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German Pages 15 [16] Year 1839
Rede
am Grabe des Herrn Prof. Dr. Gans. Bon
Dr. Marheineke.
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am Grabe des
Herrn Professor Dr. Vans,
den 8. Mai 1839. Von
Dr.
Marheiüeke,
Königs. Ober - konststorialrath nnb Senior der tbeolog. FacnNät.
Dcr Ertrag ist dem allgemeinen Krankenverein der Stndirenden
an der Universität bestimmt.
Berlin. Veit
n n d
1839.
E o m p.
In dem Herrn geliebte Freunde!
A. diesen Schmerz am Grabe unseres theuren Amtsge
nossen und Freundes den würdigen, genügenden Ausdruck zu finden, wer unter uns könnte sich das wohl zutrauen?
noch zu frisch ist die Wunde, noch zu wenig sind wir ver
traut mit dicsent Schmerz, um uns darüber verständigen zu können.
Mussen wir daher die Tiefe dieser Trauer zu er
schöpfen
dem
einsamen,
schweigsamen
Gefühl
überlassen,
können wir sie nicht mit Worten erreichen, so möge um so mehr unsere Empfindung,
so weit sie der Rede mächtig
werden kann, ans den weiten Umkreis, den diesir Schmerz
6 berührt, auf die vielseitige Theiluahme, die dieser Todesfall
findet, auf die theuren Erinnerungen, womit die Klage um diesen frühen Tod verbunden ist, gerichtet seyn.
Noch ist
es nicht ein Zahr, daß er selbst, der nun uns schon Ent
rissene, seinen so früh entschlafenen nächsten Amtsgenoffen
hieher zum Grabe geleitete.
Würdig und edel reiht er selbst,
ein neues Todesopfer, sich den vielen und großen Verlusten
an, welche die hiesige Hochschule in der kurzen Zeit ihres Bestehens bereits erlitten hat und nicht mit schwächstem
Licht, als der ihrige, leuchtet sein Ruhm weit hinaus-.
Es
gehört zu den noch nicht genug erkannten Verdiensten des großen Staatsmannes, dem durch die Gnade des Königs die
Sprge
für
anvertrant ist,
das
wissenschaftliche Lebs»
deS
daß er ihn zu einer Zeit, wo
Staats cs
leicht
war, ihn zu verkennen, mit sicherem Scharfblick erkannte und ihm den Posten anwies,
voll ausgcfüllt
hat.
Groß
dm er seitdem so ehren und
ausgedehnt
war
sein
Wirkungskreis an unserer Lehranstalt, voll Geist und Le-
7
den seine Vortragsweise, glänzend und gedankenvoll seine Beredsamkeit, tief sein Eindruck auf die Gemüther und
feine vielseitige, imermüdliche Thätigkeit auch von Seiten einer ungewöhnlich zahlreichen Zuhörerschaft durch die in nigste Anerkennung und Anhänglichkeit belohnt.
Diese
Jünglinge, deren so viele allein nm seinetwillen uns zugeströmt waren, die so begierig ihn hörten, so sicher zu schät zen wußten, was sie an ihm besäße«, sie wissen es nun
auch gewiß zu ermessen, was sie au ihm verloren haben.
Doch nicht alls das Lehramt allein beschränkte sich seine
Thätigkeit, sondern auch einem noch viel größeren Kreise
hat er durch seine ^zahlreichen, als geistreichen Schriften genutzt; nicht yig und begränzt war auch da das Feld, auf
welchem er selne Kräfte Zertheilt uad Anerkanntes geleistet
hat; für das Trockene der ernsteren Wissenschaft und den
darauf verwandten Fleiß belohnte er sich selbst durch den lebhaften Umgang mit der heitern Kunst und war auch
nach dieser Seite hin eines gründlichen, gebildeten Urthells
8 mächtig, wie er überhaupt, was er unternahm, mit Geist
und Kraft erfaßte, rasch und glücklich in allen Dingen den
Kern ergriff und ihn leicht und kühn in das Licht seines Geistes erhob.
Zn der Schule eines Mannes gebildet, dessen
Name, trotz aller Verunglimpfungen, in der Geschichte der Wissenschaft nnerlöschlich strahlt, hatte er gelernt, das Ver
einzelte
über
seine Dürftigkeit hinaus
in
einen
geistigen
Zusammenhang zu erheben, das Erfahrungsmäßige auf den
Gedanken zurückzuführcn und das Vernünftige
überhaupt
als das allein wahrhaft Wirkliche zu betrachten, und in dem
er auch dem
erscheinend Wirklichen Gerechtigkeit
widerfahren ließ, war sein Unterschied von denen, die auf
das Letztere allein und ausschließlich alles Gewicht lege», nur der, daß er nicht einseitig war.
Für ihn war der Geist
nicht erst, wenn er abwesend und. abgestorben war; er ver
mochte Geistesgegenwart zu fassen und auszuhalten und den
Gedanken selbst in den befremdendsten Erscheinungen und Zuständen der Völker zu entdecken und in der anmuthigsten.
9 geschmackvollsten Weise darztlstelleit.
Dabei bat er sich nie
der Selbständigkeit seines Geistes begeben; er hat der Wahr heit, wie er sie erkannte, stets die Ehre gegeben, auch nur
bei ihr sich erkundigt, wie sie zu fassen und auszusprechcn
sei, nicht erst aufgehorcht, was Andere, besonders Höher stehende meinten und sagten, um danach alsdann das ei
gene Urtheil rinzurichten; verschmäht hat er jederzeit solche Weise, welche für so Viele heutiges Tages der Weg ist, es zu etwas zu bringen, aber auch, sich lmi.die Achtung An
derer, die auch etwas ist, zu bringen.
Er war überhaupt
eins jener unbequemen, die Wahrheit reinigenden, befreien
den Elemente, wie ssie jeder Wissenschaft und Kunst in jeder
Zeit zll wünschen sind, und ohne welche die kluge Mittel mäßigkeit in allen Fächern bald auf den grünen Zweig kommen wurde.
Zst es nu»! schon so sehr viel, was die wissenschaftliche Anstalt, an der er lehrte, und die Wissenschaft überhaupt, der er diente, an ihm hatte, wie unendlich viel ist cs
10 vollends, was er in allen menschlichm, geselligen Bezichungen war und was wir, die wir seine näheren Freunde waren, an ihm verloren habm.
Za, hier kommen wir schon wie
der an die ganze Tiefe des Schmerzes, welche zu erschöpfen
wir schon im Anfang verzweifelten.
T>er Grundzug seines
Charakters war die gränzenlose Aufrichtigkeit und Gntnnithigkeit; auf diesem edlen Grunde waren in ihm alle seine Tligeuden und Vorzüge, wie seine Fehler und Schwächen
erwachsen.
Für ihn war der Unterschied zwischen Seyn und
Schein, zwischen dem Innern und Aeußem eines Menschen nicht; er gab sich stets ganz so, wie er war, stets vorauS-
setzend, man werde für diese edle Gabe reines ganz klaren,
durchsichtigen Charakters auch das Geringe und Fehlerhafte,
was cr darbor, nicht verschmähen
oder allzusehr tadeln.
Sein Irrthum war nur, daß er diesen seinen Charakter auch in die Welt hineinschaute und alle Menschen nach sich be
urtheilte; so hat er in unendlich Vielen sich betrogen gese
hen, doch auch dieses in seiner Weise leicht verschmerzt und
11 sich durch keinen Haß oder Undank jemals ermüden oder
umändern lassen. Zn dem reichen Maaß seiner wahrhaftigen, alles vergütenden, stets versöhnlichen Menschenliebe hat er es
nie begreifen können, wie man jemanden anhaltend hassen oder jahrelang einen tiefen Groll im Herzen tragen könne;
mifmerksam gemacht auf mögliche Verletzung hat er sofort
seinen Gegnern die Hand zum Frieden geboten und nach der Lehre des Evangeliums ihnen die feurigen Kohlen auf'S
Haupt gelegt.
Seine Auftichtigkeit gränzte besonders
früherer Zeit an Kühnheit,
Unbesonnenheit,
in
Unvorsich
tigkeit und nur mit Mühe ist er dahin zu bringen gewe
sen, zu der schönen Mäßigung der späteren Zahre überzu gehen, wo ihm dann selbst die stets wachsame Feindschaft nichts mehr anhaben konnte.
Ein solcher Character, von
solcher Liebe erfüllt, konnte nicht anders als für die Freiheit fehl, für die Freiheit im Gewissen und Glauben, für die
Freiheit in der Wissenschaft, für die Freiheit im Leben der
Völker: denn Liebe ist Freiheit und Freiheit ist Liebe, und
12 nicht
minder
auch
Gesetzlichkeit.
strenge
Diese
Innig
keit seiner Liebe, die sich nicht weniger ans seinen treuen,
langjährigen
als
Diener,
auf
den
weiten
seiner
Kreis
Freunde erstreckte, sie zeigte sich auch in der nie erschütter
ten Heiterkeit seines Wesens, worin er keine Trübsinnigkeit an sich kommen ließ,
der Unbefangenheit,
in
womit er,
obwohl selbst von großer, geselliger Bildung, sich doch so
oft über die kleinen, gedankenlosen Formen des geselligen Lebens hinwegsetzte,
in
der Lauterkeit seiner Gesinnung/
die nur Einen Haß, nämlich den der Falschheit und Treu losigkeit hegte.
in
der
So
Gesellschaft
frei
und
bewegt,
ist
liebenswürdig hat
er sich
allen seinen
Freun
bei
den gern und immer willkommen gesehen gewesen, und hat
in allen Kreisen, die sein immer reicher Geist und Witz
belebte, und aus denen er nun geschieden, die schmerzlichste Lücke, die innigste Sehnsucht nach sich zurück gelassen.
O!
wie oft wird er uns, ob wir zwar viel schon zu cntbebren
gelernt habe», noch fehlen;
wie sehr wird er.selbst denen
13 fehlen, die seiner wissenschaftlichen Ueberzengnng fern stan den;
wie schwer wird es vollends sein, einen Mann von
solchem Geist nnd Reichthnm an Gedanken nnd Kenntnis
sen, wie er war, zu ersetzen! — Doch,
wo
stehen
wir?
zunächst allerdings
an einer
offenen Gruft, die ein uns allen theures, nun erloschenes
Leben umschließen soll;
Keiner
auf
Erden
doch auch im Reiche Gottes, dem
unentbehrlich,
das
an
Werkzeugen unerschöpflich ist; doch auch in
Kräften
und
der Gemeinde
des Herrn, die er sich durch sein Blut erworben und in
der er seinen Geist auch über diesen seinen Diener so reich lich ergossen hatte,
Und wofür leben wir?
wahrlich nicht
für die kurze Strecke unseres irdischen Daseyns, wo wir kaum Zeit haben, denen, die wir lieben, im raschen Vor
übergehen die Hand zur ewigen Freundschaft zu drücken; sondern leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn; darlnn, wir leben oder sterben,
so
sind wir des Herrn.
Möge von
dieser Ucberzeuglmg
14 vor allem in das weinende Herz der nächsten Verwandten, der Mutter, des Bruders,
der
Entschlafenen kräftiger Trost
allmähliche
Sänftigung
Mögen sie eine
höhere,
beiden
ausfließen
ihres
gerechten
Schwestern dieses
Und
dieser Trost
Schnierzes
göttliche Fügung
semi.
anerkennen in
diesem herben Verhängniß und unter diesen Umständen cs
besonders als eine große Gnade Gottes verehren, daß er ihm die Schmerzen einer langwierigen Krankheit abgekürzt
hat und auf diese, wenn sie so tief gegangen war, den Tod so bald folgen ließ; beim was wäre für ihn ein Lebsn
gewesen ohne Geist, ohne Denken! Wir aber alle, so lange
oder so kurz wir noch leben, wollen in der Hoffnung einer
seligen
Auferstehung
den
theuren,
von
uns
geschiedenen
Amtsgenoffett und Freund im treuen Gedächtniß aufbewäh
ren, sein Andenken in Ehren halten, und alles des Güten uns dankbar freuen, was er auf seiner kurzen Wallfahrt gestiftet und hinterlassen hat.
Hier in der feierlichen Nähe
jener Gräber, denen wir schon so viele unstrer unvergeß-
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liessen Lehrer und Freunde anvertraut haben, ruhet er wür-
diss; hier wird kein Neid und Haß ihn mehr erreichen oder ihm den engen Raum, den er nun einnimmt, streitig
machen; hier wird man neben den Namen, die der Welt und dem Reiche Gottes zur wahren Zierde und Ehre gerei
chen, den künftigen Geschlechtern auch den (einigen nennen, um sie zu ähnliche» Gesinnungen und Thaten anzuseuern: denn das Gedächtniß der Gerechten bleibet in Segen. Amen.
Gedruckt bei Julius Sittenfeld in Berlin,
Burg-Straße Nr. 25.