Praktische Theologie: Teil 1 Die Liturgik [Reprint 2019 ed.] 9783111444901, 9783111078403


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Table of contents :
Vorbericht
Inhaltsanzeige des ersten Theils der praktischen Theologie
Einleitung
Die Liturgik
Einleitung
Erster Theil. Der Cultus als Product der religiös-sittlichen Natur des Menschen überhaupt
Zweiter Theil. Der Cultus der positiven Religion der Offenbarung bis zum Christenthum
Dritter Theil. Der christliche Cultus
Anhang
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Praktische Theologie: Teil 1 Die Liturgik [Reprint 2019 ed.]
 9783111444901, 9783111078403

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Praktische Theologie von

Dr. Karl Friedrich Gaupp, König!, bonsistorialrath und

ordentl. Professor.

Erster Theil.

Die Liturgik.

B e r l i rr, Verlag von G. Reimer. 1848.

V o r b e r i ch t. ^L>er hier

erscheinende

erste

Theil

Theologie ist unter der Herrschaft

praktischen

meiner

von Umstanden

ge­

schrieben, welche mich verhindert haben, im ganzen Um­ fange Dasjenige für das Buch zu thun, was ich zu thun wünschte.

Beinahe

seit

viertehalb

Jahren

von

einem

schweren Augenleiden hcimgesucht, habe ich mich in den

ersten zwei Jahren dieser Krankheit größtcntheils, seitdem aber gänzlich am Lesen gehindert gesehen und bin daher

außer Stande

gewesen,

überall

in so gründliche For­

schungen einzugehen, als ich es unter anderen Verhält­

nissen jedenfalls mir zur Pflicht gemacht haben würde. Meine Zeit

war

oft

beschränkt,

und

dann

besonders

drängte sich mir die herbe Erfahrung auf, daß, wo es gilt, nicht

sowohl Bücher zu durchlesen,

als zu durch­

laufen und mit glücklichem Takt daö Einschlägige aufzu­ finden, fremde Augen nie die eigenen zu ersetzen vermögen.

Ich mußte so Vieles ungelesen lassen und mir nachsehen,

was ich bei gesunden Augen mir gewiß

selbst verziehen hätte.

hier

Bemerkte

am Wenigsten

Sollten meine geehrten Leser daS

namentlich

bei

den historischen

Notizen,

IV

welche in einer Liturgik nicht leicht fehlen können, öfters bestätiget finden,

so wollen dieselben sich zugleich nach­

sichtig daran erinnern, daß ihnen das Buch eines Ver­ fassers vorliegt,

dessen wissenschaftlichen Beschäftigungen

keine anderen äußeren Mittel sich darbieten, als sich vor­

lesen zu lassen und zu dictiren,

wie denn auch in der

That nicht eine einzige Seite meines Manuscriptö eigen­

händig von mir geschrieben ist. Nach diesen Erklärungen bin ich um so mehr Rechen­

schaft darüber schuldig, weshalb ich eine seit längerer Zeit gehegte Absicht, die gesammte praktische Theologie nach

und nach für den Druck zu bearbeiten, auch unter den

angegebenen Verhältnissen noch zu verwirklichen begonnen habe: und hier stehe von vorn herein die Versicherung, daß, wenn ich nicht hoffte, auch so, wie ich gegenwärtig

bin, zum weiteren Anbau der praktisch-theologischen Wis­

senschaft

Etwas beitragen

und

der Sache des Reiches

GotteS mitten unter seinen gegenwärtigen Bedrängnissen förderlich sein zu können, ich der Ausführung jenes Vor­

habens, und damit einem Lieblingswunsche meines Herzens, unbedingt entsagt haben würde. Die Liturgik, als Theorie

des christlichen Cultus, ist trotz ihrer Nöthigung, auf das historisch Gewordene cinzugehen, doch überwiegend thetischer

Natur, und hiermit habe ich bereits den Gesichtspunkt angedeutet, aus welchem ich die Hoffming hegen darf, mit

dieser Arbeit

wenigstens

einige Steine zu dem großen

Werke zuzutragen, welches die neuere Theologie auch in

ihrem praktischen Theile auözuführen hat. Wie eingeschränkt auch rücksichtlich der äußeren Geschäftigkeit ich mich er­

blicken muß, so ist doch das innere Leben der Betrachtung nicht eingeschränkt, ja es hat sich die Einkehr in die In­

nerlichkeit vielmehr in dem Grade vertieft,

als das mir

V

auferlegte tägliche Kreuz meiner Seele zu einer Nöthigung

geworden ist, mich dort still zu Jesu Füßen niederzusetzen und so in der verborgensten Innenwelt Zuflucht zu suchen. Auf diesem Wege ist meine gestimmte praktische Theologie aus einer einzigen großen Totalanschauung von der Kirche herausgewachsen, aus einer Anschauung, deren Grundzüge

bereits in meiner „Kritik der römischen Kirche" zu er­ kennen sind, und welche seitdem ihre innere Fülle vor

meinen Augen entfaltet hat, um in allen einzelnen Dis­ ciplinen des auf hiesiger Universität von mir vertretenen Faches der Theologie, also auch in der hier erscheinenden Liturgik wicderzukchren und als Grundton durchzuklingen.

So biete ich in vorliegendem Buche ein Ganzes dar, dessen mir durchaus eigenthümliches Gepräge auf eine Entstehung

rein von Innen heraus hinweist, und darf hoffen, daß der wissenschaftliche Organismus des Buchs eine Constrnction

aufzcigen wird, in welcher Nichts sich künstlich zusammen­

setzt, sondern dem Gegenstände seine dialektische Selbst­

entwicklung überlassen worden ist. Meine geehrten Leser werden, bei Vergleichung des Standpunktes dieser Schrift mit demjenigen, welchen das zuletzt von mir herausgegcbcnc Buch: die Union, zweite Ausgabe, Breslau 1847, behauptet, die Bemerkung machen,

daß sie bei diesem gegenwärtigen Versuch mir auf ent-

schiednerem kirchlich-confessionellen Boden begegnen.

In

der That ist mir bei der Ausarbeitung meiner Liturgik mehr als jemals das Bedürfniß fühlbar geworden, einen

bestimmten kirchlichen Ausgangspunkt zu nehmen, da eine »monistische Tendenz, bestimmten liturgischen

welche die Neutralisation der Charaktere beider evangelischen

Schwcsterkirchen bezweckte, schon deshalb als eine unwahre

zu bezeichnen sein würde, weil sic jedenfalls eines festen

VI

Princips ermangelte.

bewähren,

Auch in dieser Hinsicht dürfte sich

was bereits in anderen Beziehungen geltend

gemacht worden ist, daß nämlich einer wahren Union da­ durch am Sichersten der Weg gebahnt wird, wenn man

jede der bisher getrennten evangelischen Kirchen nach ihrem eigenthümlichen Princip sich fortentwickeln läßt und, unter aufrichtigen Erweisungen gegenseitiger Gemeinschaft in der

Liebe, nur darauf bedacht ist,

Einseitiges zu entfernen.

Hiernach darf ich nicht Anstand nehmen, kenntniß

hervorzutreten,

daß

mit dem Be­

vorzüglich in

letzter Zeit

Leben und Wissenschaft sich gleichmäßig bei mir verbunden mich

haben,

dem

lutherisch-konfessionellen Standpunkte

entschiedener wieder zuzuführen. Ein nicht unbedeutender Zeitraum ist zwischen Voll­

endung meines Manuskripts und dieser Vorrede verflossen;

ein Zeitraum, in welchem mir manches Treffliche, was

die

neuere

gebracht hat,

erst

Gebiet

auf liturgischem

Theologie

zu Handen gekommen

hervor­

ist; leider

zu

spät, um gewisse Punkte, rücksichtlich welcher die von mir

entwickelten Ansichten

eine Berichtigung erfahren habe»,

im Buche selbst noch ändern zu können.

Daher möge

eS mir verstattet sein, wenigstens hier über eine liturgische Angelegenheit mich nachträglich in Gemäßheit der, durch Kliefoth'S neueste treffliche Schrift:

die ursprüngliche

GotteSdienstordnung der deutschen Kirchen lutherischen Be­ kenntnisses, mir vermittelten richtigeren Einsicht, auszu­

sprechen.



Ich

habe

Einseitigkeit dargestellt,

Feier

in meinem Buche es als eine

daß im lutherischen Cultus die

des Altarsacrameuts

als die

wahre Spitze jedes

sogenannten Hauptgotteödienstcs betrachtet wird. Ich nehme

keinen Anstand, zu bekennen, daß Klicfoth mich eines Anderen belehrt hat.

Jedenfalls dürfte, bei einer künf-

VII

tigen Umarbeitung des Buches, die Construetion des dritten Haupttheils eine cntsprechenve Aertderung hiernach erfahren. Die beiven ersten Abschnitte werden allerdings nach wie

vor, der eine

von der objectiven,

der andere von der

subjectiven Bestimmtheit des evangelischen Cultus zu han­

deln haben.

Jener jedoch wird außer Demjenigen, was

er bei der gegenwärtigen Gestalt des Buches giebt, noch

die liturgische Lehre von den Sacramenten in

nehmen

müssen;

und da

diese Letzteren das

sich auf­ christliche

Hcilsgut nicht in reiner Objektivität in sich tragen, son­ dern

ihrer wesentlichen

Verwirklichung

nach

durch

ein

subjectiveS Moment negativ bedingt sind: so werden die Saeramente künftig zugleich einen bequemen Ucbergangspunkt zum zweiten Abschnitte bilden.

Dieser hat sich so­

dann mit Darlegung der einzelnen,

durch das subjectiv-

rcligiöse Leben bestimmten Cultusformen zu begnügen und das Capitel von der Composition der Gottesdienste aus

sich zu entlassen.

Hiermit ist schon der Hauptinhalt des

dritten Abschnitts angedeutet. Die Aufgabe desselben wird

nämlich in gründlicher, principieller Nachweisung einer, dem Charakter der betreffenden Kirche entsprechenden Zu­ sammensetzung ihrer Haupt- und Nebengottesdienste liegen,

wobei die, in den beiven vorigen Abschnitten entwickelten

Momente sämmtlich zu ihrem Rechte kommen müssen, und auch die kirchlichen Benedietionen unter den NebengotteS-

diensten ihre Stelle finden. Bei jener dem Altarsacramcnte vindicirten Bedeutung

für den evangelischen Cultus überhaupt bleibt allerdings die Schwierigkeit zurück, welche im Buche selbst sehr be­ stimmt hervorgehoben worden ist, daß nämlich die Ver­

waltung des Ersteren Gefahr läuft, zu einem bloßen An­

hänge des Gottesdienstes hcrabzusinken, wie denn leider

VIII

die bisherige Erfahrung dies in Ansehung des lutherischen

CultuS nur zu sehr bestätiget hat.



Gleichwohl darf

die Wissenschaft sich hierdurch nicht hindern lassen, ihre ideellen Anforderungen geltend zu machen, und nur an

der kirchlichen Praxis wird es sein, in Condescendenz zur

Schwäche und Mangelhaftigkeit des gegenwärtigen christ­ lichen Gemeindelebens, die Sachen so einzurichten, daß in keiner Art durch geringschätzige Behandlung der Institu­

tionen

Christi ein Aergerniß gegeben werde.

Hiernach

wird die Liturgik durch die Stellung, die sie principiell

dem h. Abendmahlc im

evangelischen Hauptgottesdienste

anweist, dessen sacramentliche Herrlichkeit wahren müssen;

gleichzeitig aber wird sie unter den gegenwärtigen kirch­ lichen Umständen es für zulässig erklären, daß die Feier deS

Sakraments

auf festzustellende Termine

beschränkt

werde. Diese Andeutungen genügen; und so stehe hier nur

schließlich der herzliche Wunsch,

möge,

lichung

diesen seines

schwachen Versuch, Namens

daß

cs Gott gefallen

welcher

zur Verherr­

unternommen worden

reichem Segen zu begleiten.

ist, mit

dco

ersten Thcilo der praktischen Theologie.

Einleitung.

Leite Capitel. Dad Verhältniß der praktischen Theologie zu den übrigen theologischen Wissenschaften............................. 1 Zweited Capitel. Vom organischen Zusammenhänge der praktisch theologischen Dideivlinen unter einander.............................7 Drittes Capitel Vom geistlichen Amt, von der Beschaffenheit und den Erfordernissen desselben ............................... 40 Viert ed Capitel. Standpunkt .... ..................... 57

Crfted

Xie

Liturgik.

Einleitung. 1. Begriff........................................................................................... 60

§. 2, Wichtigkeit des Studiums der Liturgik................................ 61 $. 3. 4. 5. 6.

Geschichtliche Entwicklung.......................................................62 Zweite Periode: von Constantin bis zur Reformation . . 65 Dritte Periode: von der Reformation bis auf die neueste Zeit 72 Wissenschaftliche Construetion der Liturgik........................... 81

Erster

Theil.

Der Cultus als Produet der religiös-sittlichen Natur des Menschen überhaupt. tz.

7. 3. 9.

Begriff des Cultus.......................................................................... 83 Die Nothwendigkeit des Cultus......................................................85 Das unmittelbare Mitgesehn'ein des Cultus mit der Religion 88

X -Zeile Das Wort als die Grundsubstanz des religiösen Handelns 9S Die im Wort sich darbietenden Hauptelemente des Cultus 103 12. Das Gebet............................................................................... 107 13. Die Metamorphose des Gebets............................................... 109 14. Die begleitenden Gebehrden.................................................... 112 15. Die fromme Betrachtung..........................................................113 16. Der Uebergang des Cultus zu objectiv-festerGestaltung . 114 17. Ovfer.......................................................................................... 116 18. Die Tendenz deS Cultus zur religiösen Gemeinschaft . . 117 19. Der Cultus als Darstellung eines gemeinsamen religiösen Lebens......................................................................................... 120 20. Verwandlung der subjektiven Cultuselemente................... 121 21. Die symbolische Handlung................................................... 122 22. Die Segnung..........................................................................123 23. Die Opfer....................................................................................125 24. Gegensatz zwischen der hervortrctenden ThätigkeitEinzelner und der der Gesammtheit........................................................ 126 25. Die Kunst . ........................................................................................ 128 26. Rückblick.....................................................................................131

§. 10. §.11. §. §. §. §. §. §

§.

§. §. §. §.

Zweiter

Theil.

Der Cultus der positiven Religion der Offenbarung Christenthum.

§. 27. §. 28. 29. §. 30. §. 31. §. 32. §. 33. §. 34. §. 35.

bis zum

Uebergang......................................................................................... 135 Die Art der Entstehung des Cultus in der positiven Religion 136 Rückgang zum Anfänge.............................................................. 141 Inhalt der Schöpfungöreligion und ihr Cultus .... 142 Fall und Voranstalten zur Wiederherstellung........................ 144 DaS Judenthum.............................................................................. 147 Der Cultus der mosaischen Religion........................................ 151 Die Wiederherstellung durch Christus.........................................152 Die Beziehung der ErlösungSthatsachen zum WochencpkluS 153 Dritter

Theil.

Der christliche Cultus. §. 36. §. 37.

Die göttliche Institution des Cultus........................................ 158 Constrnction....................................................................................159

Erster

Abschnitt.

Die abstract-objective Bestimmtheit des christlichen Cultus durch

die geschichtlichen Anfänge des Christenthums.

§. §. §. §.

38. 39. 40. 41. 42.

Einleitung........................................................................................163 Der Inhalt deS Cultus............................................................. 164 Die h. Schrift..............................................................................166 Die Regel undRichtschnur deS evangel. Cultus . . . . 170 Die objective Bestimmtheit deS Cultus in formeller Hinsicht 171

XI

§. 43.

44. §. 45.

46. §. 47. tz. 48.

Die primären Zeiten der Kirche A. Der christliche Sonntag . •............................................. 172 B. Das Kirchenjahr......................................................................... 174 C. Die Feftcpklen 1. Der WeihnachtScpkluS..............................................................179 2. Der OstercpkluS..........................................................................1^Q 3. Der PfingstcykluS....................................................................200 Die sekundären h. Zeiten..............................................................203

Zweiter

Abschnitt.

Die concret-subjektive Bestimmtheit deS Cultus durch das religiöse Leben der Gemeinde.

z. 49. 50. 51. 52. §. 53.

DaS Verhältniß der Objektivität des christlichen Princips zur religiösen Subjektivität der Gemeinde...........................211 Der Unterschied zwischenden beidenevangcl. Schwesterkirchen 212 Folgerungen für denCultus beiderKirchen............................... 214 Die Union........................................................................................216 Construction..................................................................................220

Erstes

Capitel.

Die in der Subjektivität des christlichen Lebens begründeten einzelnen Cultustheile. §. §. §. §. §. §.

54. 55. 56. 57. 58. 59.

§. §. §. §. §.

60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71. 72.

§. ij. §. §. §. §. §.

Die Perikopen................................................................................... 222 Fortsetzung........................................................................................ 223 Das Gebet ...................................................................................229 Der Charakter des Kirchengebets.............................................. 231 Die Hauptarten deS Kirchengebets..............................................236 Wechselwirkung zwischen LiturguS und Gemeinde; liturgische Salutationen und Gesangformen..............................................244 DaS Kirchenlied.............................................................................. 256 Natur und Wesen des Kirchenliedes........................................ 262 Fortsetzung................................. •..................................................267 Fortsetzung......................................................................................... 270 Verfall deS Kirchenliedes . ........................................................275 Der Choral........................................................................................ 279 Die Predigt................................................................................... 284 DaS Halten der Predigt............................................................. 286 Die unmittelbare Hervorbringung der Predigt......................... 287 Der Vortrag der Predigt................................ 289 Deklamation...................................................................................290 Die Action........................................................................................ 291 Der Segen........................................................................................ 294 Zweites

Capitel.

Von der ideellen Verknüpfung der bisher entwickelten Cultuötheile zu einem organischen Ganzen.

§. 73.

Gegenseitiges Verhältniß der Hauptbestandtheile des evangel. Gottesdienstes.................................................................................. 298

XII Seite

§. $. $. §. §.

74. 75. 76. 77. 78.

Der evangel. Gottesdienst im Charakter der Allgemeinheit 300 Der evangelische Hauptgottesdienst............................... 302 Die erneuerte Preußische Landesagende.......................... 302 Princip der Composition des evangel.HauptgotteSdiensteS 306 Lchlußbcmerkungen................................................................317 Drittes

Capitel.

Von der Verknüpfung der einzelnen Cultuötheile zum particulären Gottesdienste. §. 79. Einteilung...................................................................................320 S. 80. Die liturgischen Gottesdienste ........................... 320 §. 81. Der Predigtgottesdienst............................................................. 322

Dritter

Abschnitt.

Das Jneinandersein der objectiven und subjektiven Bestimmtheit deS

christlichen Cultus in den kirchlichen Denedictionen. §. $. §. $. $. §. $.

82. 83. 84. 85. 86. 87. 88.

$. $. §. $. §. §. $. §. §. tz. $. §. §.

89. 90. 91. 92. 93. 94. 95. 96. 97. 98. 99. 100. 101.

Standpunkt......................................................................................326 Die Sakramente...........................................................................329 Die subjektive Bedingtheit des Sakraments................... 332 Die Taufe. Begriff............................................................. 334 Die wesentlichen Erfordernisse der Taufe................... 336 Die Kindertaufe.................................................................. 340 Die liturgisch unwesentlichen Cultuselemente in der Ver­ waltung des TaufsacramentS 344 Die (Konfirmation. Begriff............................................. 350 Die liturgischen Bestandtheile der (Konfirmation.... 356 DaS Sakrament des Altars............................................. 361 Die äußeren Elemente........................................................ 363 Die Consecration.................................................................. 366 Die AuStheilung..................................................................370 Der Abendmahlsgottesdienst............................................. 373 Die Beichte........................................................................374 Die wesentlichen Bestandtheile der Beichthandlung . . . 383 Die kirchliche Einsegnung der Ehe................................... 385 Die liturgischen Bestandtheile bei der Trauung.... 387 Ordination und Installation.......................................................389 Die Begräbnißfeier.......................................................................396

Anhang. Ein Wort über die h. Räume. $. 1. Die individualisirende Absonderung geweihter Räume . . . 403 Z. 2. Die evangelische Kirche...................................................................404

$. 3. Die vasa sacra................................................................................ 407

Einleitung. Erstes Capitel. Das Verhältniß der praktischen Theologie zu den übrigen

theologischen Wissenschaften. Die praktische Theologie bildet keil ?n Gegensatz zu einer so­

genannten wissenschaftlichen Theologie, wie wohl zuweilen fälsch­ lich angenommen wird; sie hat es auch nicht mit bloßen Kunst­

regeln zu thun, sondern, der lebendigen Praris der Kirche zu­ gewendet, construirt sie sich in streng wissenschaftlicher Form und

ist in manchen Theilen der Speculation viel näher verwandt, als andere theologische Disciplinen.

Unsere erste Aufgabe for­

dert eine Nachweisung der Stelle, welche die praktische Theo­

logie im System der theologischen Wissenschaften einnimmt.

Die Theologie überhaupt ist das zur Wissen­ schaft sich gestaltende Bewußtsein der Kirche von sich selbst.

Ein Bewußtsein von sich selbst hat die Kirche noth­

wendig von Anfang an.

Sofern sie die sichtbare Erscheinung

des Reiches Gottes auf Erden ist, und nur die Gläubigen ihr

innerlich zugehören, ist auch die Erkenntniß des Heils, so wie des Grundes, worauf die Gemeinde sich erbaut, und des Ziels, nach welchem sie strebt, unter ihren lebendigen Gliedern allge­ mein.

Daß jenes Selbstbewußtsein der Kirche aber sich auch

wissenschaftlich gestalte,

das bedingt sich wesentlich durch das

Hervortreten eines besondern Standes der Theologen innerhalb aupp prnft. Theol. I.

1

2 der Kirche.

Wenn nun diese letztere selbst der obigen Defini­

tion zufolge daS wissende Subject war, jetzt dagegen die Theo­ logen als Träger des Selbstbewußtseins der Kirche fich dar­

stellen, so scheint ein Widerspruch vorhanden zu sein, welcher sich jedoch in Erwägung der wesentlich kirchlichen Bedeutung des theologischen Standes ohne Schwierigkeit löst.

Die Theo­

logen sind ein nothwendiges Glied im Organismus der Kirche;

nicht blos nach ihrer Subjektivität kommen sie darin in Be­ tracht, sondern begehren von der kräftigen Objektivität der Kirche getragen zu werden, gleich wie sie auch ihrerseits dieselbe tra­ gen.

Hiernach bilden sie den Centralpunkt des kirchlichen Selbst­

bewußtseins, um es wiederum von hier aus nach der Peri­ pherie hin sich ergießen zu lassen, und es wäre daher ein Theolog mit einer subjektiv sich isolirenden Stellung der Kirche

gegenüber, kein wahrer Theolog mehr und besäße die ihm bei­ wohnenden Kenntnisse schon deshalb, weil sie dem Umlauf der

in der Gemeinde circulirenden Lebenssäfte sich entzögen, im

Charakter bloßer Zufälligkeit.

Die Kirche selbst wenigstens

könnte von ihrem Standpunkte aus die Sache nur so ansehen; für sie wäre derjenige kein Theolog, welcher nicht, wie äußer­ lich, so innerlich, ihrem lebendigen Organismus angehörte und ihr Selbstbewußtsein repräsentirte. DaS S-stem der theologischen Wissenschaften muß sich noth­ wendig aus einer Entwickelung der Hauptmomente ergeben,

welche im kirchlichen Selbstbewußtsein enthalten sind. Da die Kirche der Welt der sichtbaren Erscheinung ange­

hört, und der geschichtlichen Entwickelung unterliegt, so theilt

sie auch das LooS mit Allem, was zur Erscheinung des irdi­ schen Daseins gelangt: es besteht ein Unterschied zwischen ihrer

Idee und ihrer erscheinenden Wirklichkeit.

Es liegt daher noth­

wendig in der Aufgabe ihres zur Wissenschaft sich gestaltenden Bewußtseins, daß sie sich selbst in ihrer innersten Wesenheit, in

3 ihrer Idee, als ihrer eigentlichen Wahrheit, erfasse.

Hiernach

bildet die principielle Theologie den ersten Hauptast der

cheologischen Disciplinen.

Die dazu gehörigen Zweige sind leicht

zu bestimmen. Da die Kirche eine wesentlich geschichtliche Größe mit that­ sächlichen Anfängen ist, so kann sie a priori nicht construirt werden;

sie will vielmehr ihrem Wesen nach zuerst aus dm

historischen Zeugnissen, die von ihr vorliegen, begriffen sein. Wie sie nun im apostolischen Zeitalter, wo sie ihrem Ursprünge am Nächsten ist, auch im Vergleich mit ihren späteren Entwicke­

lungen, ihrer Idee am Adäquatesten sich darstellt, so ergiebt sich dieselbe auch am Treusten aus den uns hinterlassenen Schrif­ ten der Evangelisten und Apostel,

die uns darin einen hellm

Spiegel des Urchristenthums in der Art gegeben haben, daß nicht allein im Leben Jesu das gelungenste und entsprechendste

Abbild dieses göttlichen Originals, dessen Persönlichkeit aus den Evangelim durch den Geist immer aufs Neue zu lebendigem Dasein in der Gemeinde aufgeweckt werden soll, für alle Zei­ ten im großen Tempel der Kirche aufgestellt, sondern auch der

Apostolat selbst, auf dessen Grunde sie sich erbaut, zu bleiben­

dem Dasein in den apostolischen Briefen für die Kirche ver­ ewiget ist.

Es gehört einem andern Orte, daS Gesagte durch

Entwickelung des JnspirationsbegriffS zu begründen;

hier ge­

nügt eS, hervorzuheben, daß der Ursprung des Reiches GotteS

auf Erden, daß seine Gründung, so wie die Gesetze seiner Ent­

wickelungen, daß endlich auch die Vollendung desselben und hiermit alle Mommte, welche in der Idee der Kirche des Herrn

enthalten sind, in jenen historischen Urkunden ihrer Anfangs be­ schlossen liegen, und alle Principien, wonach Lehre, Leben, Cul­

tus, Verfassung u. s. w. innerhalb der Gemeinde sich zu gestal­ ten haben, in größter Lauterkeit und Klarheit aus der h. Schrift

entnommen werden können.

Will daher die Kirche sich a po1 *

4 sleriori in ihrer Idee ergreife«, so sieht sie sich nothwendig an

diese Quellen deS göttlichen Worts gewiesen, und auch die Theo­ logie selbst muß aus diesem Borne schöpfen. Es ist folglich der erste Theil der principiellen Theologie die eregetische

Theologie.

Da wir hier nur die allgemeinsten Lineamente

des Systems der theologischen Wissenschaften zu zeichnen beab­ sichtigen, überheben wir unS aller weiteren hierher gehörigen

Fragen und Deduktionen und bemerken nur, daß an die erege­ tische Theologie die Hermeneutik nothwendig sich anschließt; desgleichen sofern es bei unsrer gegenwärtigen Entfernung von der Zeit der Entstehung jener h. Urkunden einer wohlgeordne­ ten Summe von Vorkenntnissen bedarf, um sich des Standpunkts der ersten Leser zu bemächtigen, die Einleitung in die h. Schrift sammt der Kritik derselben.

Sofern endlich eine

geschichtliche Entwickelung der Offenbarungsidce in ihr hervor­

tritt, und eine Vielheit von Lehrtropen unter einer höheren Ein­ heit bemerkbar ist, ist es die biblische Theologie, welche alle in dieser Hinsicht gewonnenen Ergebnisse wissenschaftlich zu­ sammenfaßt. — Es ist hier nur anzudeuten, wie im N. T.

selbst die Nöthigung liegt, das A. in die Sphäre der exegeti­ schen Theologie mit hineinzuziehen.

Das zur Theologie sich gestaltende Selbstbewußssein der

Kirche kann sich unmöglich bei dieser blos historischen Erfassung ihrer Idee beruhigen. Wenn im Reiche Gottes die Menschheit

ihre Aufgabe in der Art vollendet, daß sie nur in ihrer Zu­ sammenfassung unter das eine Haupt, Christus, ihr göttliches Ziel erreicht: so stellt nothwendig im Christenthume ein Mittel­

punkt der Entwickelungen der Menschheit sich dar, zu welchem

alle ihre natürlichen Anlagen und sittlichen Aufgaben eine le­ bendige, innere Beziehung haben.

Wie hiernach die Idee des

Reiches Gottes den tiefsten spekulativen Fragen, die den Phi­ losophen beschäftigen, innigst verwandt ist, so begehrt sie auch

5 selbst, sich spekulativ zu vollbringen.

Die Theologie hat daher

daS Streben, was zunächst als ein geschichtlich Gegebenes von

ihr ausgenommen ist, in ein frei Gesetztes zu verwandeln, wel­ ches seine innerste Wahrheit durch seine Uebereinstimmung mit den heiligen Urkunden der Kirche darzuthun hat. Zur principiellen Theologie gehört hiernach 2) die spe­ kulative Theologie.

Der Begriff des Reiches GotteS bildet hier gleichfalls den

Ausgangspunkt.

Die vollkommene Vereinigung der Gottheit

und Menschheit in Christo macht schon deshalb den Wende­ punkt in der Geschichte der Menschheit, weil überhaupt die Er­

hebung des Menschlichen zum Göttlichen und die Versenkung

dcS Göttlichen in das Menschliche, also die werdende Einheit Beider, sowohl die Aufgabe unsers Geschlechts, als auch der

Grundinhalt seiner Geschichte ist. Reich GotteS sich

Hiernach unterstellt auch das

einer doppelten Betrachtungsweise:

Gottesthat und Menschenthat zugleich.

es ist

Beide Faktoren wirken

nicht bloö zusammen, sondern sind in einander; gleichwohl bil­ den sie verschiedene Gesichtspunkte, von welchen aus das Reich

Gottes angeschaut werden kann.

Wenn die Spekulation die

Idee desselben vollzieht, sofern es durch Gottes That bestimmt

und zu bestimmen ist, bringt sie die christliche Dogmatik her­

vor.

Läßt sie dagegen das Reich Gottes sich gestalten, sofern

es durch des Menschen Thun bestimmt wird, so entsteht die christliche Ethik.

Es ist klar, daß diese Gegensätze von Gottes­

und Menschenthat nur relativ sind, da, was der Mensch thut,

nur insofern ein Moment für das Reich Gottes ist, als es

in Gott gethan wird, und wiederum auch das göttliche Thun sich menschlich vermittelt.

Jedenfalls dürfte der hier gesetzte

Unterschied zwischen Dogmatik und Ethik eine sichere Grenzlinie abstccken, um, waS jedem Gebiete angehört, scharf zu bestimmen

6 und die innige Zusammengehörigkeit beider Disciplinen sowohl, alS ihren Unterschied, deutlich erkennen zu lassen. Da die Kirche als die geschichtliche Erscheinung deS Rei­ ches GotteS auf Erden auftritt, wie es mit Christo in der Menschheit angebrochen ist, so verfolgt sie auch von diesem, ihrem lebendigen Anfänger auS eine nach göttlichem Plan ge­ ordnete, historische Entwickelung, welche das wissenschaftlich ge­ staltete Selbstbewußtsein der Kirche gleichfalls in sich aufzu­ nehmen hat. Der zweite Hauptast im System der Theologie ist daher die historische Theologie. Sie verfolgt die Lebenseutwickelungen der Kirche nach ihren verschiedenen Hauptrichtun­ gen, in Mission, Lehre, Cultus, Disciplin und Sitte, Verfas­ sung, bis auf die Gegenwart herab. Wie diese eine Vergan­ genheit hinter sich hat, deren Resultat sie ist, so hat sie auch die Aufgabe für die Zukunft, auf der Basis ihrer geschichtlich gewordenen Verhältnisse in Gemäßheit ihrer Idee, dem ihr vor­ gesteckten Ziele ihrer Vollendung zuzustreben: eine Aufgabe, welche prakttsch gelöst sein will. Jeder einzelne Gläubige zeigt sich in dem Maße in Lösung derselben begriffen, als er, in der Heiligung wachsend, durch den Geist am inwendigen Menschen erstarkt. Hievon jedoch ist jetzt nicht die Rede, sondern eS han­ delt sich von dem, was die Kirche als Kirche zu thun hat, um der erwarteten Zukunft des Herrn auch ihrerseits entgegen zu gehen, und eS muß dieselbe daher dieser ihrer eignen Thätig­ keiten sich gleichfalls lebendig bewußt werden. Sofern nun dieses Bewußtsein sich wissenschaftlich gestaltet, entsteht die praktische Theologie, oder die Theorie von den Thätigkeiten der Kirche, durch welche sie sich, in Gemäßheit ihrer Idee, fortentwickelt, um zu ih­ rer Vollendung zu gelangen.


.

Main bat freilich gewähnt,

6

82 gleichwie man,

von allen positiven Rechten abstrahirend, in

einem sogenannten Naturrecht ein schlechthin allgemeines Nor­

malrecht aus Vernunftprincipien aufstellcn

zu können glaubte,

daß also auch ein schlechthin allgemeiner Nvrmalcultus, einer

bloßen sogenannten Vernunftreligion entsprechend, sich construiren

lasse, und Robespierre hat einen würdigen Versuch zu dessen

Ausführung gemacht.

Heut sieht man ein, daß seneS Natur­

recht ein Unding ist, und wie das Recht überall nur als ein

positives wirklich wird, so ist eS auch der Cultus nur in seiner Positivität.

Wir finden uns also

zunächst an die positiven

Religionen verwiesen, wo sich unS aber sogleich der Gegensatz

zwischen heidnischen Natur- und geoffenbarten Religionen auf­ drängt.

Mit den ersteren haben wir hier Nichts zu schaffen.

WaS aber die letzteren betrifft, so können sie, als aus einer Quelle herfließend, nie im Widerspruch

mit einander stehen,

müssen vielmehr in einem planvollen, innern Zusammenhänge

sein und demnach als Entwicklungsstufen der, fortschreitend sich enffaltenden Offenbarung begriffen

werden.

Hieraus

erhellt

aber, daß auch die entsprechenden Culte an jenem innern Zu­

sammenhänge nothwendig

in der Art Theil nehmen, daß sie

unter einen einheitlichen Gesichtspunkt fallen, und daß also, so­ fern das Christenthum andre geoffenbarte Religionen zur Vor­

aussetzung hat, sein eigenthümlicher Cultus nur im Zusammen­ hänge mit den ihm vorangehenden Culten zu verstehen sein werde.

Sonach stellt sich uns die Aufgabe, bis zum Uranfange, wo überhaupt ein Offenbarungscultuö beginnt, zurückzugehen und

denselben von da auS in den allgemeinsten religionsgeschichtlichen Zügen bis zum Christenthum herab zu verfolgen.

Es ergibt

sich hieraus die Unabwcisbarkeit unseres zweiten religiousgeschichtlichen Theils.

Indem dieser unsere Bettachtung nun von

selbst dem christlichen Cultus zuführt, schließt der dritte Theil

unmittelbar sich dem zweiten an.

83

Erster

Theil.

Der Cultus als Product der religiös-sittlichen Na­ tur des Menschen überhaupt.

§. 7. Begriff des Cultus. Der Cultus in seiner vollendetsten Gestalt ist die, von

einer frommen Gesammtheit vollbrachte Darstellung

ihres gemeinsamen religiösen Bewußtseins, organisch ge­

ordnet in der Mannichfaltigkeit seiner Ausdrucksformen, mit dem Zweck der Erbauung zur Lebenseinheit mit Gott. Diese Definition bezeichnet den

ohne jedoch die Folgerung

wendigkeit des Cultus

zu

objectivsten Standpunkt,

gestatten,

von anderer,

daß die Noth­

als rein subjektiver

Art sei.

Die gewöhnliche Art, unsern Begriff zu fassen, ist ganz ungenügend, wie z. B. aus Hüffcll zu ersehen ist.

Dieser de-

finirt §. 4 so: „Unter Cultus versteht man den Inbegriff der Handlungen und Formen, worin und wodurch einefromme

Gemeinschaft, so wie die einzelnen Mitglieder derselben, ihre

religiösen Ideen und Gefühle auszudrücken und zugleich zu er­ halten, zu beleben und zu erhöhen suchen." —

rung

stehen gewichtige Bedenken entgegen.

Dieser Erklä­

Zunächst ist das

Wort „Cultus" darin in so unbestimmter Allgemeinheit ge­ nommen, daß die individuellsten Aeußerungen des religiösen

ebensowohl darin aufgehen, als

der

organisch vollendete Cultus einer religiösen Gesammtheit.

Cs

Lebens

der

Einzelnen

ist aber wichtig, daß unser Begriff sogleich in seiner bestimmten Beziehung auf eine religiöse Gemeinschaft gefaßt werde, weil unsere Wissenschaft nur auf diesem Gebiet versirt.

ist die lerikalische Bedeutung deS Worts eine andre. 6*

Allerdings Aber der

84 Sprachgebrauch hat einmal für unsere Auffassung des Begriffs entschieden, und es erscheint als ein Mangel, wenn auch die

blos individuelle Gottesverehrung in der Definition deS Cultus Raum findet. —

Die

Zwecks unterliegt noch

darauf folgende Bestimmung seines

gewichtigeren Einwänden.

Es sollen

durch ihn die religiösen Ideen und Gefühle ausgedrückt werden.

Zwar wird gar nicht geleugnet, daß in der menschlichen Natur jenes Bedürfniß, Gedanken, wenn sie eine Energie der Ueber­

zeugung gewonnen haben, desgleichen lebhafte Gefühle der Rüh­ rung, des Danks, der Freude,

deS Schmerzes u. s. w. zum

Ausdruck zu bringen, tief gegründet ist, sowie, daß hierin ein Moment liegt, welches zur Entstehung des Cultus mitwirkt;

jenes Bedürfniß aber findet auch schon in den ganz unmittel­ baren

und

unwillkürlichen Aeußerungen Dessen,

was

den

Menschen bewegt, seine Befriedigung, und doch sind dieselben noch gar nicht ein Cultus in unserm Sinne, welcher sich in

seiner festgestalteten Objektivität und organischen Gliederung aus

jenem Bedürfniß, ein Inneres äußerlich auSzudrückcn, keineswegs hinlänglich erklärt.

Das unwillkürliche Händefalten oder das

Aufschlagen des Blicks gen Himmel, wie es durch Erregung andächtiger Gefühle veranlaßt wird, desgleichen

Kundgebung heftiger Ergriffenheit,

die äußere

wie wenn der Wilde sich

auf sein Angesicht wirft — Alles dieses hat zwar eine innere

Beziehung zum Cultus, ist jedoch ein solcher noch nicht und

erklärt ihn auch nicht.

Doch Hüffell fügt zu dem angegebenen

Zwecke noch einen andern hinzu.

Die religiösen Ideen und

Gefühle nämlich sollen nicht blos ausgedrückt, sie sollen auch erhalten, belebt und erhöht werden. — Nun ist Dies richtig,

daß jede lebhafte Aeußerung

eines Innern unmittelbar auf

dieses letztere selbst stärkend und befestigend zurückwirkt,- sofern jedoch hierin der Zweck des Cultus erkannt werden soll, paßt

eS nicht einmal auf die rohesten Anfänge deffelben in den heid­ nischen Naturreligionen. Wenn der Fetischdiener seinem Götzen

85 Speise und Trank vorsetzt, so hat er dabei zunächst gar keine

Erhöhung seiner eignen religiösen Stimmung im Auge, sondern er will seinem Götzen etwas Angenehmes erweisen und ihn dadurch sich günstig machen.

Ganz ähnlich verhält es sich mit

dem so höchst wichtigen Opfercultus der alten Welt, welchem

fast immer eine versöhnende Bedeutung zukommt.

So ist e-

vielmehr die Vermittlung irgend einer persönlichen Beziehung

und Gemeinschaftt mit dem Gegenstände göttlicher Verehrung, welche der Cultus bezweckt. Selbst da, wo cs an der Erkennt­ niß dcS lebendigen, persönlichen Gottes fehlt, dichtet nichtsdesto­

weniger die religiöse Phantasie des Menschen an der Stelle

des einen eine Menge persönlicher Wesen als Gottheiten: so unabweisbar ist das Verlangen und das Bedürfniß der Men­ schenbrust nach einem persönlichen Gott, mit welchem er auch

sofort durch seinen Cultuö ein erwünschtes Verhältniß sich an­ zuknüpfen und zu sichern bemüht ist.

Dem Gesagten zufolge sind die Hauptmomente in unserer

Definition diese: a) der Cultus ist ein, zur Einheit mit dem Gegenstände göttlicher Verehrung erbauendes Handeln; — b) er

ist ein zu objectiv-fester Gestaltung organisch geordneter, als

Cultus

einer

bestimmten

frommen Gemeinschaft; —

c) er

hat die Darstellung des gemeinsamen religiösen Bewußtseindieser letzteren, in der Mannichfaltigkeit seiner Ausdrucksformen, zum Inhalt.

Unsere Definition wird sich noch mehr bestätigen,

wenn wir nunmehr unsere nächste Aufgabe lösen, den CultuS

bis in seinen geheimsten Ursprung zu verfolgen und darin die innere Nothwendigkeit seiner Entstehung zu begreifen. Um hier­ bei den richtigen Standpunkt zu behaupten, muß bemerkt wer­

den, daß, wenn auch die aufgestellte Definition durchaus die

Objektivität der Religion zur Voraussetzung hat, die nachfol­

gende Entwickelung doch ihren Ausgangspunkt ganz von der subjectiven Religiosität nehmen muß, da nur auf diesem Wege

86 der Cultus, als ein durch die religiös-sittliche Natur deS menschlichen Geistes nothwendig gesetztes Product begriffen wer­

den kann.

Diese bezeichnete Bahn wird sodann die Betrach­

tung einzuhalten haben, bis auch dieser Gang sie einem Punkte

entgegcnführt, wo der Umschlag der Subjektivität in die Objek­

tivität sich als wesentlich geboten herausstellt.

§. 8. Die Nothwendigkeit des Cultus. Auf dem

höchsten

Standpunkte

menschlicher

Ent­

wickelung würde allerdings das ganze Leben des Menschen

zu einem ununterbrochenen Gottesdienste werden, und eS müßte dann der Cultus als eine, nach Zeit und Ort sich

besondernde, eigenthümliche Lebensäußerung unsers geistigen Daseins aufhören.

Auf dem Standpunkte jedoch deS ge­

fallenen Menschen

als solchen,

wo das

Leben desselben

mit Gott und in Gott wesentlich als Religion auftritt,

geht auch nothwendig aus dieser der Cultus als eine sich besondernde

Erscheinungsform des geistigen Daseins deS

Menschen hervor, so daß, wo kein Cultus, da gewiß auch keine Religion ist.

Stellen wir uns die h. reinen Engel vor, welche immer­ dar vor Gott stehen, so finden wir allerdings für einen besondern Cultus bei ihnen deshalb keinen Raum mehr, weil ihr

ganzes Dasein darin aufgeht, XettovQyixa nvevfiaza zu sein,

und so schwindet uns auch, wenn wir uns das Endziel, wel­ chem das Reich Gottes zustrebt, daß nämlich Gott sei Alles in

Allem, vergegenwärtigen, der Cultus im engeren Sinn gänzlich

dahin.

Das ist das Moment der Wahrheit im Bewußtsein

Derjenigen, die vom Cultus als von etwas Ueberflüssigem re-

87 de» und meinen, daß es der Religion des Geistes und der

Wahrheit noch gelingen müsse, allen Cultus abzuschaffen. Aber sie verkennen

in

ihrer

spiritualistischen Selbsttäuschung den

gegenwärtigen Standpunkt der Natur des Menschen gänzlich.

Für den Gefallenen giebt eS keine andere Form seines Lebens

mit und in Gott, alS die der Religion.

Man hat Biel ge­

stritten, ob sie ein Erkennen, oder ein Fühlen, oder ein Han­

deln sei, und sie ist doch, einseitig genommen, dieses AlleS nicht, während sie andrerseits alS Leben in der Gemeinschaft

mit Gott den ganzen Menschen, mit allen seinen höheren und niederen Kräften, selbst bis in sein leibliches Dasein herab in

Anspruch nimmt.

Zu jenem göttlichen Leben oder für Gott ist

ursprünglich auch der Mensch geschaffen: das ist die Idee seiner

Gottebenbildlichkcit.

Insofern wir jedoch dasselbe im Zustande

des Gefallenen als Religion bezeichnen, drücken wir damit auS, daß daS göttliche Leben deS Menschen nur als ein, beständig

von Neuem sich anknüpfendeS auftritt; und wie hiermit auf die menschliche Schwachheit und Sündigkeit hingedeutet wird, so liegt darin auch der zureichende Grund, weöhalb ein

besonderer Cultuö bei unserem gegenwärtigen Dasein uns unent­ behrlich ist. Wir sind in der Ableitung des Worts religio dem Augustin

gefolgt, welcher sich in seinen RelraclaL 1, 13, sowie de vera

Relig. c. 55 hierüber ausspricht.

An der letzteren Stelle sagt

er: Religel nos religio omnipolenli Deo, unde religio dicta

credilur.

Deögl. heißt es bei Lactant.

divin. inslil. IV, 28

Hoc vinculo piclalis obslricti Deo el religali suinus; unde

ipsa religio nomen accepil, non ul Cicero (de Nat. Deor.

2, 28.) interprelalus esl, a relegendo.

Jetzt wird eS UNS

zunächst obliegen, die Art und Weise, wie die Religion noth­ wendig zum Cultus führt, näher zu entwickeln.

88

§♦ sDas unmittelbare Mitgesetztsein des Cultus mit der Religion. Obgleich die wahre Religion nothwendig zuletzt auf einen objectiven Anfang durch göttliche Selbstoffenbarung

zurückweist, so kommt sie doch hier vornehmlich als sub-

jectiveS Leben in Bettacht, psychologischen

Wahrheit

sofern der Culttls in seiner

als

wesentliches

Menschengeistes begriffen werden soll.

angegebenen Beziehung

die

Product

Es ist aber in der

Religion Lebensgemeinschaft

mit Gott, die in ihrem Centrum als Glaube sich

Wäre nun die Beharrung

stimmt.

des

be­

in diesem Lebens­

mittelpunkte dem Frommen das schlechthin Natürliche, und

hiermit dessen Einheit mit Gott vollendet, so käme eS

gar

nicht

zur

Besonderheit

eines

Cultus.

Weil aber

diese Voraussetzung nicht gegeben ist, so bezeugt auch der Glaube

ebendann sein Dasein,

daß er unmittelbar ein

religiöses Handeln mit reflexiver Richtung auf sich selbst

auS sich hervortreibt.

Dieses Handeln mit der Tendenz,

zu organischer Gliederung sich abzuschließen, ist der Cultus.

Um das unmittelbare Mitgesetztscin deS Cultus

mit der

Religion zu begreifen, bedarf es vor Allem einer gründlichen

Entwicklung des Begriffs der letzteren selbst, wobei wir jedoch den Ausgangspunkt nicht von der objectiv-festen Gestaltung der Religion in einer bestimmten religiösen Gemeinschaft nehmen dürfen, sondern zunächst blos zuzusehen haben, wie sie über­ haupt als Lebensprincip,

also

im

einzelnen Menschen, sich

manifestirt, um demnächst auch als eine Gemeinschaft bildende Macht sich zu offenbaren.

Mit einem Worte: die Religion

89 beschäftigt und hier, sofern sie subjektives Leben ist; — und man darf sagen, daß, wofern sie nicht auch in dieser Gestalt schon

die Anfänge deS Cultus in sich schlöffe, dieser letztere auch in

der Objektivität der kirchlichen Gemeinschaft einer sichern Basis ermangeln würde. In abstracto gefaßt,

ist die Religion als Leben in und

mit Gott zu erklären, und eS erhellt schon hieraus, wie oben bereits angedeutet worden, daS Jrrthümliche solcher Bestim­ mungen, die sie

auf eine der verschiedenen Grundrichtungen

des menschlichen Daseins einschränken, sei eS nun, daß sie ein Fühlen, oder ein Handeln, oder ein Erkennen sein soll.

Da

Gott den ganzen Menschen in Anspruch nimmt, so hat auch die Religion die Tendenz, alle Sphären seines Lebens und Wirkens zu durchdringen und

ihn nach

Leib und Seele zu heiligen.

Nun kommt eö aber darauf an, wie wir die wesentlichen Mo­

mente derselben in ihrer innern Beziehung auf einander, und

hiermit die Religion nach ihrer subjectiven Genesis zu bestim­ men haben.

Eö wird von manchen Seiten geltend gemacht, daß zunächst der erkennende Mensch an ihr betheiliget werde, und so­

fern die Religion als ein objectiv-gegebenes Princip kirchlicher Gemeinschaft gedacht wird,

ist dies richtig; denn

in diesem

Falle muß die äußere Lehrmittheilung, durch das, alles Erken­ nen verleiblichende Wort sich vermittelnd, das in Dogmen sich erplicirende Bewußtsein der religiösen Gemeinschaft fortpflanzen

und eS immer neu bethätigen, daß der Glaube auS der Predigt kommt.

Ueberhaupt mag man zugestehen,

daß

der absolute

Anfang der Religion im Menschengeschlecht jedenfalls auf ob­

jective Offenbarung GotteS, als die schlechthinige Boraussetzung derselben, zurückzuführen sein dürfte.

Rücksichtlich der subjec-

tivcn Religiosität jedoch ist nicht zu übersehen, daß Jemand die

90 ganze Lehrsumme einer frommen Gemeinschaft begrifflich aus­ genommen haben und doch ein irreligiöser Mensch sei« kann.

Die subjektive Genesis der Religion führt uns zunächst

auf den fühlenden Menschen.

Es findet dieser sich in die

Mitte einer sichtbaren Welt gestellt, die in der tiefen Hierogly­

phenschrift ihrer wechselnden Erscheinungen überall ihm ein un­

sichtbares Wesen verkündigt, dessen ewige Kraft und Gottheit durch alles Erschaffene hindurch waltet und daher auch in sei­ nem unmittelbaren Selbstbewußtsein sich beurkundet.

So ent­

steht da- religiöse Gefühl, als Bewußtsein davon, daß die ganze Welt des Erscheinenden, bis in das eigenste subjektive

Leben hinein, eine höchste Ursache zur Voraussetzung hat und deren Herrlichkeit offenbaren soll.

Selbst rücksichtlich des ersten

Menschen ist zuzugeben, daß zunächst auch ihm die, ihn um­ gebende sichtbare Schöpfung, gleichwie sein persönliches Dasein,

das große Buch Gottes war und sein sollte, aus dessen sich immer neu verleiblichenden Worten eine unerschöpfliche Fülle religiöser Anschauungen ihm entgegentrat, und daß folglich auch

ihm die Anfänge der subsectiven Religiosität in einer reichen Innenwelt frommer Gemüthserregungen lagen, wenn gleich, wie

schon angedeutet, wir keineswegs leugnen, daß eine persönliche

Gottesoffenbarung als Voraussetzung von dem Allem im Vor­ dergründe steht.

Die fernere Entwicklung der religiösen Mo­

mente wird uns gleichfalls daö Bedürfniß einer solchen erkenn­ bar machen; für den Augenblick jedoch abstrahiren wir davon um so mehr, als eine gewichtige Stimme die ganze Religion

in das Gefühl gesetzt hat, und es daher von Interesse ist, die Bedeutung, die dem frommen Gefühl für sich allein in der

Religion zukommt, in Erwägung zu ziehen.

Erpliciren wir also zuvörderst das angegebene erste Mo­ ment.

Indem Schleiermacher die Religion überhaupt in

das Gefühl der absoluten Abhängigkeit von Gott setzt, erklärt

91 er zugleich, daß das hierin enthaltene Gottesbewußtsein nie

rein für sich vorkomme, sondern überall an einem Weltbewußt­ sein hafte, sofern eben nur etwas Bestimmtes als von Gott abhängig zu wissen, dagegen eine abstract vorgestellte Abhän­

gigkeit ohne alles Substrat gar nicht denkbar sei.

Die Natur

des religiösen Gefühls ist hiermit tief und wahr aufgefaßt; zugleich aber ergiebt sich schon aus dem Gesagten die Mangel­

haftigkeit der so bezeichneten Stufe des religiösen Lebens.

Im

Gefühl entdeckt sich dem Bewußtsein kein, der Welt transscen­ denter persönlicher Gott; es ist überall blos eine Aussage von seiner Immanenz in der Welt und kann daher auch durch keine darüber sich verbreitende Reflerion zu einem eigentlichen Wissen von Gott werden, noch sich wesentlich über die Stufe bloßer

Ahnung erheben.

So ist cS

nur

ein Göttliches überhaupt,

welches hier dem Bewußtsein aufgeht.

Da allerdings der füh­

lende Mensch auch ein erkennender werden will, so muß auch in der religiösen Gemüthscrregung die Tendenz siegen, ein ob­ jectives Bewußtsein des Gefühlten aus sich zu entfalten.

So­

fern aber hierbei keine persönliche Gottesoffenbarung zu Hilfe

kommt, sind es mehr Bildungen der schöpferischen Phantasie, welche auf diesem Wege entstehen und, zu persönlichen Wesen

gestaltet, von dem tiefen Bedürfniß des menschlichen Herzens nach einer persönlichen Beziehung

zu Gott Zeugniß ablegen.

Daß die Religion innerhalb dieser Sphäre nie über den Poly­ theismus hinauskommt, findet feinen natürlichen Grund in der unendlichen Mannichfaltigkcit der religiösen Assertionen, die den dichtenden Menschengeist zu immer neuen Bildungen in der

Art veranlassen, daß zuletzt doch alle Geschöpfe seiner Einbil­ dungskraft selbst auch

der Welt angehören.

Die gebildetsten

Völker der alten Welt können dies nur bestätigen.

Zwar ent­

decken wir in ihnen Reminiscenzen einer Urreligion des Men­

schengeschlechts und hiermit sciics Streben nach dem Monothe-

SS iSmu-, welches selbst die Vielgötterei in ihrer systematische« Tendenz noch an sich offenbart.

Weil aber diese Erinnerungen

keinen Charakter sicherer Erkenntniß hatten, und eben deshalb

jene Religionen vorherrschend im Gebiet der Naturanschauung versirten, wurden die Götter der alten Welt je länger je mehr

zu Dichtungen des Menschengeistes, welcher, berührt zwar von der Ahnung des Göttlichen, doch hierin keine Schutzwehr gegen daS,

allmählich um sich greifende sittliche Verderben zu finden vermochte. Hiermit sehen wir uns dem zweiten Momente der religiö­

sen Lebensentwicklung zugeführt, wo auch der handelnde Mensch

als solcher davon in Anspruch genommen wird.

JedenfallS

nämlich bedingt daS religiöse Gefühl ein Weltbewußtsein, worin

diese einer höheren Macht unterworfen gedacht wird.

Wenn

nun auch der religiöse Mensch selbst sich inmitten der Welt findet und folglich an der erwähnten Abhängigkeit mitbetheiliget ist, so muß nothwendig auch die, ihm gestellte sittliche

Aufgabe hierdurch bestimmt werden.

Nur insofern er seiner­

seits in der Harmonie des Weltganzen aufgeht, kann er das

richtige Verhältniß zu

seinen Göttern offenbaren und ihrer

Gunst sich zu erfreuen haben.

So mahnt ihn seine Religion

zu einem Doppelten: einerseits nämlich objectiv mittelst har­

monischer Gestaltung alles Natürlichen nach dem Willen der Götter die Abhängigkeit der Welt von ihnen ethisch zu bethätigen;

andererseits aber subjektiv sich selbst an diese höhere Ordnung aufzugeben, da nur die Vermeffenheit den Göttern

gegenüber sich isoliren und feindselig auflehnen kann. Nun wird aber diese sittliche Lebensaufgabe nie vollzogen, da die

Selbstsucht ihr überall in den Weg tritt, und, selbst wenn dies vom Einzelnen nicht gelten sollte, nur um so stärker der Volks­ egoismus sich manifeftirt.

Gleichwohl bleibt es ein Bedürfniß

des religiösen Bewußtseins,

den Göttern Genüge zu leiste»

und so erbietet sich dem Menschen von selbst der Ausweg,

93 Dasjenige, was durch sein ganzes sittliches Dasein sich nicht

erfüllt, wenigstens mittelst besonderer Darstellung zur Anschau­

Hier sehen wir also einen Cultus entstehen,

ung zu bringen. ebenso

mit der

giösen

LebenS

als

Tendenz,

zollen

und

Princip

entsprechenden Ausdruck zu

seinen

andererseits,

einem vorhandenen

Göttern

den

deren Gunst sich

einen zu

schuldigen

sichern.

reli­

gewähren,

Tribut

zu

Es ist aber klar,

wie beide Tendenzen sich verschlingen, gleichwie auch, daß es selbst diesem Cultus nicht an einem gewissen ethischen Momente

gebrach, sofern er auf eine, zu lösende sittliche Aufgabe hin­

wies.

Nur Eins fehlte der antiken Naturreligion auch in ihrer

vollendetsten Entwicklung, nämlich die wahre Innerlichkeit. Auch

des Griechen Gottheit gehörte im Grunde immer der Welt mit zu und sollicitirte daher seinen Blick nach Außen, nie aber, sich

einwärts zu kehren.

So ging in der Idee der Harmonie der

ethische

die Schönheit

Zweck auf;

wurde Grundprincip der

griechischen Weltanschauung und beherrschte natürlich auch alle Darstellungen und Ausdrucksformen des gemeinsamen religiösen

Bewußtseins.

Wenn aber auch der Einzelne in sich selbst jene

Harmonie gestört fand und in feindlichen Zwiespalt den Göt­

tern gcgenübcrtrat, so behauptete er vor ihnen immer noch ein gewisses Recht; denn sie waren zuletzt doch nur Welt, wie er; der unendlich reine, von der Welt abgesonderte, in sich selbst

h. Gott, vor welchem Alles sich schuldigen muß, blieb ihm un­

bekannt, und er vermochte daher nimmer, im tieferen Bewußt­ sein der Sünde und Schuld zu jener Selbstvernichtigung zu gelangen,

welcher

die

wahre Erneuerung deö Lebens folgt.

Hiernach erblicken wir den Keim des TodeS in allen Formen

deS religiösen Daseins, welchen die persönliche GotteSoffenbarung entschwunden ist, und überzeugen uns, daß überall zu­

letzt das Dichten deö menschlichen Herzenö in seiner Eitelkeit an den Tag kommen muß.

94 Dies führt uns auf den Punkt zurück, von welchem unsere Betrachtung auSgegangen ist, daß nämlich ein göttlicher Offen­ barungsact die nothwendige Voraussetzung und der absolute

Anfang aller wahren Religion auf Erden ist, dieser jedoch an sich genommen zunächst blos ein objectives Erkennen GotteS be­ dingt, welches sofort in subjektives Leben übergehen soll.

Die-

sen Uebergang nun haben wir bisher in zwei wichtigen Mo­

menten uns vergegenwärtiget.

Die frommen Erregungen deS

fühlenden Herzens, womit der Durchbruch in die Subjektivität

sich anbahnt, bilden die freundlichen Lvckstimmen GotteS, womit er sanft und mächtig die Herzen anzieht.

Im Gebiete der

offenbarungslosen Naturreligion ertönten sie dem Menschen nur gleichwie die Stimme eines geheimnißvollcn Unbekannten, der

in tiefen Waldesgründen, hinter Büschen verborgen, beständig rief, um gesucht zu werden, aber sich doch selbst nimmer sehen

ließ.

Die Offenbarung vorausgesetzt, weiß nun der Mensch,

wer der ist, dessen er inne wird, und erkennt fortan auch als Handelnder die ganze sittliche Aufgabe als einen höchsten Wil­

len, dem er sich unterwerfen muß. stehen zu bleiben.

Hierbei

ist jedoch nicht

Denn so lange Gott und der Mensch noch

zwei sind, kann auch der letztere vor dem, ihm gesetzten ethi­

schen Zweck, die Welt sammt sich selbst unter Gott zu bringen

und nach ihm, zu welchem (Ǥ avtov) Alles geschaffen ist, zu

gestalten, selbstsüchtig zurücktreten und sich feindselig isoliren. Er muß also vor Allem EinS mit Gott werden d. h. sein, zunächst blos objectives Erkennen muß in ein subjektiv-leben­

diges übergehen zur tiefen, innigen Einheit deö Erkennenden

und Erkannten.

Innerhalb des, nach Außen gerichteten Welt­

bewußtseins ist dies nicht zu vollziehen, da Gott, als der per­

sönliche Herr, der Welt transscendent ist.

Es bleibt mithin

dem Menschen nur die Einkehr in sich selbst, um in seiner ver­ borgensten Innerlichkeit Gott gegenwärtig zu finden und sich

95 hier vollständig an ihn aufzugeben.

In der That kommt eS

auf diesem Wege zu einem wechselseitigen Bundes- oder Ber-

mählungsacte, wo Gott und Mensch gleichsam die Hände in einander fügen,

und

ein beharrendes religiöses Bewußtsein

ausgebvren wird, worin Gott realiter mitgesetzt ist als wirken­

der Geist, und der Mensch sich selbst in Gott und Gott in sich ergreift und festhält. wahre,

Dieses Bewußtsein ist der Glaube als

lebendige Gotteserkenntniß und Princip deS ewigen

Lebens, welches auch Christus selbst als ein Erkennen des allein

wahren GotteS und Dessen, den er gesandt hat, bestimmt. Im Glauben vereinigen sich göttliche und menschliche That, wie

denn in ihm die einmalige persönliche Menschwerdung Gottes

in Christo sich unendlich wiederholt durch den Geist.

Einer­

seits ist er ein freier Act des menschlichen Willens, andrerseits auch ganz göttliche Wirkung, Beides in einander aufgehend; und es ist klar, wie nun erst die Religion in ihr wahres Lc-

benöcenttum gelangt ist, um fortan den ganzen Menschen in

Anspruch zu nehmen.

Das religiöse Fühlen gestaltet sich setzt

zu süßem Hoffen, sofern darin das unmittelbare Jnnewerdcn

eines Princips enthalten ist, das die Verheißung seines künf­

tigen Sieges in sich schließt.

Das Begehren wird reines Lie­

ben; denn das gotterfüllte Gemüth begehrt in dem Maße, als cs sich reiniget, Nichts mehr für sich, sondern Alles, auch daS eigene Dasein eingeschloffen, für Gott und vollbringt hierin die vollkommene Selbstentäußerung, worin wiederum der Glaube

erstarkt.

Versuchen wir dem Entwickelten zufolge eine prä­

gnante Definition der Religion in ihrer Subjectivität, so ist

sie lebendiger Glaube, welcher die innere Erfahrung frommer Gemüthserregungen zur Voraussetzung, und die Heiligung des ganzen Daseins für Gott zur nothwendigen Folge hat.

Jetzt

wird sich leicht zeigen, wie der Cultus als ein nicht abzuwei­

sendes Bedürfniß unmittelbar mit der Religion mitgesctzt ist.

SS Wie alles Janen sich äußern muß, so auch das Leben i» Glaube«.

Di« unwiderstehliche Nothwendigkeit hievon liegt i«

dem Verlangen des Frommen, Gott an seinem Theile verherr­

lichen zu helfen.

Hiermit jedoch ist die Entstehung eines, or­

ganisch in sich abgeschloßnen Cultus noch keineswegs begriffen. Denken wir uns

das Leben im Glauben vollendet und den

Menschen also in ununterbrochener Einheit mit Gott, so wür­ den alle Glaubensäußerungen als sittliches Thun überall nur

eine vorwärtsgehende, in reiner Unmittelbarkeit auf die Ver­ herrlichung Gottes abzielende Richtung verfolgen, niemals aber

in der Absicht einer Förderung des Glaubens reflexiv sich auf ihn

Dann aber

selbst zurückbeziehen.

wäre auch für eine«

besondern Cultus kein Raum mehr vorhanden, da sein ganzes Dasein als ein beständiger Preis GotteS in Cultus aufgehe«

würde.

Das Bedürfniß der Aeußerung des Innern wird uns

daher für den Cultus allerdings zwar wichtig, aber nur insofern, als eS in ein anderweitiges Bedürfniß verschlungen ist, uud hierüber hat bereis der vorige $. Andeutungen gegeben.

Es bedarf nämlich der Glaube einer immer neuen Er­ weckung und Stärkung, da der in die Zerstreuungen des irdi­

schen Daseins vertiefte Mensch stets geneigt ist, sich auSwärtS,

statt einwärts zu kehren.

Darüber aber entschwindet ihm leicht

das Vermögen der Einkehr überhaupt, und des Glaubens Kraft wird abgestumpft und gelähmt.

Wenn nun das Bewußtsein

des Frommen dies alS das Unheil erkennt und richtet, so macht sich ihm hiermit auch das Bedürfniß fühlbar, dem Glauben

durch beständige Unterstützungen

zu Hilfe zu kommen, und

und immer neue Erweckungen

es entsteht so ein eigenthümliches

religiöses Handeln, welches zwar rein sittlicher Natur ist, gleich­ wohl aber, vom religiösen LebenScentrum, dem Glauben, aus­ gehend, nicht einem vorwärts liegenden ethischen Zwecke mt-

gegenstrebt, sondern in reflexiver Richtung zum religiösen Lebens-

97 Mittelpunkte selbst sich zurückwendet.

Dieses Handeln, eo ipso

mit der Religion gegeben, ist der Cultus, und ihm wesentlich

die Tendenz, das Glaubensleben zu erwecken und zu stärken,

oder, weil in diesem Gott realiter mitgesetzt ist, dem Frommen die Lebenöeinheit mit Gott zu vermitteln, d. h. ihn zu erbauen.

Wir haben unS bereits überzeugt, wie selbst die heidnische Re­ ligion ein Analogon hievon aufweist, und es dürfte vornehm­

lich von diesem Punkte ans klar werden, wie Wenig mit jener oberflächlichen Zweckbestimmung, wonach der Cultus „religiöse Gefühle und Ideen ausdrücken, erhalten, beleben und erhöhen soll," gewonnen ist.

Dem Gesagten zufolge beabsichtigt inson­

derheit der christliche Cultus überall zwar die Verherrlichung Gottes; diese Tendenz aber erscheint durchweg eingefaßt in die

der oixodopr).

Eben indem die Gläubigen sich erbauen auf

ihren allerheiligsten Glauben, wird Gott am Sichersten an ihnen und durch sie gepriesen, und so konnte Paulus den Kanon

für die christliche Gemeindeversammlung aufstellen, daß, was

zur oixodop^ nicht diene, auch kein Recht darin in Anspruch nehmen solle.

Schließlich begegnen wir dem möglichen Einwurf, daß die, auf dem bezeichneten Wege nothwendig erfolgende Aussonderung

des Cultus als eines, in sich geschlossenen Organismus reli­

giösen Handelns

nur behauptet,

aber nicht nachgewiesen sei.

Es ist jedoch leicht darzuthun, wie sogar dem einzelnen From­ men derartige, zu einer religiösen Tagesordnung sich gestaltende

Handlung innerlich geboten ist. Denn je mehr er das Bedürf­ niß empfindet, seiner Religiosität eine dauernde Vermittlung zu

gewähren, desto weniger kann er diese letztere durch schon vor­ auszusetzende fromme Gemüthserregungen bedingt sein lassen. Ja, in je geringerem Grade er solche in sich findet, desto be­ dürftiger der religiösen Uebungen wird er sich fühlen und hier­ mit um so geneigter sein,

G au» » pratt. lheol. I.

jenem Handeln, anderem sittlichen

7

98 Thun gegenüber, ein eigenes, selbstständiges Recht zuzugestehen.

Hiermit aber bildet er sich nothwendig auch eine fest bestimmte religiöse Lebensordnung und sondert Tageszeiten aus, die der Erbauung zu widmen sind; und es ist natürlich, daß, was im

Leben des Einzelnen sich manifestirt, auch in der frommen Ge­ meinschaft wiederkehrt.

Wir müssen hierauf zurückkommen.

§. 10.

Das Wort als die Grundsubstanz des religiösen Handelns. Jedes

lebendig

erzeugte Wort ist eine That, durch

welche der Gedanke, der außer dieser Verleiblichung noch

gar nicht ist, Gläubige

sich selbst

seinen Cultus

als er sein,

Wenn nun der

erst vollbringt. nur

insofern

ausführen

kann,

im Glauben ruhendes religiöses Bewußtsein

zur Erbauung sich äußern läßt: so ist klar, daß auch dies wesentlich durch das Wort sich vermitteln muß, welches

jedoch im Gebiet des

religiösen Lebens nothwendig auch

einen eigenthümlichen Charakter annimmt.

Das Wesen der Religion bedingt auch eine eigenthümliche

religiöse Sprache.

Wenn die Religion den ganzen Menschen

dergestalt in Anspruch nimmt, daß sie alle Kräfte desselben aus

allen Einseitigkeiten bestimmter Richtungen ins

Gleichgewicht

zurückführt; wenn sie sich ebensowohl an die Sinnlichkeit, als an die Geistigkeit des Menschen wendet und darin ihre innerste

Wahrheit offenbart, daß sie auch die Leiblichkeit nicht leer aus­

gehen läßt von der Theilnahme an den himmlischen Verhei­

ßungen: so muß auch die religiöse Sprache eine solche sein, welche jeder Einseitigkeit des geistigen Lebens in der Verstan­

des-

und Willensrichtung fremd,

ebensosehr

Verstand

und

SS Gemüth, als Gefühl und Phantasie beftiediget.

Hiernach er­

scheint uns die religiöse Sprache als eine schlechthin universelle,

deren Grundcharaktere sich nun leicht bestimmen lassen.

Wiewohl es richtig ist, daß das religiöse Gefühl an sich keine sichere Basis des Cultus zu werden vermag, sofern nur ein leidentlicher, wandelbarer Zustand sich darin kund giebt, den

der Fromme nicht in seiner Gewalt hat, und daß daher auch das bloße Interesse an der Darstellung frommer Gemüthszu­ stände nimmermehr einen Cultus hervorbringen würde: so ist nichtsdestoweniger die religiöse Sprache zunächst eine Sprache

des fühlenden Menschen und hat daher den Charakter einer bilderreichen

Frische

und

Lebendigkeit.

Denn

als

Ausdruck des Glaubens giebt sie einer Gotteserkenntniß Worte,

die nicht aus der dialektischen Selbstbewegung des Gedankens hervorgegangen, sondern subjektives Leben ist und daher, wie sie

fromme Gemüthserregungen zur Voraussetzung hat, also auch selbst eine unendliche Empfänglichkeit für immer neue Erregun­

gen des warmen religiösen Gefühls bedingt. Es ist daher nicht die abstracte Allgemeinheit des religiösen Gedankens, die hier zu

Tage kommt, sondern es ist die concrete Lebensanschauung eines erleuchteten Auges, welches unmittelbar gleichsam in das offene Liebesherz Gottes hincinblickt und seine Gesinnung gegen die

Werke seiner Hände im reichen Walten seiner Güte und Weis­

heit versteht und belauscht.

So eignet der religiösen Sprache

jene tiefsinnige Symbolik, die sich mehr oder weniger in allen

Gebieten des religiösen Lebens wiederfindet und ganz besonders geeignet ist, wo das beschränkte menschliche Wort die unendliche

Fülle des Inhalts im

Bewußtsein

nicht zu fassen vermag,

wenigstens der ahnungsreichen Betrachtung einen Stützpunkt zu gewähren und den sinnenden Verstand zu fesseln. — Wenn

der Charakter der Naivität sich als eine Kindlichkeit der An-

fchauungs- und Auffassungsweise bestimmt, sofern sie durch eine 7*

100 relativ-nothwendige Beschränktheit gegeben ist, so liegt schon in

dem Bisherigen, daß mit der Symbolik der religiösen Sprache eine würdevolle Naivität derselben im engsten Zusammenhänge

steht, da die natürlichen Schranken des menschlichen Daseins auf unserm Gebiet eben darin fühlbar werden, daß das All­ gemeinste sich hier der Anschauung überall nur in der concre-

testen Besonderheit enthüllt und dm Frommen an den P au li­

tt i sch en Ausspruch erinnert: wir sehen hier durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort. Aber diese Naivität offmbart nur um

so reiner das, dem gegenwärtigen Standpunkt des Menschen

angemessene kindliche Verhältniß zu Gott und geht daher auch nicht in das Spielende und Läppische über, sondern bleibt mit der edelsten Simplicität als Ausdruck innerster Wahrheit ge­ paart.

Dies führt die Betrachtung zu einem zweiten Grund­

charakter der religiösen Sprache; aber bevor wir uns ihm zu­ wenden, soll der zuerst entwickelte nur mit einem Beispiel be­

legt werden.

Christus ermuntert in der Bergpredigt die Sei-

nigen, alle ängstlichen Sorgen fahren zu lassen, und gründet diese Ermahnung darauf, daß der himmlische Vater Lust am

Leben hat und seine Fürsorge auf alle Geschöpfe erstreckt. Dies wird jedoch nicht als abstrakter Gedanke von ihm ausgesprochm; sondern er richtet den Blick unmittelbar auf das Concreteste hin und läßt darin das unendlich großherzige Walten der Güte Gottes, die sich aller seiner Werke erbarmt, erkennen, so daß

die kleinliche Sorge davor zu Schanden werden muß.

Die

sorglos umherfliegenden Vögel, die Lilien des Feldes werden so zu sinnvollen Symbolen, welche als verkörperte Worte Got­

tes von ihm zeugen und den Kleinmuth beschämen. — Hierher gehören auch die Parabeln, mit ihrem unerschöpflichen Reich­

thum an Lehrgehalt in unscheinbarer Hülle, wie wenn z. B. der Säemann den Herrn und seine Boten, wenn der Saame das Wort mit den ihm inwohnenden Lebenskräften, wenn die

101 mancherlei Arten des Ackers die menschlichen Herzen symbolisiern, und der sehr verschiedne Erfolg der Aussaat auf irdischen Bo­

den die Verschiedenheit der Aufnahme des Evangeliums, sowie seiner Wirkungen zu bildlicher Darstellung bringt.

Ein zweiter Eharakterzug der religiösen Sprache ergiebt sich durch die Erwägung, daß sie sich als die Sprache eines

Glaubens erweist,

worin eine reelle Lebensgemeinschaft des

Menschen mit Gott sich bethätigt, in welchem daher unmittelbar Gott selbst mitgesetzt ist. Im Glauben erst gelangt der Mensch zu seiner innersten Wahrheit, und es offenbart des Ersteren

göttliche Natur sich insonderheit darin, daß er, erhaben über

alle wechselnden Eindrücke unsers täglichen Daseins, in der Entblößung von allen Unterstützungen, wie das Gefühl und die lichte, heitre Anschauung sie gewähren, am Meisten in sei­ ner Kraft und Stärke sich vollendet und dann gleichsam un­

mittelbar aus sich selbst zu leben vermag.

Demgemäß hat die

Sprache des Glaubens eine, von allen Vermittlungen durch die

eigene geistige Thätigkeit des Menschen unabhängige göttliche Kraft, direct und energisch auf sein innerstes Bewußtsein ein­ zuwirken; denn wie sie aus seinem tiefsten religiösen Gewissen

heraus redet, so dringt sie auch mit Erweckungskraft urplötzlich

hinein, und das geistige Ohr vermag sich von dieser Stimme aus einer höheren Welt nicht abzuwenden.

Wir haben durch

das Gesagte eine siegende Objektivität der Wahrheit als einen eigenthümlichen Charakter der religiösen Sprache bezeichnet,

welcher sie in ihrer höchsten Potenz in der That als Wort GotteS erscheinen läßt. Wo sie aber auch diese erhabene Stufe nicht erreicht, bleibt ihr gleichwohl als wesentlicher Grundzug

jene sententiöse Bedeutsamkeit in Würde und Ein­ falt, wie sie z. B. in der Vorliebe des Morgenländers für sinnreiche Sprüche hervortritt.

Daher nähert sich die religiöse

Sprache so gern dem gnomischen Charakter, daher liebt sie so

10t den plastisch abgerundeten, wie zu einem objectiv-fertigen Ge­ bilde sich fairen wollenden Ausdruck des unendlichen Gedankens. Denn nicht blos durch seinen verständig erfaßlichen Sinn soll das formulirte Wort auf uns wirken; auch als eine st. Magie begestrt es sich zu erweisen und die schöpferisch bildende Kraft seines reichen Jnstalts auch durch den plastischen Aus­ druck, den es istm giebt, zu verratsten. Man vergleiche die Seeligpreisungen, womit die Bergpredigt beginnt: und sie wer­ den in istrer wunderbaren Tiefe das Vorstehende bestätigen. Aber auch jenes mächtige alttestamentliche: „Du sollst!" in den st. zehn Geboten ist wostl schon oft als eine unmittelbare Weck­ stimme Gottes in schlafende Gewissen eingedrungen. Die religiöse Sprache ist endlich auch die Sprache des handelnden Menschen und offenbart hiermit jene praktische Anwendbarkeit, welche die wahre Popularität begründet. „Anknüpfend (vergl. Tstoluck in der Vorrede zu seinen Pre­ digten S. 47.) an die, im Volk vorhandenen und allbekannten Marimen und Ansichten, Thatsachen und Erfahrungen," redet sie gemeinfaßlich aus dem gesunden Menschenverstände heraus und ist, auch wo sie dem natürlichen Mutterwitz*) ein Räthsel zu deuten überläßt, der beabsichtigten Wirkung gewiß. Denn das Paradore übt nur eine um so stärkere Anziehungskraft und prägt die Wahrheit in dieser Hülle dem Gemüth desto tiefer ein. Wenn Christus den Kanon aufstellt: was ihr wollt, daß euch die Leute thun sollen, das thut ihr ihnen —: so bewährt dieses Wort seine praktische Anwendbarkeit nicht sowohl darin, *) Der Mutterwitz ist einerseits das, was der Begriff ausdrückt, also Witz; andererseits liegt in der Zusammensetzung des Worts mit „Mutter" die Vorstellung de« Angeerbten. Es bezeichnet daher den Witz, nicht wie er als individuelle Anlage, sondern als ein allgemeinerer Charakter vorhanden ist, dessen einzelnem Träger kein nothwendiges Bewußtsein darüber beiwohnt.

103 daß eS, auch in fleischlicher Buchstäblichkeit

genommen, eine

sichere Regel des Handelns an die Hand giebt; vielmehr könn­ ten Unverstand und Bosheit es leicht zum ärgsten Mißbrauch

verkehren; sondern darin vorzüglich,

daß es einen gesunden

Sinn voraussetzt, der nicht nur nicht irre gehen kann, sondem aufgefordert und hiermit auf ein

auch zu eigener Thätigkeit

weites Feld umfaffender Anwendung durch den fraglichen AuSspruch geführt, die reichste Nahrung darin findet.

Von der­

selben Natur sind andere Sprüche des Herrn, deren Räthsel-

haftigkeit

sich bis zur Paradvrie erhebt,

wie wenn er vom

Ausreißen des Auges, vom Abhauen der Hand oder des Fußes

redet und hierbei nur eine feste Entschiedenheit der Entsagung im Sinne hat.

Schon in dem Bisherigen liegt das Anerkenntniß, daß die Sprache der h. Schrift das vollkommenste Muster der religiösen Sprache darstellt, und wir daher auch überall, wo von dieser

die Rede sein wird,

auf das h. Bibelwort werden zurück­

kommen müssen.

Die im Wort sich

§. 11. darbietenden Hauptelemente

des Cultus. Das religiöse Lebenscentrum ist der Glaube, und es liegt daher

bei dem Zweck der Erbauung Alles daran,

den Glauben zu erwecken

und

zu

stärken,

wobei aber

wiederum sich von selbst versteht, daß Alles, was zu dem

Ende geschieht, auch seinerseits nur Ausdruck eines, in dem bereits vorhandenen Glauben wurzelnden religiösen

Bewußtseins sein den Grundformen

kann.

Die hier in Betracht kommen­

bestimmen

sich

auf dem Standpunkt

104 der

subjektiven Religiosität al- Gebe! und fromme

Betrachtung.

Auch wenn Beides rein innerlich vollzogen wird, bleibt gleichwohl das Wort die alleinige Vermittlung, da alles Den­ ken ein Sprechen ist, und es erscheint hiernach gerechtfertiget,

wenn wir schon in der Sphäre der reinen Subjektivität des Cultus, wo das Wort vielleicht gar nicht zur Verlautbarung

gelangt, es dennoch als den Grundstoff des religiösen Handelns

in den genannten beiden Beziehungen hervorheben. Wie folgerichtig eS auch ist, wenn hier in Gemäßheit deS gegebenen Begriffs der Erbauung, die jederzeit auf Lebens­

einheit mit Gott hinausläuft, der Glaube als das beharrende

Point de vie des Cultus auftritt, so könnte dies doch thatsäch­

lich sich nicht durchweg zu bestätigen scheinen, wie wenn z. B. der christliche Prediger die Gemeinde für irgend einen bestimm­

ten sittlichen Zweck zu gewinnen sucht und doch dabei nichts

an sich Unrichtiges thut, selbst wenn Das, was er verfolgt,

etwas Einzelnes ist. Aber auch in diesem Falle wird nur in­ sofern wahre Erbauung gefördert werden, als der Redner dar­

auf hinwirkt, daß daS zu erregende sittliche Interesse aus dem Glauben hervvrgehe, widrigenfalls ihm gar keine religiöse Be­

deutung zukäme. Da der Glaube ein „geschäftig Ding" ist und, wie oben gezeigt, mit der ethischen Aufgabe des Menschen

überhaupt im Zusammenhänge steht, so ist eS allerdings wohl zu denken, daß er in einer ganz speciellen Beziehung angeregt

werde, um, trotz seiner Hinlenkung auf einen einzelnen Punkt, eine allgemeine Belebung zu erfahren. Der vorstehende $. hat jedoch den Glauben nicht blos alS das Ziel, sondern auch als die feste, beharrende Basis des Cultus aufgefaßt, sofern nämlich die Mittel desselben nothwen­ dig in dem bereits vorhandenen Glauben wurzeln, und nur,

105 was dessen lebendiger Ausdruck ist, ihm auch zur Förderung werden kann.

Hier nun erhellt, wie jetzt erst jene sichere

Grundlage gewonnen ist, die das wandelbare religiöse Gefühl deshalb nie gewähren konnte, weil es, sich selbst überlassen,

niemals

in wahre Gotteserkenntniß

übergehen kann.

Der

Glaube dagegen schafft seiner Natur nach ein beharrendes reli­ giöses Bewußtsein und offenbart sich, da dieses sich nothwendig

in bestimmten Dogmen erponirt, als fruchtbare Quelle einer yvtoais, die, mit dem wissenschaftlichen Geist im Bunde, in

ihrer Weise das ganze Gebiet des menschlichen Daseins in sich

aufnimmt. Wenn nun rücksichtlich der Belebung des Glaubens durch die Aeußerungen seines Bewußtseins die Frage entsteht nach

dem Wie? — so kann zunächst allerdings darauf verwiesen werden, daß nach einem allgemeinen Gesetz alle Aeußerungen

eines vorhandenen Innern, wie sie als natürliches Bedürfniß auftreten, so auch selbst wieder kräftigend und erhöhend auf

jenes Innere zurückwirken. Wir reichen jedoch damit nicht aus,

da hier die Erbauung als ein Zweck sich gezeigt hat, auf wel­ chen geflissentlich hingewirkt wird, der also nicht als ein, nur

gelegentlich mit zu erreichender dastehen darf.

Es ist folglich

die bestimmte Frage zu erheben: wie hat sich daS religiöse Be­

wußtsein zum Zweck der Erbauung zu äußern? — und es muß

in der Antwort hierauf klar werden, daß die angegebenen Grundformen des Gebets und der frommen Betrachtung eine innere Nothwendigkeit haben. Im Glauben begegnen uns zwei Factoren, indem darin

göttliches und menschliches Thun dergestalt in einander aufgehen, daß er mit gleichem Recht aus beiden Gesichtspunkten gefaßt werden kann.

Nach dem einen fällt der Glaube in die Kate­

gorie menschlichen Wollens; nach dem andern ist er ein Ge­

schenk der freien Gnade Gottes. Dieser Zweiheit gemäß gestalten

106 sich jedenfalls auch die Aeußerungen de- frommen Bewußtseins,

sofern sie eine erbauliche Tendenz haben, d. h. mittelst Er­ weckung des Glaubens auf die Lebenseinheit mit Gott hinwirken.

Insofern hierbei Gott als der, aus seiner Fülle Ge­

bende erscheint, ist der Mensch ihm gegenüber ein Empfangender im Eharakter der Gottleidenheit und kann seinerseits nur Eines dazu thun, indem er nämlich als Bittender vor den Herrn

Hiermit ist die erste Grundform der erbaulichen Aeuße­

tritt.

rung des religiösen Bewußtseins nothwendig als Gebet be­ stimmt. Die Tendenz der Erbauung kann aber auch der andern Seite deS Glaubens sich zuwenden, wonach er als menschliches

Thun zu begreifen ist.

Hier nun gilt eS, das fromme Be­

wußtsein sich in der Art äußern zu lassen, daß der, auf Gott gerichtete Wille dadurch gereizt, und so der Glaube erweckt werde.

Zu diesem Zweck müssen die Motive zu gläubigem

Ergreifen GotteS und zur Hingabe an ihn sich dem Willen

vergegenwärtigen, um in der beabsichtigten innern That, die

nun unmittelbar auch in Gebet übergehen kann, zu enden.

Hiermit haben wir offenbar die fromme Meditation, die

religiöse Betrachtung, beschrieben mit ihrer Grundrichtung

auf die, durch den Willen sich vermittelnde Erweckung deS in­ nern Lebms. Die im $. bezeichneten

beiden Hauptformen erscheinen

nunmehr gerechffertiget, wie sie denn immer noch dieselben blei­ ben, auch wenn die Poesie in Verbindung mit der Religion neue Formen der frommen Lebensäußerung hervorbringt. Denn auch das geistliche Lied läßt jenen doppelten Charakter überall nur in einer eigenthümlichen Gestalt an sich hervortteten, indem

bald das Gebet, bald die Meditation, bis zur unmittelbaren

Anrede an das eigene Herz des Sänger-, darin das Borwie­ gende ist.

107 Die nachfolgende Betrachtung wird sich nun mit den bei* den Grundformen weiter zu beschäftigen haben.

§. 12. Das Gebet. Wenn zum Inhalte deS religiösen Bewußtseins, so­ bald eS sich in bestimmte Dogmen erponirt, auch Dieses

als zugehörig sich zeigt, daß Gott, wie der Urgrund alles

Lebens überhaupt, also auch der Anfänger und Vollender unsers leiblichen und geistigen Lebens

ist: so führt dies

den, sich schlechthin von Gott abhängig wissenden From­ men nothwendig

ihn

zu

wenden

darauf, und

sich in

damit

ein

allen Dingen direct an

dauerndes

Verhältniß

zwischen sich und dem Herrn seines Daseins zu begrün­

den. Das Gebet ist ein Gespräch des Herzens mit Gott,

zum Behuf der Vereinigung mit ihm.

Hiergegen scheint zunächst einzuwerfen, daß der hier bezeich­ nete Zweck keineswegs im Gebet überall hervortrete, da wir viele Anliegen haben, die sich ausschließlich auf unser irdisches Dasein beziehen.

Wenn daS aber auch nicht geleugnet wird,

so ist doch hier die Frage, ob daS ein rechtes Gebet sei, dessen

letzte Tendenz sich in Gott nicht endet?

Alles Sichtbare und

Zeitliche ist dem Frommen eine Stufenleiter zum Ewigen, und

jedes auf Irdisches bezügliche Verlangen verhüllt ihm nur sein tiefer gerichtetes Sehnen nach einer Lebensgemeinschaft, in wel­

cher die volle Befriedigung für Alles liegt; und so meint er

im letzten Grunde Gott in jeder Gabe, die er von ihm begehrt. Immerhin mag daher der Cultus im Gebete gleichfalls diese Condescendenz zum Bedürfniß unsers täglichen Daseins üben: nur anders nicht, als in diesem Aufsteigen vom Sinnlichen zum

108 Unvergänglichen. — Hiernächst ist klar, daß, gleichwie «nsere

Definition den lebendigen, persönlichen Gott al- Endzweck deGebet- bestimmt und dessen ultima ratio in einer Sollicitation

Gotte-, fich finden zu lassen, erkennt, also auch ein Bewußtsein der

Persönlichkeit desselben, al- bereit- vorhanden, von ihr voraus­ gesetzt wird.

Daher die Erfahrung, daß die, an das Pan­

theistische anstreifende theologische Denkart sich in der Regel

au- dem Gebete nicht- Sichere- zu machen weiß; denn der Beter muß einen Gott haben, von welchem er sich auch wirk­

lich Etwa- au-bitten kann. Selbst Schleiermacher gestattete,

weil er für die Gebetöerhörung im engeren Sinne keinen Platz

hatte, seinem System lediglich eine heilsame Rückwirkung des Gebet- auf da- Gemüth zu jener Resignation, welche jedes besondere Anliegen aufgiebt.

Erponiren wir un- nun die im Gebet enthaltenen Mo­ mente, sofern sie für unsere weitere Entwickelung eine Bedeu­ tung gewinnen. — Zunächst ist eö ein Gespräch, also eine

wirkliche, durch da- Wort sich vermittelnde, Anrede Gotte-, welche eine göttliche Antwort (vergl. die Psalmstelle 10, 17:

da- Verlangen des Elenden rc.) vorauSsetzt. Erst im Worte vollbringt sich der, sich darin verleiblichende Gedanke, und auch der betende Sinn bedarf de- Worts, durch welches

allein erst da- Gebet Bestandtheil de- Cultus werden kann. — Nächstdem wird der, auf die angegebene Art sich vermit­

telnde Vortrag ein Gespräch des Herzen- genannt.

Das

Herz also ist da- betende Subject; es ist die entsprechende Gemüth-stimmung, die lebendig erregte Empfindung des Gött­

lichen, au- deren innerster Wahrheit da- Gebet hervorgehe« soll; ein Zustand der Gottleidentlichkeit ist es, au- dem es sich unmittelbar producirt, und wir sind geneigt, es für ein bloße-

Lippengeplärr anzusehen, wenn Jemand betet, ohne daß ihm so zu Muthe ist. — Diese beiden Momente Hingen in der Voll-

109 bringuug des GebetS innig nad tief in einander und erhöhen

sich wechselseitig.

Unter dem Gespräch mit Gott gewinnt das

Gefühl einen immer volleren und mächtigeren Fluß, und wie­

derum dieses verstärkt den Erguß der Rede, bis das Herz das

Ueberschwengliche nicht mehr auszusprechen vermag, und so wird aus der lebendigen Wechselwirkung der beiden ersten Momente ein drittes geboren, die aiytf, wenn der Betende aufhört zu reden, um nur in tiefster Innerlichkeit still vor Gott

stehen zu bleiben und sich selbst hingebend an ihn zu ver­ lieren. — Wenn wir so im Gebet den Weg zur Gottinnigkeit

erkennen, so müssen wir doch zugleich sagen, daß es in diesem

Stadium aufhört, Gegenstand liturgischer Betrachtung zu sein;

nächstdem aber begegnet uns auch sogar im subjektiven Cultus das Gebet keineswegs allein in der Form des unmittelbaren

Herzensergusses, sondern gestaltet sich schon in dieser Sphäre zu

einem formulirten Ausdruck, welcher sich nach Maßgabe der innern Fülle des frommen Bewußtseins allmählig zu bereichern sucht.

Um sedoch in dieser Art aufzutreten, hat es eine Meta­

morphose zu durchlaufen, welche aus dem Bisherigen leicht zu begreifen sein wird.

§. 13. Die Metamorphose des Gebets. Auch in Ermangelung der gottleidentlichen Gebets­ stimmung, bleibt das Gebet dem Frommen Bedürfniß, weil er sich desselben als einer Bedingung seines geistigen Lebens bewußt ist. Indem jedoch mit der entsprechenden Gemüthsaffection zugleich auch die unmittelbare, frische Production des Gesprächs mit Gott ausbleibt, findet er sich veranlaßt, eine feststehende Gebetsformel zu machen, oder einer gegebenen sich zu bedienen. Wenn es nun ein

110 von leidentlicher Zustänvlichkeit unabhängiger Wille ist, der hiezu anregt, so folgt auch, daß daS betende Herz hier sich anders zum formulmen Worte verhalte, als eS nach dem vorigen §. bei dem unmittelbaren Gespräch mit Gott der Fall ist. Selbst innerhalb der Sphäre desubjektivsten Cultus entdecken wir so die Anfänge eine­ stabilen CultuSelementS, welche- der treue Ausdruck eine-, im Gottesbewußtsein vorhandenen, gediegenen Kern­ religiöser Anschauung sein will. 3m vorigen $. haben wir als Ziel und Ende des wahren Gebet- den schweigenden Aufblick zu Gott und die sich darin

immer erneuernde Uebergabe an ihn zum Wandel vor seiner

Gegenwart erkannt, und eben dieses macht im Bewußtsein des Frommen sich als ein beständiges, unabweisbares Bedürfniß

geltend, wodurch ihm das Gebet, als eine Uebung der Gottseeligkeit über alle Abhängigkeit vom Gefühl hinan-, als ein

beharrendes Moment des innern Lebens sicher gestellt wird. Der Fromme ist daher genöthigt, auch wenn ihm die Stim­

mung versagt, sich unmittelbar in den schweigenden Auf­

blick vor Gott zu stellen, ja er erkennt hierin jenes Gebet ohne Unterlaß, welches Paulus den Thessalonichern empfiehlt. Wenn dasselbe aber auch nicht aus einem, ihm vorangehenden Her­ zensgespräch mit Gott erzeugt wird, so bedarf es nichtsdesto­

weniger eines Vehikels, oder einer Stütze, durch die es unter­ halten wird.

Der reflectirende Verstand kann sie nicht gewäh­

ren, weil dessen vorherrschende Thätigkeit nur eine der Harmo­ nie des religiösen Lebens entgegengesetzte, einseitige Richtung bezeichnet, und mithin das Gebet durch die Reflerion vielmehr negirt, als gefördert wird. Ebenso fehlt es aber auch an der unmittelbaren Erzeugung eines Redens mit Gott. Es bleibt

daher nur die schon vorhandene Formel übrig.

Wenn im

111 Herzensgeshräch die beiden Momente der Gemüthsstimmung und ihrer Aeußerung sich lebeidig durchdringen und in einan­ der aufgehen, so ist hier das Gleiche nicht der Fall, sondern die schweigende Sammlung vor Gott und die Formel laufen neben einander so, daß jene auf diese sich von Zeit zu Zeit lehnt, um, so unterstützt, immer wieder aufs Neue aufzusteigen, ob es ihr etwa gelänge, die Formel endlich ganz hinter sich zu lassen, oder, sei es nun in unmittelbares Herzensgebet, sei eS in fromme Betrachtung überzugehen. Diese Uebung bedarf so wenig einer Rechtfertigung, daß wohl im Gegentheil Niemand die Anbetung im Geist und in der Wahrheit darin verkennen wird, und von einem bloßen Lippengeplärr kann um so weniger die Rede sein, als schon aus dem Obigen hervorgeht, daß hier: „Kurz und gut!" der Wahlspruch sein muß, und in der guten Gebetsformel überall ein sententiöser Charakter, in welchem ein Moment des religiösen Bewußtseins sich zu plastisch-klarem Ausdruck bringt, vorherrschen wird. In dem entwickelten Elemente hat sich das Princip und die psychologische Wahrheit einer stabilen Cultusform kund­ gegeben. Nicht allein im Ausdruck offenbart sie jene Stabilität, sondern auch in ihrem Inhalt, da in dem Gebetsformular nothwendig der dauernde, unveränderliche Kern des religiösen Bewußtseins zur Aeußerung gelangt. Je mannichfaltiger die Momente sind, in welche dasselbe sich dogmatisch erponirt, zu desto reicheren und mannichfaltigeren Formeln wird es sich liturgisch gestalten, weshalb auch die Stabilität hier nicht deu Sinn einer todten Einförmigkeit hat und auch mit einem ge­ wissen Grade von Bewegung wohl verträglich ist. Schließlich die Bemerkung, daß, obwohl der organisch geordnete Cultus einer religiösen Gemeinschaft das unmittelbare Herzensgebet nicht ausschließt, doch die Formel hier um so mehr Berechti­ gung hat, als dieser Cultustheil mit seinem kirchlich-symboli-

112 sch« Charakter der jedesmaligen Stimmung des Liturgen so wenig anheim-, als seinem etwanigen Ungeschick preisgegeben

werden kann.

$. 14. Die begleitenden Gebehrden. Die Religion manifestirt sich auch darin als eine, den

ganzen Menschen mit Leib und Seele in Anspruch

nehmende Angelegenheit,

daß ihm selbst unbewußt, eine

körperliche Mitbetheiligung am Gebet eintritt.

Obgleich

die begleitenden Gebehrden zunächst den Charakter eines

so unwillkürlichen,

wie unvermittelten Ausdrucks des be­

wegten Innern in sich

tragen,

so gewinnen sie doch die

Bedeutung eines Elements des Cultus schon in der sub­ jektiven

Sphäre

desselben,

Sammlung des Beters,

indem

sie

sie verfestigend

auf

die

innere

und umschrän­

kend, zurückwirken. Es gilt auch hier das allgemeine Princip, daß, gleichwie alles Innere nur dadurch, daß es sich veräußerlicht, zu einem

geschichtlichen Momente wird, also auch wiederum die Ver-

leiblichung desselben im sinnlich wahrnehmbaren Ausdruck jenem

Innern erst ein beharrendes Dasein vermitteln.

So wird der

Betende durch die Kniebeugung noch stärker in seiner Samm­ lung firirt, und so gewinnt das Falten der Hände, die Ent­

blößung des Haupts, das Aufschlagen des Blicks zum Himmel und dergl. mehr, einen liturgischen Charakter, kraft dessen diese

Clemente aus ihrer ursprünglichen Unmittelbarkeit heraustreten

und zu bewußten,

symbolischen Handlungen werden können.

Zur vollen Bedeutung gelangt jedoch dieses Element erst im

Cultus einer religiösen Gemeinschaft, durch den, ihm eigen­

thümlichen Charakter objectiver Darstellung, weshalb wir uns

113 jetzt darauf beschränken,

Gegenstand

den

nur angedeutet zu

staben und die symbolische Handlung der späteren Betrachtung Vorbehalten.

§. 15

Die fromme Betrachtung. Wenn der Trieb bensgemeinschaft

mit

zu

einer

Gott

im

Erneuerung der Glau­

Herzen

vorhanden

ist,

ohne schon eine sichere Richtung gewonnen zu haben, so kann

der

fromme

Wille

der religiösen Anschauung

hievon Veranlassung

nehmen,

ein bestimmtes Thema vorzu­

halten und dieselbe darin sich vertiefen

zu lassen,

damit

dieser innere Proceß rückwirkend ihm selbst — dem Wil­

len



ein

kräftiger

Antrieb werde,

den

angedeuteten

GlaubenSaet zu vollbringen, und demnächst das Herz sich

Diese Einwirkung

ungehemmt im Gebet ergießen könne.

bezeichnen wir als die fromme Betrachtung.

Hier ist zuvörderst klar,

daß nicht von einer Thätigkeit

deö nach logischem Gesetz denkenden, dem Wissen znstrebenden

Verstandes die Rede sein kann, weil diese Verstandcöopcration

die fromme

Gemüthöerrcgung

aufhebt als fördert.

vielmehr

Die fromme Betrachtung versirt ganz

in der religiösen An­

schauung, und Daö ist ihr eigenthümliches Leben, daß sic die­

selbe ihre besonderen Momente entfalten läßt und diese, einer Reihe zusammenhängender Bilder gleich, vor dem innern Auge

aufrollt, bis der Gegenstand den vollen Reichthum seines In­ halts dargelegt hat.

So steht die Betrachtung in tiefster Ver­

wandtschaft mit dem religiösen Leben und führt zur Gestaltung

eines

dogmatischen Bewußtseins darüber.

Ziel sowohl, als

Voraussetzung derselben ergeben sich aus dem im §. Gesagten,

prakr. Ibccl. I.

114 Sie wurzelt in einem religiös schon afficirten Gemüth; denn

wenn dieses sich kalt und trocken fühlt, so gewährt eS keinen Boden für die Betrachtung, welche der Wärme bedarf, wenn

sie nicht in ihrer eigenen Frostigkeit sterben soll.

Wiederum

macht sie die vorher noch gebundenen Flügel deö Gcbetö frei, welches nun von selbst sich cmporschwingt.

Ohne diese Wir­

kung ist die Betrachtung gar noch nicht zu ihrer vollen Reali­ tät gekommen.

Offenbar

ist freie Bewegung der Charakter

dieses CultuSelementü, und bildet dasselbe hiernach mit der be­ ziehungsweise» Stabilität deö vorigen

einen Gegensatz, wie­

wohl andrerseits auch seine Beweglichkeit

insofern nur eine

relative ist, alS sie doch in der festen Substanz eines dogma­ tischen Bewußtseins ihre Beschränkung in sich trägt.

Uebergang

Der

§. 16. des Cultus

zu

objectiv-fester

Gestaltung. Denken wir uns die innere Lebenscinhcit mit Gott

im Frommen so mächtig, daß der Trieb, sich immer aufs Neue mit Gott zu verbinden, als eine, sein ganzes Da­

sein beherrschende Passion sich zu erkennen giebt, so wird

diese letztere daß

er

seine Zeit dergestalt in Anspruch nehmen,

im Interesse dcS Gehorsams,

welcher auch die

übrigen Angelegenheiten des Lebens treulich wahrgcnom-

men wissen will, genöthigt sein wird, eine geregelte Zeiteintheilung in der Art eintreten zu lassen, daß darin das religiöse Bedürfniß mit -den anderweitigen Erfordernissen

deS Lebensberufs sich auöcinandersetzc. kommt

in

die Uebungen

Auf diesem Wege

der Frömmigkeit eine

Plan­

mäßigkeit, in Folge welcher sie sich zu einem gesonderten

115 Gebiete

sittlichen

Thuns

und hiermit schon

abschließen

einen Uebergang des Cultus aus der bloßen SubjectiviBiel stärker noch tritt

tät in die Objectivität andeuten.

in dem entgegengesetzten Falle hervor,

dies

wenn daS

Gemüth ohne jene vorherrschende Richtung auf Gott Ge­ fahr

läuft,

Geschäfte

die Uebungen

und

Sorgen

des

der Frömmigkeit gegen täglichen

Daseins

die

hintan

Was dort im Interesse der zeitlichen Ver­

zu setzen.

hältnisse geschah, geschieht hier im Interesse der Religion,

damit sie nicht gegen die irdischen Beziehungen zu kurz

komme, wobei mehr noch als dort die Aeußerungen des

frommen Bewußtseins den Charakter

eigentlicher Uebun­

gen annchincn und sich je nach der größeren oder gerin­

geren Unmittelbarkeit, womit der Glaube sie hervorbringt und deren Rückwirkung empfängt,

knüpfen.

unter

einander ver­

Wenn nun alle Aeußerungen eines innern Le­

bens, sofern sie in ihrer Ausführung sich planmäßig ver­

mitteln, in die Kategorie der Darstellung fallen, so wird cs hier bereits sichtbar, wie der Cultus schon von Hau­ aus, im rein subjectiven Entstehen, die Tendenz hat, eine

objectiv-feste Gestaltung anzunehmen, und hiermit schon

auf die religiöse Gemeinschaft hinüberzuweiscn. Das in den vorigen §§. AuSgcführte enthält bereits alle

Andeutungen zu einer naturgemäßen Verknüpfung der einzelnen Cultusactc.

ES ist klar, daß, wenn das frisch hervorquellende

HerzenSgebet uns für das Moment gilt, worin die Einkehr zur Gottinnigkcit sich am Kräftigsten und Unmittelbarsten vollbringt,

die übrigen Cultuöelcmente — die Formel nämlich

Betrachtung;

und die

denn die Gebehrde ist nur begleitend — ihre

Stellung neben einander darnach erhalten müssen, wie sie ent­

weder

näber

oder

entfernter

daö

HerzenSgebet vermitteln. 8*

116 Hieraus ergiebt sich, daß die Formel, als welche selbst daS Bermitteltere ist, der Betrachtung, das stabilere Element dem beweglicheren vorangeht.

Uebrigens

hat die ganze zeitherige

Entwicklung ihren Ausgangspunkt von der Voraussetzung ge­ nommen, daß das religiöse Leben als ein positiv-vorhandenes

sich zu äußern begehrt.

Wie aber der Mensch desselben auch

als eines negirten sich bewußt sein kann, und auch dieses Be­ wußtsein zum Ausdruck gelangen will, darauf ist noch gar keine

Rücksicht genommen worden. — Wenn nun schon das gegen­ wärtige Ergebniß der Untersuchung den Uebcrgang des Cultus zur Objectivität in Aussicht stellt, so wird daS Nachfolgende

unS in erhöhtem Grade auf diesen Weg hinüberleiten.

$. 17.

Opfer. bisherigen

Die

haben

CultuSelemente

directe Beziehung auf den Zustand des

noch

keine

gefallenen

Menschen; aber auch diese muß im Cultus sich geltend machen.

Im Bewußtsein seiner,

standnen Entzweiung mit Gott,

durch die Sünde entfühlt

der Mensch vor

Allem das Bedürfniß der Versöhnung und gelangt so zu

allerlei Opfern, Lustrationen und Reinigungen,

im Cultus aller heidnischen

Völker

wie

sie

nach psychologischer

Nothwendigkeit vorkommen und daS allgemeine Elend der Sünde bezeugen. Dieses merkwürdige Element, welches dem Cultus eine

theurgische Richtung gibt, tritt zunächst als ein Widerspruch

auf gegen unsere Grundanschauung, wonach wir eine innerlich

erbauliche Tendenz in allen Cultushandlungen gefordert haben, während in

den Opfern ein äußerliches Thun sich darstellt,

117 welches nur auf eine Versöhnung des göttlichen Wesens be­

rechnet ist.

Wir müssen jedoch hiergegen geltend machen, daß

dieselben erst durch die Sünde bedingt sind, welche, wie sie mit dem Fall geschichtliche Thatsache geworden ist, also auch eine

Versöhnung begehrt, die gleichfalls nur objectiv vollzogen wer­ den kann, und ans dem Grunde als die Bedingung der Ge­

meinschaft des Menschen mit Gott anerkannt werden muß, weil ohne dessen wiederhergcstcllte Gunst gegen den Sünder nur der

Indem das Opfer aber gleichzeitig die

Zwiespalt fortdaucrt.

Entzweiung, die es lösen will, immer schreiender hervvrtreten läßt, offenbart sich darin ein Eultuselement, welches einerseits zwar, der Sünde gegenüber, seine subjektive Wahrheit enthüllt, gleichzeitig jedoch in der Unmöglichkeit, den verfolgten Zweck zu vollziehen, seine völlige Nichtigkeit darthut und hiermit auf

eine unmittelbare göttliche Einwirkung hinweist, durch welche der Conflict zwischen dem Bedürfniß der Versöhnung und der Unfähigkeit des Menschen, sic durch eignes Thun auszuwirken, allein gelöst werde» kann.

So erreichen wir hier den Punkt,

wo unsere Betrachtung in ein anderes Stadium gedrängt wird.

§. 18.

Die Tendenz des Cultus zur religiösen Gemein­

schaft. Wie sehr auch Das Verlangen des gefallenen Men­

schen nach einer Versöhnung mit Gott begründet ist, so bleibt doch bei Allem, was er zu diesem Zwecke unter­

nimmt ,

der

vorhandene

Voraussetzung,

und

Widerspruch

selbst wesentliche

es zeigt sich daher als unmöglich,

ihn durch Dasjenige zu lösen, was überall nur aus ihm heraus geschieht.

Indem gleichwohl der Gefallene jene

118 Absicht festhält und mithin im Wahn eines Erfolgs seiner

je länger je mehr, sich bestärkt, verfällt er

Handlungen,

im Irrthum seiner eignen Wege

einer immer größeren

Entfremdung von dem Leben

aus Gott und der heidni­

schen Blindheit deS Herzens.

Alle selbstgewählten Opfer

und

Büßungen

folglich ebensosehr Zeugnisse eines

sind

unvertilgbarcn religiösen Bedürfnisses, als zugleich natür­ liche

Aeußerungen

deS

sittlichen

Mensch anheim gefallen ist.

CultuSelement

Wahrheit

göttlichen

einer

versöhnende

zukommen

Veranstaltung

Gott

sich

selbst

welchem

Elends,

der

Wofern also dem fraglichen

muß

soll,

beruhen,

eS

womit der

des Gefallenen

auf zu

annimmt,

und demnach die Beziehung zu einer Offenbarung in sich

die

tragen,

in

ihrem,

für eine

religiöse

Gemeinschaft

berechneten Charakter als Gegenstand traditioneller Fort­

pflanzung die Religion aus der Subjektivität in die Objec-

tivität hinüberführt und hiermit auch ihren entsprechenden Cultus als den einer religiösen Gemeinschaft auftreten läßt.

Was hier über die Opfer gesagt ist, bestätiget in Schau­ der erregender Weise die Geschichte des,

bis zur Menschen­

schlachtung fortschreitenden Götzendienstes, und eS tritt so jener

unauflösliche Widerstreit der innern Wahrheit eines vorhan­ denen Bedürfnisses mit dämonischer Lüge in ein um so grelleres

Licht, während Dieses: „der Mensch kann sich selbst nicht mit Gott versöhnen" — das sich immer neu aufdrängende Ergeb­

niß

aller

Wenn

vergeblichen

nun dennoch

menschlichen

den

Anstrengungen bleibt. —

Opfern und Reinigungen deS Ge­

fallenen außer jener subjectiven Bezeugung

deS vorhandenen

SühnungSbedürfnisseS, noch eine andre objective Wahrheit zu­ kommen soll, so kann dies nur mittelst der von Gott in sie

gelegten Beziehung auf eine unmittelbar durch ihn zu vollbrin-

119 gende Versöhnung geschehe», welche das religiöse Bewußtsein

des Opfernden fortan dabei im Auge hat, so daß alle der­

artigen Handlungen einen typischen Charakter gewinnen und

den Glauben mahnen, über sie hinaus auf ihr Gegenbild hin­ zublicken.

ES können also nur kraft göttlicher Verheißung und

Offenbarung Opfer zu objectiver Wahrheit gelangen, wie denn

schon Abel's Darbringung von den Erstlingen der Heerde daü Protcvangelium zur Voraussetzung hat, und der spätere alttestamentliche Opfcrcultus nur jene typische Wahrheit in An­

spruch nimmt.

hier ein subjcctivcS Cultuselement gefunden,

Wir haben

welches zur Objektivität der geoffenbarten Religion hinüber-

sübrt, indem cd diese letztere «Id unumgänglich fordert, und es

ist im §. darauf hingewiesen, wie wir fortan auch in Betreff des Cultus auf dem Boden der religiösen Gemeinschaft versiren.

Uebrigcnd ist anzucrkennen, daß die Offenbarung des

lebendigen Gotted keincdwegcd audschließlich die Posttivität der

Religion vermittelt; da wir aber den Ursprung positiver Reli­ gion überhaupt nachzuweiscn nicht beabsichtigen, auch forthin

überall unsere Untersuchung auf dem Boden der Offenbarung

verbleiben lassen: Positivität

der

so genügt cd hier auch um so mehr, die

Religion

innerhalb

dieser Sphäre

gefunden

zu haben.

Indem der Cultus

aus der bisherigen, subjectivcn Be­

trachtungsweise in dieses Stadium

übergeht, erleidet er eine

durchgreifende Veränderung, welche jetzt zunächst aufznzeigen ist.

120

§. 19.

Der Cultus als Darstellung eines gemeinsamen religiösen Lebens. Sobald der Cultus als Ausdruck eines allgemeinen

religiösen Bewußtseins

gemeinschaftliches Handeln wird,

hören die Elemente desselben auf, blos subjektive Bethä­ tigung eines innern, religiösen Lebens zu sein, und ge­ winnen eine neue Beziehung in dem wechselseitigen Für­

einander, worin sie fortan, allseitige Mittheilung beabsich­ tigend, auftreten.

In dieser Beziehung auf die Gemein­

schaft erhebt sich der Cultus in höherem Grade noch als

bisher zur Darstellung und gewinnt als ein planmäßig geordnetes Ganze den Charakter objectiver Beständigkeit. Wir nehmen hier in den Begriff der Darstellung ein neues

Moment auf.

Wenn in §. 16 das: sich planmäßig ver­

mitteln hervorgehoben wurde, so erweitert sich jetzt der frag­

liche Begriff, sofern die Darstellung überhaupt nunmehr als versinnlichender Ausdruck eines vorhandenen Innern, mit der Absicht, sich mitzutheilen, zu bezeichnen ist. Diese Bestim­

mung hat hier noch Nichts mit der Kunstdarstellung im engeren Sinne zu thun.

Unsere Betrachtung ist überhaupt der Kunst

im Cultus noch gar nicht begegnet.

Diese ist allerdings auch

Darstellung; aber sie hat keinen außer ihr liegenden sittlichen

Zweck; sie begehrt blos eine innere, ideale Welt zu symbolischer

Wirklichkeit zu erheben und damit auch für Andre in ihrer tie­ fen Wahrheit zu bethätigen.

Im Cultus dagegen halten wir

den, seinem Thun jenseitigen Zweck der Erbauung streng fest.

Jetzt hat sich unsre anfängliche Definition in alle» ihren Momente» bestätigt; denn

wir haben

erstlich die Erbauung

121 durchgreifend als Ziel aller Cultuselemente erkannt; wir haben eine Mannichfaltigkeit der Ausdrucksformen des religiösen Be­

wußtseins gefunden; dieses endlich hat sich als ein gemeinsames

kund gegeben, und eS ist so auch das Moment der objectiven

In dieser Letzteren jedoch erfahren

Darstellung hinzugetreten.

jene subjektiven AuSdrucksformen eine Umwandlung.

§. 20.

Verwandlung der subjektiven Cultuselemente. Wenn das Gebet seiner Natur nach, sobald es sich formulirt, einen stabilen Charakter annimmt und Ausdruck

des beharrenden Inhalts im religiösen Bewußtsein wird, so gewinnt es in

seiner Beziehung auf die Gemeinschaft

einen symbolisch-confessionellen Charakter mit prägnanter

Kürze;

die Betrachtung

aber gestaltet sich

zu bewegter

Rede (Predigt). Wir erkannten bereits (§. 15.), daß die fromme Betrach­ tung schon aus dem Boden einer religiös-erregten Gemüths­

stimmung hcrvorgeht.

Diesen

Ursprung verleugnet sie nicht,

auch wenn sie, einer frommen Gemeinschaft gegenüber sich ver­

lautbaren und Das, was das Herz Dessen, in dem sie ent­

springt, bewegt, zu Weckung eines lebendigen Gemeingefühls mittheilen will.

Hiermit aber ist sie nothwendig bewegte Rede

d. h. Darstellung eines

bewegten Gemüthszustandes mit der

Absicht, denselben auch in Andern hervorzurufen, näher: zu er­

bauen.

Was die Betrachtung im subjektiven Cultus für Den

werden soll, der sie anstellt, Das soll sie hier einer frommen

Gemeinschaft werden, womit vorausgesetzt wird, daß sie eS im

ersten Betrachter bereits geworden und also in ihm vollendet

ist, um sich nun für eine Gemeinschaft nochmals zu reproducircn

122 und den ursprünglichen Proceß im Betrachtenden, in de» See­

len der Hörenden sich wiederholen zu lassen. Auü dem Gesagten erhellt wiederum die tiefe Verwandtschaft zwischen fromm be­

wegter Rede und unmittelbarem Herzensgebet, möge nun der Redner die Vollziehung dieses letzteren den Hörern

geben,

oder am Schluß seines Vortrages ihm

leihen und das bewegte Herz ausströmen lassen.

anheim­

selbst Worte

Jedenfalls

aber hat die Rede ihren Zweck verfehlt, wenn sie nicht eine An­ regung zum Gebet zurückläßt.

§. 21.

Die symbolische Handlung. Auch die fromme Gebehrde hört, sofern der Cultus nunmehr Beziehung

vorhandene religiöse Ge­

auf eine

meinschaft gewonnen hat, auf, blos subjcctive Bethätigung einer Gemüthsaffection zu sein, und bekommt als ein, ein bestimmtes

Etwas

bedeutendes Moment,

objectiver Darstellung. zur

symbolischen

den Charakter

Die fromme Gebehrde erhebt sich

Handlung.

In

seiner

Losgerifsenheit

von der Subjectivität gewinnt das Symbol sehr bald an Ausdehnung, und der Trieb,

erzeugt neue Formen.

Geistiges zu versinnlichen,

Indem hierbei die Handlung sich

mit dem Wort verknüpft, wird sie zur Ceremonie. Symbolische Handlungen solcher Art hat besonders die

römische Kirche in großer Menge.

Hieher gehören: die Be­

zeichnung mit dem Kreuz, der Gebrauch des Crucifix, das An­ zünden der Lichter, das Verbrennen des Weihrauchs, ja auch die Anwendung h. Kleider, und vieles Andre.

den ganzen Cultus der Stiftshütte.

Man denke an

Wenn gleich das Symbol

nicht mehr blos subjcctive Bethätigung eines Innern ist, son-

123 der» auch eine objective Bedeutung für die Gemeinde hat, so

hört dennoch auch jene erstere hiermit nicht auf, sondern ver­

stärkt sich vielmehr.

Wie mächtig z. B. ist der Eindruck, wel­

chen daS Wechseln der Ringe, oder das Jneinanderlegen der Hände eines Brautpaars als Symbol der Bundesschließung

bei diesem hervorbringt.

Die Ceremonie bezeichnet Klöpper als ein „Jneinanderfirirtsein von Wort und Handlung;" sie ist gleichsam ein, sich unmittelbar dramatisireudes Wort, hat eine große Kraft litur­

gischer Bethätigung Dessen, wovon das Herz durchdrungen ist, und ist daher auch

mit

darauf verbunden.

Z. B. wenn der Liturgus auf den ein­

einer höchst belebenden Rückwirkung

gesenkten Sarg eines Entschlafenen dreimal Erde wirft mit den

Worten: von Erde bist du genommen u. f. w.: so drückt sich hierin eine so erschütternde, als beruhigende Mahnung der Leidtragenden an die Ergebung auS, womit sie das Einver-

ständniß in Gottes Rathschluß gewinnen sollen. Es ist übrigens klar, daß das, in der Ceremonie auftretetende Wort sich zur

prägnanten Formel plastisch zu gestalten strebt;

denn eS will

ja selbst zu symbolischer Handlung, gleichwie diese als sinnvolle

Zeichensprache, zum Worte werden.

§. 22. Die Segnung. Insofern in der Ceremonie eine Mittheilung an die fromme Gemeinschaft sich vollzieht,

erhebt sic sich zur

Segnung. Wenn in Förderung der Lebensgemeinschaft mit Gott der Zweck des Cultus erreicht wird, so hat er einen Segen zur Folge, in welchem das fromme Bewußtsein um so lieber eine

unmittelbare Segnung Gottes anerkennt, als dieser ja auch im

124 Cultus nie aufhört, der Anfänger und Vollender unsers Glaubens zu sein.

Hiermit erscheinen alle frommen Gemüthsaffectionen,

die der Cultus erzeugt, als eine Erwiderung von oben, und es erfüllt sich derselbe für die fromme Gemeinschaft mit göttlichen Gnadenmittheilungen, durch welche jener Gemeingeist geweckt

wird, der die religiöse Gesammtheit erst zur lebendigen Ge­

In der Kraft dieses Gemeingeistes kann jener

meinde macht. göttliche Segen

zum Gegenstände der Mittheilung innerhalb

der Gemeinschaft selbst werden.

Die Hauptmomente, welche

hierbei in Betracht kommen, sind also folgende: a) Die frommen

Assertionen im Cultus sind Gaben. I>) Diese Gaben gestalten sich

Gemeinsamkeit

bei

zu

religiösen

einem

Gemeingeiste,

c) Kraft dieses Gemeingeistes werden sie auch innerhalb der

Gemeinschaft selbst Gegenstand wechselseitiger Mittheilung.

Man hat darüber gestritten, ob die Segnung blos signi-

Im ersteren Falle würde

ficalive, oder auch exhibilive wirke.

sich Alles auf eine, an sich leere Anwünschung eines göttlichen Segens beschränken;

aber selbst der alttestamentliche Segens­

spruch, obgleich er sprachlich die Form eines Votum hat, ist

doch insofern kein bloßes Votum, als er auf göttlichem Befehl beruht und damit auch eine Verheißung in sich trägt, daß er

eine reelle Segnung vermitteln solle. uns

Vergegenwärtigen

wir

aber erst die im N. T. verkommenden Segnungen, so

stellt ihre erhibitive Natur sich außer Zweifel.

Christus legt

seine Hände auf die Kinder und segnet sie; er thut Dasselbe

vor seinem Abschiede den Jüngern; nach seiner Auferstehung bläst er sie an und spricht: Nehmet hin den h. Geist u. s. w. Wagen

wir

zu

behaupten,

Handlungen gewesen seien? wenn wir

daß

alle diese Acte nur leere

Vollends

die große Bedeutung,

welche

der Auflegung ihrer Hände beimaßen, Bergl.

Apostelgesch. 8, 15 — 17;

unmöglich wird dies,

später die Apostel

in Erwägung ziehen.

19, 6; desgl. wichtige

125 Stellen in den Pastoralbriefen.

Man hat auch nicht Ur­

sache, aus übertriebener Besorgniß, einem todten opus opera-

tum Etwas einzuräumen, die erhibitive Wirksamkeit der Seg­

nung zurückzuweisen; denn eine rechte Verständigung darüber,

daß alle weihenden Handlungen subjektive Bedingungen ihres Erfolgs vorausseyen, wird abergläubische Meinungen ohnehin

nicht aufkommen lassen. Wo aber jene Bedingungen vorhanden

sind, da würde eö heißen: dem Geiste wehren, welchen der Herr seiner Gemeinde gegeben hat, wenn man der priesterlichen Segnung das Gesetz auflegen wollte, nichts Wirkliches mitzutheilcn.

Doch mit diesen Worten wecken wir selbst einen wei­

teren Einwurf gegen die fragliche Exhibition.

Es werde, sagt

man, ein particularistisches Priesterthum dadurch zurückgeführt.

Priesterthum allerdings; weshalb aber

Das ist zu leugnen.

dieses ein

alttestamentlicheS

sein müsse, ist nicht einzusehen,

wogegen im allgemeinen Priesterthum der Gläubigen jederzeit eine ächt christliche Idee erkannt worden ist.

Allein auf dieses

berufen wir uns.

§. 23. Die Opfer. Sofern die Opfer an

sich

eine versöhnende Ten­

denz haben, bedingen sie innerhalb der religiösen Gemein­ schaft das Hervortreten eines

zwischen

der Gottheit und

dem Volk vermittelnden Priestcrthums und werden prie­

sterliche Handlungen.

bracht ist, welches auf,

oder

Sofern das einmalige Opfer voll­

ewiglich gilt,

hören jene nothwendig

gehen in Handlungen über,

welche mit dem,

durch das einmal geschehene Opfer gewirkten Segen er­

füllt

sind

und

kramente.

ihn der Gemeinde vermitteln.



Sa­

126 In allen Religionen, die einen Opfercultus haben, findet

fich auch die privilegirte Pricsterkaste.

Sowohl das alte, wie

das neue Heidenthum stimmen hierin überein, und die, dem

Opfer zu Grunde liegende Idee der Vermittlung führt noth­ wendig darauf.

Gleichwie nur eine unmittelbare göttliche Institution daö

Opfer als typische Handlung zu einem wahren Gottesdienst

durch die, daran geknüpfte Verheißung erheben kann, so bedür­ fen gleicher Einsetzung nach dem vollbrachten einmaligen Opfer

auch jene Handlungen, welche den Segen desselben übertragen sollen, und zu welchen der frühere Opfercultus sich geistig ver­ klärt.

Wir durften sie Sakramente nennen, indem wir, ganz

abgesehen von der kirchlichen Anwendung dieses Begriffs, im

Allgemeinen Handlungen dadurch bezeichnet sehen, welche als wesentliche Merkmale folgende Momente in sich vereinigen: daß

sie etwas Reelles,

Göttliches darreichen und, damit sie dies

können, auf unmittelbare göttliche Einsetzung sich gründen, wo­ durch ihnen der Charakter der Objektivität gesichert ist. genS zeigt sich,

daß auf diesem Standpunkte

Uebri-

die erwähnten

Handlungen selbst Benetictionen werden, welche sich hier nur zu göttlichen Institutionen erheben.

§. 24. Gegensatz zwischen der hervortretenden Thätigkeit Einzelner und der der Gesammtheit. Schon die bisherige Betrachtung der Cultuselemente

hat darauf geführt, daß fortan nicht

mehr in

sich die

fromme

Gemeinschaft

ihrer ungesonderten Allgemeinheit

als das, im Cultus thätige Subject ansehen läßt.

Gemeinde wird

vielmehr nothwendig eine,

Die

in sich selbst

127 unterschiedene und läßt Einzelne mit hervorragender Thä­ tigkeit

aus

der Gesammtheit hcranstretcn.

hiermit die Gemeinde in

Da jedoch

ihrer Totalität nicht aufhören

kann, im Cultus thätig zu sein, so zerlegt sich derselbe

in eine Mannichfaltigkeit von Theilen, in welchen bald die Gesammtheit, bald ein Einzelner, welchem gegenüber

die Andern sich mehr rcceptiv verhalten, in überwiegender Thätigkeit ist. Einzelnen

Andererseits

wichtige

treten

auch im Thun der

Unterschiede hervor.

beiden angegebenen Hauptformcn

Zwischen

den

läßt sich endlich noch

eine dritte, die Mitte haltende, liturgische Form deuken, nämlich die der Wechselwirkung zwischen der Gesammtheit

und einzelnen Gliedern derselben, wodurch ein lebendiger, gleichsam dramatischer Verkehr entsteht, dessen liturgische

Bedeutung in seiner Kraft liegt, zu wecken und zu er­

muntern. Was die Unterschiede betrifft, die durch Dasjenige, was

nach der Natur der Sache nur Einzelne vollbringen können, bedingt werden, so ist der deS Liturgcn und des Redners der

durchgreifendste.

Sofern

nun der Erstere sich innerhalb des

stabileren Cultusclemcnts bewegt, worin das Gemeinsame des

frommen

Bewußtseins

einer

religiösen

Gesammtheit

sich zu

symbolischem Ausdrucke bringt, entsteht für ihn die Aufgabe,

im Charakter einer würdevollen Repräsentation des Gesammtbewußtscins sich darzustellcn.

bart

sich

das Princip

In der h. Rede dagegen offen­

der Bewegung, jedoch innerhalb der

Schranken, welche durch das stabile Element nothwendig gesetzt sind.

Der Redner wird daher

darin

seine Obliegenheit er­

kennen, seine individuelle Persönlichkeit als eine, aus aller fal­ schen Gebundenheit befreite zu solchem Ausdruck zu bringen,

128 daß ihm gleichzeitig auch jener repräsentative Charakter be­ wahrt bleibe.

Das, über die Wechselwirkung zwischen der Gemeinde und einzelnen Gliedern derselben Gesagte hat der gesunde liturgische

Bildungstrieb von je her bestätigt und eine Menge sogenannter Responsorien und Antiphonicen hervorgebracht, welche auch in

der evangelischen Kirche ihre belebende Kraft bewährt haben.

Leider hatte es die falsche Objektivität des römischen Cultus dahin gebracht, daß auch bei diesen Elementen, durch welche

die Wechselwirkung getragen werden sollte, die Gemeinde durch eine abermalige Vertretung, nämlich die des Chors, zur Passi­

vität verwiesen wurde. dies geändert.

In der evangelischen Kirche hat sich

Wir werden hierauf zurückkommen.

§. 25.

Die Kunst. Vergegenwärtigen

wir uns die Thätigkeit der Ge­

meinde in ihrer Totalität,

so führt uns dieselbe, wofern

sie, mit Ueberwindung eines blos chaotischen Zusammen­

wirkens, als

ein wohlgeordneter Bestandtheil des Cultus

sich darstellen soll,

auf das Bedürfniß der Kunst,

und

zwar zunächst der Poesie und der, mit ihr verschwisterten Hat aber einmal der Cultus mit der Kunst sein

Musik.

Bündniß

geschlossen,

so bieten sich

auch die plastischen

Künste alsbald zu seinem Dienste an, nicht blos, um ge­

weihte

Räume für den Cultus herzustellen,

sondern

sie

auch durch ihre, die religiöse Idee symbolisirenden Schöp­ fungen zu schmücken und zu verherrlichen. Die Kunst tritt im Cultus

auch

schon innerhalb seiner

subjektivsten Sphäre hervor; unsere Betrachtung hat ihr jedoch,

129 so lange sie auf diesem Gebiet die Grundelemente deS Cultus deshalb nicht begegnen können, weil die innere

durchmusterte,

Nothwendigkeit, Kunstmittcl in den Cultus hereinzuziehen, jetzt erst hervortritt.

Nächstdem aber kann in der Kunst auch darum

ei» subjcctives Gruiidclcmcnt des Cultus nicht erkannt werden, weil sic, wie das Fernere darthun soll, bei ihrem ersten Auf­

treten in diesem Gebiet nur eine eigenthümliche Form anderer Cultueclemente, nicht aber selbst ein solches im Unterschiede von

den übrigen sein will. Es ist gegen den Gebrauch der Kunst vielfach protcstirt worden,

wie denn die furchtbaren Bilderstrcitigkeiten

in der

Kirche des Orients wesentlich auf diesen Widerspruch zurückzu­

führen sind.

Auch die reformirtc Kirche, wo sie ihre Einrich­

tungen am Unabhängigsten

von anderweitigen Einflüssen aus­

gebildet hat, ist der Kunst ungünstig gewesen, und läßt erst in

neuerer Zeit allmählich von dieser Einseitigkeit ab.

woher

jener Widerspruch?

-- ist

von

Die Frage:

Interesse.

Jedenfalls

besorgte man, daß der dem Cultus jenseitige Zweck der olxodoftq

mit dem eigenthümlichen Charakter der Kunstdarstellung insofern unvereinbar sein werde, als diese einen, außer ihr liegenden Zweck ihrer Natur nach

kraft des, durch sic

der

gar nicht verfolgt,

sondern lediglich

gewirkten Kunstgenusses die Mittheilung

dargcstellten Innenwelt

beabsichtigt.

In dem

Gesagten

jedoch sind bereits Andeutungen darüber enthalten, wie diese

Besvrgniß zu lösen ist.

Eine Mittheilung nämlich beabsichtigt

auch die Kunstdarstcllung. Ließe sich diese nun in einem solchen

Charakter in den Cultus cinführcn, daß die daran Theilneh-

mcndcn den eigentlichen Genuß über dem Ernst und der Be­ deutung des Mitgctheilten vergäßen, so wäre hiermit auch eine solche Versöhnung

der Kunst

mit

dem jenseitigen Zweck des

Cultus gewonnen, daß jeder Grund zu der erwähnten Pro­

Wir behaupten

testation wegfiele. pro fr. Zbci'l.

I.

jedoch

nicht blos Dieses, 9

130 daß der Erbauung kein Abbruch durch die Kunst geschehe, son­ dern achten sie ihr sogar für sehr förderlich, und zwar deshalb, weil die Kunstdarstellung an sich eine tiefe Verwandtschaft mit

dem religiösen Leben hat. Wir verstehen unter Kunst eine, durch Idealität vermittelte äußere Darstellung innerer Anschauungen oder Zustände, welchen

so, zur Hinüberpflanzung jener Innenwelt in Andere, die be­ harrende Wirklichkeit eines ideellen Daseins verliehen werden

soll.

Die Idealität aber ist nichts Andres, alS die Negation

der unmittelbaren Gemüthserrcgungen, wie sie das tägliche

Leben veranlaßt, damit sie, von ihrer Leidentlichkeit, die immer eine Unfreiheit ist, befreit, eine vergeistigende Umwandlung er­ fahren und,

ihrer Einzelheit entrissen,

Gemüthsstimmung zusammenfließen, Leben der Phantasie entbunden wird.

zu einer

worin

das

allgemeinen

schöpferische

So lange der Dichter

z. B. selbst noch leidenschaftlich bewegt ist, findet er die klare Ruhe nicht, die er bedarf, um produktiv zu werden, und erst

in der Negation jener unmittelbaren Befangenheit in den Ein­ drücken dcS gewöhnlichen Daseins, tritt dasselbe ihm in jene objective Ferne, die der idealen Innenwelt Raum gewährt, sich

zu entfalten.

Betrachten wir nun das Leben der Frömmigkeit,

so kommt eS hierbei nicht sowohl auf stets sich wiederholende

Erregungen des Herzens an, als vielmehr darauf, daß die

Gemüthsrichtung auf Gott je länger je mehr zu einer behar­

renden Stimmung werde, in welcher eS dem Frommen natür­

lich wird, das ganze Leben, der thatkräftigsten PrariS unbescha­ det, in einem höheren Lichte zu sehen und ideell auszufassen.

Wenn die Verwandtschaft der Frömmigkeit mit der Kunst hier­

nach unzweifelhaft ist, so leuchtet auch ein, wie zunächst die Poesie und die mit ihr eng verbündete Musik dem Cultus ihre

Dienste anbieten mußten.

Es galt nicht, neue Elemente hervor-

»ubringen, sondern das Gebet und die Betrachtung in neuer

131 Form ausströmcn zu lassen und im b. Hymnus in ihrer inner­

sten Wahrheit zu verklären. Denn der Hymnus enthält wesent­

wogegen ein geistliches Lied

lich jene beiden Grnndelemente,

mit der Absicht zu belehren zur Lüge wird, wenn man zumal

erwägt, daß cs Gott vorgesungen werden soll. Aus dem Obigen crgicbt sich, daß übrigens die Kunst im

Cultus seinem durchgreifenden Zwecke der Erbauung sich überall unterzuordnen hat.

Sie darf also nie hier Etwas für sich sein

wollen, noch es auf selbständigen Kunstgenuß anlegen; sie darf die, ihr zu Gebote stehenden Mittel immer nur mit der Be­ scheidenheit brauchen,

die

sich der Grundabsicht des Ganzen

anbequcmt, und so hat sich denn auch in der evangelischen Kirche ein Stil gebildet, als dessen Charaktere Keuschheit und Würde zu erkennen sind.

Mit Recht schließen wir also Pro-

ductionen aus, in welchen die Kunst in reiner Selbständigkeit anftritt und

die Mannichfaltigkcit ihrer reichen Mittel, ohne

durch anderweitige Rücksichten gehemmt zu fein, für den Genuß anszulegen sucht.

§. 26. Rückblick. Unsere bisherige Betrachtung hat drei Hauptpartieen durchlaufen.

.Zuerst wurde der Cultus in seiner subjek­

tiven Nothwendigkeit begriffen, und es zeigte sich, wie

die Religion ihn wesentlich hervorbringe.

der

Zweck

desselben

knüpfte sich die

offenbar.

Frage nach

An

diese

Damit wurde

Untersuchung

den psychologisch-nothwen­

digen Cultusclcmcntcn, deren Entwicklung drittens auf die Gemeinschaft im Cultus hiuführtc. Drei leitende Grund­

sätze sind es, welche für die Einrichtung und Ausführung 9*

132 des Cultus aus den drei Hauptpartieen sich ergeben, nämlich: der sittlichen Zweckmäßigkeit, der psychologischen Wahrheit, der gemeinschaftlichen Thätigkeit. Waö den Grundsatz der sittlichen Zweckmäßigkeit betrifft,

so finden wir uns hierin in voller Uebereinstimmung mit der h. Schrift.

Der Apostel Paulus dringt darauf, daß in den

Versammlungen der Christen Alles, was nicht die olxodofitj befördert, beseitiget werde, und die, vom Herrn selbst geforderte Anbetung GotteS im Geist und in der Wahrheit hat gleichfalls jene

die dem,

sittliche Tendenz,

Lebens

dringenden

praktischen

auf Heiligung

Christcnthnm

deö

allein

ganzen

entspricht.

Hiermit ist alles theurgische Wesen im Cultus, dcSgl. jede Art

Und cS

von äußerlichem Wcrkdienste, als unchristlich gerichtet.

findet auch das, im vorigen §. über die Kunst Gesagte durch

diesen Grundsatz seine Bestätigung. Jedes Element deö Cultus

muß zunächst nach seiner Erbaulichkeit gcwürdigct und, wenn

ihm diese abgeht, ausgeschlossen werden. Der Grundsatz der

Anwendung in

psychologischen Wahrheit findet seine

doppelten Beziehung,

einer

sowohl

nämlich

rücksichtlich der Elemente des Cultus, sofern sie für sich be­

trachtet werden, alS

auch in Ansehung ihrer Verknüpfung zu

einem organischen Ganzen.

Was den ersten Punkt betrifft, so

enthält unsere Regel die Forderung, daß sämmtliche Cultus­ elemente nicht bloS objectiv

gemeinsamen religiösen

an

sich ein treuer Ausdruck deö

Bewußtseins seien,

sondern

daß

auch subjectioe Wahrheit für die Theilnehmenden haben.

sie Wir

verwerfen daher mit Recht alle unverständliche Symbolik; wir verwerfen den Gebrauch einer, der Gemeinde fremden Sprache;

wir

fordern dagegen

durchgehende

Verständlichkeit

und

eine

klare Durchsichtigkeit aller Cultuöformen für ihre Theilnehmcr.

133 Mit diesem zweiten Grundsätze kommt auch die Relativität deS Gegensatzes zwischen dem Festen und Beweglichen im Cultus

zur richtigen Würdigung. Alles, was nicht mehr Ausdruck deS

gemeinsamen religiösen Bewußtseins sein kann, waS sich selbst

überlebt hat und dem Geschmack der Gegenwart fremd gewor­

den ist, hat keine psychologische Wahrheit mehr und muß daher entfernt werden.

Man denke an viele alte geistliche Lieder mit

ihren, den heutigen Geschmack beleidigenden Bildern und man­ chen

Ausdrücken,

die

unsern

verfeinerten Ohren nicht mehr

zusagcn. Nücksichtlich der Composition der Cultuselemente erfordert

die psychologische Wahrheit einen naturgemäßen Fortschritt und

ist daher jener Willkür und Planlosigkeit entgegengesetzt, welche zuweilen i» einer Ucbcrladung hervortritt, die keinen leitenden Grundgedanken durchblickcn läßt.

Einfachheit und Durchsichtig­

keit sind auch in dieser Beziehung wesentliche Erfordernisse; der

innere Fortschritt dcö Cultus darf seinen Theilnchmern keine Gewalt anthun; er muß ihnen vertraut und lieb werden, wie

cs geschieht, wenn sie ihr religiöses Bedürfniß darin befriedigt finden.

Rach

dem

der gemeinschaftlichen

dritten Grundsatz

Thätigkeit ist es für fehlerhaft zu erkennen, wenn die Gesammt­

heit der Gemeinde,

der ausschließlichen

Thätigkeit Einzelner

gegenüber sich rein passiv verhält; vielmehr ist allseitiges Zu­

sammenwirken

unerläßlich.

Aber

auch

jene Einzelnen

selbst

finden in der ausgestellten Regel eine Norm für ihr hervortreten-

deS Handeln, welches auch so noch den Charakter der Gemein­

schaftlichkeit an sich tragen

soll.

Wiewohl daher der Einzelne

über die Gesammtheit hcrvorragt, darf er sich doch selbst nie

vereinzeln,

Wesens

der

noch sich in irgend einer Form deS selbstsüchtigen

Gemeinde

entgegensetzen

wollen.

Als LiturguS

wird er darauf bedacht sein, nicht einem todten Mechanismus

134 zu verfallen, oder in geistlose- opus operaIum zu gerathen.

Als Prediger wird er der Gefahr ausweichen, mit Selbstgefälligkeit seine eigene Person zwischen die Zuhörer und Daö,

was ihre Andacht erwecken soll, in die Mitte zu schieben. Denn in beiden Fällen würde daö Handeln der Einzelnen kein innerlich gemeinschaftliches mehr sein, noch auch würde

ein lebendiges Zusammengehen der Gemeinde mit ihnen Statt

finden können.

135

3 iv eiter

T l) e i 1.

Der uin.

§. 27. Uebergang. Der erste Theil hat zu der Einsicht geführt, dasi der

Cultus immer nur auf dem Boden einer hestimmten posi­

tiven Religion wirklich ivird,

und, ohne uns hierbei auf

heidnische Naturrcligioncn cinzulasscn,

haben wir sofort

innerhalb der Sphäre der Offenbarung unsern Stand­ punkt genommen.

Nun ist aber klar, daß Alles, was

als Offenbarung sich zu erkennen giebt, nothwendig einen

innern Zusammenhang und, Offenbarungen

uns begegnet,

stellen

kraft ivelchcr

der

muß,

Grundlage

gelangt.

sofern eine

überall

eine Mehrheit von Stufenfolge das Spätere

dar­ auf

des Früheren zu geschichtlichem Dasein

Wenn hiernach schon a priori die Vermuthung

entsteht, daß auch der christliche Cultus in seiner objcetiven

Bestimmtheit nur als auf dem alttestamcntlichcn Cultus basircnd zu begreifen sein werde, und hinwiederum auch

dieser in ein noch tieferes Alterthum zurückwcist: so stellt

sich der Wissenschaft die Aufgabe, bis zu den Anfängen

136 geoffenbarter Religion überhaupt hinaufzusteigen und zu­ nächst deren Entstehung uns zum Bewußtsein zu bringen. Denn über daS Wie? dieser Entstehung

haben

unsere

noch kein Ergebniß geliefert;

bisherigen Untersuchungen

wir müssen aber voraussetzen,

daß hierbei formell nur

dieselben Momente in Betracht kommen, welche die Ent­ stehung der positiven Religion überhaupt bedingen.

Die

angedeutete Frage drängt sich jetzt um so mehr als die nächste auf, je sicherer wir erwarten dürfen, durch ihre Beantwortung die leitenden Gesichtspunkte zu finden, die

wir bei der nachfolgenden rcligionsgeschichtlichcn Entwick­ lung im Auge zu behalten haben.

§. 28.

Die Art der Entstehung des Cultus in der po­ sitiven Religion. Die positive Religion der Offenbarung gründet sich nothwendig auf geschichtliche Thatsachen, welche, mit der Grundidee der bestimmten Religion erfüllt, durch ein ein­

zelnes Individuum das in ihnen enthaltene Princip in die fromme Gemeinschaft sich ergießen lassen.

Ein sol­

ches Individuum verwirklicht in sich die Idee eines Religionsstifterö; der Act aber, durch welchen das betreffende

Princip zum ersten Durchbruch in die Gemeinschaft ge­ langt, bildet die Eröffnung des, der betreffenden Reli­

gion zugehörigen Cultus und ist als solche den histori­

schen Grundthatsachen, in welchen diese bestimmte Religion entspringt, mit bcizuzählen.

137 Sofern das religiöse Leben sich auf ganz subjektive Erleb­

nisse beschränkt, die aus der Sphäre der verborgenen Inner­ lichkeit nicht heraustreten, gelangt es auch zu keiner geschicht­ lichen Bedeutung.

Eine positive Gottesoffenbarung kann daher

innerhalb der Grenzen blos subjektiver Religiosität nicht stehen

bleiben, sondern muß, um objectiv zu werden, in äußerlich er­

kennbaren Thatsachen sich darstellen. Jede positive Religion hat daher nothwendig bestimmte geschichtliche Anfänge, so daß, wenn z. B. der Christus unsrer Evangelien lediglich eine mythische Person wäre, cs widersinnig erscheinen würde, das Christen­

thum in seiner lebendigen Wirklichkeit auf ihn zurückzuführen, während der Ursprung desselben vielmehr bei Denjenigen ge­

sucht werden müßte, welchen cd zuerst gelungen, der, im My­ thus von Christo symbolisirten Idee zum Siege in der Gemeinde zu verhelfen; denn nur dieser Sieg, in erkennbaren Thatsachen

hcrvortrctend, würde die Anfänge unserer Religion enthalten.

Mit diesem ersten Momente der Entstehung einer Religion verbindet sich nothwendig ein zweites Moment, welches schon

durch die, dem ersten eigenthümliche Objektivität gefordert wird; denn

dieser Letzteren

ungeachtet

bleibt doch

die Religiosität

Sache eines subjektiven Erlebens, und es wird daher zu den Anfängen einer positiven Religion nothwendig auch ein Act

erfordert, durch welchen daS Lebensprincip derselben aus der

Objektivität, womit eS jene historischen Grundthatsachen erfüllt,

in

die Subjektivität

der

Gemeinschaft

frommen

überfließt.

Ohne Daö wäre z. B. die, in Christo objectiv vollbrachte Er­

lösung nie zu ihrer subjektiven Bethätigung in der Gemeinde als Reich Gotteö gelangt. Ein drittes

Moment reiht sich

unmittelbar den

beiden

ersten an, sofern eS einer Bermittlung zwischen der Objektivi­ tät und Subjektivität

bedarf, die nur in einem bestimmten

Menschen - Jndividuo gegeben

sein

kaan.

Einerseits nämlich

138 müssen die Grundthatsachen solche fein, welche unmittelbar in das menschliche Dasein ein greifen, widrigenfalls

sie ja keine

religiöse Beziehung dazu haben würden; sie müssen sich also

alS menschliche Erlebnisse darstellen.

Andrerseits erscheint eS

nothwendig, daß der Eintritt des religiösen Princips in die fromme Gemeinschaft in einem bestimmten Punkte seinen An­

fang nehme, und von hier aus die weitere Berbreitung dessel­ ben sich vermittle.

Beide Beziehungen vereinigen sich im leben­

digen Mittelpunkte einer menschlichen Persönlichkeit, in deren Leben die fraglichen Thatsachen als Grundinhalt,

sowie alS

Zweck ihres Daseins auftreten und alS Erlebnisse sich darstellen, auf die ihr ganzer Entwicklungsgang sich bezieht.

Sofern aber

dieselben mit dem Princip der neuen Religion so erfüllt sind, daß

sie

deren Idee

zur vollendeten

Manifestation

bringen,

trägt dasselbe Individuum jcneS Princip auch in seiner ganzen Energie in sich, um eS fortan für die Gemeinde zu vermitteln.

DaS ist der Begriff deS Religions-Stifters oder -Vermittlers, und es muß dem Gesagten zufolge jede positive Religion, auch die der Offenbarung nicht ausgenommen, in einem solchen ihren

Ursprung haben. Es ist nun klar, daß der Uebergang dcö Princips in die

Gemeinschaft jenen Grundthatsachen mit beizuzählen ist, die sich uns an eine bestimmte Persönlichkeit geknüpft haben, und da wir jene Ausgießung dcö Princips im Sinne einer Eröffnung

deS betreffenden Cultus auffassen dürfen, so sehen wir diesen

in der That bis in die grundthatsächlichen Anfänge der be­ stimmten Religion selbst hinabreichen

und müssen seine Ent­

stehung den geschichtlichen Begebenheiten zurechnen, welche der

Religion, auf die er sich bezieht, das Leben gegeben haben. Hiermit bestätiget sich aber auch Das, was bei der encyklopä­ dischen Uebersicht der praktisch-theologischen Disciplinen bemerkt

worden, daß nämlich die religiöse Gemeinde sich erst in ihrem

139 Cultus

verwirklicht.

So war cö

der Tag

der

Pfingsten,

an welchem daö christliche Lebenöprincip, der Geist Christi, in

die Gemeinde, die eben hiermit erst wurde, sich ergoß, und des­ halb erkennen wir in jenem Pfingsten zugleich den Stiftungö-

tag der christlichen Kirche und erblicken dabei in jener Ver­ sammlung eines Volks von allerlei Zungen die typischen An­

fänge eines Cultus, in welchem alle Geschlechter der Erde sich verbinden, und alle Sprachen, nach der babylonischen Verwir­

rung derselben, zur Verherrlichung Gottcö und Christi wieder zusammenklingen sollen. — Ans dem Gesagten folgt aber auch,

daß der Cultuö, wie in seinem Anfänge, also auch im Fort­ gänge, mit demselben religiösen Princip, dessen Uebergang in die Gemeinschaft

er ursprünglich

vermittelte, erfüllt

muß, wofern er nicht zur erstorbenen Form

bleiben

herabsinkcn soll.

Denken wir unS eine, zu ihrem Cultus versammelte christliche

Gemeinde ohne den Geist Christi, in welchem sie erst eine solche

wird, so ist nur noch der äußerliche Schein der lebendigen Ge­

meinschaft vorhanden; aber daS wahre Leben ist entflohen und hat blos eine Leiche zurückgclasscn, die man höchstens schmücken, deren inneren Zerfall man aber dadurch nicht aufhalten kann.

ES ist endlich klar, daß, wenn die Entstehung deö Cultus biö in die Anfänge der betreffenden Religion selbst zurückreicht,

auch ihr geschichtlicher Ursprung sich in ihm unmittelbar wird abspiegeln müssen, und wir hiernach mit Recht erklären dürfen,

daß jeder wahre Cultuö auch schon daö Gesetz seiner h. Feste

und Zeiten immanent in sich trägt.

Denn er kann keinen an­

dern Inhalt haben alö die, die Grnndbegebenhcitcn erfüllende Idee; in diesen folglich sind seine Feste ihm bereits vorgezeich­ net, welche, weil sie auf Thatsachen zurückgehc», die ihre erfüll­

ten Zeiten haben, auch eine h. Chronologie schon in sich tragen.

Wenn wir nun die Culte der OffcnbarungSrcligionen ver­ folgen wollen, so liegen in dem Gesagten die Fingerzeige vor,

140 die uns leiten müssen.

ES wird unsre Aufgabe sein, in dre

lebendigen Anfänge der betreffenden Religionen selbst zurückzu­ gehen und zu sehen, wie die entsprechenden Culte, sowohl ihrem

Grundinhalte, als ihren h. Zeiten nach,

bestimmt worden sind.

Bevor wir

werde schließlich bemerkt,

daß

jedoch

durch jene Anfänge dies unternehmen,

allgemeinen

ungeachtet unsers

Begriffs des Religionsstifters, in specie dieser sich sehr ver­

schieden zu dem geschichtlichen Ursprünge der, durch ihn ver­ mittelten

Religion verhalten kann.

Ueberall zwar vereiniget

sich darin ein göttliches Thun mit einem menschlichen; aber die

Art dieser Vereinigung läßt mehrere Fälle zu.

Die göttliche

Thätigkeit kann in dem Grade prävaliren, daß die menschliche dadurch absorbirt und der Vermittler nur zu einem leidentlichen Werkzeuge herabgesetzt wird, wodurch er jedoch als erstes, mit

dem religiösen

Princip

erfülltes

Individuum

nicht aufhört,

Mittler zu fein, da erst von ihm auö daü Princip in die Ge­

meinschaft hinüberströmt. —

ES können aber auch göttliches

und menschliches Thun gesondert auö einander treten. In die­

sem Falle handelt der Religionsstifter zwar im höheren Auf­ trage als ein

Knecht GotteS;

aber doch

ist eö seine eigene

freie Thätigkeit, womit er dem Herrn gegenüber steht, und eS

muß dann auch das göttliche Thun, sofern cS sich manifcstiren

soll, als Theophanie für sich hervortreten. — Endlich können Göttliches und Menschliches dergestalt

in

einander aufgehen,

daß die Gottesthat ganz auch freie Menschenthat, und wieder­ um diese auch GottcSthat ist. — Es ist leicht zu sehen, wie diese drei Fälle den Entwicklungsgang der göttlichen Offenba­

rungen bezeichnen — Adam, MoscS, Christus.

141

§. 29. Rückgang zum Anfänge. Indem wir dem Anfang geoffenbarter Religion über­ haupt nachforschen, zeigt sich alsbald, daß das Christen­

thum sich auf das, ihm vorangehende Judcnthum bezicht.

Aber auch Dieses stellt

nur

ein zwischencingckommcnes

Gesetz in sich dar und weist auf die viel frühere Ver­

heißung zurück, die cS in sich aufnahm.

Verfolgen wir

Diese, so reicht sie aufwärts bis zu dem Protcvangelium in den Anfängen unsers Geschlechts. Aber auch hier läßt cs uns nicht stehen bleiben; denn der Sündenfall selbst, welcher jene erste Tröstung veranlaßt, setzt ein Ursprüng­

liches voraus, dessen Wiederherstellung im Wege positiver

GotteSoffenbarung

davon Zeugniß giebt,

daß der noch

unverlornc Anfang selbst auch ein, auf Offenbarung be­ ruhendes Verhältniß des Menschen zu Gott gewesen sei.

Die Anfänge

der Offenbarung

reichen mithin

bis zur

Schöpfung hinauf.

In der Schöpfung selbst ist auch die erste ReligionSstiftung enthalten, und eS ist daher die Religion eine ebenso ur­

sprüngliche Mitgift GotteS an die Menschen, wie es die Sprache

ist.

Diese SchöpfungSreligion

ist

als

eine reine, positive

Naturreligion, und der ihr entsprechende Cultus als ein Natur­ cultus aufznfassen.

In der Reihe der Nachkommen Seth'S, in

welchen der lichte Faden dcS Reiches GotteS auf Erden sich fortsetzt, klingen die Töne der Ueberlieferung jener ursprüng­

lichen Religion fort, und die Wiederherstellung nach dem Sün­

denfall rubt auf dem Grunde derselben, wahrend sic in den

142 heidnischen Naturreligionen mehr oder weniger in ihr Zerrbild verkehrt ist. Nunmehr liegt unö ob, den Grundinhalt derselben

uns zu vergegenwärtigen.

§. 30.

Inhalt der Schöpfungsreligion und ihr Cultus. Die Schöpfungswoche trägt alle Momente in sich, welche zur Stiftung einer geoffenbarten Religion gehören.

Sie selbst ist daher sowohl der Inhalt der Religion des Anfangs, als auch der Entstehnngsgrund ihres Cultus,

mit dessen Eröffnung sie beschließt. Zum Ursprünge einer positiven Religion gehören, wie wir

gesehen haben, zuerst objective Thatsachen.

in den sechs Tagewerken GottcS,

Wir finden fie hier

welche, als Offenbarungen

seiner Allmacht, Weisheit und Güte, eine Stufenfolge in sich

darstcllcn, bis sie in der Menschenbildnng, als ihrer herrlichen Spitze, sich vollenden.

Indem

der Mensch,

die

Krone

der

Schöpfung, in seiner gottebenbildlichen Art aus der Hand des Schöpfers hcrvorgcht, tritt er ganz unmittelbar als

die sich

selbst wissende Natur und hiermit zugleich, weil für Gott («g aviov) geschaffen, als Priester derselben auf, dazu bestimmt, der in ihrem Abziclcn

auf Gott gut geschaffenen Natur die

Entwickelung zu ihrem Endzweck durch sich selbst zu vermitteln, d. h. die ganze sichtbare Natur mit sich in Gott einznführcn.

Die vorhergehenden Tagewerke Gottes schließen sich daher in der Menscheiibildung alle

in Eins zusammen

und treten als

religionsstifteude Thatsachen in Adam zugleich aus der Objek­

tivität in die Subjektivität hinüber, da nach dem Gesagten das Grundprincip der Religion des Anfangs: die Schöpfung ein lebendiger Rcfler Gottes: dem Stammvater unsers Ge-

143 schlecht» in seiner höchsten Energie einwohnt, nm von ihm auS in die nachfolgende Gattung überzngehen.

Indem Adam kraft

seiner gottcbcnbildlichen Natur dieser, in ihm conccntrirtc Re­

ster selbst ist, erfüllt sich ihm seine Bestimmung in einer dop­ pelten Beziehung.

Einerseits soll er, den lebendigen Gott in

sich selbst reflectircnd, eine Wohnstcttc sein, darinnen der Herr seine Ruhe habe und, obwohl unendlich erhaben über die Welt,

doch auch, als der ihr immanente Gott, hier zu sich selbst

komme und in seinem Bilde sich wicderfinde.

Andrerseits ist

der Mensch zum Herrn über die ganze Erde gesetzt und hat

die Aufgabe, cS geltend zu machen, daß Alles unter seine Fuße gethan

worden.

Fassen wir demzufolge die Grundidee

der

ersten Religion in einen prägnanten Ausdruck zusammen, so ist cS Dieser: die Schöpfung ein lebendiger Reflex Got­

tes vollendet als

nach

solcher ihre Stnfenrcihe in dem,

der imago dei geschaffenen Menschen als der

sich selbst wissenden Natur und bedingt hiernach des­ sen doppelte Bestimmung: Wohnhaus

innerlich ein lebendiges

äußerlich

GotteS,

ein Herr

aber

der

ganzen Erde zu sein, um Gottes willen.

Es liegt endlich auch die Eröffnung des, dieser Religion «»gehörenden Cultus noch mit innerhalb dcö Kreises der Grund­ thatsachen und

Beschluß.

macht

im

CpklnS der Schöpfungöwochc den

Gott ruhcte am siebenten Tage von allen Werken,

die er gemacht hatte.

Diese Ruhe Gottes kann nur in Bezie­

hung ans den Menschen richtig verstanden werden.

stimmung dieses

Letzteren

ihre erste Erfüllung.

zum gottinnigcn

Leben

Die Be­

fand hier

Indem so aber der Zweck der Schöp­

fung, den Werkmeister reflectircnd zu verherrlichen, zur vollen Verwirklichung gelangte,

erreichten

die Tagewerke Gottes in

dieser ersten Bethätigung des inhaltreichen Princips der Reli­ gion des Anfangs erst ihre wahre Endschaft.

Daher knüpft

144 sich unmittelbar an die Ruhe Gotteö die Segnung des siebenten Tages und in derselben die Feststellung eines, daö religiöse

Princip in die werdende Gemeinschaft verpflanzenden Cultus,

in welchem, als dem immer wiederkehrcnden Beschlusse

des

Wochencyklus, die erste Schöpfungswoche sich fortan rcflectiren

sollte.

Das Sabbatöiiistitut gehört

wesentlich

diesem

ersten

Cultus an, und wir waren genöthigt, soweit znrückzugehen, weil sonst der christliche Sonntag gar nicht verstanden werden

kann.

Schließlich die Bemerkung, daß die Heiligung deö sie­

benten Tages auch darin die innerste Wahrheit der ersten Na­

turreligion an sich auödrückt, daß sie dem Bedürfniß der mensch­ lichen Natur, sa man dürfte sagen, selbst der Thiere, die an der Arbeit des Menschen Theil nehmen, wundcrbarlich entspricht.

Das Hauptergebniß dieses §. fassen wir in der Erklärung zu­ sammen: der WochcncykluS ist als das Urinstitut des frühesten

Cultus geoffenbarter Religion anzuschcn, und cs ist klar, daß keine spätere Offenbarung ihn aufhcbcn kann, da sie hierdurch

mit der früheren in unauflöslichen Widerspruch treten würde. Wir haben vielmehr von den folgenden Entwickelungen nur die

Affirmation desselben zu erwarten. §. 31.

Fall und Voranstalten zur Wiederherstellung. Sobald der Mensch in die Sünde gcrieth, er sich selbst

versetzte

in den unauflöslichen Widerspruch des in­

wendigen und auswendigen Menschen,

das Bedürfniß,

womit gleichzeitig

Gott zu versöhnen, hervortrat.

Daher

kommen zu dem ersten Cultus, welcher der anfänglichen, reinen Gotteserkenntniß entsprach,

sogleich die Opfer als

ein neues Element hinzu, von dem der Mensch in seiner Integrität Nicht- gewußt hatte.

Hiernrit wird cs aber

145

auch offenbar, daß das Princip der ursprünglichen Reli­ gion, wenn gleich es als h. Reminiscenz fortwirkte, doch

nicht mehr ausreichte, einen wahren Gottesdienst auf Er­ Menschen Opfer (vergl.

Denn der

den zu erhalten.

§.17 u. 18.) würden sofort zur Lüge geworden sein, wenn Gott nicht alsbald dem Gefallenen einen neuen Weg des Heils geöffnet und damit dem Verderben ge­

wehrt hätte, bis

wuchern. herstellung

zum

völligen geistigen Tode

fortzu­

Daher knüpfen die Boranstalten der Wieder­ im

Protevangelio

Verlust und begründen

in

stch

Kraft

unmittelbar an den

der

Verheißung des

Weibcssamens, welcher der Schlange den Kopf zertreten

soll, einen neuen Cultus, der

stch als typischer Opfer­

dienst darstellt, und worin ein LcbenSfadcn des Reiches

Gottes auf Erden sich fortspinnt.

Da

jene

göttlichen

Voranstaltcn ihrer Natur nach etwas Partielles an stch

haben, so wird es erklärlich, daß sic in der Gestalt von Familientraditionen sich vererben, und die Gemeinde der

Gläubigen zu jener Zeit im patriarchalischen Charakter auftritt, bis mit Abraham jene Anstalten in eine neue

EntwicklungSphasc übergehen, um sich als religiös-poli­

tische Institution eines Volks zu consolidircn. ES ist auffallend, daß, während die göttliche Gnadcnwahl

durchaus unabhängig von der Geburt nach dem Fleisch, überall nur Individuen auü der Masse

der Menschen auöliest, um sie

als lebendige Steine zum neuen Tempelbau zusammenzufügen, in den Anfängen unsers Geschlechts

dagegen

die Kinder des

Reichs von den Kindern dieser Welt sich nach dem Geblüt zu

sondern scheinen.

In den Sethiten erblicken wir die Herrschaft

des Lichts so mächtig, daß in Kraft des ursprünglichen Prin­ cips, sowie der hinznkommcndcn neuen Verheißung des Wiedersl ii V p prakt. IbrcL I.

!0

146 Herstellers ein Henvch durch sein göttliches Leben davon entbun­

den werden kann, den Tod schmecken zu müssen, während da­ gegen in den Kainiten eine Energie des Verderbens sich zu er­ kennen giebt, welche die Fortwucherung des Bösen soweit treibt, daß am Ende auch das entgegengesetzte Licht verlischt, bis es,

nur noch in einer einzigen Familie erhalten, das ganze übrige

Geschlecht der Finsterniß überlassen hat.

begegnet uns jene

Nach der Sündfluth

ausfallende Erscheinung

der Urwelt aufs

Neue, nur daß in den Kindern Japhet'S ein Mittelglied auf­ tritt 'zwischen den

gesegneten Nachkommen Scm's und denen

des verfluchten Cham.

Es ist jedoch darin eine tiefe Weisheit

Gottes zu erkennen, daß zur Zeit der ersten Voranstalten der Erlösung die Wahl der Gnaden mit der leiblichen Abstammung

näher im Bunde ist, als in den Zeiten des entwickelteren Rei­

ches GotteS auf Erden, wie sie

denn unter der universellen

Religion des Evangeliums ihren individualisircnden Charakter

rein hervortreten läßt.

Das Partielle, womit jene Anstalten

nothwendig behaftet waren, machte ihre Sicherung durch Bande

der Stammverwandtschaft erforderlich und bedingt das patriar­

chalische Wesen der Vorwelt,

worin der Cultus der wahren

Gotteserkenntniß als h. Familientradition

fortgepflanzt wird,

bis es sogar unter Sem's Nachkommen nöthig wird, daß Gott den Abraham, das Gegenstück zu Noa,

seinem Lande und von seiner Freundschaft.

ausgehen heiße aus Hiermit tritt aber

auch das Reich Gottes in eine neue Evolution, kraft welcher

die göttlichen Anstalten sich zur theokratischen Volksorganisation constituiren.

Schließlich die Bemerkung, daß die Religion der

Patriarchen aus zwei Hauptmomenten besteht.

h. Reminiscenz der Religion des Anfangs;

Theils ist sie

theils erscheint sie

alS eine, im Fortgänge der Zeit durch prophetische Aussichten auf den Wiederhersteller sich immer mehr bereichernde Vorah­

nung der Zukunft, wie denn schon in Abraham die Verheißung

147 eine

concretere Gestelt

annimmt, um in den nachfolgenden

Propheten immer deutlicher und bestimmter sich zu entfalten.

Man könnte schlechtneg die Religion der Patriarchen als die der Verheißung bezeichnen; und wenn wir bedenken, daß der

Entwicklungöfadcn

des Reiches Gottcö auf Erden in ihr sich

fortsetzt, so wird uns das ungemeine Gewicht begreiflich, welches

Paulus auf sie legt, wenn

er daS Evangelium unmittelbar

daran anknüpft und das Gesetz nur als ein Zwischeneingekom-

mcneö behandelt.

32. Das Judenthum. Wenn die Religion der Patriarchen sich bestimmt als

ein lebendiges Ineinander der, in der gottebenbildlichen

Natur des Menschen

sich

erweisenden Offenbarung der

Heiligkeit Gottes und andrerseits seiner Gnade in der Verheißung des Wiederherstellcrs:

so setzt, ein inneres

Leben aus Gott bedingend, dasselbe religiöse Princip auch weiterhin und

in

immer concreterer Vorbildlichkeit auf

Christum auftretcnd, in einer langen Reihe von Frommen

sich fort, welche den eigentlichen geistlichen Israel inner­ halb eines

Volks darstcllcn,

das der

Theokratie nur

äußerlich angehört und durch sie gebändigt wird.

Wäh­

rend so die Gemeinde der Gläubigen schon unter dem

alten Bunde mit einem gesetzlichen Organismus sich über­

kleidet, welcher außer ihr noch viele Andre in sich be­

schließt, und das Reich Gottes auf Erden hiernach im

bestimmteren Gegensatz einer sichtbaren und unsichtbaren Kirche zu entwickeln anfängt, verknüpft zwar auch jenes organische Gesetz in sich noch die Offenbarung der Heilig-

10*

148 keit und die der Gnade Gottes; aber Beide gehen hier nicht in einander auf, sondern fallen als äußerer Buch­ stabe aus einander, die Eine als Zeugniß der ursprüng­

lichen

gottebenbildlichen Natur des Menschen,

dem der

Wille Gottes in's Herz geschrieben war, im Sittengesetz;

die Andre als Schatten der zukünftigen Güter im Ceremonialgesetz, wobei höchst bedeutsam der Sabbat selbst in

den,

äußerlich verbindenden Buchstaben der zehn Gebote

mit ausgenommen ist. Allerdings war die, in der Verheißung des Wicderherstel-

lers dem gefallenen Geschlecht sich znwendende Gnade noch nicht

die Wiederherstellung selbst, sondern deutete nur darauf hin; gleichwohl aber reichte sie noch aus, ein göttliches Leben in der Menschheit zu erhalten.

Denn wenn auch mit der Sünde der

Tod in die Welt gekommen war, und es in ihrer Natur lag,

unaufhaltsam, dem korrosiven Gifte gleich, weiter zu fressen, — so hatte sie doch nicht alsbald diesen Zerstörungsproccß voll­ bracht, so daß die ursprüngliche Naturherrlichkeit des Menschen auch nach dem Falle noch in viel höherem Grade sichtbar blei­ ben konnte, als nachdem der schwarze Brand des sittlichen Todes

schon lange um sich gegriffen hatte.

Fehlte es doch selbst unter

den alten heidnischen Völkern, namentlich im classischen Alter­

thum, nicht an jenen Spuren eines höheren Lichts, welches,

wenn gleich nie über den Horizont einer heidnischen Befangen­ heit hinaus, dennoch Viele erleuchten und die Keime eines gött­ lichen Lebens in ihnen bewahren und pflegen konnte.

Wir be­

haupten nicht, daß nicht der ganze Mensch von der Sünde

ergriffen worden sei, wohl aber, daß sie ihn nie totalitcr ver­ derbt habe, und daß in den Anfängen dies noch weniger der

Fall gewesen sei, als später.

Wenn nun alsbald die helfende

Gnade in der Verheißung dem Gefallenen

die Hand reichte,

149 so genügte dies »och dazu, daß Licht und Finsterniß sich schie­

den, damit Jcneö, als ein Leben deS inwendigen Menschen im Gegensatz gegen daö der Sünde fortdauernd, in dieser Sonde­

rung zugleich eine Sicherung sande.

uns

also

in

Die Verheißung begegnet

der Patriarchenwclt in der That als lebendig­

machende Gnade,

deren

göttliche Wirkung in Dem aufgeht,

wozu der Mensch nach seiner gottcbcnbildlichen Natur von An­ fang bestimmt war, nämlich ein Rester der Heiligkeit Gottes zu

sein, in welchem Sinne auch der §. die Religion der Patriar­ chen als ein lebendiges Ineinander der Offenbarung der Heilig­

keit in der Schöpfung und der Gnade in der Verheißung be­ zeichnet hat.

Wie beide Offenbarungsweisen sich wicderfindcn, ist bereits angcdcutct.

im mosaischen Gesetz

Wenn jedoch das Gesetz

nur zwischcncin kam um der Sünde willen, die dadurch erkannt,

aber auch

mächtiger werden sollte, um zuletzt von der noch

mächtigeren Gnade der Versöhnung überwunden zu

werden;

wenn eö also, die Sünde überall voraussetzend, nicht alö ein Gesetz des Geistes, der da lebendig macht, sondern als das, in die Steine gebildete, äußere Gesetz deS tödtcnden Buchstabens

auftrat: so konnte hier natürlich von jenem ursprünglichen In­

einander der Heiligkeit und Gnade nicht mehr die Rede sein.

Den» der sündige Mensch offenbarte die göttliche Heiligkeit hin­

fort nicht durch sich selbst.

Mithin mußte sie als Negation

seines sündigen Wesens äußerlich sich ihm gegenüberstellen alö Sittcngesetz, welches die Verdammniß predigt.

So weist dieses

auf deS Menschen gottebenbildliche Natur und hiermit auf die Religion des Anfanges zwar zurück;

aber sie tritt darin als

eine negirte aus, und selbst der ursprüngliche Sabbatscultus ist bis zu einer Reminiscenz herabgesunken und muß, weil ihm sein

heimathlicher Boden im lebendigen Dasein der ersten Naturrcligion gebricht, selbst starres Gesetz werden, um sich zu crhal-

150 ten. Wie dieser Theil der mosaischen Gesetzgebung der herrli­ chen Vergangenheit deS Geschlechts und seiner Schöpfungsreligion alS einer negirten zugewendct ist, so blickt der andere Theil hin­ aus in die Zukunft der Wiederherstellung. Doch auch die hier­ in liegende Offenbarung der Gnade erscheint nicht als belebende Verheißung, sondern drückt, mit derselben Negativität behaftet, überall zugleich DieS an sich aus, daß das Wesen der himm­ lischen Güter so lange nicht erscheinen könne, als daö gegen­ wärtige Schattenwerk fortdaure. Gleichwohl hat der ganze OpfercultuS der alten Oekonomie eine typische Bedeutung auf Christum und die, sich in ihm vollendende Offenbarung deS Heils. Nach dem Gesagten laufen Beide, die Manifestation der göttlichen Heiligkeit im Sittengesetz und die in den Vor­ bildern enthaltene Verheißung der Gnade, neben und außer einander her, so daß die mosaische Religion hierdurch sich als ein Zwischenglied ankündigt, welches noch keine, in den reinen Anfang zurückgehende Wiederherstellung des gefallenen Geschlechts ist, wie denn ebendeshalb Paulus im Br. a. d. Galater so entschieden dagegen polemisirt, daß dem Gesetz die Absicht unter­ gelegt werde, zu gewähren, was die Verheißung zugcsagt hatte. — Jenes Außereinander der Heiligkeit und Gnade in der alttestamentlichen Oekonomie, kraft dessen Jene, in den Geboten der Sittlichkeit manifest, nicht gnädig ist — denn das Gesetz richtet nur Zorn an —, und wiederum Diese, durch die Opfer sich ver­ mittelnd, nicht heiliget — denn es ist unmöglich, durch der Böcke und Kälber Blut Sünde wegnehmen —, prägt auf eine über­ raschende Weise im entsprechenden Cultus sich aus, zum Zeichen, daß die Gnade hier, wie oben angedeutet, noch nicht die in den Anfang zurückkehrende Wiederherstellung selbst ist.

151

8- 33.

Der Cultus der mosaischen Religion. 3'vei Grundrichtungen laufen im jüdischen Cultus ein­ ander parallel.

Die Sabbatsfcier, an welche im Laufe der

ferneren Entwickelung des Volkslebens die gottesdienstlichen Versammlungen der Synagoge, unabhängig vom Tempel­

dienste, sich anknüpfen, und in welcher zunächst bei den from­ men Israeliten der alte patriarchalische Geist fortlebt, — geht auf den ursprünglichen Naturcultus zurück und ist als die, sich

stetig

vererbende Ueberlieferung

des

Urcyklus

der

Schöpfungswochc, in welcher sie wurzelt, anzusehcn. — Neben diesem Wochcncyklus läuft ein, in ihm nicht aus­

gehender Festcyklus des Jahres,

streng an

den Tempel

gebunden und mit seinem typischen Opfer- und Ccremonicndicnst auf die Zukunft des Menschcnsohnes hinaus­ deutend.

Die Vergangenheit des Geschlechts

und seine

Zukunft liegen außer einander; die Cyklen der Woche und des Jahres streben sich zu ergreifen;

aber sie durchdrin­

gen sich nicht.

Die hervorragenden Momente des Jahrescyklus sind daS Pass«, daS Fest der Wochen und das Laubhüttenfest.

Daß diese

im WochencykluS nicht aufgehen, ist daraus zu sehen, daß z. B.

die Paffafcicr im Monat Nisan

nicht

nothwendig

mit der

Wochenfeier des SabbatS zusammentreffen muß, sondern, nach eignem Gesetz berechnet, auf jede» beliebigen Wochentag fallen kann.

Allerdings wollen die beiden Cyklen sich ergreifen, indem

die Berechnung der Jahresfeste sich immer durch die Siebcnzahl

bestimmt, die wie der rothe Faden durch alle h. Zeiten des Tem-

152 pelcultuS sich verfolgen läßt; aber gleichzeitig soll es typisch sich darstellen, daß der Weg zur Heiligkeit in der Gnade noch nicht

geoffenbart ist.

8- 34. Die Wiederherstellung durch Christus. In Christo erfolgt die Wiederherstellung des mensch­

lichen Geschlechts nach dem Ebenbilde Gottes und weit noch über die erste Herrlichkeit hinaus, und es vereinigen sich in dieser Stiftung des neuen Bundes die drei Grundmomente,

welche die Anfänge einer positiven Religion eonstituiren, auf die vollkommenste Weise.

Erstens gehen in Christo, dem

persönlichen Worte, — Gottesthat und Menschenthat in einander auf („Gott war in Christo u. s. w.'") und ver­ knüpfen sich hier zu den geschichtlichen Thatsachen der Er­ lösung der Menschheit. — Zweitens constituirt Christus

durch sie sich persönlich zum göttlichen Lebensprincip für die ganze Welt. — Drittens ergießt er seine Fülle in die Gemeinde, in der Sendung seines Geistes, womit er den neuen Cultus eröffnet.

Wie Christus zum neuen Lcbensprincip für die Welt sich constituirt so, daß die Hauptmomente, worin dies in ihm sich

vollbringt, die Grundthatsachen des Heils bedingen, ist leicht nachzuweisen.

Als der andre Adam und geistliche Stammvater

für das gefallene Geschlecht, muß er zuvörderst, unter das Ge­ setz gethan, alle Gerechtigkeit erfüllen, im absoluten Gehorsam

gegen den Vater.

Wie jener Gehorsam mit seiner Geburt an­

hebt, so ist Diese auch selbst als die, in sich unendliche Ent­ äußerungsthat des Sohnes Gottes zur Knechtsgestalt, schon

153 jener vollendete Gehorsam, welcher hierin alS erste Grundthat-

sache der Erlösung austritt, um nun durch daö ganze Leben dieses rnrr—a? sich fortzusetzen. Aber den Gehorsam war Christus auch für sich selbst zu

leisten schuldig: wie konnte er für die Gefallenen verdienstlich werden dadurch, daß der Herr sich darin ihnen zum Lebens­ princip machte? — Diese Frage führt uns dem zweiten Mo­

mente zu.

Nur sofern Christus alS Sühnopfer der Welt Sünde

trug, konnte auch wiederum, gleichsam durch einen staunenswcrthcn, wechselseitigen Austausch, sein Gehorsam ihr zugerech­ net werden.

Daher mußte au

ihm das prophetische Wort:

die Strafe liegt auf ihm u. s. w. sich erfüllen, und durch

den Tod mußte er sein Leben, welches der absolute Gehorsam selbst ist, als sein eignes Leben negircn, damit er, und der Vater

mit ihm, — hier gelangen wir zum dritten Moment, — in seiner Auscrstchung es neu affirmirte, doch nun nicht mehr als sein eignes, sondern als daS Leben der Welt.

Hiernach ist

Christus persönlich der Menschheit zur Gerechtigkeit gemacht und es vereinigen sich in Geburt, Tod und Auferstehung die Grund­

thatsachen des Heils, welchen in der Ausgießung deS Geistes

diejenige sich zugesellt, durch welche die Ueberströmung des neuen Princips von dem, der die absolute Fülle desselben ist, in die Gemeinschaft vermittelt wird.

§. 35. Die Beziehung der Erlösungsthatsachen zum Wochencyklus. Daß die Erlösung als die neue geistige Schöpfung

der Welt in der That die volle Wiederherstellung in sich

trägt, und hiernach die in ihr erscheinende Gnade mit der in der Menschenschöpfung auftretenden Offenbarung

154 der Heiligkeit

Gottes

zusammengeht,

wie

denn Beide

— die Heiligkeit, wie die Gnade — in Christo persön­

lich Eins werden, DaS findet darin einen bedeutsamen Ausdruck, daß die, im vorigen §. erwähnten Grundthat­ sachen,

deren

Vorbilder während

der

alttestamentlichen

Oekonomie durch den Wochencykluö nicht bestimmt wurden, wenigstens

in ihren eigentlich

versöhnenden Momenten,

nunmehr in den Urcyklus der Schöpfungswoche zurück­

Während dieser so eine neue Bestätigung erhält,

kehren.

erfährt er zugleich erstehungsmorgen

eine Verwandlung, den Beginn der,

welche im Auf­

von den Propheten

geweissagten künftigen Welt (ttan 0^7), im Gegensatz gegen die erste Welt (nin 2^7) ankündiget. Sollte es wohl für zufällig geachtet werden, daß, gleich­ wie Gott am 6. Schöpfungstage den Adam bildete, und nach­

her, um ihm die Gehilfin zuzugesellen, einen tiefen Schlaf auf

den ersten Menschen fallen ließ, während dessen er da- Weib

von dem Manne nahm, — also auch der andere Adam am 6. Tage in den Schlaf des Todes versinken mußte, damit, als

seine Braut, des ersten Adam's Geschlecht, neu geschaffen, auS

ihm das geistliche Leben empfinge? — oder zufällig, daß, wie am 7. Tage Gott

von

seinen Werken ruhte, also auch der

Sohn Gottes an Demselben nach der schweren Arbeit der Ver­ söhnung unsrer Sünde durch sich selbst seine Grabesruhe hielt?

Die Kirche

wenigstens

hat seitdem

großen Sabbat bezeichnet,

um ihn

diesen

Sabbat

als

den

als Gegenbild der Ruhe

Gottes in der Schöpfungswoche in seiner Einzigkeit hervorzu­

heben.

So mußte endlich auch, wie Gott am ersten Schöp­

fungstage sprach: „es werde Licht!" — in dem Auferstandenen

das

neue

brechen.

Licht der Welt

aus der

alten Finsterniß hervor­

So greift die Versöhnung aus der letzten Woche der

155 alten Welt in die erste der neuen herüber, und wir erblicken in der Vollendung des Erlösungöwerkes unmittelbar den An­ fang der letzten angenehmen Zeit des Reiches Gottes auf Erden. Die Verwandlung des Wochencyklus ergiebt sich hier­

aus von selbst.

Denn was der Auferstehung voranging, ge­

hörte noch der Schlußwoche des ersten Zcitlaufs, und so geschah cs, daß die Gottcsthaten in Christo, indem sie kraft fenes Her-

übergrcifens den alten Cyklus nicht mehr beschlossen, sondern in ihrer Vollendung als

der Beginn

deö Neuen sich darstellten,

das Hauptgewicht auf den ersten Tag desselben fallen ließen. Mit Recht ist daher seitdem der Sonntag, schon in der apostoli­ schen Zeit als die i^ieya xvQtmtf ausgezeichnet, der Festtag für

die Gemeinde geworden. Durch

Fragen.

das Gesagte beantworten

sich wichtige liturgische

Die erste, schon zwischen Victor von Rom und

PolykrateS von Smyrna behandelt, betrifft die Berechnung

des Osterfestes:

eine Angelegenheit, die noch lange da, wo

römischer und griechischer Ritus sich berührten, streitig geblie­ ben und selbst heute noch nicht durchgreifend in der Christenheit geschlichtet ist.

die Thatsachen

Wenn

nach göttlichem Plan

dem Cyklus

der Erlösung wirklich

der Schöpfungswoche sich

cingefügt haben, so ist in Ansehung deö erwähnten Osterstreits dem römischen Bischof,

abgesehen

von

seinem

hierarchisch­

herrschsüchtigen Geist, zuzugcstehen, daß seine liturgische Be­

stimmung, nach welcher das nao^a dvaazdoipov immer auf

einen Sonntag fallen sollte, allerdings in der Tiefe der christ­ lichen Idee, für die sie einen Ausdruck suchte, gegründet war.

Die seitdem in der abendländischen Christenheit stabil gewordene

Berechnung des Osterfestes behalten wir einem andern Orte vor. Eine zweite Frage von liturgischer Bedeutung, die auch

schon hier verhandelt werden muß, betrifft die Institution der Sonntagfcier.

Die Augsburg'sche Conseffion zahlt diese Letztere

156 den traditionibus liunianis bei und verfährt hierin mit einer solchen Freisinnigkeit, als ob der Kirche das Recht zuzuerkennen

wäre, diese h. Zeit aus wichtigen Gründen allenfalls zu ändern, während in der reformirtcn Kirche das entgegengesetzte Ertrcm

hervorgetreten ist.

Bei der hier herrschenden Abneigung gegen

alles gottesdienstliche Wesen von blos menschlichem Ursprung,

begehrte man für jede kirchliche Einrichtung göttlichen Befehl, oder, was gleichbedeutend schien, Begründung derselben aus der h. Schrift. Da dieses Interesse sich auch dem christlichen Sonn­

tage zuwendete, und man doch denselben um keinen Preis auf­ zugeben gedachte, wurde reformirterseits eine doppelte Fiction zu Hilfe genommen.

Erstens betrachtete man das mosaische

Sabbatsgebot, gleich den Sittcngesetzen, als fortdauernd ver­ bindlich, auch für die Christenheit, und verkannte in dieser Be­ ziehung ausfallend, daß die Endschaft des Gesetzes in Christo

jenes alte Gebot als solches nicht mehr stehen läßt.

Da man

jedoch auch so demselben keinen Gehorsam leistete — denn wie

hätte sonst statt des Sonnabends der Sonntag gefeiert werden dürfen? —, so war man genöthigt, eine apostolische und daher

mit göttlicher Autorität bekleidete Einrichtung zu erdichten, durch welche die Sabbatsfeier vom letzten auf den ersten Wochentag

gesetzlich übertragen worden sei. Das Recht

reformirter Seite,

ist

vollständig weder

auf lutherischer,

noch

sondern in der Mitte liegt die Wahrheit.

Nicht unter die unabänderlichen göttlichen Gebote gehört dem Christen die Sonntagfeier, wie denn auch in Betreff ihrer ein

solches daraus nicht nachzuweiscn ist, daß der Sonntag als die i]P£(>a xvgiaxij im N. T. uns begegnet, und deutliche Spuren verrathen, daß er durch gottesdienstliche Versammlungen aus­ gezeichnet worden sei.

Wohl aber ist die Sonntagfeier unter

die göttliche» Ordnungen zu rechnen.

ES ist ein Unterschied

zwischen Ordnungen und Geboten Gottes. Diese sind unmittel-

157 bare Reflere der göttlichen Heiligkeit, wogegen Jene die Groß­

thaten

Gottes in

der Geschichte abspiegeln.

Wie sie daher

Zeugnisse der ordnenden Liebe, welche Licht und Klarbeit in die menschlichen Entwicklungen bringt, in sich darstellen, so kann auch dieselbe Liebe, die zugleich das neue Gebot ist, worin das ganze Gesetz sich erfüllt, um eines noch höheren Zwecks willen den einzelnen Gläubigen über jene Ordnungen erheben, ohne

daß er verbunden wäre, irgend einem Buchstaben hierin ein Recht über sich cinzuräumen.

Herr auch des Sabbats."

,,DcS Menschen Sohn ist ein

Andrerseits wird die Bcfugniß der

Kirche, die Sonntagfeicr zu ändern, geleugnet werden müssen, da nicht abzusehen ist, wie Jene, so lange sic als ein äußerer gesetzlicher Organismus dasteht, und im Gegensatz von Kirche und Reich Gottes befangen bleibt, einen Standpunkt gewinnen

sollte, auf welchem sic sich über die alte göttliche Ordnung er­ haben achten dürfte. —

Unsere Betrachtung ist nunmehr zu dem Punkte gelangt, wo sie unmittelbar in den christlichen Cultus übergeht, und wir sehen uns hiermit dem dritten Theile zugeführt.

158

Dritter

Theil.

Der christliche Cultus.

§. 36. Die göttliche Institution des Cultus. Der christliche Cultus tritt ganz unmittelbar in den

Anfängen unserer Religion selbst auf, indem ihre geschicht­

lichen Grundthatsachen

den

uralten Wocheneyklus nicht

blos bestätigen und zugleich verwandeln, sondern mit der Hervorbringung des ersten christlichen Sonntags zugleich

auch

die

bedeutungsvollste

Eröffnung

des

betreffenden

Cultus, als das zur Stiftung der christlichen Religion

gehörende Endereigniß

selbst

in sich schließen, während

gleichzeitig die Kirche Christi damit ihren Anfang gewinnt, daß das neue Lcbensprincip sich ergießt, und so die Ge­

meinde der Gläubigen zur Verwirklichung gelangt.

Es

ist klar, daß der christliche Cultus kraft seiner göttlichen

Institution auch von Haus aus schon seine ideelle Be­ stimmtheit in sich trägt. Uebrigens versteht sich von selbst, daß mit der, in den Er-

lösungötbatsachen enthaltenen Affirmation des WochencykluS der

umfassendere Festcyklus des Jahrs um so weniger ausgeschlossen war, als derselbe unmittelbar den mosaischen Jahresfesten sich

159 anschließen konnte, und das christliche Princip, wie wir gesehen

haben, nur Dies erforderte, daß der Jahrescyklus sich in seinen Hauptmomenten immer wieder in den der Woche auslöste.

kann

Es

daher nur als eine Schroffheit des Presbyterianismus

erkannt werden, wenn cr den Jahreofestcykluö als bloße Men-

schcnsatznng abschaffen zu müssen geglaubt hat.

Was den Inhalt des christlichen Cultus betrifft, so ist er in

denselben

Moinentcil gegeben,

welche seine h. Zeiten be­

dingen; denn was könnte die Kirche sonst wohl feiern, als die Erlösung, die durch Jesum Christum geschehen ist?

In ihr

begegnen unS Facta, welche mit der, ihnen zu Grunde liegenden

Idee so unendlich erfüllt sind, daß sie vollständig darin auf­ gehen. Das göttliche Wort aber ist's, worin jene Facta sowohl

in ihrer reinen Geschichtlichkeit,

als ihrer göttlichen Idealität

nach aufbehalten sind, um immer auf's Neue durch den Geist, welcher das Wort selbst zu Geist und Leben werden läßt, in die tiefste Innerlichkeit der Gemeinde überzugchen und hier als

beharrende Momente ihres geistigen Daseins in Gotteskraft sich zu bethätigen.

Wir werden hierauf zurückkommen.

§. 37.

Construction. Aus dem Bisherigen hat sich schon ergeben, daß der

christliche Cultus unmittelbar durch die geschichtlichen An­ fänge der betreffenden Religion selbst eine objective Be­ stimmtheit hat, die er nie verleugnen kann, ohne sich selbst

aufzugeben, und nächstdem ist einleuchtend, wie rücksicht­ lich derselben noch der rein abStracte Charakter als vor­

herrschend erscheint.

Hiermit

ist

unS

Abschnitt unserer Theorie vorgezeichnet.

bereits

der erste

Wir geben ihm

die Ucberschrift: die abStraet-objective Bestimmt-

160 heit des christlichen Cultus durch die geschicht­ lichen Anfänge des Christenthums. — Wenn nun das, in Christo

objectiv gegebene neue Princip in die

Gemeinde übergehen muß, um in ihr subjektives Leben

zu

werden,

und

insonderheit im

manifest werden soll,

Cultus

als Solches

so muß es nothwendig auch inner­

halb der gottesdienstlichen Versammlung in allen den Ge­

stalten sich offenbaren,

deren innere psychologische Noth­

wendigkeit der erste Haupttheil aus allgemeinen Princi­

pien nachgewiesen hat.

Hiermit gewinnt der

christliche

Cultus neben seiner objectiven noch eine subjective Be­

stimmtheit von ganz roncreter Art, indem Dasjenige, waS

der erste Abschnitt als das abstract Allgemeine aufstellt, hier als das concret Wirkliche, gottesdienstliche Formen

bildend, wiederkchrt.

So entsteht ein zweiter Abschnitt

mit der Ueberschrift: die concret - subjektive

Be­

stimmtheit des christlichen Cultus durch das re­ ligiöse Leben

der Gemeinde. — Die bisherigen

beiden Betrachtungsweisen lassen die Bestimmtheiten des Cultus so parallel neben einander laufen, daß in praxi dabei der gläubigen Subjektivität selbst zugemuthet wird,

sich mit dem

objectiven Inhalte zu

einen Verinncrlichungsproceß

ihn

zu

erfüllen und durch

eignem

Leben

zu

machen, wobei die Voraussetzung besteht, daß das objec­

tiv vorhandene Prineip auch seinerseits als ein Lebendiges,

Wirksames der frommen Subjektivität entgegenkomme. — Ist nun aber diese Voraussetzung gegründet,

so darf die

Objektivität deS Princips auch das Recht in Anspruch

nehmen, ganz unmittelbar selbst sich als Solche gel­ tend zu niachen und, bestimmte Mittheilungsformen schaf­ fend, in der Art wirksam an die Subjektivität heranzu-

161 treten, daß diese zwar zu lebendig reagirender Thätigkeit dadurch sollicitirt, aber doch die selbständige Energie des objectiv vorhandenen Princips

durch sic nur im Sinne

einer conditio miic qua non

bedingt

werde,

wogegen

allerdings auch zu denken ist, daß eine ähnliche Erwei­ sung der Objektivität zwar crstrebt,

aber nur insoweit

reell werde, als auch positiv eine subjektive Bermittelung

des christlichen Gemeingeistcs hinzukommt. Hiermit haben wir nach dem allgemeinsten Begriff drr Sache das Wesen

der Bcncdictionen

ausgesprochen

als

solcher Momente,

wo die Objektivität des Princips als Gnadenmittheilung

mehr oder

weniger

unmittelbar und

selbständig in die

Subjektivität hinübcrtritt, um sic mit ihrem Inhalte zu durchdringen.

Für

wissenschaftliche Betrachtung im

die

ersten und zweiten Theil waren die beiden Bestimmtheiten dcS Eultus, die objective und die subjektive, außcrein-

ander liegende Momente.

In

den Bcnedictioncn

aber

als objectiv festen, mit dem lebendigen Princip erfüllten Darreichungsmittcln göttlicher Gaben gehen Beide der­

gestalt in einander auf, die Subjektivität, sei

positiv, sich vermittelt.

daß die Objektivität selbs durch es nun blos negativ,

oder

auch

So entsteht ein dritter Abschnitt

mit der Ueberschrift: das In ein andersein der ob­

jectiven und subjektiven Bestimmtheit des christ­ lichen Eultus in den kirchlichen Bcncdictionen.

In den angegebenen drei Abschnitte» verlaust nothwendig die Tbeorie des christlichen Cultus.

Zwar könnte noch ein

vierter erforderlich scheinen, sofern die christliche Gemeinde­

versammlung nicht nur in bestimmten Raumen erfolgt, sondern auch rücksichtlich dieser keyteren der Anspruch vorhanden ist, ht .1 ii r i* i'nih

»In!

I.

l I

162 daß sie, sich individualisirend, auch ihrerseits die christliche Idee zu symbolischem Ausdruck

ES

bringen.

ist jedoch

nicht zu

übersehen, daß gleichwohl die h. Räume den christlichen CultuS so wenig bedingen, äußerlich bleiben,

daß sie vielmehr ihm

wie

sie

auch

denn

Gebiet der Kunst hinüberweisen.

immer wesentlich

unmittelbar

in

das

Demnach wird gerechten An­

forderungen Genüge geschehen, wenn wir nur zum Schluß ein Wort anhangsweise über die h. Räume deS Cultus beifügen.

Rücksichtlich des zweiten Abschnitts ist noch zu bemerken, daß, wenn hier die, im ersten Theil alS psychologisch nothwen­

dig

nachgewiesenen

Grundformen

religiöser

Lebensäußcrung

wiederkehren müssen, sie doch nunmehr in ihrer eigenthümlich

christlichen Gestalt auftreten, wie sie auch geschichtlich einen be­

stimmten Charakter gewonnen haben.

163

A b s ch n i t t.

C r st e r

Die abstract-objcctive Bestimmtheit des christlichen Cultus durch die geschichtlichen Anfänge des Chri­ stenthums. §. 38. Einleitung.

Wenn die Grundidee der christlichen Religion diese ist, daß Christus kraft der durchgehenden Verdienstlichkeit

seines ganzen Lebens, so wie seines Sterbens und Auf­

erstehens,

sich

selbst

zum neuen Lebensprincip

für die

ganze Welt gemacht hat,

so ist hiermit auch der ent­

sprechende Cultus seinem

wesentlichen Inhalte nach fest

bestimmt.

Dieser Inhalt ist:

Christus,

sofern

er sich

offenbart als Lebensprincip für die Gemeinde der Gläu­ bigen. — Das erlösende Leben des Sohnes Gottes hat

aber, als ein, der Geschichte angehöriges, alle seine Mo­ mente, welche in die Innerlichkeit

der Gemeinde über­

gehen sollen, in einem bestimmten zeitlichen Nacheinander entfaltet

und hiermit dem christlichen Cultus im Gesetz

seiner h. Zeiten auch die Form vorgezeichnet, nach welcher die inhaltsreiche Feier desselben sich zu gestalten strebt.

11 *

164 ES ist folglich die objective Bestimmtheit des christlichen Cultus eine Bestimmtheit nach Inhalt und Form. Der Proceß, durch welchen Christus als LcbcnSprincip für

die Menschheit sich bethätigt, d. h. in die Innerlichkeit der Ge­

meinde übergeht, vermittelt sich durch den, von ihm gesendeten Geist der Wahrheit,

und



darf hiernach

der

Inhalt

des

christlichen Cultus auch dahin bestimmt werden, daß er Christus

sei, sofern derselbe durch

seinen Geist in der Gemeinde lebt,

um in dieser Weise sein persönliches Dasein auf Erden fortzu­

Wo der Cultus von diesem Inhalte verlassen ist, ist

setzen.

die Seele entflohen und nur der todte Leichnam zurückgeblieben.

Es leuchtet übrigens ein, daß Inhalt und Form sich aufs In­ nigste durchdringen, da mir dasselbe erlösende Leben,

welches

inhaltsschwer den Cultus erfüllt, auch seine h. Zeiten bedingt;

weshalb eS uns obliegen wird, bei den christlichen Festen über­ all auch

wieder

auf deren leitende

Grundgedanken

zurückzu­

kommen.

§. 39. Der Inhalt des Cultus. Der Heist Jesu Christi verklärt den Herrn in sei­ ner Gemeinde durch das göttliche Wort. sich in ihr als eine seligmachende Kraft

Indem dasselbe

Gottes bethä­

tigt, hat sie den Erlöser selbst in dem, von ihm zeugen­

den Wort und erfährt darin seine persönliche Nähe und

Gegenwart.

Hiernach bestimmt sich der Inhalt deS Cul­

tus noch specieller als: Christus, sofern er durch den Geist in seinem Worte bei der Gemeinde ist. Wir haben hier den Punkt erreicht, wo die römisch-katho­ lische und die evangelische Theologie in ihren Throrieen vom

165 Cultus definitiv ausciiiandergehen.

ES ist nämlich zwar auch

dem römischen Katholicismus Christus

Cultus, aber in ganz cvangel. Kirche.

der Grundinhalt des

anderer Art, als nach der Lehre der

Wenn Dieser zufolge die Erlösung der Welt

objectiv kinfürallemal vollbracht ist, so bleibt ihr nunmehr auch

für ihren Cultus nur daö Eine übrig, daß Christus, nachdem

er objectiv Lebcnsprincip für Alle geworden,

demgemäß auch

subjektiv das Leben Aller werde, und Dies ist es, wodurch sich

der Grundinhalt des Cultus wesentlich für uns bestimmt hat. Nicht so verhält eS sich in der römischen Kirche; denn sic ist

so fern davon, eine cinfürallemalige Vollendung deö ErlösungSwerkS zu behaupten, daß sie vielmehr den großen VcrsöhnungS-

proceß in derselben Objektivität, wie er durch Blutvergießen am Kreuz vollbracht worden, als unblutiges Opfer unaufhörlich in der Kirche sich fortsetzcn läßt. Wenn nun dieses sacrificiuni

cxpialoiiuin als das innerste Gcbeimniß des römischen Cultus

aufiritt, so zeigt sich als Grundinhalt desselben:

Christus, wie

er in dem immcrwäbrcnden objectiven Bcrsöhnungsprocessc bei

der Gemeinde ist. CS leuchtet ein, daß der ganze Cultus hier­

nach eine veränderte Richtung, dein cvangel. gegenüber, nehmen

muß.

Der römische Christ betritt das Haus des Herrn mit

einem ganz andern Blicke auf den geweihten Altar, als der

evangelische daö Scinige; denn Jener schaut, abgesehen davon, ob ein einziger Gläubiger da sei, der den Herrn im Herzen

trage, seinen Gott objectiv gegenwärtig im Tabernakel.

Dort

hat er eine wirkliche Wohnung genommen und will hier von

den Gläubigen

angebctct sein.

Daß

dieses immerwährende

Opfer der Kirche die Mittlerschaft eincö, vom Volk abgeson­ derten PriesterthnmS erfordere, versteht sich von selbst, gleichwie auch, daß, wenn im betreffenden Cultus nicht sowohl Das­

jenige, worin sich daS subjektive Leben der Gemeinde bethätiget,

alS vielmehr Dasjenige, was vom Priester äußerlich vollbracht

166 wird, die Hauptsache ist, — nun eigentlich gar Nichts mehr daran gelegen sein kann, ob dem andächtigen Volk ein Ver­ ständniß Dessen, waS der Priester thut, beiwohnt, wenn es jenem priesterlichen Thun nur mit dem Glauben, daß ihm da­ durch Heil gewirkt werde, zugewendet bleibt. Denn darauf allein ja kommt es an, daß das h. Werk nur recht gethan werde. Deshalb ist überall auch die Landessprache gar nicht erforderlich; ja, wenn eine bestimmte Sprache einmal jenen allgemeinen, h. Typus, durch welchen sie der kirchlichen Opfer­ handlung durchweg angepaßt ist, gewonnen hat und hiermit die sicherste Bürgschaft für die richtige Vollbringung derselben gewährt, so verdient sie sogar, jeder Landessprache vorgezogen zu werden. Schließlich bemerken wir, daß der römische Cultus sich natürlich auch seiner ganzen innern Anordnung nach durch seinen angegebenen Grundinhalt bestimmt, da dieser einen Mit­ telpunkt bezeichnet, auf welchen näher oder entfernter alle Ele­ mente desselben bezogen sein wollen. Die römische Liturgik wird folglich von diesem Ausgangspunkte in völliger Verschie­ denheit von der Unsrigen sich wissenschaftlich zu gestalten haben, und wir scheiden hier also von Rom mit dem klaren Bewußt­ sein, weshalb wir genöthigt sind, einen entgegengesetzten Weg einzuschlagen.

§. 40. Die h. Schrift. Das göttliche Wort hat die doppelte Aufgabe zu lösen: einerseits Christum nach seinem ganzen geschicht­

lichen Dasein auf Erden mit vollkommener Treue der Gemeinde immerdar zu vergegenwärtigen; andrerseits ihn derselben mit gleicher Treue auSzulegen. Beides voll­ bringt die h. Schrift, — das Erste im evangelischen, das

167 Zweite im apostolischen Worte, — mit absoluter Lauter­ keit; und wir gewinnen hiermit eine noch speciellere In­

haltsbestimmung für unsern Cultus,

nämlich: Christus,

wie er im Evangelio der Gemeinde durch den Geist ver­ gegenwärtigt

und

durch

denselben

Geist

in

den,

die

Wirksamkeit seiner Apostel bezeugenden Schriften ihr aus­

gelegt ist. Nach dem ursprünglichsten Begriff des Wortes Gottes, ist

es Christus selbst.

Denn der Vater spricht den Sohn aus als

sein wesentliches Wort; Er bleibt dieses aber auch, sofern er

des Menschen Sohn ist; und so verstehen wir unter dem Wort den Erlöser mit seinem ganzen Erlösungswerke, wie in Wort,

so in That. Denn die That ist selbst nur ein sichtbares Wort,

gleichwie das Wort eine hörbare That, — Beides aufgehend im Begriff des vollkommenen Gehorsams, durch

welchen der

Herr sich frei zu Dem gemacht hat, was er wesentlich war, —

zum Lebcnsprincip für die Welt. lendete

durchaus

Erlösungsproccß

in

Jetzt sollte der objectiv vol­

einen

subjectivcn

Lebenöproccß,

identisch mit der Entwickelung des Reiches

Gottes

auf Erden, übergehen, damit die Gemeinde als daö

toi rä nävia tv näot jikyguptnov d. h. als der andre mystische Christus zur Gleichheit mit dem persönlichen Christus

sich gestalte.

Zum Behuf dieses Ucberganges

der Erlösung

auS der

Objektivität in die Subjcctivität muß vor Allem Christus seinem ganzen geschichtlichen Leben nach der Welt kund werden; und

. eS bedurfte hiezu eines, der Wirklichkeit seines irdischen Daseins genau entsprechenden treuen Abrisses der historischen Persönlich­ keit deS Erlösers, damit diese so, gleichwie durch ein wohl­

gelungenes Portrait, der Menschheit immer neu sich vergegen­ wärtigen könnte.

War dieses Bild einmal treu entworfen, so

168 blieb eS nothwendig das Einzige, von welchem künftig zwar

fort

«nd

fort

neue Bilder

treu copirt werden konnten und

sollten, an welchem jedoch Nichts mehr zu ändern war, da ein­ mal ein andrer Christus, als der geschichtliche, nicht zu machen ist. — Dieses wohlgetroffcne Portrait des Menschensohnes, für

alle Zeiten in der Kirche zu immer neuer Beschauung aufgestcllt, besitzen

wir in den Evangelien,

Entstehung wirksam

und die, bei ihrer

gewesene Theopncustie bürgt

u»S

dafür,

daß der Christus, den wir hier abgcschattct vor unö sehen, in

allen Zügen deS Gemäldes Derjenige ist, welchen der Vater in

die Welt gesandt hat.

Wir suchen in ihnen nicht eine, in chro­

nologischer Folge fortlaufende

LcbcnSgcschichtc,

noch begehren

wir, daß der h. Geist bei den vier Erzählern daö Wunder einer

wie verabredeten durchgehenden Uebereinstimmung bis ans die kleinsten Züge der Geschichte gewirkt habe; wir verlangen blos

eine Treue der Zeichnung, wie Derjenige sie sucht, welcher, vor­ dem Bilde dcö theuren Freundes stehend, ihn gern ganz wic-

dcrfindcn und auSrufen will:

Das ist er!

Dieses leisten die

Evangelien, und ihnen gebührt daher vom wesentlichen Worte

Gottes, welches sie in sich tragen, und fräst des Geistes, der ihre Schreiber geleitet hat, der Name des göttlichen Worts mit

gleichem,

vollem Rechte.

Sic mußten nothwendig h. Schrift

werden, da das beabsichtigte Bildniß nur auf diesem Wege vor der Gemeinde dauernd aufzustellen war. Zur Entstehung deS subjektiven ErlösungSprocesseö genügt

indessen der historische Bericht vom Leben Jesu noch nicht.

Der

Herr selbst verweist seine Jünger auf den Geist, welcher Chri­

stum in ihnen verklären und sie in alle Wahrheit leiten werde. Hierdurch erst konnte der Erlöser sich ihrem innersten Verständ­

niß lebendig vermitteln, und es bedurfte also einer Auslegung

desselben durch jenes geheime Einsprechen dcö Parallelen, wel­

ches die Herze» aufthnt und daS Auge des Glaubens zum Er-

169 kennen Christi als des Gottes- nnd Menschensohncs erleuchtet.

Kraft dieser Auslegung des Erlösers durch den Geist offenbart sich daö göttliche Wort in einer zweiten Gestalt, die wir als

daS apostolische Wort neben

dem evangelischen bezeichnen

dürfen. ES entsteht jenes Erstere auS dein in der Gemeinde sich unaufhörlich erneuernden Vcrinnerlichungsproccssc, durch welchen

Christus ihr Leben wird.

Da cs immer verjüngt in der Kirche

sich erzeugen soll und als Manifestation der, durch alle christ­

lichen Jahrhunderte zu verfolgenden Succession deS Lebens auS dem Geist auftritt: so giebt sein Charakter im bestimmten Ge­ gensatz zu den Evangelien sich zu erkennen.

wesentlich, Christum

cinfürallcmal geschrieben zu auslegendc

Wort

unaufhörlich

Diesen erschien eS

sein,

neu

wogegen

daS,

hervorgcbracht

wird, weshalb cS sich auch, dem geschriebenen Wort gegenüber, als

daS

liehe.

lebendige,

traditionelle Wort der

Kirche bezeichnen

Nun hat aber diese Letztere die Verheißung deS, Chri­

stum verklärenden,

d. h. auslcgcndcn Geistes absolut nur in

den Aposteln empfangen, nnd sic besitzt daher keine Sicherheit für

wahrhaftige

Auslegung oder

göttlich

gewisse

Erkenntniß

Jesu, als insofern sic sich in ihrem Auslegungsgcschäft an die Apostel hält.

Diese allein

haben den Herrn

in

vollkommen

normaler Weise ausgclcgt, und cö war daher die Nothwendig­

keit vorhanden, daß der Apostolat als der sichere Grund, welchen fort und fort die Kirche sich

erbauen muß,

auf

sich ihr

ebenso verewigte, als dies rücksichtlich dcö Bildnisses Christi er­ fordert wurde.

Eine solche Verewigung deS Apostolats für die

Kirche ist dadurch

bewirkt, daß die, von demselben gegebene

authentische Auslegung, welche für alle nachfolgende Erklärung

Christi Regel und Richtschnur zu sein begehrt, gleich dem Evangeliv durch Schrift firirt worden ist, wie wir sie denn im an­ dern Theile des N. T., in der alten Kirche sehr prägnant ö

170 anöoTolog genannt, besitzen.

Die im § aufgestellte Inhaltsbe­

stimmung für den christlichen Cultus zeigt sich hiermit vollstän­

dig gerechtfertigt.

§. 41.

Die Regel und Richtschnur des evangelischen

Cultus. Aus dem vorigen

hohe Bedeutung der

Cultus.

Nicht

sich

§ ergiebt

Schrift

h.

für

unmittelbar den

die

evangelischen

nur ist die Forderung dadurch gerecht­

fertigt, daß dessen Grundinhalt, Christus, nunmehr auch

durch den Anspruch der h. Schrift auf eine ihr gebüh­ rende Stelle im Cultus zu seinem wirklichen Recht ge­

lange, sondern auch, daß Alles,

was sonst im Cultus

vorkommen kann, in durchgehender Schriftmäßigkeit seine

Rechtfertigung finde. Es liegt in der Idee des evangelischen Cultus, daß die

h. Schrift,

sowohl auö ihren evangelischen, als apostolischen

Bestandtheilen Abschnitte für ihn liefert, und

daß diese eine

centrale Beziehung der mannichfaltigen Cultuöelcnicnte zu ihnen geltend machen.

Perikopenreihe

In welcher verwirklicht

Weise dies durch die doppelte

worden,

wird

das Nachfolgende

lehren; doch ist zu bemerken, daß in dem bisher Entwickelten

die Nothwendigkeit einer firirten Perikopensammlung allerdings noch nicht motivirt ist. — Die im §

enthaltene Forderung

durchgehender Schriftmäßigkeit ist eins von den unterscheidenden

Momenten des

evangelischen

Cultus im Vergleich mit dem

römisch-katholischen. Wie die objective Bestimmtheit des christ­ lichen Cultus rücksichtlich seines Inhalts uns auf daS göttliche Wort geführt hat, so könnte auch das Sakrament hieher zu

171 gehören scheinen, da Christus in diesem gleichfalls der Ge­

meinde sich darbietet.

ES ist jedoch zu erwägen, daß im Sa-

cramente die Bestimmtheit des CultusinhaltS nicht dieselbe reine

Objektivität hat, wie im göttlichen Worte, sofern bei Jenem das Vorhandensein des objectiven Charakters, negativ wenig­ stens, nämlich, wie wir sehen werden, durch eine conditio sine

qua non, an eine subjektive Bedingung gebunden ist.

Hier­

nach rechtfertiget cS sich, wenn vom Sakrament erst im dritten Abschnitt die Rede sein kann.

§. 42. Die objective Bestimmtheit des Cultus in for­ meller Hinsicht. Rücksichtlich der objectiven Bestimmtheit des Cultus

in Ansehung der Form

sind

Zeiten desselben gewiesen.

wir nothwendig an die h.

Indem das

erlösende Leben

Christi sich in bestimmten Grundthatsachcn exponirt, welche in der Idee der Versöhnung schlechthin aufgehen, gleich­

wie umgekehrt auch die Idee in ihnen dergestalt zur vol­ lendeten Erfüllung kommt, daß der Gesammtinhalt deS

Cultus nunmehr in die betreffenden, der Gemeinde zu verinnerlichenden

Facta

diese Letzteren auch

sich

auscinanderlegt:

so

tragen

schon ein Gesetz h. Zeiten insofern

immanent in sich, als sie selbst in ihren Beziehungen zu einander

ein

inneres

Zeitverhältniß

von

tiefer ideeller

Bedeutung beobachten. Da die hiermit gegebenen h. Zei­ ten eo ipso dadurch, daß die Idee sich darin abspiegelt,

für die

christlichen

werden,

so enthalten sie eine objective Bestimmtheit der-

Gemeindeversammlungen

maßgebend

172 selben, die nicht

sowohl

deren Inhalt, als ihre Form

betrifft. Die folgenden §§ haben sich hiernach mit den h. Zeiten und Festen der Kirche zu beschäftigen, rücksichtlich welcher der Grundsatz anzuerkenncn ist, daß sie ihren Grundmomentcn nach

in den geschichtlichen Anfängen des Christenthums selbst gegeben

sind, nie aber durch menschliche Uebcrcinkunft äußerlich gemacht

werden können.

Wir werden auf diesem Gebiet zwar einem

mächtigen organischen Bildungstricbc der Kirche begegnen, bei aber überall die Ueberzeugung gcwinmen,

aus

geschichtlichen

einer

Nothwendigkeit

da­

daß alle Feste

hcrvorgehcn

müssen,

wenn sie Bestand haben sollen. — Da neben den Grundthat­

sachen des Heils, welche die Hauptzeitcn der Kirche bedingen, auch die Lebcnsentwicklungen der Gemeinde selbst Festmomcntc

in sich tragen, welche Gegenstand

frommer Feier werden kön­

nen, so rechtfertiget sich hierdurch die Eintheilung in primäre und sccundäre h. Zeiten.

§• 43.

Tie primären h. Zeiten der Kirche. A. Der

Der christliche S o n n t a g.

allgemeine

Charakter

der Sonntagsfeicr

be­

stimmt sich dadurch, daß dieser Tag der Auferstehungstag

des

Herrn

ist.

Nach

den

Sonntagen berechneten die

ersten Christen das Jahr, und die christliche Sitte, später

auch durch obrigkeitliche Anordnungen unterstützt, zeichnete die Feier derselben frühzeitig in einer Weise auS, die

dem jüdischen Sabbat entlehnt war. Es war natürlich, daß die ersten Christen der im römischen Reiche üblichen Berechnung

des bürgerlichen Jahres sich srbr

173 abgeneigt zeigten; denn sie fanden sich hier überall an Das,

was ihnen als

heidnischer Greuel erschien, erinnert.

Daher

vermieden sie die gangbaren Benennungen der Monate und

Wochentage, theilten das Jahr in 52 Septimanen und unter­ schieden ihre einzelnen Tage,

unter

der allgemeinen Bezeich­

nung: le rin, durch deren Zählung als fcria prima, secunda, lei lia n. s. w. Es ist nicht dieses Orts, specieller darauf einzu­

gehen, wie die

bat verdrängte.

xvqiaxi\

allmählich den jüdischen Sab­

Es ist oben nachgcwiescn, was daö christliche

Princip hierin mit sich brachte, und die Kirche war durch eine innere Nothwendigkeit

ihres Bildungsganges

darauf

hinge-

wicscn, behufs der Selbständigkeit ihrer Entwicklung, sich ans

aller Befangenheit in hergebrachter jüdischer Weise zu emancipircn.

Daß gleichwohl die jüdische Sabbatsruhc, wenn auch

nicht in der alten Buchstäblichkeit des starren Gesetzes, auf den Sonntag überging, lag im Bedürfniß dcö religiösen Lebens.

Anfänglich versammelten sich die Christen an gemeinschaftlichen Uebungen der Andacht.

jedem Tage zu

Aber diese erste, für

die Endentwicklung des Reiches Gottes ans Erden vorbildliche

Zeit ging schnell vorüber; und wie die Kirche gcnölhiget war, sich mit der Welt cinznrichtcn, welche durch sie mit dem Sauer­

teige

des Evangeliums durchdrungen werden sollte, trat auch

das alte Bedürfniß dcS menschlichen Herzens nach der Ruhe

des siebenten Tages im Bewußtsein der Gläubigen wieder her­ vor und brachte so Das, was durch die Schöpfung selbst prin­

cipiell in der Natur des Geschlechts Adams begründet liegt, auch in der Ockonomic

dcS neuen Bundes wieder zu seinem

ursprünglichen Recht, nur mit dem Unterschiede, daß die An­

sprüche des SabbatS dem Sonntage zu Theil wurden. Zeugnisse

der Kirchenväter

hierüber

sind

zahlreich.

Die

Wenn

später, was ursprünglich aus der christlichen Freibeit hervor­

ging, Gegenstand bürgerlicher Zwangsgesetze wurde, so lag dies

174 überhaupt in der hierarchischen Richtung,

kraft welcher

die

Kirche einen Ausbau nach Analogie der weltlichen Staaten er­

strebte. Wenn in unsern Tagen, wo man eifrig auf die Tren­ nung von Kirche und Staat bedacht ist, die Frage: inwiefern

der Sonntagsfeier durch die bürgerliche Obrigkeit zu helfen sei, zur Verhandlung kommt, so verdient hierin nur ein Gesichts­ punkt noch Anerkennung.

In rein geistliche Dinge darf der

weltliche Arm sich nicht einmischen; sofern aber ein öffentliches

Aergerniß zu verhüten ist, liegt eS ihm ob, seines Amts zu warten. Stellt sich's demnach heraus, daß eine gewisse Art der

Profanirung des Sonntags die christliche Bolkssitte beleidigt,

so muß die Obrigkeit einschreiten, nicht sowohl, um eine Hei­ ligung des Tages zu erzwingen, als vielmehr, ein Aergerniß

abzustellen, — womit zugleich eine Grenzlinie gezogen ist, über welche das bürgerliche Gesetz nicht hinausgehen darf.

§. 44. B.

Das

Kirchenjahr.

Außerdem, daß die Thatsachen

der Erlösung

den

Wochencyklus neu sanctionirt und umgebilvet haben, gaben

sie auch zu bestimmten, jährlich wiedcrkehrenden Gedenk­

tagen Veranlassung

und

legten hiermit den Grund zu

einem Jahresfestcyklus, welcher zunächst an den Jüdischen

sich anlehnte.

Wenn sonach gewisse Hauptfeste schon von

einem bestimmten Zeitverhältniffe zu

ein­

ander standen und dadurch neben der innern auch

eine

Anbeginn

in

äußere Wechselbeziehung an sich ausdrückten, von selbst die Folge, daß

sie auch den

so entstand

sie umgebenden

Sonntagen durch Mittheilung ihres festlichen Charakters

einen bestimmten Grundton verliehen.

So bildeten sich

175 verschiedene Festcyklen immer mehr aus, und die Kirche gewann ein Interesse, die innerhalb derselben liegenden

Sonntage zu Gedenktagen verwandter wichtiger Momente im verdienstlichen Leben des Erlösers zu erheben.

Hierin

sind die frühesten Anfänge der evangelischen Perikopcnrcihe angedeutct. — Bald gewannen jene Festeyklen einen immer größeren Reichthum, als zu den bedeutenden Mo­

menten der evangelischen Geschichte des Herrn ans der

Gemeinde der Heiligen

noch andere hinzukamen,

weniger Anspruch

nicht

welche

selbst

machten,

darauf

durch

kirchliche Feier im bleibenden Andenken der Gemeinde er­

halten zu werden.

Denn Christus hatte sich ja in seinen

Aposteln und Märtyrern durch den Geist ebenso verklärt, wie er durch sein Erlösungswcrk persönlich zur Herrlich­ keit cingcgangcn war. — Allmählich gingen die verschie­ denen Festeyklen in ein System zusammen und umfaßten

ein Jahr, dessen kirchliche Berechnung, unabhängig von sich zur Selbständigkeit erhob.

der bürgerlichen,

Wenn

nun Nichts mehr daran gelegen war, welche Nummer

jedem

Sonntage

Jahrs zukam,

in

der Reihenfolge

des

bürgerlichen

so war hierin um so mehr das Streben

begründet, einem jeglichen endlich eine bestimmte Signa­

zu geben,

tur

waö

in

der That

auch

durch

die sich

fixireude Reihe der evangelischen und demnächst auch der epistolischen Perikopcn erfolgt ist. Daß

daS

Bersöhnungswerk

Christi

mit

dem jüdischen

Pass«, gleichwie später die Auögicßung deS h. Geistes mit dem Pfingsttage zusammcnfiel, geschah gewiß nicht ohne tiefen gött­

lichen

Plan,

und

es begegnen uns darin auch bereits die

Grundprincipicn der Bildung

des

christlichen KirchenjabrcS.

176 ES lag eine göttliche Absichtlichkeit darin, daß die h. Zeiten der Kirche auch rücksichtlich ihrer äußeren Berechnung in einer Be­

Auch daö jüdische Festjahr

ziehung zu einander stehen sollten. fiel

bürgerlichen,

mit dem

welches

seinen Anfang nahm, nicht zusammen,

daß

mit dem

Monat

Tisri

und es dürfte kaum zu

die hiermit gegebene Analogie nicht

leugnen

sein,

Einfluß

auf die entsprechende Institution der christlichen Zeit

ohne

geblieben ist.

Rücksichtlich der, nach Maßgabe der betreffenden Festeyklen einzelner

Auszeichnung

erfolgten

Sonntage

durch

verwandte

Begebenheiten der evangel. Geschichte, dürfte es wohl nicht zu­ fällig sein, daß z. B. die Perikopen vom letzten Gange Jesu

nach

Jerusalem,

sowie von seiner Versuchung

in der Wüste

am Eingänge der großen Fastenzeit zu stehen gekommen sind. Aehnlicheö

ist

von

den

evangel.

Abschnitten

nachtseykluü

hinter

dem

zwölfjährigen Jesuö,

Epiphanieufeste

sowie

von

seinem

der

Sonntage

Wenn im Weih-

Palinaruin und Qiiasiinodogenili zu sagen.

die Perikopen

ersten Wunder

vom

zu

Kana ihre Stelle gefunden haben: so erfolgte dies ohne Zwei­ fel ebenso planmäßig, als man das Fest des ersten Märtyrers, sowie den

Tag

der

unschuldigen

Weihnachlsfeste folgen ließ.

Kindlein

unmittelbar

dem

Genug, wir behaupten, daß die

Entstehung der Festeyklen nicht weniger den ersten Anstoß zur Perikopeubildung gab, als dann wiederum auch diese auf die

systematische Ausbildung jener Ersteren zurückwirkte.

Gleicher­

weise lag es im Interesse für die Schöpfung deS Kirchenjahres,

endlich

jedem

einzelnen

Sonntage neben

seinem

allgemeinen

Charakter noch jenen speeielleren aufzuprägen, der ihm durch seine bestimmte evangel. Perikope zu Theil geworden ist, und

bei

der

Bedeutung,

welche neben

epistolische frühzeitig im

Bewußtsein

dem

evangel.

Wort

daS

der Gläubigen gewann,

erschien es nur natürlich, der, dem Ersteren entnommenen Reihe

177 eine gleiche aus dem Andern für alle Sonn- und Festtage zur Leite zn stellen. Jedenfalls wäre es irrig, anzunehmen, daß von Haus aus irgend eine dogmatische oder ethische Idee der Entstellung deö Kirchenjahres zu Grunde gelegen habe; denn so schön wir jetzt auch in demselben den tiefsinnigen Gedanken ausgedrückt sehe», daß die Gemeinde der Gläubigen durch die ganze Zeit ihreS Lebens nur Ehristum, sowohl wie er in ihr, alS wie sie in ihm lebt, d. ll. sowohl in seinem persönlichen Dasein auf Erden, alS auch in seinem mystischen Dasein durch de» von ihm gesendeten Geist in der Gemeinde, zu verherr­ lichen habe: so llat doch dieser Gedanke eine Institution nicht geschaffen, welche ursprünglich zwar aus höchst gesundem, aber doch nur unbewußtem BildnngStriebe erwachsen und später erst sich selbst darüber, waS der christliche Geist damit eigentlich gemeint habe, klar geworden ist. Die, einzelnen Sonntagen zu Theil gewordenen Namen sind liturgischen Ursprungs und bestehen aus den Anfangs­ worten der Bibelsprüche, welche den sogenannten Introitus der betreffenden Sonntagsliturgieen ausmachen. Die Geneigtheit des christlichen Alterthums, den Anfang des Kirchenjallrcs mit dem Osterfeste zu datircn, findet nicht blos darin ihren Grund, daß im Tode und in der Aufer­ stehung des Herrn der Mittelpunkt seines Erlösungswerkes zu erkennen ist, sondern stützt sich auch auf die Analogie des jüdi­ schen Festjahrcs, welches mit der Passafeier, der die Versöh­ nung durch Christus als daS neue Paffa sich unmittelbar an­ schloß, begann. In Betreff der Weihnachtsfeier konnte ein durchgehendes Einverständniß ursprünglich um so weniger statt­ finden, als hier jener Anschluß an ein entsprechendes jüdisches Fest gebrach, und das kirchliche Bewußtsein der ersten Jahr­ hunderte sich vor Allem über den Anfang der erlösenden That­ sachen klar mit sich selbst verständiget haben mußte, bevor eine M ii ii t* r rrah. I deol. I. 12

178 durchgehende Vereinbarung in Ansehung der dritten Hauptfeier erfolgen konnte. Man suchte einen solchen Anfang; man war aber ungewiß, in welches Moment er zu setzen sei. Ein be­ sonderes Gewicht auf den Tag der Geburt deS Sohnes Gottes zu legen, zeigten manche Kirchenväter sich sogar abgeneigt. Clemens Alerandrinus tadelte Diejenigen, welche Jahr und Tag der Geburt Christi ängstlich zu erforschen suchten, und selbst noch ein Hieronymus und Augustinus, zu deren Zeit der 25. December als Weihnachtstag bereits feststand, scheinen demselben noch keinen großen Werth bcizulegen, wie denn auch aus einer, am 25. December 386 von ChrysostomuS gehaltenen Rede hervorgeht, daß das fragliche Fest damals erst seit zehn Jahren in Antiochien und Syrien eingeführt war. Das christliche Bewußtsein schwankte eben in den ersten Jahrhunderten über die Bestimmung des Punktes, von welchem der Beginn des, in der Zeit vollbrachten ErlösungSwerkeS zu datiren sei. In der Kirche des Orients hob man die Taufe Christi am Stärksten hervor, die Epiphanienfeier wurde daher hier als ein hohes Fest begangen und vertrat die Stelle von Weihnachten, wogegen das sinnigere Abendland früher als der Orient die Menschwerdung des Sohnes Gottes überhaupt in seiner Geburt von der Jungfrau festlich auszuzeichnen geneigt war, bis endlich das kirchliche Bewußtsein, klar über sich selbst verständiget, in diesem Momente mit Recht den wesentlichen Anfang der Erlösungsgeschichte erkannte. So hat es geschehen können, daß die Wege, die die beiden Feste durch die Christen­ heit genommen, sich gekreuzt haben. Wahrend der Lauf der Epiphanienfeier überwiegend vom Orient nach dem Occident gerichtet ist, verfolgt Weihnachten mehr den umgekehrten Gang, bis es im vierten Jahrhundert allgemein wurde und dann auch das Epiphanienfest in seinen Cyklus mit aufnahm. Hierbei noch die Bemerkung, daß die erwähnten Thatsachen keineswegs

179 die einzigen waren, an welche das christliche Bewußtsein der ersten Jahrhunderte den Anfang der Erlösungsgeschichte anzu­

knüpfen suchte; denn nicht blos die Erscheinung des Sternes im Morgenlande hob man neben der Taufe Christi hervor, sondern auch das zu Kana vollbrachte Wunder, da cs als die erste Offenbarung seiner Herrlichkeit vorgcstellt ist. Als mit der Weihnachtsfeier das kirchliche Festspstem des

Jahres sich abschloß, war cö natürlich, daß nun auch sie den Es ging jedoch schon tut sechsten Jahrhundert

Anfang machte.

in der Kirche Galliens

derselben

eine Adventszeit voran,

und cs lag dieser Einrichtung das Streben zu Grunde, Weih­

nachten ebenso wie Ostern durch eine Ouadragesimalvorbereitung zu verherrlichen, wie denn noch vom siebenten bis zum neunten Jahrhundert Spuren von sechs Adventsonntagen anzu­

treffen sind.

Gregor der Gr., welcher diese Institution von

Gallien entlehnte, rcductrte sic zugleich auf die dem Weihnachtöfcstc zunächst vorangehenden vier Sonntage, deren Feier

im angegebenen Sinne seitdem allgemein wurde.

Hiermit war

zugleich ein sichrer Anfangspunkt des Kirchenjahres gewonnen.

Jetzt liegt und ob, zn den einzelnen Festcpklen überzugchen.

8» 45. D i c

C. 1.

F e st c y k l e n.

Der Weihnachtscpklus.

Die Grundidee des Weihnachtsfestes ist die Offen­

barung Gottes im Fleisch, einerseits als geschichtliche Be­

gebenheit in der Menschwerdung als ein, durch

des koyog, andrerseits

die Wiedergeburt des Menschen aus dem

Geist sich immer wiederholender subjectiver Lebensproceß,

durch hinfort

welchen in

der

der

von

der

Gemeinde

reinen

geistig

Jungfrau

Geborne

geboren wird,

12 *

damit

180 diese auch ihrerseits als eine, in die Lebensgemeinschaft mit Christo hineingeborne sich darstelle. — Wenn es nun in der Natur der Sache lag, daß der an dieses Fest sich anschließende Cyklus solche Momente aus dem Leben des Erlösers in sich aufnahm,

wicklungsgang

des

welche den geschichtlichen Ent­

Menschensohnes

und

die

succesiive

Entfaltung der unendlichen Bedeutsamkeit seines irdischen Daseins zur Anschauung bringen, wie denn die Reihe der

hieher

gehörigen Sonntagsperikopcn

sehr

ausdrucksvoll

mit der Verklärung Christi auf dem Tabor schließt: so

erscheint es nicht weniger significant, daß die Weihnachts­ feier gleichzeitig mit einer Fülle solcher Festmomente sich

worin die Gemeinschaft der Heiligen,

umgab,

wie

sie

hienieden durch Kampf und Sieg als ein Kreuzrcich sich

manifestirt, in ihrer reichen Mannichfaltigkeit abgespiegelt

ist. Die in der Geburt des Weltheilands erfolgte Offen­ barung Gottes in der Kncchtsgestalt findet so ihr großes Gegenbild in der gleichen Gestalt, welche Christus auch

in den lebendigen Gliedern seines Leibes, der Gemeinde, worin

er

mystisch

ausgeboren

wird,

immerdar offen­

baren muß. Es

ist nicht unwahrscheinlich, daß die, in der zweiten

Hälfte deS vierten Jahrhunderts zu Stande gekommene Dereinbarnng der katholischen Kirche über die Feier des Weib­

nachtsfestes hauptsächlich im Gegensatz gegen die Dogmen und Gebräuche der Gnostiker, Manichäer, Priscillianisten u. anderer

Häretiker erfolgte, u. daß überhaupt die unendliche Bedeutsam­

keit der natürlichen Geburt Jesu mittelbar erst durch allerlei

sectirerische Meinungen zu ihrem vollen Rechte im Bewußtsein der Kirche gebracht wurde.

Hiermit würde zugleich die Ansicht

als falsch sich darstellen, daß eine Anknüpfung an gewisse,

181 christlich

umzubildende

heidnische Feste,

welche derselben Zeit

angehörten als die Bruinalic», Saturnalien, Iuvenalien, Co-

rollaricn u. s. w. im Interesse gelegen habe.

Wenn auch zu-

zugeben ist, daß das christliche Bewußtsein, nachdem die kirch­

liche Feier selbständig zu Stande gekommen war, eine bezie-

hungörciche Anknüpfung derselben an analoge heidnische Feste

zu machen, nicht unterließ, wie cS denn nahe lag, z. B. die

eigentliche Brumalfcier in einem geistigeren Sinne aufzufassen, und eS sich so erklärt, daß in der Folge der Zeit, alö man es mit

Neinerhaltung der christlichen Heortologie von heidnischer Jdololatrie nicht mehr allzu genau nahm, eine tiefgreifende Ver­

mischung von Christlichem und Heidnischem sich mehr und mehr «»bahnen konnte: so ist doch in Beziehungen solcher Art um so weniger ein EntstehnngSgrund der Weihnachtsfeier zu suchen,

alö die Kirchenväter jener Zeit selbst sehr entschieden gegen derartige Verwandtschaften protcstiren. Zwar machten, wie aus

Augustin zu ersehen, die Manichäer den Katholiken den Vor­ wurf: Soleinnes genlium dies cum ipsis celebratis, ul Caleudas

el

Solslilia

(Weihnachten

und

Johannis);

aber

Vco der Gr. erklärt dergl. Vermischung für ein Blendwerk

des Satan'S, welcher „de quorundam persuasione peslifera, ]