : „Die Popularität

der Prohibition

ist durch Verringerung

Sterblichkeit und der Industrieunglücksfälle gesichert. Trunkenheit,

Irrsinn

und Verarmung

der

Verbrechen,

durch Alkoholgenuß

gehen

zurück, wo Z w a n g s m a ß r e g e l n ernstlich angewendet wurden.

Ar-

beits- und E r w e r b s k r a f t des Handarbeiters

gewachsen,

der

vermehrt,

die

Trieb

zum Sparen,

Lebenversichern,

sind

Hausbauen

Schulen öffnen sich einer Fülle v o n Jugend, und gesunder S p o r t und Unterhaltung sind an die Stelle der tödlichen Alkoholwirkung treten.

ge-

New Y o r k hat sein Z w a n g s g e s e t z nicht durchgeführt und

daher nicht voll an den Segnungen der Prohibition

teilgenommen.

Todesfälle infolge Alkohol haben zugenommen, trunkene Chauffeure sind

häufig,

ebenso

Kapitalverbrechen.

Die neue

Gesetzgebung

muß New Y o r k auf den W a s s e r w a g e n der Gesundheit, des R e i c h tums und B ü r g e r f r i e d e n s s e t z e n . " B e i aller Anerkennung dieses schönen Enthusiasmus sagen wir deutsche Christen: „ W a s s e r tut's freilich n i c h t ! "

W e n n New Y o r k

im

Alkoholvergiftung

Dezember

1924

vierzig

Todesfälle

durch

m e l d e t 5 ) , so ist das ein B e l e g dafür, daß man den unteren Schichten keinen geistigen E r s a t z für die sogenannten geistigen G e t r ä n k e gegeben hat.

Die

negative KirchenErsatz

zu

schaffen;

und Religionsmoral sie

bewirkt

ein

hat

nommen,

ohne

Vakuum.

D e r deutsche Christ wird fragen, welche seelische

glückung denn dieses politische Tun der Religion b e w i r k t e ! gab Amerika

seinen

Scharen

von

ungebildeten

ge-

seelisches

Menschen,

Be'Was den

M a s s e n der Handarbeiter, anstatt des tatsächlich in den U. S . A. höchst gefährlichen Alkohols?

Allenfalls das Kino!

W e n n Europas,

wenn Deutschlands Kirchen also den sehr aussichtsreichen W e g der Volksbesserung durch Alkoholentziehung gehen, so sollen sie be*) New York Times, l.Jan. 1925, S.32. 6 ) a. a. 0., S. 33.



9



denken, den Menschen positive Werte praktischer Lebensfreude zu geben. Denn zur Gestaltung des Lebensinhalts, nicht nur zum Verbieten ist das Christentum im öffentlichen Leben da. Calvin Coolidge hat 1924 gesagt: „Die Stärke unseres Landes beruht in der Stärke seiner religiösen Überzeugungen." Dieser Satz hat nur dann Richtigkeit, wenn wir unter religiösen Überzeugungen die wenigen großen Massengedanken verstehen, die als Religion in den U. S. A. verbreitet werden. Neben die Religionsangelegenheit der Alkoholunterdrückung tritt als anderer wichtigster Glaubensartikel der Pazifismus. Schon vor 1914 war der Kampf gegen den Krieg ein Programmpunkt der amerikanischen Religion und der meisten ihrer Kirchen. Bei der Entscheidung, ob die U. S. A. sich am Weltkrieg beteiligen sollten, war die pazifistische Einstellung vieler Sekten eine Hemmung, die langsam durch eine idealistisch und religiös aufgemachte Lügenpropaganda im eigenen Volk überwunden werden mußte. Dieser Zwiespalt war aber nicht zu überwinden und verursachte „die Sentimentalität, die die Kriegsüberanstrengung begleitete", von der Professor Ross spricht. Jedenfalls kehrten die Kirchen nach dem Krieg mit weniger Glauben und viel mehr Eifer zur pazifistischen Propaganda zurück. Die Fortsetzung des Krieges in Europa nach dem Friedensschluß, wenn auch in anderen Formen, zeigte den Amerikanern, welche Gefahr im Aufruhr des Völkerhasses liegt. Und im eigensten Interesse lag es, Haßregungen gegen Amerika im Ausland niederzuhalten. Mit einer umfassenden sozialen Hilfstätigkeit der U. S. A. für alle kriegsbetroffenen Völker ging daher die Propaganda für den Pazifismus Hand in Hand. Pazifismus ist religiöser und politischer Selbstschutz, den die U. S. A. im eigenen Volk und im Ausland dringend notwendig haben. Unter den geistigen Fortschritten der Kirchen im Jahre 1924 spielt die kirchliche Verbreitung des Pazifismus die Hauptrolle'). „Niemals früher war die organisierte Religion so deutlich in ihrer Verdammung des Krieges und so entschlossen in ihrer Bemühung um Frieden. Jede kirchliche Nationalversammlung hat 1924 dazu Stellung genommen, und das Bundeskonzil der Kirchen war un-

*) Vgl. Q. Elliott in The Survey, l . A u g . 1924, dessen ganze Nummer der Friedensfrage gewidmet ist.



10



ermüdlich im Kreuzzug iür Frieden. Das unzweideutigste Zeugnis kam von der Methodist General Conference . . . B e i seinen Vierjahres-Verhandlungen rief das Federal Council die Kirchen auf, bei der Verurteilung des Kriegs zusammenzuwirken . . . Fünfzehn Kirchen haben eigene Kommissionen, die sich mit internationaler Verständigung und Zusammenarbeit mit anderen Kirchen zur Herbeiführung einer krieglosen Welt befassen. F a s t einstimmig verurteilte die religiöse P r e s s e die Pläne, einen Landesverteidigungstag zu halten, an dessen sehr reduziertem Stattfinden und unsicherer Wiederholung sie Verdienst h a t " 7 ) . Dieser jüngste kirchliche Jahresbericht ist gerade in seinen letzten Andeutungen charakteristisch. Die Religion des Pazifismus darf im eigenen Staat nicht übertrieben werden, wie es offenbar für politisches Urteil die Kirchen der U. S . A. tun. Daher der DefenseD a y oder Armement-Day vom 12. September 1924, den die „New York T i m e s " in ihrem Jahresbericht für keinen Mißerfolg hält. Sie stellt für ihn den Leitgedanken auf: „Allgemeine Mobilisation der amerikanischen Kriegs-, Industrie- und Moralkräfte in einer Verteidigungsdemonstration" 8 ). Auch in Sachen des Pazifismus ist der unbegrenzte Export für die U. S. A. besser. Das Volk Amerikas kann in den kommenden Jahren weder einen äußeren Krieg der Waffen, noch einen inneren Krieg der Geister gebrauchen; es muß sich national und sozial neu befestigen, die Gegensätze zwischen Ost und W e s t , die Zerklüftung der Völker und Rassen im eigenen Land beseitigen. Daher gilt es, alle kritischen Kräfte, auch die der Religionen und Kirchen, auf das Ausland abzulenken. Der amerikanische Pazifismus arbeitet daher heute missionarisch in allen Kulturvölkern. Für Deutschland und Europa sind die Bev/eise klar; aber in Ostasien sind die Bemühungen nicht minder deutlich. „Die Kirchen haben in ihren Konventen und durch das Federal Council einstimmig das Ausschlußgesetz gegen die Japaner als eine Verletzung christlicher Brüderlichkeit und Gerechtigkeit verdammt" 9 ). S o schreibt der Jahresbericht 1924 und setzt sich damit wieder in Gegensatz zu der Religion des Präsidenten Coolidge und 7 ) „Religion around the World in 1924" Christian Register, 1.1.1925, Vol.104, S . l l . B ) New York Times, 1. Jan. 1925, S . 3 2 . ' ) Christian Register vom 1.1.1925, Vol.104, S . l l .

-

11



seiner Regierung, die noch etwas mehr als nur Bruderliebe auf Erden sieht. Für die Politiker der U. S. A. ist die Religion des Pazifismus gut für alle Fremdvölker. 2. „Die Schwäche Amerikas liegt in dem Gegensatz seiner religiösen Überzeugungen." So möchte man Coolidges Leitwort verändern bei Beurteilung der inneramerikänischen Religionslage. Die Zeit nach dem Krieg hat in den U. S. A. gezeigt, daß der römische Katholizismus einen überragenden Einfluß auf das öffentliche Leben zu gewinnen sucht. Auch jenseits des Atlantik hat der Krieg und die Nachkriegsnot die katholische Kirche gefördert, die 1924 zwei neue amerikanische Kardinäle erhielt. Dem politischen Einfluß der Katholiken in den U. S. A. wirft sich der reorganisierte Ku Klux Klan entgegen, ein geheimer, mit Freimaurern in Verbindung stehender Orden, der nur evangelische alteingesessene Amerikaner zu politischem Einfluß und öffentlichen Regierungsstellen gelangen lassen will. Eine ganze Anzahl von Staaten sind unter die politische Herrschaft des Ku Klux Klan gekommen, und 1924 bei der Präsidentennomination hat der Klan in der Demokratischen Partei eine bedeutende Rolle gespielt, wenn er auch nicht die Majorität gewann 1 0 ). Der Ku Klux Klan ist das öffentliche Sprachrohr der evangelisch-kirchlichen Kulturpolitik in den U. S. A., aber in ganz einseitiger Parteirichtung. Er vertritt die Laienorthodoxie. Unter Führung des bekannten W. J. Bryan, ehemals Staatssekretär, hat sich ein streng bibelgläubiger Separatismus in fast allen großen evangelischen Kirchen gebildet, der auf die Staatsschulen und den Unterricht Einfluß gewinnen will. Der Gedankengang dieser Propaganda im öffentlichen Leben Amerikas ist ganz kindlich und agitatorisch. Gute Wanderprediger protestieren aufs lebhafteste gegen eine natürliche Entwicklungslehre, die den Menschen mit den Affen gleichstelle, und verkünden die baldige leibhaftige und sichtbare Wiederkunft von Jesus Christus auf Erden. Dieser sogenannte „Fundamentalismus", der auf die Fundamente des christlichen Glaubens sich zu stützen vorgibt, nahm in den letzten zwei Jahren 10

) Vgl. Christian Register, Vol. 104, Nr. 1, 1925, S.22.



12



eine scharf polemische Richtung ein. Er wandte sich gegen eine Anzahl bekannter Pfarrer verschiedenster Sekten, denunzierte sie als häretisch und setzte sie ab. E r kontrollierte die theologischen Seminare und erzwang unter den Professoren höchst ungerechte und sinnlose Entlassungen. Am schlimmsten aber war, daß er in verschiedenen kleineren Staaten des Südens und Nordwestens eine Majorität in der Schulverwaltung gewann und durch gültige Gesetze die wissenschaftliche Abstammungslehre, in welcher F o r m auch immer, beim Natur- und Geschichtsunterricht der Schulen verbot. Dieser unglaubliche Eingriff in die profane Wissenschaft und Bildung seitens der Laienorthodoxie ist derart, daß man ihn in keinem noch so klerikal regierten Staat Europas für möglich halten würde. In den U. S . A. ist solche Macht der Religion und Kirchen wider alle Vernunft zu Recht bestehend. Die betreffenden Gesetze wirken sich aus, ohne daß die Zentralregierung in Washington solches Unheil verhindern k ö n n t e J 1 ) . Trotzdem wäre die Meinung irrig, diese Machtprobe der Laienorthodoxie habe in Amerika den öffentlichen Einfluß der evangelischen Kirchen verstärkt; vielmehr hat sie ihn zersplittert. Nach einem sehr lebhaften, etwa ein J a h r dauernden Anteil der Öffentlichkeit an dogmatischen Lehrstreitigkeiten, während dem alle Zeitungen sich an dem Theologengezänk beteiligten, trat Ende 1924 starke Interesselosigkeit ein. Und auf dem Kampfplatz blieben die in sich selbst gebrochenen Kirchen und Sekten zurück. S e h r richtig beobachtet R. L. H a r t t 1 2 ) , daß aus 220 Sekten 440 geworden seien, weil jede sich in einen fortschrittlichen und einen fundamentalistischen Zweig gespalten habe. Die Folge ist finanzielle Schwierigkeit, schlechte Pfarrergehälter, Ausfall des Missionswerks, mangelhafte christliche Versorgung des Landes, Abnahme der Kirchlichkeit. Die kirchliche Statistik Amerikas zeigt für 1924 ein Sinken der Zahl eingeschriebener Kirchenmitglieder, schwächeren Kirchenbesuch, eine Zunahme denominationeller Spaltung und Konkurrenz im eigenen Land. 1 6 0 0 000 Farmerkinder leben in Gemeinden ohne Kirche und Sonntagsschule " ) . Kommt man aber in die Städte, auch " ) Vgl. „Faszismus und Fundamentalismus in den Staaten", Christliche Welt 1924, S p . 2 3 5 f f . " ) The Worlds W o r k , Dez. 1923, S. 162. " ) Vgl. Christian Register Vol. 104, Nr. 1, 1925, S. 22.

Vereinigten

— 13 — nur in Kleinstädte, so stehen am Marktplatz drei oder vier evangelische Kirchen, deren Pfarrer sich die Gemeindemitglieder wegzufangen suchen. Kürzlich hat Fred Eastman in einem langen, mit überaus wichtigen Kartenbelegen versehenen Aufsatz die Frage aufgeworfen: „Wird das Geld der Inneren Mission mißbräuchlich verwendet" 1 4 )? Er weist nach, daß sich an bestimmten Punkten des Landes Kirchen aller möglichen Sekten befinden, die sämtlich nicht lebensfähig, weil dicht nebeneinander sind. Diese Kirchen und Gemeinden müssen von ihren Zentralorganisationen unter gewaltigem Geldaufwand erhalten werden, ohne daß irgendwelche produktive Arbeit oder Verbreitung des Christentums geleistet wird. Nur aus Prestigegründen werden diese Zwerggemeinden erhalten, und für solche Vergeudung wird das zu Missionszwecken gesammelte Geld verwendet. „70 Prozent unserer ländlichen Kirchen halten ihre Sektengemeinde nur zusammen zum Zweck eines ruhmredigen Jahresberichts" 1 5 ). Und zwischen diesen evangelischen Überfütterungsoasen liegen die unendlichen Öden modernen seelischen Heidentums. Man behauptet, es führe ein viel begangener Weg von diesen Oasen in das Land. Aber dem, der an Ort und Stelle untersucht, zeigt sich: „Die Straße geht über in einen Feldweg, der Feldweg verdünnt sich zu einer Wildspur, die Wildspur endet im Klettergang eines Eichhörnchens, das den Baum hinaufgelaufen und in einem Loch verschwunden ist." Dieser Verlauf ihres öffentlichen Einflusses auf Land und Volk ist für die Kirchen Amerikas doch so wenig scherzhaft, daß sie mit aller Macht die Sektenzersplitterung hemmen müssen. Kirchlicher Zusammenschluß ist daher immer wieder die öffentliche Forderung der Großkirchen; aber sie schallt nicht weit über die Konferenzsäle hinaus und bleibt auf dem Papier. Der Fundamentalismus und sein Separationsprogramm hat in den letzten Jahren alle diese Einigungsbestrebungen schwer gehemmt. Jetzt hat sich eine Interdenominationelle Kirchliche Laienliga gebildet, die den Eifer und christlichen Opfergeist der Evangelischen neu anfachen will 1 6 ). Als Beleg, wie die Amerikaner so etwas anpacken, gebe ich ein Stück aus einem jüngsten Freundesbrief: „Ein Erlebnis auf einer neulichen " ) Vgl. The Survey, l . J u n i 1924, Vol. 52, Nr. 5, S. 271 ff. 1 5 ) a. a. 0 . , S. 273. " ) Vgl." Christian Register, 1.1.1925, Vol.104, Nr. 1, S . 2 2 .

— 14 — kleinen Konferenz mit Kongregatiönalisten. Zweck der Versammlung: Besserung des Individuums und der Gemeinde. Im Hintergrunde ruht die Tatsache, daß die Kirche zur Weiterführung ihrer Aufgaben größerer Einnahmen bedarf. Erste Ansprache: Wieviel ist dir das Gottesreich wert? Sein Wert für dich drückt sich genau in dem Maße aus, wieviel du an Geld beisteuerst. Zweite Ansprache: Wie erzielen wir höhere Einnahmen? Durch die every member campaign. Das heißt, so und so viele Leute der Gemeinde besuchen an einem Tage a l l e Gemeindeglieder, bearbeiten sie zwecks regeren Kirchenbesuchs und versuchen, Zeichnung bestimmter Summen für den Haushalt der Gemeinde und der Gesamtkirche zu erhalten. Demokratisch ist das Prinzip, dazu die Gemeindeglieder heranzuziehen; aber hinter diesem demokratischen Prinzip steht doch eine höchst ordinäre Religionsauffassung. Ich halte ,den puren unbrauchbaren Individualismus und seine Mystik', die der Amerikaner verspottet, für das große Ganze der Religion für zu wertvoll, als daß man ihn einfach totschlagen darf." So urteilt nun freilich ein Deutscher, der seit 30 Jahren drüben Pfarrer ist. Wir in Europa aber sind bereit, uns imponieren zu lassen, wie die Amerikaner so eine Sekte, eine Kirche, einen Bund, eine Mission „aufziehen"! Woher haben wir Deutsche eigentlich dieses gemeine Wort „aufziehen"! Wir ziehen heute eine religiöse Volksbewegung oder einen neuen Glauben auf wie die Amerikaner. Wir bringen es auch noch sicher zu dem famosen Motto, das ein Professor der praktischen Theologie über einen gerade der Kirchenvereinigung gewidmeten Aufsatz in den U. S. A. gesetzt hat: „Eine wohlorganisierte Lüge hat mehr Erfolg, als eine schlecht organisierte Wahrheit" 1 T ). Diese höchst bissige B e obachtung wird ausdrücklich angewendet auf den organisatorisch und rednerisch höchst begabten Fundamentalisten William Jennings Bryan. Jedenfalls ist unter solchem Motto die Vereinigung von Religion, Politik und Finanzen, die wir deutschen Christen niemals fertig bringen, in erstaunlicher Weise erreicht.

" ) Vgl. Prof. J . O . Hall in Christian Register, Vol. 103, Nr. 48, p. 1143, 27. XI. 1924.

3. Zur Überwindung dieser kirchlichen Nöte in den U. S. A. hofft man auf die Jugend. Und das ist um so sonderbarer, als gerade die amerikanische Jugend nach dem Weltkrieg einen höchst unvorteilhaften Eindruck machte, wie ihn Prof. Ross wiedergibt. Vor allem wurde der akademischen Jugend vorgeworfen, daß sie ungläubig und kirchlich gleichgültig geworden sei. Inzwischen wirkte aber das Vorbild der europäischen Jugend aufstachelnd. Namentlich die deutsche Jugendbewegung, deren ethische und religiöse Kräfte zum Zweck des Aufbaus in Amerika sehr überschätzt und bewundert wurden, erregte allgemeine Aufmerksamkeit, gerade weil dieses Lebensgefühl freier und ungebundener Jugend ganz amerikanisch schien. Zu einer Art Jugendbewegung aber ist es in den U. S. A. nicht gekommen. Dazu hatte die Jugend Amerikas zu typische kollektive Züge angenommen, als daß sie einen neuen Lebensstil versucht hätte. Statt dessen konnte der tiefer Beobachtende religiöse Bewegung in der akademischen Jugend männlichen und weiblichen Geschlechts feststellen, die abseits der Kirchlichkeit und der traditionellen Dogmatik vor sich ging 1 8 ). Drei Gruppen sind da zu unterscheiden: Einmal die Mystiker, die eine positive geistige Gemeinschaft mit Gott suchen. Dann die Intellektualisten, die in der Religion die Rückführung des Lebens auf letzte geistige Einheit und Ehrfurcht suchen. Endlich die Praktiker, welche unter Religion eine ethischsoziale Gemeinschaftsart verstehen, die alle Beziehungen der Menschen untereinander durchdringen soll. Dabei kommt es diesen jungen Männern und Frauen darauf an, daß Religion sich zeige und bewähre. Wenn z. B. ein Student in Harvard in der ersten Kollegstunde sich neben einen jungen Neger setzt, mit ihm Handschlag wechselt und sich unterhält, so empfindet das der junge Jude, der es beobachtet, so stark als Religion, daß er einige Tage darauf dem Studenten sagt: Du bist der erste Christ, den ich in Harvard sah. Wenn in Princeton die Studenten den unsozialen Brauch, nur reiche Kommilitonen in ihre Klubs zu wählen, abstellen, so ist das Religion; 18 ) C. Wh. Gilkey, „Religion among American Students". of Religion Chicago, Vol. IV, Nr. 1, S. 1—15, Jan. 1924.

Journal



16



unhonoriges Benehmen ist in der University of Virginia gleich unfromm. Und ein Harvardstudent schreibt: „Amerika hat heute mehr Religion nötig, aber keine abgegriffenen Formeln über Gottes Liebe zu uns allen und Versprechen von Seligkeit, wenn wir gut sind; sondern eine praktische Arbeitsgrundlage fürs Leben und einen Versuch, die heutigen großen Probleme zu lösen" 1 9 ). Gewiß ist diese Religionsbestimmung ganz unklar und verwechselt sozialen Idealismus mit Religion. Aber sie enthält die Forderung einer Sieben-Tage-Religion gegenüber dem Sonntagschristentum Alt- und Neu-Englands. Das ist gut. Und noch besser, daß amerikanische Studenten versuchen, in einigen Anfängen diesen Glauben zu betätigen. Eine Studentengemeinschaft zum Lebensdienst (Student Fellowship for Life Service) hat sich gebildet mit folgendem schönen Bekenntnis: „Ich sehe die Herrschaft heidnischer Grundsätze und Triebe im heutigen Geschäftsleben, besonders die offenbare Verachtung des Menschenwerts in der Industrie, die weitverbreitete Verleugnung der Brüderlichkeit zwischen weißer und farbigen Rassen, die Verwüstung größter Lebenswerte durch Krieg. Es ist mein Vorsatz, mit Gottes Hilfe einzutreten für die Erhebung des Menschenwertes über alle anderen Lebenswerte; ich will die Grundsätze der Liebe und des Dienstes wie sie in Leben, Lehre und Opfer Jesu Christi sich zeigen, zur Triebkraft meines Lebens machen, obwohl ich mir darüber völlig klar bin, daß meine Absicht mich zu persönlichem Opfer, sozialem Ausschluß und wirtschaftlicher Not verurteilt" 3 0 ). Ein echter Ausbruch christlicher Frömmigkeit ist in diesem jugendlichen enthusiastischen Bekenntnis unverkennbar. Er führt in den Universitäten der U. S. A. zu einem neuen Aufschwung des nationalökonomischen Studiums, das also in den U. S. A. doch viel idealere Gründe hat als in Deutschland. „Warum soll ich mich mit Wirtschaftsfragen befassen?" wird in einer christlichen Studentenkonferenz gefragt. Und ein Student antwortet: „Ich will Missionar werden; das kann ich aber nicht ehrlicherweise, solange ich nicht irgendein wirtschaftliches Rettungsmittel für das Fremdvolk habe." " ) K. J. Brown „Youth's Demand for a Practical Religion", Outlook, N e w York, 19. XI. 24, S. 450—452, Vol.138, Nr. 12. ,0 ) Vgl. Outlook, 3. XII. 24, Vol. 138, Nr. 14, S. 547.

-

17 —

„Ich kann nicht fortfahren, von Liebe zu schwatzen, und dabei einem Wirtschaftssystem angehören, das auf Haß aufbaut." Diese Antworten sind typisch für weite Kreise akademischer Jugend; nicht nur einzelne haben solche Gedanken, sondern es ist der common sense der Universitäten. Diese Jugend hat daher zwei Aufgaben sich vorgenommen, die sich dem Christentum widmen. Die eine ist wissenschaftlicher Art. Die Jugend will erkenntnismäßig wissen, welcher Bezug zwischen Religion und den übrigen Lebensgebieten besteht 2 1 ). Daher wird in Ann Arbor, der Staatsuniversität von Michigan, eine „Wissenschaftsschule für Religion" eröffnet 2 2 ). Ebensolches soll an der Staatsuniversität von Jowa geschehen. Die bisher mit keiner konfessionellen Religion befaßten Staatsuniversitäten kommen mit diesen religionswissenschaftlichen Fakultäten der Forderung der amerikanischen Jugend nach. Denn nicht nur, daß die Jugend die Religion als wesentlichen Faktor des öffentlichen Lebens anerkennt. Nicht viel Wesens will sie davon machen, sondern lernen und unterwiesen werden, wie man einen redlichen und für Volk und Menschheit guten Dienst der Religion in Wirtschaft, Politik und Geistesleben gewinnen könne. Da haben jetzt amerikanische Professoren eine feine Aufgabe: so weit sind wir in Deutschland noch lange nicht! Die andere Aufgabe, an die die Jugend Hand anlegt, ist kirchlicher Art. Sie will nicht mehr an der Universität in das Sektensehema gesperrt werden. Soll die Universität baptistisch oder methodistisch oder bischöflich sein? Oder soll sie alle drei Studentenpfarrer beherbergen, die sich gegenseitig Konkurrenz machen? Die Antwort der Jugend ist klar: sie will einen evangelisch-christlichen Geist an der Universität; sie will eine Unionskirche inmitten des Campus, in der alle Studenten und womöglich alle Einwohner des Orts sich zum Gottesdienst zusammenfinden. Auch da ist in Michigan das Vorbild gegeben: die Landwirtschaftliche Hochschule in East Lansing hat zusammen mit der Einwohnerschaft 1922 eine kirchliche Sektenfusion vorgenommen und eine interdenominationelle evangelische Kirche eingerichtet. Grundsatz der Mitgliedschaft: 21 ) Vgl. zum folgenden: Outlook, Vol. 138, Nr. 17, S. 679—681, 24. XII. 1924; Vol. 139, Nr. 1, S. 27—29, 7.1.1925; Nr. 3, S. 107—110, 21.1.1925; Nr. 5, S. 186—188, 4. II. 1925; die Serie Aufsätze ist von Kenneth Irving Brown. 22 ) Christian Register, Vol. 104, Nr. 4, S. 77, 22.1.1925.



18



„Jeder kann Mitglied werden, der an die Lehren Jesu glaubt und nach menschlichen Kräften sie in seinem Leben verwirklichen will." Bei solcher Irrlehre wackeln natürlich nicht nur alle orthodoxen Türme in den U. S. A., sondern auch in Europa. Die in Europa brauchen keine Sorge zu haben: die heutige deutsche Jugend wird sie nicht umwerfen! Aber die amerikanische Jugend wird es schaffen: sie ist wahrhaft jung und schreitet zur Tat. Das amerikanische Religionsleben darf sich in den unerhörten Widersprüchen ethischer und sozialer Art, die seine Einwirkung auf das öffentliche Leben hemmen, viel eher als Europa einer aktivistischen Jugend und ihrer intensiven Mitarbeit an christlichem Volksund Staatsaufbau getrösten.

Die Äußere Mission der nordamerikanischen Kirchen und Sekten in der Gegenwart. „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!" Dieses Wort der Bergpredigt ist der strenge moralische Richter über Gut und Böse. Aber sofern das Erkennen der Früchte für den Menschen erhebliche Schwierigkeiten macht, ist dieser Maßstab für Leben und Werke unserer Mitmenschen unwirksam und gefährlich. Wir richten mit unserem Erkennen in Wissenschaft und Leben eher uns selbst als andere. Trotzdem bleibt gerade in diesem Doppelsinn das Erkennen der Qeistesfrüchte und Glaubensfrüchte des Christentums wichtigste Aufgabe. Wenn nur nicht unsere vorgefaßte Absicht ist, gewisse Früchte, die unserem deutschen Gaumen angenehm schmecken, für gut zu erklären, die uns befremdende Frucht aber als schlecht abzulehnen. Ebenso groß scheint aber heute die Neigung, amerikanisches Obst zu preisen und europäisches Korn kraftlos zu finden. Die vorliegende Untersuchung ist eine geschichtswissenschaftliche, die sich bis in unsere Gegenwart erstreckt und nur etwa eine Menschengeneration zurückgreift. Für christliche und evangelische Zusammenarbeit in der Welt ist es wichtig, was die protestantischen Kirchen und Sekten der U. S. A. als ihre Glaubensaufgabe in der Gegenwart ansehen, und wie sie diese Aufgabe zu erfüllen suchen. Der Exponent für die evangelische Christenart in der letzten Generation ist die Äußere Mission. 1886 entstand in Amerika das Student Volunteer Missionary Movement, das sich als Student Volunteer Missionary Union zunächst an den Universitäten englischer Sprache, dann auch an den übrigen Universitäten des europäischen Festlandes ausbreitete. Diese evangelische Jugendbewegung, die nicht selbst Mission treiben, sondern den bestehenden evangelischen Missionsgesellschaften und ihren Missionsgebieten die notwendigen akademischen Arbeiter gewinnen und vorbereiten wollte, bekam ihr ideales Ziel durch ihren Führer, I. R. Mott, in der Losung: „Evangelisation der Welt in dieser Generation." Eine



20



programmatische Schrift Motts mit diesem Titel ist wohl in alle Kultursprachen übersetzt worden (deutsch von Gräfin E. Groeben, Verlag der Deutschen Orient-Mission, Berlin, 1901). Die Durchführung dieses begeisternden Losungswortes hat, soweit wir sehen, sehr gute und sehr schlechte Früchte getragen. Die kurze Fristsetzung für das Ziel erweckte allenthalben in den Missionsgesellschaften einen frischen Aktivismus, der durch die reichlicher dem Missionarberuf sich zuwendende Jugend erregt wurde. Das Feuer sprang von Amerika auf den alten Kontinent über; auf der Edinburger Welt-Missions-Konferenz 1910 gewann solche Aufgabe trotz ihres Amerikanismus die Herzen. Man bedachte nicht, daß der Losung jene bedenkliche Hyperbel eignet, die die ältere Missionspsychologie geflissentlich pflegte. Auch die europäische evangelische Mission hat in ihrer Werbetätigkeit gern die Not der Heiden, die Schlechtigkeit fremder Völker, die Kraft des Evangeliums, die Erfolge der Missionare, ihre Leiden und ihr Märtyrertum, den Segen des Glaubens maßlos übertrieben, so daß man nicht nur den Amerikanern das Übergleiten aus Mission in Propaganda vorwerfen kann. Die propagandistische Hyperbel des Student Volunteer Movement hat sich an ihrem Werk gerächt. Die Evangelisation der Welt war jedenfalls bis 1916, dem Ende „dieser Generation", nicht geglückt; vielmehr zeigten die christlichen Völker in den Jahren des Weltkriegs, wie wenig sie gerade zu dieser Aufgabe fähig sind. Begreiflich, daß das, was wahre Frömmigkeit als unmöglich einsehen mußte, von einer stolzen und starken Propaganda durchzuführen versucht wurde. Während des Weltkriegs hat amerikanisches Sektierertum einen geradezu fanatischen Tauffeldzug durch China unternommen, um zahlenmäßig in fünf Jahren die Christianisierung der Welt zu erreichen. Die Missionare sollten verdoppelt werden; Gott selbst wurde haftpflichtig gemacht für die Vollendung des Werks. Aber Gott gab kein Gelingen. Inzwischen strengte sich die Heimat an, kapitalistisch das Propagandawerk zu unterbauen. The Interchurch World Movement versuchte bis in die jüngste Zeit mit staunenswertem Geschick, riesige Dollarsummen für die Mission aufzubringen 1 ). Und diese Propaganda sowie der missio*) World Survey 1920 Interchurch Press.

Bd. 2. S. 158 ff.



21



narische Niedergang a l l e r europäischen Völker haben die U. S. A. im Augenblick an die Spitze aller quantitativen Missionsleistungen evangelischer Kirchen gebracht. Den unreifen Früchten dieser Propaganda zufolge ist jetzt starke Ernüchterung eingetreten. Die Kritik erwuchs sowohl in der Heimat als auch auf den Missionsfeldern. Auf der Student Volunteer Convention in Indianapolis an der Wende 1923/24 erklärte der Hauptberichterstatter: „Unter Evangelisation der Welt in dieser Generation ist nicht eine oberflächliche Verkündigung des Evangeliums zu verstehen. Evangeiisieren heißt mit dem Geist Christi durchdringen. Unter der Losung ist eine derartig weltweite Verkündigung des Evangeliums gemeint, daß jeder eine bewußte Gelegenheit, es anzunehmen, hat, und eine derartig gründliche Verkündigung des Evangeliums, daß sein Geist die Menschenmassen durchdringt und durch diese umgewandelten Leben die Gesellschaft erneuert und den Völkerumgang verändert" 2 ). Ist es auch kühn genug, solche Christianisierung der Menschheit für die jetzt nächste Generation zu erwarten, nachdem die eine Generation verflossen ist, so ist doch in dieser neuen Deutung eine evangelische Verinnerlichung unverkennbar. Und sie wird aus Asien reichlich grob und eindeutig gefordert: „Qualität, nicht Quantität ist's, was wir wünschen. Schickt uns Männer und Frauen, die in sozialer Arbeit, in wissenschaftlichem Betrieb, in Medizin ausgebildet sind, aber keine unausgebildeten Rekruten; vor allem laßt uns Leute rechten Geistes und rechter Begabung wählen und gebt uns Anteil an deren Ausbildung" *). Das sind ganz neue Gedanken, die auf eine völlige Umstellung der Äußeren Mission in den U. S. A. hinweisen. Wir wollen feststellen, ob und wie diese Wandlung sich bewerkstelligt.

s ) A. Q. Baker, The religious ideals of the student volunteer Movement. Journal of Religion, Chicago 1924. Vol. IV. S. 196. 3 ) K. Saunders, The passing of Paternalism in Missions, Journal of Religion, Chicago 1922. Vol. II, S. 473. Vgl. die gleichen Forderungen aus Afrika in meinen Darlegungen über „Die Missionspolitik Frankreichs und Englands im Sudan und Äquatorialafrika nach dem Weltkrieg", ZMR. 1924, S. 134, 121.



22



Die Missionsarbeit in der Heimat. Zunächst gilt es, ein Bild darüber zu gewinnen, wer in den U. S. A. und ihrer evangelischen Äußeren Mission arbeitet. Dabei muß zuerst die Heimat-Basis, the Home-Base, wie der Amerikaner praktisch sagt, charakterisiert werden. 1. Das Fundament der Äußeren Mission ist in den U. S. A. ein Mosaik, ebenso wie die Kirchen und Sekten selbst in ihrer Überfülle ein unentwirrbares Bild der Vielfarbigkeit darstellen. Seit 1810 hatten eine Reihe Denominationen ein American Board of Commissioners for Foreign Missions gegründet; aber nach 50—60jähriger Wirksamkeit schob sich doch der Separatismus hinein. Die Gemeinschaft zerfiel; jede Sekte betrieb ihr eigenes Missionswerk, oft gegeneinander. Seit 30 Jahren besteht dann eine Foreign Missions Conference of North America, die jetzt an das Federal Council of the Churches of Christ, die inneramerikanische Zusammenfassung evangelischer Kirchen, angeschlossen ist. Dazu tritt dann noch die typisch anglo-amerikanische Organisation von Welt-Missions-Konferenzen. Deren erste fand nach mancherlei kleineren Vorläufern in New York April 1900 statt 4 ). Die zweite ist die berühmte Edinburger Welt-Missions-Konferenz 1910, die viel Frieden versprach und wenig hielt. Auch diese ökumenischen Sammelversuche der amerikanischen Christlichkeit bleiben gehemmt durch ihre eigene Zerklüftung. In den U. S. A. ist alle entscheidende Tätigkeit der Äußeren Mission den einzelnen Kirchen und Sekten vorbehalten, die einen nicht geringen Ehrgeiz daran setzen, ein in Anbetracht ihrer Mitgliederzahl beträchtliches Missionswerk in Gang zu halten. Zur Bewältigung dieser Arbeit hat sich ein sehr elastisches System von Aus4 ) Uber diese bedeutsamen Zusammenschlüsse der Mission in den U . S . A . liegen wertvolle Berichte vor: „Memorial Volume of the first 50 Years of the American Board of Commissioners for Foreign Missions," Boston 1861, 462 S.; William E. Strong: „The story of theAmerican Board. An account of the first 100 years of the American Board of commissioners for foreign Missions," Boston 1910, 523 S. In letzterem Buch sind wichtige Berichte zur Missionsgeschichte. „Report of the Ecumenical Missionary Conference, N e w York 1900," N e w York, American Tract Society, 2 Bde. zu 558 und 484 S. Diese und die andere in vorliegenden Darlegungen angeführte Literatur findet sich gesammelt in Deutschland in der Theologischen Amerika-Bücherei an der Universität Breslau (Schlesien) unter meiner Leitung.

— 23 — schüssen ausgebildet.

Nicht Missionsgesellschaften, sondern

Mis-

sionsausschüsse der verschiedenen Kirchen und S e k t e n finanzieren und leiten das eigene äußere M i s s i o n s w e r k .

In der Methodist Epis-

copal Church sind es 3 2 P f a r r e r und 32 Laien, die zusammen mit den Bischöfen die Missionsgeschäfte führen. hat

15 P f a r r e r ,

15 Laien

11 P f a r r e r , 10 Laien,

und

Die bischöfliche Kirche

16 Bischöfe,

die

Presbyterianer:

die Baptisten einen Ausschuß von 75 Mit-

gliedern, von denen nicht mehr als drei Fünftel P f a r r e r und nicht weniger als ein Fünftel F r a u e n sein s o l l e n 5 ) .

D a ß die Majorität

überall den P f a r r e r n eingeräumt ist, verdient in den amerikanischen Kirchen B e a c h t u n g .

laienstolzen

Aber sehr einflußreich ist, daß

in diesen Missionskommissionen neben den P f a r r e r n h e r v o r r a g e n d e F ü h r e r des praktischen L e b e n s sitzen: B a n k d i r e k t o r e n , Eisenbahnpräsidenten, schaften. Kraft.

Juristen,

Direktoren

von

Kaufleute,

Aktiengesell-

Und diese opfern in nicht geringem Ausmaß Zeit und

Einer von ihnen hat g e s a g t : „Ich würde nicht für 5000 Dollar

im J a h r diese Arbeit übernehmen; a b e r ich will sie umsonst leisten für Christus und die B r ü d e r ! "

Diese Ausschüsse werden

geleitet

dürch S e k r e t ä r e ; sie teilen sich in Kommissionen, entsprechend den verschiedenen Missionsgebieten. Finanzen, widmet. billig

zu

der Aufbringung

Beachtung

wird

den

der Gelder

ge-

E s ist der S t o l z der Ausschüsse, in der Heimat möglichst arbeiten,

Mittel zu haben. gibt

Besondere

und dem Verbrauch

um

den Missionaren

Sicherheitsgefühl,

für

die

eigentliche Missionsarbeit

große

D i e s e geschäftstüchtige Leitung in der Heimat draußen

zumal

sie

einen Rückhalt

mit

und

erhebliches

ihrer Denomination und deren

Missionsausschuß zumeist persönlich verbunden und vertraut sind. Unvermeidlich und als Anschauung erwünscht sind hier einige Zahlen.

D a s Handelsministerium

in W a s h i n g t o n

gibt durch

sein

S t e u e r b u r e a u alle zehn J a h r e eine Statistik der Kirchen und S e k t e n der Vereinigten S t a a t e n heraus, eine h e r v o r r a g e n d e Arbeit in Anbetracht der großen Schwierigkeiten, einwandfreies Material zu b e kommen.

Mir stehen in der Theologischen Amerika-Bibliothek in

B r e s l a u die Statistiken v o n 1906 und 1916 zur Verfügung, zu beachten ist, daß bis zur Veröffentlichung mehrere J a h r e

wobei ver-

5 ) Vgl. A. J. Brown, „The Why and How of Foreign Missions," New York, Association Press 1912, S. 37 f, S. 40.

— 24 — gehen; die neueste Statistik ist 1919 in zwei Bänden erschienen. Ich entnehme ihr folgende Angaben: 1916 haben 11 Kirchen mehr als je eine halbe Million Dollar für Äußere Mission aufgebracht. An erster Stelle stehen die Methodisten mit fast drei Millionen Dollar, die Presbyterianer mit 2Vi Millionen, die Northern-Baptisten und die Römisch-Katholischen mit je 1 M i l l i o n e n ®). Nicht unberechtigt ist der Stolz der drei evangelischen Kirchen, daß die Katholiken, die fast 16 Millionen Anhänger haben, erst an vierter Stelle stehen; die Methodisten haben 3 3 A, die Presbyterianer IVt, die NorthernBaptisten 1 Vi Millionen Anhänger 7 ). Die finanzielle Missionsleistung dieser drei Kirchen, die zusammen nicht einmal halb so viel Anhänger wie die Katholiken haben, ist für deutsch-evangelische Begriffe schlechthin bewundernswert, auch wenn es sich nur um Geld handelt. Ziehen wir die Parallele der persönlichen Opfer. 12 Kirchen haben 1916 mehr als je 250 Missionare draußen gehabt. Wieder die Methodisten an erster Stelle mit 1428, die Presbyterianer zu zweit mit 1353. Dann die Mormonen mit 1183 Missionaren, an fünfter Stelle erst die Baptisten mit 688. Sehr interessant ist die hohe Ziffer der Mormonenmissionare bei sehr geringem Budget der Äußeren Mission: es ist klar, daß dabei alle Mormonenprediger in England und Kontinental-Europa als Missionare gerechnet sind. Da die amtliche Statistik römische Katholiken und selbst Mormonen mitzählt, müssen wir die Gesamtzahlen getrennt beurteilen. Die Äußere Mission der U.-S.-A.-Kirchen und -Sekten leistete folgendes: 1906 1916 Missionare 7 731 9 873 35 388 52 253 Eingeborene Helfer 13 911 Kirchen 8 323 922 567 Mitglieder 1 687 824 Schulen 8 708 13 653 321 452 Höhere Schüler und Studenten . 575 916 Wert der Missionsstationen usw. 26 496 672 Doli. 52 777 299 Doli.8).

') Religious Bodies 1916, Bd. I, S. 98. 7 ) World Survey, Bd. II, S. 169. 8 ) Vgl. Religious Bodies 1916, Vol.1, S.99, 102.

— 25 — Gegen 1906 waren im Jahre 1916 die Beiträge für Äußere Mission um 7 289 271 Dollar höher. Neben diese Gesamtzahlen, deren Amtlichkeit keine Korrektheit gibt, wie der Statistiker selbst sagt, stellen wir Zahlen, die für die protestantische Mission der U. S. A. allein gelten, aber auch als summarisch zu erachten sind. Die Encyclopedia of Religion and Ethics gibt für 1914 folgende Zahlen: 6627 Missionare, 1 396 631 Anhänger 9). Das Interchurch World Movement behauptet für 1919 10 700 Missionare der U.S.A.; Beiträge: 29 242 527 Dollar, 9 700 Missionare aus Europa; Beiträge: 1 579 049 Dollar 10 ). Aus den renommistischen Dollarzahlen könnte man ja den die Amerikaner kritisierenden Schluß ziehen, daß es leichter' ist, mit 30 Millionen Dollar 10 000 Missionare, als mit VA Millionen Dollar 9000 Missionare zu erhalten. Aber wesentlicher an diesen Zahlen ist doch die Überflügelung der evangelischen Mission Europas durch die der Nordamerikaner. Amerika hat 1919 rund 1000 Missionare mehr draußen und hat seitdem diesen Vorsprung nicht aufgegeben, sondern vergrößert. Die äußeren Gründe dafür liegen auf der Hand: während die christlichen Völker Europas sich gegenseitig ihre Missionsfelder ruinierten, die deutschen Missionare fast restlos aus der außereuropäischen Welt vertrieben und selbst doch keine Kraft zum Ersatz hatten, haben die Amerikaner mit leichter Mühe alle diese Felder erobert, wenn auch noch sehr oberflächlich. Aber eins bleibt dabei doch beachtlich: die evangelischen Kirchen der U. S. A. konnten massenweise junge Kräfte haben, die im Weltkrieg nicht dem Schiebertum, sondern der Evangelisation der Welt sich widmen wollten. Das spricht doch sehr gegen Gewinnsucht und Kriegsmaterialismus. Woher stammen diese idealen Kräfte? 2. Die wichtigste interdenominationelle Zusammenfassung der U.-S.-A.-Mission ist das Student Volunteer Missionary Movement. Es stammt aus methodistischem Revivalismus: Der bekannte Evangelisator Moody hat 1886 die Studenten in Mount Hermon/Mass. zur Äußeren Mission aufgerufen und begeistert. Wenn die Bewegung namentlich in der Berührung mit Europa in ruhigere 9 10

) Vol. 8, Art. Missions, S.732. ) World Survey, Vol. II, S. 49 f.



26



Bahnen kam, so blieb doch die Methode bestehen, daß der Entschluß, Missionar zu werden, den Studenten in Form eines Erweckungsaktes bei den Studentenkonferenzen aufgedrängt wurde. Das Student Volunteer Movement hat den Kern für den Christlichen Studenten-Weltbund abgegeben, der als der führende Teil der Young Men's Christian Association, der Christlichen Vereine junger Männer, heute in allen christlichen evangelischen Kirchen eine bedeutende Rolle spielt 11 ). Seit 1896 hat das amerikanische Student Volunteer Movement das Studium der Äußeren Mission und die Ausbildung der Studenten sehr geschickt systematisiert. An Hand von Textbüchern, von Leitfäden. die für Laien, nicht für Theologen bestimmt waren, wurden in kleinen Studentenzirkeln aller Fakultäten und aller Denominationen Kenntnisse und Begeisterung für die Äußere Mission verbreitet. Gegenüber europäischen Verhältnissen ist zu betonen, daß der Theologe in dem Student Volunteer Movement eine untergeordnete Rolle spielt. Die amerikanische Studentenmission sucht aus allen Kreisen der Gebildeten, bis hin zum Kaufmann, dem Gewerbelehrer, der höheren Tochter an der Haushaltungsschule ihre Mitglieder. Über Vorzüge und Nachteile dieser Missionsvorbereitung ist in meiner Schrift „Religion in Amerika" Rechenschaft gegeben 1 2 ); die Darstellung gibt nach dem Urteil von Amerikanern immer noch Gültiges wieder. Aber es ist für die Gegenwart mancherlei nachzutragen. Zunächst ist wichtig, daß seit 1920 das Student Volunteer Movement for Foreign Missions beratendes Mitglied des Federal Council of the Churches of Christ und der Foreign Missions Conference ist. Diese neue offizielle Stellung hat das Volunteer Movement zu einer prinzipiellen Fixierung seiner Arbeit veranlaßt, die den Rationalisierungsprozeß des letzten Jahrzehnts deutlich er" ) Vgl. für den deutschen Zweig Reichskanzler G. Michaelis: „Für Staat und Volk," 1922 2 , „Weltreisegedanken" 1923, Berlin, Furche-Verlag. Uber die Entwicklung der Christlichen Studenten-Welt-Bewegung unterrichtet der Bericht von J. R. Mott bei der Konferenz in Oxford 1909 „The Christward Movement among the students of the world. A quadrennium In the World's Student Christian federation 1905—1909", außerdem die vielverbreitete Propagandaliteratur neuester Zeit*. ll ) Gießen 1914, S. 25 f, 85 ff. Ebenso Hefte der Theologischen Amerika-Bibliothek, Nr. 1, Gießen 1913, S. 33 f.

— 27 — kennen l ä ß t " ) .

U m ein Student Volunteer zu werden, sind zwei

Bedingungen zu erfüllen.

1. Die Unterzeichnung der

Grundforde-

rung: „ E s ist mein Vorhaben, so Gott will, Missionar zu w e r d e n . " D a s ist die in Europa einigermaßen berüchtigte pledge, die einem jungen M e n s c h e n zum schlimmen religiösen Fallstrick werden kann. 2. Mitgliedschaft in einer evangelischen

Kirche.

Die

b e w e g u n g ist also trotz des Interdenominationalismus nationalismus

streng

kirchlich.

Männer

und

Frauen

Studentenund

Inter-

sind

mit

gleichen R e c h t e n Mitglieder, und die Ziele sind: 1. „Unter allen christlichen Studenten der U. S . A. und Kanadas b e w u ß t e s und a k t i v e s Interesse

an der Äußeren

Mission zu

er-

w e c k e n und zu erhalten." 2. „Eine ausreichende Anzahl von geeigneten

Studenten-Frei-

willigen zu gewinnen für den wachsenden B e d a r f der verschiedenen Missionsausschüsse in Nordamerika." 3. „Allen diesen zukünftigen Missionaren helfen, sich für ihr Lebenswerk

auszubilden;

ihre Mitarbeit

gewinnen

bei der

Ent-

wicklung des Missionsinteresses in den Heimatkirchen." 4. „Eine ebenso starke Verantwortung auf alle Studenten legen, die, sei e s als P f a r r e r , sei es als Laien, zu Hause bleiben, damit sie aktiv das Missionsunternehmen

durch

fehlung, durch Stiftungen und G e b e t e

verständnisvolle

Emp-

ausbreiten."

Im J a h r e 1919 arbeitete das Student Volunteer M o v e m e n t an rund 1000 Hochschulen in Nordamerika. versammlungen

Außer jährlichen W e r b e -

in allen Teilen des L a n d e s

finden in

Zwischen-

räumen von vier J a h r e n allgemeine Zusammenkünfte in Amerika statt.

D e r Konvent 1919/20 ( W e n d e

w a r beschickt

des J a h r e s )

in D e s

Moines

von 7000 Delegierten, davon 6000 Studenten.

In

den e t w a 3 0 J a h r e n der B e w e g u n g hat sie 8140 Missionare

den

verschiedenen

sich

Kirchen

zur Verfügung

gestellt.

1919 haben

6 0 P r o z e n t mehr Freiwillige gemeldet als 1918. Dieses

starke Wachsen

der Missionsbereitschaft

nach

dem

Krieg hat sehr viel äußere G r ü n d e : Unbefriedigung mit dem L e b e n in Amerika, W u n s c h der Ausbreitung des amerikanischen

Geistes

in der W e l t , Aussicht auf erfolgreicheren B e r u f im Ausland g e r a d e " ) The Churches Allied for Common Tasks; 3. Vierjahresbericht des Federal Council 1916—1920; New York 1921, S. 297 ff.



28



für den Akademiker. Man erwäge nur noch einmal die Statistik: Europa stellt 1920 jedem seiner Missionare 177 Dollar zur Verfügung, die U. S. A. dagegen 2900 Dollar " ) . Mit solchen Mitteln gewinnt man Jugend in ganz anderem Ausmaß, wobei allerdings das Verblassen der eigentlich religiösen Motive nicht zu verhindern ist. 1. Januar 1924 fand in Indianapolis die jüngste Student Volunteer Convention statt. 5000 Delegierte von 1000 Colleges und Seminaren, dazu 1000 Studentensekretäre. Auf diesem Konvent scheint sich eine neue geistige Orientierung der Studenten-Missionsbewegung angebahnt zu haben. W a r bisher der amerikanische Student nach seiner religiösen und geistigen Eigenart sehr unselbständig, und überließ er alle Entschlüsse den Studentensekretären, schließlich J. R. Mott persönlich, so entfaltet sich jetzt nach Art neuer Jugend eigenes Denken, Reden und Urteilen. Die Diskussion tritt an Stelle der erbaulichen oder erwecklichen Ansprache; die Älteren hören auf zu dozieren, und die Jüngeren beginnen sich auszusprechen. „Die religiösen Ideale des Student Volunteer Movement" 15) erfahren eine neue Ausprägung. Unter dem Eindruck des Weltkriegs ist sowohl das menschliche Solidaritätsgefühl als auch die Achtung vor fremder Rasse gewachsen. Man sieht auf fremde Religion nicht mehr mit christlicher Überlegenheit, sondern man empfindet, daß der christliche Glaube eine neue wahrhaftige Einstellung finden muß gegenüber drängenden Weltfragen: Krieg, Rassevorurteil, wirtschaftliche Ausbeutung, Internationalismus, soziale Gleichberechtigung. Durch diese Fragen wird aber der Christenglaube aus der Enge persönlicher Erlösungszuversicht herausgedrängt zu einer Weltanschauung. Über den auffälligen Wandel im Student Volunteer Movement haben vier Professoren des Union theological Seminary, New York, eines bestbekannten wissenschaftlichen Instituts, ganz neuerdings einen gemeinsamen Bericht verfaßt, der durch seine vierfache Unterschrift besondere Bedeutung haben soll 16 ). Diese gelehrten Beobachter, unter denen der bekannte Religionspsycholog George A. Coe und der Religionsphilosoph Eugene W . Lyman hervorragen, ") Vgl. oben S.25. " ) A. G. Baker „The religious ideals of the Student Volunteer Movement" Journal of Religion, Chicago. Vol. IV, 1924, S. 192 ff. " ) Journal of Religion, Vol. IV, Nr. 5, Chicago 1924, S. 527 f.

— 29 — konstatieren, daß die Werbung von Missionaren zurückgetreten ist. Dagegen will sich die Jugend Amerikas von den Vertretern fremder Länder und Religionen über deren Verhältnisse berichten lassen, Mit diesen Vertretern der fremden Völker wurde Zusammenarbeit beraten und beschlossen, nicht Feldzug des Christenglaubens im fremden Volk. Die Berichterstatter finden sogar, daß die Abgesandten der Fremdreligionen zu höflich waren und „die unchristlichen Züge des sogenannten christlichen Amerika" nicht so betonten, wie die Fremdvölker es heute tun. Trotzdem aber wurde es der Jugend eindrücklich, daß wirksame Missionsarbeit nur möglich ist, wenn die Heimat selbst sich in Industrie und Wirtschaft, sozialer F r a g e und im Völkerverkehr auf einen höheren, geistigeren, friedfertigeren Standpunkt emporschwingt. Also der alte deutsche Missionsstandpunkt, mit der Besserung erst bei sich selbst anzufangen, bevor man andere Leute bessern will, wird eingenommen. Daher geben die amerikanischen Gelehrten folgende Zusammenfassung: „Die M i s s i o n s p h i l o s o p h i e muß für die Gegenwart neu formuliert werden. Dabei müssen in B e t r a c h t gezogen werden die Einheitlichkeit der Welt, der unchristliche Charakter von viel westlichem Leben, der immer undeutlichere Unterschied zwischen Mission zu Hause und im Fremdvolk, die Forderung von heroischem christlichen Dienst in Theorie und P r a x i s der Heimat (der U. S . A.), wachsende Schätzung der Leistungen und Erfolge anderer Völker und fremder Kulturen, klareres Verständnis für den nur zeitlichen Charakter der Mission" " ) . Stellt sich damit die Aufgabe des Missionars in einen viel weiteren Rahmen, so gibt auch die frühere enthusiastische Unterschrift der jugendlichen Studenten unter die pledge keine Gewähr der Eignung. Vor diese Verpflichtung tritt daher ein lang ausgedehntes Missionsstudium, das sich nicht nur an Textbüchern, sondern in Diskussionsgruppen vollzieht 1 8 ). Hier hat der Student volle Freiheit, sich nicht nur über die Wichtigkeit, sondern die Schwierigkeit des Missionarberufs zu unterrichten und seine Bedenken, seine Widerstände frei zu überwinden, ohne gebunden zu sein. Die schriftliche Verpflichtung zum Missionarberuf auf einer Studenten17 18

) a. a. 0 . S. 529 f. ) a. a. 0 . S. 198.

— 30 — konferenz ist gewissermaßen nur die Veröffentlichung eines längst gefaßten, gründlich überlegten Entschlusses, nicht, wie früher, der oftmals bereute Augenblicksentschluß infolge einer Begeisterungsrede von J . R . M o t t 1 9 ) . Vor allem ist die dogmatische Einseitigkeit des Student Volunteer Movement noch mehr erweicht worden. Im Fundamentalismusstreit 2 0 ) sind die Studentengruppen neutral geblieben, und man hat sich darauf besonnen, was denn Phrasen w i e : „Die W e l t braucht Christus" oder „Christi Geist" oder „Jesu L e b e n s a r t " eigentlich bedeuten. Dabei ergab sich, daß die Jugend mit diesen Reden keine Dogmatik verbindet wie die Alten. Vielmehr versucht jeder, eine persönliche aktive Note seinem christlichen Lebensgeist zu geben, ob nun mehr pazifistisch oder nationalistisch oder biblizistisch oder ethisch-individual. Durch die stärkere individuelle Wahrhaftigkeit zur Religion wird auch die Einsicht in die Aufgaben der christlichen Kirchen neu gewendet. Die amerikanische Jugend ist teils durch Kriegserfahrung gegen die Kraft des Christenglaubens skeptisch geworden, teils sieht sie in den U. S. A. dringendere Aufgaben als in fernen Ländern. Dadurch mag oberflächlicher Massenzulauf in die Mission bald gehemmt werden. Denn es ist gut, wenn der missionarische Akademiker sich das Ziel setzt: „Mehr Wirklichkeitssinn in der Religion; mehr Mut im Wahrheitssuchen, wohin es auch führe; breite und vorurteilslosere W e l t e i n s i c h t " 2 1 ) . 3. Gerade solchen Geist der Selbsterkenntnis und Mäßigung läßt unter den neuen Zusammenfassungen amerikanischer Mission das Interchurch World Movement of North America gänzlich vermissen. Diese Bewegung hat 1920 einen World S u r v e y über Christentum und Religionen in der W e l t aufgestellt, der in seinen Statistiken und Urteilen alle Exaktheit und Nüchternheit verleugnet. Lustige Bildchen und Diagramme können nicht über die Oberflächlichkeit täuschen, die nur auf hohe Geldsummen und Missionarzahlen aus ist. Das Missionsbudget dieser B e w e g u n g v e r langte für 1 9 2 0 : 1 0 7 Millionen Dollar und 1174 neue Missionare, bis ) Vgl. „Religion in A m e r i k a " S . 104 f. ) Vgl. meine Aufsätze über Fundamentalismus in Christi. Welt, 1924, Sp. 235 ff., in der „ E i c h e " 1924, S . 558 ff. J l ) Journal of Religion, 1924, S . 202. w

20

— 31 — 1925: 3255 neue Missionare 2 2 ). Dieser Zahlenwahnsinn und Massenfanatismus hat in Amerika selbst Kritik und Widerstand gefunden, und es erfolgte ein religiöser und finanzieller Bankrott! Über das Interchurch World Movement und die Mitarbeit der U. S. A.-Kirchen an ihm ist das jüngste Votum Adolf Kellers wichtig, der in seinem ersten Bericht der Europäischen Zentralstelle für Kirchliche Hilfsaktionen 3 3 ) schreibt: „Zunächst leiden eine ganze Anzahl der amerikanischen Kirchen an großen Defiziten, die sie teils durch das Missionswerk auf dem Missionsfeld, teils durch die Verpflichtungen erlitten haben, die sie gegenüber dem so jäh zusammengebrochenen Interchurch World Movement übernommen haben. Der nicht unverschuldete Zusammenbruch dieser groß angelegten Bewegung trägt fortwährend wesentlich dazu bei, die Gemeinsamkeit von praktischen Anstrengungen und im besonderen von Sammlungen zu hemmen, und hat, wie überhaupt nichts anderes, den amerikanischen Denominationalismus wieder gestärkt." Daß auch der Fundamentalismus aus dem Bankrott dieser flachen Weltmissionsbewegüng Kräfte gewonnen hat, ist offenbar. Aber seltsam wirkt, daß ein amerikanischer Kritiker die üble Methode, mit viel Geld in geistigen Dingen herrschen zu wollen, als eine Form von Preußenwesen, „Prussianismus", prangert. Hier dürfte ein witziger Denkfehler vorliegen: denn die Preußen haben niemals durch Geld herrschen wollen, einfach weil sie sehr wenig hatten. Sondern das, was der Amerikaner meint, ist die Anbetung vor dem Dollarkalb oder kurz „Amerikanismus" in der Mission 24 ). Viel bedeutender ist die Zusammenarbeit der Äußeren Mission einzelner Kirchen, die sich zuerst in der Foreign Missions Conference of North America und dann in ihrem Anschluß an das Federal Council of the Churches of Christ ergeben hat. Aus ihr hat sich ein wohlorganisierter Missionsrat gebildet, der alle Heimatvorgänge über Mission verfolgt, alle Nachrichten sammelt, technische Auskünfte gibt. Vor allem hat er eine Missionsbibliothek von über . 18 000 Bänden und ein statistisches Bureau und ist Zentralstelle für alle wissenschaftliche und Propagandaliteratur. " ) Vgl. World Survey, Vol. II, S. 50, 157 ff. s ») Zürich 1924, S. 13. 24 ) Kenneth Saunders in Journal of Religion, Chicago Vol. II, S. 473.

— 32 — Die völlige Zersplitterung der Äußeren Missionspropaganda in der amerikanischen P r e s s e war besonders schädlich. Zunächst mußte die Missionsliteratur der einzelnen Denominationen aus einheitlicher Quelle gespeist werden, um bessere und richtigere Information der Heimat zu bewirken. Dann wurde die missionarische Unterrichtsliteratur zentralisiert, ebenso die Missionsapologetik. Männer wie Robert E. Speer, der Vertreter der Äußeren Mission der Presbyterianer, wie J . R . M o t t 2 5 ) im Student Volunteer Movement, wie J a m e s L. Barton, Sekretär des zusammengefaßten American B o a r d of Foreign Missions, gewannen für die gesamte Missionskenntnis beherrschende Stellung. Es ist nicht unwichtig, sich einiger dieser literarischen Produkte zu erinnern. J . R . Motts „Entscheidungsstunde der christlichen Mission" ist das Resultat der Edinburger Missions-Weltkonferenz 1910 und versteht es nicht schlecht, die Glaubensgewässer Europas über amerikanische Mühlräder laufen zu lassen. Hier hat dieser Missionspolitiker öffentlich seine politischen Pläne der christlichen Welteroberung vorgetragen, die er dann auch im Weltkrieg auf krummen, unchristlichen W e g e n verfolgte und durchsetzte. Das Buch ist grundlegend für die Missionstendenzen der U. S . A. Daß Mott mit seinen Gedanken nach 1910 zu solchem Erfolg kommen konnte, ist durch jahrzehntelange literarische und rednerische Arbeit unter den Gebildeten der U. S . A. vorbereitet. Eine beneidenswert anregende und von Augenzeugen stammende Literatur über den gegenwärtigen Stand der Fremdreligionen ist geschaffen worden, wobei der Amerikaner nicht die religionsgeschichtliche Forschung, sondern ihre Auseinandersetzung mit der Bibel und der amerikanischen Geistesart im Sinne hatte. Frank F . Ellinwood, ehemals Sekretär der Äußeren Mission der P r e s byterianerkirche, hat vor den Studenten des Union theological Seminary in New York 1891 Vorlesungen über „Oriental Religions and Christianity" 2 6 ) gehalten, die für solche missionarische Religionsvergleichung kennzeichnend sind. Das sind die Anfänge. Durch den Internationalen Religionskongreß in Chicago 1893 wurde die Beschäftigung mit der Fremdreligion in den U. S. A. 2 S ) I. R. Mott „The decisive hour of Christian Missions", New York. Association Preß 1910, viele Auflagen. " ) New York, Scribner, 1892, 384 S.

— 33 nicht nur für die Theologen, sondern für die Politiker und Kaufleute populär. In den Morse-Lectures hält 1894 W . E. Griffis Vorträge über „The Religions of Japan" und 1898 der Präsident von Oberlin-College, John H. Barrows, über „The Christian Conquest of A s i a " A u f Grund persönlicher Beobachtungen werden diese Vorlesungen gehalten. Eine Stiftung, die Barrows Lectures, vermitteln seitdem regelmäßig für ein halbes Jahr Vortragsreisen amerikanischer Theologen nach Indien, China und Japan. Sie reden dort über amerikanisches Christentum und, in die Heimat zurückgekehrt, über die asiatischen Fremdreligionen. Im Winter 1924/25 ist der Rev. Charles Wh. Gilkey von Hyde Park Baptist Church in Chicago, der ehemals in Deutschland Theologie studiert hat, der Barrowslecturer in Asien. Mögen die von solchen Reisen heimgebrachten Eindrücke auch nicht sehr tief sein, sie vermitteln der Heimat doch erhebliche und lebendige Anregung. Eines der geistreichsten Erzeugnisse dieser Art ist George William Knox, „The Spirit of the Orient" 2 8 ). G. W . Knox war Professor der Religionsphilosophie an Union theological Seminary in New York. Seine häufigen Reisen nach dem Orient, wo er auch 1912 in Korea starb, hatten ihn befähigt, seine systematische Religionsbetrachtung mit einer solchen Fülle von ausländischer Religionsanschauung zu versehen, wie es dem philosophischen Kopf in Europa nicht zur Verfügung steht. Ich selbst verdanke als junger Dozent seinen Vorlesungen in New York wertvollste Anregung und Blickerweiterung, die er seinen Hörern mitzuteilen wußte, ohngeachtet seiner von Harald Höffding besonders beeinflußten Philosophie. „Der Geist des Orients" ist aus Vorlesungen hervorgegangen, die er in Chautauqua, der großen Volksferienhochschule der U. S. A., hielt 2 9 ); begreiflich, daß sie sehr populär sein mußten. Aber es ist unschwer zu ermessen, welche Bedeutung das Hineintragen des Orient-Religionsgeistes in die amerikanische Volksbildung für das Äußere Missionswerk gewonnen hat. Speziell missionarisch sind die Arbeiten des Missionars Samuel M. Zwemer, der als Vertreter des Student Volunteer Movement 27

) N e w York, Scribner 1899, 258 S. ) N e w York, Thomas Y. Crowell 1906, 312 S. ) Daher wurden die Vorlesungen 1905 zuerst durch die Chautauqua Press veröffentlicht. 28

29

— 34 — im Islam wirkt. Sein Buch „The Unoccupied Mission Fields of Africa and Asia" 80 ) hat, wie die Arbeiten J . R. Motts, die Aufgabe, die Christen zum Missionsgeist und aktiven Missionarberuf zu inspirieren. Dazu treten tüchtige Werke über missionarische Theorie, Ausbildung und Apologetik. James L. Barton, jetzt ein bekannter Foreign Secretary of the American Board of Commissioners for Foreign Missions, hat durch zwei Bücher „Der Missionar und seine Kritiker" und „Menschlicher Fortschritt durch Mission" stark auf die Erziehung christlicher Kreise für den Missionsgedanken g e w i r k t " ) . Wegen ähnlicher Bedeutung sind zu erwähnen von Robert E. Speer, dem Führer des Äußeren Missionswerks der Presbyteiianerkirche, „Missionary Principles and Practice" 1902, „Missions and Modern History" 1904, „Christianity and the Nations" 1910 und ein neuestes umfangreiches Werk über „Race and Race Relations: a Christian View of Human Contacts" 1924 3 2 a ). Diese umfangreiche und zentralisierende Arbeit in Wissenschaft und Literatur der Äußeren Mission hat die Einwirkung auf die Heimat und die Ausbildung der Missionare der U. S. A. viel einheitlicher gestaltet. Zeit und Kraft wurde durch Vermeidung gleichlautender Bücher gespart, zwecklose Rivalitäten dadurch abgebrochen, daß man jede Feder an der richtigen Stelle einsetzte " ) . Wie wirksam dieses Zusammenarbeiten ist, zeigt der Bericht der Foreign Missions Conference of North America 1923. Nicht nur daß interdenominationelle Missionskonferenzen im ganzen Land veranstaltet werden. Sondern sechs Bücher sind in Jahresfrist zur Missionssache veröffentlicht worden. 36 Missionsgruppen von 18 Kirchen der U. S. A und Kanadas arbeiteten zusammen und hielten Sommerkonferenzen zur Ausbildung von Missionslehrern und Verbreitung von Missionsinteresse S3 ). 30

260 S.

) New York, Student Volunteer Movement, Y. M. C. A. P r e s s 1911;

3 1 ) I. L. Barton, „The Missionary and his critics", New York 1906. „Human Progress through Missions", New York 1912. Alle angeführten W e r k e befinden sich in Europa in der Theologischen Amerika-Bibliothek, Universität Breslau, worauf ich für gelehrte Interessenten nochmals v e r -

weise.

¡0 New York, Revell 1924, ) The Churches allied for 3 3 ) A Missionary S u r v e y of Review of Missions XII, 1923, S. 31

si

434 S. Vgl. I. R. M. 1925, S. 160. Common Tasks, S. 250—256. 1922/23, VII: „The Home B a s e . " 251 f.

Intern.

— 35 — Die politische Presse des Landes zur Teilnahme an der Mission zu gewinnen, ist schwieriger, aber bei dem Hinüberwechseln der amerikanischen Mission in die Außenpolitik viel eher möglich als in Europa " ) . Die Arbeit auf den Missionsgebieten. „Fast zwei Drittel des Erdbodens ist immer noch vorherrschend unchristlich. Es gibt 160 Millionen Menschen der nichtchristianisierten Welt, die von christlicher Missionskraft noch völlig unberührt sind. Es liegt in der Macht der Christen in den U. S. A., die Heidenlande unter das Banner des Herrn Christus zu bringen. Der Missionar ist der beste Bote der Weltbrüderlichkeit und des Weltfriedens S 5 )." Also orakelt The Interchurch World Movement in dem World Survey 1920 und beweist mit den letzten Worten, daß es ihm um friedliche pazifistische Durchdringung der politisch geschlagenen Völker zu tun ist. Daher hat sich auch der amerikanische Missionseifer in China und Indien besonders vermehrt. In Japan hoffte man nach dem großen Erdbeben 1923 Boden für christliche Eroberungen zu haben, der für die offensiv demokratischen Amerikaner in einer Monarchie immer sehr schwer zu haben ist. Aber schon hat die amerikanische Außenpolitik durch das Verbot japanischer Einwanderung in den U. S. A. 1924 ihnen diese Tür zugeschlagen. Trotz aller amerikanisch-christlichen Liebesgaben bleibt Japan heimlich schwer gekränkt, und es erscheint uns verwunderlich, daß die amerikanischen Christen sich darüber wundern 3 '). Kürzlich hat ein Amerikaner, der Sekretär der American Baptist Foreign Mission Society in Japan, Rev. Charles R. Tenney, diese üble Lage der amerikanischen Mission in Japan zugegeben und das politische Unrecht, das den Japanern angetan sei, bitter b e k l a g t " ) . An den Folgen der amerikanischen ungeschickten Politik hat das " ) Basil Mathews „Missions and the P r e s s " , Intern. Review of Missions XII. 1913, S. 389—402. 3 5 ) World Survey, Bd. II, S. 49. ®6) Vgl. Polit. Kursus in Williams College, die weltpolitische Einstellung des Japaners Yusuke Tsurumi, Christian Register, Boston 11. Sept. 1924, Vol. 103, Nr. 37, S. 888 f. , 7 j Ch. R. Tenney „The Japanese Church and American Missionaries", The Christian W o r k , 2. Aug. 1924, New York. Vol. 117, Nr. 5, S. 132 f.

— 36 — Christentum in Japan insgesamt zu tragen. Mir meldet ein Brief aus Tokyo: „Letztesmal spielten Japaner nicht mehr im Orchester in unserem deutschen Weihnachtsgottesdienst 1924 in Kobe, weil sie nach der von Amerika erfahrenen Behandlung nicht gern in eine christliche Kirche gingen" (!). 1. Die amerikanische Missionsarbeit war schon vor dem Krieg stark auf Kulturmission eingestellt: Schulen und Spitäler waren der Weg, auf dem die Ausbreitung des Christentums vor sich ging. Durch die Vereinigung der finanziellen und missionarischen Kräfte im Weltkrieg ist die Arbeit der U. S. A. rüstig vorgeschritten, während die Arbeit des christlichen Europa im Kriegshader zerfiel. Institutionen der amerikanischen Kirchen-Union und ihrer Missionskonferenz werden daher immer mehr herrschend und geben der amerikanischen Mission seit dem Weltkrieg einen neuen Charakter. Bedeutsam sind die christlichen Erziehungsanstalten für die Frauen des fernen Ostens. Von 1916 bis 1920 entstanden in Indien ein christliches Frauencollege in Madras, an dem zwölf verschiedene Missionsgruppen und Kirchen beteiligt sind, 1918 in Vellore (Indien) ein ärztliches Lehrinstitut für Frauen. China erhielt in Nanking das Qinling College für Frauen durch fünf amerikanische Frauengesellschaften. In Tokyo (Japan) wurde 1918 eine christliche Frauenuniversität von Baptisten, Methodisten, Bischöflichen, Presbyterianern, Kongregationalisten, Reformierten und Disciples eröffnet 3 S ). Sie ist wohl im Erdbeben zerstört worden. 1916 wurde die Peking Universität aus amerikanischen und englischen Mitteln der Mission wieder aufgetan. Das dortige theologische Institut begann 1916 die Arbeit, 1917 die Fakultät für Kunst und Wissenschaft. 1917 wurde die Shantung Universität in Tsinanfu erweitert eröffnet durch christliche Kirchen, 1916 bis 1918 die Fukien-Universität geschaffen. In Seoul in Korea entstand Chosen Christian College. Fast unbeachtet steht neben diesem asiatischen Missionseifer das Fourah Bay College in Sierra Leone (Afrika). Die Missionstätigkeit der U. S. A. schiebt sich in die durch den Krieg geschaffenen Lücken und schafft überall theologische Unionsinstitute in Seoul, Peking, Nanking, Canton, Tsinanfu, Foochow, Bangalore und anderen Orts 3 9 ). In China sind 50 Prozent der iS M

) Churches allied for common tasks, S. 256 f. ) a. a. 0 . S. 258.

— 37 — christlichen Studenten jetzt nicht mehr in denominationeilen, sondern in Union-Colleges. W a s in Erziehung und Religionsunterricht erreicht worden ist, ließ sich in Medizin und Naturwissenschaft noch leichter machen. Außer Vellore haben Ludihana 4 0 ) in Nordindien, Peking in China Medizinschulen unionistischer Art. Natürlich sind die Formen und Bedingungen solcher interdenominationellen Zusammenarbeit je nach Ort und Mitarbeitern sehr verschieden. Aber die Möglichkeit des christlichen Zusammenarbeitens erweist sich immer deutlicher. Seit 1916 entstand eine christliche Korporation für Erziehungswesen in China, 1917 eine Christliche Schriften-Gesellschaft. In Indien, Japan, Korea ging man ebenso mit Konzentration christlicher Propaganda durch Zeitschriften und Sonntagsschulen geschlossen vor. Auch Evangelisationen wurden zu stehenden Einrichtungen. 1917 bis 1919 hatte China jährlich solch einen Feldzug amerikanischen Missionseifers zu erdulden. Daß sich die verschiedenen Kirchengemeinden der Amerikaner lind Engländer zu nationalen Einheiten und Gemeinschaften zusammenschlössen, war nicht weiter verwunderlich. Aber überraschend war es für die amerikanische Mission, daß die christlichen Gruppen der Eingeborenen dieses Beispiel nachahmten und christliche Nationalkirchen zu bilden trachteten. In Japan erscheint von 1922 an ein National Christian Council mit einer japanischen Majorität; in China bildet sich seit Mai 1922 eine christlichchinesische Kirche mit einer Nationalkonferenz in Shanghai. J . R. Mott ist bei beiden Gründungen Gevatter gewesen, ohne daß man den Eindruck hätte, er liebte den Nationalismus anderer Völker, es sei denn den amerikanischen 4 1 ). Am wunderlichsten aber ist es in Afrika gegangen, wo durch die christliche Negermission der nordamerikanischen Südstaaten nicht nur Christentum, sondern die Idee eines panafrikanischen Volkes und Staates wachgerufen ist. Und in der von den Negern der U. S. A. geschürten panafrikanischen Bewegung spiegelt sich die gleiche unklare Mischung von Religion und Nation, die den U. S . A. eignet 4 2 ).

40)

a. a. 0 . S. 2 6 0 — 2 6 3 . Vgl. International R e v i e w of Missions. Vol. XII. 1923, S. 196, 203. * 2 ) Vgl. B o r n h a u s e n , „Missionspolitik in Afrika", Z M R . 1924, S. 119 ff. 41)

— 38 — Die enge Verflechtung von Mission und Politik hat in den amerikanischen Kirchen schon im Weltkrieg zu Überlegungen geführt, wie für die Praxis die Grenzen zwischen beiden Gebieten zu ziehen seien. Es schien klar, daß der Amerikaner als Missionar übernational sein müsse, der Missionar als Amerikaner aber national. Aus dieser fatalen Lage sucht der alte Missionstheoretiker James L. Barton einen Ausweg in „Some Missionary activities in relation to governments" 4S ). Dieser harmlose Titel deckt eine höchst komplizierte kasuistische Vereinigung von politischen und christlichen Interessen, erwachsen aus Beratungen mit einflußreichen Missionsführern der U. S. A. "). Der Missionar ist Staatsbürger, daher in China exterritorial. Soll er auf dieses schützende Vorrecht verzichten? Ja und nein. Missionswerk soll nicht durch Waffengewalt verbreitet werden, aber auch nicht durch unchristliche Gewalt gestört werden. Missionare in China haben jetzt die schöne Forderung an ihre Regierungen gestellt, daß, im Fall sie getötet oder gefangen werden, man kein Lösegeld biete, keine Strafmaßregeln ergreife und keinen Schadenersatz fordere. Dieser christliche Radikalismus erscheint Barton zu weitgehend, weil er die Sicherheit und den Besitz der Mission bedroht. Er meint, bei lokaler Untat solle der Missionar seine Regierung anrufen; in Zeiten allgemeinen Kriegs aber hilft ihm das wenig: er muß dann neutral zu bleiben suchen. Darf ein Missionar mit Waffen sein Leben verteidigen? Ja und nein! Er selbst soll keine tödlichen Waffen führen, sondern nur eine Strickgeißel (offenbar wie Jesus im Tempel). Aber seine Umgebung mag schießen. Soll der Mission von seiten der Eingeborenen Schadenersatz geleistet werden? Barton hält es für vorbildlich, daß die U. S. A. für einen getöteten Missionar im Boxeraufstand zwar Schadenersatz von China verlangten, das Geld aber zu Erziehungszwecken in China selbst verwandten. Die eingeborenen Christen bei kriegerischen Verwicklungen aufzunehmen oder ihre Habe zu schützen, wird dem Missionar abgeraten. Gewiß soll der Missionar in fremdem Land zu sittlichem Bürgersinn und Gerechtigkeit ermahnen. Aber dazu aktiv etwas tun soll er " ) Intern. R e v i e w of Missions, XIII, 1924, S. 340 ff. •*) Vgl. a. a. O. S. 47».

— 39

-

nicht. „Er predigt die Reform, aber er hat sie nicht einzurichten. Er ist Stimme in der Wüste . . ." Wahrhaftig, dieser Missionarberuf könnte einen deutschen Christen von heute nicht anziehen. Nur gut, daß Barton dem Missionar wenigstens private kaufmännische Geschäfte und Selbstbereicherung streng verbietet. Aber von dem Geist, sein Leben für die Brüder zu geben, ist in dieser Kasuistik wenig zu spüren. Es entspricht dies der Zielsetzung: „Der Missionar lebt und wirkt in hellstem Licht; sein Leben und seine Taten sollen seine Religion empfehlen, daß sie allen als gut zu glauben und angemessen zum Leben erscheine, und sehr verschieden von anderen Fremden, die keinen Altruismus zeigen" 4 5 ). Ein solcher Glaube, gut zu glauben und angemessen zum Leben, muß ja den Chinesen und Japanern schauderhaft imponieren. Mir scheint, daß diese beiden unchristlichen Völker mehr Altruismus haben, als der amerikanische Mustermissionar. In den Darlegungen Bartons spiegelt sich ab, welche Verluste der Missionsgedanke und die Missionspraxis durch den Weltkrieg und den jetzigen sogenannten Weltfrieden erlitten hat. Mission ist ein bürgerlicher Beruf geworden, der seinen Inhaber recht gut und geschmackvoll ernährt 4 6 ). Märtyrertum ist in diesen dem Pazifismus huldigenden Zeiten höchlich unbeliebt. Wenn Zwemer 1911 sein Buch widmete „To All, who dare, endure and suffer on the bordermarches of the Kingdom and enter the unoccupied territory of the King" 47 ), so dürfte die Zahl der so als morituri Gegrüßten heute nicht allzu groß sein. Die Politik hat alle Moral verdorben, und die Asiaten lächeln über den amerikanischen Missionar, der keinen Mut zur Paradoxie des Christentums mehr hat. Der christliche Missionsgedanke sollte die Politik beherrschen; niemals darf er ihr dienen. 2. Das Student Volunteer Movement unter Führung seines Missionsdiplomaten J. R. Mott hat immer sein Auge auf die Missionsfelder gerichtet, wo nicht nur christlich, sondern weltpolitisch und weltwirtschaftlich etwas zu machen war. Zahlen beweisen hier wieder. Solange Mott die Sache leitet, sind bis 1920 StudentVolunteer-Missionare ausgegangen: mehr als 2500 nach China, 1500 nach Indien, 1000 nach Japan, 800 nach Afrika, 600 nach Süd