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German Pages 22 [24] Year 1829
Prkdjgt am
25** Sonntage nach Trinitatis 1828, als am Tvdtenfeste
in der Dreifaltigkeitskirche gesprochen
Dr. Fr. Schleier macher.
Berlin, 1829. Gedruckt bei G. Reimer.
Text: Offenbarung 3, ll.
Siehe, ich komme bald. -Halte was du hast, daß niemand deine Rrone nehme. 59?eme andächtigen Freunde! unter die irrigen und verwirrenden Vorstellungen und Uebungen in der christlichen Kirche, von denen sie durch diejenige Rei nigung und Verbesserung, zu welcher auch wir uns freudig bekennen, zum Theil frei geworden ist, ge hört auch die, daß viele Jahrhunderte lang die Chri sten glaubten, durch opfernde Gebete, welche für die Dahingeschiedenen dargebracht würden, könnten die noch auf Erden wandelnden einen Einfluß haben aus das Geschikk derer, die von der Erde hinweggeru fen worden. Die freudige Zuversicht zu demjenigen, dem wir alle leben und dem wir alle sterben, hat diesen Wahn verscheucht, der keinen Raum wieder unter uns gewinnen kann. Wenn wir also seit ge raumer Zeit am Ende unsers kirchlichen Jahres im mer eine besondere Gedächtnißf^ier begehen für die, welche die göttliche Vorsehung von diesem irdischen Schauplaz abgerufen hat: so wollen wir damit nichts anderes, als nur, was während des Verlaufes des Jahres die schmerzliche Angelegenheit der Einzelnen war, aus deren Lebenskreise der Herr bald diesen, bald jenen, bald so bald anders abgerufen hat, zu einer gemeinsamen Angelegenheit machen, um dadurch
4 zugleich dasjenige, was sie am Ende deS Jahres noch schmerzlich bewegen kann, in ihnen selbst zu ei nem reinen und Gottes würdigen Gefühl umzuwan deln. So oft wir aber unsere Dahingeschiedenen an die Stätte der Ruhe begleiten, und es werden dort Worte des Trostes und der Beruhigung gesprochen: was ist es anders, meine Geliebten, womit sie auch wenn nur Wenige versammelt sind in des Herrn Na men bei solchen Gelegenheiten, allemal zu endigen pflegen, als daß wir bitten, der Herr wolle uns alle weise machen eben dadurch, daß wir bedenken das Ende, welches uns allen bevorsteht. Worauf sonst also sollen wir es auch an diesem feierlichen Tage absehen bei der großen Verschiedenheit der Umstände unter wel chen, und der Art wie einzelne Familien unsrer Ge meinde betrübt worden sein mögen durch den Abruf ihrer Glieder? was können wir auch an diesem Tage besseres thun als das nämliche? Und darauf nun, meine geliebten Freunde, zielen die verlesenen Worte aus der Offenbarung Johannis ab. Sie gehören freilich einer Zeit an, welche an einen solchen Zustand wie der gegenwärtige, an eine so lange Reihe von Jahrhunderten, in denen sich die christliche Kirche in Ruhe und Frieden von einem Geschlecht zum andern bauen und immer mehr erwei tern würde, nicht denken konnte, einer Zeit, als die un geduldige Sehnsucht der Christen nach dem, der so zeitig wenngleich erst nach vollbrachtem Werke von der Erde erhöht worden war, allen Worten dieser Art, welche er zurükkgelaffen hatte, die Bedeutung gab, daß er bald, auch nach menschlichem Maaße bald, wie derkommen werde in der ganzen vollen Herrlichkeit seines Reiches. Dieser Zeit gehört ganz besonders
5 das geheimnißvolle und schwer verständliche Buch an, qus welchem die verlesenen Worte genommen sind, und auf welches ich auch in unsern gemeinsamen Be ttachtungen so überaus selten nur Hinweise. ES sind auch die Worte unseres Textes nicht den Einzelnen gesagt, sondern sie sind aus jenen Sendschreiben an verschiedene christliche Gemeinden, welche dies Buch eröffnen, und sind, wie die auch dunkeln Worte lau ten, an die Engel dieser Gemeinden gerichtet. Denen also wird gesagt, „Siehe ich komme bald," und der ganzen Gemeinde, „Halte was du hast, daß nie mand deine Krone nehme." Aber eben, wenn wir, was zunächst und unmittelbar nur Einzelne und doch immer nur einen kleinen Theil unserer Gemeinde schmerzlich berührt hat, zu einer gemeinsamen Ange legenheit machen: wie sollten wir uns dann nicht diese Worte vorzüglich aneignen, ja, wie nicht auch sie auf die Einzelnen anwenden, welchen eben der Ab ruf aus diesem zeitlichen Leben das baldige Kommen des Herrn ist, welches uns allen bevorsteht? Und wir dürfen nicht eben einen baldigen schnellen Tod uns vor Augen halten; sondern, wenn wir auch nur an die, selbst das größte Maaß angenommen, doch schnell verlaufende Kürze des Lebens denken, dürfen wir uns nur erinnern, wie wir am Ende jedes Jahres geneigt sind zu glauben, daß von einem Jahre zum andern die Zeit schneller ihre Flügel schwingt und dahin eilt, um dem Worte, „Siehe ich komme bald" seine volle Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. Aber wenn wir weiter hören, wie es hier lau tet, — und das ist eben die Ermahnung in diesen Worten der Schrift, die wir uns heute ans Herz legen wollen, — wenn wir hören, es werde, damit
niemand unsere Krone nehme, nichts erfordert, als nur daß wir fest halten, was wir haben: so scheint dies fp leicht und so sehr der Neigung jedes auch deS natürlichen Menschen gemäß, und wir sehen außer dem, was zu einer besonnenen und wüthigen Gegenwehr gehört, so wenig Schwierigkeit dabei, haß wir Bedenken tragen möchten, auf dies Wort allein unser festes Vertrauen zu sezen, zumal es aus diesem dunkeln Buche von nur zweifelhaftem Ur sprünge genommen ist: Darum, wollen wir dennoch tzissts Wort zur Richtschnur nehmen, so wird es sehr wohl gethan sein, daß wir zuerst andere denylben Gegenstand betreffende Worte der Schrift da gegen halten, um nach einer solchen Vergleichung desto sicherer zu sein, daß wir auch die richtige An wendung davon für uns alle machen.
1. Wenn wir, meine andächtigen Freunde, uns erinnern, wie häufig unser Erlöser, zumal in der legten Zeit vor seinem Leiden, wie uns die evangeli schen Schriftsteller berichten, mit seinen Jüngern ger.edet hat von seiner Zukunft, von der Rechenschaft, die dann ein jeder von den Seinigen ihm werde ab zulegen haben: so finden wir freilich dort so manche Aussprüche, die dem Ansetzn nach dem unsrigen ganz entgegengesezt und gar nicht so leicht und gefahr los klingen wie das Wort, welches wir hier verneh men, und doch auch als ein solches, welches der Geist den Gemeinden sagt. Wenn es hier heißt, „Halte was du hast:" so unterscheidet der Erlöser in seinen Gleichnißreden dieser Art das, was wir hn» den von dem, was wir^haben sollen, und sagt, Wer
7 erwartet werden kann, dqß er es erworben haben sollte für seinen Herrn mit dem Pfunde, welches ihm verliehen war, dem wird auch genommen werden, was er hat. Von einem solchen Unterschiede aber scheinen die Worte unseres Textes nichts zu wissen. Hier wird nur von dem Festhalten eines Besizes geredet; dort ist die Rede von einer lebendigen, thä tigen, angestrengten Wirksamkeit. Wer nur vorzei gen könne, was er besizt, und also nichts hat, als was er schon von Anfang an hatte, den erklärt der Herr für einen unnüzen Knecht, und läßt ihm auch das nehmen, was er hat. Unser Text hingegen sagt, dem der da fest gehalten was er hatte, dem werde niemand seine Krone rauben können. Wie lösen mit nun, meine theuern Freunde, diesen Widerspruch? Sollten jene Worte des Herrn unter seinen Jün gern so gänzlich verklungen gewesen sein, daß schon der Jünger, dessen Werk dieses Buch ist, nicht mehr an eine solche Rede des Herrn sollte gedacht haben? Das können wir wohl nicht meinen, da ja eben jene Worte doch bis auf unsre Tage gekommen sind! Vielmehr sind sie gewiß von dem Augenblikk an, wo der Herr sie sprach, der Maaßstab gewesen, welchen seine Jünger sich untereinander vorhielten, um sich dadurch zu einer kräftigen Wirksamkeit zu erbauen. — Aber wir finden freilich auf der andern Seite auch dem unsrigen ähnliche Aussprüche in solchen Worten des Herrn, welche von dem Reiche Gottes handeln, und in welche« er die Menschen zum Lichten und Trachten nach diesem Reiche und nach dessen Ge rechtigkeit ermuntern will. Da sagt er, das Reich Gottes sei gleich der köstlichen Perle, die einer fand, und alles andere verkaufte, was er hatte, um sich den Besiz dieses Kleinods zu verschaffen, Und bei ei-
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