Privatrechtliche Selbsthilfe: Rechte, Pflichten und Verantwortlichkeit bei digitalen Zugangsbeschränkungs- und Selbstdurchsetzungsbefugnissen 9783161544262, 9783161544255

Nach § 446 BGB geht mit der tatsächlichen Sachherrschaft die Gefahr der Verschlechterung oder des Untergangs der gekauft

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German Pages 504 [505] Year 2017

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Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
A. Problemstellung
I. Funktion und Bedeutung von „Selbsthilfemechanismen“ im Rechtsstaat
1. Nationale Regelungen als Kostenfaktor für grenzüberschreitende Transaktionen
2. Private Selbstregulierung als Ausweg
3. Private Rechtsdurchsetzung als Folgeproblem
4. Reaktionen des Rechts
II. Systematisierung der Selbsthilfekonstellationen
1. Anknüpfungspunkt der Selbsthilfebefugnis
2. Verhältnis von staatlicher und privater Rechtsdurchsetzung
3. Reaktion des Rechts auf Selbsthilfehandlungen
III. Der Schutzbereich von Selbsthilferechten
1. Absolute Rechte als untauglicher Anknüpfungspunkt
2. Tatsächliche Eingriffsmöglichkeiten als Anknüpfungspunkt
3. Relative Rechte als beschränkende Wertungsstufe
B. Ziel und Methodik
§ 1 Subsidiäre Selbsthilfe
A. Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von § 229 BGB
I. „Selbst“-Hilfe – Handlung im eigenen Interesse oder Ausgrenzung staatlicher Unterstützungshandlungen?
a) Gesetzliche Regelungen der Fremdhilfe
aa) Übertragung von Selbsthilfebefugnissen aufgrund von § 34a Abs. 5 GewO
bb) Rechtsdienstleistungsgesetz als Indiz für Fremdhilfeverbot?
b) Einzelfälle zulässiger Fremdhilfe
aa) Juristische Personen/Personengesellschaften
bb) Geschäftsunfähige
cc) Unterstützungshandlungen
dd) Rechtsgeschäftliche Anknüpfung?
ee) Berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag?
ff) Berücksichtigung überindividueller Aspekte – Fremdhilfe als Staatshilfe?
gg) Zwischenergebnis
c) Ökonomische Betrachtung
aa) Staatliche Anspruchssicherung und -durchsetzung
bb) Gründe für die restriktive Zulassung von Selbsthilfe
cc) Besonderheiten der Fremdhilfe
d) Maßgeblichkeit des Willens des Anspruchsinhabers
aa) Abgrenzung von verwandten Konstruktionen
(1) Nicht: Verzicht und ähnliche Konstellationen
(2) Nicht: Fremdhilfewille und Motiv
(3) Nicht: Analogie zu § 683 S. 1 BGB
(4) Nicht: Einwilligung
(5) Beispiel
bb) Dem Fremdhelfer bekannter Wille
cc) Nicht erklärter Wille
dd) Erklärter, aber dem Fremdhelfer nicht bekannter bzw. missverstandener Wille
(1) Vergleichbare Problematik in verwandten Konstellationen
(2) Objektiver Sorgfaltsmaßstab
(3) Bedenken gegen eine Anknüpfung an den objektiv erkennbaren Willen
(a) Unterlaufen der Haftung nach § 231 BGB
(b) Ungleichbehandlung zu Fällen unerkennbaren Anspruchsuntergangs
e) Ergebnis
II. Selbst-„Hilfe“ – Abwendung von Gefahren für die Verwirklichung eines Anspruchs als Zweck
1. Die „Verwirklichung“ eines Anspruchs
a) Verwirklichung des Anspruchs im Wege der freiwilligen Erfüllung durch den Schuldner
aa) Bedrohungen durch äußere Einflüsse
bb) Bedrohungen durch Dritte
b) Gefährdung der staatlichen Durchsetzung gegen den Willen des Schuldners
c) Verwirklichung des Anspruchs durch den Gläubiger selbst („Selbsterfüllung“)
aa) Befriedigung von Zahlungsansprüchen im Wege der Aufrechnung
bb) Befriedigung von Gattungsschulden durch Deckungs-geschäfte; Selbstvornahme von geschuldeten Handlungen und Vornahme solcher Handlungen durch Dritte
2. Der zu verwirklichende „Anspruch“
a) Potentielle prozessuale Durchsetzbarkeit als Einschränkung
b) Berücksichtigung von Einreden, insbesondere Verjährung; Anfechtbarkeit und Widerrufsrechte
c) Unterlassungsansprüche aus absoluten Rechten
3. „Gefährdung“ der Verwirklichung eines Anspruchs
a) Gefährdungslage
b) Prognoserisiko
III. Das Handeln „zum Zwecke“ der Selbsthilfe – der Selbsthilfewille
1. Subjektive Anknüpfung?
a) Objektive Anknüpfung als Konsequenz des zivilrechtlichen Haftungssystems?
b) Grenzen des Schutzes relativer Rechte
c) Unbestimmtheit des objektiven Zwecks
d) Fahrlässige Selbsthilfe
2. Anforderungen
a) Wille zur Sicherung eines Anspruchs
b) Unterordnung unter staatliche Durchsetzung?
c) Tatsachenkenntnis
d) Fremdhilfe
3. Natürlicher Wille
IV. Subsidiarität
1. Nichtverfügbarkeit obrigkeitlicher Hilfe
a) Abgrenzung zur Erforderlichkeit; Verweis auf Sekundäransprüche
b) Scheitern obrigkeitlicher Hilfe
c) Unzumutbarkeit obrigkeitlicher Hilfe?
2. Erfordernis „sofortigen“ Tätigwerdens
3. Erforderlichkeit der Handlung
a) Auswahl des Objekts der Selbsthilfe
b) Vorläufigkeit
c) Befriedigungsselbsthilfe
V. Weitere Beschränkungen der Selbsthilfe
1. Zulässige Selbsthilfehandlungen
a) „Numerus Clausus“ des § 229 BGB?
b) Einwirkung auf relative Rechte
c) Handlungen in Bezug auf sonstige Rechte und Rechtsgüter
aa) Einstellung von Leistungen als verbotene Eigenmacht?
bb) Eingriffe in elektronisch gespeicherte Informationen (Daten)
cc) Eingriffe in Immaterialgüterrechte
(1) Zwangslizenzeinwand im Patentverletzungsverfahren
(2) Eingriff in Urheberrechte
dd) Psychischer Zwang
(1) Reputationsschädigende Verhaltensweisen („Anprangern“)
(2) Drohung mit der Einleitung staatlicher Maßnahmen
(3) Verhältnis der Drohung zur Umsetzung von Zwangsmaßnahmen
2. Übertragung der Schranken staatlicher Rechtsdurchsetzung?
a) Güterabwägung (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne)
b) Pfändungsverbote
c) Einwirkung auf schuldnerfremde Sachen
aa) Keine Analogie zu § 808 ZPO
bb) Verlust des unmittelbaren Besitzes als Eingriff in Rechte des Drittberechtigten
cc) Ausnahmsweise Duldungspflichten
d) Sicherung/Erfüllung von Auskunftsansprüchen
e) Räumung von Wohnungen
B. Kostenerstattung für Selbsthilfemaßnahmen
I. Schadensersatzanspruch
1. Verzögerungsschaden (§§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB)
2. Analogie zu § 231 BGB?
II. Geschäftsführung ohne Auftrag?
III. Nichtleistungskondiktion – Ersatz ersparter Aufwendungen; insbesondere Erfüllung durch den Gläubiger selbst („Selbstvornahme“)
IV. Analogie zu prozessualen Kostenerstattungsansprüchen?
V. Anspruch sui generis
VI. Ergebnis
C. Haftung bei Überschreitung der Befugnisse und irrtümlicher Selbsthilfe
I. Rechtsgrund
II. Rechtsnatur
1. Anwendbarkeit auf Notwehr (§ 227 BGB)
2. Anwendbarkeit auf Aggressivnotstand (§ 904 S. 2 BGB)
3. Verfassungsrechtliche Grenzen
III. Tatbestand
1. Selbsthilfehandlung, insb. Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts
2. Rechtswidrigkeit
a) Fehlen einer Selbsthilfelage
b) Unzulässige Selbsthilfehandlung
c) Berücksichtigung anderer Rechtfertigungsgründe
3. Verschulden
a) Unbeachtlichkeit von Irrtümern auf Rechtswidrigkeitsebene
b) Haftung Deliktsunfähiger?
IV. Rechtsfolge
1. Anwendbarkeit des allgemeinen Schadensrechts
2. Haftungsausfüllende Kausalität
3. Mitverschulden
V. Verhaltenssteuernde Wirkung
1. Interessenabwägung
2. Fehlende Abschreckung bei Fehlen eines Schadens
3. Risiko von Gegenwehr, möglicherweise fehlende Ersatzpflicht für erlittene Schäden
4. Auswirkungen auf Fremdhelfer
D. Subsidiarität als Erfordernis jeglicher privaten Eingriffsbefugnis?
I. Fehlende Subsidiarität bei leichter Kompensation und hohem Administrativaufwand
II. Private Pfandrechte als Ausnahme?
III. Subsidiarität bei Notwehr und Notstand (sowie Besitzwehr und Besitzkehr)
1. Subsidiarität als Teil geschriebener Tatbestandsmerkmale
a) Zeitliche Grenzen
b) Erforderlichkeit
2. Subsidiarität aufgrund eines Über-/Unterordnungsverhältnisses des Rechtfertigungsgründe?
a) § 229 BGB als Grundtatbestand der Rechtfertigungsgründe?
b) Widersprüchliches Verhalten als gemeinsamer Ansatzpunkt?
3. Subsidiarität als allgemeiner (ungeschriebener) Grundsatz?
IV. Ergebnis
E. Zusammenfassung
§ 2 Alternative Selbsthilfe
A. Schutz von Geheimnissen
I. Rechtlicher Rahmen
1. Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen
2. Schutz von Privatgeheimnissen
a) Regelungen zum Geheimnisschutz
b) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die „Sphärentheorie“
c) Abgrenzung der beiden Schutzmechanismen
aa) Historischer und rechtssystematischer Hintergrund
(1) Schutz gegen den Staat und Schutz gegenüber Privaten
(2) Grenzen des Schutzes und Disponibilität
(3) Die Geheimsphäre als Kernbereich des Selbstdaten-schutzes
bb) Ökonomischer Hintergrund
cc) Schutz öffentlicher Informationen?
(1) Das Recht am eigenen Bild
(2) Google StreetView
(a) Recht am eigenen Bild
(b) Schutz der abgebildeten Gebäude, Fahrzeuge und sonstiger Sachen?
(c) Wertung der urheberrechtlichen Panoramafreiheit
(d) Eigentumsrechte, „Eigentümerpersönlichkeitsrecht“
(e) Datenschutz
(f) Ergebnis
(3) Beschäftigtendatenschutz und soziale Netzwerke
3. Einheitlicher Geheimnisbegriff
II. Geheimnisschutz als Selbsthilfe
1. Das „Geheimnis“ als Gegenstand des Schutzes
a) Unternehmensbezug und wirtschaftlicher Wert
b) Fehlende Offenkundigkeit
c) Geheimhaltungsbemühungen und Geheimhaltungsinteresse
aa) Unter- statt Übermaßgebot
(1) Schutzbemühungen in Bezug auf Geheimnisträger
(2) Schutzbemühungen gegenüber Verhalten Dritter
(3) Überwindungsaufwand als Maßstab
bb) Sonderbehandlung in staatlichen Verfahren
2. Schutzumfang des Geheimnisschutzes
a) Ökonomische Betrachtung
b) Verbotene und erlaubte Erlangung des Geheimnisses
c) Insbesondere: Reverse Engineering
aa) Unterschiedliche Beurteilung in Deutschland und den USA
bb) Sonderregelungen als Indiz?
cc) Ökonomische Aspekte
dd) Wettbewerb als Schutzziel
d) Insbesondere: Nachvertragliche Geheimhaltungspflicht und Wettbewerbsverbote
III. Rechtsnatur des Geheimnisschutzes
1. Verhältnis zu den Immaterialgüterrechten
a) Grundzüge
aa) Google-Suchalgorithmus
bb) Coca Cola und ähnliche Geheimrezepte im Nahrungs-/ Getränkebereich
cc) Schnittstelleninformationen im Softwarebereich
b) Vorzüge des Patentschutzes als staatliche Schutzalternative
c) Vorzüge des Geheimnisschutzes als private Schutzalternative
2. Übergang vom Geheimnis- zum Patentschutz
3. Sonderbehandlung patentfähiger Geschäftsgeheimnisse?
4. Geschäftsgeheimnisse als staatlich absolut zu schützendes Rechtsgut?
a) Das Geheimnis als Vermögensgegenstand
b) Zuordnung
c) Ausschlussrecht?
IV. Zwischenergebnis
B. Rechtsmissbrauch und rechtsfreie Räume
I. Rechtsfreie Räume und staatliche Zurückhaltung
II. Rechtsmissbrauch und Rechtsschutzverweigerung
III. Ökonomische Betrachtung
C. Defensive Selbsthilfe und Erfüllung ohne Eingriff
I. Eingriffslose Befriedigung des Gläubigerinteresses
1. Freiwillige Erfüllung durch den Schuldner
2. Schutzmaßnahmen des Gläubigers ohne Drittwirkung
3. Abgrenzung von Rechtssphären
II. Staatlicher und privater Rechtsschutz
1. Materiellrechtliche Aspekte
2. Prozessrechtliche Aspekte
III. Selbstdurchsetzung im Internet
D. Zusammenfassung
§ 3 Kumulative Selbsthilfe
A. Einwilligung, mutmaßliche Einwilligung und Geschäftsführung ohne Auftrag
I. Gegenüberstellung zu § 229 BGB als Ausgangspunkt
1. Erweiterung der Selbsthilfevoraussetzungen zugunsten des Gläubigers
a) Vorweggenommene Einwilligung und verbotene Eigenmacht (§ 858 BGB)
b) Unwirksamkeit von Selbsthilfe erweiternden Klauseln
c) Haftung für Maßnahmen aufgrund unwirksamer vertraglicher Selbsthilferegelungen
d) Konsequenzen und Grenzen
2. Erweiterung der zulässigen Folgen der Selbsthilfe zugunsten des Gläubigers
3. Beschränkung der Selbsthilfebefugnisse gegenüber § 229 BGB
II. Die Einwilligung im Allgemeinen
1. Einwilligungsfähige Rechtsgüter
2. Einwilligungserklärung
3. Widerruflichkeit
III. Verwandte Konstellationen
1. Handeln auf eigene Gefahr, Mitverschulden (§ 254 BGB)
2. Berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677, 683 BGB) als subsidiäre Selbsthilfe
B. Notwehr, Besitzwehr und Besitzkehr
I. Allgemeines
1. Handlungen Dritter
a) Nothilfe
b) Besitzschutz
2. Endgültige Folgen der Notwehrhandlung
3. Schranken
II. Die geschützten Angriffsziele
1. Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit
2. Verkörperte Vermögenswerte und tatsächliche Sachherrschaft
a) Eigentum und berechtigter Besitz
b) Der Schutz des nicht berechtigten Besitzers
aa) Friedensfunktion des Besitzes
bb) Kollision von Eigentums- und Besitzschutz
cc) Befriedungsfunktion und vernetzte Produkte
(1) Anfängliche und nachträgliche faktische Nutzungsbeschränkungen
(2) Externe Dienstleistungen
(3) Besitz- und Eigentumsschutz bei Produkten mit Hintertür
(4) Software as a Service; automatische Sperrfunktionalität
c) Das Hausrecht
aa) Hausverbote und ihre Schranken
(1) Grundsätzlich unbeschränktes Ausschließungsrecht
(2) Grundrechtsrelevanter Zugang bei „öffentlichen Räumen“
(3) Vertragsbindung und widersprüchliches Verhalten
bb) Besitzschutz und Durchsetzung unwirksamer Hausverbote
3. Ehre, Persönlichkeitsrechte und verwandte Rechtsgüter
C. Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft
I. Der Ausgleich zwischen Sachenrecht und Immaterialgüterrecht
1. Totalität des Eigentums und Vielfalt der Immaterialgüterrechte
a) Vervielfältigung, öffentliche Wiedergabe und andere Nutzungsbeschränkungen
b) Das Verbreitungsrecht als Einschränkung der Verfügungsbefugnis
2. Wiederherstellung der Verkehrsfähigkeit durch Erschöpfung
a) Rechtfertigung des Erschöpfungsgrundsatzes
b) Umfang der Erschöpfung
aa) Drittwirkung von Beschränkungen
(1) Beschränkungen gegenüber dem Ersterwerber und deren Drittwirkung
(2) Verbreitungsrecht und Veröffentlichungsrecht (§ 12 UrhG)
bb) Räumliche Reichweite der Erschöpfung
(1) Gemeinschaftsweite Erschöpfung
(2) Internationale Erschöpfung und die Begründung des US Supreme Court
(3) Örtliche Beschränkungen bei der Erstveräußerung
cc) Inhaltliche Beschränkungen des Erschöpfungsrechts
(1) Beschränkte Drittwirkung
(2) Auf bestimmten Zweck beschränkte Veräußerung
c) Erschöpfung im digitalen Umfeld; notwendige Vervielfältigungen
3. Unterlizenzen
II. Technische Schutzmaßnahmen und die Verdinglichung von Schutzrechten
1. Zugangskontrolldiensteschutzgesetz und §§ 95a ff. UrhG
a) Schutz technischer Maßnahmen vor Umgehung (§ 95a Abs. 1 UrhG)
aa) Akzessorietät zum urheberrechtlichen Schutz
(1) Reichweite des zulässigen technischen Schutzes
(2) Nutzung tatsächlicher Schutztechnologien zugunsten rechtlich ungeschützter Inhalte
bb) „Umgehung“ als verbotene Verhaltensweise
cc) Verhältnis zum Softwareschutz (§ 69 Abs. 5 UrhG)
b) Vorfeldschutz
aa) Verbot bestimmter Vorbereitungshandlungen (§ 95a Abs. 3 UrhG)
(1) Akzessorietät zur Umgehung
(2) Dual Use
bb) Mittel zur Umgehung technischer Programmschutz-mechanismen (§ 69f Abs. 2 UrhG)
c) Flankenschutz für Zugangskontrollen (§ 3 ZKDSG)
aa) Schutzumfang und Wirkung
bb) Verhältnis zum urheberrechtliche Schutz sowie zu § 95a UrhG
cc) Bewertung
2. §§ 202a-202c StGB
a) Strafbewährter Schutz vor Umgehung (§ 202a StGB)
aa) Vom Schutz der Daten zum Schutz des Zugangshindernisses
bb) Die „besondere“ Sicherung
cc) Der geschützte Rechtsgutsträger
dd) Zwischenergebnis
b) Schutz von „nichtöffentlichen“ Datenübermittlungen (§ 202b StGB)
c) Strafbarkeit von Vorfeldmaßnahmen (§ 202c StGB)
aa) Allgemeine Voraussetzungen
bb) Noch einmal: Dual Use
cc) Bewertung
3. Korrekturmöglichkeiten
a) Vorfeldschutz als Durchsetzungsinstrument
b) Begrenzte Zulassung von Umgehungsmitteln
c) Wettbewerbsrechtliche Erwägungen
d) Ergebnis
III. Fehlende Konsequenzen im Schuld- und Sachenrecht
1. Tatsächliche Sachherrschaft
2. Übereignung
3. Gefahrübergang und Verjährung
D. Zusammenfassung
Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Stichwortverzeichnis
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JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 220

Michael Beurskens

Privatrechtliche Selbsthilfe Rechte, Pflichten und Verantwortlichkeit bei digitalen Zugangsbeschränkungs- und Selbstdurchsetzungsbefugnissen

Mohr Siebeck

Michael Beurskens, geboren 1977; Studium der Rechtswissenschaften in Düsseldorf; 2004 LL.M. (Gew. Rechtsschutz/Düsseldorf); 2005 LL.M. (University of Chicago) und Attorney at Law (New York); 2007 Promotion; 2013 Habilitation; derzeit Professor für Bürgerliches Recht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität Bonn.

e-ISBN PDF 978-3-16-154426-2 ISBN 978-3-16-154425-5 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Über­setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen gesetzt, auf alterungsbeständiges Werk­druck­ papier gedruckt und gebunden.

Vorwort Selbsthilfe wird nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland, oft als überwundenes Relikt der Vergangenheit erachtet: Gewalt ist keine Konfliktlösung, sondern wird vielmehr als Ursache für weitere Exzesse eingestuft. In dieser Arbeit wird aufgezeigt, dass im Schatten der technischen Entwicklung die Rechtsdurchsetzung ohne staatliche Hilfe von der unerwünschten Ausnahme zum Regelfall zu werden droht – und untersucht, inwieweit Abwehrmaßnahmen hiergegen möglich und zulässig sind. Hierzu wird exemplarisch etwa auf technische Schutzmaßnahmen iSd Urheberrechts, den Schutz von Geschäftsgeheimnissen und den v. a. strafrechtlichen Schutz von Daten Bezug genommen. Die Arbeit wurde im Jahr 2013 von der Juristischen Fakultät der HeinrichHeine-Universität Düsseldorf als Habilitationsschrift angenommen. Die ursprüngliche Manuskriptfassung wurde vor allem im Hinblick auf die zitierte Literatur und Rechtsprechung punktuell aktualisiert; eine umfassende Berücksichtigung des neueren Schrifttums in diesem hochaktuellen Gebiet war jedoch nicht möglich. Mein Dank gilt insoweit zunächst Prof. Dr. Ulrich Noack, bei dem ich im Jahr 1997 meine akademische Laufbahn als studentische Hilfskraft begonnen habe und später als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Akademischer Rat fortsetzte. Er hat mich durch seine Aufgeschlossenheit gegenüber innovativen Projekten und viel­ fältige Unterstützung auf meinem Weg begleitet. In gleicher Weise möchte ich auch Prof. Jan Busche danken, der mich für das Gebiet des Geistigen Eigentums und des Wettbewerbsrechts begeistert hat, das in diesem Werk einen erheblichen Stellenwert einnimmt. Beiden danke ich zudem für die zügige Erstellung der Gutachten. In besonderer Weise möchte ich meinem Vater, Heinz-Peter Beurskens, und meiner Verlobten, Désirée Roskothen, danken. Sie haben nicht nur mit meiner h ­ äufigen Beschäftigung mit dieser Arbeit leben müssen, sondern auch ihre Erstellung durch Korrekturlesen des Manuskripts und Kritik begleitet. Die dennoch verbleibenden Fehler, Ungenauigkeiten und offenen Fragen liegen allein in meiner Verantwortung. Großer Dank gebührt auch Dr. Niclas Börgers, der sich kritisch mit vielen meiner Ansichten, insbesondere im Bereich des Computerstrafrechts und zu der strafrechtlichen Rechtfertigung, auseinandergesetzt hat. Danken möchte ich zudem Dr. Dominik Pietzarka und Dr. Patrick Mainka, welche mich insbesondere im Zusammenhang mit der Veröffentlichung und der Aktualisierung der Manuskriptfassung viel-

VI

Vorwort

fältig unterstützt haben. Zudem haben Marvin Klein und Vivien Eggert mich dankenswerterweise bei der Einarbeitung von Neuauflagen unterstützt. Schließlich danke ich dem Mohr Siebeck Verlag für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe Jus Privatum und die gelungene Betreuung sowie Geduld bei der Erstellung der vorliegenden Druckfassung. Bonn, im Jahr 2017

Michael Beurskens

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Funktion und Bedeutung von „Selbsthilfemechanismen“ im Rechtsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nationale Regelungen als Kostenfaktor für grenzüberschreitende Transaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Private Selbstregulierung als Ausweg . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Private Rechtsdurchsetzung als Folgeproblem . . . . . . . . . . . . 4. Reaktionen des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Systematisierung der Selbsthilfekonstellationen . . . . . . . . . . . . . 1. Anknüpfungspunkt der Selbsthilfebefugnis . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnis von staatlicher und privater Rechtsdurchsetzung . . . . 3. Reaktion des Rechts auf Selbsthilfehandlungen . . . . . . . . . . . III. Der Schutzbereich von Selbsthilferechten . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Absolute Rechte als untauglicher Anknüpfungspunkt . . . . . . . . 2. Tatsächliche Eingriffsmöglichkeiten als Anknüpfungspunkt . . . . 3. Relative Rechte als beschränkende Wertungsstufe . . . . . . . . . .

4 5 5 6 8 11 16 17 18 20 22 23 24 25

B. Ziel und Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

§  1  Subsidiäre Selbsthilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 A. Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB . . . . . . . . . . . . . . . 30 I. „Selbst“-Hilfe – Handlung im eigenen Interesse oder Ausgrenzung staatlicher Unterstützungshandlungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 a) Gesetzliche Regelungen der Fremdhilfe . . . . . . . . . . . . . . 36 aa) Übertragung von Selbsthilfebefugnissen aufgrund von §  34a Abs.  5 GewO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 bb) Rechtsdienstleistungsgesetz als Indiz für Fremdhilfeverbot? 38 b) Einzelfälle zulässiger Fremdhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 aa) Juristische Personen/Personengesellschaften . . . . . . . . . 40 bb) Geschäftsunfähige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

VIII

Inhaltsverzeichnis

cc) Unterstützungshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Rechtsgeschäftliche Anknüpfung? . . . . . . . . . . . . . . . ee) Berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag? . . . . . . . . . ff) Berücksichtigung überindividueller Aspekte – Fremdhilfe als Staatshilfe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ökonomische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Staatliche Anspruchssicherung und -durchsetzung . . . . . bb) Gründe für die restriktive Zulassung von Selbsthilfe . . . . cc) Besonderheiten der Fremdhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Maßgeblichkeit des Willens des Anspruchsinhabers . . . . . . . aa) Abgrenzung von verwandten Konstruktionen . . . . . . . . (1) Nicht: Verzicht und ähnliche Konstellationen . . . . . . (2) Nicht: Fremdhilfewille und Motiv . . . . . . . . . . . . . (3) Nicht: Analogie zu §  683 S.  1 BGB . . . . . . . . . . . . . (4) Nicht: Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Dem Fremdhelfer bekannter Wille . . . . . . . . . . . . . . . cc) Nicht erklärter Wille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Erklärter, aber dem Fremdhelfer nicht bekannter bzw. missverstandener Wille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vergleichbare Problematik in verwandten Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Objektiver Sorgfaltsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Bedenken gegen eine Anknüpfung an den objektiv erkennbaren Willen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Unterlaufen der Haftung nach §  231 BGB . . . . . . (b) Ungleichbehandlung zu Fällen unerkennbaren Anspruchsuntergangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Selbst-„Hilfe“ – Abwendung von Gefahren für die Verwirklichung eines Anspruchs als Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die „Verwirklichung“ eines Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verwirklichung des Anspruchs im Wege der freiwilligen Erfüllung durch den Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bedrohungen durch äußere Einflüsse . . . . . . . . . . . . . bb) Bedrohungen durch Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gefährdung der staatlichen Durchsetzung gegen den Willen des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verwirklichung des Anspruchs durch den Gläubiger selbst („Selbsterfüllung“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41 42 45 46 48 49 49 51 53 56 57 57 58 58 60 61 62 63 65 65 69 70 70 72 74 75 76 76 77 78 79 80

Inhaltsverzeichnis

aa) Befriedigung von Zahlungsansprüchen im Wege der Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Befriedigung von Gattungsschulden durch Deckungsgeschäfte; Selbstvornahme von geschuldeten Handlungen und Vornahme solcher Handlungen durch Dritte . . . . . . 2. Der zu verwirklichende „Anspruch“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Potentielle prozessuale Durchsetzbarkeit als Einschränkung . . b) Berücksichtigung von Einreden, insbesondere Verjährung; Anfechtbarkeit und Widerrufsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unterlassungsansprüche aus absoluten Rechten . . . . . . . . . 3. „Gefährdung“ der Verwirklichung eines Anspruchs . . . . . . . . . a) Gefährdungslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prognoserisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Handeln „zum Zwecke“ der Selbsthilfe – der Selbsthilfewille . . . 1. Subjektive Anknüpfung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Objektive Anknüpfung als Konsequenz des zivilrechtlichen Haftungssystems? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grenzen des Schutzes relativer Rechte . . . . . . . . . . . . . . . c) Unbestimmtheit des objektiven Zwecks . . . . . . . . . . . . . . d) Fahrlässige Selbsthilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wille zur Sicherung eines Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterordnung unter staatliche Durchsetzung? . . . . . . . . . . c) Tatsachenkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fremdhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Natürlicher Wille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nichtverfügbarkeit obrigkeitlicher Hilfe . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abgrenzung zur Erforderlichkeit; Verweis auf Sekundäransprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Scheitern obrigkeitlicher Hilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unzumutbarkeit obrigkeitlicher Hilfe? . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erfordernis „sofortigen“ Tätigwerdens . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erforderlichkeit der Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auswahl des Objekts der Selbsthilfe . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorläufigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Befriedigungsselbsthilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Weitere Beschränkungen der Selbsthilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zulässige Selbsthilfehandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Numerus Clausus“ des §  229 BGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einwirkung auf relative Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Handlungen in Bezug auf sonstige Rechte und Rechtsgüter . . .

IX 81

82 83 84 87 88 90 90 92 93 94 95 97 97 98 101 101 103 104 106 107 108 109 109 111 112 113 114 115 116 118 119 120 120 122 125

X

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aa) Einstellung von Leistungen als verbotene Eigenmacht? . . . bb) Eingriffe in elektronisch gespeicherte Informationen (Daten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Eingriffe in Immaterialgüterrechte . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zwangslizenzeinwand im Patentverletzungsverfahren . (2) Eingriff in Urheberrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Psychischer Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Reputationsschädigende Verhaltensweisen („Anprangern“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Drohung mit der Einleitung staatlicher Maßnahmen . . (3) Verhältnis der Drohung zur Umsetzung von Zwangsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übertragung der Schranken staatlicher Rechtsdurchsetzung? . . . a) Güterabwägung (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) . . . . b) Pfändungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einwirkung auf schuldnerfremde Sachen . . . . . . . . . . . . . aa) Keine Analogie zu §  808 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verlust des unmittelbaren Besitzes als Eingriff in Rechte des Drittberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ausnahmsweise Duldungspflichten . . . . . . . . . . . . . . d) Sicherung/Erfüllung von Auskunftsansprüchen . . . . . . . . . e) Räumung von Wohnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125 128 131 131 133 135 136 138 140 140 142 145 146 146 147 147 149 150

B. Kostenerstattung für Selbsthilfemaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schadensersatzanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verzögerungsschaden (§§  280 Abs.  1, Abs.  2, 286 BGB) . . . . . . . 2. Analogie zu §  231 BGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Geschäftsführung ohne Auftrag? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Nichtleistungskondiktion – Ersatz ersparter Aufwendungen; insbesondere Erfüllung durch den Gläubiger selbst („Selbstvornahme“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Analogie zu prozessualen Kostenerstattungsansprüchen? . . . . . . . V. Anspruch sui generis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

150 152 152 154 155

157 162 162 163

C. Haftung bei Überschreitung der Befugnisse und irrtümlicher Selbsthilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendbarkeit auf Notwehr (§  227 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendbarkeit auf Aggressivnotstand (§  904 S.  2 BGB) . . . . . . . 3. Verfassungsrechtliche Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

164 164 166 167 168 169 170

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1. Selbsthilfehandlung, insb. Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fehlen einer Selbsthilfelage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unzulässige Selbsthilfehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Berücksichtigung anderer Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . 3. Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unbeachtlichkeit von Irrtümern auf Rechtswidrigkeitsebene . . b) Haftung Deliktsunfähiger? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendbarkeit des allgemeinen Schadensrechts . . . . . . . . . . . 2. Haftungsausfüllende Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mitverschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Verhaltenssteuernde Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fehlende Abschreckung bei Fehlen eines Schadens . . . . . . . . . 3. Risiko von Gegenwehr, möglicherweise fehlende Ersatzpflicht für erlittene Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Auswirkungen auf Fremdhelfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Subsidiarität als Erfordernis jeglicher privaten Eingriffsbefugnis? . . . . . I. Fehlende Subsidiarität bei leichter Kompensation und hohem Administrativaufwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Private Pfandrechte als Ausnahme? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Subsidiarität bei Notwehr und Notstand (sowie Besitzwehr und Besitzkehr) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Subsidiarität als Teil geschriebener Tatbestandsmerkmale . . . . . a) Zeitliche Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Subsidiarität aufgrund eines Über-/Unterordnungsverhältnisses des Rechtfertigungsgründe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) §  229 BGB als Grundtatbestand der Rechtfertigungsgründe? . . b) Widersprüchliches Verhalten als gemeinsamer Ansatzpunkt? . 3. Subsidiarität als allgemeiner (ungeschriebener) Grundsatz? . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XI 171 174 174 175 178 179 180 181 182 183 184 185 185 186 187 187 188 189 189 190 191 191 192 192 193 193 194 196 197

E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

§  2  Alternative Selbsthilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 A. Schutz von Geheimnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 I. Rechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 1. Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen . . . . . . . . . . 204

XII

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2. Schutz von Privatgeheimnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Regelungen zum Geheimnisschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die „Sphärentheorie“ c) Abgrenzung der beiden Schutzmechanismen . . . . . . . . . . . aa) Historischer und rechtssystematischer Hintergrund . . . . . (1) Schutz gegen den Staat und Schutz gegenüber Privaten . (2) Grenzen des Schutzes und Disponibilität . . . . . . . . . (3) Die Geheimsphäre als Kernbereich des Selbstdatenschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ökonomischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Schutz öffentlicher Informationen? . . . . . . . . . . . . . . . (1) Das Recht am eigenen Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Google StreetView . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Recht am eigenen Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Schutz der abgebildeten Gebäude, Fahrzeuge und sonstiger Sachen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Wertung der urheberrechtlichen Panoramafreiheit . (d) Eigentumsrechte, „Eigentümerpersönlichkeitsrecht“ (e) Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (f) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Beschäftigtendatenschutz und soziale Netzwerke . . . . 3. Einheitlicher Geheimnisbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Geheimnisschutz als Selbsthilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das „Geheimnis“ als Gegenstand des Schutzes . . . . . . . . . . . . a) Unternehmensbezug und wirtschaftlicher Wert . . . . . . . . . b) Fehlende Offenkundigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Geheimhaltungsbemühungen und Geheimhaltungsinteresse . aa) Unter- statt Übermaßgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Schutzbemühungen in Bezug auf Geheimnisträger . . . (2) Schutzbemühungen gegenüber Verhalten Dritter . . . . (3) Überwindungsaufwand als Maßstab . . . . . . . . . . . bb) Sonderbehandlung in staatlichen Verfahren . . . . . . . . . 2. Schutzumfang des Geheimnisschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ökonomische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verbotene und erlaubte Erlangung des Geheimnisses . . . . . . c) Insbesondere: Reverse Engineering . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unterschiedliche Beurteilung in Deutschland und den USA bb) Sonderregelungen als Indiz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ökonomische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Wettbewerb als Schutzziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Insbesondere: Nachvertragliche Geheimhaltungspflicht und Wettbewerbsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

208 208 210 211 212 212 214 216 220 222 223 227 228 229 230 231 233 234 235 236 236 237 239 240 243 243 244 245 246 247 248 250 254 256 256 257 258 259 260

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III. Rechtsnatur des Geheimnisschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verhältnis zu den Immaterialgüterrechten . . . . . . . . . . . . . . a) Grundzüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Google-Suchalgorithmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Coca Cola und ähnliche Geheimrezepte im Nahrungs-/ Getränkebereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Schnittstelleninformationen im Softwarebereich . . . . . . . b) Vorzüge des Patentschutzes als staatliche Schutzalternative . . . c) Vorzüge des Geheimnisschutzes als private Schutzalternative . 2. Übergang vom Geheimnis- zum Patentschutz . . . . . . . . . . . . 3. Sonderbehandlung patentfähiger Geschäftsgeheimnisse? . . . . . . 4. Geschäftsgeheimnisse als staatlich absolut zu schützendes Rechtsgut? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Geheimnis als Vermögensgegenstand . . . . . . . . . . . . . b) Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausschlussrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

261 262 263 263

274 275 276 276 278

B. Rechtsmissbrauch und rechtsfreie Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsfreie Räume und staatliche Zurückhaltung . . . . . . . . . . . . II. Rechtsmissbrauch und Rechtsschutzverweigerung . . . . . . . . . . . III. Ökonomische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

279 279 280 282

C. Defensive Selbsthilfe und Erfüllung ohne Eingriff . . . . . . . . . . . . . . I. Eingriffslose Befriedigung des Gläubigerinteresses . . . . . . . . . . . 1. Freiwillige Erfüllung durch den Schuldner . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutzmaßnahmen des Gläubigers ohne Drittwirkung . . . . . . . 3. Abgrenzung von Rechtssphären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Staatlicher und privater Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Materiellrechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prozessrechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Selbstdurchsetzung im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

283 284 284 285 286 287 287 289 290

265 266 267 269 271 273

D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293

§  3  Kumulative Selbsthilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 A. Einwilligung, mutmaßliche Einwilligung und Geschäftsführung ohne Auftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gegenüberstellung zu §  229 BGB als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . 1. Erweiterung der Selbsthilfevoraussetzungen zugunsten des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorweggenommene Einwilligung und verbotene Eigenmacht (§  858 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

297 298 300 301

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b) Unwirksamkeit von Selbsthilfe erweiternden Klauseln . . . . . c) Haftung für Maßnahmen aufgrund unwirksamer vertraglicher Selbsthilferegelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Konsequenzen und Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erweiterung der zulässigen Folgen der Selbsthilfe zugunsten des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beschränkung der Selbsthilfebefugnisse gegenüber §  229 BGB . . II. Die Einwilligung im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einwilligungsfähige Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einwilligungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Widerruflichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verwandte Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Handeln auf eigene Gefahr, Mitverschulden (§  254 BGB) . . . . . . 2. Berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag (§§  677, 683 BGB) als subsidiäre Selbsthilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Notwehr, Besitzwehr und Besitzkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Handlungen Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nothilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besitzschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Endgültige Folgen der Notwehrhandlung . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die geschützten Angriffsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verkörperte Vermögenswerte und tatsächliche Sachherrschaft . . a) Eigentum und berechtigter Besitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Schutz des nicht berechtigten Besitzers . . . . . . . . . . . . aa) Friedensfunktion des Besitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kollision von Eigentums- und Besitzschutz . . . . . . . . . . cc) Befriedungsfunktion und vernetzte Produkte . . . . . . . . (1) Anfängliche und nachträgliche faktische Nutzungsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Externe Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Besitz- und Eigentumsschutz bei Produkten mit Hintertür . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Software as a Service; automatische Sperrfunktionalität c) Das Hausrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Hausverbote und ihre Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Grundsätzlich unbeschränktes Ausschließungsrecht . . (2) Grundrechtsrelevanter Zugang bei „öffentlichen Räumen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

303 307 311 314 317 318 319 320 324 326 326 327 329 330 331 331 332 335 336 338 339 340 340 341 342 343 345 345 346 348 351 352 353 353 353

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(3) Vertragsbindung und widersprüchliches Verhalten . . . 355 bb) Besitzschutz und Durchsetzung unwirksamer Hausverbote 356 3. Ehre, Persönlichkeitsrechte und verwandte Rechtsgüter . . . . . . 358 C. Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Ausgleich zwischen Sachenrecht und Immaterialgüterrecht . . . 1. Totalität des Eigentums und Vielfalt der Immaterialgüterrechte . . a) Vervielfältigung, öffentliche Wiedergabe und andere Nutzungsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Verbreitungsrecht als Einschränkung der Verfügungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wiederherstellung der Verkehrsfähigkeit durch Erschöpfung . . . a) Rechtfertigung des Erschöpfungsgrundsatzes . . . . . . . . . . . b) Umfang der Erschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Drittwirkung von Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . (1) Beschränkungen gegenüber dem Ersterwerber und deren Drittwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verbreitungsrecht und Veröffentlichungsrecht (§  12 UrhG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Räumliche Reichweite der Erschöpfung . . . . . . . . . . . . (1) Gemeinschaftsweite Erschöpfung . . . . . . . . . . . . . (2) Internationale Erschöpfung und die Begründung des US Supreme Court . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Örtliche Beschränkungen bei der Erstveräußerung . . . cc) Inhaltliche Beschränkungen des Erschöpfungsrechts . . . . (1) Beschränkte Drittwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Auf bestimmten Zweck beschränkte Veräußerung . . . c) Erschöpfung im digitalen Umfeld; notwendige Vervielfältigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unterlizenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Technische Schutzmaßnahmen und die Verdinglichung von Schutzrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zugangskontrolldiensteschutzgesetz und §§  95a ff. UrhG . . . . . . a) Schutz technischer Maßnahmen vor Umgehung (§  95a Abs.  1 UrhG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Akzessorietät zum urheberrechtlichen Schutz . . . . . . . . (1) Reichweite des zulässigen technischen Schutzes . . . . . (2) Nutzung tatsächlicher Schutztechnologien zugunsten rechtlich ungeschützter Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . bb) „Umgehung“ als verbotene Verhaltensweise . . . . . . . . . . cc) Verhältnis zum Softwareschutz (§  69 Abs.  5 UrhG) . . . . . .

359 362 364 365 365 367 368 372 373 373 374 374 374 375 378 379 379 380 380 383 384 385 386 386 386 390 391 393

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b) Vorfeldschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verbot bestimmter Vorbereitungshandlungen (§  95a Abs.  3 UrhG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Akzessorietät zur Umgehung . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Dual Use . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mittel zur Umgehung technischer Programmschutzmechanismen (§  69f Abs.  2 UrhG) . . . . . . . . . . . . . . . c) Flankenschutz für Zugangskontrollen (§  3 ZKDSG) . . . . . . . aa) Schutzumfang und Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verhältnis zum urheberrechtliche Schutz sowie zu §  95a UrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. §§  202a-202c StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Strafbewährter Schutz vor Umgehung (§  202a StGB) . . . . . . . aa) Vom Schutz der Daten zum Schutz des Zugangshindernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die „besondere“ Sicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der geschützte Rechtsgutsträger . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schutz von „nichtöffentlichen“ Datenübermittlungen (§  202b StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Strafbarkeit von Vorfeldmaßnahmen (§  202c StGB) . . . . . . . aa) Allgemeine Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Noch einmal: Dual Use . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Korrekturmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorfeldschutz als Durchsetzungsinstrument . . . . . . . . . . . b) Begrenzte Zulassung von Umgehungsmitteln . . . . . . . . . . . c) Wettbewerbsrechtliche Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fehlende Konsequenzen im Schuld- und Sachenrecht . . . . . . . . . 1. Tatsächliche Sachherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übereignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gefahrübergang und Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

394 395 395 396 399 401 402 403 405 406 407 408 410 411 412 412 413 414 415 416 416 417 418 419 421 421 423 425 426

D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485

Einleitung Gegenstand dieser Arbeit ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen und in wel­ chem Umfang eine faktische Einschränkung von Rechten oder Rechtsgütern Dritter im Eigeninteresse privater Personen auch ohne Einschaltung staatlicher Stellen rechtmäßig und zweckmäßig ist. Praktische Bedeutung erlangt diese Frage durch die zunehmende technische Vernetzung von Alltagsgegenständen, die Eingriffe grenz­ überschreitend und ohne jeglichen physischen Kontakt ermöglicht.1 Dadurch erlan­ gen bislang vor allem im engen Bereich des Computer- und Internetrechts erörterte Fragestellungen Bedeutung in der allgemeinen Rechtspraxis. So ist es heute möglich, Laptops, Handys, aber auch PKW per Funksignal funktionsunfähig zu machen.2 Dies kann etwa der Rechtserhaltung des bestohlenen Eigentümers, aber auch der Wahrung markenrechtlicher Vorgaben3 oder einer vorher vereinbarten zeitlichen Nutzungsgrenze dienen. Denkbar ist aber auch die Nutzung als Mittel zur Sicherung von Forderungen, ähnlich der Parkkralle.4 Dabei sind wechselseitige Gewaltexzesse nicht zu befürchten, so dass fraglich ist, ob die engen zeitlichen Grenzen von Not­ wehr (§  227 BGB, §  32 StGB) oder Besitzwehr bzw. Besitzkehr (§  859 BGB) insoweit noch zweckmäßig sind.5 Die Nutzbarkeit dauerhaft übereigneter körperlicher Ge­ genstände, etwa Mobiltelefone, Fernseher, Receiver, Tablets oder Spielkonsolen, kann durch den Hersteller ohne physischen Zugriff erweitert oder eingeschränkt werden, soweit diese eine Netzwerkanbindung aufweisen.6 Diese Veränderungen können 1  Picker, CWRLR 55 (2005), 749 konzentriert sich primär auf Software; durch kostengünstige Microprozessoren betrifft dies aber potentiell jeden Gegenstand, vom Toaster bis zum Industriero­ boter. 2  Näher unten §  3B.II.2b.cc(3), S. 348. 3  Siehe zur Veränderung von Markengegenständen durch Dritte BGH MMR 1998, 448 – Ro­ lex-Uhr mit Diamanten; BGH GRUR 2007, 705; OLG Köln NJOZ 2008, 3518. 4  „Self Help Repossession“ von Sicherungsmitteln ist in den USA nach §  9 –609 UCC umfassend erlaubt, soweit ein „breach of the peace“ ausgeschlossen ist, dazu Loterstein, Mich. L. Rev. 111 (2013), 1361; McRobert, WALR 87 (2012), 569; siehe zum deutschen Recht (freilich thematisch anders aus­ gerichtet) Paal/Guggenberger, NJW 2011, 1036; generell skeptisch aus europäischer Sicht Horvathova/Stanescu/Fabián, Is Self-Help Repossession Possible in Central Europe?; zur wirtschaftlichen Bedeutung White, Wis. L. Rev. 1973 (1973), 503; Whitford/Laufer, Wis. L. Rev. 1975 (1975), 607. 5  Siehe dazu schon Gitter, Santa Clara Computer & High Tech. L.J. 9 (1993), 413 (1993!); näher unten §  3B.II.2b.cc, S. 345. 6  Siehe namentlich §  8 der Nutzungsbedingungen des iPhone-SDK, www.eff.org/files/20100302_ iphone_dev_agr.pdf; bestätigt durch den damaligen Apple CEO Steve Jobs, www.telegraph.co.uk/ technology/3358134/Apples-Jobs-confirms-iPhone-kill-switch.html; für Aufruhr sorgte das Lö­ schen von Büchern (1984 und Animal Farm von George Orwell) durch Amazon von den eBook-Le­

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etwa der Fehlerbeseitigung im Kundeninteresse dienen, aber auch im Interesse des Herstellers Patentverletzungen durch Entfernen verletzender Merkmale beseitigen.7 Nicht ausgeschlossen werden kann aber auch, dass Einschränkungen vorgenommen werden, um den Kauf von Ersatz- oder Nachfolgeprodukten zu fördern. Dies wirft die Frage auf, ob die Übergabe einer Sache noch als Anknüpfungspunkt für den Ge­ fahrübergang geeignet ist (§  446 BGB), wenn der Käufer einseitige Veränderungen der Beschaffenheit der Kaufsache durch den Verkäufer nicht verhindern kann und auch so nach der Übergabe von diesem abhängig bleibt. Die Problematik berührt dabei primär das Deliktsrecht, da nach §  823 Abs.  1 BGB Eingriffe in fremde Rechtsgüter grundsätzlich Schadensersatzansprüche auslösen. Insoweit ist eine möglichst eindeutige Abgrenzung der Rechtssphären erforderlich, da sich danach bestimmt, wer Angreifer und wer nur Verteidiger ist. Solche Abgren­ zungsfragen sind freilich weder neu noch ungewöhnlich. In vergleichbarer Weise warf schon die Erfindung der Luftfahrt die Frage auf, bis zu welcher Höhe ein Grund­ eigentümer über die Erlaubnis zum Betreten seines Grundstücks entscheiden darf.8 In den geschilderten Konstellationen von Eingriffen in physische Rechte über Netz­ werke ist aber ebenso denkbar, dass nur vertraglich geschützte Äquivalenzinteressen betroffen sind, da die Möglichkeit fremder Eingriffe gerade in der Natur der verein­ barten Leistung liegt. Ausschließlich vertragliche Ansprüche werden etwa bei der Onlinespeicherung von Daten angenommen: Inzwischen werden Informationen zunehmend nicht mehr auf eigenen, im Besitz des Nutzers befindlichen, Datenträ­ gern gespeichert werden, sondern befinden sich kumulativ auf Servern an wechseln­ den, dem Speichernden vielfach unbekannten Orten (in der „Cloud“).9 Dies ist insbe­ sondere bei Emails der Fall, die vielfach ausschließlich online gelesen werden. Damit steigt aber auch die Gefahr, dass die speichernden Dritten Informationen als Siche­ rungsmittel für etwaige Entgeltforderungen zurückhalten oder den Zugriff dauerhaft sern der gutgläubigen Kundschaft, www.nytimes.com/2009/07/18/technology/companies/18ama zon.html. 7  So namentlich die Entscheidung E.D. Texas F.Supp.2d 670 (2009), 568: „However, i4i has pre­ sented evidence that it is possible to design a software patch that can remove a user’s ability to ope­ rate the infringing functionality“; vorsichtiger noch im Streit zwischen Microsoft und Eolas (N.D.Il­ linois WL 2004, 170334 bei Rn.  8) im Hinblick auf das US-Patent Nr.  5838906: „The injunction should be carefully crafted to preclude infringement only with respect to future conduct by Micro­ soft; infringements in the past are to be remedied by damages. The distinction is important here because the infringement occurs many times each day as Windows users display interactive objects embedded in Web pages. These infringements, in my view, belong in the category of past infringe­ ments because the device used to infringe was made and sold long before the judgment in this case. The future infringement is limited to new versions of Microsoft’s Windows operating system or any major service pack of any existing versions of the Windows operating system containing Internet Explorer that Microsoft releases to manufacturing“. In beiden Fällen hat Microsoft entsprechende Updates an die Kunden gesandt, siehe Spiegel Online vom 12.8.2009, http://www.spiegel.de/netz welt/tech/0, 1518, 641944, 00.html. 8  Dazu schon Lessig, S.  28. 9  Pohle/Ammann, CR 2009, 273; Schuster/Reichl, CR 2010, 38; Eisenberg/Puschke/Singelnstein, ZRP 2009, 9; Huber, MMR 2006, 728; Holznagel/Bonnekoh, MMR 2006, 17.

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sperren. Insoweit wird ein absolutes Recht an gespeicherten Emails, Dokumenten und anderen Inhalten bislang abgelehnt und ausschließlich das Vertragsrecht heran­ gezogen.10 Diese Wertung ließe sich durchaus auf Produkte mit Netzwerkanbindung ausdehnen, bei denen ebenfalls das Potential zur Nutzungseinschränkung bereits bei Gefahrübergang angelegt war. Aber auch umgekehrt folgt nicht aus dem Bestehen einer Rechtsposition, dass diese durch Gewalt verteidigungsfähig sein muss oder umgekehrt jedes Eindringen sich an strengen Rechtfertigungsgründen messen lassen muss. Dies illustriert namentlich der seit dem Volkszählungsurteil11 stetig ausgebau­ te Schutz personenbezogener Daten. Mit für wenige Cent integrierbaren RFID-Chips lassen sich Tiere, Gegenstände und Personen identifizieren und lokalisieren, ohne diese ansprechen zu müssen oder sie nur zu sehen.12 So weist derzeit etwa der neue Personalausweis einen entsprechenden Chip auf, der durch ein Funksignal auch ohne Vorlage erfasst werden kann; seit 2003 wird aber auch der Einsatz derartiger Chips in Geldscheinen erörtert. Ein bedrohlicher Eingriff ist darin auf den ersten Blick nicht zu sehen.13 Demgegenüber wird man ein Interesse eines Grund­stück­ eigen­tümers, ihm unbekannte Besucher zu erkennen ebensowenig leugnen können, wie das Recht eines Hundeeigentümers, zu erfahren, ob sein Tier sich auf einem fremden Grundstück aufhält. Es ist fraglich, ob die Nutzung derartiger, unsichtbarer Technologien eine kompensationspflichtige oder sogar durch Gewalt abwehrfähige Verletzung fremder Rechte darstellt, deren Zulässigkeit an den gleichen Maßstäben wie eine Körperverletzung zu messen ist. Selbst wenn man eine Handlung als Eindringen in die fremde Rechtssphäre wer­ tet, ist die Rechtfertigung privater Eingriffe auch über die eben geschilderten techno­ logischen Einzelfälle bislang weder systematisch erfasst noch eindeutig beantwortet. Die schwierige Abgrenzung derjenigen Fälle, in denen Zwang ausschließlich den staatlichen Vollstreckungsorganen zugewiesen ist von denjenigen, in denen der Gläubiger selbst tätig werden darf, stellte sich bereits bei Schaffung des BGB. So stellt §  229 BGB die Wegnahme, Zerstörung oder Beschädigung von Sachen, die Festnah­ me von Personen und die Beseitigung von Widerstand unter den Vorbehalt, dass obrigkeitliche Hilfe nicht zu erlangen ist.14 Demgegenüber wird die Vernichtung von fremden Forderungen durch schlichte Aufrechnungserklärung (§§  388, 389 BGB) so­ gar in der Insolvenz (§  94 InsO) abgesichert.15 Die Einschaltung von Gerichten ohne 10  Beurskens, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2008, S.  4 43, 448 mwN; näher noch un­ ten §  1A.V.1c.bb, S. 128. 11  BVerfGE 65, 1. 12  Holznagel/Schumacher, MMR 2009, 3; Dreyer, ZD-Aktuell 2012, 20. 13  Einen anderen Eindruck vermittelt freilich die Diskussion im Internet, siehe nur www.foebud. org/rfid/was-kann-ich-tun; netzpolitik.org/2006/welt-rfid-bald-in-geldscheinen/ und auch Teile der juristischen Lehre, Holznagel/Bonnekoh, MMR 2006, 17; Pohle/Ammann, CR 2009, 273. 14  Vgl. nur OVG Koblenz NJW 1988, 929; HK-BGB/Dörner, §§  229–231 BGB Rn.  3; Lagodny, GA 1991, 300; näher unten §  1A.IV.1§  1A.IV.1, S. 109. 15  RGZ 80, 393, 393: „Die Aufrechnung stellt wie nach früherem so nach jetzigem Rechte eine dem Gläubiger vom Schuldner aufgezwungene Befriedigung dar, behufs welcher der Schuldner

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vorherige Veranlassung des Schuldners kann zur Auferlegung der Kosten führen (§  93 ZPO); bei Unterlassungsansprüche kann bei fehlender vorheriger Information sogar materiell-rechtlich die Wiederholungsgefahr verneint werden.16 Staatliche Hil­ fe knüpft mitunter sogar gerade an vorherigen aktiven Selbstschutz an, etwa beim Schutz von Geschäftsgeheimnissen (§§  17 ff. UWG),17 bei der Umgehung wirksamer technischer Schutzmaßnahmen im Urheberrecht (§§  95a ff. UrhG)18 oder im Rah­ men der Computerkriminalität (§§  202a, 202b StGB)19. Vor diesem Hintergrund wird untersucht, inwieweit die staatliche Vollstreckung durch private Schutzsysteme entbehrlich wird oder gerade umgekehrt private Schutz­ mechanismen ein Bedürfnis nach ergänzendem staatlichem Schutz begründen. Schließlich wird kritisch hinterfragt, inwieweit das Sanktions- und Haftungssystem den eingeräumten Freiraum widerspiegelt und wie eine effiziente Konfliktbeilegung die geschilderten Selbsthilfemöglichkeiten berücksichtigen kann und soll. Insgesamt sollen die so gewonnenen Erkenntnisse dazu beitragen, Konflikte bei Gegenständen mit Netzwerkanbindung effizient zu lösen.

A. Problemstellung Die Durchsetzung (oder im Fall von §  229 BGB die Sicherung) von Rechten ohne staatliche Mitwirkung wird in der deutschen Rechtswissenschaft verbreitet als „Faustrecht“ abgetan20 oder als unerwünschtes Relikt aus Zeiten vor der Schaffung des staatlichen „Gewalt-“ bzw. „Rechtsschutzmonopols“ eingeordnet.21 Rechtspoli­ tisch und -philosophisch wird ein „Gewaltmonopol des Staates“ proklamiert,22 wel­

s­eine Gegenforderung aufopfert, nämlich zur Befriedigung des Gläubigers unter gleichzeitiger Selbstbefriedigung verwendet“; Oetker 1994, S.  284; unten §  1A.V.1b, S. 122. 16  Dazu §  2C.II, S. 287. 17  Frank, passim; Beyerbach, passim; Ann, GRUR 2007, 39; unten §  2A, S. 202. 18  Dammers; Entelmann 2009; Arlt, MMR 2005, 148; Marly, K & R 1999, 106; unten §  3C.II.1a, S. 386. 19  Schreibauer/Hessel, K & R 2007, 616; Schumann, NStZ 2007, 675; Borges/Stuckenberg/Wegener, DuD 2007, 275; unten §  3C.II.2, S. 405. 20  Dazu bereits Wendt, S.  5; Schünemann, S.  1; historisch schon Binder, passim. 21  BVerfGE 61, 126, 136: „Demgegenüber besteht ein öffentliches Interesse daran, dem Vollstre­ ckungsgläubiger, dem der Staat als Inhaber des Zwangsmonopols die Selbsthilfe verbietet, die Ver­ wirklichung seines Anspruchs und als Voraussetzung dafür die mit der Offenlegung bezweckte Feststellung der pfändbaren Vermögensgegenstände zu ermöglichen. Dieses Interesse dient der Wahrung des Rechtsfriedens und der Rechtsordnung, welche ihrerseits Grundbestandteil der rechtsstaatlichen Ordnung ist.“; BGH NJW 1979, 1359, 1360: „Die Besitzschutzvorschriften stehen unter dem Leitgedanken, den Rechtsfrieden zu wahren, indem sie das äußere Herrschaftsverhältnis der Person zu einer Sache aufrechterhalten, um so den Anreiz zu unerwünschtem Faustrecht zu nehmen.“; BeckOK-BGB/Dennhardt, §  229 BGB Rn.  1. 22 Dazu Becker, NJW 1995, 2077, 2078.

A. Problemstellung

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ches immerhin bis zum Codex Hammurabi zurückverfolgt werden kann.23 Verein­ zelt finden sich in der Literatur seit fast 100 Jahren Stimmen, welche ein Ende der „Selbsthilfe“ statuieren.24 Anders sind Tendenzen im US-amerikanischen Schrifttum, wo man zu der zutref­ fenden Erkenntnis gelangt ist, dass kein reales Rechtssystem sich auf eine staatliche Durchsetzung beschränken kann25 und damit die private Durchsetzung ein unab­ dingbares Hilfsmittel zur Herstellung einer rechtsstaatlichen Ordnung bildet.26 Auch bei den Entwurfsarbeiten zum Bürgerlichen Gesetzbuch war klar, dass eine Zivil­ rechtsordnung sich nicht auf den Verweis auf gerichtlichen Schutz beschränken kann.27 Diese Diskrepanz gibt Anlass, die Bedeutung der „Selbsthilfe“ in einer globa­ lisierten Informationsgesellschaft näher zu betrachten.

I.  Funktion und Bedeutung von „Selbsthilfemechanismen“ im Rechtsstaat 1.  Nationale Regelungen als Kostenfaktor für grenzüberschreitende Transaktionen Die Globalisierung28 setzt nationale Rechtssysteme unter Druck.29 Während bei Ge­ schäften innerhalb eines Staates die anwendbaren Gesetze eindeutig und leicht zu bestimmen sind, können Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen bei grenz­ überschreitend vertriebenen Massenprodukten vielfach Probleme verursachen.30 Je dichter die (divergente) Regulierung der betroffenen Staaten ist, desto schwieriger wird es, Transaktionen überhaupt durchzuführen.31 Eine künstliche Trennung von Märkten durch Verpackungen und vertragliche Bindung von Zwischenhändlern 23  Schünemann, S.  2 (Fn.  8 f.); Koller, S.  111 ff.; Mugdan I, S.  543 = Mot. I, S.  348 verweist freilich darauf, dass dieses Prinzip im römischen Recht erst spät eingeführt wurde; ebenso Koller, S.  125 ff. 24  Jauernig/Hess, S.  1; Oertmann, S.  3 (1930!); Haase/Keller/Musall/Reichel/Haase-Keller, S.  318; Mes 1970, S.  95. 25  Lichtman, How the Law Responds to Self-Help, 1: “Legal rules are typically implemented ­t hrough a combination of public and private mechanisms”; Lessig, S.  120 ff.; ansatzweise aber bereits Mugdan I, S.  552 = Mot. I, S.  354; Schünemann, S.  16 „Staatlicher und eigenmächtiger Rechtsschutz ergänzen also einander“. 26  Lichtman, How the Law Responds to Self-Help, 62 f.; Landes/Posner, S.  356 ff. in Bezug auf Geschäftsgeheimnisse. 27  Vorbilder hat eine (beschränkte) Befugnis zur Selbsthilfe etwa in den Hethitischen Gesetzen und im Decretum Divi Marci, dazu Schünemann, S.  2 f., insb. Fn.  10 ff. 28  Zum Begriff siehe grundlegend Levitt, Harv. Bus. Rev 61 (1983), 92, 93 f. 29 Generell Eidenmüller, JZ 2009, 641 der im Anschluss an Ribstein/O’Hara einen „Kampf um die Ware Recht“ annimmt; siehe auch zum Patentrecht Straus/Klunker, GRUR-Int 2007, 91, 91 f.; zum Gesellschaftsrecht Romano, J.L.Econ.Org. 1 (1985), 225, 228 ff. oder zum Lauterkeitsrecht Mankowski, GRUR-Int 1999, 909, 216. 30  Das war auch die Grundlage für die EuGH-Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten, nament­ lich EuGH GRUR-Int 1974, 467 (Warenverkehrsfreiheit); EuGH NJW 1975, 1095 (Dienstleistungs­ freiheit); EuGH NJW 1996, 579 (Niederlassungsfreiheit); EuGH NJW 1996, 505 (Arbeitnehmerfrei­ zügigkeit); zur Harmonisierung des Vertragsrechts auf europäischer Ebene siehe aber auch kritisch Müller, EuZW 2003, 683, 683 ff. 31  Lando, Die Europäisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in der Europäischen Union, S.  41, 42 ff.; Dreher, JZ 1999, 105, 106 (zum europäischen Binnenmarkt).

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kann nicht nur kartellrechtliche Probleme auslösen,32 sondern verursacht für die be­ troffenen Unternehmen zusätzliche Kosten. Insgesamt wirkt sich die Unterschied­ lichkeit der Rechtsordnungen als Handelshemmnis aus.33 Trotzdem ist das schon 1888 von Zitelmann proklamierte „Weltrecht“34 bislang keine Realität geworden. Auch das internationale Privatrecht gewährleistet nur begrenzte Rechtssicherheit. Zwar wird für Inhalte im Internet, die in besonderer Weise von dieser konkurrieren­ den Regulierung betroffen sind,35 die Einführung des „Herkunftslandprinzips“36 ge­ fordert, wonach stets die Rechtsordnung desjenigen Landes maßgeblich sein soll, in dem die Inhalte online bereitgestellt wurden.37 Ein dementsprechender Konsens konnte aber noch nicht einmal auf europäischer Ebene erreicht werden.38 Auf weiter­ gehender, internationaler Ebene ist eine dementsprechende Einigung wohl ausge­ schlossen. 2.  Private Selbstregulierung als Ausweg Soweit der Schutz durch staatliche Organe aus praktischen Gründen erschwert oder gar völlig zunichtegemacht wird, haben sich andere Regulierungssysteme entwi­ ckelt.39 Mittel der Wahl sind dabei vielfach Individualverträge. Dabei versuchen sich die Parteien durch möglichst detailliert ausgestaltete Vertragswerke ihren eigenen, weitgehend rechtssicheren Regelungsrahmen zu schaffen.40 Selbstverständlich han­ delt es sich bei diesen (sehr umfangreichen) Vertragswerken aber nicht um „vollstän­ dige Verträge“,41 die alle erforderlichen Fragen abschließend regeln. Bei Massenver­ 32  Zum Umverpacken EuGH NJW 1997, 1627, 1631 f.; Ingerl/Rohnke/Ingerl/Rohnke, §  24 Mar­ kenG Rn.  65 ff.; zur Vertikal-GVO (VO Nr.  2790/1999) Kling/Thomas, §  4 Rn.  229 ff. 33  So ausdrücklich EuGH GRUR-Int 1974, 467 (Warenverkehrsfreiheit); ebenso Lando, Die Eu­ ropäisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in der Europäischen Union, S.  41, 42 ff. 34  Zitelmann, Öst. A. Ger-Ztg. 39 (1888), 193 ff.; zu den ökonomischen Gründen Kozuka, An Economic Analysis of Private International Law, S.  74. 35  So sind in Deutschland etwa „volksverhetzende“ Inhalte verboten (§  130 Abs.  2 StGB), in Chi­ na sogar sehr viel weitergehend alle regimekritischen Angebote, vgl. Marberth-Kubicki, NJW 2009, 1792, 1795. 36  Vgl. Art.  1 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Ge­ schäftsverkehr“), ABl.  EG Nr. L 278 vom 17. Juli 2000, S.  1. 37  Brömmelmeyer, S.  109 ff., 418; Blasi, S.  436 ff.; kritisch allerdings Spindler/Schuster/Nordmeier, §  3 TMG Rn.  1; Spindler, RabelsZ 66 (2002), 633, 706–709; Mankowski, GRUR-Int 1999, 909, 913 ff. 38  Siehe den Ausnahmenkatalog in Art.  3 der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsver­ kehr (Fn.  36). 39  Man denke etwa an Handelsbräuche, §  346 HGB, denen der BGH „quasi-normative Wirkung“ zuspricht, BGH NJW 1993, 1798; Schmidt 1999, §  1 III a oder an „Handelsklauseln“ (z. B. „INCO­ TERMS“) BGHZ 92, 396, 401. 40 Dazu Merkt, ZHR 171 (2007), 490; illustrativ Döser, JuS 2000, 246–254, 456–459, 663–666, 773–778, 869–874, 972–982, 1076–1080, 1178–1183. 41  Zum Begriff siehe Polinsky, S.  29 ff.; Ayres/Gertner, Yale L.J. 99 (1989), 87; Schäfer/Ott, S.  4 01 ff.: Ein solcher Vertrag liegt vor, wenn sich die Vertragsparteien ex ante über die Zuweisung aller späte­ ren Risiken geeinigt haben.

A. Problemstellung

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trägen, d. h. bei Verwendung von „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ findet aller­ dings regelmäßig eine strenge gerichtliche Kontrolle statt.42 Gegenüber Verbrauchern ist der Versuch einer umfassenden Vereinbarung nur sehr ausnahmsweise ein gang­ barer Weg.43 Alternative Regelungssysteme können auch abstrakt-generell, rechtssatzähnlich ausgestaltet werden.44 Im internationalen Geschäftsverkehr kann etwa lückenschlie­ ßend auf die UNIDROIT Principles45 oder eine darüber hinausgehende „Lex Merca­ toria“46 zurückgegriffen werden, national ist an die (sogar in §  346 HGB gesetzlich anerkannten) „Handelsbräuche“ zu denken.47 Deren Vorteile liegen auf der Hand. Sie sind einerseits sehr viel schneller zu ändern und andererseits insoweit sachnäher, als sie spezifisch auf die Bedürfnisse der Beteiligten in einer konkreten Situation abge­ stimmt sind.48 Der Gesetzgeber als aufwändiger, neutraler Mittler bei der Normset­ zung entfällt.49 Eine vertragliche Regulierung für potentielle Schädigungen, d. h. im Deliktsrecht, ist praktisch wegen der nicht vorhersehbaren Zahl potentieller An-

42  Sehr weitgehend schon früh der Ansatz der deutschen Rechtsprechung, vgl. BGH NJW 1976, 2345, 2346, der auch in den §§  305 ff. BGB zum Ausdruck kommt; die europarechtlichen Vorgaben der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbrau­ cherverträgen, Abl. L 95 vom 21. April 1993, S.  29 ff. sind demgegenüber auf Verbraucherverträge begrenzt. Zum Erfordernis eines „Missverhältnisses“ zwischen den Beteiligten vor Inkrafttreten des AGB-Gesetzes Wolf, JZ 1974, 465, 468 ff.; Nicklisch, BB, 941, 944 ff. 43  Siehe kollisionsrechtlich Art.  6 Verordnung (EG) Nr.  593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl.  Nr. L 177 S.  6, ber. 2009 Nr. L 309 S.  87); materiellrechtlich §  310 Abs.  3 BGB, die zwin­ genden Vorschriften (z. B. §§  312i, 475, 511, 651g BGB), prozessual das Verbot der vorherigen Proro­ gation in §  38 ZPO (dazu BGH NJW 1983, 159; Ehricke, ZZP 111 (1998), 145), das Formerfordernis für Schiedsvereinbarungen (§  1031 Abs.  5 ZPO). Zu den rechtsökonomischen Implikationen des Verbraucherschutzes siehe nur Schäfer/Ott, S.  8. 44  Dies trifft namentlich auf im Handelsverkehr übliche Klauselwerke zu, siehe Schüsler, DB 1986, 1161; Ebenroth/Boujong/Grundmann, vor §§  343 ff. HGB Rn.  89 ff.; MüKo-HGB/Schmidt, §  346 HGB Rn.  29 ff., 108 ff.; Meder, passim; Tilmann, passim; im prozessualen Bereich ist an die Schiedsordnungen der diversen Schiedsorganisationen zu denken, siehe Schwab/Walter, Kap.  41 Rn.  10 ff. 45  Unidroit Principles of International Commercial Contracts von 2004, abrufbar unter www. unidroit.org/english/principles/contracts/main.htm; siehe Wichard, RabelsZ 60 (1996), 269, 269. 46  Berger 1996; Dasser; Fletcher/Mistelis/Cremona; Mertens, FS Odersky, S.   857; Mertens, Ra­ belsZ 1992, 219; Schmidt, Globalisierung und Recht, S.  153; Zumbansen, RabelsZ 67 (2003), 637; Herber, IHR 2003, 1; Ritlewski, SchiedsVZ 2007, 130, 138 ff. 47  Dazu MüKo-HGB/Schmidt, §  346 HGB Rn.  29 ff.; Bachmann, passim; Limbach, FS Hirsch, S.  77; Weynen, NJW 1954, 628; Wagner, NJW 1969, 1282. 48  Rechtsökonomisch folgt dies aus der Natur des Vertrages als grundsätzlich effizientes Mittel der Risikoverteilung, vgl. Schäfer/Ott, S.  397 ff.; Posner, S.  93, 562 ff.; allgemein zum Vorteil des Ver­ trags Flume, S.  1 ff.; Gernhuber 1989, S.  3; siehe auch Brömmelmeyer, S.  47 ff. 49  Allgemein zum „cultural lag“ aus rechtssoziologischer Sicht Rehbinder 2009, Rn.  49, 191; zu den Kosten der Gesetzgebung siehe Posner, S.  555 ff.; verwandt die Argumentation bei BVerfG NJW 2006, 3409, 3410, wonach der „gesellschaftliche, wirtschaftliche und technische Wandel“ eine Rechts­ fortbildung durch die Gerichte herausfordert.

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Einleitung

spruchsteller ausgeschlossen.50 Ein anderer praktischer Fall ist der Unternehmens­ kauf, bei dem die Parteien sich regelmäßig bemühen, das staatliche (Kauf-)Recht weitgehend abzubedingen und stattdessen auf umfangreiche eigene Vertragswerke vertrauen. 3.  Private Rechtsdurchsetzung als Folgeproblem Soweit ein weitgehend einheitlicher Rechtsrahmen durch Verträge, Gewohnheits­ recht oder Handelsbräuche geschaffen ist, stellt sich jedoch das Folgeproblem, dass es zur Durchsetzung dieser Rechte dann doch wieder staatlicher Stellen bedarf. Ein­ mal geschaffene Rechtspositionen (etwa der Besitz einer Sache) können, selbst wenn eine entsprechende vertragliche Vereinbarung vorliegt, regelmäßig nur mit staatli­ cher Hilfe (insbesondere durch den Gerichtsvollzieher) wieder rückgängig gemacht werden. Ohne Einschaltung von Gerichten oder Behörden hilft daher auch die beste vertragliche Vereinbarung als solche demjenigen, der Waren in das Ausland liefert, wenig. Einen ersten Ausweg bietet der Abschluss einer Schiedsvereinbarung. Durch das New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländi­ scher Schiedssprüche vom 10. Juni 1958 ist eine Durchsetzung von Schiedssprüchen in derzeit immerhin 142 der 192 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen möglich.51 Die zulässigen Einwände gegen die Vollstreckung des Schiedsspruchs sind dabei stark eingeschränkt, insbesondere findet eine inhaltliche Prüfung grundsätzlich nicht statt.52 Allerdings ist die Möglichkeit zu entsprechenden Vereinbarungen ge­ genüber Verbrauchern stark eingeschränkt.53 Und im Regelfall wird auch ein Schiedsgericht nach einer bestimmten Rechtsordnung zu entscheiden haben,54 so 50 Ebenso

Posner, S.  31 ff., 169; Polinsky, S.  43 ff.; Schäfer/Ott, S.  549 ff. Im Einzelnen dazu Schwab/Walter, Kap.  56 Rn.  1–5; MüKo-ZPO/Münch, §  1061 ZPO Rn.  9 ff.; Kröll, SchiedsVZ 2009, 40; Kühn, SchiedsVZ 2009, 53. 52  Sog. „révision au fond“, vgl. aus der Rechtsprechung etwa BGHZ 27, 249; BGHZ 30; BGHZ 46, 365; aus der Literatur etwa MüKo-ZPO/Adolphsen, Art. V New Yorker Übereinkommen Rn.  68; Schwab/Walter, Kap.  24 Rn.  37 ff.; Solomon, passim. 53  Siehe etwa EuGH NJW 2007, 135 zur Inhaltskontrolle von Schiedsklauseln anhand der Klau­ selrichtlinie; aus den USA siehe etwa E.D.Pa. F.Supp.2d 487 (2007), 593, wonach eine Schiedsklausel in den AGB von „Second Life“ gegenüber einem Kunden als nicht durchsetzbar qualifiziert wurde; ebenso bereits N.D.Cal. F.Supp.2d 218 (2002), 1165 zur vergleichbaren Klausel von PayPal; beachte schließlich in Deutschland §  1031 Abs.  5 ZPO: „Schiedsvereinbarungen, an denen ein Verbraucher beteiligt ist, müssen in einer von den Parteien eigenhändig unterzeichneten Urkunde enthalten sein. Die schriftliche Form nach Satz  1 kann durch die elektronische Form nach §  126a des Bürgerlichen Gesetzbuchs ersetzt werden. Andere Vereinbarungen als solche, die sich auf das schiedsrichterliche Verfahren beziehen, darf die Urkunde oder das elektronische Dokument nicht enthalten; dies gilt nicht bei notarieller Beurkundung.“ (sehr viel weniger streng die „Textform“ des Artikel 7 Option I des UNCITRAL Modell Gesetzes idF von 2006). 54  Siehe §  1051 Abs.  3 ZPO: „Das Schiedsgericht hat nur dann nach Billigkeit zu entscheiden, wenn die Parteien es ausdrücklich dazu ermächtigt haben.“ (entsprechend Artikel 28 Abs.  3 des UNCITRAL Modell Gesetzes idF von 2006). 51 

A. Problemstellung

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dass die pflichtgemäß handelnden Schiedsrichter möglicherweise ihrerseits dem vom Anspruchsteller aufgestellten Regelwerk die Grundlage entziehen. Bei der Erbringung von Dienstleistungen bietet sich ein sehr viel einfacherer Weg an. Die schlichte Unterlassung der geschuldeten Handlung für die Zukunft entlastet nicht nur den Gläubiger, sondern zwingt auch den Schuldner zum Handeln. Soweit etwa Strom bezogen wird, hat der Anbieter ein starkes Druckmittel an der Hand, wenn er dem Kunden androht, die Lieferung für die Zukunft einzustellen.55 Ein Web-Hoster kann das Bereitstellen von Serverplatz einseitig beenden.56 Sowohl in den „virtuellen Realitäten“ dreidimensionaler Computergrafik 57 als auch in textba­ sierten Onlineplattformen58 können Daten aller Art jederzeit gelöscht werden. Gene­ 55  Zum „Ausfrieren“ von Mietern siehe etwa BGHZ 180, 300 (m. Anm. Regenfus, LMK 2009, 284570); KG NZM 2007, 923; KG NJW-RR 2004, 1665; OLG Rostock MDR 2007, 1249; Hintz, NZM 2005, 841, 846 ff.; Herrlein, NZM 2006, 527; Beuermann, GE 2002, 1601 zu Wohnungseigentümern LG Berlin NZM 2008, 531; KG NZM 2006, 23; BGH NJW 2005, 626; BayObLG NJW-RR 2004, 1382; KG NZM 2006, 297 siehe auch LG Frankfurt (Oder) NJW-RR 2002, 803 zum Einfluss des Verhält­ nisses Vermieter – Versorger auf den Mieter; zusammenfassend Scheidacker, NZM 2010, 103; Scheid­acker, NZM 2007, 591; Scheidacker, NZM 2005, 281; zu Folgeproblemen bei der Betriebskos­ tenabrechnung Schmid, ZMR 2008, 98, 99. 56  Siehe etwa die AGB von Google, http://www.google.com/accounts/TOS, unter Nr.  7: „Google ist zur Erbringung der kostenlosen Dienste nicht verpflichtet. Im Gegenzug sind Sie berechtigt, je­ derzeit die Nutzung der Dienste einzustellen. […] Google kann auch einen Dienst zeitweise oder dauerhaft einstellen, zum Beispiel aus technischen oder rechtlichen Gründen. Sofern möglich, ins­ besondere bei der dauerhaften Einstellung eines Dienstes aus wirtschaftlichen Gründen, wird ­Google Sie im Rahmen des jeweiligen Dienstes über die bevorstehende Einstellung informieren und, sofern es sich um einen Dienst handelt, der die Verwaltung persönlicher Inhalte ermöglicht, Ihnen unter Berücksichtigung der jeweiligen Interessen ausreichend Zeit einräumen, diese zu si­ chern.“ oder Nr.  2.7 der Terms of Service von Linden Labs (Second Life), secondlife.com/cor porate/tos.php, „Linden Lab has the right at any time for any reason or no reason to suspend or terminate your Account, terminate this Agreement, and/or refuse any and all current or future use of the Service without notice or liability to you. In the event that Linden Lab suspends or terminates your Account or this Agreement, you understand and agree that you shall receive no refund or exchange for any unused time on a subscription, any license or subscription fees, any content or data associated with your Account, or for anything else.“ 57  Wie etwa das von Linden Labs vermarktete „Second Life“, www.secondlife.com – dazu etwa Bartle, passim; Beurskens, Beilage zu K&R 4/2008 2008, 12; Castronova, passim; Duranske, passim; Gräber; Fairfield, MCGLJ 53 (2008), 427; Habel, MMR 2008, 71; Hopf/Braml, ZUM 2007, 354; Klickermann, MMR 2007, 766; Koch, Die rechtliche Bewertung virtueller Gegenstände auf On­ line-Plattformen; Lastowka/Hunter, CALR 92 (2004), 1; Psczolla, Virtuelle Gegenstände als Objekte der Rechtsordnung; Schneider 2010, passim; sowie Onlinespielen wie das von ActivisionBlizzard vertriebene „World of Warcraft“, www.worldofwarcraft.com – dazu etwa Lober/Weber, MMR 2005, 653; Krasemann, MMR 2006, 351; Ladeur, Innovation und rechtliche Regulierung, S.  339; Rippert/ Weimer, Rippert/Weimer, ZUM 2007, 272; siehe auch Wieduwilt, MMR 2008, 715 zu „Cheatbots“; Heeks, Current Analysis and Future Research Agenda on „Gold Farming“: Real-World Production in Developing Countries for the Virtual Economies of Online Games zu „Gold Farming“; allgemein Hübner, passim; Huhh, Effects of Real-Money Trading on MMOG Demand: A Network Externality Based Explanation. 58 Beispielsweise die Community-Angebote von Facebook (www.facebook.com), StudiVZ (www.studivz.com), Xing (www.xing.com) und anderen Anbietern; die juristische Diskussion kon­ zentriert sich insoweit derzeit auf das Datenschutzrecht, siehe etwa Jotzo, MMR 2009, 232; Bauer, MMR 2008, 435; das früher heiß diskutierte „virtuelle Hausrecht“ (OLG Köln MMR 2001, 52; LG

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rell wird diese Situation von der Rechtsordnung weitgehend unkritisch aufgenom­ men. Ein Zwang zur weiteren Erfüllung der Pflichten muss aufwendig vor Gericht eingeklagt werden.59 Die zunehmende Verbreitung von Kommunikationsnetzen und der Einsatz pro­ grammierbarer Bauteile ermöglicht es, solche Maßnahmen über Dienstleistungen hinaus auf sonstige Gegenstände60 zu erstrecken. Im Bereich der aus dem Internet heruntergeladenen Inhalte (Filme, Musik, Software) werden die erforderlichen Schranken für die unstreitig bestehende Möglichkeit eines zugriffsbeschränkenden „Digital Rights Management“ seit Jahren kontrovers diskutiert.61 Aber auch bei kör­ perlichen Gegenständen im Sinne des §  90 BGB ist eine nachträgliche Nutzungsbe­ schränkung denkbar. So verhindert etwa eine „Produktaktivierung“ bei Computer­ software,62 dass auf DVD erworbene Programme installiert oder ausgeführt werden; BluRay-Player können durch Sperrung von Codes unbenutzbar gemacht werden und auch bei Mobiltelefonen gibt es die Möglichkeit, diese aus der Ferne zu deaktivie­ Bonn NJW 2000, 961; LG Hamburg NJW-RR 2007, 252; LG München I CR 2007, 265 (skeptisch die Anm Redeker, CR 2007, 265); OLG Hamm MMR 2008, 175; zuletzt noch OLG Frankfurt MMR 2009, 400 (ablehnend); OLG Hamm MMR 2009, 269; Maume, MMR 2007, 620; Schmidl, K & R 2006, 563; Mayer/Burgsmüller, MMR-Aktuell 2010, 311324 als Klausur (!) bei Schmehl/Richter, JuS 2005, 817; näher unten §  3B.I, S. 330) ist demgegenüber in den Hintergrund getreten. 59  Ob ein solcher Anspruch besteht (was im Schrifttum weitgehend als „unproblematisch“ bejaht wird; ausdrücklich etwa Klickermann, MMR 2007, 766: „Solche Onlineregelungen, wie z. B. in 2.6. der „TOS“ von „Second Life“, […] wären dann wegen Benachteiligung des Vertragspartners un­ wirksam.“ siehe auch Geis/Geis, CR 2007, 721; Habel, MMR 2008, 71, 73 f.; Rippert/Weimer, ZUM 2007, 272), ist eine nicht ganz einfach zu beantwortende Frage. Ein absolut geschütztes Recht an den gespeicherten Daten wird im Schrifttum fast einheitlich abgelehnt, vgl. näher Beurskens, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2008, S.  443, 443 ff.; näher unten §  1A.V.1c.bb, S. 128. Daher kann es sich nur um einen vertraglich begründeten Anspruch handeln – der nach dem Wortlaut der Vereinbarung aber gerade ausgeschlossen ist. So müsste denn die entsprechende Vertragsklausel entweder gegen die Inhaltskontrolle nach §§  307–309 BGB oder sogar gegen die Sittenwidrigkeits­ schranke des §  138 Abs.  1 BGB verstoßen. Bei unentgeltlichen Verträgen (selbst wenn diese sich durch Werbung Dritter finanzieren) erfordert das gesetzliche Leitbild (sei es Leihe, §  604 Abs.  3 BGB, oder unentgeltliche Verwahrung, §  696 S.  1 BGB) gerade keine Fristen oder gar Gründe für die „Rückgabe“ bzw. „Rückforderung“ der Sache. Und die besonderen Schutzvorschriften im Mietoder Dienstvertragsrecht sind wegen ihrer spezifischen Ausgestaltung kaum analogiefähig. Und selbst mit Fristen wäre den Kunden vielfach nicht geholfen – ein Second-Life „Avatar“ lebt nur in der virtuellen Welt – er lässt sich nicht aus ihr entfernen; einen Aufnahmezwang wird man insoweit kaum kon­struieren können. 60  Zur daraus resultierenden Ausweitung des „Eigentumsrechts“ im weitesten Sinne vgl. Peukert 2008, passim; Schapp, JZ 2006, 581, 585. 61  Siehe §§  95a ff. UrhG, Art.6 f. Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der ver­ wandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ABl.  L 167 vom 22.6.2001, S.  10 Art.  11 f. WIPO Copyright Treaty; Art.  18 f. WIPO Performances and Phonograms Treaty; namentlich der aktuelle Entwurf des Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) sieht sogar noch darüber hin­ ausgehende Regelungen vor. Zur Problematik etwa Schulz, GRUR 2006, 470; Enders, ZUM 2004, 593; Akester, IIC 2010, 31; Holznagel/Brüggemann, MMR 2003, 767. 62  Dazu etwa Runte, CR 2001, 657; Faust, K & R 2002, 583; Baus, MMR 2002, 14; Möschel, MMR 2001, 3.

A. Problemstellung

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ren.63 Angesichts der großen Menge von Gegenständen, die intern irgendeine Art von Software verwenden,64 wird die reine tatsächliche Sachherrschaft im Sinne von §  854 Abs.  1 BGB kaum mehr genügen, um den wirtschaftlichen Wert einer Sache zu genießen.65 Man denke etwa an ein Auto, bei dem per Funksignal schlicht der Anlas­ ser deaktiviert werden könnte. Dann wäre trotz „Sachherrschaft“ das Fahren als üb­ liche Nutzung unmöglich. Durch die mit solchen Selbsthilfemaßnahmen verbunde­ ne Umkehr der Risiken wird der Verkauf von Waren in das Ausland stark erleichtert und das Risiko eines Rechtsstreits auf den Endnutzer als Käufer abgewälzt. Im Folgenden soll die Schaffung einer solchen Position, in der die Vermögenssitu­ ation eines anderen faktisch einseitig beeinträchtigt werden kann, als „Selbstschutz“ und „Selbstdurchsetzung“ beschrieben und unter dem Oberbegriff der „Selbsthilfe“ zusammengefasst werden. 4.  Reaktionen des Rechts Die Möglichkeit zur Nutzung einer Sache oder eines Rechts bzw. zu deren Entzie­ hung hat erhebliche Auswirkungen auf das staatliche Rechtsschutzsystem. Derjeni­ ge, der eine vom Einfluss des Anderen unabhängige Rechtsposition innehat, muss allenfalls Eingriffe Dritter abwehren. Er verlangt also grundsätzlich nichts von je­ mand anderem und muss demzufolge auch keine staatlichen Vollstreckungsorgane bemühen. Nur derjenige, der mehr will, als er ohnehin schon hat, muss sich staatli­ cher Hilfe bedienen. Durch die geschilderten technischen Maßnahmen besteht aber die Möglichkeit, dass der Käufer einer Sache gerade keine solche „unabhängige“ Rechtsposition er­ wirbt. Der Veräußerer behält sich die Möglichkeit zur Änderung oder gar zur „Deak­ tivierung“ (also zum endgültigen Ausschluss der Nutzung des Produkts)66 vor. Müss­ 63 Siehe namentlich §   8 der Nutzungsbedingungen des iPhone-SDK, www.eff.org/files/201 00302_iphone_dev_agr.pdf; bestätigt durch den damaligen Apple CEO Steve Jobs, www.telegraph. co.uk/technology/3358134/Apples-Jobs-confirms-iPhone-kill-switch.html; für Aufruhr sorgte das Löschen von Büchern (1984 und Animal Farm von George Orwell) durch Amazon von den eBook-Lesern der gutgläubigen Kundschaft, www.nytimes.com/2009/07/18/technology/compa nies/18amazon.html. 64  Dies war eine tragende Erwägung für den geplanten Schutz computerimplementierter Erfin­ dungen durch eine EU-Richtlinie; siehe zuletzt etwa die Rede des Kommissars McCreevy, europa. eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=SPEECH/05/151&format=PDF&aged=1&langua ge=EN (S.  2): „Such inventions are present in a number of everyday consumer goods such as cars, mobile telephones and domestic appliances. The Commission’s intention in making its proposal was to avoid patenting of pure software and clearly differentiate the EU from the US. Nothing that is not patentable now will be made patentable by the directive.“ 65  Insoweit grundsätzlich abweichend von der positiven Dimension des Eigentumsrechts (§  9 03 BGB), siehe dazu BVerfGE 31, 229, 239; HK-BGB/Schulte-Nölke, §  903 BGB Rn.  1; Jauernig/Jauernig, §  903 BGB Rn.  3; diesem Zweck dient im Urheberrecht der Erschöpfungsgrundsatz (§  17 S.  2 UrhG), hinzu kommen die europarechtlich vorgesehenen „Mindestrechte“ der Nutzer nach §§  55a UrhG, 69d UrhG, 87e UrhG; zur Problematik der „Produktaktivierung“ bereits OLG Bremen WRP 1997, 573, 575; Wandtke/Bullinger/Grützmacher, §  69c UrhG Rn.  94; Baus, MMR 2002, 14, 16 f. 66  Zu Recht spricht Picker, CWRLR 55 (2005), 749 von „evolving products“ und von „ongoing

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te also im herkömmlichen System der Verkäufer die Wegnahme der verkauften Sache bei Gericht beantragen (was als Akt staatlicher Gewalt insbesondere an den Grund­ rechten, Art.  1 bis 19 GG, zu messen ist), muss bei Implementierung einer Zugangs­ sperre bzw. einer Produkt-Deaktivierung der Käufer einen Eingriff in fremde Rechte rechtfertigen, er muss ein überwiegendes Interesse nachweisen.67 Dem Vertrag über die dauerhafte Überlassung einer Sache wird also ein dienstvertragliches Element hinzugefügt.68 Dies hat freilich auch eine weitere Dimension. Derartige Produkte befinden sich nicht außerhalb der Kontrolle des Herstellers, sondern stehen noch unter seinem Einfluss und damit grundsätzlich auch seiner etwaigen Verantwor­ tung. In positiver Hinsicht bedeutet dies, dass der Hersteller Fehler in Softwarepro­ dukten durch automatische Aktualisierungen beseitigen kann, was interessante Im­ plikationen für das werk- oder kaufvertragrechtliche Gewährleistungsrecht aufwirft, das auf den Gefahrübergang als statischen Zeitpunkt abstellt. Aber eine Aktualisie­ rungsmöglichkeit ermöglicht dem Hersteller auch nachträglich den Funktionsum­ fang zu reduzieren, etwa die Nutzung von Schnittstellen durch Konkurrenzprodukte zu verhindern.69 Im Bereich des Immaterialgüterrechts liegt es nahe, den Hersteller zu verpflichten, aus einem bereits an Endkunden ausgelieferten Programm Routinen zu entfernen, die z. B. fremde Urheber- oder Patentrechte verletzen.70 Aus dieser Handlungsmöglichkeit ex nunc wird teilweise sogar die Pflicht zur Schaffung ent­ design“ (ausgehend von reinen Dienstleistungsangeboten wie Napster, aber in der Folge auch auf „Standardanwendungen“ wie Microsoft Windows übertragen). 67  Unabhängig davon, ob man die Freischaltung als „vertretbare“ iSv §  887 ZPO oder „unvertret­ bare“ Handlung iSv §  888 ZPO qualifiziert, handelt es sich jedenfalls um einen Anspruch der ge­ richtlich durchzusetzen ist; einer „Selbsthilfe“ steht jedenfalls nach herrschender Auffassung die Regelung des §  229 BGB (unten A.II.2, S. 18) entgegen. Siehe zur gesetzgeberisch gewollten Paral­ lelproblematik bei „technischen Maßnahmen“ gemäß §  95b Abs.  2 UrhG BT-Drucks. 15/38, 27; Dreier/Schulze/Dreier, §  95b UrhG Rn.  14 und näher unten §  3B, S. 329 ff. 68  Deutlich etwa bei Antivirensoftware – diese ist „more service than software“, da der wirt­ schaftliche Wert in möglichst aktuellen Signaturen zum Schutz vor den gerade im Umlauf befindli­ chen Viren liegt, so Picker, CWRLR 55 (2005), 749, 758. 69  So hat etwa die Firma Apple die Software des iPod so geändert, dass beim Konkurrenten Real­ Networks erworbene Musik nicht direkt auf das Gerät kopiert werden kann, vgl. Borland, Apple fights RealNetworks ‚hacker tactics‘, news.com.com/2102–1027_3–5490604.html. 70  So namentlich die Entscheidung E.D. Texas F.Supp.2d 670 (2009), 568: „However, i4i has pre­ sented evidence that it is possible to design a software patch that can remove a user’s ability to ope­ rate the infringing functionality“ im Hinblick auf das Patent. Vorsichtiger noch im Streit zwischen Microsoft und Eolas (N.D.Illinois WL 2004, 170334 bei Rn.  8) im Hinblick auf das US-Patent Nr.  5838906: „The injunction should be carefully crafted to preclude infringement only with respect to future conduct by Microsoft; infringements in the past are to be remedied by damages. The dis­ tinction is important here because the infringement occurs many times each day as Windows users display interactive objects embedded in Web pages. These infringements, in my view, belong in the category of past infringements because the device used to infringe was made and sold long before the judgment in this case. The future infringement is limited to new versions of Microsoft’s Windows operating system or any major service pack of any existing versions of the Windows operating sys­ tem containing Internet Explorer that Microsoft releases to manufacturing“. In beiden Fällen hat Microsoft entsprechende Updates an die Kunden gesandt, siehe Spiegel Online vom 12.8.2009, www.spiegel.de/netzwelt/tech/0, 1518, 641944, 00.html.

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sprechender nachträglicher Einwirkungsmechanismen ex tunc gefordert. Wer sich nicht die Möglichkeit vorbehält, eine rechtswidrige Nutzung durch Dritte zu verhin­ dern, verletzt die im Verkehr erforderliche Sorgfalt und haftet auf Schadensersatz.71 Man könnte meinen, dass ein Rechtsstaat jegliche Abwehr- oder Eingriffshand­ lung an die Einschaltung eines staatlichen Organs knüpfen muss. Das ist jedoch illu­ sorisch. Gegenstände sind in der Wirklichkeit prima facie einer bestimmten Person (oder mehreren Personen) tatsächlich, nicht zwingend aber auch rechtlich, zugeord­ net. Wenn ein staatliches Organ angerufen wird, geht es um eine Änderung dieses tatsächlichen, vorgefundenen Zustands auf der Grundlage bestimmter rechtlicher Normen. Eine völlige „Verrechtlichung“ würde diese Realität ignorieren. Behauptet jemand, er hätte Anspruch auf die Schuhe, die ich gerade trage, kann ich mich gegen eine Wegnahme wehren. In diesem Fall erlaubt mir die Rechtsordnung die „Selbst­ hilfe“. Diese Wertung läuft nicht zwingend parallel zur rechtlichen Terminologie. Würde man aber den unmittelbaren Besitz uneingeschränkt gegenüber Dritten schützen, wäre das Diebstahlopfer auf vorherige Schutzmaßnahmen (Aufbewahrung von Gegenständen in Safes, etc.) beschränkt und könnte dem Dieb einen Gegenstand nicht einmal entreißen, wenn dieser die Sache im Beisein des Opfers wegnimmt. Ent­ schiede man sich umgekehrt, das Eigentum uneingeschränkt zu schützen, würde den Vermieter nichts davon abhalten, den Mieter nach Beendigung des Mietverhältnisses gewaltsam aus der Wohnung zu entfernen. Im Gegenteil würde ein umfassender staatlicher Schutz in erheblichem Umfang die Rechtssphäre der Bürger beeinträchtigen. Bereits die schlichte Beobachtung wird oftmals der Ausübung der verfassungsrechtlich verbürgten Handlungsfreiheit (Art.  2 Abs.  1 GG) entgegenstehen.72 Damit steht der Bürger in einem zwiespältigen Kon­ fliktverhältnis, in dem einerseits ein omnipräsenter Überwachungsstaat gefürchtet werden muss, andererseits aber auch ein Einschreiten gegen private Macht erforder­ lich wird. Deutlich ist dies insbesondere im Technologiesektor, namentlich im Inter­ net. So führte das Bekanntwerden der Überwachung des Internetdatenverkehrs durch britische und US-amerikanische Nachrichtendienste (PRISM73, Tempora74) 71  So die Überlegung von Picker, CWRLR 55 (2005), 749, 761, 767: „We have the ability to recall electronically networked products and the only question is whether we are going to create the right incentives for producers to design mechanisms to recall these products automatically. […] If the producer chooses to let go of the product so that the producer cannot exercise control going forward and therefore cannot evolve the product in response to actual use, the producer should face a hard use test.“; näher zum Problem unten §  3B, S. 329. 72  Siehe nur zur Videoüberwachung BVerfG NJW 2007, 688, 690; BVerfG NJW 2009, 3293; zur Internetüberwachung Schulz/Hoffmann, CR 2010, 131; zu Drohnen etwa Weichert, ZD-Aktuell 2012, 501; siehe etwa zu einer konkreten Konstellation aus der Versammlungsfreiheit OVG Münster BeckRS 2010, 56316. 73  Siehe dazu nur von Randow, Im Schatten der Macht; Amerika hört ab – und deutsche Sicher­ heitsbehörden sind neidisch, Die Zeit vom 13. Juni 2013, S.  7; Stürmer, Was darf der Staat?, Die Welt vom 25. Juni 2013, S.  3. 74  Dazu nur Gutschker/Wehner, Die Außenwelt der Innenwelt, FAS vom 23. Juni 2013, S.  4; Sotscheck, Der riesengroße Bruder beobachtet dich, TAZ vom 24. Juni 2013, S.  03.

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zu erheblichen Protesten; in gleicher Weise wurden aber auch gegen die Selbsthilfe der Deutschen Telekom AG, die eine Einschränkung der zur Verfügung gestellten Internetbandbreite zur besseren Kostenteilung plante, staatliche Maßnahmen ver­ langt.75 Generell wird staatliches Einschreiten gegen marktmächtige Unternehmen weit überwiegend gefordert,76 während eine ex ante-Kontrolle ebenso wie Beschrän­ kungen der individuellen Zugriffsmöglichkeiten von Endnutzern fast einhellig abge­ lehnt wird.77 Die Frage ist also nicht, ob Selbstschutz oder Selbsthilfe erlaubt wird, sondern nur, wem die ursprüngliche geschützte Position bis zur rechtlich verbindlichen Neuzu­ weisung eingeräumt werden soll. Während die endgültige Zuordnung gerichtlicher Klärung zugänglich ist, bedarf der Zustand bis zu einer Entscheidung (selbst wenn diese im einstweiligen Rechtsschutz erfolgt) irgendeiner Grundlage. Als Maßstab hierfür mag man die rechtsökonomische Effizienz heranziehen. Eine staatliche Rechtsdurchsetzung ist generell aufwendig und steht stets vor Kapazitätsgrenzen. Es gibt nicht unbegrenzt Polizisten, Gerichtsvollzieher und Staatsanwälte.78 Es muss also stets eine Kosten-/Nutzen-Abwägung erfolgen. Eine Rechtsordnung sollte dieje­ nige Zuordnung treffen, welche die geringste Zahl an Streitigkeiten provoziert und entsprechend auch den geringsten Vollstreckungsaufwand verursacht.79 Ein An­ spruchsteller wird sein vermeintliches Recht nur durchsetzen, wenn er mit weit über­ wiegender Wahrscheinlichkeit zumindest die für die Durchsetzung aufgebrachten Kosten erzielt.80 Zwei Beispiele aus dem Urheberrecht mögen dies verdeutlichen. – Nach §§  15 Abs.  1 Nr.  1, 16 UrhG hat jeder Urheber das ausschließliche Recht, eine Vervielfältigung seines Werkes zu verbieten. Dies gilt grundsätzlich auch für nichtgewerbliche Kopien zum Eigenbedarf. Da die staatlichen Organe (namentlich die Staatsanwaltschaften) jedoch mit der Verfolgung der Masse von Verstößen schlicht überlastet waren, sah sich der Gesetzgeber im Jahr 1965 zur Einführung der Privatkopieschranke in §  53 Abs.  1 UrhG in Verbindung mit einer nur durch Verwertungsgesellschaften geltend zu machenden pauschalen Vergütungsrege­ 75  Siehe nur Gropp, Datenbremser und Kämpfer für die Netzfreiheit, FAZ vom 28. Mai 2013, S.  15; Wagner/Wenzel, Aufsicht rüffelt Telekom; Bundesnetzagentur will Details zur Datenbremse wissen. Verbraucherschützer verschicken Abmahnung, FR vom 7. Mai 2013, S.  17. 76 So etwa beim Einschreiten der EU-Kommission gegen Microsoft (EuG Urteil T‑201/04 – Microsoft/Kommission), aber auch bei den laufenden Verfahren gegen Apple und Google. Gerade bei Facebook wird eine strenge datenschutzrechtliche Regulierung und Aufsicht gefordert, Jotzo, MMR 2009, 232; Rolf/Rötting, RDV 2009, 263; Spiecker Döhmann, K&R 2012, 717; Erd, NVwZ 2011, 19. 77  Man denke an die Diskussion um das nie angewandte Zugangserschwerungsgesetz vom 17. Februar 2010 (aufgehoben mit Wirkung vom 29. Dezember 2011) oder um die Sperrung von Do­ mains oder IP-Adressen (etwa OVG Münster, MMR 2003, 348; LG Kiel, MMR 2008, 123; LG Düs­ seldorf ZUM-RD 2008, 151; LG Hamburg ZUM 2010, 902; LG Frankfurt a. M. MMR 2008, 344). 78 Allgemein Posner, S.  659 ff. 79  Siehe allgemein dazu Schäfer/Ott, S.  15 ff.; Posner, S.  555 ff. 80  Posner, S.  601 ff.; Polinsky, S.  136 ff.

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lung in den §§  54 ff. UrhG gezwungen.81 An die Stelle einer Vielzahl von Streitig­ keiten zwischen Urhebern und Verbrauchern trat insoweit eine kollektiv abzu­ rechnende Zwangslizenz. – §  95a Abs.  1 UrhG verbietet die Umgehung „wirksamer“ technischer Schutzmaß­ nahmen ohne Ausnahme. Soweit das Urheberrecht oder Leistungsschutzrechte Schranken unterliegen, sind nach §  95b Abs.  1 UrhG dem durch Schranken Be­ günstigten „die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, um von diesen Be­ stimmungen [=den Schranken] in dem erforderlichen Maße Gebrauch machen zu können“. Der Gesetzgeber hat sich hier bewusst gegen eine „Selbsthilfe“ („Right to Hack“) entschieden.82 Nach §  95b Abs.  2 UrhG muss der durch Schranken Begüns­ tigte gerichtlich gegen den Rechtsinhaber vorgehen. Die umgekehrte Lösung (Recht zur Selbsthilfe) hätte eine Verfolgung der Verstöße gegen §  95a Abs.  2 UrhG (Vertrieb von Hilfsmitteln zur Umgehung) faktisch unmöglich gemacht. Diese Überlegung ist jedoch nicht auf Immaterialgüterrechte oder das Internet be­ schränkt. Man denke beispielsweise an ein Mietverhältnis. Vor dem Einzug muss der Mieter gegen den Vermieter auf Überlassung der Wohnung klagen und diesen Titel vollstrecken lassen (§  535 Abs.  1 S.  1 BGB), 83 ist die Wohnung aber erst einmal (auch nur kurzfristig) überlassen, kann der Vermieter den Mieter nur durch Klage (und anschließende Vollstreckung) seinerseits wieder zum Verlassen bewegen (§  546 Abs.  1 BGB, §  885 ZPO).84 Kommt es also zunächst auf die freiwillige oder erzwunge­ ne Erfüllung durch den Vermieter an, kommt es sodann darauf an, ob der Mieter seinen Pflichten nachkommt. Bis zur Überlassung ist es daher für den Vermieter nur bedingt interessant, wie zuverlässig sein Mieter ist (denn dieser müsste ihn erst ein­ mal verklagen). Andererseits muss sich der Mieter darauf verlassen, dass der Vermie­ ter ihm den Gebrauch der Wohnung überlässt. Kündigt der Vermieter die Wohnung ist es hingegen so, dass er darauf hoffen muss, dass der Mieter seiner Rückgabepflicht nachkommt. Der Mieter kann hingegen entspannt auf die Durchsetzung des An­ spruchs warten.85 81 Zur Geschichte der „Privatkopie“ ausführlich Schricker/Loewenheim/Loewenheim, §  53 UrhG Rn.  3 ff. 82  Bäsler, VAJLT 8 (2003), 13; Sandberger, Das Recht vor den Herausforderungen neuer Techno­ logien, S.  269, 281; Arlt, Handbuch Multimedia-Recht, Rn.  40; Reinbothe, GRUR-Int 2001, 733, 742; anders etwa die Tatbestände des DMCA (17 USC §  1201 d-j). 83  Siehe dazu LG Berlin NJW-RR 1988, 203; Hübner/Griesbach/Fuerst, Handbuch Geschäfts­ raummiete, Rn.  65 ff. 84  Siehe zum Schutz der Mieter BVerfG NZM 1998, 431; BGHZ 159, 383; Eisenhardt, NZM 1998, 64; Walker/Gruß, NJW 1996, 352; mit Tricks wie der Ausübung des Vermieterpfandrechts am Mo­ biliar („Berliner Räumung“, BGH NJW 2006, 848, allgemein Schuschke, NZM 2005, 681) können nur die Kosten reduziert werden. 85  Die Rechtsordnung korrigiert dies teilweise durch Prozesskostenerstattung (§  91 ZPO) und Schadensersatz bzw. Entschädigungspflichten wegen verspäteter Rückgabe (§  546a). Ob dies aber wirklich hinreichend abschreckt, hängt vom Nutzen des weiteren Behaltens der Wohnung für den Mieter ab, vgl. zu diesen Folgen des Prozessrechts Posner, S.  611 ff.; Polinsky, S.  136 ff.

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Diese rechtliche Behandlung ist nur scheinbar durch die Realität zwingend vorge­ zeichnet. Der Gesetzgeber könnte hypothetisch die Rechtslage auch umkehren. Es wäre etwa denkbar, dem Mieter zu gestatten, sich (z. B. mit Hilfe eines Schlüssel­ dienstes) selbst ab Vertragsbeginn (auch gegen den Willen des Vermieters) Zugang zur Wohnung zu verschaffen. Umgekehrt wäre es möglich, dem Vermieter zu gestat­ ten, die Wohnung nach wirksamer Vertragsbeendigung die Sachen des Mieters (etwa mit einem Nachschlüssel) aus der Wohnung zu entfernen und das Schloss aus­ zutauschen. In diesen Fällen ist nicht mehr der Berechtigte ex ante „Bittsteller“ gegenüber dem Staat, sondern der vormals Verpflichtete muss sich nun gegen dessen erlaubte Hand­ lung ex post zur Wehr setzen. Vielfach mag dies vorteilhaft sein. Die Kosten der staat­ lichen Durchsetzung werden aus Sicht des vormals Berechtigten auf die Verpflichte­ ten verlagert und so gestreut (etwa wenn der Vermieter eines Mehrfamilienhauses mehreren Mietern begegnet oder ein Internetmusikvertrieb Millionen von Kunden weltweit betreut).86 Dennoch beschreitet unsere Rechtsordnung diesen Weg etwa für die Wohnraum­ miete nicht. Dem liegt eine Interessenabwägung zugrunde. Vor Überlassung über­ wiegt das (Eigentums‑)Interesse des Vermieters, nach der Überlassung überwiegt hingegen die „gutgläubig“ ausgeübte tatsächliche Sachherrschaft des Mieters. Auch die vertragliche Vereinbarung eines umfassenden Selbsthilferecht, gegen das sich der Mieter (etwa durch einstweilige Verfügung) zur Wehr setzen müsste, ist unzuläs­ sig.87 Jedenfalls bei Geschäftsräumen soll es dann aber doch zulässig sein, dem Mie­ ter schlicht Strom, Wasser und Heizung abzuschalten, soweit er diese über den Ver­ mieter bezieht.88 Die Abgrenzung der Handlungsbefugnisse kann somit oft differen­ ziert und feinsinnig ausfallen. Damit ist der grobe Rahmen dieser Arbeit vorgezeichnet. Es geht darum, unter welchen Bedingungen und in welchem Umfang jemand, der ein rechtliches Interesse an einem Gegenstand hat, sich gegenüber anderen Interessenten ohne staatliche Hil­ fe durchsetzen kann.

II.  Systematisierung der Selbsthilfekonstellationen Eine erste Präzisierung des Arbeitsthemas hat dahingehend zu erfolgen, welche Sach­ verhaltsgestaltungen überhaupt unter den hier diskutierten Themenkomplex der 86 

Zur Kostenstreuung allgemein Posner, S.  132 f. grundsätzlichen Verbot solcher Vereinbarungen siehe MüKo-BGB/Grothe, §  229 BGB Rn.  1; jurisPK-BGB/Backmann, §  229 BGB Rn.  27 f.; Erman/Wagner, §  229 BGB Rn.  1; Prütting/We­ gen/Weinreich/Deppenkemper, §  229 BGB Rn.  1; Soergel/Fahse, §  229 BGB Rn.  2; Staudinger/Repgen, §  229 BGB Rn.  5, 23; Jauernig/Jauernig, §§  229–231 BGB Rn.  10; Palandt/Ellenberger, §  229 BGB Rn.  1; näher unten §  3A, S. 297. 88  BGHZ 180, 300 (m. Anm. Regenfus, LMK 2009, 284570); KG NZM 2007, 923; KG NZM 2006, 297; KG NJW-RR 2004, 1665; OLG Rostock MDR 2007, 1249; Hinz, NZM 2005, 841, 846 ff.; Herrlein, NZM 2006, 527; Beuermann, GE 2002, 1601. 87  Zum

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„Selbsthilfe“ bzw. des „Selbstschutzes“ fallen. Der Begriff soll im Folgenden denkbar weit verstanden werden. Schon im ersten Studiensemester werden etwa die „Notrech­ te“ der §§  227 ff. BGB erörtert,89 der seit 1896 bestehende Schutz von Geschäftsge­ heimnissen (§§  17 ff. UWG) ist Gegenstand umfangreicher Praxishandbücher.90 Zum besseren Verständnis ist eine Typisierung der einzelnen Erscheinungsformen der Selbsthilfe geboten. Jede Form der Selbsthilfe kann kumulativ anhand dreier Ge­ sichtspunkten charakterisiert werden: nach dem Anknüpfungspunkt der Befugnis, nach dem Verhältnis der staatlichen zu privaten Rechtsdurchsetzung sowie nach der Reaktion des Rechts auf die Selbsthilfehandlung. Diese können wie eine Schablone über die zu untersuchenden Erscheinungsformen einer Handlungsbefugnis gelegt werden und diese dadurch zwar nicht erschöpfend präzisieren, aber systematisch er­ fassen. 1.  Anknüpfungspunkt der Selbsthilfebefugnis Das erste hier gewählte Unterscheidungskriterium richtet sich nach dem Interesse desjenigen, der sich auf eine Selbsthilfebefugnis stützt. Insoweit kann auf Erkennt­ nisse aus der Strafrechtswissenschaft zurückgegriffen werden. Zu unterscheiden sind drei Gestaltungen.91 – Bei der „präventiven Selbsthilfe“ (bzw. „defensiven Selbsthilfe“) will derjenige, der die Selbsthilfehandlung ausübt, nur den status quo erhalten. Er verliert nichts. Nur derjenige, gegen den Selbsthilfe ausgeübt wird, erhält nicht den erwünschten Vor­ teil.92 Im einfachsten Fall besteht die Selbsthilfe daher im schlichten Nichtstun: Der Fernsehzuschauer umgeht die ihn störende Werbung, indem er den Sender wechselt,93 der Nachbar schließt sein Fenster und wehrt so den störenden Grillge­ ruch ab. Dies bedeutet allerdings nicht zwingend, dass die Abwehr in reiner Passi­ vität bestehen muss. Vielmehr kann diese durchaus in einer aktiven Maßnahme gegen den Störer bestehen.94 Man mag etwa an einen Türsteher denken. Das (man­ 89 

Rechtsvergleichend dazu v.  Bar, S.  504 ff. mwN; näher dazu unten §  3B, S. 329. etwa Westermann 2007, passim; Wurzer/Kaiser; siehe auch Schön, passim; zur prakti­ schen Bedeutung in den USA Almeling/Snyder/Sapoznikow/McCollum/Weader, Gonz. L. Rev. 46 (2011), 57; näher unten §  2A, S. 202. 91  Die Materialien zum BGB (Mugdan I, S.  543 = Mot. I, S.  348) unterscheiden ähnlich die „akti­ ve“ von der „passiven“ Selbsthilfe. 92  Diesen Defensivaspekt betont auch die vielzitierte Reichsgerichtentscheidung RGSt 21, 168, 170 zur Notwehr („das Recht braucht dem Unrecht nirgends zu weichen“). 93  Siehe zur lauterkeitsrechtlichen Beurteilung des automatischen Filterns von Werbung BGH GRUR 2004, 877; KG MMR 2002, 483; Vorinstanz LG Berlin MMR 1999, 610; OLG Frankfurt MMR 1999, 720 (Vorinstanz LG Frankfurt MMR 1999, 613); dazu Ladeur, GRUR 2005, 559; siehe auch OLG Hamburg GRUR-RR 2006, 148; OLG Hamm NJW-RR 2007, 1264; technisch wird durch die in HD angebotenen Privatfernsehsender der RTL-Gruppe verlangt, dass ein Vorspulen in aufgezeich­ neten Sendungen verhindert wird. 94  Gerade bei der Notwehr werden die Rechtsgüter des Angreifers, in die im Rahmen der Vertei­ digung eingegriffen werden darf, sehr weit gefasst; siehe dazu näher unten §  3B, S. 329. 90  Siehe

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gels Einverständnis des berechtigten Besitzers) unbefugte Eindringen in die Gast­ stätte95 wird durch seine aktive Abwehrmaßnahme verhindert. – Das extreme Gegenteil hiervon ist die „expansive Selbsthilfe“ (bzw. „aggressive Selbsthilfe“). Darunter fallen alle Fälle, in denen durch die Selbsthilfehandlung der Rechtskreis des Handelnden erweitert wird. Er hat also „mehr“ als vorher, und zwar auf Kosten desjenigen, gegen den die Selbsthilfehandlung vorgenommen wird.96 Illustrativ hierfür sind die Fälle der Selbsthilfe im engeren Sinne (§  229 BGB). Während zunächst nur ein (schuldrechtlicher) Anspruch besteht, kann die­ ser unter den dort genannten Voraussetzungen zu einer tatsächlichen Position (oder sogar zu einem absoluten Recht) verstärkt werden. Darin liegt ein „Mehr“ gegenüber der vorherigen Lage, welches durch die Selbsthilfe erreicht wurde. – Eine zwischen diesen Gruppen liegende Gestaltung kann man als „restitutive Selbsthilfe“ bezeichnen. Anders als bei der soeben dargestellten „expansiven Selbsthilfe“, will der Handelnde seinen Rechtskreis nicht erweitern, sondern nur den Zustand (wieder)herstellen, der vor einem Eingriff in seine Rechtssphäre be­ stand. Es handelt sich also um einen Fall der Folgenbeseitigung. Darin liegt ein wesentlicher wertungsmäßiger Unterschied. Im einen Fall findet eine Verände­ rung statt, während im anderen letztlich die Situation unverändert bleibt. Typisch für diese Konstellation ist die Besitzkehr (§  859 Abs.  2 BGB)97; aber auch im Rah­ men der Notwehr wird die Notwehrlage auf den (noch) mit der Beute fliehenden Dieb erstreckt.98 2.  Verhältnis von staatlicher und privater Rechtsdurchsetzung Das zweite, ergänzend eingreifende, Ordnungskriterium richtet sich danach, inwie­ weit die Selbsthilfe neben oder an Stelle staatlicher Maßnahmen tritt. Insoweit kann man vier Gruppen von Selbsthilferechten unterscheiden. – Der amtlich als „Selbsthilfe“ bezeichnete §  229 BGB lässt Selbsthilfemaßnahmen nur subsidiär gegenüber der gerichtlichen Durchsetzung zu. Es besteht also ein expliziter Nachrang dieser Form der Selbsthilfe gegenüber der staatlichen Rechts­ durchsetzung.99 Bei Notwehr (§  227 BGB) und Notstand (§§  228, 904 BGB) fehlt

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Näher Schönke/Schröder/ Sternberg-Lieben, §  123 StGB Rn.  14 f. Diese Form der Selbsthilfe wird im Hinblick auf das Gewaltmonopol des Staates grundsätz­ lich als verboten eingestuft, näher unten §  1A, S. 30. 97  Näher RGSt 59, 49, 50 f.; RG JW 1931, 2643; OLG Schleswig NStZ 1987, 75 (m. Anm. Hellmann, NStZ 1987, 455: 30 Minuten; MüKo-BGB/Joost, §  859 BGB Rn.  13; Staudinger/Gutzeit, §  859 BGB Rn.  17; unten §  3B, S. 329. 98  RGSt 55, 82, 84; BGHSt 48, 207, 209; LG München I NJW 1988, 1860; vgl. Lackner/Kühl/Kühl, §  32 StGB 4; Mitsch, NJW 1989, 25, 26. 99  Zu diesem Grundsatz und seinen Schranken BGH NJW 2010, 3434; Paal/Guggenberger, NJW 2011, 1036, 1038; näher unten §  1A.IV, S. 108. 96 

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eine solche Anordnung. Ob implizit dennoch eine entsprechende Einschränkung anzunehmen ist, ist noch nicht abschließend geklärt.100 – Anders ist die gesetzgeberische Gestaltung des Schutzes von Betriebs- oder Ge­ schäftsgeheimnissen.101 Bei „Know How“ gibt es gerade kein gesetzlich geschütz­ tes „geistiges Eigentum“, sondern ausschließlich einen „Selbstschutz“.102 Erst wenn diese Schutzmaßnahmen scheitern, greift der staatliche Sanktionsmechanismus (§§  17 ff. UWG) ein.103 Wer also eine neue Idee hat, kann entweder auf den Schutz durch eigene Mittel vertrauen oder aber alternativ staatlichen Schutz in Form ei­ nes Monopolrechts (regelmäßig eines Patents) in Anspruch nehmen.104 Verbin­ dendes Merkmal dieser Konstellationen ist die Existenz eines Zeitpunkts, in dem sich der Rechtsinhaber zwischen der Selbsthilfe und dem staatlichen Schutz ent­ scheiden muss. – Ein weiteres Konzept liegt der gesetzlichen Regelung zum Schutz technischer Maßnahmen nach §§  95a ff. UrhG zugrunde. Insoweit besteht einerseits ein staat­ lich durchgesetzter Schutz der Inhalte selbst durch Urheber- oder Leistungs­ schutzrechte.105 Gleichzeitig besteht aber auch das Recht, kumulativ Schutzmaß­ nahmen zu treffen. Ähnlich gelagert ist die Situation in privatrechtlichen Verbän­ den. Die sog. „Verbandsstrafgewalt“ ermöglicht es, Mitglieder von der Teilnahme an bestimmten Veranstaltungen oder sogar aus dem Verband insgesamt auszu­ schließen.106 Daneben ist aber auch ein gerichtlicher Schutz (etwa durch Unterlas­ sungsklagen) möglich. – Schließlich kann man auch vereinzelt beobachten, dass die Gewährung staatlichen Rechtsschutzes von vorheriger außergerichtlichen Handlungen abhängig gemacht wird (vorrangige Selbsthilfe). Musterbeispiel hierfür ist die wettbewerbs- bzw. im­ materialgüterrechtliche Abmahnung. Allgemein ist dieser Gedanke prozessual im Rechtsschutzbedürfnis,107 aber auch in der Kostentragungspflicht des §  93 ZPO („Hat der Beklagte nicht durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage Veranlas­ sung gegeben“) angelegt. Materiellrechtlich kommt eine Pflicht zur vorrangigen 100 Dazu Schönke/Schröder/Perron, §   32 StGB Rn.  41; MüKo-StGB/Erb, §  32 StGB Rn.  130 f.; Burr, JR 1996, 230; Pelz, NStZ 1995, 305; unten §  1D, S. 189. 101 Dazu Landes/Posner, S.  356 ff.; näher unten §  2A, S. 202. 102  Z. B. durch Safes, Alarmanlagen, Wachpersonal, Detektive, Vertraulichkeitsvereinbarungen, etc. – zahlreiche Beispiele bei Wurzer/Kaiser; aus den USA Cundiff, IDEA 49 (2009), 359. 103  Dazu zuletzt etwa BGH NJW 2009, 1420; BGH GRUR 2006, 1044; Maume, WRP 2008, 1275; Westermann, GRUR 2007, 116; Siems, WRP 2007, 1146; Grunewald, WRP 2007, 1307. 104  Zu dieser Alternativität näher Landes/Posner, S.  356 ff.; unten §  2A, S. 202. 105  Diese Abhängigkeit des technischen Schutzes vom inhaltlichen Schutz führt zu Problemen bei Kombination geschützter mit nicht geschützten Inhalten, näher Boddien, S.  165 ff.; Dreyer, Grundlagen und Grundfragen des geistigen Eigentums, S.  221, 221–248 f.; kartellrechtliche Erwä­ gungen bei Arlt, GRUR 2005, 1003; Viegener, ZUM 2005, 702; verfassungsrechtliche Zweifel bei Ulbricht, CR 2004, 674; Köcher/Kaufmann, MMR 2005, 751; näher unten §  3C, S. 359. 106  Ausgehend von der Entscheidung RGZ 140, 23, 24; Bettermann/Zeuner, 102 f.; Westermann 1972, passim; Reuter, ZGR 1980, 101. 107  Problematisch insbesondere im Lauterkeitsrecht, siehe dazu BGH GRUR 1980, 241; Pohlmann, GRUR 1993, 361; Pastor, GRUR 1974, 423.

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Selbsthilfe etwa im Rahmen der Schadensminderungsobliegenheit (§  254 Abs.  2 BGB; siehe auch §  326 Abs.  2 S.  2 BGB) aber auch bei der Beurteilung der Fahrläs­ sigkeit als solcher in Betracht. 3.  Reaktion des Rechts auf Selbsthilfehandlungen Als letztes Systematisierungskriterium soll hier schließlich ganz allgemein die recht­ liche Behandlung der Selbsthilfemaßnahme herangezogen werden.108 – Für Schutzmaßnahmen im Computerstrafrecht (§  202a StGB) wird vorausgesetzt, dass ausgespähte Daten „gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert“ (bzw. „aus einer nichtöffentlichen Datenübermittlung“ in §  202b StGB) sind, bevor der strafrechtliche Schutz eingreift.109 Denselben Gedanken kennt auch das Marken­ recht. Eine Marke muss aktiv benutzt werden, um rechtlichen Schutz zu behalten („Benutzungszwang“, §§  26, 49 MarkenG).110 Weitergehend muss der Markenin­ haber aber auch sicherstellen, dass sein Kennzeichen nicht zu einem Gattungsbe­ griff verkümmert (sonst droht ebenfalls „Verfall“, §  49 Abs.  2 Nr.  1 MarkenG).111 Der Vorfeld- und Umgehungsschutz im Bereich der technischen Schutzmaßnah­ men im Urheberrecht (§§  95a ff. UrhG)112 greift ebenso wie der Schutz von Ge­ schäftsgeheimnissen nach §§  17 ff. UWG113 nur ein, soweit das System „wirksam“ war; eine ähnliche Einschränkung kannte auch das Lauterkeitsrecht bei selektiven Vertriebssystemen.114 All diese Fälle zeichnen sich also dadurch aus, dass an den privaten Schutz ein (regelmäßig diesen verstärkender) Schutz durch staatliche Or­ gane anknüpft. Selbsthilfe wird durch daran anknüpfende Maßnahmen aktiv ge­ fördert. – Eine ganz andere Gestaltung liegt den Notrechten, Notwehr (§  227 BGB) und Not­ stand (§§  228, 904 BGB) sowie Selbsthilfe im engeren Sinne (§  229 BGB) zugrunde. Der Staat begünstigt oder verlangt kein Einschreiten des Privaten. Er stellt nur denjenigen, der Selbsthilfemaßnahmen ergreift, von negativen Rechtsfolgen frei. Hierbei handelt es sich wohl um den Regelfall der rechtlichen Behandlung von 108 Vgl.

Lichtman, J.L. Econ. & Pol’y 1 (2005), 215, 255. dazu MüKo-StGB/Graf, §  202a StGB Rn.  31 ff.; Schönke/Schröder/Lenckner/Eisele, §  202a StGB Rn.  14 ff.; Leicht, iur 1987, 45, 46. 110 Zurückgehend auf Art.   10 Abs.  1–3 Markenrechtsrichtlinie; siehe ebenso Art.  15 Gemein­ schaftsmarkenverordnung; vgl. auch Art.  15 Abs.  3, 19 TRIPs, Art.  5 C Abs.  1 PVÜ; zum Erfordernis eines „bona fide use of th[e] mark made in the ordinary course of trade“; in den USA 15 USC §  1064 (3), 15 USC §  1127. 111  Siehe Art.  15 Abs.  1 S.  3 TRIPs, Art.  50 Gemeinschaftsmarkenverordnung; Art.  12 Abs.  2 lit.  a MRL; in den USA 15 USC §  1064 (3). 112  Siehe Art.  11 WCT und Art.  18 WPPT; Art.  6 Abs.  2 Multimedia-Richtlinie; 17 U.S.C. §  1201 ff. 113  Landes/Posner, S.  356 ff.; näher unten §  2A, S. 202 ff. 114  So die frühere Rechtsprechung, BGHZ 135, 135, 139 ff.; BGH GRUR 1974, 351, 352; BGHZ 36, 370; siehe auch Schuhmacher, passim; Rowedder, FS Pfeiffer, S.  751, 756; Klados, WRP 1999, 586, 590; siehe nunmehr BGHZ 143, 232; zu alledem Lubberger, WRP 2000, 139, 146. 109 Siehe

A. Problemstellung

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Selbsthilfe. Insoweit beeinflusst die gezielte Ausklammerung von ansonsten vor­ gesehenen Sanktionen („Privilegierung“) das Handeln aufgrund der Selbsthilfebe­ fugnis. Allerdings fallen unter diese Gruppe auch bestimmte, sachlich eng be­ grenzte aktive Maßnahmen des Staates. Der Staat wirkt Abwehrhandlungen gegen eine von der Rechtsordnung akzeptierte Selbsthilfe (etwa vermeintliche Notwehr gegen eine gerechtfertigte Handlung) durch Anordnung einer zivilrechtlichen Haftung oder sogar durch Strafverfolgung entgegen. – Private Rechtsdurchsetzung bzw. privater Schutz erhalten sicherlich eine Bedeu­ tung, wenn der Staat keine Alternative (mehr) bietet. Ein gewisser Zwischenschritt zwischen diesen beiden Extremen liegt in den Bereichen, in denen staatliche Zwangsmaßnahmen ohnehin außer Frage stehen. So ist niemand gezwungen, ihm unangenehme Werbeplakate zu betrachten, Spam-Emails zu lesen oder Werbean­ rufe anzunehmen. Die „Selbsthilfe“ besteht insoweit schlicht im Weghören, Wegsehen, Wegklicken oder nicht an das Telefon gehen. Diese Aktivitäten sind sicherlich von der Handlungsfreiheit der Betroffenen gedeckt und bedürfen keiner besonderen staatlichen „Billigung“ oder gar „Förderung“. Dennoch finden sich vereinzelt Rechtsstreitigkeiten in diesem Bereich. Man denke an die sog. „Fernseh­ fee“115, durch die Werbung aus dem laufenden TV-Programm geschnitten werden konnte, oder der viel diskutierte „Webwasher“, der Werbung aus dem Internet fil­ terte.116 Privatfernsehsender und Anbieter von werbefinanzierten Internetdiens­ ten sahen hierin ein gegen das UWG verstoßendes, unlauteres Verhalten. Zweifeln mag man auch an der Zulässigkeit providerseitiger Internet-Filtersoftware117 oder serverseitiger Spam-Filtern. Dadurch werden fremde Inhalte verändert (etwa in­ dem Hyperlinks nicht mehr funktionieren) und so verzerrt bzw. verfälscht.118 Die Reaktion auf die Selbsthilfe äußert sich insoweit in einem schlichten Normenman­ gel bzw. einer nicht vorhandenen Regulierung. Der Staat überlässt dadurch die Betroffenen einem freien „Wettrüsten“119, ohne einer Partei ein durchsetzbares Abwehrrecht einzuräumen („Passivität“ oder negativ „Schutzverweigerung“). So war das Internet in seinen Anfangsjahren durch legislative und judikative Zurück­ 115  BGH GRUR 2004, 877; KG MMR 2002, 483; Vorinstanz LG Berlin MMR 1999, 610; OLG Frankfurt MMR 1999, 720 (Vorinstanz LG Frankfurt MMR 1999, 613); dazu Ladeur, GRUR 2005, 559; siehe auch OLG Hamburg GRUR-RR 2006, 148; OLG Hamm NJW-RR 2007, 1264. 116  Dazu Köhler/Bornkamm/Köhler, §  4 UWG Rn.  4.71; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/ Omsels, §  4 UWG Rn.  75. 117 So namentlich bei in Unternehmen verbreiteten Proxy-Servern, siehe Spindler/Schuster/ Volkmann, §  59 RStV Rn.  50 ff. zu verschiedenen Filtermöglichkeiten; warnend Marberth-Kubicki, NJW 2009, 1792. 118  Siehe die Haftungsprivilegierung des §  8 TMG, die voraussetzt, dass die übermittelten Infor­ mationen weder ausgewählt noch verändert wurden; auch gespeicherte Informationen sind nur als „fremd“ im Sinne von §  10 TMG privilegiert, wenn sie nicht vom Provider verändert oder ausge­ wählt wurden, so auch der Vorbehalt in EuGH. 119  Zum „Arms Race“ Lichtman, J.L. Econ. & Pol’y 1 (2005), 215, 225; Landes/Posner, S.  369; Fried­man/Landes/Posner, J. Econ. Persp.  5 (1991), 61, 63; Kovarsky, INLJ 81 (2006), 917.

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Einleitung

haltung stark privilegiert, was erhebliche Innovationssprünge ermöglichte.120 In diese Kategorie würden auch Konstellationen fallen, in denen man dem Staat aus­ nahmsweise die Verweigerung jeglichen Rechtsschutzes zubilligt.121 Zu denken ist insoweit an Fälle von „unclean hands“,122 sowie an Konstellationen des §  817 S.  2 BGB.123 Soweit in der strafrechtlichen und zivilrechtlichen Literatur Gegenstände dem Rechtssystem entzogen werden (Stichwort „res extra commercium“)124, verla­ gert sich die Klärung von Konflikten allein auf die unmittelbare Ebene zwischen den Betroffenen.125

III.  Der Schutzbereich von Selbsthilferechten Nach dieser Ausdifferenzierung und Systematisierung der Gestaltungen von Selbst­ hilfemaßnahmen ist der Blick auf eine weitere Fragestellung zu richten. Notwendiger Anknüpfungspunkt jeder Selbsthilfebefugnis ist irgendeine Form von tatsächlicher Kontrollmöglichkeit über einen körperlichen Gegenstand, sei es ein Grundstück, zu dem der Zugang verweigert wird, eine Sache, die zerstört oder weggenommen wer­ den kann, oder auch der menschliche Körper, der in seiner Bewegungsfreiheit einge­ schränkt oder verletzt wird. Bei Daten wird die Kontrollmöglichkeit über technische Schutzmaßnahmen (vgl. §  95a Abs.  1 UrhG; §  202a Abs.  1 StGB; §§  2 f. ZKDSG) her­ gestellt.

120  Zur Regulierungspolitik im Internet Burk, CDZLR 21 (1999), 121; Mecklenburg, ZUM 1997, 525; Ladeur, ZUM 1997, 372; Christiansen, MMR 2000, 123. 121  Prinzipiell gilt freilich auch im Zivilrecht ein „Justizgewährungsanspruch“ BVerfGE 85, 337; ausdrücklich Art.  6 EMRK Meyer-Ladewig/Meyer-Ladewig, Art.  6 EMRK Rn.  32 ff.; problematisch sind insoweit etwa staatlich geschaffene Immunitäten, vgl EGMR NJW 1999, 1173 (Klage gegen die ESA wurde von deutschen Gerichten abgewiesen). 122  BGH GRUR 1957, 23, 24 (obiter); OLG Karlsruhe GRUR-RR 2008, 350 (verneinend); OLG Hamburg GRUR-RR 2009, 262 (Ls. 3, verneinend); Staudinger/Looschelders/Olzen, §  242 BGB Rn.  1059; Köhler/Bornkamm/Köhler, §  11 UWG Rn.  2.39; Prölss, ZHR 132 (1969), 35; Schwippert, Handbuch des Wettbewerbsrechts, Rn.  60; Friehe, WRP 1987, 439; Traub, FS von Gamm, S.  213. 123  BGHZ 75, 299: „dem Zivilrecht an sich fremde Regelung, die nicht selten zu unbilligen Ergeb­ nissen führen kann“; Flume, §  18 10 a (S.  390); Staudinger/Lorenz, §  817 BGB Rn.  10; Armgardt, NJW 2006, 2070; Armgardt, JR 2009, 177; Möller, NJW 2006, 268; Dauner, JZ 1980, 495; Medicus, Ge­ dächtnisschrift für Rolf Dietz, S.  61. 124  Z. B. die Entscheidung LG Koblenz NJW 1956, 949 („Ein Grabdenkmal verkörpert als res extra commercium keinen wirtschaftlichen Vermögensbestandteil, durch seine Zerstörung entsteht kein Geldschaden“, freilich zu Recht scharf kritisiert – vgl Anm Ganschezian-Finck aaO); im Straf­ recht soll bei verbotenen Rechtsgeschäften (etwa Drogen) ein Vermögensschaden (und damit auch die Begehung etwa von Betrug und Erpressung) ausgeschlossen sein (Schönke/Schröder/ Perron, §  263 StGB Rn.  93 – vgl. neuerdings aber BGH NStZ 2002, 33); u. a. wegen solcher Schutzlücken verhindert §  137 BGB die privatautonome Entziehung von Gegenständen aus dem Rechtsverkehr, Wagner, AcP 194 (1994), 451, 468 f. 125  Illustrativ ein legendärer Fall aus Großbritannien (Everet v. Williams, Middlesex L.Q. Rev. 1893) wo sich zwei Straßenräuber im Jahr 1725 um die Verteilung ihrer Beute vor Gericht auseinan­ dersetzten – mit der Folge, dass beide gehängt wurden und der die Klageschrift verfassende Anwalt in eine Kolonie verschifft wurde.

A. Problemstellung

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Die Kontrollmöglichkeit allein kann aber nicht genügen. Erforderlich ist vielmehr zusätzlich eine rechtliche Billigung, ein „Rahmen“ für den Schutz. So ist die Selbst­ hilfe des Diebes gegen den Eigentümer der gestohlenen Sache trotz der tatsächlichen Sachherrschaft nicht akzeptabel und auch der Betreiber eines E-Mail-Dienstes mag den unmittelbaren Zugriff auf die bei ihm eingehenden Nachrichten haben, darf die­ se jedoch nicht den Empfängern vorenthalten. Wollte man diese Frage allerdings umfassend beantworten, müsste man enzyklopädisch die gesamte Rechtsordnung zusammenfassen und hinterfragen. 1.  Absolute Rechte als untauglicher Anknüpfungspunkt Eine erste Frage ist, inwieweit eine Diskussion absolut geschützter, subjektiver Rech­ te geboten ist, um die Funktionsweise der Selbsthilfe hinreichend zu erfassen. Dabei soll es nicht um die Frage gehen, inwieweit eine Selbsthilfeposition selbst ein absolut geschütztes „sonstiges Recht“ im Sinne von §  823 Abs.  1 BGB ist.126 Nur auf den ers­ ten Blick erscheint es widersinnig, die „schnelle“ private Eingriffsmöglichkeit durch „langsame“ staatliche Ansprüche zu schützen. Angesichts des ausdrücklich vorgese­ henen Schutzes von technischen Schutzmaßnahmen (= Selbsthilfe) im Urheberrecht durch Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche (§  95a UrhG) ist ein solcher Schutz des Schutzes127 jedenfalls nicht auszuschließen. Dennoch kann die Frage an dieser Stelle ausgeblendet bleiben und die Rechtfertigung der Handlung als solche in den Vordergrund gestellt werden. Denn ein gerichtliches Vorgehen allein zum Erhalt der Selbsthilfebefugnis wird stets die Ausnahme bleiben. Auch ist zu berücksichti­ gen, dass „losgelöste“ Selbsthilferechte, denen nicht irgendein Anspruch oder Recht zugrundeliegt, kaum vorstellbar sind. Die schwierigere Hürde ist, ob überhaupt ein Eingriffsrecht besteht. Die Frage, wie man dieses gerichtlich verteidigen bzw. durch­ setzen kann, ist hingegen nachrangig. Vielfach dienen defensive bzw. restitutive Selbsthilfe- bzw. Selbstschutzrechte in der Tat der Erhaltung bzw. Wiederherstellung absoluter Rechtspositionen.128 Deutlich ist dies bei Notwehr (§  227 BGB) bzw. aggressivem Notstand (§  228 BGB).129 Zwin­ gende Voraussetzung von Selbsthilfe- bzw. Selbstschutzbefugnissen ist dies freilich nicht. Gerade die Selbsthilfe im engeren Sinne (§  229 BGB) dient regelmäßig der Durchsetzung relativer Rechte, d. h. von Forderungen. Tatsächlich ist die Schaffung absoluter Schutzpositionen stetiger Dynamik ausgesetzt.130 Gegenstände, die einmal 126 

Schünemann, S.  150 (Fn.  9).

127 Wandtke/Bullinger/Wandtke/Ohst,

§  95a UrhG Rn.  3; Arlt, Handbuch Multimedia-Recht, Rn.  13; Berger, ZUM 2004, 257, 261: „Urheberrecht »zweiter Klasse«“ für diejenigen, die kein DRM nutzen; dazu bereits oben A.II.3, S. 20. 128  Schünemann, S.  38 ff.; MüKo-StGB/Schlehofer, Vor §§  32 ff. StGB Rn.  53 ff.; Schreiber, Jura 1997, 29, 32. 129  Allgaier, VersR 1989, 788; Schreiber, Jura 1997, 29, 32. 130  Siehe nur BeckOK-GG/Axer, Art.  14 GG Rn.  43; Levmore, J. Legal Stud. 31 (2002), 421; Müller-Erzbach, ZHR 88 (1926), 173-, 180 ff.; Parisi, Economics of ancient law, S.  382, 382.

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Einleitung

Allgemeingut waren, können durch den Gesetzgeber einer Person zugeordnet wer­ den.131 Umgekehrt sind eine „Sozialisierung“ (Art.  15 GG; siehe auch Art.  27 Abs.  1 LVerf NRW) oder Massenenteignung (Art.  14 Abs.  3 GG) ebenso wie die Schaffung umfangreicher Inhalts- und Schrankenbestimmungen (Art.  14 Abs.  1 GG) jedenfalls zulässig, wenn auch praktisch unwahrscheinlich.132 Ein besonderer Fall ist der Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Dabei ist höchst umstritten, inwieweit man diesbezüglich ein eigenes absolut geschütztes „sonstiges Recht“ im Sinne von §  823 Abs.  1 BGB annehmen kann.133 Dennoch sanktioniert die Rechtsordnung das „Ausspionieren“ und den „Verrat“ durch damit betraute Perso­ nen in §  17 UWG.134 Ähnlich dürfte die Lage in Bezug auf „Daten“ sein. Trotz aller konstruktiven Bemühungen fällt es schwer, ein entsprechendes Recht zu konstruie­ ren, ohne auf spezielle Rechte an den Inhalten (etwa Urheber- oder Datenschutz­ recht) oder die tatsächliche Sachherrschaft bzw. das Eigentum am Speichermedium zu rekurrieren.135 Dementsprechend sind absolute Rechte im Rahmen dieser Untersuchung kein ge­ eigneter Anknüpfungspunkt. 2.  Tatsächliche Eingriffsmöglichkeiten als Anknüpfungspunkt Maßgeblich sind zunächst die tatsächliche Eingriffsmöglichkeit sowie (zumindest) die Duldung der Nutzung dieser Möglichkeit durch die Rechtsordnung. Durch die Konzentration auf tatsächliche Herrschaftspositionen werden eine Rei­ he anderer rechtlicher Konstruktionen ausgeblendet, etwa der mittelbare Besitz (§  868 BGB) und die Besitzdienerschaft (§  855 BGB), sowie Urheberpersönlichkeits­ rechte. Angesichts der ausdifferenzierten Gestaltung absoluter Rechte, insbesondere der vielfältigen Schrankenregelungen ist mit einer Anknüpfung allein an die tatsächli­ che Eingriffsmöglichkeit aber auch die Gefahr verbunden, dass die mit absoluten Rechten einhergehende Sozialbindung (Art.  14 Abs.  2 GG) überspielt wird.136 Dem­ 131 

Schäfer/Ott, S.  554 ff.; Peukert 2008, S.  1 ff. Gramlich, ZVglRWiss 1983, 165, 167; Levmore, U. Chi. L. Rev. 70 (2003), 181. 133  Offengelassen in BGHZ 16, 172; skeptisch zu Recht BVerfG NJW 1992, 36, 37: „Folglich sind Beschaffenheit und Zusammensetzung eines Produkts, wenn sie nicht als Patent- und Gebrauchs­ muster, Geschmacksmuster oder Warenzeichen im Sinne eines Ausschließlichkeitsrechts einer Per­ son zugeordnet sind, nur mittelbar durch Normen des öffentlichen Rechts und des Wettbewerbs­ rechts geschützt. Dies begründet aber noch keine Rechtsposition, die dem Schutzbereich des Art.  14 I GG unterfiele.“; MüKo-BGB/Wagner, §  823 BGB Rn.  226 (eher Unternehmensschutz); Wolff, NJW 1997, 98; umfassend Lemley, Stan. L. Rev. 61 (2008), 311; Ann, GRUR 2007, 39, 42 f.; Pfister. 134  Siehe nur Ohly, Patents and technological progress, S.  535; Kraßer, GRUR 1977, 177; Siems, WRP 2007, 1146; aus soziologischer Sicht Rowe, U. Kan. L. Rev. 58 (2009), 1. 135 Näher Beurskens, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2008, S.  4 43; mit spezifischer Ausrichtung auf Gegenstände in „virtuellen Welten“ Schneider 2010; Berberich 2010; Berberich, Nutzergenerierte Inhalte als Gegenstand des Privatrechts, S.  165. 136  Vgl. die Diskussion zum §§  95a ff. UrhG bei Grzeszick, ZUM 2007, 344; Pahud; genau den umgekehrten Fall erörtert Scholz, NJW 1983, 705, 706: „Aus Art.  14 II GG folgt mithin kein Recht 132 

B.  Ziel und Methodik

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zufolge wird insbesondere im zweiten Teil der Arbeit zu hinterfragen sein, inwieweit etwa die Schrankenbestimmungen des Urheberrechts auch bei Schutz durch techni­ sche Maßnahmen (= Selbsthilfe) gewahrt werden können. 3.  Relative Rechte als beschränkende Wertungsstufe Ganz ohne eine zusätzliche, wertende Stufe kommen Selbsthilferechte aber nicht aus. Statt des Versuchs, die absoluten Rechte als solche zu erfassen, wird im Folgenden auf einzelne, aus der absoluten Position folgenden relativen Ansprüche abgestellt. Dies deckt sich mit den Erkenntnissen der Rechtsökonomie, die absolute Rechte ohnehin nur als vereinfachende Fiktion versteht.137 Im Rahmen absoluter Rechte sol­ len nämlich nur die ansonsten abzuschließenden Verträge mit allen potentiellen Verletzern (d. h. relative Rechte) abstrakt zusammengefasst werden. Durch diesen Kunstgriff werden die mit derartigen Massenverträgen verbundenen, faktisch nicht finanzierbaren, Transaktionskosten vermieden.138 Stehen also im Rahmen dieser Arbeit letztlich die relativen Rechte einerseits und die faktische Kontrollmöglichkeit andererseits im Vordergrund ist auch das Untersu­ chungsprogramm wieder ein wenig stärker konkretisiert. Ziel ist es, allgemeine Re­ geln für Fallgruppen herauszuarbeiten, in welchen ein relatives Recht gerade durch die faktische Herrschaftsmöglichkeit ohne staatliche Hilfe durchgesetzt und damit auch kontrolliert werden kann.

B.  Ziel und Methodik Trotz der erheblichen mit der Selbsthilfe verbundenen Möglichkeiten, aber auch ih­ ren Schwierigkeiten, wurden Normen, die Selbsthilfebefugnisse einräumen, bislang im zivilrechtlichen Schrifttum139 (insoweit anders als insbesondere die Notwehr im Strafrecht140) kaum behandelt. Selbst die wenigen Untersuchungen konzentrieren sich auf einzelne Aspekte, ohne das Gesamtbild zu betrachten. Für die Zwecke dieser Arbeit sollen hingegen gerade die Gemeinsamkeiten herausgearbeitet werden, wozu letztlich die Wesensmerkmale der untersuchten Selbsthilfekonstellationen herauszu­ zur individuellen Selbsthilfe für den einzelnen oder für einzelne Gruppen, geschweige denn für Hausbesetzer“. 137  Schäfer/Ott, S.  98 ff.; Peukert 2008, S.  100 ff.; praktische Probleme macht die Modifikation der gesetzlichen Rechtszuweisung vor allem im Web 2.0, siehe dazu etwa LG Hamburg ZUM-RD 2009, 403 (umfassende Rechteeinräumung an Plattformbetreiber ist überraschende Klausel und nach §  307 BGB intransparent); genauer Berberich, MMR 2010, 736. 138  Posner, S.  9, 33; Schäfer/Ott, S.  551, 562 f. 139  Hervorzuheben ist insoweit die (freilich auf §  229 BGB) beschränkte Arbeit von Schünemann; sowie das sehr detaillierte Schrifttum zu §§  95a, 95b UrhG, siehe etwa Arlt, passim; Dammers; Kirmse; Entelmann, passim. 140  Wössner, passim; Vaxevanos, passim; Bisson, passim; Fahl, Jura 2007, 743; Sengbusch, passim; Engländer, passim.

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Einleitung

arbeiten und zueinander in Beziehung zu setzen sind. Ziel ist nicht die Entwicklung neuer Regelungen de lege ferenda, sondern eine Schärfung der dem geltenden Recht zugrundeliegenden Strukturen und auf deren Grundlage die Schaffung interpretato­ rischer Klarheit. Als Vergleichsmechanismus für die verschiedenen hier betrachteten Selbsthilfebzw. Selbstschutzsysteme bietet sich die insbesondere in den Vereinigten Staaten ver­ breitete ökonomische Analyse des Rechts an. Unverzichtbare Grundannahme dieser Methode ist, dass menschliches Verhalten abstrakt-generell der Befriedigung eigener Bedürfnisse dient.141 Sicherlich muss auch die Rechtsökonomie akzeptieren, dass Menschen im Einzelfall auch irrational, d. h. nicht zielgerichtet, handeln. Insgesamt unterstellt man aber, dass solche Störungen im Gesamtergebnis durch gegengerichtetes Verhalten kompensiert werden. Ausge­ hend von diesem Modell haben sie daher im Ergebnis keine signifikanten Auswir­ kungen. Differenzierter sind die Ansätze der „Sozialökonomik“ (social economics).142 Diese bezieht unabhängig von den mit einem Verhalten verfolgten Ziel auch diesbe­ zügliche, empirisch ermittelte Verhaltensmuster ein. Aufgabe des Rechts ist aus Sicht der Rechtsökonomie die Optimierung gesamtwirtschaftlichen Wohlstandes, wobei nicht nur Vermögenswerte, sondern alle menschlichen Bedürfnisse berücksichtigt werden.143 Eine Verhaltensweise gilt als „effizient“, wenn bei (hypothetischer) Kompensation aller durch sie Benachteiligten die begünstigten Personen noch einen Gewinn machen würden (sog. „KaldorHicks-Effizienz“).144 Eine Folgerung aus dieser Grundannahme ist das Coase-Theorem, welches vereinfacht besagt, dass in einer hypothetischen Welt, in der Verhand­ lungen keine Kosten verursachen, unabhängig von der ursprünglichen Zuordnung der Rechte stets das gesamtwirtschaftlich optimale Ergebnis erreicht würde.145 Bei dieser Betrachtung bleibt zwangsläufig die individuelle Gerechtigkeit der Res­ sourcenverteilung unberücksichtigt; vielmehr wird ausschließlich auf die Summe der Vermögenspositionen abgestellt, unabhängig davon, wem diese zustehen.146 Die Verteilung der Güter soll statt dessen über das öffentliche Recht, etwa durch Steuern und Subventionen, vorgenommen werden.147 Bildlich gesprochen beschäftigt sich die ökonomische Analyse nur mit der Größe des Kuchens und nicht mit seiner Auftei­ 141  Posner, S.  3 f., 18 ff.; Schäfer/Ott, S.  58 ff. zur Kritik am „Rationalitätsgedanken“ Cross, CNLLR 2000, 1; Nussbaum, UCHILR 64 (1997), 1197; aber auch Chong, Crit.Rev. 9 (1995), 37. 142  Nitzsch/Friedrich, Handbuch corporate finance – Konzepte, Strategien und Praxiswissen, 3 f.; siehe auch Sunstein, CLMLR 96 (1996), 903; Jolls, Green Bag 5 (2002), 321; allgemein Schäfer/Ott, S.  65 ff.; MüKo-BGB/Wagner, Vor §  823 BGB Rn.  60; Eidenmüller, JZ 2005, 216. 143  Schäfer/Ott, S.  1, 24 f.; Polinsky, S.  7 ff.; Posner, S.  10 ff. 144  Schäfer/Ott, S.  32 ff.; Posner, S.  13; Polinsky, S.  10. 145  Coase, JLEcon 3 (1960), 1; Schäfer/Ott, S.  100 ff.; Posner, S.  7, 49 ff.; Polinsky, S.  13 ff.; anschau­ lich etwa Swygert/Yanes, DePaul Business Law Journal 11 (1998), 1. 146 Deutlich Posner, S.  11 ff., 264 ff.; Polinsky, S.  7 ff., 117 ff.; einschränkend insofern Schäfer/Ott, S.  6 f. 147  Polinsky, S.  152 ff.; Posner, S.  4 67 ff.; Schäfer/Ott, S.  30 f., 37: „Das Zivilrecht ist für den Schutz des Schwachen und die Herstellung sozialer Gerechtigkeit strukturell weniger geeignet“.

B.  Ziel und Methodik

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lung.148 Dennoch wird gelegentlich auch auf Aspekte der Verteilungsgerechtigkeit einzugehen sein, um dem Sozialstaatsprinzip (Art.  20 Abs.  1 GG) und dem allgemei­ nen Bedürfnis nach Einzelfallgerechtigkeit zu begegnen. Die Fragen sind allerdings systematisch deutlich voneinander zu unterscheiden.149 Der durch den Eingriff in eine Zuordnungsposition entstehende „soziale Verlust“ wird aus ökonomischer Sicht durch die Summe aus Präventionskosten, entstande­ nem gesamtwirtschaftlichem Verlust und den durch die Schädigung verursachten Verwaltungskosten, etwa Rechtsdurchsetzungskosten und Versicherungskosten, ge­ kennzeichnet.150 Aus ökonomischer Sicht ist eine Pflicht zur Verhinderung schädi­ gender Ereignisse nur solange angemessen, wie die Kosten für den Ausgleich des entstandenen Schadens den für die Schadensvermeidung nötigen Aufwand überstei­ gen. Im Vordergrund stehen insoweit die Vermeidung von Verwaltungskosten und die Reduktion von Präventionskosten, indem demjenigen die Verantwortung für die Schadensvermeidung zugewiesen wird, der diese mit dem geringsten Aufwand zu leisten vermag (least cost avoider). Bei naiver Betrachtung mag man meinen, dass ein reines „Faustrecht“ dem Ziel der Rechtsökonomie, Transaktionskosten zu vermeiden, durchaus entgegenkommen müsste. Jedoch entstehen auch und gerade bei privater Rechtsdurchsetzung erhebli­ che soziale Verluste. Zunächst ist derjenige, der die größte Durchsetzungsmacht hat, nicht zwingend derjenige, der einen Gegenstand der effizientesten Nutzung zuführt. Unkontrollierte Selbsthilfe verursacht darüber hinaus erheblich Rechtsunsicherheit. Das Verhalten eines Rechtsstaates ist zwangsläufig in gewisser Weise vorhersehbar (durch eine geordnete Gesetzgebung und Rechtsprechung).151 Das Verhalten eines Privaten ist nicht ohne weiteres an diese Schranken gebunden, damit nicht berechen­ bar und ein erheblicher Kostenfaktor für die Betroffenen.152 Ausgehend von der Beobachtung, dass unter bestimmten Umständen eine „Selbst­ hilfe“ bzw. ein „Selbstschutz“ praktisch und rechtlich möglich ist, stellt sich die Fol­ gefrage, wie die Rechtsordnung darauf reagiert und welche Folgen daran anknüpfen. Diese Arbeit ist insoweit in drei getrennte, aber aufeinander aufbauende Fragestel­ lungen eingeteilt: Rechtsdurchsetzung, Rechtsgestaltung und Konfliktlösung. Aus rechtsphilosophischer bzw. rechtsdogmatischer Sicht ist dabei schon auf den ersten Blick bemerkenswert, dass sich hierin die drei Staatsgewalten (Exekutive, Legislative,

148 

Polinsky, S.  7. Anders etwa Swygert/Yanes, WALR 73 (1998), 249 die ein „integratives“ Modell für beide Er­ wägungen vorschlagen. Dies würde aber letztlich separate Wertungsstufen vermischen und eine klare Analyse eher behindern. 150  Schäfer/Ott, S.  127 ff.; Polinsky, S.  43 ff.; Posner, S.  167 ff., 192 ff.; grundlegend Calabresi, S.  26 ff. 151  Siehe dazu Rehbinder 2009, Rn.  126–131; Luhmann, S.  190, 213 ff. 152  So, wenn auch ohne ökonomische Wertung bereits Schünemann, S.  1 unter Hinweis auf Kohler 1909, S.  58 (von 1909!). 149 

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Einleitung

Judikative)153 widerspiegeln. Allerdings sind diese nicht im Sinne von Locke154 und Montesquieu155 getrennt, sondern gerade auf eine Person gebündelt. Diese Beobach­ tung ist aber konsequent. Soweit durch Einräumung des Selbsthilferechts ein rechtli­ cher Freiraum eingeräumt wird, muss das so entstehende Machtvakuum gefüllt wer­ den. Dies geschieht naturgemäß durch den Selbsthilfebefugten, der aber insoweit deutlich anders als der Staat in näher zu untersuchendem Umfang externer Kontrol­ le und externen Schranken unterliegt. Die Arbeit gliedert sich in drei Kapitel, die sich an dek oben dargestellten grund­ sätzlichen Verhältnis der Selbsthilfe zur staatlichen Rechtsdurchsetzung orientieren. Zunächst werden die Konstellationen subsidiärer Selbsthilfe behandelt, da diese tra­ ditionell und nach dem Wortlaut von §  229 BGB im Vordergrund stehen. Die dabei erlangten Erkenntnissen können sodann als Grundlage der Erörterung der alternati­ ven Selbsthilfe herangezogen werden, die sich insbesondere im Schutz vertraulicher Informationen zeigt, aber insbesondere auch alle Konstellationen erfasst, in denen die Rechtsdurchsetzung ohne Gewaltpotential oder Eingriffe in wichtige Rechtsgüter möglich ist. Abschließend soll die kumulative Selbsthilfe betrachtet werden, die sich entweder durch ein Einverständnis des Adressaten, die Betroffenheit absolut ge­ schützter Rechtsgüter, der Sicherung des durch Besitzpositionen vermittelten Frie­ denszustands oder technische Schutzmaßnahmen, bei denen Gewaltexzesse ausge­ schlossen sind, rechtfertigt. Im Rahmen der jeweiligen Kapitel werden auch die an­ deren angesprochenen Aspekte der Selbsthilfe sowie die Implikationen für die Rechtsordnung insgesamt behandelt. Dabei wird sich zeigen, dass durch die zuneh­ mende Trennung der funktionalen von der körperlichen Ebene die traditionell zur Vermeidung von Gewalt gezogenen Grenzen verwischen. Zur Problemlösung sind die traditionelle Trennung von Handlungs- und Herrschaftssphären neu zu über­ denken.

153 

Zu den Gründen dieser Ausdifferenzierung etwa Rehbinder 2009, Rn.  91 ff. Locke, dt. Übers. Locke/Hoffmann – differenziert zwischen „Exekutive“, „Föderative“ (Bünd­ nisgewalt), „Legislative“ und „Prärogative“ (außergesetzliche Handlungsbefugnis). 155  Montesquieu, dt. Übers. Montesquieu/Forsthoff. 154 

§  1  Subsidiäre Selbsthilfe Im Regelfall sind Eingriffe in fremde Rechtsgüter verboten. Sie führen zu Schadens­ ersatz- und Unterlassungsansprüchen sowie unter Umständen zu strafrechtlichen Sanktionen.1 Ein Eingriff bedarf daher grundsätzlich einer gesetzlichen Erlaubnis. Das Vorliegen der Voraussetzungen einer solchen Ausnahme ist im Rahmen des haf­ tungsbegründenden Tatbestandes einer unerlaubten Handlung vom Handelnden und nicht vom Anspruchsteller zu beweisen. Die Rechtswidrigkeit einer Handlung wird jedenfalls bei unmittelbaren Verletzungen vermutet.2 Darin wird deutlich, dass es sich bei Eingriffshandlungen in fremde Rechte, also der Selbsthilfe im weites­ ten Sinne, nach dem gesetzgeberischen Konzept um rechtfertigungsbedürftige Aus­ nahmen handelt. Die im Folgenden als „subsidiär“ bezeichneten Fälle der Selbsthilfe zeichnen sich weitergehend dadurch aus, dass Schutz- bzw. Durchsetzungshandlungen Privater nur zugelassen werden, soweit gleichwertige staatliche Hilfe nicht zu erlangen ist. Diese besonders intensive Ausprägung der Subsidiarität wird als zwingende Folge eines rechtsstaatlichen Systems, also einer Ordnung, die einem für alle in gleicher Weise geltenden Recht verpflichtet ist, qualifiziert.3 Es gibt allerdings auch (in den folgenden Kapiteln näher behandelte) Konstellationen, in denen ein solches aus­ drückliches Nachranggebot jedenfalls im Gesetzeswortlaut fehlt.4 Gesetzlicher Ausgangspunkt der so verstandenen subsidiären Selbsthilfe ist die Regelung des §  229 BGB, die schon nach ihrer amtlichen Überschrift die „Selbsthilfe“ regeln soll (sub A). Diesem verwandt ist der (tatbestandlich allerdings kaum je ein­ schlägige) Art.  20 Abs.  4 GG, der ein Widerstandsrecht gegen Umstürzler nur ge­ währt, „wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“.5 Aufgrund der geringen Relevanz 1  Mugdan I, S.  548 (= Mot. I, S.  355); irreführend Schünemann, S.  17, der zwar zu Recht betont, die Ausnahmenatur der Selbsthilfe beruhe nicht allein auf der Subsidiarität. Er übersieht aber, dass die Rechtfertigung nicht nur im Strafrecht, sondern auch im zivilrechtlichen Deliktsaufbau eine Ausnahme von der regelmäßigen Unerlaubtheit der Handlung darstellt, was sich in der Beweislast niederschlägt. Damit ist freilich nicht ausgeschlossen, dass die Selbsthilfe rechtspraktisch größere Bedeutung haben könnte. 2 Staudinger/Repgen, §  229 BGB Rn.  6; Baumgärtel-Laumen/Laumen, §  229 BGB Rn.  1. 3 Rechtsvergleichend v. Bar, Rn.  491; zum engen Anwendungsbereich der Notwehr im Zivilrecht in Österreich OGH SZ 1990, 22, 25; Cornelis/van Ommeslaghe, In memoriam Jean Limpens, S.  268, 286. 4  Zur Verallgemeinerung des gesetzlichen Subsidiaritätserfordernisses siehe noch unten §  1D, S. 189. 5  Dazu Maunz/Dürig/Herzog/Grzeszick, Art.  20 Abs.  4 GG Rn.  34 ff.

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

dieser Norm bleibt dieser Tatbestand im Folgenden jedoch ausgeklammert. Im An­ schluss an die Erörterung der Voraussetzungen für eine Rechtfertigung der subsidi­ ären Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB sollen Fragen der diesbezüglichen Kostener­ stattung näher beleuchtet werden (sub B). Sodann gilt es, die in §  231 BGB angeord­ nete Haftung, bei der Irrtümer über das Vorliegen der Voraussetzungen des §  229 BGB unbeachtlich sein sollen, mit dem System des Deliktsrechts einerseits und mit der Rechtfertigung nach §  229 BGB andererseits in Einklang zu bringen (sub C). Schließlich ist genauer zu untersuchen, ob auch im Rahmen anderer Regelungen, deren Wortlaut kein ausdrückliches Subsidiaritätserfordernis enthält (wie §§  227, 228, 859 BGB)6, ein Nachrang gegenüber staatlichen Schutzmaßnahmen zu fordern ist (sub D).

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB Zivilrechtliche Pflichten werden weit überwiegend freiwillig, d. h. ohne jegliche staatliche oder private Zwangsmaßnahmen, erfüllt. Die Durchsetzung im Wege der Zwangsvollstreckung (§§  704 ff. ZPO) ist schon aufgrund der nur eingeschränkten Kapazitäten von Gerichten und Vollstreckungsorganen eine Ausnahmeerscheinung. Erst Recht sind Maßnahmen zur vorläufigen Sicherung gegenüber Gefährdungen im Vorfeld, insbesondere Arrest (§§  916 ff. ZPO) und einstweilige Verfügung (§§  935 ff. ZPO), nur in seltenen Fällen geboten. Die ausnahmsweise Handlungsbefugnis der Polizei für Eilfälle (vgl. etwa §  1 Abs.  3 PolG NRW) kommt unabhängig von der dies­ bezüglich angeordneten Subsidiarität praktisch kaum je zum Tragen. Die in §§  229, 230 BGB normierte „Selbsthilfe“ ist nach dem Willen des Gesetzgebers ausdrücklich als gegenüber all diesen Befriedigungsmechanismen nachrangige Anspruchssiche­ rungsbefugnis konzipiert.7 Anknüpfungspunkt der Rechtfertigung ist, dass eine Handlung „zum Zwecke der Selbsthilfe“ erfolgt. Der Begriff der Selbsthilfe wird in §  229 BGB jedoch nicht defi­ niert, sondern vielmehr vorausgesetzt.8 Die Norm erlaubt aus dem weiten Feld der Selbsthilfe ausdrücklich nur bestimmte Handlungen, soweit weitere, im Gesetzes­ wortlaut genannte zusätzliche Voraussetzungen vorliegen. Andere Fälle von Selbst­ hilfe erfasst etwa §  231 BGB, wie bereits dessen amtliche Überschrift („Irrtümliche Selbsthilfe“) zeigt. Der Begriff der Selbsthilfe ist in beiden Normen von zentraler Bedeutung. Nach §  231 BGB ist nämlich nur bei den „in §  229 bezeichneten Handlungen“ ein Irrtum über das Vorliegen der Rechtfertigung selbst dann unbeachtlich, wenn dieser Irrtum 6  Anders etwa in Portugal, siehe Art.  1277 port. CC = Besitzkehr nur nach Maßgabe der dortigen (§  229 BGB ähnelnden) Selbsthilferegelung, dazu v. Bar, Rn.  492 (Fn.  59). 7  Mugdan I, S.  548 = Mot. I, S.  355; Schünemann, S.  17 f.; Fischer, S.  258; Heyer, S.  19 f.; Steinberg, S.  20 f.; Hoffmann-Riem, ZRP 1977, 277, 283. 8  Schünemann, S.  22; Heyer, ArchBürgR 1901, 38, 40; Staudinger/Repgen, §  229 BGB Rn.  2 .

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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unvermeidbar war.9 Diese Haftung greift aber nicht für beliebige Verhaltensweisen, die in §  229 BGB als Verben aufgezählt sind, also für jede Wegnahme, Zerstörung, Beschädigung, Festnahme oder Beseitigung von Widerstand. Denn Eingriffe in das Eigentum und die körperliche Bewegungsfreiheit sollen nach §  823 Abs.  1 BGB nur bei schuldhaftem Handeln, also insbesondere auch bei Erkennbarkeit der Rechtswid­ rigkeit, eine Ersatzpflicht auslösen.10 Der Verweis des §  231 BGB auf die in „§  229 bezeichneten Handlungen“ bezieht sich daher auch und gerade auf den Passus „zum Zwecke der Selbsthilfe“. Für beide Normen gilt daher ein einheitlicher Anknüp­ fungspunkt. Dies bestätigt der in §  229 BGB gewählte Satzbau. Die zum Ausschluss der Widerrechtlichkeit über ein Handeln zum Zwecke der Selbsthilfe zusätzlich er­ forderlichen Voraussetzungen finden sich in einem eigenen Konditionalsatz („… handelt nicht widerrechtlich, wenn…“). Der Verweis umfasst also den kompletten ersten Halbsatz von §  229 BGB. Er bezieht sich nicht nur auf die ausdrücklich ge­ nannten Aktivitäten, sondern gerade auch auf die Selbsthilfe als deren Zweck. Offen bleibt damit jedenfalls zunächst11, welche Folge Eingriffe nach sich ziehen, die je­ denfalls nicht unmittelbar unter die in §  229 BGB genannten Aktivitäten subsumiert werden können. Die zusätzlichen Anforderungen des zweiten Halbsatzes von §  229 BGB, d. h. das Fehlen obrigkeitlicher Hilfe und das Erfordernis sofortigen Tätigwerdens zur Ab­ wehr einer Gefahr, werden hingegen von dem Verweis auf die „in §  229 bezeichneten Handlungen“ in §  231 BGB nicht erfasst.12 Dies würde nämlich die Rechtmäßigkeit des Verhaltens bedeuten, während für die Haftung nach §  231 BGB „die für den Aus­ schluss der Widerrechtlichkeit erforderlichen Voraussetzungen“ gerade fehlen müs­ sen. Für §  231 BGB sind die Voraussetzungen des zweiten Halbsatzes von §  229 BGB aber nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv ohne Bedeutung. Es genügt jegliche wertende Annahme des Handelnden, dass das eigene, der Selbsthilfe dienende Ver­ halten durch die Rechtsordnung erlaubt sei. Hinreichend ist die Annahme beliebiger, hypothetischer Umstände, welche die Widerrechtlichkeit der Handlung aus subjek­ tiver Sicht des Handelnden auszuschließen geeignet sind.13 Ein Mann, der einen vermeintlichen Anspruch gegen seine Ehefrau auf Tätigkeit im Haushalt mit Gewalt erzwingt, haftet nach §  231 BGB, selbst wenn er nicht über die Verfügbarkeit hoheit­ licher Hilfe oder die Gefährdung der Verwirklichung des vermeintlichen Anspruchs nachgedacht hat. Der Erlaubnisirrtum ist insoweit dem Erlaubnistatbestandsirrtum gleichgestellt.14 Dies gilt erst Recht für die nach §  230 Abs.  1 BGB zu prüfende Erfor­

9 

Unten §  1C, S. 164.

10 BeckOK-BGB/Förster, §  823 BGB Rn.  25; Deutsch, FS Medicus, S.  77, 85 siehe auch zur Abgren­

zung unten §  1C.III.3, S. 179. 11  Siehe unten §  1A.V.1a, S. 120. 12  Schünemann, S.  31. 13  BGH NJW 1977, 1818; Staudinger/Repgen, §  231 BGB Rn.  3; Schäfer, S.  58. 14  BGH NJW 1977, 1818; MüKo-BGB/Grothe, §  231 BGB Rn.  2 .

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

derlichkeit. Auch insoweit ist ein Irrtum für §  231 BGB weder notwendig noch hin­ derlich. Der Begriff der Selbsthilfe impliziert daher weder die tatsächliche Gefährdung der Anspruchsverwirklichung noch die Nichtverfügbarkeit obrigkeitlicher Hilfe, welche beide erst im zweiten Halbsatz von §  229 BGB erwähnt sind und daher erst für die Rechtfertigung relevant sind. Damit ist freilich nur negativ festgestellt, welche Merk­ male nicht bereits im Begriff der Selbsthilfe enthalten sind. Um sowohl der Haftung nach §  231 BGB als auch der Rechtfertigung nach §  229 BGB gerecht zu werden, ist aber eine positive Begriffsbestimmung erforderlich. Zerlegt man den Begriff Selbst­ hilfe in seine Bestandteile, wird deutlich, dass die Handlung unabhängig von staatli­ chen Organen erfolgen soll („Selbst“, sub I) und eine dienende Funktion („Hilfe“, sub II) hat. Ein Handeln „zum Zwecke“ der Selbsthilfe impliziert zudem, dass die subjektive Qualifikation des Verhaltens durch den Handelnden im Vordergrund steht (sub III).

I.  „Selbst“-Hilfe – Handlung im eigenen Interesse oder Ausgrenzung staatlicher Unterstützungshandlungen? Aus dem staatlichen Gewaltmonopol folgt nach weit verbreiteter Auffassung ein un­ geschriebenes Fremdhilfeverbot, das nur in seltenen und besonders begründeten Ausnahmefällen aufgegeben werden darf.15 Neben dem staats- bzw. sozialpoliti­ schen Ziel wird hierzu auf den Ausdruck „Selbst“-Hilfe in §  229 BGB verwiesen, der besagen soll, dass der Anspruchsinhaber höchstpersönlich tätig werden muss.16 Al­ lerdings wird das Wort „selbst“ im Gesetz nicht nur für höchstpersönliche Rechte und Pflichten verwendet. Bei der „Selbst“-Vornahme durch den Werkbesteller nach §§  634 Nr.  2, 637 Abs.  1 BGB17 und der „Selbst“-Beseitigung von Mängeln durch den Mieter nach §  536a Abs.  2 BGB18 akzeptieren Rechtsprechung und Literatur gerade­ zu selbstverständlich, dass auch Dritte eingeschaltet werden dürfen, obwohl auch dort das Gesetz nur den Gläubiger „selbst“ anspricht. Im Kontext der „Selbstregulie­ rung“ wird der Wortbestandteil „Selbst“ schlicht als Ausdruck von staatlichem Ein­ fluss autonomen Handelns verwandt.19 Auch historisch wurde in den Diskussionen der ersten Kommission der Begriff „Selbst“-Verteidigung als Synonym für die „Not­ wehr“ verwendet, bei der ausdrücklich die Einschaltung Dritter erlaubt ist.20 15 MüKo-BGB/Grothe, §  229 BGB Rn.  2; Staudinger/Repgen, §  229 BGB Rn.  15; Palandt/Ellenberger, §  229 BGB Rn.  3. 16  Heyer, S.  29; Simon, S.  80; v. Bar, Rn.  492 stellt fest, dass dies in den Haftungssystemen der eu­ ropäischen Staaten das gängige Verständnis darstellt. 17  OLG Düsseldorf BauR 1974, 61; MüKo-BGB/Busche, §  637 BGB Rn.  11 f.; Staudinger/Peters/ Jacoby, §  634 BGB Rn.  82; BeckOK-BGB/Voit, §  637 BGB Rn.  9. 18 BeckOK-BGB/Ehlert, §  536 BGB Rn.  1; Staudinger/Emmerich, §  536a BGB Rn.  30 f.; MüKoBGB/Häublein, §  536a BGB Rn.  27 ff. 19  Buck-Heeb/Dieckmann, S.  19. 20  Mugdan I, S.  546 = Mot. I, S.  348; siehe in diesem Sinne auch Titze, S.  121.

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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Für ein höchstpersönliches Recht ließe sich aber anführen, dass §§  227 Abs.  2, 228 S.  1 BGB und §  34 StGB ausdrücklich ein Tätigwerden zur Abwehr einer Gefahr von „einem anderen“ vorsehen. §  127 StPO berechtigt „jedermann“ und selbst Art.  20 Abs.  4 GG schafft ein Widerstandsrecht für „alle Deutschen“. In §  229 BGB fehlt ein solcher Einschub. Ein vergleichbares Problem stellt sich bei Einschaltung Dritter im Rahmen von Besitzwehr und Besitzkehr (§  859 BGB), wo allerdings regelmäßig auf §  227 BGB zurückgegriffen werden kann.21 Das Fehlen einer entsprechenden aus­ drücklichen Erweiterung in §  229 BGB erklärt sich vor allem aus dem historischen Kontext. Das Wort „Selbsthilfe“ sollte nur die Abgrenzung zur staatlichen „Hilfe“ bei der Sicherung bzw. Durchsetzung von Ansprüchen zum Ausdruck bringen.22 Noch im 19. Jahrhundert bestand ein strafbewehrtes „Selbsthilfeverbot“, das nicht etwa die Rechtsgüter des Selbsthilfeopfers, sondern ausschließlich das Durchsetzungsmono­ pol des Staates schützte.23 Es richtete sich dabei nicht nur an den Gläubiger, sondern an jedermann, der sich anmaßte, private Rechte durchzusetzen.24 Auch im preußi­ schen Allgemeinen Landrecht wurde die Selbsthilfe konsequent in das Kapitel über das „Verhältnis des Staats gegen seine Bürger“ eingeordnet.25 Im ersten Kommissi­ onsentwurf wurde überlegt, entsprechend diesem Vorbild das schon damals im Strafrecht aufgegebene Verbot der privaten Rechtsdurchsetzung auf zivilrechtlicher Ebene als expliziten Grundsatz zu statuieren und den heutigen §  229 BGB als ab­ schließende Ausnahme zu bestimmen.26 Davon wurde letztlich im Hinblick auf den durch §  823 Abs.  1 BGB ohnehin umfassend gewährleisteten Rechtsgüterschutz ab­ gesehen, da das Fehlen von Rechtfertigungsgründen insoweit die Rechtswidrigkeit indiziere.27 Das Vorverständnis der Normverfasser beschränkte sich daher keines­ 21 MüKo-BGB/Joost, §   859 BGB Rn.  3; Staudinger/Gutzeit, §  859 BGB Rn.  3; Soergel/Stadler, §  859 BGB Rn.  2. 22  Schünemann, S.  56 f. 23  Auch die justizianischen Digesten enthielten ein solches explizites und umfassendes Verbot (D 50, 17, 176). Allerdings sahen sowohl das antike griechische Recht als auch die römische Klassik weite Selbsthilfebefugnisse vor Koller, S.  123 f.; 125 f. – das weitreichende Selbsthilfeverbot war inso­ weit eine späte Entwicklung. 24  Vgl. etwa Art.  247 sächs StGb 1855: „Wer außer den Fällen erlaubter Selbsthilfe ein wirkliches oder vermeintliches Recht eigenmächtig und mit Umgehung der obrigkeitlichen oder richterlichen Hilfe verfolgt, wird mit Geldbuße bis zu einhundert und fünzig Talern oder Gefängnis bis zu sechs Wochen bestraft“, ebenso Art.  200 Württ. StGB 1839; §  279 Bad. StGB 1851; Art.  195 StGB An­ halt-Dessau/Anhalt-Köthen 1850; zum schrittweisen Abbau dieser Verbote Mugdan I, S.  546 = Mot. I, S.  352: „Man sah in der eigenmächtigen Rechtsverfolgung ein Vergehen gegen die Justizhoheit des Staates, eine Störung des öffentlichen Friedens, einen strafbaren Eingriff in das Recht des Gegners auf staatlichen Austrag. Mit dieser Auffassung hat das preuß. StGB vom Jahre 1851 gebrochen, und das RStGB ist ihm darin gefolgt.“ (ähnlich auch Bayr. StGB 1861). 25  §  76–78 EinlPrAlgLR: „Jeder Einwohner des Staats ist den Schutz desselben für seine Person und sein Vermögen zu fordern berechtigt. Dagegen ist niemand sich durch eigne Gewalt Recht zu verschaffen befugt. Die Selbsthilfe kann nur in dem Falle entschuldigt werden, wenn die Hilfe des Staats zur Abwendung eines unwiederbringlichen Schadens zu spät kommen würde.“ 26  Mugdan I, S.  546 = Mot. I, S.  352. 27  Mugdan I, S.  546 = Mot. I, S.  352.

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

wegs auf höchstpersönliche Aktivitäten des Gläubigers, sondern erfasste jegliche Tä­ tigkeit, die in das staatliche Rechtsdurchsetzungsmonopol einzugreifen droht. Die Gesetzesmaterialien zeigen ganz im Gegenteil, dass die Möglichkeit einer Ein­ schaltung Dritter dem Gesetzgeber durchaus bewusst war. So wird in den Motiven zum heutigen §  229 BGB ausgeführt: „Die Unterstützung des Berechtigten bei Aus­ übung der Selbsthilfe durch Andere […] ist zulässig. Eine Entscheidung darüber, ob Selbsthilfe für den Berechtigten durch einen Anderen selbstständig geübt werden dürfe, erscheint entbehrlich“.28 Bei der Diskussion zum heutigen §  860 BGB heißt es hingegen:29 „Nach §  193 [heutiger §  229, Anm. d. Verf.] stehe das Recht der Selbsthil­ fe nur dem Berechtigten zu. Auf sein Geheiß könnten es auch Andere für ihn aus­ üben, auch könne er bei Vornahme der Selbsthilfe Gehilfen zuziehen, hiermit sei in­ dessen der Kreis der zur Selbsthilfe berechtigten Personen erschöpft. […] Ob neben dem Besitzer noch anderen Personen das Selbsthilferecht [des §  859 Abs.  2 bzw. Abs.  3, Anm. d. Verf.] zu gewähren sei, brauche jedenfalls an dieser Stelle, wo es sich nur um die Rechtsstellung des Besitzers handele, nicht erörtert werden.“ Darin wird deutlich, dass jedenfalls die Einschaltung von Hilfspersonen zulässig sein sollte, die auf Geheiß oder als Gehilfen tätig waren. Die Frage, ob darüber hinaus auch andere Personen Selbsthilfe für den Berechtigten ausüben dürfen, wurde ausdrücklich offen gelassen. Als Argument gegen die Zulassung der Fremdhilfe wird schließlich angeführt, dass „auch der Gerichtsvollzieher nicht dritte Privatpersonen zu seiner Unterstüt­ zung herbeiziehen oder als Vertreter mit der Zwangsvollstreckung beauftragen kann“.30 Schon die Grundannahme ist nicht ganz fehlerfrei. Auch der Gerichtsvoll­ zieher kann etwa zur Durchsuchung von Personen zuverlässige Personen heranzie­ hen (§  107 GVGA), ebenso ist es möglich, z. B. einen Schlosser zur Türöffnung zu beauftragen (§  758 Abs.  2 ZPO). Zudem wollte der Gesetzgeber die Erfordernisse der prozessualen Zwangsvollstreckung gerade nicht auf die Selbsthilfe erstrecken, son­ dern diese soweit möglich vereinfachen.31 Rein faktisch steht der zur spontanen Ab­ 28  Mugdan I, S.  546 = Mot. I, S.  354; zur Rechtfertigung von Unterstützungshandlungen bereits §  94 des bad. StGB von 1851 („Wer einem Andern, der sich im Falle erlaubter Notwehr oder erlaubter Selbsthilfe befindet, beisteht, dem kommen dabei alle Rechte der Notwehr oder der Selbsthilfe gleich dem Andern selbst zu statten“). 29  Mugdan III, S.  485 (= Prot. S.  3360 f.). 30  Heyer, S.  29. 31  Mugdan I, S.  547 = Mot. I, S.  354 f.: „Es leuchtet indessen ein, wie wenig dem Leben, das, wenn irgend wo, so auf diesem Gebiete eine zweifelsfreie und gemeinverständliche Vorschrift erfordert, mit einer derartigen Regelung gedient sein würde. […] Dazu kommt, dass auch die innere Berechti­ gung einer solchen Regelung begründeten Bedenken unterliegt. Es kann nicht anerkannt werden, dass die Schranken, welche dem Gerichte in der fraglichen Beziehung auferlegt sind, zur Übertra­ gung auf die Selbsthilfe sich eignen, deren Hauptbedeutung auf dem Gebiete derjenigen Fälle zu suchen ist, in welchen augenblicklich gehandelt werden muss, so dass zur Erreichung des Zweckes ein Eingreifen nötig werden kann, welches nach der Natur der Dinge der gerichtlichen Anordnung sich entzieht. Soll die Selbsthilfe, wenn die Rechtsordnung sie einmal behufs Erhaltung von begrün­ deten Ansprüchen gestatten muss, ihren Zweck erfüllen, so darf sie weder hinsichtlich ihrer Voraus­ setzungen übermäßig erschwert, noch in der Wahl der Mittel, für deren angemessene Verwendung

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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wendung einer endgültigen Gefahr Tätigwerdende oftmals einem Polizeibeamten näher als einem Gerichtsvollzieher.32 Im Rahmen des Polizeirechts ist die Heranzie­ hung Dritter als Beauftragte (z. B. Abschleppunternehmer bei der Sicherstellung, §  54 PolG NRW) oder notfalls sogar als Nichtstörer (§  6 PolG) jedoch zulässig. Schließlich ist dieser Argumentation durch Schaffung von §  34a Abs.  5 GewO, der in bestimm­ ten Konstellationen ausdrücklich die Übertragung von Selbsthilferechten zulässt, die Grundlage entzogen.33 Für eine Befugnis Dritter, die mit vorheriger Einwilligung des Selbsthilfeberech­ tigtem tätig werden, spricht schließlich auch die 2002 geschaffene Regelung des §  34a Abs.  5 GewO, wonach der Beauftragte im Bewachungsgewerbe, u. a. ihm übertragene „Selbsthilferechte“ „eigenverantwortlich ausüben“ darf.34 Dabei wird implizit die Möglichkeit zur Delegation der Befugnis vorausgesetzt. Eine solche Einräumung wäre aber widersprüchlich, wenn es sich um ein höchstpersönliches Recht handelt. Zudem geht es auch nicht um schlichte Unterstützungshandlungen, wie der Hinweis auf die „eigenverantwortliche“ Tätigkeit zeigt. Damit scheint die grundsätzliche Zu­ lässigkeit der Fremdhilfe jedenfalls nicht gänzlich ausgeschlossen, sondern tendenzi­ ell eher vom Gesetzgeber vorausgesetzt zu sein. Insgesamt sprechen weder gramma­ tikalische, noch systematische oder historische Auslegung von §  229 BGB für ein umfassendes Fremdhilfeverbot. Einzig aus Sinn und Zweck der Regelung, also aus ihrem Telos, könnte man ein solches Verbot rechtfertigen. Die Fälle, in denen Dritte ohne eigene Rechtsbeziehung zu einem der Beteiligten im Sinne von §  229 BGB ausschließlich zur Sicherung der späteren Verwirklichung fremder Ansprüche „selbstständig“ im Sinne der Gesetzesmaterialien einschreiten, sind freilich praktisch selten. Soweit absolute Rechte involviert sind, greifen regelmä­ ßig Notwehr (§  227 BGB) oder Notstand (§  228 BGB bzw. §  904 BGB) zugunsten des Dritten ein, in denen wie bereits erwähnt ein solches Handeln ausdrücklich erfasst ist. So ist es möglich, den mit der Beute fliehenden Dieb im Rahmen der Nothilfe aufzuhalten und ihm das gestohlene Gut wieder abzunehmen. Aufgrund der dichten strafrechtlichen Regulierung auch der Vermögensdelikte kann eine Festnahme dar­ über hinaus in vielen Fällen auf §  127 Abs.  1 S.  1 StPO gestützt werden, so dass ein Rückgriff auf §  229 BGB insoweit nicht erforderlich ist.35 Ein praktisches Bedürfnis für eine Rechtfertigung nach §  229 BGB besteht daher nur, soweit ausschließlich die Sicherung relativer Rechte in Rede steht und entweder kein gleichzeitiger Anfangs­ verdacht hinsichtlich eines Vermögensdelikts (etwa Betrug, §  263 StGB, Untreue, der Berechtigte verantwortlich ist, ohne zwingenden Anlass beengt werden.“; näher unten §  1A.V.2, S. 140. 32  Näher unten §  1A.I.d, S. 56. 33  Dazu sogleich, §  1A.I.a, S. 36. 34  Dazu unten §  1A.I.a, S. 36. 35  Exemplarisch für dieses Konkurrenzverhältnis das Festnahme- und zivilrechtliches Selbst­ hilferecht des Taxifahrers bei Streit über den Fahrpreis AG Grevenbroich NJW 2002, 1060, 1060; OLG Düsseldorf NJW 1991, 2716, 2716.

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

§  266 StGB oder Erschleichen von Leistungen, §  265a StGB) besteht oder eine andere Handlung als die vorläufige Festnahme erfolgt. Allerdings lässt sich auch für diese nicht durch andere Rechtfertigungsgründe er­ fasste Fälle ein allgemeines Fremdhilfeverbot nicht auf rein sozial- oder kriminalpo­ litische Erwägungen stützen.36 Es droht vielmehr die Gefahr, dass wünschenswertes Verhalten aus Übervorsicht vermieden wird.37 Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Abgrenzung zu der nach allgemeiner Ansicht zulässigen Nothilfe vielfach flie­ ßend ist.38 Wer Fremdhilfe umfassend verbietet, fördert damit letztlich nur physisch starke Individuen und verfehlt damit das eigentliche Ziel von §  229 BGB, der Rechts­ ordnung auch in Abwesenheit von Hoheitsträgern möglichst weitgehend Geltung zu verschaffen. Konsequent wäre es daher, diejenigen Fallgruppen herauszuarbeiten, in denen Sicherungsmaßnahmen zugunsten Dritter ausnahmsweise verboten sind.39 Im Folgenden stehen zunächst die gesetzlichen Regelungen im Vordergrund, welche zumindest mittelbar die Problematik der Vornahme von Selbsthilfehandlungen durch Dritte behandeln (sub a). Sodann sollen die Fälle untersucht werden, in denen Rechtsprechung und Literatur trotz Annahme eines grundsätzlichen Verbots der Fremdhilfe Maßnahmen Dritter zulassen (sub b). Ergänzend sollen ökonomische Er­ wägungen herangezogen werden (sub c). Im Rahmen des so gefundenen Ergebnisses ist dann noch zu prüfen, in welchem Umfang der Wille des Anspruchsinhabers als originär zur Selbsthilfe Befugtem berücksichtigt werden können (sub d). a)  Gesetzliche Regelungen der Fremdhilfe Eine gesetzliche Anordnung des von der herrschenden Auffassung befürworteten grundsätzlichen Fremdhilfeverbots existiert nicht. Sie liegt insbesondere nicht in Art.  33 Abs.  4 GG, wonach zwar „Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse […] als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen“ ist. Diese Verfassungsnorm definiert nämlich weder die Sicherung privater Rechte als hoheitliche Aufgabe, noch schließt ihre Natur als Grundsatzregelung Ausnahmen gänzlich aus. Selbst wenn man also die von §  229 BGB erfassten Tätigkeiten als origi­ när hoheitlich qualifizieren würde, wären Abweichungen von der allgemeinen Regel, wie sie §  229 BGB ohnehin darstellt, durchaus möglich. Ebensowenig beinhaltet 36  Zum Parallelproblem bei der Notwehr Seier, NJW 1987, 2476, 2479 f.: „Hätte die Bindung des Nothelfers an den Willen des Angegriffenen primär kriminalpolitischen Sinn, wäre nicht einzuse­ hen, warum dieses Gebot auch den trifft, der das Notwehrgeschehen von vornherein voll überschaut oder sich zuvor gewissenhaft um die richtige Einschätzung bemüht hat und darüber hinaus sorgsam darauf bedacht war, seine Hilfeleistung in den Grenzen des Abwehrerforderlichen zu halten“. 37  Zum Problem der „Überabschreckung“ Posner, S.  299 ff. 38  U. a. deshalb wird etwa die Gegenwärtigkeit des „Angriffs“ beim Diebstahl sehr weit, nämlich bis zur endgültigen Sicherung der Beute, gezogen, Lackner/Kühl/Kühl, §  32 StGB Rn.  4; Frister, 16. Kap., 13 ff.; näher zu diesem und anderen Abgrenzungsproblemen noch unten §  1A.I.d.aa, S. 57. 39  Hellmann, S.  130; Soergel/Fahse, §  229 BGB Rn.  9 (vor dem Hintergrund der GoA); Schünemann, S.  56 ff. kritisiert zwar die h.M., erörtert Ausnahmen jedoch nicht.

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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§  229 BGB wie dargestellt40 eine ausdrückliche Einschränkung der Selbsthilferechte dergestalt, dass diese nur vom Anspruchinhaber persönlich wahrgenommen werden kann. Angesichts der, insbesondere im Vergleich zur Notwehr, erheblich strengeren Anforderungen41 der Selbsthilfe kann man durchaus annehmen, dass bereits diese Voraussetzungen unerwünschte Eingriffe durch Dritte hinreichend unterbinden. Zirkulär und wenig zielführend wäre es schließlich, das Fremdhilfeverbot gerade aus den Straftatbeständen zu folgern, die Eingriffe in Rechtsgüter Dritter verbieten (etwa §§  223, 239, 240, 242 StGB). Denn diese stehen unter dem Vorbehalt einer Rechtferti­ gung, die durch die Existenz der jeweiligen Verbotsnorm nicht ausgeschlossen ist. Aber auch der Bestand an Regelungen, die für eine Fremdhilfe sprechen, ist eher gering. Im Folgenden soll exemplarisch auf zwei Regelungen näher eingegangen wer­ den, die jedenfalls §  229 BGB verwandte Verhaltensweisen erfassen. In beiden Fällen geht es um eine dauerhafte Tätigkeit zum Schutz oder zur Durchsetzung fremder Rechte, die von einer staatlichen Erlaubnis abhängig gemacht wird. §  34a GewO re­ gelt das „Bewachungsgewerbe“ (sub aa) und erfasst damit die Sicherung von Räum­ lichkeiten, Gegenständen aber auch der körperlichen Integrität und Freiheit von Per­ sonen. Allerdings geht es dabei in aller Regel um absolut geschützte Rechtsgüter, so dass Eingriffshandlungen des Gewerbetreibenden zumeist auf Notwehr (§  227 BGB, §  32 StGB) gestützt werden können. Dennoch hat der Gesetzgeber in §  34a Abs.  5 GewO ausdrücklich auch die Übertragung von „Selbsthilferechten“ zugelassen. Auch die außergerichtliche Rechtsberatung (sub bb) steht der Selbsthilfe nahe, soweit die Durchsetzung von Forderungen im Raum steht. Hierbei geht es aber anders als bei §  229 BGB nicht nur um die vorübergehende Sicherung, sondern um die endgül­ tige Erfüllung. Die Darstellung der beiden Regelungen zeigt, dass die Einschaltung Dritter in die Sicherung und Durchsetzung von Ansprüchen durchaus in der Rechts­ wirklichkeit keine Seltenheit darstellt. Sie kann daher erste Eckpunkte zur Konturie­ rung der Fremdhilfebefugnis im Allgemeinen liefern. aa)  Übertragung von Selbsthilfebefugnissen aufgrund von §  34a Abs.  5 GewO Die Vornahme von Sicherungshandlungen durch Personen, welche nicht selbst Gläu­ biger des gesicherten Anspruchs sind, ist der modernen Rechtsordnung außerhalb des BGB nicht unbekannt. Für einen praktisch wichtigen Fall hat der Gesetzgeber die Problematik durch eine ausdrückliche Regelung entschärft. Im zulassungspflichti­ gen Bewachungsgewerbe bestimmt §  34a Abs.  5 GewO seit 200242 , dass der mit der Bewachung Beauftragte „gegenüber Dritten […] die ihnen vom jeweiligen Auftragge­ ber vertraglich übertragenen Selbsthilferechte […] eigenverantwortlich ausüben [kann]“. Die vertragliche „Übertragung“ der Selbsthilfebefugnisse auf Dritte meint dabei selbstverständlich nicht den Verlust der entsprechenden Befugnis beim Auf­ traggeber, sondern die schlichte Einräumung der entsprechenden Befugnisse. Folge 40 

Oben §  1A.I, S. 32 ff. Unten §  3B, S. 329. 42  Gesetz zur Änderung des Bewachungsgewerberechts, BGBl.  I 2002, S.  724 ff. 41 

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

des §  34a Abs.  5 GewO ist also, dass der mit der Bewachung Betraute neben dem primär Selbsthilfebefugten berechtigt sein soll. Die Bedeutung der Regelung sollte allerdings nicht überschätzt werden.43 Der Ge­ setzgeber wollte damit ausweislich der Regierungsbegründung die auch zuvor schon überwiegend bejahte, aber in der Literatur teilweise umstrittene44 Möglichkeit des Wachpersonals kodifizieren, sich auf allgemeine Rechtfertigungsgründe zu beru­ fen.45 Die Gesetzesmaterialien setzen sich demzufolge auch primär mit der Notwehr (§  227 BGB, §  32 StGB) und dem Notstand (§§  228, 904 BGB; §§  34, 35 StGB) ausein­ ander.46 Eine Ausdehnung der Befugnisse nach §  229 BGB war dabei nicht beabsich­ tigt und könnte daher als reine sprachliche Ungenauigkeit unbeachtlich sein. Nichts­ destotrotz wird die vom Gesetz als über die Jedermannsrechte hinausgehende Mög­ lichkeit, sich auf vertraglich eingeräumte Selbsthilferechte zu berufen, mitunter als eigene Rechtfertigung angeführt.47 Wie bereits ausgeführt ist die Delegation der Selbsthilfebefugnis regelmäßig auch praktisch, selbst wenn sie erfolgt, nicht erfor­ derlich. Der Kaufhausdetektiv (§  34a Abs.  1 S.  5 Nr.  2 GewO) kann sich wegen der durch den Ladendieb begangenen Delikte (§§  242, 263 StGB) auf das Festnahmerecht des §  127 Abs.  1 StPO als Jedermannsrecht berufen. Der Türsteher (§  34a Abs.  1 S.  5 Nr.  3 GewO) kann sich, soweit man das Hausrecht als notwehrfähig erachtet,48 auf §  227 BGB bzw. §  32 StGB stützen, deren Wortlaut jeweils die Nothilfe explizit auch ohne besondere Delegation zulassen. Andererseits stellt §  34a GewO aber ein gewichtiges Indiz für die selbst aus Sicht des Gesetzgebers kaum mögliche Differenzierung zwischen §  229 BGB und denjeni­ gen Fällen dar, in denen eine besondere Delegation nicht erforderlich ist. Erst Recht wird dies in der Praxis regelmäßig nicht erfolgen, wo dem Bewacher die entsprechen­ den Befugnisse schlicht uneingeschränkt eingeräumt werden. bb)  Rechtsdienstleistungsgesetz als Indiz für Fremdhilfeverbot? Wie die Tätigkeit im Bewachungsgewerbe steht auch die nicht auf tatsächlicher, son­ dern auf rechtlicher Grundlage erfolgende Einziehung fremder Forderungen unter einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Denn die „selbstständige Erbrin­ 43 

Skeptisch v. a. Stober, GewArch 2002, 129, 135. Tettinger, NWVBl 2000, 281, 282 f.; Brauser-Jung, GewArch 2003, 224; Stober, DÖV 2000, 261, 263; Stober, NJW 1997, 889 ff. 45  BegrRegE BT-Drs. 14/8386, S.  14. 46 Tettinger/Wank/Ennuschat, §   34a GewO Rn.  29; Landmann/Rohmer/Marcks, §  34a GewO Rn.  42; Schulte, DVBl 1995, 130, 133 ff.; Stober, GewArch 2002, 129, 134 f.; Hammer, DÖV 2000, 613, 619 f. 47 Erbs/Kohlhaas/Ambs, §   34a GewO Rn.  7; BeckOK-GewO/Jungk/Deutschland, §  34a GewO Rn.  75. 48  BGH NStZ-RR 2010, 140; BGH StV 1982, 219; OLG Düsseldorf NJW 1994, 1971; OLG Düs­ seldorf NJW 1997, 3383; MüKo-BGB/Grothe, §  227 BGB Rn.  7; Staudinger/Repgen, §  227 BGB Rn.  11; MüKo-StGB/Erb, §  32 StGB Rn.  90; LK/Rönnau/Hohn, §  32 StGB Rn.  85; Schönke/Schröder/Perron, §  32 StGB Rn.  5a; abweichend nur OLG Frankfurt NJW 1994, 946; dagegen zu Recht Löwisch/Rieble, NJW 1994, 2596. 44 

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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gung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen“ aller Art (§  3 RDG) erfasst nach §  2 Abs.  2 RDG gerade auch „die Einziehung fremder oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen, wenn die Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäft betrieben wird (Inkassodienstleistung)“. Insoweit statu­ iert das Rechtsdienstleistungsgesetz ein besonderes Fremdhilfeverbot für die rechtli­ che Durchsetzung von Ansprüchen. Obwohl diese Beschränkung inzwischen durch die Zulassung unentgeltlicher Tätigkeit durch Juristen mit Befähigung zum Richter­ amt bzw. Personen unter deren Anleitung sowie im Familienkreis (§  6 RDG) gegen­ über dem früheren Rechtsberatungsgesetz eingeschränkt wurde,49 ist die damit zum Ausdruck kommende Grundwertung restriktiv. Andererseits würde es eines solchen spezifischen Verbots aber gar nicht bedürfen, wenn ohnehin jegliche Form der selbst­ ständigen oder auch nur unterstützenden Tätigkeit bei der Durchsetzung fremder Forderung schon aufgrund der Regelung bestimmter Einzelfälle in §  229 BGB ausge­ schlossen wäre. Die Subsumtion unter den weitgehend spezifischen Tatbestand des RDG fällt un­ gleich leichter als der Versuch, ein gesetzlich nicht bestimmtes, in seiner Reichweite diffuses Fremdhilfeverbot anzuwenden. Deutlich wird dies etwa an der rechtlichen Beurteilung der für fremde Rechtsdurchsetzung paradigmatischen Figur des „Mahnman“ in der von 1992 bis 1999 auf RTL ausgestrahlten Sendung „Wie bitte?!“. Dabei nahm der Schauspieler Theo West Kontakt mit den Verantwortlichen für ärgerliche Alltagserlebnisse von Zuschauern auf und stellte diese (vor laufender Kamera) in hu­ moristischer Form zur Rede. Regelmäßig führte dies zu einem Nachgeben und zur Befriedigung des Zuschauerwunschs. Es handelte sich dabei sogar um kumulative Selbsthilfe neben der gerichtlichen Durchsetzung. Beurteilt wurde diese jedoch nicht an einem ungeschriebenen Fremdhilfeverbot, sondern ausschließlich am Maßstab des damals geltenden Rechtsberatungsgesetzes.50 Zwar mag man formal argumentie­ ren, dass „Mahnman“ gerade nicht die in §  229 BGB genannten physischen Handlun­ gen in Bezug auf eine Person oder Sache vornahm, sondern letztlich nur psychischen Druck ausübte.51 Im Ergebnis wird man aber eine (regelmäßig erfolgreiche!) Siche­ rung, zumeist sogar eine Durchsetzung fremder Ansprüche ohne staatliche Mitwir­ kung (und daher kumulative Selbsthilfe im hier diskutierten Sinne) kaum verneinen können. Mit der Tätigkeit eines Rechtsanwalts sind seine Aktivitäten hingegen nicht vergleichbar. Jedoch regelt das Rechtsdienstleistungsgesetz nur die endgültige Durchsetzung fremder Rechte. §  229 BGB behandelt hingegen die vorläufige Sicherung. Die für das 49  Vgl. dazu Wreesmann/Schmidt-Kessel, NJOZ 2008, 4061; zuvor bereits BVerfG NJW 2006, 1502 (für erfahrenen Juristen). 50  Siehe OLG Köln NJW 1999, 502 (Verstoß gegen RBerG); BGH NJW 2003, 2879; BVerfG NJW 2004, 672 dazu auch Huff, NJW 2002, 2840; Ricker, NJW 1999, 449 ff; Stolzenburg-Wiemer, K & R 2002, 491; Stolzenburg-Wiemer 2003. 51 Dazu und zum als rechtswidrig eingeordneten „schwarzen Mann“ als Schuldeneintreiber Edenfeld, JZ 1998, 645, 647 ff. noch unten §  1A.V.1c, S. 125.

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

Selbsthilferecht nach dem BGB vorausgesetzte besondere Eilbedürftigkeit52 wird re­ gelmäßig nicht nur der Erlangung obrigkeitlicher Hilfe, sondern auch der Einschal­ tung einer Person mit Erlaubnis zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen (in der Regel einem Anwalt) entgegenstehen. Das Rechtsdienstleistungsgesetz stellt daher jedenfalls für die hier zunächst in Rede stehenden Eilfälle keine relevante Schranke dar.53 Es hat, wie die Regelung des Bewachungsgewerbes in §  34a GewO, nur indizi­ elle Wertung. Beide Regelungen deuten an, dass es kein allgemeines und umfassen­ des Fremdhilfeverbot geben kann, sondern nur besondere Anforderungen an die organisierte, regelmäßige Durchsetzungstätigkeit. Unbeantwortet bleibt damit aber, wie die Aktivität Einzelner im Einzelfall ohne vorherige Vereinbarung zu beurteilen ist. Zudem ist der Schluss aus den beiden Sonderregelungen nur bedingt tragfähig, da sie sich nicht im Kernbereich des §  229 BGB bewegen. b)  Einzelfälle zulässiger Fremdhilfe Die Annahme, dass §  229 BGB keine generelle Berechtigung zum gewaltsamen Ein­ schreiten gegen rechtswidriges Verhalten Dritter gibt,54 muss von ihren Vertretern durch zahlreiche Ausnahmen eingeschränkt werden. Eine Betrachtung der zentralen Fallkonstellationen, in denen eine Tätigkeit zur Durchsetzung fremder Ansprüche selbst nach dieser restriktiven Auslegung zulässig sein soll, kann daher dazu beitra­ gen, die Grenzen der Fremdhilfe zu konturieren. aa)  Juristische Personen/Personengesellschaften Eine erste Ausnahme wird für juristische Personen und rechtsfähige Personengesell­ schaften (§  14 Abs.  2 BGB) gemacht. Diese sind zwar Anspruchsinhaber, aber nicht als solche handlungsfähig.55 Die Wahrnehmung der (bloß tatsächlichen, nicht rechtsgeschäftlichen) Selbsthilfebefugnis obliegt daher ihren Organen. Somit neh­ men die Geschäftsführer einer GmbH, der Vorstand eines Vereins oder die Gesell­ schafter einer OHG für ihre (rechtsfähige) Organisation die Selbsthilfebefugnis wahr; sie übernehmen die Sicherung der Ansprüche der Gesellschaft. Insbesondere in den Fällen der Fremdorganschaft wird deutlich, dass dies nichts anderes als die zuvor abgelehnte „Fremdhilfe“ ist. Der Geschäftsführer ist unter keinem denkbaren Gesichtspunkt Anspruchsinhaber. Sein Interesse an der Durchsetzung ist nur mit­ telbar, da er selbst die Leistung auch bei endgültiger Erfüllung nicht erhalten soll. Freilich hat auch das Organmitglied ein materielles Interesse an der Erfüllung. Die Sicherung gefährdeter Ansprüche gehört zu seinen Pflichten, so dass das Unterlassen von Sicherungsmaßnahmen eine Haftung im Sinne von §  43 GmbHG bzw. §  93 AktG begründen kann. Zudem ist der effiziente Umgang mit Ansprüchen der Ge­ 52 

Unten §  1A.IV.1, S. 109. freilich unten, §  2, S. 201 zu Konstellationen „kumulativer Selbsthilfe“ in denen priva­ tes Einschreiten grundsätzlich der staatlichen Durchsetzung vorgelagert ist. 54  OLG Karlsruhe GRUR-RR 2008, 350, 351. 55  Flume 1983, S.  358; MüKo-BGB/Reuter, Vor §§  21 ff. BGB Rn.  51. 53  Siehe

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sellschaft maßgeblich für die Weiterbeschäftigung und damit für die aufgrund des Anstellungsverhältnis gezahlte Vergütung sowie die individuelle Reputation des Or­ ganmitglieds. Allgemein muss dies innerhalb jeder arbeitsteiligen Organisation gelten. Arbeit­ nehmer sind gerade nicht Inhaber der Ansprüche ihres Arbeitgebers. Dennoch wird man wohl einer Kellnerin nicht verwehren dürfen, im Interesse eines Gastwirts die Identität eines Gastes aufzunehmen, der das Lokal verlässt, ohne zu bezahlen.56 In­ soweit ist die Selbsthilfebefugnis also nicht „höchstpersönlich“, sondern kann auch durch (näher zu qualifizierende) Dritte wahrgenommen werden, selbst wenn diese nur mittelbar von der Erfüllung profitieren und die Durchsetzung ihnen nicht expli­ zit zugewiesen ist. bb) Geschäftsunfähige Geschäftsunfähige sind zwar selbst rechtsfähig (§  1 BGB), aber nicht geschäftsfähig. Eine wirksame Erfüllung im Sinne von §  362 Abs.  1 BGB bedarf ihnen gegenüber der Mitwirkung des gesetzlich Vertretungsberechtigten (Betreuer, §  1902 BGB bzw. El­ tern, §  1626 BGB).57 Dann mutet es aber seltsam an, wenn der Geschäftsunfähige als Anspruchsinhaber die der Sicherung dienende Selbsthilfehandlung zwingend selbst durchführen muss, obwohl die endgültige Erfüllung ihm gegenüber der Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters bedarf. Allerdings kann ein Geschäftsunfähiger einen „natürlichen Willen“ bilden. Er ist imstande, in bestimmtem Rahmen im eigenen Interesse zu handeln.58 Teilweise wird der geschäftsunfähige Gläubiger dem Schuldner räumlich näher sein als sein gesetzlicher Vertreter und daher Sicherungsmaßnahmen zeitnäher treffen können. Im Ergebnis muss man daher sowohl dem Vertreter als auch dem Vertretenen die Befugnis zu Sicherungsmaßnahmen und damit zur Selbsthilfe einräumen.59 Eine Zuweisungsnorm, um eine Ausnahme von der angeblichen Pflicht zum höchstper­ sönlichen Einschreiten zu begründen, fehlt jedoch. Die billigenswerten Erwägungen als solche tragen rechtsmethodisch nicht zur Lösung des zugrundeliegenden Pro­ blems bei. cc) Unterstützungshandlungen Weitgehend uneingeschränkt möglich sein sollen weiterhin Unterstützungshand­ lungen durch Dritte.60 Damit ist gemeint, dass der Anspruchsinhaber gezielt Perso­ 56 Staudinger/Repgen, §  229 BGB Rn.  14; BayObLG NJW 1991, 934; näher dazu noch unten §  1A. III.1. S. 94. 57 MüKo-BGB/Schmitt, §  107 BGB Rn.  55; BeckOK-BGB/Wendtland, §  107 BGB Rn.  6; Palandt/ Ellenberger, §  107 BGB Rn.  2; siehe aber auch Larenz/Wolf, Rn. §  25 V 1a Rn.  21. 58  Näher noch unten §  1A.III.3§  1A.III.3, S. 107. 59  Ähnlich zu §  859 Abs.  2 BGB RGZ 64, 385, 386; dort (Sohn ruft Vater zur Hilfe, um sich weg­ genommenen Ball zurückzuholen) war diese Begründung allerdings unzutreffend, da das Interesse des Kindes durch Nothilfe im Sinne von §  227 BGB hätte begründet werden können und §  859 BGB nicht delegierbar ist. 60 Erman/Wagner, §  229 BGB Rn.  3; Staudinger/Repgen, §  229 BGB Rn.  14; Palandt/Ellenberger,

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

nen heranziehen kann, die ihm bei der Anspruchssicherung Hilfe leisten, so lange er selbst die Herrschaft über die Selbsthilfemaßnahme behält. Der Dritte agiert inso­ fern also als weisungsabhängiger, verlängerter Arm des Berechtigten. Eine solche Erweiterung ist unstreitig erforderlich, weil sonst die Wirksamkeit des Selbsthilfe­ rechts auf (physisch) überlegene Gläubiger beschränkt würde. Schwächere sollen auf Hilfe Dritter zurückgreifen können. Die Schwierigkeit an dieser Lösung liegt darin, dass die Ausgangsentscheidung, ob Selbsthilfe verübt werden soll, in jedem Einzelfall durch den Anspruchsinhaber ge­ troffen werden muss. Die reine Zuordnung des Unterstützers zum „Lager“ des Be­ rechtigten61 genügt nicht, um ihn als Gehilfen zu qualifizieren. Soweit der An­ spruchsinhaber keine Kenntnis von seiner Notlage hat, kann er auch keine Unter­ stützung durch Dritte in Anspruch nehmen. Die beiden denkbaren Auswege, einer vorweggenommenen Generaleinwilligung oder einer nachträglichen Genehmigung der Unterstützungshandlung konterkarieren den Gedanken der „Unterstützung“. Die originäre Entscheidung, ob in der konkreten Situation eine Selbsthilfelage be­ steht und ein Einschreiten erforderlich ist, würde dadurch nämlich dem Unterstützer überantwortet. Dann wird aber die „Unterstützung“ zur autarken Fremdhilfe. Be­ denklich scheint dies auch im Hinblick auf das sonst für den Vorsatz, 62 aber auch den dazu spiegelbildlich bestehenden Rechtfertigungswillen63 und auch in den meisten Fällen der Einwilligung64 bestehende geltende Koinzidenz‑/Simultaneitätsprinzip. Der Wille für die Selbsthilfe muss regelmäßig gleichzeitig zur Handlung bestehen, ein früherer (inzwischen aufgegebener) oder nachträglich gebildeter Wille ist unzu­ reichend. Dürfte man die Entscheidung über das „Ob“ der Selbsthilfe nicht delegie­ ren, könnte nur die kaum relevante bloße Unterstützung einer vom Anspruchsinha­ ber bereits willentlich initiierten Sicherungsmaßnahme gerechtfertigt werden. dd)  Rechtsgeschäftliche Anknüpfung? Angesichts der Schwächen der geschilderten Ausnahmetatbestände gewährt die herrschende Meinung Dritten eine Eingriffsbefugnis in Fällen, in denen diesen vor­ her eine „durch Gesetz oder Rechtsgeschäft vermittelte Vertretungs‑ oder Ausübungsbefugnis“ eingeräumt wurde.65 Nicht ausdrücklich erwähnt, aber ebenfalls zulässig müsste die Einräumung der Befugnis durch behördliche bzw. gerichtliche Anord­ nung sein. §  229 BGB Rn.  3; Krienitz, S.  18 siehe auch Mugdan I, S.  548 = Mot. I, S.  356; abweichend offenbar nur Heyer, S.  66. 61 Mit dieser Einschränkung aber Schreiber, Jura 1997, 29, 34; Duttge, Jura 1993, 416, 419; ­MüKo-BGB/Grothe, §  229 BGB Rn.  2. 62  BGH NStZ 2010, 503; BGH NStZ 2004, 201; MüKo-StGB/Joecks, §  16 StGB Rn.  14. 63  Siehe die Erwägungen bei Frister, 14. Kap., Rn.  16 ff. (Prognoserisiko); allgemein auch Jerouschek/Kölbel, JuS 2001, 417. 64  Siehe unten §  3A, S. 297 ff. 65  Siehe etwa MüKo-BGB/Grothe, §  229 BGB Rn.  2; Staudinger/Repgen, §  229 BGB Rn.  14; be­ reits Krienitz, S.  17; Simon, S.  80; ablehnend Heyer, S.  66.

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Die Ausgangslage ist dabei vergleichbar mit der Vornahme von Besitzschutzmaß­ nahmen durch den mittelbaren Besitzer, dessen Position auch nur kraft der Rechts­ beziehung zum Besitzmittler konstruiert ist (§  868 BGB).66 Gleichwohl hat dieser ein prinzipiell anerkennenswertes Interesse an der Sicherung seiner Rechte, das aller­ dings durch ihm unmittelbar zustehende Notwehrrecht (§  227 BGB) hinreichend gegen Eingriffe Dritter geschützt ist, so dass eine Delegation der Befugnisse des Be­ sitzmittlers nach §  859 BGB nicht erforderlich ist. Die bereits erörterte Zulassung der Rechtssicherung durch Organmitglieder und gesetzliche Vertreter von Geschäftsunfähigen legt die Anknüpfung an die rechtsge­ schäftliche oder gesetzliche „Vertretungsbefugnis“67 nahe. Konstruktiv bestehen freilich erhebliche Bedenken. Wieso aus der Befugnis zur rechtsgeschäftlichen Reprä­ sentation auch die Zulässigkeit rein tatsächlicher Zwangsmaßnahmen folgen soll, ist kaum begründbar.68 Diese können zwar im Einzelfall zusammenfallen, müssen es aber nicht zwangsläufig. Namentlich im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses wird dies deutlich. Der Türsteher muss nicht als Vertreter ermächtigt sein, um den fliehenden Zechpreller aufzuhalten und dessen Personalia festzustellen. Umgekehrt muss aber die Kassiererin trotz Vertretungsmacht (§  56 HGB) nicht stets auch zur gewaltsamen Feststellung der Identität zahlungsunwilliger Kunden ermächtigt sein. Denn soweit der Arbeitgeber seinen Angestellten die Sicherung seiner Rechte als Dienstpflicht auferlegt, muss er auch die Folgen tragen. Zu denken ist etwa an eine Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Abwehrhandlungen oder an eine Haftung gegenüber dem Selbsthilfeopfer wegen ungerechtfertigter Selbsthil­ fehandlungen.69 Die Befugnis zur Selbsthilfe zugunsten eines anderen Anspruch­ sinhabers ist daher oft, aber nicht stets an die Vertretungsmacht geknüpft. Die „Ausübungsbefugnis“70 ist zur Lösung des Problems gleichermaßen ungeeig­ net. Richtig an diesem Ansatz ist, dass die Ausübung der Selbsthilferechte unabhän­ gig vom zugrundeliegenden Anspruch übertragen oder delegiert werden kann. Die­ ses Verständnis liegt etwa der bereits erwähnten Regelung des §  34a Abs.  5 GewO zugrunde, wonach eine „Übertragung“ der Selbsthilferechte durch Vertrag möglich ist. Jedoch ist mit der bloßen Klassifikation als „Ausübungsbefugnis“ wenig gewon­ nen. Zwar könnte man überlegen, die gesetzliche Regelung zu Verfügungen eines

66  Solche Maßnahmen lehnt die hM ab, vgl. nur RGZ 146, 182, 190; MüKo-BGB/Joost, §  869 BGB Rn.  6; dagegen aber mit guten Gründen etwa Staudinger/Gutzeit, §  869 BGB Rn.  2. Selbst wenn man ihm aber die Befugnisse nach §  859 BGB zugesteht, darf er nicht gegen den Willen des unmittelba­ ren Besitzers handeln; vgl. nur OLG Freiburg JZ 1952, 334. Dann ist es aber vorzugswürdig, seine Befugnisse auf Notwehr im Sinne von §  227 BGB zu stützen, näher unten §  3B.I.1b, S. 332. 67  Vgl. Palandt/Ellenberger, §  229 BGB Rn.  3. 68  Das erkennt auch Soergel/Fahse, §  229 BGB Rn.  9. 69  Siehe zur Arbeitnehmerhaftung grundlegend BAGE 5, 1; etwa MüKo-BGB/Henssler, §  619a BGB Rn.  32; ErfurterK/Preis, §  619a BGB Rn.  9 ff. 70  In diese Richtung etwa BeckOK-BGB/Dennhardt, §  229 BGB Rn.  3 („Einziehungsermächti­ gung“).

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Nichtberechtigten (§  185 BGB) heranzuziehen. §  185 BGB erfasst nach seiner syste­ matischen Stellung aber wie die Stellvertretung nur rechtsgeschäftliches Handeln.71 Abschnitt 3 des Allgemeinen Teils trägt die amtliche Überschrift „Rechtsgeschäfte“. Auch eine analoge Anwendung der Norm ist nicht möglich. Selbst wenn man eine ungewollte Regelungslücke bejaht, was sowohl vom Ausgangspunkt eines Fremdhil­ feverbots als auch angesichts der Gesetzeshistorie bedenklich ist, fehlt es an einer vergleichbaren Interessenlage. Bei den in §  185 BGB geregelten „Verfügungen“ stehen Beeinträchtigung von Rechtspositionen des Berechtigten selbst in Rede. In den hier erörterten Fällen der Fremdhilfe bleibt die Rechtsstellung des Berechtigten hingegen zunächst unbeeinflusst; sie wird allenfalls (durch die Sicherung) verbessert. Einen Nachteil erleidet ausschließlich der Adressat der Selbsthilfemaßnahme. Auf dessen Willen käme es aber auch bei analoger Anwendung des §  185 BGB nicht an. Die un­ mittelbare Wirkung einer Erklärung zu Lasten Dritter ist dem Bürgerlichen Recht im Allgemeinen und §  185 BGB im Besonderen unbekannt. Sowohl im Rahmen von §  185 BGB als auch im Rahmen der Vertretungsbefugnis gäbe es darüber hinaus die Möglichkeit einer nachträglichen Genehmigung. Eine ent­ sprechende Anwendung von §§  177, 178 BGB bzw. §  185 Abs.  2 BGB, die insoweit §  1366 BGB bzw. §§  108, 109 BGB entsprechen,72 führt jedoch zu Unsicherheiten, die einer klaren Abgrenzung der Rechtssphären der Beteiligten entgegenstehen. Sowohl das Deliktsrecht, in dessen Rahmen §  229 BGB regelmäßig relevant wird, als auch das Strafrecht erfordern jedoch, dass die Rechtswidrigkeit der Handlung gerade bei deren Begehung eindeutig feststellbar ist.73 Es genügt nicht, dass die Frage, ob sich der Handelnde im Einklang mit der Rechtsordnung befand, erst im Nachhinein fest­ gestellt wird. Eine „schwebend unrechtmäßige“ Handlung ist weder für den Han­ delnden, noch für das Opfer der Selbsthilfe tragbar. Bei Rechtfertigungskaskaden, d. h. wenn sich das „Selbsthilfeopfer“ gegen den Handelnden zur Wehr setzt, wäre zudem jeder Beteiligte von der erst ex post zu treffenden, inhaltlich ungebundenen Entscheidung des Anspruchsinhabers abhängig, die für ihn zur Zeit der Handlung nicht antezipiert werden kann. Selbst wenn die Fremdhilfehandlung erfolgreich ist und die Gefahr abwehrt, wäre der Gläubiger nicht verpflichtet, die Sicherungshandlung zu genehmigen. Ein ratio­ nal handelnder Gläubiger hätte aber keinen Anlass, die Maßnahme des Dritten zu genehmigen. Sein Vorteil hat sich bereits durch die Gefahrabwendung realisiert. Durch die Genehmigung drohen ihm nur nachteilige Folgen, etwa eine Pflicht zum Aufwendungsersatz. Anders als im eigentlichen Anwendungsbereich der Genehmi­ gungsvorschriften erhält er also die Vorteile, hier die fortbestehende Möglichkeit zur Verwirklichung, ohne das damit verbundene Risiko, hier einer Schadensersatzhaf­ tung, in Kauf nehmen zu müssen. Den Fremdhelfer träfe bei fehlender Genehmi­ 71  Im Detail zum Anwendungsbereich BeckOK-BGB/Bub, §  185 BGB Rn.  2 ff; MüKo-BGB/Bayreuther, §  185 BGB Rn.  4 ff. 72  Allgemein zu diesen Wilhelm, NJW 1992, 1666. 73  Zum Koinzidenz-/Simultaneitätsprinzip noch unten §  1A.I.b.cc, S. 42.

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gung das Risiko einer Schadensersatzhaftung oder sogar einer strafrechtlichen Ver­ folgung. ee)  Berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag? Diskutiert wird auch eine Lösung über die Regeln einer berechtigten Geschäftsfüh­ rung ohne Auftrag.74 Im Vergleich zu den Regeln der Stellvertretung spricht für die­ se Analogie, dass die §§  677, 683 S.  1 BGB in der Tat regelmäßig tatsächliches und nicht rechtsgeschäftliches Handeln betreffen. Dennoch passen die Regeln der berech­ tigten Geschäftsführung ohne Auftrag systematisch nicht auf die Vornahme von Si­ cherungsmaßnahmen durch Dritte. Während die §§  677 ff. BGB das Rechtsverhält­ nis zwischen Geschäftsherrn und Geschäftsführer (Innenverhältnis) regeln, betrifft §  229 BGB nur das Verhältnis des Handelnden zum Opfer der Selbsthilfehandlung, also einem Dritten (Außenverhältnis). Die Rechtfertigungswirkung der Geschäfts­ führung ohne Auftrag greift aber nur gegenüber dem Geschäftsherrn.75 Wenn schon bei der ebenfalls vertretenen rechtsgeschäftlichen Zurechnung nach den Regeln der Stellvertretung eine Drittwirkung nicht zu konstruieren ist, muss dies auch für eine Ausstrahlung des Innenverhältnisses zwischen Geschäftsherrn und Geschäftsführer gelten.76 Da schon eine vertragliche Verpflichtungsbefugnis zulasten Dritter dem deutschen Recht unbekannt ist, muss nämlich erst Recht eine quasi-vertragliche Be­ lastung ausgeschlossen sein. Vor allem enthalten die §§  677 ff. BGB keinerlei Kriterien für eine Begrenzung der Fremdhilfe. Das nach §  683 S.  1 BGB für die Berechtigung maßgebliche „Interesse“ des Geschäftsherrn dürfte bei einer für ihn unentgeltlichen77 Durchsetzung von An­ sprüchen stets zu bejahen sein. Da ein geäußerter Wille des Geschäftsherrn regelmä­ ßig fehlt, muss dieses objektive Interesse auch als Maßstab für seinen mutmaßlichen Willen herangezogen werden.78 Das würde dann aber bedeuten, dass eine Selbsthil­ fe bis auf die Fälle eines vor der Handlung geäußerten entgegenstehenden Willens stets zulässig wäre. Die ursprüngliche These des Fremdhilfeverbots würde dadurch konterkariert. Da das Interesse des Geschäftsherrn regelmäßig zu bejahen ist, würde dieses Verbot völlig aufgegeben. Schließlich ist das Innenverhältnis zwischen dem Fremdhelfer und dem Gläubiger für den Dritten nicht erkennbar. Würde man an die für das Opfer der Selbsthilfe­ handlung nicht ersichtliche Berechtigung des Geschäftsführers gegenüber dem Ge­ schäftsherrn anknüpfen, bestünde die Gefahr unberechtigter Gegenwehr und damit 74 Soergel/Fahse, §  229 BGB Rn.  9; jurisPK-BGB/Backmann, §  229 BGB Rn.  6; Wieling, S.  182 f.; Krienitz, S.  18 (unter Hinweis auf Rehbein, 343 f., der diese Auffassung soweit ersichtlich erstmalig vertrat). 75 Staudinger/Bergmann, Vor §§  677 ff. BGB Rn.  244; Erman/Dornis, Vor §  677 Rn.  28. 76 Oben §   1A.I.b.cc, S. 42; ebenso für die Nothilfe bereits seit langem das strafrechtliche Schrifttum Heller, S.  234; Haas, S.  136 f. 77  Zur Kostentragung unten §  1B, S. 150. 78  BGHZ 55, 128, 134; BGHZ 47, 370, 374; MüKo-BGB/Seiler, §  683 BGB Rn.  3; BeckOK-BGB/ Gehrlein, §  683 BGB Rn.  3.

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

von wechselseitigen Exzessen. Gegen unberechtigte Gegenwehr ist nämlich wieder­ um Notwehr zulässig, die gegenüber der Selbsthilfe intensivere Eingriffe rechtfer­ tigt.79 Auf die nach §  684 S.  2 BGB allein für den Aufwendungsersatz bei unberech­ tigter Geschäftsführung ohne Auftrag relevante nachträgliche Genehmigung der Geschäftsführung80 kann es nicht ankommen. Wie bereits im Zusammenhang mit der Stellvertretung ausgeführt81 würde der so entstehende Schwebezustand zu er­ heblicher Unsicherheit für alle Beteiligten, aber auch für Außenstehende führen. ff)  Berücksichtigung überindividueller Aspekte – Fremdhilfe als Staatshilfe? Bei der Notwehr wird heute überwiegend neben dem Schutz individueller Rechtsgü­ ter jedenfalls auch ein überindividueller Zweck, nämlich die Durchsetzung des Rechts gegenüber dem Unrecht (Rechtsbewährungsgrundsatz), bejaht.82 Deutlich wird dies auch daran, dass §  227 BGB gegenüber staatlichen Handlungen gerade nicht nachrangig ist, also einen Fall kumulativer Selbsthilfe darstellt.83 Staatliche und private Handlungen sind auf das selbe Ziel gerichtet, nämlich die Aufrechterhal­ tung bzw. Wiederherstellung eines rechtlich geschützten Zustands. Während die Notwehr (§  227 BGB) aber auf die endgültige (Wieder‑)Herstellung des rechtmäßi­ gen Zustands durch Abwehr des Angriffs gerichtet ist, soll die Selbsthilfe (§  229 BGB) nur die Möglichkeit aufrechterhalten, dass der Schuldner freiwillig oder der Staat durch Zwangsmaßnahmen den Anspruch verwirklichen. Die Abwehr von Gefahren für private Rechte ist insoweit primär dem Staat zugewiesen, sei es in der Zwangsvoll­ streckung, im einstweiligen Rechtsschutz oder ausnahmsweise durch die Polizei.84 Die Subsidiarität und insbesondere die Pflicht zur Einleitung staatlicher Folgemaß­ nahmen nach §  230 Abs.  2 und Abs.  3 BGB machen deutlich, dass Selbsthilfemaß­ nahmen insoweit nur als Vorbereitung späterer, dem Staat zugedachter Sicherungs­ handlungen dienen.85 Daher wird weit überwiegend ein überindividueller Zweck

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Anschaulich zu einer solchen „Gewaltspirale“ OLG Karlsruhe RuS 1990, 233. §§  229–231 BGB Rn.  2; MüKo-BGB/Grothe, §  229 BGB Rn.  2; Erman/Wagner, §  229 BGB Rn.  3; jurisPK-BGB/Backmann, §  229 BGB Rn.  6. 81  Oben §  1A.I.b.dd, S. 42. 82  BGHSt 24, 356, 359; BGH NJW 1989, 2479; Schönke/Schröder/Perron, §  32 StGB Rn.  1a; SSWStGB/Rosenau, §  32 StGB Rn.  2; abweichend (nur individualschützend) insbesondere Kuhlen, GA 2008, 282; Frister, 16. Kap., Rn.  3 f.; SK-StGB/Günther, §  32 StGB Rn.  11 f.; MüKo-StGB/Erb, §  32 StGB Rn.  14 ff.; Frister, GA 1988, 291; sehr weitgehend (nur überindividualistisch – Individualschutz als bloßer Reflex) Schmidhäuser, GA 1997, 97, 112 ff. 83  VG Saarlouis NZV 1991, 47; näher unten §  1D, S. 189 ff. 84  Polizeiliches Einschreiten ist jedenfalls gegenüber §  229 BGB vorrangig, AG Heidelberg NJW 1977, 1541; OVG Koblenz NJW 1988, 929, 930; VG Freiburg NJW 1979, 2060 unten §  1A.IV.1, S. 109; allerdings ist fraglich, ob die polizeirechtliche Subsidiarität (§  1 Abs.  2 PolG) ihrerseits einen Nachrang gegenüber nicht subsidiären Eingriffsbefugnis (insbesondere dem Notwehrrecht) bedeu­ tet, VG Saarlouis NZV 1991, 47 (aufgehoben aus anderen Gründen durch OVG Saarlouis NZV 1993, 366) . 85  Dementsprechend wird auch die Übertragung der Schranken staatlicher Vollstreckung erör­ tert, unten §  1A.V.2, S. 140. 80 HK-BGB/Dörner,

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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der Selbsthilfe verneint; diese soll vielmehr nur dem individuellen Interesse des ein­ zelnen Gläubigers dienen.86 Allerdings ist die notfalls auch erzwungene Durchsetzung vertraglicher Pflichten ein wesentlicher Bestandteil einer zivilisierten Rechtsordnung.87 Soweit der Schutz der subjektiven Rechte der Bürger nicht wirksam ist, entfällt ein Vertrauen in die gegenseitigen Pflichten und verlustreiche defensive Selbstschutzmaßnahmen neh­ men Überhand.88 Soweit §  229 BGB daher die Gefahr eines Schwebezustands besei­ tigt, in dem die Durchsetzung der Ansprüche in Frage gestellt ist und eine spätere freiwillige oder staatliche Rechtsdurchsetzung gewährleistet, schafft er die erforder­ liche Grundlage zur Anerkennung der Verbindlichkeit von Verträgen und damit der Rechtsordnung insgesamt. §  229 BGB steht daher nicht nur der Notwehr im Sinne von §  227 BGB nahe, sondern auch §  127 Abs.  1 S.  1 StPO, welcher der vorübergehen­ den Aufrechterhaltung der Möglichkeit zur Durchsetzung des staatlichen Strafmo­ nopols dient.89 Beide Regelungen sollen den Respekt vor der Rechtsordnung ge­ währleisten und dienen der Sicherung des Rechtsfriedens.90 Wer zu Zwecken der Selbsthilfe tätig wird, handelt also nicht allein im Interesse des begünstigten An­ spruchsinhabers, sondern auch im Sinne der Rechtspflege und damit des Rechtsstaa­ tes insgesamt.91 Die Selbsthilfe hat damit entgegen der herrschenden Auffassung durchaus einen gewichtigen überindividuellen Gehalt. Im Ausgangspunkt läge es daher nahe, wie in §  127 Abs.  1 S.  1 StPO92 jedermann und nicht nur dem unmittelbar Betroffenen das Recht zur Wahrung der Rechtsord­ nung einzuräumen. Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Straf‑ und dem Zi­ vilprozess ist allerdings, dass aufgrund der für das Zivilprozessrecht geltenden Dis­ positionsmaxime der Wille des Klägers von zentraler Bedeutung für die Durchset­ zung der Ansprüche ist. Staatliche Maßnahmen werden deshalb nur auf Veranlassung des Gläubigers bzw. dessen Vertreter eingeleitet. Im Strafrecht wird hingegen der öf­ fentliche Strafanspruch vor allem in Abwesenheit des potentiell Verletzten stärker geschützt. Deutlich wird dies etwa in der Anwendung des §  127 Abs.  3 StPO, wonach ein vorheriger Strafantrag bei der Festnahme nicht erforderlich ist, auf das Jeder­ 86  Siehe nur Staudinger/Repgen, §  229 BGB Rn.  2: „Obgleich insofern eine staatliche Funktion substituiert wird, dient das Selbsthilferecht nicht wie die Notwehr dem Schutz der Rechtsordnung – jedenfalls nicht mehr oder weniger, als auch jede andere Form der Rechtsdurchsetzung zugleich auch ein Beitrag zur Bewahrung der Rechtsordnung ist.“ 87  Vgl. nur Luhmann, S.  109. 88  Zur Bedeutung der Erzwingbarkeit von Vertragspflichten Posner, S.  115 ff.; siehe auch Mugdan I, S.  548 = Mot. I, S.  355. 89  In diesem Sinne für das österreichische Recht Piskernigg, S.  226 ff. (in Bezug auf §  86 öStPO). 90  Mugdan I, S.  546 = Mot. I, S.  353: „Die Absicht, den Zustand herbeizuführen, der dem Rechte entspricht, ist nicht widerrechtlich. Ebenso wenig wird durch eine solche auf dem Boden des Rech­ tes sich bewegende Handlung der Rechtsfriede gestört.“. 91  Näher noch unten §  1A.III.2b, S. 103. 92 Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, §  127 StPO Rn.  7; BeckOK-StPO/Krauß, §  127 StPO Rn.  9; KK-StPO/Schultheis, §  127 StPO Rn.  11.

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manns‑Festnahmerecht des §  127 Abs.  1 S.  1 BGB.93 Eine dem vergleichbare aus­ drückliche Regelung fehlt in §  229 BGB. Auch nach Sinn und Zweck der Norm verbietet sich diese Annahme. Anders als die durch §  227 BGB geschützten absoluten Rechte sind relative Rechte weder durch einen numerus clausus wohldefiniert noch durch ein Offenkundigkeitsprinzip nach außen erkennbar.94 Eine Sicherungsbefugnis würde daher aufgrund der geringen Verfügbarkeit von Polizeischutz erhebliche Gefahren von Irrtümern und Exzessen begründen.95 Schließlich ist die besondere Bedeutung des Willens der Vertragspar­ teien gerade im Rahmen faktischer Eingriffe zu berücksichtigen. Eine Jedermann-Be­ fugnis zum Tätigwerden zur Durchsetzung fremder Ansprüche auch gegen den Wil­ len des Anspruchsinhabers besteht daher nicht. gg) Zwischenergebnis Soweit ein vorheriges Einverständnis des Anspruchsinhabers vorliegt, ist Selbsthilfe selbst nach der engsten vertretenen Auffassung zulässig. Weisungsgebundenheit im Einzelnen wird selbst von denjenigen, die eine Fremdhilfe im Allgemeinen ablehnen, nicht verlangt. Demjenigen, der die Eingriffshandlung zugunsten eines fremden An­ spruchs vornimmt, wird die Befugnis eingeräumt, selbst zu entscheiden, wie er die Ansprüche sichert, wenn er die generelle Befugnis zum Einschreiten gegen den Schuldner hat. Das Einverständnis des Gläubigers wird man kaum als Rechtsgeschäft qualifizie­ ren können. Die Regelungen über die Geschäftsfähigkeit, über die Stellvertretung oder über die Anfechtung passen für die an besondere Eile gebundene und auf rein tatsächliche Befugnisse gerichtete Selbsthilfesituation nicht. Ebenso eindeutig sind Fälle, in denen der durch den Anspruch Begünstigte dem Dritten ausdrücklich die Selbsthilfe verbietet. Soweit man nämlich auf die Durchsetzung des Anspruchs über­ haupt verzichten kann, wird man dem Anspruchsinhaber auch die Befugnis zubilli­ gen müssen, eine erforderliche Sicherung nicht in Anspruch zu nehmen. Somit verbleiben nur die „non liquet“-Fälle, in denen der vorherige Wille des An­ spruchsinhabers nicht bekannt ist. Dabei soll nicht der Adressat der möglicherweise rechtswidrigen Handlung, also das „Opfer“, geschützt werden, sondern allein die Dis­po­sitions­freiheit des durch die Handlung begünstigten Anspruchsinhabers. Sol­ che Konstellationen sind durchaus auch bei anderen Rechtfertigungsgründen be­ kannt; man denke etwa an die „aufgedrängte“ Nothilfe.96 93  Näher Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, §  127 StPO Rn.  21; BeckOK-StPO/Krauß, §  127 StPO Rn.  13; KK-StPO/Schultheis, §  127 StPO Rn.  4 4. 94  Unten §  1A.III.1, S. 94. 95  Siehe nur den Sachverhalt in RGSt 60, 273, 278: Holzfäller will Dieb Wildstangen abnehmen, um diese dem Berechtigten zurückzugeben; das RG verneinte eine Eingriffsbefugnis aus §  859 BGB, da der Dieb nicht wissen konnte, dass der Holzfäller zugunsten des Eigentümers handeln wollte (ließ aber einen Rückgriff auf §  227 BGB zu). 96 BeckOK-BGB/Dennhardt, §  227 BGB Rn.  23; Schönke/Schröder/Perron, §  32 StGB Rn.  25 f.; Engländer, S.  108, 115 f.

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Auf dieser Grundlage ein allgemeines Fremdhilfeverbot zu konstatieren, welches durch weitreichende Zustimmungsvorbehalte dann bis zur Unkenntlichkeit aufge­ weicht werden muss, ist jedoch unergiebig.97 Erforderlich ist vielmehr genau umge­ kehrt die möglichst präzise negative Ausgrenzung derjenigen Fälle, in denen eine Fremdhilfe nicht gerechtfertigt ist. Dies ist aus Sinn und Zweck der Regelung des §  229 BGB zu entnehmen, für deren Ermittlung eine ökonomische Betrachtung hilf­ reiche Ansätze liefert. c)  Ökonomische Betrachtung Das Gesetz liefert keine Anhaltspunkte, um die Frage nach der Zulässigkeit von Fremdhilfe eindeutig und objektiv aus der ex ante Perspektive zu beantworten. Viel­ mehr verbleibt mangels einer Generalklausel oder einer umfassenden Kasuistik ein erheblicher Beurteilungsspielraum. Um diesen auszufüllen, bieten sich ökonomische Erwägungen bezogen auf die Beteiligten, aber auch auf die Allgemeinheit an. Ausge­ hend von der Prämisse, dass der Gesetzgeber nur Normen schafft, die das Gemein­ wohl fördern,98 ist dieser Ansatz geeignet, sich der Regelung im Rahmen einer teleo­ logischen Auslegung anzunähern. Dabei ist von den mit einer staatlichen Anspruchs­ sicherung einhergehenden Kosten als Vergleichswert auszugehen (sub aa). Diesen gegenüberzustellen sind die Vor- und Nachteile ausnahmsweise zulässiger Siche­ rungs- oder Verwirklichungmaßnahmen des Anspruchsinhabers selbst (sub bb). Schließlich ist zu untersuchen, ob es zu abweichenden Ergebnissen führt, wenn statt diesem ein Dritter zur Anspruchssicherung bzw. ‑verwirklichung tätig wird (sub cc). aa)  Staatliche Anspruchssicherung und -durchsetzung Die private Rechtssicherung bzw. -verwirklichung ist eine Ergänzung zum staatlichen Rechtsschutz. Ihre Zulassung ist nur effizient, soweit die damit verbundenen Vorteile in ihrer Gesamtheit die dadurch drohenden Nachteile überwiegen. Im Aus­ gangspunkt ist daher zu untersuchen, welche Kosten und Vorteile mit der Erzwin­ gung der Anspruchssicherung durch staatliche Stellen verbunden sind. Die Existenz und allgemeine Verfügbarkeit staatlichen Zwangs zugunsten privater Ansprüche ist elementarer Bestandteil eines Rechtsstaats.99 Ohne eine solche Er­ zwingbarkeit wäre die Verwirklichung von Ansprüchen allein von der freiwilligen Entscheidung des Verpflichteten oder der Durchsetzungsmacht des Berechtigten ab­ hängig.100 Langfristige Anlageentscheidungen wären ohne Zwang nicht vorstell­ bar.101 Die hierfür notwendigen Institutionen müssen also vom Staat bereitgestellt 97  Ebenso die strafrechtliche Literatur zur aufgedrängten Nothilfe vgl. nur Jakobs, 12. Abschn. Rn.  62; MüKo-StGB/Erb, §  32 StGB Rn.  164; Seier, NJW 1987, 2476, 2480 ff. 98  Siehe nur Stettner, NVwZ 1989, 806, 810; Luhmann, S.  296. 99  Zum „Justizgewährungsanspruch“ vgl. BVerfGE 81, 347; BVerfGE 54, 277, 292; MüKo-ZPO/ Rauscher, Einleitung ZPO Rn.  18 f.; Michael/Morlok, Rn.  875, 890 ff.; Maunz/Dürig/Schmidt-Assmann, Art.  19 Abs.  4 GG Rn.  16 ff. 100  Posner, S.  115 ff.; Schäfer/Ott, S.  397 ff. 101  Posner, S.  116 f.: „Apart from the costs of credit bureaus and security deposits especially since

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werden, selbst wenn sie nicht in Anspruch genommen werden. Die laufenden Admi­ nistrativkosten hierfür102 ebenso wie die Vermögenseinbußen aufgrund von Fehlur­ teilen etc. werden unmittelbar über Steuern oder mittelbar durch prozessuale Kos­ tenregelungen auf die Bürger verteilt. Die Beträge sind vor allem im Vergleich zu den üblichen Streitwerten erheblich.103 Die Grenzkosten des staatlichen Rechtsschutzes steigen zudem. Eine größere Anzahl von Prozessen führt nicht dazu, dass die Kosten pro Rechtsstreit sinken, sondern tendenziell dazu, dass alle Rechtsstreitigkeiten teu­ rer werden. Daher kann auch ein durch Formalisierung vereinfachtes Prozessrecht nicht verhindern, dass die staatliche Erzwingung von Rechten mit lang andauernden Verfahren und einem personalintensiven Verwaltungs- und Rechtsprechungsappa­ rat verbunden ist. Auch die Aufrechterhaltung einer Situation, in welcher einer solchen staatlichen Entscheidung über die Zuordnung von Rechten und Sachen möglich und durchsetz­ bar bleibt, obliegt dem Staat. So erklären sich sowohl der einstweilige Rechtsschutz,104 der grundsätzlich nicht der Befriedigung dient, als auch die Eingriffsbefugnis der Polizei zugunsten privater Rechte. Die Existenz solcher Sicherungsmechanismen ge­ hört zwangsläufig zum Rechtsgewährungsanspruch. Ansonsten würde die staatliche Durchsetzung vielfach ins Leere laufen. Gleichzeitig sind solche Sicherungsmaßnah­ men aber sehr ressourcenintensiv, da Gefahren im Einzelfall nicht prognostiziert und lokalisiert werden können. Es ist nicht vorhersehbar, wo und wann Schuldner versuchen, die Verwirklichung ihrer Pflichten durch fehlende Offenlegung ihrer Identität zu entgehen oder geschuldete Gegenstände dauerhaft ihren Gläubigern zu entziehen. Ist ihnen dies aber gelungen, lässt sich die versäumte Gelegenheit kaum wieder herstellen. Eine flächendeckende ex ante Kontrolle wäre hingegen mit den Freiheitsrechten der Betroffenen kaum vereinbar. Durch zwangsweise Durchsetzungs- oder Sicherungsmaßnahmen entstehen (un­ abhängig davon, ob diese berechtigt oder unberechtigt sind) Vermögenseinbußen, die über das Geschuldete hinausgehen. Zu denken ist etwa an Verluste durch die Vorenthaltung einer Sache, die ein Gerichtsvollzieher in Gewahrsam nimmt. Die Rechtsordnung weist die entsprechenden Verluste freilich nicht der Allgemeinheit zu, sondern entweder demjenigen, der unberechtigt staatliche Hilfe bemüht hat (§§  945, 717 Abs.  2 ZPO) oder demjenigen, der unberechtigt die Erfüllung seiner Pflichten verweigert. Die über die Vorhaltung der erforderlichen Infrastruktur hin­ return of the deposit could not be compelled), self-protection would often fail. Although someone who was contemplating breaking his contract would consider the costs to him of thereby reducing the willingness of other people to make contracts with him in the future, the benefits form breach might exceed those costs.“; allgemein Bechtold 2010, S.  33 ff.; 43 ff.; Eidenmüller, S.  63 ff. 102  Gemeint: Nicht nur die Kosten für Polizei und Ordnungsbehörden, sondern auch die Bereit­ stellung von Gerichten und Anwälten, vgl. Posner, S.  555 f. 103  Franzen/Apel, NJW 1988, 1059; Franzen, NJW 1993, 438 (1991/1992 knapp 600 € für einen Amtsgerichtsprozess, 1.500 € für einen Landgerichtsprozess, 3.000 € für einen OLG-Prozess). 104  Saenger, S.  5 ff.; MüKo-ZPO/Drescher, Vor §§  916 ff. ZPO Rn.  1 ff.; Musielak/Voit/Huber, §  916 ZPO Rn.  1.

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ausgehenden Folgekosten werden also ausschließlich bilateral zwischen den Beteilig­ ten abgewickelt. Nur im Fall von exzessiven Maßnahmen kommt ausnahmsweise eine Staatshaftung in Betracht, welche wiederum die Kosten auf die Allgemeinheit streut. bb)  Gründe für die restriktive Zulassung von Selbsthilfe Die Selbsthilfe erscheint auf den ersten Blick ein kostengünstiger Weg zur Sicherung und Verwirklichung von Ansprüchen. Die als Engpass wirkenden staatlichen Insti­ tutionen werden entlastet und so eine Beschleunigung der anhängigen Prozesse oder eine Verkleinerung des Rechtsschutzapparats ermöglicht. Die mit der Selbsthilfe ein­ hergehenden Folgekosten hat nicht die Allgemeinheit zu tragen, sondern nur das Op­ fer berechtigter Selbsthilfemaßnahmen bzw. derjenige, der eine ungerechtfertigte Selbsthilfehandlung verübt (§  231 BGB). Sie wirken also wie bei staatlichem Zwang nur bilateral. Allerdings divergiert die für die Selbsthilfe genutzte individuelle Durchsetzungs­ stärke der einzelnen Bürger erheblich. Soweit man die Fremdhilfe gänzlich ablehnt,105 wäre allein die physische Stärke maßgeblich. Bei zulässiger Fremdhilfe könnte diese durch wirtschaftliches Handlungsvermögen kompensiert werden. Beides ist jedoch nicht bei jedem Betroffenen in gleichem Maße gegeben, so dass ein System, das über­ wiegend auf Selbsthilfe baut, eine rechtsstaatlich inakzeptable Ungleichbehandlung darstellen würde.106 Das Angebot eines für alle Rechtsunterworfenen gleichwertigen Rechtsschutz- und Rechtssicherungssystems ist deshalb eine nicht abdingbare Pflicht des Staates.107 Die für die Rechtssicherung aufgewandten Ressourcen sind daher „So­ wieso-Kosten“, die bei inhomogenen Rechtsunterworfenen auch durch eine Stärkung der Selbsthilfe nicht merklich verringert werden können. Bei einem Vorgehen der unmittelbar Betroffenen ist die Gefahr von individuellen Fehleinschätzungen höher als in einem geordneten, von neutralen Dritten organi­ sierten Verfahren.108 So kann ein Eingriff trotz Vorliegen einer Selbsthilfelage zu in­ tensiv wirken oder die Berechtigung des Eingriffs wird falsch eingeschätzt. Solche Fehleinschätzungen können auf beiden Seiten auftreten. Der Handelnde mag seine 105  In dieser Reichweite vor allem Heyer, S.  29 f.; gegen ein solches Verbot aber bereits Mugdan I, S.  548 = Mot. I, S.  355, ausführlich oben §  1A.I, S. 32. 106 Zur „Waffengleichheit“ als Erfordernis des Rechtsstaats und von Art.   3 Abs.  1 GG etwa ­BVerfG NJW 2008, 2170, 2171: „Aus dem Rechtsstaatsprinzip und aus dem Gleichheitssatz (Art.  3 I GG) folgt das Erfordernis grundsätzlicher Waffengleichheit und gleichmäßiger Verteilung des Pro­ zessrisikos […] Das bedeutet, dass die einander gegenüberstehenden Parteien verfahrensrechtlich grundsätzlich gleichgestellt werden müssen […].“. 107  BVerfGE 107, 395; MüKo-ZPO/Rauscher, Einleitung ZPO Rn.  18 f.; Musielak/Voit/Musielak, Einleitung ZPO Rn.  6 ff. 108  Mugdan I, S.  546 = Mot. I, S.  353 beschreiben die schon damals erhobenen Bedenken gegen das Selbsthilferecht, dass „wenn auch die Gefahr einer Rechtsvergewaltigung gegenwärtig nicht eine allzu große sei, doch der Einzelne überhaupt nicht in die Lage gebracht werden dürfe, nach seinem vielleicht wenig geeigneten Ermessen die unter Umständen schwierige Frage zu entscheiden, ob die zur Rechtsverwirklichung dienliche Handlung eine an sich erlaubte oder unerlaubte sei.“.

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Befugnisse überschreiten, das Opfer mag die Eingriffshandlung irrig als ungerecht­ fertigt beurteilen. In vielen Fällen stimmen die Ergebnisse von Selbsthilfehandlun­ gen deshalb nicht mit der Rechtsordnung überein.109 Im schlimmsten Fall droht eine Spirale wechselseitiger Gewaltexzesse. Der Richter agiert demgegenüber als neutra­ ler Mittler mit einem durch die Verfahrensregelungen abgesicherten Entscheidungs­ prozess und hoffentlich größerer Bedenkzeit.110 Der durch Selbsthilfe erzeugte Zu­ stand ist daher nicht hinreichend stabil,111 sondern wird vielfach weitere staatliche Überprüfungsmaßnahmen nach sich ziehen. Im Falle von Fehlbeurteilungen bei der privaten Rechtssicherung bzw. ‑durchsetzung kumulieren sich die Kosten der priva­ ten und der staatlichen Maßnahmen, da ein späterer Ausgleich vor staatlichen Ge­ richten gesucht wird und die Gerichtskosten sowie der zu leistende Ersatz nunmehr zu den bereits vergeblich aufgebrachten Kosten der privaten Rechtsdurchsetzung hinzutreten. Dies gilt selbst dann, wenn die Einschätzung des in Selbsthilfe Handeln­ den zutreffend war, denn das Opfer wird aufgrund der Selbstbefangenheit112 eine neutrale Überprüfung suchen. Nur bei vollständig informierten, rationalen Akteu­ ren in gleichwertiger Machtstellung, bei denen Verhandlungen letztlich ohne Auf­ wand möglich sind, kann Selbsthilfe ähnlich effizient wie eine staatlicher Sicherung (und sogar zur Durchsetzung) zum Rechtsfrieden beitragen.113 Selbsthilfe birgt darüber hinaus generell die Gefahr exzessiver Eingriffe, die Schä­ den verursachen, die bei der „kontrollierten“ staatlichen Durchsetzung nicht ent­ stünden. Eine Abwägung der zur Verfügung stehenden Mittel fällt dem ungeübten Laien schwerer als dem in Vollstreckungsmaßnahmen geschulten Fachpersonal.114 Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere, dass das Opfer die Eingriffshandlung als ungerechtfertigt beurteilen mag und so seinerseits Abwehrhandlungen vornehmen wird. Es besteht eine erhebliche Eskalationsgefahr. Eine „kontrollierte Blutfehde“ ist sozialpolitisch untragbar.115 Davon abgesehen würde ein gleichberechtigtes Nebeneinander von privater und staatlicher Durchsetzung schließlich auch zu einer Aufweichung der eigentlich für alle geltenden Regelungen führen. Aufgrund verschiedener Machtverhältnisse könn­ ten physisch oder aufgrund sozialer Stellung überlegene Personen ihre Interessen im 109  Es geht also bei dem Vorrang staatlicher Durchsetzung primär um den „öffentlichen“ Frie­ den, OVG Rheinland-Pfalz NJW 1988, 929; MüKo-ZPO/Rauscher, Einleitung ZPO Rn.  18 f. 110 Vgl. Posner, S.  630 zu den Kosten einer inkompetenten oder korrupten Gerichtsbarkeit. 111  Zur Stabilität von Zuständen („Rechtssicherheit und Rechtsfrieden“) als wichtiges Ziel des Rechts und des Rechtsschutzes vgl. MüKo-ZPO/Gottwald, §  322 ZPO Rn.  204; Köhler 2012, §  1 Rn.  3; Pohlmann, §  1 Rn.  5. 112 Allgemein Posner, S.  725 ff.; Pohlmann, §  1 Rn.  39 f. zu den Grenzen siehe aber BVerfGE 3, 377; OLG München DS 2007, 150. 113  Das ist die Kernaussage von Coase, JLEcon 3 (1960), 1; dazu Posner, S.  10 f.; Eidenmüller, S.  59 ff.; Schäfer/Ott, S.  102 ff.; Bechtold 2010, S.  227 f. 114  Das steht hinter der von der h.M. im Strafrecht angenommenen „Subsidiarität“ der Notwehr gegenüber staatlichen Maßnahmen, vgl. Schönke/Schröder/Perron, §  32 StGB Rn.  41; MüKo-StGB/ Erb, §  32 StGB Rn.  131; Burr, JR 1996, 230. 115  So schon Hobbes, S.  94 f.; Luhmann, S.  322 ff.

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Einzelfall selbst dann durchsetzen, wenn die Rechtsordnung diese Interessen nicht oder nur eingeschränkt billigt. Selbst wenn eine nachträgliche gerichtliche Kontrolle stattfindet, würde die flächendeckende Anerkennung der Normgeltung116 in Zweifel ziehen. Angesichts dieser zusätzlichen Kosten kommt Selbsthilfe nur in Betracht, wenn ausnahmsweise das Kosten-/Nutzenverhältnis privaten Handelns dasjenige einer staatlichen Rechtssicherung bzw. -durchsetzung überwiegt. Dementsprechend er­ laubt §  229 BGB die private Rechtssicherung ausschließlich in Fällen, in denen eine staatliche Durchsetzung nicht möglich ist117 und die Verwirklichung des Rechts an­ sonsten endgültig zu scheitern bzw. wesentlich erschwert zu werden droht.118 Staatli­ che Hilfe darf also weder gegenwärtig noch nachträglich geeignet sein, die Verwirk­ lichung des Anspruchs sicherzustellen. Wenn aber Selbsthilfe die einzige Möglich­ keit ist, den im Anspruch verkörperten Vermögenswerts in vollem Umfang zu erhalten, überwiegt deren Nutzen zwangsläufig. Selbsthilfe ist einer unmöglichen staatlichen Durchsetzung in dieser Konstellation stets überlegen. Denkbar wäre es jedoch, die Kosten der Selbsthilfe, namentlich den Administrativaufwand für eine etwaige spätere gerichtliche Überprüfung und die beim rechtssichernden Verhalten verletzten Rechtsgüter, dem erwarteten Vermögenswert des Anspruchs gegenüber­ zustellen. Eine solche Verhältnismäßigkeitsprüfung wird aber in §  229 BGB bewusst nicht gefordert.119 Im Interesse einer eindeutigen Entscheidung wird die Selbsthilfe in dieser Konstellation umfassend zugelassen. Hierdurch können Risikoaufwendun­ gen des Gläubigers im Sinne einer Vorsorge für den etwaigen Leistungsausfall redu­ ziert werden. Damit wird die Bereitschaft zum Vertragsschluss gefördert und das Vertrauen in die Werthaltigkeit zivilrechtlicher Forderungen gestärkt. cc)  Besonderheiten der Fremdhilfe Die Vornahme von Durchsetzungs- und Sicherungsmaßnahmen durch außenste­ hende Dritte unterscheidet sich zunächst weder hinsichtlich der Kosten noch bezüg­ lich des Nutzens von der Durchsetzung bzw. Sicherung durch den Anspruchsinhaber selbst. Die Gefahr von Exzessen ist kein spezifisches Problem der Fremdhilfe,120 son­

116  Zur Anerkennung der Normgeltung als Anknüpfungspunkt der „positiven Generalpräven­ tion“ Seagle, S.  200 ff.; vgl. auch SK-StGB/Rudolphi, Vor §  1 StGB Rn.  11 zu weitgehend aber Amelung, S.  345 f. 117  Die historischen Zusammenhänge betont Heyer, S.  3 f.; unten §  1A.IV, S. 108. 118  Dazu unten §  1A.II.3, S. 90. 119  Unten §  1A.V.2a, S. 142; Titze, S.  126; Simon, S.   126; abweichend für das österreichische Recht Piskernigg, S.  200. 120 Anders Heyer, S.  30, der vor dem „Nachteil, den der öffentliche Friede durch Zusammenrot­ tung ganzer Banden erleiden würde“ warnt – die Existenzberechtigung solcher Banden wäre aber davon abhängig, dass diese auch Kostenersatz beanspruchen könnten (wie etwa bei den viel disku­ tierten „Abmahnvereinen“, siehe dazu nur BayObLGZ, 45; LG Düsseldorf NJW 1964, 504; Schmid, GRUR 1999, 312; Schmidt, NJW 1983, 1520). Das ist nach hier vertretener Auffassung aber regelmä­ ßig nicht der Fall; zudem sind die Gefahren, bei denen obrigkeitliche Hilfe nicht zu erlangen sind,

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

dern wie dargestellt121 auch der Selbsthilfe durch den Gläubiger persönlich imma­ nent. Insoweit bewirken die Subsidiarität der Selbsthilfe122 und das Gebot der Erfor­ derlichkeit123 einen hinreichenden Schutz.124 Aus diesem Gesichtspunkt folgt also kein Bedürfnis, die Rechtsdurchsetzung bzw. -sicherung durch andere Personen als den Gläubiger einzuschränken. Unterschiede ergeben sich allerdings im Hinblick auf die zutreffende Beurteilung des Lebenssachverhalts. Während das Vorliegen einer Gefahr stets eine Prognose auf begrenzter Tatsachenbasis voraussetzt und so Gläubiger und Dritten schwerfällt, sollte der Gläubiger das Bestehen eines Anspruchs gegenüber dem Selbsthilfeopfer besser beurteilen können als ein außenstehender Dritter. Dieser vermeintliche Vor­ teil des Anspruchsinhabers wird allerdings durch dessen Selbstbetroffenheit wieder ausgeglichen. Nur der Gläubiger hat durch die Sicherungsmaßnahme einen unmit­ telbaren wirtschaftlichen Vorteil zu erwarten. Der Dritte wird üblicherweise allen­ falls einen Anspruch auf Aufwendungs- und Schadensersatz erhalten, und auch die­ sen nur, soweit die Handlung tatsächlich gerechtfertigt ist. Bei rechtswidrigem Ein­ griff droht ihm demgegenüber eine Schadensersatzhaftung und möglicherweise sogar eine Strafbarkeit. Die Wahrnehmung des Sachverhalts durch den Gläubiger wird daher subjektiv durch sein Interesse getrübt (sog. „self serving bias“). Demge­ genüber ist der Anreiz des Dritten zur Selbsthilfe gering, er wird den Sachverhalt daher eher pessimistisch einschätzen, da ihm aus dem Eingriff keine unmittelbaren Vorteile erwachsen. Eine höhere Genauigkeit oder Objektivität der Einschätzung durch den Gläubiger ist damit keinesfalls sicher. Die Fremdhilfe ist andererseits aber auch weder in ihrem Gerechtigkeitsgehalt noch in ihrer Effizienz der Selbsthilfe überlegen. Zwar hat ein selbstständig helfender Dritter kein unmittelbares eigenes wirtschaftliches Interesse am Erfolg seiner Maß­ nahme und scheint so auf den ersten Blick dem unabhängigen Richter (Art.  97 GG) nahe zu stehen.125 In Ermangelung besonderer Expertise und eines geordneten Ver­ fahrens kann aber der Dritte die ihm zufallende Aufgabe, über die Berechtigung des fremden Anspruchs zu urteilen, nicht in gleicher Weise erfüllen. Ebenso wenig ist zu erwarten, dass das Fehlen einer eigenen emotionalen Beziehung zu den Beteiligten, Exzesse verringert. Fehlbeurteilungen können nämlich auch bei Außenstehenden kaum planbar vorhersehbar, so dass solche „Banden“ vor der gleichen Schwierigkeit wie die Staats­ gewalt stünden, nicht rechtzeitig einschreiten zu können. 121  Mugdan I, S.  546 = Mot. I, S.  353; oben §  1A.I.c.bb, S. 51. 122  Unten §  1A.IV.1, S. 109. 123  Unten §  1A.IV.3, S. 114. 124  Das ist ein wesentlicher Unterschied zur Nothilfe, dort gibt es tatsächlich ein potentielles Eskalationsproblem, dazu Heller, S.  141 f.; Roxin, §  15 Rn.  99; wie dort kann dem aber auch bei §  229 BGB zusätzlich durch Berücksichtigung des Willens des Anspruchsinhabers entgegengewirkt wer­ den, unten §  1A.I.d, S. 56. 125  Nicht umsonst ist auch der Anwalt „unabhängiges“ Organ der Rechtspflege, §  1 BRAO; siehe auch Wreesmann/Schmidt-Kessel, NJOZ 2008, 4061 zur unentgeltlichen Rechtsbesorgung durch Laien.

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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eintreten. Die Rechtssicherung bzw. ‑durchsetzung durch Dritte unterscheidet sich also weder hinsichtlich der Kosten noch des Nutzens von Handlungen durch den Gläubiger selbst. Wenn man Fremdhilfe ohne jede Ausnahme verbieten würde, könnte dies Sorg­ faltsaufwendungen für das Opfer einer Wegnahme oder Freiheitsberaubung reduzie­ ren.126 Die potentielle Rechtfertigung derartiger Eingriffe weist dem Opfer die schwierige Beurteilung zu, ob ein Unbekannter als (gerechtfertiger) Fremdhelfer oder als Dieb tätig wird.127 Ein ausnahmsloses Fremdhilfeverbot würde scheinbar jede Gegenwehr rechtfertigen, wenn der Eingreifende dem Opfer nicht als Gläubiger bekannt ist. Allerdings ist ein gerechtfertigtes Einschreiten Unbekannter insbeson­ dere im Rahmen der Nothilfe (§  227 BGB) oder des Defensivnotstands (§  228 BGB) ausdrücklich zugelassen. Die naheliegende Annahme, dass Unbekannten jeder Ein­ griff in fremde Rechtsgüter untersagt sein muss, gilt daher allenfalls eingeschränkt. Zudem ist auch eine Abtretung des Anspruchs (§  389 BGB) ohne vorherige Informa­ tion des Schuldners möglich. Dann ist der aktuelle Gläubiger dem Schuldner eben­ falls nicht bekannt. Insoweit wäre eine eindeutige Regel, dass man sich gegen Eingrif­ fe Fremder zur Wehr setzen darf, nicht konsequent durchzuhalten. Eine Kostener­ sparnis ist durch diese scheinbare Vereinfachung nicht zu erwarten. Legt der Handelnde trotz Möglichkeit nicht offen, warum er die Selbsthilfehandlung vor­ nimmt, wird man die Erforderlichkeit (§  230 Abs.  1 BGB)128 anzweifeln müssen; je­ denfalls wird man einem Schadensersatzanspruch des Helfers ein Mitverschulden (§  254 BGB) entgegenhalten müssen. Das behauptete, ungeschriebene Verbot der Fremdhilfe lässt sich ökonomisch al­ lenfalls als Schaffung einer klaren Vorgabe (bright line rule) zur Reduzierung der Möglichkeiten privater Rechtsdurchsetzung im Allgemeinen erklären.129 Die Ge­ samtzahl der Fälle, in denen eine private Rechtsdurchsetzung möglich ist, wird durch ein solches Verbot merklich verringert. Das berechtigte Ziel, die private Rechts­ durchsetzung zu beschränken, wird somit erreicht. Bei umfassender Verneinung ei­ ner Rechtfertigung droht dem Fremdhelfer allerdings sogar eine Vorsatzstrafbarkeit. Damit würden auch wünschenswerte Verhaltensweisen unterbunden, da Dritte zu unnötigen Vorsichtsmaßnahmen greifen werden.130 Dem entsprechen letztlich un­ nötige Vorsorgekosten, denen kein sozialer Nutzen gegenübersteht. Die erwünschte Verhaltenssteuerung lässt sich aber auch durch die bloße Zuwei­ sung des zivilrechtlichen Haftungsrisikos erreichen. Anknüpfungspunkt hierfür ist

126  Schäfer/Ott, S.  169 ff.; Posner, S.  213 ff.; zum Parallelproblem der Lückenschließung bei unvoll­ ständigen Verträgen Bechtold 2010, S.  50 ff. 127  In diesem Sinne Heyer, S.  30. 128  Unten §  1A.IV.2, S. 113. 129  Zu den Problemen solcher Regelungen Kaplow, Duke L.J. 42 (1992), 557, 586. 130  Posner, S.  218, 233, 747 ff.; Schäfer/Ott, S.  177 ff., 301 ff.

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

die besondere Schadensersatzandrohung in §  231 BGB.131 Generell muss diese sich gegen denjenigen richten, der eine Selbst- bzw. Fremdhilfehandlung ausübt, nicht hingegen gegen den Anspruchsinhaber. Dann besteht jedenfalls für rational han­ delnde Akteure ein erheblicher Gegenanreiz zur Selbsthilfe. Auf der Habenseite kann der Fremdhelfer keine Vorteile verbuchen. Die Durchsetzung fremder Ansprü­ che schafft für ihn keinen zusätzlichen Nutzen. Dem steht aber die im Hinblick auf Irrtümer auf Rechtfertigungsebene verschärfte Schadensersatzhaftung bei Fehlein­ schätzung des Sachverhalts aus §  231 BGB als Kostenrisiko gegenüber. Diese Er­ kenntnis findet sich bereits in den Motiven zum ersten Entwurf des BGB: „Ist das Interesse an der geschuldeten Leistung ein geringes […], so nimmt der Berechtigte von selbst Abstand, eigenmächtig die Leistung zu erzwingen.“132

Soweit der Fremdhelfer für seine Aufwendungen und Schäden Rückgriff beim An­ spruchsinhaber nehmen darf, kann er auch das Kostenrisiko seiner Selbsthilfehand­ lung verlagern. Dann entfallen für ihn der Gegenanreiz zur Fremdhilfe und damit die verhaltenssteuernde Wirkung des §  231 BGB. Ein rational denkender Mensch würde daher nur zur Fremdhilfe aktiv werden, wenn die Lage für ihn unzweifelhaft erscheint und er ein eigenes Interesse am Erfolg der Handlung hat oder er aufgrund seines Innenverhältnisses zum Anspruchsinhaber Regress nehmen kann. Insgesamt drohen dadurch gegenüber einer höchstpersönlichen Rechtsdurchsetzung keine hö­ heren Kosten. Die Fremdhilfe ist also kostenneutral und könnte daher generell zuge­ lassen werden. d)  Maßgeblichkeit des Willens des Anspruchsinhabers Die Entscheidung über die Geltendmachung einer Forderung steht nach unserer Rechtsordnung deren Inhaber, gegebenenfalls unter Mitwirkung des Anspruchsgeg­ ners zu. So kann der Anspruchsinhaber durch Erlassvertrag (§  397 Abs.  1 BGB) auf einen Anspruch verzichten,133 oder im Rahmen eines „pactum de non petendo“ des­ sen Durchsetzung ausschließen.134 Staatlicher Rechtsschutz setzt aufgrund der im Zivilprozess geltenden Dispositionsmaxime einen Antrag des Berechtigten voraus.135 Soweit ein Gläubiger aber auf die Durchsetzung des Anspruchs verzichten kann, steht ihm als Minus gleichermaßen die Befugnis zu, eine Gefährdung und einen et­ waigen Untergang ohne privates Einschreiten hinzunehmen. Dann trifft auch nur ihn das Risiko der Erschwerung oder Unmöglichkeit einer späteren Durchsetzung. 131 Dazu noch näher unten §   1C, S. 164, allgemein zur verhaltenssteuernden Wirkung von Schadensersatz Posner, S.  192; Beurskens, S.  281 ff. mwN. 132  Mugdan I, S.  548 = Mot. I, S.  355. 133  Krit. de lege ferenda (für einseitigen Verzicht) Esser/Schmidt, S.  331; Staudinger/Rieble, §  397 BGB Rn.  4 f.; MüKo-BGB/Schlüter, §  397 BGB Rn.  1. 134  BGH NJW-RR 1989, 1048; Jauernig/Stürner, §  397 BGB Rn.  6; BeckOK-BGB/Lorenz, §  271 BGB Rn.  12. 135  Dazu MüKo-ZPO/Rauscher, Einleitung ZPO Rn.  204 ff.

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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Aus ökonomischer Sicht ist dies konsequent, denn die Bewertung eines Vermögens­ gegenstandes, aber auch eines Anspruchs, erfolgt danach stets konkret-individuell durch den Berechtigten und nicht hingegen abstrakt-generell durch den Staat.136 Ein Zwang, alle vereinbarten Vermögensverschiebungen durchzuführen, selbst wenn dies von keiner Partei mehr gewollt ist, wäre damit unvereinbar. Daher muss im Aus­ gangspunkt für die Anspruchsdurchsetzung im Wege der Selbsthilfe der Wille des Begünstigten maßgeblich sein.137 aa)  Abgrenzung von verwandten Konstruktionen Der Wille der Beteiligten findet nicht nur im Rahmen der Fremdhilfe Berücksichti­ gung, sondern steht generell im Bürgerlichen Gesetzbuch im Vordergrund. Um die Bedeutung des hier untersuchten Merkmals näher zu konkretisieren, sind daher zu­ nächst anders gelagerte subjektive Voraussetzungen abzugrenzen. Damit ist freilich nicht ausgeschlossen, dass dennoch bei der Beurteilung einzelner Konstellationen der Willensäußerung ähnliche oder sogar identische Ergebnisse gefunden werden. (1)  Nicht: Verzicht und ähnliche Konstellationen Abzugrenzen sind zunächst Fälle, in denen das Handeln des Gläubigers unmittelbar zum Untergang oder jedenfalls zur Undurchsetzbarkeit des Anspruchs führt. Dies ist etwa der Fall, wenn er die Forderung an einen Dritten abtritt (§  398 BGB), einen Er­ lassvertrag schließt (§  397 Abs.  1 BGB), die Aufrechnung erklärt (§  389 BGB) oder mit einem Dritten eine Schuldübernahme vereinbart und so den Schuldner aus seiner Pflicht entlässt (§  414 BGB). In diesen Fällen fehlt es an einer Selbsthilfelage. Da die Verwirklichung des Anspruchs nicht mehr gefährdet werden kann, darf auch der Gläubiger nicht mehr zu seiner Sicherung tätig werden, selbst wenn er es sich später anders überlegt. Dementsprechend kann erst Recht kein Dritter für diese nicht mehr verwirklichungsfähige Forderung tätig werden. Es handelt sich um keine Besonder­ heit der Fremdhilfe, vielmehr wirkt der einmal rechtswirksam umgesetzte Aufhe­ bungswille gleichermaßen zu Lasten des Gläubigers selbst. Demgegenüber bestehen bei den hier untersuchten Fällen der Anspruch und das Erfüllungsinteresse fort. Der Gläubiger will nur nicht, dass der Dritte die erforderli­ chen Maßnahmen zur Abwendung der konkret bestehenden Gefahr trifft. Er will also das Risiko der Vereitlung oder der wesentlichen Erschwerung der Anspruchs­ verwirklichung eingehen. Für eine Ablehnung der nach §§  229, 230 Abs.  1 BGB zu­ lässigen Sicherungsmaßnahmen Dritter trotz Fortbestehens des Interesses an der Verwirklichung des Anspruchs kann es eine Vielzahl von Ursachen geben. So mag der Anspruchsinhaber den Adressaten der Selbsthilfe oder den Fremdhelfer vor Ver­ letzungen schützen wollen oder Sorge haben, dass durch die Sicherungshandlung der 136 

Posner, S.  15 ff.; Eidenmüller, S.  326 ff.; Schäfer/Ott, S.  421 f. Vgl. zum „doppelten Verteidigungswillen“ bei der Nothilfe Seuring, S.  31 ff., 44 ff.; Frister, 16. Kap., Rn.  18; Schönke/Schröder/Perron, §  32 StGB Rn.  25 f.; Kühl, §  7 Rn.  143; Sternberg-Lieben/ Sternberg-Lieben, JuS 1999, 444, 445. 137 

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

Anspruchsgegenstand oder ein anderer für ihn bedeutender Gegenstand beschädigt wird. Erstere Fälle wird man oft bei verwandtschaftlichen Beziehungen oder lang­ fristigen Geschäftsbeziehungen antreffen. Letztere Konstellation mag etwa beim Kauf empfindlicher Kunstgegenstände in Betracht kommen, die bei Gewaltanwen­ dung endgültig zerstört zu werden drohen. Möglich sind desweiteren auch Fälle, in denen die Fremdhilfe etwa aus politischen oder religiösen Erwägungen abgelehnt wird. In all diesen Fällen hat die Verwirklichung des Anspruchs durchaus einen Wert für den Gläubiger, nur die Sicherungsmaßnahme ist ihm unerwünscht. Er will also lieber das Verlustrisiko in Kauf nehmen, als eine Selbsthilfehandlung zu ergreifen bzw. ergreifen zu lassen. (2)  Nicht: Fremdhilfewille und Motiv Außerdem ist das Erfordernis, dass die Sicherung des Anspruchs mit dem Willen des Anspruchsinhabers übereinstimmt, vom Selbsthilfezweck138 abzugrenzen. Dieser bezieht sich als innere Tatsache auf den Willen des Handelnden, im Falle der Fremd­ hilfe also auf den Willen des Fremdhelfers. Hierzu genügt es, dass dieser zur Siche­ rung irgendeines zivilrechtlichen Anspruchs tätig wird. Demgegenüber geht es im Folgenden um den Willen des vom Fremdhelfer personenverschiedenen Gläubigers. Dabei handelt es sich aus Sicht des Fremdhelfers um eine äußere Tatsache. Wenn der Anspruchsinhaber höchstpersönlich tätig wird, fallen die beiden Voraussetzungen hingegen zwangsläufig zusammen. Ebenso wenig ist das Erfordernis des Einklangs mit dem Willen des Anspruchsin­ habers mit dem Motiv des Fremdhelfers gleichzusetzen. Insoweit sind vielmehr im Einklang mit dem Recht der Willenserklärungen keine Anforderungen zu stellen. Warum der Dritte zur Sicherung tätig wird, ist so lange irrelevant, wie er die Siche­ rung des Anspruchs bezweckt. Es ist daher ohne Bedeutung, ob der Handelnde etwa irrig meint, nicht einen fremden Anspruch, sondern einen eigenen zu sichern. Eben­ so kann er durchaus aufgrund einer erhofften Belohnung oder jedenfalls Entschädi­ gung tätig werden – muss dies aber nicht. Die Selbsthilfe setzt schon auf Seiten des Gläubigers keine altruistische Einstellung voraus. Dies gilt erst Recht für den Fremd­ helfer.139 (3)  Nicht: Analogie zu §  683 S.  1 BGB Soweit man ein umfassendes Fremdhilfeverbot annimmt,140 stellen sich die hier er­ örterten Probleme im Ausgangspunkt nicht. Vielmehr wäre jedes Einschreiten Drit­ ter ohnehin untersagt und allenfalls die ausdrücklich erklärte Einräumung einer Be­ fugnis könnte den Dritten rechtfertigen. Ein derart extensives Fremdhilfeverbot wird 138 

Unten §  1A.III.2a, S. 101. für die Nothilfe wird im strafrechtlichen Schrifttum eine Einschränkung nur für ex­ treme Ausnahmesituationen (Absichtsprovokations, Rechtsmissbrauch im Sinne von §  226 BGB) erörtert, vgl Engländer, S.  313 ff. 140 MüKo-BGB/Grothe, §  229 BGB Rn.  2; Staudinger/Repgen, §  229 BGB Rn.  15; Palandt/Ellenberger, §  229 BGB Rn.  3. 139  Auch

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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aber heutzutage141 nicht mehr vertreten, sondern wird wie dargestellt durch vielfälti­ ge Ausnahmen durchbrochen. Zudem ließe sich ein umfassendes Verbot weder mit den historischen Gesetzesmaterialien noch mit der neueren Regelung des §  34a Abs.  5 GewO in Einklang bringen.142 Die weit überwiegende Auffassung will, wie dargestellt, Selbsthilfehandlungen im Sinne von §§  229, 230 BGB auch dann rechtfertigen, wenn der Fremdhelfer als Ge­ schäftsführer ohne Auftrag handelt.143 Vor diesem Hintergrund wäre es konsequent, für die Sicherungsbefugnis des Dritten unmittelbar die Kriterien des §  683 S.  1 BGB, also wirklichen oder mutmaßlichen Willen einerseits sowie Interesse andererseits, heranzuziehen.144 Eine unmittelbare Anwendung von §  683 S.  1 BGB zu Lasten des Fremdhilfeopfers ist nach der hier vertretenen Auffassung jedoch nicht möglich. Auch eine analoge Anwendung scheitert am Fehlen einer vergleichbaren Interessen­ lage. Das strenge subjektive Prinzip145 bei der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag dient primär dazu, den Geschäftsherrn vor der Aufwendungsersatzpflicht nach §§  683 S.  1, 670 BGB zu schützen.146 Dem Anspruchsinhaber selbst drohen aber durch die Rechtfertigung der fremden Selbsthilfehandlung keine Vermögensnachtei­ le. Denn das Innenverhältnis zwischen dem Fremdhelfer und dem Gläubiger (als ori­ ginär aus §  229 BGB Berechtigtem) ist deutlich vom Verhältnis des Fremdhelfers zum Schuldner (als Opfer der Fremdhilfemaßnahme) zu unterscheiden.147 Offensichtlich ist dies für Fälle, in denen die Voraussetzungen von §§  683 S.1, 677 BGB vorliegen. Dies bedeutet keinesfalls, dass dadurch beliebige Handlungen gegen Dritte automatisch gerechtfertigt sein können. Vielmehr müssen die Voraussetzun­ gen der §§  229, 230 BGB objektiv im Verhältnis zum Dritten als Opfer vorliegen, die Geschäftsführung ohne Auftrag entfaltet also keinerlei Schutz für den Fremdhelfer. Genausowenig gilt freilich, dass aus der Befugnis zum Einschreiten gegen den Drit­ ten, die sich aus §  229 BGB ergibt, Schadens- noch Aufwendungsersatzansprüche gegen den Anspruchsinhaber folgen.148 Für diese muss stets ein eigenständiger, von 141 

In dieser Reichweite soweit ersichtlich nur Heyer, S.  29. Näher bereits §  1A.I, S. 32. 143 Soergel/Fahse, §  229 BGB Rn.  9; Saenger, S.  79; Erman/Wagner, §  229 BGB Rn.  3; MüKo-BGB/ Grothe, §  229 BGB Rn.  2; Staudinger/Repgen, §  229 BGB Rn.  15; jurisPK-BGB/Backmann, §  229 BGB Rn.  6; Wieling, S.  182 f.; alle Unterstützungshandlungen ablehnend Heyer, S.  29. 144  Siehe auch die Diskussionen zur Anwendbarkeit der §§  677, 683 S.  1 auf die Nothilfe bei Heller, S.  230 ff. 145 Staudinger/Bergmann, §  683 BGB Rn.  3 ff.; Wandt, §  5 Rn.  9; Bergmann, S.  224 ff. 146  So ist für den „tatsächlichen Willen“ im Rahmen von §  683 S.  1 BGB erforderlich, dass der Geschäftsherr gerade auch mit dem Umstand, dass Kosten entstehen, einverstanden ist BGHZ 82, 323, 328; BeckOK-BGB/Gehrlein, §   683 BGB Rn.   3; Staudinger/Bergmann, §  683 BGB Rn.  25; ­MüKo-BGB/Seiler, §  683 BGB Rn.  9. Da §  229 BGB als solcher aber keine Ersatzpflicht des An­ spruchsinhabers begründet, ist dieser Wille für §  229 BGB gar nicht erforderlich. Siehe auch zur fehlenden Eignung der GoA im Rahmen der (strafrechtlichen) Rechtfertigung Schönke/Schröder/ Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor §§  32 ff. StGB Rn.  55; Roxin, §  18 Rn.  8. 147  Dazu bereits oben §  1A.I.b.ee, S. 45 f. 148  Siehe unten §  1B.I, S. 152 und §  1B.II, S. 155 zu etwaigen Ansprüchen gegen das Selbsthil­ feopfer (als Schadens- oder Aufwendungsersatz). 142 

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

§  229 BGB unabhängiger Rechtsgrund, etwa ein Vertrag oder eben eine berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag, bestehen. Im Rahmen von §  683 S.  1 BGB sind da­ her dem Vorteil die erwarteten zu ersetzenden Aufwendungen gegenüberzustellen, während für §  229 BGB der Aufwendungsersatz als Negativposten unbeachtlich bleibt. Illustrativ ist dazu eine Entscheidung des OLG Karlsruhe aus dem Jahr 1977.149 Ein Bankkunde hatte einen Bankräuber überwältigt, war dabei aber durch einen Schuss verletzt worden. Das OLG lehnte zu Recht einen Aufwendungsersatzanspruch des Kunden aus §  683 S.  2 BGB ab, da die Bank ihren Angestellten die Weisung erteilt hatte, „eine durch Überfall drohende Gefahr drohenden Geldverlustes nicht unter Gefährdung von Leib oder Leben zu verhindern“.

Die Ablehnung der Kostenersatzpflicht der Bank wurde zutreffend damit begründet, dass ein Geschäftsführer „sich an dem Altruismus, der sein Tun bestimmt hat, festhalten lassen“

muss. Dies kann aber sicher nicht dazu führen, dass das Verhalten gegenüber dem Bankräuber als objektiv rechtswidrig zu qualifizieren ist. Denn die Ablehnung des Kostenersatzes soll auch nach dem Willen der Bank nicht den Bankräuber, sondern vielmehr Leib und Leben der anwesenden Mitarbeiter und Kunden schützen. Damit ist die Rechtfertigung von Fremdhilfehandlungen, die ohne Rechtsgrund im Verhältnis zwischen Fremdhelfer und Anspruchsinhaber erfolgen, durchaus vor­ stellbar und noch nicht einmal selten. Da überwiegend Interessen Dritter, nämlich des Fremdhelfers und des Selbsthilfeopfers, betroffen sind, lassen sich die Vorausset­ zungen von §  683 S.  1 BGB, der auf das Innenverhältnis zwischen Geschäftsherrn und Geschäftsführer zugeschnitten ist, nicht auf das Außenverhältnis übertragen.150 Es handelt sich um eine für das Zivilrecht typische Unterscheidung zwischen Innenund Außenverhältnis, wie insbesondere auch im Recht der handelsrechtlichen Stell­ vertretung (vgl. nur §  50 Abs.  1 HGB, §  126 Abs.  2 HGB, §  37 Abs.  2 GmbHG, 82 Abs.  1 AktG). Nicht ausgeschlossen ist damit freilich, dass im Folgenden Wertungen des Innenverhältnises, also von §  683 S.  1 BGB, als Ausgangspunkt auch für das Au­ ßenverhältnis herangezogen werden. (4)  Nicht: Einwilligung Erst Recht dürfen die Ähnlichkeiten des für die Fremdhilfe erforderlichen Willens des Anspruchsinhabers zur Anspruchssicherung einerseits und einer Einwilligung151 andererseits nicht dazu verführen, beide Fälle gleich zu behandeln.152 149 

OLG Karlsruhe VersR 1977, 936. Oben §  1A.I.b.ee, S. 45. 151  Unten §  3A, S. 297. 152  Vgl. auch Seeberg, S.  85 ff.; Sternberg-Lieben/Sternberg-Lieben, JuS 1999, 444, 445 zur Not­ hilfe. 150 

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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Eine Einwilligung kann sich nur auf Rechtsgüter beziehen, über welche der Ein­ willigende dispositionsbefugt ist.153 Bei der Fremdhilfe geht es jedoch um die Recht­ fertigung eines Eingriffs in Rechtsgüter Dritter, über welche auch der Anspruchsin­ haber nicht verfügen darf. Auf das Rechtsgut, in welches der Fremdhelfer eingreift, muss sich der Wille des Anspruchsinhabers nicht beziehen; selbst bei der Geschäfts­ führung ohne Auftrag unterliegen die Modalitäten der Geschäftsführung nicht dem Willen des Geschäftsherrn.154 Soweit die Sicherung des Anspruchs seinem Willen entspricht, darf der Dritte jedes nach §§  229, 230 BGB erlaubte Mittel ergreifen, auch wenn der Anspruchsinhaber dieses nicht vorhergesehen hat. (5) Beispiel Daraus darf man allerdings nicht zwingend folgern, dass die Rechtfertigung einer Person, die zur Sicherung eines fremden Anspruchs tätig wird, stets voraussetzt, dass der Anspruchsinhaber diese Person zuvor ausdrücklich zur Anspruchssicherung auffordert. Dadurch würde das Ziel von §§  229, 230 BGB, die Verwirklichung gefähr­ deter Ansprüche zu gewährleisten,155 verfehlt. In einer Vielzahl von Fällen wird eine unmittelbare Äußerung des Anspruchsberechtigten gar nicht einzuholen sein. Zur Illustration sei folgendes Beispiel angeführt: E begibt sich zur Toilette eines fahren­ den ICE und lässt seinen älteren Laptop am Platz stehen. Der soeben zugestiegene und das Abteil durchquerende P bewirkt durch leichte Fahrlässigkeit mit einem hin­ ter ihm hergezogenen Rollkoffer, dass der Laptop auf den Boden fällt und dabei schwer beschädigt wird. Dies beobachtet der Fahrgast F, der P nach vergeblicher Auf­ forderung gegen dessen Willen festhält bis E zurückkehrt. In diesem Fall scheidet eine Rechtfertigung aus Nothilfe (§  227 BGB) aus, denn die Eigentumsverletzung ist bereits abgeschlossen.156 Ebenso wenig kommt eine Recht­ fertigung aus §  127 Abs.  1 StPO in Betracht, da die fahrlässige Sachbeschädigung straflos ist. Auch der allgemeine rechtfertigende Notstand (im Zivilrecht analog §  34 StGB, da §§  228, 904 BGB nur Einwirkungen auf eine Sache erlauben) ist hier wegen fehlender Gefährdung eines absolut geschützten Rechtsguts nicht einschlägig. In Be­ tracht kommt allein eine Rechtfertigung aus §  229 BGB. Dann ist die Feststellung des 153  Anschaulich BGH NJW 2003, 1824: Der Alleingeschäftsführer der Komplementär-GmbH kann sich selbst trotz §  161, 164, 125, 126 II HGB; §§  35, 37 II GmbHG nicht wirksam die Inbrand­ setzung der Fabrikhalle erlauben, wenn dadurch Mitgesellschafter und vor allem die KG bewusst geschädigt werden; allgemein Ohly, S.  179 ff., 392 ff.; Schönke/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor §§  32 ff. StGB Rn.  37; siehe auch die Rspr. zum Existenzvernichtenden Eingriff (BGH NZG 2012, 667; BGH NJW 2009, 2127; BGH NJW 2005, 335). 154 Staudinger/Bergmann, §  683 BGB Rn.  8, 10 f.; MüKo-BGB/Seiler, §  683 BGB Rn.  16; BeckOKBGB/Gehrlein, §  683 BGB Rn.  1. 155  Oben §  1A.I.b.ff, S. 46. 156  Abweichend nur Lagodny, GA 1991, 300, 307 f. und Lesch, FS Dahs, S.  81, 93 f., die auch relati­ ve Rechte als notwehrfähig erachten; das dahinter stehende Anliegen, eine Benachteiligung des zu­ gunsten der Rechtsordnung und fremder Rechte Handelnden zu vermeiden, ist berechtigt (unten §  1A.I.d.dd, S. 65); der Weg dagegen wegen des Erfordernisses einer auch für die Notwehr gelten­ den Subsidiarität nicht konsequent gangbar, näher §  1D.III, S. 191.

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

maßgeblichen Willens des E zur Zeit des Festhaltens durch P maßgeblich für die Rechtfertigung. bb)  Dem Fremdhelfer bekannter Wille Eindeutig ist zunächst der Fall, dass der Fremdhelfer entweder aus den Umständen oder aufgrund einer vorherigen Erklärung des Berechtigten weiß, dass der An­ spruchsinhaber keine Durchsetzung jedenfalls durch ihn wünscht oder gerade um­ gekehrt, dass ein solches Tätigwerden von ihm gewollt ist.157 Greift er gegen den ihm bekannten Willen des Gläubigers in die Rechtsgüter des Selbsthilfeopfers ein, liegt ein Fall unberechtigter Selbsthilfe vor. Es greift die strenge, von Irrtümern über die Rechtswidrigkeit unabhängige Haftungsfolge nach §  231 BGB selbst dann, wenn der Anspruchsinhaber durch die Sicherungshandlung einen Vermögensvorteil erlangt hat.158 Dem entspricht die Lage im Polizeirecht. Das dort subsidiär zulässige Ein­ schreiten von Polizeibeamten zugunsten privater Rechte (§  1 Abs.  2 PolG NRW) wird nämlich als rechtswidrig beurteilt, wenn dies dem erklärten Willen des Begünstigten widerspricht.159 Im obigen Fall dürfte F den P also ohne Bedenken festhalten, wenn E ihn gebeten hätte, auf seinen Laptop aufzupassen und etwaige Schadensersatzpflichtige bis zu sei­ ner Rückkehr festzuhalten. Während der erste Teil dieser Aufforderung durchaus realistisch ist, wird die daran anknüpfende präzise Verhaltensanweisung für Scha­ densfälle regelmäßig fehlen. So könnte sich die Aufforderung auch darauf beschrän­ ken, eine Wegnahme des Gerätes zu verhindern. Zur Geltendmachung künftiger Ansprüche wird zumeist keine Aussage getroffen. Umgekehrt wäre im obigen Fall das Festhalten des P durch F unzulässig, wenn E dem F vorher erklärt hat, dass er auf keinen Fall irgendwelchen Aufwand hinsichtlich Ersatzansprüchen des Laptops be­ fürworte. Solche Konstellationen sind freilich kaum vorstellbar, da regelmäßig die hierzu nötige weitsichtige Planung aller Eventualitäten nicht möglich ist.160 Eine Ausnahme von der Maßgeblichkeit eines entgegenstehenden Willens muss jedoch für den Fall gemacht werden, dass der Dritte ein eigenes wirtschaftliches In­ teresse an der Durchsetzung des Anspruchs hat, ohne selbst unmittelbar Begünstig­ ter zu sein.161 Dies mag etwa der Fall sein, weil er als Gesamtschuldner (§  421 BGB), Versicherer, Garant oder Sicherungsgeber für die Erfüllung der gefährdeten Forde­ rung einzustehen hat oder weil ihm aus der Forderung eigene Vermögensvorteile, etwa als Provision, zustehen. Durch die Sicherung der Erfüllung des Hauptanspruchs durch den Schuldner wird in diesen Fällen ein potenzieller weiterer Rechtsstreit ver­ 157 

Ebenso für die Nothilfe Seeberg, S.  114; Engländer, S.  105. Unten §  1A.III.2d, S. 106. 159 Tetsch/Baldarelli/Taeger/Baldarelli, §  1 PolG NRW 3.10.3; Tegtmeyer/Vahle/Vahle, §  1 PolG NRW Rn.  28 f.; ablehnend Buchert, S.  151; differenzierend Koch, S.  151 f. 160  Siehe die Diskussion zur Riskoverteilung im „vollständigen Vertrag“ Schäfer/Ott, S.  4 01 ff. 161  Die Parallele zum Erfordernis bei der gewillkürten Prozessstandschaft (dazu: Musielak/Voit/ Weth, §  51 ZPO Rn.  27 f.) erklärt sich durch die einen Prozess ersetzende Natur der Selbsthilfe. 158 

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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mieden. Der Nutzen der Fremdhilfe überwiegt dabei die Kosten der ansonsten not­ wendigen Rechtsstreitigkeiten. cc)  Nicht erklärter Wille Allerdings wird nicht in jedem Fall ein unmittelbar geäußerter, eindeutiger Wille des Anspruchsinhabers für die konkrete Selbsthilfekonstellation vorliegen.162 Die straf­ rechtliche Literatur kommt hinsichtlich der parallelen Situation bei der Nothilfe (also im Rahmen von §  32 StGB bzw. §  227 BGB), zu keinem einhelligen Ergebnis, soweit der Wille des Berechtigten für den Nothelfer nicht erkennbar ist.163 Auch bei der Einwilligung gibt es kein eindeutiges Meinungsbild.164 Eindeutige und klare Ergebnisse würde man erzielen, wenn man für jedes Ein­ schreiten eine Aufforderung verlangt,165 oder genau umgekehrt pauschal jedes Ein­ schreiten zugunsten fremder (notwehrfähiger) Rechte zulässt, solange kein aus­ drücklicher Widerspruch erklärt wurde.166 Aufgrund der gerade bei der Selbsthilfe erforderlichen zeitlichen Nähe der Gefahr167 besteht aber oft keine Möglichkeit, den Anspruchsinhaber nach seinen Wünschen zu befragen. Wenn der Anspruchsinha­ ber sich nicht äußern kann, würde er also ausnahmslos zur Zustimmung zur Siche­ rung gezwungen bzw. seinen Anspruch verlieren. Der Wille des Berechtigten würde ganz außer Acht gelassen, selbst wenn er aus den Umständen durchaus erkennbar wäre.168 Soweit aber für den Fremdhelfer die besonderen Umstände, wie eine famili­ äre Beziehung des Gläubigers zum Schuldner, ersichtlich sind, besteht kein Bedürf­ nis, ihm in Ermangelung einer ausdrücklichen Erklärung ein Einschreiten zu erlau­ ben. Umgekehrt wäre nach der Gegenauffassung selbst bei hohen Forderungen, de­ ren Verlust für den Gläubiger existenzvernichtende Folgen entfalten würde, ein Einschreiten untersagt. Ein solches, vollständiges Ausklammern des erkennbaren Interesses des Gläubigers ist mit dem Prinzip der Privatautonomie nicht vereinbar. Es würde auch der allgemeinen Anerkennung konkludenter Willenserklärungen und dem Gedanken der Auslegung aus den Umständen (vgl. nur §  164 Abs.  1 S.  2 BGB) widersprechen. Die beiden geschilderten Ansichten sind daher abzulehnen. Die extreme Gegenmeinung knüpft in jedem Fall an den wirklichen Willen, unab­ hängig von seiner Entäußerung, an.169 Auch dies geht aber zu weit. Denn es schafft eine Unsicherheit, die mit dem Ziel einer eindeutigen Klärung der Erlaubtheit der Handlung unvereinbar wäre. Der Fremdhelfer, der zur Sicherung eines tatsächlich 162 

So auch zur GoA MüKo-BGB/Seiler, §  683 BGB Rn.  3. Seeberg, S.  152 ff.; Engländer, S.  106 jeweils mwN. 164  Ohly, S.  327 ff.; Schönke/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor §§  32 ff. StGB Rn.  43; LK/ Hirsch, vor §  32 StGB Rn.  109 ff.; unten §  3A.II, S. 318. 165  Himmelreich, MDR 1967, 361, 366. 166  Krey/Esser, Rn.  525; LK-StGB/Baldus, §  53 StGB Rn.  19. 167  Schünemann, S.  50 ff.; unten §  1A.IV.2, S. 113. 168  Seeberg, S.  154 f.; Engländer, S.  107 f.; Seuring, S.  217 ff.; Koch, S.  87 ff. 169  Sog. „Willensrichtungstheorie“, KG JR 1954, 428; Schlehofer 1985, S.  76 ff., 82 ff.; MüKo-StGB/ Schlehofer, Vor §§  32 ff. StGB 146 ff.; Frister, 15. Kap., Rn.  7; Jakobs, 7. Kap. Rn.  115; Rönnau, Jura 2002, 665, 666. 163 

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

bestehenden Anspruchs die erforderlichen Maßnahmen ergreift und so den Unter­ gang bzw. die wesentliche Erschwerung der Durchsetzung verhindert, ist schutzwür­ dig.170 Denn er handelt auch im Sinne der Erhaltung der Rechtsordnung.171 Die Inte­ ressen des Selbsthilfeopfers, welches die Verwirklichung des gesicherten Anspruchs gefährdet hat, müssen dahinter zurücktreten. Selbst wenn im Einzelfall in seine Ent­ schließungsfreiheit eingegriffen werden sollte, wäre die Sanktion in Gestalt einer (Außen-)Haftung des Fremdhelfers gegenüber dem Selbsthilfeopfer kaum äquivalent zu einer Pflichtverletzung im (Innen-)Verhältnis des Fremdhelfers zum Anspruch­ sinhaber.172 Generell tritt im Zivilrecht der nicht geäußerte, wirkliche Wille hinter Verkehrs­ schutzgedanken zurück. Dies zeigt etwa die Irrelevanz des geheimen Vorbehalts im Recht der Willenserklärungen (§  116 S.  1 BGB).173 Auch bei der Nothilfe (§  227 BGB, §  32 StGB) knüpft die wohl überwiegende Ansicht an den mutmaßlichen Willen des Rechtsgutsträgers an; der nicht erkennbare, wirkliche Wille ist insoweit unbeacht­ lich.174 Schließlich ist der geheime, wirkliche Wille selbst im Rahmen der berechtig­ ten Geschäftsführung ohne Auftrag175 nach §  683 S.  1 BGB nachrangig gegenüber einem mutmaßlichen Willen.176 Bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens gilt die Vermutung, dass ein dem Berechtigten günstiges Ergebnis im Zweifel von dessen Willen gedeckt ist.177 Inso­ weit gilt der Erfahrungssatz, dass die Erfüllung eines Anspruchs zu einem Vermö­ genszuwachs führt und insoweit für den Berechtigten günstiger ist als dessen Unter­ gang bei Realisierung der Gefahr. Dementsprechend würde ein rationaler Bürger bei Gefährdung der Verwirklichung die notwendigen Maßnahmen treffen, um die Ver­ lust oder Entwertung seiner Forderungen abzuwenden. Der Verzicht auf solche Si­ cherungsmaßnahmen ist demgegenüber eine Ausnahme, die für den Gläubiger kaum je günstig ist. Der mutmaßliche Wille wird daher immer für eine (berechtigte) Selbsthilfe durch Dritte sprechen.

170  Vgl. zu diesen Erwägungen bei der Nothilfe Heller, S.  35 ff., 142 ff. – freilich zu weitgehend (nicht erkennbarer Hilfeverzicht schlechthin unbeachtlich); in diese Richtung auch Sternberg-Lieben/Sternberg-Lieben, JuS 1999, 444, 445; Herzberg/Schlehofer, JuS 1990, 559, 563 (mit eindringli­ chem Beispiel); Seier, NJW 1987, 2476, 2479 f. 171  Oben §  1A.I.b.ff, S. 46. 172  Sternberg-Lieben/Sternberg-Lieben, JuS 1999, 444, 447 f.; Seuring, S.  233 f. 173  BGHZ 149, 129; Köhler 2012, §  7 Rn.  7 f.; Jauernig/Jauernig, §  116 BGB Rn.  2 . 174  Seeberg, S.  154 ff.; Engländer, S.  106 ff.; Koch, S.  143 ff.; Schönke/Schröder/Perron, §  32 StGB Rn.  25 f.; NK-StGB/Kindhäuser, §  32 StGB Rn.  41. 175  Zu deren ökonomischer Konsequenz Staudinger/Bergmann, §  683 BGB Rn.  7; Kötz, FS Groß­ feld, S.  583, 585. 176 MüKo-BGB/Seiler, §  683 BGB Rn.  9; HK-BGB/Schulze, §  683 BGB Rn.  5 f.; Jauernig/Mansel, §  683 BGB Rn.  4. 177 BGHZ 55, 128; MüKo-BGB/Seiler, §   683 BGB Rn.  10; BeckOK-BGB/Gehrlein, §  683 BGB Rn.  3.

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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Wie bereits dargestellt178 ist die Vergleichbarkeit der Fremdhilfe zur berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag aber dadurch eingeschränkt, dass erstere ein Mehr­ personenverhältnis, letztere hingegen nur ein Zweipersonenverhältnis betrifft. Die möglicherweise bestehende Pflicht des Anspruchsinhabers gegenüber dem Fremd­ helfer zum Aufwendungsersatz muss daher bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Fremdhilfe, anders als im Rahmen von §  683 S.  1 BGB,179 nicht vom mutmaßlichen Willen erfasst sein. Denn aus der Befugnis zur Vornahme der Selbsthilfehandlung im Außenverhältnis folgen gerade keine Ausgleichsansprüche im Innenverhältnis.180 Aufwendungen und Risiken des Fremdhelfers sind daher bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens ebenso wie etwaige Gefahren für das Opfer der Sicherungs­ maßnahme, die sich durch Geldzahlungen kompensieren lassen, ohne Bedeutung. Während für das Innenverhältnis zwischen Fremdhelfer und Gläubiger nach §  683 S.  1 BGB die aus der Selbsthilfehandlung folgenden Vorteile mit den korrespondie­ renden und damit zu ersetzenden Risiken und Aufwendungen abzuwägen sind, müs­ sen im Außenverhältnis zwischen Fremdhelfer und Schuldner bzw. sonstigem Drit­ ten nur die Sicherungswirkung für den Gläubiger einerseits und sonstige Interessen des Gläubigers in Bezug auf den Anspruch oder die Person des Selbsthilfeopfers an­ dererseits gegenübergestellt werden. Weder die Modalitäten der Selbsthilfehandlung noch die Motivation des Fremdhelfers sind dabei von Belang. Eine Ausnahme gilt daher nur bei besonderen Umständen, etwa familiärer Beziehungen oder offenkun­ diger Geringfügigkeit der Forderung. Dann ist ein Einschreiten ausnahmsweise vom mutmaßlichen Willen nicht umfasst. dd)  Erklärter, aber dem Fremdhelfer nicht bekannter bzw. missverstandener Wille Schwierigkeiten bereitet damit nur noch der Fall, dass der Anspruchsinhaber zwar seinen entgegenstehenden Willen geäußert hat, der Fremdhelfer diesen jedoch nicht erkannt hat. (1)  Vergleichbare Problematik in verwandten Konstellationen Sowohl im Rahmen der Geschäftsführung ohne Auftrag181 als auch im Rahmen der Einwilligung182 soll es nach überwiegender Auffassung ohne Belang sein, ob der Handelnde Kenntnis vom seine Handlung betreffenden Willen hatte, solange der Be­ troffene diesen irgendwie entäußert hat. In Abweichung von §  130 Abs.  1 BGB ist also insoweit der Zugang entbehrlich. Obwohl beide Konstellationen nicht allgemein auf 178 

Oben §  1A.I.d.aa(3), S. 58; §  1A.I.b.ee, S. 45. §  683 BGB Rn.  1, 25; MüKo-BGB/Seiler, §  683 BGB Rn.  10. 180  Oben §  1A.I.d.aa(3), S. 58. 181  BGH NJW 1955, 747; Staudinger/Bergmann, §  683 BGB Rn.  25; MüKo-BGB/Seiler, §  683 BGB Rn.  9; BeckOK-BGB/Gehrlein, §  683 BGB Rn.  3. 182 Schönke/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor §§  32 ff. StGB Rn.  43; LK/Hirsch, vor §  32 StGB Rn.  109 ff.; vor diesem Hintergrund bedenklich die Entscheidungspraxis im Zivilrecht, die verlangt, dass im Medizinrecht die Einwilligung in eine Operation gerade gegenüber dem eingrei­ fenden Arzt erfolgen muss Ohly, S.  329 – das lässt sich wohl nur mit dem Erfordernis einer besonde­ ren Aufklärung erklären. 179 Staudinger/Bergmann,

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

die Fremdhilfe übertragbar sind, ist eine nähere Betrachtung der für diese Sonderbe­ handlung angeführten Begründungen geboten. Bei der Einwilligung ist es täterfreundlich, bereits zustimmende Erklärungen ge­ genüber Dritten als hinreichend zu erachten. Nur so lassen sich etwa Patientenverfü­ gungen konstruieren, wenn der Betroffene im Zeitpunkt der Handlung nicht mehr in der Lage ist, sich zu äußern.183 Es handelt sich um eine Stärkung der Autonomie der Betroffenen, die nicht zum Nachteil des Handelnden wirkt. Demgegenüber wirkt der Zugangsverzicht im Rahmen der Geschäftsführung ohne Auftrag ebenso wie bei §  229 BGB in der Regel zum Nachteil des Handelnden, dessen Ersatzansprüche so ohne Kenntnis und möglicherweise sogar ohne Erkenn­ barkeit ausgeschlossen werden. Gleichzeitig droht ihm die verschärfte Haftung nach §  678 BGB. Diese vermeintliche Härte wird allerdings durch §  679 BGB, der den Wil­ len bei Geschäftsführung zur Erfüllung von Pflichten im öffentlichen Interesse für unbeachtlich erklärt und §  680 BGB, der unabhängig vom Willen des Geschäftsherrn eine Haftungsprivilegierung für eine Geschäftsführung zur Gefahrenabwehr vor­ sieht, gemildert.184 Die Betonung des Willens des Geschäftsherrn im Rahmen von §§  677, 683 S.  1 BGB erklärt sich vor allem durch die insoweit bestehende besondere Gefahrenlage im Zweipersonenverhältnis zwischen Geschäftsführer und Geschäfts­ herr. Es steht der Schutz des Geschäftsherrn vor unerwünschten Belastungen, na­ mentlich Aufwendungs- und Schadensersatzansprüchen, im Vordergrund.185 Die gesetzliche Regelung konstruiert einen fiktiven Vertrag zwischen Geschäftsherrn und Geschäftsführer,186 was nur mit dessen wirklichen oder jedenfalls mutmaßli­ chen Willen möglich ist. Das Erfordernis der Erklärung eines atypischen Willens vor Durchführung der Handlung vermeidet dabei, dass der erst durch den Erfolg oder Misserfolg der Geschäftsführung geprägte nachträgliche Wille herangezogen wird. Die vorherige Kundgabe schließt die verzerrte Bewertung aus der ex post Perspektive, insbesondere vor dem Hintergrund der entstandenen Aufwendungen, aus.187 Selbst im Rahmen der Geschäftsführung ohne Auftrag ist diese Vorverlagerung nicht un­ problematisch. So genügt es nicht, an einen irgendwann erklärten Willen anzuknüp­ fen. Wie bei der Einwilligung ist auch insoweit grundsätzlich Gleichzeitigkeit188 zu fordern. Der Wille des Anspruchsinhabers muss also parallel zur Selbsthilfehand­ lung vorliegen. Des Weiteren muss die Äußerung sich hinreichend bestimmt auf die konkrete Situation beziehen.189 Die schlichte Erklärung, dass jemand „Pazifist“ sei enthält daher keine spezifische Aussage darüber, ob tatsächlich Sicherungshandlun­ gen Dritter im konkreten Sachverhalt unerwünscht sind. Sie kann nur als gewichti­ 183 

Frister, 22. Kap., Rn.  54; Kühl, §  9 Rn.  32; HK-BGB/Kemper, §  1901a BGB Rn.  12. Vgl. BGHZ 43, 188, 193 ff.; Staudinger/Bergmann, §  680 BGB Rn.  6 185  Schmidt, S.  142. 186  Schäfer/Ott, S.  248 f.; Kötz, Festschrift für Bernhard Großfeld zum 65. Geburtstag, S.  583, 583; Staudinger/Bergmann, Vor §§  677 ff. BGB 62. 187  Bergmann, S.  290 f.; Schmidt, S.  142. 188  Oben §  1A.I.b.cc, S. 42. 189 MüKo-BGB/Seiler, §  683 BGB Rn.  9. 184 

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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ges Indiz für den mutmaßlichen Willen dienen.190 Schließlich ist die Erklärung des Willens nach herrschender Meinung auslegungsfähig, da für die Ermittlung des tat­ sächlichen Willens auf die Auslegung der entsprechenden Erklärung aus Sicht eines objektiven Empfängers abgestellt wird.191 Dies entspricht der Herangehensweise bei 157 BGB). Missverständnisse gehen dabei Willenserklärungen (entsprechend §   grundsätzlich zu Lasten des Geschäftsherrn. Im Zweifel greift daher auch im Rah­ men der Geschäftsführung ohne Auftrag der mutmaßliche und nicht der gegenüber einem Dritten erklärte Wille. Die Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB führt im Gegensatz zu Einwilligung und Geschäftsführung ohne Auftrag zu einer vorübergehenden Sicherung einer späteren Anspruchsverwirklichung gegenüber einem Dritten, betrifft also ein Dreipersonen­ verhältnis. Ob der Gläubiger den Anspruch wirklich geltend macht, ist ihm überlas­ sen. Die Selbsthilfehandlung erweitert also seine Entscheidungsmöglichkeit. Der Wille des Anspruchsinhabers wird ausschließlich für das Verhältnis zwischen dem Fremdhelfer und dessen Opfer (dem Schuldner des Anspruchs) relevant, ohne dass auch nur einer der beiden davon Kenntnis haben muss. Dies führt zu bedenklichen Konsequenzen. Denn dadurch hängt die Rechtfertigung einer etwaigen Gegenwehr von Umständen ab, die außerhalb der aktuell und konkret erkennbaren Rechtferti­ gungslage sind. Würde man die im Rahmen von §  683 BGB und der Einwilligungslehre herange­ zogenen Erwägungen auf die Erklärung eines der Anspruchssicherung entgegenste­ henden Willens erstrecken, müsste man irgendeine Erklärung genügen lassen, selbst wenn sie dem Handelnden unbekannt ist. Dies stärkt sicherlich wie bei §§  677, 683 BGB die Autonomie des Gläubigers. Jedoch hätte es für den Fremdhelfer untragbare Folgen.192 Ihm droht nicht nur eine Schadensersatzhaftung, sondern sogar eine Strafbarkeit. Zudem muss er Abwehrhandlungen des Adressaten seiner Selbsthilfe­ handlung dulden, da diese ihrerseits durch Notwehr gerechtfertigt sind. Die Situati­ on wäre gerade spiegelbildlich zur Einwilligung. Während eine flexible Handhabung bei der Einwilligung täterfreundlich wirkt, ist sie beim entgegenstehenden Gläubi­ gerwillen täterfeindlich. Es liegt daher nahe, entsprechend §  130 Abs.  1 BGB zu verlangen, dass der erklärte Wille gerade dem als Fremdhelfer auftretenden Dritten zugeht. Dem entspricht eine teilweise vertretene Auffassung, welche die Einwilligung als Willenserklärung quali­ fiziert und auch für diese Zugang im Sinne des BGB AT verlangt.193 Eine dritte Parallele kann zu den Regelungen des öffentlichen Rechts gezogen wer­ den, soweit man die Sicherung privater Ansprüche mit der hier vertretenen Auffas­ sung als Maßnahme zum Schutz der öffentlichen Sicherheit qualifiziert und ihr da­ 190 

Mit diesem Beispiel Engländer, S.  109. §  683 BGB Rn.  25. 192  Zur Nothilfe siehe nur Heller, S.  142 ff. 193  Zitelmann, AcP 99 (1906), 1. 191 Staudinger/Bergmann,

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

durch jedenfalls auch eine überindividuelle Bedeutung beimisst.194 Ein Polizist, der ausnahmsweise zur Sicherung privater Rechte tätig werden darf (§  1 Abs.  2 PolG NRW), muss nur einen ihm bekannten Willen des Rechtsinhabers beachten. Soweit der Berechtigte aber nicht erreichbar ist, ist das polizeiliche Handeln auch ohne des­ sen ausdrückliche Aufforderung erlaubt, sofern tatsächlich ein zu sichernder An­ spruch besteht und die übrigen Voraussetzungen des allgemeinen Polizeirechts vor­ liegen.195 Eine Ersatzpflicht nach §  67 PolG iVm §  39 Abs.  1 OBG NRW besteht nur, wenn der Anspruch nicht besteht, unverhältnismäßige Mittel ergriffen oder gegen den der Behörde bekannten Willen des Begünstigten gehandelt wurde. Im Beispiels­ fall dürfte F also, wenn er Polizist im Dienst wäre, den P festhalten bis E zurückkehrt, selbst wenn E mit dieser Sicherungsmaßnahme nicht einverstanden wäre. Obwohl ein Privatmann hier also in gleicher Weise zur Sicherung des Anspruchs und damit zur Abwendung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Gestalt der „Unverletz­ lichkeit der Rechtsordnung“196 beiträgt, würde er bei zu engem Verständnis für seine Zivilcourage bestraft.197 Während sich im Rahmen der Notwehr (§  227 BGB) ein vermeintlicher Nothelfer bei unvermeidbarer Unkenntnis des entgegenstehenden Willens des Angegriffenen auf einen die Strafbarkeit198 und die zivilrechtliche Haftung199 ausschließenden Er­ laubnistatbestandsirrtum berufen kann, ist die zivilrechtliche Schadensersatzpflicht bei irriger Annahme einer Selbsthilfelage anders geregelt. Ein diesbezüglicher Irr­ tum ist dort anders als bei sonstigen Rechtfertigungsgründen nach der ausdrückli­ chen Anordnung des §  231 BGB unbeachtlich. Eine Korrektur über ein Mitverschul­ den (§  254 Abs.  1 BGB) scheitert daran, dass das Opfer der Selbsthilfe, den Schädiger, also den Fremdhelfer, regelmäßig auch nicht über den ausnahmsweise entgegenste­ henden Willen des Gläubigers, also eines am konkreten Schuldverhältnis unbeteilig­ ten Dritten, aufklären kann. Soweit der Gläubiger wie zumeist keinerlei Anlass hatte, sich gegenüber dem Fremdhelfer zu erklären, wird man schließlich auch keinen Re­ gressanspruch des Fremdhelfers gegen ihn konstruieren können. Demnach würde 194 

Oben §  1A.I.b.ff, S. 46 ff.

195 Tegtmeyer/Vahle/Tegtmeyer/Vahle,

§  1 PolG NRW Rn.  29 (wobei offengelassen wird, ob bei Unerreichbarkeit §  1 Abs.  1 PolG gilt oder eine konkludente Ermächtigung anzunehmen ist); noch weiter bei Wohnungsverweisung nach §  34a PolG NRW vgl. LT-NRW Drs. 13/1525, S.  12, 17; VG Aachen, Urteil vom 17.2.2012, Az.  6 K 940/11, abrufbar unter www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_aa chen/j2012/6_K_940_11urteil20120217.html; VG Köln, Urteil vom 12.8.2010, Az.  20 K 3188/09, ab­ rufbar unter www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_koeln/j2010/20_K_3188_09urteil20100812.html; Trierweiler, S.  55. 196 Tegtmeyer/Vahle/Tegtmeyer/Vahle, §  1 PolG NRW Rn.  27, 30. 197  LK (11. Aufl.)/Spendel, §  32 StGB Rn.  145 zur Parallelproblematik der Nothilfe. 198  Teilweise (Engländer, S.  105 f.) wird, wie hier für die Selbsthilfe vertreten, an das Verständnis eines objektiven Empfängers in der Lage des Nothelfers angeknüpft. Dann besteht sogar eine un­ rechtsausschließende Rechtfertigung und nicht ein bloßer Ausschluss des Verschuldens. 199 BGHZ, 364, Rn.   366 (zur Einwilligung); BGH NJW 1981, 745 (zu §  127 Abs.  1 StPO); ­MüKo-BGB/Grothe, §  227 BGB Rn.  26 (zu §  227 BGB); Staudinger/Repgen, §  227 BGB Rn.  80; ­MüKo-BGB/Wagner, §  823 BGB Rn.  60.

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der Fremdhelfer also aufgrund von Umständen, die für ihn nicht erkennbar sind, auf Schadensersatz haften.200 Die juristische Abgrenzung zwischen Nothilfe und Selbsthilfe ist für den Laien oft kaum nachvollziehbar, würde aber unterschiedliche Folgen nach sich ziehen. So wür­ de im Ausgangsfall der Fahrgast F schuldlos handeln, wenn er den Passanten P fest­ hält, um zu verhindern, dass dieser den beschädigten Laptop mitnimmt. Er müsste eine Strafbarkeit oder eine Schadensersatzpflicht selbst dann nicht fürchten, wenn E seinen entgegenstehenden Willen vorher seiner Ehefrau mitgeteilt hätte. Demgegen­ über wäre der Wille des E maßgeblich, soweit das Festhalten des P dazu dienen soll, eine Reparatur nach erfolgter fahrlässiger Beschädigung zu ermöglichen. Es ist nicht erklärbar, wieso der Fall, dass ein Kunde im Supermarkt eine fremde Wurst vor dem Kassenbereich aufisst (und es nur noch um Schadensersatz geht) anders behandelt werden soll, als derjenige, dass er diese in seine Jackentasche steckt (mit der Folge, dass eigentlich auch an der Kasse zu bezahlen wäre, aber eine Rückgabe in Natur möglich ist). Die Komplexität für den Laien steigt weiter, wenn eine Reparatur als Naturalrestitution möglicherweise sogar durch den Täter selbst und unmittelbar vor Ort möglich wäre. Dann ist es kaum verständlich, dass dies als rein schuldrechtlicher Anspruch anders behandelt wird, als die Abwehr eines andauernden Angriffs. Noch deutlicher ist diese Abgrenzungsproblematik in zeitlicher Hinsicht. Die Rechtspre­ chung und die allgemeine Auffassung in der Literatur bejahen trotz vollendetem Diebstahl eine Notwehrbefugnis, solange der Angriff nicht beendet ist. Notwehr (und damit auch Nothilfe) sind insbesondere gegen den „mit der Beute fliehenden Dieb“201 erlaubt. Ist der Angriff hingegen „beendet“, die Beute also (wenn auch nur für einen Moment) gesichert, bemisst sich die Erzwingung der Rückgabe ausschließ­ lich nach §  229 BGB. Die Ausdehnung der Notwehrbefugnis dient hier also dem rechtspolitisch wünschenswerten Ziel, die gegenüber §  229 BGB erweiterten Ein­ griffsbefugnisse aufrecht zu erhalten. Gleichzeitig wird hierdurch aber die Grenze zwischen den Rechtfertigungsgründen in für den Laien kaum nachvollziehbarer Weise weiter aufgeweicht. Würde man aber die Fremdhilfe an zu enge Voraussetzungen koppeln, würde auf­ grund der daraus resultierenden Rechtsunsicherheit auch die rechtspolitisch er­ wünschte Nothilfe eingeschränkt. Dieses Phänomen der Überabschreckung oder spill over Effekt liegt in der menschlichen Natur.202 (2)  Objektiver Sorgfaltsmaßstab Nach alledem kann nur der in der konkreten Situation für einen objektiven Dritten, nicht notwendig für den konkreten Fremdhelfer, erkennbare Wille Ausschlusswir­ kung haben. In allen übrigen Fällen ist allein auf den mutmaßlichen Willen abzustel­ 200  Skeptisch zur Parallelproblematik bei der Nothilfe etwa LK (11. Aufl.)/Spendel, §  32 StGB Rn.  145. 201  RGSt 55, 82, 84; Lackner/Kühl/Kühl, §  32 StGB Rn.  4; Roxin, §  15 Rn.  27. 202  Beurskens, S.  291, 310; Posner, S.  233 ff.

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

len. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab, die möglicherweise fehlerhaften Vor­ stellungen des Fremdhelfers sind sowohl in positiver wie auch in negativer Hinsicht unbeachtlich.203 Soweit auch ein objektiver Dritter den entgegenstehenden Willen des Gläubigers nicht erkennen kann, liegt eine objektive Selbsthilfelage selbst dann vor, wenn der Gläubiger mit einem Eingriff nicht einverstanden ist. Das Handeln des Fremdhelfers ist daher bei Einhaltung der übrigen Voraussetzungen von §§  229, 230 BGB objektiv gerechtfertigt und nicht nur entschuldigt. Der nicht erkennbare Wille des Gläubigers stellt das Handeln nicht in Frage, solange es vom nach objektiven Kriterien ermittel­ baren mutmaßlichen Willen gedeckt ist. Im Strafrecht stellt sich die Problematik nicht in gleicher Weise,204 Besonderheiten des §  229 BGB gegenüber der Nothilfe zu §  227 BGB werden dort nicht erörtert.205 Die hier vertretene Auffassung führt jedoch für das Handeln Dritter zum Schutz fremder Rechte zu einer wünschenswerten Gleichbehandlung auch im Zivilrecht. (3)  Bedenken gegen eine Anknüpfung an den objektiv erkennbaren Willen Gegen ein solches Verständnis liegen zwei Einwände nahe, die jedoch im Ergebnis nicht durchgreifen können. (a)  Unterlaufen der Haftung nach §  231 BGB Aufgrund der nach §  276 Abs.  2 BGB objektiv zu bestimmenden Fahrlässigkeit ent­ spricht der hier angelegte objektive Erkennbarkeitsmaßstab einem Verschuldenser­ fordernis im zivilrechtlichen Sinne. Daher droht eine Anknüpfung an die Erkenn­ barkeit des Gläubigerwillens die vom Gesetzgeber bewusst geschaffene, von Irrtü­ mern über die Rechtfertigung unabhängige Haftung nach §  231 BGB zu unterlaufen. Die Unbeachtlichkeit von Irrtümern nach §  231 BGB privilegiert das Opfer einer rechtswidrigen Selbsthilfehandlung gegenüber den Opfern anderer irrtümlich als rechtmäßig erachteter Eingriffe. So kann etwa der Angreifer bei einer als Nothilfe (§  227 BGB) intendierten Abwehrhandlung den vermeintlichen Nothelfer mangels Verschuldens nicht nach §  823 Abs.  1 BGB auf Schadensersatz in Anspruch nehmen, wenn die ansonsten rechtmäßige Handlung dem nicht erkennbaren Willen des Trä­ gers der gefährdeten Rechtsgüter widersprach. Fraglich ist, ob die in §  231 BGB ange­ ordnete Unbeachtlichkeit subjektiver Vorstellungen des Selbst- oder Fremdhelfers sich auch auf den nicht erkennbaren entgegenstehenden Willen der durch die Hand­ lung begünstigten Person erstreckt. 203  Das ist ein wesentlicher Unterschied etwa zur mutmaßlichen Einwilligung im Strafrecht – insoweit wird individuell-subjektive Erkennbarkeit gefordert, was nach Frister, 12. Kap., Rn.  7 be­ rechtigterweise dazu führt, dass diese im subjektiven Tatbestand der Rechtfertigung zu prüfen ist. 204  OLG Koblenz NStZ-RR 1998, 273 konnte eine Haftung aus §  823 Abs.  1 BGB an der fehlenden Erkennbarkeit des Willens des vermeintlichen Opfers scheitern lassen – das ist bei §  231 BGB ausge­ schlossen. 205  Seuring, S.  79 ff., 240 ff.; Heller, S.  230 ff.; Engländer, S.  105 f.; Koch, S.  143 f.; Seeberg, S.  155; ge­ gen Relevanz der Erkennbarkeit aber NK-StGB/Kindhäuser, §  32 StGB Rn.  41.

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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Nach dem Wortlaut von §  231 BGB sind nur Irrtümer unbeachtlich, die sich auf die „für den Ausschluss der Widerrechtlichkeit erforderlichen Voraussetzungen“ bezie­ hen. §§  229, 230 BGB stellen ausdrücklich ebensowenig wie §  227 BGB auf den Willen des Gläubigers ab. Die gesetzlichen Voraussetzungen dienen vielmehr nur dem Schutz des Schuldners, etwa im Hinblick auf die Erforderlichkeit des Eingriffs oder das Bestehen einer konkreten Gefährdungslage, bzw. des staatlichen Gewaltmono­ pols, etwa hinsichtlich der Subsidiarität. Demgegenüber soll die Anknüpfung an den Willen des Gläubigers ausschließlich dessen Dispositionsfreiheit gewährleisten. Im Hinblick auf dieses geschützte Interesse wäre eine Haftung trotz unvermeidbaren Irrtums gegenüber dem dadurch gar nicht geschützten Selbsthilfeopfer, also regel­ mäßig dem Schuldner, unangemessen. Die Unbeachtlichkeit von Irrtümern im Rahmen von §  231 BGB soll vielmehr den Gleichlauf mit staatlichen Sicherungs- und Vollstreckungsmaßnahmen (§  717 Abs.  2 ZPO, §  945 ZPO) herstellen, bei denen rechtliche Fehlentscheidungen ebenfalls kei­ ne rechtfertigende Wirkung entfalten und dabei mittelbar auch das staatliche Ge­ waltmonopol absichern. Das Erfordernis, dass die Sicherung mit dem Willen des Gläubigers in Einklang steht, dient demgegenüber nur den Interessen des Gläubi­ gers. Anders als beim Fehlen eines Anspruchs, einer Gefahr oder Irrtümern über Erforderlichkeit oder Subsidiarität besteht nicht die Gefahr, dass die Rechtsordnung durch das Handeln ohne ausdrückliche Einwilligung als solche in Frage gestellt wird. Dies zeigt sich auch daran, dass die Polizei etwa bei einer fahrlässigen Sachbe­ schädigung auch ohne vorherige Erforschung des Willens des Eigentümers des be­ schädigten Gegenstandes Personalien aufnehmen kann und notfalls sogar eine Fest­ nahme bewirken darf. Die Beachtung des Gläubigerwillens soll dessen Autonomie schützen, nicht jedoch die Interessen des Schuldners. Ein eigenes Interesse an der Verwirklichung des gefährdeten Anspruchs hat nur der Gläubiger, so dass der Ge­ genanreiz einer strengen Haftung aufgrund etwaiger Fehleinschätzungen auch pri­ mär ihn treffen sollte. Daher ist die Anwendung des §  231 BGB weder aufgrund des Schutzes der Interes­ sen des Selbsthilfeopfers noch durch die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung ge­ boten.206 Die atypische Konstellation, dass der Gläubiger die Gefahr einer Erschwe­ rung oder gar einer Unmöglichkeit der Verwirklichung in Kauf nehmen will, ist ­daher vom Schutzzweck des §  231 BGB nicht erfasst. Der nicht erkennbare entgegen­ stehende Wille des Gläubigers bei tatsächlicher Gefährdung begründet keine Be­ günstigung des Fremdhelfers, die dessen Haftung gegenüber dem Eingriffsopfer rechtfertigt. Mit der Anknüpfung an die Erkennbarkeit des Willens für einen objek­ tiven Dritten in der Situation des Fremdhelfers, der wiederum die im Verkehr objek­ tiv erforderliche Sorgfalt anwendet, kann ein Gleichlauf zu den die Dispositionsfrei­ heit schützenden Regelungen des Deliktsrechts und zur aufgedrängten Geschäfts­ führung ohne Auftrag erzielt werden. 206 

Gegen letzteres Argument für die Nothilfe zu Recht Seier, NJW 1987, 2476, 2480 f.

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

(b)  Ungleichbehandlung zu Fällen unerkennbaren Anspruchsuntergangs Der zweite, praktische, Einwand ist, dass eine Gefahr für die Verwirklichung von Ansprüchen auch auf anderen, für den Fremdhelfer nicht ersichtlichen Wegen ent­ fallen kann. So wird der Dritte regelmäßig nichts von einem Untergang durch Erfül­ lung, Verzicht oder von fehlender Durchsetzbarkeit wegen erhobener207 Einrede der Verjährung erfahren. Auf den Willen des E käme es daher im Ausgangsbeispiel nicht mehr an, wenn diesem ohnehin keine Ansprüche zustünden, deren Verwirklichung gefährdet werden können. Dies wäre etwa der Fall, wenn er das Eigentum am Laptop aufgegeben hat (§  959 BGB), um die Entsorgungskosten zu sparen. Dann scheint es aber ungerechtfertigt, ihn nur im Hinblick auf den fehlenden Sicherungswillen des Gläubigers zu privilegieren. Allerdings greifen die genannten Fälle, in denen eine Verwirklichung des An­ spruchs ohnehin nicht mehr in Rede steht, auch zu Lasten des Gläubigers selbst. Demgegenüber ist der auf die Gefährdung der Verwirklichung beschränkte Wille des Gläubigers nur ein vorübergehendes Hindernis für Selbsthilfemaßnahmen. Das BGB sieht auch an anderen Stellen vor, dass Veränderungen des Anspruchs auch anderen Personen ohne Kenntnis entgegengehalten werden können. Dies ist deutlich etwa im Verhältnis des Schuldners zu einem neuen Gläubiger nach der Abtretung (§  407 BGB). Insoweit entfalten Rechtshandlungen gegenüber dem alten Gläubiger Wir­ kung zu Lasten des neuen Gläubigers, obwohl es sich nur um Maßnahmen im Innen­ verhältnis zwischen dem Schuldner und dem alten Gläubiger handelt. Ähnlich ist es bei der vom Gesetz vorgesehenen weiten Aufrechnungsmöglichkeit (§  392 BGB, §  215 BGB, §  94 InsO, §  406 BGB). Das Gesetz geht also davon aus, dass Handlungen un­ mittelbar in Bezug auf den Anspruch anders als sonstige Begleitumstände auch ohne Kenntnis Relevanz entfalten. Eine vergleichbare Problemlage stellt sich auch bei der Nothilfe im Sinne von §  227 BGB. Wenn das Opfer wirksam in den Eingriff eingewilligt hat, liegt schon kein An­ griff vor.208 In Abgrenzung zu den hier diskutierten Fällen, in denen nur die Abwehr unerwünscht ist, fehlt es also bereits an einer Notwehrlage. Auf den oben dargestell­ ten Meinungsstreit kommt es nicht an, das Einschreiten des Nothelfers ist stets rechtswidrig, aber regelmäßig entschuldigt. Insoweit gewährleistet die hier vertrete­ ne Anknüpfung an die objektive Erkennbarkeit die Gleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte. Schließlich sei darauf hingewiesen, dass der Anspruch auch unabhängig vom Wil­ len des Gläubigers zur Abwehr von Gefahren für seine Verwirklichung eine rechtli­ che und wirtschaftliche Bedeutung besitzt. Aus diesem Grunde billigt unsere Rechts­ ordnung einem einmal entstandenen Anspruch eine gewisse, vom Durchsetzungsin­ teresse des Gläubigers unabhängige, Existenz zu. Während etwa der Eigentümer einer beweglichen Sache sich dieser durch Dereliktion (§  959 BGB) einseitig erledigen 207 

208 

Unten §  1A.II.2b, S. 87. Seeberg, S.  85.

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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kann, muss der Schuldner einem Verzicht vertraglich zustimmen (§  397 BGB). Auch eine rechtshängige Klage kann der Kläger nach Beginn der mündlichen Verhandlung des Beklagten zur Hauptsache nicht mehr einseitig zurücknehmen, sondern benötigt dazu stets die Mitwirkung des Beklagten (§  269 ZPO). Ansprüche können gegen den Willen des Gläubigers gepfändet und dann auch gegen sein Interesse durchgesetzt werden (§  829 ZPO). Sind die Ansprüche in einer Urkunde verkörpert, wird sogar ein gutgläubiger Erwerb ermöglicht (§  405 BGB). Wer also zur Erhaltung der Verwirkli­ chungsmöglichkeit eines fremden Anspruchs tätig wird, handelt nicht nur zuguns­ ten des Inhabers, sondern kann sich auf die vom Willen des Inhabers unabhängige, grundlegende Existenz des Anspruchs als Teil der Rechts- und Wirtschaftsordnung stützen. Erst bei Fehlen eines solchen Anspruchs entfällt auch das anerkennenswerte Interesse an dessen Aufrechterhaltung. Insoweit sind übermäßig strenge Anforde­ rungen an die Selbsthilfe nicht geboten.209 Ein Einklang mit den zivilprozessualen Haftungsnormen (§  717 Abs.  2 ZPO, §  945 ZPO) ist nur für Fehler in der Durchfüh­ rung oder den Versuch, eine nicht existierende Forderung durchzusetzen, herzustel­ len. Freilich ist auch der letztere Fall nicht immer erkennbar, insbesondere wenn rechtlich umstrittene Fragen im Raum stehen. Dieses Risiko ist aber jeglicher Rechts­ sicherung und -durchsetzung immanent. Des Weiteren wird im Rahmen der Diskussion um die Nothilfe zu Recht vielfach in den Vordergrund gestellt, dass unser Rechtssystem Zivilcourage fördert und nicht unterminiert.210 Wie schon der Beispielfall zeigt ist die Grenze zwischen Fremdhilfe und Nothilfe fließend. Für den Laien ist oft unklar, ob er nur zur Sicherung eines Anspruchs oder zum Schutz eines absolut geschützten Rechtsguts tätig wird. Soweit also Zivilcourage begünstigt werden soll, ist nicht nur bei der Nothilfe, sondern auch bei der Fremdhilfe ein weiter Maßstab anzulegen. Schließlich ist der Schuldner auch nicht derart schutzbedürftig, dass eine Haftung trotz unvermeidbaren Irrtums erforderlich wäre. Soweit ihm bekannt ist, dass dem Gläubiger die Sicherung seines Anspruchs unerwünscht ist, kann er den Fremdhelfer informieren und dadurch die Erkennbarkeit des entgegenstehenden Willens herstel­ len. Sollte der Dritte dennoch zur Durchsetzung des Anspruchs tätig werden, haftet er nach §  231 BGB. Soweit weder der Schuldner noch der Fremdhelfer den entgegen­ stehenden Willen kennen, ist der Schuldner zur Duldung der zur Sicherung erforder­ lichen Handlungen verpflichtet. Zugunsten des Gläubigers wird so die Möglichkeit einer späteren Entscheidung über die Durchsetzung aufrechterhalten. Sein Entschei­ dungsspektrum wird also nicht beeinträchtigt, sondern nur erweitert. Die durch die Selbsthilfehandlung des Dritten verursachten Vermögenseinbußen treffen den 209  Mugdan I, S.  547 = Mot. I, S.  354 f.: „Soll die Selbsthilfe, wenn sie die Rechtsordnung einmal behufs Erhaltung von begründeten Ansprüchen gestatten muss, ihren Zweck erfüllen, so darf sie weder hinsichtlich ihrer Voraussetzungen noch in der Wahl der Mittel, für deren angemessene Ver­ wendung der Berechtigte verantwortlich ist, ohne zwingenden Anlass beengt werden.“ 210  Roxin, §  15 Rn.  101; §  15 Rn.  103 (trotz starker Betonung individualschützender Aspekte); LK (11. Aufl.)/Spendel, §  32 StGB Rn.  145; Wagner 1984, S.  37.

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

Schuldner. Dies ist ein Preis, den die Rechtsordnung an das Eingehen einer Verbind­ lichkeit knüpft. Bei vertraglichen Verbindlichkeiten lässt sich dieses Risiko als Teil der Gegenleistung auf den Gläubiger selbst verlagern („einpreisen“).211 e) Ergebnis Die Durchsetzung oder Sicherung fremder Ansprüche durch Eingriffe in fremde Rechte ist grundsätzlich rechtspolitisch unerwünscht. Allerdings gilt dies nicht in größerem Ausmaß als hinsichtlich der privaten Durchsetzung eigener Ansprüche durch Eingriffe in fremde Rechte. Ein umfassendes Verbot der Fremdhilfe würde zwar die verhaltenssteuernde Wirkung verstärken. Hierfür gibt es jedoch keinen praktischen Bedarf. Die Gegenanreize in Gestalt der Schadensersatzhaftung und der Gefährdung eigener Rechtsgüter genügen, um eine großflächige Überschreitung zu verhindern. Die wegen der damit verbundenen sozialen Kosten unerwünschten Ex­ zesse werden bereits durch die allgemeinen Voraussetzungen erlaubter Selbsthilfe verhindert. Damit gelangt man zur Umkehrung der herrschenden Auffassung. Dritte dürfen Sicherungsmaßnahmen für fremde Ansprüche treffen. Abwehrhandlungen des Op­ fers können nicht allein durch den Umstand gerechtfertigt werden, dass jemand fremde statt eigener Rechte sichert. Im Verhältnis zum Selbsthilfeadressaten ist der Dritte vielmehr dem Gläubiger gleichzusetzen. Er haftet wie der Anspruchsinhaber nur dann nach §  231 BGB, wenn eine Voraussetzung von §§  229, 230 BGB fehlt. So­ weit die Selbsthilfehandlung sich hingegen im Rahmen des §  229 BGB bewegt und dem Anspruchsinhaber zugutekommt, ist sie wirksam und gerechtfertigt. Es beste­ hen weder Rückabwicklungs‑ noch Schadensersatzansprüche. Bei exzessiven Selbsthilfehandlungen oder fehlender Anspruchsberechtigung ist die Selbsthilfehandlung bereits aus diesem Grund rechtswidrig. Insoweit trifft das Haftungsrisiko (§  231 BGB) den Fremdhelfer.212 Sein Selbsthilfewille als solcher ge­ nügt nicht, um einen Ersatzanspruch gegen den durch die Selbsthilfehandlung po­ tenziell begünstigten Gläubiger zu begründen. Eine Geschäftsführung ohne Auftrag (§§  677, 683 S.  1, 670 BGB) scheitert am fehlenden Interesse des Geschäftsherrn. Un­ nötige, haftungsbegründende Eingriffe gegen Dritte will niemand in seinem Namen verüben lassen. Eine Genehmigung analog §§  185 Abs.  2, 177 BGB scheitert schon am Fehlen einer genehmigungsfähigen Verfügung. Unbenommen bleiben natürlich ein freiwilliger Ausgleich im Nachhinein oder ein Ausgleichsanspruch aufgrund eines bereits vor der Vornahme der Handlung beste­ henden Schuldverhältnisses (etwa eines Auftrags, §  663 BGB). Auch dadurch wird die Rechtswidrigkeit der Handlung im Außenverhältnis aber nicht beeinflusst. Es tritt nur eine Verschiebung der Interessenlage ein. Da nunmehr das Kostenrisiko nicht mehr den Dritten, sondern den Gläubiger trifft und regelmäßig ein Anreiz zu Siche­ 211  212 

Posner, S.  130 ff.; Schäfer/Ott, S.  404 ff. Unten §  1C, S. 164.

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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rungs- und Schutzmaßnahmen durch eine zusätzliche Vergütung (etwa im Rahmen einer Inkassotätigkeit) gewährt wird, wird der Dritte eher zum Schutz der fremden Rechten einschreiten. Aus diesem Grunde ist bei Schutzpersonal, etwa Türstehern oder Wachpersonal in Lagerhäusern und Geschäftsräumen eher von einem Tätig­ werden auszugehen als bei unbeteiligten Dritten. Für das Selbsthilfeopfer ist allein maßgeblich, ob tatsächlich ein verwirklichungs­ fähiger Anspruch besteht, die Handlung zu dessen Sicherung erforderlich ist und die Subsidiarität gewahrt wurde. Die Frage, wer konkret zur Durchsetzung aktiv wird, sollte keine Bedeutung haben. Sofern allerdings aus den Umständen auch bei An­ wendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§  276 Abs.  2 BGB) nicht ersichtlich wird, warum der (unbekannte) Dritte Maßnahmen ergreift, kann man dem Selbst­ hilfeadressaten keinen Verschuldensvorwurf hinsichtlich etwaiger Abwehrmaßnahmen machen. Wer Schuldner eines gefährdeten Anspruchs ist, muss auch bei weitem Verständnis des §  229 BGB nicht damit rechnen, dass jeder Angriff gegen seine Rech­ te seinen Rechtsgrund gerade in dieser Schuldnerstellung findet. Schutzwürdig ist damit allein der Gläubiger. Dessen Wille kann aber vielfach im Zeitpunkt der Selbsthilfehandlung gar nicht ermittelt werden. Insoweit ist nach den oben herausgearbeiteten Grundsätzen von der Vermutung auszugehen, dass jede Person einer ihr günstige Maßnahme zustimmt. Ein ausnahmsweise entgegenste­ hender Wille kann nur berücksichtigt werden, soweit dieser erkennbar ist. Im praktischen Ergebnis ähneln sich die Folgen bei der Beurteilung von Lebens­ sachverhalten allerdings trotz der gegenteiligen Herangehensweise. Private Akteure werden fremde Ansprüche nur durchsetzen, wenn sie ein eigenes wirtschaftliches Interesse an deren Durchsetzung haben oder wenn sie aufgrund des (wie auch immer gearteten) Innenverhältnisses zum Anspruchsinhaber im Einzelfall bei diesem Re­ gress nehmen dürfen. Anders als die herrschende Auffassung, welche dem Innenver­ hältnis zwischen Anspruchsinhaber und Fremdhelfer Außenwirkung gegenüber dem Selbsthilfeadressaten beimisst, kann nach der hier vertretenen, allein an die ob­ jektive Lage anknüpfenden Ansicht, eine Selbsthilfekaskade (durch Abwehr unbe­ rechtigter Fremdhilfe) vermieden werden und die Berechtigung unterstützender Sicherungs­maß­nahmen Dritter auf ein stabiles Fundament gestellt werden. Gleich­ zeitig wird die Bedeutung der im Gesetz ausdrücklich aufgeführten Tatbestands­ merkmale gestärkt, anstatt ergänzend auf ungeschriebene Voraussetzungen zurück­ zugreifen.

II.  Selbst-„Hilfe“ – Abwendung von Gefahren für die Verwirklichung eines Anspruchs als Zweck §  229 BGB und §  231 BGB regeln nicht etwa beliebige Eingriffshandlungen Privater, sondern nur solche, die als „Hilfe“ einem bestimmten Erfolg dienen. Aus dem Zu­ sammenhang der Regelung folgt, dass dieser Erfolg aus Sicht des Handelnden in der Vermeidung oder jedenfalls Verringerung einer (vermeintlichen) Gefahr bestehen

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

muss, welche „die Verwirklichung des Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert“. Damit sind die „Verwirklichung“ (sub 1) und der „Anspruch“ (sub 2) sowie deren „Gefährdung“ (sub 3) als zentrale Wesensmerkmale der Selbsthilfehandlung ange­ sprochen. Ausschließlich andere Zielsetzungen, etwa Rache oder schlichte Schädi­ gungsabsicht führen hingegen weder zur Anwendung des §  229 BGB noch zur irr­ tumsunabhängigen Haftung des §  231 BGB. 1.  Die „Verwirklichung“ eines Anspruchs Nach dem Wortlaut von §  229 BGB sollen Gefahren für die Verwirklichung des An­ spruchs abgewendet werden. Das Gesetz knüpft weder an die Erfüllung (§  362 Abs.  1 BGB) durch den Schuldner oder seine Erfüllungsgehilfen an, noch verlangt es, dass der Gläubiger zur Vorbereitung spezifischer staatlicher Vollstreckungshandlungen (siehe etwa §  212 Abs.  1 Nr.  2 BGB) tätig wird.213 Etwas anderes folgt insbesondere nicht aus §  230 Abs.  2 und Abs.  3 BGB, wonach der Gläubiger nach Vornahme der Selbsthilfehandlung dinglichen bzw. persönlichen Arrest beantragen muss. §  230 Abs.  2 und 3 erfassen nämlich nicht alle in §  229 BGB genannten Handlungsmodalitäten, sondern ausschließlich die Festnahme und die Wegnahme von Sachen. Zudem dient der Arrest gerade nicht der endgültigen Befrie­ digung des Gläubigers, sondern seinerseits nur deren vorläufiger Sicherung. Eine Pflicht nach Vornahme der Selbsthilfehandlung zwingend ein Klageverfahren einzu­ leiten, wird durch die Regelung anders als etwa in §  696 Abs.  1 ZPO gerade nicht be­ gründet. Vor diesem Hintergrund ist die Einleitung staatlicher Sicherungsmaßnah­ men auch dann entbehrlich, wenn sich die konkrete Gefahr für die Erfüllung erledigt hat; erforderlich ist dann nur die Freilassung festgenommener Personen oder die Rückgabe weggenommener Sachen (§  230 Abs.  4 BGB). Dies gilt selbst für Fälle, in denen der Gläubiger die geschuldete Leistung noch nicht erhalten hat. Der Anspruch ist daher immer dann „verwirklicht“ (realisiert), wenn das Leis­ tungsinteresse des Gläubigers befriedigt wird, unabhängig davon, wie dieses Ziel er­ reicht wird. Erfasst ist damit sowohl die freiwillige Erfüllung durch den Schuldner (sub a) als auch die die erzwungene Befriedigung durch staatliche Stellen, insb. den Gerichtsvollzieher (sub b). Probleme wirft insbesondere die Frage auf, inwieweit auch Maßnahmen des Gläubigers selbst eine Verwirklichung bewirken können (sub c). a)  Verwirklichung des Anspruchs im Wege der freiwilligen Erfüllung durch den Schuldner Das Leistungsinteresse des Gläubigers wird im Regelfall durch die freiwillige Erfül­ lung des Anspruchs durch den Schuldner befriedigt. Auf den ersten Blick scheint ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff des Gläubigers in diesen Fällen kaum vorstellbar. 213  Schünemann, S.  22 ff. diskutiert als „Selbsthilfebegriff“ ausschließlich Fragen der „Rechts­ ausübung“ und „Geltendmachung“ – der Wortlaut stellt dies jedoch nicht in den Vordergrund.

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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Solange der Schuldner erfüllen will, drohen der „Verwirklichung des Anspruchs“ durch ihn auch keine Gefahren. Relevanz entfalten Maßnahmen zur Gefahrbeseiti­ gung durch den Gläubiger aber auch vor diesem Hintergrund in zweierlei Hinsicht. Einerseits kann der konkrete, die Erfüllung sichernde Eingriff dem Interesse des Schuldners zuwiderlaufen (sub aa). So mag etwa die Handlung den Ruf des Gläubi­ gers beeinträchtigen, z. B. wenn ein verkauftes Auto zum Schutz vor Beschädigung durch Hagel mit einer Schutzplane mit einem peinlichen Motiv bedeckt wird. Eben­ so kann es Streit um die Erstattung der durch die Selbsthilfemaßnahme entstande­ nen Kosten oder etwaiger Schäden geben, z. B. wenn ein verkauftes Motorrad zum Schutz vor Hochwasser in einer kostenpflichtigen Garage untergestellt wird. Ande­ rerseits kann die Gefahr für die Erfüllung aber auch von Dritten ausgehen. Dann stellt sich die Frage, inwieweit §  229 BGB auch diesen gegenüber rechtfertigende Wir­ kung entfalten kann (sub bb). aa)  Bedrohungen durch äußere Einflüsse Gefahren für die Befriedigung des Gläubigers können nicht nur vorsätzlich oder fahrlässig durch den Schuldner selbst geschaffen werden, sondern auch auf äußeren, rein tatsächlichen Einflüssen beruhen.214 Beispielsweise droht bei starken Regenfäl­ len die Zerstörung eines bereits verkauften, aber noch nicht übereigneten Gemäldes, wenn das Dach des Verkäufers undicht ist. Wenn weder Polizei und Feuerwehr noch der Schuldner oder seine Angehörigen rechtzeitig erreichbar sind, darf der Gläubiger das Fenster des Schuldners einschlagen (d. h. im Sinne von §  229 BGB eine Sache beschädigen) und das Gemälde an einen sicheren Ort bringen (d. h. im Sinne von §  229 BGB eine Sache wegnehmen), soweit kein milderes gleich geeignetes Mittel ver­ fügbar ist (§  230 Abs.  1 BGB). In diesen Fällen könnte man eine Geschäftsführung ohne Auftrag (§§  677 ff. BGB) oder eine mutmaßliche Einwilligung im Strafrecht heranziehen. Diese Konstruktion wirft aber nicht nur in Bezug auf den Fremdgeschäftsführungswillen des Gläubigers, der primär ein eigenes Geschäft führen will, Probleme auf. Selbsthilfehandlungen müssen aber auch nicht in jedem Fall dem Interesse des Schuldners, d. h. des Ge­ schäftsherrn im Rahmen von §§  677 ff. BGB, entsprechen. Je nach Einzelfall mag es ihm durchaus eher entgegenkommen, nur Schadensersatz wegen Unmöglichkeit (§§  280 Abs.  1, Abs.  3, 283 BGB) zahlen zu müssen, als in natura erfüllen zu können, aber darüber hinausgehende nicht ersatzfähige Vermögenseinbußen zu erleiden. §  229 BGB sieht hingegen explizit keine Abwägung zwischen dem Wert der geschul­ deten Leistung und den Folgen der Selbsthilfemaßnahme vor (insoweit anders als §  275 Abs.  2 BGB für die Unzumutbarkeit für den Schuldner selbst). Das Interesse des Schuldners ist daher bei der Selbsthilfe unbeachtlich. Vor allem würde aber ein tat­ sächlich geäußerter, entgegenstehender Wille insoweit eine Rechtfertigung nach §  683 BGB ausschließen. §  690 BGB ist insofern nicht weiterführend. Die Befriedi­ 214 

Das übersieht Schünemann, S.  26 f.

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

gung privater Ansprüche liegt zwar wie dargestellt im Interesse der Allgemeinheit.215 Allerdings ist dieses Ziel (wie auch §  1 Abs.  3 PolG NRW zeigt) vorrangig im Wege der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen durch die damit betrauten Organe zu verwirklichen.216 Für diese Konstellationen behält also §  229 BGB einen Anwendungsbereich, auch wenn in der Folge keinerlei staatliche Maßnahmen eingeleitet werden (müssen). Die Regelung erlaubt es dem Gläubiger aus eigenem statt aus abgeleitetem Recht wie bei der Geschäftsführung ohne Auftrag tätig zu werden. Der Umstand, dass die Hand­ lung möglicherweise auch dem Interesse des Schuldners dient, ist dabei unbeacht­ lich. Ebenso wie eine Geschäftsführung ohne Auftrag bei einem nur „auch-fremden“ (und damit „auch-eigenen“) Geschäft in Betracht kommt, ist die Selbsthilfe zulässig, wenn sie auch dem Schuldner objektiv dient. Die Selbsthilfebefugnis in Bezug auf andere Rechtsgüter des Schuldners ist insoweit eine Vorwirkung des von ihm selbst freiwillig begründeten Anspruchs. Ökonomisch ist dies konsequent. Der Schuldner kann Gefahren für die Leistungs­ fähigkeit am kostengünstigsten vermeiden („least cost avoider“).217 Wenn trotzdem eine Gefahr eintritt, welche droht, die Erfüllung zu vereiteln oder jedenfalls wesent­ lich zu erschweren, liegt es primär am Schuldner, diese zu beseitigen. Wird an seiner Stelle der Gläubiger tätig, sollte das Risiko solcher Sicherungsmaßnahmen beim Schuldner verbleiben und sich nicht auf den Gläubiger verlagern. Der Schuldner hat Eingriffe zu dulden, kann also keinen Schadensersatz verlangen oder strafrechtliche Sanktionen fordern. Dies bestätigt §  285 BGB, wonach etwaige Ersatzleistungen an den Schuldner als stellvertretendes commodum verschuldensunabhängig stets dem Gläubiger zukommen.218 Eine etwaige, den Kaufpreis überschießende Sachversiche­ rung käme also nicht etwa dem Verkäufer, sondern dem Käufer zugute. bb)  Bedrohungen durch Dritte Gefahren für die Leistungsfähigkeit des Schuldners können auch von Personen aus­ gehen, die nicht am Vertrag beteiligt sind. Hat etwa der Verkäufer das Bild derzeit verliehen und will es erst nach Rückgabe übereignen, droht die Gefahr, dass der Ent­ leiher das Bild einem gutgläubigen Dritten zum Eigentum verschafft (§§  929 S.  1, 932 Abs.  1 S.  1 BGB). Sieht der Käufer den unmittelbar bevorstehenden Übereignungsakt an einen Dritten, kann er den endgültigen Eigentumsverlust nur dadurch abwenden, dass er die Übergabe (d. h. die Erlangung der tatsächlichen Sachherrschaft durch den Dritten) verhindert. Hierzu muss er das Bild dem Entleiher im Sinne von §  229 BGB „wegnehmen“. 215 

Oben §  1A.I.b.ff, S. 46. Freilich bedeutet dies nicht, dass die Einhaltung dieser Pflichten kein notwendiges Element eines Rechtsstaats und zur Wahrung des Rechtsfriedens unabdingbar ist, Posner, S.  115 ff., oben §  1A.I.b.ff, S. 46. 217 Dazu Schäfer/Ott, S.  4 04 ff. 218 Staudinger/Löwisch/Caspers, §  285 BGB Rn.  1 ff.; MüKo-BGB/Emmerich, §  285 BGB Rn.  2 . 216 

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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Derartige Eingriffe in Rechte Dritter wie das Besitzrecht des Entleihers sind jeden­ falls bei der Wegnahme, Zerstörung oder Beschädigung von Sachen denkbar, denn der Begriff des „Verpflichteten“ taucht nur in den Tatbestandsvarianten der Festnah­ me und des Brechens von Widerstand auf.219 Ein Rückgriff auf prozessuale Regelun­ gen ist für Eingriffe in Rechtsgüter Dritter wenig ergiebig.220 Schwierigkeiten bereiten vor allem Konstellationen, in denen mehrere Personen gleichrangig Anspruch auf eine bestimmte Sache haben. Dieser Fall ist durch das Trennungsprinzip durchaus angelegt. So können Ansprüche auf Übereignung zu­ gunsten beliebig vieler Personen begründet werden. Der Schuldner kann mit einer spezifischen Sache aber nur einen dieser Ansprüche erfüllen. In diesen Fällen ist das Vorgehen eines Berechtigter gegen einen anderen, gleichrangig Befugten in keinem Fall durch §  229 BGB gerechtfertigt. Die Lage ähnelt derjenigen unter Mitbesitzern nach §  866 BGB. Soweit alle Beteiligten auf gleicher Stufe befugt sind, stellt jeder eine Gefahr für die Erfüllung der anderen dar. Ein stabiler Gleichgewichtszustand besteht nicht, so dass ohne diese Einschränkung ein endloser Zyklus von Selbsthilfemaß­ nahmen eröffnet würde. b)  Gefährdung der staatlichen Durchsetzung gegen den Willen des Schuldners Im Vordergrund der Diskussion von §  229 BGB steht die erzwungene Befriedigung des Gläubigers unter Einschaltung staatlicher Stellen, insbesondere im Wege der Zwangsvollstreckung. Dabei muss regelmäßig der Widerstand des Schuldners, der nicht freiwillig erfüllen will, überwunden werden. Die Leistung erfolgt dabei nicht in jedem Fall durch den Schuldner selbst, sondern kann etwa durch den Gerichtsvoll­ zieher (z. B. die Wegnahme beweglicher Sache zur Erfüllung von Herausgabeansprü­ chen nach §  883 ZPO) oder sogar durch den Gläubiger (z. B. die Ersatzvornahme vertretbarer Handlungen nach §  887 ZPO) erfolgen. In diesem Zusammenhang ist noch einmal zu betonen, dass eine Akzessorietät zwischen staatlichen Zwangsmaßnahmen und Selbsthilfehandlungen im Gesetz nicht angelegt ist. Weder muss jede Selbsthilfe in staatlicher Zwangsvollstreckung münden noch schließen bereits vorhandene staatliche Maßnahmen die vorherige oder gleichzeitige Einleitung privater Sicherungsmaßnahmen gänzlich ist. Denn be­ stehende staatliche Sicherungsmaßnahmen können aufgrund veränderter Umstände unzureichend werden.221 Dies gilt etwa, wenn die Gefahrenlage sich intensiviert oder aber neue Gefahren begründet werden, zu deren Abwehr die bereits bestehenden staatlichen Maßnahmen ungeeignet sind. Der Umstand, dass Selbsthilfemaßnah­ men nicht in jedem Fall zu staatlichen Zwangsmaßnahmen führen müssen, wurde 219  Der historische Gesetzgeber scheint dies freilich nicht gesehen zu haben, die Diskussion um eine Rechtfertigung des Eingriffs in Rechtsgüter Dritter taucht nur bei der Notwehr auf Mugdan I, S.  544 = Mot. I, S.  349. 220  Näher unten §  1A.V.2c, S. 146. 221 MüKo-BGB/Grothe, §  229 BGB Rn.  4; zu eng Soergel/Fahse, §  229 BGB Rn.  10; BeckOK-BGB/ Dennhardt, §  229 BGB Rn.  5.

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bereits ausgeführt. Zwar sind nach §  230 Abs.  2 und Abs.  3 die Wegnahme von Sa­ chen oder die Festnahme von Personen in ein geordnetes, staatliches Sicherungsver­ fahren zu überführen. Soweit die Gefahr bereits durch die ursprüngliche Maßnahme beseitigt ist, ist die Einleitung von Schutzmaßnahmen durch den Staat aber entbehr­ lich.222 Gerade umgekehrt ist auch nicht jede Maßnahme erlaubt, die nur für die spätere staatliche Vollstreckung hilfreich sein mag. So wird insbesondere die reine Beweissicherung als Ziel abgelehnt.223 Ob staatliche Zwangsmaßnahmen tatsächlich angewandt werden oder der Wille des Schuldners nach der Selbsthilfehandlung gebrochen ist, ist daher für die Ver­ wirklichung des Anspruchs ohne Bedeutung. Eine Gefährdung der Verwirklichung kommt aber nur in Betracht, wenn jedenfalls einer dieser beiden Wege noch offen ist.224 Ist eine staatliche Durchsetzung (etwa aus prozessualen Gründen) ausgeschlos­ sen und der Schuldner ersichtlich nicht zur freiwilligen Erfüllung bereit, scheiden Selbsthilfemaßnahmen mangels einer Möglichkeit zur Verwirklichung, die gefähr­ det werden könnte, aus. Umgekehrt ist die Verwirklichung erst dann gefährdet, wenn die Gefahr sowohl für die freiwillige Erfüllung durch den Schuldner als auch für die erzwungene Befriedigung durch den Staat besteht. Aus diesem Grunde ist die ernsthafte und endgültige Leistungsverweigerung durch den Schuldner im Sinne von §  281 Abs.  2, 1. Var. BGB kein hinreichender Anlass für Selbsthilfemaßnahmen. c)  Verwirklichung des Anspruchs durch den Gläubiger selbst („Selbsterfüllung“) Eine letzte Variante der Verwirklichung des Anspruchs ist im Hinblick auf die in §  229 BGB geregelte Selbsthilfe besonders problematisch. In vielen Fällen ist der Gläubiger nicht auf den Schuldner angewiesen, um sein Leistungsinteresse zu befrie­ digen, sondern kann sein Ziel selbst erreichen, ohne in absolut geschützte Rechts­ positionen des Schuldners (Freiheit, Eigentum, etc.) einzugreifen. Anders als frühere Kodifikationen verlangt das BGB allerdings nicht, dass der Verlust „unwiederbring­ lich“ ist.225 Dann ist aber einerseits fraglich, ob allein durch Wegfall der Befriedi­ gungsbereitschaft des Schuldners und deren staatlichen Erzwingbarkeit zugleich die Verwirklichung des Anspruchs vereitelt werden kann. Der Gläubiger kann sein Ziel in diesen Fällen immer noch auf anderen Wegen erreichen. Andererseits könnte man aber auch solche, unmittelbar auf die Befriedigung des eigenen Interesses gerichtete Handlungen ihrerseits als Selbsthilfe qualifizieren. Sie wehren Gefahren für die Ver­

222  Deutlich §  230 Abs.  3 BGB für die Festnahme (sofern er nicht wieder in Freiheit gesetzt wird); vgl. i.Ü. MüKo-BGB/Grothe, §  229 BGB Rn.  2. 223  BGHSt 17, 328, 331; Staudinger/Repgen, §  229 BGB Rn.  22, 26. 224  Bedeutung entfaltet dies etwa bei Ansprüchen gegen ausländische Diplomaten, die mit staat­ licher Gewalt nicht durchsetzbar sind; näher zu Unterschieden zwischen dem Begriff des „An­ spruchs“ im Sinne von §  229 BGB und einklagbaren bzw. durch einstweiligen Rechtsschutz siche­ rungsfähigen Forderungen unten §  1A.II.2, S. 83. 225  Mugdan I, S.  547 = Mot. I, S.  355.

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wirklichung sogar endgültig ab. Zur Beantwortung dieser Frage ist zwischen ver­ schiedenen Formen der Selbstverwirklichung zu unterscheiden. aa)  Befriedigung von Zahlungsansprüchen im Wege der Aufrechnung Soweit Schuldner oder Gläubiger die Aufrechnung erklärt haben, erlischt der An­ spruch (§  389 BGB) und Selbsthilfe scheidet schon deshalb aus. Aber schon im Vor­ feld einer solchen Erklärung besteht jedenfalls die Möglichkeit, dass der Gläubiger sein Vermögensinteresse durch schlichte Aufrechnungserklärung befriedigt. Bilan­ ziell macht es für ihn keinen Unterschied, ob er eine vollwertige Verbindlichkeit durch Aufrechnung tilgt oder seine Aktiva durch Annahme eine Zahlung vergrö­ ßert. In beiden Fällen wird das (bei Zahlungen allein in materiellen Werten beste­ hende) Vermögensinteresse des Gläubigers in vollem Umfang befriedigt. Auch wenn der Schuldner seinerseits die Aufrechnung nicht erklärt, ist in diesen Fällen die „Ver­ wirklichung“ des Anspruchs selbst dann nicht gefährdet, wenn der Schuldner zah­ lungsunfähig zu werden droht (vgl. §  96 InsO). Etwas anderes gilt, wenn die Gegenforderung des Schuldners gegen den Gläubiger nicht mehr vollwertig ist. Dies ist etwa der Fall, wenn die Gegenforderung verjährt ist und eine Aufrechnung nur wegen §  215 BGB möglich bleibt. Soweit dem Schuldner die Aufrechnung versagt ist (z. B. wegen vorsätzlichen Delikts, §  392 BGB), kann die Verbindlichkeit für den Gläubiger ganz außer Betracht bleiben. Er wird nicht auf­ rechnen. Die Aufrechnungserklärung wäre für ihn vermögensmäßig nur nachteilig. Er verliert eine Forderung, tilgt dadurch aber nur in geringer Höhe anzusetzende Verbindlichkeit. Insoweit gewährleistet die Möglichkeit zur Aufrechnung mit einer verjährten Forderung nicht deren Verwirklichung. Freilich hat der Schuldner, wenn er wie im gesetzlichen Regelfall die Aufrechnung erklären darf, gerade nach Eintritt der Verjährung seiner Gegenforderung ein erheb­ liches Interesse an der Ausübung seines Gestaltungsrechts. Er wird seine Forderung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht mehr durchsetzen können. Allerdings ist es ihm möglich, sich einer lästigen Verbindlichkeit durch Erklärung der Aufrech­ nung zu entledigen. Dann ist fraglich, ob bereits die Aufrechenbarkeit durch den Schuldner verhindert, dass die Verwirklichung für den Gläubiger vereitelt oder we­ sentlich erschwert wird. Allein die Wahrscheinlichkeit, dass der Schuldner die Ver­ bindlichkeit zum Erlöschen bringt, hindert Sicherungsmaßnahmen jedoch nicht.226 Nur die tatsächliche Erhebung der Einrede und die Möglichkeit der Aufrechnung durch den Gläubiger mit einer vollwertigen Forderung stehen daher der Selbsthilfe entgegen.

226 Siehe auch unten §   1A.II.2, S. 83 zu Einreden des Schuldners, insbesondere der Verjäh­ rung.

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bb)  Befriedigung von Gattungsschulden durch Deckungsgeschäfte; Selbstvornahme von geschuldeten Handlungen und Vornahme solcher Handlungen durch Dritte Weitergehend kann der Gläubiger sein Interesse bei Gattungsschulden (§  243 Abs.  1 BGB) auch durch Erwerb einer Sache von einem Dritten (insb. Deckungsgeschäfte) befriedigen. Ist nur ein tatsächlicher Erfolg geschuldet, also insbesondere bei einem Werkvertrag, kann dieser durchaus von Dritten erfüllt werden (vgl. §  267 BGB). In diesen Fällen liegt regelmäßig kein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff vor. Es muss nicht auf Rechtsgüter des Schuldners oder Dritter gegen deren Willen eingewirkt werden. Es stellen sich jedoch Probleme der Kostenerstattung227 und vor allem die Frage, ob schon die Möglichkeit zu derartigen Maßnahmen der „Selbsterfüllung“228 die Verwirklichung sicherstellt, so dass Selbsthilfe mangels Gefahr für alle Formen der Verwirklichung ausgeschlossen ist. Entsprechend dem kontinentaleuropäischen Leitbild bezieht sich die Verwirkli­ chung zunächst nur auf den Primäranspruch. Selbst wenn es möglich ist, das Leis­ tungsinteresse durch wertmäßig äquivalenten Schadensersatzersatz auszugleichen, muss er nicht auf die Leistung verzichten.229 Da die zu vertretende Verletzung von Primärleistungspflichten umfassend mit Schadensersatz bedroht ist (§§  281–283 BGB), wäre ansonsten der Rechtfertigungsgrund des §  229 BGB für fast alle denkba­ ren Fälle unanwendbar. Der Rechtfertigungsgrund der Selbsthilfe schließt insoweit eine Lücke, die aufgrund des auf den Ausgleich von nachweisbaren Vermögensschä­ den beschränkten Schadensbegriffs des BGB (§  253 Abs.  1 BGB) verbleibt. In vielen Fällen liegt der ideelle Wert eines geschuldeten, spezifischen Gegenstandes aber weit über dessen reinen Vermögenswert.230 Droht etwa ein gekaufter, aber noch nicht übereigneter PKW unterzugehen, kann nur dessen (angenäherter) Restwert erstattet werden. Soweit aber kein vergleichbares Fahrzeug am Markt erhältlich ist, wird die­ ser Ersatzbetrag das eigentliche Interesse des Gläubigers (ein Transportmittel zu er­ halten) nicht befriedigen. Aus diesem Grunde wird die Selbsthilfe durch mögliche Schadensersatzforderungen nicht ausgeschlossen.231 Bei Ansprüchen hinsichtlich einer Sache oder einer Tätigkeit, kann man dem Gläubiger daher selbst dann nicht auf seinen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung (§§  280 Abs.  1, Abs.  3, 283 BGB) verweisen, wenn dieser sicher durchsetzbar wäre.232 Bei Geldschulden ist demgegenüber der Erhalt des Vermögenswerts aus beliebiger Quelle uneingeschränkt geeignet, um das Interesse des Gläubigers zu befriedigen. Es besteht daher keine Gefahr für die Verwirklichung des Anspruchs, soweit eine Geld­ forderung durch anderweitige, nicht gefährdete Sicherheiten, etwa Bürgschaften, Grundschulden oder Hypotheken gesichert ist; selbst wenn deren Inanspruchnahme 227 

Unten §  1B, S. 150. Zum Begriff Saenger, S.  76 ff. 229  Mugdan I, S.  548 = Mot. I, S.  355: „Schadensersatz und Erfüllung sind nicht gleichwertig“. 230  Mugdan I, S.  543 = Mot. I, S.  348; Lagodny, GA 1991, 300, 313. 231 MüKo-BGB/Grothe, §  229 BGB Rn.  5. 232 BeckOK-BGB/Dennhardt, §  229 BGB Rn.  6; Staudinger/Repgen, §  229 BGB Rn.  24. 228 

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zusätzlichen Aufwand erfordern würde.233 Soweit es allein um ein vollständig aus­ gleichbares Vermögensinteresse geht, sind dem Gläubiger Unannehmlichkeiten zu­ zumuten. Problematisch ist damit nur die Beurteilung von Gattungsschulden und vertretba­ ren Handlungen. Im anglo-amerikanischen Recht wurde seit jeher die „specific performance“ als „equitable remedy“ nur gewährt, soweit die jeweilige Leistung aus­ schließlich vom konkreten Schuldner zu erhalten war (namentlich die Übertragung von bestimmten Grundstücken, Kunstwerken, etc.). Für Fälle, in denen eine Ersatz­ leistung durch Dritte hingegen möglich war (namentlich Gattungsschulden), war die Erfüllung hingegen nicht durch staatliche Maßnahmen erzwingbar. Es genügte eine Schadensersatzleistung in Geld („damages“). Die geschuldete Leistung konnte sich der Gläubiger dann selbst für diese Zahlung auf dem Markt beschaffen. Demgegen­ über erlaubt §  884 ZPO iVm §  883 ZPO für vertretbare Sachen die Wegnahme durch den Gerichtsvollzieher, soweit der Gläubiger die geschuldeten Sachen vorrätig hat. Daraus folgt aber nicht die Befugnis des Gläubigers, zur Sicherung tätig zu werden, wenn der Schuldner seinen Vorrat zu erschöpfen droht. Solange der Schuldner die Ware am Markt beschaffen kann, stehen letztlich nur Vermögensinteressen im Vor­ dergrund. Wenn der Schuldner solvent ist, kann der Gläubiger sich die Ware ander­ weitig beschaffen und den Mehraufwand liquidieren. Die Verwirklichung des An­ spruchs ist in diesen Fällen nicht gefährdet. Bei vertretbaren Handlungen erfolgt die Vollstreckung ohnehin nicht durch staat­ liche Zwangsmaßnahmen gegenüber dem Schuldner, sondern durch Einräumung der Befugnis zur Ersatzvornahme mit Kostenerstattung, §  887 ZPO (womit vermö­ gensmäßig gegenüber einem Schadensersatzanspruch wenig gewonnen ist). Das be­ deutet, dass für vertretbare Handlungen die Verwirklichung durch den Schuldner ohnehin nicht erzwingbar ist. Diesbezügliche Sicherungsmaßnahmen sind somit in keinem Fall zur Verwirklichung des Anspruchs geboten. 2.  Der zu verwirklichende „Anspruch“ Bislang wurde der Begriff „Anspruch“ im Einklang mit §  194 BGB allgemein als das Recht verstanden, von einem anderen, ein Tun, Dulden oder Unterlassen zu verlan­ gen. Dieses Begriffsverständnis soll nach unstrittiger Auffassung maßgeblicher Aus­ gangspunkt auch für die eigenständige Sicherung der eigenen Rechtsposition nach §  229 BGB sein.234 Dafür spricht nicht nur die grundsätzlich sehr gründliche Be­ griffsstruktur des Bürgerlichen Gesetzbuches, sondern auch die Gesetzgebungsge­ schichte. Der Gesetzgeber hatte sich mit dem Vorbild anderer Kodifikationen ausei­ nanderzusetzen, welche eine Selbsthilfe nur für Ansprüche auf die Herausgabe be­ 233 Staudinger/Repgen, §  229 BGB Rn.  20; Zöller/Vollkommer, §  917 ZPO Rn.  10 ff.; aA Schünemann, S.  77 f.; MüKo-BGB/Grothe, §  229 BGB Rn.  5. 234 Palandt/Ellenberger, §  229 BGB Rn.  2; Soergel/Fahse, §  229 BGB Rn.  7.

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weglicher Sachen (siehe heute §  859 Abs.  2 BGB) und auf Leistung einer Geldschuld zuließen.235 Allerdings scheinen verschiedene Einschränkungen denkbar. Schon im Gesetzge­ bungsverfahren abgelehnt wurde eine Einschränkung auf Ansprüche, an deren Ver­ wirklichung der Gläubiger ein besonderes, nicht anders ausgleichbares Interesse hat. Denn dadurch befände sich derjenige, der ein Handeln zu Zwecken der Selbsthilfe erwägt, stets in der kaum zu bewältigenden Situation die spätere Beurteilung dieser Bedeutung durch ein Gericht zu antezipieren.236 Der Wortlaut von §  230 BGB legt zudem nahe, dass §  229 BGB nur auf Zahlungs­ ansprüche anwendbar ist. Der dort angesprochene Arrest betrifft nur diese Unter­ gruppe von Ansprüchen (§  916 ZPO), während Herausgabeansprüche, Auskunfts­ ansprüche und ähnliches per einstweiliger Verfügung gesichert werden müssen (§  935 ZPO). Ein solches Verständnis ist jedoch nach allgemeiner Ansicht zu eng.237 Näher zu betrachten sind daher nur drei Einschränkungen. Einerseits wird teilweise die jedenfalls potenzielle prozessuale Durchsetzbarkeit des Anspruchs verlangt (sub a). Bedenken bereiten darüber hinaus mögliche, aber noch nicht erhobene Einreden, Bedingungen sowie die Anfechtbarkeit bzw. Widerrufsrechte (sub b). Schließlich ist fraglich, inwieweit §  229 BGB auf Unterlassungsansprüche zugunsten absolut ge­ schützter Rechtsgüter Anwendung findet (sub c). a)  Potentielle prozessuale Durchsetzbarkeit als Einschränkung Da Selbsthilfe vielfach (aber wie dargestellt nicht in jedem Fall) der Vorbereitung der zwangsweisen Verwirklichung von Ansprüchen durch staatliche Stellen dient, er­ scheint es auf den ersten Blick konsequent, generell eine prozessuale Sichtweise ein­ zunehmen, statt auf den materiellrechtlichen Anspruchsbegriff abzustellen.238 Maß­ geblich für die Selbsthilfe wäre nicht der materiellrechtliche Anspruch, sondern der (hypothetische) Arrest- (§  916 ZPO) bzw. Verfügungsanspruch (§§  935 f. ZPO). Dafür spricht auf den ersten Blick, dass §  229 BGB als privates Pendant zum zivilprozessua­ len einstweiligen Rechtsschutz (§§  916 ff. ZPO) formuliert ist. Ein solches Verständnis bedeutet nicht nur andere Begrifflichkeiten, sondern hat durchaus auch eine unterschiedliche Beurteilung der Rechtfertigung von Selbsthilfe­ maßnahmen zur Folge. Nicht jeder „Anspruch“ im Sinne von §  194 BGB ist nämlich durch staatliche Organe zwangsweise durchsetzbar. Bei Spielschulden (§  762 BGB) oder der ehelichen Lebensgemeinschaft (§  1353 Abs.  1 S.  2 BGB, §  120 Abs.  3 FamFG), welche beide definitionsgemäß Ansprüche begründen, ist eine Verwirklichung nur durch freiwilliges Verhalten des Schuldners, nicht aber durch staatliche Stellen mög­ 235 

Mugdan I, S.  547 = Mot. I, S.  354. Mugdan I, S.  548 = Mot. I, S.  355. 237  Siehe bereits Schäfer, S.  53; Heyer, S.  71. 238  Schünemann, S.  66 f.; der Einwand von Saenger, S.  79, dass es ja gerade um außergerichtliche Durchsetzung gehe und so eine prozessuale Anknüpfung fehlgeleitet sei, übersieht, dass auch die Sicherung der Ansprüche staatliche Aufgabe ist. 236 

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lich. Soweit aber die Zwangsvollstreckung ausgeschlossen ist, wäre staatliche Hilfe nicht nur „nicht rechtzeitig“, sondern nie zu erlangen.239 Sicherungsmaßnahmen durch Selbsthilfe sind in diesen Fällen also nur zielführend, soweit der Schuldner jedenfalls potentiell erfüllungswillig ist. Der staatlichen Durchsetzung entziehen sich auch Ansprüche, die von Gerichten rechtskräftig abgewiesen wurden. Der materiell-rechtliche Anspruch erlischt aber durch ein rechtlich fehlerhaftes, klageabweisendes Urteil nicht.240 Deutlich wird dies namentlich in Fällen, in denen das Urteil auf falscher Tatsachenbasis oder auf einer unvertretbaren Rechtsauffassung des Gerichts basiert. Dann kann der frühere Kläger Regress bei seinen Prozessvertretern nehmen, soweit diese notwendige Beweismittel nicht beigebracht oder andere wichtige Aspekte unbeachtet gelassen, etwa ein Rechts­ mittel versäumt haben.241 Hinsichtlich des ursprünglichen Anspruchs ist jedoch staatliche Hilfe regelmäßig nicht mehr zu erlangen. Etwas anderes gilt nur, soweit Rechtsmittel zur Verfügung stehen oder ausnahmsweise Nichtigkeits- oder Restitu­ tionsklage im Sinne der §§  578 ff. ZPO statthaft sind. Das Bestehen eines Anspruchs ohne staatliche Durchsetzungshilfe kann in diesen Fällen aber eine Selbsthilfebefug­ nis nicht rechtfertigen.242 Auch hier muss der Anspruchsinhaber seine Rechte nicht „sichern“. Einer endgültigen Durchsetzung steht die Rechtskraft der abweisenden Entscheidung entgegen. Eine Beschränkung des Anspruchs im Sinne von §  229 BGB auf prozessual durch­ setzbare Forderungen würde unpräzise sprachliche Konstruktionen vermeiden. Es ginge nicht mehr um die „rechtskräftige Abweisung“ des materiellrechtlichen An­ spruchs,243 sondern allein um die Möglichkeit zu dessen staatlicher Durchsetzung aufgrund einer möglicherweise rechtsfehlerhaften, aber rechtskräftigen Abweisung des Klageantrags. Aufschiebend bedingte (§  158 BGB), befristete (§  163 BGB) sowie noch nicht fällige (§  271 BGB) Ansprüche können nur nach §§  257 ff ZPO eingeklagt und im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes per Arrest gesichert werden. Sie wä­ ren also auch (nur) in diesem Umfang der Selbsthilfe zugänglich.244 Allerdings ist dies keine Einschränkung gegenüber der in §  229 BGB ohnehin vorausgesetzten 239  Daher wird insoweit Selbsthilfe einhellig abgelehnt, vgl. jurisPK-BGB/Backmann, §  229 BGB Rn.  5. 240  Vgl. BGHZ 35, 338; BGHZ 153, 239; BGH NJW 1983, 2032 (zum negativen Feststellungsur­ teil); deutlich auch die Wiederaufnahmevorschriften (§§  578 ff. ZPO) sowie zum Anwaltsregress (z. B. BGH NJW-RR 2007, 1553); zur Problematik naturwissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts Foerste, NJW 1996, 345; zum Sonderproblem der Aufrechnung (§  322 Abs.  2 ZPO) vgl. BGH NJW 1992, 982; Tiedtke, NJW 1992, 1473; Notwehr gegen gerichtliche Fehlurteile wollen gar LK/Rönnau/ Hohn, §  32 StGB Rn.  121 eröffnen. 241  Insoweit wird der Ursprungsrechtsstreit inzident selbstständig neu entschieden, vgl. BGH NJW 2001, 673, 674; BGHZ 72, 328, 330; BGHZ 133, 110, 115. 242  Vgl. HK-BGB/Dörner, §§  229–231 BGB Rn.  2; MüKo-BGB/Grothe, §  229 BGB Rn.  3. 243  Schünemann, S.  67. 244 Palandt/Ellenberger, §  229 BGB Rn.  2; Staudinger/Repgen, §  229 BGB Rn.  12; Soergel/Fahse, §  229 BGB Rn.  7.

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­ efahr. Nach §  259 ZPO ist eine Klage auf künftige Leistungen in jedem Fall zuläs­ G sig, soweit „den Umständen nach die Besorgnis gerechtfertigt ist, dass der Schuldner sich der rechtzeiti­ gen Leistung entziehen werde“.

Nur wenn eine solche Gefahr besteht, kann auch nach §  229 BGB eingeschritten wer­ den; eines Rückgriffs auf die ZPO bedarf es daher nicht. Zu beachten wäre weiterhin die Einschränkung des §  916 Abs.  2 ZPO. Ist der Eintritt der Bedingung so unwahr­ scheinlich, dass der Anspruch letztlich wertlos ist, müsste man nicht nur eine Siche­ rung durch das Gericht, sondern erst Recht auch die Befugnis zur Sicherung im Wege der Selbsthilfe verneinen. Auch dies ist aber bereits in den Begriff der „Gefahr“ ein­ bezogen. Die Anknüpfung an die prozessuale Geltendmachung bedeutet freilich nicht um­ gekehrt, dass über (Leistungs-)Ansprüche hinaus auch andere potentielle prozessua­ le Anträge der Selbsthilfe zugänglich werden. So kann zwar eine Feststellung (etwa Unwirksamkeit einer Kündigung, §  4 KSchG, §  256 ZPO) oder gar eine richterliche Gestaltung (etwa Unwirksamkeitserklärung eines GmbH-Gesellschafterversamm­ lungsbeschlusses analog §  246 AktG) vor Gericht erreicht werden. In diesen über den materiell-rechtlichen Begriff hinausgehenden Konstellationen besteht aber nichts per Selbsthilfe „Durchsetzbares“.245 Zwar entfalten die jeweiligen Situationen auch tat­ sächliche Wirkungen. So muss der Arbeitnehmer, der meint, unwirksam gekündigt worden zu sein, seine Arbeitsleistung weiter anbieten246 oder ein GmbH-Geschäfts­ führer muss bei einem angefochtenen Weisungsbeschluss eine Abwägung vorneh­ men, ob er diesem Folge leistet.247 Dies ist aber gerade nicht die „Sicherung“ eines Anspruchs, sondern schlicht eine Vorwegnahme des erwarteten Ergebnisses. Deut­ lich wird dies insbesondere im letztgenannten Fall, in dem der Geschäftsführer selbst weder an der Beschlussfassung noch an der späteren Anfechtungsklage beteiligt sein muss. Bei Naturalobligationen (etwa Spiel und Wette, §  762 BGB, oder Ehemakler­ vertrag, §  656 BGB) sind nicht nur Feststellungsanträge, sondern auch Beweissiche­ rungsverfahren im Sinne der §§  485 ff. ZPO statthaft. Will man für solche Fälle je­ doch eine „beweissichernde Selbsthilfe“ (im Sinne von Handlungen des Gläubigers zur Erhaltung der Beweismittel) erlauben,248 verliert das Erfordernis eines „An­ spruchs“ jede einschränkende Funktion. Das Prozessrecht kennt darüber hinausgehende Einschränkungen für die Gel­ tendmachung eines Anspruchs auf. Auch für Sicherungsmaßnahmen im Rahmen 245 Staudinger/Repgen, 246  BAGE

§  229 BGB Rn.  9. 115, 216; BAG NJOZ 2004, 3018; Moll, Münchener Anwaltshandbuch Arbeitsrecht,

§  24 Rn.  197 f. 247  Ziemons, Praxishandbuch der GmbH-Geschäftsführung, Rn.   6; Roth/Altmeppen/Altmeppen, §  43 GmbHG Rn.  124; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, §  38 GmbHG Rn.  35; Rowedder/ Schmidt-Leithoff/Koppensteiner/Gruber, §  43 Rn.  35; siehe aber auch: Scholz/U. H. Schneider, §  43 GmbHG Rn.  132; Ebert, GmbHR 2003, 444, 447. 248  Schünemann, S.  70.

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einstweiligen Rechtsschutzes müssen neben der Begründetheit auch sämtliche Sachentscheidungsvoraussetzungen vorliegen.249 So muss der Verfügungsbeklagte prozessfähig sein, damit gegen ihn eine einstweilige Verfügung oder ein dinglicher Arrest angeordnet werden kann.250 Selbsthilfe als schlichter Realakt soll hingegen auch gegen Minderjährige (und nicht nur gegen deren gesetzliche Vertreter) möglich sein. Während einer gerichtlichen Geltendmachung die Immunität des Anspruchs­ gegners (§§  18 ff. GVG) entgegensteht, soll diese die Sicherung im Wege der Selbsthil­ fe nicht hindern.251 Die Immunität ist zeitlich begrenzt auf den Zeitraum der dienst­ lichen Tätigkeit (Art.  39 Wiener Übereinkommen) und verzichtbar (Art.  32 Wiener Übereinkommen). In Betracht kommt zudem eine Vollstreckung durch den fremden Staat. Insoweit ist bei Sicherungsmaßnahmen im Vorfeld jedenfalls nicht ausge­ schlossen, dass diese der Vorbereitung einer späteren Vollstreckung dienen können. Im Ergebnis lehnt denn auch Schünemann, der eine grundsätzlich prozessuale Sichtweise einnimmt, eine unmittelbare Anwendung des prozessualen Anspruchs­ begriffs ab252 und befürwortet stattdessen eine „wertungsmäßige“ Heranziehung. Das verwischt den Inhalt des Merkmals aber mehr, als dass es ihn verdeutlicht.253 Die Beschränkung ist zudem für alle Fälle ungeeignet, in denen eine spätere zwangsweise Durchsetzung nicht in Rede steht. b)  Berücksichtigung von Einreden, insbesondere Verjährung; Anfechtbarkeit und Widerrufsrechte Ansprüche bestehen auch nach Eintritt der Verjährung.254 Nach §  214 Abs.  1 BGB (ebenso Art.  14:501 PECL) „berechtigt“ die Verjährung den Schuldner nur, die Erfül­ lung zu verweigern. Bei Maßnahmen gegen Dritte oder gar ohne jeglichen Adressa­ ten (das Unterstellen des Fahrrads aus dem obigen Beispiel) wird man eine Rechtfer­ tigung aus §  229 BGB bejahen dürfen, solange die Einrede noch nicht erhoben wur­ de.255 Sobald der Schuldner die Verjährungseinrede erhebt, ist die Selbsthilfe trotz des (Fort-)Bestehens des Anspruchs unzulässig, da eine endgültige Vollstreckung durch den Staat nicht möglich wäre.256 Schwierig sind demgegenüber Fälle, in denen sich der Schuldner gegen Sicherungsmaßnahmen des Selbsthelfers wehrt, ohne einen 249 HK-ZV/Haertlein, Vor §§  916–945b Rn.  50; MüKo-ZPO/Drescher, Vor §§  916 ff. ZPO Rn.  18; Stein/Jonas/Grunsky, Vor §§  916 ff. ZPO Rn.  37. 250  Siehe aber auch LG Berlin BeckRS 2008, 7192. 251  OLG Köln NJW 1996, 472, 473 (dort aber: §  229 BGB verneint, da Räumung einer Wohnung auch staatlichen Organen nicht erlaubt wäre); MüKo-ZPO/Zimmermann, Vor §§  18 ff. GVG Rn.  5; Zöller/Lückemann, Vor §§   18–20GVG Rn.   4; BeckOK-BGB/Dennhardt, §   229 BGB Rn.   3; Mü­ Ko-BGB/Grothe, §  229 BGB Rn.  4; Steinmann, MDR 1965, 706–712; 795–799, 709. 252  Schünemann, S.  29. 253  Ebenso im Ergebnis Saenger, S.  78 f. 254  Deutlich BGH NJW 1983, 2032, 392. 255  Zu weit HK-BGB/Dörner, §§  229–231 BGB Rn.  2; BeckOK-BGB/Dennhardt, §  229 BGB Rn.  4; Soergel/Fahse, §  229 BGB Rn.  7, die §  229 BGB bei verjährten Ansprüchen umfassend ablehnen. 256  Vgl. Jauernig/Jauernig, §§  229–231 BGB Rn.  1; Erman/Wagner, §  229 BGB Rn.  3; jurisPK-BGB/ Backmann, §  229 BGB Rn.  5.

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Grund anzugeben oder aus anderen Gründen als der Verjährung. Bis zur ausdrück­ lichen oder konkludenten257 Erhebung der Einrede sind Selbsthilfemaßnahmen zu­ lässig, da eine endgültige (staatliche) Durchsetzung immerhin möglich erscheint. Insoweit ist die Lage anders als bei der Möglichkeit der Befriedigung des Gläubigers im Wege der Aufrechnung.258 Diese stellt nämlich einen einfacheren Weg zur Errei­ chung des Ziels gegenüber der vorübergehenden Sicherung im Wege der Selbsthilfe und der späteren gerichtlichen Durchsetzung dar. Eine schlichte Einrede mag die staatliche Durchsetzung gefährden. Solange sie nicht erhoben wurde, steht sie der Anspruchsverwirklichung aber nicht entgegen. Unter Anspruch im Sinne von §  229 BGB ist daher letztlich das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen (§  194 BGB) zu verstehen, mit der zusätzlichen Einschränkung, dass die endgültige Erfüllung dieses Anspruchs entwe­ der durch staatliche Organe erzwungen werden darf oder aber eine freiwillige Erfül­ lung durch den Schuldner jedenfalls nicht ausgeschlossen ist. Solange der Schuldner noch keinerlei ausdrückliche oder konkludente Äußerung zum Anspruch getätigt hat, kann der Gläubiger auf dessen Erfüllungswillen vertrauen. Dies ist Ausdruck des zivilrechtlichen Vertrauensgrundsatzes und des allgemeinen Rechtsprinzips der Vertragstreue.259 Selbsthilfemaßnahmen aufgrund eines bereits rechtskräftig abge­ wiesenen Anspruchs scheiden damit stets aus. Gegenüber Dritten sind Maßnahmen auch bei fehlender staatlichen Durchsetzbarkeit rechtmäßig, soweit nicht die Erfül­ lungsbereitschaft des Anspruchsgegners und die staatliche Durchsetzung von vorn­ herein ausgeschlossen sind. c)  Unterlassungsansprüche aus absoluten Rechten Auch aus absoluten Rechten folgen Unterlassungsansprüche, so dass etwa der Eigen­ tümer die Beseitigung oder Unterlassung von Störungen verlangen kann (§  1004 BGB). Ebenso hat jeder Mensch einen einklagbaren Anspruch darauf, dass Verlet­ zungen seines Körpers, seiner Gesundheit und auch seiner Ehre unterbleiben („qua­ si-negatorischer Beseitigungsanspruch“, §§  823, 1004 BGB). Durch den weiten und vor allem kenntnis- und verschuldensunabhängigen Begriff des Zustandsstörers260 existiert auch stets eine Person, die für die Unterlassung bzw. Beseitigung einer Ge­ fahr zuständig ist, ein Anspruchsgegner. Obwohl es sich dabei sicherlich um Ansprüche im Sinne von §  194 BGB handelt, ist die Anwendung von §  229 BGB auf deren Verwirklichung zweifelhaft. §  229 BGB 257  Zu den schwierigen Abgrenzungsproblemen bei konkludenter Berufung auf die Einrede sie­ he BGH NJW-RR 2009, 1040, 1042 f. 258  Oben §  1A.II.1c.aa, S. 81. 259  Aus diesem Gründe werden an eine Erfüllungsverweigerung sehr hohe Anforderungen ge­ stellt, BGHZ 104, 13; BGH NJW 2006, 1195; Medicus/Lorenz, Rn.  463; Jauernig/Stadler, §  281 BGB Rn.  9. 260 BeckOK-BGB/Fritzsche, §  1004 BGB Rn.  21 ff.; MüKo-BGB/Baldus, §  1004 BGB Rn.  161 ff.; Jauernig/Jauernig, §  1004 BGB Rn.  17.

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würde insoweit nur die Sicherung der späteren Durchsetzung erlauben, aber nicht die unmittelbare Herstellung des rechtmäßigen Zustands. Hierfür existieren mit dem „schneidigen“ Notwehrrecht (§  227 BGB; §  32 StGB) und den an eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung gekoppelten Notstandtatbeständen (§§  228, 904 BGB; §  34 StGB) eigene Regelungen. Teilweise werden freilich Notwehr und Notstand als Sonderfälle der Selbst- bzw. Fremdhilfe eingestuft.261 Dabei sollen dann namentlich die Gegenwärtigkeit des An­ griffs in §  227 BGB oder das Drohen der Gefahr eine Präzisierung der nicht rechtzei­ tigen Verfügbarkeit obrigkeitlicher Hilfe in §  229 BGB darstellen.262 Allerdings gehen die Eingriffsbefugnisse aus Notwehr und Notstand in eine andere Richtung als dieje­ nige der Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB. Bei Notwehr oder Notstand geht es um die Abwehr eines drohenden Eingriffs bzw. die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes, also die Erfüllung des Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruchs gegen den Störer (durch Beseitigung der Störung bzw. Wegnahme der herauszugebenden Sache). §  229 BGB erlaubt hingegen ausschließlich die Sicherung eines Anspruchs. Eine Vorwegnahme der eigentlichen Durchsetzung kommt nur unter ganz besonde­ ren Umständen263 in Betracht. Bei genauerer Betrachtung erklärt sich diese Diskussion allein aus dem Bedürfnis, die Rechtfertigungsgründe trennscharf voneinander abzugrenzen oder in eine ein­ deutige Rangfolge zu bringen. Dabei wird aber übersehen, dass nicht nur eine Kon­ kurrenz von Anspruchsgrundlagen oder strafrechtlichen Tatbeständen, sondern auch eine solche von Rechtfertigungsgründen möglich ist. Wenn eine Situation zu­ fällig die Voraussetzungen mehrerer Tatbestände erfüllt, ist dies weder ungewöhn­ lich noch problematisch. Dies gilt auch für die Erkenntnis, dass bei einer Notwehrla­ ge wegen der parallel bestehenden zivilrechtlichen Herausgabe- bzw. Unterlassungs­ ansprüchen stets auch eine Selbsthilfelage in Betracht kommt. Sowohl die Notwehr als auch die Selbsthilfe haben weitere Voraussetzungen, die parallel vorliegen können, aber nicht müssen. So muss der Angriff im Sinne des §  227 BGB von einem Menschen ausgehen. Die Gefährdung des Anspruchs im Fall des §  229 BGB kann hingegen auch auf anderen Umständen beruhen.264 Umgekehrt be­ darf es im Rahmen der Notwehr nach umstrittener Auffassung jedenfalls nicht in jedem Fall der vorrangigen Inanspruchnahme staatlicher Hilfe.265 Selbst wenn eine Rechtfertigung ausnahmsweise auf zwei Wegen begründet werden kann, ist dies per se kein Nachteil. Eine Koordination im Sinne von Spezialität der Notwehr gegenüber der Selbsthilfe oder einer Übertragung der Subsidiarität der Selbsthilfe auf die Not­ wehr bedarf es daher nicht. 261 

Schünemann, S.  48 ff. Eilbedürftigkeit als Beschränkung zivilrechtlicher Rechtfertigungsgründe unten §  1A. IV.2, S. 113. 263  Unten §  1A.V.2, S. 140. 264  Siehe Beispiel oben §  1A, S. 30. 265  Näher unten §  1D.III, S. 191. 262  Zur

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

Wegen der Verschiedenartigkeit der Handlungen, aber auch wegen der tatbe­ standlichen Unterschiede, besteht damit kein ausschließliches Konkurrenzverhält­ nis zwischen Selbsthilfe im engeren Sinne (§  229 BGB) einerseits und Notwehr (§  227 BGB) bzw. Notstand (§  228 BGB) andererseits. Der Versuch, einen einheitlichen Grundtatbestand der zivilrechtlichen Rechtfertigungsgründe zu finden, ist zwar auf den ersten Blick erstrebenswert. Er übersieht jedoch die Unterschiede in den Schutz­ richtungen. Die endgültige Abwehr einer Gefahr bzw. eines Angriffs ist anders zu beurteilen als nur die vorübergehende Sicherung, um eine spätere staatliche Ent­ scheidung und möglicherweise zwangsweise Durchsetzung zu gewährleisten. Insge­ samt kann §  229 BGB daher nicht als Grundfall der anderen ausdrücklichen zivil­ rechtlichen Rechtfertigungsgründe dienen. Zur Rechtfertigung einer einheitlichen Handlung können parallel mehrere gleich­ wertige Gründe existieren. Eine Selbsthilfesphäre kann sich auf mehrere Rechts­ grundlagen stützen. Dies bedeutet aber auch, dass jedenfalls aus der Regelung des §  229 BGB kein generelles „Selbsthilfeverbot“ gefolgert werden kann. Die Norm be­ trifft ausschließlich die vorweggenommene Sicherung einer späteren staatlichen Durchsetzung oder freiwilligen Erfüllung. Es ist daher nicht nötig, Unterlassungs­ ansprüche aus dem Anwendungsbereich auszuschließen, es besteht eine echte, nicht ausschließliche Konkurrenz der Rechtfertigungsgründe. 3.  „Gefährdung“ der Verwirklichung eines Anspruchs §  229 BGB erlaubt Selbsthilfe nur, wenn „ohne sofortiges Eingreifen die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung des Anspruchs verei­ telt oder wesentlich erschwert werde“.

Es muss also eine bereits konkretisierte Gefährdung vorliegen (sub a). Soweit die Selbsthilfehandlung erfolgreich ist, erleidet der Gläubiger gerade keinen Schaden. Im Nachhinein ist daher fraglich, inwieweit die Handlung zur Gefahrenabwehr wirklich erforderlich war. Dieses Prognoserisiko muss zwischen demjenigen, der zur Selbst­ hilfe tätig wird und seinem Opfer verteilt werden (sub b). a) Gefährdungslage Die Voraussetzung einer Gefahr besteht auch für Zwangsmaßnahmen des Staates.266 Wörtlich findet sich der Ausdruck insbesondere im öffentlichen Recht, wo der Be­ griff der „Gefahr“ für das Polizei- und Ordnungsrecht prägende Bedeutung hat (siehe etwa §  1 Abs.  1 PolG NRW, für private Rechte insbesondere §  1 Abs.  2 PolG NRW).267 Im Zivilprozessrecht findet sich das Erfordernis einer Gefährdung vor allem im einstweiligen Rechtsschutz. §  917 Abs.  1 und §  935 ZPO verlangen, dass 266 Vgl.

Börgers, S.  135, 137. Börgers, S.  151; Schoch, Jura 2003, 472; Brandt/Smeddnick, Jura 1994, 225.

267 Siehe

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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„die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden ­könnte“.268

Aber auch für das Hauptsacheverfahren wird implizit gefordert, dass jedenfalls eine freiwillige Erfüllung in Frage gestellt ist. Nach §  93 ZPO trägt der Kläger bei soforti­ gem Anerkenntnis durch den Beklagten die Kosten, soweit dieser „nicht durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage Veranlassung gegeben hat“.269

Für den Normalfall kann also eine (kostenpflichtige) Klageabweisung erreicht wer­ den. Erst wenn durch das Verhalten des Beklagten Zweifel an dessen Erfüllungsbe­ reitschaft bestehen, mithin eine Gefährdung der Verwirklichung, kann sich dieser nicht mehr durch schlichtes Anerkenntnis dem staatlichen Rechtsschutz entziehen. Bei staatlichen Eingriffen wird als Gefahr ein Sachverhalt definiert, der bei unge­ hinderter Entwicklung wahrscheinlich zu einem Schaden für ein geschütztes Rechts­ gut führen wird, wobei sowohl der Grad der Wahrscheinlichkeit als auch die Bedeu­ tung des gefährdeten Rechts je nach Konstellation variieren.270 Jedenfalls nicht hin­ reichend sind das allgemeine Lebensrisiko oder rein abstrakte Gefahren, die nach der Lebenserfahrung keinen gesteigerten Einfluss auf den konkreten Sachverhalt entfal­ ten sollten. Die Voraussetzungen für eine „Gefahr“ im Rahmen des §  229 BGB sind insoweit weder strenger noch schwächer, sondern vielmehr identisch zu denen des staatlichen Rechtsschutzes.271 Wie bereits ausgeführt272 muss die Gefahr nicht in Handlungen bzw. Unterlassun­ gen des Schuldners liegen.273 Denkbar ist vielmehr auch eine Gefährdung durch äu­ ßere Umstände (etwa Hochwasser). Eine Gefährdung liegt daher bereits dann vor, wenn durch tatsächliche Umstände die „Verwirklichung“ des Anspruchs objektiv oder subjektiv unmöglich werden könnte („vereitelt“), oder bei ungehindertem Ver­ lauf der Dinge zumindest eine „wesentliche Erschwerung“ der Verwirklichung droht. Die Annahme einer Gefahr erfordert stets eine Veränderung des Zustandes. Eine bereits bei Entstehung des Schuldverhältnisses bestehende Dauergefahr genügt nicht (ähnlich auch §  321 BGB oder §  313 BGB: „nach Vertragsschluss“). Nicht genügend sind eine schlechte Vermögenslage oder der drohende Zugriff anderer Gläubiger. Bei Zahlungsunfähigkeit im Sinne von §  17 InsO wird eine Selbsthilfe schon daran schei­ tern, dass Sicherungshandlungen einzelner Gläubiger ohnehin mit Eröffnung der 268  Dazu OLG Karlsruhe NJW 1997, 1017; Musielak/Voit/Huber, §  917 ZPO Rn.  2 f.; HK-ZV/ Haert­lein, §  917 ZPO Rn.  2 ff.; MüKo-ZPO/Drescher, §  917 ZPO Rn.  3 ff.; Stein/Jonas/Grunsky, §  917 ZPO Rn.  4 ff. 269  Vgl. illustrativ OLG Naumburg NJW-RR 2000, 1666; OLG Hamm NJW-RR 1991, 1335; OLG Hamm NJW-RR 1986, 1121; siehe zum 1. JustModG Vossler, NJW 2006, 1034. 270  Siehe zum polizeirechtlichen Gefahrenbegriff BVerwGE 45, 51, 57; Pieroth/Schlink/Kniesel/ Kingreen/Poscher, §  4 Rn.  31; Pils, DÖV 2008, 941; Kugelmann, DÖV 2003, 781. 271  Irreführend insoweit Mugdan I, S.  548 = Mot. I, S.  354. 272  Oben §  1A.II.1a.aa, S. 77. 273 Abweichend Schwerdtner, NJW 1970, 222, der meint, nur Gefährdungshandlungen des Schuldners sollten relevant sein.

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

Insolvenz gem. §  130 Abs.  1 bzw. §  131 Abs.  1 InsO anfechtbar sind. Probates Mittel ist dann vielmehr die Stellung eines Insolvenzantrags. Im Wettstreit mehrerer Gläu­ biger greift das Prioritätsprinzip ausschließlich im Hinblick auf Vollstreckungsmaß­ nahmen staatlicher Stellen, nicht jedoch für die Selbsthilfe. Das Bestreiten des Bestehens des Anspruchs durch den vermeintlichen An­ spruchsgegner als solches ist keine Gefahr für dessen Durchsetzung, die eine Selbst­ hilfe zu rechtfertigen vermag. Die Möglichkeit, den status quo in einer bloß rechtlich unsicheren Situation zu sichern, lässt sich §  229 BGB nicht entnehmen. Ist also die Wirksamkeit einer Übereignung einer beweglichen Sache nach §  930 BGB zwischen den Parteien umstritten, kann der vermeintliche Erwerber die Sache nicht allein des­ halb dem Veräußerer wegnehmen und in eigene Verwahrung nehmen, um einen et­ waigen Rechtsverlust zu verhindern (§  935 BGB). Etwas anderes gilt freilich, soweit die Gefahr für die spätere Durchsetzung nicht ausschließlich in der Rechtsunsicher­ heit begründet liegt, sondern eine davon unabhängige tatsächliche Ursache hat. Be­ stehen also konkrete Anhaltspunkte, dass der vermeintliche Eigentümer die Sache an einen Dritten weiterveräußern will (weil er die vorherige Übereignung für un­ wirksam hält), kommen Sicherungsmaßnahmen seitens des ursprünglichen Erwer­ bers in Betracht. b) Prognoserisiko Wie bei jeder Gefahrenlage besteht ein Prognoserisiko.274 Fehlt es an einer Gefahr, greift die Haftung nach §  231 BGB, bei der selbst eine unvermeidbare Fehlvorstellung haftungsbegründend wirkt. Ob sich die Gefahr aber tatsächlich realisiert hätte, kann bei erfolgreicher Selbsthilfe nicht mehr beurteilt werden, denn die Rechtsverletzung wurde durch die (berechtigte) Selbsthilfehandlung gerade verhindert. Umgekehrt kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Durchsetzung des Anspruchs trotz einer Selbsthilfehandlung scheitert. Dies kann sowohl auf anders gelagerten Gründen als auch auf einem Scheitern der Selbsthilfehandlung beruhen. So mag trotz erfolgrei­ cher Sicherung eien Naturkatastrophe die geschuldete Sache vernichten oder ein Dritter mag diese zerstören. Ebenso wie dem Vollstreckungsgericht im einstweiligen Rechtsschutz275 muss da­ her der selbst zur Rechtssicherung tätig werdenden Person ein Beurteilungsspiel­ raum zugemessen werden.276 Insoweit befriedigt aber weder eine rein subjektive, noch eine ausschließlich objektive Anknüpfung. Im ersteren Falle würde (entgegen §  231 BGB) Selbsthilfe auch bei einer nur eingebildeten Putativgefahr erlaubt. Bei An­ knüpfung an eine „objektive ex ante Betrachtung“ wird demgegenüber das Problem nur verlagert. Die Eigenschaften eines künstlichen Betrachters, eines Homunculus, in

274 

Schünemann, S.  72.

275 Stein/Jonas/Grunsky, 276 Anders

§  917 ZPO Rn.  4; MüKo-ZPO/Drescher, §  917 ZPO Rn.  3. Saenger, S.  82, der gerade darin den entscheidenden Aspekt der Subsidiarität sieht.

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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der Eilsituation der Rechtfertigung zu konkretisieren, ist unmöglich.277 Die richtige Herangehensweise liegt daher zwischen diesen Extremen. Maßgeblich ist im Kern die subjektive Vorstellung des Handelnden, die freilich auf objektive (und damit von diesem zu beweisende) Umstände gestützt sein muss. Während also das Risiko, dass gar kein sicherungsfähiger Anspruch besteht, bei dem jeweils Handelnden liegt (§  231 BGB), trägt er nicht die Gefahr, dass er die Gefährdung falsch einschätzt, so­ weit jedenfalls objektive Anhaltspunkte für eine solche Gefahr bestanden. Die Recht­ fertigung scheidet erst dann aus, wenn bei Anwendung der im Verkehr erforderli­ chen Sorgfalt für einen objektiven Dritten (§  276 BGB) eine Gefahr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen wäre. Die Frage, ob die konkrete Handlung gerechtfertigt ist, lässt sich zweckmäßig nicht durch einen absoluten Ausschluss jeglicher Abwehrhandlung, sondern durch Einschränkungen hinsichtlich der Intensität der jeweiligen Handlungen (§   230 BGB) erreichen.278 Je größer die Gefahr, d. h. je wahrscheinlicher der Schadensein­ tritt oder je höher der mögliche Schaden ist, desto intensivere Eingriffe lassen sich rechtfertigen.279

III.  Das Handeln „zum Zwecke“ der Selbsthilfe – der Selbsthilfewille „Selbsthilfe“ im Sinne des BGB ist nicht nur die berechtigte Tätigkeit zur Sicherung eines Anspruchs, sondern auch die irrige Tätigkeit zur Sicherung eines tatsächlich nicht bestehenden Anspruchs oder die Anwendung eines nicht erforderlichen oder sogar ungeeigneten Sicherungsmittels.280 Die zuletzt genannten Fälle erfasst die Re­ gelung des §  231 BGB, welche eine Haftung für diese „irrtümliche Selbsthilfe“ selbst dann anordnet, wenn der Irrtum unvermeidbar war.281 Gegenüber „normalen“ Ver­ letzungshandlungen, für die nach §  823 Abs.  1 BGB Vorsatz oder jedenfalls (objektiv bestimmte) Fahrlässigkeit erforderlich ist, führt die vermeintliche Selbsthilfe daher zu einer Haftungsverschärfung. Das Bestehen eines (durchsetzbaren) Anspruchs282 ist dabei nur für die berechtige Selbsthilfe, nicht aber für die irrtümliche Selbsthilfe erforderlich und damit kein ge­ eignetes Merkmal, um die Selbsthilfe als solche von sonstigen, willkürlichen Rechts­ gutsverletzungen abzugrenzen. Das sowohl §  229 BGB als auch §  231 BGB zugrunde­ liegende, gemeinsame Merkmal ist daher präzise zu definieren und bedarf besonde­ rer Untersuchung.

277 

Noch weitergehend Börgers, S.  74 ff. Unten §  1A.V.2, 140. 279  So bereits Krienitz, S.  20. 280  Schünemann, S.  32; MüKo-BGB/Grothe, §  231 BGB Rn.  1. 281  Dazu näher unten §  1C, S. 164. 282  Oben §  1A.II.2, S. 83 ff.; MüKo-BGB/Grothe, §  229 BGB Rn.  3. 278 

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

1.  Subjektive Anknüpfung? Der Wortlaut des §  229 BGB verlangt ein Handeln „zum Zwecke der Selbsthilfe“, wäh­ rend §  231 BGB an die „irrige Annahme“ der „für den Ausschluss der Widerrechtlichkeit erforderlichen Voraussetzungen“ anknüpft. Daraus wurde traditionell gefolgert, dass subjektiv ein Selbsthilfewille des Handelnden erforderlich sei.283 Es würde sich bei §  229 BGB um einen „unvollkommen zweiaktigen Rechtfertigungsgrund“ han­ deln.284 Die Handlung des Anspruchsinhabers liegt im Vorfeld der (insbesondere in §  230 BGB näher ausgeführten) staatlichen Sicherung und Durchsetzung und dient damit nur der Aufrechterhaltung der Möglichkeit zu solchen zum Handlungszeit­ punkt noch nicht verwirklichten Maßnahmen. Eine moderne zivilrechtliche Ansicht285 meint demgegenüber, den Zweck der Handlung einheitlich für alle Rechtfertigungsgründen im Einklang mit dem zivil­ rechtlichen Fahrlässigkeitsbegriff (§  276 Abs.  2 BGB) objektiv aus Sicht eines Dritten bestimmen zu können. Der Wortlaut soll dem nicht entgegenstehen. Der „Zweck“ soll sich nicht nur auf das (ausschließlich subjektiv zu bestimmende) Motiv des Han­ delnden beziehen, sondern auch allgemein zur Beschreibung der (für einen Dritten sichtbaren und damit objektiv beurteilbaren) Handlung dienen können.286 Soweit zur Überzeugung des Gerichts feststeht, dass der Handelnde einen An­ spruch sichern wollte, hat dieser Meinungsstreit keine Relevanz. Bedeutung erlangt er nur, soweit die innere Tatsache nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt wer­ den kann. Wenn die objektive Eignung genügt, würde in diesen Fällen der Anspruch­ sinhaber (bzw. der für diesen handelnde Fremdhelfer) gerechtfertigt; wird hingegen die subjektive Zielsetzung verlangt, gingen Zweifel zugunsten des Selbsthilfeopfers, die Rechtfertigung entfiele und der Gläubiger würde wegen rechtswidrigem Eingriff haften. Im Hinblick auf die generelle Tendenz, Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB soweit möglich zu begrenzen, spricht viel dafür, im Zweifel zu Lasten des Selbsthel­ fers zu entscheiden. Illustrativ ist hierzu ein Fall des Bayerischen Obersten Landesgerichts.287 Ein Gast hatte in einem Lokal eine Portion Gänsebrust (für 16 DM) bestellt. Nachdem diese serviert wurde, lehnte er sie jedoch unter Hinweis auf die „zu kleine Portion“ ab. Als die Bedienung daraufhin den Betreiber der Gaststätte holen wollte, versuchte der Gast das Lokal zu verlassen. Als die Bedienung ihn davon abhalten wollte, schlug er 283  OLG Karlsruhe GRUR-RR 2008, 350, 351; Schünemann, S.  31 ff.; Soergel/Fahse, §  229 BGB Rn.  14; BeckOK-BGB/Dennhardt, §  229 BGB Rn.  7; jurisPK-BGB/Backmann, §  229 BGB Rn.  20; Schreiber, Jura 1997, 29, 35. 284 So Frister, 14. Kap., Rn.  25 (zu §  127 I StPO). 285  Braun, NJW 1998, 941, 943 f.; Jauernig/Jauernig, §§  229–231 BGB Rn.  7; Staudinger/Repgen, §  229 BGB Rn.  32; MüKo-BGB/Grothe, §  229 BGB Rn.  6; Schünemann, S.  104 ff. fordert zwar Kennt­ nis der Selbsthilfelage, sieht den Willen aber als irrelevant an; noch weitergehend (für Notwehr) Spendel, DRiZ 1978, 327, 332; siehe bereits Krienitz, S.  10; Titze, S.  124 ff. 286  Braun, NJW 1998, 941, 943 f. unter Hinweis auf Mezger, GS 89 (1924), 207, 209, 309. 287  BayObLG NJW 1991, 934.

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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sie mit seinem Herrentäschchen ins Gesicht und stieß sie gegen eine neben der Tür angebrachte Garderobe, wobei sie zahlreiche Prellungen und Blutergüsse erlitt. Nachdem das Amtsgericht und das Landgericht den angeklagten Gast ohne große Bedenken wegen Nötigung und Körperverletzung verurteilt hatten, verwies das Bay­ ObLG die Sache zurück. Es müsse Beweis darüber erhoben werden, ob die Kellnerin handelte, um „den Preis für die servierte Gänsebrust zu erhalten“ oder nur, um die Personalia des Angeklagten in Erfahrung zu bringen. Zu Ersterem sei sie nicht be­ fugt,288 zu Letzterem hingegen schon.289 Der Gast wäre also aus Notwehr (§  32 StGB) gerechtfertigt, wenn die Kellnerin ihn zum Zahlen zwingen wollte, aber wegen Kör­ perverletzung strafbar, soweit es ihr nur darum ging, seine Identität festzustellen. Aus objektiver Sicht war die Handlung der Kellnerin aber für beide Ziele geeignet. Soweit man ausschließlich auf die objektive Eignung abstellt, müsste man die Be­ rechtigung des Verhaltens der Kellnerin bejahen und käme damit zur Strafbarkeit des Gastes. a)  Objektive Anknüpfung als Konsequenz des zivilrechtlichen Haftungssystems? Sicherlich wäre es nicht richtig, den im Strafrecht für das Vorsatzdelikt vorherr­ schenden,290 an die finale Handlungslehre291 anknüpfenden, Deliktsaufbau, der sub­ jektive Merkmale bereits auf Tatbestandsebene vorsieht, unbesehen für den Recht­ fertigungsgrund des §  229 BGB in das Zivilrecht zu übernehmen. Subjektive Elemen­ te sind im haftungsbegründenden Tatbestand schon deshalb nicht erforderlich, weil der Versuch einer Rechtsgutsverletzung zu keinem materiellen Vermögensschaden führt und schon deshalb im Zivilrecht folgenlos bleiben muss. Aber auch im Hin­ blick auf vollendete Verletzungshandlungen wird die Lehre vom Verhaltensunrecht im Zivilrecht fast allgemein abgelehnt.292 Bei einem auf Ausgleich bedachten System wie dem Schadensersatzrecht genügt regelmäßig die Schaffung eines rechtlich miss­ billigten Erfolgs im Sinne eines Erfolgsunrechts, der einem Verursacher objektiv zu­ rechenbar ist.293 Es liegt daher in der Tat nahe, eine Parallele zum ebenfalls objektiv bestimmten zivilrechtlichen Fahrlässigkeitsbegriff des §  276 Abs.  2 BGB294 zu ziehen. Ziel der Fahrlässigkeit als haftungsbegründender Voraussetzung ist es, einen einheit­ 288 

Näher unten §  1A.IV.2, 113; siehe allgemein BGHSt 17, 328, 89. Karlsruhe VRS 1980, 393; OLG Düsseldorf NJW 1991, 2716; AG Grevenbroich NJW 2002, 1060. 290  Frister, 7. Kap., Rn.  10. 291 Grundlegend Welzel, ZStW 58 (1939), 491, 516 f; retrospektiv Hirsch, ZStW 93 (1981), 831; Hirsch, ZStW 94 (1982), 239. 292  So der berechtigte Einwand von Staudinger/Repgen, §  227 BGB Rn.  43. 293  BGHZ 39, 103, 108; BGHZ 122, 1, 6 f.; Baur, AcP 160 (1961), 465, 486; Jauernig/Teichmann, §  823 BGB Rn.  48; zu Recht differenzierend MüKo-BGB/Wagner, §  823 BGB Rn.  21 ff.; Jansen, AcP 202 (2002), 517, 520 ff. 294  Vgl. RGZ 95, 16, 17; MüKo-BGB/Grundmann, §  276 BGB Rn.  55; Deutsch 1996, S.  255; Frister, 12. Kap., Rn.  5 ff. möchte im Strafrecht konsequent die subjektive Erkennbarkeit auf Tatbestands­ ebene prüfen. 289  OLG

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

lichen, vom Geschädigten vorhersehbaren Haftungsmaßstab zu definieren.295 Würde man stattdessen auf die subjektiven Fähigkeiten des jeweiligen Täters abstellen, wäre das Haftungsrisiko für potentielle Opfer unkalkulierbar und auch nicht versicherbar. Das bedeutet allerdings nicht, dass subjektive Elemente in keinem Fall zum Tatbe­ stand einer zivilrechtlichen Haftung gehören. Dies zeigen deutlich die Regelungen des Urheberrechts, in denen etwa die Rechtfertigung einer Vervielfältigung (§  53 Abs.  1 UrhG) gerade von dem damit verfolgten Zweck („zum privaten Gebrauch“) abhängig ist. Auch dort ist der Handlung des potentiellen Verletzers nicht anzuse­ hen, ob diese unmittelbar oder auch nur mittelbar Erwerbszwecken dient. Wer in der Bibliothek einen Auszug aus einem Kommentar scannt und sich per Email zusenden lässt, wäre aber nach §  53 Abs.  1 UrhG nur gerechtfertigt, wenn selbst ein entfernter wirtschaftlicher Nutzen ausgeschlossen ist. Eine generelle Unbeachtlichkeit subjekti­ ver Elemente ist dem Zivilrecht also gerade nicht immanent. Zwar ist auch bei fahrlässigen Handlungen, in denen das Verschulden gerade an­ hand des objektiven Maßstabs des §  276 Abs.  2 BGB bestimmt ist, eine Rechtferti­ gung möglich.296 Wenn insoweit subjektiv-individuelle Merkmale des Täters bei der Haftungsbegründung ohne Bedeutung sind, scheint es konsequent, diese auch im Rahmen der Rechtfertigung auszublenden. Der Erfolg einer gerechtfertigten Hand­ lung entspricht nämlich (objektiv) der Rechtsordnung und bedarf daher keiner Kom­ pensation. Wer dem Dieb die gestohlene Sache wieder wegnimmt, wird dem Dieb durchaus einen materiellen Vermögenswert entziehen. Selbst wenn er aber befürch­ tet, dass der Dieb möglicherweise zum Besitz berechtigt sei oder gar denkt eine frem­ de Sache wegzunehmen, ist das objektive Ergebnis seiner Handlung erlaubt.297 Diese primär auf absolute Rechte abstellende Argumentationslogik lässt sich aber auf die durch §  229 BGB geschützten relativen Rechte nicht übertragen. Der Handlungser­ folg des §  229 BGB ist nur ein (notwendiger) Zwischenschritt zur staatlichen Siche­ rung (§  230 BGB), zur endgültigen Durchsetzung durch den Staat oder zu einer frei­ willigen Handlung des Schuldners. Das Argument, das Ergebnis der Handlung sei durch die Rechtsordnung gewünscht, ist insoweit nicht tragfähig. Die Rechtsord­ nung duldet Vorfeldhandlungen vielmehr nur im Hinblick auf das mit diesen ver­ folgte Fernziel. Soweit die Handlung aber gar nicht im Hinblick auf diesen zweiten Akt erfolgt, kann auch keine generelle Billigung angenommen werden.

295  United States v. Carroll Towing Co. 159 F.2d 169 (2d. Cir. 1947); BGH NJW 2001, 1786; HKBGB/Schulze, §  276 BGB Rn.  13; MüKo-BGB/Grundmann, §  276 BGB Rn.  55. 296  So auch die herrschende Auffassung im Strafrecht, siehe OLG Stuttgart NJW 1984, 1694, 1695; MüKo-StGB/Duttge, §  15 StGB Rn.  193; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster, §  15 StGB Rn.  188. 297  Dennoch ist der Dieb zu Besitzkehr und Besitzwehr berechtigt; siehe nur RGSt 60, 273, 276; näher unten §  3B.II.2b, S. 341.

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b)  Grenzen des Schutzes relativer Rechte Während bei Notwehr und Notstand Beeinträchtigungen absolut geschützte Rechts­ güter abgewehrt werden sollen, geht es bei der Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB zudem nur um die Sicherung relativer Rechtspositionen. Relative Rechte betreffen gerade nicht die gegenwärtige Zuordnung der betroffenen Güter, sondern regeln nur künftige Berechtigungen an diesen. Ihre Gestaltung und ihr Umfang sind nicht ein­ heitlich durch Typenzwang bzw. Typenfixierung vordefiniert, sondern vom Willen der Parteien geprägt. Welche Voraussetzungen für den Erhalt einer Sache erfüllt wer­ den müssen, ist ebenso den Parteien überlassen, wie die Entscheidung, wie derjenige, der die Sache erhält, damit zu verfahren hat oder wie lange er sie behält. Es ist noch nicht einmal ausgeschlossen, dass mehrere Personen gleichartig (und sogar gleichran­ gig) an einem einheitlichen Gegenstand berechtigt sind. Das System relativer Rechte ist daher bei weitem nicht widerspruchsfrei. Eine klare Trennung der Rechtssphären erfolgt nur im Rahmen absoluter Rechte. Dementsprechend gibt es keinen absoluten Anspruch auf Erfüllung einer schuldrechtlichen Pflicht (§  241 BGB), bei Verletzun­ gen bleibt bei Mehrfachberechtigung nur eine Schadensersatzhaftung bei Schlechtoder Nichterfüllung (§§  280 Abs.  3, 281, 283 BGB). Darüber hinaus sind rein relative Rechtspositionen für den bei objektiver Beurtei­ lung allein als Maßstab in Frage kommenden objektiven Dritten298 kaum erkenn­ bar.299 Regelmäßig wird es dabei an einem objektiv erkennbaren Anknüpfungs­ punkt, an der Offenkundigkeit, fehlen. Verträge können (mit wenigen Ausnahmen) formlos geschlossen werden. Konsequenterweise kann jeder behaupten, eine Sache gekauft oder gemietet zu haben. Anders ist dies bei Notwehr und Notstand. Diese bewirken den Schutz absoluter Rechte, die regelmäßig einen objektiv feststellbaren Anknüpfungspunkt haben.300 Auch der naheliegende Ansatz, allein das Ergebnis der Handlung als Maßstab zu nehmen, scheitert, denn das Erreichen des Ziels der ver­ meintlichen Selbsthilfehandlung kann durchaus an Abwehrmaßnahmen des Opfers scheitern. Eine Beurteilung des Zwecks anhand der (subjektiven oder objektiven) Vorhersehbarkeit möglicher Erfolge aus ex ante Sicht ist daher nicht möglich. c)  Unbestimmtheit des objektiven Zwecks Einen bestimmten „objektiven Handlungszweck“ wird es zudem meist gar nicht ge­ ben. Jede Handlung ist zu unzähligen Zielen geeignet. Ob ein bestimmter Erfolg aber gerade bezweckt wird, ist eine Frage, die nur der Handelnde (und nicht ein außenste­ hender Dritter) beantworten kann. Regelmäßig wird ein ganzes Bündel von Motiven vorliegen. Hintergrund einer vermeintlichen Selbsthilfehandlung können etwa auch eine „Bestrafung“ des anderen für sein Verhalten oder schlichte Bosheit (bis zur 298 

Zu diesem „homunculus“ im Detail Börgers, S.  74 ff. Publizität als wesentliches Element gerade des Besitzschutzes (und dessen „Friedens­ funktion“) auch unten §  3B.II.2b, S. 341. 300  Näher noch unten, §  3B, S. 329. 299  Zur

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Grenze des Schikaneverbots gem. §  226 BGB) sein. Im oben geschilderten Beispiel ist das Festhalten nicht nur zur Erwirkung der Angabe der Identität des nicht zahlungs­ willigen Gastes und zur Erzwingen der Bezahlung geeignet. Denkbar ist auch, dass das Festhalten erfolgt, um den konkreten Gast vor den anderen bloßzustellen und so deren Zahlungswilligkeit im Sinne negativer Generalprävention zu erhöhen. Nur in dem (unwahrscheinlichen) Fall, dass der Gast namens- oder besser noch adressmä­ ßig bekannt ist, kann der berechtigte Zweck der Identifikation gänzlich ausgeschlos­ sen werden. Die Handlung wäre dann zu Zwecken der Selbsthilfe weder objektiv noch subjektiv geeignet. Umgekehrt müsste man wegen des unscharfen Anspruchs­ begriffs immer dann, wenn eine Person annimmt, „im Recht zu sein“ und zur Erhal­ tung dieser Position tätig wird, eine Selbsthilfe annehmen. Das Bestehen eines An­ spruchs kann nämlich nach dem vorgesagten kaum je objektiv ex ante ausgeschlos­ sen werden. Während der numerus clausus und das Offenkundigkeitsprinzip daher eine ob­ jektive Anknüpfung im Rahmen von Notwehr und Nothilfe ermöglichen, stehen die Vielzahl und Vielgestaltigkeit der im Rahmen von §  229 BGB erfassten Ansprüche einer solchen Herangehensweise entgegen. Diesen Ansatz bestätigt nicht nur der Wortlaut des §  229 BGB („zum Zwecke der Selbsthilfe“), sondern vor allem die ausschließlich für die Selbsthilfe geltende301 Schadensersatzregelung des §  231 BGB. ­Diese Regelung soll zum Ausdruck bringen, dass eine Selbsthilfehandlung stets „auf eigene Gefahr“ erfolgt.302 Dies wird erreicht, indem dass die Norm für Fehlvorstel­ lungen über die tatsächlichen oder rechtlichen Gegebenheiten (also „Erlaubnistatbe­ standsirrtum“ und „Erlaubnisirrtum“) oder auch bei Überschreitung der Grenzen der Rechtfertigung303 eine Schadensersatzpflicht selbst dann anordnet, wenn der Irr­ tum unvermeidbar war. Für diese strenge Haftung muss aber irgendein Anknüp­ fungspunkt gefunden werden. Würde man jede auch nur irgendwie zu Selbsthilfe­ zwecken geeignete Handlung als „Selbsthilfe“ im Sinne des §  229 BGB qualifizieren, hätte dies zur Folge, dass Irrtümer auf Rechtswidrigkeitsebene wegen §  231 BGB stets unbeachtlich wären. Potentiell ist jede Handlung jedenfalls auch zur Sicherung (ir­ gend)eines Anspruchs geeignet und würde diesen (mit)bezwecken. Die Regelung setzt darüber hinaus ausdrücklich einen „Irrtum“ voraus. Ein solcher kann aber nur vorliegen, wenn überhaupt eine relevante Vorstellung des Handelnden tatbestandlich gefordert ist, nicht aber bei Anknüpfung an einen objektiven Dritten. d)  Fahrlässige Selbsthilfe Konstellationen, in denen jemand fahrlässig „zum Zwecke der Selbsthilfe“ handelt sind schließlich auch anders als bei den weit gefassten Möglichkeiten zu Notwehr 301 BeckOK-BGB/Dennhardt, §  231 BGB Rn.  1; MüKo-BGB/Grothe, §  231 BGB Rn.  1; für eine analoge Anwendung auch auf Notwehr demgegenüber Schünemann, S.  53. 302  Prot. I S.  244; Larenz, JuS 1965, 373, 375; Staudinger/Repgen, §  231 BGB Rn.  4; Soergel/Fahse, §  231 BGB Rn.  4; MüKo-BGB/Grothe, §  231 BGB Rn.  2. 303  BGH NJW 1977, 1818; Larenz, JuS 1965, 373, 375.

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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(§  227 BGB) und Notstand (§  228 BGB) selbst bei einem objektiven Maßstab nur in seltenen Fällen vorstellbar.304 Auf das zuvor dargestellte Beispiel bezogen bedeutet dies: Wenn die Kellnerin den Gast zur Zahlung zwingen wollte, wird man ihr kaum unterstellen können, dadurch auch „fahrlässig“ eine Identitätsfeststellung zu ermög­ lichen. Die Handlung würde erst eingestellt, sobald der bezweckte (Nötigungs-)Er­ folg eingetreten ist; und insoweit wäre die Identitätsfeststellung ein kaum akzeptab­ les Minus zur Zahlung. Wenn aber schon bei bewusstem Handeln die genaue Zielsetzung (der Nötigungs­ erfolg) maßgeblich ist, gilt dies erst recht für nicht zielgerichtetes, unbewusstes Ver­ halten. Sofern eine Kellnerin fahrlässig stolpert, weil sie ihre Schuhe nicht zugebun­ den hat, und dadurch einen Gast verletzt, ist sie selbst dann nicht nach §  229 BGB gerechtfertigt, wenn der unbekannte Gast eigentlich die Zeche prellen wollte und das Stolpern das mildeste Mittel war, um ihn zur Identitätsfeststellung festzuhalten. Sie handelte nicht, um die Identitätsfeststellung zu ermöglichen und so den Anspruch zu sichern, also nicht zu einem legitimen Selbsthilfezweck. Nichts anderes gilt für den Fall, dass jemand versehentlich einen falschen Mantel im Restaurant mitnimmt, auf dessen Herausgabe aber tatsächlich ein Anspruch bestand. Im Hinblick auf die Ver­ haltenssteuerung gibt es keinen Grund das Außerachtlassen der erforderlichen Sorg­ falt in diesen Fällen zu rechtfertigen. (Staatliche) Sicherungsmaßnahmen können nur substituiert werden, soweit der Betreffende auf diese verzichtet. Der schlichte Zufall, dass das Ergebnis seines Verhaltens auch einem berechtigten Interesse dienen kann, wird sein Bedürfnis aber nicht befriedigen. Ohne eine entsprechende Kenntnis der Selbsthilfelage und ein gezieltes Handeln zu deren Beseitigung wird also auch ein vermeintlich objektiver Selbsthilfezweck nicht erfüllt. Die gestolperte Kellnerin hat dadurch noch immer nicht die Identität des Gastes aufgedeckt. Der versehentlich mitgenommene Mantel dient gerade nicht der Sicherung des Herausgabeanspruchs. Die subjektive Zielsetzung ist der Selbsthilfe also immanent. Angesichts des Umstands, dass der erreichte Zustand mit der Rechtsordnung in Einklang steht, könnte man dennoch Bedenken haben. Soweit man vor diesem Hin­ tergrund eine Korrektur dieses vermeintlich unbilligen Ergebnisses sucht, sollte dies aber nicht durch Modifikation der subjektiven Voraussetzungen erfolgen. Dies ist auch nicht erforderlich, da es hierfür verschiedene alternative Ansatzpunkte gibt. Pragmatisch wird man hierzu oft auf das Beweisrecht zurückgreifen können. Dieses bietet dem Tatrichter hinreichende Flexibilität, um die Sicherungsabsicht als innere Tatsache allein aus den objektiven Umständen herzuleiten. Ist die Handlung daher zur Sicherung geeignet, darf man diesen Zweck meist bereits deshalb vermuten. Für die verbleibenden Fälle, in denen der Handelnde ersichtlich keine Kenntnis von der Gefährdungslage bzw. von der Anspruchsberechtigung hatte oder seine

304  Zu einem konstruierten Beispiel unter der Prämisse, dass Fremdhilfe verboten sei, vgl. Braun, NJW 1998, 941, 943.

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Handlung nachweislich einem anderen Zweck diente, muss eine Korrektur hingegen im materiellen Recht erfolgen. Für die in §  229 BGB genannten Verhaltensweisen ist eine Strafbarkeit nur bei Vor­ satz angeordnet (Sachbeschädigung, §  303 StGB, Diebstahl, §  242 StGB, Freiheitsbe­ raubung, §  239 StGB). In den geschilderten Fällen liegt jedoch nur fahrlässiges Han­ deln vor; es fehlt also nicht nur am Vorsatz für die Rechtfertigung, sondern auch hinsichtlich der Verletzung. Im Fall der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit, vor allem aber im Rahmen der zivilrechtlichen Schadensersatzpflicht fällt die Begründung hingegen schwerer. Ein denkbarer Ausweg scheint es, den Pflichtwidrigkeitszusammen­ hang,305 d. h. den Zurechnungskonnex des Verhaltens zum Erfolg, zu verneinen. Bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte der Betreffende nicht nur die jetzige Ursache des Erfolges beseitigt (sich also pflichtgemäß verhalten), sondern auch die Gefährdung des Anspruchs erkannt. Das hätte wiederum den Erfolg, aber mit der richtigen Zielsetzung herbeigeführt. Als Alternativverhalten müsste man also vorsätzliches Handeln mit Rechtfertigungsabsicht annehmen. Es würde also un­ terstellt, dass die Kellnerin auch bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorg­ falt den Gast aufgehalten bzw. der Dritte den Mantel an sich genommen hätte (dann allerdings zur Sicherung seines Anspruchs). Die Sorgfaltspflichtverletzung hätte sich also nicht im Erfolg niedergeschlagen. Darüber hinaus wird in solchen Fällen regel­ mäßig kein Vermögensschaden entstehen. Selbst wenn die Vorenthaltung der Sache zu einer Vermögenseinbuße führt, hätte das Selbsthilfeopfer eine vorsätzliche Weg­ nahme in Sicherungsabsicht dulden müssen. Im Vergleich dazu stellt die fahrlässige Wegnahme aber gerade keine Vermögenseinbuße dar. Voraussetzung ist dabei frei­ lich stets, dass die sonstigen Voraussetzungen der Selbsthilfe, also insbesondere die unverzügliche Inanspruchnahme staatlicher Hilfe (§  230 BGB) und die Erforderlich­ keit eingehalten werden. Nur dann ist auch der implizit vorausgesetzte zweite Akt der Selbsthilfe, die endgültige Sicherung bzw. Vollstreckung durch den Staat zu bejahen. Im Ergebnis ist daher ausschließlich eine subjektive Zwecksetzung als Anknüp­ fungspunkt für die „Selbsthilfe“ und vor allem auch die an unzulässige Selbsthilfe anknüpfende Schadensersatzhaftung nach §  231 BGB, die diesbezügliche Irrtümer für unbeachtlich erklärt, geeignet. Im Hinblick auf den Vortrag in einem späteren Rechtsstreit bedeutet dies, dass derjenige, der sich auf die Sicherung eines ihm zuste­ henden Anspruchs als Rechtfertigungsgrund (§  229 BGB) beruft, gleichzeitig auch die Gefahr der Unbeachtlichkeit von Irrtümern (§  231 BGB) eingeht. Dies bewirkt letztlich gerade die bezweckte Verhaltenssteuerung. Die (vermeintlich) unerwünsch­ te Bestrafung bzw. zivilrechtliche Haftung fahrlässig Handelnder Anspruchsinhaber, die versehentlich die zur Sicherung ihrer Ansprüche erforderliche Handlung vorneh­ men (ein ohnehin exotischer Fall), sind entweder hinzunehmen oder im Rahmen des

305 Zur Problematik MüKo-StGB/Schlehofer, Vor §§  32 ff. StGB Rn.  179 ff.; Frister, 10. Kap., Rn.  32.

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jeweiligen Haftungstatbestands zu korrigieren. Eine Überdehnung des §  229 BGB über seinen Wortlaut hinaus ist hierzu nicht geboten. 2. Anforderungen a)  Wille zur Sicherung eines Anspruchs §  229 BGB verlangt ausdrücklich ein Handeln „zum Zwecke“ der Selbsthilfe. Nach dem gängigen Begriffsverständnis des Wortes „Zweck“ ist damit Absicht im Sinne von dolus directus I gemeint.306 Für diese wird nach allgemeiner Ansicht nur ein minimales kognitives Element (=Wissen) gefordert. Im Vordergrund steht das unbe­ dingte Wollen, wenn auch als Begleit- oder Zwischenziel in Verbindung mit dem (darin regelmäßig implizierten) Für-Möglich-Halten.307 Der im Rahmen von §  229 BGB Handelnde will die Möglichkeit der späteren (wenn auch potentiell gerichtlich erzwungenen) Erfüllung eines ihm zustehenden und generell noch durchsetzbaren Anspruchs aufrechterhalten (bzw. ausnahmsweise seinen Anspruch unmittelbar durchsetzen)308 und nicht ausschließlich Vergeltung309 oder gar sinnlose Schädigung erreichen. Das Handeln zur Sicherung eines eigenen (bestehenden oder vermeintlichen) Rechts grenzt also die Selbsthilfe von der will­ kürlichen Gewalt, d. h. grundlosen Eingriffen in fremde Rechte, ab. Freilich ist eine nach außen einheitliche Handlung nicht nur objektiv zu einer Viel­ zahl von Zwecken geeignet, sondern kann auch vom Handelnden mit vielfältigen Absichten vorgenommen werden. An Stelle eines einzelnen Zwecks tritt ein ganzes Motivbündel. Neben dem bereits erwähnten Gänsebrustfall des BayObLG310 ist hier­ zu eine Entscheidung des BGH von Anfang 2011 illustrativ.311 Im Rahmen eines Handgemenges mit einem Fußgänger wurden Kopfhörer einer Passantin beschädigt. Diese nahm „im Gegenzug“ das Handy des Schädigers an sich und erklärte „sie werde dieses erst herausgeben, wenn dieser für die zerstörten Kopfhörer Schadensersatz leiste“.

Beide erwogen zwar, sich zur nahegelegenen Polizeistation zu begeben, letztlich ging die Passantin aber zu ihrer Wohnung. Auf dem Weg dorthin bestätigte sie auf das wiederholte Herausgabeverlangen des Eigentümers des Handys ihr Verlangen nach Zahlung von Schadensersatz. Unmittelbar vor der Wohnung kam es zu einer weite­ ren Auseinandersetzung, bei der die Passantin den gewaltsamen Versuch des Handy­ besitzers sein Gerät zurückzuerlangen, durch Messerstiche mit einem 4,5  cm langen 306  Zur Ungenauigkeit der Begrifflichkeiten selbst im Strafrecht siehe aber Schönke/Schröder/ Sternberg-Lieben/Schuster, §  15 StGB Rn.  70; MüKo-StGB/Joecks, §  16 StGB Rn.  15. 307 MüKo-StGB/Joecks, §  16 StGB Rn.  12 ff.; SK-StGB/Rudolphi, §  15 StGB Rn.  36. 308  Dazu unten §  1A.V.2, S. 140. 309  OLG Köln NJW 1964, 2019. 310  BayObLG NJW 1991, 934. 311  BGH StV 2011, 617.

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Taschenmesser u. a. in dessen Brust verhinderte. Das LG Hannover hatte sie darauf­ hin wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Der BGH stellt zunächst fest, dass der Inhaber eines deliktsrechtlichen Anspruchs aufgrund von §  229 BGB gene­ rell Sachen wegnehmen darf, um „die Identifizierung eines fluchtverdächtigen Schuldners mit Namen und ladungsfähiger An­ schrift zu ermöglichen und dadurch dessen Festnahme zu vermeiden“.

Obwohl der entscheidende Senat die Feststellungen des LG für „sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht lückenhaft“ hielt, ging er in Folge aber auf subjektive Erfordernisse nicht ein. Ausdrücklich ging auch der BGH davon aus, dass die Ange­ klagte das Handy wegnahm „um – wie sich aus ihren Äußerungen ergibt – Schadensersatz zu erlangen“. Damit handelte sie aber gerade nicht zur reinen Identitätsfeststel­ lung. Auf diese Diskrepanz zwischen zulässigem Zweck und erklärtem Ziel ging er in Folge aber nicht ein. Stattdessen betont die Entscheidung ausschließlich objektive Aspekte. So erklärt der BGH, die „zunächst berechtigte Selbsthilfe könnte etwa objektiv dadurch unerlaubt geworden sein, dass die Angeklagte nicht unverzüglich zu der nahe gelegenen Polizeistation gegangen ist, um mit Hilfe der Polizei die Personalien […] festzustellen“.

Obwohl also auch der BGH augenscheinlich subjektive Elemente verlangt, sah er die­ se im konkreten Fall nicht als entscheidungserheblich an. Im Wunsch nach Zahlung ist sicherlich regelmäßig die Identitätsfeststellung zur späteren staatlichen Durchset­ zung als Minus enthalten. Freilich sind nur die wenigsten Handlungen für beide Zie­ le erforderlich;312 das mildeste Mittel zur Erzwingung der Erfüllung ist regelmäßig nicht gleichzeitig auch das mildeste Mittel zur Sicherung staatlicher Durchsetzung. Für den Handlungszweck genügt es daher, dass dieser ein reiner Begleitzweck ist, selbst wenn dies unbewusst erfolgt oder dieser nur eine Teilmenge des eigentlich verfolgten Fernziels ist. Die maßgebliche Begrenzung erfolgt auf Ebene der Erforder­ lichkeit. Dies bedeutet aber letztlich auch, dass es im Fall des BayObLG nicht auf die Frage hätte ankommen dürfen, ob Zahlung oder nur Identitätsfeststellung bezweckt war, soweit die Identitätsfeststellung als Minus ebenfalls gewollt war. Dies wird man im Zweifel bejahen müssen. Soweit der Gast kein Bargeld bei sich führt oder Diskussio­ nen keinen Erfolg bringen, ist die Identitätsfeststellung der einzig gangbare Weg. Die Konstellation, dass ausschließlich und unbedingt Zahlung erzwungen werden soll (was nicht mehr von §  229 BGB gedeckt wäre), dürfte daher ebenso wie die „ernsthaf­ te und endgültige Erfüllungsverweigerung“ (§  281 Abs.  2, 1. Var; §  323 Abs.  2 Nr.  1 BGB)313 nur in extremen Ausnahmefällen anzunehmen sein. Der Selbsthilfezweck schließt daher nur Handlungen aus, die ausschließlich anderen Zielen als der Siche­

312  313 

Zur Erforderlichkeit der Selbsthilfehandlung unten §  1A.IV.2, S. 113. BGHZ 104, 6, 13; BGH NJW-RR 1993, 139, 140; Staudinger/Otto/Schwarze, §  281 Rn. B91.

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rung der staatlichen Durchsetzung dienen oder mangels bewussten Handelns kei­ nem spezifischen Zweck dienen. b)  Unterordnung unter staatliche Durchsetzung? Teilweise wird der Wille des Anspruchsinhabers verlangt, als „Vertreter“ des Staates zu handeln. Er müsse gezielt Durchsetzungsbefugnisse wahrnehmen wollen, die im Normalfall dem Staat vorbehalten wären.314 Ansatzpunkt hierfür ist der Begriff der „Selbsthilfe“ der gerade die Verdrängung der Staatsgewalt impliziert. Wer meint, eine für den Staat ohnehin unbeachtliche Handlung vorzunehmen, könne nicht an den Regeln der Selbsthilfe gemessen werden. Dies führe dazu, dass weder die Recht­ fertigung des §  229 BGB noch die irrtumsunabhängige Haftung des §  231 BGB ein­ greift. Für den Regelfall soll der Wille des Handelnden zur Verdrängung der Staats­ gewalt freilich vermutet werden, da das Gewaltmonopol des Staates in westlichen Kulturen allgemein anerkannt sei.315 Eine solche Differenzierung ist allerdings gerade der Irrtumsregelung des §  231 BGB fremd. Es liegt unstreitig ein Fall irrtümlicher Selbsthilfe vor, wenn der Han­ delnde zu Unrecht meint, eine ohnehin ausgeschlossene Vollstreckung zu sichern. Wer etwa den verlierenden Wettpartner gewaltsam zur Angabe seiner Identität zwingt, handelt auch dann in unberechtigter Selbsthilfe wenn er im Hinblick auf §  762 Abs.  1 BGB irrtümlich annimmt, im Vorgriff staatlicher Vollstreckung zu han­ deln und Befugnisse der Polizei wahrzunehmen. Er haftet nach §  231 BGB selbst dann, wenn er keine Möglichkeit hatte, diesen Irrtum rechtzeitig (etwa durch Einho­ lung von Rechtsrat) aufzuklären. Dann kann aber umgekehrt die Vorstellung, in staatliche Befugnisse einzugrei­ fen, auch keine subjektive Voraussetzung der Selbsthilfe sein. Solange eine Hand­ lung zur Sicherung (objektiv) erforderlich ist, wird die Rechtsordnung nicht in Frage gestellt. Selbst wenn der Handelnde irrig annimmt, dass es keine staatlich sanktio­ nierte Möglichkeit gibt seine Rechte zu sichern, kann er mit Selbsthilfewillen han­ deln, obwohl er vermeintlich keine hoheitliche Kompetenz wahrnimmt. Entschei­ dend ist also nur, dass der Handelnde zutreffend davon ausgeht, dass eine spätere endgültige Durchsetzung des Anspruchs oder auch eine freiwillige Erfüllung noch möglich sind. Zudem ist fraglich, ob eine solche Differenzierung im prozessualen Vortrag über­ haupt sauber möglich wäre.316 So könnte ein Beklagter abstrakt vortragen, er käme aus einem anderen Staat, wo generell eine staatliche Sicherung privater Ansprüche ausgeschlossen sei und daher erhebliche private Spielräume losgelöst vom staatlichen Recht eingeräumt würden. Obwohl sich die Vorstellung, die Rechtslage in Deutsch­ 314 

Schünemann, S.  33. Schünemann, S.  33. 316  Zum vergleichbaren Problem der Kollision einer behaupteten Einwilligung mit §  229 BGB siehe unten §  3A.I.1d, S. 311. 315 

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land entspräche den dortigen Verhältnissen und verzichte zugunsten uneinge­ schränkt privaten Zwangs auf staatliche Erzwingungsmechanismen, durchaus unter §§  229, 231 BGB subsumieren ließe, fehlt es nach dem Vortrag offensichtlich an der im Gesetzeswortlaut nicht vorausgesetzten Vorstellung, in staatliche Befugnisse ein­ zugreifen. Man müsste dann konsequent eine Haftung an §  823 Abs.  1 BGB messen. Danach wäre ein Eingriff unverschuldet, wenn der Irrtum im konkreten Fall objektiv unvermeidbar war, etwa weil die rechtswidrige Handlung am Flughafen erfolgte, wo der Betroffene erstmalig in Deutschland einreiste und dieser weder der deutschen Sprache mächtig war noch aufgrund der kurzen Zeit Erkundigungen einholen konn­ te. Würde sich der Beklagte hingegen unmittelbar auf §  229 BGB berufen, bestünde eine Haftung aus §  231 BGB und sein Irrtum wäre unbeachtlich. Dies verfehlt jedoch das generelle Ziel des Schadensersatzrechts, das auf Kompensation des Opfers, nicht jedoch auf den Schutz abstrakter staatlicher Interessen ausgerichtet ist. Es ist nicht ersichtlich, warum §  231 BGB insoweit vorrangig als Sanktionsnorm zugunsten der Staatsgewalt eingreifen soll und dem Opfer der Selbsthilfe das Irrtumsrisiko zuweist. c) Tatsachenkenntnis Um überhaupt einen entsprechenden Zweck mit der Handlung zu verknüpfen, muss der Handelnde es jedenfalls für möglich halten, überhaupt einen durchsetzbaren An­ spruch zu haben, den er durch sein Verhalten sichern (bzw. ausnahmsweise durch­ setzen) kann. Man kann nur zur Sicherung eines Anspruchs tätig werden, wenn man dessen Bestehen und Durchsetzbarkeit annimmt. Eine spezifische juristische Beur­ teilung ist nicht erforderlich. Der Handelnde muss nur annehmen, zu seinem kon­ kreten Verhalten aufgrund eines eigenen Rechts befugt zu sein („Parallelwertung in der Laiensphäre“).317 Darüber hinaus soll ein sachgedankliches Begleitbewusstsein ohne Bewusstmachen in der konkreten Situation genügen.318 Das Wissenselement darf dabei jedoch ausschließlich als notwendiger Bestandteil des Wollens verstanden werden, nicht hingegen als darüber hinausgehendes Kennt­ niserfordernis. Wenn der Täter Fehlvorstellungen über die seiner Handlung zugrun­ deliegenden Umstände unterliegt, schließt dies das Vorliegen von „Selbsthilfe“ im Sinne von §  229 BGB nicht aus. Soweit die Voraussetzungen der §§  229, 231 BGB ob­ jektiv nicht gegeben sind, entfällt nur deren rechtfertigende Wirkung. Stattdessen greift die Haftung aus §  231 BGB, wonach Fehlvorstellungen selbst dann unbeacht­ lich sind, wenn sie der Handelnde nicht vermeiden konnte. Dies ist insbesondere bei einem Irrtum über den Adressaten bzw. das Objekt der Selbsthilfe der Fall. Wenn ein Dritter fehlerhaft als Schuldner identifiziert wird oder ein Gegenstand fälschlich dem Schuldner zugeordnet wird, liegt subjektiv ein Handeln „zum Zwecke der 317  Schünemann, S.  32; zu den Schwächen dieses Ansatzes siehe aber NK-StGB/Puppe, §  16 StGB Rn.  46 ff.; Puppe, GA 1990, 145, 157. 318 Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster, §   15 StGB Rn.   51; MüKo-StGB/Joecks, §  16 StGB Rn.  46 ff.; kritisch Köhler, GA 1981, 285.

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Selbsthilfe“ vor. Objektiv fehlt es hingegen an der Erforderlichkeit. Ein Eingriff in Rechtsgüter des falschen Adressaten ist nie geeignet und damit erst recht nicht erforderlich. Die Fehlvorstellung ist trotzdem „Selbsthilfe“, aber nur irrtümliche Selbsthil­ fe im Sinne von §  231 BGB. Denkt der Handelnde hingegen gerade umgekehrt etwa, sein (tatsächlich beste­ hender) Anspruch auf Rückgewähr des Kaufpreises wegen mangelhafter Leistung sei nach 6 Monaten bereits verjährt (§  477 Abs.  1 BGB a. F.) und übt eine (objektiv erfor­ derliche) Selbsthilfehandlung zu dessen Sicherung aus, so ist die Rechtfertigung den­ noch zu bejahen. Ebenso wie Fehlvorstellungen des Täters nicht zu dessen Gunsten wirken (§  231 BGB), greifen sie auch nicht zu seinen Lasten. Erforderlich ist allein die Absicht, den Anspruch zu sichern oder (ausnahmsweise) durchzusetzen. Weitere De­ tailvorstellungen sind unbeachtlich. Der strafrechtliche Ansatz weicht in Ermangelung einer §  231 BGB entsprechen­ den Haftungsverschärfung hiervon ab. Dort steht ausschließlich die rechtfertigende Wirkung der Selbsthilfe im Vordergrund. Eine Fehlvorstellung über die Person des Adressaten hat daher unmittelbare Auswirkungen auf die Vorsatzstrafbarkeit.319 Stellt er sich also vor, einen entsprechenden Anspruch zu haben, handelt der Täter in einem „Erlaubnistatbestandsirrtum“, so dass eine Bestrafung wegen Vorsatzdelikts selbst bei Vermeidbarkeit analog §  16 Abs.  1 S.  1 StGB ausscheidet.320 Bei irriger An­ nahme der Rechtfertigung kommt nur eine Strafbarkeit wegen eines Fahrlässigkeits­ delikts (§  16 Abs.  1 S.  2 StGB) in Betracht. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch der Ansatz von Schlüchter, ein Festhalten von Ladendiebstahlsverdächtigen durch den Geschäftsinhaber auf §  229 BGB (und nicht auf §  127 StPO) zu stützen.321 Im Zivilrecht muss aber bei Annahme eines Selbsthilfewillens stets das Damokles­ schwert der Haftung nach §  231 BGB beachtet werden, die anders als das allgemeine Deliktsrecht Fehlvorstellungen über die Rechtswidrigkeit ganz außer Acht lässt. Zu­ dem wäre auch für §  229 BGB der unbegründete Verdacht keine tatsächliche Gefähr­ dung des vertraglichen Anspruchs, so dass die Gegenwehr des zu Unrecht Verdäch­ tigten auch im Strafrecht ihrerseits gerechtfertigt sein müsste.322 Im umgekehrten (wie oben dargestellt eher fernliegenden) Fall, dass eine Hand­ lung objektiv gerechtfertigt ist, aber der Handelnde nicht wusste, dass er einen siche­ rungsfähigen Anspruch hatte, wäre strafrechtlich eine Verfolgung wegen Versuchs möglich.323 Zivilrechtlich scheiden Schadensersatzansprüche hingegen mangels ei­ 319  Rönnau, JuS 2009, 594, 596; Schönke/Schröder/Perron, §  32 StGB Rn.  63; NK-StGB/Paeffgen, Vor §§  32 ff. StGB Rn.  87 f. 320 Lackner/Kühl/Kühl, §  17 StGB Rn.  10 ff.; NK-StGB/Puppe, §  16 StGB Rn.  13 ff.; MüKo-StGB/ Joecks, §  16 StGB Rn.  78 ff. 321  Schlüchter, JR 1987, 309; in diesem Sinne auch ansatzweise OLG Düsseldorf NJW 1991, 2716. 322  Dieses Ergebnis will Schlüchter, JR 1987, 309 gerade vermeiden – wobei sie die Lösung durch BayObLG MDR 1986, 956 (Bejahung von §  127 StPO bei schuldlosem Irrtum) aus methodischen und dogmatischen Gründen ablehnt. 323 Schönke/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor §§  32 ff. StGB Rn.  13 ff.; Rönnau, JuS 2009, 594, 594.

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ner ausgleichsfähigen Vermögenseinbuße (§  253 Abs.  1 BGB) aus. Für diesen Fall der Fehleinschätzung zum eigenen Nachteil wäre also die zivilrechtliche Behandlung für den Täter vorteilhaft. d) Fremdhilfe Für die oben erörterten Fälle der „Fremdhilfe“324 gelten keine Besonderheiten. Auch der Fremdhelfer muss handeln, um einen aus seiner Sicht bestehenden Anspruch zu sichern. Er muss darüber hinaus die Absicht haben, gerade im Interesse des An­ spruchsinhabers zu handeln. Der Fremdhelfer darf nicht in dessen originäre Befug­ nis eingreifen, auf die Durchsetzung zu verzichten oder diese zu stunden. Er muss also die Absicht haben, gerade die fremden Interessen durchzusetzen; seine selbstbe­ zogenen Wünsche treten demgegenüber für die rechtliche Beurteilung in den Hin­ tergrund. Die Anspruchssicherung muss dabei aber nicht das einzige und noch nicht einmal das Hauptmotiv des Handelnden darstellen. Auch ein bloßer Nebenzweck genügt als Anknüpfungspunkt. Über die Person des Anspruchsinhabers muss der Handelnde sich grundsätzlich keine konkreten Gedanken machen. Wer also sieht, dass der Gast versucht, das Lokal zu verlassen, darf diesen zur Identitätsfeststellung aufhalten, soweit (objektiv) ein Zahlungsanspruch besteht und die Feststellung der Identität zur späteren Durchset­ zung erforderlich ist. Dies gilt sogar selbst wenn er den Restaurantbetreiber nicht namentlich kennt. Dies entspricht den anderen Rechtfertigungsgründen. In gleicher Weise ist es etwa jedem möglich, im Rahmen von §  227 BGB (§  32 StGB) einen flie­ henden Dieb notfalls mit Gewalt aufzuhalten, auch wenn ihm das konkrete Opfer unbekannt ist, oder einen Brandstifter stoppen, ohne zu wissen, welche Personen durch ein Feuer verletzt würden.325 Dies entspricht dem Verständnis bei der Ge­ schäftsführung ohne Auftrag, wo ebenfalls die Person des Geschäftsherrn ohne Re­ levanz ist, §  686 BGB.326 Soweit der Fremdhelfer weiß, dass eine Maßnahme dem Willen des Anspruchsin­ habers widerspricht, liegt zwar immer noch „Selbsthilfe“ (ein Tätigwerden zur Siche­ rung eines privaten Anspruchs ohne staatliche Hilfe) vor. Jedoch fehlen die für eine Rechtfertigung erforderlichen Umstände. Dies hat zur Folge, dass der Handelnde nach §  231 BGB haftet, selbst wenn er irrig meint, der Wille des Anspruchsinhabers sei im Rahmen von §  229 BGB unbeachtlich. Soweit hingegen der Wille des An­ spruchsinhabers nicht bekannt ist, greift die Regelung des §  229 BGB zugunsten des in fremdem Interesse Handelnden ein.327 Dem entspricht im Innenverhältnis zwi­ schen dem Fremdhelfer und dem Anspruchsinhaber die insgesamt verschuldensun­ abhängige Haftung für Übernahmeverschulden in §  678 BGB. 324 

Oben §  1A.I.d, S. 56.

325 MüKo-BGB/Grothe,

§  227 BGB Rn.  15. Mot. II, S.  856; MüKo-BGB/Seiler, §  677 BGB Rn.  7 327  Näher oben §  1A.I.e, S. 74. 326 

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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Auch wenn der Handelnde irrig glaubt, einen eigenen Anspruch durchzusetzen, das Recht aber tatsächlich einem anderen zusteht, ist dies nur ein Irrtum über die Person des Anspruchsinhabers. Nach dem oben geschilderten hindert dies weder die Rechtfertigung nach §  229 BGB, soweit die Handlung sich im Rahmen von §§  229, 230 BGB bewegt, noch die gegenüber dem allgemeinen Deliktsrecht verschärfte Haf­ tung nach §  231 BGB, wenn die dort gesetzten Grenzen überschritten werden. 3.  Natürlicher Wille Der „Selbsthilfewille“ ist wie der „Besitzwille“328 ein natürlicher Wille, für den weder Deliktsfähigkeit noch Geschäftsfähigkeit maßgeblich sind.329 Die Begründung dafür liegt aber weniger in einer Parallele zum Bereicherungs- (§§  812 ff. BGB) und Erfül­ lungsrecht (§  362 BGB),330 sondern folgt vielmehr aus dem Gedanken der einheitli­ chen Abgrenzung und Zuordnung von Rechtssphären. Es wäre kaum tragbar, einer Person ein Recht zuzuordnen, ihr aber nicht gleichzeitig dessen Verteidigung gegen äußere Einflüsse zu erlauben. Dadurch würde der Wert des Rechts letztlich zunichte gemacht. Umgekehrt sind aber auch die Rechtsgüter, in welche eingegriffen werden soll, hier in ihrer rein tatsächlichen Schutznatur betroffen; eine rechtsgeschäftliche Verfügung soll gerade nicht erfolgen. Für die in §  229 BGB erwähnte Wegnahme und Zerstörung von Sachen folgt dies unmittelbar aus der Rechtsnatur des Besitzes: Durch Anknüpfung an die tatsächli­ che Sachherrschaft werden Gegenstände bis zur späteren Klärung durch staatliche Stellen bestimmten Rechtssubjekten unabhängig von deren Geschäfts- oder Delikts­ fähigkeit zugewiesen.331 Eingriffe in diesen Status können sowohl selbst (§  859 BGB) als auch mit staatlicher Unterstützung (§§  861 f. BGB) abgewehrt werden. Spiegelbild­ lich dazu müssen aber auch die „Gestattungen“ im Sinne von §  858 Abs.  1 BGB unab­ hängig von Delikts- oder Geschäftsfähigkeit ausgestaltet werden, denn nach dem Willen des Gesetzgebers bewegen sich diese Befugnisse (anders als schuldrechtliche Ansprüche) auch auf der Ebene unmittelbar wirkender, sofort durchsetzbarer Rech­ te. Der Selbsthilfewille ist für diese Eingriffshandlungen mithin ein (Teil-)Spiegelbild des Besitzwillens. Für die anderen Rechtsgüter (Fortbewegungsfreiheit, unter Umständen körperli­ che Integrität) kann eine Parallele zu den anderen Rechtfertigungsgründen gebildet werden. Die meisten Individualrechtsgüter, die notwehr- bzw. notstandsfähig sind (z. B. Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre) werden nicht erst mit der Geschäftsfähigkeit erlangt, sondern sind dem Rechtsträger originär (!) zugeordnet.332 Ansonsten dürfte 328  OLG Düsseldorf FamRZ 1999, 652 (Geschäftsunfähige); BGHZ 101, 186 (genereller Wille genügt); zum umgekehrten Fall („genereller Besitzaufgabewille“) Baldus, JR 2002, 441, 443. 329  Schünemann, S.  34 f.; BeckOK-BGB/Dennhardt, §  229 BGB Rn.  7; Erman/Wagner, §  229 BGB Rn.  6; siehe die Paralleldiskussion bei der Haftung nach §  231 BGB, unten §  1C, S. 164. 330  So aber Schünemann, S.  34 f. 331  Näher insbesondere zu den Ausnahmen (§§  855, 857 BGB) §  3B.II.2b, S. 341. 332 MüKo-BGB/Grothe, §  227 BGB Rn.  7; Staudinger/Repgen, §  227 BGB Rn.  10. Allerdings be­

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ein Minderjähriger sich gegen Schläge oder die Wegnahme einer ihm gehörenden Sache nicht zur Wehr setzen, sondern müsste insofern (wohl) seine Eltern als gesetz­ liche Vertreter einschalten.333 Auch der oben bereits auf anderem Wege hergeleitete Wille bei Eingriffen in den Besitz fügt sich in dieses Bild ein: Im Hinblick auf Besitz­ kehr oder Besitzwehr (§  859 BGB) wird allein an den Besitz als solchen angeknüpft, der wiederum nur von der Rechtsfähigkeit, nicht aber von Delikts- und Rechtsfähig­ keit abhängt.334

IV. Subsidiarität Im Schwerpunkt der Diskussion um §  229 BGB steht seit jeher die sogenannte Subsidiarität der Selbsthilfe gegenüber staatlicher Rechtssicherung bzw. -durchsetzung. Dabei wird die ausdrückliche Subsidiaritätsklausel aber zumeist ausschließlich als Bestätigung eines grundsätzlichen Selbsthilfeverbots und damit auch nur zur Ableh­ nung einer Rechtfertigung in einer Vielzahl von Fällen herangezogen.335 Schünemann meint gar beobachten zu können, dass „die in der Praxis zu entscheidenden Fälle privaten Selbstschutzes in den Notwehrkomplex“

gezwängt würden, „wenn das Rechtsgefühl eine positive Bewertung nahelegt.“336

Soweit man also zur Prüfung des §  229 BGB ansetzt, soll (wegen der Subsidiarität) die Ablehnung der Rechtfertigung bereits impliziert sein. Wenn die Rechtfertigung be­ jaht wird, greift man hierzu bevorzugt auf andere, „flexiblere“ Rechtfertigungsgrün­ de zurück. Die Nachrangigkeit des §  229 BGB liegt aber nicht nur im Verhältnis zur staatli­ chen Durchsetzung (sub 1). Vielmehr sind daneben zwei weitere separate Aspekte zu beleuchten. Bevor es überhaupt zu einer Klärung der Rangfolge zwischen Selbsthilfe deutet dies wiederum nicht, dass der Rechtsgutsträger uneingeschränkt einwilligungsfähig wäre, §  3A.II, S. 318. 333  Praktisch stellt sich dieses Problem freilich nicht – denn Deliktsfähigkeit (§  828 BGB) und Strafmündigkeit (§  19 StGB) treten erst mit bzw. nach beschränkter Geschäftsfähigkeit ein. Eine berechtigte Abwehrhandlung ist aber „lediglich rechtlich vorteilhaft“ und damit nach §  107 BGB auch bei rechtsgeschäftlicher Einordnung zulässig. 334  RGZ 98, 131, 132; Staudinger/Steinrötter, JuS 2012, 97, 102; Staudinger/Gutzeit, §  854 BGB Rn.  17 f.; MüKo-BGB/Schmitt, §  105 BGB Rn.  11 ff.; zu den Schwierigkeiten staatlicher Vollstre­ ckungsmaßnahmen gegen Minderjährige vgl. Giers, DGVZ 2008, 145, 148. 335  Exemplarisch LG Lüneburg NZV 1999, 384, 385; OLG Köln MDR 1995, 1215; OLG Karlsruhe GRUR-RR 2008, 350, 351; OLG Düsseldorf InstGE, 168, 172: „Die Beklagte hat sich in der Vergan­ genheit folglich eine Selbsthilfe angemaßt, die nach der durch die Rechtsordnung vorgegebenen Wertung, mit der eine Durchsetzung vermeintlicher oder wirklicher Rechtspositionen im Wege ei­ ner Selbsthilfe grundsätzlich unvereinbar ist, allenfalls unter den Voraussetzungen gerechtfertigt gewesen wäre, die §  229 BGB für die private Selbsthilfe normiert. Diese Voraussetzungen liegen in­ dessen nicht vor, da die Beklagte die Möglichkeit, staatlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, nicht genutzt hat.“ 336  Schünemann, S.  21.

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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und staatlicher Durchsetzung kommen kann, ist zunächst die besondere Eilbedürf­ tigkeit der Handlung festzustellen (sub 2). Selbst wenn im Einzelfall private Siche­ rungsmaßnahmen zulässig sein sollten, muss die Handlung außerdem noch einer gründlichen Erforderlichkeitsprüfung genügen (sub 3). 1.  Nichtverfügbarkeit obrigkeitlicher Hilfe Würde man ohne jede Einschränkung Selbsthilfe zulassen, wäre nicht nur das Ver­ trauen der Bürger in die Rechtsordnung erschüttert (also die Grundvoraussetzung der sog. „positiven Generalprävention“337), sondern gar der öffentliche Friede gefähr­ det.338 Das Verhältnis staatlicher Rechtssicherung zu privaten Sicherungsmaßnah­ men ist daher nach §  229 BGB eindeutig im Sinne eines Vorrangs des Staates geregelt. Als „staatliche Maßnahme“ kommen dabei primär der einstweilige Rechtsschutz vor dem Zivilgericht (Arrest und einstweilige Verfügung) oder ein Einschreiten der Po­ lizei (vgl. etwa §  1 Abs.  3 PolG NRW) in Betracht.339 Freilich wird man im Verstrei­ chenlassen staatlicher Eingriffsmöglichkeiten kaum ein widersprüchliches Verhalten (venire contra factum proprium) erblicken können.340 Die Möglichkeiten staatlichen Einschreitens sind aber meist für beide Parteien nicht ersichtlich. Für das Erwecken eines Anscheins fehlt es zudem oft am unmittelbaren Kontakt. Zutreffend ist inso­ weit nur, dass es nicht darauf ankommt, ob die Möglichkeit schuldhaft versäumt wurde oder entschuldigt ist. Da gerade die Regelungen des einstweiligen Rechts­ schutzes vielen Laien unbekannt sind, würde sonst die Selbsthilfe entgegen der ge­ setzlichen Konzeption den Regelfall der privaten Rechtssicherung darstellen.341 a)  Abgrenzung zur Erforderlichkeit; Verweis auf Sekundäransprüche Gegenüber der (auch im Rahmen anderer Rechtfertigungsgründe vorausgesetzten) „Erforderlichkeit“342 hat die Nichtverfügbarkeit obrigkeitlicher Hilfe eine eigene Be­ deutung.343 Selbst wenn eine staatliche Maßnahme im Einzelfall einen intensiveren Eingriff in die Rechte des Opfers bedeuten würde (man denke nur an den Reputati­ onsverlust durch Einschreiten der uniformierten Polizei), ist sie gegenüber der Selbsthilfe stets vorrangig. Selbsthilfe kommt nur in Betracht, soweit überhaupt kei­ ne denkbare staatliche Maßnahme die Gefahr mit vergleichbarer Sicherheit beseiti­ gen könnte. Darüber hinaus ist dem Erfordernis die Wertung zu entnehmen, dass der An­ spruchsinhaber auch Nachteile, insbesondere Verzögerungen und etwaige Kosten­ 337 

Jakobs, 1. Abschnitt, Rn.  13c; Hassemer, ZRP 2004, 93, 93. OVG Koblenz NJW 1988, 929. 339 MüKo-BGB/Grothe, §  229 BGB Rn.  4; Staudinger/Repgen, §  229 BGB Rn.  16. 340  So aber Saenger, S.  81 f. 341  Schünemann, S.  73 f.; Saenger, S.  81. 342  Unten §  1A.IV.2, S. 113. 343  Abweichend der Ansatz von Schünemann, S.  83 ff., der die obrigkeitliche Hilfe auch bei Not­ wehr als vorrangig sieht, was er am Erfordernis eines „gegenwärtigen Angriffs“ festmacht. 338 

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vorschüsse und Gebühren, durch die staatliche Durchsetzung gegenüber der sofort wirkenden Selbsthilfe in gewissem Umfang hinnehmen muss. Eine private Maßnah­ me wird regelmäßig (in Ermangelung eines geordneten Verfahrens) deutlich früher eingreifen und so Gefahren oder gar Rechtsverletzungen schneller beseitigen als staatliches, an strenge Verfahrensvorschriften gebundenes Einschreiten. So wird ein Grundstückseigentümer durch Einsatz einer „Hilfstruppe“ aus einem Anwalt, einem Privatdetektiv und 18 weiteren Personen eine Gruppe Hausbesetzer sicherlich ohne weiteres entfernen können.344 Ebenso ist es schneller, ein Auto nach Aufhebung eines entsprechenden Besitzkonstituts per Zweitschlüssel unmittelbar beim nicht rückga­ bewilligen unmittelbaren Besitzer abzuholen, als hierfür (langwierige) gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.345 Den Handwerker mag es zur schnellen Begleichung von Schadensersatzansprüchen anhalten, wenn man sein auf der Baustelle zurückge­ lassenes Werkzeug einbehält.346 Dennoch wird in allen genannten Fällen den jewei­ ligen Gläubigern im Interesse des öffentlichen Friedens die Pflicht auferlegt, zunächst ein zeitintensives gerichtliches Verfahren durchzuführen und sodann die Entschei­ dung zu vollstrecken; wobei nicht einmal gewährleistet ist, dass diese Maßnahme erfolgreich ist.347 Die Subsidiarität greift also nicht nur gegenüber identisch wirkenden staatlichen Maßnahmen, sondern auch im Verhältnis zu weniger effizienten, insbesondere lang­ sameren, hoheitlichen Mechanismen, soweit diese trotz Verzögerungen und höhe­ rem Aufwand eine hinreichende Erfolgsaussicht mit sich bringen. Das Risiko von Verschlechterungen oder Gefährdungen während des Verfahrens wird grundsätz­ lich als allgemeines Lebensrisiko dem Gläubiger zugewiesen, nur außergewöhnliche Situationen rechtfertigen ein Einschreiten nach §  229 BGB. Notwehr (§  227 BGB) ist mangels Erforderlichkeit der Abwehrhandlung allenfalls dann abzulehnen, wenn staatliche Hilfe gegenüber der Notwehrhandlung zu minimalsten Verzögerungen führen würde.348 Die besondere Subsidiarität bei der Selbsthilfe (§  229 BGB) führt dazu, dass die Rechtfertigung bereits zu verneinen ist, wenn Hoheitsträger die Ge­ fahr deutlich später wirksam beseitigen könnten. Ob ein Anspruch auf Ersatz etwai­ ger Verzögerungsschäden (§§  280 Abs.  1, Abs.  2, 286 BGB) später tatsächlich geltend gemacht wird oder dessen Erfüllung seinerseits (etwa mangels Solvenz des Schuld­ ners) fraglich ist, ist dabei ohne Bedeutung. Der Gläubiger eines Anspruchs muss diese Gefahr hinnehmen, da ansonsten staatliche Verfahren regelmäßig von vorheri­ gen Selbsthilfemaßnahmen begleitet oder sogar verdrängt würden und so das Risiko von Fehleinschätzungen unkontrollierbar erhöht würde. Während der Gläubiger 344 

OLG Brandenburg NJW 1998, 1717. OLG Saarbrücken MDR 2007, 510. 346  OLG Köln MDR 2000, 152 (wo §  229 BGB noch nicht einmal erwähnt wird). 347  So OLG Brandenburg NJW 1998, 1717 im dargestellten Fall. 348 NK-StGB/Kindhäuser, §   32 StGB Rn.  95; LK/Rönnau/Hohn, §  32 StGB Rn.  183; Schönke/ Schröder/Perron, §  32 StGB Rn.  41 noch weiter Pelz, NStZ 1995, 305, 307; siehe auch näher unten §  3B, S. 329. 345 

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also nicht dulden muss, dass der konkret geschuldete Gegenstand durch einen An­ spruch auf Schadensersatz (statt der Leistung) ersetzt wird,349 muss er dessen verspä­ tete Erbringung hinnehmen. b)  Scheitern obrigkeitlicher Hilfe §  229 BGB betrifft in der Regel Situationen, in denen staatliche Maßnahmen aus tat­ sächlichen oder rechtlichen Gründen ausscheiden. Insoweit wird eine §  275 Abs.  1 BGB ähnliche Ausgangssituation vorausgesetzt, wobei §  229 BGB nur eine Obliegen­ heit des Gläubigers, nämlich die Einschaltung staatlicher Stellen betrifft. Erfasst sind damit insbesondere diejenigen Fälle, in denen die Identität des Anspruchsgegners unbekannt ist und kein Vertreter der Staatsgewalt vor dessen Entschwinden erreich­ bar ist. Wurde ein staatliches Verfahren vergeblich durchgeführt, darf der Gläubiger selbst dann nicht nach §  229 BGB vorgehen, wenn er meint, das Ergebnis dieses Verfahrens widerspreche der materiellen Rechtslage oder beseitige die Gefahr für seinen An­ spruch nicht.350 Wird also der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz rechtskräftig abgelehnt, kann der Gläubiger sein Recht selbst dann nicht „sichern“, wenn das Urteil bzw. der Beschluss materiell unrichtig ist. Dies ist freilich keine Frage der Subsidiari­ tät, sondern betrifft vielmehr den nach §  229 BGB erforderlichen „Anspruch“: Es gibt in diesem Fall zwar keine staatliche Hilfe, aber es fehlt die Möglichkeit der späteren (freiwilligen oder staatlich erzwingbaren) Verwirklichung des Anspruchs, die gerade für die Selbsthilfe wesenstypisch ist.351 Aus dem selben Grund ist die Selbsthilfe un­ berechtigt, soweit staatliche Sicherungsmaßnahmen gegenüber dem Anspruchsgeg­ ner ausscheiden, weil auch eine spätere Vollstreckung des Anspruchs ausgeschlossen wäre. Gemeint ist etwa der Fall, dass sich der Anspruchsgegner bereits vor der Selbst­ hilfehandlung zu Recht auf die Verjährung des Anspruchs beruft.352 Ebenso scheidet Selbsthilfe aus, soweit die staatlichen Stellen aufgrund der unkla­ ren Beweislage nicht einschreiten dürfen.353 Dies folgt aus einem Erst-Recht-Schluss zu den Regelungen des §  230 Abs.  2 und Abs.  3 BGB. Wenn für diese Fälle eine Über­ führung in die jeweiligen Anordnungen des einstweiligen Rechtsschutzes geboten ist, bedeutet dies auch, dass im Zeitpunkt der Selbsthilfehandlung jedenfalls hypo­ thetisch ein staatliches Organ hätte handeln dürfen müssen.354 Dies gilt allerdings nur, soweit für die Sicherungsmaßnahme der Wille des Anspruchsgegners überwun­ den werden muss. Stehen die Sicherungsmaßnahmen (wenn auch aus anderen Grün­ den) mit dem Willen des Anspruchsgegners im Einklang355 oder ist ein entgegenste­ 349 

Unten §  1A.II.3a, S. 90. §  230 BGB Rn.  55; jurisPK-BGB/Backmann, §  230 BGB Rn.  12. 351  Oben §  1A.II.1, S. 76. 352  Siehe dazu bereits oben §  1A.II.2b, S. 87. 353  BGHSt 17, 328, 330 f. 354  So zutreffend Schünemann, S.  74 f. 355  Zur Einwilligung noch unten §  3A, S. 297. 350 Staudinger/Repgen,

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hender Wille des Anspruchsgegners für den Handelnden nicht ersichtlich, kommt selbst bei fehlender staatlicher Durchsetzbarkeit eine Rechtfertigung kraft Selbsthilfe in Betracht.356 Freilich ist für das Fehlen obrigkeitlicher Hilfe dann nicht auf die Durchsetzung des Anspruchs als solchen (die aus anderen Gründen nicht möglich wäre) abzustellen, sondern auf die Beseitigung der konkreten Gefährdung für den Anspruchsgegenstand. Etwas anderes gilt allerdings, soweit zwar eine staatliche Stelle, etwa ein Polizist vor Ort oder ein Richter in der ersten Instanz im einstweiligen Rechtsschutz ihre Hilfe verweigert hat, aber noch die Möglichkeit zu einer Überprüfung oder zur Ein­ leitung eines vom ersten Verfahren unabhängigen alternativen Weges offensteht, bei dem ein Erfolg jedenfalls nicht ausgeschlossen ist.357 Daher schließt die Verweige­ rung einer Unterstützung durch die Polizei Selbsthilfe jedenfalls insoweit nicht aus, als die Verweigerung auf der polizeirechtlichen Subsidiaritätsklausel beruht und einstweiliger Rechtsschutz vor dem Zivilgericht möglich bleibt. Ebenso bedeutet die Möglichkeit, ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung einzulegen, dass insoweit die staatliche Durchsetzung nicht ausgeschlossen ist. Schließlich bedeutet eine Verwei­ gerung aus rein verfahrensrechtlichen Gründen (etwa Unzuständigkeit) nicht, dass auch Selbsthilfe ausgeschlossen ist. Möglich bleibt die Einleitung eines neuen Ver­ fahrens, bei dem die Zulässigkeitsvoraussetzungen gewahrt sind. Problematisch ist damit nur die Konstellation, dass staatliche Stellen zwar er­ reichbar sind, aber der betreffende Amtswalter bereits die Einleitung eines prüfen­ den Verfahrens zu Unrecht verweigert. Dann hat noch keinerlei Interessenabwägung stattgefunden und die Gefährdung des Anspruchs besteht genauso fort, als wäre kei­ ne hoheitliche Hilfe verfügbar. Die Befugnis zur Selbsthilfe nach §  229 BGB besteht in diesen Fällen daher in gleicher Weise wie bei fehlender Erreichbarkeit staatlicher Stellen. Die Gefahr einer solchen, offenen Auslegung der Subsidiaritätsklausel offen­ bart sich freilich, wenn man weitergehend auch die „unangemessene Verzögerung“ der Nichtverfügbarkeit staatlicher Hilfe gleichsetzt.358 Denn es genügt, wie bereits dargestellt, dass die Verzögerung durch Schadensersatzansprüche (§§  280 Abs.  1, Abs.  2, 286 BGB) bzw. Zinsen (§§  286, 288 BGB) kompensiert werden kann. Etwas anderes kann nur für den Fall gelten, dass sich durch die Verzögerung die Gefahr vergrößert. Diese neue Gefahr mag dann die Grenze überschreiten, die ein soforti­ ges Einschreiten rechtfertigt, da staatliche Hilfe zu deren Beseitigung zu spät kom­ men würde. c)  Unzumutbarkeit obrigkeitlicher Hilfe? Neben der tatsächlichen Unmöglichkeit (analog §  275 Abs.  1 BGB) hoheitlichen Ein­ schreitens ist auch entsprechend §  275 Abs.  2, 3 BGB die Unzumutbarkeit der Ein­ 356 

§  1A.II.1a, S. 77. Schünemann, S.  75; Saenger, S.  79 f. 358 Soergel/Fahse, §  229 BGB Rn.  10; BeckOK-BGB/Dennhardt, §  229 BGB Rn.  5; Saenger, S.  79. 357 

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schaltung obrigkeitlicher Hilfe vorstellbar. Fraglich ist, ob es hierfür genügt, dass ein Einschreiten der hierzu berufenen Hoheitsträger nicht nur dem Anspruchsgegner, sondern auch dem Anspruchsinhaber Nachteile zufügen würde. Eine solche Erwä­ gung mag die Entscheidung des OLG Stuttgart359 rechtfertigen, wonach das Über­ kleben fremder, in wettbewerbswidriger Weise aufgeklebter Plakate zulässig sein sollte, weil „die Stadtverwaltung unstreitig nicht bereit ist, nähere Regelungen für die gemeinsame Benut­ zung zu treffen, sondern im Fall von Unzuträglichkeiten, zu denen auch solche Beschwerde­ fälle zu rechnen wären, androht, die Benutzung insgesamt zu verbieten bzw. nicht länger zu dulden“.

Unabhängig von dem in diesem Fall bestehenden Problem einer Vorwegnahme der Hauptsache im Wege der Selbsthilfe360 würden die von der Klägerin geltend gemach­ ten wettbewerblichen Nachteile aber auch durch ein umfassendes Verbot beseitigt. Durch die Gefährdung einer, ohne jeglichen Anspruch erfolgten, Duldung der ­Nutzung durch staatliche Stellen wird keine umfassende Selbsthilfebefugnis einge­ räumt.361 Denkbar ist jedoch eine wirtschaftliche Unmöglichkeit des Einschreitens. Soweit das gefahrverhindernde Einschreiten hoheitlicher Stellen mit völlig unverhältnismä­ ßigem Aufwand für den Gläubiger verbunden wäre, darf er zur Selbsthilfe schreiten. Eine derartige Konstellation ist etwa vorstellbar, wenn ein Hoheitsträger mit großem Aufwand zu den auf einem Alpengipfel oder einem Schiff streitenden Personen transportiert werden müsste. Demgegenüber ist es durchaus zumutbar, Gebühren oder Kostenvorschüsse zu leisten. Erst wenn diese einen unbilligen oder für den Gläubiger nicht mehr tragbaren Aufwand verursachen, kann auf das Einschalten staatlicher Stellen verzichtet werden. Prozesskostenhilfe wird in Verfahren des einst­ weiligen Rechtsschutzes, in denen eine Sicherung durch Wegnahme bzw. Festnahme oder sonstigen Maßnahmen nach §  229 BGB zu Gebote steht, regelmäßig zu spät kommen, so dass die Gefahr durch Einschaltung eines Gerichts nicht mehr rechtzei­ tig abgewendet werden kann. 2.  Erfordernis „sofortigen“ Tätigwerdens Anders als im einstweiligen Rechtsschutz (§§  917, 918 ZPO) genügt für §  229 BGB nicht jede Gefahr im oben erörterten Sinne für das Tätigwerden des Gläubigers. Viel­ mehr besteht ein besonderes Zeitmoment: Nur Gefahren, die ein „sofortiges Eingrei­ fen“ voraussetzen, berechtigen zur Selbsthilfe. Diese Eilbedürftigkeit ist nicht nur für die Selbsthilfe, sondern generell für alle Rechtfertigungsgründe prägend, so insbe­ sondere für die Notwehr (§  227 Abs.  2 BGB: „gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff“), 359 

OLG Stuttgart NJW-RR 1996, 1515. Dazu noch unten §  1A.V.2, S. 140. 361  Siehe auch OLG Karlsruhe GRUR-RR 2008, 350 in einem vergleichbaren Fall. 360 

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den Notstand (§  229 BGB „drohende Gefahr“, §  904 S.  1 BGB: „gegenwärtigen Ge­ fahr“, §  34 StGB: „gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr“), die Besitzkehr (§  859 Abs.  2: „auf frischer Tat betroffenen oder verfolgten Täter“, §  859 Abs.  3: „sofort“) oder auch das Festnahmerecht (§  127 Abs.  1 S.  1 StPO: „auf frischer Tat betroffen oder verfolgt“). Auch für die rechtfertigende Einwilligung gilt grundsätzlich das Simultaneitätsprinzip. Es ist also stets auf den Zeitpunkt der konkreten Handlung abzustellen.362 Der rechtspolitische Hintergrund hierfür ist offensichtlich. Würde man rein re­ pressive Handlungen (zur Bestrafung) erlauben, würde die eindeutige Aufklärung der zugrunde liegenden Sachverhalte erschwert, wenn nicht gar verhindert. Eine dauerhafte Konfliktbeilegung könnte nicht erzielt werden und eine Eskalation im Sinne der seit langem überwundenen Blutfehde wäre kaum vermeidbar. Auch Hand­ lungen im frühen Vorfeld einer noch nicht einmal konkretisierten Gefahr gilt es zu vermeiden. Ansonsten würde bei übervorsichtigen oder gar paranoiden Personen eine zu weitreichende Eingriffsbefugnis geschaffen. Hieran wird auch deutlich, dass anders als für die Bestimmung des Handlungszwecks die rein subjektive Einschät­ zung des Handelnden jedenfalls im Zivilrecht keine Bedeutung haben darf. Wer ohne jeglichen tatsächlichen Hintergrund in Rechte Dritter eingreift, kann seine Pflicht zum Schadensersatz oder zur Folgenbeseitigung nicht allein durch sein (irri­ ges) Vorstellungsbild ausschließen. 3.  Erforderlichkeit der Handlung Die Selbsthilfe ist nur zulässig, soweit es keine gleich geeigneten Mittel gibt, welche die Rechte des Adressaten weniger beeinträchtigen (§  230 Abs.  1 BGB). Maßgeblich ist dabei nicht die tatsächlich eingetretene Folge der Selbsthilfe (etwa eine Verletzung des Schuldners, eine Beschädigung der Sache oder ein durch das Festhalten entgan­ gener Gewinn aus einem anderen Geschäft), sondern nur die Handlung.363 Kann eine Handlung daher unter bestimmten, vom Handelnden nicht beherrschbaren oder er­ kannten Umständen, besonders schwere Folgen verursachen, ist allein zu fragen, ob es andere Handlungen gibt, die mit gleicher Sicherheit zum gewünschten Erfolg füh­ ren würden, aber dies Gefahr ganz ausschließen würden.364 Solange auch nur der geringste Zweifel an der Eignung verbleibt, darf das potenziell intensivere Mittel ge­ wählt werden. Die staatliche Durchsetzung ist dabei nicht zwingend für den Schuld­ ner weniger beeinträchtigend. Vielmehr stellt nur die ausdrückliche Subsidiaritäts­

362 

Näher unten §  3A.II, S. 318. Zur Notwehr MüKo-BGB/Grothe, §  227 BGB Rn.  16. 364  RGZ 111, 370 (Warnschuss verletzt Kartoffeldiebe); BGH NJW 1974, 154 (Warnschuss tötet angreifenden Schläger); BGH NStZ 2005, 31, 32 sieht in einer tödlichen Verletzung durch eine Schusswaffe gar das „mit der Notwehrhandlung verbundene typische Risiko“. 363 

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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klausel deren Vorrang sicher. Bedeutung erlangt dies vor allem im Rahmen des Not­ wehrtatbestandes (§  227 BGB).365 a)  Auswahl des Objekts der Selbsthilfe Eine Fehleinschätzung des in Selbsthilfe Handelnden hinsichtlich der Erforderlich­ keit macht dessen Handlung rechtswidrig; es sind also Notwehr (§  227 BGB) bzw. Besitzwehr oder Besitzkehr (§  859 BGB) gegen den Eingriff möglich. Zudem kann das Opfer der Selbsthilfemaßnahme nach §  231 BGB Schadensersatz selbst dann ver­ langen, wenn die Möglichkeit zum Eingriffs in ein anderes, gleich geeignetes aber weniger bedeutsames Rechtsgut für den Selbsthelfer bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht erkennbar war. Vor diesem Hintergrund darf das Spek­ trum zulässiger Selbsthilfemittel nicht übermäßig verengt werden. Für die Beurteilung ist nicht auf die individuellen Vorlieben des Opfers der Selbst­ hilfehandlung abzustellen, sondern ein objektiver Maßstab anzuwenden.366 Eine ab­ schließende, klare Rangfolge möglicher Objekte findet sich allerdings weder im BGB noch an anderer Stelle. Zurückgegriffen werden kann daher primär auf die Werte­ ordnung des Grundgesetzes. Hinsichtlich der verschiedenen Selbsthilfemittel gilt danach, dass Eingriffe in Sachen grundsätzlich weniger intensiv sind als Einwirkun­ gen auf die Person des Schuldners.367 Dies entspricht der Rechtsprechung zu §  127 Abs.  1 StPO, die dort über den Wortlaut hinaus als milderes Mittel auch die Wegnah­ me von Beweismitteln oder Ausweispapieren erlaubt.368 Schwieriger ist, ob und inwieweit auch wirtschaftliche Gesichtspunkte in die Be­ urteilung einbezogen werden dürfen. Intuitiv liegt es nahe, vom Gläubiger zu for­ dern, im Zweifel auf eine geringwertigere Sache zuzugreifen, soweit er aus mehreren Gegenständen auswählen kann. Allerdings ist der für die Ermittlung des mildesten Mittels maßgebliche Wert im Rahmen der zeitlich bedingt nur kursorisch erfolgen­ den Prüfung oft nicht zu erkennen. So mag die alte Kommode in Wirklichkeit eine wertvolle Antiquität sein; auf dem weggenommenen Handy mögen essenzielle Kon­ taktdaten gespeichert sein, die dem Schuldner so nicht mehr zugänglich sind. Daher ist wie bei der Abschätzung der Gefährdung369 ein Einschätzungsspielraum zu ge­ währen. Soweit keine Kenntnis vorliegt, darf daher unter mehreren Gegenständen frei ausgewählt werden. Wirtschaftliche Gesichtspunkte bleiben außer Betracht. Erfolgt die Selbsthilfe zur Sicherung einer (beschränkten) Gattungsschuld wird man dem Gläubiger kaum zumuten können, eine Sache mittlerer Art und Güte im Sinne von §  243 Abs.  1 BGB auszuwählen. Da die Konkretisierungsbefugnis beim 365 

Dazu unten §  1A.V.2, S. 140. Vgl. nur RGZ 84, 306, 307; MüKo-BGB/Grothe, §  227 BGB Rn.  14; Staudinger/Repgen, §  227 BGB Rn.  55. 367 MüKo-BGB/Grothe, §  230 BGB Rn.  1; Staudinger/Repgen, §  230 BGB Rn.  1; Soergel/Fahse, §  230 BGB Rn.  1. 368  OLG Saarbrücken NJW 1959, 1190, 1191; KK-StPO/Schultheis, §  127 StPO Rn.  29. 369  Oben §  1A.II.3b, S. 92. 366 

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

Schuldner liegt,370 genügt es, wenn der Gläubiger einen beliebigen erfüllungstaugli­ chen Gegenstand zur Sicherung an sich nimmt, selbst wenn dieser im oberen Quali­ tätsbereich liegen sollte. Der Schuldner kann, soweit die Gefahr beseitigt wird und danach noch andere Stücke vorhanden sind, auch mit einem anderen Gegenstand erfüllen. Ansonsten wird er nach Rückgabe (§  230 Abs.  4 BGB) diesen letzten, ihm verbleibenden Gegenstand zur Erfüllung anbieten müssen. Bei einer Gesamtschuld (§  421 BGB) kann der Gläubiger gegen beliebige Schuld­ ner Sicherungsmaßnahmen ergreifen, soweit die Leistung insgesamt gefährdet ist. Fliehen etwa sämtliche Beteiligte nach einem erfolgreichen Betrug, muss das Opfer nicht alle zur Identitätsfeststellung einsperren, sondern kann sich einen beliebigen Adressaten aussuchen. Es ist aber ebenso zulässig, alle Beteiligten bis zur Verfügbar­ keit staatlicher Hilfe festzuhalten. Denn ansonsten träfe den Gläubiger das Risiko, dass die von ihm festgehaltene Person nicht zahlungskräftig ist, was insbesondere §  840 BGB verhindern will.371 Eine besondere Auswahl, etwa vorrangig gegen den Beteiligten mit dem höchsten Verschuldensgrad oder dem größten Vermögen vorzu­ gehen, lässt sich der Erforderlichkeit nicht entnehmen. Auch die polizeirechtlichen Grundsätze der Störerauswahl372 passen auf allgemeine vermögensrechtliche An­ sprüche nicht. b) Vorläufigkeit Ziel der Selbsthilfehandlung und damit Maßstab der Erforderlichkeit ist ausschließ­ lich die vorläufige Abwehr der Gefahr für die Erfüllung, nicht hingegen die endgülti­ ge Erfüllung.373 Dies folgt aus dem Verhältnis der Selbsthilfe zur staatlichen Rechts­ durchsetzung. Wenn schon im einstweiligen Rechtsschutz eine Vorwegnahme der Hauptsache als endgültige Änderung der Rechtslage ausscheidet, muss dies erst Recht für die ihm vorgelagerte Selbsthilfe im Sinne des §  229 BGB gelten.374 Selbst wenn eine bestimmte Maßnahme den Anspruch erfüllen würde (und damit jegliche Gefahr für die Verwirklichung des Anspruchs ausschließt), ist diese nicht deshalb besser geeignet (und damit erforderlich) im Sinne von §  229 BGB. Dieses Erfordernis ist sogar strenger als im Verhältnis von staatlichem einstweili­ gem Rechtsschutz zur endgültigen staatlichen Zwangsvollstreckung. Bereits die län­ gerfristige Sicherung ist dem zivilgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutz vorbehal­ ten. §  229 BGB soll also nur eine sehr frühe Vorphase erfassen, wie aus §  230 Abs.  2 und Abs.  3 BGB erkennbar wird. Bei Wegnahme von Sachen verlangt §  230 Abs.  2 370 MüKo-BGB/Emmerich, 371  BGHZ

§  243 BGB Rn.  4. 30, 203, 210; Erman/Schiemann, §  840 BGB Rn.  1; MüKo-BGB/Wagner, §  840 BGB

Rn.  1. 372 Siehe nur BVerwG NJW 1986, 1626, 1627 f.; OVG Münster NJW 2003, 2183, 2186; VGH Mannheim NVwZ 2000, 1199; Garbe, DÖV 1998, 632; Schwerdtner, NVwZ 1992, 141. 373 BeckOK-BGB/Dennhardt, §  230 BGB Rn.  6; jurisPK-BGB/Backmann, §  229 BGB Rn.  3. 374 MüKo-ZPO/Drescher, §  938 ZPO Rn.  9 ff.; Schünemann, S.  96 f.; Staudinger/Repgen, §  230 BGB.

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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BGB ausdrücklich, dass der Gläubiger den dinglichen Arrest beantragt (iVm §§  916, 917 ZPO), bei einem nicht auf Geld gerichteten Anspruch ist bei einer Wegnahme der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (§§  935, 940 ZPO) statthaft. Bei Fest­ nahme einer Person ist unverzüglich der persönliche Arrest gemäß (§  230 Abs.  3 BGB iVm §§  916, 918 ZPO) bzw. die Haftanordnung im Wege der einstweiligen Verfügung (§§  935, 940 ZPO) zu beantragen. Für die Anordnung des persönlichen Sicherheitsar­ rests ist anders als im Zivilprozess nicht das Gericht der Hauptsache zuständig (§  919 ZPO), sondern das Gericht, in dessen Bezirk die Festnahme erfolgte. Damit soll eine zeitnahe Kontrolle gewährleistet werden. Um die Einhaltung dieser Pflichten sicherzustellen, bestimmt §  230 Abs.  4 BGB, dass bei schuldhafter Verzögerung der Antragstellung eine weggenommene Sache zurückzugeben bzw. der festgehaltene Verpflichtete freizulassen ist. Dies gilt selbst dann, wenn dem Gläubiger an der weggenommenen Sache ein Recht zum Besitz zu­ steht.375 Erfolgt dies nicht, ist das weitere Behalten rechtswidrig und es kann Scha­ densersatz wegen Verletzung des Eigentums bzw. des berechtigten Besitzes oder der Freiheit aus §  823 Abs.  1 BGB verlangt werden. Zudem soll auch §  230 Abs.  4 BGB als eigenes Schutzgesetz im Sinne von §  823 Abs.  2 BGB gelten. Praktische Bedeutung entfaltet dies freilich zumeist nicht, da die betroffenen Rechtsgüter allesamt auch von §  823 Abs.  1 BGB erfasst sind. Trotz allem ist die Anreizstruktur bei §  230 Abs.  2 bis Abs.  4 fraglich. Eine durch Selbsthilfe gerechtfertigte Selbsthilfe stellt keine verbotene Eigenmacht dar (§  858 Abs.  1 BGB) und begründet auch keinen fehlerhaften Besitz (§  858 Abs.  2 BGB) ge­ genüber dem Opfer der Selbsthilfemaßnahme. Mangels einer rechtswidrigen delikti­ schen Besitzentziehung greift schließlich auch nicht die Zufallshaftung nach §  848 BGB ein. Da die Selbsthilfehandlung rechtmäßig war und nicht rückwirkend rechts­ widrig werden kann, scheidet zudem eine unmittelbare Anwendung von §  231 BGB aus.376 Soweit sich der Selbsthelfer daher unvermeidbar über seine Rückgabepflicht oder die Pflichten nach §  230 Abs.  2 oder Abs.  3 irrt, führt dieser Irrtum zum Haf­ tungsausschluss. Eine strengere Haftung ließe sich nur konstruieren, wenn man über den an eine Handlung im Sinne von §  229 BGB anknüpfenden Wortlaut von §  231 BGB hinaus auch das Aufrechterhalten des Zustandes als unberechtigte Selbsthilfe einordnen würde. Hierfür gibt es jedoch keinen sachlichen Grund, da bei rechtmäßi­ ger Selbsthilfehandlung sich die von §  231 BGB erfasste Gefahr einer Fehleinschät­ zung gerade nicht realisiert hat.377 Die Norm soll gerade nicht als Strafvorschrift das Fehlverhalten des Gläubigers regeln, sondern nur eine Privilegierung gegenüber der gerichtlichen Entscheidung (§§  717 Abs.  2, 945 ZPO) ausschließen. 375 Palandt/Ellenberger, §  230 BGB Rn.  3; jurisPK-BGB/Backmann, §  230 BGB Rn.  8; Staudinger/ Repgen, §  230 BGB Rn.  4; abweichend Erman/Wagner, §  230 BGB Rn.  3; Soergel/Fahse, §  230 BGB Rn.  5. 376 Staudinger/Repgen, §   231 BGB Rn.  3; Soergel/Fahse, §  231 BGB Rn.  2; jurisPK-BGB/Backmann, §  230 BGB Rn.  14; aA Schäfer, S.  60. 377  Zur Begründung des §  231 BGB noch näher unten §  1C, S. 164.

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

c) Befriedigungsselbsthilfe Fraglich ist, inwieweit die Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB trotz ihrer grundsätz­ lich nur vorläufigen Natur ausnahmsweise auch Verwirklichung des Anspruchs füh­ ren kann. Es geht dabei weniger darum, dass ein Unterlassungsanspruch für den Zeitraum zwischen der Selbsthilfehandlung und der einstweiligen Verfügung durch die Selbsthilfehandlung faktisch umgesetzt wird, sondern um die endgültige Festle­ gung eines Zustands im Sinne einer Vorwegnahme der Hauptsache. Im einstweiligen Rechtsschutz kann eine derartige „Befriedigungsverfügung“ ergehen, soweit aus­ nahmsweise ein unabweisbares Bedürfnis gerade an der Erfüllung besteht.378 In An­ lehnung an diese prozessuale Begrifflichkeit findet sich mitunter auch das Konzept einer „Befriedigungsselbsthilfe“.379 Mit dieser Begrifflichkeit ist freilich nichts ge­ wonnen. Vielmehr ist anhand des materiellen Rechts zu entscheiden, ob und wenn ja unter welchen Umständen Maßnahmen mit dauerhafter Erfüllungswirkung im Rah­ men von §  229 BGB zulässig sind. Eine Übernahme der prozessualen Erwägungen ist schon deshalb nicht unproblematisch, weil die Verzögerung bis zur Erlangung einst­ weiligen Rechtsschutzes regelmäßig weniger ins Gewicht fallen dürfte als der zeitli­ che Abstand zwischen einstweiligem Rechtsschutz und dem Hauptsacheverfahren. Die verhaltenssteuernde Wirkung des §  231 BGB greift insoweit nicht ein, soweit die der Befriedigung vorhergehende Handlung (regelmäßig eine Wegnahme) zulässig war – eine Haftung besteht daher nur bei Verschulden.380 Eindeutig sind die Fälle, in denen nach Wegnahme einer Sache eine Willensüber­ einstimmung zwischen Gläubiger und Schuldner hinsichtlich der Erfüllung erzielt wird.381 Darin kann man nicht nur den Verzicht auf die gerichtliche Überprüfung erblicken, sondern auch eine dingliche Einigung im Sinne von §  930 BGB. Dies äh­ nelt der sog. „Abschlusserklärung“ im einstweiligen Rechtsschutz. Diese namentlich im gewerblichen Rechtsschutz (siehe insoweit nur §§ 85, 140 b Abs. 3 PatG, § 42 a Abs. 6 S. 2 UrhG und § 24 b Abs. 3 GebrMG) bzw. im Lauterkeitsrecht (§ 12 Abs. 2 UWG, § 5 UklaG) übliche Vorgehensweise bewirkt, dass die unterliegende Partei eine einstweilige Verfügung im Wege der Selbstverpflichtung für endgültig verbindlich erklärt und bei Zuwiderhandlung eine Vertragsstrafe verspricht.382 Darüber hinaus wird man aber aus §  229 BGB selbst keine endgültigen Maßnah­ men herleiten können. Zwar zeigen die in §  229 BGB ausdrücklich erwähnte Mög­ lichkeit zur „Zerstörung der Sache“ oder zur „Durchsetzung einer Duldungspflicht“, dass ausnahmsweise auch endgültige, unwiederbringliche Zustände durch die Selbsthilfe geschaffen werden können. Denn es muss sich bei diesen Maßnahmen 378 

Vgl. etwa OLG Frankfurt a. M. NJW 2007, 851; HK-ZV/Haertlein, §  935 ZPO Rn.  35 ff. Schünemann, S.  96 ff.; jurisPK-BGB/Backmann, §  230 BGB Rn.  8. 380  Näher oben §  1A.IV.3b, S. 116. 381 Bei Vereinbarungen nach Vornahme der Selbsthilfehandlung greifen die unten §   3A.I.2, S. 314 erörterten Einwände gegen eine Erweiterung des Selbsthilferechts durch Vertrag nicht. 382  Zu dieser Praxis LG Hamm GRUR 1993, 1001; Ohly/Sosnitza/Sosnitza, §  12 UWG Rn.  189 f.; Köhler/Bornkamm/Köhler, §  12 UWG Rn.  3.74; Rojahn, Handbuch des Urheberrechts, Rn.  62 f. 379 

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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nicht notwendig um Zwischenschritte handeln, sondern sie können ausnahmsweise auch die Erfüllung einer als Leistungspflicht zu erbringenden Duldung (§  241 Abs.  1 BGB) darstellen. Solche endgültigen Maßnahmen greifen aber regelmäßig schwer­ wiegend in die Rechte des Schuldners ein und sind daher nicht erforderlich.383 Nur wenn sie tatsächlich das mildeste bzw. zumindest eines der mildesten Mittel darstel­ len, kommen sie überhaupt in Betracht. Im Allgemeinen folgt das Recht zur endgültigen Befriedigung des Anspruchs al­ lerdings aus den bei Gefährdung relevanter Rechtsgüter mit §  229 BGB konkurrie­ renden sonstigen Rechtfertigungsgründen: Soweit der Gläubiger zu verhungern oder zu erfrieren droht, weil ihm lebensnotwendige Leistungen versagt werden, kann er sich auf Aggressivnotstand (§  904 BGB) stützen;384 die Entschädigungspflicht wird insoweit ausnahmsweise entbehrlich sein.385 Droht gerade von der vernichteten oder weggenommenen Sache eine Gefahr, kommt Defensivnotstand (§  228 BGB) in Be­ tracht. Bei von Personen ausgehenden Gefahren kann schließlich auf Notwehr (§  227 BGB)386 zurückgegriffen werden oder der nur im Strafrecht geregelte allgemeine rechtfertigende Notstand (§  34 StGB) herangezogen werden.387 Der Umstand, dass durch diese Handlung gleichzeitig ein Anspruch im Sinne von §  229 BGB verwirk­ licht wird, führt zu keiner besonderen Bewertung; im Einzelfall können sogar zwei verschiedene Maßnahmen in Bezug auf einen Gegenstand (etwa die Wegnahme und die Zerstörung durch Verwendung) auf unterschiedliche Rechtfertigungsgründe ge­ stützt werden. Soweit die Gefahr nicht derart dringend ist, dass die Notrechte ein­ greifen, bedarf es keiner Ausdehnung von §  229 BGB: Vielmehr ist nach §  230 BGB (obwohl dies der geschuldete Zustand ist) eine einstweilige Verfügung und mögli­ cherweise ein Urteil zu erwirken.

V.  Weitere Beschränkungen der Selbsthilfe Die durch das Verhältnis zur staatlichen Durchsetzung bestimmte Subsidiarität soll nicht die einzige Einschränkung der in §  229 BGB generalklauselartig erfassten Selbsthilfe gegenüber dem „schneidigen“ Notwehrrecht des §  227 BGB sein. Freilich wollte der Gesetzgeber mit §  229 BGB ein schneidiges Recht schaffen und eine über­ mäßige Einschränkung gerade verhindern.388 Der Wortlaut der Norm umfasst auf den ersten Blick nur einige, genau bestimmte Selbsthilfehandlungen (sub 1). Eine 383 

Oben §  1A.IV.3a, S. 115. Prot VI 216 = Mugdan I, S.  804; Staudinger/Althammer, §  904 BGB Rn.  12. 385 MüKo-BGB/Säcker, §  9 04 BGB Rn.  21; zutreffend folgt dies wohl aus §  254 BGB (denn der Schuldner hätte den Anspruch des Gläubigers erfüllen müssen und hätte so die Gefahr beseitigt), vgl. nur BeckOK-BGB/Fritzsche, §  904 BGB Rn.  19; Staudinger/Althammer §  904 BGB Rn.  41. 386  Etwa beim Überkleben von Plakaten mit beleidigendem Inhalt, siehe nur LG Kassel BeckRS 2002, 30852898 (dort aber wegen der Gestaltung der Plakate verneint). 387  Zur Anwendung im Zivilrecht siehe etwa MüKo-BGB/Grothe, §  228 BGB Rn.  3; Staudinger/ Repgen, §  228 BGB Rn.  4. 388  Mugdan I, S.  547 = Mot. I, S.  354 f.: „Soll die Selbsthilfe, wenn sie die Rechtsordnung einmal behufs Erhaltung von begründeten Ansprüchen gestatten muss, ihren Zweck erfüllen, so darf sie 384 

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

weitere ungeschriebene Schranke könnte sich ergeben, wenn man die Schranken ei­ nes staatlichen Eingriffs auch auf private Sichermaßnahmen überträgt (sub 2). 1.  Zulässige Selbsthilfehandlungen a)  „Numerus Clausus“ des §  229 BGB? Teilweise wird aus der ausdrücklichen Aufzählung bestimmter Handlungen („…eine Sache wegnimmt, zerstört oder beschädigt oder … einen Verpflichteten, welcher der Flucht verdächtig ist, festnimmt oder den Widerstand des Verpflichteten … beseitigt“)

gefolgert, dass ausschließlich diese und kein anderes Verhalten durch den Rechtfer­ tigungsgrund erlaubt sei.389 Für eine solche Einschränkung spricht auf den ersten Blick zudem, dass die Regelung der „Grenzen der Selbsthilfe“ in §  230 Abs.  2 BGB die Wegnahme und §  230 Abs.  3 BGB die Festnahme anspricht. Soweit man auch sonsti­ ge ungeschriebene Maßnahmen erfasst wissen will, bleibt nur die in §  230 Abs.  1 BGB generalklauselartig erwähnte Erforderlichkeit als Schranke. Wenn man Maßnahmen nach §  229 BGB auf die ausdrücklich genannten Hand­ lungsmodalitäten beschränkt, ist damit allerdings nicht ausgeschlossen, dass man auf andere, allgemeine Rechtsinstitute zurückgreift. Entsprechend entnimmt man etwa bei Verweigerung einer aus kartellrechtlichen Gründen (§§  19, 20 GWB) gebo­ tenen (Zwangs-)Lizenz eine Befugnis zur tatsächlichen patentverletzenden Nutzung zwar nicht aus §  229 BGB, aber aus den allgemeinen Grundsätzen des widersprüchli­ chen Verhaltens (§  242 BGB). Ebenso kann das Problem in vielen Fällen durch An­ nahme einer Duldungspflicht hinsichtlich der letztlich maßgeblichen Selbsthilfe­ handlung entschärft werden, so dass Widerstand gegen diese nach §  229 BGB „beseitigt“ werden darf (Selbsthilfe zur Selbsthilfe).390 Für die verbleibenden Fälle müsste dann auf die (extensiv auszulegenden) Regelungen des §  227 BGB, des §  228 BGB und vor allem des §  904 BGB zurückgegriffen werden. Weitergehend wird man selbst bei Beschränkung des §  229 BGB auf die ausdrück­ lich aufgezählten Verhaltensweisen diese weit auslegen müssen. Dies bereitet bei „Zerstörung“ und „Beschädigung“ keine größeren Schwierigkeiten. So kann neben dem Überkleben wettbewerbswidrig angebrachter Plakate391 etwa auch die Unter­ brechung der Energieversorgung bei Zahlungsrückstand als Einschränkung der tat­ sächlichen Nutzbarkeit392 eine Beschädigung darstellen. Allerdings wird man auch dadurch nicht alle erforderlichen Vorfeldmaßnahmen zur Sicherung des Anspruchs weder hinsichtlich ihrer Voraussetzungen noch in der Wahl der Mittel, für deren angemessene Ver­ wendung der Berechtigte verantwortlich ist, ohne zwingenden Anlass beengt werden.“ 389  So bereits Krienitz, S.  10, 26; siehe auch Weber, S.  92. 390 BeckOK-BGB/Dennhardt, §  229 BGB Rn.  10. 391  OLG Stuttgart NJW-RR 1996, 1515, 1516; OLG Karlsruhe GRUR-RR 2008, 350. 392  OLG Köln NJW-RR 2001, 301, 302 (dort freilich §  229 BGB verneint, da staatlicher Rechts­ schutz verfügbar war).

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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erfassen können. Deutlich macht dies vor allem eine Gegenüberstellung mit den pro­ zessualen Eingriffsbefugnissen. So müssen auch das Betreten eines Gebäudes (§  758 Abs.  1 ZPO), das Entfernen von Schutzvorrichtungen, um die Sache wegzunehmen (§  758 Abs.  2 ZPO) oder der Einsatz körperlicher Gewalt, um eine Person festzuneh­ men (§  758 Abs.  3 ZPO), gerechtfertigt werden.393 Zudem sind oft nur die schwerwie­ genden Eingriffe erfasst, ohne dass weniger intensive Maßnahmen, etwa die Suche nach einer Person gegenüber deren Festnahme oder die Untersuchung von einer Sa­ che gegenüber deren endgültiger Wegnahme, erwähnt werden.394 Maßnahmen ge­ gen persönlichkeitsrechtliche Aspekte, etwa die Sammlung von Fotos und/oder Na­ men zahlungsunwilliger Kunden oder auch nur die Einwirkung auf die Entschei­ dungsfreiheit durch schlichte Drohung nennt das Gesetz nicht, da die entsprechenden Rechte bei Schaffung der Regelung noch nicht bekannt waren.395 Trotz dieser beiden Korrekturmöglichkeiten (weite Auslegung der Modalitäten sowie Rückgriff auf allgemeine Gedanken) vermag eine Beschränkung auf die aus­ drücklich genannten Verhaltensweisen nicht zu überzeugen. Der Wortlaut von §  229 BGB ist in Ermangelung sowohl eines einschränkenden „nur“ als auch eines die Bei­ spielhaftigkeit andeutenden „insbesondere“ nicht eindeutig. Die Gesetzesmaterialien sahen §  229 BGB als Ausdruck eines auch im Übrigen geltenden (sogar vorgesetzli­ chen) allgemeinen Prinzips.396 Abgesehen von diesem nach über 100 Jahren aller­ dings nur in geringem Ausmaß maßgeblichen Willen des Gesetzgebers spricht für ein offenes Verständnis der Selbsthilfehandlung vor allem die Wertung der anderen Rechtfertigungsgründe, in denen gerade keine derartigen Beschränkungen bestehen. Wie bereits festgestellt wurde, greift §  229 BGB in vielen Fällen neben einer Rechtfer­ tigung aus Notwehr (§  227 BGB, §  32 StGB) oder Notstand (§  228 BGB, §  904 BGB, §  34 StGB) und oft auch neben §  127 Abs.  1 StPO. Diese Tatbestände setzen nur ein Ziel voraus, ohne abschließend die Mittel zu nennen. Um konsequent zu bleiben, müsste man aber dann die Beschränkung auf einen Numerus clausus in §  229 BGB durch Auslegung der jeweiligen Tatbestandsmerkmale, etwa der Gebotenheit397 in §  32 StGB, auf etwaige parallel eingreifende andere Rechtfertigungsgründe übertra­ gen. Die Zweckmäßigkeit der oben erörterten Schranken ist nämlich für diese Fälle ebenfalls zu bejahen. Die Ermittlung der nach §  230 Abs.  1 BGB auch für die Selbst­ hilfe maßgeblichen Erforderlichkeit setzt aber einen Vergleich unter möglichst vielen gleich geeigneten Verhaltensvarianten voraus, um verfassungsrechtlich legitimiert zu werden. Eine künstliche Einengung würde den in Selbsthilfe Handelnden zu in393 Staudinger/Repgen,

§  229 BGB Rn.  29. den polizeirechtlichen „Minus-Maßnahmen“ bei Versammlungen, dazu Maunz/Dürig/Depenheuer, Art.  8 GG Rn.  137; Deger, NVwZ 1999, 265, 266 f. 395  Dazu noch näher unten §  1A.V.1c.dd(1), S. 136. 396  Mot. I, S.  39 (= Mugdan I, S.  8 44). 397  Diese Regelung soll durch Verengung der Erforderlichkeit einen Rechtsmissbrauch verhin­ dern; vgl. Erster Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BT-Drs. 5/4095 S.  14; Dilcher, FS Hübner, S.  4 43, 451 ff.; MüKo-BGB/Grothe, §  227 BGB Rn.  19 ff. 394 Vergleichbar

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

tensiveren Maßnahmen zwingen. Dabei beschränkt sich die Erforderlichkeit im Sin­ ne von §  230 Abs.  1 BGB aber nur auf die Abwägung der zulässigen Verhaltensweisen, so dass ein belastenderer Eingriff in die Rechte des Schuldners gesetzlich vorge­ schrieben würde. Dies ist aber offensichtlich nicht gewollt, vielmehr soll die Belas­ tung für den Schuldner möglichst gering gehalten werden. Auch rechtspolitisch ist ein Verständnis der im Gesetz genannten Modalitäten als bloß exemplarische Aufzählung zweckmäßig. Soweit keine entsprechende Haftungs­ norm besteht, bedarf es aufgrund der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art.  2 Abs.  1 GG) keiner „Ermächtigungsgrundlage“ für eine Maßnahme zum Schutz bzw. zur Sicherung der eigenen Rechte.398 Die generelle Unerwünschtheit der Handlungen in §  229 BGB erfassten Handlungen im Allgemeinen ergibt sich daher nicht etwa aus dem Rechtfertigungsgrund oder einem ungeschriebenen Gewaltmonopol, sondern folgt unmittelbar z. B. aus §§  223, 239, 240, 303 StGB oder auch aus §  823 Abs.  1 BGB.399 Die durch diese Sanktions- und Verbotsnormen bewirkten Einschränkun­ gen der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art.  2 Abs.  1 GG) müssen aber ihrerseits ver­ hältnismäßig sein und dazu insbesondere einem legitimen Zweck dienen. Das „Ge­ waltmonopol des Staates“ ist dabei freilich kein Selbstzweck.400 Es dient vielmehr der Vermeidung von Exzessen und der Gewährleistung einer einheitlichen und geordne­ ten Lösung von Konflikten. Beide Aspekte sind aber bei Fehlen staatlicher Hilfe in der konkreten Situation nicht gewährleistet. Im Gegenteil gebietet es die Rechtsstaat­ lichkeit, Sicherungsmaßnahmen zu erlauben, soweit das Vertrauen der Bürger in die Rechtsordnung durch deren Handlungsunfähigkeit in Zweifel gezogen wird. Das ist auch der Grund für die Regelung des Art.  20 Abs.  4 GG. Methodisch und inhaltlich ist es daher berechtigt, die Aufzählung des §  229 BGB nur als beispielhaft zu betrachten und dementsprechend beliebige Selbsthilfemaß­ nahmen zu ermöglichen, sofern diese im jeweiligen Einzelfall „erforderlich“ sind (§  230 Abs.  1 BGB). b)  Einwirkung auf relative Rechte Auch ohne Rückgriff auf §  229 BGB kann ein Gläubiger regelmäßig zur Sicherung oder sogar Durchsetzung seiner Ansprüche in ihm gegenüber bestehende, relative Rechte des Schuldners eingreifen. Diesbezüglich sieht das Gesetz durchgängig gerin­ gere Anforderungen vor als bei absoluten Rechten. Deutlich wird dies namentlich bei Gestaltungsrechten, etwa Anfechtung (§  142 BGB), Rücktritt (§  346 BGB), Widerruf (§  355 BGB) oder Kündigung (§  314 BGB). Auch diesen wohnt ein Selbsthilfeelement inne.401 Dennoch wird weder Subsidiarität angeordnet, noch muss eine Gefahr beste­ 398 

BVerfGE 6, 32, 36; BVerfGE 80, 137, 152; Maunz/Dürig/Di Fabio, Art.  2 Abs.  2 S.  1 GG Rn.  12 f. Schünemann, S.  14 f. 400  Siehe bereits oben, Einleitung, A.I, S. 55. 401  RGZ 80, 393, 393: „Die Aufrechnung stellt wie nach früherem so nach jetzigem Rechte eine dem Gläubiger vom Schuldner aufgezwungene Befriedigung dar, behufs welcher der Schuldner sei­ ne Gegenforderung aufopfert, nämlich zur Befriedigung des Gläubigers unter gleichzeitiger Selbst­ 399 

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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hen, bevor diese Gestaltungsrechte ausgeübt werden können. Auch im Rahmen der Prüfung der Gefahr oder der Erforderlichkeit sind derartige Eingriffsbefugnisse nicht zu berücksichtigen. Soweit Eingriffe in absolute Rechte nach §  229 BGB in Rede stehen, muss sich der Gläubiger grundsätzlich nicht vorrangig auf die Möglichkeit zum Eingriff in relative Rechte verweisen lassen, die ihn vermögensmäßig oder auch immateriell schlechter stellen würden. Er muss also weder anfechten und sich so vom Vertrag lösen, noch muss er eine bestehende Forderung durch Aufrechnung zum erlöschen bringen, bevor er Sachen wegnimmt oder den Schuldner vorläufig fest­ nimmt. Soweit der Gläubiger etwa eine gleichartige Forderung gegen den Schuldner hat, bewirkt seine einseitige Erklärung, dass die ihm gegenüber bestehende Forderung ohne weitere Voraussetzungen erlischt (§  389 BGB). Die erhebliche Reichweite dieser Selbsthilfebefugnis zeigt sich im Insolvenzverfahren. Erhalten die anderen Gläubiger nur eine Insolvenzquote auf ihre Forderungen, kann der Aufrechnungsberechtigte volle Befriedigung durch einfache Erklärung erreichen, selbst wenn dies die Masse auf Kosten der anderen schmälert. Selbst der sowohl §  229 BGB als auch einer ge­ richtlichen Durchsetzung entgegenstehende Einwand der Verjährung (§  214 BGB) wird so überwunden (§  215 BGB). Nicht anders ist die Lage bei Kündigung (z. B. nach §  314 BGB)402 oder beim Rück­ tritts- bzw. Widerrufsrecht (§  355 BGB, §  346 BGB). Auch dadurch können Ansprü­ che einseitig vernichtet werden. Die Nicht- oder Schlechterfüllung von Pflichten führt nach entsprechender Erklärung zum endgültigen Untergang der Erfüllungs­ ansprüche (nicht aber der Schadensersatzansprüche, §  325 BGB) ebenso wie zum Er­ löschen der eigenen Pflichten gegenüber dem Vertragspartner. Der Gläubiger kann also seine Verluste verringern, indem er seine eigenen Pflichten zum Erlöschen bringt und bereits erbrachte Leistungen zurückverlangen kann. Rücktritt und Kündigung sind freilich regelmäßig dadurch eingeschränkt, dass die Befugnis nur innerhalb eines einheitlichen Vertragsverhältnisses besteht. Ein über das konkrete Vertragsverhältnis hinausgehendes Recht zum Rücktritt bzw. zur Kündigung besteht allerdings in Fällen des Vertrauensfortfalls, der sowohl in §  314 BGB als auch im Rahmen des Rücktritts nach §  324 BGB Bedeutung erlangt. Die Verletzung der Rechte, Rechtsgüter und Interessen (§  241 Abs.  2 BGB) liegt schon begriffsbedingt außerhalb der Leistungspflichten (§  241 Abs.  1 BGB) des Schuldver­ hältnisses. Insoweit geht es um die Sanktionierung von Fehlverhalten, das gerade nicht im vereinbarten Pflichtenprogramm der Parteien liegt.403 So kann eine Leis­ befriedigung verwendet“; Bötticher, Vom deutschen zum europäischen Recht, S.  41, 43; abweichend Schünemann, S.  27 f.: „kaum mit jenem Zwang zu vergleichen, der sich in körperlicher Gewalt, in Drohung und List manifestiert“. 402  Siehe nur Oetker, S.  284: „Ihre charakteristische rechtsdogmatische Qualität erlangen die Aufhebungsrechte dadurch, dass sie einseitig und unmittelbar in eine fremde rechtliche Sphäre ein­ greifen oder von eigenen Pflichten befreien“. 403  BGH NJW 1995, 1954 (Anwalt wird wegen Verdacht der Untreue gegenüber anderen Man-

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

tungspflicht aus einem Schuldverhältnis durchaus für ein anderes Schuldverhältnis mit den gleichen Parteien eine Rücksichtsnahmepflicht darstellen. Denkbar ist dies etwa bei dichten Netzen von Vertragsverhältnissen wie im Bankrecht. Ebenso ist eine Durchbrechung bei vertraglichen, an keine bestimmten Gründe gebundenen Rück­ trittsrechten und dem ebenfalls an keine Begründung gebundenen Widerrufsrecht (§§  312 ff. BGB) möglich. Zurückbehaltungsrechte (§§  273, 320 f., 1000 BGB) stehen der Selbsthilfebefugnis im Sinne von §  229 BGB nahe. §  229 BGB gewährt nicht die Befriedigungsmöglich­ keiten eines Pfandrechts. Die Sicherung liegt also insoweit gleichermaßen allein in der vorübergehenden Vorenthaltung des Besitzes an der weggenommenen Sache.404 Diese bewirken ebenso die Sicherung eines Anspruchs. Dabei wird der andere Teil durch die Vorenthaltung einer geschuldeten Leistung zur Erfüllung angehalten. Dies ist jedenfalls dann wirkungsvoll, wenn die erwartete Leistung dem Empfänger mehr wert ist als die gefährdete Pflicht. Da die Kosten eines etwaigen Gerichtsver­ fahrens und Reputationsverluste in die Kalkulation einzubeziehen sind wird bei Gleichwertigkeit der geschuldeten Leistungen ein rationaler Akteur daher stets seine Vertragspflichten erfüllen. Im Bereich der beidseitig noch nicht erfüllten gegenseiti­ gen Verträge ohne Vorleistungspflicht wird jedenfalls bei den üblichen Wirtschafts­ gütern eine zulässige Selbsthilfe im Sinne des §  229 BGB gegenüber der schlichten Zurückbehaltung für den Gläubiger unverhältnismäßig aufwendig sein. Durch die gesetzlich angeordnete Zug-um-Zug-Leistung (§  320 BGB) hat jeder Teil ein wirksa­ mes Druckmittel gegenüber dem anderen; erst bei gestörtem Äquivalenzverhältnis (die Leistung des einen Teils hat einen höheren Wert als diejenige des anderen) be­ steht überhaupt ein Interesse, die Leistung nicht (bzw. gegenüber einem anderen) zu erbringen. Die genannten Einwirkungsbefugnisse bestehen nur soweit der Gläubiger selbst Schuldner eines Anspruchs ist. Eine Befugnis zur Einwirkung auf fremde Ansprüche etwa im Sinne einer Forderungspfändung (§  829 ZPO) besteht nur im Rahmen der gerichtlichen Durchsetzung. In gewisser Weise sind dadurch allerdings diejenigen Banken begünstigt, die nicht nur (Kredit-)Gläubiger sind, sondern auch Girokonten für ihre Kunden führen. Sie können ihre Forderung verrechnen, die Beschränkun­ gen des Pfändungsschutzes durch §  850k ZPO gelten insoweit nicht.405 Inzwischen ist dieses Problem allerdings für Sozialleistungen durch das Gesetz zur Reform des Kontopfändungsschutzes406 (§  850k Abs.  6 ZPO) entschärft. Praktisch kann zudem durch Einrichtung separater Girokonten, die nicht im Debet stehen, die Verrech­ nung vermieden werden.

danten in Untersuchungshaft genommen); RGZ 149, 187, 189 (Verkäufer besticht Angestellte des Käufers, damit diese Ware trotz Mängeln abnehmen). 404 Staudinger/Repgen, §  230 BGB Rn.  3; Soergel/Fahse, §  230 BGB Rn.  3. 405  BGHZ 162, 349; Walker, LMK 2005, 149522. 406  BGBl.  I 2009, 1707 ff.

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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Die weitreichenden Eingriffsmöglichkeiten in nur relative Rechte stehen spiegel­ bildlich zu den hohen Anforderungen, die §  229 BGB für Eingriffe aufgrund solcher Rechte verlangt. Hierin wird deutlich, dass trotz des Grundsatzes der Vertragstreue (pacta sunt servanda) der Schutz, den die Rechtsordnung für solche Rechtspositionen gewährt, nur eingeschränkt ist. Dementsprechend besteht ein weiterer, wesentlicher Unterschied zu §  229 BGB gerade darin, dass die genannten Befugnisse nicht zur staatlichen Durchsetzung akzessorisch und damit erst Recht nicht zu dieser subsidiär sind. Die Klage auf Abgabe der zur Ausübung des Gestaltungsrechts erforderlichen Willenserklärung (§  388 BGB, §  349 BGB, §  314 BGB, §  143 BGB) und deren (automa­ tische) Vollstreckung nach §  894 ZPO sind gerade kein alternativer (oder vorrangi­ ger) Weg zur Rechtsdurchsetzung.407 Vielmehr ist die Ausübung des Gestaltungs­ rechts der einzige Weg, um die genannten materiell-rechtlich gebilligten Interessen durchzusetzen. Dementsprechend liegen sie außerhalb der hier diskutierten subsidiären Selbsthilfe,408 sie wären vielmehr als alternative Selbsthilfe zu qualifizieren: Der Schuldner kann entweder die Erfüllung durch staatlichen Zwang durchsetzen oder aber die vertragliche Bindung einseitig modifizieren oder aufheben. Soweit er den letzteren Weg beschreitet, wird ihm die Rückkehr zur zwangsweisen Durchsetzung des Erfüllungsanspruchs versagt (vgl. nur §  281 Abs.  4 BGB). c)  Handlungen in Bezug auf sonstige Rechte und Rechtsgüter Obwohl also Eingriffe in relative Rechte nicht erst durch §  229 BGB gerechtfertigt werden müssen, kann im Einzelfall eine Einwirkung auf ein bloß relatives Recht Aus­ wirkungen auf intensiver geschützte Rechtspositionen haben. In diesen Fällen genügt der Rückgriff auf die allgemeinen Regeln zu relativen Rechten nicht, vielmehr ist zu prüfen, ob durch diese faktischen Folgen eine Subsidiarität diesbezüglicher Maßnah­ men in Betracht kommt. aa)  Einstellung von Leistungen als verbotene Eigenmacht? Während relative Rechte gegen Eingriffe nur schwach geschützt sind, gilt dies nicht für die tatsächlichen Rechtspositionen, die der Schuldner aufgrund solcher Rechte bereits erhalten hat bzw. denen diese Rechte dienen sollen. Praktische Bedeutung entfaltet dies insbesondere beim unmittelbaren Besitz, der nach §§  858 ff. BGB gegen tatsächliche Eingriffe selbst dann geschützt ist, wenn zum Eingriff eine schuldrecht­ liche Befugnis besteht.409 Dies bedeutet, dass der possessorische Besitzschutz in einer Vielzahl von Fällen der späteren, materiell-rechtlich eindeutig und unstreitig be­

407 Deutlich war die Problematik in der kaufrechtlichen „Wandelung“, siehe Bötticher, FS ­Schima, S.  95, 100 f. 408  Im Ergebnis ebenso Schünemann, S.  27 f. – der aber irrig den „Zwang“ als prägend für die Selbsthilfe erachtet; zur kumulativen Selbsthilfe Fischer, S.  210: Notwehr gehöre „niemals mit dem Anfechtungsrecht zusammen“. 409  BGH NJW 1977, 1818, 1818; Lehmann-Richter, NZM 2009, 177, 178.

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

stimmten, endgültigen Lage widerspricht.410 Ein Mieter darf eine Sache nur auf­ grund des fortbestehenden Mietvertrages in unmittelbarem Besitz halten. Dennoch berechtigt dessen Kündigung (und sogar ein gerichtlicher Titel über den Herausga­ beanspruch)411 den Vermieter nicht, den ehemaligen Mieter als Besitzstörer selbst­ ständig notfalls mit Gewalt aus der Wohnung zu entfernen, obschon der Rechts­ grund für den Besitz entfallen ist.412 Stattdessen ist hierzu der Gerichtsvollzieher einzuschalten, wie §  885 ZPO, im einstweiligen Verfügungverfahren hinsichtlich Wohnraum weiter eingeschränkt durch §  940a ZPO, klarstellt.413 Der Besitz als tat­ sächliche Position lässt sich regelmäßig nur durch Gewalt wieder entziehen, die we­ gen der Gefahr eines Exzesses nur kontrolliert ausgeübt werden darf. Soweit also tatsächliche Positionen, seien es Körper, Leben oder Gesundheit des Schuldners oder aber auch dessen Besitz betroffen sind, müssen die (engen) Schranken des §  229 BGB eingehalten werden. Während der Besitz eine tatsächlich vorgefundene und originär dem unmittelba­ ren Besitzer zugeordnete Rechtsposition ist, und der Anspruch auf Übergabe und Übereignung einer (mangelfreien) Sache aus §  433 BGB eine noch offene, rein recht­ liche Verpflichtung begründet, gibt es Konstellationen, in denen diese Zuordnung schwerfällt. Dies ist etwa im Mietrecht bei Versorgungsleistungen der Fall.414 Damit der Mieter seine Wohnung nutzen kann, wird er heutzutage regelmäßig Strom, Was­ ser und Heizung benötigen. Stellt der Vermieter deren Bereitstellung ein, nimmt er dem Mieter auf den ersten Blick nichts, was dieser bereits vorher hatte. Er verzichtet nur darauf, zusätzliche Leistungen in dessen Vermögen zu erbringen. Ebenso wie der Verkäufer daher die Lieferung der Ware verweigern darf, wenn der Käufer nicht zah­ len kann oder will (§§  320, 321 BGB) könnte man dem Vermieter das Recht zur Ein­ stellung der Belieferung mit solchen Versorgungsleistungen zubilligen. Trotz der grundsätzlichen Gegenseitigkeit der Leistungen und der damit zusam­ menhängenden Leistungsverweigerungs- bzw. Zurückbehaltungsrechten wird das „Ausfrieren“ des Mieters durch Einstellen von Versorgungsleistungen vielfach kri­ tisch beurteilt, was eine umfangreiche Rechtsprechung415 und ein ausdifferenziertes Schrifttum416 zur Folge hat. Ausgangspunkt war, dass alle zur Nutzung des Besitzes erforderlichen Leistungen Bestandteil dieser Position seien, so dass jede Einstellung der Belieferung eine Besitzstörung darstelle. Der (umfassende) Schutz des Besitzes 410  BGH WM 1971, 943, 944; OLG Köln MDR 1995, 1215, 1216; OLG Saarbrücken OLGR Saar­ brücken 2005, 889, 891; BeckOK-BGB/Fritzsche, §  858 BGB Rn.  19; MüKo-BGB/Joost, §  858 BGB Rn.  8. 411  OLG Koblenz RdL 2000, 236. 412  Überblick bei Horst, NZM 1998, 139; siehe etwa BGH NJW 2010, 3434; BGH NJW 1977, 1818; OLG Düsseldorf BB 1991, 721; OLG Celle ZMR 1994, 163. 413  Lehmann-Richter, NZM 2009, 177. 414 Staudinger/Repgen, §  229 BGB Rn.  34. 415  BGHZ 180, 300; zuvor bereits KG NZM 2007, 923; LG Kassel WuM 1979, 51. 416  Scheidacker, NZM 2005, 281; Scheidacker, NZM 2010, 103; Herrlein, NZM 2006, 527; KG NJW-RR 2004, 1665; OLG Rostock MDR 2007, 1249.

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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soll wegen seiner „den Rechtsfrieden wahrenden Funktion“ gegenüber schlichten vertraglichen Rechten höherrangig einzustufen sein.417 Das verblüfft auf den ersten Blick. Ein Mobilfunkanbieter kann die Bereitstellung seiner Dienste sicherlich ein­ stellen, wenn sein Kunde die Rechnungen nicht zahlt, obwohl dadurch der unmittel­ bare Besitz am (möglicherweise ausschließlich im Netz eines bestimmten Anbieters nutzbaren418 Handys wirtschaftlich wertlos wird. Ebenso wird man den Anbieter von Kabelfernsehen nicht zur Belieferung nicht zahlender Kunden verpflichten kön­ nen, soweit diese ihre Rechnungen nicht begleichen. Selbst Strom-, Gas- und Was­ser­ werke werden ihre Leistungen regelmäßig nur erbringen, soweit ihre Forderungen beglichen werden.419 Schließlich wird einer Wohnungseigentümergemeinschaft mit entsprechendem Titel das Recht zugestanden, als Minus zur vollständigen Entzie­ hung des Wohnungseigentums nach §  18 Abs.  1, 2 Nr.  2 WEG bei Nichtbeteiligung an den Kosten des Gemeinschaftseigentums gegenüber einem Miteigentümer zentral abgerechnete Versorgungsleistungen einzustellen.420 Wieso soll also der Vermieter, der auch Versorgungsleistungen erbringt, insoweit schlechter gestellt werden, obwohl die laufende Erbringung dieser Leistungen für ihn (zusätzliche) Kosten verursacht? Muss eine Bibliothek sicherstellen, dass ein Mieter in seiner Wohnung Licht hat, damit er dort die entliehenen Bücher tatsächlich lesen kann?421 Die neuere Rechtsprechung stellt vor dem Hintergrund dieser Fragen fest, dass §  858 BGB den Besitz als tatsächliche Sachherrschaft, nicht aber als bestmögli­ che Nutzung des Gegenstandes schützt.422 Soweit man für eine bestimmte Ausübung der „Herrschaft“ gerade von Dritten abhängig sei, (die einem etwa Wasser, Wärme oder Elektrizität zuführen müssen), habe man nie eigene tatsächliche Herrschaft be­ sessen. Damit könne dieses Ausstattungsmerkmal aber auch nicht zum „Besitz“ ge­ hören.423 Obwohl die Mietsache dadurch „mangelhaft“ im Sinne von §  536 BGB wer­ 417 

OLG Köln NJW-RR 2005, 99. „SIM-Lock“ bzw. „Vendor Lock“, vgl. BGH NJW-RR 2009, 1135; OLG München MMR 2002, 481 und OLG Köln MMR 2001, 235 (jeweils zur Hinweispflicht); LG Hamburg CR 2008, 494 (zu kartellrechtlichen und lauterkeitsrechtlichen Implikationen im Streit Telekom/Vodafone um die Nutzung des iPhone); BGH MMR 2005, 308 (zur Schadensersatzpflicht bei Entsperrung); BGH GRUR 2005, 160 (zur fehlenden markenrechtlichen Erschöpfung bei selbst entsperrten Geräten); AG Nürtingen MMR 2011, 121; MüKo-StGB/Graf, §  202a StGB Rn.  77 (zur Strafbarkeit des Entsper­ rens). 419 Beachte allerdings §§   27 S.  2, 24 Abs.  2 Niederspannungsanschlussverordnung; aus der Rechtsprechung etwa LG Göttingen NJW-RR 1988, 1520 (keine Stromsperre bei Schulden aus frü­ herem Geschäftsbetrieb – aA LG Düsseldorf NJW-RR 1990, 117); AG Bad Homburg NJW-RR 1997, 1080 (Stromsperre bei Anerkenntnis und Ratenzahlung unverhältnismäßig und daher unzulässig); AG Gera NZM 2001, 400 (keine Sperre bei mehreren Abnehmern wenn nur einer Zahlungsrück­ stände hat); AG Siegen WuM 1996, 707 (verbotene Eigenmacht durch Sperrung der Wasserzufuhr zu Lasten von Mietern bei Schulden des Vermieters). 420  BGH NJW 2005, 626, 2623; KG NZM 2001, 761; OLG Celle NJW-RR 1991, 1118, 1119. 421  Beispiel nach Scheidacker, NZM 2010, 103, 104. 422  BGHZ 180, 300, 304; vorher bereits KG NZM 2007, 923; KG GE 2004, 622. 423  BGHZ 180, 300, 304: „Versorgungsleistungen führen vielmehr dazu, dass die im Besitz lie­ gende Gebrauchsmöglichkeit erweitert wird. Die Gewährleistung der Versorgungsleistungen kann 418 

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

de, bestünde eine Pflicht zur Mangelbeseitigung nur während der Mietzeit, aber nicht mehr nach Beendigung durch Kündigung. Auch der Sozialschutzaspekt im Wohnungsmietrecht kann keine andere Beurteilung rechtfertigen.424 Eine entspre­ chende Pflicht kann insoweit nur ausnahmsweise als nachvertragliche Schutzpflicht aus dem Vertrag entnommen werden.425 §  229 BGB findet also auf das Einstellen von Leistungen keine Anwendung; das bedeutet insbesondere auch, dass diesbezügliche Irrtümer zum Haftungsausschluss führen, soweit der Handelnde die im Verkehr erforderliche Sorgfalt gewahrt hat und ein strengerer Haftungsmaßstab weder vereinbart wurde noch sich aus der Natur des Schuldverhältnisses ergibt (§  276 Abs.  1 BGB). Die Regelung des §  231 BGB findet also keine Anwendung.426 bb)  Eingriffe in elektronisch gespeicherte Informationen (Daten) Regelmäßig wird man ein Vertrauen des Kunden auf das Ausbleiben von Selbsthilfe­ maßnahmen nur ausnahmsweise schützen können. Wer seine Emails bei Google Mail oder Google Docs online verwaltet, Second Life spielt oder einen Vertrag mit einem Internetprovider hat, kann nicht darauf vertrauen, dass der zugrunde liegende Vertrag zu den gleichen Konditionen unendlich fortbesteht. Besondere Schwierigkei­ ten weisen in diesem Zusammenhang jedoch Eingriffe in vom Schuldner elektro­ nisch gespeicherte Daten auf. Soweit Google seine Dienste dem Kunden nicht mehr zur Verfügung stellt, wird auch der Zugriff auf die (auf den in USA befindlichen Servern gespeicherten) Daten verhindert. Solche elektronisch gespeicherten Daten haben jedoch einen erheblichen wirtschaftlichen Wert. Dies gilt unabhängig davon, ob die gespeicherten Informationen selbst urheberrechtlichem oder datenschutz­ rechtlichem Schutz unterliegen.427 So mögen Marktdaten, Ergebnisse über die Erpro­ bung eines Medikaments an Patienten oder auch nur die empfangene (!) Email-Kor­ respondenz für denjenigen, der sie speichert erheblichen Wert haben. Dieser liegt einerseits in der eigenen Nutzung, aber auch teilweise im Ausschluss Dritter vom Zugriff auf diese Informationen. Während man sich bei den auf der eigenen Festplatte gespeicherten Dateien noch mit einer Anknüpfung an das diesbezügliche Sacheigentum behelfen kann,428 schei­ tert dieser Ansatz bei auf fremden Servern („Cloud“) abgelegten Daten. Wer seine Emails ausschließlich im Browser liest oder seine Texte per Google Docs429 im Brow­ sich demnach allein aus dem ihnen zu Grunde liegenden Vertragsverhältnis ergeben.“; zutreffend Scheidacker, NZM 2005, 281, 286. 424  AG Lahnstein NZM 2011, 72; abweichend AG Berlin-Schöneberg NJW-RR 2011, 72 unter Hinweis auf §  242 BGB (allerdings war dort ein Verlängerungsantrag zur Räumungsschutzfrist noch anhängig); zutreffend Scheidacker, NZM 2005, 281, 288. 425  Ebenso BGHZ 180, 300; vgl. auch Regenfus, LMK 2009, 284570. 426  Näher unten §  1C.III.1, S. 171. 427 Näher Beurskens, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2008, S.  4 43. 428 MüKo-BGB/Wagner, §  823 BGB Rn.  164; siehe auch OLG Karlsruhe OLG Karlsruhe NJW 1996, 200; OLG Oldenburg MDR 2012, 403; weiter Meier/Wehlau, NJW 1998, 1585, 1588. 429 docs.google.com.

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ser bearbeitet ist davon abhängig, dass ihm der jeweilige Anbieter dauerhaft den Zu­ griff auf seine Daten eröffnet. Durch Unterbindung dieses Zugriffs oder gar das end­ gültige Löschen der Daten oder deren Offenlegung an Dritte steht dem Anbieter ein erhebliches wirtschaftliches Druckmittel zur Verfügung. Auch die Identität des (schon nach §  13 Abs.  6 TMG) vielfach nur als Pseudonym bekannten Kunden lässt sich oft anhand der Inhalte der gespeicherten Dateien ermitteln. Eine Anknüpfung an die (immerhin absolut geschützten) Immaterialgüterrechte bzw. das Persönlich­ keitsrecht schlagen fehl, soweit die als Daten gespeicherten Inhalte von Dritten stam­ men. Dies gilt etwa für empfangene Emails. Dort liegt ein ohnehin nur bei hinrei­ chender Schöpfungshöhe einschlägiges Urheberrecht nicht beim Empfänger, son­ dern beim Absender. §  229 BGB, der seit dem 1. Januar 1900 unverändert geblieben ist, gibt hinsichtlich der Zulässigkeit von Eingriffen in solche Daten keine Antworten. In der Literatur wird weit überwiegend eine Beurteilung anhand vertragsrechtlicher Maßstäbe be­ fürwortet. Damit verschiebt sich das Problem im hier relevanten Zusammenhang jedoch nur. Die im Hinblick auf relative Rechte bestehenden Befugnisse (Kündigung, Rücktritt, Zurückbehaltungsrechte, etc.) gehen entweder zu weit oder bleiben in Be­ zug auf ihre tatsächliche Durchführung unklar. Statt der gesetzlichen Rechtferti­ gung müsste daher eine rechtsgeschäftlich erteilte Einwilligung herangezogen wer­ den. Die Kriterien des §  229 BGB müssten als Schranken der Vertragsgestaltung in die Generalklauseln des Bürgerlichen Rechts hineingelesen werden. §  138 BGB, §  242 BGB und insbesondere der für die regelmäßig als Allgemeine Geschäftsbedingungen ausgestalteten Nutzungsbedingungen von Onlinediensten einschlägige §  307 BGB sind aber insoweit kaum passend. Die Verschärfung der Haftung nach §  231 BGB als verhaltenssteuernde Norm kann man vor diesem Hintergrund jedenfalls nicht bei Eingriffen in Datenbestände anwenden. Darüber hinaus sind Maßnahmen in Bezug auf relative Rechte generell von der Rechtsordnung in weit größerem Umfang zuge­ lassen als die Einwirkung auf absolut geschützte Rechtsgüter.430 Wertungsmäßig fällt es daher schwer, für Daten nach einer entsprechenden Einwirkung dann wieder eine Ausnahme zu statuieren. Insoweit ist es gerade vor dem Hintergrund der Abwehr fremder Eingriffe berech­ tigt, auch die Daten als solche als absolutes Recht auszugestalten und einer bestimm­ ten Person zuzuweisen. Vor diesem Hintergrund bereitet dann die Anwendung des Maßstabs des §  229 BGB und der anderen allgemeinen Rechtfertigungsgründe, also etwa §  227 BGB, §  228 BGB oder §  904 BGB keine Schwierigkeiten. Im Hinblick auf etwaige vertragliche Regelungen kann ebenfalls auf die allgemeinen Grundsätze431 zurückgegriffen werden. Die teilweise als unlösbar oder jedenfalls als schwierig beur­ teilte Dateninhaberschaft lässt sich in den meisten Fällen ausgehend von der ur­ sprünglichen Erstellung des als Grundlage der Vervielfältigung dienenden Datenpa­ 430  431 

Oben §  1A.V.1b, S. 122. Unten, S. §  3A, S. 297 ff.

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

kets beantworten. Wer eine Datei oder Nachricht versendet, möchte zumeist, dass diese (nur) vom Empfänger genutzt wird. Wer eine Datei aufgrund entsprechender Befugnis auf einem fremden System speichert, will in der Regel, dass diese dort ge­ speichert wird, wie er will (bzw. bis der Rechtsgrund für die Speicherung entfällt). Eingriffe in fremde Daten zur Durchsetzung eines Anspruchs sind daher ebenfalls an §  229 BGB zu messen. Damit gilt für diese Konstellationen insbesondere die Sub­ sidiaritätsklausel. Zu beachten ist dabei freilich, dass Daten ähnlich wie der „eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb“ nicht gegen jegliche, selbst mittelbare Verletzung geschützt werden können. Die Nutzung von im Internet gespeicherten Informationen ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, wobei die einzelnen Beteiligten nicht einmal zwingend von der Existenz der Daten Kenntnis haben müssen. Der Zugriff wird etwa auch bei Ausfällen beim Vermittler des Internetzugangs (Access-Provider) oder beim Zusammenbruch des Elektrizitätsnetzes (in Parallele zu den „Stromkabelfäl­ len“) verhindert, die Daten also jedenfalls vorübergehend „weggenommen“. Solche Fälle sind aber kein Eingriff in die Daten, selbst wenn sie absichtlich, etwa bei Zah­ lungsverzug, erfolgen. Gemeint sind ausschließlich Handlungen, die gezielt in Bezug auf den Zugang zu den Daten oder deren Inhalt („datenbezogen“) erfolgen. Ansons­ ten würde die Einschätzung der Erforderlichkeit für den Handelnden kaum je mög­ lich sein. In Bezug auf Daten sind die in §  229 BGB genannten Handlungen entsprechend anzupassen. Die „Zerstörung“ oder „Beschädigung“ von Daten ist unproblematisch deren (endgültiges) Löschen bzw. die nicht mehr rückgängig zu machende Verände­ rung (vgl. dazu auch die Parallele zwischen §  303 StGB und §  303a StGB). Demgegen­ über entfaltet die „Wegnahme“ hier eine Doppelfunktion, da deren beiden typische Elemente (Verlust beim bisherigen Inhaber, Erlangung beim Handelnden) bei elekt­ ronisch gespeicherten Daten nicht zwingend parallel auftreten. Steht der (vorüberge­ hende) Verlust des Zugriffs, etwa durch Zwischenschaltung einer Kennwortabfrage oder das Verschieben an einen unbekannten Ort im Vordergrund, wird man statt einer „Zerstörung“ besser von einer „Wegnahme“ sprechen. Da Daten beliebig repli­ zierbar sind, kann es aber auch um deren „Ausspähen“ gehen, soweit die Daten er­ sichtlich nicht zur Kenntnisnahme durch Dritte bestimmt, insbesondere besonders geschützt sind (vgl. §  202a StGB). Auf diesem Wege kann in dem Fall, dass ein Buchhändler gekaufte und bezahlte eBooks automatisch und einseitig von den Lesegeräten seiner Kunden löscht432 oder ein Softwareanbieter per automatischer Updatefunktion die Funktionalität seiner bei den Kunden installierten Software reduziert,433 über eine Verletzung vertraglicher Pflichten hinaus auch eine verbotene Selbsthilfe angenommen werden. 432  So hat etwa Amazon u. a. Exemplare von George Orwell’s 1984 oder Animal Farm von Gerä­ ten ihrer Kunden gegen Rückerstattung des Kaufpreises entfernt, weil der Verlag keine Rechte zu deren Veröffentlichung hatte; vgl. New York Times vom 18. Juli 2009, Seite B1. 433  Microsoft hat die bis April 2006 angebotene Möglichkeit, Videos, Sounds, etc. in Internetsei­

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cc)  Eingriffe in Immaterialgüterrechte Im Schrifttum stößt die Idee einer Anwendung von Selbsthilferegelungen auf Imma­ terialgüterrechte auf Widerstand.434 Gegen eine solche Befugnis werden die ihrem Wortlaut nach auf tatsächliche, gewaltsame Handlungen gegen Sachen gerichtete Tatbestände („eine Sache wegnimmt, zerstört oder beschädigt“) angeführt. In erhebli­ chem Umfang sind allerdings auch die Objekte geistigen Eigentums einer solchen tatsächlichen Beeinträchtigung zugänglich, denn regelmäßig werden Immaterialgü­ terrechte verkörpert. Dies geschieht etwa durch Herstellung eines patentierten Er­ zeugnisses, durch Schaffung eines physischen Vervielfältigungsstücks eines urheber­ rechtlich geschützten Werkes oder durch Anbringung einer fremden Marke auf ­einem Produkt. Insoweit wechselt das „geistige“ Eigentum in die physische Realität. Es kann daher Gegenstand von „Gewalt“ sein. (1)  Zwangslizenzeinwand im Patentverletzungsverfahren Die potenzielle Anwendbarkeit von §  229 BGB zeigt etwa die Debatte um die Mög­ lichkeit einer vermeintlichen Patentverletzung im selben Prozess entgegen zu halten, dass der Patentinhaber zur Erteilung einer Lizenz verpflichtet gewesen wäre („Zwangslizenzeinwand“). Selbst wenn ein Patentinhaber aus kartellrechtlichen Gründen verpflichtet ist, einem Dritten eine Lizenz zu angemessenen Bedingungen zu gewähren, kann die gerichtliche Durchsetzung dieses Anspruchs auf die Lizenz in vielen Fällen so lange dauern, dass dem Lizenzsuchenden gewaltige Schäden entste­ hen. Der verzweifelte Lizenzsucher mag daher auf die Idee kommen, den Patentinha­ ber vor vollendete Tatsachen zu stellen, indem er das patentverletzendes Erzeugnis einfach herstellt und vertreibt. Tatsächlich hat das OLG Düsseldorf435 in einem sol­ chen Fall die Zulässigkeit der Patentverletzung an §  229 BGB gemessen: „Die Beklagte hat sich […] eine Selbsthilfe angemaßt, die nach der durch die Rechtsordnung vorgegebenen Wertung, mit der eine Durchsetzung vermeintlicher oder wirklicher Rechts­ positionen im Wege einer Selbsthilfe grundsätzlich unvereinbar ist, allenfalls unter den Vor­ aussetzungen gerechtfertigt gewesen wäre, die §  229 BGB für die private Selbsthilfe normiert. Diese Voraussetzungen liegen indessen nicht vor, da die Beklagte die Möglichkeit, staatlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, nicht genutzt hat.“

Schon diese Entscheidung zeigt aber, dass eine Rechtfertigung von Benutzungshand­ lungen des Verletzers, der zuvor vergeblich um eine aus kartellrechtlichen Gründen nicht verweigerbaren Lizenz ersucht hat, nach §  229 BGB praktisch nie erfolgreich ten anzuzeigen, ohne diese vorher einzeln anzuklicken, entfernt, um in einem Patentrechtsstreit mit der Firma Eolas jedenfalls künftige Lizenzgebühren zu vermeiden; siehe blogs.msdn.com/b/ie/ar chive/2007/11/08/ie-automatic-component-activation-changes-to-ie-activex-update.aspx zur Rück gängigmachung (2 Jahre später). 434  Schünemann, S.  28; unter Hinweis auf Ramm, S.  394: „Bei den Immaterialgüterrechten kom­ men Selbsthilfe wie auch Notwehr und Notstand als Rechtfertigungsgrund eines Eingriffs von vornherein nicht in Betracht, da diese stets eine körperlich-gegenständliche Einwirkung vorausset­ zen“. 435  OLG Düsseldorf InstGE, 168; Merveldt, WuW 2004, 19.

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sein wird. Staatliche Hilfe wird in diesen Fällen immer erreichbar sein. Folglich be­ stünde auch nie ein Selbsthilferecht. Eine Korrektur erfolgt nach der aktuellen Rechtsprechung vielmehr auf Ebene der Durchsetzbarkeit im Wege der „doloagit“-Einrede.436 Insoweit handelt der vergeblich lizenzsuchende Verletzer zwar im­ mer noch objektiv rechtswidrig; der Verletzte kann seine Rechte gegen ihn jedoch nicht durchsetzen. Dies hat zur Folge, dass die Folgen der Handlungen letztlich hin­ zunehmen sind. Der Sache nach geht es im Kern um die Frage, inwieweit der staatliche Rechts­ schutz (der die Durchsetzung der kartellrechtlichen Lizenzpflicht letztlich erzwingt) den Ausgleich der individuellen Verluste des Begünstigten, namentlich aus §  33 Abs.  3 GWB, gewährleistet.437 Soweit dies nicht gewährleistet ist, sind staatliche Mit­ tel zur Durchsetzung der Ansprüche des Lizenzsuchers nicht gleich geeignet. Dann sollte generell auch der Weg zur Selbsthilfe eröffnet sein, denn der staatliche Rechts­ schutz versagt. Soweit hingegen umgekehrt eine nachträgliche Vollkompensation des Lizenzsu­ chers durch die Schadensersatzansprüche nach §  33 Abs.  3 GWB rechtlich und prak­ tisch gewährleistet ist, muss der Einwand missbräuchlichen Verhaltens gegen die Lizenzverweigerung versagt werden.438 Denn im Streitfall sollten Unsicherheiten im Zweifel zugunsten der gesetzlichen Grundregel gelöst werden. Danach ist Dritten gerade die Nutzung des patentierten Gegenstandes untersagt (§  9 S.  2 PatG), solange diesen keine Lizenz erteilt wurde (§  15 Abs.  2 PatG). Diese Risikoverteilung hinsicht­ lich des absoluten Patentrechts kann nicht im Wege der Vertragsauslegung generell aufgehoben werden. Eine derart weitgehende Beschränkung des Patentrechts würde nicht nur verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen (Art.  14 Abs.  1 GG), sondern es wirtschaftlich auch auf ein reines Vergütungsrecht beschränken. Bei rein vermö­ gensbezogenen Verlusten ist daher die Möglichkeit zum Schadensersatz vorrangig. Etwas anderes mag gelten, soweit höherrangige Rechtsgüter, etwa Leben oder körper­ liche Integrität (z. B. beim Import von Medikamenten) betroffen sind, sowie in Fällen der Existenzvernichtung. Die vom Bundesgerichtshof entwickelte Lösung sieht statt einer strengen Nach­ rangigkeit jeglicher Selbsthilfemaßnahme hingegen vor, dass der Lizenzsucher nach vergeblichem Ersuchen seinerseits den angebotenen Vertrag durch Zahlung an den Patentinhaber (oder hilfsweise Hinterlegung der Lizenzzahlungen bei Gericht, §  372 BGB) einseitig erfüllt und daraufhin zu seinen Gunsten die Lizenz als gewährt unter­ stellt wird.439 Die Zahlung erfüllt dabei neben der Gewährleistung der materiell­ 436  LG Düsseldorf NJOZ 2007, 2100, 2117 ff.; BGHZ 180, 312, 318; Kühnen, FS Tilmann, S.  513, 523; Wirtz/Holzhäuser Michael, WRP 2004, 683. 437 Dieses generelle Problem des Verhältnisses von Schadensersatzrecht und Selbsthilferecht wurde unter §  1A.IV.1, S. 109 bereits erörtert. 438  So die Gegenargumentation zur Rechtsprechung des BGH bei Rechtbank Den Haag InstGE, 167 (dort Rn.  6.18 ff.). 439  BGHZ 180, 312, 319 f.

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rechtlich erforderlichen eigenen Vertragstreue auch die Funktion einer „Sicherheits­ leistung“ wie in §  709 ZPO. Der Schaden des Patentinhabers wird regelmäßig in Höhe der entgangenen Lizenzgebühr bestehen. Ein diesen überschreitender entgan­ gener Gewinn oder abschöpfbarer Verletzergewinn (§  139 Abs.  2 PatG, Art.  13 RL 2004/48/EG) dürfte nur ausnahmsweise nachweisbar sein.440 Der Lizenzsuchende trägt dabei das Risiko, die angemessene Lizenzgebühr falsch zu schätzen. Zahlt er zu viel, muss er den zu viel gezahlten Betrag im Wege einer eigenen Klage kondizieren. Zahlt er zu wenig sieht er sich Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen (frei­ lich nur in Höhe des Differenzbetrages) ausgesetzt. Im Regelfall dürfte dies eine hin­ reichende abschreckende Wirkung entfalten. Auch wenn die „eigene Vertragstreue“ scheinbar einen guten Ansatz im Rahmen der Prüfung des widersprüchlichen Verhaltens bietet, geht es letztlich doch darum, eine flexiblere Lösung gegenüber dem binären „Ja“ oder „Nein“ der Subsidiaritäts­ klausel des §  229 BGB zu finden. Durch die Geldleistung wird hier ein Gegenanreiz, eine Hemmschwelle, geschaffen, welche von einer voreiligen Patentverletzung abhält. Durch die Risikozuweisung im Falle eines zu niedrigen Betrags (oder fehlender Li­ zenzpflicht) ist die Gefahrtragung ähnlich wie in §  231 BGB demjenigen zugewiesen, der in ein fremdes Recht eingreift. Das Ergebnis ist daher stimmig und steht im Ein­ klang mit dem Gedanken des §  229 BGB. Bei einer extensiven Auslegung der Norm hätte es dieses Umwegs über den Gedanken von Treu und Glauben freilich nicht be­ durft. Die in Gestalt kartellgerichtlichen Rechtsschutzes bzw. des einem solchen Ver­ fahren vorgeschalteten einstweiligen Rechtsschutzes verfügbare „obrigkeitliche Hil­ fe“ kann die drohende Gefahr gar nicht beseitigen. Wie schon die auf 20 Jahre be­ grenzte Schutzdauer eines Patents zeigt, ist eine zeitnahe Anwendung geboten, ansonsten droht eine dauerhafte Verschiebung wirtschaftlicher Macht durch Netz­ werkeffekte, die durch Schadensersatz nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Hierfür spricht auch die generelle Tendenz des Kartellrechts, im Zweifel Angebots­ märkte mit mehreren Wettbewerbern gegenüber einer Marktkonzentration zu be­ günstigen. (2)  Eingriff in Urheberrechte Obwohl auch im Urheberrecht §  229 BGB tatbestandlich nicht generell ausgeschlos­ sen ist, sind Fälle von Selbsthilfe insoweit sehr selten.441 Zwar mag die „Wegnahme“ einer Sache mitunter urheberrechtliche Relevanz haben (etwa weil es um ein bislang unveröffentlichtes Manuskript geht; evtl. Eingriff in §  12 UrhG und §  15 UrhG). Inso­ weit wird aber selbst bei abweichendem Wertverhältnis von Papier und Inhalt stets 440  Haft/Donle/Ehlers/Nack, GRUR-Int 2005, 403, 404 f. unter Hinweis auf Reimann, Bericht Q 136 für die Deutsche (AIPPI-) Landesgruppe, Nr.  43 (Lizenzanalogie in 95  % der Fälle); Mes/Mes, §  139 PatG Rn.  124, 143; nach der „Gemeinkostenanteil“-Entscheidung BGHZ 145, 366 ist freilich die Herausgabe des Verletzergewinns deutlich attraktiver geworden, Rojahn, GRUR 2005, 623, Rn.  625 f. 441 Wandtke/Bullinger/Wolff, §  97 UrhG Rn.  33.

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

der physische Anknüpfungspunkt dominieren; einzig für die Prüfung des mildesten Mittels im Rahmen der Erforderlichkeit ist der Wert des Inhalts relevant. Auch die Wegnahme von Medien, die einen urheberrechtlich schutzfähigen Inhalt haben (Laptop, CD, Buch, etc.) ist im Rahmen von §  229 BGB unproblematisch möglich. Interessanter sind Fälle, in denen ein Eingriff in die Urheberrechte gerade der Durchsetzung von Rechten am Werk selbst dient. Denn regelmäßig wird der Über­ lassung eines Vervielfältigungsstücks eine Lizenzvereinbarung zugrunde liegen, die dem Erwerber jedenfalls die Nutzungsmöglichkeit am Werk einräumt. Ausdrücklich räumt etwa §  55a UrhG dem berechtigten Nutzer einer Datenbank Befugnisse zur Bearbeitung und Vervielfältigung ein und erklärt abweichende Vereinbarungen für nichtig. Bei Computersoftware erlaubt §  69d Abs.  1 UrhG eine Vervielfältigung und Bearbeitung ohne Zustimmung des Rechtsinhabers, wenn diese für eine „bestimmungsgemäße Benutzung des Computerprogramms einschließlich der Fehlerberich­ tigung durch jeden zur Verwendung eines Vervielfältigungsstücks des Programms Berechtig­ ten notwendig sind“.

Anders als im Recht der Datenbankwerke ist insoweit aber eine abweichende vertrag­ liche Regelung möglich; nur das Recht zur Erstellung „einer“ Sicherungskopie (soweit diese zur künftigen Nutzung erforderlich ist) und das Recht, den Ablauf durch er­ laubte Handlungen zu ermitteln (§§  69d Abs.  2 und Abs.  3 UrhG) kann nicht ausge­ schlossen werden (§  69g Abs.  2 UrhG). Ein Vertrag der jede Nutzung verhindert wäre aber wohl wegen Verstoßes gegen §  138 BGB nichtig; bei AGB wäre eine entsprechen­ de Klausel wegen Verstoßes gegen §  307 BGB nach §  306 Abs.  2 BGB durch die Rege­ lung des §  69d Abs.  1 UrhG zu ersetzen. Es müsste also ein gleichwertiger Ersatz (etwa im Rahmen eines Servicevertrags) vorgesehen sein. Eine Selbsthilfe mag in Betracht kommen, soweit gekaufte Software wegen einer Kopierschutzmaßnahme nicht mehr auf einem neu erworbenen PC funktioniert. Ein Recht, den Kopierschutz zu entfernen, lässt sich aber aus §  69d Abs.  1 UrhG nicht ableiten.442 Die Sonderregelungen über Computersoftware (§§  69c Nr.  2, 69d, 69e UrhG) erlauben Änderungen nur, soweit sie „für eine bestimmungsgemäße Benutzung des Computerprogramms […] notwendig sind“.

Eine Nutzung ohne Kopierschutz ist aber gerade nicht mehr „bestimmungsgemäß“ in diesem Sinne. Nicht anders ist es, wenn „wirksame technische Maßnahmen“ über §  95a UrhG hinausgehend die Nutzbarkeit erworbener Medien einschränken, so dass etwa die kopiergeschützte CD nicht vom Autoradio abgespielt werden kann. Aufgrund von §  95a Abs.  1 UrhG ist dem Erwerber eine Beseitigung der Schutzmaßnahme aus­

442  Das erfasst sicherlich nicht das Entfernen von Kopierschutzmaßnahmen, OLG Karlsruhe NJW 1996, 2583, 2584; OLG Düsseldorf CR 1997, 337; Wandtke/Bullinger/Grützmacher, §  69d UrhG Rn.  18 ff.; Spindler/Schuster/Wiebe, §  69d UrhG Rn.  16 ff.

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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nahmslos untersagt (obwohl ihm der physische Datenträger gehört).443 Selbst die Durchsetzung von Schranken des Urheberrechts darf nach §  95b Abs.  2 S.  1 UrhG nur durch den urheberrechtlich Berechtigten selbst erfolgen und muss gerichtlich durchgesetzt werden.444 Das Recht des Erwerbers, mit seinem Eigentum zu verfah­ ren, wie er will, wird durch §  95a UrhG in verfassungskonformer Weise445 be­ schränkt. Obwohl er die physische Sachherrschaft über den Gegenstand hat, steht die Befugnis zur Entfernung des Schutzes ausschließlich (und mit dinglicher Wirkung) dem urheberrechtlich Berechtigten zu. Der Anspruch auf sachmangelfreie Leistung (§  433 Abs.  1 S.  2 BGB) gegen den jeweiligen Verkäufer erlaubt nun aber sicher auch über den Umweg über §  229 BGB nicht die Beseitigung der Schutzmaßnahme durch den Käufer, selbst wenn dieser ausnahmsweise gleichzeitig auch selbst urheberrecht­ lich berechtigt sein sollte. Vielmehr beschränken sich die Rechte des Erwerbers auf Nachbesserung (die hier aber nur durch den Berechtigten bzw. mit dessen Einver­ ständnis erfolgen darf), Minderung, Rücktritt und Schadensersatz (§  437 BGB). Logisch zwingend ist ein völliger Ausschluss der Selbsthilfe in diesem Kontext freilich nicht. Dies zeigt etwa die Rechtslage in der Schweiz (Art.  39a Abs.  4 ­schwURG)446 oder in den USA (17 USC §  1201), die eine Umgehung von Schutzmaß­ nahmen unter bestimmten Voraussetzungen zulassen.447 Aus ökonomischer und praktischer Sicht ist eine Zulassung von Selbsthilfemaßnahmen („right to hack“) aber schwierig umzusetzen. Soweit man den Vertrieb und die Bewerbung von Hilfs­ mitteln bzw. -dienstleistungen untersagt,448 nutzt eine solche Selbsthilfebefugnis ausschließlich Personen mit erheblicher technischer Kompetenz.449 Auch wenn man mit der hier vertretenen Auffassung eine Fremdhilfe uneingeschränkt zulässt,450 müsste der Berechtigte erst einmal eine solche Person finden. Dies fällt aber bei dem weitreichenden Werbeverbot schwer. Diese Hürde bei der Umgehung bedeutet aber auch, dass regelmäßig der „Vorfeldschutz“ durch das Verbot von Hilfsmitteln bzw. -dienstleistungen eine Selbsthilfe derart erschwert, dass das diesbezügliche Verbot insgesamt kaum praktische Relevanz entfalten wird. dd)  Psychischer Zwang In den meisten Fällen genügt es, statt der im Gesetz vorgesehenen unmittelbar phy­ sisch wirkenden Maßnahmen nur „psychischen“ Druck zur Sicherung von Forde­ rungen anzuwenden. Auch ohne tatsächliche Durchführung einer Zwangsmaßnah­ me reicht vielfach bereits deren glaubhafte Androhung aus, um den Anspruchsgeg­ 443 

Zu dieser Konstellation noch näher unten §  3C, S. 359. §  95b UrhG Rn.  16. 445  BVerfG NJW 2006, 42; anders aber Ulbricht, CR 2004, 674; Köcher/Kaufmann, MMR 2005, 751; näher unten §  3C, S. 359. 446  Hilty, Handbuch des Urheberrechts, Rn.  69d. 447  Davis, U. Ill. J.L. Tech. & Pol’y 2005, 141. 448  §  95a Abs.  3 UrhG; Art.  6 Abs.  2 RL 2001/29/EG. 449  Davis, U. Ill. J.L. Tech. & Pol’y 2005, 141. 450  Oben §  1A.I.d, S. 56. 444 Wandtke/Bullinger/Wandtke/Ohst,

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

ner davon abzuhalten, die Erfüllung zu gefährden oder ihn sogar zur Erfüllung zu bewegen. So wird etwa das bereits erörterte Problem des „Ausfrierens“ von Mietern zum Teil unter dem Gesichtspunkt psychischen Zwangs gesehen.451 Freilich ist die Grenze zur strafbaren Nötigung (§  240 StGB) insoweit fließend; erzwungene Willenserklärungen sind nach §  123 BGB anfechtbar und es besteht die Möglichkeit von Schadensersatzansprüchen aus §  826 BGB. Selbst bei erlaubtem Nö­ tigungsmittel kann das Verhältnis zwischen Nötigungsmittel und Nötigungserfolg im Einzelfall strafbegründend wirken. §  229 BGB ist insoweit auf den ersten Blick unanwendbar, da die dort genannten und in §  230 BGB durch die Einleitung staatli­ cher Maßnahmen weiter konkretisierten Fälle sich alle auf unmittelbar physisch wir­ kende Maßnahmen (Wegnahme, Freiheitsentzug, Zerstörung) beziehen. Allerdings muss die Wertung des Gesetzes entsprechend für die Drohung mit den dort genann­ ten Maßnahmen gelten. Wenn schon die tatsächliche Durchführung einer Maßnah­ me erlaubt ist, gilt dies erst recht für deren Androhung als Minus. Soweit das Gesetz dem Gläubiger erlaubt, den Schuldner einzusperren, darf er dieses Verhalten auch vorher ankündigen, was möglicherweise bereits zum Nachgeben führt. Freilich ist das Spektrum potenzieller Nötigungsmittel mit der Ankündigung ei­ ner nach §  229 BGB ausdrücklich erlaubten Verhaltensweise bei weitem nicht er­ schöpft. Ein empfindliches Übel, das den Anspruchsgegner zur Unterlassung erfül­ lungsgefährdenden Verhaltens oder sogar unmittelbar zur Erfüllung anhält, kann vielmehr auch in einer Vielzahl anderer Verhaltensweisen des Anspruchsinhabers liegen. Im Folgenden sollen nur zwei Konstellationen herausgegriffen werden, die Drohung mit reputationsschädigenden Verhaltensweisen sowie die Drohung mit ei­ ner staatlichen Rechtsdurchsetzung. Im Anschluss sollen allgemeine Überlegung zum Verhältnis einer Drohung zu nach §  229 BGB erlaubten Verhaltensweisen ange­ stellt werden. (1)  Reputationsschädigende Verhaltensweisen („Anprangern“) Die Angst vor öffentlichem „Anprangern“, also vor dem Verlust des guten Rufs, ist jedenfalls in gewissen Kreisen452 ein sehr wirksames Zwangsmittel.453 Ihre prakti­ sche Realisierung fand diese Erkenntnis Mitte der 1990er Jahre in der (aus dem Aus­ land importierten) Idee des „Schwarzen Mannes“.454 Auch die Figur des von RTL eingesetzten „Mahnman“455 nutzte (Medien-)Druck zur Durchsetzung der privaten 451  Hinz, NZM 2005, 841, 846; Streyl, WuM 2006, 234, 236; Regenfus, LMK 2009, 284570: „ein­ schüchternde Maßnahmen jeglicher Art (d. h. auch wenn sie nicht unmittelbar den Besitz betreffen) [können] im Einzelfall eine so starke Druckwirkung entfalten […], dass der Mieter von der Aus­ übung der tatsächlichen Herrschaft ablässt“. 452 Etwa bei Organmitgliedern in der Unternehmensführung, Easterbrook/Fischel, VALR 70 (1984), 669, 673 ff. 453  LG Leipzig NJW 1995, 3190, 3191 f. 454  Dazu LG Leipzig NJW 1995, 3190; LG Bonn NJW-RR 1995, 1515; Edenfeld, JZ 1998, 645, 647; Scheffler, NJ 1995, 573; siehe auch OGH ÖJZ 19 (1964), 497 f. 455  OLG Köln NJW 1999, 502 (Verstoß gegen RBerG); BGH NJW 2003, 2879; BVerfG NJW 2004,

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Rechte von Zuschauern. Selbst die Androhung, zur Durchsetzung vermeintlicher Forderungen wegen Telefonsex einen Rechtsanwalt einzuschalten wurde teilweise als derartiges „Anprangern“ empfunden.456 Anschaulich ist auch die Androhung einer Kanzlei, bei Nichtzahlung von Abmahnkosten und Schadensersatz, den Namen des Adressaten einer Abmahnung wegen urheberrechtswidrigem Herunterladen porno­ graphischer Inhalte online zu veröffentlichen.457 Im Rahmen der staatlichen Rechtsdurchsetzung gebietet allerdings der Verhält­ nismäßigkeitsgrundsatz, dass besondere Rücksicht auf die Persönlichkeitsrechte (Art.  1 Abs.  1, 2 Abs.  1 GG) der Betroffenen, d. h. auch der unterliegenden Partei in einem Zivilprozess zu nehmen ist.458 Intuitiv mag man dem freilich die öffentliche Verhandlung (§  169 GVG) und Verkündung von Urteilen (§  173 Abs.  1 GVG) entge­ genhalten, welche anscheinend zwingend eine Bloßstellung der unterliegenden Par­ tei bewirkwn. Allerdings sind Normen, die eine öffentliche Bekanntgabe dieser Ver­ urteilung erlauben, sehr selten. Ohne eine solche Befugnis ist eine Veröffentlichung (etwa im Internet) aber auch für die Parteien verboten.459 Selbst wenn eine Bekannt­ machung ausnahmsweise erlaubt werden kann (insb. im Gewerblichen Rechtsschutz und im Urheberrecht, vgl. §§  103, 111 UrhG; §  12 Abs.  3 UWG; §  47 GeschmMG; §  19c MarkenG; §  140e PatG; §  24e GebrMG; siehe auch §  7 UKlaG), bewegt sich die­ se in engen Grenzen. So ist die Bekanntmachung stets unzulässig, wenn der Kläger damit das Ziel verfolgt, den Beklagten bloßzustellen.460 Bei der Veröffentlichung in juristischen Fachzeitschriften werden Namen und andere Identifikationsmerkmale entfernt, die Parteien also anonymisiert.461 Selbst bei Berichterstattung über Straf­ verfahren in der Tagespresse soll unter Umständen eine Pflicht bestehen, den Namen des Täters nicht zu nennen.462 Gewisse Grenzen findet dies etwa bei der Veröffentli­ chung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens (§§  27, 9 InsO) bzw. der Abweisung mangels Masse (§§  26, 9 InsO) oder die Auflistung in einem für einen weiten Perso­ nenkreis einsehbaren (§  882f ZPO) Schuldnerverzeichnis (§§  882b ff. ZPO). Sicherlich würde es zu weit gehen, einen vermeintlichen Anspruchsinhaber über §  203 StGB und das BDSG hinaus zur Vertraulichkeit über seine Rechtsbeziehung zum Anspruchsgegner zu verpflichten. Aber soweit die Beziehung als solche reputa­ tionsbelastende Wirkung entfaltet (etwa im obigen Telefonsex-Fall) ist Rücksichts­ 672 dazu auch Huff, NJW 2002, 2840; Ricker, NJW 1999, 449 ff; Stolzenburg-Wiemer, K & R 2002, 491; Stolzenburg-Wiemer 2003. 456  OLG Karlsruhe JZ 2004, 101 (m. Anm. Puppe). 457  LG Essen, MMR 2012, 845 (nach Widerspruch bestätigt); zur Konstellation auch Gravel/Mehari, MMR-Aktuell 2010, 307094. 458  Vgl. BVerfGE 54, 148 BVerfG GRUR 2008, 352; LG Essen MMR 2012, 845. 459  OLG Hamburg ZUM 2008, 66; Flechsig, AfP 2008, 284. 460  OLG Celle GRUR-RR 2001, 125: „unnötige Demütigung des Unterlegenen“ (im konkreten Fall verneint); Ohly/Sosnitza/Sosnitza, §  12 UWG Rn.  218; bei strafrechtlichen Urteilen ist das Reso­ zialisierungsinteresse zu berücksichtigen Dreier/Schulze/Dreier, §  111 UrhG Rn.  4; Möhring/Nicoli­ ni/Spautz, §  111 UrhG Rn.  5. 461  Knerr, passim; Kockler, JurPC 1996, 49; Hirte, NJW 1988, 1698. 462  Grundlegend BVerfGE 35, 202.

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

nahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Schuldners (§  241 Abs.  2 BGB) erforderlich.463 Äußerste Grenze ist dabei die strafbare Formalbeleidigung.464 Im Einzelfall ist daher eine Abwägung geboten. So sind etwa negative Bewertungen in Onlineportalen üblich und als Meinungsäußerungen in weitem Umfang zulässig.465 Solche Portale dienen dem sogar auf staatlicher Ebene schützenswerten Verbraucher­ schutz;466 zudem sind den Nutzern die Gefahren von Fehlbewertungen bekannt und es besteht durch Einstellung von Gegenäußerungen die Möglichkeit zur Klarstel­ lung. Wer also dort Waren veräußert, muss auch mit einer negativen Bewertung rechnen. Es handelt sich um eine Handlung, mit der auch in zulässiger Weise gedroht werden darf. Im Übrigen kann §  229 BGB als Orientierungshilfe dienen. Die Regelung erlaubt (in den Grenzen des §  230 StGB) sehr weitreichende Maßnahmen bis zur Freiheits­ entziehung, wenn eine Gefährdung des Anspruchs droht. Jedoch haben die in §  229 BGB genannten Gegenstände allesamt die Eigenschaft, dass die Beeinträchtigung nur vorübergehend ist und letztlich durch Schadensersatzzahlung weitgehend kom­ pensiert werden kann. Bei Reputationsschäden ist dies regelmäßig nicht der Fall (da­ her auch das weitgehend vergebliche Bemühen des Gesetzgebers, eine Richtigstellung einer Beleidigung durch öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung zu ermögli­ chen, §  200 StGB). Insoweit sind Eingriffe, die Rufschädigungen zur Folge haben, zumeist intensiver als solche in andere Rechtsgüter. Eine rufschädigende Maßnahme ist daher nur (als mildestes Mittel) erforderlich, soweit alle anderen Maßnahmen scheitern. Auch hier ist freilich eine Rückausnahme zu machen. Wenn ein Missstand her­ vorgehoben wird, der ohnehin öffentlich bekannt ist oder an deren Bekanntwerden ein „berechtigtes Interesse“ im Sinne von §  193 StGB besteht (etwa Servicedefizite in bestimmten Unternehmen), hat das Anprangern nur geringe zusätzliche negative Auswirkungen. Ist der Ruf des Anspruchsgegners ohnehin in Zweifel gezogen, kann ihn eine weitere negative Darstellung daher nicht mehr so belasten wie jemanden mit untadeliger Reputation. In diesen Fällen ist allein die Form der Darstellung maßgeblich. (2)  Drohung mit der Einleitung staatlicher Maßnahmen Eine staatliche Rechtsdurchsetzung ist für alle Beteiligten mit erheblichen Unan­ nehmlichkeiten verbunden. Besonders belastend sind dabei sicherlich strafrechtliche Maßnahmen; aber auch ein Zivilrechtsstreit ist für die Beteiligten keinesfalls kosten­ 463 

In diesem Sinne bereits Edenfeld, JZ 1998, 645, 647. Scheffler, NJ 1995, 573, 575. 465 AG Bremen NJW-RR 2010, 1426; LG Hannover MMR 2009, 870 (LS); OLG Düsseldorf GRUR-Prax 2011, 180 (Gegendarstellung); Dörre/Kochmann, ZUM 2007, 30; Janal, NJW 2006, 870; siehe auch OLG Hamm GRUR-RR 2011, 473 – Erkauftes Lob (Erkaufen von Positivbewertungen als UWG-Verstoß); Petershagen, NJW 2008, 953. 466 Siehe etwa zur „Pankower Ekelliste“ und zur Internetplattform des Verbraucherzentrale Bundesverband Ossenbühl, NVwZ 2011, 1357. 464 

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los. Angefangen mit der Einschaltung von Rechtsanwälten über zeitintensive Ver­ handlungstermine bis hin zu einer etwaigen Berichterstattung in der Presse gibt es viele Gründe, einen Rechtsstreit zu scheuen. Insoweit kann bereits die Androhung der Einleitung rechtlicher Schritte den Anspruchsgegner zum Nachgeben bewegen und so die Erfüllung des Anspruchs sichern. Nur weil staatliche Maßnahmen zulässig sind, bedeutet dies freilich nicht, dass ihre Androhung uneingeschränkt als Zwangsmittel möglich sind. Die Rechtspre­ chung verlangt vielmehr einen Bezug zwischen der angedrohten staatlichen Maß­ nahme und dem Anspruch. Daran fehlt es etwa bei der Androhung einer Meldung bei der Ausländerbehörde zwecks Abschiebung zur Durchsetzung einer Forde­ rung.467 Auch die Drohung mit einer berechtigten Strafanzeige kann strafbar sein, soweit die drohende Strafe zur geltend gemachten Forderung in einem Missverhält­ nis steht.468 Zudem ist die Drohung mit der Einleitung von Zwangsvollstreckungs­ maßnahmen strafbar, wenn die titulierte Forderung erschlichen wurde.469 Generell ist aber die Androhung staatlicher Maßnahmen ein milderes Mittel ge­ genüber den in §  229 BGB genannten tatsächlichen, selbst durchgesetzten Zwangs­ maßnahmen. Dies gilt jedenfalls, soweit nur die Sicherung des Anspruchs bezweckt ist, also etwa der Anspruchsgegner zurück an den Verhandlungstisch bewegt werden soll. Soll hingegen die endgültige Durchsetzung des Anspruchs erreicht werden, ist ein strengerer Maßstab angebracht. Denn dann wird auch die Entscheidungsbefug­ nis der staatlichen Stellen ausgeschaltet. Freilich wird der Anspruchsgegner nur bei aus seiner Sicht überwiegenden Erfolgsaussicht der staatlichen Maßnahmen oder er­ heblicher mittelbarer Nachteile nachgeben. Damit dürfte das Ergebnis regelmäßig mit dem staatlicher Maßnahmen übereinstimmen. §  229 BGB und §  230 BGB stellen weder unmittelbar noch mittelbar darüber hin­ ausgehende Beschränkungen für die Androhung staatlicher Maßnahmen auf. Die Androhung staatlicher Maßnahmen greift zwar möglicherweise in die Dispositions­ freiheit des Adressaten ein, welche ähnlich wie Freiheit und Eigentum schutzwürdig ist. Allerdings sind nach §  230 BGB sogar bei den tatsächlichen Handlungen des Selbsthelfers nach §  229 BGB staatliche Maßnahmen einzuleiten. Es gibt aber keinen Zwang, unmittelbar bei Gefährdung der Durchsetzung eines Anspruchs staatliche Maßnahmen einzuleiten. Im Gegenteil ist es wegen der Kostentragungsregelung des §  93 ZPO regelmäßig ratsam, die Einleitung rechtlicher Schritte im Vorfeld anzu­ kündigen. Die bislang erörterte Subsidiarität der „Selbsthilfe“ gegenüber staatlicher Rechtsdurchsetzung gilt insoweit nicht; vielmehr gilt genau umgekehrt, dass „Selbst­

467 

OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996, 5. BGHSt 5, 254, 261; BayObLG MDR 1957, 309; OLG Karlsruhe NStZ-RR 1996, 296: bei Tele­ fonsex nur wenn keine „empfindliche Bloßstellung aufgrund sonstiger Begleitumstände“. 469  RGSt 26, 305 (Erpressung durch Androhung der Vollstreckung aus Titel, bei dem Schuld bereits getilgt war); RGSt 34, 279 (Vollstreckung aus Titel über tatsächlich nicht vorhandenen An­ spruch). 468 

140

§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

hilfe“ im Vorfeld eine Obliegenheit des Anspruchstellers ist.470 Auch die Prognose des Anspruchstellers hinsichtlich der Erfolgaussichten staatlichen Rechtsschutz ist regelmäßig ohne Bedeutung. Ausgeschlossen sind nur Missbrauchsfälle, etwa im Sinne der „Mutwilligkeit“ in §  114 S.  1 ZPO. (3)  Verhältnis der Drohung zur Umsetzung von Zwangsmaßnahmen Generell ist die schlichte Androhung einer Zwangsmaßnahme weniger belastend als deren tatsächliche Durchführung. Insofern verwundert es, dass der Gesetzgeber in §  229 BGB nur tatsächliche Eingriffshandlungen aufzählt, während er im Straftatbe­ stand des §  240 StGB auch die Drohung mit einem empfindlichen Übel als taugliches Zwangsmittel qualifiziert. Den Grund dafür muss man aber primär darin sehen, dass die individuelle Dispositionsbefugnis und das Persönlichkeitsrecht im Zeitpunkt der Entstehung des BGB noch nicht als eigens schutzbedürftige und schutzwürdige Inte­ ressen anerkannt waren. Demgegenüber standen tatsächliche Eingriffe in (berechtig­ ten) Besitz und Freiheit als absolut geschützte Rechtsgüter im Vordergrund. In vielen Fällen implizieren die Vorenthaltung einer Sache bzw. die Freiheitsentziehung weite­ re Zwangsmaßnahmen. Der Eingriff wirkt allein aufgrund der fehlenden tatsächli­ chen Nutzungsmöglichkeit der Sache bzw. der Einschränkung der eigenen räumli­ chen Situation. Dies bedeutet stets, dass der Adressat der Selbsthilfe nicht tun kann, was er will. Gleichzeitig besteht aus Sicht des Adressaten die Sorge um etwaige Folge­ maßnahmen. Eine saubere Trennung der unmittelbaren physischen Wirkung von etwaigen psychischen Folgen ist daher nicht möglich. Allerdings dient die Androhung zumeist nicht der bloßen Sicherung der An­ spruchsdurchsetzung. Während physische Maßnahmen eine Gefahr unmittelbar beseitigen, bezweckt die psychische Einwirkung auf den Anspruchsgegner, ihn zum bewussten Umdenken zu bewegen. Wenn der Schuldner aber schon zum Umdenken bewegt wird, geht es meist nicht nur um die von §  229 BGB gewollte Anspruchssiche­ rung, sondern um die darüber hinausgehende tatsächliche und endgültige Erfüllung des Anspruchs. Dann bewegt sich das Verhalten außerhalb der Grenzen des §  229 BGB. Dieser rechtfertigt nur Maßnahmen zur Sicherung. Freilich ist dies so lange unbedenklich, wie die Drohung nicht widerrechtlich ist. Auch eine in Angst abgege­ bene Einigungserklärung bleibt wirksam, solange sie nicht nach §  123 BGB ange­ fochten werden kann. Sowohl das Strafrecht (§§  240, 253 StGB) als auch das Delikts­ recht (§  826 BGB) laufen leer, solange Mittel, Zweck und Zweckmittelrelation mit der Rechtsordnung in Einklang stehen. 2.  Übertragung der Schranken staatlicher Rechtsdurchsetzung? Nach allgemeiner Auffassung soll die ausnahmsweise Zulassung von Sicherungsund Durchsetzungsmaßnahmen dem Bürger keine weitergehenden Befugnisse ver­ 470  Zum Erfordernis der Abmahnung und ähnlicher Maßnahmen zur Vermeidung eines sofor­ tigen Anerkenntnis nach §  93 ZPO unten §  2C.II.2, S. 289.

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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leihen, als sie ein staatliches Vollstreckungsorgan in der gleichen Situation gehabt hätte.471 Diese strenge Akzessorietät der Selbsthilfe zum staatlichen Zwangsvollstre­ ckungsrecht wird aus §  230 Abs.  2 und 3 BGB entnommen, wonach unverzüglich das einschlägige Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes einzuleiten ist.472 Würde im Rahmen dieses Verfahrens einstweiliger Rechtsschutz als unzulässig oder unbegrün­ det abgelehnt, müsse auch die Selbsthilfe rechtswidrig sein (und etwaige Fehlvorstel­ lungen wären nach §  231 BGB unbeachtlich). Die Selbsthilfe im Sinne des §  229 BGB wäre daher letztlich „private Zwangsvollstreckung“.473 Diese enge Verknüpfung zwi­ schen staatlichem und privatem Handeln bei der Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB steht in deutlichem Kontrast zu Notwehr (§  227 BGB) und Notstand (§§  228, 904 BGB). Staatliche Organwalter sollen sich jedenfalls gegenüber einer zivil- und straf­ rechtlichen Haftung auch dann auf diese Rechtfertigungsgründe berufen dürfen, wenn eine öffentlich-rechtliche Eingriffsbefugnis fehlt, etwa soweit sich ein „finaler Rettungsschuss“ außerhalb gesetzlicher Regelungen bewegt.474 Diese Übertragung der Schranken staatlicher Vollstreckung muss aber lückenhaft bleiben. Der Grund hierfür ist einerseits, dass an ein organisiertes Verfahren, welches von ausgebildetem Fachpersonal (Richter, Gerichtsvollzieher, Rechtspfleger) umge­ setzt wird, naturgemäß höhere Anforderungen geknüpft werden können, als an spontanes475, privates Handeln zur Gefahrabwehr. Einem Laien ist kaum zuzumu­ ten, sich über Details des Prozessrechts oder auch nur der Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher476 zu informieren.477 Eine Vielzahl der Regelungen des Vollstre­ ckungsrechts sind reine Ordnungs- oder Verfahrensvorschriften, deren Einhaltung im Rahmen der privaten Selbsthilfe mangels Beteiligung der jeweiligen staatlichen Stellen weder möglich noch sinnvoll ist. Darüber hinaus stehen dem Staat zusätzliche Informationsquellen und Handlungsoptionen zur Verfügung, die der Bürger nicht hat. Auch die Beweisanforderungen unterscheiden sich zwischen gerichtlichem einstweiligem Rechtsschutz und Selbsthilfe. Genügt vor Gericht die Glaubhaftma­ 471 Staudinger/Repgen,

§  229 BGB Rn.  4; Schünemann, S.  70. §  229 BGB Rn.  6; siehe bereits oben §  1A.IV.1, S. 109. 473  RGSt 35, 403, 405; Stein/Jonas/Münzberg, vor §  704 ZPO Rn.  16. 474  BGH NStZ 2005, 31 (Schusswaffengebrauch als Notwehr); BayObLG MDR 1991, 367 (Bre­ chen von Widerstand durch Polizisten als Notwehr); BGHSt 27, 260, 262 ff. (Kontaktsperre bei Ter­ roristen als Notstand); Staudinger/Repgen, §  227 BGB Rn.  43 f.; BeckOK-BGB/Dennhardt, §  227 BGB Rn.  3; Schönke/Schröder/Perron, §  32 StGB Rn.  42c; MüKo-BGB/Grothe, §  229 BGB Rn.  15. 475  Mugdan I, S.  547 = Mot. I, S.  354: „Es kann nicht anerkannt werden, dass die Schranken, wel­ che dem Gerichte in der fraglichen Beziehung auferlegt sind, zur Übertragung auf die Selbsthilfe sich eignen, deren Hauptbedeutung auf dem Gebiete derjenigen Fälle zu suchen ist, in welchen au­ genblicklich gehandelt werden muss, so dass zur Erreichung des Zweckes ein Eingreifen nötig wer­ den kann, welches nach der Natur der Dinge der gerichtlichen Anordnung sich entzieht.“ 476  In NRW: AV v. 18.3.1980 (JMBl S.  229), zuletzt geänd. durch AV v. 21.6.2001 (JMBl S.  173). 477  Mugdan I, S.  547 = Mot. I, S.  354: „Es leuchtet indessen ein, wie wenig dem Leben, das, wenn irgendwo, so auf diesem Gebiete eine zweifelsfreie und gemeinverständliche Vorschrift erfordert, mit einer derartigen Regelung gedient sein würde. Die in der Heranziehung der einschlagenden §§  796–798, 814, 819 CPO liegende Dunkelheit würde sich umso fühlbarer machen, als jene Vor­ schriften in mehrfacher Hinsicht eine verschiedene Auslegung erfahren haben.“ 472 MüKo-BGB/Grothe,

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

chung der Umstände (§§  920, 294 ZPO), ist derjenige, der Selbsthilfe verübt, nur ge­ rechtfertigt, wenn seine Vorstellung wirklich zutrifft. Das tatsächliche Fehlen der Rechtfertigungslage hat vor allem die Folge, dass Abwehrhandlungen des Schuldners nunmehr (durch Notwehr, §  227 BGB) gerechtfertigt sind. Demgegenüber sind Ab­ wehrhandlungen gegen Gerichtsvollzieher oder Polizisten grundsätzlich strafbe­ wehrt, soweit diese in Umsetzung eines Gerichtsbeschlusses handeln (§  113 StGB). Im Hinblick auf die endgültige Kompensation durch die Schadensersatzhaftung gibt es hingegen kaum Unterschiede: Beruht die gerichtliche Entscheidung auf einer Rechts- oder Tatsacheneinschätzung, die später durch Aufhebung der Entscheidung korrigiert wird, besteht ein verschuldensunabhängiger Schadensersatzanspruch (§§  717 Abs.  2, 945 ZPO). In gleicher Weise besteht auch bei Selbsthilfehandlungen aufgrund unvermeidbarer Irrtümer eine gegenüber dem allgemeinen Deliktsrecht verschärfte Schadensersatzhaftung (§  231 BGB),478 die sich dadurch rechtfertigt, dass eine Privilegierung zu Lasten des ebenfalls schuldlosen Opfers der Selbsthilfemaß­ nahme ausgeschlossen werden soll. Ein Ausgleich wird aber regelmäßig über §  254 BGB gefunden werden, soweit der Schuldner den Anschein einer Gefahr schuldhaft verursacht hat.479 a)  Güterabwägung (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) Der grundlegende Unterschied zwischen staatlicher Durchsetzung und privater Rechtssicherung aufgrund von §  229 BGB wird insbesondere im Verzicht auf eine Güterabwägung (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) zwischen Mittel und Zweck deutlich. Für staatliche Eingriffe ist stets eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter des Adressaten erforderlich; diese „Angemessenheit“ folgt bereits aus dem mit jeder Beeinträchtigung von Freiheitsrechten verbundenen Grundrechtsrelevanz.480 Für nicht-staatliche Maßnahmen gilt dieser Grundsatz demgegenüber allenfalls aus­ nahmsweise, namentlich bei Abhängigkeitsverhältnissen (etwa bei der Kündigung im Arbeitsrecht).481 Im hier interessierenden Kontext finden sich Abwägungsgebote in den zivilrechtlichen Regelungen des Notstandes, §  228 BGB („…der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht“) und §  904 BGB („…der drohende Schaden gegenüber dem aus der Einwirkung dem Eigentümer entstehenden Schaden unver­ hältnismäßig groß ist“). §  34 StGB verlangt einerseits, dass „bei Abwägung der wider­ streitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt“ und darüber hinaus, dass „die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden“. Im letzteren Passus sollen absolute Abwägungsschranken für elemen­ 478 

Unten §  1C, S. 164. Näher §  1C.IV.3, S. 185. 480  BVerfGE 6, 389, 439; 16, 194, 201 f.; 17, 108, 117 f.; 17, 306, 313 f.; 19, 342, 348 f.; 20, 45, 49 f. 481  BAG v. 19.1.1999 – 1 AZR 499/98 (Zumutbarkeit bei Kündigung); BAG v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08 (Arbeitskampfmaßnahmen); BAG v. 29.6.2004 – 1 ABR 21/03 (Betriebsvereinbarung). 479 

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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tare Rechtsgüter sowie nicht beschränkbare Verhaltensregeln zum Ausdruck ge­ bracht werden.482 Im Wortlaut der §§  229, 230 BGB fehlt hingegen ebenso wie bei der Notwehr (§  227 BGB) ein entsprechendes Abwägungsgebot. Soweit die Selbsthilfe allerdings als Ver­ längerung der staatlichen Rechtsdurchsetzung begriffen wird (und die Notwehr der „Bewährung der Rechtsordnung“ dient), scheint es konsequent, die in §  228 BGB ausdrücklich erwähnte und für den Staat selbst verbindliche Proportionalität von Mittel und Zweck auch dort zu fordern.483 Denn der Selbsthelfer bzw. in Notwehr zur Abwehr Handelnde nimmt Aufgaben wahr, die primär dem Staat zustehen. Der Staat muss darüber hinaus grundsätzlich die Interessen des Angreifers (bei §  227 BGB) bzw. Schuldners (bei §  229 BGB) vor Eingriffen schützen, um das ihm zustehende Gewaltmonopol zu wahren. Einer solchen Herangehensweise steht jedoch nicht nur der klare Wortlaut entge­ gen, der bewusst in Abgrenzung zu §  228 BGB, §  904 BGB gewählt wurde. Vielmehr liegt der Vorschrift eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zugrunde. Die Ma­ terialien stellen auf eine schlichte ökonomische Abwägung ab: „Ist das Interesse an der geschuldeten Leistung ein geringes und befindet sich der andere Teil zweifellos in der Lage, Ersatz des Schadens zu leisten, so nimmt der Berechtigte von selbst Ab­ stand, eigenmächtig die Leistung zu erzwingen.“484 Die Abweichung wird zudem durch die nachkonstitutionell und in Kenntnis der Problematik geschaffene Rege­ lung des allgemeinen rechtfertigenden Notstandes in §  34 StGB bestätigt, deren Schaffung nicht zu einer Anpassung von §  229 BGB geführt hat. Auch auf verfassungsrechtlicher Ebene sind Schutzpflichten für absolut geschütz­ te Rechte der Bürger eine Ausnahme.485 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wurde als Begrenzung staatlicher Eingriffe konstruiert. Für die Verhältnisse von Bürgern untereinander besteht demgegenüber keine staatliche Pflicht, dessen Einhaltung zu gewährleisten (und bei Überschreitungen des Angemessenen zwischen zwei Bür­ gern seinerseits mit staatlichen Sanktionen einzuschreiten).486 Vielmehr stellt sich gerade umgekehrt die Frage, inwieweit der Staat im Einzelfall zu Eingriffen in diese Verhältnisse aufgrund eines „Untermaßverbots“ verpflichtet ist.487 Wenn man zu­ treffend eine unmittelbare Wirkung der Grundrechte zwischen privaten Akteuren

482  BT-Drs. V/4095 S.  15; NK-StGB/Neumann, §  34 StGB Rn.  117 ff.; zu Recht skeptisch Schönke/ Schröder/Perron, §  34 StGB Rn.  46 f. 483  Schünemann, S.  95 f.; Jakobs, 16. Kap. Rn.  20; de lege ferenda auch Frister, 13. Kap., Rn.  18. 484  Mugdan I, S.  548 = Mot. I, S.  355. 485  Näher Maunz/Dürig/Di Fabio, Art.  2 Abs.  2 S.  1 GG Rn.  41 ff.; BeckOK-GG/Lang, Art.  2 GG Rn.  27 f. 486  Schwabe, AcP 185 (1985), 1, 5 ff.; Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 32; iE für diese Problematik (an­ sonsten aber genau gegenteilig) ebenso Canaris, AcP 184 (1984), 201, 230 ff.; Hager, JZ 1994, 373; Derleder, FS Seifert, S.  294. 487  Dazu BVerfGE 88, 203, 254 f., 262, 304; BVerfGE 96, 409, 412; Maunz/Dürig/Herzog/Grze­ szick, Art.  20 Rn.  126 ff.

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

ablehnt,488 und die mittelbare Wirkung entweder auf eine verfassungskonforme Auslegung der Generalklauseln des Zivilrecht („Ausstrahlungswirkung“)489 oder aber auf die Bindung der das Zivilrecht anwendende Staatsorgane (Gerichte, Ge­ richtsvollzieher etc.) stützt,490 kann der Bürger selbst nicht in gleicher Weise wie der Staat betroffen sein. Insoweit kann auch der Gedanke der mutmaßlichen Einwilli­ gung herangezogen werden. Wer eine schuldrechtliche Verpflichtung eingeht oder absolute Rechtsgüter gefährdet, nimmt damit zwangsläufig (und unwiderruflich)491 in Kauf, dass gegen ihn auch die in §  229 BGB definierten intensive Maßnahmen er­ griffen werden dürfen.492 Wie bei der Notwehr ist eine zusätzliche Verhältnismäßigkeitsprüfung erforder­ lich, soweit ausnahmsweise im Rahmen des öffentlichen Rechts auf die allgemeinen Rechtfertigungsgründe zurückgegriffen wird.493 Für den Regelfall verbleiben hinge­ gen sowohl für die Selbsthilfe als auch für die Notwehr nur sehr weite, im Einzelnen kaum je relevante Schranken.494 Bei „krassem Missverhältnis“ (z. B. stundenlangem Festhalten zur Sicherung eines Zahlungsanspruchs über wenige Cent) kann eine Rechtfertigung auf Grundlage von §  226 BGB (Schikaneverbot) sowie der Wertung des §  242 BGB (Berücksichtigung von Treu und Glauben und der Verkehrssitte) als allgemeine Schranken der Rechtsausübung ausgeschlossen sein.495 Im Rahmen des §  229 BGB ist darüber hinaus (anders als bei §  227 BGB) der Ein­ satz lebensbedrohender Mittel ausgeschlossen.496 Dies folgt aus einem Erst-RechtSchluss zum privaten Festnahmerecht nach §  127 Abs.  1 S.  1 StPO.497 Wenn schon zur Sicherung der staatlichen Strafverfolgung keine Befugnis zu schweren Körperverlet­ zungen oder zur Tötung eingeräumt wird, berechtigt erst Recht nicht die bloße Siche­ rung zivilrechtlicher Ansprüche zu derartigen Eingriffen.498 Freilich sollte die Be­ deutung dieser Einschränkung nicht überschätzt werden. Da kein Recht besteht, ge­ gen die gerechtfertigte Selbsthilfe Notwehr zu üben, ist gegen die unberechtigten Abwehrmaßnahmen Notwehr möglich, für welche keine solche Einschränkung be­ 488 

So schon BVerfGE 73, 261.

489 Jarass/Pieroth/Jarass/Pieroth, 490 MüKo-BGB/Armbrüster,

Vor Art.  1 GG Rn.  58. §  134 BGB Rn.  34; Canaris, Grundrechte und Privatrecht, passim;

Hillgruber, AcP 191 (1991), 69. 491 Dies ist eine Ausnahme im Vergleich zu sonstigen Einwilligungsfällen, unten §   3A.II.3, S. 324. 492  Insoweit kann man den Vertragsschluss als „riskantes Verhalten“ qualifizieren; allgemein zu riskanten Äußerungen Börgers, S.  204. 493 MüKo-StGB/Erb, §  32 StGB Rn.  172; Schwabe, JZ 2004, 393, Rn.  395. 494 jurisPK-BGB/Backmann, §  230 BGB Rn.  4. 495  BGH NJW 1956, 920; jurisPK-BGB/Backmann, §  230 BGB Rn.  5. 496  RGSt 69, 308, 312 (dort sogar darüber hinausgehende Abwägung nahelegend, jedenfalls bei Ansprüchen „über wenige Pfennige“ Selbsthilfe verneinend); BeckOK-BGB/Dennhardt, §  229 BGB Rn.  10; Palandt/Ellenberger, §  229 BGB Rn.  7; Erman/Wagner, §  229 BGB Rn.  7. 497  RGSt 69, 308, 312; Staudinger/Repgen, §  229 BGB Rn.  36. 498  Entsprechend wird auch im Rahmen der Notwehr eine Tötung (und sogar eine Lebensge­ fährdung) nur ausnahmsweise zugelassen, Staudinger/Repgen, §  227 BGB Rn.  69; BayObLG NJW 1963, 824, 825; BayObLG NJW 1995, 2646; weitgehend freilich BGH JR 1990, 378, 379.

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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steht.499 Dabei wäre dann wiederum die Tötung als ultima ratio zulässig, da nun­ mehr die Verteidigung von Leib und Leben des Selbsthelfers und nicht der Schutz bloßer Vermögenswerte in Rede steht.500 b) Pfändungsverbote Obwohl §  229 BGB (anders als §  400 BGB für die Abtretung und §  394 BGB für die Aufrechnung) keinen ausdrücklichen Verweis auf die zivilprozessualen Pfändbar­ keitsvorschriften enthält, wird die Wegnahme von Sachen, die nicht der Pfändung unterworfen sind (§  811 ZPO) zur Sicherung einer Geldforderung (wohl aber, wenn gerade deren Herausgabe geschuldet ist), auch im Rahmen von §  229 BGB als unzu­ lässig erachtet.501 Der Grund hierfür soll sein, dass die nach §  230 Abs.  2 BGB gebotene gerichtliche Anordnung des dinglichen Arrests nicht möglich ist, denn unstreitig ist das Gericht an die Pfändungsschutzvorschriften gebunden. Allerdings ist in jedem Fall eine frei­ willige Erfüllung auch mit Gegenständen möglich, die nicht pfändbar sind; diese sind nicht etwa als „res extra commercium“ dem Rechtsverkehr entzogen. Angesichts der selbst im Vergleich zum einstweiligen Rechtsschutz nur sehr begrenzten zeitli­ chen Wirkung der Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB sind die Rechte des Schuldners zumeist auch nicht in gleicher Weise tangiert, wie dies bei gerichtlicher Durchset­ zung wäre. Die Argumentation ist darüber hinaus bedenklich, weil die letztlich das Sozial­ staatsprinzip gewährleistenden Pfändungsschutzvorschriften nur für staatliche Maßnahmen gelten können, aber nicht für Maßnahmen im Gleichordnungsverhält­ nis zwischen Bürgern.502 Die Regelungen der §§  394, 400 BGB, die unpfändbare For­ derungen unabtretbar machen und von der Aufrechnung ausschließen erklären sich nur auf ihrer dauerhaften rechtsverändernden Wirkung.503 Bei Selbsthilfemaßnah­ men nach §  229 BGB besteht diese Gefahr jedoch nicht. Auch in der Anwendung wären die Pfändungsschutzvorschriften problematisch. Für den Selbsthelfer ist ohne besondere Sachkunde kaum je erkennbar, was „die zur Fortsetzung [einer selbstständigen] Erwerbstätigkeit erforderlichen Gegenstände“ (§  811 Nr.  5 ZPO) sind, oder ob „der Schuldner [Haushaltsgegenstände] zu einer sei­ ner Berufstätigkeit und seiner Verschuldung angemessenen, bescheidenen Lebensund Haushaltsführung bedarf“ (§  811 Nr.  1 ZPO). Obwohl diese Umstände für den Gläubiger nicht erkennbar sind, haftet er bei diesbezüglichen Irrtümern trotz Unver­

499 

OLG Hamburg MDR 1969, 759; MüKo-BGB/Grothe, §  229 BGB Rn.  8. Insoweit wäre die Tötung auch nach Art.  2 Abs.  2 lit.  a EMRK zulässig, vgl. Frister, GA 1985, 553, 564 f. 501 Staudinger/Repgen, §  229 BGB Rn.  31; jurisPK-BGB/Backmann, §  229 BGB Rn.  13; Schünemann, S.  19; Erman/Wagner, §  229 BGB Rn.  6. 502  BGHZ 162, 349. 503  Dazu oben §  1A.V.1b, S. 122. 500 

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

meidbarkeit nach §  231 BGB. Einer solchen Haftung fehlt jedoch jeglicher Gerechtig­ keitsgehalt weil die soziale Schutzpflicht gerade nicht den Bürger trifft. Es erscheint daher vorzugswürdig, die Selbsthilfe zunächst als gerechtfertigt zu beurteilen und erst die Verlängerung des Zustandes durch gerichtlich angeordneten dinglichen Arrest abzulehnen. Möglich scheint auch, eine beschleunigte Korrektur durch Absenkung der Anforderungen an eine einstweilige Verfügung zugunsten des rückfordernden Schuldner zu realisieren.504 Für den Zeitraum zwischen der Wegnahme der Sache und der Entscheidung des nach §  230 BGB angerufenen Ge­ richts sollte aber zugunsten des Schuldners mit Ausnahme offensichtlicher Verstöße die Rechtmäßigkeit auch bei Gegenständen angenommen werden, die §  811 ZPO unterfallen. c)  Einwirkung auf schuldnerfremde Sachen aa)  Keine Analogie zu §  808 ZPO Gerade umgekehrt zur Geltung der schuldnerschützenden Pfändungsverbote muss die Beurteilung der Befugnis zur Einwirkung auf schuldnerfremde Sachen ausfallen. Die Vermutung des §  1006 Abs.  1 BGB greift nur zugunsten des Besitzers, nicht je­ doch für Dritte ein, denen Ansprüche gegen den Besitzer zustehen.505 Im Zwangs­ vollstreckungsrecht ist dies freilich unproblematisch, weil für den Gerichtsvollzieher primär der Gewahrsam maßgeblich ist (§  808 ZPO). In Ermangelung einer solchen Regelung sind die Vorgaben für den Selbsthelfer strenger als für staatliche Organe. Eine analoge Anwendung von §  808 ZPO scheitert sowohl daran, dass die entspre­ chende Regelungslücke nicht planwidrig ist, als auch am Fehlen einer vergleichbaren Interessenlage zwischen Gerichtsvollzieher und Selbsthelfer.506 §  808 ZPO dient der Vereinfachung des staatlichen Verfahrens507 und ist durch besondere Rechtsschutz­ möglichkeiten (§  766 ZPO, §  771 ZPO) abgesichert. Entsprechende Möglichkeiten existieren im Rahmen der Selbsthilfe jedoch nicht. Selbst wenn man die Vermutung des §  1006 BGB entgegen ihrem Wortlaut auch zugunsten Dritter und zum Nachteil des wahren Eigentümers anwendet,508 müsste der Selbsthelfer in jedem Einzelfall zwischen unmittelbaren Besitzern und bloßen Besitzdienern (§  855 BGB) unterscheiden. Zudem zeigt §  231 BGB, dass für Vermu­ tungen im Rahmen der Selbsthilfe letztlich kein Raum ist, da die Vorstellungen des Selbsthelfers für die Beurteilung außer Betracht bleiben. Maßgeblich soll allein die wirkliche Rechtslage sein.509 Ist das Opfer der Selbsthilfe gar nicht der Anspruchs­ 504 

OLG Köln MDR 2000, 152. §  1006 BGB Rn.  34; MüKo-BGB/Baldus, §  1006 BGB Rn.  14. 506 Dazu Schünemann, S.  117. 507  BGHZ 80, 1935; MüKo-ZPO/Gruber, §  808 ZPO Rn.  21 ff., 2. 508  Für das Vermieterpfandrecht: BGHZ 54, 319, 324 f.; AG Berlin-Mitte GE 2010, 273; Staudin­ ger/Gursky, §  1006 BGB Rn.  35; aA KG WuM 2005, 348, 349; kritisch MüKo-BGB/Baldus, §  1006 BGB Rn.  14. 509  Zu §  231 BGB noch unten §  1C, S. 164. 505 Staudinger/Gursky,

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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gegner, sondern ein Dritteigentümer, besteht keine Duldungspflicht und der Selbst­ helfer haftet trotz unvermeidbarer Fehlvorstellung auf Schadensersatz. Eine Privat­ pfändung schuldnerfremder Sachen ist daher nur mit Einverständnis des Dritteigen­ tümers510 zulässig.511 bb)  Verlust des unmittelbaren Besitzes als Eingriff in Rechte des Drittberechtigten Das naheliegende Argument, dass jedenfalls bei der Wegnahme nur der (unmittelba­ re) Besitz betroffen sei, der doch ohnehin beim Adressaten der Selbsthilfe liege,512 geht fehl. Trotz Übertragung des unmittelbaren Besitzes an den Anspruchsgegner ist auch der Eigentümer von einer Wegnahme betroffen. Diese erschwert ihm den Zu­ griff auf die Sache. Dies ist selbstverständlich, wenn der Besitz unrechtmäßig ist. Die durch bloße Besitzübertragung eintretende Vertiefung des Schadens ist im Strafrecht als gegenüber den Eigentumsdelikten selbstständiges Unrecht, als Hehlerei gem. §  259 StGB, anerkannt.513 Aber auch der berechtigte unmittelbare Besitz ist nicht zwingend frei übertragbar. §  986 Abs.  1 S.  2 BGB oder §  540 Abs.  1 BGB stellen klar, dass die bloße Einräumung unmittelbaren Besitzes nicht in jedem Fall zur Weiterga­ be an Dritte berechtigt. Rein wirtschaftlich wird dem Eigentümer die Übertragung zudem erschwert, da statt der insbesondere im Hinblick auf §§  932 ff. BGB für den Erwerber vorzugswürdigen Übergabe (§  929 S.  1 BGB) nur noch die Abtretung eines Herausgabeanspruchs (§  931 BGB) möglich ist. Aufgrund des dadurch bestehenden Risikos, dass die Sache nach Übereignung durch den Besitzer beschädigt oder zer­ stört wird, der Veräußerer nicht zur Übereignung berechtigt war oder Rechte Dritter im Sinne von §  936 BGB fortbestehen, wird die erzielbare Gegenleistung zumeist ge­ ringer ausfallen. Zudem stellt die Wegnahme regelmäßig eine Vorfeldmaßnahme zu einer späteren Verwertung oder Eigentumsübertragung dar. Dies muss der Eigentümer, dem die Selbsthilfelage nicht zurechenbar ist, nicht dulden. Die Wegnahme ist ihm gegenüber rechtswidrig. Er darf also etwa Notwehr üben, um die Wegnahme zu verhindern. Wer zur Sicherung eines schuldrechtlichen Anspruchs tätig wird, handelt insoweit auf eigene Gefahr. Ein Rechtsgrund, den in das Schuldverhältnis nicht einbezogenen Dritteigentümer zu benachteiligen, ist nicht ersichtlich. Allerdings wird in diesen Fällen meist kein ersatzfähiger Schaden im Sinne von §  231 BGB bestehen. Folgen entfaltet die Rechtswidrigkeit nur bei der Rechtfertigung von Abwehrmaßnahmen des wahren Eigentümers und einer etwaigen Rückforderung. cc)  Ausnahmsweise Duldungspflichten Eine gewisse Ausnahme gilt, wenn der Zugriff auf die Sache des Schuldners nur durch Einwirkung auf eine Sache eines Dritten (z. B. Betreten einer gemieteten Woh­ 510 jurisPK-BGB/Backmann, 511 MüKo-BGB/Grothe,

§  229 BGB Rn.  12. §  229 BGB Rn.  7; Erman/Wagner, §  229 BGB Rn.  6; Staudinger/Repgen,

§  229 BGB Rn.  24. 512  So aber Schünemann, S.  60. 513  BT-Drs. 7/550 S.  252, BGHSt 42 198; Altenhain 2002, S.  122 ff., 219 ff.

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

nung, in der sich Sachen des Schuldners befinden) erlangt werden kann, der dann ebenfalls zu dulden ist.514 Dies folgt aus der allgemeinen Rücksichtsnahmepflicht so­ wie dem Grundsatz, dass geringfügige Beeinträchtigungen im öffentlichen Interesse zu dulden sind (de minimis-Prinzip). Zutreffender Ansatzpunkt ist insoweit eine Analogie zu §  904 S.  1 BGB, der eine Duldungspflicht zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr statuiert. Allerdings soll nach fast allgemeiner Ansicht §  904 S.  1 BGB nicht das Handeln zur Abwehr einer Gefahr für bloße relative Ansprüche erfassen.515 Diese Einschränkung lässt sich zwar nicht dem Wortlaut, der nur von einer „Gefahr“ spricht, entnehmen, folgt aber aus dem Verhältnis von §  229 BGB zu §  227 BGB und §  228 BGB516: Zugunsten absoluter Rechte gewährt das Gesetz weitergehende Eingriffsbefugnisse. Angesichts dieser Be­ schränkung des unmittelbaren Anwendungsbereichs der Norm kann diese nicht un­ besehen zugunsten relativer Rechte angewandt werden, selbst wenn diese gefährdet sein sollten. Allerdings dient die Selbsthilfe der Aufrechterhaltung der Möglichkeit zum staatlichen Rechtsschutz und damit auch einem öffentlichen Interesse.517 Inso­ weit greift die Sozialschranke des Eigentums (Art.  14 Abs.  2 GG) auch zu Lasten des an der unmittelbaren Gefahr unbeteiligten Dritten, der Eingriffe zu dulden hat. Über §  904 BGB hinaus müssen aber sämtliche Voraussetzungen des §  229 BGB gegeben sein, insbesondere die Subsidiarität und die besondere zeitliche Nähe. Anders als in §  229 BGB ist die in §  904 S.  1 BGB vorgesehene Interessenabwägung vorzunehmen; zudem besteht die Ersatzpflicht des Selbsthelfers gegenüber dem von seiner Hand­ lung betroffenen Dritten aus §  904 S.  2 BGB. Dies betrifft auch die Fälle in denen der Schuldner Mitbesitz des Schuldners mit einem Dritten teilt. Eine unabhängig von §  904 BGB bestehende Duldungspflicht kann zudem ange­ nommen werden, wenn der Dritte mit dem Schuldner kollusiv zum Nachteil des Gläubigers zusammenwirkt, etwa indem er gezielt Vermögen versteckt oder sogar selbst droht, geschuldete Gegenstände zu zerstören. Dann ist der Dritte in seinem Verhalten nicht schutzwürdig; sein Widerstand gegen den Selbsthelfer ist nicht „ge­ boten“ im Sinne von §  227 BGB. Auch Besitzwehr und Besitzkehr müssen in diesen Fällen wegen Rechtsmissbrauchs ausscheiden. Zudem kann eine Duldungspflicht aus einem Rechtsverhältnis des Dritten gegenüber dem Gläubiger oder auch gegenüber dem Schuldner folgen. Schließlich sind auch diejenigen Fälle zu berücksichtigen, in denen die Gefahr für die Verwirklichung des Anspruchs von einem Dritten ausgeht, der gänzlich unab­ hängig vom Schuldner handelt.518 Hier greift ein Zusammenspiel von §  229 BGB mit §  227 BGB bzw. §  228 BGB ein: Der Dritte selbst greift durch sein Verhalten in die Rechtssphäre des Schuldners ein, der grundsätzlich zur Verteidigung befugt wäre. 514 Staudinger/Repgen,

§  229 BGB Rn.  38; Heyer, S.  30. §  904 BGB Rn.  13; anders aber Titze, S.  120. 516  Oben §  1A.II.2c, S. 88. 517  Oben §  1A.I.b.ff, S. 46. 518  Siehe §  1A.II.1a.bb, S. 78. 515 Staudinger/Althammer,

A.  Die erlaubte Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB

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Der Gläubiger dürfte ihn im Rahmen von Notwehr und Notstand dabei unterstützen und soweit der Wille des Berechtigten nicht entgegensteht sogar unabhängig von die­ sem Schutzmaßnahmen ergreifen. §  229 BGB bewirkt in dieser Konstellation, dass der Gläubiger aus eigenem Recht gegen den Dritten vorgehen darf, indem ihm die Eingriffsbefugnisse des Schuldners gegen den Dritten zugewiesen werden. d)  Sicherung/Erfüllung von Auskunftsansprüchen Auskunftsansprüche können im einstweiligen Rechtsschutz nur erzwungen werden, wenn existenzielle Rechte betroffen sind, da eine einmal erteilte Auskunft nicht mehr rückgängig gemacht werden kann und eine „Sicherung“ daher letztlich die (endgültige) Erfüllung dieses Anspruchs bedeutet.519 Derartige Verfügungen be­ gründen sich regelmäßig nicht auf selbstständigen Auskunftsansprüchen (etwa nach §  51a G ­ mbHG). Der Anspruchsinhaber will vielmehr notwendige Vorfragen für die spätere Durchsetzung eines Anspruchs auf Zahlung bzw. Herausgabe klären. Die besondere Eilbedürftigkeit beruht dabei darauf, dass die nötigen Informationen an­ sonsten vernichtet werden (etwa aus datenschutzrechtlichen Gründen) oder aus an­ derem Grund nicht mehr rekonstruiert werden können (etwa weil der Auskunftsfä­ hige zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr auffindbar oder erreichbar ist). In der Rechtsprechung zu §  229 BGB bildet die Erzwingung des Nebenanspruchs auf Aus­ kunft über Personalien zur späteren Geltendmachung von Ansprüchen durch Fest­ halten von Personen oder Wegnahme von Ausweispapieren eine der wichtigsten Fallgruppen.520 Eine ausdrückliche Regelung der Durchsetzung von Auskunftsansprüchen im einstweiligen Rechtsschutz findet sich für den Bereich des geistigen Eigentums (§  101 Abs.  7 UrhG, §  140b Abs.  7 PatG, §  19 Abs.  7 MarkenG, §  24b Abs.  7 GebrMG, §  46 Abs.  7 GeschmG). Danach kann eine Auskunft „in Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung“ auch im einstweiligen Rechtsschutz eingefordert werden.521 Dazu muss die Rechtsverletzung „so eindeutig [sein], dass eine Fehlentscheidung (oder eine andere Beurteilung im Rahmen des richterlichen Ermessens) und damit eine ungerechtfertigte Belastung des Antragsgegners kaum möglich ist“.522

Auch im Wege der Selbsthilfe sollte die Erzwingung bzw. Sicherung unselbstständi­ ger Auskunftsansprüche zulässig sein, soweit das Bestehen des Hauptanspruchs „of­ 519  KG GRUR 1988, 403; OLG Hamm NJW-RR 1992, 640; OLG Brandenburg MDR 2005, 950; moderater MüKo-ZPO/Drescher, §  938 ZPO Rn.  45. 520  Siehe nur BGH NStZ 2012, 144; BayObLG JZ 1991, 681, 682; AG Grevenbroich NJW 2002, 1060; Krüger, NZV 2003, 218. 521  Zur großen praktischen Relevanz („Soweit Auskunft im einstweiligen Verfahren begehrt wurde, waren diese Begehren fast immer erfolgreich.“) vgl. Dreier/Schulze/Dreier, §  101 UrhG Rn.  29. 522  BegrRegE ProduktpiraterieG BT-Drs. 11/4792, S.  32.

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

fensichtlich“ ist. Dies ist etwa der Fall, wenn ein Fahrgast nach unstreitig mangelfrei erbrachter Fahrt das Taxi ohne Bezahlung verlässt.523 Die Erzwingung einer Auskunft (regelmäßig zur Identität des Anspruchsgegners) im Wege der Selbsthilfe muss aber darüber hinaus zugelassen werden, soweit ohne diese der Anspruch nicht mehr oder nur noch mit unverhältnismäßigem Aufwand durchsetzbar wäre. Bei alltäglichen, anonymen Massengeschäften scheidet ein Rechtsstreit zur Klärung der Anspruchslage aus, wenn der Anspruchsgegner nicht mit ladungsfähiger Anschrift bekannt ist. Aus diesem Grunde ist etwa in dem oben geschilderten Gänsebrust-Fall524 die Selbsthilfe selbst dann zulässig, wenn ein mög­ liches Rücktrittsrecht wegen Schlechtleistung in Betracht kommt. e)  Räumung von Wohnungen Im Regelfall scheitert die Räumung von Wohnraum als Selbsthilfemaßnahme bereits daran, dass damit nicht die Sicherung eines Anspruchs, sondern die Erfüllung des Rückgabeanspruchs bezweckt wird.525 Dennoch erscheinen Fälle denkbar, in denen hoheitliche Hilfe nicht rechtzeitig erlangt werden kann und die Selbsthilfe nur der Aufrechterhaltung der Anspruchsdurchsetzung dient (etwa wenn gefährliche Ge­ genstände in der Wohnung aufbewahrt werden). Auch insoweit muss aber nicht auf die besondere Schranke des §  940a ZPO zu­ rückgegriffen werden. Soweit danach eine einstweilige Verfügung wegen verbotene Eigenmacht zulässig wäre, ist ohnehin nach §  859 Abs.  3 BGB Besitzkehr statthaft. Bei einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben greift demgegenüber Notwehr oder Nothilfe nach §  227 BGB. Der Umstand, dass möglicherweise auch ein schuldrechtli­ cher Anspruch auf Räumung besteht, ist insoweit ohne Bedeutung. Vielmehr liegen die Voraussetzungen von §  229 BGB nicht vor und es ist allein auf §  859 BGB bzw. §  227 BGB abzustellen. Bei einem Irrtum kommt es demzufolge auch auf dessen Ver­ meidbarkeit an, §  231 BGB findet keine Anwendung.

B.  Kostenerstattung für Selbsthilfemaßnahmen Obwohl der Wortlaut des §  229 BGB ausschließlich die Rechtfertigung der vorge­ nommenen Handlung anspricht, soll nach allgemeiner Ansicht derjenige, der ir­ gendeine, nicht notwendigerweise durch Subsidiarität beschränkte, Selbsthilfemaß­ nahme ergreift, von dem Anspruchsgegner Ersatz aller durch die Selbsthilfe entstan­

523  AG Grevenbroich NJW 2002, 1060, 1061; OLG Düsseldorf NJW 1991, 2716; OLG Hamburg MDR 1969, 759. 524  BayObLG NJW 1991, 934; oben §  1A.III.1, S. 94. 525  OLG Celle OLGR Celle 2000, 211; OLG Köln NJW 1996, 472, 473; MüKo-ZPO/Drescher, §  940a ZPO Rn.  5; Zöller/Vollkommer, §  940a ZPO Rn.  2 f.

B.  Kostenerstattung für Selbsthilfemaßnahmen

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denen Vermögenseinbußen (etwa Lagerungskosten) verlangen können.526 Dies bedarf näherer Begründung, denn grundsätzlich handelt der Selbsthelfer auf eigene Gefahr (§  231 BGB). Das Gesetz stellt sein Verhalten nur von der Haftungsfolge frei. Die folgende Erörterung beschränkt sich im Anschluss an die Diskussion im Schrift­ tum aber nicht auf §  229 BGB, sondern erstreckt sich auch auf andere Fälle, etwa Notwehr (§  227 BGB), die nach hiesiger Auffassung kumulative Selbsthilfe darstellen. Dennoch bildet §  229 BGB im Folgenden den Ausgangspunkt, in dessen Funktion die darüber hinausgehenden allgemeinen Erwägungen widerspruchsfrei einzubin­ den sind. Für einen Kostenerstattungsanspruch sprechen primär systematische Gesichts­ punkte. Im deutschen Zivilrecht sind Erfüllungsansprüche, deren Sicherung §  229 BGB dient, regelmäßig staatlich erzwingbar; eine Befreiung von der Primärleistungs­ pflicht (§  275 BGB) ist eine Ausnahme, die zudem mit einer Schadensersatzhaftung auf das Erfüllungsinteresse verknüpft ist (§  311a Abs.  2 BGB,527 §§  280 Abs.  1, Abs.  3, 283 BGB). Eine Kompensation durch Schadensersatzansprüche ist dabei nach dem Leitbild des Gesetzes der tatsächlichen Erfüllung des Anspruchs in natura regelmä­ ßig nicht gleichwertig.528 Es besteht eine insbesondere durch Geltendmachung von Sekundäransprüchen widerlegbare Vermutung, dass der Gläubiger vorrangig tat­ sächliche Erfüllung will (vgl. auch den Grundsatz der Naturalrestitution in §  249 Abs.  1 BGB). Aufgrund des an verschiedenen Stellen (etwa in §  281 BGB, §  323 BGB) zum Ausdruck gebrachten Vorrangs der Primäransprüche vor Sekundäransprüchen hat nicht nur der Anspruchsinhaber ein individuelles Interesse an der Beseitigung von Gefahren für die Durchsetzung. Vielmehr handelt es sich um eine Maßnahme, die gerade der Aufrechterhaltung der von der Rechtsordnung gewollten Rangfolge der Ansprüche dient. Aus der Pflicht des Schuldners zur Erfüllung folgt daher, dass er auch die damit verbundenen Kosten und Risiken zu tragen hat. Ökonomisch hängt die Zuweisung der Kosten für ein Risiko von der Frage ab, wer dieses mit dem geringstmöglichen Aufwand vermeiden bzw. versichern könnte („least cost avoider/insurer“). Regelmäßig befindet sich der Gegenstand der Leis­ tungspflicht noch in einer Sphäre, die der Schuldner kontrollieren kann. Er kann Risiken bei einem gegenseitigen Vertrag bereits in die vom anderen Teil verlangte Gegenleistung einpreisen. Demgegenüber ist der Gläubiger grundsätzlich weder be­ fugt noch in der Lage, Gefahren abzuwenden, solange die Leistung nicht in seinen Rechtskreis gelangt ist. Es gilt daher, auf den Gläubiger wirkende Gegenanreize ab­ 526 Staudinger/Bergmann, Vor §§   677 ff. BGB Rn.  293; Palandt/Ellenberger, §  229 BGB Rn.  8; Soergel/Fahse, §  229 BGB Rn.  27; Staudinger/Repgen, §  229 BGB Rn.  38; Schünemann, S.  127 ff. 527  Während angesichts der bloßen Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungs- bzw. Nach­ forschungspflicht insoweit eine Haftung auf das negative Interesse (§  307 BGB a. F.) nahegelegen hätte (Altmeppen, DB 2001, 1399) ist die Entscheidung des Gesetzgebers, auch insoweit Schadenser­ satz statt der Leistung zu gewähren aus verhaltenssteuernder Sicht konsequent: Es gilt das Vertrauen in die Wirksamkeit von Verträgen und die dabei geschuldete Leistung als wichtiges Element der Rechtsordnung abzusichern. 528  §  1A.IV.2, S. 113.

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

zubauen, um eine einseitige Risikoverlagerung zu seinen Lasten auszuschließen. Dazu genügt es aber nicht, dass durch den Rechtfertigungsgrund Schadensersatzan­ sprüche und eine etwaige Strafbarkeit ausgeschlossen sind. Faktisch würden der Selbsthilfe immer noch die prohibitiven Kosten der Einwirkung in die fremde Sphä­ re entgegenstehen. Daher muss bei tatsächlich vorliegender und als solcher erkannter Selbsthilfelage das Kostenrisiko beim Schuldner (also beim Adressaten der Selbsthil­ femaßnahme) liegen. Besonderheiten gelten insoweit nur für Personen, die zur Siche­ rung von Ansprüchen tätig werden, an denen sie weder als Schuldner noch als Gläu­ biger beteiligt sind („Fremdhelfer“ im obigen Sinne).529 Deren Regressanspruch rich­ tet sich regelmäßig (außerhalb des Deliktsrechts in Herausforderungsfällen) nicht gegen den Anspruchsgegner, sondern ausschließlich gegen denjenigen, dessen An­ spruch sie durch ihre Tätigkeit sichern. Mangels einer spezialgesetzlichen Regelung ist die Herleitung dieses Anspruchs aber umstritten.

I. Schadensersatzanspruch In Ermangelung einer §  91 ZPO entsprechenden Kostenerstattungsregelung werden zur Begründung des Ersatzanspruchs des berechtigten Selbsthelfers überwiegend die Normen herangezogen, die auch als Grundlage eines „materiellrechtlichen Kostener­ stattungsanspruchs“530 dienen. Freilich gibt es im Bürgerlichen Recht gerade keine allgemeine Anspruchsgrundlage für den Ersatz von Rechtsverfolgungskosten, so dass diese vor allem auf Schadensersatzansprüche gestützt werden.531 Dabei wird schon im Prozessrecht ein sehr weiter Schadensbegriff angelegt, welcher auch die aufgrund der Beauftragung eines Anwalts und der Einleitung des Rechtsstreits ent­ standenen Kosten als unfreiwillige Vermögenseinbußen qualifiziert, obwohl diese auf eigenem, selbstständigen Entschluss des Klägers basieren.532 Allerdings argu­ mentiert man, dass sich der Kläger bei hinreichendem Anlass (im Sinne von §  93 ZPO) und Erfolg in der Sache zur Durchführung eines Prozesses herausgefordert fühlen durfte, was auch eine für den Beklagten vorhersehbare Konsequenz war.533 1.  Verzögerungsschaden (§§  280 Abs.  1, Abs.  2, 286 BGB) Als Anspruchsgrundlage kann der sowohl bei gerichtlicher wie auch bei privater Durchsetzung vertraglicher wie gesetzlicher Pflichten einschlägige „Verzögerungs­ schaden“ (§§  280 Abs.  1, Abs.  2, 286 BGB) herangezogen werden.534 Die Nichterbrin­ 529 

§  1A.I.c.cc, S. 46. Dazu BeckOK-ZPO/Jaspersen/Wache, §  91 ZPO Rn.  24–27; Musielak/Voit/Flockenhaus, Vor­ bemerkung §§  91–107 Rn.  15. 531  BGH NJW 2007, 1458; Saenger, S.  183 ff. 532  Skeptisch daher Stoll 1993, S.  4 65 ff. 533 BGH NJW 2006, 1065; Medicus, JuS 2005, 289, 292; Staudinger/Schiemann, §  251 BGB Rn.  114 ff. 534 Staudinger/Repgen, §  229 BGB Rn.  38. 530 

B.  Kostenerstattung für Selbsthilfemaßnahmen

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gung der geschuldeten Leistung trotz Fälligkeit und Mahnung ist in jedem Fall eine Pflichtverletzung (§  286 Abs.  1 BGB). Freilich gilt dies nicht für Naturalobligationen, wo zwar ein Schuldverhältnis aber gerade kein Erfüllungsanspruch besteht. Entge­ gen Schünemann535 ist dies aber keine Regelungslücke. Handlungen zur Sicherung der Erfüllbarkeit von Naturalobligationen sind regelmäßig ohnehin nicht erforder­ lich und daher schon nicht gerechtfertigt. Kosten, die durch Sicherungsmaßnahmen vor der Mahnung (oder gar vor Fälligkeit) entstehen, lassen sich ebenfalls nicht als ersatzfähiger Verzögerungsschaden qualifizieren. Dies ist insofern problematisch, als durchaus auch zu diesem Zeitpunkt Gefahren für die spätere Erfüllung auftreten können, ein Schadensersatzanspruch aber nicht konstruierbar ist. Während die Befugnis zur Selbsthilfe von einem Verschulden des Opfers unab­ hängig ist, setzen Schadensersatzansprüche entweder ein Verschulden oder jeden­ falls eine sonstige Verantwortlichkeit des Anspruchsgegners im Sinne von §  276 Abs.  1 BGB voraus. Bei Ansprüchen aus §§  280 Abs.  1, Abs.  2, 286 BGB greift insofern freilich zugunsten des Selbsthelfers die Beweislastumkehr des §  280 Abs.  1 S.  2 BGB. Der Schuldner des Schadensersatzanspruchs muss darlegen und beweisen, dass er die Verzögerung der möglichen und fälligen Leistung nicht zu vertreten hat. Ohne Bedeutung ist demgegenüber, ob der Schuldner darüber hinaus die von §  229 BGB vorausgesetzte Gefährdung der Erfüllung des Anspruchs zu vertreten hat.536 Das Er­ fordernis des Verzugs erscheint insoweit sachfremd. Der Anknüpfungspunkt des Vorwurfs entspricht auch hier nicht dem Rechtfertigungstatbestand. Genügt für die Rechtfertigung einerseits das Aufrechterhalten der Leistungspflicht unabhängig von Fälligkeit und Mahnung oder der Verantwortlichkeit des Schuldners für die Gefahr, knüpft andererseits die Ersatzpflicht an die konkrete Vorwerfbarkeit der im Einzel­ fall möglicherweise noch nicht einmal bestehenden Verzögerung der Leistung an. Im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität ist schließlich zu fragen, ob sich der Gläubiger zur Durchsetzung im Wege der Selbsthilfe „herausgefordert“ fühlen durfte.537 Dies ist der Fall, wenn die oben geschilderten Voraussetzungen des §  229 BGB erfüllt sind, d. h. sein Verhalten gerechtfertigt war. Allein der Verzug impliziert aber noch keine Gefahr für die Erfüllung, die Sicherungsmaßnahmen rechtfertigt. Nur die zur Beseitigung einer tatsächlich bestehenden Gefahr für die Erfüllung des Anspruchs objektiv erforderlichen Maßnahmen sind zu ersetzen. Dies ist nicht ganz selbstverständlich, denn prinzipiell sind in sog. Herausforderungsfällen (insb. den sog. „Verfolgerfällen“)538 durchaus Schäden zurechenbar, an denen den Herausgefor­ derten ein Mitverschulden trifft. Auch für die Geltendmachung von Rechtsverfol­ gungskosten soll es allein darauf ankommen, ob diese aus ex ante Sicht für einen 535 

Schünemann, S.  133. Heyer, S.  64, fallen Verzug und Selbsthilfe freilich regelmäßig zusammen. 537  Siehe zur „Herausforderung“ als Maßstab für die Zurechnung BGHZ 172, 263, 267; Mü­ Ko-BGB/Wagner, §  823 BGB Rn.  368. 538 Staudinger/Schiemann, §  249 BGB Rn.  48 ff.; BeckOK-BGB/J. Flume, §  249 BGB Rn.  323.; BGH NJW 1996, 1533; BGH NJW 1981, 570. 536 Nach

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

verständigen Menschen in der Lage des Geschädigten erforderlich und zweckmäßig waren. Die nachträgliche Erforderlichkeit ist weder hinreichend noch notwendig.539 §  229 BGB erlaubt hingegen als Rechtfertigungsgrund nur eine Alles-oder-NichtsLösung: Eine Handlung ist entweder erlaubt oder verboten. Eine Kostenteilung an­ hand von Verschuldensanteilen (analog §  254 BGB) wäre mit diesem Gedanken nicht zu vereinbaren. Nimmt also der Selbsthelfer irrig an, dass seine Maßnahme erforder­ lich ist, ist die Maßnahme rechtswidrig. Er erhält daher selbst dann keinen Ersatz, wenn dieser Irrtum auch bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hät­ te vermieden werden können; nach §  231 BGB muss er sogar seinerseits Schadenser­ satz leisten. War die Selbsthilfehandlung nicht erforderlich, scheidet ein Ersatzan­ spruch selbst dann aus, wenn dies aus der ex ante Sicht so erschien. Eine andere Lö­ sung wäre mit der Systematik der §§  229, 231 BGB, welche die Verantwortlichkeit des Selbsthelfers nur bei vollständiger Bejahung des objektiven Rechtfertigungstatbe­ standes ausschließen, nicht zu vereinbaren. Gleichzeitig kann nur so die gebotene Verhaltenssteuerung erreicht werden. Daher sind die Konstellationen, in denen ein Anspruch auf Ersatz des Verzöge­ rungsschadens besteht, nicht in jedem Fall deckungsgleich mit der Rechtfertigung nach §  229 BGB. Ein Schadensersatzanspruch nach §§  280 Abs.  1, Abs.  2, 286 BGB scheitert insbesondere, wenn der Schuldner des Anspruchs die Verzögerung der Er­ füllung nicht zu vertreten hat oder die Voraussetzungen des §  286 BGB nicht vorlie­ gen. Zudem sind auf Ebene der Rechtsfolge Korrekturen vorzunehmen, die mit den Grundwertungen des Schadensersatzrechts und dem Gedanken des anspruchsmin­ dernden Mitverschuldens kaum vereinbar sind. 2.  Analogie zu §  231 BGB? Systematisch naheliegend scheint es, eine verschuldensunabhängige Ersatzpflicht aus einem Umkehrschluss §  231 BGB herzuleiten, wonach im Fall der unberechtigten oder zu weitgehenden Selbsthilfe Schäden selbst dann zu ersetzen sind, wenn die Fehlvorstellung über die Rechtswidrigkeit der Handlung auch bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht vermieden werden konnte. Vor diesem Hin­ tergrund scheint es konsequent, dem Selbsthelfer spiegelbildlich bei berechtigter Selbsthilfe seinen Aufwand selbst dann zu ersetzen, wenn den Schuldner kein dies­ bezügliches Verschulden vorwerfbar ist. Freilich gilt §  231 BGB nur für die Selbsthil­ fe.540 Das Bedürfnis nach einem verschuldensunabhängigen Kostenerstattungsan­ spruch besteht jedoch auch bei Notwehr,541 Besitzwehr und Besitzkehr542 . Nur wer 539 

BGH NJW 2006, 1065; BeckOK-BGB/J. Flume, §  249 BGB Rn.  73 ff. Unten §  1C.III.2c, S. 178. 541  van Venrooy, JuS 1979, 102, der das Zuparken von Grundstücken irrig nicht unter §  862 BGB subsumieren will und in der Folge nur eine Geschäftsführung ohne Auftrag als Grund für den An­ spruch sieht. 542  Dörner, JuS 1978, 666; Staudinger/Bergmann, Vor §§  677 ff. BGB Rn.  293: „Eine Kostenerstat­ 540 

B.  Kostenerstattung für Selbsthilfemaßnahmen

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wie Schünemann diese Rechtfertigungsgründe als Unterfall der Selbsthilfe begreift, kommt daher insoweit zu konsequenten Ergebnissen. Darüber hinaus führt §  231 BGB nur zur Unbeachtlichkeit von Irrtümern auf Rechtfertigungsebene; daneben bleiben aber die allgemeinen Zurechnungsprinzipien bestehen.543 Zudem geht es bei der Frage nach dem Ersatz von Selbsthilfekosten nicht nur um den Ersatz von Schäden, sondern meist um den Ersatz freiwilliger Vermögenseinbu­ ßen, mithin von Aufwendungen. Insoweit ist eine Analogie zu §  231 BGB nur bei ­einem weiten Verständnis des Schadensbegriffs zielführend. Für eine quotale Vertei­ lung des Risikos ist eine Norm, die nur Irrtümer auf Rechtswidrigkeitsebene für unbeachtlich erklärt, kaum geeignet.

II.  Geschäftsführung ohne Auftrag? Soweit man die entstandenen Kosten zutreffend als Aufwendungen qualifiziert und die Aufrechterhaltung der Erfüllungspflicht des Schuldners als Ziel der Tätigkeit in den Vordergrund stellt, liegt eine Abwicklung nach den Vorschriften über die Ge­ schäftsführung ohne Auftrag (§§  683 S.  1, 677, 670 BGB) nahe.544 Schon die Bejahung eines objektiv fremden Geschäfts ist dabei freilich nicht unbe­ denklich. Wie oben ausgeführt wird nicht nur im Interesse des Anspruchsgegners dessen Erfüllungsfähigkeit aufrechterhalten (und das Entstehen etwaiger Schadens­ ersatzansprüche abgewendet), sondern (regelmäßig sogar primär) das eigene Leis­ tungsinteresse des Selbsthelfers erhalten und eine etwaige spätere staatliche Durch­ setzung vorbereitet. Freilich wird das Verständnis des „auch-fremden-Geschäfts“545 ohnehin weit ausgedehnt. So wurde ein fremdes Geschäft etwa auch (vor Einführung spezialgesetzlicher Anspruchsgrundlagen) für lauterkeits- oder urheberrechtlichen Abmahnungen546 oder in den privaten Abschleppfällen547 bejaht. Dahinter steht die Erwägung, dass das Befolgen des Gesetzes oder eines Vertrages nicht nur im öffent­ lichen Interesse, sondern stets im Interesse des jeweiligen Adressaten liegt. Der Fremdgeschäftsführungswille wird dabei in jedem Fall vermutet.548 Allerdings greift die Geschäftsführung ohne Auftrag nach §  677 BGB nicht ein, wenn der Geschäftsführer gegenüber dem Geschäftsherrn „sonst dazu berechtigt“ war. §  229 BGB stellt gerade eine Rechtfertigung dar. Die Selbsthilfe könnte also einen tung im Grundsatz zu versagen, würde das Selbsthilferecht des §  859 faktisch entwerten, aber auch sonst gegen die Lebenswirklichkeit verstoßen“. 543  Unten §  1C.III.3a, S. 180. 544  Wollschläger, S.  163 ff.; kritisch Martinek/Theobald, JuS 1997, 805, 808 f.; MüKo-BGB/Seiler, §  677 BGB Rn.  34; Staudinger/Bergmann, Vor §§  677 ff. BGB Rn.  287 ff.; Schünemann, S.  127 ff.; Dörner, JuS 1978, 666, 668 ff. 545  BGH NJW, 72; BeckOK-BGB/Gehrlein, §  677 BGB Rn.  15 f. 546  BGHZ 52, 393; Wollschläger, S.  174 f.; Loewenheim, WRP 1987, 286; kritisch Schmid, GRUR 1999, 312. 547  BGHZ 181, 233; Lorenz, NJW 2009, 1025. 548  BGHZ 140, 102; BGH NJW-RR 2008, 683.

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

einem Auftrag vergleichbaren Rechtsgrund darstellen.549 Außer sprachlicher Spitz­ findigkeit ist mit dieser Erkenntnis aber nichts gewonnen. §  677 BGB meint nicht ir­ gendeine, schlichte „Berechtigung“ im Sinne des Fehlens von Rechtswidrigkeit, son­ dern das Bestehen eines (gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen) Rechtsverhältnisses, welches die in den §§  677 ff. BGB genannten Pflichten spezifisch regelt. Ein solches begründet §  229 BGB jedoch gerade nicht. Fraglich ist zudem, ob die Geschäftsführung, „dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn“ entspricht, was nach §  683 S.  1 BGB gerade Voraussetzung des Anspruchs auf Aufwendungsersatzanspruchs ist.550 Das objektiv zu ermittelnde Interesse551 mag man noch bejahen. Immerhin werden Pflichten des Selbsthilfebetroffenen gesichert und so die negativen Folgen der Un­ möglichkeit (§§  311a, 283, 285, 326 BGB) von ihm abgewendet. Die Einhaltung ­solcher staatlich sanktionierten Pflichten wird man wohl als vermögensmäßige Bes­ serstellung werten. Schwieriger fällt jedoch die Beurteilung des mutmaßlichen oder geäußerten Willens. Wenn ein Widerstand überwunden werden muss, ist dieser Wille klar. Man will gerade keine Selbsthilfehandlung des anderen Teils. Das Gesetz erklärt den Willen zwar bei Erfüllung von Pflichten im „öffentlichen Interesse“ für unbeachtlich (§  679 BGB). Ein solches öffentliches Interesse wird jedoch bei der Erfül­ lung privater Ansprüche regelmäßig nicht vorliegen.552 Zudem dient die Sicherung der Erfüllung regelmäßig primär dem Gläubiger. Dem Schuldner droht im schlimms­ ten Fall der Verlust des Kaufpreisanspruchs oder eine Schadensersatzhaftung. Wenn die Gefährdung der Erfüllung des Anspruchs vom Schuldner selbst ausgeht, bringt dieser dadurch meist zum Ausdruck, dass ihm der Ersatz der Erfüllung durch Scha­ densersatz genehm ist. Dann wird es bereits am fremden Geschäft fehlen, spätestens am Interesse des Schuldners.553 Auch die ökonomische Funktion der Geschäftsführung ohne Auftrag554 spricht gegen deren Heranziehung zum Kostenersatz für die Selbsthilfe. Die Geschäftsfüh­ rung ohne Auftrag nähert die vermögensrechtliche Situation an die Folgen eines Ver­ trages an, der aufgrund hoher Transaktionskosten nicht geschlossen werden kann (etwa weil der Geschäftsherr bei einem Notfall nicht erreichbar ist). In den hier inte­ ressierenden Selbsthilfekonstellationen hätten die Parteien die Kosten bereits im Vorfeld, etwa bei Vertragsschluss, verteilen können. Eine einseitig durch den Ge­ schäftsherrn aufgedrängte Geschäftsführung ist wohlfahrtsökonomisch uner­

549 Siehe

Schünemann, S.  127 f.; Staudinger/Repgen, §  229 BGB Rn.  49. Saenger, S.  222. 551  BGHZ 79, 35, Rn.  36; HK-BGB/Schulze, §  683 BGB Rn.  3; Staudinger/Bergmann, §  683 BGB Rn.  33. 552  Schünemann, S.  129; Dörner, JuS 1978, 666. 553  Schünemann, S.  130. 554  Schäfer/Ott, S.  248 ff.; Kötz, FS Großfeld, S.  583, 583; Staudinger/Bergmann, Vor §§  677 ff. BGB 62. 550 

B.  Kostenerstattung für Selbsthilfemaßnahmen

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wünscht und soll jedenfalls keine Kostenerstattungsansprüche nach sich ziehen.555 Ansonsten würden Fehlanreize gesetzt, welche die Effizienz fördernde Verhandlun­ gen behindern. Nach alledem kann eine Geschäftsführung ohne Auftrag allenfalls bei einer Ge­ fährdung durch Dritte herangezogen werden, deren Abwendung dem Geschäfts­ herrn genehm ist. Aber auch insoweit sind enge Grenzen zu ziehen. Selbst der dem Geschäftsführer unbekannte, erklärte Wille des Geschäftsherrn kann etwa bei hoher Verletzungsgefahr Ersatzansprüche aus GoA ausschließen.556 Jedenfalls erfasst die Geschäftsführung ohne Auftrag die typischen Fälle der Selbsthilfe, in denen sich der Selbsthelfer gegen den Anspruchsgegner richtet und eine von diesem drohende Ge­ fahr abwendet, gerade nicht. Für die allgemeine Problemlage stellt sie daher keine Lösung dar.

III.  Nichtleistungskondiktion – Ersatz ersparter Aufwendungen; insbesondere Erfüllung durch den Gläubiger selbst („Selbstvornahme“) Soweit die Geschäftsführung nicht dem Interesse oder Willen des Geschäftsherrn entspricht, sieht §  684 S.  1 BGB eine Abschöpfung des Erlangten, und damit vor al­ lem ersparter Aufwendungen, nach Bereicherungsrecht vor. Darüber hinaus gewährt die Rechtsprechung dem Gläubiger, der eigene Ansprüche an Stelle des Schuldners erfüllt, insbesondere beim Beseitigungsanspruch aus §  1004 BGB, einen Anspruch auf Herausgabe der ersparten Aufwendungen des Schuldners aus einer Nichtleis­ tungskondiktion (§  812 Abs.  1 S.  1, 2. Var. BGB).557 Das parallele Bestehen des spezi­ ellen Selbsthilferechts nach §  910 BGB soll dabei weder den Beseitigungsanspruch noch den damit verknüpften Anspruch auf Abschöpfung der ersparten Aufwendun­ gen ausschließen.558 Nichts anderes kann für andere Beseitigungsansprüche gelten. Im Rahmen von gegenseitigen Verträgen ist eine Anrechnung ersparter Aufwendun­ gen in §  326 Abs.  2 S.  2 BGB ausdrücklich vorgesehen.559 Insgesamt könnte man also einen allgemeinen Grundsatz dergestalt annehmen, dass bei einer Selbstvornahme stets die ersparten Anwendungen herauszugeben sind. 555  Exemplarisch BGH BB 1963, 956 (Bauer errichtet Zaun, um Kühe von Bahnstrecke fernzu­ halten); OLG Karlsruhe VersR 1977, 936 (Kunde wird verletzt, als er Bankräuber aufhalten will). 556  OLG Karlsruhe VersR 1977, 936. 557  Seit RGZ 127, 29, 34 (zu §  1004 BGB); RGZ 82, 206, 215 (Aufwendungsersatz des Brandstifters für Wiederaufbau einer abgebrannten Kirche durch einen Baulastpflichtigen); weitere Beispiele bei Saenger, S.  234 ff. 558  BGHZ 97, 231, 234; BGH NJW 2004, 603, 604; OLG Düsseldorf NJW 1986, 2648, 2649; kri­ tisch aber Canaris, FS Medicus, S.  25, 53 ff.; Gursky, JZ 1992, 312, 314. 559  Für Vorrang von §  326 Abs.  2 S.  2 BGB vor §  812 Staudinger/Lorenz, §  812 BGB Rn.  29; Herresthal/Riehm, NJW 2005, 1457; Lorenz, NJW 2006, 1175; Lorenz, NJW 2005, 1321; für die Beseiti­ gung von Mängeln im Kaufrecht gerade umgekehrt Dauner-Lieb/Arnold, ZGS 2005, 10 („aufgedrängte Bereicherung“); zu Recht erkennt Katzenstein, ZGS 2004, 144, 152 beide Ansprüche als weitgehend deckungsgleich an und qualifiziert §  326 Abs.  2 S.  1 BGB als spezielles Bereicherungs­ recht.

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

Einem solchen allgemeinen Anspruch wird aber entgegengehalten, dass der Ge­ setzgeber die Selbsterfüllung560 auch an anderer Stelle erkannt und teilweise abwei­ chenden Regelungen zugeführt hat.561 Ein eigener Anspruch auf Ersatz der durch Selbstvornahme entstandenen Aufwendungen nach vergeblicher Fristsetzung exis­ tiert ausdrücklich im Werkvertragrecht (§§  634 Nr.  2, 637 BGB) und nach Verzug im Mietrecht (§  536a Abs.  2 BGB) sowie fristunabhängig im Rahmen des Unternehmer­ regresses im Verbrauchsgüterkaufrecht (§  478 Abs.  2 BGB). Eine allgemeine Rege­ lung der Vornahme von Erfüllungshandlungen durch den Gläubiger enthält zudem das Zwangsvollstreckungsrecht in §  887 ZPO. Danach darf der Zwangsvollstre­ ckungsgläubiger bei Gericht beantragen, eine vertretbare Handlung an Stelle des Schuldners auf dessen Kosten vorzunehmen, wenn der Anspruch trotz vollstreckba­ ren Titels nicht erfüllt wurde. Im Übrigen besteht ein Anspruch auf Ersatz der Ver­ mögenseinbußen durch ein Deckungsgeschäft562 nur bei Vertretenmüssen des Schuldners und Vorliegen der besonderen Voraussetzungen des „Schadensersatz statt der Leistung“ (§§  280 Abs.  1, Abs.  3, 281, 283) bzw. des Verzögerungsschadens (§§  280 Abs.  2, 286 BGB). Allerdings bestimmt das Gesetz nicht, dass diese Regelungen abschließend sind.563 Das Fehlen einer allgemeinen Ersatznorm ist auch kein beredtes Schweigen. Der Ge­ setzgeber hat sich soweit ersichtlich mit dem Verhältnis von Gewährleistungsrechten und der Abschöpfung von durch Selbstvornahme ersparten Aufwendungen des Schuldners (in Abgrenzung zu den vom Gläubiger getätigten Aufwendungen) nicht auseinandergesetzt.564 So kann zunächst die vollstreckungsrechtliche Regelung des §  887 ZPO keine einschränkende Wirkung im hier erörterten Problemkreis entfal­ ten. Es handelt sich lediglich um eine Ausgestaltung der Ersatzvornahme bei vertret­ baren Handlungen (siehe §  10 VwVG für das öffentliche Recht), ohne dass damit eine Aussage zu materiellrechtlichen Ansprüchen verbunden ist.565 Ebenso wie §  91 ZPO materiellrechtliche Kostenerstattungsansprüche nicht ausschließt, entfaltet auch §  887 Abs.  1 ZPO keine Sperrwirkung gegenüber materiellrechtlichen Ansprüchen. Dies zeigt schon das dort vorgesehene Erfordernis eines vollstreckbaren Titels, den §§  634 Nr.  2, 637 BGB und §  536a Abs.  2 BGB gerade nicht voraussetzen. Zudem stün­ den die dortigen Erfordernisse im offensichtlichen Widerspruch zu §  229 BGB. Wenn ein Titel rechtzeitig erlangt werden kann, steht hoheitliche Hilfe zur Verfügung und Selbsthilfe ist stets ausgeschlossen. Voraussetzungen von §  229 BGB ist demgegen­ 560 

Zum Begriff Saenger, passim. Gursky, NJW 1971, 782; Gursky, JZ 1992, 312, 315; Picker, JuS 1974, 357, 361 f. 562  BGHZ 126, 131. 563  Schünemann, S.  131. 564  BegrRegE Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drs. 14/6040, S.   228 r. Sp. (Kaufrecht), 262 r.Sp., 266 r.Sp. (Werkvertragsrecht) erörtern nur den Ersatz getätigter Aufwendungen, nicht die Abschöpfung ersparter Aufwendungen. 565  BGH NJW 2004, 603, 604; Herresthal/Riehm, NJW 2005, 1457, 1459; Katzenstein, ZGS 2004, 300, 306; Huber 1999, §  49 II 2; Saenger, S.  238 f. 561 

B.  Kostenerstattung für Selbsthilfemaßnahmen

159

über nur das Bestehen des Anspruchs, der als Vorfrage spätestens im Streit um die Kostenerstattung festzustellen ist.566 Eine Gemeinsamkeit von §  887 Abs.  1 ZPO und §§  634 Nr.  2, 637 BGB sowie §  536a Abs.  2 BGB ist jedoch, dass diese Normen Erfüllungshandlungen des Schuldners selbst oder eines von ihm ausgesuchten Dritten den Vorrang gegenüber einer Selbst­ vornahme einräumen. Dies ist auch der Gedanke des Fristsetzungserfordernisses für Schadensersatz statt der Leistung (§  281 Abs.  1 S.  1 BGB) oder einer Mahnung für Ersatz von Verzögerungsschaden (§  286 Abs.  1 BGB) sowie der negativen Kostenfolge des §  93 ZPO bei Klagen ohne hinreichenden Anlass. Die Ansprüche aus §  812 Abs.  1 S.  1, 2. Var., §  684 oder §  326 Abs.  4 iVm Abs.  2 S.  2 BGB enthalten hingegen keine entsprechende Einschränkung. Daraus folgt aber nicht, dass auch dort eine Fristset­ zung oder zumindest eine Mahnung im Wege der Analogie zu fordern sind. Das Recht zur Erfüllung bzw. zur zweiten Andienung gehört als solches nicht zu den „Rechten, Rechtsgütern und Interessen“ des Gläubigers, bei dessen Verletzung Scha­ densersatz wegen Verletzung einer Schutzpflicht nach §  241 Abs.  2 BGB verlangt wer­ den kann.567 Es handelt sich um eine reine Obliegenheit.568 Erfüllt der Gläubiger statt des Schuldners, geschieht dies auf eigene Kosten und eigenes Risiko. Die Erfüllung durch Dritte wirkt dabei zugunsten des Schuldners, §  267 BGB. Zur Abwehr aufge­ drängter Erfüllungsversuche und zur Aufrechterhaltung der vertraglich vereinbar­ ten bzw. gesetzlich vorgesehenen Kompetenzverteilung genügt der Ausschluss eines etwaigen Gewinns des Dritten (siehe §  268 Abs.  3 BGB). Abgesehen davon würde eine solche Einschränkung für die Fälle des §  229 BGB ohnehin nicht passen. Sie kann nur die endgültige Erfüllung eines Anspruchs betreffen und nicht die in §  229 BGB geregelte Sicherung. Schließlich unterscheiden sich die erörterten Regelungskomplexe nicht nur in ih­ rem Tatbestand, sondern auch in ihrer Rechtsfolge. Die genannten Sonderregelun­ gen betreffen den Ersatz aller tatsächlich getätigten notwendigen Aufwendungen des Gläubigers. Demgegenüber erfassen der von der Rechtsprechung angenommene An­ spruch aus Bereicherungsrecht ebenso wie diejenigen aus §  684 BGB oder §  326 Abs.  2 S.  2 BGB nur die Abschöpfung ersparter Aufwendungen des Schuldners.569 Die Beträge können dabei erheblich auseinanderfallen, denn der Gläubiger wird regel­ mäßig weder die Einrichtungen noch das Personal für eine Vornahme haben, so dass

566 

Schünemann, S.  132. anderes mag allenfalls für den (vermögenswerten) Anspruch auf die Gegenleistung gelten. Dieser bleibt aber wegen §  326 Abs.  2 S.  1 BGB in den Fällen der Selbstvornahme grundsätz­ lich unberührt; einzig in Fällen beidseitig zu vertretender Unmöglichkeit kann man dessen Verlet­ zung in Betracht ziehen; Canaris, FS E. Lorenz, S.  147, 179; Jauernig/Stadler, §  326 BGB Rn.  22; Pa­ landt/Grüneberg, §  326 BGB Rn.  15; Looschelders 2016, Rn.  734; Medicus/Lorenz, Rn.  4 49; kritisch auch insoweit M ­ üKo-BGB/Ernst, §  326 BGB Rn.  83; Staudinger/Otto, §  326 BGB Rn. C 89. 568  Oechsler, NJW 2004, 1825, 1826; Herresthal/Riehm, NJW 2005, 1457, 1457 ff. 569  Katzenstein, ZGS 2004, 300, 303; Herresthal/Riehm, NJW 2005, 1457. 567  Etwas

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

seine Aufwendungen die abschöpfbare Ersparnis deutlich übersteigen.570 Zudem trägt er allein das Risiko von Fehlschlägen oder gar einer Beschädigung seiner Ver­ mögensgegenstände. Da der Schuldner durch die reine Vornahme der Tätigkeit kei­ nen über die ohnehin vereinbarte Gegenleistung hinausgehenden Gewinn erzielen kann, umgekehrt aber der Gläubiger nicht erstattungsfähige Kosten oder gar Schä­ den und damit einen Verlust risikiert, genügt die Ersatzfähigkeit der ersparten Auf­ wendungen nicht, um Selbsthilfemaßnahmen zu begünstigen. Einzige Rechtferti­ gung für einen diesbezüglichen Ersatzanspruch ist, dass verhindert werden soll, dass dem Schuldner diese zufällige Ersparnis („windfall profit“) zugute kommt.571 Aller­ dings muss sich der Anspruchsinhaber, wenn er Schadensersatz statt der Leistung verlangt, auch das Unterlassen schadensmindernder Aufwendungen nach §  254 Abs.  2 S.  1 BGB anspruchsmindernd entgegenhalten lassen. Dann sollte ihm aber auch ein vollwertiger Anspruch auf Ersatz zugesprochen werden, soweit er den Scha­ den zeitnah selbst behebt. Darüber hinaus lehnen Rechtsprechung und herrschende Meinung im Kaufrecht die Anrechnung der durch eine Selbstreparatur des Käufers ersparten Aufwendun­ gen wegen der ausdrücklichen Unanwendbarkeit des §  326 Abs.  1 S.  1 BGB auf die Nacherfüllung (§  326 Abs.  1 S.  2 BGB) sowie unter Hinweis auf den Vorrang des Ge­ währleistungsrechts und des darin verankerten Rechts zur zweiten Andienung fast einhellig ab.572 Ebenso wird in Fällen, in denen die Voraussetzungen (namentlich eine vorherige Fristsetzung) der gesetzlichen Selbstvornahmerechte nicht erfüllt sind, ein Bereicherungsanspruch bzw. ein Anspruch wegen unberechtigter Ge­ schäftsführung ohne Auftrag verneint.573 Die Begründung, die Zulassung einer Ab­ schöpfung der ersparten Aufwendungen würde „zu Unklarheiten und Schwierigkei­ ten führen […], welche die Vorschriften […] gerade ausschließen sollen; da die Män­ gel schon beseitigt seien, werde eine zuverlässige Nachprüfung ihres Umfangs und ihrer Schwere sowie der Angemessenheit der behaupteten Beseitigungskosten oft nicht mehr möglich sein“574 geht fehl. Zunächst ist eine Vermischung prozessualer Beweislastfragen mit der materiellen Rechtslage nicht geboten. Aber auch inhaltlich 570  Herresthal/Riehm, NJW 2005, 1457, 1458, Bydlinski, ZGS 2005, 129, 130; Irrig Gursky, NJW 1971, 782, 785; Dauner-Lieb/Arnold, ZGS 2005, 10, 11. 571  Aus diesem Grunde ist die Rechtsprechung, die Ansprüche des Käufers aus §  326 Abs.  2 S.  2 , Abs.  4 pauschal wegen Vorrang des Gewährleistungsrechts verneint, fragwürdig, Staudinger/Otto, §  326 BGB Rn. C 66; Bydlinski, ZGS 2005, 129, 130 f.; detailreich Herresthal/Riehm, NJW 2005, 1457; Ersatzansprüche bejaht etwa OGH JBl 2008, 780, 783 ff. in der Parallelsituation nach österreichi­ schem Recht („jedenfalls jene Kosten […], die der Veräußerer hätte aufwenden müssen, wenn ihm die im Gesetz grundsätzlich vorgesehene ‚Chance zur zweiten Andienung‘ eingeräumt worden wäre“). 572  BGHZ 162, 219; Looschelders, JA 2007, 673, 674; Dauner-Lieb, ZGS 2005, 169; zu Recht kri­ tisch Lorenz, NJW 2005, 1321; Lorenz, NJW 2006, 1175. 573  So aber stetige Rechtsprechung vgl zum Mietrecht BGH NJW 2008, 1216 (bereits zuvor Dauner-Lieb/Dötsch, NZM 2004, 641); zum Werkvertragsrecht BGHZ 96, 221, 223; kritisch zu Recht Katzenstein, ZGS 2004, 300, 303. 574  BGH NJW 1968, 43.

B.  Kostenerstattung für Selbsthilfemaßnahmen

161

geht die Argumentation fehl. Der Käufer bzw. Werkunternehmer, der einseitig einen Mangel behebt, ist verpflichtet, zur Überzeugung (§  286 ZPO) des Gerichts zu bewei­ sen, dass die Sache vorher mangelhaft war und dass der andere Teil durch seine Handlung Aufwendungen erspart hat. Das ist eine hohe Hürde, die aber zu Lasten desjenigen wirkt, der die Lage verursacht hat.575 Der Verkäufer muss nicht etwa be­ weisen, dass die Sache mangelfrei war. Selbst die Beweislastregelung des §  476 BGB für den Verbrauchsgüterkauf enthält keine Fiktion hinsichtlich des Bestehens des Mangels, sondern nur für den Zeitpunkt. Auch die Höhe der ersparten Aufwendun­ gen muss derjenige darlegen, der diese herausverlangt. Es sollte dem Gläubiger nicht schwer fallen, bei Bedarf einen niedrigeren Betrag in vergleichbaren Fällen zu zeigen. Dieser Gedanke ist auch anerkannt, soweit sich ausnahmsweise der Anspruch auf Nacherfüllung in natura wegen Unverhältnismäßigkeit der Kosten in einen reinen Zahlungsanspruch in Höhe eines angemessenen Betrags umwandelt.576 Aufgrund dieser sehr hohen Darlegungs- und Beweislast besteht kein Anlass, Ansprüche auf Abschöpfung der ersparten Aufwendungen pauschal auszuschließen. Vergleichbare Schwierigkeiten gibt es im Bereicherungsrecht und im Rahmen von §  326 Abs.  2 S.  2 BGB allerdings auch in anderen Fällen. Insoweit kann die Rechtsprechung nur mit der Vermeidung aufwendiger prozessualer Beweiserhebungen gerechtfertigt wer­ den.577 Diese ist im Gesetz aber gerade nicht angelegt. Die Abschöpfung von ohne Rechtsgrund erlangten Vorteilen ist vielmehr die Regel (§  326 Abs.  2 S.  2 BGB, §  812 BGB; §  539 Abs.  1 BGB iVm §§  684 S.  1 BGB, 818 BGB).578 Damit ist auch einem ande­ ren Kritikpunkt der Boden entzogen. Es handelt sich eben nicht um eine ungeschrie­ bene Sonderkonstellation,579 sondern um einen systematisch stringenten und durch­ gängigen Ansatz. Freilich stellt der geschilderte Umfang des Anspruchs nicht nur den für die hier befürwortete parallele Anwendung maßgeblichen wertungsmäßigen Unterschied dar, sondern ist gleichzeitig auch die wesentliche Schwäche bei der Lösung des hier diskutierten Problemkreises. Das Opfer der Selbsthilfe wird in den Fällen der reinen Sicherung regelmäßig nicht bereichert. Selbst im Fall der „Selbsterfüllung“ wird viel­ fach keine Bereicherung des Verlierenden gegenüber der eigentlich geschuldeten Erfül­lung erreicht. Soweit ausnahmsweise eine Bereicherung erzielt wird, ist diese allenfalls zufällig identisch zu den Kosten, welche dem Selbsthelfer entstehen.580 Zu­ dem trifft den Gläubiger eine kaum erfüllbare Beweislast. Die ökonomisch wün­ schenswerte und systematisch konsequente verschuldensunabhängige Ersatzfähig­

575  Katzenstein, ZGS 2004, 300, 303; Herresthal/Riehm, NJW 2005, 1457, 1459; zu §  324 Abs.  1 S.  2 BGB a. F. als Vorgängernorm zu §  326 Abs.  2 S.  2 BGB BGH NJW 2002, 57, 58. 576  BGH NJW 2012, 1073. 577  Ebenso im Ergebnis Lorenz, NJW 2005, 1321, 1324. 578 Ebenso Herresthal/Riehm, NJW 2005, 1457, 1461. 579  So die Kritik von Dauner-Lieb/Dötsch, NZM 2004, 641. 580  Saenger, S.  197 f.

162

§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

keit der tatsächlich entstandenen Selbsthilfeaufwendungen kann daher auf diesem Wege nicht erreicht werden.

IV.  Analogie zu prozessualen Kostenerstattungsansprüchen? Als Lösung wird teilweise der analoge Rückgriff auf die zivilprozessualen Kostentra­ gungsregeln (§§  91 ff. ZPO) vorgeschlagen.581 Diese Loslösung aus dem materiellen Recht würde jedenfalls dazu führen, dass der Anspruch verschuldensunabhängig wäre. Systematisch spricht für eine solche Herleitung zudem, dass die Selbsthilfe ge­ rade gerichtliche Vollstreckungsmaßnahmen insbesondere im einstweiligen Rechts­ schutz ersetzt bzw. vorbereitet (§  230 BGB). Dies zeige auch die Entsprechung zwi­ schen der besonderen Schadensersatznorm des §  231 BGB und der Haftung nach §§  945 ZPO, 717 Abs.  2, 799a ZPO. Dem wird freilich entgegengehalten, dass die zivilprozessuale Kostenerstattung nur angeordnet ist, um den staatlichen Justizgewährungsanspruch umzusetzen.582 Denn der Umstand, dass der unterliegende Beklagte die Kosten des Verfahrens trägt, ermöglicht auch zahlungsschwachen Bürgern den Zugang zu den Gerichten. Ein un­ bezahlbarer Rechtsschutz würde ansonsten mit einem unwiderruflichen Rechtsver­ lust einhergehen. Die Untauglichkeit der prozessualen Regelung zeigt sich aber vor allem in den §§  91a, 92 Abs.  2, 93b, 93d Abs.  2, 96 ZPO. Die erfordern sämtlich eine Ermessensent­ scheidung des Gerichts. Soweit aber gar kein neutraler Dritter an der Rechtsdurch­ setzung beteiligt ist, laufen diese Regelungen leer. Ein sofortiges Anerkenntnis nach §  93 ZPO ist ebenso wenig denkbar wie ein teilweises Obsiegen nach §  92 ZPO. Wenn man dann noch die übrigen Bezüge zum Prozess abschneidet (Kostenfestsetzungs­ verfahren, Akzessorietät zum Prozess) verbleibt von der vermeintlichen Analogie nur noch der Rechtssatz, dass der Selbsthilfeberechtigte stets Ersatz der von ihm ge­ tätigten notwendigen Aufwendungen vom Verpflichteten des durchgesetzten An­ spruchs verlangen kann. Diese Teilanalogie ausschließlich zu §  91 ZPO583 als Teil ­eines streng formalisierten und strukturierten Kostenrechts würde die Einheitlich­ keit dieses Regelungskomplexes ohne Grund durchbrechen. Als Ausnahmeregelun­ gen sind die §§  91 ff. ZPO daher nicht analogiefähig.584

V.  Anspruch sui generis Im Ergebnis dürfte es systematisch sauberer sein, die Kostenerstattung als unge­ schriebenen Anspruch sui generis in alle Fälle zulässiger Selbsthilfe hineinzulesen 581 Staudinger/Repgen, §  229 BGB Rn.  49; Schünemann, S.  133 ff.; Heyer, S.  6 4; siehe bereits OLG München NJW 1958, 1000 (m. Anm. Habscheid) zu einem Umkehrschluss zu §  93 ZPO. 582  BVerfG NJW 2006, 136, 137; MüKo-ZPO/Schulz, Vor §§  91 ff. ZPO Rn.  1; aus rechtsökonomi­ scher Sicht Posner, S.  610 ff. 583 So Schünemann, S.  137; der eine Analogie zu den §§  92 ff. ZPO ebenfalls verneint. 584  LG Düsseldorf NJW 1964, 504; Saenger, S.  181 f.

B.  Kostenerstattung für Selbsthilfemaßnahmen

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und damit sowohl von den prozessualen Kostentragungsregelungen als auch von den Voraussetzungen der Geschäftsführung ohne Auftrag zu lösen.585 Soweit es um die noch zu erörternden Fälle von Selbsthilfe in Sonderbeziehungen geht (z. B. Vertrau­ lichkeitsabreden zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen oder die Erfüllung eines Kaufvertrages durch ein mit technischen Schutzmaßnahmen im Sinne von §  95a UrhG gesichertes Medium), kann dieses Recht vertraglich ausgestaltet werden. Im Übrigen passt es aber gerade nicht unter die zuvor genannten Kategorien. Es sind keine „Rechtsverfolgungskosten“ im Sinne der ZPO und sie entsprechen auch nicht dem Willen des Betroffenen im Sinne der §§  683 S.  1, 677, 670 BGB.586 Das Bereiche­ rungsrecht hilft als Anspruchsgrundlage nur in den seltenen Fällen, in denen das Opfer Aufwendungen erspart hat. Der Kostenerstattungsanspruch setzt dabei nur die Rechtfertigung der Selbsthilfe­ handlung als solche voraus. Die einschränkenden Merkmale der §§  229, 230 BGB gewährleisten dabei einen deutlich strengeren Maßstab als die Pflichtverletzung im Rahmen von §§  280 Abs.  1, Abs.  3, 281, 284 BGB oder die Mahnung in §  286 BGB. Ein Verschulden des Schuldners ist nicht erforderlich, insoweit besteht eine Nähe zur Geschäftsführung ohne Auftrag, da die Sicherung der Erfüllungsmöglichkeit objek­ tiv dem Interesse des Schuldners dient. Der Umfang des Anspruchs erfasst alle tat­ sächlich getätigten, erforderlichen Aufwendungen und ist weder auf die Abschöp­ fung ersparter Aufwendungen noch auf den Ersatz von Schäden beschränkt. Im Fall der Fremdhilfe kann der Fremdhelfer sich nicht an den Schuldner des ge­ sicherten Anspruchs halten, da zu diesem kein Rechtsverhältnis besteht. Er muss sich vielmehr Ersatz seiner Aufwendungen von demjenigen verlangen, zu dessen Gunsten er tätig wurde. Für diesen Anspruch ist daher das Innenverhältnis zwischen Fremd­ helfer und Gläubiger maßgeblich. Soweit etwa ein Dienstvertrag mit einem Wach­ dienst oder einer Kassenangestellten besteht, erfolgt die Entschädigung gerade im Rahmen dieses Vertrages, kann also insbesondere Teil des Arbeitsentgelts sein. Ohne vertragliche Grundlage ist hingegen eine berechtigte Geschäftsführung ohne Auf­ trag (§§  677, 683 S.  1, 670 BGB) Voraussetzung für den vollständigen Ersatz der erfor­ derlichen Aufwendungen. Dies bedeutet, dass trotz Rechtfertigung der Handlung im Verhältnis zum Schuldner möglicherweise kein Ersatzanspruch besteht, da insoweit der strengere subjektive Maßstab des §  683 BGB Anwendung findet. Der Gläubiger kann seinerseits die dem Fremdhelfer erstatteten Aufwendungen vom Schuldner zu­ rückverlangen.

VI. Ergebnis Ersatzfähig sollen die für die Selbsthilfehandlung aufgebrachten Kosten sein, soweit diese notwendig waren. Das erfasst auch die an aufgrund Aggressivnotstands in An­ 585 Staudinger/Bergmann, Vor §§  677 ff. BGB Rn.  293; van Venrooy, JuS 1979, 102, 104 meint, die Anspruchsgrundlage sei „gleichgültig“. 586  Fälle des §  679 BGB sind eher selten zu bejahen, §  1B.II, S. 155.

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

spruch genommene Dritte zu erbringenden Ersatzleistungen (§  904 S.  2 BGB). Wer also die Wohnungstür des A zerstört, um in die Wohnung des B zu gelangen, der dort droht, das aufgrund eines Kaufvertrags geschuldete Gemälde zu zerstören, kann von B auch Freistellung von bzw. Ausgleich der an A zu erbringenden Zahlungen ver­ langen. Insoweit ist ergänzend zum Schadensersatzanspruch auch ein verschuldensunab­ hängiger Ausgleichsanspruch sui generis nach obigen Grundsätzen zu gewähren. Dieser knüpft ausschließlich an die Rechtfertigung der Selbsthilfe an und erfordert darüber hinaus weder ein Verschulden des Schuldners noch sonstige Einschrän­ kungen. Dies gilt nicht nur für die Selbsthilfe im Sinne des §  229 BGB. Bei Notwehr (§  227 BGB) und Notstand (§  228 BGB) kann nichts anderes gelten. Wer den mit der Beute fliehenden Dieb im eigenen PKW verfolgt, kann Ersatz des Benzins verlangen.

C.  Haftung bei Überschreitung der Befugnisse und irrtümlicher Selbsthilfe Nach §  231 BGB muss jemand, der irrtümlich meint, durch Selbsthilfe gerechtfertigt zu sein, selbst dann Schadensersatz leisten, wenn dieser Irrtum objektiv unvermeid­ bar war und ihn somit kein Verschulden trifft.587 Dies ist ein bemerkenswerter Unter­ schied nicht nur zum Strafrecht, wo für den Handelnden (subjektiv) unvermeidbare Irrtümer stets zur Straflosigkeit führen (vgl. §§  16, 17 S.  1 StGB),588 sondern auch zur zivilrechtlichen Behandlung von Irrtümern über Notwehr (§  227 BGB) und Defen­ siv­notstand (§  228 BGB), wo für eine Haftung nach §  823 Abs.  1 oder Abs.  2 BGB mangels Sonderregelung stets auch Vorsatz oder jedenfalls (objektiv zu bestimmen­ de) Fahrlässigkeit hinsichtlich der Rechtswidrigkeit vorliegen muss.589 Eine dies aus­ drücklich klarstellende Regelung war noch in §  707 des ersten Kommissionsentwurf zum BGB vorgesehen („Ist die beschädigende Handlung von demjenigen, welcher sie begangen hat, aus entschuldbarem Irrtum für erlaubt gehalten worden, so ist dersel­ be zum Schadensersatz nicht verpflichtet“) und wurde in den Beratungen nur wegen Selbstverständlichkeit gestrichen.590

I. Rechtsgrund Die Unbeachtlichkeit unvermeidbarer und damit schuldloser Irrtümer im Falle der Selbsthilfe erklärt sich durch die Parallele zur staatlichen Rechtsdurchsetzung. Im 587 Laut 588 

313.

v. Bar, Rn.  492 (Fn.  61) ebenso Art.  283 gr ZGB; abweichend Art.  336 port CC. Ausdrücklich zur Unanwendbarkeit der Wertung des §  231 BGB im Strafrecht RGSt 69, 308,

589  Exemplarisch BGH NJW 1987, 2509 (Schuss auf für Einbrecher gehaltene Polizisten nach mehreren Einbrüchen); siehe allgemein MüKo-BGB/Grothe, §  227 BGB Rn.  26; Soergel/Fahse, §  227 BGB Rn.  49 (explizit gegen eine Analogie zu §  231 BGB). 590  Prot. 2736.

C.  Haftung bei Überschreitung der Befugnisse und irrtümlicher Selbsthilfe

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Prozessrecht finden sich besondere Ersatzpflichten des Vollstreckungsgläubigers in den §§  302 Abs.  4 S.  3, 600 Abs.  2, 717 Abs.  2, 945 ZPO.591 Diese Vorschriften setzen jedoch anders als §  231 BGB eine zum Handlungszeitraum rechtmäßige Vollstre­ ckungshandlung des Vollstreckungsorgans voraus.592 Überschreitet der Gerichts­ vollzieher die ihm zustehenden Befugnisse, ist dies dem Gläubiger nicht zurechenbar und einer Staatshaftung kann nicht etwa die vermeintliche Haftung des Vollstre­ ckungsgläubigers als vorrangig im Sinne von §  839 Abs.  3 BGB entgegengehalten werden. Demgegenüber sind Eingriffe nach §  231 BGB, die gerade nicht alle Voraus­ setzungen von §  229 BGB erfüllen, rechtswidrig und wären daher ohnehin nach §  823 Abs.  1 BGB zu ersetzen. Näher steht §  231 BGB die im öffentlichen Recht angeordne­ te verschuldensunabhängige Entschädigungspflicht der Ordnungsbehörden für rechtswidrige Eingriffe (z. B. nach §  39 Abs.  1 lit.  b OBG NRW). Die Anordnung der von einem Verschulden losgelösten Haftung des Vollstre­ ckungsgläubigers in den prozessualen Normen ist erforderlich, weil der Vollstre­ ckungsgläubiger – außerhalb illegaler Manipulationen wie Prozessbetrug, Beste­ chung oder Zeugenbeeinflussung durch Täuschung bzw. Drohung – auf die gericht­ liche Entscheidung vertrauen darf. Denn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt bei der Beurteilung einer Rechtsfrage ist gewahrt, wenn ein mit der Frage befasster und hierzu staatlich bestellter Spruchkörper in seinem Sinne entscheidet.593 In Ermange­ lung einer verschuldensunabhängigen Haftung würden Schadensersatzansprüche am fehlenden Verschulden hinsichtlich der Rechtswidrigkeit scheitern. Es bliebe al­ lenfalls eine Staatshaftung, die aber wiederum durch das Richterspruchprivileg (§  839 Abs.  3 BGB) ausgeschlossen ist. Da die vorläufige Vollstreckung dem Gläubi­ ger­interesse dient, wäre es unbillig, den Schaden allein dem Schuldner zuzuweisen, den an der zugrundelegenden Entscheidung kein Verschulden trifft.594 Rechtsgrund der Haftung ist daher, dass bei einem erlaubten risikobehafteten Tun die Ersatzpflicht den Begünstigten treffen soll.595 Ein der gerichtlichen Entscheidung entsprechender Vertrauenstatbestand, auf den sich der Gläubiger stützen kann, fehlt demgegenüber bei der Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB im Regelfall. Die Unbeachtlichkeit des Irrtums und die daraus folgende Haftung können daher nicht auf den Gedanken des rechtlich erlaubten Risikos ge­ stützt werden.596 Anführen ließe sich allenfalls ein erst Recht Schluss: Wenn ein ju­ 591 

Dazu MüKo-ZPO/Drescher, §  945 ZPO Rn.  3. So zutreffend Larenz, JuS 1965, 373, 374. 593 MüKo-StGB/Joecks, §  17 StGB Rn.  47; NK-StGB/Neumann, §  17 StGB Rn.  73. 594  Vor diesem Hintergrund ist freilich §  700 Abs.  3 ZPO kaum zu erklären, da die Qualität des Spruchkörpers hier ebenfalls nicht ausschlaggebend sein sollte und der schlichte Gegenanreiz zur Einlegung der Revision kaum einen derart schwerwiegenden Eingriff in die Rechte des Vollstre­ ckungsschuldners rechtfertigen dürfte; vgl. auch Hau, NJW 2005, 712. 595  Larenz, JuS 1965, 373, 374. 596  Demgegenüber sieht Larenz, JuS 1965, 373, 374 auch hier die Risikozuweisung als Haftungs­ grund und rechtfertigt die verschuldensunabhängige Verantwortlichkeit mit der „besonderen Ge­ fährlichkeit unberechtigter Selbsthilfe“. 592 

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

ristisch erfahrener Richter in einem Urteil einen Anspruch irrig bejaht, soll sich die­ ser auch dann nicht auf seine Fähigkeiten und Erfahrungen als Fahrlässigkeitsaus­ schluss berufen dürfen, wenn er eigene Ansprüche selbst sichert. Genausowenig soll eingeholter rechtlicher Rat die Sicherung trotz irrig angenommener Gefahr erlauben. Wäre im Fall der gerade an die Stelle staatlicher Rechtsdurchsetzungsmaßnahmen tretenden Selbsthilfe nur eine verschuldensabhängige Haftung angeordnet, würde die Selbsthilfe gegenüber der als vorrangig intendierten staatlichen Durchsetzung begünstigt. Da die Durchsetzung und Sicherung von Rechten nach der Grundwer­ tung des §  229 BGB primär staatlichen Stellen vorbehalten bleiben soll, wären solche positiven Anreize wenig zielführend.

II. Rechtsnatur Ob §  231 BGB eine eigene Anspruchsgrundlage ist597 oder nur die jeweils einschlägi­ gen Schadensersatznormen etwa des Deliktsrechts (§§  823 ff. BGB) oder des Leis­ tungsstörungsrechts (§§  280 ff. BGB) modifiziert,598 lässt sich dem Wortlaut nicht eindeutig entnehmen. Soweit eine Person „zum Schadensersatz verpflichtet“ ist, kor­ respondiert damit das Recht des anderen auf diese Ersatzleistung, mithin ein An­ spruch im Sinne von §  194 BGB; ähnlich ist etwa die Formulierung in §  384 Abs.  2 BGB. Der Ausdruck „auch“ kann einerseits für eine parallele Anwendung der Norm neben anderen Haftungstatbeständen angeführt werden, andererseits aber auch als schlichte, immanente Erweiterung. Wenn der Irrtum bei Anwendung der im Ver­ kehr erforderlichen Sorgfalt vermieden worden wäre, schließt §  231 BGB Ansprüche aus anderen Normen jedenfalls nicht aus. Die systematische Stellung im allgemeinen Teil statt im Deliktsrecht beruht einerseits auf dem Zusammenhang zu den §§  229, 230 BGB; andererseits darauf, dass die Norm auch auf andere Ersatzansprüche An­ wendung findet, etwa auf die §§  280 ff. BGB. Im Ergebnis kommt es auf die Entscheidung, ob es sich um eine eigene Anspruchs­ grundlage handelt nicht an, da sich der wesentliche Gehalt von §  231 BGB darin er­ schöpft, dass die irrige Annahme einer Rechtfertigung durch Selbsthilfe einen Scha­ densersatzanspruch nicht ausschließen soll. Im Hinblick auf die weiteren Vorausset­ zungen der Haftung, aber auch ihre Rechtsfolgen schweigt die Regelung. Soweit darüber hinaus etwa auch die Haftung von Schuldunfähigen befürwortet wird,599 lässt sich diese weder mit dem Wortlaut der Norm noch ihrer Entstehungsgeschichte in Einklang bringen.600 Auch Sinn und Zweck von §  231 BGB601 verlangen eine solche Ausweitung der Haftung nicht. Daher wird man im deliktischen Kontext ergänzend 597  So die ganz hM, MüKo-BGB/Grothe, §  231 BGB Rn.  1; Soergel/Fahse, §  231 BGB Rn.  1; Er­ man/Wagner, §  231 BGB Rn.  1. 598 So Schünemann, S.  144. 599 Staudinger/Repgen, §  231 BGB Rn.  4; Soergel/Fahse, §  231 BGB Rn.  3; Erman/Wagner, §  231 BGB Rn.  2; MüKo-BGB/Grothe, §  231 BGB Rn.  2. 600  Schünemann, S.  145; BeckOK-BGB/Dennhardt, §  231 BGB Rn.  1. 601 BeckOK-BGB/Dennhardt, §  231 BGB Rn.  1 dazu oben §  1C.I, . 165.

C.  Haftung bei Überschreitung der Befugnisse und irrtümlicher Selbsthilfe

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auf die §§  823 ff. BGB zurückgreifen müssen, im Zusammenhang mit einem bereits bestehenden, gesetzlichen, quasivertraglichen oder vertraglichen Schuldverhältnis hingegen auf die §§  280 ff. BGB. Vor dem Hintergrund einer dementsprechend un­ vollständigen und ergänzungsbedürftigen Anspruchsgrundlage scheint es in der Tat vorzugswürdig, diese als reine Modifikation in die jeweils einschlägigen Regelungen des Delikts- bzw. Leistungsstörungsrechts hineinzulesen. Der historische Gesetzgeber sah §  231 BGB als Sonderregelung, die keinen allge­ meinen Gedanken zum Ausdruck bringen sollte.602 Dennoch wird teilweise vorge­ schlagen, die verschuldensunabhängige Haftung des §  231 BGB auf die anderen zivil­ rechtlichen Rechtfertigungsgründe zu erstrecken.603 Dahinter steht einerseits die These, dass §  229 BGB der Grundtatbestand der Rechtfertigungsgründe sei,604 ande­ rerseits aber das Bedürfnis nach einer stärkeren Verhaltenssteuerung. Da in allen Fällen des Eingreifens in fremde Rechte stattdessen auch eine Einschaltung des Staa­ tes möglich wäre, müsse stets eine einheitliche, strenge Haftung vorgesehen werden. Dabei ist die Anwendbarkeit auf die Notwehr (§  227 BGB) von der lückenschließen­ den Ergänzung von §  904 S.  2 BGB zu unterscheiden. 1.  Anwendbarkeit auf Notwehr (§  227 BGB) Die überwiegende Auffassung gewährt Schadensersatz bei irriger Annahme oder Überschreitung von Notwehr nur, soweit dieser Irrtum auf Fahrlässigkeit beruhte.605 Freilich gilt auch insoweit der zivilrechtliche, objektive Fahrlässigkeitsmaßstab, so dass es auf die individuellen Fähigkeiten des Handelnden nicht ankommt. Diese im Gesetz angelegte Differenzierung lässt sich sachlich rechtfertigen.606 Während es bei der Selbsthilfe im Sinne des §  229 BGB um eine Erweiterung des eigenen Rechtskrei­ ses geht, wirkt §  227 BGB nur rechtserhaltend.607 Es soll ausschließlich ein gegenwär­ tiger Angriff abgewehrt werden. Insoweit ist das Prinzip des Gesetzes deutlich. Im Zweifel soll der bestehende Zustand beibehalten werden (d. h. Angriffe, die zu Verän­ derung führen, darf man abwehren), während eigenmächtige Veränderungen selbst dann eine Ausnahme bleiben sollen, wenn sie nur vorübergehend wirken. Darüber hinaus entspricht die Garantiehaftung nach §  231 BGB gerade der ebenfalls verschul­ densabhängigen Schadensersatzpflicht nach §  945 ZPO. Da die Notwehr mangels Veränderung des vor dem Angriff ohnehin bestehenden Zustands gerade keinen §§  916 ff. ZPO entsprechenden „einstweiligen Rechtsschutz“ bewirkt, wäre eine sol­ 602 

Mugdan I, S.  808 (= Prot I S.  487). Schünemann, S.  145 f. (für §  227 BGB), S.  149 (insb. für §  859 BGB); Kuhlenbeck, S.  76. 604  Unten §  1D.III, S. 191. 605  BGH NJW 1987, 2509 f.; OLG Düsseldorf VersR 1997, 716; RG JW 1924, 1968; RG JW 1926, 1145; Staudinger/Repgen, §  227 BGB Rn.  69; Soergel/Fahse, §  227 BGB Rn.  53; MüKo-BGB/Grothe, §  227 BGB Rn.  26; Palandt/Ellenberger, §  227 BGB Rn.  12. 606  v. Bar, Rn.  492 (Fn.  61) verweist auf Art.  283 gr. ZGB; auch Koziol, S.  182 befürwortet den deutschen Ansatz. 607  Siehe zu dieser Entscheidung bereits die Einleitung, A.II.1, S. 17. 603 Siehe

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

che Parallele dort fernliegend. Rechtsökonomisch ist die Unterscheidung ebenfalls konsequent. Die Haftung nach §  231 BGB ist also das „Korrelat zum Vorrecht“ der Rechtferti­ gung durch §  229 BGB.608 Demjenigen, der eine Handlung auf die nur ganz aus­ nahmsweise bestehende Selbsthilfebefugnis stützen will, soll ein gleichgroßer, wenn nicht sogar größerer Nachteil angedroht werden. In den klassischen Vorstellungen der Verhaltenssteuerung gilt, dass eine (vorsätzliche) Handlung nur dann vorgenom­ men wird, wenn der erwartete Gewinn größer ist als die dadurch drohenden Kosten, jeweils multipliziert mit deren Realisierungschance. Da die Durchsetzung eines ver­ schuldensunabhängigen Schadensersatzanspruchs deutlich günstiger ist als diejeni­ ge einer Verschuldenshaftung, muss derjenige, der sich auf Selbsthilfe berufen will, sehr sicher sein, dass er letztlich Recht behalten wird. Eine Notwehrhandlung, die nur einen vorgefundenen Zustand wiederherstellt oder aufrechterhält, ist demgegenüber anders zu beurteilen. Derjenige, der den (po­ tenziellen) Angriff verübt, schafft den Schein der Rechtswidrigkeit. Demjenigen, der Opfer dieser Handlung ist, soll daher ein angemessener Beurteilungsspielraum ein­ geräumt werden, eben die „im Verkehr erforderliche Sorgfalt“ (§  276 Abs.  2 BGB). Dadurch wird im Zweifel ein einmal bestehender Zustand erhalten. Das Recht ist also „konservativ“. Dahinter steht die wiederum ökonomische Vermutung, dass (un­ freiwillige) Veränderungen eine Ausnahme sind, für welche regelmäßig auch staatli­ che Hilfe angeboten werden kann; die Bereitstellung umfassender staatlicher Hilfe für das Aufrechterhalten des bestehenden Zustandes wäre ungleich aufwendiger. Es ist einfacher, wenn der Käufer hinsichtlich seines Erfüllungsanspruchs gegen den Verkäufer auf den Klageweg verwiesen wird, als wenn jeder sich sicherungshalber beliebige fremde Sachen aneignen dürfte und erst danach auf Rückgabe verklagt wer­ den könnte. 2.  Anwendbarkeit auf Aggressivnotstand (§  904 S.  2 BGB) Anders als die Haftung nach §  231 BGB setzt die Ersatzpflicht nach §  904 S.  2 BGB überhaupt kein Verschulden voraus.609 Anknüpfungspunkt ist insoweit also kein Irr­ tum über die Voraussetzungen des Notstands, sondern schlicht die Aufopferung des Opfers „aggressiven“ Notstands. Weil das Opfer einen fremden Angriff (!) auf eigene Rechtsgüter entgegen §  227 BGB dulden muss, wird ihm ein Ausgleich in Geld zuge­ standen. Insoweit besteht ein erheblicher Unterschied zu den anderen Rechtferti­ gungsgründen. Das Opfer ist kein „Störer“ sondern wird nur als „least cost avoider“ in Anspruch genommen. Das BGB hat sich insoweit für einen Anspruch auf Scha­ densersatz an Stelle einer dem Bereicherungsrecht zuzuordnenden Herausgabe­ 608 

Schünemann, S.  146 f. unter Hinweis auf Soergel (10. A.)/Schmidt, §§  249–253 BGB Rn.  15. Siehe zum Problem MüKo-BGB/Säcker, §  904 BGB Rn.  26; Staudinger/Althammer, §  904 BGB Rn.  39. 609 

C.  Haftung bei Überschreitung der Befugnisse und irrtümlicher Selbsthilfe

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pflicht der durch die Inanspruchnahme fremder statt eigener Vermögenswerte er­ sparten Aufwendungen entschieden.610 Der wesentliche Unterschied zu §  904 S.  2 BGB ruht darin, dass dieser nur die Fäl­ le erfasst, in denen die Handlung tatsächlich gerechtfertigt ist. Nimmt der Einwir­ kende irrig eine Notstandslage an, greift nur eine (verschuldensabhängige) Haftung aus allgemeinem Deliktsrecht. Um auch bei unvermeidbarem Irrtum über eine Not­ standslage zu einem Schadensersatzanspruch zu gelangen werden teilweise §  904 S.  2 BGB611 oder §  231 BGB612 entsprechend herangezogen. Jedoch besteht anders als bei tatsächlichem Vorliegen der Voraussetzungen des §  904 S.  1 BGB gerade keine gesetz­ lich angeordnete Duldungspflicht des durch den Notstand Betroffenen.613 Dieser darf den Eingriff selbst (etwa durch Notwehr, §  227 BGB) abwehren. Der ungerecht­ fertigte Eingriff unterscheidet sich allein durch die subjektiven Vorstellungen des Handelnden (der irrig eine Notstandslage annimmt) von einer nur durch §  823 Abs.  1 BGB erfassten willkürlichen Rechtsgutsverletzung. Aufgrund der strengen Anforde­ rungen, welche die (objektiv) im Verkehr erforderliche Sorgfalt mit sich bringt, wird man jedenfalls im Regelfall Fahrlässigkeit bejahen können.614 Für eine strengere Be­ handlung gibt es keinen Anlass. 3.  Verfassungsrechtliche Grenzen Eine verschuldensunabhängige Haftung kann im Einzelfall verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt sein. Dies gilt für den Selbsthelfer (§  231 BGB) in gleicher Weise wie für den Gläubiger im einstweiligen Rechtsschutz (§  945 ZPO).615 Die insoweit angedrohte umfassende Ersatzpflicht kann bei erheblicher Gefährdung besonders schützenswerter Rechtspositionen (insbesondere wirtschaftliche Existenz und Per­ sönlichkeitsrecht als Bestandteile der „unantastbaren“ Menschenwürde) einem ef­ fektiven Rechtsschutz entgegenstehen. Würde die Selbsthilfe durch rational handeln­ de Bürger daran scheitern, dass diese aus Furcht vor einer etwaigen Haftung auf die Ausübung ihrer Rechte verzichten, wäre dies in der Tat bedenklich. Die Selbsthilfe im Sinne des §  229 BGB füllt gerade die Lücke, die durch die Rechtsschutzgarantie einerseits und die aus Praktikabilitätsgründen beschränkten Kapazitäten des Staates 610 

Canaris, JZ 1963, 655, 658 f.; BGHZ 92, 357, 362; LG Aachen NJW-RR 1990, 1122, 1123. §  904 BGB Rn.  24; MüKo-BGB/Säcker, §  904 BGB Rn.  26; Palandt/ Bassenge, §  904 BGB Rn.  5; Soergel/Baur, §  904 BGB Rn.  14; Jauernig/Jauernig, §  904 BGB Rn.  7; BGHZ 92, 357: „Ebenso bedarf es keiner abschließenden Entscheidung, ob in entsprechender An­ wendung dieser Vorschrift eine Schadensersatzpflicht auch dann begründet sein kann, wenn der Handelnde irrtümlich das Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr, die Notwendigkeit des vorgenom­ menen Eingriffs oder ein die gesetzlichen Anforderungen erfüllendes Wertverhältnis zwischen dem drohenden und dem infolge des Eingriffs eintretenden Schaden annimmt“. 612  So aber Canaris, JZ 1971, 399; angedeutet auch bei MüKo-BGB/Säcker, §  9 04 BGB Rn.  26. 613 Staudinger/Althammer, §  9 04 BGB Rn.  49. 614  BGHZ 89, 303; BGH WM 2008, 394; MüKo-BGB/Wagner, §  823 BGB Rn.  28 ff. 615  Dazu bereits (ablehnend) BGH NJW 1974, 642; abweichend nun aber wieder Paschke/Busch, AfP 2005, 13, 2626 ff. 611 BeckOK-BGB/Fritzsche,

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

andererseits entsteht. Eine solch extensive Sanktionierung ist durch gezielte Anwen­ dung der allgemeinen Grundsätze des Schadensrechts zu verhindern.

III. Tatbestand Der Wortlaut des §  231 BGB verlangt ausdrücklich nur eine „der in §  229 bezeichneten Handlungen“

sowie die Annahme des Handelnden, „dass die für den Ausschluss der Widerrechtlichkeit erforderlichen Voraussetzungen vorhan­ den seien“.

Weitere Voraus­setzungen lassen sich dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen. Auch die Geschichte der Regelung ist wenig aufschlussreich. Der erste Entwurf sah noch keine Sonderregelung zur Haftung für irrtümliche Selbsthilfe vor. Die Kom­ mission sah es als hinreichend an, die allgemeinen Regelungen des Deliktsrechts an­ zuwenden: „Übt jemand Selbsthilfe in einem Falle, in welchem sie ausnahmsweise auch mittels einer an sich unerlaubten Handlung gestattet ist, auf Grund eines ver­ meintlichen Rechts, so bleibt die an sich unerlaubte Handlung unerlaubt, die Frage dagegen, ob Schadensersatz zu leisten sei, bestimmt sich nach den Vorschriften über die Vertretung unerlaubter Handlungen“.616 Die Schaffung des jetzigen §  231 BGB bedurfte daher einer etwas umständlichen Begründung: „Es entspreche dem Rechts­ gefühl, dass der derjenige, welcher von dem exzeptionellen Rechte der Selbsthilfe Gebrauch mache, dies auf seine Gefahr tue und dementsprechend, wenn sich heraus­ stelle, dass die Ausübung der Selbsthilfe objektiv zu Unrecht erfolgt sei, sich nicht durch Berufung auf einen entschuldbaren Irrtum von der Verpflichtung, den ande­ ren Teil schadlos zu halten, befreien könne. Durch Aufnahme einer diesen Gedanken zum Ausdruck bringenden Vorschrift solle jedoch dem im §  707617 aufgestellten Grundsatze, dass eine aus entschuldbarem Irrtum für erlaubt gehaltene Handlung den Handelnden zum Schadensersatz nicht verpflichte, in keiner Weise präjudiziert, vielmehr eine Spezialbestimmung geschaffen werden, welche in Ermangelung einer besonderen gesetzlichen Bestimmung eine analoge Anwendung auf verwandte Fälle nicht zulasse.“618. In der Denkschrift wird dargelegt: „Wer vom Ausnahmerechte der Selbsthilfe Gebrauch macht, tut es auf eigene Gefahr und muss daher ohne Rücksicht auf Verschulden dem anderen Teile für den Schaden aufkommen.“619

616 

Mugdan I, S.  547 (= Mot. I, S.  353). „Ist die beschädigende Handlung von demjenigen, welcher sie begangen hat, aus entschuld­ barem Irrtum für erlaubt gehalten worden, so ist derselbe zum Schadensersatz nicht verpflichtet“ – später als selbstverständliche Folgerung aus dem Verschuldensprinzip gestrichen, vgl. Mugdan II, S.  1080 (= Prot. S.  2736). 618  Mugdan I, S.  807 f- (= Prot. S.  486–487). 619  Denkschrift S.  39 = Mugdan I, S.  8 44. 617 

C.  Haftung bei Überschreitung der Befugnisse und irrtümlicher Selbsthilfe

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Im Folgenden soll zunächst die Bedeutung des Verweises auf die „in §  229 bezeich­ neten Handlungen“ als Anknüpfungspunkt untersucht werden (sub 1), sodann die Frage, inwieweit Besonderheiten hinsichtlich der Rechtswidrigkeit bestehen (sub 2) und schließlich der Umfang, in dem Fahrlässigkeit für die Anspruchsberechtigung außer Betracht bleiben kann (sub 3). 1.  Selbsthilfehandlung, insb. Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts Zunächst muss eine der „in §  229 BGB bezeichneten Handlungen“ vorliegen. Dabei geht es weniger um die konkreten Handlungsmodalitäten, also die Wegnahme, die Zerstörung, die Festnahme oder die Beseitigung von Widerstand, sondern vor allem um den Zusammenhang zur Sicherung eines jedenfalls vermeintlichen Anspruchs. Über die ausdrücklich in §  229 BGB genannten Verhaltensweise kommen aber auch andere Handlungen in Betracht, soweit diese auf den Sicherungszweck gerichtet sind.620 Die besondere Haftungsnorm des §  231 BGB führt allerdings zu einem Abgren­ zungsproblem. Liegt tatsächlich Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB vor, ist der Han­ delnde gerechtfertigt und haftet schon deshalb nicht.621 Sind die Voraussetzungen der Selbsthilfe (objektiv) nicht erfüllt, begründet jede „der in §  229 bezeichneten Handlungen“, also die Wegnahme, Zerstörung oder Beschädigung von Sachen bzw. die Festnahme oder Beseitigung des Widerstands von Personen als solche, einen ver­ schuldensabhängigen Ersatzanspruch nach §  823 Abs.  1 BGB. Nichts anderes gilt für diejenigen Verhaltensweisen, die §  229 BGB nicht ausdrücklich nennt, die aber eben­ falls geeignet sind, einen Anspruch zu sichern. Anders als §  231 BGB verlangt §  823 Abs.  1 BGB jedoch für den Ersatzanspruch bei Verletzung absolut geschützter Rechtsgüter auch, dass die Rechtswidrigkeit der Handlung jedenfalls bei Anwen­ dung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennbar war.622 Nach hier vertretener Auffassung muss die Unterscheidung zwischen gewöhnli­ chen unerlaubten Handlungen, bei denen Verschulden in Bezug auf die Rechtswid­ rigkeit erforderlich ist, und Selbsthilfehandlungen, bei denen Irrtümer auf Rechtfer­ tigungsebene unbeachtlich sind, auf subjektiver Ebene im Rahmen des Selbsthilfe­ zwecks erfolgen.623 Soweit der schädigende Eingriff aus Sicht des Handelnden der Durchsetzung eines Anspruchs dienen sollte, greift §  231 BGB, handelte der Betref­ fende ausschließlich zu anderen Zwecken greift nur eine Haftung aus §  823 BGB. Dabei ist das Handeln zugunsten anderer vermeintlicher Rechtfertigungsgründe (etwa Einwilligung oder Notwehr im Sinne von §  227 BGB), obwohl es möglicherwei­ se gleichfalls Ansprüche durchsetzen oder sichern mag, von §  231 BGB ausgenom­ 620 

Oben §  1A.V.1a S, 120. moderner Auffassung soll es dabei gerade nicht auf seine subjektiven Vorstellungen ankommen, dagegen aber bereits oben §  1A.III.1, S. 94. 622  Deutsch, FS Medicus, S.  77, 85; anschaulich OLG München, NJW-RR 2002, 811 (bewusstlose Zeugin Jehovas hat lebensnotwendige Bluttransfusion durch vorherige Patientenverfügung abge­ lehnt). 623  Siehe bereits oben §  1A.III.1S. 94 ff.; §  1A.III.2a, S. 101. 621  Nach

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men. Die bloße Vorstellung, dass die Rechtsordnung ein Verhalten erlaubt, macht hingegen ein Verhalten nicht zu einer der „in §  229 BGB bezeichneten Handlungen“. Ebensowenig kann aber verlangt werden, dass die Handlung objektiv zur Sicherung bzw. Durchsetzung eines Anspruchs im Sinne des §  194 BGB geeignet ist. Denn dann würde die Regelung auf die irrige Annahme eines Anspruchs beschränkt, wofür es aber weder in der Gesetzeshistorie noch im Wortlaut einen Anhalt gibt.624 In einem Rechtsstreit wirft §  231 BGB regelmäßig keine Schwierigkeiten auf. Die Norm kann im Rahmen einer Entscheidung nur erheblich sein, soweit ein Handeln „zum Zwecke der Selbsthilfe“ (§  229 BGB) vorliegt, mithin bezüglich der Handlung Vorsatz dargelegt und bewiesen wurde. Wenn der Beklagte nun versucht, die durch diesen vorsätzlichen Eingriff indizierte Rechtswidrigkeit durch Hinweis auf §  229 BGB zu widerlegen, trifft ihn die uneingeschränkte Beweislast bezüglich des objekti­ ven Vorliegens der Voraussetzungen berechtigter Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB.625 §  231 BGB bewirkt nur, dass selbst die unvermeidbare Fehlbeurteilung des Sachverhalts bzw. der Rechtslage zu seinen Lasten wirkt. Die „Schutzbehauptung“, unter Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§  276 Abs.  2 BGB) zur Siche­ rung eines Anspruchs tätig geworden zu sein, wird ihm genommen. Wer sich auf §  229 BGB beruft riskiert also nur, dass sein Einwand erfolglos bleibt, wenn tatsäch­ lich kein Anspruch626 oder keine akute Gefährdung627 bestand, die Handlung nicht erforderlich im Sinne von §  230 Abs.  1 BGB war628 oder rechtzeitig obrigkeitliche Hilfe hätte erlangt werden können.629 Seine bloße Vorstellung hat insoweit keine ent­ lastende Wirkung. Auswirkungen über diese Rechtfertigung hinaus, etwa einen Ver­ zicht auf die Zurechenbarkeit, hat §  231 BGB hingegen nicht. Die Rechtsprechung wendet §  231 BGB sogar dann an, wenn eine konkrete Fehlvorstellung noch nicht einmal vorgetragen war,630 soweit der Sachverhalt sich als Vollstreckung eines An­ spruchs darstellt. Dies kann aber nur als praktische Folge der prozessualen Beweis­ last verstanden werden. Praktische Auswirkungen folgen daraus nicht. Die Haftung nach §  231 BGB setzt nicht voraus, dass der Anspruch tatsächlich besteht oder von der Rechtsordnung anerkannt ist. Auch eine Gefahr für diesen An­ spruch muss nicht bestehen; es genügt sogar, wenn der Handelnde meinte, auch ohne Gefahrenlage zur Sicherung seiner Rechte tätig werden zu dürfen, also ein im deut­ schen Recht überhaupt nicht anerkanntes, weites Selbsthilferecht unterstellt. Schließ­ lich muss die vorgenommene Handlung auch nicht erforderlich im Sinne von §  230 Abs.  1 BGB sein. Letztlich genügt in objektiver Hinsicht also jede beliebige Hand­ lung, an die tatsächlichen Umstände sind keine weiteren Anforderungen zu stellen. 624 

Schünemann, S.  31 in Ablehnung von Ansätzen bei RGSt 55, 167; Oehler 1959, S.  113 ff. §  231 BGB Rn.  6; Baumgärtel-Laumen/Laumen, §  229 BGB Rn.  1. 626  BayObLG JZ 1991, 681, 682; MüKo-BGB/Grothe, §  229 BGB Rn.  3; oben §  1A.II.2, S. 83. 627  BGHSt 17, 328, 331; MüKo-BGB/Grothe, §  229 BGB Rn.  5; oben §  1A.II.3, S. 90. 628  Vgl. OLG Düsseldorf HRR 1939 Nr.  1294; oben §  1A.IV.3, S. 114. 629  BGH NJW 1977, 1818. 630  BGH NJW 2010, 3434 (bei „kalter Räumung“). 625 Staudinger/Repgen,

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Im Vergleich zu §  823 Abs.  1 BGB fehlt im Wortlaut des §  231 BGB die Vorausset­ zung, dass ein absolut geschütztes Rechtsgut verletzt ist. Damit scheinen auch reine Vermögensschäden ersatzfähig. Gegen ein solches Verständnis spricht aber Sinn und Zweck der Regelung, die als reine Ergänzung zum Deliktsrecht konzipiert war. Das Ziel, eine Sonderregel zum Erlaubnistatbestandsirrtum zu schaffen, erfordert nicht die Anordnung einen für das Deliktsrecht im Übrigen bewusst abgelehnten Ersatz reiner Vermögensschäden. Dies bestätigt auch die aus historischer Sicht konsequente Anknüpfung an §  229 BGB. Die dort genannten Handlungen betreffen nämlich je­ weils derartige Rechtsgüter: Die Wegnahme, die Zerstörung und die Beschädigung beziehen sich auf das Eigentum bzw. den berechtigten Besitz; die Festnahme richtet sich gegen die Freiheit; das Brechen von Widerstand richtet sich gegen die körperli­ che Unversehrtheit. Allerdings ist die Auflistung in §  229 BGB nur exemplarisch zu verstehen,631 so dass der Verweis auf diese Norm ebenfalls nicht als enumerative Be­ nennung aller haftungsbegründenden Verhaltensweisen verstanden werden kann. Wie in §  823 Abs.  1 BGB sind daher auch „sonstige Rechte“632 erfasst. Gemeint ist damit etwa das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Ansonsten würde ein kaum nach­ vollziehbares Sanktionsgefälle zwischen dem allgemeinen Deliktsrecht und der be­ sonderen Haftungsnorm des §  231 BGB bestehen. Soweit also nur relative Rechte oder das Vermögen als solches betroffen ist, scheidet eine Haftung aus §  231 BGB aus. Im Rahmen bestehender Schuldverhältnisse werden demgegenüber nach §§  280 ff. BGB auch Vermögensschäden ausgeglichen. Soweit also eine Selbsthilfehandlung wie regelmäßig gleichzeitig die Verletzung einer Schutzpflicht im Sinne von §  241 Abs.  2 BGB darstellt, könnte man vermuten, dass eine entsprechende Beschränkung nicht besteht. Jedoch ist auch für diesen Fall die Modifikation des §  276 Abs.  1 BGB durch §  231 BGBnur einschlägig, soweit eine der in §  229 BGB bezeichneten Hand­ lungen als Anknüpfspunkt vorliegt. Diese betreffen stets Rechtsgüter des Schuld­ ners. Selbsthilfemaßnahmen, die keine Rechtsgutsverletzung beinhalten, sind dem­ gegenüber nach den allgemeinen Regeln von §  280 Abs.  1 BGB, 276 Abs.  1 BGB zu behandeln. Die aus dem Verweis von §  231 BGB auf die in §  229 BGB bezeichneten Handlun­ gen folgende Anknüpfung an absolut geschützte Rechtsgüter hat allerdings auch eine gegenüber dem unmittelbaren Wortlautverständnis einschränkende Konsequenz. Im Einzelfall kann trotz Vorliegen einer der in §  229 BGB genannten Handlungen kein Rechtsgut des unmittelbar Betroffenen verletzt sein, etwa bei Wegnahme einer Sache, die das vermeintliche Opfer der Selbsthilfe vorher gestohlen hatte. Da insoweit kein rechtmäßiger Besitz bestand, ist auch kein deliktisch geschütztes Rechtsgut des Adressaten betroffen und dem Dieb steht kein Ersatzanspruch aus §  231 BGB zu. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der Wertung, dass §  231 BGB keine Sanktions­ 631 

Oben §  1A.V.1a, S. 120. zu Handlungen in Bezug auf des Persönlichkeitsrecht und die Ehre oben §  1A.V.1c. dd(1), S. 136; zu Eingriffen in Daten oben §  1A.V.1c.bb, S. 128; zu Eingriffen in Immaterialgüter­ rechte oben §  1A.V.1c.cc, S. 131. 632  Siehe

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norm ist, durch die Selbsthilfe gezielt eingebunden werden soll, sondern nur dem Schutz der Opfer unberechtigter Handlungen durch Ausgleich von Vermögensein­ bußen dienen soll. Wie allgemein im deutschen Schadensersatzrecht tritt damit die Sanktionswirkung hinter der Kompensation als Hauptzielrichtung zurück.633 In Be­ tracht kommt nur eine Strafbarkeit, wenn das entsprechende Verhalten mit Strafe bedroht ist (Art.  103 Abs.  2 GG) und mit der Einschränkung, dass dem Handelnden ein Schuldvorwurf hinsichtlich des Fehlens der die Rechtfertigung begründenden Umstände gemacht werden kann. 2. Rechtswidrigkeit Die Handlung muss rechtswidrig sein, da §  231 BGB voraussetzt, dass der An­ spruchsgegner seine Handlung „in der irrigen Annahme vornimmt, dass die für den Ausschluss der Widerrechtlichkeit erforderlichen Voraussetzungen vorhanden sei­ en“. Soweit die Handlung tatsächlich rechtmäßig ist, unterliegt der Handelnde kei­ nem Irrtum über diese Voraussetzungen. Allerdings ist nach der Wertung des §  823 Abs.  1 BGB jeder Eingriff in fremde Rechtsgüter grundsätzlich rechtswidrig, soweit nicht ausnahmsweise eine Rechtfertigung eingreift. Für die nach §  231 BGB zu prü­ fende Rechtswidrigkeit gibt es hingegen zwei konkretere Anknüpfungspunkte, die aus der Voraussetzung der Selbsthilfe folgern: Einerseits kann es schon an einer Selbsthilfelage fehlen (sub a), andererseits mag die konkrete Selbsthilfehandlung ge­ gen Pflichten aus §§  230, 231 BGB verstoßen (sub b). Abzugrenzen ist insoweit eine Rechtswidrigkeit aus anderen Gründen. a)  Fehlen einer Selbsthilfelage Nicht jeder Eingriff in fremde Rechtsgüter stellt eine unberechtigte Selbsthilfe dar, an die §  231 BGB anknüpft. Vielmehr muss die Vorstellung des Handelnden jedenfalls grob mit den Tatbestandsmerkmalen des §  229 BGB übereinstimmen. Wer also meint, aufgrund seiner sozialen Stellung berechtigt zu sein, Schutzgeld zu erpressen oder einen Kiosk zu überfallen, haftet unmittelbar nach §  823 BGB, ohne dass es ­eines Rückgriffs auf §  231 BGB bedarf. Es fehlt an einer Selbsthilfevorstellung; der entsprechende Irrtum wäre zudem in jedem Fall vermeidbar.634 Damit ist der An­ wendungsbereich des §  229 BGB stark eingeschränkt. Da §  229 BGB einen tatsächlich noch bestehenden und durchsetzbaren Anspruch voraussetzt, wird der gute Glaube an die eigene Berechtigung im Einklang mit dem sonstigen Bürgerlichen Recht nicht geschützt.635 633 Näher

Beurskens, S.  320 ff. Zu den Anforderungen siehe; vergleichbar die „Gewissensanstrengung“ bei §  17 StGB, dazu BGH NStZ-RR 2009, 13, 14; BGHSt 2, 194; OLG Hamm NJW 1967, 213; MüKo-StGB/Joecks, §  17 StGB Rn.  63. 635  BGHSt 17, 328, 330 f.; BayObLG NJW 1991, 934, 935; jurisPK-BGB/Backmann, §  229 BGB Rn.  5; Erman/Wagner, §  229 BGB Rn.  3. 634 

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Zudem wird man die Norm nach hier vertretener Auffassung auch auf die Fremd­ hilfe gegen den erkennbaren Willen des Anspruchsinhabers anwenden müssen.636 Soweit ein entgegenstehender Wille nicht erkennbar ist, führt eine zur Sicherung ei­ nes fremden Anspruchs erforderliche Handlung bei Nichtverfügbarkeit obrigkeitli­ cher Hilfe hingegen gerade nicht zur Haftung des Dritten auf Schadensersatz. b)  Unzulässige Selbsthilfehandlung Die in §  231 BGB angesprochene irrtümliche Selbsthilfe wird vielfach gerade in der Anwendung einer unzulässigen (insb. nicht erforderlichen) Verhaltensweise lie­ gen.637 In den wenigen, bislang veröffentlichten Gerichtsentscheidungen, in denen ein Anspruch aus §  231 BGB bejaht wurde, bezog sich der Irrtum des Handelnden fast ausnahmslos auf die Selbsthilfehandlung. Der Wortlaut des §  231 BGB erfasst allerdings nicht die Konstellation, dass die Selbsthilfehandlung selbst rechtmäßig war, aber die Aufrechterhaltung des Zustan­ des (Zurückbehaltung der Sache, Fortdauer der Freiheitsentziehung, etc.) gegen §  230 Abs.  2–4 BGB verstößt. Die Norm stellt nämlich nur auf die „in §  229 bezeichneten Handlungen“ (also die Wegnahme, Zerstörung, Festnahme etc.) und nicht auf die Unterlassung der in §  230 BGB benannten Folgepflichten ab. Auch die Systematik des Gesetzes deutet zunächst darauf hin, dass die Regelung auf diesen Fall beschränkt wird, da verschuldensunabhängige Haftungstatbestände eine Ausnahme sind und insbesondere weder für Notwehr noch für Notstand eine Haftungsverschärfung bei nachträglicher Veränderung der Umstände angeordnet ist. Die Problemlage, dass sich die Umstände nach Vornahme der Abwehrhandlung verändern, tritt allerdings auch dort auf. So mag das Einsperren eines Attentäters im Keller durch Notwehr (§  227 BGB, §  32 StGB) gerechtfertigt sein. Dies berechtigt aber nicht dazu, diesen Zustand auf Dauer aufrecht zu erhalten, sondern verpflichtet zur Einschaltung der Behörden. Da §  231 BGB aber schon bei der irrigen Annahme der Notwehrlage keine Anwendung findet, greift er erst Recht nicht bei einer Rechtsverletzung durch Auf­ rechterhaltung des ursprünglich gerechtfertigten Zustands.638 Wird also das Haus durch zündelnde Kinder oder eine nicht vorhersehbare Hochflut vernichtet und da­ bei der im Keller zu lange eingesperrte Attentäter getötet, haftet derjenige, der ihn eingesperrt hat, nur, wenn ihn diesbezüglich mindestens ein Fahrlässigkeitsvorwurf trifft. Freilich wird es insoweit meist schon am Schutzzweckzusammenhang fehlen, der ohnehin auch für §  231 BGB erforderlich ist. Die Gesetzesmaterialien enthalten zu der Problematik keine Ausführungen, was wohl darauf zurückzuführen ist, dass die Regelung des jetzigen §  231 BGB erst nachträglich ergänzt wurde und so keine Detailabstimmung zu §  230 BGB erfolgte.639 636 

Oben §  1A.I.d, S. 56. Schünemann, S.  137 f. 638  §  1A.IV.3b, S. 116. 639  Mugdan I, S.  807 f. (= Prot. S.  486–487). 637 

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

Die Kommentarliteratur bejaht hingegen gegen den Wortlaut eine Anwendung des §  231 BGB640 weitgehend ohne jede Diskussion. Naheliegend scheint für dieses Verständnis, dass das Fehlen der Erforderlichkeit im Sinne von §  230 Abs.  1 BGB in jedem Fall haftungsauslösend wirken soll. Jedoch ist es systematisch ohne Belang, dass §  230 Abs.  1 BGB unstreitig Voraussetzung der Rechtfertigung der Selbsthilfe­ handlung ist und die Folgepflichten (Einleitung staatlicher Verfahren bzw. Rückgabe oder Freilassung) in der selben Regelung zu finden sind. Die Beobachtung, dass ver­ schiedene Pflichten in der gleichen Norm zu finden sind, ist allein formell und hat keinen eigenen materiellen Gehalt. §  230 Abs.  2, Abs.  3 und Abs.  4 BGB können bis zum Abschluss der Selbsthilfehandlung schon deshalb nicht erfüllt werden, weil ob­ rigkeitliche Hilfe bei der Handlung schon voraussetzungsgemäß nicht vorhanden sein darf. Demgegenüber betrifft die Erforderlichkeit gerade den Zeitpunkt der Selbsthilfehandlung. Folge der Nichtanwendung von §  231 BGB wäre, dass Schadensersatz wegen Un­ tergangs oder Beschädigung einer weggenommenen Sache nur nach den §§  989, 990 BGB erlangt werden könnte. Denn die ursprüngliche Besitzergreifung war nach §  229 BGB gerechtfertigt und damit weder verbotene Eigenmacht im Sinne von §  858 BGB noch eine Straftat, so dass die Haftungsverschärfung nach §  992 BGB nicht ein­ greifen würde. Das Deliktsrecht im Übrigen wäre durch §  993 Abs.  1 a. E. BGB ge­ sperrt, da ein Eigentümer-Besitzer-Verhältnis bestünde.641 Solange derjenige, der die Sache in gerechtfertigter Selbsthilfe an sich genommen hat, nicht verklagt ist oder von seinen Pflichten nach §  230 BGB weiß, könnte man ihn sogar als gutgläubigen Besitzer von jeglicher Haftung freistellen. Für die Festnahme bliebe zwar der Rück­ griff über §  823 Abs.  1 BGB iVm Freiheit bzw. nach §  823 Abs.  2 BGB iVm §  239 StGB offen. Dabei wird aber ebenfalls Verschulden vorausgesetzt. Insbesondere würden die Haftungsverschärfungen des §  848 BGB bzw. des §  287 BGB für Folgeschäden nicht greifen, da die haftungsbegründende Handlung gerechtfertigt wäre und daher nicht als deliktische Handlung qualifiziert werden könnte. Auch wenn dieses Ergebnis auf den ersten Blick ungerechtfertigt erscheint, wird der Gläubiger hierdurch nicht in für den Schuldner unzumutbarer Weise begünstigt. Sobald der Schuldner die weggenommene Sache herausverlangt, wird man Bösgläu­ bigkeit des Besitzers im Sinne von §  990 Abs.  1 S.  2 BGB annehmen müssen.642 Zwar schließen sogar vermeidbare Rechtsirrtümer im Rahmen von §  990 BGB eine Haf­ tung grundsätzlich aus; dies gilt aber nicht, soweit es um eine „ohne weiteres zu ent­ 640 Staudinger/Repgen, §  231 BGB Rn.  3; nur eine entsprechende Anwendung nimmt RGRK/Johannsen, §  229 BGB Rn.  4 an; explizit für eine unmittelbare Anwendung MüKo-BGB/Grothe, §  231 BGB Rn.  2 (Fn.  6). 641  RGZ 101, 307, 309 ff.; BGHZ 56, 73, 77; Staudinger/Gursky, Vor §§  987–993 Rn.  6 4 f. 642  Die Rechtsprechung verwendet hier die Formel, dass Kenntnis vorliegen soll, sofern der Be­ sitzer über der Mangel seines Besitzrechts „in einer Weise aufgeklärt worden ist, daß ein redlich und vom eigenen Vorteil nicht beeinflußt Denkender sich der Überzeugung seiner Nichtberechtigung nicht verschließen würde“, vgl. nur BGHZ 25, 256. 260, 261; BGH NJW 1996, 2652; Staudinger/ Gursky, §  990 BGB Rn.  31.

C.  Haftung bei Überschreitung der Befugnisse und irrtümlicher Selbsthilfe

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scheidende Rechtsfrage“643 geht. Da die gesetzliche Befugnis zum Behalten fremder Gegenstände in unserer Rechtsordnung eine Ausnahme darstellt, liegt eine Rückga­ bepflicht nahe. Nach ausdrücklicher Aufforderung zur Herausgabe wird dann das fehlende Recht zum dauerhaften Besitz offensichtlich, d. h. der Gläubiger hat die nach §  990 S.  2 BGB erforderliche Kenntnis vom Fehlen seines Besitzrechts erlangt. In Be­ zug auf andere Rechtsgüter sind unvermeidbare Rechtsirrtümer im Rahmen des De­ liktsrecht ohnehin eine seltene Ausnahme. Insoweit ist es nicht unbillig, jedenfalls in diesen Fällen eine Haftung zu verneinen. Darüber hinaus bewirkt §  231 BGB keine Fiktion der Zurechenbarkeit; vielmehr muss der konkret eingetretene Schaden gera­ de vom Schutzzweck der Norm erfasst sein.644 Ein zufälliger Untergang wäre aber im Regelfall vom Schutzzweck der Pflichten nach §  230 Abs.  2 oder Abs.  4 gerade nicht erfasst. Ein umfassender Schutz des Schuldners durch die Haftung nach §  231 BGB besteht daher ohnehin nicht. Gleichzeitig werden Konflikte mit dem Besitzschutz vermieden: Der Selbsthelfer ist aufgrund seiner Selbsthilfehandlung nicht durch verbotene Eigenmacht im Sinne von §  858 BGB in den Besitz der Sache gelangt und kann daher eine Wegnahme durch den Eigentümer der Sache mit Gewalt abwehren (§  859 BGB). Der Schuldner, gegen den rechtmäßige Selbsthilfe verübt wurde, muss daher (sofern er sich nicht seinerseits auf §  229 BGB oder eine Nostandslage stützen kann) die Herausgabe ge­ richtlich durchsetzen. Eine rückwirkende Umqualifizierung der durch §  229 BGB gerechtfertigten Wegnahme wäre damit nicht vereinbar. Damit tritt die Rechtswid­ rigkeit des Zustands erst ex nunc mit dem Verstoß gegen die Rückgabe bzw. Freilas­ sungspflichten des §  230 Abs.  4 BGB bzw. die Pflicht zur Einleitung des gerichtlichen Verfahrens nach §  230 Abs.  2, 3 BGB ein. Selbst wenn man eine Haftung aus §  231 BGB bejahen würde, könnte man also eine Beschädigung die gerade bei der Wegnah­ me erfolgte oder einen Verzögerungsschaden, der in der Zeit eingetreten ist, bevor eine „Verzögerung“ bzw. „Ablehnung“ des Arrest- bzw. Verfügungsantrags erfolgen konnte, nicht ersetzt verlangen. Da es sich beim maßgeblichen Zeitpunkt um den Verstoß gegen eine Handlungspflicht, mithin um ein Unterlassen, handelte, wäre der insoweit maßgebliche Zeitpunkt, ab dem die Haftung eintritt, kaum eindeutig zur ermitteln. Zwar sind die in §  229 BGB zugelassenen Gewalthandlungen zu begrenzen, um Exzesse und vor allem eine wechselseitige Gewaltspirale, zu verhindern.645 Aller­ dings ist dies grundsätzlich nicht Aufgabe des Schadensersatzrechts.646 Genau diese Gefahr besteht aber bei Unterlassung der Folgepflichten nicht, da die konkrete Kon­ fliktsituation der Wegnahme bzw. Festnahme bereits abgeschlossen ist und nunmehr nur noch ein Dauerzustand zu beseitigen ist. Auch die Befürchtung, dass eine zu weitgehende Aufrechterhaltung des Dauerzustands die Selbsthilfe unnötig begünsti­ 643 MüKo-BGB/Baldus,

§  990 BGB Rn.  4; noch enger OLG Köln NVZ 2004, 588, 589. §  1C.IV.2, S. 184. 645  Zu diesen Erwägungen oben §  1A.I.c.bb, S. 51. 646 Näher Beurskens, S.  282 ff.; oben §  1A.IV.3b, S. 116. 644 

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

gen und damit ihrerseits den staatlichen Rechtsschutz gefährden würde, ist unbe­ gründet. Denn die Pflichten des §  230 Abs.  2 bis Abs.  4 sind gerade keine Vorausset­ zungen der Selbsthilfehandlung und haben dementsprechend beim Entschluss, in Rechte des Schuldners einzugreifen auch keine Bedeutung. Zudem setzt auch eine Bestrafung wegen etwaiger Rechtsgutsverletzungen diesbezüglich Vorsatz oder je­ denfalls Fahrlässigkeit voraus. Wenn aber schon das primär zur Verhaltenssteuerung berufene Strafrecht hier den Zurechnungszusammenhang unterbrochen sieht und ein eigenes Verschulden erfordert, ist eine zivilrechtliche Verantwortlichkeit, die im konkreten Kontext überwiegend repressiv wirken soll, kaum begründbar. c)  Berücksichtigung anderer Rechtfertigungsgründe Auch eine Handlung, die durch Notwehr (§  227 BGB, §  32 StGB) bzw. durch Defensi­ vnotstand (§  228 BGB) gerechtfertigt ist, dient der Durchsetzung eines Unterlas­ sungsanspruchs (etwa aus §  1004 BGB).647 Daher lassen sich nicht nur diejenigen Fälle, in denen eine Handlung sowohl nach diesen spezielleren Rechtfertigungsgrün­ den als auch durch Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB gerechtfertigt ist als „Selbst­ hilfe“ qualifizieren, sondern auch Fälle, in denen der Handelnde nur meint, durch die entsprechenden Regelungen erlaubt zu handeln. Wer also meint, einen Dieb von der Wegnahme der eigenen Handtasche abzuhalten, meint damit auch gleichzeitig, zur Sicherung seines Anspruchs aus §  1004 BGB tätig zu werden. Soweit diese Annahme aber auf einem Irrtum beruht, ist fraglich, ob die Fehlvorstellung nach §  231 BGB selbst dann unbeachtlich sein soll, wenn der vorgestellte Tatbestand tatsächlich (auch) unter §  227 BGB fallen würde und dieser auch bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt unvermeidbar gewesen wäre. In der Literatur wird diese Problematik überwiegend ignoriert, entweder indem §§  227, 228 BGB als abschließende Sonderregelungen zu §  229 BGB qualifiziert wer­ den oder indem auf den Wortlaut verwiesen wird, der nur an die „Selbsthilfe“ und zudem ausdrücklich an §  229 BGB anknüpft.648 Auch die Gesetzeshistorie spricht für ein solches Verständnis, da man einen Haftungsausschluss im Fall von unvermeid­ baren Irrtümern hinsichtlich der Rechtswidrigkeit sogar als „selbstverständlich“ er­ achtete.649 Zudem wird so für diese beiden Fälle ein Wertungsgleichlauf mit dem Strafrecht erreicht, wo eine Strafbarkeit nach herrschender Auffassung durch eine Analogie zu §  16 StGB ausgeschlossen wird.650 Im Ergebnis ist daher nach hier ver­ tretener Ansicht §  231 BGB eng zu verstehen: Fehlvorstellungen, die einem anderen

647 

Schünemann, S.  48 ff.; oben, S. 88. BGH NJW 1987, 2509; RG JW 1924, 1968; BGH NJW 1976, 41, 42; MüKo-BGB/Grothe, §  227 BGB Rn.  26; Soergel/Fahse, §  227 BGB Rn.  49; Staudinger/Repgen, §  227 BGB Rn.  79 f.; Erman/Wagner, §  227 BGB Rn.  17; Palandt/Ellenberger, §  227 BGB Rn.  80. 649  Prot. 2736 = Mugdan II, S.  1080. 650  Geppert, Jura 2007, 33; MüKo-StGB/Joecks, §  16 StGB Rn.  131; NK-StGB/Puppe, §  16 StGB Rn.  137. 648 

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Rechtfertigungsgrund entsprechen, schließen ein Verschulden aus, wenn sie bei An­ wendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt unvermeidbar sind. Im Fall des Aggressivnotstands (§  904 S.  1 BGB) stellt sich das Problem hingegen nicht. Gegen das Opfer des Eingriffs besteht kein Anspruch auf Einschreiten, der im Wege der Selbsthilfe durchgesetzt werden könnte. Zudem besteht insoweit ohnehin eine von §  231 BGB und §  823 BGB unabhängige Entschädigungspflicht in §  904 S.  2 BGB, so dass selbst die Annahme der Rechtfertigung den Schädiger im Hinblick auf sein Vermögen nicht besserstellen würde. Schließlich ist auch eine rechtfertigende Einwilligung von der Erweiterung der aus §  229 BGB folgenden gesetzlichen Befugnisse abzugrenzen und in ihrem An­ wendungsbereich vorrangig.651 Soweit die Maßnahme des Gläubigers daher auf ­einem wirksamen Einverständnis des Schuldners beruhte, ist diese selbst dann ge­ rechtfertigt, wenn nicht gleichzeitig die Voraussetzungen des §  229 BGB erfüllt sind. Eine Haftung nach §  231 BGB scheidet dann aus; eine etwaige Fehlvorstellung in Bezug auf das Fortbestehen einer widerrufenen Einwilligung oder der Wirksamkeit einer von Anfang an nichtigen Erlaubniserklärung ist beachtlich, soweit sie unver­ meidbar war. 3. Verschulden Die „in §  229 BGB bezeichneten Handlungen“ setzen definitionsgemäß einen subjek­ tiv zu bestimmenden Selbsthilfezweck voraus.652 Dies impliziert, dass auch die Handlung selbst willentlich, mithin vorsätzlich, erfolgt ist. Damit ist mehr als die bloße Steuerbarkeit des Verhaltens gemeint, sondern echte Finalität. Stolpert etwa die Kellnerin über ihre nicht ordnungsgemäß verknoteten Schnürriemen und hindert so einen Gast am Verlassen der Gaststätte,653 wird man eine Haftung aus §  231 BGB selbst dann nicht begründen können, wenn ein objektiver Dritter diesen Gast zu Un­ recht der Zechprellerei verdächtigt hätte. Der Wortlaut des §  231 BGB widerspricht dem nicht, sondern erklärt nur Irrtümer hinsichtlich der Rechtfertigung für unbe­ achtlich. Soweit daher allgemein von einer „verschuldensunabhängigen Haftung“ gesprochen wird,654 geht dies über Wortlaut und die Geschichte der Norm hinaus und ist auch durch Sinn und Zweck der Regelung nicht geboten. Damit handelt es sich bei §  231 BGB auch nicht um eine Gefährdungshaftung655 und ebensowenig um

651 

Näher unten §  3A.I, S. 298. Oben §  1A.III.1, S. 94. 653  In Abwandlung von BayObLG NJW 1991, 934; dazu Duttge, Jura 1993, 416; oben §  1A.III.1d, S. 99. 654  BGH NJW 2010, 3434; BGH NJW 1977, 1818, 1819; KG ZMR 2011, 859; OLG Naumburg DW 2013, Nr 1, 78. 655  BGH NJW 1977, 1818; Palandt/Ellenberger, §  231 BGB Rn.  1; BeckOK-BGB/Dennhardt, §  231 BGB Rn.  1; MüKo-BGB/Grothe, §  231 BGB Rn.  1; Baumgärtel-Laumen/Laumen, §  231 BGB Rn.  1. 652 

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eine gesetzliche Risikozuweisung sui generis.656 Vielmehr handelt es sich um eine auf die Rechtswidrigkeit beschränkte „Ausnahme zum Verschuldenserfordernis des §  823 BGB“.657 Voraussetzung für die Anwendung des §  231 BGB ist daher, dass der Handelnde den natürlichen Willen hatte, einen Anspruch zu sichern oder sogar durchzusetzen. Handelt der vermeintliche Fremdhelfer hingegen ausschließlich aus purer Boßheit, haftet er nach §  823 Abs.  1 BGB. Es genügt sogar, dass die Sicherung bzw. Durchset­ zung des Anspruchs bloßes Nebenmotiv ist. Da nach der hier vertretenen Auffassung der einzige Unterschied zwischen §  823 Abs.  1 BGB und §  231 BGB aber die Unbe­ achtlichkeit von Irrtümern hinsichtlich der Rechtswidrigkeit des Verhaltens ist, wird er dadurch nicht privilegiert. Eine Abgrenzung ist daher regelmäßig entbehrlich; so­ lange keine Feststellungen hinsichtlich des Willens des Handelnden getroffen wer­ den, verbleibt es beim allgemeinen Deliktsrecht. Soweit eine Rechtfertigung aus §  229 BGB oder wertungsgleichen Umständen aus der Laiensphäre vorgetragen wird, ist bei deren objektivem Vorliegen ein Anspruch ausgeschlossen; lässt sich das objektive Vorliegen der rechtfertigenden Umstände hingegen nicht beweisen, ist die Fehlvor­ stellung schlicht irrelevant. a)  Unbeachtlichkeit von Irrtümern auf Rechtswidrigkeitsebene Der Handelnde muss davon ausgegangen sein, rechtmäßig zu handeln. Konkreter muss er meinen, sein Verhalten sei von der Rechtsordnung gerade als Selbsthilfe ge­ rechtfertigt. Soweit er bewusst rechtswidrig handelt, unterliegt er auch keinem Irr­ tum und es greift unmittelbar §  823 Abs.  1 BGB. Selbst wenn er nur billigend in Kauf nimmt, dass sein Verhalten illegal sein könnte, haftet er unmittelbar aus Delikts­ recht, ohne dass es der Sonderregelung des §  231 BGB bedarf. Dementsprechend soll­ te man die Norm auf diese Fälle auch nicht anwenden. Die Verschärfung des §  231 BGB bezieht sich entsprechend ihrem Wortlaut nur darauf, dass Irrtümer im Hinblick auf die Rechtswidrigkeit unbeachtlich bleiben. Irrtümer im Hinblick auf andere Tatsachen können hingegen durchaus beachtlich sein.658 Denkt also der Handelnde etwa, er würde nicht in fremdes Eigentum eingrei­ fen, weil er sich nur eine eigene Sache zurückholt, die das Opfer der Fremdhilfe ihm vermeintlich entwedet hat, ist dieser Irrtum beachtlich. Ebenso relevant wäre etwa der Irrtum, dass sich beim Absperren einer Gaststätte keine Person mehr dort auf­ hält und schon deshalb keine Freiheitsberaubung des versteckten Zechprelles im Sin­ ne von §  229 BGB erfolgt. In einem insgesamt nur fahrlässigen Verhalten, bei dem 656 Staudinger/Repgen, §  231 BGB Rn.  4; MüKo-BGB/Grothe, §  231 BGB Rn.  2; Soergel/Fahse, §  231 BGB Rn.  3; Larenz, JuS 1965, 373, 375. 657  So i.E. Schünemann, S.  145 – allerdings sieht Schünemann, S.  32 die die §§  229–231 BGB als insgesamt gegenüber §§  823 ff. BGB vorrangig, wozu eine schlichte Modifikation nicht recht passen mag. 658 Andeutungsweise Schünemann, S.  145.

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überhaupt keine Vorstellung im Hinblick auf eine Rechtfertigung vorliegt (Stolpern, etc.), finden weder §  229 BGB noch §  231 BGB Anwendung. Der Irrtum kann sich zunächst auf die Selbsthilfelage beziehen. In Parallele zur Notwehr spricht man diesbezüglich auch von „Putativselbsthilfe“. So mag der Han­ delnde meinen, einen Anspruch zu haben, der aber nicht wirksam entstanden, be­ reits erloschen oder endgültig nicht mehr durchsetzbar ist. Die Wirkung des §  231 BGB ist in dieser Konstellation, dass er eine Haftung selbst dann ermöglicht, wenn der Handelnde das Bestehen eines Anspruchs bei der in der vermeintlichen Gefah­ renlage möglichen summarischen Prüfung ohne Fahrlässigkeit bejaht.659 Dies ent­ spricht der Sachlage bei einer gerichtlichen Entscheidung: Derjenige, der ein später aufgehobenes, vorläufig vollstreckbares Urteil vollstreckt, muss Schadensersatz leis­ ten (§  717 Abs.  2 ZPO),660 obwohl das damit befasste Gericht generell als kompetent erachtet werden muss (vgl. auch das Richterspruchprivileg nach §  839 Abs.  2 BGB, wonach eine Haftung nur bei einer Straftat in Betracht kommt). Die Haftung tritt also unabhängig von der vermeintlich neutralen Bewertung der Vollstreckungs- bzw. Sicherungsmaßnahmen als rechtmäßig ein. Demgegenüber schließt eine gerichtliche Entscheidung zugunsten einer Behörde grundsätzlich eine Staatshaftung aus.661 Erfasst sind zudem diejenigen Fälle, in denen der Irrtum sich auf die Erlaubtheit des Selbsthilfemittels bezieht (Selbsthilfeexzess).662 Die irrige rechtliche Annahme, durch Selbsthilfe zu einer Handlung befugt zu, sein wird genauso behandelt wie der tatsächliche Irrtum z. B. über die Person des Adressaten der Selbsthilfehandlung (Wegnahme einer Sache, die nicht dem Schuldner gehört; Festhalten einer anderen Person als des Verpflichteten). b)  Haftung Deliktsunfähiger? Teilweise wird angenommen, dass auch Deliktsunfähige nach §  231 BGB haften.663 Der Wortlaut des §  231 BGB verweist anders als etwa §  276 Abs.  1 S.  2 BGB nicht aus­ drücklich auf die §§  827, 828 BGB. Freilich weist in den Gesetzesmaterialien nichts darauf hin, dass die Regelung einem weitergehenden Zweck dienen sollte als einer besonderen Behandlung von Irrtümern auf Rechtswidrigkeitsebene. Folge einer sol­ 659 MüKo-BGB/Grothe, §  229 BGB Rn.  3; Staudinger/Repgen, §  229 BGB Rn.  10; anders BeckOKBGB/Dennhardt, §  229 BGB Rn.  4: „da das Selbsthilferecht im Vorfeld des einstweiligen Rechts­ schutzes eingreift, kann jedoch im Einzelfall eine (summarische) Prüfung aus objektiver Sicht ex ante genügen“. Sein Hinweis auf BGHZ 124, 39, 43 f; 133, 184, 190 geht jedoch fehl. Nach diesen Entscheidungen genügt für Taschenkontrollen bereits ein Diebstahlverdacht. Das ist aber gerade die Voraussetzung des vom BGH angenommenen materiellen Auskunftsanspruchs, der im Wege der Selbsthilfe durchgesetzt wird, die dessen tatsächliches Bestehen voraussetzt. 660  Bei der Haftung nach §  945 ZPO kann man immerhin noch anführen, dass nur eine begrenz­ te Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgt ist und rechtliches Gehör nur eingeschränkt gewährt wird. 661  BGHZ 119, 365, 369; BGH NJW 1994, 3158, 3159; BVerwG, 17.08.2005 – 2 C 36.04. 662  BGH NJW 1977, 1818; Jauernig/Jauernig, §§  229–231 BGB Rn.  6; Schäfer, S.  58. 663 MüKo-BGB/Grothe, §  231 BGB Rn.  2; Soergel/Fahse, §  231 BGB Rn.  3; Palandt/Ellenberger, §  231 BGB Rn.  1.

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chen Interpretation wäre eine kaum nachvollziehbare Unterscheidung auf der Ebene des Handlungszwecks: Wenn ein Geisteskranker eine fremde Sache in einem Zu­ stand völliger Verwirrung wegnimmt müsste er wegen §  828 BGB keinen Schadens­ ersatz nach §  823 Abs.  1 BGB leisten. Will er hingegen damit einen (eingebildeten) Anspruch durchsetzen, soll er dafür haften.664 Schon begrifflich ist der nach dem Wortlaut des §  231 BGB erforderliche, aber für unbeachtlich erklärte Irrtum eine Fehlvorstellung. Einer solchen rechtlich relevan­ ten Fehlvorstellung kann aber nur haben, wer schuldfähig ist.665 Das in den Gesetzes­ materialien angedeutete „Handeln auf eigene Gefahr“666 ist hierfür schon deshalb keine geeignete Grundlage, da die Beweggründe des Deliktsunfähigen für sein Ver­ halten sowohl im Deliktsrecht als auch im Strafrecht ohne Bedeutung sind. Die Ein­ schätzung der Risiken eigenen Verhaltens mutet die Rechtsordnung deliktsunfähi­ gen Personen nicht zu. In Betracht kommt nur eine Ersatzpflicht aus Billigkeitsgrün­ den nach §  829 BGB, die durch §  231 BGB nicht ausgeschlossen wird. Dem Erfordernis der Verschuldensfähigkeit steht auch nicht entgegen, dass der Selbsthilfewille nach hier vertretener Auffassung ein „natürlicher“ Wille ist, der nicht an Geschäfts- oder Deliktsfähigkeit gebunden ist.667 Denn das Wort „auch“ in §  231 BGB deutet bereits an, dass die Haftung nach §  231 BGB nur eine modifizierte deliktsrechtliche Verantwortlichkeit ist. Ebenso wie ein Kind Besitzer eines gefährli­ chen Gegenstandes (etwa eines Fahrrads, eines Computers, etc.) sein kann, ohne dass es Schadensersatzansprüche treffen, ist auch ein Handeln zum Zwecke der Selbsthil­ fe möglich, ohne dass damit zwingend eine Haftung einhergeht. Bedeutung erlangt die hier vertretene Erweiterung des Selbsthilfewillens daher nur bei der Zulässigkeit von Gegenwehrmaßnahmen. Berechtigte Selbsthilfe von Deliktsunfähigen im Sinne von §  229 BGB stellt keinen rechtswidrigen Angriff im Sinne von §  227 BGB bzw. §  32 StGB und keine verbotene Eigenmacht im Sinne von §  859 BGB dar.

IV. Rechtsfolge Die Rechtsfolge von §  231 BGB ist nach dessen Wortlaut schlicht, dass der Handelnde „dem anderen Teil zum Schadensersatz verpflichtet“ ist. Dies lässt offen, welche Schä­ den ersatzfähig sein sollen. Die Regelung ist anders formuliert als §  717 Abs.  2 ZPO bzw. §  945 ZPO, die jeweils auf „die durch die Vollstreckung verursachten Schäden“ abstellen. Sie stellt schlicht klar, dass eine Verpflichtung zum Schadensersatz gegen­ über dem Opfer der Selbsthilfe besteht, „auch wenn der Irrtum nicht auf Fahrlässigkeit beruht“. Dabei stellen sich typische Zurechnungsprobleme sowohl hinsichtlich der Schadenshöhe als auch hinsichtlich zwischentretender Ereignisse und Verhal­ 664 

Schünemann, S.  144 f. diesem Sinne BeckOK-BGB/Dennhardt, §  231 BGB Rn.  1; RGRK/Johannsen, §  231 BGB Rn.  2; Schünemann, S.  145. 666 Soergel/Fahse, §  231 BGB Rn.  2 f. 667  Oben §  1A.III.3, S. 107. 665  In

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tensweisen. So mag die unberechtigt weggenommene Sache für den vorherigen Besit­ zer essentielle Bedeutung gehabt haben, etwa wenn er den weggenommenen Laptop für eine unmittelbar bevorstehende Präsentation benötigte oder weggenommene Medikamente für ihn lebensnotwendig waren. Es mag aber auch eine spätere Ver­ schlechterung der weggenommenen Sache eingetreten sein, etwa weil die Wohnung, in der die Sache aufbewahrt wurde, von einem unbekannten Brandstifter angezün­ det oder durch Hochwasser überflutet wurde. Schließlich sind auch Verschlechterun­ gen durch den Schuldner selbst denkbar, etwa wenn er diese in Gegenwehr zur be­ rechtigten Selbsthilfe oder beim Versuch der Wiedererlangung beschädigt. Derartige Zurechnungsprobleme sind im allgemeinen Deliktsrecht durchaus bekannt und wer­ den angemessenen Lösungen zugeführt. Der Wortlaut des §  231 BGB gibt hierfür aber nur wenig Ansatzpunkte. 1.  Anwendbarkeit des allgemeinen Schadensrechts Für die Ersatzpflicht gelten die allgemeinen Regeln des Schadensrechts. Fehl geht insoweit der Hinweis von Schünemann auf §  91 ZPO.668 Der Schaden liegt regelmäßig nicht in den Kosten der Rechtsverteidigung bzw. dem Aufwand für Abwehrmaßnah­ men, sondern in den durch die Rechtsgutverletzung bedingten Vermögenseinbußen des Opfers, die mit Kostenerstattung nichts zu tun haben. Ersatzfähig sind grundsätzlich alle derartigen Vermögensschäden im Sinne der Differenzhypothese (§  253 Abs.  1 BGB). Schmerzensgeld nach §  253 Abs.  2 BGB ist nur bei Verletzung der dort genannten Rechte zu leisten.669 Die Verjährung richtet sich in Ermangelung einer Sonderregelung nach der regelmäßigen Verjährungsfrist (§§  195, 199 BGB), entspricht also dem Deliktsrecht.670 Da es sich bei §  231 BGB um eine speziellere Sondernorm zu §  823 Abs.  1 BGB handelt, finden die dort vorhandenen Hilfsnormen ebenfalls Anwendung. So kommt etwa eine gesamtschuldnerische Mithaftung von Anstiftern, Gehilfen und Mittätern nach §§  830, 840 BGB in Betracht. Soweit ein Geschäftsunfähiger in vermeintlicher Selbsthilfe einen Schaden verursacht, greift zwar die auf Irrtümer über die Rechts­ widrigkeit beschränkte Sonderregelung des §  231 BGB nicht ein, aber es ist eine Ent­ schädigung aus Billigkeitsgründen (§  829 BGB) zulässig. Auch die Regelungen der §§  842–845 BGB sowie der §§  848–850 BGB greifen bei Schädigung von Personen oder Sachen entsprechend.

668 

Schünemann, S.  146 f. Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002, BGBl.  I S.  2674. 670  Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001, BGBl.  I 2001, S.  3138; siehe Staudinger/Repgen, §  231 BGB Rn.  5. 669 Zweites

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

2.  Haftungsausfüllende Kausalität Da §  231 BGB nur das Verschulden hinsichtlich des Irrtums über die Rechtswidrig­ keit für unbeachtlich erklärt, muss in jedem Einzelfall die haftungsausfüllende Kau­ salität geprüft werden. Über schlichte Kausalität im Sinne einer condicio sine qua non ist daher sowohl Adäquanz zu prüfen671 als auch festzustellen, dass der Schutzzweck der verletzten Sorgfaltsnorm gerade den eingetretenen Vermögensver­ lust verhindern sollte.672 Es wäre unbillig, denjenigen, der in irriger Selbsthilfe han­ delt strenger haften zu lassen als nach §  823 BGB. Umgekehrt darf es aber auch nicht zu einer Privilegierung durch §  231 BGB kommen. Da §  231 BGB eine „unerlaubte Handlung“ darstellt,673 findet daher etwa die Zufallshaftung nach §  848 BGB auch im Fall unberechtigter Selbsthilfe Anwendung. Dies gilt aber nach den obigen Ausfüh­ rungen nicht, wenn zwar die Wegnahme rechtmäßig, aber das Aufrechterhalten des Zustandes mangels Einhaltung von §  230 Abs.  2 BGB bzw. §  230 Abs.  4 BGB rechts­ widrig ist, da die Sache nicht „durch eine unerlaubte Handlung entzogen“ wurde.674 Danach verbleibt trotz einer deliktischen Handlung das allgemeine Lebensrisiko beim Geschädigten.675 Vorsätzliche und grob fahrlässige676 Handlungen Dritter oder des Geschädigten unterbrechen die Zurechnung, soweit diese nicht durch das Ein­ greifen des Dritten begünstigt wurden.677 Wird also die gesamte Stadt wegen Hoch­ wassers überflutet, hat das Opfer einer Selbsthilfemaßnahme keinen Ersatzanspruch für den weggenommenen PKW, wenn dieser auch bei ihm beschädigt worden wäre. Ebenso lassen sich allgemeine Aufwendungen zum Schutz vor unberechtigten Hand­ lungen Dritter nicht auf den Selbsthelfer überwälzen oder bei der Selbsthilfe erstmals entdeckte, aber bereits vorher vorhandene Gesundheitsschäden nach §  231 BGB li­ quidieren. Die Grenzen sind dabei fließend und werden insbesondere durch §  848 BGB noch weiter verwischt. Wegen §  848 BGB haftet etwa derjenige, der in nicht gerechtfertig­ ter Selbsthilfe einen fremden PKW wegnimmt auch für dessen Diebstahl, obwohl das Fahrzeug ordnungsgemäß gesichert war. Andererseits dürfte es kaum gerechtfertigt sein, den Selbsthelfer auch für den Versuch des Diebes, einen Polizisten mit dem ge­ 671  BGHZ 3, 261, 266 ff.; BGH NJW 2000, 947, 948; Staudinger/Schiemann, §  249 BGB Rn.  20; Palandt/Grüneberg, Vor §  249 BGB Rn.  27; MüKo-BGB/Oetker, §  249 BGB Rn.  114. 672 BGHZ 90, 96, 101; BGH 2003, 1929, 1930; Palandt/Grüneberg, Vor §   249 BGB Rn.  29; ­MüKo-BGB/Oetker, §  249 BGB Rn.  125; Staudinger/Schiemann, §  249 BGB Rn.  27. 673  §  1C.I, S. 165 . 674  §  1C.III.2b, S. 175. 675 Siehe etwa BGHZ 27, 137 (Verteidigungskosten wegen Strafverfahren bei Verkehrsunfall nicht aus §  823 Abs.  1 BGB vom Schädiger zu ersetzen); BHZ 75, 230 ff. (Bearbeitungsgebühren bei Ladendiebstahl); OLG Stuttgart NJW-Spezial 2012, 553 (Bandscheibenvorfälle wegen ruckartigem Umdrehen anlässlich des Hinweises auf Unfall mit dem außerhalb geparkten Fahrzeug); näher Mädrich, passim. 676  Freilich nur in engen Grenzen, siehe zum Arztrecht etwa Wertenbruch, NJW 2008, 2962. 677  BGH NJW 1989, 767, 768; Staudinger/Schiemann, §  249 BGB Rn.  60 ff.; HK-BGB/Schulze, Vor §§  249–253 BGB Rn.  19.

C.  Haftung bei Überschreitung der Befugnisse und irrtümlicher Selbsthilfe

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stohlenen PKW zu überfahren, haften zu lassen.678 Da das Korrektiv des Verschul­ dens fehlt, ist bei der Prüfung der haftungsbegründenden Kausalität besondere Sorg­ falt anzuwenden. 3. Mitverschulden Ein Mitverschulden des Selbsthilfeopfers ist entsprechend §  254 BGB (uU iVm §§  844, 845 BGB) anspruchsmindernd zu berücksichtigen.679 Bringt das Opfer der Selbsthil­ fe nicht zum Ausdruck, dass es gar nicht der Schuldner ist oder erklärt es nicht, dass es weniger belastende, aber für den Gläubiger nicht erkennbare Objekte für Selbsthil­ femaßnahmen gibt, ist es selbst jedenfalls teilweise für den Schaden verantwortlich. Ebenso kann man vom Opfer einer Selbsthilfemaßnahme den Hinweis erwarten, dass der angeblich gefährdete Anspruch bereits anderweitig gesichert oder gar erfüllt ist, soweit dies für den Gläubiger nicht ersichtlich ist (etwa weil eine Zahlung per Überweisung bereits erfolgt ist). Dies kann im Einzelfall zu Abgrenzungsschwierigkeiten zur Unbeachtlichkeit von Irrtümern nach §  231 BGB führen. Denn nach der Wertung des Gesetzes soll das Risiko von Fehleinschätzungen grundsätzlich beim Gläubiger liegen. Andererseits ist es geradezu selbstverständlich, dass jede Person bestmöglich auf ihr eigenes Vermö­ gen zu achten hat; gerade im Vergleich zum Gläubiger, der insoweit nur begrenzt Einblick hat, ist das Opfer regelmäßig besser informiert. Im Hinblick auf die mit je­ dem Schadensfall einhergehenden sozialen Kosten (insbesondere Administrativauf­ wand zur Abwicklung des Schadensfalls und das Risiko einer Fehlbewertung sowie von Gewaltexzessen) ist das Opfer der Selbsthilfe daher vorrangig zur Schadensmin­ derung verpflichtet. Dieser Grundgedanke des §  254 BGB ist gegenüber dem durch §  231 BGB geschützten Kompensationsinteresse sowie der damit bezweckten Verhal­ tenssteuerung vorrangig. Ein anerkennenswertes Interesse an einer Schadenserhö­ hung gibt es nicht.

V.  Verhaltenssteuernde Wirkung Die im Vergleich zum Recht der unerlaubten Handlungen (§§  823 ff. BGB) strenge Haftung nach §  231 BGB scheint auf den ersten Blick ein wirksames Mittel zur Ver­ haltenssteuerung zu sein. Ein rational handelnder Anspruchsinhaber wird ange­ sichts des für ihn ex ante nicht kalkulierbaren Risikos im Zweifel auf die Durchset­ zung des Anspruchs verzichten.

678  Der BGH hat einen solchen Schaden aber dem Halter eines nicht ordnungsgemäß gesicherten PKW zugerechnet, BGH NJW 1971, 459, 461. 679  BGH NJW 1977, 1818; MüKo-BGB/Grothe, §  231 BGB Rn.  2 .

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

1. Interessenabwägung Soweit jemand Rechtsgüter eines Anderen verletzt, muss er damit rechnen, dass er hierfür Ersatz leisten muss. Es ist nach §  231 BGB weder seine subjektive Vorstellung noch die Sorgfalt eines objektiven Dritten maßgeblich, sondern allein die ex post umfassend aufgeklärte Rechtslage. Dies gilt sogar für den Fall, dass diese in der kon­ kreten Situation für niemanden erkennbar war. Insoweit ist dieses Risiko für ihn kaum kalkulierbar. Er muss daher stets eine Haftung in seine Bewertung einbezie­ hen. Nur wenn das Produkt aus der Wahrscheinlichkeit der dauernden Unmöglich­ keit der Anspruchserfüllung und dem Wert des Anspruchsgegenstandes größer ist als der verursachte Schaden, wird ein rationaler Akteur Selbsthilfe ausüben. Als For­ mel gilt also: p1 · v > p2 · d (wobei p1 = Wahrscheinlichkeit des Untergangs, v = Wert des Anspruchs (abzüglich bereits geleisteter Gegenansprüche und künftiger Ersparnis durch Erlöschen eigener Verpflichten bzw. Rückzahlungsoder Schadensersatzforderungen, p2=Wahrscheinlichkeit der erfolgreichen Durchsetzung eines Schadensersatz­ anspruchs, d = Wert der zur Sicherung verletzten Rechte) Die beiden Wahrscheinlichkeiten p1 und p2 sind dabei nicht voneinander abhängig; ebensowenig besteht ein Zusammenhang zur Erforderlichkeit der Selbsthilfehand­ lung in dem Sinne, dass nur Maßnahmen zulässig sind, bei denen das drohende Haf­ tungsrisiko für den Selbsthelfer geringer ist als der ihm drohende Schaden bei Unter­ lassen des Eingriffs. Denn damit würde eine verdeckte Verhältnismäßigkeitsprüfung eingeführt, die im Rahmen von §  229 BGB nach dem Willen des Gesetzgebers gerade nicht vorzunehmen ist.680 Zulässig sind damit auch ökonomisch unsinnige Verhal­ tensweisen, wenn im Nachhinein die Gefahr tatsächlich bestand und es kein milde­ res Mittel zu deren Abwehr gab. Ein rationaler Normadressat würde allerdings eine solche Handlung, sofern er die Wahrscheinlichkeiten überschaut, nicht vornehmen. Aufgrund der fehlenden sicheren Bestimmbarkeit der Wahrscheinlichkeiten scheint daher §  231 BGB tatsächlich die erwünschte Folge eines weitreichenden Aus­ schlusses der Selbsthilfe zu erreichen. Denn ein risikoaverser Gläubiger muss die Ge­ fahr p2 hoch ansetzen, während ein risikoaffiner Gläubiger auch die Wahrscheinlich­ keit p1 niedrig ansetzen müsste. Es gäbe also kaum je Fälle, in denen eine Selbsthilfe­ handlung ökonomisch berechtigt wäre. Eingriffe in fremde Rechte zugunsten reiner Ansprüche würden regelmäßig irrationales Verhalten darstellen. 680 

§  1A.V.2a, S. 142.

C.  Haftung bei Überschreitung der Befugnisse und irrtümlicher Selbsthilfe

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2.  Fehlende Abschreckung bei Fehlen eines Schadens Die Haftung nach §  231 BGB entfaltet allerdings nur eine verhaltenssteuernde Wir­ kung, soweit den Selbsthelfer tatsächlich eine Zahlungspflicht (d) trifft, welche die Vorteile des verbotenen Verhaltenen für ihn (v) übersteigt. Wenn ein Anspruch auf Herausgabe eines bestimmten Gegenstands besteht, entsteht durch dessen gewaltlose Wegnahme aber kein Vermögensschaden. Für die verspätete Herausgabe haftet nach §§  280 Abs.  1, Abs.  2, 286 Abs.  1 BGB ohnehin der Schuldner. Soweit der Schuldner gegenüber dem Gläubiger kein Besitzrecht geltend machen kann, ist der reine Vor­ enthaltungsschaden nicht ersatzfähig. So stehen etwa die Gebrauchsvorteile aus der Mietsache (§  100 BGB) nach der Kündigung nicht mehr dem ehemaligen Mieter, son­ dern wieder dem Eigentümer (bzw. dessen Pächter, Nießbraucher, etc.) zu. Bei illega­ ler Räumung kann also unmittelbar aus §  231 BGB kein Ersatz für den entgangenen Nutzen der Wohnung verlangt werden, sondern nur für Beschädigungen des Räu­ mungsguts etc.681 Wenn also die aus der Wohnung entfernten Gegenstände nicht beschädigt werden, läuft mangels Schadens die Haftung nach §  231 BGB leer. Auch strafrechtlich scheitert eine Verfolgung wegen Eigentums- oder Vermögens­ delikten in diesen Fällen entweder am Fehlen eines Schadens oder aber an der irrig angenommenen Rechtmäßigkeit der beabsichtigten Zueignung. Eine Strafandro­ hung greift damit überwiegend nur für höchstpersönliche Rechtsgüter. So darf der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer nicht während der Arbeitszeit in den Geschäfts­ räumen einsperren (§  239 StGB). Ebenso wenig bedeutet dies, dass die (gewaltsame) Versetzung des Mieters aus der Wohnung nach ordnungsgemäßer Beendigung des Mietverhältnisses sanktionslos bleiben würde (§§  223, 240 StGB). Insoweit gibt es eine Vielzahl von Konstellationen, in denen trotz §  231 BGB eine Schadensersatzhaftung keine erhebliche negative Rechtsfolge darstellt. Insoweit könnte die Regelung keine verhaltenssteuernde Wirkung entfalten. 3.  Risiko von Gegenwehr, möglicherweise fehlende Ersatzpflicht für erlittene Schäden Gewichtiger ist demgegenüber das Risiko privater Gegenwehr. Dabei ist zu berück­ sichtigen, dass die Haftung des Selbsthilfeopfers für Gegenwehrmaßnahmen sich ausschließlich nach den allgemeinen Rechtfertigungsgründen (insbesondere §  227 BGB und §  859 BGB) richtet. Auch dieser Wert ist als Negativfaktor zusätzlich zur drohenden Schadensersatzhaftung in die Abwägung einzubeziehen. p1 · v > p2 · (d + r) (wobei r = Wert der Einbußen an eigenen Rechten, Rechtsgütern oder Interessen)

681  Undeutlich insoweit BGH NJW 2010, 3434; BGH NJW 1977, 1818 (da in beiden Entscheidun­ gen Ersatz für beschädigtes Räumungsgut verlangt wurde).

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

Ist die Selbsthilfehandlung nicht nach §§  229, 230 Abs.  1 BGB gerechtfertigt, scheidet eine deliktrsrechtliche oder strafrechtliche Verantwortlichkeit des Opfers für die Folgen der Gegenwehr aus. Auf Seiten des Selbsthilfeopfers sind aber weitergehend Irrtümer über die Rechtfertigung beachtlich, so dass auch ein unvermeidbarer Irr­ tum über die Rechtfertigung eine Haftung ausschließt. Dies ist ein wesentliches Risi­ ko des in Selbsthilfe Handelnden im Vergleich zu den ebenfalls zur Durchsetzung berufenen staatlichen Stellen. Aufgrund der Autorität von Amtswaltern ist Gegen­ wehr weniger wahrscheinlich. Tatsächlich sind Rechtfertigungskaskaden wegen der Gefahr von (beidseitigen) Exzessen682 oft gefährlicher als die ursprünglichen Selbst­ hilfehandlungen, so dass man eine Einschränkung der Notwehr in diesen Fällen je­ denfalls in Betracht ziehen sollte. 4.  Auswirkungen auf Fremdhelfer Für die unberechtigte Anspruchssicherung durch Dritte gilt, dass diese im Außen­ verhältnis zum Adressaten der ausgeübten Handlung nach §  231 BGB haften. Sie handeln aufgrund „der irrigen Annahme […], dass die für den Ausschluss der Wi­ derrechtlichkeit erforderlichen Voraussetzungen vorhanden seien“. Dies gilt sogar dann, wenn sie von einem generellen Verbot der Selbsthilfe durch Dritte ausgehen. Es ist zu unterstellen, dass in diesem Fall eine andere, evtl. auch ungeschriebene Erlaub­ nisnorm angenommen wird. Erst Recht gilt dies, wenn sogar die Rechtswidrigkeit bewusst in Kauf genommen wird. Es genügt das Ziel, einen fremden Anspruch durchzusetzen. Das Bestehen eines Rückgriffanspruchs gegenüber dem Anspruch­ sinhabers richtet sich nach dem Rechtsverhältnis zwischen Anspruchsinhaber und Fremdhelfer,683 insbesondere kommt insoweit ein Arbeitsverhältnis in Betracht (wo­ bei im Innenverhältnis das Verschulden des zur Durchsetzung handelnden Arbeit­ nehmers maßgeblich ist). Eine Außenhaftung des Anspruchsinhabers neben dem Fremdhelfer ergibt sich etwa aus §  31 BGB (Gesellschaften für ihre Organe) oder nach §  830 BGB (Anstiftung, Beihilfe) bzw. §  831 BGB (Auswahlverschulden). Soweit der Anspruchsinhaber die Sicherungs- bzw. Durchsetzungsmaßnahme freilich nicht veranlasst hat, scheidet auch dessen Haftung (im Innen- wie Außenverhältnis) aus. Der Fremdhelfer wird also684 nur tätig werden, soweit er (was er nach den obigen Ausführungen kaum je kann) sicher ist, dass eine Haftung ausscheidet oder aber wenn er aufgrund einer Vereinbarung mit dem Anspruchsinhaber bei diesem Re­ gress nehmen kann. Der Anspruchsinhaber wird solche Aufträge demgegenüber nur an vertrauenswürdige Personen erteilen, bei denen er darauf vertrauen kann, dass diese keinen oder nur einen geringen Schaden verursachen. Insoweit wirkt im Innen­ verhältnis das insoweit wieder bestehende Verschuldenserfordernis (§  280 S.  2 iVm §  276 Abs.  1) als notwendiger Begrenzungsfaktor, um Exzesse auszuschließen. 682 

Siehe zu einem Extrembeispiel OLG Karlsruhe RuS 1990, 233. So im Ergebnis auch MüKo-BGB/Grothe, §  231 BGB Rn.  3. 684  Siehe bereits oben §  1A.I.c.cc, S. 53 ff. 683 

D.  Subsidiarität als Erfordernis jeglicher privaten Eingriffsbefugnis?

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D.  Subsidiarität als Erfordernis jeglicher privaten Eingriffsbefugnis? Die bereits einleitend685 vorgenommene Unterscheidung zwischen subsidiärer, alter­ nativer und kumulativer Selbsthilfe zeigt, dass jedenfalls nach hiesigem Verständnis kein einheitlicher Subsidiaritätsbegriff für alle Fälle der Selbsthilfe gilt. Über die im Wortlaut von §  229 BGB angelegte „formelle Subsidiarität“ hinaus könnte man je­ doch für die Ausübung privater Gewalt im Rahmen beliebiger Rechtfertigungsgrün­ den einen allgemeinen Grundsatz „materieller Subsidiarität“ annehmen, und da­ durch die auch diese als „subsidiäre Selbsthilfe“ qualifizieren. Denn danach wäre nicht nur die Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB subsidiär, sondern jeglicher gerecht­ fertigte Eingriff, also insbesondere die Notwehr, §  227 BGB, die nach hier vertretener Auffassung kumulativ neben die staatliche Durchsetzung tritt. Eine solche umfassende Subsidiarität aller privaten Rechtfertigungsgründe gegen­ über staatlicher Durchsetzung wird vor allem von Teilen der strafrechtlichen Litera­ tur686 bejaht. Diesem Verständnis steht die hier zugrundelegte Typologie grundsätz­ lich nicht entgegen, da sich die Stellungnahmen in der strafrechtlichen Literatur nur auf Notwehr und Notstand beziehen, während der hier verwendete Selbsthilfebegriff über die Rechtfertigungsgründe hinaus auch andere Konstellationen privater Rechts­ durchsetzung und Rechtssicherung, wie etwa technische Schutzmaßnahmen im Ur­ heberrecht (§  95a UrhG) oder den Schutz von Geschäftsgeheimnissen (§§  17 ff. UWG) erfasst. Allerdings wird weit überwiegend eine solche Erstreckung des Subsidiaritäts­ gedanken auf andere Rechtfertigungsgründe, namentlich auf Besitzwehr und Besitz­ kehr, abgelehnt.687 Die Annahme eines allgemeinen Prinzips materieller Subsidiari­ tät würde voraussetzen, dass für diese jedenfalls im Bereich der Rechtfertigungs­ gründe gewichtige Argumente heranzuziehen sind.

I.  Fehlende Subsidiarität bei leichter Kompensation und hohem Administrativaufwand Vielfach wird übersehen, dass es durchaus Fälle gibt, in denen die Einschaltung staatlicher Organe schlicht zu aufwendig wäre und die Selbsthilfe ein schnellerer und einfacherer Weg zur Sicherung des Rechtsfriedens ist.688 Dies ist etwa der Fall bei der nachbarrechtlichen Befugnis, überhängende Wurzeln fremder Bäume zu entfernen (§  910 Abs.  1 S.  1 BGB) oder beim Betretungsrecht für fremde Grundstücke (§§  867, 962, 1005 BGB). Soweit eine vollständige, nachträgliche Korrektur im Sinne einer Totalreparation kostengünstig möglich und die Gefahr von Exzessen gering ist, wäre es bloßer Formalismus, insoweit zunächst staatliche Organe einzuschalten. 685 

Einleitung A.II.2, S. 18. Lagodny, GA 1991, 300. 687  Lopau, JuS 1980, 501, 503. 688  v. Bar, Rn.  491 Rn.  491: „wo es bei vernünftiger Betrachtung übertrieben erscheint, staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen“; „… derentwegen ein vernünftiger Mensch keinen Prozess an­ strengt“. 686 

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

Soweit bereits eine entgegenstehende gerichtliche Entscheidung vorliegt (etwa im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes), ist die Selbsthilfe ausgeschlossen.689 Das ist aber keine Frage der Subsidiarität, sondern schlicht eine Folge der Bindungswirkung der Entscheidung. Auch im Rahmen der Selbsthilfe bleiben Recht und Gesetz für den Handelnden maßgeblich. In diesen Fällen gilt gleichermaßen nicht, dass Selbsthilfe die einzig zulässige Handlungsweise ist. Die Rechtsprechung räumt neben dem Selbsthilferecht nach §  910 BGB stets einen konkurrierenden Anspruch aus §  1004 BGB ein, der gerichtlich durchsetzbar ist.690 Das wird in der Literatur teilweise kritisiert.691 Vor dem Hinter­ grund der obigen Ausführungen zum Kostenersatz692 ist diese Kritik jedoch unbe­ gründet. Letztlich sollte die Pflicht denjenigen treffen, der sie am kostengünstigsten erfüllen kann. Das ist aber der Eigentümer des Baumes und nicht dessen Nachbar. Es würde Fehlanreize setzen, den Nachbarn allein auf die Selbsthilfe ohne Ersatzan­ sprüche zu beschränken. Der Eigentümer hätte schließlich keinen Grund zur Rück­ sichtsnahme mehr; eine solche Beschränkung würde also eher Konflikte fördern, statt sie zu beseitigen.

II.  Private Pfandrechte als Ausnahme? Für das Selbsthilferecht des Vermieters zur Aufrechterhaltung seines Vermieter­ pfandrechts erklärt §  562b BGB ein Einschreiten „auch ohne Anrufen des Gerichts“ ausdrücklich für zulässig.693 Dies gilt nach §  581 Abs.  2 BGB auch für Verpächter und nach §  704 BGB für Gastwirte. Die Länder können zudem nach Art.  89 EGBGB Vor­ schriften zur Privatpfändung „zum Schutz der Grundstücke und der Erzeugnisse von Grundstücken“ aufrechterhalten, ohne dass hierfür ausdrücklich ein Vorrang sonstiger Rechtsbehelfe vorgeschrieben ist.694

689  Siehe bereits §  1A.IV.1b, S. 111; das ergibt sich aus einer restriktiven Auslegung des zu si­ chernden „Anspruchs“ (oben §  1A.II.2a, S. 84); siehe für Großbritannien Burton v. Winters [1993] 3 All E.R. 847 (Court of Appeal – Civil Division) – 2 Jahre Gefängnis wegen eigenmächtigen Einrei­ ßens einer von den Nachbarn auf dem eigenen Grundstück errichteten Garagenwand trotz zuvor abgelehnten gerichtlichen Einschreitens – „any right of self-redress had ceased on the judge’s refusal to grant a mandatory injunction“. Siehe aber auch Hooge Rat, NedJur 1986 Nr.  750, S.  2850 (eigen­ mächtige Entfernung eines Zauns auf dem eigenen Grundstück zugelassen). 690  BGHZ 97, 231, 234; BGH NJW 2004, 603, 604; OLG Düsseldorf NJW 1986, 2648, 2649. 691  Canaris, FS Medicus, S.  25, 53 ff.; Gursky, JZ 1992, 312, 314. 692  §  1B, S. 150. 693  Mot II S.  4 09 (= Mugdan II, S. 228) erklärt explizit, das Pfandrecht würde „einen großen Teil seines Wertes verlieren, wenn der Vermieter nicht imstande wäre, sich der Entfernung der Sachen von dem Grundstücke ohne vorherige Anrufung des Gerichtes eigenmächtig zu widersetzen“. 694  Dazu Staudinger/Hönle, Art.  89 EGBGB Rn.  2: „Das Privatpfändungsrecht iS von Art 89 ist die dem Eigentümer oder Nutzungsberechtigten eines Grundstücks zustehende Befugnis, Personen oder Tiere, welche auf dem Grundstück angetroffen werden, in der Weise zu pfänden, dass der Be­ rechtigte, notfalls unter Anwendung von Gewalt, den fremden Personen Sachen abnehmen und Tiere in seinen Gewahrsam bringen darf“.

D.  Subsidiarität als Erfordernis jeglicher privaten Eingriffsbefugnis?

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Freilich ist §  562b BGB auch unter Berücksichtigung der historischen Quellen nicht als Freibrief für den Vermieter auszulegen.695 Es bleibt ihm zudem unbenom­ men, die Polizei einzuschalten oder bei aufwändig zu entfernenden Gegenständen eine einstweilige Verfügung bzw. einen dinglichen Arrest zu erwirken und diesen zu vollstrecken. Die Gesetzesformulierung soll insoweit nur klarstellen, dass nicht erst ein Hauptsacheverfahren abgewartet werden muss, soweit dieser rechtzeitig verfüg­ bar ist. Selbst einstweiliger Rechtsschutz wird nicht in jedem Fall zeitgerecht verfüg­ bar sein. Das entspricht aber gerade dem Inhalt der Subsidiaritätsklausel des §  229 BGB. Das Risiko des Anspruchsuntergangs (bzw. hier des Verlusts des Sicherungs­ mittels) soll dem Gläubiger genommen werden. Dem steht nicht etwa der Einschub „auch ohne Anrufen des Gerichts“ in §  562b BGB entgegen. Dieser stellt nur klar, dass es sich um eine Form der Selbsthilfe han­ delt, also keine vorherige staatliche Billigung im Einzelfall gewährleistet ist.696 Die Konkurrenz zweier gleichwertiger Handlungsalternativen hatte der Gesetzgeber bei dieser Regelung nicht im Auge. Insoweit stellen die Vorschriften zur Sicherung der privaten Pfandrechte keine weitreichende Ausnahme von der Subsidiarität dar, sondern bringen den allgemei­ nen Subsidiaritätsgedanken nur inzident zum Ausdruck.

III.  Subsidiarität bei Notwehr und Notstand (sowie Besitzwehr und Besitzkehr) Im Vordergrund der Debatte steht die Ausdehnung des Subsidiaritätserfordernisses auf andere gesetzliche Rechtfertigungsgründe. Deren Wortlaut spricht gegen ein sol­ ches Verständnis. Die Regelungen zur Notwehr (§  227 BGB/§  32 StGB), zur Besitz­ wehr (§  859 Abs.  1 BGB) sowie zur Besitzkehr (§  859 Abs.  2 BGB) enthalten in offen­ sichtlicher und dem Gesetzgeber bewusster Abweichung zu §  229 BGB kein aus­ drückliches Erfordernis, wonach der Handelnde nur bei Fehlen hoheitlicher Hilfe gerechtfertigt sein soll. Soweit in der strafrechtlichen Literatur dennoch ein Vorrang staatlichen Rechtsschutzes bejaht wird, bedarf dies daher besonderer Begründung. Insoweit werden mehrere Ansätze vertreten. 1.  Subsidiarität als Teil geschriebener Tatbestandsmerkmale Teilweise wird der Nachrang der privaten Rechtsdurchsetzung gegenüber staatli­ chem Einschreiten in einzelne Merkmale der jeweiligen Rechtfertigungsgründe hin­ eingelesen. Dies ist jedenfalls deshalb bemerkenswert, weil §  229 BGB die meisten dieser Merkmale mit den Tatbeständen der Notwehr teilt. Wäre also die Subsidiarität bereits durch ein solches Merkmal vorgeschrieben, wäre das explizite Nachrangver­ hältnis in §  229 BGB schlicht überflüssig.

695 

696 

So zu Recht Schünemann, S.  150, Fn.  4. So zu Recht Schünemann, S.  150, Fn.  4.

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

a)  Zeitliche Grenzen Die zeitlichen Grenzen von Notwehr und Besitzwehr („gegenwärtig“ in §§  227, 859 Abs.  1 BGB) und der Besitzkehr („frische Tat“ oder „Verfolgung“ in §  859 Abs.  2 BGB; „sofort“ in §  859 Abs.  3 BGB) schließen eine langfristige Verfolgung des Störers aus. Durch diesen engen Rahmen weisen sie spätere Maßnahmen ausschließlich staatli­ chen Stellen zu. Damit wird die Subsidiarität der privaten Rechtsdurchsetzung si­ chergestellt. Im Vergleich zu anderen Rechtsordnungen zeigt sich, dass der Begriff der „Not“ dort oft impliziert, dass hoheitliche Hilfe nicht zu erlangen ist, da die Ge­ fährdungslage ansonsten einfach abgewendet werden kann.697 Solange der Staat für die Integrität der eigenen Rechtsgüter geradesteht, existiert keine Gefahr und damit auch keine Notlage. Zu weit würde es aber gehen, in diesen Fällen typisiert stets das Fehlen „obrigkeit­ licher Hilfe“ zu bejahen.698 Allein das Zeitmoment genügt hierfür nicht. Auch der „mit der Beute fliehende Dieb“ begeht noch einen Angriff, was die Möglichkeit zur Verfolgung erheblich ausdehnt. Zudem ist es nicht zwingend so, dass im Zeitpunkt der Gefährdung hoheitliche Hilfe nicht zu erlangen ist. Wer auf dem Polizistenball Handtaschen raubt oder ein Attentat auf einen Politiker während einer öffentlichen Rede verüben will, kann durchaus mit Einschreiten des Staates (und nicht nur belie­ biger Privater) rechnen. Die bloße Anwesenheit eines Vertreters der Staatsgewalt verringert zwar Gefahr von Rechtsgutsverletzungen, schließt sie aber nicht aus. Denn die Entscheidung über das Vorliegen von „Not“ ist keine binäre Frage von „Ja“ oder „Nein“, sondern muss graduell abgestuft werden.699 Eine gewisse Restgefahr kann keinesfalls ausge­ schlossen werden. Eine andere Auslegung müsste davon ausgehen, dass ein Vertre­ ter der Staatsgewalt in jedem Fall eingreifen muss; Ermessensentscheidungen wären ausgeschlossen. Ein einzelner präsenter Vertreter der Staatsgewalt kann aber sowohl persönlich als auch strukturell mit dem Ergreifen von Abwehrmaßnahmen überfor­ dert sein. b) Erforderlichkeit Allen Rechtfertigungsgründen ist immanent, dass sie nur zu den mildesten Maßnah­ men berechtigen, die zum Erreichen des gewünschten Erfolges geeignet sind. Diese Voraussetzung der Erforderlichkeit führt in vielen Fällen zu identischen Ergebnissen wie die Subsidiaritätsklausel des §  229 BGB. Polizisten können aufgrund ihrer besse­ ren Ausbildung Gefahren mit milderen Eingriffen abwehren als einfache Privatper­ sonen. Ist ein Polizist unmittelbar am Tatort, kann das Opfer sich daher an diesen wenden und verlangen, dass er die Rückgabe einer gestohlenen Sache bewirkt. 697  v. Bar, Rn.  492: „In der Not ist obrigkeitliche Hilfe eben nicht rechtzeitig zu erlangen und wer sie rechtzeitig erlangen kann, ist nicht in Not“. 698  So aber Schünemann, S.  150. 699  Börgers, Rn.  62, 68, 71.

D.  Subsidiarität als Erfordernis jeglicher privaten Eingriffsbefugnis?

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Jedoch enthält die „Erforderlichkeit“ wie bereits oben erläutert700 keinen allgemei­ nen Nachrang privater Eingriffe gegenüber staatlichen Maßnahmen. Voraussetzung für den Nachrang der Selbsthilfe ist insoweit, dass die staatliche Hilfe gleich geeignet ist. Grundsätzlich besteht ein Schutz aber auch vor vorübergehenden Eingriffen, so dass diese Gleichwertigkeit nur besteht, soweit ein Hoheitsträger genauso schnell die Situation korrigieren kann, wie der Berechtigte selbst. Wenn etwa das Entreißen ­einer gestohlenen Sache zu einer schnelleren Rückerlangung führt, als die Einschal­ tung der Polizei, sind die Verhaltensweisen nicht gleich geeignet. Insoweit ist Not­ wehr etwa auch erforderlich, wenn die Personalien des Diebes bekannt sind und so die Rückgabe im Rechtsweg (etwa aufgrund von §  861 BGB) durchgesetzt werden könnte. Möglich ist es weiterhin, dass die Selbsthilfemaßnahme im Einzelfall weniger be­ lastend wirkt, als die Einschaltung eines Hoheitsträgers. Zu denken ist hierbei insbe­ sondere an die durch das Einschreiten eines Hoheitsträgers verursachten negativen Auswirkungen auf den Ruf des Betroffenen. Wer etwa in der Gaststätte fahrlässig einen fremden Regenschirm mitnehmen will, wird weniger belastet, wenn er diesen dem wahren Eigentümer herausgeben muss, als wenn dieser erst einen uniformier­ ten Polizisten einschaltet. Ein Unterschied bleibt allein bei der Nothilfe. Es mag sein, dass ein Dritter schnel­ ler den rechtmäßigen Zustand wiederherstellt, also die Störung bzw. den Angriff be­ seitigt. Dennoch scheint es gerechtfertigt, insoweit vorrangig auf staatliche Hilfe zu­ rückzugreifen, denn bei der Beurteilung ist stets die Gefahr eines Exzesses zu be­ rücksichtigen, der bei geschulten staatlichen Sachwaltern zumeist geringer sein dürfte als bei privaten Akteuren.701 2.  Subsidiarität aufgrund eines Über-/Unterordnungsverhältnisses des Rechtfertigungsgründe? Ein einheitliches Subsidiaritätserfordernis wäre unproblematisch zu bejahen, wenn Notwehr und Notstand nur Unterfälle von §  229 BGB wären oder alle Rechtferti­ gungsgründe von einem anderen, allgemeinen Rechtfertigungsgrund abgeleitet wer­ den könnten, der seinerseits Subsidiarität voraussetzt. a)  §  229 BGB als Grundtatbestand der Rechtfertigungsgründe? Schünemann will die §§  227, 228 BGB (und letztlich auch §  859 BGB und §  562b BGB)702 als Unterfälle des §  229 BGB qualifizieren. Diese Systematik hat durchaus ein rechtshistorisches Vorbild. Im gemeinen Recht waren Notwehr und Notstand noch Unterfälle einer gemeinsamen Kategorie der „Selbsthilfe“. Dies bringt in Österreich 700 

§  1A.IV.1a, S. 109. Zur Problematik der Fremdhilfe bereits oben §  1A.I.c, S. 46. 702  Schünemann, S.  149. 701 

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§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

§  19 ABGB bis heute zum Ausdruck.703 Dementsprechend kennt auch nicht jede Rechtsordnung einen eigenen Selbsthilfetatbestand.704 Tendenziell ging etwa auch der BGH in diese Richtung, als er im Jahr 1966 feststellte, dass der Zusammenhang der Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die eigenmächtige Durchsetzung von Ansprüchen gegenüber einem störenden Zustand erkennen lässt, dass die eigen­ mächtige Beseitigung eines solchen Zustandes im allgemeinen nur dort zulässig sein soll, wo „obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist“.705 Allerdings nimmt er in der Folge explizit das Besitzrecht aus, und sucht die Lösung in den dort vorgese­ henen zeitlichen Grenzen. Er meint, dass eine Rechtfertigung (nur) möglich ist, so­ weit „die zur Abwehr einer Besitzstörung getroffene Maßnahme zugleich eine Wie­ derergreifung des entzogenen Besitzes an einem realen Teil des Grundstücks dar[stellt]“. Darauf wendet er in Folge die für die „Besitzkehrung [sic] geltenden zeit­ lichen Grenzen“ an.706 Im Übrigen legt die Rechtsprechung §  229 BGB nicht so weit aus, dass die Norm als Grundtatbestand dienen könnte, sondern handhabt diesen vielmehr sehr restriktiv.707 Eine Streichung von Notwehr, Besitzwehr, Besitzkehr und Notstand könnte also nicht durch §  229 BGB als Generalklausel aufgefangen werden. Die dem grundsätzli­ chen staatlichen Gewaltmonopol geschuldeten Beschränkungen der Rechtferti­ gungsgründe können daher nicht in einem gemeinsamen (ungeschriebenen) Merk­ mal der Subsidiarität gefunden werden. Der verbindende Gedanke der gesetzlichen Fälle des Notstandes (§§  228, 904 BGB, §  34 StGB) ist, dass Maßnahmen Privater von der Rechtsordnung geduldet werden, soweit diese bei einer Abwägung vorrangig ge­ genüber den gefährdeten Rechtsgütern sind. Demgegenüber fehlt ein solches Vor­ rangverhältnis bei der Selbsthilfe, da hier Rechtsgüter zugunsten bloßer Ansprüche geopfert werden sollen; eine Güterabwägung findet gerade nicht statt. Auch die Not­ wehr kennt eine entsprechende Abwägung nicht. In diesen Fällen wird der Einzelne nicht primär zum Schutz seiner privaten Interessen tätig, sondern handelt in noch stärkerem Ausmaß als bei der Selbsthilfe als „Vertreter“ der staatlichen Ordnung.708 b)  Widersprüchliches Verhalten als gemeinsamer Ansatzpunkt? Die Selbsthilfe gegen den Anspruchsgegner im Sinne des §  229 BGB lässt sich regel­ mäßig mit der Unbeachtlichkeit widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum 703  v. Bar, Rn.  492 unter Hinweis auf Rummel/Reischauer, §  19 ABGB Rn.  2: „Selbsthilfe und Notwehr verwendet das ABGB gleich dem gemeinen Recht, noch ident.“ Siehe auch Jansen, On­ rechtmatige daad, Rn.  132: Notwehr als erlaubte Form der Selbsthilfe. 704  v. Bar, Rn.  492: „In der Not ist obrigkeitliche Hilfe eben nicht rechtzeitig zu erlangen und wer sie rechtzeitig erlangen kann, ist nicht in Not.“. 705  BGH NJW 1967, 46, 48 – Außenwerbung an Gebäudeflächen. 706  BGH NJW 1967, 46, 48 – Außenwerbung an Gebäudeflächen; siehe auch Westermann, Sa­ chenrecht, 5. Aufl. §  23, 2. 707  Dazu bereits oben, §  1A.IV, S. 108. 708  Zu überindividuellen Gesichtspunkten §  1A.I.b.ff, S. 46; freilich wird der überindividuelle Schutzzweck von Notwehr und Notstand teilweise geleugnet.

D.  Subsidiarität als Erfordernis jeglicher privaten Eingriffsbefugnis?

195

proprium) begründen. Börgers wendet dieses Prinzip bei gefährlichen Äußerungen, namentlich vorgetäuschten Notsituationen an.709 Wenn der Täter einen (Schein‑)An­ griff auf einen Dritten etwa mit einer ungeladenen Waffe verübt, bringt er damit konkludent zum Ausdruck, dass er auch Gegenwehr in Kauf nimmt. Eine ähnliche Herleitung lässt sich auch für §  229 BGB anführen. Wer sich zu einer Verhaltensweise verpflichtet, darf grundsätzlich seine Erfüllungspflicht (Unmöglichkeit, Unzumut­ barkeit) nicht einseitig beseitigen.710 Soweit er die Verwirklichung gefährdet, verhält er sich widersprüchlich zur ursprünglichen Begründung des Anspruchs. Notwehr und Selbsthilfe können also gleichermaßen als Reaktionen auf die von Börgers so genannten „riskanten“ Äußerungen verstanden werden.711 Mit dieser Erkenntnis ist zunächst nur gesagt, dass derjenige, der sich über die von ihm erwarteten und nach verkehrsüblichen Maßstäben ausgedrückten Verhaltens­ pflichten hinwegsetzt, Eingriffshandlung Dritter gerade wegen seines nach der Ver­ kehrsanschauung zu beurteilenden Vorverhaltens dulden muss. Die gesetzliche Rechtfertigung von Selbsthilfe und Notwehr wäre daher nur ein Sonderfall der Ein­ willigung, eine Einwilligungsfiktion. Der tatsächlich entgegenstehende Wille des Opfers einer gerechtfertigten Handlung wäre als widersprüchliches Verhalten unbe­ achtlich.712 Während man aber in der Notwehrlage durchaus Elemente einer rechtfertigenden (fingierten) Einwilligung durch Schaffung einer Gefahrenlage erblicken kann, über­ zeugt dieser Ansatz bei der Selbsthilfe im Sinne des §  229 BGB nicht. Zwar hat der Adressat der Selbsthilfehandlung einen Anspruch gegen sich entstehen lassen und so eine Gefahrenlage geschaffen. Jedoch passen weder die eingeschränkten Selbsthilfe­ mittel713 noch das Ziel der Sicherung als geeignete Sanktion. Die „Gefahr“ wird hier­ durch gerade nicht beseitigt, sondern nur der Schadenseintritt aufgeschoben. Darü­ ber hinaus soll die Selbsthilfe nach fast allgemeiner Auffassung einer vertraglichen Regelung gerade nicht zugänglich sein.714 Der Wille der Beteiligten ist also unbeacht­ lich. Nur soweit man einen vollständigen Ausschluss jeglichen Rechtswegs für einen Anspruch als zulässig erachtet,715 wird man auch §  229 BGB ausschließen können. 709 

Börgers, S.  204 ff. Spiegelbildlich nimmt Saenger, S.  81 f. bei Verstreichenlassen möglicher staatlicher Hilfe ein solches widersprüchliches Verhalten an. 711 Vgl. Börgers, S.  204 ff. gegen Scheinangriffe; v. Bar, Rn.  504 (für Notwehr, Mitverschulden, Handeln auf eigene Gefahr). 712 Zu dem Grundsatz „protestatio facto contraria non valet“ Staudinger/Singer, §  133 BGB Rn.  60; Palandt/Ellenberger, Einf vor §  145 BGB Rn.  26; Medicus/ Petersen, Rn.  191 (zu BGHZ 21, 319). 713  Jedenfalls nach überwiegender Ansicht, siehe aber unten §  1A.V.1a, S. 120. 714  Vgl. bereits RGZ 131, 213, 222; RGZ 146, 182, 186; näher unten §  3A.I, S. 298 ff. 715  Dies wird überwiegend in den Grenzen der §§  138, 242, 307 BGB bejaht, vgl. MüKo-ZPO/ Becker-Eberhard, Vor §§  253 ff. ZPO Rn.  10 mwN; dagegen zu Recht RGZ 111, 276, 427; Lent, 513; Gottwald/Schwab/Rosenberg, §  89 Rn.  24: Anders als bei der materiell-rechtlichen „Unklagbarkeit“ im Sinne des BGB geht es hier um eine prozessuale Voraussetzung, die nur durch den Staat (= ho­ heitlich) geschaffen werden kann; so für ein „pactum de non petendo“ auch BGH NJW 1998, 2274, 710 

196

§  1  Subsidiäre Selbsthilfe

Im Vordergrund steht das öffentliche Interesse an einer geordneten staatlichen Streit­ beilegung und notfalls Vollstreckung, nicht hingegen das Individualinteresse des Gläubigers. Der Selbsthelfer handelt nach der Gesetzesstruktur daher nicht (nur) für sich selbst, sondern ist letztlich als vorgeschaltetes staatliches Vollstreckungsorgan anzu­ sehen. Er erfüllt also ähnlich wie bei der Festnahme nach §  127 Abs.  1 StPO eine öf­ fentliche Aufgabe.716 Dementsprechend ist er nach §  230 Abs.  2 und Abs.  3 BGB auch zur Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens verpflichtet. Die Selbsthilfe dient der Aufrechterhaltung der Möglichkeit einer späteren staatlichen Entscheidung, welche ihrerseits vom Willen des Anspruchsinhabers (oder eines Drittens im Rahmen der Prozessstandschaft) abhängig ist. Mit der insgesamt fragwürdigen Konstruktion der riskanten Äußerung ist für die Frage einer allgemeinen Herleitung der Rechtfertigungsgründe und vor allem zur Übertragung des Subsidiaritätserfordernisses wenig gewonnen. Einen Zwang, wi­ dersprüchliches Verhalten erst dem Staat zur Beurteilung zu melden, gibt es gerade nicht. Die Eingriffsbefugnisse, welche die Rechtfertigungsgründe gewähren, haben kaum das Ziel, Widersprüche zu beseitigen und Zweifelsfragen aufzuklären. Es geht vielmehr um die Aufrechterhaltung einer Zuordnung von Vermögenswerten. Bei Notwehr und Notstand steht die aktuelle Situation im Vordergrund, bei der Selbst­ hilfe hingegen die vereinbarte, künftige. Eine Erklärung allein aus dem Gesichts­ punkt des vorherigen Verhaltens wird diesem Ziel nicht gerecht. Dies zeigt sich auch daran, dass im Fall des Notstands ein solches menschliches Vorverhalten nicht vor­ ausgesetzt wird. 3.  Subsidiarität als allgemeiner (ungeschriebener) Grundsatz? Schließlich wird die Subsidiarität der Selbsthilfe als Teil des staatlichen Gewaltmo­ nopols und damit unabhängig von §  229 BGB als dem Rechtsstaat immanentes We­ sensmerkmal gesehen. Die gesetzliche Regelung hätte insoweit nur klarstellende Wirkung. Die Subsidiarität würde letztlich schon aus dem zwingenden Verfassungs­ recht folgern. Für ein derart weites Verständnis des Gewaltmonopols gibt es jedoch keinen An­ lass. Fälle der privaten Rechtssicherung waren auch bei Schaffung des Grundgesetzes bekannt und sollten vom Verfassunggeber nicht abgeschafft werden. Selbst das Bun­ desverfassungsgericht lässt eine private Konfliktlösung durchaus zu. Das Bild eines 2276 f. Abweichend die Rechtsprechung zu Güte- und Schlichtungsklauseln (OLG Celle NJW 1971, 288; BGH NJW 1984, 669; BGH NJW 1999, 647; BGH NJW-RR 2009, 637; LG Hannover NJOZ 2009, 3918 für den Rechtswegausschluss durch AGB (!) bei Radiogewinnspiel; kritisch zu Recht Staudin­ ger/Bergmann, §  657 BGB Rn.  92; MüKo-BGB/Seiler, §  657 BGB Rn.  23. 716  Zu §  127 StPO: RGSt 17, 127, 129; BayObLG MDR 1986, 956 Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, §  127 StPO Rn.  1; KK-StPO/Schultheis, §  127 StPO Rn.  6; die Grenzen des §  229 BGB (zugunsten von §  127 StPO) überdehnend aber wohl Schlüchter, JR 1987, 309 (näher zur Problematik unten §  1A. III.2c, S. 104).

E. Zusammenfassung

197

omnipräsenten Staates ist mit dem liberalen Weltbild des Grundgesetzes nicht in Einklang zu bringen. Die Diskussion ist zudem im Ergebnis weitgehend substanzlos. Soweit man nicht jegliche Konstellation privater Rechtssicherung bzw. -durchsetzung entgegen den ge­ setzlichen Rechtfertigungsgründen verbieten will, ist es erforderlich, die Grenzen des Nachrangs im Einzelfall zu bestimmen. Es wäre also zu klären, wann das Gewaltmo­ nopol seine Grenzen erreicht. Selbst in §  229 BGB entscheidet das unbestimmte Merkmal „rechtzeitig“ über die Reichweite des Nachrangs. Soweit man dieses etwa bei Besitzstörungen eng interpretiert, kommt man sogar bei Annahme eines solchen Erfordernisses zu identischen Ergebnissen. Jede Besitzstörung oder ‑entziehung wird schneller bei sofortigem Einschreiten des betroffenen Opfers selbst beendet sein als bei Einleitung eines staatlichen Verfahrens. Derjenige, dem das Portemonnaie ent­ rissen wird, ist jedenfalls in diesem Zeitpunkt räumlich näher am gestohlenen Ge­ genstand als der Polizist, der wenige Meter entfernt den Vorgang beobachtet. Selbst wenn er den Polizisten auf die Situation aufmerksam macht, dauert die Besitzentzie­ hung länger fort.

IV. Ergebnis Über die in den jeweiligen Regelungen ausdrücklich enthaltenen Beschränkungen, etwa hinsichtlich der Erforderlichkeit oder der zeitlichen Grenzen hinaus, bedarf es keiner zusätzlichen Einschränkungen durch eine weitergehende materielle Subsidia­ riät im Verhältnis zum Staat, die als solche ohnehin nicht hinreichend bestimmt wer­ den kann.

E. Zusammenfassung 1. Die subsidiäre Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB rechtfertigt nicht nur Tätigkei­ ten, welche der Gläubiger höchstpersönlich vornimmt, sondern auch Tätigkeiten Dritter, die eine Gefahr für die Verwirklichung des Anspruchs abwehren, sofern nicht der Gläubiger seinen einer Sicherung entgegenstehenden Willen dem Fremd­ helfer erkennbar zum Ausdruck gebracht hat. Der Ausdruck „Selbst“ bezieht sich wie bei der „Selbstvornahme“ nur auf die Abgrenzung zu Tätigkeiten des Schuld­ ners oder des Staates. 2. Der „Zweck“ der Selbsthilfe verweist auf eine subjektiv definierte Selbsthilfeab­ sicht und nicht auf eine objektiv zu ermittelnde Zielsetzung der Handlung. Dabei ist weder Geschäfts- noch Deliktsfähigkeit erforderlich, es genügt der natürliche Wille, der auch bei Minderjährigen und Geschäftsunfähigen vorliegen kann. Die­ se Selbsthilfeabsicht ist nicht nur für die Rechtfertigung der Handlung, sondern auch für die Haftung nach §  231 BGB erforderlich. Ohne entsprechende Absicht kommt allenfalls eine Haftung nach allgemeinen Regelungen (§§  823 ff. BGB) in

Betracht, für die zumindest Fahrlässigkeit im Hinblick auf die Rechtswidrigkeit der Handlung erforderlich ist. 3. §  229 BGB ist hinsichtlich seiner Rechtsfolge, der Eingriffsbefugnis in fremde ab­ solute Rechte, keine Besonderheit. Prägend für den Selbsthilfebegriff des Allge­ meinen Teils des Bürgerlichen Gesetzbuchs sind vielmehr die spezifischen Voraus­ setzungen, unter denen ein bloß relatives Recht einen Eingriff in absolute Rechts­ güter erlaubt. Ein hinter §  229 BGB stehendes allgemeines Ordnungsprinzip der Rechtfertigungsgründe gibt es nicht, vielmehr kann ein Verhalten gleichzeitig durch mehrere konkurrierende Normen gerechtfertigt werden. Die Subsidiarität der privaten Rechtssicherungstätigkeit gegenüber staatlichen Maßnahmen ist da­ bei ausschließlich für den Rechtfertigungsgrund des §  229 BGB vorgesehen und lässt sich nicht auf andere Konstellationen übertragen. Vielfach, aber nicht immer, wird die staatliche Durchsetzung ein milderer Eingriff sein, so dass die allen Rechtfertigungsgründen immanente Erforderlichkeit zum gleichen Ergebnis führt. 4. Die Parallelen von §§  229–231 BGB zum zivilprozessualen einstweiligen Rechts­ schutz sind irreführend. Weder für den maßgeblichen Anspruch noch für die zu­ lässigen Handlungen ist eine prozessuale Anknüpfung zielführend. Dies zeigen nicht nur die Gesetzesmaterialien, die den zu Zwecken der Selbsthilfe Handelnden von schwierigen Abwägungen und ihm unbekannten prozessualen Voraussetzun­ gen freistellen wollten, sondern auch die fehlende Vergleichbarkeit der rechtlichen Behandlung der Betroffenen: Eine unmittelbare Grundrechtsbindung greift nur für den Staat, während im Fall der Selbsthilfe eine nachträgliche Überprüfung und Wiedergutmachung bzw. Rückgängigmachung vorbehalten bleibt. Anderer­ seits dient die Selbsthilfe nicht nur den individuellen Interessen des Gläubigers, sondern erfüllt vorrangig eine wichtige Aufgabe in der Erhaltung des Systems zi­ vilrechtlicher Ansprüche und dem Erhalt eines Rechtsstaats. Sie ist notwendiges Korrelat zur eingeschränkten Möglichkeit des Staats zum umfassenden Schutz relativer Rechte. Die rechtssichernde Tätigkeit des Gläubigers oder Dritter ist da­ her eher der dem öffentlichen Interesse dienenden subsidiären Zuständigkeit der Polizei (§  1 Abs.  3 PolG NRW) vergleichbar. 5. Die Kosten für gerechtfertigte Selbsthilfemaßnahmen sind dem Gerechtfertigten zu erstatten. Eine Anknüpfung an die Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag versagt dabei aber ebenso wie eine Analogie zum Prozessrecht, zum Schadenser­ satzanspruch nach §  231 BGB oder zum Bereicherungsrecht. Daher kommt nur ein Anspruch sui generis in Betracht. Ein Fremdhelfer hat unmittelbar aus §  229 BGB keinen Anspruch gegen den begünstigten Gläubiger. Er kann aber mögli­ cherweise nach §§  670, 677, 683 S.  1 BGB Ersatz verlangen, soweit die dort gefor­ derten Voraussetzungen vorliegen. Möglich sind zudem ein freiwilliger Ausgleich oder eine entsprechende vertragliche Vereinbarung. 6. Die Haftung nach §  231 BGB hat keine gesteigerte verhaltenssteuernde Wirkung, ihre Rechtfertigung liegt vielmehr primär darin, einen Gleichlauf zur Haftung für

E. Zusammenfassung

199

staatliche Vollstreckungsmaßnahmen zu gewährleisten. Sie ist daher eng auszule­ gen. Fehlvorstellungen, die auch unter andere Rechtfertigungsgründe fallen, schließen einen Ersatzanspruch aus. Besondere Sorgfalt ist auf die Prüfung der haftungsausfüllenden Kausalität anzuwenden, durch die eine Übermaßhaftung vermieden wird. Die Regelung ergänzt das allgemeine Deliktsrecht, so dass neben den Regelungen des Schadensrechts (§§  249 ff. BGB) auch die deliktsrechtlichen Sondervorschriften, etwa hinsichtlich der Verschuldensfähigkeit, Anwendung fin­ den.

§  2  Alternative Selbsthilfe Wie bereits gezeigt, ist die Subsidiarität gegenüber obrigkeitlicher Hilfe kein allge­ meines Wesensmerkmal jeglicher privater Rechtssicherungs- oder Rechtsdurchset­ zung.1 Während die in §  229 BGB geregelte „Selbsthilfe“ im engeren Sinne einen solchen Nachrang vorsieht,2 gibt es zahlreiche Fälle, in denen sowohl private als auch staatliche Maßnahmen zulässig sind. So kann statt sofort Klage zu erheben auch vorher versucht werden, den Schuldner, etwa durch eine Mahnung, eine Abmahnung oder eine Fristsetzung freiwillig zur Leistung zu bewegen. Dies ist jedoch nicht Vor­ aussetzung für die Inanspruchnahme staatlichen Schutzes, vielmehr steht die private Inanspruchnahme gleichberechtigt neben dem staatlichen Schutz. Von „alternativer Selbsthilfe“ soll im Folgenden in Abgrenzung zur noch zu erör­ ternden „kumulativen Selbsthilfe“ gesprochen werden, wenn die Entscheidung für die private oder die staatliche Durchsetzung jedenfalls zunächst den jeweils anderen Weg ausschließt. So ist es unsinnig, gleichzeitig eine Mahnung an den Schuldner zu senden und eine Klage bei Gericht einzureichen, weil insoweit die Mahnung keine eigene Bedeutung mehr entfaltet (§  286 Abs.  1 S.  2 BGB). Aufgrund dieser Alternati­ vität der beiden Wege sind die Anforderungen und Rechtsfolgen der beiden Siche­ rungs- bzw. Durchsetzungsmechanismen gegenüberzustellen, um eine sachgerechte Entscheidung für den einen oder anderen Weg zu treffen. Damit ist nicht gemeint, dass der private Schutz jegliche staatliche Hilfe aus­ schließt, vielmehr können im Nachhinein trotz Selbstschutzes auch hoheitliche Maßnahmen erfolgen. Private Sicherungsmaßnahmen können aber im Hinblick auf eine solche spätere Tätigkeit staatlicher Organe, insbesondere der Gerichte, andere Folgen auslösen als die unmittelbare Beanspruchung staatlichen Schutzes. So erhält etwa der Gläubiger, der seinen Schuldner vor Erhebung der Klage mahnt einen An­ spruch auf Ersatz des vorgerichtlichen Verzugsschadens (§  286 Abs.  1 S.  1 BGB). Auch sein Anspruch auf Kostenersatz kann von einer vergeblichen Inanspruchnahme bzw. Abmahnung abhängig sein (§  93 ZPO). Beschreitet er also sofort den staatlichen Weg, ohne zunächst private Sicherungsmaßnahmen zu versuchen, steht er mögli­ cherweise schlechter. In diesen Fällen kann also alternativ sofort staatlicher Schutz beansprucht werden, dieser führt aber nur zur Erfüllung des Hauptanspruchs, die geschilderten Nebenansprüche (Gerichtskosten, Verzugsschaden) bleiben trotz 1  2 

Oben §  1D, S. 189 ff. Oben §  1A.IV.1, 109 ff.

202

§  2  Alternative Selbsthilfe

staatlichen Schutzes unerfüllt; sie sind vielmehr von den privaten Maßnahmen ab­ hängig. Die staatliche Durchsetzung ist also subsidiär zu vorherigen privaten Maß­ nahmen, was sich genau spiegelbildlich zu §  229 BGB darstellt, wo die private Siche­ rung nachrangig gegenüber dem staatlichen Schutz ist. Weitergehend kann sogar die Vornahme privater Schutzmechanismen an Stelle der Inanspruchnahme staatlicher Hilfe die hoheitlichen Sanktionen auf bloße Unter­ stützungsmaßnahmen beschränken, wie beim Schutz von Geschäftsgeheimnissen nach §§  17 f. UWG im Vergleich zum Patentrecht. Nicht erfasst ist von der „alternati­ ven Selbsthilfe“ hingegen die Schiedsgerichtsbarkeit, die zwar einen gegenüber dem Zivilprozess vorrangigen (§  1032 Abs.  1 ZPO) privaten Mechanismus zur Entschei­ dung von Konflikten bietet, jedoch im Bereich der Durchsetzung der Entscheidun­ gen versagt.3 Im Folgenden soll aus den vielfältigen erfassten Konstellationen zunächst auf die­ jenigen eingegangen werden, in denen private Maßnahmen staatliche Durchsetzung vollständig ausschließen. Paradigmatisch hierfür ist der Schutz von Geschäftsge­ heimnissen, der weitgehend auf rein tatsächlichen Ausschlussmaßnahmen beruht (sub A). In der Folge wird untersucht, ob ein Ausschluss staatlichen Rechtsschutzes auch durch bewusst außerrechtliches Verhalten aller Beteiligten eintreten kann (sub B). Hintergrund hierfür ist nicht nur der weitreichende Ausschluss von Rückabwick­ lungsansprüchen nach §  817 BGB, sondern auch die Diskussion um die Zulässigkeit einer Einrede aus §  242 BGB in Fällen, in denen der Anspruchsgegner selbst pflichtoder gar rechtswidrig handelte („unclean hands“). Schließlich werden allgemein die Möglichkeiten zur Befriedigung des Interesses auf Erfüllung eines Anspruchs ohne Eingriff in fremde Rechte betrachtet werden (sub C).

A.  Schutz von Geheimnissen Die Debatte um die durch Wikileaks offengelegten vertraulichen Informationen4 illustriert anschaulich die nicht nur wirtschaftliche Bedeutung von Geheimnissen sowie die Risiken einer Verletzung des Vertrauens auf deren sichere Bewahrung. Der private Geheimnisschutz unterfällt dabei zwei grundlegend getrennten rechtlichen Ansätzen. Im Bereich des Lauterkeitsrechts bzw. des geistigen Eigentums sind ver­ mögenswerte Informationen oft als „Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse“ („trade secrets“) vor fremder Aneignung geschützt5. Daneben tritt der Schutz von Geheim­

3 

Schünemann, S.  19. Franck, CR 2011, 380; Hoeren/Herring, MMR 2011, 500; Hoeren/Herring, MMR 2011, 143; Tinnefeld, DuD 2012, 891. 5  Die Geschichte des Geheimnisschutzes reicht weit länger zurück als diejenige des geistigen Eigentums, siehe nur die Beispiele bei Hauck, S.  13 (angefangen mit Tempelstädten bis zu Färbetech­ niken der Phönizier) mwN. 4 Dazu

A.  Schutz von Geheimnissen

203

nissen aus der Intim- oder Privatsphäre (auch: „Geheimsphäre“)6 natürlicher Per­ sonen, bei denen nicht der wirtschaftliche Wert, sondern vielmehr der individuelle Schutz der Persönlichkeit bzw. der Menschenwürde im Vordergrund steht. Während Informationen im Allgemeinen frei sein sollen, besteht oft ein durchaus nachvollziehbares Verwertungs- oder gar Ausschließungsinteresse.7 Bei einem Ge­ heimnis bemüht sich der Informationsinhaber, Dritte von der Kenntnisnahme aus­ zuschließen. Damit öffnet sich ihm freilich automatisch auch die Möglichkeit, für den Zugang zu den Informationen eine Gegenleistung zu fordern, die Information wird also bewertbar und damit letztlich bilanzierbar. Diese rein faktische Aus­ schlusswirkung ersetzt, soweit sie denn funktioniert, den Schutz durch gerichtlich durchsetzbare Ansprüchen, etwa im Rahmen des Patent- oder Urheberrechts8. Die Rechtsordnung beschränkt sich aber nicht darauf, die Existenz solcher Geheimnisse zu dulden, indem sie keine diesbezüglichen Offenlegungspflichten anordnet.9 Viel­ mehr werden die tatsächlichen Ausschlussbemühungen des Geheimnisträgers durch zusätzliche rechtliche Schutzvorschriften ergänzt. Dabei werden staatliche Sanktio­ nen für bestimmte Modalitäten des Erwerbs angedroht. Diese setzen aber stets ein Geheimnis10 und damit vorrangige eigenständige Schutzbemühungen11 voraus. Die staatliche Sanktionierung von Geheimnisverletzungen steht vor der schwieri­ gen Herausforderung, einerseits die grundsätzliche Öffentlichkeit des Rechtsschut­ zes und die Transparenz von Verwaltungsgefahren zu gewährleisten, andererseits aber auch das Geheimnis nicht einem noch breiteren Publikum offenzulegen (siehe dazu §§  171b, 172 GVG). Soweit das Geheimnis im Rechtsstreit öffentlich verhandelt wird oder auch nur per Akteneinsicht erfahren werden kann, drohen dem Geheim­ nisträger durch die Inanspruchnahme der Gerichte schwerere Nachteile als demjeni­ gen, der sich das Geheimnis illegal verschafft hat oder es einem Dritten illegal verra­ ten hat: Gab es vorher eine überschaubare Zahl von Personen, denen das Geheimnis bekannt war, droht die Information so der Allgemeinheit, also jedem zugänglich zu werden. Solange also die staatlichen Verfahren die Geheimhaltung nicht gewährleis­

6 Zu den Begriffen BVerfGE 27, 344 (351); Maunz/Dürig/Di Fabio, Art.  2 Abs.  2 S.  1 GG Rn.  158 ff. 7  So schon Druey, S.  347 ff.; plakativ die von Stewart Brand begründete „Information wants to be Free“-Bewegung (vgl. Brand, S.  202: „Information Wants To Be Free. Information also wants to be expensive.“). 8  Dies gilt jedenfalls für die vermögensrechtlichen Aspekte des Urheberrechts iSv §  15 UrhG, näher unten §  2A.III.1, S. 262 ff. 9 Näher zum Konflikt zwischen Offenlegungspflichten und Geheimnisschutz noch unten §  2A.II.1c, S. 243. 10  Zur Abgrenzung des Geheimnisschutzes zum Datenschutzrecht, das die Nutzung und den Erwerb personenbezogener Daten allgemein und umfassend reguliert noch näher unten §  2A.I.2b, S. 210. 11  Zum Geheimnisbegriff und den damit verbundenen tatsächlichen Bemühungen unten §  2A. II.1c

204

§  2  Alternative Selbsthilfe

ten können, werden entsprechende Sanktionen kaum in Anspruch genommen wer­ den.12 Gleichzeitig besteht aber bei staatlichen Schutzmaßnahmen die Gefahr, dass diese über das eigentliche Ziel hinausschießen. So würde ein Unterlassungstitel etwa die Nutzung eines geheimen Verfahrens selbst dann verbieten, wenn dieses Geheimnis später jedermann offenbar wird, etwa weil ein Dritter das Verfahren ebenfalls ent­ deckt und es patentiert oder gar allgemein offenlegt. Zudem können triviale Geheim­ nisse mit einem überschießenden Schutz versehen werden: Selbst wenn das in Erfah­ rung gebrachte Verfahren sich als so einfach herausstellt, dass man ohnehin in weni­ gen Wochen selbstständig zum gleichen Ergebnis gekommen wäre, verbietet ein Urteil die Nutzung über einen längeren Zeitraum.13 In Großbritannien wird dies teilweise sogar gezielt als Sanktion eingesetzt.14 Dies lässt sich durchaus rechtferti­ gen, soweit der Bruch der Geheimnissphäre als solcher ein relevantes Rechtsgut ist. Soll hingegen die Erstellung von Informationen, etwa die Entwicklung einer techni­ schen Erfindung, begünstigt werden, würde genau der gegenteilige Effekt erreicht. Im Folgenden wird zunächst der rechtliche Rahmen kurz dargestellt (sub I), so­ dann die Stellung des Geheimnisschutzes im Selbsthilfesystem untersucht (sub II) und schließlich die Frage der rechtlichen Natur der daraus folgenden, faktisch ge­ schaffenen Rechtsposition als solcher beleuchtet (sub III).

I.  Rechtlicher Rahmen 1.  Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen International enthält die Pariser Verbandsübereinkunft zwar schon seit der Revision vom 14. Dezember 1900 ein allgemeines Verbot unlauteren Wettbewerbs, explizit erfasst diese Regelung den Geheimnisschutz allerdings nicht.15 Ausdrücklich ist der Schutz unternehmerischer Geheimnisse im unternehmerischen Verkehr vielmehr erst seit 1995 durch Art.  39 TRIPs als Teil der WTO gewährleistet. Danach sind ne­ ben der fehlenden leichten Zugänglichkeit bzw. allgemeinen Bekanntheit der Infor­ mation sowie eigenem wirtschaftlichem Wert nach Art.  39 Abs.  2 TRIPs auch aus­ drückliche „angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen“ erforderlich.16 Die Rege­ lung soll durch rechtlichen Schutz übervorsichtiges Verhalten zum Geheimnisschutz als Handelshindernis abbauen.17 Unmittelbare Wirkung zugunsten der Geheimnis­ 12 

Hogan Lovells, S.  3. Staaten wie Belgien sehen daher keine dauerhaften Unterlassungstitel zum Geheim­ nisschutz vor, vgl. Hogan Lovells, S.  4; in Dänemark besteht eine faktische Höchstdauer von zwei oder drei Jahren. 14  Hogan Lovells, S.  5. 15  Ob die Regelung in Art.  10bis PVÜ auch einen Geheimnisschutz vorschreibt ist umstritten, ablehnend etwa Blakeney, S.  103. 16 Busche/Stoll/Peter/Wiebe, Art.  39 TRIPs Rn.  15. 17 Busche/Stoll/Peter/Wiebe, Art.  39 TRIPs Rn.  3. 13  Einige

A.  Schutz von Geheimnissen

205

träger hat der dort verbürgte Schutzauftrag freilich nicht.18 Der Schutz richtet sich daher ausschließlich nach dem jeweiligen nationalen Recht, das seinerseits die Vor­ gaben von TRIPs einzuhalten hat.19 Auf Ebene der europäischen Union sind Geschäftsgeheimnisse teilweise als Aus­ nahme zu gemeinschaftsrechtlich angeordneten Informations- und Transparenz­ vorschriften vorgesehen (etwa zum Fragerecht in der Hauptversammlung, Art.  9 Abs.  2 S.  1 a. E. Aktionärsrechterichtlinie oder in Art.  6 Vergaberichtlinie). Der EuGH hat den Schutz von Geschäftsgeheimnissen zudem als allgemeines Prinzip des Europarechts anerkannt.20 Ein vereinheitlichter Schutz besteht jedoch nicht. Die Kommission hat diese Lücke im gemeinschaftsweiten System des geistigen Eigen­ tums jedoch erkannt und prüft derzeit, inwieweit Regelungsmaßnahmen erforder­ lich sind.21 Erster Schritt hierzu war eine von Hogan Lovells erstellte rechtsverglei­ chende Studie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen in den EU-Mitgliedstaaten.22 Trotz rechtlichen Unklarheiten und überwiegender Behandlung als Richterrecht kommt die Studie zum Ergebnis, dass de lege lata ein Schutz in allen 27 Mitgliedstaa­ ten besteht. Andererseits wird festgestellt, dass insbesondere in Malta ein Schutz aus­ schließlich über das Vertragsrecht erfolgt, so dass ein deliktischer Erwerb durch Ausspähen oder ähnliche Maßnahmen unsaktioniert bleibt und Schuldner von Er­ satzansprüchen nur der eigene Arbeitnehmer, nicht aber der begünstigte Dritte ist. Erhebliche Lobbyarbeit wird von der „Trade Secrets and Innovation Coalition (TSIC)“ geleistet, einem Interessenverband, dem u. a. Michelin, Nestlé und Procter & Gamble angehören. Das deutsche Recht trifft an zahlreichen Stellen Vorkehrungen zum Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen. Neben den regelmäßig im Vordergrund ste­ henden strafrechtlichen Vorschriften des UWG (§§  17 ff. UWG; siehe auch §§  203 f. StGB) finden sich etwa Regelungen im Arbeitsrecht (§§  79 Abs.  1 S.  1, 120 BetrVG, §  31 MgVG), im Handels- und Gesellschaftsrecht (§  90 HGB, §  333 HGB, §  93 Abs.  1 S.  3 AktG, §  131 Abs.  1 Nr.  1 AktG, §  404 AktG, §  85 GmbHG) und im Kapital­ marktrecht (§  10 BörsG, §  8 WPHG, §  27 WpPG). Die Problematik des Geheimnis­ schutzes betrifft zudem das öffentliche Recht (§  30 VwVfG; §  6 S.  2 IFG; Sonderregeln im Verfahren nach dem Arzneimittelgesetz, im Verfahren nach dem BImSchG)23 und das Steuerrecht (§  30 Abs.  2 Nr.  1 AO). Selbst das Datenschutzrecht kennt eine 18 Busche/Stoll/Peter/Wiebe,

Art.  39 TRIPs Rn.  49. Übersicht bei MüKoUWG/Brammsen, Vor §§  17 ff. UWG Rn.  14. 20  EuGH NVwZ 2012, 615; EuGH EuZW 2008, 209 (Rn.  49); EuGH Slg 1986, 1965 (Rn.  28); EuGH EuZW 1994, 631 (Rn.  37); dazu Emmerich, WiB 1994, 921. 21  Mitteilung vom 24. Mai 2011: Ein Binnenmarkt für Rechte des geistigen Eigentums – Förde­ rung von Kreativität und Innovation zur Gewährleistung von Wirtschaftswachstum, hochwertigen Arbeitsplätzen sowie erstklassigen Produkten und Dienstleistungen in Europa, KOM (2011) 287 endg. (ec.europa.eu/internal_market/copyright/ docs/ipr_strategy/COM_2011_287_de.pdf), unter 3.4.1, S.  19 ff. 22  Hogan Lovells, passim. 23  Dazu im Detail Beyerbach, S.  71 ff. 19 

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§  2  Alternative Selbsthilfe

Ausnahme vom Auskunftsrecht zugunsten des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen (§  34 Abs.  1 S.  4 BDSG). Unabhängig von geschriebenen Schranken sind Geschäftsge­ heimnisse im Wege der Abwägung auch sonst stets zu berücksichtigen.24 Auch rechtspraktisch haben Geschäftsgeheimnisse erhebliche praktische Bedeutung. So existieren umfassende Praxisleitfäden.25 In wissenschaftlicher Sicht gibt es eine gan­ ze Reihe von Monographien26, Festschriftbeiträgen27 und rechtsvergleichende Unter­ suchungen.28 Freilich ist das Gebiet im Vergleich zu den spezifischen Schutzrechten des geistigen Eigentums stets ein Randgebiet geblieben.29 Das geltende Recht statuiert keine ausdrücklichen zivilrechtlichen Rechtsfolgen bei der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen (anders noch §  19 UWG 1909). Frei­ lich steht bei Verstoß gegen die Strafvorschriften der §§  17 ff. UWG regelmäßig ein Rechtsbruch im Sinne von §  3 Abs.  1 UWG iVm §  4 Nr.  11 UWG im Raum, so dass Ansprüche aus §§  8, 9, 10 UWG geltend gemacht werden können.30 Darüber hinaus sind die Strafvorschriften Schutzgesetze im Sinne von §  823 Abs.  2 BGB,31 lücken­ schließend greift §  826 BGB. Zudem ist eine Eingriffskondiktion denkbar.32 Um­ stritten ist nur, inwieweit das Geheimnis als „sonstiges Recht“ im Sinne von §  823 Abs.  1 BGB geschützt ist. Bemerkenswert ist, dass in Großbritannien genau umge­ kehrt ausschließlich zivilrechtliche Sanktionen vorgesehen sind,33 ein strafrechtli-

24 

Beyerbach, S.  76 ff. etwa Westermann 2007, passim; Wurzer/Kaiser; siehe auch Schön, passim; Gaul, pas­ sim; Wodtke/Richters/Pfuhl, passim. 26  Taeger 1988, passim; Schneider 1989, passim; Jansen 2002, passim; Frank, passim; Beyerbach, passim; Seiler 1960, passim; Ploch-Kumpf, passim; Metzler siehe bereits Friedlaender, passim; Hesse 1906, passim; Plentz, passim. 27  Doepner, FS W. Tilmann, S.  105, 105; Fezer, FS F. Traub, S.  81; Ohly, Patents and technological progress, S.  535; Berger/Ebke/Großfeld/Kühne; Treeck, FS Fikentscher, S.  435; Temming, FS Achen­ bach, S.  545; Oetker, FS Reuter, S.  1091 28  Maier, passim; Hartung, passim; Daub, passim; Oehler 1978, passim; Schlötter, passim; Liu, passim; Kim, passim. 29  Ann, GRUR 2007, 39 sieht den Know-How-Schutz als „Stiefkind des geistigen Eigentums“; freilich differenziert man zu Recht schlichtes „know how“ vom geistigen Eigentum, vgl. Beyerbach, S.  103 f. 30  Begr RegE UWG zu §  16 UWG, BT-Drucks. 15/1487, S.  26; BGH GRUR 2006, 1044 Rn.  17; BGH GRUR 2009, 603 Rn.  22; Köhler/Bornkamm/Köhler, §  17 UWG Rn.  52. 31  Begr RegE UWG zu §  8; BGH NStZ 2009, 275 (zu §  16 UWG). 32 Köhler/Bornkamm/Köhler, §  17 UWG Rn.  55; Loewenheim, WRP 1997, 913, 916. 33  68 Cr App R 183 (1979) betraf die Prüfungsaufgaben, die ein Prüfling vor der Prüfung gele­ sen, aber nach dem Lesen wieder zurückgelegt hatte; die einschlägige Strafnorm stellte die Wegnah­ me von „property, real or personal, including things in action and other intangible property“ unter Strafe – das Berufungsgericht hob die ursprüngliche Verurteilung auf, da es dem Prüfungsgeheim­ nis an dem für Eigentum notwendigen Ausschließungselement fehlte; siehe zur Natur von Geheim­ nissen als Eigentum unten §  2A.III.4, S. 274; siehe auch Wadlow, EIPR 2008, 259 (zur gerichtlichen Zuständigkeit); Wadlow, EIPR 2008, 309 (zum IPR). 25  Siehe

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cher Schutz wurde zwar 1997 vorgeschlagen,34 ist aber bis heute nicht geschaffen worden. In den USA ist das Recht der Geschäftsgeheimnisse anders als das Marken-, Pa­ tent- und Urheberrecht nicht bundeseinheitlich geregelt, sondern den Einzelstaaten überlassen. Daran ändert der Umstand, dass das Patentrecht bundeseinheitlich gere­ gelt ist, nichts, wie der amerikanische Supreme Court in einer Entscheidung aus dem Jahr 197435 feststellte. Der Geheimnisschutz ist kein Minus zum Patentrecht, da bei Fehlen eines Schutzes unternehmerischer Informationen ebenfalls kein Anreiz zur Offenlegung begründet würde. Vielmehr hätte die Versagung rechtlichen Schutzes gerade umgekehrt noch intensivere, die Nutzung stärker eindämmende private Ge­ heimhaltungsmaßnahmen zur Folge.36 Zudem würde ein fehlender Schutz von Ge­ heimnissen die Erfinder in das Patentrecht drängen und so die Patentbehörden mit trivialen Erfindungen überfluten. Der wesentliche Gegenanreiz sei der Aufwand zum Schutz und vor allem die Lücken hinsichtlich unabhängiger Parallelschöpfung oder Reverse Engineering. Über einen langen Zeitraum handelte es sich beim Schutz von „Trade Secrets“ um reines Richterrecht.37 Ein erster Versuch zur Zusammenfassung der Entscheidun­ gen wurde im Restatement of Torts unternommen.38 Dieses stellt freilich keine ver­ bindliche Rechtsnorm dar, sondern hat allein zusammenfassende und darstellende Funktion, dient also der Orientierung der rechtsprechenden und rechtsberatenden Praxis. Um den zwischenstaatlichen Handel zu erleichtern, wurde daher 1979 von der National Conference of Commissioners on Uniform State Laws ein (1985 noch einmal überarbeitetes) Modellgesetz, der Uniform Trade Secrets Act, entwickelt, der von immerhin 46 der 50 US-Staaten ganz oder jedenfalls weitgehend umgesetzt wur­ de. Auf dessen Grundlage wurden zudem 1995 in §§  39 ff. des Restatement of Unfair Competition Law (3rd) die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze des Ge­ heimnisschutzes noch einmal neu strukturiert und ergänzt. Hierdurch sollte ein weitgehender Gleichlauf auch zu den Staaten erreicht werden, die in Ermangelung einer Umsetzung des Uniform Trade Secrets Act einen Schutz noch ausschließlich auf Grundlage von Richterrecht gewährten. Schließlich finden sich seit 1996 in 18 U.S.C. §§  1831–183939 einige bundesrechtliche Strafnormen hinsichtlich des Aus­ spio­nierens von Geschäftsgeheimnissen, die aber anders als in Deutschland nicht durch Richterrecht zu einem umfassenden zivilrechtlichen Schutzmechanismus umfunk­tio­niert wurden. Neben dem Spionieren zugunsten fremder Staaten ist ähn­ lich wie in §  17 UWG ausdrücklich auch die Industriespionage erfasst. 34 lawcommission.justice.gov.uk/docs/cp150_Legislating_the_Criminal_Code__Misuse_of_ Trade_Secrets_Consultation.pdf. 35  Kewanee Oil Co v. Bicron Corp.  416 U.S.  470 (1974). 36  Dazu noch näher unten §  2A.II.2a, S. 247. 37  Zur praktischen Bedeutung siehe Almeling/Snyder/Sapoznikow/McCollum/Weader, Gonz. L. Rev. 46 (2011), 57. 38  §§  757, 758 Restatement of Torts (1939). 39  Economic Espionage Act (1996).

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§  2  Alternative Selbsthilfe

Etwas überraschend ist der Umstand, dass eine erstinstanzliche Entscheidung über die Verletzung von Geschäftsgeheimnissen selbst in Deutschland erst nach durchschnittlich zwei Jahren erreicht wird, was etwa dem zeitlichen Aufwand in Schweden, Großbritannien oder Belgien entspricht.40 Demgegenüber kann in pa­ tentrechtlichen Streitigkeiten mit einer Entscheidung bereits in ca. 6 bis 14 Monaten gerechnet werden.41 Dies ist sicherlich der Breite an als Geheimnis schutzfähigen In­ formationen und der im Vergleich zu Patentverletzungen oft schwierigen Sachver­ haltsklärung geschuldet, ist aber sicherlich auch ein Argument gegen den Geheim­ nisschutz als echte Alternative zum Patentrecht. In Großbritannien sind bei techni­ schen Betriebsgeheimnissen Richter des Patentgerichts zur Streitentscheidung berufen, während in Deutschland ausschließlich Juristen zur Beurteilung herange­ zogen werden. 2.  Schutz von Privatgeheimnissen Auch Informationen aus dem Privatbereich haben einen wirtschaftlichen Wert, etwa zur Beurteilung der Bonität im Rahmen von Kredit- oder Mietverträgen (darauf ba­ siert das Geschäftsmodell der Schufa), der Zuverlässigkeit von Arbeitnehmern oder Bewerbern (der Markt für Headhunter) aber vor allem zur Werbung (siehe dazu die Sonderregelung des §  28 Abs.  3 BDSG). Mitunter sind personenbezogene Daten im 21. Jahrhundert gar zu einer „Internet-Währung“ geworden.42 Der Schutz erfolgt durch zwei unabhängige Regelungsmodelle – den Schutz von durch Selbsthilfemaß­ nahmen gesicherten Informationen vor Umgehung der Sicherungsmaßnahmen ­einerseits (sub a) und den absolut greifenden Schutz personenbezogener Daten ande­ rerseits (sub b). Diese beiden Systeme sind deutlich voneinander abzugrenzen (sub c). a)  Regelungen zum Geheimnisschutz Art.  39 TRIPs schützt als nicht offenbarte Informationen ausschließlich handels- und unternehmensbezogene Informationen.43 Generell ist der internationale Schutz von Privatgeheimnissen sehr lückenhaft. Für elektronisch gespeicherte Daten wird ein Schutz durch das Übereinkommen über Computerkriminalität geschaffen,44 wo­ nach das Abfangen „nichtöffentlicher Computerdatenübermittlungen“ (Art.  2) und der Zugang zu Computersystemen „unter Verletzung von Sicherheitsmaßnahmen“ (Art.  1 S.  2) unter Strafe zu stellen sind. Letztere Einschränkung ist freilich optional, es darf also auch der Zugang absolut verboten werden. Spezifische Regelungen zum Schutz von privaten Geheimnissen finden sich auf internationaler Ebene jedoch nicht. Auch auf Ebene der EU gibt es vor allem Regelungen auf Ebene des Daten­ 40 

Hogan Lovells, S.  42. Herr/Grunwald, jiplp 7 (2012), 44. 42  Weichert, NJW 2001, 1463, 1465. 43 Busche/Stoll/Peter/Wiebe, Art.  39 TRIPs Rn.  7. 44  Übereinkommen über Computerkriminalität vom 23. November 2001, BGBl.  II 2008, S.  1242. 41 

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schutzrechts, jedoch keine Regelungen die spezifisch an (Privat-)Geheimnisse an­ knüpfen. Das verwundert freilich angesichts des Fehlens einer Regelung zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen nicht, da Privatgeheimnisse im Vergleich zu diesen nur bedingt in das der EU immanente Konzept eines gemeinsamen Marktes anknüpfen. In Deutschland sind private Geheimnisse demgegenüber verfassungsrechtlich durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das Recht auf informationelle Selbstbe­ stimmung45 und das Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme,46 aber auch explizit durch die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art.  13 GG) sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis (Art.  11 GG) vor staatlichem Zugriff geschützt. Im Verhältnis zu anderen Bürgern erfolgt der Schutz durch Straftaten wie die Verletzung des Fernmeldegeheimnisses (§  206 StGB), das Ausspähen (§  202a StGB) oder Abfangen von Daten (§  202b StGB) aber auch Hausfriedensbruch (§  123 StGB), Schutz der Vertraulichkeit des Wortes (§  201 StGB) oder Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (§  201a StGB). Das an Geheimnisträger gerichtete Verbot, erlangte Geheimnisse nicht zu verbreiten (§  203 StGB, sowie Spezialnormen etwa zum Steuergeheimnis, §  355 StGB) treten ergänzend hinzu, um eine Weiterverbreitung durch Personen, die mit zur Vertraulichkeitssphäre gehören, zu unterbinden. Das strafrechtlich geschützte private Geheimnis wird etwa explizit in §  172 Nr.  3 GVG neben den in §  172 Nr.  2 GVG genannten Geschäftsgeheimnissen als eigener Tatbestand zum Ausschluss der Öffentlichkeit im Prozess aufgezählt. Freilich wurde der Persönlichkeitsschutz durch das Opferschutzgesetz im Jahr 1986 durch Einfüh­ rung von §  171b Abs.  1 GVG gestärkt. Danach ist bei „Umstände[n] aus dem persön­ lichen Lebensbereich, […] deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde“ die Öffentlichkeit auszuschließen, wenn dies von dem Betroffenen beantragt wird (Abs.  2) und „nicht das Interesse an der öffentlichen Erörterung die­ ser Umstände überwiegt“. Ohne Antrag hat das Gericht insoweit nach überprüfba­ rem Ermessen zu entscheiden. Diese Regelung ist vorrangig,47 begünstigt aber nur die am Prozess (auch als Zeuge) beteiligten Personen, während der Geheimnisschutz ausdrücklich auch Dritte begünstigt.48 In Großbritannien und Irland werden private Geheimnisse und Geschäftsgeheim­ nisse nach weitgehend identischen richterrechtlichen Grundsätzen des Geheimnis­ schutzes beurteilt.49 Demgegenüber wird in den meisten kontinentaleuropäischen Staaten das Privatgeheimnis vom Geschäftsgeheimnis strikt abgegrenzt.50 Auch in den USA sind Privatgeheimnisse vom Schutz durch den Uniform Trade Secrets Act

45 

BVerfGE 65, 1. BVerfGE 120, 274. 47 MüKo-ZPO/Zimmermann, §  171b GVG Rn.  11. 48 Löwe-Rosenberg/Wickern, §  172 GVG Rn.  20. 49  Hogan Lovells, S.  2 . 50  Siehe nur Hauck, S.  14, der diese bewusst ausklammert. 46 

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§  2  Alternative Selbsthilfe

nicht erfasst. Allerdings verbietet der Electronic Communications Privacy Act51 die Überwachung und das Abfangen nicht-öffentlicher elektronischer Kommunikation, soweit kein Einverständnis vorliegt. Dabei wird jedoch ein sehr breites Verständnis der Einwilligung zugrundegelegt. Im Übrigen richtet sich der Schutz ausschließlich nach dem oft sehr unterschiedlichen Recht der Einzelstaaten. So enthält das die im Common Law anerkannten zivilrechtlichen Schadensersatzpflichten zusammenfas­ sende Restatement of Torts (§§  651, 652 Restatement 2nd von 1977) einen eigenen Ab­ schnitt zu „Privacy Torts“, der eine Vielzahl von Einzelkonstellationen auflistet.52 Öffentlich-rechtliche Regelungen und Strafnormen sind hingegen in kaum einem Einzelstaat vorgesehen. b)  Das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die „Sphärentheorie“ Durch das einfachgesetzliche Datenschutzrecht ist über die Überwindung eines selbst geschaffenen Geheimnisschutzes bereits das bloße Sammeln von nicht gehei­ men personenbezogenen Daten an strenge Anforderungen geknüpft. Auf internatio­ naler Ebene existieren jedoch nur vereinzelte Regelungen des Datenschutzrechts. Eine teilweise Regelung findet sich etwa in der Europäischen Datenschutzkonvention des Europarates.53 In Deutschland,54 zwischenzeitlich aber auch in der EU55 ist der Datenschutz nicht nur gegenüber dem Staat geschützt, sondern generell an enge gesetzliche Vor­ gaben geknüpft. Auch und gerade bei Eingriffen Privater in diese Rechte drohen ab­ schreckende Konsequenzen, die neben Unterlassungs- (§§  823 Abs.  2 BGB iVm §  4 BDSG, 1004 BGB) und Schadensersatzansprüchen (§  7 BDSG) auch Ordnungswid­ rigkeiten (§  43 BDSG) und Straftaten (§  44 BDSG) umfassen. In den USA hat der Supreme Court erstmals 1965 in der Sache Griswold v. Connecticut ein Recht auf durch den Staat unantastbare Privatsphäre anerkannt. Ge­ genstand der Entscheidung war ein Gesetz, welches den Einsatz von Verhütungsmit­ teln verbot, aber mit diesem ungeschriebenen Grundrecht nicht vereinbar war.56 Der Gedanke war, dass der Staat in diesen Intimbereich nicht regulierend, kontrol­ 51  Electronic Communications Privacy Act (ECPA), Pub.L. 99–508, 100 Stat. 1848 vom 21. Ok­ tober 1986. 52  Geregelt sind etwa „one who invades the right of privacy of another“ (§  652A), „one who inten­ tionally intrudes, physically or otherwise, upon the solitude or seclusion of another or his private affairs or concerns“ (§  652B) oder „one who gives publicity to a matter concerning the private life of another“ (§  652D). 53  Übereinkommen zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personen­ bezogener Daten (Konvention Nr.  108) vom 1. Oktober 1985, BGBl.  II 1985, S.  539. 54  Dritter Abschnitt des Bundesdatenschutzgesetzes vom 20 Dezember 1990, BGBl.  I S.  2954. 55  Siehe den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Daten­ verkehr (Datenschutz-Grundverordnung) vom 25. Januar 2012, KOM(2012) 11 endgültig, abrufbar unter ec.europa.eu/justice/data-protection/document/review2012/com_2012_11_de.pdf. 56  Griswold v. Connecticut, 381 U.S.  479 (Supreme Court 1965); weiterentwickelt durch Eisen­ stadt v. Baird 405 U.S. 438 (1972) und Lawrence vs. Texas 539 U.S. 558 (2003).

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lierend oder sonst beschränkend eingreifen dürfe. In der Folge wurde im Jahr 1974 der Schutz privater Informationen gegenüber dem Staat auch gesetzlich verankert.57 Der Schutz der Privatsphäre gegenüber anderen Privaten ist im Vergleich zu Deutsch­ land allerdings unterentwickelt.58 Bundesweite Regelungen bestehen nur für Sonder­ fälle wie den Schutz von Patientendaten59, von Angaben zur Kreditwürdigkeit60 oder von Angaben zu Kindern unter 13 Jahren im Internet (durch Zustimmung der El­ tern).61 Auch in den Einzelstaaten gibt es aber kaum Schutzvorschriften. Ein echtes Datenschutzrecht gegenüber privaten Anbietern von Dienstleistungen im Internet existiert nur in Kalifornien.62 c)  Abgrenzung der beiden Schutzmechanismen Auf den ersten Blick könnte man vor dem Hintergrund des Datenschutzrechts und des damit einhergehenden Schutzes jeglicher Information aus dem persönlichen Le­ bensbereich des Bürgers das Bedürfnis nach einem besonderen Geheimnisschutz im Wege der Selbsthilfe verneinen und diesen allenfalls der noch zu erörternden63 ku­ mulativen Selbsthilfe zuweisen. Der Geheimnisschutz und der Schutz personenbezogener Daten aufgrund des Da­ tenschutzrechts laufen jedoch zwar vielfach, aber nicht notwendig, parallel. So sind etwa die Haar- oder Augenfarbe oder die Körpergröße nach dem BDSG oder dem TMG geschützt, während sie kaum geheimzuhalten sind. Andererseits mag das Ap­ felkuchenrezept der Großmutter durchaus geheim, aber nicht im Sinne eines Ge­ schäftsgeheimnisses kommerzialisiert sein. Es handelt sich aber nicht um ein perso­ nenbezogenes Datum, welches nach datenschutzrechtlichen Vorschriften vor Erhe­ bung, Übermittlung oder Nutzung geschützt wäre. Auch der 69. Deutsche Juristentag in München hat mit klarer Mehrheit (28:1:2) eine Ausdehung des Datenschutzes über „personenbezogene“ Daten hinaus auf sämtliche Informationen ausdrücklich abge­ lehnt.

57  Privacy Act of 1974, Pub.L. 93–579, 88 Stat. 1896, vom 31. Dezember 1974; ergänzt durch Computer Matching and Privacy Protection Act of 1988, P.L. 100–503, siehe 5 U.S.C. §  552 (a) (1) für die Unanwendbarkeit auf Private. 58  Lunney, Computerrechts-Handbuch, Rn.  16: „privacy protection in the United States remains largely voluntary and market-based, with private litigation supported by Federal Trade Commission („FTC“) enforcement actions under §  5 of the Federal Trade Commission Act as the principal means of enforcement“; siehe auch den aktuellen Bericht von Spies, ZD-Aktuell 2012, 2918, wonach freiwil­ lige Verhaltenskodizes noch immer schwierig sind. 59  Health Insurance Portability and Accountability Act (HIPAA), Pub.L. 104–191, 110 Stat. 1936 vom 21. August 1996. 60  Fair Credit Reporting Act (FCRA), Pub.L. 91–508, 84 Stat. 1114 vom 26. Oktober, 1970 61  Children’s Online Privacy Protection Act (COPPA), Pub.L. 105–277, 112 Stat. 2581–728 vom 21. Oktober 1998. 62  California Online Privacy Protection Act of 2003 (OPPA), Cal. Bus. & Prof. Code §§  22575– 22579 (2004). 63  Unten §  3, S. 295.

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§  2  Alternative Selbsthilfe

Unabhängig davon ist allerdings auch der Persönlichkeitsschutz historisch ausdif­ ferenziert und gestuft ausgestaltet (sub aa). Diese Unterscheidung ist ökonomisch konsequent und letztlich kaum verzichtbar (sub bb). Vor diesem Hintergrund ist der in unserer Rechtsordnung teilweise vorgesehene Schutz von öffentlich zugänglichen Informationen allerdings kaum zu rechtfertigen und bedarf daher näherer Betrach­ tung (sub cc). aa)  Historischer und rechtssystematischer Hintergrund (1)  Schutz gegen den Staat und Schutz gegenüber Privaten Historisch war das Datenschutzrecht primär gegen Eingriffe durch den Staat gerich­ tet, wie nicht nur das weltweit erste Datenschutzgesetz,64 sondern auch das vielzi­ tierte Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts65 zeigen. Auf diesen Be­ reich beschränken sich die bundeseinheitlichen Regelungen in den USA bis heute. Das diesbezügliche Schutzbedürfnis ist leicht zu erklären. Gegenüber dem Staat sind private Daten durch Selbschutzmaßnahmen kaum zu sichern, da diesem weitrei­ chende Eingriffsbefugnisse zustehen. Ohne gesetzliche bzw. verfassungsrechtliche Vorgaben wären die Bürger hilflos Durchsuchungen (Art.  13 GG) oder Überwachung ihrer Kommunikation (Art.  10 GG) ausgesetzt. Zudem ist durch die allumfassende Durchdringung aller Vorgänge des Lebens im Sozialstaat ein weitreichender Daten­ fundus vorstellbar, der nicht nur die Handlungsfreiheit (Art.  2 Abs.  1 GG), sondern auch die Meinungsfreiheit (Art.  5 Abs.  1 GG), die Versammlungs- (Art.  8 GG) oder die Vereinigungsfreiheit (Art.  9 GG)66 empfindlich einschränken würde. Der Staat kann zudem Auskünfte durch Zwangsmaßnahmen der Verwaltung (Zwangsgeld, Zwangshaft) durchsetzen. Der Bürger hat daher gegenüber dem Staat kaum eine an­ dere Wahl als Informationen preiszugeben. Der weitere Umgang mit diesen ungefil­ terten Informationen bedarf daher besonderer Beobachtung. Für den Schutz personenbezogener Daten gegenüber Privaten kann man kaum den gleichen Maßstab anlegen.67 Der zwangsweisen Erlangung von Informationen aus der Sphäre eines Dritten stehen nicht nur Strafnormen wie der Hausfriedensbruch (§  123 StGB) oder das Aussphähen von Daten (§  202a StGB) entgegen, sondern auch empfindliche zivilrechtliche Sanktionen. Informationen, die Private erlangen, müs­ sen ihnen regelmäßig freiwillig überlassen werden. Kaum etwas anderes kann man über die vieldiskutierten68 elektronischen Spuren sagen, die ein Nutzer im Internet hinterlässt (also etwa IP-Adressen, Cookies und ähnliche unsichtbare Daten): Diese werden aufgrund der individuellen Benutzung generiert, wer eine Seite nicht aufruft, hinterlässt dort auch keine Informationen. Soweit ein Anbieter eine Ware oder Leis­ 64 

Hessisches Datenschutzgesetz vom 7. Oktober 1970, GVBl.  I S.  625. BVerfGE 65, 1. 66  BVerfGE 65, 1, 16. 67  Masing, NJW 2012, 2305, 2306 ff., 2310. 68  Siehe Erwägungsgrund 25 der EU-Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation; Schröder, ZD-Aktuell 2011, 59; Thürauf, ZD-Aktuell 2012, 24; Meyer, WRP 2002, 1028 (zu Sank­ tions­möglichkeiten von Konkurrenten); Eichler, K&R 1999, 76; Ihde, CR 2000, 413. 65 

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tung an die Preisgabe von Daten knüpft (etwa beim Online-Shopping die Eingabe von Kontendaten verlangt), steht es den Nutzern frei, auf andere Anbieter ohne Of­ fenlegungszwang zurückzugreifen. Eine Ausnahme mag allenfalls bei marktbeherr­ schender Stellung (Art.  102 AEUV, §§  19 f. GWB) oder bei staatlich angeordneten Auskunftspflichten (etwa bei Banken nach dem Geldwäschegesetz) in Betracht kom­ men. Diese Fälle stehen jedoch keineswegs im Fokus des Datenschutzrechts. Desweiteren ist die Einschränkung der individuellen Freiheitsrechte durch Private regelmäßig weniger intensiv als bei staatlicher Kenntnis. Bei der unmittelbaren Nut­ zung von Daten durch Google oder Facebook ist bis auf eine geringfügige Belästi­ gung durch Werbung kaum eine Beeinträchtigung grundrechtlich geschützter Frei­ heiten zu erwarten.69 Erst wenn die Daten konkrete negative Auswirkungen auf das Leben entfalten, droht eine Beeinträchtigung der Sphäre der Betroffenen. Dies ist etwa bei Verwendung im Arbeitsverhältnis bzw. bei dessen Anbahnung durch den potentiellen Arbeitgeber, bei der Prüfung der Kreditwürdigkeit durch Gläubiger und kreditgewährende Banken und ähnliche mittelbare Nutznießer. Die schwierige Re­ gulierung der Sekundärverwertung freiwillig allgemein zugänglich gemachter Infor­ mationen ist allerdings ein Regelungsproblem, welches das Datenschutzrecht nur unvollkommen regeln kann.70 Dennoch ist das private Datenschutzrecht aus unserer Rechtsordnung nicht mehr hinwegzudenken. Im Internet wurde hierfür durch §§  11 ff. TMG sogar ein besonders strenges Regelungssystem vorgesehen, welches nicht nur besondere Schrankenrege­ lungen vorschreibt, sondern generell Anonymität und damit die Vermeidung einer Datenerhebung vorschreibt (§  13 Abs.  6 TMG), soweit dies technisch71 möglich und zumutbar ist.72 Hintergrund ist einerseits die fehlende Vorsicht der Bürger im Um­ gang mit ihren Daten, andererseits aber vor allem die Gefahr eines breiten, nicht kontrollierbaren Austauschs von Daten (einschließlich illegaler Zugriffe durch Drit­ te). Da der Sekundärmarkt für personenbezogene Daten aber mangels Transparenz kaum zu regulieren ist, konzentrieren sich die Regeln vor allem auf das Erheben an der Originalquelle, während Verstöße gegen die Vorschriften zur Verarbeitung und 69  In diesem Sinne auch Masing, NJW 2012, 2305, 2309: „Die hierin liegende Beeinträchtigung ist jedoch nur von begrenztem Gewicht – und wird von vielen gar eher als Vor- denn als Nachteil empfunden. Jedenfalls hat ein Profiling allein zu Werbezwecken eine andere Bedeutung als ein sol­ ches der Ermittlungsbehörden. Wenn hierbei überdies nur eine pseudonymisierte Nutzung – etwa bezogen auf einen abstrakten Anschluss – möglich ist, gibt es auch keinen Anlass, sich in diffuser Weise als Privatperson von Unternehmensgruppen observiert zu fühlen.“ 70  Dazu noch unten §  2A.I.2c.cc, S. 222. 71  Zu den Folgen von IPv6, wodurch theoretisch jedes mit dem Internet verbundene Gerät eine eindeutige Adresse erhalten könnte Freund/Schnabel, MMR 2011, 495; Hoeren, ZRP 2010, 251, 252 f. 72  Polenz, Computerrechts-Handbuch, 26 Aufl. (2008), Rn.  58 spricht von einem „Grundrecht auf Anonymität“ das er aus der Parallele zur realen Welt herleitet (allerdings kann mich die Bedie­ nung im Supermarkt durchaus identifizieren); Roßnagel/Scholz, MMR 2000, 721, 727 ff.; zu prakti­ schen Folgen Pichler, Handbuch Multimedia-Recht, 29. Aufl. (2011), Rn.  8; zutreffend Hoeren, ZRP 2010, 251, 252, der auf eine Inhaberschaft an Daten abstellt – die sich nicht auf die negative Dimen­ sion der Anonymität beschränkt.

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Übermittlung von Informationen beim Erstnutzer noch entdeckt werden können, hingegen nicht bei allen denkbaren Unternehmen. Ein absolutes Recht auf Anonymi­ tät hat der Juristentag 2012 freilich mit knapper Mehrheit abgelehnt.73 In der Tat ist die Idee anonymer Nutzung im Hinblick auf die Verfolgung potentieller Rechtsver­ letzungen kaum nachvollziehbar. Der Provider selbst ist grundsätzlich von der Haf­ tung freigestellt (§  10 TMG), während der Nutzer anonym bleiben darf, so dass letzt­ lich kein Gegner für Schadensersatzansprüche erreichbar ist. In der realen Welt hat dies keine Parallele.74 (2)  Grenzen des Schutzes und Disponibilität Das Bundesverfassungsrecht hob im für das deutsche Datenschutzrecht maßgebli­ chen Volkszählungsurteil die „durch den psychischen Druck öffentlicher Anteilnah­ me“ an privaten Informationen verursachte Verhaltenseinwirkung hervor.75 Eine Differenzierung nach der Art des Datums hat das Bundesverfassungsgericht damals abgelehnt.76 Stattdessen sollte auf die beabsichtigte Verwendung der Daten und die möglichen Verknüpfungs- und Verwendungsmöglichkeiten abgestellt werden.77 Eine Rechtsordnung, die jeglichen Austausch personenbezogener Daten an eine spe­ zifische Einwilligung knüpft, wäre aber kaum praktikabel. Denn viele Daten sind für die Abwicklung alltäglicher Geschäfte unabdingbar, etwa zur Beurteilung der Kre­ ditwürdigkeit bei langer Laufzeit oder hoher Summe oder auch nur die Angabe der Adresse für die Lieferung von Waren. Vor anderen Informationen kann sich ein Dritter kaum verschließen. So werden etwa das Aussehen einer Person oder das äu­ ßere Erscheinungsbild eines Gebäudes bei einem unmittelbar persönlichen Vertrags­ schluss automatisch wahrgenommen. Die stetige Neuerhebung von Daten begründet zudem eine nicht unerhebliche Belastung, etwa beim stetigen Anlegen von neuen Benutzerkonten für verschiedene Onlinedienste. Zudem kann der Betroffene selbst ein Interesse an der Offenlegung von Informationen haben, wie dies namentlich in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter geschieht. Außerdem kann dies zu monetären Vorteilen für ihn führen, etwa durch Emöglichung kostenloser Nutzung 73  Abteilung IT- und Kommunikationsrecht des 69. Juristentags, Beschluss I. 6 b) www.djt-net. de/beschluesse/beschluesse.pdf: Ein „Recht auf anonyme Internet-Nutzung“ ist nicht anzuerken­ nen. Bei aktiver Nutzung des Internets mit eigenen Beiträgen darf der Nutzer nicht anonym bleiben, sondern muss im Rahmen einer Verwendung von Pseudonymen zumindest identifizierbar sein. Nur dann lassen sich Rechtsverstöße wirksam verfolgen. Internet-Dienste sollen den Klarnamen und die Internetverbindung ihrer Nutzer registrieren. (angenommen 18:11:1). 74  Diesen Vergleich zieht zutreffend Herwig, ZD-Aktuell 2012, 558, 562; schon deshalb ist die Grundannahme von Polenz, Computerrechts-Handbuch, 26 Aufl. (2008), Rn.  58 („In der konven­ tio­nellen Welt ist es selbstverständlich, dass fast alle täglichen Aktivitäten (Konsum, Kommunika­ tion, Verkehr) anonym erfolgen.“) falsch. 75  BVerfGE 65, 1, 16. 76  BVerfGE 65, 1, 21: „insoweit gibt es unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbei­ tung kein „belangloses“ Datum mehr“; „Wieweit Informationen sensibel sind, kann hiernach nicht allein davon abhängen, ob sie intime Vorgänge betreffen“. 77  BVerfGE 65, 1, 12.

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von Onlinediensten wie Google, die sich durch Darstellung personalisierter Wer­ bung aufgrund gesammelter Daten finanzieren. Bestimmte Formen des Datenaus­ tauschs sind daher allgemein zu erlauben und vom Gesetzgeber wie vom Bürger hin­ zunehmen.78 In einem Entwurf vom 22. Juni 201279 stellte dann auch die dänische Ratspräsidentschaft auf europäischer Ebene klar, dass das Recht auf Datenschutz nicht uneingeschränkt gilt, sondern notwendigerweise erheblichen Schranken zu­ gunsten Dritter (vorgeschlagener neuer Erwägungsgrund 3a) und des Staates unter­ liegen muss. Ein Ausgleich zwischen dem Interesse des Einzelnen an Privatsphäre und dem Interesse Dritter an der Nutzung von über das Individuum verfügbaren Informatio­ nen lässt sich am ehesten im Wege einer Vereinbarung erreichen, solange die Betei­ ligten informiert und rational handeln.80 Genau an dieser Rationalität mag man je­ doch zweifeln, denn „[d]ie Veräußerung eigener Persönlichkeitsrechtsbestandteile hat etwas Verlockendes: Man gibt etwas nicht Sichtbares hin und erhält Materielles als Gegenleistung.“81 Der Gesetzgeber hat zur Vermeidung dieses Konflikts ein je­ derzeitiges Widerrufsrecht des Bürgers gegen die weitere Nutzung der Daten (§  28 Abs.  4, sowie Abs.  3a S.1 a. E. BDSG) vorgesehen. Ein dauerhafter Datenüberlas­ sungsvertrag ist im BDSG derzeit nicht vorgesehen.82 Dies verhindert aber wieder­ um Verfügungen, für die möglicherweise ökonomische Bedürfnisse bestehen. Ob einem Widerrufsrecht ohne jeglichen Begründungszwang die erhoffte Korrektur­ funktion hinsichtlich der fehlenden Verbraucherrationalität zukommt, muss gene­ rell bezweifelt werden.83 Insgesamt ist also eine vertragliche Vereinbarung keine Lösung für das Bedürfnis nach einem Austausch von Daten. Einen Ausgangspunkt für eine sachgerechte Differenzierung der schutzfähigen Informationen im deutschen Recht kann die Rechtsprechung des Bundesverfas­ sungsgerichts zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht bilden (Art.  1 Abs.  1 GG iVm Art.  2 Abs.  1 GG). Nach der so genannten „Sphärentheorie“ werden Informationen über eine natürliche Person in abgestufter Weise geschützt:84 Dabei ist die „Sozial­ sphäre“ kaum geschützt, während die „Privat-“ (auch zutreffend als „Geheimsphäre“ bezeichnet) und erst Recht die „Intimsphäre“ einem sehr engen Schutz unterliegen. 78 

Masing, NJW 2012, 2305, 2309. unter www.statewatch.org/news/2012/jun/eu-council-revised-dp-position-1132612.pdf. 80  Posner, S.  115 ff.; Schäfer/Ott, Rn.  200. 81  Weichert, NJW 2001, 1463, 1469. 82  Weichert, NJW 2001, 1463, 1467 f. leitet solche Verträge aus Kaufrecht (§§  433 ff.) bzw. Miet­ vertragsrecht ( §§  535 ff. BGB) her. 83 Zu den ähnlich gelagerten verbraucherschützenden Widerrufsrechten des BGB kritisch schon van den Bergh, Effiziente Verhaltenssteuerung und Kooperation im Zivilrecht, S.  77 (1997!); für „pacta sunt servanda“ auch beim Recht am eigenen Bild etwa LG Bielefeld NJW-RR 2008, 715 (Super Nanny); einschränkend allerdings LG Berlin v. 26.7.2012, 27 O 14/12 (Frauentausch) im Hin­ blick auf vorherige Aufklärungspflichtverletzungen; näher zum Ganzen noch unten §  3A.II.3, S. 324. 84  Vgl. etwa BVerfGE 34, 238, 245; Maunz/Dürig/Di Fabio, Art.  2 Abs.  1 GG Rn.  158. 79 Abrufbar

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Damit wird dann auch der Bogen zum hier interessierenden Geheimnisschutz ge­ schlagen. Denn auch das einfache Recht differenziert zwischen personenbezogenen Daten im Allgemeinen und den Geheimnissen einer Privatperson. Adressat der aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgenden grundrechtli­ chen Eingriffsverbote ist primär der Staat. Letztlich gilt die darin liegende Wertung aber aufgrund der Schutzdimension der Grundrechte85 auch im Verhältnis zu privat handelnden Personen, insbesondere der Presse.86 Das darin liegende „Right of Publicity“ verpflichtet die Betroffenen, ihnen bekannt gewordene Informationen aus der Privatsphäre nicht öffentlich bekannt zu machen und keine Maßnahmen zur Durch­ brechung der geschützten Sphäre zu treffen. In der Rechtsprechung betrifft dies aller­ dings primär die Vermarktung von Informationen über bekannte Persönlichkei­ ten.87 Grundsätzlich würden diese Grundsätze auch für unbekannte Personen, also den Normalbürger, gelten. Freilich ist eine diesbezügliche Verwertung erst im Inter­ netzeitalter (Werbeemails, Werbebanner, Informationen für Einstellung von Arbeit­ nehmern, Beurteilung der Kreditwürdigkeit, etc.) wirtschaftlich interessant gewor­ den. Durch das Datenschutzrecht besteht jedoch ein grundsätzlich inhaltlich neutra­ ler Schutz, der nicht nach der Schutzsphäre differenziert. (3)  Die Geheimsphäre als Kernbereich des Selbstdatenschutzes Das allgemeine Persönlichkeitsrecht verlangt grundsätzlich nicht, dass Informatio­ nen, die ohnehin für jedermann zugänglich sind, durch Zivil- oder Strafrechtsnor­ men besonders vor Zugriff durch Dritte zu schützen sind.88 Es ist also maßgeblich danach zu differenzieren, inwieweit die Informationen vertraulich oder ohnehin be­ reits allgemein bekannt sind. Diese Differenzierung zwischen einfachen Tatsachen aus dem privaten Bereich und Geheimnissen zeigt auch die Strafnorm des §  203 StGB. Danach ist nur der Verrat eines Geheimnisses, nicht jedoch das Verbreiten von ohnehin bekannten Tatsachen verboten. Vergleichbar differenzieren die prozessua­ len Vorschriften zum Ausschluss der Öffentlichkeit: §  172 Nr.  3 GVG verlangt, dass „ein privates Geheimnis erörtert wird, dessen unbefugte Offenbarung durch den Zeugen oder Sachverständigen mit Strafe bedroht ist“, während §  171b Abs.  1 GVG weiter an „Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozeßbeteiligten, Zeugen oder durch eine rechtswidrige Tat (§  11 Abs.  1 Nr.  5 des Strafgesetzbuches) Verletzten“ anknüpft.

85 

Canaris, AcP 184 (1984), 201, 216. §  12 BGB Rn.  147 ff. mwN. 87  BVerfGE 30, 173/ BGHZ 50, 133 – Mephisto (Gustav Gründgens), BGHZ 81, 75 – Paul Dahl­ ke; BVerfGE 34, 269 – Soraya; BGHZ 107, 384 – Emil Nolde; BGHZ 26, 349 – Herrenreiter; BGHZ 30, 7 – Catarina Valente; BGH GRUR 1987, 128 – Nena; BGH GRUR 1996, 373 – Caroline von Mo­ naco I – Caroline v. Monaco; BGHZ 143, 214 – Marlene Dietrich; vor diesem Hintergrund schlägt Ladeur, ZUM 2000, 879 zutreffend vor, einen eigenen kommerzialisierbaren Teil des Persönlich­ keitsrechts abzuspalten; praktische Umsetzung insoweit bei Blank, NJ 2012, 457. 88  Siehe nur BVerfGE 56, 37, 41 ff.; BVerfGE 63, 131, 142 f. 86 BeckOK-BGB/Bamberger,

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Eine besondere Ausprägung hat dieser Schutz durch das weit zu verstehende Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art 10 GG; §  202 StGB, §§  39 ff. PostG)89 erfah­ ren90. Hier bestätigt sich, dass letztlich nicht beliebige, sondern gerade vertrauliche Informationen besonderen Schutzes bedürfen. Ohne Briefgeheimnis würden viele Informationen nicht schriftlich niedergelegt, ohne Telekommunikationsgeheimnis würden erheblicher Reiseaufwand genutzt, um dennoch einen Meinungsaustausch zu ermöglichen. Verboten ist daher nicht nur die staatliche Überwachung,91 son­ dern auch das heimliche private Mitschneiden von Telefonaten.92 Gegen unbefugte Einsicht oder Weitergabe geschützt sind zudem alle schriftlichen Vermerke und Mit­ teilungen, soweit sie erkennbar als vertraulich eingestuft wurden.93 In der Terminologie der Sphärentheorie ist damit vor allem die Geheimsphäre schutzbedürftig. Nach der gängigen Definition wird als „Geheimsphäre“ „der gesam­ te Bereich menschlichen Lebens, der nach der Bestimmung des Betroffenen und ver­ ständiger Würdigung der Öffentlichkeit nicht der Öffentlichkeit preisgegeben wer­ den soll“94 geschützt. Eine Veröffentlichung solcher Informationen ist nur zulässig, wenn das Interesse der Öffentlichkeit an der Kenntnis die schutzwürdigen Belange des Betroffenen zwingend verlangt.95 Dabei reicht zur Geheimhaltung bereits der Umstand, dass die Tatsache nicht allgemein bekannt ist und Dritten die Nutzung untersagt wird.96 Bereits der scheinbare Verlust der Möglichkeit zur Geheimnis­ wahrung ist eine Verletzung dieses Rechts.97 Die Abgrenzung der Geheimsphäre von anderen Bereichen ist nicht unproblematisch. Im einfachen Recht wird daher teilweise nur das Verhalten in der „Öffentlichkeit“ ausgegrenzt (etwa in §  201 Abs.  2 StGB)98. Im Übrigen werden verschiedene sachliche und örtliche Begrenzungen dis­ kutiert.

89  BVerfGE 120, 274, 307; BVerfG NJW 2010, 833; siehe auch Art.  8 EMRK (Achtung des Privatund Familienlebens, der Wohnung sowie des Briefverkehrs), EuGH 1992, I/2575, Rdnr.  23 und 24. 90  BGH BB 1990, 739; BeckOK-BGB/Bamberger, §  12 BGB Rn.  147. 91  BVerfG NJW 2010, 833. 92  BVerfGE 34, 238, 243; BGHZ 27, 284; BGH NJW 1982, 277 – Tonbandaufnahme II; OLG Köln NJW 1979, 661; BGH GRUR 1988, 339. 93  BGHZ 15, 249; BGH NJW 1987, 2667; BeckOK-BGB/Bamberger, §  12 BGB Rn.  150 f. 94  Damm/Rehbock/Smid, Rn.  121; Burkhardt/Wenzel, Kap.  5 Rn.  4 0; Soehring, §  19 Tz.  9. 95  Burkhardt/Wenzel, Kap.  5 Rn.  4 4; Soehring, §  19 Tz.  11 unter Bezugnahme auf BGH NJW 1979, 647 – „Kohl/Biedenkopf I“; BGH NJW 1987, 2667 – „Vertrauliche Informationen“; skeptisch Damm/Rehbock/Smid, Rn.  123. 96  KG NJW 2005, 2320: Abdruck eines Wohnhauses von Günther Jauch in Potsdam; siehe aber BGH NJW 2009, 3030 – Joschka Fischer. 97  LG Bonn NJW-RR 2005, 1067: Auch nur scheinbare Videoüberwachung durch Nachbarn erzeugt „Überwachungsdruck“ und begründet daher einen Anspruch auf Beseitigung der (nicht funktionierenden) Kamera; einschränkend freilich BGH NJW 2010, 1533 (nur hypothetische Mög­ lichkeit reicht nicht). 98  Süss, Das deutsche Privatrecht in der Mitte des 20. Jahrhunderts, S.  189, 189; siehe freilich zu §  201a StGB (Schutz vor Bildaufnahmen einer Person, die sich „in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet“) Bosch, JZ 2005, 377, 377.

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In sachlicher Hinsicht können zwar bestimmte Umstände als zur Geheimsphäre zugehörig eingeteilt werden, eine saubere Grenzziehung gelingt auf dieser Ebene je­ doch nicht. Sicherlich erfasst sind zunächst Informationen, die nur durch Dritte er­ hoben werden können, aber das Individuum betreffen, etwa Gesundheitsdaten (§  203 Abs 1 StGB; §  35 Abs 1 S 1 SGB I, §  78 Abs 1 S 2 SGB X). Hier kann der Patient selbst keine Maßnahmen treffen, um die Vertraulichkeit der Information zu gewährleisten, er ist also dem untersuchenden Arzt hilflos ausgeliefert. Die entsprechenden Infor­ mationen werden daher als zur Geheimsphäre zugehörig qualifiziert, um eine un­ kontrollierbare Weitergabe bereits vorab zu verhindern. Nicht konsequent umsetz­ bar ist es hingegen, den Schutz auf den „familiären Bereich“ festzulegen.99 Dies geht einerseits zu weit, wenn familiäre Aktivitäten in der Öffentlichkeit erfolgen (etwa Urlaub, Schulfeste, etc.), andererseits aber auch zu eng, da Informationen auch über familiäre Beziehungen hinaus nach dem Willen des Betroffenen geheimhaltungsbe­ dürftig sein können. Die Geheimhaltungssphäre hat daher eine Schnittmenge mit der familiären Sphäre, ist jedoch mit dieser nicht identisch. Eine räumliche Differenzierung ist ebenfalls allenfalls bedingt gangbar. Während herkömmlich an den Bereich der Wohnung angeknüpft wurde,100 wird diese Begren­ zung zunehmend abgelehnt.101 Der in Art.  13 GG geschützte Lebensbereich ist in der modernen Welt zu eng gefasst, das Leben findet auch am Arbeitsplatz und sogar vir­ tuell in sozialen Netzwerken im Internet statt. Auch der Versuch einer räumlichen Eingrenzung auf Orte, die der Betroffene für den Anspruchsgegner erkennbar im Vertrauen auf die Abgeschiedenheit gewählt hat, um sich zurückzuziehen (so etwa im US-amerikanischen Restatement of Torts), ist ebenfalls kaum erfolgversprechen­ der.102 Denn allein der Wille des Betroffenen ist kein hinreichender Anknüpfungs­ punkt für die Abgrenzung der Sphären. Wer ohne Kleidung vor offenem Fenster tanzt, kann nicht damit rechnen, dass dies geheim bleibt. Ebensowenig ist die Hoff­ nung berechtigt, dass eine RTL-Dokusoap familiäre Verhältnisse objektiv-neutral darstellt.103 Vielfach wird man sich gerade keine Gedanken machen, ob eine be­ stimmte Situation gerade Vertraulichkeit gewährleistet. Lässt man ein sachgedankli­ ches Begleitbewusstsein genügen oder verlangt rein objektiv einen typischerweise als privat angesehenen Ort, wird die Unsicherheit aber nicht beseitigt. Denn die Anwen­ dung einer ex post Perspektive verlagert das Risiko auf denjenigen, der eine Informa­ tion erlangt, selbst wenn der Geheimhaltungswille bzw. das -bedürfnis für diesen nicht erkennbar war. Das ist aber angesichts der oben aufgestellten Prämisse, dass Informationen grundsätzlich frei zugänglich sind, nicht tragbar. 99 BeckOK-BGB/Bamberger,

§  12 BGB Rn.  146. Etwa BVerfGE 109, 279, 314: „räumliches Substrat […] ist regelmäßig die Privatwohnung […] als ‚letztes Refugium‘ zur Wahrung der Menschenwürde“; ähnlich auch BGH NJW 2004, 762, 766 und BeckOK-BGB/Bamberger, §  12 BGB Rn.  147 ff. 101  Poscher, JZ 2009, 269, 272 ff.; Kutscha, Handbuch zum Recht der Inneren Sicherheit, S.  24, 60 f.; Petri, Handbuch des Polizeirechts, S.  717, 838; Baldus, JZ 2008, 218, 225. 102  Gerlach, JZ 1998, 741, 748; BVerfG AfP 2000, 76. 103  LG Bielefeld NJW-RR 2008, 715. 100 

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Zutreffend ist damit letztlich nur, dass das Bedürfnis zur Überwindung von wie auch immer gearteten Hindernissen insbesondere durch technische Hilfsmittel (Ab­ hörgeräte, Teleskope, Kameras)104 oder durch Täuschung bzw. Drohung ein Eindrin­ gen in die Privatsphäre indiziert. Denn soweit der Einsatz solcher sozial unüblichen Hilfsmittel erforderlich ist, besteht kein schutzwürdiges Interesse des Dritten. Damit ist auch die entscheidende Parallele zum Schutz von Geschäftsgehimnissen gefun­ den: Ähnlich wie dort werden insbesondere der Einsatz von Täuschung und Rechts­ bruch zur Erlangung von Informationen aus dem Privatbereich untersagt.105 Auf­ grund des im allgemeinen Persönlichkeitsrechts enthaltenen Menschenwürdegehalts (Art.  1 Abs.  1 GG) könnte man weitergehend sogar entsprechend der früheren Recht­ sprechung zum Lügendetektor (arg. ex §  136a Abs.  3 StPO) eine Einwilligung für un­ beachtlich halten.106 In der Tat sind nach §  6 Abs.  1 BDSG Auskunftsansprüche sowie Berichtigungs-, Löschungs- und Sperrungsansprüche nicht dispositiv ausgestaltet. In der Literatur werden daher entsprechende Überlegungen durchaus angestellt.107 Allerdings sind solche Überlegungen praktisch nicht umsetzbar und auch mit einem liberalen Gesellschaftsbild nicht vereinbar. Schon im Volkszählungsurteil wurde ein etwaiger Zwang bei der Erhebung, also die Überwindung einer Hürde bei der Infor­ mationserlangung, als besonders suspekt erachtet. Zudem stellte das Bundesverfas­ sungsgericht fest, dass das für die, wohl gemerkt öffentlich-rechtliche, Datenverar­ beitung geforderte „überwiegende […] Allgemeininteresse […] regelmäßig über­ haupt nur an Daten mit Sozialbezug […] unter Ausschluß unzumutbarer intimer Angaben und von Selbstbezichtigungen“ bestehen kann. In Fällen, in denen die Information ohne Hilfsmittel oder Manipulation erlangt wird, ist nach der sozialen Anschauung aus Sicht eines Dritten abzugrenzen. Soweit dieser nicht davon ausgehen musste, dass die Information geheim gehalten werden sollte, kann ihm die Erlangung, Verwertung oder sogar Verbreitung nicht zum Vor­ wurf gemacht werden. Diese Unterscheidung ist eine Methode, die auch im Sachen­ recht, etwa beim unmittelbaren Besitz, erprobt und üblich ist. Durch die Zweifelsre­ gel gegen die Vertraulichkeit wird eine unzumutbare Beeinträchtigung der Interes­ sen der Öffentlichkeit an einem freien Informationsaustausch gewährleistet. Damit ist etwa die unauffällige Beobachtung in der Öffentlichkeit und die nicht auf be­ stimmte Personen gerichtete Videoüberwachung (§  23 Abs.  1 Nr.  2, 3 KunstUrhG) generell zulässig.108 Schwierig ist die Lage am Arbeitsplatz. Für eine Videoüberwa­ 104 

BGH NJW 2004, 762, 766.

105 BeckOK-BGB/Bamberger,

§  12 BGB Rn.  144. BVerfG NJW 1982, 375; BGHSt 5, 332; Frister, ZStW 106 (1994), 303, 303; abweichend Schwabe, NJW 1979, 576, 576 (der bei Einwilligung eine Entlastung durch Lügendetektor zulassen wollte); abweichend freilich die moderne Begründung BGHSt 44, 308; BGH NStZ 2011, 474; BGH NJW 2003, 2527, wonach bei Einwilligung kein Verstoß gegen Verfassungsgrundsätze oder §  136a StPO vorliegt, aber „es sich [beim Polygraphen] nicht um eine in den maßgebenden Fachkreisen allge­ mein und zweifelsfrei als richtig und zuverlässig eingestufte Methode“ handeln soll. 107  Weichert, NJW 2001, 1463, 1466. 108 BeckOK-BGB/Bamberger, §  12 BGB Rn.  149. 106 

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chung werden dabei Verhältnismäßigkeit und als darin enthaltenes Minus Erforder­ lichkeit verlangt.109 Neben dem Schutz durch staatliche Stellen, namentlich Datenschutzbeauftragte und Aufsichtsbehörden, verbleibt daher erhebliche praktische Bedeutung für den „Selbstdatenschutz“.110 Denn ein wirksamer Schutz allein oder auch nur überwie­ gend durch staatliche Stellen ist schon aus Kapazitätsgründen nicht möglich. Freilich sind prozessuale Rechtsbehelfe insoweit regelmäßig kaum wirksam. Auch der teil­ weise vorgeschlagene Ausgleich über Bereicherungsrecht111 ist insoweit kaum weiter­ führend, da die Geldbeträge meist zu gering wären, als dass sich Einzelprozesse ren­ tieren würden.112 Soweit also bereits durch Selbstschutzmaßnahmen verhindert wird, dass Dritte Informationen überhaupt in Erfahrung bringen können, kann auf staatlichen Rechtsschutz und die damit einhergehenden Risiken verzichtet werden. bb)  Ökonomischer Hintergrund Im juristischen Schrifttum wird das Datenschutzrecht teilweise als goldenes Kalb gesehen, mit der Folge, dass private Daten als unveräußerliches Menschenrecht nicht Gegenstand beliebiger Verträge sein sollen. Ökonomisch betrachtet ist es freilich be­ denklich, persönliche Daten zu einer „res extra commercium“ zu erklären, so dass Transaktionen generell verboten sein sollen. Damit kollidiert freilich das Interesse insbesondere Prominenter, solche Daten kommerziell zu verwerten.113 Der Wert der privaten Daten ist dabei (nicht nur) im Internet hochgradig asymme­ trisch und inhomogen. So können Anbieter von Waren oder Dienstleistungen auf­ grund von Informationen über bestimmte Nutzer ihre Produkte zielgerichteter be­ werben und damit den Absatz steigern oder auch Preise individuell anpassen und so den Gewinn pro Stück bzw. Leistung steigern.114 Zudem ermöglicht das Sammeln von Daten die Entstehung ganz neuer Märkte. Für die Anbieter von Sammlungen von Benutzerprofilen, wie z. B. das US-Unternehmen AudienceScience oder die fran­ zösische Criteo kommt es dabei vor allem auf die Quantität der Daten, aber auch auf ihre inhaltliche Aktualität und Korrektheit an.115 Volkswirtschaftlich wirken beide Aspekte zunächst positiv, da sie Arbeitsplätze schaffen und zudem den Absatz von Waren und Dienstleistungen steigern, die zudem im Zweifel für den Kunden vorteil­ 109 

BAG NZA 2004, 1278 mwN. Weichert, NJW 2001, 1463, 1466; Roßnagel, ZRP 1997, 26, 27. 111  Ullmann, AfP 1999, 209; Weichert, NJW 2001, 1463, 1466; Blank, NJ 2012, 457; Ladeur, ZUM 2000, 879. 112  Das Problem der Streuschäden ist aus dem Lauterkeitsrecht und dem Kapitalanlagerecht be­ kannt, dazu Beurskens, S.  320 ff., 345 ff. Eine Lösung nach dem US-amerikanischen Vorbild einer Class Action ist dabei freilich ebensowenig erstrebenswert wie eine Gewinnabschöpfung nach dem Vorbild von §  10 UWG, §  34a GWB, siehe zur Gewinnabschöpfung nur Alexander, JZ 2006, 890; Mönch, ZIP 2004, 2032. 113  Zu diesem Kommerzialisierungsinteresse siehe nur Ullmann, AfP 1999, 209; Weichert, NJW 2001, 1463, 1466; Blank, NJ 2012, 457; Ladeur, ZUM 2000, 879. 114  Hess/Schreiner, DuD 2012, 105, 106 f. 115  Hess/Schreiner, DuD 2012, 105, 108. 110 

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hafter sind, da sie auf seine individuellen Bedürfnisse angepasst sind. Demgegenüber bestehen die Nachteile aus Sicht des Kunden vor allem in der Belästigung mit Wer­ bung, dem Kontrollverlust über die eigenen Daten, und vor allem aus dem kaum quantifizierbaren Gefühl der Beobachtung und Entprivatisierung.116 Empirische Untersuchungen zur Ermittlung des von den Betroffenen zugeordne­ ten Wertes führen zu widersprüchlichen Ergebnissen. Einerseits wurde festgestellt, dass Datenschutz für eine Kaufentscheidung nicht so gewichtig ist, dass die Betroffe­ nen für deren Schutz einen Aufpreis in Kauf nehmen würden.117 Diese empirische Beobachtung scheint auch der allgemeinen Einschätzung zu entsprechen.118 Andere Studien behaupten das Gegenteil, sofern durch Datenschutzsiegel oder deutliche und verständliche Erklärungen die Vorteile im Einzelfall aufgezeigt werden.119 Die große Beliebtheit der kostenlosen Social-Media-Portale, in denen in transparenter Weise die Weiternutzung der Daten offengelegt ist, aber auch die Tendenz für geringe Preis­ ersparnis (über 1,5  %120) zeigen, dass der Mehrheit der Nutzer ihre Daten nicht viel wert sind. Andererseits zeigen die Diskussionen über Google StreetView oder auch die Verwendung von Daten aus sozialen Netzwerken durch Arbeitgeber oder zur Be­ urteilung der Kreditwürdigkeit, dass der Problematik teilweise erhebliche politische Bedeutung beigemessen wird. Grundsätzlich kann die Relevanz einer Information nicht abstrakt-generell, son­ dern nur konkret-individuell durch den Inhaber der Information beurteilt werden. Der betriebene Schutzaufwand ist dabei ein gewichtiges Indiz für den Schutzwillen und damit auch für die Schutzbedürftigkeit durch den Staat. Dies gilt im Grundsatz in positiver wie in negativer Hinsicht. Informationen, die öffentlich bekannt gemacht werden, etwa ohne Beschränkung in sozialen Netzwerken oder auf öffentlichen In­ ternetseiten bedürfen keines besonderen Schutzes. Demgegenüber sind Informatio­ nen, die durch Selbsthilfemaßnahmen geschützt werden, also „Geheimnisse“ auch durch den Staat aktiv zu schützen, etwa versteckte Tagebücher, verschlüsselte Datei­ en, etc. Dazwischen bewegen sich Informationen die weder willentlich öffentlich ge­ macht wurden, aber ohne größeren Aufwand in Erfahrung gebracht werden können, etwa sichtbare Merkmale wie Haarfarbe, Körpergröße, etc. 116 

Hess/Schreiner, DuD 2012, 105, 108. Beresford/Kübler/Preibusch, Unwillingness to pay for privacy: A field experiment. Discussion papers No. SP II 2010–03, (Studenten hatten die Wahl zwischen zwei Onlineshops, die sich nur in den abgefragten Daten (Geburtsjahr, Lieblingsfarbe als Pflichtfelder) unterschieden. Die Käufe ver­ teilten sich bei gleichem Preis symmetrisch auf beide Shops, bei Preisvorteilen wurde der datenin­ tensivere Shop gewählt); siehe auch Hoeren, DuD 1996, 542, 545 für den Markt an Produktionsgütern. 118  Hoeren, DuD 1996, 542, 544 meint „An einem solchen Common Sense fehlt es jedoch in der Moderne, zumindest was den Datenschutz [an]geht. Große Teile der deutschen Bevölkerung sind nach meinem Eindruck an Fragen des Datenschutzes nicht interessiert.“ 119  Hess/Schreiner, DuD 2012, 105, 108 unter Hinweis auf Tsai/Egelman/Cranor/Acquisti, ISR 22 (2011), 254; Mai/Menon/Sarkar, JMIS 27 (2010), 189. 120  Mai/Menon/Sarkar, JMIS 27 (2010), 189. 117 

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Jedenfalls theoretisch ist daher eine Lösung über den Markt möglich, bei dem Un­ ternehmen ihren Gewinn aus privatsphäreschützenden Angeboten gegen Aufpreis ziehen.121 Ein uneingeschränkter staatlicher Schutz aller Daten ist mit dem Bild eines liberalen Marktes und der Autonomie der Betroffenen aber nicht zu vereinbaren, sondern ist unnötiger Paternalismus. Die Kosten für die Erstellung von Normen zum Schutz personenbezogener Daten sind hoch. Dies beruht zum einen auf den erheblichen Unterschieden in den Interes­ sen der vom Datenschutz betroffenen Interessengruppen,122 zum anderen auf der schwierigen Rückgängigmachung einmal getroffener Entscheidungen.123 Zudem stellt sich das Problem, dass bei (unterstellt) negativer Auswirkung strenger Daten­ schutzvorgaben auf die unternehmerische Tätigkeit ein Anreiz zur Verlagerung von Tätigkeiten in Staaten stellt, die dementsprechend keine oder nur geringe Vorgaben treffen. Es gibt also Anreize für ein „Race to the bottom“, bei dem diejenigen Staaten mit einem hohen Schutzniveau letztlich Steuereinnahmen verlieren. Unterstellt man, dass Datenschutz durchaus Vorteile bietet, hat dies aber spieltheoretisch ein ungüns­ tiges Ergebnis zur Folge. Denn letztlich werden die Staaten kein optimales Schutzni­ veau anstreben, sondern vielmehr einseitig gegen starken Datenschutz votieren.124 cc)  Schutz öffentlicher Informationen? Die besondere Schwierigkeit des Schutzes beliebiger Informationen aus der Privat­ sphäre liegt darin, dass viele dieser Informationen ohne weiteres für beliebige Dritte ersichtlich sind. Dies gilt bei persönlichen Verhandlungen etwa für Haarfarbe, Au­ genfarbe aber im Versandhandel auch für die Postanschrift der Wohnung oder bei telefonischer Bestellung für die Telefonnummer. Auch freiwillig öffentlich preisgege­ bene Informationen, etwa auf der eigenen Internetseite oder in sozialen Netzwerken lassen sich kaum vor einer Kenntnisnahme durch Dritte schützen. Die Rechts­ ordnung hat diesen Gedanken weitgehend rezipiert. So schützt §  202a StGB nicht sämtliche Daten vor Ausspähen durch Dritte, sondern nur solche, „die gegen unbe­ rechtigten Zugang besonders gesichert sind“. In den USA ist das Abfangen von Da­ tenübermittlungen im so genannten „Wiretap-Act“125 geregelt, der ausdrücklich In­ formationen, die öffentlich zugänglich gemacht sind, freistellt.126 Der dahinterste­ hende Gedanke ist derselbe: Solange keine Maßnahmen zum Schutz getroffen wer­ den, kann der Betroffene auch nicht darauf vertrauen, dass Dritte keinen Einblick 121 

Hess/Schreiner, DuD 2012, 105, 109. Hoeren, DuD 1996, 542, 543. 123  Zu diesem Problem, das vor allem beim Schutz von Immaterialgüterrechten erörtert wird etwa Levmore, J. Legal Stud. 31 (2002), 421; Müller-Erzbach, ZHR 88 (1926), 173, 180 ff.; Parisi, Eco­ nomics of ancient law, S.  382, 382. 124  Hoeren, DuD 1996, 542, 546 f. mit der Hoffnung, dass das bei einem wiederholten Spiel das Gefangenendilemma durch eine „Tit for Tat“-Verhandlungstaktik aufgelöst werden kann oder die Strategien bei mehr als zwei Beteiligten ohnehin nicht zu einem echten Gefangenendilemma füh­ ren. 125  18 U.S.C. §§  2510–2522. 126  Sog. „Accessible to the Public Exception“, 18 U.S.C. §  2511(2)(g)(i). 122 

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nehmen und müssen Dritte dementsprechend keine Haftung fürchten. Dabei kommt es auf den Willen des Betroffenen nicht an: Auch versehentlich zugänglich gemachte Informationen (etwa der vertrauliche Brief, der versehentliche auf die eigene Inter­ netseite geladen wurden) lassen sich kaum schützen.127 Dennoch finden sich zunehmend Sachverhalte, in denen Einzeldaten zwar nicht geheimzuhalten sind, aber deren Verwendung beschränkt werden soll. Dies sei durch drei Beispiele illustriert: Zunächst soll das Recht am eigenen Bild als besondere Aus­ prägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach dem Kunsturhebergesetz unter­ sucht werden, das als eines der ältesten Persönlichkeitsschutzrechte Referenzcharak­ ter für die folgende Untersuchung hat (sub (1)). Sodann soll die Debatte um die als „Geoinformationsdienst“ eingeführte Darstellung von Wohngebieten durch Google StreetView kritisch hinterfragt werden (sub (2)). Schließlich wird die Diskussion um den Schutz von Beschäftigtendaten in sozialen Netzwerken vor Verwendung durch die Arbeitgeber aufgegriffen (sub (3)). (1)  Das Recht am eigenen Bild Bereits das „Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie“ aus dem Jahr 1907 erkannte den Konflikt zwischen dem Recht von Personen an ihrer Anonymität, ihrer Darstellung128 und ihrer Identität einerseits und dem Wunsch nach der Erstellung von Bildnissen von Orten, an denen sich Menschen aufhalten, andererseits. Die Entscheidung des Gesetzgebers war dabei elegant: Erst die Verwertung durch Verbreitung oder Zurschaustellung sollte einer Erlaubnis (§  22 KunstUrhG) oder einer besonderen Rechtfertigung bedürfen; das schlichte Herstellen von Aufnahmen wurde hingegen straflos gestellt. Dabei begründet §  23 KunstUrhG eine wichtige Schranke. Erlaubt sind danach „Bilder, auf denen die Personen nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonsti­ gen Örtlichkeit erscheinen“ und „Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnli­ chen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben“. Solange also nicht das Individuum im Vordergrund steht, ist die Verwertung zulässig. Nur bei einem „berechtigten Interesse“ (§  23 Abs.  2 KunstUrhG) kann hiervon abgewi­ chen werden. Damit entsprach die Rechtslage der realen Wahrnehmung: Was tatsächlich gese­ hen wird (und gesehen werden darf), darf auch bildlich fixiert werden. Da niemand ein Recht darauf hat, von anderen ebenfalls anwesenden Personen nicht wahrgenom­ men zu werden, kann es auch keinen Anspruch auf Unkenntlichmachung im Nach­ hinein geben. Erst wenn Hindernisse überwunden werden müssen, ist bereits die Erstellung des Bildes verboten (§  201a StGB).129 Im Übrigen greift die rechtliche 127  Konsequent verweist Ronellenfitsch, DuD 2008, 110, 114 denn auch primär auf präventive Maßnahmen der „Datennotwehr“. 128  Zu historischen Bildnisverboten (angefangen mit dem biblischen Gebot, Exodus 2, 4) siehe Tinnefeld/Viethen, NZA 2003, 468, 469. 129 Dazu Flechsig, ZUM 2004, 605, 610 f.; Borgmann, NJW 2004, 2133.

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Kontrolle hingegen erst auf der Verwertungsstufe (wobei diese nicht zwingend mo­ netäre Gegenleistungen voraussetzt) ein.130 Als erster Anhaltspunkt für die Behandlung von Fällen nicht geschützter bzw. nicht schutzfähiger Informationen könnte bereits hier festgestellt werden, dass die Erhebung und Kenntnisnahme öffentlich zugänglicher Informationen freigestellt wird. Damit würde der regelmäßig vergebliche Versuch, die Erfassung solcher offen­ sichtlicher Tatsachen durch staatliche Regulierung zu verhindern, entbehrlich. Dem­ gegenüber wäre die Nutzung von Daten einwilligungsbedürftig, unabhängig davon, ob diese gewerblich, entgeltlich oder zu einem ideellen Zweck erfolgt. In dieser zwei­ ten Phase der Weitergabe an Personen, die nicht selbst die Information erlangen konnten, ist die Feststellung einer Verletzung mit deutlich geringerem Aufwand möglich. Die Rechtsprechung hat sich jedoch nicht an die im Gesetz zum Ausdruck kom­ mende Wertung gebunden gefühlt, sondern hat schrittweise131 §  22 KunstUrhG durch ein weitreichenderes Recht am eigenen Bild ergänzt, das auch der Herstellung von Abbildungen entgegensteht.132 Dabei muss noch nicht einmal die Absicht beste­ hen, das Bild bzw. Video öffentlich zugänglich zu machen. Auch der Umstand, dass das Bild oder Video im öffentlichen Raum erstellt wird, steht dem nicht entgegen. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass ansonsten Schutzlücken im Hinblick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht entstünden. Eine umfassende Dokumenta­ tion würde das Verhalten der Betroffenen beeinflussen und so ihre Handlungsfrei­ heit beeinträchtigen;133 es wird das allgemeine Lebensgefühl beeinträchtigt. Zudem erhöht die Existenz von Fotos, selbst wenn diese nicht in der Absicht der späteren Verwendung angefertigt wurden, die Gefahr, dass diese später rechtsbeeinträchti­ gend verwertet werden.134 Dieses Argument überzeugt freilich dann nicht, wenn die aufgezeichneten Bilder in Echtzeit übertragen werden und eine Speicherung nicht erfolgt, vergleichbar einem Türspion oder einem Fernglas. Bemerkenswert ist, dass ein Verbot der Herstellung von Bildern durchaus in den Beratungen zum KunstUrhG

130  Eine solche Zweistufentheorie befürwortet im Ergebnis auch BVerwG NJW 2012, 2676: „Die mit einer Bildaufnahme verbundene Möglichkeit eines rechtsverletzenden Gebrauchs, insbesonde­ re einer gegen Rechte von Dritten verstoßenden Veröffentlichung, muss nicht notwendig immer auf der ersten Stufe abgewehrt werden; dies kann in vielen Fällen vielmehr auch auf der zweiten Stufe des Gebrauchs des entstandenen Bildes geschehen.“ 131  In einem ersten Schritt wurde das „Erschleichen“ von Fotografien untersagt, BGHZ 24, 200; BGH NJW 1966, 2353; BGH NJW 1975, 2075, 2976, erst später wurde eine gänzlich offene Bewer­ tung vorgenommen, BGH NJW 1995, 1955; BGH NJW 1996, 1130 f. 132 Dreier/Schulze/Dreier, §  22 KUG Rn.  13; Helle, S.  71 f.; ebenso für das Schweizer Recht Bächli, S.  59 ff., 105 ff.; BG Urteil vom 31. Mai 2012, 1C_230/2011, Rn.  8.3: „Die Vorinstanz hält im angefoch­ tenen Entscheid zu Recht fest, dass schon allein die Aufnahme des Bildes eine Persönlichkeitsverlet­ zung bedeuten kann“. 133  Zu diesem Gedanken schon Brandeis/Warren, Harv LR 4 (1890), 193. 134 Wandtke/Bullinger/Fricke, §  22 KunstUrhG Rn.  9; siehe auch BVerfG GRUR 2000, 446, 449.

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diskutiert wurde.135 Im Hinblick auf den konkreten Anlass der gesetzgeberischen Tätigkeit136 aber auch die systematische Einordnung in das Urheberrecht, das damals primär Vervielfältigungshandlungen im Blick hatte,137 hätte ein solches Verbot durchaus nahegelegen. Es wurde jedoch als nicht erforderlich angesehen; für Ex­ trem­f älle wurde eine Strafbarkeit wegen Beleidigung (§  185 StGB) in Betracht gezo­ gen.138 Schutzgut des Kunsturheberrechtsgesetzes war insoweit allein die Darstel­ lung einer Person in der Öffentlichkeit,139 nicht deren Handlungsfreiheit. Zum Ausgleich der so vorgenommenen Beschränkung muss aber über die (für die Herstellung erst Recht anwendbaren)140 gesetzlichen Schranken des §  23 Kunst­UrhG hinaus eine Abwägung erfolgen, da die von der Rechtsprechung erfassten Fälle weit über den im Kunsturhebergesetz erfassten Bereich hinausgehen.141 Die „bright line rule“, dass das Erstellen von Fotos, auf denen Personen erkennbar sind, nur mit deren Zustimmung erlaubt ist, lässt sich daher nicht aufstellen.142 Denn es wäre kaum mit der Handlungsfreiheit von Hobbyfotografen vereinbar, wenn für jegliches private Foto, auf dem auch fremde Menschen erkennbar sind, eine vorherige Vereinbarung erforderlich wäre.143 Auch Unternehmer oder Eigentümer gefährdeter Gegenstände mögen ein Interesse am Schutz ihres Vermögens durch Videoüberwachung haben.144 135  Bartnik, S.  74 unter Hinweis auf den stenografischen Bericht über die Verhandlungen in der 11. Legislaturperiode, II. Session, des Reichstages, 2. Anlageband, S.  1541. 136  Vgl. RGZ 45, 170, wo das Reichsgericht Aufnahmen vom Leichnam Bismarcks als Folge e ­ ines Hausfriedensbruchs (also einer rechtswidrigen Herstellung) für nicht verwertbar erklärte. 137  Niethammer, S.   20 zeigt, dass das Verbreitungsrecht erst durch das LUG 1901 eingeführt wurde, vorher war nur das Vervielfältigungsrecht geregelt. 138  Zu einer Prüfung anhand eines konkreten Falles siehe Teubner, JR 1979, 424. 139  Siehe BVerfGE 35, 202, wonach das allgemeine Persönlichkeitsrecht dem Einzelnen erlaubt, zu bestimmen „ob und wieweit andere sein Lebensbild im ganzen oder bestimmte Vorgänge daraus öffentlich darstellen dürfen“. 140 Dreier/Schulze/Dreier, §  22 KUG Rn.  13; Wandtke/Bullinger/Fricke, §  22 KunstUrhG Rn.  9; Bartnik, S.  75; skeptisch Helle, S.  76, der darauf verweist, dass auch ein Foto, dessen Verbreitung möglicherweise nach §  23 KunstUrhG zulässig wäre rechtswidrig hergestellt sein kann und §  23 KunstUrhG grundsätzlich nur letzteres Verhalten rechtfertige. 141  Helle, S.  73 f.; Bartnik, S.  74; solche Interessen sind regelmäßig bei beabsichtiger Verwendung als Beweis in einem Rechtsstreit (Dreier/Schulze/Dreier, §  22 KUG Rn.  14 jedenfalls bei konkret hierzu angefertigten Fotos OLG Hamburg AfP 1991, 473; KG NJW 1980, 894; enger OLG Hamm JZ 1988, 308; einschränkend für dauerhafte Überwachung KG WM 2008, 663; OLG Köln NJW 2005, 2997; OLG Karlsruhe NJW 2002, 2799) gegeben, die abstrakt-generelle Absicht zur Sicherung des eigenen Eigentums genügt hingegen nicht (BGH NJW 1995, 1955). 142  Damm/Rehbock/Smid, Rn.  148, anders wohl Prinz/Peters, Rn.  816; Horst, NJW 2009, 1787, 1788 dagegen zu Recht Bartnik, S.  75; sehr weit OLG Schleswig NJW 1980, 352. 143  BG Urteil vom 31. Mai 2012, 1C_230/2011, Rn.  10.6.6: „Bei einer gesamthaften Abwägung der verschiedenen Interessen ist auch zu beachten, dass angesichts der in der heutigen Gesellschaft fak­ tisch bestehenden Einbindung von Personendaten in die soziale Realität nicht ein totaler Schutz vor einer unbefugten Bildveröffentlichung gewährleistet werden kann. Häufig haben die Bilder und be­ troffenen Daten nur eine geringe Persönlichkeitsrelevanz und sie geben einen statischen Zustand wieder, der in der Regel einige Zeit zurückliegt, ohne dass der genaue Zeitpunkt der Aufnahme für den Betrachter erkennbar wäre.“; fragwürdig insoweit BeckOK-BGB/Bamberger, §  12 BGB Rn.  107, der pauschal Aufnahmen im Alltag mit Handys als „Bilderschleichung“ qualifiziert. 144  Siehe auch zum Interesse des Arbeitgebers Tinnefeld/Viethen, NZA 2003, 468, 471.

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§  2  Alternative Selbsthilfe

Aber auch die umgekehrte Überlegung, dass nach Einführung des §  201a StGB im Jahr 2004 Aufnahmen zulässig seien, soweit sie nicht unter dessen Tatbestand zu subsumieren sind, ist kaum haltbar. Im Hinblick auf das Schutzgut des erweiterten Rechts am eigenen Bild wird man vor allem Fotografien in der Absicht späterer Ver­ wertung im Sinne eines Vorfeldschutzes,145 das Eindringen in nicht öffentlich zu­ gängliche Räume,146 sowie Foto- und Videoüberwachungen mit erheblichem belästi­ genden Charakter147 untersagen können. Im Gegensatz zur nach §  33 KunstUrhG strafbaren Verbreitung besteht außerhalb von §  201a StGB keine hoheitliche Sank­tio­ nierung; ein Vermögensschaden allein durch die Herstellung des Bildes dürfte regel­ mäßig nicht bestehen, so dass Schadensersatzansprüche leer laufen.148 Es verbleiben Beseitigungsansprüche149 sowie die Durchsetzung im Wege der Notwehr.150 Insgesamt stellt das auf die Herstellung erweiterte Recht am eigenen Bild also die Grundwertung des KunstUrhG nicht in Frage. Im Allgemeinen ist es zulässig, andere Personen nicht nur wahrzunehmen, sondern diese auch dauerhaft auf Fotos oder Filme aufzuzeichnen; dies ist gerade Bestandteil der allgemeinen Handlungsfreiheit des Aufzeichnenden. Nur in Ausnahmefällen greift bereits ein Vorfeldschutz, weil eine verbotene Verwertung absehbar ist. Ergänzend greift der allgemeine, über §  226 BGB hinausgehende Rechtsmissbrauchsgedanke, wonach die Ausübung des eigenen Rechts andere in ihrer Freiheit nicht unzumutbar beeinträchtigen darf. In solchen Extremfällen (dauerhafte Überwachung151, Eindringen in geschützte Bereiche) kann das Verhalten ebenfalls unterbunden werden. Im Übrigen besteht aber kein absolutes Recht, die Aufzeichnung des eigenen Bildes zu verhindern.

145  Tendenziell so die Lage in Frankreich Bartnik, S.  79 f.; Gerlach, JZ 1998, 741; in diesen Kon­ text gehören auch die Entscheidung LG Düsseldorf, ZUM-RD 2009, 674; OLG Hamburg ZUM-RD 2012, 462. 146  Czernik, GRUR 2012, 457; Während die Heimlichkeit der Aufnahme nicht per se zur Rechts­ widrigkeit führen muss, da sonst Investigativjournalismus kaum möglich wäre, vgl Bartnik, S.  75; zur schwierigen Grenzziehung bei §  201a StGB OLG Koblenz NStZ 2009, 268. 147  Helle, S.  77; tendenziell in diesen Bereich (und nicht in eine Sphärenabgrenzung) gehören etwa Aufnahmen eines Kamerateams in Kanzleiräumen gegen den erklärten Willen der dort prä­ senten Beschäftigten, OLG München AfP 1992, 70; LG Hamburg ZUM 1996, 430. 148  Denkbar wäre bei „schwerwiegenden“ Eingriffen eine Geldentschädigung, der BVerfG ZUM 2000, 947; BGH GRUR 1995, 224; BGH GRUR 1996, 373 ausdrücklich Präventions- und Genugtu­ ungsfunktion beimessen, dazu Dreier/Schulze/Dreier, §§  33–50 KUG Rn.  21. 149  Siehe dazu OLG Karlsruhe NJW-RR 1999, 1699. 150  OLG Hamburg ZUM-RD 2012, 462; OLG Düsseldorf NJW 1994, 1971; OLG Karlsruhe NStZ 1982, 123 (Irrtumsfall); Dreier/Schulze/Dreier, §  22 KUG Rn.  15; Wandtke/Bullinger/Fricke, §  22 KunstUrhG Rn.  9; BeckOK-BGB/Bamberger, §  12 BGB Rn.  106. 151  Horst, NJW 2009, 1787, 1788; vgl. zur Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume §  6 BDSG, dazu Tinnefeld/Viethen, NZA 2003, 468, 468. In Frankreich wird die (dauerhafte) Überwa­ chung von Räumen aus Sicherheitsgründen hingegen grundsätzlich erlaubt, spezialgesetzlich (!) verboten ist das Überwachen von Hauseingängen und Wohnungen durch Kameras, soweit nicht ausnahmsweise die öffentliche Sicherheit und Ordnung überwiegt, vgl. Bartnik, S.  80; BVerfG NJW 2000, 1025 f.

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(2)  Google StreetView Das US-amerikanische Unternehmen Google, Inc. ließ im Jahr 2009 in zahlreichen deutschen Großstädten Fotoaufnahmen aus Straßenperspektive erstellen, die man auf den unter „Google Maps“152 verfügbaren Stadtplänen als „virtuelle Landschaft“ durchwandern kann („Streetview“).153 In den USA hatte dieses dreidimensionale Abfotografieren von Städten bereits 2007 begonnen. In der Ursprungsversion war es problemlos möglich, etwa auf das Gesicht eines Mannes zu zoomen, der zum Zeit­ punkt der Vorbeifahrt des Kamerawagens einen Strip Club verließ.154 Dies war An­ lass für Proteste, die auch in der Presse erheblich Raum einnahmen.155 Ähnliche, wenn auch weniger öffentliche, Kritik traf die Firma Microsoft, die mit ihrem Dienst „Streetside“156 Anfang 2012 ein vergleichbares Angebot bereitstellte,157 das jedoch im Mai 2012 wegen Bedenken an der rechtlichen Zulässigkeit vorläufig wieder abgestellt wurde.158 Trotz aller Kritik sollten aber die Vorteile derartige Angebote nicht außer Betracht bleiben. Kartendienste helfen nicht nur bei der Navigation in einer fremden Stadt, sondern auch bei der Informationsbeschaffung vor einer Reise oder gar im Schulunterricht.159 Die Abwägung allein mit den wirtschaftlichen Interessen von Google wäre daher ebenso fehlgeleitet wie bei der Presse, die regelmäßig auch ge­ winn­orientiert arbeitet und nicht ausschließlich gemeinnützig den Informationsin­ teressen der Öffentlichkeit dienen will. Trotz erheblicher Kritik in der Öffentlichkeit erging keine gerichtliche Entschei­ dung, welche das Vorgehen von Google untersagte. Soweit die Einwände rechtlich begründet wurden, bezogen sich die Kritiker auf das Eigentumsrecht an den Gebäu­ den (§  903 BGB), auf Urheberpersönlichkeitsrechte (§§  12 ff. UrhG), das Recht am ei­ 152 maps.google.com.

153  Zum technischen Hintergrund siehe Anguelov/Dulong/Filip/Frueh/Lafon/Lyon/Ogale/ Vincent/Weaver, Computer 43 (2010), 32. 154  Top 15 Google Street View sightings, mashable.com/2007/05/31/top-15-google-street-viewsightings (Bilder 3, 16, 17). 155  Siehe nur FAZ vom 26. Februar 2010, S.  43, Hiermit widerspreche ich – Handreichung aus gegebenem Anlass: Wie man sich bei Google Street View abmeldet; FAZ vom 13. August 2010, Kri­ tik an Google nimmt zu Konzern präzisiert Widerspruchsfrist gegen „Street View“; FAS vom 24. Mai 2009, S.  45, Wie wehre ich mich gegen die Späher von Google? Google fotografiert halb Deutsch­ land und stellt die Aufnahmen ins Internet. Wem das nicht passt, der muss widersprechen. 156 maps.bing.com. 157  FAZ vom 29. Dezember 2011, S.  35, Schöne Bescherung Microsoft startet den Dienst „Bing Streetside“, wonach nur 81.000 Bürger widersprochen haben (im Vergleich zu 244, 000 Bürgern bei Google). 158  FAZ vom 24. Mai 2012, S.  33, Microsoft schaltet Kartendienst ab. 159  Meier, mEDIALEX 2011, 69, 70; BG Urteil vom 31. Mai 2012, 1C_230/2011 Rn.  10.6.1: „Es ist offensichtlich, dass Street View seit seiner Einführung für einen erheblichen Teil der Bevölkerung die Suche nach Informationen über den öffentlichen Raum erleichtert und insofern ein willkomme­ nes, legitimes Hilfsmittel etwa bei der Reiseplanung, der Suche nach einer Liegenschaft oder der Erkundung unbekannter Örtlichkeiten darstellt. In diesem Sinne ergänzt der Dienst die Orientie­ rung mittels Stadtplänen oder Landkarten, die auch im Internet konsultiert werden können. Allfäl­ lige unlautere Absichten gewisser Nutzer stellen die grundsätzlich positiven Aspekte der mit Street View eröffneten Orientierungshilfen nicht infrage“; unzutreffend daher Weber, NJOZ 2011, 673, 674.

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genen Bild (§  22 KunstUrhG) aber auch auf das Datenschutzrecht (§  4 BDSG).160 Das Kammergericht entschied jedoch in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren, dass das Vorgehen von Google jedenfalls solange erlaubt war, als keine konkrete Ver­ letzung der Privatsphäre erfolgte.161 Dennoch war die Kritik in Presse und Politik erfolgreich. Google führt das Projekt in Deutschland nicht mehr fort; die bestehen­ den Aufnahmen bleiben zwar erhalten, es werden aber keine neuen erstellt oder alte aktualisiert.162 Im Kontext dieser Arbeit ist dieses Ergebnis bemerkenswert, da die fotografierten Gegenstände allesamt für die Öffentlichkeit sichtbar waren, also eine abgrenzbare Schutzsphäre gerade nicht bestand.163 (a)  Recht am eigenen Bild Soweit durch die erstellten Fotos das Recht am eigenen Bild betroffen ist, kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.164 Da die Bilder über eine Internetseite zur Schau gestellt werden, kommt als Rechtfertigungsgrund namentlich §  23 Abs.  1 Nr.  2 KunstUrhG in Betracht, da die Personen nur „Beiwerk“ zur Aufnahme der Lokalitä­ ten darstellen165. Eine der dauerhaften Videoüberwachung vergleichbare Gefähr­ dung der Handlungsfreiheit der Betroffenen besteht nicht, da nur einzelne Moment­ aufnahmen erstellt werden.166 Auch die Popularität der Internetseite kann kein rele­ vanter Aspekt bei der Beurteilung sein, da das Interesse der Öffentlichkeit an der Kenntnisnahme der örtlichen Gegebenheiten nicht vom Verbreitungsgrad abhängig ist.167 Bedenken bereitet nur die Möglichkeit der Nutzer, durch Vergrößerung von Bildausschnitten selbst eine Person in den Vordergrund des Bildes zu rücken.168 Die Möglichkeit zur Nachbearbeitung besteht freilich bei allen digital abrufbaren Bil­ dern in hoher Auflösung.169 Es wäre bedenklich, die Möglichkeit zum Ausschneiden 160 

Ernst, CR 2010, 178 sowie Maisch/Albrecht, juris AnwZert ITR 2010. KG MMR 2011, 414. 162  Hamburgischer Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit, Keine weiteren Ver­ öffentlichungen von Bildern in Google Street View, Press release 11 April 2011, www.daten schutz-hamburg.de/news/detail/article/dies-ist-ein-pressebeitrag2-copy-3.html?tx_ttnews%5B backPid%5D=160&cHash=ed9af9132a9387c95fd43f6391e99736. 163 Vor dem Hintergrund der Sphärentheorie zutreffend stellte LG Waldshut-Tiengen MMR 2000, 172, 174 in einem vergleichbaren Fall fest: „Durch die Aufnahme und gewerbliche Weiterver­ breitung von Abbildungen der Außenansicht des Wohngebäudes des Kl. wird dabei nur der Teilbe­ reich seines Persönlichkeitsrechts berührt, der ohnehin der Öffentlichkeit zugewandt ist und des­ halb von vornherein allenfalls einen sehr begrenzten deliktischen Schutz genießen kann“. 164  Oben §  2A.I.2c.cc(1), S. 223. 165  LG Waldshut-Tiengen MMR 2000, 172, 174; BeckOK-UrhG/Engels, §  23 KunstUrhG Rn.  13; Dreier/Schulze/Dreier, §  23 KUG Rn.  14; Wandtke/Bullinger/Fricke, §  23 KunstUrhG Rn.  24; vor­ sichtig Dreier/Spiecker genannt Döhmann, S.  42 f. 166  Siehe dazu §  6a BDSG; BVerfG NVwZ 2007, 688; LG München I ZD 2012, 76; BGH NJW-RR 2012, 140; BGH VersR 1995, 841; AG Hamburg MMR 2009, 72; Horst, NJW 2009, 1787. 167  Nach BVerfGE 120, 180 genügt es, dass eine Information nicht auf einen eng beschränkten Personenkreis beschränkt bleibt, sondern der breiten Öffentlichkeit zugänglich wird. 168  Ernst, CR 2010, 178, 180; Caspar, DÖV 2009, 965, 970; Weber, NJOZ 2011, 673, 674. 169  Lindner, ZUM 2010, 292, 294; Meyer, K&R 2008, 201, 207. 161 

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von Teilelementen als Ausschlussgrund zu §  23 KunstUrhG einzusetzen, da die Schranke sonst im Zeitalter der Digitalfotografie leerliefe. Dennoch wird im Rahmen des §  23 Abs.  2 KunstUrhG zu Recht eine automatische Anonymisierung von Personen befürwortet, da dies ohne größeren Kosten- und Zeitaufwand erfolgen kann und weder die Interessen der Nutzer noch diejenigen des Anbieters beeinträchtigt. Auch Google erklärte sich freiwillig bereit, vollautomatisch alle Gesichter und PKW-Kennzeichen durch Verpixelung unkenntlich zu ma­ chen.170Allerdings ist die automatische Unkenntlichmachung von Gesichtern nicht garantiert fehlerfrei, sondern birgt eine Fehlerquote von mindestens 0,5  %.171 Zudem führt auch die Unkenntlichmachung von Gesichtern und Kennzeichen nicht zu einer völligen Anonymisierung, da auch andere Merkmale hierzu genügen können.172 Eine vollständige Unkenntlichmachung aller möglicherweise zufällig auf einem Foto sichtbaren Personen ist ohne menschliches Eingreifen nicht möglich, was aber wie­ derum die Sichtung von mehreren Millionen (!) Fotos allein für die wenigen erfass­ ten Städte Deutschland bedeuten würde. Das ist schlicht nicht realisierbar. Der Kom­ promiss muss daher in einer Widerspruchslösung gesucht werden; ergänzend kann für besonders rufgefährdende Gebäude (Gerichte, Gefängnisse, Bordelle, etc.) eine manuelle ex ante Kontrolle verlangt werden.173 Damit ist grundsätzlich auch den Vo­ raussetzungen des Datenschutzrechts Genüge getan. (b)  Schutz der abgebildeten Gebäude, Fahrzeuge und sonstiger Sachen? Neben dem Schutz der Personen wurde teilweise ein Schutz der fotografierten Ge­ bäude angenommen. Hier könnte man jedenfalls im Urheberrecht aufgrund von §  57 UrhG entsprechend zu dem auf das Recht am eigenen Bild beschränkten §  23 Abs.  1 Nr.  2 KunstUrhG annehmen, dass der einzelne Gegenstand nur „unwesentliches Bei­ werk“ wäre. Als „Hauptwerk“ käme dann nur die Abbildung der gesamten Stadt in Betracht.174 Gegen diesen Ansatz spricht freilich, dass eine Vielzahl von Einzelfotos nicht die Bedeutung des einzelnen Stücks verringern kann. Es ist gerade Sinn und Zweck von StreetView und vergleichbaren Diensten, die Straße mit allen daran anliegenden Ge­ bäuden abzubilden. Eine Rechtfertigung eines Eingriffs in das Urheberrecht der Ar­ chitekten durch §  57 UrhG scheidet also jedenfalls für die Gebäude aus; etwas ande­ res mag für PKW, Plakate, Fahrräder und andere Gegenstände gelten. 170 

Google Maps, Privacy, maps.google.co.uk/intl/en_uk/help/maps/streetview/privacy.html. Meyer, K&R 2009, 217, 224; BG Urteil vom 31. Mai 2012, 1C_230/2011 Rn.  6.3., 10.6.2: „Die Fehlerquote der von den Beschwerdeführerinnen verwendeten Verwischungstechnologie beträgt nach dem angefochtenen Entscheid 0, 9 bis 2,5  %, wobei die Beschwerdeführerinnen behaupten, sie hätten die Qualität der automatisierten Verwischung seither noch verbessert, was tatsächlich zu ei­ ner tieferen Fehlerquote führe“. 172  Anschaulich AG München ZUM 2013, 159; Dreier/Spiecker genannt Döhmann, S.  83 f.; Müller 2011, S.  49. 173  BG Urteil vom 31. Mai 2012, 1C_230/2011 Rn.  6.3., 10.6.4. 174 So Chirco, S.  140 zu Google Earth. 171 

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(c)  Wertung der urheberrechtlichen Panoramafreiheit Nun ist es so, dass die Straßenfront eines Gebäudes ohnehin öffentlich für jeden sichtbar und fotografierbar ist.175 Urheberrechtlich ist diese Problematik explizit ge­ regelt.176 Nach §  59 UrhG (und schon früher nach §  20 KunstUrhG 1907 und davor nach §  6 Nr.  3 KG 1876) ist es urheberrechtlich erlaubt, Werke, die sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden, mit Mitteln der Malerei oder Grafik, durch Lichtbild oder durch Film zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffent­ lich wiederzugeben.177 Ähnlich urteilt auch das Schweizer Recht zu „Werken auf all­ gemein zugänglichem Grund“ (Art.  27 Abs.  1 schwURG). Weitergehend erlaubt das österreichische Recht (§  54 Abs.  1 öUrhG) sogar „Werke der Baukunst nach einem ausgeführten Bau oder andere Werke der bildenden Künste nach Werkstücken, die dazu angefertigt wurden, sich bleibend an einem öffentlichen Ort zu befinden, zu vervielfältigen, zu verbreiten, durch optische Einrichtungen öffentlich vorzuführen, durch Rundfunk zu senden und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen“. Anders als in Deutschland entfällt die Beschränkung auf die Außensicht178 vor allem aber kann die Aufnahme von einem beliebigen Ort und damit auch aus einer Privatwoh­ nung erstellt werden.179 Auch das britische Urheberrecht erlaubt derartige Abbildun­ gen (§  62 UK-Copyrights, Designs and Patents Act 1988). Ganz unumstritten ist die Regelung trotz ihrer langen Tradition aber nicht geblie­ ben; so wurde 2008 aufgrund eines Vorschlags der Enquête-Kommission „Kultur in Deutschland“ eine Beschränkung auf die nichtkommerzielle Nutzung oder die Dar­ stellung von anderen Gebäuden als Bauwerken diskutiert.180 Derartige Schranken kennen etwa das dänische und das finnische Recht (Art.  24 dänURG bzw. Art.  25a finnURG). Das französische, belgische und luxemburgische Recht erlaubt nur Abbil­ dungen auf denen das Bauwerk bloßes Beiwerk ist. Zulässig sind freilich Bilder zu persönlichen Zwecken, soweit diese nicht veröffentlicht werden. In den Niederlan­ den hatte die Regelung demgegenüber eine wechselhafte Geschichte; nach Abschaf­ fung im Jahr 1973 wurde die Panoramafreiheit 2004 wieder eingeführt (Art.  18 NL-UrhG).181 Vor dem Hintergrund dieser Kritik verwundert es kaum, dass auch die Anwend­ barkeit von §  59 UrhG auf die hier in Rede stehende Digitalisierung von Straßenzü­ gen durch Kamerawagen verneint wurde. Hierzu wird auf die vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Schutzes des Urhebers restriktive Rechtsprechung ver­ wiesen. Dabei finden sich im Wesentlichen zwei Ansatzpunkte, um eine Freistellung zu veneinen. 175 

Zu diesem Zusammenhang siehe BVerfG ZUM 2006, 631. Zum verfassungsrechtlichen Hintergrund Chirco, S.  78 ff. 177  Dreier/Spiecker genannt Döhmann, S.  22 ff. 178  OGH 4 Ob 106/89. 179  Das war der Streitpunkt in BGH NJW 2004, 594 (Hundertwasser-Haus). 180 Vgl. Schlussbericht der Enquete-Kommission, BT-Drs. 16/7000, S.   267; eine Vergütungs­ pflicht für solche Nutzungen schlägt auch Chirco, S.  248 vor. 181  Näher zu ausländischen Regelungen Chirco, S.  56 ff. 176 

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Zunächst könnte man geneigt sein, die erhöhte Kameraperspektive der G ­ oogle182 Wagen als Hilfsmittel zur Überwindung eines Schutzes zu qualifizieren. Dieser Ansatz überzeugt aber nicht, wenn man eine Parallele zu Personen vor Ort zieht.183 Denn einerseits gibt es durchaus hohe Fahrzeuge, die durch diese Höhe nicht be­ schränkt werden. Weitergehend ist der Höhenunterschied nicht so erheblich, dass tatsächlich von einer Umgehung gesprochen werden kann. Schließlich ist auch die Umgehungsabsicht nicht ersichtlich, vielmehr gibt es durchaus sachliche Gründe (Einnahme einer Fußgängerperspektive, Berücksichtigung von Hindernissen in Ge­ stalt parkender PKW) für die Gestaltung der Fahrzeuge. Zweitens wird aus dem Wortlaut von §  59 Abs.  1 UrhG gefolgert, dass die Werke auf Dauer an dem konkreten Ort zugänglich sein müssen.184 Damit wären etwa Jahrmärkte, Weihnachtsbäume, Fahrzeuge, Plakate und andere mobile Einrichtun­ gen nicht von der Panoramafreiheit erfasst. Auch insoweit ist die Norm aber weit auszulegen. Sinn und Zweck ist es gerade, Landschaftsaufnahmen auch in Städten zu ermöglichen, was bei einer derart engen Auslegung unmöglich wäre, da kaum eine Situation denkbar ist, in der keine parkenden Autos oder ähnliches im Bild wären.185 Plakate, Straßenmalereien, Grafitti und ähnliche Gegenstände werden nach ihrer Ausstellung zumeist vernichtet (bleiben also während ihrer Lebenszeit öffentlich),186 PKW verbleiben „dauernd“ im öffentlichen Straßenraum.187 Die Beurteilung des verhüllten Reichstags188 ist insoweit als eng begrenzte Ausnahme hinsichtlich einer einmaligen auf zwei Wochen begrenzten Ausstellung, die auch vom öffentlichen Raum aus sichtbar ist, zu verstehen. Im Ergebnis wird man daher urheberrechtlich das Erstellen von Fotos zulassen müssen, soweit eine natürliche Person in der gleichen Lage bei Nutzung verkehrsüb­ licher und mit dem Widmungszweck vereinbarer Mittel das aufgenommene Bild in gleicher Form hätte wahrnehmen können. Das deutsche Urheberrecht kann daher keinen wirksamen Schutz von Werken an öffentlichen Plätzen gewährleisten; denk­ bar erscheinen nur Schranken hinsichtlich der späteren Verwertung (der zweiten Stufe im obigen Sinne), insbesondere eine Vergütungspflicht. (d)  Eigentumsrechte, „Eigentümerpersönlichkeitsrecht“ Zwar hat der Eigentümer einer Sache nach §  903 BGB die Befugnis, Dritte von deren Nutzung auszuschließen (siehe auch §  1004 BGB).189 Das schlichte Ansehen ist da­ 182 

Zu diesem Ansatz des Schutzes der Privatsphäre BGH NJW 2004, 762, 763. So aber Ernst, CR 2010, 178, 183; dagegen zu Recht Chirco, S.  141. 184  BGHZ 150, 6 zum verhüllten Reichstag; Wandtke/Bullinger/Lüft, §  59 UrhG Rn.  4. 185  Chirco, S.  173. 186 Wandtke/Bullinger/Lüft, §  59 UrhG Rn.  5. 187  Chirco, S.  173. 188  BGH GRUR 2002, 605, 607. 189  OLG Brandenburg GRUR 2010, 927 (unter Hinweis auf BGH GRUR 1990, 390, 391) verlangt zu Unrecht eine „Substanzeinwirkung“; dagegen zu Recht BGH ZUM 2011, 327 Rn.  17; Flöter/Königs, ZUM 2012, 383, 84. 183 

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§  2  Alternative Selbsthilfe

von jedoch ebensowenig erfasst wie das Fotografieren – ein „Recht an der eigenen Sache“ gibt es nicht.190 Etwas anderes gilt nur, soweit bereits das Foto vom fremden Grundstück aus erstellt wird.191 Soweit also keine Hindernisse überwunden werden müssen und das Foto vom öffentlichen Verkehrsraum aus erstellt wird, ist sogar die kommerzielle Verwendung derartiger Fotos zulässig.192 Allgemein begründet das Abfotografieren fremder Sachen daher rechtlich keine Ansprüche.193 Der maßgebli­ che Test ist also auch hier, ob das betreffende Gebäude sich dem Betrachter nicht mit bloßem Auge ohne Hilfsmittel vom öffentlichen Land aus erschließt.194 Dies ist bei Diensten wie Google Streetview aber gerade nicht der Fall.195 Etwas anderes mag gelten, wenn innerhalb von Parks Bilder durch Fahrradkameras erstellt werden.196 Auch die mit dem Sacheigentum einhergehenden persönlichkeitsrechtlichen As­ pekte rechtfertigen keine andere Auslegung. Zwar mag man aus der nicht urheber­ rechtlich schutzfähigen Gestaltung eines Vorgartens oder aus Fensterdekorationen Rückschlüsse auf die Person des Sachherrn ziehen können. Aber die Gefahr einer Fehldarstellung in der Öffentlichkeit ist so gering, dass sie bei Massenaufnahmen in den Hintergrund treten muss.197 Das LG Köln hatte konsequent zu einem Street­ View vergleichbaren Angebot entschieden, dass die Veröffentlichung von Fotos von Wohngebäuden auf einer Internetseite nicht gegen das allgemeine Persönlichkeits­ recht und jedenfalls wenn es zusammen mit weiteren Informationen erfolgt (etwa Angaben zu Baustil und Geschichte), auch nicht gegen das spezielle Datenschutz­ recht verstößt.198 Freilich stützte sich die damalige Argumentation primär auf das Medienprivileg des Art.  5 Abs.  1 GG, das für Google oder Microsoft mangels Erbrin­ gung eines Beitrags zur Meinungsbildung teilweise verneint wird.199 Auch im Hin­ blick auf Sachabbildungen war Google aber zu freiwilligen Verzichtsmaßnahmen bereit und sah vor, dass einzelne Gebäude auf Wunsch durch Verpixelung unkennt­ lich gemacht werden. Hierzu musste per Internetformular ein Antrag gestellt wer­ 190  Ausdrücklich OLG Köln NJW 2004, 619; ebenso BGH NJW 2011, 749, 750 Rn.  15 (wenn­ gleich die Entscheidung in die gegenteilige Richtung deutet); Wandtke/Bullinger/Fricke, §  22 Kunst­ UrhG Rn.  21. 191 Und zwar unabhängig von einem diesbezüglichen Urheberrecht und der Öffnung des Grundstücks für den Zugang durch Dritte, BGH GRUR 2011, 323; Flöter/Königs, ZUM 2012, 383, 385 f. (auch zur Kritik). 192  BGH NJW 1989, 2251; BGH NJW 1975, 778; Dreier/Spiecker genannt Döhmann, S.  32; kri­ tisch allerdings Wanckel, NJW 2011, 1779, 1780 (wegen der zufälligen Benachteiligung von Eigentü­ mern deren Gebäude vom öffentlichen Raum aus einsehbar sind). 193  BGH GRUR 2004, 438, 440; Spoenle, jurisPR-ITR 2010, Anm. 2; Ernst, jurisPR-WettbR 2010, Anm. 4 unter Hinweis auf die anschauliche Entscheidung AG Köln, Urteil vom 22. Juni 2010, Az.  111 C 33/10 (Kein Schadensersatz für Nutzung des Fotos einer fremden Kuh für eine „Kuh-Cha­ rity-Party“); Flöter/Königs, ZUM 2012, 383, 385. 194  LG Berlin AfP 2004, 152, 154; Wandtke/Bullinger/Fricke, §  22 KunstUrhG Rn.  21. 195  LG Waldshut-Tiengen MMR 2000, 172, 174; Weber, NJOZ 2011, 673, 675 f. 196  Ernst, CR 2010, 178, 182 (zu §  59 UrhG). 197  Lindner, ZUM 2010, 292, 292. 198  LG Köln MMR 2010, 278 – 280. 199  Moritz, jurisPR-ITR 2010, Anm. 2.

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den. Wahrgenommen wurde diese Unkenntlichmachungsmöglichkeit von 244.000 Bürgern aus 20 Städten, etwa 3  % der Betroffenen. Insgesamt treten die Interessen des Eigentümers und erst Recht diejenigen des Be­ sitzers bei öffentlich einsehbaren Gegenständen zurück.200 (e) Datenschutz Damit verbleibt wiederum nur das kaum greifbare Argument eines Verstoßes gegen den allgemeinen Schutz personenbezogener Daten. Ob Häuserfassaden überhaupt dem Datenschutzrecht unterfallen, ist umstritten.201 Entschieden wurde bislang nur, dass die Verknüpfung von Personendaten mit Fotos regelmäßig unzulässig ist.202 Daraus lässt sich aber nicht im Umkehrschluss folgern, dass ansonsten Fotos von Sachen für jeden Zweck erstellt und benutzt werden dürften.203 Das US-amerikanische Recht stellt insoweit keine Hindernisse auf, da es nach der dortigen Verkehrserwartung bei Aufenthalt auf einer öffentlichen Straße (als „public space“) keinerlei Erwartung hinsichtlich der Vertraulichkeit („reasonable expecta­ tion of privacy“) gibt. Etwas anderes gilt vor allem am Arbeitsplatz oder in Privaträu­ men. Daher konnte man dort von einer konkludenten Einwilligung in die Erstellung der Aufnahmen („implied consent“) ausgehen.204 In Deutschland sind derartige Beschränkungen des Persönlichkeitsschutzes grundsätzlich unbekannt.205 Der Schutzbedarf auch im öffentlichen Raum ist sogar auf Ebene der EMRK anerkannt.206 Eine konkludente Einwilligung wird man daher nicht annehmen können. Es bedarf daher eines besonderen gesetzlichen Rechtferti­ gungsgrundes. Als solcher Rechtfertigungsgrund greift die Schranke der §§  28 Abs.  1 S.  1 Nr.  3, 29 Abs.  1 Nr.  2 BDSG.207 Danach ist das geschäftsmäßige Erheben, Spei­ chern, Verändern oder Nutzen personenbezogener Daten zulässig, soweit an Dritte zu übermittelnde „Daten aus allgemein zugänglichen Quellen entnommen werden können“ oder die für eigene Geschäftszwecke genutzten Daten „allgemein zugäng­ lich sind“. Dies ist im Hinblick auf das Straßenbild zu bejahen.208 Hiergegen wird allerdings wiederum vorgebracht, dass die Aufnahmen aus einer Höhe von 3 Metern über der Straße erfolge, was über dem Sichtwinkel eines norma­ 200 

Weber, NJOZ 2011, 673, 675 f. Dreier/Spiecker genannt Döhmann, S.  74 ff., 82; befürwortend BG Urteil vom 31. Mai 2012, 1C_230/2011 Rn.  6.3. 202  BVerfG ZUM 2006, 631 203  So aber Lindner, ZUM 2010, 292, 293 f. 204  Zum Implied Consent Ohly, S.  381 ff.; zur Einwilligung auch noch unten §  3A.II.2, S. 320. 205  Siehe zur grundsätzlichen Begrenzung der Selbsthilfe zugunsten des allgemeinen Persön­ lichkeitsrechts auf einen räumlich erfassbaren Privatbereich oben §  2A.I.2c.aa(3), S. 216 und unten §  3B.II.3, S. 358. 206  EGMR NJW 2004, 2647 (Caroline von Hannover). 207  Zur Vereinbarkeit mit den Vorgaben der EU-Datenschutzrichtlinie siehe van der Sloot/Zuiderveen Borgesius, CRI 2012, 103, 103 ff. 208  Lindner, ZUM 2010, 292, 298; Weichert, Datenschutzrechtliche Bewertung des Projektes „Google Street View“, (unter II). 201 Siehe

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§  2  Alternative Selbsthilfe

len Fußgängers läge und daher über die der Öffentlichkeit zugänglichen Informatio­ nen hinausgehe.209 Zudem besteht die Gefahr, dass aufgrund der zufälligen Mo­ mentaufnahme auch ein Einblick in private Räume ermöglicht wird.210 Derartige Erwägungen führen aber nicht generell zu einem Ausschluss der Anwendbarkeit der datenschutzrechtlichen Schranken, sondern sind nur im Rahmen einer Abwägung zu berücksichtigen. Dabei kann sich Google nicht nur auf die eigene unternehmeri­ sche Freiheit berufen, sondern sich ergänzend auf die Rechte der (potentiellen) Nut­ zer der Dienste stützen. Vor diesem Hintergrund ist durch die Möglichkeit zum Wi­ derspruch und die rechtzeitige Ankündigung der Aufnahmen hinreichend Möglich­ keit zum Schutz der eigenen Interessen gegeben. Eines generellen Verbots mit Erlaubnisvorbehalt bedarf es daher nicht. (f) Ergebnis Durch Google Streetview und ähnliche Dienste werden die Fassade eines Gebäudes und die von Straßenperspektive aus sichtbare Einrichtung bzw. etwaige Gartenanla­ gen für jedermann per Internet abrufbar angeboten. Dies ist ein „Mehr“ gegenüber der Einsichtmöglichkeit von Personen, die tatsächlich vor Ort sein müssen, da eine Anreise entbehrlich wird. Gerade hierin liegt jedoch der Mehrwert derartiger Diens­ te, die ein Erforschen neuer Städte vom heimischen Computer aus ermöglichen. Der Gewinn für die interessierten Nutzer ist dabei sehr hoch, während die Einschrän­ kung für den einzelnen Eigentümer eher gering ist. Praktisch kann es keinen Unterschied machen, ob eine Person ein Haus mit blo­ ßem Auge oder einer Brille als Hilfsmittel betrachtet; ebenso müssen auch Kameras generell erlaubt sein. Wenn jemand Bilder von sich vor einem fremden Gebäude auf einer privaten Internetseite bereitstellt, kann darin keine Rechtsverletzung liegen, da ansonsten nicht nur die allgemeine Handlungsfreiheit, sondern auch die Meinungs­ freiheit in erheblichem Maße beschnitten würde. Der Versuch, für jedermann sicht­ bare Informationen geheim zu halten ist praktisch zum Scheitern verurteilt. Auch hier ist es also nur konsequent, den Zugriff durch Google letztlich zu erlauben. Dem entspricht es, dass die meisten EU-Staaten, aber auch die Schweiz, Google Streetview grundsätzlich für zulässig erachtet haben, und datenschutzrechtliche Bedenken durch weitgehend automatisch und kostengünstig umzusetzende Auflagen beseitigt werden konnten.211 Im Hinblick auf die abgebildeten Personen muss daher die Unkenntlichmachung der Gesichter genügen. Die Anonymisierung muss die Zuordnenbarkeit nicht für je­ dermann unmöglich machen, sondern nur für die Allgemeinheit. Dem steht nicht 209  Spiecker, CR 2010, 311, 311 (die zudem generell aufgrund einer Interessenabwägung die Zu­ lässigkeit verneint); Moritz, K & R 2010, Beilage 1 – 10, 8; diesen folgend auch BG, Urteil vom 31. Mai 2012, 1C_230/2011 Rn.  6.3., 10.7 (Höhe maximal 2 Meter, die sich aus Größe des Durchschnittspas­ santen zuzüglich Höhe des Bürgersteigs ergeben, so dass Sichtschutz durch Zäune und Hecken ge­ wahrt bleibt). 210  Ernst, CR 2010, 178, 184. 211  Überblick bei van der Sloot/Zuiderveen Borgesius, CRI 2012, 103, 107.

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entgegen, dass bestimmte Einzelpersonen aufgrund zusätzlicher Informationen (Kleidung, Uhrzeit der Aufnahme und Aufenthalt einer Person, etwaige Fahrzeuge) eine Zuordnung vornehmen können.212 Freilich sollte auch hier vorrangig auf die Möglichkeit der Betroffenen zum Selbst­ schutz zurückgegriffen werden. Dazu hat das schweizer Bundesgericht weitreichende Informationspflichten in der Presse angeordnet.213 Die Warnung allein wird sich in der Praxis aber oftmals als unzureichend erweisen. Der moderne Bürger ist es ge­ wohnt, dass der Staat ihn vor Eingriffen weitgehend schützt. Daher wird es etwa Pas­ santen nicht zugemutet, sich zur Zeit der Durchfahrt der Google-Fahrzeuge schlicht innerhalb eines von außen nicht einsehbaren Gebäudes aufzuhalten oder ihre Vor­ hänge zuzuziehen. Diese Grundwertung ist vor dem Leitbild eines autonomen, ratio­ nal handelnden Menschen durchaus fragwürdig. (3)  Beschäftigtendatenschutz und soziale Netzwerke In den letzten Jahren wurde die Frage diskutiert, in wieweit es zulässig sei, im Inter­ net zugängliche Informationen, insbesondere Selbstdarstellung in sozialen Netzwer­ ken, im Rahmen von Bewerbungsverfahren zu berücksichtigen.214 Sicherlich ist es nachvollziehbar, wenn ein Arbeitgeber eine Person, die sich öffentlich überwiegend durch Partys, anzügliche Fotos oder Alkoholexzesse präsentiert bei der Einstellung nachrangig berücksichtigt. Die darin liegende Gefahr der Vermischung unsachlicher Erwägungen mit der Sachfrage der Anstellung erscheinen Teilen der Literatur und dem Gesetzgeber im Hinblich auf die Meinungsäußerungsfreiheit (Art.  5 Abs.  1 GG) und das allgemeine Persönlichkeitsrecht aber bedenklich. Abzugrenzen davon sind die Entscheidungen, in denen Beleidigungen des Arbeitgebers bzw. von Kunden, Vorgesetzten oder Kolle­ gen in Facebook veröffentlicht werden.215 Denn dabei geht es um spezifische Hand­ lungen gegen den Arbeitgeber, während in den hier problematisierten Fällen die all­ gemeine Persönlichkeit des Arbeitnehmers in Rede steht. Schon de lege lata wird befürwortet, zulässige Recherchen auf das allgemein per Google zugängliche Internet sowie Netzwerke mit beruflichem Schwerpunkt (insbe­ sondere XING, linkedIn) zu beschränken.216 Weitergehend ist geplant, die Nutzung solcher Informationen gesetzlich ausdrücklich zu untersagen.217 Diese Pläne sind aber praktisch kaum realisierbar. Selbst ein explizites Verbot scheint nicht durchsetzbar – denn die tatsächliche Verwendung der Informationen 212  van der Sloot/Zuiderveen Borgesius, CRI 2012, 103, 105; siehe aber auch Article 29 Working Party, Opinion 4/2007 on the concept of personal data (WP 136). 20 June 2007, p.  21. 213  BG Urteil vom 31. Mai 2012, 1C_230/2011 Rn.  11. 214  Rolf/Rötting, RDV 2009, 263; Forst, NZA 2010, 427; Novara/Ohrmann, AuA 2011, 145; Kania/Sansone, NZA 2012, 360; Ernst, NJOZ 2011, 953; Determann, BB 2013, 181. 215  Siehe ArbG Bochum ZD 2012, 343; ArbG Duisburg ZD 2013, 95; LAG Hamm ZD 2013, 93; BayVGH MMR 2012, 422. 216  Schröder, 3. Kap.  1. a) gg). 217  Novara/Ohrmann, AuA 2011, 145.

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§  2  Alternative Selbsthilfe

dürfte kaum je beweisbar sein.218 Auch insoweit muss sich also das Recht den tat­ sächlichen Gegebenheiten geschlagen geben. 3.  Einheitlicher Geheimnisbegriff Es scheint fragwürdig, ob für das „Privatgeheimnis“ und das „Geschäftsgeheimnis“ tatsächlich derselbe Geheimnisbegriff Anwendung finden kann. Die Rechtsprechung ist insoweit nicht eindeutig, die Gesetzessystematik uneinheitlich. So regelt etwa §  203 StGB sowohl Privat- als auch Geschäftsgeheimnisse; andererseits wird in §  172 GVG ausdrücklich zwischen den beiden Fällen unterschieden. §  17 UWG behandelt ausdrücklich nur Geschäftsgeheimnisse. Wie oben dargestellt liegt den beiden Geheimnistypen keine einheitliche Schutz­ richtung zu Grunde. Aus Sicht der Gesetzgebung und der Rechtspraxis gibt es aber dennoch ein entscheidendes verbindendes ökonomisches Merkmal: Es gilt deutlich aus der Masse der frei zugänglichen Informationen diejenigen auszugrenzen, die ei­ ner bestimmten Person bzw. einer Gesellschaft ausschließlich zugeordnet sind.219 Der gemeinsame Faktor sind also die Geheimhaltungsbemühungen. Wie noch näher zu untersuchen sein wird,220 bringen diese das nur theoretisch nachweisbare objekti­ ve Geheimhaltungsinteresse bzw. den subjektiven Geheimhaltungswille zum Aus­ druck. Sie sind der entscheidende Publizitätsakt, der in den erkennbaren und jeden­ falls nicht völlig erfolglosen Geheimhaltungsbemühungen zu suchen ist.221

II.  Geheimnisschutz als Selbsthilfe Geheimnisse bedürfen eines stärkeren Schutzes als etwa Urheberrechte, da sie bei Bekanntwerden untrennbar in der Gesamtheit frei zugänglicher Informationen un­ tergehen und insoweit Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche scheitern.222 Dies versucht §  6 IFG zum Ausdruck zu bringen, der nur für Geschäftsgeheimnisse ausdrücklich eine Einwilligung des Inhabers verlangt. Für andere Immaterialgüter­ rechte (in der Regel Urheberrechte) ist dieses Erfordernis überflüssig, da die Nut­ zungsbefugnis bereits den dortigen Regelungen unterliegt, insbesondere die spezial­ 218 Siehe schon zur Problematik im Rahmen des AGG LAG Nürnberg BB 2012, 2824; LAG München BB 2013, 570 (jeweils „junges Team“ kein Indiz für Altersdiskriminierung); siehe aber auch LAG Köln NZA-RR 2009, 526. 219  Hoeren, ZRP 2010, 251, 252 knüpft auch für Daten in sozialen Netzwerken an die „Daten­ herrschaft“ an, dies wäre durch technische Maßnahmen (Wasserzeichen, etc.) durchaus realisierbar. Zum in diese Richtung gehenden „Recht auf Vergessen“ im Sinne von Art.  17 DS-GVO-Entwurf siehe auch Kalabis/Selzer, DuD 2012, 670; zu dessen Herkunft Koreng/Feldmann, ZD-Aktuell 2012, 311, die aber auch die Informationsfreiheit gefährdet sehen; zweifelnd Nolte, ZRP 2011, 236, der auf Screenshots und andere lokale Kopien verweist. 220  §  2A.II.1a, S. 239. 221  §  2A.II.1c, S. 243. 222  Vgl. zu §  6 IFG Kloepfer, K & R 2006, 19, 23; Kugelmann, NJW 2005, 3609, 3612; Schmitz/ Jastrow, NVwZ 2005, 984, 993; Schweyer, S.  364, 399 ff.

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gesetzlichen Schranken.223 Erst Recht bedürfen Privatgeheimnisse des besonderen Schutzes, der im Verhältnis zum Staat aber in besonderem Ausmaß durch das Daten­ schutzrecht überlagert wird. Im Folgenden ist daher der Gegenstand des Geheimnisschutzes in zwei Schritten zu untersuchen. Zunächst ist festzustellen, wann überhaupt ein schutzwürdiges Ge­ heimnis vorliegt (sub 1), d. h. welcher Schutzgegenstand überhaupt vorliegt. Erst in einem zweiten Schritt kann dann ermittelt werden, vor welchen Eingriffen Dritter dieses Geheimnis zu schützen ist (sub 2). 1.  Das „Geheimnis“ als Gegenstand des Schutzes Weder im UWG noch in anderen Gesetzen findet sich eine Definition von Betriebsund Geschäftsgeheimnissen. Die in einigen Informationsfreiheitsgesetzen der Län­ der zu findenden Ausschlussgründe für das Akteneinsichtsrecht sind ebenfalls kaum zielführend und bieten jedenfalls keine Grundlage für den Geheimnisbegriff im Allgemeinen.224 Vielmehr versuchen diese den schon in der frühen reichsge­ richtlichen Rechtsprechung vertretetenen streng subjektiven Geheimnisbegriff225 zu kodifizieren. Überwiegend werden die „Betriebsgeheimnisse“, die technische Abläufe226 be­ schreiben, von den „Geschäftsgeheimnissen“, die rein kaufmännische Vorgänge er­ fassen,227 abgegrenzt. Jedoch entfaltet diese Unterscheidung keine Rechtsfolgen, da die einschlägigen Normen stets beide Arten von Geheimnissen gleich behandeln.228 Zudem ist eine Abgrenzung oft nicht trennscharf möglich, wie insbesondere der Schutz von Datenbanken und die vielfältigen Gestaltungen von Computersoftware zeigen. Diese können durchaus kaufmännische Aspekte (Kundenlisten, Geschäfts­ abläufe) abbilden, obwohl sie technisch implementiert sind. Als Oberbegriff werden daher etwa „Unternehmensgeheimnis“229 oder „Wirtschaftsgeheimnis“230 vorge­ schlagen. In dieser Arbeit wird demgegenüber allgemein von „Geschäftsgeheimnis“ gesprochen. Betriebs- und Geschäftsgeheimnis sind nach der Rechtsprechung „alle auf ein Un­ ternehmen bezogene Tatsachen, Umstände und Vorgänge, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nicht­ 223  224 

In diesem Sinne Hoeren, Informationsfreiheit und Informationsrecht, S.  105, 120. OVG Köln NVwZ-RR 2006, 248; Hoeren, Informationsfreiheit und Informationsrecht, S.  105,

225 

RG JW 1911, 870; siehe auch BT-Drs. 15/4493 S.  14, wo auf BGH NJW 1995, 2301 verwiesen

107.

wird.

226 

BAG NJW 1988, 1686; Köhler/Bornkamm/Köhler, §  17 UWG Rn.  12; Chirco, Rn.  8. RGSt. 29, 426, 430; Köhler/Bornkamm/Köhler, §  17 UWG Rn.  4a. 228  Gewisse Besonderheiten gelten freilich im Kartellrecht, da die VO Gruppenfreistellungsver­ ordnungen 1217/2010 für Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen und 772/2004 für Tech­ nologietransfer-Vereinbarungen jeweils nur technische Geheimnisse (also „Betriebsgeheimnisse“ im obigen Sinne) erfassen. 229  OLG Celle GRUR 1969, 548, 549; Ohly/Sosnitza/Ohly, §  17 UWG Rn.  1. 230 MüKoUWG/Brammsen, Vor §§  17 ff. UWG Rn.  1 ff.; Otto, wistra 1988, 125, 125. 227 

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§  2  Alternative Selbsthilfe

verbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat“.231 Damit sind vier Vor­ aussetzungen angesprochen: Der Schutzgegenstand muss „Unternehmensbezug“ haben, darf nicht „offenkundig“ sein und es müssen objektiv „Geheimhaltungsinter­ esse“ und subjektiv „Geheimhaltungswille“ bestehen. Die beiden zuletzt genannten Merkmale lassen sich aus Sicht eines Dritten, aber auch des Richters im Prozess vor allem durch Nachweis der Schutzbemühungen konkretisieren. Die bloße Behaup­ tung, dass eine Information geheim bleiben sollte, wird nämlich dem Interesse der Öffentlichkeit an Informationszugang nicht gerecht und sollte als bloße Behauptung nicht streitentscheidend sein. Den Voraussetzungen im deutschen Recht ähneln die Vorgaben im TRIPs-Über­ einkommen und im US-amerikanischen Recht. Art.  39 Abs.  2 TRIPs verlangt, dass die Information „geheim“ ist, statt der Zugehörigkeit zum Betrieb wird ein wirt­ schaftlicher Wert gerade aufgrund der fehlenden Bekanntheit gefordert und statt Ge­ heimhaltungswillen und -interesse wird auf „nach den Umständen angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen“ abgestellt.232 In den USA sind Geschäftsgeheimnisse bundesrechtlich definiert als „Informationen“, auf die angemessene „Geheimhal­ tungsbemühungen“ verwandt wurden und die aufgrund fehlender Bekanntheit in der Öffentlichkeit einen „wirtschaftlichen Wert“ besitzen.233 Auch bei Privatgeheimnissen, bei denen ein wirtschaftlicher Wert nicht gegeben sein muss, wird man nicht umhinkommen, ohnehin offenkundige Tatsachen von jedenfalls grundsätzlich nicht erkennbaren Tatsachen abzugrenzen. Die entschei­ dende Frage ist daher nur, ob auch im Hinblick auf Privatgeheimnisse besondere Geheimhaltungsbemühungen erforderlich sind oder aber bereits der fehlende Wille zur Offenbarung jeglicher Nachforschung gegen den Willen des Betroffenen entge­ gensteht. Letztlich stehen daher im deutschen Recht wie auch in anderen EU-Mit­ gliedstaaten die Geheimhaltungsbemühungen im Vordergrund.234 Im Folgenden erfolgt daher zunächst eine Abgrenzung der unternehmensbezoge­ nen von den rein privaten Informationen (sub a), sodann die für beide Fälle gemein­ same Ausgrenzung offenkundiger Tatsachen (sub b) und schließlich die Präzisierung der an Geheimhaltungsbemühungen zu stellenden Anforderungen (sub c). 231 

BVerfG MMR 2006, 375 ff.; BGH GRUR 2003, 356, 358; BGH GRUR 2009, 603. Art.  39 TRIPs Rn.  22 f. 233  18 U.S.C. §  1839 (3): “the term ‘trade secret’ means […] information[…] if (A) the owner the­ reof has taken reasonable measures to keep such information secret; and (B) the information derives independent economic value, actual or potential, from not being generally known to, and not being readily ascertainable through proper means by, the public”; ähnlich auch §  39 Restatement of Unfair Competition (3rd): “A trade secret is any information that can be used in the operation of a business or other enterprise and that is sufficiently valuable and secret to afford an actual or potential econo­ mic advantage over others.” und §  1 (4) Uniform Trade Secrets Act: “‘Trade secret’ means informa­ tion […] that: (i) derives independent economic value, actual or potential, from no being generally known to, and not being readily ascertainable by proper means by, other persons who can obtain economic value from its disclosure or use, and (ii) is the subject of efforts that are reasonable under the circumstances to maintain its secrecy.” 234  Hogan Lovells, S.  36. 232 Busche/Stoll/Peter/Strauch,

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a)  Unternehmensbezug und wirtschaftlicher Wert Zur Bestimmung des objektiven Geheimhaltungsinteresses im Rahmen eines Ver­ waltungsverfahrens ist nach überwiegender Auffassung eine umfassende Güter­ abwägung erforderlich.235 Voraussetzung ist eine Prognose, ob das Bekanntwerden der Information zu spürbaren Nachteilen für die Betroffenen führen wird.236 Dabei ist allerdings das „Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis“ vom ebenfalls durch §  203 StGB geschützten „zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis“ abzu­ grenzen.237 Wie dargestellt gibt es erhebliche Gemeinsamkeiten zwischen privaten und unter­ nehmerischen Geheimnissen.238 Zunächst wird man privaten Informationen wirt­ schaftliche Relevanz nicht absprechen können. Die Bildung von Nutzerprofilen und die dadurch mögliche Zuschneidung spezifischer Angebote stellt heutzutage einen erheblichen Mehrwert im Produktvertrieb dar.239 Dabei wird aber oft die Informa­ tion des Einzelnen als solche nur einen geringen Wert haben. In der Masse gewinnen aber gerade private Informationen an ökonomischer Bedeutung. Tatsächlich gibt es kaum eine wirtschaftlich nicht verwertbare Information im privaten Bereich. Allerdings bestehen nur für Informationen über Unternehmen gesetzliche Offen­ legungspflichten gegenüber Anlegern (etwa nach WpHG, WpPG), Abnehmern (etwa nach der VO 1169/2011) und anderen Marktteilnehmern (etwa durch das Handelsre­ gister nach §  9 HGB). Diese Pflichten sind nicht völlig willkürlich. Eine ökonomi­ scher Untersuchung solcher Informationen zeigt vielmehr, dass eine gute Informa­ tion des Marktes bei unterstelltem Wettbewerb regelmäßig im Eigeninteresse des Unternehmens liegt.240 Daher kann man im Hinblick auf unternehmensbezogene Informationen davon ausgehen, dass diese nicht vertraulich behandelt werden sollen, solange nicht erkennbare Geheimhaltungsbemühungen erfolgen.241 Für Privatpersonen gilt diese Vermutung der Publizitätsfreundlichkeit demgegen­ über nicht. Im Gegenteil gehen sowohl das Bundesverfassungsgericht242 als auch die gesetzlichen Datenschutzbestimmungen davon aus, dass eine Nutzung personenbe­ zogener Daten (was die Mehrzahl privater Geheimnisse umfasst) nur nach vorheri­ gem Einverständnis des Betroffenen möglich sein soll. Es gilt also die Vermutung, dass alle Informationen vertraulich zu behandeln sind, soweit nicht gerade die Wid­ 235 

Hoeren, Informationsfreiheit und Informationsrecht, S.  105, 112. Siehe BVerwG CR 2005, 194, 195 f.; Fluck, NVwZ 1994, 1048, 1054. 237  OLG Köln NJW 10, 166; Schönke/Schröder/Lenckner/Einsele, §  203 StGB Rn.  9 ff.; Köhler/ Bornkamm/Köhler, §  17 UWG Rn.  4. 238  Oben §  2A.I.3, S. 236. 239  Weichert, NJW 2001, 1463, 1465. 240  Akerlof, Quarterly Journal of Economics 84 (1970), 488; siehe auch Beurskens, S.  394 ff. 241 Busche/Stoll/Peter/Wiebe, Art.  39 TRIPs Rn.  22; freilich ist die praktische Handhabung ge­ nau umgekehrt Ohly/Sosnitza/Ohly, §  17 UWG Rn.  11; Köhler/Bornkamm/Köhler, §  17 UWG Rn.  10; zur Ungeeignetheit des von der Rechtsprechung herangezogenen subjektiven Geheimhal­ tungswillens siehe insbesondere Maume, WRP 2008, 1275, 1280. 242  BVerfGE 65, 1, 43; BVerfGE 93, 181, 187; Maunz/Dürig/Di Fabio, Art.  2 Abs.  1 GG Rn.  189 ff. 236 

240

§  2  Alternative Selbsthilfe

mung zugunsten der Öffentlichkeit erkennbar ist. Dies ist der Kerngedanke des Da­ tenschutzrechts.243 Daraus folgt die Antwort auf die Frage, ob auf öffentlich zugäng­ lichen Internetseiten, insbesondere in sozialen Netzwerken, veröffentlichte Informa­ tionen einen rechtlichen Schutz vor Kenntnisnahme beanspruchen können:244 Dies ist zu bejahen, soweit mit einer Kenntnisnahme Dritter (etwa durch Bildung ab­ grenzbarer Kreise von „Freunden“) nicht zu rechnen ist. Rechtlich wird man auf­ grund fehlender Kenntnisse und geringer Vermeidungsfähigkeiten bei privaten Ge­ heimnissen einen aktiven staatlichen Schutzauftrag bejahen müssen.245 Der Staat muss also dort aktiv zur Abwehr von Gefährdungen auch durch Private tätig wer­ den. Für unternehmerische Geheimnisse besteht dieses Bedürfnis hingegen nur in geringerem Maße, da im Zweifel auf Immaterialgüterrechte zurückgegriffen werden kann.246 Ob auch Informationen über rechtswidriges Verhalten schutzwürdig sind, ist um­ stritten.247 Teilweise wird hinsichtlich behördlicher Akteneinsicht darauf abgestellt, ob die Feststellung bereits rechts- oder bestandskräftig ist, während der bloße Ver­ dacht oder ein laufendes Verfahren noch geheimzuhalten sind.248 Im Hinblick auf Privatpersonen ist anerkannt, dass Vorstrafen nach Ablauf einer gewissen Zeit ge­ leugnet werden dürfen.249 Bei Unternehmen könnte eine Rücksichtnahme auf die Interessen mittelbar betroffener Personen, etwa Investoren, Arbeitnehmer, Lieferan­ ten und Kunden zu nehmen sein, die durch Bekanntwerden der Information geschä­ digt würden, obwohl sie keine Verhinderungsmöglichkeit traf.250 Insoweit verbietet es sich, pauschal Informationen über rechtswidriges Verhalten vom Geheimnis­ schutz freizustellen. b)  Fehlende Offenkundigkeit Ein Geheimnis kann nur angenommen werden, soweit die fraglichen Informationen nicht ohnehin allgemein, d. h. ohne großen Zeit- und Kostenaufwand und insbeson­ dere ohne Einsatz verbotener Mittel, zugänglich sind.251 So kann eine AG nicht die eigene Satzung als Geheimsache behandeln.252 243 Simitis/Simitis, 244  Oben

§  1 BDSG Rn.  23; BeckOK-BGB/Bamberger, §  12 BGB Rn.  161. §  2A.I.2c.cc(3), S. 235; siehe allgemein Erd, NVwZ 2011, 19; Spiecker Döhmann, K&R

2012, 717. 245  Zum Problem des Selbstschutzes siehe Werner, S.  152 f.; Spindler, NJW 2004, 3145, 3149 f.; näher unten §  2C.III, S. 290. 246  Tendenziell hohe Anforderungen an die Geheimhaltung stellt daher OLG Düsseldorf GRURRR 2010, 359; näher noch unten §  2A.III.1b, S. 267. 247  Rützel, GRUR 1995, 557, 557 ff.; OLG München AfP 2005, 371; Beyerbach, S.  99 ff. 248  Hoeren, Informationsfreiheit und Informationsrecht, S.  105, 117. 249  BGH ZIP 2005, 1593, 1594 ff.; MüKo-BGB/Armbrüster, §  123 BGB Rn.  4 2. 250  Zu dieser Drittwirkung Beurskens, S.  330; Alberring, S.  59 ff., 317 ff. 251  BGH GRUR 2008, 727, 728 f.; BayObLG GRUR 1991, 694, 695. 252  So der provokante Titel eines Beitrags von Reiner, AG 2006, 93, der berichtet, dass einzelne deutsche börsennotierte Unternehmen ihre Satzung nur auf Anfrage und unter der Bedingung,

A.  Schutz von Geheimnissen

241

Eine extreme Lösung wäre es, den Schutz von Geschäftsgeheimnissen auf Verfah­ ren zu beschränken, die innerhalb eines Betriebes ausgeführt werden. Ausgenom­ men würden dadurch alle Geheimnisse, die in an Dritten vertriebenenen Produkten implementiert sind. Solange sich ein Geheimnis ausschließlich in Räumlichkeiten des Geheimnisträgers erkennen lässt und nur seinen Beschäftigten bekannt ist, ist ein effektiver Schutz durch tatsächliche Maßnahmen weitgehend problemlos. Der Bedarf nach zusätzlichem staatlichen Schutz würde damit weit zurückgedrängt. Ein derart perfekt wirkender Schutz wird jedoch nicht verlangt. Denn das Gesetz stellt besonders schwerwiegende Eingriffe unter Strafe und soll dadurch lücken­ schließenden Flankenschutz leisten.253 Daraus kann man entnehmen, dass be­ stimmte Risiken in Kauf genommen werden dürfen. Der an die Bekanntheit der Tat­ sache angelegte Maßstab entspricht vielmehr demjenigen für die Ermittlung des für Neuheit und erfinderische Tätigkeit maßgeblichen Stand der Technik im Sinne des Patentrechts (§§  2, 3 PatG).254 Der Geheimnisschutz greift daher nicht ein, wenn ein normativ ermittelter Fachmann das Geheimnis ohne größeren Zeit-, Arbeits- und Kostenaufwand erkennen kann.255 Es obliegt also dem Geheimnisträger, durch wirk­ same Maßnahmen, also letztlich Selbsthilfe, sicherzustellen, dass Dritte sich die ge­ schaffenen bzw. erworbenen Werte nicht aneignen können. Insbesondere soll der Geheimnischarakter nicht dadurch verloren gehen, dass ein das Geheimnis nutzendes oder enthaltendes Erzeugnis an Dritte veräußert oder öf­ fentlich ausgestellt wird.256 Erst wenn ein Fachmann bei bloßer Besichtigung das Geheimnis erkennen kann, ist es durch die Veräußerung offenbart.257 Bereits Schwierigkeiten bei der Entdeckung von Details sollen zur Aufrechterhaltung des Schutzes genügen.258 Umgekehrt ist zu berücksichtigen, dass die zunehmenden Aus­ lagerung von Produktionsaktivitäten (Outsourcing) sowie die vernetzte Übermitt­ lung und Speicherung vertraulicher Informationen in elektronischer Form das Aus­ spähen erheblich erleichtern.259 Außerdem wirken bessere Untersuchungsverfahren stets zu Lasten des Geheimnisträgers.260 diese „nur für wissenschaftliche Zwecke zu verwenden, nicht zu veröffentlichen, kopieren oder Drit­ ten zur Verfügung zu stellen“ übersandten. 253  Eine ähnliche Funktion erfüllen die §§  95a, 95b UrhG hinsichtlich technischer Schutzmaß­ nahmen oder §§  202a ff. StGB hinsichtlich des technischen Schutzes von Computersystemen. 254  BGH GRUR 2008, 885; Mes/Mes, §  3 PatG Rn.  49; Reimann, GRUR 1998, 298 will hingegen unter Hinweis auf BAG AP Nr.  1 zu §  611 BGB – Betriebsgeheimnis beim „Reverse Engineering“ differenzieren und diesbezüglich lauterkeitsrechtlich auf den Laien abstellen, im Patentrecht hinge­ gen auf den Fachmann abstellen, dazu näher §  2A.II.2c, S. 256. 255  RGZ 149, 329, 334 – Stiefeleisenpresse; BAG BB 1982, 1792; LG München I CR 1986, 38; OLG Hamburg GRUR-RR 2001, 137; Reimann, GRUR 1998, 298, 298. 256  BayObLG NJW 1991, 438, 439. 257  RG JW 1929, 3087, 3088; RGZ 149, 329, 334; OLG Celle GRUR 1969, 548, 549. 258  RG GRUR 1936, 575. 259 So Hogan Lovells, S.  6. 260  OLG Düsseldorf OLGR 1999, 55; Otto, wistra 1988, 125, 127; Köhler/Bornkamm/Köhler, §  17 UWG Rn.  8.

242

§  2  Alternative Selbsthilfe

Die Maßnahmen zur Sicherung des Geheimnisses sind eine Form der defensiven Selbsthilfe, die auf Abwehr fremder Einflüsse gerichtet ist und von der Rechtsord­ nung ausdrücklich gebilligt ist. Anders als bei der im ersten Kapitel behandelten Selbsthilfe gemäß §  229 BGB261 findet sich aber keine besondere Befugnis, in Rechte, Rechtsgüter oder Interessen Dritter einzugreifen. Vielmehr wird dem Dritten kein allgemeines Recht auf Zugang zu Informationen, erst Recht nicht zu Geheimnissen eingeräumt. Daher erfasst die in Art.  5 Abs.  1 S.  1 GG vorgesehene Informationsfrei­ heit gegenüber dem Staat gerade nur „allgemein zugängliche Quellen“.262 Insoweit fehlt bei der Geheimhaltung einer Information schon ein Rechtsgut, in das der Ge­ heimnisträger eingreifen müsste. Auch die Informationsfreiheitsgesetze des Bundes und der Länder gewähren gerade keinen Anspruch auf Einsicht in vertrauliche Infor­ mationen (§  6 B-IFG, §  8 IFG NRW). Während also bei den gesetzlichen Notrechten das mildeste zum Ziel führende Mittel gewählt werden muss und im Rahmen des strafrechtlichen Notstands (§  34 StGB) zusätzlich eine Abwägung zwischen Mittel und Zweck erfolgen muss, sind zum Schutz von Geheimnissen grundsätzlich alle Mittel erlaubt. Eine präventive Ab­ wägung der Interessen des Geheimnisträgers gegen die Ziele desjenigen, der sich das Geheimnis aneignen oder zu Nutze machen will, findet nicht statt. Erst bei der späte­ ren gerichtlichen Überprüfung der Handlung, durch die der Dritte sich Kenntnis vom Geheimnis verschafft hat, wird geprüft ob einerseits die Schutzmaßnahmen ge­ nügten, um das Geheimnis aufrechtzuerhalten und andererseits die Eingriffshand­ lung unbefugt war. In keinem Fall verlangt die Rechtsordnung für die Schutztätigkeit zugunsten von Geschäftsgeheimnissen die vorrangige Inanspruchnahme hoheitli­ cher Hilfe. Der Schutz des Geheimnisses erfolgt also primär durch den Geheimnis­ träger und nicht durch den Staat. Damit ist freilich nicht ausgeschlossen, dass die konkrete Form der Verteidigung der Geheimnisse im Einzelfall in Rechte Dritter eingreift. Der Türsteher mag den aufdringlichen Spion mit Gewalt aus den Geschäftsräumen entfernen, elektrische Abhörgeräte können durch elektromagnetische Schutzschranken zerstört werden. Die Rechtfertigung solcher Maßnahmen erfolgt dann aber nicht aufgrund einer Ge­ neralklausel zugunsten der Geheimnisse, sondern basiert auf den allgemeinen Rechtfertigungsgründen, etwa Notwehr (§  32 StGB, §  227 BGB) in Verbindung mit einem Hausrecht.263 Bei der im Strafrecht geführten Diskussion um eine potentielle Notwehr gegen sog. „Chantage“, d. h. der Erpressung mit der Offenbarung nachteili­ ger, zuvor geheimer Tatsachen wird dann auch nicht eine Verteidigung gegen einen Angriff auf das Geheimnis geprüft, sondern ausschließlich auf die durch die entspre­ chenden Strafnormen (§§  240, 253 StGB) geschützte Willensentschließungsfreiheit

261 

Oben §  1A.V.1, S. 120. BVerfGE 28, 175 ff., 188; Maunz/Dürig/Grabenwarter, Art.  5 Abs.  1, 2 GG Rn.  85 f., 88 ff. 263  Dazu noch näher unten §  3B.II.2c, S. 352. 262 

A.  Schutz von Geheimnissen

243

des Erpressten abgestellt.264 Dies ist nicht ganz unproblematisch, da gerade die Of­ fenbarung des Geheimnisses die eigentliche Gefahr darstellt. c)  Geheimhaltungsbemühungen und Geheimhaltungsinteresse Das bloße Interesse an der Geheimhaltung265 und die fehlende Bekanntheit können die Anerkennung des Geheimnisses, die sogar durch Gewährung von ergänzendem staatlichen Schutz gefördert wird, kaum rechtfertigen. Vielmehr spräche vor diesem Hintergrund vieles dafür, ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis ausschließlich durch das Immaterialgüterrecht zu schützen, also auf die Alternativität des Schutzes zu verzichten. Der private Schutz ist erst dann anerkennenswert, wenn für Dritte unzweifelhaft erkennbar ist, dass sie von einer bestimmten Information ausgeschlossen werden sol­ len und ein für diese spürbares Hindernis dem Informationserwerb entgegensteht. Wie der noch näher zu untersuchende266 Schutz technischer Maßnahmen sowie die strafrechtlichen Regelungen der §§  202a ff. StGB knüpft das Recht der Geschäftsge­ heimnisse insoweit an rein faktisch wirkende Bemühungen zur Geheimhaltung an.267 Dafür genügt nicht jeder zweifelhafte Versuch oder der bloße Wille des Betrof­ fenen. Vielmehr muss die Tätigkeit eine faktische Ausschlusswirkung entfalten und ein nicht ganz unerhebliches Hindernis darstellen. aa)  Unter- statt Übermaßgebot In den im ersten Kapitel geschilderten Fällen „subsidiärer Selbsthilfe“268 ebenso wie in den im dritten Kapitel erörterten Konstellationen „kumulativer Selbsthilfe“269 be­ steht die Gefahr von Eingriffshandlungen, die in unzumutbarer Weise in die Rechte, Rechtsgüter oder Interessen Dritter eingreifen. Durch die Voraussetzung, dass nur „erforderliche“ Selbsthilfemittel genutzt werden dürfen, also stets derjenige Weg zu beschreiten ist, welcher den geringsten Schaden verursacht, soll dieses Risiko be­ grenzt werden.270 Im Rahmen des Geheimnisschutzes steht hingegen nicht der Schutz von Rechtsgü­ tern, sondern die Abgrenzung der eigenen Schutzsphäre im Vordergrund.271 Der staatliche Schutz greift erst dann ein, wenn ein Mindestmaß an privaten Vorkehrun­ gen getroffen wird. Es muss also nicht das am wenigsten eingrifssintensive Mittel gefunden werden, sondern es ist vielmehr zu fragen, ob die gewählten Vorkehrungen 264 

Eggert, NStZ 2001, 225, 226 f.; Novoselec, NStZ 1997, 218, 220 f. RG JW 1911, 870. 266  Unten §  3C.II, S. 384 ff. 267 Busche/Stoll/Peter/Wiebe, Art.   39 TRIPs Rn.   22; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/ Harte-Bavendamm, §  17 UWG Rn.  3. 268  Oben §  1A.IV.3, S.  114. 269  Unten §  3, S. 295. 270  BGH VersR 1967, 477 f.; BGH NJW 2001, 1075, 1076; Staudinger/Repgen, §  227 BGB Rn.  60 f.; MüKo-BGB/Grothe, §  227 BGB Rn.  12. 271 Busche/Stoll/Peter/Wiebe, Art.  39 TRIPs Rn.  18; dazu bereits oben §  2A.II.1b, S. 240. 265 

244

§  2  Alternative Selbsthilfe

hinreichend sind, um ein schutzfähiges Geheimnis aus der Gesamtheit der verfügba­ ren Informationen auszusondern. Die Lage stellt sich also genau spiegelbildlich zu den anderen Selbsthilfefällen dar.272 Während dort die Untergrenze, also das „ob“ des Einschreitens ausschließlich durch den Handelnden bestimmt wird, ist beim Geheimnisschutz die notwendige Untergrenze durch die staatlichen Vorgaben bestimmt. Demgegenüber gibt der Staat bei Notwehr, Selbsthilfe und ähnlichen Eingriffsbefugnissen mit der Erforderlichkeit die Obergrenze zulässigen Handelns vor, während beim Geheimnisschutz der maxi­ male Umfang der getroffenen Maßnahmen frei vom Handelnden bestimmt wird. (1)  Schutzbemühungen in Bezug auf Geheimnisträger Grenzen der Wirksamkeit des Schutzes ergeben sich nur mittelbar aus dem Gesetz. Soweit die Sicherheitslücken allein in bestechlichen oder erpressbaren Mitarbeitern (§  17 Abs.  1 UWG) oder Organmitgliedern (§  85 GmbHG, §  404 AktG)273 liegen, ist der Schutz nicht allein deshalb unwirksam. Der menschliche Faktor steht der Wirk­ samkeit des Schutzes also nicht entgegen. Solange alle Personen, die Kenntnis vom Geheimnis haben, durch Vertrag (Non-Disclosure-Agreement, Confidentiality-Agreement) oder Gesetz (z.  B. §   43a BRAO, §  57b WPO) zur Vertraulichkeit verpflichtet sind, kann der Kreis sehr groß sein.274 Die Vertraulichkeit kann dabei auch konkludent vereinbart sein. Bedenklich ist jedoch, dass auch die Kenntnisnahme durch nicht zur Vertraulichkeit verpflichte­ te Personen dem Schutz als Geschäftsgeheimnis nicht entgegenstehen soll, solange der Personenkreis überschaubar bleibt.275 Denn sobald auch nur ein Außenstehen­ der Kenntnis erlangt, ist das Geheimnis an die Öffentlichkeit gelangt und nicht mehr schutzwürdig. Voraussetzung hierfür ist aber selbstverständlich eine Pflicht zur Geheimniswah­ rung. Im Idealfall ist diese vertraglich geregelt (etwa in einem „confidentiality agreement“),276 denkbar ist allerdings auch eine Folgerung als ungeschriebene Folge aus einer vertraglichen Sonderbeziehung, wie die gesetzlich besonders erwähnte Organ­ stellung oder das Arbeitsverhältnis. Denkbar ist eine Vertraulichkeitspflicht schließ­ lich auch kraft besonderer Stellung.277 Auch insoweit gilt es aber, die Geheimnisse von den freien Informationen abzugrenzen. Gegenüber den zur Vertraulichkeit ver272 Zutreffend Staudinger/Repgen, §   227 BGB Rn.  56 in Abgrenzung zu Jakobs, 12. Abschn. Rn.  34: Notwehr enthält kein Untermaßverbot dergestalt, dass stets die erfolgversprechendste Maß­ nahme ergriffen werden muss und daher alle unsicheren Maßnahmen rechtswidrig sind. 273  Oetker, FS Reuter, S.  1091; Säcker 1979, passim. 274 Köhler/Bornkamm/Köhler, §  17 UWG Rn.  7a. 275  BayObLG GRUR 1991, 694, 696; Köhler/Bornkamm/Köhler, §  17 UWG Rn.  7a: „Wenn ein Reisender im Zug Unterlagen mit fremden Betriebsgeheimnissen findet und diese seinen Bekannten zeigt, wird das Geheimnis dadurch noch nicht offenkundig.“. 276 Dazu Mummenthey, CR 1999, 651; im Detail Kurz, passim. 277 Schönke/Schröder/Lenckner/Einsele, §   203 StGB Rn.  34 ff.; siehe auch MüKo-ZPO/Münch, Vor §§  1025 ff. ZPO Rn.  71 zum Schiedsverfahren.

A.  Schutz von Geheimnissen

245

pflichteten Personen genügt hierzu eine schlichte Kennzeichnung (etwa ein Stempel „Vertraulich“), möglich ist aber auch, dass sich die Geheimhaltung aus den Umstän­ den ergibt. Ein wichtiges Indiz sind hier die Schutzbemühungen gegenüber Dritten. Bei Personen, die ohne illegale bzw. unlautere Eingriffe Zugang zum Geheimnis er­ langen, aber nicht durch Vertrag oder Gesetz zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, genügt demgegenüber eine solche Kennzeichnung ebensowenig wie die Erkennbar­ keit des Geheimhaltungsinteresses. Vielmehr erlischt dadurch im Regelfall das Ge­ heimnis durch Bekanntwerden an die Öffentlichkeit. (2)  Schutzbemühungen gegenüber Verhalten Dritter Schwieriger zu beurteilen ist, welche Vorkehrungen gegen die unbefugte „Anwen­ dung technischer Mittel“ (§  17 Abs.  2 Nr.  1 a UWG) bzw. die unbefugte „Wegnahme einer Sache in der das Geheimnis verkörpert ist“ zu treffen sind. Durch das Verbot der direkten Übernahme durch Ausspähen, Bestechung oder Verrat verbleibt nur die tatsächliche Forschungstätigkeit, um eine als Geheimnis geschützte Erfindung nach­ zuvollziehen. Soweit dies gelingt, versagt der rechtliche Schutz und die geheimgehal­ tene Idee steht mehreren Berechtigten zu oder wird sogar Gemeingut. Soweit hinge­ gen gleichwertige Verfahren oder Erzeugnisse nicht auf dem Markt verfügbar sind, zeigt gerade dies den Wert der geheimgehaltenen Erfindung. Je weiter man also den Kreis der verbotenen Handlungen zieht, desto wertvoller wird der Geheimnisschutz für den jeweils Begünstigten; umgekehrt führt ein enge­ rer Schutz zu einer erheblichen Entwertung des Geheimnisses und mag die Unter­ nehmen letztlich zum Patentrecht drängen. Deutlich wird die Schwierigkeit der Grenzziehung etwa in der DuPont-Entscheidung278 aus den USA. Die Firma DuPont errichtete eine neue Fabrik, in der geheime Verfahren zur Produktion von Methanol angewandt wurden. Zwei Brüder wurden angeheuert, um mit einem Flugzeug über die Baustelle zu fliegen und dabei Fotos zu erstellen. Gegen die daraufhin angestreng­ te Klage wegen Verletzung des Geschäftsgeheimnisses wandten sie ein, das das Über­ fliegen und Fotografieren eine zulässige Handlung darstellte. Das Geheimnis sei in­ soweit nicht hinreichend geschützt worden, da keine illegalen Handlungen zu seinem Erwerb erforderlich gewesen seien. Wenig überraschend lehnte das Gericht diese Argumentation ab. Als entscheidend sah es an, dass das Überfliegen und Fotografie­ ren der Fabrikhalle ein untypisches Verhalten darstellte, das als solches nicht schutzwürdig war.279 Vor diesem Hintergrund genügt es, erkennbaren Schutz vor alltäglicher Kenntnis­ nahme zu schaffen. Eine derart klare Abgrenzung der Rechtssphären ist aber bei Pro­ dukten, die sich im Rechtsverkehr befinden, kaum möglich. Im deutschen Recht liegt 278 

E.I. du Pont de Nemours & Co. v. Christopher, 431 F.2d 1012 (5th Cir. 1970). E.I. du Pont de Nemours & Co. v. Christopher, 431 F.2d 1012 (5th Cir. 1970): „Perhaps ordi­ nary fences and roofs must be built to shut out incursive eyes, but we need not require the discover­ er of a trade secret to guard against the unanticipated, the undetectable, or the unpreventable me­ thods of espionage now available.” 279 

246

§  2  Alternative Selbsthilfe

die wahrhaft schwierige Grenze des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen in der Be­ urteilung des „reverse engineering“.280 Soweit ein Produkt, welches Geschäftsge­ heimnisse umsetzt auf den Markt gebracht wird, mag man bereits daran zweifeln, ob überhaupt noch ein „Geheimnis“ vorliegt.281 Regelmäßig ist es möglich, aus diesem Produkt (durch Auseinanderbauen und Untersuchen, durch Dekompilierung, durch chemische Analyseprozesse) die geheimzuhaltenden Informationen herzuleiten.282 Die deutsche Rechtsprechung steht einer solchen Vorgehensweise skeptisch gegen­ über.283 (3)  Überwindungsaufwand als Maßstab Im Ergebnis geht es letztlich um eine Abwägung. Erlaubt man das Reverse Engineering, wird der Geheimnisträger sich bemühen, die Information zu verbergen, indem er unnötige Vorkehrungen integriert.284 Der fehlende rechtliche Schutz führt also zu komplexeren und teureren Produkten, die als solche für die Nutzer keinen Vorteil mit sich bringen. Verbietet man hingegen das Untersuchen des Gegenstandes entste­ hen erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten. Konsequent weiter gedacht würde dies bedeuten, dass letztlich alle kommerziellen Gegenstände auch vor nur teilweiser Nachahmung geschützt werden. Damit würde der Schutz des Immaterialgüterrechts unterlaufen.285 Insoweit kann die Untersuchung von Gegenständen unter Einsatz verkehrsüblicher Mittel als „reverse engineering“ nicht per se verboten werden.286 Ansatzpunkt hierfür ist der Aufwand, der mit der Untersuchung verbunden ist. Wie in §  95a UrhG ist die „Wirksamkeit“ dabei aus Sicht eines Durchschnittsmen­ schen zu beurteilen.287 Wenn dieser den Schutz nicht ohne Hilfe überwinden kann, ist ein Geheimnis zu bejahen. Wenn hingegen jedermann den Schutz ohne weiteres überwinden kann (etwa ein reiner Warntext), ist er nicht wirksam und erfährt über­ haupt keinen Schutz.288 Zudem findet man so einen greifbaren Anhaltspunkt für die Bewertung des Geheimnisses: Der Aufwand zur Umgehung lässt sich ex post sehr

280 

Ohly, Patents and technological progress, S.  535, 538 ff. Siehe BGH GRUR 1966, 484, 486 – Pfennigabsatz; OLG Hamburg Mitt. 2001, 440; sehr eng freilich EPA GRUR Int. 1996, 244 („Wie wahrscheinlich es ist, daß der Fachmann ein früher im Handel erhältliches Erzeugnis analysiert, ist dabei – ebenso wie der dafür erforderliche Aufwand (d. h. die Investition an Arbeit und Zeit) – für die Ermittlung des Stands der Technik grundsätzlich ohne Bedeutung“). 282 Mes/Mes, §  3 PatG Rn.  54; Reimann, GRUR 1998, 298, 300. 283  RGZ 149, 329. 284  Schweyer, S.  167 ff. 285  BGHZ 161, 204 (zu Legosteinen). 286 Ebenso Ohly, Patents and technological progress, S.  535, 552; näher unten §  2A.II.2b, S. 254. 287  LG München MMR 2008, 192, 194; Wandtke/Bullinger/Wandtke/Ohst, §  95a UrhG Rn.  50; näher unten §  3C.II.1a.bb, S. 391. 288  Vgl. etwa die Disclaimer in Kanzlei-Emails, denen allgemein jede Wirkung abgesprochen wird, dazu Knyrim, Medien und Recht 2005, 136; Makoski, K&R 2007, 246; Schmidl, MMR 2005, 501. 281 

A.  Schutz von Geheimnissen

247

genau bemessen.289 Der höhere Wert des Geheimnisses gegenüber diesem Überwin­ dungsaufwand wird regelmäßig schon durch die erfolgreiche Umgehung dargelegt, so dass er die Untergrenze für den Geheimniswert bildet. Wäre das Geheimnis weni­ ger wert, würde sich die Umgehung nicht lohnen. Dieser Maßstab gilt nicht nur für Geheimnisse im unternehmerischen Bereich, sondern auch für Privatgeheimnisse. Auch dort kann es kein selbstverständliches Vertrauen auf Geheimhaltung geben. Dieses setzt vielmehr eine räumliche oder sachliche Situation voraus, etwa die eigene Wohnung oder eine geschlossene Inter­ netplattform. Wie bereits dargelegt führt die Anknüpfung an den Aufwand zu gewissen Fehlan­ reizen: So würde derjenige mit einem stärkeren Recht belohnt, der überflüssige Schutzmechanismen schafft; etwa indem er eine Computersoftware verschlüsselt290 oder die relevanten Teile einer Maschine durch zusätzliche, überflüssige Bauteile ver­ steckt. Letztlich zwingt man die Beteiligten zu einem der Allgemeinheit wenig dien­ lichen Wettbewerb („arms race“).291 Diese Gefahr ist der Selbsthilfe aber immant und gerade ein tragender Aspekt des Geheimnisschutzes. Ein rein faktischer Schutz, der ohne ein solches Wettrüsten auskommt ist nicht vorstellbar. Vielmehr würde dieser dann ein absolutes Ausschlussrecht bedeuten, der vom Geheimnisschutz gera­ de nicht gewollt ist. bb)  Sonderbehandlung in staatlichen Verfahren Geheimnisse werden nicht nur durch private Bemühungen bedroht, sondern auch durch den Staat. Insoweit wird versucht, durch Sonderbestimmungen in Gesetzen, die Offenlegungspflichten anordnen,292 einen Ausgleich zu finden. Aber auch in ver­ schiedenen, grundsätzlich nicht primär auf die Offenlegung gerichteten, Situationen droht ein Bekanntwerden vertraulicher Informationen. Dies gilt namentlich für ge­ richtliche Verfahren.293 Hier ist durch Einschaltung vereidigter Sachverständiger, sowie Beschränkung der Einsicht in Gutachten auf namentlich benannte Vertreter, den Ausschluss der Öffentlichkeit sowie vergleichbare Mechanismen die Vertrau­ lichkeit soweit möglich sicherzustellen.294 In Umsetzung der Durchsetzungsrichtli­ nie finden sich hierzu inzwischen spezialgesetzliche Regelungen, etwa in §  140c Abs.  1 S.  3 PatG.295 Letztlich ist der Staat hier in einer schwierigen Konfliktsituation, da stets die Gefahr droht, dass ein insoweit für die Öffentlichkeit, aber auch für die 289  Tendenziell BayOblG GRUR 1991, 694: „Eine Kenntnis, die sich der Täter nur durch Einsatz von 70 Beobachtungsstunden und 5 000,– DM Spielgeld verschaffen kann, wird nicht „ohne größe­ re Schwierigkeiten und Opfer“ erlangt.“; dagegen Hoeren, Globalisierung und informationelle Rechtskultur, S.  144, 152. 290  Schweyer, S.  167 ff. 291  Lichtman, J.L. Econ. & Pol’y 1 (2005), 215, 221; Kovarsky, INLJ 81 (2006), 917, 920 ff. 292  Siehe die Beispiele oben §  2A.I, S. 204. 293  Stürner, JZ 1985, 453, 455; Kürschner, NJW 1992, 1804, 1805. 294  BGHZ 93, 191; BGHZ 150, 377. 295  BGHZ 183, 153.

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§  2  Alternative Selbsthilfe

Parteien kaum durchschaubares Verfahren an Legitimität verliert. Insoweit ist der Geheimhaltungsbedarf stets im Einzelfall gründlich zu ermitteln. Das öffentliche Verwaltungsverfahren ist ebenso wie das Gerichtsverfahren grundsätzlich geheimhaltungsfeindlich.296 Insoweit helfen schlichte Vertraulich­ keitsvereinbarungen mit den entsprechenden Amtswaltern nicht weiter, da diese re­ gelmäßig nicht subjektive Rechte von Bürgern oder der Öffentlichkeit beschränken können. Genausowenig wird man aber umgekehrt in der Mitteilung von Informati­ onen ohne ausdrücklichen Hinweis die Einwilligung in die Offenbarung sehen dür­ fen.297 Die Behörde hat insoweit eine Prüfungspflicht, die durch Amtshaftungs­ ansprüche sanktioniert wird.298 2.  Schutzumfang des Geheimnisschutzes Anders als ein Patent ist ein Geheimnis nicht umfassend vor Nutzung durch Dritte geschützt. Vielmehr sind nur bestimmte Modalitäten des Erwerbs des Geheimnisses verboten. Sehr offen formuliert insoweit Art.  39 Abs.  2 TRIPs, wonach die betroffe­ nen Unternehmen verhindern dürfen, dass Informationen „ohne ihre Zustimmung auf eine Weise, die den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe und Handel zuwi­ derläuft, Dritten offenbart, von diesen erworben oder benutzt werden“. In einer amt­ lichen Fußnote wird klargestellt, dass „zumindest Handlungen wie Vertragsbruch, Vertrauensbruch und Verleitung dazu“ erfasst sind, sowie der „Erwerb nicht offen­ barter Informationen durch Dritte […], die wußten oder grob fahrlässig nicht wuß­ ten, daß solche Handlungen beim Erwerb eine Rolle spielten“. In ähnlicher Weise definierte auch das Restatement of Unfair Competition (3rd) dass der Erwerb durch unlautere Mittel untersagt werden soll (§  40 (a) Restatement of Unfair Competition (3rd)),299 wobei als unlauter insbesondere Diebstahl, Täuschung, Abhören, Verlet­ zung von Vertraulichkeitspflichten sowie generalklauselartig alle Verhaltensweisen, die generell oder jedenfalls im Einzelfall unerlaubt sind, definiert werden (§  43 S.  1 Restatement of Unfair Competition (3rd)).300 In einem zweiten Schritt werden noch negativ die selbstständige Parallelerfindung und das Reverse-Engineering ausge­

296  VG Minden BeckRS 2008, 30854; zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren Schenke, NVwZ 2008, 938. 297  Etwas anderes gilt, wenn das Gesetz eine ausdrückliche Kennzeichnungspflicht anordnet, Hoeren, Informationsfreiheit und Informationsrecht, S.  105, 119 nennt etwa §  22 Abs.  2 ChemG und §  17a GenTG. 298  Hoeren, Informationsfreiheit und Informationsrecht, S.  105, 121. 299  “One is subject to liability for the appropriation of another’s trade secret if: (a) the actor ac­ quires by means that are improper under the rule stated in §  43 information that the actor knows or has reason to know is the other’s trade secret…” 300  “‘Improper’ means of acquiring another’s trade secret under the rule stated in §  4 0 include theft, fraud, unauthorized interception of communications, inducement of or knowing participa­ tion in a breach of confidence, and other means either wrongful in themselves or wrongful under the circumstances of the case.”

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grenzt (§  43 S.  2 Restatement of Unfair Competition (3rd)).301 Diese Entscheidung wurde dann in den Staaten, die den Uniform Trade Secret Act umgesetzt haben auch in ihren jeweiligen Gesetzen kodifiziert.302 In allen Fällen wird auch der derivative Erwerb erfasst, soweit Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis der Pflichtverletzung auf Seiten des Zweiterwerbers vorliegt. Trotz der praktischen Relevanz des Geheimnisschutzes sind Rechtsstreitigkeiten über die Verletzung von Geschäftsgeheimnisse selten.303 Dies mag man einerseits dadurch erklären, dass der private Geheimnisschutz tatsächlich Wirkung entfaltet und es so zu keinem einklagbaren Schaden kommt. Andererseits mag auch der indi­ viduelle Verlust so niedrig oder aber die Beweislast so erdrückend sein, dass auf eine Geltendmachung verzichtet wird. In jedem Fall ist der rechtliche Schutz der Geheim­ nisse praktisch eher von untergeordneter Bedeutung. Bemerkenswert ist, dass neben dem speziellen Geheimnisschutz als solchen viel­ fach die Erlangung des Geheimnisses bereits andere Straftatbestände erfüllt, etwa Hausfriedensbruch (§  123 StGB), Diebstahl (§  242 StGB) oder Ausspähen von Daten (§  202a StGB). Die Überwindung von Schutzmaßnahmen mag eine Sachbeschädi­ gung (§  303 StGB) darstellen, das Geheimnis wird als Teil des Vermögens auch vom Betrug (§  263 StGB) erfasst. Diese Delikte treten aber regelmäßig im Wege der Kon­ sumtion bzw. der mitbestraften Vor- oder Nachtat hinter §  17 UWG zurück. Bedeu­ tung hat diese Strafbarkeit aber in Staaten die Geschäftsgeheimnisse nicht mit eige­ nem strafrechtlichem Schutz ausstatten, wie in Großbritannien.304 In einigen Rechtsordnungen wird das Geschäftsgeheimnis sogar zu Lasten eines gutgläubigen Erwerbers geschützt.305 So ist in Großbritannien derjenige, der ohne Kenntnis einer Rechtsverletzung Kenntnis von einem Geheimnis erlangt verpflich­ tet, dieses nicht zu nutzen und etwaige Dokumente herauszugeben. In Schweden be­ steht sogar eine Schadensersatzhaftung, soweit jemand ein Geheimnis offenbart, von dem er wusste, dass es nicht für ihn bestimmt war. In Deutschland ist der Wortlaut von §  17 UWG entscheidend, um den erlaubten vom unerlaubten Erwerb des Geheimnisses zu unterscheiden. Dessen Wortlaut ist 301  “Independent discovery and analysis of publicly available products or information are not improper means of acquisition.” 302  §  1 (1) Uniform Trade Secret Act: “‘Improper means’ includes theft, bribery, misrepresen­ta­ tion, breach or inducement of a breach of duty to maintain secrecy, or espionage through electronic or other means.” 303  Hogan Lovells, S.   6, 41 unter Hinweis auf britische Statistiken; www.justice.gov.uk/down loads/statistics/courts-and-sentencing/jcs-2011/high-court-chancery-division-chp5–2011.xls ver­ zeichnet in der Berufung einen Zuwachs von 3 Fällen im Jahr 2006 auf 106 Fälle in 2011 (was sogar die 88 im Jahr 2011 entschiedenen markenrechtlichen Streitigkeiten übersteigt); die deutsche Kri­ minalstatistik 2011 verzeichnet 500 Verstöße gegen §  17 UWG; aber 3.429 Fälle von Verletzung des Briefgeheimnisses, 451 Fälle der Verletzung von Privatgeheimnissen und 13 Fälle der Verwertung fremder Geheimnisse. 304  Vgl. English Law Commission, lawcommission.justice.gov.uk/docs/cp150_Legislating_the_ Criminal_Code__Misuse_of_Trade_Secrets_Consultation.pdf. 305  Hogan Lovells, S.  3.

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§  2  Alternative Selbsthilfe

allerdings sehr unbestimmt und daher scheinbar weitreichend, da insbesondere jede unbefugte „Anwendung technischer Mittel“ verboten ist (§  17 Abs.  2 Nr.  1 UWG). Da­ mit stellt sich die Frage, wann überhaupt eine Erlangung durch erlaubte Mittel in Betracht kommt. Im Folgenden sollen zunächst allgemein die Kosten des Geheimnisschutzes näher betrachtet werden (sub a). Dann werden die ökonomischen Gründe für die Verbote bestimmter Verhaltensweisen untersucht (sub b). Schließlich werden die Behandlung des Sonderfalls des Reverse Engineering unter diesen Voraussetzungen (sub c) und nachvertragliche Geheimhaltungspflichten und Wettbewerbsverbote (sub d) analy­ siert. a)  Ökonomische Betrachtung Grundsätzlich ist der für den Geheimnisträger nachteilige Verlust eines Geheimnis­ ses gesamtwirtschaftlich vorteilhaft. Auch der ursprüngliche Geheimnisträger ver­ liert dadurch regelmäßig nicht die Nutzungsmöglichkeit, sondern nur seine Aus­ schließlichkeitsstellung.306 Insgesamt ist also zu erwarten, dass der gesellschaftliche Wohlstand wächst. Der Aufwand zum Schutz eines Geschäftsgeheimnisses (L*) entspricht der Summe aus den tatsächlichen Ausgaben zu dessen Schutz (x) und den Rückstellungen für die Gefahr des Verlustes. Diese ergeben sich aus dem Produkt der von den Ausgaben abhängigen Wahrscheinlichkeit (p(x)) und der Höhe des Verlustes (L), betragen also p(x)*L. Es gilt also: L* = p(x) * L + x Diese Kalkulation gilt aber nicht nur für den Schutz von Geschäftsgeheimnissen, sondern in gleicher Weise für Urheberrechte. Bei diesen ist wie bei Geschäftsgeheim­ nissen erforderlich, dass der verletzende Gegenstand gerade aus einer vom An­ spruchsteller stammenden Quelle übernommen wurde. Die unabhängige, selbst­ ständige Parallelschöpfung ist anders als im Patentrecht in beiden Fällen keine Rechtsverletzung. Es wäre irrig, sich der Illusion hinzugeben, dass durch die unstreitige Natur des Urheberrechts als absolut geschütztes Recht keinerlei Verlustrisiko besteht. Ein sol­ ches besteht sogar beim Eigentum an beweglichen Sachen, die gestohlen werden kön­ nen. Erst Recht besteht die Gefahr, dass Dritte sich fremdes geistiges Eigentum zu­ nutze machen, ohne dass dem Urheber automatisch ein gleichwertiger Ersatz zugu­ tekommt. Auch der als „x“ bezeichnete Verfolgungs- und Vorsorgeaufwand besteht entsprechend im Urheberrecht. Trotz Bestehen staatlichen Schutzes muss der Urhe­ ber Verletzungen erst einmal erkennen. Diese Überwachung verursacht für ihn Kos­ ten. Trotzdem verbleibt ein Restrisiko, dass Dritte sein Werk nutzen und ihm da­ durch Gewinne entgehen (p(x) *L). Dies kann etwa auf einer entschädigungslosen 306 

Zu dieser Unterscheidung siehe Cross, MCGLJ 36 (1991), 524, 557 f.

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freien Benutzung oder dem Eingreifen einer Schrankenbestimmung beruhen, bei welcher die gezahlte Vergütung hinter dem wahren Verlust des Urhebers zurück­ bleibt. Ebenso bleibt ein Risiko der Fehlbeurteilung des Sachverhalts durch das Ge­ richt, so dass dem Urheber trotz Rechtsverletzung weder Schadensersatz noch Unter­ lassung zugesprochen wird. Dementsprechend ist ein Schutz von urheberrechtlich geschützten Inhalten durch technische Maßnahmen ausdrücklich zugelassen und wird seinerseits durch gesetzliche Vorschriften (§§  95a ff. UrhG) abgesichert. Ein besserer Schutz senkt daher zwar den erwarteten Schaden (also p(x) * L) ver­ ursacht aber auch höhere Kosten (also x). Das Ziel eines rationalen Unternehmers ist also, einerseits das Produkt aus Wahrscheinlichkeit und Wert des Geheimnisses (p(x) * L) zu minimieren, andererseits aber hierfür einen möglichst geringen Auf­ wand (x) zu tätigen. Er wird solange weitere Schutzmaßnahmen finanzieren, soweit dadurch p(x) * L um einen größeren Betrag als x fällt. Erfahrungsgemäß ist es so, dass der Grenznutzen zusätzlicher Sorgfaltsaufwendungen sinkt. In jedem Fall gibt es also einen eindeutigen Punkt, in dem zusätzliche Ausgaben in der Summe dieser Beträge (also p(x) * L + x) zu keiner Ersparnis mehr führen. Dies ist der Scheitelpunkt der Differenzkurve aus x und P(x)*L, also der Punkt, an dem die Kurve (die ur­ sprünglich fällt) wieder steigt. Mathematisch ist dies der Punkt an dem die Ableitung der Funktion p(x) * L+x (also p‘(x) * L + 1) den Wert 0 erreicht.

Die Vermögensinteressen des Urhebers werden freilich unabhängig von freiwilligen technischen Schutzmaßnahmen im Sinne der §§  95a ff. UrhG geschützt. Bei einem Geschäftsgeheimnis besteht hingegen ohne private Sicherungshandlungen weder ein zivilrechtlicher noch ein strafrechtlicher Schutz. Geheimnisse werden grundsätzlich

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§  2  Alternative Selbsthilfe

vorrangig durch die vom Unternehmer selbst getroffenen Maßnahmen geschützt; al­ ternativ müsste er Patentschutz in Anspruch nehmen. Verboten sind nur bestimmte Handlungen, durch die Zugriff auf das Geheimnis genommen wird und selbst diese nur, soweit das Geheimnis durch den Inhaber bereits geschützt wurde. Anders als im Urheberrecht gibt es daher eine Vielzahl von Fällen, in denen ein Dritter das Ge­ heimnis erlangt, ohne dass dem ein gesetzliches Verbot oder jedenfalls ein Ersatzan­ spruch gegenübersteht. So profitiert insbesondere derjenige, dem das Geheimnis aufgrund eines Versehens des Geheimnisträgers (etwa verlorene Unterlagen, geöffne­ te Fenster bei vertraulichen Besprechungen) bekannt wird, ohne dass er sich auf staatlichen Schutz berufen kann. Daher ist bei Geschäftsgeheimnissen anders als im Urheberrecht zwischen dem Verlust durch Einsatz verbotener Mittel (Ausspionieren des Betriebs, Information durch Beschäftigte) und dem Verlust des Geschäftsgeheimnisses ohne solche Mittel (etwa Erwerb des Geheimnisses durch Zufall) zu differenzieren. Für Geschäftsge­ heimnisse ist daher die in der obigen Formel als „p(x)“ bezeichnete Wahrscheinlich­ keit aufzuteilen. Der Geheimnisträger muss zusätzlich zu den auch im Urheberrecht nötigen Auf­ wendungen zur Verhinderung des Verlusts durch illegale Mittel (Überwachung durch Kameras, Wachpersonal, Wettbewerbsverbote, etc., im Folgenden weiterhin x) zusätzlich auch Kosten für Vorkehrungen zur Verhinderung des Verlusts durch lega­ le Mittel (Einbau überflüssiger Funktionen in Produkte, Verschlüsselung, etc., im Folgenden y) einkalkulieren. Insoweit beeinflussen die erstgenannten Ausgaben die Wahrscheinlichkeit des Verlusts durch illegale Tätigkeiten („p(x)“), während letztere Aufwendungen die Wahrscheinlichkeit eines Verlusts in legaler Weise („q(y)“) senken. Freilich gibt es dabei stets bestimmte Fälle, die in beide Gruppen fallen (also: in denen die Gefahr in beiden Wahrscheinlichkeiten erfasst sind), so dass diese doppelt erfassten Fälle („p(x)*q(y)“) abzuziehen sind. Dann gilt: L* = [ p(x) +q(y) – (p(x) * q(y)) ] * L + x + y

Diese Formel kann man wiederum vereinfachen. Die Wahrscheinlichkeit besteht nämlich aus drei Fällen: Denjenigen, in denen sich ausschließlich das (Rest-) Risiko eines illegalen Verlustes stellt („p(x)-p(x)*q(y)“), denjenigen, in denen sich aus­ schließlich das (Rest-)Risiko eines Verlusts auf rechtlich unbedenklichem Wege stellt

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(„q(y)-p(x)*q(y)“) und die Fälle, in denen sich beide Risiken kumulieren („p(x)*q(y)“). Damit gelangt man zu der Formel

L* = [ (p(x) – p(x)q(y)) + p(x) * q(y)+ (q(y)– p(x)q(y)) ] * L + x + y = [ p(x) *(1-q(y)) + p(x) * q(y)+ q(y)*(1– p(x)) ] * L + x + y Um hier also L* auf einen möglichst niedrigen Wert zu bringen, gilt es, die drei Sum­ manden zu minimieren, also bei möglichst niedrigem Aufwand eine möglichst gro­ ße Verringerung der Wahrscheinlichkeit zu erreichen. Je höher also der drohende Schaden bei einem Verlust des Geheimnisses (L) ist, desto mehr Aufwand (x+y) wird der Unternehmer treiben, um die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (p(x) * (1 – q(y)) + q(y) * (1 – p(x)) + p(x) * q(y)) zu vermindern. Auch hier ist aber erforderlich, dass dem zusätzlichen Aufwand eine effektive Reduktion der Wahrscheinlichkeit ge­ genübersteht. Ab einem gewissen Punkt übersteigen die Sorgfaltsaufwendungen die durch Verringerung der Wahrscheinlichkeit erzielte Kostenersparnis hinsichtlich des erwarteten Verlusts. Dabei beeinflussen sich die Aufwendungen wechselseitig: Aus Sicht des Unternehmers sind die Gesamtausgaben (also x+y) und die Gesamt­ wahrscheinlichkeit (also p(x) +q(y) – p(x) * q(y)) maßgeblich. Soweit das Gesetz bestimmte Verhaltensweisen verbietet und für Verstöße Strafen androht (wie etwa in den §§  17 ff. UWG) senkt dies automatisch die Wahrscheinlich­ keit von verbotenen Handlungen, die zum Verlust des Geheimnisses führen (also von p(x)). Denn der Dritte, der gegen diese Normen verstößt, muss das Risiko einkalku­ lieren, dass er mit einer staatlichen Strafe belegt wird und jeglichen erzielten Gewinn herausgeben muss. Dann sinkt aber auch der Nutzen von weiteren Ausgaben um diese Wahrscheinlichkeit zu reduzieren (also von x), soweit die Kosten-/Nutzenkur­ ve wie im Regelfall abflachend verläuft. Es lohnt sich also nicht, zu viel Geld in die Vorbeugung bzw. Verhinderung einer Geheimniserlangung durch illegale Aktivitä­ ten zu investieren. Der staatliche Schutz ergänzt in seinem Anwendungsbereich also nicht den priva­ ten Schutz, sondern ersetzt ihn weitgehend. Der Aufwand für Taschendurchsuchun­ gen, eine Überwachung von Mitarbeitern oder regelmäßige Verhöre wird im Regel­ fall dadurch entbehrlich, dass bei Rechtsverletzungen empfindliche Strafen drohen und die Mitarbeiter diese fürchten.

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§  2  Alternative Selbsthilfe

Je weiter der Bereich der verbotenen Handlungen gezogen wird, desto lohnender wird es freilich, zusätzliche eigenständige Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Aufwen­ dungen zur Verhinderung verbotener Erlangung sind ihrerseits wenig hilfreich, so­ lange eine erhebliche Gefahr erlaubten Verlustes besteht. Solange hingegen Schutzlü­ cken bestehen, lohnt es sich hingegen eher, die eigenen Ressourcen zu nutzen, um diese zu schließen. Die Ausgaben für die Verhinderung legaler Umgehung (y) werden also stets höher als diejenigen zur Verhinderung verbotener Methoden zur Erlan­ gung es Geheimnisses (x) sein. b)  Verbotene und erlaubte Erlangung des Geheimnisses Die ökonomische Schwierigkeit liegt nun darin, ob eine Ausdehnung der verbotenen Verhaltensweisen gesamtwirtschaftlich vorteilhaft (und damit „effizient“) ist. Grundsätzlich handelt es sich beim oben genannten Verlust „L“ um einen individu­ ellen Verlust des Betroffenen, der nicht zwingend zu einem gesamtökonomischen sozialen Verlust führt. Denn letztlich tritt nur eine Vermögensverschiebung ein. Das Geheimnis nützt nun einem Dritten – dem Verlust des früheren Geheimnisträgers entspricht der Zuwachs des Verletzers. Tatsächlich kann die so entstehende Konkur­ renz durchaus auch neuen Wettbewerb entstehen lassen und so erhebliche Vorteile insbesondere für die Verbraucher bewirken. Größere Verbreitung des Geheimnisses kann wiederum zu deren Weiterentwicklung durch mehrere Personen und zu einem schnelleren technologischen Fortschritt der Gesellschaft insgesamt führen. Insofern sind die Vorteile sogar deutlich größer als bei einem Sachdiebstahl, bei dem der All­ gemeinheit durch den Gewinn des Diebes kein Vorteil entsteht. Zudem ist mit einer Ausweitung des Geheimnisschutzes ein erhebliches administratives Problem ver­ bunden. Denn es ist die verbotene Erlangung von der in jedem Fall zulässigen unab­ hängigen Parallelentdeckung abzugrenzen. Dies verursacht erheblichen Beweisauf­ wand und Kosten für gerichtliche Streitigkeiten. Gleichzeitig stärkt ein schwacher Geheimnisschutz den Vorteil des Patentrechts gegenüber rein faktischen Maßnah­ men des Berechtigten. Dies führt seinerseits zur Offenlegung und bereichert so wie­ derum die Allgemeinheit. Diesen Vorteilen stehen jedoch die dadurch verringerten Anreize zu eigener krea­ tiver Tätigkeit gegenüber. Denn soweit für jede neue Idee unmittelbar Patentschutz angestrebt werden muss oder überhaupt kein Schutz besteht, lohnen sich Neuerun­ gen gegenüber der schlichten Kopie kaum noch. Zudem wird so wiederum der An­ reiz für überhöhte Aufwendungen zur Verhinderung legalen Erwerbs gesetzt. Es ent­ steht ein Wettrüsten zwischen dem Inhaber des Geheimnisses und denjenigen, die versuchen, es legal in Erfahrung zu bringen. Die Regelungslücke führt also ähnlich wie beim Sachdiebstahl zu erheblichen sozialen Fehlinvestitionen, die statt in Inno­ vation in Sicherungsbemühungen fliessen. Würde man auch die Erlangung eines versehentlich zugänglich gemachten Ge­ schäftsgeheimnisses unter Strafe stellen oder mit Schadensersatzansprüchen ver­

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knüpfen, träfe denjenigen, der Kenntnis von einer neuen Information erlangt die Pflicht, zu überprüfen, ob die Zugänglichmachung willentlich oder bloß versehent­ lich erfolgte. Bei Informationen gilt nicht die Vermutung, dass diese geheim bleiben sollen. Es gilt gerade umgekehrt, dass die Geheimhaltung nur eine begründungsbe­ dürftige Ausnahme von weitreichenden Informations- und Transparenzpflichten im Innen- und Außenverhältnis darstellt (siehe nur §§  15 WpHG, §  131 AktG, §  51a ­GmbHG, §  325 HGB). Rein praktisch besteht bei den meisten Informationen auch kein relevantes Geheimhaltungsinteresse. Die Unterscheidung, ob eine Information ausnahmsweise nicht für den Empfänger bestimmt ist und geheim bleiben soll, kann dem Empfänger nicht überantwortet werden. Daran ändern auch die von vielen Kanzleien und Unternehmen verwendeten Disclaimer in E-Mails nichts. Der zu trei­ bende Aufwand stünde einem freien Informationsaustausch entgegen und würde erhebliche Kommunikationskosten verursachen. Demgegenüber kann der Geheim­ nisträger diese Kosten selbst besser limitieren und das Risiko wirksamer kontrollie­ ren. Nach dem allgemeinen Grundsatz, dass derjenige, der eine Gefahr am günstigs­ ten abwehren kann (sog. „least cost avoider“) deren Folgen tragen soll, ist die Gefahr zufälligen Verlusts daher zu Recht dem Geheimnisträger zugewiesen. Aus diesem Grundsatz folgt auch die Obliegenheit, wirksame Schutzmaßnahmen zu treffen, bzw. eine zu leichte Kenntnisnahme zu verhindern. Dieser Grundsatz gilt für körperliche Gegenstände demgegenüber nicht – gegen einen Diebstahl (§  242 StGB) ist der Einwand fehlender Sicherungsmaßnahmen irrelevant; ebenso wird man auch ein Mitverschulden gegenüber der Haftung des vorsätzlich handelnden Diebes (§  254 Abs.  1 BGB) ablehnen müssen. Auch beim vorsätzlich-rechtswidrigen Erwerb von Geheimnissen durch Ausspio­ nieren oder Verleitung von Personen zum Geheimnisverrat ist eine übermäßige Ab­ schreckung bzw. die Beeinträchtigung eigentlich erwünschter Verhaltensweise nicht zu erwarten. Die Herausforderung besteht also darin, zwar nicht auf jeglichen Schutz zu ver­ zichten, aber andererseits auch nicht derart überhöhte Anforderungen zu stellen, dass der Geheimnisträger zu unnötigen und deshalb verschwenderischen Ausgaben motiviert wird. Erforderlich sind also Maßnahmen, die nach außen zu erkennen ge­ ben, dass es sich um ein Geheimnis handelt, nicht aber weitergehend ein möglichst absoluter Schutz vor Eingriffen Dritter. Illustrativ hierzu ist der bereits oben erwähnte Dupont-Fall aus den USA,307 bei dem zwei Piloten mit einem Flugzeug Fotos von einer im Bau befindlichen Fabrik machen sollten, um die dort genutzten Geheimnisse in Erfahrung zu bringen. Dabei handelt es sich um eine Handlung, für die keine sachlich relevante Rechtfertigung ersichtlich ist. Sie ist zudem nicht vorhersehbar. Dementsprechend wäre Aufwen­ dungen zur Abwehr der Verletzung entbehrlich.

307 

E.I. duPont deNemours & C. v. Christopher, 431 F.2d 1012 (5th Cir. 1970).

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§  2  Alternative Selbsthilfe

c)  Insbesondere: Reverse Engineering Unter „Reverse Engineering“ versteht man die Untersuchung eines bekannten Gegen­ standes, um die dahinterstehenden technischen oder wissenschaftlichen Wirkweisen herauszuarbeiten.308 Die hierzu verfügbaren Methoden sind vielfältig und wachsen mit dem technischen Fortschritt. Im Softwarebereich ist eine Dekompilierung von binärer Software generell möglich (bei Software die von virtuellen Maschinen wie Java oder .Net ausgeführt wird sogar erleichtert). Der Aufwand kann je nach Kom­ plexität des Produkts und der eingesetzten Verschlüsselungstechnologien durchaus unterschiedlich sein.309 Im Vergleich zur Bestechung oder Erpressung von Geheimnisträgern bzw. zum Ausspionieren geschützter Bereiche im fremden Betrieb (damit wird schon das Ei­ gentum bzw. der berechtigte Besitz an den Geschäftsräumen als eigenständiges Rechtsgut berührt) ist die schlichte Untersuchung eines Gegenstandes, der das Ge­ heimnis verkörpert, scheinbar unproblematisch: Immerhin steht dieser im Eigentum des Kunden; nach §  903 BGB kann dieser mit seinen Gegenständen verfahren wie er will, sie insbesondere auch untersuchen. aa)  Unterschiedliche Beurteilung in Deutschland und den USA Im Verkehr befindliche Produkte sollen den Wissensstand der Allgemeinheit berei­ chern. Neben wissenschaftlichem Interesse,310 der Beseitigung von Fehlern, der Herstellung von Interoperabilität311 oder der Feststellung der Verletzung eigener Schutzrechte wird Ziel der Untersuchung fremder Produkte aber oft die Erstellung von Komplementärprodukten oder die Ersparnis eigenen Forschungsaufwands durch schlichte Übernahme fremder Ideen sein.312 Während das Bedürfnis, heraus­ zufinden, wie etwas funktioniert als solches kaum als „verwerflich“ beurteilt werden kann,313 kann man ein solches Verhalten im Wettbewerb zwischen zwei konkurrie­ renden Herstellern auf einem Markt durchaus kritisch beurteilen. So wird in Deutschland traditionell das Verdikt der „Sittenwidrigkeit“ (§  1 UWG a. F.)314 bzw. seit der UWG-Novelle 2004 „Unlauterkeit“ über ein solches Verhalten gesprochen. Für diese Beurteilung durch das Reichsgericht spricht zunächst einmal der Umstand, dass der Verletzer vorsätzlich auf fremde Ideen zurückgreifen will, also

308  Ohly, Patents and technological progress, S.  535, 536; Sinclair v. Aquarius Electronics, Inc. 42 Cal.App.3d 216, 226 (1974). 309  Johnson-Laird, UDTNLR 19 (1994), 843, 843; Harte-Bavendamm, GRUR 1990, 657, 659 f. 310  Haberstumpf, CR 1991, 129, 129; Hart, EIPR 1991, 111; Harte-Bavendamm, GRUR 1990, 657, 657; Taeger, CR 1991, 449; Vinje, EIPR 1994, 364, 364; Wiebe, CR 1992, 134. 311  Harte-Bavendamm, GRUR 1990, 657, 659. 312  Bonito Boats 489 US 141 (1989); Landes/Posner, S.  370; Ohly, Patents and technological pro­ gress, S.  535, 537. 313  Ganz im Gegenteil ist dies ein Kernelement wissenschaftlicher Tätigkeit, vgl. nur Ohly, Pa­ tents and technological progress, S.  535, 536 f.; Samuelson/Scotchmer, Yale L.J. 111 (2002), 1575, 1577. 314  RGZ 149, 329.

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keines besonderen Schutzes bedarf. Eine zu weitgehende Zulässigkeit wird Fehlan­ reize beim Hersteller von Gegenständen, die Geheimnisse verkörpern, setzen: Statt in ein besseres Produkt werden Ressourcen in einen unnötig komplexen und damit schwerer zu analysierenden Aufbau investiert. Eine zu leichte Umgehungsmöglich­ keit senkt zudem den Wert des Geheimnisschutzes und mindert damit die Anreize zu kreativer Tätigkeit. Anders ist die Beurteilung demgegenüber in den USA: „Reverse engineering“ wird dort als gängige Geschäftspraktik gebilligt, ja sogar gelobt.315 So wurde ein Schlosser nicht davor geschützt, dass Dritte die für die Produktion von Sicherheitsschlüsseln erforderlichen Codes durch Untersuchung von Schlössern erwerben und so selbst­ ständig Ersatzschlüssel anbieten.316 Das Ziel dabei ist es, ein „Umschlagen“ des Ge­ heimnisschutzes in ein zu weitreichendes mit dem Patentrecht konkurrierendes Schutzrecht zu verhindern. Durch die Erlaubnis zur Untersuchung von Gegenstän­ den wird der Geheimnisschutz in der Tat den Zielen des Patentrechts angenähert.317 Der Eigentümer soll sich über ihm gehörende Gegenstände informieren dürfen. bb)  Sonderregelungen als Indiz? Als Indiz für den Wunsch nach erlaubtem „Reverse Engineering“ wird auf die gerade auf Drängen aller betroffenen Unternehmen geschaffene Erlaubnis zum „Reverse ­Engineering“ im Bereich des Halbleiterschutzes verwiesen.318 Die diesbezüglichen Sonderregelung für Topographien finden sich in Deutschland in §  6 Abs.  2 Nr.  2 HalbLSchG, und in den USA im Semiconductor Chip Protection Act (17 USC §§  901 ff., insb. §  906).319 Danach ist die Nachbildung von Topographien zum Zwecke der Analyse, der Bewertung oder der Ausbildung zulässig; in der Folge ist auch die Verwertung einer davon abgeleiteten Topographie zulässig, soweit diese ihrerseits Eigenart aufweist. Freilich führt schon die mit der Anmeldung verbundene Offenba­ rung dazu, dass der Anreiz für ein „Reverse Engineering“ sinkt. Praktische Bedeu­ tung hat der Halbleiterschutz heute kaum noch, was auch auf die im geistigen Eigen­ tum völlig unübliche und in ihrer Anwendung unklare Freigabe des „Reverse Engineering“ zurückzuführen ist.320 Insoweit hat sich der Wunsch nach einer weiten Zulässigkeit des „Reverse Engineering“ nicht bewährt. Auch der gelegentlich anzutreffende Hinweis auf die Regelungen im Hinblick auf Computersoftware ist nicht zielführend. Betriebsgeheimnisse können in urheber­ rechtlich geschützten Computerprogrammen enthalten sein (vgl. §69g Abs.   1

315  Sinclair v. Aquarius Electronics Inc., 42 Cal. App.  3d 216, 226 (1975); Samuelson/Scotchmer, Yale L.J. 111 (2002), 1575, 1577; Ohly, Patents and technological progress, S.  535, 536. 316  Chicago Lock Co v. Fanbergm, 676 F.2d 400 (9th Cir. 1982). 317  Ohly, Patents and technological progress, S.  535, 536. 318  Landes/Posner, S.  370. 319  Schweyer, S.  49 f. 320  Harte-Bavendamm, GRUR 1990, 657, 658; Schweyer, S.  49.

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§  2  Alternative Selbsthilfe

­ rhG).321 Soweit der Quellcode verfügbar ist, kann aber durch dessen schlichte Ver­ U breitung das Geheimnis offenkundig werden.322 Bei nur in Maschinensprache ver­ fügbaren Programmen ist dies hingegen nicht der Fall. Insoweit bildet §  69e UrhG eine für in Software verkörperte Geheimnisse durchaus relevante Schranke.323 Das danach mögliche „Reverse Engineering“ wird aber durch den auf Art.  6 der Soft­ ware-Richtlinie324 zurückgehenden §  69e UrhG325 gerade nicht begünstigt. Zwar wird die Dekompilierung eines Programms erlaubt, aber nur unter sehr einge­ schränkten Voraussetzungen. Im allgemeinen stellt jede Umwandlung des Pro­ grammcodes eine Bearbeitung dar (§  69c Abs.  1 Nr.  2 UrhG). Entgegen §  23 UrhG muss insoweit nicht nur deren Veröffentlichung oder Verwertung genehmigt werden, sondern bereits die Erstellung.326 Die „Kompilierung“ stellt damit kraft Gesetzes stets einen wirksamen Schutz des Geheimnisses dar. Die in einem kompilierten Pro­ gramm eingesetzten Algorithmen und Schnittstellen stellen daher umgekehrt stets ein wirksam geschütztes Geschäftsgeheimnis dar. Die Schranke des §  69e UrhG327 stellt diesen Schutz nicht in Frage, da sie gerade von der Vertraulichkeit ausgeht und nur eine beschränkte Anwendung der gewonnenen Erkenntnisse erlaubt.328 Die Un­ tersuchung des Quellcodes wird jedenfalls im Regelfall auch keine übliche Nutzung im Sinne von §  69d Abs.  1 UrhG darstellen.329 In den USA wird die Dekompilierung von Software sogar als den „fair use“ überschreitendes und damit illegales Verhalten eingeordnet.330 Nur in Japan wird Dekompilierung weitgehend zugelassen, soweit nicht Software aus den USA betroffen ist.331 Die Spezialregelungen geben daher keine eindeutige Entscheidung zugunsten oder gegen das „Reverse Engineering“ vor. cc)  Ökonomische Aspekte Aus ökonomischer Sicht ist ein Verbot des Reverse Engineering nicht geboten. Ein Konkurrent wird fremde Produkte nur untersuchen, wenn der Aufwand für die Er­ 321  OLG Celle CR 1989, 1002; BayObLG GRUR 1991, 694; LG Stuttgart NJW 1991, 441; Köhler/ Bornkamm/Köhler, §  17 UWG Rn.  12. 322  Meier, JZ 1992, 657, 663. 323  LG Mannheim NJW 1995, 3322; Köhler/Bornkamm/Köhler, §  17 UWG Rn.  12; Lehmann, GRUR-Int 1991, 327, 335; Dreier, CR 1991, 577, 583. 324  Richtlinie 2009/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen (kodifizierte Fassung). 325 Dazu Haberstumpf, CR 1991, 129; Hart, EIPR 1991, 111; Harte-Bavendamm, GRUR 1990, 657; Taeger, CR 1991, 449; Vinje, EIPR 1994, 364; Wiebe, CR 1992, 134. 326  BGH GRUR 2000, 866, 868; BeckOK-UrhG/Kaboth/Spies, §  69c UrhG Rn.  10; Wandtke/Bul­ linger/Grützmacher, §  69c UrhG Rn.  17; Dreier/Schulze/Dreier, §  69c UrhG Rn.  14. 327 Dazu BeckOK-UrhG/Kaboth/Spies, §   69e UrhG Rn.  2; Dreier/Schulze/Dreier, §  69e UrhG Rn.  6; Wandtke/Bullinger/Grützmacher, §  69e UrhG Rn.  15. 328  Schweyer, S.  132 f. 329  Etwas weiter Schweyer, S.  116. 330 Wandtke/Bullinger/Grützmacher, §  69e UrhG Rn.  31 f.; Dreier/Schulze/Dreier, §  69e UrhG Rn.  3; sehr weitgehend allerdings Wiebe, CR 1992, 134, 138. 331  Piera, International Trade Law Journal 7 (2003), 15, 19.

A.  Schutz von Geheimnissen

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mittlung der Funktionsweise geringer ist als derjenige, der für eine komplette Neu­ entwicklung aufzubringen ist. Geht es um Trivialitäten, wird die Eigenentwicklung zumeist die kostengünstigere Alternative sein. Etwas anderes kann nur gelten, wenn sich das Konkurrenzprodukt bereits am Markt etabliert hat und alternative Lösungen aufgrund dessen Marktdurchdringung keine realistische Chance haben. Es geht also um Konstellationen, die den Fällen ei­ ner Zwangslizenz aus kartellrechtlichen Gründen nahekommen.332 Allerdings ist die Lizenzierung von Geschäftsgeheimnissen ein Vorgang, der bei vielen, regelmäßig in keiner anderen Weise mit dem Geheimnisträger verbundenen Interessenten kaum praktikabel ist. Durch den Aufwand der Untersuchung (den der Geheimnisträger durch die oben erwähnten Tarnungsmechanismen selbst steuern kann) ist also ein hinreichender Gegenanreiz geschaffen. So kann ein Gleichgewicht zwischen eigener Innovation und schlichter Übernahme fremder Produkte erreicht werden. Darüber hinaus wird so die Abwägung komplett in den Selbsthilfebereich verlagert: Die Ab­ wägung von Kosten und Nutzen erfolgt nicht mehr durch staatliche Stellen, sondern durch die Beteiligten selbst. Gegen ein generelles Verbot des Reverse Engineering sprechen außerdem die mit der Durchsetzung solcher Pflichten verbundenen administrativen Kosten: In einem etwaigen Gerichtsverfahren müsste mühsam nachgewiesen werden, dass tatsächlich eine Untersuchung des fremden Erzeugnisses und keine eigene erfinderische Tätig­ keit und keine Parallelentwicklung erfolgte. Zudem wird durch die damit verbunde­ ne Unsicherheit in der Würdigung des Sachverhalts das Risiko von Fehlurteilen er­ höht. Dies stellt wiederum die Anerkennung der Rechtsnormen an sich in Frage.333 Die Zulassung des Reverse Engineering bedeutet aber auch, dass sich ein Geheim­ nisschutz nur für Produkte lohnt, die entweder sehr schwer nachzuvollziehen sind oder aber so geringwertig, dass sich ein Nachbau nicht lohnt. Für alle anderen Fälle sind nur ein Patent- oder Gebrauchsmusterschutz oder der Verzicht auf jeglichen Schutz verbunden mit der Hoffnung durch die frühe Präsenz am Markt den For­ schungsaufwand zu amortisieren verfügbar. Damit geht die Gefahr einher, dass nicht als Geheimnis schutzfähige Erfindungen nie auf den Markt gebracht werden. Das damit verbundene Risiko ist aber wegen des persönlichen Interesses der Erfinder, ihre Ideen wissenschaftlich zu veröffentlichen, als gering einzustufen. dd)  Wettbewerb als Schutzziel Zu berücksichtigen sind darüber hinaus die durch die Aufdeckung des Geheimnisses zu erwartenden Vorteile für die Allgemeinheit. Soweit die durch die Untersuchung 332  EuGH MMR 2004, 456; EuGH ZUM 1996, 78; zumindest wenn es um einen Folgemarkt geht; im Primärmarkt existiert ein solcher Einwand nicht. Grund hierfür ist die zeitliche Begren­ zung des Patents, die ein dauerhaftes Monopol verhindert; zum Hintergrund Leistner, ZWeR 2005, 138. 333  Beurskens, S.  287 ff.; Ott/Schäfer, Die Präventivwirkung zivil- und strafrechtlicher Sanktio­ nen, S.  131, 141 f.; Dreier 2002, S.  75 ff.

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§  2  Alternative Selbsthilfe

erlangten Kenntnisse, dem Markt neue Produkte zugänglich machen (nicht Surroga­ te zum untersuchten Gegenstand, sondern Weiterentwicklungen und Ergänzungen), mag man eine Untersuchung eher billigen, als bei schlichten Kopien des Originals.334 Ökonomisch muss man dieser Differenzierung freilich entgegenhalten, dass auch (und gerade) ein neuer Wettbewerber für dieselbe Produktgruppe einen Wert hat: Kann dieser neue Wettbewerber (dauerhaft) günstiger den Bedarf befriedigen, sin­ ken die Endverbraucherpreise, die volkswirtschaftliche Effizienz steigt und ineffizi­ ente Anbieter werden verdrängt. Darüber hinaus kann „Reverse Engineering“ aber selbst dem Inhaber des dekonstruierten Gegenstands Vorteile bringen. Das Potential für Verbesserungen, die durch eine Analyse erzielt werden könnten, ginge verloren, wenn Dritte keine Möglichkeit hätten, den Gegenstand näher zu untersuchen. Im Immaterialgüterrecht werden durch die Zulässigkeit von Patenten auf eigenständige Verbesserungen fremder Erfindungen sowie die Gewährung von Urheberrechten an Bearbeitungen urheberrechtlich geschützter Werke Dritter solche Verbesserungen sogar gefördert. Wertungsmäßig kann außerdem auf die Regelungen des Patent- und Gebrauchs­ musterrechts rekurriert werden. Das Patentrecht knüpft seinen zwar zeitlich befris­ teten, aber inhaltlich sehr weitgehenden Schutz gerade an die Offenlegung (und da­ mit die Bereicherung des Standes der Technik). Die Bereicherung des Standes der Technik ist gerade das vom Gesetzgeber avisierte Ziel.335 Das bedeutet aber, dass nicht etwa die Erlaubnis zur technischen Untersuchung in Verkehr gebrachter Ge­ genstände zu rechtfertigen ist, sondern gerade umgekehrt deren Verbot einer beson­ deren Begründung bedarf. Mangels handhabbarer Kriterien für die Bewertung des gesamtwirtschaftlichen Nutzens (zumal eine Beurteilung ex ante zum Zeitpunkt der möglicherweise unlauteren Untersuchung erfolgen müssen) ist dieser Nutzen kaum jemals geeignet, ein Verbot der Untersuchung zu rechtfertigen. Bei der Übernahme fremder Leistungen steht darüber hinaus weniger das Verbot des „Ausspähens“ des Geheimnisses in Rede als vielmehr ein eigenständiges lauterkeitsrechtliches Prinzip (§  4 Nr.  9 UWG).336 d)  Insbesondere: Nachvertragliche Geheimhaltungspflicht und Wettbewerbsverbote Während der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses kann der Schutz von Geheim­ nissen vertraglich ausgestaltet werden.337 Der fortdauernde Schutz nach Ende der Tätigkeit für das Unternehmen bereitet demgegenüber Schwierigkeiten. Gerade bei Angestellten aus dem Forschungsbereich besteht aber ein hohes Risiko, dass diese 334  In diesem Sinne etwa die Rechtsprechung des EuGH zur Zwangslizenz, EuGH MMR 2004, 456; EuGH ZUM 1996, 78; OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 3215; und der Gedanke des §  69e UrhG, dazu Wandtke/Bullinger/Grützmacher, §  69e UrhG Rn.  1 f. 335  BGHZ 52, 74, 76; BGH GRUR 81, 734, 735; Landes/Posner, S.  175 f.; BenkardPatG/Rogge/ Melullis, Einleitung Rn.  1. 336  Ohly, Patents and technological progress, S.  535, 551 337  Oben §  2A.II.1c.aa(1), S. 244.

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Geheimnisse zu ihrer neuen Beschäftigungsstelle und damit im Zweifel zur unmit­ telbaren Konkurrenz mitnehmen. Ein dauerndes Wettbewerbs- und regelmäßig auch Beschäftigungsverbot im Tä­ tigkeitsfeld des Unternehmens wäre mit dem Kartellverbot (§  1 GWB bzw. Art.  101 AEUV) unvereinbar.338 Eine dauerhafte Bindung würde die spezialisierte Arbeits­ kraft dem Markt vollständig entziehen und so gesamtwirtschaftlich erheblichen Schaden anrichten. Die Aufforderung, alles während der Tätigkeit in Erfahrung gebrachte schlicht zu vergessen, ist zudem hoffnungslos. In England wird insoweit zwischen „einfachen“ und „qualifizierten“ Geheimnissen unterschieden. Nur letztere dürfen in keinem Fall verraten werden, während erstere nur während der Dauer der Beschäftigung ge­ schützt sind. Zur Unterscheidung wird neben ausdrücklichen Abreden vor allem auf die Unterscheidbarkeit von allgemeinem Wissen und Fertigkeiten abgestellt, die während des Arbeitsverhältnisses erworben wurden.339 In ähnlicher Weise wird im deutschen Recht zwischen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten einerseits und Kenntnis spezifischer internet Einzeltatsachen unterschieden.340 Andere Staaten ver­ suchen eine Korrektur auf der Rechtsfolgenseite, so wird in Schweden eine Haftung auf außergewöhnliche Fälle beschränkt.341 Auch hier muss als Maßstab das Verhalten des am Geheimnis berechtigten Unter­ nehmens gegenüber Dritten herangezogen werden. Je höher die entsprechenden Ge­ heimhaltungsbemühungen, desto weitgehender wird man auch ehemalige Arbeit­ nehmer zur Vertraulichkeit verpflichten dürfen.

III.  Rechtsnatur des Geheimnisschutzes Nach alledem liegt es nahe, einen einheitlichen Tatbestand des geschützten Geheim­ nisses anzunehmen, der jedenfalls durch bestimmte Verbote geschützt wird. Dann ist aber näher zu klären, wie sich ein solches Recht zu den speziellen, absolut ge­ schützten Immaterialgüterrechten (Urheberrecht, Patentrecht, etc.) verhält (sub 1). Von besonderer Relevanz ist dabei die Möglichkeit von einem Betriebsgeheimnis, das sich auf einen technischen Gegenstand bezieht, zu einem Patent überzugehen bzw. das bei Patentanmeldung durch Dritte bestehende Vorbenutzungsrecht (sub 2). Vor dem Hintergrund potentiellen Doppelschutzes ist sodann zu hinterfragen, ob die besonders ausgeprägte Alternativität im Bereich patentrechtlich schutzfähiger Geheimnisse eine Sonderbehandlung zur Folge haben sollte (sub 3). Schließlich ist die allgemeine Frage zu stellen, inwieweit Geschäftsgeheimnisse so letztlich ihrer­

338  Siehe zum Problemkreis Hunold, NZA-RR 2007, 617, 619; Sander, GRUR-Int 2013, 217; Richters/Wodtke, NZA-RR 2003, 281, 283 ff. 339 So Hogan Lovells, S.  39. 340  RGZ 65, 333 ff.; Kraßer, GRUR 1977, 177, 187; Mes, GRUR 1979, 584, 586 f. 341  Hogan Lovells, S.  39.

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§  2  Alternative Selbsthilfe

seits zu einem absolut geschützten oder gegebenenfalls zu schützenden Rechtsgut erstarken (sub 4). 1.  Verhältnis zu den Immaterialgüterrechten Der rechtliche Schutz von Geheimnissen soll ebenso wie der Schutz durch das Imma­ terialgüterrecht zur Schaffung und Nutzung von Know-how motivieren und dadurch Wettbewerb im Allgemeininteresse fördern.342 In vielen Fällen greift dabei neben dem Schutz als Geschäftsgeheimnis auch ein Schutz durch das Urheberrecht oder ein Leistungsschutzrecht, etwa das Datenbankherstellerrecht (§§  87a ff. UrhG).343 So­ weit einem Staat an der Erweiterung der Kenntnisse, welche Industrie und Wissen­ schaft zur Verfügung stehen, gelegen ist, scheint dieser Doppelschutz bedenklich. Es wäre vielmehr naheliegend, den Patentschutz gegenüber dem Geheimnisschutz zu begünstigen. Allerdings erweckt das Gesetz den Eindruck, dass das Gegenteil der Fall sei: Insbesondere ist ein Übergang vom Patentschutz zum Geheimnisschutz je­ derzeit möglich. Durch das Vorbenutzungsrecht droht dabei kein Nachteil durch eine spätere Anmeldung des bislang geheim genutzten Verfahrens durch einen Kon­ kurrenten. Soweit aber der Geheimnisschutz weiter reicht als der Schutz durch das Patent­ recht, stellt sich die Frage, wodurch dies zu rechtfertigen ist. Während das Patent­ recht durch einen strengen Offenlegungsgedanken geprägt ist,344 verlangt der Ge­ heimnisschutz umgekehrt den Ausschluss der Öffentlichkeit vom geschützten Ge­ genstand. Die Schranken und die Schutzfrist im Patentrecht beruhen auf einem Abwägungsprozess,345 der sich im privaten Schutz gerade nicht widerspiegelt. Zwar zeigt das Fehlen von Parallelerfindungen in einem Zeitraum von zwanzig Jahren (also der höchsten Geltungsdauer eines Patents), dass es sich entweder um ein wirt­ schaftlich völlig uninteressantes Produkt bzw. Erzeugnis handelt oder aber um einen derart großen Schritt, dass weder unabhängige noch von der Erfindung selbst inspi­ rierte Gegenprodukte gefunden werden konnten. Ob dem aber zwingend ein derart langandauernder Schutz entsprechen muss ist fraglich, denn umgekehrt bedeutet die Gewährung patentrechtlichen Schutzes nicht, dass eine Parallelerfindung in den kommenden 20 Jahren ausgeschlossen oder nur unwahrscheinlich ist. Zudem ist nicht ersichtlich, dass eine derartige Verlängerung des Schutzzeitraums einen erheb­ lichen Anreiz für die Schaffung derartiger Erfindungen bedeutet. Die Existenz des Geheimnisschutzes neben dem zeitlich und durch Ausnahmen begrenzten Patentschutz ließe sich rechtfertigen, soweit man an den Geheimnis­

342 

Posner 1983, S.  244; Scheppele, S.  29; Köhler/Bornkamm/ Köhler, Vor. §§  17 ff. UWG Rn.  6. nur BGH GRUR 2006, 1044; BayObLG GRUR 1991, 694, 695 f.; Wandtke/Bullinger/ Grützmacher, §  69g UrhG Rn.  33 f.; Wiebe, CR 1992, 134; Dreier/Schulze/Dreier, §  69a UrhG Rn.  10. 344  BGH GRUR 81, 734, 735; BenkardPatG/Rogge/Melullis, Einleitung Rn.  1. 345  Landes/Posner, S.  294 ff. 343  Vgl.

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schutz strengere Anforderungen stellen würde.346 Anscheinend widerspricht dem allerdings der tatsächliche Befund: Der Geheimnisschutz ist nicht nur zeitlich unbe­ grenzt, sondern auch von einer Prüfung oder etwaigen Formalia unabhängig. Schon beim Urheberrecht werden aus ökonomischer Sicht Bedenken gegen die lange Gel­ tungsdauer vorgebracht.347 Die Implikationen einer ewigen staatlich gebilligten Mo­ nopolstellung stellen sich im Vergleich dazu noch negativer dar. Auch die als Gegen­ gewicht zum weitreichenden Schutzes des Immaterialgüterrechts vorgesehenen ge­ setzlichen Schranken finden im Geheimnisschutz keine Entsprechung. Obwohl der Geheimnisschutz wegen dem trotz ähnlicher Schutzrichtung eingeschränkten Rege­ lungsumfang als das „Aschenputtel“ des geistigen Eigentums bezeichnet wird,348 wirkt er letztlich als Kronprinz der Schutzrechte. a) Grundzüge Die Existenzberechtigung des Geheimnisschutzes neben den absoluten Ausschließ­ lichkeitsrechten des Immaterialgüterrechts (Patent, Urheberrecht, Gebrauchs- und Geschmacksmuster, Leistungsschutzrechte) lässt sich vor allem an der praktischen Anwendung messen. Die im folgenden illustrierten wirtschaftlichen Konstellationen sind bei der Untersuchung des Verhältnisses von Patentrecht und Geheimnisschutz zu berücksichtigen. aa) Google-Suchalgorithmus Die Internetsuchmaschine Google sieht sich mit dem Problem konfrontiert, dass ihre Popularität bei den Nutzern davon abhängig ist, möglichst präzise passende Sucher­ gebnisse zu beliebigen Anfragen zu liefern.349 Für Anbieter kommerzieller Inter­net­ angebote ist es demgegenüber wichtig, möglichst viele Nutzer auf die eigene Seite zu lenken, um durch Werbung oder Vertrieb eigener Produkte und Dienstleistungen einen Gewinn zu erzielen.350 Dabei ist die Laufkundschaft, die eigentlich etwas ande­ res suchte, durchaus nicht unerwünscht. Vielmehr ist auch diese durchaus für den eigenen Profit reizvoll. Dementsprechend gibt es für Google große Anreize, die Er­ gebnisse möglichst präzise zu filtern, für die Inhaltsanbieter demgegenüber Anreize, die Sortier- und Filtertechnologie zu überlisten und eine möglichst gute Platzierung

346 

Hogan Lovells, S.  5. Landes/Posner, S.  210 ff.; zum Patentrecht siehe Gilbert/Shapiro, RAND Journal of Econo­ mics 21 (1990), 106. 348  Hogan Lovells, S.  9. 349  Insoweit ist der Bedarf nach kartellrechtliche Maßnahmen (Danckert/Mayer, MMR 2010, 219, 220; Kühling/Gauß, MMR 2007, 751, 753) jedenfalls fraglich (zutreffend Ott, MMR 2006, 195). 350  Zur langen Diskussion um „Meta-Tags“ siehe nur BGHZ 168, 28; BGH GRUR 2010, 835; zur „Catch-All“-Funktionalität siehe LG Hamburg 416 O 131/06; zu einem Spamfilter für Suchmaschi­ nen siehe OLG Hamm NJW-RR 2007, 1264; zur Abgrenzung der „Suchmaschinenoptimierung“ von der „Suchmaschinenmanipulation“ siehe OLG Hamm MMR 2010, 36; dazu Ernst, CR 2007, 533. 347 

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§  2  Alternative Selbsthilfe

in der Ergebnisliste zu erreichen, selbst wenn die eigene Seite zur Suchanfrage kaum oder überhaupt nicht passt.351 Der Kern des Google-Suchalgorithmus ist nur in den USA patentrechtlich ge­ schützt.352 Vereinfacht gesagt hängt das Ranking einer Seite davon ab, wie viele an­ dere Seiten auf sie verweisen. Dahinter steht die wohl zutreffende Überlegung, dass eine Seite, die von vielen anderen zu diesem Thema verlinkt, wird wohl entweder die ursprüngliche Quelle oder jedenfalls eine Autorität im konkreten Themenbereich darstellt. Nun lässt sich diese Methode aber manipulieren, indem man einfach zahl­ reiche Seiten schafft, die schlicht auf die eigene verlinken. Dadurch wird das eigene Ranking künstlich verbessert, ohne dass die durch den Algorithmus eigentlich be­ zweckte Qualitätssicherung eintreten kann. Dementsprechend beschränkt sich Goo­ gle auch nicht auf die schlichte Anwendung dieser Methode, sondern hat sie durch eine Vielzahl von großen und kleinen Verbesserungen angereichert; der nach seinem Schöpfer so genannte „PageRank-Algorithmus“ ist laut Google heute nicht mehr das entscheidende Kriterium für die Position einer Seite in den Suchergebnissen.353 Die­ se Verbesserungen sind oft derart klein, dass ein Patentschutz mangels erfinderischer Tätigkeit nicht in Frage kommt; zudem würde die Offenlegung regelmäßig die Um­ gehung erleichtern und so den eigentlichen Zweck, die Darstellung möglichst präzi­ ser Ergebnisse für die Nutzer, gefährden. Denn solange die Kriterien für die Platzie­ rung unbekannt sind, ist auch eine spezifisch darauf ausgerichtete Optimierung un­ möglich. Nichtsdestotrotz bildet die Suchmaschinenoptimierung („SEO“ – Search Engine Optimization) einen erheblichen eigenen Markt. Dabei kann aber nur eine Annäherung an die relevanten Kriterien erfolgen. Geschäftsgeheimnisse ermöglichen also im Fall von Google eine stetige Verbesse­ rung des Sortier- und Filteralgorithmus. Das Wettrüsten auf Seiten der Inhaltsindus­ trie bzw. der Anbieter von Suchmaschinenoptimierung ist dabei unausweichlich und verursacht erhebliche Kosten auf beiden Seiten. Dennoch fallen dabei auch positive Nebeneffekte für die Allgemeinheit an, etwa eine weitere Präzisierung der Analyse der Suchanfragen als solche und damit neue Erkenntnisse im Bereich der elektroni­ schen Sprachanalyse oder auch nur die Schaffung von Anreizen zur Weiterentwick­ lung. Durch Patentschutz wäre ein gleichwertiger Schutz nur zu erlangen, wenn es nicht umgehungsfähige Techniken zum Ausfiltern missbräuchlicher Seiten gäbe.354 Dementsprechende Technologien sind aber derzeit unbekannt.

351  Karzauninkat, Wegweiser im Netz – Qualität und Nutzung von Suchmaschinen, S.   509, 528 ff. 352  Patent US6285999. 353 Vgl. Hines, searchenginewatch.com/article/2067687/Google-Panda-Update-Say-Goodbyeto-Low-Quality-Link-Building. 354  Das ist ein wichtiger Unterschied zu Verschlüsselungstechnologien – dort liegt die Sicher­ heit nicht in den Algorithmen, sondern in den verwendeten Schlüsseln, BeckOK-DSR/Karg, Anlage zu §  9 BDSG Rn.  4 4 ff.

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Die Geheimhaltung im Suchmaschinenmarkt hat zudem für den Wettbewerb ge­ wisse Vorteile.355 Anders als bei Patentschutz können Konkurrenten (derzeit im We­ sentlichen nur noch die Firma Microsoft mit ihrer Suchmaschine Bing) selbstständig gleichwertige oder sogar identische Technologien entwickeln ohne befürchten zu müssen, dadurch etwaige Schutzrechte zu verletzen. Andererseits bedeutet dies eine redundante Doppelung des parallel getätigten Entwicklungsaufwands.356 Auch diese muss aber nicht ausschließlich negativ beurteilt werden. Denn jedes der parallel im Gebiet der Suchmaschinentechnologie forschenden Unternehmen kann so als er­ wünschtes Nebenprodukt zufällig eigene Verbesserungen entdecken, da die konkre­ ten Aufgaben der Entwicklung anders als bei der gezielten Entwicklung zur Umge­ hung eines Patents weitgehend unbestimmt sind. bb)  Coca-Cola und ähnliche Geheimrezepte im Nahrungs-/Getränkebereich Auch im Lebensmittelbereich werden Rezepte vielfach als Geheimnis geschützt.357 Dies gilt nicht nur für die vieldiskutierte Rezeptur von Coca Cola, sondern auch für das Rezept der Big Mac Sauce oder die Panade von Kentucky Fried Chicken. Für solche Rezepte steht Patentschutz nicht zur Verfügung.358 Der Verkehr ist hinrei­ chend durch die Angabe der Inhaltsstoffe (§§  5 f. LMKV, bzw. Art.  18–22 EULMIV359) geschützt. Da zudem ein erstrebenswerter Geschmack sehr subjektiv ist und durch schlichtes Ausprobieren ermittelt werden kann, sind Konkurrenten auch nicht von Kenntnis des Rezepts abhängig.360 Es besteht keine Gefahr unnötiger For­ 355  Dies ist ein wichtiger Unterschied zu anderen Konstellationen im Softwarebereich, in denen es um Schnittstellen zwischen Produkten verschiedener Anbieter geht, so etwa bei den von der EU-Kommission untersuchten Netzwerkinterfaces der Firma Microsoft, unten §   2A.III.1a.cc, S. 266. 356  Scheppele, S.  30. 357  Hogan Lovells, S.  7. 358  Gescheitert etwa das Patent auf ein „Kokosmakronen-Rezept mit Arbeitsweise“, Offenle­ gungsschrift 26 03 925 vom 3.2.76; freilich gibt es vereinzelt Gebrauchsmuster für die Zusammen­ setzung von Speisen oder Getränken siehe etwa Gebrauchsmuster 20 2008 005 146.0 – „Pommes Frites, dadurch gekennzeichnet, dass dem Nahrungsmittel nach dem Frittieren und Salzen, haar­ fein geschnittene Frühlingszwiebelstreifen in variabler Menge untergemischt sind“; auch im Che­ miebereich sind historische Patente oft sehr stark an Rezepte angelehnt, so schon das erste erteilte deutsche Patent DE1: „Ultraviolet wird auf 130–150° Celsius erhitzt, der Einwirkung von Dämpfen einer mehr oder weniger concentrierten Salpetersäure ausgesetzt. Stark concentrierte Salpetersäure ergiebt eine bis zu lichtem Rosa aufsteigende Farbe; verdünntere Salpetersäure dagegen ein tieferes und dunkleres rothes Ultramarin“. 359  Verordnung (EU) Nr.  1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Okto­ ber 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel und zur Änderung der Ver­ ordnungen (EG) Nr.  1924/2006 und (EG) Nr.  1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 87/250/EWG der Kommission, der Richtlinie 90/496/EWG des Rates, der Richtlinie 1999/10/EG der Kommission, der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 2002/67/EG und 2008/5/EG der Kommission und der Verordnung (EG) Nr.  608/2004 der Kommission, Abl. L 304, S.  18 ff. 360 Tatsächlich zeigen psychologische Untersuchungen, dass eine Blindunterscheidung ver­ schiedener Colasorten nicht zuverlässig möglich ist, McClure/Li/Tomlin/Cypert/Montague/Montague, Neuron 44 (2004), 379.

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§  2  Alternative Selbsthilfe

schungstätigkeit. Gleichzeitig sind weder der Anreiz ein bewährtes Rezept herauszu­ finden noch der Anreiz zu Geheimhaltungsmaßnahmen so hoch wie bei komplexen Technologien. Denn der Wettbewerbsvorteil beruht weniger auf der Rezeptur als vielmehr auf der mit dem Hersteller verbundenen Reputation und dem diesen flan­ kierenden Markenschutz.361 Der Geheimnisschutz sichert also in diesen Fällen weniger die Information als solche, sondern vielmehr den Ruf des Unternehmens; er schafft eine Aura des Myste­ riösen. Kein Konkurrent kann damit werben, ein identisches Produkt wie Coca Cola anzubieten,362 ohne gleichzeitig einzugestehen, auf potentiell verbotenem Wege das Geheimnis erlangt zu haben. Selbst wenn Patentschutz verfügbar wäre, wäre dieser wegen des damit verbundenen Kostenaufwands und der kaum erkennbaren Vorteile im Außenauftritt für die Betroffenen uninteressant. cc)  Schnittstelleninformationen im Softwarebereich Software ist zwar durch Urheberrecht geschützt; allerdings ist es relativ einfach wirk­ gleiche Programme zu erstellen, soweit das einer Software zugrundeliegende Prinzip erst einmal erkannt ist.363 Allerdings werden Computerprogramme regelmäßig zur Verarbeitung von Daten genutzt. Die so von Benutzern erstellten Inhalte sollen regel­ mäßig über längere Zeit weiter genutzt werden. Insoweit entsteht ein „lock-in“-Effekt, eine einmal gewählte Software dauerhaft weiter zu nutzen.364 Diese geht über die normale, auf Rationalität gründende, Pfadabhängigkeit hinaus, da ein Austausch von Daten nur bei einheitlichen Schnittstellen möglich ist. Ein Unternehmen hat daher erhebliche Anreize, solche Schnittstelleninformatio­ nen nicht der Konkurrenz bekannt zu machen, soweit es eine starke Position hat.365 Umgekehrt sind Unternehmen mit schwächerer Marktstellung und insbesondere Neueinsteiger in einem bestehenden Markt regelmäßig darauf angewiesen, auch auf die bestehenden Datenformate marktmächtiger Anbieter zugreifen zu können. So vertrauen die meisten Nutzer darauf, dass sie Word-Dateien an beliebige Emp­ fänger senden und diese den Inhalt lesen und möglicherweise bearbeiten können. Ein im Netzwerk präsenter Drucker soll mit Betriebssystemen diverser Hersteller genutzt werden können. Ein Austausch von Inhalten über das Internet soll nicht nur 361  Diese Schutzlücke des Markenrechts besteht nach EuGH GRUR 2002, 692 bei beschreiben­ der Verwendung der Marke in Verkaufsgesprächen (dort: Beschreibung eines Diamantschliffs); dazu Fezer 2009, §  14 MarkenG Rn.  86 ff.; zu Markenfunktionen Ingerl/Rohnke/Ingerl/Rohnke, Einl. Rn.  72 ff.; Fezer 2009, Einl. MarkenRecht D Rn.  1 ff.; Spindler/Schuster/Müller, §  3 MarkenG Rn.  2 ff.; Sack, WRP 2010, 198; skeptisch Mangini, GRUR-Int 1996, 462. 362  Eine Aufforderung zu einem eigenständigen Vergleichstest ist demgegenüber zulässig, BGH NJW 198, 437. 363  Hogan Lovells, S.  7. 364  Zetzsche/Beurskens, Regulation of the Market for Standard Software: Waving Goodbye to ‘Efficiency’?, 8; Schilling, Acad. Mgmt. Rev. 23 (1998), 267, 270. 365  Taeger, CR 1991, 449, 456 (der bei marktmächtigen Unternehmen einen Geheimnisschutz ganz ausschließen will); Schulte, CR 1992, 648, 656 f. (der den Schutz mit Hinblick auf §  69e UrhG verneint).

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mit Computern, sondern auch mit Smartphones, Tablet-Geräten und Fernsehern möglich sein. Solange ein Markt neu und auf Austausch von Daten angewiesen ist, bestehen starke Anreize zur Standardisierung, die wiederum zur Austauschbarkeit von Pro­ dukten führt. Wenn kein Anbieter die alleinige Machtstellung innehat, werden viele Interessenten von einem Kauf absehen, bis ein Austausch mit anderen Nutzern mög­ lich ist. Aus diesem Grunde ist das Verknüpfen von neuartigen Produkten mit etab­ lierten Gegenständen kartellrechtlich suspekt.366 Die Geheimhaltung von Schnittstelleninformationen ist also nur interessant, so­ weit entweder ohnehin bereits eine marktbeherrschende Stellung besteht oder aber eine Verbindung mit anderen Produkten nicht erforderlich ist. Im ersteren Fall führt die Geheimhaltung regelmäßig sogar zu einer Ausweitung der Machtstellung, da die Absender von Daten davon ausgehen, dass die Empfänger sie auch lesen können und sich so letztlich (quasi-demokratisch) die Ansicht der Mehrheit durchsetzt. Vorteile für die Allgemeinheit bringt die Geheimhaltung insoweit jedoch nicht mit sich. b)  Vorzüge des Patentschutzes als staatliche Schutzalternative Für die Erlangung eines Patents sprechen im Wesentlichen drei Aspekte: die erleich­ terte Durchsetzung, die bessere Übertragbarkeit und der unter bestimmten Umstän­ den weitreichendere Schutz. Zunächst entlastet die Entscheidung für einen Schutz der Erfindung durch das Patentrecht statt durch den Geheimnisschutz den Patentinhaber vor allem im Hin­ blick auf die Durchsetzung. Denn bei einem Patent sind nach der Anmeldung keine Geheimhaltungsbemühungen mehr erforderlich. Im Verletzungsstreit muss nicht nachgewiesen werden, dass der Verletzer die Idee unmittelbar durch unberechtigte Kenntnisnahme vom Geheimnis erlangt hat, sondern nur, dass das von diesem ange­ botene Erzeugnis bzw. angewandte Verfahren von dem erteilten Patent (und sei es auch nur im Äquivalenzbereich) erfasst ist. Unterlassungs- und Schadensersatzan­ sprüche bestehen daher auch weitergehend bei unabhängigen Parallelerfindungen, während bei Nutzung geheimgehaltener Gegenstände durch Dritte der schwierige Nachweis unlauteren Erlangens erforderlich ist. Darüber hinaus ist die Schadenser­ mittlung bei Patenten zumeist im Wege der Lizenzanalogie deutlich einfacher. Der zweite Vorteil des Patentrechts gegenüber dem Geheimnisschutz liegt in der Erleichterung der Übertragung der entdeckten technischen Errungenschaften an Außenstehende.367 Denn ein Geheimnis lässt sich nur übertragen, indem auch der Empfänger zur Vertraulichkeit verpflichtet bleibt. Gleichzeitig risikiert der in Vor­ leistung tretende Erwerber, dass er keine gleichwertige Gegenleistung erhält. Dies 366  KOMM. 24.3.2004, COMP/37.792, Tz.  946, 968 zu Microsoft; Immenga/Mestmäcker/Fuchs/ Möschel, Art.  102 AEUV Rn.  296 ff.; Dreher, ZWeR 2009, 149, 152 f. 367  BGHZ 16, 172, 175; Ohly/Sosnitza/Ohly, Vor §§  17–19 UWG Rn.  5; zur Lizenzierung von Geheimnissen noch näher unten §  2A.III.4a, S. 275.

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wäre etwa der Fall, wenn das Geheimnis kurz nach der Lizenzierung von einem Drit­ ten entdeckt wird oder sich das vermeintliche Geheimnis als bereits verkehrsbekannt oder letztlich kaum vorteilhaft herausstellt. Es wird bildlich gesprochen „die Katze im Sack“ verkauft. Soweit die Existenz einer wirtschaftlich verwertbaren Erfindung als solche bekannt ist, erhöht dies zudem den Anreiz für Konkurrenten, ein gleichar­ tiges Produkt zu entwickeln. Soweit für die Erfindung ein Patent erteilt wurde, muss entweder eine nicht patentverletzende Parallelentwicklung erfolgen oder aber eine regelmäßig günstigere Lizenz beim Inhaber erworben werden. Bei einer als Geheim­ nis geschützten Erfindung besteht demgegenüber mangels Schutzes ein erhöhter An­ reiz, die Erfindung schlicht nachzuvollziehen. Da es bereits eine existierende Lösung des Problems gibt, ist die Gefahr eines Fehlschlags der Forschungstätigkeit erheblich geringer als bei Forschung ins Blaue hinein.368 Der Konkurrent eines Anbieters, der sich ausschließlich auf Geheimnisschutz verlässt, kann dabei die bestehende Kon­ kurrenz berücksichtigen. Er kann so als Außenstehender die Nachfrage nach der Er­ findung beurteilen, ohne ein rechtlich geschütztes Monopol fürchten zu müssen. Schließlich kann in bestimmten Fällen der Patentschutz weitreichender als der Geheimnisschutz sein. Der Patentschutz dauert unabhängig von der Gefahr einer unabhängigen Parallelerfindung stets 20 Jahre. Soweit also die Entdeckung eines Verfahrens oder Erzeugnisses in einem Zeitraum nahe liegt, der geringer ist als 20 Jahre, gewährt das Patent einen weitgehenderen Schutz. Weitergehend können bei einem Geheimnis auch verbotene Handlungen Dritter dazu führen, dass jeglicher Schutz entfällt. Gelangt das Geheimnis an die Öffentlichkeit, kann eine Haftung aus §  823 Abs.  2 BGB, §  17 UWG die dadurch entstehenden Verluste kaum auffangen. Demgegenüber begründet verletzendes Verhalten Dritter keine Gefahren für die Wirksamkeit eines Patents. Eine ebenfalls bestehende, praktisch aber eher irrelevante Begünstigung liegt dar­ in, dass der Inhaber eines Patents davon profitiert, dass Externe Verbesserungsideen und Weiterentwicklungen haben. Im Rahmen der Schutzfrist dürfen diese nämlich nur mit seiner Einwilligung im Rahmen einer Lizenz genutzt werden. Eine gerichtliche Durchsetzung von Unterlassungs- und Schadensersatzansprü­ chen im Hinblick auf Geschäftsgeheimnisse setzt zu spät an, um eine effiziente Ver­ haltenssteuerung im Sinne einer Abschreckung oder eine vollständige Kompensa­ tion zu gewährleisten. Wenn das Geheimnis erst einmal offengelegt ist, kommen weitere Schutzmaßnahmen durch den Staat regelmäßig zu spät, da eine Verwertung durch Dritte nicht mehr verhindert werden kann. Dementsprechend sind weder eine ausdifferenzierte Schrankendogmatik wie im Urheberrecht (§§  44 ff. UrhG) noch hohe Anforderungen an den Schutzgegenstand wie im Patentrecht (§§  1–6 PatG) denkbar.

368 

Landes/Posner, S.  358.

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c)  Vorzüge des Geheimnisschutzes als private Schutzalternative Es mag überraschen, dass eine Vielzahl von Erfindern sich jedenfalls vorerst für ei­ nen Schutz durch Geschäftsgeheimnis und nicht für das Patentrecht entscheidet.369 Selbst Internetgrößen wie Google schützen ihre Algorithmen nicht durch das Patent­ recht, obwohl dies in den USA unproblematisch möglich wäre, sondern setzen viel­ mehr auf weitgehende Geheimhaltung.370 Tatsächlich werden jedes Jahr Milliarden­ schäden durch Wirtschaftsspionage beklagt.371 In vielen Fällen sind die soeben genannten Vorzüge des Patentrechts aber nicht eindeutig zu bewerten.372 So gibt es durchaus Erfindungen, die nur in einer be­ stimmten Zeit wirtschaftliche Relevanz haben, etwa ein Impfstoff gegen eine be­ stimmte Grippeform. Dann ist der zwanzigjährige Schutz ohne großes Interesse für den Erfinder. Zudem ist selbst bei scheinbar wertvollen Erfindungen keineswegs ge­ währleistet, dass diese auch 20 Jahre später noch ihren Wert behalten. Veränderun­ gen in den Erwartungen der Verbraucher, veränderte Umwelteinflüsse oder auch technischer Fortschritt in ganz anderen Bereichen können dazu führen, dass die Er­ findung nicht über den kompletten Zeitraum relevant bleibt. Umgekehrt können markenrechtlicher Schutz oder der schlichte Umstand, dass ein Unternehmen zuerst mit einem Produkt am Markt auftritt, dazu führen, dass der Erfinder auch ohne An­ meldung eines Patents einen langfristigen Vorsprung erreicht. Im Gegenteil drohen gerade durch das Patentrecht nicht unerhebliche Nachtei­ 373 le. Zunächst mag die Offenlegung des Patents der Konkurrenz Ansatzpunkte für eigene, nicht patentverletzende Entwicklungen geben. Zudem besteht bei einer Pa­ tentanmeldung stets die Gefahr, dass das Patent nicht erteilt oder nachträglich für nichtig erklärt wird. Dann entfällt der Schutz und die Konkurrenz erhält so ohne eigenes Zutun erhebliche Vorteile. Selbst wenn sich diese Risiken nicht realisieren, ist die Verletzung eines Patents durch die Offenlegung erleichtert, während die Wirk­ samkeit außerhalb der Kontrolle des Patentinhabers allein in staatlicher Hand liegt. Ein entscheidender Vorteil des Geheimnisschutzes ist dessen höhere Flexibilität. Während das Patentrecht einen weitgehend statischen Rahmen vorgibt, kann der 369  Landes/Posner, S.  359; Cohen/Nelson/Walsh, Protecting Their Intellectual Assets: Appropri­ ability Conditions and Why U.S. Manufacturing Firms Patent (or Not) NBER Working Paper No. 7552, passim; Köhler/Bornkamm/ Köhler, Vor. §§  17 ff. UWG Rn.  1; BGHZ 16, 172, 175 f, ; BGH GRUR 1963, 207, 210: „Die Zulässigkeit von Verträgen über „Betriebsgeheimnisse“ an sich beruht auf dem Grundsatz der Vertragsfreiheit in Verbindung mit dem Umstand, daß auch „Betriebsgeheim­ nisse“ einen durch die Vorschriften der §§  823, 826 BGB, §§  1, 17, 18 UWG geschützten Vermögens­ wert darstellen, oft sogar wertvoller als ein gewerbliches Schutzrecht sind und in der Form eines Geheimverfahrens häufig den wesentlichen Wertfaktor eines Betriebes bilden“. 370  Chavez erklärte im Rahmen des Technology Policy Institute, dass Patente im Mobilfunkbe­ reich Innovationen nicht fördern würden und verbraucherfeindlich seien, vgl. news.cnet.com/8301– 13578_3–57496747–38/google-time-to-ditch-our-current-software-patent-system/. 371 MüKoUWG/Brammsen, §  17 UWG Rn.  7 mwN. 372  Landes/Posner, S.  357. 373  Landes/Posner, S.  357.

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Geheimnisschutz je nach den Bedürfnissen der Betroffenen ausgestaltet werden. Schranken, Schutzanforderungen aber auch sonstige Rahmenbedingungen bestehen nur hinsichtlich des staatlichen Schutzes, nicht jedoch für die private Geheimhal­ tung. Gerade bei internationaler Geschäftstätigkeit kann die wirksame Durchset­ zung eines Patents mit erheblichem Aufwand verbunden sein.374 Hinzu treten die Kosten für die Erteilung, insbesondere der Übersetzungsaufwand, und Aufrechter­ haltung des Patents in allen relevanten Staaten.375 Bei einem Schutz als Geheimnis sind demgegenüber weder eine aufwändige Lokalisierung noch regelmäßige Gebüh­ renzahlungen erforderlich. Der Schutz kann internalisiert werden und ist nicht von der Wirksamkeit der Durchsetzungskraft der staatlichen Stellen, insbesondere der Gerichte und der Zollbehörden, abhängig. Dies zeigt sich insbesondere im Bereich des Softwareschutzes, wo der Vertrieb von Software in Binärform statt als Quellcode eine zusätzliche Hürde vor der Übernahme fremder Ideen setzt.376 Während der Aufwand zum Schutz eines Geheimnisses je nach dem wirtschaftlichen Wert flexi­ bel angepasst werden kann, ist der Aufwand zur Erlangung von Patentschutz in po­ tentiellen Produktions- oder Absatzmärkten zudem konstant. Bei einem erwarteten geringen Erlös kann daher die Anmeldung eines Patents unverhältnismäßig auf­ wendig sein. Soweit eine Erfindung ein Produktionsverfahren beschreibt, das nicht zwingend von außen einsehbar ist, also insbesondere in Räumen des Unternehmers durchge­ führt wird und keinen erkennbaren Einfluss auf das Erzeugnis hat, bestehen im Pa­ tentrecht erhebliche Nachweisprobleme.377 Solange hingegen das Verfahren geheim gehalten wird, bestehen diese Schwierigkeiten nicht; eine staatliche Durchsetzung wird in diesem Fall zumeist schon deshalb nicht erfolgen, weil auch der Verletzte keinen Einblick in die fremde Produktion hat. Schließlich kann von einer Patentanmeldung abgesehen werden, soweit die Gefahr besteht, dass eine Erfindung im Prüfverfahren als nicht patentfähig angesehen wird.378 Mit der Offenlegung der Anmeldeunterlagen (§§  31 Abs.  2 Nr.  2, 32 Abs.  5 PatG) verliert der Erfinder nämlich die Möglichkeit des Geheimnisschutzes selbst dann, wenn im Ergebnis eine Patenterteilung scheitert. Betriebsgeheimnisse müssen anders als Patente weder eine technische Natur aufweisen, noch neu sein oder auf erfinderischer Tätigkeit beruhen, so dass die Anforderungen des Patentrechts inso­

374 

Lemley, Nw. U. L. Rev. 95 (2001), 1495, 1502 Fn.  28. Siehe nur die Begründung zum Entwurf der GemeinschaftspatentVO von 2000, wo die Kos­ ten einer EU-weiten Anmeldung auf 49.900 € geschätzt werden, europa.eu/rapid/press-release_IP00–714_de.htm. 376  Siehe nur den Steit um die Open-Source-Projekte Unix und Java, SCO Group v. Novell, Inc., Case No. 10–4122 (10th Cir. 2011), abrufbar unter federal-circuits.vlex.com/vid/sco-group-v-novellinc-314595942; Oracle America, Inc. v. Google, Inc, 810 F.Supp.2d 1002 (N.D. Cal. 2011). 377 BGH GRUR 1976, 579, 581; Hesse, GRUR 1972, 675; BenkardEPÜ/Jestaedt/Osterrieth, Art.  64 EPÜ Rn.  38 ff. 378  Şehirali/Bjerke, GRUR Int 2001, 828, 828. 375 

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weit keine einschränkende Wirkung haben.379 Falls es sich um eine besonders kom­ plizierte und deshalb nur schwer zu kopierende Erfindung handelt, ist es nur mit geringen Gefahren verbunden, diese geheim zu halten. Dann gewährt der Geheim­ nisschutz jedenfalls eine vorübergehende Grundlage, während bei einem Patent die Gefahr besteht, letztlich nichts zu erhalten. Wer eine nicht schutzfähige Erfindung als Geheimnis schützen will, tritt daher an, zu beweisen, dass eine unberechtigte Schutzlücke im Patentrecht besteht.380 Sein Wetteinsatz sind dabei die von ihm ge­ tätigten Geheimhaltungsaufwendungen. Hat er Recht, amortisieren sich seine Schut­ zaufwendungen und er profitiert von dem geheim gehaltenen Gegenstand; im Übri­ gen sind seine Ausgaben hingegen nutzlos und die Ablehnung staatlichen Schutzes wird so bestätigt.381 So stellt die Möglichkeit des Geheimnisschutzes sowohl einen Ausgleich für etwaige Schutzlücken als auch eine Überprüfungsmöglichkeit für das gesetzliche System des geistigen Eigentums dar. 2.  Übergang vom Geheimnis- zum Patentschutz Eine geheim gehaltene Benutzung gehört nicht zum Stand der Technik; ein entspre­ chendes Verfahren oder Produkt ist daher noch „neu“ (§  3 Abs.  1 PatG, Art.  54 Abs.  2 EPÜ) und kann „auf erfinderischer Tätigkeit beruhen“ (§  4 PatG, Art.  56 EPÜ).382 Das ermöglicht opportunistisches Verhalten: Wird eine bahnbrechende Entdeckung gemacht, die sich mit verhältnismäßigem Aufwand geheim halten lässt,383 hält sich der Erfinder selbst bei reinem Schutz als Geschäftsgeheimnis die Möglichkeit eines späteren Patents offen. Sobald eine geheim gehaltene Tatsache zum Patent angemeldet wird, verliert sie mit der Offenlegung der Anmeldeunterlagen (§§  31 Abs.  2 Nr.  2, 32 Abs.  5 PatG),384 spätestens aber mit der Bekanntmachung des Patents (§  58 PatG) ihren Geheim­ nischarakter. Entsprechendes gilt für die Unterlagen eingetragener Gebrauchsmuster (§  8 Abs.  5 GebrMG).385 Freilich können trotz Patentanmeldung noch weitere Um­ stände hinsichtlich des Erzeugnisses oder Verfahrens geheim gehalten werden, z. B. spezifische Modifikationen oder der bloße Umstand, dass eines von mehreren mög­ lichen Verfahren an einer bestimmten Produktionsstätte genutzt wird.386 Nun könnte man meinen, dass jedenfalls durch Parallelerfindungen Ungemach droht: Das Patentrecht gewährt dem Patentinhaber das ausschließliche Nutzungs­ 379  BGH GRUR 2003, 356 ff.; BGH GRUR 2008, 727 ff.; Pfeiffer, FS Nirk, S.  861, 868; Erbs/Kohl­ haas/Diemer, §  17 UWG Rn.  8a. 380  Landes/Posner, S.  358 f. 381  So die Argumentation des US Supreme Court in Oil Co. V. Bicron Corp., 416 U.S., 470, 487, 491 (1974). 382  BGH GRUR 1966, 484 – Pfennigabsatz. 383  Zu dieser Kosten-/Nutzenrechnung bereits oben §  2A.II.2b, S. 254. 384  BGH GRUR 1975, 206; RGSt 40, 406, 407; Nastelski, GRUR 1957, 1, 2; Erbs/Kohlhaas/Diemer, §  17 UWG Rn.  11. 385  RG GRUR 1942, 352, 356; Kraßer, GRUR 1977, 177, 179. 386  RGSt 39, 321, 323; BGH GRUR 1955, 424, 425; BGH GRUR 1963, 207, 210.

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recht an der Erfindung (§  9 Abs.  1 PatG). Davon gibt es jedoch eine wesentliche Aus­ nahme: Wurde bereits vor Stellung des Patentantrages von der Erfindung Gebrauch gemacht, kann dies auch nach Patenterteilung fortgesetzt werden (§  12 PatG). Prak­ tisch droht also trotz Geheimhaltung kein Nachteil, das Verfahren kann weiter ge­ nutzt werden. Tatsächlich hat das Vorbenutzungsrecht einen ähnlichen Schutzbe­ reich wie ein Patent.387 Es schützt jedoch nicht das „geistige Eigentum“,388 sondern dient ausschließlich dem Bestands- und Investitionsschutz.389 Anders als eine Li­ zenz ist es nicht vom Patent abgeleitet, sondern davon unabhängig.390 Daher dürfen insbesondere nicht nachträglich weitere Merkmale der patentierten Erfindung über­ nommen werden.391 Eine selbstständige Übertragung bzw. Lizenzierung ohne gleichzeitigen Übergang des Gesamtbetriebes (§  12 Abs.  1 S.  3 PatG) ist hingegen aus­ geschlossen.392 Das US-amerikanische Recht kannte demgegenüber lange Zeit überhaupt kein §  12 PatG entsprechendes Vorbenutzungsrecht.393 Erst im Jahr 1999 wurde in 35 U.S.C. §  273 ein eigenes Abwehrrecht im Hinblick auf Patente für Geschäftsmetho­ den aufgenommen.394 2011 wurde diese Ausnahme dann auf alle Patente erwei­ tert.395 Im deutschen Recht blicken solche Berechtigungen hingegen auf eine Tradi­ tion zurück, die bis in das frühe 19. Jahrhundert reicht.396 Das amerikanische Recht erlaubt eine Weiterbenutzung zudem nur, wenn die Vorbenutzung mindestens zwölf Monate vor dem Anmeldetag aufgenommen wurde. Die Beurteilung des Vorbenutzungsrechts fällt schwer. Sicherlich schafft es einen Anreiz, Erfindungen jedenfalls anfänglich durch Geheimnisse zu schützen. Dies hat den positiven Nebeneffekt, dass nicht der Zwang besteht, das Patentamt frühzeitig mit möglicherweise unfertigen Patentanmeldungen zu belasten.397 Es begründet aber auch die Gefahr, dass eine frühere Kenntnis als reine Schutzbehauptung ange­ führt wird.398 Daher erfordert die Inanspruchnahme eines Vorbenutzungsrechts, dass eine nachweisbare Nutzung bis zum Zeitpunkt der Patentanmeldung bzw. der Priorität erfolgt ist,399 während ein Geschäftsgeheimnis im Übrigen nicht genutzt

387  BGH GRUR 2002, 231, 234; Mes/Mes, §  12 PatG Rn.  17; bedenklich weit RGZ 166, 326, 331 ff.; hierzu auch BenkardPatG/Scharen, §  12 PatG Rn.  22. 388  Falck/Ohl, GRUR 1971, 541, 545. 389  BGH GRUR 2010, 47, Rdn. 16; RGZ 75, 317, 318; Mes/Mes, §  12 PatG Rn.  1. 390  RGZ 78, 363, 366. 391  Şehirali/Bjerke, GRUR Int 2001, 828, 873 f. 392  BGH GRUR 79, 48, 50; BGH GRUR 2002, 231, 234. 393  W.L. Gore & Associates v. Garlock, Inc. 721 F.2d 1540, 1550. 394  Durch den „First Inventor Defence Act“ (FIDA); siehe dazu Şehirali/Bjerke, GRUR Int 2001, 828, 830. 395  Durch den Leahy-Smith America Invents Act. 396  Petzold, GRUR 1937, 582. 397  RGZ 75, 317, 318; Şehirali/Bjerke, GRUR Int 2001, 828, 831. 398  BGH GRUR 63, 311, 312 – Stapelpresse. 399 BenkardPatG/Scharen, §  12 PatG Rn.  12.

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werden muss.400 Ein solches Vorratsgeheimnis ist etwa denkbar, wenn schon eine andere Lösung des erfinderischen Problems in den vertriebenen Produkten einge­ setzt wird. Im Ergebnis dürfte die innovationsfördernde Natur des Vorbenutzungs­ rechts seine Existenz hinreichend rechtfertigen. Für denjenigen, der seine Erfindung als Geheimnis schützt verbleibt daher nur die Lücke, dass die Erfindung insgesamt „durch Benutzung oder in sonstiger Weise“ der Öffentlichkeit (und nicht nur einem einzelnen Konkurrenten) bekannt wird (§  3 Abs.  1 PatG). In den USA existiert insoweit allerdings eine Neuheitsschonfrist von 12 Monaten nach Fertigstellung der Erfindung (35 USC §  102 (b)), innerhalb derer das öffentliche Bekanntwerden unschädlich ist.401 Die auf nur sechs Monate beschränk­ te Regelung des §  3 Abs.  5 PatG ist demgegenüber in ihrem Anwendungsbereich stark beschränkt (offensichtlicher Missbrauch oder internationale Ausstellung) und ist da­ her im Geheimhaltungsfall kaum hilfreich. Damit besteht jedenfalls in Deutschland wiederum ein Anreiz zur Patentanmeldung. 3.  Sonderbehandlung patentfähiger Geschäftsgeheimnisse? Die EU-Kommission hat im Verfahren gegen Microsoft in Betracht gezogen, Ge­ heimnisse besonders zu behandeln, die potentiell auch als Patent angemeldet werden könnten.402 Dahinter steht die Überlegung, dass diesen Informationen möglicher­ weise ein besonderer Wert gegenüber sonstigen Geheimnissen zukommt. Die Son­ derbehandlung kann dabei jedoch in beide Richtungen ausgelegt werden: Einerseits könnte man insoweit höhere Anforderungen an die faktischen Schutzbemühungen stellen (und weitergehende Eingriffe als „lauter“ qualifizieren), andererseits könnte man diese in besonders intensiver Weise schützen, um eine Schlechterstellung gegen­ über dem Immaterialgüterrecht zu vermeiden. Im Ergebnis sind beide Überlegungen zutreffend, wobei nach dem Adressaten­ kreis zu differenzieren ist. Gegenüber anderen privaten Akteuren ist der Schutz inso­ weit vermindert, als das „reverse engineering“ erlaubt ist. Bei Geheimnissen, für die ein Patentschutz nicht in Frage kommt, stellt sich die damit verbundene Problematik ohnehin nicht. Gegenüber staatlichen Eingriffen, insbesondere Offenlegungspflich­ ten und der Vertraulichkeit in Verfahren ist demgegenüber größere Vorsicht geboten. Aus diesem Grunde war in der Entscheidung in Sachen Microsoft daher auch die Intensität des Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung in besonderer Weise begründungsbedürftig. Im Hinblick auf die obigen Ausführungen zum Schutz von 400 Köhler/Bornkamm/Köhler,

§  17 UWG Rn.  12. Eine vergleichbare Regelung im deutschen Patentrecht wurde 1980 abgeschafft, um das Pa­ tentgesetz an Art.  4 Abs.  4 des Straßburger Patentübereinkommens vom 27.11.1963 anzugleichen. Es gibt allerdings nach §  3 Abs.  1 S.  2 GebrMG eine sechsmonatige Neuheitsschonfrist für Gebrauchs­ muster, dazu BPatG GRUR 1978, 637; Mes/Mes, §  3 GebrMG Rn.  14. 402  EuG Urteil T‑201/04 – Microsoft/Kommission – Rn.  280: „Im vorliegenden Fall bestehe der Wert des fraglichen ,Geheimnisses‘ nicht darin, dass es eine Innovation darstelle, sondern darin, dass es einem beherrschenden Unternehmen gehöre.“. 401 

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Schnittstelleninformationen403 ist allerdings diesbezüglich die Missbrauchsgefahr besonders hoch. Anreize zum Offenlegen der Informationen gibt es nicht, während andere Unternehmen zur Teilnahme am Wettbewerb gerade auf die entsprechende Kenntnis angewiesen sind. 4.  Geschäftsgeheimnisse als staatlich absolut zu schützendes Rechtsgut? Teilweise werden Geschäftsgeheimnisse als „Eigentum“ jedenfalls im verfassungs­ rechtlichen Sinne (Art.  14 Abs.  1 GG) 404 oder als „unvollkommenes Immaterialgü­ terrecht“405 qualifiziert. Zudem wird das Geschäftsgeheimnis als „sonstiges Recht“ im Sinne von §  823 Abs.  1 BGB eingeordnet.406 Auch der amerikanische Supreme Court hat in einer Entscheidung ein Geschäftsgeheimnis als „Eigentum“ im Sinne einer Strafnorm qualifiziert.407 Im konkreten Fall geschah dies freilich nur, weil die konkrete Norm ausschließlich Betrug im Hinblick auf die Erlangung von Eigen­ tumswerten, aber nicht in Bezug auf Dienstleistungen erfasste. Ein britisches Gericht hat zudem Geschäftsgeheimnisse unter Art.  1 des 1. Zusatzprotokolls der Europäi­ schen Menschenrechtskonvention subsumiert.408 Diese Tendenzen sind vor allem deshalb bemerkenswert, weil dabei eine rechtlich geschützte Position ausschließlich vom Vorhandensein wirksamer tatsächlicher Selbstschutzmaßnahmen des Handelnden abhängig gemacht wird. Dies bedeutet, dass der Staat eine privat geschaffene Selbsthilfesphäre bei überwiegender Wirksam­ keit seinerseits mit absolutem Schutz belohnt. Im Folgenden soll die Frage aus zwei Perspektiven angegangen werden. Zunächst wird allgemein die Einordnung von Ge­ heimnissen als Vermögensgegenstände dargestellt (sub a). Sodann wird die Frage der Möglichkeit zu einer eindeutigen Zuordnung erörtert (sub b) bevor die Frage beant­ wortet wird, inwieweit ein Geheimnis ein absolut geschützten Rechtspositionen ver­ gleichbares Ausschlussrecht gewährt (sub c).

403 

Oben §  2A.III.1a.cc, S. 266. §  17 UWG Rn.  5 mwN; Köhler/Bornkamm/ Köhler, Vor. §§  17 ff. UWG Rn.  2; Bullinger, NJW 1978, 2173, 2173 ff.; Breuer, NVwZ 1986, 171, 174; Breuer, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland – Band VI: Freiheitsrechte, S.  957, Rn.  27; krit. Erfur­ terK/Schmidt, Art.  14 GG Rn.  6; Wolff, NJW 1997, 98, 98 ff.; Brammsen, DÖV 60 (2007), 10, 10 ff.; Depenheuer, Staat, Verwaltung und Rechtsschutz, S.  97, 99 ff.; Frank, S.  171 ff.; Polenz, DÖV 2010, 350, 350 ff. 405 Ohly/Sosnitza/Ohly, Vor §§  17–19 UWG Rn.  4. 406 Köhler/Bornkamm/Köhler, §  17 UWG Rn.  53; Mes, GRUR 1979, 584, 590 ff.; Harte-Baven­ damm/Henning-Bodewig/Harte-Bavendamm, §  17 UWG Rn.  50; offengelassen in BGHZ 38, 391, 395 – Industrieböden; siehe auch Erbs/Kohlhaas/Diemer, §  17 UWG Rn.  1: „Der Gesetzgeber zeigt mit dieser Vorverlegung der Strafbarkeit in den Gefährdungsbereich des Rechtsguts, welche Bedeu­ tung er diesem gibt.“, zweifelnd Ann, GRUR 2007, 39, 43; aA MüKoUWG/Brammsen, §  17 UWG Rn.  6. 407  Carpenter v. United States, 484 U.S.  19 (1987). 408  Veolia v. Nottinghamshire CC [2010] EWCA Civ 1214. 404 MüKoUWG/Brammsen,

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a)  Das Geheimnis als Vermögensgegenstand Teilweise wird eine Zuordnung von Geheimnissen als Immaterialgüterrecht be­ jaht.409 Systematisch spricht für die Einordnung als geistiges Eigentum auch der Umstand, dass solche Geheimnisse in Art.  39 TRIPs, das als Teil des WTO-Abkom­ mens gerade Schutzrechte erfasst, geregelt ist. Dementsprechend erfolgt auch die Zwangsvollstreckung in Geschäftsgeheimnisse nach den §§  857, 828 ff. ZPO.410 Ge­ schäftsgeheimnisse sind Bestandteil der Insolvenzmasse.411 Schuldrechtlich stellt sich die Frage nicht. Ein Geschäftsgeheimnis ist selbst dann, wenn man es nicht als Recht qualifiziert jedenfalls ein sonstiger Gegenstand im Sin­ ne des Kaufrechts (§  453 BGB).412 Für den Schutz als eigenständiges Recht spricht darüber hinaus, dass Geschäftsgeheimnisse in Erfüllung dieser Pflicht selbstständig, also unabhängig vom Betrieb übertragen werden können.413 Die Diskussion, ob die 413, 398 Erfüllung dann entsprechend §§   929 ff. BGB414 oder entsprechend §§   415 BGB erfolgt führt dabei in die Irre; die Erfüllung ist ein Akt sui generis.416 Für eine Anerkennung als absolutes Recht spricht zudem, dass bei technischen Neuerungen durch Patentanmeldung und Erteilung absolute Rechte entstehen.417 Auch das bei Patenterteilung an einen Dritten bestehende Vorbenutzungsrecht (§  12 PatG) ist eine klar definierte Rechtsposition.418 Es ließe sich aber kaum begründen, warum eine einheitliche technische Erfindung als Geheimnis schutzlos sein soll und durch Anmeldung als reinen Formakt zum eigenen Rechtsobjekt wird. Die Lage ist insoweit dem Wechsel von der unternehmerischen BGB-Gesellschaft zur nicht ein­ getragenen OHG durch Aufnahme eines Gewerbebetriebs, der nach Art und Um­ fang kaufmännische Einrichtungen im Sinne von §  1 Abs.  2 HGB erfordert, ver­ gleichbar.419 Wie dort sollte eine einheitliche Beurteilung des Gegenstandes gewähr­ leistet sein. Aus ökonomischer Perspektive ist diese Qualifikation allerdings nicht unproble­ matisch.420 Denn Geschäftsgeheimnisse sind als solche höchst instabil, da jederzeit die Gefahr einer Verwässerung durch erlaubt Kenntniserlangung Dritter oder gar der Verlust durch öffentliches Bekanntwerden droht. Allerdings haben Geschäftsge­ 409 

Lemley, Stan. L. Rev. 61 (2008), 311, 311. Pfister, S.  157 ff. 411  BGHZ 16, 172 – Dücko. 412 Köhler/Bornkamm/ Köhler, Vor. §§  17 ff. UWG Rn.  3. 413 Köhler/Bornkamm/Köhler, §  17 UWG Rn.  53. 414  Pfister, S.  146 ff. 415  Forkel, FS Schnorr von Carolsfeld, S.  105, 123; Ohly/Sosnitza/Ohly, Vor §§  17–19 UWG Rn.  5. 416 Köhler/Bornkamm/ Köhler, Vor. §§  17 ff. UWG Rn.  3. 417  Zum „Recht auf das Patent“: BenkardPatG/Melullis, §  6 PatG Rn.  14; RGZ 139, 87, 97: „unvollkommen absolutes Immaterialgüterrecht“. 418 BenkardPatG/Scharen, §  12 PatG Rn.  22; oben §  2A.III.2, S. 271. 419 Das Argument der identitätswahrenden Umwandlung ist laut BGH NZG 2003, 428, 429 etwa für die Anwendung von §  31 BGB auch auf die GbR entscheidend. 420  Landes/Posner, S.  355. 410 

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§  2  Alternative Selbsthilfe

heimnisse einen durchaus quantifizierbaren wirtschaftlichen Wert, der etwa bei Un­ ternehmenskaufverträgen,421 aber auch bei der Ermittlung des Schuldvorwurfs im Strafverfahren422 oder der Schadenshöhe im Zivilprozess423 Bedeutung erlangt. b) Zuordnung Wie beim rechtlichen Schutz elektronisch gespeicherter Daten424 ist aus Sicht des Rechtsverkehrs die Zuordnung von Geschäftsgeheimnissen zu einem bestimmten Inhaber kaum möglich. Diese Schwierigkeit besteht aber in gleichem Maße bei allen nicht in Registern erfassten Immaterialgüterrechten, insbesondere beim Urheberrecht425 und beim nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster. Ein potentieller Verletzer kann daher stets einwenden, selbstständig bzw. mit zulässigen Mitteln ein identi­ sches Ergebnis erreicht zu haben. Es obliegt dem Urheber nachzuweisen, dass sich der vermeintliche Verletzer gerade sein Werk als Grundlage genommen hat. Den­ noch wird niemand dem Urheberrecht absprechen wollen, ein absolut geschütztes Recht zu sein. Selbst das Eigentum an beweglichen Sachen als geradezu paradigmati­ sches Ausschließlichkeitsrecht ist in keiner Weise sicher nachweisbar. Der Eigentü­ mer wird nur durch die Vermutung des §  1006 BGB geschützt; in vielen Fällen wird ihm der danach erforderliche Nachweis aber nicht gelingen.426 Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen als absolutes Recht wird daher nicht durch die Schwierigkeiten bei der Zuordnung in Frage gestellt. c) Ausschlussrecht? Zutreffend ist zunächst der Ansatz, bei der Entscheidung über die Rechtsnatur des Geheimnisschutzes die an „Eigentum“ im verfassungsrechtlichen Sinne gestellten Erfordernisse anzulegen.427 In der Regel wird dabei als entscheidend erachtet, dass Geschäftsgeheimnisse keine rechtlich begründete Ausschlussfunktion haben.428 Selbstverständlich sind bei einer Information, die nur eine Person kennt, alle ande­

421 

Oelhrich, GRUR 2010, 33; Enders, GRUR 2012, 25. Kraßer, GRUR 1977, 177, 179 f. 423  BGH GRUR 77, 539, 541 f.; Ohly/Sosnitza/Ohly, §  17 UWG Rn.  51; Harte-Bavendamm/Hen­ ning-Bodewig/Harte-Bavendamm, §  17 UWG Rn.  63. 424  Beurskens, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2008, S.  4 43, 453; oben §  1A.V.1c.bb, S. 128. 425  OLG Hamm MMR 2009, 435; AG Düsseldorf NJOZ 2010, 685; LG München I GRUR-RR 2008, 291; Wandtke/Bullinger/Thum, §  7 UrhG Rn.  17; Dreier/Schulze/Schulte, §  10 UrhG Rn.  16. 426  Ansonsten wäre dieser Nachweis, wie Staudinger/Gursky, §  1006 BGB Rn.  1 zu Recht fest­ stellt eine „probatio diabolica“; für Unanwendbarkeit im Vindikationsstreit allerdings MüKo-BGB/ Baldus, §  1006 BGB Rn.  6. 427 BeckOK-GG/Axer, Art.  14 GG Rn.  50. 428 Köhler/Bornkamm/ Köhler, Vor. §§  17 ff. UWG Rn.  2 . 422 

A.  Schutz von Geheimnissen

277

ren von deren Nutzung ausgeschlossen.429 Diese Wirkung trete aber nur tatsächlich, nicht kraft Gesetzes ein. Untersagt seien vielmehr nur bestimmte Verhaltensweisen, um die Kenntnis zu erlangen. Das Bundesverfassungsgericht sieht Geschäftsgeheim­ nisse dementsprechend primär durch das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art.  12 Abs.  1 GG) geschützt.430 Auch der Bundesgerichtshof hat einen Schutz nach §  823 Abs.  1 BGB bislang ausdrücklich offengelassen.431 Der damit angesprochene Vorfeldschutz zugunsten von Geheimnissen ist aller­ dings sehr weitgehend. So ist etwa die versuchte Anstiftung zum Geheimnisverrat eigens mit Strafe bedroht (§  19 UWG),432 was nach allgemeinem Strafrecht nur für Verbrechen vorgesehen ist (§  30 StGB). Zudem werden die §§  17 ff. UWG extensiv ausgelegt, so dass etwa als „Unternehmen“ der gesamte Konzern gilt433 und als „be­ schäftigte Person“ sowohl Organmitglieder434 als auch Leiharbeiter erfasst werden. Selbst ein faktisches Arbeitsverhältnis genügt.435 Dehnt man die unzulässigen Ver­ haltensweisen weit genug aus, entsteht letztlich eine hinreichend abgrenzbare, gegen Dritte geschützte Position. Eine entsprechende Tendenz lässt sich im Hinblick auf §  3 UWG bzw. auf §  1 UWG a. F. als dessen Vorgänger durchaus ausmachen. So soll durchaus ein quasi-negatorischer Beseitigungsanspruch gegen denjenigen bestehen, dem ein Geschäftsgeheimnis im geschäftlichen Verkehr anvertraut wurde ohne dass gleichzeitig eine Nutzungsmöglichkeit eingeräumt werden sollte.436 Zu bedenken ist darüber hinaus, dass auch das Urheberrecht nur bestimmte Verwertungshandlun­ gen untersagt (§  15 UrhG), und insbesondere der private Genuss erlaubt ist.437 Ob­ wohl auch diesbezüglich nicht Verhaltenspflichten bestehen, kann man dem Urhe­ berrecht die Natur als absolutes Recht nicht absprechen. Zudem kennt unsere Rechts­ ordnung durchaus auch andere, primär faktisch geschützte Rechtspositionen, etwa den unmittelbaren, berechtigten Besitz.438 Eine absolute Ausschließungswirkung zeigt sich zudem in der Behandlung im Rechtsstreit um die Durchsetzung des Geheimnisschutzes. Soweit ein Dritter ein Ge­ schäftsgeheimnis in verbotener Weise erlangt hat, werden dem ursprünglichen Inha­ ber Unterlassungsansprüche nicht etwa nur hinsichtlich der Erlangung anderer Ge­ 429  English Law Commission, lawcommission.justice.gov.uk/docs/ cp150_Legislating_the_Cri minal_Code__Misuse_of_Trade_Secrets_Consultation.pdf, S.  18 f. 430  BVerfGE 115, 205; generell offenlassend BVerfGE 18, 85 (90 u. 93); NVwZ 2006, 1041, 1046 (Rn.  137); einen aus „Art.  4 I NWVerf. i.V. mit Art.  12 I und 14 I GG gewährleisteten Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen“ bejaht auch der VerfGH NRW NVwZ 2009, 41, 44. 431  BGHZ 38, 391 (395); tendenziell bereits RG JW 1939, 426 (426); BGHZ 107, 117, 122 – For­ schungskosten nahm einen Schutz als Teil des ausgeübten und eingerichteten Gewerbebetriebs an. 432 Krit Mitsch, GRUR 2004, 824, 826. 433 Köhler/Bornkamm/Köhler, §  17 UWG Rn.  14. 434  BGHSt 46, 62; Erbs/Kohlhaas/Diemer, §  17 UWG Rn.  18 435  LAG Hessen BeckRS 2013, 66278; Kraßer, GRUR 1977, 177, 185. 436  BGHZ 17, 41, 51. 437 Wandtke/Bullinger/Heerma, §  15 UrhG Rn.  6; Schulze, ZUM 2000, 126, 130. 438 MüKo-BGB/Joost, Vor §   854 BGB Rn.  10; Wieling, S.  565; näher noch unten §  3B.II.2b, S. 341.

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§  2  Alternative Selbsthilfe

heimnisse in gleicher Weise, sondern auch im Hinblick auf die Nutzung der erlang­ ten Kenntnisse auferlegt.439 Insoweit besteht also ein Schutz des Geheimnisses als solches und nicht bloß verhaltensgebundene Pflichten. Wie im Immaterialgüterrecht wird zudem das dreifache Wahlrecht hinsichtlich der Schadensberechnung ge­ währt,440 der Geschädigte kann also nicht nur Ersatz der eingetretenen Vermögen­ seinbuße, sondern auch stattdessen Abschöpfung des Verletzergewinns oder Zah­ lung einer angemessenen fiktiven Lizenzgebühr (Lizenzanalogie) verlangen. Den­ noch bleibt die für Alternativität maßgebliche Akzessorietät der staatlichen Sanktionen zum privaten Schutz bestehen: Die hoheitlichen Maßnahmen knüpfen an die grundlegende Entscheidung zur Geheimhaltung und deren faktische Durch­ führung an. Ohne ernsthafte und erfolgsgeeignete Geheimhaltungsbemühungen entfällt hingegen jeglicher Schutz. In ihrer Entscheidung im Kartellverfahren gegen die Firma Microsoft hat die EU-Kommission441 die angeblichen Geschäftsgeheimnisse identisch zu etwaigen Patenten und urheberrechtlich geschützten Inhalten behandelt. Im Hinblick auf ei­ nen kartellrechtlich verbotenen Missbrauch sind durch tatsächliche Maßnahmen geschützte Geschäftsgeheimnisse sicherlich den durch den Staat geschützten Imma­ terialgüterrechten gleichzustellen.442 Dies bedeutet aber auch, dass eine Pflicht zur Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen im Vergleich zu einer Lizenzierung von durch Urheberrecht oder Patentrecht geschützten Gegegenständen letztlich zum Ende des Geheimnisses und damit zum Erlöschen der Berechtigung führt.443 Inso­ weit hat die Verpflichtung zur Offenlegung also enteignende Wirkung, da der Ver­ mögenswert dem Einzelnen zugunsten der Allgemeinheit entzogen wird. Auch dies stellt aber die Ausschließlichkeitsfunktion nicht in Frage.

IV. Zwischenergebnis Der Schutz von Geheimnissen ist nicht nur ein vorrechtlicher Sachverhalt, sondern von der Rechtsordnung in vielerlei Hinsicht reguliert. Dabei beschränkt sich das Ge­ setz nicht auf staatliche Zurückhaltung, sondern fördert den Schutz von vertrauli­ chen Informationen aktiv durch strafrechtlich sanktionierte Verhaltensnormen. Da­ mit wird eine Alternative insbesondere zum staatlichen Schutz durch das Patentrecht geschaffen, während im Hinblick auf das Urheberrecht an Software der Schutz ku­ 439  BGH GRUR 1985, 294, 296; BGH WRP 2001, 1174, 1179; Köhler/Bornkamm/Köhler, §  17 UWG Rn.  64. 440  BGH GRUR 1977, 539, 541; BGH WRP 2008, 938 Rdn 6; KG GRUR 1988, 702; Köhler/Born­ kamm/Köhler, §  17 UWG Rn.  58. 441  Entscheidung der Kommission vom 24. Mai 2004 in einem Verfahren gemäß Artikel 82 EG-Vertrag und Artikel 54 EWR-Abkommen gegen die Microsoft Corporation in der Sache COMP/C-3/37.792 — Microsoft, 2007/53/EG, Abl. L 32/23 ff. – C(2004)900 final fsfe.org/activities/ ms-vs-eu/CEC-C-2004–900-final.pdf. 442  EuG WM 2012, 1271, 1283 (Rn.  289). 443  So der zutreffende Vortrag von Microsoft, EuG WM 2012, 1271, 1283 (Rn.  788).

B.  Rechtsmissbrauch und rechtsfreie Räume

279

mulativ wirkt.444 Voraussetzung für den staatlichen Schutz ist allerdings, dass die privaten Bemühungen jedenfalls erkennbar sind. Insbesondere bei technischen Ge­ heimnissen ist zudem ein zu weitgehendes Verbot abzulehnen, so dass insbesondere Reverse Engineering zuzulassen ist. Schließlich sind Geheimnisse als absolut ge­ schütztes Rechtsgut anzuerkennen, so dass insoweit der Kreis vom faktischen zum rechtlichen Schutz geschlossen ist.

B.  Rechtsmissbrauch und rechtsfreie Räume I.  Rechtsfreie Räume und staatliche Zurückhaltung Der Begriff der „rechtsfreien Räume“ wird uneinheitlich verwendet. Im rechtssozio­ logischen Sinne werden darunter diejenigen sozialen Beziehungen verstanden, die außerhalb der staatlichen Regulierung stehen.445 So werden etwa im engen Famili­ enkreis erhebliche Verhaltensspielräume eröffnet, die sich außerhalb der staatlichen Regulierung bewegen.446 Aus diesem Grunde wird etwa die Familie nicht zur „Öf­ fentlichkeit“ gezählt, so dass dort negative Äußerungen zu dritten Personen nicht als Beleidigungsdelikt zu werten sind,447 und Vorführungen und ähnliches nicht als urheberrechtliche Verwertungshandlung gelten.448 Die teilweise Befreiung von staatlicher Regulierung setzt sich zudem in Zeugnisverweigerungsrechten (§  383 ZPO, §  52 StPO) und der Umwandlung bestimmter Straftaten in Antragsdelikte (etwa Haus- und Familiendiebstahl, §  247 StGB) bzw. der Schaffung persönlicher Strafausschließungsgründe (etwa im Hinblick auf Strafvereitelung, §  258 Abs.  6 StGB) fort. Selbst ein körperliches Züchtigungsrecht wurde und wird teilweise noch anerkannt.449 Nicht ganz so weit geht die Freiheit in privatautonom geschaffenen Vereinigungen, wobei freilich insoweit etwa Parteien (Art.  21 GG) und Religionsge­ meinschaften (Art.  4 GG, Art.  140 GG iVm Art.  136 ff. WRV) ihrerseits noch größere Gestaltungsspielräume genießen. Auch dort bestehen aber Möglichkeiten, koordi­ niert eigenes Recht zu setzen und durchzusetzen. Die Gründe für die Schaffung derartiger Freiräume lassen sich kaum auf einen einheitlichen Ansatz zurückführen.450 Gerade bei Ehe und Familie liegt die Ursache in der historischen Entwicklung und Etablierung dieser Organisationsform. Der Staat ist hier nicht zuletzt durch Art.  6 GG verpflichtet, eine gewisse Schutzsphäre zu 444 

Unten §  3C.II, S. 384. Zum „rechtsfreien Raum“ allgemein Bachmann, S.  4 4 ff. 446  Zum Schutz von Ehe und Familie vgl. Di Fabio, NJW 2003, 993, 997. 447 Zu diesem und anderen „beleidigungsfreien Räumen“ OLG Düsseldorf NJW 1974 1250; ­MüKo-BGB/Rixecker, Anhang §  12 BGB Rn.  83; MüKo-StGB/Regge/Pegel, Vor §§  185 ff. Rn.  60 f. 448  Vgl. nur AG Bochum GRUR 2009, 166 zur Musik auf einer türkischen Hochzeitsfeier (mit „Hunderten“ geladener Gäste). 449 Maunz/Dürig/Di Fabio, Art.  2 Abs.  2 S.  1 GG Rn.  72, 74. 450  Zur Frage der „Autonomie“ siehe nur Bachmann, S.  180 ff. 445 

280

§  2  Alternative Selbsthilfe

schaffen. Bei privaten Vereinigungen wird man die individuelle Entscheidungsfrei­ heit, die Vereinigungsfreiheit und letztlich auch die Menschenwürde heranziehen müssen.451 Die besondere Behandlung von religiösen und politischen Verbänden ist wiederum auf deren gesamtgesellschaftliche Bedeutung zurückzuführen. Für den hier untersuchten Zusammenhang der selbstständigen Rechtssetzung und Rechtsdurchsetzung fällt die Untersuchung solcher scheinbar rechtsfreier Räu­ me allerdings enttäuschend aus. Soweit sich diese auf eine physische Grundlage stüt­ zen können, kann auf die allgemeinen Rechtfertigungsgründe, namentlich den Be­ sitzschutz (§  859 BGB) oder die Notwehr (§  227 BGB) zurückgegriffen werden.452 Soweit schlicht die weitere Teilnahme an Veranstaltungen oder die Gewährung von Diensten betroffen ist, etwa im Rahmen von sozialen Internetplattformen, bedarf es schon keiner besonderen gesetzlichen Rechtfertigung des Ausschlusses, sondern ge­ rade umgekehrt der Darlegung eines Anspruchs.453 Eine darüber hinausgehende physischer Einwirkung auf Personen, etwa durch Körperverletzung oder Freiheitsbe­ raubung, wird trotz des bestehenden Freiraums zumeist durch staatliches Einschrei­ ten verhindert.454 Deutlich zeigt dies etwa die Entwicklung des Züchtigungsrechts, die in der Schaffung eines „Rechts auf gewaltfreie Erziehung“ mündete.455 Insgesamt gibt es daher vollständig „staatfreie“ Räume ebensowenig wie spiegel­ bildlich ein einheitliches „besonderes Gewaltverhältnis“.456 Nur in einem jeweils für den Einzelfall zu ermittelnden, begrenzten Umfang werden Freiräume gewährt, in denen Eingriffe in die ansonsten rechtlich fixierte Zuordnung von Rechtsgütern möglich sind. Ein „rechtsfreier“ Raum wird dadurch aber nicht begründet; in jedem Fall ist das Anrufen staatlicher Stellen als Kontrollinstanz erlaubt.

II.  Rechtsmissbrauch und Rechtsschutzverweigerung Der Staat kann Personen, die sich bewusst über Verhaltenspflichten hinwegsetzen seinen Schutz versagen.457 Hintergrund dieser Rechtsschutzverweigerung ist der Gedanke, dass eine Rechtsordnung für das Verhalten unter Kriminellen keinen rele­ vanten Sorgfaltsmaßstab bereitstellen kann, ohne nicht das Verbot des Verhaltens in Zweifel zu ziehen.458 Wer sich bewusst in den Bereich der Rechts- oder Sittenwidrig­ 451 

Siehe zum „Gruppenwohl“ Bachmann, S.  204 ff. Dazu noch unten §  3B, S. 329. 453  Zur Abgrenzung bereits oben §  1A.V.1c.aa, S. 125. 454  Diskutiert wurde dies zuletzt vor allem im Rahmen der Zulässigkeit von Beschneidungen, siehe nur Herzberg Herzberg, ZIS 2012, 486; Putzke, MedR 2012, 621; Schwarz, JZ 2008, 1125. 455  Bussmann, FPR 2002, 289, 293 liefert dazu empirische Daten, wonach 2001 immerhin 68,3 % der Eltern einen „Klaps auf den Po“ für erlaubt hielten (gegenüber 84,3  % im Jahr 1996); Peschel-Gutzeit, FPR 2012, 195, 198 mit Rechtsprechung nach Einführung des Gewaltverbots. 456  Zum Erfordernis einer individualisierenden Betrachtung Maunz/Dürig/Schmidt-Assmann, Art.  19 Abs.  4 GG Rn.  86; zum früheren Verständnis Klein, DVBl 1987, 1102; siehe zuletzt wieder Sademach, DVP 2013, 6. 457  Zum Grundsatz „Ex turpi causa non oritur actio“ etwa v. Bar, Rn.  514. 458  v. Bar, Rn.  516. 452 

B.  Rechtsmissbrauch und rechtsfreie Räume

281

keit begibt, handelt auf eigene Gefahr.459 So überzeugend dies auch klingen mag, so schwierig gestaltet sich die Grenzziehung im Einzelnen. Wenn etwa ein 16-jähriges Mädchen sich von einem Bekannten mit dem PKW nach Hause fahren lässt, obwohl sie weiß, dass dieser keinen Führerschein besitzt, kann daraus kein umfassender Haftungsausschluss folgern.460 Im allgemeinen Zivilrecht wird ein allumfassender, jegliches Recht vernichtender Rechtsmissbrauchseinwand aus §  242 BGB abgelehnt.461 Vielmehr wird das Verbot der Rechtsausübung ergänzt durch allgemeine Wertungen. Danach darf der Aus­ schluss eines Rechts nicht zu einem Ergebnis führen, das der Rechtsordnung insge­ samt widerspricht. Gerade die völlige Freistellung von Gewaltverboten wäre damit nicht vereinbar. Am weitesten fortgeschritten ist insoweit die Diskussion im Lauter­ keitsrecht, wo der „unclean hands“-Einwand eine lange Tradition hat.462 Auch dort wird der Einwand aber schon im Hinblick auf den in §  1 UWG ausdrücklich genann­ ten Schutz von anderen Marktteilnehmern und der Allgemeinheit abgelehnt.463 Einen konkreten Ansatz für den Ausschluss staatlichen Schutzes bietet hingegen §  817 S.  2 BGB, der insoweit §§  134, 138 BGB ergänzt.464 Der dahinterstehende Rechtsgedanke, dass bei beidseitig rechtswidrigem Verhalten die staatliche Durch­ setzung von Forderungen ausgeschlossen ist, ist in fast allen Rechtsordnungen aner­ kannt.465 Ob man dies freilich als „Strafe“ qualifizieren kann, hängt davon ab, inwie­ weit die entstehenden Lage den Interessen einer oder beider Parteien entspricht.466 Zutreffend ist in jedem Fall der Verweis auf generalpräventive Erwägungen, da die Regelung die Durchsetzung unerwünschter Forderungen jedenfalls erschwert.467 Die Vorstellung eines Zurücktretens der Rechtsordnung bestätigt sich bei genauerer Be­ trachtung aber nicht: Es sind Einschränkungen und Ausnahmen aus Billigkeitsgrün­ den erforderlich, da letztlich doch überlagernde Ziele der Rechtsordnung beachtet werden.468 Zudem wird §  817 S.  2 BGB restriktiv gehandhabt, eine Anwendung ins­ besondere auf die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung wird überwiegend abge­ lehnt.469 Insoweit besteht dann doch eine, wenn auch reduzierte, staatliche Kontrol­ le. Ein rechtsfreier Raum besteht nicht. 459 

Raiser, JZ 1951, 718, 719. Weir v. Wyper S.L.T. (Rep.) 1992, S.  579 zit. nach v. Bar, Rn.  513, 516 (Fn.  251, 229). 461  Siehe zur Begrenzung des Einwands BGH MDR 1980, 561; Staudinger/Looschelders/Olzen, §  242 BGB Rn.  226; MüKo-BGB/ Schubert, §  242 BGB Rn.  205. 462  BGH GRUR 57, 23, 24; GRUR 71, 582, 584; BGH GRUR 77, 494, 497; Prölss, ZHR 132 (1969), 35, 73, 85; Friehe, WRP 1987, 439, 442. 463 Ohly/Sosnitza/Ohly, §  8 UWG Rn.  183; Teplitzky/Bacher, Kap.  19 Rn.  7. 464 MüKo-BGB/Schwab, §  817 BGB Rn.  2 . 465 Staudinger/Lorenz, §  817 BGB Rn.  3; siehe im Sinne einer Rechtsschutzverweigerung schon RGZ 151, 70, 72; BGHZ 9, 333, 336. 466  Irrig insoweit Heck, AcP 124 (1925), 1, 32 f. 467  Larenz/Canaris, §  68 III 3a. 468  Siehe nur BGHZ 111, 308 zur Schwarzarbeit; Staudinger/Lorenz, §  817 BGB Rn.  13 ff. 469  BGH NJW 1992, 310; weitergehend aber Larenz/Canaris, §  68 III 3 a. 460 

282

§  2  Alternative Selbsthilfe

In der strafrechtlichen Literatur wird die Problematik des illegalen Verhaltens ins­ besondere im Rahmen des Begriffs des durch Betrug (§  263 StGB) und Erpressung (§  253 StGB) geschützten Vermögens erörtert.470 Würde man nur die durch die Rechtsordnung gebilligten Wertgegenstände als geschützt erachten, könnte etwa ein Dieb nicht betrogen werden.471 Allerdings bringt §  859 BGB klar zum Ausdruck, dass auch der unberechtigte Besitz dem Schutz der Rechtsordnung untersteht. Inso­ weit kann eine Schutzlücke kaum bejaht werden.472 Genausowenig kann man die Strafwürdigkeit des Arbeitgebers bei Schwarzarbeit verneinen, der die Lohnzahlung verweigert, ohne dadurch Strafbarkeitslücken zu eröffnen.473 Selbst im Hinblick auf den Betrug des eigenen Komplizen würde der Ausschluss des Rechtsschutzes474 An­ reize zur wechselseitigen Gewalt geben, so dass auch hier Rechtsschutz zu gewähren ist.475 Insoweit ist es auch konsequent, wenn Zwang zur Bezahlung von Drogen trotz des bewusst rechtswidrigen Verhaltens aller Beteiligter als Erpressung qualifiziert wird.476 Letztlich muss das Strafrecht gewährleisten, dass jede Tätigkeit, welche den Rechtsfrieden bzw. gemeinschaftlicher Rechtsgüter gefährdet, verfolgt werden kann.477

III.  Ökonomische Betrachtung Eine Rechtsverweigerung wäre jedoch zumindest hypothetisch denkbar, soweit man den hinter §  817 S.  2 BGB stehenden Rechtsgedanken aus Präventionsgründen über die Rückforderung von Leistungen hinaus auch auf komplette Lebenssachverhalte ausdehnt. So wurde etwa in Großbritannien einem Bandenmitglied, das auf der Flucht vom Tatort in einem Verkehrsunfall durch den eigenen Mittäter geschädigt wurde, ein Schadensersatzanspruch gegen den Mittäter versagt.478 Dies kann aller­ dings nur im Verhältnis zu anderen an der rechtswidrigen Handlung Beteiligten und auch nur im unmittelbaren Zusammenhang der verbotenen Handlung gelten. Verur­ sacht also etwa ein Dritter den Unfall, wird man ihm kaum den Einwand gestatten, dass der Wagen eines anderen Unfallbeteiligten gestohlen war. Während ein Ausschluss von der Anwendung des Strafrechts mit der durch dieses Rechtsgebiet primär bezweckten Verhaltenssteuerung (im Sinne einer Generalprä­

470 MüKo-StGB/Hefendehl,

§  263 StGB Rn.  422 ff. Zieschang, FS Hirsch, S.  831, 837. 472  Siehe nur BGH NStZ-RR 1999, 184, 185 f. 473  Krey/Hellmann/Heinrich, Rn.  435. 474  Rengier, §  13 Rn.  58. 475  Siehe insoweit aber auch den britischen Fall Evert vs. Williams, Exchequer (Orders, vol. 34), Mich.T. 12 Geo. I, 1725 (No. 43)), wo ein britisches Gericht zum Streit über die Beuteteilung unter zwei Straßenräubern angerufen wurde und als Sanktion u. a. den Parteivertreter des Klägers in die Kolonien verbannte. 476  BGH NJW 2003, 3283. 477  Swoboda, NStZ 2005, 476, 480. 478  Ashton v. Turner and Another [1981] 1 Q.B. 137 (zit. nach v. Bar, Rn.  514 (Fn.  239). 471 

C.  Defensive Selbsthilfe und Erfüllung ohne Eingriff

283

vention) kaum vereinbar ist,479 steht dieser Rechtsgedanke im Zivilrecht jedenfalls nicht im Vordergrund. Im Gegenteil mag die Verweigerung der Erzwingung der Durchsetzung von Forderungen gerade von bestimmten Tätigkeiten abhalten.480 Da­ durch würden zunächst einmal staatliche Ressourcen gespart, da eine Durchsetzung bezüglich dieser Ansprüche entfällt. Ein umfassender und unbegrenzter Haftungsausschluss würde jedoch eine selbst­ ständige Rechtsdurchsetzungskultur ermöglichen. Soweit also im kriminellen Mi­ lieu die Durchsetzung von Forderungen trotz Fehlen staatlicher Hilfe möglich ist, verfehlt diese Restriktion ihr Ziel. Ohne erzwingbare Ersatzansprüche fehlen Anrei­ ze zur Einschaltung staatlicher Stellen für alle Beteiligten an einer verbotenen Hand­ lung. Im Zweifel drohen auch demjenigen strafrechtliche Sanktionen, der das Verhal­ ten den staatlichen Stellen zur Kenntnis bringt.481 Ihm drohen also Nachteile, ohne korrespondierende Vorteile. Soweit aber mangels Kenntnis ein Einschreiten von Ho­ heitsträgern ausscheidet, droht unkontrollierte Selbsthilfe. Dann wären Körperver­ letzungen, Freiheitsberaubungen und Sachbeschädigungen ohne Beachtung der Schranken des §  229 BGB ohne Angst vor einer Strafe oder zivilrechtlicher Haftung möglich. Die Existenz zivilrechtlicher Ansprüche schafft insoweit stärkere Anreize, staatli­ che Stellen mit Verhalten in solchen Gesellschaftsteilen zu befassen. Gleichzeitig wird so eine angemessene, abgestufte Reaktion auf Fehlverhalten ermöglicht. Denn das Interesse des Einzelnen zur Geltendmachung von Ansprüchen steigt mit deren Wert. Dies bedeutet, dass bei exzessiven Maßnahmen höhere Schäden eintreten, die wiederum einen intensiveren Anreiz zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen setzen. Geringwertige Rechtsverletzungen werden hingegen gar nicht verfolgt. Wür­ de man Ansprüche in diesem Kontext ausschließen, entfiele dieser Anreiz völlig. Daher ist ein Ausschluss zivilrechtlicher Ansprüche nur in engen Grenzen effizi­ ent. In keinem Fall darf durch den Anspruchsausschluss privater Zwang als gleich­ wertige Alternative zur staatlichen Rechtsdurchsetzung ermöglicht werden. Dazu ist zumindest die Begrenzung eines solchen Ausschlusses auf unmittelbar zeitlich und sachlich zueinander in Bezug stehende Tätigkeiten geboten. Auch insoweit entsteht also kein „rechtsfreier Raum“.

C.  Defensive Selbsthilfe und Erfüllung ohne Eingriff Soweit der Inhaber eines Rechts ohne staatliche Mitwirkung und ohne Einwirkung auf fremde Rechte seine Position aufrechterhalten oder auch nur ein rechtlich vorge­ 479 

Swoboda, NStZ 2005, 476, 480. Larenz/Canaris, §  68 III 3a. 481  Ein gewisser Ausgleich kann insoweit durch Kronzeugenregelungen geschaffen werden, vgl. §  46b StGB, dazu Frank/Titz, ZRP 2009, 137; König, StV 2012, 113; siehe auch zum Kartellrecht Busch/Sellin, BB 2012, 1167. 480 

284

§  2  Alternative Selbsthilfe

sehenes Ergebnis schaffen kann, ist ihm dies grundsätzlich nicht verwehrt. Er kann allerdings auch staatlichen Schutz bemühen, etwa die Polizei oder die Gerichte be­ mühen. Die „defensive Selbsthilfe“ im oben erörterten Sinne482 ist rechtlich deshalb weitgehend unbedenklich, weil von ihr nicht die Gefahr exzessiver wechselseitiger Gewaltausübung ausgeht. Im Folgenden werden zunächst die Konstellationen einer solchen von Eingriffen losgelösten Befriedigung des Gläubigerinteresses systematisiert (sub I). Daran an­ knüpfend werden diejenigen Regelungen des materiellen Rechts, aber auch des Ver­ fahrensrechts dargestellt, welche diese Form der Rechtsdurchsetzung begünstigen (sub II). Schließlich ist zu prüfen, inwieweit gerade im Internet derartige defensive Selbsthilfe als vorrangige Alternative zur staatlichen Rechtsdurchsetzung zweckmä­ ßig ist (sub III).

I.  Eingriffslose Befriedigung des Gläubigerinteresses Unabhängig davon, ob absolut geschützte Rechtsgüter oder bloß schuldrechtlich ge­ schützte Interessen betroffen sind, gibt es in vielen Fällen mehrere Möglichkeiten, die Ansprüche zu verwirklichen. Im Rahmen von §  229 BGB werden dabei als Selbsthil­ fe aber ausschließlich Verhaltensweisen problematisiert, die in Rechte, Rechtsgüter oder Interessen des jeweiligen Anspruchsschuldners eingreifen. Dieses schuldnerbe­ zogene Verständnis ist aber nicht zwingend und durch den Begriff der Selbsthilfe keineswegs nahegelegt. Im Vordergrund steht vielmehr, dass der Gläubiger das von ihm verfolgte materielle Ziel tatsächlich erreicht. Dies kann im Einzelfall auch ohne Eingriff in Rechte des Schuldners möglich sein, so dass die Anforderungen des §  229 BGB nicht eingehalten werden müssen. Dies bedeutet, dass diese Form der Selbsthil­ fe nicht nachrangig ist, sondern zulässigerweise ohne weiteres neben der staatlichen Erzwingung erfolgen kann, daher also „alternative Selbsthilfe“ und nicht „subsidiäre Selbsthilfe“ darstellt. 1.  Freiwillige Erfüllung durch den Schuldner Der einfachste Fall der Befriedigung ohne Selbsthilfe ist die freiwillige Erfüllung durch den Schuldner. Über eine Einwilligung483 hinaus übernimmt hier der Schuld­ ner das Risiko von Fehlschlägen (§§  280 Abs.  1, Abs.  3, 281 BGB) und Verletzung sonstiger Rechtsgüter (§§  280 Abs.  1, 241 Abs.  2 BGB). Allerdings steht ihm dafür auch die Ausgestaltung der Erfüllungsmodalitäten im Rahmen der Rahmenbedin­ gungen des Schuldverhältnisses zu (vgl. nur §  243 Abs.  1 BGB für die Gattungs­ schuld).484 Die Erwähnung der freiwilligen Erfüllung im Kontext der Selbsthilfe hat vor allem im Hinblick auf zwei Aspekte eine eigene Bedeutung. 482 

Oben Einleitung A.II.1, S. 17. Unten §  3A.II, S. 318. 484 MüKo-BGB/Emmerich, §  243 BGB Rn.  4; Staudinger/Schiemann, §  243 BGB Rn.  28. 483 

C.  Defensive Selbsthilfe und Erfüllung ohne Eingriff

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Zunächst führt die Erfüllung durch den Schuldner regelmäßig zu einer Umkeh­ rung der Interessenlagen. Während vor der Erfüllung der Gläubiger seinen Anspruch durchsetzen muss, ist eine Rückabwicklung nach der Erfüllungshandlung regelmä­ ßig nur mit staatlicher Hilfe möglich. Die Ansprüche aus §  812 Abs.  1 S.  1 BGB oder §  985 BGB sind nicht etwa so ausgestaltet, dass das Behalten der Leistung als Selbst­ hilfe zu qualifizieren wäre. Vielmehr führen sie zu einer Umkehrung der Parteirol­ len.485 Die Übergabe von Gegenständen verschafft dem Schuldner etwa ein Besitz­ recht, das er nach §§  858, 859 BGB durch „Gewalt“ verteidigen darf.486 Anschaulich hierfür ist die Übergabe der Mietsache durch den Vermieter.487 Weitergehend sind Vorbereitungs- und Unterstützungshandlungen des Gläubi­ gers nicht als Selbsthilfe zu qualifizieren. Dies betrifft nicht nur die sogar als Leis­ tungspflicht ausgestaltete488 Entgegennahme der Ware (§  433 Abs.  2, 2. Var. BGB), sondern auch schlichte Obliegenheiten, die nur zum Annahmeverzug führen (§  295 BGB). Die Rechtsordnung kann nicht eine Entlastung des Schuldners anordnen und gleichzeitig dem Gläubiger die geschuldete Verhaltensweise verbieten. Keine Selbst­ hilfe sind auch schlichte Vorbereitungshandlungen, insbesondere die Leistungserin­ nerung in Gestalt der Mahnung (§  286 Abs.  1 BGB),489 eine Fristsetzung zur Erfül­ lung (§§  281 Abs.  1, §  323 Abs.  1 BGB)490 oder eine Abmahnung bei Fehlverhalten (§  281 Abs.  3 BGB).491 2.  Schutzmaßnahmen des Gläubigers ohne Drittwirkung Gerade bei Unterlassungsansprüchen hat der Gläubiger vielfach die Möglichkeit, nicht die Störung zu beseitigen, sondern sich selbst deren Einfluss zu entziehen. So kann er bei störendem Grillgeruch das Fenster schließen492 oder bei belästigenden Plakaten einfach wegschauen.493 Da die Zivilrechtsordnung Freiheitssphären vonei­ nander abgrenzen muss, wird in einer Vielzahl von Fällen ein solches Einlenken er­ forderlich sein. Ähnlich gelagert sind diejenigen Fälle, in denen das Ziel eines Anspruchs auf an­ dere Weise erreicht wird als durch Erfüllung. Gemeint sind die Fälle der „Zwecker­ reichung“, die in der Systematik des BGB einen Fall der Unmöglichkeit (§  275 Abs.  1 485 Staudinger/Lorenz,

Vor §§  812 ff. BGB Rn.  1. §  859 BGB Rn.  2; näher noch unten §  3B.II.2b, S. 341. 487  Siehe dazu nur BGH NJW 2009, 1947. 488  RGZ 57, 105; BGH DB 1975, 1407; MüKo-BGB/Westermann, §  433 BGB Rn.  69. 489 BGH NJW 1998, 2132 f.; MüKo-BGB/Ernst, §   286 BGB Rn.  49; Staudinger/Löwisch/Feldmann, §  286 BGB Rn.  28. 490 MüKo-BGB/Ernst, §  281 BGB Rn.  32 ff.; Staudinger/Otte/Schwarze, §  281 BGB Rn. B35 ff. 491 Staudinger/Otte/Schwarze, §  281 BGB Rn. B53; MüKo-BGB/Ernst, §  281 BGB Rn.  4 2. 492  LG Stuttgart NJWE-MietR 1997, 37. 493  Dieses Argument gibt BVerfGE 102, 347 leider nicht. Stattdessen wird dort umständlich postuliert: „Ein vom Elend der Welt unbeschwertes Gemüt des Bürgers ist kein Belang, zu dessen Schutz der Staat Grundrechtspositionen einschränken darf“. 486 MüKo-BGB/Joost,

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§  2  Alternative Selbsthilfe

BGB) darstellen.494 Die Behandlung durch den Arzt ist etwa entbehrlich, wenn der Patient durch Zufall vorher gesundet.495 In den Kontext der Selbsthilfe geraten diese Fälle, indem das zweckvereitelnde Ereignis auch durch den Schuldner selbst verur­ sacht werden kann. Dies ist namentlich der Fall bei der Selbstvornahme von Nacher­ füllungsmaßnahmen.496 Wenn der Werkbesteller oder Käufer einen Mangel selbst­ ständig beseitigt, kann der Verkäufer bzw. Werkunternehmer diesen nicht mehr be­ seitigen. Dennoch ist das Leistungsinteresse erfüllt, es besteht also kein Anlass für weitere Erfüllungsbemühungen. Ausdrücklich wird ein Recht zur Wahrnehmung eines Rechts des Gläubigers etwa durch §  375 HGB gewährt.497 3.  Abgrenzung von Rechtssphären In einem schwierigen Verhältnis zur Selbsthilfe stehen demgegenüber diejenigen Fäl­ le, in denen eine Abgrenzung von Rechtssphären verhindert, dass der Gläubiger die Selbsthilfe unterbindet. Deutlich ist dies etwa im Fall des Besitzes: Selbst wenn er sein Besitzrecht nach Ansicht des Vermieters überschreitet, kann der Mieter den seiner Ansicht nach bestehenden Anspruch zur Gebrauchsüberlassung aus §  535 BGB fak­ tisch realisieren, indem er den ihm überlassenen Besitz so nutzt, wie er will. Der Vermieter muss gegen diese „Selbsthilfe“ bei der Durchsetzung des Anspruchs sei­ nerseits gerichtliche Hilfe beiziehen.498 Schwierig sind zudem die Fälle, in denen ein vermeintlicher Eingriff in Immateri­ algüterrechte beurteilt werden muss. Mangels eines physischen Substrats ist fraglich, ob derjenige, der eine patentierte Erfindung nachbaut, hierdurch tatsächlich „verbo­ tene Selbsthilfe“ im Sinne von §  231 BGB begeht. Soweit tatsächlich ein Anspruch hierauf bestand (etwa weil ein Lizenzvertrag geschlossen wurde), fehlt es schon an einem relevanten Eingriff. Im Verletzungsfall besteht hingegen eine spezialgesetzli­ che Schadensersatzpflicht. Im Ergebnis wird man bei einer behaupteten Zwangsli­ zenz wertungsmäßig §  229 BGB heranziehen müssen; ohne freilich zu einer Haftung nach §  231 BGB zu gelangen.499 In diesen Zusammenhang gehören schließlich auch Kompetenzstreitigkeiten im Innenverhältnis von Gesellschaften. Dies betrifft etwa die Einberufung einer Gesell­ schafterversammlung: Nach §  50 Abs.  3 S.  1 GmbHG können Gesellschafter einer GmbH, die 10  % des Stammkapitals halten nach vergeblicher Aufforderung der Ge­ schäftsführer selbst eine Gesellschafterversammlung einberufen. Dadurch wird zwar die interne Kompetenz des Geschäftsführers beeinträchtigt (der aus diesem 494 MüKo-BGB/Ernst,

§  275 BGB Rn.  154. §  275 BGB Rn.  41. 496  BGH NJW 2008, 1216; Saenger, S.  157 ff.; Herresthal/Riehm, NJW 2005, 1457; Lorenz, NJW 2005, 1321. 497 MüKo-HGB/Grunewald, §  375 HGB Rn.  10; Pohle, FS Lent, S.  195, 214. 498  Horst, NZM 1998, 647. 499  Oben §  1A.V.1c.cc(1), S. 131. 495 BeckOK-BGB/Unberath,

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Grunde auch vorrangig um Einberufung zu ersuchen ist), jedoch letztlich kein ver­ teidigungsfähiges Recht verletzt. Dennoch wird die vorherige Erfüllung des §  50 Abs.  1 GmbHG, jedenfalls sofern keine Vollversammlung vorliegt, als konstitutiv er­ achtet.500 Folge eines Verstoßes ist daher die Nichtigkeit (nicht bloße Anfechtbar­ keit) der gefassten Beschlüsse. In den hier diskutierten Kontext gehört die „Selbsthil­ fe“ des §  50 Abs.  3 GmbHG allerdings vor allem deshalb, weil staatliche Hilfe insoweit nicht gewährt wird; eine Klage gegen den Geschäftsführer auf Einberufung soll un­ zulässig sein. Dass die Befugnis auch an ein staatliches Verfahren geknüpft werden kann, zeigt die entsprechende Regelung zur Einberufung einer Hauptversammlung durch eine Aktionärsminderheit (§  122 Abs.  3 S.  1 AktG). Danach ist eine vorherige gerichtliche Ermächtigung zur Einberufung erforderlich. Eine ähnliche Form der Selbsthilfe dürfte auch die actio pro socio darstellen, durch die Rechte der Gesell­ schaft durch einzelne Gesellschafter wahrgenommen werden dürfen, statt einen An­ spruch gegen den Geschäftsführer auf ordnungsgemäße Pflichterfüllung einzukla­ gen. Auch hier sind diese (nach streitiger Auffassung) vorher um Einschreiten zu er­ suchen.501

II.  Staatlicher und privater Rechtsschutz Diese Form der Selbsthilfe wird stets dann zu einer Alternative zur staatlichen Rechtsdurchsetzung, wenn die staatliche Durchsetzung ihrerseits vorrangig auf pri­ vate Maßnahmen vertraut. Neben dem Ausschluss einer Klage (etwa im Rahmen des §  50 Abs.  3 GmbHG) gibt es hierzu verschiedene materielle und prozessuale Gestal­ tungsmöglichkeiten. 1.  Materiellrechtliche Aspekte Der weitgehendste Ansatzpunkt, um den Gläubiger dazu anzuhalten, auf defensive Selbsthilfemaßnahmen zurückzugreifen, liegt in der Schaffung einer Duldungs­ pflicht (vgl. nur §  906 BGB). Soweit sein Recht materiell beschränkt wird, hat er we­ der die Möglichkeit, selbst unmittelbar gegen denjenigen vorzugehen, der ihn beein­ trächtigt, noch kann er staatliche Hilfe herbeirufen. Insoweit wird der Ausgleich zwischen den betroffenen Interessen also hergestellt, indem eine Partei zum Nachge­ ben gezwungen wird. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sie die Beeinträchtigung hinnehmen muss, da Abwehrmaßnahmen, die andere nicht beeinträchtigen zulässig bleiben. Im Einzelfall mag die Duldungspflicht mit einem Ausgleichsanspruch ver­ bunden sein; dies ändert freilich nichts daran, dass in diesem Fall gerade kein durch­ setzbares Abwehrrecht besteht. Anschaulich ist etwa die Handhabung von Werbung in der Briefpost, wo von einer grundsätzlichen Zustimmung ausgegangen wird und 500  BGHZ 87, 3; OLG Dresden NJW-RR 1995, 235; OLG Köln NJW-RR 1999, 979; Baumbach/ Hueck/Zöllner/Noack, §  50 GmbHG Rn.  20. 501 MüKo-HGB/Schmidt, §  105 HGB Rn.  201; BeckOK-BGB/Schöne, §  705 BGB Rn.  117.

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§  2  Alternative Selbsthilfe

eine Ablehnung explizit zu erklären ist.502 Der Duldungspflicht korrespondiert die positive Anforderung vorheriger Schutzmaßnahmen, um überhaupt in den Genuss staatlichen Rechtsschutzes zu gelangen, etwa bei „wirksamen“ Maßnahmen im Rah­ men von §§  95a ff. UrhG503 oder bei dem Erfordernis, dass Daten „gegen unberech­ tigten Zugang besonders gesichert“ sein müssen, um den strafrechtlichen Schutz von §  202a StGB504 zu genießen. Ansonsten fehlt bereits eine Voraussetzung der jeweili­ gen Rechtsnormen, staatlicher Schutz entfällt. In ähnlicher Weise wirkt die Mah­ nung im allgemeinen Schuldrecht (§  286 Abs.  1 BGB) nicht nur als bloße Leistungse­ rinnerung, sondern hat darüber hinaus durch Begründung des Verzugs vielfache, den Gläubiger begünstigende Rechtsfolgen (§§  280 Abs.  2, 287, 288 BGB). Insoweit bestehen Anreize, den Schuldner zunächst auf seine Leistungspflicht hinzuweisen, statt unmittelbar staatlichen Zwang anzuwenden. Deutlich weniger intensiv wirkt demgegenüber die Obliegenheit zur Schadens­ minderung (§  254 BGB).505 Der Schuldner eines Anspruchs kann dem Gläubiger danach entgegenhalten, dass dieser sich seinerseits um eine Verringerung der Scha­ denshöhe bemühen muss. Dies bedeutet, dass die oben erwähnten defensiven Schutz­ maßnahmen regelmäßig zu ergreifen sind; erfolgt dies nicht, riskiert der Gläubiger, dass seine Verluste nicht oder jedenfalls nicht in voller Höhe ersetzt werden. Wäh­ rend also die Duldungspflicht zu einem Alles-oder-Nichts-Verhältnis führt, ermög­ licht die Schadensminderung eine anteilige Schadensverteilung. Damit korrespon­ dieren die für die Feststellung der Fahrlässigkeit (§  276 Abs.  2 BGB) maßgeblichen Verkehrspflichten:506 Soweit die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in Bezug auf das eigene Verhalten gewahrt bleibt, droht keine Haftung auf Schadensersatz. Auch hier mindert also selbstschützendes Verhalten das Haftungsrisiko. Einen Anreiz zu Selbsthilfemaßnahmen, die nicht in Rechtsgüter des Schuldners eingreifen, schaffen zudem finanzielle Ausgleichsansprüche. Aufwendungsersatzan­ sprüche finden sich etwa in den Selbstvornahmevorschriften507 des Mietrechts (§  536a Abs.  2 BGB) oder des Werkvertragrechts (§§  634 Nr.  2, 637 Abs.  1 BGB).508 In 502 BGH GRUR 1992, 617 – Briefkastenwerbung; Köhler/Bornkamm/Köhler, §  7 UWG Rn.  105 ff.; so auch das ursprüngliche Konzept der EU für E-Mail, vgl. Art.  10 Richtlinie 97/7/EG in der ursprünglichen Fassung, dazu seinerzeit Schrick, MMR 2000, 399, 401. 503  LG München I, ZUM-RD 2013, 76, 79 f. (Software zum lokalen Speichern von MyVideo-Vi­ deos); LG Frankfurt MMR 2006, 766, 768 zur Unwirksamkeit von Maßnahmen gegenüber der „analogen Lücke“; Wandtke/Bullinger/Wandtke/Ohst, §  95a UrhG Rn.  47 ff.; Dreier/Schulze/Dreier, §  95a UrhG Rn.  15 f.; unten §  3C.II.1, S. 386. 504 MüKo-StGB/Graf, §  202a StGB Rn.  35 ff.; NK-StGB/Kargl, §  202a StGB Rn.  9 ff.; unten §  3C. II.2, S. 405. 505  Posner, S.  219 ff.; Schäfer/Ott, S.  262 ff. 506  Schäfer/Ott, S.  182, 192 ff.; Posner, S.  213 ff. 507  Die gerade keine in fremde Rechte eingreifende und daher „verbotene“ Selbsthilfe darstellen, vgl. Herresthal/Riehm, NJW 2005, 1457; das „Recht zur zweiten Andienung“ ist keine wehrfähige Position. 508  BGH NJW 2008, 1216; umstritten ist die Lage im Kaufrecht, vgl. nur Dauner-Lieb, ZGS 2005, 169; Dauner-Lieb/Arnold, ZGS 2005, 10; Katzenstein, ZGS 2004, 300; Lorenz, NJW 2006, 1175; Lorenz, NJW 2005, 1321.

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eine ähnliche Richtung weisen die Pflicht zum Ersatz von Abmahnkosten im Urhe­ berrecht (§  97a UrhG) oder Lauterkeitsrecht (§  10 Abs.  1 S.  2 UWG).509 Weitergehende Ansprüche auf Aufwendungsersatz können sich im Einzelfall aus einer berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag ergeben, soweit man ein öffentliches Interesse oder gar eine Übereinstimmung mit dem mutmaßlichen Willen des Schuldners bejaht (§§  677, 683 S.  1, 670 BGB).510 Dabei wirkt der Anreiz sogar derart effektiv, dass Ge­ genanreize gegen einen Missbrauch gesucht werden müssen.511 Ursache hierfür ist die Schwierigkeit, einen gewinnfreien Ausgleich von Aufwendungen zu berechnen, soweit Tätigkeiten vorgenommen werden, die auch zum Berufsfeld des Anspruch­ stellers gehören (vgl. §  1835 Abs.  3 BGB). Bezieht man sich hier auf die üblichen Ge­ bühren bzw. den üblichen Arbeitslohn besteht jedenfalls bei Skaleneffekten ein über­ höhter Anreiz, solche Tätigkeiten vorzunehmen. In diesen Kontext gehört schließlich noch der Gedanke von Treu und Glauben (§  242 BGB), der im widersprüchlichen Verhalten, insbesondere in der Verwirkung zum Ausdruck kommt.512 Er besagt im hier betrachteten Kontext, dass eine fehlende Reaktion des Gläubigers auf eine Störung im Einzelfall dazu führen kann, dass ihm Ansprüche versagt werden. 2.  Prozessrechtliche Aspekte Unabhängig von rechtlichen Normen bestehen praktisch erhebliche Anreize, soweit möglich keinen gerichtlichen Rechtsschutz zu beanspruchen. Denn jedes externe Verfahren ist mit Zeit- und Kostenaufwand verbunden;513 zudem muss dem Richter und regelmäßig auch der Öffentlichkeit ein Einblick in private Angelegenheiten er­ öffnet werden.514 Darüber hinaus besteht stets die Gefahr von Fehlurteilen und uner­ warteten Schwierigkeiten bei der Vollstreckung.515 Die Versuche, diese Nachteile etwa durch Kostentragungsregelungen (§§  91 ff. ZPO), vorläufige Vollstreckbarkeit (§§  708, 709 ZPO) und beschleunigte Verfahrensarten (etwa das Mahnverfahren, §§  688 ff. ZPO oder der Urkunds- und Wechselprozess, §§  592 ff. ZPO) zu reduzieren,

509 

Zur früheren Rechtslage vgl. Schmid, GRUR 1999, 312; Loewenheim, WRP 1987, 286. §  677 BGB Rn.  34 ff.; BeckOK-BGB/Gehrlein, §  677 BGB Rn.  14; Staudin­ ger/Bergmann, Vor §§  677 ff. BGB Rn.  287 ff.; oben §  1B.II, S. 155. 511  KG BeckRS 2008, 25152; OLG Hamm BeckRS 2011, 23551; kritisch zu aktuellen Gesetzesi­ nitativen Faustmann, MMR 2011, 773 (Editorial). 512 Staudinger/Looschelders/Olzen, §  242 BGB Rn.  286 ff.; MüKo-BGB/ Schubert, §  242 BGB Rn.  384 ff. 513 Dazu Franzen/Apel, NJW 1988, 1059. 514  Siehe zu diesem Problem nur Hirte, NJW 1988, 1698, 1698; Pardey, NJW 1989, 1647, 1647; Dörner, NZA 1989, 950, 950; Grunsky 1974, S.  225 f.; Köbl, FS Schnorr von Carolsfeld, S.  235, 248 ff. 515  Bei „einfachen Rechtsanwendungsfehlern“ ohne Wiederholungsgefahr lehnt der BGH eine Revision in stetiger Rechtsprechung ab, vgl. BGH NJOZ 2004, 212; BGH NJOZ 2004, 86. 510 MüKo-BGB/Seiler,

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§  2  Alternative Selbsthilfe

kann dabei nur marginale Entlastungen bewirken.516 Bei Streitigkeiten von gerings­ tem Umfang hat der Gesetzgeber gar ein Verfahren nach billigem Ermessen (§  495a ZPO) eröffnet, um eine zeitnahe Entscheidung zu ermöglichen.517 Spezifisch der Förderung nicht invasiver Selbsthilfemaßnahmen dient §  93 ZPO. Dieser soll die unnötige Beschäftigung staatlicher Stellen mit Ansprüchen verhin­ dern und schafft so Anreize zur außergerichtlichen Konfliktbeilegung. In Extremfäl­ len kann zudem das Rechtsschutzbedürfnis an einer Klage fehlen, wenn der Gläubi­ ger seine Rechtsposition sichern kann, ohne in fremde Rechtsgüter eingreifen zu müssen.518 Dann fehlt auch ein Grund, diesbezüglichen staatlichen Zwang einzufor­ dern. Deutlich macht dies namentlich die nur eingeschränkte Zulässigkeit von Fest­ stellungsklagen (§  253 ZPO). Aufgrund des allgemeinen Rechtsgewährungsprinzips ist dies allerdings nur in engen Schranken möglich.519 Einen ganz anders gearteten Anreiz zum Selbstschutz schaffen Regelungen, durch welche die Klagbarkeit (§  762 BGB)520 oder jedenfalls die Vollstreckung (§  888 Abs.  3 ZPO) eines Anspruchs ausgeschlossen wird.521 Soweit der Gläubiger weder staatli­ chen Zwang noch in Ermangelung freiwilliger Erfüllungsbereitschaft und Erreich­ barkeit hoheitlicher Durchsetzung Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB anwenden darf,522 muss er die Befriedigung seines Interesses auf anderem Wege, namentlich durch Vorleistung, Treuhänder oder auf ähnlichem Wege absichern.

III.  Selbstdurchsetzung im Internet Die Überlegungen, die in den obigen Konstellationen einen grundsätzlichen Nach­ rang staatlicher Maßnahmen vor privater Durchsetzung rechtfertigen, scheinen für die Regulierung der Nutzung des Internet in besonderer Weise geeignet. Dort ist die staatliche Durchsetzung durch Anonymität und Territorialität erschwert; zudem fehlt oft die Kompetenz bei Strafverfolgungsorganen und Auskunftsansprüche ge­ gen Provider sind außerhalb des Immaterialgüterrechts nur sehr eingeschränkt ver­ fügbar. Es sind vielfältige konkrete Beispiele vorstellbar: So können sich Nutzer vor uner­ wünschten Inhalten durch lokal bei ihnen installierte Jugendschutz- und Spam­-

516  Franzen, NJW 1993, 438; Franzen/Apel, NJW 1988, 1059; Schneider, Erfolgsmessung in Ge­ richten – German Working Papers in Law Nr.  25, passim. 517  Daten bei Rottleuthner, NJW 1996, 2473; Praxisempfehlungen gibt Städing, NJW 1996, 691. 518  Insbesondere bei §  375 HGB, siehe dazu MüKo-HGB/Grunewald, §  375 HGB Rn.  10; Pohle, FS Lent, S.  195, 214; Saenger, S.  293 ff.; siehe auch BGHZ 54, 181, 184. 519  Unvertretbar AG Stuttgart NJW 1990, 1054; (viel) weitergehend aber Schmieder, ZZP 120 (2007), 199. 520  Und zwar von Amts wegen, vgl. BGHZ 58, 1, 6 f.; Staudinger/Engel, §  762 BGB Rn.  14. 521 Zum Anwendungsbereich MüKo-ZPO/Gruber, §   888 ZPO Rn.  20; BeckOK-ZPO/Stürner, §  888 ZPO Rn.  8; Musielak/Voit/Lackmann, §  888 ZPO Rn.  3. 522  Oben §  1A.II.2a, S. 84.

C.  Defensive Selbsthilfe und Erfüllung ohne Eingriff

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email­filter schützen.523 Damit könnte auf die aufwändige Strafverfolgung der Pro­ grammierer von Trivialviren oder von Angriffen auf ungeschützte Computersysteme verzichtet werden. Auch die im Hinblick auf die erforderlichen Ressourcen,524 aber auch das Eindringen in die Privatsphäre,525 problematische gerichtliche Durchset­ zung des Urheberrechts gegenüber privaten Nutzern könnte auf den Urheber bzw. dessen ausschließliche Lizenznehmer verlagert werden, die sich selbst durch techni­ sche Maßnahmen schützen müssten. Eine solche Herangehensweise würde nicht nur die Selbstbestimmung der jeweili­ gen Schutzadressaten stärken und die Verwendung staatlicher Ressourcen reduzie­ ren. Sie würde weitergehend auch die Gefahr einer Überregulierung internationaler Anbieter ausschließen, denn das Risiko von Rechtsverstößen würde externalisiert. Gleichzeitig würde ein „Wettrüsten“ auch Vorteile für andere Bereiche mit sich brin­ gen, da hierdurch eine stetige Verbesserung und Weiterentwicklung der Technologi­ en von beiden Seiten gefordert wäre. Angesichts der durch die große Streuung auf viele Nutzer verbundenen hohen Einnahmeerwartungen wäre ein großer, innovati­ ver Markt absehbar.526 Methodisch könnte man entweder ergänzenden rechtlichen Schutz nach dem Vorbild der jetzigen Regelungen zum Schutz technischer Maßnah­ men im Urheberrecht (§§  95a ff. UrhG)527 oder aber eine Haftungsfreistellung bei Un­ terlassen von Schutzmaßnahmen wie beim Schutz elektronischer Daten in §§  202a ff. StGB528 vorsehen. Weder der Gesetzgeber noch die Rechtsprechung sind jedoch dieser Überlegung gefolgt. Zwar sind technische Maßnahmen, insbesondere im Urheberrecht (§  95a UrhG), durchaus anerkannt und genießen sogar (ähnlich wie Geschäftsgeheimnis­ se)529 ergänzenden staatlichen Schutz.530 Daneben besteht aber ein von diesen Selbstschutzmöglichkeiten unbeeinflusstes materielles Eingriffsverbot. Der Versand von Werbe-Emails ist nur nach vorheriger ausdrücklicher Einwilligung erlaubt (§  7 Abs.  2 Nr.  3 UWG),531 der Urheber hat die Rechte nach §  97 UrhG unabhängig da­ 523  Zu den aus Filtern resultierenden Zugangsproblemen siehe nur AG Frankfurt, BeckRS 2009 05792; LG Hamburg MMR 2010, 654; OLG Düsseldorf BeckRS 2009, 24422; allgemein Hoeren, NJW 2004, 3513 zu den (noch immer gültigen) praktischen und rechtlichen Problemen der provi­ derseitigen Filterung. 524 Vgl. Spindler, ZUM 2008, 640, 647 f. 525  Siehe nur KG MMR 2007, 116; Spindler, ZUM 2008, 640, 645 ff. 526  Zu diesem Gedanken als Ziel einer Schadensersatzregelung allgemein Posner, S.  219 ff.; Gregory, Virginia Law Review 45 (1959), 63; Schäfer/Ott, S.  159 ff. 527  LG München I ZUM-RD 2013, 76, 79 f. (Software zum lokalen Speichern von MyVideo-Vi­ deos); LG Frankfurt MMR 2006, 766, 768 zur Unwirksamkeit von Maßnahmen gegenüber der „analogen Lücke“; Wandtke/Bullinger/Wandtke/Ohst, §  95a UrhG Rn.  47 ff.; Dreier/Schulze/Dreier, §  95a UrhG Rn.  15 f.; unten §  3C.II.1a, S. 386. 528 MüKo-StGB/Graf, §  202a StGB Rn.  35 ff.; NK-StGB/Kargl, §  202a StGB Rn.  9 ff.; unten §  3C. II.2, S. 405. 529  Oben §  2A.I.1, S. 204. 530  Näher unten §  3C.II.1a, S. 386. 531  Anders aber noch Art.  10 Richtlinie 97/7/EG in der ursprünglichen Fassung, dazu seinerzeit Schrick, MMR 2000, 399, 401.

292

§  2  Alternative Selbsthilfe

von, ob er sich um Schutz bemüht hat oder nicht532 und der Einwand, dass jugend­ schützende Inhalte durch lokale Filtersoftware abgewandt werden könnte, ist unbe­ achtlich.533 Für die primäre Anwendung staatlicher Sanktionen sprechen dabei eine Vielzahl von Argumenten. Zwar würde eine Verpflichtung der Internetnutzer zu Selbst­ schutzmaßnahmen aus Sicht der Anbieter entsprechender Systeme zu einer deutlich gesteigerten Nachfrage und damit zu einer potentiellen Kostenstreuung führen. Es ist aber nicht zu erwarten, dass die durchschnittlichen Internetnutzer die erforderli­ che Expertise haben, um entsprechende Produkte gezielt auszuwählen, geschweige denn überhaupt ein entsprechendes Produkt zu wählen.534 Ausgehend von der Überlegung, dass eine Verpflichtung von Selbstschutzmaß­ nahmen nur effizient ist, soweit diese entweder deutlich kostengünstiger sind als die Erzwingung der Unterlassung der so verhinderten Handlung durch alle Verursacher, ist daher der entstehende Aufwand für alle Beteiligte zu schätzen. Dabei ist offen­ sichtlich, dass die Zahl derjenigen, die Internettechnologien in störender Weise nut­ zen in einer Minderheit sind. Gleichzeitig sind strukturelle Maßnahmen insbesonde­ re gegenüber Providern möglich.535 Angesichts des Umstands, dass das Internet aus dem Alltag kaum mehr hinweggedacht werden kann, ist insofern das Risiko nicht den betroffenen Nutzern zuzuweisen. Zudem treffen die Kosten von Rechtsverstößen nicht nur individuell einzelne Op­ fer, sondern sind von der Gesamtheit der Internetnutzer zu tragen. Da die Bandbrei­ te aus technischen Gründen begrenzt ist, geht unnötiger Datenverkehr zu Lasten anderer Anwendungen. Eine „Flatrate“ für die Internetnutzung ist wirtschaftlich für die Anbieter von TK-Leistungen nur tragbar, soweit nicht alle Nutzer die volle Band­ breite in Anspruch nehmen; die Geringnutzer finanzieren so die Vielnutzer mit.536 Angesichts dessen handelt es sich nicht nur um ein individuelles Problem, sondern vielmehr um eine Frage von Allgemeininteresse. 532  Siehe tendenziell beschränkend aber nunmehr BGH GRUR 2010, 628, 632: „Ein Berechtigter, der Texte oder Bilder im Internet ohne Einschränkungen frei zugänglich macht, muss mit den nach den Umständen üblichen Nutzungshandlungen rechnen.“ (mit der Folge einer „schlichten Einwilli­ gung“ in die Nutzung von Bildern im Rahmen der Google Bildersuche). 533  So schon der Ansatz von Compuserve in den 1990er-Jahren, AG München NJW 1998, 2836, dazu Hoeren, NJW 1998, 2792; siehe zu aktuellen Tendenzen Braml/Hopf, ZUM 2012, 361. 534  Sehr weitgehend Werner 2010, S.  150 ff.; restriktiv Spindler, MMR 2008, 7, 10. 535  Siehe etwa AG Völklingen MMR 2005, 482, 483 (zur Unzumutbarkeit der Verhinderung von R-Gesprächen der minderjährigen Tochter); BGH MMR 2012, 700: „[Es] kann den Anbieter von TK-Diensten die vertragliche Nebenpflicht treffen, seine Kunden vor einer sich selbst schädigenden Nutzung des Angebots zu schützen.“ (im konkreten Fall zu hohe Rechnung durch verdächtig hohes Datenvolumen); ein trauriges Bild liefert freilich Spindler, MMR 2008, 7, 10, 13, wonach die Provider sich auf das Haftungsprivileg (§  4 4a TKG, §§  8 f. TMG) zurückziehen können; zutreffend wird daher die Verpflichtung auf gesetzliche Mindestsicherheitsstandards angeregt. 536  Siehe die ausführlichen Erläuterungen bei der ersten testweisen Einführung 2001 Schmidt, K&R 2001, 131; Nolte, K&R 2001, 139; Pieper/Nicklas, K&R 2001, 439; siehe zuletzt auch zu den Plänen der Telekom zu einer volumenabhängigen Drosselung der Zugangsgeschwindigkeit heise. de/-1828179 und dazu den Kommentar von Steiner heise.de/-1828248.

D. Zusammenfassung

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Aus diesem Grunde verbietet sich eine Regulierung des Internet, die primär auf Selbsthilfe der Endnutzer vertraut.

D. Zusammenfassung 1. Die Rechtsordnung vertraut grundsätzlich nicht auf Selbsthilfemaßnahmen Pri­ vater und sieht sie nicht als gleichwertige Alternative zum hoheitlichen Rechts­ schutz. Davon wird aber eine Ausnahme gemacht, soweit aus nachvollziehbaren Gründen die Einschaltung staatlicher Stellen ausgeschlossen ist. Dies ist nament­ lich beim Schutz von Geschäftsgeheimnissen zu bejahen, die noch nicht einmal dazu berufenen Behörden, insbesondere den Patentämtern, bekannt gemacht wer­ den sollen. In diesem Fall wird dem Bürger die Entscheidung zwischen einem aus­ schließlich oder überwiegend durch den Staat erfolgenden Schutz einerseits und einem vorwiegend privaten Schutz andererseits überantwortet. Es gibt also einen Zeitpunkt, in dem er sich für eine von zwei Alternativen entscheiden muss. Aller­ dings gewährt die Rechtsordnung trotzbei Entscheidung für privaten Selbstschutz ergänzend Flankenschutz gegen Umgehung. Dies hat zur Folge, dass auch Ge­ heimnisse als Immaterialgut zu werten sind. 2. Allerdings sollen nicht beliebige Tatsachen in den Genuss dieses Schutzes gelan­ gen. Vielmehr ist im Hinblick auf den fehlenden abstrakten Schutz von Informa­ tio­nen537 ein nach Außen erkennbarer Schutzbereich erforderlich, um staatlichen Schutz zu beanspruchen. Der Schutz öffentlicher Informationen ist weder ökono­ misch noch rechtspolitisch wünschenswert. Er verursacht vielmehr erheblichen Administrativaufwand, schafft Rechtsunsicherheit und gibt Anreize zu sorglosem Verhalten. Gleichzeitig verhindert er die wünschenswerte Inanspruchnahme der staatlich geschaffenen, in sich abgewogenen Schutzsysteme des Immaterialgüter­ rechts. 3. Ein Ausschluss staatlicher Mittel im Hinblick auf den Bereich rechtswidriger Handlungen ist angesichts der Gefahr von Selbsthilfeexzessen nicht zweckmäßig. Der Ausschluss von Rückforderungsansprüchen nach §  817 S.  2 BGB ist daher res­ triktiv anzuwenden; ebenso ist die Nichtanwendung von Straf-, Schadensersatzund Rückabwicklungsnormen im Bereich illegaler Aktivitäten zu verneinen. Es sollte nicht Aufgabe des Zivilrechts sein, Legalität oder Illegalität eines Verhaltens zu sanktionieren. Erst Recht ist eine privatautonome Schaffung rechtsfreier Räu­ me wenig erstrebenswert. Es ist allerdings selbstverständlich, dass staatliche Regu­ lierung auch auf die wirtschaftlichen und kommunikativen Interessen der Rechts­ unterworfenen sowie die Privatautonomie insbesondere bei grenzüberschreiten­

537  Zu den kollidierenden Interessen siehe nur Zech, S.  145; Peukert 2008, S.  74 ff.; Gallwas, NJW 1992, 2785 (dort insbesondere auch zu privaten Informationen).

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§  2  Alternative Selbsthilfe

den Beziehungen Rücksicht nehmen muss. Eine übermäßige Regulierung kann insoweit ihrerseits gegen höherrangige Werte verstoßen. 4. Für Fälle, in denen ein privates Vorgehen zur Durchsetzung ohne Eingriffe in ab­ solut geschützte Rechtsgüter Dritter möglich ist („defensive Selbsthilfe“), besteht mitunter eine Subsidiarität staatlichen Rechtsschutzes gegenüber privaten Maß­ nahmen („vorrangige Selbsthilfe“). Ansatzpunkte sind dabei die prozessuale Prü­ fung des Rechtsschutzbedürfnisses, die materielle Feststellung einer Erstbege­ hungs- oder Wiederholungsgefahr sowie das Bestehen einer Duldungspflicht. Die­ se oftmals verdeckte Beschränkung des Rechtswegs ist angesichts der begrenzten staatlichen Ressourcen zur Rechtsdurchsetzung sowie der mit einer solchen Er­ zwingung einhergehenden hohen Administrativkosten gerechtfertigt. 5. Besonderen Reiz haben solche Selbsthilfemaßnahmen im Bereich des Internet. Aufgrund der Schwierigkeit zentraler Kontrolle liegt es nahe, die Verantwortung den Nutzern zu überantworten. Jedoch sind aufgrund der hohen Externalitäten, etwa durch Überlastung des Netzes per Denial-of-Service-Attacken durch Bot-Netze oder die Belästigung Außenstehender entsprechende Bemühungen kaum umsetzbar. Eine Beschränkung des Internetzugangs auf erfahrene Nutzer durch Schaffung eines präventiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt nach dem Vor­ bild des Führerscheins lässt sich angesichts der großen sozialen und wirtschaftli­ chen Bedeutung nicht rechtfertigen. 6. Zur Entlastung des staatlichen Rechtsschutzes und damit im Interesse der Allge­ meinheit ist es zudem geboten, Anreize für eine friedliche Konfliktbeilegung zu schaffen, ohne gewaltsame Eingriffe zu begünstigen. Dies wird namentlich durch die Kostentragungsregelung des §  93 ZPO begünstigt sowie durch das Erfordernis eines Prozesskostenvorschusses. Demgegenüber setzen etwa Erfolgshonorare, aber auch Rechtsschutzversicherungen in vielen Fällen Fehlanreize.

§  3  Kumulative Selbsthilfe Aus Gründen der Vermeidung von Exzessen und zur Wahrung des Rechtsfriedens ist die private Sicherung von Ansprüchen nach §  229 BGB1 grundsätzlich nur aus­ nahmsweise möglich, soweit obrigkeitliche Hilfe nicht zu erlangen ist. Diese Subsi­ diarität ist aber kein Wesensbestandteil unserer Rechtsordnung. Neben den geschil­ derten2 Konstellationen, in denen eine Selbstdurchsetzung unter Ausschluss der staatlichen Sanktionierung im Wege von Ersatz- bzw. Unterlassungsansprüchen er­ folgen darf oder sogar soll, gibt es auch Gestaltungen, in denen private Rechtsdurch­ setzung und staatliche Vollstreckung gleichberechtigt nebeneinander ermöglicht werden. Im Gegensatz zur oben erörterten alternativen Selbsthilfe erfordern die im folgenden behalten Fälle keine Entscheidung des Begünstigten. Er kann vielmehr parallel auf staatliche und private Sicherungsmaßnahmen zurückgreifen, ohne dass dies den anderen Weg ausschließt. Zielsetzung ist dabei zumeist die eindeutige Be­ stimmung eines vorübergehenden Zustands, sei es, dass ein einmal geschaffener Ver­ trauenstatbestand einer Einwilligung erst beseitigt werden muss, sei es, dass dem unmittelbaren Besitzer seine Sachherrschaft erhalten werden soll (§  859 BGB), oder sei es, dass ein Recht als derart schutzbedürftig erachtet wird, dass die Rechtsord­ nung sich außer Stande sieht, es mit herkömmlichen Mitteln hinreichend zu schüt­ zen (wie beim Schutz technischer Maßnahmen nach §§  95a ff. UrhG). Ausgangspunkt der folgenden Betrachtung sind zunächst die tatsächlich erklärte oder jedenfalls mutmaßliche Einwilligung (sub A). Dabei folgt die Zulässigkeit priva­ ter Rechtsdurchsetzung aus dem freien Willen des Opfers des Eingriffs und ist von diesem abhängig. Wenn der Schuldner wirksam in einen Eingriff in seine Rechte, etwa die Wegnahme einer geschuldeten Sache, einwilligt, kann der Gläubiger neben der Inanspruchnahme staatlichen Schutzes seine Forderung zusätzlich (kumulativ) durch Selbsthilfe vollstrecken. Praktisch wirft dies die Frage eines später geänderten Willens, insbesondere eines Widerrufs der Einwilligung, sowie zu den im Rahmen der subsidiären Selbsthilfe dargestellten Grundwertung des Nachrangs privater Zwangsmaßnahmen vor der Einschaltung staatlicher Stellen3 auf. Wenn es möglich wäre, die Selbsthilfebefugnisse eines einfachen Vertragsgläubigers, insbesondere durch Allgemeine Geschäftsbedingungen, zu erweitern, würde die Grundentschei­ 1 

Oben §  1A.IV.1, S. 109. Oben §  2, S. 201. 3  Unten §  3A.I.1b, S. 303. 2 

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

dung des Gesetzes in der Vertragspraxis jedenfalls bei ungleicher Verhandlungs­ macht wohl regelmäßig in ihr Gegenteil verkehrt. Auf einem anderen Gesichtspunkt beruht die Rechtfertigung von Notwehr und Besitzwehr bzw. Besitzkehr, die ebenfalls keine Subsidiarität erfordern (sub B). Auch dort ist eine gerichtliche Durchsetzung von Herausgabe-, Beseitigungs- oder Unter­ lassungsansprüchen möglich. Wirkungsvoller ist aber die parallel (kumulativ) hierzu bestehende Möglichkeit, diese unmittelbar selbst durch Gewalt zu erzwingen. Hier­ bei geht es um die Durchsetzung von Ansprüchen aus absolut geschützten Rechten, bei denen eine sofortige eindeutige Klärung des Zustands bis zur Verfügbarkeit staat­ licher Macht zur Aufrechterhaltung des zivilen Friedens geboten ist. Schließlich soll in diesem Zusammenhang auf den Schutz von urheberrechtlich geschützten Werken durch technische Schutzmaßnahmen eingegangen werden (sub C). Der technische Schutz tritt neben die Möglichkeit zur Klage und gerichtlichen Vollstreckung der Ansprüche aus §  97 UrhG. Durch die gesetzliche Unterstützung solcher Schutzmaßnahmen sollen gerade die bekannten Schwierigkeiten bei der staatlichen Durchsetzung von Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen durch faktische Hindernisse für eine Vervielfältigung, Verbreitung oder auch nur die Wie­ dergabe von Werken (kumulativ) ergänzt werden. Anders als beim Schutz von Be­ triebs- und Geschäftsgeheimnissen4 und den Strafnormen in Bezug auf elektro­ nisch gespeicherten bzw. übermittelten Daten,5 besteht bei den durch technische Maßnahmen geschützten Werken der Urheberrechtsschutz ausdrücklich neben dem Schutz gegen Umgehung solcher Schutzmechanismen fort. Der Selbstschutz erleich­ tert insoweit die Aufrechterhaltung der bereits vorgefundenen, geschützten Rechts­ stellung und macht staatliche Maßnahmen, egal ob es um die Verurteilung wegen einer Straftat oder die Vollstreckung von Schadensersatz- bzw. Unterlassungsansprü­ chen geht, entbehrlich. Umgekehrt wird allerdings der potentielle Werknutzer in die Stellung eines Bittstellers gedrängt: Er ist für seine Nutzung auf die Mitwirkung des Urhebers bzw. des ausschließlichen Lizenznehmers angewiesen. Die Frage ist dabei, wie sichergestellt werden kann, dass Selbstschutzmaßnahmen nicht auch zulässige Nutzungshandlungen verhindern. Ein enger Zusammenhang besteht dabei zur alter­ nativen Selbsthilfe. Da der schlichte Werkgenuss nach der aktuellen Gesetzeslage nicht dem Urheber vorbehalten ist, greifen technische Schutzmaßnahmen, die diesen verhindern, weiter als die Ansprüche des Urhebers auf Unterlassung.6 Dabei be­ steht eine enge Verwandtschaft zu den parallel eingreifenden Sicherungsmaßnah­

4 

Oben §  2A.II.1, S. 237. Oben §  2A.II.2b, S. 254; unten §  3C.II.2, S. 405. 6  Allerdings liegt angesicht der Schrankenregelung des §  4 4a UrhG sowie des §  69c Nr.  1 UrhG beim Abspielen digitaler Medien in jedem Fall eine vorübergehende Vervielfältigung (oder sogar eine Bearbeitung, da digitale Informationen in analoge Form umgesetzt werden und erst so dem Menschen zugänglich werden) vor, die (sofern keine Schranken eingreifen) von der Zustimmung des Urhebers abhängig ist, näher §  3C.I.2c, S. 380. 5 

A.  Einwilligung, mutmaßliche Einwilligung und Geschäftsführung ohne Auftrag

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men für Computer und Computernetze, die ein Ausspähen von Daten verhindern sollen (§§  202a ff. StGB).7

A.  Einwilligung, mutmaßliche Einwilligung und Geschäftsführung ohne Auftrag Eingriffe in absolut geschützte Rechtspositionen, wie Eigentum oder körperliche In­ tegrität, beruhen in vielen Fällen auf vorherigen Vereinbarungen oder jedenfalls zu­ stimmenden Erklärungen des Betroffenen.8 Soweit sich der Handelnde auf eine solche Einwilligung stützt und der Einwilligende dispositionsbefugt ist, ist seine Handlung grundsätzlich von der Rechtsordnung erlaubt, d. h. es drohen keine staat­ lichen Folgen zivil- oder strafrechtlicher Natur.9 Insbesondere schließt die Einwil­ ligung regelmäßig Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche aus. Die Einwilligung des Schuldners in Sicherungs- und Durchsetzungsmaßnahmen erweitert das Handlungsspektrum des Gläubigers, ohne dass dadurch die Möglich­ keit zur staatlichen Durchsetzung eingeschränkt würde. Im Gegensatz zur subsidiä­ ren Selbsthilfe des §  229 BGB verlangt die Einwilligung aber nicht, dass zunächst um hoheitliche Hilfe ersucht wird. Aus diesem Grunde handelt es sich um einen hier zu erörternden Fall „kumulativer Selbsthilfe“. Eine vergleichbare, aber weniger intensi­ ve Wirkung erreicht ein Verzicht des Schuldners auf die Haftung nach §  231 BGB. Dann bestimmt sich die Verantwortung des Gläubigers nach den allgemeinen Grundsätzen, d. h. es ist regelmäßig erforderlich, dass ein etwaiger Irrtum vermeid­ bar war. In beiden Fällen stellt sich jedoch die Frage, wie solche Erweiterungen sich zu §  229 BGB verhalten. Der dahinter stehende Gedanke, dass demjenigen, der einem Eingriff zugestimmt hat, kein Unrecht geschieht („volenti non fit iniuria“), ist seit langem anerkannt.10 Allgemeine gesetzliche Regelungen fehlen aber nicht nur im deutschen Zivilrecht,11 sondern auch in anderen europäischen Zivilgesetzbüchern.12 Dabei ist die Grenze 7 

Unten §  3C.II.2, S. 405. Kohte, AcP 185 (1985), 105, 105–108 mit zahlreichen Beispielen; noch deutlicher Weber, S.  19 ff., der anhand von 16 aufzeigt, dass insbesondere Gebrauchsüberlassungsverträge stets die Frage nach der Reichweite der dem unmittelbaren Besitzer (Mieter, Pächter, Verwahrer, etc.) eingeräumten Be­ fugnisse aufwerfen. 9 MüKo-BGB/Wagner, §  823 BGB Rn.  729; Ohly, Rn.  62 ff.; Zitelmann, AcP 99 (1906), 1, 47 ff. 10  Siehe etwa aus dem englischen Recht Smith v. Baker [1891] A.C. 325, 360 (zit nach v. Bar, Rn.  504 (Fn.  152): „One who has invited or assented to an act being done twoards him cannot, when he suffers from it, complain of it as being wrong“. 11  Eine entsprechende Regelung fand sich zwar im Ersten Entwurf des BGB, wurde jedoch als selbstverständlich nicht in spätere Fassungen übernommen, vgl. Mot. II, S.  730 (= Mugdan II, S.  407); Prot. S.  2733 (= Mugdan II, S.  1080). 12  v. Bar, Rn.  504; eine Ausnahme bildet danach nur Art.  340 port. CC. („Die die Rechte eines anderen verletzende Handlung ist rechtmäßig, sofern dieser in die Verletzung eingewilligt hat. Die Einwilligung des Verletzten schließt die Rechtswidrigkeit der Handlung jedoch nicht aus, wenn 8 

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

zu einem „Handeln auf eigene Gefahr“ des Opfers fließend.13 Denn eine echte Ein­ willigung setzt genaue Kenntnis des konkreten Eingriffs im Zeitpunkt der Erklärung voraus; eine Generaleinwilligung in alle potentiell denkbaren, insbesondere auch fahrlässigen, Folgen ist nicht vorstellbar. Im hier untersuchten Kontext stellt sich die Frage, in welchem Umfang die Par­ teien die Durchsetzung von Rechten privatdispositiv unabhängig vom staatlichen Verfahren regeln können. Das gerichtliche Verfahren als staatlicher Konfliktlösungs­ mechanismus ist jedenfalls insoweit14 dispositiv, als eine für beide Parteien verbind­ liche Streitbeilegung durch eine vorrangig auf privatrechtlicher Grundlage konstitu­ ierte Schiedsgerichtsbarkeit vereinbart werden kann (§  1032 Abs.  1 ZPO).15 Freilich handelt es sich dabei um ein reines Entscheidungsverfahren, das als solches gerade keine Rechtsdurchsetzung ermöglicht.16 Diese ist nach dem gesetzlichen Leitbild viel­ mehr ausschließlich staatlichen Stellen vorbehalten (§§  1060 f. ZPO). Insbesondere bei eiligen vorläufigen Sicherungsmaßnahmen (§  1041 Abs.  1 ZPO) stößt die Schieds­ gerichtsbarkeit dabei freilich an ihre Grenzen, soweit nicht die freiwillige Selbstbin­ dung der Parteien genügt.17 Dementsprechend besteht durchaus ein Bedürfnis, ne­ ben dem Entscheidungsprozess auch die Vollstreckungsbefugnis dem Parteiwillen zu unterwerfen. Im Folgenden wird die Einwilligung zunächst vor dem Hintergrund der Regelung des §  229 BGB untersucht (sub I), bevor Ausführungen zur Einwilligung im Allge­ meinen (sub II) und schließlich zu Möglichkeiten einer unwiderruflichen Ausgestal­ tung (sub III) gemacht werden.

I.  Gegenüberstellung zu §  229 BGB als Ausgangspunkt In der Kommentarliteratur zu §  229 BGB findet sich fast durchgängig der Hinweis, dass vertragliche Erweiterungen des Selbsthilferechts unzulässig sind und als solche keine Rechtsfolgen auslösen.18 Schünemann hat die Frage vertraglicher Modifika­ diese gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten verstößt. Die Einwilligung gilt als erteilt, wenn die Verletzung im Interesse des Verletztesn und in Übereinstimmung mit seinem mutmaßli­ chen Willen erfolgte.“). 13  v. Bar, Rn.  506 (insb. Fn.  166). 14 Zum Ausschluss des Rechtswegs MüKo-ZPO/Becker-Eberhard, Vor §§  253 ff. ZPO Rn.  10 mwN; zu Güte- und Schlichtungsklauseln (OLG Celle NJW 1971, 288; BGH NJW 1984, 669; BGH NJW 1999, 647; BGH NJW-RR 2009, 637; LG Hannover NJOZ 2009, 3918 für Rechtswegausschluss durch AGB (!) bei Radiogewinnspiel; kritisch Staudinger/Bergmann, §  657 BGB Rn.  92; MüKo-BGB/ Seiler, §  657 BGB Rn.  23. 15  Buck-Heeb/Dieckmann, S.  157; Ritlewski, SchiedsVZ 2007, 130. 16  Schünemann, S.  19. 17  Zwar sieht §  1041 ZPO (im Einklang mit Art.  17 des UNCITRAL Modellgesetzes) vor, dass das Schiedsgericht „vorläufige oder sichernde Maßnahmen anordnen“ darf – zur Umsetzung bedarf es dann aber doch wieder staatlicher (Gerichts-)Hilfe, §  1062 Abs.  1 Nr.  3 ZPO; zur Problematik Schroth, SchiedsVZ 2003, 102; zur Lage in Österreich Zeiler, SchiedsVZ 2006, 79; zum alten Recht Schlosser, ZZP 99 (1986), 241. 18 MüKo-BGB/Grothe, §  229 BGB Rn.  1; jurisPK-BGB/Backmann, §  229 BGB Rn.  27 f.; Erman/

A.  Einwilligung, mutmaßliche Einwilligung und Geschäftsführung ohne Auftrag

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tionen der gesetzlichen Eingriffsbefugnis in seiner Arbeit bewusst ausgeklammert.19 Ausgangspunkt ist das insoweit unterstellte, aber in seiner Begründung durchaus zweifelhafte20 „Selbsthilfeverbot“. Selbst wenn es sich dabei um ein „oberstes Prin­ zip“ handeln sollte, wird man wohl die durch Art.  2 Abs.  1 GG geschützte Hand­ lungsfreiheit und Eigenverantwortlichkeit des mündigen Bürgers zumindest als gleichwertig erachten müssen.21 Um die verfassungsrechtlichen Grundwertungen in Einklang zu bringen, gilt es Reichweite und Grenzen des Selbsthilfeverbots zu er­ schließen.22 Eine restriktive Herangehensweise bedarf zudem insoweit näherer Be­ gründung, als Einwilligung und Einverständnis im Strafrecht durchaus weit ausge­ legt werden.23 Selbstverständlich muss die Bewertung einer Handlung im auf Scha­ densersatz bzw. Unterlassung ausgerichteten Deliktsrecht nicht zwingend mit dem repressiv an der Schuld orientierten Strafrecht übereinstimmen.24 Denn im öffentli­ chen Recht können ordnungspolitische Gesichtspunkte eine Bestrafung erfordern, die im Zivilrecht grundsätzlich irrelevant sind. Ohne Not sollte freilich die „Einheit der Rechtsordnung“ nicht aufgegegeben werden, ein Verhalten als „zivilrechtlich rechtmäßig“ aber „strafrechtlich verboten“ zu qualifizieren ist im Hinblick auf die Rechtsnatur des Strafrechts als „ultima ratio“ bedenklich.25 Im Ergebnis wird daher eine zivilrechtlich wirksame Einwilligung stets auch eine wirksame Einwilligung im Sinne des Strafrechts darstellen, während das Strafrecht durchaus weitergehend ei­ nen Ausschluss der Haftung bejahen darf. Bedeutung erlangt dies namentlich beim „Handeln auf eigene Gefahr“, wo im Zivilrecht eine Haftungsminderung im Sinne von §  254 BGB einen Interessenausgleich gewährleistet, der durch schlichte Strafzu­ messung nicht in gleicher Weise möglich ist.

Wagner, §  229 BGB Rn.  1; Prütting/Wegen/Weinreich/Deppenkemper, §  229 BGB Rn.  1; Soergel/ Fahse, §  229 BGB Rn.  2; Staudinger/Repgen, §  229 BGB Rn.  5, 23; Jauernig/Jauernig, §§  229–231 BGB Rn.  10; Palandt/Ellenberger, §  229 BGB Rn.  1. 19  Siehe allein Schünemann, S.  150, Fn.  5: „Da die h.M. weitgehend ohne Begründungen auszu­ kommen glaubt […], wird man ihre Autorität gegenüber anderslautenden, freilich ebenfalls begrün­ dungsarmen Stimmen insbesondere aus dem älteren Schrifttum […] nicht allzu hoch veranschlagen dürfen.“ 20  Oben Einleitung A, S. 4; §  1A.I, S. 32. 21  Da Art.  2 Abs.  1 GG auch Grundlage der Vertragsautonomie ist (BVerfGE 8, 274, 328; ­BVerfGE 50, 290, 366) müssen Ausnahmen der grundsätzlichen Verbindlichkeit von freiwillig geschlossenen Verträgen besonders begründet werden; Maunz/Dürig/Di Fabio, Art.  2 Abs.  1 GG Rn.  102; Canaris, JZ 1987, 993, 995 ff.; BverfG NJW 1996, 2021; Baer, ZRP 2002, 290, 290; gegen eine „öffentlich-recht­ liche Legitimierung“ freilich MüKo-BGB/Säcker, Einl. Rn.  63; im Einzelnen Hanau, passim. 22  Siehe bereits Wendt, S.  2 . 23  Dazu MüKo-StGB/Schlehofer, Vor §§  32 ff. StGB Rn.  126 ff., 135. 24  Ohly, FS Jakobs, S.  451, 108 ff.; Resch, S.  31 ff. (zum österreichischen Recht); anders freilich OLG München NJW 1958, 633; grundlegend Kirchhof, S.  8 ff.; aus der strafrechtlichen Literatur na­ mentlich Günther, passim; Roxin, §  14 Rn.  35 ff. (gegen BGHSt 11, 241, 244; Engisch/Kaufmann, S.  48 ff.). 25  Zitelmann, AcP 99 (1906), 1, 56; Kohte, AcP 185 (1985), 105, 158.

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

1.  Erweiterung der Selbsthilfevoraussetzungen zugunsten des Gläubigers Praktisch ist das Bedürfnis nach tatbestandlichen Erweiterungen des §  229 BGB groß. So liegt es für den Gläubiger nahe, zumindest die einen Erlaubnis- bzw. Erlaub­ nistatbestandsirrtum ausschließende Haftung nach §  231 BGB26 abzubedingen und damit die Putativselbsthilfe zu ermöglichen. Dann wären Irrtümer über die Recht­ fertigung nach den allgemeinen Regeln nur beachtlich, wenn sie auf Fahrlässigkeit beruhen.27 Die verhaltenssteuernde Wirkung der verschuldensunabhängigen Haf­ tung würde also entfallen. Weitergehend könnte man auch die im Einzelfall mit Un­ sicherheiten verbundene Anknüpfung an die konkrete Gefahr durch eine Frist bzw. einen Termin oder eine objektiv eindeutig festzustellende Bedingung ersetzen. So liegt es nahe, eine Wegnahme einer unter Eigentumsvorbehalt übereigneten Sache bei unterbliebener Zahlung innerhalb einer zweiwöchigen Frist zu erlauben. Dabei ist eine Einwilligung in Eingriffe generell möglich. Würde man Vereinba­ rungen, die einen Eingriff in fremde Rechte erlauben, generell verbieten, wäre eine zivilisierte Rechtsordnung kaum vorstellbar. Nicht nur ärztliche Heileingriffe,28 sondern auch alltägliche Handlungen, wie das Entnehmen von Ware aus einem Su­ permarktregal oder das Einsteigen in einen Bus erfolgen im Vertrauen auf die Gültig­ keit der diesbezüglich eingeräumten Befugnis. Tatsächlich zeichnen sich etwa der Miet- oder Leihvertrag gerade dadurch aus, dass der Vermieter auf den unmittelba­ ren Besitz zugunsten des Mieters verzichtet:29 Die hier rechtstechnisch angenom­ mene Übertragung des Besitzes ist letztlich nur eine verschärfte Form einer unbe­ schränkten Einwilligung. Die insoweit fließende Grenze zeigt der vorübergehende Aufenthalt einer Person auf einer Parkbank, der Benutzung von Besteck durch einen Restaurantgast oder die Aushändigung von Gegenständen zur näheren Betrachtung. In all diesen Fällen soll nach herrschender Meinung trotz scheinbar vorhandener tatsächlicher Sachherrschaft kein Besitz entstehen. Die herrschende Meinung be­ gründet dies damit, dass Besitz eine „gewisse Dauer“ voraussetzt.30 Die Gegenan­ sicht stellt auf das Fortbestehen einer vorgefundenen Besitzsphäre ab, die nicht durch schlichtes Vorlegen oder Übergeben von Gegenständen beeinträchtigt wird.31 Da­ mit erlangt derjenige, der sich in einem fremden Gebäude als Gast aufhält weder am gesamten Gebäude (Allein-)Besitz noch an der Fläche, die er mit seinem Körper be­ legt. Der unmittelbare Besitz wird also anders als bei der Miete einer Wohnung, eines 26 

Oben §  1C.III.3, S. 179. Oben §  1C, S. 164. 28  Dazu im Detail MüKo-BGB/Wagner, §  823 BGB Rn.  725 ff.; BeckOK-BGB/Förster, §  823 BGB Rn.  822 ff.; siehe auch RGZ 88, 433, 436; BGH NJW 1974, 604; OLG Stuttgart NJW-RR 2011, 747; Spickhoff, NJW 2006, 2075. 29  Siehe dazu nur Weber, S.  81 ff. 30  RGZ 74, 146, 149; BGH NJW 1998, 1000; Palandt/Bassenge, §  854 BGB Rn.  3; NK-BGB/Hoeren, §  854 BGB Rn.  6; Erman/Lorenz, §  854 BGB Rn.  3a; freilich ist die konkrete Mindestdauer nicht definiert, so dass etwa OLG München NJW 1970, 667 zehn Minuten nicht als hinreichend erachtet. 31 Staudinger/Gutzeit, §   854 BGB Rn.  5; MüKo-BGB/Joost, §  854 BGB Rn.  12; BeckOK-BGB/ Fritzsche, §  854 BGB Rn.  23. 27 

A.  Einwilligung, mutmaßliche Einwilligung und Geschäftsführung ohne Auftrag

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PKW oder eines Geschäftsraums nicht berührt. Das strafrechtliche Schrifttum geht daher davon aus, dass jedenfalls bei „Gütern mit einem geringen Persönlichkeitsbe­ zug und bei Vermögensgütern“ eine längerwirkende rechtsgeschäftliche Bindung selbstverständlich erlaubt ist.32 Die Mehrzahl der Austauschverträge bezieht sich auf reine „Vermögensgüter“, so dass vor diesem Hintergrund eine Einwilligung in Selbst­ hilfemaßnahmen eigentlich unproblematisch sein müsste. Dennoch werden Vereinbarungen, durch die eine eigenmächtige Anspruchssiche­ rung bzw. ‑durchsetzung außerhalb der Voraussetzungen des §  229 BGB erlaubt wer­ den, skeptisch beurteilt. Diese restriktive Haltung findet sich namentlich in den Kommentierungen zu §  229 BGB, bei denen einheitlich festgestellt wird, dass eine Ausweitung der Selbsthilfebefugnis durch Vereinbarung ausgeschlossen sei.33 Da­ mit sind vor allem Verträge gemeint, durch welche die Frage geregelt wird, zu wel­ chem Zeitpunkt bzw. unter welchen Voraussetzungen Selbsthilfehandlungen verübt werden dürfen.34 Zur Begründung wird auf die nach allgemeiner Ansicht geltenden Unwirksamkeit von Vereinbarungen, durch welche die Voraussetzungen der staatlichen Zwangsvollstreckung zum Nachteil des Schuldners herabgesetzt werden sollen, verwiesen.35 Allerdings ist die Selbsthilfe des §  229 BGB nach der gesetzgeberischen Konzeption gerade nicht als Vollstreckungsmechanismus ausgestaltet, sondern der staatlichen Durchsetzung vorgelagert. Da die für staatliche Maßnahmen geltenden Voraussetzungen für private Rechtssubjekte nicht gelten und nach den Gesetzesma­ terialien auch nicht gelten sollen,36 ist die Wertungsparallele jedenfalls nicht hinrei­ chend, um ein Verbot entsprechender Vereinbarungen zu begründen. a)  Vorweggenommene Einwilligung und verbotene Eigenmacht (§  858 BGB) Ein Beispiel für eine die Selbsthilfe tatbestandlich erweiternde Vereinbarung enthält ein in allen einschlägigen Kommentierungen als maßgeblich zitierter Fall des Reichs­ gerichts.37 V hatte K ein Auto unter Eigentumsvorbehalt verkauft, der aber keine einzige Kaufpreisrate beglichen hatte. Als K einige Monate später auf dem Hof des V parkte, erklärte V den Rücktritt vom Kaufvertrag und untersagte K, sein Auto von 32 Schönke/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben,

Vor §§  32 ff. StGB Rn.  53; Weber, S.  86 ff. §  229 BGB Rn.  1; Staudinger/Repgen, §  229 BGB Rn.  5; Jauernig/Jauernig, §§  229–231 BGB Rn.  6; Erman/Wagner, §  229 BGB Rn.  1; Soergel/Fahse, §  229 BGB Rn.  2; siehe auch Weber, S.  109 ff.; wohl anders BeckOK-BGB/Dennhardt, §  229 BGB Rn.  1. 34  Unklar BeckOK-BGB/Dennhardt, §  229 BGB Rn.  1, der „in zeitlicher wie sachlicher Hinsicht – Vereinbarungen, die die Voraussetzungen der Selbsthilfe verschärfen“ für zulässig erachtet. 35 Musielak/Voit/Lackmann, Vor §  704 – §  802 ZPO Rn.  17; MüKo-ZPO/Rauscher, Einleitung ZPO Rn.  4 44. 36  Mugdan I, S.  547 = Mot. I, S.  354: „Es kann nicht anerkannt werden, dass die Schranken, wel­ che dem Gerichte in der fraglichen Beziehung auferlegt sind, zur Übertragung auf die Selbsthilfe sich eignen, deren Hauptbedeutung auf dem Gebiete derjenigen Fälle zu suchen ist, in welchen au­ genblicklich gehandelt werden muss, so dass zur Erreichung des Zweckes ein Eingreifen nötig wer­ den kann, welches nach der Natur der Dinge der gerichtlichen Anordnung sich entzieht.“; oben §  1A.V.2, S. 140. 37  RGZ 131, 213, 222 f. 33 MüKo-BGB/Grothe,

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

seinem Grundstück zu entfernen. Der herbeigerufene Polizist wies V zur Herausgabe des Fahrzeugs an; in der Folge verschwand K spurlos. Die Gerichte sollten nun über die Staatshaftung des Beamten befinden, der die Herausgabe an den zahlungsunwil­ ligen (und wie man zwischenzeitlich erkannt hatte auch wenig seriösen) Käufers er­ zwungen hatte. Das Reichsgericht wies die Klage ab, da das vom Beamten herbeigeführte Ergebnis der Rechtslage entsprach. Die Begründung war dabei so einfach wie einleuchtend: Der Herausgabeanspruch des K ergab sich aus possessorischem Besitzschutz nach §§  861, 858 BGB. Unabhängig von rechtsgeschäftlichen Abreden im Vorhinein ist für die hierfür erforderliche verbotene Eigenmacht aber ausschließlich der tatsächliche Wille im Zeitpunkt der Besitzverletzung maßgeblich. Tatsächlich wäre K nach §  859 BGB sogar seinerseits zur „Gewalt“ berechtigt gewesen. Vor Gericht hätte K freilich im Ergebnis die Herausgabe des PKW nicht erfolgreich durchsetzen können. Dem Anspruch des V aus §  985 BGB bzw. aus §  1007 BGB steht nach dem Rücktritt kein Recht zum Besitz mehr entgegen.38 Einem Anspruch aus §  861 BGB kann zwar nach §  863 BGB das „bessere“ Recht des Eigentümers weder direkt noch über den Umweg einer im Rahmen von §  242 BGB erhobenen Einrede widersprüchlichen Verhaltens (dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est) entgegengehalten werden.39 Die Ge­ richtspraxis korrigiert dieses im Hinblick auf die Prozessökonomie (separate Verfah­ ren, Rückgabe des herauszugebenden Gegenstandes) im Regelfall nicht wünschens­ werte Ergebnis allerdings, indem eine Widerklage aus dem Besitzrecht zugelassen wird.40 Einen vollstreckbaren Titel auf Herausgabe des Autos soll K daher nicht er­ langen können, soweit beide Klagen gleichzeitig entscheidungsreif werden.41 Soweit der Sachverhalt wie in der vom Reichsgericht entschiedenen Konstellation eindeutig ist und eine Beweiserhebung nicht erforderlich ist, wäre also der Herausgabean­ spruch bei gleichzeitiger oder sogar vorheriger Klageerhebung bzw. Beantragung einstweiligen Rechtsschutzes durch den Verkäufer nicht staatlich erzwingbar. Trotz dieser aus ex post-Sicht klaren Rechtslage verwehrt die Rechtsordnung V jedoch die Befugnis, den PKW auf seinem Grundstück gegen den Willen des K festzusetzen. Es handelt sich bei §  859 BGB um einen neben die gerichtliche Durchsetzung possesso­ 38 

BGHZ 34, 191; MüKo-BGB/Westermann, §  4 49 BGB Rn.  30. Saarbrücken MDR 2007, 510; MüKo-BGB/Joost, §  863 BGB Rn.  7; Staudinger/Gutzeit, §  863 BGB Rn.  4. 40  BGHZ 53, 166, 169 f.; BGHZ 73, 355, 357 ff.; BGH NJW 1999, 425, 427; Soergel/Stadler, §  863 BGB Rn.  4; Palandt/Bassenge, §  863 BGB Rn.  3; MüKo-BGB/Joost, §  863 BGB Rn.  9 (unter dem Vor­ behalt, dass die Frage der Widerklage die Entscheidung der Besitzschutzklage nicht verzögern darf, insbesondere also keine Beweiserhebung zur Widerklage zulässig ist); aA Gursky, JZ 1984, 604, 605; Staudinger/Gutzeit, §  863 BGB Rn.  8: „So wird dem dinglich oder obligatorisch zum Besitz Berech­ tigten, der über ein schlagkräftiges Rollkommando verfügt und daher auch die Rechte des Besitzers aus §  859 nicht sehr fürchtet, ein Anreiz zu illegaler Selbsthilfe geboten.“ 41  BGHZ 73, 355, 357 ff.; BGH NJW 1979, 1359, 1360; zum einstweiligen Rechtsschutz siehe OLG Stuttgart NJW 2012, 625; ablehnend insoweit auch MüKo-BGB/Joost, §  863 BGB Rn.  10, der im Regelfall beiden Klagen stattgeben will und eine Ausnahme nur bei gleichzeitiger Rechtskraft beider Entscheidungen vorsieht. 39  OLG

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rischer Besitzansprüche (§§  861, 863 BGB) tretenden Fall der „kumulativen Selbsthil­ fe“, der hier sogar noch nicht einmal akzessorisch zur staatlichen Rechtsdurchset­ zung ist.42 Diesbezüglich kann allenfalls mit der Verhinderung von Exzessen und der Wahrung des Friedens argumentiert werden, die freilich auch für eine staatliche Sanktionierung durch Bejahung des Herausgabeverlangens sprechen würden. Die Anknüpfung an die tatsächliche Sachherrschaft schafft in erheblichem Um­ fang Rechtsklarheit.43 Das Erfordernis, dass der unmittelbare Besitzer auch im Zeitpunkt der Eingriffshandlung mit dieser einverstanden sein muss und ihm ein Abwehrrecht einräumt, verlagert den Streit um Berechtigungen auf einen späteren Zeitpunkt. Durch den Ausschluss diesbezüglicher Vereinbarungen wird vor allem für außenstehende Dritte, die zur Streitbeilegung herangezogen werden, Sicherheit geschaffen. Eine Prüfung etwaiger relativer Rechte entfällt, vielmehr ist ausschließ­ lich die nach außen erkennbare Sachherrschaft maßgeblich. Auch bei wechselseitiger Gewaltanwendung wird so ausgeschlossen, dass sich beide Seiten auf ein ihnen ver­ meintlich zustehendes Recht berufen können, da die tatsächliche Lage anders als der rechtliche Rahmen eindeutig bestimmt ist. Über den unmittelbaren Besitz hinaus lässt sich dieser Gesichtspunkt auch für die körperliche Integrität anführen. Trotz entsprechender Einwilligung bleibt es dem Patienten bis zum letzten Moment unbe­ nommen, sich einem ärztlichen Eingriff zu entziehen.44 Bemerkenswerterweise war §  229 BGB im Fall des Reichsgerichts nicht streitent­ scheidend. Denn es stand nicht das Verbot einer die gesetzliche Selbsthilfe erweitern­ den Vereinbarung zur Diskussion, sondern nur die Frage, inwieweit eine Einwilli­ gung in eine Sachentziehung vorweggenommen werden kann und so verbotene Eigen­macht (§  858 BGB) ausgeschlossen wird.45 Hätte der Käufer die Weigerung des Verkäufers, ihm das Fahrzeug herauszugeben, schlicht hingenommen, wäre ein spä­ terer Schadensersatzanspruch wegen der Vorenthaltung aus §  823 Abs.  1 BGB oder §§  280 Abs.  1, Abs.  3, 281 BGB ausgeschlossen. Weil die Voraussetzungen des §  229 BGB nicht vorlagen, war also nur zu prüfen, ob eine wirksame Einwilligung im Zeit­ punkt der Wegnahme vorlag. Eine Sperrwirkung des §  229 BGB lässt sich der Ent­ scheidung nicht entnehmen. b)  Unwirksamkeit von Selbsthilfe erweiternden Klauseln Sicherlich lassen sich Wegnahmerechte (siehe nur §  854 Abs.  2 BGB), aber auch kör­ perliche Eingriffe (insb. ärztliche Heilbehandlungen) zum Gegenstand vertraglicher Vereinbarungen machen. Soweit in solchen Pflichten nicht im Einzelfall ein Verstoß gegen ein konkretes gesetzliches Verbot (z. B. Organhandel) oder die guten Sitten 42 

Näher §  3B.I, S. 330. Zur tatsächlichen Sachherrschaft als Publizitätsmechanismus unten §  3B.II.2, S. 340. 44  BGH NJW 1980, 1903 f.; MüKo-BGB/Wagner, §  823 BGB Rn.  730. 45  RGZ 146, 182, 186; BayObLG NJW-RR 1998, 876; OLG Brandenburg MDR 1998, 401, 402; MüKo-BGB/Joost, §  858 BGB Rn.  7; BeckOK-BGB/Fritzsche, §  858 BGB Rn.  17; Löwisch/Rieble, NJW 1994, 2596. 43 

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

(vgl. §  230 StGB) liegt, entstehen so einklagbare Pflichten. Ausgeschlossen werden soll nun aber ausdrücklich deren Durchsetzung ohne vorherigen Titel und Einsatz der gesetzlich bestimmten Zwangsmittel (Wegnahme durch den Gerichtsvollzieher, §  808 Abs.  1 ZPO, Durchsetzung von Handlungen durch Zwangsgeld bzw. Zwangs­ haft, §  888 ZPO und Erzwingung von Unterlassungen durch Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft, §  893 ZPO). „Rechte“ sind also nicht etwa „self-enforcing“, sondern bedürfen grundsätzlich des Einsatzes staatlicher Organe. In einer weiteren Entscheidung des Reichsgerichts46 ging es um die Wirksamkeit von Darlehensverträgen, die zur Finanzierung eines gewerblichen PKW-Verkaufs abgeschlossen worden waren. Diese sahen neben der Sicherungsübereignung des PKW auch ein Verbot jeglicher Verfügungen, des Verleihs sowie der Vermietung des PKW vor. Bei Zuwiderhandlung oder auch nur einem entsprechenden Versuch sowie bei sonstigen Pflichtverletzungen, insbesondere Zahlungsverzug, sollte nicht nur das Darlehen sofort fällig werden, sondern die Darlehensgeberin zur Rückforderung des PKW berechtigt sein. Der Vertrag sah vor, dass sie berechtigt sei, sich den „Besitz auch selbst zu verschaffen, ohne dass darin verbotene Eigenmacht liege“.

Im konkreten Fall wurde dieses Selbsthilferecht zwar nicht ausgeübt; jedoch hatte das Kammergericht in Abweichung von der Entscheidung des Landgerichts eine Zahlungsklage der Darlehensgeberin auf Begleichung nicht erbrachter Monatsraten wegen Sittenwidrigkeit des gesamten Vertrages (der noch einige weitere für den Dar­ lehensnehmer nachteilige Bestimmungen enthielt) abgewiesen. Die Entscheidung des Reichsgerichts betonte vor allem, dass die Unwirksamkeit einzelner Regelungen nicht zwingend die Unwirksamkeit des Gesamtvertrages zur Folge haben muss. Zu der hier interessierenden Klausel finden sich daher nur recht knappe Ausfüh­ rungen: „Sofern eine solche Abrede überhaupt für zulässig erachtet werden könnte, wäre sie doch nur im Sinne der Einräumung eines Anspruchs auf Duldung der Selbsthilfehandlung möglich, dessen Geltendmachung aber den allgemeinen Grundsätzen unterstände. Er müsste also re­ gelmäßig im Wege der Klage und Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden, soweit nicht im Einzelfall die Voraussetzungen des §  229 BGB zutreffen würden. Es liegt auf der Hand, dass dann auch diese Klausel ganz wesentlich an Schärfe verliert.“

Diese Argumentation ist vor dem Hintergrund des an die rein faktische Stellung des unmittelbaren Besitzers sicher nachvollziehbar. Aber sobald der unmittelbare Besit­ zer diesen an einen Dritten übertragen hat, verliert er diese Schutzposition selbst dann, wenn er selbst mittelbarer Besitzer (etwa Vermieter) bleibt. Im Fall des gepark­ ten PKW war noch eine Korrektur durch die Verkehrsanschauung möglich (kein Besitzverlust durch bloßes Abstellen im Parkhaus), hier war sogar ein weitergehendes Eindringen in die Herrschaftssphäre des Finanzierungskäufers erforderlich.

46 

RGZ 131, 213 ff.

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Bei Rechtspositionen ohne entsprechenden tatsächlichen Anknüpfungspunkt bringt die Argumentation des Reichsgerichts hingegen keine Klärung. Schon beim mittelbaren Besitz fehlt es an einer entsprechenden Ausgangslage.47 Soweit der be­ troffene Gegenstand sich bereits in der Hand des Schuldners befindet, ist Gegenwehr nicht zu erwarten. Die mit exzessiver Selbsthilfe verbundene Gefahr wechselseitiger Überschreitungen besteht daher nicht. Einer besonderen Vollstreckung der Dul­ dungspflicht bedarf es nicht, wenn der Adressat der Handlung die Maßnahme ohne­ hin nicht verhindern kann. Bei vielen Rechtsgütern, die unstreitig vom Notwehr­ recht erfasst sind, begegnet die Konzeption einer erzwingungsbedürftigen Dul­ dungspflicht Bedenken. So fehlen bei der persönlichen Ehre oder dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gerade Abwehrmöglichkeiten oder Mitwirkungspflichten des Opfers, die einer zwangsweisen Vollstreckung bedürften.48 Dementsprechend ist etwa eine Einwilligung in die Mitwirkung an einer Reality-Fernsehsendung grund­ sätzlich nach Aufzeichnung nicht mehr widerruflich.49 Unabhängig davon befindet sich aber das Filmmaterial bereits beim Sender, so dass die Ausstrahlung keiner wei­ teren Eingriffshandlungen bedarf. Eine Vollstreckung kann daher in diesen Fällen nur gegen den Sender (als Gläubiger der Einwilligung) erfolgen, eine Duldungspflicht der gefilmten Personen ist nicht mehr erforderlich. Einen anderen Gesichtspunkt brachten die beiden Entscheidungen des Bundesge­ richtshofs zur Taschendurchsuchung im Supermarkt auf,50 für die allerdings der gegenüber §  138 BGB strengere Maßstab der AGB-Inhaltskontrolle (§  307 BGB)51 eingriff. Auf einem Schild wurden die Kunden „höflich gebeten“, ihre Taschen vor Betreten des Ladens abzugeben, und gewarnt, dass man im Fall des Nichtbefolgens des Hinweises „an den Kassen gegebenenfalls Taschenkontrollen durchführen“ müs­ se. Im ersten Rechtsstreit zu dieser Konstellation entschied der BGH, dass allein auf­ grund der Nichteinhaltung dieser Regeln ein Hausverbot für eine Kundin nicht er­ teilt werden dürfe. In einem davon unabhängigen, von einem Verbraucherschutzver­ band geführten zweiten Rechtsstreit, interpretierte er die Erklärung hinsichtlich der Durchsuchung als Allgemeine Geschäftsbedingung des Supermarktbetreibers, die auch wirksam einbezogen wurde. Jedoch hielt die Regelung der Inhaltskontrolle (§  307 BGB) nicht stand. Als Maßstab zog der BGH zunächst die Befugnisnormen für staatliche Eingriffe heran, die stets konkrete Verdachtsmomente voraussetzen. Erst in einem zweiten Schritt wurde auf die privatrechtlichen Rechtfertigungsgründe, 47 

Siehe nur KG ZMR 2000, 818, 819 f. verlangten frühe Strafrechtsordnungen für Notwehr „Gewalt“, siehe dazu nur ­Digesten 43, 16, 1 („vim vi repellere non licet“) und §  518 II 20 ALR; siehe Weber, S.  129. 49  LG Bielefeld NJW-RR 2008, 715 (Unterlassungsanspruch der mitgefilmten Tochter bei der „Supernanny“ verneint); LG Berlin ZM-RD 2012, 595 (Unterlassungsverfügung wegen entstellender Nachbearbeitung bei „Frauentausch“ bejaht; aber Schadensersatzanspruch wegen Zustimmung zu den Filmaufnahmen verneint). 50  BGHZ 124, 39; BGHZ 133, 184. 51  Fastrich, S.  310; Staudinger/Sack/Fischinger, §  138 Rn.  189 f.; Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 1. 48  Tatsächlich

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§  229 BGB und §  127 Abs.  1 StPO, verwiesen, die aus Sicht des BGH sogar strengeren Anforderungen genügen müssen. Im Ergebnis wurde also darauf abgestellt, dass je­ denfalls durch Allgemeine Geschäftsbedingungen keine Befugnisse geschaffen wer­ den könnten, die über diejenigen staatlicher Stellen hinausgehen. Dieses Ergebnis vermag aber nur bedingt zu überzeugen. Zwar wird das Öffnen der Tasche in der Tat zumeist als unverhältnismäßiger Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht abgelehnt.52 Jedoch wird das im Hinblick auf die Argumenta­ tion des BGH ähnlich zu beurteilende Kontrollieren der Taschen mittels eines Durchleuchtungsgeräts etwa im Rahmen der Teilnahme an einer Hauptversamm­ lung als zulässig erachtet.53 In ähnlicher Weise wird auch dem Arbeitgeber eine Durchsuchung der Taschen seiner Mitarbeiter in weitem Umfang erlaubt.54 Darü­ ber hinaus sind unabhängig von vertraglichen Regelungen technische Maßnahmen zulässig, durch welche die Entfernung von Waren aus den Geschäftsräumen verhin­ dert wird.55 Bei den genannten Maßnahmen besteht aber ähnlich wie bei der Ta­ schenkontrolle die Gefahr von Fehlalarmen, die rufschädigende Wirkungen haben. Schließlich führt die Anknüpfung an die staatlichen Befugnisse auch zu einer er­ heblichen Einschränkung der Vertragsfreiheit. Grundsätzlich steht es im Rahmen des Hausrechts frei, einzelne Personen nicht zuzulassen oder Kriterien für die Zulas­ sung zu bestimmen, die nicht nur an äußere Merkmale, sondern auch an das Verhal­ ten anknüpfen. Eine Beschränkung auf Merkmale, die der Staat anwenden dürfte, ist insoweit weder mit der Eigentumsfreiheit (Art.  14 Abs.  1 GG) noch mit der Vertrags­ freiheit vereinbar. Zudem widerspricht sie auch den Wertungen des historischen Ge­ setzgebers bei Schaffung der §§  229, 230 BGB, der dem Bürger gerade nicht die Ein­ haltung der Schranken staatlichen Handelns aufbürden wollte.56 Die den Entschei­ dungen zugrundeliegende Wertung lässt sich daher nicht verallgemeinern.

52  Siehe aber VG Düsseldorf BeckRS 2011, 49191 zu einer Durchsuchungsanordnung bei einer gewaltverdächtigen Versammlung; EGMR v. 12.1.2010, 4158/05 Nr.  64 f, 87 – Gillan u. Quinton/ Vereinigtes Königreich zu Durchsuchungen am Flughafen. 53  OLG Frankfurt NZG 2007, 310. 54  OLG Hamm NJW 1977, 590. 55  Allerdings sind der Videoüberwachung wiederum Grenzen gesetzt, siehe etwa AG Hamburg BeckRS 2008, 24175: „Anders als in den Bereichen des Tresens oder der Regale, an denen sich die Kunden in der Regel nur kurzfristig zur Besorgung der gewünschten Produkte aufhalten, werden die Persönlichkeitsrechte der sich in den Sitzbereichen länger aufhaltenden Kunden durch eine ständige Videoüberwachung erheblich beeinträchtigt. Diese Rechtsverletzungen wiegen schwerer als die Interessen der Beklagten an einer effektiven Strafverfolgung in ihren Filialen.“ 56  Mugdan I, S.  547 = Mot. I, S.  354: „Es kann nicht anerkannt werden, dass die Schranken, wel­ che dem Gerichte in der fraglichen Beziehung auferlegt sind, zur Übertragung auf die Selbsthilfe sich eignen, deren Hauptbedeutung auf dem Gebiete derjenigen Fälle zu suchen ist, in welchen au­ genblicklich gehandelt werden muss, so dass zur Erreichung des Zweckes ein Eingreifen nötig wer­ den kann, welches nach der Natur der Dinge der gerichtlichen Anordnung sich entzieht.“

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c)  Haftung für Maßnahmen aufgrund unwirksamer vertraglicher Selbsthilferegelungen Damit ist die Frage nach der Möglichkeit einer Einwilligung als Grundlage für Selbsthilfemaßnahmen aber noch nicht abschließend beantwortet. Man könnte statt von tatbestandlicher Seite an die Problematik heranzugehen auch geneigt sein, die Rechtsfolge zu korrigieren: Da verbotene Selbsthilfe rechtswidrig ist, löst sie primär Schadensersatzansprüche aus. Es ist aber unstreitig, dass man auf solche Ansprüche jedenfalls im Rahmen von §  276 Abs.  3 BGB und §  309 Nr.  7 BGB auch im Vorhinein verzichten kann. Damit bliebe der Eingriff folgenlos und die Selbsthilfe wäre letztlich über diesen Umweg doch möglich. Die geschilderten Entscheidungen des Reichsgerichts mussten sich mit der Proble­ matik der Schadensersatzhaftung des irrig aufgrund der Einwilligung Handelnden nicht beschäftigen. Soweit ersichtlich wurde diese Problematik erstmals durch den BGH im Jahre 1977 erörtert.57 Im damals entschiedenen Fall hatte die Mieterin ei­ nes Theatersaals Dekorationen in einem selbst errichteten Hofschuppen unterge­ bracht. Der zugrundeliegende Vertrag sah vor, dass die Vermieterin berechtigt sein sollte, den bei Rückgabe geschuldeten Zustand „auf Kosten des Mieters ohne Ab­ mahnung herzustellen“. Das OLG verstand hierunter ebenso wie die Klägerin insbe­ sondere die Entfernung des Mobiliars und den Abriss des Schuppens. Nachdem ab Juli 1967 keine Miete gezahlt wurde, wurde das Mietverhältnis mit Einschreiben vom 20.9. mit sofortiger Wirkung gekündigt. Am 16.10. wurde die Beklagte aufgefor­ dert, innerhalb einer Woche ihre Sachen zu entfernen. Trotz Bitte um Räumungsauf­ schub ließ die Vermieterin den Schuppen abreißen und die darin lagernden Dekora­ tionen auf einer freien Stelle des Hofes lagern. Am 11.1. des Folgejahres stellte die ehemalige Mieterin fest, dass ihre Dekorationen zwischenzeitlich unbrauchbar ge­ worden waren und verlangte Schadensersatz. Unter Verweis auf die oben erwähnten Entscheidungen des Reichsgerichts stellte der BGH klar, dass in jedem Fall im Zeit­ punkt des Abrisses keine Einwilligung mehr vorlag. In der Folge bejahte er dann ei­ nen Schadensersatzanspruch aus §  231 BGB. Die Vorstellung, dass die Klausel ein Eingriffsrecht begründet, sei als Erweiterung des §  229 BGB selbst dann irrelevant, wenn der Irrtum unvermeidbar sei. Die Anwendung des §  231 BGB auf Fälle, in denen sich die Eingriffsbefugnis aus einer vertraglichen Vereinbarung oder zumindest aus einer einseitigen Einwilli­ gungserklärung ergibt, überzeugt nicht. Nach allgemeinen Regeln führt der Irrtum über das Vorliegen einer wirksamen Einwilligung nur dann zu einer Schadensersatz­ pflicht, wenn der Irrtum auf einem Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt beruht.58 Nun könnte man vermuten, dass jedenfalls bei einer der in §  229 BGB ausdrücklich genannten Tatmodalitäten, d. h. der Wegnahme, Zerstörung oder 57 

BGH NJW 1977, 1818. Siehe nur BGH GRUR 1962, 211 – Hochzeitsbild zum Recht am eigenen Bild; LG Köln NJW 1995, 1621 zu ungenehmigten HIV-Tests. 58 

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Beschädigung von Sachen, der Festnahme von Personen und der Überwindung von Widerstand jeder Irrtum im Hinblick auf die Rechtswidrigkeit unbeachtlich sein soll. Dies vermag aber schon deshalb nicht zu überzeugen, weil eine Wegnahme auf­ grund von Putativnotwehr nach allgemeiner Ansicht nur bei Fahrlässigkeit eine Haf­ tung auslösen soll.59 Ebenso würde niemand umfassend vertragliche Wegnahmeoder Aneignungsrechte vor dem Maßstab des §  229 BGB beurteilen. Nur weil sich jemand in den Besitz einer Sache versetzen kann, liegt nicht zwingend eine die Haf­ tung nach §  231 BGB auslösende Erweiterung des §  229 BGB vor.60 Nach §  854 Abs.  2 BGB ist die reine Einigung sogar eine ausdrücklich zugelassene Methode der Besitzübertragung, soweit der Erwerber bereits „in der Lage ist, die Gewalt über die Sache auszuüben“. Insoweit würde die Annahme des BGH also ausschließlich Fälle betreffen, in denen der Berechtigte physischen Widerstand des jetzigen Berechtigten erwarten müsste, also noch nicht selbstständig Sachherrschaft ausüben kann. Das Kernargument des BGH ist, dass §  231 BGB jegliche Handlung zur Sicherung oder Durchsetzung eigener Rechte als Handeln auf eigene Gefahr qualifiziere. Daher falle unter die Regelung „auch der Irrtum darüber, daß aus Gründen, die nicht in §  229 BGB aufgeführt sind, das Recht besteht, zum Zwecke der Selbsthilfe eine Sache wegzunehmen, zu zerstören oder zu beschädigen“.61 Dies bedeutet, dass die ver­ traglichen Vereinbarungen per se als unwirksam und deshalb als für die Beurteilung irrelevant qualifiziert werden, so dass zwingend auf §  229 BGB als Generalklausel und, soweit dessen Voraussetzungen wie im Regelfall nicht vorliegen, auf die Haf­ tung nach §  231 BGB zurückgegriffen werden muss. Nun können aber auch unwirk­ same Vereinbarungen einen Rechtsschein begründen, auf den ein Rechtsunkundiger vertrauen darf. In den vom BGH zu entscheidenden Fällen ging es freilich um nicht unerhebliche Vermögenswerte, so dass vorher rechtlicher Rat hätte eingeholt werden müssen und daher auch Fahrlässigkeit zu bejahen wäre.62 Daher erreicht man in Fällen „kalter Räumung“ auch unabhängig von §  231 BGB eine Haftung des Räu­ menden.63 59 

BGH NJW 1976, 42; Staudinger/Repgen, §  227 BGB Rn.  79; Soergel/Fahse, §  227 BGB Rn.  49. Zum Begriff der (ungerechtfertigten) Selbsthilfe in §  231 BGB und der Abgrenzung zum all­ gemeinen Deliktsrecht oben §  1C.III.1, S. 171; §  1A, S. 30. 61  BGH NJW 1977, 1818. 62  Allgemein zu Erkundigungspflichten BGH NJW 1970, 463, 464; MüKo-BGB/Grundmann, §  276 BGB Rn.  73; BeckOK-BGB/Unberath, §  276 Rn.  30; eine solche Erkundigungspflicht wurde in BGHZ 7, 302, 307 sogar als einer Hinterlegung nach §  372 BGB vorrangig erachtet – was freilich in der Literatur scharf kritisiert wird, Staudinger/Olzen, §  372 Rn.  18 f.; MüKo-BGB/Fetzer, §  372 BGB Rn.  12; zu Erkundigungspflichten bei Eingriffen in fremde Rechte aufgrund einer Einwilligung sie­ he OLG Brandenburg BeckRS 2010, 31098; OLG Düsseldorf BeckRS 2009, 23450: „Immer wenn eine Person einen mittelbaren oder unmittelbaren Eingriff in die Rechtssphäre einer anderen Person in Erwägung zieht und sich dazu aufgrund einer Einwilligung berechtigt sehen will, hat er sich auch nach allgemeinem Sorgfaltsmaßstab darüber zu vergewissern, dass er die Einwilligung auch von einem tatsächlich Berechtigten erhält.“ 63  Daher war es im Hinblick auf den Tatbestand ohne Bedeutung, dass die Vorinstanzen in BGH NJW 2010, 3434 den Schadensersatz wegen „kalter Räumung“ auf §  280 I bzw. §  823 I, II stüt­ zen wollten. 60 

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Die obigen Ausführungen zeigen die grundsätzliche Schwierigkeit, die Einwilli­ gung in einen Eingriff von der Selbsthilfe abzugrenzen, soweit die gerechtfertigte Handlung den Interessen des Handelnden und nicht des Opfers dient. Würde man eine mit §§  229, 230 BGB wortgleiche Regelung in den Vertrag aufnehmen, wäre die­ se sicherlich nicht sittenwidrig, könnte aber als (bedingte) Einwilligung in Wegnah­ me, Festnahme, etc. verstanden werden. Soweit sich der Handelnde auf die Einwilli­ gung beruft, wäre er gerechtfertigt, so lange sein Irrtum bei Anwendung der im Ver­ kehr erforderlichen Sorgfalt unvermeidbar war. Beruft er sich hingegen auf das wortgleiche Gesetz würde die Verschärfung des §  231 BGB eingreifen und sein Irr­ tum wäre selbst dann unbeachtlich, wenn er ihn nicht hätte verhindern können. ­Einen Anwendungsbereich hat §  231 BGB freilich nur, wenn es an einer der Voraus­ setzungen des §  229 BGB fehlt oder die Handlung sich außerhalb des in §  230 Abs.  1 BGB erlaubten Rahmens bewegt.64 Soweit eine trennscharfe Abgrenzung zwischen §  229 BGB und einer Einwilligung auch in diesem Fall möglich wäre, könnte man die in §  229 BGB als gesetzlich geregelten Sonderfälle auch bei Irrtümern abweichend behandeln. Gelingt eine Abgrenzung hingegen nicht, müssen beide Varianten auch im Irrtumsfall identisch beurteilt werden. Die Faustregel, dass eine Einwilligung stets dem Interesse desjenigen dienen muss, der die Erklärung abgibt,65 führt bei vertraglichen Vereinbarungen, insbeson­ dere AGB, nicht weiter. Denn bei einem Leistungsaustausch wird die Gewährung stärkerer Eingriffsbefugnisse oftmals auch die Gegenleistung beeinflussen.66 So wird ein Gläubiger, der die als Sicherheit übereignete Sache sofort wegnehmen und ver­ äußern kann, möglicherweise gerade wegen dieser stärkeren Sicherheit einen günsti­ geren Zinssatz verreinbaren. Ob die Einwilligung daher dem Interesse der einen oder der anderen Seite dient, lässt sich kaum bestimmen. Auch umgekehrt dient die Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB möglicherweise auch dem Schuldner, von dem Schadensersatzpflichten abgewendet werden, die vermögensmäßig die Kosten der Leistung überschreiten. Tatsächlich dürfte das Bestehen einer Selbsthilfebefugnis der Kreditwürdigkeit des Gläubigers förderlich sein; würde man die Rechte des §  229 BGB vertraglich ausschließen, gäbe es durchaus Grund an der Vertrauenswürdigkeit zu zweifeln. Ebensowenig lässt sich aber sauber zwischen der „Rechtsausübung“ (bei der kein Widerstand des Schuldners überwunden werden muss) und der „Rechtsdurchset­ zung“ (bei der Widerstand gebrochen werden muss) unterscheiden.67 Denn die tat­ sächliche Abwehrmöglichkeit kann je nach Situation durchaus auch nachträglich 64 

Oben §  1C.III, S. 170. Kohte, AcP 185 (1985), 105, 110 mwN. 66  Das hat schon das Reichsgericht erkannt, RGZ 20, 115, 118 (Mit einer Haftungsfreizeichnung bei einem Transportvertrag korrespondiere, dass „die Fracht niedriger gestellt wird“; das ersparte Geld könne der Absender in eine entsprechende Versicherung investieren); dagegen zutreffend Pflug, S.  85 ff. mit dem Hinweis, dass das Äquivalenzverhältnis mangels Maßstabs im Rahmen der Inhaltskontrolle außer Betracht bleiben muss. 67  Heyer, S.  57 f.; Weber, S.  109; Oetker, S.  22. 65 

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hinzutreten oder wegfallen. Deutlich wird dies im oben geschilderten Fall der Ver­ weigerung der Herausgabe eines geparkten PKW durch den Vorbehaltsverkäufer.68 Die unmittelbare tatsächliche Sachherrschaft am PKW hat hier nicht etwa der Vor­ behaltskäufer, der sich erst zum Parkplatz Zugang verschaffen und sein dort befind­ liches Fahrzeug aus dem abgesperrten Gebiet entfernen muss. Solange der Fahrer des PKW nicht anwesend ist, ist von ihm auch kein tatsächlicher Widerstand zu erwar­ ten. Dennoch wird aus Gründen des Verkehrsschutzes der unmittelbare Besitz am Fahrzeug ihm zugewiesen;69 das schlichte Parken auf einem fremden Parkplatz soll keine Besitzübertragung darstellen. Sein Wille soll daher maßgeblich bleiben, ob­ wohl er keinen Widerstand ausüben kann, sondern erst die bereits bestehende fakti­ sche Situation durch Gewalt überwinden muss. Wäre es dem Veräußerer demgegen­ über gelungen, sich das Auto von seinem Kunden leihweise übergeben zu lasssen, wären Besitzschutzrechte selbst dann ausgeschlossen, wenn das Vertragsangebot nur als Täuschung gedacht wäre. Denn für den Besitzverschaffungswillen ist eine An­ fechtung nach §§  123 Abs.  1, 142 Abs.  1 BGB gerade ausgeschlossen. Die Selbsthilfe wäre also zulässig. Eine dynamische Qualifikation der Vereinbarung als wirksam oder unwirksam, abhängig davon, ob im jeweiligen Zeitpunkt eine (wenn auch nur fiktive) Widerstandsmöglichkeit besteht, vermag aber vor dem Ziel der Rechtssicher­ heit nicht zu überzeugen. Daher muss die Einwilligung ein gegenüber der Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB vorrangiger Rechtfertigungsgrund sein. Da für diesen die Sonderregel des §  231 BGB nicht gilt, führen unvermeidbare Irrtümer zum Haftungsausschluss. Der damit einhergehende Bedeutungsverlust von §  231 BGB wiegt dabei nicht allzu schwer, da aufgrund der strengen Anforderungen an die Kenntniserlangung regelmäßig identi­ sche Ergebnisse erzielt werden. Zudem wird nur so die Ausnahmefunktion des §  231 BGB gewahrt. Ansonsten würde die Norm entgegen der ganz herrschenden Auffas­ sung und dem Willen des Gesetzgebers zu einer allgemeinen Regelung des Erlaub­ nistatbestands- bzw. Erlaubnisirrtums im Zivilrecht. Dies wird man aber weder bei der Einwilligung im Allgemeinen noch bei der Notwehr bejahen können. Im Ergebnis muss man daher §  231 BGB wie andere deliktische Tatbestände auch (in den Grenzen des §  276 Abs.  3 BGB und des §  309 Nr.  7 BGB) als dispositiv qualifi­ zieren. Die verschuldensunabhängige Haftung bei Selbsthilfehandlungen ist kein wesentlicher Grundgedanke des deutschen Zivilrechts, wie nicht nur die Gesetzes­ historie, sondern auch der Vergleich zu anderen Haftungsregelungen zeigt. Denn im Wege des Mitverschuldens kann bereits eine nachlässige Prozessführung zu einer Minderung oder gar einem Ausschluss des Schadensersatzes aus den prozessualen Haftungsnormen führen.70 Wenn aber schon der Anspruch durch Mitverschulden im haftungsbegründenden Tatbestand ausgeschlossen sein kann, muss er erst Recht 68 

RGZ 131, 213, 222 f.; oben §  3A.I.1a, S. 301. Näher zum „Friedensprinzip“ des Besitzrechts unten §  3B.II.2, S.340. 70  Vgl. nur Hahn/Mugdan, S.   293; BGH VersR 1963, 942 (943); MüKo-ZPO/Götz, §  717 ZPO Rn.  19; Stein/Jonas/Münzberg, §  717 ZPO Rn.  33. 69 

A.  Einwilligung, mutmaßliche Einwilligung und Geschäftsführung ohne Auftrag

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verzichtbar sein. Die verhaltenssteuernde Wirkung hat generell im deutschen Recht nur eine untergeordnete Bedeutung.71 Das Kompensationsinteresse des Opfers ei­ ner unrechtmäßigen Selbsthilfemaßnahme wird auch bei einer Verschuldenshaftung erfüllt; bei einer geminderten Gegenleistung wird eine solche Vereinbarung dem Parteiinteresse zudem vielfach entgegenkommen. d)  Konsequenzen und Grenzen Damit sind der Selbsthilfe aufgrund einer vorherigen Erlaubnis des späteren Adres­ saten der Maßnahme enge Grenzen gesetzt. Einerseits sollen stets faktische Eingriffs­ schranken, insbesondere der Besitz, vorrangig sein, andererseits bedarf die Über­ windung von Widerstand ihrerseits staatlicher Durchsetzung oder aber eines ande­ ren Rechtfertigungsgrundes. Der Umstand, dass in der zugegebenermaßen seltenen Konstellation des unvermeidbaren Irrtums eine Haftung ausscheidet, dürfte denjeni­ gen, der erwägt, seine Rechte selbst durchzusetzen, kaum beruhigen. Durch die fehlende Möglichkeit zur vertraglichen Konkretisierung derjenigen Si­ tuationen, in denen eine eigenständige Rechtssicherung oder Rechtsdurchsetzung erlaubt sein soll, entstehen allerdings Schutzlücken. Tatsächlich mag die restriktive Gestaltung des gesetzlichen Selbsthilferechts sogar zu übermäßiger Vorsicht72 füh­ ren und damit letztlich zu einem Zurückbleiben hinter dem, was aufgrund des Ge­ setzes erlaubt und letztlich auch sozial erwünscht73 sein mag. Das Gleichgewicht zwischen Gläubiger und Schuldner wird so hinsichtlich der Durchsetzung des An­ spruchs zulasten des Gläubigers verlagert. Gleichzeitig werden aber auch Gefahren für die Erfüllungsgehilfen des Gläubigers geschaffen.74 So kritisiert das Kammerge­ richt in einer Entscheidung zu einem Konflikt zwischen einem Busfahrer und einem Passagier das Fehlen entsprechender Eingriffsrechte: „Dass den Fahrern ihre Rechte nur aus dem vom Fahrgast mit dem Verkehrsunternehmen geschlossenen Vertrag und dem Hausrecht zustehen und sie keine weitergehenden Rechte haben als diejeni­ gen, die auf einer solchen Grundlage jedermann zustehen, folgt aus §  4 IX der Beför­ derungsbedingungen, die Zwangsmaßnahmen gegenüber einem Fahrgast aus­ schließlich auf §  229 BGB und §  127 I und III StPO zulassen. Mittel, gegen einen Fahrgast erfolgversprechend Zwang auszuüben, sind den Busfahrern nicht an die Hand gegeben. Vielmehr werden die Fahrer inzwischen fast tagtäglich ihrerseits Op­ fer körperlicher Angriffe von Fahrgästen, gegen die sie sich mangels aktiver und pas­ siver Schutzausrüstung, deren Mitführung ihnen sogar untersagt ist, nicht wirksam

71 

Beurskens, S.  282 ff. Schäfer/Ott, S.  160; MüKo-BGB/Wagner, Vor §  823 BGB Rn.  48 f.; 52: „Mit einer Gefährdungs­ haftung lässt sich also nicht nur das Sorgfalts-, sondern auch das Aktivitätsniveau des potentiellen Schädigers steuern.“; Beurskens, S.  310. 73  Zur Existenzberechtigung der Selbsthilfebefugnis bereits §  1A.I.b.ff, S. 46. 74  Zur Befugnis von Erfüllungsgehilfen zugunsten des Gläubigers einzuschreiten bereits oben §  1A.I.b.cc, S. 42; §  1A.I.a.aa, S. 36. 72 

312

§  3  Kumulative Selbsthilfe

wehren können.“75 Sicherlich werden durch entsprechende Verbote Exzesse verhin­ dert. Andererseits hat etwa ein Verkehrsunternehmen nicht nur Schutzpflichten ge­ genüber den Kunden, sondern als Arbeitgeber auch gegenüber den angestellten Fah­ rern.76 Die Beschränkung der Selbsthilfe entscheidet den potentiellen Interessenkon­ flikt bereits vorab zulasten des einen Personenkreises. Andererseits ist das Missbrauchspotential, insbesondere bei Einsatz von Allgemei­ nen Geschäftsbedingungen kaum zu beherrschen. Es ist wahrscheinlich, dass sich die Verwender weitreichende und inhaltlich offene Eingriffsrechte vorbehalten. Würde man solchen Regelungen Wirksamkeit zuerkennen, wären Schadensersatzansprüche der Betroffenen abzuweisen. Während man bei Individualverträgen insoweit noch auf einen Interessenausgleich hoffen kann,77 ist dies bei einseitig gestellten Regelun­ gen gerade nicht der Fall. Daher ist es in diesen Fällen berechtigt, als „bright line rule“ auf die allgemeine Zuweisung der Befugnis zur Einwirkung auf Rechtsgüter abzustel­ len. Dementsprechend liegt die tatsächliche Sachherrschaft beim Besitzer und erst Recht körperliche Integrität und Fortbewegungsfreiheit beim jeweils betroffenen In­ dividuum. Ein antizipierter Verzicht auf das Besitzrecht ist damit ebenso ausge­ schlossen wie ein offener Verzicht auf die eigene körperliche Integrität. Ist der Besitz freilich erst einmal eingeräumt, kann der Zustand nicht mehr ohne weiteres rückgän­ gig gemacht werden, wie das Verhältnis von Vermieter und Mieter anschaulich illus­ triert.78 Auch ist die Einwilligung in konkrete Eingriffe in die körperliche Integrität sicherlich möglich, wie typische Krankenhausverträge zeigen. Ganz zufriedenstellend ist dieses Zwischenergebnis jedoch nicht. In vielen Fällen ist für den Verwender ein Individualvertrag gar nicht möglich, da die Gegenseite kein Interesse an Verhandlungen hat oder die entsprechenden Transaktionskosten zu hoch wären.79 Bei Einrichtungen, wie Hotels, Restaurants oder Selbstbedie­ nungsmärkten, die gerade auf Publikumsverkehr ausgelegt sind, ist es kaum vorstell­ bar, mit jedem Kunden neu über die jeweils anzuwendenden Regelungen zu verhan­ deln. Gerade für diese Fälle bietet allerdings das durch Besitzkehr und Besitzwehr (§  859 BGB) mit Selbsthilfebefugnissen verknüpfte Hausrecht einen Anknüpfungs­ punkt für eine Ausdehnung der Selbsthilferechte auch in Bezug auf andere Verhal­ tensweisen:80 Wer sich nicht an die entsprechenden Pflichten hält und sich notfalls 75 

KG NStZ 2008, 460, 461. Siehe etwa OLG Karlsruhe VersR 1977, 936 (Anweisung der Bank, nicht Leib und Leben zum Schutz von Vermögen zu riskieren). 77 Auch dies ist freilich bei einer Vereinbarung, die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses als kaum relevante Nebenbestimmung erscheint, nicht gewährleistet; zur „rationalen Apathie“ beim Vertragsschluss vgl. nur Kötz, JuS 2003, 209, 211. 78  Dies zeigen die vielfältigen Probleme im Zusammenhang mit der Räumung einer vermiete­ ten Wohnung, vgl. dazu nur Schuschke, NZM 2012, 209; Bosch, NZM 2009, 530; Lehmann-Richter, NZM 2009, 177; Grüßenmeyer, NZM 2007, 310; BGH NJW 2006, 3273; BGH NJW 2010, 3434; BGH NJW 2006, 848; OLG Celle OLGR Celle 2000, 211. 79  Siehe nur Kötz, JuS 2003, 209, 211. 80  Näher unten §  3B.II.2b, S. 341. 76 

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mit deren zwangsweisen Durchsetzung einverstanden erklärt, wird nicht in die Räu­ me gelassen oder sogar aus diesen entfernt. Der BGH ist freilich einem Hausverbot aufgrund von Verhaltensvorgaben in seinen bereits erwähnten Entscheidungen zur Taschendurchsuchung im Supermarkt entgegengetreten.81 Zudem ist die so erzwun­ gene Einwilligung ihrerseits kaum hilfreich, da sie jederzeit widerrufen werden kann. Dann ist zwar die Verweisung aus den Räumen zulässig,82 weitergehende Maßnah­ men sind hingegen ausgeschlossen. Bemerkenswert ist, dass im Bereich des Internet keine der beiden geschilderten Erwägungen einer Selbsthilfe entgegensteht. Sperrt ein Internetanbieter den Zugriff auf eine Internetdomain, auf Emails, online gespeicherte Emails bzw. Dateien oder Serverdienste, ist physischer Widerstand des Schuldners schon wegen der räumli­ chen Entfernung von Server und Nutzer ausgeschlossen. Es handelt sich allein um die Einstellung einer Dienstleistung,83 so dass weder eine Duldung noch eine Handlung oder Unterlassung des Nutzers als Schuldners erforderlich ist. Eine tat­ sächliche Sachherrschaft an elektronisch gespeicherten Daten wird nach noch herr­ schender Auffassung ausgeschlossen.84 Zwar mag die Sperrung derartiger Dienste die Nutzung von Computern oder anderen Geräten einschränken – eine als verbote­ ne Eigenmacht zu qualifizierende Besitzstörung wird man darin aber nicht erblicken können.85 Damit sind in diesem Bereich jedenfalls aus Sicht der Selbsthilfe keine Einschränkungen der Einwilligung vorzunehmen.86 Ein schwieriges Problem werfen in diesem Zusammenhang technische Schutz­ maßnahmen auf, die mit der Nutzung von Onlinedienstleistungen verbunden sind sowie Produkte, die durch automatische Aktualisierungen beim Besitzer verändert werden können. So mag ein Mobiltelefon, ein Laptop oder sogar ein PKW ohne Zu­ griff auf das Gerät per Funksignal funktionsunfähig gemacht werden. Bei Computer­ programmen können automatisch eingespielte Updates Funktionen entfernen oder verändern. Dadurch wird die durch die Verkörperung gewährleistete Trennung der Sphären von Gläubiger und Schuldner in erheblichem Umfang verwischt. Denn der­ artige „evolving products“87 stehen gerade zwischen den soeben angesprochenen Internetdiensten und den von der obigen Rechtsprechung erfassten körperlichen Ge­ genständen im Sinne von §  90 BGB. Die befürchteten Exzesse wechselseitiger Gewalt scheiden also aus; selbst die versuchte Gegenwehr durch Umgehung der Schutzme­ chanismen („Hacking“)88 erfordert keinen Angriff auf im Besitz des Gläubigers ste­ hende Geräte, sondern betrifft allein den Besitz des Schuldners. Je nach Gestaltung 81 

BGH NJW 1994, 188; einschränkend auch BGH NJW 2012, 1725 (Hausverbot im Hotel). So zu Recht Löwisch/Rieble, NJW 1994, 2596 gegen OLG Frankfurt a. M. NJW 1994, 946. 83  Oben §  1A.V.1c.aa, S. 125. 84  Oben §  1A.V.1c.bb, S. 128. 85  Unten §  3B.II.2, S. 340. 86  Siehe allgemein zur Inhaltskontrolle von Nutzungsvereinbarungen unten §  3, S. 295. 87  Picker, CWRLR 55 (2005), 749. 88  BGH MMR 2005, 308; BGH GRUR 2005, 160; AG Nürtingen MMR 2011, 121; AG Göttingen MMR 2011, 626; Busch/Giessler, MMR 2001, 586; Arezzo, IIC 2009, 82. 82 

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

des Produkts ist auch weder eine Mitwirkung des Schuldners, die durch eine zu voll­ streckende Duldungspflicht abzusichern wäre, noch ein physisches Eindringen in dessen Rechtssphäre erforderlich. Vor diesem Hintergrund wäre also auch für diese Fälle eine Einwilligung aus Sicht der Selbsthilfe unbeschränkt zuzulassen. Da die Problematik insbesondere im Zusammenhang mit technischen Schutzmaßnahmen zugunsten urheberrechtlich geschützter Inhalte auftreten, soll diese Problematik al­ lerdings erst unten89 näher untersucht werden. 2.  Erweiterung der zulässigen Folgen der Selbsthilfe zugunsten des Gläubigers Da die Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB im Regelfall nur die vorübergehende Si­ cherung ermöglicht, wird es vielfach im Interesse des Gläubigers liegen, auch die diesbezüglichen Rechtsfolgen zu erweitern. Soweit die „Verwirklichung“ eines An­ spruchs tatsächlich gefährdet ist und obrigkeitliche Hilfe nicht zu erlangen ist, soll eine derartige, über die in §  229 BGB aufgezählten Handlungsmodalitäten hinausge­ hende, Einräumung von Befugnissen zulässig sein.90 Paradigmatisch sind hier Möglichkeiten zur endgültigen Erfüllung statt zur bloßen Sicherung, etwa durch Selbsthilfeverkauf. Damit wird die nach dem Gesetzeswortlaut auf Sicherungsmaß­ nahmen beschränkte subsidiäre Selbsthilfe (§  229 BGB) in ihrem Anwendungsbe­ reich zu einer vollwertigen Selbstdurchsetzung, welche die staatliche Vollstreckung verdrängt. Nach erfolgreichem Selbsthilfeverkauf oder Deckungsgeschäft gibt es kei­ nen Anlass mehr, die staatlichen Gerichte mit dem Rechtsstreit zu befassen. Das In­ teresse des Gläubigers ist vielmehr bereits in vollem Umfang befriedigt. Damit wird die Subsidiarität des §  229 BGB auf den Tatbestand, d. h. den Zeitpunkt des Ein­ schreitens, beschränkt und erstreckt sich nicht auf die zulässigen Rechtsfolgen. Es ist also nach erfolgreicher Selbsthilfehandlung anders als im Normalfall des §  229 BGB keinerlei Einschaltung staatlicher Stellen (§  230 Abs.  2, Abs.  3 BGB) mehr erforderlich. Aus der anfänglichen Perspektive des Vertragsschlusses gibt es für den Gläubiger drei denkbare Geschehensabläufe: Im Idealfall wird der Schuldner freiwil­ lig seine Pflicht erfüllen, im Übrigen muss die Durchsetzung grundsätzlich staatlich erzwungen werden. Daneben (kumulativ) tritt aber die vertraglich geschaffene zu­ sätzliche Möglichkeit, dass die Verwirklichung derart gefährdet ist, dass staatliche Maßnahmen nicht mehr rechtzeitig verfügbar sind. Dann kann der Gläubiger seinen Anspruch selbstständig endgültig durchsetzen. Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses stehen also für den Gläubiger private und staatliche Mittel zur zwangsweisen Durch­ setzung seines Anspruchs gleichberechtigt nebeneinander und neben der freiwilli­ gen Erfüllung durch den Schuldner, sie sind kumulativ.

89 

Unten §  3C.III, S. 421.

90 jurisPK-BGB/Backmann,

RGZ 131, 213, 222 f.

§  229 BGB Rn.  29; Erman/Wagner, §  229 BGB Rn.  1; kritisch aber

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Selbst diejenigen, die Erweiterungen auf der Rechtsfolgenseite ausschließen,91 wollen eine „Ausgestaltung“ zulässiger Selbsthilfemaßnahmen erlauben.92 Den­ noch ist damit selbst vor dem Hintergrund des hier vertretenen weiten Verständnis­ ses der möglichen Selbsthilfehandlungen wenig gewonnen. Denn Repgen stellt klar, dass nach seiner Sicht die diesbezügliche Einigung auch im Augenblick der Selbsthil­ fehandlung noch fortbestehen muss, also letztlich nicht die Erweiterung der gesetzli­ chen Befugnisse maßgeblich sein soll, sondern vielmehr die individuelle Zustim­ mung zum Zeitpunkt der Eingriffshandlung. In eine ähnliche Richtung geht auch die bereits erwähnte Entscheidung des Reichsgerichts zur Unwirksamkeit bestimm­ ter Vertragsbedingungen zur Sicherung von Darlehen zur Finanzierung eines Kraft­ fahrzeugkaufs.93 Diese sahen neben der tatbestandlichen Erweiterung auf die Nichtbegleichung des Darlehenszins und andere Pflichtverletzungen auch vor, dass die Darlehensgeberin den Wagen „wann und wo es ihr beliebe, ohne Benachrichti­ gung oder Androhung öffentlich versteigern lassen oder freihändig verkaufen [dür­ fe]; aus dem Erlöse könne sie sich für alle Forderungen an den Beklagten, auch soweit sie noch nicht fällig seien, befriedigen und einen etwaigen Ausfall dürfe sie gegen ihn geltend machen“. Das Reichsgericht sah ein solches freihändiges Verwertungsrecht als sittenwidrig an: „Durch diese Gestaltung des Befriedigungsrechts der Klägerin war der Beklagte insoweit allerdings ihrer Willkür in einer mit den Anschauungen eines redlichen Geschäftsverkehrs nicht mehr vereinbaren Weise preisgegeben. Es ist auch nicht ersichtlich, welches berechtigte Interesse der Klägerin es rechtfertigen soll, dass dem Beklagten nicht wenigstens durch eine entsprechende Nachricht über Zeit, Ort und Art der Verwertung Gelegenheit zu geben war, bei diesem Selbsthilfeverkauf seine Interessen wahrnehmen zu können. Das Interesse der Klägerin beschränkte sich auf die Hereinholung des noch nicht bezahlten Teils ihrer Forderung, das des Beklagten ging naturgemäß, schon im Hinblick auf die geleistete Anzahlung, auf Erzielung eines möglichst hohen Erlöses. Sein Interesse fiel also keineswegs mit dem der Klägerin zusammen. Hierzu kommt, dass die Klägerin nach dem Vertrag bei Bemessung der Höhe des Kaufpreises im Fall des freihändigen Verkaufs völlig freie Hand hatte; nicht einmal ein von unparteiischer Seite irgendwie zu ermittelnder Mindestpreis war festgesetzt, unter dem ein Wagen freihändig nicht sollte abgegeben werden dürfen.“ Im Ergebnis ist die Anknüpfung der Diskussion an §  229 BGB fehlgeleitet. Die Norm passt weder hinsichtlich ihres Tatbestandes, der gerade die nur vorübergehen­ de Sicherung im Notfall im Blick hat, noch hinsichtlich der Rechtsfolge, die sich auf Maßnahmen bezieht, die staatlichem Rechtsschutz vorgelagert sind. Der Versuch aufgrund der Privatautonomie durch eine rechtsgeschäftliche Anpassung des gesetz­ lichen Rechtfertigungsgrundes Eingriffshandlungen zu rechtfertigen, geht fehl.94 91 MüKo-BGB/Grothe, 92 Staudinger/Repgen, 93 

§  229 BGB Rn.  1; Staudinger/Repgen, §  229 BGB Rn.  27. §  229 BGB Rn.  27.

RGZ 131, 213. freilich oben §  1A.V.1a, S. 120 zur Anwendung des §  229 BGB auf andere Handlungen,

94  Siehe

316

§  3  Kumulative Selbsthilfe

Schon der Gesetzgeber des 19. Jahrhunderts wusste zwischen der erlaubten Selbsthil­ fe und der haftungsausschließenden Einwilligung zu unterscheiden. So sah §  706 des ersten Entwurfs eine explizite Regelung vor („Hat der Beschädigte in die beschädi­ gende Handlung eingewilligt, so steht ihm ein Anspruch auf Schadensersatz nicht zu.“), die allerdings als selbstverständlich und zur Lösung der mit der Falllösung verbundenen Probleme unzureichend gestrichen wurde.95 Unstreitig kann eine Einwilligung an Bedingungen geknüpft werden96 und bezieht sich stets nur auf be­ stimmte Maßnahmen.97 Eines Rückgriffs auf §  229 BGB als Ausgangspunkt bedarf es dabei nicht. Vielmehr führt dies in die Irre: Da bis auf die Einwilligungsfähigkeit des betroffenen Rechtsguts und dem entsprechenden aufgeklärten Willen die Einwil­ ligung keine Voraussetzungen hat, sind weder das Fehlen obrigkeitlicher Hilfe noch die konkrete Gefährdung identisch zu §  229 BGB zu bestimmen. Selbst wenn gleich­ lautende Voraussetzungen von den Parteien vereinbart werden, sind diese nicht zwingend wie die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale auszulegen, sondern vorrangig nach §§  133, 157 BGB zu interpretieren. Dies bedeutet, dass immer dann, wenn sich eine Partei einen Selbsthilfeverkauf oder ein Deckungsgeschäft bei Gefährdung des Anspruchs vorbehält, nicht auf §§  229, 230 BGB abzustellen ist. Es gelten vielmehr die allgemeinen Anforderungen der rechtfertigenden Einwilligung. Ob vor diesem Hintergrund das Verwertungs­ recht derart einseitig die Interessen des Gläubigers gegenüber denjenigen des Schuld­ ners einordnet, dass ihr die Wirksamkeit zu versagen ist,98 ist eine Frage des Einzel­ falls. Allein der Umstand, dass ein Verkauf freihändig statt im Wege der öffentlichen Versteigerung erfolgen soll, wird hierzu, vor dem Hintergrund der oft deutlich unter Marktwert liegenden Erlöse bei solchen Versteigerungen, nicht genügen. Auch das fehlende Interesse des Gläubigers an einer seine Forderung überschießenden Gegen­ leistung wird nicht zur Unwirksamkeit der Regelung führen. Sie kann allenfalls im die den dort genannten Modalitäten ähnlich sind – maßgeblich ist dabei aber gerade nicht der in einer vorherigen Vereinbarung geäußerte Wille des Selbsthilfeopfers, sondern die abstrakt-generel­ le gesetzliche Wertung. 95  Prot. S.  2733 (= Mugdan II, S.  1080): „Es sei selbstverständlich, dass die Einwilligung des Ver­ letzten in die verletzende Handlung den Schadensersatzanspruch des Verletzten ausschließe, wenn und soweit als die Handlung durch die Einwilligung die Eigenschaft der Widerrechtlichkeit verliere. Ob dies im Einzelfall anzunehmen sei, müsse aus den allgemeinen Grundsätzen entschieden wer­ den. Der im §  706 ausgesprochene Satz sei aber in dieser Allgemeinheit unrichtig. Denn in einer Reihe von Fällen wolle der Gesetzgeber den Beschädigten gerade gegen seine Einwilligung schüt­ zen; seine Einwilligung steht daher dem Schadensersatzanspruch nicht entgegen. Jedenfalls treffe es nicht zu, wenn der Entw. (nach den Mot. S.  730) davon ausgehe, dass die Einwilligung immer den Charakter eines Rechtsgeschäftes habe; dieselbe könne ganz verschieden zu charakterisieren sein. Dass Schwierigkeiten in dieser Richtung entstehen könnten, sei nicht zu leugnen; dieselben ließen sich aber nicht durch einen allgemeinen Satz in der Art des §  706 beheben.“ 96  Amelung/Eyermann, JuS 2001, 937, 942; Kohte, AcP 185 (1985), 105, 125. 97  Insbesondere bei ärztlichen Heileingriffen Spickhoff, NJW 2006, 2075 oder bei persönlich­ keitsrechtlichen Einwilligungen in die Verwertung von Fotos u.ä., MüKo-BGB/Rixecker, Anhang §  12 BGB Rn.  67. 98  So RGZ 131, 213.

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Rahmen der Ausübungskontrolle relevant werden und zu Schadensersatzpflichten führen. Dies ist etwa in Fällen der Kollusion oder sonstiger Verletzung von Schutz­ pflichten im Sinne von §  241 Abs.  2 BGB (etwa bei Angebot an einen willkürlich be­ grenzten Adressatenkreis, in dem zahlungskräftige Interessenten fehlen) möglich. 3.  Beschränkung der Selbsthilfebefugnisse gegenüber §  229 BGB Da schon für die staatliche Zwangsvollstreckung Vereinbarungen zwischen den Par­ teien zulässig sind, welche die Vollstreckungsbefugnis gegenüber dem gesetzlich zu­ lässigen zeitlich oder inhaltlich beschränken (sog. „Vollstreckungsverträge“99), ist eine Einschränkung der Selbsthilfebefugnisse zugunsten des Schuldners zulässig. Dies folgt als Minus aus der Befugnis des Gläubigers, gänzlich auf die Geltendma­ chung seines Anspruchs zu verzichten. Eine gewisse Vorsicht kann aber im Hinblick auf die überindividuelle Schutzrich­ tung des Selbsthilferechts100 geboten sein. Soweit eine marktmächtige Partei durch Allgemeine Geschäftsbedingungen jegliche Eingriffsbefugnis abbedingt, wird die Durchsetzung von Verträgen gefährdet. Selbstverständlich besteht die Möglichkeit zur nachträglichen Kompensation im Wege des Schadensersatzes. Wie aber bereits herausgearbeitet wurde,101 ist diese trotz des grundlegenden Konzepts des BGB102 nicht nur wirtschaftlich vielfach gegenüber der primär geschuldeten Erfüllung nicht gleichwertig, sondern wird auch vom Gesetz selbst als nachrangig eingestuft, was sich insbesondere an der Einklagbarkeit der Primärleistung103 und dem Erfordernis einer Fristsetzung vor einem Schadensersatzverlangen in §  281 BGB zeigt. Damit wird die durch Verträge vermittelte wirtschaftliche und rechtliche Sicherheit in Fra­ ge gestellt, soweit gerade an der Erfüllung ein besonderes Interesse besteht. Zudem wird auch in diesem Kontext mitunter eine Konkurrenz zu den Rechten des Besit­ zers auftreten, der zur Ausübung der ihm zugewiesenen Sachherrschaft zu Selbsthil­ femaßnahmen greifen muss.104 Relevant wird dies namentlich bei technischen Schranken – etwa wenn die Nutzung eines Gegenstands durch Software faktisch verhindert wird.105

99  BGH NJW 1991, 2295; MüKo-ZPO/Rauscher, Einleitung ZPO Rn.  4 45; Musielak/Voit/Lackmann, Vor §  704 – §  802 ZPO Rn.  17. 100  Oben §  1A.I.b.ff, S. 46. 101  Oben §  1A.II.1c.bb, S. 82. 102  Zur Totalreparation Beurskens, S.  211; Staudinger/Schiemann, §  249 BGB Rn.  3; MüKo-BGB/ Wagner, §  823 BGB Rn.  69; Jauernig/Teichmann, Vor §§  249–253 BGB Rn.  2. 103  Dass dies nicht selbstverständlich ist zeigt der Rechtsvergleich mit dem Common Law, wo „specific performance“ nur ausnahmsweise als Ausfluss der „equity“ gewährt wird; näher Melzer; Weller, JZ 2008, 764; Zweigert/Kötz, S.  466 ff. 104  Dies ist die spiegelbildliche Konstellation zum oben, §  1A.V.1c.aa, S. 125, erörterten Pro­blem des „Ausfrierens“ von Mietern, wo die Rechtsprechung die Versorgung mit Strom und Wasser als wesentlich für den Besitz an Wohnungen oder Geschäftsräumen ansieht. 105  Zu diesem „Right to Hack“ näher unten §  3C.II.3, S. 416.

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob eine Vereinbarung, durch die die Rechte nach §§  229, 230 BGB zum Nachteil des Gläubigers ausgeschlossen oder be­ schränkt werden nicht mit wesentlichen Grundgedanken des Gesetzes unvereinbar und daher jedenfalls in AGB nach §  307 Abs.  1, Abs.  2 Nr.  1 BGB unzulässig ist. Das aus Sicht der herrschenden Meinung naheliegende Argument, dass die Selbsthilfe ihrerseits eine Ausnahme sei und man so vertraglich zum Grundzustand zurückkeh­ re, vermag nicht zu überzeugen. Denn die vermeintliche Ausnahme wurde vom Ge­ setzgeber gerade im Rahmen einer Abwägung als erforderlich angesehen. Dass diese Entscheidung nicht zwingend ist, zeigen insbesondere diejenigen Rechtsordnungen, die in Kenntnis der deutschen Regelung auf ein gesetzlich erlaubtes Selbsthilferecht verzichten, etwa das japanische Zivilgesetzbuch. Im Gesamtsystem des deutschen Rechts sichert §  229 BGB den Vorrang des Primäranspruchs und die Wahrung der Rechtsordnung trotz begrenzter Verfügbarkeit staatlicher Ressourcen. Sicherlich würde es zu weit gehen, einen Verzicht auf Selbsthilfebefugnisse oder weitergehend den Ausschluss jeglicher Eingriffsmöglichkeit individualvertraglich als Verstoß ge­ gen die guten Sitten (§  138 BGB) zu werten und daher zu verbieten. Das allgemein­ gültige, ohne individuellen Interessenausgleich vorgesehene Abbedingen des Selbst­ hilferechts ist hingegen nicht hinnehmbar. Die in §  229 BGB vorgesehenen engen Schranken gewährleisten bereits hinreichend den Schutz des Schuldners; für weiter­ gehende Einschränkungen gibt es keinen sachlichen Grund. Während also individu­ alvertraglich eine Einschränkung der Selbsthilfebefugnisse möglich ist, scheitert eine Erweiterung im Rahmen Allgemeiner Geschäftsbedingungen an §  307 BGB.

II.  Die Einwilligung im Allgemeinen Die soeben dargestellte restriktive Beurteilung vertraglicher Vereinbarungen, durch welche dem Gläubiger eines Anspruchs über §  229 BGB hinausgehende Selbsthilfebe­ fugnisse eingeräumt werden, spiegelt sich in der allgemeinen Diskussion über die Einwilligung im Privatrecht nur bedingt wider. Denn die allgemeine Handlungsfrei­ heit (Art.  2 Abs.  1 GG) und insbesondere die Vertragsautonomie erlauben es dem mündigen Bürger durchaus, Eingriffe in seine absolut geschützten Rechtsgüter zu erlauben.106 Freilich stellt eine solche Einwilligung eine Ausnahme vom üblichen Verhaltensmuster dar, so dass denjenigen, der sich darauf beruft, eine besondere Darlegungspflicht trifft.107 Die Anforderungen steigen dabei mit der Bedeutung des Rechtsguts für den Betroffenen. Damit sind sie nicht nur von den gesetzlichen Wert­ ent­scheidungen, insbesondere der allgemeinen grundrechtlichen Werteordnung, sondern auch vom konkreten Geschäftszusammenhang und den individuellen Ent­ scheidungen des Einwilligenden abhängig.

106 

Ohly, S.  81 ff.; Amelung, NStZ 2006, 317, 318; Amelung, S.  31 ff. Siehe schon RGZ 118, 63, 66; BGH NJW-RR 2005, 172; siehe auch AG Hamburg GRUR-RR 2005, 399. 107 

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1.  Einwilligungsfähige Rechtsgüter Ein schwieriges dogmatisches Problem bereiten seit jeher inhaltliche Beschränkun­ gen der Einwilligungsbefugnis. Ein mündiger Grundrechtsträger sollte grundsätz­ lich die Möglichkeit haben, auf seine Rechte zu verzichten. Dennoch sollen bestimm­ te Rechtsgüter, namentlich die Menschenwürde (Art.  1 Abs.  1 GG) als solche108 und das Leben (arg. ex §  216 StGB),109 einer Einwilligung nicht zugänglich sein. Bei ei­ nem vollständig rechtsgeschäftlichen Verständnis der Einwilligung kann man hinter diesen Ausschlusstatbeständen Verbotsgesetze im Sinne von §  134 BGB oder Krite­ rien für die Ermittlung der guten Sitten im Sinne von §  138 BGB110 erblicken. Im Hinblick auf das liberale Menschenbild des Grundgesetzes scheint es aber überlegen, der Vereinbarung im Innenverhältnis durchaus rechtfertigende Wirkung zuzuerkennen. Nur im Verhältnis zum Staat ist das Verhalten desjenigen, der sich auf die Einwilligung beruft, unerwünscht und daher mit negativen Rechtsfolgen zu bele­ gen.111 Dies bedeutet, dass eine auf der Einwilligung basierende Handlung in kei­ nem Fall erzwingbar ist (dies wird im Regelfall aus §  888 Abs.  3 ZPO folgen, ergibt sich aber auch darüber hinaus zwanglos aus der Grundrechtsbindung des entschei­ denden Richters, Art.  20 Abs.  3 GG). Ein Anspruch auf Schadensersatz, also den Aus­ gleich der verursachten Folgen, sollte dem Opfer einer solchen Maßnahme jedoch verwehrt sein, sofern die Einwilligung im Übrigen freiwillig und auf rationaler Grundlage abgegeben wurde; insbesondere entfaltet §  216 StGB insoweit keine Sperr­ wirkung.112 Denn es wäre kaum erklärlich, warum der auf eigenen Wunsch gewor­ fene Kleinwüchsige nun einen Anspruch auf Schadensersatz erhalten sollte oder wa­ rum man den Erben einer Person, die sich der Sterbehilfe bediente, Ansprüche nach §  844 BGB zusprechen muss. Das Zivilrecht ist als Sanktionsmechanismus zur Durchsetzung von Verhaltenspflichten schon wegen des Fehlens von Strafschadens­ ersatz allenfalls bedingt geeignet.113 Soweit man in §  216 StGB gar eine unwiderleg­ bare Vermutung irrationaler Entscheidung bei Zustimmung zur Tötung erblickt, ist dies kaum mit der Privatautonomie zu vereinbaren, wenn das Handeln nachweisbar eine rationale Grundlage hatte. Die Begünstigung der Erben wäre hier willkürlich und würde gegen den Willen des Verstorbenen verstoßen. 108  Siehe VG Neustadt NVwZ 1993, 98 – Zwergenweitwurf; VGH München NVwZ 2003, 1283 – Körperwelten; BVerfG NJW 1982, 664 – Peepshow; kritisch Höfling, NJW 1983, 1582; Von Olshausen, NJW 1982, 2221; Amelung, S.  48 f.; Ohly, S.  103 ff.; siehe auch die neuere Diskussion um „Big Brother“ Hintz/Winterberg, ZRP 2001, 293; Huster, NJW 2000, 3477. 109  RGZ 66, 306, 308; Zitelmann, AcP 99 (1906), 1, 77; Ohly, S.  415 ff.; Schönke/Schröder/Eser/ Sternberg-Lieben, §  216 StGB Rn.  1a f.; Hoerster, NJW 1986, 1786, 1789. 110  OLG Stuttgart AfP 1987, 693, 694; OLG München ZUM 2009, 429; Fischer, S.  274 ff.; Zitelmann, AcP 99 (1906), 1, 66 ff., 72 ff.; Ohly, S.  4 44 ff. 111  Schenke, S.  70 ff. 112 Anders Ohly, S.  418 f. 113  BGHZ 165, 203, 207; Beurskens, S.  282 ff.; weitergehend allerdings MüKo-BGB/Wagner, Vor §  823 BGB Rn.  40 f.

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

Die oben umrissene privatrechtliche Beurteilung sollte unabhängig von sonstigen Rechtsfolgen erfolgen. Die Beurteilung der Rechtswidrigkeit eines Verhaltens muss keineswegs einheitlich über sämtliche Rechtsgebiete erfolgen, da diese verschiedenen Interessen dienen.114 Möglich bleiben daher sowohl ordnungsbehördliche Maßnah­ men (etwa die Untersagung einer Veranstaltung, auf der ein „Zwergenweitwurf“ praktiziert wird oder die Versagung der Zulassung für eine Peepshow) als auch straf­ rechtliche Sanktionen (namentlich die Bestrafung nach §  216 StGB). Grundlage da­ für ist aber gerade nicht der vermeintliche Schutz von „unverzichtbaren“ Individua­ linteressen, sondern vielmehr die Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung und eines gedeihlichen Zusammenlebens. Ebensowenig folgt aus der obigen Diskussion, dass derjenige, der einmal in eine menschenunwürdige Behandlung oder gar die eigene Tötung eingewilligt hat, nun­ mehr zur Duldung diesbezüglicher Eingriffe verpflichtet wäre. Vielmehr ist dies al­ lein eine Frage der Widerruflichkeit der Einwilligungserklärung – bei hochrangigen Rechtsgütern wird man stets einen wichtigen Grund zum Widerruf bejahen.115 Ist die Einwilligung aber wirksam widerrufen, ist nicht nur private Gegenwehr (da der Eingriff des Dritten nun rechtswidrig ist) möglich, sondern es entstehen auch Scha­ densersatzansprüche. 2. Einwilligungserklärung Über die Rechtsnatur der Einwilligungserklärung ist lange gestritten worden. Dabei handelt es sich allerdings nicht um reine Begriffsdogmatik. Im Vordergrund stehen durchaus praxisrelevante Fragen wie diejenige des Zugangs der Erklärung (§  130 BGB), der Geschäftsfähigkeit (§§  104 ff. BGB) und der rückwirkenden Beseitigung im Wege der Anfechtung (§  142 Abs.  1 BGB). Auch die Frage der Überprüfung der Ein­ willigungserklärung an gesetzlichen Verboten (§  134 BGB) und den guten Sitten (§  138 BGB) wurde erörtert. Im Ergebnis ist man sich allerdings stets insoweit einig gewesen, dass die Regelungen zur Willenserklärung jedenfalls gewisser Modifikatio­ nen bedürfen.116 Ob man vor diesem Hintergrund dann eine geschäftsähnliche Er­ klärung (für die aber wiederum die Regeln der Willenserklärung überwiegend An­ wendung finden)117 oder eine Erklärung sui generis (für welche ein im Wesentlichen

114  Kirchhof, S.  8 ff.; Roxin, §  14 Rn.  35 ff.; Ohly, S.  179 (Fn.  1) betont sogar ausdrücklich, dass das Strafrecht öffentlich-rechtlich ist, nimmt aber dennoch eine Ausstrahlung des Rechtsgedankens von §  216 BGB auf das Deliktsrecht an. 115  Unten §  3A.II.3, S. 324. 116  Methodisch handelt es sich dabei um eine teleologische Reduktion derjenigen Normen, die auf die Einwilligung nicht passen, Ohly, S.  214; Simitis/Simitis, §  4a BDSG Rn.  20. 117  So Staudinger/Singer/Benedict, §  130 BGB Rn.  14; Palandt/Ellenberger, Überblick §  104 BGB Rn.  6; Staudinger/Knothe, Vor §§  104–115 BGB Rn.  57 f.; BeckOK-BGB/Wendtland, §  133 BGB Rn.  16; BeckOK-DSR/Kühling, §  4a BDSG Rn.  33; Gola/Schomerus/Gola/Klug/Körffer, §  4a BDSG Rn.  2.

A.  Einwilligung, mutmaßliche Einwilligung und Geschäftsführung ohne Auftrag

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mit dem Recht der Willenserklärung übereinstimmendes Recht geschaffen werden müsste)118 annehmen will, ist wiederum rein terminologisch. Die Konzeption einer einheitlichen Einwilligungslehre ist allerdings nicht nur dem Gesetzgeber des BGB nicht gelungen.119 Eine Sonderbehandlung ist etwa im Besitzrecht erforderlich, weil bei dieser tatsächlichen Position schon für den Erwerb ein natürlicher Wille genügt.120 Dann wäre es merkwürdig, für die Einwilligung in Eingriffe eine rechtsgeschäftliche Erklärung zu verlangen. Dementsprechend wird einer auf den Besitz bezogenen vorherigen Einverständniserklärung auch nur die Wirkung einer Beweiserleichterung zugesprochen; die Wegnahme oder Zerstörung einer Sache stellt verbotene Eigenmacht dar, soweit nicht im Zeitpunkt der Be­sitz­ über­tragung eine Willensübereinstimmung vorliegt.121 Genau umgekehrt primär rechtsgeschäftlich werden die dem Mieter, Entleiher, Pächter, etc. eingeräumten Be­ fugnisse oder auch Gestattungen im Sinne von §  956 BGB qualifiziert.122 Insoweit sind vielfältige Unterscheidungen im Einzelfall erforderlich.123 Im Hinblick auf Abgabe und Zugang der Einwilligungserklärung stellen sich ähn­ liche Schwierigkeiten wie bei der bereits oben erörterten Vornahme von Sicherungs­ maßnahmen zugunsten Dritter124 bzw. zur Nothilfe.125 Wie dort findet sich ein breites Meinungsspektrum angefangen mit der Maßgeblichkeit des tatsächlichen, d. h. auch des nicht geäußerten, Willens126 bis zur Anwendung des §  130 BGB.127 Letztere Ansicht ist schon deshalb überzeugend, weil die Einwilligung regelmäßig den Eingreifenden vor einer Schadensersatzhaftung oder Strafbarkeit schützen soll. Der von außen nicht erkennbare Wille ist hierfür aber nicht geeignet.128 Oftmals existieren einfachgesetzliche Vorschriften, aus denen eine Pflicht zur Ent­ äußerung sogar ausdrücklich folgt (vgl. §  4a Abs.  1 S.  3 BDSG, 13 Abs.  2 TMG, §  40 AMG, §  1901a BGB). Diese Vorschriften enthalten zudem regelmäßig Formvorgaben,

118  So tendenziell BGHZ 29, 33; Deutsch 1996, Rn.  282; Berger, JZ 2000, 797, 801 (unter Hinweis darauf, dass der Verkehrsschutz bei der Einwilligung irrelevant sei); gegen die Schaffung eines sol­ chen Einwilligungssystems de novo aber zu Recht Gernhuber, FamRZ 1962, 89, 94. 119  Im ersten Entwurf des BGB ging man noch ganz selbstverständlich davon aus, dass die Ein­ willigung ein Rechtsgeschäft sei, vgl. Mot. S.  730 (= Mugdan I S.  407). Diese einfache Herangehens­ weise wurde aber in der Beratung schnell als Irrtum erkannt. 120 RGZ 106, 135, 136; MüKo-BGB/Joost, §   854 BGB Rn.  9; Staudinger/Gutzeit, §  854 BGB Rn.  14 f. 121  Oben §  3A.I.1a, S. 301. 122  Weber, S.  81 ff. 123  Im Detail zum Ganzen Ohly, S.  141 ff. 124  Oben §  1A.I, S. 32. 125  Unten §  3B.I.1a, S. 332. 126  So die „Willensrichtungstheorie“ Schmidhäuser/Alwart, S.  117; Böhmer, MDR 1959, 705 (un­ ter Hinweis auf §  683 S.  1 BGB, nach dessen Wortlaut ebenfalls der „Wille“ unabhängig von seiner Entäußerung maßgeblich sein soll). 127  Amelung, S.  97; Kohte, AcP 185 (1985), 105, 122; Ohly, S.  338; tendenziell auch BGH NJW 1956, 1106. 128  Insoweit ist die Einwilligung stets „Kommunikationsakt“, Ohly, S.  337.

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

die ansonsten nach allgemeinen Regeln129 mögliche konkludente Einwilligung ist dann ausgeschlossen. In der Praxis erfolgt außerhalb dieser Konstellationen, in de­ nen besonders gefährdete Rechte betroffen sind, oft nur eine konkludente Zustim­ mung (etwa bei Fotografien in der öffentlichen Sphäre). Eine Übertragung des Aus­ drücklichkeitserfordernisses auf andere Rechtsgüter ist daher möglich. Wie bei Wil­ lenserklärungen gilt vielmehr der Grundsatz der Formlosigkeit. Im Hinblick auf die Geschäftsfähigkeit hat sich für die meisten Fälle die Erkennt­ nis herausgebildet, dass nicht auf die starren Altersgrenzen der §§  104 ff. BGB abge­ stellt werden kann.130 Dies folgt teilweise unmittelbar aus dem Verfassungsrecht,131 teilweise aus Regelungen des einfachen Rechts.132 Ohne Einwilligung eines ein­ sichtsfähigen Jugendlichen wird man daher nicht in seine höchstpersönlichen Rechtsgüter eingreifen dürfen.133 Hier könnte man allerdings ebenso wie bei der Anwendung der Anfechtungsregelungen argumentieren: Ohne gewichtigen Grund sollte man nicht vom gesetzgeberischen Konzept des BGB abweichen.134 Ein solcher Grund liegt aber in der vorrangigen Berücksichtigung des allgemeinen Persönlich­ keitsrechts. Der Verkehrsschutzgedanke ist demgegenüber in den typischen Fällen der persönlichkeitsrechtsrelevanten Einwilligung kaum betroffen.135 Allerdings be­ reitet die Handhabung im Internet gewisse Schwierigkeiten – denn dort handelt es sich gerade um Massengeschäfte, wo eine entsprechende Abgrenzung gesetzgebe­ risch intendiert war.136 Jedoch lässt sich gerade dort das Alter nicht zuverlässig fest­ stellen.137 Vor diesem Hintergrund scheint es gerechtfertigt, bei Anwendung von Systemen, die der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt entsprechen (§  276 Abs.  2 BGB), die Wirksamkeit der Einwilligung zu bejahen und nur einen Widerruf ex nunc zu ermöglichen. Denn der freie Datenverkehr ist insoweit ein schutzwürdiges Gut. Für die Stellvertretung gelten die allgemeinen Regelungen, wobei freilich ein gro­ ßer Teil der von einer Einwilligung betroffenen Rechtsgeschäfte grundrechtlich ge­ schützte Positionen mit starkem persönlichkeitsrechtlichem Gehalt betreffen. In die­ 129 NK-BGB/Noack/Kremer,

§  126 BGB Rn.  1; MüKo-BGB/Einsele, §  125 BGB Rn.  1. BGHZ 29, 33, 36; OLG Karlsruhe FamRZ 1983, 742; MüKo-BGB/Wagner, §  823 BGB Rn.  767 im Detail Ohly, S.  295 ff.; anders freilich für den vermögensrechtlichen Bereich, da dies der zentrale Anwendungsbereich der §§  104 ff. BGB ist. 131  BVerfGE 10, 302 ff.; OLG Frankfurt NJW 2007, 3580, 3581; Staudinger/Knothe, Vor §§  104– 115 BGB Rn.  102 ff.; Ohly, S.  320. 132  Siehe etwa §  5 RKEG; dazu BayObLG FamRZ 1984, 1259, 1263. 133  Staak, MedR 1984, 177, 183; Bosch, FamRZ 1959, 202, 203; Kohte, AcP 185 (1985), 105, 145. 134  In diese Richtung Staudinger/Knothe, Vor §§  104–115 BGB Rn.  57 f. 135  Kohte, AcP 185 (1985), 105, 143 ff.; Ohly, S.  312 ff. 136  So schon Gernhuber, FamRZ 1962, 89, 94 in Abgrenzung zur nur den Einzelfall betreffenden Einwilligung in Heilbehandlungen; EuGH MMR 2004, 95 betont den „freien Verkehr personenbe­ zogener Daten“ als eines der Ziele des europäischen Datenschutzrechts; siehe auch Wiebe, GRUR 2011, 888, 892 f. zur „Vorschaubilder“-Entscheidung des BGH (BGHZ 185, 291). 137  Siehe nur BGH GRUR 2008, 534; AG Mitte MMR 2010, 817; Auer-Reinsdorff, FPR 2012, 434; zum aktuellen Entwurf für eine EU-Verordnung über elektronische Identifizierung und Vertrau­ ensdienste Spindler/Rockenbauch, MMR 2013, 139. 130 

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sem Bereich, etwa bei medizinischen Operationen, ist eine Stellvertretung allgemein ausgeschlossen.138 Wie bei jeder privatautonomen Entscheidung versucht die Rechtsordnung auch bei der Einwilligung jedenfalls im Grundansatz eine Vereinbarung unter gleichstar­ ken, rational agierenden und hinreichend informierten Parteien zu fördern.139 Auf­ grund der unmittelbar aus der Einwilligung folgenden Eingriffsbefugnis wird ver­ sucht, durch Aufklärungspflichten eine mögliche Informationsasymmetrie zu besei­ tigen. Auch hier sind allerdings die Interessen der Beteiligten zu berücksichtigen, so dass die Aufklärungspflichten sich letztlich proportional zum betroffenen Rechtsgut verhalten.140 Dies gilt namentlich im Medizinrecht, wo dementsprechend eine inten­ sive Aufklärungspflicht des Arztes besteht.141 Die Erfahrungen mit Informa­tions­ pflichten insbesondere im Verbraucherschutz zeigen, dass umfangreiche schriftliche Erklärungen von der Mehrzahl der Adressaten ohnehin nicht zur Kenntnis genom­ men werden. Ein blindes Vertrauen auf eine formelle Erfüllung von Aufklärungs­ pflichten (etwa durch umfangreiche vorformulierte Erklärungen) ist daher fehlgelei­ tet. Freilich genügt der Nachweis, dass der Patient auch bei fehlender Aufklärung eingewilligt hätte, um die Haftung auszuschließen.142 Nichts anderes sollte im Da­ tenschutzrecht gelten, denn die Information bzw. Aufklärung darf nicht zur übermä­ ßig sanktionierten Förmelei werden.143 Gelingt der Nachweis, dass die Einwilligung auch in Kenntnis der versäumten Aufklärung erfolgt wäre, ist die Verarbeitung der Daten daher gerechtfertigt. Fraglich ist schließlich, inwieweit die Aufhebung einer Einwilligung (und dabei insbesondere für die unwiderrufliche) auf die Anfechtungsgründe der §§  119 ff. BGB gestützt werden kann oder sogar muss. Dabei konkurrieren das Verkehrsschutzbe­ dürfnis einerseits und das primär auf den wirklichen Willen ausgerichtete Konzept des Art.  2 Abs.  1 GG. So könnte man die (rückwirkende) Beseitigung auf „schwere Irrtümer“ beschränken144 oder genau umgekehrt eine Rückgängigmachung sogar bei bloßen Motivirrtümern eröffnen.145 Mangels besonderer gesetzlicher Regelun­ gen liegt es allerdings nahe, stattdessen auf die für Willensmängel in den §§  119 ff. BGB vorgenommene Abwägung146 zu rekurrieren. Aus diesem Grund führt die An­ fechtung auch zur Unwirksamkeit ex tunc und nicht nur zum Erlöschen der Hand­

138 

Siehe nur Mugdan II, S.  1080 (= Prot. S.  2733); Ohly, S.  456 ff. Schäfer/Ott, Rn.  128. 140  Ohly, S.  372 ff.; anschaulich BGH NJW 1980, 1904 (Aufklärungspflichtne des Tierarztes). 141  BGH NJW 2005, 1716, 1717; BeckOK-BGB/Förster, §  823 BGB Rn.  821 ff.; zurückgehend auf BGHZ 29, 46, 49 ff., 58; BGHZ 29, 176, 180; BGHSt 11, 111. 142  Sog. hypothetische Einwilligung BGHZ 90, 96; BGH NJW 2009, 1209; MüKo-BGB/Wagner, §  823 BGB Rn.  872 ff. 143  Abweichend aber Simitis/Simitis, §  4a BDSG Rn.  75. 144  BGH NJW 1964, 1177. 145  Amelung, S.  140 ff.; Berger, JZ 2000, 797, 801. 146  Flume, S.  415 ff. 139 

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lungsbefugnis nur für die Zukunft.147 Dies bedeutet, dass ein aufgrund der irrig ab­ gegebenen Einwilligung vorgenommener Eingriff rechtswidrig ist; solange der Irr­ tum aber nicht erkennbar war, fehlt es am Verschulden.148 Auch die Fristen des §  121 BGB bzw. des §  124 BGB sollten Anwendung finden; insoweit ist das Merkmal „unverzüglich“ im Hinblick auf die Bedeutung des betroffenen Rechtsguts auszulegen: Je gewichtiger dieses ist, desto geringer ist das schutzwürdige Vertrauen des Verkehrs auf einen Verzicht und desto eher wird man eine Anfechtung ohne schuldhaftes Zö­ gern bejahen können. Zudem ist der Einwilligende im Regelfall durch das grundsätz­ lich bestehende Widerrufsrecht geschützt. Schließlich bereitet auch die Anwendung des allgemeinen Trennungs- und Abs­ traktionsprinzips auf die Einwilligung Schwierigkeiten.149 Vielfach wird es nahe liegen, bei Mängeln des Grundgeschäfts, etwa bei arglistiger Täuschung über die Ge­ genleistung, auch eine Unwirksamkeit der Einwilligung anzunehmen. Diese strenge Akzessorietät folgt bei Einwilligungen in Bezug auf Rechtsgüter mit engem Persön­ lichkeitsbezug aus deren besonderen Bedeutung bei gleichzeitiger hoher Gefähr­ dung. Eine Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht würde dabei denjenigen, der vermeintlich einwilligt, übermäßig benachteiligen. 3. Widerruflichkeit Eine gänzlich unwiderrufliche Rechtsposition ist im Zivilrecht selten; regelmäßig wird jedenfalls die Möglichkeit des Widerrufs „aus wichtigem Grund“ eröffnet.150 Allerdings sind einmal geschlossene Verträge, sowie zugegangene Angebote (§  145 BGB) grundsätzlich verbindlich und können nicht ohne weiteres beseitigt werden. Darüber hinaus ist bzw. wird die Möglichkeit zur rückwirkenden Beseitigung ausge­ schlossen, die oft mit den Partei- und Verkehrsinteressen unvereinbar ist.151 Demgegenüber ist es bei einer Einwilligung generell möglich, bis zur tatsächlichen Ausführung der eingreifenden Handlung die hierzu erteilte Befugnis zu widerru­ fen.152 Dies entspricht etwa der Vollmacht (§  168 S.  2 BGB). Ein Verkehrsschutz be­ steht nur insoweit, als ein Widerruf zur Unzeit, insbesondere unter zu kurzen Fris­ 147 

Kohte, AcP 185 (1985), 105, 137; Ohly, S.  371 (mit gewissen Einschränkungen). Zitelmann, AcP 99 (1906), 1, 62; Ohly, S.  365 ff. 149  Überlegungen in diese Richtung etwa bei BAG NJW 1967, 751; Zitelmann, AcP 99 (1906), 1, 61; Kohte, AcP 185 (1985), 105, 136 (über Anwendung des §  139 BGB); zu Recht differenzierend Ohly, S.  4 47 ff. 150  Siehe nur zur „unwiderruflichen“ Vollmacht im Sinne von §  168 S.  2 BGB BGH NJW 1997, 3437, 3440; Staudinger/Schilken, §  168 BGB Rn.  14; Palandt/Ellenberger, §  168 BGB Rn.  6; zu Recht skeptisch Flume, §  53 Nr.  6. 151  Busche, Eckpfeiler des Zivilrechts, Rn.  58; siehe auch die vielfältige Rechtsprechung zur aus­ nahmsweisen ex nunc Wirkung der Anfechtung, RGZ 165, 193, 201 ff.; BGHZ 13, 320; BAG AP §  119 Nr 3; MüKo-BGB/Busche, §  142 BGB Rn.  17; gegen eine Verallgemeinerung BGHZ 178, 16, 27 (ab­ weichend noch AG Hamburg NZM 1988, 233); zur aktienrechtlichen Bestätigung anfechtbarer Be­ schlüsse BGH NZG 2004, 235. 152  Kohte, AcP 185 (1985), 105, 137. 148 

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ten, ausgeschlossen ist.153 Für die Schaffung autonom durchsetzbarer Rechtspositio­ nen ist dies allerdings keine hinreichende Grundlage. Der Handelnde wäre vielmehr stets dem Risiko ausgesetzt, dass ihm bis zur Vollendung der Maßnahme die Grund­ lage entzogen wird. Grundsätzlich ist es daher möglich, auf diese Befugnis zu verzichten, was den Ver­ kehrsschutz zulasten der Dispositionsbefugnis des Einwilligenden stärkt. Von dieser Freiheit bilden die unabdingbaren gesetzlichen Widerrufsrechte (§  40 Abs.  2 AMG, §  35 Abs.  5 BDSG, §  630d Abs.  3 BGB, §  94 Nr.  4 TKG, etc.) eine Ausnahme. Eine wei­ tere Ausnahme liegt im bereits oben erörterten Simultaneitätsprinzip für die Einwil­ ligung in Eingriffe in das Besitzrecht.154 Hintergrund dieser Wertentscheidung ist die Friedensfunktion des Besitzes.155 Die dahinterstehende Erwägung lässt sich zudem auf Körper und Bewegungsfreiheit übertragen.156 In diesen Fällen ist daher eine un­ widerrufliche Einwilligung ausgeschlossen. Soweit hingegen schwächer ausgeprägte Positionen ohne physischen Zuweisungs­ gehalt betroffen sind, wie das Eigentum an einer vermieteten Sache, über welche die tatsächliche Sachherrschaft nicht ausgeübt werden kann, wird man einem mündigen Bürger auch die Möglichkeit zur unwiderruflichen Einwilligung zugestehen müssen. Eine andere Wertung wurde jedoch im Datenschutzrecht gesetzlich verankert.157 Dies macht die Weitergabe von personenbezogenen Daten an Dritte in großem Aus­ maß verkehrsfeindlich, da der Fortbestand des Nutzungsrechts stets vom Einver­ ständnis der betroffenen Personen abhängig ist. Es wäre daher verfehlt, diese Erwä­ gung auf alle Persönlichkeitsrechte zu übertragen, jedenfalls soweit diese kommerzi­ alisiert werden. Wer also einem anderen erlaubt, gegen Entgelt sein Bild als Foto oder Video zu nutzen, kann dies auch unwiderruflich ausgestalten. Erst Recht muss dies gelten, soweit nur die Nutzung eines Namens erlaubt wird, da hier der persönlich­ keitsrechtliche Kern nur gering ist.158 Im Urheberrecht kann ein Widerruf von Nut­ zungsrechten weitgehend ausgeschlossen werden, es verbleiben die Rückrufrechte nach §§  41, 42 UrhG. Erst Recht gilt die Möglichkeit einer unwiderruflichen Lizenz im Gewerblichen Rechtsschutz, da dort die (im Patentrecht nur noch ansatzweise erkennbaren) persönlichkeitsrechtlichen Aspekte völlig zurücktreten. Somit ist im Einzelfall zu untersuchen ob die konkrete Handlung eine besonders gewichtige Grundsrechtsposition betrifft; nur für derartige Eingriffe ist ein Wider­

153 

Kohte, AcP 185 (1985), 105, 138. Oben §  3A.I.1a, S. 301. 155  Dazu unten §  3B.II.2a, S. 340. 156  Dies ist der umgekehrte Ansatz zu Forkel, JZ 1974, 593, 595 der die Unwiderruflichkeit ab­ lehnt, weil sie den Einwilligenden zum bloßen Objekt macht Dies ist allerdings je nach Umfang der Erklärung nicht haltbar, vielmehr kann man gerade das Recht auch zur unwiderruflichen Erklä­ rung als Element der Menschenwürde qualifizieren; näher §  3B.II.1, S. 339. 157  Kohte, AcP 185 (1985), 105, 138. 158  BGH GRUR 1970, 528, 531. 154 

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

ruf zwingend zuzulassen.159 Maßstab ist dabei nicht die Einwilligungserklärung als abstrakte Grundlage, sondern die konkrete Form ihrer Ausübung.

III.  Verwandte Konstellationen Neben der Einwilligung existieren mit dem Handeln auf eigene Gefahr und der Ge­ schäftsführung ohne Auftrag weitere Konstellationen, in denen ein eigenmächtiger Eingriff in fremde Rechtspositionen auch ohne vorheriges Ersuchen staatlicher Stel­ len möglich ist. 1.  Handeln auf eigene Gefahr, Mitverschulden (§  254 BGB) Die Lücken im System der Einwilligung als Rechtsgeschäft werden durch die ver­ wandte Konstellation des Handelns auf eigene Gefahr160 geschlossen. Auch wenn dieses Konstrukt dogmatisch schillernd ist,161 ist man sich jedenfalls dahingehend einig, dass in gewissen Fallgruppen ein Schadensersatzanspruch ausscheiden soll. Exemplarisch ist die Verletzung bei der Teilnahme am Sport, solange jedenfalls die wesentlichen Regeln eingehalten werden162 oder anderen gefährlichen Veranstal­ tungen163 bzw. Autofahrten.164 Im Gegensatz zur Einwilligung fehlt es gerade an der Zustimmung zu einem bestimmten Erfolg, da die Schädigung gerade als uner­ wünscht oder sogar als unwahrscheinlich gar nicht bedacht ist.165 Zudem fehlt es im Regelfall an einer Einwilligungserklärung, die Rechtfertigung erfolgt allein aus den Umständen. Auf den ersten Blick liegt es nahe, die geschilderten Konstellationen durch ein überwiegendes oder gar ausschließliches Mitverschulden zu erfassen.166 Ergänzend kann man in bestimmten Konstellationen (dem „echten Handeln auf eigene Gefahr“) schon die Verletzung einer Pflicht des Schädigers verneinen, denn soweit diesen kei­ ne entsprechende Schutzpflicht trifft, muss er die Schädigung auch nicht verhin­ dern.167 Die zuletzt genannten Fälle werden aber in der Regel nicht als eigene Fall­ gruppe des Handelns auf eigene Gefahr geprüft, sondern ergeben sich zumeist 159  BayObLG NJW 1983, 1680 (Widerruf der Eintragung der Zugehörigkeit zu einer Kirche im Heiratsbuch); Canaris, AcP 184 (1984), 201, 233 f. (Verträge über Einschränkung der körperlichen Unversehrtheit); Kohte, AcP 185 (1985), 105, 138. 160  BGHZ 34, 355, 363. 161  So zutreffend Ohly, S.  225. 162  BGH NJW 2010, 537; BGHZ 63, 140, 144; BGH NJW 1976, 957, 958; OLG München NJW-RR 89, 726; OLG Karlsruhe NJW 1978, 705 (Bergtour); Füllgraf, VersR 1983, 705, 708. 163  AG Olpe MDR 1959, 302 (Schützenfest); siehe auch BGH NJW 1984, 801 ff. (fehlende Siche­ rungsmaßnahmen beim Eishockeyspiel führen zur Schädigung eines Zuschauers). 164  OLG Hamm NZV 2006, 85; BGHZ 35, 320, 355. 165  Soweit hingegen eine Generaleinwilligung in etwaige Schäden angenommen werden kann, spricht viel dafür, von einer Einwilligung auszugehen, Ohly, S.  231 f. 166  RGZ 141, 262, 265; Füllgraf, VersR 1983, 705, 705; Kohte, AcP 185 (1985), 105, 123; Jauernig/ Teichmann, §  823 BGB Rn.  55. 167  Stoll 1961, S.  366; abweichend aber Deutsch 1996, S.  328 f.

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zwanglos aus der Prüfung der Sorgfaltspflichtverletzung. Soweit es also ein „echtes Handeln auf eigene Gefahr“ gibt, ist durch die systematische Zuordnung nichts ge­ wonnen. Schwierigkeiten bereitet freilich die Übertragung dieser Überlegungen in das Strafrecht, wo das Korrektiv des §  254 BGB fehlt.168 Das Handeln auf eigene Gefahr dient in besonderem Maße dem Verkehrsschutz. Selbst wenn weder eine ausdrückliche noch eine konkludente Einwilligung vorliegt, kann sich in bestimmten Situationen eine Rechtfertigung aus den Umständen erge­ ben. Das praktische Bedürfnis hieran ist unbestreitbar, da in vielen Situationen der Beweis der konkreten Zustimmung ansonsten scheitern müsste. Soweit die gefährli­ che Tätigkeit aber erwünscht ist und kein Wissensvorsprung des Haftungsgegners besteht, wäre es unbillig, das Risiko eines Schadenseintritts nicht bei demjenigen zu belasten, bei dem sich der Schaden realisiert. Insoweit kann gerade im hier unter­ suchten Bereich der (kumulativen) Selbsthilfe das Handeln auf eigene Gefahr als Haftungsausschluss dienen. So mag es in einer Studentenwohngemeinschaft üblich sein, einen Innenausgleichsanspruch für gemeinsame Einkäufe (Putzmittel, u. ä.) in Gemeinschaftsräumen herumliegenden Münzen oder Geldscheinen zu befriedigen. 2.  Berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag (§§  677, 683 BGB) als subsidiäre Selbsthilfe Die Geschäftsführung ohne Auftrag erfasst diejenigen Fälle, die im Strafrecht unter die mutmaßliche Einwilligung subsumiert werden.169 Insoweit entfaltet sie auch als Rechtfertigungsgrund erhebliche Bedeutung.170 Sie geht aber, soweit der Wille nach §  679 BGB unbeachtlich ist bzw. keine Pflicht zur Ermittlung des aktuellen Willens besteht, darüber hinaus.171 Im Vergleich zu einer echten Einwilligung ist die Geschäftsführung ohne Auftrag schwächer, da der tatsächliche (zustimmende oder entgegenstehende) Wille im Sinne von §  683 S.  1 BGB nicht gegenüber dem Adressaten geäußert werden muss.172 Das Vertrauen auf eine vernünftige, interessengerechte Entscheidung oder einen zu ei­ nem früheren Zeitpunkt formlos geäußerten Willen wird also durch die Geschäfts­ führung ohne Auftrag nicht geschützt. Demgegenüber schafft eine ausdrückliche Einwilligung in den Grenzen möglicher Anfechtung oder Widerrufs eine zumindest teilweise geschützte Vertrauensposition.173 An die mutmaßliche Einwilligung bei medizinischen Heileingriffen werden sogar noch strengere Anforderungen gestellt, die nicht über den Umweg der Geschäftsführung ohne Auftrag unterlaufen werden 168 

Frisch, NStZ 1992, 1. Zitelmann, AcP 99 (1906), 1, 102; einschränkend Ohly, S.  220 ff. 170  BGH LM BGB §  683 Nr.  2; Staudinger/Bergmann, Vor §§  677 ff. BGB Rn.  243. 171  Ohly, S.  223 sieht die Rechtfertigung aus §§  677, 679, 683 S.  2 BGB insoweit zutreffend als ­einen Fall des kollektiven Notstands. 172 BGH NJW 1955, 747; BeckOK-BGB/Gehrlein, §   683 BGB Rn.  3; MüKo-BGB/Seiler, §  683 BGB Rn.  9. 173  Oben §  3A.II.3, S. 324. 169 

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

dürfen.174 Während eine nachträgliche Zustimmung bei der rechtfertigenden Ein­ willigung ausgeschlossen sein soll, ist diese im Rahmen einer Geschäftsführung ohne Auftrag ausdrücklich als nachträgliche Genehmigung zugelassen (§  684 S.  2 BGB). Obwohl die Einwilligung oben als Fall der kumulativen Selbsthilfe qualifiziert wurde175 und die mutmaßliche Einwilligung bzw. die Geschäftsführung ohne Auf­ trag dieser eng verwandt sind, muss damit nicht zwingend eine identische Beurtei­ lung als „Selbsthilfe“ einhergehen. Denn von ihrer Konzeption her ist die Geschäfts­ führung ohne Auftrag fremd- und nicht eigennützig.176 In der Praxis werden jedoch oftmals „auch-fremde“ Geschäfte vorliegen, die gerade auch dem eigenen Interesse des Geschäftsführers dienen.177 In diesen Konstellationen kann die Sicherung eines eigenen Rechts im Sinne des hier vertretenen Selbsthilfebegriffs durch Geschäftsfüh­ rung gerechtfertigt sein. Denkbar ist darüber hinaus die Sicherung fremder Ansprü­ che, soweit dies dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen desjenigen entspricht, zu dessen Gunsten gehandelt wird. Die Geschäftsführung ohne Auftrag ist der Regelung des §  229 BGB nur scheinbar verwandt, da die Sicherung privater Forderungen sich nicht als Erfüllung einer im öffentlichen Interesse liegenden Pflicht (§  679 BGB) qualifizieren lässt. Dies wurde oben bereits im Hinblick auf die Fremdhilfe,178 aber auch bezüglich der Ausgleichs­ ansprüche des zum Zwecke der Selbsthilfe Handelnden179 festgestellt. Dennoch ist die Geschäftsführung ohne Auftrag der „subsidiären Selbsthilfe“ im Sinne dieser Ar­ beit zuzuordnen.180 Diese Subsidiarität wird gerade in den Fällen des §  679, 1. Var. BGB deutlich, da die Durchsetzung von Pflichten im öffentlichen Interesse primär Aufgabe des Staates ist. In Abgrenzung zu §  229 BGB muss sogar ein noch weiter gesteigertes Interesse der Rechtsgemeinschaft und nicht nur des Gläubigers an der Erfüllung der Pflicht bestehen.181 Zutreffend wird insoweit eine Parallele zur Gefähr­ dung der öffentlichen Sicherheit im Sinne des Polizeirechts (§  8 PolG NRW, §  14 OBG NRW) gezogen.182 Obwohl es sich konstruktiv nicht um einen unmittelbar bei §  229 BGB angesiedel­ ten Fall der „Fremdhilfe zugunsten des Staates“ handelt, ist der Schutz des öffentli­ chen Interesses primär Aufgabe staatlicher Stellen. Anschaulich ist insoweit der Gie­ 174 

So auch Ohly, S.  223. Oben §  3A, S. 297. 176 RGZ 97, 61, 65 f.; Staudinger/Bergmann, Vor §§   677 ff. BGB Rn.  23, 129 ff.; BeckOK-BGB/ Gehrlein, §  677 BGB Rn.  11 ff. 177  BGH NJW 2000, 72; BeckOK-BGB/Gehrlein, §  677 BGB Rn.  15 f. 178  Oben §  1A.I.b.ee, S. 45. 179  Oben §  1B.II, S. 155. 180  Zutreffend insoweit Staudinger/Bergmann, §  679 BGB Rn.  18 („Mittel der privaten Vollstre­ ckung“). 181  Zitelmann, AcP 99 (1906), 1, Rn.  114 f.; MüKo-BGB/Seiler, §  679 BGB Rn.  5; Staudinger/Bergmann, §  679 BGB Rn.  21. 182  BGHZ 138, 281, 288; MüKo-BGB/Seiler, §  679 BGB 5; siehe bereits Prot. II S.  738 = Mugdan II, S.  563. 175 

B.  Notwehr, Besitzwehr und Besitzkehr

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belmauer-Fall: Der Abriss einer verkehrsgefährdenden Mauer ist Aufgabe der Baube­ hörden; nur wenn diese nicht rechtzeitig einschreiten können und auch der Eigentümer des Grundstücks die Gefahr nicht beseitigt, kommt überhaupt ein Ein­ schreiten des Nachbarn in Betracht.183 Erst Recht muss das bei Abschleppen von Fahrzeugen184 oder der Beteiligung an Löscharbeiten185 gelten. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang allerdings die Folge eines Irrtums. Während nach §  229 BGB ein unvermeidbarer Irrtum über die Verfügbarkeit hoheitlicher Hilfe unbeacht­ lich ist (§  231 BGB), soll der schuldlose Irrtum über das Erfordernis eines Einschrei­ tens nach §  679 BGB eine Haftung nach §  678 BGB gerade ausschließen.186 Soweit also tatsächlich eine Pflicht besteht, deren Erfüllung im öffentlichen Interesse be­ steht, aber entweder der Staat oder der Verpflichtete selbst bereits die Handlung vor­ nehmen kann und will, scheidet zwar ein Aufwendungsersatzanspruch nach §  683 S.  1 bzw. S.  2 BGB aus, aber es greift keine verschuldensunabhängige Haftung nach §  678 BGB. Darin kommt das besondere Interesse an der Erfüllung der in §  679 BGB erfassten Pflichten gegenüber der nur im Rahmen von §  229 BGB durchsetzbaren allgemeinen Pflicht zur Rechtstreue zum Ausdruck. Mit den schutzbedürftigen Be­ langen der Allgemeinheit wäre eine strenge Haftung und die damit einhergehende abschreckende Wirkung nicht vereinbar. Einen Grund für einen verstärkten Anreiz in Gestalt eines Aufwendungsersatzanspruchs gibt es hingegen nicht. Fehlt es hinge­ gen bereits an einer solchen Pflicht, d. h. geht der Geschäftsführer irrig davon aus, dass die von ihm vorgenommene Handlung eine Pflicht im öffentlichen Interesse erfüllt, ist der Wille des Geschäftsherrn schutzwürdig und die Haftung nach §  678 BGB greift ein.

B.  Notwehr, Besitzwehr und Besitzkehr Im Gegensatz zum im ersten Kapitel untersuchten Selbsthilferecht des §  229 BGB sind weder die Notwehr im Sinne von §  227 BGB noch die Gewaltrechte des §  859 BGB subsidiär gegenüber hoheitlichen Handlungen zur Rechtsdurchsetzung.187 An­ ders als die Selbsthilfe hat die Notwehr erhebliche praktische Bedeutung sowohl im Strafrecht, als auch im Zivilrecht. Dennoch soll sie im Rahmen dieser Arbeit nur kurz insbesondere in Abgrenzung zur Selbsthilfe nach §  229 BGB dargestellt werden. Dies rechtfertigt sich daraus, dass insoweit auf ein umfangreiches Schrifttum verwie­ sen werden kann, so dass nur auf die spezifischen Anwendungsfelder bei der privaten Rechtssicherung bzw. Durchsetzung eingegangen werden muss. Etwas näher werden demgegenüber die Gewaltrechte des §  859 BGB untersucht, da diese auf die Aufrecht­ 183 

BGHZ 16, 12, 13 ff. LG Limburg MDR 1965, 742. 185  RGZ 98, 195, 199 f. 186 Staudinger/Bergmann, §  679 BGB Rn.  30. 187  Oben §  1D, S. 189. 184 

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

erhaltung einer rein faktischen Rechtsposition weitgehend unabhängig von deren Berechtigung gerichtet sind. Insoweit nehmen sie eine gewisse Sonderstellung im System der primär auf Berechtigungen ausgerichteten Selbsthilfesystem ein. Not­ wehr, Besitzwehr und Besitzkehr setzen anders als §  229 BGB weder nach dem Geset­ zeswortlaut noch nach dem Verständnis der überwiegenden Auffassung in Literatur und Rechtsprechung188 die vorrangige Einschaltung staatlicher Stellen voraus. Nur ausnahmsweise kann eine staatliche Maßnahme ein milderes, gleich geeignetes Mit­ tel darstellen und daher privates Einschreiten nicht erforderlich sein. Es handelt sich aber auch nicht um Fälle alternativer Selbsthilfe; dem durch Notwehr Gerechtfertig­ ten bleibt es unbenommen, bei Fehlschlag seiner Handlung staatliche Stellen einzu­ schalten oder ergänzend Schadensersatz zu fordern. Vielmehr stehen gerade im Rah­ men der Notrechte staatliche und private Rechtssicherung gleichberechtigt nebenei­ nander, sind also „kumulativ“ im hier erörterten Sinne. Im Folgenden werden zunächst einige Grunderwägungen des Notwehrrechts und der Besitzschutzrechte des §  859 BGB erörtert (sub I). Sodann werden die geschützten Rechtsgüter in Abgrenzung zu den nur von §  229 BGB erfassten Rechtsgüter näher betrachtet (sub II). Eine umfassende Diskussion der zivilrechtlichen Folgen der Not­ wehr ist hingegen im hier untersuchten Kontext der Selbsthilfe nicht geboten, da die­ se in wesentlichen Punkten §  229 BGB ähnelt. Näher betrachtet werden sollen daher nur die Unterschiede zwischen den beiden Regelungen. Die Notwehr stellt einerseits im Hinblick auf die fehlende Subsidiarität geringere, andererseits hinsichtlich des Erfordernisses eines Bezugs zu absolut geschützten Rechtsgütern gesteigerte Anfor­ derungen.

I. Allgemeines Wie bereits festgestellt wurde, dient die Notwehr nicht dem Schutz eines abstrakten Rechtsguts als solchen, sondern bewirkt stets die Durchsetzung konkreter, relativer Unterlassungs-, Beseitigungs- oder Herausgabeansprüche.189 Gerade hierin liegt ihre individualschützende Funktion.190 Damit ließen sich aber viele oder, wenn man die Modalitäten in zutreffender Weise weit versteht, gar alle Fälle der Notwehr auch unter §  229 BGB subsumieren.191 Es ginge aber zu weit, §  227 BGB als bloße Klarstel­ lung oder gar als reinen Programmsatz zu verstehen. Wie ein Blick auf Rechtspre­ chung und Literatur zeigen, hat ganz im Gegenteil die Notwehr im Vergleich zur Selbsthilfe weit überragende Bedeutung.192 Neben den entsprechend in §  229 BGB zum Ausdruck kommenden Gedanken der Rechtsbewährung193 tritt dabei zusätz­ 188 

§  1D.IV, S. 197. Oben §  1A.II.2c, S. 88. 190  Näher zu dieser Zielrichtung Frister, GA 1988, 291. 191  Zur Geschichte vgl. Stiller, S.  7 ff. 192  Siehe schon Digesten 43, 16, 1, 27; RGSt 55, 82, 85; Frister, GA 1988, 291, 293; zum völker­ rechtlichen Verteidigungsrecht Art.  51 UN-Charta. 193  Die herrschende Meinung betont diesen Punkt als wesentlichen Unterschied zwischen Not­ 189 

B.  Notwehr, Besitzwehr und Besitzkehr

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lich der Rechtsgüterschutz im Sinne der Beseitigung einer Gefahr und die Aufrecht­ erhaltung des status quo, mithin die Ausräumung von Zweifelslagen als verstärkende Interessen. Insoweit hat die Notwehr durchaus naturrechtliche Aspekte:194 Die durch Notwehr geschützten Rechtsgüter sind greifbarer, ihrer Zuordnung regelmäßig ein­ deutig und daher ihre Verteidigung für die Bewahrung gemeinschaftlichen Zusam­ menlebens geradezu unerlässlich. Im Hinblick auf Irrtümer stellt sich dann wie bei dem fehlgeleiteten Vertrauen auf eine unwirksame Einwilligung das Problem, dass hierfür nur eine Haftung bei Fahr­ lässigkeit oder Vorsatz vorgesehen ist, während §  231 BGB eine Haftung auch bei unvermeidbaren Irrtümern anordnet.195 Soweit weder die Voraussetzungen des §  227 BGB noch des §  229 BGB vorliegen, etwa bei einer nur eingebildeten Gefährdung für das eigene Eigentum oder dem Ergreifen einer nicht erforderlichen Abwehrhand­ lung, ist eine Sperrwirkung des §  231 BGB kaum begründbar. Die unterschiedliche Behandlung rechtfertigt sich nur aus Sinn und Zweck der Haftung nach §  231 BGB:196 Die Verschärfung soll eine Privilegierung gegenüber der staatlichen Vollstreckung auf Grund eines fehlerhaften Urteils ausschließen. Bei irrigem Einschreiten staatli­ cher Stellen außerhalb der vorläufigen gerichtlichen Vollstreckung (etwa aufgrund der polizeirechtlichen Generalklausel) haften Bürger aber nur, soweit sie dieses Ein­ schreiten veranlasst haben.197 Daher besteht kein vergleichbares Bedürfnis bei Not­ wehr, Besitzwehr und Besitzkehr. Ebenfalls bereits erörtert wurde das schwierige Verhältnis von §  858 BGB und der daran anknüpfenden Besitzwehr und Besitzkehr zur Einwilligung.198 Die Recht­ sprechung und die ganz herrschende Literatur nehmen an, dass der an die tatsächli­ che Sachherrschaft anknüpfende possessorische Besitzschutz gegenüber jeglichem Eingriff geschützt ist, solange nicht im Zeitpunkt des Eingriffs ein „tatsächlicher Wille“ des Besitzers vorliegt, wonach der Eingriff erlaubt ist. 1.  Handlungen Dritter a) Nothilfe Anders als bei Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB ist die Möglichkeit einer Rechtfer­ tigung von Handlungen Dritter in §  227 Abs.  2 BGB ausdrücklich („…oder einem anderen…“) zugelassen. Ganz entschärft ist die Problematik damit aber nicht, da die Eingriffsrechte des Dritten sich noch immer vom Notwehrrecht des Rechtsgutträgers wehr und Notstand, vgl. MüKo-StGB/Erb, §  32 StGB Rn.  2; er bildet aber gerade eine Gemeinsam­ keit von Selbsthilfe und Notwehr, da beide unabhängig vom Wert der betroffenen Rechtsgüter auf den „geschuldeten“ Zustand abzielen. 194 MüKo-StGB/Erb, §  32 StGB Rn.  5; Luhmann, S.  150 f.; Krey/Esser, Rn.  470. 195  Oben §  3A.I.1c, S. 307. 196  Oben §  1C, S. 164. 197  Gegen eine GoA auch BGH NZV 2004, 131. 198  Oben §  3A.I.1a, S. 301.

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ableiten, so dass dessen Wille maßgeblich bleibt.199 Der naheliegende Einwand, dass die Notwehr wegen des Schutzes absoluter Rechtsgüter einen stärker überindividuel­ len Charakter als die Selbsthilfe aufweist,200 überzeugt nicht. Einerseits dient auch die Selbsthilfe nicht nur dem Gläubiger, sondern gewährleistet darüber hinaus das allgemeine Vertrauen in die Rechtsordnung sowie die Werthaltigkeit von Verträgen im Allgemeinen und dient der Aufrechterhaltung staatlicher Durchsetzungsbefug­ nis, was sicherlich als überindividueller Aspekt zu sehen ist.201 Andererseits zeichnet sich unsere Rechtsordnung gerade durch weitgehende, wenn auch nicht in jedem Fall uneingeschränkte, Dispositionsmöglichkeiten im Hinblick auf die einer Person zu­ geordneten Rechtsgüter aus. Man kann über seinen Besitz verfügen und Angriffe Dritter schlicht dulden, ohne gegen diese vorzugehen. Aus diesem Grund bestehen in subjektiver Hinsicht identische Anforderungen zum Handeln zur Durchsetzung fremder Ansprüche im Rahmen von §  229 BGB. b) Besitzschutz Für die Besitzschutzrechte des §  859 BGB ist im Gegensatz zu Notwehr (§  227 BGB) und Notstand (§§  228, 904 BGB, §  34 StGB) keine Hilfsbefugnis Dritter geregelt. Ak­ tivlegitimiert ist nach dem Wortlaut des §  859 Abs.  1 bis Abs.  3 BGB nur der Besit­ zer.202 Nach §  860 BGB wird zwar der Besitzdiener dem unmittelbaren Besitzer gleichgestellt; schon für den mittelbaren Besitzer ergibt sich aus dem Gesetzeswort­ laut keine Verteidigungsbefugnis.203 Wenig zielführend wäre es insoweit, auch den unberechtigten Besitz zum nach §  227 BGB geschützten Rechtsgut zu erklären und damit umfassend Notwehr zuzulassen.204 Damit würde die Wertung von §§  859, 860 BGB völlig durch das allgemeine Notwehrrecht überlagert, die Unterscheidung zwi­ schen der rein faktischen Besitzposition einerseits und dem Besitzrecht andererseits bliebe unbeachtet.205 Teilweise wird dennoch eine weitreichende Eingriffsbefugnis gegenüber Dritten auf Grundlage einer Geschäftsführung ohne Auftrag angenommen.206 Zur Begrün­ 199 

BGHSt 5, 245, 248; Staudinger/Repgen, §  227 BGB Rn.  43. In diese Richtung Staudinger/Repgen, §  227 BGB Rn.  7. 201  Oben §  1A.I.b.ff, S. 46. 202  Mugdan III, S.  509 (= Prot. S.  3360) stellt klar, dass die Notwehr ohnehin jedem zustehe, wäh­ rend Selbsthilfe grundsätzlich nur dem Anspruchinhaber eröffnet sei und stellt klar, dass solche Erwägungen im Rahmen von §  859 BGB irrelevant seien, da dort explizit an den „Besitz“ angeknüpft wird. 203  Arg. ex §  869 BGB, vgl. Mugdan III, S.  509 (= Prot. S.  3360 ff.); RGZ 146, 182, 190; MüKo-BGB/ Joost, §  859 BGB Rn.  7; abweichend Staudinger/Gutzeit, §  859 BGB Rn.  2 – wobei freilich die (zuge­ gebenermaßen schutzwürdige) Position des mittelbaren Besitzers bereits durch Notwehr (§  227 BGB) geschützt wird und die parallele Anwendung des §  859 BGB insoweit keine relevanten Vortei­ le mit sich bringt. 204  So aber MüKo-StGB/Erb, §  32 StGB Rn.  92; Hellmann, S.  136 ff. 205  Zur Bedeutung dieser Unterscheidung Sosnitza, S.  49. 206  Diskutiert freilich nur für die Besitzkehr, vgl. Wieling, S.  66 f.; Sosnitza, S.  169 f.; Staudinger/ Gutzeit, §  859 BGB Rn.  18; Klinck, Eckpfeiler des Zivilrechts, Rn.  43 (Fn.  40), der freilich zutreffend 200 

B.  Notwehr, Besitzwehr und Besitzkehr

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dung wird auf die Beurteilung im Rahmen von §  229 BGB Bezug genommen, auf ein praktisches Bedürfnis verwiesen und schließlich das Fehlen eines sachlichen Grun­ des für die Differenzierung betont. Allerdings wurde oben bereits für §  229 BGB fest­ gestellt, dass die nur im Innenverhältnis wirkende Geschäftsführung ohne Auftrag keinen hinreichenden Anknüpfungspunkt für eine Fremdhilfe bietet,207 sondern sich diese unmittelbar aus der Funktion des §  229 BGB ergibt.208 Wie ausgeführt be­ zieht sich die Geschäftsführung ohne Auftrag auf das Innenverhältnis zwischen Ge­ schäftsführer und Geschäftsherrn, nicht jedoch auf die Rechtsbeziehung zu Dritten. Eine abweichende Beurteilung der Fremdhilfe im Rahmen der Besitzkehr (§  859 Abs.  2, Abs.  3 BGB) von derjenigen im Rahmen der Selbsthilfe (§  229 BGB) rechtfer­ tigt sich durch die Besonderheiten von Gewaltmaßnahmen zugunsten des Besitz­ schutzes. Diese dienen nur dazu, in Zweifelssituation eine eindeutige Zuordnung zu gewährleisten und diese im Interesse des Rechtsfriedens bis zur Klärung durch Staatsorgane aufrechtzuerhalten.209 Während also §§  227, 229 BGB dem Schutz von subjektiven Rechten und dem Erhalt der Rechtsordnung dienen (also dem Soll­ zustand), sollen §§  858 ff. BGB nur die tatsächlich vorgefundene Situation (also den Istzustand) zur Vermeidung von Eskalationen beibehalten.210 Die vor diesem Hinter­ grund für erforderlich erachtete Ausweitung der Eingriffsbefugnisse gegenüber §  229 BGB muss aber im Hinblick auf das Schutzziel restriktiv gehandhabt werden. Der Gewaltvermeidung dient es gerade nicht, den Kreis der Eingriffsbefugnisse auszu­ weiten. Auch die Aufrechterhaltung des status quo sollte primär derjenige beurteilen, der aus der bisherigen Situation entsetzt wurde. Insoweit wäre es irrig, dem gesetzli­ chen Vertreter die Ausübung der Besitzschutzbefugnisse zuzuweisen.211 Auch eine vertragliche Delegation scheidet aus.212 Schließlich sollten auch unterstützende Tä­ tigkeiten Dritter nicht am Maßstab des §  859 BGB gemessen werden.213 Das behauptete praktische Bedürfnis nach einer Anwendung des §  859 BGB auf Handlungen von Personen, die nicht unmittelbarer Besitzer oder Besitzdiener sind, besteht allerdings ohnehin nicht.214 Zugunsten unterstützender Dritter greift viel­ mehr der regelmäßig parallel geltende Schutz der §§  227, 229 BGB. Der Helfer bedarf insoweit keines besonderen Schutzes, da er im Regelfall davon ausgehen kann, zu­ gunsten eines berechtigten Besitzers zu handeln und deshalb nach §  227 BGB ge­ erkennt, dass von der Geschäftsführung ohne Auftrag letztlich nur der Fremdgeschäftsführungs­ wille übernommen wird, der ohnehin Voraussetzung der Notwehr ist. 207  Oben §  1A.I.b.ee, S. 45. 208  Oben §  1A.I.c.cc, S. 53 209  Es handelt sich also um eine „Zweifelsregelung“, ebenso Hellmann, S.  70 ff.; Sosnitza, S.  4 0 ff.; Münzberg, 426 ff.; nach Mugdan III, S.  61 (= Mot. S.  110) ist das Verbot unmittelbarer Eigenmacht gerade nur ein Reflex des grundsätzlichen Gewaltverbots. 210  Sosnitza, S.  79. 211 So aber RGZ 146, 182, 190 (Vater hilft Sohn, Ball zurückzuerlangen); dazu bereits oben §  1A.I.b.bb, S. 41. 212  Anders OLG Dresden JW 1930, 945, 946; dazu oben §  1A.I.b.dd, S. 42. 213  Abweichend MüKo-BGB/Joost, §  859 BGB Rn.  3. 214 MüKo-BGB/Joost, §  859 BGB Rn.  3; Soergel/Stadler, §  859 BGB Rn.  2 .

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

rechtfertigt zu sein.215 Dies gilt auch bei der Entziehung von Vermögensgegenstän­ den; gegenüber dem mit der Beute fliehenden Dieb wird Notwehr (§  227 BGB) und nicht nur Selbsthilfe (§  229 BGB) erlaubt.216 In ähnlicher Weise wird bei einer Beein­ trächtigung der Sachsubstanz nicht nur der Besitz als rein faktische Rechtsposition, sondern auch das Eigentum oder zumindest das Besitzrecht217 betroffen, die nach §  227 BGB geschützt sind. Im Regelfall handelt der Dritte also nicht zugunsten der tatsächlichen Situation, sondern zum Schutz eines (absoluten oder relativen) Rechts und ist bereits deshalb gerechtfertigt. Soweit derjenige, zu dessen Gunsten Besitzwehr bzw. Besitzkehr verübt wird, we­ der Eigentümer war noch ein Besitzrecht hatte, unterliegt der Helfer einem Irrtum. Dieser schließt aber bei Notwehr im Sinne des §  227 BGB allerdings seine Haftung aus, soweit er unvermeidbar war.218 Diesbezüglich wird man regelmäßig die hinter §  1006 BGB stehende Vermutung zu seinen Gunsten entsprechend219 heranziehen können, so dass gegenüber §  859 BGB kaum ein Unterschied besteht. Wer also den Dieb davor beschützt, seinerseits bestohlen zu werden, mag zwar rechtswidrig han­ deln,220 ist aber jedenfalls entschuldigt. Dies bedeutet allerdings auch, dass insoweit Gegenwehr erlaubt ist, da §  227 BGB nur einen rechtswidrigen aber keinen schuld­ haften Angriff voraussetzt. Durchsetzbare Ansprüche im Sinne von §  229 BGB sind aber auch der possessori­ sche Herausgabeanspruch nach §  861 BGB bzw. der Unterlassungsanspruch nach §  862 BB, die auch dem Dieb zustehen. Wenn dieser Anspruch gefährdet ist und ob­ rigkeitliche Hilfe nicht verfügbar ist, kommt sogar eine objektive Rechtfertigung auf Grundlage von §  229 BGB in Betracht. Im Gegensatz zu §  859 BGB ist insoweit aller­ dings die für ein Jahr geltende Privilegierung von Personen zu beachten, gegenüber denen bzw. deren Rechtsnachfolgern der jetzige Besitzer fehlerhaft besitzt (§§  861 Abs.  2, 862 Abs.  2, 858 Abs.  2 BGB). Gegenwehr gegen den helfenden Dritten wäre rechtswidrig, da dieser rechtmäßig handelt und daher keinen Angriff verübt. Im Rahmen von §  229 BGB droht allerdings die strengere Haftung nach §  231 BGB ins­ besondere bei Irrtümern über die Erforderlichkeit oder die Verfügbarkeit hoheitli­ cher Hilfe.221 215  Zur Notwehrfähigkeit des berechtigten Besitzes RGSt 60, 273 (278); MüKo-StGB/Erb, §  32 StGB Rn.  92. 216  RGSt 55 84; Schönke/Schröder/Perron, §  32 StGB Rn.  15 217  Siehe zur Annäherung von Besitzrecht und Eigentum allgemein schon BVerfG NJW 1993, 2035 („Mieteigentum“). 218 BeckOK-BGB/Dennhardt, §  227 BGB Rn.  24 f.; MüKo-BGB/Grothe, §  227 BGB Rn.  26; Stau­ dinger/Repgen, §  227 BGB Rn.  20. 219  Zur unmittelbaren Unanwendbarkeit auf die geschilderte Konstellation Klinck, Eckpfeiler des Zivilrechts, Rn.  16; MüKo-BGB/Baldus, §  1006 BGB Rn.  14 f.; andeutungsweise aber Staudinger/ Gursky, §  1006 BGB Rn.  35, der auch Dritte einbezieht, die ihr Recht vom (gegenwärtigen oder frü­ heren) Eigenbesitzer ableiten. 220  Sofern nicht §  229 BGB zu seinen Gunsten eingreift, zu dessen Anwendbarkeit auf Unterlas­ sungs- und Herausgabeansprüche bereits oben §  1A.II.2c, S. 88 und sogleich. 221  Oben §  1C, S. 164.

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2.  Endgültige Folgen der Notwehrhandlung Oben wurde herausgearbeitet, dass die Abgrenzung der Selbsthilfe von einem schlichten Eingriff nur anhand des subjektiv bestimmten Handlungszwecks erfolgen kann.222 Bei der Notwehr und den Eingriffsbefugnissen des Besitzers stellt sich diese Problematik hingegen nur in geringerem Ausmaß. Aufgrund der besonderen Irr­ tumsregelung des §  231 BGB ist es erforderlich, die Selbsthilfe bzw. diesbezügliche Vorstellungen von der Annahme einer anderweitigen Rechtfertigung sauber abzu­ grenzen. Für die Notwehr und alle anderen Rechtfertigungsgründe schließen unver­ meidbare Irrtümer mangels Fahrlässigkeit eine Verschuldenshaftung hingegen aus. Während eine Selbsthilfehandlung eine Gefahr für die Verwirklichung eines An­ spruchs abwehren soll, aber §  229 BGB nur zur vorübergehenden Sicherung befugt, erlauben Notwehr (§  227 BGB), Besitzkehr und Besitzwehr (§  859 BGB) die endgülti­ ge Herstellung des geschuldeten Zustands. Dieser auf den ersten Blick höchst bedeu­ tende Unterschied zerschlägt sich allerdings schnell: Aufgrund der allen Regelungen gemeinsamen Grenze der Erforderlichkeit223 und des ebenfalls für beide Eingriffs­ grundlagen bestehenden Verbots des Rechtsmissbrauchs224 als äußere Grenze sind endgültigen Maßnahmen in jedem Fall Grenzen gesetzt. Faktisch kann zudem eine nach §  229 BGB gerechtfertigte Handlung auch ausnahmsweise endgültige Folgen haben (insbesondere die Zerstörung einer Sache oder das Überwinden von Wider­ stand).225 Soweit die Rechtslage unklar ist, wird schon das insoweit drohende Haf­ tungsrisiko endgültige Maßnahmen ausschließen. Da eine deliktische Haftung grundsätzlich Verschulden voraussetzt und §  231 BGB auf die Notwehr keine Anwendung findet,226 besteht die Gefahr einer Spirale von wechselseitigen, nicht kompensationspflichtigen Eingriffen, wenn alle Beteilig­ ten davon ausgehen, durch Notwehr gerechtfertigt zu sein.227 Dieses Risiko, das durchaus erhebliche soziale Einbußen zur Folge haben kann, nimmt die Rechtsord­ nung allerdings in Kauf. Darin kommt das Ziel zum Ausdruck, den Rechtsgüter­ schutz unbedingt zu sichern; ein Zweck, der im Hinblick auf bloß relative Rechte nur bedingt für erforderlich erachtet wurde. Für Kostenerstattungsansprüche muss ebenso wie bei §  229 BGB auf einen An­ spruch sui generis zurückgegriffen werden.228 Auch insoweit passen Schadensersatz­ regelungen nicht für alle Fälle, während die Annahme einer Geschäftsführung ohne Auftrag regelmäßig am entgegenstehenden Willen des Angreifers und dem Fehlen eines öffentlichen Interesses scheitert. Eine prozessuale Anknüpfung an die Regelun­ 222 

Oben §  1A.III.1, S. 94. §  1A.IV.3, S. 114; für eine weite Auslegung der Erforderlichkeit zutreffend Staudin­ ger/Gutzeit, §  859 BGB Rn.  8. 224  Anschaulich BayObLG 1965, 163; MüKo-BGB/Joost, §  859 BGB Rn.  10. 225  Zur „Befriedigungsselbsthilfe“ bereits oben §  1A.IV.3c, S. 118. 226  Oben §  1C.II.1, S. 167. 227  Anschaulich OLG Karlsruhe RuS 1990, 233. 228  §  1B, S. 150. 223  Oben

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

gen zum Kostenersatz kommt bei der in keiner Weise prozessual geprägten Notwehr erst Recht nicht in Betracht. 3. Schranken Anders als §  229 BGB enthält der Wortlaut von §  227 BGB und §  859 BGB keine Auf­ zählung der zulässigen Handlungen.229 Während §  227 BGB jede Handlung für nicht widerrechtlich erklärt, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswid­ rigen Angriff „abzuwehren“, erlaubt §  859 BGB „Gewalt“ um eine weggenommene Sache dem Täter „abzunehmen“ oder sich sonstiger verbotener Eigenmacht zu „er­ wehren“. Wenn man entsprechend den obigen Ausführungen die Aufzählung in §  229 BGB nur als beispielhaft versteht, führt dies zu keinen großen Unterschieden. Denn die in §  229 BGB genannten Handlungen sind der Versuch, Eingriffe in fremde Rechte zu nennen. Einzig die von §  229 BGB nicht erfasste Tötung des Schuldners kann als ultima ratio nur durch Notwehr (und auch dort nur unter einschränkenden Voraussetzungen)230 erlaubt werden. Von besonderer Bedeutung für die Begrenzung der Notwehr ist die ausdrücklich in §  227 BGB verankerte Erforderlichkeit. In §  859 BGB fehlt eine entsprechende Vo­ raussetzung. Jedoch folgt die rein dienende Funktion der „Gewalt“ aus dem Wort „erwehren“ (Abs.  1) bzw. dem auf die Abnahme der Sache bzw. das Erwehren bezoge­ nen „mit“.231 Schwieriger ist demgegenüber die Herleitung einer Beschränkungs­ möglichkeit aus sozialethischen Gesichtspunkten, die an die ebenfalls nur in §  227 BGB angeordnete „Gebotenheit“ der Handlung angeknüpft wird.232 Die Rechtspre­ chung hat sich dadurch nicht davon abhalten lassen, eine Korrektur über das Schika­ neverbot (§  226 BGB) oder über das Gebot von Treu und Glauben (§  242 BGB) einzu­ führen.233 Kein zulässiges Abwehrmittel sind daher völlig unangemessene Drohun­ gen.234 Für die zeitlichen Grenzen der Notwehr verlangt §  227 BGB die „Gegenwärtigkeit“ des Angriffs, d. h. die Gefahr muss zumindest unmittelbar bevorstehen und darf 229  Nach hier vertretener Auffassung (§  1A.V.1a, S. 120) ist diese Aufzählung allerdings nicht abschließend. 230  Arg. ex Art.   2 Abs.  2 a EMRK Frister, GA 1985, 553, 565; Schönke/Schröder/Perron, §  32 StGB Rn.  62; einen Rückgriff auf die EMRK lehnt MüKo-BGB/Grothe, §  227 BGB Rn.  17 ab, stellt aber fest, dass eine Tötung zugunsten bloßer Sachwerte bei Prüfung von Erforderlichkeit und Gebo­ tenheit ohnehin regelmäßig nicht gerechtfertigt wäre. 231  BGH WM 1968, 1356, 1357; OLG Koblenz MDR 1978, 141; vgl. MüKo-BGB/Joost, §  859 BGB Rn.  9. 232 MüKo-BGB/Grothe, §  227 BGB Rn.  19 ff.; Staudinger/Repgen, §  227 BGB Rn.  65 ff.; Dilcher, FS Hübner, S.  4 43, 451 ff. 233  BGH WM 1968, 1356, 1357; BGHZ 181, 233; BayObLG NJW 1965, 163 f.; BGH NStZ-RR 1999, 265. 234  BayObLGSt 63, 17, 21 (Drohung einen Störer zu überfahren, wenn dieser eine Parklücke nicht freigibt); BayObLG NJW 1965 (Drohung mit Hunden und Flinte, um Wanderer von nicht gekennzeichnetem Privatweg zu vertreiben).

B.  Notwehr, Besitzwehr und Besitzkehr

337

noch nicht beendet sein.235 Damit ist Präventivnotwehr grundsätzlich unzuläs­ sig,236 soweit aber das Opfer einer automatischen Abwehrvorrichtung (Fußangel, Selbstschussanlage, etc.) tatsächlich einen Angriff verübte, ist die Verletzung ge­ rechtfertigt.237 Das Risiko, dass die Maßnahme Unschuldige trifft, trägt also der in Notwehr Handelnde. Die Besitzschutzrechte sind in zeitlicher Sicht zunächst durch den Begriff der ver­ botenen Eigenmacht (§  858 Abs.  1 BGB) beschränkt, der eine fortdauernde Störung bzw. einen Entzug verlangt. Für die Besitzkehr genügt diese Begrenzung allerdings nicht, da der Besitzentzug ein Dauerzustand ist und die durch den possessorischen Besitzschutz bezweckte eindeutige Klärung der Sachlage ansonsten dauerhaft belas­ tet würde. Eine genaue zeitliche Grenze enthält jedoch nur §  859 Abs.  3 BGB in Bezug auf Grundstücke, wonach die Entsetzung „sofort nach der Entziehung“ erfolgen muss.238 §  859 Abs.  2 BGB formuliert ähnlich wie §  127 Abs.  1 StPO, dass der Störer „auf frischer Tat betroffenen oder verfolgt“ werden muss;239 die Dauer der einmal aufgenommenen Verfolgung ist zeitlich nach oben hin unbegrenzt.240 Die Anknüp­ fung ist also anders als in §  229 BGB, wo die Gefährdung der Wiedererlangung maß­ geblich ist, der Moment der erstmaligen Besitzentziehung. Eine Vertiefung der Gefähr­dungs­lage ist für den Besitzschutz irrelevant, da dieser nur auf die Aufrecht­ erhaltung des status quo, nicht hingegen auf die Sicherung der Rückerlangungsmög­ lichkeit gerichtet ist. Diesbezüglich bleibt also §  229 BGB (freilich unter Beachtung der Schranken des §  230 BGB) relevant. 235 BGH NJW 1995, 973; OLG Brandenburg NJW-RR 1996, 924 f.; Staudinger/Repgen, §  227 BGB Rn.  21 f. 236  BGH NJW 1979, 2053 (wobei im dortigen „Spannerfall“ eine Notstandslage bejaht wurde). 237 Soergel/Fahse, §  227 BGB Rn.  13; Staudinger/Repgen, §  227 BGB Rn.  23. 238  Wobei unklar ist, wie eng dieser Begriff zu verstehen ist; die Frist soll kürzer als bei „unver­ züglich“ sein, da ein Eingriff auch nach entschuldigtem Zögern den Rechtsfrieden gefährde (Mugdan III, S.  509 (= Prot. III S.  3358): „[Es] könne aber auch die nicht durch Gewalt gegenüber Personen sich vollziehende Selbsthilfe zu praktisch unnanehmbaren Verwicklungen führen, wenn sie zwar sofort nach der Kenntnis des Besitzers, aber erst geraume Zeit nach der wirklichen Besitzentziehung erfolge.“); demgegenüber soll es aber auch nicht zu eng ausgelegt werden (Mugdan III, S.  509 (= Prot. III S.  3358): „Bei einer engen Auslegung des Wortes „sofort“, könne allerdings das Wiederbemächti­ gungsrecht in seiner Wirksamkeit wesentlich beeinträchtigt werden; es sei jedoch zu erwarten, dass die Praxis zu einer dem Sinne der Vorschrift entsprechenden Auslegung gelangen und insbes. die Zulässigkeit des Wiederbemächtigungsrechtes auch in solchen Fällen bejahen werde, in denen der des Besitzes Entsetzte bevor er zur Selbsthilfe schreite, gewisse Vorbereitungsmaßregeln treffen müsse.“); dieser Aufforderung ist die Rechtsprechung in zunehmendem Umfang gefolgt, siehe etwa RG, GA 51 (1904), 191 (Maßnahmen am selben Nachmittag); AG Braunschweig NJW-RR 1986, 141 (am gleichen Tag und am folgenden Tag); LG Frankfurt NJW 1984, 183: „vier Stunden nach dem Abstellen“); LG Frankfurt NJW-RR 2003, 311 (Nachtzeit im Sinne von §  758a Abs.  4 ZPO unbeacht­ lich); enger AG Heidelberg NJW 1977, 1541. 239  Unzulässig ist es insoweit die Maßstäbe für „sofortiges“ Tätigwerden entsprechend heranzu­ ziehen, wie es OLG Schleswig NStZ 1987, 75 andeutet; dagegen zu Recht Hellmann, NStZ 1987, 455, 456; es genügt aber eine zeitliche Nähe zwischen Wegnahme und Rückholung (RGSt 59, 49, 50; BeckOK-BGB/Fritzsche, §  859 BGB Rn.  14; MüKo-BGB/Joost, §  859 BGB Rn.  13; Staudinger/Gutzeit, §  859 BGB Rn.  17). 240 Staudinger/Gutzeit, §  859 BGB Rn.  17.

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

Die an einen Dauerzustand anknüpfende Besitzwehr ermöglicht ein Vorgehen ge­ gen den Störer ohne Beschränkung auf die für Besitzkehr (§  859 Abs.  2, Abs.  3 BGB) vorgesehenen Fristen. In vielen Fällen kann aber auch eine Besitzstörung, die keine Wegnahme darstellt, nur durch Verschaffung der (alleinigen) tatsächlichen Sach­ herrschaft beseitigt werden. Dies ist etwa der Fall beim Überkleben von Gebäudeflä­ chen. In diesen Fällen sind Besitzwehr (§  859 Abs.  1 BGB) und Besitzkehr (§  859 Abs.  3 BGB) sauber voneinander abzugrenzen, um zu gewährleisten, dass die Be­ schränkung auf sofortiges Einschreiten beachtet wird.241 Im Zweifel werden dabei die zeitlichen Beschränkungen der Besitzkehr auch auf die Besitzwehr anzuwenden sein. Die Übertragung weiterer Schranken staatlicher Rechtsdurchsetzung242 wird im Rahmen von §  227 BGB, §  859 BGB anders als bei §  229 BGB nicht diskutiert. Dies ist vor dem Hintergrund, dass diese den eingreifenden Laien regelmäßig ohnehin nicht bekannt sind und eine Entscheidung in der jeweiligen Notlage ohnehin kaum möglich ist, zutreffend, verblüfft allerdings insoweit, als in Bezug auf §  229 BGB die­ ser Schrankentransfer ausführlich erörtert wird. Konsequent ist das Ergebnis der herrschenden Meinung allerdings, soweit man entsprechend der hier vertretenen Auffassung auch im Rahmen von §  229 BGB die Anwendung prozessualer Regelun­ gen ablehnt.

II.  Die geschützten Angriffsziele Voraussetzung der Notwehr ist ein „Angriff“ auf ein geschütztes Recht, Rechtsgut oder Interesse. Als Angriff genügt dabei jede durch ein menschliches Verhalten un­ mittelbar verursachte Gefährdung.243 Anders als die strafrechtliche Regelung des §  32 StGB erlaubt §  227 BGB nicht nur Verstöße gegen Strafnormen, sondern stellt wie §  229 BGB haftungsbegründendes Verhalten von zivilrechtlicher Haftung frei.244 Näherer Betrachtung bedarf dabei jedoch das für die Abgrenzung zur Selbsthilfe maßgebliche Angriffsziel. Hier wird ein sehr weiter Maßstab angelegt. Es sollen über absolut geschützte Rechtsgüter auch andere rechtlich geschützte Interessen in Be­ tracht kommen.245 In Abgrenzung zu §  229 BGB genügen reine Forderungen jedoch

241 

BGH NJW 1967, 46, 48. §  1A.V.2, S. 140. 243 Staudinger/Repgen, §  227 BGB Rn.  10; MüKo-BGB/Grothe, §  227 BGB Rn.  4; Soergel/Fahse, §  227 BGB Rn.  1. 244 Staudinger/Repgen, §  227 BGB Rn.  2; MüKo-BGB/Grothe, §  227 BGB Rn.  1. 245 Soergel/Fahse, §  227 BGB Rn.  4; Staudinger/Repgen, §  227 BGB Rn.  10; MüKo-BGB/Grothe, §  227 BGB Rn.  6; siehe schon Liszt/Schmidt, S.  139: „Unter den angegriffenen Rechtsgütern macht das Gesetz keinen Unterschied. Es ist unrichtig, die Notwehr auf Angriffe gegen Person und Besitz beschränken zu wollen: auch zum Schütze aller anderen Rechtsgüter, sei es des Einzelnen, sei es der Gesamtheit, ist Notwehr (mit Einschluß der Nothilfe) zulässig.“ 242 

B.  Notwehr, Besitzwehr und Besitzkehr

339

nicht.246 Nicht durch Notwehr schutzfähig ist daher etwa ein aus einem Arbeitsver­ trag folgendes „Recht am Arbeitsplatz“.247 1.  Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit Im Hinblick auf den Schutz der höchstrangigen Rechtsgüter Leben, Körper und Ge­ sundheit, die zudem mit einem unmittelbaren, greifbaren Objekt verknüpft sind, be­ gegnen private Schutzmaßnahmen grundsätzlich keinen Schwierigkeiten. Insbeson­ dere ist die räumliche Abgrenzung der Einflüsse auf den Körper objektiv möglich, dies gilt auch für unsichtbare Einflüsse wie Strahlen oder in der Atemluft befindliche, nicht wahrnehmbare Substanzen. Man kann allenfalls die konkrete Gefährdung die­ ser Rechtsgüter durch ein Verhalten wegen nicht nachgewiesener Kausalität bezwei­ feln.248 Tatsächlich waren Leib und Leben im Mittelalter das einzige Schutzgut der Notwehr.249 Die Ausdehnung auf andere Rechtsgüter, insbesondere Vermögens­ rechte, erfolgte erst später. Schwieriger ist demgegenüber schon die (Fortbewegungs-)freiheit, soweit es um die Möglichkeit geht, einen bestimmten Ort aufzusuchen (und nicht umgekehrt um das Recht einen Ort zu verlassen) berührt ist.250 Hier kommt eine Kollision mit dem Besitzschutz am betretenen Ort in Betracht.251 Den Materialien zum BGB zufolge wurde sogar überlegt, den Besitz seinerseits als Aspekt der Freiheit einzuordnen.252 Fraglich ist, ob man insoweit generell ein Zurücktreten des §  227 BGB gegenüber §  859 BGB annehmen kann, also, in welchem Umfang das durch die verbotene Eigen­ macht (§  858 BGB) gewährleistete Gewaltverbot sich gegenüber der Notwehr durch­ setzt und wann eine Notwehrmaßnahme insoweit eine Besitzstörung „gestattet“. Der Zugang zu einer Parklücke wird etwa nach ganz allgemeiner Ansicht ausschließlich über die Besitzkehr abgewickelt; würde man den Zugang zum Aufenthalt auf dem Parkplatz als Einschränkung der Fortbewegungsfreiheit erachten, würde die Besitz­ kehr konterkariert. Im Ergebnis wird man daher im Zweifel einen Zugang aus Grün­ den der persönlichen Freiheit nur mit Besitzkehr begründen können; umgekehrt 246  RG WarnR 1933 Nr 116; Schulze, NJW 2000, 2876; weitergehend allerdings Schünemann, S.  43 f. (vor dem Hintergrund des dort vertretenen Rangsystems der Rechtfertigungsgründe, dazu bereits §  1A.II.2c, S. 88; §  1D.III.2a, S. 191. 247  BAG NJW 1979, 236, 237. 248  Fernliegend allerdings LG Berlin NJW 1978, 2343, 2344 (Gesundheitsschädigung des Pas­ sivrauchens nicht nachweisbar); dagegen zu Recht MüKo-BGB/Grothe, §  227 BGB Rn.  7; Staudinger/ Repgen, §  227 BGB Rn.  11; bei Elektromagnetismus oder Funkwellen ist der Kausalzusammenhang hingegen bis heute ungeklärt. Dann ist das Notwehrrecht zu versagen und stattdessen nur defensive Selbsthilfe, §  2C, S. 283, möglich. 249  Liszt/Schmidt, S.  137. 250  Siehe dazu nur Löwisch/Krauß, DB 1995, 1330, die Notwehr arbeitswilliger Arbeitnehmer gegen Betriebssperren bejahen. 251  Siehe auch BGHZ 55, 153 zur Frage einer Eigentumsverletzung durch Festlegen eines Schiffs; die „Freiheit“ spricht der BGH nicht an. 252  Mugdan III, S.  61 (= Mot. III S.  110).

340

§  3  Kumulative Selbsthilfe

wird das Verlassen eines Ortes nicht aus besitzrechtlichen Gesichtspunkten verhin­ dert werden können. 2.  Verkörperte Vermögenswerte und tatsächliche Sachherrschaft a)  Eigentum und berechtigter Besitz Im Hinblick auf die tatsächliche Sachherrschaft wird die Notwehr durch Besitzwehr und Besitzkehr ergänzt. Die Existenz der besonderen Besitzschutzregeln des §  859 BGB erklärt sich vor allem vor dem Hintergrund, dass der dort angesprochene Besitz als überwiegend faktische Position sich nicht ohne Schwierigkeiten unter den Rechts­ gutbegriff des §  227 BGB subsumieren lässt.253 So kann man mit guten Gründen dem Verwahrer, Mieter oder Entleiher eine gegenüber Dritten254 wehrfähige Posi­tion zu­ erkennen. In der Tat wird namentlich bei der Wohnungsmiete eine Beziehung zur betroffenen Wohnung bestehen, die der traditionellen Eigentümerstellung nahe kommt.255 Ob eine Rechtfertigung dafür besteht, dass ein Kunde eines Supermark­ tes gegen andere Gewalt ausüben darf, um sich im Besitz bereits im Einkaufswagen gesicherter Ware zu erhalten, ist demgegenüber rechtspolitisch eher fragwürdig.256 Hier läge es näher, trotz Ergreifen der Ware bis zum Verlassen des Kassenbereichs von einem fortbestehenden unmittelbaren Besitz des Supermarktbetreibers auszuge­ hen. Denn eine schutzwürdige Rechtsposition besteht zuvor schon deshalb nicht, weil ein endgültiger Rechtserwerb noch von der freien Entscheidung des Verkaufs­ personals abhängt.257 Die Ware befindet sich ununterbrochen in der Besitzsphäre des Ladeninhabers.258 Damit ist ein (konsequenter) possessorischer Rechtsschutz des Kunden gegen den Ladenbetreiber kaum zu vereinbaren.259 Zweckmäßig wäre es vielmehr, den Besitz ausschließlich dem Supermarktbetreiber zuzuordnen, der inso­ weit auch als Konfliktlösungsinstanz zuständig wäre.260 Etwas anderes gilt nur, wenn der Kunde die Ware bereits in eine „Gewahrsamsenklave“ verbracht hat, insbe­ sondere also Gegenstände in seiner Kleidung oder seiner Hand hält, so dass auch der Zugriff des Ladeninhabers verhindert wird.261

253 Staudinger/Repgen,

§  227 BGB Rn.  8. Im Fall des Mieters sogar gegenüber dem Vermieter, Staudinger/Gutzeit, §  869 BGB Rn.  10; bedenklich insoweit LG Ellwangen/Jagst NJW 1954, 194 (Ausschluss der Gegenwehr, wenn diese gegen Treu und Glauben verstößt oder schikanös ist). 255  BVerfG NJW 1993, 2035. 256  Dies wird aber von Schulze, NJW 2000, 2876, 2878 bejaht. 257 MüKo-BGB/Busche, §  145 BGB Rn.  12; Schulze, AcP 201 (2001), 232, 233. 258  BGHZ 101, 186 (verborgener Geldschein im Supermarkt). 259  So aber Schulze, NJW 2000, 2876, 2878 (Fn.  27). 260  Insoweit ist es inkonsequent, dass Schulze, NJW 2000, 2876, 2877 den Ladenbetreiber ver­ pflichten will, den Kunden im Besitz der Gegenstände zu erhalten – denn dies wäre ihm mangels eines entsprechenden Selbsthilferechts rechtlich gar nicht möglich. 261  Siehe aus strafrechtlicher Sicht BGH NStZ 2008, 624. 254 

B.  Notwehr, Besitzwehr und Besitzkehr

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Im Vergleich zur Notwehr bilden die Gewaltrechte des Besitzers in der Gericht­ spraxis nur eine Randerscheinung;262 auch in der Literatur steht seit jeher das Not­ wehrrecht im Vordergrund. In den letzten Jahren wurde vor allem die Besitzkehr nach §  859 Abs.  3 BGB im Rahmen privaten Abschleppens bedeutsam.263 Soweit ein einheitliches Rechtsgutziels, der Ausschluss Dritter von einer Sache, in Rede steht, ist allerdings das Konkurrenzverhältnis der Regelungen zueinander zu beachten. So werden in der strafrechtlichen Literatur einhellig im Rahmen des rechtfertigenden Notstands (§  34 StGB) vorrangig §  228 BGB und §  904 BGB als Konkretisierungen geprüft.264 Dann sollte bei Maßnahmen zum Schutz von (verkörperten) Vermögens­ werten aber auch regelmäßig §  859 BGB265 vorrangig gegenüber §  227 BGB zur An­ wendung gelangen.266 Damit besteht für diese Regelung ein erheblich größerer An­ wendungsbereich als die Kommentierungen und Gerichtsentscheidungen vermuten lassen. Wegen der weitgehend identischen Voraussetzungen und Rechtsfolgen hat der Rückgriff auf §  227 BGB als eigentlich verdrängte allgemeine Regelung aber im Normalfall keine Folgen. Erst wenn ausnahmsweise die Interessen des Eigentümers mit denen eines nicht berechtigten unmittelbaren Besitzers kollidieren, entfaltet §  859 BGB eine eigene Bedeutung. b)  Der Schutz des nicht berechtigten Besitzers Grundsätzlich ist der unberechtigte Besitz von der Rechtsordnung nicht als dauer­ hafter Zustand gewollt.267 Der Dieb soll ebensowenig wie der Hehler eine absolut geschützte Rechtsposition innehaben. Derjenige, der gutgläubig eine abhanden ge­ kommene Sache erwirbt, soll kein Eigentum erlangen (§  935 BGB). Dennoch erlangt der Dieb unmittelbaren Besitz;268 eine Korrektur durch die Verkehrsanschauung269 ist insoweit nicht möglich. Sein Besitz ist nur relativ gegenüber seinem Besitzvorgän262 

Hellmann, NStZ 1987, 455, 456; Weber, FS Geppert, S.  749, 750. BGH NJW 2009, 2530; AG Magdeburg NJOZ 2008, 3662; AG Köpenick, NZV 2009, 609; AG Heidelberg NJW 1977, 1541; Koch, NZV 2010, 336; Paal/Guggenberger, NJW 2011, 1036; Schünemann, DAR 1997, 267 zum Folgeproblem der „Vorbereitungskosten“ BGH NJW 2012, 528. 264 MüKo-StGB/Erb, §  34 StGB Rn.  12; Schönke/Schröder/Perron, §  34 StGB Rn.  6; anders vor allem Hellmann, S.  106 ff. (da das Strafrecht ein geschlossenes System von Rechtfertigungsgründen biete). 265  Trotz der Parallelen zu §  229 BGB (Durchsetzung des Herausgabeanspruchs) ist auch §  859 Abs.  2 BGB primär ein konkretisierender Notwehrtatbestand, ebenso Hellmann, S.  144. 266  So müsste sowohl die Notwehr gegen den mit der Beute fliehenden Dieb als auch die Diskus­ sion um den gelähmten Obstbauern, der die früchtestehlenden Kinder nur mit seiner Schrotflinte von seinem Baum vertreiben kann, vgl. MüKo-StGB/Erb, §  32 StGB Rn.  217, im Rahmen von §  859 BGB diskutiert werden. Ablehnend zur Anwendung von §  859 BGB im Strafrecht Hellmann, S.  150 (da das Strafrecht ein geschlossenes System von Rechtfertigungsgründen liefere). 267  Dagegen spricht auch nicht, dass der Herausgabeanspruch nach §  985 BGB verjährt, krit. Siehr, 346–347 (mit rechtsvergleichenden Nachweisen), da eine Weiterveräußerung diesen erneut aufleben lässt. 268  Vgl. nur BGH NStZ 2009, 37. 269  BGHZ 101, 186, 188; Staudinger/Gutzeit, §  854 BGB Rn.  6. 263 

342

§  3  Kumulative Selbsthilfe

ger „fehlerhaft“ (§  858 Abs.  2 S.  1 BGB), was zwar innerhalb eines Jahres die staatliche Durchsetzung des possessorischen Rechtsschutzes verhindert, aber einer Verteidi­ gung im Wege des §  859 BGB nicht entgegensteht.270 Gegenüber Dritten stehen ihm hingegen die Gewaltbefugnisse nach §  859 BGB vollumfänglich zu. aa)  Friedensfunktion des Besitzes Angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Unerwünschtheit von unberechtigtem Besitz bedürfen Besitzwehr und Besitzkehr besonderer Rechtfertigung. Der insoweit von §  227 BGB unabhängige Besitzschutz gewährleistet, dass auch unter Dieben kein rechtsfreier Raum entsteht,271 sondern die tatsächliche Sachherrschaft gegen Zugrif­ fe Dritter geschützt und damit eine weitere Vertiefung der Gefährdungslage verhin­ dert wird. Eine Ausnahme gilt insoweit allein für den früheren berechtigten Besitzer, dem gegenüber der Dieb „fehlerhaft“ besitzt (§  858 Abs.  2 BGB). Insoweit erfüllt der Besitz eine „Friedensfunktion“,272 da die Innehabung der tatsächlichen Sachherr­ schaft regelmäßig nur durch staatlichen Zwang aufgehoben werden darf und eine Selbsthilfe ausgeschlossen wird. Der nicht an die rechtliche Befugnis, sondern nur an die tatsächliche Sachherrschaft anknüpfende Besitzschutz hat daher primär eine Be­ wusstseinsbildungsfunktion.273 Diese auf den ersten Blick schlüssige Konstruktion wird aber in erheblichem Um­ fang durchbrochen. Während dem Besitzdiener (§  855 BGB) gegenüber Dritten im­ merhin noch die Befugnisse des §  859 BGB zugestanden werden (§  860 BGB), fehlt dem ebenfalls durch die Gewaltrechte geschützten Erbenbesitzer (§  857 BGB) jegli­ cher tatsächlicher Einfluss. Soweit ihm also possessorische Besitzschutzrechte zuge­ standen werden, weil er in die unmittelbare Besitzstellung einrückt, fehlt gerade die tatsächliche, körperliche Beziehung zur Sache und damit die von §  859 BGB zu kor­ rigierende Gefährdungslage.274 Obwohl die Auslegung des „Gewahrsams“ im Straf­ recht diese Probleme weitgehend zu vermeiden sucht, ist die tatsächliche Sachherr­ schaft auch dort im Lichte der Verkehrsanschauung zu betrachten.275 Sicherlich würden erhebliche Schutzlücken entstehen, wenn man eine dauerhafte Beherrschung verlangen würde: Das am Straßenrand abgestellte Auto oder die wegen einer Ur­ laubsreise verlassene Wohnung stünden nicht mehr im Besitz bzw. Gewahrsam der jeweils Berechtigten. Auch der „fehlerhafte Besitz“ als Ausnahme zur verbotenen Ei­ genmacht ist nicht unproblematisch. Da er über §  858 Abs.  2 BGB an die Bösgläubig­ 270 Staudinger/Gutzeit,

§  859 BGB Rn.  3; MüKo-BGB/Joost, §  859 BGB Rn.  3. NStZ 2009, 37; BeckOK-BGB/Fritzsche, §  859 BGB Rn.  5; Jauernig/Berger, §  858 BGB Rn.  1; Staudinger/Gutzeit, §  858 BGB Rn.  58. 272  Sosnitza, S.  4 0 ff.; Münzberg, S.  4 26 ff. 273 MüKo-BGB/Joost, §  859 BGB Rn.  1. 274  Weber, S.  112 gibt das Beispiel, dass jemand Holz vor einer Waldhütte gestapelte Holz mit­ nimmt, während der Eigentümer möglicherweise sogar im Ausland schläft. Dann ist die Gefahr, dass es zu einem gewaltsamen Konflikt kommt, geradezu ausgeschlossen; zur Problematik siehe auch Klinck, Eckpfeiler des Zivilrechts, Rn.  4 ff. 275  BGHSt 20 196; Schönke/Schröder/Eser/Bosch, §  242 StGB Rn.  38. 271  BGH

B.  Notwehr, Besitzwehr und Besitzkehr

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keit und damit einen subjektiven Zustand anknüpft, genügt die schlichte Publizität der Sachherrschaft nicht. bb)  Kollision von Eigentums- und Besitzschutz Aus Sicht des hier untersuchten tatsächlichen Besitzschutzes sind die soeben ange­ sprochenen Grenzfälle des Besitzbegriffs jedoch im Regelfall unproblematisch: Der abwesende unmittelbare Besitzer kann ohnehin nicht die in §  859 BGB angesproche­ ne Gewalt verüben, ebenso wenig der Erbenbesitzer, der von seinem Erbe keine Kenntnis hat. Bedeutung erlangen diese Ausdehnungen der tatsächlichen Sachherr­ schaft daher fast ausschließlich im Rahmen des gerichtlichen Besitzschutzes (sowohl possessorisch als auch petitorisch) sowie als Korrektur des Publizitätsprinzips, ins­ besondere als Einwand gegen einen gutgläubigen Eigentumserwerb (§  935 BGB).276 Eine Bedeutung kommt dem durch Rechtsnormen oder die Verkehrsanschauung konstruierten unmittelbaren Besitz ohne tatsächliche Sachherrschaft allerdings zu, soweit Schutzmaßnahmen von Dritten, die nicht Besitzdiener sind, vorgenommen werden oder automatische Schutzmechanismen zur Aufrechterhaltung der Position genutzt werden. Vor dem Hintergrund dieser Grenzunsicherheiten erklärt sich die restriktive Zulassung von Besitzschutzmaßnahmen durch Personen, die nicht selbst Besitzer sind.277 Nur so kann eine unüberschaubare Erhöhung der Gefahr für den Rechtsfrieden durch Vergrößerung der an gewaltsamen Auseinandersetzung betei­ ligten Personen verhindert werden. Im Fall des unberechtigten Besitzes wird derjeni­ ge, der schützend eingreift daher nicht durch §  859 BGB gerechtfertigt, selbst wenn er von der Berechtigung des bisherigen Besitzers ausgeht; anwendbar bleiben freilich §§  227, 229 BGB. Fraglich ist, was gilt, wenn die Gewaltrechte des §  859 BGB einer Person mit dem auf Eigentum (oder berechtigtem Besitz) begründeten Notwehrrecht (§  227 BGB) ei­ ner anderen Person kollidiert. Im Hinblick auf die Besitzkehr (§  859 Abs.  2 BGB) ist die Frage eindeutig entschieden und wird nicht einmal diskutiert. Der Eigentümer einer Sache darf dem Dieb eine gestohlene Sache nur im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Sachentziehung durch diesen wegnehmen (§  859 Abs.  2 ­BGB).278 Die Notwehr im Sinne von §  227 BGB kann keine darüber hinausgehende Wegnahme zulassen, obwohl der Angriff auf das Eigentumsrecht durch die Vorent­ haltung der Nutzungsmöglichkeit fortdauert. Die Gewaltrechte des §  859 BGB sind daher in Bezug auf die Besitzentziehung lex specialis zu §  227 BGB. Rechtsprechung und herrschende Lehre behelfen sich freilich durch eine Beschränkung des Begriffs der Gegenwärtigkeit.279 Diese soll nur noch für den „mit der Beute fliehenden

276 MüKo-BGB/Joost,

Vor §  854 BGB Rn.  13; Sosnitza, S.  28 ff.; Ernst, S.  23 f. Oben §  3B.I.1b, S. 332. 278  Klinck, Eckpfeiler des Zivilrechts, Rn.  4 2; Staudinger/Gutzeit, §  859 BGB Rn.  16. 279  Oben §  3B.I.3, 336. 277 

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

Dieb“280 bejaht werden, aber keinesfalls darüber hinaus. Die damit angesprochene Fluchtkonstellation entspricht jedoch gerade §  859 Abs.  2 BGB. Durch die angesichts der dauerhaften Störung der Rechtsposition281 unbeholfen konstruierte Verneinung einer Fortdauer des Angriffs gelangt man somit zum erforderlichen Gleichklang der Normen. Im Hinblick auf die nicht auf Herausgabe gerichtete Besitzwehr im Sinne von §  859 Abs.  1 BGB wird hingegen teilweise vertreten, dass Besitzwehr gegen den Eigentümer oder dessen Beauftragte ausgeschlossen sei.282 Vielmehr müsse der nicht oder jeden­ falls nicht so berechtigte Besitzer den durch Notwehr gerechtfertigten Eingriff des Eigentümers dulden. Beispielsweise soll der Eigentümer trotz erfolgter Gebrauchs­ überlassung den Mieter mit Gewalt davon abhalten dürfen, Bäume zu fällen oder Möbel zu verheizen; die Gegenwehr des Mieters sei unzulässig. Die naheliegende Überlegung, dass der Eigentümer durch §  227 BGB zur Abwendung einer Gefahr für sein Eigentum handeln dürfe, damit die Störung des unmittelbaren Besitzes durch „das Gesetz“ gestattet sei und somit keine verbotene Eigenmacht (§  858 BGB) vorliege, geht jedoch fehl. Dadurch würde die Entscheidung über Inhaberschaft und Umfang des Besitzrechts in die Gewaltsituation verlagert.283 Die am konkreten Konflikt betei­ ligten Personen sind hierzu regelmäßig mangels rechtlicher Erfahrung, begrenzter Zeit und individueller Befangenheit zu einer Entscheidung jedoch überhaupt nicht in der Lage. Genau dieses Problem soll durch Abstellen auf die tatsächliche Sachherr­ schaft jedoch vermieden werden; die Befriedungsfunktion des §  859 BGB liefe ins Leere.284 Danach darf also der Vermieter nicht im Wege der Notwehr gegen eine Beschädigung der Mietsache durch den Mieter vorgehen, sein Eingriff ist insoweit nicht „gestattet“.285 Die Frage, wer besser berechtigt ist, bleibt im Rahmen des §  859 BGB außer Betracht, eine Rechtfertigung durch §  227 BGB scheidet insoweit aus.286 Damit ist der Eigentümer gegenüber dem missbräuchlich handelnden Besitzer nicht schutzlos gestellt. So steht ihm die Möglichkeit offen, seine rechtlichen Ansprü­ che im Wege eines staatlichen Verfahrens durchzusetzen. Ist obrigkeitliche Hilfe nicht zu erlangen, kann er im Wege der Selbsthilfe einschreiten (§  229 BGB), um die Verwirklichung seiner Ansprüche (etwa auf Herausgabe der gemieteten Sache, §  546 BGB) zu sichern. Er riskiert dabei jedoch die Haftung nach §  231 BGB, die im Rah­ men eines Notwehrrechts gerade nicht eingreift.287 280  RGSt 55, 82, 84; BGHSt 48, 207, 209; LG München I NJW 1988, 1860; vgl. Lackner/Kühl/ Kühl, §  32 StGB 4; Mitsch, NJW 1989, 25, 26. 281  Siehe zur Besitzstörung ohne Wegnahme, etwa durch Versperren des Fahrtwegs eines Kraft­ fahrzeugs, OLG Karlsruhe NJW 1986, 1358, OLG Schleswig NJW 1984, 1470; Schönke/Schröder/ Perron, §  32 StGB Rn.  11; Staudinger/Repgen, §  227 BGB Rn.  27. 282 Staudinger/Gutzeit, §  859 BGB Rn.  13; Wieling, S.  66. 283  BGH WM 1971, 943, 944; MüKo-BGB/Joost, §  858 BGB Rn.  8. 284  §  3B.I.1b, S. 332. 285  Nipperdey/Enneccerus, §  240 Fn.  6; MüKo-BGB/Grothe, §  227 BGB Rn.  7. 286  Münzberg, S.  430. 287  Oben §  1C.II.1, S. 167.

B.  Notwehr, Besitzwehr und Besitzkehr

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cc)  Befriedungsfunktion und vernetzte Produkte (1)  Anfängliche und nachträgliche faktische Nutzungsbeschränkungen Die Befriedungsfunktion der tatsächlichen Sachherrschaft als Anknüpfungspunkt für die vorläufige Klärung der Rechtslage wird im elektronischen Kontext zuneh­ mend in Frage gestellt. In den meisten neueren Geräten ist Software als sog. „Firm­ ware“ integriert.288 Diese erfüllt diverse nutzungsbeschränkende und nutzungsaus­ schließende Zwecke. In der Presse wurde zuletzt auf die durch Software zwangsweise begrenzte Zahl von einem Drucker auszugebender Seiten hingewiesen.289 Rein durch Software gesteuerte Begrenzungen existieren aber etwa auch bei PKW, die so auf eine bestimmte Höchstgeschwindigkeit gedrosselt werden.290 Soweit eine solche Beschränkung bereits bei Erwerb der unmittelbaren Sachherr­ schaft oder des Eigentums vorhanden war, ergeben sich keine Schwierigkeiten. Denn der Betroffene besaß nie ein fehlerfreies Produkt, ein nachträglicher Eingriff in seine Rechte ist nicht erfolgt. Etwas anderes gilt jedoch im Kontext vernetzter Produkte.291 Diese ermöglichen es, die Nutzungsmöglichkeit eines physischen Gegenstands unabhängig vom Zugriff auf das Objekt aus der Ferne nachträglich zu beschränken oder sogar ganz zu unter­ binden. So ist es möglich, einen Laptop oder ein Smartphone nicht nur mobil zu or­ ten, sondern auch Daten zu löschen oder das Gerät völlig unbrauchbar zu machen.292 Hinzuweisen ist auch auf die Tendenz, bei der Überlassung von Computersoftware von Vornherein eine Befugnis zum Löschen von Inhalten oder Unbrauchbarma­ chung der installierten Programme vorzusehen.293 Ein genereller „Kill Switch“ ist insoweit für viele Produkte bereits heute Realität.294 Eine gewaltsame Auseinandersetzung mit der Gefahr von Exzessen, bei der ehe­ maliger und jetziger Besitzer sich unmittelbar begegnen, ist in diesen Konstellatio­ 288  Zum Schutz durch das Urheberrecht als Software vgl. Begr. 2. Ges. zur Änderung des Urhe­ berrechtsgesetzes, BT-Drs. 12/4022, S.  9; Dreier/Schulze/Dreier, §  69a UrhG Rn.  13. 289  Siehe etwa struzyna.de/Drucker-Reset.html: „HP Laserjets müssen nach 50.000 Ausdrucken zur Generalüberholung […]. Leider soll zeitgleich der Drucker seinen Dienst verweigern und nur HP selbst kann ihn wieder zum Leben erwecken.“ 290  Siehe etwa www.howstuffworks.com/car-driving-safety/safety-regulatory-devices/speedlimiter.htm: „Once you reach a pre-determined top speed, the computer steps in and restricts the flow of air and fuel to the engine and even the sparks that cause combustion. Either way, you’ll be unable to exceed the top speed as determined by the car’s manufacturer.“ 291  Picker, CWRLR 55 (2005), 749 spricht von „evolving products“. 292 Siehe nur www.intel.de/content/www/de/de/architecture-and-technology/anti-theft/antitheft-consumer-technology.html. 293  Siehe etwa windows.microsoft.com/en-us/windows/store-terms-of-use: „In cases ­where your security is at risk, or where we’re required to do so for legal reasons, you may not be able to use apps or access content that you previously acquired or bought a license for. In cases where we remove a paid app from your Windows 8 device not at your direction, we may refund to you the amount you paid for the license.“ 294  Siehe nur das US-Patent Nr.  8, 254, 902 der Firma Apple, dass ein Verfahren zur Funktions­ aufhebung je nach räumlicher Position des Nutzers schützt.

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

nen nicht erforderlich. Dennoch werden dadurch erhebliche, rechtlich und wirt­ schaftlich relevante Eingriffe in fremde Befugnisse ermöglicht. Nach der herkömm­ lichen Auffassung ist ein Löschen oder Verändern von Daten ein Eingriff in Besitz und Eigentum am physischen Datenträger also am Gerät.295 Eine diesbezügliche vorherige Einwilligung des Besitzers wäre wegen §  858 BGB unbeachtlich, entschei­ dend wäre nur die Willensübereinstimmung im Zeitpunkt des konkreten Ein­ griffs.296 Insoweit fehlt für den Realakt der Zerstörung oder Beschädigung von Sa­ chen durch einen netzwerkbasierten „Kill Switch“, also einer „Gewaltanwendung“ im Sinne von §  858 BGB, die in der Rechtsgeschäftslehre vorgesehene Fiktion der gleich­ zeitigen Anwesenheit der Beteiligten (§  147 Abs.  1 S.  2 BGB). Das gesetzgeberische Leitbild des 19. Jahrhunderts, in dem zur Einwirkung auf den Besitz stets eine gleich­ zeitige Anwesenheit erforderlich ist und daher die Gewaltrechte des §  859 BGB zur Aufrechterhaltung des Friedens genügen, entspricht für diese Fälle nicht der Realität. Die wechselseitigen Angriffe erfolgen vielmehr auf Distanz. Angesichts der betroffenen wirtschaftlichen Werte besteht in jedem Fall Kon­ fliktpotential. So kann ein böswilliger Verkäufer eines Gebrauchtgerätes durch die netzwerkbasierte Schutzfunktion das Gerät beim Käufer funktionsunfähig machen, wenn die Übertragung nicht ordnungsgemäß beim Hersteller gemeldet wurde. Vor­ stellbar ist auch, dass Hacker die Funktion benutzen, um das Gerät ungerechtfertigt zu zerstören. Darf sich dann der Besitzer eines durch solche Technologien geschütz­ ten Geräts gegen die immanent bestehende Gefahr einer illegalen Löschung schüt­ zen, indem er die Schutzmechanismen selbstständig auch gegen den Willen des Her­ stellers entfernt? Umgekehrt muss man aber auch fragen, inwieweit die Unbrauch­ barmachung von Geräten einen nach §  859 BGB zu rechtfertigenden Eingriff in den (fehlerhaften) Besitz des Diebes darstellt. Greifen dann die zeitlichen Schranken von §  859 Abs.  2 BGB auch für Selbstschutzmaßnahmen des Geräteinhabers gegen den Dieb? Diese Fragen sind im Folgenden näher zu untersuchen. (2)  Externe Dienstleistungen Auf den ersten Blick scheinen die soeben erörterten Konstellationen nur ein Unter­ fall eines schon lange bekannten Phänomens zu sein. In den geschilderten Fällen liegt das wirtschaftliche Interesse nicht nur in der bloßen Sachherrschaft im Sinne der Innehabung des Objekts, sondern vielmehr in dessen tatsächlicher Nutzbarkeit für den verkehrsüblichen Zweck. Ein Drucker soll drucken, ein Auto soll (schnell) fahren, ein Computer soll zur Arbeit nutzbar sein. Diese Abhängigkeit der Verwend­ barkeit eines Gegenstands von äußeren Umständen besteht aber in gleicher Weise bei einer Bankautomaten-Karte: Auch bei dieser liegt der primäre Wert nicht in der Kontrolle über den Gegenstand als solchen, sondern in der Zugriffsmöglichkeit auf 295 So die (noch) hM, vgl. OLG Oldenburg ZD 2012, 177; OLG Karlsruhe NJW 1996, 200; ­ üKo-BGB/Wagner, §  823 BGB Rn.  165; anders freilich Beurskens, Jahrbuch Junger Zivilrechtswis­ M senschaftler 2008, S.  4 43; siehe auch oben §  1A.V.1c.bb, S. 128. 296  §  3A.I.1a, S. 301.

B.  Notwehr, Besitzwehr und Besitzkehr

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das zugehörige Konto. Wird die Karte gesperrt, wird der Besitz entwertet;297 demge­ genüber begründet der Verlust der Sachherrschaft als solcher nur eine gesteigerte Gefahr für den Zugriff auf das Konto, der Wert der Karte als Sache ist gering. Weitergehend kann man sogar die Parallele zur bereits erörterten Abhängigkeit des Besitzgenusses vom Zugang zu davon unabhängigen Dienstleistungen ziehen. Wer eine Wohnung besitzt, benötigt zu deren Nutzung (jedenfalls nach kontinental­ europäischen Maßstäben) Heizung, Elektrizität und Wasser bzw. Abwasser. Den­ noch stellt das „Ausfrieren“ von Mietern keine verbotene Eigenmacht dar.298 Ebenso­ wenig stellt das fehlende Bereitstellen einer Mobilfunkverbindungen einen Eingriff in das Besitzrecht des Erwerbers eines (nicht vertragsgebundenen) Mobiltelefons oder die unterbliebene Lieferung einer Lesehilfe einen Eingriff in den Besitz eines fehlsichtigen Käufer an einem Buches dar. Die fließende Grenze zwischen der Überlassung des Besitzes an einem Datenträ­ ger oder Gerät, der durch eine Löschung oder Veränderung beeinträchtigt werden kann und der Inanspruchnahme einer Dienstleistung, bei der nur vertragliche An­ sprüche in Betracht kommen, zeigt sich vor allem im Bereich moderner Anwen­ dungssoftware.299 Wer Daten redundant in der „Cloud“300 speichert, muss damit rechnen, dass diese auf viele Orte verteilt werden; bestenfalls wird eine lokale Siche­ rungskopie vorgehalten, im schlimmsten Fall wird ausschließlich im Browser gear­ beitet und eine vollständige Kopie existiert nur in der Ferne.301 Dabei steht die tat­ sächliche Sachherrschaft über die verwendeten Leitungen und Server als Datenträ­ gern unterschiedlichen Personen, aber keinesfalls dem „Inhaber“ zu. Die Inhaber der Sachgewalt über die technischen Systeme agieren in Bezug auf die Inhalte nur als Hilfspersonen (entsprechend einem Besitzdiener). Die soeben geschilderten Konstellationen beziehen sich jedoch allesamt auf Dienstleistungen, von denen zwar der Sachgenuss abhängig ist, die jedoch nicht die Sache als solche umgestalten oder verändern. Die Sperre der EC-Karte beeinflusst ebenso wie die Verweigerung der Versorgung mit Strom, Wasser oder Heizung die 297  Im Strafrecht wird diese Diskussion im Rahmen der „Sachwerttheorie“ für den Gegenstand der Zueignungsabsicht in §  242 StGB diskutiert, vgl. dazu RGSt 26, 151 (Wegnahme einer EC-Karte in der Absicht Geld abzuheben, aber die Karte zurückzugeben ist keine beabsichtigte Enteignung); anders aber bei Sparbüchern, Prepaidkarten etc., RGSt 26, 151; Schnabel, NStZ 2005, 18; ebenso ist das Entwenden von Datenträgern zum Kopieren von Daten kein Diebstahl, wenn der Datenträger wieder zurückgegeben werden soll (BayObLG NJW 1992, 1777, 1778) siehe allgemein BeckOKStGB/Wittig, §  242 StGB Rn.  29; Ensenbach, ZStW 124 (2012), 343. 298  BGHZ 180, 300, 304; oben §  1A.V.1c.aa, S. 125. 299 Dazu Pohle/Ammann, CR 2009, 273; Schuster/Reichl, CR 2010, 38; siehe zum ASP-Vertrag im geschäftlichen Bereich bereits BGH CR 2007, 75 f. 300  Etwa bei Google Docs, docs.google.com oder Microsoft Office 365, office.microsoft.com oder Apples iCloud, www.apple.com/icloud/. 301  Wenig hilfreich ist der Hinweis von MüKo-BGB/Wagner, §  823 BGB Rn.  165, man möge die Daten doch lokal speichern, soweit das eigene Endgerät dies gar nicht vorsieht, wie etwa bei den „Chromebooks“ von Google; noch deutlicher wird dies bei Inhalten in Onlinespielen, die außerhalb des Spiels überhaupt nicht genutzt werden können, dazu Berberich, Nutzergenerierte Inhalte als Gegenstand des Privatrechts, S.  165, 3 ff.

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

Sachsubstanz nicht. Ähnliches gilt, soweit eine Software online aktiviert und mit ei­ nem serverseitigen Benutzerkonto verbunden werden muss.302 Auch in diesem Fall wird weder die gelieferte CD-ROM bzw. DVD-ROM noch die (durch Download oder Installation) erstellte Kopie auf der Festplatte verschlechtert. Das erworbene Produkt ist vielmehr schon im Zeitpunkt des Besitzübergangs mit dem Mangel behaftet, die Verweigerung der zur zweckmäßigen Verwendung erforderlichen Dienstleistung be­ rührt die tatsächliche Sachherrschaft nicht. Einer Rechtfertigung im Hinblick auf §  227 BGB oder §  859 BGB bedarf es nicht. (3)  Besitz- und Eigentumsschutz bei Produkten mit Hintertür Das obige Argument der bereits vorgefundenen anfänglichen Belastung verfängt je­ doch nicht, soweit ein Dritter aufgrund der spezifischen Gestaltung des Produkts aus der Ferne auf dieses Einfluss nehmen kann. So wird etwa der Browser Google ­Chrome automatisch aktualisiert, ohne dass der Nutzer dies verhindern kann.303 In ähnlicher Weise wirken die oben erörterten „Kill Switches“ in Software und Geräten. Dabei wird zunächst vorhandene Funktionalität gegenüber dem beim Besitzerwerb vorhanden Zustand verändert; da dies auf einem körperlichen Gegenstand (dem Ge­ rät oder der Festplatte) des Nutzes passiert, ist auch dessen Rechtskreis berührt. Vor diesem Hintergrund ist die schlichte Aufrechterhaltung des status quo, den §  859 BGB gerade bezweckt, beeinträchtigt. Nun könnte man auch hier vertreten, dass die Sache von Anfang an mit dieser Eingriffsmöglichkeit belastet war und so niemals fehlerfreier Besitz erlangt werden konnte.304 Der Umstand, dass die einmal vorhandene Hintertür305 auch wirklich genutzt wird, könnte gegenüber dem vorgelagerten Eröffnen eines solchen Zugriffs zurücktreten. Die Lage wäre also nicht anders als bei der biologisch vorgegebenen Haltbarkeit von Lebensmitteln. Der Umstand, dass die Milch beim Kunden sauer wird oder das Obst verfault, beruht schließlich auch nicht auf einem Eingriff desjeni­ gen, der dem jetzigen Inhaber den Besitz verschafft hat. Dagegen spricht jedoch, dass die Veränderung der Nutzbarkeit gerade auf einem gezielten, neuen Willensent­ schluss beruht. Dabei muss auch nicht zwingend Personenidentität zwischen derje­ nigen Person, die eine solche Zugriffsmöglichkeit vorgesehen hat und demjenigen, 302 

BGH NJW 2010, 2661; dazu noch unten §  3C.II.1, S. 386.

303 support.google.com/chrome/bin/answer.py?hl=de&answer=95414:

„Damit Sie stets durch die aktuellen Sicherheitsupdates geschützt sind, wird Google Chrome jedes Mal, wenn eine neue Version des Browsers verfügbar ist, automatisch aktualisiert. Die Aktualisierung wird im Hinter­ grund ausgeführt, sodass keinerlei Schritte Ihrerseits erforderlich sind.“ 304 Dieser Gedanke der typologisch mangelhaften Produkte entspricht der Beurteilung der Stoffgleichheit im Sinne von §  823 Abs.  1 BGB und kann nur auf Ebene des Vertragsrechts abgewi­ ckelt werden, BGHZ 86, 256, 259 ff; BGHZ 117, 183, 187 f.; vgl. dazu BeckOK-BGB/Förster, §  823 BGB Rn.  69; skeptisch zu Recht Gsell, NJW 2004, 1913. 305  Dafür spricht auch, dass bei sog. „Trojanern“ bereits die Infektion des Computers strafbe­ gründend wirkt (§  202a StGB erfasst das „Zugang verschaffen“, MüKo-StGB/Graf, §  202a StGB Rn.  9; enger NK-StGB/Kargl, §  202a StGB Rn.  12; Buggisch, NStZ 2002, 178, 179 für „Dialer“), selbst wenn die Schädigung erst später erfolgt; vgl. LG Stralsund MMR 2006, 487.

B.  Notwehr, Besitzwehr und Besitzkehr

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der auf die fremde Sache zugreift, bestehen. Dies zeigen anschaulich die Fälle von Hackerangriffen, die neben Sicherheitslücken auch bewusst offengelassene Hintertü­ ren ausnutzen.306 Die Annahme, dass der Besitz bereits „vorbelastet“ sei und daher ein Eingriff ausscheide, geht also fehl. Insgesamt liegt also in diesen Konstellationen durchaus ein Eingriff in den Besitz am Gerät oder Datenträger vor, der sich als Störung oder bei völliger Unbrauchbar­ machung sogar als Entziehung307 darstellt. Ein solcher Eingriff darf nicht ohne den Willen des unmittelbaren Besitzers, also etwa auch des Diebes, erfolgen. Eine Recht­ fertigung aus §  859 BGB scheidet aus, da derartige Maßnahmen, selbst wenn sie durch den vorherigen Besitzer veranlasst wurden, nicht der Beseitigung der Störung, insbesondere der Wiedereinräumung des Besitzes dienen. Damit verbleiben als Rechtfertigungsmöglichkeit nur §§  227, 229 BGB sowie Notstandsfälle. Nach dem oben erörterten Regelungssystem des BGB tritt die Notwehr aufgrund des Eigentums jedoch regelmäßig hinter den Schutz des unmittelbaren, auch des fehlerhaften, Besit­ zers zurück.308 Maßgeblicher Zeitpunkt ist insoweit die Grenze des §  859 Abs.  2 BGB; soweit kein Nachteil erfolgt, ist der erlangte Besitz gegen Gewaltmaßnahmen Dritter gesichert. Im Gegenteil darf sich sogar der Besitzer gegen derartige Maßnah­ men im Rahmen des §  859 BGB zur Wehr setzen. Zulässig bleibt freilich ein Eingriff zur Abwehr eines Angriffs auf andere Rechte; in Betracht kommen unter anderem der Schutz von Geschäftsgeheimnissen309 und persönlichen Daten, d. h. Bestandtei­ len des Persönlichkeitsrechts.310 Dies wirft die naheliegende Folgefrage auf, ob möglicherweise das Entfernen von Hintertüren und Eingriffsmechanismen als Besitzwehr (§  859 Abs.  1 BGB) gerecht­ fertigt ist. Denn das Entfernen dieser Zugriffsmöglichkeiten verhindert die stetig drohende Besitzstörung. Dem stehen jedoch urheberrechtliche Schranken entgegen: Nach §  69c UrhG Nr.  2 UrhG ist jede Umarbeitung eines Computerprogramms aus­ schließlich dem Rechtsinhaber vorbehalten. Die Ausnahmen sind abschließend in §  69d UrhG aufgezählt. In Betracht kommt dabei nur eine Veränderung, die im Sin­ ne des Absatzes 1 für eine bestimmungsgemäße Benutzung des Computerpro­ gramms notwendig ist.311 Dabei ist allerdings schon fraglich ob die bloße, noch in zeitlicher Ferne liegende Gefahr einer späteren Verschlechterung eine solche Verän­ derung rechtfertigt. Denn die Regelung wird als Schranke eng ausgelegt.312 So soll 306 

Anft, S.  36 ff.

307 Staudinger/Gutzeit,

§  858 BGB Rn.  12; MüKo-BGB/Joost, §  858 BGB Rn.  4; BeckOK-BGB/ Fritzsche, §  858 BGB Rn.  8, vgl. BGH NJW 1967, 45 zum Entfernen von Webeplakaten; LAG Frank­ furt DB 1972, 1027 zum Entfernen von Aushängen vom schwarzen Brett einer Gewerkschaft als „Besitzentziehung“. 308  Oben §  3B.II.2b.bb, S. 343. 309  Oben §  2A.III.4, S. 274. 310  Zu deren Notwehrfähigkeit §  3B.II.3, S. 358. 311  Lehmann, NJW 1993, 1822, 1823 f. 312  OLG München CR 1996, 11, 17 – Dongle; Dreier/Schulze/Dreier, §  69d UrhG Rn.  11; Wandt­ ke/Bullinger/Grützmacher, §  69d UrhG Rn.  23.

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

etwa bereits die vertragliche Zusicherung der Fehlerbeseitigung ein Korrekturrecht entfallen lassen.313 Gerade bei Entfernung von Mechanismen, die dem Schutz des Urhebers dienen, wie Kopierschutztechnologien wird daher in aller Regel eine Bear­ beitungsbefugnis verneint.314 Zudem ist die Schranke des §  69d Abs.  1 UrhG ver­ tragsdispositiv.315 Selbst wenn man das Eingreifen einer Schranke bejaht, wäre insoweit aber vorran­ gig der Urheber bzw. ausschließliche Lizenznehmer um Hilfe zu ersuchen. Der Um­ stand, dass urheberrechtliche Schranken grundsätzlich als solche nicht notwehrfä­ hig sind, ergibt sich mittelbar aus §  95b Abs.  2 UrhG, der die Frage eines „right to hack“ in Umsetzung von Art.  6 Abs.  4 UA 1 der Multimediarichtlinie durch Schaf­ fung eines gerichtlich durchsetzbaren Anspruchs abgelehnt hat.316 Obwohl diese Regelung für Software gerade nicht gilt (§  69a Abs.  5 UrhG), wäre es widersinnig ins­ besondere bei Gegenständen, die auch andere Inhalte (etwa Bilder, Texte, Töne) ent­ halten, die Selbsthilfe uneingeschränkt und ohne weiteres zuzulassen.317 Vielmehr ist eine bilaterale Abwicklung im Verhältnis von Urheber bzw. ausschließlichem Li­ zenznehmer und Nutzer, die notfalls auch vor Gericht erfolgen kann, vorrangig. Dies zeigt aber den Irrtum im überwiegend vertretenen Verständnis, dass Urheberrecht und Sacheigentum unabhängig voneinander existieren und daher das Immaterialgü­ terrecht keine Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten körperlicher Gegenstände beinhaltet:318 Ein Eingriff in die Software ist nur unter den kumulativen Vorausset­ zungen des §  69d Abs.  1 UrhG und des §  229 BGB zulässig.319 Darin liegt eine bemerkenswerte (und systematisch kaum zu rechtfertigende) Aus­ nahme vom „Friedensprinzip“ des unmittelbaren Besitzes, da ein bloßes Recht die 313 Mestmäcker/Schulze/Haberstumpf,

§  69d UrhG Rn.  9; Lehmann, NJW 1993, 1822, 1823 f. ex §  69f Abs.  2 (der die Umgehung von Programmschutzmechanismen explizit er­ wähnt); vgl. OLG Karlsruhe CR 1996, 341, 342 – Dongle; OLG Düsseldorf CR 1997, 337, 338 f. – Dongle-Umgehung; kritisch Wandtke/Bullinger/Grützmacher, §  69d UrhG Rn.  19. 315 Zu den Grenzen der Dispositivität („zwingender Kernbereich“) siehe Begr. BRegE BTDrucks. 12/4022, 12; BGH GRUR 2000, 866, 868; Wandtke/Bullinger/Grützmacher, §  69d UrhG Rn.  34; dieser dürfte aber bei dem Damoklesschwert der bloßen Möglichkeit späterer Beeinträchti­ gungen nicht berührt sein. 316  BVerfG NJW 2006, 42, 43: „Zutreffend ist allerdings, dass Selbsthilfemaßnahmen zur Umge­ hung eines etwaigen Kopierschutzes nunmehr auch dann rechtswidrig sind, wenn sie dazu dienen, von der Erlaubnis des §  53 Abs.  1 UrhG Gebrauch zu machen.“; allgemein Spindler, GRUR 2002, 105, 117; Ernst, CR 2004, 39; Wandtke/Bullinger/Wandtke/Ohst, §  95b UrhG Rn.  16. 317  Zur Problematik der auf Multimediawerke, insbesondere Computerspiele, anwendbaren Re­ gelungen siehe Kreutzer, CR 2007, 1, 4 (der eine Schwerpunktsetzung vorschlägt); Bullinger/Czychowski, GRUR 2011, 19 (die eine parallele Anwendung der allgemeinen und sonderrechtlichen Normen annehmen); siehe auch den Vorlagebeschluss des BGH vom 6.2.2013 – I ZR 124/11; näher unten §  3C.II.1a.cc, S. 393. 318  Joos, S.  52 f.; Koehler, S.  50 f.; Kulpe, S.  35; zutreffend vielmehr Reimer, GRUR Int 1972, 221, 225 („Das Urheberrecht am Werk setzt dem Recht des Eigentümers des Werkexemplars, mit diesem nach Belieben zu verfahren (§  903 BGB), in mancherlei Hinsicht Grenzen.“); ebenso Berger, AcP 2001, 411, 418. 319 Siehe zur Anwendbarkeit von §   229 BGB auf die Verwertungsrechte des Urhebers oben §  1A.V.1c.cc(2), S. 133; zur Anwendbarkeit auf fremde Daten §  1A.V.1c.bb, S. 128. 314 Arg.

B.  Notwehr, Besitzwehr und Besitzkehr

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tatsächliche Nutzung einschränkt und Selbsthilfemaßnahmen des unmittelbaren Besitzers zugunsten nicht präsenter Dritter unterbindet.320 Rein faktisch spricht für dieses Verständnis allerdings, dass eine Veränderung der Software ohne besondere Hilfsmittel (etwa Dekompilierung) und Fachkenntnis ohnehin nicht möglich ist.321 Das Gerät entspricht für den Nutzer einem verschlossenen Behältnis,322 so dass man hinsichtlich der eingesetzten Software von einer Alleinherrschaft (freilich gerade nicht sachbezogen) des Herstellers ausgehen könnte. Gerade eine solche dauerhafte Aufspaltung der Herrschaftsbefugnisse sollte der Besitzbegriff allerdings vermeiden. Insgesamt wird man daher de lege lata die Abwehrrechte des Urhebers nicht auf ein besitzähnliches Recht stützen können.323 Uneingeschränkt zulässig sind daher nur defensive Selbsthilfemaßnahmen,324 etwa der Betrieb des Gerätes hinter einer Firewall, die entsprechende Signale abfängt oder – soweit dies überhaupt möglich ist – die Nutzung des Geräts ohne Internetan­ bindung. Im Übrigen ist der beeinträchtigte Eigentümer oder Besitzer eines gesperr­ ten Geräts bzw. einer nicht mehr benutzbaren, auf einem ihm gehörenden Gerät ge­ speicherten Software auf Sekundäransprüche, insbesondere die Geltendmachung von Schadensersatz aufgrund von §  823 Abs.  1 BGB wegen Beeinträchtigung seines Eigentums- bzw. Besitzrechts beschränkt.325 Weitergehende Rechte können sich im Einzelfall aus einer vertraglichen Beziehung zwischen ihm und dem Hersteller des Geräts bzw. der Software ergeben, soweit eine solche angesichts der üblichen Liefer­ kette überhaupt existiert. (4)  Software as a Service; automatische Sperrfunktionalität Eine Umgehung der soeben erörterten Besitzschutzproblematik im Hinblick auf nachträgliche Ferneingriffe ist für die Entwickler der Software denkbar einfach. So ist ein bereits bei Besitzübergang integrierter Zähler, der das Produkt nach einer be­ stimmten Zeit unbrauchbar macht, kein Eingriff in Besitz oder Eigentum, da die Ein­ schränkung bereits bei Erwerb vorhanden war.326 So könnte man durch Aneinan­ derreihen von befristeten Produkten eine Besitzbeeinträchtigung vermeiden. Der Nutzer würde der Aktualisierung schon deshalb zustimmen, weil seine alte Version (die unverändert bleibt) schlicht nicht mehr funktionsfähig ist. Derartige Praktiken sind etwa bei Vorabversionen und sog. Shareware durchaus üblich.327 320 

Dazu noch §  3C.I, S. 362. Hoppen, CR 2013, 9, 11 (in Bezug auf Einfügen von Wasserzeichen). 322  Besitz eines Dritten trotz Sachherrschaft über das Behältnis wird angenommen, wenn „nen­ nenswerte mechanische Hindernisse“ entgegenstehen, vgl. Staudinger/Gutzeit, §  854 BGB Rn.  36; im Strafrecht gilt bei beweglichen Behältnissen allerdings in der Regel der Verwahrer des Behältnis­ ses und nicht der Inhaber des Schlüssels als (Allein-)Gewahrsamsinhaber, BGHSt 22, 180, 183; siehe aber auch RGSt 45, 249, 252; zum Bankschließfach etwa OLG Oldenburg NJW 1977, 1780. 323  Siehe noch näher unten §  3C.III.1, S. 423. 324  Dazu oben §  3B.II.2b.cc(1), S. 345. 325 MüKo-BGB/Wagner, §  823 BGB Rn.  165. 326  Oben §  3B.II.2b.cc(1), S. 345. 327  Siehe zu Shareware Werner, CR 1996, 723, 727. 321 

352

§  3  Kumulative Selbsthilfe

Die andere Umgehungsmöglichkeit besteht darin, Teile der Software serverseitig auszuführen. Dann ist für die Nutzung der Software die Inanspruchnahme einer Dienstleistung erforderlich, die jederzeit eingestellt werden kann.328 Im Computer­ spielemarkt ist dies nicht nur für sog. Onlinespiele, sondern sogar für Einzelspieler­ produkte inzwischen weit verbreitet.329 Die Idee von „Software as a Service“ gewinnt aber auch im Unternehmensumfeld zunehmend an Bedeutung.330 Neben der Ver­ meidung von Schwierigkeiten im Hinblick auf den hier erörterten Besitzschutz der Nutzer kann so auch die Erschöpfung der veräußerten Gegenstände verhindert und so ein Gebrauchtsoftwarehandel unterbunden werden.331 Die geschilderten Probleme ließen sich überzeugender lösen, wenn man ein abso­ lutes Recht an den gespeicherten Daten anerkennen würde.332 Dann wäre die Frage losgelöst vom physischen Einfluss auf die tatsächlichen wirtschaftlichen Werte sowie die Einflussmöglichkeiten bezogen. Über §  229 BGB stünde auch ein geeignetes Mit­ tel zum Ausgleich der betroffenen Interessen bereit;333 des durch das Urheberrecht letztlich sinnentleerten Rückgriffs auf §  859 BGB bedürfte es nicht. Zudem könnte für alle geschilderten Konstellationen eine einheitliche Lösung gefunden werden, eine Umgehung wäre ausgeschlossen.334 c)  Das Hausrecht Große praktische Bedeutung als Selbsthilfemechanismus insbesondere auch in Ge­ schäftsräumen hat die auf das „Hausrecht“ gestützte Notwehr erfahren. Als Ausfluss des privaten Eigentums bzw. Besitzes ist das Hausrecht rechtlich schwer zu fassen.335 Historisch bestand es gar unabhängig als eigene Verteidigungsbefugnis (mit oft weit­ gehenderen Befugnissen) neben dem Notwehrrecht.336 Eine unmittelbare Gleichset­ zung mit dem Besitz an den entsprechenden Räumen wäre dabei zu eng. So steht dem Mieter einer Wohnung ein Hausrecht gegenüber Dritten über die konkret gemieteten Räume hinaus auch hinsichtlich der mitgenutzten Grundstücks- und Gebäudeteile, wie Hausflur, Garten, etc. zu.337 Die Existenz einer wenn auch möglicherweise von staatlicher Unterstützung abhängiger Abwehrbefugnis als solcher ist aber unum­ 328 

Oben §  3B.II.2b.cc(2), S. 346. Siehe zum Kopierschutz der Firma Ubisoft www.golem.de/1003/73682.html; siehe auch zur Onlineanbindung von Sim City www.golem.de/news/sim-city-zweifel-an-eas-begruendung-fueronlinezwang-1303–98159.html. 330  Buxmann/Lehmann/Hess, WI 2008, 500 (mit Erläuterung am Beispiel von SAP); siehe auch Microsoft Office 365 office.microsoft.com/de-ch/business/was-ist-office-365-FX102997580.aspx; zum ASP-Vertrag im Allgemeinen BGH, CR 2007, 75 f.; Schuster/Reichl, CR 2010, 38. 331  Näher unten §  3C.I.2c, S. 380. 332 So Beurskens, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2008, S.  4 43, 474; Berberich, Nut­ zergenerierte Inhalte als Gegenstand des Privatrechts, S.  165, 109, 462 f. 333  Oben §  1A.V.1c.bb, S. 128. 334  Unten §  3C.III, S. 421. 335  Siehe zur Herleitung Richter, S.  93 ff. 336  Siehe §§  517 ff., 525 ff. prALR; Engeln, S.  30 ff. 337  OLG Düsseldorf NJW 1997, 3383. 329 

B.  Notwehr, Besitzwehr und Besitzkehr

353

stritten, sie wird etwa in §  6b Abs.  1 Nr.  2 BDSG als Anknüpfungspunkt für eine Vi­ deoüberwachung ausdrücklich genannt. Im Hinblick auf Selbsthilfemaßnahmen zur Durchsetzung des Hausrechts ist zu un­ terscheiden zwischen der Erteilung von (rechtlich wirkenden und staatlich erzwing­ baren Hausverboten einerseits (sub aa) und der Durchsetzung der hinter dem Haus­ verbot stehenden Eigentums- und Besitzrechte andererseits (sub bb). aa)  Hausverbote und ihre Schranken (1)  Grundsätzlich unbeschränktes Ausschließungsrecht Zur Eigentumsfreiheit gehört nicht nur das positive Nutzungsrecht, sondern in je­ dem Fall auch die Befugnis, Dritte auszuschließen.338 Jedoch ist Eigentum, wie §  903 BGB und Art.  14 Abs.  1 S.  2 GG klarstellen, durch das Gesetz und Rechte Dritter be­ schränkt, was aus Sicht des BGH eine Interessenabwägung vor Erteilung eines Haus­ verbots erforderlich machen kann.339 Neben Besitz und/oder Eigentum streiten für den Inhaber des Hausrechts aber regelmäßig die Privatautonomie (Art.  2 Abs.  1 GG) und bei gewerblichen Räumen auch die unternehmerische Freiheit (Art.  12 Abs.  1 GG), sowie zugunsten privater Personen das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art.  1 Abs.  1, 2 Abs.  1 GG) und die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art.  13 GG).340 Im Regelfall muss daher ein er­ zwingbares Hausverbot ohne besondere Rechtfertigung möglich sein; insbesondere für Privatwohnungen und schlichte Büroräume. (2)  Grundrechtsrelevanter Zugang bei „öffentlichen Räumen“ Demgegenüber muss bei Räumen, die dem allgemeinen Publikumsverkehr eröffnet sind, ein sachlicher Grund für die Zugangsverweigerung geltend gemacht werden.341 Dabei ist die Öffnung für den allgemeinen Verkehr aber oft schon eine der umstritte­ nen Fragen. Eine Öffnung für den allgemeinen Verkehr liegt erst vor, soweit über­ haupt keine Zugangskontrolle erfolgt und auch nicht üblich ist und der Inhaber des Hausrechts ausnahmslos beliebige Personen zulässt.342 So mögen exklusive Restau­ rants und Boutiquen sich auch ohne ausdrückliche Erklärung durchaus vorbehalten, nur bestimmte Personen zuzulassen.343 In diesem Sinne hat der BGH etwa entschie­ den, dass ein Wellness-Hotel kein „öffentlicher Raum“ ist, weil sich ein Gastwirt 338 Staudinger/Althammer,

§  903 BGB Rn.  11; BeckOK-GG/Axer, Art.  14 GG Rn.  17. BGH NJW 2012, 1725. 340 BVerfG NJW 1964, 1067, 1072; BGH NJW 2012, 1725, 1726; Löwisch/Rieble, NJW 1994, 2596. 341  So schon BGH NJW 1980, 700; BGH NJW 1966, 1558; BGH NJW-RR 1991, 1512; siehe nun­ mehr auch BVerfG NJW 2011, 1201, 1206 ff. (Rn.  79 ff.); Krüger, DÖV 2012, 837, 838. 342  Bejaht bei einem Fußballstadion (BGH NJW 2010, 534); einem Supermarkt (BGHZ 123, 39); einer Apotheke (BGH NJW 1980, 700); einem Flughafen (BGH NJW 2006, 1054); verneint bei einem Wellnesshotel (BGH NJW 2012, 1725), da dort keine „Laufkundschaft“ erwartet würde, sondern nur ein eingeschränkter Nutzerkreis angesprochen wird. 343  Zur Abgrenzung siehe nur OLG Düsseldorf NJW 1982, 2678, 2679; BeckOK-StGB/Rackow, §  123 StGB Rn.  15. 339 

354

§  3  Kumulative Selbsthilfe

schon nach traditionellem Leitbild vorbehält, seine Gäste auszusuchen. Dabei hat die Qualifikation durch die Bezeichnung „Wellness“ eine geringere Bedeutung als der Umstand, dass auch die „öffentlichen“ Räume eines Hotels regelmäßig nur den jewei­ ligen Gästen zugänglich sein sollen; Laufkundschaft ist anders als in Ladenlokalen oder Flughäfen nicht nur unüblich, sondern auch unerwünscht. Etwas anderes gilt dann wiederum bei Kongressräumen oder Hotelbars und -restaurants, die auch Au­ ßenstehenden eröffnet werden. Die vom Hausrechtsinhaber und dem Zugangssu­ chenden zu treffende, stark vom Einzelfall geprägte und kaum geklärte Abgrenzung wird dadurch sicher nicht erleichtert. Die Beschränkung des Hausrechts und der grundsätzliche Ausschluss von Haus­ verboten wird teilweise durch einen „Verzicht“ durch freie Zulassung von Interessen­ ten begründet.344 Aber selbst wenn allgemeiner Zugang eröffnet wird, bedeutet dies keinen völligen Verzicht auf die Ausübung des Hausrechts.345 Sicherlich wird etwa die Zerstörung des Mobiliars durch den Besucher eines Supermarktes ebenso wenig zu dulden sein, wie gewalttätige Ausschreitungen oder Drogenkonsum durch Besu­ cher einer Diskothek. Erforderlich ist dafür regelmäßig ein besonderes, atypisches Verhalten, das den gewöhnlichen Betriebsablauf zu stören geeignet ist. Das mag etwa bei Verteilung von Flugblättern auf einem öffentlichen Flughafen346 der Fall sein oder bei Fotografieren durch Testkäufer in einem Getränkemarkt.347 Für sonstige Verhaltenspflichten, die den Betriebsablauf nicht derart stören oder nicht untypisch sind, verlangt der BGH, dass diese im Vorfeld des Betretens unmissverständlich er­ klärt wurden.348 Maßstab für die Überprüfung der Wirksamkeit von Hausverboten sollen in diesen Konstellationen die Grundrechte sein, insbesondere die Versammlungsfreiheit (Art.  8 GG) und die Meinungsfreiheit (Art.  5 GG).349 Die Grenzziehung ist allerdings schwierig und beeinträchtigt die Inhaber in der Ausübung ihrer ebenfalls geschütz­ ten Rechtspositionen erheblich.350 Der US Supreme Court sieht konsequent Be­ 344 

Schulze, NJW 2000, 2876, 2878. So explizit BGHZ 124, 39. 346  BGH NJW 2006, 1054. 347  BGH NJW 1991, 1512; BGH WRP 1996, 1099; OLG Düsseldorf BeckRS 2005, 03517. 348  BGH NJW 1994, 188, 189. 349  Fischer-Lescano/Maurer, NJW 2006, 1393 (insbesondere in Bezug auf Flughäfen); Krüger, DÖV 2012, 837, 838; BVerfG NJW 2011, 1201, 1206 ff.; siehe auch BAG NJW 2010, 631 zu Flashmobs; aus den USA insbesondere Marsh v. Alabama, 326 U.S.  501 (1946), wo es um eine „Company owned Town“ ging. 350 Illustrativ Amalgamated Food Employee Union Local 590 v. Logan Valley, 391 U.S.   308 (1968) – friedlicher Protest gegen Arbeitsbedingungen in privatem, der Öffentlichkeit eröffneten Einkaufszentrum kann nicht durch Hausrecht verhindert werden; Lloyd Corp. v. Tanner, 407 U.S.  551 (1972) – Kein Recht auf sachfremde Meinungsäußerung in privaten Räumen (in Abgren­ zung zu dortigen Arbeitsbedingungen); Hudgens v. National Labor Relations Board, 424 U.S.  507 (1976) – Gänzliche Aufgabe der früheren Rechtsprechung, soweit keine Widmung privater Räume gerade für öffentliche Meinungsäußerung erfolgte; Cyber Promotions v. America Online, 948 F. Supp.  436, 442 (E.D. Pa. 1996) – Keine Pflicht von Onlinediensteanbietern (Massen-)Emails weiter­ zuleiten. 345 

B.  Notwehr, Besitzwehr und Besitzkehr

355

schränkungen des Privateigentums zugunsten der freien Meinungsäußerung nur als zulässig an, soweit hierfür eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage besteht.351 Auch im deutschen Recht ist es bedenklich, die Ausübung des Notwehrrechts bzw. der Besitzkehr in den jeweils einschlägigen engen zeitlichen Rahmenbedingungen an eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zu knüpfen, die den Notrechten gerade fremd ist.352 Stattdessen drohen gerade diejenigen wechselseitigen Gewaltexzesse, welche durch die possessorischen Besitzschutzregeln verhindert werden sollen.353 Die Beschränkungen von Hausverboten rechtfertigen sich daher nur durch ihre rechtlichen Konsequenzen, nicht hingegen durch praktische Implikationen. Ein wirksames Hausverbot führt zur Strafbarkeit nach §  123 StGB, wenn der Adressat dennoch die Räume betritt oder dort verweilt. Zudem kann das Hausverbot Grund­ lage für zivilrechtliche Klagen auf Unterlassung oder Schadensersatz sein, bzw. des­ sen Unwirksamkeit im Wege einer Leistungsklage auf Duldung des Zugangs durch die Zivilgerichte geltend gemacht werden. Es hat daher neben der reinen Eingriffsdi­ mension auch rechtliche Wirkungen; die Grundrechtsbindung der dabei involvier­ ten staatlichen Organe bewirkt, dass Hausverbote nicht uneingeschränkt möglich sind.354 Im unmittelbaren privaten Rechtsverkehr ohne Einschaltung staatlicher Stellen sind diese Kriterien allerdings ungeeignet. (3)  Vertragsbindung und widersprüchliches Verhalten Neben den aus Grundrechten folgenden Beschränkungen für Hausverbote sieht der BGH eine weitere Ausnahme vom Hausrecht im Vertragsrecht. Soweit eine vertragli­ che Verpflichtung zur Zugangsgewährung bzw. sogar zur Gebrauchsüberlassung be­ steht, soll aus diesem Vertrag ein Anspruch auf Zugang zu den entsprechenden Räumlichkeiten folgen, dem das Hausrecht nicht entgegengehalten werden kann. Eine Ausnahme besteht nur, wenn entweder die Vertragspflicht beseitigt wird oder zusätzliche, „besonders gewichtige Sachgründe“ vorgetragen werden.355 Dies über­ zeugt auf den ersten Blick schon deshalb, weil ein solches Verhalten evident wider­ sprüchlich erscheint.356 Auch hier ist allerdings die Ebene der rechtlichen Wirksamkeit (und damit staat­ lichen Erzwingbarkeit) von der faktischen Wirkung zu unterscheiden. Denn im Hin­ blick auf den für die verbotene Eigenmacht maßgeblichen natürlichen Willen ist eine vorherige vertragliche Einwilligung ohne Belang.357 Damit wäre es kaum vereinbar, 351  Pruneyard Shopping Center v. Robbins, 447 U.S.  74 (1980) – Einzelstaatliche Pflicht, Mei­ nungsäußerung auch in privaten Räumen zuzulassen ist bis zur Grenze völliger Wertentziehung mit Eigentumsgarantie vereinbar. 352  Oben §  1A.V.2a, S. 142. 353  Oben §  3B.II.2b.aa, S. 342. 354  Zur Grundrechtswirkung auf Private durch Verpflichtung der zur Entscheidung berufenen staatlichen Organe siehe Canaris, Grundrechte und Privatrecht, passim; Hillgruber, AcP 191 (1991), 69. 355  BGH NJW 2012, 1725, 1727. 356  Siehe dazu nur Staudinger/Looschelders/Olzen, §  242 BGB Rn.  284 ff. 357  Oben §  3A.I.1a, S. 301.

356

§  3  Kumulative Selbsthilfe

wenn man insoweit den Einwand widersprüchlichen Verhaltens auf der Ebene des possessorischen Besitzschutzes, der für die Befugnisse nach §  859 BGB maßgeblich ist, zulassen würde.358 bb)  Besitzschutz und Durchsetzung unwirksamer Hausverbote Die soeben dargestellte, ausdifferenzierte Rechtsprechung zum Hausrecht hat regel­ mäßig keine Auswirkungen auf die Befugnis des Hausrechtsinhabers zur Selbsthilfe. Erlaubte Eingriffe in das Besitzrecht setzen einen gleichlaufenden, natürlichen Wille gerade im Zeitpunkt der Störung voraus; sonst handelt es sich um nach §  859 BGB abwehrbare verbotene Eigenmacht.359 Die Schwierigkeit liegt dabei darin, dass über den Umweg des Hausrechts die pri­ vatautonom gesetzte Hausordnung gegenüber jeder Person erzwingbar wird.360 Dies gerät in einen gewissen Wertungskonflikt zu §  229 BGB, der relative Rechte nur sub­ sidiär zur staatlichen Durchsetzung zulässt.361 Soweit die Rechtsprechung das Haus­ recht durch absolute Schranken begrenzt, wären die dadurch geschaffenen Zugriffs­ rechte Dritter zudem äußerst schwach sanktioniert. Bei Verstoß gegen ein unwirksa­ mes Hausverbot würde sich der Eindringende zwar nicht wegen Hausfriedensbruch (§  123 StGB) strafbar machen, müsste also keine staatliche Repression fürchten.362 Dennoch müsste er Gewaltmaßnahmen des Hausrechtsinhabers nach §  859 BGB dulden; dieser könnte sogar (freiwillig) staatliche Hilfe zur Prävention herbeiholen, da er einen possessorischen Abwehranspruch aus §  861 BGB hat. Das Zugangsrecht könnte nur als Duldungstitel gerichtlich durchgesetzt werden. Praktisch bedeutet dies, dass bei Zugangsverweigerung ein Ordnungsgeld zugunsten der Staatskasse verhängt wird (§  890 ZPO). Nur in den seltenen Fällen der Verletzung von vertragli­ chen oder gesetzlichen Pflichten, die zudem zu einer messbaren Vermögenseinbuße führen müssen, bestünde eine Haftung gegenüber dem Zugangsberechtigten ohne derartigen Titel. Faktisch wäre damit das mühsam konstruierte Zugangsrecht weit­ gehend entwertet. Vor diesem Hintergrund hatte das OLG Frankfurt a. M. in einer vereinzelt geblie­ benen Entscheidung das Hausrecht ohne nähere Begründung für nicht notwehrfähig erklärt.363 Dagegen wurde seinerzeit zutreffend eingewandt, dass es eine kaum be­ gründbare Einschränkung des Besitzrechts gegenüber §  859 Abs.  1 BGB bedeuten würde, wenn man Verweise aus privaten Räumen generell nur unten den Vorausset­ zungen des §  229 BGB zuließe.364 Es muss vielmehr dem Besitzer möglich sein, ge­

358 

Siehe nur OLG Saarbrücken MDR 2007, 510 f.; Klinck, Eckpfeiler des Zivilrechts, Rn.  52 f. Oben §  3A.I.1a, S. 301. 360  Richter, S.  102 ff., 194 ff. 361  Oben §  1D.III.3, S. 196. 362 Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, §   123 StGB Rn.  22, 32 f.; MüKo-StGB/Schäfer, §  123 StGB Rn.  33, 60 ff. 363  OLG Frankfurt a. M. NJW 1994, 946, 947. 364  Löwisch/Rieble, NJW 1994, 2596. 359 

B.  Notwehr, Besitzwehr und Besitzkehr

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zielt nur bestimmten Personen die Zugangsberechtigung einzuräumen.365 Darauf aufbauend darf er auch jederzeit Personen, die einmal eingelassen wurden, wieder aus dem Raum entfernen.366 Vor dem Hintergrund des stets an den aktuellen Willen anknüpfenden Besitzschutzes wäre es irrig, bei vorherigen vertraglichen Vereinba­ rungen von einer Erschöpfung des Besitzschutzes auszugehen.367 Da der Besitzschutz deutlich schärfer konturiert ist als das Eigentum, fehlt im Ge­ setz die Möglichkeit zu einer Interessenabwägung. Selbst Grundrechte rechtfertigen daher regelmäßig keine Beschränkung der Befugnisse aus §  859 BGB.368 Wie bereits oben ausgeführt kann im Vorhinein auch nicht auf die possessorischen Besitzschutz­ rechte wirksam verzichtet werden.369 Das Zugangsrecht ist daher aus Sicht des un­ mittelbaren Besitzers eine rein schuldrechtliche Verpflichtung, die nur im Wege des §  890 ZPO durch Ordnungsgeld vollstreckt werden kann (siehe §  864 Abs.  2 BGB)370, nicht hingegen um eine auch für das Notwehrrecht bzw. den Besitzschutz relevante immanente Schranke des geschützten Rechts.371 Ein ausdrücklicher Vorbehalt372 ist daher für die Ausübung dieser Befugnisse nicht erforderlich; er hat allein im Rahmen von Sekundäransprüchen Bedeutung. Dies ist eine unmittelbare Folge des Gewalt­ verbots und der Friedensfunktion des Besitzes.373 Der oft schwierige Streit um den Zugang und die Modalitäten der Benutzung soll nicht vor Ort zwischen den Beteilig­ ten ausgefochten werden, sondern obliegt allein der Klärung durch die Gerichte. Selbst eine gerichtliche Entscheidung kann diesen Konflikt nicht letztverbindlich entscheiden, da in jedem Zugangsfall neue oder veränderte Umstände zu berücksich­ tigen sind, die nicht Gegenstand der Entscheidung waren. Um eine eindeutige Zu­ ordnung zu gewährleisten, erlangt daher der Besitz Vorrang vor den betroffenen, wenn auch mitunter grundrechtlich geschützten, Interessen der Zugangssuchenden. Insoweit erlaubt §  859 BGB die vorläufige, gewaltsame Durchsetzung eines grund­ losen Verweises aus den Räumen, so dass erst Recht eine nichtige oder jedenfalls nicht durch den Staat erzwingbare Verhaltenspflicht als Grund angeführt werden kann.374 Im Fall des OLG Frankfurt a. M.,375 in dem eine Kundin am Arm gepackt

365 

Richter, S.  135 ff. Anschaulich AG München BeckRS 2008, 21836 (Entfernen störenden Gasts aus einem Fest­ zelt auf dem Oktoberfest). 367  So aber Gurlit, NZG 2012, 698, 700. 368 Vgl. Weber, FS Geppert, S.  749, 455; BGH NJW 2006, 1054 (Versammlungs- und Meinungs­ freiheit berührt bei Demonstration auf Flughafen). 369  Oben §  3A.I.1a, S. 301. 370  Zur dort vorgesehenen zeitlichen Beschränkung siehe Staudinger/Gutzeit, §  864 BGB Rn.  11; Palandt/Bassenge, §  864 BGB Rn.  6; anders aber RGZ 107, 258, 259. 371 Palandt/Bassenge, §  9 03 BGB Rn.  27. 372  BGH NJW 2010, 534 für DFB-Stadien. 373  Oben §  3B.II.2b.aa, S. 342. 374  OLG Nürnberg NJW-RR 2012, 1373, 1374; Löwisch/Rieble, NJW 1994, 2596, 2596; Weber, FS Geppert, S.  749, 755. 375  OLG Frankfurt a. M. NJW 1994, 946. 366 

358

§  3  Kumulative Selbsthilfe

und aus dem Supermarkt entfernt wurde, weil sie sich wiederholt weigerte, dem (aus Sicht des BGH unwirksamen)376 Gebot der Abgabe ihrer Einkaufstasche bzw. einer Taschenkontrolle Folge zu leisten, war daher zwar das Hausverbot unwirksam. Den­ noch konnte der (davon unabhängige) Verweis mit Gewalt durchgesetzt werden. Der ausgeschlossene Dritte muss, soweit er ausnahmsweise einen Anspruch auf Zugang haben sollte (etwa aus §  20 Abs.  1 GWB, Art.  102 AEUV, §  21 Abs.  1 AGG), staatliche Hilfe in Anspruch nehmen. In diesem Fall erfolgt die Vollstreckung nicht etwa durch Festhalten oder andere physische Eingriffe, sondern nur durch Verhängung eines Ordnungsgeldes (§  890 ZPO). Nur wenn es sich um einen besonders dringlichen Notfall handeln und die Staatsgewalt nicht erreichbar ist, kann derjenige, der Zutritt begehrt, seinen Anspruch selbst nach §  229 BGB sichern. 3.  Ehre, Persönlichkeitsrechte und verwandte Rechtsgüter Auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht soll nach ganz allgemeiner Auffassung ein notwehrfähiges Rechtsgut darstellen.377 Soweit ein verkörpertes Substrat des Persön­ lichkeitsrechts vorhanden ist, bereitet der Schutz keine größeren Schwierigkeiten. So mag der dem Hausrecht verwandte „räumlich-gegenständliche Bereich der Ehe“ nicht aus Besitz oder Eigentum, sondern aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht hergeleitet werden.378 Dennoch fällt die Gewährung einer verteidigungsfähigen Po­ sition gerade aufgrund der Anknüpfung an einen bestimmten, physisch wahrnehm­ baren Raum leicht. Ähnlich wird man beurteilen müssen, wenn beleidigende Plakate als sichtbares Angriffsobjekt überklebt werden379 oder eine laufende mündliche Be­ leidigung gewaltsam unterbrochen wird.380 In all diesen Fällen gibt es eine fortdau­ ernde, spürbare und für Dritte sichtbare Beeinträchtigung. Soweit hingegen die geschützten Rechte gerade nicht an einem solchen physischen Objekt, sondern in einer bloßen Information liegen, begegnet der Schutz Schwierig­ keiten. Ein Fotograf ist Besitzer und Eigentümer seiner körperlich erfassbaren und damit auch räumlich verteidigungsfähigen Kamera, selbst wenn auf dieser rechtsver­ letzende Fotos gespeichert sind. Demgegenüber können bei hochauflösenden Bildern durchaus Detailvergrößerungen erfolgen, die schutzfähige Einzelheiten, etwa unbe­ kleidete Personen in entfernten Räumen, offenbaren. Soweit in diesen Fällen das In­ teresse am körperlichen Gegenstand mit dem unkörperlichen Recht auf Privatsphäre konkurriert, spräche das „Friedensprinzip“381 dafür, grundsätzlich dem greifbaren Gegenstand den Vorrang einzuräumen und den Streit um die darauf enthaltenen eventuell schutzwürdigen Informationen einem staatlichen Verfahren zuzuweisen. 376 

BGHZ 124, 39; BGHZ 124, 39; näher oben §  3A.I.1b, S. 303. Vgl. nur OLG Hamburg NJW 1972, 1290; OLG Düsseldorf NJW 1994, 1971. 378 Staudinger/Repgen, §  227 BGB Rn.  12. 379  Abgelehnt in OLG Stuttgart NJW-RR 1996, 1515. 380  BayObLG NJW 1991, 2031. 381  Oben §  3B.II.2b.aa, S. 342. 377 

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

359

Die Werteordnung des Grundgesetzes spricht hingegen für einen Vorrang des Per­ sönlichkeitsrechts gegenüber bloßen Sachwerten. Die Rechtsprechung versucht den dadurch entstehenden Problemen durch eine „besonders sorgfältige“ Prüfung der Erforderlichkeit zu begegnen.382 Gerade im Bereich der auf personenbezogene Daten bezogenen „Datennot­ wehr“383, bei der über eine Person Informationen auf einem Dritten zugeordneten Computersystemen gespeichert sind, wird dabei regelmäßig aus Gründen des Frie­ densprinzip eine Rechtfertigung offensiver Angriffe durch Notwehr scheitern. Denn Besitz und Eigentum der Systeme stehen einem Dritten zu und im Hinblick auf die engen zeitlichen Grenzen von §  859 BGB wäre es unangemessen, jederzeitige Angrif­ fe mit dem Ziel der Datenlöschung zu erlauben. In dieser Konstellation ist es viel­ mehr berechtigt, primär auf staatliche Durchsetzung zu vertrauen und nur bei be­ sonderer Eilbedürftigkeit ein subsidiäres Einschreiten nach §  229 BGB zu erlauben. Jedenfalls ist eine saubere Trennung der Rechtssphären erforderlich; soweit keinerlei Geheimhaltungsbemühungen getroffen werden (etwa beim Kuss Prominenter in der Öffentlichkeit) scheidet Notwehr aus.384 Insgesamt ist daher die Notwehr im Hinblick auf nicht sichtbare Verletzungen des Persönlichkeitsrechts im Zweifel abzulehnen; möglich bleibt allein eine Erweiterung der eigenen Rechtsposition im Wege der nach §  229 BGB subsidiär zugelassenen ex­ pansive Selbsthilfe.385

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft Im Kontext der Selbsthilfe im 21. Jahrhundert erlangen technische Schutzmaßnah­ men zunehmende Bedeutung.386 Dabei steht nicht mehr nur der Schutz von Soft­ ware als solcher (§§  69c, 69f Abs.  2 UrhG),387 von anderen Inhalten, die Urheber­ rechten oder Leistungsschutzrechten unterliegen (§§  95a ff. UrhG)388 oder von zu­ gangsbeschränkten Radio-, Fernseh- oder Internetangeboten (nach §  3 ZKDSG)389 im Vordergrund, sondern ganz allgemein die Verhinderung der Überwindung von 382  BGH VersR 1963, 730 (tätliches Vorgehen einer Gastwirtin gegen einen sich unangemessen aufführenden Gast mit Verletzungsfolgen war nicht erforderlich); BayObLG NJW 1991, 2031, 2032 (Ohrfeige bei Beleidigung durch Kind „unter besonderen Umständen“ zulässig). 383  Ronellenfitsch, DuD 2008, 110, 112. 384  BayObLG NJW 1962, 1782, 1783. 385  Zum Begriff Einleitung A.II.1, S. 17; zu den Voraussetzungen §  1A, S. 30. 386  Majuca/Kesan, Chi.-Kent L. Rev. 84 (2010), 831, 833; Wand, S.  2; Entelmann, S.  19; H ­ öhne, S.  14; Zecher, S.  267 f. 387  Trayer, S.  67 ff.; Wand, S.  144 ff. 388 Dazu Entelmann, S.  110 f. 389  Entelmann, S.  114 ff.; Dressel, MMR 1999, 390; krit. Bär/Hoffmann, MMR 2002, 654, 658 zur Beschränkung der Anwendbarkeit auf gewerbsmäßige Umgehung.

360

§  3  Kumulative Selbsthilfe

Schutzhindernissen in Bezug auf Daten (§  202a StGB)390 oder gar einer daran an­ knüpfenden Datenveränderung (§  303a StGB). Derartige Schutzmaßnahmen be­ schränken sich nicht auf Desktop-Computer oder Server, die man üblicherweise mit Software oder Daten in Verbindung bringt. Zunehmend werden auch Alltagsgegen­ stände durch Software391 bzw. Microprozessoren gesteuert.392 Dies gilt nicht nur für die inzwischen allgegenwärtigen Mobiltelefone, die durch ihren Hersteller vor der Installation unerwünschter Fremdsoftware geschützt werden („Vendor Lock“, z. B. erlaubt das iPhone von Apple nur die Installation aus dem dortigen App-­Store),393 sondern reicht bis zu PKW, bei denen spezielle Steuerchips bzw. -software verhindern sollen, dass nicht qualifizierte Personen Änderungen vornehmen.394 Auch Ver­ brauchsgüter, insbesondere Tinten- und Tonerkartuschen395, werden zunehmend mit technischen Schutzmechanismen versehen, die faktisch den Einsatz von Ersatz­ produkten verhindern und die Nutzbarkeit über das technisch Mögliche hinaus be­ schränken.396 Praktische Bedeutung hat das strafbewährte Verbot der Umgehung von Schutz­ maßnahmen (§  95a UrhG, §§  202a, 303a StGB) und dessen Vorbereitung (§  95a Abs.  3 UrhG, §  202c StGB, §  3 f. ZKDSG) freilich vor allem im Rahmen des Geheimnis­ schutzes.397 Insoweit dient die Technologie dazu, zu verhindern, dass die Funktions­ weise analysiert wird. Es handelt sich also um eine Alternative zur Erlangung eines registrierungs- und vor allem offenlegungspflichtigen Schutzrechts, in der Regel ei­ nes Patents oder Gebrauchsmusters. Diese Konstellationen sind nach der hier vertre­

390  Der deutsche Gesetzgeber wollte die Norm nicht etwa auf Computerdaten beschränken, BTDrs 16/3656, 15; kritisch Gröseling/Höfinger, MMR 2007, 626; zum schwierigen Verhältnis der Nor­ men des Computerstrafrechts zum Urheberrecht Abdallah/Gercke/Reinert, ZUM 2004, 31; zum Verhältnis zum ZKDSG BT-Drs. 20/5058, S.  29. 391  Illustrativ Lexmark International, Inc. v. Static Control Components, Inc., 387 F.3d 522 (6th Cir. 2004) – Lexmark Druckertoner; The Chamberlain Group, Inc. v. Skylink Technologies, Inc., 381 F.3d 1178 (Fed. Cir. 2004) – Garagentoröffner. 392  Illustrativ BGH GRUR 1980, 849 – Antiblockiersystem (zur Patentierung einer allein auf Software basierenden ABS-Lösung); dies war auch eines der Hauptargumente im Streit um die letzt­ lich gescheiterte „Richtlinie über die Patentierung computerimplementierter Erfindungen“; näher Schölch, GRUR 2006, 969; Weyand/Haase, GRUR 2004, 198. 393  Siehe zur Problematik unter US-Recht Cheng, Berkeley Technology Law Journal 25 (2010), 215; Keenan, Georgia Law Review 43 (2008), 229; siehe auch AG Göttingen MMR 2011, 626 (m. Anm. Neubauer) zur Entfernung eines SIM-Lock. 394 Zu Gründen für solche Schutzmechanismen und praktischen Beispielen siehe Soghoian, Northwestern Journal of Techology & Intellectual Property 6 (2007), 46. 395  Bechtold, Digital rights management – Technological, economic, legal and political aspects, S.  597, 623 ff.; zum Problem auch Arlt, GRUR 2005, 1003, 1005 ff. 396  Adelmann, Journal on Telecommunications & High Technology Law 8 (2010), 185, 214 führt zu Recht aus: „Whether or not one thinks a vacuum cleaner bag or coffee filter should have electro­ nics, the technology exists, is not cost prohibitive, and can arguably help the manufacturer make the products work better together.“ 397  So zu Recht Harte-Bavendamm, Computerrechts-Handbuch, Rn.  54 f.

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

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tenen Systematik Fälle alternativer Selbsthilfe und wurden dementsprechend bereits oben behandelt.398 Im Kontext kumulativer Selbsthilfe interessieren demgegenüber Schutzmaßnah­ men, die ergänzend zu einem nach §§  97 ff. UrhG gerichtlich durchsetzbaren Urhe­ ber- oder Leistungsschutzrecht bestehen. Dies ist etwa im Rahmen der nach §  69c Nr.  2 UrhG dem Rechtsinhaber vorbehaltenen Umarbeitung von Computersoftware der Fall, da die im Handel erhältlichen kompilierten Binärprogramme für den Nut­ zer nicht zu modifizieren sind.399 Für andere Werke wird demgegenüber ein eigen­ ständiger urheberrechtlicher Schutz in §§  95a ff. UrhG vorausgesetzt und als An­ knüpfungspunkt für die technischen Maßnahmen gewählt.400 Das Gesetz geht aber über die schlichte Billigung des nicht invasiven Selbstschutzes hinaus, indem es die Umgehung durch den jeweiligen Besitzer absolut untersagt (§  95a Abs.  1 UrhG, 108b UrhG) und zudem Vorfeldmaßnahmen missbilligt (§  95a Abs.  3 UrhG). Die Möglich­ keit zur Vornahme urheberrechtlich relevanter Verwertungshandlungen (vgl. §  15 UrhG)401 wird also in Abweichung vom Prinzip des unmittelbaren Besitzers von der körperlichen Herrschaft über die Sache dauerhaft abgetrennt. Der Nutzer muss die darin liegende Beeinträchtigung seiner Besitzposition dulden.402 Bis auf die Ausnah­ me des §  95a Abs.  4 UrhG ist selbst bei Vorliegen einer die Nutzungshandlung recht­ fertigenden Schrankenbestimmung das Entfernen oder Umgehen der Schutzmaß­ nahme untersagt. Stattdessen gewährt §  95b UrhG nur einen Anspruch auf Ermögli­ chung des Zugriffs, aufgrund dessen der Rechtsinhaber die „notwendigen Mittel zur Verfügung“ stellen muss, um von den Schranken „in dem erforderlichen Maße Ge­ brauch zu machen“ (§  95b Abs.  2 UrhG).403 Die aktuelle Fassung des §  202a StGB schafft ein noch weitergehendes, inhaltsneutrales Umgehungsverbot im Hinblick auf Schutzvorrichtungen, die beliebigen Daten, d. h. elektronisch gespeicherten oder übermittelten Informationen, unabhängig von deren rechtlichem Schutz, vorge­ schaltet sind.404 Auch hier existiert eine vorgeschaltete Strafbarkeit im Hinblick auf 398 

§  2A.II.1c, S. 243. Insoweit trifft bei Software ein vierfacher, paralleler Schutz durch Patente, Geschäftsgeheim­ nisse im Sinne von §  17 UWG, das Urheberrecht (§§  69a ff. UrhG) und technische Maßnahmen zu­ sammen, da der Schutz des Urheberrechts keine Offenlegung verlangt und das Patentrecht nur ein­ zelne Algorithmen, nicht aber die konkrete Umsetzung als Source Code schützt, vgl. dazu Wandt­ ke/Bullinger/Grützmacher, §  69g UrhG Rn.  9 ff., 33 ff. 400 Wandtke/Bullinger/Wandtke/Ohst, §   95a UrhG Rn.  4; Dreier/Schulze/Dreier, §  95a UrhG Rn.  1. 401 Zur Abgrenzung BGH GRUR 1991, 449, 453; Rehbinder/Peukert, Rn.  313 ff.; Westkamp, EuZW 2012, 698, 698; Schulze, ZUM 2000, 126, 129 ff.; Fromm/Nordemann/Nordemann/Fromm, §  15 UrhG Rn.  1; BeckOK-UrhG/Kroitzsch/Götting, §  15 UrhG Rn.  11; Wandtke/Bullinger/Heerma, §  15 UrhG Rn.  10; Dreier/Schulze/Schulze, §  15 UrhG Rn.  20; zum Streaming Stieper, MMR 2012, 12, 12 (allerdings sehr weitgehend). 402  Oben §  3B.II.2b.cc(4), S. 351. 403  Zu dieser Einschränkung Wandtke/Bullinger/Wandtke/Ohst, §  95b UrhG Rn.  38; Spindler, GRUR 2002, 105, 117. 404 MüKo-StGB/Graf, §  202a StGB Rn.  10 f.; Schönke/Schröder/Lenckner/Eisele, §  202a StGB Rn.  3; Lackner/Kühl/Heger, §  202a StGB Rn.  1; NK-StGB/Kargl, §  202a StGB Rn.  4 f. 399 

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

Umgehungsmittel (§  202c StGB), die freilich aufgrund ihres weiten Anwendungsbe­ reichs auf verfassungsrechtliche Bedenken stößt.405 Der Einsatz technischer Zugangsbeschränkungen führt dazu, dass der Eigentü­ mer von Werkstücken, welche Gegenstand urheberrechtlichen Schutzes oder jeden­ falls eines Leistungsschutzrechts sind, diese nur eingeschränkt nutzen kann. Damit erlangt das geistige Eigentum, welches bislang primär auf Schutz durch den Staat angewiesen war, faktische Durchsetzungsfähigkeit.406 Dies hat allerdings schwer­ wiegende Folgen für die Gesamtrechtsordnung, die im Folgenden näher zu untersu­ chen sind: Denn dynamische Anpassungen der steuernden Softwarekomponenten durch den Hersteller per Internet oder Funk überlagern bei „evolving products“407 die bislang dauerhaft wirkende Überlassung der Sachherrschaft an körperlichen Ge­ genständen. Zunächst wird im Folgenden der traditionelle Ausgleich zwischen dem Sachenrecht und dem Immaterialgüterrecht, insbesondere der Erschöpfungsgrund­ satz näher betrachtet (sub I). Dann ist zu prüfen, welche Auswirkungen die Regelun­ gen zu technischen Schutzmaßnahmen im Urheberrecht und im Strafrecht auf dieses Verhältnis haben (sub II). Schließlich werden Konsequenzen für die Beurteilung schuldrechtlicher und sachenrechtlicher Sachverhalte gezogen (sub III).

I.  Der Ausgleich zwischen Sachenrecht und Immaterialgüterrecht Das auf körperliche Gegenstände beschränkte Sachenrecht und das Recht an geisti­ gen Schöpfungen bzw. Kennzeichen berühren sich zunächst einmal nicht.408 Aller­ dings bedürfen viele verkehrstypische Nutzungen den Zugriff auf eine Verkörperung des Werkes, ein Werkstück:409 Bücher müssen gedruckt, Filme auf DVD gebrannt und Programme oder digitale Werke auf ein lokales Abspielgerät übertragen werden, um vom Empfänger genutzt zu werden.410 Auch ein Erzeugnispatent muss in einem 405 

Holzner, ZRP 2009, 177, 177 f.; Cornelius, CR 2007, 682, 684 ff. Trayer, S.  21; Höhne, S.  18; Lessig, S.  186 „Trusted systems give the producer maximum control over the uses of coprighted work – admittedly at a cheaper cost, thus perhaps permitting many more authors to publish. But they give authors almost perfect control in an area in which the law did not.“ 407  Zu diesem Begriff Picker, CWRLR 55 (2005), 749; siehe zu „disabling devices“ auch Trayer, S.  62 f.; 165 f.; Roditti, Rutgers Computer & Tech. L.J. 21 (1995), 431, 435 ff.; Gitter, Santa Clara Com­ puter & High Tech. L.J. 9 (1993), 413, 414 ff. (beide insbesondere zum Fall Revlon v. Logisticon, der aber nicht zur Entscheidung gelangte); dazu bereits §  3B.II.2b.cc, S. 345; näher auch noch unten §  3C.III, S. 421. 408  In dieser Grundprämisse trifft die Aussage von Joos, S.  52 f.; Koehler, S.  50 f.; Kulpe, S.  35 noch zu. 409  Das Werk muss für Dritte wahrnehmbar zum Ausdruck gebracht werden, aber nicht dauer­ haft verkörpert sein, vgl. BGHZ 37, 1, 7; Rehbinder/Peukert, Rn.  88 ff.; Dreier/Schulze/Dreier, §  2 UrhG Rn.  13 f.; Wandtke/Bullinger/Bullinger, §  2 UrhG Rn.  19 f.; im Regelfall sind Werke allerdings verkörpert. 410  Schwierig ist die Beurteilung, wenn die Übermittlung nicht auf einem vom Veräußerer bzw. dessen ausschließlichem Lizenznehmer verbreiteten Datenträger, sondern im Wege des vom Benut­ zer initiierten Downloads auf ein eigenes Medium des Empfängers gespeichert wird, dazu unten §  3C.I.2c, S. 380. 406 

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

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Gegenstand umgesetzt werden und eine Marke muss „benutzt“ werden, um Waren oder Dienstleistungen zu kennzeichnen. Allerdings können von einem geistigen Schutzrecht theoretisch unbegrenzt viele Verkörperungen vorhanden sein, d. h. zahl­ lose Exemplare eines Buchs (obwohl nur ein Urheberrecht an den Inhalten besteht) oder Erzeugnisse (obwohl nur ein Patent erteilt wurde) und erst recht vielfältige ver­ schiedene Waren, die mit einer (nur einmalig erteilten) Marke gekennzeichnet sind. Demgegenüber gibt es zwar verschiedene nicht körperliche Verwertungshandlun­ gen, etwa die schlichte Ausführung eines patentgeschützten Verfahrens (§  9 Nr.  2 PatG) oder die öffentliche Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Werke (§  15 Abs.  2 UrhG). Soweit aber auch diese vom Zugriff auf Gegenstände oder zumindest Daten (etwa der wiedergegebenen Musikdatei)411 abhängig sind, ist auch eine derar­ tige Nutzung verhindernde technische Beschränkung des Zugriffs auf die entspre­ chende Quelle möglich. Ökonomisch handelt es sich bei den geistigen Schutzrechten (nicht hingegen bei den genannten Verkörperungen) um „öffentliche Güter“:412 Die Verwendung durch den einen beschränkt nicht den Nutzen der anderen; die mehrfache Anwendung ver­ ursacht keine zusätzlichen Kosten gegenüber dem einmaligen Gebrauch. Das an­ sonsten unsere Gesellschaft prägende Prinzip der effizienten oder gerechten Vertei­ lung knapper Ressourcen stellt sich dabei grundsätzlich nicht.413 Die besondere Schwierigkeit liegt nun darin, dass die Rechtsordnung durch Ge­ währung von Patenten und Urheberrechten den Persönlichkeitsrechten desjenigen, der die Güter erstellt, Rechnung tragen will,414 und ihnen darüber hinaus Gelegen­ heit gibt, eine angemessene Entschädigung insbesondere durch Streuung auf eine Vielzahl von Interessenten zu erzielen.415 Diese Interessen haften jedem einzelnen Verkörperungsstück einer Erfindung oder eines Werks an und werden potentiell be­ einträchtigt, wenn der Inhaber solcher Gegenstände frei über diese verfügen könnte: Dürfte der Inhaber eines einmaligen Gemäldes dieses schlicht übermalen, könnte dadurch der vom Künstler geschaffene Sinngehalt zunichte gemacht werden (§  14 ­UrhG).416 Wenn jeder Inhaber einer Kopie eines Computerprogramms beliebig viele weitere Kopien erstellen und diese verteilen könnte, müsste bereits der Ersterwerber die kompletten Entwicklungskosten zuzüglich eines etwaigen Gewinnanteils erset­ zen.417 Daher ist die Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Werke dem Ur­

411  Siehe etwa zur Nutzung von Musik durch DJs www.gema.de/fileadmin/user_upload/Musik nutzer/Informationen/information_discjockeys.pdf, siehe dazu www.faz.net/aktuell/wirtschaft/ streit-um-abgaben-gema-will-tarifreform-weiter-verschieben-11999423.html. 412  Schäfer/Ott, S.  79, 600; Posner, S.  48 ff. 413  Schäfer/Ott, S.  79, 600; Posner, S.  20 f. 414 BeckOK-UrhG/Kroitzsch/Götting, §  11 UrhG Rn.  2; Wandtke/Bullinger/Bullinger, §  11 UrhG Rn.  2. 415  BVerfGE 31, 229 (239); Wandtke/Bullinger/Bullinger, §  11 UrhG. 416  BGH GRUR 1982, 107 (109); BeckOK-UrhG/Kroitzsch/Götting, §  14 UrhG Rn.  3. 417  So das frühe Mäzenatentum, Rehbinder/Peukert, Rn.  24.

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

heber selbst vorbehalten (§§  69c Nr.  1, 15 Abs.  1 Nr.  1, 16 UrhG).418 Vergleichbare Ar­ gumente lassen sich für andere Verwertungshandlungen des Urheberrechts, Patent­ rechts oder Markenrechts und bei den anderen Schutzrechten finden.419 Das ist aber mit einem umfassenden, absoluten Eigentumsschutz (§  903 BGB) und einer wehrfä­ higen Position des Besitzers (§§  858 ff. BGB) an dem Vervielfältigungsstück schwierig in Einklang zu bringen. Im Folgenden soll zunächst der grundsätzliche Vorrang des Immaterialgüterrechts vor der Besitz- und Eigentumsordnung dargestellt werden (sub 1), bevor die als Ausgleich dienenden Mechanismen, insbesondere der Erschöp­ fungsgrundsatz ins Auge gefasst werden (sub 2). Abschließend wird dann kurz der Schutz des Lizenznehmers in Erwerbsketten als typisches Problem der Gestaltungs­ freiheit im Hinblick auf Nutzungsrechte in Blick genommen (sub 3). 1.  Totalität des Eigentums und Vielfalt der Immaterialgüterrechte Das Verhältnis des Immaterialgüterrechts zum Sachenrecht ist seit jeher von Kon­ fliktpotential geprägt:420 Das Sachenrecht geht prinzipiell von einer allumfassenden Berechtigung des Eigentümers bzw. der Miteigentümer aus (§  903 BGB),421 von der sich alle beschränkt dinglichen Rechte bzw. rein schuldrechtlichen Befugnisse D ­ ritter (etwa Mieter, Pächter, etc.) ableiten. Demgegenüber können an einem körperlichen Gegenstand im Sinne von §  90 BGB fast unbegrenzt viele geistige Eigentumsrechte bestehen. Deutlich wird dies etwa bei multifunktionalen Geräten, wie Mobiltelefo­ nen oder Tablet-PCs, an denen nicht nur Designschutz im Wege von Geschmacks­ mustern, sondern auch Patente und Urheberrechte an diversen Softwarekomponen­ ten zusammenkommen, die nicht zwingend dem selben Rechtsträger zustehen müs­ sen. Aber auch bei eher trivialen Haushaltsgegenständen, wie elektrischen Rasierern werden eine Vielzahl von Patenten implementiert, die ihrerseits originär verschiede­ nen Rechtsträgern zustehen, aber aufgrund von wechselseitigen Lizenzabkommen bzw. Patentpoolvereinbarungen mitgenutzt werden dürfen. 418  Siehe freilich die Definition freier Software (www.gnu.org/philosophy/free-sw.html), die aus­ drücklich „die Freiheit, das Programm weiterzuverbreiten und damit seinen Mitmenschen zu hel­ fen (Freiheit 2)“ schützen will; zu dieser Idee Haedicke, S.  88 ff. 419  Landes/Posner, S.  4 0 ff., Ganea, Exhaustion of IP Rights: Reflections from Economic Theory, 9 ff. 420  Siehe nur Joos, S.  37 f.; Kulpe, S.  31 ff.; Haedicke, S.  53, 58, 160 f.; Berger, AcP 2001, 411; histo­ risch bereits Kohler, AcP 85 (1896), 339, 435; siehe auch zum schweizer Recht Hafner, passim; Plöckinger, S.  101 ff. zum österr. Recht; treffend Reimer, GRUR Int 1972, 221, 225 („Das Urheberrecht am Werk setzt dem Recht des Eigentümers des Werkexemplars, mit diesem nach Belieben zu verfah­ ren (§  903 BGB), in mancherlei Hinsicht Grenzen.“); ebenso Berger, AcP 2001, 411, 418. 421  Zur „Totalität des Eigentums“ Wiegand, Wege europäischer Rechtsgeschichte, S.  623, 627 ff.; Berger, AcP 2001, 411, 419 f; gegen die Totalität allerdings Niethammer, S.  45 unter Hinweis auf an­ dere Beschränkungen (etwa das Erbbaurecht) und die vor diesem Hintergrund kaum erklärbare dauerhafte Beschränkung etwa durch Entstellungsverbot (§  14 UrhG) und Zugangsrecht (§  25 UrhG). Der Unterschied dürfte aber in der Reichweite dieser Beschränkungen und deren Ver­kehrs­ üblichkeit liegen, siehe §  3C.I.1a, S. 365.

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

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a)  Vervielfältigung, öffentliche Wiedergabe und andere Nutzungsbeschränkungen Diese geistigen Eigentumsrechte können nicht nur untereinander in Konflikt stehen, sondern auch die Berechtigung des Eigentümers beschränken. Dies gilt zunächst, soweit bestimmte Nutzungshandlungen in Bezug auf Verkörperungen eines ge­ schützten Gegenstandes losgelöst vom Eigentum am konkreten Verkörperungsob­ jekt dem Inhaber des Schutzrechts zugewiesen sind. Dies ist deshalb problematisch, weil die dingliche Eigentumsstellung und die Inhaberschaft der in der Sache verkör­ perten Schutzrechte regelmäßig auseinanderfallen.422 Grundsätzlich tritt dabei nach dem Wortlaut des §  903 BGB das Recht des Eigen­ tümers hinter Rechten Dritter zurück. Seine Befugnisse greifen nur, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen. Es ist daher selbstverständlich, dass der Eigentümer eines Messers trotz seiner weitreichenden Befugnisse (§  903 BGB) dieses nicht verwenden darf, um andere Menschen zu töten. Eine ähnliche, allgemein gül­ tige Verwendungsbeschränkung kann in dem urheberrechtlich vorbehaltenen Ver­ vielfältigungsrecht (§  16 UrhG), dem Recht auf Zugang zu Werkstücken (§  25 UrhG), dem Entstellungsverbot (§  27 UrhG) sowie dem Umarbeitungsverbot im Hinblick auf Softwareprogramme (§  69c Nr.  2 UrhG) erblickt werden. Denn das Verbot, frem­ de Werkstücke zu kopieren oder öffentlich zugänglich zu machen ist eine Verwen­ dungsbeschränkung, die Werken mit einem geistigen Gehalt immanent ist.423 Eine entsprechende Erweiterung der Befugnisse des Sacheigentümers durch Lizenzver­ träge oder gesetzliche Schranken ist möglich, aber eine Ausnahme. Insoweit ist es in einer auch für den Laien nachvollziehbaren Weise möglich, diese besonderen For­ men der Nutzung des Eigentums durch bestimmte Verhaltenspflichten auszuschlie­ ßen. Sie betreffen Werknutzungen, die zum Hauptzweck des Erwerbs, dem Genuss, nicht erforderlich sind und beeinträchtigen den Verkehr insoweit nur in geringem Ausmaß.424 b)  Das Verbreitungsrecht als Einschränkung der Verfügungsbefugnis Das ebenfalls dem Urheber vorbehaltene Verbreitungsrecht (§  17 Abs.  1 UrhG) greift demgegenüber tiefgreifend in die Möglichkeit zur Verfügung über das Eigentum und nicht bloß in dessen tatsächliche Nutzung ein und ist zudem weitgehend von der in­ 422  Dies ist sogar der Regelfall, denn nach §  950 BGB wird erstmaliger Eigentümer einer Sache nicht derjenige, dessen Ideen darin verkörpert sind, sondern der Hersteller, also derjenige, der die konkreter Umsetzungshandlung vornimmt, vgl. Gellner, S.  36; Berger, AcP 2001, 411, 421; oben §  3C.I.2c, S. 380. 423  Joos, S.  53, der dies freilich auf Substanzeingriffe (d. h. Entstellung, Umarbeitung, etc.) be­ schränken will. Unklar bleibt, warum das durch den Unterlassungsanspruch des §  97 UrhG und die Strafnorm des §  106 UrhG gegenüber dem Veräußerer (!) erzwingbare Verbreitungsrecht nicht ebenfalls eine Beschränkung der ebenfalls nach §  903 S.  1 BGB geschützten grundsätzlichen Verfü­ gungsbefugnis darstellen soll – das ist eine rechtliche Konfliktlage und gerade keine tatsächliche die jeden Besitzer des Werkstücks trifft; dennoch folgt ihm Kulpe, S.  12 f.; zutreffend hingegen Niethammer, S.  4 4. 424  Anders aber möglicherweise im digitalen Umfeld, unten §  3C.I.2c, S. 380

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

dividuellen Ausgestaltung durch den Urheber abhängig. Historisch gesehen ist die­ ses Verbreitungsrecht jedoch ein „Kind der Not“: Es sollte die Lücke schließen, die durch die Territorialität des Urheberrechts entsteht, da eine Vervielfältigung im Aus­ land nicht dem Verbotsrecht unterfällt.425 In einigen Rechtsordnungen war das Ver­ breitungsrecht daher noch vor wenigen Jahren nur als Annex zum Vervielfältigungs­ recht anerkannt; erst Art.  6 des WIPO-Urheberrechtsvertrags426 und den diesen umsetzenden Art.  4 der Richtlinie über das Urheberrecht in der Informationsgesell­ schaft führten das Verbreitungsrecht EU-weit als eigenständige Befugnis ein.427 Ne­ ben dieser Lückenschließungsfunktion dient das Verbreitungsrecht aber auch einem wirtschaftlichen Zweck: Es soll aber auch den Urheber bzw. den Verlagen als deren Lizenznehmern ermöglicht werden, die Verwertung von Produkten zu diversifizie­ ren, indem etwa der Vertrieb von speziell für Buchclubs produzierten Büchern im normalen Buchhandel verhindert werden konnte.428 Ein gutgläubiger Erwerb scheidet dabei wie bei anderen Rechten aus. Dies bedeutet grundsätzlich, dass sich jede weitere Veräußerung auf eine ununterbrochene Kette zum Urheber stützen muss, aber auch der Urheber nur Lizenzen einräumen kann, soweit er nicht bereits eine entgegenstehende ausschließliche Lizenz erteilt hat.429 In der Zwangsvollstreckung kann ein Verbreitungsrecht eines Dritten als ein die Veräu­ ßerung hinderndes Recht im Wege der Drittwiderspruchsklage (§  771 ZPO) geltend gemacht werden und verhindert so die Befriedigung durch Veräußerung derart be­ lasteter Gegenstände.430 Würde also das Verbreitungsrecht die dauerhafte Kontrolle an jedem Vervielfältigungsstück implizieren, würde jede Verfügung eine potentielle Verletzung der Schutzrechte darstellen. Mangels eines gutgläubigen lastenfreien Er­ werbs (§  936 BGB) stünden dem Urheber gegen jeden Empfänger eines Werkstücks Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche hinsichtlich der Weiterverbreitung (§  97 Abs.  1 UrhG) sowie bei Verschulden sogar Schadensersatzforderungen (§  97 Abs.  2 UrhG) zu. Ähnliche Schwierigkeiten würden auch im Gebrauchsmusterrecht, im Pa­ tentrecht oder im Markenrecht auftreten. Dieses Ergebnis ist für den Rechtsverkehr wenig befriedigend und senkt den wirt­ schaftlichen Wert von Gegenständen, die potentiell Urheberrechte verkörpern kön­ nen, erheblich.431 So könnten Gläubiger im Wege der Mobiliarzwangsvollstreckung 425 

Kohler, AcP 85 (1896), 339, 438; Niethammer, S.  20. Zum Zustandekommen Lewinski, GRUR Int 1997, 667, 673. 427 Auswirkungen hatte dies vor allem auf das französische droit de destination, dazu Lucas-Schloetter, GRUR Int 2007, 658, 659 f.; Körber, S.  42 f. 428  BGH GRUR 1959, 200; Niethammer, S.  111. 429 BGH GRUR 1959, 335, 336; KG ZUM 1997, 397, 398; Dreier/Schulze/Dreier, §  31 UrhG Rn.  24; Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert, Vor §§  31 ff. UrhG Rn.  47; zum Schutz von Unterli­ zenznehmern bei nachträglichem Wegfall einer Zwischenstufe §  3C.I.2c, S. 380. 430  Berger, AcP 2001, 411, 422; Kreuzer/Schwarz, Handbuch des Urheberrechts, Rn.  41. 431  Ganea, Exhaustion of IP Rights: Reflections from Economic Theory, 13; Ganea, GRUR Int 2005, 102, 105: „Je stärker dagegen die Herausbildung eines Einheitsmarktes und je höher die Kos­ ten der eigens zur Verhinderung von Arbitragegeschäften betriebenen Maßnahmen, die sich gegen 426 

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

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nicht auf Gegenstände zugreifen, an denen ein Dritter das Verbreitungsrecht hat, da eine Versteigerung stets eine Ablieferung voraussetzt (§  817 Abs.  2 ZPO) und diese in das Verbreitungsrecht eingreift.432 Die einem fortbestehenden Verbreitungsrecht un­ terliegenden Gegenstände wären dem Rechtsverkehr entzogen, sie wären praktisch wertlos. Zudem soll eine dauerhafte Kontrolle der Vertriebskette durch den Urheber bzw. dessen ausschließliche Lizenznehmer auch nicht zur „Sicherung einer angemes­ senen Vergütung für die Nutzung des Werkes“ (§  11 S.  2 UrhG) erforderlich sein, da die entsprechende Gegenleistung bereits bei der erstmaligen Veräußerung gefordert werden kann.433 Trotz dieser scheinbar eindeutigen Interessenlage ging die überwie­ gende Literatur noch bis Ende des 20. Jahrhunderts davon aus, dass der Urheber die Zustimmung hinsichtlich des Inverkehrbringens (§  17 Abs.  2 UrhG) bzw. die Einräu­ mung des Verbreitungsrechts (§  31 Abs.  1 UrhG) mit absoluter Wirkung beschränken könnte und diese Beschränkung für jede weitere Verfügung über den geschützten Gegenstand Bedeutung entfalten würde.434 2.  Wiederherstellung der Verkehrsfähigkeit durch Erschöpfung Praktische Probleme treten trotz der Beschränkung des Verbreitungsrechts des Ei­ gentümers zugunsten des Inhabers geistiger Schutzrechte regelmäßig nicht auf. Der in §  17 S.  2 UrhG, §  24 MarkenG, §  48 GeschmMG kodifizierte, aber auch darüber hinaus anerkannte Grundsatz der Erschöpfung435 gewährleistet, dass ein Gegen­ stand, der mit Willen des Berechtigten im EWR-Binnenmarkt in Verkehr gebracht wurde, an Dritte weitergegeben werden kann, ohne dass der ursprünglich Berechtig­ te dies verhindern kann.436 Dabei soll es sich nach deutscher Auffassung um eine immanente Schranke der Immaterialgüterrechte handeln,437 in Großbritannien wird demgegenüber eine konkludente Lizenz („implied license“) angenommen.438 Das den ansonsten freien Warenverkehr stemmen müßten, desto stärker gewinnt das Verkehrssiche­ rungsargument an Überzeugungskraft“. 432  Berger, AcP 2001, 411, 430. 433  Skeptisch allerdings Ganea, Exhaustion of IP Rights: Reflections from Economic Theory, 10 f.; Ganea, GRUR Int 2005, 102, 104, der darauf hinweist, dass der Wettbewerb des Urhebers mit Anbietern von Gebrauchtprodukten (da insbesondere Unterhaltungsprodukte oft nur über einen kurzen Zeitraum genutzt werden) Preisdifferenzierung und Kostenstreuung verhindert; freilich wird hier der „first mover“-Vorteil des Urhebers übersehen, der stets als erster den Bedarf befriedi­ gen kann; die zahlungswilligen Nutzer sind also regelmäßig schon befriedigt, bevor die Konkurrenz auftreten kann. Zudem ist nicht gesichert, inwieweit die Weiterverkaufsmöglichkeit von den Erwer­ bern einkalkuliert wird. Ein „free riding“ stellt dies nicht dar. 434  Niethammer, S.  113 f.; Joos, S.  106. 435  Zur Geschichte siehe Blachian, S.  11 ff.; Joos, S.  37 f.; Berger, AcP 2001, 411, 415. 436  Siehe auch EUGH GRUR 2003, 512, 513 – stüssy (Markenrecht); BGH, GRUR 2000, 299 – Karate (Patentrecht); BGH GRUR 2007, 882 – Parfümtester (Patentrecht); BGH GRUR 1995, 673, 676 – Mauerbilder; BGH WRP 2005, 622 – Atlanta; zur internationalen Geltung siehe Beier, GRURInt 1996, 1, 3 ff. 437 BenkardEPÜ/Jestaedt/Osterrieth, Art.  6 4 EPÜ Rn.  9. 438  Krit. zu dieser Rechtfertigung Ganea, Exhaustion of IP Rights: Reflections from Economic Theory, 5 f.

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

Prinzip der Erschöpfung des Verbreitungsrechts hat sich nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA im Urheberrecht als „first sale doctrine“ bewährt.439 Ausgangspunkt ist der so genannte „klassische“ Erschöpfungsgrundsatz,440 durch den ein Vertrieb trotz einer die konkludente Lizenzgewährung ausschließenden aus­ drücklichen Beschränkungserklärung ermöglicht wird. Er besagt im Kern, dass eine im Verkehr befindliche Ware grundsätzlich nicht durch Immaterialgüterrechte als Verkehrsbeschränkungen belastet sein soll.441 Das vielfach vorgebrachte Argument, das Sacheigentum und das Immaterialgüterrecht beziehe sich auf verschiedene Ge­ genstände, so dass es nie zu einer Kollision kommen könne,442 geht insoweit fehl, als zur Freiheit des Eigentümers auch die Freiheit von Störungen Dritter (§  1004 BGB) gehört. Das durch Unterlassungs-, Schadensersatzpflichten (§  97 UrhG) und sogar Strafbarkeit (§  106 UrhG) sanktionierte Verbot, die Sache ohne Zustimmung eines Dritten weiterzuveräußern, wird aber sicher seinen Sachgenuss beeinträchtigen. In­ soweit hat die Eigentumstheorie jedenfalls einen pragmatischen, wenn auch keinen dogmatisch gesicherten Kern. Ökonomisch spricht aber sicher auch eine Gesamtbe­ trachtung der Belohnungs- und der Verkehrssicherungstheorie für die Erschöp­ fung.443 Vor diesem Hintergrund konnte sich dann die moderne, allgemeine Er­ schöpfungslehre entwickeln, die nicht mehr auf die körperliche Verbreitung be­ schränkt ist.444 Dabei tritt der Schutz der gutgläubigen Verbraucher an die Stelle des allgemeinen Warenverkehrs als Schutzgegenstand.445 a)  Rechtfertigung des Erschöpfungsgrundsatzes Die Rechtfertigung der Erschöpfung ist durchaus umstritten.446 Kaum überzeugend ist dabei die so genannte „Belohnungstheorie“, die hervorhebt, dass der Berechtigte bereits das aus seiner Sicht angemessene Äquivalent mit der ersten Verbreitungs­ handlung erhalten habe und daher an den folgenden Übertragungshandlungen nicht mehr zu beteiligen sei.447 Denn es ist fraglich, ob dieser angemessene Preis ex ante bei einer Einzeltransaktion überhaupt zutreffend ermittelt werden kann. Zudem verhin­ dert ein so verstandener Erschöpfungsgrundsatz eine Preisdifferenzierung durch den Schutzrechtsinhaber, indem dieser stets mit früher vertriebenen Gebrauchtpro-

439  Zuletzt Kirtsaeng v. Wiley, 568 U. S. 519, 133 S. Ct. 1351 (2013); allgemein Sardina, Santa Clara L. Rev. 51 (2011) und die folgenden Beiträge 440 Ursprünglich Kohler 1900, S.  458 ff.; rezipiert in RGZ 51, 139 (zum Patentrecht); dazu Joos, S.  26 ff. 441  Beier, GRUR Int. 1989, 603, 611 f.; Körber, S.  39. 442 Schricker/Loewenheim/Dietz, §  14 UrhG Rn.  15; Joos, S.  52; Körber, S.  4 0. 443  Loewenheim, FS Beier S.  307, 309 f.; Joos, S.  51 ff.; Körber, S.  4 0. 444  Körber, S.  4 2; Joos, S.  80. 445  Gounalakis, S.  31, 36. 446  Niethammer, S.  41 ff.; Kulpe, S.  31 ff.; Joos, S.  51 ff. 447  Joos, S.  55; Kulpe, S.  32; Niethammer, S.  48 ff.

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

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dukten konkurrieren muss.448 Gerade bei Unterhaltungsmedien, etwa Filmen, Musik oder Computerspielen haben die Ersterwerber oft kein Interesse am dauernden Be­ halten der erworbenen Gegenstände und werden diese weiterveräußern. Dabei wer­ den sie stets den Preis des Urhebers unterbieten können, der so seinerseits zu Preis­ senkungen gezwungen wird. Nun lässt sich für eine solche Herangehensweise anfüh­ ren, dass dadurch immerhin die Verbreitung von Kulturgut gefördert wird. Die Einbußen angesichts der fehlenden Möglichkeit zur besseren Preisdifferenzierung wären dann ein Sonderopfer, das der Urheber zugunsten der Allgemeinheit erbrin­ gen müsste. Dies überzeugt jedoch kaum vor dem Ziel des Urheberrechts, gerade die Kulturschaffenden zu fördern.449 Keinesfalls lässt sich aber annehmen, dass der Ur­ heber bereits mit dem ersten Verkauf in vollem Umfang befriedigt wurde und so kein berechtigtes Interesse mehr an einer weiteren Beteiligung habe.450 Das überwiegend angeführte Gegeninteresse ist der Schutz des Verkehrs.451 Unter diesen weiten Oberbegriff fällt auch die zutreffend verstandene „Eigentumstheorie“, wonach der Erschöpfungsgrundsatz gerade der Wiederherstellung der gesetzlichen Grundkonzeption des Sacheigentums dient.452 Damit ist freilich nicht die Aufhe­ bung sämtlicher Beschränkungen gemeint, sondern schlicht die Sicherung eines ver­ gleich- und handelbaren Bezugobjekts. Dadurch wird der Typenzwang des Sachen­ rechts jedenfalls für die wichtigsten Verhaltensweisen, die Nutzung und den Trans­ fer, wiederhergestellt. Den meisten geschützten Gegenständen sieht man nicht an, ob in oder an ihnen Urheberrechte verkörpert sind. Würde man jede Veräußerung von der Zustimmung des Urhebers abhängig machen, entstünde ein gewaltiger Doku­ mentationsaufwand, da ein Bruch in der Berechtigungskette zum Rechtsverlust aller Nachfolger führen würde.453 Jedenfalls wenn der Import mangels enger Grenz­kon­ trollen nicht ohne erheblichen Aufwand verhindert werden kann, ist dann auch eine Erschöpfung hinsichtlich von Gegenständen, die aus dem Ausland importiert wer­ den, geboten.454 Vor diesem Ziel ist allerdings die Beweislast problematisch. Nach allgemeinen Re­ geln muss derjenige, der durch den Weitervertrieb gegen das möglicherweise fortbe­ stehende Verbreitungsrecht des §  17 Abs.  1 UrhG verstößt, beweisen, dass ihm ein entsprechendes Nutzungsrecht eingeräumt wurde oder sich das Recht bereits er­

448 

Ganea, Exhaustion of IP Rights: Reflections from Economic Theory, 9 f. BT-Drs. 14/8058, 41; BGHZ 17, 266, 282 – Grundig-Reporter; Wandtke/Bullinger/Bullinger, §  11 UrhG Rn.  3. 450  Ganea, GRUR Int 2005, 102, 105; Ganea, Exhaustion of IP Rights: Reflections from Econo­ mic Theory, 12. 451  Ganea, GRUR Int 2005, 102, 105; Ganea, Exhaustion of IP Rights: Reflections from Econo­ mic Theory, 13. 452  Niethammer, S.  41 ff.; Berger, AcP 2001, 411, 419. 453  Ganea, Exhaustion of IP Rights: Reflections from Economic Theory, 12; Ganea, GRUR Int 2005, 102, 105 f. 454  Ganea, Exhaustion of IP Rights: Reflections from Economic Theory, 13. 449 

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

schöpft hat.455 Der Beweis der Erschöpfung setzt daher einerseits den Nachweis einer dauerhaften Übereignung statt bloß vorübergehender Gebrauchsüberlassung voraus. Hierfür wird die Beweiserleichterung des §  1006 BGB herangezogen.456 Die Tatsache, dass ein rechtsgeschäftliches Inverkehrbringen irgendwo und unter irgendwelchen Bedingungen erfolgte, wird der Inhaber eines Vervielfältigungsstücks somit darle­ gen und beweisen können. Bedeutend schwieriger dürfte es jedoch sein, nachzuweisen, dass das konkrete, nun beim Beklagten befindliche Werkstück tatsächlich ursprünglich mit Zustim­ mung des Berechtigten in Verkehr gelangt ist, da regelmäßig eine längere Verwer­ tungskette (Großhandel, Einzelhandel, …) dem Eigentumserwerb vorgeschaltet ist. Bei Massenmarktprodukten hilft die Vermutung des §  44 UrhG, wonach im Zweifel mit Veräußerung des Originals eine Nutzungsrechteinräumung einhergeht, nicht weiter.457 Die Frage konzentriert sich also darauf, ob der dem Berechtigten nachge­ schaltete Ersterwerber in einer Veräußerungskette das Werk mit dessen Zustim­ mung erhalten hat bzw. im Rahmen eines dem befugten Hersteller von Vervielfälti­ gungsstücken eingeräumten Verbreitungsrechts. Statt des Berechtigungsnachweises in der gesamten Veräußerungskette muss also nur der erste derivative, rechtsge­ schäftliche Erwerb bewiesen werden. Dies scheint auf den ersten Blick eine erhebliche Verringerung der Beweislast zu bedeuten und damit in der Tat einen freien Warenverkehr zu ermöglichen. Aller­ dings hat der Erwerber regelmäßig gerade in diesen Vorgang keinen Einblick, da die entsprechende Eigentumsübertragung seiner zumeist weit vorgelagert ist. Für das Markenrecht hat jedoch der EuGH eine Beweislastumkehr bejaht, wenn es sich um Originalware handelt und aufgrund der Beweislast die tatsächliche Gefahr besteht, dass die nationalen Märkte der Mitgliedstaaten voneinander abgeschottet wür­ den.458 Dann muss der Markeninhaber beweisen, dass er das markenrechtlich ge­ schützte Produkt außerhalb des EWR in Verkehr gebracht hat. Damit soll die Mög­ lichkeit zum Parallelimport von Büchern aus anderen Mitgliedstaaten ermöglicht werden und so eine Preisdifferenzierung verhindert werden.459 Dem Verkehrsschutz ist allerdings kaum damit gedient, dass der Urheber im Pro­ zess durch für den Nutzer nicht erkennbare Merkmale, etwa Seriennummern oder andere Codes (siehe auch §  95c UrhG zu Wasserzeichen), beweisen kann, dass der streitbefangene Gegenstand ursprünglich einmal im Ausland in Verkehr gebracht wurde oder aus einer Charge stammt, die statt vereinbarungsgemäß über den Buch­ 455 BGH ZUM 1985, 505; BGH ZUM 2005, 475; Dreier/Schulze/Schulze, §  17 UrhG Rn.  31; Wandtke/Bullinger/Heerma, §  17 UrhG Rn.  24; anders freilich im einstweiligen Verfügungsverfah­ ren, wo nicht erfolgte Erschöpfung glaubhaft zu machen ist, Wandtke/Bullinger/Kefferpütz, Vor §§  97 ff. UrhG Rn.  93. 456  BGH ZUM 2005, 475, 477. 457  Im Gegenteil zeigt diese gerade, dass Eigentum und Nutzungsrechte auseinanderfallen kön­ nen, Hess, FS Raue, S.  479, 487. 458  EuGH GRUR 2003, 512; BGH ZD 2012, 352; BGH GRUR 2004, 156, 158. 459  Zur gemeinschaftsweiten Erschöpfung §  3C.I.2b.bb(1), S. 375.

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

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handel über einen Buchclub vertrieben wurde. Denn dies ist für den angeblich durch §  17 Abs.  2 UrhG zu schützenden Verkehr gar nicht erkennbar, ein objektiver An­ knüpfungspunkt des Verkehrsschutzes fehlt. Zudem beschränkt sich die geschilderte Beweiserleichterung auf den Einwand des Erstvertriebs außerhalb des EWR-Ge­ biets.460 Bei Verstoß gegen Beschränkungen des eingeräumten Verbreitungsrechts durch den Erstverbreiter (etwa wenn ein Buch vereinbarungswidrig nicht nur im Buchhandel, sondern auch über Buchclubs vertrieben wird)461 fehlt eine vergleich­ bare Vermutung, dass solche Beschränkungen nicht bestanden (im Gegenteil spricht §  31 Abs.  5 UrhG eher für solche Beschränkungen) oder zumindest eingehalten wur­ den. Da die Aufspaltung der Märkte durch die Einräumung des Verbreitungsrechts aber gerade erwünscht ist, wird der vom EuGH erhobene implizite Missbrauchsein­ wand insoweit nicht eingreifen. Auch der naheliegende Einwand, dass dies zu einer Marktverwirrung im Sinne einer Erschöpfungsfalle führt, scheint mit dem Regel-/ Ausnahmeverhältnis der Regelung kaum vereinbar zu sein. Auf die Bösgläubigkeit des Erwerbers kommt es gerade nicht an. Dies ist konsequent, da auch an guten Fälschun­gen gerade keine Erschöpfung eintritt und insoweit das Vertrauen auf das Eigentum an einem Werkstück nicht sicherstellt, dass dieses tatsächlich auch weiter­ veräußert werden kann. Im Ergebnis ist der durch die Erschöpfung gewährte Verkehrsschutz also höchst fragwürdig. Insbesondere der Letztverbraucher profitiert regelmäßig allenfalls sehr mittelbar von §  17 Abs.  2 UrhG, da er bei einer Weiterveräußerung vor unlösbaren Beweisproblemen stehen würde.462 Sein Schutz beruht vielmehr darauf, dass nur den Veräußerer Unterlassungspflichten treffen, der Erwerber hingegen auch bei in Verletzung des Verbreitungsrechts erworbenen Gegenständen sachenrechtlich wirk­ sam Eigentümer wird und selbst bei daran anschließender gutgläubiger, aber urhe­ berrechtswidriger Vervielfältigung digitaler Inhalte463 sein Vertrauen nach §  98 Abs.  4 UrhG einer Vernichtung bzw. Rückübertragen entgegensteht.464 Der tatsäch­ liche Verkehrsschutzeffekt dürfte weniger auf die rechtliche Erschöpfungswirkung zurückzuführen sein, als vielmehr auf die erheblichen tatsächlichen Kosten der Durchsetzung des Verbreitungsrechts im Hinblick auf einzelne Werkstücke. Die Be­ rechtigten haben zumeist keinen Einblick in den Gebrauchtmarkt. Soweit nicht aus­ nahmsweise eine Person in großem Umfang Werkstücke weitervertreibt, lohnt es sich rein praktisch nicht, nach Verstößen zu fahnden und gegen entsprechende Handlungen vorzugehen. Daher lassen sich etwa Bücherflohmärkte oder der Ge­ 460  Eine entsprechende Heranziehung für andere Beschränkungen erwägt scheinbar Hoeren, MMR 2010, 447, 450, der insoweit auf das detailliert ausgearbeitete Nachweissystem von UsedSoft verweist, das auf von Notaren und Wirtschaftsprüfern erstellte Testate vertrauen will. Aber auf das Vertrauen oder dessen Schutzwürdigkeit baut der Tatbestand des §  17 Abs.  2 UrhG gerade nicht auf. 461  BGH GRUR 1959, 200. 462  Vor diesem Unsicherheitsfaktor fragwürdig Niethammer, Rn.  65 ff. 463  Unten §  3C.I.2c, S. 380. 464  BGH GRUR 1997, 899, 901; Wandtke/Bullinger/Bohne, §  98 UrhG Rn.  4 2; BeckOK-UrhG/ Reber, §  98 UrhG Rn.  5.

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

brauchthandel über Ebay und sogar der Antiquariatshandel, soweit nur Einzelstücke vertrieben werden, nicht mit wirtschaftlichem Aufwand verfolgen. Eine Klage, um den Unterlassungsanspruch gegen den Veräußerer durchzusetzen, würde unverhält­ nismäßig Zeit und Kosten erfordern. Etwas anderes mag bei sehr wertvollen Werk­ stücken oder einem großen Handelsvolumen gelten, was das Vorgehen gegen den Gebrauchtsoftwarevertrieb von UsedSoft erklärt.465 Beim Einzelverkauf wirkt der Erschöpfungsgrundsatz daher allenfalls mittelbar verkehrsschützend. Vor dem Hintergrund der obigen Schwierigkeiten wäre es naheliegend, die Er­ schöpfung als eine Art umgekehrten gutgläubigen Erwerb auszugestalten. Danach käme es auf das Vertrauen des Veräußerers auf die Zulässigkeit seines Verhaltens an, das sich objektiv darauf stützen müsste, dass sich das konkrete Erwerbsstück nicht von den mit Zustimmung vertriebenen Stücken unterscheiden lässt und dies vom Berechtigten veranlasst wurde, es sich also um keine Fälschung oder von Dritten manipulierte Gestaltung handelt. Man müsste den einzelnen Exemplaren also die Unterschiede in den Verbreitungsmodalitäten ansehen. Aber auch diese Lösung be­ friedigt nicht vollständig, da der Berechtigte die betroffenen Gegenstände, so er sie denn auffindet, zwar festsetzen könnte, d. h. eine Weiterverbreitung verhindert wür­ de. Der Eigentümer der Gegenstände wäre dann bösgläubig und müsste diese für ihn möglicherweise überraschende Einschränkung seiner Rechte über das Gewährleis­ tungsrecht gegenüber seinem Veräußerer auszugleichen suchen, soweit insoweit kei­ ne Verjährung eingetreten ist. Wenn er aber dennoch verbotswidrig weiterveräußert, bliebe dem Rechteinhaber nichts anderes übrig, als das Werkstück weiterzuverfolgen und gegebenenfalls Schadensersatz zu fordern. Ein Interessenausgleich ließe sich also auch dadurch nicht erreichen. Im Ergebnis ist daher ein wirksamer Verkehrsschutz bei bestehendem Verbrei­ tungsrecht durch Schranken nicht zu gewährleisten; allenfalls kann das bei Veräuße­ rungen bestehende Risiko verringert werden. b)  Umfang der Erschöpfung Nach §  31 Abs.  1 S.  2 UrhG kann das Verbreitungsrecht beschränkt werden.466 Zu­ dem ist es denkbar, dass die nach §  17 Abs.  2 UrhG erforderliche Zustimmung467 auf ein bestimmtes Geschäft oder einen bestimmten Geschäftstyp begrenzt wird. Bei solchen Beschränkungen drohen allerdings schwerwiegende Folgen für den Rechts­ verkehr: Sobald ein Gegenstand, an dem noch keine Erschöpfung eingetreten ist, weiterveräußert werden soll, kann der Urheber dem Veräußerer seine Ansprüche aus §  97 UrhG selbst dann entgegenhalten, wenn sowohl Veräußerer als auch Erwerber des Werkstücks gutgläubig sind. Die Erschöpfung ist also die Grenze zwischen dem umfassenden, absolut wirkenden Verbot und der vollständigen Befreiung der Über­ 465 

EuGH MMR 2012, 586; BGH MMR 2011, 305. Niethammer, S.  103 ff. 467  Niethammer, S.  125 ff.; Joos, S.  104 ff. 466 

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

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tragung von allen Beschränkungen. Daher dürfen die entsprechenden Ausnahmen nicht zu weit ausgelegt werden, um den geschilderten Zweck der Erschöpfung nicht zu gefährden. aa)  Drittwirkung von Beschränkungen Ausgehend vom Verkehrsschutzgedanken liegt es nahe, die Erschöpfung möglichst weit, und damit eigentümerfreundlich zu Lasten der Inhaber von Schutzrechten zu verstehen. Jedenfalls im Zeitpunkt der ersten Veräußerung ist aber noch keine Er­ schöpfung eingetreten, da diese voraussetzt, dass das konkrete Werkstück „in Ver­ kehr gebracht worden“ ist.468 Erst im zweiten Schritt, also bei der Weiterverbreitung nach dem ersten Inverkehrbringen mit Zustimmung des Berechtigten, kommt eine beschränkte oder unbeschränkte Erschöpfungswirkung in Betracht, aufgrund derer ein Weitervertrieb nicht mehr verhindert werden kann.469 Insoweit ist entscheidend, inwieweit der Berechtigte sich bei dieser Erstveräußerung Rechte vorbehalten kann und in welchem Umfang diese auch in der Veräußerungskette wirken.470 (1)  Beschränkungen gegenüber dem Ersterwerber und deren Drittwirkung Wenn man Vorgaben gegenüber dem Ersterwerber zulässt, drohen diese die gesamte Veräußerungskette zu belasten. Werden also Beschränkungen oder Vorgaben in die­ ser Erstveräußerung missachtet, fehlt es am die Erschöpfung auslösenden „in Ver­ kehr bringen“ und alle weiteren Veräußerungen stehen unter dem Damoklesschwert einer Unterlassungsklage nach §  97 Abs.  1 UrhG. Dabei sind in vielen Gegenständen die Rechte mehrerer verschiedener Personen gebündelt, etwa bei Datenbanken (dort konkurrieren Urheber der Struktur, §  4 UrhG, Urheber der Inhalte, §  2 UrhG, Her­ steller der Datenbanken, §§  87a ff. UrhG). Jeder dieser Beteiligten könnte die Erstver­ äußerung an eigene Bedingungen knüpfen und einen Verstoß dem späteren Eigentü­ mer des Vervielfältigungsstücks entgegenhalten.471 Da die Beschränkungen nicht erkennbar sein müssen, wird der Handel mit Gegenständen, die Urheberrechte ver­ körpern, erheblich erschwert. Die Rechtsprechung erkennt trotz der darin liegenden Belastung des Rechtsver­ kehrs beim erstmaligen Inverkehrbringen eines Vervielfältigungsstücks durch Dritte aufgrund von §  31 Abs.  1 S.  2 UrhG die grundsätzliche Möglichkeit zur räumlichen, zeitlichen und inhaltlichen Beschränkung auch für das Verbreitungsrecht an.472 Demgegenüber sind Schranken im Hinblick auf Veräußerungen auf Folgestufen nach dem ersten wirksamen Veräußerungsakt ausgeschlossen.473 Das bedeutet, dass 468 

BGH ZUM 2005, 475, 476; Wandtke/Bullinger/Heerma, §  17 UrhG Rn.  24. 145, 7, 17 – OEM-Version; Schweyser, GRUR Int 1994, 368; Niethammer, S.  127 ff.; Wandtke/Bullinger/Heerma, §  17 UrhG Rn.  35. 470  Berger, AcP 2001, 411, 431; Niethammer, S.  103. 471  Darauf weist Berger, AcP 2001, 411, 430 hin. 472  BGH GRUR 1959, 200, 202 f.; BGH GRUR 2001, 153, 154. 473  BGH GRUR 1986, 736, 737; BGHZ 144, 232, 238; 145, 7, 11 ff.; Ungern-Sternber, GRUR 1984, 262, 264. 469  BGHZ

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

der Urheber bzw. hinsichtlich des Verbreitungsrechts ausschließlich Nutzungsbe­ rechtigte nur entscheiden kann, unter welchen Bedingungen er das Produkt erstmalig in Verkehr bringt. Er hat hingegen keine Möglichkeit, dinglich zu verhindern, dass der Erwerber, der diese Bedingungen eingehalten hat, seinerseits ohne Beach­ tung irgendwelcher Beschränkungen weiterveräußert. Hatte also ein Verlag ein zeit­ lich begrenztes Verwertungsrecht, darf der Verlag nach Ablauf dieses Rechts keine Bücher mehr vertreiben. Diejenigen, die das Buch erworben haben, dürfen es aber unbeschränkt weiterverkaufen. Hat der Urheber oder ein Verlag einer Buchhandlung nur den Vertrieb in Düsseldorf erlaubt, darf diese die Bücher nicht per Versandhan­ del weltweit vertreiben; dem Urheber bzw. Verlag steht ein Unterlassungsanspruch auch gegen die gutgläubigen (!) Erwerber hinsichtlich der Weiterverbreitung zu. Wer hingegen das Buch im Laden erworben hat, kann dieses (etwa per Ebay) weltweit anbieten. (2)  Verbreitungsrecht und Veröffentlichungsrecht (§  12 UrhG) Damit rückt das Verbreitungsrecht in die Nähe des urheberpersönlichkeitsrechtli­ chen Veröffentlichungsrechts (§  12 UrhG), das ebenfalls nur das erste Inverkehrbrin­ gen betrifft. Die Entscheidung über die Erstveröffentlichung eines Werkes betrifft nicht nur die vermögensrechtliche, sondern auch die persönlichkeitsrechtliche Di­ mension des Urheberrechts. Gegen den Willen des Urhebers ist also eine Zugänglich­ machung an die Öffentlichkeit auch bei Weitergabe an bestimmte, bekannte Perso­ nen ausgeschlossen (etwa bei Manuskripten).474 Im Gegensatz zum Verbreitungs­ recht erfasst die Veröffentlichung aber nur die Erstveröffentlichung irgendeines Werkstücks und kann nicht in Bezug auf jedes einzelne Stück geltend gemacht wer­ den; nach herrschender Meinung noch nicht einmal für verschiedene Werkgestal­ tungen.475 Insoweit bestehen im Patent- und Markenrecht keine vergleichbaren An­ forderungen. bb)  Räumliche Reichweite der Erschöpfung Es ist keineswegs selbstverständlich, dass ein in einem anderen Staat mit Zustim­ mung des Urhebers durch einen dortigen Lizenznehmer vertriebener Film nach ei­ nem Import automatisch beliebig weiterveräußert werden darf. Angesprochen ist damit die Frage, ob trotz eingetretener Erschöpfungswirkung aufgrund des Territo­ rialitätsprinzip das Verbreitungsrecht möglicherweise einem Handel mit importier­ ten Gegenständen entgegengehalten werden kann. (1)  Gemeinschaftsweite Erschöpfung In örtlicher Hinsicht ist bemerkenswert, dass Erschöpfung nach dem klaren Wort­ laut des §  17 Abs.  2 UrhG auch zugunsten von Gegenständen eingreift, die in anderen 474 Dreier/Schulze/Schulze,

§  12 UrhG Rn.  6. „Einmalrecht“, OLG München NJW-RR 1997, 493, 494; Wandtke/Bullinger/Bullinger, §  12 UrhG Rn.  9. 475  Sog.

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EWR-Staaten in Verkehr gebracht wurden. Denn derzeit gibt es kein „Gemein­ schaftsurheberrecht“ oder „Gemeinschaftspatentrecht“ in dem Sinne, dass ein euro­ parechtlich einheitliches Schutzrecht bestünde. Vielmehr gewährt jeder Staat sein eigenes Urheberrecht, d. h. auch innerhalb des EWR entsteht nicht etwa ein einheitli­ ches Schutzrecht, sondern 27, jeweils territorial aufgespaltene Rechte.476 So mag ein Verlag ein Buch in Deutschland herausgeben, ein anderer in Österreich. Die Verbrei­ tung in Österreich berührt deutsches Urheberrecht aber nicht, da dessen Wirkung auf das deutsche Staatsgebiet beschränkt ist (Art.  8 Abs.  1 Rom II VO). Wieso in die­ sem Fall die Veräußerung auf dem österreichischen Markt das nicht betroffene deut­ sche Urheberrecht erschöpfen soll, ist daher aus Sicht des Schutzrechts schwer zu begründen. Denn das Verbreitungsrecht sollte historisch gerade Schutzlücken in Be­ zug auf im Ausland erlaubt hergestellte Vervielfältigungsstücke schließen.477 Der österreichische Verlag hat nur die Berechtigung zur Verwertung des österreichischen Urheberrechts, aber keine Befugnisse in Bezug auf das deutsche Recht;478 die Gegen­ leistung für die Lizenzgewährung (in Deutschland §  32 UrhG) orientiert sich auch nur an den Befugnissen des jeweiligen nationalen Rechts. Der Grund für diese Beurteilung kann daher allein aus der physischen Ebene stammen, da der Handel mit den betroffenen Werkstücken nicht beeinträchtigt wer­ den soll. Eine nur nationale Erschöpfung wäre als „Maßnahme gleicher Wirkung“ zu einer mengenmäßigen Beschränkung des Warenimports mit Art.  34 AEUV479 un­ vereinbar.480 Damit ist diese Begründung allerdings im Hinblick auf online übermit­ telte Inhalte fraglich.481 (2)  Internationale Erschöpfung und die Begründung des US Supreme Court In Ermangelung eines weltweiten Binnenmarktes genügt es hingegen nicht, wenn die Gegenstände außerhalb des EWR in Verkehr gebracht wurden.482 Dann darf aber auch kein Mitgliedstaat eine Erschöpfung für Gegenstände zulassen, die aus einem Drittstaat stammen. Denn die Erschöpfung in diesem Mitgliedsstaat würde automa­ tisch auch für alle anderen Mitgliedstaaten wirken; er wäre daher ein offenes Tor zur Umgehung.483 Für das Urheberrecht ist die ausschließlich gemeinschaftsweite Er­ schöpfung durch Art.  4 Abs.  2 der Richtlinie über das Urheberrecht in der Informa­ tionsgesellschaft484 vorgeschrieben, ähnliches gilt für die Regelung in Art.  7 Abs.  1 476 

Darauf weist zutreffend Berger, AcP 2001, 411, 439 hin. Kohler, AcP 85 (1896), 339, 438; Niethammer, S.  20. 478  Mit dieser Argumentation BGHZ 80, 101, 105; BGH GRUR 1985, 924, 925. 479  Zu den EWR-Staaten (Island, Liechtenstein, Norwegen – nicht die Schweiz) Art.  2 . Protokoll 28 über geistiges Eigentum zum EWR-Abkommen, BGBl.  1993 II S.  414. 480 BenkardEPÜ/Jestaedt/Osterrieth, Art.   64 EPÜ Rn.  11; Intellectual Property Rights in EU Law Volume I: Free Movement and Competition Law. David T. Keeling Kapitel 7. 481  Unten §  3C.I.2c, S. 380. 482  So ausdrücklich EuGH GRUR 2002, 156; EuGH NJW 1998, 3185; siehe auch Ganea, Exhaus­ tion of IP Rights: Reflections from Economic Theory, 19. 483  Ganea, Exhaustion of IP Rights: Reflections from Economic Theory, 19. 484  Zuvor bereits EuGH NJW 1971, 1533. 477 

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Markenrechtsrichtlinie485, Art.  15 Geschmacksmusterrichtlinie486 und Art.  13 Abs.  1 Gemeinschaftsmarkenverordnung487 bzw. Art.  21 Gemeinschaftsgeschmacksmus­ terverordnung.488 Für das Patentrecht folgt die gemeinschaftsweite Erschöpfung bis­ lang nur aus der Auslegung des Primärrechts durch den EuGH.489 Wegen der Schwie­ rigkeit der örtlichen Grenzen der Erschöpfung ist demgegenüber eine Harmonisie­ rung des Erschöpfungsgrundsatzes im TRIPs gescheitert und eine entsprechende nationale Regelung daher ausdrücklich vorbehalten (vgl. Art.  6 TRIPs).490 Während diese Differenzierung nach dem Land des ersten Inverkehrbringens an­ gesichts des Wortlauts der Regelungen und der Konzeption eines einheitlichen Bin­ nenmarkts durchaus stimmig ist, bereitet sie in der Realität des Warenverkehrs den­ noch Schwierigkeiten. Ob ein in Privatbesitz befindliches englischsprachiges Buch in Großbritannien einerseits oder aber im Urlaub in Australien oder den USA anderer­ seits erworben wurde, sieht man diesem von außen nicht an; zumal mit Zustimmung des Rechteinhabers importierte Gegenstände ebenfalls in der EU veräußert sind und daher der Erschöpfung unterliegen.491 Der beabsichtigte Verkehrsschutz wird also allenfalls bei eindeutiger Kennzeichnung erreicht. In den USA sollte eine ausdrückliche Sonderregelung im dortigen Copyright Act (17 USC §  602(a)(1)) die Frage beantworten. Nach dieser Regelung gilt der Import ohne Zustimmung des Berechtigten als Verletzung des Verbreitungsrechts. In zwei wegweisenden Entscheidungen vertrat der Supreme Court jedoch, dass dieser Ver­ weis voraussetze, dass das Verbreitungsrecht überhaupt noch dem Berechtigten zu­ stehe und nicht bereits Erschöpfung eingetreten sei.492 Die erste Entscheidung betraf den Reimport eines in den USA hergestellten Vervielfältigungsstücks, in Bezug auf welches durch den Verkauf an den ausländischen Empfänger Erschöpfung eintrat. Die zweite Entscheidung dehnte die Erschöpfung auf Exemplare aus, die im Ausland hergestellt wurden und direkt von dort in die USA importiert wurden. Die dabei betroffenen Bücher enthielten einen ausdrücklichen Hinweis, dass der Vertrieb au­ ßerhalb des ursprünglichen Produktionsgebiets untersagt sei, ansonsten waren sie identisch. Neben einer detaillierten Auseinandersetzung mit dem Wortlaut und der Gesetzeshistorie (wobei insbesondere die §  137 BGB entsprechende Common law Doktrin als Indiz gegen Verfügungsbeschränkungen herangezogen wurde) stützte

485 

EuGH EuZW 1999, 474; Rasmussen, EIPR 17 (1995), 174. BGH GRUR 2010, 718. 487  Fezer 2009, §   24 MarkenG Rn.  21; zur früheren Rechtslage EuGH GRUR Int 1978, 291; Wichard, GRUR 1997, 711. 488  BGHZ 185, 224. 489  EuGH GRUR Int 1982, 47, 50; EuGH GRUR Int 1997, 250. 490 Busche/Stoll/Höhne, Art.  6 TRIPs Rn.  11. 491  So der US-Supreme Court in Kirtsaeng v. Wiley, 568 U. S. 519, 133 S. Ct. 1351 (2013). 492 Quality King Distributors, Inc. v. L’anza Research Int’l, Inc., 523 U.  S.  135, 145 (1998); Kirtsaeng v. Wiley, 568 U. S. 519, 133 S. Ct. 1351 (2013). 486 

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sich die Entscheidung auf eine schlichte Praxisüberlegung: Zahlreiche Interessenver­ bände hätten aufgezeigt, dass die Beschränkungen eine Tätigkeit ihrer Mitglieder (etwa Gebrauchtbuchhändler, Bibliotheken, aber auch Technologieunternehmen) praktisch unmöglich mache. So müsse bei jedem aus Kostengründen im Ausland produzierten Buch im Einzelnen nachvollzogen werden, ob dieses irgendwann ein­ mal mit Zustimmung des Berechtigten in den USA in Verkehr gelangt ist oder nur etwa von einem Touristen als Souvenir mitgebracht wurde. Bei Software, die in All­ tagsgegenständen wie PKW, Mikrowellen, Handys oder sogar Taschenrechnern ein­ gesetzt wird, würde die Produktion im Ausland erfordern, die Zustimmung aller möglicherweise betroffenen Rechteinhaber vor dem ersten Vertrieb in den USA ein­ zuholen; dies gälte auch für urheberrechtlich geschützte Designs von Verpackungen und Produkte im Allgemeinen. Zudem diene der Erschöpfungsgrundsatz auch der Entlastung der Gerichte, die ansonsten die Verfügungskette bei schwer nachverfolg­ baren, leicht beweglichen Einzelgegenstände nachverfolgen müssten. Das naheliegende Gegenargument, dass die befürchteten fatalen Auswirkungen der geographisch beschränkten Erschöpfung nachweislich bislang nicht eingetreten seien, ließ das Gericht nicht gelten, da die bisherige praktische Handhabung von Un­ sicherheit über den Anwendungsbereich des Erschöpfungsgrundsatzes geprägt ge­ wesen sei und so die hemmende Wirkung nicht eintreten konnte. Erst bei Durchset­ zung einer größeren Zahl von Fällen oder einer Entscheidung mit Signalwirkung (etwa des obersten Gerichts) könnte die Regelung die berfüchtete verhaltenssteuern­ de Wirkung entfalten. Dagegen sprechen freilich die Erfahrungen aus der EU, wo ein entsprechend eingeschränkter Erschöpfungsgrundsatz seit längerem akzeptiert und gelebt wird, ohne dass der Import durch Übervorsicht gravierend beschränkt wurde. Bemerkenswert in diesem Kontext ist, dass gerade die USA in der Beratung zum WCT auf eine national beschränkte Erschöpfung drängten.493 Soweit der Erschöpfungsgrundsatz tatsächlich dem Verkehrsschutz dient, ist die derzeitige europäische Regelung nur vertretbar, soweit sie an eine von außen erkenn­ bare Unterscheidung der betroffenen Gegenstände anknüpft.494 Soweit auf dem Markt hingegen für den Nutzer identisch erscheinende Produkte vertrieben werden, bei denen eine Erschöpfung allenfalls an nicht nachvollziehbaren Codes oder gar anhand verborgener RFID-Chips für den Berechtigten und dessen Hilfspersonen er­ kennbar ist, wäre durch die gemeinschaftsweite Erschöpfung nichts gewonnen. Viel­ mehr würden die Erwerber derartiger Produkte riskieren, dass es sich um ungeneh­ migt vertriebene Stücke handelt. Soweit diese Vermutung zuträfe, sähen sie sich bei einer Weiterveräußerung mit Unterlassungsansprüchen des Berechtigten konfron­ tiert. Ob die Einschätzung hinsichtlich der Legalität zutrifft, wäre erst im Nachhin­ ein erkennbar. Dies würde zu einem „Market for lemons“ führen, in dem in Erman­ gelung eines objektiven Vertrauenstatbestandes die mit derartigen rechtlich zweifel­ 493  494 

Lewinski, GRUR Int 1997, 667, 670. Oben §  3C.I.2a, S. 368.

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

haften Produkten erzielbare Gegenleistung letztlich annähernd gegen Null fallen würde.495 Alternativ wäre es möglich, sich vor jeder Transaktion beim Urheber zu vergewissern, dass der konkrete Vertragsgegenstand der Erschöpfung unterliege; dann wäre aber der Effizienzgewinn durch den Erschöpfungstatbestand verloren. Schließlich könnte man überlegen, den Rechtsschein an zusätzliche Objekte, etwa an Urkunden zu knüpfen. Auch dieses Modell ist aber angesichts der Vielzahl der ge­ schützten Alltagsgegenstände und dem unnötigen Administrativaufwand nicht praktikabel. Eine letzte Rechtfertigung gäbe es, wenn der EU-Markt derart nach au­ ßen abgeschottet wäre, dass Produkte aus anderen Staaten nicht ohne Genehmigung auf den Markt gelangen könnten. Eine derartige Abschottung wäre jedoch schon we­ gen der urheberrechtlich unbeschränkten Zulässigkeit des Besitzes von rechtmäßig hergestellten und erworbenen Werkstücken (vgl. §  98 UrhG) unmöglich. Denn ein im Ausland gekauftes und von einem Touristen mitgebrachtes Werkstück kann we­ der eingezogen noch vernichtet werden, erst die Weiterveräußerung würde gegen §  17 Abs.  1 UrhG verstoßen. Derartige Privatverkäufe führen aber zu einer untrenn­ baren Vermischung der zulässig verbreiteten mit den unzulässig in Verkehr gelang­ ten Werkstücken. (3)  Örtliche Beschränkungen bei der Erstveräußerung Zudem ist denkbar, dass das Erstverbreitungsrecht örtlich differenziert ausgeübt wird, so dass der Urheber bzw. dessen ausschließlicher Lizenznehmer nur die Ver­ breitung in einem bestimmten Staat, in einer bestimmten Gemeinde oder gar in ­einem bestimmten Geschäft erlaubt hat (sog. Gebietslizenz).496 §  15 Abs.  2 PatG, Art.  74 EPÜ lassen eine solche dingliche Aufspaltung sogar ausdrücklich zu.497 Die überwiegende Auffassung versagt solchen Beschränkungen im Urheberrecht hinge­ gen die dingliche Wirkung.498 Der Berechtigte wäre daher auf Ansprüche wegen Schlechterfüllung seines Vertrages mit dem Erstveräußerer beschränkt und hätte keine Rechtsbehelfe gegen folgende Weiterveräußerungen. Hintergrund soll sein, dass sonst eine Marktabschottung innerhalb eines einheit­ lichen Hoheitsgebiets denkbar wäre. Sobald durch eine erlaubte Veräußerung Er­ schöpfung eingetreten ist, haben die Beschränkungen allerdings ohnehin keine Wir­ kung mehr, da der Gegenstand dann nicht mehr dem Verbreitungsrecht unterliegt.499 Die Marktabschottung betrifft daher nur das Erstgeschäft, wo die schuldrechtliche Beschränkung ähnliche Folgen hat. Die fehlende Erkennbarkeit der Beschränkung500 für den Verkehr ist kein relevanter Ansatz für ein Verbot der Beschränkung, da dies 495 

Akerlof, Quarterly Journal of Economics 84 (1970), 488. Berger, AcP 2001, 411, Rn.  411. 497 BenkardPatG/Ullmann/Deichfuß, §  15 PatG Rn.  66; Körber, S.  48; Fromm/Nordemann/Nordemann/Vinck, §  17 UrhG Rn.  7; Dreier/Schulze/Schulze, §  17 UrhG Rn.  4 (1). 498  Reimer, GRUR Int 1972, 221, 226; Joos, S.  110; Niethammer, S.  108 f.; Ulmer, §  8 4 I 3, S.  635; Schricker/Loewenheim/Schricker, vor §§  28 ff. UrhG Rn.  54. 499  Oben §  3C.I.2b.aa(1), S. 373. 500  Niethammer, S.  109. 496 

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

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für alle Verstöße gegen Beschränkungen des Verbreitungsrechts gilt. Zudem wäre es durchaus denkbar, dass der Urheber die Werke je nach Vertriebsort unterschiedlich ausgestaltet (durch Aufdrucke, etc.), so dass die Gefahr gar nicht mehr bestünde. Auch eine räumliche Beschränkung des Erstverbreitungsrechts ist daher zulässig. Ein in Verstoß gegen derartige Beschränkungen in Verkehr gebrachtes Werkstück unterliegt daher noch immer dem Verbreitungsrecht des Urhebers, der so eine Wei­ terveräußerung auch durch den gutgläubigen Erwerber verhindern kann (§  97 UrhG iVm §  17 Abs.  1 UrhG). cc)  Inhaltliche Beschränkungen des Erschöpfungsrechts (1)  Beschränkte Drittwirkung Besondere Schwierigkeiten bereiten die nach §  31 Abs.  1 S.  2 UrhG ausdrücklich zu­ gelassenen „inhaltlichen“ Beschränkungen bei der Einräumung des Verbreitungs­ rechts bzw. die Möglichkeit, die Zustimmung nach §  17 Abs.  1 UrhG auszugestalten. Der Bundesgerichtshof hat diese Befugnis begrenzt, indem er an eine Drittwirkung solcher inhaltlicher Einschränkungen besondere Anforderungen stellt.501 Nur „üb­ liche, technisch und wirtschaftlich eigenständige und damit klar abgrenzbare Nut­ zungsformen“ sollen als Schranken der Lizenz im Sinne von §  31 Abs.  1 S.  2 UrhG dingliche Wirkung entfalten.502 Insbesondere sollen Vorgaben hinsichtlich der kon­ kreten Verbreitungshandlung keine Drittwirkung entfalten.503 Bei Verstoß gegen sonstige Vorgaben haftet nur der unmittelbare Vertragspartner des Schutzrechtinha­ bers nach §  280 Abs.  1 BGB.504 Dies ist aber keine Besonderheit des geistigen Eigen­ tums, sondern letztlich eine Folge der Vertragsfreiheit (siehe etwa explizit §  137 S.  2 BGB). Die dingliche Ebene bleibt also unberührt. Der Erwerber wird geschützt, selbst wenn er bösgläubig sein sollte.

501 BGH GRUR 2001, 153, 154 – OEM-Software; Siehe bereits RG 69, 394, 397 f. – Koenigs Kursbuch (zur Preisbindung als Verbreitungsbeschränkung); vom Ansatz her abweichend etwa noch Zahrnt/Erben, CR 1996, 535, 536. 502  BGH GRUR 2001, 153, 154 – OEM-Software; BGH, Urt. v. 21.11.1958 – I ZR 98/57, GRUR 1959, 200, 202 – Der Heiligenhof; BGH Urt. v. 6.3.1986 – I ZR 208/83, GRUR 1986, 736, 737 – Schall­ plattenvermietung; BGH Urt. v. 8.11.1989 – I ZR 14/88, GRUR 1990, 669, 671 – Bibelreproduktion; BGH Urt. v. 12.12.1991 – I ZR 165/89, GRUR 1992, 310, 311 – Taschenbuch-Lizenz. 503  BGH GRUR 1959, 200, 202 – Heiligenhof. 504 Abweichend Berger, AcP 2001, 411, der den Nutzungsbeschränkungen im Rahmen des §  32 UrhG Bedeutung zumisst und daher zu Ansprüchen aus §§  97 ff. UrhG kommt. Da insoweit aber wiederum nur der Erstverbreiter in Anspruch genommen werden kann, ist der Vorteil dieser Kon­ struktion im Wesentlichen nur die Bestätigung des Kausalprinzips. Soweit dies sich aber nur gegen den Erstverbreiter richtet, kann man kaum von „absoluter“ Wirkung sprechen. Das macht die Kon­ struktion fragwürdig. Berger selbst sieht die Vorteile vor allem in den Schadensberechnungsmög­ lichkeiten nach §  97 Abs.  2 UrhG. Auch diese ließen sich aber vertraglich vereinbaren – §§  249 ff. BGB schließen eine Pauschalierung nicht aus, auch eine Gewinnherausgabe ist möglich. Im hier interessierenden Kontext wird man sogar bei Fehlen einer ausdrücklichen Vereinbarung die Wer­ tung der spezialgesetzlichen Regelungen entsprechend heranziehen können, da diesem dem mut­ maßlichen Parteiwillien entsprechen und zudem eine planwidrige Regelungslücke vorliegt.

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

(2)  Auf bestimmten Zweck beschränkte Veräußerung Da die Erschöpfung an eine „Veräußerung“ anknüpft, liegt es nahe, stattdessen auf andere Gestaltungen auszuweichen. So könnte man Werkstücke „nur zur Ansicht“ oder gar „zur Vernichtung“505 übersenden oder bei einem Direktvertrieb durch den Urheber selbst stets die Weiterveräußerung ausschließen. Insoweit ist aber dennoch Erschöpfung zu bejahen, weil dieses Verhalten im Hinblick auf den Verkehrsschutz als widersprüchlich zu beurteilen ist.506 Denn der Zweck der Übereignung ist den Verkörperungen gerade nicht anzusehen. Dem Verkehrsschutz gebührt insoweit der Vorrang.507 c)  Erschöpfung im digitalen Umfeld; notwendige Vervielfältigungen Die Nutzung digitaler Inhalte setzt stets eine Vervielfältigung voraus (vgl. nur §  69c Nr.  1 UrhG), so dass bei wortgenauer Betrachtung auch der private Werkgenuss dem Urheber vorbehalten bzw. von dessen Lizenzgewährung abhängig ist.508 Selbst wenn man mit dem EuGH annimmt, dass hierzu erforderlich ist, dass die dabei dargestell­ ten „Fragmente Elemente enthalten, die die eigene geistige Schöpfung der betreffen­ den Urheber zum Ausdruck bringen“, werden im Arbeitsspeicher des Computers (und auch in einem größeren Prozessorcache) zu jedem beliebigen Zeitpunkt hinrei­ chend Inhalte festgehalten werden.509 Damit ist das Ansehen, Anhören oder Lesen eines in digitaler Form bereit gehaltenen Werkes ohne zustimmungsbedürftige Ver­ vielfältigung nicht möglich. Dies ist allerdings im Hinblick auf die Grundwertungen des Urheberrechts bedenklich.510 Aus diesem Grunde erlaubt §  44a UrhG (sog. „Browser-Schranke“)511 vorübergehende Vervielfältigungen, die „flüchtig oder be­ gleitend sind und einen integralen und wesentlichen Teil eines technischen Verfah­ rens darstellen“. Zudem muss die Vervielfältigung eine rechtmäßige Nutzung eines Werkes oder sonstigen Schutzgegenstands ermöglichen und darf keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung haben. Der private Werkgenuss soll eine solche recht­ mäßige Nutzung eines Werkes sein, selbst wenn das Werkstück illegal hergestellt wurde.512 Eine vergleichbare Wirkung entfaltet für Software §  69d Abs.  1 UrhG, der Vervielfältigungen von Software erlaubt, „wenn sie für eine bestimmungsgemäße Benutzung des Computerprogramms […] durch jeden zur Verwendung eines Ver­ vielfältigungsstücks des Programms Berechtigten notwendig sind“. Damit sind die durch die analoge Wahrnehmung des Menschen zum privaten Werkgenuss notwen­ 505 

OLG Karlsruhe GRUR 1979, 771, 772 – Remittenten. Berger, AcP 2001, 411, 434. 507 Ein normatives Argument hierfür liefern die EU-Richtlinien (Art.   4 c S.  2 Software-RL, Art.  5 c 2 Datenbank-RL, 9 Vermiet- und Verelihrecht). 508  OLG Hamburg GRUR 2001, 831; OLG Düsseldorf CR 1996, 728/729; Bechtold, GRUR 1998, 18, 26 f.; Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts; im Detail Zecher, S.  29 ff. 509  EuGH ZUM 2011, 803, 817 (Rn.  157); siehe auch Stieper, MMR 2012, 12, 16. 510  Peukert, UFITA-Schriftenreihe 2002, 689, 711 f.; Wand, S.  140; Meschede, Meschede, S.  92. 511  In Umsetzung von Art.  5 Abs.  1 der Richtlinie 2001/29/EG. 512  Stieper, MMR 2012, 12, 16; Fangerow/Schulz, GRUR 2010, 677, 681. 506 Ebenso

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

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dig werdenden Vervielfältigungen zwar tatbestandsmäßig, aber durch die entspre­ chenden Schranken gerechtfertigt.513 Dieses Ergebnis entspricht der Verkehrserwar­ tung und nimmt auf die Bedürfnisse der Betroffenen hinreichend Rücksicht, auch wenn die Konstruktion unschön wirkt.514 In der Diskussion stand demgegenüber lange Zeit das Verbreitungsrecht im Vor­ dergrund. Denn beim Vertrieb von urheberrechtlich geschützten Werken über das Internet, bringt der Urheber gerade entgegen §  17 Abs.  2 UrhG kein „Original oder Vervielfältigungsstücke“ des Werkes in Verkehr.515 Vielmehr macht er die zur Werk­ nutzung erforderlichen Daten zunächst öffentlich zugänglich (§  19a UrhG), dann stellt der Benutzer durch Initiierung des Herunterladens eine Vervielfältigung (§  16 UrhG) mit hierzu erteilter Erlaubnis des Urhebers her und hat so eine Kopie des Pro­ gramms auf seiner Festplatte.516 Er ist nunmehr zwar Inhaber eines „Vervielfälti­ gungsstücks“, dieses ist allerdings nicht „in Verkehr gebracht“ worden. Zudem ge­ staltet sich die Weitergabe schwierig: Selbst wenn an der heruntergeladenen Datei Erschöpfung eingetreten wäre, müsste dieses Werkexemplar weiter übertragen wer­ den, d. h. der zugrundeliegende Datenträger (mithin zumindest die Festplatte).517 Die Weitergabe in digitaler Form, etwa als Email oder Download, bedeutet hingegen stets mehrere Vervielfältigungshandlungen. Diese sind aber durch den Erschöpfungs­ grundsatz nicht gedeckt.518 Einer Erschöpfungswirkung des erlaubten Downloads wird zudem Erwägungs­ grund 29 der Richtlinie 2001/29 EG519 entgegengehalten. Dieser setzt eine entspre­ chende Vorgabe des WIPO Copyright Treaty um.520 Beim digitalen Vertrieb fehlt zudem regelmäßig der erste Zwischenhändler, gegenüber dem Beschränkungen (da

513 

In diesem Sinne Poeppel, S.  430, 451; Meschede, S.  92. per use Systeme werden daher nicht bereits durch das Vervielfältigungsrecht ermög­ licht, sondern erst durch die darauf aufbauenden „überschiessenden“ technischen Schutzmaßnah­ men, Hilty/Peukert, S.  11, 38 f. 515  Vgl. nur Marly, EuZW 2012, 654, 656 f.; Hoeren/Försterling, MMR 2012, 642; zur Ablehnung des Erschöpfungsgrundsatzes siehe nur OLG München MMR 2008, 601; Schricker/Loewenheim/ Loewenheim, §  69c UrhG Rn.  36; Fromm/Nordemann/Czychowski, §  69c UrhG Rn.  33; Schricker/ Loewenheim/Ungern-Sternber, §  19a UrhG Rn.  6; Bergmann, FS Erdmann, S.  17, 17 ff. 516  Koehler, S.  98 ff.; Kulpe, S.  80 f. 517  LG Düsseldorf CR 2009, 221, 223; Kulpe, S.  143; Koehler, S.  178; Heydn/Schmidl, K & R 2006, 74, 75 f. 518 Wandtke/Bullinger/Heerma, §  17 UrhG Rn.  19; Berger, GRUR 2002, 198, 202 will als Ersatz für den Besitz am Vervielfältigungsstück an eine Authentizitätsurkunde anknüpfen; weiter aber bereits BGH ZUM 2000, 1082 (Vervielfältigung von Parfumflakon in Katalog zulässig, wenn zur Werbung üblich); zur Parallelproblematik im Markenrecht EuGH GRUR Int 1998, 140. 519  „Die Frage der Erschöpfung stellt sich weder bei Dienstleistungen allgemein noch bei On­ line-Diensten im Besonderen. Dies gilt auch für materielle Vervielfältigungsstücke eines Werks oder eines sonstigen Schutzgegenstands, die durch den Nutzer eines solchen Dienstes mit Zustim­ mung des Rechtsinhabers hergestellt worden sind. […]“. 520  Vgl. Gemeinsame Erklärung zu Art.  6 und 7 WCT: „die als körperliche Gegenstände in Ver­ kehr gebracht werden können“. 514  Pay

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

es die Erstverbreitung ist) entgegengehalten werden könnten.521 Zudem sind die Pro­ dukte im Onlinevertrieb nicht in gleicher Weise standardisiert wie beim Verkauf körperlicher Gegenstände – statt eine CD zu kaufen können einzelne Titel herunter­ geladen werden, diese gibt es zudem in verschiedener Qualität und mit unterschied­ lichen Kompressions- und Verschlüsselungsverfahren.522 Dadurch wird dem Urhe­ ber eine sehr viel flexiblere Preisgestaltung ermöglicht, die aber durch Zulassung der Erschöpfung verhindert würde. Demgegenüber hat der EuGH in Bezug auf Software523 eine Erschöpfung trotz fehlender Weitergabe des diese verkörpernden Gegenstandes, also des Datenträgers, bejaht.524 Dahinter stehen primär ökonomische Erwägungen. Denn aus Sicht der Nutzer treten die heruntergeladenen Inhalte gerade an die Stelle der physischen Pro­ dukte.525 Sie unterfallen daher schon deshalb der europarechtlichen Warenver­ kehrsfreiheit.526 Auch für den Verwerter sei der Vertriebsweg irrelevant.527 Teilweise wurde der Onlinevertrieb so schon in die Nähe einer Umgehung des Erschöpfungs­ grundsatzes gerückt.528 Sprachlich waren zur Begründung dieses Ergebnisses aller­ dings einige Verrenkungen nötig, so musste ein „Eigentum“ an der heruntergelade­ nen Softwarekopie angenommen werden, das dann durch Erstellen einer weiteren Kopie und Löschen des Quellexemplars übertragen wird.529 Die Erschöpfung wird zudem auf Veränderungen erstreckt die durch Updates nach der erstmaligen Über­ lassungen vorgenommen werden.530 Die Befugnis des Erwerbers einer derart er­ schöpften Kopie zu den zur Ausführung erforderlichen Vervielfältigungen folgt dann aus §  69d Abs.  1 UrhG, da er „berechtigter Erwerber“ sei. Die oben erwähnten gesetzessystematischen Argumente überwand der EuGH durch Annahme eines Vor­ rangs der Softwarerichtlinie, in der die problematischen Formulierungen nicht vor­ handen waren.531 Damit ist die Übertragbarkeit auf andere digitale Inhalte in Frage gestellt.532 Rein wirtschaftlich ist insoweit vor allem zu berücksichtigen, dass im Hin­ blick auf andere Gegenstände die Privatkopieschranke des §  53 UrhG eingreift, die für Software nicht gilt.533 521 

Ganea, Exhaustion of IP Rights: Reflections from Economic Theory, 23. Ganea, Exhaustion of IP Rights: Reflections from Economic Theory, 23 f. 523  Diese unterliegt nicht der Richtlinie 2001/29/EG, vgl. Art.  1 Abs.  2 lit.  a; Bayreuther, ZUM 2001, 828, 830. 524  EuGH NJW 2012, 2565. 525  So schon zuvor Grützmacher, ZUM 2006, 302; Grützmacher, CR 2007, 549; Sosnitza, K & R 2006, 206. 526  Siehe bereits EuGH Slg. 1964, 1251, 1274 ff. für Elektrizität; dazu Kulpe, S.  93. 527  LG Hamburg MMR 2006, 827; Hoeren, CR 2006, 573, 573 f. 528  Grützmacher, ZUM 2006, 302, 305. 529  EuGH NJW 2012, 2565 (Rn.  47); Hoeren/Försterling, MMR 2012, 642, 643 f. Eleganter wäre insoweit ein echtes „Datenrecht“, siehe dazu Beurskens, Macht im Privatrecht. 530  EuGH NJW 2012, 2565 (Rn.  47). 531  EuGH NJW 2012, 2565 (Rn.  51). 532  Hoeren/Försterling, MMR 2012, 642, 647; Kulpe, S.  140 f. 533  Marly, EuZW 2012, 654, 657. 522 

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

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Insgesamt führen also die reine Digitalisierung und daran anschließende Verwer­ tungshandlungen nicht zu einer Ausweitung der Befugnisse der Urheber. Freilich ist das Gefahrenpotential für die Vermögensinteressen wegen der Schnelligkeit, Leich­ tigkeit und vor allem Verlustfreiheit anschließender Vervielfältigungen deutlich er­ höht. Besondere Bedeutung kommt daher in diesem Zusammenhang technischen Selbstschutzmaßnahmen zu.534 Bedenklich ist zudem, dass insoweit der letzte Rest eines Anknüpfungspunktes für den Verkehrsschutz entfällt, da man digitalen Inhal­ ten gerade nicht ansieht, ob diese eine Vervielfältigung (!) eines Datenstroms sind, der mit Zustimmung des Urhebers bzw. eines ausschließlich zur Verbreitung Berech­ tigten in Verkehr gebracht wurden. Rechtfertigungsgrund für die diesbezügliche Er­ schöpfung kann daher nur der Schutz der Endnutzer sein.535 3. Unterlizenzen Im Urheberrecht gilt grundsätzlicher Sukzessionsschutz (§  33 UrhG).536 Entspre­ chende Regelungen existieren im gewerblichen Rechtsschutz (§  30 Abs.  5 MarkenG, §  31 Abs.  5 GeschmMG, §  15 Abs.  3 PatG, §  22 Abs.  3 GebrMG). Danach bleiben Li­ zenzen wirksam, obwohl der Inhaber des Stammrechts wechselt. Auch diese Regelung soll (ähnlich wie der Erschöpfungsgrundsatz) den Rechtsver­ kehr, hier denjenigen der ein Nutzungsrecht vom Berechtigten erworben hat, in sei­ nem Vertrauen auf den Fortbestand dieser Rechtsposition schützen. Ansatzpunkt ist dabei aber nicht der Erwerb des Rechts und ein körperliches Werkstück, sondern vielmehr die grundsätzliche Fortdauer einer einmal erworbenen Rechtsposition. Der BGH hat diesen Gedanken über den unmittelbaren Wortlaut der Regelung hinaus auf die Konstellation angewandt, dass derjenige, der eine Unterlizenz eingeräumt hat, seine Hauptlizenz verliert.537 Der Unterlizenznehmer kann die Ursache für die außerordentliche Auflösung des zwischen dem Hauptlizenzgeber und dem Hauptli­ zenznehmer geschlossenen Vertrags und die vorzeitige Beendigung des früheren Nutzungsrechts regelmäßig weder beeinflussen noch vorhersehen. Er würde durch den vorzeitigen und unerwarteten Fortfall seines Rechts oft erhebliche wirtschaftli­ che Nachteile erleiden, die sogar zur Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz führen können, wenn er auf den Bestand der Lizenz angewiesen ist. Das Interesse des Hauptlizenzgebers sei dabei weitgehend gewahrt, da er den Hauptlizenznehmer nach dem Erlöschen der Hauptlizenz auf Abtretung seines Anspruchs gegen den Unterli­ zenznehmer auf Zahlung von Lizenzgebühren in Anspruch nehmen kann. Damit bestätigt sich, dass das geistige Eigentum ähnlich wie das Sachenrecht durchaus einen Vertrauensschutz gewährleistet. Während dieser Schutz bei einem

534 

Dazu unten §  3C.II, S. 384; näher Hoppen, CR 2013, 9. In diesem Sinne Niethammer, S.  65 ff. 536 Wandtke/Bullinger/Grunert, §  33 UrhG Rn.  1 f.; BeckOK-UrhG/Soppe, §  33 UrhG Rn.  1. 537  BGH NJW 2012, 3301; BGH GRUR 2012, 914. 535 

384

§  3  Kumulative Selbsthilfe

derivativen Rechtserwerb allerdings nur eingeschränkt wirken kann, erstarkt er hin­ sichtlich des Erhalts zu einer geschützten Position.

II.  Technische Schutzmaßnahmen und die Verdinglichung von Schutzrechten Angesichts der grundsätzlichen Zulässigkeit von Verteidigungshandlungen, die nicht in fremde Rechtsgüter eingreifen,538 ist es selbstverständlich zulässig, dass der Urheber Eingriffe in die ihm vorbehaltenen Verwertungsrechte durch alle ihm zur Verfügung stehenden Maßnahmen verhindert, solange er die Sachherrschaft über das Werk innehat. Es handelt sich anders als beim Schutz von Geschäftsgeheimnis­ sen um kumulative Selbsthilfe, d. h. durch die Ergreifung derartiger Maßnahmen wird der rechtliche Schutz des Werkes weder begründet noch ausgeschlossen. Es gibt weder einen Nachrang in dem Sinne, dass nur bei Scheitern der staatlichen Durch­ setzung privater Schutz möglich ist, noch umgekehrt einen Zwang zur Abgrenzung der Rechtsinhaberschaft durch Schaffung eines solchen Schutzes. Beide Mechanis­ men laufen unabhängig nebeneinander. Die praktische Schwierigkeit liegt allerdings darin, dass eine Verwertung regelmä­ ßig damit verbunden ist, Werkstücke an Dritte zu übertragen. Dann verliert der Ur­ heber den physischen Einfluss und muss nunmehr das fremde Eigentum bzw. den fremden Besitz respektieren. War man im Mittelalter auf Bücherflüche angewie­ sen,539 ermöglicht die Digitalisierung jedoch inzwischen eine wirksame Verhinde­ rung von Vervielfältigungs- und Verbreitungshandlung durch Schutztechnologien. Demgegenüber gibt es bislang keine erfolgsversprechenden Beschränkungsmöglich­ keiten für die unkörperlichen Verwertungshandlungen des §  15 Abs.  2 UrhG, d. h. die öffentliche Vorführung, etc. Da aber auch die unkörperliche Verwertung regelmäßig zumindest die Umwandlung des digitalen Inhalts in eine analoge, menschlich wahr­ nehmbare Form voraussetzt, erfolgt eine vorgeschaltete Vervielfältigung, die ihrer­ seits verhindert werden kann.540 Das Gesetz beschränkt sich allerdings nicht darauf, diese technischen Beschrän­ kungen zu dulden, sondern verbietet ausdrücklich deren Umgehung (§  95a Abs.  1 UrhG). Weitergehend werden auch Vorbereitungshandlungen in weitem Umfang un­ tersagt (§  95a Abs.  3 UrhG). An Verstöße wird eine Strafandrohung geknüpft, so dass schon an dieser Stelle unterstützender staatlicher Zwang ausgeübt wird. Ein ähnli­ ches Verbot von Vorfeldmaßnahmen, allerdings beschränkt auf gewerbliche Hand­ lungen und ohne daran anknüpfendes Umgehungsverbot enthält das Zugangs­kon­ trolldiensteschutzgesetz (ZKDSG), welches für technisch geschützte Internet- und Rundfunkangebote unabhängig von den dort angebotenen Inhalten gilt. Beide Schutzsysteme bestehen nebeneinander und können so durchaus in Widerspruch zu­

538 

Oben §  2C, S. 283. Rehbinder/Peukert, Rn.  25. 540  Oben §  3C.I.2c, S. 380. 539 

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

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einander treten. Sie sind demzufolge auch in einem Gesamtkontext zu erörtern (sub 1). Am weitestgehenden sind allerdings die allgemeinen strafrechtlichen Verbote ge­ gen das Überwinden technischer Schutzhindernisse (§  202a StGB) und eine mögli­ che darauf folgende Veränderung von Daten (§  303a StGB). Auch dadurch wird eine Vervielfältigung, Verbreitung oder der private Genuss von Inhalten verhindert. An­ ders als §  95a UrhG ist dabei allerdings die Schutzfähigkeit ohne Relevanz, im Ge­ gensatz zu §  3 ZKDSG ist weder ein Onlinedienst noch eine gewerbliche Tätigkeit vorausgesetzt. Insoweit bilden diese allgemeinen strafrechtlichen Regelungen nach ihrem Wortlaut die Grundlage für eine dauerhafte und weitreichende Trennung der tatsächlichen Sachherrschaft von der Beherrschungs- und Verwertungsmöglichkeit einer Sache, ohne dass dadurch ein von der Rechtsordnung anerkanntes Schutzrecht ergänzt wird. Sie bedürfen daher nicht nur im Hinblick auf die Haftungsfolgen, son­ dern vor allem im Hinblick auf ihre tatbestandliche Reichweite und dingliche Wir­ kung näherer Untersuchung (sub 2). Die mit diesen Regelungen verbundene Schaffung einer gegen fremde Eingriffe geschützten Sphäre innerhalb eines körperlichen Gegenstandes hat erhebliche Aus­ wirkungen auf den Rechtsverkehr. Sie ziehen nicht nur die Rechtsscheinstatbestände für bewegliche Sachen (§§  932 ff., 1006 BGB) in Frage, sondern greifen auch tief in die Befugnisse des Sacheigentümers ein.541 Die Verbraucherzentrale Bundesverband fasst dies in Bezug auf den Kauf von elektronischen Spielen gegenüber klassischen Brettspielen treffend zusammen:542 „Für Verbraucher sind die unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten von Spiele-Software im Gegensatz zu Brett- oder Karten­ spielen unverständlich. Bei beiden zahlt der Verbraucher schließlich den vollen Kauf­ preis. Als Eigentümer des Brettspiels kann er es ohne Weiteres verschenken oder verkaufen oder anderen ein Nutzungsrecht einräumen. Diese Möglichkeiten bleiben ihm bei einer Spiele-Software oft verwehrt. Technische Hürden und das Verbot der Weitergabe und des Verkaufs hindern den Käufer einer Spiele-Software daran, mit seinem Eigentum zu verfahren wie er möchte.“ Vor diesem Hintergrund ist daher zu prüfen, wie die kollidierenden Interessen vorläufig, aber auch langfristig miteinander in Einklang gebracht werden können (sub 3). 1.  Zugangskontrolldiensteschutzgesetz und §§  95a ff. UrhG Der aus historischer Perspektive erste Schritt im Hinblick auf die Schaffung privile­ gierter Datenbereiche, auf die selbst der Inhaber der tatsächlichen Sachgewalt keinen 541  BVerfG NJW 2006, 42, 43 ist insoweit wenig beruhigend, da die Unzulässigkeit der dortigen Verfassungsbeschwerde einzig auf die fehlende Strafandrohung für Privatpersonen gestützt wurde; damit ist aber weder gesagt, was für die Fälle des zwischenzeitlich erloschenen Schutzes gilt, noch wie die Lage bei gewerblichen Anbietern ist. 542 www.vzbv.de/11135.htm.

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

Zugriff haben sollte, waren die schon 1986 eingeführten strafrechtliche Regelungen der §§  202a, 303a StGB.543 Diese stellen allerdings weder in der ursprünglichen noch in der jetzigen Fassung Anforderungen hinsichtlich der Inhalte. Immerhin seit 1993 existiert daneben aber auch ein Schutz für Computersoftware (§§  69a ff. UrhG), der als Annex auch ein Verbot von Hilfsmitteln zur Umgehung von Schutzmechanismen umfasst (§  69f Abs.  2 UrhG). Die allgemeine Bedeutung privater Maßnahmen zum Schutz wirtschaftlicher Interessen aller Urheber und sonstiger Inhaltsverwerter führte hingegen erst Anfang des 21. Jahrhunderts zu gesetzgeberischen Maßnah­ men. Die erörterten Regelungskomplexe gehen dabei auf europarechtliche Vorgaben zurück.544 Die tatbestandlich erheblich engere Regelung des ZKDSG ist dabei zwar älter, hat aber weder in der Literatur noch in der Gerichtspraxis Bedeutung erlangt. Daher wird sie im Folgenden erst nach den erst später eingeführten §§  95a ff. UrhG erörtert. a)  Schutz technischer Maßnahmen vor Umgehung (§  95a Abs.  1 UrhG) Nach §  95a Abs.  1 UrhG ist die Umgehung von technischen Maßnahmen, die durch Urheber- oder Leistungsschutzrechte staatlichem Schutz unterliegen, verboten. Im Zivilrecht erfolgt die Durchsetzung dieses Umgehungsverbots entweder durch Aner­ kennung des Umgehungsverbots als Schutzgesetz im Sinne von §  823 Abs.  2 BGB,545 oder aber als Annex zum Urheberrecht analog §  97 UrhG.546 Aktivlegitimiert wird insoweit regelmäßig der Urheber bzw. dessen ausschließlicher Lizenznehmer.547 aa)  Akzessorietät zum urheberrechtlichen Schutz Das Urheberrechtsgesetz hat den Schutz technischer Maßnahmen ausdrücklich ak­ zessorisch zum urheberrechtlichen Schutz ausgestaltet. Nur soweit Inhalte durch ein Urheber- oder Leistungsschutzrecht geschützt sind, genießen die dazu eingesetzten technischen Maßnahmen Umgehungsschutz. (1)  Reichweite des zulässigen technischen Schutzes Die Umgehung des Schutzes ist aber nicht nur verboten, soweit dadurch eine ansons­ ten ausgeschlossene Verletzung der dem Berechtigten vorbehaltenen Nutzungsrechte ermöglicht werden soll. Zwar wird sich in vielen Fällen an die Umgehung des Schut­ 543  Eingeführt durch das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 15. Mai 1986 ohne europarechtliche Grundlage; allerdings ergänzt in Umsetzung der Cybercrime-Con­ vention des Europarates durch das Einundvierzigste Strafrechtsänderungsgesetz zur Bekämpfung der Computerkriminalität vom 7. August 2007, dazu unten §  3C.II.2, S. 405. 544  Richtlinie 1998/84/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten vom 20. November 1998 (ABl.  EG Nr. L 320 S.  54); Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft. 545  BGH NJW 2008, 3565; Enders, ZUM 2004, 593, 600 mwN.; Spieker, GRUR 2004, 475, 480 ff. 546  Arlt, MMR 2005, 148, 149; Arnold, NJW 2008, 3545, 3546. 547  Peukert, Handbuch des Urheberrechts, Rn.  30; Arlt, MMR 2005, 148, 150.

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

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zes eine Verletzung der Nutzungsrechte anschließen und die Umgehung des Schut­ zes daher bloße notwendige Vorbereitung des ohnehin verbotenen Verhaltens sein. Ein so verstandenes Umgehungsverbot wäre jedoch überflüssig.548 Selbst unterstüt­ zende Dritte würden nach §  830 BGB ohnehin deliktisch haften und erst Recht als Störer unterlassungspflichtig sein, zumal §  95a UrhG ausdrücklich voraussetzt, dass der Werkzugriff als Ziel der Umgehung bekannt ist oder bekannt sein muss. Vielmehr reicht der Schutz deutlich weiter als die dem Urheber vorbehaltenen Nutzungsrechte.549 Solange etwa nur das Vervielfältigungsrecht fortbesteht, kann eine technische Maßnahme trotz möglicherweise eingetretener Erschöpfung die Weiterverbreitung verhindern, ebenso wie den vom Urheberrecht nicht erfassten pri­ vaten Werkgenuss. Denn bei digitalen Werken ist zum Werkgenuss eine vorüberge­ hende Vervielfältigung unabdingbar.550 Da diese verhindert werden darf, sind auch absolut wirkende Zugangsbeschränkungen möglich. Damit wird das Urheberrecht zum bloßen Anknüpfungspunkt oder sogar zu einem Eingangstor, das unbegrenzten Schutz ermöglicht, degradiert. Die theoretische Zulässigkeit derartiger exzessiver Maßnahmen ergibt sich unmittelbar aus §  95a Abs.  2 S.  2 UrhG, der insbesondere eine „Zugangskontrolle“ erfasst, obwohl der Zugriff gerade nicht dem Urheber vor­ behalten ist.551 Nach §  95a Abs.  1 UrhG soll demnach Ziel der Umgehung nicht etwa nur die Vornahme einer dem Urheber vorbehaltenen Verwertungshandlung, son­ dern ganz umfassend die Erlangung von „Zugang“ oder die „Nutzung“ des Werkes sein.552 Insoweit geht die Regelung weiter als diejenige in den USA, die strukturell zwischen Maßnahmen unterscheidet, die zwischen der umfassenden Zugangs­kon­ trolle einerseits553 und der Verhinderung einzelner dem Urheber vorbehaltener Ver­ wertungsmaßnahmen durch Vertrieb von Hilfsmitteln andererseits554 unterscheidet. Allerdings ist auch nach der dortigen Rechtslage praktisch der Zugangsschutz der Regelfall.555

548  Arlt, MMR 2005, 148, 151: Im Regelfall werden daher Ansprüche wegen Verletzung des §  95a UrhG und aus materiell-urheberrechtlicher Störerhaftung nebeneinander bestehen. 549 Kritisch Lessig, S.  186; Landes/Posner, S.  45. 550  Oben §  3C.I.2c, S. 380. 551  Umgekehrt gibt es aber auch gerade kein gesetzliches „Zugriffsrecht“ des Nutzers, zutreffend Dusollier, IIC 2003, 62, 69; Höhne, S.  125. 552  Mittenzwei, S.  167 ff.; Wand, S.  10 ff.; abweichend Peukert, Handbuch des Urheberrechts, Rn.  5 der den „Zugang“ insoweit ausschließlich auf die öffentliche Zugänglichmachung im Sinne von §  19a UrhG bezieht; damit würde aber die technische Wirkung als Vervielfältigungshindernis ignoriert. 553  §  1201 (a): “No person shall circumvent a technological measure that effectively controls ac­ cess to a work protected under this title.” 554  §  1201 (b): “a technological measure “‘effectively protects a right of a copyright owner under this title’” if the measure, in the ordinary course of its operation, prevents, restricts, or otherwise limits the exercise of a right of a copyright owner under this title.” 555  Zu Abgrenzungsschwierigkeiten auch Arlt, GRUR 2004, 548, 552; Höhne, S.  125.

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

Jedoch soll die Regelung ausweislich der amtlichen Begründung nur technische Maßnahmen schützen, die gerade die Befugnisse des Urhebers sichern sollen.556 So­ weit eine technische Maßnahme also überhaupt keinen Bezug zum Schutz einer der gesetzlichen Befugnisse hat, greift das Umgehungsverbot des §  95a Abs.  1 UrhG nicht ein,557 wohl aber in der Regel der Schutz nach §  202a StGB.558 Aber es fällt schwer, ein Beispiel zu finden, in dem ein Bezug zum Urheberrecht völlig ausgeschlossen ist. Schon beim Schutz von Datenträgern durch sog. Regionscodes, die ein Abspielen außerhalb eines bestimmten Gebiets technisch verhindert,559 könnte man auf das so abgesicherte Verbreitungsrecht (da so der Absatzmarkt für entsprechende Produkte begrenzt wird) verweisen.560 Zudem bedeutet das Abspielen eine dem Urheber grundsätzlich vorbehaltene Vervielfältigung, die nur durch §  44a UrhG gerechtfer­ tigt ist.561 Sobald also irgendeine urheberrechtliche Befugnis als Anknüpfungspunkt gefun­ den ist, wird ein über die rechtlichen Befugnisse des Urhebers hinausgehender Ein­ griff in die Nutzungsmöglichkeiten des Eigentümers bzw. Besitzers eines urheber­ rechtlich geschützten Gegenstands erlaubt.562 Da dieser der vorgelagerten Sicherung der entsprechenden Unterlassungsansprüche dient, hätte es nahe gelegen, diesen durch §  229 BGB zu rechtfertigen. Der demgegenüber erfolgte Verzicht auf eine Sub­ sidiarität563 gegenüber dem staatlichen Rechtsschutz insbesondere im Wege der Un­ terlassungsklage nach §  97 Abs.  1 UrhG und der Strafverfolgung nach §  106 UrhG erklärt sich hier aus dem besonderen Gefährdungspotential durch die leichte Trans­ ferierbarkeit von digitalen Inhalten.564 Zudem gesteht der Staat insoweit die fehlen­ den Kapazitäten zur Durchsetzung der Verwertungsrechte angesichts einer Vielzahl kleiner Verletzungen im Privatbereich ein.565 Wenig überzeugend ist allerdings, dass ein übermäßiger Schutz erlaubt wird, d. h. der für die Selbsthilfe im Allgemeinen geltende Erforderlichkeitsgrundsatz nicht eingreift.566 Vielmehr wäre es nahelie­ gend gewesen, hier einen eng zugeschnittenen technischen Schutz vorzusehen, statt 556  BegrRegE BT-Drs. 15/38, S.  26: „Ebensowenig wird die Einrichtung von Schutzmechanismen allein zum Zwecke der Marktzugangsbeschränkung geschützt.“ 557  Peukert, Handbuch des Urheberrechts, Rn.  3. 558  Unten §  3C.II.2a, S. 407. 559  Etwa bei DVDs, dazu Bechtold, S.  110 ff. 560  Aalto, CRI 2005, 103 mit Rechtsprechungsnachweisen; Peukert, Handbuch des Urheber­ rechts, Rn.  3. 561  Oben §  3C.I.2c, S. 380. 562  Peukert, Handbuch des Urheberrechts, Rn.  4; dies hätte durch eine Regelung nach dem Vor­ bild von §  90c des österreichischen Entwurfs zur Umsetzung der Richtlinie, KUR 2002, 104 ff. mög­ licherweise vermieden. 563  Oben §  1A.IV.1, S. 109. 564  Die Norm erfasst zwar auch analoge Inhalte, dies wird man aber vor allem durch die Ver­ meidung von Abgrenzungsschwierigkeiten rechtfertigen können. 565  Siehe schon die Rechtfertigung für den Fortbestand von §  53 UrhG in BegrRegE Erster Korb BT-Drs. 15/38, S.  39; allgemein Poeppel, S.  451. 566  Oben §  1A.IV.3, S. 114.

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

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ein umfassendes Umgehungsverbot hinsichtlich aller Maßnahmen anzunehmen, die auch Verwertungsrechte sichern, aber möglicherweise darüber hinausgehen. Bemerkenswert ist, dass der Gesetzgeber genau umgekehrt versucht hat, über­ schießende Beschränkung durch einen Gegenanspruch auf Verschaffung von Umge­ hungsmitteln auszugleichen (§  95b UrhG). Dem durch übermäßig rigide Schutzmaß­ nahmen Betroffenen steht ein Anspruch auf Zurverfügungstellung der Mittel (§  95b Abs.  2 UrhG) und ein Schadensersatzanspruch aus §  823 Abs.  2 BGB zu.567 Da es sich um Interessen der Allgemeinheit handelt, ist insoweit eine Verbandsklage nach §§  2a, 3a UKlaG (sowie parallel wohl nach §  8 Abs.  3 Nr.  2 UWG auf Grundlage von §§  3, 4 Nr.  11 UWG) möglich sowie eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit (§  111a Abs.  1 Nr.  2 UrhG).568 Eine über das allgemeine Kartellrecht hinausgehende präventive staatliche Missbrauchsaufsicht ist hingegen nicht vorgesehen. Allerdings greift §  95b UrhG ausdrücklich nur für die dort genannten Schranken. Hat der Berechtigte demgegenüber Maßnahmen ergriffen, die ein Verhalten, das ihm gar nicht zustand, zu unterbinden, passt die Regelung nicht. Offen bleibt daher etwa, was bei umfassender Verhinderung der Weitergabe gilt, obwohl bereits Er­ schöpfung eingetreten ist und somit das Verbreitungsrecht nicht mehr beim Urheber liegt.569 Ebenso bleibt ungeklärt, wie eine Maßnahme zu beurteilen ist, die den priva­ ten Werkgenuss verhindert, weil sich die technischen Rahmenbedingungen verän­ dert haben, etwa der BluRay-Player nach einem automatischen Firmwareupdate den Film nicht mehr abspielen will.570 Ein Rechteinhaber mag sogar dazu übergehen, eine dem Nutzer nicht bekanntgemachte zeitliche Nutzungsbegrenzung zu integrie­ ren, so dass der gekaufte Inhalt nach Ablauf einer gewissen Zeit nicht mehr angese­ hen, angehört oder sonst genutzt werden kann. Soweit er die Frist geschickt wählt, kann er dabei nicht nur der kaufrechtlichen Gewährleistung (§  438 BGB), sondern auch der Regelverjährung etwaiger konkurrierender deliktsrechtlicher Ansprüche entgehen. Denn §  199 Abs.  3 BGB stellt auf das den Schaden auslösende Ereignis, mithin die Erstellung der Nutzungssperre ab. Würde also ein automatischer Mecha­ nismus als Nebeneffekt auch das Werkstück nach Ablauf dieser Frist durch Löschung unbrauchbar machen, stünden zivilrechtliche Sanktionen nicht zur Verfügung. Dies ist im Hinblick auf das Ziel des Urheberrechts, das Kulturgut zu vergrößern, äußerst fragwürdig.

567 Dreier/Schulze/Dreier,

§  95b UrhG Rn.  5. §  95b UrhG Rn.  39; HK-UrhG/Dreyer, §  95b UrhG Rn.  3, 53; Schricker/Loewenheim/Götting, §  95b UrhG Rn.  4; Spindler/Schuster/Spindler, §  95b UrhG Rn.  2 f.; Dreier/Schulze/Dreier, §  95b UrhG Rn.  6 f. 569  Oben §  3C.I.2c, S. 380. 570 Siehe nur h10025.www1.hp.com/ewfrf/wc/document?cc=de&lc=de&dlc=de&tmp_geoLoc= true&docname=c02577795: „Weshalb kann ich einige Blu-ray Discs nicht in meinem Blu-ray-Lauf­ werk abspielen? Die Filmbranche aktualisiert den Blu-ray-Inhaltsschutz, sodass neue Codes benö­ tigt werden, bevor Sie den Film anschauen können. Einige Blu-ray Discs können überhaupt nicht auf einem Blu-ray-Laufwerk abgespielt werden […]“. 568 Wandtke/Bullinger/Wandtke/Ohst,

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

Die Lösung des Konflikts fällt allerdings schwer, da ein Recht zur Umgehung zu weitgehender Schranken mit dem Zweck des §  95a UrhG kaum zu vereinbaren wäre. Denn die Regelung soll ähnlich wie die tatsächliche Sachherrschaft des §  858 BGB eine Schutzzone um das Werk schaffen, die von Dritten nicht angetastet werden darf.571 Dieses Ziel wird sogar noch konsequenter verfolgt als im Rahmen des Be­ sitzschutzes, da Ausnahmen nur für staatliche Maßnahmen vorgesehen sind (§  95a Abs.  4 UrhG). Zweifel kann und soll es dabei nicht geben; etwaige Streitigkeiten sind vor Gericht und nicht vor dem eigenen Computer auszufechten. Mit diesem öffentli­ chen Interesse an Rechtssicherheit wäre eine Beschränkung des Schutzes als Strafe für den Missbrauch nicht zu vereinbaren. Dementsprechend ist darauf zu vertrauen, dass die Verhaltenssteuerung durch das Strafrecht (etwa §  303a StGB) und vor allem soziale Sanktionen, etwa Presseberichte, bewirkt wird. Eine Korrektur wäre auch denkbar, soweit man den Einwand der Ver­ jährung in vorsätzlichen Missbrauchsfällen verwehrt. Es bleibt die Hoffnung, dass diese Konstellationen nicht auftreten.572 (2)  Nutzung tatsächlicher Schutztechnologien zugunsten rechtlich ungeschützter Inhalte Angesichts der in Bezug auf das Urheberrecht bestehenden Schutzfrist (§  64 UrhG) ist nicht ausgeschlossen, dass ein einheitliches Schutzverfahren für Inhalte genutzt wird, die nicht gleichzeitig, wohl aber schrittweise gemeinfrei werden. Denkbar ist zudem, dass ein Schutzverfahren bereits von Anfang an sowohl für gemeinfreie als auch für geschützte Inhalte eingesetzt wird, etwa weil ein eBook-Reader oder MP3-Player alle Inhalte in verschlüsselter Form vorrätig hält oder weil auf einer durch Schutztechnologien zugriffsbeschränkten DVD-Rom neben schutzfähigen Bildern auch schlichte, ungeordnete Binärdaten enthalten sind, die nicht unter §  87a UrhG fallen. Selbst in einem verbundenen Werk können einzelne Inhalte unge­ schützt werden, so mag in einem urheberrechtlich geschützten Film während des Abspanns ein ungeschütztes Musikwerk gespielt werden, zu dem theoretisch Zugang unter Umgehung des Schutzes erlangt werden darf. Bedeutung entfaltet dies vor allem für die in §  95a Abs.  3 UrhG genannten Vorfeld­ handlungen: Sobald eine Technologie auch für nicht schutzfähige Inhalte eingesetzt wird, dürfte man entsprechende Umgehungsmittel nicht absolut verbieten. Eindeutig lösbar dürften dabei nur gezielte Missbrauchsfälle573 sein, in denen die bloß vorge­ schobene Einbindung einzelner geschützter Inhalte den technischen Schutz als um­ fassendes Mittel zur Kontrolle über alle Inhalte absichern soll. An die subjektive In­ tention desjenigen, der den Schutz angebracht hat, anzuknüpfen ist im Übrigen je­ doch nicht zielführend. Denn der Schutz des §  95a UrhG soll auch eine Mentalität des 571 

Oben §  3B.II.2b.aa, S. 342. Arlt, Handbuch Multimedia-Recht, Rn.  13 empfiehlt dem Gesetzgeber verstärkt im Auge behalten, um bei Steuerungsbedarf rechtzeitig reagieren zu können. 573  Peukert, UFITA-Schriftenreihe 2002, 689, 709. 572 Auch

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

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Respekts vor entsprechenden Technologien fördern und den Rechtsfrieden durch ein präventives Verbot wahren. Der Einwand, dass hier die Technologie zu einem unzu­ lässigen Ziel eingesetzt wird, sollte in einem Rechtsstreit, etwa im Rahmen des §  826 BGB, geklärt werden, jedoch nicht die Schutzwirkung insgesamt ausschließen. Insbesondere das kaum kontrollierbare Hineinwachsen geschützter Inhalte in die Gemeinfreiheit spricht dagegen, bereits ab dem Zeitpunkt, in dem der erste Inhalt nur noch durch schutzrechtsfreie, „abstrakte“ technische Maßnahmen geschützt ist, die Umgehung gerade und ausschließlich hinsichtlich dieses Inhalts zu erlauben.574 Rein praktisch können dadurch zudem Wertungswidersprüche hinsichtlich eines etwaigen Softwareschutzes bezüglich der genutzten Technologien sowie des strafbe­ wehrten Schutzes gesicherter Daten (§  202a ff. StGB) vermieden werden.575 Im Hin­ blick auf die Schutzrichtung des Verbots müssen die berechtigten Interessen der Öf­ fentlichkeit am Zugang zu den zu Unrecht mitgeschützten Inhalten daher gericht­ lich durchgesetzt werden; eine Umgehung im Wege der Selbsthilfe kommt nicht in Betracht.576 bb)  „Umgehung“ als verbotene Verhaltensweise Verboten ist die „Umgehung“ des technischen Schutzes, unabhängig davon, ob hier­ für ein Eingriff in den Gegenstand selbst erfolgt. Der Schutz muss dabei in der Regel „überwunden“ werden. Das bedeutet, dass gezielt gegen das Hindernis vorgegangen wird.577 Es genügt daher nicht, wenn die Hürde gegenüber der konkreten Handlung gar nicht nicht zum Tragen kommt.578 Dabei ist etwa umstritten, ob eine Vervielfäl­ tigung die den Kopierschutz schlicht übernimmt (also eine 1:1 Kopie) verboten sein soll.579 Nach Sinn und Zweck muss dieser Fall aber auch unter die Regelung fallen, denn die eigentlich zu verhindernde Vervielfältigung wird ja ermöglicht.580 Keine Umgehung ist die Ausnützung der „analogen Lücke“, die durch Abfilmen oder Auf­ zeichnen der Wiedergabe der Inhalte in menschlich wahrnehmbarer Form unab­ dingbar ist.581 574 

In diese Richtung Arlt, GRUR 2004, 548, 547. Unten §  3C.II.2a, S. 407. 576  Zum Problem Landes/Posner, S.  45. 577 Dreier/Schulze/Dreier, §   95a UrhG Rn.  10; Wandtke/Bullinger/Wandtke/Ohst, §  95a UrhG Rn.  53; Strömer/Gaspers, K & R 2004, 14, 17; weiter Ernst, CR 2004, 39, 40. 578  Anschaulich OLG Hamburg BeckRS 2009, 28332: „Eine auf Sand gebaute, nur unterhalb der äußeren Begrenzungen gegründete, aber nicht mit einem vollständigen Fundament versehene Fes­ tung mit verstärkten Außenmauern bietet wirksamen Schutz gegenüber Eindringlingen, die ,von der Landseite‘ die äußeren Mauern überwinden wollen. Gegenüber Eindringlingen, die hingegen versuchen, sich mittels eines Tunnels unter den Mauern hindurch in das Innere der Festung vorzu­ graben, sind die Schutzmechanismen der verstärkten Mauern indes wirkungslos. Insoweit bedarf es zusätzlicher und andersartiger Sicherungen in Form eines flächendeckenden stabilen Fundaments, um auch insoweit ein Eindringen wirksam verhindern zu können.“ 579  Strömer/Gaspers, K & R 2004, 14, 18; Mayer, CR 2003, 274, 279. 580  Arlt, GRUR 2004, 548, 550. 581  LG Frankfurt MMR 2006, 766. 575 

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

In den USA wird insbesondere die Frage diskutiert, ob die Umgehung gerade Vor­ feldmaßnahme einer Urheberrechtsverletzung sein muss. Würde also der Schutz überwunden, ohne dass eine Verwertungshandlung erfolgt, wäre die Umgehung nicht verboten.582 Praktische Bedeutung hat dies etwa bei der Nutzung von Software zum Abspielen (nicht Vervielfältigen) kopiergeschützter DVDs unter dem quelloffe­ nen Betriebssystem Linux. In Ermangelung einer entsprechenden kommerziellen Lizenz nutzen die entsprechenden Abspielprogramme die Entschlüsselungsbiblio­ thek „DeCSS“, die den Kopierschutz überwindet und so das Abspielen ermöglicht. Nun ist aber der Werkgenuss nicht dem Urheber vorbehalten und die dabei erfolgen­ den kurzfristigen Vervielfältigungen nach §  44a UrhG gerechtfertigt.583 Das Abspie­ len dürfte der Anbieter daher nicht verhindern. Soweit man allerdings den Vertrieb von DeCSS unbeschränkt zulässt, wird auch die Vervielfältigung der DVDs möglich, die der Schutz gerade unterbinden soll. Insoweit sind auch die amerikanischen Ge­ richte sehr vorsichtig und verbieten mangels ausdrücklicher Befugnisnorm die Um­ gehung.584 Dies ist vor dem Hintergrund des hier vertretenen Schutzzwecks des §  95a Abs.  1 UrhG auch für das deutsche Recht zutreffend. Der Schutz von technischer Maßnahmen darf nicht durch die Befugnis zur Umgehung im Einzelfall durchbro­ chen werden. Nur wenn die Schutzmaßnahme nicht „wirksam“ ist oder überhaupt keinen Zusammenhang mit Verwertungsbefugnissen nach dem Urheberrecht auf­ weist, darf eine Umgehung erlaubt sein. Im Übrigen ist vorrangig der Rechtsweg zu beschreiten. Praktisch wird sich das Problem aber nur selten stellen, da die meisten Nutzer ohnehin auf Hilfsmittel zur Umgehung angewiesen sind,585 deren Vertrieb nach §  95a Abs.  3 UrhG generell ausgeschlossen ist.586 Insoweit wäre die Einräumung einer Umgehungsbefugnis eine kaum nachvollziehbare einseitige Begünstigung von Fachleuten, die keine verhaltenssteuernde Wirkung auf denjenigen ausübt, der ein zu weitreichendes Schutzsystem einsetzt. Aufgrund der weitreichenden Verbote wirken die absolut gegen Umgehung ge­ schützten Schutztechniken nicht bloß akzessorisch, sondern vielmehr abstrakt zum am Werk bestehenden urheberrechtlichen Schutz.587 Die oben mühsam zusammen­ getragenen Schutzregeln entfalten auf dieser tatsächlichen Ebene keine Wirkung. Die Befugnisse desjenigen, der seine Werke durch Schutztechniken absichert, ähneln daher derjenigen des unmittelbaren Besitzers, der im Rahmen des possessorischen Besitzschutzes auch unmittelbar weitergehende Befugnisse wahrnehmen kann als 582  Storage Tech. Corp. v. Custom Hardware Eng’g & Consulting, Inc., 421 F.3d 1307, 1318–19 (Fed. Cir. 2005), bezogen auf eine ausdrückliche Schranke des Softwareschutzes. 583  Oben §  3C.I.2c, S. 380. 584  Universal City Studios v. Reimerdes, 111 F. Supp.  2d 294, 322 (S.D.N.Y. 2000). 585  Zu den USA siehe etwa chillingeffects.org/anticircumvention/faq.cgi: „The ban on the distri­ bution of circumvention devices also means that libraries seeking to use this exemption can’t do so independently but must employ cryptographers to do so – a luxury most libraries can’t afford“. 586  Unten §  3C.II.3, S. 416; schon daran würde der Vertrieb von DeCSS scheitern, näher Knies, ZUM 2003, 286. 587  Hugenholtz, S.  203: „quasi-property right“.

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im Rahmen staatlicher Verfahren.588 Es geht also um eine Art „virtuelle Friedens­ funktion“ durch Abgrenzung der Rechtssphären. cc)  Verhältnis zum Softwareschutz (§  69 Abs.  5 UrhG) Schwierig ist das Verhältnis der §§  95a ff. UrhG zum Schutz von Computersoftware, für den die Schutzregelungen, obschon es sich um ein „Sprachwerk“ handelt, aus­ drücklich nicht gelten sollen (§  69a Abs.  5 UrhG). Denn im digitalen Zeitalter werden klassische Inhalte zunehmend mit Software verbunden,589 umgekehrt enthält Soft­ ware vielfach auch Inhalte, die als andere Werkform geschützt werden.590 In vielen Fällen wird zudem die Schutztechnologie Software im Sinne der §§  69a ff. UrhG dar­ stellen, selbst wenn der Inhalt selbst keine Computerprogramme enthält.591 Die Ein­ griffsverbote der §§  69a ff. UrhG und der §§  95aff. UrhG sind jedoch nicht deckungs­ gleich.592 Denn §  69c Nr.  1, Nr.  2 UrhG verbieten nur die Vervielfältigung und Umar­ beitung des Programms selbst593. Eine Umgehung nach §  95a Abs.  1 UrhG kann aber auch durch externe Maßnahmen (etwa durch Ausspähen von Verschlüsselungscodes oder Nutzung eines externen Programms, das den Datenstrom abfängt) erfolgen. Desweiteren gibt es die besonderen Schranken der §§  69d, 69e UrhG, die dem Nutzer die Ausführung einer eigentlich dem Urheber vorbehaltenen Dekompilierung oder Umarbeitung erlauben.594 Bei Maßnahmen nach §  95a UrhG ist eine Selbsthilfe dem­ gegenüber ausnahmslos ausgeschlossen, es bleibt nur der Anspruch nach §  95b UrhG zum Selbstschutz. Bis zur Klärung der Frage durch den EuGH595 ist es nur möglich, den Ausschluss des §  69a Abs.  5 UrhG auf Computersoftware „im engeren Sinne“ zu beschränken, d. h. solche, die nicht mit anderen Werken verbunden sind.596 Soweit Software zum Schutz sonstiger Inhalte genutzt wird, entfallen daher die Nutzerrechte nach §§  69d, 69e UrhG. Der Schutz der technischen Schutzmaßnahme entfaltet insoweit absoluten Vorrang, eine Untersuchung ist ausgeschlossen. Ebenso entfällt die Befugnis, den 588 

Oben §  3B.II.2b.bb, S. 343. So enthalten etwa BluRayDiscs eigene Programme, welche die Filme durch interaktive Inhal­ te anreichern; hierzu wird eine besondere Variante von Java eingesetzt („BD-J“), vgl. www.blu-ray­ disc.com/Assets/Downloadablefile/bdj_gem_application_definition-15496.pdf. 590  In diesem Zusammenhang werden überwiegend nur Computerspiele erwähnt (Bullinger/ Czychowski, GRUR 2011, 19; Kreutzer, CR 2007, 1); allerdings gilt dies etwa auch für die der meisten modernen Software immanenten Benutzeroberflächen, die vielfältige grafische Elemente aufwei­ sen, EuGH GRUR 2011, 220 (der ausdrücklich diesbezüglich Softwareschutz verneint); OLG Karls­ ruhe ZUM 2010, 980; im Detail Barnitzke/Möller/Nordmeyer, CR 2011, 277, 280; sehr weitgehend Büchner, ZUM 2011, 549, der fotorealistische Gestaltungen als Lichtbild bzw. Laufbild schützen will. 591 Wandtke/Bullinger/Grützmacher, §  69a UrhG Rn.  4; vgl. auch BT-Drs. 15/38, S.  26. 592  Lindhorst 2002, S.  144; Arlt, MMR 2005, 148, 154; Kreutzer, CR 2006, 804; ders., Handbuch Multimedia-Recht, Rn.  24. 593  Kreutzer, CR 2006, 804, 805 ff.; Wandtke/Bullinger/Grützmacher, §  69f UrhG Rn.  13. 594  Kreutzer, CR 2006, 804, 805 ff. 595 Siehe zur diesbezüglichen BGH-Vorlage vom 6.2.2013 (I ZR 124/11) Krauß, CR 2013, R23-R24. 596  Arlt, MMR 2005, 148, 154 f. 589 

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

Schutz durch externe Maßnahmen zu umgehen. Praktisch wird es darauf aber auf­ grund des parallen Schutzes durch §  202a StGB kaum je ankommen.597 Das ausba­ lancierte Schutzsystem der §§  69d, 69e UrhG wird daher mittelfristig wohl vollstän­ dig entfallen und durch den absoluten Schutz des §  95a UrhG verdrängt. Diese Ent­ wicklung ist im Interesse der Rechtsklarheit zu begrüßen, da sich dadurch viele Streitigkeiten erledigen. In seiner Entscheidung zur grundsätzlichen Möglichkeit der Erschöpfung von on­ line vertriebener Software hat der EuGH ausdrücklich auf die Möglichkeit zum Schutz durch technische Maßnahmen Bezug genommen.598 Allerdings sollten diese gerade nicht dazu dienen, die Weiterverbreitung zu verhindern,599 sondern nur dazu, sicherzustellen, dass bei der Weitergabe die ursprüngliche Kopie unbenutzbar wird.600 Eine Entsprechung in der Welt der körperlichen Gegenstände gibt es nicht; insbesondere steht dem Urheber ein solches „Vernichtungsrecht“ außerhalb von §  98 UrhG nicht zu. Dennoch erfordert es die Wertungsgleichheit zu den körperlichen Gegenständen, die Zahl der Vervielfältigungsstücke gering zu halten. Dies geschieht praktisch durch Löschen der nunmehr überflüssigen Exemplare.601 Der Preis dieser Klarheit ist allerdings eine stärkere Betonung des Vertrags- und Deliktsrechts. Denn mangels eines gesetzlichen Schutzes wird vielfach bei einge­ schränkter Nutzbarkeit statt der bislang zulässigen Selbsthilfe nur der Rückgriff auf das Gewährleistungsrecht verbleiben. Ergänzend ist die Kollision der Rechte des Eigen­tümers des Datenträgers, etwa des Computers, der CD-ROM oder auch des mit Firmware ausgestatteten Haushaltsgegenstands mit den Schutzvorrichtungen des §  95a UrhG durch das Deliktsrecht und den Besitz- bzw. Eigentumsschutz zu ge­ währleisten. So werden funktionalitätsbeeinträchtigende nachträgliche Eingriffe durch automatische Updates oder die Nutzung eines „Killswitch“ sich als Eigen­ tumsverletzung im Sinne von §§  1004, 823 Abs.  1 BGB sowie als verbotene Eigen­ macht im Sinne von §§  858, 861 BGB darstellen.602 Die Position der Parteien kehrt sich dabei jedoch um: Während beim Softwareschutz der Urheber seine Rechte nach §  69c Nr.  2 UrhG geltend machen musste, muss nunmehr der Eigentümer oder Besit­ zer des Vervielfältigungsstücks seinerseits gegen den Urheber auf Zugangsermögli­ chung vorgehen. b) Vorfeldschutz Der Schutz vor Umgehungen nach §  95a Abs.  1 UrhG würde unter den gleichen Voll­ zugsdefiziten leiden wie der Schutz des Urheberrechts selbst, da die verbotenen Handlungen vielfach im nicht einsehbaren privaten Bereich erfolgen. Da die meisten 597 

Unten §  3C.II.2, S. 405. EuGH NJW 2012, 2565 Rn.  79 599 Wandtke/Bullinger/Grützmacher, §  69c UrhG Rn.  38 ff., 41. 600  Hoppen, CR 2013, 9. 601  Meyer-Spasche/Schneider/Störing, CR 2013, 131, 133. 602  Oben §  3B.II.2b.aa, S. 342. 598 

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

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Nutzer allerdings nicht die Fähigkeiten haben, Schutzmechanismen ohne Hilfe zu umgehen (sonst fehlt es bereits an der Wirksamkeit), sieht das Gesetz eine wirkungs­ volle Vorfeldmaßnahme vor: Bereits der Vertrieb von Hilfsmitteln bzw. Dienstleis­ tungen wird unterbunden. Ohne solche Unterstützung scheidet eine Umgehung je­ denfalls regelmäßig aus. Da die Schutzmechanismen regelmäßig nicht nur für ein Werk, sondern für eine Vielzahl von Produkten eingesetzt werden, handelt es sich dabei um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, das nicht nur den einzelnen Urheber bzw. ausschließlichen Lizenznehmer schützt. Bei Vertrieb von Umgehungsmaßnah­ men (und nur dort) sind vielmehr neben den Urhebern und Inhabern von Leistungs­ schutzrechten603 auch die Hersteller des Schutzsystems anspruchsberechtigt.604 aa)  Verbot bestimmter Vorbereitungshandlungen (§  95a Abs.  3 UrhG) (1)  Akzessorietät zur Umgehung Das Verbot von Vorbereitungshandlungen ist akzessorisch zum Umgehungsverbot des §  95a Abs.  1 UrhG, das wiederum an durch das Urheberrecht oder ein Leistungs­ schutzrecht gebunden ist. Ob die Schutzmaßnahme selbst, etwa durch Patente oder Urheberrechte, geschützt ist, ist hingegen ohne Belang.605 Einzige Voraussetzung ist die Wirksamkeit. Theoretisch sind sogar ineinander verschachtelte Schutzmechanis­ men denkbar, bei denen etwa eine physische Schutztechnologie (etwa ein besonders gesichertes Gehäuse) den Zugang zu einer Software verhindert, die wiederum den Zugriff auf das Werk kontrolliert. Bei genauerer Betrachtung begegnet diese Akzessorietät jedoch Bedenken. Da nicht an ein bestimmtes Werk, sondern nur an die „Maßnahme“ angeknüpft wird, scheint es fragwürdig, ob Umgehungsmittel vertrieben werden dürfen, solange noch keine durch diese geschützten Inhalte existieren. Würde man dies bejahen, könnten sanktionslos Mittel zur Umgehung einer Kopierschutztechnologie vertrieben wer­ den, solange sich diese noch nicht im aktiven Produktivbetrieb auf dem Markt, son­ dern noch in der Testphase oder in der Entwicklung befindet. Denn ein abstrakter Schutz von Technologie, die nur genutzt werden kann, um eine verbotene Nutzung zu unterbinden, ist vom Wortlaut nicht erfasst. Andererseits entstünde so die Gefahr, dass mit der ersten Nutzung der Technologie die Umgehung im Privatbereich schon nicht mehr aufzuhalten ist. Dies wäre mit dem Schutzziel von §  95a Abs.  3 UrhG kaum in Einklang zu bringen.606 Auch hier muss die Antwort aus dem Gesamtsystem der Regelungen folgen. Da ein möglichst weitreichender Schutz beabsichtigt ist, gegenüber dem andere Interessen zurücktreten, muss bereits der Plan einer künftigen Nutzung zum Schutz von Inhal­ ten genügen. In der Praxis wird es allerdings kaum je darauf ankommen, da in Er­ 603 

BGH GRUR 2008, 996. Arlt, MMR 2005, 148, 150; Pleister/Ruttig, MMR 2003, 763, 766; Bechtold, Kap.  7.11, Rn.  114 sieht insoweit eine Regelungslücke. 605  Arlt, MMR 2005, 148, 150. 606  Arlt, MMR 2005, 148, 150; Linnenborn, K & R 2001, 394, 397. 604 

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

mangelung eines konkreten Einsatzziels ohnehin kein Markt für derartige Produkte existiert. Auch der umgekehrte Fall ist aber vorstellbar. So ist die Ausnutzung der „analogen Lücke“ durch Aufzeichnung der auf einem Bildschirm oder Lautsprecher analog wie­ dergegebenen Audio- oder Videoinhalte durch den Endnutzer keine Umgehung im Sinne von §  95a Abs.  1 UrhG.607 Insoweit ist der technische Schutz nicht wirksam. Soweit eine Software diesen Vorgang jedoch automatisiert und systematisch nutzt, um Inhalte zu redigitalisieren und so eine ungeschützte Digitalkopie zu erzeugen, ist fraglich ob ein solches Verfahren nicht doch eine „Umgehung“ des Schutzes darstellt. Aus Sicht des Nutzers wird dadurch das Kopieren des Werkes in einem Schritt er­ möglicht, was im Ergebnis den nur auf digitale Kopien beschränkten Schutz aushe­ belt. Genau vor einer solchen, schnellen, fehlerfreien und automatischen Vervielfäl­ tigung sollte die Technologie jedoch schützen. Dies würde voraussetzen, dass der Umgehungsbegriff des §  95a Abs.  3 UrhG und derjenige des §  95a Abs.  1 UrhG nicht einheitlich auszulegen sind. Sieht man den Zweck des §  95a Abs.  3 UrhG allein im Schutz der Technologie wäre eine solche Auslegung nicht geboten. Denn deren Wirksamkeit wird gerade nicht angetastet, der Respekt vor dem Schutz bleibt erhal­ ten. Soweit hingegen die durch den Kopierschutzmechanismus geschützten Inhalte im Vordergrund stehen, ist eine solche Auslegung geboten. Einen wertungsmäßigen Ansatzpunkt hierfür gäbe etwa §  87b Abs.  1 S.  2 UrhG, der die Nutzung unwesentli­ cher Teile einer Datenbank der verbotenen Verwendung wesentlicher Teile gleich­ stellt, wenn die Nutzung „wiederholt und systematisch“ erfolgt und dadurch berech­ tigte Interessen unzumutbar beeinträchtigt werden. Wie bereits oben angedeutet ist aber bereits die Akzessorietät des §  95a Abs.  1 UrhG zum Schutz der Verwertungsbefugnisse des Urhebers sehr schwach ausge­ prägt. Damit wäre es nicht vereinbar, wenn man den Schutz über §  95a Abs.  3 UrhG verstärkt darauf ausrichtet. Ziel der Regelung des §  95a Abs.  3 UrhG ist daher wie bei §  95a Abs.  1 UrhG der Respekt vor und die Integrität von Schutztechnologien. Dabei wird reflexiv zwar auch der Urheber geschützt, dessen Schutz soll aber gerade nicht durch die staatliche Unterstützung von Technologien, sondern vorrangig durch die technischen Schutzmaßnahmen selbst oder die direkte Inanspruchnahme hoheitli­ cher Hilfe bewirkt werden. (2)  Dual Use Das Verbot des §  95a Abs.  3 UrhG wirkt nicht nur für Unternehmer, sondern selbst­ verständlich auch für Private.608 Es greift damit sehr weitgehend in die Eigentums­ freiheit (Art.  14 GG), aber auch in die Berufsfreiheit (Art.  12 GG) ein. Eine gewisse Abmilderung ist darin zu sehen, dass der bloße Besitz nur verboten ist, soweit er „gewerblichen Zwecken“ dient. Ein Weiterverkauf von Gegenständen, die nach Er­ werb als Umgehungshilfsmittel beworben werden, ist aber auch für Privatpersonen 607 

608 

LG Frankfurt a. M. MMR 2006, 766 m. Anm. Arlt. BGH NJW 2008, 3565.

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

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ausgeschlossen; sie können den Gegenstand also nicht mehr wirksam veräußern. §  95a Abs.  3 UrhG ist ein Verbotsgesetz im Sinne von §  134 BGB, so dass eine Gegen­ leistung auf dem Markt nicht mehr erzielt werden kann; die Sache wird damit wert­ los, sobald der eigene nicht in einer Umgehung liegende Bedarf entfällt. Demgegen­ über sind an die Weiterveräußerung zumindest keine strafrechtlichen Sanktionen geknüpft, da der entsprechende Tatbestand (§  108b Abs.  2 UrhG) ein Handeln zu gewerb­lichen Zwecken verlangt. Dennoch kann dieses Verfügungsverbot auch gut­ gläubige Personen treffen. Dabei dürfte es sich allerdings um eine zulässige Sozial­bin­ dung des Eigentums handeln, da Ziel der Regelung die Eindämmung der Umgehung von technischen Schutzmaßnahmen und damit die Schaffung von Rechtssicherheit, Vertrauen in die Sicherheit der elektronischen Systeme und vor allem eine klare Ab­ grenzung der Rechtssphären ist. Ein generelles Problem der Begrenzung von §  95a Abs.  3 UrhG ist, dass es durchaus Gegenstände gibt, die zwar zur Umgehung wirksamer technischer Maßnahmen, aber auch für andere Zwecke geeignet sind.609 Das Gesetz versucht eine Abgrenzung anhand von drei Kriterien:610 Zunächst wird auf die Werbung für die Produkte abge­ stellt (§  95a Abs.  3 Nr.  1 UrhG). Dabei sollen auch werbende Aussagen Dritter genü­ gen.611 Die Anknüpfung an Werbung oder Verkaufsförderungsmaßnahmen bedeu­ tet dabei, dass es nicht genügen kann, wenn die Nutzbarkeit zur Umgehung schlicht in Insiderkreisen bekannt ist oder im Rahmen neutraler Berichterstattung erfolgt.612 Andererseits ist irrelevant, ob die Werbung im In- oder Ausland erfolgt, solange sie nur dem maßgeblichen deutschen Publikum bekannt wird. Insoweit ist die Zurech­ nung erheblich weiter als etwa in §  434 Abs.  1 S.  3 BGB. Wird ein nicht zur Umge­ hung konzipiertes Produkt in einer atypischen Verwendung zutreffend als Umge­ hungstechnologie beworben, wirkt dies zu Lasten eines gutgläubigen Herstellers, der das Produkt daraufhin nicht weiter vertreiben darf.613 In Betracht kommt dann nur ein Schadensersatzanspruch, etwa aus §  9 UWG oder aus §  823 Abs.  1 BGB in Verbin­ dung mit dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gegen den­ jenigen, der diese Werbung betrieben hat. Soweit Privatpersonen oder Personen in der Vertriebskette betroffen sind, die bereits Eigentümer einer entsprechenden Vor­ richtung sind, wird man derartige Ansprüche aber zumeist verneinen müssen. Zu­ dem lassen auch Unterlassungsansprüche im Hinblick auf die Werbung für die Zu­ kunft das einmal entstandene Verbot hingegen nicht mehr entfallen. Eine Ausnahme 609  Vgl. Erwägungsgrund 48 der Richtlinie 2001/29/EG, wonach der normale Betrieb elektroni­ scher Geräte und ihre Entwicklung nicht beeinträchtigt werden soll, Entelmann, S.  36; Lewin­ski, GRUR Int 1998, 637, 641. 610  Fast wortgleich zu 17 USC §  1201 (b), vgl. Wand, S.  191. 611 HK-UrhG/Meckel/Dreyer, §  95a UrhG Rn.  93; Trayer, S.  116; Spindler/Leistner, GRUR Int 2005, 773, 793. 612  Vgl. zum Schutz der Pressefreiheit BGH GRUR 2011, 513; vgl. auch BVerfG BeckRS 2012, 46326. 613  Entelmann, S.  68 f.; Auer, Ein Leben für Rechtskultur, S.  3, 17; Peukert, Handbuch des Urhe­ berrechts, Rn.  29.

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

muss aber für Alltagsgegenstände mit vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten gemacht werden. So mögen Computer614 oder gar Filzstifte615 durchaus zur Umgehung von Schutzmaßnahmen geeignet sein. Wenn nun aber ein Händler ausdrücklich damit wirbt, dass ein von ihm vertriebenes Markengerät auch zum Überwinden von Ko­ piersperren geeignet ist oder man seine Stifte auch verwenden kann, um den Kopier­ schutz einer CD zu entfernen, kann dies nicht dazu führen, dass die gesamte Gattung verboten wird. Alternativ genügt es (§  95a Abs.  3 Nr.  2 UrhG), dass die Produkte nur „einen be­ grenzten“ wirtschaftlichen Zweck oder Nutzen haben. Dann muss mit ihrem Haupt­ zweck nicht explizit geworben werden und Insiderwissen genügt. Der Tatbestand hat im Vergleich zu den beiden anderen Varianten eine geringere Bedeutung, da es ange­ sichts der preisgünstigen Verfügbarkeit universell einsetzbarer Bauteile, etwa Pro­ zessoren und Festplatten, sehr leicht möglich ist, einen großen Zusatznutzen zu schaffen. Schließlich wird auf die objektive Natur des Gegenstands abgestellt und es als hin­ reichend erachtet, dass das Produkt „hauptsächlich“ entworfen wurde, um die Um­ gehung zu ermöglichen oder zu erleichtern (§  95a Abs.  3 Nr.  3 UrhG). Verhindert werden soll die Möglichkeit einer Rechtfertigung durch Einbau von Zusatzfunktio­ nen, die den wahren Nutzen verschleiern.616 Dies gilt selbst dann, wenn das Produkt auf dem Markt durchaus eine andere übliche, legale Verwendung gefunden hat.617 Ungeklärt ist, was gilt, wenn eine Kombination mehrer Mittel zur Umgehung er­ forderlich ist, soweit für die Kombination dieser Mittel eine der Voraussetzungen des §  95a Abs.  3 UrhG erfüllt ist.618 Es wäre missbräuchlich, ein zur Umgehung konzi­ piertes Gerät in zwei separate Komponenten zu teilen, von denen jedes einen nicht unerheblichen eigenen Nutzen hat, die aber üblicherweise gemeinsam zur Umge­ hung eingesetzt werden. Die rein zufällige Umgehungsmöglichkeit durch Nutzung der Kombination mehrerer Produkte kann demgegenüber nicht genügen. Insgesamt ist der Vorfeldschutz im Hinblick auf technische Maßnahmen sehr weitreichend. Er lässt sich nicht allein mit dem Schutz der Interessen eines einzelnen Urhebers rechtfertigen, der ein einzelnes Werk schützt. Dies zeigen insbesondere die Varianten der Werbung als Umgehungsmittel und des begrenzten wirtschaftlichen 614 

Entelmann, S.  69 (freilich nur in Bezug auf Nr.  2). zur Umgehung des Key2Audio-Schutzes www.heise.de/newsticker/meldung/CDKopierschutz-Dann-muessen-eben-Filzstifte-verboten-werden-61408.html: „Jetzt handelt von ei­ nem Tag auf den anderen jede Schreibwarenhandlung mit Circumvention Devices gegen Audio-Ko­ piersperren. Staedtler und alle anderen Hersteller von Folienstiften produzieren plötzlich illegale Ware“. 616  Entelmann, S.  69; Dietz, ZUM 1998, 438, 449; Haller, MR 1998, 61, 65. 617  Der Einwand hätte in BGH NJW 2008, 3565 hinsichtlich der Brennsoftware „AnyDVD“ nahegelegen, in der das Verbot auf §  95a Abs.  3 Nr.  3 UrhG gestützt wurde; vgl. Arnold, NJW 2008, 3545, 3546. 618  Siehe etwa OLG Hamburg ZUM 2010, 63, 65 zu einer derartigen Konstellation (Receiver und separat erhältliche Emulatiorensoftware). 615 Siehe

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Nutzens, die keine subjektiven Anforderungen stellen. Auch die hauptsächliche Ge­ staltung zur Umgehung kann gutgläubige Erwerber treffen, etwa Händler in einer Vertriebskette. Soweit die Gewährleistungsfrist abgelaufen ist oder die Gewährleis­ tungsrechte abbedungen wurden (also außerhalb von §  474 BGB) stehen diese Perso­ nen letztlich schutzlos dar. Dies wäre ein sehr hoher Preis, zumal eine Verhältnismä­ ßigkeitsabwägung angesichts der stark gestreuten Interessen im Normalfall ohnehin nicht möglich ist. Die Regelung ist daher trotz ihrer individualschützenden Formu­ lierung primär konzipiert, um die Schutztechnologien als gesellschaftliches Regula­ tiv vor Eingriffen zu immunisieren. Insoweit ist die Regelung etwa dem Sprengstoffoder dem Waffengesetz vergleichbar, welche besonders gefährliche Gegenstände ge­ nerell unter ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt stellen. Die Konstruktion als individualbegünstigendes Verbot erklärt sich vor diesem Hintergrund durch die Schwierigkeiten einer staatlichen Durchsetzung und der Befürchtung, durch Straf­ maßnahmen (anders als durch das schlichte Verfügungsverbot) die Grenze der Ver­ hältnismäßigkeit zu überschreiten. bb)  Mittel zur Umgehung technischer Programmschutzmechanismen (§  69f Abs.  2 UrhG) Für Computersoftware findet sich ein eigener Vorfeldschutz in §  69f Abs.  2 iVm Abs.  1 UrhG.619 Danach ist schon der Besitz von Umgehungsmitteln auch zu rein privaten Zwecken ausnahmslos verboten. Der Rechtsinhaber kann diesbezüglich Vernichtung oder Überlassung verlangen, selbst wenn den Besitzer der Gegenstände kein Verschulden trifft und er diese auch nicht zur Umgehung einsetzen wollte.620 Daneben besteht die Möglichkeit, Unterlassung nach §  97 Abs.  1 UrhG zu verlan­ gen.621 Eine weitere Erweiterung gegenüber §  95a Abs.  2 UrhG liegt darin, dass es genügt, dass das Mittel die Umgehung nur erleichtert, ein unmittelbarer Erfolg muss hingegen nicht sicher sein. Es ist insbesondere hinreichend, dass das Mittel erst ge­ meinsam mit anderen die Umgehung ermöglicht.622 Allerdings sieht der Wortlaut des §  69f Abs.  2 UrhG auch eine wesentliche Ein­ schränkung gegenüber §  95a Abs.  3 UrhG vor. Anders als in §  95a Abs.  3 Nr.  3 UrhG und §  202c UrhG wird verlangt, dass die Mittel „allein“ dazu bestimmt sein dürfen, den Schutzmechanismus zu beseitigen oder zu umgehen. Damit würde eine auch nur geringe anderweitige Verwendungsmöglichkeit als Rechtfertigung genügen. Die Ge­ setzesmaterialien sind insoweit wenig hilfreich:623 Dort wird auf betriebsystemeige­ ne Vervielfältigungsroutinen Bezug genommen, die von speziellen Kopierprogram­ men abzugrenzen seien, welche eine Ausschaltung der betriebsystemeigenen Funk­ 619 

Begr. BRegE BT-Drs. 12/4022, 15; Dreier, GRUR 1993, 781, 787. Marly, K & R 1999, 106, 107; Wandtke/Bullinger/Grützmacher, §  69f UrhG Rn.  2. 621 Wandtke/Bullinger/Grützmacher, §  69f UrhG Rn.  25. 622 Wandtke/Bullinger/Grützmacher, §   69f UrhG Rn.   16; Dreier/Schulze/Dreier, §  69f UrhG Rn.  12. 623  BegrRegE BT-Drs. 12/4022, 15. 620 

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

tio­nalität überwinden. Dieses Beispiel führt jedoch nicht weiter. So mag eine neuere Version oder eine kompatible Alternative des Betriebsystems andere Kopierroutinen nutzen, die vom maßeblichen „Ausschalten“ der Funktionalität gar nicht betroffen sind. Umgekehrt mag die Spezialsoftware etwa auch gerade dazu gedacht sein, defek­ te Datenträger auszulesen und so „zu retten, was noch zu retten ist“.624 Soll die Be­ triebsystemroutine aber generell deshalb erlaubt sein, weil sie in ein großes Pro­ gramm eingebettet ist?625 Denkbar wäre es auch, jedes Programm in beliebig viele Einzelfunktionalität zu zerlegen. Dann wäre ein Programm schon deshalb „allein“ zur Umgehung bestimmt, wenn irgendein konkret abgrenzbarer (und damit auch entfernbarer) Teil gerade auf die Umgehung ausgerichtet wäre.626 Dann wäre genau dieser Teil das nach §  69f Abs.  2 UrhG verbotene Mittel. Die Schwierigkeiten hinsichtlich der Teilbarkeit von Software hat allerdings Microsoft in den diesbezüglichen kartellrechtlichen Ausein­ andersetzungen aber im Detail aufgezeigt.627 Eine derartige Auslegung würde es ermöglichen, einheitliche Produkte aufzuspalten. Darin läge ein schwerwiegender Eingriff in die Gestaltungsfreiheit der Programmierer. Mitunter wird entgegen dem Wortlaut eine ähnliche Auslegung wie in §  95a Abs.  3 Nr.  3 UrhG befürwortet.628 Dafür spricht vor allem die hinter beiden Regelungen stehende Wertung einen Ausgleich zwischen den Interessen der Eigentümer und Be­ sitzer beweglicher Sachen oder Daten einerseits und der Aufrechterhaltung von Schutzmechanismen andererseits zu finden. Zu diesem Zweck können nur objektive Gesichtspunkte in Betracht kommen. Angesichts der leichten Erweiterbarkeit von Software mit Zusatzfunktionen, die oft sogar als existierender Code ohne eigenes Zutun ergänzt werden kann, wird eine ausschließlich illegale Nutzungsmöglichkeit selten vorkommen. Insoweit ist die weit überwiegende Einsatzmöglichkeit zur Über­ windung von Schutzhindernissen als hinreichend anzusehen. So kann insbesondere die Werbung mit nicht vorhandener oder nicht sinnvoll nutzbarer Funktionalität si­ cherlich nicht ausschließen, dass ein Mittel nur als Umgehungsvorrichtung wirt­

624  Vgl. etwa http://www.roadkil.net/program.php?ProgramID=29: “The program will attempt to recover every readable piece of a file and put the pieces together. Using this method most types of files can be made useable even if some parts of the file were not recoverable in the end.” 625  So enthält etwa das Softwarepaket „Wine“, mit dem Windows-Programme unter Linux oder MacOS X gestartet werden können Funktionalität um kopiergeschützte Progranne zu starten, wiki. winehq.org/CopyProtection – es wird dadurch aber wohl nicht zu einem Produkt im Sinne von §  69f Abs.  2 UrhG. 626 In diese Richtung LG München MMR 2008, 839; Wandtke/Bullinger/Grützmacher, §  69f UrhG Rn.  21. 627 Entfernung des Internet Explorers, siehe www.justice.gov/ atr/cases/f3800/msjudgex.htm Rn.  179–198, Entfernung von Media Player, siehe fsfe.org/activities/ms-vs-eu/CEC-C-2004–900final.pdf. Rn.  801–834. 628 Fromm/Nordemann/Vinck, §   69f UrhG Rn.   3; Mestmäcker/Schulze/Haberstumpf, §  69f UrhG Rn.  13; Raubenheimer, CR 1994, 129, 130 ff.; Wand, S.  76.

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schaftlich sinnvoll genutzt werden kann.629 Die Rechtsprechung behilft sich, indem über §  69g Abs.  1 UrhG auf die allgemeinen Regeln des Lauterkeitsrechts zurückge­ griffen wird, so dass jedenfalls der gewerbliche Vertrieb unterbunden werden kann.630 Eine gewisse Schwierigkeit bei §  69f Abs.  2 UrhG liegt zudem darin, dass es nach herrschender Meinung nicht verboten ist, die Nutzung der gesetzlichen Schranken im Wege der Selbsthilfe durchzusetzen.631 Da dies aber für die meisten Nutzer nicht ohne Hilfe möglich ist, stellt sich die Frage, inwieweit diesbezügliche Hilfsmittel ver­ trieben werden dürfen. Da der Hersteller etwa die Erstellung einer Sicherungskopie nicht verbieten dürfe (§  69d Abs.  2 iVm §  69g Abs.  2 UrhG), liegt es dann aber nahe, den Vertrieb von Software und Geräten, die einen Kopierschutz umgehen, generell zuzulassen, soweit der Hersteller nicht dem Kunden selbstständig eine Sicherungsko­ pie überlässt.632 Die damit entstehende Lücke im Schutzsystem ist jedoch nicht hin­ zunehmen.633 Vielmehr sind die betroffenen Benutzer auf die Durchsetzung ihrer Rechte im Klagewege zu verweisen; eine Selbsthilfe ist nur im Rahmen von §  229 BGB zulässig. Im Ergebnis sollte Ziel bei der Anwendung von §  69f Abs.  2 UrhG und §  95a Abs.  3 UrhG eine weitgehende Wertungsgleichheit bei den tatbestandlichen Voraussetzun­ gen sein. Dies ist allerdings mit dem Wortlaut nur bedingt zu erreichen. Aus Sicht des Rechtsverkehrs macht es aber kaum einen Unterschied, ob Software den Schutz an­ derer Programme (dann findet §  69f Abs.  2 UrhG Anwendung) oder zugunsten auf dem selben PC gespeicherte Musik oder Filme (dann gilt §  95a Abs.  3 UrhG) einge­ setzt werden soll. In der denkbaren Konstellation, das ein einheitliches Programm sowohl Schutzmaßnahmen für andere Software als auch für sonstige Inhalte umgeht (insbesondere eine Verschlüsselung) ist daher ein Zwei-Schranken-Prinzip anzu­ wenden und ein Vorgehen nach beiden Regelungen zu erlauben. c)  Flankenschutz für Zugangskontrollen (§  3 ZKDSG) Das Zugangskontrolldiensteschutzgesetz enthält gegenüber dem Schutz der §§  95a ff. UrhG und erst Recht im Vergleich zu §§  202a-202c StGB eine in ihrem Anwendungs­ bereich sehr eingeschränkte, sektorspezifische Sonderregelung.634 Inhaltlich erfasst es technische Verfahren oder Vorrichtungen, die als zwingende Zugangskontrolle für die Nutzung von Telemedien und Rundfunkangeboten eingesetzt werden, die gegen Entgelt erbracht werden (§§  1, 2 ZKDSG). Die praktische Bedeutung ist bislang 629  OLG Frankfurt MMR 2003, 591 (Bewerbung einer Hardware zur Umgehung der Verschlüs­ selung von Sky als „Smartcard-Leser“, obwohl diese Funktionalität noch gar implementiert war). 630  BGH GRUR 1996, 78; Raubenheimer, CR 1994, 264, 264 f.; Arlt, MMR 2005, 148, 152 f. 631  Oben §  3C.II.1a.cc, S. 393. 632  Raubenheimer, CR 1996, 69, 72; Kreutzer, CR 2006, 804, 807 f. 633 Wandtke/Bullinger/Grützmacher, §  69f UrhG Rn.  19; Schricker/Loewenheim/Schricker/Loewenheim, §  69f UrhG Rn.  11; Dreier/Schulze/Dreier, §  69f UrhG Rn.  12. 634  BegrRegE ZKDSG BT-Drs. 14/7229, S.  7: „Das ZKDSG greift nicht den noch zu schaffenden Regelungen, wie sie Artikel 6 der … [Multimedia-RL] fordert, vor.“

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

gering geblieben, was vor allem auf den hervorgehobeneren Schutz von verschlüssel­ ten Daten durch die §§  202a-202c StGB zurückzuführen sein dürfte. aa)  Schutzumfang und Wirkung Der Anwendungsbereich des ZKDSG ist zunächst enger als derjenige von §  95a UrhG. Das ZKDSG erfasst anders als der vom Trägermedium unabhängige Schutz des §  95a UrhG nur Zugangshindernisse für die Inanspruchnahme von Onlinediens­ ten und Rundfunk, der im Folgenden aber ausgeklammert bleiben soll. Ausgenom­ men sind daher Schutzmaßnahmen ohne Netzwerkbezug, etwa der Kopierschutz einer DVD.635 Zudem greifen die Verbote des ZKDSG nicht im Hinblick auf Mittel zur Umgehung von Zugangssperren für unentgeltliche Angebote. Demgegenüber setzt das Urheberrechtsgesetz keine Entgeltlichkeit voraus. So können Schutzmaß­ nahmen nach §  95a Abs.  1 UrhG etwa auch eingesetzt werden, um die Weiterverbrei­ tung unentgeltlich vertriebener Produkte zu überwachen. Der Zweck der überwun­ denen Kontrollmaßnahme muss freilich nicht unbedingt die Entgeltsicherung sein, denkbar sind auch andere Zwecke etwa Jugendschutz.636 §  3 ZKDSG verbietet anders als §  95a Abs.  1 UrhG, aber ähnlich wie §  95a Abs.  3 UrhG Handlungen in Bezug auf die „Umgehungsvorrichtungen“.637 Der Begriff der „Umgehungsvorrichtung“ wird dabei entsprechend §  2 Nr.  3 ZKDSG weit verstanden und erfasst Verfahren und Vorrichtungen, welche eine unerlaubte Nutzung zugangs­ kontrollierter Dienste ermöglichen.638 Anders als in §  95a Abs.  2 UrhG wird die „Wirksamkeit“ der getroffenen Sicherungsmaßnahme nicht explizit vorausgesetzt.639 Dies kann selbstverständlich nicht bedeuten, dass gänzlich ungeeignete Maßnah­ men, etwa ein schlichter Warnhinweis, als „Sicherungsmaßnahme“ angesehen wer­ den. Die „Umgehung“ setzt vielmehr eine zumindest für den Regelbenutzer ein­ schränkende tatsächliche Wirkung voraus. Wie bei allen Vorfeldtatbeständen stellt sich die Problematik von Gegenständen, die auch für andere Zwecke als die Umge­ hung von Schutzhindernissen eingesetzt werden können („Dual Use“).640 Die Ein­ schränkung des Gesetzes, dass der Gegenstand „dazu bestimmt oder entsprechend angepasst“ sein muss, den Schutz zu umgehen, ist insoweit nicht hinreichend. Viel­ 635 

Arlt, GRUR 2004, 548, 552. Helberger, ZUM 1999, 295, 297. 637  Arlt, GRUR 2004, 548, 552. 638  Bedenklich LG Hamburg ZUM 2005, 844 (Anwendbarkeit bejaht bei einem Internetstrea­ mingsystem, welches das Signal nach ordnungsgemäßer Verschlüsselung verbreitet); klar hingegen OLG Frankfurt GRUR-RR 2003, 287. 639  Helberger, ZUM 1999, 295, 295, 297 f., die darauf verweist, dass so eine Benachteiligung von Anbietern verhindert werden soll, die sich keine aufwändigen Schutztechnologien leisten können; aufgrund der weiten Auslegung des §  95a Abs.  2 UrhG wird aber „Wirksamkeit“ regelmäßig vorhan­ den sein; „unwirksame“ Maßnahmen bedürfen gar keiner „Umgehung“. 640  Siehe LG Karlsruhe NStZ-RR 2007, 19 (Anwendbarkeit verneint für Blankokarten, die für PayTV-Empfang beschrieben werden können); OLG Hamburg GRUR-RR 2010, 153 (Anwendbar­ keit verneint für Receiver, der in der Fachpresse als zur Umgehung von Kopierschutzmaßnahmen geeignet dargestellt wird). 636 

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

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mehr ist insbesondere auf die Werbung und die tatsächliche Nutzung im Verkehr abzustellen;641 in die Abwägung sind auch die Bedeutung der durch ein Verbot ent­ stehenden Einschränkungen erlautber Verhaltensweisen einzustellen.642 Der private Bereich bleibt anders als in §  95a UrhG ausdrücklich ausgeklammert; erfasst sind nur Handlungen „zu gewerblichen Zwecken“.643 Insoweit teilte der deut­ sche Gesetzgeber die Bedenken des Europarates im Hinblick auf den Schutz der Pri­ vatsphäre und die Schwierigkeiten bei der flächendeckenden Durchsetzung im priva­ ten Bereich.644 Diese Wertung entspricht der später geschaffenen Strafnorm des §  108b Abs.  2 UrhG, der auch für Verhalten in Bezug auf Mittel zur Umgehung von urheberrechtlichen Schutzmaßnahmen ein Handeln „zu gewerblichen Zwecken“ vo­ raussetzt. Allerdings erfasst die zuletzt geschaffene Regelung des §  202c StGB auch privates Verhalten, allerdings unter der Einschränkung, dass der Erwerb der Mittel in Vorbereitung der Umgehung einer Schutzeinrichtung erfolgt.645 Über das nach gemäß §  134 BGB zur Nichtigkeit gegen §  3 Nr.  1 und Nr.  2 ZKDSG verstoßender Geschäfte führende Verbot hinaus wurden zivilrechtliche Rechtsfolgen nicht normiert. Das Gesetz beschränkt sich vielmehr auf einen Straf- (§  4 ZKDSG) und einen Bußgeldtatbestand (§  5 ZKDSG).646 Die Verbotsnorm des §  3 ZKDSG ist allerdings Schutzgesetz im Sinne von §  823 Abs.  2 BGB zugunsten des jeweiligen An­ bieters der kontrollierten Dienste,647 und wohl auch zugunsten der Anbieter der da­ bei eingesetzten Kontrollsysteme. bb)  Verhältnis zum urheberrechtliche Schutz sowie zu §  95a UrhG Ob die Inhalte, auf die zugegriffen wird, urheberrechtlich geschützt oder auch nur schutzfähig sind, ist im Rahmen des ZKDSG irrelevant.648 Dies ist auch praktisch erforderlich, da etwa Sportveranstaltungen nicht urheberrechtlich schutzfähig sind,649 aber die Vergütungsinteressen der Inhaltsanbieter auch diesbezüglich gesi­ chert werden sollen.650 Erfasst wäre aber auch der Zugriff auf Fachdatenbanken, in denen ausschließlich nicht schutzfähige Messergebnisse automatisch erfasst werden

641 

Vgl. aus den USA Sony v. Universal, 464 U.S.  417 (1984). Arg. ex §  95a Abs.  3 Nr.  1 UrhG; zu §  202c StGB ebenso Cornelius, CR 2007, 682, 686 f.; vgl. aus den USA MGM Studios, Inc. v. Grokster, Ltd. 545 U.S.  913 (2005). 643  Eine Regulierung ist europarechtlich zwar zulässig, aber gerade nicht vorgeschrieben, vgl. Erwägungsgrund Nr.  21 der Zugangskontrolldiensterichtlinie; Helberger, ZUM 1999, 295, 299 f. 644  Empfehlung Nr. R(91) des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten über den rechtlichen Schutz verschlüsselter Fernsehdienste; Koelman, EIPR 22 (2000), 272, 277. 645  Dazu noch unten §  3C.II.2c, S. 413. 646  Ein Anspruch auf Gewinnherausgabe wurde auf Anregung des Bundesrates wegen Unver­ einbarkeit mit Grundprinzipien des Bereicherungsrechts gestrichen, vgl. Stellungnahme Bundesrat ZKDSG BT-Drs. 14/7229, S.  10. 647  BegrRegE ZKDSG BT-Drs. 14/7229, S.  8; Arlt, MMR 2005, 148, 153. 648  Arlt, GRUR 2004, 548, 553. 649  Vgl. EuGH GRUR 2012, 156. 650  Dusollier, EIPR 21 (1999), 285, 290. 642 

404

§  3  Kumulative Selbsthilfe

oder der Zugang zu Kommunikationsplattformen, bei denen die einzelnen Inhalte oftmals keine Schöpfungshöhe erreichen. Die durch das ZKDSG erfassten Verfahren und Vorrichtungen setzen auf der frü­ hestmöglichen Ebene, dem durch die Technologie auf bestimmte Personen be­ schränkten „Zugang“ zu den jeweiligen Diensten, an (§  2 Nr.  2 ZKDSG). Die so ge­ schützten Technologien knüpfen also nicht an bestimmte Verhaltensweisen wie §  95a UrhG iVm §  15 UrhG an, sondern verhindern umfassend jeglichen Zugriff.651 Sie berechtigen zum Auschluss von Nutzung von Inhalten durch schlichte Zugangsver­ weigerung. Der damit angesprochene Zugang zum Werk ist als solcher jedoch gerade kein dem Urheber vorbehaltenes Nutzungsrecht,652 er ist vielmehr nur als Mittel zum Zweck im Rahmen von §  95a Abs.  1 UrhG einsetzbar.653 Der Schutzrechtsinhaber hätte also nicht nur die Option eines gegenüber der Durchsetzung seiner Befugnisse nach §§  97 ff. UrhG kumulativen Schutzes durch technische Maßnahmen im Sinne von §§  95a ff. UrhG, sondern könnte noch weitergehend bereits den Zugang regulie­ ren und dafür den Flankenschutz des ZKDSG in Anspruch nehmen.654 Relevanz ent­ faltet dies etwa für Onlinevideotheken,655 bei denen die Inhalte auf einer kennwort­ geschützten Plattform angeboten werden, die übermittelten Daten aber zusätzlich verschlüsselt und durch DRM-Mechanismen gegen eine Vervielfältigung (etwa das Abspeichern als Datei) geschützt sind. Auch viele andere, moderne DRM-Systeme funktionieren dergestalt, dass bei fehlendem Berechtigungsnachweis schlicht der Zu­ gang zu den (notwendigen) Onlinebestandteilen verweigert wird.656 Praktisch kann man allerdings oft kaum zwischen dem Schutz des Dienstes und demjenigen der damit zugänglich gemachten Werke unterscheiden.657 Dennoch ist die naheliegende Lösung, bei Werken die nach §§  95a ff. UrhG schutzfähig sind, das ZKDSG zum reinen Flankenschutz zu degradieren,658 kaum begründbar. Dadurch bestünde für Inhalte, die dem Urheberrecht nicht unterliegen (Fußballübertragun­ gen, etc.) ein weitergehender Schutz als für geschützte Werke, für die das Verbot, Umgehungsmittel gewerblich zu vertreiben oder zu verwenden auf die Dauer des Schutzrechts beschränkt wäre. Als Rechtfertigung kann insoweit allenfalls das Inte­ resse der Allgemeinheit am Kulturgut angeführt werden.659 Keine Berücksichtigung fände dabei aber, dass ein Werk möglicherweise auf mehreren Wegen zugänglich gemacht wird. Wenn etwa ein Pay-TV-Sender einen gemeinfreien Filmklassiker aus­ strahlt, kann dies nicht den offenen, gewerblichen Vertrieb von ungenehmigten Zu­ 651 

288.

652 

Spindler, GRUR 2002, 105, 117; Arlt, GRUR 2004, 548, 552; Dusollier, EIPR 21 (1999), 285,

Arlt, GRUR 2004, 548, 553. Oben §  3C.II.1a.aa(1), S. 387. 654  Linnenborn, K & R 2001, 394, 399. 655  www.netflix.de, www.amazon.de/Amazon-Video, skyticket.sky.de, www.maxdome.de. 656  Linnenborn, K & R 2001, 394, 398 f. 657  Koelman, EIPR 22 (2000), 272, 227; Arlt, GRUR 2004, 548, 554 f. 658  Arlt, GRUR 2004, 548, 554; Linnenborn, K & R 2002, 571, 575. 659  Peukert, S.  26 ff. 653 

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

405

gangskarten zum Gesamtprogramm rechtfertigen. Die teleologische Reduktion des ZKDSG wäre angesichts dieser Interessenlage kaum zu rechtfertigen. Wenig über­ zeugend wäre auch die Heranziehung der Schranken des §  95b UrhG für die Anbieter digitaler Inhalte, die danach insbesondere einen Zugang etwa für die öffentliche Zu­ gänglichmachung für Unterricht und Forschung (§§  95b Abs.  1 Nr.  5, 52a UrhG) er­ möglichen müssten. Darüber hinaus ist es durchaus häufig der Fall, dass derjenige, der den zugangs­ kontrollierten Dienst anbietet, nicht mit demjenigen identisch ist, der die urheber­ rechtliche Verwertung bestimmt. So mag etwa ein Internetportal einen Film für sei­ ne Nutzer gegen eine Pauschale lizenziert haben, so dass die Verwertungsinteressen des Urhebers befriedigt sind. Um diese Pauschale aber wieder zu refinanzieren ist der Portalbetreiber auf Einnahmen durch seine berechtigten Nutzer angewiesen; ein Zu­ griff durch nicht zugangsbefugte (und deshalb auch nicht zahlungswillige) Dritte würde seine Einnahmen gefährden. cc) Bewertung Das ZKDSG ist weitgehend totes Recht. Die praktischen Hauptanwendungsfälle la­ gen in der Verhinderung des Zugriffs auf verschlüsselte Fernsehsender.660 Aufgrund der diesbezüglich abgeschlossenen Digitalisierung der Angebote liegt allerdings in der Umgehung der diesbezüglichen Schutzmaßnahmen ohnehin ein Verstoß gegen §  202a StGB, so dass der Vertrieb der entsprechenden Hilfsmittel unter §  202c StGB fällt.661 Das Strafmaß ist insoweit identisch. In §  202c StGB fehlt nur die Befugnis zur Einziehung (§  6 ZKDSG), die der Gesetzgeber für erforderlich hielt, da die betrof­ fenen Umgehungsmittel „Beziehungsgegenstände“ sind, die nicht unter §  74 StGB fallen.662 Demnach dürfte mangels einer §  6 ZKDSG entsprechenden Sondernorm derjenige, der Gegenstände nach §  202c StGB erwirbt oder vertreibt, diese behalten. Unabhängig von der praktischen Relevanz ist zum ZKDSG zu bemerken, dass die zugrundeliegende Richtlinie historisch eine wichtige Ergänzung des virtuellen Hausrechts darstellte. Durch die starke Betonung der kommerziellen Aspekte (ent­ geltliche Dienste als Schutzobjekt, gewerbliche Umgehungsvorrichtungen als Ge­ genstand des Verbots) ist der eigentliche Zweck des Gesetzes aber kaum mehr zu er­ kennen: Da die Umgehung als solche gerade nicht durch das ZKDSG erfasst ist, er­ folgt gerade kein absoluter Schutz der Schutzvorrichtung. Es bleibt Interessenten nach dem ZKDSG (nicht aber nach §  95a UrhG oder nach §§  202a ff. StGB) unbe­ nommen sich in die Angebote einzuhacken. Sind sie erst einmal durch den Schutz gelangt, kann die Inanspruchnahme dortiger Inhalte einen Verstoß gegen urheber­ rechtliche Verwertungsbefugnisse darstellen, jedoch war das schlichte Überwinden des Hindernisses als solches kein Unrecht. Auch einen Inhaltsschutz will das 660 

Siehe nur LG Hamburg ZUM 2005, 844; OLG Frankfurt GRUR-RR 2003, 287. Unten §  3C.II.2a, S. 407. 662  Siehe RGSt 48, 26, 33 für Schmuggelgut; MüKo-StGB/Joecks, §  74 StGB Rn.  19 ff. 661 

406

§  3  Kumulative Selbsthilfe

ZKDSG nicht bewirken;663 geschützt sind etwa auch geschlossene (entgeltliche) Fo­ ren oder soziale Netzwerke, deren Wert nicht in vorrätig gehaltenen Inhalten, son­ dern gerade in der privaten, vertraulichen Umgebung liegt. Die unterschiedlichen Rechtsgüter kommen auch darin zum Ausdruck, dass der Zugangsschutz nach §  3 ZKDSG (Weg in das Portal) und der Schutz nach §  95a UrhG (Schutz der dortigen Inhalte) durchaus verschiedenen Rechtsgutsträgern zustehen kann. So kann etwa ein „Marktplatz“ für Inhalte angeboten werden, über deren Schutz die jeweiligen Rechteinhaber entscheiden.664 Letztlich kann man das ZKDSG daher nur als einen inzwischen überholten Zwi­ schenschritt zum Verbot der Vorbereitung des inzwischen durch §  202a StGB umfas­ send geschützten „virtuellen Hausfriedensbruchs“ sehen. Mit der Schaffung von §  202c StGB ist der Regelung ihr letzter Anwendungsbereich entzogen worden. 2.  §§  202a–202c StGB Einen zu §  95a Abs.  2 UrhG vergleichbaren Schutz gewähren die §§  202a ff. StGB.665 Diese knüpfen aber nicht an die durch die technischen Maßnahmen geschützten In­ halte an,666 sondern gewähren einen inhaltsneutralen Schutz.667 Dementsprechend besteht Idealkonkurrenz zu inhaltsbezogenen Regelungen, etwa §  17 Abs.  2 UWG, §  44 BDSG oder §  106 UrhG.668 Bei der ursprünglichen Einführung der Normen war eine Überkriminalisierung befürchtet worden, so dass eine enge Gestaltung gewählt wurde.669 Im Schrifttum wurde schon frühzeitig eine erleichterte Verfolgung befür­ wortet,670 da das Eindringen in Systeme oft als Qualifikationsnachweis für eine Be­ werbung im Softwarebereich dient und so die positiven Anreize beim Hacken frem­ 663  Irrig daher die ganz herrschende Annahme, dass das ZKDSG hinter dem Schutz des §  108b UrhG zurücktrete, BeckOK-UrhG/Sternberg-Lieben, §  108b UrhG Rn.  20; Dreier/Schulze/Dreier, §  108b UrhG Rn.  3; Schricker/Loewenheim/Haß, §  108b UrhG Rn.  14; Erbs/Kohlhaas/Kaiser, §  108b UrhG Rn.  15; MüKo-StGB/Heinrich, §  108b UrhG Rn.  14; Wandtke/Bullinger/Hildebrandt, §  108b UrhG Rn.  11. 664  So werden etwa im Apple iTunes Store sowohl DRM-geschützte Inhalte als auch schutzfreie Titel vertrieben. 665  §  202a StGB wurde 1986 durch das 2. WiKG eingeführt; die jetzige Fassung und §§  202b, 202c gehen allerdings auf die Cybercrime-Convention des Europarats (SEV Nr.  185) und den Rah­ menbeschluss des EU-Rates vom 24.2.2005, Abl. EU 2005 L Nr.  69, 67 ff. zurück. 666  Die Einordnung unter die „Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs“ ist insoweit gesetzestechnisch verfehlt, MüKo-StGB/Graf, §  202a StGB Rn.  1, BT-Drs. 10/5058, S.  28. 667 Schönke/Schröder/Lenckner/Eisele, §  202a StGB Rn.  1. Daher geben sie auch Anlass, über einen zivilrechtlichen Schutz von Daten losgelöst vom Datenträger und vom Inhalt nachzudenken, vgl. dazu Beurskens, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2008, S.  4 43. 668 MüKo-StGB/Graf, §   202a StGB Rn.  101; Schönke/Schröder/Lenckner/Eisele, §  202a StGB Rn.  29; anders Lackner/Kühl/Kühl, 27. Aufl. (2011), §  202a StGB Rn.  8 in Bezug auf §  4 4 BDSG (Vor­ rang von §  202a StGB aufgrund von §  1 Abs.  3 BDSG – das übersieht aber, dass §  202a StGB gerade nicht auf „personenbezogene“ Daten abstellt). 669  BegrRegE 2. WiKG, BT-Drs. 10/5858, S.  4, 28; MüKo-StGB/Graf, §  202a StGB Rn.  5; Achenbach, NJW 1986, 1835, 1837. 670  Ernst, NJW 2007, 2661.

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

407

der Systeme oft überwiegen. Auch heute noch sind §§  202a, 202b StGB aber relative Antragsdelikte (§  205 StGB); die Vorfeldstraftat des §  202c StGB wird hingegen von Amts wegen verfolgt.671 Die Bedeutung der Strafnormen ist dabei steigend.672 In der Praxis scheitert die Durchsetzung allerdings an technischen Schwierigkei­ ten, insbesondere der Anonymität der Täter, der Territorialität sowie an Regelungs­ lücken im Hinblick auf die Eingriffsbefugnisse.673 In dem Umfang, in dem die §§  202a-202c StGB im Zivilrecht als Schutzgesetze wirken, stellen sich diese Schwie­ rigkeiten im Rahmen des Beibringungsgrundsatzes in verstärktem Ausmaß. Denn das Opfer eines entsprechenden Angriffs hat noch nicht einmal die geschilderten staatlichen Eingriffsbefugnisse und ist insoweit auf die Vorarbeit der Behörden ange­ wiesen. Die wesentliche Wirkung der §§  202a ff. StGB ist also im Vorfeld anzusiedeln: Die Regelung soll einen, wenn auch angesichts der Vollstreckbarkeit geringen, Ge­ genanreiz zur Umgehung von Schutzmechanismen schaffen. a)  Strafbewährter Schutz vor Umgehung (§  202a StGB) Der Schutz des §  202a StGB ging schon bei Einführung der besonderen Regelungen zum Softwareschutz weiter, da er jeglichen Zugriff auf „Daten“ verbot, die vor frem­ dem Zugriff „besonders gesichert“ waren. In der Praxis ging es dabei von jeher vor allem um den Schutz durch Softwaremechanismen.674 Dabei fehlten jedoch speziel­ le Schranken etwa zur Dekompilierung (§  69e UrhG) oder Fehlerbehebung (§  69d UrhG). Vielmehr war zur Ermittlung der ausnahmsweisen Erlaubnis der Tätigkeit eine Abwägung erforderlich. Die später geschaffenen Regelungen zum Software­ schutz entfalteten so auch im Strafrecht rechtfertigende Wirkung.675 Damit hatte die Regelung aber schon damals die Wirkung einer Generalklausel, die lückenschließend neben die urheberrechtlichen Sondervorschriften treten konn­ te, zumal sie auch als Schutzgesetz im Sinne von §  823 Abs.  2 BGB angewandt werden kann. Diese Funktion hat die Norm auch heute noch. Durch die inzwischen allge­ genwärtige Digitalisierung hat die Regelung erheblich an Bedeutung gewonnen. So hat sich etwa die frühere Diskussion, ob im analogen Fernsehbereich die Entschlüs­ selung von Fernsehsignalen aus PayTV-Angeboten unter diese Regelungen fällt,676 erledigt. Angesichts des Umstands, dass fast jeder Haushaltsartikel Microprozesso­ ren oder Datenspeicher enthält, unterfallen viele früher als handwerkliche Verbesse­

671 BT-Drs. 16/3656, 21; Gröseling/Höfinger, MMR 2007, 626, 628; hierin sieht Vassilaki, CR 2008, 131, 135 einen Wertungswiderspruch; freilich ist dies zwingende Folge eines abstrakten Ge­ fährdungsdelikts, bei dem es zum Tatzeitpunkt noch gar kein Opfer gibt, Ernst, NJW 2007, 2661, 2664. 672 MüKo-StGB/Graf, §  202a StGB Rn.  4. 673  Beukelmann, NJW 2012, 2617, 2619 f. 674 MüKo-StGB/Graf, §  202a StGB Rn.  41. 675  LG Mannheim NJW 1995, 3322, 3323. 676  Helberger, ZUM 1999, 295, 302 f.

408

§  3  Kumulative Selbsthilfe

rung („Tuning“) oder Reparatur qualifierte Maßnahmen nunmehr grundsätzlich dem Verbot des §  202a StGB. aa)  Vom Schutz der Daten zum Schutz des Zugangshindernisses Nach §  202a StGB wird seit der Neufassung der Regelung im Jahr 2007 die Überwin­ dung eines Zugangshindernisses bestraft.677 Entgegen der amtlichen Überschrift ist also das „Ausspähen“ bzw. das Verschaffen der Daten nicht mehr erforderlich.678 Laut der amtlichen Begründung ist unter dem „Zugangverschaffen“ bereits die Möglichkeit des Abrufs verboten.679 Es ist kaum vertretbar, vor diesem Hintergrund ent­ sprechend der früheren Rechtslage Straflosigkeit anzunehmen, soweit der Angriff nach Überwindung der Sperre abgebrochen wird und die Daten nicht eingesehen werden.680 In keinem Fall wird man das „bloße“ Anschauen geschützter Inhalte ohne deren Manipulation tatbestandlich ausschließen können.681 Damit sind auch nicht die „Daten“ das geschützte Rechtsgut.682 Insbesondere sind deren wirtschaftlicher Wert oder die etwaige persönlichkeitsrechtliche Bedeutung irrelevant.683 Vielmehr wird das von Inhalten losgelöste Vertrauen auf die Integrität des eigenen geschützten Datenbereichs (auf dem eigenen PC oder einem geschützten Bereich auf fremden Geräten), d. h. der Schutz vor fremden Eindringlingen, gewähr­ leistet.684 Die Regelung läuft jedoch scheinbar leer, wenn hinter dem gesicherten Zu­ gang (noch) keine Inhalte verborgen sind, etwa nach Ersteinrichtung eines geschütz­ ten Serversystems. Man kann jedoch auch insoweit auf die auf die erfolgreiche Über­

677  Zutreffend daher für die aktuelle Gesetzesfassung das Bild des „elektronischen Hausfrie­ densbruchs“, Ernst, NJW 2003, 3233; Bär, MMR 2005, 434, 436; Gröseling/Höfinger, MMR 2007, 549, 551; Sieber, Handbuch Multimedia-Recht, Rn.  418. 678  Zutreffend spricht BegrRegE 41. StrÄndG BT-Drs. 16/3656, 13 insoweit von einer Vorfeld­ strafbarkeit; das von der Einsichtnahme losgelöste Eindringen soll auch nach den Vorgaben des Europarates erfasst sein, was §  202a StGB insoweit unklar umsetzt, Gröseling/Höfinger, MMR 2007, 549, 551; Vassilaki, CR 2008, 131, 131. 679  BT-Drs. 16/3656, 13; Gröseling/Höfinger, MMR 2007, 549, 551; Schreibauer/Hessel, K & R 2007, 616, 617. 680 Schönke/Schröder/Lenckner/Eisele, §   202a StGB Rn.   18; MüKo-StGB/Graf, §  202a StGB Rn.  61; so allerdings Vassilaki, CR 2008, 131. Praktisch dürfte dies selten sein, MüKo-StGB/Graf, §  202a StGB Rn.  9; Gröseling/Höfinger, MMR 2007, 549, 551; schon im früheren Recht war dies aber keineswegs eindeutig, vgl. Lenckner/Winkelbauer, CR 1986, 483, 488. 681  Ernst, NJW 2003, 3233, 3236; anders aber Hilgendorf, JuS 1996, 702, 704; Helberger, ZUM 1999, 295, 303 unter Hinweis auf die BegrRegE BT-Drs. 10/5058, S.  28; allerdings wurde für Daten­ veränderungen im Rechtsausschuss §  303a StGB ergänzt; der Wortlaut des §  202a StGB bezog sich schon damals auf das „Verschaffung“ ohne Veränderung des Originals. 682  Anders noch Beurskens, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2008, S.  4 43 (dies gilt aber auch heute noch für §  303a StGB); irrig Dietrich, NStZ 2011, 247; Beukelmann, NJW 2012, 2617, 2619, die eine Beschränkung des Rechtsgutschutzes durch das Erfordernis der Zugangssicherung annehmen. 683  Ernst, NJW 2003, 3233, 3236. 684  Zu dessen Schutzwürdigkeit auf verfassungsrechtlicher Ebene BVerfG NJW 2008, 822; ähn­ lich SK-StGB/Hoyer, §  202a StGB Rn.  1.

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

409

windung folgende Übermittlung einer Eingabemaske oder Befehlszeile abstellen. Ein geschütztes System ganz ohne dahinterstehende Daten ist nicht vorstellbar. Soweit der Wortlaut des §  202a StGB abweichend von §  95a Abs.  1 UrhG von einer „Überwindung“ und nicht von einer „Umgehung“ des Schutzes spricht, soll darin kein Unterschied liegen.685 So soll insbesondere die Ausnutzung einer bewusst offen gelassenen Zugriffsmöglichkeit tatbestandsmäßig sein.686 §  202a StGB ist daher ge­ genüber §  95a Abs.  1 UrhG ein Auffangtatbestand, soweit die geschützten Werkstü­ cke als Daten in digitaler Form vorliegen und der Schutzmechanismus genau diese Daten vor unbefugtem Zugriff sichert. Dies ist im Hinblick auf das Strafmaß (bis zu drei Jahre nach §  202a StGB, bis zu einem Jahr nach §  108b UrhG) überraschend. Zudem schließt die Regelung des §  108b Abs.  1 Nr.  1 UrhG Handlungen „zum eige­ nen privaten Gebrauch des Täters oder mit dem Täter persönlich verbundener Perso­ nen“ aus. Als Spezialregelung wäre daher §  108b UrhG vorrangig und würde den nicht privaten Gebrauch privilegieren. Die herrschende Auffassung im Schrifttum vermeidet das Problem, indem sie schlicht Idealkonkurrenz zwischen den beiden Re­ gelungen bejaht, da verschiedene Schutzgüter betroffen seien.687 Dies überzeugt je­ doch im Hinblick auf die inhaltsneutrale Gestaltung des §  202a StGB einerseits und die gerade nicht auf das Verbot konkreter, dem Urheber vorbehaltener Verwertungs­ handlungen abzielende Regelung des §  95a UrhG nicht. Beide Regelungen wollen die Umgehung von Schutzvorrichtungen durch Strafandrohung unterbinden. Eine per­ sönlichkeitsrechtliche Anknüpfung liegt §  202a StGB gerade nicht zugrunde. Lo­ gisch konsequent wäre es möglicherweise das Strafmaß bei Schutzvorrichtungen, die urheberrechtlich geschützte Inhalte vor Zugriff sichern, zu erhöhen. Stattdessen ist aber das Gegenteil der Fall. Die speziellere Regelung des §  108b UrhG privilegiert die Umgehung im nicht privaten Bereich. Diese Wertung ist jedoch nicht nachvollzieh­ bar und muss als Redaktionsversehen eingestuft werden. Da die jetzige Fassung des §  202a StGB die spätere Norm ist, muss sie in ihrem Anwendungsbereich §  108b UrhG verdrängen. Auch Privatpersonen machen sich daher strafbar, wenn sie einen Kopierschutz von Filmen oder Musik umgehen. Die ursprüngliche Wertung des Ge­ setzgebers im Urheberrecht wurde durch die spätere Wertentscheidung zu einem inhaltsneutralen Schutz der Sicherheitstechnologien verdrängt. Damit schafft die Regelung eine geschlossene, vor Eingriffen gesicherte „Daten­ enklave“, die beliebige Inhalte haben kann. Sie gewährleistet so, dass Investitionen in elektronisch gespeicherte Informationen von Anfang an gegenüber Dritten abgrenz­ bar bleiben, ähnlich dem Abstecken eines Claims.

685  Ernst, NJW 2007, 2661; Wandtke/Bullinger/Hildebrandt, §  108b UrhG Rn.  11; Bechtold, S.  206 f., 224 f., 235 (allerdings noch zur Altfassung des §  202a). 686 MüKo-StGB/Graf, §  202a StGB Rn.  77; abweichend aber Dietrich, S.  148. 687 BeckOK-UrhG/Sternberg-Lieben, §   108b UrhG Rn.  20; Fromm/Nordemann/Ruttke/Scharringhausen, §  108b UrhG Rn.  32.

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

bb)  Die „besondere“ Sicherung Nach überwiegender Ansicht dient das Erfordernis der „besonderen Sicherung“ ­einer ähnlichen Funktion wie die Geheimhaltungsbemühungen beim Schutz von Geschäftsgeheimnissen:688 Es sollen die jedermann zugänglichen Daten von denjeni­ gen, die einer bestimmten Person zugeordnet sind abgegrenzt werden.689 Dagegen liegt der Einwand nahe, dass diesem Abgrenzungsziel auch durch einen schlichten Disclaimer genüge getan wäre.690 Immerhin werden außerhalb der Computerwelt Papierunterlagen etwa durch einen schlichten Aufdruck, Stempel oder handschriftli­ che Anmerkungen als „geheim“ qualifiziert. Darüber hinaus erfassen die in Stan­ dardsoftware integrierten automatischen Schutzmechanismen (Firewall, etc.) alle Daten unabängig vom Geheimhaltungsinteresse, so dass letztlich kein Maßstab über die Zuordnung erkennbar wird.691 Auf Grund von psychologischen Erkenntnissen könnte man teilweise sogar davon ausgehen, dass gerade umgekehrt Daten, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen, kennzeichnungspflichtig sein müssten.692 Soweit vor diesem Hintergrund die Strafwürdigkeit des in §  202a StGB erfassten Verhaltens aber gerade in der besonderen Gefährlichkeit der Überwindung techni­ scher Schranken liegen soll,693 bedeutet dies auch, dass die entsprechenden Maß­ nahmen „wirksam“ im Sinne von §  95a Abs.  2 UrhG sein müssen.694 Die amtliche Begründung verlangt insoweit für die Umgehung einen „nicht unerheblichen zeitli­ chen oder technischen Aufwand“.695 Damit ist auch diesbezüglich Wertungsgleich­ heit zwischen den Normen hergestellt. Die Kompilierung eines Programms stellt in der Praxis ein für den Endnutzer nicht zu überwindendes Hindernis dar; aus einem als Binärcode verbreiteten Programm lässt sich der Quellcode nur mit großer Mühe herleiten. Insoweit stellt auch die Dekompilierung eines Programms die Überwin­ dung eines Zugangshindernisses dar.696 Sie kann jedoch nach §  69e UrhG gerecht­ fertigt sein. Regelmäßig dienen Schutztechnologien mehreren Zwecken – sie sollen nicht nur Unberechtigte vom Zugriff abhalten, sondern etwa auch gesetzliche Pflichten desje­ nigen, der die Sicherung vorsieht aufrechterhalten. Soweit etwa im Internet vertrie­ 688 Lackner/Kühl/Heger, §   202a StGB Rn.  1: „formalisiertes Interesse an der Geheimhaltung“; oben §  2A.II.1c, S. 243. 689  BegrRegE §  202a StGB BT-Drs. 10/5058, S.  29. 690  Dietrich, NStZ 2011, 247, 248. 691  Dietrich, NStZ 2011, 247, 248. 692  Dietrich, NStZ 2011, 247, 248 f. 693  Dietrich, NStZ 2011, 247, 254. 694  In diesem Sinne Lackner/Kühl/Kühl, 27. Aufl. (2011), §  202a StGB Rn.  4; genau umgekehrt jedoch Schumann, NStZ 2007, 675, 676. 695  BT-Drs. 16/3656, 15; Schönke/Schröder/Lenckner/Eisele, §  202a StGB Rn.  14 betonen, dass diese Anforderungen nicht überspannt werden sollten. 696  Allerdings sehen MüKo-StGB/Graf, §  202a StGB Rn.  31, 79; Meier, JZ 1992, 657, 662 f.; in der Umwandlung des Quellcodes in Binärcode keine „Zugangssicherung“ im Sinne von §  202a StGB; anders dürfte aber die Realität sein, vgl. Höhne, S.  218.

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

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bene Pornographie durch eine Anmeldung gesichert wird, dient dies auch dem Ju­ gendschutz. Dadurch entfällt der Schutz des §  202a StGB jedoch nicht.697 Erst wenn der Schutzmechanismus keine Ausschlusswirkung haben soll, ist die Überwindung nicht mehr tatbestandsmäßig.698 Dann genügt freilich auch die rein faktische Aus­ schlusswirkung nicht. So soll ein Kopierschutz nur die Vervielfältigung verhindern. Selbst wenn dann aber die Nutzung einer vom Hersteller verbreiteten Originalsoft­ ware auf einem neuen PC oder unter einem anderen Betriebssystem wegen einer In­ kompatibilität verhindert wird, stellt dieser keine Zugriffsverhinderungstechnologie im Sinne von §  202a StGB dar. cc)  Der geschützte Rechtsgutsträger In gewisser Weise fragwürdig ist der durch §  202a UrhG geschützte Rechtsgutträger. Denn die Technologie, auf welcher der Schutz beruht, stammt regelmäßig von einer anderen Person als derjeniger, welcher die Daten zustehen.699 Derjenige, der die Schutztechnologie anwendet, muss zudem nicht derjenige sein, dessen Vermögensoder Persönlichkeitsinteressen betroffen sind.700 So werden etwa in sozialen Netz­ werken oder in Onlinespielen neben der Abfrage von Benutzername und Kennwort zahlreiche Schutzmechanismen implementiert, die den Zugang zu den dortigen Nut­ zerkonten verhindern. Diese dienen primär dem Schutz der jeweiligen Nutzer vor Zugriff auf „ihre“ Inhalte. Strafantragsbefugt ist nach dem Willen des Gesetzgebers der „Herr der Daten“ (wie auch immer dieser bestimmt werden mag), nicht hingegen derjenige, der den Schutzmechanismus entwickelt hat oder derjenige, der von den Daten betroffen ist.701 Insoweit steht die Norm dem ZKDSG nahe, da dies im Regelfall der Plattform­ betreiber im Internet sein wird. So dienen die Daten in einem sozialen Netzwerk auch dem Anbieter, der dadurch personalisierte Werbung ermöglicht und zudem die Attraktivität der Plattform aufrechterhält. Könnte jeder in fremdem Namen han­ deln, würde der Anreiz für das soziale Netzwerk entfallen. Auf die Herrschaft am Datenträger kommt es nicht an, es wird vielmehr wie auch im Rahmen von §  95a UrhG oder §  69c UrhG eine „Datenenklave“ innerhalb eines möglicherweise fremden Mediums gebildet. So ist es insbesondere denkbar, dass die Daten nur für ein lokal betriebenes Computerprogramm, nicht aber für den am PC sitzenden Anwender wahrnehmbar sein sollen.702 Insoweit gibt es durchaus ver­ 697 Abweichend

Vassilaki, CR 2008, 131, 132.

698 Schönke/Schröder/Lenckner/Eisele, §  202a StGB Rn.  14: wenn Zugangssicherungszweck „von

ganz untergeordneter Bedeutung oder gar ein bloßer Nebeneffekt“ ist. 699  Solche Techniken bieten etwa spezielle Anbieter wie www.intertrust.com, www.star-force. com, www.securom.com/, www.rovicorp.com/, sind aber auch in Standardsoftware wie Microsoft Word, Adobe Acrobat, Microsoft Windows, etc. integriert – in allen diesen Fällen hat aber nicht der Ersteller der Inhalte keinen Einfluss auf den Schutz (und dessen Wirksamkeit). 700  Dietrich, NStZ 2011, 247, 250 f. 701  Helberger, ZUM 1999, 295, 303. 702 Schönke/Schröder/Lenckner/Eisele, §  202a StGB Rn.  8 ff.; MüKo-StGB/Graf, §  202a StGB Rn.  25; Meyer-Spasche/Schneider/Störing, CR 2013, 131, 134.

412

§  3  Kumulative Selbsthilfe

schiedene Wahrnehmungsebenen: Der Nutzer sieht zwar, dass ein Teil der Festplatte belegt ist und kann sich diese Inhalte etwa mit einem Editor oder bei einem opti­ schen Datenträger auch mit bloßen Auge ansehen. Für die Umwandlung der Daten in ein für ihn verständliches bzw. verwertbares Format bedarf er jedoch einer techni­ schen Hilfe, der Software oder eines bestimmten Abspielgeräts. Trotz Sachherrschaft hat er also nicht die Datenherrschaft.703 Insgesamt liegt hierin eine Erweiterung gegenüber §  95a Abs.  1 UrhG. Bei dessen Verletzung steht (nur) dem Urheber bzw. dem ausschließlich Nutzungsberechtigten ein Schadensersatz- bzw. Unterlassungsanspruch zu. Demgegenüber gewährt §  202a StGB jedem Schutz, dessen Daten möglicherweise betroffen sind. Dies wäre zwar auch der Urheber, zu dessen Gunsten der Schutz eingerichtet wird, aber auch ein beliebiger Intermediär, der die geschützten Inhalte anbietet. Der Schutz durch §  202a StGB geht also wiederum über §  95a Abs.  1 UrhG hinaus. dd) Zwischenergebnis Anders als das ZKDSG, aber ebenso wie §  95a Abs.  1 UrhG schafft §  202a StGB eine Datenenklave, die unabhängig von den Eigentums- und Besitzrechten am Datenträ­ ger vor fremdem Zugriff geschützt wird. Die Regelung kann in ihrer jetzigen Gestalt als Grundtatbestand zu §  95a UrhG angesehen werden. Beide Regelungen schützen den durch die Technologie umgrenzten Bereich, nicht jedoch die Schutztechnologie als solche. Dementsprechend liegt auch die Anspruchsberechtigung bei demjenigen, der diesen (möglicherweise zunächst leeren) Bereich für sich geschaffen hat. b)  Schutz von „nichtöffentlichen“ Datenübermittlungen (§  202b StGB) Der über §  202a StGB hinausgehende §  202b StGB knüpft nicht an die „Sicherung“ der Daten an, sondern schützt jede „nichtöffentliche Datenübermittlung“ davor, von Personen abgefangen zu werden, für die diese Daten nicht bestimmt sind. Dies er­ fasst zunächst Datentransfer in einem geschlossenen Intranet oder sogar innerhalb eines einzelnen Geräts.704 Eine schwierige Abgrenzung ist dabei zu §  69d Abs.  3 UrhG vorzunehmen, wonach es dem zur Verwendung eines Programms Berechtig­ ten erlaubt ist, das Programm „durch Handlungen zum Laden, Anzeigen, Ablaufen, Übertragen oder Speichern“ zu „beobachten, untersuchen oder testen“.705 Dies betrifft insbesondere Client-/Serverprodukte, bei denen die jeweiligen Protokolle regelmäßig nicht offengelegt werden sollen. Aber auch in lokalen Anwendungen erfolgen bei je­ dem Aufruf eine Vielzahl von vorübergehenden teilweisen Datenübermittlungen.706 703  Das übersieht Weisser, ZJS 2011, 315, der eine Strafbarkeit nach §  202a StGB bei Musik-CDs an der Wahrnehmbarkeit der Daten scheitern lässt. Dass der Nutzer eine Software besitzt, die einen Teil der Daten in einer bestimmten Form darstellt berechtigt ihn nicht an den dahinterstehenden Grundlagen. 704  Kusnik, MMR 2011, 720, 721. 705 Diese Handlungen sind nach Art.   6 Abs.  2 Cybercrime-Convention ausdrücklich privile­ giert. 706  OLG Celle CR 1995, 16; Wandtke/Bullinger/Grützmacher, §  69c UrhG Rn.  5 ff.

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

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Jedoch sind die besonderen Erlaubnisnormen der §§  69d Abs.  1, Abs.  3, 69e UrhG gegenüber §  202a StGB vorrangig und rechtfertigen diesbezügliche Eingriffe.707 Nicht eindeutig ist hingegen, ob das allgemeine Internet eine „öffentliche“ Daten­ übermittlung erlaubt, soweit nicht zusätzliche Schutzmechanismen wie Virtual Pri­ vate Networks (VPN) genutzt werden.708 Damit würde durch die Hintertür doch eine besondere Sicherung in den Tatbestand eingeführt. Zutreffend dürfte es hier aber sein, an die Erwartungen der Nutzer709 anzuknüpfen. Daher ist die Öffentlich­ keit bei den ausschließlich im Punkt-zu-Punkt-Verfahren erfolgenden,710 d. h. zwei Personen betreffenden und zudem durch die Aufteilung in Datenpakete ohnehin nur bedingt einsehbaren Datenübertragungen im Internet abzulehnen.711 Selbst eine all­ gemeinzugängliche Internetseite wird insoweit nicht „öffentlich“ übertragen, da die konkrete Verbindung nur zwischen dem Server und dem Benutzer aufgebaut wird. Ungünstig wäre es demgegenüber an den für den Abhörenden nicht erkennbaren tatsächlichen Willen von Absender und Empfänger der Daten anzuknüpfen.712 Eine „öffentliche“ Datenübertragung ist damit allenfalls bei Mehrpunktverbindungen, etwa bei Funksignalen, vorstellbar. Die praktische Bedeutung ist aber auch diesbe­ züglich eher gering, da das Abhören von nichtöffentlichen Funksignalen schon nach §§  89, 148 TKG strafbar ist. Im hier diskutierten Kontext ist §  202b StGB als lückenschließender Tatbestand relevant. In jedem sicheren System müssen die Informationen nämlich irgendwann entschlüsselt und den Nutzern zugänglich gemacht werden. §  202b StGB gewährt für diese Fälle den nötigen Schutz. c)  Strafbarkeit von Vorfeldmaßnahmen (§  202c StGB) In Ergänzung zu den erörterten Regelungen des ZKDSG und der §§  95a ff. UrhG713 findet sich mit §  202c StGB schließlich auch im allgemeinen Strafrecht eine Norm, die Vorfeldmaßnahmen im Hinblick auf den Zugriff auf Daten unter Strafe stellt.714 Bis 2007 gab es eine solche Vorfeldstrafbarkeit insbesondere im Hinblick auf Compu­ terprogramme, die zur Begehung eines Computerbetrugs genutzt werden können 707 

LG Mannheim NJW 1995, 3322, 3323; König, NJW 1995, 3293. Unklar BT-Drs. 16/3656, S.  11; Kusnik, MMR 2011, 720, 721 f.; MüKo-StGB/Graf, §  202b StGB Rn.  10: „Ist die Datenübertragung im Internet frei verfügbar, ist diese nicht durch §  202b geschützt […]“ – die Datenübertragung im Internet ist aber in jedem Fall nur von einem Computer zum nächsten (mit Zwischenschritten auf anderen Geräten); auch bei Streaming und Abruf von Internet­ seiten wird jeweils eine Einzelverbindung aufgebaut. Eine öffentliche Datenübermittlung kann da­ her schon technisch nicht erfolgen, andererseits ist die Einsicht in unverschlüsselt übermittelte Da­ ten durch Dritte kaum auszuschließen. 709  Oder an die „Widmung“ der Übertragung Ernst, NJW 2007, 2661, 2262. 710  Siehe RFC1812, tools.ietf.org/html/rfc1812#section-4.2.2.10. 711  Kusnik, MMR 2011, 720, 725; im Ergebnis wohl auch Gröseling/Höfinger, MMR 2007, 549, 552, die an die objektiv erkennbare Beschränkung anknüpfen will. 712  Vassilaki, CR 2008, 131, 133. 713  Oben §  3C.II.1, S. 386. 714  Schreibauer/Hessel, K & R 2007, 616, 618; Vassilaki, CR 2008, 131, 135. 708 

414

§  3  Kumulative Selbsthilfe

(§  263a Abs.  3 StGB).715 Durch die Neuregelung soll aber auch darüber hinaus die ansonsten straflose versuchte Beihilfe im Vorfeld der Tat sanktioniert werden.716 Die praktische Bedeutung der Vorschrift ist jedoch bislang noch gering.717 Anders als beim Schutz von Geschäftsgeheimnissen ist zudem der internationale strafrechtliche Schutz vor Umgehungssoftware stark beschränkt (vgl. §§  3, 4 StGB in Abgrenzung zu §  5 Nr.  7 StGB).718 Als abstraktes Gefährdungsdelikt scheint die Regelung nicht als Schutzgesetz ge­ eignet. Anders muss die Beurteilung jedoch ausfallen, wenn man als Begünstigten nicht wie in §  202a StGB oder §  95a Abs.  1 UrhG auf den an den Inhalten Berechtig­ ten abstellt, sondern vielmehr wie in §  95a Abs.  3 UrhG den Blick auf den Entwickler und Anbieter der Schutztechnologien richtet. Dieser wird in jedem Fall bei gewerbli­ chen Angeboten eine Verletzung von §  4 Nr.  10 UWG oder §  4 Nr.  11 UWG in Verbin­ dung mit §  202c StGB rügen können. Man sollte ihm aber auch darüber hinaus zuge­ 202c StGB gerade seine Rechtsgüter schützen soll, nämlich die stehen, dass §   Schutzwirkung der von ihm entwickelten und angebotenen Technologien, letztlich also sein Eigentum und sein Unternehmen. Daneben mag man auch an Unterlas­ sungs- und Schadensersatzansprüche des Dateninhabers denken, soweit dieser be­ reits hinreichend bestimmbar ist, etwa weil die Umgehungsmittel nur für seine Sys­ teme einsetzbar sind. Der Schaden kann dabei etwa in Ermittlungsaufwand oder dem Ersatz für etwaige Rufschäden liegen. Insoweit wäre dann auch wieder Wer­ tungsgleichheit zu §  95a Abs.  3 UrhG erreicht, dem die Schutzgesetzfunktion allge­ mein zuerkannt wird.719 aa)  Allgemeine Voraussetzungen Im Hinblick auf die vorbereitete Tat ist §  202c StGB deutlich enger als §  95a Abs.  3 UrhG und §  3 Nr.  2 ZKDSG ausgestaltet. Zwar genügt es für die Strafbarkeit, dass die letztlich durchzuführende Straftat im Vorstellungsbild des Täters jedenfalls grob er­ fasst ist, insbesondere im Hinblick auf das „Verbreiten“ oder „Zugänglichmachen“ der Hilfsmittel.720 Andererseits ist die ferne Zielvorstellung, irgendwann möglicher­ weise einmal etwas Verbotenes zu tun, nicht genügend. Es muss schon ein nahelie­ gendes Ziel erkennbar sein. Nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ wird man im Zweifel davon ausgehen müssen, dass der Täter keine Verwendung zu einem der in §§  202a, 202b StGB verbotenen Zwecke beabsichtigte.721 Diese strafrechtliche Betrachtung muss allerdings nicht zwingend im Zivilprozess entsprechend gelten. Dort kann man angesichts der erheblich milderen Sanktionen 715 

628.

716 

Kritisch dazu schon Duttge, FS U. Weber, S.  258, 297 ff.; Gröseling/Höfinger, MMR 2007, 626,

BT-Drs. 16/3656, 19. §  202c StGB Rn.  4 f. 718  Ernst, NJW 2007, 2661, 2666. 719  Oben §  3C.II.1b.aa, S. 395. 720 Schönke/Schröder/Eisele, §  202c StGB Rn.  7. 721  Ernst, NJW 2007, 2661, 2664. 717 MüKo-StGB/Graf,

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

415

durchaus einen weiteren Maßstab anlegen. Denn Folge einer zivilprozessualen Klage wäre in der Regel nur die Unterlassung der Nutzung oder sogar die Beseitigung des gefährlichen Objekts. Soweit ein Schaden geltend gemacht wird, muss ohnehin Ver­ schulden nachgewiesen werden. Dann ist Zurückhaltung erst Recht nicht ange­ bracht. Ein anderer Unterschied findet sich in den Tatmodalitäten. §  202c StGB verbietet nicht den bloßen Besitz der dort erwähnten Hilfsmittel.722 Demgegenüber untersagt §  69f Abs.  2 UrhG jedermann den Besitz, während §  95a Abs.  3 UrhG und §  3 Nr.  2 ZKDSG immerhin den Besitz zu gewerbsmäßigen Zwecken für unzulässig erklären. Dennoch ist diese Differenzierung im Regelfall folgenlos, da §  202c StGB das „Ver­ schaffen“ unter Strafe stellt und der erlaubte Besitz irgendwie erlangt werden muss.723 Nur der Besitz untergeschobener Umgehungsmittel ist damit straflos, was freilich schon aus dem insoweit fehlenden Vorsatz folgt. Insoweit wird man jedenfalls im Zivilprozess regelmäßig mit §  202c StGB identi­ sche Ergebnisse wie nach den Sondervorschriften erzielen können. bb)  Noch einmal: Dual Use Die wesentliche Problematik der Regelung ist allerdings ihre Unbestimmtheit, da eine Vielzahl von Programmen zu den durch §§  202a, 202b StGB verbotenen Zwe­ cken genutzt werden können, aber auch einen anderen, legitimen Nutzen haben.724 Diese Abgrenzungsschwierigkeit entspricht den bereits erörterten Konstellationen im Rahmen von §  69f UrhG, §  95a Abs.  3 UrhG und §  3 ZKDSG. Wie bei diesen Re­ gelungen ist eine Abgrenzung im Einzelfall erforderlich, in die insbesondere die Zwecksetzung des Autors, die Werbung und die praktische Bedeutung der alternati­ ven Nutzung einzubeziehen sind.725 Anhaltspunkte hierfür können §  95a Abs.  3 UrhG726 und die Rechtsprechung zu §  10 Abs.  2 PatG727 liefern. Eine Anknüpfung an die konkrete Nutzung des Programms728 ist in §  202c StGB ebensowenig möglich wie in §  95a Abs.  3 UrhG oder in §  3 ZKDSG. Das Verbot setzt hierzu zu weit im Vorfeld an.729 Der Versuch des Überwindens von Schutzhindernissen im Einzelfall ist ebenso straflos wie das versuchte Abfangen von nichtöffentlichen Datenübermittlungen.730 722 

BT-Drs. 16/3656, S.  12; MüKo-StGB/Graf, §  202c StGB Rn.  24. Ernst, NJW 2007, 2661, 2663; Schönke/Schröder/Eisele, §  202c StGB Rn.  5. 724  BT-Drs. 16/3656, S.  12; Gröseling/Höfinger, MMR 2007, 626, 629; 725  Schultz, DuD 2006, 778, 782; Gröseling/Höfinger, MMR 2007, 626, 629; Lackner/Kühl/Kühl, 27. Aufl. (2011), §  202a StGB Rn.  3. 726  In diese Richtung die Gegenäußerung der Bundesregierung BT-Drs. 16/3656, S.  19 („illegale Verwendung immanent“) und die Diskussion im Rechtsausschuss BT-Drs. 16/5449, S.  4 („in erster Linie“ auf Rechtverletzung angelegt); ebenso Ernst, NJW 2007, 2661, 2663. 727  Vgl. auch die „Staple Article of Commons“-Doktrin in den USA 35 USC §  271 (c): „..not a staple article or commodity of commerce suitable for substantial noninfringing use...“; siehe auch für das Urheberrecht Sony v. Universal, 464 U.S.  417 (1984). 728  Vassilaki, CR 2008, 131, 136. 729  Cornelius, CR 2007, 682, 684 ff.; Gröseling/Höfinger, MMR 2007, 626, 629. 730  BT-Drs. 16/3656, S.  10 (wegen der „geringen Schwelle zur Verwirklichung“); kritisch Vassil723 

416

§  3  Kumulative Selbsthilfe

Damit gilt wie in §  69f Abs.  2 UrhG im Grundsatz, dass Software, die irgendeinem legitimen Zweck dient, im Zweifel nicht unter §  202c StGB fallen wird, sofern dieser Zweck nicht bloß vorgeschoben ist.731 Maßgeblich kann dafür sicher nicht die sub­ jektive Nutzungsabsicht des ursprünglichen Programmierers sein.732 Dies gilt so­ wohl zugunsten als auch zu Lasten der Nutzer. Ein in nicht offengelegter böser Ab­ sicht entwickeltes Werkzeug mag als Diagnosewerkzeug legitimiert werden. Soweit ein Programm hingegen universell zum Hacken eingesetzt wird, kann die (ohnehin nur schwierig beweisbare) ursprüngliche Zielsetzung an der Bewertung des Verhal­ tens der Erwerber und Nutzer nichts ändern. Auch insoweit ergeben sich also keine relevanten Unterschiede zu §  95a Abs.  3 UrhG oder §  3 ZKDSG. cc) Bewertung Erklärtes Ziel von §  202c StGB ist es, das „Wettrüsten“ von Hackern und Anbietern von Schutzsystemen durch Unterbindung öffentlicher Diskussionen, finanzieller An­ reize und Verbreitung leicht zu bedienender Hilfsmittel zu vermindern.733 Wortlaut und Systematik der Vorschrift führen insoweit fehl, da diese die Tat in das Vorfeld einer gezielten Verletzung der individualschützenden §§  202a, 202b StGB rücken.734 Adressat sind aber weniger professionelle Hacker, die jeden Angriff mit selbst entwi­ ckelten Spezialwerkzeugen angehen, als vielmehr private Personen, die ohne größere Erfahrung mit einfachen Werkzeugen Schutzmechanismen umgehen wollen.735 Damit stellt sich die Norm als unvollständiger Grundtatbestand zu den Sonderre­ gelungen der §§  69f Abs.  2, 95a UrhG, 3 ZKDSG dar. Die Besonderheiten beruhen aber vor allem auf den hohen Anforderungen an staatliche Strafen. Im Hinblick auf zivilrechtliche Streitigkeiten ist demgegenüber eine stärkere Annäherung möglich und wünschenswert. So kann ein umfassender Vorfeldschutz erreicht werden. 3. Korrekturmöglichkeiten Festzuhalten ist, dass die moderne Rechtsordnung bereits in großem Umfang von der Anknüpfung des rechtlichen Schutzes an physische Datenträger abgerückt ist. Die geschilderten Regelungen schaffen „Datenenklaven“, die vor fremdem Zugriff gesi­ chert sind und bei denen ein Eindringen nicht nur durch zivilrechtliche Ansprüche aki, CR 2008, 131, 135; Borges/Stuckenberg/Wegener, DuD 2007, 275, 275; Gröseling/Höfinger, MMR 2007, 626, 628; Ernst, NJW 2007, 2661, 2662. 731 BVerfG ZUM 2009, 749; MüKo-StGB/Graf, §   202c StGB Rn.  16; Schönke/Schröder/Eisele, §  202c StGB Rn.  4. 732  BVerfG ZUM 2009, 749, Rn.  66. 733  BT-Drs. 16/3656, 21. 734 MüKo-StGB/Graf, §  202c StGB Rn.  2: „ein […] unabhängiges rein abstraktes Verbot sog. Ha­ ckertools ist mit dieser Vorschrift danach nicht bezweckt“. 735 Zutreffend Ernst, NJW 2007, 2661, 2663; zum Gefahrenpotential bereits Jaeger, RDV 1998, 252, 252; zum Erfolg der Norm siehe MüKo-StGB/Graf, §  202c StGB Rn.  6 „Jedenfalls ist nach mei­ ner Beobachtung des Zeitschriftenangebots seit dem Inkrafttreten des §  202c die Zahl der veröffent­ lichten ,bösen‘ Tools jedenfalls zunächst erheblich zurückgegangen“.

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

417

oder Strafnormen, sondern primär durch Schutztechnologien abgewehrt wird. Hier kommt der Rechtsordnung zugute, dass die Mehrheit der Rechtsunterworfenen ohne besondere Hilfe nicht in der Lage ist, entsprechende Hindernisse zu überwinden. a)  Vorfeldschutz als Durchsetzungsinstrument Dementsprechend kommt dem Vorfeldschutz besondere Bedeutung zu. Selbst wenn man keine Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche gegen eine Umgehung er­ öffnet und diese nicht unter Strafe stellt, also ein „right to hack“ schafft, hätte dies so lange keine größeren Auswirkungen, wie nicht auch die Hilfsmittel öffentlich ver­ trieben werden dürfen.736 Dementsprechend ist auch die im US-amerikanischen Recht vorgesehene Befugnis, in Bezug auf bestimmte Werkformen die Umgehung von Schutzmaßnahmen zu erlauben §  1201 (a) (1) (C), eine wenig effiziente Maßnah­ me der Marktregulierung. Ein vergleichbares Argument rechtfertigte auch die auf den Vertrieb von Umgehungsmitteln beschränkte Regelung des ZKDSG.737 Aufgrund dieser praktischen Hindernisse geht der Schutz der Datenenklave sogar weiter als derjenige der unmittelbaren Sachherrschaft des Inhabers. Denn für die Wegnahme körperlicher Gegenstände bedarf es in der Regel keiner besonderen Werkzeuge oder Fähigkeiten. Die Gewaltrechte des §  859 BGB wirken nicht gegen List oder Ausnutzung von Unachtsamkeit. Der technische Schutz wirkt demgegen­ über grundsätzlich absolut und reduziert durch das Verbot von Hilfsmitteln die Zahl potentieller Angreifer in erheblichem Umfang. Es ist einfacher, einen fremden Man­ tel im Restaurant mitzunehmen, als sich in einen handelsüblichen Computer einzu­ hacken. Mit dem weitgehenden Verbot von Hilfsmitteln gehen allerdings erhebliche Risi­ ken einher. Da die Betroffenen nun trotz tatsächlicher Sachherrschaft keine Selbst­ hilfe ergreifen können (selbst wenn sie es wollen), sind sie ihrerseits in besonderer Weise auf staatlichen Schutz angewiesen. Selbst wenn ausnahmsweise eine Hand­ lung nach §§  227, 228, 229, 904 BGB zulässig wäre, kann der hierzu Berechtigte sie mangels Hilfsmittel nicht vornehmen. Ihn trifft damit das Risiko, dass der staatliche Rechtsschutz zu spät kommt; zudem hat er den mit einem Rechsstreit einhergehen­ den Kosten- und Zeitaufwand zu tragen. Diese Hilflosigkeit eröffnet ein großes Miss­ brauchpotential seitens der Anbieter und Nutzer von Schutzsystemen. Aus ökonomischer Sicht wird die Gefahr der Zugangsbeschränkung hingegen überwiegend unkritisch beurteilt. Solange eine horizontale Koordination der Anbie­ ter von Inhalten durch das Kartellrecht verhindert wird, stellt der Nachfragemarkt ein hinreichendes Regulativ dar.738 Wenn die betroffenen Gegenstände aus Sicht der 736  In

511.

737 

diesem Sinne Yen, WILR 2003, 649, 649; Litman, S.  184; Besek, CLMJLA 27 (2004), 385,

Oben §  3C.II.1c, S. 401. Besek, CLMJLA 27 (2004), 385, 496; Einhorn, Adjuncts and alternatives to copyright: Procee­ dings of the ALAI Congress: June 13–17 2001, S.  82 ff., 93; Perlmutter, Adjuncts and alternatives to copyrigh:t Proceedings of the ALAI Congress: June 13–17 2001, S.  368 ff., 371 (“Commercial copy­ 738 

418

§  3  Kumulative Selbsthilfe

Abnehmer weitgehend austauschbar sind, eine hinreichende Marktinformation ge­ währleistet wird und Verletzungen von Aufklärungspflichten effektiv sanktioniert werden, können die Nutzer gezielt entscheiden, welche Gestaltung sie benötigen. Um eine optimale Marktsättigung zu erreichen ist eine Diversifizierung durch die Anbie­ ter daher unumgänglich. Zu intensive Zugangsbeschränkungen stellen eine Hürde für die Nutzung dar und senken damit die Attraktivität des Angebots. Dadurch ent­ ginge dem Anbieter die Möglichkeit, das Angebot weitestmöglich zu streuen. Hinzu kommen Reputationsschäden und langfristige Vertrauensverluste, die Auswirkun­ gen auch auf künftige Produkte haben. Darüber hinaus ist die Zulassung von Hilfsmitteln anders als die Einräumung ei­ ner Befugnis zur individuellen Umgehung im Einzelfall eine nicht umkehrbare binä­ re Entscheidung: Sind Umgehungshilfen erst einmal in den Verkehr gelangt, sind sie kaum mehr einzudämmen und stellen die Schutzsysteme unabhängig von legaler oder illegaler Verwendung in Frage. b)  Begrenzte Zulassung von Umgehungsmitteln Ein Versuch zur beschränkten Zulassung von Umgehungsmitteln findet sich im aus­ tralischen Recht.739 Die Verbreitung von Umgehungsmitteln wird danach zugelas­ sen, soweit deren Einsatz zu einem „erlaubten Zweck“ erfolgt, der Empfänger durch eine Schranke begünstigt ist und eine unterschriebene Erklärung vorgelegt wird, aus der sich Name und Anschrift des Anbieters und des Empfängers des Umgehungsmit­ tels sowie dessen Berechtigung ergibt und die beinhaltet, dass das Mittel ausschließ­ lich zu legalen Zwecken eingesetzt wird und die Inhalte nicht auch ohne Umgehung von Schutzmaßnahmen verfügbar sind. Auch diese Regelung verhindert allerdings eine Verbreitung nicht tatsächlich, sondern schafft durch die Hürden allenfalls ge­ wisse Gegenanreize. Dem deutschen Rechtssystem würde demgegenüber eher entsprechen, die Über­ wachung des Zugangs zu Umgehungsmitteln einer staatlichen Stelle oder einem Be­ liehenen zuzuweisen. Entsprechende Geräte würden dann wie Waffen strenger Kon­ trolle unterliegen, soweit sie außerhalb der Räume der entsprechenden Stelle genutzt werden.740 Auch hier wäre jedoch das Aufsuchen der entsprechenden Stelle eine hohe Hürde für die Nutzer, die die Umgehung unattraktiv macht. Begünstigt wären allenfalls Bibliotheken und andere Einrichtungen, nicht aber der Endnutzer. Zudem ist fraglich, ob eine derartige Stelle wirklich die mitunter schwierigen Fragen der Zulässigkeit einer Umgehung kompetent entscheiden kann, da die Erlaubnis regel­ mäßig endgültige Wirkung hätte.741 Derartige Entscheidungen sollten in der Regel einem Richter vorbehalten werden. Zudem ist eine relevante verhaltenssteuernde right owners are not interested in ‘locking up’ their works. They want the broadest possible dissemi­ nation to the largest possible audience.”). 739  Copyright Amendment (Digital Agenda) Act 2000 §  116A(3). 740  Yen, WILR 2003, 649, 649. 741  Besek, CLMJLA 27 (2004), 385, 494 f.

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

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Wirkung gegen die rechtlich missbilligte Nutzung von Schutzmaßnahmen nicht zu erwarten. Eine dritte Lösung wäre es, alle Anbieter von Schutzsystemen zu verpflichten, eine „Hintertür“ vorzusehen, die durch einen bei einer staatlichen Stelle verwahrten, in­ haltsspezifischen Schlüssel allgemein geöffnet werden kann.742 Dann wäre es prak­ tisch einfach auch Individuen ohne größeren Aufwand einen entsprechenden Schlüssel zukommen zu lassen, um die Schranke zu umgehen. Die Schlüssel könnten ihrerseits geschützt und eindeutig identifizierbar gestaltet werden, so dass ein Miss­ brauch durch Verbreitung leicht verfolgt werden könnte. Dieses System würde einer­ seits einen hohen administrativen Aufwand mit sich bringen, andererseits aber auch die Missbrauchgefahr erheblich erhöhen. Denn sobald die staatlich vorgesehene Hin­ tertür in illegalen Kreisen bekannt ist, wird versucht werden, diese zu umgehen. So­ weit dies gelingt, verlieren Schutzmaßnahmen jegliche Wirkung. Zudem ist die Re­ gelung insoweit technologiefeindlich, als sie die freie Gestaltung von Kopierschutz­ maßnahmen erheblich einschränkt. Technischer Fortschritt wäre daher nur nach behördlichem Beschluss möglich. Angesichts der weitgehend abgrenzbaren Schranken des deutschen Urheberrechts wäre es schließlich möglich, von Schutzmaßnahmen zu verlangen, dass sie sich dar­ auf beschränken, ausschließlich die dem Urheber vorbehaltenen Verwertungsrechte zu sichern („fair use by design“).743 Ein weitergehender Schutz würde dann zum Ver­ lust des Privilegs des §  95a UrhG in vollem Umfang führen und den Vertrieb von Umgehungsmitteln unbeschränkt erlauben. Dies wäre aber nur möglich, wenn die Schutzmaßnahme ausschließlich zu derart überschießenden Zwecken eingesetzt wird. Soweit auch nur in einer Konstellation ein auf legale Nutzung beschränkter Einsatz erfolgt, wäre eine Umgehung zu verhindern. Da aber Schutztechnologien zu­ meist für eine Vielzahl von Gegenständen genutzt werden, wäre eine solche Heran­ gehensweise unverhältnismäßig. c)  Wettbewerbsrechtliche Erwägungen Bedenkenswert erscheint vor diesem Hintergrund nur die Nutzung von technischen Schutzsystemen zum Ausschluss von abhängigen Märkten sowie die Gefahr, dass Schutzsysteme nur begrenzten Personenkreisen zur Verfügung gestellt werden und dadurch letztlich ein Zweiklassensystem des Urheberrechtsschutzes entsteht. Soweit nur finanzstarke Marktteilnehmer sich „wirksame“ Schutzmaßnahmen leisten kön­ nen, wären kleinere Autoren, die ihre Ansprüche in jedem Einzelfall gerichtlich durchsetzen müssten, in erheblichem Umfang benachteiligt. Diese Probleme können

742 

Burk/Cohen, HVJLT 15 (2001), 41. Insoweit ist das deutsche Modell der breiten Zulassung von „fair use“ überlegen, vgl. Besek, CLMJLA 27 (2004), 385, 493 f.; Burk/Cohen, HVJLT 15 (2001), 41, 55. 743 

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

jedoch nicht im allgemeinen Zivilrecht oder im Urheberrecht, sondern ausschließ­ lich im Kartellrecht gelöst werden.744 Die Gefahr, dass zugangsbeschränkende Technologien als Nadelöhr für Produkte auf anderen Märkten wirken, wird durchaus gesehen.745 Der Endnutzer ist regelmä­ ßig nicht bereit, verschiedene Endgeräte zur Nutzung von gleichartigen Inhalten zu erwerben. Dies zeigt anschaulich die geringe Nachfrage im Vorfeld der Standardisie­ rung der Formate von Videokassetten (BetaMax, Video2000, VHS) oder hochauflö­ senden Filmmedien (BluRay gegen HD DVD). Soweit daher Schutzverfahren an be­ stimmte Geräte gebunden sind, besteht die Gefahr eines Ausschlusses von Konkur­ renten, aber auch von Inhaltsanbietern.746 Dies ist insbesondere dann problematisch, wenn der Anbieter der Schutzmechanismen sowohl auf dem Geräte- als auch auf dem Inhaltsmarkt „vollintegriert“ tätig ist.747 Soweit Patente an für den Schutz erfor­ derlichen Schlüsseltechnologien bestehen, kann eine entsprechende Machtstellung weitreichenden Einfluss auf Endgeräte, Inhalte und Softwareprodukte entfalten.748 Eine Pflicht, Zwangslizenzen zu gewähren, sehen allerdings weder die Richtlinie über das Urheberrecht in der Informationsgesellschaft noch die Zugangskontroll­ richtlinie vor. Immerhin verweist das Fernsehsignalübertragungs-Gesetz noch auf das Wettbewerbsrecht und das Medienrecht als regulative Instrumente; vorgesehen ist zudem ein Anspruch der Rundfunkveranstalter auf Nutzung der entsprechenden Dienste „zu chancengleichen, angemessenen und nichtdiskriminierenden Bedin­ gungen“ (§  7 FÜG).749 Insoweit greifen die allgemeinen Regeln des Kartellrechts zur Gewährung von Zwangslizenzen aufgrund der „Essential Facilities“-Rechtsprechung des EuGH.750 Ein Lösungsweg ist dabei die Anknüpfung an technische Standards von aner­ kannten Normungsorganisationen bzw. gemeinsam erarbeitete brachenweite offene Spezifikationen751 oder eine individuelle Interoperabilitätsverpflichtung zumindest 744 

Höhne, S.  103 ff. Helberger, ZUM 1999, 295, 306. 746  Mit diesen Erwägungen begründete Komm. Abl. Nr. L 364 Rn.  60 bereits die Versagung der Genehmigung zur Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens mit dem Ziel eines einheitlichen Verbreitungssystems für PayTV, dadurch wäre ein de facto Standard geschaffen worden, der Kon­ kurrenten den Zugang unmöglich gemacht hätte, ohne Inanspruchnahme des Systems ihre Inhalte anzubieten. 747 Siehe dazu die Diskussion im Rahmen der Sony/BMG-Entscheidung der Kommission, COMP/M.3333 (2004), S.  30. 748  In diesem Sinne Comp/M.3042 (2002), 19 zur Übernahme des DRM-Entwicklers Intertrust durch Sony und Philips, der durch eine Vielzahl von Patenten erheblichen Einfluss auf Schutzmaß­ nahmen besaß; dort aber Verstoß gegen Art.  101 AEUV verneint, da hinreichender Wettbewerb besteht. 749  In Umsetzung von Art.  4 der Richtlinie 95/47/EG. 750  Höhne, S.  137. 751  Merkel/Roßnagel/Scheuer/Schweda, Sicherung der Interoperabilität als Ziel der Regulierung der Rundfunkübertragung – Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Tech­ nologie, 226 ff. 745 

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

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im Hinblick auf Marktteilnehmer mit relevanten Anteilen.752 Ultima ratio wäre eine Vollregulierung mit staatlicher Aufsicht.753 d) Ergebnis Die Grundwertung des Gesetzes, Datenenklaven vor fremdem Zugriff zu schützen, ist gesamtgesellschaftlich vorteilhaft. Sie fördert die Investition unter Einsatz neuer Technologien, fördert den Informationsaustausch und ermöglicht erst die Nutzung von Cloud Computing. Die an die Sachherrschaft über den Datenträger anknüpfen­ den Regelungen des BGB würden demgegenüber zu einer nicht zu rechtfertigenden Risikoverschiebung führen. Aus Gründen der Rechtsklarheit ist es geboten, dieses Gebot weit zu fassen und weitgehend gegen Selbsthilfemaßnahmen abzusichern. Ein Eingriff in geschützte Datenbereiche bedarf daher im Regelfall754 hoheitlicher Un­ terstützung. Insoweit rückt die Position desjenigen, der einen solchen geschützten Bereich schafft in die Nähe des possessorischen Besitzschutzes. Auch dort sollen Be­ rechtigungsfragen weitgehend dem staatlichen Verfahren vorbehalten bleiben. Zu­ dem würde eine Umgehungsbefugnis nur wenige, technisch versierte Nutzer be­ günstigen, solange ein grundsätzliches Verbot im Hinblick auf Hilfsmittel besteht. Eine Durchbrechung dieses Verbots lässt sich nur rechtfertigen, soweit der Schutz ausschließlich missbräuchlich eingesetzt wird; derzeit fehlt hierfür jedoch eine ge­ setzliche Grundlage. Urheber bzw. Leistungsschutzberechtigte oder deren ausschließliche Lizenzneh­ mer können sich also durch kumulative Selbsthilfe schützen. Dies geschieht auf Kos­ ten der Endkunden, die bei überschießenden Schutzmaßnahmen auf staatliche Hilfe angewiesen sind, da Hilfsmittel bzw. Dienstleistungen zur Umgehung verboten wer­ den und daher nicht auf dem Markt verfügbar sind.

III.  Fehlende Konsequenzen im Schuld- und Sachenrecht Die Folge des Vorrangs des Schutzes der Integrität von Daten im Allgemeinen (§§  202a ff. StGB), Software im Besonderen (§§  69a ff. UrhG) sowie technischen Schutzmaßnahmen (§§  95a ff. UrhG, §  3 ZKDSG) als Spezialfall führt zu einem we­ nig befriedigenden Ergebnis bei Massenmarktprodukten, in denen derart geschützte Mechanismen implementiert sind. Das mit der tatsächlichen Sachherrschaft verbun­ dene Vertrauen, den Gegenstand frei von Zugriffen Dritter zu haben, ist gefährdet, soweit sich der Hersteller eine Deaktivierung per Netzwerk vorbehält.755 Als Gegen­

752  Merkel/Roßnagel/Scheuer/Schweda, Sicherung der Interoperabilität als Ziel der Regulierung der Rundfunkübertragung – Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Tech­ nologie, 240 ff. 753  Dies regt Grassmuck, Der zweite Korb dient der Allgemeinheit! an, zweifelnd Höhne, S.  174 f. 754  Zur Anwendbarkeit von §  229 BGB oben §  1A.V.1c.bb, S. 128. 755  Oben §  3B.II.2b.cc(3), S. 348.

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

gewicht wird auf politischen Aktivismus,756 entgegenstehende Nutzerrechte757 oder das kartellrechtliche Missbrauchsverbot758 verwiesen. Der Rechtsschutz des Nutzers nach allgemeinem Zivilrecht ist demgegenüber be­ schränkt: Die alternative Selbsthilfe ist gegenüber dem spezialgesetzlichen Schutz ausgeschlossen, soweit nicht ausnahmsweise höchstrangige Rechtsgüter (Leib, Le­ ben, Freiheit) und keine bloßen Vermögensrechte betroffen sind.759 Es verbleibt die Möglichkeit zur subsidiären Selbsthilfe im Sinne von §  229 BGB und zu Notstands­ maßnahmen im Sinne von §§  228, 904 BGB, §  34 StGB, deren Anwendungsbereich gegenüber dem weitreichenden Notwehrrecht jedoch deutlich reduziert ist. Soweit ein schlichter „Kill Switch“ vorgesehen ist, kann dessen Einsatz eine nach §  823 Abs.  1 BGB kompensationspflichtige Eigentumsverletzung darstellen.760 Dem­ gegenüber fehlt bei Produkten, die von Anfang an mit einer zeitlichen Begrenzung versehen sind761 oder auf zusätzliche, serverbasierte Onlinedienste angewiesen sind, bereits ein Eingriff in das Eigentum; vielmehr war dieses von Anfang an mangelbe­ haftet.762 Auch ein Anspruch aus §  823 Abs.  2 BGB in Verbindung mit §  303a StGB ist nicht unproblematisch, denn man könnte die Befugnis zur Veränderung und ­Löschung gerade als durch den Erwerb der entsprechend beschränkten Software gerecht­fertigt sehen. Erst Recht gilt dies für die Inanspruchnahme von sog. „­ Cloud“Diensten, bei denen Daten unmittelbar per Browser auf externen Servern gespeichert und genutzt werden.763 Selbst wenn dabei eine vorübergehende lokale Kopie erstellt wird, ist diese gerade nicht zur dauerhaften Verwendung durch den Nutzer bestimmt, sondern allein zur Beschleunigung der Anbindung bzw. als nutzbares Exemplar bis zur nächsten Internetverbindung. Ansprüche können sich daher primär aus Verträgen ergeben. Dabei stellen sich allerdings eine Vielzahl von Problemen. Zunächst wird Standardsoftware auch heute noch überwiegend über eine Vertriebskette in Verkehr gebracht. Der Hersteller ist also nur in Bezug auf die Einräumung der urheberrechtlichen Nutzungsrechte un­ mittelbarer Vertragspartner des Nutzers.764 Soweit der Vertrieb von Software zur lokalen Benutzung überwiegend als (Sach-)Kaufvertrag qualifiziert wird,765 treffen 756 

So insbesondere die „Electronic Frontier Foundation“, www.eff.org/issues/eff-europe. Peukert, S.  74 ff. 758  Höhne, S.  137 ff. 759  Oben §  3B.II.2b.cc(4), S. 351. 760  Oben §  3B.II.2b.cc(3), S. 348. 761  Oben §  3B.II.2b.cc(4), S. 351. 762  BGHZ 86, 256, 259 ff; BGHZ 117, 183, 187 f. 763  Pohle/Ammann, CR 2009, 273; Schuster/Reichl, CR 2010, 38. 764  Hilty, MMR 2003, 3, 14 f. 765  BGHZ 102, 135; BGHZ 109, 97, 100.; Bydlinski, AcP 198 (1998), 287, 295 f.; MüKo-BGB/Westermann, 3. Aufl. (2008), vor §  433 BGB Rn.  22, dort freilich nach jetziger Rechtslage irrig „Bei der Anwendung der Kaufrechtsregeln, die auch nicht über §  453 geschehen kann, da Software kein Recht ist, muss also der jeweils speziellen Interessenlage Rechnung getragen werden.“, da die Norm ausdrücklich auch andere „Gegenstände“ erfasst, was nach der Gesetzesbegründung ausdrücklich Software meint; kritisch Moritz, Computerrechts-Handbuch, Rn.  16 ff. 757 

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

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die Pflichten der §§  433 Abs.  1 S.  2, 434 BGB nur den Verkäufer als Vertragspartner des Käufers. Zudem greift in Ermangelung einer abweichenden Vereinbarung inso­ weit die Verjährung des §  438 BGB ein, so dass nach zwei Jahren Mängel nicht mehr geltend gemacht werden können. Soweit der EuGH klargestellt hat, dass allein durch Bezeichnung als „Lizenzver­ trag“ die Überlassung von Software nicht der Erschöpfung entzogen werden kann,766 ist damit über die schuldrechtliche Qualifikation keine Aussage getroffen. Zudem sind die vom EuGH für maßgeblich erachteten Kriterien durchaus im Softwarever­ trieb nicht zwingend. Für den Eintritt der Erschöpfung soll die Einräumung eines unbefristeten Nutzungsrecht gegen Entgelt erforderlich sein; erst dann seien inhalt­ liche Beschränkungen irrelevant.767 Damit sind bei unentgeltlicher Weitergabe eines – etwa durch Werbung finanzierten – Programms Beschränkungen möglich, eine gemischte Finanzierung (etwa Weitergabe zum Preis des Datenträgers) bleibt außer Betracht. Zudem ist auch die zeitlich befristete Einräumung des Nutzungsrechts mit automatischer Verlängerung denkbar.768 1.  Tatsächliche Sachherrschaft Die tatsächliche Sachherrschaft ist der Anknüpfungspunkt für den Besitz.769 Die da­ hinterstehende Idee ist trivial: Derjenige, der eine Sache nach seinem Belieben ver­ ändern oder auch vernichten kann, ist derjenige, der sie verteidigen (§§  858 ff. BGB), für sie Verantwortung tragen (insbesondere öffentlich-rechtlich als „Zustandsstö­ rer“), und sogar in weitem Umfang über sie verfügen kann (vgl. §§  932 ff. BGB). Nun ermöglichen digitale Schutzmaßnahmen jedoch, diese Einflussmöglichkeit ganz oder teilweise zunichte zu machen. Ein Computer, der über Fernsteuerung zu einem bloßen Zombie in einem sog. „Botnetz“ gemacht wird,770 steht gerade nicht unter der Kontrolle desjenigen, der das Gerät physisch vor sich hat, sondern wird von demje­ nigen beherrscht, der es (fern-)steuert. Während man diese Problematik überwie­ gend nur auf illegale Aktivitäten von Hackern bezieht, stellt sie sich in gleicher Weise auch beim erlaubten Zugriff, den sich der Rechtsinhaber ausdrücklich oder heimlich vorbehält. Die nach den obigen Grundsätzen entstehenden „Datenenklaven“ sind der tat­ sächlichen Sachherrschaft vorrangig.771 Dann wäre es aber eklatant unbillig, die Verantwortung für die gesamte Sache (also den Datenträger) nur demjenigen zuzu­ weisen, der das entsprechende Gerät physisch beherrscht. Denn die von der geschütz­ 766 

EuGH NJW 2012, 2565 Rn.  49; anders Vernor v. Autodesk, 555 F. Supp.  2d 1164 (2009). Meyer-Spasche/Schneider/Störing, CR 2013, 131. 768  Vgl. zu den Umgehungsmöglichkeiten Marly, EuZW 2012, 654, 657; Heydn, MMR 2012, 591, 593. 769 BGHZ 180, 300; MüKo-BGB/Joost, §   854 BGB Rn.  3; BeckOK-BGB/Fritzsche, §  854 BGB Rn.  6. 770  Gercke, MMR 2008, 291, 296; Roßnagel/Schnabel, NJW 2008, 3534, 3536. 771  Oben §  3C.II, S. 384. 767 

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

ten Datenenklave ausgehenden Auswirkungen unterliegen gerade nicht seiner Kon­ trolle. Es liegt daher in Bezug auf den Datenträger schlichter Mitbesitz zwischen dem Besitzer des Mediums und dem Inhaber der darauf befindlichen Datenenklave vor, ähnlich der Verwahrung sicher verschlossener Behälter.772 Je nach Umfang der dem Hersteller vorbehaltenen Beschränkungen wird also die tatsächliche Sachherrschaft des Besitzers des Datenträgers reduziert. In Bezug auf den technisch gesicherten Be­ reich ist demgegenüber der Inhaber der Datenenklave alleiniger Besitzer.773 Damit ließe sich das Selbsthilfeverbot des Geräteinhabers im Innenverhältnis auch durch §  866 BGB rechtfertigen. Nach traditionellem Verständnis mag man dieser Argumentation die Unteilbar­ keit des Gegenstands und den fehlenden physischen Ansatzpunkt entgegenhalten. Allerdings ist die Speicherung von Daten stets auch mit einer körperlichen Verände­ rung verbunden, sei es durch für das bloße Auge unsichtbaren Manipulationen an optischen Datenträgern per Laser oder Veränderung der magnetischen Polung bei sonstigen Speichermedien (RAM-Module, Festplatten, SSDs, USB-Sticks, etc.). Es gibt also in jedem Fall einen Bereich auf einem physischen Medium, welcher einem Dritten vorbehalten ist. In diesem Bereich kann zur gleichen Zeit nichts anderes ge­ speichert werden. Dies gilt sogar während einer Datenübermittlung, denn jedes Da­ tenpaket bleibt während der Übertragung getrennt von anderen. Auch bei Speiche­ rung in der „Datenwolke“ gibt es einen oder mehrere Server, auf dessen Festplatte die Daten vorhanden sind. Gegen die Annahme eines durch Besitzrechte geschützten Bereichs spricht auch nicht, dass die Daten leicht und ohne Einfluss der Beteiligten beweglich sind, etwa im Rahmen einer Defragmentierung oder insbesondere im Rahmen von Cloud-Speicherdiensten, wo redundante Kopien zur Entlastung einzel­ ner Server erstellt und vernichtet werden, ohne dass dies der Nutzer bemerkt. Denn dies ist auch beim Besitz an sonstigen Gegenständen denkbar, etwa wenn ein falsch parkender PKW abgeschleppt wird. Selbst die tatsächliche Möglichkeit zur Löschung der Daten durch den Besitzer des Datenträgers stellt die „Datenenklave“ nicht in ­Frage. Denn auch die Bank könnte (vertragswidrig) den Inhalt des Schließfachs ver­ nichten. Darin läge eine Verletzung des Besitzrechts des Kunden, aber allein die Möglichkeit stellt seine Besitzposition nicht in Frage. Tatsächlich gewährt das Straf­ recht sogar einen sehr weitgehenden, vertragsunabhängigen Schutz vor derartigen Löschungen oder Veränderungen (§  303a StGB). Solange sich der Hersteller bzw. Softwareanbieter also Einwirkungsmöglichkeiten vorbehält hat er die tatsächliche Sachherrschaft am davon betroffenen Teil des Da­ tenträgers und ist damit auch in Bezug auf diesen Mitbesitzer. Dieser Besitz muss 772 Zu diesem BeckOK-BGB/Fritzsche, §   866 BGB Rn.  7 f.; dem entspricht der Mitbesitz von Bank und Kunden am Bankschließfach (Staudinger/Gutzeit, §  866 BGB Rn.  15; Soergel/Stadler, §  866 BGB Rn.  12; MüKo-BGB/Joost, §  866 BGB Rn.  4). 773  Siehe zur ähnlichen Konstellation des nur dem Kunden zustehenden Inhalts an einem Bank­ schließfach Staudinger/Gutzeit, §  854 BGB Rn.  37; anders Werner, JuS 1980, 175, 176 (Mitbesitz auch am Inhalt).

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

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nicht gleichrangig sein, im Regelfall wird sich der Hersteller von Softwareprodukten dem Willen des Inhabers des Datenträgers, etwa des Haushaltgeräts oder des Com­ puters, unterordnen. Einzige Schranke ist die Beschränkung der Nutzung der „Da­ ten­enklave“, die nur im Rahmen der vom diesbezüglich Berechtigten eingeräumten Wege genutzt werden darf. Im Außenverhältnis, also gegenüber Dritten, können hin­ gegen sowohl der Besitzer des Geräts als auch derjenige, der die Software bereitstellt, Abwehrmaßnahmen vornehmen. Zur Klarstellung sei noch darauf hingewiesen, dass Voraussetzung der obigen Ausführungen stets das Vorhandensein einer tatsächlichen Schutzvorrichtung ist; die insbesondere durch das Urheberrecht geschaffenen rechtlichen Nutzungsvorbehalte genügen demgegenüber keinesfalls zur Schaffung einer Besitzposition. 2. Übereignung Die Annahme fortbestehenden Besitzes des Entwicklers von Software oder Hard­ ware mit einer Möglichkeit der nachträglichen Veränderung ohne unmittelbaren physischen Zugriff auf die Sache wirft allerdings Schwierigkeiten im Hinblick auf die Verschaffung des Sacheigentums auf. Ein kaum haltbares Ergebnis wäre es, dauerhaft fortbestehendes (Mit-)Eigentum des Veräußerers eines Geräts anzunehmen, das Da­ ten enthält, die vor fremdem Zugriff gesichert sind. Insbesondere bei Installation von Software entstünden sonst kaum überschaubare Berechtigungskonflikte. Zu beach­ ten ist zudem die Grundwertung des §  137 S.  1 BGB, der rechtliche Verfügungsbe­ schränkungen für unwirksam erklärt. Eine Übereignung setzt nach §  929 S.  1 und §  929 S.  2 BGB den Verlust jeglicher Besitzposition beim Veräußerer voraus.774 Solange sich jedoch der Hersteller eine Hintertür offenhält, verbleibt bei ihm auch ein Rest an tatsächlicher Sachherrschaft. Eine „Übergabe“ im Sinne des §  929 S.  1 BGB erfolgt daher erst, wenn diese Eingriffs­ möglichkeit dauerhaft entfällt. Eine Übereignung nach §  929 S.  1 BGB scheidet also bei Produkten mit integrierter Hintertür aus; ein Laptop, der durch Funksignal des Herstellers deaktiviert werden kann, ist nicht „übergeben“ im Sinne von §  929 S.  1 BGB. §  931 BGB setzt den Besitz eines Dritten voraus, gegen den der Veräußerer ei­ nen Herausgabeanspruch hat. Dies ist in den hier untersuchten Konstellationen er­ sichtlich nicht der Fall. Nach §  930 BGB kann der Veräußerer zwar den unmittelbaren oder mittelbaren Besitz an einer Sache behalten – er muss sich jedoch dem Erwerber als mittelbaren Besitzer unterwerfen, d. h. er muss nunmehr statt Eigen- Fremdbesitzwillen haben, einem Herausgabeanspruch unterworfen sein und ein irgendwie geartetes Besitz­ konstitut (Leihe, Miete, Sicherungsabrede, o. ä.) zum Erwerber begründen. Dieser Ansatz trifft die hier dargestellte Problemlage: Der Erwerber erhält das Gerät, auf dem jedoch ein Resteinfluss des Veräußers verbleibt. Der Veräußerer ordnet sich in­ 774 MüKo-BGB/Oechsler,

§  929 BGB Rn.  48; Staudinger/Wiegand, §  929 BGB Rn.  45.

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

soweit dem Willen des Erwerbers grundsätzlich insoweit vertraglich unter, als er die freie Nutzung des Datenträgers durch den Käufer zulässt. Die „Herausgabe“ erfolgt in der Regel durch schlichte Löschung der Daten, da hierdurch der belegte Speicher­ bereich wieder freigegeben wird; im Einzelfall kann diese freilich unter weiteren Be­ dingungen stehen. Dazu gehört namentlich die Voraussetzung, dass nicht nur der Schutz, sondern die gesamten Daten entfernt werden. Da der Schutz der durch tech­ nische Maßnahmen geschützten Bereiche auf dem Datenträger des Erwerbers ohne Gegenleistung des Veräußerers erfolgt, handelt es sich dabei um einen der Leihe ver­ gleichbaren Vertrag, die als Besitzkonstitut in §  868 BGB ausdrücklich genannt ist. Beim Erwerb separater Software und Installation auf einem Endgerät entstehen demgegenüber keine Probleme im Hinblick auf die Eigentumszuordnung: Das Ei­ gentum am Gerät wird durch das Hinzufügen weiterer Teile nicht beeinflusst (Ge­ danke des §  957 BGB); durch die Installation wird das oben erwähnte Besitzkonstitut begründet. 3.  Gefahrübergang und Verjährung Nach §  446 BGB geht die Gefahr des zufälligen Untergangs und der zufälligen Ver­ schlechterung „mit der Übergabe der verkauften Sache“ auf den Käufer über; auch die Verjährung beginnt nach §  438 Abs.  2 a. E. BGB mit der „Ablieferung“ der Sache. In vergleichbarer Weise knüpft das Werkvertragsrecht den Gefahrübergang an die Abnahme (§  644 BGB) oder das Mietrecht an die „Überlassung“ an den Mieter (§  536 BGB). Gemeinsamer Grundgedanke ist, dass der eine Vertragsteil in diesem Zeit­ punkt seine Kontrolle über den Vertragsgegenstand verliert und diese auf den ande­ ren Vertragsteil übergeht:775 Weil der Verkäufer nicht mehr Besitzer der Sache ist, kann ihn ab dem Zeitpunkt der Übergabe auch keine Verantwortung für eine Ver­ schlechterung der Sache treffen. Umgekehrt hat der Käufer die Gewalt über die Sache und kann selbst eine Schädigung verhindern. Dies betrifft Produkte, die durch technische Maßnahmen geschützte Daten ent­ halten, in gleicher Weise. Denn mit dem Besitzverlust verliert der Veräußerer den Einfluss auf das Gerät. Um seine Daten zu verändern muss er physisch darauf zugrei­ fen können (etwa im Rahmen einer Wartung oder durch vom Nutzer installierte Aktualisierungen). Demgegenüber kann der Erwerber das Produkt beliebig verän­ dern, insbesondere auch die geschützten Datenbereiche löschen. Etwas anderes gilt jedoch bei den geschilderten vernetzten Produkten.776 Dabei erlangt der Erwerber zwar die tatsächliche Sachherrschaft über den Gegenstand. Dennoch kann der Veräußerer diesen ohne Einverständnis und ohne Verhinde­ rungsmöglichkeit einseitig verändern. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass die Sache in einer nach §  434 Abs.  1 BGB relevanten Weise verändert wird. So könnte eine für 775 MüKo-BGB/Westermann, §  4 46 BGB Rn.  1; Staudinger/Beckmann, §  4 46 BGB Rn.  9; Hager 1982, S.  72 ff. 776  Picker, CWRLR 55 (2005), 749; oben §  3B.II.2b.cc(3), S. 348.

C.  Technische Schutzmaßnahmen und Einschränkungen tatsächlicher Sachherrschaft

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den Kunden wesentliche, vereinbarte Funktionalität, die am Tag der Übergabe des Datenträgers bzw. des Downloads vorhanden ist, bereits am Folgetag entfernt wer­ den. Dies würde jedoch nicht die Gewährleistungsrechte des §  437 BGB auslösen, sondern allenfalls deliktsrechtliche Ansprüche auf Schadensersatz wegen Eigen­ tumsverletzung ermöglichen. Daraus folgt, dass bei derartigen dynamischen, vernetzten Produkten ein Ge­fahr­ übergang kaum auf den Übergabezeitpunkt festgelegt werden kann. Vielmehr ist insoweit bereits die Qualifikation als Kaufvertrag, d. h. als dauerhafte Gebrauchs­ überlassung fragwürdig. Es tritt neben die dauerhafte Besitzüberlassung am Daten­ träger ein widerruflicher oder sogar befristeter Anspruch auf die Nutzung der darauf verkörperten Daten, die wiederum die Verwendung des körperlichen Gegenstandes maßgeblich beeinflussen. Um die ihm zugeordneten und vor dem Zugriff des Daten­ trägerinhabers geschützten Daten zu speichern muss sich aber der Veräußerer einen physisch abgrenzbaren Teilbereich des verkörperten Datenträgers vorbehalten bzw. diesen vom unmittelbaren Besitzer des Datenträgers zurückfordern. Der unmittel­ bare Besitzer des Datenträgers darf diesen Bereich also nicht nutzen, er steht unter der alleinigen Kontrolle des Dateninhabers. Im Hinblick auf das Besitzrecht führt dies zu der verwirrenden Konstellation, dass der Inhaber des Datenträgers unmittel­ barer Besitzer hinsichtlich dieses Objekts, aber nur mittelbarer Besitzer im Hinblick auf den darauf befindlichen, durch technische Schranken geschützten, Datenbe­ reichs des Herstellers ist. Der Hersteller ist demgegenüber zwar unmittelbarer Besit­ zer des Datenbereichs, aber hat sich dem Willen des Datenträgerbesitzers unterwor­ fen (der diese Daten insgesamt löschen darf und so den Datenträgerbereich „heraus­ verlangen“ kann). Der Nutzer hat sich jedoch, soweit er die Sache nutzen will, seinerseits dem Hersteller unterworfen, er hat den jeweiligen Datenbereich „zurück­ gemietet“. An dieses auf die Nutzung der gespeicherten Daten, also des veränderten Teilbe­ reichs des Datenträgers, gerichtete Schuldverhältnis anknüpfende Pflichtverletzun­ gen werden nicht durch die Beschaffenheit bei Gefahrübergang bestimmt. Vielmehr ist an die Eignung zum jeweiligen vertraglichen Gebrauch im konkreten Nutzungs­ zeitpunkt anzuknüpfen (§  536 BGB). Der Umstand, dass in der Regel nur eine einma­ lige Gegenleistung durch den Erwerber zu erbringen ist, steht dieser Qualifikation nicht entgegen, da eine Mietzahlung durch Einmalleistung durchaus zulässig ist.777 Ebenso kann ein Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit geschlossen werden. Die Wir­ kung der Kündigung muss zudem nicht zwingend zur Löschung des Programms führen, sie kann sich auch auf den Wegfall des Änderungsvorbehalts beschränken, so dass dieselbe Lage wie bei einem von Anfang an mit Daten behafteten, aber unver­ änderlichen Produkt eintritt. Durch diese Differenzierung können auch die Probleme der im Technologiebe­ reich üblichen Lieferkette gelöst werden: Der Einzelhändler handelt im Hinblick auf 777 MüKo-BGB/Häublein,

§  535 BGB Rn.  154.

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§  3  Kumulative Selbsthilfe

die Verschaffung des Sacheigentums als Verkäufer und haftet für diesbezügliche Mängel. Demgegenüber muss der Hersteller der Software für deren Funktionalität in dem nur seinem Zugriff vorbehaltenen Datenbereich einstehen. Soweit die Gegen­ stände einheitlich erworben werden, ist eine Nachbesserung ohnehin nur unter Mit­ wirkung des Herstellers möglich (da der Verkäufer nicht den Quellcode der Software hat und zudem zu Umarbeitungen nach §  69c Nr.  2 UrhG nicht befugt ist). Kurz hingewiesen sei noch darauf, dass die nicht offengelegte Nutzung von Schutz­ mechanismen selbstverständlich eine Schlechtleistung begründet;778 erst Recht gilt dies für heimlich vorbehaltene Eingriffsmöglichkeiten. Die Regelung des §  95d UrhG regelt die Problematik nur für den Teilbereich des Urheberrechts.779 Zudem sind die auf Grundlage dieser Regelung praktisch üblichen Hinweise oftmals unzureichend – der schlichte Hinweis „Dieses Produkt ist durch technische Maßnahmen geschützt“ oder sogar ein dem Rechtsverkehr kaum bekanntes Logo genügen den Anforderun­ gen der Regelung sicherlich nicht.780 Die Annahme, dass Schutzmaßnahmen inzwi­ schen verkehrsüblich seien, geht angesichts der vielfältigen Gestaltungsmöglichkei­ ten hinsichtlich der beschränkenden Wirkungen der technischen Maßnahmen fehl.

D. Zusammenfassung 1. Eine privatautonome Schaffung von neben der staatlichen Rechtsdurchsetzung gleichrangigen Eingriffsbefugnissen durch Einwilligung gelingt vor allem dann, wenn ohnehin tatsächlicher Einfluss auf die betroffenen Gegenstände besteht. Dies ist insbesondere bei auf externen Servern gespeicherten Daten, aber auch bei zur Nutzung von Gegenständen erforderlichen Dienstleistungen zu bejahen. Im Übrigen gewährt die Rechtsordnung konsequent dem nach außen erkennbaren status quo den Vorrang, eine Veränderung bedarf regelmäßig staatlicher Hilfe. 2. Die Ausgestaltung des Hausrechts zeigt eine gewisse Widersprüchlichkeit auf. Während aufgrund der uneingeschränkten Zulässigkeit von Hausverboten in Räumen, die der Öffentlichkeit frei zugänglich sind, ein Gleichlauf zwischen pos­ sessorischem Besitzschutz, Gewaltrechten und Hausverboten erzielt werden kann, finden die Beschränkungen hinsichtlich der Gestaltung von Hausordnungen und der Erteilung von Verboten keine Parallele im Besitzrecht. Insoweit ist auch ein unzulässiges und nichtiges Hausverbot durch Gewalt im Sinne von §  859 Abs.  1 BGB durchsetzbar. 3. Die Befugnisse des Inhabers von Immaterialgüterrechten stehen oftmals in Kon­ flikt zu den Befugnissen des Besitzers oder Eigentümers von Gegenständen, die diese Rechte verkörpern. Der naheliegenden Selbsthilfe des Besitzers, der sich 778 

Grundlegend BGH NJW 1981, 2684; Würmeling, CR 1994, 585. Goldmann/Liepe, ZUM 2002, 362, 371 ff.; Schack, ZStW 2002, 497, 506; zur Analogiefähig­ keit siehe Ehrhardt, S.  141 ff. 780 BeckOK-UrhG/Lindhorst, §  95d UrhG Rn.  3; siehe im Detail Ehrhardt, S.  65–86. 779 

D. Zusammenfassung

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durch solche Rechte in seinem Sachgenuss gestört sehen mag, sind durch das Ge­ setz jedoch enge Grenzen gesetzt. Der Ausgleich wird durch tatbestandliche Gren­ zen und rechtfertigende Schranken bewirkt. Besondere exemplarische Bedeutung kommt insoweit dem Erschöpfungsgrundsatz zu. 4. Die kumulative Selbsthilfe, bei der eine Durchsetzung sowohl durch staatliche als auch durch private Mittel ohne besonderes Vorrangverhältnis zulässig ist, gewinnt insbesondere beim Schutz von Immaterialgüterrechten durch technische Maß­ nahmen an Bedeutung. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund bemerkens­ wert, dass ein solcher Schutz herkömmlich vor allem an sichtbar zugeordneten Rechtspositionen (Besitz, Körper, Gesundheit) bestand (§§  227, 859 BGB). 5. Sowie die Nutzung eines Gegenstandes von der Überwindung einer technischen Schranke abhängig ist oder die Nutzbarkeit des Gegenstandes von einer Person beeinflusst werden kann, die nicht die tatsächliche Sachherrschaft innehat, muss die Rechtsordnung hieraus Konsequenzen ziehen. Diese bestehen entweder in der Befugnis zur Überwindung solcher technischer Beschränkungen („right to hack“) oder in der Zuweisung von Verantwortlichkeit an denjenigen, der die Technik be­ herrscht. Aufgrund der gesetzgeberischen Entscheidung gegen den ersten Weg zu Lasten des Besitzes, sind Konsequenzen in der Anwendung im Schuld- und Sa­ chenrecht zu ziehen.

Zusammenfassung und Ausblick Ausgangspunkt der Arbeit war die Frage, wann und in welchem Umfang unsere Rechtsordnung die Schaffung faktischer Rechtspositionen vorsieht, also eine Rechts­ durchsetzung unabhängig von staatlichen Organen duldet oder sogar fördert.1 Es hat sich gezeigt, dass gerade in einem Rechtsstaat die Selbsthilfe der Bürger ein un­ verzichtbares Mittel zum Schutz der Allgemeinheit und gleichzeitig zur Aufrechter­ haltung des Staates als solchem ist. Denkbare Alternativen wären allenfalls die nur hypothetisch denkbare Vollkompensation aller denkbaren subjektiven Interessen­ verletzungen oder eine aus politischer Sicht wenig erstrebenswerte omnipräsente Staatsmacht. Die mit amtlicher Überschrift als „Selbsthilfe“ bezeichnete Norm des §  229 BGB steht insoweit im Zusammenhang mit anderen zivilrechtlichen Eingriffsbefugnissen und ist insoweit weder eine abschließende Regelung der Selbsthilfe noch Ausdruck eines allgemeinen selbsthilfefeindlichen Rechtsprinzips. Grundsätzlich ist auch ein Einschreiten Dritter zugunsten fremder Ansprüche zuzulassen. Eine Anknüpfung an prozessuale Befugnisse ist im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung nicht zielfüh­ rend. Die Haftung nach §  231 BGB ist nicht „verschuldensunabhängig“, sondern er­ klärt entsprechend ihrem Wortlaut nur Irrtümer auf Rechtfertigungsebene. Dies hat keine erhebliche verhaltenssteuernde Wirkung gegenüber der Gefahr von Abwehr­ handlungen des Selbsthilfeopfers. Als starken Gegenpol zur subsidiären Selbsthilfe gibt es ein gewisses Feld von Maßnahmen, bei denen der Staat nur unterstützende Funktionen wahrnimmt und die zentrale Schutztätigkeit gerade privaten Personen überantwortet ist (alternative Selbsthilfe). Generell besteht kein Vorrang staatlicher Zwangsmaßnahmen, soweit potentielle Ansprüche auch ohne Eingriffe in Rechte Dritter befriedigt werden kön­ nen. Vielmehr wird in derartigen Fällen die private Rechtsdurchsetzung durch Ge­ staltung der Verfahrenskosten und materielle Ausschlussgründe begünstigt. Demge­ genüber führt die schlichte Illegalität einer Verhaltensweise nicht dazu, dass ein rechtsfreier Raum entsteht. Ebensowenig ist ein umfassender Ausschluss der Staats­ gewalt durch schlichte Vereinbarung möglich. Die Parallelität von privaten und staatlichen Maßnahmen zum Aufrechterhalten eines Zustands (kumulative Selbsthilfe) zeigt sich insbesondere im Rahmen der Not­ 1  Historisch etwa Becker, NJW 1995, 2077; siehe auch Hummler, passim; Seebode, Recht und Kriminalität, S.  375.

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Zusammenfassung und Ausblick

wehr und der Gewaltschutzrechte des Besitzers. Aufgrund der technischen Möglich­ keiten und der Loslösung des Zugriffs auf vermögenswerte Informationen von einer Verkörperung auf einem lokalen Datenträger verliert die tatsächliche Sachherrschaft allerdings ihre Begrenzungs- und Befriedungsfunktion. Gleichzeitig wird der tat­ sächliche Schutz von traditionell nur durch staatliche Organe schutzfähigen Rechten möglich. Diese reale Entwicklung spiegelt sich in der Rechtsordnung bislang nur un­ vollständig wider. Sie macht es erforderlich, Kernregelungen des Schuld- und Sa­ chenrechts neu zu überdenken, um einen Bedeutungsverlust der staatlichen Befug­ nisse zu verhindern und gleichzeitig die Interessen der von technischen Maßnahmen abhängigen Bürger zu wahren. Die praktische Bedeutung einer staatsunabhängigen Umsetzung privater Rechte sei an einem einfachen Beispiel illustriert: Der Betreiber einer Gaststätte hat ein (je­ denfalls aus seinem Besitzrecht an der Gaststätte folgendes)2 Hausrecht, aufgrund dessen er entscheiden kann, wer seine Gaststätte betreten darf (siehe auch den straf­ rechtlichen Schutz nach §  123 StGB3). Wenn er nun (pflichtgemäß im Rahmen sei­ ner Verkehrssicherungs-4 und Schutzpflichten5) Schäden seiner Gäste dadurch verhindern will, dass er gewaltbereite oder stark betrunkene Personen vom Betreten des Lokals ausschließen will, kann er auf diese Rechte gestützt die Polizei bzw. Ord­ nungsbehörden einschalten.6 Dies erscheint aber regelmäßig eher unpraktisch. Aufgrund von Kapazitätsproblemen wird die Polizei kaum rechtzeitig allen entspre­ chenden Bedürfnissen nachkommen können. Konsequenterweise erlauben ihm §§  859 BGB, 227 BGB und §  32 StGB, mit „Gewalt“7 (regelmäßig durch einen Tür­ steher) entsprechende gefährliche Kunden abzuwehren. Auch in Vereinen ist die Durchsetzung von Verhaltensregeln erleichtert. Man kann unliebsamen Mitgliedern 2  BGH NJW 2006, 1054; MüKo-BGB/Joost, §   858 BGB Rn.  2; zur vertraglichen Einräumung OLG Hamburg NJW 2006, 2131. 3  Der „Platzverweis“ durch den Hausrechtsinhaber ist auch bei öffentlich zugänglichen Räumen möglich, siehe Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, §  123 StGB Rn.  5; Lackner/Kühl/Heger, §  123 StGB Rn.  4, 8. 4  Zum insoweit sehr strengen Maßstab siehe OLG Karlsruhe ZfS 2002, 566; OLG Hamm NJW 2000, 3144; OLG Köln NJW-RR 2003, 882. 5  Illustrativ OGH Wien JBl 2005, 256; OGH Wien JBl 1991, 387 (jeweils gegenüber stark ange­ trunkenem Gast); extrem der Fall BGH NJW 1975, 1175; ausführlich Molketin, GewArch 1989, 255. 6  Was freilich größere Schäden keinesfalls ausschließt, vgl. OLG Hamm BeckRS 2009, 14704 (Betrunkener nach Polizeieinsatz querschnittsgelähmt); OLG Koblenz BeckRS 2010, 12230 (Polizist nach Schuss auf aggressiven Gast wegen „Post-Shooting-Syndrom“ dienstunfähig) siehe auch OLG Karlsruhe ZfS 2002, 566. 7  Sehr weitgehend OLG Braunschweig NJW 1962, 1455: „Der Gastwirt darf sich [zur Durchset­ zung der Sperrstunde] grundsätzlich nicht mit der wörtlichen Aufforderung begnügen, sondern er muss auch mit tätlichem Nachdruck seine mündliche Aufforderung durchzusetzen versuchen.“; für bestimmte Typen von Türstehern wurde in §  34a Abs.  1 GewO eine besondere „Sachkundeprüfung“ angeordnet, BeckOK-GewO/Pielow, §  34a GewO Rn.  60 ff.; siehe auch OVG Münster NVwZ 1993, 1221: „Der Gastwirt kann sich bei Streitigkeiten, die in seiner Gaststätte stattfinden, der Verantwor­ tung nicht dadurch entziehen, dass er die Streitenden vor die Tür setzt und sie dann ihrem Schicksal überlässt.“

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bestimmte Rechte (etwa Teilnahme an Veranstaltungen) entziehen oder diese im Ex­ tremfall unter Rückgriff auf die Gewaltrechte des Besitzers ganz ausschließen.8 Wer eine umfassende faktische Herrschaftsposition besitzt, also Dritten nicht nur mithilfe hoheitlicher Stellen (insbesondere der Gerichte) Vermögensbestandteile im weitesten Sinne vorenthalten bzw. entziehen kann, ist in einer einem Staat vergleich­ baren Position:9 Er kann die Nutzung der Vermögensgegenstände an Bedingungen knüpfen und so von Dritten ein bestimmtes Verhalten verlangen. Er hat also die Möglichkeit, sein eigenes „Recht“10 zu schaffen und dies auch durchzusetzen.11 Sehr illustrativ ist hierfür etwa die Situation in Vereinen, in denen die Rechte und Pflichten der Mitglieder nicht nur in der Satzung (als „Verfassung“), sondern auch in detaillierten Vereinsordnungen (als „einfachem Recht“) festgelegt werden.12 Allge­ mein kann man diesen Prozess als „Selbstregulierung“13 beschreiben. Um das obige Beispiel weiterzuführen: Der Staat hat ein Interesse daran, dass Kin­ der und Jugendliche nicht in Gaststätten einem schlechten Einfluss ausgesetzt sind oder durch Alkohol geschädigt werden (§§  4, 9 JSchG).14 Dem prinzipiell folgerichti­ gen Schluss, durch Begrenzung der Anzahl von Gaststätten die Volksgesundheit zu fördern („Wird [dem angetrunkenen Gast] in einer Schankwirtschaft, weil er bereits angetrunken ist oder seinen Kredit erschöpft hat, der weitere Ausschank verweigert, dann kehrt der Gast aus einem Augenblicksimpuls gerne noch „nebenan“ ein; weite­ re Wege dagegen scheut er in diesem Zustand, jedenfalls sind sie kein unmittelbarer Anreiz zur Fortsetzung des Alkoholmissbrauchs.“)15 wurde jedoch durch das Bun­

8 MüKo-BGB/Reuter, §   25 BGB Rn.  43; MüKo-BGB/Reuter, §  38 BGB Rn.  48; Extrembeispiel wohl OLG Celle NJW-RR 1989, 313 (Ausschluss einer Baronin aus einem baltischen Adelsverein wegen Nicht-Annahme (!) des nicht-adligen Namens ihres Ehemanns nach Eheschließung). 9 Zum Problem ausführlich (vor anderem Hintergrund) Bachmann, passim; ökonomische Bewertung bei Christiansen, MMR 2000, 123, 126; für den Bereich der Mediation Greger, ZRP 2010, 209. 10  Und zwar nicht nur im „archaischen“ Sinne, sondern sogar als hochkomplex strukturiertes positives Recht im Sinne von Luhmann, S.  263 ff.; zur (gesetzesähnlichen objektiven) Auslegung von Satzungen siehe nur BGHZ 14, 25, 36 f.; Kübler/Assmann, §  18 III 1 b dd (S.  276); unabhängig von (mittelbaren) staatlichen Durchsetzungsmechanismen wie §  161 AktG oder der EU-Verordnung 1606/2002 vom 19. Juli 2002 (sog. IAS-Verordnung) erfreuen sich private Regelwerke insbesondere im internationalen Handelsrecht großer Relevanz, Ritlewski, SchiedsVZ 2007, 130. 11  Insbesondere durch Vertragsstrafen, §§  339 ff. BGB bzw. in Vereinen durch die „Verbands­ strafgewalt“, siehe dazu Flume, FS Boetticher, S.  101; van Look, passim. 12 Zu diesen „Nebenordnungen“ etwa BeckOK-BGB/Schöpflin, §   25 BGB Rn.  21 f.; zur Dritt­ wirkung bei Dachverbänden Heermann, NZG 1999, 325. 13  Bedeutung hat dies seit jeher im Lauterkeits- und Kartellrecht (§§  24 ff. GWB); aber auch im Internet Christiansen, MMR 2000, 123; Ladeur, ZUM 1997, 372; aktuell etwa im Jugendmedien­ schutz (Hopf/Braml, ZUM 2010, 211. 14  Zum Schutzzweck siehe BGH MDR 1978, 918; OVG Bremen NordÖR 2007, 492 (formular­ mäßige „Erziehungsbeauftragung“ an unbekannte Dritte und Branchenüblichkeit irrelevant) zur Anwendung auf den Online-Weinhandel siehe Ernst/Spoenle, ZLR 2007, 114 (Hinweis genügt, keine Altersverifikation erforderlich). 15  OVG Münster NJW 1954, 1621.

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desverwaltungsgericht16 eine Absage erteilt. Nun könnte man die öffentlichen Ord­ nungsinteressen auch durchsetzen, indem man vor und in jeder Gaststätte entspre­ chende staatliche Kontrollpersonen (Polizisten, Beschäftigte der Ordnungsbehörden) einsetzt. Dies wäre aber kaum zu finanzieren und angesichts der Zahl der potenziel­ len Verstöße höchstgradig ineffizient. Stattdessen wird es regelmäßig genügen, dass der Gaststättenbetreiber selbst den geschützten Personen den Zugang verweigert. Insoweit muss der Gesetzgeber nicht die Jugendlichen überwachen, sondern es ge­ nügt eine abschreckende Behandlung einzelner Verstöße durch die Gaststättenbe­ treiber, um diese zur Einrichtung eines funktionierenden Schutzsystems zu bewegen. Allerdings wird mitunter die im Beispiel gezeigte Ausnutzung der eigenen Rechts­ durchsetzungsmacht aus staatlicher Sicht problematisch sein. So wird eine willkürli­ che Zugangsverweigerung bei einer Monopolstellung im relevanten Markt (etwa ei­ ner Gaststätte in einem ländlichen Dorf) gegen das Kartellrecht verstoßen (§§  19 ff. GWB), bestimmte Abgrenzungskriterien werden generell nach dem AGG verboten (§§  2, 19 f. AGG). Die Überprüfung erfolgt insoweit regelmäßig erst nach dem tat­ sächlichen Eingriff erfolgen, wird aber vielfach darüber hinausgehende Wirkung entfalten.17 Schließlich ermöglichen die Selbsthilfebefugnis und die daran angeknüpften Re­ gelungen auch eine Konfliktlösung ohne staatliche Beteiligung. Wesentlich hierfür ist, dass Haftungsprivilegierungen oder gerade umgekehrt strengere Regelungen zur Gefährdungshaftung auch den Eingriffsfähigen in die Verantwortung einbeziehen. Systematisch sind dabei drei Ebenen zuunterscheiden. Einerseits kann bei einer Rechtsverletzung einer Person, die von der Mitwirkung eines zur Selbsthilfe fähigen Dritten abhängig ist, der Selbsthilfefähige zur Verhinde­ rung dieser Verletzung herangezogen werden, oder zumindest verpflichtet sein, ihre Folgen zu beseitigen oder entstehende Schäden zu ersetzen (Intermediärshaftung). Im obigen Beispiel droht etwa dem Gastwirt, der einen Jugendlichen oder ein Kind seine Gaststätte betreten lässt, ein Bußgeld (§  28 Abs.  1 Nr.  5 JSchG).18 Bezogen auf Rechte Dritter mag man fragen, ob ein Markenrechtsinhaber verlangen kann, dass der Gastwirt verhindert, dass Gäste in der Gaststätte nachgeahmte Produkte verkau­ fen.19 Auf das Internet übertragen muss man an eine strafrechtliche Verfolgung 16 

BVerwG NJW 1955, 763. Zur Kontrolle von Verbandsstrafen existiert eine kaum überschaubare Menge an Rechtspre­ chung und Literatur, siehe nur den Überblick bei Staudinger/Weick, §  35 BGB Rn.  34 ff.; auch die AGB-Kontrolle wirft noch immer Probleme auf, siehe nur Kollmann, NJOZ 2011, 625; das Problem der „virtuellen Marktordnung“ bei Anbietern wie eBay erörtern etwa Wiebe, MMR 2000, 323; Rüfner, MMR 2000, 597; aktuell etwa die Problematik der Rechteeinräumung im „Web 2.0“, dazu Berberich, MMR 2010, 736. 18  Dazu BayObLGSt, 360; zur Delegation BayObLGSt, 99; zur Entziehung der Gaststättenkon­ zession VG Neustadt GewArch 2007, 496; zur „Verhinderung von Unsittlichkeit“ BVerwG NJW 1976, 986. 19  Zur Störerhaftung auf Internetmarktplätzen BGH GRUR 2011, 152; BGHZ 180, 134; BGHZ 173, 188; BGH NJW-RR 2008, 1136; BGHZ 172, 119; BGHZ 158, 236, 249. 17 

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von Providern erinnern, die bewusst jugendgefährdende Inhalte für jedermann zum Abruf bereithalten.20 Die Berechtigten mögen fordern, dass Softwareentwickler oder Provider proaktiv verhindern, dass urheberrechtsverletzende Inhalte durch Nutzer des entsprechenden Systems verbreitet werden.21 Die Antwort auf diese Fragen ist bei Weitem nicht eindeutig. Zur Vermeidung von Interessenkonflikten sind daher gera­ de im Internetbereich zahlreiche Haftungsprivilegierungen vorgesehen.22 Zweitens kann der Selbsthilfebefähigte Streitigkeiten unter den von ihm abhängi­ gen Nutzern beilegen (Binnenkonflikt). Wenn sich zwei Kunden der Gaststätte strei­ ten, mag der Wirt als Schlichter agieren und seiner Entscheidung notfalls dadurch Geltung verschaffen, dass er einen der am Streit Beteiligten vor die Tür setzt.23 Noch deutlicher ist dies in Sachverhalten mit Internetbezug: Streiten sich zwei Foren­ nutzer, kann der Forenbetreiber Beiträge löschen und Nutzern den Zugriff sperren, je nachdem, wer seiner Ansicht nach im Recht ist.24 Gerade bei internationalen Sachverhalten können so Unsichterheiten im Hinblick auf den Rechtsweg oder die im Internet durch gegenseitige Anonymität erschwerte Durchsetzbarkeit vermieden werden. Schließlich geht es um die „klassischen“ Konflikte zwischen demjenigen, der den Zugang verweigert oder die Selbsthilfe verübt und demjenigen, der Zugang begehrt oder durch die Selbsthilfemaßnahme betroffen ist (Selbsthilfekonflikt). Gemeint ist der Fall, dass dem Gast der Zugang zur Gaststätte oder dem Internetnutzer der Zu­ gang zu einem Forum verweigert wird. In diesen Konfliktsituationen ist der Staat zwar Letztentscheider, er sieht sich aber mit einer spiegelverkehrten Situation kon­ 20  Siehe das Strafverfahren gegen den Compuserve Geschäftsführer Felix Somm in den 90er Jahren; AG München NJW 1998, 2836 (aufgehoben durch LG München I ZUM 2000, 247); dazu Hoeren, NJW 1998, 2792; Übersicht bei Holznagel, ZUM 2000, 1007. 21 Siehe dazu (ablehnend) MGM Studios, Inc. v. Grokster, Ltd. 545 U.S.   913 (2005); aus Deutschland etwa LG Düsseldorf MMR 2008, 759, 760; OLG Hamburg GRUR-RR 2006, 148, 152 ff.; OLG Düsseldorf MMR 2010, 483; OLG Hamburg MMR 2010, 51; OLG Hamburg MMR 2009, 405; OLG Köln MMR 2007, 786; Braun, GRUR 2001, 1106; Kreutzer, GRUR 2001, 307; Kreutzer, GRUR 2001, 193. 22  Dazu MüKo-StGB/Altenhain, Vor §§  7 ff. TMG Rn.  3 ff.; Fitzner, MMR 2011, 83; Borges, NJW 2010, 2624 (zu privaten WLANs); siehe auch die Argumentation im Ambiente-Urteil des BGH (BGHZ 148, 13, 23): „Die Beklagte, die nur wenige Mitarbeiter beschäftigt, versucht das Registrie­ rungsverfahren insbesondere dadurch effektiv zu gestalten und eine möglichst schnelle und preis­ werte Registrierung zu gewährleisten, dass sie die angemeldeten Domain-Namen in einem automa­ tisierten Verfahren allein nach dem Prioritätsprinzip vergibt, ohne dabei zu prüfen, ob an der ange­ meldeten Bezeichnung Rechte Dritter bestehen […]. Nur auf diese Weise war die Beklagte bislang in der Lage, die Registrierung einer großen Zahl von Second-Level-Domains zu bewältigen. Jede Prü­ fung – auch wenn sie sich auf völlig eindeutige, für jedermann erkennbare Verstöße beschränken würde – ließe sich mit dem bewährten automatisierten Verfahren nicht in Einklang bringen.“. 23  Zu Lokalverboten siehe Molketin, GewArch 1989, 86; siehe aber OLG Frankfurt NJW 1985, 1720 (kein Verstoß gegen §  130 StGB durch Lokalverbot für Türken). 24  Zum „virtuellen Hausrecht“ OLG Köln MMR 2001, 52; OLG Hamm MMR 2009, 269; LG München I CR 2007, 265; Feldmann/Heidrich, CR 2006, 406; Maume, MMR 2007, 620; Redeker, CR 2007, 265; Schmidl, K & R 2006, 563; Ladeur, MMR 2001, 787; ablehnend OLG Frankfurt MMR 2009, 400.

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frontiert: Statt eines Abwehrrechts muss der Rechtssuchende nunmehr genau umge­ kehrt Zwang ausüben, um in die fremde Rechtssphäre einzudringen. Die hier nur angedeuteten Folgefragen zeigen, dass Selbsthilfe keinesfalls eine sel­ tene Ausnahmekonstellation in der modernen Rechtsordnung darstellt. Gerade durch die zunehmende Vernetzung von Produkten wird die Abgrenzung von Herr­ schaftssphären vielmehr zunehmend verschwommen und die bisherigen, an körper­ liche Kontrolle anknüpfenden Regelungen erweisen sich als nicht mehr praktikabel. Die vorliegende Arbeit hat insoweit den einschlägigen Rahmen und die gemeinsa­ men Aspekte der Selbsthilfe herausgearbeitet. Damit ist eine klare und eindeutige Entscheidung jedenfalls in der vorläufigen Situation des tatsächlichen Konflikts, aber auch seiner nachträglichen Beurteilung im Rechtsstreit möglich.

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Stichwortverzeichnis Abhandenkommen 92 Abschleppfälle 155 Abschreckung 187 Anprangern 136 Anspruchsverwirklichung 76 Arbeitsplatz 219 Aufrechnung  3, 81, 123 Ausfrieren  15, 125 Auskunftsansprüche 149 Ausspähen 260 Bedingung 85 Befristung 85 Belohnungstheorie 368 Berechtigtes Interesse  138 Beschäftigtendatenschutz 235 Besitz  – Friedensfunktion  342, 350 – Sachherrschaft 423 – Schutz  1, 312, 332, 348,, 356 – und Eigentum  343 Besitzwille 107 Besonderes Gewaltverhältnis  280 Bewachungsgewerbe  35, 37 ff. Binnenkonflikt 435 Blutfehde 52 Briefgeheimnis 217 bright line Rule  55, 225 Busfahrer 311 Cloud 2 Computerkriminalität  4, 406 Daten 128 – Ausspähen 406 – Berechtigung 411 – Sicherung 410 – Übermittlung 412 – Vorfeldmaßnahmen 413

Datennotwehr 359 Datenschutz  137, 211, 233 Deckungsgeschäft 82 DeCSS 392 Dekompilieren  351; siehe auch Reverse Engineering Deliktsfähigkeit 181 Deliktsrecht 2 Dienstleistungen 345 Digital Rights Management  Siehe Schutz­ maßnahmen, technische Dolo agit  302 Drittberechtigter 147 Drohung 140 Dual Use  396, 415 Duldungspflichten 148 Dupont 255 Effizienz 26 Eigenes Bild  223, 228 Eigentum 231 Eigentümerpersönlichkeitsrecht 231 Eigentumstheorie 369 Eigentumsvermutung 146 Eilfallkompetenz 30 Einberufung 286 Eingriffsbefugnis 13 Eingriffsmöglichkeit 24 Einklagbarkeit 84 Einstweiliger Rechtsschutz  30, 84 Einwilligung  60, 297, 318 – Dispositionsbefugnis 325 – Erklärung 320 – Rechtsgüter 319 – Widerruf 324 Entstellungsverbot 365 equitable remedy  83 Erfinderische Tätigkeit  271 Erforderlichkeit  109, 114, 192

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Stichwortverzeichnis

Erfüllung 284 Erlass  56, 57 Erlaubnistatbestandsirrtum  104, 180 Erlöschen 72 Ersatzvornahme 82 Erschöpfung 367 Eskalationsgefahr 52 Evolving Product  313, 345, 421 Fälligkeit 85 Faustrecht   27 Fernmeldegeheimnis 217 Fernsteuerung 1 Festnahmerecht  35, 47 Filtersoftware 292 Finaler Rettungsschuss  141 Firewall 351 First Sale Doctrine  368 Fremdhilfe  32, 188 – Irrtum  62, 65, 188 – mutmaßlicher Wille  63 – Wille  56, 106 Funksignal 1 Gattungsschuld 82 Gefahrübergang 2 Gefahrübergang 426 Gegenwehr 187 Geheimnisschutz  202, 237 Generalprävention  109, 187 Geoinformationsdienst 223 Gesamtschuld 116 Geschäftsfähigkeit 107 Geschäftsführung ohne Auftrag  45, 58, 155, 327 Geschäftsgeheimnis  4, 20, 204, 237, 273 – Rechtsnatur 275 – Zuordnung 276 Gewaltmonopol 4 Globalisierung 5 GmbH 286 Google Maps  227 Google Suchalgorithmus  263 Griswold v.Connecticut  210 Güterabwägung 142 Haftung 164 Handeln auf eigene Gefahr  298, 326

Handelsbräuche 7 Handlungsfreiheit 13 Hauptversammlung 306 Hausrecht 306, 352 Immaterialgüterrechte  131, 262 Immunität 87 Implied License  367 InfoSoc-Richtlinie  Siehe Multimedia­ richtlinie Intermediärshaftung 434 Internet  290, 313 Jugendschutz 433 Juristische Personen  40 Kaufrecht 160 Kill Switch  422 Kompetenzstreitigkeiten 286 Kostenerstattung  150, 162, 288, 335 Kündigung 123 Künftige Leistungen  86 Kunsturheberrechtsgesetz 223 Lagertheorie 42 Least Cost Avoider  26, 255 Leistungseinstellung 125 Lex mercatoria  7 Lügendetektor 219 Mahnman  39, 136 Marke 2 Menschenwürde 169 Mietrecht  15, 126, 150 Mitverschulden  185, 326 Mitverschulden 288 Motiv 58 Multimediarichtlinie 350 Mutwilligkeit 140 Natürlicher Wille  107 Neuheit 271 New York Convention  8 Nicht berechtigter Besitzer  341 Nichtleistungskondiktion 157 Not 192 Nothilfe  Siehe Notwehr Nötigung 99

Stichwortverzeichnis

Notstand  142, 168, 191 – Drittbegünstigung 35 – Schadensersatz 168 Notwehr  3, 20, 89, 167, 191, 356 – Angriff 89 – Drittbegünstigung (Nothilfe)  35, 331 – Schadensersatz 167 – Schranken 336 – Staatshilfe 46 Nutzbarkeit  – Einschränkung 1 Nutzungsbeschränkung 345

Rechtsdienstleistungsgesetz  38 ff. Rechtsfreier Raum  279 Rechtsmissbrauch 280 Rechtsschutzverweigerung 280 Rechtswegausschluss 195 Reputationsschädigung 136 Rettungsschuss 141 Reverse Engineering  207, 256 RFID 3 Right to Hack  15 Riskante Äußerungen  195 Rücktritt 123

Obrigkeitliche Hilfe  111 Offenkundigkeit 240 Öffentliche Güter  363 Öffentliche Informationen  222 Öffentliche Räume  354 Öffentlichkeitsgrundsatz 209 Onlineplattformen  9, 213, 221, 235 Onlineportale 138

Sachenrecht 364 Schadensersatz 152 Scheinangriff 195 Schiedsverfahren 8 Schnittstellen 266 Schuldnerfremde Sache  146 Schuldnerverzeichnis 137 Schutzmaßnahme  – technische  4, 10, 15, 386, 395 Schutzverweigerung 21 Schwarzer Mann  136 Search Engine Optimization  264 Second Life  9 Selbstdatenschutz 220 Selbsterfüllung 80 Selbsthilfe  – aggressiv 18 – aktiv gefördert  20 – alternativ  19, 201 – defensiv  17, 242, 283 – kumulativ  19, 295 – passiv freigestellte  21 – privilegiert (gerechtfertigt)  21 – restitutiv 18 – subsidiär  18, 29 – vorrangig 19 Selbsthilfe i. e. S.  30 ff. – Anspruch  75, 83 – Drittbegünstigung 32 – Erforderlichkeit 114 – Ermächtigung 43 – Fahrlässigkeit 98 – Geschäftsfähigkeit 41 – Gefährdung 90 – GoA  45, 58

Pactum de non petendo  56 Panoramafreiheit 230 Pariser Verbandsübereinkunft  204 Parkkralle 1 Patent  2, 267 Personalausweis 3 Persönlichkeitsrecht  137, 210 Pfandrecht 190 Pfändungsschutz  124, 145 Privacy 210 Privatgeheimnisse 208 Produkt mit Hintertür  Siehe Evolving Product Produktaktivierung  Siehe Schutzmaßnah­ men, technische Prognoserisiko  51, 92 Psychischer Zwang  135 Publicity 216 Race to the bottom  222 Rangfolge 193 Räumung  150, 308 Recht  – absolutes 23 – am eigenen Bild  Siehe Eigenes Bild – relatives  25, 97, 122

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Stichwortverzeichnis

– Irrtum  93, 180 – jur. Personen  40 – Kosten 152 – numerus clausus  120 – Objekt 115 – Rechtsgeschäftliche Anknüpfung  42 – Rechtswidrigkeit 174 – relative Rechte  122 – Schadensersatz  152, 164 – subjektives Element  56, 93 – Subsidiarität  109, 189 – Vertrag 304 – Verzicht 317 – Vorläufigkeit 116 – zulässige Mittel  120 Selbsthilfekonflikt 435 Selbsthilfewille  56, 107 Selbstschutz 285 Selbstvornahme 82, 288 – Kaufrecht 160 self serving bias  54 Sicherungswille 101 Sofortiges Anerkenntnis  91 Soft DRM  370 Software 359, 393, 399 Software as a Service  351 Spam-Email 291 specific performance  83 Sperrfunktionalität 352 Sphärentheorie  210, 215 spill over effect  69 Staatliche Maßnahmen  138 Staatshilfe 46 Staatsnotstand 29 Störerhaftung 35 Streetview  221, 227 Subsidiarität  189 – Wille 103 Supermarkt 305 Supernanny 218 Taschenkontrolle 305 Telekommunikationsgeheimnis 217 Trade Secrets  207 Transaktionskosten 5 TRIPs 204

Übereignung 425 Überwachung  219 Unclean Hands  22 UNIDROIT Principles  7 Unterlassungsansprüche 88 Unterlizenzen 383 Updates 1 Urheberrecht  14, 133 Vendor Lock  360 Venire contra factum proprium  194, 289 Verbotene Eigenmacht  301 Verbreitung 365 Vereinsrecht 432 Verhaltenssteuerung  185, 250 Verhältnismäßigkeit  142, 243 Verjährung  87, 123 Verjährung 426 Vernetztes Produkt  Siehe Evolving Product Veröffentlichungsrecht 374 Vervielfältigung 14 Verzicht 57 Verzögerungsschaden 152 Videoüberwachung 219 Virtuelle Friedensfunktion  393 Virtuelle Realität  9 Volenti non fit iniuria  297 Vollstreckungsvertrag 317 Vorbenutzungsrecht 271 Vorfeldschutz 226, 394, 413, 417 Wasserzeichen 370 Webwasher 21 Wettbewerbsrecht 419 Wettbewerbsverbot 261 Wettrüsten  21, 247 Widerruf 123 Widersprüchliches Verhalten  194, 289, 355 Wiretap Act  222 Wohnung 218 WTO 204 Zeitliche Grenzen  192 Zugangskontrolldienste 385, 401 Zugangssperrung 128 Zurückbehaltungsrecht 124 Zwangslizenzeinwand 131