Worte am Grabe des Prediger Wilhelm Müller am 26. Mai 1876 gesprochen 9783111491776, 9783111125367


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Worte am Grabe des Prediger Wilhelm Müller am 26. Mai 1876 gesprochen
 9783111491776, 9783111125367

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Worte am Grabe

des Prediger Wilhelm Müller am 26. Mai 1876 gesprochen

D. Lisco.

Berlin. Druck und Verlag von G. Weimer. 1876.

Geist von oben, himmlischer Tröster! Senke dich nieder in unsere erschütterten Herzen in dieser Stunde schmerz­ lichen Abschieds, erfülle unsere Gemüther mit deinem Trost, mit deiner Kraft, mit deinem göttlichen Frieden! Andächtige Trauer-Versammlung! Wir sind erschienen, um uns angesichts dieses Sarges zu beugen vor dem unerforschlichen Nathschlusse des ewigen Gottes; um die Gestalt unseres geschiedenen Freundes noch einmal liebend anzu­ schauen und ihr ein tiefempfundenes Lebewohl zuzurufen: wir sind gekommen, um dem Vater im Himmel für die Segnungen zu danken, die er dem theuren Vollendeten, die er durch ihn uns Allen geschenkt: um was an unserem Freunde Staub war, dem Staube zurückzugeben. Daß uns mit dem Scheiden unseres Müller ein schwerer, in weiten Kreisen tief empfundener Verlust betroffen, das ist bereits öffentlich ausgesprochen, das bekundet diese hochansehnliche Versammlung, das deutet uns der köstliche Schmuck dieses Sarges. Und wenn von der theuren Lebensgefährtin des Verewigten ich gerade berufen worden bin, in solchem Augenblicke der allgemeinen Trauer Worte zu leihen, so fehlt mir zur Lösung einer solchen Aufgabe viel­ leicht nicht jene innere Berechtigung, die eine nunmehr vierzigjährige, in Sturm und Sonnenschein gleicherweise erprobt gefundene Freundschaft zu gewähren vermag — aber freilich, wenn die Hand unter dem Drucke eines gewaltigen Schmer­ zes zuckt, wie soll sie fest und sicher die reuten Linien nach­ zeichnen, die ein in Gott gefestigtes Herz von oben her em­ pfangen, ein in den Kämpfen des Lebens gestählter Cha-



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rakter sich selbst gegeben hat! Möge denn das Bild, das von unserm Vollendeten in Euer Aller Seelen lebt, das Ungenügende meines flüchtigen Wortes ergänzen! Ja, das Bild in Euren Seelen! Ihr schaut im Geiste unseren Freund auf der Kanzel, Ihr glaubt seine Rede zu vernehmen. Wie hat er Euch dort das göttliche Wort ausgelegt, es von dem Staube gewohnheitsmäßiger Aus­ deutungen, verdeckender Vorstellungen gereinigt, ihm den Glanz des ursprünglichen Gedankens zurückgegeben! Wie hat er sein himmlisches Licht in das Dunkel der Herzen, der mensch­ lichen Verhältnisse hineinleuchten lassen! Wie hat er durch die Macht unwiderleglicher, in geschlossenen Reihen anrücken­ der Gedankenmassen cutd; den widerstrebenden Sinn zur Anerkennung der göttlichen Wahrheit zu nöthigen, auch das widerwillige Herz unter den göttlichen Willen zu beugen ge­ wußt! Stein um Stein hat er auf den ewig unwandelbaren Grund, Christus, das Heiligthum des Glaubens und der Liebe in Euch zu erbauen, die Bäche des ewigen Lebens in Eure Herzen einzuleiten sich bemüht. Hat er bei dieser ernsten und schweren Arbeit sich je der Reizmittel sinnlicher Phantasiebilder oder rednerischer Blumen bedient? Ver­ schmäht hat er Alles was nicht nothwendig zu dem streng und scharf durchdachten göttlichen Gedanken gehörte, ihn rein und treu und ganz mit überwältigender Wirkung der Gemeinde darzubieten, damit sie genährt werde an dem Brote des Lebens, das war ihm die Aufgabe der Kanzel. An ihrer Lösung hat er mit stets neuer Hingebung gear­ beitet, freilich auch mit der lebhaften Empfindung, daß un­ serem Volke und seiner werdenden Volkskirche noch ein neues Pfingsten, ein neues Zungenreden begeisterter Prediger des Wortes ausstehe, nach dem wir wohl vergeblich uns sehnen. Habt Ihr, m. Th. unseren Freund reden gehört an den Särgen, den Gräbern geliebter Menschen? Er wäre wohl nicht so oft an diese unseren Herzen geheiligten Stätten ge­ rufen, wenn er dort nicht den tief zum Herzen dringenden Ton zu treffen, nicht das rechte Wort des Trostes, der Er­ hebung zu sprechen gewußt hätte. In der That war er ein Meister in der Kunst, aus abgerissenen oft höchst ungenü­ genden flüchtigen Mittheilungen über nicht selten ihm völlig unbekannte Persönlichkeiten das Wesentliche herauszuhören,

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das Stückwerk zu einem geistigen Ganzen zusammenzufügen, ihm den Hauch der lebendigen Wirklichkeit mitzutheilen, aus der durchdringenden Erfassung des Kernes menschlicher Per­ sönlichkeit und dem Verständnis menschlicher Versuchungen und Geschicke die rechte Milde des Urtheils, die gewisse Hoffnung auf die göttliche Gnade in den Gemüthern der Trauernden hervorgehen zu lassen. Weil ihn Einsicht unb Liebe befähigten, den Geschiedenen in den: Gemüth der Zurückbleibenden ein tiefer empfundenes, ein klarer verstan­ denes geistiges Leben zurückzugeben, ein Leben, das dann keine Macht der Welt der Seele entreißen samt — darum die oft so begeisterte Anerkennung, die seine Worte fatldett, darum der unauslöschliche Dank, mit dem ihm viele, viele Herzett ergeben sind, denen er den inneren Reichthum um einen solchen köstlichen Besitz vergrößert, denen er Frieden und Stille, Versöhnung mit den schwersten Geschicken in der Gewißheit der Liebe Gottes erneuert hat. Nicht Wenige von Euch, m. Th., gedenken unseres Freundes in ganz besonderem Sinne als ihres Lehrers, sie haben sich seines Confirmandenunterrichteö erfreut. Haltet das Gedächtniß jener Stundert fest! Dieser Unter­ richt war das Herzblatt seines amtlichen Lebens. Wie strettg überwachte er die Verhältnisse, die oft so drängenden man nigfaltigen Anforderungen des Tages, wie ernst, entsagungs­ voll und besonnen hütete er feine oft so schwankende Ge­ sundheit, damit nur ja keine dieser Stunden verloren gehe, keine auch nur um Minuten verkürzt werde! Hier galt es ihm denn die Geister zu erleuchten, die Herzen für die gött­ liche Wahrheit zu erwärmen, heilige Entschlüsse für's Leben zu erwecken. Um die rechte Einsicht in das Wesen des Christenthums zu begründen und zu fördern, hielt er seine in der Wirklichkeit so eng verbundenen Seiten, Religiosität und sittliches Leben, für die Betrachtung scharf auseinander: um einen unzerstörbaren Besitz an göttlicher Wahrheit den Gemüthern zu sichern, wußte er mit dem Muthe völliger Wahrhaftigkeit, wie mit der erziehenden Weisheit des väter­ lichen Freundes Vergängliches und Bleibendes im Christen­ thum zu sondern; um jenes unselige unser Volk und seilte Kirche auseinander haltende Mistrauen an seinem Theile beseitigen, um die ersehnte große Volkskirche deutscher Nation

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mit herbeiführen zu helfen, war er bemüht Blick und Urtheil der Jugend für das Verständnis aller ächten Wirklichkeit des christlichen Geistes zu öffnen -— ob seine Arbeit von Erfolg gewesen? Fragt Eure eigenen Herzen! Das wenig­ stens wissen wir, daß als unser Freund vor etlichen Jah­ ren auf eine fünfundzwanzigjährige Amtsführung zurück­ schaute, daß ihm da von vielen Schülern und Schülerinnen aus Nähe und Ferne der tiefempfundene Dank ausgesprochen wurde für Alles, was er an ihrem inneren Leben gethan. Sei es genug mit diesen Andeutungen. Wie könnte ich in den flüchtigen uns zugemessenen Minuten ein Bild geben von der vielseitigen umfassenden Amtsarbeit unseres Freun­ des! Aber wohin Ihr auch den Mann begleitet hättet, ob zu der weihevollen Verwaltung der heiligen Sacramente, zur Einsegnung der Ehen, zu seiner Thätigkeit für die Confirmirten, zu den stillen Besuchen der Seelsorge an Trauern­ den, Armen, Leidenden, zur Pflege und Förderung der Schulen in seiner Parochie, zur Miterfüllung der Pflichten, die den neu gebildeten Vertretungskörpern der Gemeinden be­ fohlen sind: Ueberall würdet Ihr ihn als Denselben gefun­ den haben, bewegt von heiliger Liebe zum Evangelium, von lebendigem Wohlwollen für die Einzelnen, stets nüchtern und besonnen die Verhältnisse, die Aufgaben des Augen­ blicks würdigend, ohne Zaudern, ohne Verschieben bereit einzugreifen mit rathendem Wort, mit helfender That! Wie gerne hätte unser Müller diese stille Arbeit an dem inneren Ausbau der ihm zugewendeten Gemeinde seine einzige Lebensarbeit sein lassen! Aber ihm wie so manchem seiner Freunde ward sehr gegen den eigenen Wunsch das Schwert in die Hand gedrückt. Der Zeit seiner Amtsführung war es vorbehalten die heiligsten Güter unserer landeskirchlichen, unserer evangelischen Ueberlieferungen angetastet zu sehen. Die Union König Friedrich Wilhelms 111., die Hoffnung und die Grundlage der deutschen Volkskirche sollte gesprengt werden. Dem freien Protestantismus sollte das Netz des engsten Dogmatismus über das Haupt, er selbst sollte zu Boden geworfen und getödtet werden. Wie man die verbrieften Rechte unserer Evangelischen Landeskirche auf selbstständige Verfassung und Verwaltung verkümmern, zer­ treten, vernichten könne, das war die immer wiever erwo-

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gene Frage. Hinaus, hieß es endlich, hinaus mit den Männern, die freien protestantischen Ueberzeugungen huldi­ gen, aus unserer Kirche, es ziemt sich nicht, daß sie als ihre berechtigten Diener anerkannt werden! Das hieß denn frei­ lich zum Kampfe zwingen. Unser Freund hat den Streit in der vordersten Reihe mitgefochten. Er hat mitgestritten in zahlreichen schriftstelle­ rischen Arbeiten, in feinsinnigen Vorträgen — so manche von ihnen unvergessen und unvergeßlich — gleich vollendet im Inhalt wie in der Form, in kriegerischen Debatten auf den Synodalversammlungen kleinerer und größerer Kir­ chenkreise, wo denn die Klarheit seines Geistes erglänzte, die Schlagfertigkeit seiner Rede sich erprobte. Und als in Anerkennung der Tüchtigkeit seines Wesens wie der makel­ losen Reinheit seines Charakters seine Mitbürger ihn ins Abgeordnetenhaus entsendeten, da ist er auch dort in erneu­ ten Kämpfen für die höchsten Güter unseres Volkes mann­ haft und selbstlos eingetreten. Freilich, wie es im Kampfe geht: Schlag und Wunde und tiefer Schmerz genug ist auch ihm bei dem Allen bereitet gewesen, und auch unter denen, die ihm nicht als Gegner gegenüberstanden, fanden sich immer so Manche, die sich in die eigenthümliche Art gerade seiner Amts- und Lebensführung nicht zu finden vermochten. Jeder aber, der ihm näher geführt wurde, gestand gern: Ja, es lebt in diesem Manne ein reiner Sinn, ein auf das Höchste gerichtetes Streben, eine muthige Entschlossenheit zum Entsagen und Opfern, eine freu­ dige Bereitwilligkeit zu kraftvollem Schaffen, zu durchgreifen­ dem Wirken. So, andächtige Freunde, hat unser Vollendeter kämp­ fend und bauend in reicher und gesegneter Wirksamkeit in unserer Mitte gestanden. Wo waren die tiefen Schichten, in die der blüthen- und fruchtreiche Baum Nahrung suchend die Wurzeln einsenkte? In seinem Hause, in seinem von oben her besendeten Geschick, in seinem durch Gottes er­ ziehende Gnade befestigten Herzen da strömten die nie ver­ siegenden Quellen seiner Kraft, seines reichen, vielseitigen Wirkens. Wer dies Haus betrat, der empfand, daß diese Ehe durchweht sei von jenem Gottesfrieden, der das Menschen-

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herz mit seliger Stille, der auch die dunkelsten Tage des Lebens mit strahlendem Sonnenglanz erfüllt. — Wer die Kinder anschaute in ihrem Verkehr mit den Eltern, der wußte, hier ist als in einem echten Christenhause der Geist der Furcht gebannt, hier ist die Liebe eingezogen als Herr­ scherin und sie hat ihr ganzes himmlisches Gefolge mitge­ bracht, Heiterkeit und Frohsinn, Sanftmuth und Freude, zuvorkommende Gewährung bei fester Leitung, ehrerbietigen Gehorsam bei keckem Scherz und kindlichem Uebermuth. — Wer Eingang gewann in die mannigfaltigen geselligen Kreise unseres Freundes, der durfte nicht nur dessen gewiß sein, daß er sich des anregendsten, alle Gebiete des Lebens, der Kunst und der Wissenschaft berührenden Gespräches erfreuen, daß er in heiterem Scherz die angespannte Kraft des Geistes gelöst und erquickt fühlen werde, er durfte versichert sein, daß er fruchtbare Gedankenkeime und manche Weihe der Empfindung als Gastgeschenk aus diesem Hause werde von dannen tragen können. Wie hat unser Freund diesen Besitz seines Hauses als eine göttliche Gnadengabe werth gehalten und in treuer väterlicher Liebe gepflegt, mit um so größerer Sorgfalt ge­ pflegt, als er sich wohl bewußt war, daß er diesen köstlichen Schatz des Lebens wie so viele andere Schätze in zerbrech­ lichem Gefäß trage und zu tragen berufen sei. Andächtige Freunde! Wir trauern tief, daß der gebeug­ ten Familie der Gatte und Vater, der Gemeinde ein hochver­ ehrter Prediger und Seelsorger, den Freunden ein treuer mit­ arbeitender Freund, weiten Kreisen unseres bürgerlichen und kirchlichen Lebens ein ebenso einsichtsvoller als gewissenhafter Berather entrückt ist, und Gott der Herr allein würdigt vollkommen die Berechtigung unserer Klage. Wenn aber unser Schmerz sich in eine Frage der Unzufriedenheit um­ wandeln wollte: Warum, Herr, so frühe, warum durften diesem gesegneten Leben nicht noch Jahrzehnte reicher Wirk­ samkeit hinzugefügt werden? so mögen wir uns erinnern, daß unserem Freunde schon vor vierzig Jahren, als er eben die Schwelle des Jünglingsalters betrat, ein baldiges und schnelles Scheiden drohte. Wieder und immer wieder ist ihm dann im Lauf der Jahrzehnte die Nähe der Gefahr zum Bewußtsein gebracht, ist die lebendige Empfindung ihm



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erweckt worden, daß er am Rande des Abgrundes wandle: Sollen wir da nicht statt zu klagen, vielmehr mit Heller Stimme die göttliche Gnade preisen? Die Gnade, die uns dies köstliche Leben bis hieher erhalten wollte durch die hingebende Pflege der Liebe, durch die sich stets gleich blei­ bende Besonnenheit und Treue des ärztlichen Rathes, vor Allem durch eine der höchsten Bewunderung werthe Kraft der Selbstbeherrschung und des Maaßhaltens in unserem Berklärten selber? Zu solcher Vollendung hatte Gottes Gnade ihn diese Kraft steigern lassen, daß die Dauer seines Lebens, die Möglichkeit dieses langen, gesegneten Wirkens zum guten Theil als seine eigne That, sein eigenstes Werk be­ zeichnet werden darf. Die gesammelte Energie eines auf die höchsten Ziele gerichteten Willens hat dem schon l'ingst zusammensinkenden Körper aus verborgenen Tiefen erhal­ tende Kräfte zugeführt und nicht früher, meinen wir, ist dies im edelsten Dienst verwandte Gefäß gebrochen, als bis es auch den letzten, den allerletzten Tropfen seiner Kraft der Ar­ beit des beherrschenden Geistes geopfert. Von Jugend auf war unser Freund dem Leiden, dem Tode vertraut. Den drohenden Tod abwehren, die Erhal­ tung des Lebens sich erobern zu müssen, das war sein be­ sonderes Geschick, das war die ihm von Oben her aufer­ legte Last. Wohl hat er unter dieser Arbeitslast geseufzt, aber er ist unter ihr geworden, was er geworden. Diese Arbeit hat mannigfach seinen äußeren Lebensgang be­ stimmt. Sie hat seinen Eintritt in eine befriedigende amt­ liche Wirksamkeit um Jahre verzögert, die reich waren an vielen und schweren Schmerzen; sie hat ihn nach dem Sü­ den geführt, damit er dort umgeben von der Herrlichkeit der Natur und den Erinnerungen des Alterthums eine viel­ seitige Bildung zu abschließender Vollendung bringe; sie hat ihn jenen nun schon von der nachwachsenden Stadt be­ rührten Besitz erwerben und mit so viel Mühe, Freude und Dankbarkeit pflegen lassen, der ihm so beglückende Stunden der Erholung, den Freunden eine so gern aufgesuchte Stätte der Vereinigung bot, jenen Garten, aus dessen prangender Blüthenfülle wir nun die gereiften Garben dieses Lebens hiehertragen sollten. Der schwer empfundene Druck jener Last hat dem Wesen unseres Freundes nicht selten eine

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Schärfe und Schneidigkeit beigefügt, die die ursprüngliche Milde und Liebenswürdigkeit seiner Natur nicht zu vollem Ausdruck, seinen inneren Reichthum nicht zu voller Wirkung kommen ließ. Das Uebermaaß der Beschwerde hat ihn genöthigt die von ihm so hoch gehaltene, innig geliebte Thä­ tigkeit im Kreise der Volksvertretung aufzugeben. Jener Kampf um des Lebens Bestand und volle Er­ füllung hat die innere Gestaltung unseres Freundes be­ dingt. Bald wohl sinkt dir das Leben doch zusammen, so empfand er, so soll es denn bis dahin mit vollem gött­ lichen Reichthum erfüllt werden, mit umfassender, allseitiger Einsicht, mit einer nur dem wahrhaft Würdigen und Hohen zugewendeten Liebe, mit unablässig wirkender, stets sich steigernder Thatkraft. Daher denn dieses ernste scharfe, in die Tiefe bohrende, in der Kritik sich kaum je genugthuende Denken, das in abgesagter Feindschaft stand mit allem nebel­ haften Phantasiren und Träumen; daher diese tiefe Liebe zu Menschen und Idealen, die, je weniger ihr verstattet wurde leicht nach außen hervorzutreten, nur um so tiefer und völliger das Innere durchglühte: daher diese unab­ lässige, nie rastende, mit der höchsten Leichtigkeit von einer Arbeit zur anderen übergehende Thätigkeit, die ihn jede Trägheit und Willenslosigkeit, jede eitle Selbstbespiegelung, jeden launenhaften eigensinnigen Ungehorsam gegen die Ge­ setze des Geistes verachten ließ und verabscheuen: daher dieses innige Verlangen auch neben dem Amt und dem eigenen Hause in der reichsten Verbindung zu stehen mit den verschiedenartigsten Kreisen, zahlreichen Vereinen anzu­ gehören, um in ihnen Zwecken des Wissens, der Wohl­ thätigkeit zu dienen; daher diese treue köstliche Pflege so vieler alter, diese reiche Anknüpfung immer wieder neuer freundschaftlicher Verhältnisse, um in der liebevoll freund­ lichen Berührung mit so Vielen das herrliche Gefühl eines reichen Lebensbesitzes, eines von Gott ihm dargebotenen Lebensglückes zu gewinnen! Daher denn auch, aus jenem stets erneuten Ringen, seine eigenthümliche Erfassung des Christenthums. Von den Zeiten bewußtloser Kindheit war es ihm in der Fröm­ migkeit der Erziehung, der häuslichen Sitte überliefert, der zum Selbstbewußtsein und zur Selbstthätigkeit erwachende



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Geist ergriff es als die mächtigste, als die einzige Waffe die ihm Sieg verhieß über die finsteren Gewalten mit denen der drohende Tod ihn umstellte. Unseres Freundes Christenthum war ein Christenthum der That, der Arbeit um den eigenen Vollbesitz des wahr­ haftigen, des ewigen Lebens, ein Christenthum der unbe­ dingten Hingebung an den entschlossenen und kraftvollen Dienst des göttlichen Reiches. Es ruhte auf der lebendigen stets erneuten Erfahrung, darum auf der unerschütterlichen Gewißheit von der siegreichen Macht und der göttlichen Herrlichkeit Jesu Christi, den er als den Mittelpunkt der Weltgeschichte, als den geistigen Neuschöpfer des Menschen­ geschlechts gläubig verehrte; es durchdrang seinen ganzen inne­ ren Menschen mit der nie wankenden, seligen Frieden ihm sichernden Ueberzeugung von der ewigen Weisheit und Liebe des himmlischen Vaters; es gab ihm die zweifellose Zu­ versicht, daß der von Christus ausgegangene Geist die Menschheit vollenden werde und verklären. Dieses Christen­ thum der That, der dienenden Liebe, der seligen Hoffnung zu fördern, es im eigenen Leben, im Leben der Gemeinde zu voller Herrschaft zu bringen, das war der Inhalt seines Lebens. Er wußte wie weit auch der reinste Eifer, die entschlossenste Arbeit hinter dem Ziele zurückbleibt. Demüthig wußte er zu sprechen und sprach er mit dem Apostel: „Nicht daß ich es schon ergriffen hätte oder schon voll­ kommen sei, aber ich jage ihm nach, daß ich es ergreifen möchte, wie ich denn selbst von Christus ergriffen bin". Dieser ernsten und treuen Erdenarbeit wollte die gött­ liche Gnade unsern Freund durch ein sanftes und freund­ liches Scheiden entrücken. Wenige Tage der Krankheit sollten genügen um das im Dienst eines hohen Strebens so lange erhaltene, nun gebrochene Erdengefäß völlig zu zer­ stören. Ohne belangreichen Schmerz, wie es schien ohne Ahnung des bevorstehenden Todes, in dankbarer Freude an der pflegenden Liebe der