Preußische Jahrbücher: Band 53 [Reprint 2020 ed.] 9783112366783, 9783112366776


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Preußische Jahrbücher: Band 53 [Reprint 2020 ed.]
 9783112366783, 9783112366776

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Preußische Jahrbücher Herausgegeben

von

H. von TreiWe und H. DelbM.

Dreiundfunfzigster Band.

Berlin, 1884. Druck und Verlag von Georg Reimer.

Erstes Heft. Organisation der wissenschaftlichen Arbeit. (H. Usener.) Die Unentgeltlichkeit des DolkSschulunterrichtS iu Frankreich.

Seite

1

(Dr. Arnold



26

— —

45 63 76 89



93



100

Eine Grundlegung für die Geisteswissenschaften. (Otto Gierke.) Die dichterischen Stoffe des deutschen Alterthums in ihrer nationalen Be­



105

deutung. (G. Bötticher.) Das Arbeitsbuch in Frankreich. (Wilhelm Stieda.) Ranke s Weltgeschichte. Vierter Band. (Julian Schmidt.)

— -

145 159 193

Eduard Lasker Politische Correspondenz: Die Steuerreform. — Der Culturkampf. (D.) . Notizen: Adolf Lützows Freikorps. — Bode, Studien zur Geschichte der

— —

198 205



214

— —

217 230

Sachse.) Der amerikanische Unabhängigkeitskampf in englischer Beleuchtung.

(Wilhelm

Lang.) Unsere Flottenübungen. (Nautilus.) Zur Revision deS Genossenschaftsgesetzes. (Th. von Flottwell.) Der deutsche Sortimentsbuchhandel Politische Correspondenz: Die Romfahrt deS Kronprinzen. — Die Kapitalrenten-Steuer. (D.)

Notizen: Hermann A. Schumacher, „Südamerikanische Studien". (D. G. K.) — Karl Emil Jung, „Deutsche Kolonien". (D. G. K.) — Dr. Guido Hauck, „Arnold Böcklins Gefilde der Seligen und Goethes Faust". (D.) — F. Marcinowski, „Die deutsche Gewerbe-Ordnung für die Praxis in der Preußischen Monarchie". (E. D.) — Franz Hitze, „Schutz dem Handwerk". (D.) — Emil Mauerhof, „Ueber Hamlet nebst einem Nach­ trage als Vorwort". (D.) — „Socialistische Briefe aus Amerika." (D.) — Dr. F. Schmidt-Warneck, „Die Volksseele und die politische Er­

ziehung der Nation".

(D.)

Zweites Heft.

Holländischen Malerei. — Dove, Deutsche Geschichte

Drittes Heft. Zur Charakteristik der Verfassung der Bereinigten Staaten von Amerika. (Dr. Gottfried Koch.) Unser Torpedo- und Minenwesen.

(Nautilus.)

IV

Inhalt.

Die Trunksucht und ihre Bekämpfung.

Conrad Ferdinand Meyer.

(Moritz Alsberg.)

.

........................Seite 248

(Julian Schmidt.).................................................. —

264

Abälard. (Wilhelm Lang.)...................................................................................... — Politische Correspondenz: Natural-BerpflegungS-Stationen. (W.) — Lord

284

Palmerston über internationalen Parlamentarismus. — Brief aus Oester­ reich. (S.) — Die Hannoversche Kreis- und Provinzial-Ordnung. (D.) Notizen: Der neue Katalog der Berliner Gemälde-Galerie. — Memoires



302



321

de Goldoni. — Reumont, Kleine historische Schriften. — Schiller, Die

Geschichte der Römischen Kaiserzeit. — Jäger, Agrarfrage der Gegenwart.

Viertes Heft. Weiß' Leben Jesu. (Hermann Scholz.)............................................................... — 325 Reichstag und Reichöregiment zu Anfang der Reformationszeil. (Dr. E. Wülcker.) ................................................................................... Württemberg unter demMinisterium Mittnacht-Hölder............................................. — 361 LeibnizenS volkswirthschaftliche Ansichten und Denkschriften. (Eduard Bode­

—335

mann.) ............................................................................................................ — 378 Jetta. (Julian Schmidt.)............................................................................................... — 405 Politische Correspondenz: Die Fusion. — DaS Problem der Unfallent­

schädigung. (cd.)............................................................................................... — Notizen: Beseler, Erlebtes und Erstrebtes. — Bamberger, Barth und

411

Broemel, Gegen den StaatSsocialiömus. — DaS indirecte Abgabenwesen im Königreich Sachsen............................................................................................. —

426

Fünftes Heft. DaS CardiualScollegium. (Carl Wenck.)...................................................................... — 429 Emerson und Carlyle im Briefwechsel. (Robert Lutz.).................................... — 451 Die Königliche Bibliothek in Berlin. (Heinrich vonTreitschke.).................... — 473

Ein Denkmal für Arthur Schopenhauer.(Constantin Rößler.)...................... — Politische Correspondenz: Die rothe Internationale. (Julian Schmidt.) — Aus Hamburg. (G. T.) — Aus Süddeutschland. — Verantwortliches Reichsministerium und preußischer Staatsrath. (Klöppel.).................. — Notizen: Schraut, System der Handelsverträge und die Meistbegünstigung. —

493

503

Preisausschreiben............................................................

—526

Sechstes Heft. Historische Methode. (HanS Delbrück.)........................................................................ — 529 Wieder einmal der Faust. (Julian Schmidt.).................................................... — 551 Ueber den Ursprung deö bayerischen Erbfolgekrieges. (E. Reimann.) ... Das Pidgin-gnglito, eine neue Weltsprache. (Gotthold Kreyenberg.) ...

— —

566 587

Ueber den Begriff „vornehm". (Delbrück.)............................................................... — Die Gegensätze in der preußischen Landeskirche...........................................................— Politische Correspondenz: Wien^ — Berlin. (D.) — Aus Schwaben, (h.) —

598 602 613

Notizen:

v. Reumont, Lorenzo de’ Medici il Magnifico. — Aufruf zum

National-Denkmal für die Brüder Jakob und Wilhelm Grimm. ...



628

Organisation der wissenschaftlichen Arbeit. Bilder aus der Geschichte der Wissenschaft. Von

H. Usenet.

ILin großartiges Schauspiel bietet die Regsamkeit, welche sich auf allen Gebieten des Wissens in rasch steigendem Maaße seit etwa einem

Menschenalter entfaltet und, wenn nicht die Zeichen trügen, noch stetig im Zunehmen begriffen ist. arbeiter.

Immer dichter drängen sich die Reihen der Mit­

Ein Volk Europa'S nach dem andern ist in diesen edelsten

Wettstreit als Mitkämpfer eingetreten, und bereits ist Amerika heimisch

tn dieser Arena.

Die berechtigte Freude an diesem Schauspiel geistigen Schaffen- und an der Raschheit der Erfolge darf nicht täuschen über die Gefahren, welche

der gegenwärtige Zustand mit sich führt. Ich rede nicht von den lästigen Schwierigkeiten, welche in der geographischen Ausdehnung wissenschaftlicher

Thätigkeit für jeden Mitforscher liegen: tn dem Jahrhundert deS Natio-

nalitätSprincipS will jede Nation wie ihre Litteratur so auch ihre Wissen­

schaft, und die Pflege der Wiffenschaft muß nächstens auf dieselbe Schwie­

rigkeit stoßen, wie ehedem der Thurmbau zu Babel.

Ich will auch nicht

schwarzsichtig sein und die Bedenken betonen, welche die schon jetzt vor­ handene geistige Ueberproduktion und die drohende Störung deS natür­

lichen Verhältnisses zwischen den Organen deS Staats- und Volkslebens für uns Deutsche haben muß.

Nahe und bemerkbar genug liegen die inneren Mißstände vor, welche

der Wissenschaft selbst erwachsen und die Gesundheit ihrer Entwickelung

in Frage stellen.

Die auf allen Punkten erwachte Thätigkeit gestattet eS

heute keinem mehr, und hätte er sich noch so hoch zu stellen gewußt, die

Gemarkung seiner Wissenschaft in allen ihren Theilen mit gleicher DeutPreußische Jahrbücher. Bd. MIL Heft i. J

2

Organisation der wissenschaftlichen Arbeit.

lichkeit zu überschauen. Wie abgelegene Provinzen eines zu weiten Reichs erringt ein wissenschaftliches Gebiet nach dem andern Selbständigkeit. Die Wissenschaften nehmen zu sowohl an innerer Fülle als an Gliederung und

Zahl, wie daS Gezweige eines Baumes.

Und was bedeutet das für den

Betrieb und die Träger der Wissenschaft?

welche eS bereits den Vertretern eines und

Eine Spaltung der Arbeit, desselben Fachs unmöglich

macht, Fühlung mit einander zu behalten, ja sich gegenseitig verständlich

und lesbar zu bleiben; in dem Maaße der Spaltung zunehmenden Man­ gel an Bewußtsein des Zusammenhangs mit dem Ganzen; Auflösung der

inneren Einheit, welche doch eins ist mit der Gesundheit des Ganzen und der Glieder. DaS alles drängt mehr und mehr zu einer Ausbildung des Fach-

wesenS, die im höchsten Maaße bedenklich und bedauerlich ist.

Nachdem

daö Specialistenthum einmal in der Medicin so gründlich bis in Brust und Magen, Haut und Nerven, Aug' und Ohr hinein ausgestaltet worden, fällt eS anderen Disciplinen schwer zurück zu bleiben.

Da wird für

Mineralogie und Geologie die Geltung getrennter nicht nur, sondern auch

der Trennung bedürftiger Studiengebiete beansprucht, und eS wäre nicht wunderbar,

wenn nächstens ein Vertreter der alten Geschichte sich nur

z. B. auf die Römer einlassen wollte.

Ob eS den wackern Männern

allen, die im heiligen Eifer für die Wissenschaft die Anerkennung ihrer

Specialität erzwingen, bewußt ist, daß sie unwillkürlich die freie Forschung

zu einer Art Handwerk, ja zu fabrikmäßigem Handwerksbetrieb herabzu­ drücken suchen? Doch wohl nur den wenigen Weisen dieser Welt; „Schule machen" ist um so leichter, je leichter man's den Schülern macht, je ge­

ringere Anforderungen gestellt werden an allgemeines Wissen und

geistige Initiative.

an

Und diese Betriebsweise mag noch angehen, so lange

die Schülerarbeiten nach festem Plane geleitet oder in sicherem Ueberblick

über den Gang

der Wissenschaft angewiesen werden.

Aber leider sieht

man der Wahl des Stoffs so häufig die volle Rathlosigkeit oder sträfliche

Gleichgültigkeit 'an und bedauert die verschwendete Arbeitskraft oder die

mißleitete Jugend, welche über unfruchtbarer, ausdörrender Handwerks­ arbeit nach dem Leisten die Zeit verloren, wo sie sich mit Idealen erfüllen und eine breite Grundlage legen sollte.

Tritt man vor diese Schatten­

seite, so mag eS wohl scheinen, die Wissenschaft schieße in'S Kraut — Kraut, das man ausbrechen muß, um den Hauptschoß gesund zu erhalten und ihm die Fruchtbildung zu erleichtern.

Mit einem

gewissen Schein läßt sich dagegen bemerken, daß die

Wtffenschaft ihr Bewegungögesetz und ihre Richtung in sich selbst trage

und daß sie über Verirrungen sicheren Schritts zum Ziele weiter schreiten

werde.

Aber in der Heilkunst ist man längst davon abgekommen, gewisse

Krankheiten gleich Mauserungsprocessen für wünschenSwerth zu halten und

meint vielmehr, sie unter allen Umständen dem Körper ersparen zu sollen.

Auch daS ist richtig, daß eine bedeutende Persönlichkeit von gebieten­ dem Ansehen naturgemäß für weite Kreise zum Mittelpunkt wird und auf die Thätigkeit zahlreicher Jünger und Verehrer bestimmenden und regeln­

den Einfluß übt.

Aber der bloßen Zufälligkeit glücklicher Fügung wün­

schen wir doch, was wir als ein hohes Gut betrachten, möglichst entrückt

und vielmehr in sich selbst gesichert zu sehen. Mögen darum die geschilderten Mißstände immerhin unvermeidliche

Erscheinungen eines organischen Wachsthums sein, eS ist und bleibt eine unerläßliche Pflicht, denselben ernste Aufmerksamkeit zu schenken und den

Gefahren rechtzeitig zu begegnen. Pflanze stößt auf Schwierigkeiten,

Auch daS Wachsthum des Kindes, der

die nicht htnweggeräumt unfehlbare-

Stechthum herbeiführen. Es fehlt nicht an Anstalten, die dazu geschaffen sind, Centralpunkte der wiffenschastlichen Bewegung zu sein und jenen leitenden organistren-

den Einfluß

auf die Thätigkeit der vielen Einzelnen zu üben, den wir

fordern müssen:

die wissenschaftlichen Akademien, die Universitäten, diese

wenigstens in der Verfassung, welche sie in Deutschland, Holland und an­ deren germanischen Staaten besitzen, und gewisse höhere Unterrichtsan­

stalten Frankreichs und Italiens.

Wenn ihr. Dasein daS Hervortreten

der berührten Mißstände nicht hat verhindern können, ja theilwetse geradezu gefördert hat, so wird eben zu fragen sein, ob nicht die Einrichtungen dieser Anstalten einer Umgestaltung und Verbesserung bedürftfg sind, welche

die Verfolgung der höchsten Ziele mehr erleichtern und sichern könnte.

Wie

alles Irdische sind auch die Institutionen und Formen des gemeinsamen

LebenS nicht dem Wandel entrückt: sie bedürfen zeitlicher Erneuerung und

Verjüngung, sollen sie fortfahren ihren Zweck zu erfüllen.

Dies etwa sind, in aller Kürze angedeutet, die Erwägungen, die mich einluden bei geschichtlichen Erscheinungen zu verweilen, welche unter dem

Gesichtspunkte der brennenden Fragen unserer Zeit ein erhöhtes Interesse

zu erlangen schienen.

Jede ernsthafte geschichtliche Betrachtung führt auf

die Gegenwart, und die Gegenwart wird um so besser und mehr daraus lernen, je weniger die Geschichtsbetrachtung sich auf Nutzanwendung ab­

sichtlich zuspttzt.

In diesem Sinne möchten die folgenden Schilderungen

ausgenommen sein. — Wir wollen

ausgehen

von einer Beobachtung unsere« Sprachge­

brauchs, die, so müßig und werthloS sie scheinen mag,

unS tiefer führen wird.

doch unvermerkt

Das Wort Akademie hat heut zu Tage feste Gültigkeit für die ge­ lehrten Körperschaften, denen die Förderung der reinen, von aller Praxis

gelösten Wissenschaft gleichsam als höchsten Instanzen von StaatSwegen obliegt.

Wenn daneben auch höhere Lehranstalten diesen Namen tra­

gen, so sind eS durchweg solche, die einem ganz speciellen Zweige, meistens

sogar deS praktischen Lebens gewidmet sind, Bau-, Forst-, landwirthschaft-

ltche Akademien; oder eS sind Hochschulen von beschränktem Umfang, wie in Münster: entsprechend nannte man das ähnliche Institut von BraunSberg Lhcenm und wandte diesen durch Aristoteles geheiligten Namen auf die ehedem

zahlreicheren Schulen an, die durch einen

oder zwei allge­

meinere Curse über das Durchschnittsmaaß des Gymnasiums führten.

hinaus­

Neben und trotz diesem verschiedenartigen Sprachgebrauch ver­

schmäht eS auch die deutsche Universität nicht, Akademie zu heißen, ja sie

gefällt sich in der Bezeichnung,

scheint.

die fast wie die würdigere, höhere er­

Schwerlich wird auf dem Boden der Universität eine Bestrebung

oder ein Verein hervortreten, misch" selbst zu ehren glaubte.

der sich nicht durch das Beiwort „akade­ So fest haftet durch allen Gebrauch und

Mißbrauch hindurch an einem Worte die Werthung, unter der eS zuerst

der Welt bekannt wurde.

Nicht eine Laune des Sprachgebrauchs ist eS,

die uns das Wort werth erhält, sondern ein mehr oder minder deutliches

Bewußtsein davon, waS Akademie einmal war.

Als ein Ideal schwebt

unS das vor, und wir glauben uns zu ehren, wenn wir das Wort auf uns anwenden.

Es verlohnt sich, dies Ideal unS zu vergegenwärtigen,

um fragen zu können, mit welchem Rechte die Universität Akademie heiße, inwiefern sie eine solche sei oder sein solle.

I.

Platon und Aristoteles.

Die Schöpfung der Wissenschaft deS griechischen nicht nur, sondern überhaupt deS classischen Alterthums, ist daS Werk von nur zwei oder, um dem äußeren Anschein zu lieb daS äußerste zuzugeben, von drei Ge­

nerationen: deS Platon, des Aristoteles und der unmittelbaren Schüler

des letzteren.

Wenn man erwägt, daß seit dieser Epoche außer der Me­

dicin nur die eigentlich exakten Wissenschaften, Mathematik, Astronomie

und Mechanik, und von sämmtlichen Geisteswissenschaften nur die Gram­ matik eine höhere Ausbildung erfahren haben und daß für alle übrigen Gebiete der Geistes- und Naturwissenschaften Aristoteles und seine nächsten

Jünger durch daS gesammte Alterthum bis in die neue, zum Theil sogar die neueste Zeit auf einsamer Höhe nicht unerreicht allein, sondern viel-

fach auch unverstanden, unfaßbar dastehen, so wächst die Leistung jener

kurzen Spanne Zeit in das Uebermenschliche, Unglaubliche.

Kein Blatt

der Geschichte meldet von einem zweiten vergleichbaren Vorgang.

Ihn

sich zu klarerer Vorstellung zu bringen, muß für jeden, der für die Ent­

wicklung des menschlichen Geistes regen und offenen Sinn besitzt, ein Be­ dürfniß sein.

In der That ist die Werkstätte jener Meister nicht ganz

verschüttet, wir vermögen noch gerade so viel zu erspähen, als ausreicht,

um das Unfaßbare faßlich zu machen. Von seinen Reisen,

die ihn an die verschiedensten Stätten wissen­

schaftlicher Bildung, zuletzt nach Unteritalien zu den Pythagoreern hingeführt hatten, war Platon um die Zeit des Antalkidischen Friedensschlusses (387) hetmgekehrt, ein Vierzigjähriger, gereift zum selbständigen Denker,

voll von Gedanken und Aufgaben.

Der Schiffbruch,

den sein Traum,

mit Hilfe eines der Gewaltigen dieser Erde, die Forderungen der Ethik und Philosophie inS Leben zu übersetzen, so eben gesunden hatte, konnte

für ihn nur ein Antrieb mehr sein, das Ziel aus dem naturgemäßen Umwege, durch Erweckung der Heranwachsenden Jugend zu verfolgen.

Von

der Macht der mündlichen Lehre, die vom Herzen zum Herzen dringt und in der empfänglichen Jugend den unsterblichen Funken zu heiligem Feuer

entfacht, hat niemand eine so hohe Vorstellung gehabt als Platon.

Seine

Lehre sollte die Mitte halten zwischen dem ungebundenen Aufllärungsdrange deS Sokrates und zwischen den nur gegen Bezahlung sich öffnen­

den Schulen der Sophisten und hielten,

aller derer, die sich an dies Muster

der Rhetoren und der Philosophen wie AntistheneS.

Der Ort

dieser Thätigkeit war zunächst das Heiligthum deS in die attische Helena­ sage verflochtenen HeroS HekademoS, die Akademeia, etwa 6 Stadien vom

Dipylon entfernt im äußeren KerameikoS am KephisoS gelegen; noch heute

haftet der Name Akadhimia an der Gemarkung wie ehemals*).

Das

darin von Kimon angelegte, wenigstens mit Parkanlage und Wafferleitung

versehene Gymnasien

empfahl sich dem Sokratiker als Sammelplatz der

Epheben; die herrlichen Platanen, die erst den Aexten der Sullanischen Soldaten erlagen,

luden zu Gesprächen im Wandeln ein.

Seit Alters

*) Es ist eine zuverlässige Ueberlieferung, daß es die Akademie selbst war, wo Platon seine Lehrthätigkeit begonnen (Cicero de fin. V 1,2 Diogenes Laert. III 5). Nach dem bloßen Namen der Gemarkung, bei dem ee mehr als zweifelhaft ist ob er schon für die Platonische Zeit vorausgesetzt werden darf, da er handgreiflich erst von der Hauptaulage aus das umliegende Gelände übertragen ist, hätte die Schule Platons nie ’AxaW’p.eia heißen können. Ich bemerke das mit Rücksicht aus v. Wilamowitz' Auffassung in seinem Werke über Autigonos, S. 279, auf dessen geistvolle Darstellung der Verhältnisse der Akademie ich um f» mehr hingewiesen haben will, als ich mich derselben int Weiteren nicht durchweg anzuschließen ver­ mochte.

wurde dort Athena, der die ganze Anlage geheiligt war, nebst den Schutz­ göttern der unweit angesiedelten Thonarbeiter, Hephaistos und Prometheus verehrt.

Aber so nahe es auch liegen mochte, die genannten zu Schutz­

göttern geistigen Schaffens zu erheben, so waren doch ihre Namen und

Begriffe es nicht, an welche Platon anknüpfte.

Bor dem Eingang stand

Bild und Altar des Eros, die in der Zeit des PeisistratoS von CharmoS, dem Schwiegervater des HippiaS geweiht waren.

Diesem EroS hat

Platon die inbrünstigsten Huldigungen dargebracht, indem er den Begriff

deS Gottes zu der dämonischen Kraft erweiterte, die den Menschen über sich selbst hinaushebt und das Streben nach dem Unsterblichen und Ewigen

erregt.

Wie eine Vorahnung klingt es, wenn Euripides den Chor der

431 aufgeführten Medea zur Aphrodite am KephisoS beten läßt, sie möge

„als der Weisheit Beisitzer die Liebesgötter senden, jeder Tüchtigkeit Förderer".

Strebsame Jünger zu finden war die Akademie wohl geeignet, aber nicht

sie zu einem festen KreiS zusammenzuschließen.

Auch mußte sich rasch daS

Bedürfniß herausstellen lästige Gaffer ausschließen und für gewiffe Studien

über geschlossene Räume verfügen zu können. So kaufte Platon in unmittel­ barer Nähe der Akademie in jenem fruchtbaren Gelände der KephisoSniederung

zwischen Akademie und dem Poseidonshügel, das ein herrlicher Chorge­ sang deS Sophokles verewigt, dem Kolonos, einen Garten an, den er der Schule als festen Sitz und unveräußerliches Eigenthum zuwies.

wohnte in diesem Garten, ebenso LenokrateS und Polemon*).

Er selbst

Erst durch

die Munificenz von AttaloS I., während des Scholarchats von LakhdeS,

erhielt die Stiftung namhaftere bauliche Anlagen, und führte seitdem den

Namen Lakydeion.

Zu diesem Grundbesitz kamen im Laufe der Zeit noch

zahlreiche Stiftungen und Vermächtnisse, deren Erträge der Schule und

ihrem jeweiligen Haupte zu gute kamen.

In der Zeit des ProkloS, also

im fünften Jahrhundert nach Christus, warf jener älteste Besitz jährlich nur 3 Goldstücke ab, während sich die Gesammteinkünfte der Stiftungen

auf 1000 und mehr Goldstücke beliefen.

Die Platonische Schule hat fort­

gedauert bis in die Zeit Justinians, fast ein Jahrtausend, um Jahr­ hunderte länger als irgend eine Philosophenschule; sie wurde durch allen

Wechsel der Lehre hindurch zusammengehalten vermöge ihrer äußeren Fundierung. Jede Gemeinschaft des classischen Alterthums (und im Grund gilt

das auch für Mittelalter und Neuzeit bis etwa zur französischen Revo­ lution) war eine sacrale Genossenschaft.

Wollte Platon seine Jünger zu

*) Aus der Zeit von PolemonS Scholarchat hören wir, daß die Schüler, um in der Nähe des Meisters zu bleiben, beim Garten Schuppen bauen ließen und bewohnten.

einer geschlossenen Gesellschaft zusammenfaffen, so bedurfte diese eine-

religiösen Cultus als Mittelpunkts.

Noch auf dem Boden deS HekademoS-

heiligthums, gegen seinen Garten hin, war von Platon selbst ein Musen­

tempel (Moosetov) gegründet, tote keine athenische Schule einer Musmcapelle entbehrte.

SpeusippoS hat darin die drei Göttinnen der Anmuth

(XaptTss) aufgestellt, die natürlichen Altargenossinnen der Musen, und der Perser Mithridates stiftete eine Bildsäule PlatonS, die Silanion ge­ Wenn auch der Form nach den Göttinnen geweiht, war

arbeitet hatte.

doch die Statue des Schulbegründers das sichtbare Object eines wetteren

Schulcultus.

Die Schulstifter ordneten sich unwillkürlich ein in die Reihe

der stammführenden und städtegründenden Heroen (sparet ap/v^Tai und

xn'stat),

und außer dem monatlichen Musenfest versammelte die Feier

des frommen Andenkens an sie die Mitglieder sowohl alljährlich am Ge­

burtstage, als monatlich an bestimmtem Tage zum „Minnetrinken".

Für

diese doppelte Feier hat später EpikuroS testamentarisch gesorgt; wenn uns Diogenisten, Antipatristen, Panattiasten genannt werden*), so lernen

wir ähnliche Vereine zum frommen Andenken der Stoiker Diogenes, Anti-

patroS, PanattioS kennen.

Die Akademie beging den siebenten Tharge-

lion, den Tag der Geburt oder Epiphanie des Apollon für die Ionier, als Geburtstag PlatonS, nachweisbar noch in der Zeit des Plutarch, ja

des PorphyrioS, also wahrscheinlich bis zu ihrer gewaltsamen Auflösung

im Jahre 529. ES liegt nahe zu vermuthen, daß diese Weihung deS Musentempels zugleich auch der Stiftung deS Gartens ihren juristischen Stützpunkt ge­

währte und dadurch dauernden Bestand sicherte.

Wie dem sei, sicher ist,

daß der ganze KreiS, der um Platon und seine Nachfolger sich jeweilig sammelnden Jünger eine religiöse Innung (Stasoc) von Musenverehrern

bildete.

DaS jedesmalige Oberhaupt der Schule geht aus freier, nur

durch die Rücksicht auf Alter und Würdigkeit beschränkter Wahl der gesammten Genossenschaft hervor.

Von zwei Fällen, nach dem Tode deS

SpeusippoS und deS Krates, sind unS solche Wahlacte bezeugt, als deren Theilnehmer bezeichnend genug, weil sie die überwiegende Mehrzahl bil­

deten, gerade „die jungen Leute" (veavtaxot) genannt werden.

Aber außer

der Oberleitung der Schule erforderte der Cultus der Musen, die Her­ richtung der gemeinsamen Festmahlzeiten und Gelage, die Wahrung deS Anstands noch Aemter, die auS der Mitte der Schüler selbst besetzt wur­

den.

Am anschaulichsten tritt die äußere Organisation dieser Schulver­

bände uns entgegen in der Schilderung, welche AntigonoS der Karhstter *) Athenä»S S. 186».

von den Verhältnissen der peripatettschen Schule unter Lhkon (269—226)

entwirft.

Schwelgerei und Luxus hatte damals die Betheiligung an

diesem Kreis zu etwas kostspieligem gemacht.

Jedes Mitglied hatte am

letzten MonatStage zwar nur l*/4 Drachmen in die gemeinsame Kasse zu schießen, aber einen jeden traf einmal die Reihe einen Monat lang die Vorsteherschaft*) zu übernehmen.

Und der Vorsteher hatte als solcher

die Verpflichtung ein Festmahl zu veranstalten, zu welchem natürlich bei

den hochgetriebenen Ansprüchen an Speisekarte und äußeren Glanz die bescheidene Summe der Monatsbeiträge nicht von Ferne reichte.

Jedes

ältere Mitglied hatte dazu freien Zutritt, und außerdem behielt Lhkon sich vor, wen er sonst wollte zu laden;

es machte Aufsehen, daß er dafür

einen ungewöhnlich großen, auf 20 SpeisedivanS (Klinai), also 60 Ge­

decke eingerichteten Saal im Hause des Äonen benutzte.

Das Amt deS

Vorstehers war also eine Leiturgie, die drückend werden konnte.

Seine

Aufgabe war eS über den „Wohlanstand" (sixoop-ta) der Mitglieder zu

wachen, und diese fällt bei Mahl und Gelag im wesentlichen zusammen

mit der pünktlichen Beobachtung des Comments.

Daß diese geselligen Vereinigungen bände unerläßlich, weises.

für die Athenischen Schulver­

also allgemeingtltig waren, bedarf kaum eines Be­

Die Spannung des Geistes erfordert, wenn sie erhalten werden

soll, entsprechende Ausspannung; das Opfer der Innung ist ohne fest­ liches Mahl und Gelage undenkbar.

Für die zugleich menschlich heitere

und geistig erhebende Haltung solcher Zusammenkünfte hat Platon in

seinem Symposion ein classisches Vorbild aufgestellt, vielleicht sogar auf­ stellen wollen: die Nachfolge, die eS bet Philosophen der verschiedensten

Richtung, sogar noch bei Grammatikern gefunden hat, läßt auf die Ver­

breitung und Dauer der Sitte schließen.

Von PlatonS nächsten Nach­

folgern, SpeusippoS und Xenokrates, auch von Aristoteles gab eS schrift­ lich redigierte „Trinkregeln" (aop-itottxol v6|xot).

Aber wir hören, daß

Aristoteles in Nachahmung des LenokrateS auch für feine Schule Gesetze aufgestellt habe, z. B. für alle zehn Tage einen Vorsteher zu ernennen: jene Gesetze für die Symposien müssen sich also nicht auf den Comment tat engeren Sinne beschränkt, sondern die ganze Ordnung des gemein­

samen Lebens, die Wahlform und die Verpflichtungen des Vorstandes und der anderen jugendlichen Beamten geregelt haben.

Unter Platon

selbst mußte diese Organisation wenigstens vorgebildet sein.

Die peripatetische Schule des Lykeion

ist zwar aus der Akademie

hervorgegangen und zweifellos nach deren Muster gebildet, zeigt aber be*) Außerdem werden Opferanrichter (lepo-otoQ und Pfleger erwähnt.

der Musen

merkenSwerthe Abweichungen.

Einen Unterschied bedingt schon der Um­

stand, daß ihr Gründer Aristoteles und ebenso seine Nachfolger zu Athen al- Fremde (Metöken) wohnten.

Ein Musenheiligthum konnte immerhin

Aristoteles gründen, wenn ein ihm und der Schule befreundeter Bürger seinen Boden dazu herlieh; aber ein Grundstück zu erwerben und damit der Schule äußeren Halt zu geben, war er rechtlich unvermögend.

seinem Nachfolger Theophrastos

Erst

gelang es durch die Vermittlung eines

zur Schule gehörigen Athenischen Staatsmanns Demetrios von Phaleron einen Garten als Eigenthum zu erwerben, der mit einer Halle zum Lust­

wandeln versehen und von Baulichkeiten, die als Schul- und Wohnräume

dienten, umgeben war.

Räumlich getrennt davon scheint auch hier das

Musenheiligthum gewesen zu sein, das mit Statuen, sowohl der Göttinnen als des Aristoteles und dessen BaterS NikomachoS geschmückt war und

mehrere Säulengänge mit Anathemen, wie Erdkarten auf ehernen Tafeln, hatte. Der Besitz des Gartens und der dazu gehörigen Baulichkeiten, kurz der Schule *) pflegt testamentarisch nicht der Schülerschaft, meist auch

nicht einem damit designierten Nachfolger als Vertreter der ersteren, son­ dern vielmehr einem engeren Kreise älterer Freunde überwiesen zu wer­ den, der hiermit in das Recht der Nutznießung eingesetzt wird und die

Verpflichtung übernimmt, das Ganze zu erhalten und fortzuführen.

In

den beiden Fällen, wo uns die Namen dieser Freunde genannt werden, sind ihrer jedesmal gerade zehn.

Bon Theophrastos, der am ausführ­

lichsten ist, wird es jedem der Genannten „ins Belieben gestellt, jene Häuser um den Garten zu gemeinsamer Forschung (aoa/oXaCetv xal aup.vei Hälften auseinandergegangen, von denen die eine, nach deutscher Sitte, sofort das Monopol des Liberalis­

mus in Anspruch nahm und die andere verketzerte, des Abfalls von der

alten Fahne, des UeberlaufenS ins conservative Lager bezichtigte und mit sonstigen Ehrentiteln dieser Art belegte, an die wir nun längst gewöhnt

sind und bei denen wir uns wohl befinden.

Die Furcht ist — wenn wir

unS eine wohlmeinende Warnung zu geben erlauben dürfen, der aller­ schlechteste Rathgeber in der Politik. ES scheint, den Dienst, den die Frage der preußischen Hegemonie

vor zwei Jahrzehnten im Süden geleistet,

soll den Parteigenossen im

Norden die sociale Reform oder, weiter gefaßt, die veränderte Anschauung von dem Wesen und den Aufgaben deS StaateS leisten.

Am Ende des

vorigen Jahrhunderts, unter dem blendenden Glanze unserer neuen Dich­ tung, erschien den idealistischen Denkern der Staat als ein unvermeid­

licher Wächter der äußeren Ordnung, um den freigeborenen Geistern das

Spiel einer edlen Geselligkeit zu ermöglichen, nur so weit sollten seine

Befugnisse reichen, daß die Tassos und die Leonoren die Ideale schöner Menschlichkeit frei entfalten könnten.

Ein Jahrhundert voll ernster Er­

fahrungen trennt uns von jenem Idealismus, der den Staat nach den

Bedürfnissen einer kleinen Aristokratie des Geistes bemaß und sich nicht schrecken ließ von dem gleichzeitigen Schauspiel im Westen, von den drohen­

den Anzeichen, unter denen dem freigesprochenen dritten Stand ein vierter

Stand ungestüm nachdrängte.

Heute wissen wir, daß wir vor dem Ab­

grund einer neuen Barbarei, vor dem Krieg Aller gegen Alle stehen, wenn

der Staat nicht seine Mittel einsetzt zur Ausgleichung der feindseligen Spal­ tungen, welche die Veränderung des WirthschaftölebenS in der Gesellschaft

hervorgebracht hat.

Nur zögernd folgt unser in den Ideen einer anderen

Zeit ausgewachsenes Geschlecht dieser neuen Strömung,

tastend und sor­

genvoll thun wir die ersten Schritte, wir sehen kein Ende der Bewegung,

wir sehen blos, daß jeder Schritt uns weiter und weiter führen muß, eS

fehlt noch der rechte Glaube an den Erfolg, noch stehen die Klassen zu deren Besten die neue Gesetzgebung einzutreten begonnen hat, mißtrauisch und abgewandt, auch

diejenigen, welche nicht von der staatsfeindlichen

Agitation angesteckt sind.

Und dennoch ist keine Wahl.

tung liegen unwiderruflich die Lebensaufgaben

In dieser Rich­

unseres neuen StaateS.

Lange genug ist versucht worden, die politischen Programme von einem

so lästigen Eindringling rein zu erhalten und die Fragen der organisiren-

den StaatSthätigkeit im Unterschied von den formalen Rechtsfragen für neutral, für ct8ta wenn die Konservativen einmal Recht haben, so besitzen wir die GemülhSruhe das zuzugeben und mit ihnen daS Rechte zu thun.

Das Uhlandische Wort traf wieder zu:

„Der wackre Schwabe

forcht sich nit, ging seines Weges Schritt vor Schritt, ließ sich den Schild mit Pfeilen spicken und that nur spöttlich um sich blicken."

der Tag, wo unsere Jsolirung ein Ende nahm.

Endlich kam

DaS Pfui! das dem

Kanzler im November 1881 von links her entgegen getönt war, hatte

damals nur unser Freiherr Georg von Wöllwarth gerügt; daS erneute Pfui vom März 1884 erwirkte ein mächtiges, nicht erwartetes Echo im

ganzen Süden, und der bornirte Ruf: gegen den StaatSfocialiSmuS!, mit

dem sich die Fusion der Alt- und Neufortschritller am 5. März einführte, schlug nach unserm Bauernwort „dem Faß den Boden ein".

Der Be­

schluß, den am 23. März die 42 Officiere der nationalen und liberalen LandeSparleien in Heidelberg faßten und bei dem sieben Schwaben wacker

mitthaten, bezeichnet die Rückkehr der Nationalliberalen deS Südens auf

den 1879 verlassenen Boden, frische FrühlingSwehen, daS

und der 18. Mai hat gezeigt,

von den Bergen des Südens

daß daS sich erhob,

auch das Eis im Norde« gebrochen und dem fünfjährigen halben oder

ganzen Strecken und Schmollen einer Partei ein Ende gemacht hat, deren größte Tage zusammenfallen mit den herrlichen arbeitsfrohen Jugendtagen

Politische Torrespondenz. deS ncuentftanbcneu Reiches.

627

Wir hoffen, daß der Herbst hält, was der

Frühling versprach, und die verjüngte Partei auch an der Wahlurne die

Logik der Stituation erfaßt.

Diese aber ist sehr einfach.

Der Kernpunkt

deS Heidelberger Programms ist die Mitarbeit an der sozialen Reform, die „Evolution", die kürzlich Clemenceau in Paris sagt, „statt d r Re­ volution".

Wer gegen diese Mitarbeit ist, der muß in der Wahlschlacht

von unS zu Boden gestreckt werden. deshalb sind wir

entschlossen,

Die Gegner aber stehen links und

dorthin unser Geschütz zu richten.

Wie

Hobrecht — allerdings vor dem 18. Mai — nach Braunschweig schreiben

konnte, man solle den Kampf zwischen Nationalliberal und Deutschfrei­ sinnig vermeiden, da« ist für unsern Schwabenverstand ein Räthsel, bessert Auflösung hoffentlich jetzt nicht mehr nöthig ist.

h.

Notizen.

Lorenzo

de’ Medici il Magnifico.

Zweite, vielfach veränderte Auflage. H umblot.

Von Alfred von Reumont.

Duncker und

Leipzig.

2 Bände.

1883.

Vor dem Erscheinen der ersten Auflage von Neumont's Lorenzo Magnifico im Jahre 1874 gab es kein Werk, welches in zusammenhängender und er­

schöpfender Schilderung die Resultate der modernen Forschung über das Leben und die Zeit des Medicäers zusammengefaßt und einem größeren Publikum Die früheren Biographien eines Angelo Fabroni und vor

vorgeführt hätte.

allem des Engländers William Roscoe, welche die größte Verbreitung weit über die gelehrten Kreise hinaus gefunden hatte, entwarfen ein der Wirklichkeit wenig entsprechendes Bild.

Es ist das Verdienst Alfred's von Reumont, die

früheren Arbeiten antiquirt und eine neue, auf historischer Grundlage beruhende Auffassung des Mannes wie seiner Zeit begründet zu haben.

Eine umfassende

Kenntniß der Quellen, eine innige, zum größten Theil aus eigenen Anschauungen herrührende Vertrautheit mit den Sitten und der Geschichte Toskana's, dazu die Fähigkeit, die Ergebnisse der Spezialforschung in geeigneter Sprache dem

Leser vorzuführen, machten A. v. Reumont in besonderem Maße zur Lösung

dieser schwierigen Ausgabe geeignet. nach

Stadt

seinen früheren,

Rom,

Ja man erwartete gradezu, daß Reumont

wissenschaftlichen

die Geschichte ToSkana's,

Arbeiten

die

wie:

Geschichte

der

Florentiner Regesten u. a. m. —

endlich einmal auch die Blütheperiode der Stadt Florenz in der Renaissance,

unter Lorenzo Magnifico als dem Mittelpunkt des Ganzen, zu schildern unter­ nehmen würde.

Zwar kommt es Reumont in

erster Linie darauf an, den

Wirkungskreis des Politikers und Staatsmannes in's rechte Licht zu setzen, der wesentlich den Gang der großen, auswärtigen Politik bestimmte, wie inner­

halb seiner Baterstadt, deren factischer Herr und Fürst er war.

anderen Beziehungen haben

Aber auch die

entsprechende Würdigung gefunden:

so Lorenzo

Magnifico in Kreise seiner Familie und Mitbürger; der Gelehrte und Dichter, der im vertrauten Umgang mit den zahlreichen, geistigen Größen seiner Zeit

und besonders seiner Stadt nur den höchsten Fragen nachzugehen schien; der

fürstliche

Mäcen,

bei dem

alle

künstlerischen

und

wissenschaftlichen

strebungen freigebige Förderung und Unterstützung fanden.

Be­

Und als Hinter-

gründ zu der glänzenden Gestalt das ganze, scheinbar unerschöpfliche Leben

und Treiben der Zett, deren Kind und Product wie Leiter und Mittelpunkt

Umfassende Schilderungen behandeln die Sitten und Zustände

Lorenzo war.

des damaligen Florenz', welches bei allem Glanz, bei der reichsten Entfaltung

auf geistigem Gebiet bereits den Niedergang ahnen ließ; charakterisiren den glänzenden Kreis der Männer, die Lorenzo Magnifico umgaben, ihn ergänzend

und unterstützend oder als Gegner ihm widerstrebend.

Auflage zeigt überall des

Die vorliegende zweite

Hand. nicht

ist

gering

Zwischenzeit

die

Was

die

an

der

Menge

in

und



bessernde

gefördert —

und

Quelleupublikationeu

ist gewissenhaft geprüft

Während in der für größere Kreise bestimmten Dar­

und benutzt worden.

Vreles

Quattrocento

Verfassers

Tage

zu

Monographten

grade über diesen Abschnitt des

stellung

Material

präciserer Fassung erscheint,

ist den Anmerkungen und

Beilagen in noch ausgedehnterem Maße als früher der Literatur- und Quellen­ nachweis beigegeben worden, so daß also auch der weiteren gelehrten Forschung

Dieselbe müßte sich vorzugsweise mit dem erheblichen,

Rechnung getragen ist.

noch unedirten Urkundenmaterial des Florentiner Staatsarchives beschäftigen.

Nicht verschwiegen darf werden, daß Reumont zum ersten Mal die sog. Ricordi di Lorenzo

unter

Magnifico,

seiner Anregung

scheinen

von dem Medicäer verfaßte oder

von Briefen und andere Auf­

benutzt hat, welche ein glücklicher Zufall gleich nach dem Er­

zeichnungen, hat.

d. h. eigenhändig

geschriebene Register

der

ersten

Auflage

langdauernden

ihrer

Vergessenheit

Nicht nur politisch, sondern auch kunstgeschichtlich

von ungemeinem Interesse,

entzogen

sind diese Ricordi

insofern als sie über Ankäufe und Sendungen

antiker Kunstwerke, Medaillen, geschnittener Steine u. a. m., über Lorenzo's Beziehungen zu

wie z. B. zu Antonio del Pollajuolo,

einzelnen Künstlern,

Giuliano da Majano, dessen Berufung nach Neapel, an den Hof des Herzogs von Casabrien, Neuen

sind

er wahrscheinlich bewirkt hat, u. s. w.

wie

Umfang

Auffasiung

des

Werkes

berichten.

Trotzdem

unverändert

geblieben.

Dem Aeußeren nach eher knapper und kleiner, ist es an Gehalt gewachsen,

„«die Physiognomie des Mannes wie der Zeit dieselbe geblieben". zuheben wäre noch:

Hervor­

die Uebersicht über die ältesten Zetten der Stadt und ihr

allmähliches Werden in

den ersten Capiteln des Buches;

die Charakteristik

des Großvaters Cosimo, des Vaters des Vaterlandes, der Lorenzo Magnifico den Boden

Kunst.

bereitet

hat;

die

Abschnitte

über

Literatur,

Wissenschaft

und

Der Verfasser hat sich grade auf dem Gebiete der Kunstgeschichte eine

gewisse Beschränkung und Kürze auferlegen zu müssen geglaubt.

sicht nach hätte

Unserer An­

eine noch ausgedehntere Berücksichtigung derselben

können, zumal da dieses Feld noä) sehr wenig erforscht ist.

eintreten

Wenn Reumont

in der Beilage die Arbeiten hauptsächlich von Franzosen und Jtaliänern als

maßgebend mit ihm

auf

rechten.

diesem

Gebiete

ausführt,

Für deutsche Ansprüche

neue Vasariausgabe, nicht genügen.

so

ließe

sich

darüber

vielleicht

möchte vieles, z. B. Milanesi's

Beigegeben sind dem Buche zwei Bild-

Notizen.

630

nisse Lorenzo's Magnifico: das eine nach dem bekannten Bilde in den Uffizien (Stich von R. Morghen), welches Vasari wahrscheinlich nach Lorenzo's Todtenmaske gemalt hat; das andere, ein Porträt des Medicaers in jüngeren Jahren, nach einem Miniaturbild, welches Eugen Müntz in seinen „Vorläufern der Re­

naissance" veröffentlicht hat (jetzt in französischem Besitz befindlich).

besitzt

die

Berliner

Sammlung

eine

prachtvolle

Bekanntlich

Terracottabüste

Lorenzo's

Magnifico aus seinen besten Jahren, das Werk eines bis jetzt unbekannten Meisters.

Benozzo Gozzoli ferner, der mit den Medici, besonders mit dem

alten Cosimo und seinem Sohne Piero, in nahen Beziehungen stand, hat auf dem „Thurmbau zu Babel" im Campo Santo zu Pisa, (nicht in dem Fresko

der Verfluchung Cham's, wie Reumont angibt) die Familie der Medici, dar­ unter auch den jungen Lorenzo,

trefflichste

abgeblldet.

mit ihrem Krelse von Vertrauten auf das

Ein Bildniß

von Giuliano

de’ Medici, dem Bruder

Lorenzo’s, welcher im Jahre 1478 in der Pazzi'schen Verschwörung ermordet

wurde,

befindet sich

gleichfalls in

der Berliner Gallerie;

nach

dem kalten,

glatten Ton zu urtheilen, eine Arbeit aus dem Atelier des Sandro Botticelli.

Vasari berichtet, daß derselbe Künstler auch Giuliano's Geliebte, die ‘ Bella Simonetta ’ gemalt habe, ein Porträt, welches man, nicht ohne Grunv, in dem

Brustbilde einer jungen Frau en profil, unweit von dem des Giuliano, in der­ selben Sammlung wiedererkennen will.

F.

Ein Comite erläßt folgenden Aufruf: Am 4. Januar 1885 und am 24. Februar 1886 werden hundert Jahre

verflossen sein, seit Jacob und Wilhelm Grimm in Hanau das Licht der Welt erblickten. Die Bürger Hanau's, stolz darauf, daß zwei der berühmtesten Gelehrten

und besten Söhne unserer Nation in den Mauern ihrer Stadt geboren sind,

haben mit opferbereiter Begeisterung den durch das Herannahen dieser Tage angeregten Gedanken ausgenommen, dem edlen Brüderpaare in seiner Vater­

stadt ein seiner würdiges Denkmal aus Erz zu errichten. Aber nicht nur die Vaterstadt, nicht nur das hessische Heimarhland sind

zur Ausführung des Werkes berufen:

die ganze Nation hat das Recht, wie

die Pflicht, das Andenken der unvergeßlichen Männer dankend zu ehren.

Die Brüder Grimm haben die deutsche Alterthums-Wissenschafl begründet und die Schätze der Vergangenheit für das Leben der Gegenwart zurückge­

wonnen. herzen.

An „Grimm's-Märchen" erbauen sich tausende von deutschen Kinder­ In unsere Sprache sind die beiden Forscher tiefer eingedrungen als

irgend jemand und haben aus ihrem unergründlichen Schachte Schätze zu Tage gefördert, deren Reichthum unser Volk staunend in dem unvergleichlichen Werke

erkennt, das ihren Namen trägt und allein genügen würde, ihnen die Unsterb­ lichkeit zu sichern.

Notizen.

631

Ihr gewiffenhafter Ernst, ihr prunkloses Wesen, ihre geistige Tiefe und ihr reiches Gemüth vereinigten die edelsten Züge der deutschen Art zu einem ewig

denkwürdigen Bilde brüderlicher Eintracht und volksthümlicher Wiffenschaft. Sie haben das Vaterland mit der reinsten Hingebung geliebt und durch

ihr mannhaftes Eintreten für ihre Ueberzeugung die vaterländische Gesinnung

in weiten Kreisen geweckt und befestigt. An alle Deutschen im Reiche und außerhalb desselben bis zu den fernsten

Gestaden der neuen Welt ergeht daher der Ruf, Herz und Hand zu öffnen, da es gilt, die Männer zu ehren, welche unserem Volke erst ein klares Be­ wußtsein vom Werthe seiner Muttersprache, dieser unversiegbaren Quelle seiner

Volkskraft und sichersten Grundlage seiner nationalen Zusammengehörigkeit, gegeben haben.

Beiträge werden in Berlin von den Herren Professoren Beseler, Curtius,

Mommsen und Scherer, so wie von dem Bankhause Delbrück, Leo u. Comp. Mauerstraße 61/62 entgegengenommen

Verantwortlicher Redacteur: Dr. H. Delbrück Berlin W. Schelling-Str. 11. Druck und Verlag von Georg Reimer in Berlin.