Praktische Theologie: Ein Guide 9783825251413, 3825251411

Seit dem 19. Jahrhundert ist die Praktische Theologie als ordentliche Wissenschaftsdisziplin fest im Universitätswesen v

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German Pages 367 [369] Year 2019

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Table of contents :
Cover
Impressum
Inhalt
Vorwort
Der Guide. Über seinen Sinn, Zweck und Gebrauch
Tour 1: Vorstellungen, Begriffe und Eindrücke
1.0 Dem ersten Wortsinn nach, und dann geradeaus
1.1 Berüchtigte Probleme mit Theorie- und Praxisbegriffen
1.2 Theologie. Zu Besuch bei einer ganz normalen Wissenschaft?
1.3 Praktische Theologie. Strapazen einer missverständlichen Wissenschaftsdisziplin
1.4 All die Bücher, all die Worte, all die steilen Thesen
Tour 2: Historische Epochen, Perioden und Episoden
2.0 Auf der Suche nach den Ahnen, einer eigenen Geschichte – und den bestmöglichen Fragestellungen
2.1 Von einer ernsten Trauerpraxis, spontan praktizierten Theologien, frühen christlichen Praxistheoriespuren, allerlei praxisnahen Ämtern und den Kriterien pastoralpraktischer Berufs(un)tauglichkeit
2.2 „theologia practica“. Eine extrem haltbare Vokabel im Wechselbad ihrer Verwendungsgeschichte
2.3 „Praktische Theologie“. Die Geschichte einer Krönung (und ihrer Konsequenzen)
2.4 Religion der Moderne. Eine Vielfalt von Frömmigkeitstypen, Sozialgestalten und Kulturpraktiken
Tour 3: Tatbestände, Impressionen und Zukunftsvisionen
3.0 Parameter und Variablen einer PT des 21. Jahrhunderts
3.1 Kirchliche Praxisangebote, Handlungsfelder und Spielräume für (religiöse) Menschen
3.2 Fremde Menschen und anderes Leben, ferne Welten und multiple Kulturen, bunte Praxis und unentdeckte Religion?
3.3 Dem Monomythos geschuldet, von Erzählungen umgeben, in Geschichten verstrickt?
3.4 Poiesis, Poesie und Pop, am Ende wieder ganz praktisch
Appendix: Souvenirtipps
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Praktische Theologie: Ein Guide
 9783825251413, 3825251411

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Der vorliegende Guide lädt zu drei Touren ein. Sein Ziel ist es, mit den weitgehend unbekannten Begriffswelten, Geschichtswelten und Zukunftswelten einer Praktischen Theologie bekannt zu machen, die sich im 21. Jahrhundert auf die Wahrnehmung und Gestaltung kulturell vermittelter religiöser Praxis konzentrieren will.

Dies ist ein utb-Band aus dem A. Francke Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen.

ISBN 978-3-8252-5141-3

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Frank Thomas Brinkmann

Praktische Theologie Ein Guide

Brinkmann

Ist die „Praktische Theologie“ unbekanntes Terrain? Was hat es mit dieser Fachrichtung auf sich, die im 19. Jahrhundert im Universitätswesen verankert wurde, um zu kirchlichem Handeln zu befähigen, der Frömmigkeitspflege zu dienen und den Transfer religiöser Wissensmengen zu begünstigen? Was genau war zuvor passiert, was geschah seither – und wie wird man aktuell und zukünftig Eigentümlichkeit, Qualität und Reiz dieser speziellen Wissenschafts­ disziplin ausmachen können?

Praktische Theologie

Theologie

22.02.19 10:07

5141 utb 0000

Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn Narr Francke Attempto Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld

Prof. Dr. Frank Thomas Brinkmann ist Inhaber der Professur für Praktische Theologie am Institut für Evangelische Theologie des Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften an der JLU Gießen.

Frank Thomas Brinkmann

Praktische Theologie Ein Guide

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

Umschlagabbildung: Jutta Haeckel, Satellite View. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2019 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: [email protected] Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Druck: CPI books GmbH, Leck utb-Nr. 5141 ISBN 978-3-8252-5141-3

Für Victor, meinen geliebten Sohn

Inhalt Vorwort 

...................................................... 9

Der Guide. Über seinen Sinn, Zweck und Gebrauch  . . . . . . . . . . . . 13 Tour 1:  Vorstellungen, Begriffe und Eindrücke.  . . . . . . . . . . . . . . . 25 1.0  Dem ersten Wortsinn nach, und dann geradeaus… 

.. . . . . . . . . . . . . . . . 25

1.1  Berüchtigte Probleme mit Theorie- und Praxisbegriffen 

. . . . . . . . . . . . . 30

1.2  Theologie. Zu Besuch bei einer ganz normalen Wissenschaft?  1.3  Praktische Theologie. Strapazen einer missverständlichen Wissenschaftsdisziplin  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4  All die Bücher, all die Worte, all die steilen Thesen.  

. . . . . . . . 40

. . . . . . . . . . . 56

. . . . . . . . . . . . . . . . 67

Tour 2:  Historische Epochen, Perioden und Episoden.  . . . . . . . . . 91 2.0  Auf der Suche nach den Ahnen, einer eigenen Geschichte – und den bestmöglichen Fragestellungen  . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . 91

2.1  Von einer ernsten Trauerpraxis, spontan praktizierten Theologien, frühen christlichen Praxistheoriespuren, allerlei praxisnahen Ämtern und den Kriterien pastoralpraktischer Berufs(un)tauglichkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2.2  „theologia practica“. Eine extrem haltbare Vokabel im Wechselbad ihrer Verwendungsgeschichte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2.3  „Praktische Theologie“. Die Geschichte einer Krönung (und ihrer Konsequenzen)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . 146

8

 Inhalt

2.4  Religion der Moderne. Eine Vielfalt von Frömmigkeitstypen, Sozialgestalten und Kulturpraktiken  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . 174

Tour 3:  Tatbestände, Impressionen und Zukunftsvisionen.  . . . . . 201 3.0  Parameter und Variablen einer PT des 21. Jahrhunderts 

. . . . . . . . . . . . . 201

3.1  Kirchliche Praxisangebote, Handlungsfelder und Spielräume für (religiöse) Menschen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . 210

3.2  Fremde Menschen und anderes Leben, ferne Welten und multiple Kulturen, bunte Praxis und unentdeckte Religion?  3.3  Dem Monomythos geschuldet, von Erzählungen umgeben, in Geschichten verstrickt?   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4  Poiesis, Poesie und Pop, am Ende wieder ganz praktisch.  

.. . . . . . 244

. . . . . . . . . . 284

.. . . . . . . . . . . 307

Appendix: Souvenirtipps  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Bibliographie  

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Vorwort „Was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen“, oder etwa nicht? Goethes dramatische Reimerzählung vom Coaching des angehenden Studiosus durch den arglistigen Fürsten der Finsternis, eine der vielen Leseperlen aus Faust. Der Tragödie erster Teil, hat es in sich. Um einen wissbegierigen Schüler geht es, der etwas Rechtes zu lernen beabsichtigt und sich an das Verstehen von Welt, Mensch und Religion heranwagen will, deshalb eine Konsultation bei dem berühmten Gelehrten ersehnt, aber zum Opfer einer folgenschweren diabolischen Charade wird. Denn der überlastete Herr Doktor mag gar nicht zur Verfügung stehen und lässt sich durch den maskierten Mephistopheles vertreten, dessen Spitzfindigkeiten wiederum den engagierten Jungspund völlig überfordern. Am Ende des perfiden Konsiliums sympathisiert der akademische Anwärter ausgerechnet mit einem Studium (der Medizin), das sich über berufliche, pekuniäre und amouröse Zukunftsaussichten definiert, vor allem aber über begrenzte Lernmengen, die sich zudem daheim speichern lassen. Fürwahr, der Teufel hatte ganze Arbeit geleistet und sein Opfer in der nachhaltigen Täuschung zurückgelassen, der zufolge es ausreicht, eigenhändig Mit- und Aufgeschriebenes neben höchstpersönlich angeschaffter Literatur zu lagern. Dass man diese Konserven als gesichertes Wissen besitzen könne, mutmaßt also der Betrogene unter dem Applaus des Höllenfürsten – und lässt im schlimmsten Zukunftsfalle alle Optionen verstreichen, Lese- und Denkmomente bzw. Überlegungs- und Verschriftlichungsvorgänge kreativ zu verweben oder Verstehens- und Reflexionsprozesse kombiniert zu kommunizieren. Hält der Diabolos diesbezüglich wohl auch gegenwärtig noch einige Finger im Spiel, etwa, wenn es heißt: „Können Sie das nicht mal alles aufschreiben?“ Über zehn Jahre hat mich diese Bittstellung, angetragen natürlich in mannigfachen Variationen, begleitet und verfolgt. Kaum eine meiner Kollegstrecken, Vorlesungssequenzen, Übungseinheiten oder Seminarsitzungen konnte jemals ohne die (gelegentlich vorwurfsvolle) Bemerkung abgewickelt werden, dass es ja leider keinerlei Möglichkeiten gäbe, das akustisch Vernommene auch in einem leserlichen Format mitzunehmen, abgesehen natürlich von den eigenen Mitschriften und den protokollarischen Notizen aus befreundeten Zirkeln. Dabei sei es doch längst gang und gäbe, die Studierenden mit sogenannten Handouts, Shortcuts und Exzerpten, idealerweise mit vollständigen Manuskripten auszustatten. Und fernerhin, müsse man ihnen denn nicht die Chance zur gedank-

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 Vorwort

lichen Vertiefung, gemeinschaftlichen Sinnerschließung und kommunikativen Verpflanzung wichtiger Pointen und Themen geben? Mit diesem, vor allem jedoch mit dem finalen Argument, dass es doch letzten Endes einfach schön sei, sich noch einmal im Modus des Leseerlebens zu vergegenwärtigen, was von der vorgestellten Praktischen Theologie zu halten sei, sind meine letzten Vorbehaltsdämme zusammengestürzt. Unter dem Eindruck (und der Hoffnung), dass die Täuschung des Mephistopheles unter ihrer eigenen Halbwertszeit endlich kollabiert und der Trugschluss von der schriftlich ausgelagerten Wissensmacht in Regalen folgerichtig bald abgegolten sein könnte, ist das vorliegende Druckerzeugnis entstanden. Es präsentiert sich als der printmedialisierte Versuch einer perspektivischen Standortbestimmung1 bzw. einer Stellungnahme zu allerlei kulturellen Aktivitäten, Manövern und Posen, zu religiösen Deutungen, Attitudes und Aktionen sowie zu theologischen Positionen, Haltungen und Horizonten – und kommt darin zustande als ein Guide (in, durch und) für die Praktische Theologie der ersten Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts. Ihre persönliche Nähe zu mir, ihrem Schöpfer, vermag diese Schrift nicht abzustreiten. (Stattdessen liefert sie ein weiteres Beispiel für die berühmte Basisthese des Marshall McLuhan, wonach ein Medium offenbar stets als eine Ausweitung der Person verstanden werden kann, die es in Anspruch nimmt bzw. konturiert und füllt.) Nachdem zunächst mehrere Prototypen, sodann ausgewählte fertiggestellte Kapitel, schließlich nur noch geringfügig abweichende Vorversionen des Endtextes in mehreren Durchläufen und vor wechselndem Publikum getestet worden waren, hatte sich am Ende neben einem wohltuend breitgefächerten Plazet bzw. einer einhelligen Befürwortung der Veröffentlichung eben auch das Votum durchsetzt, dass eine Verwandtschaft von Buchmedium und Autor unverkennbar sei – und der literarische Guide offensichtlich mit dem personalen Guide in Teilen identisch ist. Tatsächlich, so wurde im Vorfeld geäußert, habe das vorliegende Buch wohl ähnliche Charakterzüge und Eigenschaften wie sein Verfasser: in der Anlage zwang- und gewissenhaft, in der Durchführung auf Akkuratesse versehen und versessen, überraschend vielseitig bis beispiellos herausfordernd, was die Umsetzung von Denkungsart zu Schreibweise anbelangt, literarisch-stilistisch irgendwo zwischen Geistesblitz und Bandwurm, zwischen Feuilleton-Plauderton und Thomas Mann’scher Satzungetüm-Tradition, gelegentlich humorbemüht, wohldosiert zynisch, ge1

Gertrud Koch (Hrsg.) (2010). Perspektive – Die Spaltung der Standpunkte. München: Fink Verlag.

Vorwort 

danklich ambitioniert. Inhaltlich authentisch und ehrlich. Kurzum, einfach polarisierend. (Und damit kann ich leben.) Die ersten Anregungen und Impulse zu diesem Guide erhielt ich von Theologiestudierenden aus Bochum, Frankfurt und Gießen, früh kam es hier zu mannigfaltigen Rückmeldungen, zu weiterführenden Kommentaren und Verbesserungs- bzw. Änderungsvorschlägen. Als es diesbezüglich allmählich ruhiger wurde, übernahmen die akademischen Freundinnen und Freunde der Praktisch-Theologischen Sozietät zu Gießen die Lektüre sämtlicher Bausteine, um sachdienliche und konstruktive Kritik an Inhalt und Gedankenführung, an Lesbarkeit und Verständlichkeit, an Leistungs- und Wirkungspotential zu üben. Ihre Hilfe war von unschätzbarem Wert und hat sich an vielen Stellen bemerkbar gemacht; letzten Endes konnte sich auch die gemeinsame (Gedankenaustausch-)Arbeit mit dem Guide als recht empfehlenswert bestätigen. BA Anna Sophie Jäger und Pfr.‘in Christin Neugeborn haben schließlich voller Energie und Esprit das ziemlich komplexe, aber eben obligatorische Endlektorat abgewickelt, gründlich und gewissenhaft je ihre lehr- und pfarramtlichen Lesarten und Perspektiven eingespielt, mit gescheiten Randbemerkungen und wunderbaren Zeichnungen den Guide subtil geziert – und kurzerhand den bestmöglichen Schliff vorgenommen und besiegelt. Ihnen entboten sei dafür mein wahrhaftig empfundenes, innig nachtragendes und unverstellt aufrichtiges Vergelt’s Gott! Dass das vorliegende Werk auch eine treffliche Außenansicht hat, hat vor allem mit Jutta Haeckel, Professorin für Painting an der School of Art and Design, Alfred University, New York/Düsseldorf, zu tun: ihre großformatige Arbeit „Satellite View“, die sie freundlicherweise für das Cover und seine Gestaltung freigegeben hat, schmückt eben nicht nur den Einband des vorliegenden Guide, sondern harmoniert geradezu sensationell mit seiner Grundidee. Der Künstlerin und der Kunst dafür mein artverwandt-vertrautes und familiär-freundschaftliches Dankeschön! Bereits von den ersten konzeptionellen Skizzen des Guide war Daniel Seger begeistert; er hat ihn vorbehaltlos für eine Aufnahme in die utb-Sparten des Narr Francke Attempto Verlags empfohlen und dort selbst noch eine Zeit lang als Projekt begleitet. Elena Gastring, Julia Schumacher und Corina Popp haben die vorbildliche Projektbetreuung fortgesetzt und mustergültig vollendet. Allen genannten Personen wie auch ihrem unsichtbar gebliebenen Supportteam, insbesondere dem Verlag als Einrichtung sei aufs Herzlichste gedankt, gerade auch für die Geduld mit einem Guide, der bisweilen mit Lähmungserscheinungen zu kämpfen hatte und sich nur in kleinen Schritten langsam zu rühren vermochte.

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 Vorwort

Möge er sich nun aber endlich frei tummeln, ungehemmt bewegen – und eben nicht „nach Hause tragen“, sondern für herrlich seltsame Reisen in/durch die Praktische Theologie nutzen lassen. Gießen, im Februar 2019

Der Guide. Über seinen Sinn, Zweck und Gebrauch 

Der Guide. Über seinen Sinn, Zweck und Gebrauch Eine Einleitung Ganz klein, ganz vorne fängst du an und ziehst gemächlich deine Bahn. Schaust klug einher. Schaffst mehr und mehr. Sagst ganz am Ende: „War nicht schwer! Hab itzt auch welche mitgenommen.“ Doch wer beginnt, wo alles endet, die Kraft allein umsonst verschwendet, vermeldet bald ganz ohne Lachen: „War nichts zu machen! Ich bin fürbass nicht mitgekommen.“1 Sobald aber der Wanderer den schmal gesäumten Steilpfad verlassen und die mühevollen Strapazen des ersten Anstiegs hinter sich gelassen hat, erstreckt sich vor seinem überraschten Auge ein wildes Flurstück, das vor Lebendigkeit zu schillern scheint: Zwischen üppigen Blütenprachten tummeln sich Kreaturen, die uns in ihrer Andersartigkeit geradezu einladen, ihr fremdes Wesen zu erkunden. Eine Pracht und Vielfalt beginnt, sich zu offenbaren, und wir sind versucht, hier Symmetrien und Ordnungen zu erkennen, wie sie uns schon aus allerlei Mutterstädten bekannt sind.2 1

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Mit solchen Versgewittern durfte der Verfasser zu seiner Grundschulzeit Bekanntschaft machen. Die seinerzeit äußerst hartnäckige Mutmaßung, dass Klassenlehrer Messingfeldt, ein gnadenlos spätberufener Leidenschaftsreimer, das Gedicht vom fleißigen und klugen Kinde eigenständig verfasst hat, konnte durch keinerlei Recherche widerlegt werden. Diese Passage ist frei ersonnen und lediglich dem Schreibstil veralteter Baedeker-Reiseaufzeichnungen nachempfunden; vgl. Lauterbach, Burkhart (1989). Baedeker und andere Reiseführer. Eine Problemskizze. Zeitschrift für Volkskunde. Halbjahresschrift der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde 85, 206–234. Außerdem steht sie in keinem Verhältnis zu den absonderlichen, aber höchst lesenswerten Geographiebüchern über The clumsiest People in Europe, mit denen Favell Lee Mortimer (1802-1878) berühmt

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  Der Guide. Über seinen Sinn, Zweck und Gebrauch

„Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erleben“, weiß der Volksmund. Immer wieder gern betont er den eigenartigen Zauber jener besonderen Unternehmungen, die mit einem Aufbruch beginnen, in einem Anderswo stattfinden, eine gewisse Verweildauer einkalkulieren wollen und eine ganz spezielle Herznote erkennen lassen – wie etwa der romantische Wochenendausflug, der spontane Kurztrip, der gediegene Jahresurlaub oder die abenteuerliche Weltvermessung in 80 Tagen. Offensichtlich gibt es ganz unterschiedliche Beweggründe für das Reisen: aus Redensarten und Schlagertexten sind v. a. die Sehnsucht nach der Ferne bekannt und das Bedürfnis, Land und Leute kennenzulernen, fernerhin der Ansporn, Spaß zu haben und Action zu erleben oder einfach auszuspannen und sich zu erholen; in den aktuelleren Werbematerialien der marktführenden Reiseveranstalter werden diese gängigen Motive zunehmend mit Ergänzungsaspekten wie Leibesertüchtigung, Beziehungspflege und Prestigegewinn angereichert.3 Als Fitnessreisen, Singlereisen oder Luxusreisen, als Bildungsreisen, Unterhaltungsreisen, Abenteuerreisen, Entdeckungsreisen und Erlebnisreisen, als Geschäfts- und Handelsreisen, Wellnessreisen, Pilgerreisen und Studienreisen, gar als Zeitreisen lassen sie sich listen, diese Ausflugsunternehmungen mit speziellen Akzentsetzungen; jedoch bleibt zu konstatieren, dass bisweilen auch die seriösesten Zwecksetzungen – angesichts der überraschenden Eigendynamik des Reisens – ihre Trennschärfe aufgeben (müssen). Selbst die perfekt geplante Reise enthält offensichtlich genug Spielraum für Überraschungen, sodass sich durchaus anderes erleben lässt. Und darum scheint es doch zu gehen, wenn der Volksmund recht behalten soll; denn immerhin hat er doch ein Originalzitat verfremdet – bzw. zugunsten unberechenbarer Erlebniswerte verformt: „Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was verzählen. Drum nahm ich meinen Stock und Hut, und thät das Reisen wählen“. Mit diesem Vers beginnt der als Wandsbeker Bote4 bekannt gewordene Dichter und Lyriker Matthias Claudius (1740–1815), Autor zahlreicher religiöser Miniaturen und Verfasser

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geworden ist und die Nischengattung des bad-tampered Guide etabliert hat; vgl. Mortimer, Favell Lee/Pruzan, Todd (2007). Die scheußlichsten Länder der Welt. Mrs. Mortimers übellauniger Reiseführer. München: Pieper. Die Angebotssortimente der größten Club-Touristikunternehmen sind sehr aufschlussreich, insbesondere eben die Club-Sonderwochen für Fitnessbegeisterte und Ernährungsbewusste, für Familien, Paare oder Singles – und schließlich für Menschen, die nach eigener Auskunft einen gewissen Luxus nicht entbehren können. Gerlach, Annette (1990). Matthias Claudius und sein Bothe aus Wandsbek. Lichtenberg-Jahrbuch 3, 89–103.

Der Guide. Über seinen Sinn, Zweck und Gebrauch  

des berühmten Abendliedes „Der Mond ist aufgegangen“ (EG 482), sein Gedicht zu Urians Reise um die Welt.5 Im Mittelpunkt besagter Reimerzählung steht die seinerzeit recht populäre Kunstfigur des (unangenehm plumpen) Herrn Urian, der einem zunächst noch wohlgeneigten Publikum von seiner unlängst unternommenen Weltreise berichten will. Nicht ohne selbstgefällige Prahlerei schreitet er dabei die Stationen seiner Großunternehmung ab und weiß für jede Etappe – von Grönland über Amerika, Mexiko, Asien, China, Bengalen und Java bis nach Afrika – eine sinnfreie Anekdote zum Besten zu geben, um sich des Applauses zu versichern: „Da hat Er gar nicht übel dran gethan; Verzähl' Er doch weiter, Herr Urian!“6, animiert ihn folgerichtig die lauschende Corona nach jeder Episode, bis der hochmotivierte Tölpel als Quintessenz seiner seriellen Narration vorträgt, dass er, der sich dank ausgezeichneter Beobachtungsgaben mit vielen Städten und Menschenkindern beschäftigen durfte, lediglich zu folgern vermag, dass überall die Menschen „grade so wie wir, und ebensolche Narren“7 sind – woraufhin ihn das Publikum endlich unwirsch abstraft. „Da hat Er übel übel dran gethan; Verzähl Er nicht weiter, Herr Urian!“8, hält man ihm berechtigt entgegen: Denn wer so weit reist, um allein die üblichen Binsenweisheiten zu rekapitulieren, hätte niemals reisen dürfen; wer reist, muss erzählen können, und zwar mehr und Besseres als die Zurückgebliebenen, denen die (Aus-)Sicht verwehrt geblieben ist. (Anekdoten reichen also nicht aus. Hörensagen erst recht nicht.) Wenn einer eine Reise tun will, zumindest eine solche, die mehr ist als die oberflächliche Urian’sche Weltenbummelei, dann darf eine angemessene Vorbereitung sicherlich ebenso anempfohlen werden wie ein begleitendes Equipment, das die Strapazen (während) der gesamten Veranstaltung in Grenzen hält; Reisewilligen wird dringend geraten, sich für die unterschiedlichen Etappen ihrer avisierten Tournee mit geeigneten Hilfsmitteln einzudecken: Steigeisen und Wasserflaschen dürfen bei einer extensiven Kletterpartie in den Bergen Südtirols ebenso wenig fehlen wie die Sonnenschutzmittel an den Surf- und Badestränden von Fuerteventura, und eine erklärende Handreichung zu wichtigsten Sehenswürdigkeiten ist in den Kulturmetropolen der Toscana ähnlich Claudius, Matthias (1789). Urians Reise um die Welt. In: Ders. (Hrsg.) ASMUS omnia sua SECUM portans, oder Sämmtliche Werke des Wandsbecker Bothen, Fünfter Theil. Wandsbeck: beym Verfasser, 113–116. Perthes 6 A.a.O., 113 u.ö. 7 A.a.O., 116. 8 Ebd. 5

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  Der Guide. Über seinen Sinn, Zweck und Gebrauch

unverzichtbar wie der Gastronomieratgeber für die Feinschmeckerregionen der Provence. Grundsätzlich macht es nämlich Sinn, bei einer Reiseunternehmung – ganz gleich, ob sie ihre(n) Schwerpunkt(e) auf Entdeckung oder Erholung, auf Erlebnis, Genuss oder Unterhaltung legt – technische und literarische Unterstützung in Anspruch zu nehmen, um die besondere Qualität zu sichern oder gar anzuheben. Nicht unbedeutend ist dabei der Umstand, dass die besagten Hilfsmittel mit einer Geschichte ihrer eigenen Nützlichkeit und Bewährtheit behaftet sind, sich also bereits anderswo, aber in ähnlichen Szenarien als überaus tauglich bewiesen haben – und in der Regel ja auch von orts-, strecken-, verkehrs- und sachkundigen Personen entwickelt worden sind. Vereinfacht und exemplarisch gesagt: Wer von Sonnenschirm, Getränkebehälter, E-Bike, Restaurantnavigator und Kirchenführer Gebrauch macht, bedient sich indirekt, aber sehr profitabel am Erfahrungspool von Menschen, die bereits ihre speziellen (Reise-)Erfahrungen mit Hitzschlag, Durst, Entfernungsstrecken, unverdaulichen Mahlzeiten und den Bekleidungsregeln in Gotteshäusern gemacht, allerdings mithilfe geeigneter Requisiten gemeistert und abschließend erfolgreich kommuniziert haben. (Oftmals sind es dieselben, die aufgrund ihrer besonderen Kompetenzen erfinderisch geworden sind oder sich vor dem Hintergrund ihrer Expertise gourmetkritisch, museumspädagogisch bzw. kirchenpädagogisch zu Papier bringen mussten.) Und wenn jemand eine Reise unternehmen will, die sich gar nicht zwingend auf geografische Territorien konzentriert, etwa, weil sie (z. B.) vorrangig in sozialen Kosmen stattfindet, in historischen Sphären, in kulturellen Universen oder auf intellektuellen bzw. spirituellen Ebenen? Nun, auch für Exkursionen und Trips in Alltags- und Lebenswelten, Geistes- und Ideenwelten, Zukunftsund Phantasiewelten, Geschichten- und Geschichtswelten9 mögen doch die zusammengestellten Grundsätze gelten, nämlich: ▶▶ dass Reisende permanent mit überraschenden Spielräumen und eigensinnigen Erlebniswerten rechnen sollten, ▶▶ dass ihre Auffassungsgabe, ihr Beobachtungstalent, ihr Folgerungsgeschick und ihre Eignung zur (späteren) anschaulichen Reiseberichtserstattung die Qualität der Gesamtveranstaltung maßgeblich beeinflussen können

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Vgl. Bermes, Christian (2004). Welt als Thema der Philosophie. Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff. Hamburg: Meiner.

Der Guide. Über seinen Sinn, Zweck und Gebrauch  

▶▶ und dass sie von einem Medienpool profitieren bzw. sich mit einem Hilfsequipment verstärken dürfen, das den Verlauf, den Sinn und das Ziel der Reise optimieren kann. Dass jemand eine Reise tun will in die Praktische Theologie und dabei der hier aufgeführten Reiseoptimierungslogik zu folgen bereit ist, davon möchte nachfolgend ausgegangen werden. Allerdings, mit einer simplen Lustfahrt oder einem oberflächlichen Kurztrip kann diese Welt kaum reisend erschlossen werden; immerhin ruht sie doch auf einem höchst originellen Begriffsfundament, hat eine recht besondere Geschichte, zudem eine eigensinnige Kultur, spezielle soziale Ausmaße und Konturen, womöglich auch eine aparte Zukunft – weswegen sie sich je nach Perspektive u. a. als Begriffswelt, als Geschichts- und Geschichtenwelt sowie als Zukunftswelt vermessen wie bereisen lässt. Das Projekt mit dem Arbeitstitel Reise in die Welt (und durch die Welten) Praktischer Theologie ist folgerichtig ziemlich anspruchsvoll, ganz besonders vielseitig, mitunter gar spannend, bisweilen erholsam, gelegentlich (denk)sportlich, zeitweilig unterhaltend, hin und wieder abenteuerlich, vereinzelt amüsant. Es ist gewiss nicht übertrieben, mit der aufgegriffenen Bildsprache (im übertragenen Sinne) zu behaupten, ▶▶ dass sich in der angesprochenen Reisewelt, die ja immerhin in unzähligen Chroniken und Annalen erwähnt wird, eine Fülle an Feldern, Flurstücken, Regionen, Liegenschaften, Stränden, Promenaden, Küsten, Naturschutzgebieten, Wanderdünen, Hochebenen, Gebirgszügen, Gipfeln, Hügeln und Niederungen finden lässt, dementsprechend eine ganze Reihe unterschiedlichster Akteure und Atmosphären, Mentalitäten und Stimmungen, Sprachregelungen und Gepflogenheiten, Sitten und Gebräuche, ▶▶ dass sich demzufolge allerlei unterschiedliche Expeditionen, Erholungsausflüge, Erlebnistouren, Streifzüge anbieten, aber auch Picknickpausen, und ▶▶ dass ein vernünftiger, zünftiger Guide nicht das schlechteste Hilfsmittel wäre. Ein Guide? Nun, längst ist aus der ursprünglich wohl französischen, sodann anglisierten Vokabel ein kulturmächtiger konzeptioneller Begriff geworden, der auch jenseits anglo- und frankofoner Regionen funktioniert. Als (technisch-mediale) Instrumente, aber auch als (menschlich-persönliche) Führungsund Begleitinstanzen kommen Guides zum Einsatz und vermögen wichtigste

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  Der Guide. Über seinen Sinn, Zweck und Gebrauch

Hilfestellungen zu leisten. Aus touristischen sowie alltagspraktischen10 Kontexten kennt man sie und weiß um ihre Eigenschaften und Vorzüge; wer sich einer unbekannten Größe (bzw. Welt) zu nähern beabsichtigt, ist gut beraten, sich auf die Unterstützung durch einen Guide einzulassen, der je nach Situation tritt- oder stilsicher, situationsbeherrschend oder auch -bereinigend, schrittflankierend oder gar dominant in Erscheinung (und zur Seite) tritt. Kurzum, mit einem Guide (im Gepäck oder im Team) kann man sich vorbereiten und einstimmen, Impulse und Anregungen einholen, korrigieren, stabilisieren und auf sichere Pfade (zurück-)bringen lassen; vor, während und nach jeder Tour wird der Guide im Idealfall zu einem Rat gebenden, kompetenten, ortskundigen Beistand, der fokussieren hilft, sachkundig Hilfestellungen gibt, dezent für selbständige Unternehmungen zurüstet und das Augenmerk der Beteiligten für Bemerkenswertes sensibilisiert. Was den medial aufbereiteten, insbesondere literarisch formatierten Reiseguide betrifft, so vermag für gewöhnlich schon (s)ein Inhaltverzeichnis zu signalisieren, was er zu leisten imstande ist; hier werden in der Regel all seine Kompetenzen unter plausiblen Rubriken gelistet: Wie die Anreise vonstattengehen kann, was über die Chronik der Zielregion zu sagen sein bzw. wie ihre Geschichte bestmöglich erzählt werden will, welche Brauchtümer und Gepflogenheiten vorherrschen, worin sprachliche und kulturelle Besonderheiten bestehen, wie es um Landschaften, Lagen und Orte bestellt ist, welche Routen sich empfehlen, um sich diese Gegenden zu erschließen und Personen zu begegnen – und was es ansonsten noch Wissenswertes (von A bis Z) geben kann. So weit, so bekannt, so gut – und ebenso unkompliziert zu übertragen. Denn Ähnliches und Vergleichbares könnte ja nun auch von einem Print- bzw. Speicher- und Bildungsmedium erwartet werden, das sich als Guide für (bzw. in die) Praktische Theologie begreifen und vorstellen möchte. Es braucht nicht viel Transferphantasie, die bisherigen Assoziationspointen für den avisierten akademischen Bereich zu präzisieren und, verweilend im Duktus der angedeuteten Gebrauchssemantik, einmal ganz plakativ die Ziel- und Zwecksetzung eines solchen Guide zu markieren. Zu dessen Absichten und Aufgaben nämlich könnte gehören, 10 Neben dem Guide, der sich auf einen geo- bzw. topographischen Sektor (z. B. als Städteguide, Alpenguide, oder Toscanaguide) spezialisiert, gibt es v. a. auch denjenigen, der ein kulturelles Segment oder Sediment (z.B. als Opernguide, Museumsguide, Modeguide, Gastroguide oder Szeneguide) in den Blick nimmt.

Der Guide. Über seinen Sinn, Zweck und Gebrauch  

▶▶ eine angenehme (intellektuelle) Anreise in die zu erkundende Welt: Praktische Theologie zu ermöglichen, v. a. aber auch kritisch auf unmögliche Passstrecken, unzulässige Abstecher und gefährliche Stege einzugehen, ▶▶ mit interessanten Geschichten und ausgewählten Daten einer konsensfähigen Chronik das Werden und Wachsen dieses besonderen Gebiets zu veranschaulichen sowie typische Wesenselemente und wandelbare Charakterzüge dieser sich sukzessiv weiter entwickelnden Welt nachvollziehbar hervorzuheben, ▶▶ über die Ideen- und Sprachspiele, die Gepflogenheiten, Regelwerke und Handlungsfelder dieser Welt (im Modus anthropologisch und theologisch verantworteter Reflexionen) zu informieren, sodass deren eigenartige Sphären gedanklich erschlossen sowie verständnisvoll betreten und gestaltet werden können, ▶▶ auf spezielle Regionen und besondere Geländeformationen, die sich kaum über traditionelle Pfade (und Denkwege) erreichen lassen, aber auch auf exotisch anmutende Spezies und bedeutende extraordinäre Artefakte aufmerksam zu machen, freilich nicht ohne geeignete Beobachtungsposten zu benennen und mit weiterführenden Hinweisen einzuladen, eigene Erkundungen und Vermessungen vorzunehmen, ▶▶ jenen Faktor Mensch ins rechte Licht zu stellen, der für die Entstehung und Pflege großer Ideen und starker Spekulationen, kulturprägender Praktiken und lebensbegleitender Brauchtümer verantwortlich bleibt, sprich: ▶▶ Informationen zu imponierenden Landschaftsarchitektinnen und prägekräftigen Geschichtspionieren anzubieten, zu konservativen Theoriekompositeuren oder innovativen Kulturdirigentinnen, ▶▶ deutliche Hinweise auf Einzelpersonen zu geben, die etwas bewirken konnten, weil sie gelitten haben oder gestritten, studiert oder kultiviert, regiert oder zivilisiert, gebildet oder verändert, aber auch ▶▶ Auskünfte über Personengruppen und -scharen zu erteilen, über soziale Gebilde, Machtapparate und Institutionen, ohne die Religion und Kultur niemals denkbar (gewesen) wäre. De facto ist aus dieser Projektskizze der vorliegende Guide: Praktische Theologie entstanden. Er möchte, ganz im Sinne des alltäglichen Sprachgebrauches, als ein wirklich praktisches und behilfliches, weil informatives und modernes Büchlein gelten, das sich, wie zu erwarten, speziell auf jenen großen Komplex der akademischen Theologie bezieht, der sich im Chor ihrer großen Fachrich-

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  Der Guide. Über seinen Sinn, Zweck und Gebrauch

tungen – also neben den Bibelwissenschaften (Altes Testament und Neues Testament), der Kirchengeschichte und der Systematische Theologie – traditionell als kooperierende und eigenständige Disziplin verstehen und unter der Rubrik Praktische Theologie behaupten will. Als Vor- und Nachschlagewerk sollte es interessant werden für Lehramtsstudierende, die in den ersten Semestern ihres Studiums möglichst schnell lernen und griffig haben wollen, wofür die Theologie im Ganzen steht und ihre vier bis fünf großen Fachkulturen im Einzelnen gut sind – bis sie dann zum Ende ihrer limitierten Lehrzeit, nachdem sie sich also in Kursen und Modulen allerhand exemplarisches Spezialwissen haben aneignen können, noch einmal aufs Ganze gehen und mit einer Lesewiederholung gewissen Zusammenhängen auf die Spur kommen möchten. Ganz Ähnliches gilt für Bachelor- und Masterstudierende mit Theologie in Haupt- oder Nebenfach, die ja in einem begrenzten Zeitraum ein breites Spektrum an Kenntnissen und Kompetenzen erwerben müssen, um später in Gesellschaft und Kultur, in Wissenschaft, Wirtschaft oder Politik angemessen gebildet und verantwortungsvoll agieren zu können. Doch auch Pfarramtsstudierende, die sich ganz auf ein einziges Studienfach ohne Nebenfächer und Regelstudienzeiten konzentrieren können, müssten Gefallen finden können an einem lesbaren Informations-, Rat- und Ideengeber, der bei der ersten Lektüre mit einer terra incognita, mit wissenschaftlichem Neuland bekannt macht, bei einer zweiten oder dritten, späteren Lesung hingegen Erinnerungen an bereits Erkundetes weckt und idealerweise zu eigeninitiativen Entdeckungsunternehmungen ermutigt. Für jede Zielgruppe lohnt (und empfiehlt) sich also ein mehrmaliges Lesen, idealerweise in unterschiedlichen Phasen der Ausbildung, möglichst auch als eine gemeinschaftliche Auseinandersetzung mit Perikopen und Themen, gern auch unter Einbezug der Fußnoten und Anmerkungen, die den Sinngehalt des Fließtextes zu unterstützen suchen: obgleich die Lektüre für eine Individualreise geeignet bleiben soll, liegt doch der eigentliche Herausforderungsreiz im regen Austausch einer Reisegruppe ähnlich Interessierter, die den gesellig-intellektuellen Austausch nicht scheuen. Unser Guide: Praktische Theologie konzentriert sich auf drei große Expeditionstouren, die – wie bereits angedeutet – als Reisen in die Begriffswelt(en), in die Geschichts- und Geschichtenwelt(en) sowie in die Gegenwarts- und Zukunftswelt(en) angeboten werden. Diese übersichtliche Anordnung korrespondiert mit der Überzeugung, dass ein bestmöglicher Wissens- und Kompe-

Der Guide. Über seinen Sinn, Zweck und Gebrauch  

tenztransfer11 nur dann gegeben ist, wenn gehaltvolle und plausibel formatierte Datensätze an interaktive Kommunikations- und Sinnerschließungsprozesse gekoppelt werden, v. a. aber auch mit der Einsicht, dass die Darstellungslogik klassischer Lehrwerke zeitgemäße Alternativen benötigt und die als Basislernstoffe bezeichneten Wissensmengen immer wieder neu (ein-)geschätzt und arrangiert werden müssen. 12 Wer die bis in die jüngere Gegenwart in Geltung befindlichen Leitfäden und Studienbücher auf deren Aufbau und Gliederung hin betrachtet, wird in der Regel mindestens vier – freilich unterschiedlich nuancierte – Rubriken erkennen; für gewöhnlich wird Gebrauch gemacht ▶▶ von einem quasi grundlegenden Kapitel, das die Frage nach Begriff und Wesen von Praktischer Theologie aufgreift und vielseitig variiert (Was ist religiöse bzw. christliche Praxis? Was leistet wissenschaftliche bzw. praktische Theologie?), ▶▶ von Skizzen, in denen die Geschichte des Begriffs Praktische Theologie dekliniert, aber auch die Entstehung und Geschichte der Praktischen Theologie, der Christentumspraxis oder der organisiert-institutionalisierten kirchlichen Religionsausübung reflektiert wird, ▶▶ von einem Großparagraphen, der sich auf die Handlungsfelder der institutionalisierten christlichen Religionspraxis bezieht und z. B. der Frage nachgeht, wie (und warum) sich religiöse Praxis überhaupt institutionell zu formatieren sucht und in Sozialgestalten zu entfalten strebt, sowie ▶▶ von einem Konvolut kleinerer Artikel, die sich auf zeitdiagnostische Betrachtungen kaprizieren, alternative Paradigmen, notwendige Turns, erneuerbare Basiskategorien, innovative Leitsignaturen und modifizierte Theoriemodelle hinbewegen.

11 Wichter, Sigurd/Antos, Gerd (2001). Wissenstransfer zwischen Experten und Laien: Umriss einer Transferwissenschaft (= Transferwissenschaften 1). Frankfurt a. M.: Peter Lang; Ders./Stenschke, Oliver (2004). Theorie, Steuerung und Medien des Wissenstransfers (Transferwissenschaften 2). Frankfurt a. M.: Peter Lang. 12 Vor vielen, vielen Jahren war der Verfasser des vorliegenden Guides als ganz junger Student einmal auf einer Tagung gewesen, auf der ein Praktischer Theologe, seinerzeit mittleren Alters, sein neues Buch zu verteidigen hatte – und sogar während der Mahlzeiten noch hat diskutieren müssen. Er habe den Ausverkauf der Theologie betrieben, das war seinerzeit einer der harmlosesten Vorwürfe. Heute, am Ende des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts, gilt der besagte Theologe als einer der bekanntesten und gefragtesten Köpfe seiner Zunft.

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  Der Guide. Über seinen Sinn, Zweck und Gebrauch

Tatsächlich nimmt der vorliegende Guide, wenngleich zögerlich und behutsam, mit seiner dreigliedrigen Spezialsortierung partielle Neubewertungen bestimmter Bausteine vor, die freilich den Charakter von Empfehlungen behalten wollen: Allen Lesenden wird nämlich das Potential attestiert, kreativ, kommunikativ und interaktiv mit den dargebotenen Denk- und Gesprächsanregungen umzugehen, selbständig die angestoßene Gedanken-Weltreise anzutreten, pointiert eigene Zugänge zu wagen, vom Mainstream abzuweichen und eigene Überlegungswege einzuschlagen – sodass sich Ort und Ziel der Reise in den Reflexions- und Gestaltungsaktivitäten der Studierenden entwickeln und realisieren können: Die Reise in/durch die Praktische Theologie ist erst abgegolten, wenn eine praktisch-theologische Kompetenz in den Köpfen entstanden und die bereiste Welt vor dem inneren Auge zu blühen und zu glühen beginnt. Und sollte sich im Verlauf der Gesamtreise abzeichnen, dass einige Sehens- und Denkwürdigkeiten mehrmals, wenngleich aus dem modifizierten Blickwinkel der jeweiligen Tour, gestreift werden (müssen), ist das nicht nur der Eigenlogik der Literaturgattung Guide13 geschuldet, sondern insbesondere auch dem Tatbestand, dass die Praktische Theologie selbst keine final fixierte, sondern eine fluide, schillernde Welt im Wandel ist, die sich den Reisenden erst im Dialog unterschiedlichster Perspektiven, Stimmungen und Deutungen erschließt. Wenn jemand eine Reise tut! Liebe Leserin, lieber Leser, fangen Sie jetzt endlich an, sich durch die folgenden Kapitel hindurchzuarbeiten, gern dem Vorschlag der Gliederung folgend und also der Reihenfolge nach, aber auch, bei Bedarf, im Blätter- und Wühlmodus des kreativen Kreuz-und-Quer. Lesen Sie, gehen Sie das Wagnis ein, und seien Sie gelegentlich respektlos, wenn Sie meinen, eine andere, bessere Idee entwickeln zu müssen. Hier und da finden Sie regelrechte Gedankenungetüme, besonders dort, wo exemplarisch auf extrem gescheite Menschen – wie etwa Immanuel Kant oder Martin Luther, Ernst Troeltsch oder Aristoteles, Friedrich D. E. Schleiermacher oder Thomas von Aquin – eingegangen werden musste. Versuchen Sie, wenn es eben möglich ist, diese Gestalten im Original zu verstehen, also mal eine sogenannte Primärquelle zur Hand zu nehmen. Manchmal ist der O-Ton von bestimmten klugen Köpfen um Längen besser als alles, was Sie jemals bei Wikipedia oder über Google finden 13 Weiterführend vgl. Scherle, Nicolai/Kagelmann, Hans-Jürgen (2008). Art. Reiseführer. In: Fuchs, Wolfgang (Hrsg.) Lexikon Tourismus: Destinationen, Gastronomie, Hotellerie, Reisemittler, Reiseveranstalter, Verkehrsträger. München/Wien: Oldenbourg, 549–553.

Der Guide. Über seinen Sinn, Zweck und Gebrauch  

würden. Bilden Sie sich ruhig ihre eigene Meinung, und tauschen Sie sich darüber aus. Selbst die zufriedensten Leserinnen und Leser sollen sich nicht damit zufriedengeben, dass ihnen der PT-Guide gut tut. Fühlen Sie sich bitte jederzeit eingeladen und aufgefordert, auch die berühmte zweite Meinung einzuholen; es ist Ihnen kein anderer Rat zu erteilen als derjenige, nach dem Lesen weiter zu lesen. Es gibt eine ganze Reihe guter Bücher, die ein ähnliches Ziel verfolgen wie dieser Guide: Bücher, die sich von ihrem Titel her – zugegeben – etwas plakativer, dezidierter und energischer in den Dienst traditionellen Wissenstransfers stellen. Ihr akademisches Format geben sie darin erkennbar zum Ausdruck, dass sie sich selbst charakterisieren als Einführungen, Grundrisse, Leitfäden, Handbücher, (Gesamt-)Darstellungen oder Kompendien; auf unterschiedlichen Hochebenen und Niveauplateaus findet man hier Denkansätze entfaltet, Wissensmengen aufbereitet und Lernstoffkataloge zusammengestellt. Mitunter ist der literarische Gesamtumfang so beträchtlich und das Vokabular derart antiquiert, dass es eine wahre Freude ist, wieder zu dem vorliegenden Guide, mit dem man doch angefangen hat, zurückkehren zu können. Ganz so, wie es die eingangs zitierten Verse aus dem mündlich überlieferten Gedicht eines fleißigen und klugen Kindes auch schon wussten. Gute Reise also!

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Tour 1:  Vorstellungen, Begriffe und Eindrücke. Streifzüge durch ausgefallene Wortwelten mit sonderbaren Denkgebäuden, unternommen als vergnügliche Schlendereien und strapaziösere Promenadenbummel

1.0  Dem ersten Wortsinn nach, und dann geradeaus… Die Studierenden kamen in Scharen. Auffällig emsig packten sie Mitschreibeblöcke und Stifte aus der Tasche, einige kramten Notebooks hervor und machten ein interessiertes, modernes Gesicht. „Jetzt geht’s lo-hos, jetzt geht’s lo-hos!“ skandierten sie, als Professor Faderlein-Strötenberkamp, ihr neuer Dozent für Praktische Theologie, das Lehrpult betrat und seine Unterlagen sortierte. „Jetzt geht’s lo-hos!“ Irritiert schob sich Faderlein-S. die Lesebrille hoch über sein Stirnhaar, blickte nach oben und fragte hilflos in die erste Reihe: „Entschuldigen Sie bitte, was genau meinen Sie, geht denn jetzt los?“ Unzählige Meldehände schnellten nach oben, und noch bevor er eine Auswahl hatte treffen können, rief bereits die erste mutige Studentin in den Hörsaal, was wohl die Meisten gemeint hatten: „Na, das Praktische eben! Wir haben doch alle unsere Grundkurse gemacht. Bibelwissenschaften, Kirchengeschichte, Systematik – die ganzen Theoriemodule sind halt fertig, und jetzt hören wir endlich, wie wir das in die Tat umsetzen!“ Ihr Nachbar zur Seite kam ergänzend zu Hilfe: „Genau! In die Praxis! Jetzt kommt doch die Praxis! Weg von der Theorie …!“ Der Professor schüttelte nachdenklich sein Haupt: „Ich fürchte, wir müssen ganz von vorn anfangen!“1

Dabei hatten die Studierenden durchaus plausible Gründe für ihre assoziativ hergeleitete Mutmaßung, dass die Praktische Theologie etwas mit Praxis zu tun hat. Nur was? Immerhin werden doch im alltagssprachlichen Regelfall die Vokabeln aus besagter Wortfamilie herangezogen, wenn etwas unter den Nützlichkeitsaspekt gestellt und als gebrauchstauglich qualifiziert werden soll: Praktisch ist ein Gegenstand, wenn er seinem Zwecke dient, und zwar auf 1

Diese Episode entstand aus Fragmenten des Gedächtnisprotokolls, das der Verfasser nach einer Unterhaltung mit Fachkolleginnen und Fachkollegen am Rande einer Tagung erstellen konnte. Der Name des Hochschuldozenten ist mit Rücksicht auf die Person, die von dieser Begebenheit erzählt hat, frei erfunden.

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  1.0  Dem ersten Wortsinn nach, und dann geradeaus…

möglichst treffliche Weise; als praktisch bezeichnet man ein Gebilde, sobald es sich als verwendbar erweist – und man es in einem bestimmten Nutzungskontext besonders gut einsetzen kann. Insofern ist eine Multifunktionssteckdose ebenso praktisch wie ein Rückenkratzer – ganz abgesehen einmal von den typischen Instrumenten und Werkzeugen, die man sich früher einmal im Praktiker-Baumarkt hat kaufen können. Besonders heikel sind erwartungsgemäß die Grenzfälle einer so vereinfachten Begriffsgebrauchslogik. Die Tafel Markenschokolade etwa, die jahrelang mit dem Slogan „Quadratisch–praktisch–gut!“ umworben wurde, war leider nur praktisch im Blick auf das hosentaschenfreundliche Format; dass die formatierte Substanz der umworbenen Handelsware an den avisierten Aufbewahrungsorten schneller schmolz als erwartet, ist letzten Endes wohl eher als unpraktisch wahrgenommen worden. Weitere Beispiele gibt es zuhauf; wer das zugrundeliegende Denkschema einmal verinnerlicht hat, versteht unmittelbar, worauf es hinauslaufen soll, wenn in einer Debatte praxisrelevante Aspekte zur Sprache gebracht, in einem Gutachten praxisferne Forschungsresultate gescholten – oder in einem Kneipengespräch schlichtweg tumbe Redensarten wie „Praktisch denken – Särge schenken!“ aufgebracht werden. ▶▶ Bestätigt findet sich diese Begriffsverwendungstendenz auch nach einem Blick in ein etymologisches Lexikon2 der deutschen Sprache, das die entsprechenden morphologischen Zugehörigkeitsverweise liefern und weiterführende Erläuterungen anbieten will; hier wird erklärt, ▶▶ dass die Vokabel Praktik im 15. Jh. aus dem mittellateinischen practica bzw. aus dem griechischen prāktikē´ entlehnt worden ist und eine Verfahrensweise, eine Anwendungsmethode bezeichnen will3 ▶▶ und dass der Terminus Praxis, im 17. Jh. vom lateinischen prãxis bzw. vom griechischen prãxis abgeleitet, zunächst die Bedeutung von Tätigkeit, Verfahren innehatte, bis er sich im 18. Jh. pauschal als Gegenbegriff zu Theorie etablieren und schließlich bedeutungsspezifisch auf die Tätigkeitsräume von Ärzten und Anwälten beziehen lassen konnte.4

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Hier: Kluge, Friedrich (1989). Art. Praktik. In: Ders. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 22. Aufl. Berlin/New York: De Gruyter, 559 ff. Vgl. a. a. O., 559. Vgl. a. a. O., 560 f.

Tour 1:  Vorstellungen, Begriffe und Eindrücke. 

Aber was wäre jetzt eine Praktische Theologie? Sollte man sich darunter eine besonders taugliche, weil in konkret umrissenen Kontexten bestmöglich einsetzbare und daher nützliche Theologie – womöglich im Sinne einer lebensdienlich-weisheitlichen Gotteslehre – ausmalen? Und wie hätte man sich eigentlich diese Nutzungskontexte vorzustellen, worin bestünde jener offenbar bereits vorweg angenommene besondere Nutzen? Wie lassen sich überzeugende Kriterien für die unterstellte (Praxis-)Tauglichkeit und Nützlichkeit gewinnen, Kriterien nämlich, mittels derer sich Unterscheidungen von Praxisnähe und Praxisferne, von Tauglichkeit und Untauglichkeit bzw. Nutzlosigkeit graduieren lassen? Eine andere Möglichkeit wäre, unter der Signatur Praktische Theologie weniger nach Sinn- und Nützlichkeitshorizonten als vielmehr nach Tätigkeitsfeldern und Verfahrensweisen zu fragen – und die gleichnamige, freilich noch weitestgehend unbekannte Disziplin damit unter einen Blickwinkel zu zerren, der sich lediglich auf Lehrmethoden kapriziert. Die Leitfrage, die diesem Modell korrespondiert, wäre ebenso einfach wie unzureichend, denn sie zielt allein auf Hilfestellungen, auf Tipps und Tricks zur Vermittlung ab; sie lautet dann sinngemäß: „Was ist zu beachten und zu tun, um Theologie möglichst gefällig und plausibel zu lehren, zu vermitteln, anschaulich zu machen?“ Eine so verstandene Praktische Theologie ist denkbar, wäre jedoch nichts weiter als eine Anwendungslehre: Nur noch als Hilfswissenschaft käme sie zu stehen, weil sie den historischen und philosophischen Fachrichtungen der Theologie – namentlich den Bibelwissenschaften, der Kirchengeschichte und der Systematik – unterstellt bliebe und ausschließlich der Aufgabe nachzukommen hätte, Wissensmengen zu transportieren, Informationen zu übertragen und Handlungsoptionen zu etablieren.5 Allerdings ist bei einer solchen Auf- und Zuteilung mit zu bedenken, auf welche eigentümlichen Voraussetzungen bzw. Konsequenzen man sich einlässt. Womöglich nimmt man letzten Endes gar die eine oder andere waghalsige Grundeinstellung in Kauf, etwa: dass bestimmte theologische Disziplinen für das rechte Sachwissen zuständig sind und (nicht nur) im Blick auf ihre For-

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Eine weitreichende Diskussion könnte sich übrigens im Zusammenhang mit der Frage auftun, ob nicht die Praktische Theologie auch dort eine bloße Hilfswissenschaft ist, wo man ihr die Aufgabe zuweist, Menschen zum kirchenleitenden Handeln fähig zu machen.

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  1.0  Dem ersten Wortsinn nach, und dann geradeaus…

schungsergebnisse beanspruchen, die einzig wahre6 wissenschaftliche Theologie darzustellen.7 Zum Glück muss an dieser Stelle noch nichts entschieden werden. Dennoch zeichnen sich bereits Spurenelemente und Elementarteilchen eines Plädoyers ab, das definitiv nicht ohne Reflexion des Theologiebegriffs auskommen will und zu deklinieren hat, was Theologie überhaupt sein kann, wofür Theologie gut (und nützlich) ist – und auf welche Gegenstände und Sachverhalte, Texte, Phänomene und Praktiken sich theologische Analysen also verstehend, deutend und gestaltend einzulassen haben. Dass es dazu mindestens noch einen detaillierteren Praxisbegriff braucht, dürfte nun ebenfalls schon auf der Hand liegen. Als erste Aufwärmübung für anstehende Praktische Theologinnen und Theologen könnte sich empfehlen, einmal die folgenden Thesen zu studieren und in einer persönlichen Auseinandersetzung mit ihrem Aussagegehalt (und ihrem Praxisverständnis) an einer eigenen Einstellung zu arbeiten: a) Die Theologie als Ganze muss praktisch sein, sofern sie sich lebensnah aufstellen möchte. b) Der/ die Theologietreibende als Person muss praktisch veranlagt, praktisch gebildet oder praktisch erfahren sein, kurz: Lebenstauglichkeit unter Beweis stellen können. c) Jeder einzelne theologische Satz muss bereits recht praktisch sein, zumal er ja für die Lebensführung und –gestaltung nützlich zu sein hat. d) Alles, was auf irgendeine Weise das Prädikat theologisch in Anspruch nimmt oder zugewiesen bekommt, muss einen Beitrag leisten, wenn es gilt, das Leben (als Geschenk und Aufgabe) verständlich zu machen und es folgerichtig praktisch zu meistern. e) Quodlibet. (Es ist praktisch erlaubt, weitere Thesen aufzustellen.)

Und was wird er nun tun, der Herr Professor aus unserer Eingangsepisode? Nun, vielleicht will er ja von seinen Studierenden wissen, was genau sie denn – bald im Beruf, unmittelbar in seiner Lehrveranstaltung – machen wollen. Womöglich fragt er sie auch, warum sie das machen wollen, und was das bitteschön heißt, etwas machen, oder auch: etwas Spezielles machen. Mag ebenfalls sein, 6 7

Die Hybris, die sich hinter den antiquierten Redewendungen von einer wahren, einer reinen oder einer echten Theologie verbirgt, ist auch im 21. Jahrhundert noch nicht gänzlich überwunden. Auch über die biblizistische Variante kann man diesbezüglich ein Wort verlieren. Sie folgt im Grunde auch der Logik einer Gewaltenteilung, wobei allerdings die (auf eine bestimmte Art und Weise erschlossene) Bibel mit der wahren Gotteslehre assoziiert wird, während man einer als Praktische Theologie fehlbezeichneten Religionsdidaktik die Aufgabe zuweist, diese Wahrheit vermittelbar zu machen.

Tour 1:  Vorstellungen, Begriffe und Eindrücke. 

dass er sich weiter bei ihnen danach erkundigt, was machen überhaupt meint im Unterschied zu nichts machen – was ja eigentlich auch schon machen ist, zumindest im Sinne von machen (sein) lassen. Schließlich könnte er eine Diskussion darüber anzetteln, was dann denn wohl Praxis bedeuten könnte, auch im Gegensatz zu Theorie (sofern es diesen Gegensatz überhaupt richtig gibt), und wie Theorie und Praxis sich zu Theologie verhalten – wobei natürlich auch erst geklärt werden muss, was mit Theologie gemeint ist, gern einmal ganz persönlich ausgesprochen, aber noch lieber in einem weiterführenden Sinne plausibel gemacht. Na, und wenn das dann alles geklärt ist, könnten unser Professor und seine Studierenden einmal richtig intensiv gemeinsam darüber nachdenken, was Praktische Theologie sein könnte – und mit welcher gescheiten Definition sich das dann auf den Punkt bringen lässt. Und tatsächlich, genau so soll es auch im Folgenden weitergehen. Gleichwohl und zur Vollständigkeit sei freilich noch erwähnt, dass es gegen Ende der eingangs (an-)erzählten Anekdote noch einen kleinen amüsanten Höhepunkt – oder war es eher ein peinlicher Zwischenfall? – gegeben hat, der nicht verschwiegen werden kann: „Ich fürchte, wir müssen ganz von vorn anfangen!“ Wie jeder gute Dozent hatte auch Faderlein-Strötenberkamp seine letzte Bemerkung leise wiederholt, um sich Nachdruck zu verleihen, als sich in der vierten Reihe eine aufgeweckt wirkende junge Frau bemerkbar machte. „Ja, bitte?“, freute sich der Gelehrte über die rege Beteiligung, und glücklich platzte es aus der Studentin heraus: „Machen wir also auch Mandalas? Meine Schwester hat noch bei Ihrem Vorgänger studiert, und die haben mit Mandalas angefangen!“ Ungläubig hob Faderlein die rechte Augenbraue: „Nein. Wir fangen nie mit Mandalas an. Wir beginnen mit der Theorie --- und der Praxis!“

Wir auch.

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  1.1  Berüchtigte Probleme mit Theorie- und Praxisbegriffen

1.1  Berüchtigte Probleme mit Theorie- und Praxisbegriffen Des Volkes Mund kennt viele Weisen Geist und Begabung anzupreisen: So spricht er freundlich zum Genie: „Du kennst dich aus mit Theorie!“ Und wenn ein Mann der Tat sich müht, des Praxismenschen Werk man sieht. Doch manchmal sticht das Lob als Rüge. (Man kennt die Fälle zur Genüge.) Dann wird gewitzte Denkarbeit als praxislose Kunst zerdräut und handwerklich Geschick vertan: „Von Theorie fehlt hier der Plan!“

Wer mit der (deutschen) Alltags- und Umgangssprache vertraut ist, wird grundsätzlich wissen, was sie zu leisten vermag – und wozu sie befähigt.8 Ihre überschaubaren Kategorien, typisierten Redewendungen und schablonisierten Begriffe machen nicht nur eine Reduktion von Komplexität möglich, sondern erlauben es auch, große Themen und diffizile Tatbestände auf einen Punkt zu bringen, der zwar den mitschwingenden Sachverhalten nicht zwingend gerecht wird, aber dafür den Common Sense bedient und die Sprachfähigkeit der Kultur beschleunigt: Pauschale Antworten lassen sich einfach zügiger geben, fertige Phrasen sind schnell wiederholt; schablonenartige Auffassungen und Ansichtssachen, die quasi als fertige Module im alltagskulturellen Sprachschatz vorhanden sind, können mit souveräner Leichtigkeit dem eigenen Repertoire zugeführt – und dann behände als ganz persönliche Meinung oder als eigenes, privates Urteil abgerufen werden. Zu diesen kristallerstarrten, jedoch komplexitätsreduzierten Ansichten gehören nun auch solche, die sich auf die volkstümlich geeichten Vokabelbedeutungen von Theorie und Praxis stützen und beide Verständnissphären gegeneinander ausspielen. Die entsprechend vorgetragenen Thesen, Urteilsbausteine 8

Etwas differenzierter muss es natürlich heißen, dass die Alltags- und Umgangssprache diejenigen zu etwas befähigt, die sich indirekt an ihrer Genese und ihren Metamorphosen beteiligt haben – und durch ihren kontinuierlichen Gebrauch einen Beitrag zu ihrer Konservierung leisten.

Tour 1:  Vorstellungen, Begriffe und Eindrücke. 

im o. g. Sinne, sind bekannt; oft hört man, dass ein Theoriemensch in der Regel jemand mit zwei linken Händen ist, wohingegen der praktisch veranlagte Typus im Zweifelsfalle als bildungsfern gelten darf. Beliebt ist auch die doppeldeutige Formulierung, dass das, was in der Theorie überzeugt, oftmals in der Praxis misslingt, weil entweder das einfache Leben nicht nach den Regelwerken des überambitionierten Denkens funktioniert oder aber die ausführenden Organe schlicht zu dumm gewesen sind. Natürlich ist dies alles zu simpel. Schnell lässt sich gegen triviale Schemata, die im Ergebnis an einer scharfen Demarkationslinie zwischen Plan und Umsetzung, Entwurf und Ausübung, Skizze und Fertigung festhalten und (Theorie-)Denken gegen (Praxis-)Handeln ausspielen, der doppelte Spontaneinwand platzieren, ▶▶ dass sich etwas (aus-)denken ja letzten Endes auch nur ein ganz besonderes Tun darstellt, ▶▶ und dass doch (nahezu) jede Tat von Hirnaktivitäten bedingt und begleitet wird. Um nun den Reflexionsgrad solcher assoziativen Spielereien zu steigern und alle weiteren Betrachtungen auf einem angemessenen Diskursniveau zu halten, dürfte es sich empfehlen, weiterführende Anregungen einzuholen: also (erstens) einen Blick auf die größeren Verwendungszusammenhänge derjenigen Vokabeln zu werfen, auf die die Begriffe von Theorie und Praxis zurückzuführen sind, um sich sodann (zweitens) konzentriert auf den einen oder anderen wichtigen Beitrag aus gelehrter Feder einzulassen. Nun, die (alt-)griechischen Wortfamilien rund um die Verben θεωρεῖν und πράσσειν sind es, die aufmerksam geprüft werden sollen; beide haben ein großgefächertes Bedeutungsspektrum:9 Theorein nämlich kann sich einerseits auf die physisch-sinnliche Art und Weise beziehen, in der man etwas Gegenständliches anschaut bzw. optisch mustert, andererseits aber auch auf jene intellektuelle Aktivität, die vor dem geistigen Auge etwas betrachtet und in Erwägung zieht; sachentsprechend ist Theoria (θεωρία) sowohl die inspizierende Sichtung eines recht gegenständlichen Spektakels als auch die spekulative Schau eines abstrakten Gedankenbildes. 9

Um dieser Bedeutungsoffenheit auf die Fährte zu kommen, reicht im Grunde Gemoll, Wilhelm (2006). Griechisch-Deutsches Schul- und Handwörterbuch. 10. Aufl. München u.a.: Oldenbourg Schulbuchverlag.

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  1.1  Berüchtigte Probleme mit Theorie- und Praxisbegriffen

Weniger ambivalent, aber ähnlich komplex nun verhält es sich mit dem Verb prassein, das scheinbar eindeutig auf eine Verlaufstätigkeit – als handeln, tun und zielgerichtet vollbringen – weist, aber auch indirekt in den Sinnfeldern der zugehörigen Nomina πρᾶξις (prâxis) und πρᾶγμα (prâgma) zu stehen kommt. Dort freilich oszillieren die Begriffsbedeutungen der Vokabeln so, dass sich beinahe nur über ihre jeweiligen Verwendungskontexte entscheiden lässt, was wirklich gemeint und bezeichnet sein wollte: eine konkrete Einzeltat, eine generelle Handlungsweise, ein vollendetes Werk, ein nützliches Ding oder eine geregelte Sache? Wie unschwer nachzuvollziehen ist, verweigern sich bereits die simplen Beobachtungen auf lexikalischen Territorien bzw. auf semantischen Sektoren einer eindeutigen Unterscheidbarkeit von Theorie und Praxis: Ein an Gegenstandsbetrachtungen ausgerichtetes Theorieverständnis würde sich z. B. mit jener Praxisauffassung überkreuzen, die zielgerichtete Handlungen fokussiert. Ebenso stünde ein Theoriebegriff, der sich auf Gedankenskizzen kapriziert, in auffälliger Nähe zu einem Praxiskonzept, das die Absicht an die Ausführung – bzw. die Projektplanung eng an die Projektumsetzung – koppelt. Zudem bleibt ungeklärt, in welchem Verhältnis denn, sofern großflächig von Theorie die Rede sein sollte, die spekulativen Anteile zu den deskriptiven und empirisch gesicherten Elementen stehen, ebenso zu Argumenten, die sich auf bereits verifizierte Kausalitätserklärungen berufen – und damit von den ausgewerteten Daten einer Analyse- und Beobachtungspraxis zehren, die wiederum (in praxisbezogenen Theoriekontexten) eine Menge von Tatereignissen in den Betrachtungsfokus gestellt haben. Auch in zahlreichen Miniaturen des Alltäglichen wird ersichtlich, in welch besonderer Beziehung Schauen und Tun stehen können: ▶▶ Da hat jemand etwas vor seinem geistigen Auge, sieht es ganz genau, aber es gelingt ihm nur bedingt, die Vision umzusetzen. Sein erstes Endprodukt, ein Prototyp, hat nicht viel gemeinsam mit der Gedankenskizze, dem Entwurf. Er muss erneut hinsehen, nach Fehlern und Verbesserungsmöglichkeiten suchen, unter Umständen aber auch sein Theoriedesign überarbeiten. ▶▶ Manchmal tut man etwas mit geschlossenen Augen, ohne hinzusehen, ohne nachzudenken. Ohne Plan. Intuitiv geschieht etwas, oder im Affekt. Weil man es zuvor erlernt hat, vielleicht, trainiert und geübt, ohne zu wissen, wofür es (später einmal) gut ist und was es bedeutet. Dann muss vielleicht jemand anders einen verschärften Blick darauf werfen, eventuell auch Hilfestellungen geben und fragen, was das

Tour 1:  Vorstellungen, Begriffe und Eindrücke. 

denn nun soll. Mag auch sein, dass diese/r Andere mehr sieht, besser versteht als die Person, die (etwas) getan hat, und es mag ebenfalls sein, dass einzig und allein jene/r Andere erklären kann, was gerade getan und gemacht wurde. ▶▶ In der Bibel gibt es allerlei Wortspiele und Erzählungen, die auf die Komplexität der Beziehung von Theorie/Schaublick/Weitsicht und Praxis/Tathandeln/Sachverhalt verweisen bzw. sich ihr über die Metaphern Hand und Auge nähern: Da soll in bestimmten Fällen nicht einmal die linke Hand wissen, was die rechte tut (Mt 6,3), obwohl doch Hände und Augen zu einem Leib gehören (Kor 12,14–22), aber zum Glück sieht ja der Herr das Herz an, wohingegen der Mensch nur zu sehen vermag, was vor Augen ist (1Sam 16,7). Zum Beispiel den Splitter im Sehnerv des Gegenübers, keineswegs hingegen den Balken im eigenen Blickfeld (Mt 7,3–5 parr.).

Als erstes Zwischenfazit lässt sich sicherlich festhalten, dass sich Theorie und Praxis nicht länger gegenseitig ausspielen, wohl aber jeweils näher bestimmen und graduieren, fernerhin aufeinander beziehen lassen: Nicht ohne Grund lässt sich mit der Vokabel Theorie sowohl der Vorgang bezeichnen, dass man etwas als Idee vor dem geistigen Auge sieht und in Gedanken spekulativ weiterentwickelt, als auch das Prozedere, sich konkrete Sachverhalte und Abläufe genau anzuschauen, um sich sodann die Resultate dieser Inspektion gründlich reflexiv zu vergegenwärtigen und auf einen Befund hin auszuwerten. Und auch der Terminus Praxis lässt sich auf zwei großflächige Bereiche beziehen, nämlich zum einen auf all das, was überhaupt geschieht, sofern (etwas) getan, verhandelt und gemacht wird, infolgedessen auch zu beobachten ist, zum anderen auf dasjenige, was unter einer besonderen Signatur von Plan- und Handhabbarkeit gefasst werden kann, weil es sich aus einer konkreten (Theorie-)Perspektive als gut, richtig, schön (usw.) entwerfen, bewerten und gestalten lässt.

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  1.1  Berüchtigte Probleme mit Theorie- und Praxisbegriffen

Abbildung 1: So einfach ist es nicht mit Theorie und Praxis (A. Jäger)

Tour 1:  Vorstellungen, Begriffe und Eindrücke. 

Einer der ersten, der sich besagter Komplexität angenommen und in eine Art Wissenschaftssystem übertragen hat, war Aristoteles: Der nämlich trennt ganz grundsätzlich die freien, um ihrer selbst willen betriebenen Wissenschaften von solchen, die man benötigt, um das Lebensnotwendige und -nützliche zu besorgen; in einem zweiten Differenzierungsschritt unterscheidet er dann zwischen Theorie, Praxis und Poiesis.10 ▶▶ Der Theorie als einer erkennenden Sicht auf das notwendige, unbewegte, stoffunabhängige und ewige Sein – aristotelisch verortet bei den theoretischen Wissenschaften Mathematik, Physik und erste Philosophie (incl. Ontologie und Theologie)11 – kommt die Aufgabe zu, das zu denken, „was nicht anders sein kann, als es ist“12. Als gewissermaßen reines Denken an sich orientiert sich diese Theorie an Fragen nach der ersten und letzten Wahrheit, der Wirklichkeit und dem Sinn. Dieses Denken hat keinerlei praktische Attitüde, weil es nicht praktisch ist und selbst (noch) nichts in Bewegung setzt.13 Andererseits: Es kann kaum behauptet werden, dass dieses Theorie-Schau-Denken bei sich selbst bleiben wird; vielmehr bringt es doch Ideen hervor, die sich in letzter Konsequenz zu einer Art von Seins- und Sinnhorizont arrangieren. Auch Aristoteles versteht es so, dass der über spekulative Theoriekapriolen verdichtete Horizont letzter Wahrheiten auch die Gründe und Anstöße für eine Reflexion dessen liefert, was einerseits (rechtes) Handeln, andererseits herstellendes Schaffen ausmacht. Diese beiden Bereiche sind freilich separiert voneinander zu erörtern und systematisch einzuholen: 10 „[…] πᾶσα διάνοια ἢ πρακτικὴ ἢ ποιητικὴ ἢ θεωρητική […]“; vgl. Met 6,1; 11,7 u. ö.; hierzu und zum Folgenden: Keller, Albert (2006). Allgemeine Erkenntnistheorie. Stuttgart: Kohlhammer, 59 f.; Zeller, Eduard (1862). Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung dargestellt. Zweiter Theil, zweite Abteilung: Aristoteles und die alten Peripatetiker. 2. Aufl. Tübingen: L. Fr. Fues, 123 f.; Höffe, Otfried (2014). Aristoteles. 4., überarbeitete Aufl. München: Beck; Höffe, Otfried (2008). Praktische Philosophie, Das Modell des Aristoteles. 3. Aufl. München: Beck; Reinkens, Joseph Hubert (1870). Aristoteles über Kunst, besonders über Tragödie. Exegetische und kritische Untersuchungen. Wien: Braumüller, 8–11. 11 Mit diesem Theologiebegriff ist absolut vorsichtig umzugehen; er ist sehr spekulativ-metaphysisch aufgeladen. 12 Zeller. Die Philosophie der Griechen, 124. 13 Vgl. Aristoteles (1998). Nikomachische Ethik VI. Übers. u. komm. v. Hans-Georg Gadamer. Frankfurt a. M.: Klostermann, hier: NE VI 2, 1139a–b.

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  1.1  Berüchtigte Probleme mit Theorie- und Praxisbegriffen

▶▶ Der Praxisbegriff richtet sich dabei auf das Handeln und Tun, das folgerichtig von den praktischen Wissenschaften – wie Ethik, Politik, z.T. auch Rhetorik – unter Beobachtung gestellt, untersucht und verstanden werden will. Allerdings sind diese intellektuellen Operationen gekoppelt an den Auftrag, ein besonderes, weil nützliches und sinnvolles Tun (Eupraxia)14 reflexiv, kritisch und argumentativ herauszustellen und geltend zu machen.15 Im Ausgang von und im Hinblick auf Praxis – mit dieser Formel lässt sich veranschaulichen (und merken), dass die aristotelische Konzeption praktischer Wissenschaft(en) zwar das menschliche Handeln generell als Betrachtungsgegenstand zugrunde legen konnte, aber speziell auf jenen Gestaltungsauftrag abgestimmt blieb, der das Guthandeln im Zielvisier hatte.16 ▶▶ Im Kontrast dazu bezieht sich nun der Begriff der Poiesis auf das, was geschaffen und hervorgebracht, produziert und bewerkstelligt werden kann. Um etwas Gewirktes geht es, dessen Qualität und Zweck weniger bei der Tätigkeit selbst liegt als vielmehr im Werk: Im Fokus steht nicht das besagte gute Handeln und rechte Tun, das den sittlichen Willen oder die ethische Kompetenz des Akteurs dokumentieren könnte, sondern z. B. das schöne und edle Objekt, das als Werk aus dem Schaffen hervorgeht und in dem sich das technisch-künstlerische Vermögen der schöpferisch-schaffenden Person realisiert. Das wirkende, bildende Subjekt will nicht Gutes tun, sondern kunstfertig das Gebiet des Möglichen beherrschen und etwas gestalten, dessen Perfektionsgrade sich folgerichtig in technischer oder ästhetischer Hinsicht vermessen lassen.17 Zu den poietischen Wissenschaften müsste man in streng aristotelischem Sinne z. B. Architektur, Medizin sowie Dichtung rechnen. Und in welcher Beziehung stehen nun Theorie, Praxis und Poiesis wirklich zueinander? Fest steht, dass Aristoteles den theoretischen Spekulationen über letztinstanzliche Wahrheiten Bedeutung beigemessen hat – und trotzdem mit seinem Praxisbegriff noch auf die Beobachtungen in sozialen, politischen und moralischen Sphären rekurrieren musste, um die Bedingungen und Qualitäten rechten Handelns zu reflektieren. Fest steht außerdem, dass ein auf Betrachtun14 Vgl. Reinkens. Aristoteles über Kunst, 10. 15 Vgl. Aristoteles. NE VI 4, 1140b, 6 f.; ferner auch: Höffe. Praktische Philosophie, 9. 16 Vgl. Höffe. Praktische Philosophie, 21. 17 Vgl. Zeller. Die Philosophie der Griechen, 123 f.

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gen angewiesenes, praktisch zielstrebiges und auf Guthandeln gerichtetes Denken jederzeit poietisch, also technisch herstellend und künstlerisch schaffend werden kann, obwohl das natürlich nicht den Folgeschluss gestattet, dass die Poiesis immer direkt oder indirekt von der Praxis angestoßen wird: Denn schließlich und eigentlich ist sie ja, Aristoteles folgend, von der moralischen Frage nach dem guten Handeln suspendiert und bezieht ihre Kraft vielmehr aus dem Geist18 eines Subjekts, das die Wahrheit theoretisch schaut und von ihr zu kreativen Akten inspiriert wird.19 Konsequent müsste man – eigentlich als eine Art zweiten Zwischenfazits – sagen, dass es im aristotelischen Sinne eine poietische Theorie gibt, die ästhetisch auf das Kunstschaffen, technisch auf das Kunstschaffen zu beziehen bleibt und von der reinen Theorie und der moralischen Theorie sowieso zu unterscheiden ist. Aber vorerst genug von Aristoteles. Längst haben die kritischen Schlaglichter, die sich aus einer Beschäftigung mit dem Wissenschaftssystem des alten Griechen ergeben, die Schwachstellen der gängigen Theorie-Praxis-Unterscheidungen verdeutlicht und einen Problemhorizont erhellt, den übrigens Jahrhunderte später auch Immanuel Kant20 (1724–1804) ähnlich wahrgenommen und v. a. in seinen kritischen Schriften weiter gedehnt hat. Nur: Der Dreiteilung in Theorie, Praxis und Poiesis entsprach jetzt (mutatis mutandis) die Aufgliederung der menschlichen Grundvermögen von Denken, Wollen und Fühlen. ▶▶ Kants Kritik der reinen Vernunft21 von 178122 geht u. a. der Frage nach, ob so etwas wie eine pure Theorie a priori gedacht werden kann: Ist Erkenntnis ohne sinnliche Anschauung, ohne Wahrnehmung möglich? Kann es wirklich ein voraussetzungsloses Denken an sich geben, das allein Gebrauch macht von dem Inventar und den Denkgesetzen einer reinen Vernunft? Und wie wäre denn dann dieses Inventar zu bestimmen? ▶▶ Die Kritik der praktischen Vernunft von 1788 sucht u. a. zu beantworten, wie sich eine apriorische Form oder Richtung des Wollens als ein verbindliches Sittengesetz konkretisiert, das sich speziell – nämlich auf ein qualifizierbares, gutes Handeln hin – realisieren kann. In den Kontext dieser Vgl. Reinkens. Aristoteles über Kunst, 11. Vgl. Keller. Allgemeine Erkenntnistheorie, 59 f. Höffe, Otfried (2007). Immanuel Kant. 7. Aufl. München: Beck. Höffe, Otfried (2004). Kants Kritik der reinen Vernunft. Die Grundlegung der modernen Philosophie. 2. Aufl. München: Beck. 22 Eine zweite Auflage erschien sechs Jahre später; sie war maßgeblich überarbeitet worden.

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  1.1  Berüchtigte Probleme mit Theorie- und Praxisbegriffen

Überlegungen gehört die wohl bekannteste Denkfigur dieser Schrift, der sogenannte kategorische Imperativ. ▶▶ Die Kritik der Urteilskraft von 1790 stellt sich u. a. der Aufgabe, die dem Denken theoretisch einsichtig gemachten objektiven Gesetze der Natur in ein Verhältnis zu den freien Entfaltungs- und Erklärungsmöglichkeiten des autonom, aber sittlich bestimmten Subjekts zu setzen. Dieses Verhältnis kann jedoch erst vor dem Hintergrund der zu entfaltenden Gefühlsgesetze geklärt werden. Es wird abgebildet in der geschmacklichen und zweckhinterfragenden Urteilskraft, die sich dann zum einen als ästhetisches, zum anderen als teleologisches Urteilsvermögen (in der Welt des Fühlens) bestimmen lässt. 1793 platziert Kant eine Abhandlung mit dem bezeichnenden Titel „Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis“23. Vorausgegangen waren diesem intensiven Essay eine Reihe kleinerer Einwände, die der deutsche Philosoph Christian Garve24 (1742–1798) – übrigens im Verlauf einer längeren Kontroverse – gegen einzelne Passagen der Kantischen Ethik vorgetragen hatte: Dort war nämlich der theoretische Versuch unternommen worden, den natürlichen Zweck (und das Bedürfnis) des Menschen, glücklich zu werden, in Einklang zu bringen mit der gebotenen Pflicht, zugunsten eines höchsten weltmöglichen Gutes vorübergehend (oder dauerhaft) das besagte Bedürfnis preiszugeben. Für Kant, der im Modus seines Streben-Denkens vermutlich das extrem hohe Gut einer quasi ultimativen Seligkeitswürde im Hintersinn hatte, um deretwillen natürlich auch manch edler Verzicht Sinn ergibt, war der Fall klarer gewesen als für Garve, der die angeblich rein theoretisch-spekulativ entworfene Glückseligkeit nicht mit dem lebenspraktischen Bedürfnis nach Glücklichkeit vereinbaren konnte. (Zugegeben, an der Kant‘schen Denkakrobatik kann man sich schon die Zähne ausbeißen.) Kein Wunder also, dass Kant genau diesen unausgesprochenen Vorwurf der Praxisuntauglichkeit aufgriff und zum Teil mit recht geschickten 23 Kant, Immanuel (1974). Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis. In: Riedel, Manfred (Hrsg.) Schriften zur Geschichtsphilosophie. Mit einer Einleitung. Stuttgart: Reclam, 118–168; Zur Geschichte dieser Abhandlung vgl. Kühn, Manfred (2004). Kant: Eine Biographie. 5. Aufl. München: Beck, 432–438. 24 Nauen, Franz (1996). Garve – ein Philosoph in der echten Bedeutung des Wortes. Kant-Studien 87:2, 184–197.

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intellektuellen Winkelzügen, teils aber auch mit gefälligen rhetorischen Pointen parierte; er schreibt: Man nennt einen Inbegriff selbst von praktischen Regeln alsdann Theorie, wenn diese Regeln, als Prinzipien, in einer gewissen Allgemeinheit gedacht werden, und dabei von einer Menge Bedingungen abstrahiert wird, die doch auf ihre Ausübung notwendig Einfluß haben. Umgekehrt, heißt nicht jede Hantierung, sondern nur diejenige Bewirkung eines Zwecks Praxis, welche als Befolgung gewisser […] Prinzipien des Verfahrens gedacht wird. Daß zwischen der Theorie und Praxis noch ein Mittelglied der Verknüpfung und des Überganges […] erfordert werde, […] fällt in die Augen; denn, zu dem Verstandesbegriffe, welcher die Regel enthält, muß ein Actus der Urteilskraft hinzukommen, wodurch der Praktiker unterscheidet, ob etwas der Fall der Regel sei oder nicht; und, da für die Urteilskraft nicht immer wiederum Regeln gegeben werden können, […] kann es Theoretiker geben, die in ihrem Leben nie praktisch werden können, weil es ihnen an Urteilskraft fehlt. […] Es kann also niemand sich für praktisch bewandert in einer Wissenschaft ausgeben und doch die Theorie verachten, ohne sich bloß zu geben, daß er in seinem Fache ein Ignorant sei: indem er glaubt, durch Herumtappen in Versuchen und Erfahrungen, ohne sich gewisse Prinzipien […] zu sammeln, und ohne sich ein Ganzes […] über sein Geschäft gedacht zu haben, weiter kommen zu können, als ihn die Theorie zu bringen vermag.25

Bereits mit diesen Ausführungen war klar umrissen, dass der Theoriebegriff eben auch für eine Praxis-Theorie zur Anwendung kommen muss, sofern sie als denkendes Geschäft theoretisch bleibt, in ihrem Gegenstandsbezug und ihrer Zweckrichtung freilich prinzipielle praktische Regeln generieren und reflektieren will. Dass und wie diese prinzipiellen Regeln wiederum auf den Einzelfall angewendet werden, regelt quasi jene Urteilskraft, die nicht an eindeutige Regelwerke gekoppelt ist. Heutzutage ist es gar nicht so schwer, sich dieses letzte Argument – bzw. die letztlich entscheidende, weil vermittelnde geschmackliche und zweckhinterfragende Urteilskraft des Immanuel Kant – vor Augen zu führen. Vermutlich dürfte man salopp sagen, dass es am Ende in der konkreten Fall-Praxis, also bei der Vermittlung zwischen Regel und Umstand, auf eine Veranstaltung hinausläuft, in der Geschmacks-, Stil- und Charakterfragen eine Rolle spielen – und in der das Charisma und die Manieren der Beteiligten ebenso von Bedeutung sind 25 Kant. Über den Gemeinspruch, 118 f.

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  1.2  Theologie. Zu Besuch bei einer ganz normalen Wissenschaft?

wie die inspirierte Umsicht und Weitsicht dessen, der seine Theorien praktisch beherrscht und in der Situation kunstvoll und poietisch zu agieren vermag. Freilich, diese letzten Bemerkungen sind längst nicht mehr am O-Ton unserer philosophischen Ratgeber ausgerichtet, wohl aber noch von Aristoteles und Kant inspiriert. Insgesamt dürfte nun ersichtlich geworden sein, dass eine als praktisch apostrophierte Wissenschaft weit mehr sein muss als nur eine Anwendungslehre: Sie schaut beobachtend und beschreibend auf einen zu spezifizierenden Praxisbereich, um die dort vorfindliche Praxis zu verstehen, theoretisch zu durchdringen und zu reflektieren, möglicherweise auch kreativ schöpferisch zu gestalten. Aber wie verhält es sich denn nun, wenn diese Wissenschaft die Theologie ist? Und was hat man darunter überhaupt zu verstehen?

1.2  Theologie. Zu Besuch bei einer ganz normalen Wissenschaft? „Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin, Und leider auch Theologie Durchaus studiert, mit heißem Bemühn. Da steh' ich nun, ich armer Tor, Und bin so klug als wie zuvor! […] sehe, dass wir nichts wissen können! Das will mir schier das Herz verbrennen.“26 „Wenn Du erst einmal die klassischen Sprachen zu verstehen gelernt hast, mein Junge, wirst Du Dich vor dem ganzen Rest niemals fürchten müssen. Medizin, Jura, Philosophie, Theologie – da dreht sich letztlich fast alles um Vokabeln und Grammatik.“27 „Wo simmer denn dran? Aha, heute krieje mer de Dampfmaschin. Also, wat is en Dampfmaschin? Da stelle mer uns janz dumm. Und da sage mer so: En Dampf26 Goethe, Johann Wolfgang von (1986). Faust. Der Tragödie erster Teil [1808]. In: Lange, Victor (Hrsg.) Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe 6.1: Weimarer Klassik 1798–1806. München: Carl Hanser Verlag, 545. 27 Limburg, Reinhold (1899–1972). Mündlich überliefert.

Tour 1:  Vorstellungen, Begriffe und Eindrücke. 

maschin, dat is ene jroße schwarze Raum, der hat hinten un vorn e Loch. Dat eine Loch, dat is de Feuerung. Und dat andere Loch, dat krieje mer später.“28

Bisweilen ist es erstaunlich einfach, sich die Welt zu erschließen und anderen verständlich zu machen. (Zugegebenermaßen ist manchmal auch die Art und Weise, wie etwas erklärt wird, der Darbietungsstil also, einprägsamer als die Erklärung selbst; nicht selten hinterlässt der Lehrkörper einen nachhaltigeren Eindruck als die verhandelte Lehre. Doch das nur am Rande.) Mit einer gesunden, fröhlichen Naivität und etwas sprachlichem Geschick dürfte man sich also, wie es scheint, recht erfolgversprechend auf komplizierte technische Objekte (wie die Dampfmaschine) und komplexe akademische Areale (wie Philosophie, Theologie usw.) zubewegen können. Flugs wird dann verstanden, dass Theologie, weil sich theo und logie von den altgriechischen Vokabeln theos und logos herleiten lassen, ja wohl sinngemäß Gottwort, oder erweitert: Gotteslehre bedeuten muss; und so, wie etwa Biologie als Wissenschaft von Lebe(wese)n oder Geologie als Wissenschaft von der Erde und ihrer Rohstoffe definiert werden kann, dürfte Theologie verfahrensanalog zu Verstande kommen als Wissenschaft von bzw. als wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Gott. Aber so einfach ist es natürlich nicht. Selbst wenn man einmal von den ersten Einwänden, die sich nahezu aufdrängen, absieht – es wäre u. a. geltend zu machen, dass (erstens) bei weitem nicht alle logien Lehren oder Wissenschaften sind, sondern bestenfalls Sachkunden29, und dass (zweitens) die Gegenstände und Themen einer Lehre, einer Wissenschaft oder einer Sachkunde nicht zwingend in den der logie vorgestellten Silben angeführt werden –,30 muss 28 Ein längst zum Klassiker avanciertes Zitat, bekannt geworden v. a. durch die 1944 erfolgte Verfilmung von: Spoerl, Heinrich (2002). Die Feuerzangenbowle: Ein Lausbüberei in der Kleinstadt (1933). München: Piper Verlag. 29 Unzählige Beispiele finden sich, sobald man „logie“ in eine www-Suchmaschine gibt. Als erste Appetithäppchen seien hier genannt: Bryologie als Mooskunde, Desmologie als Bandagenkunde, Gastrologie als fachärztlich spezifizierte Disziplin, die man der inneren Medizin zurechnen darf, Astrologie als esoterisch generierte Sterndeutungspraxis, Methodologie als Methodenlehre und U.F.O.logie als Forschung an extraterrestrischen Entitäten, Artefakten und Flugobjekten. 30 Philologie z. B. ist keineswegs die Wissenschaft oder Kunde von Freunden oder Freundschaften. Vielmehr wird bei diesem akzeptierten Fachbegriff der wissenschaftliche Eros durch die erste Begriffshälfte charakterisiert, das Bezugsobjekt dieser akademischen Leidenschaft wird im zweiten Begriffsteil bestimmt: Es geht um die „Freundschaft zum Worte“, wie sie etwa für Sprachwissenschaften typisch ist.

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  1.2  Theologie. Zu Besuch bei einer ganz normalen Wissenschaft?

zugestanden sein, dass die vorübergehend erzwungene Arbeitsthese kaum sonderlich aufschlussreich ist: Solange klärungsoffen bleibt, was mit theo(s) / Gott überhaupt gemeint sein will, kann auch nicht bestimmt werden, wie sich eine Logie dazu – eben als Kunde, Lehre oder Wissenschaft – definieren lässt. Kurzum, die Teilstrategie des oben zitierten Dampfmaschinenlehrers Bömmel, sich mit den eigentlich entscheidenden inhaltlichen Betrachtungen nach dem Motto „Dat krieje mer später!“ zurückzuhalten, macht sich für die vorliegende Angelegenheit nicht bezahlt. Gescheiter ist es, sich – in Anlehnung an das Verfahren der vorgetäuschten Einfalt: „Da stelle mer uns janz dumm“ – dem Bedeutungs- und Sinnhorizont der Vokabel Theos zunächst über eine Inspektion ihrer frühen Verwendungszusammenhänge zu nähern, um alsdann weiterführende Schritte zu wagen. Die erste Grundannahme nun, die sich – gerade auch im Kielwasser der eurozentrisch bzw. abendländisch geprägten sprachlichen Vereinnahmungen durch Übersetzungen und Übertragungen (wie: deus, Gott, God, Dieu usw.) – aufstellen und absichern lässt, muss dabei den besonderen Charakter eines monotypischen Gattungsbegriffs31 fokussieren, mit dem man indirekt spekulativ operiert: Ein Theos ist im Vergleich zu allen anderen Gegenständen und Lebewesen, die sich der sinnlichen Erfahrung (sozusagen: in der permanent wirklichen Welt) verfügbar machen, kein sonderlich präsenter und kompatibler Akteur; Theos ist anders, unterschiedlich, verschieden; Theos beruht weniger auf Beobachtung, sondern auf Abstraktion und Hypothese; Theos belegt innerhalb (oder jenseits?) einer Hierarchie von Wesen offenbar höhere (oder ganz andere?) Ränge. Der Scholastiker Petrus Hispanus hatte im 13. Jahrhundert den arbor porphyrii (Baum des Porphyrius), eine durch Porphyrios von Tyros (ca. 233–303) im Anschluss an die aristotelische Kategorienlehre aufgeworfene Metapher und Gattungspyramide, in die Wissenschaftsgeschichte eingeführt. Der Logik solcher Pyramiden – es gibt mehrere, und sie sind in der Ausführung durchaus unterscheidbar – konsequent folgend müsste sich Gott auf einer finalen Abstraktionsstufe ansiedeln lassen, als

31 Mit Gattung bezeichnet man in der Semantik der biologisch-zoologischen Taxonomie, aber auch der spekulativ-metaphysisch angelegten Philosophie (und Theologie) eine Rangstufe innerhalb der Hierarchie von Wesen; eine Gattung kann mehrere Arten enthalten. Enthält sie jedoch nur eine einzige Art, wird sie monotypisch genannt. Gleichwohl bleibt es auch denkbar, dass mehrere (monotypische) Gattungen eine Familie bilden.

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erster Inbegriff des Seins, als höchste Besonderheit des Seins, oder eben als Klammer aller Seinsmöglichkeiten:

Abbildung 2: Wohin mit Gott? (A. Jäger)

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  1.2  Theologie. Zu Besuch bei einer ganz normalen Wissenschaft?

Diese ordnungssystematische Operation muss allerdings im Lichte des Befundes gesehen werden, dass Theos zunächst kaum spekulativ, vielmehr hingegen narrativ erschlossen, genauer noch schlichtweg erzählt und besungen wurde: Ihren wohl ursprünglichsten Platz hat die altgriechische Vokabel Theos in einem semantischen, also poetisch, hymnisch, nahezu belletristisch konstituierten Universum.32 Über Dichtungen und Lieder33 war ein mythologisch konstruierter Kosmos errichtet worden, der unterhaltungsdienliche und sinnerklärende Funktionen erkennen lässt; womöglich beanspruchte er, einer allumfassenden Welt- und Seinsordnung metaphorisch, allegorisch oder gar analog zu entsprechen. Jedenfalls war es eine Ordnung, in der eine gottheitliche Figur bzw. eine gottheitliche Familie der natürlichen Welt und dem Menschen überlegen entgegentrat: angesiedelt in einer besonderen Sphäre, ausgestattet mit speziellen Kräften, aufgrund der exponierten Stellung bisweilen indisponibel – und bestenfalls annähernd zu (be-)greifen. Wer mit der griechischen Sagenwelt einigermaßen vertraut ist, kann an dieser Stelle behände seine Erinnerungen an die bekannten Gottheiten Zeus, Hera, Pallas Athena, Aphrodite usw. einspielen. Salopp darf man anmerken, dass diese mit besonderen Fähigkeiten und Kräften ausgestatteten Figuren allesamt Mitglieder des himmlischen Hofstaates Olymp waren und gelegentlich in weltliche Zustände eingegriffen bzw. auf (zwischen-)menschliche Umstände Einfluss genommen haben. Ähnliches lässt sich unschwer registrieren für das lateinisch-römische Götteruniversum, zumal dem griechischen Pantheon arg nachempfunden; überraschender Weise gibt es hier und da Vergleichbares in indoeuropäischen (germanischen, keltischen usw.) Sagenkränzen. Zuletzt, größtmögliche Sensibilität vorausgesetzt, darf man sich auch auf den altorientalischen Kulturraum als semitischen Sprachraum bzw. auf die ebendort hervorgebrachten Erzählungen beziehen, die sich letztlich in den Heiligen Schriften der monotheistischen Religionen verdichtet haben: Immerhin werden hier doch solche Wesen gattungsbegrifflich (Elohim) und namentlich (JHWH) thematisiert, die 32 Vgl. Bonhoeffer, Thomas (1991). Die Wurzeln des Begriffs Theologie. Archiv für Begriffsgeschichte 34, 7–26. Bonhoeffer verweist u. a. auf Platon, der im zweiten Buch seiner Politeia Sokrates mit Adeimantos diskutieren lässt, inwiefern Hesiod und Homer nützliche bzw. didaktisch-staatstragende Göttersagen und -märchen erdichtet haben. 33 Wer sich hier etwas einlesen möchte, greife z. B. zu: Hesiod (2014). Theogonie. Übers. u. erläut. von Raoul Schrott. München: Hanser; oder zu: Gönna, Gerd von der/Simon, Erika (Hrsg.) (2010). Homerische Hymnen. Übertragung, Einführung und Erläuterungen von Karl Arno Pfeiff. 2. Aufl. Tübingen: Stauffenburg Verlag.

Tour 1:  Vorstellungen, Begriffe und Eindrücke. 

hierarchisch-herrschaftlich (Adonaj) aufgestellt sind und aufgrund ihrer Unverfügbarkeit nur arg eingeschränkte Tuchfühlungen und Denkannäherungen zulassen.34

Freilich zeigte sich im Lauf der Geschichte, dass die erzählte(n), gedichtete(n) und besungene(n) Gottheit(en) in ihrer hymnisch-poetisch skizzierten Andersartigkeit und Unverfügbarkeit auch intellektuell eingeholt werden wollte(n); genau dort, wo sich die Grenzen des Annäherns und Begreifens besonders bemerkbar machten, musste nachgebessert werden. Denn obschon man geeignete Rahmen für die Präsentation und Weitergabe einer Erzählung gefunden und entsprechende Szenarien für „poetische Opfergaben“35 entwickelt hatte – und sich somit den göttlichen Figuren des erzählten Mythos quasi hymnisch-kultpraktisch zu nähern wusste –, blieb zu klären, ob man sich den semantischen Gehalt des mythologischen Vokabulars mit klaren Begriffen verständlich machen konnte: mit Begriffen etwa, die sich in einer spekulativen Metaphysik als passförmig und logisch erweisen würden. Kurz und gut, die besungene Erzählfigur Gott war als begreifbare Denkfigur abzubilden. Weiterführend galt es zu zeigen, wie sich der Sinnwert des poetisch-hymnisch aufgestellten Kosmos auf höchstem Abstraktionsniveau abbilden, vernünftig bewahrheiten und moralisch bewähren konnte, denn: „Unerschütterliche Evidenz“ zeigt sich erst, wenn es gelingt, die „Bemühung um eine verbindliche, heilsame Ordnung unter den Menschen“ mit der „Idee des Guten“36 zu assoziieren – und diese wiederum an die reinste, höchste, größte (usw.) Idee des wahren und einzig Seienden zu koppeln.

34 Insgesamt weiterführend zu diesem Absatz etwa: Haussig, Hans Wilhelm (Hrsg.) (1965). Götter und Mythen im Vorderen Orient. Wörterbuch der Mythologie I. Stuttgart: Klett; Haussig, Hans Wilhelm (Hrsg.) (1973). Götter und Mythen im alten Europa. Wörterbuch der Mythologie II. Stuttgart: Klett; Daum, Werner (1985). Ursemitische Religion. Stuttgart: Kohlhammer. 35 Calame, Claude (2012). Die Homerischen Hymnen als poetische Opfergaben. Musikalische und rituelle Beziehungen zu den Göttern. In: Meier-Brügger, Michael (Hrsg.) Homer, gedeutet durch ein großes Lexikon. Akten des Hamburger Kolloquiums vom 6.– 8. Oktober 2010 zum Abschluss des Lexikons des frühgriechischen Epos (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Neue Folge 21). Göttingen: De Gruyter, 1–25. 36 Bonhoeffer. Die Wurzeln des Begriffs Theologie, 14.

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  1.2  Theologie. Zu Besuch bei einer ganz normalen Wissenschaft?

Dieses philosophische Großprojekt, an dessen Profilierung anfangs z. B. Platon37 und (später) Aristoteles38 maßgeblich beteiligt waren, darf mittlerweile als ein offenes Kunstwerk bezeichnet werden, dessen Chronik zu zeichnen oder dessen Dimensionen auszuloten kaum im Bereich des menschlich und literarisch Machbaren liegt.39 Gleichwohl bleibt die einmal prononcierte Aufgabe weiterhin zu fokussieren, nämlich: grundsätzlich und differenziert zu entfalten, wie sich eine erzählte Götterwelt voller Fiktionen zu einer Ideenwelt voller Axiome und einer moralischen Welt voller Postulate verhält – und wie sie sich je und in Beziehung zu der wirklichen Welt voller Erfahrungen realisieren können. Vereinfacht formuliert: Was hat denn eigentlich eine erzählte Gottheit mit dem rein spekulativ entworfenen Gotteskonzept gemeinsam, und was haben beide mit dem sittlichen Überzeugungsprojekt zu tun, das von größeren Zielen spricht, von edleren Zwecken, von einem tieferen Sinn oder von einer höheren Macht, die (erstens) das absolut Gute verkörpert und (zweitens) das möglichst Gute den Menschen abverlangt? Nun, wer also den Gottesbegriff – nicht in seiner Gänze, wohl aber in Teilen seiner Vielfalt – einholen möchte, wird sich mit vielen Aspekten und Facetten befassen müssen, mindestens jedoch mit ▶▶ einem Gott oder einem Gefüge von Gottheiten, die als Figur oder Figurenkonstellation z. B. in einer Erzählung, einem Mythos, einer Sage usw. auftauchen, ▶▶ einer hochrangigen, wenn nicht gar höchsten Macht, die als in einer kosmischen Ordnung enthalten, mitunter auch als deren Voraussetzung gedacht wird,

37 Vgl. a. a. O., 13 f. 38 Vgl. etwa Sonderegger, Erwin (2008). Aristoteles‘ Metaphysik [Lambda]: Ein spekulativer Entwurf. Einführung, Übersetzung, Kommentar. Bern, u.a.: Peter Lang, 65 ff. 39 Die Fülle an Veröffentlichungen, die sich allein schon mit einem Teilbereich besagten Großprojekts befassen, nämlich mit den sog. Gottesbeweisen und ihrer Problematik, ist nur ein kleines Indiz dafür. Vgl. Hiltscher, Reinhard (2010). Gottesbeweise. 2. Aufl. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft; Henrich, Dieter (1967). Der Ontologische Gottesbeweis: sein Problem und seine Geschichte in der Neuzeit. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck); Samuelson, Norbert/Clayton, John (1984/93). Art. Gottesbeweise, I (Samuelson), II–III (Clayton). TRE 13, 708–784.

Tour 1:  Vorstellungen, Begriffe und Eindrücke. 

▶▶ einer Personifikation von ethisch-moralischen Prinzipien, die impulsartig oder dauerhaft regulierend in die sittliche Ausgestaltung eines sozialen Gefüges eingreift oder zumindest Impressionen gelingenden Lebens liefert,40 ▶▶ einer stilisierten Verkörperung oder Verbildlichung jener roh-gewaltigen, unkontrollierbaren Naturphänomene, die in einer den physikalischen Gesetzen weitestgehend unterstellten Welt bemerkt, aber niemals zureichend verstanden werden, ▶▶ einem Inbegriff emotional gewichtiger Aspekte und Affekte,41 sowie ▶▶ der Vorstellung, dass dem Menschen eine Art besondere Energie, eine Dynamis, ein Funke oder ein Hauch (usw.) inneruht, die ihn als göttliche Kraft quasi bewohnt oder beseelt.42 Zuletzt ist, sicher auch im Blick auf zukünftig anstehende Diskurse, noch ein Sonderfall zu behandeln – obwohl dessen besonderer Clou eigentlich nur in einer kleinen Modifikation, nämlich der Transformation von Seinsordnung zu Sinnordnung, besteht. In dieser späten Alternative wird Gott nicht mehr als Inbegriff von wahrstem Sein oder höchstem Gut aufgestellt, sondern eher als ein Annäherungsbegriff für etwas, das niemals ganz gegenständlich werden kann. Als insofern behelfsmäßige, jedoch vorläufig beste Metapher gerät Gott in den Sprachschatz jener radikal artikulationsbedürftigen Seele, die sich nach etwas oder gar nach mehr sehnt; oftmals wird diese Gottesmetapher in Anspruch genommen, wo sich letzte und größte Sehnsüchte bei Menschen bemerkbar machen: sei es spontan, in plötzlichen Augenblicken existenzieller Not, sei es als dauerhafte Regung bei chronisch gewordenen Betrachtungen von Lebenswert, Lebenszweck und Lebensdauer. In solchen Szenarien, die gern auch mit „Sehn40 Hier könnte man nicht nur auf Platon, Kant und die übliche Philosophenriege verweisen, sondern auch auf die Vorstellungen, die oftmals mit Jesus von Nazareth assoziiert werden. 41 Z.B. im Sinne der mitunter recht überstrapazierten Sprachfigur, „dass Gott die Liebe ist“; viel weiterführender vgl. insgesamt Barth, Roderich/Zarnow, Christopher (Hrsg.) (2015). Theologie der Gefühle. Berlin: De Gruyter. 42 Diese Vorstellung lässt sich ganz konservativ abbilden und der klassischen Pneumatologie zuweisen, gern auch im Umgang mit Bibelstellen wie Ps 104,30; Joh 14, 16 f.; Apg 2; Röm 7,6; 2Kor 3,6 kritisch erörtern. Aber vermutlich kommt man mit der traditionellen theologischen Arbeit kaum Menschen auf die Spur, die sich esoterischen Ratgebern zuwenden, komische Energiepyramiden in ihr Wohnzimmer stellen und plastizierte Engelfigürchen als geistbringende Götterboten verehren.

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  1.2  Theologie. Zu Besuch bei einer ganz normalen Wissenschaft?

sucht nach Sinn“43 betitelt werden, funktioniert freilich die Gottesmetapher fast schon wieder als Begriff – zumindest dort, wo man mit Gott den ultimativen, unendlichen Fluchtpunkt aller Sehnsüchte bezeichnet. Dieser Gottesbegriff zweiter Ordnung ist so etwas wie die sprachlich verfügbare und sozial vereinbarte Signatur des finalen Sinnhorizonts, der sich integral über alle Zwischenmöglichkeiten von Sinndeutung ausspannt, mit anderen Worten: Gott ist das eine letzte Wort, in dem der (ersehnte) ganze und letztgültige Sinn des Daseins symbolisch abgegolten sein will. Doch welche Einsicht wäre nun aus dieser zwischenbilanzierenden Bestandsaufnahme abzuleiten? Doch wohl zuallererst die, dass in allen Projekten das Unverfügbarkeitsmoment stark bleibt – und sich daraus (nicht nur) ein Kommunikationsproblem ergibt. Denn … … wie auch immer man zu klären sucht, was mit Gott (Theos, God, Dieu usw.) gemeint sein könnte, also worauf sich das Wort zu beziehen sucht und was es bezeichnen will, und … … welchen Verfahren, Gott etwa in Bildern, Liedern, Gedichten, Erzählungen, Denkgebäuden und Sinnsystemen zu platzieren, man dabei nachzugehen vermag, und … … welche Möglichkeiten sich insofern bestimmen lassen, Gott als narrativ figurierten Charakter, als spekulativ generierte Mega-Idee, als metaphorisch artikulierte Großhoffnung oder als symbolisch codiertes Sinngeheimnis zu rekonstruieren und zu entfalten, … … es bleibt doch diesen Operationen stets eine Grenze vorbehalten: Ihr Primärobjekt nämlich ist per definitionem niemals vollständig greifbar. Sobald also mit (dem Begriff) Gott Qualitäten und Aspekte abgedeckt werden, die Erfahrungs- und Verstandeshorizonte überschreiten,44 verhalten sich eine Reihe mitgedachter und abgeleiteter Aussagen als ausdauernd inkommunikabel: Weder Gott als Primärobjekt noch die mit Gottesbegriffen assoziierten Seinsordnungen und Sinndeutungen lassen sich auf allen Wahrheitsplateaus implementieren. Aber ist mit der Anerkennung dieses Problemkatalogs auch das Projekt hinfällig geworden, zu Theo(s) eine logie zu konzipieren? Mitnichten. In einem 43 Vgl. Berger, Peter L. (1990). Sehnsucht nach Sinn. Glauben in einer Zeit der Leichtgläubigkeit. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. 44 Z.B. himmlisch, übermächtig, unzulänglich, jenseitig (etc.).

Tour 1:  Vorstellungen, Begriffe und Eindrücke. 

ersten Versuch etwa könnte man die Großbaustellen geräumig umfahren und sich z. B. eine Art beschränkte Sachkunde vorstellen, die die Erhebungsmenge sämtlich auffindbarer Aussagen über Gott mit allen möglichen Denk- und Abbildungsverfahren in einer (Lehren-)Sammlung erfasst, ohne sich mit Wahrheitsgehalten und Geltungsansprüchen zu beschäftigen. Als Aufzählung von Götterkulturen und -familien, als Wiedergabe von Göttererzählungen, als Plakatierung von Gottesbildern oder als Referat über Gott spekulativ bemühende Denkgebäude käme Theologie in diesem Fall zu stehen.45 Sie wäre als sammelleidenschaftliche Fleißarbeiterin auf überschaubarem Terrain mit begrenztem Präsentationsplateau in ihrem Element – und könnte als gotteskundige Herrin thronen über alle Gotteslehren und -traditionen, die als gesichert gelten, weil sie geschrieben stehen und überliefert wurden. Nun, und da es eine nahezu überwältigende Menge an Material zu dieser Art von Schrift und Überlieferung gibt – also etwa Dokumente, Erzählungen, Lehrsammlungen (usw.), die indirekt mit Prädikaten wie besonders kostbar oder besonders alt, besonders heilig oder besonders religiös (usw.) aufgewertet werden –, könnte bereits mit den ersten materialverwaltenden Handhabungen der Eindruck entstehen, dass hier eine gewaltige Gottesgelehrtheit am Werke ist.46 Trotzdem funktioniert diese Gelehrtheit nicht vollständig als wissenschaftliche Gotteslehre. Denn wenn sich ein wissenschaftlicher Lehrapparat prinzipiell dadurch definiert, dass er gesicherte Fakten, überprüfbare Daten und hinreichend begründete Wissensmengen als Lehrstoff bereit zu stellen und ebendiese Lehrgegenstände in ihrem Verhältnis zur Wirklichkeit abzubilden vermag, dann müsste doch gleichfalls eine Lehre, die Gott zu ihrem Zentralbegriff macht und dabei vollen Wissenschaftscharakter beansprucht, einen ähnlichen Ehrgeiz im Selbstverständnis entwickeln: Auch die Theologie steht als Wissenschaft folgerichtig in der Pflicht, ihre Lehraussagen und Wissensmengen wirklichkeitskompatibel zu erschließen – und mit Akkuratesse vermessene Denkhorizonte zu präsentieren, vor deren Hintergrund sich ihre Wahrheits- bzw. Geltungs45 Vgl. Bonhoeffer. Die Wurzeln des Begriffs Theologie, 7 f. 46 So manches gotteskundige Referat kann freilich nicht allein andächtig bestaunt, sondern auch mit respektlos kritischen Ergänzungsfragen im akademischen Korridor konfrontiert werden: Wie verhält sich eine – womöglich mit akademischem Stolz zur Schau getragene – imposante Wissensmenge aus dem Gotteslehrbestand zu den Wirklichkeitsdeutungen und Weltbildern, die dahinter aufscheinen können? Was ist über die Kapazitäten und Kompetenzen zu sagen, die es zur Reflexion eines Lehrbestandes braucht, bis ein theologisches Qualitätssiegel erlangt wird?

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  1.2  Theologie. Zu Besuch bei einer ganz normalen Wissenschaft?

ansprüche formulieren lassen. Um diese Verpflichtungen angemessen in Angriff nehmen zu können, braucht es eine Vergegenwärtigung der besonderen Perspektive, die sich auf den speziellen Charakter theologisch zu verwaltender religiöser Lehr- und Wissensmengen konzentrieren muss; in erster Linie nämlich ist dieses religiöse Wissen, das ja in Gott seine stärkste und dichteste Pointe hat, ein symbolisch-narrativ codiertes Wissen, das auf Sinnorientierung und Lebensqualität abzielt. Und obwohl sich die Theologie auch einer ganzen Reihe zentraler wie randständiger Sach- und Faktenwissensmengen annehmen kann,47 müsste sie von ihrem Selbstverständnis – Stichwort: Gotteslehre – her doch weitaus eigentlicher jene Sortimente kommunikativ generierten und diskursiv angelegten Deutungswissens zentrieren, deren Wahrheits- und Geltungswerte sich gerade nicht über einfache Argumente und kausale Operationen sicherstellen lassen. Es ist allein die lebenspraktische Geltungsmacht, die die Prägekraft und Haltbarkeit einer religiösen Wissensmenge begünstigt; sie ist es dann auch, die den relativen Wahrheitsgehalt einer theologischen Lehre sicherstellt und untermauert. Kurzum und exemplarisch: Wahr ist eine Aussage über Gott, weil und sofern sie sich für diejenigen bewährt, die sie in Anspruch nehmen. Wer einmal verstanden hat, wie es um diesen relativen Wahrheitsanspruch und seine Rechtmäßigkeit bestellt ist, wird auch die Sinnlosigkeit des Unterfangens begriffen haben, den absoluten Wahrheitsanspruch einer kompakten Gotteslehre auf allen Argumentationsforen kritischer Vernunft zu verteidigen. Um das Dargelegte etwas anschaulicher zu gestalten, nehmen wir – in der Annahme, dass es für ein absurdes Beispiel niemals zu spät ist – einfach die denkbare und dankbare Lehraussage: „Gott ist ein gütig leuchtendes Dreieck mit einer Schwäche für Lakritz“. Selbstverständlich ist der (absolute) Wahrheitswert dieses Satzes nicht über die Alternativen einer zweiwertigen klassischen Logik (wahr / falsch) zu ermitteln. Gesetzt den Fall nun, dass es nicht allein diese blanke Aussage gibt, sondern dass sich tatsächlich auch Menschen finden lassen, die davon Gebrauch machen – dahingehend, dass sie ihre persönliche Süßigkeitenvorliebe in einen höheren Sinnzusammenhang stellen wollen –, dann 47 Mit theologischem Faktenwissen wird man z. B. bei den Examina konfrontiert. In einer Universitätsstadt Westfalens geht seit Ewigkeiten die Legende um, wonach ein namentlich bekannter Prüfer Jahr für Jahr dieselben drei Abschlussfragen stellt, nämlich: in welchem Jahr Martin Luther geboren wurde (1483), welcher Papst wann und wo zu den Kreuzzügen aufgerufen hat (Urban II. – 1095 – Clermont) und wo genau Hunde in der Bibel vorkommen (z. B. 1Kön 21,23 und Mk 7,27f.).

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bietet sich nach eingehender Betrachtung womöglich eine erweiterte Formulierung an, deren Wahrheitswert ermittelt werden könnte, weil zusätzlich Hinweise über Bezugsrahmen, Referenzsystem und Bedeutungshorizont benannt werden, z.B.: „In einer Sekte, die von der Existenz eines gütig leuchtenden Dreiecks mit einer Schwäche für Lakritz ausgehen will, gibt es mehrere Personen, die sich fest darauf verlassen, dass Gott ein solches Dreieck ist, das Lakritze mag“. Man bemerkt: Für diese erweiterte Formulierung ist nicht mehr der Wahrheitswert der Gleichung (Gott = Dreieck), sondern der Wahrheitswert des benannten Deutungshorizonts (Es gibt Menschen, die glauben, dass …) von Belang.

Genau mit dieser Geltendmachung des speziell funktionalen Wahrheitswertes von Gotteslehre(n) und des aparten Charakters betreffender Wissensart(en) kann nun der vollständige akademische Leistungskatalog der Theologie eröffnet werden: Konsequent und beharrlich bleibt zu zeigen, für welche weiterführenden Deutungen und Bedeutungen ein Gott zentrierendes summarisches Lehrpaket zu stehen kommen kann; hartnäckig und dauerhaft wird der bereits angedeuteten Aufgabe nachzukommen sein, den Eigensinn der binnensystemisch schlüssigen (Gottes-)Lehren mittels revidierter Übersetzungstechniken herauszuarbeiten, und zwar so, dass dieser Eigensinn auch außerhalb seiner primären und traditionellen Plausibilitätshorizonte verständlich werden kann. Fürderhin gilt es, nicht nur das bislang im religiösen Wissens- und Lehrkontext aufgebrauchte Zeichenrepertoire (Begriffe, Bilder, Worte, Sätze usw.) einschließlich aller Umgebungsvariablen, sondern auch deren genuine Bedeutungskontexte, spätgewachsene Verwendungszusammenhänge und letztgefestigte Geltungsansprüche als Referenzspektrum bzw. Referenzrahmen im Blick zu behalten. Der Referenzrahmen einer Lehre (oder eines Lehrhaufens) erklärt sich übrigens metatheoretisch-formal als ein System aus Zeichen, Sentenzen und Sequenzen, die auf bestimmte grammatische Regelwerke und semantische Bedeutungsfelder festgelegt bleiben und als solche konsequent bedeutungstragend bzw. auf Bedeutung verweisend sind;48 aus historisch-kultureller bzw. kulturanthropologischer Perspektive erweist er sich als ein entwickeltes Gewebe aus Deutungen,49 die für ihre Nutzerinnen 48 Hierzu und zum Folgenden vgl. z. B. Frege, Gottlob (2008). Funktion, Begriff, Bedeutung. Fünf logische Studien (Herausgegeben und eingeleitet von Günther Patzig). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 49 Vgl. Geertz, Clifford (1994). Religion als kulturelles System. In: Ders. Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 44–95; Ders. (1994). Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kul-

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  1.2  Theologie. Zu Besuch bei einer ganz normalen Wissenschaft?

und Nutzer, zumal sie sich womöglich auch an der Entstehung dieser Deutungen beteiligen konnten, einen einschlägig verwendbaren Wert haben.

Einige Voraussetzungen für das Konzept einer aussagekräftigen und leistungsfähigen Theologie sind damit vermessen. Der nachvollziehbare Perspektivenwechsel, bei dem der Wahrheitsbeweis durch den Geltungsbeweis ersetzt und der Gesichtspunkt der Totalität (absolut wahr und zeitlos gültig) durch die Pointe der zunächst binnensystemischen Bedeutungsgewissheit (lokal plausibel und situativ erhellend) überholt wird, wird nun flankiert durch die Basisthese, dass sich Bedeutsamkeit und Bedeutung nur sozial konstruieren bzw. konstituieren lassen, wo eine gemeinsame oder zumindest kommunikabel gemachte Sprach- und Erfahrungsbasis die Rahmung gibt: in sogenannten face-to-faceMomenten, aber auch in traditionsbasierenden, generationsübergreifenden Erschließungsprozessen, die sich sinnlich und intellektuell ausspannen können über allerlei Texte und Rituale.50 Exakt auf dem Scheitelkamm besagten Perspektivenwechsels nun wäre vor spätneuzeitlichem Horizont zu markieren und zu prüfen, auf welcher Transformationsstufe sich die klassische Gotteslehre einfinden – und wie sie ihre akademischen Ansprüche geltend machen kann. Sollte es ihr nachhaltig gelingen, das Problem des zwiegestaltigen Schillerns zwischen theologischer Wissenschaft und theologischer Wissenschaft in den Griff zu bekommen? Wird sie die Module ihres besonderen Deutungswissens als verständliche Klärungsbeiträge zu kulturellen Phänomenen, zu sozial und historisch greifbaren Wirklichkeiten positionieren können? Dann bliebe ihr Wissenschaftscharakter51 darin zu legitimieren, dass ▶▶ sie sich (als Kultur- und Geisteswissenschaft) auf eine verstehende Erkundung sämtlicher Lebensäußerungen kaprizieren will, die irgendwie tur. In: Ders. Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 7–43. 50 Bevor hier gerätselt wird: Es lassen sich schlicht und einfach gemeinsame Festivitäten und Feierlichkeiten (Rituale) oder alte Lieblingsgedichte von Oma (Texte) als Beispiele anführen. Natürlich funktioniert das Ganze auch noch mit Weihnachtsgottesdiensten und Evangelienperikopen. 51 Vgl. hierzu, besonders jedoch zu dem insgesamt im Haupttext angestrengten Diskurs: Carrier, Martin (2006). Wissenschaftstheorie zur Einführung. Hamburg: Junius; Chalmers, Alan (2001). Wege der Wissenschaft: Einführung in die Wissenschaftstheorie. 5. Aufl. Berlin u.a.: Springer.

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auf die Gottesidee rekurrieren und einen Gottesbegriff fokussieren; aber auch, dass ▶▶ sie (als Sozial- und Gesellschaftswissenschaft) die Strukturen und Funktionen solcher sozialformatierten Sinnsysteme in Augenschein nimmt, die auf eine theologisch verwertbare Semantik zugreifen und sich wechselwirkend zu den Deutungsleistungen, Sprachgewohnheiten und Handlungsoptionen beteiligter Individuen verhalten. Damit wäre freilich endgültig zugestanden, dass es eine rein spekulative, geschichtslose und kontextfreie Theologie an sich nicht (mehr) geben kann. Vorbereitet durch die bisherigen Bemerkungen, nämlich: dass Theologie stets kontextuell, immer auf konkrete Lebensäußerungen bezogen, fortwährend auf gewachsene, mitunter auch institutionalisierte Referenzsysteme verwiesen ist, bringt sich nun auch zur Einsicht, warum (und inwiefern) es Sinn ergibt und rechtmäßig wird, Theologie als christliche theologische Wissenschaft zu spezifizieren. Eine Theologie, die im o. g. Verständnis die Christentumspraxis als ihren Referenzrahmen bestimmt, kann das allgemeine, unterbestimmte Abstraktum Gott vor dem Hintergrund der (jüdisch-)christlichen Deutungstradition als einen besonderen, inhaltlich-gehaltlich abgefüllten, historisch gewachsenen (usw.) christlichen Gottesbegriff fokussieren, der in reichlich konkreten Verwendungszusammenhängen an Bedeutung und Bedeutsamkeit gewinnt, kulturmächtig wird und Prägekraft erkennen lässt. Die weithin eingespielte Einteilung und Aufstellung der wissenschaftlichen christlichen Theologie – an den meisten Ausbildungseinrichtungen überwiegend veranschaulicht über den vier- bis fünfgliedrigen Abteilungsfächer:52 BW (AT / NT) + KG + ST + PT – greift diesen konzeptionellen Grundgedanken weitestgehend auf. Tatsächlich steht diese Theologie unter der mehrdimensionalen Prämisse, ▶▶ dass sich in erster Instanz nicht eine unspezifische Gottesidee, sondern eine große, lebendige Gottesbegegnungserzählung in der Geschichte Israels entwickelt hat, ▶▶ dass sich in zweiter Instanz diese Basiserzählung in der Lehre und dem Wirken Jesu verdichten konnte, und ▶▶ dass in dritter Instanz das Geschick dieses Menschen als Inbegriff einer vollständigen und letztgültigen Gottesbegegnung ausgelegt wurde, die 52 Gemeint ist tatsächlich der Fächer (der die Disziplinen fächert).

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  1.2  Theologie. Zu Besuch bei einer ganz normalen Wissenschaft?

die Wahrnehmungs- und Bestimmungsgrenzen von Leben und Tod mit Interpretamenten wie Auferweckung, Versöhnung, Erlösung (usw.) radikal verändern sollte. Vor dem Hintergrund dieser Basisprämisse(n) bemühen sich nun die historisch-theologischen Abteilungen Altes Testament, Neues Testament und Kirchengeschichte mit ihrer literarisch-quellforschenden Arbeit an den biblischen und außerbiblischen Dokumenten des Christentums um eine Erhellung von Ereignissen, Geschehnissen, Hintergründen und Deutungen. Derweilen schicken sich die systematisch-theologischen (Teil-)Disziplinen53 Dogmatik und Ethik an, in kritisch reflektierender Distanz aufzuzeigen, unter welchen Rahmenbedingungen und Denkvoraussetzungen es möglich ist (war / wird), dass sich die ganzen Erzählungen, Geschichtsdeutungen und Interpretationen entwickeln, verdichten und vernetzen – und etwa konkret zu Glaubenslehren, moralischen Anweisungen oder großen Welterklärungssystemen mit Wahrheits- oder Geltungsansprüchen verwandeln. Übrigens wurden gerade von Theologinnen und Theologen, die der Systematischen Theologie zugerechnet werden, eine Reihe alternativer Theologieverständnisse vorgetragen, die mit augenfälligen Teilargumenten dekoriert waren, aber im Prinzip auf einem grundlegenden Einwand beruhen sollten: „Dass man von Gott nicht reden könne, aber müsse, und dass diese Spannung erst ausgehalten wird, wenn man Gott die Ehre gibt und ihn selbst zu Wort kommen lässt, wobei dieses Wort ja Jesus Christus selber sei“, – so hatte es Karl Barth mehreren Theologiegenerationen lebhaft erklärt. Wenngleich nicht in allen Details, doch aber im Grundanliegen stetig unterstützt wurde er dabei von einigen Weggefährten, wie etwa von Rudolf Bultmann, der eine spitzfindige Unterscheidung von „reden über“, „reden von“ und „reden aus“ vorlegte und die Einsicht verlauten ließ, „dass man nicht von Gott, sondern nur vom Menschen reden könnte, allerdings gern von einem solchen, der aus Gott heraus spricht“ (oder aus dem Gott spricht?). Jedoch, der Sache nach war das nicht neu. Bereits Luther – um eine weitere prominente Figur zu bemühen – hatte den Theologiebegriff unter einen sehr verkündigungspraktischen Fokus gerückt und sinngemäß konstatiert, dass nicht der Mensch Theologie treibe, sondern nur reagieren könne auf die Theologie, die Gott treibt. Das war nicht ganz ungeschickt von Luther gewesen, 53 Man sollte wissen, dass bisweilen auch weitere Teildisziplinen – wie Fundamentaltheologie oder Religionsphilosophie – in den Katalog der Systematischen Theologie eingefügt sind.

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immerhin hat er doch eingeräumt, dass Menschen keine wahre Aussage über Gott treffen können, es sei denn, Gott hätte sie ihnen „vorgesagt“. Nun, eine solche Theorie (im schlichten Anschluss an Barth oder Bultmann, auch an Luther und viele, viele andere) hat ihren Charme. Doch um sie halten zu können, müsste man eine sehr starke Doppelhypothese aufgreifen und als Axiom platzieren, nämlich (1.) dass Gott sich sowohl in Jesus Christus als auch in der Heiligen Schrift unanfechtbar zu Wort gemeldet und ebenso geoffenbart hat, dies (2.) allerdings derart eindeutig und exklusiv, dass weder eine ergänzende Erkenntnis notwendig noch eine weiterführende Aussage möglich sei. Die Schlussfolgerungen sind nicht nur absehbar, sondern werden mitunter auch gezogen und gepflegt. In drastischer Konsequenz führt die Behauptung, dass Gott der allein wahre Theologe sei und als einzig legitimes Vermächtnis eine Heilige Schrift fabriziert habe, zu einem Theologiebegriff neuer Ordnung, der mit der indirekt erfolgten Preisgabe anschlussfähiger Wissenschaftlichkeitsansprüche teuer erkauft ist. Merke: Eine christliche Theologie, die ihrem Selbstverständnis nach verantwortlich denkend nachsagen will, was als Zusage geschrieben steht, kann durchaus brillant zelebriert und beeindruckend vollzogen werden – erst recht, wenn sie zu zeigen vermag, wie souverän und intensiv sie dabei ihr klassisches Handwerkszeug auf traditionellen binnentheologischen Gefilden zum Einsatz bringt. Ob die im Duktus alter Gottesgelehrsamkeit imposant vorgetragenen Kapriolen dieser Theologie aber auf den Diskursplateaus der nichttheologischen Wissenschaften mit folglich abweichenden akademischen Fachkulturen intellektuell nachvollzogen und als plausibel-kompatibilitätsaffin aufgegriffen werden können, wird wohl die große Streitfrage bleiben.54

Und die Praktische Theologie? Endlich soll sie behandelt werden, jene letzte Disziplin einer wissenschaftlichen Theologie, die Gott als Integral desjenigen religiösen Deutungswissens fokussiert, das die Christentumskultur in Geschichte und Gegenwart bewegt hat, und die sich u. a. unter dem Anspruch aufstellt, mit den theologischen Veranschaulichungen und Plausibilisierungen ihres Deutungswissens sowohl eine relevante Perspektive verdeutlichen als auch wichtige Forschungs- und eigenständige Diskursbeiträge vorlegen zu können. 54 Gute Klärungsbeiträge finden sich u. a. bei: Axt-Piscalar, Christine (2013). Was ist Theologie? Klassische Entwürfe von Paulus bis zur Gegenwart. Tübingen: Mohr Siebeck; Ebeling, Gerhard (1962). Art. Theologie. I. Begriffsgeschichtlich. RGG 6. 3. Aufl. Tübingen: Mohr, 754–769; Wagner, Falk (1991). Was ist Religion? Studien zu ihrem Begriff und Thema in Geschichte und Gegenwart. 2. Aufl. Gütersloh: Mohn; Wagner, Falk (1989). Was ist Theologie? Studien zu ihrem Begriff und Thema in der Neuzeit. Gütersloh: Mohn.

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  1.3  Praktische Theologie. Strapazen einer missverständlichen Wissenschaftsdisziplin

Wer mag, kann an dieser Stelle eine Verschnaufpause einlegen, anderswo im Guide weiterlesen55 – oder sich noch einmal die bisherigen Bausteine vor Augen führen. Denn alsbald geht es weiter, und zwar mit der Beobachtung, dass man manche Fragen einfach mehrmals stellen muss. Am besten immer wieder. Ein Leben lang.

1.3  Praktische Theologie. Strapazen einer missverständlichen Wissenschaftsdisziplin „Es gibt keine dummen Fragen, nur blöde Antworten.“56 Zum ersten Mal, da bin ich ganz sicher, habe ich das im Rahmen meiner Führerschein-Prüfungsvorbereitungen gehört, damals in der Fahrschule. Die staatlich anerkannte Lehrkraft hatte sich bereits wiederholt über die Tücken abknickender Vorfahrtstraßen ausgelassen, als eine Dame mittleren Alters, sich nicht nur durch ihr Beteiligungsverhalten deutlich von der spätpubertären Basisklientel distanzierend, aufgeregt die Hand erhob und ihre Meldungswilligkeit verbal zu unterstreichen suchte: „Darf ich mal eine ganz dumme Frage stellen?“ Mit charmant-galanter Geste zupfte sich der Fahrlehrer den speckig gewordenen Kragen seines Cordjacketts zurecht. „Aber Madame“, hauchte er kokett zur Belustigung aller, „Sie wissen doch: es gibt keine dummen Fragen. [Pause] Nur schlechte Fahrschulen. Und das hier ist keine. Also, was haben Sie denn auf dem Herzen?“

55 Weiterlesen kann man übrigens auch hier: Schnädelbach, Herbert (2012). Welchen Sinn hat es, wissenschaftlich von Gott zu reden? Nachfrage eines Philosophen bezüglich des Gegenstands der Theologie. In: Appel, Kurt/Danz, Christian et. al. (Hrsg.) Religion in Europa heute. Sozialwissenschaftliche, rechtswissenschaftliche und hermeneutisch-religionsphilosophische Perspektiven. Wien/Göttingen: Vienna University Press/V&R unipress, 13–23; Danz, Christian (2012). Theologie als Religionskritik. Zum Kritikpotential der Religion. In: Appel/Danz, Religion in Europa heute, 25–37. 56 Diese These wird kontrovers diskutiert. Dass eine von beweiskräftigen Argumenten und Indizien gestützte letzte Entscheidung hinsichtlich einer möglichen oder unmöglichen Existenz dummer Fragen ausstehen muss, wird gelegentlich mithilfe sogenannter Blödfragen-Dilemmata veranschaulicht, etwa: Wenn ein Brot mit Marmelade runterfällt, landet es immer auf der Marmeladenseite. Und wenn eine Katze von einem Baum fällt, landet sie immer auf ihren Pfoten. Was aber passiert, wenn man der Katze Marmelade auf den Rücken schmiert?

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Seitdem bin ich dieser Erwiderung mehrfach begegnet, auch in Variationen. Der erste Teil scheint weitestgehend standardisiert, während es für die Fortsetzung einen gewissen Spielraum gibt; von „Nur dumme Antworten!“ bis hin zu „Nur falsche Lehrmethoden!“ scheint alles erlaubt, was dazu beiträgt, die Existenz dummer, unpassender, sinnloser Fragen – oder auch dummer Fragensteller! – in Abrede zu stellen. Offenbar funktioniert das Ganze nach einer ähnlichen Logik wie jene ärgerliche Binsenweisheit des Volksmundes, wonach die Realexistenz eines spätherbstlichen Dauerregens einschließlich sämtlicher Novemberstimmungen ignoriert werden kann, sobald man nur auf die wasserabweisenden Eigenschaften sogenannter Multifunktionstextilien zählen wollte. Am Ende freilich – wir wissen das! – ist die Redensart, dass es niemals schlechtes Wetter gibt, sondern immer nur unpassende Kleidung, ebenso unsinnig wie jene von den dummen Fragen, die es „nicht gibt“. Denn natürlich gibt es schlechtes Wetter und dumme Fragen. Genauso wie Tiefdruckgebiete, Tiefbegabte57 und tiefpeinliche Situationen!

Keineswegs peinlich ist es übrigens, dass eine einzige (und gar nicht dumme) Frage alle bisherigen Überlegungen dezent dominiert hat: „Was ist denn nun Praktische Theologie?“. An des Rätsels endlicher Lösung mögen wohl die meisten Lesenden hauptsächlich interessiert gewesen sein, selbst wenn sie sich bereitwillig-dezent auf allerlei überraschende Blickwinkel eingelassen und unerwartete Gedankensprünge mitgemacht haben. Nun, dabei ist doch einigermaßen deutlich geworden: Eine einzige kurze Auskunft, eine schnelle Definition, eine Patentlösung für die „eine“58 PT will es hier nicht geben – dafür jedoch allerlei geländeflächige Übersichten, die durchaus anregend sein können, selbst als Architekt oder Architektin einer Praktischen Theologie tätig zu werden. Dazu müsste man wohl, um baldigst mit der Arbeit an einem praktisch-theologischen Fundament beginnen zu können, die nötigen Baumaterialien – stabile Bausteine, flexible Baustoffe, griffige Bindemittel – beisammen haben (und mit werkstoffkundiger Weitsicht arrangieren können59); zudem

57 Die sensible Wortschöpfung „Tiefbegabung“ geht zurück auf Steinhöfel, Andreas (2008). Rico, Oskar und die Tieferschatten. Hamburg: Carlsen. 58 Das verraten schon zwei intensive Blicke, nämlich: auf die jüngere Geschichte der Praktischen Theologie einerseits, andererseits auf die pluriforme Struktur unserer Gegenwartskultur. Aber dazu später mehr. 59 Vereinfacht gesagt: Es ist darauf zu achten, dass die Materialien sich vertragen, dass sie haltbar und dehnbar sind, aneinanderhaften können (usw.).

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  1.3  Praktische Theologie. Strapazen einer missverständlichen Wissenschaftsdisziplin

braucht es natürlich fachlich versierte Basisbauanleitungen, differenzierte Ergänzungsimpulse, reflektierte Anregungen, gern auch kreative Schübe.60 Vor dem Hintergrund dieses Bildes (einer variablen praktisch-theologischen Anlagenarchitektur) sind alle bisherigen Betrachtungen aufzufassen als Planungsgespräche, in denen z. B. Ideen aufgeworfen, Kriterien entwickelt, Argumente geprüft und weiterführende Aspekte benannt wurden. In Konsequenz und Entfaltung aller Facetten geht es um Folgendes: 1. Die Grundanforderung, dass eine praktische eben eine lebenstaugliche Theologie zu sein habe, leitet sich keineswegs allein von den Erwartungshaltungen ab, die mit den populären Wortbedeutungen von praktisch assoziiert bzw. über den Öffentlichkeitscharakter von Theologie suggeriert werden. Weitaus entscheidender ist für die Geltendmachung des besagten Nützlichkeitsaspekts, dass sich die Plausibilität theologisch verantworteter Wissens- und Lehrmengen im Wesentlichen über deren Gebrauchswert im Wirklichkeitsgefüge erschließt. Die praktische Theologie steht vor der doppelten Klärungsbitte, anschaulich zu machen, worum es (ihr) geht – und für welche praktikablen Antworten, Lösungen, und Lebensempfehlungen jene große Religion, deren Lehrsystem die Theologie insgesamt zu verantworten hat, damit letztlich einstehen kann. Mit anderen Worten: Erklär mir schnell die Welt und ihren tiefgelegten Sinn, das Leben, Tod und Elend, das Woher und das Wohin, den Zweck der ganzen Sache und ihr letztes hohes Ziel, erklär mir alle Regeln hier in diesem großen Spiel: Was Freiheit meint, was böse ist, was letzten Endes gut, was einer kriegt, der wirklich richtig schlimme Dinge tut. Erklär mir Hass, Vergeltung, Wut, Gerechtigkeit und Zorn. Erklär es mir sofort, und am besten ganz von vorn. Erkläre mir was war. Und was sein wird. Mach schon, wag es, erklär mir, was geschehen müsste. Später. Eines Tages. Erklär mir, wie es kommt, dass das geschieht, was so geschieht, und auch, warum und ob man --- liebe Tote nie mehr sieht. 60 Natürlich kann man an dieser Stelle noch weiter assoziieren, etwa, indem man über den Einsatz interessanter Ziergewächse und Nutzpflanzen meditiert, die Risiken einer grenzwertigen, aber interessanten Statik kalkuliert, über die Chancen einer bestimmten provokativen Stilrichtung nachdenkt oder die Grenzen der ästhetischen Aufwertung auslotet, die z. B. mit innovativen Materialien suggeriert wird.

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Erklär mir schließlich eines noch: Was bringt‘s, dass ich dir glaube, mein Leben zu erklären ich dir freiwillig erlaube? Erklär mir, was es nützt. Los. Gib Antwort allen Fragen. Sonst glaub ich doch nur eins: Du hast echt nicht viel zu sagen!

2. Natürlich lässt sich der Wahrheitswert einer Erklärung weder exklusiv über die Beglaubigung ihrer groben Nützlichkeit erschließen61 noch über den Nachweis womöglich anwachsender Geltungsbereiche steigern.62 Der wissenschaftliche Anspruch der Theologie, nämlich: sich mit eigenständigen Wissensmengen in ein besonders klärendes Verhältnis zur Wirklichkeit stellen zu können, ist erst dann abgegolten, wenn sich der Gebrauchswert einer Wissens- und Lehrmenge im Wirklichkeitsgefüge auch mit deren Stimmigkeitswert im Wissenschaftsgefüge verträgt: Konsequent wird man sich auf eine akademische Ergründung, Beschreibung und Präzisierung, aber auch auf die intellektuelle Dauerreflexion derjenigen (religiösen) Wissens- und Lehreinheiten zu konzentrieren haben, die für eine lebenssinnerhellend gegenwartspraktische Deutungstheologie stehen und relevant sind.63 61 Dass auch schlechte, schlichte oder schlichtweg falsche Erklärungen nützlich sein können, braucht nicht umständlich reflektiert zu werden. Nehmen wir dennoch als einfaches Beispiel die Sequenz aus dem Leben jener jungen Frau, die sich einen ungeliebten Verehrer erfolgreich vom Leibe halten konnte, indem sie in Anwendung einer sehr nützlichen Formel erklärte, sie sei „noch nicht reif genug für eine innige Beziehung, aber für eine gute Freundschaft durchaus zu haben“. Der Wahrheitswert dieser Aussage war sehr gering, ihr Nützlichkeitswert immens hoch; geholfen hat diese Aussage allen Beteiligten – auch dem jungen Mann, der die ehrlichere Aussage mit höherem Wahrheitswert vermutlich weniger souverän hätte entgegennehmen können. Tatsache war nämlich gewesen, dass Madame ihren Galan („Quelle odeur!“) einfach nicht hat riechen können. 62 Keine Religionslehre wird dadurch „wahrer“, dass Menschen, die von ihrem Wahrheitsgehalt überzeugt sind, Kriege führen und Gräueltaten verüben. Allerdings wird man sich zunehmend mit diesem Problemkomplex befassen müssen. 63 Die Sinngehalte zahlreicher Lehreinheiten können nicht einfach über schlicht zusammenfassende Referate binnensemantisch fixierter Ausdrücke und Aussagen abgebildet werden. Die Satzaussage etwa, wonach Gott die Menschen so geliebt hat, dass er seinen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben, und dieser Sohn dann sein Leben gegeben hat, auf dass die Glaubenden gerechtfertigt sind, kann als theologisch einigermaßen korrekt abgehakt werden; um jedoch das wirklichkeitsverändernde Potential dieser Aussage herauszustellen, muss man ziemlich ringen, folglich auch um die den Lebenssinn aufhellende Qualität.

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  1.3  Praktische Theologie. Strapazen einer missverständlichen Wissenschaftsdisziplin

3. Dieses Programm korrespondiert durchaus noch mit dem Selbstverständnis einer wissenschaftlich betriebenen Theologie, die ihre Grundargumentation nicht über Gottesbeweise (o. ä.) zementieren und mit Absolutheitsansprüchen festigen, sondern im Rekurs auf die nachweisliche Bedeutsamkeit kulturell generierter Gottesbegriffe argumentiert und die Gottesidee – formatiert als finale Symbolfigur, verstanden als letztinstanzliches Sinndeutungsintegral – bewusst zentralkategorisch in bzw. über all ihre Wissensmengen stellt. Gott ist hier sozusagen die Supersignatur eines theologisch verantworteten Gesamtwissens, das sich letztlich über ein geordnetes Ensemble von Lehrsätzen zu Anschaulichkeit und Gebrauch bringen will. Allerdings ist die Faktizität und Wahrhaftigkeit dieser Lehrsätze nur bedingt abhängig von der Objektivierbarkeit dieser Supersignatur. Immerhin stemmt sich der Tatbestand, dass Gott – als Integral des besagt supersignierten Systems Glaubenslehre – weder verifizierbar noch falsifizierbar bleibt, doch keineswegs gegen den Versuch, bestimmte Variablen dieses Systems im Reflex auf schriftlich fixierte und geschichtlich gewachsene Glaubens- und Deutungstraditionen dem wissenschaftlichen Zugriff verfügbar zu machen: Sehr intensiv befassen kann sich die Theologie mit der komplexen Genese ihrer Lehren, der verzweigten Geschichte ihrer Motive, mit ihren vielschichtigen Basistexten einschließlich der zugehörigen Leseanweisungen, mit den Gefügen spezieller Gebrauchslogik und allen besonderen Nutzfunktionen ihrer Wissensmengen. Bei diesen akademischen Arbeitsschritten werden insbesondere die jeweiligen historischen Kontexte und Referenzrahmen gewürdigt. 4. Nicht minder relevant ist freilich jene ergänzend große Forschungsperspektive, die sich auf die aktuellen Referenzsysteme von Sinndeutungsformeln und Lebensgestaltungsregeln, konkreter auch: von Glaubensüberzeugungen und religiösen Einstellungen sowie Praktiken, beziehen will. Differenziert setzt sie sich u. a. mit der schlichten Grundfrage auseinander, in welchem Verhältnis sozialwirksame Überzeugungen zu starken Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften stehen – und hält in einer raffinierten doppelten Ableitung fest, dass (a) Überzeugungspanoramen nicht im luftleeren Raum existieren, sondern in konkreten Sozialformaten ventiliert werden und (b) in Relation zu soziokulturellen Faktoren stehen (und sich wandeln können). Ein theologisch relevanter Fokus liegt insofern auf Sozialformatierungen, die sich als Gruppen- oder Gemeinschafts-

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bildungen mit einer wirklichkeitsdeutenden Praxis64 rekonstruieren lassen. Die vermutlich stärkste Variante einer solchen Sozialformatierung ist sicher mit jener institutionalisierten religiösen Deutungspraxis gegeben, die sich im Gesellschaftsleben als Religionsinstitution manifestiert und über Konfessions-, Denominations- und sonstige Unterscheidungsbegriffe ausdifferenziert wird. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass sich mit dem passenden Instrumentarium auch allerlei Glaubens- und Religionsgemeinschaften sowie sonstige Vergemeinschaftungen von Wirklichkeits- und Sinndeutungspraktiken vermessen lassen, die in ihrer Intensität, Größe und Haltbarkeit weniger sichtbar65 sind. 5. Dadurch rückt nun endgültig die Praxis der Lebenden in den Mittelpunkt theologischen Forschens und Fragens, und zwar in mindestens doppelter Hinsicht. Es ist nämlich eine lebendige Praxis von lebendiger Wirklichkeitsdeutung, sicherlich soziokulturell vermittelt und geprägt, aber als solche doch immer auch durch aktuelle Erfahrungen und Widerfahrnisse herausgefordert und zur Modifikation und Modulation gezwungen. Es sind persönliche Prozesse individueller Lebensbewältigung, aber auch soziale, kommunikative Events, in denen Erfahrungen getauscht und abgeglichen werden. Diese können sich auf den institutionalisierten Foren der starken Sozialformatierungen von Religion ereignen, wo sie dann z. B. klassisch als hochreligiös, konfessionell profiliert oder typisch kirchlich identifiziert und mit theologisch-wissenschaftlich gesichertem Lehrbestand verrechnet werden können. Genauso möglich wäre es aber auch, dass sich solche Prozesse (religiöser) Wirklichkeitsdeutung in Szenarien bzw. auf Sektoren abspielen, die bestenfalls indirekt und gebrochen unter der Wirkmacht einer religiösen Kulturgeschichte stehen. Die Wissensmengen, Vorstellungen und Praktiken, die auf solchen Terrains gebraucht und getauscht, dabei im Wesentlichen zur sinnhaften Deutung und Gestaltung von Lebensgeschichten herangezogen und gepflegt werden, sind kaum widerstandslos mit den Lehren institutionalisierter Religion in Einklang zu bringen. Dennoch bleiben sie, sofern in ihrem Gebrauchsmodus von Lebensdeutung und Lebensgestaltung die Sehnsucht nach einem finalen 64 Dabei ist wichtig, dass dem hier aufgeworfenen Praxisbegriff ein weiter Radius zugestanden – und jede Sinn- und Wirklichkeitsdeutung eben auch als humane Praxis aufgefasst wird. 65 Über sichtbare und unsichtbare Religion wird in Kapitel 2.4 ausführlicher verhandelt.

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  1.3  Praktische Theologie. Strapazen einer missverständlichen Wissenschaftsdisziplin

kosmischen Index bzw. nach einem letztinstanzlichen Sinnintegral zu erkennen ist, einer religiösen Praxis zuzurechnen – und werden endgültig interessant für eine Theologie, die die gesamte Praxis humaner Selbstauslegung und Sinndeutung zu sichten, und sodann vor dem Horizont einer bestimmten Gottesidee zu verstehen und zu gestalten sucht. Nun, den aufmerksam Lesenden dürfte nicht erst mit dieser letzten Formel aufgegangen sein, dass die vorausgegangenen Betrachtungssequenzen intensiv an der Konturierung einer möglichen Praktischen Theologie bzw. an einem anschaulichen Modell für Praktische Theologie interessiert gewesen sind. Dieses Modell fußt auf der zweigeschichteten Prämisse, dass die ganze Theologie dahin zielt, mit wissenschaftlich ergründeten und reflektierten Lehrmengen nützlich-lebenspraktische, weil klärende Aussagen über die Wirklichkeit (bzw. einen Teil von Wirklichkeit) treffen zu können. Das Spezifikum dieser Klärungsaussagen ist mit der besonderen Supersignatur des Deutungswissens gegeben, nämlich der starken These, dass es eine Art von kosmischem Index gibt, eine letzte, den Sinn des Ganzen verbürgende Instanz Gott. Was dieses Sinnintegral betrifft, so beansprucht die Theologie, es nicht nur kritisch problematisieren, sondern auch verbindlich präzisieren zu können. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass dieser Anspruch nur aus der Perspektive einer bewussten Koppelung an eine konkrete Docking Station legitimiert ist bzw. nur in diesem Gekoppeltsein wirklich funktioniert: Diese Koppelung macht sich erkenntlich, indem sich die Theologie (erstens) eng an einen verbürgten und definierten Referenzrahmen von Schrift und Tradition66 anlehnt, der mehr oder minder eindeutig (und einseitig) bleibt – und sich (zweitens) an sozialformatierte Ensembles bindet, die sich als Glaubensgemeinschaft verbindliche Glaubenslehren, als Brauchtumskultur gewisse Folkloren und als Wertegesellschaft bestimmte Sittlichkeitsgebote erhoffen (zumal sie die Theologie dafür ja auch bezahlen)67. Kurzum, sowohl der Referenzrahmen als 66 Die im Protestantismus praktizierte Wert- und Hochschätzung bestimmter Traditionen lässt sich keineswegs mit dem plakativ-flachen Argument aushebeln, dass Martin Luther mit seinem „Päpste und Konzilien können irren, die Schrift aber niemals“ der Tradition den Garaus gemacht hat. Das hat er nämlich nicht. 67 Etwas salopp formuliert, aber durchaus zutreffend. Die (Evangelischen, Katholischen und neuerdings auch Islamischen) Theologien sind nicht nur im universitären Alltag präsent, sondern profitieren über Länderregelungen von dem staatlichen Alimentationsprinzip, das auf Hochschulen als öffentlich-rechtliche Körperschaften angewendet wird.

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auch die angesprochenen sozialformatierten Ensembles tragen das Emblem des Christentums – zumal oder sofern die jeweilige Formatierung in einer vom Christentum erkennbar beeinflussten Kultur68 erfolgt (ist). Nach wie vor wird als rechtlich legitimierte Supersozialformatierung oder Superinstitution des Christentums die (zunächst allgemeine, faktisch jedoch konfessionell spezifizierte) Kirche zu betrachten sein. Diesem Superstatus hat sie es zu verdanken, dass sie mit der (Zu-)Ordnung des christlichen Referenzsystems und der Geltendmachung theologisch verantworteter Sätze assoziiert bleibt. Dennoch machen auch staatliche Einrichtungen, gesellschaftliche Gruppierungen, soziale Netzwerke und Einzelpersonen, die sich bewusst gegen die kirchliche Superformatierung von Christentum und/oder/als Religion entscheiden, ihr Mitspracherecht geltend, wenn in religiösen und ethischen Angelegenheiten Plausibilisierungs- und Verträglichkeitsfragen anstehen oder Effektivitäts- und Wissenschaftlichkeitsdebatten zu führen sind. Es ist nicht zu bestreiten, dass sich hier alternative Referenzsysteme für religiöse Sinndeutungsprozesse etabliert haben. Die Spannung freilich, die sich darin abzeichnet, verlangt einer umsichtigen Theologie einiges ab, nämlich ▶▶ dass sie sich als eine beobachtende und teilnehmende Theorie aufstellen kann, die sich im Modus des miterlebenden Schauens und einfühlsamen Sichtens auf die unterschiedlichen sinndeutungspraktischen Dimensionen einer Kulturpraxis einlässt, ▶▶ dass sie als Expertin für eine Religionspraxis, die Gott zentriert bzw. mit Gottesbegriff(en), Gottesidee(n) und Gottesfigur(en) operiert, diese Expertise für die humane Selbstverortungspraxis generell geltend zu machen versteht, ▶▶ dass sie ihr Repertoire an Zugängen zu abwegigeren Referenzsystemen weiterentwickelt, sich aber auch erprobte disziplinfremde Vorschläge zu eigen macht, und ▶▶ dass sie im Ergebnis etliche widerständig scheinende Sinndeutungsfragmente besser zu verstehen weiß, aber auch manch fremd bleibende Sinn68 Der Terminus abendländische Kultur ist vielleicht in einigen Debatten recht umstritten, hier jedoch funktioniert er: Man denke nur an die Art und Weise, wie selbst die kirchlich distanziertesten Christentumskritikerinnen und -kritiker in ihren populistischen Rhetoriken noch christliche Werte als hohe Güter beschwören oder in Gottes Namen der Nächstenliebe ein Ständchen bringen können.

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  1.3  Praktische Theologie. Strapazen einer missverständlichen Wissenschaftsdisziplin

deutung von einem souveränen Standpunkt aus kritisch zu dekonstruieren vermag.69 Womöglich wird nun auch allmählich ersichtlich, warum die ausführliche Diskussion des Theorie-Praxis-Problems mit einem Schlenker über den poietischen Aristoteles und den urteilskräftigen Kant nicht ganz unwichtig gewesen ist: Weil geschaut werden muss, (a) was getan wird und (b) was zu tun ist, und weil (c) getan und (d) gestaltet werden muss (e) nach allen Regeln der Kunst, (f) mit Blick auf die Bedingungen der Möglichkeiten und (g) in kontinuierlicher Besinnung und Rückbindung an die Basics und Prinzipien. So einfach ist das, möchte man meinen – und mit der Praktischen Theologie endlich ansässig werden. Immerhin ist sie doch, wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, eine gute Mischung aus lebenspraktischer Religionsdeutungstheologie und praxisbezogen-gekonnter Referenzrahmen-Veranschaulichungstheologie, nützlich und lebensdienlich, wissenschaftlich und plausibel, kontextuell und referentiell. Sie hat mehrere ineinander übergehende Bezugssphären (Kirche – Christentum – Kultur – Gesellschaft usw.) mit reichlichen Variablen (traditionell, konfessionell, konventionell, individuell usw.), aber eine entscheidende Fokussierung, nämlich auf Leben in Praxis: Es geht um das Leben, dessen Sinn und Bedeutung sich erschließen oder gewinnen lassen soll, und um das Verfahren des Humanum, Sinnerschließung und Sinngewinn mit einer bestimmten Lebenspraxis zu verketten. Die Praktische Theologie stellt dieses so fokussierte (evtl. sinnhafte und religiöse?) Leben in Praxis in den Kontext der gesamten, eindeutig auf den christlichen Gottesbegriff konzentrierten christlichen Theologie, um zweierlei zu leisten: Zum einen will sie zeigen, mit welcher Prägekraft und Wirkmacht die von der Theologie zu verantwortende Lehrmenge das besondere (Deutungs-)Verhältnis zur Wirklichkeit als glaubhaft verdeutlicht; zum anderen will sie gestaltend Einfluss nehmen auf alle Faktoren, die an diesem Verdeutlichungsvorgang beteiligt sind. Recht verstanden nimmt sie diese Gestaltungsaufgabe wahr, sobald sie an den Wahrheitsperspektiven arbeitet, an den Sinnkonstruktionen, den Wirklichkeitsverständnissen, an den Erzählungen und Redewendungen, an ihrer besonderen Semantik, an den konkreten Praktiken und Sozialformen – und an (besser: mit) den Menschen, die daran professionell beteiligt sein wollen. 69 Nicht zu verschweigen ist allerdings auch die Alternative, eine fremde Deutung einfach einmal auszuhalten und stehen zu lassen.

Tour 1:  Vorstellungen, Begriffe und Eindrücke. 

Freilich führt gerade der letzte Passus bei einer unsachgemäßen Handhabung zu einer Gratwanderung. Einerseits bleibt in besagtem Erörterungszusammenhang der Sinn einer weiterführenden Formulierung ersichtlich, wonach Praktische Theologie als professionsbezogene Disziplin auf eine konkrete Berufsausübung abzielt bzw. eine spezielle Berufspraxis besonders ins Visier nimmt. Andererseits jedoch wird dieser Sinn leicht verfremdet, wenn die drastisch gekürzte Ableitung zu der missverständlichen Definition verwächst, dass die Praktische Theologie eine kirchliche Disziplin ist, die ihren letzten Grund und ihre entscheidende Berechtigung nur darin hat, dass es die Kirche gibt. Folgerichtig bleibt gegen solche demonstrativen Leitsätze und die darin zum Ausdruck gebrachte Einstellung nur der ähnlich plakative, aber differenziertere Einwand geltend zu machen, dass sich die Praktische Theologie vor allem deswegen hält, weil es erstens überall Praxis gibt, zweitens eine theologisch-intellektuelle Forschungsliebe, die sich dafür brennend interessieren muss, und drittens, übrigens gar nicht unwesentlich, eine theologisch-ästhetische Gestaltungslust, die sich sowohl an der Praxis selbst als auch an ihren sozialen Formaten versuchen möchte. Eine vereinfachte Klärung so verstandener Praktischer Theologie ließe sich stationieren unter dem Motto „Erst sehen, was sich machen lässt, dann machen, was sich sehen lässt!“; veranschaulichen könnte man ihre Forschungschoreographie z. B. über die bekannte mehrteilige Erschließungsdramaturgie, mittels derer sich ein cleveres Kind die Welt verfügbar macht – indem es neu- und wissbegierig immerzu dieselben drei (bis vier) relevanten Grundfragen variiert: „Papa, was machen die da? Wie geht das? (Pause) Papa, warum machen die das? (Pause) Papa, darf man das?“70 Auch die hier favorisierte Praktische Theologie operiert nach einem bestimmten Muster über mehrere methodische Etappen; sie arbeitet sich nach und nach deskriptiv, hermeneutisch und normativ durch das gesamte Material, das sich ihr phänomenal71 entgegenstreckt. Dass die Arbeitsgänge der jeweiligen Methodenschritte nach Möglichkeit sauber 70 Dieses clevere Kind gibt es. Man findet es beinah in jedem Kindergarten, fast in jeder Grundschule, eigentlich überall. Das real existierende Kind, das hier konkret zitiert wird, hört auf den Namen Victor; die Echtheit seiner Fragenkette ist absolut verbürgt. 71 Damit ist tatsächlich gemeint, dass alle möglichen Dinge, Vorgänge, Verhaltensweisen, Texte (usw.) als sinnlich wahrnehmbare Erscheinungen bzw. – eben als Phänomene – der Praktischen Theologie gegenüberstehen. Oder entgegenkommen, wie man’s nimmt. An eine steile phänomenologische Philosophie wurde hier nicht gedacht, aber an die phänomenal!-Vokabel aus dem Szenejargon auch nicht.

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  1.3  Praktische Theologie. Strapazen einer missverständlichen Wissenschaftsdisziplin

voneinander getrennt werden, das gesamte Prozedere aber bisweilen fließende Übergänge erkennen lässt, demonstriert sowohl die stabile Forschungslogik als auch die flexible Forschungsdynamik. In Summe und Endeffekt kommt ein strukturierter methodentechnischer Fächer mit einem verständlichen Fragenund Aufgabenkatalog zur Anwendung. Grundschematisch dient er dem o. g. Ziel, bestimmte Materialien (etwa Texte, Artefakte, Rituale usw.) als Spuren menschlicher Praxis wahrzunehmen und möglichst präzise zu beschreiben, ihre sinnfragmentarischen oder sinntotalen Bedeutungen nachempfinden und verstehend erschließen zu können, dabei Regeln, Schemata und Normen herauszuarbeiten, alles vor dem Hintergrund traditioneller Muster zu reflektieren, womöglich Widerstände anzumelden – und insgesamt eingreifend zu gestalten. Was Praktische Theologie ist, sein soll, werden kann, worauf sie sich gründet und bezieht, wohin sie zielt – all diese bislang aufgeworfenen Erkundigungsanfragen sind nun hinreichend problematisiert und in ihrer Komplexität aufgespannt worden. Gleichwohl steht ein letztes Fragenportal auf wenig befriedigende Weise geöffnet; unbesprochen bleibt weiterhin, wieso es eigentlich besagtes Gestaltungsinteresse der Praktischen Theologie geben sollte, woher sie ihren vorausgesetzten Ehrgeiz des Verstehens, ihren besonderen Wahrnehmungseifer nimmt, und schließlich doch auch, wie sich ihr Darstellungs- und Mitteilungsdrang, was die ganz großen Sinndeutungen (des Christentums) anbelangt, erklärt. Die erste mögliche Antwort könnte – mit gleichzeitiger Korrektur eines Wiederholungsfehlers – doch lauten, dass es die Praktische Theologie als Subjekt gar nicht gibt, wohl aber Personen, die sich auf ein bestimmtes Konzept von (Praktischer) Theologie verständigt haben, weil sie als Menschen bestimmte typische Charaktereigenschaften72 besitzen. Vereinfacht würde man wohl sagen: Menschen, die Praktische Theologie als Wahrnehmung, Erschließung und Gestaltung von Religionspraxis betreiben, tun das, weil es ihrem Naturell entspricht. Weil sie fast nicht anders können. Weil es ihnen Spaß macht. Weil sie (Kant’sche) Urteilskraft besitzen und mit Geschmack und Gefühl an die Dinge herangehen können. Und weil sie, wie man mithilfe von Aristoteles 72 Mit etwas Sarkasmus könnte man nun die typischen Charaktereigenschaften beziffern als penetrantes Mitteilungsbedürfnis, ständige Besserwisserei und peinliche Neugier, allesamt freilich komplett mit Schonbezügen dekoriert und als Charisma, missionarische Kompetenz und Wissensdurst etikettiert. Aber das trifft eigentlich nicht den Punkt. Gedacht ist nämlich wirklich daran, religionspsychologische, anthropologische Argumente heranzuführen und zu fragen, welche Eigenschaften eigentlich Menschen haben (müssen), die sich der (Praktischen) Theologie widmen.

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sagen könnte, die Fähigkeit besitzen, etwas geistig-kreativ zu schauen und inspiriert ans Werk zu gehen. Eine zweite Möglichkeit wäre, die Praktische Theologie tatsächlich doch zu bewerten wie eine mit öffentlichen Geldern finanzierte religionswissenschaftliche und religionspraktische Wiederaufbereitungsanlage, die den Dauerauftrag erhalten hat, als eine Art technische Besserungsanstalt bestimmte Abläufe zu verfeinern und zu optimieren. Die vereinfachte Antwort lautet an dieser Stelle: Die Praktische Theologie versteht und gestaltet Religionspraxis bestmöglich, weil sie es gelernt hat, weil sie es kann, und weil es nun mal ihr Job ist. Aber womöglich empfiehlt es sich an dieser Stelle auch, etwas auf Distanz zu gehen, sich derart unangenehme Fragen mit in den Privatbereich zu nehmen – und zunächst einen Blick auf die zeitgenössische Fachliteratur zu werfen. Etwas genauer: auf all die Bücher, in denen man in den vergangenen Jahrzehnten etwas lesen konnte über Praktische Theologie!

1.4  All die Bücher, all die Worte, all die steilen Thesen. Ein Abstecher in die „Bibs“73, die Welt der Fachliteratur und die jüngere Vergangenheit

„Aldi-Bücher? Sie meinen wirklich Aldi-Bücher, Frau Knoopendreyer?“ Natürlich war die Rückmeldung des vorlauten Studenten im Einführungsseminar nicht sonderlich ernst gemeint. Mit geheuchelter Unschuldsmiene war sein Wortspiel in den Raum gestellt worden, just nachdem die Dozentin geduldig erläutert hatte, dass sich Studierende bei ihren Facharbeiten gern mit dem Bestand der Bibliothek beschäftigen dürfen, aber eine begründete Auswahl zu treffen haben: schließlich könne niemand all die Bücher lesen, die es zu einem Thema gibt. „Aldi-Bücher? Nein, die meine ich nicht.“ Die Dozentin reagierte prompt und sachlich, doch dann ergänzte sie schelmisch: „Die gibt es auch nicht. Gäbe es sie, nun

73 Dieser Begriff scheint amtlich geworden zu sein; der Verf. hat gelernt, dass Bibs die korrekte Mehrzahl-Kurzform für Bibliothek(en) ist. Zumindest bei seinen Studierenden, etwa zur Zeit der Erstauflage des vorliegenden Guide.

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  1.4  All die Bücher, all die Worte, all die steilen Thesen.

ja, vielleicht wäre so ein leicht verdauliches Büchlein aus dem Markendiscounter für einige von Ihnen gar nicht verkehrt!“

Wer in den ersten Jahrzehnten des dritten Jahrtausends den praktisch-theologischen Fachliteraturmarkt sorgfältig durchkämmt und gesichtet hat, dürfte einige Belege für die in jüngeren (hochschul-)didaktischen Debatten populär gewordene These gefunden haben, wonach die Überkomplexität wissenschaftlicher Lehrtexte ihrem eigentlichen Zweck entgegenwirkt.74 Zunehmend äußern Forschende, Lehrende und Studierende ihren Bedarf an (digital bzw. medial aufbereiteten) barrierefreien Lehr- und Lernmitteln75 und zeigen an, dass knapp gehaltene, übersichtliche Informationsbroschüren in einem wirkmächtigen Kontrast zu jenem Schrifttum stehen könnten, das sich unter dem sarkastischen Gattungsbegriff Schwergewichtsliteratur subsummieren – und damit gleichzeitig auch charakterisieren lässt. Zur gefälligen Veranschaulichung besagten Schrifttums könnte man nun, allerhand Klischees bemühend, einige Textsorten als Grundmuster listen.76 Da gibt es z.B. ▶▶ den umfänglichen, gern auch mehrbändig das gesamte Fach abhandelnden Grundriss, der hochinteressant und elegant verfasst, darum auch gut zu lesen ist, am Ende jedoch aufgrund seiner Dichte und Masse als zu arbeitsintensiv und zeitauslastend empfunden wird, ▶▶ ein als Handbuch betiteltes Lexikon, in dem zwar wertvolle Informationen in separierten Rubriken reichlich gelehrig entfaltet werden, das aber weder nähere Hinweise zu der fachspezifischen Wertigkeitsstaffelung einzelner Beiträge noch weiterführende Auskünfte über die Kohärenz und den Gesamtsinn aller Belehrungen enthält,77 74 Vgl. Lehner, Martin (2012). Didaktische Reduktion. Bern-Stuttgart-Wien: Haupt; Ritter-Mamczek, Bettina (2011). Stoff reduzieren. Opladen u.a.: Barbara Budrich. 75 Zur weiterführenden Auseinandersetzung vgl. Beiträge in: Herzig, Bardo/Meister, Dorothee M./Moser, Heinz/Niesyto, Horst (Hrsg.) (2009). Jahrbuch Medienpädagogik 8: Medienkompetenz und Web 2.0. Wiesbaden: Springer; Schulz-Zander, Renate/Eickelmann, Birgit/Moser, Heinz/Niesyto, Horst/Grell, Petra (Hrsg.) (2012). Jahrbuch Medienpädagogik 9. Wiesbaden: Springer. 76 Diese Klischees realisieren sich in den meisten Wissenschaftsdisziplinen und können gewiss mit konkreten, auch aktuellen Buchtiteln assoziiert werden. Zum Glück muss für ein Klischee nicht der Nachweis über Belege angetreten werden. 77 Woher wissen die Lesenden eigentlich, in welcher Reihenfolge lexikalisch formatierte, alphabetisch geordnete Aufsätze zu lesen sind, und wann wird ihnen die Zielsetzung

Tour 1:  Vorstellungen, Begriffe und Eindrücke. 

▶▶ jenes kraftvolle Monumentalopus, das sich nicht gänzlich des Eindrucks erwehren kann, auch aus akademischer Eitelkeit produziert worden zu sein: vielleicht, um den Forschereros eines hochbegabten Eremiten anschaulich zu machen, die Geisteskraft einer wahrhaft künstlerischen Autorin ins rechte Licht zu stellen, die Kreativität einer von Innovationsschüben geschüttelten Newcomerin zu demonstrieren oder die geniale Dynamis eines verkannten Genies explosiv hervorzuheben, ▶▶ die anfangs wohlüberschaubar wirkende Studie, die sich allerdings umständlich darauf kapriziert, eine bestimmte Perspektive mit Vehemenz als alternativlos zu etablieren (und letzten Endes mit ihrer allzu akribischen, detailverliebten und redundanten Art und Weise viele Lorbeeren wieder verspielen wird), ▶▶ und schließlich auch dies typische Standardwerk, das sich etabliert hat als einschlägiges Lehrbuch vorangegangener Generationen, die tüchtig daran partizipiert und davon profitiert haben – und es daher eifrig zur Lektüre und Beschäftigung weiterempfehlen, obwohl es nicht nur als akademisches Erbgut in die Jahre gekommen ist. Augenscheinlich gibt es für die Klassifizierung von Schwergewichtsliteratur keine dezidierten Maßeinheiten, wohl aber empfundene Obergrenzen in unterschiedlichen Rubriken. Das entsprechende Prädikat kann wohl für besondere Auswuchtungen in fünf Kategorien vergeben werden, nämlich: (1.) Inhalt, (2.) Format / Umfang, (3.) AutorIn / Autorität78, (4.) Tradition / Schulrichtung79 sowie (5.) Style80.

einer bestimmten Artikelzusammenstellung wirklich ersichtlich? 78 Damit ist der Tatbestand gemeint, dass bestimmte Autorinnen bzw. Autoren allein schon aufgrund ihrer Autorität und Reputation ein gewisses stattliches Format haben – was natürlich in der Qualität der Publikationen, rein äußerlich aber v. a. über Auflagenstärke und Verlagsumsatz zum Ausdruck kommen kann. 79 Die Bedeutung bestimmter akademischer Hochburgen ist nicht zu unterschätzen. Eine Koryphäe, die an einer altehrwürdig-traditionellen Fakultät forscht bzw. an einer attraktiven Universität lehrt, hat sicherlich gute Chancen, eine Veröffentlichung stark zu platzieren. 80 Längst gibt es Verlage, die die Aufmachung wissenschaftlicher Literatur dem Erscheinungsbild von Hochglanzmagazinen angepasst haben und ihre Autorinnen bzw. Autoren dazu bewegen, sich mit avantgardistischen Formatierungsvorschlägen oder poppigen Ideen in den kreativen Produktionsprozess einzubringen.

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  1.4  All die Bücher, all die Worte, all die steilen Thesen.

Es erübrigt sich, an dieser Stelle die experimentell-assoziativen Betrachtungen breiter zu strapazieren und über weitere Details81 zu befinden. Stattdessen soll mit größtmöglicher Distanz zu der Provokation, bestimmte Standardformen wissenschaftlicher Literatur pauschal sarkastisch zu indizieren oder prinzipiell didaktisch zu hinterfragen, der entgegengesetzte Weg eingeschlagen werden: Auch um deutlich zu machen, dass sich die hier bislang vorgetragenen Ausführungen zur Praktischen Theologie in angemessener Gesellschaft befinden, wird nachfolgend einer ganz besonderen Schwergewichtsliteratur das Wort erteilt, nämlich der bereits im vorangegangenen Kapitel avisierten schwergewichtigen praktisch-theologischen Fachliteratur jüngeren Datums. Die Verwendung der üblich-umgangssprachlichen Terminierungsbegriffe ist durchaus riskant; eine Präzisierung von Zeitangaben – bzw. die genauere Vermessung von Zeiträumen, die über ein Adjektiv wie zeitgenössisch oder einen attributiven Genitiv wie neueren Datums bestimmt werden – ist nicht wirklich möglich. Wenn der vorliegende Text besagte und ähnliche Begriffe dennoch in Anspruch nimmt, orientiert er sich dabei an einer gebräuchlichen Sprachregelung und fokussiert die letztliche Unbestimmbarkeit jener Jahresringe einer ganzen Generation, die sich ausleben konnte bis an die Grenzen ihrer eigenen Gesamtlebenszeit und darüber hinaus. Aber es ist ja eigentlich hinlänglich bekannt: Menschen, die bereits vor geraumer Zeit das Zeitliche gesegnet haben, können natürlich im engeren Sinne weder als Zeitgenossen noch als Akteure jüngeren Datums anerkannt werden; dennoch wird das entsprechende Prädikat an sie vergeben, sofern sich ihr Ansatz – bis in die Jetzt- und Echtzeit hinein – als aktuell darstellen und verbreiten lässt.82 Auch in der nachfolgenden Skizze wird dieser Tatbestand berücksichtigt. Dass die zu erwartende Literatursichtung gelegentlich in die Vergangenheit gleiten und eine Perspektive auf Geschehenes und Geschichtliches einnehmen muss, ohne näher auf die Vorgeschichten der Geschichten eingehen zu können, mag an dieser Stelle noch kritisch in Kauf genommen werden. Spätestens das nächste große Kapitel möchte einen Ausgleich dafür bieten. 81 Es ist nicht wirklich von Belang, ob sich eventuell noch weitere charakteristische Rubriken ausfindig machen lassen; ebenso wenig ist von Bedeutung, wie es sich mit dem Neigungspotential des literarisch Schwergewichtigen hin zu Schwerfälligkeit oder Übergewicht verhält. 82 Man kann Elvis Presley (1935–1977), John Lennon (1940–1980), Freddie Mercury (1946–1991), Michael Jackson (1958–2009) und David Bowie (1947–2016) durchaus als Zeitgenossen und als Klassiker bezeichnen.

Tour 1:  Vorstellungen, Begriffe und Eindrücke. 

Eröffnet sei dieser Reigen mit einer Fachzeitschrift namens Theologia Practica, die 1966 ins Leben gerufen und wiederholt als „scharfe Zäsur in der Geschichte der Praktischen Theologie nach 1945“83 bezeichnet wurde. Zu ihrem ersten Herausgeberkreis gehörten mit Dietrich Rössler und Gert Otto zwei Theologen, denen im Nachhinein einhellig zugestanden worden ist, sowohl die Theologia Practica (als Zeitschrift) mit progressiven Impulsen bereichert als auch die Praktische Theologie (als Wissenschaftsdisziplin) mit programmatischen Skizzen und detailgesättigten Grundsatzbeiträgen richtungsweisend geprägt zu haben: Recht unverblümt nämlich hatten beide der Praktischen Theologie, die sich noch Mitte der 1960er Jahre wesentlich auf die Begründung und Verrichtung berufspraktisch-pastoraler Tätigkeiten im kirchlichen Sektor konzentrieren wollte, den Auftrag erteilt, ihr Selbstverständnis zu reflektieren, sich kritisch zu emanzipieren und bestimmte Erwartungshaltungen zu revidieren: Nicht länger wolle man sich damit abfinden, von der Praktischen Theologie allein kirchenpraktische Anwendungs- und verkündungsdienliche Umsetzungsratschläge entgegenzunehmen und sich – so Otto – eine Theorie gefallen zu lassen, die die vorhandene Religionspraxis entweder ignoriert oder sie kirchentheologisch zu vereinnahmen bzw. pastoraltheologisch zu dominieren sucht.84 Stattdessen bestehe dringender Bedarf, das Verhältnis und Wechselspiel von Theorie und Praxis neu zu durchdenken und sich (wieder)85 intensiv zu vergegenwärtigen, dass es religiöse Praxis- und Ausdruckskulturen auch außerhalb der etablierten kirchlich-theologischen Hoheitsgebiete gibt. Die Praktische Theologie müsse, so wollte es Otto einige Jahre später konkret und fordernd resümieren, „ihr Problemfeld neu vermessen, weil sie sonst dem komplexen Zusammenhang von Religion, Kirche, Gesellschaft und Theologie nicht gerecht werden kann. 83 Gräb, Wilhelm (2005). Praktische Theologie als Praxistheorie. Praktische Theologie 40, 191-196; ganz ähnlich i.Ü. Gräb, Wilhelm (2007). Gert Otto und der Weg der Praktischen Theologie zur Religion in der Gesellschaft. Praktische Theologie 42, 6-13. 84 Vgl. Otto, Gert (1966). Zur Einführung. Theologia Practica 1, 1–3. Dietrich Rössler hatte seinen Beitrag zwar nicht explizit programmatisch aufgestellt, aber zumindest auf ein Problem bezogen, das mit dem besagten praktisch-theologischen Dilemma korrespondiert; vgl. Rössler, Dietrich (1966). Das Problem der Homiletik. Theologia Practica 1, 14–28. 85 Wilhelm Gräb erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass bereits „um 1900 […] von den liberalen Theologen Paul Drews und Friedrich Niebergall betont worden [war], dass die empirische Wirklichkeit der Religion in Kirche und Gesellschaft sowie im Leben des einzelnen die eigentliche, spezifisch praktisch-theologische Theorieaufgabe darstelle“; vgl. Gräb. Gert Otto, 7.

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  1.4  All die Bücher, all die Worte, all die steilen Thesen.

Die Problemstellungen, die zu verhandeln sind, passen sich nicht mehr in ein Schema ein, das traditionsgemäß nur von kommenden kirchlichen Diensten her […] organisiert ist.“86 Konsequent gelte es, sich im Modus einer dauerhaft kritischen Reflexion aller individuellen und sozialen Wirk- und Bedeutungsweisen von Religion darauf zu konzentrieren, dass Praxis als „Verhalten in der Wirklichkeit“ auf einem „Verständnis der Wirklichkeit“ fußt.87 Praktische Theologie sei schlussfolgend zu etablieren als „Kritische Theorie religiös vermittelter Praxis in der Gesellschaft“88! Mit dieser Formel war Otto eine Spitzendefinition gelungen, die sämtliche Anregungen in einer einzigen Pointe verdichten und den Selbstvergewisserungsprozess der Praktischen Theologie über Jahre und Jahrzehnte begleiten sollte – zumindest dort, wo man seine Emanzipationsbestrebungen aufgreifen und sich von jener krisengeschüttelten Pastoraltheologie89 verabschieden wollte, die sich in ihrer Fokussierung auf das pastorale Amt mit Anleitungskatalogen zur Berufsausübung zufrieden gegeben hatte.90 Fast alle neuen Entwürfe oder 86 Vgl. Otto, Gert (1975). Praktische Theologie als kritische Theorie religiös vermittelter Praxis in der Gesellschaft, Zur Einleitung und Standortbestimmung. In: Ders. (Hrsg.) Praktisch Theologisches Handbuch. 2. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer, 9–31: 23. 87 A.a.O., 22 f. 88 A.a.O., 23; vgl. Otto, Gert (1974). Praktische Theologie als kritische Theorie religiös vermittelter Praxis. Thesen zum Verständnis einer Formel. Theologia Practica 9, 105–115. 89 Vgl. Rau, Gerhard (2003). Art. Pastoraltheologie. RGG  6. 4.  Aufl. Tübingen: Mohr, Sp. 996–1000; Pohl-Patalong, Uta (2007). Pastoraltheologie. In: Grethlein, Christian/ Schwier, Helmut (Hrsg.) Praktische Theologie. Eine Theorie- und Problemgeschichte. Leipzig: EVA, 515–574; Weyel, Birgit (2007). Pfarrberuf. Amt/Amtsverständnis/Profession/pastoraltheologisches Leitbild. In: Gräb, Wilhelm/Weyel, Birgit (Hrsg.) Handbuch Praktische Theologie. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 639–649; Wagner-Rau, Ulrike (2009). Auf der Schwelle: Das Pfarramt im Prozess kirchlichen Wandels. Stuttgart: Kohlhammer; Hermelink, Jan (2011). Kirchliche Organisation und das Jenseits des Glaubens. Eine praktisch-theologische Theorie der evangelischen Kirche. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, bes. 219 ff.; Hermelink, Jan (2014). Kirche leiten in Person. Beiträge zu einer evangelischen Pastoraltheologie. Leipzig: EVA; Klessmann, Michael (2012). Das Pfarramt. Einführung in Grundfragen der Pastoraltheologie. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie. 90 Eindringlich war darauf aufmerksam gemacht worden, dass sich mit den gesellschaftlichen Veränderungen auch der Reflexionsgegenstand zu wandeln habe, nämlich von der Praxis des Hirten zur Praxis der Gemeinden, von einer Praxis der Kirche hin zu einer christlichen Gesellschaftspraxis sowie von einer dezidiert religiösen Praxis hin zu einer deutungsoffenen Praxis des Menschen; vgl. Feiter, Reinhard (2004). Von der pastoraltheologischen Engführung zur pastoraltheologischen Zuspitzung der Praktischen

Tour 1:  Vorstellungen, Begriffe und Eindrücke. 

Gesamtdarstellungen einer Praktischen Theologie, die seit Mitte der 1970er Jahre auf dem Markt erschienen sind, haben sich – sofern sie sich nicht konsequent weiter pastoraltheologisch mit der Frage nach Personen, Ämtern, Rollen, Berufen und Funktionen im Gemengelage pastoraler Dienste beschäftigen wollten –91 zunächst an dieser Wegmarkierung orientiert. Gut zehn Jahre später kam ein Eckpfeiler hinzu, dem schnell weiterführend signalwirkende Qualitäten nachgesagt wurden: Es war der Grundriss der Praktischen Theologie92, 1986 vorgelegt von Dietrich Rössler, der binnen kurzem zur Referenzliteratur avancierte und an dem sich nunmehr alle Entwürfe zu messen hatten!93 Doch anders als Ottos markante, mit eingängigem Merkvers etikettierte Trittspur konnte Rösslers Ansatz nicht wirklich auf eine griffige Kurzdefinition heruntergebrochen werden – auch wenn er gleich mehrfach prägnant artikuliert hatte, was Praktische Theologie sein und leisten müsste, nämlich „die Verbindung von Grundsätzen der christlichen Überlieferung mit Einsichten der gegenwärtigen Erfahrung zu der wissenschaftlichen Theorie, die die Grundlage der Verantwortung für die geschichtliche Gestalt der Kirche und für das gemeinsame Leben der Christen in der Kirche bildet“94. In der Folgezeit wurde diese Formulierung als durchaus repräsentativ aufgegriffen. Nicht ohne Grund hat man sie seit ihrer Erstveröffentlichung permanent, beinah schon inflationär zitiert und als Kernthese ausgerufen. Immerhin

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Theologie. In: Göllner, Reinhard (Hrsg.) „Es ist so schwer, den falschen Weg zu meiden“. Bilanz und Perspektiven der theologischen Disziplinen (Theologie im Kontakt 12). Münster: LIT Verlag, 261–286. Vgl. zur Orientierung die Kurzbeiträge in: Pastoral-Theologische Informationen (2000) 20:2 (Pluralität im eigenen Haus. Selbstverständnisse praktischer Theologie); Pastoral-Theologische Informationen (2006) 26:1 (Leben aus der Wahrheit. Biographische Zugänge zur Praktischen Theologie); Pastoraltheologie. Monatsschrift für Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft (1995) 84, 6–7. Rössler, Dietrich (1994). Grundriss der Praktischen Theologie. 2. Aufl. Berlin: De Gruyter. Das betrifft letzten Endes auch die in den 1980er Jahren erschienene, schwergewichtig zweibändige Praktische Theologie von Gert Otto, die im Ganzen der früheren Basisthese verpflichtet blieb; Otto, Gert (1986). Praktische Theologie  1: Grundlegung. München: Kaiser; Otto, Gert (1988). Praktische Theologie 2: Handlungsfelder. München: Kaiser. Rössler, Grundriss der Praktischen Theologie, 3. Eine fast identische Fassung findet sich i.Ü. in gleicher Publikation; dort allerdings ist die Rede von einer „wissenschaftlichen Theorie, die zur Grundlage der Verantwortung für die geschichtliche Gestalt der Kirche und für das gemeinsame Leben der Christen in der Kirche zu werden vermag“, vgl. a. a. O., 10.

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war doch direkt abzulesen, dass Rössler an einer sauberen Differenzierung von Untersuchungsgegenstand und Konzeptionsgegenstand gelegen war, aber gleichwohl beide in seiner dadurch profilierten Praktischen Theologie zusammenfügen wollte: Wenn Überlieferungsgrundsätze und Erfahrungseinsichten hinsichtlich ihrer Bedeutungen und Bedeutsamkeiten als Untersuchungsgegenstände erschlossen und aufeinander bezogen werden können, dann müssten sich doch aus den Erträgen dieser ersten Arbeitsschritte Konzeptionsgegenstände formulieren – bzw. Regelwerke und Notwendigkeitsargumente für zukünftige Kirchen-Gestaltungsprojekte generieren lassen. Aber warum eigentlich „Kirche“? Anders hinterfragt: Wer (erstens) die Kernideen des Christentums in ihrer geschichtlichen Entwicklung und hinsichtlich ihrer Sinndynamik begreifen kann, (zweitens) menschliche Grunderfahrungen zu hinterfragen und zu durchschauen vermag, alsdann (drittens) das eine mit dem anderen zu assoziieren versteht, wird eventuell (viertens) eine Perspektive gewinnen, was die Gestaltung von Christenleben und Gemeinschaftsleben angeht. Aber warum müssen sich Perspektive und Gestaltungsprozess eigentlich weiterhin mit dem Kirchenbegriff plagen? Braucht es nicht, bevor Kriterien und Regeln für die Gestaltung eines kirchlichen Lebens erarbeitet werden, erst einmal starke Argumente dafür, dass es weiterhin um „Kirche“ geht?

Nun, genau dieser missverständliche Clou bleibt unterbelichtet, wenn ausgerechnet die besagte Textpassage dieser Referenzliteratur isoliert dargeboten und ohne binnenkonzeptionelle Kontextualisierung als Basisstatement hochgehalten wird. Denn während dieses Statement tatsächlich noch einen starken, integralen bzw. integrativen Kirchenbegriff suggerieren kann, hatte Rössler den Gesamttenor seines Grundrisses längst auf eine andere Melodie eingestimmt und erklärt, dass Religion in einer dreifachen sozialen Gestalt(-ung) des Christentums – nämlich kirchlich, gesellschaftlich, und individuell – praktiziert wird. Eine Praktische Theologie, die sich qua Selbstverständnis in den Dienst der organisierten Religion stellt, hat die Organisationsform(en) zu reflektieren, um (erstens) sich selbst, (zweitens) die zur Wirksamkeit zu bringenden Deutungsgehalte und (drittens) die religionspraktischen Gestaltungsmuster historisch und gegenwartsaktuell theologisch verantworten zu können.95 Aber nur im „Zusammenhang der neuzeitlichen Geschichte des Christentums“96 bzw. der 95 Vgl. a. a. O., 89 f. 96 A.a.O., 2; vgl. auch a. a. O., 19.

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neuzeitlichen Verfasstheit des Christentums seien die Probleme der Praktischen Theologie zu skizzieren, zu verstehen und womöglich auch zu lösen. In besonderem Maße gehört dazu die Einsicht, dass neben dem kirchlichen und dem öffentlichen eine dritte Gestalt des neuzeitlichen Christentums genannt werden muss: das individuelle oder private Christentum. In dem Maße, in dem die Kirche sich hinter ihre eigenen Mauern zurückzog […] wurde der einzelne Mensch in religiöser Hinsicht sich selbst überlassen. Er kann im Rahmen des öffentlichen Christentums zwischen den verschiedensten Formen der Beteiligung am expliziten religiösen Leben der Kirche wählen unter Einschluss selbstverständlich auch aller Formen der Ablehnung. Was als privates Christentum […] daraus sich ergibt, ist keiner objektiven Untersuchung zugänglich […]. Praktisch hat sich daraus eine nahezu unbegrenzte Individualisierung von religiösen Vorstellungen und Lebensformen ergeben […]97.

Die in Rösslers Grundriss herausgestellte Auffassung, dass, sofern die sozialkulturelle Lebenswelt auf die Umformung von Sinnfragen und Religionslehren bzw. -praktiken einwirkt, es der Praktischen Theologie aufgegeben sei, diese Umformungen wahrzunehmen, reflektiert aufzugreifen und in die Frage nach zukünftigen Sozialgestaltung(en) von Religion einfließen zu lassen, ist in der Folgezeit in den Mittelpunkt zahlreicher Veröffentlichungen gestellt worden, intensiv z. B. von Volker Drehsen98 und Wolfgang Steck. Letzterer etwa beschreibt in enger zeitlicher und gedanklicher Nähe zu Rössler die „Konstitutionsprobleme der Praktischen Theologie“99 wie folgt: Gegenstand der Praktischen Theologie ist die Religion in ihrer gegenwärtigen, empirisch wahrnehmbaren und beschreibbaren Fassung, die zeitgenössische Frömmigkeitspraxis. Erst die präzise Erfassung des Objekts, die detaillierte Konturierung religiöser Erscheinungsformen, macht eine praktische Theorie aktuell vorfindlicher Religion möglich. Erfaßbar ist die praktische, die im Leben verwirklichte Religion aber einerseits als individualisierte Frömmigkeit, andererseits als in soziale Formen 97 A.a.O., 93. 98 Vgl. Drehsen, Volker (1988). Neuzeitliche Konstitutionsbedingungen der Praktischen Theologie. Aspekte der theologischen Wende zur sozialkulturellen Lebenswelt christlicher Religion. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. 99 Steck, Wolfgang (1986). Konstitutionsprobleme der Praktischen Theologie. In: Ders. (Hrsg.) Otto Baumgarten. Studien zu Leben und Werk. Neumünster: Wachholtz, 147– 182: 182.

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gefaßte empirische Lebenspraxis, niemals aber als vom Subjekt und seinen sozialen Lebensbedingungen abstrahierter Begriff. Im Vordergrund des praktisch-theologischen Erkenntnisinteresses steht deshalb nicht die begriffliche Definition von Religion, sondern deren empirische Differenzierung, der Ausdruck der Mannigfaltigkeit der religiösen Welt. Die Erkenntnis ihrer Strukturen ermöglicht das für die Praxis der Religion wie für ihre Theorie notwendige Verstehen.100

2011 waren Stecks Konstitutionsprobleme offenbar gelöst – oder zumindest auf extrem überdehnte Weise erörtert. Mit einer zweibändigen, über 1300 Seiten starken „Mischform aus logisch durchstrukturierter Theoriekonstruktion und vielseitig verwendbarem Arbeitsbuch“101 hatte er eine „Praktische Theologie“102 auf den Markt gebracht, die sich nicht nur im Untertitel unverhohlen auf „Horizonte der Religion – Konturen des neuzeitlichen Christentums – Strukturen der religiösen Welt“ konzentrieren wollte. Zum Ziel dieser expliziten Kombination aus „Praxistheorie“103 und „Theoriepraxis“104 wurde erklärt, „das vielfach verknotete Netzwerk der zeitgenössischen Religionspraxis in die Gestalt einer theoretisch ausgearbeiteten Topographie des zeitgenössischen Christentums“105 zu überführen. Dabei gelte es, zwei „für die praktisch-theologische Theoriebildung charakteristische Arbeitsprozesse, die detailgenaue Rekonstruktion der vielfältigen Manifestationen lebenspraktisch ausgeformter Religion und die prinzipiengeleitete Konstruktion einer wissenschaftlich fundierten und logisch durchkonstruierten Theoriearchitektur“106, zu verschränken. Diese „Vermittlung von empirischer Wahrnehmung und theoretischer Systematisierung der religiösen Lebenswelt“107 sollte zu einer eigenständigen Denkweise führen, die „religiöse Lebenspraxis und theologische Theorie in ihrer jeweiligen Eigenart bewahrt und zugleich […] zueinander in Beziehung“108 zu setzen versteht. 100 Ebd. 101 Steck, Wolfgang (2000). Praktische Theologie. Horizont der Religion – Konturen des neuzeitlichen Christentums – Strukturen der religiösen Lebenswelt 1. Stuttgart: Kohlhammer, 6. 102 Ebd. und Steck, Wolfgang (2011). Praktische Theologie. Horizont der Religion – Konturen des neuzeitlichen Christentums – Strukturen der religiösen 2. Stuttgart: Kohlhammer. 103 Vgl. Steck (2000). Praktische Theologie, 14 f. 104 Vgl. a. a. O., 17 f. 105 A.a.O., 13 f. 106 A.a.O., 14. 107 Ebd. 108 Ebd.

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Um einem möglichen Missverständnis vorzubeugen: Stecks beinahe schulbildendes, gewisslich aber einflussnehmendes109 opus magnum des neuen Jahrtausends war definitiv nicht die einzige Praktische Theologie gewesen, die sich nach Rösslers richtungsweisendem Grundriss weiterführend mit der Wesensund Aufgabenbestimmung dieser Wissenschaftsdisziplin hatte beschäftigen wollen. An vielen Stellen und Orten war intensiv versucht worden, eine neue Kompetenz einzupflegen und der Praktischen Theologie das „Lesen im Buch des Lebens“110 zu verordnen: Wilhelm Gräb etwa hatte Vorschläge unterbreitet, wie u. a. im Anschluss an Ernst Cassirer111 und Clifford Geertz112 das symboltheoretisch-anthropologische Konzept einer religiösen Kultur- und Sinnhermeneutik in Angriff genommen und Praktische Theologie akademisch als „deutende Theorie gegenwärtig gelebter Religion“113 abgesichert werden könne; sein mit „Lebensgeschichten – Lebensentwürfe – Sinndeutungen“114 betitelter Entwurf bietet eine Diagnose, die den Religionsbegriff zunächst von der kirchlichen Praxis abkoppelt und auf menschliche Deutungsaktivitäten in Beziehungen anlegt, dann aber doch der Kirche die Funktion einer Vergewisserungsanstalt zubilligt. Gräb schreibt: Der christliche Glaube gibt uns keine Auskunft mehr hinsichtlich dessen, was mit der Welt im ganzen und der Geschichte der Menschheit […] der Fall ist. Die symbolische Welt- und Lebensdeutung der christlichen Religion hat […] die Funktion eines kollektiv verbindlichen Sinn-Daches für unsere Lebensführung eingebüßt. Das muss 109 Vgl. Hauschildt, Eberhard/Laube, Martin/Roth, Ursula (Hrsg.) (2000). Praktische Theologie als Topographie des Christentums. Eine phänomenologische Wissenschaft und ihre hermeneutische Dimension. Rheinbach: CMZ. 110 Vgl. a. a. O., 13. 111 Cassirer, Ernst (1994). Philosophie der symbolischen Formen. Erster Teil: Die Sprache (1923). 10. Aufl. Darmstadt: Meiner; Cassirer, Ernst (1994). Philosophie der symbolischen Formen. Zweiter Teil: Das mythische Denken (1925). 9. Aufl. Darmstadt: Meiner; Cassirer, Ernst (1994). Philosophie der symbolischen Formen. Dritter Teil: Phänomenologie der Erkenntnis (1929). 10. Aufl. Darmstadt: Meiner. 112 Vgl. Geertz. Dichte Beschreibung. 113 Gräb, Wilhelm (2000). Praktische Theologie als religiöse Kulturhermeneutik. Eine deutende Theorie gegenwärtig gelebter Religion. In: Hauschildt, Eberhard/Laube, Martin/Roth, Ursula (Hrsg.) Praktische Theologie als Topographie des Christentums. Eine phänomenologische Wissenschaft und ihre hermeneutische Dimension. Rheinbach: CMZ, 86–110. 114 Gräb, Wilhelm (1998). Lebensgeschichten – Lebensentwürfe – Sinndeutungen. Eine praktische Theologie gelebter Religion. Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus.

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jedoch keineswegs heißen, daß der christlich-religiöse Deutungshorizont bedeutungslos geworden wäre und keine sinnorientierende Kraft mehr von ihm ausgehen könnte. Es ist inzwischen nur so, daß die Sätze des Glaubens […] explizit in ihrem symbolischen Sinn verstanden sein wollen. […] Die religiöse Wahrheit ist eine Sinn- und Beziehungswahrheit. […] Sinn in meinem Leben erschließt sich über Beziehungen […]. Sinn ist nicht objektivierbar. […] Was es braucht, wozu es die Kirche braucht, das ist die Erfahrung von Vergewisserung, eines Gespürs für den Sinn des Sinnes.115

Selbstverständlich kann Gräb seine Diagnose nicht bei diesem schwachen Bedeutungsattest für die Kirche bewenden lassen; zur praktisch-faktischen Beziehungsstiftung und Sinnkommunikation braucht es keineswegs allein dieses Erschließungsforum in seiner klassisch-traditionellen Formatierung. Alles drängt vielmehr noch auf die Reflexions- und Gestaltungsarbeit jener besonderen Abteilung von Praktischer Theologie, die sich auf die Erkundung widerständiger Sinndeutungen spezialisiert hat und auch in zunächst abwegigen Szenarien eine theologische Teilverantwortung für den Sinn des Sinnes übernehmen kann. Dazu in der Sache bereit zeigten sich auch die Theoriedesigner eines Ansatzes, der sich nicht unter der Gräb’schen Signatur (religiöse Kulturhermeneutik) um lebensgeschichtliche Sinndeutung bemühen, sondern mit einer speziellen religionsphänomenologischen Akzentuierung – u. a. bezugnehmend auf den niederländischen Religionswissenschaftler Jacques Waardenburg – antreten wollte. Eine starke Nuance lag dabei in dessen Pointe, dass sich die Frage nach dem religiös-sinnstiftenden Wert oder Wesen eines Phänomens nicht prinzipiell über die Anwendung religionsanalytischer Kriterien und Kategorien bearbeiten lässt; nur in konkreten Fällen könne, und zwar unter Einbeziehung der Perspektiven und Bedeutungszuschreibungen beteiligter, weil affizierter116 Subjekte, danach geforscht werden, wie „Menschen ihre jeweilige Religion oder Religion im Allgemeinen deuten, anwenden und gebrauchen.“117 Ein entsprechendes Modell haben v. a. Wolf-Eckart Failing und Hans-Günter Heimbrock kleinschrittig-präzise entfaltet und unter den programmatischen (Buch-)Titel „Gelebte Religion wahrnehmen. Lebenswelt – Alltagskultur – 115 A.a.O., 17–19. 116 Der Begriff „affiziert“ ist zwar zutreffend, aber sehr künstlich. Man könnte vielleicht besser davon sprechen, dass Subjekte beteiligt sind, wenn sie betroffen, von einer Sache „angemacht“ werden. 117 Waardenburg, Jacques (1984). Über die Religion der Religionswissenschaft. Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 26, 238–255: 239.

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Religionspraxis“118 gestellt. Im betonten Sinne einer „Theologie von unten“ gilt ihr Interesse explizit jener „Volksreligion“, die inmitten einer „Alltagskultur der kleinen Leute“ als „gelebte Religion“ wahrzunehmen sei.119 Allerdings habe man sich im Zuge einer „Re-Vision praktisch-theologischer Leitbegriffe“120 zu vergegenwärtigen, dass die „je vom Subjekt als seine Lebenswelt erfahrene Welt“121 eben nicht zwingend (in konstruktivistischem Sinne) vom autonomen Subjekt mitentworfen wird, sondern vorbehaltlich als gegenüberliegende, unverfügbare Sphäre zu charakterisieren bleibt. Übertragen bedeutet das freilich auch, dass die hier thematisierte „gelebte Religion“ keine völlig vorrausetzungsfreie Sinndeutung sein kann: es ist das, was passiert, wenn eine betroffene Person mit entgegengenommenen Phänomenen, womöglich auch mit tradierten Fragmenten eines vorreligiösen Lebens122, auf entgegenkommende Phänomene reagiert. War somit ein Verständnis von „Religion als Phänomen“123 aus guten Gründen vorbereitet, durfte anschließend auch konsequent erörtert werden, inwiefern Phänomenologie als methodologische Grundlage124 für eine Forschungsrichtung infrage kommt, die sich fortan als Empirische Praktische Theologie um die „Erforschung gelebter Religion“125 bemühen will.126 118 Failing, Wolf-Eckart/Heimbrock, Hans-Günter (1998). Gelebte Religion wahrnehmen. Lebenswelt Alltagskultur – Religionspraxis. Stuttgart: Kohlhammer. 119 Vgl. a. a. O., 150 ff. 120 A.a.O., 277 f. 121 A.a.O., 278. 122 Günther Heimbrock beruft sich eindringlich auf Anregungen der älteren Religionsoziologie von Georg Simmel (Simmel, Georg (1992). „Zur Soziologie der Religion“ (1898). In: Ders. Aufsätze und Abhandlungen 1894–1900 (Gesamtausgabe 5). Hg. v. Heinz-Jürgen Dahme und David Frisby. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 266-286); vgl. Heimbrock, Hans-Günter (2007). Empirische Theologie als Erforschung Gelebter Religion. In: Dinter, Astrid/Heimbrock, Hans-Günter/Söderblom, Kerstin (Hrsg.) Einführung in die Empirische Theologie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 72–83: bes. 77. 123 Failing, Wolf-Eckart/Heimbrock, Hans-Günter/Lotz, Thomas A. (Hrsg.) (2001). Religion als Phänomen. Sozialwissenschaftliche, theologische und philosophische Erkundungen in der Lebenswelt. Berlin/New York: De Gruyter. 124 Vgl. Lotz, Thomas (2007). Phänomenologie als methodologische Grundlage für empirische Praktische Theologie. In: Dinter/Heimbrock/Söderblom, Einführung in die Empirische Theologie, 60–72. 125 Heimbrock. Empirische Theologie, 72–83. 126 Dinter/Heimbrock/Söderblom. Einführung in die Empirische Theologie; Weyel, Birgit/ Gräb, Wilhelm/Heimbrock, Hans Günter (Hrsg.) (2013). Praktische Theologie und empirische Religionsforschung (= VWGTh 39). Leipzig: EVA.

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Man mag nun durchaus zwischenresümieren, dass mit den Entwürfen aus München (Steck), Berlin (Gräb) und Frankfurt (Failing/Heimbrock) viele der von Mainz (Otto) und Tübingen (Rössler) ausgegangenen großen Initiativen angemessen aufgegriffen und mit je unterschiedlicher (Schwer-)Gewichtung niveauvoll fortgeführt worden sind – auch wenn letzten Endes der seinerzeit von Rössler v. a. als religionstheoretisch-kritischer Korrekturausdruck eingepflegte Begriff von „gelebter Religion“127 immer deutlicher der Gefahr ausgesetzt war, sich in einem neuen praktisch-theologischen Grundjargon zu verflüchtigen bzw. in unterbestimmten Diskursen überstrapaziert zu werden.128 Aufmerksam und angestrengt hatte die praktisch-theologische Szene129 verfolgen dürfen, wie sich in wenigen Jahrzehnten die zarten Impulse der ersten Theologia Practica, freilich nicht ohne in den 1970er und frühen 1980er Jahren vorübergehend den typischen gesellschafts- und ideologiekritischen Kurs einzuschlagen, zu jenen starken Trends verdichten konnten, in denen das Individuum und seine Religion, das Subjekt und seine Identität, der Kulturbetrieb und seine Sinnofferten entscheidende Rollen spielen sollten. Auffällig bedient und flankiert wurden diese Trends übrigens von zwei bis drei separaten literarischen Wellen: 127 Vgl. Rössler, Dietrich (1978). Gelebte Religion als Frage an wissenschaftliche Theologie. In: Rössler, Dietrich/Hanselmann, Johannes (Hrsg.) Gelebte Religion. Fragen an wissenschaftliche Theologie und kirchenleitendes Handeln. München: Christian Kaiser Verlag, 9–27; Sparn, Walter (1997). „Die Religion aber ist Leben“. Welchen theologischen Gebrauch kann und sollte man vom „Leben überhaupt“ machen? In: Härle, Wilfried/ Preul, Reiner (Hrsg.) Leben (Marburger Jahrbuch Theologie IX). Marburg: Elwert, 15–39; Grözinger, Albrecht/Lott, Jürgen (Hrsg.) (1997). Gelebte Religion. Im Brennpunkt praktisch-theologischen Denkens und Handelns. Rheinbach: CMZ; Grözinger, Albrecht/ Pfleiderer, Georg (Hrsg.) (2002). „Gelebte Religion“ als Programmbegriff systematischer und praktischer Theologie. Zürich: TVZ. 128 Andreas Kubik hat nicht nur deutlich auf die Abnutzungserscheinungen hingewiesen, sondern auch Vorschläge für eine differenzierte begriffsgeschichtliche Übersicht gemacht; vgl. Kubik, Andreas (2011). Wahrnehmung der Lebenswelt und Kulturhermeneutik als theologische Aufgabe. Anzeige einer Baustelle. In: Klie, Thomas/Kumlehn, Martina/Kunz, Ralph/Schlag, Thomas (Hrsg.) Lebenswissenschaft Praktische Theologie?!. Berlin: De Gruyter, 113–148: bes. 123, Anm. 37–39. 129 Tatsächlich: Auch in der Welt der Wissenschaft(en) ist dieser Ausdruck gebräuchlich für ein Netz von Personen und Personengruppen, die sich auf ein oder mehrere gemeinsame Themen, Diskurse, Weltzugänge (etc.) verständigen können. Der Terminus: praktisch-theologische Szene ist eigentlich als ein integrativer Mengenbegriff gebräuchlich, dem exklusive Differenzierungsbegriffe wie Schule oder Schulrichtung gegenüber stehen. Merke: Es gibt in der PT-Szene verschiedene PT-Schulen.

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Zum ersten und zweiten waren es jene Fluten von Studien, die sich entweder (a) überwiegend mit dem religionstheologischen Vermächtnis seit dem frühen 19. Jahrhundert befassten und immense Sichtungsenergie in eine Fülle beachtlicher Werke systematisch-theologischer und religionsphilosophischer130, auch praktisch-theologischer Herkunft131 investierten, oder aber die sich (b) mit akribischer Präzision und voller Elan den nichttheologischen Wissenschaften zuwandten, um sich z. B. gesprächsbereit zu machen für Wissenssoziologie, Phänomenologie und Kulturanthropologie.132 Zum anderen waren es Wogen von Einzel- und Gesamtdarstellungen, Hand‑, Arbeits-, Lehr- und Studienbüchern, die sich grundsätzlich als „Praktische Theologie“133 ausweisen konnten, aber zusätzlich gern ergänzend, quasi zwischen den Buchdeckeln, anschaulich zu machen vermochten, dass die besagte Wissenschaftsdisziplin etwas vom schwergewichtigen Leben versteht – sei jenes Leben nun das kirchliche von Amtsträgern und Laien, das werktägliche von 130 Timm, Herrmann (Ders. (2000). Das Heilige auf dem Weg in den Alltag. Zur Genetisierung phänomenologisch-hermeneutischer Religionstheorie hierzulande. In: Hauschildt/ Laube/Roth, Praktische Theologie als Topographie, 35–48: bes. 37) spricht diesbezüglich von einem Klassikerkanon der Religionstheorie. Hierzu zählen derzeit v. a. (Werke von) Friedrich D.E. Schleiermacher, Ernst Troeltsch, William James, Georg Simmel, Rudolph Otto u.a.m. 131 Von besonderem Interesse waren z. B. die großen Entwürfe von Paul Drews (Ders. (1910). Das Problem der Praktischen Theologie. Zugleich ein Beitrag zur Reform des theologischen Studiums. Tübingen: Mohr) und Friedrich Niebergall (Ders. (1918). Praktische Theologie. Lehre von der kirchlichen Gemeindeerziehung auf religionswissenschaftlicher Grundlage. Bd. 1: Grundlagen. Tübingen: Mohr; und Ders. (1919). Praktische Theologie. Lehre von der kirchlichen Gemeindeerziehung auf religionswissenschaftlicher Grundlage. Bd. 2: Die Arbeitszweige. Tübingen: Mohr). 132 Und auch hier gibt es eine Phalanx der üblichen Verdächtigen bzw. der bevorzugten Gesprächspartner, etwa (in ungeordneter Auflistung) Max Weber, Alfred Schütz, Thomas Luckmann, Niklas Luhmann, Peter L. Berger, Clifford Geertz, Edmund Husserl, Charles S. Peirce oder Umberto Eco (u.v.m.). 133 Z.B. Nicol, Martin (2000). Grundwissen Praktische Theologie. Ein Arbeitsbuch. Stuttgart: Kohlhammer; Lämmermann, Godwin (2001). Einleitung in die Praktische Theologie. Handlungstheorien und Handlungsfelder. Stuttgart: Kohlhammer; Grethlein, Christian/ Schwier, Helmut (Hrsg.) (2007). Praktische Theologie. Eine Theorie- und Problemgeschichte. Leipzig: EVA; Gräb, Wilhelm/Weyel, Birgit (Hrsg.) (2007). Handbuch Praktische Theologie. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus; Meyer-Blanck, Michael/Weyel, Birgit (2008). Studien- und Arbeitsbuch Praktische Theologie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht; Deeg, Alexander/Meier, Daniel (2009). Praktische Theologie (= Module der Theologie 5). Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

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geistlichen und sonstigen Berufsgruppen, das mühsame der Theologiestudierenden und Examenskandidatinnen oder das poppige der Cineasten, Fußballfans und Musikbegeisterten.134 Freilich, mit den letzten Spülungen besagter literarischer Wellen zeigten sich eben auch Spuren von Themenerosion und Begriffsabnutzung, und mit den erschlossenen Klassikern (des 19. Jahrhunderts) waren eben auch einige der seinerzeit unerledigten Probleme wieder auf das praktisch-theologische Tableau geschwemmt – und alsbald aufgeregt kommentiert worden.135 Kritisches Potential war vorhanden; nicht ohne Grund hatte man schon zeitig bemerkt und darauf hingewiesen, dass die Praktische Theologie, auch wenn sie mustergültig an ihrer (optimistisch kulturhermeneutischen) Wahrnehmungskompetenz arbeiten würde, ▶▶ (erstens) die ästhetisch-intuitive Dimension im Auge behalten sollte und hinsichtlich ihrer po(i)etischen Gestaltungskompetenz bzw. ihrer künstlerisch-performativen Kraft etwas unternehmen müsse,136 ▶▶ (zweitens) den Zugewinn an Erkundungsszenarien und Forschungsfeldern definitiv nicht mit der Preisgabe desjenigen traditionellen Standortes bezahlen dürfe, an dem der Gestaltungsauftrag weiterhin besteht,137 sowie

134 Vgl. Zilleßen, Dietrich/Alkier, Stefan/Koerrenz, Ralf/Schroeter, Harald (Hrsg.) (1991). Praktisch-theologische Hermeneutik. Ansätze – Anregungen – Aufgaben. Rheinbach: CMZ; Nipkow, Karl-E./Rössler, Dietrich/Schweitzer, Friedrich (Hrsg.) (1991). Praktische Theologie und Kultur und Gegenwart. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus; Hauschildt, Eberhard/Schwab, Ulrich (Hrsg.) (2002). Praktische Theologie im neuen Jahrhundert. Stuttgart: Kohlhammer; Erne, Thomas (2002). Rhetorik und Religion. Studien zur praktischen Theologie des Alltags. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus; Schroeter-Wittke, Harald (Hrsg.) (2009). Popkultur und Religion. Best of… (Populäre Kultur und Theologie 1). Jena: Garamond Verlag, 441–447; Bubmann, Peter/Weyel, Birgit (Hrsg.) (2012). Praktische Theologie und Musik. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. 135 Vgl. Schmidt-Rost, Reinhard (2000). Dialektisch protestieren. Eine „Re-lecture“ über „Revisionen“ der Praktischen Theologie. In: Hauschildt/Laube/Roth, Praktische Theologie als Topographie, 325–343. 136 Vgl. Grözinger, Albrecht (1995). Praktische Theologie als Kunst der Wahrnehmung. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. 137 Vgl. Meyer-Blanck, Michael (2000). Zeichen verstehen. Die hermeneutische Dimension der Semiotik und der semiotische Beitrag zur praktisch-theologischen Hermeneutik. In: Hauschildt/Laube/Roth, Praktische Theologie als Topographie, 49–68.

Tour 1:  Vorstellungen, Begriffe und Eindrücke. 

▶▶ (drittens) aus Respekt vor der kommunikativen Beschaffenheit von Religion138 weiterhin zu reflektieren habe, was denn überhaupt kommunikativ gestaltet und letzten Endes praktisch-theologisch verantwortet kommuniziert werden kann und soll Für den ersten Einwand haben sich u. a. (die Otto-Schüler) Henning Luther139 und Albrecht Grözinger140 stark gemacht. „Praktische Theologie als Kunst der Wahrnehmung wird immer auch ein Stück ‚wissenschaftlicher‘ Poesie sein“141, so hatte es Grözinger formuliert (unter dem Selbstanspruch, sich am Denken Gert Ottos abzuarbeiten)142; diese Praktische Theologie sei „exakt an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft anzusiedeln“143. Dort freilich habe man starke Spannungen auszuhalten und zu reflektieren, dass sich der erstaunte „Blick des Mose auf den Brennenden Dornbusch“144 gewisslich respektvoll wiederholen, aber nicht mehr naiv vereinnahmen lassen wird. Denn sobald dieser Blick freiheitlich zu schweifen wagt, muss er sich auch senken auf die schrecklichen und skurrilen Szenarien einer Moderne, die ihre Unschuld verloren hat. Eigentlich an allen Orten, spätestens jedoch im Granathagel von Verdun sollte erkennbar werden, dass sich eine zentraloptimistische Perspektive auf den guten, religiösen Menschen nicht wiedergewinnen, erst recht nicht durchhalten lässt.145 Die Kunst der Wahrnehmung also konfrontiert stets mit dem Ungeheuren – und nötigt die Praktische Theologie auch zu jenem Wagnis, das mit Kunst 138 Vgl. Laube, Martin (2000). Religiöse Kommunikation beobachten. Vom Nutzen systemtheoretischer Religionssoziologie für die Praktische Theologie. In: Hauschildt/ Laube/Roth, Praktische Theologie als Topographie, 111–127. 139 Luther, Henning (1992). Religion und Alltag. Bausteine zu einer Praktischen Theologie des Subjekts. Stuttgart: Radius-Verlag. 140 Grözinger. Praktische Theologie als Kunst, 311–328; Ders. (1987). Praktische Theologie und Ästhetik. Ein Beitrag zur Grundlegung der Praktischen Theologie. München: Chr. Kaiser; Ders. (2001). Orte. In: Lämmlin, Georg/Scholpp, Stefan (Hrsg.) Praktische Theologie der Gegenwart in Selbstdarstellungen. Tübingen: A. Francke, 257–274. 141 Grözinger. Praktische Theologie als Kunst, 322. 142 Vgl. a. a. O., 311. 143 A.a.O., 322. 144 Ebd. 145 In diesen Denk- und Erörterungskontexten ist es definitiv plausibler, den Vorschlag von Henning Luther aufzugreifen und den Begriff fragmentarischer Identität(en) stark zu machen; vgl. Luther, Henning (1992). Identität und Fragment. In: Ders. Religion und Alltag. Bausteine zu einer Praktischen Theologie des Subjekts. Stuttgart: Radius-Verlag, 160–182.

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  1.4  All die Bücher, all die Worte, all die steilen Thesen.

einhergeht, nämlich: alternative Visionen zu behaupten und eine leuchtende Gegenschrift an die Wand zu werfen, um Wirklichkeit zu verändern.146 Indes, nicht allein die Notwendigkeit eines kunstvoll alternativen Lebensdeutungsangebots wollte hier zur Debatte gestellt werden. Weitaus mehr ging es doch um eine Erkundung der Möglichkeit, dem besagten leuchtenden Widerspruch einen sozial modellierten, gleichwohl symbolischen Ort zu geben; es galt, an kreativen Gestaltungsplänen für eine Gemeinschaft zu arbeiten, die sich als Alternative zu lebenszerstörendem Widersinn bewähren und als kraftspendende Gegenwelt abzeichnen könnte. Natürlich, am Horizont dieser Eingaben, die im Grunde schon auf den zweiten Einwand (s. o.) abzielen, waren deutlich die Konturen einer Kirche erkennbar, aber nun sollte es eine Kirche sein, die nicht in ein dogmatisch-ekklesiologisches Fundament einzementiert, sondern gestaltungsflexibel auf einem kulturanthropologisch eingefassten Podium platziert war: als Forum des Humanum, als Entfaltungsraum für Religion, als Lebens(t)raum für Subjekte, die fähig sind, sich in ihrer fragmentarisch erlebten Existenz auf andere Subjekte einzulassen – und so kommunikativ auf ein starkes Sinndeutungsintegral zuzubewegen. Neben einem gewisslich optimistischen Grundzug – insbesondere in der wertschätzenden Annahme ebenjener „Fähigkeit der Subjekte, Differenzen im Blick auf Lebensstil und Glaubensweise der anderen, aber auch innerhalb der eigenen Lebens- und Glaubensgeschichte wahrzunehmen, anzuerkennen und zu gestalten“147 – hat diese Perspektive letzten Endes den Charme, eine gewissermaßen nichtkirchliche Kirche zu fokussieren: Denn jede stärkere Akzentuierung der Gegenwelt-Pointe muss doch im Grunde auch eine Abkehr von jener prägnanten Traditionslinie sein, die ihr Kirchenverständnis nicht ohne milieuspezifische Einspielungen entwickeln konnte.148 Doch selbst wenn eingestanden wird, dass die Praktische Theologie diese Tradition nicht mehr mit 146 Vgl. Grözinger. Praktische Theologie als Kunst, 327 f. 147 So formuliert es (unter Bezugnahme auf Grözinger): Fechtner, Steffen (1997). Gemeinde leben spätmodern. Überlegungen zu einem protestantischen Mythos und zu einer Sozialgestalt des Christentums. In: Grözinger, Albrecht/Lott, Jürgen (Hrsg.) Gelebte Religion. Im Brennpunkt praktisch-theologischen Denkens und Handelns. Rheinbach: CMZ, 207–224: bes. 219. 148 Wie gegenweltlich wäre eigentlich eine Kirche, die sich ausschließlich als pflegende Heilsanstalt bürgerlicher Idyllen oder als Treffpunkt subversiver Protestattitüden inszenieren würde?

Tour 1:  Vorstellungen, Begriffe und Eindrücke. 

konservativ-pastoraltheologischen Kursen bedienen kann, bleibt es durchaus ein gewagtes Unternehmen, stattdessen den labilen Kirchenbegriff einerseits von den traditionell (systematisch-)theologischen Bestimmungsversuchen, andererseits von der empirisch institutionellen Gestalt abzukoppeln, um Kirche bzw. Gemeinde ganz neu als Gestaltungswelt zu bestimmen: eine Sphäre, wo gleichzeitig spürbar bleibt, was an/in/mit sozialer Wirklichkeit erlebt und gegen sie erhofft werden kann. Aber wie kommen Gegenschrift, Gegenwelt und starkes Integral eigentlich zu ihren inhaltlichen Konturen? Gibt es womöglich eindeutige Orientierungswerte und unmissverständliche Kriterien? Macht es am Ende doch wieder Sinn, die praktisch-theologische Verantwortung nicht nur für die kommunikative Beschaffenheit von Religion und die Gestaltung von Kommunikation, sondern auch für die inhaltliche Bestimmung des kommunizierten Gehalts zu übernehmen? Und aus welcher Perspektive kann dies geschehen? All diese Fragen brechen sich nun in dem dritten Einwand (s. o.), der in der Regel unter der Formel „Kommunikation des Evangeliums“ subsummiert und vorgetragen wird. Dieser Formel – ursprünglich ein im theologischen Diskurs der fünfziger Jahre gebräuchlicher Ausdruck, dann von Ernst Lange 1964 in die praktisch-theologische Diskussion eingebracht, schließlich von Wilfried Engemann aufgegriffen und in ein eigenes Verständnis von Praktischer Theologie integriert –149 hat sich zuletzt v. a. Christian Grethlein sehr intensiv angenommen; er stellt sie als Schlüsselformulierung und Leitsatz über seine 2012 vorgelegte Praktische Theologie150.

149 In diesem Konzept hat sich die Praktische Theologie, sofern sie die Lebensäußerungen (aller Menschen) der Gemeinde im Blick behalten und gestalten will, „mit Modellen der Gewährleistung der Kommunikation des Evangeliums unter den allgemeinen Bedingungen menschlicher Kommunikation zu befassen“ und „die Person als praktisch-theologische Kategorie im Prozess der Kommunikation […] zu beschreiben“; vgl. Engemann, Wilfried (2001). Person und Zeichen im Prozess der Kommunikation des Evangeliums. Eine Theorie der Lebensäußerungen der Gemeinde. In: Lämmlin/Scholpp, Praktische Theologie der Gegenwart, 389–405: bes. 392, 394, 397; Engemann, Wilfried (1997). Die Erlebnisgesellschaft vor der Offenbarung – ein ästhetisches Problem? Überlegungen zum Ort und zur Aufgabe der Praktischen Theologie heute. In: Grözinger/Lott Gelebte Religion, 329–351. 150 Grethlein, Christian (2012). Praktische Theologie. Berlin: De Gruyter.

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  1.4  All die Bücher, all die Worte, all die steilen Thesen.

Grethlein konnte bereits Anfang der 2000er Jahre richtungsweisend notieren, dass man „die Praxis von Gemeinden und Kirchen“151 als Grundgegenstände der Praktischen Theologie zu erachten und sich folgerichtig schwerpunktmäßig mit der Praxis kirchlicher und theologischer Berufe zu beschäftigen habe; entsprechend formuliert er, just nachdem er sich in einer beachtenswerten Gemeinschaftsproduktion mit Michael Meyer-Blanck und anderen Fachkollegen um eine „Geschichte der Praktischen Theologie“152 verdient gemacht hatte, eine unmissverständliche Kritik an den Vätern (und Kindern) der Theologia Practica: „Die beiden gegenwärtig wichtigsten Versuche einer Gesamtschau der Praktischen Theologie von Dietrich Rössler und von Gert Otto sind zwar große Leistungen, aber noch zu wenig an der kirchlich relevanten Alltagspraxis von Menschen orientiert“153, reklamiert Grethlein energisch und legt sich fest: „Neuere Bestimmungen der Praktischen Theologie als einer Kulturwissenschaft oder einer religionswissenschaftlichen Disziplin markieren zwar wichtige Anliegen, sind aber gefährdet, den theologischen Charakter preiszugeben. […] Es ist […] grundlegendes Ziel theologischer und somit auch praktisch-theologischer Theoriebildung, einen Beitrag zur Entstehung und Bewahrung christlichen Glaubens zu leisten.“154 Doch so energisch und entschlossen diese Formulierung zunächst auch klingen mag, bleibt sie doch letztlich auf eigentümliche Weise in ihrer Steilheit unbeholfen: Was der Glaube(n) ist, oder was im Modus des Glaubens verstanden, gehofft, ersehnt und vollzogen werden kann, das alles glaubt Grethlein nicht entfalten zu müssen; er stellt es stattdessen in den Horizont des Vorbehalts, „dass allein Gott Glauben schaffen kann“155. Was er hingegen als Praktischer Theologe zu leisten bereit und der Praktischen Theologie als Aufgabenstellung mitzugeben gewillt ist, stellt sich u. a. dar als der energische Versuch, über kommunikationsanalytische Schritte bzw. in Anwendung eines eher technischen Theoriebegriffs ein Feld (kirchliche Praxis) zu vermessen, auf dem dann eine materialdogmatisch destillierte Glaubensfigur ventiliert 151 Grethlein beruft sich an dieser Stelle auf Daiber, Karl-Fritz (1977). Grundriss der Praktischen Theologie als Handlungswissenschaft. München: Kaiser, 142. 152 Grethlein, Christian/Meyer-Blanck, Michael (Hrsg.) (2000). Geschichte der Praktischen Theologie. Dargestellt anhand ihrer Klassiker. Leipzig: EVA. 153 Grethlein, Christian (2001). Praktische Theologie als theologische Theorie kirchlicher Praxis. In: Lämmlin/Scholpp, Praktische Theologie der Gegenwart, 333–348: bes. 347. 154 A.a.O., 339f. 155 Ebd.

Tour 1:  Vorstellungen, Begriffe und Eindrücke. 

werden kann.156 Auch die zum gegenwärtigen Zeitpunkt jüngste Charakterisierung der Grethlein‘schen Praktischen Theologie, in der er sich bewusst gegen pastoraltheologische und kirchlich-christentumstheoretische Engführungen abzugrenzen versucht,157 den Marginalisierungsprozess von Kirche als Institution ernst nehmen und einen problematischen Begriff von Religion ablehnen will,158 betont ausdrücklich, dass die Formulierung von der Kommunikation des Evangeliums theologisch und empirisch bzw. soziologisch-gegenwartsdiagnostisch die präzisesten Pointen aufeinander bezieht und in Summe den derzeit stärksten programmatischen Slogan darstellt: „Bei allem ist festzuhalten: Die Praktische Theologie erarbeitet Theorien zum Verständnis der gegenwärtigen Kommunikation des Evangeliums. Sie ist nicht die Praxis selbst, sondern die Reflexion hierauf.“159 Man kann sicher darüber im Gespräch bleiben und die Kompatibilitätsprobleme von Grethleins Konzept zu lösen suchen – vorausgesetzt, man interessiert sich außerhalb der Theologie dafür, ob das Modell einer Kommunikation des Evangeliums wohl mit alltagstheoretischen oder mit wissenschaftlichen Kommunikationsbegriffen funktioniert bzw. ob man eher ein Nachrichtenübertragungs- oder womöglich gar ein Medienwirkungsmodell zugrunde legen sollte.160 Eventuell entdeckt auch jemand, dass die Begriffe Kommunikation (aus dem Lateinischen) und Evangelium (aus dem Altgriechischen) frappierend Ähnliches besagen können – und mitunter nicht bedingungslos doppelungsfrei kombinierbar sind: Schließlich steckt ja im εὐαγγέλιον (euangélion) schon die Kommunikation, zumal das Evangelium per definitionem eine gute Nachricht ist: eine Heilsbotschaft, die gar nicht anders kann, als sich wie eine

156 Bei Grethlein heißt diese materialdogmatisch destillierte Glaubensfigur ganz konkret „Glaube an die Auferweckung Jesu Christi und die daraus resultierende Hoffnung, dass Gott seine Beziehung zu den […] Menschen nicht durch den biologischen Tod beenden lässt“; vgl. a. a. O., 340. 157 Vgl. Grethlein, Praktische Theologie als theologische Theorie, 4–6. 158 A.a.O., 6–7. 159 A.a.O., 11. 160 Bernhard, Uli/Ihle, Holger (2008). Neue Medien – neue Modelle? Überlegungen zur zukünftigen kommunikationswissenschaftlichen Modellbildung. Studies in Communication Sciences. Journal of the Swiss Association of Communication and Media Research  8:2, 221–250; Burkart, Roland/Hömberg, Walter (Hrsg.) (1992). Kommunikationstheorien. Wien: Braumüller.

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  1.4  All die Bücher, all die Worte, all die steilen Thesen.

intentionale Verhaltensform symbolisch interaktiv zu verströmen,161 einfacher: sich mitzuteilen und mitteilen zu lassen. Aber das ist natürlich, wie der Volksmund sagt, ziemlich starker Tobak, oder aber auch eine harte Nuss.

Das Kapitel neigt sich seinem Ende zu. All die Bücher! All die schwergewichtigen, umfänglichen Titel, all die großartigen Entwürfe von nachhaltig wirkenden Autoren! All die phantastischen Konzepte, die innovativen Impulse, die kreativen Korrekturen – und doch sind längst noch nicht all die Fragen beantwortet, die sich stellen lassen. Was wahrzunehmen ist und als wahrgenommen zu erschließen, was es sehnsüchtig zu hoffen gilt und darum zu kommunizieren, was kritisch beäugt bleiben muss und mutig-kraftvoll gewendet, was diesseits und jenseits der Kirchenmauern phantasievoll gestaltet sein will und kreativ entfaltet, all diese Gedankengänge werden weiterhin in den Portfolios der Praktischen Theologien abgelegt und gepflegt werden. Oh, und was bekommt nun der kecke Student im Einführungsseminar von seiner Dozentin empfohlen, wenn er die Frage nach der Literatur freundlich wiederholt? „Also gut!“ Mit der liebevollen Distanz einer wahrhaft Gebildeten schenkte Frau Privatdozentin Dr. Alice-Isolde Knoopendreyer ihrem Bittsteller ein Lächeln, legte sich nachdenklich die silbrige Ponylocke aus der Stirn und schwenkte ihren amüsierten Blick über ihr gesamtes Auditorium: „Geschätzte Damen und Herren, gehen Sie bitte davon aus, dass der nun folgende Fingerzeig nicht nur für die Examensvorbereitungen ihres Kommilitonen Konrad wichtig wird, sondern auch den Studierenden der ersten Semester helfen kann.“ Die Studentinnen und Studenten waren still; einige griffen noch schnell zu Stift und Papier, um die anstehenden Ratschläge notieren zu können, als sie ansetzte: „Bestens ausgerüstet sind Sie, lieber Herr Pitzenkübler, wenn Sie einen Klassiker – etwa einen Grundriss – sorgsam gelesen, sich erfolgreich durch ein Studien- und Arbeitsbuch gekämpft und vielleicht noch in der einen oder anderen Selbstdarstellung geblättert haben. Wenn sie dann noch eine grobe Ahnung davon haben, was sich in den letzten Jahrzehnten in der PT abgespielt hat…“ „Ähhhh…“ Diesmal war es eine Studentin, die den Redefluss der Dozentin mit merkwürdigen Lauten zu unterbinden suchte. 161 Vgl. Linke, Angelika/Nussbaumer, Markus/Portmann, Paul (1991). Studienbuch Linguistik. Tübingen: Max Niemeyer, bes. 173.

Tour 1:  Vorstellungen, Begriffe und Eindrücke. 

„Ja bitte?“ „Ähhhh, ja, und woher sollen wir das wissen? Was sich in den letzten Jahrzehnten in der PT abgespielt hat?“

Einfach dieses Kapitel lesen!162

162 Bis zur Jahrtausendwende ergänzend Meyer-Blanck, Michael (1999). Neuere Entwürfe zur Praktischen Theologie. ThR 64, 197–216: 216; eine aufschlussreiche praktisch-theologische Literaturkunde bieten zudem Meyer-Blanck, Michael/Weyel, Birgit (2008). Studien- und Arbeitsbuch Praktische Theologie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 3149.

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Tour 2:  Historische Epochen, Perioden und Episoden. 

Tour 2:  Historische Epochen, Perioden und Episoden. Zeitreisen durch die Entwicklungs-, Gestaltungs- und Reflexionsgeschichte(n) christlicher Religionspraxis, versetzt mit größeren Sprüngen und gelegentlichen Picknickpausen

2.0  Auf der Suche nach den Ahnen, einer eigenen Geschichte – und den bestmöglichen Fragestellungen „Ich bin dein Vater!“1

Auch wenn der angesprochene Jedi-Ritter Luke Skywalker es im zweiten Teil der ersten Star Wars-Trilogie kaum hat fassen können, dass ihm ausgerechnet der Erzfeind und Oberschurke Darth Vader – und zwar während eines entscheidenden Lichtschwertkampfes um Leben und Tod – die Vaterschaft annoncierte, war ihm doch, langfristig gesehen, eine bedeutende Information zugespielt worden. Ganz grundsätzlich betrachtet scheinen Menschen durchaus Interesse aufzubringen, wenn es um ihre Identität geht, sei es nun im Blick auf ihre genetische, soziale, ethnische oder nationale Herkunft, auf ihre territoriale oder geistige Heimat, auf ihre geschichtliche oder kulturelle Abstammung. Und obwohl sich der Auskunftsbitte „Wo komme ich her?“ zumeist mit sachdienlichen Informationen beikommen lässt, dehnt sie sich letzten Endes zu einer großen Sinnerkundung, die mit weiteren Lebensrätseln – etwa: „Wer bin ich?“ oder „Wo finde ich meine Wurzeln, die mir so manches erklären?“ – einherkommt und sich tiefgehende Antworten erhofft.2 Diese Antworten müssen nicht zwingend metaphysisch-spiritueller oder transzendent-religiöser Art sein, aber sie sollten 1

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Ein klassisches Filmzitat aus dem zweiten Teil der ersten Star  Wars-Trilogie, heute besser bekannt als Star Wars Episode V: Das Imperium schlägt zurück (George, Lucas (1980/2013). Star Wars Episode V: Das Imperium schlägt zurück [ca. 122min, FSK ab 12J.]. Frankfurt a. M.: 20th Century Fox Home Entertainment). Vgl. Köhler, Reinhold (1888). Mich wundert, dass ich fröhlich bin. Germania  33, 313–332. Erinnert wird an einen ursprünglichen Vierzeiler, den der Volksmund v. a. in ausgebauten, mehrstrophigen Varianten kennt, etwa: „Ich komm’, weiß nicht woher / ich

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  2.0 Auf der Suche nach den Ahnen

doch wenigstens jenes Herzstück besagter Fragen bedienen, das sich im metaphorisch gesättigten Motiv einer „Vatersuche“ artikulieren kann. Der aufgegriffene Terminus lässt sich übrigens nicht problemlos einer sprachlichen Geschlechtsneutralisierung unterziehen und als Mutter- oder Elternsuche variieren. Die Volksmundart hat z. B. mit erfahrungsgesättigten Merkversen auf eine Art besonderer Vatersuche hingewiesen, die nur im Licht bestimmter Lebenswirklichkeiten verstehbar wird – was zwei im Nordhessischen gefundene Reime ansatzweise veranschaulichen: (1)  Ich weiß, wer mich geboren hat; doch wer hat mich gezeuget? Schon manches bärt‘ge Angesicht hat sich zu mir gebeuget! (2)  Um‘s Mutter zu seh’n ich, hatt’ nicht weit zu geh'n ich, der Vater war fort mir, hatt‘ nicht mehr sein‘ Ort hier.3

Doch nicht allein die möglichen besonderen Begleitumstände einer gereimten Vatersuche bzw. die Charakteristik einer stabilen Redewendung, sondern vielmehr eben die zum Ausdruck gebrachte ambivalente Beziehung und die komplex-vieldimensionale Suchbewegung – konkret etwa: die Beschäftigung mit dem Vater als ausschlaggebendes Grundmoment für die Bildung und Strukturierung von Persönlichkeit – müssen als widerständige Aspekte berücksichtigt werden, wenn ambitioniertes Gendering angemahnt oder schlicht nach inkludierenden oder alternierenden Sprachformen gefragt werden will.

Auch in der Praktischen Theologie hat man sich intensiv mit Identitäts- bzw. Herkunftsfragen befasst und die Vatersuche aufgenommen. Derzeit scheinen beide – freilich ineinandergreifende – Operationen mit weitestgehend einheitlichem Ergebnis abgeschlossen: Denn obschon ganz vereinzelt noch eine popu-

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bin, und weiß nicht wer / ich leb’, weiß nicht wie lang / ich sterb’ und weiß nicht wann / ich fahr’, weiß nicht wohin / Mich wundert’s, dass ich so fröhlich bin“ (usw.). Dem Verfasser wurde diese regionale Gebrauchspoesie mündlich überliefert durch seine Großmutter Elisabeth Limburg (1902–1980). Wer an ähnlich gestimmten, aber weniger volkstümlichen und besser belegten (hessischen) Gereimtheiten interessiert ist, mag sich mit Goethes Zahmen Xenien beschäftigen, z. B. mit dem bekannten „Vom Vater hab ich die Statur, / Des Lebens ernstes Führen, / Vom Mütterchen die Frohnatur / Und Lust zu fabulieren. / Urahnherr war der Schönsten hold, / Das spukt so hin und wieder; / Urahnfrau liebte Schmuck und Gold, / Das zuckt wohl durch die Glieder. / Sind nun die Elemente nicht / Aus dem Komplex zu trennen, / Was ist denn an dem ganzen Wicht / Original zu nennen?“ (Goethe, Johann Wolfgang von (1960). Gedichte. Ausgabe letzter Hand 1827. Zahme Xenien 6 (= Berliner Ausgabe. Poetische Werke 1–16: 1). Berlin: Hofenberg, 704–715: 715).

Tour 2:  Historische Epochen, Perioden und Episoden.  

läre Einschätzung des frühen 20. Jahrhunderts aufgegriffen wird, wonach der Marburger Theologe Andreas Hyperius4 (1511–1564) als „Vater der Praktischen Theologie nach heutiger Fassung des Begriffs“5 in Betracht kommt6, hat sich im Wesentlichen durchgesetzt, den bereits als „Kirchenvater des 19. Jahrhunderts“7 geadelten Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768–1834) auch als Vater der Praktischen Theologie zu akzeptieren. Allerdings verhält es sich mit theologischen Vaterschafts(er)klärungen nicht anders als im wahren Leben; sie werden getroffen aufgrund bestimmter Vorentscheidungen, die sich u. a. am speziellen Design der Suchmaske, in der Eigenart des Fahndungsrasters und der besonderen Anordnung und Gewichtung forschungsleitender Profiler-Argumente bemerkbar machen. Und gewiss werden Suchergebnisse und Ermittlungsdaten, die die Wunsch(vater)kandidatur passförmig bedienen, bevorzugt entgegengenommen; schließlich ist nicht zu ignorieren, wie jede treffsicher auserkorene Figur, sofern sie sich für eine nähere theologische Charakterisierung verfügbar hält, in engem Beziehungsund Wechselverhältnis zu den Verfahren steht, die bei der Wesensbestimmung, der Profilierung und der Aufgabenkatalogisierung von Praktischer Theologie insgesamt Anwendung finden. Womöglich hat man sich einzugestehen, dass 4

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Krause, Gerhard (1977). Andreas Gerhard Hyperius. Leben – Bilder – Schriften. Tübingen: Mohr Siebeck; Ders. (1969). Andreas Hyperius in der Forschung seit 1900. Theologische Rundschau 34, 262–341; Rau, Gerhard (1986). Art. Hyperius, Andreas. TRE 15. Berlin/ New York: De Gruyter, 778–781. Achelis, Ernst Christian (1911). Lehrbuch der Praktischen Theologie 1. 3. Aufl. Leipzig: Hinrich, 10 f.; ähnlich auch Drews, Paul (1907). Der wissenschaftliche Betrieb der praktischen Theologie in der theologischen Fakultät zu Gießen. In: Universität Gießen (Hrsg.) Die Universität Gießen von 1607–1907. Festschrift zur dritten Jahrhundertfeier. 2. Band. Giessen: Töpelmann, 245–292: 247. Bemerkenswert ist sicherlich, dass Paul Drews (1859–1912) Jahrzehnte später auch einen Vatertitel erhielt, vgl. Rudolph, Wolfgang (1968). Paul Drews, der „Vater der evangelischen Kirchenkunde und religiösen Volkskunde“. Leipzig: Universität Leipzig. So noch Schröer, Henning (1997). Art. Praktische Theologie. TRE 27. Berlin/New York: De Gruyter, 190–220: 197; ferner: Bobert-Stützel, Sabine (2000). Frömmigkeit und Symbolspiel: Ein pastoralpsychologischer Beitrag zu einer evangelischen Frömmigkeitstheorie. Arbeiten zur Pastoraltheologie 37. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 24. Von Hyperius als dem „Ahnherrn der Praktischen Theologie“ spricht Schröder, Bernd (2000). Art. Hyperius. RGG 3. 4. Aufl. Tübingen: Mohr Siebeck, 1978–1979. Vgl. Lülmann, Christian (1907). Schleiermacher, der Kirchenvater des 19. Jahrhunderts (Sammlung gemeinverständlicher Vorträge und Schriften aus dem Gebiet der Theologie und Religionsgeschichte 48). Tübingen: Mohr.

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  2.0 Auf der Suche nach den Ahnen

im Pool aller möglichen Väter tatsächlich mehrere Figuren schwimmen – und es nur darum gehen kann, den besonders passenden Vater als den richtigen und echten Vater zu identifizieren. Was nun die mögliche Vaterschaft Schleiermachers anbelangt, gehen die Meinungen nicht sonderlich weit auseinander. Die Argumente scheinen gut abgeglichen und sortiert zu sein, zumal sie offensichtlich auch noch Gelegenheit bieten, den akademischen Betrieb der Praktischen Theologie mit einer pauschalen Datierung der Disziplin zu stabilisieren. Voreilig Urteilende brauchen zur Festlegung der Geburtsstunde und zur Abstammungsbegutachtung gerade einmal ein einziges Dokument – und erklären dann: „Genau 200 Jahre ist die Praktische Theologie alt. In der berühmten Schrift mit dem etwas sperrigen Titel ‚Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen‘, erschienen 1811, wurde sie erstmals als ernstzunehmendes wissenschaftliches Fach und als Teil der universitären Theologie eingefordert. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher war ihr Vater – und wollte das jüngste Kind in der theologischen Familie nicht einfach irgendwie ins Haus der Theologischen Fakultät integrieren, damit es nur ja kein Kellerkind werde […].“8 Fürwahr, der Steckbrief der praktisch-theologischen Vaterschaftsannonce konnte in den ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts getrost abgehängt werden; allzu deutlich hatte sich dort über fünfzig Jahre das Konterfei Schleiermachers gehalten. Inwiefern damit die Vatermetapher endgültig reserviert oder gar für alle Zeit verbraucht ist, bleibt freilich noch ungeklärt; zu angemessen treffsicheren Gesamteinschätzungen dürften wohl erst spätere Generationen gelangen. Allerdings wird man sich im Kontext zukünftiger Übersichtsdarstellungen kritisch zu den Rückfragen positionieren müssen, ▶▶ ob die vorzeiten erfolgte universitäre Installation eines methodologisch und kriteriologisch abgesicherten Wissenschaftsfaches (namens Praktische Theologie) wirklich auch die letztgültige Hauptschablone für alle zukünftigen Fachkulturen und Disziplinenformate (der PT) mit sich gebracht hat, und ▶▶ welche Wirkmacht dem traditionell-klischeebehafteten, auf Lichtgestalten9 der Theologie angelegten starken Vaterbegriff – besonders im Blick auf 8 9

Deeg, Alexander (2012). Praktische Theologie als eschatologische Ästhetik. Oder: Eine Schule des Staunens. EvTh 72: 2, 118–134: 118. So z. B. Kunz, Ralph (2008). Alexander Schweizer als Praktischer Theologe. In: Campi, Emidio/Kunz, Ralph/Moser, Christian (Hrsg.) Alexander Schweizer (1808–1888) und

Tour 2:  Historische Epochen, Perioden und Episoden.  

die damit assoziierten Bestimmungsverfahren für echte PT – noch zugestanden werden kann Erste schüchterne Gebrauchsvorbehalte gegen die exklusive Supervokabel Vater haben sich möglicherweise schon dort angedeutet, wo der eigentümliche Begriff Altmeister zum Einsatz gekommen ist (und kommt): Glaubte man, mit dieser gemäßigteren Sprachregelung besser aufgestellt zu sein? Nun, zumindest gestattete sie doch die Würdigung mehrerer, zeitgleich und zeitversetzt aktiver, teils auch kontrovers aufgestellter Personen, denen man offenbar insgesamt attestieren wollte, als theologisch tonangebende Charaktere mit Substanz und Charisma die Geschichte der Praktischen Theologie mitgeschrieben zu haben.10 Ähnliche Tendenzen kommen auch bei einer etwas in Vergessenheit geratenen Anfrage von Paul Drews zum Vorschein. Der nämlich konnte von einer exklusiven Verwendung der patriarchalisch angehauchten Abstammungsmetapher Abstand nehmen, um stattdessen in einem modifizierten Gedankenexperiment zu fragen, wo denn der territoriale und konfessionelle „Mutterboden der sogenannten praktischen Theologie“ zu finden sei, wem dessen Urbarmachung und Pflege anvertraut bleibe und wer überhaupt letzten Endes „die praktische Theologie geboren, gepflegt, großgezogen“ hat!11 Es bleibt dahingestellt, ob sein sich anschließender hessischer Lösungsvorschlag, nämlich: „das von Butzer beeinflußte Kirchengebiet“ im geographischen Dreieck Herborn – Gießen – Marburg sowie die auf den reformierten Gisbert Voetius12 und die Synode von Dordrecht (1618) zurückzuführende „praktische Ausbildung der jungen Theologen“ in pfarramtlichen Wirkungskreisen näher zu fokussieren13, die stärksten Argumente auf seiner Seite hat. Denn weitere alternative Vorschläge – zu Zen­ tralbegriffen, Kriterien, Theorien, geschichtlichen Eckdaten und ihrer wechselwirkenden Bedingtheit – sind ebenfalls reichlich vorhanden und gut begründet.

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seine Zeit. Zürich: TVZ, 133–150. Kunz bezeichnet „Schleiermacher als Vater der Praktischen Theologie und Schweizer als seinen Ziehsohn“, der sich im „Schattenwurf der Lichtgestalt“ entwickeln konnte (a. a. O., 136). Als Altmeister der Praktischen Theologie wurden u. a. nachweislich bezeichnet: Carl Immanuel Nitzsch (1787–1868), Friedrich Niebergall (1866–1932), Otto Baumgarten (1858–1934), Rudolf Bohren (1920–2010) und Dietrich Rössler (*1927). Drews, Der wissenschaftliche Betrieb, 249. Beck, Andreas J. (2007). Gisbertus Voetius (1589–1676). Sein Theologieverständnis und seine Gotteslehre. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Drews, Der wissenschaftliche Betrieb, 249.

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Eine der größeren Reisen in die Vergangenheit hat dabei Leonhard Fendt in seinem Grundriss der Praktischen Theologie gewagt, indem er den Geschichtsweg theologischer Praxistheorie an eine wirklich große Gestalt der Christentumsgeschichte koppelt: Weil die (überlieferte) Praxis Jesu und die (überlieferte) Praxis derer, die ihm gefolgt sind oder von ihm angeregt wurden, geschichtlich und kriteriologisch den Dreh- und Angelpunkt jedweder Christentumspraxis ausmachen, braucht es auch fürderhin eine theologische Theorie, die „gespeist wird aus den Reichtümern der Gestalt Jesu“. Praktische Theologie, so wird hier konsequent geschlossen, ist zu verstehen als eine akademische Dauerveranstaltung zwischen Kirche und Wissenschaft, „welche die im Neuen Testament vorausgesetzte kirchliche Praxis erforscht, darlegt und in die gegenwärtige Lage einzeichnet“.14 An dieser Stelle angekommen sollte dem sorgfältigen (Über-)Blick summa summarum aufgefallen sein, dass bei den Suchbewegungen und Grundfragen nach Herkunft, Geschichte, Wesen, Charakter, Profil, Identität und Aufgabe Praktischer Theologie nicht nur die gebräuchlichsten Metaphern, sondern eben auch abwegigere bildhafte Ausdrucksfiguren als Leitkategorie oder Mustermaske zum Einsatz kommen (können). Die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Art von Leitbegriffen ist dabei grundsätzlich kompatibel zu einer bestimmten Sorte von Fragen und einer bestimmten Weise voraus- sowie mitlaufender Theoriebildungen: Selbstverständlich bleibt es ein Unterschied, ob innerhalb einer Fachkultur mit der These eines epochemachenden und schulbildenden (Über-)Vaters gearbeitet werden will oder mit dem Bild eines Mutterbodens, an dessen langwieriger Urbarmachung und Kultivierung sich sukzessiv eine Reihe vorbildlicher Altmeister und feinsinniger Pflegekräfte beteiligt haben; und ebenso ausschlaggebend ist eben für den Verlauf und die Ergebnisse von Nachforschungen, ob etwa nach einer (späten) Lichtgestalt oder einem (mittelalterlichen) Leitwolf, nach (zwischenzeitlichen) Steigbügelhaltern oder einem (allerersten) Urgestein gesucht wird. Kurzum, das mit diesem Aufmacher-Kapitelchen ansetzende Projekt, so etwas Ähnliches wie eine Story der Praktischen Theologie (in Etappen) zu erzählen, beruht auf zwei bis drei Grundeinsichten: ▶▶ Im großen Geschichtskonzert der PT haben sich allerlei sozial- und kulturgeschichtlich greifbare Szenen und Faktoren, aber eben auch eine ganze 14 Fendt, Leonhardt (1949). Grundriß der Praktischen Theologie für Studenten und Kandidaten. 2. Aufl. Tübingen: Mohr, 4.

Tour 2:  Historische Epochen, Perioden und Episoden.  

Reihe (darin verwickelter) illustrer Gestalten bemerkbar gemacht; sie lassen sich nachherig im Blick auf Bedeutsamkeit, Wirkung, Nachhaltigkeit usw. beziffern oder bewerten. Diese Bewertungen tragen, selbst wenn sie nur auf kleineren theologischen Geschmacksfragen beruhen, letzten Endes zur Konstruktion eines großen Geschichtspanoramas der Praktischen Theologie bei. ▶▶ Der größere Kontext dieser kleineren Geschmacksfragen ist mit etwas Glück an der Art und Weise zu erkennen, wie gefragt – bzw. mit welchen Kategorien operiert wird, wenn es denn irgendwie um Praktische Theologie gehen soll. Am Ende bzw. in der Regel kann nur die Geschichte einer Praktischen Theologie erzählt werden, deren Konturen und Charakteristika man zuvor klar definiert hat; umgekehrt indes wird sich eben auch eine Definition der Praktischen Theologie nicht von der Geschichte unabhängig machen können, die da erzählt wird und die man gehört hat. ▶▶ Unter Umständen macht es deshalb Sinn, kürzere Etappen zu skizzieren, Miniaturen und Fragmente darzulegen, den definitorischen Horizont offen zu halten. Denn so wird letzten Endes die Geschichte der PT den Lesenden, ihren Kompetenzen, Geschmacksurteilen und Bewertungskräften anvertraut – auch wenn, zugegebenermaßen, die Auswahl der geschichtlichen Stationen schon eine Art Empfehlungsschreiben sein will. Die optionalen Etüden, die nachfolgend präsentiert und zelebriert werden, sind nicht als Alternativen zu lesen; sie kokettieren vielmehr damit, dass der Ehrgeiz der Lesenden auf den besonderen Reiz dieser kleinen Routen trifft und sie dazu verführt werden, sämtliche Etappen abzuschreiten, sich selbst einen Eindruck von einzelnen Passagen zu machen. Einzig wegweisend soll die bislang unterschwellig mitgenommene, hier und da sichtbar gewordene Kernthese sein, dass Praktische Theologie die theologisch reflektierte Theorie einer religiösen Praxis ist, die sich sowohl kirchlich als auch kulturell konstruiert, institutionalisiert und vermittelt (hat). Diese offen gehaltene Definitionsformel wird nun mit der Erwartungshaltung in Anspruch genommen, dass sie sich gerade deshalb effizient und effektiv bewähren kann, weil sie flexibel deklinierbar ist, quasi mit unterschiedlichen Leitfragen auf verschiedene historische Momente und Szenarien anwendbar bleibt: Wäre es also denkbar, bei der Skizze einer Geschichte dieser (besagt formelhaft) definierten PT mit der Suche nach der allerersten, theologisch halbwegs reflektierten Theorie zu beginnen? Oder sollte angefangen werden mit

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Betrachtungen zu den ersten Anzeichen einer religiösen Praxis, über die irgendwie auch nachgedacht wurde? Muss man nicht ebenso überlegen, wie sich diese Praxis ursprünglich kulturell konstruiert hat, wie es sich mit der Genese einer Sozialformatierung verhält oder der Tradition ihrer Vermittlung? Was hat es überhaupt mit dem Sinnhorizont des in der lateinisch-theologischen (bzw. kirchlichen) Sprachwelt lange Zeit extrem populären Begriffes von theologia practica auf sich, und wie lässt sich dessen Genese, Entwicklung und Verwendung, auch unter Berücksichtigung etwaig weiterer Bedeutungswandel, beschreiben und verstehen? Wann wird unsere Praktische Theologie erstmalig als eigenständige wissenschaftliche Disziplin im universitär-akademischen Fächerkanon der Theologie gefordert, wann – im Modus einer Einrichtung praktisch-theologischer Lehrstühle – installiert? Welche Erkenntnisse, die religiöse Praxis und ihre sozialen Formatierungen betreffend, haben sich auf das Selbstverständnis von Praktischer Theologie so nachhaltig ausgewirkt, dass man z. B. eine epochale Wende oder gar eine vollständige Neujustierung thematisieren könnte? Fragen über Fragen also, die nun bestmöglich beraten, aufgebarbeitet und beantwortet werden wollen. Ach ja: Und wie hat eigentlich Luke Skywalker reagiert auf Darth Vader, der ihm noch vor Augenblicken mit dem Laserschwert die rechte Hand abgeschlagen, nun aber mit einer furchtbaren Wahrheit brüskiert hatte? Folgender Dialog ist überliefert: DV: „Obi Wan hat dir nie erzählt, was wirklich mit Deinem Vater passiert ist.“ LS: „Er hat mir genug erzählt. Er hat mir gesagt, dass Sie ihn umgebracht haben.“ DV: „Nein. … Ich bin dein Vater!“ LS: „Nein. Das ist nicht wahr. Das ist nicht wahr, niemals!“ DV: „Erforsche Deine Gefühle. Du weißt, dass es wahr ist.“ LS: „Nein. Neeeeiiin ….“

Manche Wirklichkeiten – und dazu gehören wahrlich auch ganz persönliche Geschichten, bisweilen eben auch die der eigenen besonderen Herkunft – kann man offenbar nur mit gewissen Widerständen akzeptieren oder eingestehen.

Tour 2:  Historische Epochen, Perioden und Episoden.  

2.1  Von einer ernsten Trauerpraxis, spontan praktizierten Theologien, frühen christlichen Praxistheoriespuren, allerlei praxisnahen Ämtern und den Kriterien pastoralpraktischer Berufs(un)tauglichkeit Trauerarbeit: Intrapsychischer Vorgang, der auf den Verlust eines Beziehungsobjekts folgt und wodurch es dem Subjekt gelingt, sich progressiv von diesem abzulösen.15 Onkel Martin, der lustige Vogel unserer Verwandtschaft, war mit 84 Jahren verstorben. Wir Kinder haben ihn, der übrigens der Familiensage nach fast sein gesamtes Leben lang als Schneider tätig gewesen sein soll, außerordentlich gemocht, was darauf zurückzuführen war, dass er einfach ständig gute Laune verströmen konnte. Seine Taschenspielertricks waren einzigartig gewesen, seine Wortspielereien ebenso. Die amtliche Beerdigung gestaltete sich dafür als ein einziges Fiasko. Der diensthabende Pfarrer nämlich, der in seinem Manuskript schlichtweg den Namen seines Schäfleins falsch notiert haben musste, hatte nicht nur in seiner Traueransprache, sondern in der kompletten Zeremonie vom ersten Gebet bis zum letzten Segen quasi einen Fremden gewürdigt. Allein der liebe Gott hatte doch ein Einsehen mit uns allen. Denn als der Bestatter die Tür der Kapelle öffnen und den Sargträgern das Zeichen zum letzten Geleit geben wollte, kam flugs ein Friedhofsspatz hereingeflattert, zwitscherte aufgeregt – und setzte sich prompt auf den vordrapierten Blumenschmuck, um sich zu putzen. Ich erinnere mich noch gut, wie die Söhne von Onkel Martin dann darum gebeten haben, dass uns noch etwas Zeit mit dem heiteren Vögelchen auf dem Sarg des lustigen Vogels geschenkt wird […]. Zwei Stunden später saßen wir dann alle in der Gaststätte, aßen Streuselkuchen und Mettbrötchen, tranken Kaffee, Bier, am Ende Schnäpse. Dass der Piepmatz mehr als nur ein gewöhnlicher Spatzenvogel, mindestens jedoch ein Zeichen gewesen ist, wollten einige Tanten behaupten, ebenso, dass Onkel Martin gewiss „von guten Mächten wunderbar geborgen“ sei. Außerdem erklärten einige, man würde ihn ja lebendig in Erinnerung behalten und vieles in seinem Sinne tun. Sodass wir ihn eigentlich noch bei uns hätten. Na ja. Mir hat er trotzdem richtig gefehlt. Und bis heute weiß ich nicht, wo der lustige Vogel hin ist.

15 Laplanche, Jean/Pontalis, Jean-Bertrand (1982). Das Vokabular der Psychoanalyse  2. 5. Aufl. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 512.

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  2.1 Von ehrlicher Trauer, fröhlicher Praxis und ernsten Hirten

Wer die Schilderungen der Evangelien, aber auch der übrigen neutestamentlichen Texte, fernerhin weiterer außerkanonischer Schriften aufmerksam und theologisch kompetent studiert hat, wird sich wohl oder übel mit der Sachlage beschäftigen müssen, dass der Tod Jesu von Angehörigen und Nahestehenden, von sogenannten Jüngerinnen und Jüngern, von beteiligten und distanzierten Personen als einschneidendes Ereignis (mit-)erlebt, in seiner ganzen Ernsthaftigkeit wahrgenommen – und entsprechend seriös verarbeitet wurde: Mit großer Anschaulichkeit wird in den spät verschriftlichten Erzählungen der Evangelien von der Hinrichtung und der anschließenden Grablegung erzählt, von der Totenwache durch die beiden Marien (Mt 27,61 par.) und ihrem ersten Grabstättenbesuch nach der Sabbatruhe (Mt 28,1 par.), von der trauerdurchfluteten Abreise zweier Weggefährten nach Emmaus (Lk 24,13f.), von der ängstlichen Verbarrikadierung betroffener Anhängerscharen (Joh 20,19) und der beispielhaft großen Unsicherheit eines weiteren Jüngers namens Thomas (Joh 20,24f.). Freilich, es sind dieselben Erzählungen, die als nachhaltige Pointe eine unvermittelt starke Kontrasterfahrung thematisieren und jene dramatischen Widerfahrnisse als Höhepunkte inszenieren, in denen sich der als im Tode verloren geglaubte Verstorbene der Wahrnehmung anteilig verfügbar macht: Jesus wird – auch von denen, die bereits bei seiner Verhaftung geflohen waren (Mk 14,50) – gesehen und gesichtet, erspürt, gefühlt und ertastet (Lk 24,31; Joh 20,19–27), wenn auch nicht mehr vollends begriffen (Mk 16,9–14; Joh 20,17). Es ist nicht mehr ganz derselbe, aber doch noch immer er selbst, er ist zwar fort (Mt 28,6), aber nunmehr (all-)gegenwärtig (Mt 28,20b). Ganz plakativ-bildhaft macht es die sogenannte Himmelfahrtserzählung, indem sie skizziert, wie Jesus sich als der Lebendige eine Zeit lang noch hat sehen lassen, alsdann aber zunehmend und zusehends von ihren Augen weggenommen wurde, bis er gänzlich aus ihrem Verfügungsspektrum bzw. hinter ihrem Begriffshorizont (gen Himmel) verschwunden war (Apg 1,3.9–10a). Man kommt eigentlich nicht umhin, diese nach allen Regeln der metaphorischen Deutungskunst16 narrativ codierten schmerzhaften Trennungserlebnisse auch als solche ernst zu nehmen und nicht voreilig jenen Triumphbogen zu 16 Zimmermann, Ruben (2007). „Deuten“ heißt erzählen und übertragen. Narrativität und Metaphorik als zentrale Sprachformen historischer Sinnbildung zum Tod Jesu. In: Frey, Jörg/Schröter, Jens (Hrsg.) Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament. Tübingen: Mohr Siebeck, 315-375.

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schlagen, der mit einer geglaubten Gewissheit der Auferstehung Christi (1Kor 15,1–8) jeden Abschiedsschmerz ignoriert, Verlusterfahrungen nivelliert oder eine längere Trauer in Abrede stellt. Zu nachhaltig bleiben doch diejenigen Parts der biblischen Texte in Erinnerung, in denen die hochemotionalen Engagements der Hinterbliebenen thematisiert bzw. ihre Phasen von Furcht, Traurigkeit und Entsetzen anschaulich werden. Es braucht kein allzu großes Einfühlungsvermögen, um einerseits die literarisch deutlich angelegten Spuren intensiver Trauerarbeit erkennen, andererseits aber auch die überlieferten Nachrichten von sogenannten (nach-)österlichen Erscheinungen bzw. Wahrnehmungen in den Kontext dieser Trauerarbeit stellen zu können. Insofern dürften beide veranschaulichten Sachverhalte, nämlich „er ist gestorben“ und „er wurde gesehen“ (griechisch: ὤφθη, ophthae), als Tatbestände beglichen werden. Allerdings ist zu beachten, welche immense Energie aufgebracht werden musste, um den Bedeutungshorizont dieser zwei starken Pointen zu vermessen, aufeinander abzustimmen und in ein überzeugendes Gesamtbild zu integrieren. Ganz lebensnah betrachtet galt es ja für die Hinterbliebenen, sich einen plausiblen Reim auf all das zu machen, was sich in ihrem emotionalen Epizentrum ereignet hatte; dazu mussten Erfahrungen kommuniziert, Empfindungen mitgeteilt, Perspektiven dargelegt, Deutungsvorschläge erbracht, Denkfiguren veranschaulicht und Handlungsmuster erprobt werden. Man stand vor der Aufgabe, zahlreiche Sinnfragmente und Episoden zu einem solchen Hoffnungsensemble zu koordinieren, das einerseits ganz kurz- und mittelfristig Halt und Trost geben, aber eben auch als langfristige Gewissheit zum Firmament des eigenen Lebens werden konnte. Kurzum, es gab geradezu eine innere Notwendigkeit, die von den Erscheinungen des gekreuzigten, begrabenen und auferweckten Jesus sowie den Visionen eines auferstandenen Christus begleitete Trauer mit dem fröhlichen Bekenntnisruf „Der Herr ist auferstanden“ zu unterbrechen bzw. mit starken theologischen Thesen (Röm 4,24; 10,9; 2Kor 4,14, Thess 1,10) in eine neue Richtung zu lenken, um alsdann diesen Freudenschrei als Integral aller Glaubensüberzeugungen zu fixieren und ihn von einer symbolischen Wahrheit zu einer lebensecht-wirksamen Wahrheit umzuformatieren. Dass die Interpretationssplitter, die in diesem Prozess aufgeworfen wurden, arg von den zeitgenössischen Denkgewohnheiten bzw. den kulturell-ideengeschichtlichen Kontexten geprägt waren, steht außer Frage und auf einem ganz anderen Blatt. Es mag dahingestellt bleiben, ob die Deutungen des Todes Jesu (Hingabe, Opfer, Stellver-

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tretung, Sühne, Rettungshandeln, Loslösung, Erlösung etc.)17, der Person Jesu (Sohn, Messias/Christus, Prophet, Herr, Märtyrer, König, Priester etc.) und der visionär erfassten Auferweckung Jesu (Erhöhung, Inthronisation, Rückkehr zum Vater, Sieg über den Tod etc.) von anfänglichen Unsicherheiten oder späterer Entschlossenheit zeugen können. Als historische, längst traditionell verstrebte Resultate theologisch verantworteter Geistes- und Tatkraft sind sie weder aus dem wissenschaftlichen Lehrund Diskursportfolio noch aus dem gemeindlich-volkstümlichen Überzeugungspool wegzudenken, wohl aber neueren Versuchen einer Bedeutungserschließung zuzuführen.

Sehr einprägsam weiß übrigens das zweite Kapitel der lukanischen Apostelgeschichte zu verbildlichen, wie solche Trauerarbeit funktioniert und wohin sie führen kann. In mehreren aufeinander aufbauenden Episoden findet man erzählt, dass eine nach der „Himmelfahrt Christi“ sich selbst überlassene Schar im Modus des Redens „in allen Zungen von Gottes Taten“ einen neuen Weg fand, nämlich: Begeisterung zu entfachen und zu empfinden, um voller Hingabe an den vermeintlichen Urgrund dieser Begeisterung mit der Entwicklung von (Über-)Lebensstrategien und Lebensregeln zu beginnen. Es ging dabei um teils verunsicherte, teils mutig entschlossene, teils zuversichtlich gestimmte Menschen, die nicht länger bereit waren, sich verzweifelnd zu grämen, sondern nunmehr willens, im Namen Jesu Christi eine Gemeinschaft im Geiste zu bilden, die unter der Signatur einer frohen Botschaft bzw. einer geglaubten Verheißung vergnügt existieren und fortbestehen konnte: Nach herzergreifenden Predigtworten des Petrus (Apg 2,14–36), so die musterartige Erzählung, habe sich eine Horde von Menschen taufen lassen „auf den Namen Jesu Christi“ (Apg 2, 38.41), um einer erretteten Schar „hinzugetan“ zu sein; in dieser Konstellation blieben sie beieinander „beständig in der Apostel Lehre und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet“ (Apg 2,42), sie teilten aus, sobald jemand in Not war (Apg 2,45). So weit, so gut. Gern möchte man dieser Miniatur entnehmen, dass die Trauerarbeit der Christen eines schönen Tages ihr versöhntes Ende in einer großartigen Gemeinde hat finden dürfen. Freilich macht – neben der konsensfähigen Datierung der bislang herangezogenen Texte auf die letzten Jahrzehnte des 1. Jahrhunderts – gerade die im Wissenschaftsbetrieb weitestgehend einvernehmliche Klassifizierung besagter Texte eben als Erzählungen jeder verein17 Vgl. insgesamt Frey/Schröter, Deutungen des Todes Jesu.

Tour 2:  Historische Epochen, Perioden und Episoden.  

fachten „genau so hat es sich zugetragen“-Lesart den fälligen Strich durch die Rechnung:18 Gab es die in Apg 2 beschworene Gemeinde jemals? Nun, letztendlich bleibt hinsichtlich aller angeführten Perikopen – eben auch jener, die der missverständlich als Geschichtswerk bezeichneten lukanischen Textsammlung zugehörig sind – zu berücksichtigen, dass keineswegs mit dem Anspruch aufgetreten wird, reine Tatsachenbestände historisch zu archivieren oder vollständige Geschichtssequenzen chronologisch zu verbürgen;19 eher schon wird, wie sinngemäß Lk 1,3–4 zu entnehmen ist, der Anspruch erhoben, über die besondere Weise einer aus späterer theologischer Aufarbeitungsperspektive verantworteten Glaubensbezeugung eben eine ordentliche Glaubensbildung und -gestaltung vorzunehmen. Insofern bleibt das Augenmerk darauf zu richten, wie mit der Präsentation des sog. Musterkataloges weniger die sachlich-deskriptive Dokumentation einer tatsächlich gängigen Praxis erster Christengemeinden geleistet als vielmehr theologisch-schriftstellerisch ein Präzedenzfall inszeniert wird, der mit dem Anspruch eines programmatischen Entwurfs zu stehen kommt. Der Clou ist also ein anderer. Denn selbst wenn sich das berühmte erste Summar der Apostelgeschichte20 an Zuständen orientiert haben mag, die im Verlauf der ersten willkürlichen Gemeindebildungen registriert werden konnten, stellt es sich doch als eine mit Zielvorstellungen gesättigte Komposition auf, die quasi ein perfektes Modell für bestehende und bevorstehende Zeiten projiziert – und richtungsweisend die Idealgestalt christlicher (Gemeinde-)Praxis beschreibt. Deren besonderer Charakter erschließt sich nun über die innere Logik der kunstvoll verdichteten bzw. narrativ entwickelten Prototypologie von Apg 2,42f. und lässt sich über ein System mit vier Praxisrubriken anschaulich machen, die offenbar als wesenstragend und grundkonstitutiv erachtet wurden. Etwas detaillierter, gleichwohl auch geringfügig salopper formuliert geht es

18 Vgl. Marguerat, Daniel (2011). Lukas, der erste christliche Historiker. Eine Studie zur Apostelgeschichte. Zürich: TVZ, 210 u.ö. 19 Vgl. Frey, Jörg (2009). Fragen um Lukas als Historiker und den historiographischen Charakter der Apostelgeschichte. Eine thematische Annäherung. In: Frey, Jörg/Rothschild, Clare K./Schröter, Jens (Hrsg.) Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie. Berlin: De Gruyter, 1–26. 20 Es gibt derer drei, nämlich Apg 2,42–47; 4,32–37; 5,12–16.

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a) um den Transfer amtlicher (Glaubens-)Überzeugungen bzw. apostolisch verbürgten und gesicherten Wissens, also um Predigt und Lehre, Zeugnis und Mitteilung, b) um die Pflege bestimmter kultischer Veranstaltungen und Gebetshandlungen in Haus und Tempel sowie um die Einhaltung bestimmter festgelegter Rituale wie Taufe und Brotbrechen, c) um die Wahrnehmung eines Spezialauftrages, der sich in sozialdiakonischen Aktivitäten wie Mittelverteilung und Bedürftigenversorgung zum Ausdruck bringt, sowie d) um eine wohl gegliederte Gemeinschaft, die nicht allein die genannten Aufgaben pragmatisch zu orchestrieren, sondern die Verbundenheit der Geretteten (Apg 2,47) zu versinnbildlichen und sich mit deutlichem Bekenntnishinweis auf ihren Herkunftsgrund als Gemeinde Jesu Christi eine organisierte Gestalt zu geben hatte Offenbar war es nicht sonderlich schwierig gewesen, Basismaterial und Argumente für diesen praxistheoretisch prononcierten Idealtypus zu finden; er speiste sich quasi aus einem idealisierten Vermächtnis des (längst) Verstorbenen, den Resterinnerungen der trauerarbeitenden Hinterbliebenen sowie den Deutungs- und Lebensgestaltungsversuchen von ein bis zwei Nachfolgegenerationen begeisterter Anhängerinnen und Anhänger. Näher konturiert und gesättigt wurde die Komposition (erstens) mit Elementen aus dem Traditionspool der jüdischen Religion, in der Jesus beheimatet und mit deren Vorgaben er offensichtlich teils akzeptierend, teils modifizierend und radikalisierend umgegangen war, (zweitens) mit den ersten theologischen Reflexen, die sich im Modus der oben benannten Verlustverarbeitung einstellen mussten sowie (drittens) mit ausgewerteten Beobachtungen jener Theorie- und Praxismodule, die sich in bereits gebildeten, partiell freilich auch auf neuen kulturellen Nährböden21 angesiedelten Gemeinden eingespielt hatten. Das Resultat des kunstvollen Arrangements, nämlich die Illustration einer perfekt funktionierenden religiös begründeten Solidargemeinschaft, hat durchaus komplexe Qualitäten; genauer betrachtet ist es eine frühe Wesens- und 21 Strecker, Georg (1995). Theologie des Neuen Testaments. Bearbeitet, ergänzt und hg. v. Friedrich Wilhelm Horn. Berlin/New York: De Gruyter, 310 f., erläutert diesbezüglich den gängigen Begriff „hellenistische Gemeinde“ als „Christentum der nichtpalästinischen, paganen Umwelt der ersten christlichen Generation“.

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Sollbestimmung christlicher Praxis mit konstitutiven Parametern. Diese Parameter, hier systematisch in vier Rubriken veranschaulicht, waren geradezu als kategorisch-normative Muster implementiert, die die legitimen Entfaltungsund Gestaltungsräume der individuellen Christenmenschenpraxis sowie der kollektiven Gemeindepraxis bestellen konnten. Die idealisierenden lukanischen Summarien und ihre theologischen Rückkoppelungen haben sich hinsichtlich ihres normativen und definitorischen Potentials behaupten können, zumindest indirekt: Bis in die Gegenwart erstreckt sich der Versuch, das gesamte Volumen christlicher und kirchlicher Praktiken, Leistungen, Dienste, Riten und Zeremonien im Spannungsfeld der maßgeblichen Grundmomente Martyria, Leiturgia (plus Eucharistia), Koinonia und Diakonia zu entfalten, und die Sachähnlichkeit der dabei verwendeten Fachtermini – μαρτυρία (Zeugendienst), λειτουργία (Zeremonien- bzw. Gottesdienst), ευχαριστία (Eucharistie), διακονία (Liebesdienst) und κοινωνία (Gemeinschaftsdienst) – mit den Praxisrubriken von Apg 2,42f. ist gewiss kein Zufall. Übrigens finden diese Begriffe v. a. in der katholischen Pastoraltheologie Verwendung, und zwar für die sogenannten Grundvollzüge der Kirche bzw. jene Felder christlicher Praxis, die für die Kirche konstitutiv sind.22

Dürfen also die knapp gefassten Schlusspointen der episodisch gestaffelten Erzählung(en) von Apg 2 aufgefasst werden wie ein narrativ codierter Modellentwurf, der wiederum als Vorstufe einer Praktischen Theologie in Betracht kommen könnte? Zumindest lässt sich doch mit der These arbeiten, dass es zur späten Abfassungszeit der Apostelgeschichte ganz augenscheinlich (erstens) eine nicht ganz willkürliche, sondern bereits eingepflegte und sozialformatierte, anteilig legitimierte Praxis gab, die (zweitens) angeschaut und (mit-)geteilt, sozusagen im Modus der Partizipation besichtigt werden konnte und offenbar (drittens) vor dem Hintergrund eines theologisch reflektierten Systems von Deutungen und Lehren weiter gestaltet, normiert und standardisiert werden sollte. Prinzipiell scheint diese These, zumal und solange sie weitestgehend im Konjunktiv aufgestellt ist, unangreifbar zu sein; gleichwohl wird ihre finale Konkretisierung von einigen Detailerwägungen und -entscheidungen abhängig bleiben: Ganz allgemein wäre etwa zu erörtern, mit welchem Recht und 22 Vgl. Prüller-Jagenteufel, Veronika (2005). Grundvollzüge der Kirche. In: Aigner, Maria Elisabeth/Findl-Ludescher, Anna/Prüller-Jagenteufel, Veronika (Hrsg.) Grundbegriffe der Pastoraltheologie. München: Don Bosco Verlag, 99–100.

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mit welchen Argumenten aus dem beobachteten Gestaltungspotential einer narrativen Idealtypisierung überhaupt die genaueren Gestaltungsabsichten der erzählenden Person(en) hergeleitet werden können. Und selbst wenn sich auf der Grundlage eingehender Auseinandersetzungen mit Textpassagen und Kontexten nicht nur besagte Gestaltungsabsichten, sondern weiterführend gar noch Gestaltungskriterien begründet herausstellen lassen, bliebe anknüpfend zu hinterfragen, worauf nun die ganze literarische Veranstaltung des Apostelgeschichten-Verfassers letzten Endes hinauslaufen sollte, oder auch: wie überhaupt sein Gestaltungsziel zu beschreiben und zu vermessen wäre. Kurzum, war Apg 2,42f. als Praxis-Musterkatalog vielleicht angelegt auf eine theologisch plausible Verbesserung und Vereinheitlichung von Praktiken und Abläufen in unterschiedlichen Gemeinden? Oder bezog sich Apg 2,42f. als Prototyp-Miniatur bildlich schon auf eine Art universale Großgemeinde, strukturell einheitlich durchorganisiert, ein Gebilde also ähnlich der späteren Kirche? Und in welchem Verhältnis steht eigentlich Apg 2,42f. als zukunftsweisende Listung von konstitutiven Basismanövern und Grundverrichtungen zu denjenigen Tätigkeitsfeldern und Aufgabenbereichen, die sich bis dato bereits partiell etabliert und sozialformatiert hatten, womöglich auch schon organisatorisch, inhaltlich und funktional ausdifferenziert waren? Herkömmlich wird an dieser Stelle gern ein kontrolliertes Vokabular geltend gemacht, das auf eine Profilierung der Dienste und Ämter im Ur- und Frühchristentum, in Schlussfolgen mitunter ausgelobt als Vorformen gegenwärtiger Amtsstrukturen, abzielt;23 dann werden etwa die „kirchlichen Ämter bei Paulus“ traditionell als „Ämter der Wortverkündigung: Apostel-Profeten-Lehrer“24 sowie als „Dienste der Gemeindeleitung: Episkope und Diakone“25 entfaltet. Freilich bleibt es doch in gewisser Weise problematisch, wenn man die in den urchristlichen Schriften bezeugten Anfänge einer geregelten Praxis nicht allein über eine begründete Sortierung von Tätigkeitsbereichen und Praxisfeldern erfasst, sondern mit einem zementierten Amtsverständnis assoziiert: Die Erklärung etwa, dass ein „Amt […] dann vor[liegt], wenn eine für Bestand und Aufbau erforderliche Funktion durch einen festen Personenkreis mit einer 23 Vgl. Dassmann, Ernst (1994). Ämter und Dienste in den frühchristlichen Gemeinden. Bonn: Borengässer. 24 Roloff, Jürgen (1993). Die Kirche im Neuen Testament. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 139 ff. 25 A.a.O., 142 ff.

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gewissen Konstanz ausgeübt wird“26, entbehrt eigentlich noch einer genaueren definitorischen Präzisierung dessen, was der Amtsbegriff besagen will. Es waren einige umfassende Studien zur Entwicklung von Gemeindestrukturen und -funktionen im Neuen Testament, die zu einer angenehmen Erhellung der Sachlage geführt haben.27 Mit guten Argumenten wurde z. B. vorgetragen, ▶▶ dass die Sozialstruktur des früh für Versammlungen beanspruchten Hauses aufgrund der gemeinantiken Bedeutsamkeit des Hausfamilienvaters (pater familias) eine bedeutende Rolle bei der Herausbildung eines Hausgemeindeleiters mit Aufsichtsfunktionen28 (episkopos) gespielt hat – wobei diese episkopoi als Patrone der Versammlungsorte für die materielle Unterstützung und öffentlich-rechtliche Vertretung der je versammelten Gemeinschaft aufkamen und sich darin den diakonoi kollegial zugeordnet verhielten, ▶▶ dass eine Engführung des neutestamentlich zentralen diakonos-Begriffs auf niedere Dienste und sozialkaritative Tätigkeiten nicht zulässig ist, einer Verringerung seines Bedeutungshorizonts gleichkommt und mit einer unsachgemäßen Einschätzung frühchristlicher Gemeindefunktionen korrespondiert – zumal Paulus diesen Terminus nicht auf festgelegte Amtsvorstellungen gemünzt, sondern (wie auch apostolos) auf alle Verkündigungsbeauftragten bezogen,29 fernerhin sämtliche Aufgaben in der Gemeinde als unterschiedliche Dienstleistungen unter der Herrschaft Christi (1Kor 12,5) ausgewiesen habe, ▶▶ dass in den Anfängen die „Konzeption des apostolos nicht auf eine Institutionalisierung […] angelegt“30 sein wollte, denn solange ein baldiges 26 A.a.O., 139. 27 Hentschel, Anni (2007). Diakonia im Neuen Testament. Studien zur Semantik unter besonderer Berücksichtigung der Rolle von Frauen. Tübingen: Mohr Siebeck; Dies. (2013). Gemeinde, Ämter, Dienste. Perspektiven zur neutestamentlichen Ekklesiologie. Neukirchen-Vluyn: Vandenhoeck & Ruprecht; Wagner, Jochen (2011). Die Anfänge des Amtes in der Kirche. Presbyter und Episkopen in der frühchristlichen Literatur. Tübingen: A. Francke; Gerber, Christine (2012). Paulus, Apostolat und Autorität, oder: Vom Lesen fremder Briefe. Theologische Studien 6. Zürich: TVZ; Eisen, Ute Eva (1996). Amtsträgerinnen im frühen Christentum. Epigraphische und literarische Studien. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 28 Vgl. Wagner, Die Anfänge des Amtes, 77. 29 Vgl. Hentschel, Gemeinde, Ämter, Dienste, 83. 30 Gerber, Paulus, Apostolat und Autorität, 51.

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Zeitenende erwartet wurde, waren natürlich alle besonderen Nachfolgeregelungen ebenso wenig erforderlich wie sonstige gründliche Funktionsverstetigungen, ▶▶ und dass der Titel presbyteros – alldieweil sich (erstens) in der Umwelt des frühen Urchristentums pagane Presbyter-Konzeptionen aufzeigen lassen, die mit kultischen Angelegenheiten in Verbindung standen, und (zweitens) die Bezeichnung in der Welt des Judentums als kollektive Bezeichnung für Menschen in Leitungsfunktionen jeglicher Art zu stehen kam31 – zunächst unspezifisch für begrenzt entscheidungstragende Menschen eingepflegt worden ist, diese Verwendung jedoch fortschreitend einen trennschärferen Abgleich von presbyteroi und episkopoi erzwungen hat.32 Eine Konsequenz, die sich aus solch nuancierten Perspektivenverschiebungen ergibt, besteht in einer vorläufigen Suspendierung des starken, aber eben auch belasteten Begriffspaares Dienste und Ämter, und zwar zugunsten einer sensibleren Aufgliederung dessen, was sich aus der Quellenlage ergibt. Wer nun die christliche Literatur des ersten Jahrhunderts studiert, um Ausschau zu halten nach allen dort skizzierten Basismanövern, Grundverrichtungen und Hauptaufgaben, die für eine Beschreibung und theologische Erschließung der frühen Christentumspraxis infrage kommen, wird zwar ordentlich verwertbare Datensätze erhalten, aber bei der Auswertung des erhobenen Befunds gewisse Sortierungen und gestaffelte Graduierungen vornehmen müssen: Das gesamte Erhebungsverfahren lässt sich als konsequentes Abschreiten kleinerer Ermittlungsschritte anschaulich machen, oder, erheblich vereinfacht ausgedrückt, als sukzessive Beantwortung des folgenden, formelähnlichen Leitfragenkatalogs: (1.) Welche Handlungen, Riten, Gebräuche, Regelwerke (usw.) lassen sich der Religionspraxis von Christinnen und Christen der Region (______) in den (___)er Jahren des (__) Jahrhunderts zuordnen?33 (2.) Welche Teile dieser Religionspraxis wurden von 31 Vgl. Wagner, Die Anfänge des Amtes, 65 f. 32 Trafen sich womöglich die Episkopoi als einzelne Hausgemeindeleiter in einem Gremium der Presbyteroi, und hat sich vielleicht dessen gewählte Leitungsfigur als Episkopos derart neu bestimmt, dass jeder Hausgemeindeleiter letztlich zum Presbyteros, der Ortsgemeindeleiter aber zum Episkopos wurde? Zumindest könnte sich so erklären lassen, wie es allmählich zum römischen Monepiskopat kam; vgl. insgesamt Wagner, Die Anfänge des Amtes. 33 Die als Platzhalter verwendeten Zeichen (____) müssen im Falle einer konkreten Forschungsabsicht ausgefüllt werden, damit die Frage einen Sinn bekommt, etwa so: Welche

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einer gesonderten Einzelperson oder einer besonderen Personengruppe moderiert, begleitet, gestaltet, verantwortet, geregelt (usw.)? Wie und wodurch wurden Autorität und Kompetenz dieser Person(en) begründet und erklärt? (3.) Wie dicht und nachhaltig waren einerseits die genannten religionspraktischen Vollzüge, andererseits ihre Moderations- und Gestaltungsprozesse? Blieben diese Vollzüge einschließlich ihrer Moderation und Gestaltung gesichert, wenn besagte Autoritäten und Kompetenzen nicht mehr gewährleistet waren? War die erforderliche Moderations- und Gestaltungsleistung an konkrete Personen gekoppelt, oder konnte sie womöglich auf eine Schablone gezogen und gewissermaßen personenunabhängig tradiert werden?

Die Ergebnisse würden sich auf drei Ebenen auswerten, entfalten und zur kritischen Darstellung bringen lassen: Auf einer ersten Ebene könnten z. B. alle Aktivitäten, Tätigkeiten, Handlungen zusammengestellt (und u. a. regional subdifferenziert) werden, die nachweislich bis zum Ende des ersten Jahrhunderts von Christinnen und Christen verübt worden sind, und zwar sowohl in familiären Kontexten als auch auf öffentlichen Foren, sowohl in explizit religiös-kultischer als auch in sittlich-moralischer Hinsicht. Auf einer zweiten Ebene wäre dann zu bemerken, inwieweit diese Vielfalt zu orchestrieren und zu korrigieren war, nämlich von Personen, die mit bestimmten Zuständigkeitsansprüchen für gewisse Sektoren aufgetreten sein müssen und dort eine geklärte Funktion innegehabt haben. Besonders interessant ist dabei natürlich die Art und Weise, wie einerseits die letztinstanzliche Verbindlichkeit von Regelungskommentaren und Gestaltungsvorschriften, andererseits die Autorität des konkret installierten Personals begründet wird. Im Falle des Paulus – um ihn endlich in Augenschein zu nehmen – mag es so gewesen sein, dass er sich in seiner Argumentation auf eine theologisch überarbeitete Botenkonzeption kapriziert hat, wonach eben der Gesandte legitimiert ist durch die Macht der Instanz, die ihn zur Botschaftsverkündung entsendet: Auf einem hohen theologischen Level wären somit die Apostel Christi Variationen der Engel Gottes, dies jedoch nur bezogen auf die Verkündigung einer Botschaft, keineswegs im Sinne einer womöglich vollständigen und zeitlosen Bevollmächtigung der Entsandten. Was Paulus seinen Gemeinden als Apostel Christi zu sagen hatte, war nicht per se Handlungen, Riten, Gebräuche, Regelwerke (usw.) lassen sich der Religionspraxis von Christinnen und Christen der Region Kleinasien: Galatia in den 60er Jahren des 1. Jahrhunderts zuordnen? (Wie präzise sich diese Frage beantworten lässt, muss hier nicht diskutiert werden.) Natürlich kann man sowohl die Region als auch die Zeitspanne vergrößern. Oder verkleinern, je nachdem.

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oder qua Amt gültig, sondern musste sich im Modus eines wechselwirkenden Vollzugs bewähren; seine apostolische Gemeindeleitung beruhte nicht auf einem autoritär-hierarchischen Prinzip, sondern zeigte sich als hartnäckige Brautwerbung und Beziehungsarbeit.34 Dass sich dennoch allmählich die Vorstellung eines sukzessiv vermittelbaren Apostolats – nach 1Tim 4,14 und 2Tim 1,6 soll Paulus seine Apostelschüler durch Handauflegung in die Nachfolge gestellt haben – einspielt, steht ebenso auf einem anderen Blatt wie die eigentümlichen Kompetenzlistungen geeigneter Episkopen. Diese nämlich sind „unsträflich, eines Weibes Mann, nüchtern, mäßig, sittig, gastfrei, lehrhaft, keine Weinsäufer, keine Raufbolde, nicht unehrlich, sondern gelinde, nicht zänkisch, nicht geizig, steh en dem eigenen Hause wohl vor und haben gehorsame Kinder mit aller Ehrbarkeit.“ (1Tim 3,2–4).

Und die dritte Ebene? Nun, hier gilt es wohl zu reflektieren, wie sich die Organisation der religiösen Praxis allmählich zu einer Administration der religiös Praktizierenden entwickelt hat, indem Tätigkeiten zu Gewohnheiten, Zuständigkeiten zu Berufstätigkeiten und Gemeinden Christi zu pastoralen Verwaltungsbezirken verstetigt wurden: Im gleichen Maße, wie die begnadeten echten Apostel Christi (1Kor 15,8–10) zunehmend mit den angesehenen falschen Superaposteln (2Kor 10–13) konkurrieren mussten, wurden Personen durch Rollen ersetzt, sodass es letzten Endes fast schon wie eine Formel klingt, wenn es heißt: „Er hat etliche zu Aposteln gesetzt, etliche aber zu Propheten, etliche zu Evangelisten, etliche zu Hirten und Lehrern“ (Eph 4,11). Insbesondere der Begriff des Hirten verdient nun Beachtung. Denn obwohl sich allerlei Tätigkeiten aufzählen lassen, die weiterhin der organisierten Christentumspraxis als Begabungsausübung (etwa im Sinne von 1Kor 12,28) zugutekommen sollten bzw. der alltagspraktischen Lebensführung von Christinnen und Christen in religiöser und ethischer Hinsicht (1Thess 4) abverlangt werden konnten, war nicht zu übersehen, wie mit der fortschreitenden Etablierung des Christentums im spätantiken Kulturraum neue Aufgaben und Herausforderungen anstanden: Die Hoffnung der ersten Generationen auf eine zeitnahe Wiederkehr Christi, verbunden mit der Vorstellung, dass das Weltenende bevorsteht und der letzte aller Tage bald eingeläutet werden würde, hatte sich allmählich zerschlagen, das Leben der Christinnen und Christen verstetigte sich in wiederkehrenden Rhythmen und wachsenden Strukturen. Die auf eine begrenzte Zeit angelegten, frei gestalteten Gemeinden des Auferstandenen 34 Vgl. Gerber, Paulus, Apostolat und Autorität, 55.

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wandelten sich zu religiösen Gemeinschaften, die auf Dauer und Expansion konzipiert waren, sich daher mehr und mehr in der hellenistisch-synkretistischen Welt behaupten mussten. Man stand vor der Aufgabe, quasi intern einen treffenden Glaubenskonsens der christlichen Gemeinden zu finden, was die Inhalte und Praktiken anbelangt; dieser Konsens war dann extern geltend zu machen: Schließlich galt es doch, sich zur Wehr zu setzen gegen allerlei fremde Meinungen, Lehren, Praktiken und Lebensweisen, die als Bedrohung von Seelenheil und Seelenfrieden empfunden werden konnten. In einem mit Mysterienschulen, Opferkulten, orientalischen Sekten, obskuren Initiationsriten und geheimnisvollen Priestergestalten völlig übersättigten religionskulturellen Kontext war die Selbstbehauptung der christlichen Gemeinschaften nur über qualifizierte Lehrende und versierte Zeremonienmeister zu gewährleisten, die als höchstinstanzlich autorisierte Personen gegen Zauberei und Aberglaube vorzugehen und sogenannte Irrlehren nebst vielfältiger Missbrauchspraxis angemessen zu verurteilen wussten. Das stärkste Argument, das sich für die Autorität und das exklusive Selbstverständnis dieses Personals anführen lassen konnte, wollte freilich nicht nur in den religionskulturellen Konkurrenzsituationen, sondern auch in internen Machtdebatten greifen; es erschloss sich in der Vorstellung von apostolischer Tradition und Sukzession: Wer sich öffentlich für die christliche Religion und ihren Wahrheitsanspruch, zudem noch innerhalb des christlichen Geschäftsbetriebs gegenüber womöglich Gleichgestellten für die eigene exponierte Position zu rechtfertigen hatte, tat gut daran, sich in einem zunehmend hierarchisch sortierten System als ein legitimer geistlicher Nachfolger des Gottessohnes bzw. als ein legitimierter geistiger Nachfahre des christlichen Religionsstifters auszuweisen. Größtes Gewicht erhielt so das Wort einer eben apostolisch anerkannten Person, deren Autorität in Lehr- und Kultusangelegenheiten (damit) außer Frage stand, die aber darüber hinausgreifend noch berechtigt war, die Verantwortung für das Seelenheil aller Anvertrauten zu übernehmen. Die Konsequenzen und Begleitumstände waren gleichwohl gravierend. Letzten Endes lief alles darauf hinaus, dass die Religions- und Glaubenspraxis in den Gemeinden nicht mehr über einen implizierten Kompetenz- und Gnadenbegriff – die bestimmte Aufgabe kommt dem Menschen zu, der über eine entsprechende Gabe verfügt – geregelt, sondern einer rollentragenden Einzelgestalt überantwortet wurde, die in der gesamtkirchlichen Hierarchie eine gewisse Stellung innehatte und vor Ort als Patron (s.o.: Episkopos) über allem stand. Quasi in Funktionsunion von Priestertum, Schriftgelehrtheit und Sittenwacht

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besaß diese variierte Episkoposfigur als Bischof die Hoheit über sakrale Vorgänge, theologisch-dogmatische Lehrentscheidungen, alltagspraktische Angelegenheiten und organisatorische Grundfragen – und verkörperte so die situativ höchstmögliche Potenz von Autorität. Das „Priesteramt war das Bischofsamt und das Bischofsamt war das Priesteramt“35, metaphorisch präzisiert als Amt eines Hirten (lateinisch: Pastor); in dessen Zuständigkeit fiel alsbald alles, was bislang als christliche Praxis eingeübt worden war, sich nunmehr jedoch – z.T. unter Zuhilfenahme geeigneter oder angepasster biblischer Belegstellen – zu einer gottgewollten kirchlichen Praxis entwickeln und gestalten lassen sollte.36 Speziell die letzte Beobachtung könnte Anlass zu der Rückfrage geben, ob sich in dem skizzierten Kontext eine nächste Vorstufe jener Praktischen Theologie ausmachen lässt, die aus der Schau auf die bestehende religiöse Praxis, der Rückschau auf die Basiskriterien und die Vorausschau auf zukünftige Zielsetzungen allerlei Verfahrensschritte und Anregungen herleitet, um diese Praxis sodann theologisch verantwortet (neu) zu gestalten. Eine Antwort freilich muss eher zurückhaltend ausfallen; immerhin verstand sich doch die favorisierte kirchliche Praxis recht unmissverständlich als eine pastoral choreographierte Hirtenpraxis für und an christlichen Schäflein. Da es galt, die vielfältig-eigenständige Religionspraxis der Glaubenden über ein hierarchisch geregeltes Steuerungs- und Betreuungsverhältnis einzuholen, konzentrierte sich der theoretische Fokus im Wesentlichen auf die Amtspraxis der Hirten, sprich: auf jenen Betrieb, für den Regeln aufgestellt, fernerhin allerlei inhaltliche wie rechtliche, logistische wie methodische Überlegungen angestrengt werden konnten. Und genau diese theologische Theoretisierung des kirchlichen Hirtenbetriebs ist es nun, die in Anlehnung an das lateinische Wort Pastor treffend Pastoraltheologie genannt wird. Eine Vorläuferin der Praktischen Theologie, wie sie gegenwärtig verstanden wird, ist sie nur in historischer, nicht in sachlicher Hinsicht; obwohl sie weiterhin innerhalb der Praktischen Theologie als ein wichtiges Modul entfaltet und reflektiert wird, ist sie mit einer Praktischen Theologie heutiger Tage keineswegs identisch.

35 Fendt, Grundriß der Praktischen Theologie, 12. 36 Vgl. ebd.

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Drei Werke, die in Summe als grundlegende pastoraltheologische Trilogie der Spätantike37 bzw. der sogenannten Kirchenväterzeit38 klassifiziert worden sind, werfen ein erhellendes Licht auf jene Problemhorizonte, die sich über einem immer machtvoller ausgestatteten Hirtenamt aufspannten. So schilderte etwa in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts Gregor von Nazianz (~329–390), wie ihn innere Kämpfe angesichts einer bevorstehenden Priesterweihe umtrieben, und welche Nöte und Bedenken ihn vorübergehend zu einer Flucht bewegt hatten; voller Scham erklärte er in seiner Rede „(oratio) de fuga (sua)“39 (περι φυγης, ca. 362), dass er nicht zu jener Masse von Priestern gehören mochte, die sich mit unsauberen Händen und ungereinigter Seele um den heiligen Tisch drängen, um damit allein ihren Lebensunterhalt zu sichern. Ihn als womöglich zukünftigen Hirten erwarte ja kein gewöhnlicher Beruf, der vergleichbar sein könnte mit der Verrichtung, eine Herde Schafe oder Rinder zu hüten, sondern vielmehr der heilige Dienst und die würdevolle Aufgabe, Seelen zu leiten. Als ein um das Menschenheil ringender Arzt müsse er sich also betragen und die göttliche Lehre als Einrichtung zur Heilung verkündigen, dabei für höchst unterschiedlich begabte Menschen in einer vielseitig ausgestatteten Seelenschar stets das erbaulich-erleuchtende, schlichtende und erlösende Wort finden. Von einer eigenen Nutznießung sei vollständig Abstand zu nehmen, zumal es um das Gesetz Christi und das Wohl der Menschen gehe. Gregors „Flucht“ hatte mit einem anspruchsvollen Priesterbild aufgewartet, das die biblisch-theologischen Grundvoraussetzungen und die christlich-ethischen Konsequenzen eines jeden Amtsträgers betonen wollte; zentriert wurde eine hinsichtlich ihrer Tugend und Gottesnähe vorbildliche, nahezu überragende Gestalt, die als Leitbild dienen und der Bereinigung kirchlich-hierarchischer 37 Vgl. Krause, Jens-Uwe (2013). Die Spätantike (284 bis 565 n. Chr.). In: Gehrke, Hans-Joachim/Schneider, Helmuth (Hrsg.) Geschichte der Antike. Ein Studienbuch. 4.  Aufl. Stuttgart u. a.: Metzler, 429 ff. 38 Vgl. Leppin, Hartmut (2000). Die Kirchenväter und ihre Zeit. Becksche Reihe 2141. München: Beck. 39 Nazianz, Gregor von (1928). Des heiligen Bischofs Gregor von Nazianz Reden. Aus dem Griechischen übers. und mit Einl. und Anmerkungen versehen von Philipp Haeuser (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, 59) Kempten; München: J. Kösel/F. Pustet, hier: II. Rede; vgl. ferner Tloka, Jutta (2005). Griechische Christen – Christliche Griechen. Plausibilisierungsstrategien des antiken Christentums bei Origenes und Johannes Chrysostomus. Tübingen: Mohr Siebeck, 231 f.; Floryszczak, Silke (2005). Die Regula Pastoralis Gregors des Großen. Studien und Texte zu Antike und Christentum 26. Tübingen: Mohr Siebeck, 85 f.

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Apparate und der Behebung klerikaler Missstände zugutekommen sollte. Es war ein anspruchsvolles, aber nicht abwegiges Ziel; drei Jahrzehnte später verfolgte es auch Johannes Chrysostomos (zwischen 344/49–407) mit Leidenschaft in seiner Schrift De sacerdotio40 (περι ιερωσυνης,390), die dem Priestertum zwar den Rang himmlischer Einrichtungen zubilligen, aber zugleich höchste Reinheit abfordern wollte: Der vom Sohne in indirekter, sukzessiv-apostolischer Autorisierung mit voller Binde- und Lösegewalt ausgestattete Priester müsse, als ob er in den Himmeln selbst mitten unter jenen Engelsmächten stünde, als Mittler und Stellvertreter des Höchsten agieren; gewiss sei es sehr ratsam, mindestens über einen hohen Intellekt, einen aufrechten Charakter, eine übermenschliche Tüchtigkeit und eine reichliche Gnadengabe Gottes zu verfügen. Von Machtstreben und eitler Gefallsucht habe er fern zu sein, sein sorgenvolles Amt sei demütig, streng, geduldig, freundlich und beherrscht auszuüben, und zwar in rechter Anwendung des göttlichen Wortes auf allerlei Lebenslagen: Der Besuchsdienst an Kranken und Gesunden, die Vermittlung heilsamer Glaubenswahrheiten, die sorgfältige Verwaltung des kirchlichen Vermögens und das souveräne Regiment über den zugewiesenen geistlichen Bezirk – diese unterschiedlichen Aufgaben gelte es in Gesamtheit zu meistern, sie dienen ja dem großen Ziel einer Hinführung auf das glückselige Leben, welches Christus gewollt und gefordert hat. Die von Gregor und Chrysostomos zur Geltung gebrachten Positionen machten Schule, wurden in den Folgejahrzehnten in zahlreichen pastoraltheologischen Schriften unterschiedlichen Umfangs entfaltet und präzisiert. Zwei Jahrhunderte später war es schließlich der römische Patriarch Gregor der Große (~540–604; ab 590 Papst Gregor I.), der in seinem maßgeblichen Liber regulae pastoralis41 explizit die pastorale Seelenleitung als Kunst der Künste darlegt und 40 Chrysostomus, Johannes (1916). Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus ausgewählte Schriften 4: Kommentar zum Evangelium des hl. Matthäus. Aus dem Griechischen übers. von Joh. Chrysostomus Baur. Bibliothek der Kirchenväter I, 27. Kempten/ München: J. Kösel/F. Pustet; vgl. Tloka, Griechische Christen, 228 ff.; Floryszczak, Die Regula Pastoralis, 86 f. 41 Gregor der Große (1933). Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen ausgewählte Schriften. Bd. 1: Des heiligen Papstes und Kirchenlehrers Gregor des Großen Buch der Pastoralregel. Mit einem Anhang: Zwölf Briefe Gregors des Großen. Hg. u. übers. v. Joseph Funk. Bibliothek der Kirchenväter II, 4. Kempten/München: J. Kösel/F. Pustet; zu den Einleitungsfragen, v. a. zu historischen Gründen und Hintergründen der Entstehung und Gedankenführung der Pastoralegel(n) Gregors vgl. Floryszczak, Die Regula Pastoralis, bes. 70 ff.

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über vier Teilschritte zu einem legislativen Text, einem Regelwerk entfaltet hat: Problematisiert der erste Durchgang die Eignung des Amtsanwärters (Lebens-, Glaubens- und Praxiserfahrenheit; Bereitschaft, in die eigene Tat umzusetzen, was in der Betrachtung erkannt worden ist), so traktiert der zweite Abschnitt das exponierte Leben und die besondere Lebensführung des Seelenhirten (Rechtschaffenheit, Fleiß, Taktgefühl, Großzügigkeit, Fähigkeit zu Anteilnahme, Mitleid und Reue), im dritten, umfangreichsten Teil wird das Lehramt als Mannigfaltigkeit in der Kunst des Predigens (und Ermahnens) erschlossen und dargelegt, wie der Seelsorger, der ein gutes Leben führt, seine Untergebenen lehren und ermahnen muss, auch, in welchem Verhältnis Wort und Tat bei dem Prediger zu stehen haben; ein vierter, kurzer Passus meditiert abschließend, wie der Prediger, nachdem er alles gut verrichtet hat, in sich selbst zurückkehren soll, damit ihn weder sein Leben noch seine Predigt zum Stolz verleite.42 Ein gemeinsamer Nenner der genannten Schriften ist kaum zu übersehen, fokussieren sie doch permanent ein Hirtenamt zwischen Würde und Bürde, dem bei rechter Betrachtung kontinuierlich Respekt zu zollen bleibt. Nicht von ungefähr steht die Angst vor der Last, die Dialektik von Gabe und Aufgabe zur Disposition, wenn in allen drei pastoraltheologischen Grundlagentexten das Motiv der Flucht des Priesteramtsanwärters herangezogen und als literarisch stilisierter Demutstopos verarbeitet wird. Dennoch, es läuft zielgerade auf eine triumphale Veranstaltung hinaus: Zentriert wird die überlegene, imposante Einzelfigur, die durch den Sohn und seine eingesetzten Apostel außergewöhnlich autorisiert, aufgrund besonderer Charismen und Tugenden außergewöhnlich qualifiziert sowie bedingt durch Sukzessionsargument und Priesterweiheritual außergewöhnlich installiert ist. Dieser Hirte fungiert schlussendlich und in höchster Potenz als Stellvertreter Christi; seine und aller anderen Hirten Berufsausübung verhilft der christlichen Religionspraxis langfristig und anhaltend zu ihrer amtskirchlichen Gestalt: zu jener hierarchischen Anstalt nämlich, die sich bald als alleinseligmachende Mittlerin begreifen muss, aus der es kein Entrinnen, und außerhalb derer es kein Heil mehr gibt. Auch keine Christentumspraxis? Keine Christen, welche ihrer Hoffnung und ihrem Schmerz, ihrer Freude und ihrer Trauer, ihrer Sehnsucht und ihrer Anfechtung einen Ausdruck in Worten und Taten verleihen wollen (und können), der außerhalb kirchlicher Ermöglichungsspielräume liegen? 42 Die kursiv gesetzten Textteile orientieren sich z.T. an deutsch übersetzten Passagen der je angesprochenen Regulae-Teile I–IV.

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Diese Problematik, die sich plakativ in dem legendären Votum des Priesters und Bibelwissenschaftlers Alfred Firmin Loisy erschließt, wonach Jesus das Evangelium vom Gottesreich verkündet habe, jedoch die Kirche gekommen sei (Jésus annonçait le royaume, et c'est l'Église qui est venue.43), ist übrigens unlängst von Benedikt XVI. etwas feinfühliger aufgegriffen und umgelenkt worden; er erklärt: „In diesem Wort mag man Ironie sehen, aber doch auch Trauer. Anstelle der großen Erwartung von Gottes eigenem Reich, von der neuen, durch Gott selbst verwandelten Welt, ist etwas ganz Anderes – und wie Armseliges! – gekommen: die Kirche.“44 Mit der Akzentuierung auf Trauer freilich schließt sich ein Kreis, dessen Zeichnung mit einem scheinbar zusammenhanglosen Zitat seinen Anfang nahm. Ist das gestaltete Christentum womöglich ein Resultat jener Trauerarbeit, die auf den Verlust eines Beziehungsobjekts (Hinrichtung Jesu, Ausbleiben der Wiederkunft Christi, gestundeter Beginn des Gottesreiches) folgte – und wodurch es dem Subjekt gelang, sich progressiv abzulösen? Haben sich die vom Tode Ent- oder Getäuschten in ihren christlich-solidarischen Glaubens- und Praxisgemeinschaften organisiert, weil hier die schmerzhafte Ablösung auf eine heilsame Erlösung hingedeutet werden konnte? War die kirchliche Anstalt, die sich in ihrem Selbstverständnis stets zwischen raumzeitlicher Vorläufigkeit, menschlicher Begrenztheit und höchstinstanzlicher Heiligkeit zu positionieren wusste, nicht eine gute Einrichtung, um die unerträgliche Spannung von erhoffter Herrlichkeit und enttäuschter Armseligkeit auszuhalten – zumal sich doch der gewachsene Gedanke von irdischen Stellvertretern des himmlischen Höchsten als vertretbare Übergangs(er)lösung erweisen sollte? Gewiss. Und doch bleibt eben noch jene Frage offen, was das Subjekt anstellt, wenn es von Anstalten und Stellvertretern derart enttäuscht wird, dass sich abermals besagte Trauer einstellt. Wird es ihm gelingen, sich progressiv von einem Beziehungsobjekt zu lösen, das nur indirekt dem Verlust durch Tod anheimgefallen, aber aufgrund zunehmender Bedeutungslosigkeit eben auch leblos geworden ist? Mit welcher Bewältigungspraxis wird das Subjekt reagieren auf Sinn- und Beziehungsverluste jeder Art, wenn sich die traditionellen Spielräume abgenutzt, die pastoral arrangierten Deutungs43 Loisy, Alfred Firmin (1902). L'évangile et l'église. Paris: Picard, 111; zit. nach Geyer, Carl-Friedrich (2010). Wahrheit und Absolutheit des Christentums – Geschichte und Utopie. „L’Evangile et L’Eglise“ von Alfred F. Loisy in Text und Kontext. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 27. 44 Ratzinger, Joseph (Benedikt XVI.) (2007–2012). Jesus von Nazareth. 3 Bände: Bd.  I. Freiburg i. Br.: Herder, 78.

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szenarien verbraucht, die klerikal-hierarchischen Stellvertretungssysteme als unfrei und gewalttätig abgezeichnet haben? Und wird es noch Subjekte finden, denen es ähnlich ergeht? Es bleibt also recht spannend – obwohl (oder weil endlich?) die Betrachtungen zu ersten Anzeichen einer religiösen Praxis, über die irgendwie auch nachgedacht wurde, vorerst abgeschlossen sind. Genügend ist nun dargelegt und berücksichtigt worden, wie sich diese Praxis kulturell-kommunikativ kon­ struieren, sozialformatieren und allmählich institutionell manifestieren konnte; vertiefen, vervollständigen und auf eine Gegenwart hin fortschreiben lassen sich solche Skizzen allemal. Solches geschieht binnentheologisch z. B. über dogmen- bzw. kirchengeschichtliche Rekonstruktionen, systematisch-theologische Präzisierungen und pastoralpraktische Konkretionsbemühungen, die sich dann etwa auf das Wesen der Kirche (Ekklesiologie), die historische Entwicklung von Kirche(n) oder die vielfältigen Optionen von Kirche (etc.) kaprizieren. Doch auch außerhalb dieser disziplinären Sektoren werden wichtige Betrachtungen angestrengt, um sich allerlei Szenarien und Phänomene verständlich zu machen; einige – etwa kultursoziologische, religionspsychologische und erzähltheoretische – Pointen sind ja schon aufgegriffen bzw. angedeutet worden.

Im Folgenden freilich soll der zuletzt kurzzeitig eingeschlagene Spezialpfad nicht weiterverfolgt werden. Sinnbildlich hatte sich der Geschichtsweg des Christentums von Jerusalem gen Rom geschlängelt, hin zu einer katholisch-christlichen Kirche, hin zu einer amtlichen Pastoraltheologie. Aus den Trümmern der alten imperialen Ordnung des römischen Weltreiches hatte sich ein neues, nahezu sakral-sakrosanktes Imperium erhoben, das zwar die traditionelle Feldstandarte S.P.Q.R. gegen das milde signum crucis tauschen konnte, jedoch den Anspruch der Omnipotenz verstärkt geltend machte. Im Zenit der neuen Weltordnung stand also weiterhin die alte Metropole; hier fand die christliche Religionspraxis über Jahrhunderte hinweg ihre symbolische Mitte und ihre Steuerungszentrale, wo starke Regelwerke abgesichert und als harte Rahmen für arg begrenzte Gestaltungsmöglichkeiten bereitgestellt wurden. Aus heutiger Perspektive geurteilt war Rom seiner historischen Mission, die Welt zu einigen, drei- bis viermal nachgekommen: zunächst durch den Einsatz militärischer Macht und präziser Rechts- und Verwaltungsapparate, sodann durch die kontinuierlich betriebene kirchlich-hierarchische Religionsformatierung, schließlich durch die Geltendmachung und Verbreitung seiner Amts- und Verkehrssprache, die sich für weit

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  2.2  „theologica practica“. Eine haltbare Vokabel...

über tausend Jahre als Kunst-, Universal- und Wissenschaftssprache etablieren sollte.45 Es dürfte daher kaum wundern, dass auf der nächsten Etappe der lateinische Ausdruck theologia practica inspiziert wird: eine Wortkombination übrigens, die sich an ihrer sagenhaften Haltbarkeit erfreuen, zugleich freilich über gewaltige Belastungs- und Stressbeschwerden beklagen kann. Nun ja.

2.2  „theologia practica“. Eine extrem haltbare Vokabel im Wechselbad ihrer Verwendungsgeschichte O Stulti, o Sawtheologen.46 Hinweis: Bei der Lektüre der nachfolgenden Darlegungen ist zu beachten, dass sie weniger historisch-chronologisch, mehr systematisch-begriffslogisch angelegt sind. Mit detaillierten Skizzen komplexer geschichtlicher Verstrickungen und Entwicklungen, womöglich gar vor dem Hintergrund eines kirchen-, geistes- und kulturgeschichtlich präzisierten Zeitstrahls, darf nicht gerechnet werden. Gern wird Lesenden daher der Rat erteilt, sich ein, zwei Klassiker (nicht nur) der Kirchen- und Dogmengeschichtsschreibung47 als Lese- oder Blätterstoff an die Seite zu legen und sich je nach Gelegenheit auf einen Ergänzungsblick über (Zeiten und Werke der) Kirchenväter, Scholastiker, Reformatoren, Pietisten, Aufklärer (usw.) einzulassen.48 Empfohlen wird überdies, den Kontakt mit einem griechisch-deutschen 45 Stroh, Wilfried (2006). Latein als Weltsprache. In: Hölkeskamp, Karl-Joachim/Stein-Hölkeskamp, Elke (Hrsg.) Erinnerungsorte der Antike. Die römische Welt. München: C. H. Beck, 185–201; Ders. (2007). Latein ist tot, es lebe Latein! Kleine Geschichte einer großen Sprache. Berlin: List. 46 WA 56, 274,11. 350 (WA = Luther, Martin (1883-2009). Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe). Bde. I-CIX. Weimar: Böhlau (H. Böhlaus Nachfolger). 1. Abteilung: Schriften (WA). Bde. I-LXXIII.) 47 Bellen, Heinz (1995–2003). Grundzüge der Römischen Geschichte. 3 Bände. Darmstadt: Primus Verlag; Beyschlag, Karlmann (1988–1991). Grundriß der Dogmengeschichte. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 48 Z.B. bei: Campenhausen, Hans von (1993). Griechische Kirchenväter. 8. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer; Ders. (1995). Lateinische Kirchenväter. 7. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer; Leinsle, Ulrich G. (1995). Einführung in die scholastische Theologie. Paderborn/München/Wien: Schöningh; Wallmann, Johannes (2005). Der Pietismus. 2. Aufl. Göttingen:

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und einem lateinisch-deutschen Wörterbuch nicht vollends zu scheuen; immerhin gilt zu begreifen, wie sich der lateinisch-imperiale Sprachraum, der ja anfangs viel mit dem griechisch-orientalischen Kulturraum zu tun hatte, allmählich und folgenschwer zu einem westlich-christlich-germanisch-romanischen Mischkosmos auf zwei tragenden Säulen entwickeln konnte, nämlich der Supersprache (Latein) und der Superinstitution (una sancta ecclesia). Gleichwohl, selbst mit dem besten Ergänzungsequipment kann es hin und wieder holprig zugehen, sofern ein unebenes, weites Gelände mit Siebenmeilenstiefeln und überhöhter Geschwindigkeit zu durchqueren ist. Unvermeidbare größere Schritte, Sätze und Zeitsprünge sind einzukalkulieren.

Wer sich anschickt, nach dem Karrierefundament der lateinischen theologia (practica) Ausschau zu halten, sollte in der griechischen Antike beginnen, und zwar dort, wo sich der Begriff Θεολογία bemerkbar machte, gleich in einer doppelten Ausrichtung. Denn während er einerseits – womöglich auch zuallererst – zum Einsatz kam, um die Kultursphäre der poetisch-narrativen Entfaltungen, hymnisch-symbolischen Codierungen und kultisch-rituellen Inszenierungen von Gottesbildern aus einer distanzierten Perspektive zu charakterisieren, begegnet er andererseits – umso anspruchsvoller – auf einem philosophisch ausgelegten Wissenschaftssektor, wo über Superlative wie das höchste Wesen, die letzte Ursache, den ersten Grund oder die größte(n) Idee(n) spekuliert und der Fokus auf metaphysische Konstrukte gelegt wurde. Die Anspannung, der dieses extrem weite Sinn- und Verstehensspektrum letzten Endes ausgesetzt blieb, wurde in allerlei philosophischen Traditionen registriert; denkende Menschen stellten sich verstärkt der Aufgabe, zwischen den starken Bedeutungspolen zu vermitteln bzw. den Verständigungshorizont rational und spirituell so zu erweitern, dass die fabulösen Götter der Mythen mit den theoretisch-spekulativ betrachteten Letztwirklichkeiten mystisch und intellektuell zusammengeschaut werden konnten. Auch Philosophen, die sich entschlossen bekennend und religionspraktizierend dem Christentum zurechneten

Vandenhoeck & Ruprecht; Gericke, Wolfgang (1989). Theologie und Kirche im Zeitalter der Aufklärung (Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen III/2). Berlin: EVA.

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  2.2  „theologica practica“. Eine haltbare Vokabel...

(Clemens von Alexandrien49, Origenes50, Eusebius von Cäsarea51), betrieben in diesem Sinne – der griechische Terminus kann übrigens weder in den neutestamentlichen Schriften noch bei den Apostolischen Vätern so recht nachgewiesen werden – Θεολογία: Allzu verständlich war ihr apologetisches Anliegen,52 das Zeugnis der heiligen Schriften, der christlichen Religionspraxis und der Kirche in Szene zu setzen als jene einzig wahre Lehre, die sich einer Offenbarung des Göttlichen verdankt, heilswirkend auf den Menschen bezieht – und sich auch intellektuell53 mit dem abstrakten Gottesdenken verträgt. Im lateinisch sprechenden und denkenden Westen des römischen Reiches, fernab also von den Hochburgen griechischer Sprach- und Denktraditionen wie Alexandrien, Antiochien oder Konstantinopel, wird dieser grundständigen Herausforderung über Jahrhunderte weiter nachgegangen. Wo es galt, die vollständige Plausibilität (und Überlegenheit) der philosophia christiana54 aufzuzeigen, musste man die Denkaufgabe meistern, die fundamentale christliche Einsicht von der geschichtlichen Selbstmitteilung bzw. Offenbarung Gottes mit jeglicher Gotteslehre (doctrina), aber auch mit der Option vollständiger Gottes(er)kenntnis in Einklang zu bringen. Zudem war zu reflektieren und darzulegen, wie nun theologia in den Spannungsverhältnissen von Lehre und Gewissheit, Spekulation und Inspiration, sittlich-religionspraktischer Lebensführung und betrachtender Weltanschauung sauber systematisch zu bestimmen sei: So konnten feinsinnige Vergleiche von politisch-tugendhaften und beschaulichen 49 Vgl. Wyrwa, Dietmar (1983). Die christliche Platonaneignung in den Stromateis des Clemens von Alexandrien. Berlin u. a.: De Gruyter. 50 Vgl. Küng, Hans (1994). Origenes: Die große Synthese aus antikem und christlichem Geist. In: Ders. (Hrsg.) Große christliche Denker. München: Piper, 45–78. 51 Vgl. etwa Strutwolf, Holger (1998). Kosmologie und Eschatologie im Denken des Euseb von Caesarea. Ein Beitrag zum Verhältnis von Platonismus und Christentum. In: Baumbach, Manuel/Köhler, Helga/Ritter, Adolf Martin (Hrsg.) Μουσοπολος Στεφανος. FS für H. Görgemanns (Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften. N. F., II/102). Heidelberg: C. Winter Universitätsverlag Heidelberg, 360–379. 52 Fiedrowicz, Michael (2006). Apologie im frühen Christentum. Die Kontroverse um den christlichen Wahrheitsanspruch in den ersten Jahrhunderten. 3. Aufl. Paderborn: Schöningh. 53 Vgl. Fürst, Alfons (2007). Christentum als Intellektuellen-Religion. Die Anfänge des Christentums in Alexandria. Stuttgarter Bibelstudien 213. Stuttgart: Anton Hiersemann Verlag. 54 Vgl. hierzu Svensson, Manfred (2009). Theorie und Praxis bei Augustin. Eine Verhältnisbestimmung. Freiburg/München: Karl Alber, 17, Anm. 13.

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Lebensweisen über die Begriffe vita contemplativa und vita activa entfaltet und mittels biblischer Figuren wie Maria und Marta typologisch ausgespannt werden55; ferner wurde mithilfe der Verben frui (genießen) und uti (gebrauchen) jene kategorische Ungleichartigkeit anschaulich gemacht, die sich zwischen der absoluten Glückseligkeit im höchsten Gottesgenusse und dem irdisch-lebenspraktischen, tugendhaft-guten Christenverhalten abzeichnen müsse.56 Letztlich war es die durch Augustinus von Hippo (354–430) vorgenommene Gegenüberstellung von scientia und sapientia, die theologisch richtungsweisend einen Unterschied ausgemacht hat. Der Clou der damit vorbereiteten Differenzierung lag v. a. darin, dass die doctrina – das in der Geschichte erlangte, durch Autorität(en) vermittelte und intellektuell sortierte Glaubenslehrwissen – zwar als vorläufig größtmöglicher Wissenszugewinn anzuerkennen und folgerichtig in Geltung blieb, aber im Kontrast zu einer letzten Gottesschau doch relativiert, beinahe schon zurückgestuft werden musste. Hatte man lange Zeit, ganz auf der Linie des aristotelischen Wissenschaftssystems, Gott als metaphysische Schlusspointe reiner theoria veranschaulichen und für klare Denkoperationen verfügbar erklären können, so wurde nun das Ewige und seine Betrachtung der sapientia – einer strebenden und sehnenden Wissensweise – zugeordnet, allerdings mit der besonderen Einschränkung, dass erst in der allerletzten Gottesschau die vollständige Seligkeit im Heil begriffen werden könne: erst von Angesicht zu Angesicht findet die contemplativa sapientia des menschlichen Geistes zu ihrer Vollendung.57 Freilich galt die Wissensform der scientia für die theologia noch lange nicht als erledigt. Im Gegenteil. Denn (erstens) wollte es ja die Theologie grundsätzlich als schlussfolgerndes Erfahrungswissen mit dem Zeitlichen und der vergänglichen Welt, mit dem Tätigsein und dem tugendhaften Handeln aufnehmen – und sich zudem ganz konkret mit den kontingenten historischen Fakten rund um die Kreuzigung Jesu beschäftigen, ebenso mit den sich anschließenden christlichen Deutungen sowie mit den kirchlichen Glaubenslehren und Lebensregeln. Ergänzend wusste sie sich (zweitens) mit der Aufgabe konfrontiert, die Identität von geschichtlichem Erfahrungswissen, praktizierter Glaubensge55 Nach Lk 10,38–42. Vgl. Svensson, Theorie und Praxis, 214 f. 56 Vgl. Marrou, Henri-Irénée (1958). Augustinus in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Ders. (1995). Augustinus und das Ende der antiken Bildung. 2. Aufl. Paderborn u.a.: Schöningh. 57 Vgl. Kany, Roland (2007). Augustins Trinitätsdenken. Bilanz, Kritik und Weiterführung der modernen Forschung zu „de trinitate“. Tübingen: Mohr Siebeck, 528.

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wissheit und ewiger Weisheitswahrheit intellektuell zu umzäunen (und bspw. die Figur des Christus als zeitlosen Logos in geschichtlicher Menschwerdung zu fokussieren, um ihn als Integral von Weisheit und Wissen bestimmen zu können)58. Schlussendlich (und drittens) war ihr, der Theologie, indirekt ein akademischer Reflex auf die sapientia aufgetragen worden, zumindest dahingehend, dass sie sich auf allerlei merkwürdig emotionale Motivationsschübe für christliche Wissens- und Tatendränge einzulassen hatte: Man war zu zeigen (und zu regeln) bestrebt, wie sich eine genussvolle (frui) Vorfreude auf die ewige Gottesschau als Glückseligkeitshaltung (beatitudo) ausdrücken, aber auch dynamisch und regulierend auf die Aktivitäten und Wertigkeiten im praktischen Christenleben (uti) auswirken müsste.59 Die theologia hatte damit nicht nur neue Konturen gewonnen, sondern war auch – einmal mehr – an einem Scheideweg angelangt. Der dieser besonderen scientia indirekt eingeschriebene Bestimmungsauftrag, sich einerseits empirisch und intellektuell den historischen und philosophisch-spekulativen Vorgaben zuzuwenden, andererseits aber auch auf dem Umweg über die sapientia sehr konzentriert die innigen, inneren Seligkeitssehnsüchte und ihre greifbaren Artikulationen im Tagesgeschäft wahrzunehmen und zu verarbeiten, differenzierte sich aus als eine doppelte Wissens- und Wahrheitssuche: Während auf der monastischen Traditionslinie der Klöster über Jahrhunderte insbesondere der Zugewinn an Weisheit und Seligkeit forciert und über den Weg der lectio divina, einem Vierschritt von lectio, meditatio, oratio und contemplatio angestrebt wurde, zielte die scholastische Methode der gelehrten Weltgeistlichen im Mittelalter – man denke z. B. an die Arbeiten von Petrus Abaelardus60 (1079–1142) oder Petrus Lombardus (1095/1100–1160) – auf theologische Problematisierungen sowie Beweisführungen ab und stellten eine gekonnte Mischung aus Denkakrobatik, Rhetorik und dialektischer Argumentation dar.61

58 Vgl. Kany, Augustins Trinitätsdenken, 524 f. 59 Vgl. insgesamt Svensson, Theorie und Praxis, 13–120. 60 Vgl. Peppermüller, Rolf (1977). Art. Abaelard, Petrus. TRE  1. Berlin/New York: De Gruyter, 7–17. 61 Vgl. Grabmann, Martin (1988). Die Geschichte der scholastischen Methode (1909). Berlin: Akademie-Verlag; Köpf, Ulrich (2004). Art. Scholastik. RGG 7. 4. Aufl. Tübingen: Mohr Siebeck, 949–954; Ders. (2002). Art. Monastische Theologie. RGG 5. 4. Aufl. Tübingen: Mohr Siebeck, 1409 f.

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Zu den nachhaltigsten Symptomen des Bemühens, in der theologia mit dem sichergestellten Wechselverhältnis von sapientia und scientia alle kognitiven, affektiven und konativ-praktischen Dimensionen des Glaubens zusammenzuhalten, gehören Vermittlungsversuche von fides und intellectus. Kann und muss man eigentlich vollends begreifen (können), wonach sich Herz und Seele vertrauensvoll ausstrecken? Ist am Ende der Verstand gar nicht die ultimative Empfangs- und Bearbeitungsstation aller tiefgreifenden Einsichten, wohl aber – und umso deutlicher – die erforderliche Prüfstelle und Kontrollinstanz? Augustinus hatte den Fall bzw. das Gefälle offenbar geklärt, als er in seinem Tractatus in Evangelium Iohannis 40,9 betonte, dass „wir glauben, um zu erkennen, wir erkennen nicht, um zu glauben. Denn was wir dereinst erkennen sollen, hat weder ein Auge gesehen, noch ein Ohr gehört, noch ist es in eines Menschen Herz gekommen“62. Das letzte Ziel allen Seligkeitsstrebens, soviel stand fest, konnte mit den erkennbaren Dingen der vergänglichen Welt nichts zu tun haben, wohl aber war zu registrieren, wie es sich beständig als Dynamis menschlicher Attitüden bemerkbar macht und dem Denken und Handeln „Flügel verleiht“63. Credimus ut cognoscamus, non cognoscamus ut credamus – wie ein Programm hat dieses berühmte Wort Schule gemacht; Anselm von Canterbury (1033/34–1109) etwa hat es hunderte von Jahren aufgegriffen (Credo ut intelligam64), unter den neu akzentuierten Slogan fides quaerens intellectum65 gestellt und wunderbar anschaulich gemacht, wie sich selbst ein hochgebildeter Mönch und kirchenpolitisch versierter Erzbischof danach verzehren kann, wenigstens ansatzweise jene Wahrheit Gottes einzusehen, die das Herz längst glaubt und liebt.66 Gleichwohl ist das eine andere Geschichte.

Im 13. Jahrhundert sollte die Geschichte der theologia einen weiteren Höheund Wendepunkt erreichen. Die Wissenschaftslandschaft, noch vor wenigen 62 Zit. nach: Augustinus, Aurelius (1913–1914). Des heiligen Kirchenvaters Aurelius Augustinus ausgewählte Schriften 4-6: Des heiligen Kirchenvaters Aurelius Augustinus Vorträge über das Evangelium des hl. Johannes / übers. und mit einer Einl. versehen von Thomas Specht. Bibliothek der Kirchenväter I, 8,11,19, Kempten/München: J.Kösel/F. Pustet, 371. 63 Zugegeben: Dies ist eine Redewendung, die in den Zehnerjahren des 21. Jahrhunderts gebräuchlich war, weil ein Getränkehersteller mit diesem Werbeclaim geworben hat. Doch sie passt hier vortrefflich. 64 Canterbury, Anselm von (1984). Proslogion. Lat.-dt. Ausg. Stuttgart/Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, 84 f. 65 A.a.O., 70. 66 Vgl. a. a. O., 82 f.

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Jahrzehnten von den hergebrachten Bildungsanstalten der Dom- und Klosterschulen dominiert, hatte mit dem Aufkommen der Universitäten, v. a. mit der Orientierung an wieder- bzw. neuentdeckten aristotelischen Schriften, Methoden, Kategorien und Systembegriffen ganz neue Konturen bekommen; auch in der scholastischen Gelehrtenwelt war – v. a. durch den Universitätsgelehrten und Bischof Albertus Magnus (ca.1200–1280) – der sogenannte christliche Aristotelismus bald zur Blüte gelangt.67 Jetzt galt es, eine qualitative Bestimmung der theologia bzw. ihres Wissenschaftscharakters vorzunehmen und die Gottesgelehrsamkeit als höhere Fakultät zu installieren und zu etablieren; dazu war einmal mehr zu präzisieren, worin ihr Wesen besteht, was ihr Gegenstand ist – und welche Methode(n) darauf zur Anwendung gelangen soll(en). Als unbestritten galt, dass sie als doctrina christiana auf die (z.T.) übernatürlichen Lehrzeugnisse einer kirchlichen Heilsanstalt und die geschichtlichen Gottesund Heilsoffenbarungen der sacra scriptura gegründet war, als sapientia die spirituell-mystische Seligkeitsschau fokussierte und als scientia speculativa die intellektuelle Sicht auf höchste Entität(en) und letzte Wahrheit(en) beförderte. Doch wie sollte sie sich wissenschaftlich verhalten zu all denjenigen moralischen und religiösen Strebensbemühungen des Humanum, die sich im Ritus, im Frömmigkeitsgebaren und in der sittlich-sozialen Praxis artikulieren konnten? Unter welchen Bedingungen dürfte man sie aufstellen als eine scientia moralis oder scientia practica, die sich einerseits auf die Moralpraxis als (Sichtungs-) Objekt, andererseits als näher zu bestimmendes (Gestaltungs-)Ziel bezieht?68 Und was spräche dagegen, die Theologie dann zu charakterisieren als eine „praktische Wissenschaft, deren Ziel die Caritas ist“?69 Als weitreichend und folgenschwer sollten sich diesbezüglich die Differenzierungen ausmachen, die der hochgebildete Dominikanermönch und Scholastiker Thomas von Aquin (u. a.) in seiner Summa Theologiae vorgelegt hat. Unmissverständlich betont und entfaltet er seine Prämisse, dass die sacra doctrina 67 Honnefelder, Ludger (2012). Albertus Magnus und die kulturelle Wende im 13. Jahrhundert – Perspektiven auf die epochale Bedeutung des großen Philosophen und Theologen. Münster: Aschendorff; Ders. (Hrsg.) (2011): Albertus Magnus und der Ursprung der Universitätsidee. Die Begegnung der Wissenschaftskulturen im 13. Jahrhundert und die Entdeckung des Konzepts der Bildung durch Wissenschaft. Berlin: University Press. 68 Vgl. Möhle, Hannes (1995). Ethik als scientia practica nach Johannes Duns Scotus. Eine philosophische Grundlegung. Münster: Aschendorff. 69 Grabmann, Martin (1933). Die Geschichte der katholischen Theologie seit dem Ausgang der Väterzeit. Freiburg i.B.: Herder, 88 (zit. nach Möhle, Ethik als scientia practica, 18).

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a) sozusagen ihrem Grundwesen nach das höchste (Selbst-)Wissen Gottes, also die letztinstanzliche Weisheit sei und daher sub ratione dei zu entwickeln (= von Gott her zu denken) sei, jedoch, weil sich Gott mit seinem Wissen ja in der Geschichte offenbart, v. a. aber der menschlichen Vernunft anteilig verfügbar gemacht habe, auch b) als jene scientia aufgestellt werden darf, die sich dem Wissen des Höchsten verdankt und folglich geoffenbarte Wahrheiten mit den Prinzipien der natürlichen Vernunft in Einklang bringen könne und müsse. Ziemlich raffiniert, aber auch genial: Theologie ist im eigentlichen und reinsten Sinne das, was Gott von sich selbst weiß und denkt. In zweiter Instanz freilich wird Theologie, weil Gott sich offenbart (und dem Menschen die Vernunft schenkt), zu jener ermöglichten Aufgabe des Menschen, die Gottes(denk)bewegungen anteilig nachzuvollziehen. Genau dieses Hauptgeschäft des Nach-Denkens Gottes sub ratione dei ist es nun, welches die Gelehrsamkeit der sacra doctrina ausmacht und sie – so Thomas – definitiv als spekulative Wissenschaft qualifiziert. Hingegen, gestellt werden wollte sie doch, jene Rückfrage, ob sich die theologia nicht wissenschaftlich mit (biblisch bezeugten) Handlungsanweisungen und religionspraktischen Glaubenstaten (nach Jak 1,22), mit Weisungen und Gesetzen, Sittlichkeitsgeboten und sonstigen Moralia zu befassen habe, und zwar so, dass sie eben auch als Ethik pointiert und als praktische Wissenschaft zu sortieren wäre: „Utrum sacra doctrina sit scientia practica?“70 Nur eine kleine Variante seines Hauptarguments benötigte der Aquinat, um die spannende Betrachtung zu beschließen; er erklärt: Jede praktische Wissenschaft beschäftigt sich mit menschlichen Werktätigkeiten […], die sacra doctrina aber zuallererst und allerwichtigst mit Gott […]. Nicht also ist es eine scientia practica, sondern mehr eine speculativa. Wenn es nun unter den philosophischen Wissenschaften die eine spekulative, die andere praktische gibt, umfasst die sacra doctrina gewiss beides, sofern es das Wissen Gottes seiner selbst und seiner Werke betrifft. Doch letztendlich ist sie weiterhin eher spekulativ als praktisch, denn es geht doch mehr um göttliche Dinge als um menschliche Handlungen; die mensch-

70 Aquin, T. (1962). Summa Theologicae. Prima pars, quaestio I, articulus 4 (= S. th. I q. 1 a. 4). Rom: Editiones Paulinae.

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lichen Handlungen berührt es nur, insofern der Mensch durch sie zur perfekten Erkenntnis Gottes geleitet wird, worin die ewige Glückseligkeit best eht.71

Allem Anschein nach hat Thomas die Theologie eindeutig als eine Wissenschaft definiert, die sich vorrangig um die „theoretische Erörterung der ersten Wahrheit Gottes und der daraus abgeleiteten wahren Sätze“, weniger um die „Regeln für das Leben des Christen auf dem Weg zur ewigen Seligkeit“ zu mühen hatte.72 Dennoch lässt sich bei einer genaueren Inspektion seiner Arbeitsund Denkweisen durchaus registrieren, wie intensiv er sich methodisch und inhaltlich aufmerksam auf das irdisch Verfügbare, auf weltliche Tatbestände und menschliche Sachverhalte konzentriert hat, um alsdann Erkenntniswege vom praktisch Greifbaren zum metaphysisch Ungreifbaren abschreiten und Transzendierungen des Empirischen vornehmen zu können. Aber liefern solche Beobachtungen hinreichende Argumente, um dem Aquinaten in Ermangelung geeigneter Quellangaben unterstellen zu dürfen, dass er eine theologia scientia simul speculativa et practica favorisiert hat – und dabei womöglich Gott als subjectum der theologia speculativa, den speziellen menschlichen Erkenntnisund Heilszugewinn hingegen als Gegenstand und Ziel einer theologia practica gemeint zu haben? Nun, gewiss hätte man damit den großen Scholastiker an Spitzfindigkeit noch übertroffen. Wesentlich eindeutiger, weil weniger deutungsanfällig positioniert sich indes Thomas‘ zeitweiliger Pariser Kollege Bonaventura (ca. 1217–1274) in seinem Kommentar der vier Lombardus-Sentenzenbücher, wo er die auch ihm sich aufdrängende Frage, ob die doctrina als scientia speculativa oder als scientia practica aufzufassen sei, nicht im Lichte einer Gegenstands-, sondern einer Zielbestimmung von theologia zu verarbeiten sucht.73 Über eine Klärung ihrer causa finali nämlich wollte er erläutern, wie man den endgültigen Sinn jener besonderen scriptura/doctrina zu verstehen habe, die ja erwiesenermaßen Verborgenes zu offenbaren bzw. Offenbartes intelligibel zu entfalten vermochte: Bezweckten

71 Ebd.; den Versuch einer deutschsprachigen Annäherung an den kirchenlateinischen Thomas wagte der Verfasser, wohl wissend, dass da noch viel „Luft nach oben“ ist. 72 Vgl. Leinsle, Einführung in die scholastische Theologie, 158 f. 73 Heutzutage würde man es vielleicht so formulieren, dass Bonaventura die substantielle Perspektive auf den Theologiebegriff zugunsten einer funktionalen Perspektive auf den Religionsbegriff vorübergehend suspendiert hat.

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nun diese offenbarten Geheimnisse beschaulich-beseligende Gottesbetrachtungen oder Verbesserungen und Veredelungen des Menschen?74 Der gelehrte Franziskaner kam auf Umwege zu seinem Ergebnis. Blieb grundsätzlich daran festzuhalten, dass die doctrina sowohl auf Tugendhaftigkeit als auch auf Glaubenskenntnis abzielte, so war doch auch zu entfalten möglich, dass (und inwiefern) sich letztere vor allem als tugend- und seligkeitsförderliche Kraft wirksam zeige. Wenn demnach der doppelte Zweck von scriptura und doctrina darin bestünde, dass wir gut und glückselig werden („ut fiamus boni et beati“), dürfe und müsse sich ja eine theologia als scientia vor allem auf Betrachtungen besonderer Vorgänge konzentrieren, nämlich: wie sich theologische Wahrheiten verinnerlichen und in Gewissheits- bzw. Gemütszuständen festigen, aber auch im Leben bzw. in der Praxis bewähren. Konsequent plädiert Bonaventura für eine theologische Wissenschaft höherer Ordnung, in der die spekulativen, die affektiven und praktischen Aspekte aufeinander bezogen werden können;75 dazu bedient er sich – z.T. in Anlehnung an Albertus Magnus – einer geläufigen Begriffsalternative zur Dichotomie theoretica aut practica76 und definiert die besondere scientia theologica nun als „habitus affectivus (et) medius inter speculativum et practicum“77.

74 Im Original – es lohnt sich durchaus, etwas lateinisch lesen zu können – heißt es: „Et cum dictum sit, quod liber iste est ad revelandum abscondita, quaeritur, utrum opus hoc sit contemplationis gratia, vel ut boni fiamus.“, vgl. Bonaventurae Bagnoregis, S. (1882). Commentaria in Quatuor Libros Sententiarum. Magistri Petri Lombardi, Episc. Parisiensis. Proemium in Librum Primum Sententiarium. Questiones Proemii. Quastio 3. In: Ders. Opera Omnia (Ad Claras Aquas, Vol. I), 12–14. 75 Vgl. Senner, Walter (1980). Zur Wissenschaftstheorie der Theologie im Sentenzenkommentar Alberts des Großen. In: Zimmermann, Cornelia/Meyer, Gerbert (Hrsg.) Albertus Magnus, Doctor Universalis. Mainz: Walberger Studien, 323–243: 335. 76 Senner, Walter (2008). Theologia scientia affectiva oder scientia secundum pietatem bei Albertus Magnus – eine Alternative zur Dichotomie scientia theoretica aut practica? In: Lutz-Bachmann, Matthias/Fidora, Alexander (Hrsg.) Handlung und Wissenschaft – Action and Science: Die Epistemologie der Praktischen Wissenschaften im 13. und 14. Jahrhundert. Berlin: Akademie Verlag, 61–73. 77 Vgl. Bonaventurae Bagnoregis, Commentaria in Quatuor Libros, 13; ferner: Speer, Andreas (2007). „Doppelte Wahrheit? Zum epistemischen Status theologischer Argumente“. In: Mensching, Günther (Hrsg.) De usu rationis. Vernunft und Offenbarung im Mittelalter. Würzburg: Königshausen & Neumann, 73–90: 85.

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Damit war einmal mehr der starke franziskanische Standpunkt78 gefestigt, wonach die Wahrheit der Theologie an die alltagspraktisch-moralische Bewährung ihrer Lehren gekoppelt blieb – und als theologia practica aufzustellen war: Praktisch sei die Theologie, weil sie nicht allein die spekulativ gewonnene Wissenseinsicht intellektuell bei sich halten könne, sondern stets auf affektiv-regungspraktische Gewissheitszustände und handelnde Verwirklichungen in individuellen, familiären und staatliche Lebensbereichen dränge. Auch die spätere, (gern auf ein Kurzzitat reduzierte) Position des franziskanischen Scholastikers Johannes Duns Scotus (ca. 1266–1308), der zufolge die theologia ein habitus simpliciter practicus79 sei, muss im Zusammenspiel mit dieser Tradition bewertet werden. Der ob seiner Scharfsinnigkeit als doctor subtilis – übrigens eine ähnliche Ehrenbezeichnung wie doctor angelicus (für Thomas), doctor universalis (für Albert) oder doctor seraphicus (für Bonaventura) – geadelte Startheologe hatte das Argument des Bonaventura, wonach die Gottesschau zur Seligkeit und Praxis führe, sich allerdings auch dort zu bewahrheiten habe, modifiziert und das erste Gebot des Dekalogs als allein einleuchtendes Grundprinzip einer praktischen Vernunft ausgewiesen. Etwas umständlich geriet seine Formulierung, dass der „durch den Habitus der Theologie vervollkommnete“ Intellekt „Gott begreift, wie er zu lieben ist“, und dies also den Regeln entspreche, „aus denen die Praxis hervorgebracht werden kann“80, doch der Tenor dieser Sentenz war plausibel: Die ganze Theologie, die ja im Grunde genommen nur auf einer einzigen Basisannahme, der Existenz Gottes, fußt, lässt sich vorstellen als die lebenspraktische Einstellungssache schlechthin, in deren Zenit folgerichtig auch nur eine einzige unverrückbare Forderung steht: Deus est diligendus – Gott ist zu lieben, mit allen Konsequenzen.81 Dass Martin Luther (1483–1546) – um nun einen der angekündigten Zeitsprünge zu wagen – dieser pfiffigen Schlussfolgerung der Sache nach durchaus nahestand, ist seinem offensichtlichen Grundaffront gegen die scholastische Gelehrsamkeit zunächst nicht zu entnehmen. Bereits 1516 vermochte er in 78 Vgl. Köpf, Ulrich (1974). Die Anfänge der theologischen Wissenschaftstheorie im 13. Jahrhundert. Tübingen: Mohr, 202 f. 79 Z.B. zit. nach: Schröer, Henning (2002). Art. Theorie und Praxis. TRE 33. Berlin/New York: De Gruyter, 375–388. 80 Duns Scotus, Johannes (1960). Lectura, prologus, pars 4, q. 1–2, n. 164 (Editio Vaticana Vol. XVI), 54: „Sed intellectus, perfectus habitu theologiae, apprehendit Deum ut amandus et secundum regulas ex quibus potest elici praxis; ideo est habitus practicus.“ 81 Vgl. Honnefelder, Ludger (2005). Johannes Duns Scotus. München: C. H. Beck, bes. 124 f.

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seiner Römerbriefvorlesung ganze Generationen als törichte Sautheologen82 zu titulieren, nur wenige Jahre später wollte er sie alle zum Teufel jagen83, und gegen Bonaventura, den er immerhin noch als den besten scholastischen Gelehrten bezeichnen konnte,84 wusste er 1533 in einer Tischrede energisch zu wüten, dass dessen abstrakte Schwärmereien über die Fusion der Seele mit Gott oder die Union von Verstand und Willen lediglich von Eitelkeit getrieben seien.85 Nichts, so betonte er, könne man von den Spekulationen der scholastischen Schule verstehen, geschweige denn im Herzen begreifen und annehmen, da es weder mit der Kreuzesoffenbarung Gottes abgeglichen noch mit den wahren Ängsten und Nöten der Menschen zu tun habe. Seine maßgebliche Kritik entzündete sich dabei weniger an den je getroffenen Entscheidungen zugunsten einer theologia speculativa oder practica, sondern vielmehr an der Art und Weise, wie Gott in dieser theologia scholastica gedacht wurde: Eine lebensferne Theologie, die die Herrlichkeit und Größe der pompösen Gottheit spekulativ zu vermessen suchte oder als majestätisches Liebesobjekt zentrierte, war nicht zu vereinbaren mit den Koordinaten eines Kreuzesgeschehens, das als Versöhnungs- und Erlösungstat Christi im Glauben angenommen werden wollte; ebenso war eine Spekulation auf die Möglichkeit, sich vor Gott mit eigenen moralischen oder spirituellen Glanzleistungen praktisch zu rühmen und majestätisch zu inszenieren, bestenfalls als eine phantastisch-selbstgefällige Veranstaltung zu bewerten: „Speculativa scientia theologorum est simplicita vana“, heißt es in besagter Tischrede, die folgerichtig in einer unmissverständlichen Bestimmung gipfeln musste: „Hoc autem est vera speculativa, quae plus est practica: Crede in Christum et fac, quod debes.“ Wahre spekulative Theologie, so man diesen Begriff überhaupt noch reflektieren kann, müsse über Christus spekulieren, und zwar auf eine Weise, die nichts mehr mit den philosophischen Gottesannäherungen des glückseligkeitsheischenden Intellekts, mit den Traditionen bibel- und lebensferner Hirnakrobaten zu tun hat, sondern die das Augenmerk tatsächlich dem Gekreuzigten schenkt. Für Luther macht es konsequenterweise wenig Sinn, den verbrauchten Begriff 82 „O Stulti, o Sawtheologen“; vgl. WA 56, 274,14. 83 „Theologi speculative iudicantes de causis divinis sinds Teuffels“; vgl. WA.TR 2, 464 (Nr. 2444). (=  WA.TR =  Luther, Martin (1883-2009). Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe). Bde. I-CIX. Weimar: Böhlau (H. Böhlaus Nachfolger). 2. Abteilung: Tischreden (WA.TR). Bde. I-VI). 84 Vgl. WA.TR 1, 330 (Nr. 683). 85 Vgl. WA.TR 1, 302,40 (Nr. 644).

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der theologia speculativa aufrecht zu halten; er gibt ihn preis zugunsten einer Neubestimmung, die v. a. den Tod Christi als Wahrheit realisiert, indem sie den darin codierten radikalen Wirklichkeitsbezug akzeptiert und zugleich seine im Glauben existenziell zu ergreifende Heilsbedeutsamkeit fokussiert: „Vera theologia est practica, et fundamentum eius est Christus, cuius mors fide apprehenditur. Omnes autem hodie, qui non sentiunt nobiscum et non habent doctrinam nostram, faciunt eam speculativam, quia sie konnen aus der cogitatio nit kommen. […] Speculativa igitur theologia, die gehort in die hell zum Teuffel.“86 Interessanterweise finden sich zwei der hier anzitierten lateinischen Tischreden in einer zusammengefassten dritten wieder. Dort heißt es dann auf Deutsch: „Der Schultheologen Kunst mit ihrem Speculiren in der heiligen Schrift ist nichts denn lauter Eitelkeit und menschliche Gedanken nach der Vernunft. Davon hab ich viel im Bonaventura gelesen, aber er hat mich schier taub gemacht. Ich hätte gern gewußt und verstanden, wie Gott mit meiner Seele vereinigt sei, aber ich konnte es nicht daraus lernen. Sie sagen viel von der Vereinigung des Verständniß und des Willens, aber es ist eitel Phantasei und Schwärmwerei. Das ist aber die rechte speculativa, ja viel mehr practica Theologia, als: glaube an Christum und thue, was du schuldig bist zu thun in deinem Berufe […]. Die wahre rechtschaffene Theologia stehet in den Practiken, Brauch und Übung, und ihr Fundament ist Christus, daß man sein Leiden, Sterben und Auferstehung mit dem Glauben ergreife. Aber alle, die es heutigen Tages nicht mit uns halten und unsere Lehre nicht fur sich haben, die machen ihnen nur eine speculativam Theologiam, da sie sich nach der Vernunft und wie sie von Sachen speculiren, richten; denn sie können aus den Gedanken nicht kommen: wer Guts thut und fromm ist, dem gehets wol. Aber es heißt nicht also, sondern: wer Gott fürchtet und vertrauet, dem geht’s zu letzt wol. Darum gehört solche speculativa Theologia in die Hölle zum Teufel.“87

Crede in Christum et fac, quod debes – Glaube an Christus und tue, was du schuldig bist zu tun in deinem Beruf: in dieser Doppelformel bringt sich konzentriert zum Ausdruck, wie Luther Theologie hat verstehen und auf jegliche menschliche Praxis hat beziehen wollen. Dass man sich mit seiner ganzen Existenz auf Gott in Christus einzulassen, ihm grenzenloses Vertrauen entgegenzubringen 86 WA.TR 1, 72,16-21 (Nr. 153). 87 Luther, Martin (1844). Dr. Martin Luthers Tischreden oder Colloquia, so er in vielen Jahren geführet. Nach Aurifabers erster Ausgabe mit sorgfältiger Vergleichung sowohl der Stangwaldschen als der Selneccerschen Redaction. Erste Abtheilung (= D. Martin Luther‘s sämmtliche Schriften XXII, hg. v. Karl E. Förstemann). Leipzig: Gebauer, 9.

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und sich bis in den Todeskampf88 und darüber hinaus am geheimnisvollen Kreuzesgeschehen festzumachen habe, dies war sozusagen die existentielle Grundlage eines Lebens und Strebens, das sich im Wechselspiel von Glauben und Hadern, von Hoffnung, Mut, Angst und Zweifel, vor allem jedoch unter der Signatur des gerechtfertigten Sünderseins in Freiheit vollzog. Die Forderung, vor diesem Gewissheitshorizont seiner Schuldigkeit nachzukommen, konnte sich daher kaum ausschließlich auf kirchliche Pflichtübungen beziehen, sie orientierte sich in die Weite der gesamthumanen Lebenssituationen. Nicht in einer begrenzten, expliziten religionspraktischen Sphäre war die Lebensaufgabe zu meistern, sondern im Vollzug sämtlicher Tätigkeiten und Geschäftigkeiten, die auf alltäglichen, familiären, politischen und beruflichen Sektoren zu erbringen waren.89 Damit hatte Luther natürlich keineswegs von einer Teilnahme und Teilhabe an kirchlichen Veranstaltungen abgeraten, wohl aber den Sinnhorizont des Begriffes von Gottesdienst erweitern wollen. „Der glaub ist der rechte gottis dienst“90, so stand es fest und richtete sich wesentlich gegen die kultische Opferinszenierung einer klerikalen Truppe, die sich als Nachfolger Christi und Stellvertreter Gottes zelebrierten. Als Versammlung einer Gemeinde freilich, die das erste Gebot halten und Gott die Ehre geben will, insbesondere aber auf das Wort der Schrift hören und von der sakramental vermittelten Gnadenzusage Christi her leben möchte, blieb der Gottesdienst ein unersetzlich Ding, zumal nichts anderes geschehe, „als dass unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir wiederum ihm antworten in Gebet und Lobgesang.“91

De facto hatte Luther aristotelische Schulbegriffe ignoriert und auf abgefeimte scholastische Spitzfindigkeiten verzichtet, als er sich mit seiner Denkarbeit auf das Terrain existentieller (Glaubens-)Erfahrungen gewagt hat.92 Nicht den Gottesideen, die sich in Schreibstuben der Philosophen entwickeln und festigen 88 Lat.: „in agone mortis“; vgl. WA.TR 2,35, 12-15 (Nr. 1306). 89 Vgl. Suda, Max Josef (2006). Die Ethik Martin Luthers. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht; Stegmann, Andreas (2014). Luthers Auffassung vom christlichen Leben. Tübingen: Mohr Siebeck. 90 Vgl. WA 8, 172, 3. 91 Vgl. WA 49, 588, 15 ff. 92 „Sola autem experientia facit theologum“ (WA.TR 1, 16, 13 / Nr. 46); „Theologum oportet fieri experimentis et usu, non lectione tantum sacrarum rerum.“ (WA TR 5, 384, 5 f. / Nr. 5864).

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lassen, galt sein Interesse, ebenso wenig den Gottesbildern, die in der Kultpraxis der Kleriker Verwendung fanden, sondern jener besonderen Rechtfertigungsund Heilsgewissheit, die sich im Wechselspiel von Schrifterfahrung, Gebetserfahrung und Lebenserfahrung nahezu körperlich-sinnenhaft „erschmecken“93 lässt.94 Luthers Theologia, sie zeigt sich nur dort, wo sich geglaubte Wahrheit in erlebte Gewissheit transformiert bzw. über „oratio, meditatio, tentatio“95 zu bewähren vermocht hat. Ihr alleiniger Gegenstand ist (der Glaube an) die Gott-Mensch-Beziehung in ihrer existenziellen, lebenspraktisch sich spürbar machenden Radikalität, oder konsequenter vielleicht noch: ihr Gegenstand ist das ganze Leben coram deo et christo. Von daher ist es auch plausibel, warum Luther dieses ganze Leben im Glauben als den rechtmäßigen Gottesdienst hat verstehen können – und letztlich auch das ganze Leben als Theologia practica sah: Diese Theologie muss nicht im Modus des Bücherlesens oder Nachdenkens betrieben oder als intellektuelle Operation gefasst werden; sie ereignet sich bereits, sobald ein Mensch aus der zerrütteten Tiefe aller Anfechtungs- und Gewissheitserfahrungen heraus an Christus zu glauben, auf Gott hin durchzuhalten – und das ganze Leben zu meistern wagt.96 Hier ergeben sich übrigens schöne Aufgabenstellungen für Examensarbeiten. Zu vergleichen wäre z. B. Martins einzig wahre Theologia practica mit der sapientia des Augustin; immerhin wird doch von beiden jene (weise) Glaubenseinstellung behandelt, die von geschichtlichen (Heils-)Offenbarungen zehrt und eine ewige Herrlichkeit erhofft, sich wie ein roter Faden durch das Leben zieht – und zu einem Lebenswagnis in Hoffnung befähigt. Auch lässt sich die Frage aufwerfen, ob das „Crede in Christum et fac quod debes“ nicht als eine starke Ableitung der Augustin’schen Formulierung „Dilige et quod vis fac“97 (oder gar des Deus est diligendus von Bonaventura) gelesen 93 Vgl. WA 9, 610, 31 f.; WA 12, 634, 7 f. 94 „Von der Situierung der Erfahrbarkeit des Göttlichen im kirchlichen Kult und in dem sie repräsentierenden Klerus ist diese in der Bibelerfahrung begründete und von der Bibel her die Welterfahrung deutende reformatorische Erfahrungskonzeption fundamental unterschieden“, so Kaufmann, Thomas (2001). „Erfahrungsmuster“ in der frühen Reformation. In: Münch, Paul (Hrsg.) „Erfahrung“ als Kategorie der Frühneuzeitgeschichte. Historische Zeitschrift Beiheft 31, 281–306: 305 f. 95 WA 50, 659,4. 96 „Vivendo, immo moriendo et damnando fit theologus, non intelleigendo, legendo aut speculando.“ (WA 5, 163, 28 f.) 97 Augustinus (1961.1966). In epistulam Ioannis ad Parthos, tractatus VII, cap. IV. In: Agaёsse, Paul (Hrsg.) S. Augustin Commentaire de la première EpîTRE de Jean (SC 75

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werden darf, und schließlich wäre zu prüfen, wieviel mönchische Vergangenheit bzw. monastische Traditionslinie sich eigentlich bei Luther durchgesetzt hat, als er mit oratio, meditatio, tentatio den klassischen Vierschritt der lectio divina aufgreifen und variieren konnte.

Also ist nun die Theologie eine spekulative oder eine praktische Wissenschaft? Luther hatte diese wissenschaftstheoretische Fragestellung weit hinter sich gelassen – und am Ende dennoch beantwortet. Allerdings war, nachdem er Wissen gegen Gewissheit, Kenntnis gegen Glauben, heiligende (Regel-)Werke und Moralia gegen die herrliche Freiheit des Christenmenschen ausgespielt hat, kein Stein mehr auf dem anderen geblieben. Von wahrer Theologia war nun dort die Rede, wo Menschen im Wechselspiel von Schriftlesung, Sakramentsempfang und Lebenserkundung praktische Erfahrungen des Angenommenseins in Christo machen und es daraufhin wagen durften, von diesem Fundament her – wiederum ganz praktisch (!) – die Heils- und Gottesbeziehung zu kommunizieren. Dieser Theologiebegriff hatte nichts mehr zu tun mit den Denkkapriolen, die zu Gotteslehren führen sollten; Theologie betrieb bereits, wer die je eigene (geschenkte) Glaubenshaltung und die darin gegebene lebenswirksame Dynamik, sprich: die Impulskraft für jegliche Glaubenstat, zu reflektieren und im Lebensalltag umzusetzen vermochte. Es ist eine ganz praktische Begnadung und Begabung, die einerseits jeden Menschen zur Theologia befähigt, andererseits aber auch – im Blick auf theologische Professionalität – graduierbar ist. In einer Listung von Kompetenzen veranschaulicht Luther, dass es für einen theologum neben den grundlegenden Gaben des (heiligen) Geistes auch die damit verbundene Kraft braucht, den Fragen und Anforderungen des Menschseins standzuhalten, fernerhin eine ordentliche Lebenserfahrung und Situationsübersicht, und zuletzt jenen Studieneifer, der sich in einem sorgfältig-kontinuierlichen Bibelstudium und einer kenntnisreichen Beschäftigung mit dem traditionellen Bildungskanon erschließt.98 Eine gottgegebene Fertigkeit ist sie definitiv, die Theologia practica des Martin Luther, ein echter habitus, der freilich auch (a) im Modus seiner gelehrten Dauerreflexion und (b) aufgrund seiner akademischen

= Sources Chretiennes 75, 328). Paris, 8. 98 „Quae faciant theologum: 1. gratia spiritus; 2. Tentatio; 3. Experientia; 4. Occasio; 5. Sedula lectio; 6. Bonarum artium cognitio.“ (WA.TR 3, 312, 11 ff., Nr. 3425); vgl. Bayer, Oswald (2007). Martin Luthers Theologie. Eine Vergegenwärtigung. 3.  Aufl. Tübingen: Mohr Siebeck, 15–26.

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Koppelung an die Künste von Grammatik, Rhetorik, Dialektik (usw.) zu einer wirklichen scientia geraten kann. Es wäre wohl voreilig und unsachgemäß, diesen theologischen habitus, der ja ganz offensichtlich auf eine spirituelle Begnadung zurückgeführt werden soll, nur anthropologisch, also als besondere Begabung oder gar allgemeine Grundveranlagung des humanum, zu interpretieren. Luther dachte sich die von ihm stark gemachte (Glaubens-)Haltung des Christenmenschen, obschon er sie radikal autobiografisch, lebenspraktisch und existenziell hat prononcieren können, eindeutig im Sinne einer gottverdankten Attitude bzw. einer Gottesbeziehung, die vor dem offenbarungstheologisch-christozentrischen Horizont einer theologia crucis zu entfalten blieb. Sie im Sinne jener religiösen Grundgestimmtheit auszudeuten, die z. B. in zahlreichen Entwürfen des 19. Jahrhunderts zentral positioniert wird, würde Luther gewiss unrecht tun. Gleichwohl: neben dem traditionellen Subjekt und Objekt der Theologie („Gott“) war nunmehr endgültig der glaubende, zweifelnde, angefochtene (usw.) Mensch als religiöses Subjekt aufgetaucht, und die Tür zu einem großen Perspektivenwechsel hatte sich einen kleinen Spalt weit geöffnet.

Luthers Theologieverständnis, das sich im Laufe seines jahrzehntelangen Schaffens in „konfusen nächtlichen Schreibereien“99 herausgebildet, v. a. jedoch in allerlei situationsbedingten Gelegenheitsauftritten kontextuell konturiert hat, ist durchaus komplex und multidimensional. Vielschichtige Stellungnahmen zu Glaubenswissen und Glaubensgewissheit, Glaubensregung und Glaubensgebaren, Glaubensführung und Glaubenspraxis, Glaubenspflege und Glaubensbildung, Glaubensartikulation und Glaubensreflexion greifen ineinander, beziehen sich einerseits auf die bodenständige christenmenschliche Glaubenshaltung in ihrer Bewährungspraxis, andererseits auf die professionelle Gelehrsamkeit, die es für die Predigtkanzel und den Lehrkatheder, für Kirche, Schule und Universität braucht. Existenziell-lebenspraktische, ethische und wissenschaftliche Bedeutungsmuster waren unter dem prinzipiellen Integral einer theologia crucis bzw. der Signatur einer vera theologia practica zu einem Gewebe verstrickt worden, das in seiner Ganzheitlichkeit wohl absolut überzeugend, aber keineswegs zwingend als die Theologie des Martin Luther auf den Punkt gebracht werden konnte. Letztendlich blieb es zeitgenössischen reformatorischen Mitstreitern wie Philipp Melanchthon (1497–1560), v. a. jedoch nachfolgenden Generatio99 Vgl. WA 54, 179.

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nen100 überlassen, die erforderlichen Differenzierungs- bzw. Reflexionsleistungen zu erbringen und die besagte ganzheitliche Theologie in adäquate Systeme voller Rubriken und Loci zu übertragen. Jedoch war dies nur ein Aspekt jener umfassenden Vermächtnispflege, die man Luther für Jahrzehnte – um nicht zu sagen: für Jahrhunderte – hat angedeihen lassen. Deutlich ist die Dynamik zu registrieren, mit der die neue (reformatorische bzw. lutherische) Theologie nicht nur auf akademisch-universitären und kirchlich-institutionellen Sektoren hoffähig wurde, sondern sich auch kraftvoll bildungs- und religionspraktisch, gesellschafts- und staatspolitisch wirkmächtig in Szene zu setzen vermochte. Nachhaltig wirkte sich der vorteilhafte Umstand aus, dass sich einige der gescheiteren Köpfe damaliger Zeit in dem intellektuellen Steinbruch, den Luther vererben musste, halbwegs zurechtgefunden und die hinterlassenen Rohbauten mit hinreichend architektonischem Geschick zu einem zukunftsweisenden Komplex umgestaltet hatten. Energisch fokussierte man nun die Problemzonen, die bereits vor Jahrzehnten im Gefälle spätmittelalterlicher Klerusschelte markiert worden waren; rigoros wurden die Herausforderungen aller kirchen- und gesellschaftskritischen Tadel angenommen, die sich in anonymen parodistischen Minitraktaten und unterhaltsamen Persiflage-Schriften humanistisch geprägter Gebildeter öffentlich Ausdruck verschafft hatte: Die Missstände, die im Brennpunkt sämtlicher Kritiken standen, waren wesentlich solche, die sich auf die mangelhafte theologische Grundversorgung der einfachen Geistlichen bzw. die weithin verheerende klerikale Bildungssituation hatten zurückführen lassen; sie brachten sich über intellektuelle Niveaulosigkeiten und pastoralpraktische Inkompetenzen des kirchlichen Personals derart unangenehm zum Ausdruck, dass man eine Verbesserung des geistigen (Zu-)Standes von Menschen im geistlichen Stande als Gebot der Stunde empfinden musste.101 Ganz offensichtlich, so 100 Weiterführend vgl. Axt-Piscalar, Christine (2013). Was ist Theologie? Klassische Entwürfe von Paulus bis zur Gegenwart. Tübingen: Mohr Siebeck, 95–131. 101 „Ein Universitätsstudium, häufig ein juristisches Studium, war lediglich bei den Inhabern hoher geistlicher Ämter usuell. Der clerus minor hatte in der Regel die Lateinschule […] besucht und sich dort vorwiegend Kenntnisse der lateinischen Sprache erworben, die für den priesterlichen Dienst als […] hinreichend angesehen wurden“, erklärt Nieden, Marcel (2006). Die Erfindung des Theologen. Wittenberger Anweisungen zum Theologiestudium im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung. Tübingen: Mohr Siebeck, 2. Zur ausführlichen Kontextualisierung und Entfaltung dieser These vgl. a. a. O., 18–34, bes. 20 f.

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wurde notiert, brauchte es eine (an die Vorleistungen Luthers und seiner Weggefährten gekoppelte) strategische Revision aller Ausbildungsszenarien, und zwar im Blick (a) auf den abzusichernden akademischen Status der allmählich sich qualifizierenden evangelischen Theologie, (b) auf die Professionalität gemeindlicher Pfarramtstätigkeiten, (c) auf die verantwortete Qualität einer privat-familiär kultivierungsbedürftigen Frömmigkeitsunterweisung und (d) auf die Möglichkeit, die evangelisch-konfessionelle(n) Glaubenslehre(n) zu einer katechetischen Bildungsangelegenheit des Gemeinde- und Schulwesens zu machen. Sukzessiv wurde dieser Aufgabenkatalog in den Folgejahrzehnten abgearbeitet: In Wittenberg etwa führte bereits die 1536 vollzogene Reorganisation der 1502 errichteten Volluniversität zu der verstetigten Installation von insgesamt vier (nunmehr evangelischen) theologischen Professuren mit ausgewiesenen biblisch-exegetischen Schwerpunkten, ausdrücklich mit der Besonderung, dass die vierte Lehrprofessur dauerhaft an die kirchliche Stadtsuperintendentur gekoppelt werden sollte.102 Dieses Modell – Johannes Bugenhagen war übrigens der erste, der das Doppelamt eines Theologieprofessors und Stadtkirchenpfarrers ausgeübt hatte – machte schnell Schule. Bald waren die meisten Universitäten in lutherischen wie reformierten Territorien dem Wittenberger Vorbild gefolgt103 und hatten dazu beigetragen, dass sich die bislang aristotelisch unterfütterte sacra doctrina der Scholastiker allmählich zu einer biblisch begründeten (evangelischen) Gottesgelahrtheit der Theologen wandelten – und sich ein Brückenschlag zwischen akademischer Wahrheitspflege und pastoralpraktischer Zurüstung ereignen durfte: Die Früchte einer neuformatierten Theologenausbildung, die neben dem philosophischen Basisstudium mit Schwerpunkten in Dialektik, Grammatik und Rhetorik auch eine altsprachliche Grundschulung in Latein und Griechisch voraussetzen wollte und sich vorrangig auf elaborierte Beschäftigungen mit der Bibel und den Schriften der frühen Kirchenväter zu kaprizieren hatte, sollten sich gerade in der verbesserten pfarramtlichen Praxis, also zwischen Predigt und Unterweisung, Trost und Mahnung, Seelenpflege und Wissensvermittlung bewähren. Ein exemplarischer Meilenstein war erreicht, als Andreas Gerhard Hyperius104 (1511–1564) Mitte 102 Vgl. Nieden, Erfindung des Theologen, 49 f. 103 Vgl. Hammann, Konrad (2000). Universitätsgottesdienst und Aufklärungspredigt. Die Göttinger Universitätskirche im 18. Jahrhundert und ihr Ort in der Geschichte des Universitätsgottesdienstes im deutschen Protestantismus. Tübingen: Mohr Siebeck, 137–138. 104 Lit. s. o. FN 188.

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des 16. Jahrhunderts in Marburg die Verknüpfung von theologischen Studien und homiletischen Übungen verpflichtend durchgesetzt und sogenannte Predigtkurse installiert hatte.105 In diesem Zusammenhang lässt sich übrigens darüber mutmaßen, ob (und wieso) Hyperius wirklich ernsthaft den Vorschlag gemacht hat, die Theologie bzw. das Theologiestudium mithilfe von vier kategorialen Begriffen zu gliedern und als biblisch, historisch, systematisch und praktisch zu fächern; immerhin findet sich der letztgenannte Terminus bis dato auch noch vielfach traditionell in dem Verwendungszusammenhang kirchenpraktischer Ordnungsgeschäfte, also neben Kirchenamtsdekreten und Kirchenrechtsprechungen.106 Wollte Hyperius nun dem Theologiestudium einfach althergebracht die Kirchliche Rechtswissenschaft zuordnen – oder hatte er schon vor Augen, den enzyklopädischen Horizont der theologia neu zu vermessen und ihr eine akademische Beschäftigung mit den pastoralpraktischen Unternehmungen der Geistlichen, womöglich gar mit den christlich-religionspraktischen Aktivitäten der Gläubigen anzuempfehlen?107 Einiges bleibt strittig.

Im selben Maße allerdings, wie sich Erkenntnis und Lehre der Reformatoren vor kirchlichen und universitären Kulissen zu etablieren,108 in religionsamtlichen sowie frömmigkeitspraktischen Szenarien zu verstetigen und hinsichtlich ihres Machtfaktors auf politischen Bühnen zu behaupten bemühten, wurde man sich auch des besonderen Umstands bewusst, dass zwecks Abwehr gegenreformatorischer Positionen und zur Vermeidung innerprotestantischer Zerreibungsdebatten eine verbindliche Klärung alternativloser Wahrheiten ebenso dringend anstand wie die Errichtung des entsprechenden objektiven Lehrgebäudes. An der bis dato etablierten Beweisführung für rechtmäßige christliche Lehre freilich, sprich: an dem traditionell mit apostolischen Autoritäten und aristoteli105 Vgl. Hammann, Universitätsgottesdienst, 144 f. 106 Vgl. Hyperius, Andreas (1556). De recte formando Theologiae studio libri IIII. Basel: Johannes Oporinus. Näher dazu Hell, Leonhard (2007). Das Plagiat als Form interkonfessioneller Begegnung: Die Einführungen in das Theologiestudium von Andreas Hyperius und Lorenzo de Villavicencio. In: Selderhuis, Herrmann J./Wriedt, Markus (Hrsg.) Konfession, Migration und Elitenbildung: Studien zur Theologenausbildung des 16. Jahrhunderts. Leiden/Boston: Brill, 231–244; hier: 232, 234-240. 107 Hell, Leonhard (1999). Entstehung und Entfaltung der Theologischen Enzyklopädie. Mainz: Verlag Philipp von Zabern. 108 Appold, Kenneth G. (2004). Orthodoxie als Konsensbildung. Das theologische Disputationswesen an der Universität Wittenberg zwischen 1570 und 1710. Tübingen: Mohr Siebeck.

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schen Subtilitäten gesäumten Legitimationsweg des Katholizismus durfte man sich kaum orientieren wollen. Entschlossene Protestanten, die nicht von der Unfehlbarkeit des Pontifex Maximus, der Höchstinstanzlichkeit der römischen Kurie, dem Weisheitsgehalt von Konzilsdekreten und der erlösenden Wirkmacht lateinischer Messopfer überzeugt sein konnten, brauchten neue mächtige Orientierungspfeiler des Handelns und Glaubens. Es waren die unter Berufung auf Luther aufgearbeiteten Konzepte von landesherrlichem Kirchenregiment und sola scriptura, die jetzt mit neuen Respektpersonen und Heilsmedien aufwarteten: Bibelkundige Gottesgelehrte hatten den Landesfürsten und die Heilige Schrift als maßgebliche Freiheits- und Wahrheitsgaranten ausgemacht und als finale Obrigkeiten einer konsolidierten lutherischen Theologie zentriert, die letztlich stark genug war, um jene unruhigen Zeiten des 16. Jahrhunderts – also alle reichspolitischen Bündnisse und Zerwürfnisse, sämtliche militärische Fehden und Scharmützel, viele konfessionelle Wirren und Unruhen – zu überleben.109 Bereits wenige Jahrzehnte nach dem Augsburger Reichs- und Religionsfrieden von 1555, der die reichsrechtliche Grundlage für ein politisches Arrangement zwischen Landständen, Reichständen und Kaiser, für eine Koexistenz von Luthertum und Katholizismus im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation geschaffen, aber eben auch eine komplizierte Phase von theologischen Bekenntnisdebatten und konfessionellen Inventarisierungen (wie z. B. die Konkordienformel110 von 1577) eingeleitet hatte, sollten sich die ersten Galionsfiguren einer frühen altprotestantischen Orthodoxie anschicken, den Dogmenbestand der reformatorischen Theologie zu vervollständigen, ihr Gesamtvolumen rigoros neu zu gliedern und ihren Wissenschaftscharakter mit einem Spezialaxiom abzusichern: War der Reformator dereinst noch davon ausgegangen, dass sich die große und existenzerhellende Wahrheit der Bibel wohl in einer Schriftmitte, jedoch allein in der lebendigen Anwendung und im vertrauenden Glauben an Christus als das befreiende Wort zeige, so wollten bereits die übernächsten Generationen den gesamten Bibeltext als ein göttlich inspiriertes oder gar von

109 Z.B.: Wartenberg, Günther (1998). Die Schlacht bei Mühlberg in der Reichsgeschichte als Auseinandersetzung zwischen protestantischen Fürsten und Kaiser Karl V. Archiv für Reformationsgeschichte 89, 167–177. 110 Ausführlich Kolb, Robert (2011). Die Konkordienformel. Eine Einführung in ihre Geschichte und Theologie. Oberurseler Hefte Ergänzungsband 8. Göttingen: Edition Ruprecht.

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Gott diktiertes Schreibwerk interpretieren.111 Die Überzeugung von einer unfehlbaren, widerspruchsfreien, irrtumslosen und substantiell heiligen Schrift wurde zum allerersten Dogma stilisiert – und besorgte als Schriftprinzip das Fundament jenes großen Projekts, bei dem nun aus biblischen Belegstellen, lutherischen Sequenzen, metaphysischen Spekulationen, scholastischen Spitzfindigkeiten und aristotelisch geprägter Systematik die einzig wahre Glaubenslehre zu destillieren war.112 Zum Dreh- und Angelpunkt dieser exklusiv konzipierten doctrina geriet zunehmend die theologische Überzeugung von einer einzigartigen Rettungsinitiative Gottes, die dem Subjekt (v. a. aufgrund des heiligen Geistwirkens) als Ratschluss offenbar werden bzw. dem gläubigen Herzen als gestufter Heilsweg erfahrbar werden könnte: Dieses Konzept wurde als Lehrstück vom ordo salutis113 akademisch ausgebaut, aber auch lebenspraktisch als Anleitung zur Seligkeit konkretisiert: vielfältige Sammlungen moralischer Weisungen und ethischer Praxisregelungen gaben diesem Heilsweg ein reglementierendes Gerüst und bildeten ab, worin sich das rechte Handeln der Frommen und Geistlichen erschließt. Indirekt waren natürlich wieder altbekannte Fragen aufgeworfen worden, nämlich (1.) ob die in der scriptura geoffenbarte doctrina eigentlich vorrangig auf einen intellektuellen Zugewinn der Menschheit oder auf die unendliche Wertschätzung und Huldigung der Gottheit, womöglich auch ganz praktisch auf die ewige Glückseligkeit von Menschen abzielen will, und (2.) ob die besagte Orthodoxie nicht eher als Orthopraxie aufzufassen ist, wenn mit der Fixierung von Rechtgläubigkeit festgelegt werden wollte, welcher Glaube zu befolgen und welche Glaubenstat zu begehen war. 111 Selbstverständlich lässt sich Vergleichbares auch von den Theologietreibenden jener Zeit sagen, die sich auf Zwingli und Calvin berufen und die reformierte Traditionslinie eingeschlagen bzw. ausgebaut haben. 112 Es scheint ein Treppenwitz der Geschichte zu sein, dass sich die Theologie immer wieder an Aristoteles (und übrigens auch an Platon) erinnert hat, wenn es galt, eine neue Richtung zu etablieren und sattelfest zu machen. 113 Köberle, Adolf (1959). Art. Heilsordnung. RGG  3. 3.  Aufl. Tübingen: Mohr Siebeck, 189–190; Steiger, Anselm (1962). Art. Ordo salutis. TRE  25. Berlin/New York: De Gruyter, 371–376; ferner: Herms, Eilert (1992). Die Wirklichkeit des Glaubens. Beobachtungen und Erwägungen zur Lehre vom ordo salutis. In: Ders. (Hrsg.) Offenbarung und Glaube. Zur Bildung des christlichen Lebens. Tübingen: Mohr Siebeck, 137–167. Besonders informativ im Blick auf den Gesamtzusammenhang immer noch: Hornig, Gottfried (1984). Lehre und Bekenntnis im Protestantismus. In: Andresen, Carl (Hrsg.) Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte 3. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 71–287.

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Die Beschäftigung der Gottesgelahrtheit mit der sogenannten Heilsordnung (z.T. im Anschluss an Röm 8,29–30) fand gleich auf mehreren Ebenen statt: Neben den dogmatisch ausgefeilten Entwürfen eines gestaffelten Heilsplans, der sich als Sequenz verschieden etikettierter Glaubensmomente (z. B. Berufung, Bekehrung, Rechtfertigung) entfalten ließ, standen allerlei Skizzen von aufeinander aufbauenden seelischen Bewegtheitszuständen (z. B. Erleuchtung, Wiedergeburt, Gewissheit, Einwohnen Gottes), die durchaus nachvollziehbar waren; ergänzt werden konnte beides noch mit schematischen Listungen kompatibler Glaubensaktivitäten (Bewährung, Heiligung, Gehorsamkeit). Es gehört zu den beachtlichen Leistungen jener Zeit, den Denkkomplex des ordo salutis nicht nur perfektioniert und plausibilisiert, sondern gerade im Blick auf das Verhältnis und die Wechselwirkung seiner dogmatisch-akademischen, religionsinstitutionell-kirchlichen, alltagsethisch-sittlichen sowie subjektiv-frömmigkeitspraktischen Ausmaße differenziert und zusammengehalten zu haben. Womöglich lässt sich vor diesem Hintergrund letzten Endes auch recht gut verorten, dass ▶▶ Johann Heinrich Alsted (1588–1638), reformierter Theologieprofessor an der Academia Nassauensis zu Herborn, der Theologie weiterhin den Charakter einer disciplina mixta ex theoria et praxi114 attestierte, ▶▶ Johann Andreas Quenstedt (1617–1688) in seiner „Ethica pastoralis et instructio Cathedralis“ (Wittenberg 1678) jenes spezielle Berufsethos von Geistlichen entwickelte, das in einer Art Amtstheologie gipfelte, ▶▶ der Wittenberger Theologe Abraham Calov (1612–1686) in seinen Paedia theologica / „Isagoges ad SS. Theologiam“ (1652) Anweisungen zu einem Theologiestudium gab, dass selbstverständlich kirchlich, positiv, didaktisch und akademisch zu fokussieren und betreiben sei, und ▶▶ David Hollaz (1648–1713) in dem Prolegomenon generale sein „Examen theologicum acroamaticum“115 mit dem längst legendär gewordenen Statement aufwartete, wonach theologia sapientia eminens practica sei. Gut anderthalb Jahrhunderte hielt sich jene evangelisch-theologische Richtung, die in kirchenhistorischen Lehrbüchern unter starken Begriffen wie lutherische 114 Vgl. Nieden, Erfindung des Theologen, 149 f. 115 Hollaz, David (1707). Examen theologicum acroamaticum (universam theologiam thetico-polemicam complectens). Stargard; Neudruck: Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1971.

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bzw. reformierte oder eben zusammenfassend: (alt-)protestantische Orthodoxie rubriziert, als Altprotestantismus116 entfaltet und gelegentlich als APO abgekürzt wird. Sie bestimmt also eine Ära, wartet mit strengen Methoden und modifizierten dogmatischen Systemarchitekturen auf, versteht es, mit beachtlicher Denkschärfe an Theologie-, Kirchen- und Religionsbegriffen zu werkeln: Zu ihren Verdiensten gehören Anregungen zu einer disziplinären Staffelung des theologischen Studier- und Lehrbetriebs,117 die offenbar hochnötige Unterscheidung von angewandter theologia catechetica und wissenschaftlicher theologia acroamatica, fernerhin eine Reihe wichtiger Näherbestimmungen hinsichtlich der Quelle (z. B. theologia biblica), der Glaubenslehren (z. B. theologia dogmatica), der Aufgaben (z. B. theologia ascetica sive moralis), der Zielgruppen (theologia rudior / Theologie der Einfältigen) und der Verfahrensweisen (z. B. theologia homiletica).118 Doch auch die Frömmigkeitskultur jener barocken Zeit hat, gewiss bedingt von der Hochkonjunktur aller Gedankenspiele zu Heilsweg und Seligkeitsverlangen, ihre Blüten getrieben. Als kulturmächtig hat sich das weit verbreitete Schrifttum von Johann Arndt erwiesen, dessen Vier Bücher vom wahren Christentum zusammen mit seinem Paradies-Gärtlein zu den erfolgreichsten Büchern christlicher Erbauungsliteratur zu zählen sind; hervorzuheben ist fernerhin das Werk eines Johann Gerhard, der die Zielsetzung wissenschaftlicher Theologie mit der Regenerationsbeförderung des inneren Menschen und dessen geistlicher Wiedergeburt assoziierte, den Begriff einer theologia medicinalis aufbrachte und die Theologie folgerichtig als heilsame Anwen116 Besonders wichtig: Troeltsch, Ernst (2004). Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit (1906 / 1909 / 1922) (KGA 7). Hg. v. Volker Drehsen in Zusammenarbeit mit Christian Albrecht. Berlin/ New York: De Gruyter. 117 Zwar keine Disziplinen im heutigen Sinne, so aber doch vier aufeinander bauende Abschnitte des Theologiestudiums hat eben Andreas Hyperius vorgeschlagen. An humanistische Vorstudien sollte sich ein Bibelstudium anschließen, gefolgt von einer intensiven Auseinandersetzung mit den Glaubenslehrstücken (Loci communes), sodann eine Beschäftigung mit Schriften zur Kirchensteuerung und Seelenlenkung, „quae complectuntur ecclesiarum institutionem sive praxeis atque ad gubernationem ecclesiasticam animos informant“. Vgl. Krause, Gerhard (1969). Andreas Hyperius in der Forschung seit 1900. Theologische Rundschau 34, 262–341: 306. 118 Vgl. Filser, Hubert (2001). Dogma, Dogmen, Dogmatik. Eine Untersuchung zur Begründung und zur Entstehungsgeschichte einer theologischen Disziplin von der Reformation bis zur Spätaufklärung. Münster: LIT, 395 ff.; 402 f.; 406 f.

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dungswissenschaft (scientia practica) entfalten konnte.119 Tatsächlich waren, lange bevor sich mit Pietismus und Aufklärung zwei mächtige Strömungen am Horizont als Ablösungskräfte bemerkbar machten, deren spätere Basisanliegen schon in altprotestantischen Entwürfen einer theologia practica (et moralis)120 vorformuliert worden: Die Frage nach der praxis pietatis als einer gefühlsbetonten Frömmigkeitsausübung galt als gestellt, ebenso die nach einer speziellen Christentumspraxis, die sich v. a. im öffentlichen Raum aufgrund ihrer niveauvollen Moralität als zukunftsweisende Sittlichkeit bewährt. Gleichwohl, vollständig ausdifferenzierte und vereinheitlichte Theologiebegriffe sucht man weiterhin vergeblich. Der bisherige Besichtigungsrundflug über die Jahrhunderte dürfte, abgesehen von der Begegnung mit allerlei interessanten Detailinformationen, die pauschalen Einsichten ermöglicht haben, ▶▶ dass christliche Frömmigkeit und christlicher Glaube unter immer wieder neuen Rubriken beschrieben und erörtert worden sind, sich dabei als Lehre, Theorie und Wissensmenge, aber auch als Weisheit, Praxis und Tat haben entfalten lassen, ▶▶ dass sich bestimmte starke Begriffe zwar durchhalten konnten, aber nicht zwingend zur kontinuierlichen Etikettierung stets je derselben Sachverhalte eignen wollten ▶▶ und dass die Bestimmung der theologia als practica eher mit einer Qualifizierungsfrage der ganzen Theologie als mit einer disziplinären Gewaltenteilung einherging. Eine Disziplin mit einer eindeutigen Kontur, ein profiliertes Lehrfach Praktische Theologie war also noch nicht dauerhaft installiert. Dennoch war das Feld urbar gemacht, die Landschaft hatte sich geändert. Längst sprach man Deutsch auch in der Wissenschaft, und so war etwa 1795 in der dritten verbesserten Auflage von August Hermann Niemeyers (1754–1828) populäre(r) und praktische(r)

119 Vgl. Illg, Thomas (2011). Ein anderer Mensch werden. Johann Arndts Verständnis der imitatio Christi als Anleitung zu einem wahren Christentum. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, bes. 229 f.; Wallmann, Johannes (1961). Der Theologiebegriff bei Johann Gerhard und Georg Calixt. Tübingen: Mohr, bes. 50–53. 120 Vgl. etwa 1646 die Disputatio de theologia practica des reformierten Gisbert Voetius (1589–1667), 1678 die Theologia positiva et moralis von Johann Ludwig Hartmann (1640–1684) oder 1711 die Institutiones theologiae moralis des Lutheraners Johann Franz Buddeus (1667–1729); mehr bei Filser, Dogma, 406 f.

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Theologie zu lesen, was es mit der Einrichtung einer solchen, vor allem mit den Begriffen des Populären und Praktischen überhaupt auf sich haben könnte: Jeder Unterricht, bey welchem man keinen höheren Grad von wissenschaftlicher Bildung, oder eigentliche Gelehrsamkeit, sondern blos gemeinen Menschenverstand voraussetzen darf, um ihn verständlich zu machen, heißt Volksunterricht, und seine unterscheidende Eigenschaft ist, daß er populär oder den Fähigkeiten des Volkes – das ist, der Menschen aus allen Ständen – angemessen sey. Sofern der Zweck desselben vorzüglich dahin geht, das zu lehren, wovon ein unmittelbarer Gebrauch im Leben gemacht werden kann, wird er praktisch.121

Gewiss, das Anliegen Niemeyers, in der Pointe kaum zu übersehen, hat natürlich nur wenig mit einer echten Theoriebildung gemein. So plausibel und zeitgeist-repräsentativ seine Skizzen zu einer christlichen Volksbildungsveranstaltung, die nützliche Dinge auf unterstem Niveau wohlfeil122 hält, auch sind, sie können nicht wirklich im Sinne eines ganzen Konzepts von praktischer Theologie am Ende des 18. Jahrhunderts verstanden werden.123 Einen weiterführenden Vorschlag unterbreitet beinah zeitgleich der junge Christoph Friederich Ammon (1766–1850) mit seinem Entwurf einer wissenschaftlich=praktischen Dogmatik nach den Grundsätzen des Christenthums und der Vernunft124, der schon in seiner Einleitung in die wissenschaftliche und praktische Theologie die Notwendigkeit umfangreicher Differenzierungen andeutet: Die Begriffe, Theologie und Religionswissenschaft, werden im gemeinen Sprachgebrauche nicht von einander unterschieden, sondern bezeichnen beide den Umfang 121 Niemeyer, D. August Hermann (Königlich Preußischer Consistorialrath und Professor der Theologie) (1795) Populäre und praktische Theologie oder Methodik und Materialien des christlichen Volksunterrichts. Dritte verbess. Aufl. Halle: Buchhandlung des Waisenhauses, 3. 122 „Wohlfeile Ausgabe“ war auf dem Deckblatt der Publikation zu lesen. 123 Drehsen, Volker (1988). Theologia Popularis. Notizen zur Geschichte und Bedeutung einer praktisch-theologischen Gattung. Pastoraltheologie. Monatszeitschrift für Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft 77:1, 2–20, bemerkt hierzu, dass „im Zeitraum von 1773 bis 1810 […] das Stichwort der Popularität als Programmbegriff in Dogmatik, Exegese, Homiletik und teilweise auch als Äquivalent zur Praktischen Theologie überhaupt“ erscheint (a. a. O., 10). 124 Ammon, Christoph Friedrich (1797). Entwurf einer wissenschaftlich-praktischen Dogmatik nach den Grundsätzen des Christenthums und der Vernunft. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

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  2.2  „theologica practica“. Eine haltbare Vokabel...

wissenschaftlicher Kenntnisse von dem, was Gott in Beziehung auf die Welt, und der Mensch in Beziehung auf Gott ist und seyn soll. Wer diese Kenntnisse besitzt und davon einen praktischen Gebrauch für andere macht, heißt in der Sprache des gemeinen Lebens ein Religionslehrer, oder Theologe. […] Dieses moralische Interesse, welches jeder unverdorbene Mensch für die Religion hat, wird noch durch das Gefühl der Abhängigkeit seines Wesens von dem Einflusse fremder Kräfte; durch den Gedanken an seine Bestimmung, zur immer größeren Vollkommenheit und Glückseligkeit zu reifen; durch die bleibende Ruhe und Zufriedenheit, welche ihm die religiöse Tugend gewährt, ungemein verstärkt und erhöht. […] Wer die Religion verachtet, verräth einen thörichten Leichtsinn gegen den Urheber seines Lebens und seiner Kräfte; eine unvernünftige Gleichgültigkeit gegen seine Bestimmung und den Endzweck seines Daseyns; einen sträflichen Ungehorsam gegen den heiligen Gesetzgeber und Richter seiner Handlungen; und noch überdiß die größeste Unklugheit in dem Genuße der Lebensfreuden, weil Irreligiosität unmöglich mit der Selbstzufriedenheit bestehen kann, welche die Bedingung aller Glückseligkeit ist.125

Einmal ganz abgesehen davon, dass das von Ammon erwähnte (und im zweiten Teil der zitierten Passage fokussierte) „Gefühl der Abhängigkeit“ die Theologie noch lange beschäftigen sollte, ist es vor allem die Verhältnisbestimmung von (lebens-)praktischen, religionsdidaktischen und moralischen, also sittlich-handlungsbestimmenden Wissensmengen der Theologie, die der offenbar arg durch Johann Joachim Spaldings (1714–1804) Studien zu der Bestimmung des Menschen126 und der Religion, eine Angelegenheit des Menschen127 inspirierte Theologe nun zu erörtern und als Pointen seines Konzepts zu plausibilisieren sieht. Nur wenige Jahre nach der o. g. Publikation erklärt Ammon in seiner „Geschichte der Homiletik“128, warum man die theoretische und praktische Theologie unter Beachtung aller Zusammenhänge sowohl im Ganzen als auch getrennt zu inspizieren hätte: Sicher habe man sich mit deren Wechselverhältnis zu beschäftigen, wenn man „den Begriff des Praktischen nicht bloß nach den 125 A.a.O., 3, 7. 126 Spalding, Johann Joachim (1748). Betrachtung über die Bestimmung des Menschen. Dritte und vermehrte Auflage. Berlin: Johann Jacob Weitbrecht. Zuletzt in Beutel, Albrecht/et. al. (Hrsg.) (2006) Kritische Ausgabe (SpKA): 1. Abteilung: Schriften, Bd. I/1: Die Bestimmung des Menschen 1.-11. Auflage. Tübingen: Mohr Siebeck. 127 Spalding, Johann Joachim (1798). Religion, eine Angelegenheit des Menschen. Berlin: Voss. 128 Ammon, Christoph Friedrich (1804). Geschichte der Homiletik. Erster Theil. Göttingen: Johann Friedrich Röwer.

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Postulaten eines von aller Speculation unabhängig seyn sollenden moralischen Imperativs, sondern nach dem Einflusse bestimmt, welchen theologische Wahrheiten auf die Begründung der Religion, oder auf die Besserung und Veredelung des menschlichen Willens zur fortschreitenden Aehnlichkeit mit dem höchsten Wesen behaupten“129. Dennoch sei eine Grenzbestimmung anzuordnen; man habe die Auseinandersetzung mit den letztgründigen Lehren (über Gott) der Vernunft und der Offenbarung als theologisches Theoriegeschäft zuzuweisen, wohingegen die Bestimmung des Menschen und die Beschäftigung mit dem Endzweck seines sämtlichen Handelns in den Aufgabenkatalog der kirchlichen Anstalten eingeschrieben werden müsse, und zwar „nach ihren verschiedenen kirchlichen Verhältnissen“130. Eine so umrissene Konzeption von praktischer Theologie konnte sich gut Bahn schaffen und zunehmend etablieren. Dennoch war nicht zu übersehen, wie sich am Horizont von Moralgeschäft, Lebenstrost und Daseinsgestaltung bereits ein eigentümlicher Religionsbegriff wetterleuchtend abzeichnete: ein Religionsbegriff, der sich auch individuell und anthropologisch einholen ließ, hinsichtlich seiner sittlichen Tragweite näher bestimmen und auf gesellig-soziale wie auch subjektiv-ästhetische Dimensionen befragen lassen könnte. Und tatsächlich, die Auswirkungen dieses Wetterleuchtens für die Praktische Theologie waren letztendlich immens. Doch zuvor sollte noch einiges geschehen.

129 A.a.O., Vorrede, VI. 130 Ebd., VI. Mit dieser Redewendung zielt Ammon auf die verschiedenen kirchlichen Handlungsfelder, für die unterschiedliche subdisziplinäre Erörterungen notwendig sind, also etwa die Homiletik für das Predigtgeschäft oder die Katechetik für den Unterweisungsbetrieb. Allerdings platziert Ammon in diesem Geflecht seiner praktisch-theologischen Disziplinen auch die „Moral“, vgl. ebd.

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  2.3  „Praktische Theologie“. Die Geschichte einer Krönung

2.3  „Praktische Theologie“. Die Geschichte einer Krönung (und ihrer Konsequenzen) In zwanzig Jahren wird der christliche Glaube in Deutschland erloschen sein.131 Was hat Christus gewollt?132 Die Sprache […,] in der das Christentum entstanden ist, ist nicht mehr vorhanden als lebende Sprache.133 Glauben, was man gemeinhin so nennt, annehmen was ein anderer gethan hat, nachdenken und nachfühlen wollen, was ein Anderer gedacht und gefühlt hat, ist ein harter und unwürdiger Dienst, und statt das höchste in der Religion zu sein, wie man wähnt, muß er gerade abgelegt werden.134 Daher ist es besser, den natürlichen Glauben ohne Künstelei stehen zu lassen, daß das neue Leben, einmal wirklich gewonnen, ein ewiges ist.135 Der eigentliche Zweck der religiösen Gemeinschaft ist […] die Circulation des religiösen Interesses.136 Die evangelische Kirche ist eine Gemeinschaft des christlichen Lebens zur selbständigen Ausübung des Christenthums.137 Das 131 Diese Prophezeiung wurde angeblich von einer namhaften Berliner Zeitung gegen Ende des 18. Jahrhunderts aufgestellt und verbreitet. Zitiert wird die Behauptung in der Regel nur sinngemäß, also ohne Quellenbelege: Michael Welker (Ders. (1997). Schleiermacher – Denker über die Moderne hinaus. Ruperto Carola 3, 10-15) und Johannes Wallmann (Ders. (2000), Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation. 5. Aufl. Tübingen: Mohr Siebeck), um nur zwei exponierte Referenten zu nennen, bemühen das kolportierte Zitat zur Veranschaulichung des protestantischen (und religiösen) Zeitgeistes in Deutschland um 1800. 132 Schleiermacher, F. D. E. (1983). Die Praktische Theologie nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt (1850) [= PT]. Aus Schleiermachers handschriftlichem Nachlaß und nachgeschriebenen Vorlesungen. Herausgegeben von Jacob Frerichs. Berlin (SW I, 13 = Friedrich Schleiermachers sämtliche Werke. Erste Abtheilung. Zur Theologie 13), hier: 59. Zuletzt: Photomechanischer Nachdruck. Berlin/ New York: De Gruyter 1983). 133 Schleiermacher, PT, 15. 134 Schleiermacher, F.D.E. (1984). Schriften aus der Berliner Zeit 1796–1799 (KGA I.2). Hg. v. Günter Meckenstock. In: Schleiermacher, F.D.E. (1975–2005) Kritische Gesamtausgabe [= KGA]. Herausgegeben von Hans-Joachim Birkner, Gerhard Ebeling, Hermann Fischer, Heinz Kimmerle, Kurt-Victor Selge. Berlin/ New York: De Gruyter; hier: 241. 135 Schleiermacher, KGA I.7, 2 (= Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt (1821/22), Teilband 2), 154. 136 Schleiermacher, PT, 65. 137 A.a.O., 62.

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Geschäft der praktischen Theologie ist, die aus den Ereignissen der Kirche entstandenen Gemüthsbewegungen in die Ordnung einer besonderen Thätigkeit zu bringen.138 Die praktische Theologie wird erklärt als die Technik zur Erhaltung und Vervollkommnung der Kirche.139 Praktische Theologie ist nicht die Praxis, sondern die Theorie der Praxis.140 Das Bedürfniß der praktischen Theologie entsteht […] nur für den, in welchem religiöses Interesse und wissenschaftlicher Geist vereint sind.141

Die deutsche Religionskultur des auslaufenden 18. Jahrhunderts, so möchte man mit Blick auf die bislang skizzierten theologischen Differenzierungen annehmen, die einer Präzisierung der sittlichen Prägekraft und der Vernünftigkeit des christlichen Glaubens zuarbeiten wollen, müsste intakt und gesellschaftsfähig gewesen sein. Letzten Endes jedoch war das Gegenteil der Fall; bereits 1801 hatte Christoph Friedrich von Ammon – wir nahmen bereits Notiz von Teilen seines akademischen Wirkens – in einer Neujahrspredigt in der Göttinger Universitätskirche eine erschütternde Bilanz gezogen: Nicht genug, daß die Tempel verlassen stehen, nicht genug, daß die gottesdienstlichen Gebräuche und Handlungen, welcher die Menschen als sinnliche Wesen nie werden ganz entbehren können, mehr als jemals an der allgemeinen Theilnahme verloren haben; nicht genug endlich, daß der kirchliche Gemeingeist der Christen, der sonst Heere bekämpfte und die Gewalt der mächtigsten Staaten besiegte, beinahe ganz verschwunden ist: auch der Glaube an die wesentlichsten Wahrheiten der Religion hat bei unendlich Vielen seine Gewißheit und Stärke verloren. Zweifelsucht und Gleichgültigkeit sind häufig an seine Stelle getreten, der Geist der Andacht und des Gebetes, ja selbst der Gedanke an Gott und eine künftige Welt ist ganzen Familien und Gesellschaften fremd geworden, und die gegenwärtige sinnliche Stimmung der Gemüter würde nur noch ein Jahrzehnt fortdauern dürfen, um das ganze Geschlecht dem namenlosen Elend preiszugeben, das von einem herrschenden religiösen Unglauben unzertrennlich ist.142 138 A.a.O., 27. 139 Vgl. a. a. O., 25. 140 A.a.O., 12. 141 Schleiermacher, KGA I.6 (=  Universitätsschriften. Herakleitos. Kurze Darstellung des theologischen Studiums), 300. 142 Ammon, Christoph Friederich (1802). Predigten zur Beförderung eines reinen moralischen Christentums 3. Erlangen: Palm, 15; zit. bei: Seeberg, Reinhold (1903). Die Kirche Deutschlands im neunzehnten Jahrhundert. In: Ders. (Hrsg.) An der Schwelle des zwanzigsten Jahrhunderts. 4. Aufl. Leipzig: A. Deichert’sche Verlagsbuchhandlung, 3.

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  2.3  „Praktische Theologie“. Die Geschichte einer Krönung

Ammons kritische Predigt war durchaus repräsentativ und folgenschwer.143 Nachdem ein gutes Jahr später in einem sogenannten preußischen Hofreskript144 über die Klage verhandelt worden war, dass sich die christliche Frömmigkeit in mittleren und größeren Städten schon merklich zersetzt habe und man wohl bald, angesichts einer „täglich mehr sinkende(n) Religiosität“, mit einem gänzlichen Verfall der Religion rechnen könne, artikulierte nur vier Tage darauf der preußische König Friedrich Wilhelm III. im fünften Jahr seiner Regierungszeit (1797–1840) über ein weiteres Hofreskript, dass man, wolle man der Religion nicht völlig verlustig werden, unbedingt „auf kirchlichem Gebiet die Autorität stärken und Ordnung schaffen“ müsse.145 Die Strategie, mit der man seinerzeit dieser Misere zu begegnen dachte, war auf gewisse Weise doch sehr vertraut; einmal mehr wurde als vorrangiges Ziel ausgegeben, das Kirchenwesen und die Pfarrausbildung zu modernisieren, die Reputation (und Besoldung) der Geistlichen anzuheben, mit der Aufwertung der äußeren Formen von Religionsausübung, also der Bedeutsamkeit von Gottesdienstbesuch und Taufe auch die inneren Überzeugungen der Religionspraktizierenden zu stärken und insgesamt das Interesse an der sozialintegrativen, sittlichen und moralischen Kraft der Religion anzuheben. Dies freilich musste unverhohlen als ein Kraftakt scheinen, der kaum aufzubringen war; längst hatte der gebildete Kulturmensch jener Jahre seine Interessen außerhalb der institutionalisierten Christentumsreligion gefunden. Sinnbildlich dafür steht u. a. der Erinnerungsbericht des Zeitzeugen Henrich Steffens, eines norwegisch-deutschen, temporär in Dänemark beheimateten Philosophen, Naturforschers, Hochschullehrers und Dichters, der nach einer ausgiebigen Bildungsreise durch Deutschland (1789–1801) seine Erlebnisse zu Papier bringt; zwischen allerlei Erinnerungen zu Fichte, Schelling, Kant, Spinoza, Knigge und Lessing mischen sich Eindrücke zu Fauna und Flora, zu Zivilisation und Manier. Neben die Sichtung von Schmetterlingen, Libellen 143 Beweismaterial, um das Phänomen der Entkirchlichung im 18. Jahrhundert anschaulich zu machen, findet sich zuhauf; ausführlich zu diesem Phänomen vgl. Hölscher, Lucian (1990). Die Religion des Bürgers. Bürgerliche Frömmigkeit und protestantische Kirche im 19. Jahrhundert. Historische Zeitschrift 250, 595–630. 144 Preußisches Hofreskript vom 14. Februar 1802; vgl. Foerster, Erich (1905). Die Entstehung der preußischen Landeskirche unter der Regierung König Friedrich Wilhelms des Dritten nach den Quellen erzählt. Ein Beitrag zur Geschichte der Kirchenbildung im deutschen Protestantismus. Tübingen: Mohr, 288. 145 Preußisches Hofreskript vom 18. Februar 1802; vgl. a.a.O, 100.

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und Käfern treten Beobachtungen von Kleidungsstücken und Accessoires wie dem Kasimir-Überrock146, der langen tönernen Pfeife oder der neuen Tracht sächsischer Bürgerfrauen, außerdem Geschmacksurteile, z. B. die einfache Kaldaunensuppe oder das dörfliche Kirmeswesen betreffend – und schließlich auch jene bewegenden Impressionen in der Metropole Berlin, die in der Tat recht aussagekräftig waren. Steffens notiert: Ich trieb mich […] in der Stadt herum, ich besuchte das Mineralien-Kabinett, den botanischen Garten […]. Der Thiergarten war mir lieb, einsame Plätze zogen mich an. […] Um die Wachtparade drängte sich Alles: die Kirchen waren leer, und verdienten es zu sein. Die Theater waren gedrängt voll, und mit Recht; […]. Und mit welcher großen Verehrung für Iffland, mit welchen übertriebenen Erwartungen trat ich in das Schauspielhaus hinein.147

Henrich Steffens – bzw. seine Art und Weise, sich das Kulturleben und die Geisteswelt zu erschließen, ohne dabei sonderlich neugierig auf die Beiträge der verfassten Religion zuzugehen – darf als exemplarisch angesehen werden. Jedenfalls ist es genau die in den besagten Reiseerinnerungen zum Ausdruck gebrachte Grundstimmung und Haltung, die der junge Theologe Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768–1834)148 mit einem kleinen Traktat „Über die Religion“149 zu bedienen weiß. An die „Gebildeten unter ihren Verächtern“ ist sie gerichtet, diese Kunstschrift von 1799, und sie gesteht gleich ein, dass gewiss keiner der Adressierten jenem Lager zuzurechnen ist, wo man „in heiliger Stille die Gottheit verehrt“150. Das Herz dieser Menschen, so wird notiert, schlage doch eher für die Sprüche der Weisen und die Gesänge der Dichter, für 146 Offenbar ein Vorläufer des heutigen Kaschmirmantels (Anm. d. Verf.). 147 Steffens, Henrich (1841). Was ich erlebte. Aus der Erinnerung niedergeschrieben von Henrich Steffens 4. Breslau: Josef Mar und Comp, 189 f. 148 Ausführlich Nowak, Kurt (2001). Schleiermacher. Leben, Werk und Wirkung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht; Schröer, Henning (1985). Es begann mit Schleiermacher. Impulse des Begründers der Praktischen Theologie für ein gegenwärtiges Konzept. PthI 5:1, 84–105. 149 Schleiermacher, F.D.E. (2001). Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern erschien zunächst anonym (Berlin 1799) (KGA I.2, 187-326). Hg. v. Günter Meckenstock. 2. Aufl. Berlin/New York: De Gruyter. Schleiermacher, der sich bereits wenige Jahre später zu dieser Veröffentlichung bekannt hatte, wurde mit der zweiten Auflage von 1806 offiziell als Verfasser geführt; vgl. KGA I.12 (=  Über die Religion (2.–)4. Aufl.; Monologen (2.–)4. Aufl.), 5–7. 150 Schleiermacher, KGA I.2, 189.

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  2.3  „Praktische Theologie“. Die Geschichte einer Krönung

Vaterland, Kunst und Wissenschaft, und es ist zu registrieren, wie umstandslos ihnen gelungen ist, das irdische Leben reich und vielseitig zu machen, ohne einen Gedanken oder gar ein Gefühl aufbringen zu müssen für das „Universum, […] welches Euch schuf “151. Dennoch will es der Verfasser dieser Schrift wagen, mit diesem Publikum zu verhandeln, und zwar genau über dasjenige, was er selbst als „innerste Triebfeder“ seines Daseins schätzt, und was ihm „auf ewig das Höchste bleiben wird, auf welche Weise auch noch die Schwingungen der Zeit und der Menschheit“ ihn bewegen sollten.152 Ein hochehrgeiziges Projekt ist es, und um die betreffenden Verhandlungen auf Augenhöhe führen zu können, sind zweifellos einige Klärungen vonnöten. Schleiermacher gesteht zu, von „Alters her ist der Glaube nicht jedermanns Ding gewesen“ und „von der Religion haben immer nur Wenige etwas verstanden“, obschon Millionen mit ihren „Umhüllungen gegaukelt“ (und sich abgefunden) haben.153 Aber womöglich ist ja auch über Jahrhunderte hinweg etwas verwechselt worden, nämlich die hohe Religion und ihr Wesenskern mit dessen Ummantelungen? Nun, völlig identisch war sie jedenfalls nie mit einer zeit- und kulturgeschichtlich bedingten Einkleidung, hält Schleiermacher fest, und so will er sie auch nicht über diese Verbrämungen bestimmen, mit ihnen verwechseln oder gar auf sie reduzieren; im Umkehrverfahren freilich gilt dann allerdings auch, dass das Schicksal der (echten) Religion keineswegs mit dem Bedeutungsverlust ihrer vorläufigen, historisch bedingten (kirchlichen) Ausgestaltungen erfasst werden darf, und so heißt es: „In das Hülferufen der Meisten über den Untergang der Religion stimme ich nicht ein, denn ich wüßte nicht, daß irgendein Zeitalter sie beßer aufgenommen hätte als das gegenwärtige, und ich habe nichts zu schaffen mit den altgläubigen und barbarischen Wehklagen, wodurch sie die eingestürzten Mauern ihres jüdischen Zions und seiner gothischen Pfeiler wieder emporschreien möchten.“154 Für Schleiermacher sind es nicht die ihrer Zeit geschuldeten Geschichten und Legenden, nicht die kontextabhängigen Texte und Moralia, nicht die abgefeimten metaphysischen Spitzfindigkeiten, nicht die Formeln, Phrasen und Dogmen einer sukzessiv gewachsenen Religionsgemeinschaft, die das Wesen der Religion ausmachen; er erklärt seiner (fingierten) Zielgruppe: „Ihr seid ohne Zweifel bekannt mit der Geschichte menschlicher 151 Ebd. 152 A.a.O., 190 f. 153 A.a.O., 189. 154 A.a.O., 190. Aus heutiger Perspektive könnte man dieses Zitat natürlich einigen Korrekturen anempfehlen bzw. einer political correctness-Bearbeitung unterziehen.

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Thorheiten, und habt die verschiedenen Gebäude der Religion durchlaufen, von den sinnlosen Fabeln wilder Nationen bis zum verfeinerten Deismus, von der rohen Superstition unseres Volkes bis zu den übel zusammengenähten Bruchstüken von Metaphysik und Moral, die man vernünftiges Christentum nennt, und habt sie alle ungereimt und vernunftwidrig gefunden.“155 Nun, und dafür gibt es offensichtlich auch einen plausiblen Grund, nämlich den, dass all die bisherigen Versuche, sich des großen Ganzen verstehend-theoretisch bzw. moralisch-praktisch zu bemächtigen, weder der Besonderheit des Universums noch der Eigenart von Religion gerecht werden können. Vielmehr als alles andere braucht es Feinsinn und Sehnsucht, Rührbarkeit und Leidenschaft, denn Religion begehrt nicht das Universum seiner Natur nach zu bestimmen und zu erklären wie die Metaphysik, sie begehrt nicht aus Kraft der Freiheit und der göttlichen Willkühr des Menschen es fortzubilden und fertig zu machen wie die Moral. Ihr Wesen ist […] Anschauung und Gefühl. Anschauen will sie das Universum, in seinen eigenen Darstellungen und Handlungen will sie es andächtig belauschen, von seinen unmittelbaren Einflüßen will sie sich in kindlicher Paßivität ergreifen und erfüllen lassen.156

Schleiermachers berühmt gewordene Pointe, worin Religion als „Sinn und Geschmack fürs Unendliche“157 bestimmt wird, hat genau in diesem Denkzusammenhang ihren Ort; sie markiert im Grunde seine Leistung, die Frage nach dem Wesen der Religion um eine ästhetische, sinnliche, subtil elegische Dimension angereichert – und dieser Religion einen Hochsitz im Menschlichen gegeben zu haben: Ihr, die „aus dem Inneren jeder beßeren Seele nothwendig von selbst entspringt“, wird „eine eigne Provinz im Gemüthe“ zugestanden.158 Aber war das nicht letzten Endes ein Schwanengesang auf alles, wofür Theologie und Kirche bis dato gestanden hatten? Wie, so könnte man sich fragen, sollte dieser Bestimmungsversuch denn eigentlich zu verstehen sein, der mit philosophischen Motiven Spinozas und frühromantischem Ideengut jongliert, seine im Gemüt positionierte Religion, ganz im gefühlten Gleichklang mit einigen seiner Weggefährten, zu einer ganz besonderen Angelegenheit für

155 A.a.O., 199. 156 A.a.O., 211. 157 A.a.O., 212. 158 A.a.O., 204.

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  2.3  „Praktische Theologie“. Die Geschichte einer Krönung

geschmackvoll-sinnliche Menschen erklärt –159 und beiläufig wortspielerisch, aber eben hochgebildet mit dem Zentralbegriff der spekulativen Philosophie Hegels ihr Ziel ausgibt, nämlich den „Weltgeist zu lieben und freudig seinem Wirken zuzuschauen“160? Worauf läuft dieses Religionsverständnis hinaus, und was sollte es eigentlich noch zu tun haben mit dem Religionskonzept einer Kirche Jesu Christi, die ihr Heil gekoppelt hatte an das Grundmotiv einer Offenbarung Gottes in Christo, der wiederum als eingeborener Sohn des Höchsten, als (Sühne-)Opfer, Retter und Messias, als Erlöser und kosmischer Herrscher in die Glaubenslehren eingeschrieben worden war? Womöglich wird diesem berechtigten (und gewiss auch komplexen) Fragenkatalog am ehesten beizukommen sein, wenn man den Sinnhorizont des frühen Schleiermacher‘schen Religionsbegriffes mit biografischen Eckdaten und Äußerungen zu synchronisieren versteht. Einen ersten Lichtkegel zur Erhellung etwa wirft ein Brief des hochbegabten Jungstudenten an seinen Vater, in dem der in einem eigentümlichen Amalgam aus reformierten und pietistischen Religionskulturen aufgewachsene und weitgehend im Traditionsstrom der Herrnhuter Brüdergemeine erzogene Friedrich Daniel Ernst dem reformierten Feldprediger Gottlieb Schleiermacher das Zerwürfnis mit Lehrenden am Seminar der Herrnhuter Brüder-Unität in Barby anzeigt; schweren Herzens erklärt sich der knapp Zwanzigjährige schriftlich und verweist auf die theologisch-intellektuellen Abgründe seiner Frömmigkeitskrise: Ich kann nicht glauben, daß der wahrer ewiger Gott war, der sich selbst nur den Menschensohn nannte; ich kann nicht glauben, daß sein Tod eine stellvertretende Versöhnung war, weil er es selbst nie ausdrücklich gesagt hat, und weil ich nicht glauben kann, daß sie nöthig gewesen, denn Gott könne die Menschen, die Er offenbar nicht zur Vollkommenheit, sondern nur zum Streben nach derselben geschaffen hat, unmöglich darum strafen wollen, weil sie nicht vollkommen geworden sind.161

Gut zwölf Jahre später – mittlerweile hat Schleiermacher an der Universität Halle Evangelische Theologie studieren, einige Stufen auf der beruflichen Kar159 Vgl. Schmidt, Sarah (2013). Analogie versus Wechselwirkung – Zur „Symphilosophie“ zwischen Schleiermacher und Steffens. In: Arndt, Andreas (Hrsg.) Friedrich Schleiermacher in Halle (1804–1807). Berlin/Boston: De Gruyter, 91–114: 93 f. 160 Schleiermacher, KGA I.2, 224. 161 F.D.E.Schleiermacher (1985). Brief an J.G.A. Schleyermacher. Barby. Sonntag 21. 1. 1787 (KGA V.1: Briefwechsel 1774–1796. Briefe 1–326. Hier: Nr. 53). Hg. v. Rolf Schäfer. Berlin/ New York: De Gruyter, 49–52: 50.

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riereleiter erklimmen, einen sozialen Verkehrsort in den literarischen Salons Berlins finden sowie erste Arbeiten zu Platon und Ariostoteles, fernerhin zu dem System Spinozas vorlegen können – scheint seine Frömmigkeit eine neue Kontur, einen neuen Sättigungsgrad, oder aber schlicht: eine passförmigere Ausdrucksweise gefunden zu haben. Ganz ohne Zugriff auf das explizite, theologisch eingepflegte Vokabular der institutionalisierten Religionsgemeinschaften offenbart er sich und sein Seelenleben der guten Freundin Henriette Herz; quasi am Vorabend der Veröffentlichung seiner Religionsschrift gibt er Bewegendes preis: „Wie es mir gestern gegangen ist, ich alter Narr. Voll der Religion habe ich mich schlafen gelegt und mich anderthalb Stunden im Bett herumgetrieben ohne Schlaf. Es war nicht Erhitzen vorm Arbeiten […], es war eine Anwandlung von Vaterfreuden und Furcht vor dem Tode. Sehen Sie zum ersten Male ist es mir mit einer gewissen Lebhaftigkeit aufgefallen, daß es doch Schade wäre wenn ich diese Nacht stürbe.“162 Es waren einfache Worte, zweifellos, und doch brachte Schleiermacher genau jene Gestimmtheit zum Ausdruck, um die es ihm offenbar nicht erst in jener Schicksalsnacht schon ernst gewesen war: Die radikale Anspannung zwischen der stetigen Erfahrung von Endlichkeit und Vergänglichkeit einerseits und der plötzlich aufkommenden Einsicht andererseits, dass sich das menschliche Bewusstsein die eigene Abwesenheit weder vorstellen kann noch möchte,163 diese Spannung einschließlich aller Kontrastbilder, aller sich kommunizierenden Sehnsüchte und Überwindungsphantasien mag Schleiermacher schon länger subtil mit sich getragen haben. In der Religionsschrift, so wäre zu resümieren, gerinnt sie in einer romantisch gesättigten Theoriesprache zu jenem fundamental-konstituierenden Wert, der den Religionsbegriff nicht allein stützt, sondern fundamentalanthropologisch dem humanum zuzuordnen hilft: Als ein Wesen mit der geborenen „Anlage zur Religion“164 wird der Mensch verstanden, und es ist diese Anlage, die mehr oder weniger intensiv mit dem Inbegriff des Ewig-Unendlichen korrespondiert, also mit jenem Schleiermacher’schen Universum, das wahrgenommen und angeschaut werden kann, weil es sich als beständig Einfluss auf die Anschauenden Ausübendes eben wahrnehmen und anschauen lässt. 162 F.D.E. Schleiermacher (1992). Brief an H. Herz. Potsdam, Sonntag 14.4. bis Montag 15.4.1799 (KGA V.3: Briefwechsel 1799–1800. Briefe 553–849. Hier: Nr. 629). Hg. v. Andreas Arndt / Wolfang Virmond. Berlin/New York: De Gruyter, 89–91: 90. 163 Vgl. McCloud, Scott (2015). Der Bildhauer. Hamburg: Carlsen, 38. 164 Schleiermacher, KGA I.2, 249, 252 u.ö.

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  2.3  „Praktische Theologie“. Die Geschichte einer Krönung

Gleichwohl verhält es sich mit der Weise dieser Anschauung(en) und Wahrnehmung(en) genauso vielfältig, wie es die Vielzahl und Verschiedenheit aller Anschauenden hergibt; das Universum drückt sich eben – im Wechselverhältnis zu all den unterschiedlichen Weisen von Anschauung und Wahrnehmung – verschiedenartig und verschiedengestaltig aus und ein. Wer immer nun der Gestimmtheit, die dieser Eindruck des angeschauten Universums hinterlässt, einen angemessenen Ausdruck verleihen will, sprich: wer der eigenen religiösen Welt in sich ein angemessenes Bild zu geben strebt, muss keineswegs zwingend auf die geltende Religionssprache festgelegt werden. Im Gegenteil, wo nur der Glaube aufgesagt oder ein Glaube nachgesprochen wird, ist am Ende gar keine Religion am Wirken: „Wer nicht eigne Wunder sieht […], in weßen Innern nicht eigene Offenbarungen aufsteigen, wenn seine Seele sich sehnt die Schönheit der Welt einzusaugen […], wer nicht hie und da mit der lebendigsten Überzeugung fühlt, dass ein götlicher Geist ihn treibt […], wer sich nicht wenigstens […] seiner Gefühle […] als unmittelbarer Einwirkungen des Universums bewußt ist […] der hat keine Religion“165, erklärt Schleiermacher, und er bringt diese Einschätzung zu einer polemisch übertriebenen Spitze: „Nicht der hat Religion, der an eine heilige Schrift glaubt, sondern welcher keiner bedarf, und wohl selbst eine machen könnte“166. Um dieser Spitze nun etwas Missverständliches zu nehmen, müssen zwei Aspekte sichergestellt werden: (1.) Schleiermacher hatte keineswegs die Absicht, den akademischen und öffentlichen Geltungshorizont der Bibel – bzw. ihre theologisch-wissenschaftliche und kirchlich-pastoralpraktische Relevanz – in Abrede zu stellen. Eine antibiblizistische Attitüde allerdings bleibt nachhaltig geltend zu machen, und zwar dahingehend, dass ein Buch weder als Glaubensgegenstand noch als Huldigungsartefakt, wohl aber als Dokument und Ausdruck religiösen Bewusstseins verstanden werden kann. (2.) Es sollte weder eine literarisch bzw. künstlerisch hochbegabte Spezies favorisiert noch ein in Sachen Religion besonders kompetenter Menschenschlag fokussiert, sondern vielmehr auf die menschliche Grundfähigkeit aufmerksam gemacht werden, das Universum anzuschauen sowie dem Sinn und Geschmack für das Unendliche einen angemessenen eigenen Ausdruck zu verleihen.

Der Optimismus hinter den Reden an die Gebildeten ist kaum zu übersehen. Das über die zentralen Denkfiguren – Anlage und Provinz im Gemüthe, 165 A.a.O., 241. 166 A.a.O., 242.

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Anschauung und Gefühl bzw. Sinn und Geschmack fürs Unendliche – entwickelte Religionsverständnis setzte in weiterer Konsequenz eben darauf, dass Menschen vom Grundsatz her fähig sind, der eigenen religiösen Welt bzw. der eigenen frommen Gestimmtheit einen lebendigen Ausdruck zu geben, um sich sodann in brennender Leidenschaft auf die Gemüter der Anderen zu beziehen, sich menschheitlich wechselwirksam und gegenseitig in Vorstellungen mitzuteilen und zu bilden. „Ist die Religion einmal, so muß sie nothwendig auch gesellig sein“, erklärt Schleiermacher, denn es liegt in der Natur des Menschen nicht nur, sondern auch ganz vorzüglich in der ihrigen. Ihr müßt gestehen, daß es etwas höchst widernatürliches ist, wenn der Mensch dasjenige, was er in sich erzeuget und ausgearbeitet hat, auch in sich verschließen will. In der beständigen […] Wechselwirkung, worin er mit den Übrigen seiner Gattung steht, soll er alles äußern und mitheilen, was in ihm ist, und je heftiger ihn etwas bewegt, je inniger es sein Wesen durchringt, desto stärker wird auch der Trieb, die Kraft deßelben auch außer sich an Anderen anzuschauen, um sich vor sich selbst zu legitimiren“167.

Und außerdem, wie „sollte er gerade die Einwirkungen des Universums für sich behalten, die ihm als das größte und unwiderstehlichste erscheinen?“168 Doch für solcherlei Mitteilungen und Verständigungen braucht es geeignete Ausdrucksformen. Diese dürfen nun nicht allein der Kreativität eines religiös ergriffenen Menschen entspringen und lediglich dessen Phantasie und Ergriffenheit pathetisch bezeugen, sondern sollten um der Verständlichkeit und des Austausches Willen auf Sprachkonventionen, Gepflogenheiten, Manieren und Stilvorgaben abgestimmt bleiben. Denn wer Religion aussprechen will, um seine „eigene Anschauung hinzustellen, als Objekt für die Übrigen, sie hinzuführen in die Gegend der Religion wo er heimisch ist, und seine heilgen Gefühle ihnen einzuimpfen“169, der hat ja aus seiner Sicht das Universum auszusprechen, allerdings unter den formalen Bedingungen der jeweiligen Lehrveranstaltung: immer sind es kulturell formatierte Räume und traditionell überlieferte Szenarien (gewesen), in denen sich gemeinsame Zeichenvorräte konserviert sowie Bild- und Wortschätze bereitgehalten – und somit der Sprach- und Erfahrungsbasis aller verständigungsbereiten religiösen Wesen zugeliefert hatten. Schleier167 A.a.O., 267. 168 Ebd.  169 A.a.O., 269.

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macher, der bereits wenige Monate vor Drucklegung der Reden mit seinem literarischen Versuch einer Theorie des geselligen Betragens170 an die Öffentlichkeit getreten war, wollte nun auf eine bestmögliche Entfaltung dieser sozialen und kommunikativen Dimension des Religiösen hinaus; aus der Idee einer Geselligkeitsform, die die „Einwirkung religiöser Menschen auf einander“171 zentriert und befördert, generiert er „eine Gesellschaft von Menschen […], die mit ihrer Religion zum Bewußtsein gekommen sind und denen die religiöse Ansicht des Lebens eine der herrschenden geworden ist“172; diese stellt er in scharfem Kontrast zu einer Anstaltskirche, die sich gerade noch an den Grenzen des Aberglaubens auf Brauchtumspflege und Mythologien kaprizieren könne,173 weil immer wieder auf „die innersten Mysterien der religiösen Geselligkeit“174 übergriffig und nachhaltig schadend Einfluss genommen worden sei. In Anlehnung an klassische dogmatische Unterscheidungsbilder schwärmt er „nicht von der streitenden, sondern von der triumfierenden Kirche“175, also „nicht von der welche noch kämpft gegen alle Hinderniße der religiösen Bildung welche ihr das Zeitalter und der Zustand der Menschheit in den Weg legt, sondern von der, die schon alles was ihr entgegenstand überwunden und sich selbst constituirt hat“176 – und positioniert seine Vision diskursiver Frömmigkeitspflege als letztinstanzlichen Orientierungswert. An Schleiermachers wahrer Kirche – einer „Akademie von Priestern“ bzw. einem „Chor von Freunden“, die ständig bereit sind, lebendige Anschauungen und sinnliche Geschmacksausdrücke, gemütvolle Artikulationen und religiöse Gefühlsregungen kunstvoll (mit-)zuteilen und zu tauschen –177 haben sich alle Ansammlungen von Menschen zu messen, die ihre Religionswahrheit über dogmatische Begriffe, Glaubenssätze und Lehrmeinungen strukturiert abgebildet wissen wollen und lediglich auf sich einwirken lassen, was Autoritäten und hierarchisch organisierte Körper veräußern.178

170 A.a.O., 165–184. 171 A.a.O., 270. 172 A.a.O., 273. 173 Vgl. a. a. O., 278. 174 A.a.O., 283. 175 A.a.O., 273. 176 Ebd. 177 Vgl. A.a.O., 291. 178 Vgl. A.a.O., 274, 276 u.ö.

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Will man nun mit groben Strichen zusammenfassen, wie sich der junge Schleiermacher mit seinem letzten Endes anthropologisch und soziologisch aufgestellten Religionsbegriff – bzw. mit seinem theologisch und philosophisch pointierten Frömmigkeitsanliegen – in der Gemengelage der kulturellen Strömungen und Geisteshaltungen seiner Zeit positioniert hat, wäre Folgendes festzuhalten: ▶▶ Der religiöse Mensch, affiziert von den Eindrücken des Universums, für die er Sinn und Geschmack hat entwickeln und aufbringen können, sehnt sich nach Möglichkeiten, diesen Eindrücken in seiner Gestimmtheit auch einen Ausdruck zu geben, sinngemäß also nach einer (kunstvollen) Sprache bzw. einer Semantik für das Unaussprechliche. ▶▶ Er sucht nach sozialen Gelegenheiten, diese Sprache anzuwenden und einen kommunikativen Abgleich vorzunehmen, strebt nach geselligen Szenarien der Verständigung, genauer noch: nach einer beständigen Sozialformatierung dieser Prozesse. ▶▶ Sowohl für die Bildung zur Religion als auch für die Kommunikation frommer Ergriffenheit und Gestimmtheit braucht es religionssensible, stilsichere, sachkundige, sprachbegabte und organisatorisch professionell agierende Charaktere, die als Stifter, Vermittler und Choreographen fungieren; sie sollten sich v. a. auf die Anstiftung zur sinnlichen Anschauung des Ganzen, auf die Bereitstellung einer geeigneten religiösen Kunstsprache, auf die Moderation von Mitteilungen, auf die Erhebung des kommunizierten religiösen Bewusstseins der anvertrauten Schar, kurzum: auf die Gestaltung von Religion verstehen. Der Clou dieser Pointen ist im Grunde kaum zu übersehen: Schleiermacher hatte nicht die christliche Religion abserviert, sondern ihre Wesenszüge gescheit neu artikuliert. Es war Raum genug in seiner Theorie geblieben, um das traditionell über den Gottesbegriff eingeholte höchste Ganze für religiöse Sprachspiele zu empfehlen, ebenso hatte sich gezeigt, wie sinnvoll nicht allein die konsequente Auseinandersetzung mit den bislang kulturprägenden religiösen Bildern der christlichen Tradition(en), sondern auch der kritisch gepflegte Umgang mit ihnen bleibt; schließlich war aus den Reflexionen über die wahre Kirche auch die Notwendigkeit einer professionell orchestrierten und kunstvoll gestalteten Religionspraxis in geordneten Bahnen und Strukturen hervorgegangen.

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Insbesondere die Überarbeitungen, die Schleiermacher seiner Religionsschrift (übrigens in drei weiteren Auflagen)179 hat zukommen lassen, sind diesbezüglich interessant und geben Anlass zu der Rückfrage, ob die späteren Eingriffe als Resultate eines theologischen, intellektuellen, biografischen Reife- und Wandlungsprozesses zu deuten sind oder schlicht als sprachliche Nachbesserung gewertet werden sollten. Im Ergebnis jedenfalls veranschaulichen sie die gewichtigen Trends, (a) den Universumsbegriff stärker mit dem expliziten Gottesbegriff zu synchronisieren, (b) mit deutlichen Platzierungen biblischer Wendungen die Selbstverortung in der christlichen Glaubens- und Bekenntnistradition energischer zu plakatieren sowie (c) die kirchenkritisch wahrgenommenen Motive ins Licht des eigentlichen programmatischen Anliegens zu rücken, nämlich: auf eine „bessere Gestaltung der bestehenden Kirche“ hinzuwirken, „wo ein künstlerischer Meister eine Anzahl ihm möglichst Gleichartiger, die aber durch ihn erst völliger belebt und gebildet werden sollen, um sich sammelt.“180 Um einen Eindruck zu gewinnen, in welche Richtung sich die metaphorisch-poetisch ausgedrückten Ansichten des von der Frühromantik touchierten Salonfreundes Friedrich S. – womöglich bedingt durch bald hinzugewonnene Predigerperspektiven, gewiss auch vor dem Hintergrund einer sich abzeichnenden amtskirchlichen Karriere – theologisch entwickeln sollte, mag man eine Veröffentlichung heranziehen, die der an der Berliner Universität lehrende Professor F.D.E. Schleiermacher gut zwei Dekaden nach seiner Religionsschrift vorgelegt (und übrigens weitere zehn Jahre später in einer Zweitauflage181 deutlich überarbeitet) hat: Es ist die aus Dogmatikvorlesungen hervorgegangene Glaubenslehre von 1821/22 mit dem sperrigen Titel „Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt“182, die sich nunmehr anschickt, mit einer modifizierten Frömmigkeitstheorie auf den Lehrbestand des Christentums Bezug zu nehmen bzw. den Sinngehalt einzelner dogmatischer Topoi als dasjenige zu plausibilisieren, was der Gestimmtheit des frommen Subjekts nur zugegen kommen kann. „Die Glaubenslehre beruht 179 Schleiermacher, KGA I.12. 180 So zu lesen in der vierten Auflage der Reden von 1831, präziser: in Schleiermachers dortigen Erläuterungen zur vierten Rede, vgl. Schleiermacher, KGA I.12, 229. 181 Schleiermacher, F.D.E. (2003). Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Zweite Auflage (1830/31) (KGA I.13, Teilband 1 und 2). Hg. v. Rolf Schäfer. Berlin/New York: De Gruyter. 182 Schleiermacher, KGA I.7,1, 1–357; Schleiermacher, KGA I.7,2, 1–371.

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[…] auf zweierlei, einmal auf dem Bestreben, die Erregungen des christlich frommen Gemüthes in Lehre darzustellen, und dann auf dem Bestreben, was als Lehre ausgedrückt ist, in genauen Zusammenhang zu bringen“183, erklärt sich der Theologe, der dabei allerdings nach wie vor an der berühmten anthropologischen Prämisse seiner Reden festhalten will: „Frömmigkeit an sich ist weder ein Wissen noch ein Thun, sondern eine Neigung und Bestimmtheit des Gefühls“184. Diese macht er geltend und betont unmissverständlich, dass das „gemeinsame aller frommen Erregungen, also das Wesen der Frömmigkeit [dieses] ist […], daß wir uns unsrer selbst als schlechthin abhängig bewußt sind, das heißt, daß wir uns abhängig fühlen von Gott.“185 Der Religionsbegriff der Reden war also keineswegs abgetan, sondern vielmehr für einen überarbeiteten Glaubensbegriff – bzw. für kommunikative Abgleichungsprozesse mit christlich-kirchlicher Sprache – in Anspruch genommen worden. Das Resultat dieser Operation konnte sich in doppelter Hinsicht sehen lassen: Einerseits durfte der bis dato gewöhnlichen Auffassung, wonach sich der Glaube im Für-wahr-halten, Annehmen und Umsetzen spekulativer Lehrstücke, biblischer Offenbarungswahrheiten oder kirchlicher Bekenntnissätze erschließe, plausibel entgegengehalten werden, dass das wahre Fundament jeglicher Religion doch in Wirklichkeit jene besondere menschliche Selbsterfahrung ist, die – trotz des beruhigenden Grundbewusstseins von relativer Freiheit – im Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit mündet und sich eben nach Gott sehnt!186 Andererseits endlich, aber direkt darauf gemünzt, hatte auch der klassische Gottesbegriff wieder aufgegriffen werden können, nämlich als die bestmögliche, finale Sprachfigur, mit der passförmig und ursprünglich187 auf den Grund des menschlichen Abhängigkeitsgefühls, auf das Bewusstsein von Endlichkeit und die Idee der Geschöpflichkeit Bezug genommen werden kann. Im Ergebnis hatte sich der unverdächtig vorgestellte Dogmatikplan Schleiermachers, die „in einer christlichen Kirchengesellschaft zu einer bestimmten Zeit geltenden Lehre“188 zusammenzustellen, entpuppt als eine komplexe, um183 Schleiermacher, KGA I.7,1, 16. 184 A.a.O., 26. 185 A.a.O., 31. 186 A.a.O., 32 f.; vgl. Glatz, Uwe (2010). Religion und Frömmigkeit bei Friedrich Schleiermacher. Theorie der Glaubenskonstitution. Stuttgart: Kohlhammer, bes. 295–299. 187 Ein Begriff, der in der zweiten Auflage der Glaubenslehre Verwendung findet; vgl. Schleiermacher, KGA I.13,1, 39 u.ö. 188 Schleiermacher, KGA I.7,1, 9 f.

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fangreiche Auseinandersetzung mit der tiefgründigen Sinntotalität von Leben und Welt, wie sie sich scheinbar gleichberechtigt aus anthropologischer, kosmologischer und theologischer Perspektive anschauen und abbilden ließe; alle dogmatischen Sätze, die eine christliche Glaubenslehre aufzustellen hat, glaubt er fassbar machen zu können entweder als „Beschreibungen menschlicher Lebenszustände, oder als Begriffe von göttlichen Eigenschaften und Handlungsweisen, oder als Aussagen von Beschaffenheiten der Welt“189. Seinen einmal eingeschlagenen Pfad konnte er dabei nie so recht verlassen; an seine frühe Basisthese von der religiösen Befindlichkeit bzw. der frommen Gemütserregung des Menschen, die sich Abgleich, Ausdruck und Gestaltung zu geben sucht, dockt er nun die Überzeugung an, dass allein die „Beschreibung menschlicher Zustände“ als dogmatische Grundform zu erklären ist, wohingegen man theologische und kosmologische Begriffsbildungen den kontextuellen Prozessen von Ausdrucksgestaltung zuzurechnen habe. Damit aber war der Theologie als Wissenschaft endgültig ein überarbeiteter Aufgabenkatalog vorgelegt worden, an dem sie sich abzuarbeiten hatte. Im Wesentlichen bestand ihr Doppelauftrag darin, ▶▶ sämtliche Stücke der bislang geltenden Lehrarchitektonik als frömmigkeitssprachliche Fragmente verständlich zu machen, sprich etwa: „Begriffe von göttlichen Handlungsweisen“ als Ausdruck einer menschlichen Selbstwahrnehmung, als Lebenszustandsbeschreibung aufzugreifen und hermeneutisch so zu erschließen, dass die zugrundeliegende fromme Regung erkennbar wird, aber umgekehrt auch ▶▶ intensiv zu hinterfragen und gegebenenfalls auch im Einzelfall zu prüfen, mit welcher Ausdruckskultur, mit welchen Gestaltungsformen bestimmte Gemütshaltungen bestmöglich artikuliert und kommuniziert werden können. Für Schleiermacher, der bereits den Ort – oder besser: die Grundidee – dieser ineinandergreifenden Prozesse, die als Entwicklungs- und Artikulationshilfen des religiösen Bewusstseins, als Bildungsarbeiten am frommen Gemüt und als Formatierungsmaßnahmen für die Kommunikation schlechthinniger Abhängigkeitsgefühle zustande kommen mussten, mit seinem neuen Kirchenbegriff eingeholt hatte, war die wissenschaftstheoretische Zuordnung der Theologie 189 Schleiermacher, KGA I.13,1, 193; vgl. auch die geringfügig abweichende Formulierung der Erstauflage in Schleiermacher, KGA I.7,1, 61.

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beschlossene Sache: Als eine reine Wissenschaft, die sich um die sachgerechte Sammlung, Häufung und Durchdringung von Wissensmengen zu bemühen hat, die in keinem weiterführenden Verwertungs- und Interessenszusammenhang stehen, konnte sie kaum gelten; vielmehr war sie doch – ähnlich wie i.Ü. auch Medizin und Jura – eine sogenannte positive Wissenschaft, die sich eben einerseits verstehend auf geschichtlich Gewordenes, kontingent Gegebenes zu beziehen, andererseits gestaltend auf die Verbesserung dieses Gegenstandes zu konzentrieren hatte. Obschon an der unendlichen Differenz zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche190 ebenso festzuhalten war wie an dem Umstand, dass die „Vollendung der Kirche […] in dem Verlauf des menschlichen Erdenlebens nicht zu erreichen“191 ist, durfte man danach fragen, für welche Wissensgebiete, Denkbewegungen und Kunstregeln sich die Theologie verantwortlich zeichnen müsse, wenn sie neben der Wahrnehmung von Frömmigkeit auch der zwar unvollendeten, aber doch bestmöglichen Gestaltung von Religion dienlich sein will.192 Gerade in Anbetracht der starken These, dass die „Gemeinschaft der Gläubigen […] in ihrem Verhältnis zu Christo und in Bezug auf den sie beseelenden Geist immer dieselbige, in ihrem Verhältniß zur Welt aber dem Wechsel und der Veränderung unterworfen“193 ist, war der Fall klar: In sauber disziplinierten Schritten musste darzulegen sein, ▶▶ was es (erstens) mit dem Kern der religiösen Befindlichkeit in ihrem Verhältnis zu Christo auf sich hat, ▶▶ wie sich (zweitens) die sukzessiv verändernden Weltverhältnisse bislang in den Befindlichkeitsartikulationen von christlichen Gläubigen und Gemeinden ausgewirkt haben, ▶▶ (drittens) mittels welcher flexiblen, kontextuellen und kunstvollen Bildgestalten und Sprachgebilden den aktuellen religiösen Befindlichkeiten 190 Vgl. Schleiermacher, KGA I.7,2, 299 f. 191 A.a.O., 313. 192 Vgl. Dinkel, Christoph (1996). Kirche gestalten – Schleiermachers Theorie des Kirchenregiments. Berlin/New York: De Gruyter, 27 ff.; nachdrücklich auch Gräb, Wilhelm (1991). Kirche als Gestaltungsaufgabe. Friedrich Schleiermachers Verständnis der Praktischen Theologie. In: Meckenstock, Günter (Hrsg.), Schleiermacher und die wissenschaftliche Kultur des Christentums. TBT 51. Berlin/New York: De Gruyter, 147–172; Ders. (2000). Praktische Theologie als Theorie der Kirchenleitung: Friedrich Schleiermacher. In: Grethlein/Meyer-Blanck, Geschichte der Praktischen Theologie, 67-110. 193 Schleiermacher, KGA I.7,2, 210.

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in zeitgenössischen Glaubensgemeinschaften Gelegenheit zu Artikulation und Interaktion gegeben wird und ▶▶ wie (viertens) dieser modern sozialformatierte Komplex zu organisieren und zu leiten ist. Doch Teile dieser Überlegungen waren längst vorgetragen worden. Schleiermacher, der während seiner professoralen Lehrtätigkeit in Halle (1804–1807), später dann auch in Berlin (1810–1834) immer wieder theologisch-enzyklopädische Vorlesungen hatte halten können,194 vermochte es schon früh, ein über Jahre hinweg argumentativ durchgeprüftes, nunmehr zu prägekräftigen Thesen gebündeltes theologisches Wissenschaftskonzept zu publizieren. 1811 wird erstmals seine „Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen“195 veröffentlicht; bereits diese – gegenüber ihrer späteren, völlig überarbeiteten und um Ausführlichkeit bemühten Zweitauflage von 1830196 – noch recht knapp gehaltene Schrift vermag mit markigen Formulierungen anschaulich zu machen, welche programmatische Revision für die gesamte Theologie und ihre wissenschaftliche Systembildung zu erwarten ist. So heißt es im Originalwortlaut: 1. Die Theologie ist eine positive Wissenschaft, deren verschiedene Theile zu einem Ganzen nur verbunden sind durch die gemeinsame Beziehung auf eine bestimmte Religion; die der christlichen also auf das Christliche. […] 5. Die christliche Theologie ist der Inbegriff derjenigen wissenschaftlichen Kenntnisse und Kunstregeln, ohne deren Anwendung ein christliches Kirchenregiment nicht möglich ist. […] 28. Der Zwekk des christlichen Kirchenregiments kann nur dahin gehen, dem Christenthum sein zugehöriges Gebiet zu sichern und immer vollständiger anzueignen, und innerhalb dieses Gebietes die Idee des Christenthums immer reiner darzustellen. 29. Hierzu muß es eine Technik geben, welche sich auf den Besiz der darzustellenden Idee, und auf die Kenntniß des zu regierenden Ganzen gründet. 30. Die Darstellung dieser Technik ist der praktische Teil der Theologie. 31. Die praktische Theologie ist die Krone des Studiums.197 Der Wiedererkennungswert dieser Abfassung ist gegeben; unschwer vermag man einige Formulierungen zu identifizieren. Besonders das Bild des Baumes – bzw. der 194 Vgl. Schleiermacher, KGA I.6 (= Universitätsschriften. Herakleitos. Kurze Darstellung des theologischen Studiums), XXXV–XXXIX. 195 Schleiermacher, KGA I.6, 243–315. 196 A.a.O., 317–446. 197 A.a.O., 1.

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Krone, die diesen Baum abzurunden und zu schmücken scheint – hat sich als derart einprägsam erwiesen, dass es in zahlreichen (nicht nur praktisch-)theologischen Darstellungen aufgegriffen und plakativ vorgehalten wird. Dennoch dürfte man weder der Metapher noch der darin gesetzten Pointe in den Schleiermacher‘schen enzyklopädischen Ausführungen gedanklich unmittelbar nachkommen können, wenn man sich nicht zuvor mit ihm, seinen Religionsreden und seiner Glaubenslehre näher befasst hat: Der anthropologisch zentrierte (und zementierte) Religionsbegriff, die Arbeit an den Ideen von wahrer Kirche als höchster Ausdruck und letzter Tauschort echter Religion, schließlich die konsequente Forderung, an der bereits bestimmten, nämlich gegebenen und gewachsenen Religionsgemeinschaft zu arbeiten – sie bestellen letztendlich jenen großen Horizont, der mit den durchaus missverständlichen – und auch im Schleiermacher‘schen Eigengebrauch nicht allzu streng verwendeten (und verwechselten) – Vokabeln Kirchendienst, Kirchenregiment und Kirchenleitung vermessen werden wollte.198

Es ist kaum zu übersehen, welches Theologieverständnis bei Schleiermacher zunehmend an Kontur gewonnen hat. Zustande kommt sie als eine Kollektion wissenschaftlicher Elemente, die allesamt ihre Einheit darin haben, dass sie zur Lösung einer praktischen Aufgabe – nämlich der Kirchenleitung als Handeln aus theologisch reflektierten und an der (kirchlichen) Sozialformatierung von Frömmigkeit interessierten Beweggründen – vonnöten sind und die leitende Organisation jedweder Tätigkeit frommer Subjekte in ihren gemeindlich-kirch-

198 Zu dieser Terminologie und ihrer problematischen Anwendung vgl. Schleiermacher, F.D.E. (1987). Theologische Enzyklopädie (1831/32). Nachschrift David Friedrich Strauß (Schleiermacher–Archiv 4). Hg. v. Walter Sachs. Mit einem Vorwort von Hans-Joachim Birkner. Berlin/New York: De Gruyter; Stroh, Ralf (1998). Schleiermachers Gottesdiensttheorie. Studien zur Rekonstruktion ihres enzyklopädischen Rahmens im Ausgang von „Kurzer Darstellung“ und „Philosophischer Ethik“. Berlin/New York: De Gruyter; besonders eingängig und ausführlich Härle, Wilfried (2016). Wie studiert man kirchliches Interesse? In: Hermisson, Sabine/Rothgangel, Martin (Hrsg.) Theologische Ausbildung und Spiritualität. Wien: V&R unipress, 45–62: 47 f. Insgesamt sehr erhellend und überzeugend ist der Vorschlag, den Dinkel, Kirche gestalten, 25, unterbreitet hat, nämlich im Sinne Schleiermachers den Begriff der Kirchenleitung für „jedes Handeln mit theologischen Interessen und im Interesse der Kirche“ zu reservieren, mit Kirchendienst die „lokale Tätigkeit in einer abgegrenzten Gemeinde“ zu bezeichnen und unter dem Terminus Kirchenregiment die „funktional übergeordnete, auf einen Komplex von Gemeinden gerichtete Tätigkeit“ zu besprechen.

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lichen Interaktions- und Artikulationsspielräumen ermöglichen sollen.199 Seine Überzeugung, dass es daher für die gesamte Theologie (verstanden als praktische Theologie I) neben den streng fachlichen Kenntnissen eben auch die besonderen Kunstregeln braucht, die explizit dem Kompetenzpool einer besonderen Disziplin (quasi der praktischen Theologie II) zuzuordnen sind, zielt nicht darauf ab, in diesem exklusiven disziplinären Geschäft lediglich Anwendungswissen und Methodik zu traktieren, sondern vielmehr wissenschaftlich und künstlerisch diejenigen Perspektiven und Optionen von Theorie, Praxis und Poiesis herauszuarbeiten, die sich rückbezüglich auf die ganze Theologie und ihren praktischen Sinn auswirken werden: Das zielt im Endeffekt auf die Förderung der Wahrnehmungs- bzw. Anschauungskompetenz kirchenleitender Akteure, auf die Gründung und Pflege ihrer organisationspraktisch-methodischen Begabung, auf die Begünstigung ihrer Kunstfähigkeiten des Symbolisierens, des Sprachgebrauchs und des Verstehens sowie auf die Wartung ihrer ästhetischen und hermeneutischen Intelligenz. Und wie wäre nun das ganze theologische Studium, wenn es den genannten Anforderungen zu Gute kommen soll, zu formatieren? Tatsächlich vermag die Metapher des Baumes – in der zweiten Auflage der Kurzen Darstellung von 1831 übrigens nicht wieder aufgegriffen – auf anschauliche Weise zu illustrieren, wie Schleiermacher sich seinerzeit das enzyklopädische System seiner Theologie für die akademische Bildungskarriere zukünftig kirchenleitender Personen konzeptionell zurechtlegen wollte:

199 Vgl. Herms, Eilert (2003). Schleiermachers Lehre vom Kirchenregiment. In: Ders. (Hrsg.) Menschsein im Werden. Studien zu Schleiermacher. Tübingen: Mohr Siebeck, 320–398; ebenfalls noch: Daur, Martin (1970). Die eine Kirche und das zweifache Recht. Eine Untersuchung zum Kirchenbegriff und der Grundlegung kirchlicher Ordnung in der Theorie Schleiermachers. München: Claudius, 106 f.

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Abbildung 3: Die wissenschaftliche Theologie und Schleiermachers Baummetapher (A. Jäger)

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Als „Wurzel der gesammten Theologie“ identifizierte er – mit dem Zugeständnis, dass ihr sogar noch der „bestimmte und allgemeingeltende Name fehlt“, eine „philosophische Theologie“200, die sich aus verspäteter Perspektive, wenn auch mit geringen Nuancenverschiebungen, wie eine Art Fundamentaltheorie erkennen und nachskizzieren lässt. Denn obschon von Schleiermacher selbst unter den Rubriken Apologetik und Polemik entfaltet, geht es hier doch im Wesentlichen um die Möglichkeit und Aufgabe, religionsphilosophische und anthropologische Betrachtungen über die Idee der Religion und das Wesen noch unbestimmter Frömmigkeit anzustellen sowie in religions- und kultursoziologischer Manier die Formatierungsprozesse kritisch zu inspizieren, mittels derer sich das Religiöse in speziellen Glaubensgemeinschaften sozial zu konsolidieren bzw. konkret in Dogmen und Verfassungen auszusprechen pflegt. Der zweite Teil des Baumes, etikettiert mit dem Terminus „der historischen Theologie“, soll nun der Tatsache Rechnung tragen, dass dasjenige, „worauf gewirkt werden soll, […] nicht zu verstehen [ist] ohne seine Geschichte“; er bildet infolgedessen den eigentlichen „Körper des gesammten theologischen Studiums“.201 Zu seinen Teilgegenständen gehört jegliches Wissen von den Anfängen der christlichen Religion, wie es in den exegetischen Fächern erschließbar gemacht wird, zudem ein Verständnis von jener besonderen Geschichte des kirchlichen Christentums bis zu ihrem gegenwärtigen Zustande, die sich als Institutions- und Bildungsgeschichte, als Statistik sowie als Konfessions- und Verfassungskunde, schließlich auch als dogmatische und ethische Glaubensund Sittenlehre historisch rekonstruieren und belegen lässt. Die praktische Theologie sodann, bildlich gefasst eben als Baumkrone, wird sowohl von den philosophischen als auch historischen Erträgen Gebrauch machen, sich aber dem genauen Wortlaut nach lapidar kaprizieren auf die „Theorie des Kirchenregiments im engeren Sinn und des Kirchendienstes“202. De facto ist sie dem Großprojekt verpflichtet, das Schleiermacher 1831 in der vierten Auflage seiner Reden als unerledigt bespricht, nämlich: „der Idee der wahren Kirche näher“ zu kommen und „eine reiche Produktivität in der religiösen Mittheilung“203 zu entfalten; im Zenit aller Kirchenregiments- und Kirchendienstbetrachtungen konzentriert sich insofern der Ehrgeiz, die bestehende Ge200 Schleiermacher, KGA I.6, 253. 201 A.a.O., 254. 202 A.a.O., 303, vgl. a. a. O., 423. 203 Schleiermacher, KGA I.12, 225.

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meinschaftsform menschlich-sittlichen Lebens, also die staatlich konfirmierte Anstalt Kirche, als „große äußere Gesellschaft […] in einen bessern Zustand zu versezen und ihrer natürlichen Verbindung mit der wahren Kirche näher zu bringen“204. Die Erwartungshaltungen, Aufgaben und Kriterien, die Schleiermacher für diesen disziplinären Teilbereich formuliert, können sich gut erschließen lassen aus den unterschiedlichen Eigenschaften und Zuständigkeitsbereichen, die er für kirchenleitende Personen benennt bzw. für bestimmte Szenarien geltend zu machen sucht. Grundsätzlich wird dabei attestiert, dass der zu erwartende „Gegensatz zwischen Klerus und Laien“205 in ein Verhältnis gestellt werden muss zu der Fülle aller Beteiligten, die sich nicht nur primär als Menschen mit frommer Gemütsart, sondern – je nach weiterer Neigung und Ausbildung – als religiös Hochinteressierte, wissenschaftlich Befähigte sowie schriftstellerisch-literarisch Geschickte, künstlerisch Talentierte, pädagogisch Versierte und in administrativ-organisatorischer Hinsicht Tüchtige charakterisieren lassen.206 Sie alle gilt es nun in einer besonderen Gemeinschaftsform so zu Geltung und Einsatz zu bringen, dass sich das bestmögliche Resultat erzielen lässt. Menschen, bei denen sich auf ideal ausgewogene Weise kirchliches Interesse, wissenschaftlicher Geist und künstlerische Ader vereinen, die folglich als fromm, religiös, gesellig, intellektuell und phantasievoll-kreativ angesehen werden dürfen,207 sind gewiss hinreichend hochqualifiziert,208 wenn es gilt, ▶▶ mit der religiösen Kraft der Hervoragenden die Masse anzuregen, aber auch sich sensibel den Aufforderungen der Masse stellen zu können,209 ▶▶ das religiöse Prinzip „zum Bewußtsein und zur Selbstätigkeit“ zu erwecken, indem der „individuellen Form der Religiosität in einer bestimmten Kirchenparthei“ Ausdruck gegeben wird,210 204 A.a.O., 226 205 Schleiermacher, KGA I.6, 302. 206 Vgl. insgesamt a. a. O., 305-307. 207 Eine Ergänzung der zweiten Auflage von 1831; vgl. a. a. O., 417. 208 Obwohl man anscheinend begrüßt hat, wenn kirchlich Dienstübende mehrere Kompetenzen auf sich vereinigen konnten, bleibt offen, inwieweit Schleiermachers Praxistheorie letzten Endes bewusst darauf ausgerichtet gewesen ist, sogenannten Multitalenten einen gewichtigen (kirchenleitenden) Vorzug zu geben. 209 Schleiermacher, KGA I.6, 421. 210 Vgl. a. a. O., 312.

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  2.3  „Praktische Theologie“. Die Geschichte einer Krönung

▶▶ als Autorität repräsentativ für die Einheit der Religionspartei zu stehen und einen „Cultus“ zu gestalten, der „der adäquate Ausdruck des religiösen Sinnes“ werden und bleiben kann,211 und ▶▶ die Identität der Gemeinde, wie sie sich im christlichen Leben bzw. der religiösen Lebensdeutung zeigt, so trefflich zu verkörpern, dass bei Nichtchristen das Verlangen nach dieser besonderen Identität lebendig erregt werden könnte.212 Bei alledem hatte man sich, so Schleiermacher, zu vergegenwärtigen, dass es auf dem religiösen Sektor bzw. „dem kirchlichen Gebiet kein anderes Objekt des Einwirkens giebt als die Gemüther“213. Weil sie es sind, die erweckt und erregt, aktiviert und dirigiert, manövriert und choreografiert werden müssen, oder anders: weil sie mit Sprachbildern, Kultveranstaltungen und sozialen Geselligkeitsformaten zum Ausdruck und Austausch bewegt werden sollen, fallen quasi „alle Regeln der praktischen Theologie unter die Form der Seelenleitung“214. Dieser Denkbaustein, letztlich entfaltet in dem starken Konzeptbegriff von (sowohl genereller Seelsorge als auch spezieller) Seelsorge an Einzelnen215, will im Grunde genommen darauf hinaus, dass der kirchenleitenden Tätigkeit intellektuelle und ästhetische Ressourcen verfügbar sein müssen; permanent profitiert die orchestrierende Arbeit mit Seelen von den besonderen Talenten und Kunstfertigkeiten des Dirigenten, nämlich: das Seelische wahrzunehmen, seelische Prozesse zu verstehen, seelenheilende Umgangsweisen an den Tag zu legen und Seelen erbaulich zu berühren.216 Kunstvoll hatte es also zu geschehen, das Beschäftigen mit religiösen Cultus-Stücken und frommen Seelen. Aber war das auch die Kunst, die Schleiermacher vor Augen hatte, als er die gesamte christliche Theologie als praktische Theologie (I) identifizierte, ihr allerdings eine weitere Praktische Theologie (II) als Fachdisziplin eingliederte – und dieser dann die Urbarmachung und Beherrschung von Kunstregeln als zweite Kernkompetenz zuordnete? Mit Ein211 Vgl. a. a. O., 306, 310 u.ö. 212 Vgl. a. a. O., 312 f. 213 A.a.O., 301. 214 A.a.O., 301, vgl. a. a. O. 419. 215 Vgl. a. a. O., 311 ff. 216 Man kommt diesem Konzept aus heutiger Perspektive nahe, wenn man es sich vorstellt als eine Art von Seelenmanagement, das sich nicht allein auf organisatorisch-administrative Befugnisse und Autoritäten kapriziert, sondern auch auf psychopraktische und psychologische, psychoanalytische und psychotherapeutische Kompetenzen setzt.

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schränkungen gewiss; er erklärt: „Die erbauende Wirksamkeit im christlichen Cultus beruht überwiegend auf der Mittheilung des zum Gedanken gewordenen frommen Selbstbewußtseins, und es kann eine Theorie darüber nur geben, sofern diese Mittheilung als Kunst kann angesehen werden.“217 Die darin angeforderte Kunsttheorie freilich hat er niemals in Gänze entfaltet, auch nicht in jener insgesamt neunmal dargebotenen besonderen Hauptvorlesung über Praktische Theologie, die 1850 posthum von Jacob Frerichs herausgegeben und als die praktische Theologie nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt218 wurde. Vielmehr macht diese gelegentlich als editorischer Mißgriff219 qualifizierte Schrift, die zwar „dem Interpreten Rätsel auf[gibt]“220, jedoch zugleich als „unverzichtbare Quelle für die Rekonstruktion von Schleiermachers Theorie“221 gilt, recht deutlich, wie schillernd und vielmeinend der Begriff von Kunst gewesen ist, den Schleiermacher wiederholt an prominenten Stellen platziert hat. So wird der besagte Terminus eben keineswegs exklusiv für schöne Künste – bzw. im Kontext einer Listung typisch vorkommender Gattungen: „Redekunst, Poesie, Malerei, Architektur“222 – verwendet, sondern dient auch als Äquivalent für die bestmögliche „Technik, etwas auf die richtige Weise zustande zu bringen“223, und zwar genau dort, wo die Kunst der Kirchenleitung vergleichbar gemacht werden soll mit allen anderen Geschäften, die menschliches Streben, Treiben und Geschäftigsein in eine angemessene Gestalt zu bringen suchen: Wie die Künste der Staatsführung und der Gesetzsprechung dem großen Ideal unterstellt sind, eine menschliche Sozialität in Sitte, Moral, Recht und Verantwortung zu bedingen, und wie die Medizin als Heilkunst dem Zwecke dient, jedwede Lebensführung in Gesundheit und Hygiene zu ermöglichen, so zielt eben die Kirchenleitungskunst darauf, für die Frömmigkeits- und Heilsgeschäfte der Menschen die bestmöglichen Plateaus und Erschließungsforen zu schaffen. Kurzum, dieses technisch-kreative, nahezu poietische Kunstverständnis beschreibt wesentlich ein Annäherungsverfahren, geht es doch je darum, kunstvoll solche (sozialen) Formate zu kreieren, die der unerreichbaren Vollkommenheitsstufe möglichst nah kommen. Das wieder217 Schleiermacher, KGA I.6, 425. 218 Schleiermacher, PT. 219 Ausführlich hierzu Dinkel, Kirche gestalten, 17-19; 109. 220 A.a.O., 19. 221 Ebd.  222 Schleiermacher, PT, 35. 223 A.a.O., 36.

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um hat mit Können zu tun; über Geistesbildung und Stil, Kunstbegabung und Manieren, Feinsinn und Geschmack, Talent und Niveau sollte man im Idealfall schon verfügen. Nun aber schließt sich der Kreis endgültig. Die praktische Theologie konnte, wie Schleiermacher anschaulich zu verstehen gab, sich nicht darauf beschränken, die pfarramtliche Tätigkeit zu veredeln, indem man sich auf die bisherigen, gleichwohl kontingenten Formatierungen der (christlichen) Religionspraxis kaprizierte und etwa die kirchliche Predigtkultur oder das katechetische Unterweisungswesen optimierte. Gewiss blieb Handlungsbedarf in diesem Segment, das Schleiermacher mit Kirchendienst bezifferte, und er wollte es gewiss weiterhin jener konventionellen Pastoraltheologie zugeordnet wissen, die sich auf die traditionellen Geschäfte von Bekehrung, Belehrung und „Circulation des religiösen Interesses“224, auf Sakramentsverwaltung und Kultuspflege zu konzentrieren hatte. Der größere Horizont der Religionsgestaltung freilich war mit dem Begriff Kirchenregiment vermessen; hier lag der Fokus letztendlich auf dem Verhältnis einer sich in permanenten Gestaltungsverfahren als Kirche (selbst-)verständlich machenden Frömmigkeitskultur zu jener bürgerlichen Gesellschaft, die sich ebenfalls dauerhaft in Formationsprozessen befinden sollte.225 Am Ende seines Schaffens war Schleiermacher, obschon seine ersten Schriften solches nicht zwingend vermuten ließen, durchaus dem großen Anliegen entgegengekommen, das zu Beginn des 18. Jahrhunderts formuliert worden war, nämlich einer Modernisierung von Kirchenwesen und Pfarrausbildung zuzuarbeiten, die Reputation der Geistlichen anzuheben, auf die äußeren Formen kirchlicher Religionsausübung einzuwirken sowie die religiösen Überzeugungen der Frömmigkeitspraktizierenden zu berücksichtigen und zu stärken (s. o.). Gemeistert hatte er die mit einem Kraftakt assoziierte Aufgabe, in einer von reichlich divergierenden Strömungen und Bewegungen geprägten Kulturlandschaft die sozialintegrative, sittliche und geselligkeitsförderliche Wirkmacht jener christlichen Tradition sicherzustellen, die unter dem Annäherungsbegriff Kirche an einer auch zukünftig tragfähigen Sozialgestalt religiöser Artikulation, Kommunikation und Interaktion arbeiten wird. Sowohl die ganze Theologie als Praktische Theologie I als auch die von

224 A.a.O., 65. 225 Vgl. a. a. O., 662 ff.

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ihm entworfene besondere Disziplin der Praktischen Theologie II sollen ihren Beitrag dazu leisten können. Zahlreiche Theologen haben in der direkten Folgezeit die Anregungen Schleiermachers aufgegriffen, weiterentwickelt und modifiziert. Mit gewissen Nuancenverschiebungen – z. B. wollte sein Schüler Carl Immanuel Nitzsch (1787–1868) die Kirchentheorie nicht traditionell dogmatisch, sondern explizit klerikalisch in der Praktischen Theologie226 entfalten – erschienen binnen weniger Jahrzehnte eine ganze Reihe ausführlicher Abhandlungen, die sich auf die eine oder andere Weise mit dem Titel Praktische Theologie schmücken konnten227: Neben und nach dem besagten Nitzsch waren es u. a. Philipp Konrad Marheineke (1780–1846) und Christian David Palmer (1811–1875) gewesen, die je eine wirkungsgeschichtlich nachhaltige Gesamtdarstellung – letzterer übrigens mit deutlicherem pastoraltheologischen Fokus und einer vorgenommenen Zuordnung der PT zur Ethik – vorgelegt haben. Die „Zeit der großen Lehrbücher war gekommen“228; man konzentrierte sich im Wesentlichen auf die Professionalisierung realkirchlicher Geschäfte, indem man sie in subdisziplinären Rubriken wie Katechetik, Homiletik, Liturgik, Poimenik usw. (pastoral-) theoretisch behandelte, v. a. aber mit Standortbestimmungen der Kybernetik bzw. mit konfessionell-theologischen Reflexionen auf Kirchensteuerung und Gemeindeleitung abrundete. Eine erkennbare Kehrtwende freilich wurde erst von jener Generation vollzogen, die quasi nach der folgenden Jahrhundertwende angetreten war. Hierzu gehörten ▶▶ Paul Drews (1858–1912), dem die Nachwelt nicht nur die ersten wichtigen Studien zu religiöser Seelen- und Volkskunde229 sowie zu empirischer

226 Nitzsch, Carl Immanuel (1847–1867). Praktische Theologie. Band. 1–3. Bonn: Adolph Marcus (= Bd. 1 (1847): Allgemeine Theorie des kirchlichen Lebens. Einleitung. Das kirchliche Leben; Bd. 2,1 (1848): Der Dienst am Wort; Bd. 2,2 (1851): Der evangelische Gottesdienst; Bd. 3,1 (1857): Die eigenthümliche Seelenpflege des evangelischen Hirtenamtes mit Rücksicht auf die innere Mission; Bd. 3,2 (1867): Die evangelische Kirchenordnung). 227 Einen Überblick verschaffen Grethlein/Meyer-Blanck, Geschichte der Praktischen Theologie, 2–65: bes. 7–34. 228 Birnbaum, Walter (1963). Theologische Wandlungen von Schleiermacher bis Karl Barth. Eine enzyklopädische Studie zur praktischen Theologie. Tübingen: Katzmann, 108. 229 Vgl. Kubik, Andreas (Hrsg.) (2016). Paul Drews. Religiöse Volkskunde und Seelenkunde. Schriften zur Grundlegung einer empirisch orientierten Praktischen Theologie. Tübingen: Mohr Siebeck.

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Brauchtumsforschung230 verdankt, sondern auch die vollständige Großschreibweise der Praktischen Theologie, ▶▶ Otto Baumgarten (1858–1934), der der praktischen Theologie einen notwendig künstlerischen, dichterischen, intuitiven Charakter zuzuschreiben wusste231, außerdem die religiösen Bildungsprozesse zu emanzipieren und die Katechetik in eine progressive Religionspädagogik zu transformieren suchte, ▶▶ Ernst Christian Achelis (1838–1912), der sich, Schleiermacher gut folgend, anschickte, die Idealgestalt von Kirche als Orientierungswert für die Gestaltung der Realanstalt Kirche anzusetzen, um ihre tragenden Wesensprädikate Einheitlichkeit, Heiligkeit und Allgemeinheit in ihrem Bestand zu verwirklichen232, ▶▶ Martin Schian (1869–1944), der nicht nur eindrücklich eine Pfarramtskunde233 empfahl, sondern auch die Diskrepanz zwischen kirchlicher Lehre und Verkündigung einerseits, populärreligiöser Vorstellungswelt und Glaubenshaltung andererseits in einer angemessenen Aufarbeitung volkskirchlicher Realität aufzugreifen verstand234, sowie schließlich ▶▶ Friedrich Niebergall (1866-1932), der mit Verve und Intensität geltend machen wollte, dass man einen religionswissenschaftlichen Standpunkt235 einzunehmen, mindestens aber zu berücksichtigen habe. 230 Vgl. Queisser, Cornelia (2015). Paul Drews. Programm einer empirischen Theologie (= Arbeiten zur Praktischen Theologie 60). Leipzig: EVA. 231 Vgl. Baumgarten, Otto (1913). Art. Praktische Theologie. RGG 4. 1. Aufl. Tübingen: Mohr Siebeck, 1720–1226: 1725. 232 Achelis erklärt: „Die praktische Theologie ist nichts Anderes als die Lehre von der Selbstbethätigung der Kirche zu ihrer selbst Erbauung.“, In: Achelis, Ernst Christian (1898). Lehrbuch der Praktischen Theologie 1. 2. Aufl. Leipzig: Hinrich, 25. 233 Schian, Martin (1914). Der evangelische Pfarrer der Gegenwart, wie er sein soll. Leipzig: J. C. Hinrich'sche Buchhandlung. 234 Schian, Martin (1921–1922). Grundriß der praktischen Theologie. Gießen: Töpelmann; vgl. weiterführend Hermelink, Jan (2000). Organisation der volkskirchlichen Gemeinde. Martin Schian (1869–1944). In: Grethlein, Christian/Meyer-Blanck, Michael (Hrsg.) Geschichte der Praktischen Theologie. Dargestellt anhand ihrer Klassiker. Leipzig: EVA, 279–330. 235 Vgl. Niebergall, Friedrich (1918). Praktische Theologie. Lehre von der kirchlichen Gemeindeerziehung auf religionswissenschaftlicher Grundlage. Bd. 1: Grundlagen. Tübingen: Mohr; Ders. (1919). Praktische Theologie. Lehre von der kirchlichen Gemeindeerziehung auf religionswissenschaftlicher Grundlage. Bd. 2: Die Arbeitszweige. Tübingen: Mohr.

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Dennoch, die nachdrücklichsten Anregungen für alle bevorstehenden praktisch-theologischen Debatten kamen nicht mit letzter Konsequenz aus der eigenen Zunft. Viel zu sehr hatte sich die Praktische Theologie wieder auf ein Bild von optimierbarer, stabiler Kirche konzentriert, das im Prinzip der optimistischen Grundidee eines absolut und allein wahren Christentums verbunden blieb. Andernorts freilich hatte man sich längst aufgemacht, Zweifel anzumelden. Mehr dazu nach dem Gedicht: „Schleiermacher reimt (sich) nicht“ Am Ziel doch des Studiums (oder auch nie) Erfährt man die Praktische Theologie als Kunst und als Technik, als Wissen und Leitung, als Art von Gestaltung und Frömmigkeitsweitung. Dass kirchlich sie bleibe, sagen die einen Und wissen mit Gott sich und Pfarrer im Reinen. Hingegen die andern, die meinen obschon Es gäbe auch auswärts noch Religion, darum man ganz neu jetzt den Blick richten müsse auf große Gefühle, auf Seelenergüsse, auf Sinn und Geschmack, Geselligkeitssehnen. Drum sei auch der Kirchenbegriff weiter zu dehnen! Nicht etwa die Anstalt, vom Fürsten gekürt, sei einzig der Ort, wo man Heiliges spürt, vom Leben ergriffen die Anderen greift und langsam zur wahren Kirche erreift. Für ewig bleibt diese ein groß Ideal, ein Sehnsuchtsbegriff im Kulturareal. Die Praktische Theologie soll darum sich schicken, mit Herz und Verstand auf die Menschen zu blicken, die drinnen und draußen lebendig sich regen: All deren Gemüter seelsorgend zu pflegen sei Ziel recht besonnener Tätigkeitstriebe. Sei christlich und kirchlich. Und göttlich. Und Liebe.

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2.4  Religion der Moderne. Eine Vielfalt von Frömmigkeitstypen, Sozialgestalten und Kulturpraktiken Wer könnte schon zu allem „Ja und Amen“ sagen, was jedenfalls dem Anspruch der Kirche nach zum Inhalt christlichen Glaubens gehört?236 Die Literatur, die Poesie und das alte Philadelphentum, die Bildung kleiner, von persönlichen Eindrücken geleiteter Kreise, sind an die Stelle der alten kultischen Gemeinschaft getreten, ganz so wie es Schleiermachers Reden schildern, nur meist mit geringerem Ernst. 237 Ein dritter Typus, der organisationslose religiöse Individualismus mit der Freigebung sehr verschiedener Stellungnahme [sic!] zu dem Wahrheitskerne des Christentums ragt nur erst als Weissagung kommender Entwickelungen in dieses Widerspiel von Kirchentum und Sektentum herein. 238 Die religionsgeschichtliche Richtung behauptet mit aller Energie eine lebendige und wirkliche Offenbarung Gottes. Was wir, Tröltsch [sic!] und jeder, der sich in unserem Kreise zu dieser Frage geäußert, verwerfen, […] ist die Annahme eines absoluten Unterschiedes zwischen der spezifischen Offenbarung Gottes in Christo […] und der allgemeinen göttlichen Offenbarung in den Religionen der Völker […].239

Wer sich mit den historischen Ereignissen und Entwicklungen beschäftigen will, die in die sogenannte Moderne geführt bzw. das kulturelle, politische und soziale Denken und Handeln bis in die heutige Gegenwart maßgeblich geprägt haben, wird sich besonders eingehend mit dem langen 19. Jahrhundert zu befassen haben; begrifflich ist damit jene Geschichtsperiode umschrieben, die im weiteren Sinne mit der französischen Revolution von 1789 ansetzt und mit 236 Rendtorff, Trutz (1969), Christentum außerhalb der Kirche. Konkretionen der Aufklärung. Hamburg: Furche, 66. 237 Troeltsch, Ernst (1912). Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen (= Gesammelte Schriften: GS 1). Tübingen: Mohr, 932. 238 A.a.O., 424. 239 Bousset, Wilhelm (1907). Die Mission und die sogenannte Religionsgeschichtliche Schule. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 7.

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dem Beginn des ersten Weltkrieges 1914 endet.240 In diesen Zeitraum fallen die Revolutionen von 1830 und 1848/49, die Verfassungsentwicklung, die Bildung organisierter Parteien und der Arbeiterbewegung, die Industrialisierung und die Entstehung erster Verkehrsnetze, das Aufkommen des Nationalismus, territorial gebundener Nationalstaaten und einer ausgeprägten Kolonialpolitik. Zu den aus heutiger Perspektive erschütterndsten, aber auch anschaulichsten Dokumenten gehören die Mitschriften der von Kaiser Wilhelm II. am 27. Juli 1900 in Bremerhaven frei gehaltenen Rede, mit der ein deutscher Truppenteil des internationalen Expeditionskorps nach China verabschiedet wurde, um im Auftrag von sechs europäischen Nationen, der USA und Japan die dort entstandene Boxerbewegung gegen Ausländer und chinesische Christen niederzuschlagen.241 In einer bekannten Version dieser als Hunnenrede242 berüchtigt gewordenen Ansprache heißt es: Kommt ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer euch in die Hände fällt, sei euch verfallen! Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutscher in China auf 1000 Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, daß es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!243

Gleichwohl, solche Zitate, i.Ü. reichlich zu finden, sind keineswegs zwingend repräsentativ. Und doch war die grundsätzliche Parole von Wilhelm II., dass am 240 Freytag, Nils/Petzold, Dominik (Hrsg.) (2007). Das „lange“ 19. Jahrhundert. Alte Fragen und neue Perspektiven. München: Herbert Utz Verlag; Osterhammel, Jürgen (2009). Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. München: Beck; Bauer, Franz Joseph (2004). Das „lange“ 19. Jahrhundert (1789–1917). Profil einer Epoche. Stuttgart: Reclam. Im Kontrast dazu steht das „kurze 20. Jahrhundert“ von 1914/17–1989/91 als das Jahrhundert der Ideologien, das mit dem ersten Weltkrieg als Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts beginnt und dem Zusammenbruch der Sowjetunion endet; vgl. Hobsbawm, Eric (1995). Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. München: Carl Hanser Verlag. 241 Weiterführend vgl. die Beiräge in: Kuß, Susanne/Martin, Bernd (Hrsg.) (2002). Das Deutsche Reich und der Boxeraufstand. München: Iudicium. 242 Sösemann, Bernd (1976). Die sogenannte Hunnenrede Wilhelms II. Textkritische und interpretatorische Bemerkungen zur Ansprache des Kaisers vom 27. Juli 1900 in Bremerhaven. Historische Zeitschrift 222, 343–358. 243 Vgl. Görtemaker, Manfred (1996). Deutschland im 19. Jahrhundert. Entwicklungslinien. Wiesbaden: Springer VS, 357.

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  2.4  Religion der Moderne. Frömmigkeitstypen, Sozialgestalten, Kulturpraktiken

deutschen Wesen die Welt genesen244 soll, ebenso populär wie die Vorstellung, dass man den Anspruch auf Überlegenheit der christlichen Offenbarungsreligion konsequent geltend machen müsse. Gerade angesichts der Zeitumstände, nämlich: dass ein reger Kulturverkehr eben auch zunehmend die Berührungen mit anderen, nichtchristlichen Religionen und Völkern befördert habe, sei die religionspraktische Gegenwartsfrage neu zu formulieren. Es war Friedrich Niebergall, der die Absolutheit des Christentums in einem gleichbetitelten Aufsatz245 zur Kontroverse stellen und die apologetischen Motive seines eingeforderten religionswissenschaftlichen Standpunktes (s. o.) verraten wollte: „Wie lange wird es dauern, bis in jedem Dorf ein Reservist von den Religionen fremder Völker in Afrika und Asien erzählen kann“, und was würde geschehen, wenn die „buddhistische Mission“ erfolgreich wäre oder „die 300 Millionen Muhammedaner […] aus ihrem Schlafe erwachen“ und „das Abendland mit der Lehre des Propheten“ überziehen würden?246 Der polemische Auftakt von Niebergalls Schrift, aber auch seine Schlussfolgerung, dass nur eine erfolgreiche kirchliche Mission, getragen von dogmatisch gefestigtem Absolutheitsglauben, den praktischen Beweis für die Überlegenheit des Christentums liefern könne,247 machte leider auf gnadenlose Weise deutlich, ▶▶ wie ideologisch vorbelastet nicht allein die Beobachtungen zur religiös-kulturellen Großwetterlage, sondern auch alle abgeleiteten Prognosen gewesen sind, ▶▶ wie begrenzt leistungsfähig die bis dato zur Anwendung gebrachten methodischen, historischen und religions- bzw. kulturtheoretischen Denkwerkzeuge bleiben mussten ▶▶ und wie zirkulär der Trugschluss ist, den Absolutheitsbeweis einer nicht historisch, sondern dogmatisch über den Offenbarungsbegriff erklärten höchsten Religion letztlich doch geschichtlich antreten zu wollen. Fakt war, dass sich das traditionelle Verfahren der vormodernen Christenheit – nämlich die Herausforderungen kultureller und religiöser Vielfalt mit einem 244 Dieses politische Schlagwort geht zurück auf das 1861 von Franz Emanuel August Geibel verfasste Gedicht „Deutschlands Beruf “. (Geibel, Emanuel (1918). Deutschlands Beruf (1861). In: Ders. Werke 2. Leipzig/Wien: Meyers, 218-220.) 245 Niebergall, Friedrich (1900). Ueber die Absolutheit des Christenthums. Theologische Arbeiten aus dem Rheinischen wissenschaftlichen Prediger-Verein N. F. 4, 46–86. 246 A.a.O., 46. 247 Vgl. a. a. O., 80 f.

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Begriff geoffenbarter exklusiver Wahrheit bzw. einem auf Kirche und Bibel applizierten Autoritätsverständnis theoretisch-apologetisch anzunehmen, um dann mit praktisch-missionarischen Strategien zu operieren – längst überholt hatte; ebenso musste auch das Konzept des Supranaturalismus, also übernatürlichen Wesen, Objekten, Strukturen etc. eine Qualität von Wahrheit einzuräumen, die zwar den Verstand nicht touchiert, aber dennoch irgendwie erfahrbar und glaubhaft ist, in der (wissenschaftlichen) Moderne als unvertretbar abgetan werden. War die auf kirchlich-religionspraktische Erfolge vertrauende Theologie etwa an ihre Grenzen gestoßen, weil ihre still akzeptierten dogmatischen Maßnahmen von Wahrheitsklärung nicht mehr mit den modernen wissenschaftlichen Methoden, Grundbegriffen und Denkbewegungen kompatibel sein konnten? Hatte der in so vielen Bereichen des Sozialen und Menschlichen stattgefundene Wandel, eine Veränderung quasi in allen Lebenslagen, der Theologie derart viel zugemutet, dass sie nicht mehr imstande war, der kulturellen Gesamtsituation mit einer Neusortierung des religiösen Bestandes entgegenzutreten? Gab es eigentlich noch eine Chance, die Theologie für einen grundlegenden Perspektivenwechsel zu begeistern, und was für Denkwege sollten dann beschritten werden? Wäre es nicht das Gebot der Moderne, die in veralteten Kontexten geprägten und überholten Weltbildern geschuldeten Sprach- und Denkfiguren des Glaubens bzw. der Religionsausübung kulturadäquat und gegenwartsaktuell zu reformulieren? Wie war es unter den Bedingungen moderner wissenschaftlicher Weltanschauung überhaupt um das theoretische Verstehen und die praktische Gestaltung von gelebter Frömmigkeit bestellt? Und was hatte es schlussendlich mit dem Verfahren auf sich, der christlichen Religion einen ewigen, zeitlosen Wahrheitskern zu unterstellen, aber so zu tun, als könne man diesen Kern mit historischen Methoden erschließen? Bewegt von solchen und ähnlichen Fragestellungen hatte sich kurz vor der Jahrhundertwende ein junger Professor auf der theologischen Bühne bemerkbar gemacht, der bald schon zu den geistigen Koryphäen des Wilhelminischen und frührepublikanischen Deutschland gehören sollte: Ernst Troeltsch (1865–1923), bereits in ersten Amtsjahren aufgrund seiner philosophischen, historischen und systematisch-theologischen Kompetenzen, aber auch des intellektuellen Konfliktpotentials geschätzt, wird besonders ernsthaft wahrgenommen, als er just zu Beginn des 20. Jahrhunderts jenen auf 14 markige Thesen gestützten

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  2.4  Religion der Moderne. Frömmigkeitstypen, Sozialgestalten, Kulturpraktiken

Vortrag über „Die Absolutheit des Christentums und die Religionsgeschichte“248 hält, der rasch zu einer respektablen, gleichbetitelten Publikation ausgearbeitet werden sollte. Mit den zentralen Pointen seiner sogenannten Absolutheitsschrift setzte Troeltsch Wegmarker der Zukunft: „Die Konstruktion des Christentums als der absoluten Religion ist von historischer Denkweise aus und mit historischen Mitteln unmöglich, und in der Unmöglichkeit dieser Konstruktion ist vieles begründet, was sich in der wissenschaftlichen Theologie unserer Tage matt, unsicher und schattenhaft ausnimmt“249, resümiert er – und konzentriert sich auf den Sachverhalt, dass man zwar das theologische Begriffssortiment und das kirchliche Vorstellungskonvolut auf Momente von Verursachung, Entstehung oder Umwandlung historisch zurückverfolgen, die Wahrheits- oder Wesensfrage des Christentums hingegen auf diesem Wege kaum redlich klären könne. Sobald es gilt, „die allgemeinen religionsgeschichtlichen Methoden, denen wir außerhalb des christlichen Gebietes aller Erfolge verdanken, […] ohne jeden Vorbehalt anzuwenden“250, dürften die Problemzonen des Projekts ersichtlich werden, eine Art christlicher Kernbotschaft von ihren historischen Bedingtheiten zu isolieren, um sie zugleich als deren höchstes Prinzip weiter zu behaupten: Dürfte das Verfahren einer historischen (De-)Kontextualisierung in letzter Konsequenz überhaupt vor dem vermeintlich isolierten christlichen Kern innehalten, oder müsste er sich nicht auch als vorübergehendes Zwischenresultat einer weitaus größeren Geschichte für die Fortsetzung historisch-kritischer Operationen verfügbar machen?251 Als letzter und reinster Inbegriff von (wahrer) Religion könne das Christentum ja wohl kaum zu stehen kommen, wenn man bedenkt, dass die Geschichte selbst gar keine Allgemeinbegriffe 248 Troeltsch, Ernst (1998). Die Absolutheit des Christentums und die Religionsgeschichte (1902/1912), mit den Thesen von 1901 und den handschriftlichen Zusätzen (Kritische Gesamtausgabe: KGA 5). Hg.v. Trutz Rendtorff in Zusammenarbeit mit Stefan Pautler. Berlin/New York: De Gruyter, 54-56. 249 A.a.O., 137. 250 Vgl. Troeltsch, Ernst (1898). Zur theologischen Lage (ChW 12), 627–631.651–657, hier: 629 f. 251 Zur Erinnerung: Schleiermacher hat einen ähnlichen Weg zu Ende gedacht, als er das Ansinnen formulierte, die Religion von ihren zeitbedingten Vorstellungen und Ummantelungen zu entkleiden. Doch sein Ziel war es eben nicht, ein Sortiment großer und ewig zeitloser christlicher Wahrheiten zu isolieren, das die Tragfläche der absoluten christlichen Religion ausmacht, sondern eben die Bezogenheitsbeziehung zwischen Universum und Subjekt als das Wesensmoment von Religion schlechthin zu klären.

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oder Prinzipien kennt, sondern eben nur historisch relative Erscheinungen und kontingente Abläufe.252 Doch so sehr sich Troeltsch diesbezüglich in einem ersten Denkschritt hatte festlegen wollen, so wenig war ihm eine besondere Eigenart menschlicher Subjekte verborgen geblieben, und zwar: relative Momente bzw. bedingte oder zufällige geschichtliche Ereignisse nicht allein deskriptiv zu erhellen, um sie historisch und kontextuell auf die Umstände ihrer Genese überprüfen zu können, sondern sie komparativ in Kategorien des Grundsätzlicheren zu überführen, bisweilen gar zu exemplarischen Superlativen bzw. zu prototypischen Absolutismen zu stilisieren.253 Genau auf diese Weise nämlich, so galt es anzunehmen, funktionieren Individuen und Gesellschaften, wenn sie einer auf historische Grundmomente bezugnehmenden Weltanschauung religiöse Wertigkeit beilegen, sinnerhellende Bedeutung zusprechen, moralische Geltung beimessen und kulturelles Gewicht verleihen; exakt diese Deutungsoperationen und Stellungnahmen sind es dann auch, die dem Christentum Höchstgeltung einräumen können: womöglich aufgrund eines starken Basismotivs, das sich als kulturprägend und stabilisierend, als tragfähig und sinnstiftend erwiesen hat. Troeltsch glaubte das tragfähige Grundmotiv des (modern neuprotestantischen) Christentums identifizieren zu können. Im Potpourri der geistigen Gesamtkulturen, die verschieden starke Haupttypen von Religion hervorgebracht haben, präziser noch: im „Kampf der prophetisch-christlich-platonisch-stoischen und der buddhistisch-östlichen Ideenwelt(en)“254 komme das Christentum, so es die Kernidee einer persönlichen Gottesbeziehung akzentuiert, als „stärkste und gesammeltste Offenbarung der personalistischen Religiosität“255 zu stehen. Allerdings, im Vordergrund steht dabei weniger die Option, diese Kernidee historisch als Quintessenz der jesuanischen Botschaft auszumachen; beachtenswert scheint vielmehr der Tatbestand, dass die Vorstellung einer persönlichen Gottesbeziehung das naive Absolutheitsdenken frommer Religionssubjekte aufs trefflichste bedient – und diese ihre Wahrnehmungsurteile offenbar vor dem starken Horizont ihrer je eigenen kulturpraktischen Frömmigkeitsgeschichte(n) fällen. Es ist also, so Troeltsch, diese individuell-subjektiv empfundene, aber eben auf alle sozialen, sittlichen, politischen, künstlerischen 252 Vgl. Troeltsch, KGA 5 (Die Absolutheit des Christentums), 140 f. 253 Vgl. a. a. O., 170 f. 254 A.a.O., 174. 255 A.a.O., 195.

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  2.4  Religion der Moderne. Frömmigkeitstypen, Sozialgestalten, Kulturpraktiken

Szenarien anwendbare kulturelle Höchstgeltung der christlichen Religion, die letztlich doch ihre Absolutheit ausmacht: Der Fromme darf also ruhig fortfahren, naiv im Christentum die große Offenbarung Gottes an die Menschen zu erblicken, sofern ihm nur „der Gottesglaube in Jesus und seiner Gemeinde mit der am stärksten umwandelnden, der am meisten erschütternden und am mächtigsten bindenden Kraft entgegentritt“ und er allein dieser „Gewißheit einer wirklichen Offenbarung Gottes in der christlichen Lebenswelt [bedarf]“256. Und obwohl Jesus, der „die höchste, letzte, bleibende Wahrheit […] bringt“, die absolute Religion dem „Jenseits der Historie vorbehalten“257 hat, werden die sich auf ihn beziehenden praktizierenden Christen den Absolutheitsgedanken voller Überzeugung in den Ausübungs- und Erlebniskontext ihrer persönlichen christlichen Religionspraxis einspielen (dürfen). Schließlich bedarf ihr ganzes Leben doch „keines andern Fundamentes als der Gewißheit, in ihm die höchsten religiösen und sittlichen Kräfte gewonnen zu haben.“258 Es ist kaum zu übersehen, welche religionssoziologische These hier vorbereitet – bzw. welche bis in die Gegenwart geläufige Szene hier kommentiert wird: Vor dem geistigen Auge entsteht das Bild eines Menschen, eingebunden in das soziale Gefüge einer Religionsgemeinschaft, deren Mitglieder bzw. Praktizierende sich permanent gegenseitig versichern und vergewissern, und zwar sowohl historisch, über Generationen hinweg, als auch je aktuell und situativ, im Modus sozialer Kontaktbildungen. Die Dynamik dieser wechselwirkend-gegenseitigen Versicherungs- und Vergewisserungspraxis beruht im Wesentlichen darauf, dass sich alle Religionspraktizierenden auf eine eigene und persönliche, mehr oder weniger intensive, stabile oder fragile Gottesbeziehung berufen können – aber auch eine vergleichbare Gottesbeziehung bei anderen voraussetzen dürfen. Wie etwa bei Jesus dereinst. Der Fortsetzungsclou nun steht und fällt mit der Praxis, wie dieses Bewusstsein je eigener persönlicher Beziehung im Chorus des sozialen Miteinanders permanent verstärkt wird: indem man es (a) mitgeteilt bekommt, (b) selbst repetiert und (c) in die kulturell-gesellschaftlichen, politisch-ethischen und künstlerisch-ästhetischen Dimensionen des Lebens einspielt. Insofern bewährt sich die Höchstgeltung dieser Religion im praktischen Alltag; sollten sich die fromme (Gottes-)Beziehungsgewissheit und die kulturpraktische Geltungsbestätigung der christlichen Religion nicht unmittelbar und vollends als mächtig erweisen, stehen in der Regel genug kulturelle Akteure und Foren zur 256 A.a.O., 204. 257 A.a.O., 205. 258 A.a.O., 207.

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Verfügung, um im soziokulturellen Kommunikations- und Interaktionsgeschäft Beziehungsgewissheit und Höchstgeltungsbestätigung zu intensivieren.

Das Argument (bzw. das Kriterium) der kulturellen Höchstgeltung einer Religion, namentlich des Christentums, hatte sich freilich nicht nur in theologischen Absolutheitsdebatten als praktische Alternative zu supranaturalistisch-dogmatischen oder offenbarungsspekulativ-biblizistischen Wahrheitsbehauptungen bewährt. Tatsächlich war es Troeltsch gelungen, die (aktuelle) Christentumsfrömmigkeit an grundlegende geschichtliche Ereignisse zu koppeln und über historische Entwicklungsprozesse näher zu erläutern, sie aber dann zu synchronisieren mit der „Idee einer stufenweisen Offenbarung des transzendenten Hintergrunds der Geschichte, der hierbei jedesmal in individuellen, geschichtlich bedingten Gestalten hervortritt, aber gerade in diesen die Annäherungen an das völlig transzendente Absolute bewirkt.“259 Das Christentum konnte also im Vergleich mit anderen Religionen, die auf ähnliche geschichtliche Momente zurückzuführen waren, keinerlei Sonderstatus beanspruchen, was die Wahrheit anbelangt; diese war allemal polymorph260, und im Kern zweifelsohne jenseits aller historischen und symbolischen Formen. Wer jedoch denselben Vergleich zu einer Angelegenheit persönlicher Überzeugung nach gründlichster Durcharbeitung261 erklärt, darf auch die Ergänzungsfrage nach der Einfachheit, Kraft und Tiefe stellen, mit der eine Religion ein höheres Leben in Gott eröffnet262 – um dann quasi binnenperspektivisch zu entfalten, dass nur das Christentum (1.) dem Glaubensbedürfnis des europäischen Menschen in der abendländischen Moderne entspricht, (2.) auf das Sinndeutungsverlangen des homo oeconomicus zu reagieren versteht, der von Sehnsucht nach Personalität, Geborgenheit, Freiheit und Wertschätzung umgetrieben wird und (3.) den kulturellen Anfechtungen gegenwärtiger Zivilisation mit sittlichen Gestaltungsoptionen auf Höchstniveau zu widerstehen vermag. En passent war längst hinreichend geklärt worden, warum die Theologie von jenem reaktionären Protestantismus abrücken müsse, der „die aus der Bibel geschöpften wesentlichen Offenbarungen gegenüber der modernen […] Wissen259 A.a.O., 55. 260 Zur Polymorphie der Wahrheit vgl. Graf, Friedrich Wilhelm (2011). Der heilige Zeitgeist. Studien zur Ideengeschichte der protestantischen Theologie in der Weimarer Republik. Tübingen: Mohr Siebeck, 159 f. 261 Troeltsch, KGA 5 (Die Absolutheit des Christentums), 191. 262 A.a.O., 175.

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schaft zu behaupten“263 suchte. Bereits 1910 auf dem Fünften Weltkongress für Freies Christentum und Religiösen Fortschritt264 zu Berlin hatte Troeltsch seine Vision eines freien, aufgeklärt-liberalen Christentums deutlich konturiert und prognostiziert, inwiefern ▶▶ „die kirchlich-autoritative Bindung durch eine aus der Kraft des überlieferten Gemeingeistes sich frei und individuell bildende Innerlichkeit“ ersetzt und ▶▶ „die alte christliche Grundidee einer wunderbaren Heilung [der] durch die Sünde tödlich infizierten Menschen in den Gedanken einer Befreiung der Persönlichkeit durch Gewinn eines höheren Personenlebens und Gemeinschaftslebens aus Gott“ verwandelt werden würde.265 Trotz aller Mühen, die es zugestandenermaßen aufzubringen und zu investieren gilt, um die Zukunftsmöglichkeiten dieses visionären Christentums sicherzustellen und Religion mit Moderne zu versöhnen, war der fortschrittsgläubig-optimistische Grundton des Projekts nicht zu verkennen: Weil die christliche Weltanschauung als eine an Kraft und Tiefe unübertroffene, eben höchstgeltende Antwort (auf die Fragen nach höchsten und letzten Gütern menschlichen Lebens) zu wertschätzen sei,266 habe sich die christliche Religion als Kulturmacht zu profilieren, auf die Erneuerung und Veredlung sittlicher Zustände nach Maßgabe der Ideale Jesu Christi zu zielen und das christliche Ethos als Integral eines Lebens in freier, persönlicher Frömmigkeit zu zelebrieren. Die alte Frage nach einer heilsbedeutsamen und erlösungsnotwendigen Praxis gläubiger Christenmenschen – sie wird nun endgültig überführt in die Betrachtung, wie sich die aus dem Bewusstsein eines persönlichen Gottesverhältnisses erwachsene freie religiöse Persönlichkeit auf allen politischen, sozialen, künstlerischen, wissenschaftlichen (etc.) Bühnen der Kultur zu betragen hat.

263 Vgl. Fischer, Max/Schiele, Friedrich Michael (Hrsg.) (1910). Fünfter Weltkongress für Freies Christentum und Religiösen Fortschritt. Berlin 5. bis 10. August 1910 – Protokoll der Verhandlungen. Berlin: Verlag des Protestantischen Schriftenvertriebs Schöneberg, 332 f. 264 Der Council of Unitarian and Other Liberal Religious Thinkers and Workers war 1900 in Boston, USA gegründet worden; der Berliner Weltkongress war die erste Versammlung auf deutschem Boden; vgl. Fischer, et. al., Fünfter Weltkongress. 265 A.a.O., 333. 266 Vgl. Troeltsch, Ernst (1913). Die christliche Weltanschauung und ihre wissenschaftlichen Gegenströmungen (1893/1894) (GS 2). Tübingen: Mohr, 227-327: 326 f.

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Das imposante Konzept des Ernst Troeltsch, kühn, kulturoptimistisch und gewiss nicht frei von Spurenelementen sogenannter abendländischer Tradition, brachte sich letztlich auch dort zur Geltung, wo eine zukunftsträchtige Profilierung der zuständigen Wissenschaft anstand; es war nur konsequent und folgerichtig, dass man dieser neuen Theologie intellektuelle Plausibilität und geistige Überzeugungsmacht, kulturpraktische Orientierungsleistung und sittliche wie auch soziale Gestaltungskraft abfordern wollte. Als eine „historische Kulturwissenschaft neuzeitlicher Christentumspraxis“267 musste sie neu etabliert – und ihr Fächerkanon entsprechend abgestimmt werden: Mit einer auf die grundlegende Reflexion von Naturrecht und Moral abzielenden Kulturphilosophie, einer fundamentalanthropologisch fokussierten Religionsphilosophie und einer akkuraten Christentumsgeschichte seien die disziplinären Theorieabteilungen zu füllen, wohingegen Dogmatik und Ethik als Glaubens- und Sittenlehre(n) einer praktischen Theologie zuzuordnen wären.268 Indes, diese Pläne für eine Neugestaltung der Theologie mussten unvollendet bleiben; ganz anders hingegen verhielt es sich mit einem besonders auch aus religionssoziologischer Perspektive hochwirksamen Werk, das Troeltsch später wiederholt als sein Lieblingsbuch bezeichnet hatte: Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen269, anfänglich noch konzentriert auf die praktische Frage nach der Lösbarkeit sozialer Gegenwartsprobleme durch christliche Ideen und Organisationen, erweiterte sich rasch zu einer generellen Untersuchung des Wesens religiöser Gemeinschaftsbildung, detaillierter noch: zu einer wissenschaftlichen Typisierung deutlich unterscheidbarer soziologischer Formen christlicher Religionspraxis in ihrem jeweilig wechselseitigen Wirkungsverhältnis zu den Interessen und Sozialformaten profaner Kultur. Dabei spielt die (uns mittlerweile geläufige) These von einer auf innere Erneuerung, religiöse Persönlichkeitswerdung und Vergemeinschaftung zielenden christlichen Grundidee erneut eine beachtliche Rolle – und markiert diskret einen Fixpunkt für die starke Überzeugung, dass der christlichen 267 Zu diesem Begriff und seinen Varianten vgl. Albrecht, Christian (2000). Historische Kulturwissenschaft neuzeitlicher Christentumspraxis: Klassische Protestantismustheorien in ihrer Bedeutung für das Selbstverständnis der Praktischen Theologie. Beiträge zur historischen Theologie 114. Tübingen: Mohr Siebeck, 230, Anm. 8. 268 Vgl. Atze, Stefan (2008). Ethik als Steigerungsform von Theologie? Systematische Rekonstruktion und Kritik eines Strukturprozesses im neuzeitlichen Protestantismus. Berlin: De Gruyter, 207-210. 269 Troeltsch, Die Soziallehren.

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Botschaft der Anfänge, die ja in Erwartung eines nahenden Gottesreiches nur kurzfristig die besagt innige Gottesbeziehung zu thematisieren hatte, kaum ein hinreichendes Gestaltungspotential für das politisch-soziale Leben auf Dauer abzuringen war. Um langfristig moralisch-lebenspraktische Optionen entwickeln und den von weltlichen Werten geprägten Kultur etwas nachhaltig Weltanschaulich-Religiöses entgegensetzen zu können, habe man, so Troeltsch, das religiöse Denken mit fremden, ungewohnten Prinzipien (wie dem stoischen Konzept eines Naturrechts bzw. einer universalen Sozialethik) zu synchronisieren und das christliche Ideengut mit den unterschiedlichen religiösen Ausdruckskulturen des Humanum in passförmigen sozialen Formaten zu choreografieren bzw. zu institutionalisieren. Die naheliegende Mutmaßung nun, dass sich bei diesen Formatierungen je nach Zusammensetzung, Präferenz und Praxis Gruppierungen typologisieren lassen, eben weil sie bestimmte Faktoren – wie etwa Ordnungsdenken, Gemeinschaftssinn, Leistungswillen, Erwählungsbewusstsein, Individualität, innerliche Gestimmtheit – unterschiedlich gewichten und favorisieren, überführt Troeltsch in ein Modell, das ihm Weltruhm bescheren sollte.270 Bereits auf dem Ersten Deutschen Soziologentag in Frankfurt am Main (19.– 22. Oktober 1910) hatte er Kirche, Sekte und Mystik als die drei relevanten Grundformen von Vergemeinschaftung im Christentum vorstellen und als „soziologische Selbstgestaltung[en] der christlichen Idee“ präsentieren können; es seien Haupttypen, die es „von Anfang an“ gegeben hat:271 Als universalhistorisch wichtigster Typus sei weiterhin die Kirche zu nennen, jene Institution, die das Heil über die „Hingabe an die objektive Gnadeninstitution des Wortes und des Predigtamtes“ definiert, auf die Macht der Sakramente setzt und über die stärksten Ausbreitungs- und Organisationskräfte verfügt,272 wohingegen die Sekte orientiert bleibe an ethischem Rigorismus, ihre Kraft ziehend aus dem Gedanken „der heiligen Gemeinschaft, die aus dem Zusammentreten reifer und bewusster christlicher Persönlichkeiten hervorgeht.“273 Im Gegenüber nun zu 270 Ausführlich Molendijk, Arie L. (1996). Zwischen Theologie und Soziologie: Ernst Troeltschs Typen der christlichen Gemeinschaftsbildung: Kirche, Sekte, Mystik. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. 271 Troeltsch, Ernst (1911). Das stoisch-christliche Naturrecht und das moderne profane Naturrecht. In: Verhandlungen des Ersten Deutschen Soziologentages vom 19.–22. Oktober 1910 in Frankfurt am Main. Tübingen: Mohr Siebeck, 166–192: 170. 272 A.a.O., 171. 273 Ebd.

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diesen Formen der Heilsanstalt bzw. der vollkommenen Elite-Gemeinschaft sticht der etwas verwirrend als Mystik charakterisierte enthusiastische Typus heraus;274 er steht für die „Unmittelbarkeit, Gegenwärtigkeit und Innerlichkeit des religiösen Erlebnisses, auf einen Überlieferungen, Kulte und Institutionen überspringenden oder ergänzenden unmittelbaren Verkehr mit dem Göttlichen.“275 Seine Konsequenz sei ein „radikaler, gemeinschaftsloser Individualismus. Unabhängig von Geschichte, Kultus und äußerer Vermittlung steht hier der Christ in unmittelbarem Verkehr mit Christus oder mit Gott. […] Keine Kultgemeinschaft, keine Organisation braucht hieraus hervorzugehen“276, konnte Troeltsch einem Kongresspublikum darlegen, zu dem u. a. Martin Buber, Georg Simmel und sein langjähriger Fachmenschenfreund277 Max Weber gehörte. Zwei Jahre später hatte er auf annähernd 1000 Seiten Resümee gezogen und die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen (s. o.) in Gänze publiziert. Ausführlich waren die Haupttypen der christlichen Gemeinschaftsbildung als geschichtliche Tatsachen vorgestellt, ihre Entstehungsumstände und Entwicklungslinien skizziert, ihr Wesen bestimmt, ihre dogmatischen Facetten rekonstruiert, ihr Wahrheitsbegriff entfaltet und ihr Ethos erläutert worden. Die Quintessenzen dieser Darlegungen waren durchaus folgenschwer, hatten sie doch letzten Endes veranschaulichen können, dass der Kirchentypus weder als allein rechtmäßige noch als einzig mögliche sozialgestaltete Ausprägung der christlichen Idee erachtet werden kann. Und mehr noch: „Die Tage des reinen Kirchentypus in unserer Kultur sind gezählt.“278 Dennoch bot das Schlussplädoyer eine überzeugende Variante. Troeltsch, der sich selbst durchaus mit den Stärken des mystisch-enthusiastischen Typus arrangieren und die enthusiastische Dimension christlicher Religiosität „als lebendig fortzeugende Gegenwartsbewegung“279 wertschätzen konnte, diagnostizierte vehement: Ohne Gemeindeorganisation und ohne Kultus ist das Christentum nicht fortpflanzungsfähig. Jeder Rückzug auf den bloßen freischwebenden Geist und seine organisationslose Selbstdurchsetzung ist eine Utopie, die die wirklichen Bedingungen des 274 Vgl. a. a. O., 172 f. 275 A.a.O., 172. 276 A.a.O., 174. 277 Vgl. Graf, Friedrich Wilhelm (2014). Fachmenschenfreundschaft. Studien zu Weber und Troeltsch. Berlin: De Gruyter. 278 Troeltsch, Die Soziallehren, 981. 279 A.a.O., 970.

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Lebens verkennt und nur die Verflüchtigung und Entkräftung des Ganzen zur Folge hat. Bezüglich der Formen dieser Organisation zeigt sich […] die Überlegenheit des Kirchentypus über den Sektentypus und die Mystik. Er hält an dem vollen Heils- und Gnadencharakter der Religion fest, ermöglicht die Unabhängigkeit des Gnadenbesitzes von den Leistungen der Individuen, kann die verschiedensten Stufen der Reife und Verchristlichung umfassen und ist darum allein fähig, eine Volksreligion mit den unumgänglichen verschiedenen Abstufungen der Mitglieder zu umhegen. Darin ist er der Sekte überlegen und vollends der Mystik. […] Er ist aber allerdings zugleich eine Herabminderung der christlichen Idee auf das Niveau praktischer Möglichkeiten und Durchschnittlichkeiten, ein Prinzip der […] Anpassungen und Kompromisse.280

Und genau an dieser Stelle ist der Handlungsbedarf als Gestaltungsauftrag zu notieren. Es braucht genau dasjenige zukunftstaugliche Gebilde, in dem sich die drei soziologischen Grundformen gegenseitig durchdringen, vereinigen und versöhnen können; gedacht ist an eine Art Kirchentypus höherer Ordnung, wo sich jener „große Gedanke einer gemeinsamen historischen Lebenssubstanz“281 nicht, wie in individuellen Gemeindebildungen und Verkündigungen zu befürchten, verflüchtigt, sondern gemeinschaftlich gepflegt und in die Tat umgesetzt werden kann. Dieser elastisch gemachten Volkskirche282, die sich in den liberalen Ordnungsrahmen moderner Kultur fügt, traute Troeltsch nun zu, als Sozialformat einer im eigentlichen Sinne kirchlichen Religion zu funktionieren, die sich den Herausforderungen ihrer Zeit zu stellen gedenkt und eine „christlich-soziale Bemeisterung der Lage“283 anstrebt. Dazu habe sie Denkwege abzuschreiten, die noch nicht begangen worden sind, aber eben „dieser Lage [zu] entsprechen, wie die älteren Formen älteren Lagen entsprochen haben“284; die nötigen Denkimpulse seien „aus der inneren Triebkraft der christlichen Idee und ihrer lebendig-gegenwärtigen Neugestaltung“ herauszuholen, „und nicht lediglich aus dem Neuen Testament“.285 Letzten Endes nämlich gäbe es „keine absolute christliche Ethik, die jetzt erst zu entdecken wäre, sondern nur 280 A.a.O., 980 ff. 281 A.a.O., 983. 282 Troeltsch, Ernst (1913). Die Kirche im Leben der Gegenwart (1911). In: Ders. Zur religiösen Lage. Religionsphilosophie und Ethik (= Gesammelte Schriften: GS 2). Tübingen: Mohr, 91–108: 105. 283 A.a.O., 986. 284 Ebd. 285 Ebd.

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Bemeisterungen der wechselnden Weltlagen, […] nur das Ringen mit der materiellen und menschlichen Natur“286, das seine Kraft aus dem Glauben – bzw. dem Bewusstsein der persönlichen Gottesbeziehung zehrt. Troeltsch brachte es auf eine Formel: „Das Jenseits ist die Kraft des Diesseits.“287 Freilich, wie es dann um diese speziell gespeiste Kraft der frommen Persönlichkeiten bestellt war, im besonderen Geiste ihrer gemeinsamen Lebenssubstanz die gegenwärtige Lage tatsächlich christlich-sozial zu meistern, mag angesichts aller großen Katastrophen des 20. Jahrhunderts dahingestellt bleiben. Troeltsch jedenfalls hatte wenig missverständlich zu erkennen gegeben, dass sich seine mächtigen Thesen von der Höchstgeltung des Christentums und der abendländischen, durch die christliche Idee geprägten Kultur nur über eine optimistische Grundhaltung hatten spannen können, die als Zutrauen in die gestalterische Potenz des (religiös-sittlichen) Menschen sowie als Vertrauen auf die Stabilität und Stützkraft liberaler Ordnungsrahmen erklärbar ist. Und genau im Kern dieser eurozentrisch-kulturoptimistischen Grundhaltung, die sich möglicherweise diskret mit der eingangs skizzierten deutschen Mentalität jener Ära berührt, fand sich auch ein beachtliches Spurenelement von Anfälligkeit: Kritik konnte sich im Wesentlichen entzünden an der anthropologischen Fundierung, der soziologischen Profilierung und folgerichtig eben der kulturtheoretischen Verarbeitung christlicher Theologie: Insbesondere der reformierte Schweizer Pfarrer Karl Barth – er durfte später als einflussreicher Theologieprofessor zu großen Ehren kommen – glaubte Troeltsch und der herrschenden Theologie die Gefolgschaft verweigern zu müssen;288 energisch präzisierte er seinen Vorwurf einer unstatthaften Vermittlung von Gotteswort und Welt, disqualifizierte die von Schleiermacher, 286 Ebd. 287 A.a.O., 979. 288 Vgl. die nahezu gleichlautende autobiographische Notiz in: Jaspert, Bernd (Hrsg.) (1971). Karl Barth – Rudolf Bultmann: Briefwechsel 1922–1966 (Karl Barth Gesamtausgabe Abteilung V: Briefe 1). Zürich: TVZ, 305. Grundsätzlich und weiterführend v. a. Ruddies, Hartmut (1994). Karl Barth und die liberale Theologie. Fallstudien zu einem theologischen Epochenwechsel. Göttingen: Universität Göttingen; Ders. (1989). Karl Barth im Kulturprotestantismus. Eine theologische Problemanzeige. In: Korsch, Dietrich/Ruddies, Hartmut (Hrsg.) Wahrheit und Versöhnung. Theologische und philosophische Beiträge zur Gotteslehre. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, 193–231; Ders. (1989). Karl Barth und Ernst Troeltsch. Ein Literaturbericht. Verkündigung und Forschung 34, 2–20; Ders. (1987). Karl Barth und Ernst Troeltsch. Aspekte eines unterbliebenen Dialogs. In: Graf, Friedrich Wilhelm/Renz, Horst (Hrsg.) Umstrittene Moder-

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Troeltsch und vielen anderen so sorgfältig herausgestellte Religion als den Inbegriff menschlicher Hybris und stellte gegen jene angeblich zu oft betonte „unerbittlich fortwirkende Eigengesetzlichkeit des gesellschaftlichen Lebens“289 die radikale Autonomie des lebendigen Gottes. Barth und seinen zwischenzeitlichen Weggefährten der frühen sogenannten Dialektischen Theologie – etwa Friedrich Gogarten, Emil Brunner, Eduard Thurneysen, Rudolf Bultmann und Georg Merz – sollten bald ganze Heerscharen von Theologen folgen, über zwei Generationen290 hinweg die theologische Landschaft in Wissenschaft und Kirchenpraxis dominieren, um dort das schroffe Nein Gottes gegen jedwede menschliche Religionsbewegung zu betonen, sämtlichen kulturellen Annäherungsversuchen eine Absage zu erteilen und die alleinige Selbstoffenbarung Gottes in Christus, Schrift und Predigt zu akzentuieren. Aus heutiger Sicht ist es fast müßig, über die Zeitströme und Ereignisse zu räsonieren, die den Siegeszug dieser alternativen Wort-Gottes-Theologie bedingen oder erklären könnten; womöglich hatte es auch mit der verheerenden Dynamik jener Krisis-Jahrzehnte und den Verlusten an Humanität – bzw. an Menschenrecht, Menschenbild und Menschenwürde – zu tun, dass man einem starken Gotteswort und seinen neoorthodoxen Aufbereitungen wieder theologische Aufmerksamkeit schenken konnte: mag es sich nun senkrecht von oben in Christus offenbaren und alles zerschneiden oder aber auch direkt aus der Heiligen Schrift sprechen und die unendliche Unterschiedenheit von Gott und Mensch betonen. Als unverdächtiger Zeitzeuge skizziert und kommentiert Leonhard Fendt die von der Dialektischen Theologie ausgehenden Veränderungen mit folgenden Worten: Nach dem Kriege 1914–18 schienen auch Theologie und Praktische Theologie […] nur der Kritik noch Inhalt zu bieten. […] Und zwar wurden […] drei Dinge zum Vorwurf gemacht: 1. Die Theologie habe durch Historismus, Psychologismus und Methodismus gesündigt; 2. die Theologie sei an dem falschen Ideal der Wissenschaftlichkeit verdorrt; 3. die Theologie habe sich dadurch im Unglauben verloren, daß sie ne. Die Zukunft der Neuzeit im Urteil der Epoche Ernst Troeltschs. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, 230–258. 289 Barth, Karl (1966). Der Christ in der Gesellschaft. In: Moltmann, Jürgen (Hrsg.) Anfänge der dialektischen Theologie. Teil I: Karl Barth, Heinrich Barth, Emil Brunner. München: Kaiser, 3–37: 7. 290 Vgl. Goering, Timothy (2017). System der Käseplatte. Aufstieg und Fall der Dialektischen Theologie. Zeitschrift für Neuere Theologiegeschichte 24:1, 1–50.

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alles von der Tätigkeit der Menschenkraft, fast nichts, als höchstens den ‚Segen Gottes zum Werk‘ von der Gnade Gottes erwartet habe. Die neutheologische Bewegung hingegen ging aus von der Tat Gottes allein; sie sah diese Tat Gottes geschehen im Worte. Damit wurde die Theologie zur Systematik des ‚Wortes Gottes‘, und diese Systematik wollte einsetzen bei der Predigt, also zur Homiletik werden. Ob die Theologie eine Wissenschaft sei oder nicht, das spielte keine Rolle mehr, da man ja aus der Offenbarung zu leben sich bewußt war und von dort her die Macht und den Auftrag hatte, über jede Wissenschaft der Welt […] zu richten. Die bestehende kirchliche Praxis samt ihren Ausbaumöglichkeiten wurde […] auf das ‚Wort‘ zurückverwiesen.291

Auch Ernst Troeltsch und seine hochgescheite, als protestantische Kulturtheorie aufgestellte wissenschaftliche Theologie waren dieser Wende zum Opfer gefallen und „unter der Ägide der Dialektischen Theologie in einem schwarzen Loch der Theologiegeschichtsschreibung verschwunden“292; sogar die zunächst noch als religionssoziologisch bedeutsam anerkannten Reflexionen und Differenzierungen hatten sich bald – z.T. im Schatten der Leistungen Max Webers – verloren und wurden bestenfalls als eine vereinfachte Kirchen-Sekten-Typologie wahrgenommen.293 Der Sache nach freilich war das diagnostische und prognostische Potential seiner Theorien keineswegs erledigt. Sowohl die Perspektive auf die fortschreitende Individualisierung und Subjektivierung des Religiösen als auch die brennende Frage nach den geeigneten und krisensicheren sozialen Formaten einer Frömmigkeit in der Moderne, ebenso die Aufgabenstellung, die gesellschaftliche Polymorphie religiöser Wahrheit in ein theologisch tragfähiges Pluralismuskonzept einzuholen, harrten der Wiederentdeckung und einer angemessenen Aufbereitung. Die Theologie der Gegenwart konnte diesen Schritt zum Glück längst unternehmen;294 auch innerhalb der Disziplin der Praktischen Theologie hat man 291 Fendt, Grundriß, 38. 292 So Lauster, Jörg (2004). Prinzip und Methode: die Transformation des protestantischen Schriftprinzips durch die historische Kritik von Schleiermacher bis zur Gegenwart. Tübingen: Mohr Siebeck, 239, Anm. 236. 293 Vgl. Drehsen, Volker (2009). Die „Normativität“ neuzeitlicher Frömmigkeitsgeschichte. Zur aktuellen Bedeutung der klassischen Religionssoziologie Ernst Troeltschs. In: Albrecht, Christian/Dober Hans-Martin/Weyel, Birgit (Hrsg.) Der Sozialwert der Religion: Aufsätze zur Religionssoziologie. Berlin: De Gruyter, 283–312: 284. 294 Nähere Auskunft erteilt Rendtorff, Trutz (2002). Art. Troeltsch, Ernst. TRE 34. Berlin/ New York: De Gruyter, 130–143.

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sich eifrig daran beteiligt295 und die Empfehlung artikuliert, ein wissenschaftliches Augenmerk auf jenes größere Feld zu richten, das auch von nichtkirchlicher oder schwach sozialformatierter Frömmigkeit, womöglich gar von unsichtbar gewordener Religion besiedelt wird.296 Ein beachtlicher Streckenposten war erreicht, als in den 1960er Jahren einer breiten, insbesondere nichttheologischen Öffentlichkeit angedeutet wurde, was es mit dem „Christentum außerhalb der Kirche“297 auf sich hat: In verständlichen Radiobeiträgen hatte sich Trutz Rendtorff zu dem komplexen Tatbestand geäußert, dass das „neuzeitliche Christentum weder gleichzusetzen [ist] mit der Kirche, die ihre eigene Identität aufrechterhalten muß, noch mit den Gestalten von Theologie, in denen der Versuch einer systematischen Integration des Glaubens unternommen wird“298. Der fehlgeleiteten Vorstellung, der zufolge Christlichkeit und Kirchlichkeit dasselbe sind, sei entgegenzuhalten, dass „Kirchlichkeit […], von gewichtigen Ausnahmen abgesehen, nie in großer Blüte gestanden“299 hat. Natürlich lasse sich das vielgescholtene Phänomen der Unkirchlichkeit, populär flankiert von der Ansicht, dass man sehr wohl ein guter Christ sein könne, „ohne ständig zur Kirche zu gehen oder gar am Leben der kirchlichen Gemeinden […] teilzunehmen“300, in der neuzeitlichen Welt des Protestantismus „nicht ohne weiteres mit theologischen Lehrmeinungen und kirchlichen Handlungsvollzügen verrechnen“301. Diesen Missstand gelte es aufzuarbeiten. Rendtdorffs Kommentare waren scharfsinnig. Subtil setzte er sich mit der Kulturschelte eines vulgären Barthianismus und der kirchentheologischen Verwerfung des Religionsbegriffes auseinander, skizzierte präzise die Standpunkte der Aufklärungstheologie um 1800, erinnerte mit diskret platzierten Denksplittern an das Œuvre Troeltschs und machte die Faktizität der Vorkommnisse 295 Z.B. Drehsen, Neuzeitliche Konstitutionsbedingungen; Fechtner, Kristian (1995). Volkskirche im neuzeitlichen Christentum. Die Bedeutung Ernst Troeltschs für eine künftige praktisch-theologische Theorie der Kirche (Troeltsch-Studien 8). Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus; Albrecht, Historische Kulturwissenschaft. 296 Vgl. Drehsen, „Normativität“, 286. 297 Rendtorff, Trutz (1969). Christentum außerhalb der Kirche. Konkretionen der Aufklärung. Hamburg: Furche. 298 A.a.O., 7. 299 A.a.O., 8. 300 Ebd. 301 A.a.O., 7.

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kriteriologisch geltend. Dabei lassen sich die Hauptetappen seiner Argumentation – (a) Fragilität der realen Volkskirche, (b) verborgenes Christentum und aufgeklärte nichtkirchliche Religion, (c) ethisches, undogmatisches Christentum – anhand einiger Leseproben aus den publizierten Rundfunkvorträgen anschaulich plakatieren. ▶▶ „Manche kirchlichen Kreise treten heute mit dem Bewußtsein einer Sekte auf. Das bleibt zutiefst zweideutig, wo dennoch – und mit Recht – an der Wirklichkeit der Volkskirche festgehalten wird.“302 „Das innere Leben der Gemeinden und kirchlichen Kreise ist seit dem vorigen Jahrhundert mehr und mehr zur Domäne einer bestimmten Frömmigkeit geworden.“303 ▶▶ „Nicht die Ablehnung dessen, worum es auch der Kirche zu tun ist, sondern eine andere Weise der Zustimmung zur christlichen Überlieferung ist die Wurzel für das Auseinandertreten von Kirchlichkeit und Christlichkeit. […] Der positive Sinn, der dem […] verborgenen Christentum in unserer Gesellschaft historisch zugrunde liegt, entstammt der Überzeugung, die christliche Überlieferung, christliches Leben und Erkennen sei umfassender, reicher und freier, als dies vom Standpunkt der Kirche aus heute der Fall zu sein scheint.“304 „Aufklärung bedeutet den Protest gegen solche kirchliche Lehre und Verkündigung, bei der sich ein vernünftiger Mensch nichts denken kann.“305 „Das nichtkirchliche Christentum berief sich in seinem Ursprung auf die eigene freie Fähigkeit des Menschen als Christen und des Christen als Menschen.“306 ▶▶ „An die Stelle einer endgültigen Unterscheidung zwischen wahren und falschen Christen tritt hier eine solche, über die man auch sinnvoll reden kann, bei der man sich etwas denken kann: Es ist die Unterscheidung zwischen verschiedenen Begabungen, Möglichkeiten, Fähigkeiten der Christenmenschen. Es gibt eben Fähige, die durch eigene Überlegung […] das leisten, was die kirchliche Lehre, Dogmen und Bekenntnisse und Predigt für die anderen, die Unfähigen leisten. Damit sind aber öffentliche und private Religion gleichermaßen gerechtfertigt.“307 302 A.a.O., 11. 303 A.a.O., 17. 304 A.a.O., 12 f. 305 A.a.O., 14; vgl. a. a. O., 59 ff. 306 A.a.O., 19. 307 A.a.O., 16.

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▶▶ „Wahres Christentum ist als persönliches Christentum immer undogmatisch. […] Die Forderung eines undogmatischen Christentums steht im Zusammenhang mit dem Schritt des Christentums aus seiner allein kirchlichen Gestalt.“308 „Wenn die Kirche sich heute so intensiv darum bemüht, ihren Dienst der Verkündigung als Hilfe zum Leben in der Welt der Arbeit, des Berufs, der Familie und überall konkret werden zu lassen, dann ist es nur billig, daran zu erinnern, daß sie damit nur das Erbe der Aufklärung einzuholen sich bemüht.“309 Im Finale dieser Denkausführungen nun waren zwingende, aber auch heikle Anfragen gelistet, nämlich: „Bedeutet undogmatisches Christentum […] nicht die Auflösung des christlichen Glaubens und seiner Wahrheit?“310 Und ist „das Christentum noch der Erneuerung fähig oder endgültig ins Vorhandene verflochten?“311 Für die Antworten blieb ein Ermessensspielraum, dessen Weite freilich in einem Klärungsverhältnis stand zu alldem, was letztendlich nun von der „christlichen Theologie und der christlichen Orientierung erwartet wird“.312 Rendtorffs Lösungsvorschlag war prägnant und verständlich; er lautet: Dient die „christliche Interpretation […] der Einsicht, daß der Mensch nicht im Vorhandenen aufgeht“313, jedoch – im Kontext von Sozialität – der Forderung nach produktiver Selbstbegrenzung in Freiheit und Verantwortung nachzukommen hat,314 so dürfte die Zukunft dieser christlichen Wirklichkeitsdeutung an ihre sinnstiftenden und ethisch reflektierten Orientierungsleistungen gekoppelt bleiben. Das Wesen des Christentums müsse sich weiterhin und zukünftig bewähren über all seine besonderen Stellungnahmen zu Weltlauf, Erdenwallen, Zeittreiben und Lebenswandel, die ihren „konkreten Maßstab an der Menschlichkeit“315 haben. Nahezu zeitgleich nun mit Rendtorffs Versuchen, ein persönliches, undogmatisch-nichtkirchliches Christentum zu würdigen, die neue „Selbstthe-

308 A.a.O., 77 f. 309 A.a.O., 63. 310 A.a.O., 89. 311 Ebd. 312 A.a.O., 95. 313 A.a.O., 96. 314 Vgl. a.a.O, 96. 315 A.a.O., 97.

Tour 2:  Historische Epochen, Perioden und Episoden.  

matisierung des Menschen“316 mit der „Erneuerung eines überindividuellen Verpflichtungsstandes“317 zu koordinieren und auf das „ethische Zeitalter des Christentums“318 mit einer „Ethik als Steigerungsform von Theologie“319 – eben durchaus im Anschluss an Troeltsch320 – zu reagieren, war auch außerhalb der Theologie, wenngleich äußerst subtil, an den großen Wissenschaftler angeknüpft bzw. erinnert worden: Hatte dieser vor gut einem halben Jahrhundert unter seinem Mystik-Typus auffällig organisationslose Sozialphänomene von (christlicher) Religion – höchst flüchtig formatiert, ohne zwingend zentrierte persönliche Gottesvorstellung – subsummieren321 und kritisch als zerfließend, chaotisch, zufällig-persönlich, enthusiastisch, amateurhaft, intellektualistisch und weltanschauungsmäßig assoziieren können322, so wurde nun die angesprochene Individualisierung und Subjektivierung des Religiösen in zahlreichen Voten wertschätzend thematisiert. Zu den wirkmächtigeren Arbeiten, die sich in den 1960er Jahren mit den betreffenden sozialen Formatierungen individueller Sinndeutung und Lebensführung beschäftigt und entsprechende religionssoziologische Thesen vor einem theologisch relevanten Horizont entwickelt haben, muss zweifellos Thomas Luckmanns The invisible Religion323 gezählt werden. Ähnlich wie in Rendtorffs Schrift über das Christentum außerhalb der Kirche wird auch in Luckmanns Essay über die unsichtbare Religion die These 316 Rendtorff, Trutz (1982). Art. Ethik VII. Ethik der Neuzeit. TRE 10. Berlin/New York: De Gruyter, 481–517: 481. 317 A.a.O., 482. 318 Rendtorff, Trutz (1972). Theologie in der Welt des Christentums. Über das Theoriebedürfnis christlicher Praxis (1969). In: Ders. Theorie des Christentums. Historisch-theologische Studien zu seiner neuzeitlichen Verfassung. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, 150–160: 152. 319 Zu diesem Konzept(-begriff) vgl. insgesamt Atze, Ethik als Steigerungsform. 320 Rendtorff, Trutz (1989). Auf der Suche nach Vorbildern. Zur Begegnung der heutigen Sozialethik mit Ernst Troeltsch. In: Claußen, Ulf (Hrsg.) Moderne Zeiten – soziale Gerechtigkeit? 20 Jahre Sozialwissenschaftliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland. Bochum: Collmer, 110–113. 321 Vgl. Daiber, Karl-Fritz (2014). Mystik. Ernst Troeltschs dritter Typ der Sozialgestalten des Christentums. Aufrufbar unter: http://archiv.ub.uni-marburg.de/es/2014/0004/pdf/ Daiber_2014.pdf (Stand: 18.12.2017), 10. 322 Troeltsch, Ernst (2014). Die Bedeutung der Geschichtlichkeit Jesu für den Glauben (1911) (KGA 6: Schriften zur Religionswissenschaft und Ethik (1903-1912)). Berlin/Boston: De Gruyter, 820-851: 836. 323 Luckmann, Thomas (1967). Die unsichtbare Religion. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

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fundiert, dass Christentumsreligion und Kirchentheologie nicht dieselbe Sprache sprechen: Weder die institutionalisierten Religionsgemeinschaften noch ihre machtausübenden Organe, weder die Reflexions- und Kultivierungsorte für religiöse Wissensmengen noch die frömmigkeitspflegenden Instanzen können exklusiv bestimmen, was Religion ist (oder eben nicht ist). Auch wenn die althergebrachten Zuständigkeitshoheiten auf gewissen kirchensoziologischen Sektoren noch hinreichend anerkannt scheinen, ist, wie Luckmann betont, keineswegs verbindlich in Stein gemeißelt, dass das Christentum die Religion ist und von der Theologie allein angemessen reflektiert bzw. in der Kirche einzig angemessen zelebriert wird: sämtliche binnentheologisch formulierten Wahrheits- und Geltungsansprüche, die sich weiterhin auf ein besonderes, weil heiliges Basisdokument (z. B. Bibel), auf einen einzigartigen, als Heilsfigur inszenierten Religionsstifter (z. B. Jesus) oder auf exklusive Erlösungsverfahren (z. B. Sakramente) kaprizieren wollen, müssen sich de facto messen lassen an den (kultur-)anthropologisch ausgewiesenen Befunden, die Religion als individuelle Sinndeutungsveranstaltung und zugleich als sozialkommunikative Sinnverständigungspraxis in kulturell aktiven Segmenten der Menschheit verortet. Zu der eingepflegten Lehrmeinung, wonach sich Religion als sozialer Tatbestand nur über ein einschlägig institutionalisiertes Verhalten und ebenso einschlägig institutionalisiertes Wissen abbilden und über konkrete Rituale, Kultveranstaltungen, Doktrine, Dogmen und Gottesbilder eindeutig substanziell definieren lässt, bleibt Luckmann auf Distanz;324 mit einem unverstellten (funktionalen) Religionsbegriff will er sich an der sinngewährenden Funktionalität von subjektiv erschlossenen und kommunikativ objektivierten Deutungsbildern, Vorstellungen, Ideen und Praktiken orientieren. Grundlegend favorisiert er ein Verfahren, bei dem Religion verständlich gemacht wird als eine komplexe Initiative von Menschen, die einerseits ihre (Lebens-)Erfahrungen konstruktiv zu deuten suchen und dabei an einem Sinnhorizont des eigenen Daseins arbeiten, andererseits ihre Reime auf ‘s eigene Leben als persönliche Sinnfragmente kommunizieren wollen und im Abgleich mit den Sinnfragmenten anderer auf Lebenstauglichkeit und Schlüssigkeit prüfen müssen. Dieses Basisverfahren ist durchaus folgenschwer, denn es kommt dabei – natürlich auch in der Beschäftigung mit dem historischen Vermächtnis und der religiösen Vorstellungswelt, in die hinein man geboren wurde – zu kritischen Auseinandersetzungen mit Deutungen, Ansichten und Perspektiven. Im Prozessmodus der besagten 324 Vgl. insgesamt zu diesem Gedankengang a. a. O., 55–58.

Tour 2:  Historische Epochen, Perioden und Episoden.  

konstruktiven sozialen Kommunikation verlieren sich manche dieser individuellen und sozialen Sinnkonstruktionen, andere gewinnen hingegen derart an Bedeutsamkeit, dass sie extrem verbindlich werden (können): sowohl für Individuen als auch für Kollektive verdichten sie sich zu Modellen spiritueller, sittlicher und kulturpraktischer Lebensorientierung. Sie kristallisieren sich in Glaubenshaltungen, Weltanschauungen und Werteordnungen – und formen sich somit zu einem Heiligen Kosmos, einem System letzter Bedeutungen. Weil diesem Heiligen Kosmos nun die Aufgabe zufällt, den Zusammenhang von Sinn krisensicher zu garantieren, ist er nicht über seine substanzielle Qualität zu vermessen, sondern über seine (s. o.) funktionale Leistungsfähigkeit, Transzendenzen zu bewältigen. Das Luckmann’sche Schema kann also für das, was bis dato als Religion verstanden worden war, durchaus zur Anwendung gebracht werden. Die Geschichte des Christentums etwa wäre erschließbar als jener spezielle Prozess, bei dem Erfahrungsdeutungen, Sinnkonstruktionen und Sinndeutungsabgleiche kommunikativ vor dem Sinnhorizont der christlichen Überlieferungen bzw. vor dem Hintergrund eines christlichen Sinndeutungsintegrals vollzogen werden – wobei der Prozess freundlicherweise genau von denjenigen Spezialisten mit Sonderwissen moderiert wird, die eben auch an der Gestaltung von Integral und Horizont (quasi als Architekten des Heiligen Kosmos) Anteil haben. Doch welche Denkarbeit bleibt eigentlich zu leisten, wenn der Verlust kompetenter Kosmos-Architekten oder das Versagen von Wissensagenten und Moderatoren am Himmel wetterleuchtet, wenn die bisherige Machtinstanz (Kirche) und der bisherige Austragungsort (ebenfalls Kirche) einer nie dagewesenen Erosionskraft ausgesetzt sind, wenn sich das Religiöse im Ethischen und im Privaten kulturell neu sozialformatiert, wenn der pluralistische Markt als Bewerbungsforum für Agenturen neuartiger Heiliger Kosmen zu funktionieren beginnt, oder auch: wenn sich der Sinn und Heil suchende Mensch permanent in einer säkularisierten Moderne zurechtfinden muss?325 Es wird klar: die bei Luckmann entschlossen aufgeworfene Basisthese von einer (privatisierten) Religion, die ihre (institutionelle) Sichtbarkeit verliert, konnte sich definitiv nicht länger an der Frage orientieren, wie sich das Wesen 325 Luckmann hatte im Grunde die zentrale Frage der Religionssoziologie reaktiviert und dekliniert, nämlich: „Unter welchen Bedingungen werden transzendente, übergeordnete und integrierende Sinnstrukturen gesellschaftlich objektiviert“ (a. a. O., 61) – und wieso hält man an der Engführung fest, dass spezialisierte religiöse Institutionen ein Zuständigkeitsmonopol besitzen?

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einer Religion über ihr Material (bzw. ihre Substanz) anschaulich machen lässt; ebenso dürfte auch an der speziellen Praxis, sich einer substantiell definierten und inhaltlich bestimmten Gottheit zuzuwenden, nur noch nebengeordnet Interesse bestehen. Von weitaus größerem Belang hingegen sind jetzt (a) die abseits der ausgewiesenen Religionsräume interaktiv konstruierten Sinndeutungsfiguren sowie (b) deren außerhalb traditioneller Religionsspielwiesen unkompliziert erfolgte soziale Realisierung: eine Forschung, die sie in ihrer religiösen Funktion und Bedeutung für das Individuum in der modernen Gesellschaft zu erschließen vermag, wird ein neues Licht auf all die religiösen Aktionen werfen können, mittels derer Menschen ihre Natur und ihr Gegebensein überschreiten. Wer an einer trivialen Verdeutlichung des Gemeinten interessiert ist, wende sich dem vielseitigen Genre der Ratgeberliteratur zu – oder einem besonders griffigen Katechismus der medialen Moderne326: Eine ganze Reihe sogenannter Frauenzeitschriften platzieren sich in ihrer Publikationsnische mit dem werbenden Konzept, ein Ratgeber für die moderne Frau zu sein und auf deren Sinn- und Daseinskrisen mit einem angemessenen Angebotsportfolio reagieren zu können.327 Nun gehört ganz augenscheinlich zu den größeren und nachhaltigsten Krisen in der Gegenwartskultur der Verlust in einer Beziehung, trivial: die Trennung. Wohl wissend oder mutmaßend, dass in dieser höchst privaten Angelegenheit weder zwingend mit kirchlichem Beistand oder göttlichem Kommentar zu rechnen ist noch eine passförmige Glaubenslehre existiert, wird standardmäßig-simpel der Ratschlag feilgehalten, es mit einer neuen Frisur zu versuchen; der Rest ergebe sich von selbst. Das kann funktionieren, sich vorübergehend bewähren. Die soziale Realisierung der größeren Weltanschauung, die sich hinter diesem sinnstiftenden Tipp erstreckt, ist kaum zu unterschätzen. Sowohl das mit einhergehende Frauenbild als auch dieses eigentümliche Konzept von Seelenfrieden und Erlösung hält sich durchaus schon Jahrzehnte.328 Steht eine Verdichtung zum Heiligen Kosmos bevor?

326 Zu diesem Begriff vgl. Brinkmann, Frank Thomas (1999). Comics und Religion. Das Medium der „Neunten Kunst“ in der gegenwärtigen Deutungskultur. Stuttgart: Kohlhammer, 213 ff. 327 Vgl. ähnlich: Krüger, Oliver (2012). Die mediale Religion. Probleme und Perspektiven der religionswissenschaftlichen und wissenssoziologischen Medienforschung. Bielefeld: transcript, 229 ff. 328 Kuhn, Thomas K. (2003). Religion und neuzeitliche Gesellschaft. Studien zum sozialen und diakonischen Handeln in Pietismus, Aufklärung und Erweckungsbewegung. Tübingen: Mohr Siebeck; spielt „auf eine Fülle von Frauenmagazinen an, die seit den 1760er Jahren erschienen“ (94) sind.

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Luckmanns Die unsichtbare Religion wirkte zwar mit etwas Zeitverzug, aber dafür umso nachhaltiger. Verständlich waren auf gewisse Weise die Ein- und Widersprüche, die im Blick auf die Elastizität des weiten Religionsbegriffes angemeldet worden waren; vehement wurde vorgetragen, dass mit der Preisgabe substantieller, inhaltlicher Kriterien die Vermessung einer religiösen Funktion gar nicht möglich sei – oder aber im Kehrverfahren dazu führen müsse, sämtliche Kulturpraktiken, Narrative, Artefakte usw. unter Religionsverdacht zu stellen, sofern ihnen nur eine therapeutische oder sinnstiftende Funktion zugestanden werden könne.329 Eine solche Kritik freilich trifft nicht den besonderen Punkt, auf den es Luckmann abgesehen hatte; immerhin zielte sein Essay ja nicht auf die Kreation eines uferlosen Religionsbegriffes, sondern auf gegenwartsdiagnostische Erhellungen und religionshermeneutische Erschließungen einer bis dato unsichtbar gebliebenen Kulturpraxis ab: Menschen deuten Erfahrungen, kommunizieren Deutungen, schaffen klärende Sinnzusammenhänge, koppeln ihre Lebensgestaltung an verbindlich gewordene Sinnkonstruktionen, wünschen den Alltag und alles, was darüber hinausgeht, irgendwie zu meistern, suchen Krisen zu bewältigen, unheilvolle Situationen heil zu überstehen, mit Transzendenz(en) umzugehen – all diese verhältnismäßig unscheinbaren bzw. wenig beachteten Momente hatte Luckmann in seiner theoriegesättigten Wissenschaftserzählung herausgestellt und zu der Hauptthese von einer kulturpraktisch-sinnproduktiven – und insofern religiösen, aber eben nicht mehr in konservativen Sozialformaten aktiven – Spezies verdichtet, die zu beobachten und zu verstehen für Theologie und Religionsforschung von höchster Priorität sein muss. Und die Praktische Theologie? Wie wird sie nun aus ihrer eigenen Geschichte und den langen Schatten ihrer vielen Geschichten heraustreten, mit welchen Quintessenzen will sie sich aus den Wechselbädern ihrer Verwandlungsepisoden erheben, und vor allem: mit welchem Selbstverständnis möchte sie eigentlich in jene Zukunft schreiten, für die es kaum noch verlässliche Definitionen von Religionspraxis gibt? Müssten sich Gestaltungswille und Betrachtungsfokus weiterhin auf die bekannten stabil-kirchlichen Sozialformate konzentrieren? Sollten sie in großzügiger Weise wenigstens noch kirchenähnliche Gebilde als Peripherie ins Visier nehmen? Hätte die Perspektive eventuell zu schwenken auf nichtinstitutionalisiert-private Frömmigkeitsszenen oder gar auf Szenarien 329 Ausführlich u. a. Knoblauch, Hubert (1967). Die Verflüchtigung der Religion ins Religiöse. Thomas Luckmanns unsichtbare Religion. In: Luckmann, Thomas (Hrsg.) Die unsichtbare Religion. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 7–41: 12 ff.

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individueller Selbstdeutung und Sinnkommunikation? Wäre womöglich das gesamte Spielfeld im Blick zu behalten, weil es sich am Ende doch eigentlich gezeigt hat, wie die von Troeltsch, Rendtdorff, Luckmann und vielen anderen bereits arg strapazierte angebliche Demarkationslinie zwischen Religionspraxis und Kulturpraxis immer nur als vorläufige und unwahre Konstruktion existieren konnte? Zumindest ein ganz wichtiger, diese Kapitelserie allerdings endlich beschließender Hinweis wäre damit indirekt vorbereitet, nämlich: dass die zukünftige Praktische Theologie auf ihrer Kultivierungsexpedition in religiöse Praxislandschaften gewiss einer ganzen Reihe von Spezies begegnen wird, die (erstens) z. B. kirchenpraktisch oder christentumspraktisch oder kulturpraktisch oder sittlich-praktisch oder sinndeutungspraktisch aktiv sind, (zweitens) diese Aktivität ihrer Religion (oder einer sonstigen Gesinnung) zuordnen, (drittens) sich selbst als religiös (oder spirituell, fromm usw.) bezeichnen oder sogar (alternativ) jede dieser gelisteten Zuordnungsoptionen ablehnen. So oder so: man muss weitersehen und vorausschauen. Und möglichst die Übersicht behalten.

Tour 2:  Historische Epochen, Perioden und Episoden.  

Übersicht Die Praxis und die Praktiken des ganz jungen Christentums Die von Jesus zu Lebzeiten angesprochenen, nunmehr vom Tod des Gekreuzigten betroffenen Menschen finden sich zusammen unter der

Die christliche Praxis in einer frühen Idealzeichnung: Das erste Summar der lukanischen Apostelgeschichte beschreibt nicht das Vorfindliche, sondern malt einen Traum:

Praxis -

Hier agiert eine merklich anwachsende Schar der Begeisterten (Apg. 2, 1ff.), Ergriffenen (Apg. 2, 37) und Getauften (Apg. 2,41) nach ganz klaren Maßgaben.

-

intensiver Trauerbewältigung, erinnernder Vergegenwärtigung, sinngebender Deutung.

Neben altes, vertrautes Brauchtum treten neue Rituale und Regelwerke für die Gestaltung der verbleibenden Lebenszeit auf Erden, bis die Welt endet und / oder der Herr zum letzten Mal wiederkommt. (Stichwort: Naherwartung vs. Parusieverzögerung)

Apostellehre, Gemeinschaft, Brotbrechen und Gebet (Apg 2,42) sowie Gütergemeinschaft und gerechte Verteilung unter Bedürftigen (Apg. 2, 44,45) scheinen die Säulen eines Idealmodells von Gemeinde zu sein. (Ein darauf aufbauendes Konzept hält sich bis in die Gegenwart und orientiert sich an den Leitbegriffen Martyria, Koinonia, Eucharistia, Leiturgia, und Diakonia).

Die Gemeindepraxis und ihre Haupt-Verantwortlichen. Standardisierte Leistungen und Praktiken werden auf konkrete bzw. bestimmte Rollen bezogen. Begriffe wie Diakone, Apostel, Hausväter, Aufseher oder Älteste tauchen auf – und geben Anlass zu der Vermutung, dass es gewisse Typenbildungen mit jeweiligen Funktionszuweisungen gegeben hat. Es lässt sich zunehmend zwischen religionspraktischen Diensten und administrativen Ämtern unterscheiden.

Die Pastoraltheologie der / für Superhirten Eine Funktionsunion von Priestertum, Schriftgelehrtheit und Sittenwacht wird generiert und als Episkopos-Figur variiert: Der Bischof hat die Hoheit über sakrale Vorgänge, dogmatische Lehrentscheidungen, alltagspraktische Angelegenheiten und organisatorische Grundfragen. Seine Praxis vereint göttliches und menschliches Handeln in Stellvertretung – und wird daher in zahleichen Schriften traktiert, reflektiert und problematisiert. (Pastoraltheologische Trilogie der Spätantike: Gregor von Nazianz, Johannes Chrysostomos, Gregor d. Große.)

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 Übersicht theologia --- Zwischen Weisheit und Wissenschaft, Gotteslehre und Gottesliebe, Spekulation und Frömmigkeitspraxis, Lebensführung und Heilsangebot. Die lateinisch-katholische Version des römisch organisierten Kirchenchristentums gewinnt an Bedeutung und Macht. Neben der von Mönchen intellektuell gepflegten weisheitlichen Theologie (monastische Tradition) etabliert sich zusehend eine theologische Denkrichtung, die sich an den aristotelischen Wissenschafts- und Theoriebegriffen orientiert und bald an den jüngst entstandenen Universitäten gepflegt wird (scholastische Tradition). Im Schulterschluss mit der aristotelischen Philosophie soll sich die Überlegenheit des lateinischen Christentums endgültig zeigen lassen, auch präzisiert hin auf die Frage, inwiefern sich die theologia als scientia präsentiert: Ist es eine scientia speculativa, weil Gott eigentlich nur selbst etwas / alles über sich wissen kann – oder ist es eine scientia moralis et practica, zumal sie ja auf eine verbesserte moralische Lebenspraxis von Menschen abzielt? Augustinus von Hippo: die doctrina als das verfügbare Glaubenslehrwissen steht im Kontrast zu der letzten seligmachenden Wissensmenge, die erst in einer allerletzten Gottesschau als Sapientia den menschlichen Geist vollendet: Zu Weisheit und Seligkeit kommt man nicht rein auf spekulativem Wege, sondern über den Viererschritt von lectio, meditatio, oratio und contemplatio. Thomas von Aquin: Gleichwohl hat die theologia doch das Selbstwissen Gottes in einer vernüftigen Denkveranstaltung bestmöglich nachzustellen und ist daher sehr speculativa… Bonaventura: … wenngleich das Ziel doch die Veredelung des Menschen bleibt. In dessen Lebenswerk habe sie sich also zu bewähren – und ist insofern hoch praktisch (practica)… Johannes Duns Scotus: … Jedoch, ist theologia nicht auch so etwas wie ein habitus, also eine Haltung, die darin besteht, dass man Gott einfach lieben will, muss, sollte?

Erste Ausdifferenzierungen innerhalb der Theologie

Schleiermacher

Von der Reformation zur Reform theologischer Bildung und Ausbildung.

Theologie ist eine positive Wissenschaft, die sich verstehend auf geschichtlich Gewordenes und Gegebenes zu beziehen hat, aber auch gestaltend auf die Verbesserung dieses Gegenstandes konzentriert.

(Evangelische) Theologie an der Universität: Bibelstudium mit deutlichem Praxisbezug für Geistliche (Predigtlehre); eine Aufgabe für exegetische Professuren und homiletische Übungsleiter. Andreas Gerhard Hyperius: Die Theologie ist / arbeitet biblisch, historisch, systematisch und praktisch! (Einrichtung von Predigtkursen in Marburg.) Altprotestantische Theologie: Neue Unterscheidungen von theologia catechetica und theologia acroamatica, Fällige Näherbestimmungen von theologia biblica, theologia dogmatica, theologia moralis und theologia homiletica, Notwendige Zielgruppenklärung, etwa im Blick auf die Einfältigen (theologia rudior)

Martin Luther: Die theologia speculativa bzw. die theologia scholastica ist lebensfern und eitel!

Weiterführende Bedarfsanmeldungen und Begriffsspielereien:

Die ganze theologia ist practica, sofern / weil sie dem Menschen ein Heilsangebot machen kann.

populäre praktische Theologie (theologia popularis)

Dieses Angebot vermag nur zu begreifen, wer betet, meditiert, reflektiert und die Widrigkeiten von Glauben und Leben aushält. (oratio, meditatio, tentatio!).

medizinisch-heilsame praktische Theologie (theologia medicinalis)

Echte theologia speculativa spekuliert folglich nur über die Bedeutung des Kreuzestodes Christi, und zwar gescheiter Weise im Modus des Bibellesens. (lectio!) Theologia practica aber ist das Eigentliche; es besteht darin, auf Christus zu trauen, ihm zu glauben – und seinem gewöhnlichen Beruf so gut nachzukommen, dass bei der Erledigung des Alltagswerkes keine Schuldigkeit mehr offenbleibt.

Sie ist an sich als ganze Wissenschaft schon praktisch, bleibt aber angewiesen auf detailliertere Kenntnisse, Kunstregeln und Techniken. Dafür zuständig ist eine Spezialdisziplin: die Praktische Theologie (als Krönung des theol. Wissenschaftsbetriebs).

Tour 3:  Tatbestände, Impressionen und Zukunftsvisionen. Expeditionen in soziale Kosmen, kulturelle Universen und phantastische Regionen, unterbrochen durch Stippvisiten bei allerlei Sehens-, Merk- und Denkwürdigkeiten

3.0  Parameter und Variablen einer PT des 21. Jahrhunderts Wenn die Begriffe nicht richtig sind, so stimmen die Worte nicht.1 Wir wissen voneinander bei den einfachsten Begriffen nicht, ob wir bei einem gleichen Worte die gleiche Vorstellung haben. Wenn ich grün sage, meint der Hörer vielleicht blaugrün oder gelbgrün oder gar rot.2

Der Vorfall ist typisch, und deswegen wohl auch hinlänglich bekannt: Da hat man etwas nicht nur verschwommen im Hinterkopf und im Sinn, sondern ganz klar vor Augen, beherrscht zudem das ortsübliche Vokabular und jeden eingepflegten Fachjargon, will das eine über das andere zur Sprache bringen – und dann fühlt es sich doch irgendwie falsch an für alle Beteiligten, weil sich ausgerechnet der gängige Begriff als derart abgegriffen oder unbegriffen erweist, dass er zu völlig unbeabsichtigten Assoziationen verleitet, daher mindestens an der aufgewühlten Oberfläche verarbeitet, korrigiert und besprochen werden muss. Auch im Blick auf alle hier bislang aufgeführten Denkanstrengungen, die den Terminus Praktische Theologie zentriert hatten, um das darunter Fassbare zu erhellen, ist keineswegs auszuschließen, dass weiterer Verständigungsbedarf besteht. Nicht ohne Grund mussten sich die bisherigen Ausführungen ▶▶ wiederholt an der Frage abarbeiten, ob das scheinbar adjektivisch genutzte praktisch als Qualitätsmerkmal der gesamten Theologie zur Debatte steht, eine besondere Art der theologischen Kerngeschäftsführung bezeichnet 1 2

Kungfutse, Lun Yu (1975). Gespräche. Düsseldorf/Köln: Eugen Diederichs Verlag, 131. Mathner, Fritz (1906). Beiträge zu einer Kritik der Sprache (= Zur Sprache und zur Psychologie 1). 2. Aufl. Stuttgart/Berlin: Cotta’sche Buchhandlung, 56.

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  3.0  Parameter und Variablen einer PT des 21. Jahrhunderts

oder bei einer enzyklopädischen Sortierung für eine klar bestimmte Spezialabteilung reserviert bleiben sollte,3 ▶▶ mehrfach intensiv mit einer Klärung des vielseitigen Bedeutungsspektrums von Praxis, practica und praktisch befassen, ▶▶ mühsam mit der Kenntnis des Sachverhaltes arrangieren, dass die Praktische Theologie kaum als eine berufspraktisch qualifizierende Abschlussdisziplin enggeführt bzw. als anwendungsdienliche Praxis- und Hilfswissenschaft zustande gebracht werden darf, sondern natürlich auch wieder eine (theologische) Theorie ist, die eine bestimmte Sichtweise, eine Schau und Reflexion abfordert, sowie ▶▶ insgesamt an der Bewusstmachung des Tatbestandes beteiligen, dass es in der wissenschaftlichen Praktischen Theologie selbstverständlich, wie in allen weiteren theologischen Disziplinen, präzise Gegenstände, einschlägige Methoden, kontrollierte Zielsetzungen usw. gibt. Wer es verstanden hat, sämtliche dieser Überlegungen nicht nur nachzuvollziehen, sondern auch an ihren Berührungs- und Schnittmengen näher zu hinterfragen, wird sich womöglich auch auf eine Überlegung einlassen können, die nicht nur auf die Praktische Theologie, sondern auch auf alle weiteren bekannten theologischen Disziplinen zutrifft, nämlich: dass die vorangestellten Eigenschaftsworte (biblisch, historisch, systematisch, praktisch) zwar die jeweils eingeschlagene theologische Forschungsrichtung näher zu präzisieren vermögen, es aber im eigentlichen Sinne gerade der nachgestellte Terminus Theologie ist, der als besondere Perspektive auf eine Wissenschaft den Unterschied ausmacht. Der Theologiebegriff, er steht für die Interessen und Leidenschaften der Beteiligten, für ihre Deutungshorizonte und Zielsetzungen, aber definitiv nicht für ein alternatives Wissenschaftsverständnis, das sich in Kontrast und Kontroverse definiert. Die wissenschaftlichen Verfahrensweisen, Forschungsmethoden und Darlegungsarten, die jede theologisch fokussierte Wissenschaftsdisziplin für sich reklamieren darf, sind selbstverständlich an den Standards des allgemein geltenden Wissenschaftsbetriebs orientiert. Insofern macht es – nicht nur im Blick auf den gegenwärtigen Wissenschaftsbetrieb – 3

Entsprechend unterscheiden sich auch die jeweiligen Leitfragen, z. B. erstens: „Wie (lebens)praktisch ist die Theologie als Ganze?“, zweitens: „Worin unterscheiden sich praktisch-sittliche und theoretisch-doktrinäre Teile der Theologie?“, drittens: „Was hat die Disziplin der Praktischen Theologie zu leisten?“.

Tour 3:  Tatbestände, Impressionen und Zukunftsvisionen.  

viel Sinn, sich unter einer biblischen Theologie z. B. eine theologisch fokussierte Bibelwissenschaft vorzustellen, genauer: eine Sprach-, Literatur-, Geistes- und Kulturwissenschaft, die sich auf die Erforschung konkreter Textmengen und ihrer weitreichenden Kontexte, aber auch auf die Reflexion der eigenen Referenzrahmen und Geltungshorizonte zu kaprizieren versteht. Ebenso plausibel ist, die historische Theologie z. B. als eine Geschichtswissenschaft in theologischer Perspektive zu skizzieren oder die Systematische Theologie über ihre theologischen Interessen und Auslegungsansprüche im Blick auf (Glaubens-)Lehrsysteme und Denkarchitekturen zu erkunden. Die Disziplinbezeichnungen der Theologie haben eine gewisse Affinität zu dem Sprachphänomen Palindrom, das bekanntlich aus zwei Richtungen angeschaut werden darf. Populäre Palindrome wie Reliefpfeiler oder das ambitionierte O Genie, der Herr ehre Dein Ego ergeben dabei, vorwärts und rückwärts gelesen, den gleichen Sinn, wohingegen die Begriffe Nebel (Leben) oder Gras (Sarg) eine asymmetrische Zeichenfolge aufweisen und bei unterschiedlicher Leserichtung je andere Bedeutungen haben. Das Begriffsarrangement Praktische Theologie etwa wäre insofern weder ein symmetrisches noch ein Zeichenpalindrom, wohl aber wie ein asymmetrisches Sachpalindrom zu behandeln.

Vor diesem Horizont nun kann für die Wortkombination Praktische Theologie bestärkt werden, dass hier Gegenstand respektive Gegenstandsbereich erstrangig, Perspektive wie auch Deutungsanspruch nachfolgend positioniert sind. Konkret kommt darin zur Geltung, dass es eine näher zu fassende Praxis ist, die aus einer theologischen Interessensrichtung bzw. für eine theologische Zielsetzung inspiziert werden soll. Auch das wissenschaftliche Geschäft der Disziplin Praktische Theologie erklärt sich dahingehend, dass (a) die Behandlung ihres Gegenstandes, also seine verstehende Einholung, seine Deutung, seine Verarbeitung und Gestaltung (b) doch im Blick auf eine bestimmte Grundidee sowie (c) von einem bedingten Fundament, einer ausdrücklichen Position, einem geklärten Interesse und einer reflektierten Zielsetzung her, allerdings auch (d) aufgrund einer konkreten Leidenschaft erfolgt. Praxis und Theologie – wobei Theologie eben als begriffliches Integral für sämtliche reflektierten theologischen Grundideen, Fundamente und Zielsetzungen zu stehen kommt – bestellen also die offensichtlichen Parameter jeder praktisch-theologischen Prozedur, wohingegen (religiöse) Leidenschaft und akademischer Eros – als unsichtbare, aber wirksame Parameter? – auf diese Prozedur Einfluss nehmen (Ein Tatbestand, den Schleiermacher in der For-

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  3.0  Parameter und Variablen einer PT des 21. Jahrhunderts

mulierung abgebildet hat, dass das „Bedürfniß der praktischen Theologie […] nur für den [entsteht], in welchem religiöses Interesse und wissenschaftlicher Geist vereint sind.“4) Doch auch das, was in den Begriffen Theorie und Poiesis an Bedeutung enthalten ist, wird in praktisch-theologischen Wissenschaftsprozeduren – quasi als unterschwellige Parameter – eine beachtliche Rolle spielen: Zum einen impliziert das Konzept einer theologischen Perspektivität, dass das Theoriemoment von Schau und Sichtung stets mitgenommen wird, zum anderen läuft der subtil über die Begriffe von Zielvorstellung, Neugier und Gestaltung umrissene Akt exakt auf die schöpferischen Momente der Poiesis, sprich: auf kontrollierte Kreativität hinaus. Folgendes lässt sich zusammenstellen: Der Parameter Praxis bezieht sich auf das, was Menschen tun und machen, wie sie sich aufführen und betragen, sich als Einzel- und als Sozialwesen ausdrücken, in Artikulationen und Kommunikationen bemerkbar machen, sich zu Sachverhalten und Tatbeständen ins Verhältnis setzen. Der Parameter Theorie steht für zweierlei, nämlich (erstens) für die gedankliche Schau und Spekulation, für geistige Entwürfe und Ideen, für Modelle von Konzepten, mitunter von großflächigen Sinnhorizonten, sodann (zweitens) für genaue Beobachtungen, gründliche Erkundungen, für eine reflektierte Sortierung des Geschauten und die sorgfältige Vermessung eines im Geschauten ausgedrückt Gemeinten. Der Parameter Poiesis betont den Aspekt von Schöpfung und kunstvoller Gestaltung; er ist gegeben, wo Artefakte zustande kommen, Rituale erfunden oder verändert werden, wo man soziale Plattformen und Tribünen kreiert, artifizielle Raumarrangements entwirft, kultische Szenarien und Areale projektiert, mitunter auch preziöse Regelwerke und Lehrsysteme konstruiert, um Foren und Medien für die (à praktischen) Artikulationen und Interaktionen des Kulturwesens Mensch zu schaffen. Der Parameter Theologie fixiert gewissermaßen jenes Basissetting, in dem Sprach- und Erfahrungsfiguren kollektiert, historisch gewachsene und spontan generierte Sinnfragmente synchronisiert sowie religiöse Deutungsmuster und spirituelle Erlebnisoptionen koordiniert sind, und zwar so, dass Gott – bzw. die spirituell dichteste Gottesidee, die letztinstanzliche Gottesfigur oder die Supersignatur religiöser Einstellungen – quasi als entscheidendes Integral für dieses Setting funktioniert. Es erhält seine besonderen Noten über die Art, wie beliebte Beziehungsstatuten (Stichwort: Glauben), bevorzugte Verursacher und 4 Schleiermacher, KGA I.6, 300, 417.

Tour 3:  Tatbestände, Impressionen und Zukunftsvisionen.  

Religionsstifter (Stichwort: Jesus Christus) und bewährte Sozialformate (Stichwort: Kirche) eingespielt werden. Eine nicht unwesentliche Bedeutung kommt indes auch der Weise zu, wie sich Temperamente und Affekte der Beteiligten religiös-emotional kristallisieren und entsprechend dynamisch als leidenschaftlich-fromme Momente in die Perspektivität einspeisen. Daher macht es durchaus Sinn, diese nur mühsam kategorial einzuholenden Prägekräfte (Enthusiasmus, Leidenschaft, Sinnlichkeit etc.) vorsichtig über einen selbständigen Parameter Attitude abzubilden. Es sind also fünf (3+2) stabile Basisparameter, die im Programm einer jeden Praktischen Theologie fixiert voreingestellt sind;5 zur Kontur einer besonderen PT tragen sie dann bei, wenn sie unter Zuhilfenahme fluider, elastischer Variablen profiliert werden: Basisparameter

attributiv bestimmt bzw. variabel differenziert als

Praxis Der Gegenstand der PT als gegeben und geworden als zu verstehen und begreifen als zu verändern und zu gestalten

Kirchliche Praxis Christliche Praxis Religiöse Praxis Zivilisierte Praxis (z. B. in einer vom Christentum geprägten Gesellschaft) Sittliche Praxis Kulturelle Praxis

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Als Veranschaulichung dessen möge man sich einfach mal auf den Homepages der Theologischen Fakultäten und Institute umsehen und die dort platzierten Selbstvorstellungen der Praktischen Theologie studieren, etwa hier: Institut für Praktische Theologie (Uni Tübingen). Allgemeine Informationen. Abrufbar unter: http://www.ev-theologie.uni-tuebingen.de/lehrstuehle-und-institute/praktische-theologie.html (Stand: 22.01.2018).

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  3.0  Parameter und Variablen einer PT des 21. Jahrhunderts Theorie Der Blick der PT

Theorie I: Ideenschau, Spekulation

projizierende, entwerfende Theorie Projektiv-visionär

Theorie IIa: Beobachtung, Sichtung, Schau, Wahrnehmung

Erkundende, zuordnende Beschreibung und Sortierung Deskriptiv Wahrnehmende, (an-)teilnehmende, einfühlende, sinnbegreifende Übersetzung Hermeneutisch

Poiesis Das schaffende Werken und kunstvoll gestaltende Wirken der PT

Theorie IIb: Beurteilung, Kommentar

Bewertende Stellungnahme Normativ

Gestaltung… öffentlicher und privater Begegnungsräume, sozialer Foren, individuell-intimer Artikulationshilfen von Medien, Kultszenarien, Ritualen, Artefakten, sonst. Veranstaltungen usw.

Riskante Neu(-er-)findungen, Modifizierende Umgestaltungen, Spielerisch-experimentelle Fiktionen, dystopisch-provokative Dekonstruktionen Kreativ

Theologie Die entscheidende Perspektive auf die PT

Sinnhorizont von/für Deutungen, Bewertungen und Zielvermessungen: Ensemble historisch gewachsener religiöser Grundideen, Gewissheitsbilder und Sehnsuchtsfiguren; traditionelles und innovatives Religionsgut. Reflektierte Destillate verarbeiteter Widerfahrnisse, Konzentrationen aus kommunizierten Erlebnissen und stilisierten individuell-persönlichen Erfahrungen.

Attitude Dynamis und Engagement, Neugier und Interesse, Eifer, Motivation und Stimmung der PT-Akteure

Anschubkraft, Motiv und Beweggrund, eine theologische Perspektive einzunehmen und/oder geltend zu machen.

Und wie kann nun so eine besondere Praktische Theologie im 21. Jahrhundert aussehen? Der Möglichkeiten sind, grob schematisch gesehen, drei:

Tour 3:  Tatbestände, Impressionen und Zukunftsvisionen.  

Unter Variante I kann nach wie vor eine Praktische Theologie rubriziert werden, die sich aus einer – von traditionellen theologischen Denkbildern und Lehrsätzen bewirkten – Perspektive auf die kirchliche Christentumspraxis (einschließlich der kirchlichen Amtspraxis) fokussiert, bei ihren Forschungs- und Gestaltungsabsichten im Wesentlichen die sogenannten kirchlichen Handlungsfelder (s. u.) im Blick hat und nahezu sämtliche Erkundungs-, Bewertungs- und Formgebungskriterien von konservativ dogmatischen oder biblisch-biblizistischen Rückbesinnungen ableitet. Ihr Ziel ist die Optimierung der gegenwärtigen kirchlichen Situation bei möglichst geringen Reibungsverlusten, oder, um Teile des verwendeten Jargons aufzunehmen: ein Reformprozess, der sich zwar auf die kirchlich-institutionell bereitgestellten Entfaltungsmöglichkeiten von Frömmigkeit beschränken muss, aber zu guten Ergebnissen führt, sofern es das Evangelium unter die Leute bringt.6 Demgegenüber lassen sich nun als Variante II solche Praktischen Theologien begreifen, die an der Grundgeltung dessen, was in den christlichen Sprach- und Denkwelten symbolisch und metaphorisch codiert wird, unbedingt festhalten wollen, aber nicht bereit sind, die Begriffe von Frömmigkeit, Religion und Kirche exklusiv den vorfindlichen Steuerungsanstalten einer inhaltlich limitierten, festgelegten Glaubenspraxis zu überlassen. Aus dieser Grundperspektive, die durchaus von Impulsen religiöser Leidenschaft bewegt werden kann, wird nun der Versuch unternommen, in einem ersten Schritt etwas als christliche oder religiöse Praxis wahrzunehmen, das gar nicht explizit unter den besagten Signaturen rangiert: Als Alternative zu einem Religionsverständnis nämlich, das sich explizit an eine soziokulturell greifbare Hochreligion und ihre Glaubenslehrsysteme bzw. an eine institutionell (und konfessionell) definierte Religionsgemeinschaft und ihre besonderen Stoffmengen koppelt, wird der Begriff des Religiösen vielmehr als fundamentalanthropologische Kategorie verstanden – und der Begriff des Christlichen auf eine in der Wirkmacht des Christentums generierte und kulturell vermittelte Praxis des zivilisatorisch Sittlichen angewandt. An diesen Teilschritt des erschließenden Einholens sowohl der fundamentalen (religiösen) Gestimmtheit des Menschen als auch seiner zivilreligiösen Aktivitäten – ein komplexer Vorgang des deutenden Verstehens, bei 6

Interessant hierzu die kritische Auseinandersetzung mit dem „Grundlagentext für den kirchlichen Reformprozess der vergangenen Jahre“ durch Kretzschmar, Gerald (2014). Kirchenaustritte und Eintritte in die Kirche. In: Kunz, Ralph/Schlag, Thomas (Hrsg.) Handbuch für Kirchen- und Gemeindeentwicklung. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 109–116: 115. Weitere Literatur ebd.

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  3.0  Parameter und Variablen einer PT des 21. Jahrhunderts

dem die Prägekräfte einer medial konstituierten und kapitalistisch organisierten Gesellschaft zu berücksichtigen sind – fügt sich in der Regel der Versuch, mit kompatibel zugeschnittenen Artikulations- und Interaktionsformaten auf die spirituellen und moralischen Bedürfnisse und Regsamkeiten verschiedenster Akteure zu reagieren. Indem anerkannt wird, dass es für religiöse und sittliche Rührigkeiten passförmige Ausdrucksmöglichkeiten und Kommunikationsräume, Netzwerke und Erschließungsforen, Diskursplateaus und Reflexionspodien geben muss, ist quasi der Kreations- und Gestaltungsauftrag für solcherlei Sozialformate ernst- und angenommen. Sollte es dabei zu Überschneidungen mit bereits bestehenden kirchlichen Formaten kommen, sollte das produktiv genutzt werden. Zu beachten ist lediglich: Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.7 Als Variante III bleibt nun ein Sondertypus von Praktischer Theologie zu erwähnen, der prinzipiell derselben Logik folgt, aber an zwei Stellen radikaler argumentiert. Ausgangspunkt ist auch hier die Wertschätzung jenes großen Sinndeutungsintegrals, das als Wesenskern oder Quintessenz des Christentums ausgemacht und z. B. stolz als (der Jesuanischen Verkündigung zu verdankenden) Denkfigur vom unendlichen Wert der Menschenseele gepflegt werden kann,8 aber mutatis mutandis eben auch als eine Art zeitloser Grundformel von Religion überhaupt gelten könnte. Aus einer solchen Perspektive kann nun ein weiter, großzügiger Blick auf alle individuellen Sinndeutungsgeschäfte des Humanum gerichtet werden, die sich in sämtlichen alltagspraktischen Artikulationen vermuten lassen. Stärker noch als in der zweiten Variante wird Religion fundamentalanthropologisch gedeutet und kulturanthropologisch verstanden, nämlich als Begriff für das kulturell konstruierte Gewebe symbolisierter Sinneinheiten, die dem menschlichen Sein eine sinnhafte Ordnung geben.9 Die 7

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Ein feines, gleichwohl verderbtes Zitat: Unterstellt wird es u. a. Gustav Mahler, Thomas Morus, Benjamin Franklin, Ricarda Huch und Johannes XXIII.; vgl. Krieghofer, Gerald (2017). Zitaträtsel. „Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche.“ Gustav Mahler (angeblich). Abrufbar unter: http://falschzitate.blogspot. de/2017/06/tradition-ist-die-weitergabe-des-feuers_10.html (Stand: 14.01.2018). Das funktioniert, wenngleich etwas umständlich und verkürzt, im Anschluss an Harnack, Adolf von (2012). Das Wesen des Christentums. Sechzehn Vorlesungen vor Studierenden aller Fakultäten im Wintersemester 1899/1900 an der Universität Berlin gehalten. Hg. v. Claus-Dieter Osthövener. 3. Aufl. Tübingen: Mohr Siebeck. Die wohl stärkste Vorlage zu dieser Ansicht kommt von Geertz, Religion als kulturelles System, 44–95.

Tour 3:  Tatbestände, Impressionen und Zukunftsvisionen.  

oftmals verschwiegene, weil kritische Pointe dieses Theoriedesigns leitet sich dabei aus der Hauptthese ab, dass sich eine Religion zwar im Prozessmodus ihres Schaffens von Stimmungen, Motivationen, Sinnbildern und Wirklichkeitsdeutungen autark gestaltet, aber im Wesentlichen (a) über das bestmögliche Gelingen dieses Geschäfts bestätigt sowie (b) über eine größtmögliche Beteiligung der Partizipierenden erhält. Benötigt sie also keine auswärtige Unternehmensberatung und keine Theoriearchitektur, keine externen Steuerungsagenten und kein professionelles Regimentsmanagement, kurzum, keinerlei (praktische) Theologie? Keineswegs auszuschließen ist die pauschale Vermutung, dass eine Religion, die sich aufgrund ungenügender Kultusbeteiligungen oder mangelhaften Traditionspflegeinteresses seitens der Beteiligten und Praktizierenden nicht mehr selbst zu erhalten und autark zu gestalten vermag, konsequent an ihr Ende kommt – oder eben selbstregulativ eine ganz neue Gestalt findet, vielleicht auch mehrere. Genau darauf nun nimmt die Praktische Theologie, Variante III Bezug und macht Ernst, indem sie den tranformativen und pluriformen Charakter von Religion anzuerkennen sowie ihre oszillierende Vielgestalt und permanente Wandelbarkeit als Wesenseigenschaft wahrzunehmen bereit sich zeigt. Ihr Gestaltungsauftrag erledigt sich damit nicht zwingend; ihm wird u. a. in normativer Hinsicht nachzukommen sein, also etwa dort, wo eine bewertende Stellungnahme zu einem Brauchtum oder einer Vorstellung, zu einer rituellen Praxis oder einer Kultgebärde notwendig werden. Es ist unschwer erkennbar, dass in allen drei Varianten die angesprochenen Basisparameter präzisiert und zueinander in ein Verhältnis gestellt wurden: Sowohl die theologische Perspektive als auch die religiöse Motivation (bzw. die Attitude) der Schauenden, sowohl die zielgerichtete (Theorie-)Inspektion einer näher bestimmten Praxis als auch die gestaltenden Prozesse und ihre kunstvollen Resultate konnten anschaulich gemacht werden. Die These von den fünf stabilen Basisparametern, die im Programm einer jeden Praktischen Theologie fixiert sind, hat sich also bestätigt. Aber muss man sich eigentlich für eine einzige Variante entscheiden, womöglich gar nach der zwanghaften 1, 2 oder 3-Logik einer in die Jahre gekommenen TV-Rate- und Wissensshow für Kinder, bei der die Auflösungen der jeweiligen Entscheidungsfragen als eine Art von Erleuchtung verkauft wurden? 1, 2 oder 3, die Quizshow für Kinder, folgt dem US-amerikanischen Vorbild Runaround (1972–1973) und wird seit dem 4. Dezember 1977 mehr oder weniger

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regelmäßig ausgestrahlt, zuletzt auch auf einer Website10. Über Jahrzehnte durfte die Moderation den Entscheidungsprozess der Teilnehmenden nicht nur singend veranschaulichen und beschleunigen, sondern eben auch auf den Moment der Erhellung vorbereiten: „Eins, zwei oder drei? Du musst dich entscheiden, drei Felder sind frei! Plopp – plopp: das heißt stop, nur noch einen hopp, dann bleibt es dabei: ob eins, zwei oder --- drei: Ob ihr Recht habt oder nicht, sagt euch gleich --- das Licht.“ [Alternativ: „Ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht.“]

Nun, es kann an dieser Stelle nicht die Empfehlung ausgesprochen werden, sich voreilig zu einer Entscheidung drängen zu lassen (oder gar auf zweifelhafte Illuminationsmomente zu spekulieren). Womöglich bietet sich nach eingehender Reflexion auch eine Mischform der skizzierten Varianten an, vielleicht auch eine Doppelstrategie, die sich die Freiheit nimmt, auf die verschiedensten Szenarien des Welt- und Kulturgeschehens mit mehreren Optionen reagieren zu dürfen. So oder so, an vielen Stellen herrscht noch ein Klärungsbedarf, der schlichtweg weiterführende Denkarbeiten notwendig macht. Denn immerhin: „Eine Republik zu bauen aus den Materialien einer niedergerissenen Monarchie ist freilich ein schweres Problem. Es geht nicht, ohne bis erst jeder Stein anders gehauen ist, und dazu gehört Zeit.“11 Natürlich auch Basiswissen, Sachkompetenz und Urteilskraft. Aber daran besteht ja ohnehin kein Zweifel.

3.1  Kirchliche Praxisangebote, Handlungsfelder und Spielräume für (religiöse) Menschen Nehmen wir einfach einmal an, die Kirche sei so etwas wie ein mit Servicekräften ausgestatteter Selbstbedienungsmarkt im Konkurrenzdickicht eines Shopping-Centers, flankiert von Alternativen, also von ähnlichen Kaufhallen, Supermärkten und Einkaufsmöglichkeiten, allesamt ohne wirkliches Alleinstellungsmerkmal, dafür aber ersichtlich mit Corporate Identity und Brand-Design.12 [In einem ähnlichen Gedankenexperiment mit 10 ZDFtivi. 1, 2 oder 3 – Quizzen und Wissen mit Elton. Abrufbar unter: https://www.zdf. de/kinder/1-2-oder-3 (Stand: 22.01.2018). 11 Lichtenberg, Georg Christoph (1994). K167 (=  Sudelbuch K, Aphorismus  167). In: Promies, Wolfgang (Hrsg.) Schriften und Briefe 2. München: Hanser, 196 ff., 428. 12 Schwedt, Georg (2006). Vom Tante-Emma-Laden zum Supermarkt – Eine Kulturgeschichte des Einkaufens. Weinheim: Wiley-VCH-Verlag.

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gleicher Schlusspointe könnte man sich die Kirche auch vorstellen als ein Erlebniscamp, eine Clubanlage, ein Vergnügungspark auf dem Markt der unbegrenzten Möglichkeiten, Ferien- und Freizeit zu verbringen.]13 Malen wir uns nun aus, wie ein unsortierter, beinah schon orientierungsarmer Verbrauchermensch des Weges kommt, vielleicht zufällig nur, eventuell aber auch schon mit gewissen Interessen, und dass er, ohne eine direkt ansprechbare Figur ausgemacht zu haben, seine zunächst wichtigsten Fragen der Einfachheit halber schlicht in die Luft richtet: „Was machen die hier, was haben die hier eigentlich zu bieten?“ Wir können uns gut vorstellen, was nun geschieht, wie sich aus der anonymen Masse aller (nicht-)adressierten Anwesenden eine halbwegs vertrauenswürdige, gewiss nicht unfreundliche Person löst; sie scheint sich kümmern zu wollen, denn sie antwortet präzise: „Das kommt darauf an!“ Unser Verbrauchermensch fühlt sich also ernstgenommen, denn unmittelbar nachdem er seine ergänzende Erkundungsbitte – „Worauf kommt es denn an?“ – formuliert und über die Lippen gebracht hat, hält ihm die Auskunftsperson in einem nicht enden wollenden Wortschwall weiterführende Informationen vor: „Es kommt darauf an, ob sie lieber reden oder eher der ruhige Typ sind, ob sie heitere Geselligkeit mögen, melancholische Stille bevorzugen, Einsamkeit schätzen, ob sie sich für gefühlsbetont und emotional halten, für kreativ und phantasievoll, womöglich für distanziert und kopforientiert, ob sie Blumen mögen, Berge, das Meer, die tiefen Wälder, ob sie es mit Musik halten, mit Literatur und Kunst, und vor allem: mit welchen Stilrichtungen und Gattungen, ob sie Risiken eingehen wollen, das Abenteuer suchen, sich nach Heimat sehnen, ob sie ein Herz für Tiere haben, für Geschichten, für Gerüche ….“ Da wird es dem Verbrauchermenschen nun doch etwas viel, er dreht seine Augen nach schräg oben, bis sein Blick auf einem eigentümlichen Markenlogo haften bleibt, und plötzlich glaubt er zu wissen, wie die eigentliche Frage lauten muss: „Und wenn ich einfach nur Gott begegnen möchte?“ Raffiniert schmunzelt die Auskunftsperson – und wiederholt tatsächlich ihre erste Antwort: „Das kommt darauf an!“ Doch diesmal wartet sie nicht mehr auf die Rückfrage, sondern spult, als habe sie ihr ganzes Leben darauf 13 Vgl. Kagelmann, Hans-Jürgen/Bachleitner, Reinhard/Rieder, Max (Hrsg.) (2004). Erlebniswelten. München: Profil Verlag; Rossmann, Dominik (2012). Freizeitparks im Kontext der Freizeit- und Erlebnisgesellschaft. München: Ulysses Verlag.

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gewartet oder niemals etwas anderes getan, eine weitere Litanei ab: „Es kommt darauf an, ob sie mit Gott einen Wunschautomaten meinen oder das letzte Geheimnis der Welt, eine lebendige Person oder eventuell auch drei, eine literarische Figur oder eine philosophische Idee, den Schöpfer des Seins oder den Sinn des Lebens, die narrative Weiterentwicklung eines orientalischen Wüstendämons oder einen jungfernschwängernden Supergeist, einen amtlichen Meeresteiler oder die Machtinstanz jenseits von Chaos und Tod, einen kosmischen Superlativ oder die Verkörperung aller Sehnsüchte oder ….“ „Schon gut,“ sagt jetzt der Verbrauchermensch, „darf ich mich einfach nur mal ein wenig umschauen? Vielleicht finde ich mich ja selbst zurecht …“14.

Wer sich aufmacht, um in Geschichte und Gegenwart Ausschau zu halten nach kirchlich bereitgestellten Foren religiöser Selbsterschließung und -entfaltung oder nach institutionell kultivierten Gestaltungsräumen christlicher Frömmigkeit und Gesinnung, wer weiterführend gewillt ist, den historischen und aktuellen Aktions- und Angebotsradius der Kirche(n) zu vermessen, scheint sich nicht zwingend auf ein unerreichbares Terrain zu begeben. Denn trotz des Vorbehaltes, dass jede sinnvolle Beschäftigung mit diesem Projekt an die Klärung der Fragen gekoppelt bleiben dürfte, wo und wie genau was zu suchen bzw. zu untersuchen ist, hat sich seit gut vier Jahrzehnten (nicht nur in amtskirchlichen und pastoraltheologischen Sprachspielen) die prominente Redewendung von (kirchlichen) Handlungsfeldern15 durchgesetzt: In einem sowohl für die theologischen Diskurslandschaften als auch für die kirchliche Öffentlichkeitskultur salonfähig gewordenen Spitzenjargon erklärt sich der populäre Begriff kirchliches Handlungsfeld vornehmlich über die Häufigkeit und Intensität seiner Verwendung, sorgt allerdings auch – wie nicht allein der restaurative 14 Diese mündlich überlieferte Anekdote ist tief im Gedächtnisprotokoll des Verfassers verankert, der Name ihres Urhebers ebenfalls. Allerdings möchte er nicht genannt werden. 15 Vgl. etwa: Bartscher, Thomas (2017). Personalmanagement: Grundlagen, Handlungsfelder, Praxis. Hallbergmoos (Pearson Studium – Economic BWL). München: Pearson; Gessler, Michael (2009). Handlungsfelder des Bildungsmanagements. Ein Handbuch. Münster/ New York/München/Berlin: Waxmann; Jähnichen, Traugott (2008). Wirtschaftsethik: Konstellationen – Verantwortungsebenen – Handlungsfelder. Stuttgart: Kohlhammer; Rommel, Kurt (1979). Handlungsfelder des Glaubens. Kirche in unserer Zeit. Stuttgart: Quell-Verlag; Blüm, Reimund/Winkler, Klaus/Lindemann, Friedrich Wilhelm/Klessmann, Michael/Stalmann, Joachim/Schwebel, Horst (1992). Kirchliche Handlungsfelder. Grundkurs Theologie 9. Stuttgart: Kohlhammer.

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Impuls von Jack E. Brush16 zu zeigen vermag, doch vorzugsweise wieder von dem Ausdruck Dienste in der Gemeinde17 Gebrauch zu machen – für eine gewisse Irritation ob seiner Anwendungsungenauigkeit. Kurzum, eine einhellig gebilligte, weil zutreffend saubere Definition von Handlungsfeld überhaupt gibt es bislang ebenso wenig wie einen wirklichen Konsens hinsichtlich der offenbar kirchlichen Aktivitäten und Leistungen, die (nach Feldern?) sortiert und trennscharf rubriziert werden wollen. Es gilt, Abhilfe zu schaffen (und Alternativen zu prüfen), und zwar in beiderlei Hinsicht. Eine erste, willkürliche Suche im Worldwide Web bringt interessante Fundstücke ans Licht: Bereits 1987 sortierten Gottfried Adam und Rainer Lachmann gewichtige Stoffmengen ihres gemeindepädagogischen Kompendiums18 als Gemeindepädagogische Handlungsfelder19 und entfalteten dort die Religiöse Erziehung in der Familie, die Evangelische Erziehung im Kindergarten, den Kindergottesdienst, Konfirmandenunterricht und Konfirmation sowie die Kirchliche Jugendarbeit, die Evangelische Erwachsenenbildung und die Altenarbeit. 1992, also nur fünf Jahre später, stellten Reimund Blüm, Klaus Winkler, Friedrich Wilhelm Lindemann, Michael Klessmann, Joachim Stalmann und Horst Schwebel den 9. Band der Reihe Grundkurs Theologie vollständig unter den Titel Kirchliche Handlungsfelder20; zur Darstellung brachten 16 Der Theologie-Autodidakt Jack Edmund Brush gilt als der letzte Zögling und Doktorand von Gerhard Ebeling; vgl. Beutel, Albrecht (2012). Gerhard Ebeling. Eine Biographie. Tübingen: Mohr Siebeck, 453 f. 17 Brush, Jack E. (2014). Kirche als Prozess im Zeitalter der Technologie. Public Relations (Selbst), Information (Kraft), Konsumismus (Zeit), Korporationen (Leben). Münster: LIT, 269, hatte in erster Linie geltend machen wollen, dass der Mensch nicht ausschließlich als ein handelndes, sondern vielmehr als ein empfangendes Wesen betrachtet und dargestellt werden müsse, zumal allein Gott der wahrhaft Handelnde sein kann. Kirchentheologisch und kirchenpraktisch sei dementsprechend zu entfalten, dass des Menschen einzig angemessene Reaktion auf das (Heils-)Handeln Gottes nur in seiner permanenten Dien(st)bereitschaft zum Ausdruck kommen könne. Scheinbar ohne sich im Blick auf implizite Machtstrukturen und Hierarchisierungen positionieren zu wollen, plädiert Bush de facto für eine stringente Verwendung des Dienstbegriffs: „Das Neue Testament spricht von verschiedenen Diensten in der Gemeinde; dieser Ausdruck passt zu den diakonischen Formen der kirchlichen Prozesse viel besser als Handlungsfelder“ (ebd. 270). 18 Adam, Gottfried/Lachmann, Rainer (1994). Gemeindepädagogisches Kompendium (1987). 2. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 19 A.a.O., 197 ff. 20 Blüm et. al., Kirchliche Handlungsfelder.

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sie Pastoralpsychologie, Liturgik, Kirchenmusik sowie Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart, an erster Stelle jedoch die Gemeindepädagogik. Zu den auffälligeren Momenten gehörte dabei sicherlich, dass es nunmehr, anders als noch bei Adam und Lachmann, keine gemeindepädagogischen Handlungsfelder mehr gab, sondern die Gemeindepädagogik selbst als Handlungsfeld abgebildet wurde, und zwar als kirchliches. 30 Jahre später, im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, ist es üblich geworden, dass sich Kirchengemeinden, Kirchenkreise, Landeskirchen usw. mit einem reflektierten, gut publizierten Profil oder Leitbild aller Öffentlichkeit stellen; eine Rechenschaft über priorisierte, favorisierte, typische Handlungsfelder gehört jetzt zum guten Ton. So konzentriert sich die Evangelische Kirche Hessen und Nassau in protestantischer Denkschärfe auf die fünf Handlungsfelder (1.) Verkündigung, geistliches Leben, Kirchenmusik, (2.) Seelsorge und Beratung, (3.) Bildung und Erziehung, (4.) gesellschaftliche Verantwortung und diakonisches Handeln, (5.) Ökumene,21 während sich etwa der westfälische Kirchenkreis Soest zu dem Leitbild seiner Landeskirche bekennen und auf sechs Handlungsfelder festlegen möchte: (1.) Gottesdienst & Kultur, (2.) Seelsorge & Beratung, (3.) Diakonie, (4.) Mission & Ökumene, (5.) Bildung & Erziehung, (6.) Leitung & Verwaltung.22 Nicht nur weitaus großzügiger gefächert, sondern auch als systemtheoretisch und biblisch bestens ausgewiesen scheint sich die bayerische Landeskirche inszenieren zu wollen, wenn sie ihre „Übersicht über die vielfältigen Arbeitsbereiche und Lebensäußerungen der Kirche“ als Gewinn einer Handlungsfeldsystematik präsentiert, die sich seit 1998 „in der Evangelisch-Lutherischen-Kirche in Bayern bewährt (und) in den landeskirchlichen Planungen, aber auch bis in Beurteilungen und Haushaltspläne hinein strukturierend gewirkt“ habe –23 und dann noch wenig gescheit ergänzt, dass ja das „Bild der Felder […] biblische Bezüge [hat]. Es beschreibt die reiche Vielfalt dessen, was an unterschiedlichen Standorten als Frucht des Evangeliums wächst und gedeiht.“24. Es werden folgende 21 Vgl. Ev. Kirche in Hessen und Nassau (Januar 2018). Rechtlicher Leitfaden zur Kirchengemeindeordnung. Abrufbar unter: http://unsere.ekhn.de/gemeinde-dekanat/ kirchenvorstandekhnde/rechtlicher-leitfaden-zur-kirchengemeindeordnung-kgo/1-begriff-und-rechtsstellung.html (Stand: 24.01.2018). 22 Vgl. Evangelischer Kirchenkreis Soest (Ev. Kirche von Westfalen). Die kirchlichen Handlungsfelder. Abrufbar unter: http://www.kirchenkreis-soest.de/handlungsfelder/ (Stand: 24.01.2018). 23 Vgl. Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern. Handlungsfelder. Abrufbar unter: https:// handlungsfelder.bayern-evangelisch.de/ (Stand: 24.01.2018). 24 Vgl. ebd.  (In einem hochintellektuellen Klima dürfte diese nichtssagende Plattitüde kaum entstanden sein.)

Tour 3:  Tatbestände, Impressionen und Zukunftsvisionen.  

zehn Handlungsfelder nominiert: (1.) Gottesdienst, Verkündigung, Spiritualität, (2.) Gemeindeaufbau und Gemeindeentwicklung, (3.) Erziehung, Bildung, Unterricht, (4.) Beratung und Seelsorge, (5.) Gesellschaftsbezogene Aufgaben, (6.) Ökumene, Mission, Entwicklungsdienst, (7.) Diakonisches Handeln, (8.) Presse, Öffentlichkeitsarbeit, Medien, (9.) Aus-, Fort- und Weiterbildung, sowie (10.) Gemeindeleitung, Kirchenleitung, Verwaltung.25

Zunächst beheimatet und verwurzelt ist der Begriff Handlungsfeld in sozialund wirtschaftswissenschaftlichen Theoriearchitekturen.26 Hier, landläufiger aber auch im Gebrauchssprachschatz von Managementlehre und Pädagogik, wird mit dem abstrakten Terminus ein gesellschaftlicher Sektor bezeichnet, der sich im Wesentlichen über bestimmte Handlungen und Bedeutungen konstituiert, die (erstens) vor dem Hintergrund eines konkreten Wissens- oder Sinnkonzepts plausibel sind,27 sich (zweitens) im Verhältnisgeflecht von angemeldeten Bedürfnissen, gesichteten Problemstellungen, verwalteten Praxisoptionen, erhofften Sinnmomenten und konstruierten Aufgabenkatalogen bewähren können sowie sich (drittens) zu denjenigen dauerhaften Lösungsmaßnahmen transformieren lassen, die kultiviert werden können. Um diese Formel mit schlicht plakativer Anschaulichkeit zu stützen, mag man zu dem bereits angesprochenen Beispiel eines gemeindepädagogischen oder kirchlichen Handlungsfeldes Jugendarbeit greifen: Viele der dort zu erwartenden Handlungen und Bedeutungen verstehen sich vor dem Hintergrund christlicher Wissens- und Sinndeutungsmengen und haben einen bestimmten Charakter. Bewähren müssen sie sich jedoch im Moment der konkreten Bedürfnisse („Passen Sie bitte gut auf meinen Neunjährigen auf!“) und Problemstellungen („Nico und Rico haben in der Schule immer Streit, außerdem ist der Vater von Lucilla im Gefängnis!“), und erst wenn alle Praxisoptionen abgeklopft („Wir beginnen mit einer zehnminütigen Deeskalationsübung!“), alle Aufgabenkataloge gesichtet („Wer schreibt uns vor, dass und wie wir in der OT-Arbeit auf die gewaltbereiten Geschwister und die schwierige 25 Ebd. 26 Vgl. Fürstenberg, Friedrich (1995). Soziale Handlungsfelder. Strukturen und Orientierungen. Wiesbaden: Springer-VS, besonders: Ders., Sozialstrukturforschung als Handlungsfeld-Analyse, 9-66; ferner: Fligstein, Neil/McAdam, Doug (2012). Grundzüge einer allgemeinen Theorie strategischer Handlungsfelder. In: Bernhard, Stefan/Schmidt-Wellenburg, Christian (Hrsg.) Feldanalyse als Forschungsprogramm 1. Der programmatische Kern. Wiesbaden: Springer-VS, 57-97. 27 Meint: Handlungen ergeben Sinn, die Bedeutungen sind nachvollziehbar.

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Einzelgängerin mit bildungsfernem Familienhintergrund achtzugeben haben?“) und alle Sinnmomente eruiert worden sind („Kommen wir für diese Jugendarbeit in den Himmel?“, „Sind wir bessere Christen?“, „Werden wir mehr geliebt?“), könnte sich ein Verhaltens- und Reaktionsmuster („So wird’s bei uns gemacht!“) begründen, das wiederum zu standardisieren („Gute kirchliche Jugendarbeit sieht folgendermaßen aus …“) wäre.

Genau an dieser letztgenannten Sequenz nun, die als Phase der Maßnahmenkultivierung und Musterbildung begriffen werden kann, wird gut deutlich, dass (und wie) sich zunächst unterbestimmte Felder sozialer Interaktion, familiärer Kommunikation, privater Artikulation usw. zu konkret bestimmten Feldern transformieren können, sobald (und weil) das betroffene soziale Segment (a) irgendwie von einer sinnbildenden und sinndeutenden Einrichtung mit Vorstellungen, Ideen, Handlungsmustern beliefert wird, (b) die Erwartungshaltung der ansässigen Akteure bereits auf lebenspraktische, sittliche usw. Impulse abzielt und / oder (c) der Sektor von einem oder mehreren Sinndeutungsagenten verwaltet und mit Aktionen grundversorgt wird. Der Sachverhalt, dass auf einem besonders profilierten Handlungsfeld ein besonderes Handeln einen besonderen Sinn ergibt, könnte darin begründet sein, dass sowohl dieses Handeln als auch seine Regelwerke real (und exklusiv) von einem besonderen Veranstalter beliefert werden, sein Sinn nur vor dem Hintergrund des besonderen (z. B. weltanschaulichen) Konzepts eines Anbieters ersichtlich wird – oder eben ausschließlich auf dem Gelände einer besonderen Einrichtung stattfindet. Diese Einsichten lassen sich nicht nur umstandslos auf den spezialisierten Terminus: kirchliches Handlungsfeld anwenden, sondern auch für die Interpretation des entsprechenden Plurals verwerten: Denn offenbar wird der weite Begriff kirchlicher Handlungsfelder ja für die Bezeichnung aller sozialen Bereiche in Anspruch genommen, wo ▶▶ die Kirche als eine eigenständig agierende Größe aufgefasst wird und z. B. als Körperschaft (bzw. Rechtsperson) oder Instanz in der Öffentlichkeit auftritt,28

28 Man denke z. B. an Szenarien, in denen das von Kirchengemeinden praktizierte Kirchenasyl zwischen Duldungspraxis und rechtlichen Verfahren schwebt.

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▶▶ besonders qualifizierte Subjekte – Amtsträger etwa – stellvertretend kirchlich handeln und eine besondere (z. B. christliche) Qualität ihres Handelns erkennbar machen,29 ▶▶ die Anstalt und Location: Kirche sich als Stätte bunter Geschäftigkeit und geselligen Treibens gibt und als Ort und Hort verschiedenster Tätigkeiten verfügbar hält,30 ▶▶ das Konzept: Kirchlichkeit als eine besonders ausgewiesene Positionalität zu stehen kommt,31 und wo ▶▶ das Attribut kirchlich sowohl adjektivisch als auch adverbial auf diejenige Menge an Ritualen, Prozessen und Praktiken anzuwenden bleibt, die – u. a. erkennbar durch ihre spezielle Formatierung – dem typischen, hoheitlichen Sondergut von Kirche zuzurechnen sind.32 Gleichwohl, der weite Begriff kirchliche Handlungsfelder ist keineswegs vollständig eingeholt, wenn man allein die Spurenelemente einer soziologischen Basistheorie verstehend isoliert und mit dem aktuell möglichen Verwendungs- und Bedeutungsspektrum verrechnet. Richtig interessant wird es vielmehr, sobald man sich in einem weiteren Differenzierungsschritt über versteckte Graduie29 Merke: Oftmals werden von Pfarrerin oder Pfarrer nicht nur gute Sonntagspredigten verlangt, sondern auch besonders vorbildliche, tugendhafte Umgangsweisen in den Bierzelten der Gemeindefeste. 30 In der großen Fußballmetropole Dortmund beteiligen sich auch Kirchengemeinden an den Tagesgeschäften des Sports – und stellen ganze Mannschaften für die sogenannte Kreiskirchenliga zusammen. Die Teilnahme am kirchlichen Handlungsfeld Sport setzt allerdings weniger die kirchliche Kompetenz als vielmehr fußballerisches Können voraus. Nicht viel anders verhält es sich der Sache nach mit kirchlichem Jazztanz, kirchlichen Babygruppen, kirchlichem Stricken, kirchlichem Kaffeetrinken oder kirchlichem Männerwerken. 31 Gedacht werden könnte an die besondere Einstellung, die unter der Formel „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“ angezeigt werden will. Tatsächlich wäre aber auch der Standpunkt der „Bekenntnisbewegung: Kein anderes Evangelium“ als ein Beispiel statthaft. Der Sachverhalt nun, dass beide Kampfparolen Positionalität anschaulich machen, aber im Kern doch so verschieden sind, macht ersichtlich, wie kompliziert es bleibt, nach der Position von Kirche Ausschau zu halten. 32 Hier möge die kirchliche Bestattung als Beispiel herhalten. Sie präzisiert die Grundform des Begräbnisses bzw. des Leichnambegrabens z. B. dahingehend, dass sie im Vollzug ihres besonderen Rituals das vergangene Leben des verstorbenen Menschen als ein Leben unter Gottes Obhut erklärt und die Trauer der Hinterbliebenen performativ unter Gottes Segen, Trost und Weggeleit stellt.

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rungen bei der Verwendung des Attributs kirchlich zu verständigen sucht und die entsprechend alternativen Leitfragen stellt: 1. Ist das Attribut kirchlich an die geschichtlich gewordene Gestalt, einen besonderen theologischen Wesensbegriff und die spezielle Sonderpraxis der Kirche gekoppelt? Dann wäre ein kirchliches Handlungsfeld z. B. dort gegeben, wo kirchentheologisch reflektierte bzw. legitimierte und optimierte Spezialtätigkeiten (Gottesdienste) in gewisser Regelmäßigkeit nachgewiesen werden können. 2. Ist das Attribut kirchlich von den Assoziationen und Erwartungen der Konsumenten bzw. gar von Resterinnerungen und Klischees geprägt? Dann könnte z. B. dort von einem kirchlichen Handlungsfeld zu reden sein, wo Versuche unternommen werden, das vielfach registrierte Bedürfnis nach kultischen Events und inszenierten Huldigungen menschlicher Entwicklungsphasen mit einem Initiationsritual (Konfirmation) oder einem Übergangsritus (Taufe, Beerdigung) zu bedienen. 3. Ist das Attribut kirchlich über den beschränkten Aktionsradius von Partizipierenden bestimmt? Dann kämen für die Vermessung eines kirchlichen Handlungsfeldes vermutlich eine ganze Menge absurder Momente in Betracht, die von ihren Akteuren als kirchengemeindliche Aktivität ausgewiesen werden, z. B. die Besorgung eines regenabweisenden Schutzdaches für den im rückseitigen Flügel des Gemeindezentrums befindlichen Sakralraum. 4. Ist das Attribut kirchlich über den Geltungsanspruch einer Einrichtung, die Wortmeldungen einer Sinndeutungsagentur und den angemeldeten Handlungsbedarf einer Weltverbesserungsanstalt zu vermessen? Dann wäre die Annoncierung eines kirchlichen Handlungsfeldes – im Grunde nichts anderes als die Verlautbarung eines kirchlichen Zugriffsrechts – bereits über die allerschlichtesten Formulierungen möglich, die ihre Beteiligten von jeder intellektuellen Aktivität, jeder Auseinandersetzung mit fachwissenschaftlicher Expertise, jeder ethischen Reflexion und jeder theologischen Besinnung suspendieren, sie aber vehement auf ihre „Man müsste doch mal …“-Gutmenschlichkeit ansprechen und vereidigen.33 33 Wie versteht man einen Satz wie: „Auch unsere Kirche als Ganzes sieht sich gefordert, die aktuellen Entwicklungen in Politik, Gesellschaft und Kultur, in Wissenschaft und Technik sowie in Arbeitswelt und Wirtschaft zu begleiten und mitzugestalten.“?, vgl. Bierbaum, Detlev/Schübel, Reiner (2016). Handlungsfeld 5. Gesellschaftsbezogene Auf-

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Zu den plausibelsten Konsequenzen jeder – erst mit der vollständigen Verarbeitung solcher (und ähnlicher) Leitfragen geleisteten – Differenzierungsbesinnung dürfte das Verfahren zählen, die ersichtlichen Unterschiede mit einer entsprechenden Graduierungssystematik zu bedienen, indem man von kirchlichen Handlungsfeldern unterschiedlicher Ordnung spricht und ihnen je unterschiedlich konturierte Erörterungsforen und Diskursplateaus zuweist: Die Zuständigkeit für die Bestimmung, Sichtung und Pflege kirchlicher Handlungsfelder erster Ordnung wird den Unterdisziplinen der Praktischen Theologie übertragen bleiben, die sich mit den historisch gewachsenen, traditionellen (Amts-)Tätigkeiten auf kirchengemeindlichen Sektoren – also mit Gottesdienst, Predigt, Seelsorge, Unterweisung etc. – beschäftigen: Im Fachjargon werden sie geführt als Homiletik (= Predigtlehre)34, Liturgik (= Lehre von der Feier, Gottesdienstlehre)35, Kybernetik bzw. Oikodomik (= Lehre von Gemeindeleitung bzw. Gemeindeaufbau)36, Poimenik (= Seelsorgelehre)37, Diakonik (= Lehre von der christlichen Liebestätigkeit, auch: Diakoniewissenschaften)38, und Katechetik (= Lehre von der Unterweisung, auch: Religionspädagogik)39. Diese Disziplinen gelten als etabliert und anerkannt, leichthin überholte Wissenschaftszweige wie Apologetik40 (eine Art kirchentheologisch-akademisches Abgrenzungsgeschäft gegenüber praktizierten „Irrlehren“), Missionswissenschaft41 (einst als Grundlegung der Missionspraxis verstanden) oder Ökumenik (auch: Konfessionskunde) werden hingegen weitestgehend in die Verständigungsanliegen einer interkulturellen Theologie42 eingepasst und

gaben. Abrufbar unter: https://handlungsfelder.bayern-evangelisch.de/handlungsfeld5. php (Stand: 26.01.2018). 34 Näher: Deeg/Meier, Praktische Theologie, 29–35; Nicol, Grundwissen, 75–94. 35 Vgl.Deeg/Meier, Praktische Theologie, 26–29; Nicol, Grundwissen, 45–72. 36 Vgl.Deeg/Meier, Praktische Theologie, 46–53; Nicol, Grundwissen, 20–38. 37 Vgl.Deeg/Meier, Praktische Theologie, 35–40; Nicol, Grundwissen, 100–115f. 38 Vgl.Deeg/Meier, Praktische Theologie, 53–57; Nicol, Grundwissen, 167–172f. 39 Vgl.Deeg/Meier, Praktische Theologie, 40-46; Nicol, Grundwissen, 131–141f. 40 Vgl. Barnard, Leslie William/Steck, Karl Gerhard/ Müller-Schwefe, Hans-Rudolf (1978). Art. Apologetik (I. Alte Kirche/Barnard, II. Neuzeit/Steck, III. Praktisch-theologisch/ Müller-Schwefe). TRE 3. Berlin/New York: De Gruyter, 371-429. 41 Vgl. Bosch, David (2012). Mission im Wandel. Paradigmenwechsel in der Missionstheologie. Mit einem neuen abschließenden Kapitel von Darell I. Guder und Martin Reppenhagen. Gießen/Basel: Brunnen. 42 Vgl. Hock, Klaus (2011). Einführung in die Interkulturelle Theologie. Darmstadt: WBG.

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dort neu beheimatet.43 Strittig hinsichtlich ihres enzyklopädischen Ortes in der Pastoraltheologie bleiben kurzzeitbedingte Modeerscheinungen wie etwa eine (christliche) Publizistik (und Medientheorie)44 oder eine Gemeindepädagogik45, wohingegen sich eine Theorie (öffentlicher) Kasualpraxis46 zunehmend im Fadenkreuz homiletischer, poimenischer, liturgischer und katechetischer Zugänge verselbständigt.47 Ihr Interesse an kirchlichen Handlungsfeldern zweiter Ordnung bekundet eine religions- und kulturwissenschaftlich aufgestellte Forschungsrichtung, die sich als Brauchtumskunde mit den materiellen und immateriellen kulturellen Vermächtnissen, quasi der (religiösen) Folklore einer Gesellschaft beschäftigt und althergebrachte Traditionen (z. B. Bestattungskulte, Festriten, Feiertage, Sitten, Gebräuche), Narrative und Formate (Tischgebete, Liedgut, sakrale Artefakte etc.) ebenso inspiziert wie modern-populäre, auch kommerziell ausgelegte Kulturszenarien und Medien. Da bei den betreffenden Erkundungsgängen die Frage nach den sinn- und bedeutungsstiftenden Kapazitäten der ausgespähten Inszenierungen nicht ignoriert werden kann, verstehen sich einzelne Untersuchungsschritte auch aus der Perspektive einer Verbraucherforschung, die die Bedürfnislagen der Konsumierenden zu fokussieren und zu verstehen sucht.48 Als sachverständig für die kirchlichen Handlungsfelder dritter Ordnung müsste sich eine Wissenschaftsdisziplin erweisen, deren Kompetenzen auf (religions-)psychologischem und (religions-)soziologischem Gebiet liegt; ihr obliegt die verstehende Wahrnehmung und Interpretation derjenigen alltagspraktischen Verhaltens- und Verfahrensweisen, die auf kirchlichem Sektor stattfinden, aber nicht zwingend als religiöse Tätigkeitsausübung verwertet werden können. Um eine Begutachtung möglicher religiöser Dimensionen 43 Vgl. Wrogemann, Klaus (2015). Interkulturelle Theologie – Zu Definition und Gegenstandsbereich des sechsten Faches der Theologischen Fakultät. Berliner Theologische Zeitschrift 32, 219-239. 44 Vgl.Deeg/Meier, Praktische Theologie, 58-63, Nicol, Grundwissen, 184–197. 45 Nicol, Grundwissen, 157–163. 46 Vgl. a. a. O., 219–230. 47 Extrem gründlich hierzu: Albrecht, Christian (2006). Kasualtheorie. Geschichte, Bedeutung und Gestaltung kirchlicher Amtshandlungen. Praktische Theologie in Geschichte und Gegenwart 2. Tübingen: Mohr Siebeck. 48 Auf ein triviales Beispiel zugespitzt würde sich diese Forschungsrichtung an einer Bearbeitung des Fragenkataloges versuchen, wie Menschen Weihnachten feiern, wonach sie sich dabei sehnen – und warum es zur Herzensgemütlichkeit manchmal nicht nur einen Tannenbaum, sondern auch den Song „Last Christmas“ braucht.

Tour 3:  Tatbestände, Impressionen und Zukunftsvisionen.  

gewisser Handlungen geht es dabei allerdings ebenso wenig wie um die Charakterisierungsfrage, ob ein Akteur oder eine Akteurin als religiös bzw. nichtreligiös zu bezeichnen sei;49 avisiert wird vielmehr eine verstehende Deutung all seiner bzw. ihrer Beweggründe, sich mit einem bestimmten Leistungspaket in den Dienst einer religionspraktizierenden Anstalt zu stellen oder gewisse Handlungen in vollem Umfang auf dem sozialen Feld einer Einrichtung auszuüben, ohne sich verbindlich auf deren religiösen Regelwerke zu verpflichten.50 Im Idealfall lässt sich auf einem Nebenschauplatz zusätzlich ein erhellendes Moment auf die Beobachtung werfen, dass so manche kirchliche Handlung, sobald sie auf einem nichtkirchlichen Handlungsplateau wiederholt (oder imitiert) wird, einiges an Ernst und Würde verliert, während die auf kirchlichem Handlungsfeld ausgeübte explizit nichtreligiöse Tätigkeit auch außerhalb dieses Bereiches einigermaßen unverdächtig und unspektakulär bleiben dürfte.

Bezeichnet man nun als kirchliche Handlungsfelder vierter Ordnung all diejenigen öffentlichen Bereiche, die den anerkannten Religionsanstalten Zutritts-, Zugriffs- und Rederechte eingeräumt haben, (sprich: ▶▶ wo politische und soziale Aktivitäten mit kirchlichen Stellungnahmen rechnen müssen, 49 Natürlich ist hier eine letzte Trennschärfe kaum möglich, zumindest stark von dem jeweils zugrunde gelegten Religionsverständnis abhängig; tatsächlich gibt es alte Theorien, in denen bereits „parochiale Bindung“ oder „Pfarrerfixierung“ als hinreichende Kriterien für die Vergabe der Signatur „religiös“ ausgemacht werden. Vgl. Boos-Nünning, Ursula (1972). Dimensionen der Religiosität. Zur Operationalisierung und Messung religiöser Einstellungen. München/Mainz: Kaiser; als Ergänzung zu: Glock, Charles Y. (1969). Über die Dimensionen der Religiosität. In: Matthes, Joachim M. (Hrsg.) Kirche und Gesellschaft 2. Reinbek: Rowohlt, 150–168. 50 Mit anderen Worten, aber wahrhaften Notizen aus dem Gemeindealltag des Verfassers: Was motiviert eine achtzigjährige Dame, die „mit Gott längst abgeschlossen“ hat, dazu, „ihrem Pfarrer zuliebe“ Kuchen zu backen, und zwar für eine komplette Nachmittagsveranstaltung, bei der sie am Ende nicht einmal selbst zugegen sein kann? Wieso bringt sich ein Frührentner, der „mit Kirche nichts am Hut“ hat, derart in das Gemeindegeschehen ein, dass man ihm nach zwei Jahren den Vorsitz des Gemeindebeirates anträgt – und er dieses Amt annimmt? Wie kommt es dazu, dass eine berufstätige Frau ohne konfessionelle Bindung erst den Aufbau einer kirchlichen Spiel-und-Baby-Gruppe verantwortet, dann engagiert den Gemeindechor bereichert, zuletzt ehrenamtlich den Eine-Welt-Shop leitet?

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▶▶ wo rechtliche Maßnahmen mit kirchlichen Sondervoten relativiert werden können, ▶▶ wo sich zwischenmenschliche Vorkommnisse über kirchliche Verfahrensvorschläge regulieren lassen, ▶▶ wo Grundsatzfragen nicht ohne kirchliche Kommentare öffentlich-medial aufgegriffen werden können, ▶▶ wo die Bewältigung heikler Tagesgeschäfte und unerwarteter Schicksalsschläge nur mithilfe kirchenpraktischer Unterstützung gelingen will, ▶▶ wo die historisch gewachsene Kultur der Betroffenheit von kirchlichen Sprachspielen gesättigt, aber auch relativiert werden kann, ▶▶ etc. ad lib.) so wird nicht allein der erforderliche Expertisenfächer ersichtlich, sondern auch der besondere Zuschnitt der letzten Endes zuständigen Wissenschaftsdisziplin: Zur kompetenten Kommentierung und filigranen moralischen Justierung einer komplexen Landschaft – in der sich nachweislich medizinische und juristische Argumente verzahnen, politische und wirtschaftliche Interessen verbinden, technische und biologische Grenzen vermischen, wo sich kommerzielle und soziale Belange sowie bürokratische und bildungstheoretische Anliegen wechselseitig lähmen oder außer Kraft setzen – braucht es ethische Reflexionsleistungen und verantwortungsvolle Kombinationsfiguren, die sich auf jenen höheren Wertekosmos bzw. auf die mächtigere Seins- und Sinnordnung zurückführen lassen, für die Kirche einstehen will. Sogar die Graduierung von kirchlichen Handlungsfeldern fünfter Ordnung bietet sich an, würde sie doch dem Umstand Rechnung tragen, dass kirchliches Handeln natürlich auch dort vorliegt, wo die besagte Einrichtung Kirche als Körperschaft Sachmittel (wie Gebäude, Einrichtung, Fahrzeuge) und Personal (Planstellen für Beamte und Arbeitnehmer) in einer rechtlich selbständigen Organisationseinheit bündelt und als Arbeitgeberin, Eigentümerin, Grundstücksverwalterin etc. in Erscheinung tritt: Unter einer entsprechenden Sortierungsrubrik wären also die Bau- und Liegenschaftsabteilungen landeskirchlicher Verwaltungsapparate ebenso exemplarisch anzuführen wie etwa die beteiligten Personaldezernate, Bildungsressorts und Kirchengerichtsbarkeiten. Ob es zur Erhellung und Gestaltung aller angesprochenen Bereiche mehr als nur rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Beistand braucht, darf offen bleiben.

Tour 3:  Tatbestände, Impressionen und Zukunftsvisionen.  

Die Gegenüberstellung aller Graduierungspointen und -daten ermöglicht nun eine vorübergehende Bilanz. Als spontaner Erstimpuls einer Stellungnahme gereicht dabei sicherlich die Feststellung, dass die Summe aller unter dem integralen Oberbegriff kirchliche Handlungsfelder angehäuften Tätigkeiten, Praktiken, Handlungen und Dienstleistungen keineswegs mengengleich ist mit dem Umfang sogenannter (s. o.) Dienste (in) der Gemeinde. Ähnliches gilt – und das soll bereits auf einen Ergänzungskommentar hinauslaufen – auch hinsichtlich einer (un)möglichen Wesensähnlichkeit: es macht überhaupt keinen Sinn, theologisch und semantisch unzureichend reflektierte Lexeme (wie: dienen, bedienen, Dienst, Dienerin) über stilisierte Floskeln und Wortspielereien51 als Basisbegriffe zu (re-)installieren, um alsdann – womöglich im Einvernehmen mit kruden Konzeptionsvorschlägen52 zu Dienst(en) und Ämtern53 – den Begriff der kirchlichen Handlungsfelder exklusiv und elitär auf etwas zu beschränken, was in pastoraltheologisch etikettierten, intellektuell unterfrankierten Besinnungsaufsätzen als Handeln der Kirche zur Vorstellung gegeben wird. Insofern ist es – dies nun als anschließendes Bilanzierungsmodul – unerlässlich, weiter an den Beobachtungen gegenwartskultureller Vorkommnisse und Phänomene zu arbeiten sowie die Wahrnehmungen aktueller Stimmungen und Bedürfnisse v. a. auf den kirchlichen Handlungsfeldern zweiter, dritter und vierter Ordnung zu intensivieren: Ziel dieser Übung wäre nicht allein, alle weiterführenden, von 51 Unter diese Kategorie fallen strapazierte Phrasen wie: „Gottesdienst ist des Menschen Antwort auf Gottes Dienst“, oder: „Christen sind Dienende Christi und Dienstboten in seiner Nachfolge.“ Weitere (offenbar ernstgemeinte) Belege unter: Pohl-Patalong, Uta (2011). Gottesdienst erleben: Empirische Einsichten zum evangelischen Gottesdienst. Stuttgart: Kohlhammer, 11 f. 52 Man lese nur einmal einige Protokollauszüge zu den Verhandlungen über die Ausarbeitung „Ordination und Amt nach evangelischem Verständnis“, 2004 vorgelegt von dem Ständigen Theologischen Ausschuss der Evangelischen Kirche im Rheinland, zuletzt in: Link, Hans Georg/Rudolph, Barbara (Hrsg.) (2017). Nehmt einander an. Der ökumenische Weg der evangelischen Kirche im Rheinland zwischen dem Zweiten Vatikanischen Konzil und dem Reformationsjubiläum (1960–2017). Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 317 f. 53 Vgl. die erhellenden und kritischen Stimmen in: Iff, Markus/Heiser, Andreas (Hrsg.) (2012). Berufen, beauftragt, gebildet – Pastorales Selbstverständnis im Gespräch. Interdisziplinäre und ökumenische Perspektiven. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag; zuletzt auch: Hauschildt, Eberhard (2017). Neue Muster im Zusammenspiel der Ämter, Dienste und Engagierten. In: Coenen-Marx, Cornelia/Hofmann, Beate (Hrsg.) Symphonie, Drama, Powerplay. Zum Zusammenspiel von Haupt- und Ehrenamt in der Kirche. Stuttgart: Kohlhammer, 159–169.

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interdisziplinären Synergieeffekten zehrenden Denkoperationen mit einem vergrößerten, aufgestockten Materialpool zu bereichern, sondern gerade auch, die theologischen und kirchlichen Prozesse, die zum Verstehen und Gestalten der religiösen und christlichen Kräfte führen wollen, auf einer erweiterten Arbeitsfläche zu platzieren. Einer Verarbeitung der eingangs notierten, nunmehr geringfügig modifizierten Suchbewegung – es ging ja um die theologische und kirchliche Beteiligung, was die Bereitstellung von Foren religiöser Selbsterschließung und -entfaltung sowie die Kultivierung von Gestaltungsräumen christlicher Frömmigkeit und Gesinnung anbelangt – ist man damit gewiss ein Stück nähergekommen; mehr dazu wird in allen folgenden Unterpunkten zu lesen sein. Die letzten Absätze des vorliegenden Kapitels jedoch wollen sich darauf konzentrieren, eine offene Denkschuld abzutragen: Was hat die einführende Anekdote – eine scheinbar orientierungslose Person bringt ihre ernsten Fragen (Was machen die hier, womöglich auch für mich? Kann ich mitmachen? Und wenn ich einfach nur Gott begegnen möchte? Darf ich mich selbst umschauen?) in die richtige Reihenfolge und wird, weil kundenorientiert bedient, zur potentiellen Kundin – mit dem traditionellen Aktions- und Angebotsradius der Kirche(n) zu tun, für deren theoretische Vermessung ein Verbund an praktisch-theologischen Unterdisziplinen zuständig ist? Ein letztes Mal richtet sich also der ernste Blick auf jene kirchlichen Leistungen und Dienste, die sich an starke Formulierungen wie Grundvollzüge oder Grundfunktionen der Kirche anlehnen, oftmals als kirchenkonstitutiv oder kirchenwesenseigen ausrufen lassen, sich allzumeist professionellen Amtspersonen anvertrauen –54 und der bereits mehrfach erwähnten Rubrik: kirchliche Handlungsfelder erster Ordnung zuzurechnen sind. Ihre weiteren Gemeinsamkeiten sind offenkundig; in der Regel kann man sie ▶▶ biblisch herleiten bzw. zurückführen auf eine Jesus bzw. den frühchristlichen Gemeinden unterstellten Praxis, die natürlich auch im Kontext vorjesuanischer und zeitgleicher Frömmigkeitstraditionen begriffen werden will, ▶▶ historisch erklären und mit Blick auf die geschichtlichen Entwicklungen der vielfältigen kirchlichen Amtspraxistraditionen als unverzichtbar bewerten, 54 Vgl. Prüller-Jagenteufel, Grundvollzüge der Kirche, 99–100.

Tour 3:  Tatbestände, Impressionen und Zukunftsvisionen.  

▶▶ dogmatisch fundamentieren, also in Verbindung mit theologischen (z. B. pneumatologischen) Denkfiguren vor dem Hintergrund anerkannter kirchlicher Lehr- und Bekenntnissysteme sichern sowie ▶▶ (kultur-)anthropologisch und soziologisch verständlich machen bzw. über Reflexionen auf humane und soziale Grundregungen und -bedürfnisse alternativ plausibilisieren. Unterschiede, die den Erstzugriff bzw. die Ausgangsposition anbelangen, gibt es allerdings durchaus; schnell lassen sie sich anhand zwei bekannter Extreme ersichtlich machen. Zum einen wäre zu erinnern an den narrativ codierten Idealtypus der Apostelgeschichte (Apg 2,42–47), jene ungebrochen wachsende Gemeinde also, deren spezielles Wesen und besondere Genese ja nur über die Wirkmacht göttlicher Geistausgießung (Apg 2,3ff.+38), wortverkündigter Sündenvergebung (Apg 2,38f.) und verheißungsvoll zugesagter Rettung (Apg 2,39–40) verständlich werden konnte. Zum anderen bliebe ins Gedächtnis zurückzurufen, welchen Idealtypus der junge Schleiermacher favorisiert hat: eine Gemeinschaft von Freunden, Brüdern und Seelenverwandten nämlich, die sich in freier Geselligkeit bei gesittetem Betragen über ihre Sehnsüchte und Gefühle schlechthinniger Abhängigkeit auszutauschen bzw. hinsichtlich der Ergebnisbilder ihrer geschmacklichen Annäherungen an die Sinntotalität Universum zu vergewissern hatten. Weil wenigstens die Chance zu einem verzögerten Denkaufenthalt gewahrt bleiben soll, seien zwei Übungsfragen feilgehalten: (1.) Wie ist der Umstand zu interpretieren, dass in dem stilisierenden Narrativ der unendlich wachsenden Gemeinde die Konsolidierung wesentlicher Lehren und Praktiken vornehmlich an die Resterinnerungen und Meinungen der lehrenden Apostel und ihrer Umgebung geknüpft war? (2.) Inwiefern hat sich wohl der junge Schleiermacher an der Vorstellung ergötzt, dass Jesus nicht nur eine extrem feinsinnige und – bezogen auf das Universum – geschmacksbegabte Einzelperson in der Geschichte der Menschheit gewesen ist, sondern auch als ein zeitlos-ewiger Prototyp im Blick auf das in die Gottesgewissheit gekippte schlechthinnige (Abhängigkeits-)Bewusstsein verstanden werden könnte?

Trotz des Umstands nun, dass beide Idealtypisierungen in ihrer Grundlegung bzw. hinsichtlich ihrer Ausgangslage auf völlig unterschiedlichen Voraussetzungen beruhen, lassen sich interessante Gemeinsamkeiten im Blick auf die religionspraktischen Konsequenzen registrieren. Denn so, wie die versteckte Leitkategorie der Apostellehre bzw. Martyria auf die Notwendigkeit von Be-

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lehrung, Unterweisung und Sachwissensvermittlung durch Kundige abzielt, beliefert letztlich auch die Schleiermacher’sche Akzentuierung von Geselligkeit und Gestimmtheitsabgleich jene narrativ-kommunikative Dimension, die auf (theologisch und pädagogisch professionell betriebene) religiöse Mitteilungen und Seelenbildungsmaßnahmen angewiesen bleibt. Und so, wie sich diese Interaktion auf dem Plateau des Sozialen realisiert und sich die Seelenbildung auf den Ebenen des Feierlichen, Spirituellen, Ekstatischen und Rituellen abspielt, wo professionelle Kultus-Pflegekräfte liturgisch (und abermals seelsorgend) agieren, so bestimmen einerseits die starken Kategorien Koinonia und Diakonia das sozialkaritative Feld von Fürsorge bis Empathie als Sphäre des christlichen Liebesdienstes, während die Kernbegriffe von Leiturgia und Eucharistia auf das komplexe Zusammenspiel von Feierlichkeit und Heiligkeit, von Ritual und Transzendenz, von Unterhaltung und Mysterium verweisen. In beiden Idealtypisierungen überlagern sich also kommunikativ-narrative, mystische, spirituelle, rituelle und nutritive Sinn- und Praxismotive – wobei der mehrdeutige Begriff: Nutrition zu Recht auf das weite Feld von Nahrhaftigkeit, Ernährung, Lebensunterhalt und Unterhaltung verweisen muss. Schließlich wird auch die administrative Dimension – also diejenige Ebene, auf der Organisationsarchitekturen und -strukturen eines Idealtypus zu erörtern bzw. Orchestrierungsund Expansionsfragen zu klären sind – in beiden Modellen explizit thematisiert, sei es über die Wertschätzung von theologischer Ausbildung und Professionalität (zum Zweck verantwortlicher Kirchenleitung und -gestaltung) oder über die Geltendmachung des starken Konzepts von Autorität und Hierarchie. Wer jetzt den Versuch wagen möchte, die historisch gewachsenen und im gegenwärtigen kirchlichen Praxisspektrum fest verankerten Amtshandlungen (a) mit ihren biblischen (und dogmatischen) Bezügen zu synchronisieren, sie (b) sowohl einer kirchlichen Grundfunktion als auch einer Grundfunktion des Religiösen zuzuordnen, (c) ergänzende Perspektiven55 nichttheologischer Wissenschaften zu benennen und schließlich (d) in den Katalog der aktuellen Unterdisziplinen Praktischer Theologie zu sortieren, wird wider Erwarten nicht mit einer vollständig übersichtlichen Matrix, sondern lediglich mit einer plakativen Grafik ähnlich der nachfolgend abgebildeten aufwarten können. 55 Otto, Gert (1986). Praktische Theologie  1: Grundlegung. München: Kaiser, hatte z. B. vorgeschlagen, bestimmte Handlungsfelder (wie Jugendarbeit, Predigt, Gottesdienst, Unterricht usw.) mit mehr oder minder geeigneten Reflexionsperspektiven (Hermeneutik, Rhetorik, Didaktik, Symbolik, Ideologiekritik usw.) zu verknüpfen; vgl. a. a. O., 69–74.

Umgang mit religiöser

(und nichtreligiöser)

Pluralität

Plausibilisieren,

Missionieren,

Verteidigen,

Religionslehre

Verantwortung

Austausch

Gedenken

feiern

Lebensgeschenke

Gott huldigen /

Lebenszeit segnen

verstehen,

Menschen

begleiten,

Menschen

pflegen

Abendmahl

Gottesdienst

Trauung, Beerdigung

Taufe, Konfirmation,

Kasualien

Eucharistia

Leiturgia

Leiturgia

Diakonia,

Martyria,

Kultus

Geselligkeit

Geselligkeit / Mitteilung / Kultus

Seelsorge / Seelenstärkung

Leitung /

Mitteilung

Gestaltung von

Geselligkeit

Seelsorge / Seelenstärkung

Erbauen

des Religiösen (d. rel. Erlebens)

Mitteilungen und Darstellungen

Gestaltung

Koinonia

Diakonia

Martyria

der Kirche

Systematik B: Grundfunktion des Religiösen

Gemeindeleben

Gemeindeaufbau

(Pflege)

Soziales Engagement

Seelsorge / Lebenshilfe

Religionsbildung

Systematik A:

Grundfunktion

Zusammen sein,

Fürsorgen

Teilen

Trösten

Unterweisen

Religionsunterricht

Predigen

Verkünden

Positionieren

Aktuelle Praxis

Historische Praxis

Systematik C:

Transzendenzoffenheit?

Dankbarkeit

Sinn, Wert und Würde

Sehnsucht nach des Lebens

Gemeinschaftssinn

(Altruismus?)

Pflichtgefühl

Barmherzigkeit

Mitleid

und Deutung

Mitteilung von Widerfahrnis

Erleben, Erfahren, Deuten

Menschlichen

Grundfunktionen des

Symboltheorien

u.a.m.

Performancetheorien

Theaterwissenschaft,

Ritualwissenschaft,

z.B.

Medizin

z.B. Pflegewissenschaften

z.B. Sozialwissenschaften

u.v.m.

Psychoanalyse, Gestalttherapie

Psychologie, Psychotherapie,

Didaktik, Pädagogik

Rhetorik

Gesprächspartner

Theorie / Perspektive /

Subdisziplin(en) der

(Sakramentslehre)

Liturgik

(Kasualtheorien)

(Oikodomik)

Kybernetik

Poimenik / Diakonik

Diakoniewissenschaften

Diakonik bzw. /

Poimenik

Katechetik

Ökumenik

Missionswissenschaften,

Apologetik,

Homiletik

Praktischen Theologie

Tour 3:  Tatbestände, Impressionen und Zukunftsvisionen.  

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Ganz abgesehen nun von dem bekannten grundsätzlichen Dilemma, dass Tabellenformate oftmals nur floskelhafte, infolgedessen unscharfe Informationen zur Verfügung stellen können, erzwingen doch einige der konkret aufgestellten und befüllten Rubriken ein gewisses Problembewusstsein, eine Flexibilität der Lesart, eine Bereitschaft zu folgenschweren Schlüssen: So sollte etwa unmittelbar hervorstechen, dass in der für biblische Referenztexte reservierten Spalte nicht ausschließlich Perikopen gelistet werden können, die wirklich ein historisches Schlaglicht auf die Entstehungs- oder Entwicklungsgeschichte bestimmter Praktiken und Praxisweisen werfen können, sondern ergänzend bzw. alternativ eben solche, mit denen erst im Nachhinein manche Praxistraditionen legitimiert werden wollen. Fernerhin dürfte greifbar werden, dass sich angesichts mancher Prägekräfte, die als Ergänzungstheorien, Gastperspektiven und Gesprächspartner aufgeführt sind, durchaus ideologiekritische Verdachtsmomente56 einstellen können. Am auffälligsten jedoch müsste der Umstand sein, dass alle gereihten Subdisziplinen der Praktischen Theologie, die ja zunächst wohl noch einen respektablen Wissenschaftscharakter suggerieren können, im eigentlichen Sinne einer quasi vorwissenschaftlichen Berufstheorie des pfarramtlichen Geschäfts zuzurechnen sind. Bereits 1970 glaubte Gerhard Rau prognostizieren zu können, dass mit dem absehbaren Ende des klassischen Pfarramtes auch die etablierte pastoraltheologische Tradition zum Erliegen kommen müsse;57 nur vier Jahre später hatte Wolfgang Steck dafür plädiert, der Pastoraltheologie wohl neben, nicht aber in der wissenschaftlichen Praktischen Theologie Platz einzuräumen.58 Obschon sie sich für die berufliche Orientierung und Ausbildung des Pfarramtspersonals als unverzichtbar bewährt,59 ist sie nur begrenzt mit einer Wissenschaft kompatibel, die – etwa in der Theoriespur Schleiermachers – auf eine Reflexion der zeitgenössischen Christentums- und Religionskultur(en) abhebt.60 56 Die Leitfrage lautet dann z.B.: Werden bestimmte Gesprächspartner gewählt, um die eigene Position nicht zu gefährden, das Geleistete fremdwissenschaftlich zu segnen – und dem Gesamtbild eine ambitionierte Note zu verpassen? 57 Rau, Gerhard (1970). Pastoraltheologie. Untersuchungen zur Geschichte und Struktur einer Gattung Praktischer Theologie (= Studien zur Praktischen Theologie 8). München: Kaiser, 317 ff. 58 Steck, Wolfgang (1974). Der Pfarrer zwischen Beruf und Wissenschaft: Plädoyer für eine Erneuerung der Pastoraltheologie (= Theologische Existenz heute 183). München: Kaiser. 59 Vgl. a. a. O., 19 f. 60 Vgl. Steck, Praktische Theologie (Bd. 2), 537–541: 539.

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Damit soll freilich keineswegs ausgesagt werden, dass die genuin berufspraktischen, kirchlich-theologisch fokussierten Leitfragestellungen der klassischen Subdisziplinen – etwa: Was ist eine Predigt? Wie ist der Gottesdienst zu feiern? Wer sorgt sich wie um wessen Seele? Wie begründet sich die Diakonie? – vor dem Hintergrund wissenschaftlich zu vermessender Sinndeutungs- und Praxiskultur(en) der Gegenwart vollends obsolet werden.61 Konterkariert werden sie hingegen schon, und zwar permanent, durch allerlei eigensinnige Rückfragen, die der popkulturellen Prägung gegenwärtiger Gesellschaften geschuldet sind: Und damit gibt es sie endgültig, die alltagspraktisch-kommunikativen Erklärungsnotstände für Homiletik (Wie reden Sie eigentlich mit mir – und worüber?), Liturgik (Wessen Fest ist das hier eigentlich?)62, Kybernetik (Wie steuert man ein Schiff mit Unterbesatzung?)63, Oikodomik (Wozu wurde hier ein Haus des Herrn gebaut?)64, Poimenik (Ist das wirklich dein einzig Trost im Leben und im Sterben?)65, Katechetik (Was gibt es noch mitzuteilen und zu bilden?), Diakonik (Was bedeutet: wie dich selbst?), Kasualpraxistheorie (Von 61 Näher hierzu Klessmann, Das Pfarramt, 154 f. 62 Man denke nur an die besonderen Familiengottesdienste am Heiligen Abend. Vermitteln sie nicht bisweilen den Eindruck, als habe sich der größere Teil der Anwesenden nur eingefunden, um ihren lebendigen Kindern bei der Aufführung (oder Störung) des Krippenspiels ermutigende Blicke zuzuwerfen? 63 Diese Frage wird immer wieder aufgeworfen, wenn Unternehmensberatungen im Auftrag der Kirche(n) ihre Aufgabe angehen, Pfarreien, Dekanate, Kirchenkreise usw. zu sanieren. 64 Ein Beispiel: 2013 wurde die Evangelische Kirche zu Dortmund-Dorstfeld entwidmet und verkauft. Die Evangelische Elias-Kirchengemeinde als bisherige Eigentümerin hat sich damit nach eigenen Auskünften „ein Stückweit sanieren“ können; die Menschen des unmittelbar betroffenen Pfarrbezirks hingegen waren keineswegs erbaut, fühlten sich „verraten und verkauft“, betrauerten den Verlust ihrer Heimat und der „echten Mitte“ ihres Vororts mit Dorfstruktur. Auch das Versprechen, dass die neue Eventlocation bald ein guter Ort für Hochzeiten, Geburtstage, Tagungen und Weinproben sein wird, vermochte nur wenig Trost zu spenden. (Der Verf. hat diesen Vorgang aus bestmöglicher Nähe und Distanz verfolgen können; alle Zitate entstammen seinem Gedächtnisprotokoll). Näher vgl. Eventkirche Dortmund. Geschichte. Abrufbar unter: http://www. eventkirche-dortmund.de/#geschichte (Stand: 12.02.2018). 65 In Gelsenkirchen, einer Ballsporthochburg des westlichen Ruhrgebiets, hat der Verf. einmal einen gut sechzigjährigen Fußballfan sagen hören: „Mein einziger Trost im Leben und im Sterben wäre, wenn Schalke noch einmal die Schale holt.“ (Gemeint ist die Trophäe, die dem Deutschen Meister nach einer erfolgreichen Bundeligasaison überreicht wird.) Dass die Formulierung der ersten Frage des Heidelberger Katechismus nachempfunden war, war dem Trostsuchenden offenbar nicht geläufig.

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der Wiege bis zu Bahre?), Apologetik (Was ist Wahrheit?) sowie Missionswissenschaften (In welche Welten sollen wir noch gehen?) und Interreligiöse Ökumenik (Inwiefern Geschwister?, In welchem Glauben – woran?). Das Verfahren, diesen alltagspraktischen Erklärungsnotständen allein über intensivierte pastoral-amtspraktische Bemühungen zu begegnen (und flankierend mit der Redewendung von typischen Lebensäußerungen der Kirche die Metapher der Lebendigkeit gegen drohende Zustandsbeschreibungen wie Altersmüdigkeit oder Totenstarre auszuspielen, um bestimmte geschichtliche Phänomene der drohenden Bedeutungslosigkeit zu entreißen), kann bestenfalls eingeschränkt als achtungsgebietende Maßnahme empfunden werden. Denn gerade mit der hyperkultivierten Anbindung an ein weiterhin exklusiv-traditionelles Theoriedesign vergeben so manche amtspraktischen und pastoraltheologischen Einzelleistungen die Chance, auf ein echtes Kardinalthema Bezug zu nehmen, nämlich: dass sich hinter besagten, mitunter ironisch oder oberflächlich anmutenden Rückfragen des Alltags längst ein anderes Problembewusstsein – bzw. eine einzig große Erkundungsbitte – gefestigt hat: „Verrate mir doch, wie Du [Dir] die Welt und ihren tiefgelegten Sinn erklärst, aber bitte nicht wieder mit Deinem Spezialvokabular, sondern in meiner Sprache, mit Worten und Bildern, die mir geläufig sind!“ Den Nachweis solcher Bitten und ihrer zugrunde liegenden Such- und Strebbewegungen zu erbringen, parallel dazu den Ehrgeiz leidenschaftlicher Theologinnen und Theologen zu wecken, in fremden Sprachen nicht allein sprechen, sondern auch (er-)leben und denken zu lernen, sowie schließlich zu wagen, die Sinnwelten der Fragenden, Suchenden und Strebenden dem Hoheits- und Forschungsgebiet einer forschenden Praktischen Theologie zuzurechnen – das könnte als ein zukunftsweisendes Projekt ausgezeichnet werden.

Alles in allem bleibt das nur das erste leichte Geplänkel. Zu einer stärkeren These freilich kommt es mit zunehmender Bestätigung der Beobachtung, dass sich letzten Endes aus allen kirchlichen Handlungsfeldern, Diensten, Lebensäußerungen und Grundfunktionen ein bestimmtes Muster generieren lässt: Es ist das Bedürfnis des Humanum, auf Widerfahrnisse, Erlebnisse, Erfahrungen und Sehnsüchte mit Deutungen zu reagieren, die dem Leben einen Sinn geben, deshalb unbedingt kommuniziert werden wollen und in eine interaktive Praxis der religiösen Lebensgestaltung umschlagen müssen. Und auch wenn diese Prozesse auf dem besonderen kulturellen Nährboden der christlichen Überlieferungs- und Wirkungsgeschichte stattfinden, eine Preisgabe der Idee eines

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unverfügbar-unbedingten Sinngaranten bzw. einer Gottheit mit menschenähnlichen Zügen nicht in Frage kommt, können sie sich nicht mehr exklusiv in den traditionellen Vorgaben und Formaten erschließen. In Ergänzung und zur Komplettierung ihrer Reservoirs suchen sie sich neue Welten, neue Foren, neue Märkte, neue Diskurse, neue Metaphern, neue Brauchtümer, neue Medien, neue Rituale – und folgen dennoch ihrer bisherigen Logik. Ohne also weiter das gesteigerte Augenmerk auf kirchliche Handlungsfelder erster Ordnung bzw. auf kirchliche Dienste, Grundfunktionen oder Lebensäußerungen – genügend jüngere Veröffentlichungen zu Arbeitsfeldern im Pfarramt66, stellenweise auch platziert in Lehrbüchern: Praktische Theologie67, bieten weiterhin exzellente Theoriemodule zu betreffenden Subdisziplinen – zu richten, sollen bald nachfolgend einige Lebenswelten der Anderen68 in den Blick genommen werden. Zunächst aber mag noch eine eigenständige Miniatur der Veranschaulichung dessen dienen, was bislang geklärt werden wollte. 66 In der Reihe Arbeitsfelder im Pfarramt sind bspw. erschienen: Kunz, Ralph (Hrsg.) (2016). Seelsorge. Grundlagen – Handlungsfelder – Dimensionen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht; Charbonnier, Lars/Merzyn, Konrad/Meyer, Peter (Hrsg.) (2012). Homiletik. Aktuelle Konzepte und ihre Umsetzung. Göttingen: Vandenhock & Ruprecht; Pohl-Patalong, Uta (Hrsg.) (2013). Religionspädagogik. Ansätze für die Praxis. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht; Eurich, Johannes/Schmidt, Heinz (Hrsg.) (2016). Diakonik. Grundlagen – Konzeptionen – Diskurse. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht; Neijenhuis, Jörg (2012). Liturgik. Gottesdienstelemente im Kontext. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 67 Z.B. Fechtner, Kristian/Hermelink, Jan/Kumlehn, Martina/Wagner-Rau, Ulrike (2017). Praktische Theologie. Ein Lehrbuch. Stuttgart: Kohlhammer; Deeg/Meier, Praktische Theologie; Nicol, Grundwissen. 68 Abgesehen von einer Hochschätzung des Lebenswelten-Paradigmas in den Kulturwissenschaften – vgl. Gipper, Andreas/Klengel, Susanne (Hrsg.) (2008). Kultur, Übersetzung, Lebenswelten. Zu aktuellen Paradigmen der Kulturwissenschften. Würzburg: Königshausen & Neumann; – ist es auch in der Popkultur(-industrie) en vogue, die Welt(en) und das Leben der Anderen zu thematisieren. Filme wie Das Leben der Anderen (D 2006. Regie: Florian Henkel von Donnersmarck. Drehbuch: Florian Henkel von Donnersmarck) und Die Welt der Anderen (IT 2016: La Ragazza del Mondo. Regie: Marco Danieli. Drehbuch: Marco Danieli, Antonio Manca) haben ebenso dazu beigetragen wie Musikeinspielungen (Die zauberhafte Welt der Anderen. VÖ: 18.02.2013. Produzenten: Voigt & Voigt. Text: Sebastian Ingenhoff. Label: Kompakt/Rough Trade) und Kinderbücher (Marchon, Benoit/Adam, Peggy (2010). Die Welt, die anderen und ich. 120 Fragen und Antworten, um die Welt besser zu verstehen. München: Pattloch.).

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Intermezzo I: Die Predigt war so „medium“. Homiletische und medientheoretische Variationen zu einem Grundthema praktischer Theologie

Mittelmaß und Durchschnitt, jedem recht und nicht mehr blutig?

Es geschah in einem homiletischen Seminar. Der Dozent hatte die Studierenden in der letzten Veranstaltung gebeten, am folgenden Wochenende den Gottesdienst der Heimatgemeinde zu besuchen und nach einem bestimmten Schema Notizen zu machen, um dann in der kommenden Sitzung die skizzierten Eindrücke auswerten zu lassen und auf eine kriteriologische Debatte hin zu dirigieren. Doch schon der erste um Rückmeldung gebetene Student machte ihm einen Strich durch die Rechnung, als er auf sein leeres Schreibpapier verwies mit den Worten: „Ich musste nichts aufschreiben, weil die Predigt so medium war!“ Ist deutlich, was er damit ausdrücken wollte? Großzügig betrachtet hat dieses Votum mehrere Facetten. Wüssten wir etwa, dass unser Predigthörer ein typischer Fleischesser ist, könnten wir ihm ein wohlwollendes Urteil unterstellen und notieren, dass medium die Art und Weise meint, wie die meisten Steakhouse-Gäste ihr Filetstück verzehren wollen: Nicht allzu blutig, nicht allzu trocken, sondern zart und saftig, oder wie es ein Gourmetführer erklärt, an Seele und Leidenschaft der Küche erinnernd. Auf die Predigt übertragen, ergäbe dies wohl schon einen guten Sinn. Allerdings hat die umgangssprachliche Redewendung medium eine andere Bedeutung – und zielt unverhohlen auf eine gewisse Durchschnittlichkeit ab. Was man also noch wohlwollend auslegen könnte als nicht zu lang, nicht zu kurz, weder dramatisch-pathetisch noch kopflastig-unemotional, ist ja in Wirklichkeit eher vernichtend gemeint, nämlich bestenfalls mittelmäßig. Gerade noch zu ertragen, drei bis vier, mehr ausreichend als befriedigend. Es kommt einer rhetorischen Finte gleich, zu hinterfragen, wie es unser Predigthörer wohl gemeint hatte; sein Urteil war eindeutig – und barg doch jene größere Problemanzeige in sich, der ebenso nachzugehen ist wie den entsprechenden Gründen und Hintergründen der angesprochenen Diagnose. Die Nachverfolgung dieser Anzeige soll geschehen, indem wir uns im Fokus einer dritten Bedeutung orientieren und die Predigt als Medium in Augenschein

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nehmen. Denn obwohl man für gewöhnlich unter dem Sammelbegriff Medien eher technische Gerätschaften oder Kommunikationsinstrumente zu erfassen sucht – und etwa nach dem Einsatz von Medien im Religionsunterricht oder der Wirkung von Massenmedien fragt, bezeichnet der Begriff Medium ganz allgemein dasjenige, was in der Mitte steht, der Vermittlung dient oder als methodisches Mittel in Anspruch genommen wird. Die wissenschaftlichen Diskurse legen genau diese einfache Bedeutung zugrunde, unterscheiden sich dann aber durch ihren Reflexionsgrad: Einzelmedientheorien etwa thematisieren ein bestimmtes Medium (Film, Radio) und beschreiben die besondere Technik, Form, Gestaltung, Grammatik, Syntax, Codierung etc., während sich kommunikations- und systemtheoretische sowie gesellschaftskritische Medientheorien eher dem gesamten Feld medialer Kommunikations- und Interaktionsprozesse im Kontext von Kultur und Gesellschaft widmen. Die Medienwissenschaften selber verstehen sich zunehmend als kulturwissenschaftlich bzw. kulturanthropologisch arbeitende Erbinnen dieser Theorien; auf der Grundlage der Hypothese, dass Kultur als immer schon medial konstituiert verstanden werden muss, werden Medien beschrieben als personale Instanzen und nonpersonale Muster, die auf bestimmte Zeichensysteme reflektieren, Bedeutungen repräsentieren – und, wieder ganz schlicht: der Kommunikation, der Interaktion, der Artikulation und der Reflexion dienlich sind. Es ist ein Theoriedesign, das sich als quasi metatheoretisches Erklärungsmodell aufstellt, weil es Strukturen und Funktionen kultureller Phänomene und Prozesse sowohl längs- als auch querschnittartig zu erläutern hilft. Mit welchem Gewinn die praktische Theologie auf medientheoretische Erkenntnisse und Anregungen eingehen könnte, wollen die folgenden Erwägungen ansatzweise zeigen. Leider ist es nicht ganz zu vermeiden, dass hier und da recht deutlich auf medienwissenschaftliche Argumentationslinien eingegangen werden muss; dennoch bleibt zu hoffen, dass sich die jeweiligen Ausführungen auch ohne definitorische Exkursionen recht plausibel gestalten (und entsprechend nachvollziehen) lassen. Formulieren wir also zunächst gegenwartsdiagnostische Fragen zu einem Kernstück kirchlichen Lebens

und beginnen mit einer der gegenwartskulturellen Medienmächtigkeit geschuldeten Anfrage: Um welchen Betrag würde es wohl gehen, wenn Günther Jauch bei Wer wird Millionär wissen wollte, was eigentlich eine Predigt ist – und wie könnten die typischen vier Alternativen lauten?

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Wissen Sie, was eine Predigt ist? war auch die Leitfrage einer Erhebung, die von Studentinnen und Studenten im Rahmen eines homiletischen Projekts in den Fußgängerzonen des Ruhrgebietes durchgeführt wurden. 97 Passanten waren seinerzeit angesprochen und um eine Antwort erleichtert worden: Manche hatten sich dabei einen Spaß gemacht und an die Gardinenpredigt der Ehefrau, die Moralpredigt des Fußballtrainers oder die Strafpredigt des Jugendrichters erinnert, andere aber auch zu ernsteren Erklärungen angesetzt – und erstaunlich präzise Angaben über Zeiten und Orte, über sittliche Qualität, Bildungswert und kulturelle Tragweite geliefert. So erklärte etwa jene Dame mittleren Alters: „Eine Predigt ist eine circa halbstündige Rede moralischer Art, die von einem Geistlichen in der Kirche vorgetragen wird und der Absicht dient, Werte zu vermitteln.“ Es sei nur am Rande vermerkt, dass sie diese Überzeugung nicht mit ihrem jüngeren, Skateboard fahrenden Begleiter – offensichtlich der Sohn – teilen durfte; er gab seinen klischeebefrachteten Erfahrungen deutlich Ausdruck, indem er mit entsprechender Mimik (den Zeigefinger hin und her bewegend) kommentierte: „Is‘ ‘ne Art Ansprache, in der der Pastor solange ‚Du Du Du‘ macht, biste einschläfst!“ Die meisten der ausgesammelten Reaktionen gingen in ähnliche Richtungen und ließen einen Trend erkennen; nur einmal wurde konfessionelles Insiderwissen zum Besten gegeben: „Die Predigt ist das Kernstück des Gottesdienstes, sie ist Wortverkündigung und Auslegung der Heiligen Schrift“, bekannte ein älterer Herr – und schien sich mit dem nächsten Satz beinahe entschuldigen zu wollen: „Ich weiß das nur, weil ich im Kirchenvorstand aktiv bin.“ Insgesamt führte die Gesamtauswertung der Befragung zu einem dreifachen Befund: Erstens gibt es die Vokabel Predigt tatsächlich noch in einem alltags- bzw. umgangssprachlichen Vollzug, zweitens kommt der Begriff Predigt durchaus im kulturellen Grundwissen bzw. in begriffs- und allgemeingeschichtlicher Restbildung vor, und drittens hat die Gattung bzw. Kunstform der Predigt, obschon sie in der allgemeinen Kulturpraxis einiges an Wertschätzung vermissen lässt, in der speziellen kirchlich-christlichen Kernpraxis durchaus ihren beachtlichen Stellenwert: „Sagt uns eigentlich viel, aber gibt uns oftmals zu wenig“ – diese Erklärung eines geselligen Ehepaares veranschaulichte den Gesamttatbestand, dass zwar ein Grundwissen zu Wortbedeutung und Verwendungskontext ebenso wie eine gewisse Erwartungshaltung an die Performance und Wirkweise nachhaltig dem aktuellen Kultur- und Bildungsgut zugerechnet werden darf, die tatsächliche Wahrnehmung von Bedeutsamkeit und Prägekraft

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des Predigtgeschäfts hingegen bestenfalls als bescheiden bezeichnet werden kann. Leider konnte bei der Erhebung nicht in gleichem Umfang vermessen werden, wie sich Berufstheologinnen und -theologen zu der Leitfrage verhalten; vereinzelte Stichproben haben allerdings die Tendenz erkennen lassen, dass sich das kirchliche Personal eher mit eingepflegten Standarddefinitionen aus der Affäre zieht: Mit versprengten Resterinnerungen an die Dialektische Theologie, besonders jedoch unter Zuhilfenahme von Gert Otto69, Ernst Lange70 und Wilhelm Gräb71 wurde die Predigt erklärt als ▶▶ Gottes Wort, von ihm selbst gesprochen unter Zuhilfenahme von Menschen, ▶▶ die besondere Form einer Unterredung, die dazu dient, auf der Grundlage der christlichen Perspektiven mithilfe biblischer Zeugnisse Dasein zu erklären, Situationen zu erhellen und Lebensgeschichten zu besprechen, ▶▶ eine überwiegend frei gehaltene, aber schriftlich gut vorbereitete Rede, die auf einer exegetisch-wissenschaftlich einwandfreien Textauslegung beruht und im Kontext eines gottesdienstlichen Rituals gehalten wird, sowie als ▶▶ eine semantisch und semiotisch vieldimensionale Wort-Zeichenkombination, die als religiöse Performance zu stehen kommt, sobald sie dem Selbstreflexionsprozess der Rezipienten dienlich zu werden und somit Sinn zu stiften vermag.72 Damit wären dann auch die typischen vier Jauch-Alternativen (s. o.) abgebildet, die sich i.Ü. auch noch alle in Geltung befinden. Man kann ihren Urhebern jederzeit attestieren, Predigt bzw. Predigtbegriff theologisch präzise, oder besser: im Rahmen eines bestimmten theologischen Systems wissenschaftlich akkurat 69 Otto, Gert (1999). Rhetorische Predigtlehre. Ein Grundriss. Mainz/Leipzig: EVA. 70 Lange, Ernst (1976). Predigen als Beruf. Aufsätze zu Homiletik, Liturgie und Pfarramt. Stuttgart: Kreuz Verlag. 71 Gräb, Wilhelm (2013). Predigtlehre. Über religiöse Rede. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 72 Vgl. Brinkmann, Frank Thomas (2001). Predig(t)en nach der Wende. Beobachtungen an neuerer Literatur zur homiletischen Theorie und Praxis. Pastoraltheologie. Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft 90, 260–271; Brinkmann, Frank Thomas (Rez.) (2003). Uta Pohl-Patalong/Frank Muchlinsky (Hg.) (2001) Predigen im Plural. Homiletische Aspekte (Hamburg). PrTh 38: 2, 154-155.

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und historisch-kontextuell treffsicher bestimmt zu haben; binnenperspektivisch sind all diese Versuche daher weiterhin als durchaus gelungen anzusehen. Auch die aus den je entsprechenden Theoriemodellen abgeleiteten Praxisvorschläge bleiben in sich überzeugend, und sie erhalten und behalten ja ihre Legitimation in dem Maße, in dem sie sich auf bestimmten sozialen Sektoren und in bestimmten kulturellen Szenarien noch bewähren. Hier freilich offenbaren sich einige Probleme. Denn wie können diese Sektoren und Szenarien noch bestimmt und erklärt werden, welche Faktoren bestimmen ihre Besonderheit, ihren Wandel, ihr Wachstum, ihr Ansehen und ihr Schwinden?73 Deutet die Fülle an Predigttheorien, Materialsammlungen und Betriebsanleitungen, aber auch das ganz unterschiedliche Niveau dieser hochaggregierten Predigtbegriffe und ihrer technisch-methodisch perfektionierten Ratgeberableitungen nicht auf jene ganz große Hilflosigkeit und Verunsicherung, die damit zu tun hat, dass eigentlich von dem, was mal ging, nichts mehr geht? Als Irrweg erweist sich zumindest das weithin gängige Verfahren, sich apodiktisch mit dem Standpunkt zu begnügen, dass das Wort, zumal es schon am Anfang war, zweifellos weiterhin wirken und sich selbsttätig manifestieren, realisieren oder gar verdinglichen wird. Dagegen wendet sich zu Recht eine theologische Perspektive, die zwar mit Begriffen wie Wortgeschehen, Anrede oder Sprechakt arbeitet, aber doch nur, um bestimmte Artikulationen, Expressionen, Interaktionen und Kommunikationen in ihrem jeweiligen Beziehungsstatus zu reflektieren: Schließlich macht es doch für alle Beteiligten wenig Sinn, wenn persönliche Ausdrücke religiöser Betroffenheit, zwischenmenschliche Verständigungsprozesse über Religion und hochdramatische Beziehungsgeschäfte zwischen Gott und Mensch allein an geronnene Worte, eindimensionale Reden und verschriftete Texte gekoppelt bleiben.74 Dass dies nie der Weisheit letzter Schluss sein wollte, veranschaulichen womöglich einige

73 Mit Sektoren und Szenarien ist die Vielfalt der Plateaus öffentlich- und privatkirchlichen Handelns gemeint. Darunter zählt dann also die Dorfkirchen-Gottesdienstgemeinde in Oberbayern (als Sektor), aber auch die medienwirksam platzierte Inszenierung, die sich als Betroffenheitsreaktion auf den Suizid des Nationaltorwarts Robert Enke verstanden wissen wollte. 74 Güttgemanns, Erhardt (1971). Studia Linguistica Neotestamentica. Gesammelte Aufsätze zur linguistischen Grundlage einer Neutestamentlichen Theologie (= Beiträge zur evangelischen Theologie 60). München: Kaiser, hat diesbezüglich wichtige Erkenntnisse vorgetragen – und als beachtliche Pointe die verdinglichende und mitunter personifizie-

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Skizzen aus biblischen und nachbiblischen Zeiten:

Das lateinische Verb praedicare ist bemerkenswert. Es schillert in seinen ursprünglichsten Verwendungszusammenhängen, und zwar deshalb, weil es nicht allein ausrufen bedeutet oder öffentlich bekannt machen, sondern auch rühmen, loben, preisen, und schließlich sich äußern oder gar sich entäußern. Praedico ist ein vieldeutiger und vielschichtiger Terminus, dessen Bedeutungsspektrum bereits indirekt über den reinen Sprechakt hinausweist, und es kommt wahrlich (k)einer hermeneutischen Meisterleistung gleich, den abgeleiteten Begriff Predigen bei der deutschen Übersetzung der Bibel derart vehement und vereinheitlichend einzusetzen, dass er nicht nur die Testamente umspannt, sondern auch ganz unterschiedliche Phänomene sinnverfälschend abdeckt. Aber welche Praktiken und Ideen hat er wirklich umschrieben, welche Denkfiguren in sich aufgenommen und verwischt? Nehmen wir das Beispiel von Jes 40. Als der Prophet Deuterojesaja in Vers 6 die Aufforderung kerah erhielt, die man gewöhnlich als deutsches Predige! liest, schien er derart schnell begriffen zu haben, worin seine Aufgabe besteht, dass seine Rückmeldung keineswegs als eine formal-definitorische Erkundung nach dem Wesen seines zukünftigen Tuns (Was ist predigen?) oder als Frage nach der präzisen inhaltlichen Bestimmung aller anstehenden Redetätigkeiten gedacht war. Um die Vorläufigkeit aller Worte im Angesicht von Endlichkeit und Vergänglichkeit (Mah ekrah – Was soll ich rufen, wenn alles verwelkt?) wissend sucht er allein nach einem angemessenen Format für seinen Auftrag, dessen Ziel bereits feststand: Nahamu ammij – Tröstet mein Volk! (40,1f.). Um den Erlebnischarakter von Sinngewissheit (Gottesnähe), v. a. um deren existentielle Funktion (Trost) sollte es gehen, und daher war nicht an einem intellektuellen Zuschnitt präziser Gottesworte, sondern vielmehr an deren performativer Dynamis zu arbeiten: Erhebe Deine Stimme mit Kraft! Fürchte Dich nicht! Sage: Seht euer Gott! Er wird kommen! (Jes 40,10 i. A.). Gehen wir von diesem Propheten nun zu jenen, bei denen sogenannte Zeichenhandlungen nicht nur der medialen Veranschaulichung ihrer Verkündigung dienen, sondern – wie die Propheten selber ja auch – schon Verkündigung und Medium sind: obwohl es ihr Auftrag war, das Wort zu sagen, war dieses Sagen definitiv nicht an eine rein verbale Formatierung gekoppelt, sondern auch als symbolisch formatierte Botschaft möglich. Bei dieser Art von Predigen rende Rede von „dem“ Worte Gottes als „mythologische Rede“ bezeichnet (vgl. a. a. O., 201–203).

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galt es, ins Herz zu sprechen (dabar al läw) – und nicht die Ohren, sondern das Innerste des Menschen zu treffen. Diese mediale Vieldimensionalität, die mit dem Begriff Predigen zusammenfällt, umspannt die Testamente – denn wie predigte Jesus? Verlässt man sich auf die überlieferten Narrative der Evangelien, so liegt der Fall klar: Er predigte anders als die Schriftgelehrten. Kreativ verschmelzen zwei Passagen aus der Tora (3Mose 19,18 + 5Mose 11,1) zu dem höchsten (Doppel-)Gebot Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst (Mk 12,29–31 par.), und mit wenigen Worten wird Menschen trostspendend erklärt, dass jedes Haar auf ihrem Kopfe gezählt ist. Der himmlische Vater ernährt euch; sorget nicht, jeder Tag wird das seine bringen. Was nützt es dem Menschen, wenn er die Welt gewinnt und Schaden nimmt an seiner Seele? Es war eine ganzheitlich-performative, inhaltlich und formal vieldimensional angelegte Predigtpraxis, deren Wesensmoment darin lag, dass Menschen nicht seliggesprochen, sondern selig gemacht wurden. Dies geschieht zumeist öffentlich, mitunter auch recht intim, auf mannigfachstem Niveau bei unterschiedlichster Distanz (mal vom Boote aus, mal auf Berghöhen stehend), sowohl in der Synagoge als auch während der Wanderung. Neben der wortmächtigen Sprache steht eben die nonverbal-zeichenhafte Performance: Jesus wäscht Füße, heilt Kranke, segnet Kinder; Brot und Wein reicht er zur Speise und zur Erinnerung. Hinsichtlich des Trägermediums seiner Botschaften kann er variieren – und tut es deutlich. Und weil sogar sein Geschick eine Bedeutung hat, die über das Greifbare hinausgeht, war er selber das Zeichen, der Mittler, das Medium, die Message – und also zur Predigt geworden. Seine Nachfolger, so wissen wir aus den Geschichten, übernehmen einen Teil seiner Gedanken und Methoden, aber entwickeln auch eigene Strategien. Die verlorene Unmittelbarkeit erzwingt eine Berufung auf Texte und Schriften, die als Sprache der Abwesenden zu stehen kommen; der verlesene und gesprochen ausgelegte Text dient als Erinnerungsmedium, das den Verlust des ursprünglichen Bezugspunktes zu überbrücken versucht – und das Gewicht von der sinnlichen Wahrnehmung auf die Imaginations- und Deutekraft des religiösen Bewusstseins verlagert. Marktreden, Hausandachten, Briefe – ganz bedeutsam wird die schriftliche und mündliche Unterweisung. Im Rückgriff auf die jüdische Schrift- und Auslegungstradition wird unter Inanspruchnahme griechischer Rhetorik die Predigt zur (er-)klärenden Rede, zur vermittelnden Instanz zwischen Geschichte bzw. Urkunde und Situation. Es vollzog sich – medienhistorisch gesehen – ein Wandel vom Zeichenritual zum Text, vom Ereignis zu seiner Erklärung, vom

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Ausdrucks- zum Erinnerungsmedium, dem nur die Kommentartradition ihre Bewohnbarkeit garantiert. Mit jeder weiteren Ausdifferenzierung der Dimensionen christlichen Handelns – Leiturgia, Martyria, Koinonia und Diakonia – kommen eigenständige Regelwerke für Tröstung, Erbauung, Leibsorge und Seelsorge hinzu.75 In der Sphäre der Martyria verliert allerdings die herrliche Freiheit der Kinder Gottes ihren Erlebnischarakter, und zwar in dem Maße, in dem man sie zu einem kommunikablen Tatbestand erklärt und rein rhetorisch zu vermitteln trachtet. Die Hochschätzung des Logos als Wissen um die Bedeutung des göttlichen Wortes für den Glauben gerät also, was die Entäußerung dieses Glaubens anbelangt, zu einer Überschätzung der Wörter. Am Ende dauert eine Predigt etwa 20–30 Minuten und wird während eines Wortgottesdienstes gehalten, meistens sonntagmorgens gegen zehn. Doch leider passt da etwas nicht mehr so ganz, denn wir stehen längst unter den Signaturen des digitalen Zeitalters:

Die Geschichte der Predigt ist die Geschichte eines kulturprägenden Mediums. Man muss nicht an die berühmte Kreuzzugsansprache von Papst Urban II – Clermont 1095 – denken, um sich zu vergegenwärtigen, wie Predigten unsere und andere Kulturen medial bestimmt, beeinflusst und umgestaltet haben. Die Predigt war über einen langen Zeitraum das starke Medium von Information und Manipulation – und hat dem Bedürfnis nach Kommunikation, Interaktion, Erbauung, Bildung usw. Rechnung getragen. Will man jedoch die Geschichte der kulturprägenden Medien bis in die Gegenwart hinein darstellen, muss man auch von dem Wandel der Predigt zum schwachen Medium berichten. In seiner Studie zu Kulturwissenschaften und neue Medien beschreibt N. Gabriel76, welche Auswirkungen etwa die Geschichte der Rationalisierungsprozesse auf verschiedene Mediensysteme hat: Phase I der neuzeitlichen Mediengeschichte habe mit der Entdeckung des Buchdrucks (ca. 1440) begonnen und die kulturbildende Kraft der Rede relativiert, ein Prozess, 75 Vgl. Brinkmann, Frank Thomas (2009). Gottesdienst – Erlebnis – Gesellschaft. Plädoyer für eine Neuakzentuierung nicht nur des diakonischen Elements. In: Tiemann, Hans-Herrmann (Hrsg.) Situationsgerecht Gottesdienst feiern. Zur Verbesserung liturgischen Handelns 1. Bielefeld: Luther, 177–196. 76 Gabriel, Norbert (1997). Kulturwissenschaften und Neue Medien. Wissensvermittlung im digitalen Zeitalter. Darmstadt: Primus.

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der in der zweiten Phase nach der Erfindung von Ton- und Bildträgern (seit 1840), beschleunigt wurde. Mit den Möglichkeiten, Informationen ikonographisch (Bücher) bzw. analog zu codieren (Foto, Schallplatte), habe eben auch der Gebrauch dieser Codierungen eingesetzt. Wer etwas wissen oder kennenlernen, womöglich auch schlicht sich unterhalten wollte, konnte jetzt als Medienkonsument wählen und selbst als Medienproduzent in Erscheinung treten; mit den entsprechenden Produktionsmitteln waren auch die individuellen Ausdrucksmittel privat verfügbar gemacht. Dieser Sachverhalt trifft umso mehr noch auf die dritte Phase zu, die mit der Entwicklung der sogenannten Kompositions- und Speichermedien (Computer etc.) begonnen hat. Doch nicht die Wende zur digitalen Informationscodierung, sondern deren Begleitumstände sind hier von Gewicht, nämlich ▶▶ die zunehmende Interpretation von Text, Ton und Bild als Datenmenge, ▶▶ die damit einhergehende Identifikation von Wissen und Speicherkapazität bzw. von Bildung und Datentransfer, ▶▶ die Praxis der Abspeicherung vorübergehend unnötiger Informationen bzw. der technischen Auslagerung von Wissen und Können sowie die in der Wechselbeziehung von User und Datensatz entstehende virtuelle Realität, sowie ▶▶ die Anpassung digital codierter Vorgänge an die Anforderungen und Steuerungen der Nutzer, die Wechselbeziehung zwischen Subjekt und Objekt, kurz: all dasjenige, was mit dem Terminus Interaktivität erfasst werden kann. Die Tatsache, dass der PC zu einer Medienmaschine geworden ist und seit rund einem Jahrzehnt mehr und mehr der früheren Medien zu ersetzen beginnt, hat Entsprechungen gefunden im individuellen und gesellschaftlichen Handeln. So berühren sich im Zenit dieser Erwägungen die Untersuchungen der Medien- mit denen der Kulturwissenschaften, die den soziologisch und psychologisch greifbaren Phänomenen moderner Cyberwelten nachgehen und mit Formeln wie: Überschuss an Zeit, Zugewinn an Kreativität oder Ent­ deckung von Interdependenz zu katalogisieren und zu deuten versuchen. Und während die einen notieren, dass der moderne Mensch schon vor Jahrzehnten die Nahtstelle vom Überlebenszwang zum Erlebensdrang überschritten hat, bemerken andere wiederum, dass sich mit der anwachsenden Hochschätzung von Informationstechnologie und Chip-Design eine nahezu unüberschaubare Parallelwelt voller Emotion und Sinndeutungsverlangen herausbilden konnte.

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Davon zeugen dann, wenn man so will, die Erlebnis- und Freizeitparks mit großen Abwechslungsattraktionen, die sogenannten Mega-Events der Jugendlichen voller Berührungsrituale, aber auch die Dienstleistungsangebote im human-zwischenmenschlichen Bereich von der häuslichen Krankenpflege freier Anbieter über die Internetseelsorge bis hin zu Selbsthilfegruppen. Pointiert: Das digitale Zeitalter ist das pluralistisch angelegte Zeitalter sowohl der Wissens- und Informationsgesellschaft als auch der Risiko- und Erlebnisgesellschaft; sein Symbol ist das Medium des computeranimierten, interaktiven Videoclips: Eine überschaubare Datenmenge, die alle Sinne anspricht, Informationen gebündelt vermittelt, mit raschen Schnitten für Kurzweil sorgt, Erlebnischarakter hat, auf Rezipierende reagiert bzw. sie zu Partizipierenden macht, über eine sinnhafte Zeichensprache verfügt – und Gefühle garantiert. Doch trotz der Dominanz dieser medialen Symbolik bzw. dieser starken Medien, trotz des historisch bedingten Wechsels von Informationsträgern bzw. des sogenannten Sterbens gewisser Medien – wie Tonwalze oder Lochstreifen – haben bestimmte konservative Medien zu einer Nischenexistenz in bestimmten Milieus und Deutungsräumen pluralistischer Gesellschaft gefunden – wie etwa das Buch, die Schallplatte oder eben auch die klassische Rede-Predigt. Man spricht hier in medienwissenschaftlichem Jargon von der Parallelexistenz schwächerer und stärkerer Medien- und Informationswelten in pluralistischer Gesellschaft. Doch was bedeutet dies für die praktisch-theologische Predigttheorie? Eventuell braucht es ja Eine Doppelstrategie für die Religionspraxis

Wollten wir eine Formel aktivieren, die einerseits dem gesamtbiblisch-theologischen Bedeutungshorizont, seinen historischen Wurzeln und Anteilen Rechnung trägt als auch einer gewissen medientheoretischen Systematik entgegenkommt, dürften wir behaupten: Die Predigt ist ein Ausdrucks-, Entäußerungs- und Erinnerungsmedium, das einerseits dem religiösen Bekenntnis, andererseits der Kommentartradition verpflichtet ist und Sinn, Zweck und Ziel darin hat, Wissen, Einstellungen und Glaubensperspektiven zu vermitteln sowie der (religiösen) Bildung und Selbstbildung des Menschen anteilig Hilfestellung zu leisten. Sie ist keineswegs deckungsgleich mit dem Trägermedium der Rede, sondern ist auch in neuen, zeitgemäßen medialen Formatierungen denkbar.

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Sobald wir uns nun in der praktisch-theologischen Theorie darauf beschränken, dass die Predigt eine rhetorische Gattung ist, müssen wir auch die Konsequenzen der einhergehenden Gesetze und Gesetzmäßigkeiten tragen – und die Anforderungen eines religionspraktischen Profils des Christentums in der Spätmoderne vernachlässigen, und solange sich die Predigt – als Entäußerungsund Vermittlungsakt einer konkreten Lebens- und Sinndeutungsperspektive – an die Regelwerke einer einzigen Kommunikationspraxis anbindet, bringt sie sich um größere Chancen ihrer Gegenwartsplausibilität. Erforderlich scheint daher eine Zusatzinterpretation des Predigtwesens bzw. eine Erweiterung der homiletischen Predigttheorie zu sein – was auf eine Doppelstrategie abzielt, weil es um eine Versorgung von mindestens zwei Deutungsräumen geht. Der erste Deutungsraum ist derjenige, der mit unserer traditionellen kirchlichen Praxis bereits gegeben ist. Seine Bedeutung – genauer: die Bedeutung der bestehenden Gottesdienst- und Predigtpraxis – darf nicht ignoriert und abgetan, sondern muss selbstverständlich weiterhin gepflegt, verbessert, wissenschaftlich erkundet und mit sachdienlichen Ratschlägen versorgt werden. Hier nämlich gilt, dass die neuen Medien zwar die alten zu ersetzen beginnen, keineswegs aber schon ersetzt haben. Der zweite Deutungsraum indes ist derjenige, der sich außerhalb unserer eingespielten kirchlichen Praxis befindet. Seine Bewohner haben Seh-, Denk- und Deutungsgewohnheiten, die nicht mehr ohne Weiteres mit den klassischen medialen Formatierungen kirchlicher Religionspraxis kompatibel sind. Aus diesem Grund steht die Praktische Theologie vor der Aufgabe, dasjenige, was mit Predigen gemeint sein kann, für den zweiten Deutungsraum zu benennen und entsprechend aufzubereiten. Einige Kriterien sind, wie hoffentlich gezeigt, aus der Geschichte des Praedicare, andere wiederum aus den Signaturen des digitalen Zeitalters ableitbar; weitere ergeben sich möglicherweise im Zusammenhang von Untersuchungen zu der Präge-, Gestaltung- und Orientierungskraft zeitgenössischer Kulturphänomene. Im Ergebnis wird die christliche Religion medial so zu formatieren sein, dass sie dem Sinndeutungsverlangen der Menschen mit Worten und Stories, Taten und Zeichenhandlungen, Festen und Ritualen etc. entgegenkommt – und christliche Glaubensgewissheit, Trost und Lebensfreude zum Ausdruck bringt; die Predigt als Medium müsste als eine überschaubare Datenmenge konzipiert sein, die alle Sinne anspricht, Informationen gebündelt vermittelt, mit raschen Schnitten für Kurzweil sorgt, Erlebnischarakter hat, die Rezipienten zur Teilhabe einlädt, über eine sinnhafte

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Zeichensprache verfügt – und, um es mit einem populären Slogan zu etikettieren: Gefühle garantiert. Natürlich darf man nicht den Fehler begehen, die Deutungsräume zu verwechseln oder gegeneinander auszuspielen. Wer mit extremen Neuformatierungen die Sphäre des klassisch-traditionellen kirchlichen Deutungsraumes zu bereichern sucht, muss davon ausgehen, dass in gleichem Maße eine Destabilisierung der vertrauten Religionspraxis erfolgt und das Klientel der Treuen unnötig verunsichert wird; wer wiederum meint, die religionshermeneutisch kaum erschlossenen Deutungsräume postmoderner Popkulturen mit wenig flexiblen Traditionsstücken kirchlicher Religionspraxis bereichern zu können, wird vermutlich eher für reichlich Verwirrung (und Ablehnung) in den (Sinnund Lebens-)Welten der Fernen77 sorgen. Hier wie dort gilt es, Verunsicherungen zu vermeiden; im Vordergrund muss das Begehren stehen, mit einer Vielfalt von Formaten, Medien und Narrativen in eine Zukunft zu gehen, die weiterhin mit der Suche nach Sinn beschäftigt sein wird. Es ist ein genuin theologisches Anliegen, die gegenwartskulturelle Suche nach Sinn sensibel mit allen religionspraktisch valenten Deutungsfiguren abzugleichen, die aus christlicher Perspektive den Anspruch letztgültiger Sinnhaftigkeit und Bedeutsamkeit haben. So gesehen ist die Theologie selbst das Medium erster Ordnung, das zwischen offenen und geschlossenen Sinnsystemen starker Zeichen, Narrative und Denkfiguren steht und sich reflexiv dazu in Bezug setzt, um kommunikable Sinndeutungsmomente zu generieren und interaktiv als bedeutsam zu plausibilisieren; die Predigt ist dann das Medium zweiter Ordnung, das genau für diesen finalen Prozess – nämlich die Artikulation, Kommunikation und Interaktion der als lebenswirklich und bedeutsam erachteten Sinndeutungsintegrale – einsteht. Und genau das ist ihr doppeltes Projekt in nahen und fernen, keineswegs hinreichend vertrauten Welten der Treuen und Welten der Anderen. Davon wird intensiver zu reden sein.

77 Der keineswegs umstrittene Terminus Kirchenferne ist in der Literatur und der kirchlichen Sprachpraxis nachhaltig belegt; vgl. Först, Johannes (2012). Kirchenkrise, Kirchenferne und Säkularisierung. In: Först, Johannes/Schöttler, Heinz-Günther (Hrsg.) Einführung in die Theologie der Pastoral: ein Lehrbuch für Studierende. Münster: LIT. Eine gründliche Aufarbeitung findet sich bei: Kretzschmar, Gerald (2007). Kirchenbindung – Praktische Theologie der mediatisierten Kommunikation (= Lehr- und Studienbücher zur Theologie 7). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 61 ff.

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3.2  Fremde Menschen und anderes Leben, ferne Welten und multiple Kulturen, bunte Praxis und unentdeckte Religion? Wenn in eurem Land ein Fremder bei dir wohnt, dann darfst du ihn nicht unterdrücken. Der ansässige Fremde, der bei euch ist, soll euch wie ein Einheimischer sein. Du sollst ihn lieben wie dich selbst.78 Die Vielfalt der Religionen und Weltanschauungen ist zu einer alltäglichen Erfahrung geworden. Zuwanderung, »Entkirchlichung« und vielfältige Formen individueller Selbstentfaltung führen zu einer religiösen Pluralität, die inzwischen weithin als Normalfall unser Leben bestimmt und prägt.79 Wie ein unentdecktes Land liegt die Religion unseres eigenen Volkes vor unseren Augen.80

2015 legt die Evangelische Kirche in Deutschland unter dem Titel Christlicher Glaube und religiöse Vielfalt in evangelischer Perspektive einen sogenannten Grundlagentext vor, der sich als Fortschreibung ihrer 2003 veröffentlichten theologischen Leitlinien Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen81 verstehen – und in diesem Kontext den Übergang von einer bloßen Duldungspraxis hin zu einer toleranten Wertschätzungspraxis markieren wollte.82 Bereits das emotionale Geleitwort signalisierte mithilfe bedeutungsvoluminöser Leit78 Lev 19,33f., Übersetzung nach Erhard S. Gerstenberger (1993). Das 3. Buch Mose. Leviticus (= ATD 6). 6. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 79 Kirchenamt der EKD (Hrsg.) (2015). Christlicher Glaube und religiöse Vielfalt in evangelischer Perspektive. Ein Grundlagentext des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 13. 80 Drews, Paul (2016). „Religiöse Volkskunde“, eine Aufgabe der praktischen Theologie (1901). In: Kubik, Andreas (Hrsg.) Paul Drews. Religiöse Volkskunde und religiöse Psychologie. Schriften zur Grundlegung einer empirisch orientierten Praktischen Theologie (=  Praktische Theologie in Geschichte und Gegenwart 20). Tübingen: Mohr Siebeck, 121–127: 124. 81 Kirchenamt der EKD (Hrsg.) (2003). Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen. Theologische Leitlinien. Ein Beitrag der Kammer für Theologie der Evangelischen Kirche in Deutschland (= EKD-Texte 77). Hannover: Kirchenamt der EKD. 82 Vgl. Kirchenamt der EKD, Christlicher Glaube, 9 f.

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begriffe (und vermutlich in bewusstem Abgleich mit weithin gängiger Betroffenheitsrhetorik)83, inwieweit man zukünftig Respekt und Offenheit erwarten, fernerhin ein Gespür für Nähe und Verbundenheit, für Zusammengehörigkeit und Gemeinsamkeit entwickeln dürfe, ohne das Bewusstsein der eigenen Besonderheit preisgeben zu müssen; deutlich wollte angezeigt werden, dass sich die anschließenden Ausführungen um ein positives Verständnis religiöser Vielfalt bemühen und die Richtung einer Theorie des Pluralismus einschlagen wollen. Nun, diese plakativ attestierte Grundtendenz besagter Schrift kann nach eingehender Lektüre bestätigt werden; der Gesamttext steht offenbar ganz im Zeichen einer Forschungs- und Diskurskultur, die die Vielfalt aktuell vorfindlicher Religionen, Glaubensrichtungen und Weltanschauungen nicht allein assertorisch, pragmatisch oder distanziert zur Kenntnis nehmen, sondern mit angemessenen theologischen Einschätzungen einholen möchte – und daher einerseits nach geeigneten Sichtungsperspektiven, Bewertungskriterien und Vergleichsmöglichkeiten zu fahnden, andererseits den eigenen Bekenntnis- und Sinndeutungshorizont bewusst zu reflektieren hat. Die Positionen, die sich auf diesen weiten Erkundungsfeldern bislang herausgebildet hatten84, sind alles andere als kompatibel: Während sich exklusivistische Stellung83 Vgl. Herrmann-Ruess, Anita (2014). Emotionale Rhetorik. Mit Worten begeistern, beeindrucken, berühren. Offenbach: GABAL, 146 ff. 84 Arens, Edmund (2007). Gottesverständigung. Eine kommunikative Religionstheologie. Freiburg: Herder; Bernhardt, Reinhold (1990). Der Absolutheitsanspruch des Christentums. Von der Aufklärung bis zur Pluralistischen Religionstheologie. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn; Ders. (2005). „Mutualer Inklusivismus“. In: Ders. (Hrsg.) Ende des Dialogs? Die Begegnung der Religionen und ihre theologische Reflexion. Zürich: TVZ, 206–219; Ders. (2007). Literaturbericht „Theologie der Religionen“. Theologische Rundschau 72:2, 1–35, 127–149; Ders./Schmidt-Leukel, Perry (Hrsg.) (2013). Interreligiöse Theologie. Chancen und Probleme. Beiträge zu einer Theologie der Religionen 11. Zürich: TVZ; Danz, Christian (2005). Einführung in die Theologie der Religionen (=  Lehr- und Studienbücher zur Theologie 1). Wien: LIT; Ders./Körtner, Ulrich H.J. (2005). Theologie der Religionen. Positionen und Perspektiven evangelischer Theologie. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlagshaus; Dehn, Ulrich (Hrsg.) (2009). Handbuch Dialog der Religionen. Christliche Quellen zur Religionstheologie und zum interreligiösen Dialog. Frankfurt a. M.: Lembeck; Graf, Gunter (2011). Wahrheitsansprüche von Religionen und religiöser Exklusivismus (= PONTES. Philosophisch-theologische Brückenschläge 48). Münster: LIT; Irlenborn, Bernd (2011). Religionstheologischer Inklusivismus. Eine philosophische Rechtfertigung. Theologie und Philosophie 86, 161–181; Küster, Volker (2011). Einführung in die Interkulturelle Theologie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht; Schmidt-Leukel, Perry (2005). Gott ohne Grenzen. Eine christliche und pluralistische

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nahmen v. a. darauf kaprizieren wollen, dass allein der eigenen Religion das Gütesiegel der absoluten Wahrheit verliehen werden kann, zeigen sich inklusivistische Standpunkte bereit, neben der eigenen, vorrangig und zentral aufgestellten Religion zumindest bestimmte Religionsalternativen billigend zuzulassen. Ansätze, die sich einem religionstheologischen Pluralismus bzw. der terminologisch geringfügig variierten pluralistischen Religionstheologie zurechnen wollen, gehen über die inklusivistische Haltung weit hinaus und gestatten vielen Religionen eine Gleichwertigkeit, behalten sich allerdings gewisse Urteilsbildungs- und Bewertungsrechte – z. B. aus moralischen oder politischen Beweggründen – vor: Die theologisch verantwortete Grenze einer Anerkennung wäre etwa dort erreicht, wo eine Glaubensgemeinschaft ihren Praktizierenden bestimmte Handlungen abfordert, die mit christlichen Konzepten von Menschenbild, Menschenwürde und Freiheit nicht kompatibel sind bzw. die rechtsstaatliche Verfasstheit einer Gesellschaft ad absurdum führen.

Welchen speziellen Trend Christlicher Glaube und religiöse Vielfalt nun zu bestärken, und welchen Theoriepfad man insofern einzuschlagen sucht, das mag sich ansatzweise schon in jener Kernfrage abzeichnen, die allen Ausführungsschritten vorangestellt wird, um sie letztendlich doch diskret-subtil, aber eben auch suggestiv zu übertiteln: „Ist ein echter, positiver Pluralismus der Religionen möglich, der keine Relativierung des eigenen Glaubens an den dreieinigen Gott voraussetzt? Oder ist religiöse Vielfalt für Christenmenschen doch immer nur mit einem letzten Vorbehalt hinzunehmen, als weltliche Friedensregel, aber nicht als »gute Ordnung«?“85 Tatsächlich folgen der Logik dieser programmatischen Erkundungsbitte alle weiteren Entfaltungsschritte eines Textes, der an der „Präsenz der evangelischen Kirche in der pluralistischen Bürgergesellschaft“ arbeiten und dazu beitragen will, „dass Theologie, […] Recht und […] Kirchenordnung zum [sic!] Umgang mit der Vielfalt der Religionen konsistenTheologie der Religionen. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus; Gäde, Gerhard (1998). Viele Religionen – ein Wort Gottes. Einspruch gegen John Hicks pluralistische Religionstheologie. Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus; Hick, John (2002). Gott hat viele Namen. In: Ders. Gott und seine vielen Namen. 2.  Aufl. Frankfurt a. M.: Lembeck, 44–65; Knitter, Paul F. (1997). Horizonte der Befreiung. Auf dem Weg zu einer pluralistischen Theologie der Religionen. Paderborn: Bonifatius Verlag; Stosch, Klaus von (2012). Komparative Theologie als Wegweiser in der Welt der Religionen. Paderborn: Ferdinand Schöningh Verlag; Wrogemann, Henning (2015). Theologie Interreligiöser Beziehungen. Religionstheologische Denkwege, kulturwissenschaftliche Anfragen und ein methodischer Neuansatz. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. 85 Kirchenamt der EKD, Christlicher Glaube, 14.

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te, nicht nur pragmatisch orientierte Antworten finden.“86 Selbstredend also, dass dieser Text Vorschläge unterbreitet, wie man bestmöglich „theologische Grundlagen klärt, die Bedeutung der Religionsfreiheit für die Situation einer pluralistisch-internationalisierten Rechtsgemeinschaft rekonstruiert, ausgewählte Handlungsfelder praktischer Bewährung vorstellt und abschließend zu einzelnen religionstheologischen Fragen Stellung nimmt.“87 Die Ausgangslage ist schnell umrissen: Pluralismus, so heißt es, „wird heute in vielfältigen Formen erlebt: im Wettstreit unterschiedlicher Parteien um die Gestaltung des Gemeinwesens, in konkurrierenden Angeboten des Marktes, in der Freiheit der Meinungsäußerung und Lebensführung, in der Vielzahl der Kommunikationsgemeinschaften, aber auch in den nicht überschaubaren Lebensfäden anderer, die sich mit unserer eigenen Biographie verweben. Auch in Angelegenheiten der Religion ist unsere Gesellschaft durch Pluralität gekennzeichnet. […] Die evangelische Kirche nimmt den Pluralismus der Religionen und Weltanschauungen nicht nur als ein äußerliches Faktum hin, mit dem man in modernen Gesellschaften eben rechnen müsse. Sie bejaht ihn vielmehr aus grundsätzlichen Überlegungen und aus ihrer eigenen Sache heraus. Da sie die Welt, in der wir leben, als von Gott geschaffene und aus dem Elend der Gottesferne erlöste Welt begreift, sieht sie im Menschen von nebenan, aber auch in den Religionsgemeinschaften auf der anderen Straßenseite nicht nur geduldete Fremde oder tolerierte Andersgläubige, sondern Mitbewohner eines gemeinsamen Raums, Mitbürger einer gemeinsamen Polis und von Gottes Wort Mitangesprochene. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass es sich um Mitbürger handelt, welche die gemeinsame Welt anders deuten und erleben und also die Voraussetzungen des christlichen Glaubens nicht teilen.“88 Der Duktus aller weiterführenden Überlegungen ist abzusehen. Letzten Endes zielen sie darauf ab, eine starke evangelisch-christliche Position innerhalb pluralistischer Gefüge zu etablieren; deutlich genug gewinnt ein (evangelisches) Kirchenmodell an Konturen, das sich erfreuen möchte „an allen Menschen, die nach Wahrheit fragen oder Gewissheit suchen — auch dann, wenn diese zu anderer Überzeugung kommen“89: immerhin „gilt ihnen die Verheißung, dass Gottes Geist weht, wo er will.“90 86 Ebd. 87 A.a.O., 15. 88 A.a.O., 18–19. 89 A.a.O., 29. 90 A.a.O., 30.

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Auch im Detail lesen sich die entsprechenden Empfehlungen freundlich und gefällig, zumal sie grundsätzlich den Sachverhalt anerkennen wollen, „dass menschliches Leben sich in einer Vielzahl von Religionen und Weltanschauungen vollzieht“91, dies müsse aus christlicher Perspektive als Ausdruck menschlicher Freiheit wertgeschätzt werden, alldieweil der Glaube an den einen Gott aller Menschen keineswegs als ein Ausschlusskriterium für die Vielfalt religiöser Erfahrungen gelten darf.92 An der Rechtsidee einer allgemeinen Religionsfreiheit gilt es also „in erneuerter Weise und mit geschärftem Blick für die unterschiedlichen Problemlagen festzuhalten, gerade wenn die Gesellschaft religiös und kulturell heterogener wird“93, und man habe erst recht „denen beizustehen, die sich zu einer Religion bekennen oder von ihr lossagen wollen, um ihr Leben in Selbstbestimmung zu führen“94. Ernst zu nehmen bleibe weiterhin die Aufgabe, „andere Religionen als Partner in der offenen Gesellschaft anzunehmen, mit ihnen das Gespräch zu pflegen und Formen der Zusammenarbeit zu erproben“95, wobei man vertrauen dürfe „auf die Gestaltungskraft und Vernunft der Gemeinden und Gläubigen, die den […] Glauben im Dialog vertreten und bewahren“96 wollen. Zu bewähren habe sich diese – zwischen offener Dialogbereitschaft und reflektierter Standpunktwahrung oszillierende – Gemeinschaftserprobung in typischen religionspraktischen Situationen des Alltags,97 aber auch in Szenarien des öffentlichen Lebens.98 Ob sich die vorgeschlagenen (und offensichtlich zur kreativen Vermischung freigegebenen) Metaphernfamilien Gast und Freund auch langfristig als Verständnis- und Praxishilfe bewähren, bleibt abzuwarten; jedenfalls heißt es: „Wo Freundschaften sich intensivieren, gesellschaftliche Begegnungen oder berufliche Tätigkeiten zur Mitwirkung im Gestaltungsbereich anderer Religionen führen, sind Kompetenzen interreligiösen Verstehens verlangt. Wer in den Synagogengottesdienst, zum Beschneidungsfest oder zur Bar Mizwa eingeladen ist, wer an der 91 A.a.O., 20. 92 Vgl. ebd. 93 A.a.O., 38 f. 94 A.a.O., 39. 95 A.a.O., 46. 96 Ebd. 97 Die entsprechenden Szenarien sind bekannt, z. B. das Eheschließungsbegehren einer Christin mit einem Moslem, der Antrag auf Gewährung des Patenamts für Angehörige einer nichtchristlichen Religionsgemeinschaft oder die von den Hinterbliebenen vorgetragene Bitte um kirchliche Bestattung eines Ausgetretenen. 98 Dies betrifft z. B. die Gestaltungsaufgabe des Miteinanders von Menschen mit unterschiedlichen Konfessionen bzw. Religionszugehörigkeiten auf Schul- und Vereinsebenen.

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Menschenweihehandlung anthroposophischer Nachbarn oder am muslimischen Fastenbrechen teilnimmt, ist Gast unter Freunden. Der Gästestatus bestimmt die Erwartungen an das Maß der Integration, das Einladende und Eingeladene finden. Wer eingeladen ist, stellt sich auf Anlass und Art der Feier ein – so wie umgekehrt der Gastgeber seine Türen, aber auch seine gewohnten Vorstellungen großzügig öffnet. […] Gäste stellen Eigenes zurück, weil sie wissen, dass auch der Gastgeber und die Festversammlung sie als Gäste begreifen, sodass sie zum Dabeisein eingeladen, nicht aber zur Konversion aufgefordert sind. Darum gründen im Gaststatus auch die Grenzen, aufgrund derer man nicht mitvollzieht, was als Bruch mit der eigenen Identität erscheinen würde.“99 Mit dieser Schmerzgrenze dürfte man sich noch lange zu beschäftigen haben. Womöglich wird ja auch eines Tages hinreichend bestimmt sein, welcher Identitätsbegriff zugrunde gelegt wird, fernerhin, wie sich diese „Identität“ generiert und mit welchen Mitteln und Versatzstücken sie aufgebaut wird, auch, damit die Rede von dem bedrohlichen „Bruch mit der eigenen Identität“ hinreichend Sinn ergibt. Wäre nicht die alternative Denkfigur vom Bruch der eigenen Identität von einer größeren sinnbildlichen Erklärungskraft, weil sie ja irgendwie auch den Beginn einer neuen, wunderbaren Freundschaft und Lebenssicht markieren könnte? Und sollte sich am Ende gar die allerletzte Formulierung des Grundlagentextes, der immerhin die religiöse Vielfalt bereits im Titel trägt, als deren wahrer Verstehensschlüssel zu erkennen geben? Dann würde ein ganz kurzes Zwiegespräch den langen Dialog ersetzen, frei nach dem Motto: Warum können „Christinnen und Christen zu einer Offenheit ermutigen, die der Freiheit eines Christenmenschen entspricht“, zugleich aber von „falschen Alternativen und Beschränkungen“ Abstand nehmen? Weil sie sich gar „nicht einem bestimmten religionstheologischen Modell [verpflichten], sondern dem sie gründenden Evangelium.“100

Das auf längeren Strecken sympathische Modell, das in der angesprochenen Denkschrift präferiert wird, kann sicherlich weiterhin für eine bestimmte Zielgruppe entwickelt bzw. für kirchentheologisch fokussierte Gespräche verwendet werden. Bedauerlicherweise aber macht sich eine gewisse Anfälligkeit bemerkbar, was die Inanspruchnahme und Verwertung des Pluralismusbegriffes anbelangt; gleich an mehreren Stellen wird dies mehr als offenkundig: (1.) So wird die mehrfach exponierte Kernthese, „dass das Verhältnis des christlichen Glaubens zur Wahrheitsfrage komplex ist und bleibt“, von einer Hilfs99 Kirchenamt der EKD, Christlicher Glaube, 50 f. 100 A.a.O., 76.

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definition mit flankiert, die mehr Fragen aufwirft als Erklärungen bietet; enigmatisch schillert die Sinnaussage des Folgesatzes: „Es ist keineswegs so, dass es [Anm. d. Verf.: also das Verhältnis?] zwischen Exklusivismus (= es gibt nur eine wahre Religion unter Ausschluss aller anderen), Inklusivismus (= es gibt wenigstens eine wahre Religion, die die Teilwahrheiten aller anderen in sich einschließt) und Pluralismus (= es gibt mehrere wahre Religionen) wählen müsste.“101 (2.) In eine vergleichbare Entfaltungsnot käme auch folgende Behauptungskette: „Religiösen Pluralismus gibt es nur, solange mehrere Religionen und alternative Grundüberzeugungen nebeneinander bestehen. Versucht man die Vielfalt der Religionen in eine Grundbeziehung zu einer letzten, allen Religionen gleichermaßen transzendenten Wirklichkeit zu integrieren, stiftet man — vielleicht — eine neue religiöse Überzeugung, schafft aber mit ihr den Pluralismus wieder ab“102. Oder eben nicht, könnte man doch erwidern – und mit mathematisch-logischer Akkuratesse darauf verweisen, dass sich diese „neue religiöse Überzeugung“ eigentlich nicht als ein Integral über, sondern vielmehr als ein Additionselement neben alle bereits bestehenden Anschauungen stellt und das plurale Gefüge um einen spezifischen Mengenwert ergänzt. (3.) Ein endgültig schräges Licht in das bislang wenig erhellte Verstehensdunkel wirft dann das gut platzierte Statement, dass es kein „Widerspruch zum rechtlichen und gesellschaftlichen Religionspluralismus [ist], wenn mehrere Religionen ihre jeweilige Erkenntnis als den allein Gott entsprechenden Weg begreifen. Vielmehr besteht religiöser Pluralismus genau darin.“103 Aber ist dieser Weg, der hier beschritten werden will und explizit die Rechnung aufmacht, dass die eigene Religionserkenntnis den allein Gott entsprechenden wahren Heilsweg vorzeichne, weswegen man selbst keinem „religionstheologischen Modell, sondern dem […] Evangelium“104 verpflichtet sei, wirklich unter Pluralismus abzulegen? Arbeiten Theorien, die den Pluralismusbegriff zentrieren, tatsächlich stets mit der Idee, dass mehrere wahre Religionen koexistieren? Und wäre das schon alles, was sich im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts unter der Theoriesignatur religiöser Pluralismus reflektieren 101 A.a.O., 35. 102 A.a.O., 30 f. 103 A.a.O., 29. 104 A.a.O., 76

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und auf bunte kulturpraktische Vorschläge für Kirche, Wissenschaft und Politik hin dirigieren lässt? Eben nicht. Denn bereits im letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrtausends war der Begriff des Pluralismus so verschärft und differenziert entfaltet worden, dass er nicht länger als Synonym für Pluralität oder Pluriformität aufgefasst werden, sich folglich auch einer schlichten summarischen Verwendung vollständig entziehen durfte. Ganz grundsätzlich hatte man festgehalten und reflektiert, dass ▶▶ „in Gesellschaften, in denen gemeinsame und verbindliche Werte für alle nicht (mehr) vorgegeben und strukturell verankert sind, und in denen diese Werte auch nicht mehr alle Lebensbereiche gleichermaßen erreichen und miteinander in Übereinstimmung bringen“105, ▶▶ mit der Möglichkeit zu rechnen ist, „dass eine Vielfalt von Werteordnungen nebeneinander existieren“106 und ▶▶ „eine Vielzahl von Sinnanbietern um die Gunst eines Publikums [konkurriert], das sich mit der Schwierigkeit konfrontiert sieht, aus der Fülle des Angebotes das jeweils Passende auszuwählen“107. Das war zunächst ebenso evident wie voraussetzungsreich für eine Charakterisierung des Gesamtzustandes als „Koexistenz verschiedener Wertordnungen und Wertordnungsfragmente in derselben Gesellschaft“108 bzw. als „Nebeneinander sehr unterschiedlicher Sinngemeinschaften“109; hierfür nun ergab der provisorisch summarische Pluralismusbegriff noch einen Sinn. Dieser einfache Sinn freilich wird obsolet und überholt, wenn sich der Pluralismus erst einmal „selbst zu einem übergreifenden Wert für die Gesellschaft entwickelt“110 hat – und quasi einen neuen Pluralismusbegriff erzwingt. Der Begriff eines modernen Pluralismus tritt daher – quasi als Signatur einer neuen, aber längst angebrochenen Zeit – an die Stelle des veralteten, summarisch verstandenen Pluralismus 1.0, der bestenfalls vorkritisch konserviert und auf das Phänomen einer bunten Vielfalt von Alternativen appliziert werden kann. Der moderne Pluralismus 105 Berger, Peter L./Luckmann, Thomas (1995). Modernität, Pluralismus und Sinnkrise. Die Orientierung des modernen Menschen. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung, 27. 106 Ebd. 107 A.a.O., 18. 108 A.a.O., 30. 109 Ebd. 110 Ebd.

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2.0, er realisiert sich hingegen überall dort, wo „zentrale, strukturelle Aspekte dieses Pluralismus zu einem ‚aufklärerischen‘ Wert über den verschiedenen koexistierenden und oft auch konkurrierenden Wertordnungen erhoben“111 werden, wo eben nicht mehr aus einem Gemengelage von Optionen heraus eine Entscheidungswahl getroffen, sondern eben das Gemengelage selbst als Option bejaht wird. Denn offensichtlich ist es doch so: „Der einzelne wächst in einer Welt auf, in der es weder gemeinsame Werte gibt, die das Handeln in verschiedenen Lebensbereichen bestimmen, noch eine einzige, für alle identische Wirklichkeit“112; daher sieht er sich permanent herausgefordert, seine Wirklichkeit in individuellen Erfahrungsverarbeitungen und Sinndeutungen recht eigenständig zu konstruieren. Aber dabei lässt es das Individuum in der Regel nicht bewenden; in einem zweiten, sich bisweilen auch parallel vollziehenden Schritt sucht es doch seine Sinndeutungen und Wirklichkeitskonstruktionen mit anderen Individuen abzugleichen. Ergibt womöglich eine Wirklichkeit je stärkeren Sinn, desto mehr Konstrukteure und Partizipierende sich an ihr beteiligen und sie bejahen? Genau in diese Denkrichtung bewegt sich eine Theorie des modernen religiösen Pluralismus: Ihr kann es nicht länger um eine Stellungnahme und Positionierung angesichts verschiedener Religionsalternativen gehen, die also je ihre Systeme warten, ihre Plausibilitätshorizonte präzisieren und schiedlich-freundlich ihre Koexistenz auf gesellschaftlichen Parkettböden pflegen; ihre Aufgabe ist es vielmehr, sich mit der erfahrungsdeutenden Lebenshaltung desjenigen Menschen im 21. Jahrhundert auseinanderzusetzen, der seine Sinnkrisen und Existenzfragen niemals mehr eins zu eins mit dem geschlossenen Angebotskatalog einer konkreten Religion zu verrechnen vermag, weil sie permanent, immer wieder neu, auf ihn einprasseln – und ihn zur Errichtung seines ganz eigenen, fragmentarisch-individuell arrangierten spirituellen Trostgebäudes (mit Möglichkeiten zur Anschluss- und Austauschkommunikation) zwingen. Im Anschluss an Peter L. Berger und Thomas Luckmann, die diesen Ansichten v. a. mit ihrer Studie zu Modernität, Pluralismus und Sinnkrise113 den Weg geebnet hatten, kann die Grundtendenz vormoderner Pluralismuskonzepte gut mit dem Bild von einem Zaun des Gesetzes veranschaulicht werden, der die 111 A.a.O., 32. 112 Ebd. 113 Vgl. Weidenfeld, Werner (1995). Vorwort. In: Berger, Peter L./Luckmann, Thomas. Modernität, Pluralismus und Sinnkrise. Die Orientierung des modernen Menschen. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung, 5–7.

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nicht nur umrainten, sondern ergänzend auch mit stabilen Regeln, Ordnungen und Werten versorgten Menschen vor einer Begegnung mit der Welt der Vielfalt, der konkurrierenden Anschauungen und der fremden Götter schützt. Fällt dieser Zaun jedoch, so heißt es, werden „die davon betroffenen Menschen besonders anfällig für Sinnkrisen“, weshalb jede Gemeinschaft, „die sich vor den Folgen der Pluralisierung schützen will, einen eigenen ‚Zaun des Gesetzes‘ errichten muss.“114 Und genau eine solche (vormoderne) Zaunstabilisierung115 geschieht ja am Ende auch dort, wo mit scheinbar offenem Visier ein positives Verständnis religiöser Vielfalt suggeriert, vermeintlich eine Theorie des Pluralismus angestrebt – und in letzter Konsequenz doch überwiegend die Denkfigur von Glaubensbewahrung und -bewährung konserviert wird, um das Profil der „eigenen Identität“ (s. o.) zu konturieren. Das wiederum ist kein schlechtes Projekt, aber es darf eben nicht falsch etikettiert bzw. kontextualisiert werden. Kurzum: die konfessionelle Positionierung, die von Theologie und Kirche (a) angesichts gewisser Übersichtsverluste ihrer Anvertrauten als eine notwendige Orientierungsleistung erbracht und erwartet wird, fernerhin (b) innerhalb pluriformer Religionskulturen auch dem Zwecke dient, intersozial-zivilisationspraktische Verständigungen zu ermöglichen, ist nicht mit einer theologischen Theorie des modernen Pluralismus zu verwechseln. Eine solche Theorie hätte z. B. eine theologische Perspektive auf den Sachverhalt zu richten, dass die zeitgenössische Deutungskultur sich offenbar in reichlichen Szenen und Szenarien mit einer Art Uneindeutigkeit von Leben, Welt und Selbst arrangiert – und der (post-)moderne Mensch längst für sich entdeckt hat, inwieweit es allein seine Attitude, seine ganz persönliche Stellungnahme, seine letztinstanzlich selbstbedeutsame Wertesortierung und Sinnskalierung ist, die mit der grundsätzlichen Relativität von Weltbildern und Religionen, von künstlerischen, moralischen und wissenschaftlichen Fragmenten fertig werden kann. Natürlich wird weiterhin der Versuch einer Entlastung des Subjekts unternommen; in den modernen Pluralismus eingekapselt halten sich stabile, umzäunte Sinnprovinzen, in denen 114 Berger/Luckmann, Modernität, Pluralismus und Sinnkrise, 42. 115 Eine heimtückische Variante dieser Zaunstabilisierung ist übrigens die Zaun-Neugestaltung: Allerdings macht es wirklich nur sehr begrenzt Sinn, den Zaun des Gesetzes zu kaschieren, ihn freundlich zu dekorieren oder gar unsichtbar werden zu lassen; das verunsichert nur diejenigen, denen diese Umzäunung Sicherheit gibt. Ebenso wenig gescheit ist es, mit weichen, flexiblen Zäunen zu operieren und anders Umzäunte zu umgarnen.

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es weder einen Zwang zur Häresie noch einen Zwang zur Entscheidung zu geben scheint. Das Entscheidende ist, wie dieser Tatbestand zu verstehen und zu bewerten bleibt: Wäre es denkbar, nicht nach den Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Sinnprovinzen und Zäunen Ausschau zu halten, sondern – selbstverständlich nur zum Beispiel – nach den Beweggründen und Grundmotiven menschlicher Sehnsuchtsbewegung? Und ist nicht das einfache Leben eines sehnsüchtig sich immer wieder neu sortierenden Einzelnen, der sich zweifellos in einer großen weiten Welt zurechtfinden müsste, ein lohnendes theologisches Forschungsgebiet, wenn man ihn perspektivisch betrachtet als ein Subjekt, das die weite Welt völlig freiwillig auf eine überschaubare Welt zu reduzieren scheint?

Spannend wird es, sobald man das soziohistorisch gewachsene, zivilisatorisch geprägte und religionspraktisch überlieferte Sinn-Sammel-Reservoir gegenwärtiger Gesellschaften und Kultur(en) den umzäunten kleinen Sinnwelten als deren Umschließungsmenge gegenüberstellt, denn dann bieten sich grundsätzlich zwei Interpretationen an: Die erste zieht in Erwägung, dass die Ausdifferenzierungen und Abgleichungen, die das Gros aller sinnsuchenden Subjekte auf dem Markt der Sinndeutungsangebote vornimmt (– wobei es sich v. a. am Nützlichkeitswert der erwählten und eigenständig arrangierten Sinndeutungsfragmente orientieren will), zu den differenzierteren, weil postmodern-passförmigeren Sinnspielergebnissen führen.116 Diese These leuchtet bis zu dem Moment ein, da hinterfragt werden muss, ob die Lebensnützlichkeit wirklich das alleinige Kriterium für die Auswahl einer Lebensspielregel bleiben kann – oder diese Auswahl nicht doch auch von allerlei Werbefeldzügen manipuliert und durch Sinn-Productplacement und Religionsmarketing117 beeinträchtigt wird.118 116 Vgl. Bolz, Norbert/Bosshart, David (1995). Kult-Marketing: Die Neuen Götter des Marktes. Düsseldorf: Econ. 117 Vgl. Famos, Cla Reto/Kunz, Ralph (Hrsg.) (2006). Kirche und Marketing: Beiträge zu einer Verhältnisbestimmung. Zürich: TVZ. 118 Es ist kein Wunder, dass die Werbung gerade mit religionsaffinen Slogans beachtliche Erfolge erzielt; vgl. Höflich, Daniel (2012). Religiöse Motive in der Werbung. Abrufbar unter: https://theopop.de/2012/06/religiose-motive-in-der-werbung/ (Stand: 20.02.2018); ausführlicher Pirner, Manfred (2003). „Nie waren sie so wertvoll wie heute“. Religiöse Symbole in der Werbung als religionspädagogische Herausforderung. Sieben Thesen. In: Buschmann, Gerd/Pirner, Manfred L. (Hrsg.) Werbung – Religion – Bildung. Kulturhermeneutische, theologische, medienpädagogische und religionspädagogische Perspektiven. Frankfurt a. M.: GEP, 55–70.

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Nicht stringent als Alternative, wohl aber als Ergänzungsfacette beruht eine zweite Interpretation auf der Mutmaßung, dass zumindest das symbolische Repertoire der kleinen Welten an Geltung behält, da es exemplarisch und en miniature119 zwischen dem Zeichenvorrat der nächstgrößeren Kulturen und dem Sinndeutungsgefüge des homo ludens zu vermitteln vermag: Immerhin enthält es nicht nur vortreffliche (religiöse) Heldengeschichten, die als biographische Schemata ihre Leistungen erbringen, sondern auch allerlei Moritaten mit einer effizienten Lehrbotschaft bzw. einer bemerkenswerten „Moral von der Geschicht“, fernerhin Zeremonien und Routinen, die allein schon aufgrund ihrer Praktikabilität wie wahr funktionieren können; zudem zeichnet es sich aus durch das Prinzip, einfache physikalische, weisheitliche und moralische Typisierungen (Das Leben ist vergänglich. Alles ist eitel. Stehlen ist böse.) mittels kleiner Narrationen auf ambitionierte, reflektierte, hochaggregierte Sinn- und Wertesysteme hin zu steigern – und ohne größere Komplikationen komplexe Kosmologien mit noch komplexeren Gottesideen zu synthetisieren. Aber wie man es interpretatorisch auch dreht und wendet, gewisse Beobachtungen werden sich nicht durch Umdeutungen und Eingemeindungen anpassen lassen, sondern müssen vielmehr zu drei stärkeren Pointen avancieren: Da wäre zum einen der Umstand, dass von einer unvermischten Koexistenz verschiedener Wertordnungen und Wertordnungsfragmente innerhalb einer Gesellschaft kaum die Rede sein kann, wenn sich eine beachtliche Anzahl von (inter-)aktiven Gesellschaftsgliedern Sinnspuren mischend betätigen und als religionskonstruktive Akteure ihrer besonderen Lebensbedeutung versichern wollen. Zum anderen gilt darüber zu sinnieren, (1) wie ein zukünftiges Nebeneinander unterschiedlicher Religionsgemeinschaften wirklich im alltagspraktischen Tagesgeschäft vonstatten gehen mag, (2) inwiefern es überhaupt mit möglichst geringen Reibungspunkten und Konflikten funktionieren und Zukunftspotential entwickeln kann, oder auch (3): ob sich wirklich alle sensiblen

119 Zum Gebrauch des Miniaturbegriffes vgl. Brinkmann, Frank Thomas (2008). „Der kleine Prinz“ und die „Spuren im Sand“. Beobachtungen zur Homiletik des Populären. Arbeitsstelle Gottesdienst 3 (Themenheft: „Unser ganzes Gemüth auftun“. Gottesdienst und Spiritualität zwischen Neoromantik und Kitsch); Ders. (2013). Vom Dschungelcamp der Stars in das Paradies der kleinen Mädchen. Popkulturelle Miniaturen religiöser Wirklichkeitsdeutungen. In: Ders. (Hrsg.) Scripts, Fiktionen, Konstruktionen. Theologische und popkulturelle Fußnoten zu Reality-TV und (gefühls-)echtem Leben (= POPKULT 11). Jena: Garamond.

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Vorschläge aus den Gesprächsrunden zu Interreligiosität und Interkulturalität120 in den gewöhnlichen Lebensvollzügen von Religions- und Kulturpraktikanten realisieren lassen. Und schließlich bliebe festzuhalten, dass sich die komplexe gegenwärtige Religionskultur keineswegs vollständig in der Summe derjenigen vielfältigen religionstheologischen Studien wiederfindet, die sich wesentlich auf eine Darstellung ihrer stark profilierten, betriebseigenen (Glaubens-)Leitbilder und Regelwerke kaprizieren.121 Insgesamt mangelt es also nicht an guten Argumenten wider jeden Versuch, den Kräften des modernen Pluralismus mit optimistischer Naivität in Sachen Religionspluralität beizukommen und den ehrgeizigen Lebenssinn-Gestaltungswillen des modernen Subjekts unter einem bunten, aber muffigen Fleckerlteppich aus (monotheistischen) Hochreligionen zusammenzukehren. Die Problemzonen der entsprechenden Grundauffassung, nämlich: dass sich die religiöse Kulturlandschaft einer Gesellschaft im Wesentlichen über das Zustimmungs- und Einstellungsverhalten ihrer Bewohnenden zu den Glaubenslehren und Praktiken bestimmter Hochreligionen bestimmen und vermessen lässt, sind seit über zwei Dekaden gründlich markiert;122 noch kurz vor der Jahrtausendwende hat es Falk Wagner auf einen Punkt gebracht: „Trotz zahlreicher empirisch-sozialwissenschaftlicher Untersuchungen zu Fragen kirchlicher Mitgliedschaft und religiöser Einstellungen, die während der letzten Jahre wiederholt durchgeführt worden sind, ist das empirisch gesicherte Wissen über 120 Freise, Josef/Khorchide, Mouhanad (Hrsg.) (2011). Interreligiosität und Interkulturalität: Herausforderungen für Bildung, Seelsorge und Soziale Arbeit im christlich-muslimischen Kontext. Dokumentation eines Kongresses des Diözesanverbandes für das Erzbistum Köln, des Referats Dialog und Verkündigung, des Bildungswerks der Erzdiözese Köln und der Katholischen Hochschule NRW 2009 in Köln (= Studien zum interreligiösen Dialog 10). Münster: Waxmann. 121 Der Umstand, dass sich besagte Selbstdarstellungen bisweilen mit gefälligen Einladungskarten zu interreligiösen Gesprächsrunden ausstaffieren oder gar mit popkulturell kalibrierten Andockstationen für fremdreligiöse Quereinsteiger kokettierend hausieren, hat nicht viel mit einer Preisgabe exklusiver Grundstimmungen zu tun. 122 Vgl. Gräb, Wilhelm (Rez.) (1997). Auf der Suche nach Sinn. Die Gottesvorstellungen haben sich gewandelt. Rezension zu: Jörns, Klaus-Peter (1997). Die neuen Gesichter Gottes. Die Umfrage „Was die Menschen heute wirklich glauben“ im Überblick (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag). EK  12, 709–710; ähnlich auch Feige, Andreas (Rez.) (1998). Jörns, Klaus-Peter (1997). Die neuen Gesichter Gottes. Die Umfrage „Was die Menschen heute wirklich glauben“ im Überblick (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag). ThLZ 6, 643–646.

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den vielfältigen Charakter gelebter Religion innerhalb und außerhalb des kirchlichen Christentums als spärlich zu bezeichnen.“123 Wo diese Kritik an- und ernstgenommen wurde, hat man sich längst – und zwar extra et intra muros ecclesiae – mit Alternativen befasst bzw. an Religionsbegriffen versucht, die nicht zwangsweise an die Glaubensvolumina der Religionsanstalten gekoppelt bleiben müssen. Dabei konnten auch unerledigte religionswissenschaftliche Fragestellungen und Unterscheidungen der vorletzten Jahrhundertwende, nunmehr mit beachtlicher Wertschätzung ihres diagnostischen und analytischen Potentials, wieder aufgegriffen und gegen die fatalen Spätfolgen genau derjenigen theologischen Strömungen in Stellung gebracht werden, die bekanntlich bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein gewirkt, Religion als Sünde des Menschen gebrandmarkt124 – und nahezu sämtliche soziologische, phänomenologische und psychologische Perspektiven auf Religion als unzulässig für theologische Erörterungen abgewiesen hatten. Gewiss, auch von gegenwärtigen Standpunkten aus lassen sich vereinzelte Etappen jener längeren Geschichte, z. B. der Vielfalt religiöser Phänomene, dem Wesen der Religion und der Natur des religiösen Menschen mit Differenzierungs- und Graduierungsversuchen beizukommen, reserviert beäugen und problematisieren, man denke nur an die Kritik, die an Konzepte zu Hochreligion(en), Buchreligion(en), und Weltreligion(en), aber auch an heikle Theoriebildungen zu sogenannten Volksreligionen, Naturreligionen oder primitiven Religionen herangetragen werden musste. Der Terminus Hochreligion(en) gilt (nicht nur in der Religionswissenschaft) aufgrund seiner Denkbefangenheit in eurozentrischen Ideologien und seiner impliziten 123 Wagner, Falk (1997). Art. Religion. II. Theologiegeschichtlich und systematisch-theologisch. TRE 28. Berlin/New York: De Gruyter, 522–545: 539. 124 Enorm aufschlussreich für den Religionsbegriff jener Ära sind die entsprechenden Lexikonpassagen der RGG in dritter Auflage (= Mensching, G./ Richter, L./ Ratschow, C.H. (1961). Art. Religion. (I. Erscheinungs- und Ideenwelt, II. Typen der Religion, III. Religionsgeschichtliche Entwicklung / Mensching; IV. Begriff und Wesen der Religion, IV.a Religionsphilosophisch/ Richter; IV.b. Theologisch/ Ratschow). RGG  5. 3.  Aufl. Tübingen: Mohr Siebeck, 961–984): Während sich die religionswissenschaftlichen Teilartikel noch sehr differenziert und ausgeglichen aufstellen können (961–976), muss das theologische Referat (976–984) früh konzedieren, dass „der Mensch außerhalb der Rechtfertigung gerade mit seinen R[eligion]en in flagranten Widerspruch zu Gott tritt“ (976), Religion also „zur Chiffre der Gottferne und Gottwidrigkeit des ‚natürlichen Menschen‘“ (976) wurde.

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Hierarchisierung als umstritten. Ebenfalls nur bedingt tauglich ist der alternative Vorschlag, den vollständigen Verzicht auf die Idee einer geistigen Entwicklungsüberlegenheit kultivierter religiöser Symbolsysteme – etwa im Gegensatz zu sogenannten primitiven Religionen – anschaulich zu machen, indem man auf die Begriffe Weltreligion(en) oder Buchreligion(en)125 zugeht: immerhin wird hier ja unverhohlen mit ähnlich exklusiven Kriterien wie Verbreitung oder Schriftbezug operiert, sodass neue Überlegenheitsmomente kreiert, ideologieunverdächtig-wertfreie Klassifizierungen hingegen weitgehend ausgeschlossen werden. Kontrovers bleibt ebenfalls der oftmals als Kontrastbegriff benutzte Terminus Volksfrömmigkeit126 (auch: Volksreligion); allerdings müssten die halbwegs plausiblen Einwände – etwa: Verdachtsmomente gegenüber einer ideologischen Anfälligkeit im Blick auf die Vokabel Volk, Irritationen hinsichtlich einer mangelhaften wissenschaftlichen Hermeneutik angesichts irrationaler Attituden wie Frömmigkeit – ähnlich strapaziert werden, wenn es um modifizierte Begriffe wie: Volkskunde des Religiösen, Volkskulturreligion oder populäre Frömmigkeit geht.127

Trotz aller berechtigten Detaileinwände bleibt freilich das Grundanliegen der besagten Differenzierungs- und Graduierungsbemühungen wertzuschätzen, geht es doch letztlich darum, das Spektrum der Religion möglichst vollständig abzubilden, zumindest jedoch die Spektralfarben des Religiösen sichtbarer zu machen. Mit der gewachsenen Einsicht, dass sich zukünftige Verfahren der 125 Vgl. Lang, Bernhard (1990). Art. Buchreligion. Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe 2. Stuttgart u.a.: Kohlhammer, 143–165; ausführlich Holzem, Andreas (2004). Normieren, Tradieren, Inszenieren: das Christentum als Buchreligion. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 126 Vgl. Hoheisel, Karl/Galley, Susanne/Merkt, Andreas/Döpmann, Hans-Dieter (2003). Art. Volksfrömmigkeit. TRE 35. Berlin/New York: De Gruyter, 214–248; Widl, Maria (2005). Volksfrömmigkeit. Lexikon neureligiöser Gruppen, Szenen und Weltanschauungen. Orientierungen im religiösen Pluralismus. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Freiburg (Breisgau) u. a.: Herder, 1356–1360; Holzem, Andreas (2002). „Volksfrömmigkeit“. Zur Verabschiedung eines Begriffs. Theologische Quartalschrift 182: 3, 258–270. 127 Vgl. Korff, Gottfried (2013). Simplizität und Sinnfälligkeit. Volkskundliche Studien zu Ritual und Symbol. Tübingen: Tübinger Vereinigung für Volkskunde; Scharfe, Martin (2011). Signaturen der Kultur. Studien zum Alltag & zu seiner Erforschung. Marburg: Jonas-Verlag; Ders. (2004). Über die Religion. Glaube und Zweifel in der Volkskultur. Köln u. a.: Böhlau; Becker, Siegfried/Bimmer, Andreas C./Braun, Karl/ Buchner-Fuhs, Jutta/Gieske, Sabine/Köhle-Hezinger, Christel (Hrsg.) (2001). Volkskundliche Tableaus. Eine FS für Martin Scharfe zum 65. Geburtstag von Weggefährten, Freunden und Schülern. Münster u. a.: Waxmann.

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Sichtbarmachung nicht mehr über ideologieaffine Leitbegriffe, grobe Kontrastierungen und simple Einteilungscluster bewerkstelligen lassen, sondern auf präzise Forschungsinstrumente, exakte empirische Methoden, sensible hermeneutische Strategien und akkurate Vokabeln angewiesen sind, treten nun flexible Konzeptionen auf, die sich weitestgehend mit dem Begriff sogenannter ethnischer Religion(en) arrangieren konnten.128 Unter dieser pragmatisch-offenen Sammelbezeichnung stellen sich nicht nur Ansätze auf, die die spezielle Religiosität und Spiritualität indigen-ureingeborener oder autochthon-vorkolonialisierter Volksgruppen zu vermessen suchen, sondern auch solche, die Ethnologie weitaus grundsätzlicher als Wissenschaft vom kulturell Fremden129 auffassen wollen: In diesem Sinne verwendet z. B. Bettina E. Schmidt den Begriff ethnische Religion für „[…] Systeme von Glaubensvorstellungen und Praktiken, die eine Bedeutung für eine bestimmte Gruppe in einem bestimmten historischen und kulturellen Kontext haben.“130 Ein solches Verständnis kann sich i. d. R. mit einem speziellen, umfangreichen Kriterienapparat assoziieren, der, obschon er weiche Demarkationen suggeriert, im Ergebnis mit beachtlicher Trennschärfe funktioniert: Unter der Schirmherrschaft des weiten Begriffes von ethnischer Religion richten sich die interessierten Blicke auf Gebilde, die ▶▶ sich als schriftlos von sogenannten Buchreligionen abgrenzen lassen, ▶▶ kommunikativ generierte und intuitiv vollzogene Ritualpraktiken mit Bedeutung versehen, ▶▶ mit der Ausdeutung religiöser Sinnspuren in Zeichen, Symbolen und Artefakten beschäftigt sind, ▶▶ in seinem religiösen Deuten und Gebaren nicht auf Stiftungsimpulse oder Befehle einer Figur oder Person zurückgehen,

128 Vgl. Tworuschka, Udo (1992). Ethnische Religionen. In: Tworuschka, Monika und Udo (Hrsg.) Bertelsmann-Handbuch Religionen der Welt. Gütersloh/München: Bertelsmann, 405–407; ausführlich: Wernhart, Karl Rudolf (2004). Ethnische Religionen – Universale Elemente des Religiösen. Kevelaer: Topos. 129 Kohl, Karl-Heinz (2012). Ethnologie – die Wissenschaft vom kulturell Fremden. Eine Einführung. 3. Aufl. München: C. H. Beck. 130 Schmidt, Bettina E. (2015). Einführung in die Religionsethnologie. Ideen und Konzepte. 2. Aufl. Berlin: Reimer, 23.

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▶▶ sich auch durch Unkonventionalität, Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Wandlungsvermögen auszeichnen, sich zudem auf veränderte Lebensumstände – quasi evolutionär131 – einzurichten vermögen und die ▶▶ religiöses Deutungswissen nicht an eine autorisierte Lehre koppeln, sondern einerseits mythisch und kultisch inszenieren, andererseits in flexiblen Narrativen und mehrdeutig-offene Metaphern oszillieren lassen. Es geschieht gewiss nicht von ungefähr, wenn ethnische Religionen sogenannten Weltreligionen gegenübergestellt werden. Theo Sundermeier hat diesbezüglich auf den Umstand hingewiesen, dass die großen Glaubenssysteme auf eine Art individuelle Erlösung (von Sünde, Tod und Teufel, von Nichtigkeit, Lebenselend und Sinnlosigkeit) zusteuern und der Realität eine zukünftige, andersartige, jenseitige Raumzeit-Idee (Himmel, Gottesreich, Nirvana) entgegenhalten, während ethnische Religionen wesentlich auf den Aspekt der Versöhnung fokussiert bleiben und quasi innerweltlich-einfache, aber große Werte (Gesundheit, Harmonie, Frieden, Verständigung etc.) in den Vordergrund stellen.132

Aber zurück endlich zu der eigentlichen Problemstellung des modernen Pluralismus; zurück zu jener Last, die sich hinter allen zögerlichen (kirchen-)theologischen Stellungnahmen zur friedlichen Koexistenz von Religionsgemeinschaften auftürmen musste, genauer noch: als sich abzeichnete, dass sich die Religion des Menschen keineswegs allein in einer bestimmten Mitgliedschaft, in einer Art religiöser Vereinszugehörigkeit, in einer Teilnahme an anerkannten Kultveranstaltungen (usw.) erschließt. Religion, das galt es zu realisieren, ist weitaus mehr (und komplizierter); „Religion ist alles, was man dafür hält.“133 Dieses auf den ersten Blick recht steile Votum trifft zu, indem es einen dop131 Eine spannende, durchaus kontroverse These, die Ina Wunn seit ihrer Habilitationsschrift (Wunn, Ina (2002). Die Evolution der Religionen. Hannover: UB/TIB.) durchaus stark zu machen versteht; vgl. auch Dies. (2005). Die Entwicklung der Religionen aus evolutionstheoretischer Sicht. Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft 89, 131–146; Dies. (2010). Ursprung und geschichtliche Entwicklung der Religionen – Ein Evolutionsgeschehen? In: Delgado, Mariano/Krüger, Oliver/Vergauwen, Guido (Hrsg.) Das Prinzip Evolution. Darwin und die Folgen für Religionstheorie und Philosophie (= Religionsforum 7). Stuttgart: Kohlhammer, 205–220. 132 Vgl. Sundermeier, Theo (2007). Religion – was ist das? Religionswissenschaft im theologischen Kontext. Ein Studienbuch. 2. Aufl. Frankfurt a. M.: Otto Lembeck, 48–72. 133 Hölscher, Lucian (1999). Religion im Wandel. Von Begriffen des religiösen Wandels zum Wandel religiöser Begriffe. In: Gräb, Wilhelm (Hrsg.) Religion als Thema der Theologie.

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pelten Sachverhalt auf den Punkt bringt, nämlich (a) dass sich bei jeder Religionsforschungsrichtung die zugrunde gelegte Religionstheorie und die darauf basierende Versuchsanordnung mehr oder weniger stark auf ihre Ergebnisse und Fundsachen auswirken, und (b) dass das interaktiv sich artikulierende und bestätigende Subjekt tatsächlich in seinen ganz alltagspraktischen Vollzügen – mitunter recht spontan und unmittelbar, also eher reflexiv als reflektiert – entscheidet, an welche Weisheit(en), Ideen und Praktiken das Herz letztinstanzlich zu hängen ist.134 Auf welches gesicherte Sach- und Faktenwissen kann und will also zugegriffen werden von einer Theologie, die ihre – wenn nicht deutungshoheitlich, so doch zumindest deutungskompetent ausgewiesene – Perspektive geltend zu machen sucht? Welche Sinndeutungsmechanismen der Moderne, welchen Glauben des zeitgenössischen Subjekts, welche individuell und kollektiv gelebte Frömmigkeitspraxis hat sie, ihrem eigenen Anspruch folgend, religionsstatistisch zu erheben, religionsempirisch zu erfassen, religionshermeneutisch als Religion zu verstehen, religionskundig zu kommentieren, religionspraktisch zu gestalten und zu modifizieren? Und warum hat sie das überhaupt zu wollen? Das Bestreben, sich dieser Fragenkette anzunehmen, ihre Kernanliegen zu vergegenwärtigen und sorgsam aufzuarbeiten, hat durchaus einen geschichtlichen Ort in der (Praktischen) Theologie – und ist aufs engste verknüpft mit dem Werk von Paul Drews, oder auch: dem Programm einer empirischen Theologie135. Als Drews 1913 die Erstauflage des berühmt gewordenen Nach-

Geschichte, Standpunkte und Perspektiven theologischer Religionskritik und Religionsbegründung. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 45–62: 45. 134 Mit diesem Phänomen hat sich bereits Dalferth, Ingolf U. (1996). „Was Gott ist, bestimme ich!“ Theologie im Zeitalter der „Cafeteria-Religion“. ThLZ 5, 415–430, vor über zwei Dekaden im Anschluss an das gleichbetitelte Editorial der Zeitschrift Psychologie Heute (7/1995) kritisch auseinandergesetzt (Ernst, H. (7/1995). Die Cafeteria-Religion. Editorial. Psychologie Heute 22: Was GOTT ist, bestimme ich! Religion als Selbsterfahrung. Weinheim/Basel: Beltz Verlag), verlegt aber seine Pointe vom Religionsbegriff auf den wirksamen, gegenwärtigen Gott, an den Christen glauben. Doch damit ist der Umstand, dass Menschen ihr Herz an allerlei zu hängen geneigt sind, um ihrem Dasein (mehr) Sinn zu geben, nicht aus der Welt geschafft. 135 Vgl. Queisser, Paul Drews.

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schlagewerkes RGG136 mit dem Artikel „Volkskunde, religiöse“137 bediente, konnte er bereits auf seine intensiven Vorarbeiten aus über zwei Jahrzehnten zurückgreifen.138 Gewiss sei man anfangs noch von Erfahrungen im pastoralen Amt ausgegangen, so resümiert der Artikel, und habe sich mit Verständigungsschwierigkeiten im Predigt- und Seelsorgebetrieb befasst, um alsbald gewahr zu werden, dass man es mit Kommunikationsproblemen generell in Theologie und Kirche zu tun bekommt, einem eklatanten Mangel an Menschenkenntnis begegnet sowie einer völligen Ahnungslosigkeit gegenübersteht, was die echten religiösen Anliegen und Vorstellungen der Bevölkerung betrifft. Neben dieser (Verständigungs-)„Notlage und Hilflosigkeit des Pfarrstandes“139 und ihren Begleiterscheinungen habe jedoch vor allem die sozialpolitische Großwetterlage jener Jahrzehnte, sprich: die „soziale Frage der Zeit“140 und die „soziale Stimmung der christlichen Kreise“141, die Empfindung begünstigt, sich der allgemeinen Kulturstimmung und der Hinwendung zum Volkstümlichen anschließen zu müssen, endlich das Auge für Volk und Leute, Land und Heimat, Seelenlagen und Wesenszüge zu öffnen. Im Zuge dieser neuen Wegbeschreitungen seien freilich auch fortschreitende Feinjustierungen am eigenen theologischen Selbstverständnis vorgenommen worden, sodass man sich rasch über Defizite und Desiderate im Klaren war: Es braucht eine religiöse Volkskunde, die auf unterschiedliche Mentalitäten einzugehen weiß, die ganze Bandbreite von Frömmigkeitsprofilen wahrzunehmen und einzuordnen versteht, der Lebens- und Arbeitswelt sowie den beruflichen und privaten Sphären Bedeutung schenkt, territoriale, klimatische, ja ethnische Besonderheiten ins Kalkül nimmt, sittliche, nationale, historische Faktoren berücksichtigt – kurz: eine Religionsethnologie, die ihre Feldforschungen definitiv nicht allein innerhalb 136 Schiele, Friedrich Michael/Zscharnack, Leopold et al. (Hrsg.) (2006). Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Tübingen: Mohr; näher Conrad, Ruth (2006). Lexikonpolitik: Die erste Auflage der RGG im Horizont protestantischer Lexikographie. Berlin: De Gruyter. 137 Drews, Paul (2016). [Art.] Volkskunde, religiöse. In: Kubik, Andreas (Hrsg.) Paul Drews. Religiöse Volkskunde und religiöse Psychologie. Schriften zur Grundlegung einer empirisch orientierten Praktischen Theologie (= Praktische Theologie in Geschichte und Gegenwart 20). Tübingen: Mohr Siebeck, 385–393. 138 Die wichtigsten Texte aus fast drei Jahrzehnten finden sich, ergänzt um eine gründliche Gesamteinführung, bei Kubik, Paul Drews. 139 Ebd. 140 Vgl. Queisser, Paul Drews, 20–50. 141 Drews, [Art.] Volkskunde, religiöse, 386.

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kirchlich umrandeter Gebiete aufnimmt. Ihrer Aufgabe müsse sie in Abstimmung auf die Forschungsergebnisse einer religiösen Seelenkunde (bzw. einer Art Religionspsychologie) und einer evangelischen Kirchenkunde – hier ist das Augenmerk auf Daten, Fakten, Vorkommnisse, Regelwerke usw. innerhalb eines bestimmten Kirchengebiets zu richten – nachkommen. Ziel sei es schlichtweg, Menschen und ihr Tun besser zu begreifen, und zwar aus Liebe zum Menschen, aus Liebe zum Volk, mit einer brennenden Leidenschaft für das Leben, voll tiefer und ernster Sehnsucht, voll des größten Interesses an einem starken Sinnhorizont: „Wer nicht einen natürlichen Sinn für das Volkstümliche mitbringt, wen nicht eine warme Liebe zum Volk erfüllt, wer nicht von lebhaftem Interesse für die mannigfache Ausgestaltung der Religion in der ihn umgebenden Welt ist, dem wird die religiöse Volkskunde so wenig nützen wie dem rednerisch Unbegabten die beste Rhetorik. Aber dem innerlich Begabten wird die religiöse Volkskunde die besten Dienste tun. Sie wird ihm zunächst für wichtige Probleme die Augen öffnen; sie wird ihn sehen, beobachten lehren; sie wird ihn vorsichtig in seinem Urteil machen; sie wird ihm eine ungeheure Fülle von Stoff zum Forschen und Nachdenken bieten. Und das ist vielleicht das Wertvollste.“142

Selbstverständlich ist es das, mag man aus den ersten Dekaden des 21. Jahrhunderts in die Vergangenheit zurückrufen – und damit zugestehen, dass sich die aktuellen Fragenkataloge derzeit geführter Gespräche gern an den Lösungsvorschlägen orientieren dürfen, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts am Horizont einer modernen Praktischen Theologie wetterleuchtend bemerkbar gemacht hatten und kurz davor waren, im Schulterschluss mit ähnlichen Schulrichtungen in ein nachhaltiges Forschungsprogramm überführt zu werden.143 142 A.a.O., 392. 143 An dieser Stelle ist unbedingt, wenn auch nur in einer Fußnote, auf die Wirkmacht der sogenannten Dorpater Theologie bis weit in die 1920er Jahre aufmerksam zu machen. Girgensohn, Karl (1903). Die Religion, ihre psychischen Formen und ihre Zentralidee. Ein Beitrag zur Lösung der Frage nach dem Wesen der Religion. Leipzig: Deichert; Ders. (1921). Der seelische Aufbau des religiösen Erlebens. Eine religionspsychologische Untersuchung auf experimenteller Grundlage. Leipzig: S. Hirzel; hat hier nachhaltig amtiert, letztlich auch (indirekt) eingewirkt auf die Gründung des Religionspsychologischen Instituts durch seinen Schüler Werner Gruehn, der 1936 sein (aus heutiger Sicht durchaus umstrittenes) Arbeitsprogramm im Archiv für Religionspsychologie und Seelenführung VI, IX-XVIII, immerhin mit „Empirische Theologie“ übertitelt hat. Vgl. Bitter, Stephan

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Diesbezüglich ist das Drews‘sche Œuvre hochgradig aussagekräftig: Seine Studien zu religiösen Praktiken und Anschauungen etwa in der Arbeiterschaft, der bäuerlichen Bevölkerung oder den freireligiösen Gemeinden, seine Kenntnisse und Interpretationen bestimmter Brauchtumstraditionen, seine Untersuchungen zu Aberglaube(n) und Volksfrömmigkeit(en), seine Erhebungen auf dem Gebiet der Kirchenkunde, sein vielseitiges methodisches Repertoire, seine beiläufig erwähnte, aber ernst gemeinte Intention, „die Sprache des Volkes genau zu beobachten, oder seine Sitten und Bräuche, seine Freud und sein Leid, seine Poesie und seine Prosa“144, die wiederholt und mit Nachdruck aufgestellte Anregung, bei den Menschen anzufangen und ihrer Religion eher deskriptiv-induktiv als systematisch-deduktiv auf die Spur zu kommen – dieses Gesamtpaket hätte ihn zum Doyen einer Praktischen Theologie machen können, die religionsethnologisch und kulturanthropologisch zu forschen, empirisch-methodisch gründlich zu arbeiten und theologisch-religionshermeneutisch sauber zu reflektieren versteht.145 Dass stattdessen die Zeitumstände gegen ihn wirkten, jegliches Interesse am (deutschen) Volke aus verständlichen Gründen allmählich hochproblematisch wurde146 – und die Theologie sich letzten Endes doch wieder dafür entschied, systematisch-deduktiv zu arbeiten und aus einem biblizistisch-dogmatistisch entwickelten Kirchenbegriff und einer erkenntnistheoretisch ziemlich schrägen Theorie der Gottesoffenbarung ein Glaubensmodell zu generieren, dass mit einer Religion des Menschen nicht verträglich war, gehört zu den weniger

(1987). Werner Gruehn als Dorpater Theologe. Eine Skizze zur 100. Wiederkehr seines Geburtstages. Jahrbuch des baltischen Deutschtums 34. Elwert: Marburg, 141–153. 144 Drews, Art. Volkskunde, religiöse; ebenso in: Drews, [Art.] Religiöse Volkskunde, 177– 179: 177. 145 Vgl. Kubik, Paul Drews, 7–9. 146 Dass die sogenannte Völkerkunde in den 1930er und 1940er Jahren größtenteils menschenverachtend-rassistische Auswüchse annahm, braucht kaum explizit erwähnt zu werden; vgl. Haller, Dieter (2012). Die Suche nach dem Fremden. Geschichte der Ethnologie in der Bundesrepublik 1945–1990. Frankfurt a. M./New York: Campus, 31–58. Auch eine angemessene Würdigung der fachlichen Leistung deutscher Theologen, die in den 1930er und 1940er Jahren religionsempirisch und -psychologisch sowie volkskundlich geforscht und gelehrt haben, ist aufgrund ihrer politisch-ideologischen Grundhaltung (und Methodenführung) kaum ohne Belastungen möglich; vgl. Wolfes, Matthias (1999). Protestantische Theologie und moderne Welt. Studien zur Geschichte der liberalen Theologie nach 1918. Berlin/New York: De Gruyter, 327 f., u.ö.

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schönen Episoden in der Geschichte der Praktischen Theologie, die es aufzuarbeiten gilt. Genau dieses Projekt der Aufarbeitung – genauer wohl: (a) der Annäherung an das praktisch-theologische Anliegen jener Zeit um 1900, da ein empirisch-theologischer Paradigmenwechsel die Forschung erfasst hat, und (b) der Orientierung an dem seinerzeit etablierten Reflexionsniveau – hat deutlich an Konturen gewonnen; es wurde indirekt bereits in den 1960er Jahren im Kontext einer eher pro- als diagnostizierten empirischen Wendung in die Wege geleitet,147 in den späten 1980ern mit begründeten Plädoyers für eine theologische Wende zur sozialkulturellen Lebenswelt christlicher Religion148 weiterentwickelt – und fürderhin von Studien flankiert, die mit einem großzügigen, aber letzthin auch merkwürdig saloppen Begriff von gelebter Religion operieren wollten. Die mittlerweile zur praktisch-theologischen Gebrauchsformel avancierte Redewendung „gelebte Religion“ wurde (vermutlich) erstmals von Ernst Troeltsch gebraucht,149 in den späten 1970er Jahren von Dietrich Roessler sehr programmatisch aufgegriffen,150 zwischenzeitlich randständig von Emanuel Hirsch genutzt151 und zum Ende der 1990er Jahre von Albrecht Grözinger, Hans Günter Heimbrock, Wilhelm Gräb und anderen in Kombination mit Leitbegriffen wie Wahrnehmung oder Sinndeutung recht flächendeckend zur Anwendung gebracht.152 Ursula Roth hat 147 Erstmals durch Wegenast, Klaus (1968). Die empirische Wendung in der Religionspädagogik. EvErz 20, 111–125. Hingegen wird die Rede von einer empirischen Wende (also nicht: Wendung) in der Praktischen Theologie des Öfteren auf die Arbeiten von Ernst Lange gemünzt. Was es damit auf sich hat und warum das nur bedingt richtig ist, erklärt Kubik, Andreas (2011). Wahrnehmung der Lebenswelt und Kulturhermeneutik als theologische Aufgabe. Anzeige einer Baustelle. In: Klie/Kumlehn/Kunz/Schlag, Lebenswissenschaft Praktische Theologie, 113–148: 122 f. 148 Zu den diesbezüglich wichtigsten Studien zählt das (gleichnamige) monumentale Werk von Drehsen, Neuzeitliche Konstitutionsbedingungen. 149 Troeltsch, Ernst (2009). Die Selbständigkeit der Religion (1895) (KGA 1: Schriften zur Theologie und Religionsphilosophie (1888-1902). Hg. v. Christian Albrecht. Berlin/New York: De Gruyter, 364–535. 150 Roessler, Dietrich (1978). Gelebte Religion als Frage an wissenschaftliche Theologie. In: Ders./Hanselmann, Gelebte Religion, 9–27. 151 Hirsch, Emanuel (1989). Christliche Rechenschaft 1. Tübingen: Evangelisches Verlagshaus, 222. 152 Vgl. Grözinger, Albrecht/Pfleiderer, Georg (Hrsg.) (2002). „Gelebte Religion“ als Programmbegriff Systematischer und. Praktischer Theologie (=  Christentum und Kultur. Basler Studien zu Theologie und Kulturwissenschaft des Christentums 1). Zürich: TVZ;

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unlängst in ihrer Frankfurter Antrittsvorlesung153 zu der inflationären Begriffsnutzung Stellung bezogen und gemahnt, dass sich mit einer zunehmend unkritischen Verwendung die Bedeutsamkeit des tatsächlich Gemeinten abtragen müsse – und die einst programmatische Parole zu einer gebräuchlichen, aber sinnfreien Floskel verkümmern könne.

Tatsächlich jedoch laufen genau an dieser Stelle alle Fäden zusammen, nämlich ▶▶ das unbestreitbare Faktum der greifbaren religiösen Vielfalt in der Gesellschaft, die sich freilich nicht in dem Nebeneinander anerkannter Glaubensgemeinschaften vollständig erschließt, ▶▶ die Grenzen einer Religionstheologie, die sich an dieser Pluralität aus einer konfessionellen (Christentums-)Perspektive abzuarbeiten sucht, ohne die Besonderheiten des modernen Pluralismus ins Visier zu nehmen, ▶▶ die wissens- und religionssoziologische Anregung, sich intensiver mit der Bedeutung kleiner Sinnfragmente zu befassen, die von ihren Endverbrauchern selbständig arrangiert und zu Sinndeutungsgeweben verdichtet werden, ▶▶ der ergänzende Impuls aus der Kulturanthropologie und der Ethnologie, den Blick von etablierten Religionsarchitekturen und Glaubenslehren schweifen zu lassen und sich mit fremden Systemen von Vorstellungen und Praktiken zu beschäftigen, die für viele Menschen Bedeutung haben, sowie ▶▶ das Vermächtnis einer modernen (praktischen) Theologie auf der Schwelle zum 20. Jahrhundert, die gewillt war, sich alle religiösen Welten ihrer Mitmenschen verständlich zu machen – und einer Reihe ungeklärter Phänomene deskriptiv, psychologisch, hermeneutisch, sozialgeschichtlich-kontextuell und theologisch beizukommen.

Gräb, Wilhelm (1998). Lebensgeschichten, Lebensentwürfe, Sinndeutungen. Eine praktische Theologie gelebter Religion. Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus; Ders. (2006). Religion als Deutung des Lebens, Perspektiven einer Praktischen Theologie gelebter Religion. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus; Failing, Gelebte Religion wahrnehmen. 153 Roth, Ursula (2014). „Blickfelder. Überlegungen zum Gegenstandsbereich der Praktischen Theologie.“ Antrittsvorlesung für die Professur für Praktische Theologie am 13.11.2014, Goethe-Universität Frankfurt a. M., derzeit noch unveröffentlicht; Mitschrift durch den Verfasser.

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Es wird späteren Generationen zur Beurteilung aufgegeben bleiben, ob sich die Praktische Theologie des 21. Jahrhunderts im Fadenkreuz besagter Tendenzen erfolgreich eingefunden und nachhaltig zurechtgefunden hat, womöglich gar in einer Wissenschaftsabteilung Empirische Theologie154. Außer Frage steht, dass sie „für die Erforschung gelebter Religion nicht nur auf ihre hauseigenen Disziplinen zurückgreifen darf, sondern auch reichlich interdisziplinäre Anleihen […] machen muss“155. Das Theoriedesign eines Clifford Geertz ist ihr bereits verfügbar gemacht; die Thesen dieses Kultursoziologen, der seine Aufgabe darin sah, „nicht unsere tiefsten Fragen zu beantworten, sondern uns mit anderen Antworten vertraut zu machen, die andere Menschen […] gefunden haben, und diese Antworten in das jedermann zugängliche Archiv menschlicher Äußerungen aufzunehmen“156, finden sich in zahlreichen praktisch-theologischen Skizzen und Entwürfen wieder: Vor dem Hintergrund eines ausgebauten Max-Weber-Theoriebausteins, nämlich „dass der Mensch ein Wesen ist, das in selbstgesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist, wobei ich Kultur als dieses Gewebe ansehe“157, hatte Geertz seine oft zitierte Religionsdefinition vorgetragen: eine „Religion ist (1) ein Symbolsystem, das darauf zielt, (2) starke, umfassende und dauerhafte Stimmungen und Motivationen in den Menschen zu schaffen, (3) indem es Vorstellungen einer allgemeinen Seinsordnung formuliert und (4) diese Vorstellungen mit einer solchen Aura von Faktizität umgibt, dass (5) die Stimmungen und Motivationen völlig der Wirklichkeit zu entsprechen scheinen.“158 Ähnlich prominent wie diese Definition ist auch das Geertz’sche Methodensortiment für eine in der Praktischen Theologie angesiedelte (phänomenologisch-)Empirische Theologie, die sich bewusst für Anleihen bei der qualitativ-empirischen Sozialforschung, der Kulturanthropologie und der empirischen Ethnologie entscheidet: neben der Qualitativen Inhaltsanalyse (als Teilschritt einer Grounded Theory), der (aus der Soziolinguistik stammenden) Diskursanalyse, der teilnehmenden Beobachtung (Going native) u. a. m. wird immer wieder auch die Dichte Beschreibung unter den methodischen Empfehlungen verzeichnet.159 154 Z.B.: Weyel/Gräb/Heimbrock, Praktische Theologie. 155 Queisser, Paul Drews, 13. 156 Geertz, Dichte Beschreibung. Bemerkungen, 7–43: 43. 157 A.a.O., 9. 158 Geertz, Religion als kulturelles System, 48. 159 Eine ausführliche Zusammenstellung findet sich bei: Dinter/Heimbrock/Söderblom, Einführung in die Empirische Theologie, 213–309.

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Die angesprochenen interdisziplinären Anleihen: sie lassen sich längst listen, gelegentlich auch aufgrund respektabler Erfolge salutieren; 2009 wird allen Ernstes festgehalten, dass die „Religionsforschung boomt“160, zumal die „Sinus-Studie“161 des Heidelberger Instituts Sinus Sociovision und der „Religionsmonitor“162 der Bertelsmannstiftung „nur zwei prominente Bespiele in einem „Meer empirischer Religionsstudien [sind], die derzeit den Buchmarkt erobern.“163 Dennoch will man im gleichen Atemzug auch zu denken geben, worin das sogenannte Luckmann’sche kosmologische Fiasko (der Soziologie) besteht, nämlich in dem Umstand, dass allein die aus der Produktivität des homo religiosus164 resultierende Sehnsuchts-Sinnfigur „Gott“ im Pool der Erforschungsgegenstände enthalten sein könne, niemals aber eine reale Entität aus der Transzendenz (Stichwort: himmlischer Gott), die mit einer vormodernen metaphysischen Kategorie identisch ist. Nun gut, damit muss man leben – und sich der praktisch-theologischen Aufgabe stellen, dieser Sinnfigur poietisch eine Gestalt zu geben. Aber dazu an anderer Stelle mehr, nach einem weiteren Zwischenspiel zur exemplarischen Veranschaulichung bisheriger Denkkurven.

160 Först, Johannes (2010). Empirische Religionsforschung und die Frage nach Gott. Eine theologische Methodologie der Rezeption religionsbezogener Daten. Biblische Perspektiven für Verkündigung und Unterricht 5. Berlin / Münster: LIT, 276. 161 Vgl. SINUS:akademie (2016). Wie ticken Jugendliche?. Glaube und Religion. Abrufbar unter: https://www.wie-ticken-jugendliche.de/themen/glaube-und-religion.html (Stand: 05.03.2018). 162 Vgl. Bertelsmann Stiftung. Religionsmonitor. Abrufbar unter: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/religionsmonitor/ (Stand: 05.03.2018). 163 Först, Empirische Religionsforschung, 276. 164 Lang, Bernhard (2014). Der religiöse Mensch. Kleine Weltgeschichte des homo religiosus in sechs kurzen Kapiteln. In: Assmann, Jan/Strohm, Harald (Hrsg.) Homo religiosus. Vielfalt und Geschichte des religiösen Menschen (= Lindauer Symposien für Religionsforschung 5). Paderborn: Fink.

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Intermezzo II: Die Welten der Anderen. Zu Besuch in Fußballstadien, Werbeagenturen, Möbelhäusern, Lesehallen, virtuellen Räume und Milieuforschungsinstituten.

Wie in einer fremden Welt …

… habe ich mich gefühlt, und aus einem Zeitgefühl der medialen Spätmoderne heraus betrachtet geschah es auch vor einer kleinen Ewigkeit: Im Spätsommer 2006, drei Monate nach dem Kopfstoßfinale der Sommermärchen-WM, drei Tage nach Papst Benedikts Regensburger Vortrag über „Glaube und Vernunft“ – im Grunde zwei dieser unglaublich vielen Sequenzen, die mit ihrem Ereignis für viel Wirbel gesorgt haben, um letzten Endes doch nur in einer der hinteren Schublädchen der Weltgeschichte zu verschwinden –, in jenen Tagen eben hatten sich führende Köpfe und mitgenommene Gesichter der evangelischen und katholischen Praktischen Theologie zu einer Tagung in Frankfurt eingefunden, um sich gemeinsam über Religion und Konfession in der Medienkultur Gedanken zu machen. Interessanterweise zählten die angesprochenen popkulturellen Vorkommnisse zu den am häufigsten angeführten Beispielmomenten in allen Debatten; immer wieder wurden das Foul des französischen Fußballhelden und die Performance der deutschen Glaubenskultur-Ikone als Referenzen stilisiert oder zu schlagenden Argumenten umfunktioniert. Und so ließ sich in den Diskussionen vernehmen, ▶▶ dass der Fußballer Zidane als Algerier aus der kulturellen Welt der kabylischen Maghrebin käme, die eine Beleidigung der Schwester nicht gestatte und für ihn eine stärkere Prägekraft habe als die Welt des Sports, in der ein Kopfstoß nicht zum Regelwerk gehört,165 ▶▶ dass früheste Verarbeitungen dieses Kopfstoßes – zwischen Jughurta gegen den Römer und going zizou – einerseits in der Welt semiintellektueller

165 Ausführlich Tietze, Nikola (2008). Zinedine Zidane. Dribbelkunst sub- und transnationaler Zugehörigkeit gegen nationalstaatliche Einheitsverteidigung. In: Klein, Gabriele/ Meuser, Michael (Hrsg.) Ernste Spiele. Zur politischen Soziologie des Fußballs. Bielefeld: transcript, 59–85.

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Feuilletons und TV-Politmagazine, andererseits in der Welt der subkulturell-urbanen Jugendmode166 und der Welt der Kunst167 stattgefunden haben, ▶▶ dass der Herr Professor Ratzinger zwar der akademischen Welt angehöre, als Papst Benedikt XVI aber in einer Kultursphäre mit größerer Sensibilität Rechenschaft ablegen müsse, zumal sie als religiöse und politische Welt andere Ansprüche aufstellt, und ▶▶ dass es durchaus strittig bleibt, inwieweit er als intellektueller Stratege die Medienwelt benutzt hat – oder den Mechanismen und Schematismen dieser Scheinwelt zum Opfer gefallen ist, als er größere Teile der islamischen Welt brüskierte. Es war nicht zu übersehen: Welt fand als Denkfigur konfessionsübergreifend Verwendung; Weltbegriffe hatten Hochkonjunktur. Am zweiten Tagungsabend bestätigte sich dies endgültig, nicht nur, als sich die Tagungsteilnehmenden überwiegend einhellig dazu bekannten, Gäste in einer völlig fremden Welt gewesen zu sein: Dabei hatten sie lediglich eine Sitzungseinheit bei McCann-Erickson – eine der renommiertesten Werbeagenturen weltweit – zugebracht und sich demonstrieren lassen, wie eine Werbeagentur einen Clip produziert. Offenbar war der Tagesreferentin, einer Soziologin, sehr daran zu zeigen gelegen, wie sich Prestige und Renommee, Bedeutung und Attraktivität eines Produktes bzw. einer Dienstleistung auf ein neues Niveau anheben lässt, wenn man nur sein Handwerk richtig versteht. Am Beispiel der Marke Nescafé stellte sie dar, wie ihre Agentur an jenem Imagewechsel vom „löslichen Zweite-Wahl-Senioren-Kaffee“ hin zu einem zeitgemäßen „klasse Kaffee für dynamische Menschen mit modernem Lebensstil“ gearbeitet hat: „Mithilfe unserer Tools haben wir im Ergebnis die Markenbekanntheit um 60 % und die tägliche Verwendung des 166 Textilien und sonstige Merchandise-Artikel, die mit einer Kopfstoß-Animation und/ oder dem Slogan going zizou bedruckt sind, haben sich über Jahre einer großen Beliebtheit erfreut; sie sind weiterhin erhältlich. Vgl. 8ball. Football T Shirt: Zidane Headbutt. Abrufbar unter: https://www.8ball.co.uk/products/football-mens-t-shirt-zidane-headbutt (Stand: 05.03.2018). 167 Der zeitgenössische französisch-algerische Künstler Adel Abdessemed hatte mit der Arbeit an einer monumentalen Bronzeskulptur „Coup de Tête“ reagiert; ihre Installationen – 2012 vor dem CenTRE Pompidou in Paris, 2013 in Doha, der Hauptstadt des Emirats Qatar – sorgten wiederholt für Aufsehen und Kontroversen; vgl. F.A.Z. (2013). Art. Ärger um Zidane-Skulptur: Vor den Kopf gestoßen. Abrufbar unter: http://www.faz. net/aktuell/gesellschaft/aerger-um-zidane-skulptur-vor-den-kopf-gestossen-12617671. html (Stand: 05.03.2018).

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Produkts gar um 114 % gesteigert“, verriet sie und erläuterte weiter, was man „mittels einfacher Methodenmodule wie Brand-Footprint, Consumer-Insight, Magic Hat und fifty free erreicht“ habe, nämlich eine sachdienliche Erkundung der Konsumentenwelten. Lebensideen, Geschmacksvorlieben und Prioritäten in der Freizeitgestaltung: dies alles und noch viel mehr könne man mit den passenden Instrumenten so erfassen, in Beziehung setzen und auswerten, dass am Ende eine genaue Profilcharakterisierung des realen Kunden steht – die wiederum eine „Präzisierung der erforderlichen Kommunikationskanäle, der Marketingstrategie und des anstehenden Beziehungsmanagements“ ermöglicht. Als Tagungsteilnehmende hier und da verhaltene Rückfragen nach Aufbau und Funktionsweise, Ergebnissicherheit und Trennschärfe der vorgestellten Module und methodischen Apparate anmeldeten, demonstrierte die Agentursprecherin die Leistungsfähigkeit kleinerer Tools am Beispiel einiger Anwesenden. Versiert machte sie anschaulich, wie sie vor dem Hintergrund des agenturspezifischen Erfahrungs- und Methodenrepertoires, im Anschluss an eine gründliche Inaugenscheinnahme ihres Gegenübers, also des Erscheinungsund Selbstdarstellungsbildes einer Person, nur drei, vier trivial anmutenden Fragen – z. B. nach dem überwiegend genutzten Fortbewegungsmittel, dem jeweiligen Zeitmessgerät, der musikalischen Vorliebe, des bevorzugten Reisezieles – stellen müsse, um treffsichere Aussagen formulieren zu können; am Ende wusste sie tatsächlich pointiert zu vermelden, von welchen persönlichen Einstellungen zu bestimmten Dienstleistungen, Produkten und Medien man bei bestimmten Tagungsteilnehmenden nun ausgehen dürfte. Die Bestätigung ihrer Einschätzungen durch die jeweils beteiligten, gleichwohl unfreiwilligen Probanden gab der Wissenschaftlerin und ihren Methoden recht, und als man ihr etwas vorwurfsvoll entgegenhielt, dass sie ihre Module keineswegs wissenschaftlich hinreichend erläutert und plausibilisiert, sondern bestenfalls nett und anschaulich vorgeführt habe, gab sie aus freundlicher Distanz zurück: „Nennen Sie, das, was uns alle treibt und bewegt, wissenschaftlichen Eros, heiligen Geist oder schlichtweg nötige Neugier, wie auch immer, für mich steht fest: Was sie als theologische Fachkräfte mehr von Gott und Kirche verstehen, verstehen wir einfach mehr von der Welt und dem wahren Leben. Vielleicht hat das auch etwas mit Intuition und Einfühlungsvermögen zu tun!“ Hatte die Dame etwa recht? Gibt es wirklich welche, die …

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… noch mehr vom Leben verstehen?

Denn ein Verständnis von (und für) Welt und Leben sein eigen zu nennen – diese Forderung ist ja wohl der Theologie geradezu genuin und traditionell als Anspruch in ihr Wesen eingeschrieben. Und sie kommt dem ja, ihrer eigenen Idee folgend, auch weitestgehend nach, etwa, indem sie mit ihren Glaubenssätzen und -lehren eine integrale Lebensdeutung und Lebensorientierung pflegt, die nicht allein deskriptiv oder interpretierend, sondern vielmehr auch normativ-wegweisend aufgestellt wird. Mit ihren Deutungsfiguren – Welt als Schöpfung, Mensch als sündiges und gerechtfertigtes Wesen, Lebenszeit als Geschenk usw. – positioniert sie sich in doppelter Hinsicht: Zum einen als eine praktische, sich nah am Menschen platzierende Lebenshilfe, die das christliche Credo als Existenzerhellung und Daseinsklärung mit wertegründenden Regelwerken verknüpft anbietet, zum anderen als Wissenschaft, die das Genannte in ständiger Rückkoppelung – sowohl an die historischen Ursprünge und ihre traditionsgeschichtlichen Entfaltungen als auch an gesellschaftliche Prozesse und kulturelle Phänomene – überprüft und reflektiert sowie kommunikabel und plausibel hält. Kommunikabilität und Plausibilität stehen allerdings auf dem Prüfstein, wenn gegen den Selbstanspruch der Theologie jener bereits aufgeführte Fremdanspruch geltend gemacht wird, der zwar die gleiche Forderung aufstellt, diese gleichwohl anders verstehen will: Dass Theologie und Kirche zu wenig vom Leben verstehen – dieser Vorwurf klagt in erster Linie eine Kompetenzschwäche ein, die sich auf den – intuitiven und professionellen – Umgang mit dem gewöhnlichen Leben und seinen alltäglichen Formatierungen bezieht. Oftmals begegnet man der Kritik, dass christliche Sinndeutung und kirchlich vermittelte Lebenspraxis die Bedürfnisse, Stimmungen, Vorlieben und Neigungen moderner Menschen bzw. die Trends und Meinungen zeitgenössischer Kultur nahezu ignorieren. Wie Menschen leben, was sie lieben, denken, fühlen und vor allem: gerne tun – dies wahrzunehmen und in Theorie und Praxis zu integrieren, sei das Gebot der Stunde, so denn Theologie und Kirche zu zeitgemäßen Formatierungen von Lehre, Lebensordnung, Frömmigkeit und Spiritualität kommen wolle. Die Kollision von Selbstanspruch und Fremdappell kann nun von theologischer Seite her aus zwei Extremperspektiven betrachtet werden, die sich einerseits der Dimension des prophetischen, andererseits derjenigen des diakonischen Auftrags verbunden wissen. So zielt die Figur des Wächters und

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Mahners streng genommen darauf ab, nicht vorschnell die Versöhnung mit allem Leben zu suchen, sondern das kritische Potential der christlichen Botschaft auf gesellschaftliche Verhältnisse und Zustände bzw. auf Lebenswege und Sinnorientierungen anzulegen, und dies nötigenfalls auch in verweigernder Distanz und Radikalität (Sagen, was falsch, gottlos und unrecht ist; dem Rad in die Speichen fallen). Demgegenüber freilich wird in der Figur des Liebesdienstleistenden die prinzipielle Pflicht hervorgehoben, wohlwollend zu betrachten, was zunächst anders und fremd erscheint; sie bestärkt die Notwendigkeit von Konvivenztheorien168, von offenen Modellen praktizierter Lebensnähe. Vereinfacht gesagt besteht nun ein Dilemma darin, dass innerhalb theologischen Denkens und Handelns beide Perspektiven ausbalanciert und aufeinander bezogen werden müssen. Denn wer eine (abstrakte) theologische Lebensdeutung über die Lebenswahrnehmung stellt und einseitige Bewertungen vornimmt, hält sozusagen den normativen Aspekt in luftleerem Raum, wer aber allein aus der Betrachtung gelebten Lebens Kriterien für sinnhafte Lebensdeutung und -praxis destilliert, muss sich die Rückfrage gefallen lassen, ob sich Normativität tatsächlich schon aus interpretierter Deskription ergibt – und vor allem: welchen Standpunkt der Interpret als Interpret einnimmt. Zu einer Auflösung dieser Diskrepanz kann die Theologie gelangen, so sie den Strang katechetische Lebensäußerung aufgreift und den kategorialen Begriff der Vermittlung zur Geltung bringt, indem sie die sinnerschließende Dynamis der biblischen und christlichen Überlieferungen ebenso wie die in gegenwärtiger systematisch-theologischer Lehre abzubildenden Interpretationsintegrale mit Erkenntnissen diskutiert, die aus der Loslösung Praktischer Theologie von der reinen Binnenperspektive hervorgegangen sind und den weiten Bereich der Gegenwartskultur als Reflexionsgelände erschlossen haben. Anders gesagt gilt es, theologisch reflektiertes Orientierungswissen mit Sinnwelten abzugleichen bzw. in Welten zu platzieren, deren Bewohner nicht als unverständliche Fremde abgetan, sondern verstanden werden wollen hinsichtlich ihrer Lebensführung und -deutung innerhalb ihrer Welt. Aber welche Lebenswelten sind wie zu erschließen? Blicken wir auf …

168 „Konvivenz“ wird erstmals in der lateinamerikanischen Befreiungstheologie zu einem Leitbegriff, und zwar im Anschluss an Freire, Paulo (1970). Pädagogik der Unterdrückten. Stuttgart: Kreuz-Verlag; weiterführend vgl. Feldtkeller, Andreas (2001.) Art. Konvivenz. RGG 4. 4. Aufl. Tübingen: Mohr Siebeck, Sp. 1654.

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… Fragmente vom „Leben der Anderen“.

Wohnst Du noch, oder lebst Du schon? fragte ein ursprünglich schwedischer Möbelkonzern in Werbeclips das Fernsehpublikum ab, wohl in dem strategischen Wissen darum, dass ein beachtlicher Teil aller Adressierten durchaus gewillt ist, das Bedürfnis individueller Selbstinszenierung auf die Ausgestaltung ihrer Behausung zu übertragen – und sich auf ein entsprechendes Konsumverhalten im Wohn- und Möblierungssegment einzulassen. Bemerkenswert, dass sich diese raffinierte Werbeidee auf eine Reihe wissenschaftlicher Einsichten berufen könnte: So hatte etwa Herrmann Schmitz 1977 im dritten Band seines phänomenologisch angelegten Systems der Philosophie überzeugend dargelegt, dass der Raum, insbesondere der Wohnraum einer sinnvollen Umfriedung und Eindämmung von Gefühlen, Regungen, Erinnerungen und Ahnungen gleichkommt und dass sich die Menschen mit der kreativen Schaffung ihrer Wohnumgebung einen Ausdruck ihres Selbst(-wert-)gefühls zu geben suchen.169 Auch im medientheoretischen Diskurs gilt diese Einschätzung als sichergestellt, seit Marshall McLuhan 1964 in seiner Arbeit Die magischen Kanäle. Understanding Media170 das Medium als Botschaft und Ausdruck bzw. konkret Kleidung171 und Wohnung172 als Ausweitungen des Ich entfaltet hatte. Aber womöglich hat unser schwedisches Möbelhaus auch unbewusst auf Pierre Bourdieu zurückgegriffen, der in seiner kultursoziologischen Arbeit über Die feinen Unterschiede173 zu der Überzeugung gelangt war, dass wesentliche Auseinandersetzungen im sozialen Raum über Geschmack, Habitus und Lebensstil geführt werden – zumal Menschen ähnlicher Herkunft vor dem Hintergrund ihrer äußeren ökonomischen, sozialen und kulturellen Voraussetzungen in der Regel ähnliche Vorlieben entwickeln und Lebensstil-Netzwerke bilden, die sowohl der Identifikation als auch der Abgrenzung dienen. Zahlreiche Einzelforschungen haben Bourdieus Arbeit auf der Grundlage qualitativer 169 Schmitz, Herrmann (1995). Das Göttliche und der Raum (= System der Philosophie 3:4). 2. Aufl. Bonn: Bouvier. 170 McLuhan, Marshall (1994 [zuerst 1964]). Die magischen Kanäle – Understanding Media. Dresden/Basel: Verlag der Kunst. 171 Vgl. a. a. O., 186–190. 172 A.a.O., 191–202. 173 Bourdieu, Pierre (1982). Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

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und quantitativer Untersuchungen bestätigt und ausdifferenziert;174 1999 haben Nicole Schneider und Anette Spellerberg mit einer vergleichenden empirischen Untersuchung zu Wohnorientierungen verschiedener Lebensstilgruppen175 erfolgreich die Beziehung von Habitus und Habitat sichergestellt und gezeigt, inwieweit untersuchte Personengruppen ihre jeweiligen Wohnwelten – eine summarische Anordnung von Wohnbereich, Wohnraum und Wohnstandort – als maßgeblichen Ausdruck von Lebensstil, Stilbewusstsein und Lebensqualität empfinden und inszenieren wollten. Das Möbelhaus lag also ebenso richtig wie all die anderen, die ihre Produkte unter dem Werbeslogan bzw. der Strategieformel Express yourself angeboten haben. Kämen womöglich auch andere Welten als Heimat für Gefühle, Regungen, Ahnungen, Erinnerungen in Frage, als Ausdrucksräume von Wertorientierungen und Alltagseinstellungen, als Foren lebensstiltypischer Identitätsspiele und Selbstinszenierungen? „Ich probiere Geschichten an wie Kleider!“ Als Max Frisch den Protagonisten seines Romans Mein Name sei Gantenbein176 in den 1960er Jahren dieses autoreflexive Geständnis ablegen lässt, hat er gewiss nicht geahnt, dass es Dekaden später zur Signatur eines brisanten Phänomens avancieren könnte: es geht um Spielereien mit verschiedenen Entwürfen von Ich und Selbst, um Spiele, die insbesondere in einer (Medien-)Welt ausgetragen werden und unter Umständen einer Gewinnung von Identität zuträglich sind. So zumindest hat es Sherry Turkle 1995 in ihrer Studie über das Leben im Netz beschrieben.177 Die Erweiterung ihrer These dahingehend, dass die unendlichen Weiten des WWW als neue Welten für virtuose Identitätsspiele herhalten, normfreie Übungsräume für das Ich bieten und dem Subjekt ein Medium vorhalten, mittels dessen es mehrere Leben in unterschiedlichen Rollen und verschiedenen Welten leben könnte,178 wurde (und wird) mit einigem Nachdruck gepflegt, weiterentwi174 Z.B. Vester, Michael/Oertzen, Peter von/Geiling, Heiko u. a. (Hrsg.) (2001). Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. 175 Schneider, Nicole/Spellerberg, Annette (1999). Lebensstile, Wohnbedürfnisse und räumliche Mobilität. Opladen: Leske & Budrich. 176 Frisch, Max (1964). Mein Name sei Gantenbein. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 21. 177 Turkle, Sherry (1998). Leben im Netz. Identität in Zeichen des Internet. Reinbek: Rowohlt. Engl. Original (1995). Life on the Screen: Identity in the Age of the Internet. New York: Simon & Schuster. 178 „Das Internet ist zu einem wichtigen Soziallabor für Experimente mit jenen Ich-Konstruktionen und Rekonstruktionen geworden, die für das postmoderne Leben charakte-

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ckelt und kritisch hinterfragt.179 Sicher kann eine solche Einschätzung relativiert werden, so man darauf verweist, dass etwa bei der Nutzung zahlreicher Internet-Plattformen (online-Communities, Weblogs, soziale Netzwerke) eine verbindliche Haupt-Identität bzw. gar ein Ich-Marketing vonnöten ist. Gleichwohl treffen These und Einschränkung im Schulterschluss den relevanten, beständigen Aspekt: Es kommt immer wieder zu (vorübergehenden, manchmal auch währenden) Einnistungen in virtuelle Welten; diese Einnistungsvorgänge gehen einher (a) mit einer spielerischen Findung von Identität, (b) mit der verspielten Erfindung von Identität, (c) mit der gleichzeitigen oder nachgestellten Präsentation, Inszenierung und Performance einer gefundenen Identität. Und natürlich, es wird Gebrauch gemacht von vorgegebenen Klischees, von Personbild-Frames, von Identitätsschemen und von kontextgebundenen, kulturellen Praktiken der Selbst-Stilisierung; in allen Fällen aber nutzt man das Medium nicht anders, als man sich selbst verstehen – und eben gesehen, betrachtet, verstanden werden will. Die Art und Weise, wie sich soziokulturelle Zugehörigkeit und Lebensstil über die Mediennutzung zum Ausdruck bringt, ist dabei das eine. Das andere freilich ist die Milieu-affinität bestimmter Medien generell: Wenn sich der gebildete Architekt mit der Gantenbein-Lektüre seinem bevorzugten Identitätsspiel via Printmedium hingibt, während sein 17-jähriger Sohn zeitgleich via Internet am Counterstrike-Rollenspiel teilnimmt, verhalten sie sich beide dahingehend gleich, dass sie eine medial vermittelte Sinnwelt betreten, die ihnen vertraut ist bzw. ihrem Lebensstil entspricht. Zugleich freilich wird auch ein Unterschied offenkundig; er besteht aus medien- bzw. kultursoziologischer Perspektive darin, dass die Erschließungsforen individueller Lebensstil- und Sinnsuche nicht einfach nur vielfältig und unterschiedlich sind, sondern auch einer gewissen ristisch sind. In seiner virtuellen Realität stilisieren und erschaffen wir uns selber. Was für Personae stellen wir her? […] Werden sie als erweiterte Selbst oder als losgelöst vom Selbst erlebt?“, Turkle, Leben im Netz, 289 f. 179 Vgl. Marotzki, Winfried (1998). Zum Problem der Flexibilität im Hinblick auf virtuelle Lern- und Bildungsräume. In: Brödel, R. (Hrsg.) Lebenslanges Lernen – lebensbegleitende Bildung. Neuwied: Luchterhand, 110-123. „Das Selbst ist gleichsam dezentriert, existiert in verschiedenen Welten und spielt […] verschiedene Rollen; es lebt gleichsam verschiedene Leben parallel“ (Marotzki, Zum Problem, 115). Begünstigt wird dies durch die Eigenschaft der Netze, auf das „Analoge“ zu verzichten: der Körper und alle ihm anhaftenden Identitätsmerkmale wie Alter, Rasse, Geschlecht, Aussehen, bis hin zum sozialen Status etc. fehlten. Man könne sich in dieser Welt, so Marotzki, ja wohl immer wieder neu erfinden, da einen hier nichts an das binde, was man ist.

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fundamentalen Selbsteinsortierungs- und Gruppierungslogik folgen. Werfen wir also einen Blick auf … schichtspezifische Religiosität, alltagsästhetische Schemata und sogenannte Milieus.

In dem berühmt gewordenen §. 7 seiner Religionssoziologie in Wirtschaft und Gesellschaft hatte Max Weber den Zusammenhang von Stände, Klasse und Religion sichergestellt und Affinitäten bestimmter Religionsausprägungen und den Angehörigen von Schichtungsgruppen skizziert, indem er Mentalitätsstrukturen mit Formen und Inhalten von Religion in Beziehung setzte.180 Seine grobe Unterscheidung zwischen bürgerlicher, adeliger, bürokratischer, bäuerlicher und negativ privilegierter Religiosität war ein frühes Beispiel konsequent religionssoziologischer Behandlung einer Problemstellung, die in den darauf folgenden Jahrzehnten hinsichtlich ihrer kausalen Zurechnungen differenziert und im Laufe präzisierter Einzelforschungen etwa zu Klassenbewusstsein oder Schichtmentalität verfeinert werden sollte. Trotzdem durfte man Ende der 1980er Jahre noch resümieren, dass eine Erforschung der aktuellen schichtspezifischen religiösen Mentalität durchaus ein gewisses Desiderat (nicht nur) in der Religionssoziologie darstellt.181 Das änderte sich, als 1992 Gerhard Schulze eine nach sieben empirischen Forschungsjahren definierte Kultursoziologie der Gegenwart182 vorlegte, darin den endgültigen Abschied von überholten Schichtungsparadigma einforderte und nach plausibleren Begriffen und Kategorien183 verlangte. Ähnlich, wie es Bourdieu für seinen Kulturraum – wenngleich mit einer anderen Pointe – getan hatte, wollte Schulze für die erlebnisorientierte bundesdeutsche Gesellschaft Stiltypen als wichtiges Erkennungsmerkmal si180 Weber, Max (1972). IV. Religionssoziologie (§. 7. Stände, Klassen und Religion) (1922). In: Ders. Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. Zweiter Teil: Typen der Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung. Studienausgabe. Tübingen, 245–381. 181 Vgl. Kehrer, Günther (1988). Einführung in die Religionssoziologie. Darmstadt: WBG, 117 f. 182 Schulze, Gerhard (2005). Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. 2. Aufl. Frankfurt a. M.: Campus. 183 Es war die Ästhetisierung des Alltagslebens, die Selbstzuordnung von Menschen zu bestimmten alltagsästhetischen Schemata und der damit verknüpfte Aufbau von Stiltypen, die Schulze in den Blick nehmen wollte.

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cherstellen, die „zusammen mit anderen Merkmalen – Alter und Bildung – eine Konfiguration evidenter und signifikanter Zeichen [konstituieren], die Gegenstand gestaltbildender sozialer Wahrnehmung sind“184 und Menschen in ihren Beziehungen Orientierungspfeiler bieten. Im Ergebnis stellte Schulze fünf große Personengruppen mit ähnlichen subjektiven und situativen Merkmalen vor, die sich voneinander durch erhöhte Binnenkommunikation auszeichnen.185 Es war die besondere Charakterisierung dieser fünf Milieus mit recht überzeugender Präzision und Trennschärfe, die sein Modell nicht nur mit der bereits in den achtziger Jahren verstärkt aufgekommenen Lebensstilforschung verband: Indem er die Bedeutung von alltagsästhetischen Präferenzen und deren Manifestationen, von existenziellen Bezügen zu Ich und Welt, von Distinktionen, Lebensphilosophien und Genussschemata sicherstellte, war seine Arbeit für religionswissenschaftliche bzw. -soziologische Diskurse anschlussfähig geworden. Doch auch andernorts konnte intensiv geforscht werden: Jörg Ueltzhöffer und Berthold Flaig, die schon 1980 mit ihrem Gutachten Lebensweltanalyse: Explorationen zum Alltagsbewusstsein und Alltagshandeln186 ein Zielgruppenmodell für die Markt- und Sozialforschung angedeutet hatten, arbeiteten in den Folgejahren konsequent an einem Milieumodell , dessen Stärke darin bestand, in das Konzept der sozialen Milieus besonders jene Einstellungen einzuzeichnen, die bestimmte Konsumorientierungen und Wahlverhalten hervorbringen: es galt, einer empirischen Analyse alle subjektiven und objektiven Merkmale zugänglich zu machen, die die soziokulturelle Identität des Verbrauchers konstituieren (Wertorientierungen, soziale Lage, Lebensziele, Arbeitseinstellungen, Freizeitmotive, unterschiedliche Aspekte der Lebensweise, alltagsästhetische Neigungen, Konsumorientierungen, usw.). Ihr Vorschlag einer Typologie von zunächst acht Milieus187 wurde z.T. von den Sozialwissenschaften übernommen und löste seit den 1990er Jahren in der neuen Sozialstrukturforschung eine Welle von Lebensstiluntersuchungen aus. Das SIGMA-Institut führt diese ursprüngliche Milieuforschungstradition in Form des SIGMA-Milieumodells 184 A.a.O., 22 f. 185 Genannt werden: Unterhaltungsmilieu, Selbstverwirklichungsmilieu, Harmoniemilieu, Integrationsmilieu und Niveaumilieu. 186 Flaig, Berthold/Ueltzhöffer, Jörg (1980). Lebensweltanalyse: Explorationen zum Alltagsbewusstsein und Alltagshandeln. Heidelberg: Sinus. 187 Genannt wurden: Konservativ gehobenes Milieu, kleinbürgerliches Milieu, traditionelles Arbeitermilieu, traditionsloses Arbeitermilieu, aufstiegsorientiertes Milieu, technokratisch-liberales Milieu, hedonistisches Milieu, alternatives Milieu.

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bis heute bruchlos fort und unterscheidet gegenwärtig zehn soziale Milieus für Deutschland188, ebenso tut es das Sinus-Institut (Sinus Sociovision)189. Im Ergebnis haben alle genannten Modelle über die Analyse von Wert- und Orientierungsmustern einzelner Gruppen (als Milieuforschung) und die Erkundung der kulturellen und ästhetischen Unterschiede in der Stilisierung des Alltags (als Lebensstilforschung) ihren Standort in der Markt-, Media-, Kommunikations- und Sozialforschung abgesichert, aber auch für andere Diskurse wissenschaftlich verankert und praktisch nutzbar gemacht. Dies betrifft gewiss auch den Raum der Kirchen, wo man sich intensiv auf Fragen nach Lebens- und Frömmigkeitsstilen190 bzw. auf Kooperationen mit Forschungsinstituten191 einlässt – obwohl nicht ganz ausgeschlossen werden kann, dass die Interessensbekundung an vertieften Milieustudien in der Kirche wesentlich auf die Verbundenheit der Kirche mit ihren Gliedern (und somit indirekt auf den Ansatz einer missionarischen Kirche) fokussiert bleibt, während sich die echte leidenschaftliche Neugier nach fremden Lebenssinnen, Lebenswelten und Lebensstilrichtungen weiterhin in Grenzen hält. Damit allerdings hätte sich das anfangs formuliertes Dilemma in doppelter Hinsicht bestätigt: So, wie die einfache Verwertung sozialwissenschaftlicher Milieustudien zur Verbesserung missionarischer Praxis den diakonischen Auftrag ignoriert, fremde Menschen in ihren anderen Welten besser zu verstehen, verkennt eine instrumentalisierte 188 Vgl. SIGMA (Gesellschaft für internationale Marktforschung und Beratung mbH). SIGMA Milieus® für Deutschland. Abrufbar unter: http://www.sigma-online.com/de/SIGMA_Milieus/SIGMA_Milieus_in_Germany/ (Stand: 05.03.2018). 189 Vgl. Sinus-Institut (2018). SINUS-Lösungen: SINUS-Milieus für Deutschland. Abrufbar unter: https://www.sinus-institut.de/sinus-loesungen/sinus-milieus-deutschland/ (Stand: 05.03.2018). 190 Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) GmbH. Alle Inhalte zu: Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung. Abrufbar unter: https://www.evangelisch.de/themen/kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (Stand: 05.03.2018) 191 Vgl. MDG (Hrsg.) (2013). Milieuhandbuch 2013. Religiöse und kirchliche Orientierungen in den Sinus­Milieus. Heidelberg/München: MDG Medien­Dienstleistung GmbH; Wippermann, Carsten (2011). Milieus in Bewegung – Werte, Sinn, Religion und Ästhetik in Deutschland. Forschungsergebnisse für die pastorale und soziale Arbeit. Würzburg: Echter; Ders./ Magalhaes, Isabel de (Hrsg.) (2006). Zielgruppen-Handbuch. Religiöse und kirchliche Orientierung in den Sinus-Milieus® 2005. Eine qualitative Studie des Instituts Sinus Sociovision zur Unterstützung der publizistischen und pastoralen Arbeit der Katholischen Kirche in Deutschland im Auftrag der Medien-Dienstleistung GmbH und der Katholischen Sozialethischen Arbeitsstelle. München/Heidelberg: MDG/Sinus Sociovision.

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Hermeneutik mit der flachen Zielsetzung, für möglichst viele milieutypische Phänomene eine religiöse Lesart zu finden, den prophetischen Auftrag, das ideologiekritische Potential des christlichen Lebenspraxiswissens und das visionäre Potential der christlichen Lebenseinstellung geltend zu machen. Die eingeforderte katechetische Kompetenz, die (weiter oben im Text) einer Vermittlung zwischen den Welten zugeordnet wurde, muss sich vor dem Hintergrund dieser überkreuzten Dilemmata bewähren; womöglich besteht die Kunst darin, im Spagat zwischen verstandenem Leben und unverständlich bleibendem Leben kommunikativ und interaktiv an einer Erhellung der eigenen und der fremden Sinnfragmente zu arbeiten, um sinnvolle Gesamthorizonte zu kreieren. Eventuell finden sich ja geeignete Crossover-Passagen … …jenseits von Brand-Footprint und Consumer-Insight!

Etwas vom Leben verstehen: das dürfte nach wie vor eine an Theologie und Kirche gerichtete Erwartung, aber auch die im Identitätsbewusstsein moderner (praktisch-)theologischer Wissenschaft verankerte (Selbst-)Anspruchshaltung sein. Was es jedoch überhaupt mit diesem Leben – von dem keineswegs behauptet werden kann, dass es verstanden werden will, zumal es sich immer wieder quer zu den Versuchen stellt, es verständlich zu machen – auf sich hat, also: welches und wessen Leben das ist, wie es stattfindet, wo es gesucht und gefunden werden muss, konnte, sowohl der Komplexität der Sache als auch der begrenzt verfügbaren Textmenge geschuldet, nur exemplarisch angedeutet werden: Schlaglichter wurden also auf kleine Lebenswelten geworfen, und es ist wahrscheinlich geworden, dass in ihren Zentren und ihrer Peripherie klar definierte Milieus und Lebensstilgruppen anzutreffen sind. Schickt man sich nun an, die entsprechenden sozialwissenschaftlichen und kultursoziologischen Theoriebausteine weiter zu sondieren, wird man Legitimationen und Ratschläge für die Vorgehensabsicht finden, Menschen nun in ihren Welten teilnehmend zu beobachten, ihre Verhaltensweisen und Kulturpraktiken dicht zu beschreiben und sich ein besonderes Gespür für ihre Orientierungs- und Lebensführungspraxis anzueignen: Es sind z. B. die Konzepte einer Milieusegmentierung der Gesellschaft, die im Anschluss an Beobachtungsreihen Gelegenheit zu Rückschlüssen und Rekonstruktionen bieten und ein besseres Verstehen scheinbar geschlossener

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oder unerreichter Welten gewährleisten.192 Zweifellos, dazu braucht es die Kompetenz, alltägliche Verhaltensweisen und -vorlieben, Geschmacksurteile und -präferenzen von Menschen genauer in den Blick zu nehmen, besonders auch hinsichtlich ihrer gewählten Kombination. Wie jemand wohnt, sich kleidet, auf welche Zeitschrift sie abonniert ist und welcher Automarke er den Vorzug gibt – all diese Artikulationen haben gewiss das Makel der Oberflächlichkeit und Trivialität; in ihrer jeweilig besonderen Kombination freilich kommen sie nach genauer Sichtung zustande als Manifestationen eines (milieuaffinen) Lebensstils, der mit einer bestimmten Erlebnispräferenz (z. B. Action oder Gemütlichkeit), einer Grunddistinktion (z. B. antikonventionell oder antibarbarisch) und einer Lebensphilosophie (Narzissmus, Perfektion, Harmonie) einhergeht. Auch wenn es den ungeübten Augen nicht auf den allerersten Blick verständlich wird, was Erlebnispräferenzen, Grunddistinktionen und Lebensphilosophien mit Religion zu tun haben, sollte sich die Theologie nicht die Chance entgehen lassen, solche Einblicke zu riskieren, um entsprechende Einsichten zu nehmen. Zu hoffen bleibt nämlich, dass aus diesen ersten Gehversuchen auf schwierigem Gelände größere Orientierungsschritte erwachsen; immerhin bieten sich sensibel Beobachtenden und Forschenden reichlich Möglichkeiten, (a) in den fremden Welten und Teilwelten nicht nur die allseits bekannten religiösen Spuren193 zu entdecken und breit zu treten, sondern auch auf diejenigen Bilder, Artefakte, Denkfiguren etc. aufmerksam zu werden, die von den Bewohnern dieser Welten goutiert werden und Bedeutung zugesprochen bekommen, um dann (b) entweder bestimmte Riten, Mythen, Praktiken etc. als religiös, religionsaffin oder religionsäquivalent zu qualifizieren oder aber den sinnproduzierenden Akteuren religiöse Grundwesenszüge zu unterstellen. Natürlich drängen sich mit jeder Sichtung von Phänomenen, mit allen Auswertungen empirischer Befunde, mit sämtlichen Erkundungen und Studien, die womöglich zur Skizzierung vorläufiger Landkarten erschlossener Welten geführt haben, weiterführend-metakritische Anmerkungen und Vorbehalte auf. Immer wieder wird z. B. danach zu fragen sein, wie durchlässig eigentlich die Grenzmembranen dieser Welten sind, welche Übertretungsschwellen mit ihnen 192 Vgl. Schulz, Claudia (2013). Empirische Forschung als Praktische Theologie. Theoretische Grundlagen und sachgerechte Anwendung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 207 f. 193 Die Entdeckung der Popularität biblischer Namen von Eva bis Lukas ist nicht zwingend ein Indiz für die religiöse Signatur einer kleinen Welt, ebensowenig wie das Vorhandensein von (Tattoos mit) Kreuzen, Halbmonden und anderen religiösen Symbolen keineswegs auf die Kulturmacht monotheistischer Religionen schließen lässt.

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verknüpft bleiben, wie stabil, labil oder wandelbar sich ihre tragenden Säulen präsentieren – und inwiefern die Signaturen dieser Welten eher formal oder eher inhaltlich geprägt sind. Immerhin hat man es doch – eben je nach Welt – nicht nur mit bestimmten Lebensideen, Erlebnisvorlieben, Grundgenüssen und Distinktionsprinzipien zu tun, die sich dann z. B. an Einrichtungsstilen oder Musikvorlieben ablesen lassen, sondern auch mit besonderen Vermittlungs-, Ausdrucks- und Interaktionsmedien, die z.T. an recht spezielle Kommunikations- und Rezeptionsgewohnheiten gekoppelt sind.194 Und das sind zwei verschiedene Ebenen. Insofern ist bei den Ermittlungen zu Durchlässigkeit und Übertretungsschwelle immer im Blick auf die Frage zu differenzieren, ob eine bloße Unverträglichkeit von Medien und Lebensarten – oder eben auch ganzer Lebenseinstellungen vorliegt. Kulturelle und ästhetische Unterschiede in der Stilisierung des Alltags sind das eine, grundsätzliche Differenzen in der Bewertung von Leben, Welt, Dasein etc. das andere. Sobald also die (absehbare) Frage nach den Gründen einer Unverträglichkeit mancher Milieus und Welten mit christlichen Sinndeutungsvorschlägen und -praktiken aufkommt, ist höchste Trennschärfe und Urteilskraft im Blick auf die Unterscheidung von Ausdrucksform, Inhalt und Sinngehalt geboten.195 Letztendlich und insgesamt bleibt es wohl gut geraten, sich bei den Erkundungsreisen in fremde Welten nicht zu sehr auf enge Suchmasken und Fahndungsraster zu verlassen, die eigene Perspektivität in ihrer soziokulturellen Kontextualität und konkreten Milieugebundenheit zu hinterfragen, die Menge an vorgefertigten Kriterien und vorurteilsbelasteten Fahndungsraster zu reduzieren und sich reserviert zu verhalten im Blick auf allerlei dominante Bilder von sogenannten echten, wirklichen oder gar wahren Religionen. Denn wer wirklich mehr wissen will über Religion, also die eigene und die der 194 Gerade die in Theologie und Kirche wertgeschätzten Informationsmedien wie Buch oder Redevortrag kommen in einigen Milieus so gut wie gar nicht vor – oder werden anders rezipiert, als Unterhaltungsmedium (etwa: Büttenrede im Karneval) aufgenommen. Außerdem sind manche Ausdrucks- und Interaktionsformate, die auf das expressive und sozial-interaktive Betragen (etwa im Netz) abgestimmt sind, in einigen Milieus überrepräsentiert, in einigen Medien unterrepräsentiert – und mit dem Angebotskatalog von Theologie und Kirche kaum kompatibel; man denke nur an Videoclips, PC-Spiele oder Werbespots. 195 Manchmal liegt der Grund für ein Kommunikationsproblem bei der Sinnbotschaft, manchmal aber auch schlicht an ihrem Trägermedium und dessen Format (ein kompliziertes Buch, ein alberner Film, ein nostalgischer Schlager), bisweilen auch an der Performancebühne (ein öder Gottesdienst, eine schrille Technoparty, ein eitles Bankett)

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Anderen, unterhält sich als betroffener Mensch mit betroffenen Menschen über Einstellungen zum Leben und über Berührungspunkte mit dessen (un-) möglichem Sinn, aber vermeidet tunlichst die üblichen Reizworte196 und überladenen Floskeln; diese nämlich reduzieren die diskursive Sinnumkreisung auf Phrasen – und bringen sie um jenen sonderbar unterhaltenden und besonders unterhaltsamen Eigensinn, den sie um Gottes Willen (be-)halten sollte. Im sehr weiteren Sinne hat das etwas zu tun mit der consumer-orientierten Analyse, wie sie uns schon bei McCann-Erickson begegnet ist; im eigentlichen Sinne aber geht es weit darüber hinaus. McCann-Erickson würde z. B. mithilfe des Tools Brand Footprint aufzeigen, welche Spuren eine bestimmte Marke – Jesus, Gott, Kirche, Christentum, Religion? – im Leben, in der Erinnerung, in der sozialen Praxis (usw.) von Probanden hinterlassen hat, und vor allem: wie dieser Fußabdruck wahrgenommen und zu ändern ersehnt wird. Dies könnte dann in Abgleich gebracht werden mit den Ergebnissen eines auf Segmentpriorisierung ausgerichteten Consumer Insight, ein Erhebungswerkzeug, mit dessen Hilfe sich grobmaschig Einstellungen, Bedürfnisse und Wünsche eruieren lassen. Und schließlich ließe sich für das komplexe Produkt, dessen Basischarakter und Grundwesenszug natürlich zuvor von seinen Produzenten und Agenten profiliert werden sollte, ein Brand-Marketing mit zielgruppengerechten Strategiebausteinen aufstellen, die sich erfolgreich implementieren lassen. Nun ja, das hat im Endeffekt mit einer Wahrnehmung der anderen Menschen und Welten nicht ganz so viel zu tun, zumal es wieder auf eine Geltendmachung des Eigenen hinausläuft. Aber die Methoden sollte man dennoch im Auge behalten.

Kommen wir also zu jener vorläufigen Quintessenz, die sich doch irgendwie als Plädoyer abzeichnen wollte: ▶▶ für eine Bereitschaft zur Wahrnehmung von Handlungen und Geschehnissen,

196 Bekannt sind natürlich (a) die schweren Geschütze der Tradition (z. B. Gott, Glaube, Kirche und Christentum), aber auch (b) die wuchtigen Granaten, die nach Lebenskrise duften (z. B. Vergänglichkeit und Leid, Tod und Trauer, Glück, Dankbarkeit und Lebenssinn), schließlich (c)  die ganz hinterhältigen Trickwerkzeuge, die früher oder später doch wieder über (b)  zu (a)  führen sollen (Essen, Trinken, Eigenheim, Kerzenlicht, Meerschweinchen, Regen, Kreuzfahrt, Uhr, Wald usw.).

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▶▶ für eine Belebung des intuitiven Geschäfts, sich geduldig, interessiert und leidenschaftlich einzulassen auf Welten, in und mit denen es sich offensichtlich leben lässt, weil es ja die Anderen auch tun können, ▶▶ für eine Pflege aller daraus resultierenden Gespräche, in denen Ansichten über das Leben mit Einsichten aus der Fülle des Lebens verknüpft werden und alte Erzählungen auf neue Begebenheiten treffen können, Gespräche, die über das Reden hinausgehen, weil sich die Beteiligten etwas zu sagen haben – und miteinander ins Geschäft kommen können. Wie das mit Religion zusammenhängt, und ob es überhaupt noch funktioniert, hinsichtlich intertextuell verhandelter, interaktiv kommunizierter und interkulturell praktizierter Lebenssinndeutungen von Religion zu sprechen – wo doch allein schon der Begriff so unglaublich schillert, dass man davon intellektuell erblinden könnte –, wäre eine interessante Fragestellung für zukünftige Gesprächsrunden, gern auch schon bei einer der nächsten Gelegenheiten. Doch vielleicht sollten wir uns zuvor noch mit weiteren Einsichten konfrontieren lassen – und uns, z. B. im nächsten Kapitel, mit einem großen Bereich beschäftigen, wo eine bestimmte Frage immer wiederkehrt: „Ist das etwa auch praktizierte Religion?“ Aber lesen Sie selbst.

3.3  Dem Monomythos geschuldet, von Erzählungen umgeben, in Geschichten verstrickt? Kommen Sie doch gelegentlich vorbei und erzählen Sie mir Ihre Geschichte.197 Ob Rip van Winkle, Kamar ez-Zamân oder Christus wirklich gelebt haben, ist nicht unsere primäre Sorge. Ihre Geschichten sind es, was uns angeht, und diese Geschichten sind so weit über die Welt verbreitet, nur in verschiedenen Ländern verschiedenen Personen zugeschrieben, dass die Frage, ob dieser oder jener Träger dieser universellen Themen eine historische Persönlichkeit, ein lebender Mensch gewesen sein mag, nur von zweitrangigem 197 (O-Ton: “You must come around and tell me the story of your life sometime.”) Citizen Kane. USA 1941. Regie: Orson Welles. Drehbuch: Herman J. Mankiewicz, Orson Welles. Produktion: RKO/Mercury.

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Interesse sein kann. Die Überbetonung dieses historischen Moments kann nur zur Verwirrung beitragen; sie würde die Botschaft, die aus den Bildern spricht, einfach beiseite schieben.198 A trilogy of science-fiction action-adventure movies with extravagant special effects and clever marketing gimmicks has replaced the Bible as the primary story we share in common.199 Ein Mann hat eine Erfahrung gemacht, jetzt sucht er die Geschichte dazu – man kann nicht leben mit einer Erfahrung, die ohne Geschichte bleibt, scheint es, und manchmal stellte ich mir vor, ein andrer habe genau die Geschichte meiner Erfahrung … (Der Barmann ist es nicht.)200

Was würde wohl passieren, wenn sich ein literaturforschender Mensch (a) für Märchen, Mythen und Legenden interessiert, für abgerundete Erzählungen und gedehnte Sagenkränze vergangener und gegenwärtiger Kulturen, natürlich auch für solche, denen explizit eine religiöse (Hoch-)Wertigkeit unterstellt wird, wenn dieser Mensch dann (b) meint, „kein besseres modernes Rüstzeug als die Tiefenpsychologie“201 verfügbar zu haben, sofern es gilt, die Grammatik und Semantik vergangener und gegenwärtiger Symbolsprachen zu erschließen, er sich also nicht nur z. B. mit Archäologen, Ethnologen und Orientalisten abgibt, sondern insbesondere „Freud, Jung und ihre Schüler“202 als Theoriegefährten auswählt, um letzten Endes (c) auffälligen Analogien zwischen modernen, antiken und primitiven Überlieferungen nachzuspüren und gar eine Art gemeinsamen Kerns freizulegen? Nun, womöglich kommt dieser Mensch ja zu einem ähnlichen Ergebnis wie der US-amerikanische Literaturwissenschaftler und Mythenforscher Joseph Campbell (1904–1987): Voller Begeisterung für die bunte Fülle erzählter Welten, für jedwede schillernde Stofftradition aus allerlei Religion und Folklore, inspiriert von Sigmund Freuds Konzept eines 198 Campbell, Joseph (2011). Der Heros in tausend Gestalten. Berlin: Insel Verlag, 248. Campbell, Joseph (2008 [1949]). The Hero with a Thousand Faces. 3. Aufl. Novato California: New World Library. 199 Simon, Richard Keller (1999). Trash Culture. Popular Culture and the Great Tradition. Berkeley California: University of California Press. 200 Frisch, Gantenbein, 10. 201 Campbell, Heros in tausend Gestalten, 11. 202 A.a.O., 18.

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symbolischen Grundrepertoires menschlicher Träume sowie von C.G. Jungs gut ausgebauter Archetypenlehre203 und dessen starker Individuationsthese204 hatte sich Campbell auf die Sammlung, Sichtung und vergleichende Verarbeitung eines nahezu unendlichen Materials eingelassen. Seine Studien finden ihren Ausdruck in einer hoch wirkmächtigen, nachhaltigen Publikation; bereits in der unmissverständlichen Eingangssequenz von „Der Heros in tausend Gestalten“ (1949) wird deren programmatische Ausrichtung provokativ annonciert: Ob wir dem traumartigen Hokuspokus eines rotäugigen Hexendoktors vom Kongo mit überlegenem Wohlwollen zuhören oder uns mit kultivierter Geste dünnen Übersetzungen der mystischen Sonette des Lao-tse überlassen, ob es einer der gepanzerten Beweisgänge des Aquinaten ist, deren Schale wir hin und wieder einmal aufbrechen, oder ein bizarres Eskimomärchen, dessen Sinn uns jäh aufleuchtet: immer wird es ein und dieselbe, bei allem Wechsel merkwürdig konstante Geschichte sein, auf die wir treffen, und immer ist sie begleitet von Bewußtsein eines Überschusses, dessen wir noch nicht habhaft geworden sind und der nie erschöpfend erkannt oder ausgesprochen werden wird.205

De facto hatte Campbell in diesem Eröffnungsstatement nicht nur eine wahrhaft anschauliche Version seiner entscheidenden These plakatiert, sondern zugleich auch eine Miniatur dessen inszeniert, was nachfolgend an unzähligen Beispielen veranschaulicht und exerziert werden wollte, nämlich: ▶▶ dass sich (erstens) nahezu jede Story auf ein für sie typisches narratives Skelett reduzieren lässt, ▶▶ dass sich (zweitens) bei einer Inspektion sämtlicher narrativer Skelette, derer man habhaft werden kann, nicht nur sporadische Vergleichsmomente

203 A.a.O., 31 ff.; 418 f., Anm. 18. 204 Jung, Carl G. (2015). Die Beziehung zwischen dem Ich und dem Unbewußten (1928) (Gesammelte Werke 7: Zwei Schriften über analytische Psychologie). 4. Aufl. Ostfildern: Patmos, 127–250; hatte zu verstehen gegeben, dass der Mensch sich in einem lebenslangen Prozess seinem Selbst annähern müsse, diesen Prozess aber in Anbetracht von Tod und Endlichkeit eigentlich nicht zum Abschluss bringen könne. Der Begriff „Individuation“ steht in diesem Zusammenhang, er bedeutet: „zum Einzelwesen werden und, insofern wir unter Individualität unsere innerste, letzte und unvergleichliche Einzigartigkeit verstehen, zum eigenen Selbst werden. Man könnte ‚Individuation‘ darum auch als ‚Verselbstung‘ oder ‚Selbstverwirklichung‘ übersetzen“ (A.a.O., 183 f.). 205 Campbell, Heros in tausend Gestalten, 17.

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ergeben, sondern deutliche Hinweise auf ein gemeinsames Grundschema festhalten lassen, ▶▶ dass sich (drittens) herausarbeiten lässt, inwiefern wohl alle Erzählungen (Mythen, Sagen, Legenden, Märchen etc.) auf solch ein Grundschema fußen, welches sich ▶▶ (viertens) konstanter, tragender Basiselemente bedient, die nahezu zeitlos, kulturübergreifend sowie kontextunabhängig sind und in ihrer Reihung einer ganz bestimmten Logik folgen. Natürlich war das Theoriemodell, mit dessen Hilfe nun die einmal entdeckte merkwürdig konstante Geschichte rekonstruiert und kommentiert werden wollte, an die wenig komplexen Bedingungen einfach linearer bzw. einfach zirkulärer Zeitauffassung gekoppelt, der folgend eine Ereignisreihe bzw. eine Geschichtssequenz von Zeitpunkt A nach Zeitpunkt B voranschreitet und eben dort endet (– oder eben wieder im Kreislauf beginnt).206 Aber das deckt sich ja auch weitestgehend mit dem Standardaufkommen bzw. dem erhobenen Befund von Erzählungen, die mit ihrer letzten Sequenz das verdiente Ende einleiten. Nach Campbell’s Einschätzung sind sie allesamt als Variationen eines monomyth – diesen Originalbegriff hatte er kurzerhand dem Roman Finnegans Wake von James Joyce entnommen –207 aufzufassen, den man sich wiederum anthropologisch-psychoanalytisch verständlich zu machen hat als das im Seelenkern tiefliegende, von kulturellen Faktoren nur randständig geprägte Produkt einer urmenschlich verankerten Grundanstrengung und Sehnsuchtsbewegung. Der immer wieder explizit erwähnte (s. o.), aber v. a. im Blick auf den o. g. Unverfügbarkeitsvorbehalt nur begrenzt verständliche Überschuss dieses Monomythos – wird er am Ende vollständig mit der Dynamik der Psyche zu verrechnen sein? Campbell gibt diese Lesart zwar vor, zieht sie jedoch immer wieder in Zweifel. Zwar weiß er, dass das „Tempelinnere, der Bauch des Wals und das himmlische Reich jenseits, über und unter den Grenzen der Welt […] ein und dasselbe [sind]“208, genauso, wie „die gesuchten und unter Gefahren gewonnenen göttlichen Kräfte im Herzen des 206 Mit einem zirkulären oder gar spirulären, womöglich auch fraktalen oder gar chaotischen Zeitverständnis funktioniert das Anfang-Ende (/Neubeginn)-Schema natürlich nicht; andererseits gibt es auch verhältnismäßig wenig Erzählungen, die ernsthaft mit Zeitverschiebungen, Zeitlosigkeiten und Zeitlöchern operieren oder gar in einem komplex übersättigten Chaos kollabieren. 207 A.a.O., 421, Anm. 35. 208 A.a.O., 105.

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Helden immer schon vorhanden waren.“209 Aber nicht nur einer Symptomatik des Unbewussten will er den vollen Gehalt der überkommenen Figuren, Gestalten, Bilder und Narrative zuschreiben; wahrzunehmen möchte er sie als Gestaltungsformen für „kontrollierte und bewusste Lehren von bestimmten geistigen Prinzipien, die durch die Menschengeschichte hindurch so konstant geblieben sind wie die Form der menschlichen Physis und ihr Nervensystem“210, und schließlich gar als „Wirkungen einer allgegenwärtigen Macht […], aus der sie emporsteigen […] und in die sie sich schließlich wieder auflösen müssen.“211

Die nähere Entfaltung und Ausgestaltung dieser Gesamtperspektive war gewagt, aber im Blick auf ihre Anwendungen auch überzeugend, zumal Campbell sie im Laufe seiner Studien immer wieder an Beispielen zu verifizieren vermocht hat. Der maßgebliche Clou bestand darin, dass er ▶▶ zunächst den Kern seines aufgedeckten Monomythos (nuclear unit of the monomyth) mit der „Abfolge der rites de passage“212 assoziieren und anhand der Formel „Trennung – Initiation – Rückkehr“213 beschreiben konnte: „Der Heros verläßt die Welt des gemeinen Tages und sucht einen Bereich übernatürlicher Wunder auf, besteht dort fabelartige Mächte und erringt einen entscheidenden Sieg, dann kehrt er mit der Kraft, seine Mitmenschen mit Segnungen zu versehen, von seiner geheimnisvollen Fahrt zurück“214, ▶▶ um sodann diese Heldenreise (the hero‘s quest bzw. the hero‘s journey) ergänzend über siebzehn variable Stationen auszudifferenzieren [Berufung / Weigerung / Hilfe / Überschreiten einer ersten Schwelle; Reiseantritt / Der Bauch des Walfischs; erste Probleme / Weg der Prüfungen / Begegnung mit einer (weiblichen) Macht bzw. Gottheit / Versuchung / Versöhnung mit 209 A.a.O., 51. 210 A.a.O., 275. 211 Ebd.  212 A.a.O., 42, auch: 418. (Campbell hat sich ganz offensichtlich von dem Konzept des französischen Ethnologen Gennep, Arnold van (2005 [1909]). Übergangsriten. 3. Aufl. Frankfurt a. M./New York: Campus, inspirieren lassen.) 213 A.a.O., 42. 214 Ebd. Allerdings trifft die deutsche Übersetzung nicht passgenau den Punkt; im Original ist zu lesen: „A hero venture’s forth from the world of common day into the region of supernatural wonder: fabulous forces are there encountered and a decisive victory is won: the hero comes back from this mysterious adventure with the power to bestow boons on his fellow man“; vgl. Campbell, Hero with a Thousand Faces, 23.

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dem Vater; Selbstbewusstmachung von Stärke / Apotheose; Verwandlung / Empfang des Segens; Inbesitznahme des heilsamen Elixiers / Verweigerung bzw. Verzögerung der Rückkehr / (magische) Flucht / Rettung von außen / Rückkehr über die Schwelle; Reintegration / Herr der Welten / Finale Freiheit (zum wahren Leben)].215 Die Monomythos-Konzeption und das mitgelieferte Modell der Heldenreise mussten sich als durchaus folgenschwer erweisen. Schließlich hatte Campbell sein Material ja nicht nur aus profanen Erzähl- und Märchenwelten bezogen, sondern sich auch reichlich im Pool der religionsaffinen Mythen, Sagen und Legenden bedient, letztendlich gar den Zugriff auch auf solche Stoffe nicht gescheut, die aus dem Blickwinkel religionspraktizierender Menschen mit einer schweren Aura letztinstanzlicher Divinität und Würde umhüllt sein wollten. Hier jedoch trafen seine Ausführungen in das Mark der bekannten Auffassungsbündel von Religionsexklusivität, setzten sie doch die berühmte Spezialperspektive außer Kraft, dass (a) bestimmte Heilige Schriften auf Offenbarungsmomente übernatürlicher Kräfte gründen und ihnen (b) eine Reihe göttlicher Selbstmitteilungen innewohnen, als deren (c) unantastbarer Wahrheitskern die Begebenheitsgeschichte ihrer jeweiligen Religionsstiftung wortwörtlich erzählt – und dabei über die Vita der religionsstiftenden Person gespannt wird. Denn genau an dieser Stelle hatte Campbell eingesetzt, als er gegen die Historizität der (religionsstiftenden) Person den Gehalt und die Bedeutsamkeit einer narrativen Figur stellen und gegen den Quellenwert des dokumentarisch beanspruchten Lebenslaufes die Vita als Kunstform des Monomythos identifizieren konnte: „Selbst wenn die Legende von historischen Persönlichkeiten berichtet, erscheinen die Siegestaten nicht auf einer realistischen […] Szene. Denn es geht nicht darum, dass dies oder jenes auf Erden getan wurde“216. Abgesehen davon also, dass der Beweis für die Wahrheit oder gar Absolutheit einer Religion mit den Mitteln der Geschichtswissenschaft nicht geführt werden kann, macht es auch 215 Jeder Versuch, diese Stationen mit einem Kurztitel angemessen zu bezeichnen, läuft Gefahr, ihren detaillierten Entfaltungen nicht hinreichend gerecht zu werden. Das Problem ist bekannt, aber leider kaum zu lösen, vgl. Brinkmann, Frank Thomas (2016). Es war einmal ein kleiner Junge, der hatte nichts mehr auf der ganzen Welt. Die Monomythos-Logik des Herrn Campbell als Schlüssel für religiöse Erzählungen. In: Bäumer, Franz-Josef/Georg-Zöller, Christa/Menges, Thomas/Novian, Michael (Hrsg.) Mythos und Neomythos. Signaturen des Zeitgeistes. FS für Linus Konrad Hauser. Paderborn: Schöningh, 129–144. 216 Campbell, Heros in tausend Gestalten, 41.

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überhaupt keinen Sinn, zur Stabilisierung der inneren Sicherheit einer Religion noch die Historizität ihrer bedeutenden (Stiftungs-)Persönlichkeit und ihrer Geschichten anführen zu wollen, wenn deren Verstrickung in der Welt der Erzählungen längst offenkundig ist. Sogar im Blick auf religiöse Storys, die mit geschichtlichen Daten weitestgehend verrechnet werden könnten, will Campbell davon ausgehen, dass sie sich niemals vollständig auf einer real-event-Ebene erschließen können;217 vielmehr, so weiß er zu betonen, übertreten sie doch den abgesteckten Erzählungshorizont und verweisen über all seine kontingenten Fragmente hinaus auf jenes weitaus größere Sinngeheimnis der Sehnsucht. Erwartungsgemäß waren die Reaktionen auf den Heros in tausend Gestalten höchst kontrovers. Neben vereinzelten Rückmeldungen, die sich in ihrer Kritik generell auf die Qualität des Theorieapparates bzw. auf den Wissenschaftscharakter der dominanten Referenzthesen aus Psychoanalyse und Tiefenpsychologie konzentrieren wollten, gelegentlich aber auch einfach ihre Zweifel an der Sinngenauigkeit der Stationen und ihrer Abfolge anmelden mussten, waren es v. a. die Stimmen von irritierten und verletzten Religionspraktizierenden gewesen, die eine (nicht nur) theologisch hochrelevante Entscheidungsfrage vorbereiten sollten: Konnte es, schlicht auf den Punkt gebracht, denn „wirklich sein, dass hinter den Mythen von Chewbacca und Han Solo die gleiche Struktur verborgen war wie hinter der Geschichte Jesu, die Papst Franziskus in seinem Buch über Gottes Barmherzigkeit auslegte?“218 War besagte (tiefendimensionale) Grundstruktur letztlich etwa eine Erklärung dafür, dass „so völlig unterschiedliche Erzählungen die gleichen Menschen anzusprechen vermochten?“219 Gab es vielleicht eine Urversion? Sollte man einer bestimmten Variante des Basismusters – etwa 217 Beides nämlich, also einerseits das historisch und kontingent sich Ereignende, andererseits das phantasievoll und kreativ-sehnend sich Erzählte, kann bestenfalls als möglicher Index auf die tiefe Glanzkraft des Letzten interpretiert werden. Ein Gedanke, der m. E. die aufklärungstheologische Frage variiert, in welchem Verhältnis eine zufällige Geschichtswahrheit zu einer ewigen Vernunftswahrheit stehen könnte – nur dass es in einer Auseinandersetzung mit der Campbell’schen Lösung um die Klärung der offen gebliebenen Verhältnisbestimmung von geschichtlichen Begebenheiten, narrativen Konstruktionen, kulturanthropologischen Bedeutungsgeweben und letztinstanzlichen Grundmomenten transzendent(-al-)er Wirklichkeit geht; vgl. Lessing, Gotthold Ephraim (1979). Über den Beweis des Geistes und der Kraft (1777) (Werke 8). Hg. v. Herbert G. Göpfert, bearb. v. Helmut Göbel. München: Winkler-Verlag, 9–14: 12. 218 Blume, Michael (2016). Han Solo und Franziskus, Chewbacca und Christus – Eine gemeinsame Heldenreise, ein Monomythos? Abrufbar unter: https://scilogs.spektrum.de/ natur-des-glaubens/han-solo-und-franziskus-chewbacca-und-christus-eine-gemeinsame-heldenreise-ein-monomythos/ (Stand: 18.05.2018). 219 Ebd.

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einer besonders ausgeschmückten oder kunstvoll performierten Variation – den Vorzug gegenüber einer anderen geben? Und, um es einmal ganz distanziert anzugehen, welche Diskursplateaus, welche wissenschaftlichen Gesprächsszenarien stehen eigentlich zur Verfügung, wenn man solcherlei Erkundungsbitten, Rückmeldungen und Grundsatzfragen möglichst vollständig erörtern bzw. hinreichend zufriedenstellend verarbeiten will – und es dabei mit Versionen des Monomythos und der Heldenreise zu tun bekommt, die eindeutig ideologisch zu dekonstruieren, soziohistorisch zu kontextualisieren und theologisch zu problematisieren sind? Womöglich bekannt, zumindest jedoch naheliegend ist bspw. die Empfehlung, das Verhältnis der Campbell’schen Ausführungen zu den Resultaten klassischer Märchenforschung – etwa ersichtlich in den Studien eines Vladimir Propp220 – näher in Augenschein zu nehmen.221 Doch auch die auffällige Nähe zu einem frühen Essay von John Ronald Reuel Tolkien (1892–1973) könnte in weiterführenden Gesprächen zur Erörterung gelangen. Tatsächlich hatte Tolkien in seiner Abhandlung On Fairy Stories222 die schöpferische Potenz jedes phantasiebegabten Autors herausgestellt und betont, dass dieser ja als Sub-Creator eine Reihe fiktiver Welten zu kreieren vermag, in denen sich dann sensible Leserinnen und Leser einfinden und beheimaten können: Enthält nun diese (sekundäre) Parallelwelt hinreichend Anhalts- und Wunschpunkte aus der (primären) realen Welt, kann sie sich schon als wahrhaftig und wirksam erweisen; ihre ganz besondere Anziehungskraft freilich bezieht sie aus den geltenden Regelwerken der in Anspruch genommenen Genres und Gattungen, endgültiger noch aus dem Wesenskern der fantastischen Geschichte (fairy story, übrigens nicht zu verwechseln mit fairy tale) an sich.223 Tolkiens gleichwohl auffälligste Pointe bestand in der stark 220 Propp, Vladimir (1972). Morphologie des Märchens. Übers. v. Christel Wendt. In: Eimermacher, Karl (Hrsg.) Vladimir Propp. Morphologie des Märchens. München: Hanser, 7-152 (Orig.: Propp, Vladimir. Морфология сказки./ Morfologija skazki. Leningrad 1928). 221 Vgl. Brinkmann, Monomythos-Logik, 137 f. 222 Der ursprüngliche Vortrag On Fairy-Stories (1939) ist 1947 erstmals in ausgearbeiteter Form publiziert worden (Lewis, Clive Staples (1947). Essays presented to Charles Williams. Michigan: William B. Eerdmans Pub., Grand Rapids.); zuletzt: Flieger, Verlyn/ Anderson, Douglas A. (Hrsg.) (2008). Tolkien On Fairy-stories: Expanded Edition, with Commentary and Notes. London: Harper/Collins. 223 Vgl. Mikan, Mark (2002). Das Genre macht’s möglich. In: Ders. Front S-Bahn. Köln: Selbstverlag, 88: Das Kind fragt die Eltern: „Warum kann Superman fliegen? Wie ist das möglich?“ „Nun“, sagt der Vater, „weil es ein Superman-Comic ist. Ein Superhelden-

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hervorgehobenen These, dass die bestmögliche Fantasiegeschichte immer diejenige ist, die ehrgeizig vom Sieg des bedrängten Guten über ein vermeintlich überragendes Böses erzählt, um das (literarische) Schöpfungswerk zu vollenden und mit dem ersten Schöpfungswerk (Gottes) zu synchronisieren. Im Lichte der Idee, dass mit Christi Geburt die wohl größte sog. Eukatastrophe (eine Art Schreckensereignis mit gutem Ausgang) aller menschlichen Geschichte ihren Anfang nahm, habe man, so Tolkien sinngemäß, nur noch zu bestaunen, wie die sich darauf türmende Erzählung erlösend in die Primärwelt eingebracht hat; in letzter Konsequenz müsse man die Auferstehung Christi als „höchstmögliche Eukatastrophe in der größten Fantasieerzählung“ überhaupt bewerten, zumal sie doch die wichtigste Gefühlsregung bedient, nämlich: „die Tränen rührende Christenfreude, die der Traurigkeit so nah steht“224.

Nun, trotz einiger Gelegenheiten, sich auf literatur- und religionswissenschaftlich gut besetzten Terrains um angemessene Aufarbeitungsstrategien und Anschlusskommunikationen zu bemühen und bspw. narratologische oder religionsphänomenologische Perspektiven zu schärfen, hatten sich die Auseinandersetzungen mit monomyth und heros quest größtenteils auf einer Ebene eingerichtet, die von trivialisierten Versionen übersättigt war: De facto fand sich nämlich das komplexe Campbell’sche Konzept des Heros in tausend Gestalten nur noch arg verkürzt wiedergegeben, auch wenn es

comic. Und im Superheldencomic kann man eben alles Mögliche. Blitzschnell rennen, Häuser tragen, fliegen …“ „Genau“, ergänzt die Mutter. „Im Märchen ist es ja ähnlich. Da kann man eben auch alles Mögliche, weil‘s eben ein Märchen ist. Eine Hexe besiegen, sich in einen Kürbis verwandeln, einen Wolf überlisten …“ „Ach“, sagt das Kind, „das verstehe ich. Es ist genau wie mit Jesus.“ „Wie mit Jesus?“, runzelt der Vater die Stirn, und auch die Mutter schaut komisch drein. „Ja. Jesus kann über Wasser gehen, weil es eine Jesusgeschichte ist. Eine Bibelgeschichte. In Bibelgeschichten kann man auch alles Mögliche. Meere teilen, Sonne stillstehen lassen, über das Wasser gehen …. Es liegt also am Buch, an der Geschichte. Nicht am Helden selber …“. 224 „And I concluded by saying that the Resurrection was the greatest ‚eucatastrophe‘ possible in the greatest Fairy Story – and produces that essential emotion: Christian joy which produces tears, because it is qualitatively so like sorrow, because it comes from those places where Joy and Sorrow are at one, reconciled, as selfishness and altruism are lost in Love.“; vgl. Tolkien, John Ronald Reuel (2000). Letter to Christopher Tolkien 7-8 November 1944. In: Carpenter, Humphrey (Hrsg.) The Letters of J.R.R. Tolkien. Boston/ New York: Houghton Mifflin Company, 99–101: 100.

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▶▶ v.a. in den Film-, Theater- und Fernsehwissenschaften intensiv diskutiert bzw. von den Medienwissenschaften als dramaturgisches Prinzip reflektiert,225 insbesondere aber auch ▶▶ von wissenschaftsjournalistisch publizierenden Drehbuchautoren auf ein praktisches Empfehlungsmodell hin transformiert,226 fernerhin ▶▶ zur Grundlegung einer gestalttherapeutischen Verfahrenstechnik bzw. einer Selbsterfahrungsmethode herangezogen227 und ▶▶ von systemtherapeutischen Konzeptionen pragmatisch aufgegriffen228 wurde. Kurzum, in zahlreichen Ergänzungsvoten war, obgleich mit höchst unterschiedlichen Zielsetzungen, das formale Grundschema der Campbell’schen Heldenreise mit dem Monomythos selbst verwechselt worden; mit einer Mischung aus Souveränität und Naivität wurden die komplexeren (psychoanalytisch-­ religionstheoretischen) Reflexionsmomente der ursprünglichen Basisthese weitestgehend ignoriert, die ursprünglich noch variabel gehaltenen Reisestationen des Helden hingegen reformuliert und zementiert, modernisiert und verabsolutiert. Der neue und auch finale Clou dieser vereinfachten Modellarchitektur bestand letzten Endes in der Auffassung, dass es innerhalb des Mythos „auf das Wieder-Heil-Werden der Heldin oder des Helden ankommt“229, sich diese 225 Krützen, Michaela (2004). Dramaturgie des Films. Wie Hollywood erzählt. Frankfurt a. M.: Fischer Verlag. 226 Vogler, Christoph (1992). The Writer's Journey: Mythic Structure for Storytellers and Screenwriters. Studio City, CA: Michael Wiese Productions (variiert als: Ders. (2010). Die Odyssee des Drehbuchschreibers. Über die mythologischen Grundmuster des amerikanischen Erfolgskinos. 6. Aufl. Frankfurt a. M.: Zweitausendeins; Ders. (2018). Die Odyssee der Drehbuchschreiber, Romanautoren und Dramatiker, Mythologische Grundmuster der Heldenreise für Schriftsteller. Berlin: Autorenhaus); Hammann, Joachim (2007). Die Heldenreise im Film. Drehbücher, aus denen die Filme gemacht werden, die wirklich berühren. Frankfurt a. M.: Zweitausendeins; Snyder, Blake (2015). Rette die Katze! Das ultimative Buch übers Drehbuchschreiben. Berlin: Autorenhaus Verlag. (Orig.: Snyder, Blake (2007). Save the Cat! The Last Book on Screenwriting You'll Ever Need. Studio City, CA: Michael Wiese Productions). 227 Rebillot, Paul (2016). Die Heldenreise. Das Abenteuer der kreativen Selbsterfahrung. 2. Aufl. Wasserburg: Eagle Books. (Orig.: Rebillot, Paul (1993). The Call to Adventure. Bringing the Hero's Journey to Daily Life. Harper Collins: San Francisco). 228 Vgl. Lindemann, Holger (2016). Die große Metaphern-Schatzkiste – 60 Bild- und Strukturkarten zur Systemischen Heldenreise. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 229 Hammann, Heldenreise im Film, 561.

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Heilungserzählung aber auch außerhalb der Geschichte machtvoll bemerkbar machen wird: Indem, so wurde gefolgert, die Story von der Genesung des Heros und der Erlösung seiner Welt(-en) erzählt wird, kann sie ihre heilende Wirkung für die Rezipierenden entfalten und zu einer heilsamen Inspiration und Kraft für jene werden, die sich die Erzählung zu eigen machen wollen. Denn was die Menschen wirklich brauchen und wollen, erklärt der Script Doctor230 Joachim Hammann 2007 in Die Heldenreise im Film, ist schlichtweg nichts anderes als jene eine Erzählung, in der „Männer und Frauen um ihr Glück, um Gerechtigkeit, um ihre Liebe, um die Rettung ihrer Seele, um die Rettung anderer Menschen kämpfen – und am Ende siegen“, denn das „würden sie in ihrem eigenen Leben […] auch gern schaffen.“231 Dieser Standpunkt nun – gekoppelt eben an die mehr oder weniger pragmatische Sichtweise, dass die rettende Erzählung sich am Hero with a Thousand Faces zu orientieren und dementsprechend der besonderen Schrittfolge-Logik von heros journey bzw. heros quest zu folgen habe – war motivierend und grundlegend für eine ganze Reihe weiterer Versuche, an und mit noch kompakteren Versionen der Heldenreise zu arbeiten. Dass dabei kaum eine modernisierte Heros Quest Short Version mit der Intention, der Qualität und dem Niveau des Originals Schritt halten konnte, war letzten Endes ebenso wenig überraschend wie der Tatbestand, dass sie innerhalb gewisser Grenzen doch alle prächtig funktionieren würden – wie etwa im typischen Fall jener Fassung, die als Dan Harmon’s Story Circle232 eine gewisse Popularität erlangen sollte. Harmon, ein US-amerikanischer Scriptautor und Showrunner,233 hatte sich auf (nur) acht relevante Erzählungsetappen beschränken und die Stationen seiner (Helden-)Reise derart schlicht definieren 230 Mit dem Begriff Script Doctoring (auch: Script Surgery) wird die Tätigkeit einer Person, eines Teams oder einer Einrichtung verstanden, die sich auf sprachliche, stilistische, strukturelle, dramaturgische (etc.) Überarbeitungen von Drehbüchern spezialisiert hat. Script Doctors verfügen in der Regel über Berufserfahrungen, zudem über philosophische und psychologische, literarische bzw. sprach- und literaturwissenschaftliche, u. U. auch über chirurgische Kompetenzen, die sie zu entsprechenden Eingriffen (Scriptectomy) befähigen. Vgl. Kenning, Jennifer E. (2006). How to Be Your Own Script Doctor. New York: Continuum. 231 A.a.O., 63. 232 Raftery, Brian (2011). How Dan Harmon Drives Himself Crazy Making Community, Wired. Abrufbar unter: www.wired.com/2011/09/mf_harmon/all/ (Stand: 19.05.2018). 233 Mit dem Begriff Showrunner wird v. a. in der angloamerikanischen und britischen Fernsehindustrie eine Person bezeichnet, die das Tagesgeschäft einer Fernsehserie geschäftlich sowie kreativ leitet und sich dabei im Wesentlichen gegenüber der Sendeanstalt

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können, dass sie sich in einem einzigen Satz referieren ließen: (1.) Ein Charakter in einer Komfortzone … (2.) entdeckt einen gewissen Bedarf … (3.) und sucht ihn zu begleichen, indem er sich in eine nichtalltägliche Situation (oder Welt) aufmacht, dort (4.) zunächst die Anpassung sucht … und (5.) das Erstrebte entdeckt, findet, aufspürt, jedoch … (6.) einen unglaublich hohen Preis zu zahlen hat; (7.) der Charakter kehrt alsbald an seinen Ursprungsort zurück … (8.) und hat sich genauso verändert wie die Welt (um ihn herum).234 Nun, was man auch immer davon halten möchte: Harmons Schema war tatsächlich nicht nur typisch für jene weit gefassten Modelle, die sich in der Sinn und Mythen produzierenden Medienindustrie als nicht nur effektiv und ergebnisorientiert, sondern auch effizient und aufwandsgering bewähren konnten, sondern es veranschaulichte auch auf beängstigend triviale Weise, dass aus der von Campbell angestoßenen Außenperspektive in letzter Radikalität nur noch begrenzt zu differenzieren ist zwischen „Jesus (Evangelium), Rotkäppchen (Brüder Grimm), Frodo (Herr der Ringe), Luke (Star Wars) oder Neo (Matrix)“.235 Was das bedeutet, hatte sich bereits Jahrzehnte zuvor subtil abzeichnen können, just nämlich zu jener Zeit, da sich der US-amerikanische Produzent, Drehbuchautor und Regisseur George Lucas (nach eigener Auskunft) anschicken wollte, die Lebenswelt der 1970er Jahre mit überarbeiteten Regelwerken aufzuwerten, den Kindern einer zynischen Generation plausible Lektionen zu erteilen und den moralischen Kompass der Menschen mit einer Story neu zu justieren, die von Heil und Erlösung weiß.236 Doch nicht die traditionellen Wege von Sinnvermittlung und moralischer Überzeugungsarbeit sollten dabei eingeschlagen werden, wie aus einem späteren Erinnerungskommentar des großen Filmemachers hervorgeht: „Ich wollte, dass das Ganze als gebräuchliche moralische Studie funktioniert, die so etwas wie einfühlsam nachvollziehbare Weisungen in sich birgt, Kindern verständlich. [Denn:] Es gibt ja immer eine Lektion, die gelernt werden will. Doch wo kommen diese Lektionen her? Auf traditionelle Weise erlangen wir sie ja von der Kirche, der Familie, der Kunst,

bzw. dem produzierenden Studio zu verantworten hat; vgl. Kukoff, David Vault (2006). Guide to Television Writing Careers. New York: Vault Inc., 111–113. 234 Vgl. ebd. 235 Vgl. Blume, Han Solo und Franziskus. 236 Ausführlich vgl. Henderson, Mary (1998). Star Wars. Magie und Mythos. Die phantastischen Welten des George Lucas und ihre Ursprünge. Köln: VGS Verlagsgesellschaft.

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doch in der modernen Welt erhalten wir sie von den Medien – von Filmen eben.“237 Was letzten Endes aus diesen Überlegungen geworden ist, dürfte hinreichend geläufig sein. Lucas, der sich – u. a. als Absolvent der USC School of Cinematic Arts – ohnehin auf den populären, modernen Film kaprizieren und ihn als Trägermedium seiner Lektionen favorisieren musste, hatte sich auf der Suche nach einem geeigneten Story-Vehikel für anschauliche, lebensdienliche Regelwerke (palpable precepts) für eine konstruierte Fiktion entschieden, die sich nicht allein bei den etablierten Narrativen und Genres des Hollywood-Kinos (Western, Sword and Sorcery, Science Fiction usw.) bedienen, sondern auch erkennbare Anleihen auf dem Sektor der religiösen Erzählungen und Mythen machen wollte. Vollends zugute kam ihm dabei, dass er, ähnlich wie zuvor auch Campbell, von der Welt der Erzählungen, Sagen, Märchen und Legenden fasziniert war, zudem mit dem Material filmischer Epen umzugehen verstand, letztlich auch den Hero with a Thousand Faces eingehend studiert hatte238 – und nun, aus diesem Vollen schöpfend, schöpferisch aktiv werden und nach dem Schema der Heldenreise die Versatzstücke ineinander fügen konnte: Mythen, Erzählungen anderer Kulturen. Es schien mir, als gäbe es in unserer Gesellschaft kaum noch Spuren von Mythologie – diese Art von Geschichten, die wir unseren Kindern und uns selbst erzählen, als würden wir Erbgut weitergeben. Der Western hat das mal geleistet, aber da gibt es keine Western mehr. Ich wollte eine neue Form finden, also sah ich mich um, und versuchte herauszufinden, wo meine Mythen herkommen. Von den Rändern der Gesellschaft, womöglich, von da draußen, irgendwo, von geheimnisvollen Orten, einem großen Sargasso-Meer der Leidenschaft. Und Weltraum, dachte ich, weil das All irgendwie auch eine Quelle großer Mysterien ist. Okay, dachte ich, dann wollen wir einmal sehen, was wir mit diesen Elementen an-

237 Lucas, George (1999). Letter from Skywalker Ranch: Why Is The Force Still With Us? In: Kline, Sally (Hrsg.) George Lucas Interviews. Jackson, Mississippi: University Press of Mississippi, 190–215, 205–206 (Übersetzung: F. T. Brinkmann); auch: McDowell, John C. (2017). The Gospel according to Star Wars. Faith, Hope and the Force. 2. Aufl. Louisville KY: Westminster John Knox Press. 238 ”When I was in college, for two years I studied anthropology – that was basically all I did”, erklärt George Lucas, zit. n. Seabrook, John (1999). Letter from Skywalker Ranch: Why Is The Force Still With Us? In: Kline, Sally (Hrsg.) George Lucas Interviews. Jackson, MS: University Press of Mississippi, 190–215: 205.

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stellen können. Also packte ich sie in einen großen Beutel, zusammen mit einer Prise Flash Gordon und anderer Sachen, und heraus kam Star Wars.239

Star Wars, binnen kürzester Zeit zu einem spektakulären Medienphänomen avanciert, gilt nicht allein als eines der perfektesten popkulturellen Veranschaulichungs- und Legitimationsgebilde für die Campbell’schen Thesen, sondern auch als eine Art Wasserscheide für religionstheologische Erwägungen:240 Ist die Story des armen Handwerkers Luke Skywalker, der von einem entlegenen Ort am Rande des Universums kommt, um sich (be-)rufen zu lassen, nicht nur die Prinzessin, die Freundesschar und das Königreich des Guten zu retten, sondern auch mithilfe guter Mächte nahezu die ganze bewohnte Sternenwelt von dem bösen Imperator zu befreien, das poppig-spätmoderne Äquivalent zu der Erzählung vom Zimmermannssohn aus Nazareth und seinem Geschick – oder einfach dessen schlechte Kopie? Haben womöglich beide Narrationszyklen ihre Berechtigung, weil sie in ihrer jeweiligen Kultur passförmig sind, einerseits und hauptsächlich über ihre kulturellen Kontexte verstanden werden können – und dennoch auf den unverfügbaren, geheimnisvollen Überschuss aller Erzählungen verweisen? Nun, zumindest wurde bereits zum Ende des letzten Jahrtausends von einigen namhaften Hochschullehrenden registriert, dass, obschon „den meisten Studenten die größeren Bücher des Alten und Neuen Testaments geläufig sind, Star Wars die einzige Story ist, die wirklich alle gänzlich kennen“241. Auch mehrten sich zunehmend Stimmen, die die kulturellen und ästhetischen Geltungsmomente der intergalaktischen Sternenoper (einschließlich aller Merchandise-Apparaturen) über die sittlichen und zivilisatorischen Prägekräfte klassischer wie auch spätmoderner Bildungsgüter zu stellen wagten – und den 239 ”Myths, stories from other cultures. It seemed to me that there was no longer a lot of mythology in our society – the kind of stories we tell ourselves and our children, which ist the way our heritage is passed down. Westerns used to provide that, but there weren’t Westerns anymore. I wanted to find a new form. So I looked around, and tried to figure out where my myths come from. It comes from the border of society, from out there, from places of mystery – the wide Sargasso Sea. And i thought, Space. Because back than space was a source of great mystery. So I thought, O. K., let’s see what we can do with all those elements. I put them all into a bag, along with a litle bit of Flash Gordon and a few other things, and out fell Star Wars.” [George Lucas, zit. n. Seabrook, Letter from Skywalker, 205]. 240 Henderson, Star Wars. 241 Simon, Trash Culture, 29 (Übersetzung: F. T. Brinkmann).

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Lucanischen Weltraummehrteiler als zentralen Text eines postmodern revidierten, popkulturell modifizierten neuen Kanons „Heiliger Schriften“ verstehen konnten. Resigniert wurde sichergestellt, dass „Studierende […] nicht wirklich Bezüge zur Bibel [erkennen], zu Meisterwerken der westlichen Literatur […] oder zu klassischen Filmarbeiten […], aber irgendeine Erwähnung von ‚Jedi‘, der ‚Macht‘ oder der Zerstörung des ‚Todessterns‘ – und sie brauchen keinerlei weiterführende Erläuterung.“242 Kurzum, innerhalb weniger Jahrzehnte war Star Wars, sicherlich im Schulterschluss mit vergleichbaren Kulturprodukten, die eben ähnliche Qualitäten einer eukatastrophischen Erzählung medialer Moderne erkennen lassen, zu einem festen Bestandteil jener schillernden Deutungs- und Erinnerungskultur geworden, die auf die Geschichten von Luke und Anakin Skywalker, Harry Potter und Lord Voldemort, Superman und Batman, Homer und den Simpsons immer mehr Gewicht legen wollte. Aber warum? Haben vielleicht solche kulturellen Pools, die da gefüllt sind mit mannigfaltig epischen, monumentalen und intensiven Stories, noch etwas mehr mit der Religionspraxis bzw. den religiösen Praktiken von Menschen zu tun als es der Vorwurf suggeriert, dass hier und da allerlei Heiligen Schriften der Rang abgelaufen wurde? Macht es gegebenenfalls Sinn, vor dem Hintergrund aller bisherigen Erwägungen darüber nachzudenken, ob all die imposanten Variationen des wuchtigen Monomythos ▶▶ als symbolische Horizonte einer Wirklichkeit fungieren (können), die sich zwar irgendwie aus unzähligen Geschehnissen zusammenfügt, aber weder Sinn noch Telos erkennen lässt, ▶▶ sich in ihrer Tauglichkeit dahingehend bewähren, dass sie eine mehr oder weniger triste, zufällige Realität mit vollständigen utopischen Gegenbildern zu beliefern vermögen, ▶▶ Menschen bei ihrem Lebensprojekt unterstützen, die Leerstellen und Sehnsuchtsflecken ihrer bescheidenen biografischen Miniaturen phantasievoll träumend auszustatten oder innovativ reflektierend zu verdichten, und ▶▶ wie eine stattliche Modellerzählung für die kleinen privaten Geschichten funktionieren, fernerhin den ganz persönlichen Erzählungen, die die Men242 Wetmore, Kevin J. (2005). The Empire Triumphant: Race, Religion and Rebellion in the Star Wars Films. McFarland, Jefferson/North Carolina: McFarland and Company, Inc. (Übersetzung: F. T. Brinkmann).

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schen bei sich tragen (oder auch noch im Laufe ihres Lebens zu finden haben), als Beispiel, Lesefolie und Sortierungsmuster hilfreich dienen? Ignoriert werden können sie jedenfalls nicht, diese fragenden Überlegungen, vor allem nicht, wenn man sich näher auf den Umstand einlässt, dass der Mensch ein auf Kommunikation angelegtes Wesen ist, das sich offenbar immer wieder im Modus des Erzählens, natürlich auch des Erzählens-von-sich-selbst, seines eigenen Daseins und Soseins vergewissert – und unumwunden selbst so etwas wie eine einzigartige Erzählung ist:243 zumindest jedoch eine besondere Geschichte innerhalb der ihn umschließenden Lebenswelt.244 Im Unterschied zu der physikalischen Welt, die sich als ein mehr oder weniger geordnet stabiles Ensemble von Molekülen, Atomen, Quarks, Wellen, Quanten und dergleichen begreifen lässt, ist die Lebenswelt von Menschen, da deren Dasein und Daseinsdeutung aufgrund unzähliger Ereignisse, Empfindungen und Erlebnisse beständig oszilliert, eine sehr schillernde Sphäre – und gerade „dadurch charakterisiert, daß aus ihr das Subjekt, dessen Welt sie ist, ebensowenig zum Verschwinden gebracht werden kann wie aus einer Geschichte derjenige, dem sie passiert.“245 243 Diese Überzeugung ist offensichtlich nicht ganz unpopulär; eine plakative Kurzversion stellt das immer wieder kolportierte und zitierte, freilich nicht völlig belegte (und insofern unterstellte) Votum des Neurologen Oliver Sacks dar. Dort heißt es: „Wenn wir etwas über einen Menschen wissen wollen, fragen wir ‚Was ist seine Geschichte? – seine wirkliche, innerste Geschichte?‘ – denn jeder von uns ist eine Biographie, eine Geschichte. Jeder von uns ist eine einzigartige Erzählung, die fortlaufend zusammengesetzt wird, unbewusst durch, mit und in uns – durch unsere Wahrnehmungen, unsere Gefühle, Gedanken, Handlungen; und, nicht zuletzt, unsere Rede, unsere gesprochenen Erzählungen. Biologisch gesehen, unterscheiden wir uns nicht so sehr voneinander; historisch gesehen, als Erzählung, ist jeder von uns einzigartig.“ Zitiert nach Bagus, Anja (2016). Zum Geleit. In: Boom, Eusebius van den (Hrsg.) Stationen: Ein Lebenslauf. Steampunk Kurzgeschichten. Remda-Teichel: Edition Roter Drache (o. S.). 244 Wichtige Anregungen zu dieser Betrachtungsweise, v. a. auch eine Reihe der sich im Folgetext bemerkbar machenden Argumente verdankt der Verfasser dem bislang unveröffentlichten Vortrag „Nicht ohne meine Geschichte“ von Anna Lena Veit, die sich in ihren Forschungen u. a. ausgiebig mit Wilhelm Schapps Geschichtenphilosophie befasst hat. 245 Lübbe, Hermann (1960/1961). „Sprachspiele“ und „Geschichten“. Neopositivismus und Phänomenologie im Spätstadium (zu: Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen und Wilhelm Schapp, Philosophie der Geschichten). Kant-Studien: KS 52, 220–243: 231 f.; vgl. Ders. (2004). Lebensweltgeschichten. Philosophische Erinnerungen an Wilhelm Schapp. In: Lembeck, Karl-Heinz (Hrsg.) Geschichte und Geschichten.

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Dass ein Mensch nichts Geringeres als seine (eigene) Geschichte, das Erzählen (dieser Geschichte) daher unvermeidlich und lebensnotwendig ist – mit dieser Grundannahme hat sich der Jurist und Philosoph Wilhelm Schapp in seiner Philosophie der Geschichten246 eingehend auseinandergesetzt; modifiziert hat er sie unter Verwendung des starken Bildes vom Verstrickt-Sein: „Wir Menschen sind immer in Geschichten verstrickt. Zu jeder Geschichte gehört ein darin Verstrickter. Geschichte und In-Geschichte gehören so eng zusammen, daß man beides vielleicht nicht einmal in Gedanken trennen kann.“247 Für Schapp ist der Mensch immer ein der, der ein Wesen, zu dessen nicht gänzlich bekannter Geschichte diese eine Episode gehört, die dann seine Geschichte (aus-)gemacht hat und zu einer festen Erzählung geworden ist. Christopher Columbus als der, der Amerika entdeckt hat, Rotkäppchen als die, die die Großmutter besuchen wollte und dem Wolf begegnen musste, Jesus als der, der am Kreuze starb und am dritten Tage von den Toten auferweckt wurde, sie stehen exemplarisch für jeden und jede, die in eine Geschichte verstrickt sind, weil sie dieses und jenes getan haben: Wer dieser Mensch ist als der, der dieses und jenes getan hat, wer er außerdem noch (gewesen) sein könnte, darüber geben die Geschichten Auskunft, die er von sich gibt und die man über ihn erzählt. Verstrickt bzw. mitverstrickt in diese Geschichten sind also die, die sie erzählen, ob von sich selbst oder über andere, folglich die, die darin vorkommen und die, die Gebrauch von ihnen machen – und schließlich auch solche, auf die sich diese Geschichte letztlich auswirkt.248 In dergleichen Geschichten „sind auch wir, unsere Nachbarn, Freunde und Bekannten, ist jeder einzelne verstrickt. Mit Geschichten, die uns beschäftigen, schlafen wir abends ein, sie begleiten uns und verfolgen uns bis in Studien zur Geschichtenphänomenologie Wilhelm Schapps (Orbis Phaenomenologicus. Perspektiven. Neue Folge 7). Würzburg: Königshausen & Neumann, 25–44. 246 Schapp, Wilhelm (1981). Philosophie der Geschichten. Hg. v. Jan Schapp und Peter Heiligenthal. 2. durchges. Aufl. Frankfurt a. M.: Klostermann. (1. Aufl. (1959). Leer/ Ostfriesland: G. Rautenberg). 247 Schapp, Wilhelm (2012). In Geschichten verstrickt. Zum Sein von Mensch und Ding. 5. Auflage. Göttingen: Klostermann Verlag, 1. 248 Nehmen wir das ärgerliche Beispiel der üblen Nachrede oder einer Falschaussage vor Gericht. In die Lügengeschichte des bösen Zeugen sind letzten Endes alle verstrickt, auf die sie Auswirkungen hat: Die Ehegattin des vermeintlichen Betrügers, der nun, obschon unschuldig, einer Haftstrafe entgegensieht, dürfte ebenso die Konsequenzen zu spüren bekommen wie der Sohn des Beschuldigten. Oder der Gefängnisseelsorger, vielleicht. Oder die Staatsanwaltschaft, wenn ein pfiffiger Reporter den Fall noch einmal aufgreift und die juristischen Fehlentscheidungen im TV-Vorabendprogramm zerlegt.

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die Träume hinein und stehen beim Erwachen wieder neben uns. In all diesen überlieferten oder von uns selbst erlebten Geschichten gibt es den Verstrickten oder die Verstrickten, die gleichsam als Mittelpunkt die Geschichte zusammenhalten. In diesem Punkt stimmen alle Geschichten, auch wenn sie sonst keine Berührungspunkte haben, überein.“249 Sie leisten Enormes, diese Geschichten, so man sie erzählt und nutzt: Bereits durch wenige Geschichten, in die man sich im Erzähl- oder Erlebnismodus hineinwühlt oder eben verstrickt, wird das fragmentarische, zufällige Dasein des Menschen in der Welt zu einer mindestens episodisch erschlossenen Menschenexistenz, zu einem Leben mit ganz eigener Sinndynamik, mit speziellen Ergänzungsgeschichten, bezeichnenden Folgeepisoden, alternativen Erzählungen. Und so viel ist nun mal klar, man „hat nicht nur eine Geschichte; man muß viele Geschichten haben dürfen: darauf kommt es an. Wer als Mensch – für sich selbst und zusammen mit anderen Menschen – nur eine einzige Geschichte haben […], sich nicht in Sondergeschichten entziehen darf, der ist schlimm dran. Nur wer an vielen Geschichten teilnimmt, hat […] durch die jeweils eine Geschichte Freiheit von der jeweils anderen Geschichte.“250 Die Vorstellung, mit der Teilhabe an vielen Geschichten als Verstrickter auch die Chance der Freiheit zu erhöhen, ist verlockend – und macht vor allem Sinn angesichts der Tatsache, dass man als Subjekt ja auch in solche Geschichten verstrickt ist, die man sich definitiv nicht selbst ausgesucht hat: Gänzlich verstrickt ist ein Mensch in die großen politischen Erzählungen seiner Zeit, in die religiösen Erzählungen seiner Kultur, in die biografischen Erzählungen seiner Familie und seiner Bezugsgruppen, beständig verstrickt ist ein Mensch aber auch in die Geschichten, die ihm der Zufall beschert hat und die seinen Lebensweg kreuzen. Er ist also keineswegs notwendig und permanent selbst der Kreateur von Geschichten, ebenso wenig deren primärer Akteur, aber ausgesetzt ist er ihnen dennoch, und so hängt er quasi in einem Gewebe von Geschichten, wo sich allerlei Bruchstücke von Handlung und Widerfahrnis, von Selbstbeteiligung und Schicksal, von Aktivität und Kontingenz vermischen. Unschwer zu erkennen ist nun, dass es im Sinne des von Schapp intendierten Freiheitsmoments für den in Geschichten verstrickten Menschen dreierlei braucht, nämlich, vereinfacht gesagt, 249 Schapp, In Geschichten verstrickt, 1. 250 Vgl. Marquard, Odo (2004). Die Philosophie der Geschichten und die Zukunft des Erzählens. In: Lembeck, Geschichte und Geschichten, 45–56: 50.

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▶▶ gute Geschichten als Gegengewicht zu schlechten Geschichten, ▶▶ gute Momente innerhalb einer Geschichte, die im Kontrast zu deren schlechten Anteilen stehen, sowie ▶▶ ein Geschichtenensemble, das hinreichend dichte, sinnerhellende bzw. sinnstiftende Momente aufweist, um einen lebenstragfähigen Horizont über das Dasein in radikaler Kontingenz zu spannen. Die Qualitätsprüfung und -bewertung eines Geschichtenensembles, einer einzelnen Geschichte oder gar vereinzelter Momente ist freilich nicht an den Nachweis von Reibungsfreiheit oder Komplikationslosigkeit gekoppelt; gut ist eine Geschichte nicht zwingend, wenn sie ohne Störungen auskommt. Bekanntlich wird so manche Geschichte erst dann zur speziellen und lohnenswerten Geschichte, wenn die wenigsten Dinge laufen wie geplant; gerade wenn das Unberechnete, Besondere und Überraschende geschieht, muss und will man sie doch erzählen: Um sich selbst, das eigene Leben darin als besonders wahrzunehmen und sich im Modus des Erzählens dessen zu vergewissern, oder auch einfach, um die Macht dieser Erzählung auszuweiten, die Erzählung anderen anzubieten, sie auch in die Verstrickung mit hineinzunehmen, sodass sie im Schatten der Bedeutsamkeit dieser besonderen Erzählung Zuflucht nehmen können. Für Schapp ist es nebensächlich, ob sich die Geschichten auch so zugetragen haben; die Frage, ob das eigentliche Sein dieser Geschichten wirklich „darin besteht, daß sie einmal passiert sind“, vermag er mit der Bemerkung zu relativieren, dass es „sogar einerlei ist, ob es sich um eine sogenannte wahre oder erfundene Geschichte handelt“251: Sofern sich die Welt – und gemeint ist die Lebenswelt, s. o. – im Modus des Erzählens und Verstrickens konstituiert, existiert sie als kumulatives Narrativ in einem erzählten Universum. Als Welt „in Geschichten und über Geschichten“, beständig bleibend „im Horizont der Ich- und Wirgeschichten“252, profitiert sie von allen Erzählungen und allen Verstrickungen –253 und zehrt folgerichtig von erzählenden Akteuren und erzählten Helden, von Fiktionen und Phantasien, von Kerngeschichten, aber auch von jenen Vor- und Nachgeschichten,254 die sich irgendwie im Dunkel des Horizonts verlieren. 251 Schapp, In Geschichten verstrickt, 86. 252 A.a.O., 166. 253 Vgl. a. a. O., 94 f. 254 Dass mit Vor- und Nachgeschichten oftmals Schindluder getrieben wird, braucht wohl nicht eigens erwähnt, zumindest nicht ausführlich entfaltet zu werden. Man mache sich nur einmal die Mühe zu fragen, was wohl wirklich aus der Protagonistin eines Grimm’-

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Doch davon genug. Längst dürfte sorgfältig Lesenden und neugierig Mitdenkenden ersichtlich geworden sein, ▶▶ inwiefern die Kulturpraxis des Erzählens (und das Grundphänomen des Verstricktseins in Geschichten) mit den Geertz’schen Begriffen von Religion und Kultur (Kap. 3.2), insbesondere mit dessen These von selbstgesponnenen Bedeutungsgeweben zusammenhängt, aber auch, was der Schapp’sche Horizont der Geschichten mit dem Luckmann’schen Heiligen Kosmos (Kap. 2.4) zu tun hat, ▶▶ dass sich die großen und haltbaren Erzählungen der Religion(-en) als besonders gute Kontrastgeschichten bewähren, alldieweil sie es den Menschen ermöglichen, Widerfahrnissen und Geschehnissen voller Sinnlosigkeit und Kontingenz praktisch zu widerstehen und die (Verstrickungs-) Geschichte der eigenen Freiheit und Erhabenheit – auch im Sinne von Luther, Schleiermacher und Troeltsch – zu erzählen, ▶▶ [– aber dass solches auch dort geschehen kann, wo kleinere narrativ formatierte Kulturprodukte als alternative Narrationen und Sinnminiaturen entworfen und gebraucht bzw. nicht explizit religiöse Geschichten erzählt werden, zumal ja (erstens) am Horizont der Geschichten alle Geschichten miteinander verstrickt sind und aufeinander einwirken, sich fernerhin (zweitens) der Kulturmensch ohnehin schon mit der Variationsbreite seines verinnerlichten Monomythos arrangiert hat,] sowie letztlich, ▶▶ inwieweit sich das Geschäft des Ritus, des Rituals und der Riten als rituelles Gebaren von Menschen begreifen lässt, als Kulturpraxis ritualisierten Feierns ihrer ganz besonderen Verstrickheit in einer ganz besonderen, zumeist religiös konnotierten Geschichte. Von solchen Einsichten und Anschauungen geleitet ist es letztlich nur noch ein kleiner Schritt zur Vermessung ihrer praktisch-theologischen Dimension; mit der nötigen Übersicht und etwas Phantasie lässt sich nämlich das Dargelegte schen Märchens geworden ist, jenseits des abrupt gekürzten, drastisch beschnittenen Geschichtenendes („…und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute …) – oder welche Katastrophe dem jungen Paar aus dem Groschenroman der 1950er Jahre widerfahren ist, dass es am Ende nur versöhnlich heißen darf: „Sie heirateten, bekamen viele Kinder und blieben bis in ihr hohes Alter glücklich und zufrieden.“ Merke: Wer ausschließlich in solche Geschichten verstrickt ist, könnte Probleme mit vielen anderen Geschichten bekommen, die in der Welt lauern. Naivität ist keine Lösung!

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mit jener Basiserzählung des Christentums in Verbindung bringen, die ihre stärksten Gottesideen wesentlich aus konzentrierten Reflexionen biblischer Geschichten gewinnt und im Wesentlichen über die zentrale, aber bipolar255 angelegte (Helden-)Figur des Gekreuzigten (Jesus) und Auferstandenen (Christus) entfaltet. Eine Skizze256 könnte in etwa folgendermaßen aussehen: Die Welt, so will es die christliche Basiserzählung halten, ist eine Kreation dessen, „der Himmel und Erde gemacht hat“, der war, bevor etwas war, der aus rohwildem Chaos wohlfeinen Kosmos werden ließ, der Dinge und Wesen mit Absicht schuf und mit einem Plan bedachte. Zugleich jedoch ist dieselbe Welt jener kleine Planetenstern am Firmament, der von Wesen bevölkert ist (bzw. in Besitz genommen wurde), die einen Gott als Grund allen Seins nicht zwingend anerkennen wollen oder können. Der Mensch, er steht fest in der Überzeugung, sein eigener Herr zu sein und ausschließlich sich selbst zu leben; wahrnehmungsfähig im Blick auf den Umstand, dass er eigentlich uneigentlich lebt (bzw. der Sünde dient), ist er nicht. Seiner Unvollkommenheit (bzw. der zu Fall geratenen Schöpfung) ist geschuldet, dass Menschen – auch im übertragenen Sinne – nicht eine Sprache sprechen;257 sie bleiben außer Stande, sich gegenseitig zu schauen, geschweige, den Grund allen Seins und Sinns (Gott) zu erkennen. Doch eine leichte Ahnung befällt sie: Das Böse, das ich nicht will, ständig tue ich es, und das Gute, das ich will, vermag ich nicht zu tun. Wie finde ich Erlösung? lautet ein einschneidender Bekenntnissatz; es bleibt hingegen offen, ob er jemals mit der nötigen Ehrlichkeit und Innigkeit geäußert werden kann. Rudimentär, aber vorhanden ist die Einsicht, dass jegliche gutgemeinte Tat aus dem fragilen Menschsein heraus geschieht, bisweilen auch verheerende Folgen hat. Fremdbestimmt, der Sünde behaftet und unfreiheitlich ist das menschliche Lebenssein.258 Kurz- und mittelfristig bedarf es einer Blindenheilung,259 einer Eröffnung neuer Sichtweisen und Perspektiven, einer Entfernung der Scheuklappen, einer Aufhebung der dem Menschen wohl eigenen Träg- bzw. Lahmheit,260 langfristig gesehen geradezu einer Kreuzigung und 255 Der Verfasser hat diesen Begriff bewusst gewählt, um die Dramatik der theologischen Redewendung von „wahrer Gott – wahrer Mensch“ anschaulich zu machen. Um ein Krankheitsbild geht es dabei nicht. 256 Die Skizze stellt die Weiterentwicklung eines älteren Versuches dar; vgl. Brinkmann, Comics und Religion, 218 f. 257 Vgl. Gen 11. 258 Vgl. Jer 2, 5. 259 Vgl. Mat 9, 27 f. par.; 20, 29 f. par.; Mk 8, 22 f. 260 Mat 15, 30 f. par.

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Wiederauferweckung, um neu und eigentlich leben zu können. Für dieses Prinzip steht Jesus: Als Menschensohn zweifellos der Gattung Mensch zugehörig, aber im Geiste längst „eins mit dem himmlischen Vater“, den er zu sehen und zu hören vermag, dessen Position er einnimmt, den er gar vertritt voller Gottesbewusstsein. Ein echter Gottessohn also, der seine irdischen Zelte bald abbrechen muss, aber in einer mächtig erzählten Geschichte auf die Erde zurückkehrt als der Auferweckte, der nicht nur Menschen, sondern alles neu machen will. Wer auch immer ihm nun zu folgen geneigt ist: eine solche Menschneuwerdung muss sich frei- und eigenwillig ereignen, aus eigenem Willen, vielleicht auch immer wieder neu, in einem ewigen Prozess. Angestoßen werden kann dieser Prozess (im wahrsten Sinne des Wortes) durch eine klärende Gerichts-, vor allem jedoch durch eine zuvorkommende Gnadenzusage und Freisprechung, die sich alsdann im Bewusstsein von Freiheit (bzw. einleuchtender Gotteskindschaft) realisiert. Diese Art von Gewissheit, sie korreliert mit einer veränderten Lebensgeschichts- bzw. Wirklichkeitsperspektive, die die eigene Bedeutung und den eigenen Lebenssinn als von der Bedeutung Gottes relativiert, zugleich aber auch unendlich geschätzt und gewürdigt weiß. Letzten Endes stellt dann auch der Tod keine Bedrohung mehr dar; er ist in seiner Macht und Endgültigkeit besiegt, sobald man für sich zu begreifen vermag, dass in der Wirklichkeit Gottes eine Macht am Werke ist, die die jemeinige Bedeutung anerkennen und würdigen will, unendlich weit über die Todesgrenzen hinaus. Eine derartige Sicht der Wirklichkeit, die von der Anerkennung der Wirklichkeit Gottes (als des Sinnganzen und Sinngrundes) ausgeht, hat selbstverständlich auch Konsequenzen für das eigene Selbst- und Weltverhältnis, und so bilden Gottesliebe, Nächstenliebe und Selbstliebe jene Trias, die als (goldene) Grundregel christlicher Existenz gilt.261 Ihre Umsetzung beinhaltet für die neuen Menschen (in Christo) sowohl Dankbarkeit als auch Pflicht; die Gelassenheit der freien Kinder Gottes bleibt für alle Zeiten gekoppelt an die permanente (Mit-) Verantwortung für Gottes Kreationen und Kreaturen.

Unbestritten bleibt, dass sich diese Basiserzählung als eine Geschichte ausgewirkt hat, sie also Geschichte machen und Geschichte schreiben konnte. Und obwohl es niemals eine wirklich glatte, sanfte, weiche oder gar naive Geschichte gewesen ist, sondern vielmehr permanent eine solche, die mit Komplikationen aufwartet, auf Verstörungen und Zumutungen beruht, mit unfassbaren Bildern und unbegreiflichen Denkfiguren operiert, kann ihr mit guten Argumenten bescheinigt werden, dass sie der Unordnung des Daseins als Heilsgeschichte 261 Vgl. Mat. 22, 37 f. par.

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begegnet ist: der chaotischen Unübersichtlichkeit des Lebens und der Weltläufe tritt sie als sinnhafte Kosmologie entgegen, auf Hoffnung angelegt, und alle fragmentarisch wahrgenommenen Lebensentwürfe und Biografien kontrastiert sie mit der Vollständigkeit der Heldenreise Jesu Christi.262 Die doppelte Dramaturgie – sowohl der Kosmologie von Schöpfung bis Erlösung als auch der Heldenreise von Geburt bis Auferweckung bzw. Himmelfahrt – bietet nicht nur der Kontingenz Paroli, sondern löst sie auf: ihr Sinn generiert sich nämlich exakt im Modus des Erzählens und Feierns jener Freiheitsgeschichte, die sich als finale, integrale Erzählung von des Menschen Erlösung durchsetzen und bewähren kann. Und genau das möchte weiterhin sinnhaft ermöglicht und gestaltet werden; die Pointen aller bisherigen Betrachtungen aufnehmend bleibt dabei idealerweise der Fokus auf jenem Konzept einer (religiös inspirierten, fromm-geselligen und sozial elastischen) Kirche, die ▶▶ als Artikulations-, Kommunikations- und Interaktionsanstalt aufgestellt sein will, ▶▶ sich als Erschließungsforum für Menschen mit religiöser Gestimmheit, Ergriffenheit und Sehnsucht zu begreifen weiß, ▶▶ Sinndeutungen ermöglicht, indem sie Stories zu bieten und deren Highlights zu feiern, Erzählungen darzubieten und ihre Essenzen (performativ) zu inszenieren vermag, 262 Um dem möglichen Vorwurf zu begegnen, dass die Inanspruchnahme des Heldenbegriffs bzw. der Heldenreise im Blick auf Jesus nicht rechtens, fromm und angemessen sei, soll einfach nur an frühe Frömmigkeitstraditionen erinnert werden, insbesondere an die markigen Verse eines erlesen schönen, nach wie vor gebräuchlichen Kirchenliedes von Angelus Silesius (eigentlich Johann Scheffler, 1624–1677): „Mir nach!“, spricht Christus, unser Held, „mir nach, ihr Christen alle! / Verleugnet euch, verlasst die Welt, folgt meinem Ruf und Schalle, / nehmt euer Kreuz und Ungemach / auf euch, folgt meinem Wandel nach! // Ich bin das Licht, ich leucht euch für / mit heilgem Tugendleben. / Wer zu mir kommt und folget mir, / darf nicht im Finstern schweben. / Ich bin der Weg, ich weise wohl, / wie man wahrhaftig wandeln soll […]. / Ich bin der Seelen Fels und Hort / und führ euch zu der Himmelspfort. / Fällt's euch zu schwer? Ich geh voran, / ich steh euch an der Seite, / ich kämpfe selbst, ich brech die Bahn, / bin alles in dem Streite. […] / So lasst uns denn dem lieben Herrn / mit unserm Kreuz nachgehen / und wohlgemut, getrost und gern / in allem Leiden stehen! / Wer nicht gekämpft, trägt auch die Kron / des ewgen Lebens nicht davon.“ (vgl. EKD (Hrsg.). Evangelisches Gesangbuch (= EG). Stammausgabe der Evangelischen Kirche in Deutschland. Stuttgart: Biblia-Druck 1993, EG 385).

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▶▶ die Frage nach Gott und Erlösung, die Sehnsucht nach Seelenfrieden und Freiheit, das Verlangen nach Erlebnis, Erfahrung und Ganzheit, die Furcht vor dem Schuldig- und Verlorensein, die Angst vor der Vergänglichkeit und dem Tode offen hält, aber nicht ausklammert,263 und so ▶▶ intensiv pflegt, was den Menschen zum Menschen macht: seine Religion. Und damit zum Letzten.

3.4  Poiesis, Poesie und Pop, am Ende wieder ganz praktisch. Finale Ansichten über die besonderen Aufgaben der jüngsten – und zugleich ältesten – theologischen Disziplin

Als Bathseba in Davids Haus einzog, brachte sie nichts anderes mit als den kleinen Hausgott aus Feigenholz. David nahm den Hausgott in seine Hände und musterte ihn […]. „Das Leben ist eine unablässige Jagd nach Gott“, sagte er zu ihr, „außer Gott gibt es keine einzige Beute von Wert oder Bedeutung“. „Ich bekam ihn von meinem Vater, als ich geboren wurde“, sagte Bathseba, „er hat immer an meinem Bett gestanden.“ Und sie drückte ihn an ihre Brust, als brauche der Gott Wärme und Schutz, als sei der Gott auf ihre Hilfe und Liebe angewiesen. Und David konnte nicht umhin zu lachen, als er sie sah, die Frau und den Gott, ihre Wehrlosigkeit und Ohnmacht, ihr rührendes und verwirrtes und sinnloses Festklammern aneinander. […] „Gott läßt sich nicht von Menschenhänden formen“, sagte er, noch mit einem röchelnden Lachen in der Kehle. „Gott kann man nicht in einem Stück Holz einfangen.“ „Ich habe ihn gern“, sagte Bathseba einfach. „Für mich taugt er als Gott.“ „Arme Frau“, sagte David. „Du weißt nicht, wovon du redest.“264 263 Vgl. Brinkmann, Frank Thomas (1992). Sehnsucht nach Ganzheitlichkeit, Gegenwart der Aufklärung und Offenheit der Zukunft? – oder: Wann und wie kommt das neue Zeitalter. In: Müller, Wolfgang E./Schulz, Hartmut H. R. (Hrsg.) Theologie und Aufklärung. FS für Gottfried Hornig zum 65. Geburtstag. Würzburg: Königshausen & Neumann, 358–381. 264 Lindgren, Torgny (1987). Bathseba. München: Hanser, 57.

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  3.4  Poiesis, Poesie und Pop, am Ende wieder ganz praktisch.

Es gibt eine Größe im Leben derjenigen, die religiöse Systeme aufgebaut haben – eine Größe des Handelns, der Idee und der Selbstunterwerfung –, die sich von Fall zu Fall in den Jahrhunderten des Aufstiegs manifestiert hat. Größe haben aber auch die Rebellen, die solche Systeme zerstören: Sie sind die Titanen, die, bewaffnet mit leidenschaftlicher Redlichkeit, den Himmel stürmen. Möglicherweise ist die Revolte nichts anderes, als das Insistieren der Jugend auf dem Recht des ihr eigenen Scharfsinns, diesem höchsten Gut unmittelbarer Freude.265

Nur noch wenige Betrachtungen sind nötig, bis das Klärungsversprechen der ersten Sätze (1.1) vollständig eingelöst ist; es braucht kaum weitreichende Gedankenspiele mehr, um die offenen Enden aller roten Denkfäden retrospektiv aufzugreifen und in einem letzten Kapitelchen zu verknüpfen. Und so möge man sich doch bitte gern erinnern (oder rasch noch einmal lesen), wie die eingangs gestellte, fast naiv klingende Anfrage nach dem praktischen Wert von Theologie schnell abgelöst wurde von Überlegungen, die durchaus als umständlich empfunden werden konnten; immerhin ging es doch um Aristoteles, Kant – und die nunmehr bekannte Unterscheidung von Theorie und Praxis. Die Essenz dieser Betrachtungen, nämlich dass eine theoretische Wissenschaft nach abstrakten Kenntnissen strebt, die in keinem rechten Wirkungsverhältnis zu dem echten Leben stehen, wohingegen eine praktische Wissenschaft – sofern sie auf das Verstehen von menschlicher Betriebsamkeit, auf die Verbesserung moralischen bzw. sittlichen Treibens sowie auf die Gestaltung von Tun und Handeln überhaupt abzielt – ihr sorgfältiges Augenmerk auf Vorfindliches richtet, sollte sich v. a. in Kombination mit einem reflektierten Verständnis von (wissenschaftlicher) Theologie als hilfreich zeigen. Gerade im Blick auf die Geschichte der scholastischen Ausdifferenzierungen von theologia speculativa und theologia practica durfte sehr ersichtlich werden, wie problematisch letzten Endes eine Theologie ist, die über rein theoretische Spekulationen einzuholen sucht, was Gott von sich selbst denkt. Anders verhielt es sich da schon mit dem Gegenmodell Luthers, der quasi die gesamte Existenz des Menschen als eine zwischen Anfechtung und Gewissheit schillernde Lebensdeutung und Lebensführung im Glauben verstehen und folgerichtig als einzig wahre, weil praktische Theologie etikettieren wollte; seine Konzeption kann, obschon sie sich durchaus 265 Whitehead, Alfred North (1984). Prozess und Realität. Entwurf einer Kosmologie. 2. Aufl. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 604.

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auf augustinische Denkmomente und monastische Traditionselemente beziehen lässt, als ein starker Etappenmarker gesehen werden, auf dem Weg zu der sich anbahnenden Fokussierung auf den Menschen. Dass die entsprechende Wegstrecke nicht ohne Hürden zurückgelegt werden konnte, wird exemplarisch dort ersichtlich, wo sich das von Luther gegen die scholastisch-spekulativen und kirchenautoritär-willkürlichen Lehrbildungsverfahren aufgestellte sola scriptura-Prinzip sukzessiv zu einer biblizistischen Theologie verselbständigen konnte, die sich die unumstößliche Wahrheit der Bibel – und zwar in wörtlicher, sachlicher und historischer Hinsicht – mit Offenbarungs- und Inspirationslehren abzusichern suchte. Diese Position wiederum lässt sich keineswegs allein als eigentümliche Episode der Theologiegeschichte bewerten; wenngleich es seit Jahrhunderten kaum an überzeugenden Reflexen und Argumenten – man denke etwa an Schleiermachers frühe Verhältnisbestimmung von Religion und Schriftgebrauch, an Troeltschs Präzisierungen hinsichtlich der Unterscheidung von Wahrheit und Geltung, zuletzt auch an die starken Thesen zu Monomythos, Erzählungen und Geschichten – gemangelt hat, kann bis in die jüngste Gegenwart nachverfolgt werden, wie sich die fundamentalistische Kapriole von der wortwörtlichen, weil vollständig von Gott eingegebenen Wahrheit aller Aussagen der Heiligen Schrift266 in Wellenbewegungen wiederholt. Hierzu sinn- und niveauvoll reflektierte Alternativen aufzuzeigen – auch das gehört zu den Aufgaben einer Praktischen Theologie, so sie sich als wirklich praktisch zeigen will. Doch davon später mehr. Zuvor gilt noch, auf eine gemeinsame, als unverzichtbar empfundene Grundannahme aller bisherig skizzierten Denkoperationen hinzuweisen. Vehementer nämlich als es in den nuancierten Einzelskizzen aufgrund ihrer unterschiedlich prononcierten Klärungshorizonte notwendig war, ist der Tatbestand abzusichern, dass die besagte fortschreitende Fokussierung auf den Menschen, sicherlich flankiert von einer gesteigerten Berücksichtigung kultureller Kontexte und Prozesse, niemals mit einer Preisgabe des Referenzrahmens von Schrift und Tradition erkauft werden wollte – und selbstverständlich weiterhin von einer intensivierten Bemühung 266 Ein besonders abschreckendes Beispiel findet man z. B. unter Ebertshäuser, Rudolf (2017). Der Standpunkt des Glaubens an die bewahrte Textüberlieferung der Heiligen Schrift. Abrufbar unter: https://das-wort-der-wahrheit.de/2017/03/der-standpunkt-des-glaubens-an-die-bewahrte-textueberlieferung-der-heiligen-schrift/ (29.6.2018); dort ist zu lesen: „Wir wissen aus der Bibel selbst, daß [sic!] alle Schrift, d. h. die ganze Heilige Schrift in allen ihren Bestandteilen, bis hin zum einzelnen Wort, von Gott durch Seinen Geist eingegeben und damit göttlich vollkommen und irrtumslos ist.“

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  3.4  Poiesis, Poesie und Pop, am Ende wieder ganz praktisch.

um die Sinnbedeutung und die Lebensbedeutsamkeit der christlichen Gottesrede gekennzeichnet blieb. Denn lebendig gehalten wurde sie ja stets, die Frage, was es mit Gott – dem doppelten Superintegral bzw. der doppelten Super­signatur (erstens) des kirchentheologisch verantworteten Glaubenswissens einer institutionalisierten Bekenntnisgemeinschaft sowie (zweitens) des religionstheologisch zu erschließenden Wirklichkeitsverständnisses sehnsüchtig nach Sinn strebender Menschen – auf sich hat. Die Verarbeitung und Beantwortung dieser Frage aber sollte und soll, wie ehedem, unweigerlich an zwei thematische Bereiche gekoppelt sein: Da ist zum einen jener besondere Entfaltungs- und Gestaltungsrahmen der (christlichen) Religion, der mal über ein theologisch-ekklesiologisches Superdogma begründet, mal zu einer romantisch-idealistischen Supersphäre entwickelt, mal wie ein religionssoziologisch bestätigtes Superkonstrukt reflektiert werden konnte. Gemeint und gedacht ist die Kirche, einerseits als Gemeinschaft der Geheiligten und Glaubenden, andererseits als Idealanstalt der religiös Ergriffenen, die sich im Modus geselligen Austausches auf Ausdrucksund Entfaltungsweisen des Religiösen zu verständigen suchen, sowie letztlich als ein sittlich hochwirksames, Freiheits- und Gottesbewusstsein generierendes Kulturareal, als eine Institution, deren Sozialgestalt um ihrer Zukunftsfähigkeit willen möglichst weit und breit aufgestellt, vor allem aber hoch elastisch formatiert sein wollte. Zum anderen nun – und hier ist die Prioritätsstufe gewisslich höher – steht diese theologische um Gott kreisende Such-, Sehnsuchts- und Denkbewegung, sofern sie sich als christlich apostrophiert, in permanenter Verbindung zu einem ganz konkreten Bündel an Personen, Figuren und Begebenheiten, präziser wohl: zu jenem multidimensionalen Ereignisfeld, das man unter dem (dehnbaren Begriff vom) „galiläischen Ursprung des Christentums“267 rubrizieren könnte. In ein derart flexibles Gebilde, das hat man nunmehr verstanden und als alternativlos akzeptiert, passt kein komplikationslos ontologisierter Wundertaten-Jesus mehr, dessen Lebenslauf man in biblischen Texten historisch exakt dokumentiert finden könnte; eine ähnlich schwindend geringe Wirkmacht dürfte in diesem Konzept jenem eindimensional stilisierten Heilstatsachen-Christus zukommen, dessen Erlösungswerk über lange Zeit in unzähligen dogmatischen Streitdebatten, Sendschreiben, Enzyklika, Denkschriften und Besinnungsaufsätzen erörtert worden war. Stattdessen, so wollte sich zeigen lassen, hatte sich 267 Im Anschluss an Whitehead, Prozess und Realität, 612.

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ein zeitgemäßes theologisches Nachsinnen einerseits weitaus sensibler, perspektivenreicher und gründlicher, andererseits rundweg produktiv und kreativ auf alle möglichen Beziehungen des Nazareners – zu seiner jüdischen Geschichte, zu seiner Umwelt, zu nahestehenden und fremd gebliebenen Menschen etc. – einzulassen. Nicht von ungefähr kristallisieren sich einige der wichtigsten Impulse in der grob zweiteiligen Überlegungskette, ▶▶ was wohl eine Reihe von Menschen dazu gebracht haben mag, jene Geschichten zu erzählen, bei denen sich später nur mühsam ausdifferenzieren lässt, ob es Geschichten über die Person Jesus oder über die Figur Jesus sind, und ▶▶ was man diesen Erzählungen überhaupt als verbürgt entnehmen kann (a) im Blick z. B. auf die Lebenswegstationen, die Verkündigung, die Frömmigkeit, die Religion und die Gottesbeziehung ihrer Hauptfigur, des Helden Jesus, aber auch (b) im Blick auf die narrativ konstruierte (z. B. seelische) Gestimmtheit der erzählten Nebenfiguren (Maria, Petrus, Lazarus usw.) sowie (c) im Blick auf all jene erzählenden Nebenpersonen, die offensichtlich (als Erzählende) ganz und gar für ihre erzählte Geschichte (haben) einstehen wollen. Wer sich mit solchen Betrachtungsansätzen und Anregungen produktiv auseinanderzusetzen vermag, wird sich letztlich auch in ein passendes Verhältnis zu jener allgemeinen Definition setzen können, wonach man Theologie zu begreifen habe als eine besondere, weil dem Horizont des Unverfügbaren und Unbedingten Rechnung tragende Stellungnahme zu der Wirklichkeit (des Menschen), die sich im Modus der Reflexion einer besonderen Gottesidee vollzieht. Nahezu umstandslos lässt sich nämlich im Anschluss an diese Formel für die Christliche Theologie spezifizieren, dass ihre besondere Gottesidee mit einem ganz speziellen Bedeutungsgewebe zu assoziieren ist – wodurch es dann wiederum präzisiert, geradehin definiert wird. Und genau für dieses spezielle Gewebe darf man jetzt festhalten, dass es ▶▶ aus narratologischem Blickwinkel mit Erzählungen gesättigt ist, in denen Jesus eine zentrale Position einnimmt, ▶▶ sich in spiritueller Hinsicht aus Meditationen über ein (der Figur Jesus erzählend eingeschriebenes, aber auch eigens erlebtes) Gefühl von Gotteskindschaft und –nähe speist, weswegen es womöglich

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  3.4  Poiesis, Poesie und Pop, am Ende wieder ganz praktisch.

▶▶ aus religionstheoretisch distanzierter Sichtweite reichliche Operationsspuren erkennen lässt, die auf Träger religiösen Selbstbewusstseins, frommen Endlichkeitsbewusstseins oder in Abhängigkeit gesteigerten Gottesbewusstseins zurückgehen dürften. ▶▶ Des Weiteren gilt für dieses Bedeutungsgewebe, dass es ▶▶ sich (nicht allein aus kultursoziologischer oder ethnologischer Perspektive betrachtet) über sinntragende Regelwerke alltagspraktisch und sozialverträglich profiliert und ▶▶ seine sozialen Manifestationen in Konturen und Weisen des Sittlichen, Geselligen und Feierlichen bzw. Rituellen erfährt – und diese Manifestationen einigermaßen haltbar bleiben können, sofern sie sich als schön, gut und wahr, alternativ als ansprechend, lebensdienlich und menschlich, als begegnungsreich, erlebnisbejahend und freiheitlich bewähren.

Christliche Theologie, soviel darf nun vermeldet werden, beruht also im Wesentlichen auf dem Erzählungskonvolut, das von einer sich als christlich definierenden Religionsgemeinschaft gepflegt und reflektiert wird. Folgerichtig bedient sich diese Theologie im Pool aller Narrationen und Reflexionen, die (a) sich auf die stilisierte Person Jesu und den Sinngehalt der Figur Jesus Christus konzentrieren, die (b) auf Momente der frommen Gottverbundenheit Jesu und der daran anknüpfenden Frömmigkeit der Christusgläubigen rekurrieren sowie (c) die kontextuellen, also genauer: die historisch-kulturellen sowie seelisch-individuellen Ermöglichungsgründe der jesuanischen Performance bzw. des in der Jesusfigur verkörperten Gottesbewusstseins fokussieren, um (d) in diesem Konglomerat das Christentum als eine prägende, sinndeutungsstarke Kulturmacht sichtbar zu machen. Aber wieso? Wozu braucht es eine solche Theologie, deren Stellungnahme zur Wirklichkeit von Welt und Mensch sich darin erschließt, den Horizont des Unverfügbaren mit dem Konzept von Gotteskindschaft zu versöhnen, sprich: den Sachverhalt eines ungeklärten Abhängigkeitsbewusstseins mit dem Modell eines innigen Gottesbewusstseins zu synthetisieren, die starken Motive von (permanent anfechtbarer) Glaubensgewissheit und (dauerhaft irritiertem) Geborgenheitsgefühl zu etablieren – und den geselligen Austausch bzw. die feierliche Kommunikation zu einer religionspraktischen Notwendigkeit zu erklären? Die eindimensionale, oftmals missbrauchte Behauptung „Weil Gott es so will!“ kann nicht zur vollständigen Erhellung herangezogen werden; sie deckt

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sich keineswegs mit dem komplexen Befund der biblischen Narrationen, die weitaus größeres Erklärungspotential aufweisen – und auf die Bezug genommen werden will. Bei genauer Betrachtung nämlich zeigt sich, dass das starke Erzählmotiv der Gottesselbstvorstellung, die lebensheilsame Praxisperformance Jesu und die mehrfach aufgeworfene religiöse Wahrheitsfrage niemals ohne die (hier bereits mehrfach betonte) Fokussierung auf den Menschen verständlich hätte werden können: Nicht von ungefähr wird Gott in Szene gesetzt als die Macht, die „den Menschen segnet, auf dass er ein Segen sein kann“,268 die unumstößlich „will, dass allen Menschen geholfen wird und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“,269 während (die Erzählfigur) Jesus – als ein dieser Macht aufs innigste verbundene Charakter – die Szenarien der Weltbühne mit der an den Menschen gerichteten Frage: „Was willst du, dass ich dir tun soll?“270 durchschreitet, um letzten Endes eine hochsensible Einsicht zu artikulieren: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden. Ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir“.271 Die Notwendigkeit einer doppelten, nämlich sowohl einer reflektiert-theologischen als auch einer religiös-alltagspraktisch wirksamen Stellungnahme zur Wirklichkeit, sie hat also ihre Anhaltspunkte in dem Tatbestand, dass die Wirklichkeit als eine fragile, endliche Veranstaltung erlebt wird, die mit einem gewissen Leidensdruck aufgeladen ist – und der man irgendwie beikommen (oder entkommen) muss. Nicht von ungefähr war auf diesen Tatbestand schon eingegangen worden, als die Begriffe von Trennungserlebnis, Abschiedsschmerz, Verlusterfahrung und Erschütterung unter der sperrigen Rubrik von Trauerarbeit und Trauerpraxis behandelt und mit den letzten Lebensspuren Jesu bzw. den ersten Aktivitäten seiner Hinterbliebenen synchronisiert worden sind (Kap. 2.1). Vergänglichkeit und Endlichkeit, diese Basiserfahrungen und Grunddaten des Menschlichen bleiben radikal unabgegolten – und stehen dennoch in Verbindung mit der Möglichkeit, Kontrasterfahrungen zu generieren, Wunschträume freizusetzen und geschmackvolle Sehnsuchtsbilder zu kreieren. Braucht es sie womöglich zur Glättung der Sinne und zur Dekoration der Gedanken, und zwar besonders dann, wenn sich der bittere Geschmack272 und 268 Vgl. Gen 12, 2. 269 Vgl. 1Tim 2, 4. 270 Vgl. Lk 18, 41. 271 Vgl. Joh 16, 33–32. 272 Vgl. EG 341, 5.

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der schmerzhafte Stachel273 (des Todes als des Nicht-Bleiben-Könnens) ebenso furchtsam zur Vorahnung drängt wie die bedrohlichen Momente des Finales von Sein und Bewusstsein? Zumindest hört man immer wieder davon: Mein ganzes Ich … also die Art und Weise, wie ich gelernt habe, mich wahrzunehmen, mich zu empfinden, mich zu verstehen, mich zu sehen … das alles wird vorbei sein. Auch die Weise, in der ich begriffen habe, wie sehr ich mich doch eigentlich als für mich selbst unersetzlich halte … wie ich mich liebe, an mir selbst hänge … davon wird nichts mehr bleiben … das wird wohl vergehen, der Vergänglichkeit anheimfallen … dabei ist es doch in mir angelegt, so scheint mir, mich darüber hinaus zu sehnen … mich auszudehnen, meine Gedanken weiter zu machen, hin auf eine Idee, dass alles neu wird, anders, besonders … so besonders wie es nur geht … ja, am Horizont meines Daseins hängt sie, die Gottesidee, die Vorstellung eines Größeren, eines Unbedingten, Unverfügbaren, der Traum einer Geschichte, die eine Fortsetzung erfährt … der Traum einer neuen Welt.274 Die jüngere Popkultur hat es in den letzten Jahrzehnten durchaus verstanden, einerseits gefällig optimistische Sehnsuchtsbilder, andererseits aber auch rustikale Praxisvorschläge für ein wildes Leben zu kultivieren. Während im ersten Buch der Harry-Potter-Saga nahezu exemplarisch zu erlesen war, dass „der Tod für den gut vorbereiteten Geist nur das nächste große Abenteuer“275 einleitet, scheinen sich andere Stimmen eher für eine exzessive Lebensbejahung im Diesseitigen auszusprechen – wie pars pro toto dem vielzitierten (allerdings ungenau belegten) Votum des Schriftstellers Hunter S. Thompson (1937–2005) entnommen werden kann: „Das Leben sollte keine Reise ins Grab sein mit der Absicht, dort möglichst unbeschadet mit einem hübschen, gut erhaltenen Körper anzukommen, sondern vielmehr eine seitliche Rutschpartie in einer 273 Vgl. EG 101, 3. 274 Auszug aus einem Gesprächsprotokoll, gefertigt im Rahmen der Geburtsfeier des Künstlers Stefan Kürten am 9. Juni 2018, vorgesehen für: Frank Thomas Brinkmann, Wie die Kunst das Leben sieht. Unterhaltungen mit Künstlerinnen und Künstlern über das, was man Jenseits nennen könnte. (unveröffentlichtes Manuskript); vgl. hierzu auch: Schmied, Wieland/Schilling, Jürgen (Hrsg.) (1990). Gegenwart Ewigkeit. Spuren des Transzendenten in der Kunst unserer Zeit. Berlin: Cantz. 275 Rowling, Joanne K. (2000). Harry Potter und der Stein der Weisen. Hamburg: Carlsen Verlag, 323; vgl. Kumlehn, Martina (2010). „Der letzte Feind, der zerstört werden wird, ist der Tod“ – Narrative ars moriendi und ars vivendi in der Harry-Potter-Septologie. In: Dinter, Astrid (Hrsg.) Vom Logos zum Mythos: „Herr der Ringe“ und „Harry Potter“ als zentrale Grunderzählungen des 21. Jahrhunderts. Praktisch-theologische und religionsdidaktische Analysen. Berlin/Münster: LIT, 15–40: 24.

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Rauchwolke, die man ausgelaugt und verbraucht mit dem lauten Ruf beendet: Wow! Was für ein Ritt!“276 Nun, tatsächlich sind beide Extreme – als Sinndeutungs- und Lebengestaltungsvorschläge im Angesicht des Todes – mit dem Spektrum einer christlichen Theologie verträglich, die bereits früh mit der narrativ codierten Kunst­vita eines nach intensivem Leben früh verstorbenen Jesus, der sich (freilich) als auferweckter Christus gen Himmel aufgemacht hat, beide starken Motive aufzugreifen vermochte (und sich ergänzend auch damit befassen durfte, dass Paulus, Petrus u. a. m. explizit auf das Problem der Vergänglichkeit des verwesenden Leibes eingegangen sind)277. Auch in der Gegenwart des 21. Jahrhunderts wird die christliche Theologie eine ihrer vorrangigsten Bestimmungen darin finden müssen, die von ihr reflektierten religiösen Lebenssinndeutungs- und Lebensgestaltungsvorschläge auf jene von Endlichkeitsbewusstsein und Leidensdruck durchtränkten menschlichen Wirklichkeitserfahrungen anzuwenden, die sich quasi alltagsreligiös zu allerlei naiv-optimistischen Sehnsuchtsbildern, aber auch zu vielfältigen Gemälden desolat-fatalistischer Selbstergebung verstreckt haben. Vor allem der Wissenschaftsdisziplin, der – die Pointen aller bisherigen Betrachtungen aufgreifend – die besondere Zuständigkeit für die Erkundung, Pflege und Gestaltung religiöser Lebensführung übertragen wird, kommt die Aufgabe zu, sich als praktische Praktische Theologie auf dem weiten Feld zwischen den besagten Extremen zu betätigen. Dem Vorbild der teils fragilen, teils stabilen (Anti-)Heldenfigur des Christentums folgend, oder anders: sich subtil mimetisch an der religiösen Orientierungskraft der symbolischen Erzählfigur(en) biblischer Geschichten abarbeitend, sind ▶▶ Momente zu kreieren, die geeignet sind, verstörenden Kräften Widerstand zu leisten, ▶▶ Zeichen zu setzen, die für eine Wertschätzung des Menschlichen stehen, ▶▶ Wegmarkierungen aufzustellen, die sich im Kampf gegen das Unwürdige, Uneigentliche, Kränkende und Freiheitsbedrohliche bewähren könnten, ▶▶ Szenarien zu entwickeln, in denen um Freiheit gerungen werden kann, 276 “Life should not be a journey to the grave with the intention of arriving safely in a pretty and well preserved body, but rather to skid in broadside in a cloud of smoke, thoroughly used up, totally worn out, and loudly proclaiming ’Wow! What a Ride!‘”, zitiert nach Lewis, Brett H. (2013). We the Who? A Citizen’s Manifesto on America. Bloomington: iUniverse, 164. 277 Vgl. 1Kor 15, 35 ff.; 1Petr 1, 24; Hebr 13, 14; auch: Jes 40, 6; Ps 39, 6 u.ö.

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▶▶ ent-täuschende278, kontrastreiche und scharfe Sehnsuchtsbilder zu generieren, die dazu befähigen, sich sinnvoll wider das vorzeitig Endliche und die Endlichkeit zu stemmen, sich gegen Vergänglichkeit und Vergessen (werden) zu erwehren279 – und womöglich auch „den Tod zu besiegen“280, sowie ▶▶ Miniaturen von erhebender Geborgenheit mit Spurenelementen erlebter Gewissheit, aber auch mit Mosaiksteinchen zerbrechlicher Ideen und Fragmenten desaströser Lebensaugenblicke in anschaulichen Modellen echten Lebens zu arrangieren, um die ambivalenten Wahrheiten des Alltags wenigstens sichtbarer werden zu lassen. Sofern sich – wie in den vorangegangenen Kapiteln herausgearbeitet werden wollte – ein Kirchenverständnis etabliert, das über die Begriffspaare Entfaltungsraum / Gestaltungsraum, Erinnerungsraum / Vergewisserungsraum sowie Deutungsraum / Gesprächsraum zu sich kommt, ist das abgeleitete Kirchenkonzept durchaus mit diesen Anforderungen kompatibel: Immerhin wird darin die kommunikative Dimension der christlichen Religionspraxis ähnlich sorgfältig aufgegriffen wie die sozialdiakonisch-fürsorgliche und die feierlich-rituelle Dimension: der narrative Weg einer solchen Kirche begleitet und ermöglicht die individuellen Sinndeutungsgeschäfte des humanum über die Verfügbarmachung des galiläisch kontextualisierten Monomythos ebenso wie ihr ritueller Weg über die Darbietung von Liebes- und Grenzfeierlichkeiten und ihr ethischer Weg über die Bereitstellung von entlastenden Regelwerken, sittlichen Rettungsmaßnahmen und moralischen Quintessenzen.

Die aufgezeigten kreativen Gestaltungsaktivitäten bleiben, auch wenn sie sich letzten Endes wohl an den Gepflogenheiten und Formeln des Zeitgeistes, an den 278 Von einer Ent-täuschung kann die Rede sein, wenn mit einer Täuschung abgerechnet wird. 279 Es lässt sich derzeit noch nicht darüber befinden, ob David Bowie seinen Beitrag dazu geleistet hat; sein Song „Heroes“ hält sich erst seit über vier Dekaden in jenem poptheoretischen Olymp, der auch die enigmatische Zeile als Confessio und Lebensmotto des homo ludens skandiert: „We could be heroes just for one day!“ 280 Dieses Motiv beansprucht auch Kazuo Ishiguro für seinen literarischen Welterfolg Alles, was wir geben mussten; er erklärt: „Meine Figuren haben die Idee, dass Menschen ihre Organe nicht spenden müssen, wenn sie die wahre Liebe gefunden haben – und diese Idee entwickelt sich zu einer Art Mythos, zu einer Religion für sie. Die Vorstellung, dass Liebe den Tod besiegt, ist ja außerordentlich.“; vgl. Schumann, Sven. „Liebe besiegt den Tod“ (Interview mit Kazuo Ishiguro). Abrufbar unter: https://www.cicero.de/ kultur/%E2%80%9Eliebe-besiegt-den-tod%E2%80%9C/41494 (Stand: 14.08.2018).

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Trends und Maßgaben der (Post-)Moderne sowie an den Formaten und Spielregeln der Gegenwartskultur(en) orientieren müssen, höchst zweckgebunden: die Kultivierung von Erzählungen, Zeichenhandlungen und Ritualen zielt nicht zuletzt auf die Bereitstellung narrativ codierter seelischer Rüstungen, der Anbau von Medien und Artefakten verfolgt das Interesse, im Lebensdeutungsbetrieb hilfreich zu sein. Die Urbarmachung eines vielseitigen Geländes, dessen Partitionen stilvolle Erschließungsforen, geschmackvoll und zeitgemäß arrangierte Diskursplateaus, geselligkeitsfördernde Areale und elegante Ruhezonen erkennen lässt, ist nur die sichtbare Spitze des Ringens um jene souverän zu pflegende heilige (Gegen-)Sphäre, die dem rohen Lebenshorror distinguiert-freiheitlich und kreativ-feierlich den meisten Wind aus den Segeln zu nehmen vermag. Und so gilt es, in einer von Vorläufigkeiten beeinträchtigten und niemals zur Ruhe kommenden Weltzeit unerlöster Menschen Netzwerke der Verbindlichkeit zu erstellen, in deren Bedeutungsgewebe die Idee einer bipolaren, zwischen Diesseits und Jenseits schillernden Heimat generiert werden kann, um letzten Endes, ohne dabei die größtmöglichen Verstörungen alles Menschlichen zu verschweigen, versöhnt das Zeitliche segnen zu können. Wer nun meint, sich besser auf traditionellere Wortspiele einlassen bzw. auf die „vertraute Sprache des Glaubens“281 nicht verzichten zu können, darf sich solcherlei Betrachtungen auch gern in Anlehnung an biblische Perikopen und konservative theologische Schemata verdeutlichen lassen; schließlich waren sie ja auch letzten Endes als deren struktur- und sinnanaloge Transformationspointen zustande gekommen. Insofern braucht man sich eigentlich nur zu vergegenwärtigen, wie mustergültig der (biblisch erzählte) Jesus Weg- und Mahlgemeinschaften unter allerlei Sündern eingerichtet hatte, um die Präsenz des zu erwartenden Gottesreiches in der gefallenen Schöpfung anschaulich zu machen, wie exzessiv er die Gottseligkeit der Schwächsten im Lande angesichts der bevorstehenden Gottesherrschaft (im Hier, im Jetzt, im Dann und im Irgendwann) zu einem tragenden Pointe seiner Zuspruchspraxis stilisiert hat – und wie souverän er stets unter dem Vorbehalt agiert und argumentiert hat, dass „allein Gott Gott“282 und nur „Gott allein gut“ ist.283

281 Vgl. Sass, Hartmut von (2010). Sprachspiele des Glaubens. Eine Studie zur kontemplativen Religionsphilosophie von Dewi Z. Phillips mit ständiger Rücksicht auf Ludwig Wittgenstein. Tübingen: Mohr Siebeck, 363 ff. 282 Vgl. 1Tim 1, 17. 283 Vgl. Lk 18, 19.

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Allmählich schließt sich der Kreis, und zwar exakt über dem Überschneidungsbereich von zwei Dimensionen, die mehrfach (Kapitel 1.1, 1.4, 3.1) begrifflich beziffert und sinnbildlich angestrahlt, aber eben bis dato kaum hinreichend beleuchtet werden konnten: Die erstgemeinte Dimension ist als die Dimension der Ästhetik zu identifizieren – bzw. als die Dimension einer theologischen Wahrnehmungslehre, die sich v. a. im Anschluss an Klaas Huizing darauf besinnt, dass (a) der Mensch doch in erster Linie Atmosphären wahrnimmt, bevor diese in Worte transformiert werden können,284 und dass (b) die Geschichte der Theologieschreibung endlich auch als eine Geschichte der (kontextuellen) ästhetischen Formatierungen und der (kulturverwobenen) kunstvollen Inszenierungen solcher Atmosphären wahrgenommen werden müsse. Huizing hatte seine Grundthese, dass vor allem die Sinnlichkeit einen Zugang zur Transzendenz ermöglicht, hingegen eine Theologie ins Leere führen muss, die quasi völlig gefühllos ihre Gegenstände – eben Gott und Jesus Christus – zu behandeln sucht, mit einem biblisch-literarischen Ansatz flankiert, der die Schriften des Alten und Neuen Testaments nicht als Zulieferungsquellen für dogmatische Lehrbücher oder moralische Drohfibeln, sondern als ästhetische Urkunden verstehen wollte.285 Viel spricht für die Annahme, dass bei der Entstehung der biblischen Texte keineswegs unbegabte Schreiberlinge am Werke gewesen sind, sondern einfühlsam-begabte und sinnlich-talentierte Autoren, die es verstanden haben, für die künftigen Generationen die Wirkmacht des Höchsten in bewegten Bildern zu zeichnen und ihnen das Leben Jesu sinnenfällig vor die Augen und in die Herzen zu malen.286 Wo solches nun aber geschieht, sprich etwa: wo die kunstvoll stilisierte Figur Jesu im Leseakt eine konkrete Gestalt annimmt, sich sozusagen in die Kontexte der LeserInnen hineinspielt und sie affektiv betroffen macht, findet eine Art Inkarnationsdrama statt; als dessen Höhepunkt gilt folgerichtig der Moment, da das vor Augen Gemalte ästhetisch evident, weil mit affektiver Betroffenheit quittiert wird – und es zu einer Art von Wiedergeburt in/bei den Lesenden kommt.287

Die zweite Dimension ist nun als diejenige poietische Dimension (religiöser) Praxis bzw. als die (religions-)praktische Dimension der Poiesis anzuerkennen, die sich in Teilen auf die ästhetische Dimension der (religiösen) Atmosphären 284 Vgl. Huizing, Klaas (2000). Ästhetische Theologie: Der erlesene Mensch. Eine literarische Anthropologie 1. Stuttgart: Kreuz-Verlag, 17 u.ö. 285 Vgl. a. a. O., 13. 286 Vgl. Gal 3, 1. 287 Vgl. a. a. O., 23 u.ö.

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bezieht. Genau hier kann es dann endlich – im Einvernehmen mit der Grundeinschätzung, dass gesellschaftliches Alltagshandeln nach kulturellen Mustern und Gattungen stattfindet288 – dazu kommen, dass die religiös konnotierten Stimmungen und Handlungen des Humanum mit besonderen Ermöglichungsgründen und Ausdrucksmustern beliefert werden, sprich: mit Motiven, Gattungen und Foren, die eine Praktische Theologie nach allen Regeln der Kunst herausarbeiten und bereitstellen sollte. Die Praktische Theologie wird sich also diese poietische Auftragslage zu vergegenwärtigen haben, wird sich ihre tragende Rolle als Kreateurin bewusstmachen müssen. Denn nach wie vor kommt einiges auf sie zu: der kreative Umgang mit Erzählungen, Geschichten und Artefakten etwa, oder die theatralische Projektion und Inszenierung von Kulten und Ritualen, die professionelle Konstruktion von sozialen Plattformen mit Schaubühnen und Tribünen, aber auch die ambitionierte Neuentdeckung alternativer Raumarrangements bzw. virtueller Zonen, schließlich die kunstvoll-stilsichere Handhabung preziöser Regelwerke und Lehrsysteme. In diesem poietischen Modus generiert die Praktische Theologie zahlreiche Möglichkeitsbedingungen für die (religionspraktischen) Artikulationen und Interaktionen eines ganz besonderen Kulturwesens; man findet es rubriziert unter dem Erklärungsbild des homo ludens, wo es sich – als ausdifferenzierter homo sapiens bzw. als optimierte Version des hochorganisierten, planungsintensiven homo faber – wesentlich über alternative, weil komplexitätsreduzierte, spielerisch-experimentelle und assoziativ-spontane Methoden von Weltaneignung und Weltdeutung auszeichnet.289 Das Profil dieses homo ludens – sprich: das Spektrum seiner teils lebhaften, teils risikobereiten, teils auch aktivitätsbeschränkt-behäbigen Charakterzüge, der soziale Radius seiner Unternehmungen und Tätigkeiten,290 die starken Bilder seiner Lebensansichten 288 Vgl. den, der auf diesen Sachverhalt aufmerksam gemacht hat Soeffner, Hans-Georg (1989). Die Auslegung des Alltags – Der Alltag der Auslegung. Zur wissenssoziologischen Konzeption einer sozialwissenschaftlichen Hermeneutik 1. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 81-82; Soeffner, Hans-Georg 1992). Die Ordnung der Rituale. Die Auslegung des Alltags 2. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 11 f. 289 Ausführlich vgl. Flitner, Andreas (Hrsg) (2009). Johan Huizinga, Homo ludens (1939). Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Reinbek: Rowohlt Verlag. 290 Vgl. Brinkmann, Frank Thomas (2014). Surfing with the alien. Wie sich der spätmoderne Mensch sein Heil totaliter (virtu)aliter (v)erspielt. In: Nord, Ilona/Luthe, Swantje (Hrsg.) Social Media, christliche Religiosität und Kirche. Studie zur Praktischen Theologie mit religionspädagogischem Schwerpunkt (= POPKULT 14). Jena: Garamond, 209–223.

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und Sehnsüchte, die speziellen Konturen seiner Mentalität – ist bereits ansatzweise von der jüngsten theologischen Popkulturforschung auf einem größeren Tableau vermessen worden; der Auftrag einer gesteigerten (ästhetischen) Wahrnehmung des Popkulturwesens homo ludens bleibt weiterhin bestehen. In dieser Hinsicht gilt zu beachten, dass sich die jüngere theologische Popkulturforschung nicht mehr auf dem Terrain bewegt, das in den letzten Jahren des vergangenen Jahrtausends fokussiert worden ist. Glaubte man noch in den späten 1990er Jahren, sich an der Demarkationslinie zwischen Pop(-ulär-)kultur und Hochkultur orientieren zu müssen, um alsdann besondere popkulturelle Phänomene einer speziellen religionshermeneutischen Aufschlüsselung unterziehen zu können,291 so gilt mittlerweile als gesichert, dass dergleichen Klassifizierungen, v. a. jedoch die zugrundeliegenden Strategien von „Übertreibung und Verfemung“292 nur begrenzt statthaft, und daher durch neue „terminologische, definitorische Ansätze“293 zu ersetzen sind. Kultursoziologisch und literaturwissenschaftlich argumentierende Popkulturforscher wie Jörn Ahrens, Thomas Hecken u. a. haben eindrucksvoll gezeigt, warum der Terminus Popkultur weder als Bezeichnung eines plebiszitären Sektors noch als dezente Umschreibung jener Angebote, die dieser Sektor hervorbringt oder die für ihn produziert werden (Stichwort Massenkultur), schließlich auch nicht länger als Kontrastbegriff für ein Gesellschaftssegment tauglich ist, das sich als Hochkultur bestimmen bzw. als elitär, exklusiv, ambitioniert oder niveauvoll apostrophieren lässt. Vielmehr hingegen, und das ist nunmehr eben state of the art, bleibt POP nicht als Kürzel, sondern als Signatur jener unglaublich vieldimensionalen, vielschichtigen Gegenwartskultur anerkennend in Anspruch zu nehmen, die sich bestenfalls mühsam über reduzierte Milieumodelle ausdifferenzieren, geschweige denn über einfache Etikettierungen

291 Dieses Verfahren hatte mitsamt der zu Hilfe genommenen religionsphänomenologischen und kulturhermeneutischen Theoriebausteine den Diskurs bis zur Jahrtausendwende geprägt; Beispiele finden sich etwa in: Fechtner, Kristian/Fermor, Gotthard/Pohl-Patalong, Uta/Schroeter-Wittke, Harald (Hrsg.) (2005). Handbuch Religion und Populäre Kultur. Stuttgart: Kohlhammer; Schroeter-Wittke, Harald (Hrsg.) (2006). Popkultur und Religion. Best of … (= POPKULT 1). Jena: Garamond. 292 Vgl. Ahrens, Jörn (2015). Populärkultur. Übertreibung und Verfemung? In: Brinkmann, Frank Thomas (Hrsg.) (2015). Pop goes my heart. Religions- und popkulturelle Gesprächen im 21. Jahrhundert (= pop.religion: lebensstil-kultur-theologie 1). Wiesbaden: Springer, 75–97. 293 Vgl. Hecken, Thomas (2015). Pop – terminologische, definitorische Ansätze. In: Brinkmann, Pop goes my heart, 169–184.

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nuancieren oder profilieren lässt.294 Hier besteht noch reichlich Gesprächs- und Einholungsbedarf, etwa, was die (alltags-)ästhetischen Schemata und die Distinktionen des POP-Kulturwesens homo ludens anbelangt, fernerhin auch die begrenzte Anzahl seiner Erlebnisparadigmen,295 in denen sich symbolisch all jene Einstellungen verdichten, die für ihn bei der Gestaltung seines Lebens als Erlebnisprojekt eine maßgebliche Rolle spielen.296

Zuletzt, mit einer verzweifelten Selbstauslieferung oder Anbiederung der (Praktischen) Theologie an Trend und Zeitgeist hat die hier eingeforderte doppelte Bestimmung des (ästhetischen) Wahrnehmungsauftrags und des (poietischen) Schöpfungsauftrages nicht im Geringsten etwas zu tun, sondern vielmehr mit einer besonderen „Weise theologischer Liebe“, die sich kaum in einer simplen „Herabneigung zum Volke“ erschließt, wohl aber in der Überzeugung, dass bisweilen „eine kritische Stellung gegenüber Theologiewissenschaft und Kirche einzunehmen“ ist.297 Immerhin zielt sie doch ▶▶ auf eine Wiedergewinnung von Kompetenzen, für die sich bereits Schleiermacher in seiner Praktischen Theologie mehrfach298 ausgesprochen hat, präzise auf eine Neuakzente setzende Thematisierung von Taktgefühl, Stilsicherheit, Redetalent, Würdigkeitsgespür und religiöser Gemütsbegabung, ▶▶ auf eine Entmachtung klerikaler Exklusivspiele analog zu der (von Luther initiierten) Entmachtung der (lateinischen) Gelehrtensprache, sprich: auf eine kreative Neudeutung und symbolische Neuformatierung dessen, was man als christliches Sinndeutungsintegral sicherzustellen vermag, 294 Vgl. die Beiträge in: Brinkmann, Pop goes my heart. 295 Schulze, Erlebnisgesellschaft, hatte noch in den frühen 1990er Jahren fünf starke Erlebnisparadigmen erkennen wollen, nämlich die ambitionierte Szene der Nobelpreisverleihung, die nette Geselligkeitsrunde, die altmodisch-brave, gemütlich-biedere weiße Hochzeit mit Kutsche, das avantgardistisch selbstinszenatorische Dasein in der Bohème sowie die trivial-dekadente Miami Beach-Villaszenerie, in der ein Selfmade-Millionär mit schönen Frauen, technischen Devices und üppigen Cocktails die Spielwiese seiner Villa mit Pool befüllt. Ausführlicher hierzu Brinkmann, Frank Thomas (2013). Religionspädagogik. Stuttgart: Kohlhammer, 48–152. 296 Vgl. Brinkmann, Frank Thomas (2016). Ergreifende Herzensangelegenheiten und Sympathy for the Devil? Zur Dynamis einer Poptheologie des 21. Jahrhunderts. In: Ders., Pop goes my heart, 185–203. 297 Vgl. Stolt, Peter (1988). Zu diesem Heft. Pastoraltheologie. Monatsschrift für Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft 77. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1. 298 Schleiermacher, PT, 16 ff., 74 ff., 286 ff., 376 f. u.ö.

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sowie ▶▶ auf die populartheologische Erschließung eines durchaus reservierten Publikums, besser wohl noch: auf eine Gewinnung kulturaktiver und kultivierter, medienkompetenter und religiös ansprechbarer Christentumsmultiplikatoren, wie es v. a. als Anliegen der theologischen Spätaufklärung sichergestellt werden konnte.299 Wer also neben dem „Schatz theologischer Wissenschaft […] ebenso aufmerksam das praktisch-religiöse Wissen der Christenheit“ zu achten300 und in einer Wertschätzung beider Sphären religionshermeneutisch-fachkundig, wahrnehmungssensibel und poietisch-kreativ zu agieren gedenkt, um den religiösen Existenzvollzug gerade auch im Blick auf seine ethischen und ästhetischen Dimensionen ganzheitlich lebenspraktisch werden zu lassen,301 darf diese Arbeit als Praktische Theologie, und zwar durchaus unter den Kriterien des angesprochenen Qualitätssiegels zur Diskussion stellen: Letzten Endes kommt sie doch in dem Maße als Weise theologischer Liebe zu stehen, in dem es ihr gelingt, mitten im Leben jenes große Sinnversprechen des Christentums einzulösen, das sich in der Figur Jesu Christi konzentriert, nämlich Endliches mit Ewigem und den Menschen mit sich selbst zu versöhnen: ein Projekt, das in Theorie, Praxis und Poiesis durchaus noch ausbaufähig ist. „Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden“.302 299 Vgl. Drehsen, Theologia Popularis, bes. 10–15. 300 Vgl. Stolt, Zu diesem Heft, 1. 301 Volker Drehsen hat diesem Zweig der Praktischen Theologie unter Aufnahme eines Sloterdijk-Zitats einen beachtlichen Aufgabenkatalog in ihr Programmheft gelegt und gefordert, sich nachhaltig zu beteiligen an theologischen Reflexionen in vielen Sprachen, an der Vermittlung von Leidenschaften und Einsichten, an der Verteidigung wichtiger Denkzusammenhänge gegen idiotisch-ideologische Vereinnahmungen und an den Schutz sensibler Wahrnehmungen gegenüber plakativ-institutionalisierter Großformate; vgl. Drehsen, Theologia Popularis, 20. 302 Vgl. Ende, Michael/Hocke, Andrea (Hrsg.) (2004). Aber das ist eine andere Geschichte… Das große Michael Ende-Lesebuch. München: Pieper.

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„Du willst, daß wir in der Finsternis wohnen“, sagte ich. „Ihr Propheten habt etwas Lichtscheues an euch. Du möchtest, daß wir in Unwissenheit und Aberglauben gefesselt sind. Weshalb schmähst du mich so?“, fragte er aufgebracht. „Ich schmähe nicht“, sagte ich. „Aber je mehr Wissen wir Menschen besitzen, um so gewissenhafter müßt ihr Propheten in eurer Verkündigung sein.“303 Gleichzeitig mit der Zivilisation (kommen) drei Denkrichtungen auf, die, bei vielen Abweichungen im Detail, jeweils Gott nach dem Bild eines Reichsherrschers, Gott nach dem Bild einer Personifizierung moralischer Energie und Gott nach dem Bild eines philosophischen Grundprinzips darstellen. […] Es gibt jedoch im galiläischen Ursprung des Christentums noch eine andere Anregung, die zu keinem der drei Hauptstränge […] richtig passt. Sie legt das Schwergewicht weder auf den herrschenden Kaiser noch auf den erbarmungslosen Moralisten oder den unbewegten Beweger. Sie hält fest an den zarten Elementen der Welt, die langsam und in aller Stille durch Liebe wirken; und sie findet ihren Zweck in der gegenwärtigen Unmittelbarkeit eines Reichs, das nicht von dieser Welt ist.304 Mein Sohn wird bald konfirmiert. Wöchentlicher Unterricht und sonntäglicher Kirchgang warten auf ihn. Zu Trinitatis war sein erster Pflichtgottesdienst. Ich habe ihn begleitet. Die Kirche empfand ich als angenehm kühl, fast schon cool. Keine schlechte Ästhetik. Sachliche Bauweise, interessante Fenster, ordentliches Gestühl. Zeit, Platz zu nehmen! Der Organist legte los mit einer Mischung aus Bach und Fingerübung, und weil er das wohl konnte, wiederholte er das auch an einigen anderen Stellen, die dem Gemeindegesang offenbar zeigen mussten, wo es langgeht. (Manche Musiker nennen das übrigens abfällig Skalengedudel.) Ehrenamtliche Ladies warfen zu Beginn und auch mittendrin bestimmte Textmengen ab; ich konnte als Erwachsener nicht folgen. Extrem spröde Lesungen waren das, spannungslos intoniert, leidenschaftsfrei geleiert. (Gab’s eine Verwandtschaft mit dem Organisten?) Das Liedgut kam überwiegend aus dem 18. Jahrhundert, was man dem Gesangbuch entnehmen konnte, aber insgesamt gar nicht so 303 Lindgren, Bathseba, 202. 304 A.a.O., 612 f.

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schlecht, der Singbeteiligung der Anwesenden nach zu urteilen vielleicht sogar Klassiker. Hits, Evergreens, jedenfalls in diesem Kontext. Aber eben auch reichlich verkorkst, was das Vokabular betrifft. Schuld und Sünde, Versöhnung und Allmacht, wie erwartet alles dabei. Die üblichen Verdächtigen. Eine Veranstaltung, so dachte ich mir, die Dein Kind kein zweites Mal freiwillig besucht. Und im Kopf hatte ich dann diese Redensart, dass wir religionslosen Zeiten entgegengehen, weil die Kinder daheim nicht auf die Religion vorbereitet werden. Warum, bitte schön, sollte ich mein Kind denn auf so etwas vorbereiten? Auf Szenarien, die offenbar von leblosen Figuren, lieblosen Sprachgewittern und klanglosen Orgeleien beherrscht werden? Mein Sohn sah das allerdings anders. Seine aufmerksamen Blicke, zunächst noch verstohlen mit der kleinen jungen Banknachbarin beschäftigt, waren letzten Endes bei der Pfarrerin hängen geblieben. Tatsächlich, so ließ er mich später wissen, habe ihm einiges an ihr ganz besonders gut gefallen, nämlich ihr unglaublich liebenswerter Gesichtsausdruck, ihre freundliche Ausstrahlung, ihr warmherziger Augenschlag und der Umstand, dass sie ihn bereits beim Namen nennen konnte. „Hat mir gefallen heute!“ Das Kompliment, mit dem er sie zum Ausgang beschenkte und wohl auch überraschte, hätte gewiss nicht größer und ehrlicher ausfallen können. Mich hat’s allemal erfreut. Denn ich hab ‘was gelernt.305

Den Lesenden seien ähnliche Erfahrungen gewünscht.

305 Heinze, Rüdiger (2012). Erinnerungen eines Christensuchers. Dortmund: Selbstverlag, o.S.

Herausfordernde Formulierungen 

Appendix: Souvenirtipps Fundstücke, die zur An- und Einsicht freigegeben werden sollten

Herausfordernde Formulierungen §1. Begriff der Theologie. Theologie ist zunächst Unterricht, Lehre von Gott; im weiteren Sinne Lehre von Gott und seiner Verehrung überhaupt. – Christliche Theologie in objektiver Bedeutung ist das gelehrt und scharfsinnig zusammengestellte System der christlichen Lehre, (christliche Religionswissenschaft); in subjektiver Bedeutung die gründliche und gelehrte Kentniß, die Jemand vom Christenthume besitzt. – Anmerkung. Die Kirchenväter bezeichneten mit dem Ausdrucke Theologie die biblische Lehre von Gott, im engeren Sinne die Lehre von der göttlichen Natur Christi, oder auch die ganze Trinitätslehre. Nur Einzelne verstanden darunter den theoretischen Religionsunterricht überhaupt; seit dem 11ten Jahrhunderte ward die Bedeutung: gelehrte, wissenschaftliche Darstellung der Religionswahrheiten vorherrschend. §2. Eintheilung der Theologie. In Rücksicht auf die Erkenntnißquelle: philosophische und positive; in Rücksicht auf den Inhalt: theoretische und praktische; in Rücksicht auf die Methode: systematische und populäre Theologie. Dem Inhalte nach, (als Gesammtheit der theologischen Gelehrsamkeit betrachtet,) wird sie auch eingetheilt in historische, exegetische, systematische und praktische Theologie. §3. Praktische Theologie. Die wissenschaftliche Theologie ist Bedingung, Grundlage, Hülfsmittel der praktischen Theologie. Die praktische umfaßt Alles, was sich auf die Wirksamkeit des christlichen Geistlichen als Dieners der Kirche bezieht. Als Solcher hat er den Beruf, für das Reich und die Kirche Jesu Christi zu wirken, oder das Werk Jesu in Jesu und der Apostel Geiste und Namen aufrecht zu erhalten und fortzuführen.1 1

Aus: Einige praktische Geistliche (Anonym, Hrsg.) (1838). Examinatorium der praktischen Theologie, oder Inbegriff des Wichtigsten aus der Homiletik, der Katechetik, der Pastoralwissenschaft und der Liturgik. Zur Übersicht für Prediger und Candidaten der Theologie. Quedlinburg/Leipzig: Gottfried Basse, 1. (Die kursive Hervorhebung im Transkript entspricht der schrifttechnisch gesperrten Hervorhebung im Original.)

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  Herausfordernde Formulierungen

Was muss man eigentlich davon halten, wenn sich Menschen als religiös bezeichnen, wenn sie meinen, im Glauben fest zu stehen und ein gesegnetes Dasein zu genießen? Und woran sollte man denken, wenn sie zudem erklären, dass sie sich ihrer spirituellen Seite bewusst sind, eine persönliche Gottesbeziehung haben, ihr Tageswerk nach dem Vorbild Jesu verrichten – und folgerichtig das Christentum praktizieren? Welchen anderen Sinn hat eine solche Listung als bloß den, sich exklusiv zu bestimmen und letzten Endes radikal abzugrenzen? Dürften wir eigentlich auch solche Zeitgenossen als religiöse Menschen begreifen, die sich selbst gar nicht so wahrnehmen? Können wir das, weil wir anders oder besser verstehen, was Religion ist? Weil wir als Theologen immer schon Welt und Mensch aus einer Sonderperspektive sehen mussten, nämlich im Horizont einer Möglichkeit, die wir der Wirklichkeit zurechnen wollen und Gott nennen? Ist unsere Welt, also die, die wir Initiatoren einer neueren, kosmologischen, liberalen Theologie nicht nur zu kommentieren wagen, sondern die wir unter das subtile Regiment eines sprachlich nicht zu fassenden Urgeheimnisses stellen wollen, nun sündiger oder nur vielschichtiger als die naive Spielzeugkugel jener Altfrommen, denen es nicht mehr gelingt, ihre semantisch-metaphorische Spezialmischung aus altväterlicher Nemesis, blutigem Opferwesen und unsichtbarem Begleitpersonal als Schöpfer aller Himmel und aller Erden den Menschen zu Sinn und Geschmack zu bringen?2 Um in unserem Denken mit der Wirklichkeit in Übereinstimmung zu bleiben, müssen wir unseren Blick auf den Himmel und die Erde und auf die vergitterten Fenster einer Irrenanstalt gerichtet halten. Auf den Himmel: dass wir gegenwärtig haben, wie klein die Erde in der Unendlichkeit der Welten ist; auf die Erde: damit wir uns Rechenschaft davon geben, wie wenig der Mensch auf ihr bedeutet; auf die vergitterten Fenster einer Irrenanstalt: daß wir der furchtbaren Tatsache der Zerstörbarkeit des geistigen Wesens des Menschen eingedenk bleiben.3 2

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Diese Ausführungen gehen zurück auf Gottfried Hornig (1927–2010), einen der wichtigsten akademisch-theologischen Lehrer des Verfassers; entnommen sind sie kommentierten Mitschriften zu dessen großer Lesung über „Grundfragen der Fundamentaltheologie“. Schweitzer, Albert (2000). Die Weltanschauung der Ehrfurcht vor dem Leben. Kulturphilosophie III: Dritter und vierter Teil. Hg. v. Klaus Günzler/ Johann Zürcher. München: Beck, 41.

Appendix: Souvenirtipps 

Kuriose Literaturangaben Leutwein, Christian Philipp (1693). Theologia Nivis Physico-Mysticæ Dogmatico-Practica. Das ist: Geistliche Lehr-Schul vom Schnee; oder Christliche Schnee-Betrachtungen. Darinnen, Nach Beschreibung der natürlichen Ursachen, einfältig gezeiget worden, welcher Gestalt ein andächtiger Christ den Schnee zu einer Veranlassung, aller Glaubens-Articul, aus Gottes Wort, sich zu erinnern, ihme dienen lassen, und in seinem Leben, Leiden und Sterben, erbauliche Gedancken dabey haben könne. Zusamt Einer Historischen Erzehlung unterschiedlicher Exempel von einigem ungemein grossen und tiefgefallenen Schnee, was gemeiniglich darauf gefolget; wie auch einigen andern an- und mit dem Schnee sich ereigneten Begebenheiten. Mit einem kurtzen Anhang von etlichen Schnee- und Winter-Gebeten. Nürnberg: Endter. Scheibler, Christoph (1665/M. DC. LXJV). Aurifodina Theolog: Oder Theologische und geistliche Goldgrube/ Das ist/ Teutsche Theologia Practica. Darinnen alle geistlichen Bergleute antreffen können/ was da dienet I. Zu Ihres Glaubens Bewehrung. II. Zu ihrer Liebe Vermehrung. III. Zu ihrer Hoffnung Ernehrung. Hiebevor zu Dortmund in den ordentlichen Sontags-Predigten in den gefährlichsten Kriegsläufften, Hunger- und Sterbensnoth, auch Verfolgung der Rechtglaubigen, gezeiget und auffgethan. Franckfurt am Mayn: Balthasar Christoph Wustens. [Zur zweiten Auflage vgl. nachstehende Abbildung.] Porst(s), Johann (Königl. Preuß. Consistorial-Rath, Probst und Inspector in Berlin) (1723). Theologia Practica Regenitorum. Oder Wachsthum der Wiedergebornen. Da gezeiget wird, Wie sie aus einem Alter in Christo ins andere fortgehen, aus Kindern Jünglinge und Väter, und endlich zur seligen Ewigkeit vollendet werden. Göttingen: Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek/Halle, Saale: Halle Waisenhaus. Porst(s), Johann (Königl. Preuß. Consistorial-Rath, Probst und Inspector in Berlin) (1725). Theologia Viatorum Practica Oder Die Göttliche Führung Der Seelen Auf dem Wege zur seligen Ewigkeit. Darinnen gezeiget, Wie der Mensch in der Sicherheit hingehet, daraus aufgewecket, vielfältig versucht, in die Busse geleitet, und im Glauben zum Genuß aller Gnaden- und Heyls-Güter gebracht wird. Göttingen: Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek/Halle, Saale: Halle Wäysenhaus.

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  Interessante Titelseiten

Einige Diener des Evangelii (Anonym, Hrsg.) (1737). Theologia pastoralis practica, oder Sammlung nutzbarer Anweisungen zur gesegneten Führung des evangelischen Lehr-Amts, aus gedruckten Büchern sowol als christlichen Arkunden und mündlichen Unterredungen vieler Gottesgelehrten. Das I. Stück. Magdeburg/Leipzig: Christoph Seidels Witwe/G.E. Scheidhauers.

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Appendix: Souvenirtipps 

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Bibliographie  

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Darin enthalten und hier zitiert:

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Diskographie Die zauberhafte Welt der Anderen (VÖ: 18.02.2013. Produzenten: Voigt & Voigt. Text: Sebastian Ingenhoff. Label: Kompakt/Rough Trade). Heroes (VÖ: 1977. Produzenten: David Bowie, Tony Visconti. Album: Heroes. Label: RCA Victor. PB 1121, 7“Single).

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Der vorliegende Guide lädt zu drei Touren ein. Sein Ziel ist es, mit den weitgehend unbekannten Begriffswelten, Geschichtswelten und Zukunftswelten einer Praktischen Theologie bekannt zu machen, die sich im 21. Jahrhundert auf die Wahrnehmung und Gestaltung kulturell vermittelter religiöser Praxis konzentrieren will.

Dies ist ein utb-Band aus dem A. Francke Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen.

ISBN 978-3-8252-5141-3

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Frank Thomas Brinkmann

Praktische Theologie Ein Guide

Brinkmann

Ist die „Praktische Theologie“ unbekanntes Terrain? Was hat es mit dieser Fachrichtung auf sich, die im 19. Jahrhundert im Universitätswesen verankert wurde, um zu kirchlichem Handeln zu befähigen, der Frömmigkeitspflege zu dienen und den Transfer religiöser Wissensmengen zu begünstigen? Was genau war zuvor passiert, was geschah seither – und wie wird man aktuell und zukünftig Eigentümlichkeit, Qualität und Reiz dieser speziellen Wissenschafts­ disziplin ausmachen können?

Praktische Theologie

Theologie

22.02.19 10:07