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German Pages 420 Year 1848
Praktische Theologie von
Dr. Karl Friedrich Gaupp, König!, bonsistorialrath und
ordentl. Professor.
Erster Theil.
Die Liturgik.
B e r l i rr, Verlag von G. Reimer. 1848.
V o r b e r i ch t. ^L>er hier
erscheinende
erste
Theil
Theologie ist unter der Herrschaft
praktischen
meiner
von Umstanden
ge
schrieben, welche mich verhindert haben, im ganzen Um fange Dasjenige für das Buch zu thun, was ich zu thun wünschte.
Beinahe
seit
viertehalb
Jahren
von
einem
schweren Augenleiden hcimgesucht, habe ich mich in den
ersten zwei Jahren dieser Krankheit größtcntheils, seitdem aber gänzlich am Lesen gehindert gesehen und bin daher
außer Stande
gewesen,
überall
in so gründliche For
schungen einzugehen, als ich es unter anderen Verhält
nissen jedenfalls mir zur Pflicht gemacht haben würde. Meine Zeit
war
oft
beschränkt,
und
dann
besonders
drängte sich mir die herbe Erfahrung auf, daß, wo es gilt, nicht
sowohl Bücher zu durchlesen,
als zu durch
laufen und mit glücklichem Takt daö Einschlägige aufzu finden, fremde Augen nie die eigenen zu ersetzen vermögen.
Ich mußte so Vieles ungelesen lassen und mir nachsehen,
was ich bei gesunden Augen mir gewiß
selbst verziehen hätte.
hier
Bemerkte
am Wenigsten
Sollten meine geehrten Leser daS
namentlich
bei
den historischen
Notizen,
IV
welche in einer Liturgik nicht leicht fehlen können, öfters bestätiget finden,
so wollen dieselben sich zugleich nach
sichtig daran erinnern, daß ihnen das Buch eines Ver fassers vorliegt,
dessen wissenschaftlichen Beschäftigungen
keine anderen äußeren Mittel sich darbieten, als sich vor
lesen zu lassen und zu dictiren,
wie denn auch in der
That nicht eine einzige Seite meines Manuscriptö eigen
händig von mir geschrieben ist. Nach diesen Erklärungen bin ich um so mehr Rechen
schaft darüber schuldig, weshalb ich eine seit längerer Zeit gehegte Absicht, die gesammte praktische Theologie nach
und nach für den Druck zu bearbeiten, auch unter den
angegebenen Verhältnissen noch zu verwirklichen begonnen habe: und hier stehe von vorn herein die Versicherung, daß, wenn ich nicht hoffte, auch so, wie ich gegenwärtig
bin, zum weiteren Anbau der praktisch-theologischen Wis
senschaft
Etwas beitragen
und
der Sache des Reiches
GotteS mitten unter seinen gegenwärtigen Bedrängnissen förderlich sein zu können, ich der Ausführung jenes Vor
habens, und damit einem Lieblingswunsche meines Herzens, unbedingt entsagt haben würde. Die Liturgik, als Theorie
des christlichen Cultus, ist trotz ihrer Nöthigung, auf das historisch Gewordene cinzugehen, doch überwiegend thetischer
Natur, und hiermit habe ich bereits den Gesichtspunkt angedeutet, aus welchem ich die Hoffming hegen darf, mit
dieser Arbeit
wenigstens
einige Steine zu dem großen
Werke zuzutragen, welches die neuere Theologie auch in
ihrem praktischen Theile auözuführen hat. Wie eingeschränkt auch rücksichtlich der äußeren Geschäftigkeit ich mich er
blicken muß, so ist doch das innere Leben der Betrachtung nicht eingeschränkt, ja es hat sich die Einkehr in die In
nerlichkeit vielmehr in dem Grade vertieft,
als das mir
V
auferlegte tägliche Kreuz meiner Seele zu einer Nöthigung
geworden ist, mich dort still zu Jesu Füßen niederzusetzen und so in der verborgensten Innenwelt Zuflucht zu suchen. Auf diesem Wege ist meine gestimmte praktische Theologie aus einer einzigen großen Totalanschauung von der Kirche herausgewachsen, aus einer Anschauung, deren Grundzüge
bereits in meiner „Kritik der römischen Kirche" zu er kennen sind, und welche seitdem ihre innere Fülle vor
meinen Augen entfaltet hat, um in allen einzelnen Dis ciplinen des auf hiesiger Universität von mir vertretenen Faches der Theologie, also auch in der hier erscheinenden Liturgik wicderzukchren und als Grundton durchzuklingen.
So biete ich in vorliegendem Buche ein Ganzes dar, dessen mir durchaus eigenthümliches Gepräge auf eine Entstehung
rein von Innen heraus hinweist, und darf hoffen, daß der wissenschaftliche Organismus des Buchs eine Constrnction
aufzcigen wird, in welcher Nichts sich künstlich zusammen
setzt, sondern dem Gegenstände seine dialektische Selbst
entwicklung überlassen worden ist. Meine geehrten Leser werden, bei Vergleichung des Standpunktes dieser Schrift mit demjenigen, welchen das zuletzt von mir herausgegcbcnc Buch: die Union, zweite Ausgabe, Breslau 1847, behauptet, die Bemerkung machen,
daß sie bei diesem gegenwärtigen Versuch mir auf ent-
schiednerem kirchlich-confessionellen Boden begegnen.
In
der That ist mir bei der Ausarbeitung meiner Liturgik mehr als jemals das Bedürfniß fühlbar geworden, einen
bestimmten kirchlichen Ausgangspunkt zu nehmen, da eine »monistische Tendenz, bestimmten liturgischen
welche die Neutralisation der Charaktere beider evangelischen
Schwcsterkirchen bezweckte, schon deshalb als eine unwahre
zu bezeichnen sein würde, weil sic jedenfalls eines festen
VI
Princips ermangelte.
bewähren,
Auch in dieser Hinsicht dürfte sich
was bereits in anderen Beziehungen geltend
gemacht worden ist, daß nämlich einer wahren Union da durch am Sichersten der Weg gebahnt wird, wenn man
jede der bisher getrennten evangelischen Kirchen nach ihrem eigenthümlichen Princip sich fortentwickeln läßt und, unter aufrichtigen Erweisungen gegenseitiger Gemeinschaft in der
Liebe, nur darauf bedacht ist,
Einseitiges zu entfernen.
Hiernach darf ich nicht Anstand nehmen, kenntniß
hervorzutreten,
daß
mit dem Be
vorzüglich in
letzter Zeit
Leben und Wissenschaft sich gleichmäßig bei mir verbunden mich
haben,
dem
lutherisch-konfessionellen Standpunkte
entschiedener wieder zuzuführen. Ein nicht unbedeutender Zeitraum ist zwischen Voll
endung meines Manuskripts und dieser Vorrede verflossen;
ein Zeitraum, in welchem mir manches Treffliche, was
die
neuere
gebracht hat,
erst
Gebiet
auf liturgischem
Theologie
zu Handen gekommen
hervor
ist; leider
zu
spät, um gewisse Punkte, rücksichtlich welcher die von mir
entwickelten Ansichten
eine Berichtigung erfahren habe»,
im Buche selbst noch ändern zu können.
Daher möge
eS mir verstattet sein, wenigstens hier über eine liturgische Angelegenheit mich nachträglich in Gemäßheit der, durch Kliefoth'S neueste treffliche Schrift:
die ursprüngliche
GotteSdienstordnung der deutschen Kirchen lutherischen Be kenntnisses, mir vermittelten richtigeren Einsicht, auszu
sprechen.
—
Ich
habe
Einseitigkeit dargestellt,
Feier
in meinem Buche es als eine
daß im lutherischen Cultus die
des Altarsacrameuts
als die
wahre Spitze jedes
sogenannten Hauptgotteödienstcs betrachtet wird. Ich nehme
keinen Anstand, zu bekennen, daß Klicfoth mich eines Anderen belehrt hat.
Jedenfalls dürfte, bei einer künf-
VII
tigen Umarbeitung des Buches, die Construetion des dritten Haupttheils eine cntsprechenve Aertderung hiernach erfahren. Die beiven ersten Abschnitte werden allerdings nach wie
vor, der eine
von der objectiven,
der andere von der
subjectiven Bestimmtheit des evangelischen Cultus zu han
deln haben.
Jener jedoch wird außer Demjenigen, was
er bei der gegenwärtigen Gestalt des Buches giebt, noch
die liturgische Lehre von den Sacramenten in
nehmen
müssen;
und da
diese Letzteren das
sich auf christliche
Hcilsgut nicht in reiner Objektivität in sich tragen, son dern
ihrer wesentlichen
Verwirklichung
nach
durch
ein
subjectiveS Moment negativ bedingt sind: so werden die Saeramente künftig zugleich einen bequemen Ucbergangspunkt zum zweiten Abschnitte bilden.
Dieser hat sich so
dann mit Darlegung der einzelnen,
durch das subjectiv-
rcligiöse Leben bestimmten Cultusformen zu begnügen und das Capitel von der Composition der Gottesdienste aus
sich zu entlassen.
Hiermit ist schon der Hauptinhalt des
dritten Abschnitts angedeutet. Die Aufgabe desselben wird
nämlich in gründlicher, principieller Nachweisung einer, dem Charakter der betreffenden Kirche entsprechenden Zu sammensetzung ihrer Haupt- und Nebengottesdienste liegen,
wobei die, in den beiven vorigen Abschnitten entwickelten
Momente sämmtlich zu ihrem Rechte kommen müssen, und auch die kirchlichen Benedietionen unter den NebengotteS-
diensten ihre Stelle finden. Bei jener dem Altarsacramcnte vindicirten Bedeutung
für den evangelischen Cultus überhaupt bleibt allerdings die Schwierigkeit zurück, welche im Buche selbst sehr be stimmt hervorgehoben worden ist, daß nämlich die Ver
waltung des Ersteren Gefahr läuft, zu einem bloßen An
hänge des Gottesdienstes hcrabzusinken, wie denn leider
VIII
die bisherige Erfahrung dies in Ansehung des lutherischen
CultuS nur zu sehr bestätiget hat.
—
Gleichwohl darf
die Wissenschaft sich hierdurch nicht hindern lassen, ihre ideellen Anforderungen geltend zu machen, und nur an
der kirchlichen Praxis wird es sein, in Condescendenz zur
Schwäche und Mangelhaftigkeit des gegenwärtigen christ lichen Gemeindelebens, die Sachen so einzurichten, daß in keiner Art durch geringschätzige Behandlung der Institu
tionen
Christi ein Aergerniß gegeben werde.
Hiernach
wird die Liturgik durch die Stellung, die sie principiell
dem h. Abendmahlc im
evangelischen Hauptgottesdienste
anweist, dessen sacramentliche Herrlichkeit wahren müssen;
gleichzeitig aber wird sie unter den gegenwärtigen kirch lichen Umständen es für zulässig erklären, daß die Feier deS
Sakraments
auf festzustellende Termine
beschränkt
werde. Diese Andeutungen genügen; und so stehe hier nur
schließlich der herzliche Wunsch,
möge,
lichung
diesen seines
schwachen Versuch, Namens
daß
cs Gott gefallen
welcher
zur Verherr
unternommen worden
reichem Segen zu begleiten.
ist, mit
dco
ersten Thcilo der praktischen Theologie.
Einleitung.
Leite Capitel. Dad Verhältniß der praktischen Theologie zu den übrigen theologischen Wissenschaften............................. 1 Zweited Capitel. Vom organischen Zusammenhänge der praktisch theologischen Dideivlinen unter einander.............................7 Drittes Capitel Vom geistlichen Amt, von der Beschaffenheit und den Erfordernissen desselben ............................... 40 Viert ed Capitel. Standpunkt .... ..................... 57
Crfted
Xie
Liturgik.
Einleitung. 1. Begriff........................................................................................... 60
§. 2, Wichtigkeit des Studiums der Liturgik................................ 61 $. 3. 4. 5. 6.
Geschichtliche Entwicklung.......................................................62 Zweite Periode: von Constantin bis zur Reformation . . 65 Dritte Periode: von der Reformation bis auf die neueste Zeit 72 Wissenschaftliche Construetion der Liturgik........................... 81
Erster
Theil.
Der Cultus als Produet der religiös-sittlichen Natur des Menschen überhaupt. tz.
7. 3. 9.
Begriff des Cultus.......................................................................... 83 Die Nothwendigkeit des Cultus......................................................85 Das unmittelbare Mitgesehn'ein des Cultus mit der Religion 88
X -Zeile Das Wort als die Grundsubstanz des religiösen Handelns 9S Die im Wort sich darbietenden Hauptelemente des Cultus 103 12. Das Gebet............................................................................... 107 13. Die Metamorphose des Gebets............................................... 109 14. Die begleitenden Gebehrden.................................................... 112 15. Die fromme Betrachtung..........................................................113 16. Der Uebergang des Cultus zu objectiv-festerGestaltung . 114 17. Ovfer.......................................................................................... 116 18. Die Tendenz deS Cultus zur religiösen Gemeinschaft . . 117 19. Der Cultus als Darstellung eines gemeinsamen religiösen Lebens......................................................................................... 120 20. Verwandlung der subjektiven Cultuselemente................... 121 21. Die symbolische Handlung................................................... 122 22. Die Segnung..........................................................................123 23. Die Opfer....................................................................................125 24. Gegensatz zwischen der hervortrctenden ThätigkeitEinzelner und der der Gesammtheit........................................................ 126 25. Die Kunst . ........................................................................................ 128 26. Rückblick.....................................................................................131
§. 10. §.11. §. §. §. §. §. §
§.
§. §. §. §.
Zweiter
Theil.
Der Cultus der positiven Religion der Offenbarung Christenthum.
§. 27. §. 28. 29. §. 30. §. 31. §. 32. §. 33. §. 34. §. 35.
bis zum
Uebergang......................................................................................... 135 Die Art der Entstehung des Cultus in der positiven Religion 136 Rückgang zum Anfänge.............................................................. 141 Inhalt der Schöpfungöreligion und ihr Cultus .... 142 Fall und Voranstalten zur Wiederherstellung........................ 144 DaS Judenthum.............................................................................. 147 Der Cultus der mosaischen Religion........................................ 151 Die Wiederherstellung durch Christus.........................................152 Die Beziehung der ErlösungSthatsachen zum WochencpkluS 153 Dritter
Theil.
Der christliche Cultus. §. 36. §. 37.
Die göttliche Institution des Cultus........................................ 158 Constrnction....................................................................................159
Erster
Abschnitt.
Die abstract-objective Bestimmtheit des christlichen Cultus durch
die geschichtlichen Anfänge des Christenthums.
§. §. §. §.
38. 39. 40. 41. 42.
Einleitung........................................................................................163 Der Inhalt deS Cultus............................................................. 164 Die h. Schrift..............................................................................166 Die Regel undRichtschnur deS evangel. Cultus . . . . 170 Die objective Bestimmtheit deS Cultus in formeller Hinsicht 171
XI
§. 43.
44. §. 45.
46. §. 47. tz. 48.
Die primären Zeiten der Kirche A. Der christliche Sonntag . •............................................. 172 B. Das Kirchenjahr......................................................................... 174 C. Die Feftcpklen 1. Der WeihnachtScpkluS..............................................................179 2. Der OstercpkluS..........................................................................1^Q 3. Der PfingstcykluS....................................................................200 Die sekundären h. Zeiten..............................................................203
Zweiter
Abschnitt.
Die concret-subjektive Bestimmtheit deS Cultus durch das religiöse Leben der Gemeinde.
z. 49. 50. 51. 52. §. 53.
DaS Verhältniß der Objektivität des christlichen Princips zur religiösen Subjektivität der Gemeinde...........................211 Der Unterschied zwischenden beidenevangcl. Schwesterkirchen 212 Folgerungen für denCultus beiderKirchen............................... 214 Die Union........................................................................................216 Construction..................................................................................220
Erstes
Capitel.
Die in der Subjektivität des christlichen Lebens begründeten einzelnen Cultustheile. §. §. §. §. §. §.
54. 55. 56. 57. 58. 59.
§. §. §. §. §.
60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71. 72.
§. ij. §. §. §. §. §.
Die Perikopen................................................................................... 222 Fortsetzung........................................................................................ 223 Das Gebet ...................................................................................229 Der Charakter des Kirchengebets.............................................. 231 Die Hauptarten deS Kirchengebets..............................................236 Wechselwirkung zwischen LiturguS und Gemeinde; liturgische Salutationen und Gesangformen..............................................244 DaS Kirchenlied.............................................................................. 256 Natur und Wesen des Kirchenliedes........................................ 262 Fortsetzung................................. •..................................................267 Fortsetzung......................................................................................... 270 Verfall deS Kirchenliedes . ........................................................275 Der Choral........................................................................................ 279 Die Predigt................................................................................... 284 DaS Halten der Predigt............................................................. 286 Die unmittelbare Hervorbringung der Predigt......................... 287 Der Vortrag der Predigt................................ 289 Deklamation...................................................................................290 Die Action........................................................................................ 291 Der Segen........................................................................................ 294 Zweites
Capitel.
Von der ideellen Verknüpfung der bisher entwickelten Cultuötheile zu einem organischen Ganzen.
§. 73.
Gegenseitiges Verhältniß der Hauptbestandtheile des evangel. Gottesdienstes.................................................................................. 298
XII Seite
§. $. $. §. §.
74. 75. 76. 77. 78.
Der evangel. Gottesdienst im Charakter der Allgemeinheit 300 Der evangelische Hauptgottesdienst............................... 302 Die erneuerte Preußische Landesagende.......................... 302 Princip der Composition des evangel.HauptgotteSdiensteS 306 Lchlußbcmerkungen................................................................317 Drittes
Capitel.
Von der Verknüpfung der einzelnen Cultuötheile zum particulären Gottesdienste. §. 79. Einteilung...................................................................................320 S. 80. Die liturgischen Gottesdienste ........................... 320 §. 81. Der Predigtgottesdienst............................................................. 322
Dritter
Abschnitt.
Das Jneinandersein der objectiven und subjektiven Bestimmtheit deS
christlichen Cultus in den kirchlichen Denedictionen. §. $. §. $. $. §. $.
82. 83. 84. 85. 86. 87. 88.
$. $. §. $. §. §. $. §. §. tz. $. §. §.
89. 90. 91. 92. 93. 94. 95. 96. 97. 98. 99. 100. 101.
Standpunkt......................................................................................326 Die Sakramente...........................................................................329 Die subjektive Bedingtheit des Sakraments................... 332 Die Taufe. Begriff............................................................. 334 Die wesentlichen Erfordernisse der Taufe................... 336 Die Kindertaufe.................................................................. 340 Die liturgisch unwesentlichen Cultuselemente in der Ver waltung des TaufsacramentS 344 Die (Konfirmation. Begriff............................................. 350 Die liturgischen Bestandtheile der (Konfirmation.... 356 DaS Sakrament des Altars............................................. 361 Die äußeren Elemente........................................................ 363 Die Consecration.................................................................. 366 Die AuStheilung..................................................................370 Der Abendmahlsgottesdienst............................................. 373 Die Beichte........................................................................374 Die wesentlichen Bestandtheile der Beichthandlung . . . 383 Die kirchliche Einsegnung der Ehe................................... 385 Die liturgischen Bestandtheile bei der Trauung.... 387 Ordination und Installation.......................................................389 Die Begräbnißfeier.......................................................................396
Anhang. Ein Wort über die h. Räume. $. 1. Die individualisirende Absonderung geweihter Räume . . . 403 Z. 2. Die evangelische Kirche...................................................................404
$. 3. Die vasa sacra................................................................................ 407
Einleitung. Erstes Capitel. Das Verhältniß der praktischen Theologie zu den übrigen
theologischen Wissenschaften. Die praktische Theologie bildet keil ?n Gegensatz zu einer so
genannten wissenschaftlichen Theologie, wie wohl zuweilen fälsch lich angenommen wird; sie hat es auch nicht mit bloßen Kunst
regeln zu thun, sondern, der lebendigen Praris der Kirche zu gewendet, construirt sie sich in streng wissenschaftlicher Form und
ist in manchen Theilen der Speculation viel näher verwandt, als andere theologische Disciplinen.
Unsere erste Aufgabe for
dert eine Nachweisung der Stelle, welche die praktische Theo
logie im System der theologischen Wissenschaften einnimmt.
Die Theologie überhaupt ist das zur Wissen schaft sich gestaltende Bewußtsein der Kirche von sich selbst.
Ein Bewußtsein von sich selbst hat die Kirche noth
wendig von Anfang an.
Sofern sie die sichtbare Erscheinung
des Reiches Gottes auf Erden ist, und nur die Gläubigen ihr
innerlich zugehören, ist auch die Erkenntniß des Heils, so wie des Grundes, worauf die Gemeinde sich erbaut, und des Ziels, nach welchem sie strebt, unter ihren lebendigen Gliedern allge mein.
Daß jenes Selbstbewußtsein der Kirche aber sich auch
wissenschaftlich gestalte,
das bedingt sich wesentlich durch das
Hervortreten eines besondern Standes der Theologen innerhalb aupp prnft. Theol. I.
1
2 der Kirche.
Wenn nun diese letztere selbst der obigen Defini
tion zufolge daS wissende Subject war, jetzt dagegen die Theo logen als Träger des Selbstbewußtseins der Kirche fich dar
stellen, so scheint ein Widerspruch vorhanden zu sein, welcher sich jedoch in Erwägung der wesentlich kirchlichen Bedeutung des theologischen Standes ohne Schwierigkeit löst.
Die Theo
logen sind ein nothwendiges Glied im Organismus der Kirche;
nicht blos nach ihrer Subjektivität kommen sie darin in Be tracht, sondern begehren von der kräftigen Objektivität der Kirche getragen zu werden, gleich wie sie auch ihrerseits dieselbe tra gen.
Hiernach bilden sie den Centralpunkt des kirchlichen Selbst
bewußtseins, um es wiederum von hier aus nach der Peri pherie hin sich ergießen zu lassen, und es wäre daher ein Theolog mit einer subjektiv sich isolirenden Stellung der Kirche
gegenüber, kein wahrer Theolog mehr und besäße die ihm bei wohnenden Kenntnisse schon deshalb, weil sie dem Umlauf der
in der Gemeinde circulirenden Lebenssäfte sich entzögen, im
Charakter bloßer Zufälligkeit.
Die Kirche selbst wenigstens
könnte von ihrem Standpunkte aus die Sache nur so ansehen; für sie wäre derjenige kein Theolog, welcher nicht, wie äußer lich, so innerlich, ihrem lebendigen Organismus angehörte und ihr Selbstbewußtsein repräsentirte. DaS S-stem der theologischen Wissenschaften muß sich noth wendig aus einer Entwickelung der Hauptmomente ergeben,
welche im kirchlichen Selbstbewußtsein enthalten sind. Da die Kirche der Welt der sichtbaren Erscheinung ange
hört, und der geschichtlichen Entwickelung unterliegt, so theilt
sie auch das LooS mit Allem, was zur Erscheinung des irdi schen Daseins gelangt: es besteht ein Unterschied zwischen ihrer
Idee und ihrer erscheinenden Wirklichkeit.
Es liegt daher noth
wendig in der Aufgabe ihres zur Wissenschaft sich gestaltenden Bewußtseins, daß sie sich selbst in ihrer innersten Wesenheit, in
3 ihrer Idee, als ihrer eigentlichen Wahrheit, erfasse.
Hiernach
bildet die principielle Theologie den ersten Hauptast der
cheologischen Disciplinen.
Die dazu gehörigen Zweige sind leicht
zu bestimmen. Da die Kirche eine wesentlich geschichtliche Größe mit that sächlichen Anfängen ist, so kann sie a priori nicht construirt werden;
sie will vielmehr ihrem Wesen nach zuerst aus dm
historischen Zeugnissen, die von ihr vorliegen, begriffen sein. Wie sie nun im apostolischen Zeitalter, wo sie ihrem Ursprünge am Nächsten ist, auch im Vergleich mit ihren späteren Entwicke
lungen, ihrer Idee am Adäquatesten sich darstellt, so ergiebt sich dieselbe auch am Treusten aus den uns hinterlassenen Schrif ten der Evangelisten und Apostel,
die uns darin einen hellm
Spiegel des Urchristenthums in der Art gegeben haben, daß nicht allein im Leben Jesu das gelungenste und entsprechendste
Abbild dieses göttlichen Originals, dessen Persönlichkeit aus den Evangelim durch den Geist immer aufs Neue zu lebendigem Dasein in der Gemeinde aufgeweckt werden soll, für alle Zei ten im großen Tempel der Kirche aufgestellt, sondern auch der
Apostolat selbst, auf dessen Grunde sie sich erbaut, zu bleiben
dem Dasein in den apostolischen Briefen für die Kirche ver ewiget ist.
Es gehört einem andern Orte, daS Gesagte durch
Entwickelung des JnspirationsbegriffS zu begründen;
hier ge
nügt eS, hervorzuheben, daß der Ursprung des Reiches GotteS
auf Erden, daß seine Gründung, so wie die Gesetze seiner Ent
wickelungen, daß endlich auch die Vollendung desselben und hiermit alle Mommte, welche in der Idee der Kirche des Herrn
enthalten sind, in jenen historischen Urkunden ihrer Anfangs be schlossen liegen, und alle Principien, wonach Lehre, Leben, Cul
tus, Verfassung u. s. w. innerhalb der Gemeinde sich zu gestal ten haben, in größter Lauterkeit und Klarheit aus der h. Schrift
entnommen werden können.
Will daher die Kirche sich a po1 *
4 sleriori in ihrer Idee ergreife«, so sieht sie sich nothwendig an
diese Quellen deS göttlichen Worts gewiesen, und auch die Theo logie selbst muß aus diesem Borne schöpfen. Es ist folglich der erste Theil der principiellen Theologie die eregetische
Theologie.
Da wir hier nur die allgemeinsten Lineamente
des Systems der theologischen Wissenschaften zu zeichnen beab sichtigen, überheben wir unS aller weiteren hierher gehörigen
Fragen und Deduktionen und bemerken nur, daß an die erege tische Theologie die Hermeneutik nothwendig sich anschließt; desgleichen sofern es bei unsrer gegenwärtigen Entfernung von der Zeit der Entstehung jener h. Urkunden einer wohlgeordne ten Summe von Vorkenntnissen bedarf, um sich des Standpunkts der ersten Leser zu bemächtigen, die Einleitung in die h. Schrift sammt der Kritik derselben.
Sofern endlich eine
geschichtliche Entwickelung der Offenbarungsidce in ihr hervor
tritt, und eine Vielheit von Lehrtropen unter einer höheren Ein heit bemerkbar ist, ist es die biblische Theologie, welche alle in dieser Hinsicht gewonnenen Ergebnisse wissenschaftlich zu sammenfaßt. — Es ist hier nur anzudeuten, wie im N. T.
selbst die Nöthigung liegt, das A. in die Sphäre der exegeti schen Theologie mit hineinzuziehen.
Das zur Theologie sich gestaltende Selbstbewußssein der
Kirche kann sich unmöglich bei dieser blos historischen Erfassung ihrer Idee beruhigen. Wenn im Reiche Gottes die Menschheit
ihre Aufgabe in der Art vollendet, daß sie nur in ihrer Zu sammenfassung unter das eine Haupt, Christus, ihr göttliches Ziel erreicht: so stellt nothwendig im Christenthume ein Mittel
punkt der Entwickelungen der Menschheit sich dar, zu welchem
alle ihre natürlichen Anlagen und sittlichen Aufgaben eine le bendige, innere Beziehung haben.
Wie hiernach die Idee des
Reiches Gottes den tiefsten spekulativen Fragen, die den Phi losophen beschäftigen, innigst verwandt ist, so begehrt sie auch
5 selbst, sich spekulativ zu vollbringen.
Die Theologie hat daher
daS Streben, was zunächst als ein geschichtlich Gegebenes von
ihr ausgenommen ist, in ein frei Gesetztes zu verwandeln, wel ches seine innerste Wahrheit durch seine Uebereinstimmung mit den heiligen Urkunden der Kirche darzuthun hat. Zur principiellen Theologie gehört hiernach 2) die spe kulative Theologie.
Der Begriff des Reiches GotteS bildet hier gleichfalls den
Ausgangspunkt.
Die vollkommene Vereinigung der Gottheit
und Menschheit in Christo macht schon deshalb den Wende punkt in der Geschichte der Menschheit, weil überhaupt die Er
hebung des Menschlichen zum Göttlichen und die Versenkung
dcS Göttlichen in das Menschliche, also die werdende Einheit Beider, sowohl die Aufgabe unsers Geschlechts, als auch der
Grundinhalt seiner Geschichte ist. Reich GotteS sich
Hiernach unterstellt auch das
einer doppelten Betrachtungsweise:
Gottesthat und Menschenthat zugleich.
es ist
Beide Faktoren wirken
nicht bloö zusammen, sondern sind in einander; gleichwohl bil den sie verschiedene Gesichtspunkte, von welchen aus das Reich
Gottes angeschaut werden kann.
Wenn die Spekulation die
Idee desselben vollzieht, sofern es durch Gottes That bestimmt
und zu bestimmen ist, bringt sie die christliche Dogmatik her
vor.
Läßt sie dagegen das Reich Gottes sich gestalten, sofern
es durch des Menschen Thun bestimmt wird, so entsteht die christliche Ethik.
Es ist klar, daß diese Gegensätze von Gottes
und Menschenthat nur relativ sind, da, was der Mensch thut,
nur insofern ein Moment für das Reich Gottes ist, als es
in Gott gethan wird, und wiederum auch das göttliche Thun sich menschlich vermittelt.
Jedenfalls dürfte der hier gesetzte
Unterschied zwischen Dogmatik und Ethik eine sichere Grenzlinie abstccken, um, waS jedem Gebiete angehört, scharf zu bestimmen
6 und die innige Zusammengehörigkeit beider Disciplinen sowohl, alS ihren Unterschied, deutlich erkennen zu lassen. Da die Kirche als die geschichtliche Erscheinung deS Rei ches GotteS auf Erden auftritt, wie es mit Christo in der Menschheit angebrochen ist, so verfolgt sie auch von diesem, ihrem lebendigen Anfänger auS eine nach göttlichem Plan ge ordnete, historische Entwickelung, welche das wissenschaftlich ge staltete Selbstbewußtsein der Kirche gleichfalls in sich aufzu nehmen hat. Der zweite Hauptast im System der Theologie ist daher die historische Theologie. Sie verfolgt die Lebenseutwickelungen der Kirche nach ihren verschiedenen Hauptrichtun gen, in Mission, Lehre, Cultus, Disciplin und Sitte, Verfas sung, bis auf die Gegenwart herab. Wie diese eine Vergan genheit hinter sich hat, deren Resultat sie ist, so hat sie auch die Aufgabe für die Zukunft, auf der Basis ihrer geschichtlich gewordenen Verhältnisse in Gemäßheit ihrer Idee, dem ihr vor gesteckten Ziele ihrer Vollendung zuzustreben: eine Aufgabe, welche prakttsch gelöst sein will. Jeder einzelne Gläubige zeigt sich in dem Maße in Lösung derselben begriffen, als er, in der Heiligung wachsend, durch den Geist am inwendigen Menschen erstarkt. Hievon jedoch ist jetzt nicht die Rede, sondern eS han delt sich von dem, was die Kirche als Kirche zu thun hat, um der erwarteten Zukunft des Herrn auch ihrerseits entgegen zu gehen, und eS muß dieselbe daher dieser ihrer eignen Thätig keiten sich gleichfalls lebendig bewußt werden. Sofern nun dieses Bewußtsein sich wissenschaftlich gestaltet, entsteht die praktische Theologie, oder die Theorie von den Thätigkeiten der Kirche, durch welche sie sich, in Gemäßheit ihrer Idee, fortentwickelt, um zu ih rer Vollendung zu gelangen.
.
Main bat freilich gewähnt,
6
82 gleichwie man,
von allen positiven Rechten abstrahirend, in
einem sogenannten Naturrecht ein schlechthin allgemeines Nor
malrecht aus Vernunftprincipien aufstellcn
zu können glaubte,
daß also auch ein schlechthin allgemeiner Nvrmalcultus, einer
bloßen sogenannten Vernunftreligion entsprechend, sich construiren
lasse, und Robespierre hat einen würdigen Versuch zu dessen
Ausführung gemacht.
Heut sieht man ein, daß seneS Natur
recht ein Unding ist, und wie das Recht überall nur als ein
positives wirklich wird, so ist eS auch der Cultus nur in seiner Positivität.
Wir finden uns also
zunächst an die positiven
Religionen verwiesen, wo sich unS aber sogleich der Gegensatz
zwischen heidnischen Natur- und geoffenbarten Religionen auf drängt.
Mit den ersteren haben wir hier Nichts zu schaffen.
WaS aber die letzteren betrifft, so können sie, als aus einer Quelle herfließend, nie im Widerspruch
mit einander stehen,
müssen vielmehr in einem planvollen, innern Zusammenhänge
sein und demnach als Entwicklungsstufen der, fortschreitend sich enffaltenden Offenbarung begriffen
werden.
Hieraus
erhellt
aber, daß auch die entsprechenden Culte an jenem innern Zu
sammenhänge nothwendig
in der Art Theil nehmen, daß sie
unter einen einheitlichen Gesichtspunkt fallen, und daß also, so fern das Christenthum andre geoffenbarte Religionen zur Vor
aussetzung hat, sein eigenthümlicher Cultus nur im Zusammen hänge mit den ihm vorangehenden Culten zu verstehen sein werde.
Sonach stellt sich uns die Aufgabe, bis zum Uranfange, wo überhaupt ein Offenbarungscultuö beginnt, zurückzugehen und
denselben von da auS in den allgemeinsten religionsgeschichtlichen Zügen bis zum Christenthum herab zu verfolgen.
Es ergibt
sich hieraus die Unabwcisbarkeit unseres zweiten religiousgeschichtlichen Theils.
Indem dieser unsere Bettachtung nun von
selbst dem christlichen Cultus zuführt, schließt der dritte Theil
unmittelbar sich dem zweiten an.
83
Erster
Theil.
Der Cultus als Product der religiös-sittlichen Na tur des Menschen überhaupt.
§. 7. Begriff des Cultus. Der Cultus in seiner vollendetsten Gestalt ist die, von
einer frommen Gesammtheit vollbrachte Darstellung
ihres gemeinsamen religiösen Bewußtseins, organisch ge
ordnet in der Mannichfaltigkeit seiner Ausdrucksformen, mit dem Zweck der Erbauung zur Lebenseinheit mit Gott. Diese Definition bezeichnet den
ohne jedoch die Folgerung
wendigkeit des Cultus
zu
objectivsten Standpunkt,
gestatten,
von anderer,
daß die Noth
als rein subjektiver
Art sei.
Die gewöhnliche Art, unsern Begriff zu fassen, ist ganz ungenügend, wie z. B. aus Hüffcll zu ersehen ist.
Dieser de-
finirt §. 4 so: „Unter Cultus versteht man den Inbegriff der Handlungen und Formen, worin und wodurch einefromme
Gemeinschaft, so wie die einzelnen Mitglieder derselben, ihre
religiösen Ideen und Gefühle auszudrücken und zugleich zu er halten, zu beleben und zu erhöhen suchen." —
rung
stehen gewichtige Bedenken entgegen.
Dieser Erklä
Zunächst ist das
Wort „Cultus" darin in so unbestimmter Allgemeinheit ge nommen, daß die individuellsten Aeußerungen des religiösen
ebensowohl darin aufgehen, als
der
organisch vollendete Cultus einer religiösen Gesammtheit.
Cs
Lebens
der
Einzelnen
ist aber wichtig, daß unser Begriff sogleich in seiner bestimmten Beziehung auf eine religiöse Gemeinschaft gefaßt werde, weil unsere Wissenschaft nur auf diesem Gebiet versirt.
ist die lerikalische Bedeutung deS Worts eine andre. 6*
Allerdings Aber der
84 Sprachgebrauch hat einmal für unsere Auffassung des Begriffs entschieden, und es erscheint als ein Mangel, wenn auch die
blos individuelle Gottesverehrung in der Definition deS Cultus Raum findet. —
Die
Zwecks unterliegt noch
darauf folgende Bestimmung seines
gewichtigeren Einwänden.
Es sollen
durch ihn die religiösen Ideen und Gefühle ausgedrückt werden.
Zwar wird gar nicht geleugnet, daß in der menschlichen Natur jenes Bedürfniß, Gedanken, wenn sie eine Energie der Ueber
zeugung gewonnen haben, desgleichen lebhafte Gefühle der Rüh rung, des Danks, der Freude,
deS Schmerzes u. s. w. zum
Ausdruck zu bringen, tief gegründet ist, sowie, daß hierin ein Moment liegt, welches zur Entstehung des Cultus mitwirkt;
jenes Bedürfniß aber findet auch schon in den ganz unmittel baren
und
unwillkürlichen Aeußerungen Dessen,
was
den
Menschen bewegt, seine Befriedigung, und doch sind dieselben noch gar nicht ein Cultus in unserm Sinne, welcher sich in
seiner festgestalteten Objektivität und organischen Gliederung aus
jenem Bedürfniß, ein Inneres äußerlich auSzudrückcn, keineswegs hinlänglich erklärt.
Das unwillkürliche Händefalten oder das
Aufschlagen des Blicks gen Himmel, wie es durch Erregung andächtiger Gefühle veranlaßt wird, desgleichen
Kundgebung heftiger Ergriffenheit,
die äußere
wie wenn der Wilde sich
auf sein Angesicht wirft — Alles dieses hat zwar eine innere
Beziehung zum Cultus, ist jedoch ein solcher noch nicht und
erklärt ihn auch nicht.
Doch Hüffell fügt zu dem angegebenen
Zwecke noch einen andern hinzu.
Die religiösen Ideen und
Gefühle nämlich sollen nicht blos ausgedrückt, sie sollen auch erhalten, belebt und erhöht werden. — Nun ist Dies richtig,
daß jede lebhafte Aeußerung
eines Innern unmittelbar auf
dieses letztere selbst stärkend und befestigend zurückwirkt,- sofern jedoch hierin der Zweck des Cultus erkannt werden soll, paßt
eS nicht einmal auf die rohesten Anfänge deffelben in den heid nischen Naturreligionen. Wenn der Fetischdiener seinem Götzen
85 Speise und Trank vorsetzt, so hat er dabei zunächst gar keine
Erhöhung seiner eignen religiösen Stimmung im Auge, sondern er will seinem Götzen etwas Angenehmes erweisen und ihn dadurch sich günstig machen.
Ganz ähnlich verhält es sich mit
dem so höchst wichtigen Opfercultus der alten Welt, welchem
fast immer eine versöhnende Bedeutung zukommt.
So ist e-
vielmehr die Vermittlung irgend einer persönlichen Beziehung
und Gemeinschaftt mit dem Gegenstände göttlicher Verehrung, welche der Cultus bezweckt. Selbst da, wo cs an der Erkennt niß dcS lebendigen, persönlichen Gottes fehlt, dichtet nichtsdesto
weniger die religiöse Phantasie des Menschen an der Stelle
des einen eine Menge persönlicher Wesen als Gottheiten: so unabweisbar ist das Verlangen und das Bedürfniß der Men schenbrust nach einem persönlichen Gott, mit welchem er auch
sofort durch seinen Cultuö ein erwünschtes Verhältniß sich an zuknüpfen und zu sichern bemüht ist.
Dem Gesagten zufolge sind die Hauptmomente in unserer
Definition diese: a) der Cultus ist ein, zur Einheit mit dem Gegenstände göttlicher Verehrung erbauendes Handeln; — b) er
ist ein zu objectiv-fester Gestaltung organisch geordneter, als
Cultus
einer
bestimmten
frommen Gemeinschaft; —
c) er
hat die Darstellung des gemeinsamen religiösen Bewußtseindieser letzteren, in der Mannichfaltigkeit seiner Ausdrucksformen, zum Inhalt.
Unsere Definition wird sich noch mehr bestätigen,
wenn wir nunmehr unsere nächste Aufgabe lösen, den CultuS
bis in seinen geheimsten Ursprung zu verfolgen und darin die innere Nothwendigkeit seiner Entstehung zu begreifen. Um hier bei den richtigen Standpunkt zu behaupten, muß bemerkt wer
den, daß, wenn auch die aufgestellte Definition durchaus die
Objektivität der Religion zur Voraussetzung hat, die nachfol
gende Entwickelung doch ihren Ausgangspunkt ganz von der subjectiven Religiosität nehmen muß, da nur auf diesem Wege
86 der Cultus, als ein durch die religiös-sittliche Natur deS menschlichen Geistes nothwendig gesetztes Product begriffen wer
den kann.
Diese bezeichnete Bahn wird sodann die Betrach
tung einzuhalten haben, bis auch dieser Gang sie einem Punkte
entgegcnführt, wo der Umschlag der Subjektivität in die Objek
tivität sich als wesentlich geboten herausstellt.
§. 8. Die Nothwendigkeit des Cultus. Auf dem
höchsten
Standpunkte
menschlicher
Ent
wickelung würde allerdings das ganze Leben des Menschen
zu einem ununterbrochenen Gottesdienste werden, und eS müßte dann der Cultus als eine, nach Zeit und Ort sich
besondernde, eigenthümliche Lebensäußerung unsers geistigen Daseins aufhören.
Auf dem Standpunkte jedoch deS ge
fallenen Menschen
als solchen,
wo das
Leben desselben
mit Gott und in Gott wesentlich als Religion auftritt,
geht auch nothwendig aus dieser der Cultus als eine sich besondernde
Erscheinungsform des geistigen Daseins deS
Menschen hervor, so daß, wo kein Cultus, da gewiß auch keine Religion ist.
Stellen wir uns die h. reinen Engel vor, welche immer dar vor Gott stehen, so finden wir allerdings für einen besondern Cultus bei ihnen deshalb keinen Raum mehr, weil ihr
ganzes Dasein darin aufgeht, XettovQyixa nvevfiaza zu sein,
und so schwindet uns auch, wenn wir uns das Endziel, wel chem das Reich Gottes zustrebt, daß nämlich Gott sei Alles in
Allem, vergegenwärtigen, der Cultus im engeren Sinn gänzlich
dahin.
Das ist das Moment der Wahrheit im Bewußtsein
Derjenigen, die vom Cultus als von etwas Ueberflüssigem re-
87 de» und meinen, daß es der Religion des Geistes und der
Wahrheit noch gelingen müsse, allen Cultus abzuschaffen. Aber sie verkennen
in
ihrer
spiritualistischen Selbsttäuschung den
gegenwärtigen Standpunkt der Natur des Menschen gänzlich.
Für den Gefallenen giebt eS keine andere Form seines Lebens
mit und in Gott, alS die der Religion.
Man hat Biel ge
stritten, ob sie ein Erkennen, oder ein Fühlen, oder ein Han
deln sei, und sie ist doch, einseitig genommen, dieses AlleS nicht, während sie andrerseits alS Leben in der Gemeinschaft
mit Gott den ganzen Menschen, mit allen seinen höheren und niederen Kräften, selbst bis in sein leibliches Dasein herab in
Anspruch nimmt.
Zu jenem göttlichen Leben oder für Gott ist
ursprünglich auch der Mensch geschaffen: das ist die Idee seiner
Gottebenbildlichkcit.
Insofern wir jedoch dasselbe im Zustande
des Gefallenen als Religion bezeichnen, drücken wir damit auS, daß daS göttliche Leben deS Menschen nur als ein, beständig
von Neuem sich anknüpfendeS auftritt; und wie hiermit auf die menschliche Schwachheit und Sündigkeit hingedeutet wird, so liegt darin auch der zureichende Grund, weöhalb ein
besonderer Cultuö bei unserem gegenwärtigen Dasein uns unent behrlich ist. Wir sind in der Ableitung des Worts religio dem Augustin
gefolgt, welcher sich in seinen RelraclaL 1, 13, sowie de vera
Relig. c. 55 hierüber ausspricht.
An der letzteren Stelle sagt
er: Religel nos religio omnipolenli Deo, unde religio dicta
credilur.
Deögl. heißt es bei Lactant.
divin. inslil. IV, 28
Hoc vinculo piclalis obslricti Deo el religali suinus; unde
ipsa religio nomen accepil, non ul Cicero (de Nat. Deor.
2, 28.) interprelalus esl, a relegendo.
Jetzt wird eS UNS
zunächst obliegen, die Art und Weise, wie die Religion noth wendig zum Cultus führt, näher zu entwickeln.
88
§♦ sDas unmittelbare Mitgesetztsein des Cultus mit der Religion. Obgleich die wahre Religion nothwendig zuletzt auf einen objectiven Anfang durch göttliche Selbstoffenbarung
zurückweist, so kommt sie doch hier vornehmlich als sub-
jectiveS Leben in Bettacht, psychologischen
Wahrheit
sofern der Culttls in seiner
als
wesentliches
Menschengeistes begriffen werden soll.
angegebenen Beziehung
die
Product
Es ist aber in der
Religion Lebensgemeinschaft
mit Gott, die in ihrem Centrum als Glaube sich
Wäre nun die Beharrung
stimmt.
des
be
in diesem Lebens
mittelpunkte dem Frommen das schlechthin Natürliche, und
hiermit dessen Einheit mit Gott vollendet, so käme eS
gar
nicht
zur
Besonderheit
eines
Cultus.
Weil aber
diese Voraussetzung nicht gegeben ist, so bezeugt auch der Glaube
ebendann sein Dasein,
daß er unmittelbar ein
religiöses Handeln mit reflexiver Richtung auf sich selbst
auS sich hervortreibt.
Dieses Handeln mit der Tendenz,
zu organischer Gliederung sich abzuschließen, ist der Cultus.
Um das unmittelbare Mitgesetztscin deS Cultus
mit der
Religion zu begreifen, bedarf es vor Allem einer gründlichen
Entwicklung des Begriffs der letzteren selbst, wobei wir jedoch den Ausgangspunkt nicht von der objectiv-festen Gestaltung der Religion in einer bestimmten religiösen Gemeinschaft nehmen dürfen, sondern zunächst blos zuzusehen haben, wie sie über haupt als Lebensprincip,
also
im
einzelnen Menschen, sich
manifestirt, um demnächst auch als eine Gemeinschaft bildende Macht sich zu offenbaren.
Mit einem Worte: die Religion
89 beschäftigt und hier, sofern sie subjektives Leben ist; — und man darf sagen, daß, wofern sie nicht auch in dieser Gestalt schon
die Anfänge deS Cultus in sich schlöffe, dieser letztere auch in
der Objektivität der kirchlichen Gemeinschaft einer sichern Basis ermangeln würde. In abstracto gefaßt,
ist die Religion als Leben in und
mit Gott zu erklären, und eS erhellt schon hieraus, wie oben bereits angedeutet worden, daS Jrrthümliche solcher Bestim mungen, die sie
auf eine der verschiedenen Grundrichtungen
des menschlichen Daseins einschränken, sei eS nun, daß sie ein Fühlen, oder ein Handeln, oder ein Erkennen sein soll.
Da
Gott den ganzen Menschen in Anspruch nimmt, so hat auch die Religion die Tendenz, alle Sphären seines Lebens und Wirkens zu durchdringen und
ihn nach
Leib und Seele zu heiligen.
Nun kommt eö aber darauf an, wie wir die wesentlichen Mo
mente derselben in ihrer innern Beziehung auf einander, und
hiermit die Religion nach ihrer subjectiven Genesis zu bestim men haben.
Eö wird von manchen Seiten geltend gemacht, daß zunächst der erkennende Mensch an ihr betheiliget werde, und so
fern die Religion als ein objectiv-gegebenes Princip kirchlicher Gemeinschaft gedacht wird,
ist dies richtig; denn
in diesem
Falle muß die äußere Lehrmittheilung, durch das, alles Erken nen verleiblichende Wort sich vermittelnd, das in Dogmen sich erplicirende Bewußtsein der religiösen Gemeinschaft fortpflanzen
und eS immer neu bethätigen, daß der Glaube auS der Predigt kommt.
Ueberhaupt mag man zugestehen,
daß
der absolute
Anfang der Religion im Menschengeschlecht jedenfalls auf ob
jective Offenbarung GotteS, als die schlechthinige Boraussetzung derselben, zurückzuführen sein dürfte.
Rücksichtlich der subjec-
tivcn Religiosität jedoch ist nicht zu übersehen, daß Jemand die
90 ganze Lehrsumme einer frommen Gemeinschaft begrifflich aus genommen haben und doch ein irreligiöser Mensch sei« kann.
Die subjektive Genesis der Religion führt uns zunächst
auf den fühlenden Menschen.
Es findet dieser sich in die
Mitte einer sichtbaren Welt gestellt, die in der tiefen Hierogly
phenschrift ihrer wechselnden Erscheinungen überall ihm ein un
sichtbares Wesen verkündigt, dessen ewige Kraft und Gottheit durch alles Erschaffene hindurch waltet und daher auch in sei nem unmittelbaren Selbstbewußtsein sich beurkundet.
So ent
steht da- religiöse Gefühl, als Bewußtsein davon, daß die ganze Welt des Erscheinenden, bis in das eigenste subjektive
Leben hinein, eine höchste Ursache zur Voraussetzung hat und deren Herrlichkeit offenbaren soll.
Selbst rücksichtlich des ersten
Menschen ist zuzugeben, daß zunächst auch ihm die, ihn um gebende sichtbare Schöpfung, gleichwie sein persönliches Dasein,
das große Buch Gottes war und sein sollte, aus dessen sich immer neu verleiblichenden Worten eine unerschöpfliche Fülle religiöser Anschauungen ihm entgegentrat, und daß folglich auch
ihm die Anfänge der subsectiven Religiosität in einer reichen Innenwelt frommer Gemüthserregungen lagen, wenn gleich, wie
schon angedeutet, wir keineswegs leugnen, daß eine persönliche
Gottesoffenbarung als Voraussetzung von dem Allem im Vor dergründe steht.
Die fernere Entwicklung der religiösen Mo
mente wird uns gleichfalls daö Bedürfniß einer solchen erkenn bar machen; für den Augenblick jedoch abstrahiren wir davon um so mehr, als eine gewichtige Stimme die ganze Religion
in das Gefühl gesetzt hat, und es daher von Interesse ist, die Bedeutung, die dem frommen Gefühl für sich allein in der
Religion zukommt, in Erwägung zu ziehen.
Erpliciren wir also zuvörderst das angegebene erste Mo ment.
Indem Schleiermacher die Religion überhaupt in
das Gefühl der absoluten Abhängigkeit von Gott setzt, erklärt
91 er zugleich, daß das hierin enthaltene Gottesbewußtsein nie
rein für sich vorkomme, sondern überall an einem Weltbewußt sein hafte, sofern eben nur etwas Bestimmtes als von Gott abhängig zu wissen, dagegen eine abstract vorgestellte Abhän
gigkeit ohne alles Substrat gar nicht denkbar sei.
Die Natur
des religiösen Gefühls ist hiermit tief und wahr aufgefaßt; zugleich aber ergiebt sich schon aus dem Gesagten die Mangel
haftigkeit der so bezeichneten Stufe des religiösen Lebens.
Im
Gefühl entdeckt sich dem Bewußtsein kein, der Welt transscen denter persönlicher Gott; es ist überall blos eine Aussage von seiner Immanenz in der Welt und kann daher auch durch keine darüber sich verbreitende Reflerion zu einem eigentlichen Wissen von Gott werden, noch sich wesentlich über die Stufe bloßer
Ahnung erheben.
So ist cS
nur
ein Göttliches überhaupt,
welches hier dem Bewußtsein aufgeht.
Da allerdings der füh
lende Mensch auch ein erkennender werden will, so muß auch in der religiösen Gemüthscrregung die Tendenz siegen, ein ob jectives Bewußtsein des Gefühlten aus sich zu entfalten.
So
fern aber hierbei keine persönliche Gottesoffenbarung zu Hilfe
kommt, sind es mehr Bildungen der schöpferischen Phantasie, welche auf diesem Wege entstehen und, zu persönlichen Wesen
gestaltet, von dem tiefen Bedürfniß des menschlichen Herzens nach einer persönlichen Beziehung
zu Gott Zeugniß ablegen.
Daß die Religion innerhalb dieser Sphäre nie über den Poly theismus hinauskommt, findet feinen natürlichen Grund in der unendlichen Mannichfaltigkcit der religiösen Assertionen, die den dichtenden Menschengeist zu immer neuen Bildungen in der
Art veranlassen, daß zuletzt doch alle Geschöpfe seiner Einbil dungskraft selbst auch
der Welt angehören.
Die gebildetsten
Völker der alten Welt können dies nur bestätigen.
Zwar ent
decken wir in ihnen Reminiscenzen einer Urreligion des Men
schengeschlechts und hiermit sciics Streben nach dem Monothe-
SS iSmu-, welches selbst die Vielgötterei in ihrer systematische« Tendenz noch an sich offenbart.
Weil aber diese Erinnerungen
keinen Charakter sicherer Erkenntniß hatten, und eben deshalb
jene Religionen vorherrschend im Gebiet der Naturanschauung versirten, wurden die Götter der alten Welt je länger je mehr
zu Dichtungen des Menschengeistes, welcher, berührt zwar von der Ahnung des Göttlichen, doch hierin keine Schutzwehr gegen daS,
allmählich um sich greifende sittliche Verderben zu finden vermochte. Hiermit sehen wir uns dem zweiten Momente der religiö
sen Lebensentwicklung zugeführt, wo auch der handelnde Mensch
als solcher davon in Anspruch genommen wird.
JedenfallS
nämlich bedingt daS religiöse Gefühl ein Weltbewußtsein, worin
diese einer höheren Macht unterworfen gedacht wird.
Wenn
nun auch der religiöse Mensch selbst sich inmitten der Welt findet und folglich an der erwähnten Abhängigkeit mitbetheiliget ist, so muß nothwendig auch die, ihm gestellte sittliche
Aufgabe hierdurch bestimmt werden.
Nur insofern er seiner
seits in der Harmonie des Weltganzen aufgeht, kann er das
richtige Verhältniß zu
seinen Göttern offenbaren und ihrer
Gunst sich zu erfreuen haben.
So mahnt ihn seine Religion
zu einem Doppelten: einerseits nämlich objectiv mittelst har
monischer Gestaltung alles Natürlichen nach dem Willen der Götter die Abhängigkeit der Welt von ihnen ethisch zu bethätigen;
andererseits aber subjektiv sich selbst an diese höhere Ordnung aufzugeben, da nur die Vermeffenheit den Göttern
gegenüber sich isoliren und feindselig auflehnen kann. Nun wird aber diese sittliche Lebensaufgabe nie vollzogen, da die
Selbstsucht ihr überall in den Weg tritt, und, selbst wenn dies vom Einzelnen nicht gelten sollte, nur um so stärker der Volks egoismus sich manifeftirt.
Gleichwohl bleibt es ein Bedürfniß
des religiösen Bewußtseins,
den Göttern Genüge zu leiste»
und so erbietet sich dem Menschen von selbst der Ausweg,
93 Dasjenige, was durch sein ganzes sittliches Dasein sich nicht
erfüllt, wenigstens mittelst besonderer Darstellung zur Anschau
Hier sehen wir also einen Cultus entstehen,
ung zu bringen. ebenso
mit der
giösen
LebenS
als
Tendenz,
zollen
und
Princip
entsprechenden Ausdruck zu
seinen
andererseits,
einem vorhandenen
Göttern
den
deren Gunst sich
einen zu
schuldigen
sichern.
reli
gewähren,
Tribut
zu
Es ist aber klar,
wie beide Tendenzen sich verschlingen, gleichwie auch, daß es selbst diesem Cultus nicht an einem gewissen ethischen Momente
gebrach, sofern er auf eine, zu lösende sittliche Aufgabe hin
wies.
Nur Eins fehlte der antiken Naturreligion auch in ihrer
vollendetsten Entwicklung, nämlich die wahre Innerlichkeit. Auch
des Griechen Gottheit gehörte im Grunde immer der Welt mit zu und sollicitirte daher seinen Blick nach Außen, nie aber, sich
einwärts zu kehren.
So ging in der Idee der Harmonie der
ethische
die Schönheit
Zweck auf;
wurde Grundprincip der
griechischen Weltanschauung und beherrschte natürlich auch alle Darstellungen und Ausdrucksformen des gemeinsamen religiösen
Bewußtseins.
Wenn aber auch der Einzelne in sich selbst jene
Harmonie gestört fand und in feindlichen Zwiespalt den Göt
tern gcgenübcrtrat, so behauptete er vor ihnen immer noch ein gewisses Recht; denn sie waren zuletzt doch nur Welt, wie er; der unendlich reine, von der Welt abgesonderte, in sich selbst
h. Gott, vor welchem Alles sich schuldigen muß, blieb ihm un
bekannt, und er vermochte daher nimmer, im tieferen Bewußt sein der Sünde und Schuld zu jener Selbstvernichtigung zu gelangen,
welcher
die
wahre Erneuerung deö Lebens folgt.
Hiernach erblicken wir den Keim des TodeS in allen Formen
deS religiösen Daseins, welchen die persönliche GotteSoffenbarung entschwunden ist, und überzeugen uns, daß überall zu
letzt das Dichten deö menschlichen Herzenö in seiner Eitelkeit an den Tag kommen muß.
94 Dies führt uns auf den Punkt zurück, von welchem unsere Betrachtung auSgegangen ist, daß nämlich ein göttlicher Offen barungsact die nothwendige Voraussetzung und der absolute
Anfang aller wahren Religion auf Erden ist, dieser jedoch an sich genommen zunächst blos ein objectives Erkennen GotteS be dingt, welches sofort in subjektives Leben übergehen soll.
Die-
sen Uebergang nun haben wir bisher in zwei wichtigen Mo
menten uns vergegenwärtiget.
Die frommen Erregungen deS
fühlenden Herzens, womit der Durchbruch in die Subjektivität
sich anbahnt, bilden die freundlichen Lvckstimmen GotteS, womit er sanft und mächtig die Herzen anzieht.
Im Gebiete der
offenbarungslosen Naturreligion ertönten sie dem Menschen nur gleichwie die Stimme eines geheimnißvollcn Unbekannten, der
in tiefen Waldesgründen, hinter Büschen verborgen, beständig rief, um gesucht zu werden, aber sich doch selbst nimmer sehen
ließ.
Die Offenbarung vorausgesetzt, weiß nun der Mensch,
wer der ist, dessen er inne wird, und erkennt fortan auch als Handelnder die ganze sittliche Aufgabe als einen höchsten Wil
len, dem er sich unterwerfen muß. stehen zu bleiben.
Hierbei
ist jedoch nicht
Denn so lange Gott und der Mensch noch
zwei sind, kann auch der letztere vor dem, ihm gesetzten ethi
schen Zweck, die Welt sammt sich selbst unter Gott zu bringen
und nach ihm, zu welchem (Ǥ avtov) Alles geschaffen ist, zu
gestalten, selbstsüchtig zurücktreten und sich feindselig isoliren. Er muß also vor Allem EinS mit Gott werden d. h. sein, zunächst blos objectives Erkennen muß in ein subjektiv-leben
diges übergehen zur tiefen, innigen Einheit deö Erkennenden
und Erkannten.
Innerhalb des, nach Außen gerichteten Welt
bewußtseins ist dies nicht zu vollziehen, da Gott, als der per
sönliche Herr, der Welt transscendent ist.
Es bleibt mithin
dem Menschen nur die Einkehr in sich selbst, um in seiner ver borgensten Innerlichkeit Gott gegenwärtig zu finden und sich
95 hier vollständig an ihn aufzugeben.
In der That kommt eS
auf diesem Wege zu einem wechselseitigen Bundes- oder Ber-
mählungsacte, wo Gott und Mensch gleichsam die Hände in einander fügen,
und
ein beharrendes religiöses Bewußtsein
ausgebvren wird, worin Gott realiter mitgesetzt ist als wirken
der Geist, und der Mensch sich selbst in Gott und Gott in sich ergreift und festhält. wahre,
Dieses Bewußtsein ist der Glaube als
lebendige Gotteserkenntniß und Princip deS ewigen
Lebens, welches auch Christus selbst als ein Erkennen des allein
wahren GotteS und Dessen, den er gesandt hat, bestimmt. Im Glauben vereinigen sich göttliche und menschliche That, wie
denn in ihm die einmalige persönliche Menschwerdung Gottes
in Christo sich unendlich wiederholt durch den Geist.
Einer
seits ist er ein freier Act des menschlichen Willens, andrerseits auch ganz göttliche Wirkung, Beides in einander aufgehend; und es ist klar, wie nun erst die Religion in ihr wahres Lc-
benöcenttum gelangt ist, um fortan den ganzen Menschen in
Anspruch zu nehmen.
Das religiöse Fühlen gestaltet sich setzt
zu süßem Hoffen, sofern darin das unmittelbare Jnnewerdcn
eines Princips enthalten ist, das die Verheißung seines künf
tigen Sieges in sich schließt.
Das Begehren wird reines Lie
ben; denn das gotterfüllte Gemüth begehrt in dem Maße, als cs sich reiniget, Nichts mehr für sich, sondern Alles, auch daS eigene Dasein eingeschloffen, für Gott und vollbringt hierin die vollkommene Selbstentäußerung, worin wiederum der Glaube
erstarkt.
Versuchen wir dem Entwickelten zufolge eine prä
gnante Definition der Religion in ihrer Subjectivität, so ist
sie lebendiger Glaube, welcher die innere Erfahrung frommer Gemüthserregungen zur Voraussetzung, und die Heiligung des ganzen Daseins für Gott zur nothwendigen Folge hat.
Jetzt
wird sich leicht zeigen, wie der Cultus als ein nicht abzuwei
sendes Bedürfniß unmittelbar mit der Religion mitgesctzt ist.
SS Wie alles Janen sich äußern muß, so auch das Leben i» Glaube«.
Di« unwiderstehliche Nothwendigkeit hievon liegt i«
dem Verlangen des Frommen, Gott an seinem Theile verherr
lichen zu helfen.
Hiermit jedoch ist die Entstehung eines, or
ganisch in sich abgeschloßnen Cultus noch keineswegs begriffen. Denken wir uns
das Leben im Glauben vollendet und den
Menschen also in ununterbrochener Einheit mit Gott, so wür den alle Glaubensäußerungen als sittliches Thun überall nur
eine vorwärtsgehende, in reiner Unmittelbarkeit auf die Ver herrlichung Gottes abzielende Richtung verfolgen, niemals aber
in der Absicht einer Förderung des Glaubens reflexiv sich auf ihn
Dann aber
selbst zurückbeziehen.
wäre auch für eine«
besondern Cultus kein Raum mehr vorhanden, da sein ganzes Dasein als ein beständiger Preis GotteS in Cultus aufgehe«
würde.
Das Bedürfniß der Aeußerung des Innern wird uns
daher für den Cultus allerdings zwar wichtig, aber nur insofern, als eS in ein anderweitiges Bedürfniß verschlungen ist, uud hierüber hat bereis der vorige $. Andeutungen gegeben.
Es bedarf nämlich der Glaube einer immer neuen Er weckung und Stärkung, da der in die Zerstreuungen des irdi
schen Daseins vertiefte Mensch stets geneigt ist, sich auSwärtS,
statt einwärts zu kehren.
Darüber aber entschwindet ihm leicht
das Vermögen der Einkehr überhaupt, und des Glaubens Kraft wird abgestumpft und gelähmt.
Wenn nun das Bewußtsein
des Frommen dies alS das Unheil erkennt und richtet, so macht sich ihm hiermit auch das Bedürfniß fühlbar, dem Glauben
durch beständige Unterstützungen
zu Hilfe zu kommen, und
und immer neue Erweckungen
es entsteht so ein eigenthümliches
religiöses Handeln, welches zwar rein sittlicher Natur ist, gleich wohl aber, vom religiösen LebenScentrum, dem Glauben, aus gehend, nicht einem vorwärts liegenden ethischen Zwecke mt-
gegenstrebt, sondern in reflexiver Richtung zum religiösen Lebens-
97 Mittelpunkte selbst sich zurückwendet.
Dieses Handeln, eo ipso
mit der Religion gegeben, ist der Cultus, und ihm wesentlich
die Tendenz, das Glaubensleben zu erwecken und zu stärken,
oder, weil in diesem Gott realiter mitgesetzt ist, dem Frommen die Lebenöeinheit mit Gott zu vermitteln, d. h. ihn zu erbauen.
Wir haben unS bereits überzeugt, wie selbst die heidnische Re ligion ein Analogon hievon aufweist, und es dürfte vornehm
lich von diesem Punkte ans klar werden, wie Wenig mit jener oberflächlichen Zweckbestimmung, wonach der Cultus „religiöse Gefühle und Ideen ausdrücken, erhalten, beleben und erhöhen soll," gewonnen ist.
Dem Gesagten zufolge beabsichtigt inson
derheit der christliche Cultus überall zwar die Verherrlichung Gottes; diese Tendenz aber erscheint durchweg eingefaßt in die
der oixodopr).
Eben indem die Gläubigen sich erbauen auf
ihren allerheiligsten Glauben, wird Gott am Sichersten an ihnen und durch sie gepriesen, und so konnte Paulus den Kanon
für die christliche Gemeindeversammlung aufstellen, daß, was
zur oixodop^ nicht diene, auch kein Recht darin in Anspruch nehmen solle.
Schließlich begegnen wir dem möglichen Einwurf, daß die, auf dem bezeichneten Wege nothwendig erfolgende Aussonderung
des Cultus als eines, in sich geschlossenen Organismus reli
giösen Handelns
nur behauptet,
aber nicht nachgewiesen sei.
Es ist jedoch leicht darzuthun, wie sogar dem einzelnen From men derartige, zu einer religiösen Tagesordnung sich gestaltende
Handlung innerlich geboten ist. Denn je mehr er das Bedürf niß empfindet, seiner Religiosität eine dauernde Vermittlung zu
gewähren, desto weniger kann er diese letztere durch schon vor auszusetzende fromme Gemüthserregungen bedingt sein lassen. Ja, in je geringerem Grade er solche in sich findet, desto be dürftiger der religiösen Uebungen wird er sich fühlen und hier mit um so geneigter sein,
G au» » pratt. lheol. I.
jenem Handeln, anderem sittlichen
7
98 Thun gegenüber, ein eigenes, selbstständiges Recht zuzugestehen.
Hiermit aber bildet er sich nothwendig auch eine fest bestimmte religiöse Lebensordnung und sondert Tageszeiten aus, die der Erbauung zu widmen sind; und es ist natürlich, daß, was im
Leben des Einzelnen sich manifestirt, auch in der frommen Ge meinschaft wiederkehrt.
Wir müssen hierauf zurückkommen.
§. 10.
Das Wort als die Grundsubstanz des religiösen Handelns. Jedes
lebendig
erzeugte Wort ist eine That, durch
welche der Gedanke, der außer dieser Verleiblichung noch
gar nicht ist, Gläubige
sich selbst
seinen Cultus
als er sein,
Wenn nun der
erst vollbringt. nur
insofern
ausführen
kann,
im Glauben ruhendes religiöses Bewußtsein
zur Erbauung sich äußern läßt: so ist klar, daß auch dies wesentlich durch das Wort sich vermitteln muß, welches
jedoch im Gebiet des
religiösen Lebens nothwendig auch
einen eigenthümlichen Charakter annimmt.
Das Wesen der Religion bedingt auch eine eigenthümliche
religiöse Sprache.
Wenn die Religion den ganzen Menschen
dergestalt in Anspruch nimmt, daß sie alle Kräfte desselben aus
allen Einseitigkeiten bestimmter Richtungen ins
Gleichgewicht
zurückführt; wenn sie sich ebensowohl an die Sinnlichkeit, als an die Geistigkeit des Menschen wendet und darin ihre innerste
Wahrheit offenbart, daß sie auch die Leiblichkeit nicht leer aus
gehen läßt von der Theilnahme an den himmlischen Verhei
ßungen: so muß auch die religiöse Sprache eine solche sein, welche jeder Einseitigkeit des geistigen Lebens in der Verstan
des-
und Willensrichtung fremd,
ebensosehr
Verstand
und
SS Gemüth, als Gefühl und Phantasie beftiediget.
Hiernach er
scheint uns die religiöse Sprache als eine schlechthin universelle,
deren Grundcharaktere sich nun leicht bestimmen lassen.
Wiewohl es richtig ist, daß das religiöse Gefühl an sich keine sichere Basis des Cultus zu werden vermag, sofern nur ein leidentlicher, wandelbarer Zustand sich darin kund giebt, den
der Fromme nicht in seiner Gewalt hat, und daß daher auch das bloße Interesse an der Darstellung frommer Gemüthszu stände nimmermehr einen Cultus hervorbringen würde: so ist nichtsdestoweniger die religiöse Sprache zunächst eine Sprache
des fühlenden Menschen und hat daher den Charakter einer bilderreichen
Frische
und
Lebendigkeit.
Denn
als
Ausdruck des Glaubens giebt sie einer Gotteserkenntniß Worte,
die nicht aus der dialektischen Selbstbewegung des Gedankens hervorgegangen, sondern subjektives Leben ist und daher, wie sie
fromme Gemüthserregungen zur Voraussetzung hat, also auch selbst eine unendliche Empfänglichkeit für immer neue Erregun
gen des warmen religiösen Gefühls bedingt. Es ist daher nicht die abstracte Allgemeinheit des religiösen Gedankens, die hier zu
Tage kommt, sondern es ist die concrete Lebensanschauung eines erleuchteten Auges, welches unmittelbar gleichsam in das offene Liebesherz Gottes hincinblickt und seine Gesinnung gegen die
Werke seiner Hände im reichen Walten seiner Güte und Weis
heit versteht und belauscht.
So eignet der religiösen Sprache
jene tiefsinnige Symbolik, die sich mehr oder weniger in allen
Gebieten des religiösen Lebens wiederfindet und ganz besonders geeignet ist, wo das beschränkte menschliche Wort die unendliche
Fülle des Inhalts im
Bewußtsein
nicht zu fassen vermag,
wenigstens der ahnungsreichen Betrachtung einen Stützpunkt zu gewähren und den sinnenden Verstand zu fesseln. — Wenn
der Charakter der Naivität sich als eine Kindlichkeit der An-
fchauungs- und Auffassungsweise bestimmt, sofern sie durch eine 7*
100 relativ-nothwendige Beschränktheit gegeben ist, so liegt schon in
dem Bisherigen, daß mit der Symbolik der religiösen Sprache eine würdevolle Naivität derselben im engsten Zusammenhänge
steht, da die natürlichen Schranken des menschlichen Daseins auf unserm Gebiet eben darin fühlbar werden, daß das All gemeinste sich hier der Anschauung überall nur in der concre-
testen Besonderheit enthüllt und dm Frommen an den P au li
tt i sch en Ausspruch erinnert: wir sehen hier durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort. Aber diese Naivität offmbart nur um
so reiner das, dem gegenwärtigen Standpunkt des Menschen
angemessene kindliche Verhältniß zu Gott und geht daher auch nicht in das Spielende und Läppische über, sondern bleibt mit der edelsten Simplicität als Ausdruck innerster Wahrheit ge paart.
Dies führt die Betrachtung zu einem zweiten Grund
charakter der religiösen Sprache; aber bevor wir uns ihm zu wenden, soll der zuerst entwickelte nur mit einem Beispiel be
legt werden.
Christus ermuntert in der Bergpredigt die Sei-
nigen, alle ängstlichen Sorgen fahren zu lassen, und gründet diese Ermahnung darauf, daß der himmlische Vater Lust am
Leben hat und seine Fürsorge auf alle Geschöpfe erstreckt. Dies wird jedoch nicht als abstrakter Gedanke von ihm ausgesprochm; sondern er richtet den Blick unmittelbar auf das Concreteste hin und läßt darin das unendlich großherzige Walten der Güte Gottes, die sich aller seiner Werke erbarmt, erkennen, so daß
die kleinliche Sorge davor zu Schanden werden muß.
Die
sorglos umherfliegenden Vögel, die Lilien des Feldes werden so zu sinnvollen Symbolen, welche als verkörperte Worte Got
tes von ihm zeugen und den Kleinmuth beschämen. — Hierher gehören auch die Parabeln, mit ihrem unerschöpflichen Reich
thum an Lehrgehalt in unscheinbarer Hülle, wie wenn z. B. der Säemann den Herrn und seine Boten, wenn der Saame das Wort mit den ihm inwohnenden Lebenskräften, wenn die
101 mancherlei Arten des Ackers die menschlichen Herzen symbolisiern, und der sehr verschiedne Erfolg der Aussaat auf irdischen Bo
den die Verschiedenheit der Aufnahme des Evangeliums, sowie seiner Wirkungen zu bildlicher Darstellung bringt.
Ein zweiter Eharakterzug der religiösen Sprache ergiebt sich durch die Erwägung, daß sie sich als die Sprache eines
Glaubens erweist,
worin eine reelle Lebensgemeinschaft des
Menschen mit Gott sich bethätigt, in welchem daher unmittelbar Gott selbst mitgesetzt ist. Im Glauben erst gelangt der Mensch zu seiner innersten Wahrheit, und es offenbart des Ersteren
göttliche Natur sich insonderheit darin, daß er, erhaben über
alle wechselnden Eindrücke unsers täglichen Daseins, in der Entblößung von allen Unterstützungen, wie das Gefühl und die lichte, heitre Anschauung sie gewähren, am Meisten in sei ner Kraft und Stärke sich vollendet und dann gleichsam un
mittelbar aus sich selbst zu leben vermag.
Demgemäß hat die
Sprache des Glaubens eine, von allen Vermittlungen durch die
eigene geistige Thätigkeit des Menschen unabhängige göttliche Kraft, direct und energisch auf sein innerstes Bewußtsein ein zuwirken; denn wie sie aus seinem tiefsten religiösen Gewissen
heraus redet, so dringt sie auch mit Erweckungskraft urplötzlich
hinein, und das geistige Ohr vermag sich von dieser Stimme aus einer höheren Welt nicht abzuwenden.
Wir haben durch
das Gesagte eine siegende Objektivität der Wahrheit als einen eigenthümlichen Charakter der religiösen Sprache bezeichnet,
welcher sie in ihrer höchsten Potenz in der That als Wort GotteS erscheinen läßt. Wo sie aber auch diese erhabene Stufe nicht erreicht, bleibt ihr gleichwohl als wesentlicher Grundzug
jene sententiöse Bedeutsamkeit in Würde und Ein falt, wie sie z. B. in der Vorliebe des Morgenländers für sinnreiche Sprüche hervortritt.
Daher nähert sich die religiöse
Sprache so gern dem gnomischen Charakter, daher liebt sie so
10t den plastisch abgerundeten, wie zu einem objectiv-fertigen Ge bilde sich fairen wollenden Ausdruck des unendlichen Gedankens. Denn nicht blos durch seinen verständig erfaßlichen Sinn soll das formulirte Wort auf uns wirken; auch als eine st. Magie begestrt es sich zu erweisen und die schöpferisch bildende Kraft seines reichen Jnstalts auch durch den plastischen Aus druck, den es istm giebt, zu verratsten. Man vergleiche die Seeligpreisungen, womit die Bergpredigt beginnt: und sie wer den in istrer wunderbaren Tiefe das Vorstehende bestätigen. Aber auch jenes mächtige alttestamentliche: „Du sollst!" in den st. zehn Geboten ist wostl schon oft als eine unmittelbare Weck stimme Gottes in schlafende Gewissen eingedrungen. Die religiöse Sprache ist endlich auch die Sprache des handelnden Menschen und offenbart hiermit jene praktische Anwendbarkeit, welche die wahre Popularität begründet. „Anknüpfend (vergl. Tstoluck in der Vorrede zu seinen Pre digten S. 47.) an die, im Volk vorhandenen und allbekannten Marimen und Ansichten, Thatsachen und Erfahrungen," redet sie gemeinfaßlich aus dem gesunden Menschenverstände heraus und ist, auch wo sie dem natürlichen Mutterwitz*) ein Räthsel zu deuten überläßt, der beabsichtigten Wirkung gewiß. Denn das Paradore übt nur eine um so stärkere Anziehungskraft und prägt die Wahrheit in dieser Hülle dem Gemüth desto tiefer ein. Wenn Christus den Kanon aufstellt: was ihr wollt, daß euch die Leute thun sollen, das thut ihr ihnen —: so bewährt dieses Wort seine praktische Anwendbarkeit nicht sowohl darin, *) Der Mutterwitz ist einerseits das, was der Begriff ausdrückt, also Witz; andererseits liegt in der Zusammensetzung des Worts mit „Mutter" die Vorstellung de« Angeerbten. Es bezeichnet daher den Witz, nicht wie er als individuelle Anlage, sondern als ein allgemeinerer Charakter vorhanden ist, dessen einzelnem Träger kein nothwendiges Bewußtsein darüber beiwohnt.
103 daß eS, auch in fleischlicher Buchstäblichkeit
genommen, eine
sichere Regel des Handelns an die Hand giebt; vielmehr könn ten Unverstand und Bosheit es leicht zum ärgsten Mißbrauch
verkehren; sondern darin vorzüglich,
daß es einen gesunden
Sinn voraussetzt, der nicht nur nicht irre gehen kann, sondem aufgefordert und hiermit auf ein
auch zu eigener Thätigkeit
weites Feld umfaffender Anwendung durch den fraglichen AuSspruch geführt, die reichste Nahrung darin findet.
Von der
selben Natur sind andere Sprüche des Herrn, deren Räthsel-
haftigkeit
sich bis zur Paradvrie erhebt,
wie wenn er vom
Ausreißen des Auges, vom Abhauen der Hand oder des Fußes
redet und hierbei nur eine feste Entschiedenheit der Entsagung im Sinne hat.
Schon in dem Bisherigen liegt das Anerkenntniß, daß die Sprache der h. Schrift das vollkommenste Muster der religiösen Sprache darstellt, und wir daher auch überall, wo von dieser
die Rede sein wird,
auf das h. Bibelwort werden zurück
kommen müssen.
Die im Wort sich
§. 11. darbietenden Hauptelemente
des Cultus. Das religiöse Lebenscentrum ist der Glaube, und es liegt daher
bei dem Zweck der Erbauung Alles daran,
den Glauben zu erwecken
und
zu
stärken,
wobei aber
wiederum sich von selbst versteht, daß Alles, was zu dem
Ende geschieht, auch seinerseits nur Ausdruck eines, in dem bereits vorhandenen Glauben wurzelnden religiösen
Bewußtseins sein den Grundformen
kann.
Die hier in Betracht kommen
bestimmen
sich
auf dem Standpunkt
104 der
subjektiven Religiosität al- Gebe! und fromme
Betrachtung.
Auch wenn Beides rein innerlich vollzogen wird, bleibt gleichwohl das Wort die alleinige Vermittlung, da alles Den ken ein Sprechen ist, und es erscheint hiernach gerechtfertiget,
wenn wir schon in der Sphäre der reinen Subjektivität des Cultus, wo das Wort vielleicht gar nicht zur Verlautbarung
gelangt, es dennoch als den Grundstoff des religiösen Handelns
in den genannten beiden Beziehungen hervorheben. Wie folgerichtig eS auch ist, wenn hier in Gemäßheit deS gegebenen Begriffs der Erbauung, die jederzeit auf Lebens
einheit mit Gott hinausläuft, der Glaube als das beharrende
Point de vie des Cultus auftritt, so könnte dies doch thatsäch
lich sich nicht durchweg zu bestätigen scheinen, wie wenn z. B. der christliche Prediger die Gemeinde für irgend einen bestimm
ten sittlichen Zweck zu gewinnen sucht und doch dabei nichts
an sich Unrichtiges thut, selbst wenn Das, was er verfolgt,
etwas Einzelnes ist. Aber auch in diesem Falle wird nur in sofern wahre Erbauung gefördert werden, als der Redner dar
auf hinwirkt, daß daS zu erregende sittliche Interesse aus dem Glauben hervvrgehe, widrigenfalls ihm gar keine religiöse Be
deutung zukäme. Da der Glaube ein „geschäftig Ding" ist und, wie oben gezeigt, mit der ethischen Aufgabe des Menschen
überhaupt im Zusammenhänge steht, so ist eS allerdings wohl zu denken, daß er in einer ganz speciellen Beziehung angeregt
werde, um, trotz seiner Hinlenkung auf einen einzelnen Punkt, eine allgemeine Belebung zu erfahren. Der vorstehende $. hat jedoch den Glauben nicht blos alS das Ziel, sondern auch als die feste, beharrende Basis des Cultus aufgefaßt, sofern nämlich die Mittel desselben nothwen dig in dem bereits vorhandenen Glauben wurzeln, und nur,
105 was dessen lebendiger Ausdruck ist, ihm auch zur Förderung werden kann.
Hier nun erhellt, wie jetzt erst jene sichere
Grundlage gewonnen ist, die das wandelbare religiöse Gefühl deshalb nie gewähren konnte, weil es, sich selbst überlassen,
niemals
in wahre Gotteserkenntniß
übergehen kann.
Der
Glaube dagegen schafft seiner Natur nach ein beharrendes reli giöses Bewußtsein und offenbart sich, da dieses sich nothwendig
in bestimmten Dogmen erponirt, als fruchtbare Quelle einer yvtoais, die, mit dem wissenschaftlichen Geist im Bunde, in
ihrer Weise das ganze Gebiet des menschlichen Daseins in sich
aufnimmt. Wenn nun rücksichtlich der Belebung des Glaubens durch die Aeußerungen seines Bewußtseins die Frage entsteht nach
dem Wie? — so kann zunächst allerdings darauf verwiesen werden, daß nach einem allgemeinen Gesetz alle Aeußerungen
eines vorhandenen Innern, wie sie als natürliches Bedürfniß auftreten, so auch selbst wieder kräftigend und erhöhend auf
jenes Innere zurückwirken. Wir reichen jedoch damit nicht aus,
da hier die Erbauung als ein Zweck sich gezeigt hat, auf wel chen geflissentlich hingewirkt wird, der also nicht als ein, nur
gelegentlich mit zu erreichender dastehen darf.
Es ist folglich
die bestimmte Frage zu erheben: wie hat sich daS religiöse Be
wußtsein zum Zweck der Erbauung zu äußern? — und es muß
in der Antwort hierauf klar werden, daß die angegebenen Grundformen des Gebets und der frommen Betrachtung eine innere Nothwendigkeit haben. Im Glauben begegnen uns zwei Factoren, indem darin
göttliches und menschliches Thun dergestalt in einander aufgehen, daß er mit gleichem Recht aus beiden Gesichtspunkten gefaßt werden kann.
Nach dem einen fällt der Glaube in die Kate
gorie menschlichen Wollens; nach dem andern ist er ein Ge
schenk der freien Gnade Gottes. Dieser Zweiheit gemäß gestalten
106 sich jedenfalls auch die Aeußerungen de- frommen Bewußtseins,
sofern sie eine erbauliche Tendenz haben, d. h. mittelst Er weckung des Glaubens auf die Lebenseinheit mit Gott hinwirken.
Insofern hierbei Gott als der, aus seiner Fülle Ge
bende erscheint, ist der Mensch ihm gegenüber ein Empfangender im Eharakter der Gottleidenheit und kann seinerseits nur Eines dazu thun, indem er nämlich als Bittender vor den Herrn
Hiermit ist die erste Grundform der erbaulichen Aeuße
tritt.
rung des religiösen Bewußtseins nothwendig als Gebet be stimmt. Die Tendenz der Erbauung kann aber auch der andern Seite deS Glaubens sich zuwenden, wonach er als menschliches
Thun zu begreifen ist.
Hier nun gilt eS, das fromme Be
wußtsein sich in der Art äußern zu lassen, daß der, auf Gott gerichtete Wille dadurch gereizt, und so der Glaube erweckt werde.
Zu diesem Zweck müssen die Motive zu gläubigem
Ergreifen GotteS und zur Hingabe an ihn sich dem Willen
vergegenwärtigen, um in der beabsichtigten innern That, die
nun unmittelbar auch in Gebet übergehen kann, zu enden.
Hiermit haben wir offenbar die fromme Meditation, die
religiöse Betrachtung, beschrieben mit ihrer Grundrichtung
auf die, durch den Willen sich vermittelnde Erweckung deS in nern Lebms. Die im $. bezeichneten
beiden Hauptformen erscheinen
nunmehr gerechffertiget, wie sie denn immer noch dieselben blei ben, auch wenn die Poesie in Verbindung mit der Religion neue Formen der frommen Lebensäußerung hervorbringt. Denn auch das geistliche Lied läßt jenen doppelten Charakter überall nur in einer eigenthümlichen Gestalt an sich hervortteten, indem
bald das Gebet, bald die Meditation, bis zur unmittelbaren
Anrede an das eigene Herz des Sänger-, darin das Borwie gende ist.
107 Die nachfolgende Betrachtung wird sich nun mit den bei* den Grundformen weiter zu beschäftigen haben.
§. 12. Das Gebet. Wenn zum Inhalte deS religiösen Bewußtseins, so bald eS sich in bestimmte Dogmen erponirt, auch Dieses
als zugehörig sich zeigt, daß Gott, wie der Urgrund alles
Lebens überhaupt, also auch der Anfänger und Vollender unsers leiblichen und geistigen Lebens
ist: so führt dies
den, sich schlechthin von Gott abhängig wissenden From men nothwendig
ihn
zu
wenden
darauf, und
sich in
damit
ein
allen Dingen direct an
dauerndes
Verhältniß
zwischen sich und dem Herrn seines Daseins zu begrün
den. Das Gebet ist ein Gespräch des Herzens mit Gott,
zum Behuf der Vereinigung mit ihm.
Hiergegen scheint zunächst einzuwerfen, daß der hier bezeich nete Zweck keineswegs im Gebet überall hervortrete, da wir viele Anliegen haben, die sich ausschließlich auf unser irdisches Dasein beziehen.
Wenn daS aber auch nicht geleugnet wird,
so ist doch hier die Frage, ob daS ein rechtes Gebet sei, dessen
letzte Tendenz sich in Gott nicht endet?
Alles Sichtbare und
Zeitliche ist dem Frommen eine Stufenleiter zum Ewigen, und
jedes auf Irdisches bezügliche Verlangen verhüllt ihm nur sein tiefer gerichtetes Sehnen nach einer Lebensgemeinschaft, in wel
cher die volle Befriedigung für Alles liegt; und so meint er
im letzten Grunde Gott in jeder Gabe, die er von ihm begehrt. Immerhin mag daher der Cultus im Gebete gleichfalls diese Condescendenz zum Bedürfniß unsers täglichen Daseins üben: nur anders nicht, als in diesem Aufsteigen vom Sinnlichen zum
108 Unvergänglichen. — Hiernächst ist klar, daß, gleichwie «nsere
Definition den lebendigen, persönlichen Gott al- Endzweck deGebet- bestimmt und dessen ultima ratio in einer Sollicitation
Gotte-, fich finden zu lassen, erkennt, also auch ein Bewußtsein der
Persönlichkeit desselben, al- bereit- vorhanden, von ihr voraus gesetzt wird.
Daher die Erfahrung, daß die, an das Pan
theistische anstreifende theologische Denkart sich in der Regel
au- dem Gebete nicht- Sichere- zu machen weiß; denn der Beter muß einen Gott haben, von welchem er sich auch wirk
lich Etwa- au-bitten kann. Selbst Schleiermacher gestattete,
weil er für die Gebetöerhörung im engeren Sinne keinen Platz
hatte, seinem System lediglich eine heilsame Rückwirkung des Gebet- auf da- Gemüth zu jener Resignation, welche jedes besondere Anliegen aufgiebt.
Erponiren wir un- nun die im Gebet enthaltenen Mo mente, sofern sie für unsere weitere Entwickelung eine Bedeu tung gewinnen. — Zunächst ist eö ein Gespräch, also eine
wirkliche, durch da- Wort sich vermittelnde, Anrede Gotte-, welche eine göttliche Antwort (vergl. die Psalmstelle 10, 17:
da- Verlangen des Elenden rc.) vorauSsetzt. Erst im Worte vollbringt sich der, sich darin verleiblichende Gedanke, und auch der betende Sinn bedarf de- Worts, durch welches
allein erst da- Gebet Bestandtheil de- Cultus werden kann. — Nächstdem wird der, auf die angegebene Art sich vermit
telnde Vortrag ein Gespräch des Herzen- genannt.
Das
Herz also ist da- betende Subject; es ist die entsprechende Gemüth-stimmung, die lebendig erregte Empfindung des Gött
lichen, au- deren innerster Wahrheit da- Gebet hervorgehe« soll; ein Zustand der Gottleidentlichkeit ist es, au- dem es sich unmittelbar producirt, und wir sind geneigt, es für ein bloße-
Lippengeplärr anzusehen, wenn Jemand betet, ohne daß ihm so zu Muthe ist. — Diese beiden Momente Hingen in der Voll-
109 bringuug des GebetS innig nad tief in einander und erhöhen
sich wechselseitig.
Unter dem Gespräch mit Gott gewinnt das
Gefühl einen immer volleren und mächtigeren Fluß, und wie
derum dieses verstärkt den Erguß der Rede, bis das Herz das
Ueberschwengliche nicht mehr auszusprechen vermag, und so wird aus der lebendigen Wechselwirkung der beiden ersten Momente ein drittes geboren, die aiytf, wenn der Betende aufhört zu reden, um nur in tiefster Innerlichkeit still vor Gott
stehen zu bleiben und sich selbst hingebend an ihn zu ver lieren. — Wenn wir so im Gebet den Weg zur Gottinnigkeit
erkennen, so müssen wir doch zugleich sagen, daß es in diesem
Stadium aufhört, Gegenstand liturgischer Betrachtung zu sein;
nächstdem aber begegnet uns auch sogar im subjektiven Cultus das Gebet keineswegs allein in der Form des unmittelbaren
Herzensergusses, sondern gestaltet sich schon in dieser Sphäre zu
einem formulirten Ausdruck, welcher sich nach Maßgabe der innern Fülle des frommen Bewußtseins allmählig zu bereichern sucht.
Um sedoch in dieser Art aufzutreten, hat es eine Meta
morphose zu durchlaufen, welche aus dem Bisherigen leicht zu begreifen sein wird.
§. 13. Die Metamorphose des Gebets. Auch in Ermangelung der gottleidentlichen Gebets stimmung, bleibt das Gebet dem Frommen Bedürfniß, weil er sich desselben als einer Bedingung seines geistigen Lebens bewußt ist. Indem jedoch mit der entsprechenden Gemüthsaffection zugleich auch die unmittelbare, frische Production des Gesprächs mit Gott ausbleibt, findet er sich veranlaßt, eine feststehende Gebetsformel zu machen, oder einer gegebenen sich zu bedienen. Wenn es nun ein
110 von leidentlicher Zustänvlichkeit unabhängiger Wille ist, der hiezu anregt, so folgt auch, daß daS betende Herz hier sich anders zum formulmen Worte verhalte, als eS nach dem vorigen §. bei dem unmittelbaren Gespräch mit Gott der Fall ist. Selbst innerhalb der Sphäre desubjektivsten Cultus entdecken wir so die Anfänge eine stabilen CultuSelementS, welche- der treue Ausdruck eine-, im Gottesbewußtsein vorhandenen, gediegenen Kern religiöser Anschauung sein will. 3m vorigen $. haben wir als Ziel und Ende des wahren Gebet- den schweigenden Aufblick zu Gott und die sich darin
immer erneuernde Uebergabe an ihn zum Wandel vor seiner
Gegenwart erkannt, und eben dieses macht im Bewußtsein des Frommen sich als ein beständiges, unabweisbares Bedürfniß
geltend, wodurch ihm das Gebet, als eine Uebung der Gottseeligkeit über alle Abhängigkeit vom Gefühl hinan-, als ein
beharrendes Moment des innern Lebens sicher gestellt wird. Der Fromme ist daher genöthigt, auch wenn ihm die Stim
mung versagt, sich unmittelbar in den schweigenden Auf
blick vor Gott zu stellen, ja er erkennt hierin jenes Gebet ohne Unterlaß, welches Paulus den Thessalonichern empfiehlt. Wenn dasselbe aber auch nicht aus einem, ihm vorangehenden Her zensgespräch mit Gott erzeugt wird, so bedarf es nichtsdesto
weniger eines Vehikels, oder einer Stütze, durch die es unter halten wird.
Der reflectirende Verstand kann sie nicht gewäh
ren, weil dessen vorherrschende Thätigkeit nur eine der Harmo nie des religiösen Lebens entgegengesetzte, einseitige Richtung bezeichnet, und mithin das Gebet durch die Reflerion vielmehr negirt, als gefördert wird. Ebenso fehlt es aber auch an der unmittelbaren Erzeugung eines Redens mit Gott. Es bleibt
daher nur die schon vorhandene Formel übrig.
Wenn im
111 Herzensgeshräch die beiden Momente der Gemüthsstimmung und ihrer Aeußerung sich lebeidig durchdringen und in einan der aufgehen, so ist hier das Gleiche nicht der Fall, sondern die schweigende Sammlung vor Gott und die Formel laufen neben einander so, daß jene auf diese sich von Zeit zu Zeit lehnt, um, so unterstützt, immer wieder aufs Neue aufzusteigen, ob es ihr etwa gelänge, die Formel endlich ganz hinter sich zu lassen, oder, sei es nun in unmittelbares Herzensgebet, sei eS in fromme Betrachtung überzugehen. Diese Uebung bedarf so wenig einer Rechtfertigung, daß wohl im Gegentheil Niemand die Anbetung im Geist und in der Wahrheit darin verkennen wird, und von einem bloßen Lippengeplärr kann um so weniger die Rede sein, als schon aus dem Obigen hervorgeht, daß hier: „Kurz und gut!" der Wahlspruch sein muß, und in der guten Gebetsformel überall ein sententiöser Charakter, in welchem ein Moment des religiösen Bewußtseins sich zu plastisch-klarem Ausdruck bringt, vorherrschen wird. In dem entwickelten Elemente hat sich das Princip und die psychologische Wahrheit einer stabilen Cultusform kund gegeben. Nicht allein im Ausdruck offenbart sie jene Stabilität, sondern auch in ihrem Inhalt, da in dem Gebetsformular nothwendig der dauernde, unveränderliche Kern des religiösen Bewußtseins zur Aeußerung gelangt. Je mannichfaltiger die Momente sind, in welche dasselbe sich dogmatisch erponirt, zu desto reicheren und mannichfaltigeren Formeln wird es sich liturgisch gestalten, weshalb auch die Stabilität hier nicht deu Sinn einer todten Einförmigkeit hat und auch mit einem ge wissen Grade von Bewegung wohl verträglich ist. Schließlich die Bemerkung, daß, obwohl der organisch geordnete Cultus einer religiösen Gemeinschaft das unmittelbare Herzensgebet nicht ausschließt, doch die Formel hier um so mehr Berechti gung hat, als dieser Cultustheil mit seinem kirchlich-symboli-
112 sch« Charakter der jedesmaligen Stimmung des Liturgen so wenig anheim-, als seinem etwanigen Ungeschick preisgegeben
werden kann.
$. 14. Die begleitenden Gebehrden. Die Religion manifestirt sich auch darin als eine, den
ganzen Menschen mit Leib und Seele in Anspruch
nehmende Angelegenheit,
daß ihm selbst unbewußt, eine
körperliche Mitbetheiligung am Gebet eintritt.
Obgleich
die begleitenden Gebehrden zunächst den Charakter eines
so unwillkürlichen,
wie unvermittelten Ausdrucks des be
wegten Innern in sich
tragen,
so gewinnen sie doch die
Bedeutung eines Elements des Cultus schon in der sub jektiven
Sphäre
desselben,
Sammlung des Beters,
indem
sie
sie verfestigend
auf
die
innere
und umschrän
kend, zurückwirken. Es gilt auch hier das allgemeine Princip, daß, gleichwie alles Innere nur dadurch, daß es sich veräußerlicht, zu einem
geschichtlichen Momente wird, also auch wiederum die Ver-
leiblichung desselben im sinnlich wahrnehmbaren Ausdruck jenem
Innern erst ein beharrendes Dasein vermitteln.
So wird der
Betende durch die Kniebeugung noch stärker in seiner Samm lung firirt, und so gewinnt das Falten der Hände, die Ent
blößung des Haupts, das Aufschlagen des Blicks zum Himmel und dergl. mehr, einen liturgischen Charakter, kraft dessen diese
Clemente aus ihrer ursprünglichen Unmittelbarkeit heraustreten
und zu bewußten,
symbolischen Handlungen werden können.
Zur vollen Bedeutung gelangt jedoch dieses Element erst im
Cultus einer religiösen Gemeinschaft, durch den, ihm eigen
thümlichen Charakter objectiver Darstellung, weshalb wir uns
113 jetzt darauf beschränken,
Gegenstand
den
nur angedeutet zu
staben und die symbolische Handlung der späteren Betrachtung Vorbehalten.
§. 15
Die fromme Betrachtung. Wenn der Trieb bensgemeinschaft
mit
zu
einer
Gott
im
Erneuerung der Glau
Herzen
vorhanden
ist,
ohne schon eine sichere Richtung gewonnen zu haben, so kann
der
fromme
Wille
der religiösen Anschauung
hievon Veranlassung
nehmen,
ein bestimmtes Thema vorzu
halten und dieselbe darin sich vertiefen
zu lassen,
damit
dieser innere Proceß rückwirkend ihm selbst — dem Wil
len
—
ein
kräftiger
Antrieb werde,
den
angedeuteten
GlaubenSaet zu vollbringen, und demnächst das Herz sich
Diese Einwirkung
ungehemmt im Gebet ergießen könne.
bezeichnen wir als die fromme Betrachtung.
Hier ist zuvörderst klar,
daß nicht von einer Thätigkeit
deö nach logischem Gesetz denkenden, dem Wissen znstrebenden
Verstandes die Rede sein kann, weil diese Verstandcöopcration
die fromme
Gemüthöerrcgung
aufhebt als fördert.
vielmehr
Die fromme Betrachtung versirt ganz
in der religiösen An
schauung, und Daö ist ihr eigenthümliches Leben, daß sic die
selbe ihre besonderen Momente entfalten läßt und diese, einer Reihe zusammenhängender Bilder gleich, vor dem innern Auge
aufrollt, bis der Gegenstand den vollen Reichthum seines In halts dargelegt hat.
So steht die Betrachtung in tiefster Ver
wandtschaft mit dem religiösen Leben und führt zur Gestaltung
eines
dogmatischen Bewußtseins darüber.
Ziel sowohl, als
Voraussetzung derselben ergeben sich aus dem im §. Gesagten,
prakr. Ibccl. I.
114 Sie wurzelt in einem religiös schon afficirten Gemüth; denn
wenn dieses sich kalt und trocken fühlt, so gewährt eS keinen Boden für die Betrachtung, welche der Wärme bedarf, wenn
sie nicht in ihrer eigenen Frostigkeit sterben soll.
Wiederum
macht sie die vorher noch gebundenen Flügel deö Gcbetö frei, welches nun von selbst sich cmporschwingt.
Ohne diese Wir
kung ist die Betrachtung gar noch nicht zu ihrer vollen Reali tät gekommen.
Offenbar
ist freie Bewegung der Charakter
dieses CultuSelementü, und bildet dasselbe hiernach mit der be ziehungsweise» Stabilität deö vorigen
einen Gegensatz, wie
wohl andrerseits auch seine Beweglichkeit
insofern nur eine
relative ist, alS sie doch in der festen Substanz eines dogma tischen Bewußtseins ihre Beschränkung in sich trägt.
Uebergang
Der
§. 16. des Cultus
zu
objectiv-fester
Gestaltung. Denken wir uns die innere Lebenscinhcit mit Gott
im Frommen so mächtig, daß der Trieb, sich immer aufs Neue mit Gott zu verbinden, als eine, sein ganzes Da
sein beherrschende Passion sich zu erkennen giebt, so wird
diese letztere daß
er
seine Zeit dergestalt in Anspruch nehmen,
im Interesse dcS Gehorsams,
welcher auch die
übrigen Angelegenheiten des Lebens treulich wahrgcnom-
men wissen will, genöthigt sein wird, eine geregelte Zeiteintheilung in der Art eintreten zu lassen, daß darin das religiöse Bedürfniß mit -den anderweitigen Erfordernissen
deS Lebensberufs sich auöcinandersetzc. kommt
in
die Uebungen
Auf diesem Wege
der Frömmigkeit eine
Plan
mäßigkeit, in Folge welcher sie sich zu einem gesonderten
115 Gebiete
sittlichen
Thuns
und hiermit schon
abschließen
einen Uebergang des Cultus aus der bloßen SubjectiviBiel stärker noch tritt
tät in die Objectivität andeuten.
in dem entgegengesetzten Falle hervor,
dies
wenn daS
Gemüth ohne jene vorherrschende Richtung auf Gott Ge fahr
läuft,
Geschäfte
die Uebungen
und
Sorgen
des
der Frömmigkeit gegen täglichen
Daseins
die
hintan
Was dort im Interesse der zeitlichen Ver
zu setzen.
hältnisse geschah, geschieht hier im Interesse der Religion,
damit sie nicht gegen die irdischen Beziehungen zu kurz
komme, wobei mehr noch als dort die Aeußerungen des
frommen Bewußtseins den Charakter
eigentlicher Uebun
gen annchincn und sich je nach der größeren oder gerin
geren Unmittelbarkeit, womit der Glaube sie hervorbringt und deren Rückwirkung empfängt,
knüpfen.
unter
einander ver
Wenn nun alle Aeußerungen eines innern Le
bens, sofern sie in ihrer Ausführung sich planmäßig ver
mitteln, in die Kategorie der Darstellung fallen, so wird cs hier bereits sichtbar, wie der Cultus schon von Hau aus, im rein subjectiven Entstehen, die Tendenz hat, eine
objectiv-feste Gestaltung anzunehmen, und hiermit schon
auf die religiöse Gemeinschaft hinüberzuweiscn. Das in den vorigen §§. AuSgcführte enthält bereits alle
Andeutungen zu einer naturgemäßen Verknüpfung der einzelnen Cultusactc.
ES ist klar, daß, wenn das frisch hervorquellende
HerzenSgebet uns für das Moment gilt, worin die Einkehr zur Gottinnigkcit sich am Kräftigsten und Unmittelbarsten vollbringt,
die übrigen Cultuöelcmente — die Formel nämlich
Betrachtung;
und die
denn die Gebehrde ist nur begleitend — ihre
Stellung neben einander darnach erhalten müssen, wie sie ent
weder
näber
oder
entfernter
daö
HerzenSgebet vermitteln. 8*
116 Hieraus ergiebt sich, daß die Formel, als welche selbst daS Bermitteltere ist, der Betrachtung, das stabilere Element dem beweglicheren vorangeht.
Uebrigens
hat die ganze zeitherige
Entwicklung ihren Ausgangspunkt von der Voraussetzung ge nommen, daß das religiöse Leben als ein positiv-vorhandenes
sich zu äußern begehrt.
Wie aber der Mensch desselben auch
als eines negirten sich bewußt sein kann, und auch dieses Be wußtsein zum Ausdruck gelangen will, darauf ist noch gar keine
Rücksicht genommen worden. — Wenn nun schon das gegen wärtige Ergebniß der Untersuchung den Uebcrgang des Cultus zur Objectivität in Aussicht stellt, so wird daS Nachfolgende
unS in erhöhtem Grade auf diesen Weg hinüberleiten.
$. 17.
Opfer. bisherigen
Die
haben
CultuSelemente
directe Beziehung auf den Zustand des
noch
keine
gefallenen
Menschen; aber auch diese muß im Cultus sich geltend machen.
Im Bewußtsein seiner,
standnen Entzweiung mit Gott,
durch die Sünde entfühlt
der Mensch vor
Allem das Bedürfniß der Versöhnung und gelangt so zu
allerlei Opfern, Lustrationen und Reinigungen,
im Cultus aller heidnischen
Völker
wie
sie
nach psychologischer
Nothwendigkeit vorkommen und daS allgemeine Elend der Sünde bezeugen. Dieses merkwürdige Element, welches dem Cultus eine
theurgische Richtung gibt, tritt zunächst als ein Widerspruch
auf gegen unsere Grundanschauung, wonach wir eine innerlich
erbauliche Tendenz in allen Cultushandlungen gefordert haben, während in
den Opfern ein äußerliches Thun sich darstellt,
117 welches nur auf eine Versöhnung des göttlichen Wesens be
rechnet ist.
Wir müssen jedoch hiergegen geltend machen, daß
dieselben erst durch die Sünde bedingt sind, welche, wie sie mit dem Fall geschichtliche Thatsache geworden ist, also auch eine
Versöhnung begehrt, die gleichfalls nur objectiv vollzogen wer den kann, und ans dem Grunde als die Bedingung der Ge
meinschaft des Menschen mit Gott anerkannt werden muß, weil ohne dessen wiederhergcstcllte Gunst gegen den Sünder nur der
Indem das Opfer aber gleichzeitig die
Zwiespalt fortdaucrt.
Entzweiung, die es lösen will, immer schreiender hervvrtreten läßt, offenbart sich darin ein Eultuselement, welches einerseits zwar, der Sünde gegenüber, seine subjektive Wahrheit enthüllt, gleichzeitig jedoch in der Unmöglichkeit, den verfolgten Zweck zu vollziehen, seine völlige Nichtigkeit darthut und hiermit auf
eine unmittelbare göttliche Einwirkung hinweist, durch welche der Conflict zwischen dem Bedürfniß der Versöhnung und der Unfähigkeit des Menschen, sic durch eignes Thun auszuwirken, allein gelöst werde» kann.
So erreichen wir hier den Punkt,
wo unsere Betrachtung in ein anderes Stadium gedrängt wird.
§. 18.
Die Tendenz des Cultus zur religiösen Gemein
schaft. Wie sehr auch Das Verlangen des gefallenen Men
schen nach einer Versöhnung mit Gott begründet ist, so bleibt doch bei Allem, was er zu diesem Zwecke unter
nimmt ,
der
vorhandene
Voraussetzung,
und
Widerspruch
selbst wesentliche
es zeigt sich daher als unmöglich,
ihn durch Dasjenige zu lösen, was überall nur aus ihm heraus geschieht.
Indem gleichwohl der Gefallene jene
118 Absicht festhält und mithin im Wahn eines Erfolgs seiner
je länger je mehr, sich bestärkt, verfällt er
Handlungen,
im Irrthum seiner eignen Wege
einer immer größeren
Entfremdung von dem Leben
aus Gott und der heidni
schen Blindheit deS Herzens.
Alle selbstgewählten Opfer
und
Büßungen
folglich ebensosehr Zeugnisse eines
sind
unvertilgbarcn religiösen Bedürfnisses, als zugleich natür liche
Aeußerungen
deS
sittlichen
Mensch anheim gefallen ist.
CultuSelement
Wahrheit
göttlichen
einer
versöhnende
zukommen
Veranstaltung
Gott
sich
selbst
welchem
Elends,
der
Wofern also dem fraglichen
muß
soll,
beruhen,
eS
womit der
des Gefallenen
auf zu
annimmt,
und demnach die Beziehung zu einer Offenbarung in sich
die
tragen,
in
ihrem,
für eine
religiöse
Gemeinschaft
berechneten Charakter als Gegenstand traditioneller Fort
pflanzung die Religion aus der Subjektivität in die Objec-
tivität hinüberführt und hiermit auch ihren entsprechenden Cultus als den einer religiösen Gemeinschaft auftreten läßt.
Was hier über die Opfer gesagt ist, bestätiget in Schau der erregender Weise die Geschichte des,
bis zur Menschen
schlachtung fortschreitenden Götzendienstes, und eS tritt so jener
unauflösliche Widerstreit der innern Wahrheit eines vorhan denen Bedürfnisses mit dämonischer Lüge in ein um so grelleres
Licht, während Dieses: „der Mensch kann sich selbst nicht mit Gott versöhnen" — das sich immer neu aufdrängende Ergeb
niß
aller
Wenn
vergeblichen
nun dennoch
menschlichen
den
Anstrengungen bleibt. —
Opfern und Reinigungen deS Ge
fallenen außer jener subjectiven Bezeugung
deS vorhandenen
SühnungSbedürfnisseS, noch eine andre objective Wahrheit zu kommen soll, so kann dies nur mittelst der von Gott in sie
gelegten Beziehung auf eine unmittelbar durch ihn zu vollbrin-
119 gende Versöhnung geschehe», welche das religiöse Bewußtsein
des Opfernden fortan dabei im Auge hat, so daß alle der
artigen Handlungen einen typischen Charakter gewinnen und
den Glauben mahnen, über sie hinaus auf ihr Gegenbild hin zublicken.
ES können also nur kraft göttlicher Verheißung und
Offenbarung Opfer zu objectiver Wahrheit gelangen, wie denn
schon Abel's Darbringung von den Erstlingen der Heerde daü Protcvangelium zur Voraussetzung hat, und der spätere alttestamentliche Opfcrcultus nur jene typische Wahrheit in An
spruch nimmt.
hier ein subjcctivcS Cultuselement gefunden,
Wir haben
welches zur Objektivität der geoffenbarten Religion hinüber-
sübrt, indem cd diese letztere «Id unumgänglich fordert, und es
ist im §. darauf hingewiesen, wie wir fortan auch in Betreff des Cultus auf dem Boden der religiösen Gemeinschaft versiren.
Uebrigcnd ist anzucrkennen, daß die Offenbarung des
lebendigen Gotted keincdwegcd audschließlich die Posttivität der
Religion vermittelt; da wir aber den Ursprung positiver Reli gion überhaupt nachzuweiscn nicht beabsichtigen, auch forthin
überall unsere Untersuchung auf dem Boden der Offenbarung
verbleiben lassen: Positivität
der
so genügt cd hier auch um so mehr, die
Religion
innerhalb
dieser Sphäre
gefunden
zu haben.
Indem der Cultus
aus der bisherigen, subjectivcn Be
trachtungsweise in dieses Stadium
übergeht, erleidet er eine
durchgreifende Veränderung, welche jetzt zunächst aufznzeigen ist.
120
§. 19.
Der Cultus als Darstellung eines gemeinsamen religiösen Lebens. Sobald der Cultus als Ausdruck eines allgemeinen
religiösen Bewußtseins
gemeinschaftliches Handeln wird,
hören die Elemente desselben auf, blos subjektive Bethä tigung eines innern, religiösen Lebens zu sein, und ge winnen eine neue Beziehung in dem wechselseitigen Für
einander, worin sie fortan, allseitige Mittheilung beabsich tigend, auftreten.
In dieser Beziehung auf die Gemein
schaft erhebt sich der Cultus in höherem Grade noch als
bisher zur Darstellung und gewinnt als ein planmäßig geordnetes Ganze den Charakter objectiver Beständigkeit. Wir nehmen hier in den Begriff der Darstellung ein neues
Moment auf.
Wenn in §. 16 das: sich planmäßig ver
mitteln hervorgehoben wurde, so erweitert sich jetzt der frag
liche Begriff, sofern die Darstellung überhaupt nunmehr als versinnlichender Ausdruck eines vorhandenen Innern, mit der Absicht, sich mitzutheilen, zu bezeichnen ist. Diese Bestim
mung hat hier noch Nichts mit der Kunstdarstellung im engeren Sinne zu thun.
Unsere Betrachtung ist überhaupt der Kunst
im Cultus noch gar nicht begegnet.
Diese ist allerdings auch
Darstellung; aber sie hat keinen außer ihr liegenden sittlichen
Zweck; sie begehrt blos eine innere, ideale Welt zu symbolischer
Wirklichkeit zu erheben und damit auch für Andre in ihrer tie fen Wahrheit zu bethätigen.
Im Cultus dagegen halten wir
den, seinem Thun jenseitigen Zweck der Erbauung streng fest.
Jetzt hat sich unsre anfängliche Definition in alle» ihren Momente» bestätigt; denn
wir haben
erstlich die Erbauung
121 durchgreifend als Ziel aller Cultuselemente erkannt; wir haben eine Mannichfaltigkeit der Ausdrucksformen des religiösen Be
wußtseins gefunden; dieses endlich hat sich als ein gemeinsames
kund gegeben, und eS ist so auch das Moment der objectiven
In dieser Letzteren jedoch erfahren
Darstellung hinzugetreten.
jene subjektiven AuSdrucksformen eine Umwandlung.
§. 20.
Verwandlung der subjektiven Cultuselemente. Wenn das Gebet seiner Natur nach, sobald es sich formulirt, einen stabilen Charakter annimmt und Ausdruck
des beharrenden Inhalts im religiösen Bewußtsein wird, so gewinnt es in
seiner Beziehung auf die Gemeinschaft
einen symbolisch-confessionellen Charakter mit prägnanter
Kürze;
die Betrachtung
aber gestaltet sich
zu bewegter
Rede (Predigt). Wir erkannten bereits (§. 15.), daß die fromme Betrach tung schon aus dem Boden einer religiös-erregten Gemüths
stimmung hcrvorgeht.
Diesen
Ursprung verleugnet sie nicht,
auch wenn sie, einer frommen Gemeinschaft gegenüber sich ver
lautbaren und Das, was das Herz Dessen, in dem sie ent
springt, bewegt, zu Weckung eines lebendigen Gemeingefühls mittheilen will.
Hiermit aber ist sie nothwendig bewegte Rede
d. h. Darstellung eines
bewegten Gemüthszustandes mit der
Absicht, denselben auch in Andern hervorzurufen, näher: zu er
bauen.
Was die Betrachtung im subjektiven Cultus für Den
werden soll, der sie anstellt, Das soll sie hier einer frommen
Gemeinschaft werden, womit vorausgesetzt wird, daß sie eS im
ersten Betrachter bereits geworden und also in ihm vollendet
ist, um sich nun für eine Gemeinschaft nochmals zu reproducircn
122 und den ursprünglichen Proceß im Betrachtenden, in de» See
len der Hörenden sich wiederholen zu lassen. Auü dem Gesagten erhellt wiederum die tiefe Verwandtschaft zwischen fromm be
wegter Rede und unmittelbarem Herzensgebet, möge nun der Redner die Vollziehung dieses letzteren den Hörern
geben,
oder am Schluß seines Vortrages ihm
leihen und das bewegte Herz ausströmen lassen.
anheim
selbst Worte
Jedenfalls
aber hat die Rede ihren Zweck verfehlt, wenn sie nicht eine An regung zum Gebet zurückläßt.
§. 21.
Die symbolische Handlung. Auch die fromme Gebehrde hört, sofern der Cultus nunmehr Beziehung
vorhandene religiöse Ge
auf eine
meinschaft gewonnen hat, auf, blos subjcctive Bethätigung einer Gemüthsaffection zu sein, und bekommt als ein, ein bestimmtes
Etwas
bedeutendes Moment,
objectiver Darstellung. zur
symbolischen
den Charakter
Die fromme Gebehrde erhebt sich
Handlung.
In
seiner
Losgerifsenheit
von der Subjectivität gewinnt das Symbol sehr bald an Ausdehnung, und der Trieb,
erzeugt neue Formen.
Geistiges zu versinnlichen,
Indem hierbei die Handlung sich
mit dem Wort verknüpft, wird sie zur Ceremonie. Symbolische Handlungen solcher Art hat besonders die
römische Kirche in großer Menge.
Hieher gehören: die Be
zeichnung mit dem Kreuz, der Gebrauch des Crucifix, das An zünden der Lichter, das Verbrennen des Weihrauchs, ja auch die Anwendung h. Kleider, und vieles Andre.
den ganzen Cultus der Stiftshütte.
Man denke an
Wenn gleich das Symbol
nicht mehr blos subjcctive Bethätigung eines Innern ist, son-
123 der» auch eine objective Bedeutung für die Gemeinde hat, so
hört dennoch auch jene erstere hiermit nicht auf, sondern ver
stärkt sich vielmehr.
Wie mächtig z. B. ist der Eindruck, wel
chen daS Wechseln der Ringe, oder das Jneinanderlegen der Hände eines Brautpaars als Symbol der Bundesschließung
bei diesem hervorbringt.
Die Ceremonie bezeichnet Klöpper als ein „Jneinanderfirirtsein von Wort und Handlung;" sie ist gleichsam ein, sich unmittelbar dramatisireudes Wort, hat eine große Kraft litur
gischer Bethätigung Dessen, wovon das Herz durchdrungen ist, und ist daher auch
mit
darauf verbunden.
Z. B. wenn der Liturgus auf den ein
einer höchst belebenden Rückwirkung
gesenkten Sarg eines Entschlafenen dreimal Erde wirft mit den
Worten: von Erde bist du genommen u. f. w.: so drückt sich hierin eine so erschütternde, als beruhigende Mahnung der Leidtragenden an die Ergebung auS, womit sie das Einver-
ständniß in Gottes Rathschluß gewinnen sollen. Es ist übrigens klar, daß das, in der Ceremonie auftretetende Wort sich zur
prägnanten Formel plastisch zu gestalten strebt;
denn eS will
ja selbst zu symbolischer Handlung, gleichwie diese als sinnvolle
Zeichensprache, zum Worte werden.
§. 22. Die Segnung. Insofern in der Ceremonie eine Mittheilung an die fromme Gemeinschaft sich vollzieht,
erhebt sic sich zur
Segnung. Wenn in Förderung der Lebensgemeinschaft mit Gott der Zweck des Cultus erreicht wird, so hat er einen Segen zur Folge, in welchem das fromme Bewußtsein um so lieber eine
unmittelbare Segnung Gottes anerkennt, als dieser ja auch im
124 Cultus nie aufhört, der Anfänger und Vollender unsers Glaubens zu sein.
Hiermit erscheinen alle frommen Gemüthsaffectionen,
die der Cultus erzeugt, als eine Erwiderung von oben, und es erfüllt sich derselbe für die fromme Gemeinschaft mit göttlichen Gnadenmittheilungen, durch welche jener Gemeingeist geweckt
wird, der die religiöse Gesammtheit erst zur lebendigen Ge
In der Kraft dieses Gemeingeistes kann jener
meinde macht. göttliche Segen
zum Gegenstände der Mittheilung innerhalb
der Gemeinschaft selbst werden.
Die Hauptmomente, welche
hierbei in Betracht kommen, sind also folgende: a) Die frommen
Assertionen im Cultus sind Gaben. I>) Diese Gaben gestalten sich
Gemeinsamkeit
bei
zu
religiösen
einem
Gemeingeiste,
c) Kraft dieses Gemeingeistes werden sie auch innerhalb der
Gemeinschaft selbst Gegenstand wechselseitiger Mittheilung.
Man hat darüber gestritten, ob die Segnung blos signi-
Im ersteren Falle würde
ficalive, oder auch exhibilive wirke.
sich Alles auf eine, an sich leere Anwünschung eines göttlichen Segens beschränken;
aber selbst der alttestamentliche Segens
spruch, obgleich er sprachlich die Form eines Votum hat, ist
doch insofern kein bloßes Votum, als er auf göttlichem Befehl beruht und damit auch eine Verheißung in sich trägt, daß er
eine reelle Segnung vermitteln solle. uns
Vergegenwärtigen
wir
aber erst die im N. T. verkommenden Segnungen, so
stellt ihre erhibitive Natur sich außer Zweifel.
Christus legt
seine Hände auf die Kinder und segnet sie; er thut Dasselbe
vor seinem Abschiede den Jüngern; nach seiner Auferstehung bläst er sie an und spricht: Nehmet hin den h. Geist u. s. w. Wagen
wir
zu
behaupten,
Handlungen gewesen seien? wenn wir
daß
alle diese Acte nur leere
Vollends
die große Bedeutung,
welche
der Auflegung ihrer Hände beimaßen, Bergl.
Apostelgesch. 8, 15 — 17;
unmöglich wird dies,
später die Apostel
in Erwägung ziehen.
19, 6; desgl. wichtige
125 Stellen in den Pastoralbriefen.
Man hat auch nicht Ur
sache, aus übertriebener Besorgniß, einem todten opus opera-
tum Etwas einzuräumen, die erhibitive Wirksamkeit der Seg
nung zurückzuweisen; denn eine rechte Verständigung darüber,
daß alle weihenden Handlungen subjektive Bedingungen ihres Erfolgs vorausseyen, wird abergläubische Meinungen ohnehin
nicht aufkommen lassen. Wo aber jene Bedingungen vorhanden
sind, da würde eö heißen: dem Geiste wehren, welchen der Herr seiner Gemeinde gegeben hat, wenn man der priesterlichen Segnung das Gesetz auflegen wollte, nichts Wirkliches mitzutheilcn.
Doch mit diesen Worten wecken wir selbst einen wei
teren Einwurf gegen die fragliche Exhibition.
Es werde, sagt
man, ein particularistisches Priesterthum dadurch zurückgeführt.
Priesterthum allerdings; weshalb aber
Das ist zu leugnen.
dieses ein
alttestamentlicheS
sein müsse, ist nicht einzusehen,
wogegen im allgemeinen Priesterthum der Gläubigen jederzeit eine ächt christliche Idee erkannt worden ist.
Allein auf dieses
berufen wir uns.
§. 23. Die Opfer. Sofern die Opfer an
sich
eine versöhnende Ten
denz haben, bedingen sie innerhalb der religiösen Gemein schaft das Hervortreten eines
zwischen
der Gottheit und
dem Volk vermittelnden Priestcrthums und werden prie
sterliche Handlungen.
bracht ist, welches auf,
oder
Sofern das einmalige Opfer voll
ewiglich gilt,
hören jene nothwendig
gehen in Handlungen über,
welche mit dem,
durch das einmal geschehene Opfer gewirkten Segen er
füllt
sind
und
kramente.
ihn der Gemeinde vermitteln.
—
Sa
126 In allen Religionen, die einen Opfercultus haben, findet
fich auch die privilegirte Pricsterkaste.
Sowohl das alte, wie
das neue Heidenthum stimmen hierin überein, und die, dem
Opfer zu Grunde liegende Idee der Vermittlung führt noth wendig darauf.
Gleichwie nur eine unmittelbare göttliche Institution daö
Opfer als typische Handlung zu einem wahren Gottesdienst
durch die, daran geknüpfte Verheißung erheben kann, so bedür fen gleicher Einsetzung nach dem vollbrachten einmaligen Opfer
auch jene Handlungen, welche den Segen desselben übertragen sollen, und zu welchen der frühere Opfercultus sich geistig ver klärt.
Wir durften sie Sakramente nennen, indem wir, ganz
abgesehen von der kirchlichen Anwendung dieses Begriffs, im
Allgemeinen Handlungen dadurch bezeichnet sehen, welche als wesentliche Merkmale folgende Momente in sich vereinigen: daß
sie etwas Reelles,
Göttliches darreichen und, damit sie dies
können, auf unmittelbare göttliche Einsetzung sich gründen, wo durch ihnen der Charakter der Objektivität gesichert ist. genS zeigt sich,
daß auf diesem Standpunkte
Uebri-
die erwähnten
Handlungen selbst Benetictionen werden, welche sich hier nur zu göttlichen Institutionen erheben.
§. 24. Gegensatz zwischen der hervortretenden Thätigkeit Einzelner und der der Gesammtheit. Schon die bisherige Betrachtung der Cultuselemente
hat darauf geführt, daß fortan nicht
mehr in
sich die
fromme
Gemeinschaft
ihrer ungesonderten Allgemeinheit
als das, im Cultus thätige Subject ansehen läßt.
Gemeinde wird
vielmehr nothwendig eine,
Die
in sich selbst
127 unterschiedene und läßt Einzelne mit hervorragender Thä tigkeit
aus
der Gesammtheit hcranstretcn.
hiermit die Gemeinde in
Da jedoch
ihrer Totalität nicht aufhören
kann, im Cultus thätig zu sein, so zerlegt sich derselbe
in eine Mannichfaltigkeit von Theilen, in welchen bald die Gesammtheit, bald ein Einzelner, welchem gegenüber
die Andern sich mehr rcceptiv verhalten, in überwiegender Thätigkeit ist. Einzelnen
Andererseits
wichtige
treten
auch im Thun der
Unterschiede hervor.
beiden angegebenen Hauptformcn
Zwischen
den
läßt sich endlich noch
eine dritte, die Mitte haltende, liturgische Form deuken, nämlich die der Wechselwirkung zwischen der Gesammtheit
und einzelnen Gliedern derselben, wodurch ein lebendiger, gleichsam dramatischer Verkehr entsteht, dessen liturgische
Bedeutung in seiner Kraft liegt, zu wecken und zu er
muntern. Was die Unterschiede betrifft, die durch Dasjenige, was
nach der Natur der Sache nur Einzelne vollbringen können, bedingt werden, so ist der deS Liturgcn und des Redners der
durchgreifendste.
Sofern
nun der Erstere sich innerhalb des
stabileren Cultusclemcnts bewegt, worin das Gemeinsame des
frommen
Bewußtseins
einer
religiösen
Gesammtheit
sich zu
symbolischem Ausdrucke bringt, entsteht für ihn die Aufgabe,
im Charakter einer würdevollen Repräsentation des Gesammtbewußtscins sich darzustellcn.
bart
sich
das Princip
In der h. Rede dagegen offen
der Bewegung, jedoch innerhalb der
Schranken, welche durch das stabile Element nothwendig gesetzt sind.
Der Redner wird daher
darin
seine Obliegenheit er
kennen, seine individuelle Persönlichkeit als eine, aus aller fal schen Gebundenheit befreite zu solchem Ausdruck zu bringen,
128 daß ihm gleichzeitig auch jener repräsentative Charakter be wahrt bleibe.
Das, über die Wechselwirkung zwischen der Gemeinde und einzelnen Gliedern derselben Gesagte hat der gesunde liturgische
Bildungstrieb von je her bestätigt und eine Menge sogenannter Responsorien und Antiphonicen hervorgebracht, welche auch in
der evangelischen Kirche ihre belebende Kraft bewährt haben.
Leider hatte es die falsche Objektivität des römischen Cultus dahin gebracht, daß auch bei diesen Elementen, durch welche
die Wechselwirkung getragen werden sollte, die Gemeinde durch eine abermalige Vertretung, nämlich die des Chors, zur Passi
vität verwiesen wurde. dies geändert.
In der evangelischen Kirche hat sich
Wir werden hierauf zurückkommen.
§. 25.
Die Kunst. Vergegenwärtigen
wir uns die Thätigkeit der Ge
meinde in ihrer Totalität,
so führt uns dieselbe, wofern
sie, mit Ueberwindung eines blos chaotischen Zusammen
wirkens, als
ein wohlgeordneter Bestandtheil des Cultus
sich darstellen soll,
auf das Bedürfniß der Kunst,
und
zwar zunächst der Poesie und der, mit ihr verschwisterten Hat aber einmal der Cultus mit der Kunst sein
Musik.
Bündniß
geschlossen,
so bieten sich
auch die plastischen
Künste alsbald zu seinem Dienste an, nicht blos, um ge
weihte
Räume für den Cultus herzustellen,
sondern
sie
auch durch ihre, die religiöse Idee symbolisirenden Schöp fungen zu schmücken und zu verherrlichen. Die Kunst tritt im Cultus
auch
schon innerhalb seiner
subjektivsten Sphäre hervor; unsere Betrachtung hat ihr jedoch,
129 so lange sie auf diesem Gebiet die Grundelemente deS Cultus deshalb nicht begegnen können, weil die innere
durchmusterte,
Nothwendigkeit, Kunstmittcl in den Cultus hereinzuziehen, jetzt erst hervortritt.
Nächstdem aber kann in der Kunst auch darum
ei» subjcctives Gruiidclcmcnt des Cultus nicht erkannt werden, weil sic, wie das Fernere darthun soll, bei ihrem ersten Auf
treten in diesem Gebiet nur eine eigenthümliche Form anderer Cultueclemente, nicht aber selbst ein solches im Unterschiede von
den übrigen sein will. Es ist gegen den Gebrauch der Kunst vielfach protcstirt worden,
wie denn die furchtbaren Bilderstrcitigkeiten
in der
Kirche des Orients wesentlich auf diesen Widerspruch zurückzu
führen sind.
Auch die reformirtc Kirche, wo sie ihre Einrich
tungen am Unabhängigsten
von anderweitigen Einflüssen aus
gebildet hat, ist der Kunst ungünstig gewesen, und läßt erst in
neuerer Zeit allmählich von dieser Einseitigkeit ab.
woher
jener Widerspruch?
-- ist
von
Die Frage:
Interesse.
Jedenfalls
besorgte man, daß der dem Cultus jenseitige Zweck der olxodoftq
mit dem eigenthümlichen Charakter der Kunstdarstellung insofern unvereinbar sein werde, als diese einen, außer ihr liegenden Zweck ihrer Natur nach
kraft des, durch sic
der
gar nicht verfolgt,
sondern lediglich
gewirkten Kunstgenusses die Mittheilung
dargcstellten Innenwelt
beabsichtigt.
In dem
Gesagten
jedoch sind bereits Andeutungen darüber enthalten, wie diese
Besvrgniß zu lösen ist.
Eine Mittheilung nämlich beabsichtigt
auch die Kunstdarstcllung. Ließe sich diese nun in einem solchen
Charakter in den Cultus cinführcn, daß die daran Theilneh-
mcndcn den eigentlichen Genuß über dem Ernst und der Be deutung des Mitgctheilten vergäßen, so wäre hiermit auch eine solche Versöhnung
der Kunst
mit
dem jenseitigen Zweck des
Cultus gewonnen, daß jeder Grund zu der erwähnten Pro
Wir behaupten
testation wegfiele. pro fr. Zbci'l.
I.
jedoch
nicht blos Dieses, 9
130 daß der Erbauung kein Abbruch durch die Kunst geschehe, son dern achten sie ihr sogar für sehr förderlich, und zwar deshalb, weil die Kunstdarstellung an sich eine tiefe Verwandtschaft mit
dem religiösen Leben hat. Wir verstehen unter Kunst eine, durch Idealität vermittelte äußere Darstellung innerer Anschauungen oder Zustände, welchen
so, zur Hinüberpflanzung jener Innenwelt in Andere, die be harrende Wirklichkeit eines ideellen Daseins verliehen werden
soll.
Die Idealität aber ist nichts Andres, alS die Negation
der unmittelbaren Gemüthserrcgungen, wie sie das tägliche
Leben veranlaßt, damit sie, von ihrer Leidentlichkeit, die immer eine Unfreiheit ist, befreit, eine vergeistigende Umwandlung er fahren und,
ihrer Einzelheit entrissen,
Gemüthsstimmung zusammenfließen, Leben der Phantasie entbunden wird.
zu einer
worin
das
allgemeinen
schöpferische
So lange der Dichter
z. B. selbst noch leidenschaftlich bewegt ist, findet er die klare Ruhe nicht, die er bedarf, um produktiv zu werden, und erst
in der Negation jener unmittelbaren Befangenheit in den Ein drücken dcS gewöhnlichen Daseins, tritt dasselbe ihm in jene objective Ferne, die der idealen Innenwelt Raum gewährt, sich
zu entfalten.
Betrachten wir nun das Leben der Frömmigkeit,
so kommt eS hierbei nicht sowohl auf stets sich wiederholende
Erregungen des Herzens an, als vielmehr darauf, daß die
Gemüthsrichtung auf Gott je länger je mehr zu einer behar
renden Stimmung werde, in welcher eS dem Frommen natür
lich wird, das ganze Leben, der thatkräftigsten PrariS unbescha det, in einem höheren Lichte zu sehen und ideell auszufassen.
Wenn die Verwandtschaft der Frömmigkeit mit der Kunst hier
nach unzweifelhaft ist, so leuchtet auch ein, wie zunächst die Poesie und die mit ihr eng verbündete Musik dem Cultus ihre
Dienste anbieten mußten.
Es galt nicht, neue Elemente hervor-
»ubringen, sondern das Gebet und die Betrachtung in neuer
131 Form ausströmcn zu lassen und im b. Hymnus in ihrer inner
sten Wahrheit zu verklären. Denn der Hymnus enthält wesent
wogegen ein geistliches Lied
lich jene beiden Grnndelemente,
mit der Absicht zu belehren zur Lüge wird, wenn man zumal
erwägt, daß cs Gott vorgesungen werden soll. Aus dem Obigen crgicbt sich, daß übrigens die Kunst im
Cultus seinem durchgreifenden Zwecke der Erbauung sich überall unterzuordnen hat.
Sie darf also nie hier Etwas für sich sein
wollen, noch es auf selbständigen Kunstgenuß anlegen; sie darf die, ihr zu Gebote stehenden Mittel immer nur mit der Be scheidenheit brauchen,
die
sich der Grundabsicht des Ganzen
anbequcmt, und so hat sich denn auch in der evangelischen Kirche ein Stil gebildet, als dessen Charaktere Keuschheit und Würde zu erkennen sind.
Mit Recht schließen wir also Pro-
ductionen aus, in welchen die Kunst in reiner Selbständigkeit anftritt und
die Mannichfaltigkcit ihrer reichen Mittel, ohne
durch anderweitige Rücksichten gehemmt zu fein, für den Genuß anszulegen sucht.
§. 26. Rückblick. Unsere bisherige Betrachtung hat drei Hauptpartieen durchlaufen.
.Zuerst wurde der Cultus in seiner subjek
tiven Nothwendigkeit begriffen, und es zeigte sich, wie
die Religion ihn wesentlich hervorbringe.
der
Zweck
desselben
knüpfte sich die
offenbar.
Frage nach
An
diese
Damit wurde
Untersuchung
den psychologisch-nothwen
digen Cultusclcmcntcn, deren Entwicklung drittens auf die Gemeinschaft im Cultus hiuführtc. Drei leitende Grund
sätze sind es, welche für die Einrichtung und Ausführung 9*
132 des Cultus aus den drei Hauptpartieen sich ergeben, nämlich: der sittlichen Zweckmäßigkeit, der psychologischen Wahrheit, der gemeinschaftlichen Thätigkeit. Waö den Grundsatz der sittlichen Zweckmäßigkeit betrifft,
so finden wir uns hierin in voller Uebereinstimmung mit der h. Schrift.
Der Apostel Paulus dringt darauf, daß in den
Versammlungen der Christen Alles, was nicht die olxodofitj befördert, beseitiget werde, und die, vom Herrn selbst geforderte Anbetung GotteS im Geist und in der Wahrheit hat gleichfalls jene
die dem,
sittliche Tendenz,
Lebens
dringenden
praktischen
auf Heiligung
Christcnthnm
deö
allein
ganzen
entspricht.
Hiermit ist alles theurgische Wesen im Cultus, dcSgl. jede Art
Und cS
von äußerlichem Wcrkdienste, als unchristlich gerichtet.
findet auch das, im vorigen §. über die Kunst Gesagte durch
diesen Grundsatz seine Bestätigung. Jedes Element deö Cultus
muß zunächst nach seiner Erbaulichkeit gcwürdigct und, wenn
ihm diese abgeht, ausgeschlossen werden. Der Grundsatz der
Anwendung in
psychologischen Wahrheit findet seine
doppelten Beziehung,
einer
sowohl
nämlich
rücksichtlich der Elemente des Cultus, sofern sie für sich be
trachtet werden, alS
auch in Ansehung ihrer Verknüpfung zu
einem organischen Ganzen.
Was den ersten Punkt betrifft, so
enthält unsere Regel die Forderung, daß sämmtliche Cultus elemente nicht bloS objectiv
gemeinsamen religiösen
an
sich ein treuer Ausdruck deö
Bewußtseins seien,
sondern
daß
auch subjectioe Wahrheit für die Theilnehmenden haben.
sie Wir
verwerfen daher mit Recht alle unverständliche Symbolik; wir verwerfen den Gebrauch einer, der Gemeinde fremden Sprache;
wir
fordern dagegen
durchgehende
Verständlichkeit
und
eine
klare Durchsichtigkeit aller Cultuöformen für ihre Theilnehmcr.
133 Mit diesem zweiten Grundsätze kommt auch die Relativität deS Gegensatzes zwischen dem Festen und Beweglichen im Cultus
zur richtigen Würdigung. Alles, was nicht mehr Ausdruck deS
gemeinsamen religiösen Bewußtseins sein kann, waS sich selbst
überlebt hat und dem Geschmack der Gegenwart fremd gewor
den ist, hat keine psychologische Wahrheit mehr und muß daher entfernt werden.
Man denke an viele alte geistliche Lieder mit
ihren, den heutigen Geschmack beleidigenden Bildern und man chen
Ausdrücken,
die
unsern
verfeinerten Ohren nicht mehr
zusagcn. Nücksichtlich der Composition der Cultuselemente erfordert
die psychologische Wahrheit einen naturgemäßen Fortschritt und
ist daher jener Willkür und Planlosigkeit entgegengesetzt, welche zuweilen i» einer Ucbcrladung hervortritt, die keinen leitenden Grundgedanken durchblickcn läßt.
Einfachheit und Durchsichtig
keit sind auch in dieser Beziehung wesentliche Erfordernisse; der
innere Fortschritt dcö Cultus darf seinen Theilnchmern keine Gewalt anthun; er muß ihnen vertraut und lieb werden, wie
cs geschieht, wenn sie ihr religiöses Bedürfniß darin befriedigt finden.
Rach
dem
der gemeinschaftlichen
dritten Grundsatz
Thätigkeit ist es für fehlerhaft zu erkennen, wenn die Gesammt
heit der Gemeinde,
der ausschließlichen
Thätigkeit Einzelner
gegenüber sich rein passiv verhält; vielmehr ist allseitiges Zu
sammenwirken
unerläßlich.
Aber
auch
jene Einzelnen
selbst
finden in der ausgestellten Regel eine Norm für ihr hervortreten-
deS Handeln, welches auch so noch den Charakter der Gemein
schaftlichkeit an sich tragen
soll.
Wiewohl daher der Einzelne
über die Gesammtheit hcrvorragt, darf er sich doch selbst nie
vereinzeln,
Wesens
der
noch sich in irgend einer Form deS selbstsüchtigen
Gemeinde
entgegensetzen
wollen.
Als LiturguS
wird er darauf bedacht sein, nicht einem todten Mechanismus
134 zu verfallen, oder in geistlose- opus operaIum zu gerathen.
Als Prediger wird er der Gefahr ausweichen, mit Selbstgefälligkeit seine eigene Person zwischen die Zuhörer und Daö,
was ihre Andacht erwecken soll, in die Mitte zu schieben. Denn in beiden Fällen würde daö Handeln der Einzelnen kein innerlich gemeinschaftliches mehr sein, noch auch würde
ein lebendiges Zusammengehen der Gemeinde mit ihnen Statt
finden können.
135
3 iv eiter
T l) e i 1.
Der uin.
§. 27. Uebergang. Der erste Theil hat zu der Einsicht geführt, dasi der
Cultus immer nur auf dem Boden einer hestimmten posi
tiven Religion wirklich ivird,
und, ohne uns hierbei auf
heidnische Naturrcligioncn cinzulasscn,
haben wir sofort
innerhalb der Sphäre der Offenbarung unsern Stand punkt genommen.
Nun ist aber klar, daß Alles, was
als Offenbarung sich zu erkennen giebt, nothwendig einen
innern Zusammenhang und, Offenbarungen
uns begegnet,
stellen
kraft ivelchcr
der
muß,
Grundlage
gelangt.
sofern eine
überall
eine Mehrheit von Stufenfolge das Spätere
dar auf
des Früheren zu geschichtlichem Dasein
Wenn hiernach schon a priori die Vermuthung
entsteht, daß auch der christliche Cultus in seiner objcetiven
Bestimmtheit nur als auf dem alttestamcntlichcn Cultus basircnd zu begreifen sein werde, und hinwiederum auch
dieser in ein noch tieferes Alterthum zurückwcist: so stellt
sich der Wissenschaft die Aufgabe, bis zu den Anfängen
136 geoffenbarter Religion überhaupt hinaufzusteigen und zu nächst deren Entstehung uns zum Bewußtsein zu bringen. Denn über daS Wie? dieser Entstehung
haben
unsere
noch kein Ergebniß geliefert;
bisherigen Untersuchungen
wir müssen aber voraussetzen,
daß hierbei formell nur
dieselben Momente in Betracht kommen, welche die Ent stehung der positiven Religion überhaupt bedingen.
Die
angedeutete Frage drängt sich jetzt um so mehr als die nächste auf, je sicherer wir erwarten dürfen, durch ihre Beantwortung die leitenden Gesichtspunkte zu finden, die
wir bei der nachfolgenden rcligionsgeschichtlichcn Entwick lung im Auge zu behalten haben.
§. 28.
Die Art der Entstehung des Cultus in der po sitiven Religion. Die positive Religion der Offenbarung gründet sich nothwendig auf geschichtliche Thatsachen, welche, mit der Grundidee der bestimmten Religion erfüllt, durch ein ein
zelnes Individuum das in ihnen enthaltene Princip in die fromme Gemeinschaft sich ergießen lassen.
Ein sol
ches Individuum verwirklicht in sich die Idee eines Religionsstifterö; der Act aber, durch welchen das betreffende
Princip zum ersten Durchbruch in die Gemeinschaft ge langt, bildet die Eröffnung des, der betreffenden Reli
gion zugehörigen Cultus und ist als solche den histori
schen Grundthatsachen, in welchen diese bestimmte Religion entspringt, mit bcizuzählen.
137 Sofern das religiöse Leben sich auf ganz subjektive Erleb
nisse beschränkt, die aus der Sphäre der verborgenen Inner lichkeit nicht heraustreten, gelangt es auch zu keiner geschicht lichen Bedeutung.
Eine positive Gottesoffenbarung kann daher
innerhalb der Grenzen blos subjektiver Religiosität nicht stehen
bleiben, sondern muß, um objectiv zu werden, in äußerlich er
kennbaren Thatsachen sich darstellen. Jede positive Religion hat daher nothwendig bestimmte geschichtliche Anfänge, so daß, wenn z. B. der Christus unsrer Evangelien lediglich eine mythische Person wäre, cs widersinnig erscheinen würde, das Christen
thum in seiner lebendigen Wirklichkeit auf ihn zurückzuführen, während der Ursprung desselben vielmehr bei Denjenigen ge
sucht werden müßte, welchen cd zuerst gelungen, der, im My thus von Christo symbolisirten Idee zum Siege in der Gemeinde zu verhelfen; denn nur dieser Sieg, in erkennbaren Thatsachen
hcrvortrctend, würde die Anfänge unserer Religion enthalten.
Mit diesem ersten Momente der Entstehung einer Religion verbindet sich nothwendig ein zweites Moment, welches schon
durch die, dem ersten eigenthümliche Objektivität gefordert wird; denn
dieser Letzteren
ungeachtet
bleibt doch
die Religiosität
Sache eines subjektiven Erlebens, und es wird daher zu den Anfängen einer positiven Religion nothwendig auch ein Act
erfordert, durch welchen daS Lebensprincip derselben aus der
Objektivität, womit eS jene historischen Grundthatsachen erfüllt,
in
die Subjektivität
der
Gemeinschaft
frommen
überfließt.
Ohne Daö wäre z. B. die, in Christo objectiv vollbrachte Er
lösung nie zu ihrer subjektiven Bethätigung in der Gemeinde als Reich Gotteö gelangt. Ein drittes
Moment reiht sich
unmittelbar den
beiden
ersten an, sofern eS einer Bermittlung zwischen der Objektivi tät und Subjektivität
bedarf, die nur in einem bestimmten
Menschen - Jndividuo gegeben
sein
kaan.
Einerseits nämlich
138 müssen die Grundthatsachen solche fein, welche unmittelbar in das menschliche Dasein ein greifen, widrigenfalls
sie ja keine
religiöse Beziehung dazu haben würden; sie müssen sich also
alS menschliche Erlebnisse darstellen.
Andrerseits erscheint eS
nothwendig, daß der Eintritt des religiösen Princips in die fromme Gemeinschaft in einem bestimmten Punkte seinen An
fang nehme, und von hier aus die weitere Berbreitung dessel ben sich vermittle.
Beide Beziehungen vereinigen sich im leben
digen Mittelpunkte einer menschlichen Persönlichkeit, in deren Leben die fraglichen Thatsachen als Grundinhalt,
sowie alS
Zweck ihres Daseins auftreten und alS Erlebnisse sich darstellen, auf die ihr ganzer Entwicklungsgang sich bezieht.
Sofern aber
dieselben mit dem Princip der neuen Religion so erfüllt sind, daß
sie
deren Idee
zur vollendeten
Manifestation
bringen,
trägt dasselbe Individuum jcneS Princip auch in seiner ganzen Energie in sich, um eS fortan für die Gemeinde zu vermitteln.
DaS ist der Begriff deS Religions-Stifters oder -Vermittlers, und es muß dem Gesagten zufolge jede positive Religion, auch die der Offenbarung nicht ausgenommen, in einem solchen ihren
Ursprung haben. Es ist nun klar, daß der Uebergang dcö Princips in die
Gemeinschaft jenen Grundthatsachen mit beizuzählen ist, die sich uns an eine bestimmte Persönlichkeit geknüpft haben, und da wir jene Ausgießung dcö Princips im Sinne einer Eröffnung
deS betreffenden Cultus auffassen dürfen, so sehen wir diesen
in der That bis in die grundthatsächlichen Anfänge der be stimmten Religion selbst hinabreichen
und müssen seine Ent
stehung den geschichtlichen Begebenheiten zurechnen, welche der
Religion, auf die er sich bezieht, das Leben gegeben haben. Hiermit bestätiget sich aber auch Das, was bei der encyklopä dischen Uebersicht der praktisch-theologischen Disciplinen bemerkt
worden, daß nämlich die religiöse Gemeinde sich erst in ihrem
139 Cultus
verwirklicht.
So war cö
der Tag
der
Pfingsten,
an welchem daö christliche Lebenöprincip, der Geist Christi, in
die Gemeinde, die eben hiermit erst wurde, sich ergoß, und des halb erkennen wir in jenem Pfingsten zugleich den Stiftungö-
tag der christlichen Kirche und erblicken dabei in jener Ver sammlung eines Volks von allerlei Zungen die typischen An
fänge eines Cultus, in welchem alle Geschlechter der Erde sich verbinden, und alle Sprachen, nach der babylonischen Verwir
rung derselben, zur Verherrlichung Gottcö und Christi wieder zusammenklingen sollen. — Ans dem Gesagten folgt aber auch,
daß der Cultuö, wie in seinem Anfänge, also auch im Fort gänge, mit demselben religiösen Princip, dessen Uebergang in die Gemeinschaft
er ursprünglich
vermittelte, erfüllt
muß, wofern er nicht zur erstorbenen Form
bleiben
herabsinkcn soll.
Denken wir unS eine, zu ihrem Cultus versammelte christliche
Gemeinde ohne den Geist Christi, in welchem sie erst eine solche
wird, so ist nur noch der äußerliche Schein der lebendigen Ge
meinschaft vorhanden; aber daS wahre Leben ist entflohen und hat blos eine Leiche zurückgclasscn, die man höchstens schmücken, deren inneren Zerfall man aber dadurch nicht aufhalten kann.
ES ist endlich klar, daß, wenn die Entstehung deö Cultus biö in die Anfänge der betreffenden Religion selbst zurückreicht,
auch ihr geschichtlicher Ursprung sich in ihm unmittelbar wird abspiegeln müssen, und wir hiernach mit Recht erklären dürfen,
daß jeder wahre Cultuö auch schon daö Gesetz seiner h. Feste
und Zeiten immanent in sich trägt.
Denn er kann keinen an
dern Inhalt haben alö die, die Grnndbegebenhcitcn erfüllende Idee; in diesen folglich sind seine Feste ihm bereits vorgezeich net, welche, weil sie auf Thatsachen zurückgehc», die ihre erfüll
ten Zeiten haben, auch eine h. Chronologie schon in sich tragen.
Wenn wir nun die Culte der OffcnbarungSrcligionen ver folgen wollen, so liegen in dem Gesagten die Fingerzeige vor,
140 die uns leiten müssen.
ES wird unsre Aufgabe sein, in dre
lebendigen Anfänge der betreffenden Religionen selbst zurückzu gehen und zu sehen, wie die entsprechenden Culte, sowohl ihrem
Grundinhalte, als ihren h. Zeiten nach,
bestimmt worden sind.
Bevor wir
werde schließlich bemerkt,
daß
jedoch
durch jene Anfänge dies unternehmen,
allgemeinen
ungeachtet unsers
Begriffs des Religionsstifters, in specie dieser sich sehr ver
schieden zu dem geschichtlichen Ursprünge der, durch ihn ver mittelten
Religion verhalten kann.
Ueberall zwar vereiniget
sich darin ein göttliches Thun mit einem menschlichen; aber die
Art dieser Vereinigung läßt mehrere Fälle zu.
Die göttliche
Thätigkeit kann in dem Grade prävaliren, daß die menschliche dadurch absorbirt und der Vermittler nur zu einem leidentlichen Werkzeuge herabgesetzt wird, wodurch er jedoch als erstes, mit
dem religiösen
Princip
erfülltes
Individuum
nicht aufhört,
Mittler zu fein, da erst von ihm auö daü Princip in die Ge
meinschaft hinüberströmt. —
ES können aber auch göttliches
und menschliches Thun gesondert auö einander treten. In die
sem Falle handelt der Religionsstifter zwar im höheren Auf trage als ein
Knecht GotteS;
aber doch
ist eö seine eigene
freie Thätigkeit, womit er dem Herrn gegenüber steht, und eS
muß dann auch das göttliche Thun, sofern cS sich manifcstiren
soll, als Theophanie für sich hervortreten. — Endlich können Göttliches und Menschliches dergestalt
in
einander aufgehen,
daß die Gottesthat ganz auch freie Menschenthat, und wieder um diese auch GottcSthat ist. — Es ist leicht zu sehen, wie diese drei Fälle den Entwicklungsgang der göttlichen Offenba
rungen bezeichnen — Adam, MoscS, Christus.
141
§. 29. Rückgang zum Anfänge. Indem wir dem Anfang geoffenbarter Religion über haupt nachforschen, zeigt sich alsbald, daß das Christen
thum sich auf das, ihm vorangehende Judcnthum bezicht.
Aber auch Dieses stellt
nur
ein zwischencingckommcnes
Gesetz in sich dar und weist auf die viel frühere Ver
heißung zurück, die cS in sich aufnahm.
Verfolgen wir
Diese, so reicht sie aufwärts bis zu dem Protcvangelium in den Anfängen unsers Geschlechts. Aber auch hier läßt cs uns nicht stehen bleiben; denn der Sündenfall selbst, welcher jene erste Tröstung veranlaßt, setzt ein Ursprüng
liches voraus, dessen Wiederherstellung im Wege positiver
GotteSoffenbarung
davon Zeugniß giebt,
daß der noch
unverlornc Anfang selbst auch ein, auf Offenbarung be ruhendes Verhältniß des Menschen zu Gott gewesen sei.
Die Anfänge
der Offenbarung
reichen mithin
bis zur
Schöpfung hinauf.
In der Schöpfung selbst ist auch die erste ReligionSstiftung enthalten, und eS ist daher die Religion eine ebenso ur
sprüngliche Mitgift GotteS an die Menschen, wie es die Sprache
ist.
Diese SchöpfungSreligion
ist
als
eine reine, positive
Naturreligion, und der ihr entsprechende Cultus als ein Natur cultus aufznfassen.
In der Reihe der Nachkommen Seth'S, in
welchen der lichte Faden dcS Reiches GotteS auf Erden sich fortsetzt, klingen die Töne der Ueberlieferung jener ursprüng
lichen Religion fort, und die Wiederherstellung nach dem Sün
denfall rubt auf dem Grunde derselben, wahrend sic in den
142 heidnischen Naturreligionen mehr oder weniger in ihr Zerrbild verkehrt ist. Nunmehr liegt unö ob, den Grundinhalt derselben
uns zu vergegenwärtigen.
§. 30.
Inhalt der Schöpfungsreligion und ihr Cultus. Die Schöpfungswoche trägt alle Momente in sich, welche zur Stiftung einer geoffenbarten Religion gehören.
Sie selbst ist daher sowohl der Inhalt der Religion des Anfangs, als auch der Entstehnngsgrund ihres Cultus,
mit dessen Eröffnung sie beschließt. Zum Ursprünge einer positiven Religion gehören, wie wir
gesehen haben, zuerst objective Thatsachen.
in den sechs Tagewerken GottcS,
Wir finden fie hier
welche, als Offenbarungen
seiner Allmacht, Weisheit und Güte, eine Stufenfolge in sich
darstcllcn, bis sie in der Menschenbildnng, als ihrer herrlichen Spitze, sich vollenden.
Indem
der Mensch,
die
Krone
der
Schöpfung, in seiner gottebenbildlichen Art aus der Hand des Schöpfers hcrvorgcht, tritt er ganz unmittelbar als
die sich
selbst wissende Natur und hiermit zugleich, weil für Gott («g aviov) geschaffen, als Priester derselben auf, dazu bestimmt, der in ihrem Abziclcn
auf Gott gut geschaffenen Natur die
Entwickelung zu ihrem Endzweck durch sich selbst zu vermitteln, d. h. die ganze sichtbare Natur mit sich in Gott einznführcn.
Die vorhergehenden Tagewerke Gottes schließen sich daher in der Menscheiibildung alle
in Eins zusammen
und treten als
religionsstifteude Thatsachen in Adam zugleich aus der Objek
tivität in die Subjektivität hinüber, da nach dem Gesagten das Grundprincip der Religion des Anfangs: die Schöpfung ein lebendiger Rcfler Gottes: dem Stammvater unsers Ge-
143 schlecht» in seiner höchsten Energie einwohnt, nm von ihm auS in die nachfolgende Gattung überzngehen.
Indem Adam kraft
seiner gottcbcnbildlichen Natur dieser, in ihm conccntrirtc Re
ster selbst ist, erfüllt sich ihm seine Bestimmung in einer dop pelten Beziehung.
Einerseits soll er, den lebendigen Gott in
sich selbst reflectircnd, eine Wohnstcttc sein, darinnen der Herr seine Ruhe habe und, obwohl unendlich erhaben über die Welt,
doch auch, als der ihr immanente Gott, hier zu sich selbst
komme und in seinem Bilde sich wicderfinde.
Andrerseits ist
der Mensch zum Herrn über die ganze Erde gesetzt und hat
die Aufgabe, cS geltend zu machen, daß Alles unter seine Fuße gethan
worden.
Fassen wir demzufolge die Grundidee
der
ersten Religion in einen prägnanten Ausdruck zusammen, so ist cS Dieser: die Schöpfung ein lebendiger Reflex Got
tes vollendet als
nach
solcher ihre Stnfenrcihe in dem,
der imago dei geschaffenen Menschen als der
sich selbst wissenden Natur und bedingt hiernach des sen doppelte Bestimmung: Wohnhaus
innerlich ein lebendiges
äußerlich
GotteS,
ein Herr
aber
der
ganzen Erde zu sein, um Gottes willen.
Es liegt endlich auch die Eröffnung des, dieser Religion «»gehörenden Cultus noch mit innerhalb dcö Kreises der Grund thatsachen und
Beschluß.
macht
im
CpklnS der Schöpfungöwochc den
Gott ruhcte am siebenten Tage von allen Werken,
die er gemacht hatte.
Diese Ruhe Gottes kann nur in Bezie
hung ans den Menschen richtig verstanden werden.
stimmung dieses
Letzteren
ihre erste Erfüllung.
zum gottinnigcn
Leben
Die Be
fand hier
Indem so aber der Zweck der Schöp
fung, den Werkmeister reflectircnd zu verherrlichen, zur vollen Verwirklichung gelangte,
erreichten
die Tagewerke Gottes in
dieser ersten Bethätigung des inhaltreichen Princips der Reli gion des Anfangs erst ihre wahre Endschaft.
Daher knüpft
144 sich unmittelbar an die Ruhe Gotteö die Segnung des siebenten Tages und in derselben die Feststellung eines, daö religiöse
Princip in die werdende Gemeinschaft verpflanzenden Cultus,
in welchem, als dem immer wiederkehrcnden Beschlusse
des
Wochencyklus, die erste Schöpfungswoche sich fortan rcflectiren
sollte.
Das Sabbatöiiistitut gehört
wesentlich
diesem
ersten
Cultus an, und wir waren genöthigt, soweit znrückzugehen, weil sonst der christliche Sonntag gar nicht verstanden werden
kann.
Schließlich die Bemerkung, daß die Heiligung deö sie
benten Tages auch darin die innerste Wahrheit der ersten Na
turreligion an sich auödrückt, daß sie dem Bedürfniß der mensch lichen Natur, sa man dürfte sagen, selbst der Thiere, die an der Arbeit des Menschen Theil nehmen, wundcrbarlich entspricht.
Das Hauptergebniß dieses §. fassen wir in der Erklärung zu sammen: der WochcncykluS ist als das Urinstitut des frühesten
Cultus geoffenbarter Religion anzuschcn, und cs ist klar, daß keine spätere Offenbarung ihn aufhcbcn kann, da sie hierdurch
mit der früheren in unauflöslichen Widerspruch treten würde. Wir haben vielmehr von den folgenden Entwickelungen nur die
Affirmation desselben zu erwarten. §. 31.
Fall und Voranstalten zur Wiederherstellung. Sobald der Mensch in die Sünde gcrieth, er sich selbst
versetzte
in den unauflöslichen Widerspruch des in
wendigen und auswendigen Menschen,
das Bedürfniß,
womit gleichzeitig
Gott zu versöhnen, hervortrat.
Daher
kommen zu dem ersten Cultus, welcher der anfänglichen, reinen Gotteserkenntniß entsprach,
sogleich die Opfer als
ein neues Element hinzu, von dem der Mensch in seiner Integrität Nicht- gewußt hatte.
Hiernrit wird cs aber
145
auch offenbar, daß das Princip der ursprünglichen Reli gion, wenn gleich es als h. Reminiscenz fortwirkte, doch
nicht mehr ausreichte, einen wahren Gottesdienst auf Er Menschen Opfer (vergl.
Denn der
den zu erhalten.
§.17 u. 18.) würden sofort zur Lüge geworden sein, wenn Gott nicht alsbald dem Gefallenen einen neuen Weg des Heils geöffnet und damit dem Verderben ge
wehrt hätte, bis
wuchern. herstellung
zum
völligen geistigen Tode
fortzu
Daher knüpfen die Boranstalten der Wieder im
Protevangelio
Verlust und begründen
in
stch
Kraft
unmittelbar an den
der
Verheißung des
Weibcssamens, welcher der Schlange den Kopf zertreten
soll, einen neuen Cultus, der
stch als typischer Opfer
dienst darstellt, und worin ein LcbenSfadcn des Reiches
Gottes auf Erden sich fortspinnt.
Da
jene
göttlichen
Voranstaltcn ihrer Natur nach etwas Partielles an stch
haben, so wird es erklärlich, daß sic in der Gestalt von Familientraditionen sich vererben, und die Gemeinde der
Gläubigen zu jener Zeit im patriarchalischen Charakter auftritt, bis mit Abraham jene Anstalten in eine neue
EntwicklungSphasc übergehen, um sich als religiös-poli
tische Institution eines Volks zu consolidircn. ES ist auffallend, daß, während die göttliche Gnadcnwahl
durchaus unabhängig von der Geburt nach dem Fleisch, überall nur Individuen auü der Masse
der Menschen auöliest, um sie
als lebendige Steine zum neuen Tempelbau zusammenzufügen, in den Anfängen unsers Geschlechts
dagegen
die Kinder des
Reichs von den Kindern dieser Welt sich nach dem Geblüt zu
sondern scheinen.
In den Sethiten erblicken wir die Herrschaft
des Lichts so mächtig, daß in Kraft des ursprünglichen Prin cips, sowie der hinznkommcndcn neuen Verheißung des Wiedersl ii V p prakt. IbrcL I.
!0
146 Herstellers ein Henvch durch sein göttliches Leben davon entbun
den werden kann, den Tod schmecken zu müssen, während da gegen in den Kainiten eine Energie des Verderbens sich zu er kennen giebt, welche die Fortwucherung des Bösen soweit treibt, daß am Ende auch das entgegengesetzte Licht verlischt, bis es,
nur noch in einer einzigen Familie erhalten, das ganze übrige
Geschlecht der Finsterniß überlassen hat.
begegnet uns jene
Nach der Sündfluth
ausfallende Erscheinung
der Urwelt aufs
Neue, nur daß in den Kindern Japhet'S ein Mittelglied auf tritt 'zwischen den
gesegneten Nachkommen Scm's und denen
des verfluchten Cham.
Es ist jedoch darin eine tiefe Weisheit
Gottes zu erkennen, daß zur Zeit der ersten Voranstalten der Erlösung die Wahl der Gnaden mit der leiblichen Abstammung
näher im Bunde ist, als in den Zeiten des entwickelteren Rei
ches GotteS auf Erden, wie sie
denn unter der universellen
Religion des Evangeliums ihren individualisircnden Charakter
rein hervortreten läßt.
Das Partielle, womit jene Anstalten
nothwendig behaftet waren, machte ihre Sicherung durch Bande
der Stammverwandtschaft erforderlich und bedingt das patriar
chalische Wesen der Vorwelt,
worin der Cultus der wahren
Gotteserkenntniß als h. Familientradition
fortgepflanzt wird,
bis es sogar unter Sem's Nachkommen nöthig wird, daß Gott den Abraham, das Gegenstück zu Noa,
seinem Lande und von seiner Freundschaft.
ausgehen heiße aus Hiermit tritt aber
auch das Reich Gottes in eine neue Evolution, kraft welcher
die göttlichen Anstalten sich zur theokratischen Volksorganisation constituiren.
Schließlich die Bemerkung, daß die Religion der
Patriarchen aus zwei Hauptmomenten besteht.
h. Reminiscenz der Religion des Anfangs;
Theils ist sie
theils erscheint sie
alS eine, im Fortgänge der Zeit durch prophetische Aussichten auf den Wiederhersteller sich immer mehr bereichernde Vorah
nung der Zukunft, wie denn schon in Abraham die Verheißung
147 eine
concretere Gestelt
annimmt, um in den nachfolgenden
Propheten immer deutlicher und bestimmter sich zu entfalten.
Man könnte schlechtneg die Religion der Patriarchen als die der Verheißung bezeichnen; und wenn wir bedenken, daß der
Entwicklungöfadcn
des Reiches Gottcö auf Erden in ihr sich
fortsetzt, so wird uns das ungemeine Gewicht begreiflich, welches
Paulus auf sie legt, wenn
er daS Evangelium unmittelbar
daran anknüpft und das Gesetz nur als ein Zwischeneingekom-
mcneö behandelt.
32. Das Judenthum. Wenn die Religion der Patriarchen sich bestimmt als
ein lebendiges Ineinander der, in der gottebenbildlichen
Natur des Menschen
sich
erweisenden Offenbarung der
Heiligkeit Gottes und andrerseits seiner Gnade in der Verheißung des Wiederherstellcrs:
so setzt, ein inneres
Leben aus Gott bedingend, dasselbe religiöse Princip auch weiterhin und
in
immer concreterer Vorbildlichkeit auf
Christum auftretcnd, in einer langen Reihe von Frommen
sich fort, welche den eigentlichen geistlichen Israel inner halb eines
Volks darstcllcn,
das der
Theokratie nur
äußerlich angehört und durch sie gebändigt wird.
Wäh
rend so die Gemeinde der Gläubigen schon unter dem
alten Bunde mit einem gesetzlichen Organismus sich über
kleidet, welcher außer ihr noch viele Andre in sich be
schließt, und das Reich Gottes auf Erden hiernach im
bestimmteren Gegensatz einer sichtbaren und unsichtbaren Kirche zu entwickeln anfängt, verknüpft zwar auch jenes organische Gesetz in sich noch die Offenbarung der Heilig-
10*
148 keit und die der Gnade Gottes; aber Beide gehen hier nicht in einander auf, sondern fallen als äußerer Buch stabe aus einander, die Eine als Zeugniß der ursprüng
lichen
gottebenbildlichen Natur des Menschen,
dem der
Wille Gottes in's Herz geschrieben war, im Sittengesetz;
die Andre als Schatten der zukünftigen Güter im Ceremonialgesetz, wobei höchst bedeutsam der Sabbat selbst in
den,
äußerlich verbindenden Buchstaben der zehn Gebote
mit ausgenommen ist. Allerdings war die, in der Verheißung des Wicderherstel-
lers dem gefallenen Geschlecht sich znwendende Gnade noch nicht
die Wiederherstellung selbst, sondern deutete nur darauf hin; gleichwohl aber reichte sie noch aus, ein göttliches Leben in der Menschheit zu erhalten.
Denn wenn auch mit der Sünde der
Tod in die Welt gekommen war, und es in ihrer Natur lag,
unaufhaltsam, dem korrosiven Gifte gleich, weiter zu fressen, — so hatte sie doch nicht alsbald diesen Zerstörungsproccß voll bracht, so daß die ursprüngliche Naturherrlichkeit des Menschen auch nach dem Falle noch in viel höherem Grade sichtbar blei ben konnte, als nachdem der schwarze Brand des sittlichen Todes
schon lange um sich gegriffen hatte.
Fehlte es doch selbst unter
den alten heidnischen Völkern, namentlich im classischen Alter
thum, nicht an jenen Spuren eines höheren Lichts, welches,
wenn gleich nie über den Horizont einer heidnischen Befangen heit hinaus, dennoch Viele erleuchten und die Keime eines gött lichen Lebens in ihnen bewahren und pflegen konnte.
Wir be
haupten nicht, daß nicht der ganze Mensch von der Sünde
ergriffen worden sei, wohl aber, daß sie ihn nie totalitcr ver derbt habe, und daß in den Anfängen dies noch weniger der
Fall gewesen sei, als später.
Wenn nun alsbald die helfende
Gnade in der Verheißung dem Gefallenen
die Hand reichte,
149 so genügte dies »och dazu, daß Licht und Finsterniß sich schie
den, damit Jcneö, als ein Leben deS inwendigen Menschen im Gegensatz gegen daö der Sünde fortdauernd, in dieser Sonde
rung zugleich eine Sicherung sande.
uns
also
in
Die Verheißung begegnet
der Patriarchenwclt in der That als lebendig
machende Gnade,
deren
göttliche Wirkung in Dem aufgeht,
wozu der Mensch nach seiner gottcbcnbildlichen Natur von An fang bestimmt war, nämlich ein Rester der Heiligkeit Gottes zu
sein, in welchem Sinne auch der §. die Religion der Patriar chen als ein lebendiges Ineinander der Offenbarung der Heilig
keit in der Schöpfung und der Gnade in der Verheißung be zeichnet hat.
Wie beide Offenbarungsweisen sich wicderfindcn, ist bereits angcdcutct.
im mosaischen Gesetz
Wenn jedoch das Gesetz
nur zwischcncin kam um der Sünde willen, die dadurch erkannt,
aber auch
mächtiger werden sollte, um zuletzt von der noch
mächtigeren Gnade der Versöhnung überwunden zu
werden;
wenn eö also, die Sünde überall voraussetzend, nicht alö ein Gesetz des Geistes, der da lebendig macht, sondern als das, in die Steine gebildete, äußere Gesetz deS tödtcnden Buchstabens
auftrat: so konnte hier natürlich von jenem ursprünglichen In
einander der Heiligkeit und Gnade nicht mehr die Rede sein.
Den» der sündige Mensch offenbarte die göttliche Heiligkeit hin
fort nicht durch sich selbst.
Mithin mußte sie als Negation
seines sündigen Wesens äußerlich sich ihm gegenüberstellen alö Sittcngesetz, welches die Verdammniß predigt.
So weist dieses
auf deS Menschen gottebenbildliche Natur und hiermit auf die Religion des Anfanges zwar zurück;
aber sie tritt darin als
eine negirte aus, und selbst der ursprüngliche Sabbatscultus ist bis zu einer Reminiscenz herabgesunken und muß, weil ihm sein
heimathlicher Boden im lebendigen Dasein der ersten Naturrcligion gebricht, selbst starres Gesetz werden, um sich zu crhal-
150 ten. Wie dieser Theil der mosaischen Gesetzgebung der herrli chen Vergangenheit deS Geschlechts und seiner Schöpfungsreligion alS einer negirten zugewendct ist, so blickt der andere Theil hin aus in die Zukunft der Wiederherstellung. Doch auch die hier in liegende Offenbarung der Gnade erscheint nicht als belebende Verheißung, sondern drückt, mit derselben Negativität behaftet, überall zugleich DieS an sich aus, daß das Wesen der himm lischen Güter so lange nicht erscheinen könne, als daö gegen wärtige Schattenwerk fortdaure. Gleichwohl hat der ganze OpfercultuS der alten Oekonomie eine typische Bedeutung auf Christum und die, sich in ihm vollendende Offenbarung deS Heils. Nach dem Gesagten laufen Beide, die Manifestation der göttlichen Heiligkeit im Sittengesetz und die in den Vor bildern enthaltene Verheißung der Gnade, neben und außer einander her, so daß die mosaische Religion hierdurch sich als ein Zwischenglied ankündigt, welches noch keine, in den reinen Anfang zurückgehende Wiederherstellung des gefallenen Geschlechts ist, wie denn ebendeshalb Paulus im Br. a. d. Galater so entschieden dagegen polemisirt, daß dem Gesetz die Absicht unter gelegt werde, zu gewähren, was die Verheißung zugcsagt hatte. — Jenes Außereinander der Heiligkeit und Gnade in der alttestamentlichen Oekonomie, kraft dessen Jene, in den Geboten der Sittlichkeit manifest, nicht gnädig ist — denn das Gesetz richtet nur Zorn an —, und wiederum Diese, durch die Opfer sich ver mittelnd, nicht heiliget — denn es ist unmöglich, durch der Böcke und Kälber Blut Sünde wegnehmen —, prägt auf eine über raschende Weise im entsprechenden Cultus sich aus, zum Zeichen, daß die Gnade hier, wie oben angedeutet, noch nicht die in den Anfang zurückkehrende Wiederherstellung selbst ist.
151
8- 33.
Der Cultus der mosaischen Religion. 3'vei Grundrichtungen laufen im jüdischen Cultus ein ander parallel.
Die Sabbatsfcier, an welche im Laufe der
ferneren Entwickelung des Volkslebens die gottesdienstlichen Versammlungen der Synagoge, unabhängig vom Tempel
dienste, sich anknüpfen, und in welcher zunächst bei den from men Israeliten der alte patriarchalische Geist fortlebt, — geht auf den ursprünglichen Naturcultus zurück und ist als die, sich
stetig
vererbende Ueberlieferung
des
Urcyklus
der
Schöpfungswochc, in welcher sie wurzelt, anzusehcn. — Neben diesem Wochcncyklus läuft ein, in ihm nicht aus
gehender Festcyklus des Jahres,
streng an
den Tempel
gebunden und mit seinem typischen Opfer- und Ccremonicndicnst auf die Zukunft des Menschcnsohnes hinaus deutend.
Die Vergangenheit des Geschlechts
und seine
Zukunft liegen außer einander; die Cyklen der Woche und des Jahres streben sich zu ergreifen;
aber sie durchdrin
gen sich nicht.
Die hervorragenden Momente des Jahrescyklus sind daS Pass«, daS Fest der Wochen und das Laubhüttenfest.
Daß diese
im WochencykluS nicht aufgehen, ist daraus zu sehen, daß z. B.
die Paffafcicr im Monat Nisan
nicht
nothwendig
mit der
Wochenfeier des SabbatS zusammentreffen muß, sondern, nach eignem Gesetz berechnet, auf jede» beliebigen Wochentag fallen kann.
Allerdings wollen die beiden Cyklen sich ergreifen, indem
die Berechnung der Jahresfeste sich immer durch die Siebcnzahl
bestimmt, die wie der rothe Faden durch alle h. Zeiten des Tem-
152 pelcultuS sich verfolgen läßt; aber gleichzeitig soll es typisch sich darstellen, daß der Weg zur Heiligkeit in der Gnade noch nicht
geoffenbart ist.
8- 34. Die Wiederherstellung durch Christus. In Christo erfolgt die Wiederherstellung des mensch
lichen Geschlechts nach dem Ebenbilde Gottes und weit noch über die erste Herrlichkeit hinaus, und es vereinigen sich in dieser Stiftung des neuen Bundes die drei Grundmomente,
welche die Anfänge einer positiven Religion eonstituiren, auf die vollkommenste Weise.
Erstens gehen in Christo, dem
persönlichen Worte, — Gottesthat und Menschenthat in einander auf („Gott war in Christo u. s. w.'") und ver knüpfen sich hier zu den geschichtlichen Thatsachen der Er lösung der Menschheit. — Zweitens constituirt Christus
durch sie sich persönlich zum göttlichen Lebensprincip für die ganze Welt. — Drittens ergießt er seine Fülle in die Gemeinde, in der Sendung seines Geistes, womit er den neuen Cultus eröffnet.
Wie Christus zum neuen Lcbensprincip für die Welt sich constituirt so, daß die Hauptmomente, worin dies in ihm sich
vollbringt, die Grundthatsachen des Heils bedingen, ist leicht nachzuweisen.
Als der andre Adam und geistliche Stammvater
für das gefallene Geschlecht, muß er zuvörderst, unter das Ge setz gethan, alle Gerechtigkeit erfüllen, im absoluten Gehorsam
gegen den Vater.
Wie jener Gehorsam mit seiner Geburt an
hebt, so ist Diese auch selbst als die, in sich unendliche Ent äußerungsthat des Sohnes Gottes zur Knechtsgestalt, schon
153 jener vollendete Gehorsam, welcher hierin alS erste Grundthat-
sache der Erlösung austritt, um nun durch daö ganze Leben dieses rnrr—a? sich fortzusetzen. Aber den Gehorsam war Christus auch für sich selbst zu
leisten schuldig: wie konnte er für die Gefallenen verdienstlich werden dadurch, daß der Herr sich darin ihnen zum Lebens princip machte? — Diese Frage führt uns dem zweiten Mo
mente zu.
Nur sofern Christus alS Sühnopfer der Welt Sünde
trug, konnte auch wiederum, gleichsam durch einen staunenswcrthcn, wechselseitigen Austausch, sein Gehorsam ihr zugerech net werden.
Daher mußte au
ihm das prophetische Wort:
die Strafe liegt auf ihm u. s. w. sich erfüllen, und durch
den Tod mußte er sein Leben, welches der absolute Gehorsam selbst ist, als sein eignes Leben negircn, damit er, und der Vater
mit ihm, — hier gelangen wir zum dritten Moment, — in seiner Auscrstchung es neu affirmirte, doch nun nicht mehr als sein eignes, sondern als daS Leben der Welt.
Hiernach ist
Christus persönlich der Menschheit zur Gerechtigkeit gemacht und es vereinigen sich in Geburt, Tod und Auferstehung die Grund
thatsachen des Heils, welchen in der Ausgießung deS Geistes
diejenige sich zugesellt, durch welche die Ueberströmung des neuen Princips von dem, der die absolute Fülle desselben ist, in die Gemeinschaft vermittelt wird.
§. 35. Die Beziehung der Erlösungsthatsachen zum Wochencyklus. Daß die Erlösung als die neue geistige Schöpfung
der Welt in der That die volle Wiederherstellung in sich
trägt, und hiernach die in ihr erscheinende Gnade mit der in der Menschenschöpfung auftretenden Offenbarung
154 der Heiligkeit
Gottes
zusammengeht,
wie
denn Beide
— die Heiligkeit, wie die Gnade — in Christo persön
lich Eins werden, DaS findet darin einen bedeutsamen Ausdruck, daß die, im vorigen §. erwähnten Grundthat sachen,
deren
Vorbilder während
der
alttestamentlichen
Oekonomie durch den Wochencykluö nicht bestimmt wurden, wenigstens
in ihren eigentlich
versöhnenden Momenten,
nunmehr in den Urcyklus der Schöpfungswoche zurück
Während dieser so eine neue Bestätigung erhält,
kehren.
erfährt er zugleich erstehungsmorgen
eine Verwandlung, den Beginn der,
welche im Auf
von den Propheten
geweissagten künftigen Welt (ttan 0^7), im Gegensatz gegen die erste Welt (nin 2^7) ankündiget. Sollte es wohl für zufällig geachtet werden, daß, gleich wie Gott am 6. Schöpfungstage den Adam bildete, und nach
her, um ihm die Gehilfin zuzugesellen, einen tiefen Schlaf auf
den ersten Menschen fallen ließ, während dessen er da- Weib
von dem Manne nahm, — also auch der andere Adam am 6. Tage in den Schlaf des Todes versinken mußte, damit, als
seine Braut, des ersten Adam's Geschlecht, neu geschaffen, auS
ihm das geistliche Leben empfinge? — oder zufällig, daß, wie am 7. Tage Gott
von
seinen Werken ruhte, also auch der
Sohn Gottes an Demselben nach der schweren Arbeit der Ver söhnung unsrer Sünde durch sich selbst seine Grabesruhe hielt?
Die Kirche
wenigstens
hat seitdem
großen Sabbat bezeichnet,
um ihn
diesen
Sabbat
als
den
als Gegenbild der Ruhe
Gottes in der Schöpfungswoche in seiner Einzigkeit hervorzu
heben.
So mußte endlich auch, wie Gott am ersten Schöp
fungstage sprach: „es werde Licht!" — in dem Auferstandenen
das
neue
brechen.
Licht der Welt
aus der
alten Finsterniß hervor
So greift die Versöhnung aus der letzten Woche der
155 alten Welt in die erste der neuen herüber, und wir erblicken in der Vollendung des Erlösungöwerkes unmittelbar den An fang der letzten angenehmen Zeit des Reiches Gottes auf Erden. Die Verwandlung des Wochencyklus ergiebt sich hier
aus von selbst.
Denn was der Auferstehung voranging, ge
hörte noch der Schlußwoche des ersten Zcitlaufs, und so geschah cs, daß die Gottcsthaten in Christo, indem sie kraft fenes Her-
übergrcifens den alten Cyklus nicht mehr beschlossen, sondern in ihrer Vollendung als
der Beginn
deö Neuen sich darstellten,
das Hauptgewicht auf den ersten Tag desselben fallen ließen. Mit Recht ist daher seitdem der Sonntag, schon in der apostoli schen Zeit als die i^ieya xvQtmtf ausgezeichnet, der Festtag für
die Gemeinde geworden. Durch
Fragen.
das Gesagte beantworten
sich wichtige liturgische
Die erste, schon zwischen Victor von Rom und
PolykrateS von Smyrna behandelt, betrifft die Berechnung
des Osterfestes:
eine Angelegenheit, die noch lange da, wo
römischer und griechischer Ritus sich berührten, streitig geblie ben und selbst heute noch nicht durchgreifend in der Christenheit geschlichtet ist.
die Thatsachen
Wenn
nach göttlichem Plan
dem Cyklus
der Erlösung wirklich
der Schöpfungswoche sich
cingefügt haben, so ist in Ansehung deö erwähnten Osterstreits dem römischen Bischof,
abgesehen
von
seinem
hierarchisch
herrschsüchtigen Geist, zuzugcstehen, daß seine liturgische Be
stimmung, nach welcher das nao^a dvaazdoipov immer auf
einen Sonntag fallen sollte, allerdings in der Tiefe der christ lichen Idee, für die sie einen Ausdruck suchte, gegründet war.
Die seitdem in der abendländischen Christenheit stabil gewordene
Berechnung des Osterfestes behalten wir einem andern Orte vor. Eine zweite Frage von liturgischer Bedeutung, die auch
schon hier verhandelt werden muß, betrifft die Institution der Sonntagfcier.
Die Augsburg'sche Conseffion zahlt diese Letztere
156 den traditionibus liunianis bei und verfährt hierin mit einer solchen Freisinnigkeit, als ob der Kirche das Recht zuzuerkennen
wäre, diese h. Zeit aus wichtigen Gründen allenfalls zu ändern, während in der reformirtcn Kirche das entgegengesetzte Ertrcm
hervorgetreten ist.
Bei der hier herrschenden Abneigung gegen
alles gottesdienstliche Wesen von blos menschlichem Ursprung,
begehrte man für jede kirchliche Einrichtung göttlichen Befehl, oder, was gleichbedeutend schien, Begründung derselben aus der h. Schrift. Da dieses Interesse sich auch dem christlichen Sonn
tage zuwendete, und man doch denselben um keinen Preis auf zugeben gedachte, wurde reformirterseits eine doppelte Fiction zu Hilfe genommen.
Erstens betrachtete man das mosaische
Sabbatsgebot, gleich den Sittcngesetzen, als fortdauernd ver bindlich, auch für die Christenheit, und verkannte in dieser Be ziehung ausfallend, daß die Endschaft des Gesetzes in Christo
jenes alte Gebot als solches nicht mehr stehen läßt.
Da man
jedoch auch so demselben keinen Gehorsam leistete — denn wie
hätte sonst statt des Sonnabends der Sonntag gefeiert werden dürfen? —, so war man genöthigt, eine apostolische und daher
mit göttlicher Autorität bekleidete Einrichtung zu erdichten, durch welche die Sabbatsfeier vom letzten auf den ersten Wochentag
gesetzlich übertragen worden sei. Das Recht
reformirter Seite,
ist
vollständig weder
auf lutherischer,
noch
sondern in der Mitte liegt die Wahrheit.
Nicht unter die unabänderlichen göttlichen Gebote gehört dem Christen die Sonntagfeier, wie denn auch in Betreff ihrer ein
solches daraus nicht nachzuweiscn ist, daß der Sonntag als die i]P£(>a xvgiaxij im N. T. uns begegnet, und deutliche Spuren verrathen, daß er durch gottesdienstliche Versammlungen aus gezeichnet worden sei.
Wohl aber ist die Sonntagfeier unter
die göttliche» Ordnungen zu rechnen.
ES ist ein Unterschied
zwischen Ordnungen und Geboten Gottes. Diese sind unmittel-
157 bare Reflere der göttlichen Heiligkeit, wogegen Jene die Groß
thaten
Gottes in
der Geschichte abspiegeln.
Wie sie daher
Zeugnisse der ordnenden Liebe, welche Licht und Klarbeit in die menschlichen Entwicklungen bringt, in sich darstellen, so kann auch dieselbe Liebe, die zugleich das neue Gebot ist, worin das ganze Gesetz sich erfüllt, um eines noch höheren Zwecks willen den einzelnen Gläubigen über jene Ordnungen erheben, ohne
daß er verbunden wäre, irgend einem Buchstaben hierin ein Recht über sich cinzuräumen.
Herr auch des Sabbats."
,,DcS Menschen Sohn ist ein
Andrerseits wird die Bcfugniß der
Kirche, die Sonntagfeicr zu ändern, geleugnet werden müssen, da nicht abzusehen ist, wie Jene, so lange sic als ein äußerer gesetzlicher Organismus dasteht, und im Gegensatz von Kirche und Reich Gottes befangen bleibt, einen Standpunkt gewinnen
sollte, auf welchem sic sich über die alte göttliche Ordnung er haben achten dürfte. —
Unsere Betrachtung ist nunmehr zu dem Punkte gelangt, wo sie unmittelbar in den christlichen Cultus übergeht, und wir sehen uns hiermit dem dritten Theile zugeführt.
158
Dritter
Theil.
Der christliche Cultus.
§. 36. Die göttliche Institution des Cultus. Der christliche Cultus tritt ganz unmittelbar in den
Anfängen unserer Religion selbst auf, indem ihre geschicht
lichen Grundthatsachen
den
uralten Wocheneyklus nicht
blos bestätigen und zugleich verwandeln, sondern mit der Hervorbringung des ersten christlichen Sonntags zugleich
auch
die
bedeutungsvollste
Eröffnung
des
betreffenden
Cultus, als das zur Stiftung der christlichen Religion
gehörende Endereigniß
selbst
in sich schließen, während
gleichzeitig die Kirche Christi damit ihren Anfang gewinnt, daß das neue Lcbensprincip sich ergießt, und so die Ge
meinde der Gläubigen zur Verwirklichung gelangt.
Es
ist klar, daß der christliche Cultus kraft seiner göttlichen
Institution auch von Haus aus schon seine ideelle Be stimmtheit in sich trägt. Uebrigens versteht sich von selbst, daß mit der, in den Er-
lösungötbatsachen enthaltenen Affirmation des WochencykluS der
umfassendere Festcyklus des Jahrs um so weniger ausgeschlossen war, als derselbe unmittelbar den mosaischen Jahresfesten sich
159 anschließen konnte, und das christliche Princip, wie wir gesehen
haben, nur Dies erforderte, daß der Jahrescyklus sich in seinen Hauptmomenten immer wieder in den der Woche auslöste.
kann
Es
daher nur als eine Schroffheit des Presbyterianismus
erkannt werden, wenn cr den Jahreofestcykluö als bloße Men-
schcnsatznng abschaffen zu müssen geglaubt hat.
Was den Inhalt des christlichen Cultus betrifft, so ist er in
denselben
Moinentcil gegeben,
welche seine h. Zeiten be
dingen; denn was könnte die Kirche sonst wohl feiern, als die Erlösung, die durch Jesum Christum geschehen ist?
In ihr
begegnen unS Facta, welche mit der, ihnen zu Grunde liegenden
Idee so unendlich erfüllt sind, daß sie vollständig darin auf gehen. Das göttliche Wort aber ist's, worin jene Facta sowohl
in ihrer reinen Geschichtlichkeit,
als ihrer göttlichen Idealität
nach aufbehalten sind, um immer auf's Neue durch den Geist, welcher das Wort selbst zu Geist und Leben werden läßt, in die tiefste Innerlichkeit der Gemeinde überzugchen und hier als
beharrende Momente ihres geistigen Daseins in Gotteskraft sich zu bethätigen.
Wir werden hierauf zurückkommen.
§. 37.
Construction. Aus dem Bisherigen hat sich schon ergeben, daß der
christliche Cultus unmittelbar durch die geschichtlichen An fänge der betreffenden Religion selbst eine objective Be stimmtheit hat, die er nie verleugnen kann, ohne sich selbst
aufzugeben, und nächstdem ist einleuchtend, wie rücksicht lich derselben noch der rein abStracte Charakter als vor
herrschend erscheint.
Hiermit
ist
unS
Abschnitt unserer Theorie vorgezeichnet.
bereits
der erste
Wir geben ihm
die Ucberschrift: die abStraet-objective Bestimmt-
160 heit des christlichen Cultus durch die geschicht lichen Anfänge des Christenthums. — Wenn nun das, in Christo
objectiv gegebene neue Princip in die
Gemeinde übergehen muß, um in ihr subjektives Leben
zu
werden,
und
insonderheit im
manifest werden soll,
Cultus
als Solches
so muß es nothwendig auch inner
halb der gottesdienstlichen Versammlung in allen den Ge
stalten sich offenbaren,
deren innere psychologische Noth
wendigkeit der erste Haupttheil aus allgemeinen Princi
pien nachgewiesen hat.
Hiermit gewinnt der
christliche
Cultus neben seiner objectiven noch eine subjective Be
stimmtheit von ganz roncreter Art, indem Dasjenige, waS
der erste Abschnitt als das abstract Allgemeine aufstellt, hier als das concret Wirkliche, gottesdienstliche Formen
bildend, wiederkchrt.
So entsteht ein zweiter Abschnitt
mit der Ueberschrift: die concret - subjektive
Be
stimmtheit des christlichen Cultus durch das re ligiöse Leben
der Gemeinde. — Die bisherigen
beiden Betrachtungsweisen lassen die Bestimmtheiten des Cultus so parallel neben einander laufen, daß in praxi dabei der gläubigen Subjektivität selbst zugemuthet wird,
sich mit dem
objectiven Inhalte zu
einen Verinncrlichungsproceß
ihn
zu
erfüllen und durch
eignem
Leben
zu
machen, wobei die Voraussetzung besteht, daß das objec
tiv vorhandene Prineip auch seinerseits als ein Lebendiges,
Wirksames der frommen Subjektivität entgegenkomme. — Ist nun aber diese Voraussetzung gegründet,
so darf die
Objektivität deS Princips auch das Recht in Anspruch
nehmen, ganz unmittelbar selbst sich als Solche gel tend zu niachen und, bestimmte Mittheilungsformen schaf fend, in der Art wirksam an die Subjektivität heranzu-
161 treten, daß diese zwar zu lebendig reagirender Thätigkeit dadurch sollicitirt, aber doch die selbständige Energie des objectiv vorhandenen Princips
durch sic nur im Sinne
einer conditio miic qua non
bedingt
werde,
wogegen
allerdings auch zu denken ist, daß eine ähnliche Erwei sung der Objektivität zwar crstrebt,
aber nur insoweit
reell werde, als auch positiv eine subjektive Bermittelung
des christlichen Gemeingeistcs hinzukommt. Hiermit haben wir nach dem allgemeinsten Begriff drr Sache das Wesen
der Bcncdictionen
ausgesprochen
als
solcher Momente,
wo die Objektivität des Princips als Gnadenmittheilung
mehr oder
weniger
unmittelbar und
selbständig in die
Subjektivität hinübcrtritt, um sic mit ihrem Inhalte zu durchdringen.
Für
wissenschaftliche Betrachtung im
die
ersten und zweiten Theil waren die beiden Bestimmtheiten dcS Eultus, die objective und die subjektive, außcrein-
ander liegende Momente.
In
den Bcnedictioncn
aber
als objectiv festen, mit dem lebendigen Princip erfüllten Darreichungsmittcln göttlicher Gaben gehen Beide der
gestalt in einander auf, die Subjektivität, sei
positiv, sich vermittelt.
daß die Objektivität selbs durch es nun blos negativ,
oder
auch
So entsteht ein dritter Abschnitt
mit der Ueberschrift: das In ein andersein der ob
jectiven und subjektiven Bestimmtheit des christ lichen Eultus in den kirchlichen Bcncdictionen.
In den angegebenen drei Abschnitte» verlaust nothwendig die Tbeorie des christlichen Cultus.
Zwar könnte noch ein
vierter erforderlich scheinen, sofern die christliche Gemeinde
versammlung nicht nur in bestimmten Raumen erfolgt, sondern auch rücksichtlich dieser keyteren der Anspruch vorhanden ist, ht .1 ii r i* i'nih
»In!
I.
l I
162 daß sie, sich individualisirend, auch ihrerseits die christliche Idee zu symbolischem Ausdruck
ES
bringen.
ist jedoch
nicht zu
übersehen, daß gleichwohl die h. Räume den christlichen CultuS so wenig bedingen, äußerlich bleiben,
daß sie vielmehr ihm
wie
sie
auch
denn
Gebiet der Kunst hinüberweisen.
immer wesentlich
unmittelbar
in
das
Demnach wird gerechten An
forderungen Genüge geschehen, wenn wir nur zum Schluß ein Wort anhangsweise über die h. Räume deS Cultus beifügen.
Rücksichtlich des zweiten Abschnitts ist noch zu bemerken, daß, wenn hier die, im ersten Theil alS psychologisch nothwen
dig
nachgewiesenen
Grundformen
religiöser
Lebensäußcrung
wiederkehren müssen, sie doch nunmehr in ihrer eigenthümlich
christlichen Gestalt auftreten, wie sie auch geschichtlich einen be
stimmten Charakter gewonnen haben.
163
A b s ch n i t t.
C r st e r
Die abstract-objcctive Bestimmtheit des christlichen Cultus durch die geschichtlichen Anfänge des Chri stenthums. §. 38. Einleitung.
Wenn die Grundidee der christlichen Religion diese ist, daß Christus kraft der durchgehenden Verdienstlichkeit
seines ganzen Lebens, so wie seines Sterbens und Auf
erstehens,
sich
selbst
zum neuen Lebensprincip
für die
ganze Welt gemacht hat,
so ist hiermit auch der ent
sprechende Cultus seinem
wesentlichen Inhalte nach fest
bestimmt.
Dieser Inhalt ist:
Christus,
sofern
er sich
offenbart als Lebensprincip für die Gemeinde der Gläu bigen. — Das erlösende Leben des Sohnes Gottes hat
aber, als ein, der Geschichte angehöriges, alle seine Mo mente, welche in die Innerlichkeit
der Gemeinde über
gehen sollen, in einem bestimmten zeitlichen Nacheinander entfaltet
und hiermit dem christlichen Cultus im Gesetz
seiner h. Zeiten auch die Form vorgezeichnet, nach welcher die inhaltsreiche Feier desselben sich zu gestalten strebt.
11 *
164 ES ist folglich die objective Bestimmtheit des christlichen Cultus eine Bestimmtheit nach Inhalt und Form. Der Proceß, durch welchen Christus als LcbcnSprincip für
die Menschheit sich bethätigt, d. h. in die Innerlichkeit der Ge
meinde übergeht, vermittelt sich durch den, von ihm gesendeten Geist der Wahrheit,
und
cö
darf hiernach
der
Inhalt
des
christlichen Cultus auch dahin bestimmt werden, daß er Christus
sei, sofern derselbe durch
seinen Geist in der Gemeinde lebt,
um in dieser Weise sein persönliches Dasein auf Erden fortzu
Wo der Cultus von diesem Inhalte verlassen ist, ist
setzen.
die Seele entflohen und nur der todte Leichnam zurückgeblieben.
Es leuchtet übrigens ein, daß Inhalt und Form sich aufs In nigste durchdringen, da mir dasselbe erlösende Leben,
welches
inhaltsschwer den Cultus erfüllt, auch seine h. Zeiten bedingt;
weshalb eS uns obliegen wird, bei den christlichen Festen über all auch
wieder
auf deren leitende
Grundgedanken
zurückzu
kommen.
§. 39. Der Inhalt des Cultus. Der Heist Jesu Christi verklärt den Herrn in sei ner Gemeinde durch das göttliche Wort. sich in ihr als eine seligmachende Kraft
Indem dasselbe
Gottes bethä
tigt, hat sie den Erlöser selbst in dem, von ihm zeugen
den Wort und erfährt darin seine persönliche Nähe und
Gegenwart.
Hiernach bestimmt sich der Inhalt deS Cul
tus noch specieller als: Christus, sofern er durch den Geist in seinem Worte bei der Gemeinde ist. Wir haben hier den Punkt erreicht, wo die römisch-katho lische und die evangelische Theologie in ihren Throrieen vom
165 Cultus definitiv ausciiiandergehen.
ES ist nämlich zwar auch
dem römischen Katholicismus Christus
Cultus, aber in ganz cvangel. Kirche.
der Grundinhalt des
anderer Art, als nach der Lehre der
Wenn Dieser zufolge die Erlösung der Welt
objectiv kinfürallemal vollbracht ist, so bleibt ihr nunmehr auch
für ihren Cultus nur daö Eine übrig, daß Christus, nachdem
er objectiv Lebcnsprincip für Alle geworden,
demgemäß auch
subjektiv das Leben Aller werde, und Dies ist es, wodurch sich
der Grundinhalt des Cultus wesentlich für uns bestimmt hat. Nicht so verhält eS sich in der römischen Kirche; denn sic ist
so fern davon, eine cinfürallemalige Vollendung deö ErlösungSwerkS zu behaupten, daß sie vielmehr den großen VcrsöhnungS-
proceß in derselben Objektivität, wie er durch Blutvergießen am Kreuz vollbracht worden, als unblutiges Opfer unaufhörlich in der Kirche sich fortsetzcn läßt. Wenn nun dieses sacrificiuni
cxpialoiiuin als das innerste Gcbeimniß des römischen Cultus
aufiritt, so zeigt sich als Grundinhalt desselben:
Christus, wie
er in dem immcrwäbrcnden objectiven Bcrsöhnungsprocessc bei
der Gemeinde ist. CS leuchtet ein, daß der ganze Cultus hier
nach eine veränderte Richtung, dein cvangel. gegenüber, nehmen
muß.
Der römische Christ betritt das Haus des Herrn mit
einem ganz andern Blicke auf den geweihten Altar, als der
evangelische daö Scinige; denn Jener schaut, abgesehen davon, ob ein einziger Gläubiger da sei, der den Herrn im Herzen
trage, seinen Gott objectiv gegenwärtig im Tabernakel.
Dort
hat er eine wirkliche Wohnung genommen und will hier von
den Gläubigen
angebctct sein.
Daß
dieses immerwährende
Opfer der Kirche die Mittlerschaft eincö, vom Volk abgeson derten PriesterthnmS erfordere, versteht sich von selbst, gleichwie auch, daß, wenn im betreffenden Cultus nicht sowohl Das
jenige, worin sich daS subjektive Leben der Gemeinde bethätiget,
alS vielmehr Dasjenige, was vom Priester äußerlich vollbracht
166 wird, die Hauptsache ist, — nun eigentlich gar Nichts mehr daran gelegen sein kann, ob dem andächtigen Volk ein Ver ständniß Dessen, waS der Priester thut, beiwohnt, wenn es jenem priesterlichen Thun nur mit dem Glauben, daß ihm da durch Heil gewirkt werde, zugewendet bleibt. Denn darauf allein ja kommt es an, daß das h. Werk nur recht gethan werde. Deshalb ist überall auch die Landessprache gar nicht erforderlich; ja, wenn eine bestimmte Sprache einmal jenen allgemeinen, h. Typus, durch welchen sie der kirchlichen Opfer handlung durchweg angepaßt ist, gewonnen hat und hiermit die sicherste Bürgschaft für die richtige Vollbringung derselben gewährt, so verdient sie sogar, jeder Landessprache vorgezogen zu werden. Schließlich bemerken wir, daß der römische Cultus sich natürlich auch seiner ganzen innern Anordnung nach durch seinen angegebenen Grundinhalt bestimmt, da dieser einen Mit telpunkt bezeichnet, auf welchen näher oder entfernter alle Ele mente desselben bezogen sein wollen. Die römische Liturgik wird folglich von diesem Ausgangspunkte in völliger Verschie denheit von der Unsrigen sich wissenschaftlich zu gestalten haben, und wir scheiden hier also von Rom mit dem klaren Bewußt sein, weshalb wir genöthigt sind, einen entgegengesetzten Weg einzuschlagen.
§. 40. Die h. Schrift. Das göttliche Wort hat die doppelte Aufgabe zu lösen: einerseits Christum nach seinem ganzen geschicht
lichen Dasein auf Erden mit vollkommener Treue der Gemeinde immerdar zu vergegenwärtigen; andrerseits ihn derselben mit gleicher Treue auSzulegen. Beides voll bringt die h. Schrift, — das Erste im evangelischen, das
167 Zweite im apostolischen Worte, — mit absoluter Lauter keit; und wir gewinnen hiermit eine noch speciellere In
haltsbestimmung für unsern Cultus,
nämlich: Christus,
wie er im Evangelio der Gemeinde durch den Geist ver gegenwärtigt
und
durch
denselben
Geist
in
den,
die
Wirksamkeit seiner Apostel bezeugenden Schriften ihr aus
gelegt ist. Nach dem ursprünglichsten Begriff des Wortes Gottes, ist
es Christus selbst.
Denn der Vater spricht den Sohn aus als
sein wesentliches Wort; Er bleibt dieses aber auch, sofern er
des Menschen Sohn ist; und so verstehen wir unter dem Wort den Erlöser mit seinem ganzen Erlösungswerke, wie in Wort,
so in That. Denn die That ist selbst nur ein sichtbares Wort,
gleichwie das Wort eine hörbare That, — Beides aufgehend im Begriff des vollkommenen Gehorsams, durch
welchen der
Herr sich frei zu Dem gemacht hat, was er wesentlich war, —
zum Lebcnsprincip für die Welt. lendete
durchaus
Erlösungsproccß
in
Jetzt sollte der objectiv vol
einen
subjectivcn
Lebenöproccß,
identisch mit der Entwickelung des Reiches
Gottes
auf Erden, übergehen, damit die Gemeinde als daö
toi rä nävia tv näot jikyguptnov d. h. als der andre mystische Christus zur Gleichheit mit dem persönlichen Christus
sich gestalte.
Zum Behuf dieses Ucberganges
der Erlösung
auS der
Objektivität in die Subjcctivität muß vor Allem Christus seinem ganzen geschichtlichen Leben nach der Welt kund werden; und
. eS bedurfte hiezu eines, der Wirklichkeit seines irdischen Daseins genau entsprechenden treuen Abrisses der historischen Persönlich keit deS Erlösers, damit diese so, gleichwie durch ein wohl
gelungenes Portrait, der Menschheit immer neu sich vergegen wärtigen könnte.
War dieses Bild einmal treu entworfen, so
168 blieb eS nothwendig das Einzige, von welchem künftig zwar
fort
«nd
fort
neue Bilder
treu copirt werden konnten und
sollten, an welchem jedoch Nichts mehr zu ändern war, da ein mal ein andrer Christus, als der geschichtliche, nicht zu machen ist. — Dieses wohlgetroffcne Portrait des Menschensohnes, für
alle Zeiten in der Kirche zu immer neuer Beschauung aufgestcllt, besitzen
wir in den Evangelien,
Entstehung wirksam
und die, bei ihrer
gewesene Theopncustie bürgt
u»S
dafür,
daß der Christus, den wir hier abgcschattct vor unö sehen, in
allen Zügen deS Gemäldes Derjenige ist, welchen der Vater in
die Welt gesandt hat.
Wir suchen in ihnen nicht eine, in chro
nologischer Folge fortlaufende
LcbcnSgcschichtc,
noch begehren
wir, daß der h. Geist bei den vier Erzählern daö Wunder einer
wie verabredeten durchgehenden Uebereinstimmung bis ans die kleinsten Züge der Geschichte gewirkt habe; wir verlangen blos
eine Treue der Zeichnung, wie Derjenige sie sucht, welcher, vor dem Bilde dcö theuren Freundes stehend, ihn gern ganz wic-
dcrfindcn und auSrufen will:
Das ist er!
Dieses leisten die
Evangelien, und ihnen gebührt daher vom wesentlichen Worte
Gottes, welches sie in sich tragen, und fräst des Geistes, der ihre Schreiber geleitet hat, der Name des göttlichen Worts mit
gleichem,
vollem Rechte.
Sic mußten nothwendig h. Schrift
werden, da das beabsichtigte Bildniß nur auf diesem Wege vor der Gemeinde dauernd aufzustellen war. Zur Entstehung deS subjektiven ErlösungSprocesseö genügt
indessen der historische Bericht vom Leben Jesu noch nicht.
Der
Herr selbst verweist seine Jünger auf den Geist, welcher Chri
stum in ihnen verklären und sie in alle Wahrheit leiten werde. Hierdurch erst konnte der Erlöser sich ihrem innersten Verständ
niß lebendig vermitteln, und es bedurfte also einer Auslegung
desselben durch jenes geheime Einsprechen dcö Parallelen, wel
ches die Herze» aufthnt und daS Auge des Glaubens zum Er-
169 kennen Christi als des Gottes- nnd Menschensohncs erleuchtet.
Kraft dieser Auslegung des Erlösers durch den Geist offenbart sich daö göttliche Wort in einer zweiten Gestalt, die wir als
daS apostolische Wort neben
dem evangelischen bezeichnen
dürfen. ES entsteht jenes Erstere auS dein in der Gemeinde sich unaufhörlich erneuernden Vcrinnerlichungsproccssc, durch welchen
Christus ihr Leben wird.
Da cs immer verjüngt in der Kirche
sich erzeugen soll und als Manifestation der, durch alle christ
lichen Jahrhunderte zu verfolgenden Succession deS Lebens auS dem Geist auftritt: so giebt sein Charakter im bestimmten Ge gensatz zu den Evangelien sich zu erkennen.
wesentlich, Christum
cinfürallcmal geschrieben zu auslegendc
Wort
unaufhörlich
Diesen erschien eS
sein,
neu
wogegen
daS,
hervorgcbracht
wird, weshalb cS sich auch, dem geschriebenen Wort gegenüber, als
daS
liehe.
lebendige,
traditionelle Wort der
Kirche bezeichnen
Nun hat aber diese Letztere die Verheißung deS, Chri
stum verklärenden,
d. h. auslcgcndcn Geistes absolut nur in
den Aposteln empfangen, nnd sic besitzt daher keine Sicherheit für
wahrhaftige
Auslegung oder
göttlich
gewisse
Erkenntniß
Jesu, als insofern sic sich in ihrem Auslegungsgcschäft an die Apostel hält.
Diese allein
haben den Herrn
in
vollkommen
normaler Weise ausgclcgt, und cö war daher die Nothwendig
keit vorhanden, daß der Apostolat als der sichere Grund, welchen fort und fort die Kirche sich
erbauen muß,
auf
sich ihr
ebenso verewigte, als dies rücksichtlich dcö Bildnisses Christi er fordert wurde.
Eine solche Verewigung deS Apostolats für die
Kirche ist dadurch
bewirkt, daß die, von demselben gegebene
authentische Auslegung, welche für alle nachfolgende Erklärung
Christi Regel und Richtschnur zu sein begehrt, gleich dem Evangeliv durch Schrift firirt worden ist, wie wir sie denn im an dern Theile des N. T., in der alten Kirche sehr prägnant ö
170 anöoTolog genannt, besitzen.
Die im § aufgestellte Inhaltsbe
stimmung für den christlichen Cultus zeigt sich hiermit vollstän
dig gerechtfertigt.
§. 41.
Die Regel und Richtschnur des evangelischen
Cultus. Aus dem vorigen
hohe Bedeutung der
Cultus.
Nicht
sich
§ ergiebt
Schrift
h.
für
unmittelbar den
die
evangelischen
nur ist die Forderung dadurch gerecht
fertigt, daß dessen Grundinhalt, Christus, nunmehr auch
durch den Anspruch der h. Schrift auf eine ihr gebüh rende Stelle im Cultus zu seinem wirklichen Recht ge
lange, sondern auch, daß Alles,
was sonst im Cultus
vorkommen kann, in durchgehender Schriftmäßigkeit seine
Rechtfertigung finde. Es liegt in der Idee des evangelischen Cultus, daß die
h. Schrift,
sowohl auö ihren evangelischen, als apostolischen
Bestandtheilen Abschnitte für ihn liefert, und
daß diese eine
centrale Beziehung der mannichfaltigen Cultuöelcnicnte zu ihnen geltend machen.
Perikopenreihe
In welcher verwirklicht
Weise dies durch die doppelte
worden,
wird
das Nachfolgende
lehren; doch ist zu bemerken, daß in dem bisher Entwickelten
die Nothwendigkeit einer firirten Perikopensammlung allerdings noch nicht motivirt ist. — Die im §
enthaltene Forderung
durchgehender Schriftmäßigkeit ist eins von den unterscheidenden
Momenten des
evangelischen
Cultus im Vergleich mit dem
römisch-katholischen. Wie die objective Bestimmtheit des christ lichen Cultus rücksichtlich seines Inhalts uns auf daS göttliche Wort geführt hat, so könnte auch das Sakrament hieher zu
171 gehören scheinen, da Christus in diesem gleichfalls der Ge
meinde sich darbietet.
ES ist jedoch zu erwägen, daß im Sa-
cramente die Bestimmtheit des CultusinhaltS nicht dieselbe reine
Objektivität hat, wie im göttlichen Worte, sofern bei Jenem das Vorhandensein des objectiven Charakters, negativ wenig stens, nämlich, wie wir sehen werden, durch eine conditio sine
qua non, an eine subjektive Bedingung gebunden ist.
Hier
nach rechtfertiget cS sich, wenn vom Sakrament erst im dritten Abschnitt die Rede sein kann.
§. 42. Die objective Bestimmtheit des Cultus in for meller Hinsicht. Rücksichtlich der objectiven Bestimmtheit des Cultus
in Ansehung der Form
sind
Zeiten desselben gewiesen.
wir nothwendig an die h.
Indem das
erlösende Leben
Christi sich in bestimmten Grundthatsachcn exponirt, welche in der Idee der Versöhnung schlechthin aufgehen, gleich
wie umgekehrt auch die Idee in ihnen dergestalt zur vol lendeten Erfüllung kommt, daß der Gesammtinhalt deS
Cultus nunmehr in die betreffenden, der Gemeinde zu verinnerlichenden
Facta
diese Letzteren auch
sich
auscinanderlegt:
so
tragen
schon ein Gesetz h. Zeiten insofern
immanent in sich, als sie selbst in ihren Beziehungen zu einander
ein
inneres
Zeitverhältniß
von
tiefer ideeller
Bedeutung beobachten. Da die hiermit gegebenen h. Zei ten eo ipso dadurch, daß die Idee sich darin abspiegelt,
für die
christlichen
werden,
so enthalten sie eine objective Bestimmtheit der-
Gemeindeversammlungen
maßgebend
172 selben, die nicht
sowohl
deren Inhalt, als ihre Form
betrifft. Die folgenden §§ haben sich hiernach mit den h. Zeiten und Festen der Kirche zu beschäftigen, rücksichtlich welcher der Grundsatz anzuerkenncn ist, daß sie ihren Grundmomentcn nach
in den geschichtlichen Anfängen des Christenthums selbst gegeben
sind, nie aber durch menschliche Uebcrcinkunft äußerlich gemacht
werden können.
Wir werden auf diesem Gebiet zwar einem
mächtigen organischen Bildungstricbc der Kirche begegnen, bei aber überall die Ueberzeugung gcwinmen,
aus
geschichtlichen
einer
Nothwendigkeit
da
daß alle Feste
hcrvorgehcn
müssen,
wenn sie Bestand haben sollen. — Da neben den Grundthat
sachen des Heils, welche die Hauptzeitcn der Kirche bedingen, auch die Lebcnsentwicklungen der Gemeinde selbst Festmomcntc
in sich tragen, welche Gegenstand
frommer Feier werden kön
nen, so rechtfertiget sich hierdurch die Eintheilung in primäre und sccundäre h. Zeiten.
§• 43.
Tie primären h. Zeiten der Kirche. A. Der
Der christliche S o n n t a g.
allgemeine
Charakter
der Sonntagsfeicr
be
stimmt sich dadurch, daß dieser Tag der Auferstehungstag
des
Herrn
ist.
Nach
den
Sonntagen berechneten die
ersten Christen das Jahr, und die christliche Sitte, später
auch durch obrigkeitliche Anordnungen unterstützt, zeichnete die Feier derselben frühzeitig in einer Weise auS, die
dem jüdischen Sabbat entlehnt war. Es war natürlich, daß die ersten Christen der im römischen Reiche üblichen Berechnung
des bürgerlichen Jahres sich srbr
173 abgeneigt zeigten; denn sie fanden sich hier überall an Das,
was ihnen als
heidnischer Greuel erschien, erinnert.
Daher
vermieden sie die gangbaren Benennungen der Monate und
Wochentage, theilten das Jahr in 52 Septimanen und unter schieden ihre einzelnen Tage,
unter
der allgemeinen Bezeich
nung: le rin, durch deren Zählung als fcria prima, secunda, lei lia n. s. w. Es ist nicht dieses Orts, specieller darauf einzu
gehen, wie die
bat verdrängte.
xvqiaxi\
allmählich den jüdischen Sab
Es ist oben nachgcwiescn, was daö christliche
Princip hierin mit sich brachte, und die Kirche war durch eine innere Nothwendigkeit
ihres Bildungsganges
darauf
hinge-
wicscn, behufs der Selbständigkeit ihrer Entwicklung, sich ans
aller Befangenheit in hergebrachter jüdischer Weise zu emancipircn.
Daß gleichwohl die jüdische Sabbatsruhc, wenn auch
nicht in der alten Buchstäblichkeit des starren Gesetzes, auf den Sonntag überging, lag im Bedürfniß dcö religiösen Lebens.
Anfänglich versammelten sich die Christen an gemeinschaftlichen Uebungen der Andacht.
jedem Tage zu
Aber diese erste, für
die Endentwicklung des Reiches Gottes ans Erden vorbildliche
Zeit ging schnell vorüber; und wie die Kirche gcnölhiget war, sich mit der Welt cinznrichtcn, welche durch sie mit dem Sauer
teige
des Evangeliums durchdrungen werden sollte, trat auch
das alte Bedürfniß dcS menschlichen Herzens nach der Ruhe
des siebenten Tages im Bewußtsein der Gläubigen wieder her vor und brachte so Das, was durch die Schöpfung selbst prin
cipiell in der Natur des Geschlechts Adams begründet liegt, auch in der Ockonomic
dcS neuen Bundes wieder zu seinem
ursprünglichen Recht, nur mit dem Unterschiede, daß die An
sprüche des SabbatS dem Sonntage zu Theil wurden. Zeugnisse
der Kirchenväter
hierüber
sind
zahlreich.
Die
Wenn
später, was ursprünglich aus der christlichen Freibeit hervor
ging, Gegenstand bürgerlicher Zwangsgesetze wurde, so lag dies
174 überhaupt in der hierarchischen Richtung,
kraft welcher
die
Kirche einen Ausbau nach Analogie der weltlichen Staaten er
strebte. Wenn in unsern Tagen, wo man eifrig auf die Tren nung von Kirche und Staat bedacht ist, die Frage: inwiefern
der Sonntagsfeier durch die bürgerliche Obrigkeit zu helfen sei, zur Verhandlung kommt, so verdient hierin nur ein Gesichts punkt noch Anerkennung.
In rein geistliche Dinge darf der
weltliche Arm sich nicht einmischen; sofern aber ein öffentliches
Aergerniß zu verhüten ist, liegt eS ihm ob, seines Amts zu warten. Stellt sich's demnach heraus, daß eine gewisse Art der
Profanirung des Sonntags die christliche Bolkssitte beleidigt,
so muß die Obrigkeit einschreiten, nicht sowohl, um eine Hei ligung des Tages zu erzwingen, als vielmehr, ein Aergerniß
abzustellen, — womit zugleich eine Grenzlinie gezogen ist, über welche das bürgerliche Gesetz nicht hinausgehen darf.
§. 44. B.
Das
Kirchenjahr.
Außerdem, daß die Thatsachen
der Erlösung
den
Wochencyklus neu sanctionirt und umgebilvet haben, gaben
sie auch zu bestimmten, jährlich wiedcrkehrenden Gedenk
tagen Veranlassung
und
legten hiermit den Grund zu
einem Jahresfestcyklus, welcher zunächst an den Jüdischen
sich anlehnte.
Wenn sonach gewisse Hauptfeste schon von
einem bestimmten Zeitverhältniffe zu
ein
ander standen und dadurch neben der innern auch
eine
Anbeginn
in
äußere Wechselbeziehung an sich ausdrückten, von selbst die Folge, daß
sie auch den
so entstand
sie umgebenden
Sonntagen durch Mittheilung ihres festlichen Charakters
einen bestimmten Grundton verliehen.
So bildeten sich
175 verschiedene Festcyklen immer mehr aus, und die Kirche gewann ein Interesse, die innerhalb derselben liegenden
Sonntage zu Gedenktagen verwandter wichtiger Momente im verdienstlichen Leben des Erlösers zu erheben.
Hierin
sind die frühesten Anfänge der evangelischen Perikopcnrcihe angedeutct. — Bald gewannen jene Festeyklen einen immer größeren Reichthum, als zu den bedeutenden Mo
menten der evangelischen Geschichte des Herrn ans der
Gemeinde der Heiligen
noch andere hinzukamen,
weniger Anspruch
nicht
welche
selbst
machten,
darauf
durch
kirchliche Feier im bleibenden Andenken der Gemeinde er
halten zu werden.
Denn Christus hatte sich ja in seinen
Aposteln und Märtyrern durch den Geist ebenso verklärt, wie er durch sein Erlösungswcrk persönlich zur Herrlich keit cingcgangcn war. — Allmählich gingen die verschie denen Festeyklen in ein System zusammen und umfaßten
ein Jahr, dessen kirchliche Berechnung, unabhängig von sich zur Selbständigkeit erhob.
der bürgerlichen,
Wenn
nun Nichts mehr daran gelegen war, welche Nummer
jedem
Sonntage
Jahrs zukam,
in
der Reihenfolge
des
bürgerlichen
so war hierin um so mehr das Streben
begründet, einem jeglichen endlich eine bestimmte Signa
zu geben,
tur
waö
in
der That
auch
durch
die sich
fixireude Reihe der evangelischen und demnächst auch der epistolischen Perikopcn erfolgt ist. Daß
daS
Bersöhnungswerk
Christi
mit
dem jüdischen
Pass«, gleichwie später die Auögicßung deS h. Geistes mit dem Pfingsttage zusammcnfiel, geschah gewiß nicht ohne tiefen gött
lichen
Plan,
und
es begegnen uns darin auch bereits die
Grundprincipicn der Bildung
des
christlichen KirchenjabrcS.
176 ES lag eine göttliche Absichtlichkeit darin, daß die h. Zeiten der Kirche auch rücksichtlich ihrer äußeren Berechnung in einer Be
Auch daö jüdische Festjahr
ziehung zu einander stehen sollten. fiel
bürgerlichen,
mit dem
welches
seinen Anfang nahm, nicht zusammen,
daß
mit dem
Monat
Tisri
und es dürfte kaum zu
die hiermit gegebene Analogie nicht
leugnen
sein,
Einfluß
auf die entsprechende Institution der christlichen Zeit
ohne
geblieben ist.
Rücksichtlich der, nach Maßgabe der betreffenden Festeyklen einzelner
Auszeichnung
erfolgten
Sonntage
durch
verwandte
Begebenheiten der evangel. Geschichte, dürfte es wohl nicht zu fällig sein, daß z. B. die Perikopen vom letzten Gange Jesu
nach
Jerusalem,
sowie von seiner Versuchung
in der Wüste
am Eingänge der großen Fastenzeit zu stehen gekommen sind. Aehnlicheö
ist
von
den
evangel.
Abschnitten
nachtseykluü
hinter
dem
zwölfjährigen Jesuö,
Epiphanieufeste
sowie
von
seinem
der
Sonntage
Wenn im Weih-
Palinaruin und Qiiasiinodogenili zu sagen.
die Perikopen
ersten Wunder
vom
zu
Kana ihre Stelle gefunden haben: so erfolgte dies ohne Zwei fel ebenso planmäßig, als man das Fest des ersten Märtyrers, sowie den
Tag
der
unschuldigen
Weihnachlsfeste folgen ließ.
Kindlein
unmittelbar
dem
Genug, wir behaupten, daß die
Entstehung der Festeyklen nicht weniger den ersten Anstoß zur Perikopeubildung gab, als dann wiederum auch diese auf die
systematische Ausbildung jener Ersteren zurückwirkte.
Gleicher
weise lag es im Interesse für die Schöpfung deS Kirchenjahres,
endlich
jedem
einzelnen
Sonntage neben
seinem
allgemeinen
Charakter noch jenen speeielleren aufzuprägen, der ihm durch seine bestimmte evangel. Perikope zu Theil geworden ist, und
bei
der
Bedeutung,
welche neben
epistolische frühzeitig im
Bewußtsein
dem
evangel.
Wort
daS
der Gläubigen gewann,
erschien es nur natürlich, der, dem Ersteren entnommenen Reihe
177 eine gleiche aus dem Andern für alle Sonn- und Festtage zur Leite zn stellen. Jedenfalls wäre es irrig, anzunehmen, daß von Haus aus irgend eine dogmatische oder ethische Idee der Entstellung deö Kirchenjahres zu Grunde gelegen habe; denn so schön wir jetzt auch in demselben den tiefsinnigen Gedanken ausgedrückt sehe», daß die Gemeinde der Gläubigen durch die ganze Zeit ihreS Lebens nur Ehristum, sowohl wie er in ihr, alS wie sie in ihm lebt, d. ll. sowohl in seinem persönlichen Dasein auf Erden, alS auch in seinem mystischen Dasein durch de» von ihm gesendeten Geist in der Gemeinde, zu verherr lichen habe: so llat doch dieser Gedanke eine Institution nicht geschaffen, welche ursprünglich zwar aus höchst gesundem, aber doch nur unbewußtem BildnngStriebe erwachsen und später erst sich selbst darüber, waS der christliche Geist damit eigentlich gemeint habe, klar geworden ist. Die, einzelnen Sonntagen zu Theil gewordenen Namen sind liturgischen Ursprungs und bestehen aus den Anfangs worten der Bibelsprüche, welche den sogenannten Introitus der betreffenden Sonntagsliturgieen ausmachen. Die Geneigtheit des christlichen Alterthums, den Anfang des Kirchenjallrcs mit dem Osterfeste zu datircn, findet nicht blos darin ihren Grund, daß im Tode und in der Aufer stehung des Herrn der Mittelpunkt seines Erlösungswerkes zu erkennen ist, sondern stützt sich auch auf die Analogie des jüdi schen Festjahrcs, welches mit der Passafeier, der die Versöh nung durch Christus als daS neue Paffa sich unmittelbar an schloß, begann. In Betreff der Weihnachtsfeier konnte ein durchgehendes Einverständniß ursprünglich um so weniger statt finden, als hier jener Anschluß an ein entsprechendes jüdisches Fest gebrach, und das kirchliche Bewußtsein der ersten Jahr hunderte sich vor Allem über den Anfang der erlösenden That sachen klar mit sich selbst verständiget haben mußte, bevor eine M ii ii t* r rrah. I deol. I. 12
178 durchgehende Vereinbarung in Ansehung der dritten Hauptfeier erfolgen konnte. Man suchte einen solchen Anfang; man war aber ungewiß, in welches Moment er zu setzen sei. Ein be sonderes Gewicht auf den Tag der Geburt deS Sohnes Gottes zu legen, zeigten manche Kirchenväter sich sogar abgeneigt. Clemens Alerandrinus tadelte Diejenigen, welche Jahr und Tag der Geburt Christi ängstlich zu erforschen suchten, und selbst noch ein Hieronymus und Augustinus, zu deren Zeit der 25. December als Weihnachtstag bereits feststand, scheinen demselben noch keinen großen Werth bcizulegen, wie denn auch aus einer, am 25. December 386 von ChrysostomuS gehaltenen Rede hervorgeht, daß das fragliche Fest damals erst seit zehn Jahren in Antiochien und Syrien eingeführt war. Das christliche Bewußtsein schwankte eben in den ersten Jahrhunderten über die Bestimmung des Punktes, von welchem der Beginn des, in der Zeit vollbrachten ErlösungSwerkeS zu datiren sei. In der Kirche des Orients hob man die Taufe Christi am Stärksten hervor, die Epiphanienfeier wurde daher hier als ein hohes Fest begangen und vertrat die Stelle von Weihnachten, wogegen das sinnigere Abendland früher als der Orient die Menschwerdung des Sohnes Gottes überhaupt in seiner Geburt von der Jungfrau festlich auszuzeichnen geneigt war, bis endlich das kirchliche Bewußtsein, klar über sich selbst verständiget, in diesem Momente mit Recht den wesentlichen Anfang der Erlösungsgeschichte erkannte. So hat es geschehen können, daß die Wege, die die beiden Feste durch die Christen heit genommen, sich gekreuzt haben. Wahrend der Lauf der Epiphanienfeier überwiegend vom Orient nach dem Occident gerichtet ist, verfolgt Weihnachten mehr den umgekehrten Gang, bis es im vierten Jahrhundert allgemein wurde und dann auch das Epiphanienfest in seinen Cyklus mit aufnahm. Hierbei noch die Bemerkung, daß die erwähnten Thatsachen keineswegs
179 die einzigen waren, an welche das christliche Bewußtsein der ersten Jahrhunderte den Anfang der Erlösungsgeschichte anzu
knüpfen suchte; denn nicht blos die Erscheinung des Sternes im Morgenlande hob man neben der Taufe Christi hervor, sondern auch das zu Kana vollbrachte Wunder, da cs als die erste Offenbarung seiner Herrlichkeit vorgcstellt ist. Als mit der Weihnachtsfeier das kirchliche Festspstem des
Jahres sich abschloß, war cö natürlich, daß nun auch sie den Es ging jedoch schon tut sechsten Jahrhundert
Anfang machte.
in der Kirche Galliens
derselben
eine Adventszeit voran,
und cs lag dieser Einrichtung das Streben zu Grunde, Weih
nachten ebenso wie Ostern durch eine Ouadragesimalvorbereitung zu verherrlichen, wie denn noch vom siebenten bis zum neunten Jahrhundert Spuren von sechs Adventsonntagen anzu
treffen sind.
Gregor der Gr., welcher diese Institution von
Gallien entlehnte, rcductrte sic zugleich auf die dem Weihnachtöfcstc zunächst vorangehenden vier Sonntage, deren Feier
im angegebenen Sinne seitdem allgemein wurde.
Hiermit war
zugleich ein sichrer Anfangspunkt des Kirchenjahres gewonnen.
Jetzt liegt und ob, zn den einzelnen Festcpklen überzugchen.
8» 45. D i c
C. 1.
F e st c y k l e n.
Der Weihnachtscpklus.
Die Grundidee des Weihnachtsfestes ist die Offen
barung Gottes im Fleisch, einerseits als geschichtliche Be
gebenheit in der Menschwerdung als ein, durch
des koyog, andrerseits
die Wiedergeburt des Menschen aus dem
Geist sich immer wiederholender subjectiver Lebensproceß,
durch hinfort
welchen in
der
der
von
der
Gemeinde
reinen
geistig
Jungfrau
Geborne
geboren wird,
12 *
damit
180 diese auch ihrerseits als eine, in die Lebensgemeinschaft mit Christo hineingeborne sich darstelle. — Wenn es nun in der Natur der Sache lag, daß der an dieses Fest sich anschließende Cyklus solche Momente aus dem Leben des Erlösers in sich aufnahm,
wicklungsgang
des
welche den geschichtlichen Ent
Menschensohnes
und
die
succesiive
Entfaltung der unendlichen Bedeutsamkeit seines irdischen Daseins zur Anschauung bringen, wie denn die Reihe der
hieher
gehörigen Sonntagsperikopcn
sehr
ausdrucksvoll
mit der Verklärung Christi auf dem Tabor schließt: so
erscheint es nicht weniger significant, daß die Weihnachts feier gleichzeitig mit einer Fülle solcher Festmomente sich
worin die Gemeinschaft der Heiligen,
umgab,
wie
sie
hienieden durch Kampf und Sieg als ein Kreuzrcich sich
manifestirt, in ihrer reichen Mannichfaltigkeit abgespiegelt
ist. Die in der Geburt des Weltheilands erfolgte Offen barung Gottes in der Kncchtsgestalt findet so ihr großes Gegenbild in der gleichen Gestalt, welche Christus auch
in den lebendigen Gliedern seines Leibes, der Gemeinde, worin
er
mystisch
ausgeboren
wird,
immerdar offen
baren muß. Es
ist nicht unwahrscheinlich, daß die, in der zweiten
Hälfte deS vierten Jahrhunderts zu Stande gekommene Dereinbarnng der katholischen Kirche über die Feier des Weib
nachtsfestes hauptsächlich im Gegensatz gegen die Dogmen und Gebräuche der Gnostiker, Manichäer, Priscillianisten u. anderer
Häretiker erfolgte, u. daß überhaupt die unendliche Bedeutsam
keit der natürlichen Geburt Jesu mittelbar erst durch allerlei
sectirerische Meinungen zu ihrem vollen Rechte im Bewußtsein der Kirche gebracht wurde.
Hiermit würde zugleich die Ansicht
als falsch sich darstellen, daß eine Anknüpfung an gewisse,
181 christlich
umzubildende
heidnische Feste,
welche derselben Zeit
angehörten als die Bruinalic», Saturnalien, Iuvenalien, Co-
rollaricn u. s. w. im Interesse gelegen habe.
Wenn auch zu-
zugeben ist, daß das christliche Bewußtsein, nachdem die kirch
liche Feier selbständig zu Stande gekommen war, eine bezie-
hungörciche Anknüpfung derselben an analoge heidnische Feste
zu machen, nicht unterließ, wie cS denn nahe lag, z. B. die
eigentliche Brumalfcier in einem geistigeren Sinne aufzufassen, und eS sich so erklärt, daß in der Folge der Zeit, alö man es mit
Neinerhaltung der christlichen Heortologie von heidnischer Jdololatrie nicht mehr allzu genau nahm, eine tiefgreifende Ver
mischung von Christlichem und Heidnischem sich mehr und mehr «»bahnen konnte: so ist doch in Beziehungen solcher Art um so weniger ein EntstehnngSgrund der Weihnachtsfeier zu suchen,
alö die Kirchenväter jener Zeit selbst sehr entschieden gegen derartige Verwandtschaften protcstiren. Zwar machten, wie aus
Augustin zu ersehen, die Manichäer den Katholiken den Vor wurf: Soleinnes genlium dies cum ipsis celebratis, ul Caleudas
el
Solslilia
(Weihnachten
und
Johannis);
aber
Vco der Gr. erklärt dergl. Vermischung für ein Blendwerk
des Satan'S, welcher „de quorundam persuasione peslifera, ]