Praktische Strafprozeßfälle mit Lösungen: Ein induktives Lehrbuch des Strafprozeßrechts [8. , völlig neu bearbeitet Aufl., Reprint 2020] 9783112316511, 9783112305249


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German Pages 248 [276] Year 1966

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Table of contents :
Vorwort zur achten Auflage
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Gesetzesregister
Zweiter Teil. Die Lösungen
1. Fall: Schwierige Zuständigkeitsfragen
2. Fall: Die streitsüchtigen Nachbarn
3. Fall: Ein fehlerhaftes Vorverfahren
4. Fall: Der Streit um den Haftbefehl
5. Fall: Der flüchtige Angeklagte
6. Fall: Der Tod des Angeklagten vor der Hauptverhandlung
7. Fall: Der verjährte Mundraub
8. Fall: Der beleidigte Gemeinderat
9. Fall: Ein kompliziertes Revisionsverfahren
10. Fall: Unzuverlässiges Kanzleipersonal
11. Fall: Der wankelmütige Angeklagte
12. Fall: Der Autounfall des Alexander Schnell
13. Fall: Die unbelehrbare Dirne
14. Fall: Die Einziehung des Jagdgewehrs
15. Fall: Das Wiederaufnahmeverfahren des Josef Brandel
16. Fall: Die Privatklage des Agenten Fritz Leicht
17. Fall: Eine überstürzte Anzeige
18. Fall: Der falsche Angeklagte
Sachregister
Front Matter 2
Erster Teil: Die Fälle
FALL I. Schwierige Zuständigkeitsfragen
FALL 2. Die streitsüchtigen Nachbarn
FALL 3. Ein fehlerhaftes Vorverfahren
FALL 4. Der Streit um den Haftbefehl
FALL 5. Der flüchtige Angeklagte
FALL 6. Der Tod des Angeklagten vor der Hauptverhandlung
FALL 7. Der verjährte Mundraub
FALL 8. Der beleidigte Gemeinderat
FALL 9. Ein kompliziertes Revisionsverfahren
FALL 10. Unzuverlässiges Kanzleipersonal
FALL 11. Der wankelmütige Angeklagte
FALL 12. Der Autounfall des Alexander Schnell
FALL 13. Die unbelehrbare Dirne
FALL 14. Die Einziehung des Jagdgewehrs
FALL 15. Das Wiederaufnahmeverfahren des Josef Brandel
FALL 16. Die Privatklage des Agenten Fritz Leicht
FALL 17. Eine überstürzte Anzeige
FALL 18. Der falsche Angeklagte
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Praktische Strafprozeßfälle mit Lösungen: Ein induktives Lehrbuch des Strafprozeßrechts [8. , völlig neu bearbeitet Aufl., Reprint 2020]
 9783112316511, 9783112305249

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FETTERS -PREISENDANZ

Praktische Strafprozeßfälle mit Lösungen Ein induktives Lehrbuch des Strafprozeßrechts

8. Auflage völlig neu bearbeitet von

Holger Preisendanz Erster Staatsanwalt in Pforzheim

1966

J.SCHWEITZER VERLAG BERLIN

Satz und Druck: Waltet de Gruyter & Co., Berlin jo Alle Rechte, einschließlich det Rechte det Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, vorbehalten

Vorwort zur achten Auflage Der bisherige Herausgeber, Landgerichtsrat Dr. Petters, verstarb am 18. I. 1963, kurz vor Vollendung seines 75. Lebensjahres. Es entspricht seinem Wunsch, daß sein Werk, an dessen Gestaltung ich bereits seit der 1961 erschienenen Vorauflage mitwirken durfte, von mir fortgeführt wird. Diesem Wunsch bin ich gerne gefolgt. Dabei habe ich mich von dem Bestreben leiten lassen, Charakter und System des vor allem in Referendarkreisen so beliebten Buchs, von dem schon Professor Ebermayer vor mehr als drei Jahrzehnten sagte, es sei für jeden jungen Juristen fast unentbehrlich, so weit wie möglich zu erhalten. Die in der vorliegenden Auflage vorgenommenen Änderungen stehen verständlicherweise unter dem besonderen Einfluß des am 1 . 4 . 1965 in Kraft getretenen Strafprozeßänderungsgesetzes vom 19. 12. 1964 (BGBl. I 1067), das in allen wesentlichen Punkten berücksichtigt wurde. Obwohl es sich nur um die „Kleine Strafrechtsreform" handelt, mußten doch wesentliche Abschnitte des Buchs völlig neu gefaßt werden. Dies gilt insbesondere für die Ausführungen über die Untersuchungshaft (S. 65ff.), die gegenüber der Vorauflage erheblich erweitert wurden. Aber auch die neuen Bestimmungen über den Abschluß der Ermittlungen (S. 28), das Schlußgehör der Staatsanwaltschaft (S. 28), den Inhalt der Anklage (S. 30), die Verlesung der Anklage in der Hauptverhandlung (S. 30), die neue Bedeutung des Eröfifnungsbeschlusses (S. 33), die Parteiöffentlichkeit im Vorverfahren (S. 45), die Stellung des Verteidigers (S. 8gff.), die notwendige Verteidigung (S. 48), die Auslagenentscheidung (S. 92, 109), das rechtliche Gehör im Beschlußverfahren (S. 98), das Sitzungsprotokoll (S. 78) und die außerhalb der Hauptverhandlung ergehenden Entscheidungen in der Revisionsinstanz (S. 122) wurden entsprechend ihrer Bedeutung für die juristische Ausbildung berücksichtigt. Neu gefaßt wurden außerdem Sachverhalt und Lösung der Fälle 2 und 7, die sich u. a. mit dem Legalitätsprinzip, dem Klageerzwingungsverfahren und den Prozeßvoraussetzungen befassen, ferner die Ausführungen über das Verhältnis des Urteils zur Anklage (Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts S. 86, Nachtragsanklage S. 88), die Stellung des Verteidigers (S. 89), die Beendigung des Verfahrens außerhalb der Hauptverhandlung (S. 64), den Verbrauch der Strafklage bei Einstellung gemäß § 153 Abs. 3 StPO (S. i6of.), die Beweiswürdigung (S. 2o6ff.) und die Urteilsgründe (S. 213fr.). Neu gefaßt wurde schließlich die Lösung von Fall 18, die sich bei gleichgebliebenem Sachverhalt mit dem Problem des „falschen Angeklagten" befaßt und sich jetzt entsprechend der Anregung von Oehler ( J R 62, 277) der herrschenden Lehre anschließt.

IV

Vorwort

Alle Änderungen erfolgten in dem Bestreben, dem Buch das eingangs erwähnte Prädikat von Ebermayer zu erhalten und dem Studierenden, insbesondere dem Referendar, den während des Studiums leider oft vernachlässigten Stoff des Strafprozeßrechts in leicht verständlicher und einprägsamer Form näher zu bringen, ihn dabei aber doch mit allen wesentlichen Problemen vertraut zu machen. Die Lösungen mit ihren Vorbemerkungen und Nachträgen gehen weit über den einzelnen Fall hinaus, um einen möglichst umfassenden, lehrbuchartigen Überblick über den im jeweiligen Fall angeschnittenen Problemkreis zu verschaffen. Sie sind wie bisher vor allem an der höchstrichterlichen Rechtsprechung ausgerichtet. Aber auch das Schrifttum wurde, soweit erforderlich, mehr als bisher berücksichtigt. Pforzheim, März 1966 Holger Preisendanz

Inhaltsverzeichnis Seite

Vorwort

III

Abkürzungsverzeichnis

VIII

Gesetzesregister E r s t e r T e i l : Die Fälle (in der Tasche des hinteren Einbanddeckels)

X . . . .

Zweiter T e i l : Die Lösungen 1. F a l l : Schwierige Zuständigkeitsfragen

i*—21* 1 —226 3

(Zuständigkeit und Aufbau der Strafgerichte, Probleme der ördichen und sachlichen Zuständigkeit, der Instanzenzug) 2. F a l l : Die streitsüchtigen Nachbarn (Legalitätsprinzip, Strafanzeige und Strafantrag, Formen der öffentlichen Klage, die Einstellung des Verfahrens, Verweisung auf den Privatklageweg, Einstellungsbeschwerde und Klageerzwingungsverfahren, Dienstaufsichtsverfahren, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand)

17

3. F a l l : Ein fehlerhaftes V o r v e r f a h r e n

26

(Übersicht über den Verlauf des Strafverfahrens bis zur Hauptverhandlung, Anklage, gerichtliche Voruntersuchung, Eröffnung des Hauptverfahrens, Vorbereitung der Hauptverhandlung, der Zeuge und seine Vereidigung, Folgen unberechtigter Zeugnis- und Eidesverweigerung, Parteirechte in der Voruntersuchung, die notwendige Verteidigung, Ausschluß und Ablehnung von Gerichtspersonen, Verlesung von Schriftstücken, Urkundenbeweis, Augenschein) 4. F a l l : Der S t r e i t u m den Haftbefehl (Zwangsmittel im Strafverfahren, Untersuchungshaft, einstweilige Unterbringung, vorläufige Festnahme, Steckbrief, Haftbefehl nach Rechtskraft des Urteils)

63

VI

Inhaltsverzeichnis Seite

5. Fall: Derflüchtige Angeklagte

73

(Allgemeine Grundsätze für die Hauptverhandlung, Grundsatz der Mündlichkeit, der Unmittelbarkeit und der Öffentlichkeit, Verlaul der Hauptverhandlung, Sitzungsprotokoll, Anwesenheitspflicht des Angeklagten, Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten, Freilassung gegen Sicherheitsleistung, Gegenstand der Urteilsfindung, Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts, Nachtragsanklage)

6. Fall: Der Tod des Angeklagten vor der Hauptverhandlung

89

(Rechtsstellung des Verteidigers, Kosten des Verfahrens, Beendigung des Hauptverfahrens auf andere Weise als durch Verurteilung, die Einstellung des Verfahrens innerhalb und außerhalb der Hauptverhandlung, Tod des Angeklagten, Allgemeines über Rechtsmittel, die Beschwerde, Verbot der reformatio in peius)

7. Fall: Der verjährte Mundraub

102

(Berufung, Teilanfechtung, Rechtsmittelbeschränkung, prozessuale Behandlung der Verjährung, Prozeßvoraussetzungen und -hindernisse)

8. Fall: Der beleidigte Gemeinderat

118

(Verhältnis des Urteils zur Anklage, Zurückverweisung aus der Berufungsinstanz)

9. Fall: Ein kompliziertes Revisionsverfahren . . . .

121

(Revision, Beweisantrag, Durchsuchung und Beschlagnahme, Verlesung von Schriftstücken, Einlegung und Zurücknahme von Rechtsmitteln, Wirkung des Revisionsurteils auf Mitangeklagte, Umfang der Beweisaufnahme)

10.Fall: Unzuverlässiges Kanzleipersonal

143

(Fristen, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand)

11. Fall: Der wankelmütige Angeklagte

149

(Einlegung und Zurücknahme von Rechtsmitteln, Rechtsmittelverzicht, bindende Wirkung eines Beschlusses im Beschwerdeverfahren, Aufhebung eines rechtskräftigen Beschlusses)

12.Fall: Der Autounfall des Alexander Schnell . . . . (Die materielle Rechtskraft und ihre Auswirkungen, die Zurücknahme des Strafantrags, die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses bei Strafverfolgung wegen Körperverletzung)

153

Inhaltsverzeichnis

VII Seite

13.Fall: Die unbelehrbare Dirne

165

(Die materielle Rechtskraft bei der fortgesetzten Tat und bei Einstellung wegen anderweitiger Rechtshängigkeit, Verbot der reformatio in peius)

14. Fall: Die Einziehung des Jagdgewehrs

167

(Strafbefehlsverfahren, objektives Verfahren)

15.Fall: Das Wiederaufnahmeverfahren Brandel

des

Josef

175

(Wiederaufnahmeverfahren, Sachverständiger)

16.Fall: Die Privatklage des Agenten Fritz Leicht . .

187

(Grundsätze des Privatklageverfahrens)

17. Fall: Eine überstürzte Anzeige

196

(Nebenklage, Adhäsionsverfahren)

18. Fall: Der falsche Angeklagte

206

(Zustandekommen des Urteils, Abstimmung, Verkündung, Urteilsformel, Urteilsgründe, Berichtigung des Urteils, nichtige Urteile, Formen der Rechtskraft, Entschädigung bei Freispruch im Wiederaufnahmeverfahren und für unschuldig erlittene Untersuchungshaft)

Sachregister

227

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. AG Alsberg

anderer Ansicht am angeführten Ort Amtsgericht Alsberg, Die strafprozessualen Entscheidungen der Oberlandesgerichte, 1927, 1928

BAnz BayObLG BGB BGBl. BGH

Bundesanzeiger Bayerisches Oberstes Landesgericht Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof, Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen, amtliche Sammlung Bundesverfassungsgericht

BVerfGer Dallinger-Lackner DJ DRiZ E

Dallinger-Lackner, Jugendgerichtsgesetz, 2. Aufl. 1965 Die Justiz, Amtsblatt des Justizministeriums Baden-Württemberg Deutsche Richter-Zeitung

EB Eb. Schmidt

Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen, amtliche Sammlung Eröffnungsbeschluß Eberhard Schmidt, Lehrkommentar zur Strafprozeßordnung Teil I, 2. Aufl. 1964; Teil I I , 1. Aufl. 1957

GG GVG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gerichtsverfassungsgesetz

h. A. h. L. HV

herrschende Ansicht herrschende Lehre Hauptverhandlung

IdK

Idealkonkurrenz

JGG JR JZ

Jugendgerichtsgesetz Juristische Rundschau Juristenzeitung

KG KMR

Kammergericht Kleinknecht-Müller-Reitberger, Kommentar zur Strafprozeßordnimg, 4. Aufl. 1958

Abkürzungsverzeichnis

IX

LG LM Löwe-Rosenberg

Landgericht Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des BGH Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, 21. Aufl. 1963/1965

MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht

NB n. F. NJW

nota bene, beachte neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift

OLG

Oberlandesgericht

Petters-Preisendanz

Petters-Preisendanz, Strafgesetzbuch mit Erläuterungen und Beispielen, 25. Aufl. 1965

RAbgO RG RGBl. RK RM Rspr.

Reichsabgabenordnung Reichsgericht Reichsgesetzblatt Rechtskraft Rechtsmittel Rechtsprechung

Schwarz-Kleinknecht Schwarz-Kleinknecht, Strafprozeßordnung, 25. Aufl. 1965 StA Staatsanwalt, Staatsanwaltschaft StPÄG 1964 Strafprozeßänderungsgesetz vom 19. 12. 1964 StPO Strafprozeßordnung StrK Strafkammer st. Rspr. ständige Rechtsprechung UR

Untersuchungsrichter

VU

Voruntersuchung

ZPO

Zivilprozeßordnung

Gesetzesregister I. Die §§ der Strafprozeßordnung (StPO) (Die Zahlen der Seiten, die grundsätzliche Ausführungen enthalten, sind fett gedruckt)

§§

2 3 4 6 7 8 9 10 11 12 13 13a 14 15 16 17 18 19 22 23 24 25 26 27 28 33 33 a 34 35a 37 42 43 44

Seite 9, 14 iof., 14, 137 10 8, 153 10, 14, 15 10, I4f. 10, 15 11 11 I2ff., 152 11, i3f. 12 '3 11 13, 16f., 117 16 12, 16, 117 "3. 152 27, 34, 5Off. 34, 50ff. 5i 5i 52, '45 52 52, 98 148, 183 98 129 146 9i 143 135» 143 26, 143 f., 145 f.

§§

45 46 47 51 52 53 53a 54 55 56 57 59 60 61 62 63 64 65 66 66c 67 68a 69 70 71 72 74 75 76 77 79 80 80 a

Seite 144, 145, 147 98, 147, 152 «45 36, 65 38ff., 43fr., 58,61,133 40, 91, 133 40, 133 4" 37, 41, 58, 60, 196 145 37 37. 43 41, 42ff., 60f., 200 42, 43, 60, 106 43 41, 43 ff. 43, 45, 129 37 37 f. 37 37 41 37, 57, 64 37, 46, 63 37 65 186 186 186 186 187 186 186

XI

G esetzesregister

§§

81 81a 81b 81c 81d 85 86 87 91 92 93 94 96 97 98 99 100 102 103 104 105 106 109 110 111 Illa 112 113 114 114a 114b 115 115a 116 116a 117 118 118a 118b 119 120 121 122 123 124 125

Seite 32, 65, 186 41, 62, 64, 131, 187 62 62 f., 187 62 f., 187 187 61 62, 186 62, 187 187 62 98, 13 Off. 131 131, «33 132 f. 132 132 130 f. 130 ff. 130 130 ff. 130 130 130 131 98 64, 65ff„ 98 67 f. 66 ff. 69 69 69 69 67, 68 68 48, 69 70 48, 70 70 70 73 70 f. 70 f. 85 85 69

§§

Seite

153a 153b 153c 154 154a 154b 154c 154d 155 156 158 160 162 163 163a 164 165 166 168 169 169a 169b 169c

71 71, 98 64,71 71 22, 71 64 64 64 48, 89 89 9« 48 f. 28, 49 f. 47 47, 74 90 f., 168 91 28, 91 91 26, 1 1 6 17, 26 f. 17, 18, 22f., 25, 94, 98, 1 6 0 f . , 170, 188 17, 18. 95 17, 18 17, 18. 95 17, 1 8 f . , 22, 95 17, 19 17. 19, 95 17, 19 20 86, 139, 154ff., 223 31, 169, 191 17, 20 f. 17 22, 62 21, 64 23 65 62 62 38, 61, 62, 193 32, 45, 62 27ff., 49 28f., 49 28f.

126 126a 127 128 131 133 134 136a 137 138 139 140 141 143 145 145a 146 147 148 151 152 153

XII §§ 170 171 172 174 175 178 180 183 184 185 187 188 190 191 192 193 195 197 198 199 200 201 202 203 204 205 106 206a 207 208 209 210 211 212 212a 212b 213 214 216 217 219 220 223 224 225

Gesetzesregister Seite 22, 27 23f. 17, 23ff., 190, 197, 200, 203 160 f. 24 22 f., 26, 31 14,32 32 14,32 52 38, 61, 62 38,61,193 41 53 32,45 4 5 f . , 62 62 28 2 6f., 32, 69 27 30, 89, 167, 188 15f., 31, 49, 113, 143 g8 3 2 f . , 99, 116 12, 33, 99, 117, 160, 167 f., 171 94,ii7 13, 33 13, 54, 94, 96, 98, i i 7 f . 160, 33 31 f. 6, 8 34, 98, 160, 168, 171, 192 34, 152, 159ff., 192 5, 2 8ff„ 34, 3 5 f . 35 35f. 26, 34 34, 36, 105 54, 81 54 138 f. 36, 140 35, 37, 45, 58 35, 45f. 35,62

§§

226 227 228 229 230 231 232 233 234 235 236 237 238 239 240 241 242 243 2441 II III IV V VI 245 246 246 a 247 248 249 250 251 252 253 254 256 258 2601 III 261 262

Seite 26, 73, 74, 197 74 54, 7 4 f . , 129 73ff., 88, 212 64,73, 8 0 f . , 224 64, 82ff., 224 56, 81 f., 90f., 106, 144 35, 56, 82, 90, 106 82, 90 81, 144 64, 84, 107 10 76 f. 77 77 77 77 30, 7 6 f . , 105, 188 78 38,56,75, 107, 139 f., 187 128 f., 138, 140 f., 185 142f., 181, 186 63, 143 129, 142 128, 140, 187 142 142, 186 78, 83 46 46, 5 4 f . , 62, 73, 132 55, 56, 61, 73, 105, 132, 193 38, 44» 54> 56. 57ff., 60f. 73, 105 f., 132, 193 5 9 f . , 185 56, 57, 59, 105 56, 57, 7 54, 55, 187 76, 78 78, 213, 218 54, 94, 96, 100, 113, 115, ii7f., 155f., 160, 163 f., 165, 210 61, 121, 206ff. 208

Gesetzesregister

§§

263 264 265 266 267 268 269 270 271 272 273 274 275 276 277 285 296 298 299 300 301 302 303 304 305 306 307 308 309 310 311 311a 312 313 314 315 316 317 318 319 320 321 322 323 324

Seite 209 f. 33, 86, 119, 154ff., 196 33, 84f., 86ff., 107, 113, 117, 155, 166 30» 33f-> 88f., 155, 166 2I3ff. 7 3 f , 76, 21 Iff. 9 9, 98, 152, 155, 164 78, 80 78 39, 79f., 84 39, 79f., 124 212 f., 217 83 48, 83 83 97, 100, 171 97, 149 150, !79 114, 220 97, 150, 221 90, 135 f., 149, 169 108, 136, 150 14, 32, 69, 97ff., 152 52, 91, 98, 198 98ff., 149 f. 73, 97 99 99, 151, 168 98 16, 98 f., 143, 150f. 98 102ff., u 3 f . 7, 102ff., 114, 121, 16g 104, 122, 143, 149, 151 144 97, 108, 122 143 104, 108 f., 114 95, 104, 122, 146, 148, 151 104 104 95, 98, 151 ff., 201 105 105

XIII

§§

325 326 327 3281 II III 329 331 332 333 334 335 336 337 338 338 N r . Nr. Nr. Nr, Nr. Nr. Nr. 341 342 343 344 345 346 347 348 349 350 351 352 353 354 354a 355 357 358 359

1 2 3 5 6 7 8

Seite 104 f. 104, 106 104, 108ff., 201 104, 106, 169 100, 104 ff., 119ff. 9, 100, 106, 164, 169 80, 90, 106f., 122, 144, 182 189, 97, 10 Off., 104, 120, 157, 166, 221 IO5 121, 144 7, 114, 121 8, 103, ii3f., 121 53 43f., 78, 85f., 122, 125, 127, 134, «98 125, 127, 134 51, 119 51, 53, 119 52, 119 47, 49, 74, 83, 85, 119 76, 119 119, 217 77, ï29f122, 135, 143, 149 122, 144 97, !22 108ff., 119, 121, 123 f., 12 122, 126f., 143, 179 95, 122, 135, 146 ff., 152 122 98, 152 95, 104f., 122f., 128, 135, 138,148, 143, 201 47, 80, 82, 90, 123, 144 123 108, 121, 123, 127, 201 124 100, 123, 125f., 127, 135 126 9, 100, 125f., 127, 164 126, 136, 137f 97, lOOflf., 120, 126, 137, 152,221 m , 175ff., 179fr.

XIV

§§

360 361 362 363 364 365 366 367 368 369 370 371 372 373 373 a 374 375 376 377 378 379a 380 381 382 383 384 385 386 387 388 389 390 391 392 393 395 396 397

Gesetzesregister Seite 72 i77f.

55> «75 ff176, 181 f. i79f176, 179 179 182 152, 180 ff. 183 161, 177, 181, 183 f. 96, i77f98, 152, 161, 181 ff. 100, 184 176 5,17,23,26,99,116,187fl., 198 fr. 188, 194 17, 22, 190 15, igof., 195, 197 189 188 188, 191 f. 188 192 95, 98, i88f., 192 142, i88ff., 192 188 36 82, 90, 189, 192 189 95, IÖ9> 195 189 95, '44. 189, 195, 197 »95 95» !90, 198 5, 196ff., 198ff. 197 197, 202 I

§§

401 402 403 404 405 406 406 a 406b 406 c 406d 407 408 409 410 411 412 413 429 a 429 b 430 431 432 449 450 451 457 458 460 462 463 464 465 467 469 470 471 472 a 473

Seite i97f198 5, 204CF., 211 205f. 205 f . 205 f . 206 106 206 206 5, 22, 27, 29, 167f. 167ff., 171 167f., 171 133, 158f., 170 34» 82, 90, 169 122, 144, 169 26, 90, 170 6, 186 6 96, 172ff. i74f.

175 72, 221 222 72, 213 65 72, 222 9 72, 98, 152, 222 222 91 f., 96 92, 94, 201 92ff., 99, 109 94, 98, 152, 202 f. 93, 163, 202 93, 202 202, 206 94, 100, 108, 202

II. Die §§ des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) 18 19 24 25

116 116 4ff., 14 4, 89, 187

26 28 29 30

5 5 3» 5 16, 33

Gesetzesregister

§§

32 63 73 74 74a 76 77 80 81 82 83 84 120 121 122 132 134 134a 135 139 142 143 145

Seite

5i 5'

6, 32, 100 6

4,6 3,6f. 5i

6, 155, 164

3 7. 33 51 51 7 7, !5> 4, 7 4 4 7 8

4, 7 26 26 27

§§

146 147 152 169 171a 172 173 174 175 176 177 178 179 180 181 183 185 192 193 194 195 196 197

XV Seite

25, 27 17» 25

22

75 75 75f76

76, 79 76

77 65, 77, 83 77 77 77 77 77 74 74, 209 208 209 209 209, 2 1 1 209

Zweiter Teil

Die Lösungen

Der i . Teil: „Die Fälle" (Seiten i * — 2 1 * ) liegt gesondert geheftet in der Tasche des hinteren Deckels

ZU FALL 1 A. Die Zuständigkeit und der Aufbau der Strafgerichte I. Die Zuständigkeit 1. Unter Z u s t ä n d i g k e i t versteht man die Befugnis eines Gerichts, in einer Strafsache eine Entscheidung zu treffen. Man unterscheidet s a c h l i c h e und ö r t l i c h e Zuständigkeit. 2. Durch die Vorschriften über die s a c h l i c h e Zuständigkeit wird festgestellt, welche A r t v o n G e r i c h t für die Verhandlung und Entscheidung einer bestimmten Strafsache berufen ist. Die diesbezüglichen Bestimmungen enthält das G e r i c h t s v e r f a s s u n g s g e s e t z (GVG). Einzelheiten siehe unten Abschnitt B. 3. Die Bestimmungen über die ö r t l i c h e Zuständigkeit regeln die Frage, welches der sachlich zuständigen Gerichte im E i n z e l f a l l in Tätigkeit zu treten hat. Die diesbezüglichen Bestimmungen enthält die S t r a f p r o z e ß o r d n u n g (StPO). Einzelheiten siehe unten Abschnitt C. II. Der Aufbau der Strafgerichte 1. Die o r d e n t l i c h e S t r a f g e r i c h t s b a r k e i t wird ausgeübt durch A m t s g e r i c h t e , L a n d g e r i c h t e , O b e r l a n d e s g e r i c h t e und durch den Bundesgerichtshof. 2. Die A m t s g e r i c h t e entscheiden durch E i n z e l r i c h t e r oder S c h ö f f e n g e r i c h t e (Amtsrichter als Vorsitzender und zwei Schöffen, §29 I GVG bzw. erweitertes Schöffengericht mit zwei Amtsrichtern und zwei Schöffen, § 29 II GVG). Ferner gibt es beim Amtsgericht noch den J u g e n d r i c h t e r (Amtsrichter) und das Jugendschöffengericht (Amtsrichter mit zwei Jugendschöffen, § 33 JGG). 3. Bei den L a n d g e r i c h t e n entscheiden die S t r a f k a m m e r n , die für die Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung mit drei Richtern besetzt sind und in der Hauptverhandlung in einer Besetzung von drei Richtern und zwei Schöffen ( g r o ß e Strafkammer) oder in einer Besetzung von einem Richter und zwei Schöffen (kleine Strafkammer) in Tätigkeit treten (§ 76 GVG). Ferner gibt es bei den Landgerichten noch die J u g e n d k a m m e r n (drei Richter und zwei Schöffen) sowie die S c h w u r g e r i c h t e (drei Richter und sechs Geschworene, § 81 GVG).

4

II. Teil: Lösungen

4. Bei den O b e r l a n d e s g e r i c h t e n entscheiden S t r a f s e n a t e , besetzt mit drei Richtern, in der Hauptverhandlung des ersten Rechtszuges mit fünf Richtern (§ 122 GVG). 5. Die S t r a f s e n a t e des B u n d e s g e r i c h t s h o f s entscheiden in der Besetzung von fünf Mitgliedern (§ 139 GVG). Der g r o ß e S e n a t für Strafsachen besteht aus dem Präsidenten und acht Mitgliedern (§ 132 GVG). 6. In e r s t e r I n s t a n z entscheiden: der Amtsrichter, der Jugendrichter» das Schöffengericht bzw. erweitertes Schöffengericht und (Bezirks-) Jugendschöffengericht, die große Strafkammer bzw. Jugendkammer, das Schwurgericht und die Strafsenate des Bundesgerichtshofs (ausnahmsweise diejenigen der Oberlandesgerichte). In der B e r u f u n g s i n s t a n z entscheiden die große und die kleine Strafkammer. In der R e v i s i o n s i n s t a n z entscheiden die Strafsenate der Oberlandesgerichte und des Bundesgerichtshofs. B. Die sachliche Zuständigkeit im einzelnen I. Das Amtsgericht ist z u s t ä n d i g (siehe § 24 GVG) für Ü b e r t r e t u n g e n und für V e r g e h e n , wenn nicht die Staatsanwaltschaft wegen der besonderen Bedeutung des Falles Anklage beim Landgericht erhebt oder die Zuständigkeit des Landgerichts nach § 74 a GVG oder des Bundesgerichtshofs nach § 134 GVG begründet ist, ferner für V e r b r e c h e n , wenn nicht entweder die Zuständigkeit des Schwurgerichts oder des Bundesgerichtshofs begründet ist o d e r im Einzelfall eine höhere Strafe als zwei Jahre Zuchthaus oder Ausspruch der Sicherungsverwahrung zu erwarten ist o d e r die Staatsanwaltschaft wegen der besonderen Bedeutung des Falles Anklage beim Landgericht erhebt. Das Amtsgericht darf nicht auf eine höhere Freiheitsstrafe als zwei Jahre Zuchthaus und nicht auf Sicherungsverwahrung erkennen. 1. Der A m t s r i c h t e r entscheidet als E i n z e l r i c h t e r (siehe § 25 GVG): a) bei Ü b e r t r e t u n g e n ; b) bei V e r g e h e n , wenn sie im Privatklageweg verfolgt werden; ferner wenn die Tat mit keiner höheren Strafe als G e f ä n g n i s v o n sechs M o n a t e n allein oder in Verbindung mit anderen Strafen oder mit Nebenfolgen bedroht ist; und schließlich, wenn die Staatsanwaltschaft Anklage zum Einzelrichter erhebt und keine höhere Strafe als Gefängnis von e i n e m J a h r zu erwarten ist. Im letztgenannten Fall ist zu beachten, daß das Gesetz allein auf die zu erwartende, nicht auf die zu erkennende Strafe abstellt. Der Amtsrichter ist also nicht gehindert, den Strafrahmen des § 24 Abs. 2 GVG voll auszuschöpfen, wenn er nach dem Ergebnis der HV eine höhere Strafe als 1 Jahr Gefängnis für angemessen hält (BGH 16, 248). c) bei V e r b r e c h e n , die nur wegen Rückfalls Verbrechen sind, wenn die Staatsanwaltschaft Anklage zum Einzelrichter erhebt und keine höhere

Fall i

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Strafe als Gefängnis von einem J a h r zu erwarten ist. Als Verbrechen dieser Art kommen in Betracht: Diebstahl i. R. (§ 244 StGB) und Betrug i. R. (§ 264 StGB). 2 . Das S c h ö f f e n g e r i c h t (ein Richter und zwei Schöffen) entscheidet (siehe § 28 GVG) in allen zur Zuständigkeit der Amtsgerichte gehörenden Strafsachen (siehe oben Abschnitt I), soweit nicht der Amtsrichter allein entscheidet. Die außerhalb der Hauptverhandlung erforderlichen Entscheidungen werden von dem Amtsrichter erlassen. Ein zweiter Amtsrichter ( e r w e i t e r t e s S c h ö f f e n g e r i c h t ) wird zugezogen, wenn dem Verfahren ein besonders umfangreicher Sachverhalt zugrundeliegt und die Staatsanwaltschaft einen entsprechenden Antrag stellt oder wenn ein Gericht höherer Ordnung das Hauptverfahren vor dem Schöffengericht eröffnet, § 29 II GVG. 3. Der J u g e n d r i c h t e r (Einzelrichter): a ) Seine S t r a f g e w a l t (siehe § 26 GVG und § 3 9 J G G ) : Jugendstrafe bis zu einem Jahr, ferner alle Zuchtmittel und Erziehungsmaßregeln sowie alle nach § 6 JGG zulässigen Nebenstrafen und Nebenfolgen. Jugendstrafe von unbestimmter Dauer darf der Jugendrichter als Einzelrichter nie aussprechen. Die Verhängung von Maßregeln der Sicherung und Besserung (§ 42 a StGB) ist im Jugendstrafrecht allgemein beschränkt auf Einweisung in eine Heil- oder Pflegeanstalt und Fahrerlaubnisentziehung, § 7 JGG. b) Seine Z u s t ä n d i g k e i t : Für alle Jugendgerichtssachen im Rahmen seiner Strafgewalt, soweit nicht Anklage vor dem Jugendschöffengericht oder der Jugendkammer erhoben wird. c ) U n z u l ä s s i g sind gegen einen J u g e n d l i c h e n (§§ 7gff. J G G ) : Strafbefehlsverfahren (§§ 407ff. StPO), beschleunigtes Verfahren (§212 StPO), Entschädigungsverfahren (§§ 403ff. StPO) sowie Privatklage (§§ 374fr. StPO) und Nebenklage (§§ 395fr. StPO). 4. Das J u g e n d s c h ö f f e n g e r i c h t (ein Amtsrichter und zwei Schöffen) ist zuständig für alle Verfehlungen, die nicht zur Zuständigkeit eines anderen Jugendgerichts gehören, § 40 I JGG. Das Jugendschöffengericht kann bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens die Entscheidung der Jugendkammer herbeiführen, ob diese die Sache wegen ihres besonderen Umfangs übernehmen will, § 40 II JGG. Die Strafgewalt des Jugendschöffengerichts ist unbeschränkt, soweit es sich um Strafen und Maßnahmen des Jugendstrafrechts handelt; das Jugendschöffengericht kann also alle nach dem JGG zulässigen Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel, Strafen, Nebenstrafen und Nebenfolgen, Maßregeln der Sicherung und Besserung, insbesondere aber die Jugendstrafe von unbestimmter Dauer aussprechen. Steht allerdings die Anwendung des allgemeinen Strafrechts in Frage (nur bei Heranwachsenden möglich, § 107 ff. JGG), so sind gemäß § 108 III JGG dieselben Beschränkungen wie in § 24 II GVG zu beachten.

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II. Teil: Lösungen

II. Beim Landgericht entscheiden als erkennende Gerichte die S t r a f k a m m e r n (kleine und große Strafkammern), die S c h w u r g e r i c h t e und die J u g e n d k a m m e r n . 1. Die k l e i n e Strafkammer (Vorsitzender und zwei Schöffen) tritt nur als B e r u f u n g s g e r i c h t gegen Urteile des Amtsrichters in Tätigkeit (§76 GVG). 2. Die g r o ß e Strafkammer (drei Richter mit Einschluß des Vorsitzenden und zwei Schöffen) ist z u s t ä n d i g : a) Als erkennendes Gericht des e r s t e n R e c h t s z u g e s für alle V e r b r e c h e n , die nicht zur Zuständigkeit des Amtsgerichts, des Schwurgerichts oder des Bundesgerichtshofs gehören. Die große Strafkammer ist f e r n e r zuständig für alle V e r g e h e n und V e r b r e c h e n , die von der Staatsanwaltschaft bei ihr angeklagt werden (siehe oben Abschnitt I) oder vom Amtsgericht an sie verwiesen sind, weil seine Strafgewalt zu ihrer Aburteilung nicht ausreicht. (N. B. Die Zuständigkeitsregelung der §§ 24, 74 GVG, die der Staatsanwaltschaft die Befugnis einräumt, im Einzelfall je nach der Bedeutung des Falles Anklage vor dem Amtsgericht — Einzelrichter oder Schöffengericht — oder vor der Großen Strafkammer zu erheben, ist nicht verfassungswidrig. Art. 101 GG ist nicht verletzt, vgl. BGH 9, 367; a. A. Eb. Schmidt, Lehrkommentar, Teil II Anm. 7 zu § 209 StPO). b) Als B e r u f u n g s g e r i c h t gegen die Urteile des Schöffengerichts (siehe §§ 74, 76 GVG). c) Für das S i c h e r u n g s v e r f a h r e n nach §§429aff. als erkennendes Gericht des ersten Rechtszuges (§ 429b Abs. 3 StPO). d) Eine Strafkammer des Landgerichts, in dessen Bezirk das Oberlandesgericht seinen Sitz hat, ist für den Bezirk des Oberlandesgerichts als erkennendes Gericht des ersten Rechtszuges zuständig für die Vergehen und Verbrechen der §§ 84, 90—97, iood I I und III, 129, 129a, 234a und 241a StGB (§ 74a GVG). e) Die S t r a f k a m m e r n , besetzt mit drei Richtern, sind gemäß § 73 GVG ferner zuständig für die die V o r u n t e r s u c h u n g betreffenden Entscheidungen und schließlich für die Entscheidungen über B e s c h w e r d e n gegen Verfügungen des Untersuchungsrichters und des Amtsrichters sowie gegen Entscheidungen des Amtsrichters und des Schöffengerichts. 3. Die S c h w u r g e r i c h t e (drei Richter mit Einschluß des Vorsitzenden und sechs Geschworene) sind gemäß § 80 GVG zuständig für Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§212 StGB) und Kindstötung (§217 StGB), ferner für die Verbrechen des StGB nach §§ 178, 221 Abs. 3 letzter Halbsatz, 226, 229 Abs. 2 letzter Halbsatz, 23g Abs. 3, 251, 252, 255 StGB, wenn die Strafe aus § 251 StGB zu entnehmen ist, §§ 307, 3 1 1 Abs. 1-3, 312 letzter Halbsatz, 321 Abs. 2 letzter Halbsatz, 324 letzter Halbsatz und 341 i. Verb, mit 239 Abs. 3 StGB.

Fall i

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Die drei Richter und sechs Geschworenen entscheiden über die Schuldund Straffrage gemeinschaftlich; Beschlüsse und Verfügungen außerhalb der Hauptverhandlung erlassen w ä h r e n d der Tagung die drei richterlichen Mitglieder des Schwurgerichts und a u ß e r h a l b der Tagung die mit drei Richtern besetzte Strafkammer (§ 82 GVG). 4. Die J u g e n d k a m m e r n (drei Richter, zwei Schöffen). Ihre S t r a f g e w a l t entspricht der des JugendschöfFengerichts. Sie sind z u s t ä n d i g in Sachen, a) die nach allgemeinem Strafrecht unter die Zuständigkeit des Schwurgerichts fallen, b) die nach Vorlage durch das JugendschöfTengericht übernommen werden (s. o. I 5), c) wenn gegen einen Heranwachsenden nach allgemeinem Strafrecht eine höhere Strafe als zwei Jahre Zuchthaus oder Sicherungsverwahrung auszusprechen ist (§108 Abs. 3 Satz 2 JGG). Beschlüsse und Verfügungen a u ß e r h a l b der Hauptverhandlung erläßt die mit drei Richtern besetzte Jugendkammer (§ 76 Abs. 1 GVG). III. Bei den Oberlandesgerichten entscheiden S t r a f s e n a t e . Sie sind gemäß § 120 GVG z u s t ä n d i g : 1. Im ersten und letzten Rechtszug (besetzt mit fünf Richtern einschließlich des Vorsitzenden) in den Strafsachen, die nach § 134 a I GVG vom Generalbundesanwalt an die Landesstaatsanwaltschaft abgegeben werden oder in denen der Bundesgerichtshof nach § 134 a III GVG bei Eröffnung des Hauptverfahrens die Verhandlung und Entscheidung dem Oberlandesgericht überweist. 2. In der Besetzung mit d r e i Richtern einschließlich des Vorsitzenden (siehe § 122 GVG Abs. 1) zur Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel der R e v i s i o n a) gegen die mit der Berufung nicht anfechtbaren Urteile des Amtsr i c h t e r s (siehe §§313, 334 StPO), b) gegen die B e r u f u n g s u r t e i l e der kleinen und großen Strafkammer, c) gegen erstinstanzliche Urteile der großen Strafkammer und des Schwurgerichts nur dann, wenn die Revision ausschließlich auf die Verletzung einer in den Landesgesetzen enthaltenen Rechtsnorm gestützt wird (§121 Abs. 1 Nr. 1 GVG). 3. Die Oberlandesgerichte sind schließlich noch zuständig zur Entscheidung über die Beschwerde gegen strafrichterliche Entscheidungen, soweit nicht die Zuständigkeit der Strafkammer oder des Bundesgerichtshofs begründet ist (§ 121 Abs. 2 Nr. 2 GVG) IV. Beim Bundesgerichtshof entscheiden die S t r a f s e n a t e (besetzt mit fünf Richtern mit Einschluß des Vorsitzenden, § 139 GVG). 1. in erster und l e t z t e r Instanz bei Hoch- und Landesverrat, bei Verfassungsverrat, bei Anschlägen gegen ausländische Staatsmänner nach § 102 StGB, bei Parlamentsnötigung, bei Verstößen gegen § 138 StGB,

8

II. Teil: Lösungen

wenn die Unterlassung sich auf eine Tat bezieht, die zur Zuständigkeit des BGH gehört, sowie bei Völkermord i. S. von § 220 StGB; 2. über die R e v i s i o n gegen die Urteile des S c h w u r g e r i c h t s und der g r o ß e n Strafkammer im ersten Rechtszuge, soweit nicht die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts begründet ist (§ 135 GVG). V. Der Instanzenzug (Rechtszug).

Amtsrichter

Schaffengericht (1 Richter, 2 Schöffen)

GroBe Strafkammer (3 Richter, 2 Schöffen)

Schwurgericht (3 Richter, 6 Geschworene)

Bundesgerichtshof (5 Richter) Oberlandesgerlcht (3 Richter), falls Landesrecht verletzt

Bundesgerichtshof (5 Richter) Oberlandesgericht (3 Richter), falls Landesrecht verletzt

i Kleine Strafkammer (1 Richter, 2 Schöffen)

GroBe Strafkammer (3 Richter, 2 Schöffen)

I I

ce

Oberlandesgericht (3 Richter) Im Falle des § 313 StPO ist Berufung ausgeschlossen und nur die Revision gegeben

Oberlandesgericht (3 Richter)

Im übrigen kann jedes Urteil des Amtsrichters und des Schöffengerichts unter Umgehung der Berufungsinstanz sofort mit der Revision angefochten werden (§ 335 StPO).

VI. Die Prüfung der sachlichen Zuständigkeit. Die Prüfung der s a c h l i c h e n Zuständigkeit ist niemals von einem Antrag oder einem Einwand abhängig. Das Gericht hat vielmehr v o n A m t s w e g e n gemäß § 6 StPO in jeder Lage des Verfahrens seine Zuständigkeit zu prüfen. 1. D i e P r ü f u n g d e r s a c h l i c h e n Z u s t ä n d i g k e i t in e r s t e r I n stanz : a) V o r E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s : aa) Ist der A m t s r i c h t e r schon bei Erhebung der Klage der Ansicht, daß die bei ihm eingereichte Sache die Zuständigkeit des Amtsgerichts ü b e r s t e i g t , so legt er die Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft dem L a n d g e r i c h t z u r E n t s c h e i d u n g vor (§ 209 Abs. 3 StPO). Einer ausdrücklichen Unzuständigkeitserklärung bedarf es in diesem Falle nicht. bb) Das L a n d g e r i c h t ist gemäß § 20g Abs. 1 StPO befugt, das Hauptverfahren auch vor den zu seinem Bezirk gehörenden Gerichten n i e d e r e r

Fall i

9

O r d n u n g zu eröffnen. In einem solchen Falle muß sich das für zuständig erachtete Gericht der Hauptverhandlung unterziehen, auch wenn es sich selbst für unzuständig hält. b) N a c h E r ö f f n u n g d e s H a u p t v e r f a h r e n s : aa) Gewinnt das Gericht e r s t i n d e r H a u p t v e r h a n d l u n g die Uberzeugung, daß seine Zuständigkeit zur Aburteilung der Tat nicht ausreicht, dann muß es durch B e s c h l u ß seine U n z u s t ä n d i g k e i t aussprechen und die Sache an d a s z u s t ä n d i g e G e r i c h t v e r w e i s e n (§ 270 Abs. 1 StPO). bb) Ein Gericht darf sich aber in der Hauptverhandlung nicht deshalb für unzuständig erklären, weil die Sache vor ein Gericht n i e d e r e r Ordnung gehöre (§ 269 StPO). 2. Das mit der B e r u f u n g befaßte Gericht (Strafkammer) hat die sachliche Zuständigkeit des Gerichts erster Instanz gemäß § 328 Abs. 3 StPO ebenfalls v o n A m t s w e g e n zu prüfen und gegebenenfalls unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache an das zuständige Gericht zu verweisen, und zwar, im Gegensatz zu dem Fall des § 270 StPO, nicht durch Beschluß, sondern durch U r t e i l . 3. Auch das R e v i s i o n s g e r i c h t hat von Amts wegen darauf zu achten, ob die sachliche Zuständigkeit in dem Verfahren, das zu dem angefochtenen Urteil geführt hat, nicht überschritten ist (BGH 7, 27; 10, 74; 13, 157). Wird festgestellt, daß das Gericht der vorigen Instanz sich zu Unrecht für zuständig erklärt hat, so v e r w e i s t das Revisionsgericht nach Aufhebung des Urteils die Sache an das zuständige Gericht (§ 355). Nur auf Rüge, nicht von Amts wegen hat das Revisionsgericht zu prüfen, ob der Jugendrichter oder der Amtsrichter bzw. — in der Berufungsinstanz — die Jugendkammer oder die allgemeine Strafkammer zu entscheiden hatten. Diese unterschiedliche Behandlung der Zuständigkeitsfrage ergibt sich daraus, daß die Jugendgerichte den ordentlichen Gerichten nicht nur äußerlich angegliedert, sondern ihnen wesensgleich sind (BGH 18, 79). 4. Die Untersuchungshandlungen eines sachlich unzuständigen Gerichts sind nicht schon aus diesem Grunde ungültig. VII. Besondere sachliche Zuständigkeit auf Grund des Zusammenhangs (§§ 2—5 StPO). 1. Besteht zwischen einer Strafsache und einer anderen Strafsache, für die ein Gericht h ö h e r e r Ordnung sachlich zuständig ist, ein Z u s a m m e n h a n g , so können beide Strafsachen im Wege der V e r b i n d u n g bei dem Gericht h ö h e r e r Ordnung anhängig gemacht werden (§ 2 StPO). Eine Verbindung zusammenhängender Sachen ist nach BGH 4, 152 auch dann möglich, wenn sich die V e r f a h r e n in v e r s c h i e d e n e n T a t s a c h e n i n s t a n z e n befinden. Die Verbindung hat den Vorteil, daß die Persönlichkeit des Angeklagten umfassender beurteilt werden kann und im Falle der Verurteilung eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach § 79 StGB bzw. § 460 StPO erspart bleibt. Der Instanzenzug wird nicht verkürzt: Der Angeklagte hat auf jeden Fall das Rechtsmittel der Revision.

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II. Teil: Lösungen

2. Ein Z u s a m m e n h a n g ist nach § 3 StPO vorhanden: a ) wenn eine Person mehrerer Straftaten beschuldigt wird (persönl i c h e r Zusammenhang) oder b) wenn bei einer strafbaren Handlung m e h r e r e Personen als Täter, Teilnehmer, Begünstiger oder Hehler beschuldigt werden ( s a c h l i c h e r Zusammenhang). § 3 ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Nur dort, wo mehrere Personen bei m a t e r i e l l - r e c h t l i c h e r B e t r a c h t u n g als Täter, Teilnehmer, Begünstiger oder Hehler an der Tat beteiligt waren, kann eine Verbindung vorgenommen werden. Es genügt dagegen nicht, daß mehreren Taten im materiell-rechtlichen Sinn der gleiche Lebensvorgang zugrundeliegt, wie das z. B. bei der aktiven und passiven Bestechung der Fall ist. Hier kommt allenfalls eine Verbindung nach § 237 StPO in Betracht (vgl. BGH 11, 130). 3. Die V e r b i n d u n g kann erfolgen: a) durch die S t a a t s a n w a l t s c h a f t , indem sie von vornherein die Strafsachen gemeinsam bei dem Gericht höherer Ordnung anklagt, b) n a c h t r ä g l i c h durch Gerichtsbeschluß (§4 StPO). 4. Auch wenn der Zusammenhang nicht der in § 3 bezeichnete ist, kann das Gericht die Verbindung mehrerer bei ihm anhängiger Strafsachen zum Zwecke gleichzeitiger Verhandlung anordnen (§ 237 StPO). C. Die örtliche Zuständigkeit (In den folgenden Ausführungen des ganzen Buches betreffen die Paragraphenzahlen die Strafprozeßordnung)

Die Frage der ö r t l i c h e n Z u s t ä n d i g k e i t ist, wie schon oben in Abschnitt A I 3 erwähnt wurde, in der Strafprozeßordnung behandelt (§§ 7 — 21). Der Ausdruck G e r i c h t s s t a n d betrifft ausschließlich die ö r t l i c h e Zuständigkeit. I. Die einzelnen Gerichtsstände 1. Begründet wird der Gerichtsstand in erster Linie durch den Beg e h u n g s o r t (§ 7), ferner durch den W o h n s i t z bzw. gewöhnlichen Aufenthaltsort oder letzten Wohnsitz des Beschuldigten (§8), schließlich durch den Ergreifungsort (§9). a ) Diese Gerichtsstände sind g l e i c h b e r e c h t i g t ; gesetzlich steht keinem von ihnen ein Vorrang vor den anderen zu. b) In der P r a x i s wird man allerdings den G e r i c h t s s t a n d des B e g e h u n g s o r t s (er ist nach § 3 des Strafgesetzbuches sowohl dort begründet, wo die A u s f ü h r u n g s h a n d l u n g vorgenommen wurde, als auch dort, wo der E r f o l g eingetreten ist) gegenüber dem Gerichtsstand des Wohnsitzes bzw. Aufenthaltsorts den Vorzug geben, und zwar deshalb, weil der Staatsanwaltschaft die Person des Täters und infolgedessen der Gerichtsstand des Wohnsitzes häufig zunächst unbekannt ist. Abgesehen davon wird aber

Fall I auch meistens die Erhebung der Beweise am sichersten und schnellsten am Tatort erfolgen können. Der Gerichtsstand des W o h n s i t z e s wird in der Regel nur d a n n in Frage kommen, wenn besondere Umstände vorliegen, z. B. wenn die Zeugen sämtlich am Wohnsitz des Beschuldigten, der von dem Tatort weit entfernt liegt, wohnhaft sind. 2. D e r G e r i c h t s s t a n d d e s H e i m a t h a f e n s (§ 10). Er ist für solche Straftaten begründet, welche auf einem d e u t s c h e n S c h i f f außerhalb des Geltungsbereichs der StPO oder in offener See begangen werden, u n d zwar ist in einem solchen Falle das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Heimathafen oder der Hafen liegt, welchen das Schiff nach der T a t zuerst erreicht. Entsprechendes gilt für Straftaten, die in einem deutschen F l u g z e u g begangen werden (§ 10 II). 3. Der Gerichtsstand für e x t e r r i t o r i a l e D e u t s c h e (§ n ) . 4. Der G e r i c h t s s t a n d d e s Z u s a m m e n h a n g s (§ 13). a ) Er ist f ü r z u s a m m e n h ä n g e n d e Strafsachen, die einzeln nach Z. 1 bis 4 zur Zuständigkeit verschiedener Gerichte gehören würden, bei jedem Gericht gegeben, welches für eine der zusammenhängenden Strafsachen gegeben ist. Dies gilt auch dann, wenn der Zusammenhang nach Eröffnung des Hauptverfahrens wieder wegfällt (BGH 16, 393). b ) Ein Z u s a m m e n h a n g ist nach § 3 vorhanden, wenn eine Person mehrerer strafbarer Handlungen beschuldigt wird oder wenn bei einer strafbaren Handlung mehrere Personen als Täter, Teilnehmer, Begünstiger oder Hehler beschuldigt werden. 5. Der G e r i c h t s s t a n d d e s A u f t r a g s (§ 15). Er wird dadurch begründet, d a ß das o b e r e G e r i c h t einem an sich örtlich unzuständigen Gericht die Untersuchung u n d Entscheidung einer Strafsache ü b e r t r ä g t . Dies ist möglich, wenn das an sich zuständige Gericht an der Ausübung des Richteramts rechtlich oder tatsächlich verhindert ist oder wenn von einer Verhandlung vor diesem Gericht eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu besorgen ist. Das Obergericht kann die Sache nur einem Gericht übertragen, das seinem Bezirk angehört. Soll ein Gericht außerhalb dieses Bezirks gewählt werden, so m u ß das gemeinschaftliche obere Gericht entscheiden (BGH N J W 61, 1484). (N. B. § 15 ist nach BGH 1, 211 e n t s p r e c h e n d anwendbar, wenn das f ü r ein Wiederaufnahmeverfahren an sich zuständige deutsche Gericht n i c h t m e h r b e s t e h t ; das zuständige Gericht wird in diesem Falle durch den Bundesgerichtshof bestimmt.) 6. In J u g e n d s a c h e n gibt es noch die Gerichtsstände der Vormundschaft, des Aufenthalts und der Verwahrung (§ 42 I J G G ) . Befindet sich der Jugendliche oder Heranwachsende in einer Jugendstrafanstalt, so soll die Anklage vor dem Richter erhoben werden, in dessen H a n d die Vollstrekkungsleitung liegt; in allen übrigen Fällen soll nach Möglichkeit der Richter entscheiden, dem die vormundschaftsrichterlichen Erziehungsaufgaben obliegen (§42 I J G G ) . Wechselt der Beschuldigte seinen Aufenthalt,

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II. Teil: Lösungen

so ist § 42 I I I J G G zu beachten (Möglichkeit der Abgabe an das Jugendgericht, in dessen Bezirk der Beschuldigte übergewechselt ist). 7. Läßt sich ungeachtet der umfassenden Zuständigkeitsregelung im Einzelfall das gesetzlich zuständige Gericht nicht ermitteln, so bestimmt der BGH das Gericht, das sich mit der Sache zu befassen hat (§ i 3 a S t P O ) . Ein nach § 13 a begründeter Gerichtsstand fällt nicht dadurch wieder weg, daß später ein auf §§ 7-—10 beruhender Gerichtsstand ermittelt wird (BGH 10, 255); das gemeinschaftliche obere Gericht kann jedoch in analoger Anwendung von § 12 II die Untersuchung und Entscheidung der Sache auf das nachträglich ermittelte, gemäß §§ 7 fr. zuständige Gericht übertragen (vgl. BGH a.a.O.). II. Mehrfacher Gerichtsstand 1. Unter mehreren nach §§ 7-—11 zuständigen Gerichten gebührt dem der Vorzug, welches die U n t e r s u c h u n g z u e r s t e r ö f f n e t h a t (sog. Prioritätsprinzip, § 12 I). Es h a t also z u n ä c h s t d i e S t a a t s a n w a l t s c h a f t d a r ü b e r z u ents c h e i d e n , bei welchem Gericht die Klage erhoben werden soll, wobei dem von der Staatsanwaltschaft bestimmten Gericht kein Recht zusteht, die Eröffnung der Untersuchung deshalb abzulehnen, weil es zweckmäßiger sei, die Sache vor ein anderes zuständiges Gericht zu bringen. Gelangt die zuerst mit der Sache befaßte Staatsanwaltschaft zu der Überzeugung, daß es zweckmäßiger ist, die Sache in einem anderen Bezirk verfolgen zu lassen, so kann sie die für den anderen Gerichtsstand zuständige Staatsanwaltschaft um Ü b e r n a h m e ersuchen. Lehnt diese die Übernahme ab, so kann die mit der Sache zuerst befaßte Staatsanwaltschaft die Entscheidung der gemeinsam vorgesetzten Instanz einholen. 2. Nach § 12 II besteht die Möglichkeit, aus Z w e c k m ä ß i g k e i t s g r ü n d e n auf Antrag oder von Amts wegen die Wirkung der Vorschrift des Abs. 1 wieder aufzuheben und die bereits eröffnete Untersuchung und Entscheidung der Sache einem anderen der von vornherein zuständig gewesenen Gerichte zu übertragen. III. Die Prüfung der örtlichen Zuständigkeit 1. V o n A m t s w e g e n hat das Gericht nur bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens seine örtliche Zuständigkeit zu prüfen und bei Bejahung der Unzuständigkeit die Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 204 wegen Unzuständigkeit abzulehnen. Später darf das Gericht seine Unzuständigkeit nur aussprechen, wenn der Angeschuldigte die fehlende Zuständigkeit ausdrücklich rügt (§ 18). 2. Das R e c h t des B e s c h u l d i g t e n , die Unzuständigkeit geltend zu machen, ist im Interesse einer Einschränkung der Erörterung über die örtliche Zuständigkeit zeitlich beschränkt: a) Hat eine V o r u n t e r s u c h u n g stattgefunden und ist der Beschuldigte vor ihrer Eröffnung gehört worden, ohne die Unzuständigkeit gerügt zu haben, so geht er des Einwands für das ganze weitere Verfahren verlustig.

Fall i

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Ist der Beschuldigte nicht gehört worden, so kann er den Einwand gemäß § 16 bis zum Schluß der Voruntersuchung geltend machen. b) Ist eine V o r u n t e r s u c h u n g n i c h t geführt worden oder auf den erhobenen Unzuständigkeitseinwand kein Beschluß ergangen, so muß der Beschuldigte den Einwand spätestens bis zum Beginn der Vernehmung zur Sache geltend machen (§ 16). c) Rügt der Angeschuldigte die örtliche Unzuständigkeit r e c h t z e i t i g , so hat sich das Gericht a u ß e r h a l b d e r H a u p t v e r h a n d l u n g gemäß § 206a durch B e s c h l u ß , in d e r H a u p t v e r h a n d l u n g gemäß § 206 I I I durch U r t e i l für unzuständig zu erklären. Wird die Entscheidung r e c h t s k r ä f t i g , so ist zwar die Strafklage als solche nicht verbraucht; die StA kann jedoch nie wieder die Sachc, auf die sich die Entscheidung bezog, bei diesem Gericht anklagen, und zwar auch dann nicht, wenn sich das Gericht zu Unrecht für unzuständig erklärt hatte (BGH 18, 1). Auf keinen Fall kann der alte Eröffnungsbeschluß zur Grundlage des weiteren Verfahrens gemacht werden. Dieser ist erschöpft (BGH 18, 1). Die Staatsanwaltschaft muß daher prüfen, ob noch ein anderes Gericht örtlich zuständig ist. Findet sich ein derartiges Gericht, so hat dieses über die Eröffnung des Hauptverfahrens zu entscheiden (OLG Hamm NJW 61, 232), und zwar unabhängig von dem früheren EB. 3. I n d e r B e r u f u n g s - u n d R e v i s i o n s i n s t a n z kann die Frage der örtlichen Zuständigkeit nur noch soweit Gegenstand der Prüfung sein, als es sich darum handelt, ob der Vorderrichter einen vom Angeklagten rechtzeitig erhobenen Einwand der Unzuständigkeit zu Unrecht verworfen hat. D. Lösung des Falles A I. Welches Gericht hat über den Antrag zu entscheiden? 1. Die „ o b e r e n G e r i c h t e " i. S. der §§ 12, 13, 14, 19 sind der Bundesgerichtshof, die Oberlandesgerichte und die Landgerichte. 2. Z u s t ä n d i g s i n d als „ o b e r e G e r i c h t e " a) das Landgericht (Strafkammer), wenn es sich um Amtsgerichte oder Schöffengerichte desselben Landgerichtsbezirks handelt, b) das Oberlandesgericht, wenn es sich um Gerichte desselben Oberlandesgerichtsbezirks handelt und nicht Fall a) vorliegt, und c) der Bundesgerichtshof, wenn Gerichte verschiedener Oberlandesgerichte in Frage stehen. I m v o r l i e g e n d e n F a l l k o m m t d e m n a c h als m a ß g e b e n d e s Ger i c h t d e r B u n d e s g e r i c h t s h o f in F r a g e .

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II. Teil: Lösungen

II. Wie wird der Bundesgerichtshof entscheiden? 1. Die Z u s t ä n d i g k e i t des U n t e r s u c h u n g s r i c h t e r s in H e i d e l b e r g , der gemäß § 184 die Voruntersuchung eröffnet hat, ist gemäß §§ 7, 8 für die in Heidelberg begangene Brandstiftung und nach §§ 13, 2 für das von den drei Angeschuldigten gemeinsam in Stuttgart begangene Betrugsvergehen begründet. 2. Die b e a n t r a g t e Ü b e r t r a g u n g d e r S t r a f s a c h e n n a ch S t u t t g a r t gemäß § 12 Abs. 2 könnte nur erfolgen, wenn auch dort die Möglichkeit bestünde, die Anklagesachen in gleicher Weise wie in Heidelberg anhängig zu machen. Dies ist aber nicht der Fall. a) Was die B r a n d s t i f t u n g betrifft, so wäre die Staatsanwaltschaft Stuttgart nicht in der Lage, die Eröffnung der Voruntersuchung gegen A zu erwirken, da der Antrag wegen Unzuständigkeit des Gerichts gemäß § 180 abgelehnt werden müßte, denn weder nach § 7 noch nach § 8 wäre ein örtlicher Gerichtsstand des Schwurgerichts in Stuttgart begründet. b) Bezüglich der B e t r u g s s a c h e wäre allerdings gemäß §§ 7, 8, 13, 3 ein ö r t l i c h e r Gerichtsstand gegen alle drei Angeschuldigten in Stuttgart gegeben, aber gemäß § 24 GVG bei dem dortigen Amtsgericht bzw. der Strafkammer, nicht beim Schwurgericht. In der Betrugssache könnte somit Anklage beim Amtsgericht (Einzelrichter oder Schöffengericht in Stuttgart) erhoben werden. c) U n m ö g l i c h w ä r e es, m i t d i e s e r A n k l a g e a u c h d i e w e g e n B r a n d s t i f t u n g zu v e r b i n d e n , deren Aburteilung zur sachlichen und ausschließlichen örtlichen Zuständigkeit des Schwurgerichts Heidelberg gehört. § 13 bezieht sich nämlich nur auf verschiedene ö r t l i c h zuständige Gerichte g l e i c h e r O r d n u n g ; kommt eine v e r s c h i e d e n e s a c h l i c h e Zuständigkeit in Frage, so ist für eine Verbindung § 2 maßgebend, wonach zusammenhängende Strafsachen, welche einzeln zur Zuständigkeit von Gerichten verschiedener Ordnung gehören, verbunden nur bei demjenigen Gericht anhängig gemacht werden können, dem die höhere Zuständigkeit beiwohnt. Umgekehrt kann eine zur Zuständigkeit eines Gerichts höherer Ordnung gehörige Strafsache in Verbindung mit einer zur Zuständigkeit eines Gerichts niederer Ordnung gehörigen bei diesem letzteren nicht anhängig gemacht werden. Der Antrag auf Übertragung der Strafsachen nach Stuttgart wird daher abzulehnen sein. III. Ist die Entscheidung anfechtbar? Gegen die Entscheidung des „oberen Gerichts" gibt es kein Rechtsmittel. 1. Soweit das O b e r l a n d e s g e r i c h t und der B u n d e s g e r i c h t s h o f in Frage kommt, ergibt sich die Unanfechtbarkeit aus § 304 IV. 2. Daß auch die Entscheidung des L a n d g e r i c h t s nicht angefochten werden kann, folgt aus der Tatsache, daß die Entscheidung gemäß § 12 Abs. 2 weder als eine solche erster Instanz, noch als eine solche der Berufungsinstanz i. S. des § 304 Abs. 1 angesehen werden kann.

Fall i

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E.

Lösung des Falles B I. War das Schöffengericht in Karlsruhe zuständig?

zur Aburteilung

Die Annahme des Schöffengerichts, daß die Veröffentlichung d e s s e l b e n A r t i k e l s i n z w e i v e r s c h i e d e n e n Z e i t u n g e n selbständige H a n d lungen darstellt, enthält keinen Rechtsirrtum. Es sind also z w e i T a t o r t e i. S. des Abs. 2 vorhanden, nämlich Karlsruhe und Stuttgart. Dies führt jedoch nicht dazu, d a ß wegen der einen Veröffentlichung in Karlsruhe und wegen der anderen Veröffentlichung in Stuttgart Anklage erhoben werden müßte. § 7 Abs. 2 bezweckt lediglich eine Einschränkung der Zuständigkeitsregelung des § 7 Abs. 1, die bei Pressedelikten zu dem unerwünschten Ergebnis führen würde, daß eine Zuständigkeit überall dort begründet wäre, wo dei Druckschrift verbreitet worden ist. O h n e die besondere Regelung des § 7 Abs. 2 bestünde die Gefahr, d a ß mehrere Staatsanwaltschaften und Gerichte sich gleichzeitig mit derselben Druckschrift befassen u n d dabei möglicherweise zu völlig verschiedenen Ergebnissen kommen. § 7 Abs. 2 schließt jedoch nicht aus, d a ß die Staatsanwaltschaft ausnahmsweise nicht a m Tatort, sondern a m W o h n o r t des Beschuldigten (§8) oder am Ort seiner E r g r e i f u n g (§9) Anklage erhebt. So ergibt sich im vorliegenden Fall die Z u s t ä n d i g k e i t d e s S c h ö f f e n g e r i c h t s K a r l s r u h e auch für die Veröffentlichung in Stuttgart zwar nicht aus § 7, wohl aber aus § 8. I m übrigen ist Karlsruhe gemäß §§ 13, 3, auch Gerichtsstand aufgrund des p e r s ö n l i c h e n Z u s a m m e n h a n g s . (N. B. Hätte der durch den Inhalt des Artikels beleidigte Arzt P r i v a t k l a g e erhoben, so wäre gemäß § 7 I I Satz 2 auch das Amtsgericht Nürnberg zuständig gewesen. § 7 I I Satz 2 bringt insoweit eine wesentliche prozessuale Erleichterung für den Beleidigten. Wird nach erhobener Privatklage die Strafverfolgung gemäß § 377 I I von der Staatsanwaltschaft übernommen, so bleibt der in § 7 I I Satz 2 geschaffene Sondergerichtsstand erhalten ( p e r p e t u a t i o f o r i ) . Es wäre in d e r T a t unbefriedigend, wollte m a n dem Privatkläger, der nach der Übernahme der Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft zum Nebenkläger wird, mit der Beseitigung des bisher bestehenden Sondergerichtsstands auch seine bisherigen prozessualen Erleichterungen nehmen, vgl. BGH 11, 56; Eb. Schmidt Teil I I Erl. 15 zu § 7 StPO.)

II. Der Beschluß des Schöffengerichts vom 20. Dezember 1. V o r b e m e r k u n g : Nach § 201 Abs. 1 hat der Vorsitzende des Gerichts die Anklageschrift dem A n g e s c h u l d i g t e n m i t z u t e i l e n u n d ihn zugleich a u f z u f o r d e r n , sich innerhalb einer zu bestimmenden Frist zu erklären, ob er die Vornahme einzelner Beweiserhebungen vor der H a u p t verhandlung beantragen oder Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens vorbringen oder eine Voruntersuchung beantragen wolle.

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I I . Teil: Lösungen

Zu den E i n w e n d u n g e n , die der Angeklagte nach Mitteilung der Anklageschrift gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 201 vorbringen kann, gehört auch diejenige der U n z u s t ä n d i g k e i t . 2. Die Bestimmung des § 201 Abs. 1 Satz 1, wonach über die Anträge und Einwendungen das G e r i c h t z u b e s c h l i e ß e n hat, besagt lediglich, daß das G e r i c h t einen a u s d r ü c k l i c h e n B e s c h l u ß erlassen muß, d. h. ein einfacher Bescheid des Vorsitzenden genügt ebensowenig wie eine stillschweigende Ablehnung durch den Eröffnungsbeschluß. Die Bestimmung ist aber nicht dahin zu verstehen, als habe das Gericht einen b e s o n d e r e n Beschluß zu erlassen, bevor es weiter in der Sache beschließt; vielmehr bilden die Anträge und Einwendungen des Angeschuldigten in gleicher Weise wie auf der anderen Seite die Anträge der Staatsanwaltschaft das Material für die zu treffende Entscheidung (§§ 202 bis 205). 3. Die V e r w e r f u n g e i n e s A n t r a g s usw. kann also, w i e i m v o r l i e g e n d e n F a l l e geschehen, u n t e r g l e i c h z e i t i g e r E r ö f f n u n g d e s H a u p t v e r f a h r e n s e r f o l g e n (vgl. Eb. Schmidt, Teil II, §201 R n . 21). D e r B e s c h l u ß d e s S c h ö f f e n g e r i c h t s v o m 20. 12. 1965, d e r a l s eine a u ß e r h a l b der H a u p t v e r h a n d l u n g ergehende Entscheid u n g g e m ä ß § 30 A b s . 2 G V G v o n d e m A m t s r i c h t e r e r l a s s e n w u r d e , ist also nicht zu beanstanden.

III. Der in der Hauptverhandlung ergangene Beschluß 1. Die Vorschriften der §§ 16—18 ergeben, d a ß das Gesetz das Bestreiten u n d die Prüfung der ö r t l i c h e n Z u s t ä n d i g k e i t m ö g l i c h s t e i n s c h r ä n k e n will. Deshalb darf, wie schon oben ausgeführt, das Gericht n a c h Eröffnung des Hauptverfahrens seine örtliche Zuständigkeit nur auf Einwand des Angeklagten aussprechen (§ 18). Aus dem gleichen Grund ist dem Angeschuldigten in Anerkennung seines Interesses, vor keinen anderen als den zuständigen Richter gestellt zu werden, zwar das Recht eingeräumt, seine Auffassung durch Erhebung eines Einwandes zur Geltung zu bringen, die Ausübung dieses Rechts aber an Fristen geknüpft, nach deren Ablauf der Fortgang des Verfahrens nicht mehr dadurch gehemmt werden kann, daß die örtliche Zuständigkeit des Gerichts in Zweifel gezogen wird. 2. Gemäß § 16 m u ß der Angeschuldigte den E i n w a n d d e r U n z u s t ä n d i g k e i t bei Verlust desselben bis zum Schlüsse der Voruntersuchung, und falls eine solche nicht stattgefunden hat, spätestens vor der Vernehmung zur Sache in der Hauptverhandlung geltend machen. Der im v o r l i e g e n d e n F a l l e vom Verteidiger des Angeklagten erst n a c h Beginn der Vernehmung zur Sache vorgebrachte Einwand der Unzuständigkeit war somit v e r s p ä t e t erhoben. 3. I n § 201 Abs. 2 letzter Satz ist nun aber unter Hinweis auf § 182 Abs. 1 bestimmt, d a ß der Beschluß des Gerichts, durch welchen ein solcher Einwand verworfen wird, von dem Angeschuldigten durch die s o f o r t i g e B e s c h w e r d e angefochten werden kann, die gemäß §311 Abs. 2 innerhalb einer Frist von einer Woche eingelegt werden muß. Wird die Frist nicht gewahrt, so ist der Einwand der örtlichen Unzuständigkeit r e c h t s k r ä f t i g

Fall 2

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a b g e w i e s e n , und diese Rechtskraft der Entscheidung hat zur Folge, daß der Einwand mit rechtlicher Wirkung n i c h t w i e d e r h o l t werden kann (siehe E. 26, 340). 4. I m v o r l i e g e n d e n F a l l e k o m m e n w i r s o m i t z u f o l g e n d e m E r g e b n i s : Da der Angeklagte A von seinem Recht, gegen den ihm zugestellten Eröffnungsbeschluß, durch welchen der Einwand der örtlichen Unzuständigkeit verworfen wurde, die sofortige Beschwerde einzulegen, keinen Gebrauch gemacht hat, war der E i n w a n d , den der Verteidiger in der Hauptverhandlung wiederholt hat, b e r e i t s v e r b r a u c h t und daher schon aus diesem Grunde zurückzuweisen. Eine Bezugnahme auf § 1 6 war daher gar nicht erforderlich.

ZU FALL 2 A. Vorbemerkung: Das Legalitätsprinzip und seine Ausnahmen I. Ein Strafverfahren entsteht in der Regel auf Grund einer S t r a f a n z e i g e , die gemäß § 158 bei der Staatsanwaltschaft, den Behörden und Beamten des Polizeidienstes und den Amtsgerichten mündlich oder schriftlich erstattet werden kann. (Wegen Strafantrag siehe Abs. 2 des § 158.) I I . Ein Strafverfahren kann auch ohne Anzeige oder Antrag aus e i g e n e r I n i t i a t i v e d e r S t a a t s a n w a l t s c h a f t in Gang kommen, da diese nach §§ 152 II, 160 I verpflichtet ist, wegen aller gerichtlich strafbaren und verfolgbaren Handlungen einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Dabei ist zu beachten, daß die Staatsanwaltschaft nicht nur die zur B e l a s t u n g , sondern auch die zur E n t l a s t u n g dienenden Umstände zu ermitteln hat (§ 160 II). III. Dieses sog. L e g a l i t ä t s p r i n z i p , zu dessen strenger Durchführung die Strafbestimmung des § 346 StGB sowie die Beschwerde im Aufsichtsweg (§147 G V G ) und die Beschwerde an den vorgesetzten Staatsanwalt nebst Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§§ 172fr.) dienen, wird d u r c h b r o c h e n im Privatklageverfahren (§ 376), in Jugendgerichtssachen (§45 J G G ) sowie in den Fällen der §§ 153, 153a, 153b, 153c, 154, 154a, i54b» I 54 c Der w e s e n t l i c h e I n h a l t dieser Bestimmungen ist folgender: 1 . Nach § 376 wird wegen der nach § 374 im W e g e d e r P r i v a t k l a g e verfolgbaren Delikte (hierunter fallen vor allem die Vergehen der Beleidigung und Körperverletzung i. S. der §§223, 223 a StGB) öffentliche Klage von der Staatsanwaltschaft nur dann erhoben, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt. P c t t e r s - P r c i s e n d a n z , Strafprozeßfälle, 8. Aufl.

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I I . Teil: Lösungen

2. Nach § 153 I werden Ü b e r t r e t u n g e n , bei denen die Schuld des Täters gering ist, nicht verfolgt, es sei denn, d a ß ein öffentliches Interesse an der Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung besteht. Auf die Folgen der T a t kommt es seit Inkrafttreten des StPÄG 1964 nicht mehr an. Sind die Tatfolgen allerdings erheblich, so dürfte in aller Regel ein öffentliches Interesse an der Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung bestehen. Dies gilt vor allem bei Verkehrsübertretungen mit erheblichem Fremdschaden. Nach § 153 I I besteht auch bei V e r g e h e n die Möglichkeit, das Verfahren einzustellen, wenn die Schuld des Täters gering ist u n d kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. I n diesem Fall kann die Einstellung jedoch nur mit Zustimmung des Gerichts erfolgen. Für die Erteilung der Zustimmung ist das Gericht zuständig, das auch für die Hauptverhandlung zuständig wäre, also entgegen dem Wortlaut des Gesetzes nicht ausschließlich der Amtsrichter, vgl. BGH. 12, 399 unter Hinweis auf die Gesetzesgeschichte. Auch nach K l a g e e r h e b u n g kann gemäß § 153 I I I d a s G e r i c h t mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen. In diesem Falle tritt ein V e r b r a u c h d e r S t r a f k l a g e ein. (Siehe Fall 12, Abschnitt A I V s d S. 160.) 3. Nach § 153 a kann die Staatsanwaltschaft von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen, wenn das Gericht auch im Falle eines Schuldspruchs von Strafe absehen könnte (Abs. 1). Gemeint sind hier die Fälle der sog. Retorsion (§§ 199, 233 StGB), ferner die §§ 139 I, 173 V, 175 I I und 157 I I StGB. Will die Staatsanwaltschaft nach § 153a I von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen, so bedarf sie hierzu — wie bei § 153 I I — der Zustimmung des Gerichts. Will umgekehrt bei bereits erhobener Klage das Gericht das Verfahren einstellen, so ist hierzu — wie bei § 153 I I I — die Zustimmung der Staatsanwaltschaft, außerdem die Zustimmung des Angeschuldigten erforderlich (Abs. 2). 4. § 153b lockert den Verfolgungszwang bei Auslandstaten. 5. Nach § 153c kann der Generalbundesanwalt bei Staatsgefährdung (§§ goff. StGB), Landesverrat (§§ 100—iooe StGB) u n d ähnlichen, gegen Bestand u n d Sicherheit des Staates gerichteten Delikten von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen, wenn der Täter nach der Tat, bevor ihm deren Entdeckung bekannt geworden ist, dazu beigetragen hat, die durch die T a t drohende Gefahr wieder abzuwenden, oder wenn er durch ein umfassendes Geständnis die Bekämpfung der landesverräterischen oder staatsgefährdenden Bestrebungen erleichtert hat. Will der Generalbundesanwalt von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen, so bedarf es hierzu der Zustimmung des Bundesgerichtshofs. Ist die Klage bereits erhoben, so kann auch der BGH mit Zustimmung des Generalbundesanwalts das Verfahren einstellen (Abs. 3). 6. § 154 behandelt die unbedeutenden N e b e n d e l i k t e . Er verfolgt den Zweck, einer unnötigen H ä u f u n g von Anklagen gegen dieselbe Person

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vorzubeugen, z. B. Anklage wegen Diebstahls neben einer solchen wegen Mords. Ein Verbrauch der Strafklage tritt in diesem Falle, der sich im Gegensatz zu § 1 5 3 a u c h a u f V e r b r e c h e n bezieht, weder bei der staatsanwaltschaftlichen (Abs. I) noch bei der gerichtlichen Einstellung (Abs. II) ein. R e c h t s m i t t e l : Wird das Verfahren durch Gerichtsbeschluß nach § 154 I I eingestellt, so hat der Beschuldigte mangels Beschwer kein Rechtsmittel. Wegen möglicher Ausnahmen siehe BGH 10, 88. Die Staatsanwaltschaft hat nur d a n n ein Beschwerderecht, wenn die Einstellung gesetzwidrig ohne ihren Antrag (Zustimmung genügt!) beschlossen wurde. Gegen die Ablehnung einer von der Staatsanwaltschaft beantragten Einstellung nach § 1 5 4 I I haben die Beteiligten in Hinblick auf § 3 0 5 ebenfalls kein Beschwerderecht (a. A. Schwarz-Kleinknecht § 154 Anm. 5). Wegen der Möglichkeit, ein gemäß § 154 Abs. 1 oder Abs. 2 eingestelltes Verfahren wieder aufzunehmen, siehe Abs. 3-5. 7. Nach § 154 a (neu gefaßt durch die am 1. 4. 1965 in Kraft getretene Strafprozeßnovelle) besteht die Möglichkeit, bei mehreren materiellrechtlich in Tateinheit (Idealkonkurrenz) stehenden Tatbeständen diejenigen von der Verfolgung auszunehmen, die weder f ü r die Strafe noch für eine etwaige Maßregel der Sicherung ins Gewicht fallen. Ahnlich wie § 154 dient auch § 154a dem Zweck, durch die A u s s c h e i d u n g u n w e s e n t l i c h e r G e s i c h t s p u n k t e das Verfahren zu vereinfachen u n d zu beschleunigen. B e i s p i e l : A hat als Kraftfahrer in angetrunkenem Zustand am Straßenverkehr teilgenommen und anläßlich dieser Fahrt die innerhalb geschlossener Ortschaften höchstzulässige Geschwindigkeit von 50 km/h u m 10 km/h überschritten. Hier besteht gemäß § 154 a die Möglichkeit, das Verfahren auf das Vergehen gemäß §316 StGB zu beschränken. Die Übertretung gemäß §§9 I V StVO, 21 StVG wird nicht weiter verfolgt. Die Beschränkung der Untersuchung auf bestimmte Schwerpunkte ist nach Abs. 1 Satz 2 a k t e n k u n d i g zu machen. Ergibt sich später, d a ß die zunächst als unwesentlich angesehene Gesetzesverletzung doch nicht so unwesentlich ist, so kann sie jederzeit wieder in das Verfahren einbezogen werden (§ 154a Abs. 3). Eine solche E i n b e z i e h u n g kommt vor allem auch d a n n in Betracht, wenn die Gesetzesverletzung, bei der zunächst der Schwerpunkt gesehen wurde, nicht nachweisbar ist. Z u s t ä n d i g f ü r die Ausscheidung ist im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft (Abs. 1), nach Einreichung der Anklageschrift das Gericht (jedoch nur mit Zustimmung der StA, Abs. 2), in der Voruntersuchung der Untersuchungsrichter (ebenfalls nur mit Zustimmung der StA, Abs. 4). 8. § 154b behandelt die Einstellung bei A u s l i e f e r u n g und Ausweisung. 9. § 154c behandelt die E r m e s s e n s f r e i h e i t g e g e n ü b e r d e n O p f e r n einer Erpressung. »»

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II. Teil: Lösungen

10. § 154 c! gibt der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, von der Erhebung der öffentlichen Klage abzusehen, wenn der Anzeiger nicht innerhalb einer ihm von der Staatsanwaltschaft zu stellenden Frist eine für die Beurteilung der Strafbarkeit entscheidende zivil- oder verwaltungsrechtliche Frage im Zivil- bzw. Verwaltungsrechtsweg klären läßt. Die Vorschrift will verhindern, d a ß der Anzeiger bei ungeklärten Fragen des Zivil- oder Verwaltungsrechts zur Ersparung eigener Aufwendungen die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsorgane unnötig in Bewegung setzt. Sie wird in der Praxis leider viel zu wenig beachtet.

B. Lösung des Falles I. Die bei der Polizei fernmündlich erstattete Strafanzeige 1. Gemäß § 158 Abs. 1 können S t r a f a n z e i g e n und S t r a f a n t r ä g e a) bei der S t a a t s a n w a l t s c h a f t , b) bei allen P o l i z e i d i e n s t s t e l l e n und P o l i z e i b e a m t e n , c) bei den A m t s g e r i c h t e n angebracht werden, und zwar ohne Rücksicht auf die örtliche oder sachliche Zuständigkeit für das spätere Verfahren. Der Polizeibeamte war also grundsätzlich verpflichtet, die Anzeige des A entgegenzunehmen. 2. Was die F o r m d e r S t r a f a n z e i g e betrifft, so bestimmt § 158 Abs. 1, daß eine Anzeige m ü n d l i c h oder s c h r i f t l i c h erstattet werden kann. Mündlich erstattete Anzeigen sind zu b e u r k u n d e n . Hieraus folgt: W ä r e A persönlich bei der Polizeidienststelle erschienen, so wäre der diensthabende Beamte verpflichtet gewesen, in einem von ihm zu unterzeichnenden Protokoll festzuhalten, daß A erschienen ist, u m gegen N Strafanzeige wegen falscher Anschuldigung und übler Nachrede zu erstatten. Zur Frage, ob die Unterschrift des Anzeigers A nicht nur ratsam, sondern unbedingt erforderlich gewesen wäre, s. u. Abschnitt 4. 3. Die Frage, ob man auch f e r n m ü n d l i c h eine Anzeige zu Protokoll geben kann, ist im neueren Schrifttum nicht unbestritten. Allgemein anerkannt ist lediglich, daß telegrafische Erklärungen der schriftlichen Erklärung auch dann gleichstehen, wenn das Telegramm fernmündlich aufgegeben worden ist. Allgemein anerkannt ist weiter, d a ß bei telegrafischen Erklärungen eine etwaige Frist, z. B. Rechtsmittelfrist, schon d a n n gewahrt ist, wenn der Telegrammtext innerhalb der Frist der Behörde, für die er bestimmt ist, vom Postamt fernmündlich zugesprochen und von einer zur Entgegennahme der Erklärung befugten Person in einer den Wortlaut des Telegramms wiedergebenden amtlichen Notiz festgehalten wird (BGH 14, 233).

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Diese Grundsätze können jedoch nicht ohne weiteres auf sonstige fernmündliche Erklärungen übertragen werden. Der BGH hat in der oben zitierten Entscheidung (aaO. 235) ausdrücklich betont, d a ß d i e f e r n m ü n d liche D u r c h s a g e des T e l e g r a m m i n h a l t s keine E r k l ä r u n g zu P r o t o k o l l der Geschäftsstelle darstellt. D a ß sie trotzdem zur Fristwahrung ausreicht, wurde vielmehr lediglich aus der Besonderheit des Telegrafenbetriebs abgeleitet, wonach gemäß § 26 TelegrO auch die fernmündliche Durchsage als Zustellung des Telegramms gilt. Es besteht daher kein Anlaß, die für das Telegramm entwickelten Grundsätze auch auf andere fernmündliche Erklärungen zu übertragen. Die neuerdings von SchwarzKleinknecht (Einl. 5 G) vertretene Gegenansicht birgt zu viele Unsicherheitsfaktoren in sich und läßt sich mit dem eindeutigen Gesetzestext, wonach die mündliche Erklärung zu beurkunden ist, schlecht vereinbaren. Hieraus kann natürlich nicht der Schluß gezogen werden, daß ein Polizeibeamter auf fernmündlich erstattete Anzeigen überhaupt nicht einzuschreiten hat. Dies ergibt sich schon aus § 163 Abs. 1, wonach die Behörden und Beamten des Polizeidienstes strafbare Handlungen von Amts wegen zu erforschen haben. Eine f o r m g e r e c h t erstattete Anzeige ist also zum Einschreiten nicht erforderlich. Dies gilt insbesondere für begangene oder drohende Kapitalverbrechen, an deren Aufklärung bzw. Verhinderung ein besonderes öffentliches Interesse besteht. Anders bei Straftaten geringerer Bedeutung, die — wie im vorliegenden Fall — nur die Interessen einzelner berühren und keine Sofortmaßnahmen erfordern, u m die Verdunkelung der Sache zu verhüten. Hier genügt es, wenn der Polizeibeamte bei einer fernmündlich erstatteten Anzeige den Anzeiger auf die zu beachtenden Formvorschriften hinweist. 4. I m vorliegenden Fall ist weiter zu beachten, d a ß die Anzeige des A nicht nur ein Offizialdelikt, nämlich die falsche Anschuldigung, sondern außerdem noch die Behauptung einer üblen Nachrede enthielt. Diese ist gemäß § 194 StGB ein Vergehen, das nur auf Antrag verfolgbar ist. A n t r a g s d e l i k t e unterliegen jedoch gemäß § 158 Abs. 2 insofern s t r e n g e r e n F o r m v o r s c h r i f t e n als Offizialdelikte, als der Strafantrag nur bei Gericht und bei der StA zu Protokoll gegeben werden kann. Wer den S t r a f a n t r a g b e i d e r P o l i z e i stellen will, m u ß seine Erklärung s c h r i f t l i c h abgeben. Dies schließt zwar nicht aus, daß der Strafantrag auch zu Protokoll einer Polizeidienststelle erklärt werden kann. I n diesem Fall ist jedoch die Unterschrift des Antragstellers unentbehrlich, da andernfalls die Schriftform nicht gewahrt ist. 5. I m Ergebnis kann somit festgestellt werden, d a ß der Polizeibeamte sich zu Recht geweigert hat, die fernmündliche Erklärung des A entgegenzunehmen.

II. Welche Möglichkeiten der Verfahrensgestaltung hatte die StA nach Eingang der schriftlichen Anzeige? 1. Die StA hat grundsätzlich d r e i M ö g l i c h k e i t e n der Verfahrensgestaltung:

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I I . Teil: Lösungen

a) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der ö f f e n t l i c h e n K l a g e , so kann die StA entweder aa) Antrag auf gerichtliche Voruntersuchung stellen (§§170 Abs. 1, 178 ff.) oder bb) Anklage beim zuständigen Gericht erheben (§§ 170 Abs. 1, 200ff.) oder cc) Antrag auf Erlaß eines Strafbefehls stellen (§ 407ff.). b ) Die StA kann das V e r f a h r e n e i n s t e l l e n , wobei die Gründe, die zur Einstellung führen, verschiedener Natur sein können. I n der täglichen Praxis kommen vor allem folgende E i n s t e l l u n g s g r ü n d e in Betracht: aa) Es f e h l t an einem zur Erhebung der Anklage erforderlichen h i n r e i c h e n d e n T a t v e r d a c h t , d. h. die zur Verfügung stehenden Beweise sind nicht so stark, d a ß sie im Falle einer Hauptverhandlung die Verurteilung des Angeklagten mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erwarten lassen. bb) Es besteht k e i n ö f f e n t l i c h e s I n t e r e s s e an der Strafverfolgung, z. B. bei Privatklagedelikten (vgl. § 376), bei Übertretungen (§ 153 Abs. 1) sowie bei bestimmten Vergehen, bei denen die Schuld des Täters gering ist (§ 153 Abs. 2). cc) Die zu erwartende Strafe oder Maßregel der Sicherung und Besserung fällt gegenüber einer anderen, bereits rechtskräftig verhängten oder noch zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Sicherung und Besserung nicht ins Gewicht (§ 154). dd) Der Aufenthalt des Beschuldigten ist nicht bekannt. I n diesem Fall ist die Einstellung nur v o r l ä u f i g , d. h. das Verfahren wird wieder aufgenommen, sobald der Aufenthalt des Beschuldigten ermittelt ist. Als F a h n d u n g s m a ß n a h m e n kommen vor allem in Betracht: Ausschreiben des Beschuldigten zur Aufenthaltsermittlung oder zur Festnahme, wobei eine Ausschreibung zur Festnahme nur in Verbindung mit einem H a f t befehl möglich ist, ferner die Hinterlegung einer Such- u n d Steckbriefnachricht beim Strafregister (letzteres auch grundsätzlich nur in Verbindung mit einem Haftbefehl möglich, vgl. § 131 Abs. 1 und Abs. 2). ee) Der Strafverfolgung steht ein V e r f a h r e n s h i n d e r n i s (z. B. Verjährung) entgegen oder es fehlt an einer V e r f a h r e n s v o r a u s s e t z u n g (z. B. der erforderliche Strafantrag ist nicht oder nicht rechtzeitig gestellt). c) Die StA leitet n e u e E r m i t t l u n g e n ein, da der Sachverhalt nicht genügend geklärt ist. O b die StA die Ermittlungen selbst durchführt oder ob sie ein entsprechendes Ermittlungsersuchen an die zuständigen Polizeidienststellen richtet (vgl. § 152 GVG) oder ob sie eine richterliche Untersuchungshandlung für erforderlich hält (vgl. § 162), steht in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. 2. Da im v o r l i e g e n d e n F a l l nur die schriftliche Anzeige des A vorliegt und weder der Beschuldigte N noch etwaige Zeugen vernommen worden sind, kommt nach Sachlage w e d e r die Erhebung einer A n k l a g e

Fall 2

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n o c h der A n t r a g a u f E r l a ß e i n e s S t r a f b e f e h l s in Betracht. Sowohl die E r h e b u n g der Anklage als auch der A n t r a g auf E r l a ß eines Straf befehls setzen nämlich voraus, d a ß d e m Beschuldigten zuvor die Möglichkeit gegeben worden ist, sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu ä u ß e r n u n d zu verteidigen (vgl. § 163a Abs. 1). Eine g e r i c h t l i c h e V o r u n t e r s u c h u n g scheidet n a c h Sachlage schon deshalb aus, weil die d e m N zur Last gelegte T a t z u m Zuständigkeitsbereich des Einzelrichters gehört (eine Anklage z u m Schöffengericht wäre zumindest unüblich) u n d das Gesetz f ü r diesen Fall eine gerichtliche V U nicht vorsieht (vgl. § 178). Eine sofortige E i n s t e l l u n g des Verfahrens m a n g e l s h i n r e i c h e n d e n T a t v e r d a c h t s ist nach Sachlage ebenfalls nicht naheliegend, d a der Sachverhalt — wie e r w ä h n t — zu wenig geklärt ist. Die StA dürfte also zur K l ä r u n g des Sachverhalts die E i n l e i t u n g e i n e s E r m i t t l u n g s v e r f a h r e n s veranlassen (s. o. i c ) , sofern sie sich nicht d a z u entschließt, das Verfahren ohne weitere Ermittlungen g e m ä ß § 153 Abs. 2 wegen G e r i n g f ü g i g k e i t einzustellen, wozu sie jedoch der Z u s t i m m u n g des zuständigen Amtsrichters bedürfte. Leitet sie Ermittlungen ein, so sind diese auf d e n rechdichen Gesichtspunkt der falschen Anschuldigung zu beschränken. Eine Verfolgung u n t e r d e m Gesichtspunkt der üblen N a c h r e d e ist nicht m e h r möglich, da die fernmündlich erstattete Strafanzeige bei der Polizei — wie oben in Abschnitt I 4 darlegt — keinen rechtswirksamen Strafantrag enthielt u n d der a m 8. 7. 1965 bei der StA eingegangene schriftliche Strafa n t r a g nicht mehr i n n e r h a l b der 3-Monatsfrist des § 61 StGB, somit zu spät, gestellt worden ist.

III. Könnte A auf den Privatklageweg verwiesen werden? A k a n n nicht auf den Privatklageweg verwiesen werden, d a zwar die üble N a c h r e d e z u m Kreis der Privatklagedelikte gehört (vgl. § 374 Abs. 1 N r . 2), nicht dagegen die hiermit in Idealkonkurrenz stehende falsche Anschuldigung. Unzulässig wäre es auch, A lediglich hinsichtlich der üblen N a c h r e d e auf den Privatklageweg zu verweisen u n d die falsche Anschuldigung von Amts wegen weiter zu verfolgen. Dies könnte nämlich zu d e m u n t r a g b a r e n Ergebnis f ü h r e n , d a ß zwei Gerichte gleichzeitig über dieselbe T a t zu entscheiden h ä t t e n .

IV. Welche Rechtsmittel hat A bei einer Einstellung mangels hinreichenden Tatverdachts ? 1. G e m ä ß § 171 Satz 1 h a t die StA, wenn sie das Verfahren einstellt, d e m Anzeiger die E i n s t e l l u n g m i t z u t e i l e n , u n d zwar unter A n g a b e d e r G r ü n d e , die zur Einstellung geführt h a b e n . 2. Ist der Anzeiger (Antragsteller) zugleich der V e r l e t z t e , so h a t er g e m ä ß § 172 Abs. 1 i n n e r h a l b von 2 Wochen nach B e k a n n t m a c h u n g der Entscheidung, die formlos mitgeteilt werden kann, das R e c h t der B e s c h w e r d e . H i e r ü b e r ist er g e m ä ß §171 Satz 2 zu belehren. U n t e r b l e i b t die Rechtsmittelbelehrung, so wird der Lauf der Rechtsmittelfrist g e h e m m t (vgl. § 172 Abs. 1 Satz 3).

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II. Teil: Lösungen

3. Als V e r l e t z t e r i. S. der §§ 171, 172 gilt jeder, der durch die behauptete strafbare Handlung unmittelbar in seinen rechtlich geschützten Interessen berührt worden ist. So ist bei einer falschen Anschuldigung jeder als Verletzter anzusehen, gegen den sich die Anschuldigung gerichtet hat, und zwar ohne Rücksicht darauf, was aus der Anzeige geworden ist. Im vorliegenden Fall besteht daher kein Zweifel, daß A als Verletzter anzusehen ist, obwohl die StA die gegen ihn gerichtete Anzeige des N mangels öffentlichen Interesses überhaupt nicht weiter verfolgt, sondern N auf den Privatklageweg verwiesen hat. Dasselbe gilt für die in der falschen Anschuldigung enthaltene üble Nachrede. 4. Macht A von seinem Beschwerderecht Gebrauch, so kann er die Beschwerde sowohl bei der StA, deren Entscheidung er angreift, als auch beim G e n e r a l s t a a t s a n w a l t , der über die Beschwerde zu entscheiden hat, einlegen. Wählt er die erstere Möglichkeit, so kann die StA, wenn sie die Beschwerde für begründet hält, die Ermittlungen wieder aufnehmen. Die Beschwerde wird damit gegenstandslos. Hält die StA die Beschwerde für unbegründet, so legt sie sie mit den einschlägigen Ermittlungsakten dem Generalstaatsanwalt zur Entscheidung vor. 5. Hält auch der Generalstaatsanwalt die Beschwerde für unbegründet, so hat der Antragsteller, der zugleich der Verletzte ist, das Recht, gegen den ablehnenden Bescheid, der ihm — wiederum mit Gründen — mitzuteilen ist, innerhalb eines Monats nach Bekanntmachung Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu stellen (§ 172 Abs. 2 Satz 1). Hierüber ist er gemäß § 172 Abs. 2 Satz 2 zu belehren. Unterbleibt die Belehrung, so wird die Rechtsmittelfrist gehemmt. 6. Der A n t r a g a u f g e r i c h t l i c h e E n t s c h e i d u n g , über den gemäß § 172 Abs. 4 grundsätzlich das O b e r l a n d e s g e r i c h t (nur ausnahmsweise der BGH) zu entscheiden hat, ist allgemein unter dem Namen Klageerzwingungsverfahren bekannt. Es handelt sich hierbei um ein gerichtliches Verfahren, in dem sowohl der Antragsteller als auch der Beschuldigte nach Art. 103 I GG A n s p r u c h a u f r e c h t l i c h e s G e h ö r haben (vgl. BVerfGer J Z 65, 357). Sinn und Zweck des Verfahrens ist es, das L e g a l i t ä t s p r i n z i p zu gewährleisten. Da das Oberlandesgericht, wenn es den Antrag des Anzeigers für begründet hält, die Erhebung der öffentlichen Klage neu anordnet, die Durchführung des Beschlusses aber nach wie vor in den Händen der StA liegt (vgl. § 175), kann das Klageerzwingungsverfahren entgegen der noch in der Vorauflage vertretenen Ansicht nicht als eine Durchbrechung des in § 152 Abs. 1 deklarierten Anklagemonopols der StA bezeichnet werden. Es handelt sich vielmehr nur um eine Sicherung des Legalitätsprinzips (vgl. Schwarz-Kleinknecht Anm. zu § 172 StPO). Wegen der Einzelheiten des Verfahrens wird auf die einschlägigen Bestimmungen (§§ 172—177) verwiesen. 7. Neben der förmlichen Beschwerde des §172 Abs. 1 und dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung durch das Oberlandesgericht (§ 172 Abs. 2) hat A noch die Möglichkeit der Dienstaufsichtsbeschwerde. Diese ist

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weder frist- noch formgebunden und auch nicht davon abhängig, ob der Antragsteller zugleich der Verletzte ist. Sie ist auch im Gesetz nicht besonders geregelt, sondern ergibt sich aus dem hierarchischen Aufbau der StA, wonach die Beamten der StA im Gegensatz zu den Richtern w e i s u n g s g e b u n d e n sind, d. h. den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen haben (vgl. §§ 146, 147 GVG). Hieraus ergibt sich auch der für die Dienstaufsichtsbeschwerde vorgesehene I n s t a n z e n z u g : Weist der Generalstaatsanwalt eine Dienstaufsichtsbeschwerde als unbegründet zurück, so ist hiergegen die weitere Beschwerde an den Justizminister gegeben. Eine gerichtliche Instanz kann dagegen nicht angerufen werden. V. Welche Rechtsmittel hat A bei einer Einstellung gemäß § 153? 1. Da, wie in Abschnitt IV näher ausgeführt, das Klageerzwingungsverfahren nur der Durchsetzung des Legalitätsprinzips dient, die Einstellung des Verfahrens gemäß § 153 Abs. 2 aber nicht dem Legalitätsprinzip, sondern dem O p p o r t u n i t ä t s p r i n z i p unterliegt (vgl. Vorbemerkung zu diesem Fall), ist ein K l a g e e r z w i n g u n g s v e r f a h r e n in der Form eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung nicht gegeben. Das Gericht ist nicht befugt, eine Zweckmäßigkeitsentscheidung der StA zu prüfen. Dies ergibt sich seit der Neufassung des § 172 Abs. 2 durch das 3. StrRAndG nicht nur aus der Natur der Sache, sondern auch unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut. 2. Aus den Ausführungen zu 1. folgt weiter, daß A auch entgegen dem Wortlaut des § 172 Abs. 1 nicht die f ö r m l i c h e Beschwerde hat. Diese ist gewissermaßen eine Art Vorschaltbeschwerde für das Klageerzwingungsverfahren, indem nämlich verhindert werden soll, daß die Oberlandesgerichte mit Anträgen auf gerichtliche Entscheidung überhäuft werden. Es kann daher der allgemeine Grundsatz aufgestellt werden: In den Fällen, in denen der Antragsteller kein Klageerzwingungsverfahren hat, steht ihm auch kein Recht auf die förmliche Beschwerde zu. Er hat vielmehr nur das R e c h t auf D i e n s t a u f s i c h t s b e s c h w e r d e . Dies bedeutet für die StA insofern eine Erleichterung, als sie die Einstellungsverfügung zwar mit Gründen mitteilen, aber nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen muß (vgl. Schwarz-Kleinknecht § 171 Anm. 4). VI. Kann A bei Versäumung der Antragsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen ? 1. Zunächst ist festzustellen, daß die Einstellungsverfügung der StA k e i n e n V e r b r a u c h der S t r a f k l a g e bewirkt. Hierbei ist unerheblich, ob das Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachts oder wegen Geringfügigkeit eingestellt wurde. Im Wege der P r i v a t k l a g e kann A allerdings nur eine Verurteilung wegen übler Nachrede, nicht auch wegen falscher Anschuldigung erreichen. 2. Da A — wie bereits dargelegt — innerhalb der 3-Monatsfrist des § 61 StGB keinen rechtswirksamen Strafantrag eingebracht hat, wirft sich die Frage auf, ob er wegen der Versäumung der Antragsfrist W i e d e r e i n setzung in den v o r i g e n S t a n d beantragen kann. Diese Frage ist zu

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verneinen. Abgesehen davon, daß berufliche Inanspruchnahme keinen „unabwendbaren Zufall" i. S. des § 44 darstellt, finden die Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur auf prozessuale F r i s t e n Anwendung, d. h. auf Fristen im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens, z. B. auf Rechtsmittelfristen, nicht dagegen auf die Antragsfrist des § 61 StGB (vgl. Schwarz-Kleinknecht § 44 Anm. 1).

ZU FALL 3 A. Vorbemerkung: Allgemeine Übersicht über den Verlauf des Strafverfahrens bis zur Hauptverhandlung I. Das Strafverfahren zerfällt in drei Hauptteile: 1. Das V o r v e r f a h r e n (§§151—197). Zu ihm gehören: a) das sog. v o r b e r e i t e n d e V e r f a h r e n , das im wesentlichen in der Hand des Staatsanwalts liegt (§§ 151—177); b) die g e r i c h t l i c h e V o r u n t e r s u c h u n g (§§ 178—197). 2. Das H a u p t v e r f a h r e n . Zum Hauptverfahren im weiteren Sinn gehören: a) das E r ö f f n u n g s v e r f a h r e n (§§ ig8—212b); b) die V o r b e r e i t u n g der Hauptverhandlung (§§ 213—225); c) die H a u p t v e r h a n d l u n g (§§ 226—275). 3. Das V o l l s t r e c k u n g s v e r f a h r e n , das die Verwirklichung der vom Gericht gegen den Angeklagten verhängten Strafe bzw. Sicherungsmaßregel bezweckt und das allgemein in der Hand des Staatsanwalts liegt. I I . Die Anklage 1. Die Anklage ist die u n b e d i n g t e V o r a u s s e t z u n g einer jeden gerichtlichen Untersuchung bzw. Strafentscheidung (sog. Akkusationsprinzip, § 151). 2. Zur E r h e b u n g der öffentlichen Klage ist gemäß § 152 I die S t a a t s a n w a l t s c h a f t berufen (sog. Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft). Das Anklagemonopol der StA wird d u r c h b r o c h e n im P r i v a t k l a g e v e r f a h r e n (§§ 374ff.) und im S t r a f v e r f ü g u n g s v e r f a h r e n (§413)a) Die s a c h l i c h e und ö r t l i c h e Zuständigkeit des Staatsanwalts bestimmt sich nach der Zuständigkeit der Gerichte, bei denen die Staatsanwaltschaft besteht (§§ 142, 143 GVG).

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b ) Die S t a a t s a n w a l t s c h a f t ist eine a b h ä n g i g e B e h ö r d e . I m Gegensatz zu den nur dem Gesetz unterworfenen Richtern sind die Staatsanwälte den dienstlichen Weisungen ihrer Vorgesetzten unterworfen ( § 1 4 6 G V G ) , und zwar nicht nur solchen allgemeiner Natur, sondern auch speziellen Anweisungen in der konkreten Sache. Das W e i s u n g s r e c h t des vorgesetzten Beamten ist jedoch n i c h t u n e i n g e s c h r ä n k t . Seine Grenzen ergeben sich aus dem in § 152 Abs. 2 deklarierten L e g a l i t ä t s p r i n z i p . Hat ein StA Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der ihm erteilten Weisung, so ist er nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, seine Bedenken geltend zu machen. Keinesfalls kann er gezwungen werden, gegen seine Uberzeugung Anklage zu erheben oder ein Verfahren einzustellen. Entschließt er sich entgegen seiner Uberzeugung zu einer Anklage oder Einstellung, so setzt er sich dadurch der Gefahr einer Strafbarkeit wegen Verfolgung Unschuldiger (§ 344 StGB) oder wegen Begünstigung im A m t (§ 346 StGB) aus. Uneingeschränkt weisungsgebunden ist der StA nur dort, wo E r m e s s e n s f r a g e n zur Entscheidung stehen, z. B. bei der Frage, ob bei einem Privatklagedelikt das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu bejahen ist oder nicht. c ) Aus der schon erwähnten Organisation der Staatsanwaltschaft ergibt sich ferner das sog. D e v o l u t i o n s - und S u b s t i t u t i o n s r e c h t der oberen staatsanwaltschaftlichen Beamten, wonach jeder erste Beamte einer Staatsanwaltschaft bei jedem Gericht seines Bezirks die amtlichen Verrichtungen selbst vornehmen oder auch an Stelle des an sich zuständigen Beamten einen anderen mit der Wahrnehmung der Geschäfte beauftragen kann (§ 145 G V G ) . d ) A u s s c h l i e ß u n g s - und A b l e h n u n g s g r ü n d e , wie sie gemäß §§ 22 ff. für Richter bestehen, gibt es für die Staatsanwaltschaft nicht. 3 . Die E r h e b u n g der K l a g e geschieht regelmäßig entweder durch den Antrag auf Voruntersuchung oder durch die Einreichung einer Anklageschrift (§ 170). (Wegen der Besonderheit im b e s c h l e u n i g t e n V e r f a h r e n s. unten Abschn. V I I und bei der N a c h t r a g s a n k l a g e Fall 5, Nachtrag. Abschn. I V . ) Als dritte Form der „ K l a g e e r h e b u n g " hat schließlich der Antrag auf Erlaß eines Strafbefehls zu gelten (siehe Fall 14, Abschnitt A l l , S. 167). In dem Antrag auf Voruntersuchung ist stets die Erhebung der K l a g e enthalten, in der Einreichung der Anklageschrift nur dann, wenn nicht eine Voruntersuchung vorausgegangen ist (§ 199), andernfalls hat, da die K l a g e bereits erhoben war, die Einreichung der Anklageschrift nur die Bedeutung einer ein neues Prozeßstadium einleitenden Prozeßhandlung (§ 198).

4. Der Abschluß der Ermittlungen (§ 169 a).

a ) Sind die Ermittlungen abgeschlossen, so vermerkt die StA, wenn sie die E r h e b u n g d e r A n k l a g e beabsichtigt, den Abschluß der Ermittlungen in den Akten (§ 1 6 9 a Abs. 1). Dieser Vermerk wird in der Praxis üblicherweise mit der Abschlußverfügung verbunden. b ) Gemäß § 407 Abs. 4 Satz 1 ist der Abschluß der Ermittlungen auch dann aktenkundig zu machen, wenn die StA den A n t r a g a u f E r l a ß

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II. Teil: Lösungen

e i n e s S t r a f b e f e h l s erwägt. Für das b e s c h l e u n i g t e V e r f a h r e n ergibt sich dieselbe Notwendigkeit aus § 2 1 2 Abs. 2 Satz 1. Lediglich für den Fall, daß die StA die öffentliche Klage in der Form eines Antrags auf g e r i c h t l i c h e V o r u n t e r s u c h u n g beabsichtigt, ist ein entsprechender V e r m e r k — der Natur der Sache entsprechend (die Ermittlungen sind j a noch nicht abgeschlossen) — entbehrlich. c ) Die p r a k t i s c h e B e d e u t u n g des aktenmäßig festzuhaltenden Abschlusses der Ermittlungen zeigt sich in folgenden Punkten: aa) Der V e r t e i d i g e r hat nunmehr das Recht auf u n e i n g e s c h r ä n k t e A k t e n e i n s i c h t (§ 147 Abs. 6). bb) Beantragt die StA entgegen der Grundsatzregelung des § 141 Abs. 1 bereits zu diesem Zeitpunkt die Bestellung eines O f f i z i a l v e r t e i d i g e r s , so ist diesem Antrag stattzugeben (§ 141 Abs. 3 Satz 2). cc) Beabsichtigt die StA die Erhebung der Anklage vor dem S c h ö f f e n g e r i c h t oder einem G e r i c h t h ö h e r e r O r d n u n g , so hat sie gemäß § 169 a Abs. 2 dem Beschuldigten und — sofern bereits bestellt — seinem Verteidiger den Abschluß der Ermittlungen, der sonst nur aktenkundig zu machen ist, mitzuteilen. Hierbei ist dem Beschuldigten die Möglichkeit einzuräumen, innerhalb einer von der StA zu bestimmenden angemessenen Frist zu erklären, ob noch Beweiserhebungen beantragt oder Einwendungen gegen die Anklageerhebung vorgebracht werden. Diese s c h r i f t l i c h e S c h l u ß a n h ö r u n g des § 169a Abs. 2 darf nicht mit dem noch zu erörternden mündlichen Schlußgehör des § 169 b verwechselt werden. 5. D a s S c h l u ß g e h ö r (§§ 169b, 169c). a ) In den bereits unter Ziff. 4 erörterten Fällen des § 169 a Abs. 2, d. h. wenn die StA erwägt, Anklage vor dem S c h ö f f e n g e r i c h t oder einem G e r i c h t h ö h e r e r O r d n u n g zu erheben, kann der Beschuldigte nach Abschluß der Ermittlungen auch beantragen, daß er durch den StA zu dem Ergebnis der Ermittlungen gehört wird (§ 169b Abs. 1). Über dieses durch die Strafprozeßnovelle vom 19. 12. 1964 neu geschaffene Recht ist er bei der Mitteilung über den Abschluß der Ermittlungen ausdrücklich zu b e l e h r e n (§ 169b Abs. 3). Die StA ist allerdings nur dann gehalten, das Schlußgehör zu gewähren, wenn sie beim Landgericht oder einem Gericht höherer Ordnung Anklage erheben will. Erwägt sie die Anklage vor dem S c h ö f f e n g e r i c h t , so ist sie zur Gewährung des Schlußgehörs nur verpflichtet, wenn es mit Rücksicht auf Art und Umfang der Beschuldigung oder aus anderen Gründen z w e c k m ä ß i g erscheint (§ 169b Abs. 1 Satz 2). Umgekehrt wird ein gut beratener Beschuldigter nicht in jedem Fall von der Möglichkeit des Schlußgehörs Gebrauch machen. Er wird den Antrag aufSchlußgehör in der Regel nur dann stellen, wenn er die aus seiner Sicht nicht unbegründete Hoffnung hat, den StA von seinem bisherigen Standpunkt abzubringen und entweder die Anklage überhaupt zu vermeiden oder die Anklageerhebung unter einem milderen rechtlichen Gesichtspunkt zu erreichen. b ) Das Schlußgehör wird nicht dadurch entbehrlich, daß eine g e r i c h t l i c h e V o r u n t e r s u c h u n g stattgefunden hat (§ ig7 Abs. 3).

Fall 3

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c ) Die P f l i c h t z u r G e w ä h r u n g d e s S c h l u ß g e h ö r s e n t f ä l l t , aa) wenn der A u f e n t h a l t d e s B e s c h u l d i g t e n u n b e k a n n t ist und er auch keinen Verteidiger hat oder der Verteidiger in dem festgesetzten Termin ohne ausreichende Entschuldigung ausbleibt (§ 169 c Abs. 1 Nr. 1 , Abs. a ) ; bb) wenn die Teilnahme des Beschuldigten in angemessener Zeit wegen g r o ß e r E n t f e r n u n g unverhältnismäßig große Schwierigkeiten bereiten würde (z. B. bei längerem Auslandsaufenthalt) und er auch keinen Verteidiger hat oder der Verteidiger in dem festgesetzten Termin unentschuldigt ausbleibt (§ 169c Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2); cc) wenn der B e s c h u l d i g t e zu dem festgesetzten Termin o h n e g e n ü g e n d e E n t s c h u l d i g u n g a u s b l e i b t und auch nicht durch einen Verteidiger vertreten ist (§ 169 c Abs. 1 Nr. 3 ) ; dd) wenn die StA bei einer zur Zuständigkeit des Schöffengerichts gehörenden Sache Antrag auf Erlaß eines S t r a f b e f e h l s stellt (§ 407 Abs. 4 Satz 2 ) ; ee) wenn die StA beim Schöffengericht Antrag auf Aburteilung im b e s c h l e u n i g t e n V e r f a h r e n stellt (§ 2 1 2 Abs. 2 Satz 2). d) Die D u r c h f ü h r u n g des Schlußgehörs erfolgt in nichtöffentlicher Sitzung durch den Staatsanwalt. T e i l n a h m e b e r e c h t i g t sind der Beschuldigte, sein Verteidiger, sein gesetzlicher Vertreter, in Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende auch die Erziehungsberechtigten (vgl. §§67 Abs. 1, 109 Abs. 1 J G G ) . Das wesentliche Ergebnis des Schlußgehörs ist a k t e n k u n d i g zu machen (§ 1 6 9 b Abs. 5). Ein förmliches Protokoll ist ratsam, aber nicht erforderlich. In einfach gelagerten Fällen genügt bereits ein Aktenvermerk des Staatsanwalts. e) Werden aufgrund des Schlußgehörs n e u e E r m i t t l u n g e n durchgeführt, so ist der Abschluß der weiteren Ermittlungen wiederum gemäß § 169 a Abs. 1 aktenkundig festzuhalten. Die nochmalige Gewährung eines Schlußgehörs ist jedoch nur noch fakultativ (§ 1 6 9 b Abs. 4). f ) Wird das S c h l u ß g e h ö r entgegen einem Antrag des Beschuldigten oder seines Verteidigers v e r s a g t , so ist hiergegen nur die D i e n s t a u f s i c h t s b e s c h w e r d e gegeben. Die R e v i s i o n kann auf einen Mangel hinsichtlich des Schlußgehörs ebensowenig gestützt werden wie auf das Unterbleiben der gerichtlichen Voruntersuchung.

6. Die Anklageschrift hat eine doppelte Funktion. a) Sie ist dazu bestimmt, das G e r i c h t über die Sachlage in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung zu i n f o r m i e r e n und ihm dadurch die Möglichkeit zur Entscheidung darüber zu geben, ob die notwendigen Voraussetzungen für die Eröffnung des Hauptverfahrens gegeben sind. b) Die Anklageschrift ist ferner dazu bestimmt, den A n g e s c h u l d i g t e n über die Richtung und Begründung der Anschuldigung und insbesondere über die gegen ihn vorzubringenden Beweise durch ein sog. E r m i t t l u n g s e r g e b n i s in Kenntnis zu setzen. V o n einem solchen Ermittlungsergebnis

II. Teil: Lösungen

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kann gemäß § 200 Abs. 2 nur abgesehen werden, wenn Anklage beim Amtsrichter als Einzelrichter erhoben wird. 7. Die zwingenden Erfordernisse jeder Anklageschrift sind nach § 200: a) die Bezeichnung des A n g e s c h u l d i g t e n und seines V e r t e i d i g e r s ; b) die Bezeichnung der Tat, d.h. des geschichtlichen Vorgangs, der den Gegenstand der Anklage bildet, und die Angabe, welcher s t r a f r e c h t l i c h e T a t b e s t a n d durch diesen Vorgang nach Ansicht der Staatsanwaltschaft verwirklicht wird; c) die Angabe der Gesetzesbestimmungen (Paragraphen); d) die Angabe der Beweismittel, und zwar nicht nur der belastenden, sondern auch der entlastenden; e) die A n g a b e des Gerichts, vor welchem die Hauptverhandlung stattfinden soll; f ) die Aufnahme eines Ermittlungsergebnisses (s. oben Ziff. 6b). 8. Der sog. Anklagesatz. Die Bezeichnung des A n g e s c h u l d i g t e n , der ihm zur Last gelegten T a t nebst Zeit und Ort ihrer Begehung (sog. konkreter T a t b e s t a n d ) sowie die gesetzlichen M e r k m a l e der strafbaren Handlung (sog. a b s t r a k t e r Tatbestand) und die anzuwendenden Strafvorschriften werden als A n k l a g e s a t z bezeichnet. Der Anklagesatz bildet das K e r n stück der A n k l a g e s c h r i f t . Er ist möglichst klar und straff zu fassen, zumal er seit Inkrafttreten der Strafprozeßnovelle v. 19. 12. 1964 in der H a u p t v e r h a n d l u n g zu verlesen ist und damit für die Hauptverhandlung die bisherige Rolle des Eröffnungsbeschlusses übernimmt (vgl. § 243 Abs. 3). 9. Mängel der Anklageschrift. Die Anklage ist eine unentbehrliche Voraussetzung für das gerichtliche Verfahren. Sie unterliegt prozessual den für die Prozeßvoraussetzungen entwickelten Grundsätzen. (Siehe hierzu Nachtrag zu Fall 7, S. 116.) Weist die Anklage Mängel auf, so hat das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens bis zur Beseitigung des Mangels abzulehnen. Ergibt sich erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens, daß die A n k l a g e f e h l t (wichtig vor allem dort, wo eine N a c h t r a g s a n k l a g e erforderlich wird!), so ist dieser Mangel in jeder Lage des Verfahrens, also auch in der Revisionsinstanz, von Amts wegen zu prüfen. Entsprechendes gilt, wenn die Anklage, abgesehen von den Fällen der §§ 212, 266, nicht s c h r i f t l i c h erhoben wurde oder sonst e r h e b l i c h e M ä n g e l aufweist, z .B. wenn Tat und Täter nicht hinreichend bestimmt sind (Eb. Schmidt a. a. O. Teil I Nr. 136). Im übrigen aber kann die R e v i s i o n auf einen Mangel der Anklageschrift nicht gestützt werden. Zum Ganzen siehe E. 31, 100 sowie BayOb L G J R 59, 68 m. Anm. Sarstedt.

Fall 3

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10. Die Zurücknehmbarkeit der Klage. a) Gemäß § 156 kann die öffentliche Klage nur bis zur Eröffnung der Voruntersuchung oder des Hauptverfahrens z u r ü c k g e n o m m e n werden. b) Beantragt die Staatsanwaltschaft nach g e f ü h r t e r V o r u n t e r s u c h u n g , den Angeschuldigten außer Verfolgung zu setzen, so kann sie dieses Ergebnis nicht erzwingen. Vielmehr ist das Gericht nach Maßgabe des § 208 Abs. 1 befugt, trotzdem die Eröffnung des Hauptverfahrens zu beschließen; die Staatsanwaltschaft ist in diesem Falle gemäß § 208 Abs. 2 verpflichtet, eine dem Beschluß entsprechende Anklageschrift einzureichen. c) Wegen Zurücknahme des Antrags auf S t r a f b e f e h l siehe Fall 14, Abschnitt A VII, S 168. d) Wegen Zurücknahme der P r i v a t k l a g e , siehe Fall 16, Abschnitt A VII 5, S. 189. III. Die gerichtliche Voruntersuchung (§§ 178—197). 1. Sie ist dazu b e s t i m m t , die gegen den Angeschuldigten wegen einer bestimmten Tat erhobene Beschuldigung so weit zu klären, daß eine Entscheidung des Gerichts darüber erfolgen kann, ob das Hauptverfahren zu eröffnen oder der Angeschuldigte außer Verfolgung zu setzen ist (§ 190). Sie dient daher demselben Zweck wie das vorbereitende Verfahren, jedoch mit dem Unterschied, daß in der Voruntersuchung bereits die Anschuldigung wegen einer b e s t i m m t e n Tat gegen eine b e s t i m m t e Person als Täter oder Teilnehmer gerichtet ist. Der W e r t d e r V o r u n t e r s u c h u n g liegt im allgemeinen darin, daß der L e i t e r der Voruntersuchung die zur Durchführung des Verfahrens notwendigen Zwangsmaßnahmen wie Verhaftung, Beschlagnahme und Durchsuchung in eigener Person vornehmen kann, also ohne jeweils die Mitwirkung des für diese Maßnahmen an sich zuständigen Gerichts (in der Regel des Amtsgerichts) in Anspruch nehmen zu müssen. 2. E i n e V o r u n t e r s u c h u n g f i n d e t s t a t t : a) In den zur Zuständigkeit des B u n d e s g e r i c h t s h o f s , des O b e r l a n d e s g e r i c h t s im ersten Rechtszuge oder des S c h w u r g e r i c h t s gehörenden Strafsachen. Im letztgenannten Falle ( S c h w u r g e r i c h t ) entfällt eine Voruntersuchung, wenn der Beschuldigte durch einen Richter vernommen ist, der Tatbestand einfach liegt und die Voruntersuchung nach dem Ermessen der Staatsanwaltschaft nicht erforderlich ist. Doch kann der Angeschuldigte in der Erklärung über die Anklageschrift (§ 201) die Durchführung einer Voruntersuchung beantragen; dem Antrag ist stattzugeben (§ 178 Abs. 1). b) In den zur Zuständigkeit der S t r a f k a m m e r im ersten Rechtszug und zur Zuständigkeit des S c h ö f f e n g e r i c h t s gehörenden Sachen, wenn der Angeschuldigte in der Erklärung über die Anklageschrift (§ 201) oder die Staatsanwaltschaft dies beantragt und erhebliche Gründe geltend macht, aus denen eine Voruntersuchung erforderlich erscheint (§ 178 Abs. 2).

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II. Teil: Lösungen

3. Über den Antrag auf E r ö f f n u n g d e r V o r u n t e r s u c h u n g hat zunächst der U n t e r s u c h u n g s r i c h t e r zu entscheiden (§ 184). Dabei ist zu beachten, daß die Grenzen der richterlichen Prüfung bei Eröffnung der VU insofern viel enger gezogen sind als bei der Prüfung des Antrags auf Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 203, als der Antrag auf gerichtliche V U nur aus r e c h t l i c h e n , nicht auch aus tatsächlichen Gründen abgelehnt werden kann, also insbesondere nicht mit der Begründung, das Beweisergebnis sei unzureichend. Glaubt der U R , daß ein g e s e t z l i c h e s H i n d e r n i s i. S. des § 180 vorliege, so legt er die Akten der StrK zur Entscheidung vor (§ 73 GVG). Diese lehnt durch Beschluß e n t w e d e r den Antrag der StA (oder des Angeschuldigten) ab (§ 183, anfechtbar mit der sofortigen Beschwerde) oder ordnet durch unanfechtbaren Beschluß die Eröffnung der V U an (§ 182 II), aufgrund dessen der U R die Eröffnung zu verfügen hat. 4. Die L e i t u n g der Voruntersuchung steht nach § 184 dem U n t e r s u c h u n g s r i c h t e r zu. In einigen Fällen hat das G e r i c h t an Stelle des Untersuchungsrichters zu entscheiden, so z. B. bei Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt zur Vorbereitung eines Gutachtens über den Geisteszustand des Beschuldigten (§81). Für die Entscheidung von Bes c h w e r d e n gegen den Untersuchungsrichter ist gemäß § 304 ebenfalls die Strafkammer zuständig. 5. Ein R e c h t a u f T e i l n a h m e an der Voruntersuchung haben die Prozeßbeteiligten nach der Neuregelung durch die Strafprozeßnovelle vom 19. 12. 1964 nicht nur bei der vorweggenommenen Beweisaufnahme des § 193, sondern auch bei der Vernehmung des Angeschuldigten; ebenso wie im vorbereitenden Verfahren (§ 169 Abs. 2) sind der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger die Anwesenheit bei der Vernehmung zu gestatten (§ 192 Abs. 2). 6. Nach S c h l u ß d e r V o r u n t e r s u c h u n g legt der Untersuchungsrichter der Staatsanwaltschaft die Akten zur Stellung ihrer Anträge vor. Der Staatsanwalt erhebt nun e n t w e d e r A n k l a g e in derselben Form, wie wenn keine Voruntersuchung stattgefunden hätte, o d e r er stellt den Antrag bei Gericht, den Angeschuldigten a u ß e r V e r f o l g u n g zu setzen. Der Staatsanwalt kann also das Verfahren nicht selbst einstellen und hat auch keine Möglichkeit, die Außerverfolgungsetzung zu erzwingen (vgl. § 208). IV. Die Eröffnung des Hauptverfahrens (§§ 198 bis 212b). 1. Nach durchgeführter V o r u n t e r s u c h u n g entscheiden gemäß § 198 in den zur Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs oder der Oberlandesgerichte gehörigen Sachen diese Gerichte (Strafsenate), sonst das L a n d g e r i c h t (Strafkammer) darüber, ob das Hauptverfahren zu eröffnen oder der Angeschuldigte außer Verfolgung zu setzen oder das Verfahren vorläufig einzustellen ist.

Fall 3

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2. Der Beschluß ü b e r die E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s (§§ 203, 207), der den Gegensatz zu der in § 204 bezeichneten Entscheidung bildet, ist zu e r l a s s e n , wenn das Gericht auf Grund des ihm von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Aktenmaterials die Überzeugung gewinnt, daß der Angeschuldigte einer strafbaren Handlung h i n r e i c h e n d v e r d ä c h t i g , d. h. daß eine strafbare und schuldhafte Handlung des Angeschuldigten w a h r s c h e i n l i c h ist. Dabei ist das Gericht bei seiner Beschlußfassung an die Anträge der Staatsanwaltschaft nicht gebunden (§ 206). Es kann also eröffnen, während die Staatsanwaltschaft Außerverfolgungsetzung beantragt, und umgekehrt. Es ist ferner zur Umgestaltung der Klage in demselben Umfang befugt wie gemäß § 264 das erkennende Gericht gegenüber dem Eröffnungsbeschluß (siehe hierzu Nachtrag zu Fall 5, Abschn. I S. 86); es kann also insbesondere die Tat rechtlich anders qualifizieren, als es in der Anklage geschehen ist, z. B. nicht als Raub, sondern als Diebstahl oder umgekehrt. Dadurch kann u. U. auch eine Änderung in der s a c h l i c h e n Zuständigkeit eintreten, so daß evtl. das Hauptverfahren vor einem anderen als dem in der Anklageschrift bezeichneten Gericht eröffnet werden muß. 3. Was die F o r m u l i e r u n g des EB betrifft, so ist zu beachten, daß der EB seit Inkrafttreten der Strafprozeßnovelle v. 19. 12. 1964 den hinreichenden Tatverdacht, ohne den der EB nicht ergehen darf, nicht mehr selbst ausspricht, sondern nur noch „ d i e A n k l a g e zur H a u p t v e r h a n d l u n g z u l ä ß t " und das Gericht bezeichnet, vor dem die HV stattfinden soll (§ 207 Abs. 1). Werden Ä n d e r u n g e n gegenüber der Anklage vorgenommen, so sind diese in dem Beschluß darzulegen (§ 207 Abs. 2). 4. Mit dem Eröffnungsbeschluß ist die Sache bei dem e r k e n n e n d e n G e r i c h t anhängig geworden; diesem steht von nun an die Ausübung der richterlichen Gewalt zu, jedoch mit der Maßgabe, daß in s c h ö f f e n g e r i c h t l i c h e n Sachen die vor dem Beginn der Hauptverhandlung erforderlichen Entscheidungen von dem Amtsrichter (§30 Abs. 2 GVG), in s c h w u r g e r i c h t l i c h e n Sachen die vor dem Beginn der Sitzungsperiode erforderlichen von der Strafkammer zu erlassen sind (§ 82 Abs. 2 GVG). 5. Der EB bildet i. V. mit der Anklage, auf die er sich bezieht, d i e n o t w e n d i g e V o r a u s s e t z u n g und G r u n d l a g e der H a u p t v e r h a n d l u n g . Er b e g r e n z t das Gebiet der Urteilsfindung (§§ 264—266) und gibt dem Angeklagten darüber Belehrung, wie er seine Verteidigung zweckmäßig und erschöpfend zu führen habe (Einzelheiten siehe E 10, 57; BGH 5, 226; 5, 261; 10, 137). 6. D a s G e r i c h t h a t die E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s a b z u l e h n e n (vgl. § 204), a ) wenn die öffentliche Klage erhoben wurde, obwohl eine P r o z e ß V o r a u s s e t z u n g oder eine K l a g e v o r a u s s e t z u n g fehlte, ferner wenn ein P r o z e ß h i n d e r n i s der Erhebung der Klage oder der Fortsetzung des Verfahrens entgegenstand (siehe Nachtrag zu Fall 7, S. 116); Petters-Preisendanz , StrafprozeßftUe, 8. Aufl.

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II. Teil: Lösungen

b) wenn die T a t unter k e i n S t r a f g e s e t z fällt; c) wenn es an genügenden B e w e i s e n f e h l t ; d) wenn ein R e c h t f e r t i g u n g s - oder S c h u l d a u s s c h l i e ß u n g s g r u n d (z. B. Zurechnungsunfähigkeit) als hinreichend bewiesen anzusehen ist; e) wenn ein S t r a f a u s s c h l i e ß u n g s g r u n d oder ein S t r a f a u f h e b u n g s g r u n d vorliegt. 7. Gelangt eine Strafsache, abgesehen von den besonderen Fällen der §§212, 266, 411, o h n e E r ö f f n u n g s b e s c h l u ß zur Hauptverhandlung (ein Fall, der in der Praxis wohl selten vorkommen dürfte), so m u ß gemäß § 260 Abs. 3 auf Einstellung erkannt werden. Wird das Fehlen des Eröffnungsbeschlusses erst in der Revisionsinstanz aufgedeckt, so ist dieser Mangel als Verfahrenshindernis von Amts wegen zu berücksichtigen. Er wird in der Regel zur Aufhebung des Urteils führen (BGH 8, 283). Dem gänzlichen Fehlen des Eröffnungsbeschlusses ist der Fall gleichzusetzen, daß der Eröffnungsbeschluß w e s e n t l i c h e M ä n g e l enthält, welche in der Hauptverhandlung nicht mehr verbessert werden können. Ein solcher Mangel liegt z. B. vor, wenn der Eröffnungsbeschluß von zwei Richtern der Strafkammer erlassen worden ist (E. 43, 218) oder wenn einer der in §§ 22, 23 genannten Ausschließungsgründe gegeben war (E. 55, 113) oder wenn der Eröffnungsbeschluß — gegebenenfalls in Verbindung mit der Anklageschrift — die T a t nicht so bezeichnet, daß sie für alle Beteiligten genügend bestimmbar ist (BGH 10, 137). 8. Der Eröffnungsbeschluß kann v o n d e m A n g e k l a g t e n n i c h t a n g e f o c h t e n werden (§ 210 Abs. 1). Gegen den Beschluß, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens a b g e l e h n t oder abweichend von dem Antrag der Staatsanwaltschaft die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung ausgesprochen worden ist, steht der Staatsanwaltschaft s o f o r t i g e B e s c h w e r d e zu (§ 210 Abs. 2). 9. Ist die Eröffnung des Hauptverfahrens durch einen nicht mehr anfechtbaren Beschluß a b g e l e h n t , so kann die Klage nur auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel wieder aufgenommen werden (§ 211). V . Das Gesetz bezeichnet mit dem Ausdruck „Vorbereitung der Hauptverhandlung" (§§ 213—225) den Inbegriff aller derjenigen Handlungen des Gerichts, der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten, welche in den Zeitraum zwischen dem Erlaß der das Hauptverfahren eröffnenden Entscheidung und dem Beginn der Hauptverhandlung selbst fallen. Die im Gesetz für dieses Stadium des Verfahrens vorgesehene Tätigkeit des Vorsitzenden besteht in der Hauptsache darin, 1. den T e r m i n z u r H a u p t v e r h a n d l u n g zu bestimmen (§ 213); 2. die L a d u n g des Angeklagten u n d des Verteidigers zu bewirken u n d die Vorbereitungen für die Beweisaufnahme zu treffen, d. h. die Ladungen der Zeugen und Sachverständigen sowie die Herbeischaffung der als Beweismittel dienenden Gegenstände zu veranlassen (§§ 214—222);

Fall 3

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3. die k o m m i s s a r i s c h e V e r n e h m u n g der Zeugen und Sachverständigen, deren Vernehmung in der Hauptverhandlung Hindernisse entgegenstehen, anzuordnen (§ 223). Dabei ist die Bestimmung des § 224 zu beachten, die auch auf den Fall zur Anwendung gelangt, daß vor der Hauptvfirhandlung ein Augenschein einzunehmen ist (§ 225). Ihre Verletzung begründet die Revision (BGH 9, 24). 4. Gegebenenfalls ist auch die k o m m i s s a r i s c h e V e r n e h m u n g d e s A n g e k l a g t e n zu veranlassen, sofern dieser auf seinen Antrag vom Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden wurde (§ 233). Hierbei ist zu beachten, daß das Protokoll über die richterliche Vernehmung sich nicht in einer Bezugnahme auf eine vorangegangene polizeiliche Vernehmung erschöpfen darf. Vielmehr ist der wesentliche Inhalt der Aussage im Protokoll festzuhalten. Enthält nur das polizeiliche, nicht aber auch das richterliche Protokoll ein G e s t ä n d n i s , so kommt eine Verlesung gemäß § 254 nicht in Betracht (siehe auch BGH 6, 279 und 7, 73 betr. Vernehmungsprotokolle des Ermittlungsrichters). VI. „Angeschuldigter" heißt der Beschuldigte, gegen den die öffentliche Klage erhoben worden ist, während der Beschuldigte, gegen den das Hauptverfahren eröffnet worden ist, als „ A n g e k l a g t e r " bezeichnet wird (§ '57)- „ B e s c h u l d i g t e r " ist die allgemeine Bezeichnung für denjenigen, gegen den ein Strafverfahren im Gange ist. VII. D a s beschleunigte Verfahren (§§ 212—212b). 1. I m Verfahren vor dem A m t s r i c h t e r und dem S c h ö f f e n g e r i c h t kann der Staatsanwalt ohne vorangegangenes Schlußgehör schriftlich oder mündlich den Antrag auf Aburteilung im beschleunigten Verfahren stellen, wenn der S a c h v e r h a l t e i n f a c h und die s o f o r t i g e A b u r t e i l u n g möglich ist (§ 212). (In Jugendstrafsachen ist dieses Verfahren ausgeschlossen, § 79 I I JGG.) 2. Stellt die Staatsanwaltschaft den Antrag, so wird, o h n e d a ß es e i n e r E n t s c h e i d u n g ü b e r d i e Eröffnung des Hauptverfahrens bedarf, die Hauptverhandlung sofort durchgeführt oder mit kürzester Frist anberaumt (§ 212a Abs. 1). Der Einreichung einer A n k l a g e s c h r i f t bedarf es nicht. Die Anklage kann vielmehr mündlich erhoben werden (§ 212a Abs. 2). Einer L a d u n g des Beschuldigten (die Frist beträgt 24 Stunden) bedarf es nur, wenn er sich nicht freiwillig zur Hauptverhandlung stellt oder nicht dem Gericht vorgeführt wird (§ 212 a Abs. 3). 3. Der Amtsrichter oder das Schöffengericht l e h n t d i e A b u r t e i l u n g i m b e s c h l e u n i g t e n V e r f a h r e n a b , wenn sich a) die Sache zur Verhandlung in diesem Verfahren nicht eignet oder wenn b) eine höhere Strafe als 1 J a h r Gefängnis zu erwarten ist. Zuchthaus oder eine Maßregel der Sicherung und Besserung darf in diesem Verfahren 3*

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II. Teil: Lösungen

nicht verhängt werden. Zulässig ist jedoch die Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 212b Abs. 1). Die Ablehnung kann auch in der Hauptverhandlung bis zur Verkündung des Urteils erfolgen (§ 212 b Abs. 2). Im Falle der Ablehnung bedarf es der Einreichung einer neuen Anklageschrift ( § 2 1 2 Abs. 3). V I I I . Die Hauptverhandlung u n d d e r e n V e r l a u f : Siehe Fall 5, Abschnitt A . B. Lösung des Falles I. In dem vorbereitenden Verfahren ist ein zur Hauptverhandlung nicht geladener Zeuge beeidigt worden mit der im Protokoll angegebenen Begründung, daß dem Zeugen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung nicht zugemutet werden könne. 1. V o r b e m e r k u n g : Z e u g e n sind am Verfahren u n b e t e i l i g t e Personen, die über von ihnen gemachte sinnliche Wahrnehmungen von Tatsachen aussagen sollen (E. 52, 28g). a) Z e u g e n können daher n i c h t sein: aa) der amtierende R i c h t e r (dagegen kann der Richter erster Instanz in der zweiten Instanz als Zeuge vernommen werden, ebenso der Untersuchungsrichter) , bb) der amtierende S t a a t s a n w a l t (BGH 14, 265); wird seine Vernehmung als Zeuge beschlossen, so muß an seiner Stelle ein anderer Staatsanwalt der weiteren Verhandlung beiwohnen. Anders beim V e r t e i d i g e r , für den im Falle notwendiger Verteidigung ein Ersatzverteidiger zu stellen ist (E. 54, 175), cc) der P r i v a t k l ä g e r (der Nebenkläger kann Zeuge sein), dd) der M i t b e s c h u l d i g t e , es sei denn, daß das Verfahren gegen ihn abgetrennt ist (E. 52, 138). b) Jeder ordnungsmäßig geladene Zeuge (s. §§ 214, 220, 386) hat vor dem Richter, vor den er geladen ist, z u e r s c h e i n e n . Unentschuldigtes A u s b l e i b e n hat die in § 51 genannten Folgen (Verurteilung in die Kosten und zu einer Ordnungsstrafe in Geld, hilfsweise bis zu 6 Wochen Haft; außerdem kann zwangsweise Vorführung angeordnet werden). Die Erscheinungspflicht einer u n m i t t e l b a r geladenen Person (§§ 220, 386) ist davon abhängig, daß dieser bei der Ladung entweder die gesetzliche Entschädigung bar dargeboten oder deren Hinterlegung bei der Geschäftsstelle nachgewiesen wird. Ist dies der Fall, so zieht ein unentschuldigtes Ausbleiben dieselben Folgen nach sich, die beim Nichterscheinen eines a m t l i c h Geladenen nach § 51 eintreten.

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c) Jeder Zeuge m u ß über den Gegenstand seiner Vernehmung a u s s a g e n (§ 69) und grundsätzlich seine Aussagen b e s c h w ö r e n . (Wegen der Ausnahmen siehe die Ausführungen in Abschnitt II, S. 38 ff.) Die unberechtigte Z e u g n i s - o d e r E i d e s v e r w e i g e r u n g hat, wie das unentschuldigte Ausbleiben, nach § 70 Verurteilung in die Kosten und zu einer Ordnungsstrafe in Geld, hilfsweise Haftstrafe bis zu 6 Wochen zur Folge; außerdem kann zur E r z w i n g u n g des Zeugnisses die Haft angeordnet werden. (NB. Die Maßnahmen des § 70 dürfen nur zur Herbeiführung v e r w e i g e r t e r , n i c h t dagegen zur Erreichung w a h r h e i t s g e m ä ß e r Aussagen angewandt werden, vgl. E. 73, 31. Siehe auch Vorbem. Fall 4, Abschn. II, S. 64.) d) Jeder Zeuge ist nach Belehrung gemäß § 57 einzeln und n a c h seiner Vernehmung zu vereidigen (§ 59 S. 1), nachdem er in Abwesenheit der später zu vernehmenden Zeugen vernommen worden ist (§ 58). Die V e r e i d i g u n g selbst geschieht nach §66c in der Weise, daß der Zeuge nicht die ganze Eidesnorm und Eidesformel nachspricht, sondern nur sagt: „Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe", nachdem vorher der Richter an den Zeugen die Worte gerichtet hat: „Sie schwören bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, daß Sie nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen haben". Das „Nichtverschweigen" bezieht sich nicht auf solche Tatsachen, hinsichtlich deren ein Auskunftsverweigerungsrecht (§ 55) besteht. Erfolgt eine w i e d e r h o l t e Vernehmung des Zeugen im gleichen Vorverfahren oder Hauptverfahren —• z. B. Vernehmung des bereits im ersten Rechtszug vernommenen Zeugen im Berufungsverfahren — so genügt Berufung auf den früher geleisteten Eid (§ 67). e) Jeder Zeuge hat nach § 71 nach Maßgabe der Gebührenordnung Anspruch auf Entschädigung für Zeitversäumnis und auf Erstattung der Reisekosten. 2. Die V e r e i d i g u n g d e r Z e u g e n e r f o l g t g e m ä ß § 59 S a t z 2 g r u n d s ä t z l i c h i n d e r H a u p t v e r h a n d l u n g , abgesehen von dem Falle der kommissarischen Vernehmung gemäß § 223, die nach Eröffnung des Hauptverfahrens durch einen beauftragten oder ersuchten Richter erfolgen kann, wenn dem Erscheinen eines Zeugen oder Sachverständigen in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit Krankheit oder Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen, oder wenn einem Zeugen oder Sachverständigen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung nicht zugemutet werden kann. Im v o r b e r e i t e n d e n V e r f a h r e n und in der g e r i c h t l i c h e n V o r u n t e r s u c h u n g ist die Vereidigung gemäß §§ 65, 66 nur a u s n a h m s w e i s e zulässig, nämlich wenn entweder a) Gefahr im Verzug ist oder b) der Eid als Mittel zur Herbeiführung einer wahren Aussage über einen für das weitere Verfahren erheblichen Punkt erforderlich erscheint.

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II. Teil: Lösungen

In der gerichtlichen VU, nicht jedoch im vorbereitenden Verfahren ist die Vereidung außerdem zulässig, wenn der Zeuge voraussichtlich am Erscheinen in der HV verhindert sein wird oder ihm ein Erscheinen in der HV wegen großer Entfernung nicht zugemutet werden kann. Darüber, ob eine der gesetzlichen Voraussetzungen für die Beeidigung des Zeugen vorliegt, hat in der Voruntersuchung der Untersuchungsrichter und im vorbereitenden Verfahren der die Vernehmung bewirkende Amtsrichter zu entscheiden. Es steht somit für den v o r l i e g e n d e n F a l l fest, daß die B e e i d i g u n g des Zeugen ungesetzlich war, da sie im vorbereitenden Verfahren aus einem Grunde vorgenommen wurde, der nach § 66 nur in der Voruntersuchung Platz greift. Trotzdem bestehen keine Bedenken, die beeidete Aussage des Zeugen in der Hauptverhandlung durch Verlesung zu verwerten. Gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 3 besteht nämlich die Möglichkeit, die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten durch Verlesung der Niederschrift über seine frühere richterliche Vernehmung zu ersetzen, wenn dem Zeugen usw. das Erscheinen in der HV wegen großer Entfernung bei Berücksichtigung der Bedeutung seiner Aussage nicht zugemutet werden kann. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. § 251 Abs. 4 Satz 1). Kommt das Gericht dabei zu der Überzeugung, daß ein persönliches Erscheinen des Zeugen zur Sachaufklärung nicht erforderlich ist (vgl. § 244 Abs. 2), so kann es die Verlesung der früheren richterlichen Vernehmungsniederschrift auch dann anordnen, wenn die frühere Vereidigung ungesetzlich war (vgl. E. 10, 157; Schwarz-Kleinknecht § 66 Anm. 2). Für die Verlesung genügt, daß die Niederschrift den Formvorschriften der §§ 168, 187, 188 entspricht. Hieran bestehen im vorliegenden Fall keine Zweifel. Für die Richtigkeit der hier vertretenen Ansicht spricht im übrigen auch folgender Gedankengang: Wäre die Vereidigung des Zeugen im vorbereitenden Verfahren ordnungsgemäß unterblieben, so wäre auch in diesem Fall eine erneute, kommissarische Vernehmung nicht erforderlich gewesen. Es hätte ebenfalls genügt, auf die — unbeeidigte — Aussage im Ermittlungsverfahren zurückzugreifen, jedoch mit der Maßgabe, daß die Vereidigung gemäß § 251 Abs. 4 Satz 4 hätte nachgeholt werden müssen. Der A m t s r i c h t e r wird somit dem ersten im v o r b e r e i t e n d e n V e r f a h r e n entstandenen F e h l e r keine weitere Beachtung schenken und insbesondere davon absehen, den Z e u g e n zur H a u p t v e r h a n d l u n g zu laden. (Siehe auch E. 10, 157.) II. In der Voruntersuchung ist der Neffe N des Angeschuldigten H gemäß § 66 Nr. 4 eidlich vernommen worden, ohne daß er über sein Zeugnis- und Eidesverweigerungsrecht belehrt worden ist, und obwohl, wie sich nachträglich herausgestellt hat, auch gegen ihn der Verdacht einer Beteiligung an der gewerbsmäßigen Hehlerei besteht. 1. Vorbemerkungen, a) Nach § 52 sind zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt der Verlobte und Ehegatte des Beschuldigten und

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wer mit dem Beschuldigten in gerader Linie verwandt, verschwägert oder durch Annahme an Kindes Statt verbunden oder in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist, auch wenn die Ehe, durch welche die Schwägerschaft begründet ist, nicht mehr besteht. Diese Vorschrift bezweckt keinen Schutz des Angeklagten, sondern nimmt lediglich Rücksicht auf den G e w i s s e n s z w i e s p a l t des Zeugen, indem dieser einerseits nicht zu einer Aussage gegen einen Angehörigen gezwungen, andererseits vor der Gefahr des Meineids bewahrt werden soll (BGH 2, 351, 354 1 1 , 2 1 3 ; N J W 61, 184). aa) Der Grad der V e r w a n d t s c h a f t bemißt sich nach der Zahl der sie vermittelnden Geburten. Eltern und Kinder sind also im 1. Grad, Großeltern und Enkel im 2. Grad in gerader Linie, Geschwister im 2., Cousin und Cousine im 4., Onkel und Neffe im 3. Grad der Seitenlinie verwandt. Die Verwandten eines Ehegatten sind mit dem anderen Ehegatten verschwägert. Linie und Grad der S c h w ä g e r s c h a f t bestimmen sich nach dem Grade der sie vermittelnden Verwandtschaft. Schwiegervater und Schwiegertochter sind im 1. Grad in gerader Linie, der Ehemann mit dem Bruder seiner Frau im 2. Grad in der Seitenlinie verschwägert; nicht verschwägert sind die Ehemänner zweier Schwestern, oder ein Ehegatte mit dem Adoptivkind des anderen. V e r l o b t e sind unverheiratete Männer und Frauen, zwischen denen ein wechselseitiges unbedingtes Eheversprechen ernstlich gegeben und angenommen ist. bb) Das Zeugnisverweigerungsrecht steht dem Zeugen auch dann zu, wenn er nur zu einem von mehreren Beschuldigten in einem Angehörigkeitsverhältnis steht, auch wenn dieser bereits rechtskräftig verurteilt oder gestorben ist; Voraussetzung ist nur, daß die mehreren Beschuldigten in irgendeinem Zeitpunkt in demselben Verfahren verfolgt worden sind (E. 33, 350)-

Gemäß § 52 Abs. 2 sind die in Abs. 1 genannten Personen über ihr Zeugnisverweigerungsrecht zu b e l e h r e n . Die Belehrung hat durch das Gericht zu erfolgen und ist als wesentliche Förmlichkeit im Sinne der §§ 273, 274 im Protokoll zu beurkunden. Die B e r e i t s c h a f t z u r A u s s a g e kann jederzeit w i d e r r u f e n werden (§ 52 Abs. 2 Satz 2). Umgekehrt kann ein Zeuge, der zunächst nicht aussagebereit war, sich später noch jederzeit zur Aussage entschließen (BGH NJW 61, 1484). Schwierigkeiten treten auf, wenn ein K i n d als Z e u g e vernommen werden soll, das noch nicht die erforderliche Reife besitzt, um die Bedeutung seiner Aussage zu erfassen. Während das Reichsgericht in einer frühen Entscheidung (E. 4, 398) die Auffassung vertrat, es genüge, wenn das Kind selbst nach Belehrung zur Aussage bereit sei, hat sich der Große Senat des BGH in einer Grundsatzentscheidung vom 8. 12. 1958 (BGH 12, 235 mit zustimmender Anm. von Eb. Schmidt J R 59, 369) dahin entschieden, daß in solchen Fällen ausschließlich der g e s e t z l i c h e V e r t r e t e r nach entsprechender Belehrung darüber zu entscheiden hat, ob das Kind

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aussagen soll oder nicht. Von diesem Grundsatz ist allerdings dort eine A u s n a h m e zu m a c h e n , wo der gesetzliche Vertreter selbst der Beschuldigte ist. Der B G H h a t diese Frage in seinem Beschluß vom 8. 12. 1958 n u r a n gedeutet, ohne sie abschließend zu entscheiden. N a c h d e m n e u e n Familienrecht wird hierbei folgendes zu beachten sein: W e r d e n b e i d e E l t e r n t e i l e b e s c h u l d i g t , so sind sie in der Ausübung ihrer elterlichen Gewalt verhindert ( B G H 14, 162). Das Vormundschaftsgericht k a n n in diesem Fall g e m ä ß § 1909 BGB einen P f l e g e r bestellen. Ist n u r e i n Elternteil beschuldigt, so entscheidet d e r a n d e r e E l t e r n t e i l allein (str., vgl. Boeckm a n n N J W 60, 1938). Z u r Verweigerung des Zeugnisses sind nach § 5 3 ferner berechtigt Geistliche, Verteidiger sowie i m einzelnen näher bestimmte Angehörige v o n Berufsständen, zu denen der Beschuldigte in einem gewissen Vertrauensverhältnis steht u n d auf deren Verschwiegenheit er sich verlassen darf. Hierunter fallen u. a. Rechtsanwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Ärzte u n d Apotheker. Das Zeugnisverweigerungsrecht umfaßt alles, was diesen Personen im R a h m e n ihrer beruflichen Tätigkeit anvertraut oder bekannt wurde. U n t e r entsprechenden Voraussetzungen können a u c h die Mitglieder des Bundestags, eines Landtags oder einer zweiten K a m m e r ein Zeugnisverweigerungsrecht geltend m a c h e n . I n sämtlichen bisher genannten Fällen h a b e n auch die H i l f s k r ä f t e u n d die zur Vorbereitung auf ihren Beruf a n der berufsmäßigen Tätigkeit der jeweiligen Vertrauensperson teilnehmenden Personen (z. B. Referendare auf der Anwaltsstation, Schreibkräfte) ein Zeugnisverweigerungsrecht ( § 5 3 a l ) . Z u r Klarstellung sei d a r a u f hingewiesen, d a ß § 5 3 e b e n s o w i e § 5 2 k e i n e S c h u t z v o r s c h r i f t f ü r d e n A n g e k l a g t e n d a r s t e l l t . § 53 verschafft d e m Angeklagten kein Recht, zu verlangen, d a ß sein Arzt, Verteidiger usw. nicht gegen ihn aussagt oder d a ß die Aussage einer in § 53 genannten Vertrauensperson nicht gegen ihn verwertet wird. Ein derartiges Recht des Angeklagten k a n n auch nicht aus § 300 StGB hergeleitet werden. § 53 will lediglich — ähnlich wie § 52, siehe oben i a ) •— den Zeugen aus seiner Pflichtenkollision befreien; im übrigen aber unterliegt es der freien Entscheidung des Zeugen, ob er im Einzelfall das Interesse der Allgemeinheit a n der A u f k l ä r u n g einer Straftat ü b e r das in ihn gesetzte V e r t r a u e n seines M a n d a n t e n , Patienten usw. stellt oder nicht. Keinesfalls k a n n er vom Angeklagten zur Zeugnisverweigerung gezwungen werden. Hieraus folgt aber, d a ß seine Aussage gegen den Angeklagten auch d a n n verwertet werden kann, wenn sie sich materiellrechtlich als Verstoß gegen § 300 StGB darstellt (vgl. B G H 9, 60). Das Zeugnisverweigerungsrecht k a n n entfallen, wenn die Vertrauensperson von der Schweigepflicht e n t b u n d e n ist ( § 5 3 1 1 ) . Das gilt aber n u r f ü r den Verteidiger des Beschuldigten sowie f ü r die in § 53 Ziff. 3 genannten Angehörigen bestimmter Berufsstände u n d ihre Gehilfen, nicht auch f ü r Geistliche u n d die in Ziff. 4 genannten Mitglieder p a r lamentarischer Gremien, ferner nicht f ü r die in Ziff. 5 g e n a n n t e n Redakteure, Verleger usw. u n d die in Ziff. 6 genannten I n t e n d a n t e n , Sendeleiter usw. Praktisch bedeutsam ist vor allem das Zeugnisver-

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weigerungsrecht von Ä r z t e n . Hierbei ist besonders zu beachten, d a ß solche Ärzte, die einen Beschuldigten oder Zeugen in zulässiger Weise i m Auftrag der Staatsanwaltschaft, der Polizei oder eines Gerichts untersucht u n d v e r n o m m e n haben, sich auf kein Zeugnisverweigerungsrecht berufen können, denn in diesem Falle kommt nicht das Verhältnis eines Arztes z u m hilfesuchenden K r a n k e n in Frage, sondern das Verhältnis eines Beauftragten des Gerichts zu einer Person, deren Körperbeschaffenheit n a c h einer gewissen Richtung als Mittel zur Wahrheitsermittlung in einem anhängigen Verfahren dienen soll. So ist in einem Verfahren wegen T r u n k e n h e i t a m S t e u e r der Arzt, der auf Anweisung der Polizei d e m Angeklagten g e m ä ß § 8 i a eine Blutprobe e n t n o m m e n u n d ihn den üblichen Tests (die verweigert werden dürfen, vgl. N a c h t r a g B, Abschn. 4 d ) unterzogen hat, auch d a n n zur Aussage über seine Feststellungen bei der Blute n t n a h m e verpflichtet, wenn der Angeklagte seiner V e r n e h m u n g entgegentritt. § 5 4 regelt die Aussagepflicht der Beamten u n d Richter (Abs. i), der Regierungsmitglieder (Abs. 2) u n d des Bundespräsidenten (Abs. 3). N a c h § 55 k a n n jeder Zeuge die A u s k u n f t auf solche F r a g e n v e r w e i g e r n , deren Beantwortung ihm selbst oder einem seiner Angehörigen (§ 52 N r . 1—3) die G e f a h r s t r a f g e r i c h t l i c h e r V e r f o l g u n g zuziehen w ü r d e ; der U m s t a n d , d a ß der Zeuge bei Beantwortung einer Frage seine eigene S c h a n d e oder die eines Angehörigen würde bekennen müssen, berechtigt ebensowenig zur Verweigerung der Auskunft wie die Gefahr, aus der Beantwortung der Frage einen Vermögensnachteil zu erleiden; § 6 8 a bestimmt aber, d a ß Fragen nach Tatsachen, die d e m Zeugen oder einer Person, die i m Sinne des § 52 Abs. 1 sein Angehöriger ist, zur U n e h r e gereichen können, nur d a n n gestellt werden sollen, w e n n es unerläßlich ist (BGH 1, 3 4 1 ; 13, 252). M a c h t der Zeuge von d e m Recht des § 55, über das er belehrt werden m u ß , keinen Gebrauch, so ist er verpflichtet, falls das Gericht es f ü r erforderlich hält, die Aussage zu beeidigen, sofern nicht die Beeidigung nach § 60 Nr. 3 unzulässig oder die Verweigerung der Eidesleistung aus § 63 zu b e g r ü n d e n ist. Unterbleibt die in § 55 I I vorgeschriebene Belehrung ü b e r das A u s k u n f t s v e r w e i g e r u n g s r e c h t , so k a n n auf diese Unterlassung — im Gegensatz zur Belehrungspflicht über das Z e u g n i s v e r w e i g e r u n g s r e c h t gemäß § 52 I I — die Revision nicht gestützt werden (siehe B G H 1, 39; 11,213); das gleiche gilt f ü r die U n t e r lassung des allgemeinen Hinweises über die Bedeutung des Eides g e m ä ß § 57 (vgl- E. 56, 66; Schwarz-Kleinknecht § 57 A n m . 5). b ) E i d e s v e r w e i g e r u n g s b e r e c h t i g t sind g e m ä ß § 6 3 die in § 52 Abs. 1 bezeichneten Personen (Verlobte, Ehegatten, V e r w a n d t e u n d Verschwägerte des Beschuldigten). Die in § 63 zweiter Halbsatz f ü r diese Personengruppe vorgesehene B e l e h r u n g m u ß a u s d r ü c k l i c h d a r ü b e r erfolgen, d a ß der Zeuge, der j a , wie oben erwähnt, nach § 52 zunächst über sein Z e u g n i s v e r w e i g e r u n g s r e c h t zu belehren ist, a u c h berechtigt ist, lediglich die B e e i d i g u n g z u v e r w e i g e r n .

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Macht ein Zeuge von seinem Eidesverweigerungsrecht keinen Gebrauch, dann steht es im Ermessen des Gerichts, ob er vereidigt werden soll (vgl. § 61 Nr. 2 und unten Abschn. d).

c) Unbeeidigt sind nach § 60 zu vernehmen: Jugendliche unter 16 J a h r e n sowie Personen, die wegen Verstandesunreife bzw. Verstandesschwäche vom Wesen und der Bedeutung des Eides keine genügende Vorstellung haben (Nr. i), die Eidesunfähigen nach § 1 6 1 S t G B (Nr. 2) und die der B e t e i l i g u n g usw. Verdächtigen (Nr. 3). aa) Unter der „ d e n G e g e n s t a n d d e r U n t e r s u c h u n g b i l d e n d e n T a t " i. S. des § 60 Nr. 3 ist der ganze tatsächliche Vorgang zu verstehen, innerhalb dessen die abzuurteilende Straftat begangen wurde (vgl. B G H 4, 255; 6, 382; 10, 65). bb) B e t e i l i g t e r im Sinn des § 60 Nr. 3 ist (außer dem, dessen Handeln den Begriff der „ T e i l n a h m e " nach den §§ 47 ff. S t G B erfüllt) derjenige, der bei dem fraglichen Vorgang in strafbarer Weise und i n d e r s e l b e n R i c h t u n g w i e d e r A n g e k l a g t e mitgewirkt hat und deshalb bei seiner Darstellung nicht die Unbefangenheit gegenüber dem Angeklagten besitzt, wie sie die Voraussetzung eines einwandfreien Zeugnisses bildet (E. 77, 203; B G H 6, 3 8 3 ; 10, 65). Dem Gesetzeszweck entsprechend ist es auch nicht erforderlich, daß eine v o r s ä t z l i c h e Beteiligung in Betracht kommt. Die Voraussetzungen für eine Nichtbeteiligung nach § 60 Nr. 3 liegen vielmehr auch dann vor, wenn der rechtsverletzende Erfolg durch Zusammentreffen f a h r l ä s s i g e n Verhaltens des Angeklagten und des Zeugen herbeigeführt wurde (E. 64, 3 7 7 ; B G H V R S 10, 1 4 1 ; B G H S t 10, 65). Diese extensive Auslegung des § 60 Nr. 3 wird von besonderer Bedeutung bei V e r k e h r s s t r a f s a c h e n . Sie führt dazu, daß bei der Verhandlung von Unfällen alle als Zeugen vernommenen Unfallbeteiligten unvereidigt bleiben, sofern sich eine schuldhafte Mitverursachung des Unfalls nicht mit Sicherheit ausschließen läßt. Völlig unerheblich ist dabei, ob durch den Unfall unbeteiligte Dritte verletzt oder gefährdet wurden oder ob der Angeklagte und der Zeuge die einzigen Unfallbeteiligten waren. Es genügt in solchen Fällen die bloße Möglichkeit, daß beide — der Angeklagte und der Zeuge — durch ihre Fahrweise schuldhaft die Verkehrssicherheit beeinträchtigt haben ( B G H 10, 65). Fehlt es aber a n d e r e r s e i t s an einer solchen strafbaren Mitwirkung des Zeugen an der T a t des Angeklagten, so ist der U m stand allein, daß sich die T a t des Zeugen in dem allgemeinen R a h m e n des gleichen geschichtlichen Vorgangs abspielt und in derselben Richtung bewegt, in der auch die T a t des Angeklagten liegt, und daß sie mit der T a t in einem inneren oder äußeren, wenn auch noch so engen Zusammenhang steht, ohne Bedeutung (E. 5g, 167). cc) Beim V e r d a c h t d e r B e g ü n s t i g u n g ist folgendes zu beachten: § 60 Nr. 3 findet keine Anwendung, wenn die Begünstigung nur in einer falschen Aussage in der Hauptverhandlung selbst zu sehen ist. Der Zeuge kann sich nicht dadurch, daß er in der H V zugunsten des Angeklagten aussagt, seiner Vereidigung entziehen. Anders jedoch, wenn der Zeuge sich

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bereits im Ermittlungsverfahren oder in einer früheren Hauptverhandlung durch falsche Aussagen der Begünstigung schuldig gemacht hat (vgl. BGH i, 360) oder wenn er die falsche Aussage in der H V dem Angeklagten schon vor der Tat zugesagt hat. I m letzteren Fall wäre er gemäß § 257 Abs. 3 StGB einem Teilnehmer gleichzustellen und schon aus diesem Grund gemäß § 60 Nr. 3 unvereidigt zu lassen. d ) G e m ä ß § 61 k a n n v o n e i n e r B e e i d i g u n g n a c h d e m E r m e s s e n des G e r i c h t s a b g e s e h e n werden, 1. bei Personen, die z.Z. der Vernehmung das sechzehnte, aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben; 2. beim Verletzten sowie bei Personen, die i. S. des § 52 Abs. 1 Angehörige des Verletzten oder des Beschuldigten sind; siehe hierzu BGH 1, I 75> 3- wenn das Gericht der Aussage keine wesentliche Bedeutung beimißt und nach seiner Überzeugung auch unter Eid keine wesentliche Aussage zu erwarten ist; siehe hierzu BGH 1, 9 und 216. Im Verfahren wegen einer Ü b e r t r e t u n g und im P r i v a t k l a g e v e r f a h r e n werden g e m ä ß § 62 Zeugen nur dann vereidigt, wenn es das Gericht wegen der ausschlaggebenden Bedeutung der Aussagen oder zur Herbeiführung einer wahren Aussage für notwendig hält. e) Entschließt sich das Gericht, einen Zeugen nicht zu vereidigen, so ist der dahingehende Gerichtsbeschluß zu begründen (§ 64). Dabei genügt es, wenn e i n die Nichtvereidigung t r a g e n d e r G r u n d bezeichnet wird. Die Beteiligten haben keinen Anspruch darauf, daß über m e h r e r e Gründe, a m denen die Vereidigung eines Zeugen unterbleiben könnte, getrennt verhandelt und entschieden wird (BGH 17, 186). f ) Ergibt die weitere Verhandlung, daß der zunächst angenommene Grund für eine Nichtvereidigung gemäß §§ 60, 61, 62 nicht vorliegt, so ist die Vereidigung nachzuholen, da ein Verstoß gegen § 59 in der Regel die Revision begründet (BGH 7, 281; 8, 155). g) Die r e c h t l i c h e n F o l g e n einer entgegen dem V e r b o t des §60 durchgeführten V e r e i d i g u n g (NB. durch dieses Verbot wird die s t r a f r e c h t l i c h e Verfolgung wegen M e i n e i d s nicht ausgeschlossen, auch nicht, wenn das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet war, E. 36, 278), sowie einer u n t e r l a s s e n e n B e l e h r u n g über das Zeugnis- bzw. Eidesverweigerungsrecht (§§ 52 Abs. 2, 63) sind folgende: aa) S ä m t l i c h e M ä n g e l enthalten eine G e s e t z e s v e r l e t z u n g und begründen daher gemäß § 337 die R e v i s i o n , soweit das Urteil auf diesen Verstößen beruht, was dann der Fall ist, wenn das Urteil aus den diesbezüglichen Aussagen Folgerungen gezogen hat (BGH 4, 217 betr. Verstoß gegen § 63). bb) Erklärt im Falle der m a n g e l n d e n B e l e h r u n g der Zeuge auf Grund n a c h t r ä g l i c h e r Belehrung, daß er von dem Zeugnis- bzw. Eidesverweigerungsrecht keinen Gebrauch mache, so gilt der Mangel der Belehrung als b e h o b e n . cc) Verzichtet der Zeuge im Falle der n a c h t r ä g l i c h e n Belehrung n i c h t aufsein Zeugnis- bzw. Eidesverweigerungsrecht, dann können die

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diesbezüglichen Mängel nur dadurch b e h o b e n werden, d a ß im Urteil ausdrücklich festgestellt wird, daß die Aussage unberücksichtigt geblieben ist (E. 9, 386). dd) Stellt sich die B e e i d i g u n g n a c h t r ä g l i c h g e m ä ß §60 a l s u n z u l ä s s i g heraus und bringt das Urteil zum Ausdruck, d a ß die Aussage n u r a l s u n e i d l i c h e gewürdigt worden ist, so ist der Verstoß damit geh e i l t (BGH 4, 130). Der Umstand, daß eine mit dem Eid bekräftigte Aussage nur als uneidliche Aussage gewertet werden soll, verändert jedoch die Beweislage nicht unerheblich. Die Beteiligten müssen daher die Gelegenheit erhalten, weitere Beweisanträge zu stellen. Das bedeutet, d a ß gegebenenfalls die bereits geschlossene Beweisaufnahme wieder zu eröffnen ist. Wird den Beteiligten diese prozessuale Möglichkeit abgeschnitten, so begründet auch dieser Mangel gemäß § 337 die Revision (vgl. BGH a.a.O. 132)2. Diese Erörterungen allgemeiner Art führen im v o r l i e g e n d e n F a l l zu f o l g e n d e m E r g e b n i s : a) Dem Neffen N stand ein Z e u g n i s v e r w e i g e r u n g s r e c h t gemäß § 52 I Nr. 3 zu, da er mit einem der Angeschuldigten in der Seitenlinie im dritten Grade verwandt ist. Über dieses hätte N gemäß § 52 I I belehrt werden müssen. b) Dem N stand außerdem gemäß § 63 ein E i d e s v e r w e i g e r u n g s r e c h t zu. Auch über dieses Recht war er gemäß § 63, zweiter Halbsatz zu belehren. c) O b N einer „ B e t e i l i g u n g " im oben erörterten Sinne tatsächlich verdächtig ist, läßt sich aus dem Wortlaut des Sachverhalts nicht erkennen. d) Da die U n t e r l a s s u n g d e r B e l e h r u n g i. S. der §§ 52 Abs. 2 und 63 der Vernehmung nicht nur die vom Gesetz durch die Belehrung erstrebte Sicherheit dafür entzieht, d a ß die Aussage des betreffenden Angehörigen unbeeinflußt und möglichst zuverlässig abgegeben worden ist, sondern d i e V e r n e h m u n g s e l b s t z u e i n e r i l l e g a l e n macht, kann eine derartige Aussage auch nicht als ein gesetzlich zulässiges Beweismittel angesehen werden. Sie kann deshalb auch n i c h t in der Hauptverhandlung v e r l e s e n u n d v e r w e r t e t , d . h . gemäß § 251 zu einer Erkenntnisquelle für die richterliche Entscheidung gemacht werden, wobei es gleichgültig ist, ob die Prozeßbeteiligten (Staatsanwalt, Verteidiger und Angeklagter) mit der Verlesung einverstanden sind. e) Die gleichen Folgen müßten eintreten, wenn der Fall des § 60 Nr. 3 gegeben ist. Denn die Möglichkeit, die fraglichen Aussagen als uneidliche zu werten und dadurch verlesbar u n d für die Urteilsfindung verwertbar zu machen, scheidet i m v o r l i e g e n d e n F a l l e aus, da der gleichzeitige F e h l e r d e r m a n g e l n d e n B e l e h r u n g auf diese Weise nicht zu beseitigen ist. f ) Falls also der Amtsrichter im v o r l i e g e n d e n F a l l e zu der Überzeugung gelangt, d a ß die Aussagen des Zeugen N für die Urteilsfindung

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von Wichtigkeit sind, wird er entweder den N zur Hauptverhandlung laden müssen oder die Akten gemäß § 223 unter Benachrichtigung der Staatsanwaltschaft, des Angeklagten und des Verteidigers (§ 224) an das zuständige Amtsgericht übersenden mit dem Ersuchen um nochmalige Vernehmung des Zeugen N unter Beobachtung der Bestimmungen der §§ 52, 60, 63, 64. III. In der Voruntersuchung hat ein Augenschein in einem dem Gerichtsgebäude gegenüberliegenden Privathaus stattgefunden, ohne daß der in Untersuchungshaft befindliche Angeschuldigte H von dem Termin benachrichtigt worden war. 1 . V o r b e m e r k u n g : Die Frage, welche Prozeßbeteiligten bei den einzelnen Verfahrensabschnitten ein Anwesenheitsrecht haben (Parteiöffentlichkeit), ist folgendermaßen zu beantworten: a) Das Anwesenheitsrecht aller P r o z e ß b e t e i l i g t e n im V o r v e r f a h r e n (also des Beschuldigten, des Staatsanwalts und des Verteidigers im vorbereitenden Verfahren und in der Voruntersuchung) war bis zur Strafprozeßnovelle vom 19. 12. 1964 gemäß §§ 193, 169 nur für solche Beweisakte vorgesehen, deren Wiederholung in der Hauptverhandlung entweder nicht geschehen kann oder doch voraussichtlich nicht geschehen wird, die demnach als v o r w e g g e n o m m e n e T e i l e der H a u p t v e r h a n d l u n g zu gelten haben. Es sind dies: aa) Die Einnahme eines Augenscheins (§ 193 Abs. 1); bb) die Vernehmung eines Z e u g e n oder S a c h v e r s t ä n d i g e n , dessen Erscheinen in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit Krankheit oder Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen oder dem das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung nicht zugemutet werden kann (§193 Abs. 2). (NB. Hat schon im Vorverfahren eine solche Vernehmung nach § 193 stattgefunden, dann erübrigt sich selbstverständlich eine kommissarische V e r n e h m u n g gemäß §§ 223 bis 225, da auch das gemäß § 193 aufgenommene Protokoll in der Hauptverhandlung verlesen werden kann, siehe oben Abschn. B I 2, S. 37 sowie Nachtrag A, Abschnitt D III, S. 57fr.) b) Die Anwesenheit des S t a a t s a n w a l t s und des V e r t e i d i g e r s bei der V e r n e h m u n g des B e s c h u l d i g t e n : aa) Die r i c h t e r l i c h e Vernehmung des Beschuldigten im Vorverfahren (also sowohl im vorbereitenden Verfahren als auch in der Voruntersuchung) erfolgte bisher in Abwesenheit sowohl der S t a a t s a n w a l t s c h a f t als auch des V e r t e i d i g e r s . Seit Inkrafttreten der Strafprozeßnovelle vom 19. 12. 1964 ist jedoch sowohl der StA als auch dem Verteidiger die Anwesenheit zu gestatten (§§ 192 Abs. 2, 169). bb) An der p o l i z e i l i c h e n Vernehmung des Beschuldigten kann die S t a a t s a n w a l t s c h a f t wie bei allen polizeilichen Verhandlungen stets teilnehmen; dies ergibt sich daraus, daß die Polizei in Strafsachen als ein Organ der Staatsanwaltschaft erscheint.

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II. Teil: Lösungen

2. Nach § 193 Abs. 4 hat der n i c h t a u f f r e i e m F u ß b e f i n d l i c h e A n g e s c h u l d i g t e einen Anspruch auf Anwesenheit nur bei solchen Terminen, welche an der Gerichtsstelle des Orts abgehalten werden, an dem er sich in Haft befindet. (Das gleiche gilt f ü r die kommissarische Vernehmung, siehe § 224 II.) a ) Der Ausdruck „ n i c h t a u f f r e i e m F u ß b e f i n d l i c h " ist gewählt, u m alle gesetzlich zulässigen Arten von Haft zu umfassen. Der Abs. 4 ist also anwendbar, gleichviel, ob der Angeschuldigte eine Freiheitsstrafe verbüßt oder ob er sich in Untersuchungshaft, Zwangshaft (§ 70) oder in einer vom Zivilrichter oder von der Polizei verhängten Haft befindet. b) Der Ausdruck „ G e r i c h t s s t e l l e " wird im Gesetz in verschiedenem Sinne gebraucht: Während er in § 248 ganz allgemein Ort der Verhandlung bedeutet, ist in § 224 Abs. 2 u n d § 193 Abs. 4 unter diesem Begriff nur das r e g e l m ä ß i g e G e s c h ä f t s l o k a l des Gerichts zu verstehen. Ein A n s p r u c h auf A n w e s e n h e i t bei d e m in e i n e m Privathaus stattfindenden Augenschein stand dem Angeschuldigten im v o r l i e g e n d e n F a l l e also n i c h t zu. 3. E i n e a n d e r e F r a g e ist a b e r d i e , o b d e r A n g e s c h u l d i g t e n i c h t von d e m T e r m i n h ä t t e in K e n n t n i s gesetzt w e r d e n müssen. a ) Die zur Anwesenheit bei der Augenscheinseinnahme Berechtigten, welche nach Abs. 3 des § 193 b e n a c h r i c h t i g t werden müssen, sind nach Abs. 1 die Staatsanwaltschaft, der Angeschuldigte u n d der Verteidiger. b) Der Abs. 4 n u n will die aus Abs. 1 u n d 3 sich ergebenden Rechte des Angeschuldigten für den Fall, d a ß er sich in Haft befindet, nicht beseitigen, sondern nur zum Ausdruck bringen, d a ß der an sich zur Anwesenheit berechtigte v e r h a f t e t e A n g e s c h u l d i g t e z u r V e r h i n d e r u n g v o n Fluchtversuchen oder Vermeidung von Transportschwierigkeiten keinen A n s p r u c h d a r a u f hat, an Ort und Stelle hing e b r a c h t z u w e r d e n , u m sein Recht auszuüben. Dagegen steht ihm ein A n s p r u c h a u f B e n a c h r i c h t i g u n g schon u m deswillen zu, weil er ein wesentliches Interesse daran haben kann, sich bei dem auch für die Hauptverhandlung bedeutungsvollen Akt der Augenscheinseinnahme durch einen Verteidiger vertreten zu lassen. Das U n t e r b l e i b e n der B e n a c h r i c h t i g u n g e n t h ä l t also im vorliegenden Falle einen Verstoß gegen das Gesetz. 4. A u f G r u n d d i e s e r F e s t s t e l l u n g e n w i r d d e r folgende Erwägungen anstellen:

Amtsrichter

a ) Die Verlesung des Protokolls über den richterlichen Augenschein in der Hauptverhandlung gemäß § 249 hat stets zur Voraussetzung, d a ß das bei der Einnahme des Augenscheins beobachtete Verfahren nicht an einem w e s e n t l i c h e n M a n g e l leidet; mit einem solchen ist aber nach den obigen Ausführungen das Augenscheinsverfahren im vorliegenden Falle behaftet, die Verlesung des diesbezüglichen Protokolls ist also an sich nicht statthaft.

Fall 3

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b) Erhebt aber der Angeklagte in der Hauptverhandlung k e i n e n W i d e r s p r u c h gegen die Verlesung des Protokolls über die Einnahme des Augenscheins bzw. stellt er keinen Antrag, den Augenschein unter Zuziehung des Verteidigers zu wiederholen, so wird hieraus geschlossen werden können, daß der Angeklagte mit der Verlesung einverstanden ist, daß er auf Geltendmachung des formalen Mangels verzichtet, der dann auch nicht mehr Gegenstand eines Revisionsangriffes werden könnte (E. 23, 144; siehe auch E. 4, 301). D e r A m t s r i c h t e r w i r d also a b w a r t e n , ob der A n g e k l a g t e in der H a u p t v e r h a n d l u n g gegen die V e r l e s u n g W i d e r s p r u c h erhebt, und dann gegebenenfalls einen neuen Augenschein a n o r d n e n müssen. IV. Der schriftliche Antrag des Angeschuldigten S, einen Verteidiger zu bestellen, ist nicht verbeschieden worden. 1. V o r b e m e r k u n g : D i e n o t w e n d i g e

Verteidigung.

a) In b e s t i m m t e n Fällen ist die Verteidigung eine n o t w e n d i g e . Ist ein solcher Fall gegeben, dann darfeine Hauptverhandlung o h n e Verteidiger n i c h t stattfinden (absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5). Bleibt der Verteidiger in der Hauptverhandlung aus, entfernt er sich vorzeitig oder weigert er sich, die Verteidigung zu führen, so hat der Vorsitzende sofort einen anderen Verteidiger zu bestellen (§ 145 Abs. 1). Die Notwendigkeit der Verteidigung erstreckt sich auch auf die B e r u f u n g s i n s t a n z , auf die R e v i s i o n s i n s t a n z dagegen nur unter den Voraussetzungen des § 350 Abs. 3. Ergibt sich e r s t i m L a u f e d e r H a u p t v e r h a n d l u n g , daß die Verteidigung notwendig ist (z. B. es stellt sich während der Verhandlung heraus, daß die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt in Frage kommt), so hat der Vorsitzende dem Angeklagten einen Verteidiger zu bestellen; gegebenenfalls ist die Verhandlung auszusetzen (§ 145 II, III). Auf jeden Fall aber sind bei nachträglicher Bestellung eines Offizialverteidigers alle wesentlichen Teile der Hauptverhandlung zu wiederholen (vgl. B G H 9, 243). Als wesentliche Bestandteile der Hauptverhandlung sind hierbei anzusehen die Vernehmung des Angeklagten zur Person und zur Sache, die Verlesung des Anklagesatzes, die Schlußvorträge und die Urteilsverkündung. Nimmt der notwendige Verteidiger auch nur zeitweise an einem dieser wesentlichen Teile der Hauptverhandlung nicht teil, so bildet seine Abwesenheit den a b s o l u t e n R e v i s i o n s g r u n d des § 338 Nr. 5. Wählt der Angeklagte nach Bestellung des Pflichtverteidigers einen anderen Verteidiger und nimmt dieser die Wahl an, so ist die Bestellung des Pflichtverteidigers zurückzunehmen (§ 143). Wird die Zurücknahme der Bestellung zunächst unterlassen, so kann sie noch in der Hauptverhandlung nachgeholt werden, allerdings nicht zur Unzeit, z. B. während einer Zeugenvernehmung durch den Pflichtverteidiger. Der Vorsitzende wird in solchen Fällen zweckmäßig die veränderte Verfahrenslage mit den Beteiligten erörtern, um ihnen Gelegenheit zu geben, sich darauf einzustellen. A u f keinen Fall darf durch den Wegfall des Pflichtverteidigers die

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I I . Teil: Lösungen

Verteidigung beeinträchtigt werden. Insbesondere muß dem Wahlverteidiger die Möglichkeit gegeben werden, die Verteidigung ordnungsgemäß vorzubereiten (vgl. B G H 3, 327). b ) D i e V e r t e i d i g u n g i s t n o t w e n d i g (§ 140), wenn aa) die Hauptverhandlung vor dem B u n d e s g e r i c h t s h o f oder dem O b e r l a n d e s g e r i c h t i m e r s t e n R e c h t s z u g oder vor dem L a n d gericht stattfindet; bb) eine T a t in Frage kommt, die nicht n u r w e g e n R ü c k f a l l s e i n V e r b r e c h e n ist; cc) das Verfahren zur U n t e r b r i n g u n g i n e i n e r H e i l - o d e r P f l e g e a n s t a l t oder zur U n t e r s a g u n g d e r B e r u f s a u s ü b u n g führen kann; dd) der Beschuldigte t a u b oder s t u m m ist; ee) wenn sich der Beschuldigte mindestens drei Monate in derselben oder in einer anderen Sache in U n t e r s u c h u n g s h a f t oder aufgrund behördlicher Anordnung in einer H e i l - oder P f l e g e a n s t a l t befunden hat und nicht mindestens zwei Wochen vor Beginn der H V aus der U - H a f t bzw. der Heil- oder Pflegeanstalt entlassen wird. (Durch die Neufassung des § 140 I 5 durch die Strafprozeßnovelle v. 19. 12. 1964 ist die alte Streitfrage, was unter dem Begriff „ H a f t " in § 140 I 5 a. F. zu verstehen war, gegenstandslos geworden.) ff) zur V o r b e r e i t u n g e i n e s G u t a c h t e n s über den G e i s t e s z u s t a n d des Beschuldigten seine Unterbringung in einer öffentlichen Heil- oder Pflegeanstalt in Frage kommt; gg) die Hauptverhandlung gegen einen A b w e s e n d e n stattfindet (§ 277)Schließlich ist ein Verteidiger zuzuziehen, wenn die U n t e r s u c h u n g s h a f t mindestens drei Monate gedauert hat und die StA, der Beschuldigte oder sein gesetzlicher Vertreter einen entsprechenden Antrag stellen ( § 1 1 7 Abs. 4), oder wenn der Angeschuldigte zur mündlichen Verhandlung über den Haftbefehl nicht vorgeführt wird (§ 1 1 8 a Abs. 2 Satz 2). c ) I n a n d e r e n als den genannten F ä l l e n bestellt der Vorsitzende f ü r das ganze Verfahren oder nur für einen Teil des Verfahrens einen Verteidiger, wenn wegen der S c h w e r e d e r T a t oder wegen der S c h w i e r i g k e i t d e r S a c h - u n d R e c h t s l a g e die Mitwirkung eines Verteidigers g e b o t e n erscheint oder wenn sich der Beschuldigte seiner Persönlichkeit nach nicht selbst verteidigen kann (§ 140 I I ) . d) A u ß e r h a l b der oben erörterten Fälle steht dem Beschuldigten ein A n s p r u c h a u f B e s t e l l u n g e i n e s V e r t e i d i g e r s n i e m a l s und insbesondere auch dann nicht zu, wenn er armutshalber außerstande ist, die Gebühren eines Wahlverteidigers, den sich der Beschuldigte gemäß § 1 3 7 in jeder L a g e des Verfahrens nehmen kann, zu bezahlen. (Wegen der allgemeinen Rechte und Pflichten des Verteidigers s. Fall 6, Abschnitt A , S. 89 ff.)

Fall 3

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2. Für den v o r l i e g e n d e n F a l l e r g i b t s i c h f o l g e n d e s : a) Da es sich bei der g e w e r b s m ä ß i g e n H e h l e r e i gemäß § 260 StGB u m eine T a t handelt, die nicht nur wegen Rückfalls ein Verbrechen ist, liegt gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 2 ein F a l l d e r n o t w e n d i g e n V e r t e i d i g u n g vor. Hierbei ist zu beachten, daß das Gericht im Falle des § 140 Abs. 1 Nr. 2 seit dessen Neufassung durch die Strafprozeßnovelle vom 19. 12. 1964 gehalten ist, dem Beschuldigten v o n A m t s w e g e n , d. h. ohne entsprechenden Antrag, einen Offizialverteidiger beizuordnen. Diese Beiordnung hätte gemäß § 141 Abs. 1 spätestens in Verbindung mit der Zustellung der Anklage (§201) erfolgen müssen. b) O b vor Eröffnung des Hauptverfahrens ein S c h l u ß g e h ö r (siehe hierzu ausführlich oben Abschn. A I I 5, S. 28) stattgefunden hat, läßt sich aus dem Sachverhalt nicht entnehmen. Fest steht jedenfalls, daß die Staatsanwaltschaft nach Abschluß der Ermittlungen, bevor sie die Anklage zum Schöffengericht erhob, gemäß §§ 169 a Abs. 2, 169 b Abs. 1 Satz 1 Abs. 3 verpflichtet war, S auf sein Recht, ein Schlußgehör zu beantragen, ausdrücklich zu belehren. (Zur G e w ä h r u n g des Schlußgehörs war sie nicht unbedingt verpflichtet, § 169 b Abs. 1 Satz 2.) Hieraus folgt aber weiter, daß die StA gemäß § 141 Abs. 3 Satz 3 schon zu diesem Zeitpunkt, d. h. nach Abschluß der Ermittlungen, in Verbindung mit der Einleitung des Schlußgehörs, den Antrag auf Bestellung eines Offizialverteidigers hätte stellen sollen. Hätte sie den Antrag pflichtgemäß gestellt, so hätte das Gericht ihm stattgeben müssen (§141 Abs. 3 Satz 2). c) Für die weitere Beurteilung des Falles ist davon auszugehen, daß gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 2 ein F a l l d e r n o t w e n d i g e n V e r t e i d i g u n g v o r l i e g t und der Verteidiger an sich gem. § 141 Abs. 2 Satz 2 und 3 schon mit der Einleitung des Schlußgehörs (gleichgültig, ob ein solches dann stattfand oder nicht), spätestens aber bei Zustellung der Anklage hätte beigeordnet werden müssen. Dies alles wurde offensichtlich übersehen. d) Es wirft sich daher die F r a g e auf, o b d e r M a n g e l d e r r e c h t z e i tigen Verteidigungsbestellung noch behoben werden kann oder ob bereits zu diesem Zeitpunkt ein unheilbarer Verfahrensmangel vorliegt, der später in der Revision zur Aufhebung des Urteils führen kann. Wie bereits oben in Abschnitt IV 1 a dargelegt, liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 schon dann vor, wenn der notwendige Verteidiger auch nur zeitweise abwesend ist. Dies gilt aber nur dann, wenn er an einem wesentlichen Teil der H a u p t v e r h a n d l u n g nicht teilnimmt (vgl. BGH 15, 306). Ein Fehlen während des Schlußgehörs während des Eröffnungsverfahrens oder während der Vorbereitung der H V ist dagegen, selbst wenn verfahrenswidrig, für das weitere Verfahren unschädlich, sofern die Bestellung des Verteidigers bis zum Beginn der H V noch rechtzeitig nachgeholt wird. Dies ergibt sich schon aus der Erwägung, daß sich nicht selten Fälle denken lassen, in denen sich die Notwendigkeit der Verteidigung erst während der H V ergibt. I n diesen Fällen genügt es, wenn nach Bestellung des Verteidigers die wesentlichen Teile der H V wiederholt werden (s. o. Abschn. IV 1 a sowie BGH 9, 243). P c t t e t s - P r e i s e a d a n z , Strafprozcßfälle, 8. Aufl.

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II. Teil: Lösungen

e) Im E r g e b n i s ist somit festzuhalten, daß der Amtsrichter unverzüglich, auf jeden Fall noch vor der H V , die Bestellung eines Offizialverteidigers für S veranlassen muß. Hierfür ist er gemäß § 141 Abs. 4 selbst zuständig. V. In der Voruntersuchung hat der Amtsrichter als Stellvertreter des Untersuchungsrichters das Ersuchen u m Einvernahme eines Zeugen an ein auswärtiges Gericht sowohl in den Akten als auch in der Ausfertigung unterschrieben. 1. Vorbemerkung: Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen (§§ 22ff). Das Gesetz unterscheidet zwischen Ausschließungs- und Ablehnungsgründen. a) Kraft Gesetzes ausgeschlossen ist der Richter usw., aa) wenn er selbst durch die strafbare Handlung v e r l e t z t , d. h. unmittelbar in einem Rechtsgut verletzt ist, z. B. als Bestohlener, Betrogener oder Beleidigter (vgl. § 22 Nr. 1); bb) wenn er E h e g a t t e oder V o r m u n d entweder des Beschuldigten oder des Verletzten ist oder war (vgl. § 22 Nr. 2); cc) wenn er mit dem Beschuldigten oder dem Verletzten in einer vom Gesetz näher bestimmten Weise v e r w a n d t oder v e r s c h w ä g e r t oder durch A d o p t i o n verbunden ist (vgl. § 22 Nr. 3); dd) wenn er in derselben Sache bereits als S t a a t s a n w a l t , als P o l i z e i b e a m t e r , als A n w a l t d e s V e r l e t z t e n oder als V e r t e i d i g e r des Beschuldigten tätig geworden ist (vgl. § 22 Nr. 4); ee) wenn er in derselben Sache als Z e u g e oder S a c h v e r s t ä n d i g e r vernommen worden ist (vgl. § 22 Nr. 5), nicht dagegen, wenn er nur als Zeuge benannt worden ist, ohne vorher vernommen worden zu sein; auch die Abgabe einer dienstlichen Erklärung fällt nicht unter den Ausschliessungsgrund des § 22 Nr. 5 (vgl. E. 58, 286); ff) in der R e c h t s m i t t e l i n s t a n z , wenn er bereits an der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat (vgl. § 23 Abs. 1); gg) im W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n , wenn er bereits an der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat (vgl. § 23 Abs. 2, neu eingefügt durch die Strafprozeßnovelle v. ig. 12. 1964); hh) wenn er als U n t e r s u c h u n g s r i c h t e r die V U geführt hat (§23 Abs. 3). Ein A u s s c h l i e ß u n g s g r u n d entzieht der betr. Gerichtsperson von selbst, ohne daß von den Prozeßbeteiligten Widerspruch erhoben wird, die Fähigkeit zur Ausübung des Amtes. (NB. zur „Ausübung des Richteramtes" gehört nach B G H 3, 68 nicht die Auslosung der Schöffen.) Nimmt ein kraft Gesetzes ausgeschlossener Richter trotzdem eine Amtshandlung vor, so ist diese, falls es sich um eine E n t s c h e i d u n g handelt, nicht etwa nichtig, sondern lediglich mit dem im einzelnen Falle zulässigen

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Rechtsmittel a n f e c h t b a r ; erfolgt keine Anfechtung, so ist der Mangel geheilt. (Wirkt eine kraft Gesetzes ausgeschlossene Gerichtsperson — Richter, Geschworener oder Schöffe — bei dem U r t e i l mit, so ist ein absoluter Revisionsgrund gegeben, § 338 Nr. 2.) Sonstige A m t s h a n d l u n g e n des ausgeschlossenen Richters sind absolut nichtig, so daß z.B. ein von einem ausgeschlossenen Richter aufgenommenes Beweisprotokoll im weiteren Verfahren nicht verwertet werden darf (E. 30, 72; 33, 309; 55, 113). (NB. Werden die Vorschriften über die Besetzung der G e r i c h t e und die G e s c h ä f t s v e r t e i l u n g —- insbesondere diejenigen der §§ 63, 83 G V G — verletzt, oder sind Fehler bei der Berufung der Schöffen oder Geschworenen unterlaufen — siehe §§ 32ff., 77, 84 G V G — so liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 1 vor, vgl. BGH 8, 240, 252; 10, 179, 252, 384; 1 1 , 54, 106. Siehe auch BGH 2, 14, wo in Übereinstimmung mit E. 60, 63 entschieden wurde, daß eine unvorschriftsmäßige Besetzung i. S. des § 338 Nr. 1 noch nicht darin liege, daß ein Schöffe vorübergehend in seiner Aufmerksamkeit durch Ermüdungserscheinungen beeinträchtigt gewesen ist. Zur Frage, wieweit ein blinder R i c h t e r an einer HV mitwirken kann, siehe BGH 1 1 , 74 und 18,51-) b) Abgelehnt werden kann der Richter usw. von der Staatsanwaltschaft, dem Beschuldigten und dem Privatkläger (§ 24): aa) wenn er kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, bb) wegen Besorgnis der B e f a n g e n h e i t (s. hierzu BGH 4, 264 betr. zu offene Presseberichte). Die A b l e h n u n g eines Richters wegen Besorgnis der B e f a n g e n h e i t ist begründet, wenn im Angeklagten bei verständiger Würdigung der ihm bekannten Umstände die Auffassung aufkommen k a n n , der Richter werde ihm gegenüber möglicherweise eine innere Haltung einnehmen, die dessen Unparteilichkeit störend beeinflussen könne. (Siehe E. 60, 67 und BGH 1, 34.) Hierher gehören z. B. die Fälle, daß der Richter mit dem Beschuldigten v e r f e i n d e t ist, oder daß der Richter vor dienstlicher Befassung der Sache sich Dritten g e g e n ü b e r geäußert hat, wie er als erkennender Richter über die Sache urteilen würde (E. 61, 67). Kein Ablehnungsgrund liegt dagegen vor, wenn der Richter in einer anderen ähnlichen Strafsache eine dem Angeklagten ungünstige R e c h t s a u f f a s s u n g bekundet hat oder wenn er dem Angeklagten vor Anordnung der Beweisaufnahme nahelegt, die Berufung zurückzunehmen (E. 60, 43). Gemäß § 25 muß die Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit spätestens bis zum Beginn des an die V e r n e h m u n g des A n g e klagten zur Sache anschließenden Teils der H V , regelmäßig also bis zum Beginn der Beweisaufnahme geltend gemacht werden. Versäumt der Angeklagte diese Frist, so hat er sein A b l e h n u n g s r e c h t verw i r k t , und zwar auch dann, wenn ihm die Tatsache, auf die er sein Ablehnungsrecht stützen könnte, erst später bekannt wird (BGH I, 199). Werden dem Angeklagten mehrere T a t e n zur Last gelegt und wird die 4"

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I I . Teil: Lösungen

Verhandlung in der Weise geführt, d a ß der Angeklagte zunächst n u r zu einem Punkt vernommen wird, während die Vernehmung zu den übrigen Punkten erst erfolgt, nachdem die Beweisaufnahme über den ersten Punkt abgeschlossen ist, so kann die A b l e h n u n g b i s z u m S c h l u ß d e r e r s t e n T e i l v e r n e h m u n g geltend gemacht werden (vgl. Eb. Schmidt, Teil I I , R n . 7 zu § 25 StPO). Entsprechendes gilt, wenn dem Angeklagten nach seiner ersten Vernehmung im Laufe der weiteren Verhandlung erneut Gelegenheit gegeben wird, seine bisherigen Ausführungen zur Sache zu erläutern oder zu ergänzen, z. B. im R a h m e n eines Termins zur Einnahme eines Augenscheins (BGH 18, 46). Wegen des V e r f a h r e n s bei der Ablehnung siehe §§ 26, 27. Gegen den B e s c h l u ß , durch den das Ablehnungsgesuch für u n b e g r ü n d e t erklärt wird, ist das Rechtsmittel der s o f o r t i g e n B e s c h w e r d e gegeben ( § 2 8 Abs. 1). Richtet sich das Ablehnungsgesuch gegen einen erkennenden Richter, so ist der Beschluß, durch den das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen wird, nicht für sich allein, sondern nur mit dem Urteil anfechtbar (§ 28 Abs. 2). Der Gesetzgeber will auf diese Weise verhindern, d a ß die H V über Gebühr verschleppt wird. (Zum Begriff des erkennenden Richters siehe die Ausführungen zu § 305 in Fall 6, Abschn. B I I I 1 f, S. 98.) Handelt ein Richter trotz erfolgter Ablehnung weiter oder war das Ablehnungsgesuch zu Unrecht verworfen worden u n d wird darauf die R e v i s i o n gestützt (das Ablehnungsgesuch unterliegt auch in tatsächlicher Beziehung der freien Nachprüfung des Revisionsrichters), d a n n liegt der a b s o l u t e R e v i s i o n s g r u n d des § 338 Nr. 3 vor. 2. I m v o r l i e g e n d e n F a l l handelt es sich um die Frage, ob im Hinblick auf § 23 Abs. 3 d e r A m t s r i c h t e r v o n d e r L e i t u n g d e r H a u p t v e r h a n d l u n g a u s g e s c h l o s s e n ist. a ) Nach § 23 Abs. 3 darf der Untersuchungsrichter in den Sachen, in welchen er die Voruntersuchung geführt hat, nicht Mitglied des erkennenden Gerichts sein. aa) Der U n t e r s u c h u n g s r i c h t e r hat die Voruntersuchung „ i n d e r S a c h e " n u r d a n n g e f ü h r t , wenn sie nicht nur die gleiche T a t betraf, sondern auch gegen die gleichen Personen eröffnet und gefuhrt wurde, gegen die das Verfahren vor dem erkennenden Gericht gerichtet ist (E. 62, 3 1 7 ; im Gegensatz hierzu gilt f ü r § 22 Nr. 4 der Grundsatz, daß, solange dieselbe T a t den Gegenstand des Verfahrens bildet, es sich u m dieselbe Sache i. S. des § 22 Nr. 4 handelt, ohne Rücksicht darauf, ob die staatsanwaltschaftlichen Amtshandlungen sich gerade gegen den Teilnehmer der T a t gerichtet haben, gegen den nunmehr das Hauptverfahren läuft, vgl. BGH 14, 222). bb) Dem Untersuchungsrichter steht derjenige Richter gleich, der ihn, wenn auch nur bei einzelnen Untersuchungshandlungen, v e r t r e t e n hat (E. 18, 270). Dagegen ist die Bestimmung nicht anwendbar auf den Amtsrichter, welcher auf Ersuchen des Untersuchungsrichters ( § 1 8 5 Satz 2) Handlungen der Voruntersuchung vorgenommen hat, ebensowenig auf den Vorsitzenden der EröfFnungskammer, der nach Schluß der Vorunter-

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suchung zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts einzelne Beweiserhebungen vornimmt (E. 63, 337). Dagegen findet nach E. 68, 377 § 23 I I Anwendung auf den Untersuchungsrichter, der nach § i g i Untersuchnngshandlungen vornimmt. cc) Immer aber ist Voraussetzung für die Ausschließung gemäß § 23 Abs. 3, daß der Untersuchungsrichter bzw. dessen Stellvertreter w e s e n t l i c h e A k t e d e r V o r u n t e r s u c h u n g vorgenommen hat, d. h. solche, welche die Feststellung des Tatbestandes und die Sammlung der Beweise bezwecken, insbesondere Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen, Einnahme eines Augenscheins, Vernehmung des Angeschuldigten usw. (E. 18, 271), dagegen nicht die Eröffnung der Voruntersuchung, und zwar auch dann nicht, wenn mit ihr die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft verbunden ist (E. 61, 415). (NB. Im Gegensatz hierzu kommt es bei der Frage, ob der Richter als Beamter der S t a a t s a n w a l t s c h a f t usw. i. S. des § 22 Nr. 4 „ i n d e r S a c h e t ä t i g " gewesen ist, auf die materielle Bedeutung des Amtsgeschäfts nicht an, E. 70, 162.) b ) D a d u r c h nun, d a ß im v o r l i e g e n d e n F a l l e d e r A m t s r i c h t e r als s t e l l v e r t r e t e n d e r U n t e r s u c h u n g s r i c h t e r l e d i g l i c h ein E r s u c h e n um E i n v e r n a h m e eines Z e u g e n u n t e r s c h r i e b e n hat, h a t er n i c h t d i e V o r u n t e r s u c h u n g „ g e f ü h r t " i. S. des § 23 A b s . 3. D e r Amtsrichter wird demnach dieser Feststellung keine weitere Beachtung schenken. (NB. Ein Untersuchungsrichter, bei dem die oben erörterten Voraussetzungen zutreffen, ist n i c h t n u r von jeder Mitwirkung im e r k e n n e n d e n Gericht ausgeschlossen, sondern darfauch nicht an einer a u ß e r h a l b d e r H a u p t v e r h a n d l u n g ergehenden Entscheidung der Strafkammer, insbesondere nicht beim Beschluß über die E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s mitwirken. Würde daher festgestellt, daß ein Richter an dem E r ö f f n u n g s b e s c h l u ß m i t g e w i r k t hat, der z. B. als Stellvertreter des Untersuchungsrichters den Angeschuldigten, wenn auch nur einmal, vernommen und somit die Voruntersuchung i. S. des § 23 Abs. 2 „geführt" hat, so würde ein Sachurteil aufgrund eines solchen, einen wesentlichen prozessualen Mangel enthaltenden Eröffnungsbeschlusses, der vom Angeklagten beanstandet bzw. infolge Nichtkenntnis seiner Fehlerhaftigkeit nicht gerügt worden ist, unbedingt der A u f h e b u n g in d e r R e v i s i o n s i n s t a n z unterliegen. Denn mit der Revision kann gemäß § 336 auch der dem Urteil vorausgegangene Eröffnungsbeschluß angefochten werden, wenn auf dem wesentlichen prozessualen Mangel desselben das Urteil b e r u h t . Eine a b s o l u t e Gesetzesverletzung nach § 338 Nr. 2 würde in einem solchen Falle deshalb nicht vorliegen, weil der kraft Gesetzes ausgeschlossene Richter nicht an dem Urteil, sondern nur an einer Vorentscheidung teilgenommen hat. Andererseits aber kann die Möglichkeit nicht als ausgeschlossen gelten, daß bei der Mitwirkung einwandfreier Richter [der Untersuchungsrichter gilt in diesem Falle gemäß § 23 Abs. 3 als befangen] ein Eröffnungsbeschluß gar nicht zustande gekommen, mithin das angefochtene Urteil nicht erlassen worden wäre. S c h o n d a s V o r -

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II. Teil: Lösungen

l i e g e n e i n e r s o l c h e n M ö g l i c h k e i t aber berechtigt zu der Bejahung der Frage, ob das Urteil auf der fraglichen Gesetzesverletzung b e r u h t . (Siehe Fall 9, Abschnitt A V I I I 2, S. 125.) Das Gericht müßte daher, da eine allgemeine Urteilsvoraussetzung fehlt, das Verfahren gemäß § 206 a durch Beschluß außerhalb der Hauptverhandlung bzw. durch Urteil in der Hauptverhandlung gemäß § 260 I I I einstellen, um einem anderweitigen Verfahren nach Fassung eines legalen, rechtsgültigen Eröffnungsbeschlusses Raum zu geben. Siehe E. 10, 56 und E. 43, 217.)

VI. Die Ladung zur Hauptverhandlung auf den 25. Mai w a r dem Angeklagten T am 20. Mai zugestellt worden. 1 . Gemäß § 217 muß zwischen der Zustellung der Ladung (§ 216) und dem Tage der Hauptverhandlung eine Frist von mindestens einer Woche liegen. Ist diese Frist nicht eingehalten worden, so kann der Angeklagte die Aussetzung der Verhandlung verlangen, solange mit seiner Vernehmung zur Sache nicht begonnen ist. 2 . Der Angeklagte kann auf die Einhaltung dieser Frist v e r z i c h t e n (§2i7HI). Als stillschweigender Verzicht wird angesehen, wenn der Angeklagte im Falle der Nichteinhaltung der Frist es unterläßt, die Aussetzung der Hauptverhandlung zu beantragen. Nach erfolgtem Verzicht kann die Nichteinhaltung der Frist eine Revision nicht begründen, und zwar auch dann nicht, wenn der Vorsitzende die nur instruktioneile Vorschrift des § 228 Abs. 3 außer acht gelassen hat. (NB. Nach E. 69, 23 und E. 57, 267 stellt auch ein Verstoß gegen §229 keinen unbedingten Revisionsgrund dar; es ist in einem solchen Falle vielmehr zu untersuchen, ob das Urteil auf ihm beruht. Siehe Fall 5, Vorbemerkung Abschn. I 2 b, S. 74.) E s w i r d sich j e d e n f a l l s f ü r d e n A m t s r i c h t e r e m p f e h l e n , d e n A n g e k l a g t e n s c h o n v o r d e r H a u p t v e r h a n d l u n g d a r ü b e r zu h ö r e n , ob er a u f d i e F r i s t des § 217 v e r z i c h t e .

Nachtrag A. Verlesung von Schriftstücken (Urkundenbeweis) A . Allgemeine Grundsätze I . Die g e s e t z l i c h e n B e s t i m m u n g e n ü b e r V e r l e s b a r k e i t v o n U r k u n d e n (§§ 249—256) beziehen sich mit Ausnahme des § 251 Abs. 3 nur auf die Beweisaufnahme über die S c h u l d - u n d S t r a f z u m e s s u n g s f r a g e n . Dagegen ist das Gericht z. B. hinsichtlich des Beweises für die Feststellung der Prozeßvoraussetzungen oder zur Vorbereitung der Entscheidung darüber, ob die Ladung und Vernehmung einer Person erfolgen soll (s. § 251 Abs. 3) an keine Beweisregel gebunden.

Fall 3

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II. Soll mit Urkunden bewiesen werden, so sind diese, soweit der Verlesung keine gesetzlichen Hinderungsgründe entgegenstehen, zu v e r l e s e n , z. B. der beleidigende Brief, der gefälschte Wechsel, da in diesem Falle der Urkundenbeweis der unmittelbarste und deshalb dem Zeugenbeweis vorzuziehen ist (§ 249, siehe auch BGH 5, 278; 11, 29). Es k a n n a l s o j e d e b e i d e n A k t e n b e f i n d l i c h e U r k u n d e , d e r e n V e r l e s u n g i m G e s e t z n i c h t v e r b o t e n ist, v e r l e s e n w e r d e n . Dabei ist es gleichgültig, ob es sich u m eine Originalurkunde oder um die unbeglaubigte Abschrift einer solchen handelt, und ob sie vom Angeklagten, einem Zeugen oder von einer dritten, am Prozeß nicht beteiligten Person herrührt. Es darf aber eine solche Verlesung, abgesehen von den unten in den Abschnitten B und D aufgeführten Fällen, stets nur zum Beweise dafür verwendet werden, daß ein Schriftstück dieses Inhalts vorhanden ist. Urkunden, die in der Hauptverhandlung nicht förmlich verlesen wurden, dürfen nicht zur Grundlage des Urteils gemacht werden (BGH 5, 278). B . Die im Gesetz ausdrücklich als verlesbar bezeichneten und daher als zum Beweise für die Richtigkeit ihres Inhalts geeigneten Urkunden sind folgende: I . N a c h § 249 S a t z 2: 1. Früher ergangene Strafurteile, 2. Auszüge aus Strafregistern, Kirchenbüchern und Personenstandsregistern, 3. Protokolle über die Einnahme des richterlichen Augenscheins. II. N a c h § 256: 1. Die ein Zeugnis oder Gutachten enthaltenden Erklärungen ö f f e n t l i c h e r B e h ö r d e n (mit Ausnahme von Leumundszeugnissen). 2. Ärztliche Atteste über Körperverletzungen i. S. der §§223, 223 a und 230 StGB (also nicht über solche i. S. des § 224 StGB). Die Verlesung derartiger Atteste ist allerdings nur dann zulässig, wenn der Zweck des Strafverfahrens sich in der Verfolgung einer einfachen vorsätzlichen oder fahrlässigen bzw. gefährlichen Körperverletzung e r s c h ö p f t , nicht dagegen, wenn es bei der Ausführung anderer, schwererer Delikte zu Verletzungen gekommen ist, z. B. bei Ausführung einer Notzucht (vgl. BGH 4. 155)III. N a c h §§ 251—254: Vernehmungsprotokolle des Angeklagten, der Zeugen und Sachverständigen in bestimmten Ausnahmefällen (siehe unten Abschn. D). G. Ausdrücklich im Gesetz verboten ist die Verlesung in folgenden Fällen: I . N a c h § 256: Die Verlesung von L e u m u n d s z e u g n i s s e n öffentlicher Behörden. Für ihre Verlesbarkeit gilt also der auch für private Leumundszeugnisse geltende § 250, d. h. der Verfasser des Leumundszeugnisses muß

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II. Teil: Lösungen

persönlich vernommen werden, und zwar ohne Unterschied, ob das Zeugnis den Angeklagten oder andere Personen betrifft (E. 53, 280). II. N a c h §250: Die Verlesung von V e r n e h m u n g s p r o t o k o l l e n , es sei denn, daß einer der in §§251, 253, 254 aufgeführten Fälle vorliegt. (S. den folgenden Abschnitt D.) D. Die Verlesung von Vernehmungsprotokollen: I . D e r G r u n d s a t z des § 250: 1. Beruht der Beweis einer Tatsache auf der W a h r n e h m u n g e i n e r P e r s o n , so ist diese in der Hauptverhandlung zu v e r n e h m e n . Die Vernehmung darf n i c h t durch V e r l e s u n g des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer schriftlichen Erklärung e r s e t z t werden. Das gleiche gilt für die Vernehmung des Sachverständigen und des Angeklagten. 2. Dieser Grundsatz beruht auf der Erkenntnis, daß, wenn es sich um W a h r n e h m u n g e n handelt, die eine Person gemacht hat, der Beweis durch die Auskunftsperson besser ist als der Urkundenbeweis. Dieser Grundsatz der M ü n d l i c h k e i t bzw. Unmittelbarkeit gilt vor allem für die H a u p t v e r h a n d l u n g e r s t e r I n s t a n z . 3. Die Bestimmung des § 250 schließt nicht die Möglichkeit aus, auch einen m i t t e l b a r e n Beweis zu führen, z. B. durch Vernehmung eines Polizeibeamten über den Inhalt dessen, was der Angeklagte oder unmittelbare Tatzeugen ihm gegenüber bekundet haben. Das Gericht wird allerdings im allgemeinen die u n m i t t e l b a r e Beweisführung mit ihrer Möglichkeit, durch Fragen und Vorhaltungen auf den Inhalt der Bekundungen einzuwirken, als die zuverlässigere Beweisquelle bevorzugen, um nicht gegen die sich aus § 244 I I ergebende Aufklärungspflicht zu verstoßen. Das pflichtgemäße Ermessen kann aber auch die mittelbare Beweisführung für ausreichend erachten, z. B. in großen Betrugsfallen, wenn eine große Zahl von geschädigten Personen zu vernehmen ist. Siehe auch BGH 6, 209 und 15, 253. 4. Nach BGH 20, 160 ist ferner folgendes zu beachten: § 250 untersagt nur die E r s e t z u n g der Zeugenaussage durch die Verlesung einer zu Beweiszwecken erstellten Urkunde. Nicht verboten ist es jedoch, die Urkunde, z. B. ein Vernehmungsprotokoll oder eine schriftliche Erklärung des Zeugen, n e b e n der Zeugenvernehmung als z u s ä t z l i c h e s B e w e i s m i t t e l durch Verlesung zu verwerten. II. D i e V e r l e s u n g v o n V e r n e h m u n g s p r o t o k o l l e n des A n g e klagten. 1. Bei A b w e s e n h e i t des Angeklagten: Wird eine Hauptverhandlung unter den Voraussetzungen des § 232 oder des § 233 o h n e d e n A n g e k l a g t e n durchgeführt, so kann und muß die Niederschrift über eine r i c h t e r l i c h e Vernehmung des Angeklagten in der Hauptverhandlung verlesen werden (§ 232 Abs. 3 und § 233 Abs. 3 S. 2).

Fall 3

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2. Bei A n w e s e n h e i t des Angeklagten: a) Ist der Angeklagte im Termin anwesend, so kann ein r i c h t e r l i c h e s Protokoll über seine frühere Aussage insoweit verlesen werden, als daraus der Beweis für ein G e s t ä n d n i s hergeleitet werden soll (§ 254 Abs. 1). b) Das gleiche gilt von der Verlesbarkeit r i c h t e r l i c h e r Protokolle zwecks Feststellung von W i d e r s p r ü c h e n zwischen der vor dem erkennenden Gericht gemachten und den früheren Aussagen des Angeklagten (§ 254 Abs. 2). Zu a) ist n a c h E. 61, 72 f o l g e n d e s zu b e m e r k e n : Bei r i c h t e r l i chen Geständnissen hat das Gericht ohne weiteres die Möglichkeit, auf Grund des Protokolls für erwiesen zu erachten, daß der Angeklagte ein Geständnis abgelegt hat. Liegt dagegen nur ein p o l i z e i l i c h e s Geständnis vor, so muß das Gericht, falls der Angeklagte bestreitet, ein Geständnis abgelegt zu haben, den Verhörsbeamten über das frühere von ihm protokollierte Geständnis vernehmen. Beweisgrundlage ist dann nicht der Inhalt des polizeilichen Protokolls, sondern die Zeugenaussage des Polizeibeamten. Kann sich dieser an Einzelheiten nicht mehr erinnern, so darf ihm der Inhalt des von ihm aufgenommenen Protokolls durch Vorhalt oder wörtliches Vorlesen, gegebenenfalls sogar durch Vorlage zum Durchlesen als Gedächtnisstütze zugänglich gemacht werden (vgl. BGH 3, 281). Eine derartige Gedächtnisstütze darf dem Zeugen allerdings erst geboten werden, wenn er versucht hat, das, was er noch in Erinnerung hat, im Zusammenhang und ohne Gedächtnisstütze wiederzugeben (vgl. § 69 Abs. 1). Erst wenn offensichtlich ist, daß er sich an einzelne Tatsachen nicht mehr erinnern kann, darf ihm der Inhalt des Vernehmungsprotokolls zugänglich gemacht werden. Dann allerdings ist es nicht erforderlich, daß er •— entsprechend der in § 253 Abs. 1 getroffenen Regelung — selbst erklärt, daß er sich an Einzelheiten nicht mehr erinnern könne. Eine unmittelbare Anwendung von § 253 scheidet schon deshalb aus, weil der Zeuge nicht über den Inhalt seiner Vernehmung gehört wird; für eine analoge Anwendung besteht kein Anlaß, da unter den Voraussetzungen des § 253 unter Durchbrechung des Grundsatzes der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit die frühere Aussage selbst als Beweisgrundlage verwertet werden kann und das Gesetz nur deshalb strengere Anforderungen an die Verwertbarkeit stellt (vgl. BGH a. a. O. 284). (N. B. Daß das polizeiliche Vernehmungsprotokoll gemäß BGH 20, 160 neben der Zeugenvernehmung als z u s ä t z l i c h e s B e w e i s m i t t e l verlesen werden kann, wurde bereits oben in Abschnitt I 4 erwähnt.) III. D i e V e r l e s u n g von V e r n e h m u n g s p r o t o k o l l e n von Z e u g e n , S a c h v e r s t ä n d i g e n und M i t b e s c h u l d i g t e n . 1. Die Verlesung bei A b w e s e n h e i t der Beweispersonen (§ 251): a) In diesem Fall dürfen grundsätzlich (mit Ausnahme der Fälle des § 2 5 1 II und III) nur r i c h t e r l i c h e P r o t o k o l l e verlesen werden, und zwar mit Rücksicht darauf, daß beim r i c h t e r l i c h e n Protokoll auf die zutreffende Wiedergabe einer erschöpfenden Vernehmung vertraut werden kann.

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II. Teil: Lösungen

b ) § 2 5 1 1 Nr. 1 enthält die a b s o l u t e n H i n d e r u n g s g r ü n d e , die einer Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten entgegenstehen: Tod, Geisteskrankheit oder Unauffindbarkeit. c) § 251 I Nr. 2 enthält r e l a t i v e H i n d e r u n g s g r ü n d e (im Wortlaut übereinstimmend mit § 223 I), die dem Erscheinen der Beweisperson in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit entgegenstehen, nämlich Krankheit, Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse. § 251 I Nr. 2 ist sinngemäß auch d a n n anwendbar, wenn der Zeuge zwar vor Gericht erscheinen kann, aber zu befürchten ist, daß seine Vernehmung in der Hauptverhandlung zu einer erheblichen Verschlechterung seines Krankheitszustandes fuhren könnte (vgl. BGH 9, 297)d ) § 251 I Nr. 3 enthält e b e n f a l l s e i n e n r e l a t i v e n H i n d e r u n g s g r u n d (im Wortlaut übereinstimmend mit § 223 II), nämlich den Fall, d a ß der Beweisperson das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung nicht zugemutet werden kann. In den Fällen b) und c) (§ 251 Abs. 1 Nr. 1 u n d 2) darf gemäß § 251 I I j e d e s V e r n e h m u n g s p r o t o k o l l , also auch ein solches der Polizei, des Finanzamts oder des Notars, verlesen werden, u n d zwar nicht nur ein solches, das in d e m s e l b e n Verfahren, sondern auch jedes s o n s t i g e P r o t o k o l l , das in i r g e n d e i n e m a n d e r e n V e r f a h r e n aufgenommen worden ist. (S. hierzu Wortlaut des §251 I I „Niederschriften über eine andere Vernehmung".) I m Falle d) (§ 251 I Nr. 3) dagegen kommen nur solche r i c h t e r l i c h e n Vernehmungsprotokolle in Frage, die in d e m s e l b e n Verfahren aufgenommen worden sind. e) Ferner können alle r i c h t e r l i c h e n Vernehmungsprotokolle, u n d zwar auch solche, die in d e m s e l b e n Verfahren aufgenommen worden sind, i n j e d e m F a l l e verlesen werden, w e n n d e r S t a a t s a n w a l t , der V e r t e i d i g e r u n d der A n g e k l a g t e mit der Verlesung einverstanden sind (§251 Abs. 1 Nr. 4). f ) Wird das Vernehmungsprotokoll eines f r ü h e r e n M i t b e s c h u l d i g t e n verlesen, so sind folgende Besonderheiten zu beachten (vgl. BGH 10, 186): Wäre der frühere Mitbeschuldigte in der Hauptverhandlung vernommen worden, so hätte er die S t e l l u n g e i n e s Z e u g e n eingenommen. Hieraus folgt: H ä t t e der frühere Mitbeschuldigte als Zeuge in der Hauptverhandlung gemäß §§ 52 ff. das Zeugnis verweigern können, so ist die Verlesung des Vernehmungsprotokolls in der Hauptverhandlung unzulässig. Bestünde dagegen lediglich ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55> s o wäre eine Verlesung des Protokolls unbedenklich. § 55 dient nämlich in erster Linie der Selbstverteidigung des Zeugen. Dieser konnte aber seine Interessen bereits bei seiner früheren Vernehmung als Beschuldigter wahren, gegebenenfalls sogar durch Verweigerung jeglicher Angaben. Es besteht daher kein Bedürfnis, ihn in der Hauptverhandlung besonders zu schützen.

Fall 3 2 . Verlesung von Vernehmungsprotokollen Zeugen oder Sachverständigen.

59 bei A n w e s e n h e i t

des

a ) I n den folgenden Fällen ist die Verlesung von Vernehmungsprotokollen j e d e r A r t (also auch von polizeilichen) z u l ä s s i g , n ä m l i c h : aa) zur U n t e r s t ü t z u n g d e s G e d ä c h t n i s s e s , wenn ein Zeuge oder Sachverständiger erklärt, d a ß er sich einer Tatsache nicht m e h r erinnert ( § 2 5 3 Abs. 1); bb) wenn ein in der V e r n e h m u n g hervortretender W i d e r s p r u c h mit der früheren Aussage nicht auf andere Weise ohne U n t e r b r e c h u n g der H a u p t v e r h a n d l u n g festgestellt oder behoben werden k a n n (§ 253 Abs. 2); cc) w e n n das Vernehmungsprotokoll neben der Z e u g e n v e r n e h m u n g (die d u r c h die Verlesung nicht ersetzt werden darf, § 250), als z u s ä t z l i c h e s B e w e i s m i t t e l herangezogen wird (vgl. B G H 20, 160). Die Verlesung b e r u h t in diesem Fall unmittelbar auf § 249. Sie k a n n allerdings nicht m e h r beweisen als die Tatsache, d a ß sich ein Protokoll dieses Inhalts bei den Akten befindet. Bestreitet der Zeuge das rechtmäßige Zustandekommen des Protokolls u n d k o m m t es f ü r die Urteilsfindung auf die f r ü h e r e Erklärung des Zeugen an, so darf sich das Gericht jedoch nicht mit der Verlesung beschränken, sondern m u ß — ebenso wie bei polizeilichen Geständnissen (siehe oben Abschn. I I 2 b, S. 57) — den Vernehmungsb e a m t e n als Zeugen vernehmen. b ) V e r b o t e n ist die Verlesung der Aussagen eines vor der H a u p t v e r h a n d l u n g vernommenen Z e u g e n , welcher erst in der H a u p t Verhandlung von seinem Z e u g n i s v e r w e i g e r u n g s r e c h t G e b r a u c h m a c h t ( § 252). Dieses Verlesungsverbot bezieht sich auch auf r i c h t e r l i c h e V e r n e h m u n g s p r o t o k o l l e , u n d zwar selbst dann, wenn alle Beteiligten mit der Verlesung einverstanden sind; § 251 I Nr. 4 findet keine analoge Anw e n d u n g (BGH 10, 77). U m das Verlesungsverbot des § 252 nicht zu entwerten, messen Liter a t u r u n d Rechtsprechung der Bestimmung ü b e r ihren eigentlichen Wortlaut hinaus ein weitgehendes V e r w e r t u n g s v e r b o t bei. So ist es unzulässig, den I n h a l t einer Vernehmungsniederschrift eines zur Zeugnisverweigerung berechtigten Zeugen anderen Zeugen zur Auffrischung ihres Gedächtnisses vorzuhalten, bevor feststeht, o b der zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigte Zeuge von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Geb r a u c h m a c h e n will oder nicht (BGH 7, 194). Die umstrittene Frage, ob der V e r h ö r s b e a m t e ü b e r die vor i h m gemachten früheren Bekundungen des verweigerungsberechtigten Zeugen v e r n o m m e n werden darf, h a t der Bundesgerichtshof ( B G H 2, 99) mit einer ausführlichen Begründung (in A n l e h n u n g a n E. 48, 246 u n d in Abweichung von E. 72, 221) folgendermaßen entschieden: M a c h t ein Zeuge von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, so darf über den I n h a l t einer Aussage, die er bei einer früheren r i c h t e r l i c h e n Vern e h m u n g nach Hinweis auf sein Zeugnisverweigerungsrecht g e m a c h t h a t , d u r c h V e r n e h m u n g des Richters Beweis erhoben werden. Die V e r n e h m u n g der Verhörsperson über d e n I n h a l t früherer n i c h t r i c h t e r l i c h e r

6o

I I . Teil: Lösungen

(also vor allem polizeilicher oder vor dem Staatsanwalt gemachter) Aussagen ist unzulässig, u n d dies selbst dann, wenn der Zeuge auf sein Zeugnisverweigerungsrecht hingewiesen wurde. Das in § 252 enthaltene V e r l e s u n g s - u n d V e r w e r t u n g s v e r b o t dient, wie der BGH a. a. O. weiter ausführt, dem Ausgleich zwischen dem Grundsatz der Wahrheitserforschung einerseits u n d der Pflichtenkollision andererseits, in die der wegen seiner persönlichen Nähe zur Sache unfreie Dritte durch den Zeugniszwang geraten kann. Diese vom Bundesgerichtshof erstmals in BGH 2, 99 aufgestellten Grundsätze wurden in den bereits erwähnten Entscheidungen BGH 7, 194 und 10, 77 bestätigt u n d in BGH 11, 97 sinngemäß auf die Vernehmung von S a c h v e r s t ä n d i g e n übertragen: Macht ein Zeuge, der bereits von einem Sachverständigen vernommen wurde, in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, so kann der Sachverständige über den Inhalt der durch ihn erfolgten Vernehmung gehört werden, sofern der betreffende Zeuge vor dieser früheren Vernehmung richterlich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht hingewiesen wurde. (Siehe auch BGH 13,1; 13, 250; 18, 107 u n d Nachtrag 2 zu Fall 15.) Wird ein Richter oder Sachverständiger entsprechend den in BGH 2, 99 u n d 11,97 aufgestellten Grundsätzen in zulässiger Weise als Zeuge vernommen, so darf ihm zur Unterstützung des Gedächtnisses der Inhalt des Protokolls vorgehalten oder vorgelesen werden. Zur Beweisgrundlage darf jedoch auch in diesem Falle nur die Bekundung des Richters, nicht etwa das Protokoll gemacht werden (BGH 11, 338). Zu beachten ist schließlich noch, d a ß nur der Vernehmungsrichter selbst als Zeuge gehört werden darf, nicht auch andere Personen, die bei der Vernehmung zugegen waren, z. B. Referendare (BGH 13, 394). (NB. Die Bestimmung des § 252 u n d die diesbezügliche Rechtsprechung bezieht sich n i c h t auf die Aussagen eines Zeugen, dem lediglich ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 zusteht. In diesem Falle ist also eine Vernehmung der V e r h ö r s p e r s o n ohne weiteres möglich, vgl. BGH M D R 51, 180).

E. Bei der Verlesung von Vernehmungsprotokollen zu beachtende Formvorschriften und der Einfluß von Formmängeln oder sonstiger Mängel der Vernehmungsprotokolle auf ihre Verlesbarkeit und Beweiskraft. I . Die Verlesung eines Vernehmungsprotokolls darf nur stattfinden auf Grund eines G e r i c h t s b e s c h l u s s e s , also nicht nur auf Anordnung des Vorsitzenden. Der Beschluß m u ß den G r u n d der Verlesung enthalten sowie die Feststellung, ob der Vernommene v e r e i d i g t worden ist (§251 Abs. 4). W a r dies nicht der Fall, so m u ß die Vereidigung, falls sie durchf ü h r b a r ist, nachgeholt werden (§ 251 I V Satz 4), es sei denn, d a ß das Gericht einen der Gründe der §§ 60, 61 für vorliegend erachtete, die die Vereidigung verbieten oder in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts stellen; auch über diese Fragen m u ß der Gerichtsbeschluß Aufschluß geben (BGH 1, 269). Aus dem Beschluß m u ß ferner hervorgehen, d a ß der zur Verlesung berechtigende Grund n o c h f o r t d a u e r t (BGH 1, 103).

Fall 3

61

Das F e h l e n eines solchen Gerichtsbeschlusses oder seiner Begründung r e c h t f e r t i g t die Revision, sofern das angefochtene Urteil auf dieser Gesetzesverletzung beruht, d. h. wenn die Aussage der betreffenden Beweisperson bei der Urteilsfällung verwertet worden ist; denn der Mangel der Begründung entzieht den Beteiligten und dem Revisionsgericht die M ö g l i c h k e i t , die Zulässigkeit der V e r l e s u n g zu prüfen,und verleiht der Verlesung den Charakter eines gesetzlich unzulässigen Aktes, weil die Berechtigung zu einer Ausnahme von § 250 nicht ersichtlich ist. I I . Jede Verlesung nach § 251 kann aber nur erfolgen, wenn ein ordn u n g s m ä ß i g e s P r o t o k o l l vorliegt. Bezüglich der Frage, ob und inwieweit Verstöße vor allem gegen die Bestimmungen über das Z e u g n i s v e r w e i g e r u n g s r e c h t (§§ 52ff.), über Beeidigung (§§ 60—66e) oder sonstige, dem Protokoll anhaftende M ä n g e l , z. B. Verletzung der F o r m v o r s c h r i f t e n der §§ 168, 187, 188 (z. B. fehlende Unterschriften, Nichtanwesenheit des Richters oder des Protokollführers, Rasuren, Durchstreichungen usw.) die Beweiskraft des Protokolls a u f h e b e n und seine V e r l e s u n g in der Hauptverhandlung unzulässig machen, enthält die Strafprozeßordnung keine Bestimmung. Es bleibt daher in jedem einzelnen Falle der f r e i e n W ü r d i g u n g des e r k e n n e n d e n R i c h t e r s (§ 261) überlassen, welche Bedeutung den etwaigen Verstößen und Mängeln beizumessen und ob die Beweiskraft des Protokolls oder doch eines Teils desselben für aufgehoben zu erachten sei (E. 34, 396) und demgemäß im Falle seiner V e r l e s u n g und V e r wertung die R e v i s i o n gerechtfertigt wäre und zur Aufhebung des Urteils führen würde. In diesem Zusammenhang sei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß polizeiliche Vernehmungsprotokolle, um nach § 251 I I verlesbar zu sein, nicht der Form des § 188 bedürfen, andererseits aber in ihrem Beweiswert beeinträchtigt werden, wenn ihr Inhalt von dem Zeugen nicht durch Unterschrift genehmigt, möglicherweise sogar nicht einmal vorgelesen wurde (BGH 5, 214).

Nachtrag B . Augenschein 1. Unter den B e g r i f f des Augenscheins fallen alle s i n n l i c h e n W a h r n e h m u n g e n des Gerichts, sei es, daß sie durch das Auge, sei es, daß sie durch andere Sinnesorgane gemacht werden. 2. Der Augenschein kann v o r g e n o m m e n werden: a) i n n e r h a l b der H a u p t v e r h a n d l u n g , also seitens des erkennenden Gerichts. In diesem Falle ist der Augenschein ein Akt der Beweisaufnahme. b) a u ß e r h a l b der H a u p t v e r h a n d l u n g (§ 86)

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I I . Teil: Lösungen aa) von dem Amtsrichter im vorbereitenden Verfahren (§§ 162, 165,

166, 169),

bb) von dem U n t e r s u c h u n g s r i c h t e r in der Voruntersuchung (§§193, 195), cc) von einem b e a u f t r a g t e n oder e r s u c h t e n Richter (§225, im Hauptverfahren, aber außerhalb der Hauptverhandlung). 3. B e s o n d e r e F o r m v o r s c h r i f t e n bestehen nur für die Einnahme des Augenscheins a u ß e r h a l b der Hauptverhandlung. (§§ 168, 187: Hinzuziehung eines Urkundsbeamten, § 249: Aufnahme eines Protokolls, durch dessen Verlesung in der Hauptverhandlung das Ergebnis der Augenscheinseinnahme dem erkennenden Gericht zur Kenntnis gebracht wird; §§ 193, 225: Benachrichtigung der Anwesenheitsberechtigten). 4. B e s o n d e r e A r t e n d e s

Augenscheins:

a) Die richterliche L e i c h e n s c h a u und L e i c h e n ö f f n u n g (§§ 87—91), die erstere, die der Identifizierung dient, unter Zuziehung e i n e s Arztes, die letztere im Beisein von z w e i Ärzten; sie bezweckt die Feststellung der Todesursache. b) L i c h t b i l d e r , F i n g e r a b d r ü c k e u n d M e s s u n g e n , § 81b. Diese M a ß n a h m e n , zu deren Durchführung j e d e mit dem Erkennungsdienst oder dem Strafverfahren befaßte Behörde •— also nicht nur der Richter — zuständig ist, dürfen n u r b e i m B e s c h u l d i g t e n , bei unverdächtigen Personen nicht gegen deren Willen vorgenommen werden. c) Die S c h r i f t v e r g l e i c h u n g , § 93. d) Die k ö r p e r l i c h e U n t e r s u c h u n g , § § 8 i a , 81 c u n d 81 d. aa) Der B e s c h u l d i g t e darf körperlich untersucht werden zur Feststellung aller Tatsachen, die für das Verfahren von Bedeutung sind (§ 81 a Abs. 1 Satz 1). Zu diesem Zweck sind k ö r p e r l i c h e E i n g r i f f e , die von einem Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu Untersuchungszwecken vorgenommen werden (z. B. Auspumpen des Magens), sowie die Entnahme von Blutproben (zum Zwecke der Blutgruppenbestimmung oder der Feststellung des Blutalkoholgehalts) ohne Einwilligung des Beschuldigten zulässig, wenn kein Nachteil für seine Gesundheit zu besorgen ist ( § 8 i a Abs. 1 Satz 2). Der Beschuldigte m u ß allerdings n u r den zu seiner Untersuchung erforderlichen Eingriff als solchen dulden. Er kann dagegen nicht gezwungen werden, dem ihn untersuchenden Arzt etwaige Fragen zu beantworten und sich Tests zu unterziehen, bei denen seine aktive Mitwirkung erforderlich ist. Diese Feststellung ist von besonderer Bedeutung für die Frage, ob sich ein der Trunkenheit am Steuer verdächtiger Kraftfahrer den Tests unterziehen muß, die üblicherweise z u m N a c h w e i s d e r F a h r u n t ü c h t i g k e i t durchgeführt werden (Kehrtwendung, Finger/Nasenprobe usw.). Das O L G Köln h a t zwar in N J W 62, 692 den Standpunkt vertreten, daß diese Tests zu den nach § 81 a erzwingbaren körperlichen Untersuchung gehören. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Die Entscheidung verkennt, d a ß § 8 i a n u r e i n e

Fall 4

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D u l d u n g s p f l i c h t enthält und kein Beschuldigter gezwungen werden kann, aktiv an seiner eigenen Überführung mitzuwirken. Die zum Nachweis der Fahruntüchtigkeit erforderlichen Tests können also nicht erzwungen werden. Sie sind daher als Beweismittel nur dann verwertbar, wenn der Beschuldigte sich freiwillig zu ihrer Durchführung zur Verfügung gestellt hat. (Einzelheiten siehe Eb. Schmidt, Zur Lehre von den strafprozessualen Zwangsmaßnahmen NJW 62, 664.) bb) Bei u n v e r d ä c h t i g e n Personen, die als Zeugen in Betracht kommen, ist die körperliche Untersuchung ohne ihre Einwilligung nur zulässig, wenn festgestellt werden muß, ob sich an ihrem Körper eine bestimmte Spur oder Folge einer strafbaren Handlung befindet (z. B. Untersuchung einer angeblich Genotzüchtigten). Die Untersuchung kann aus den gleichen Gründen wie das Zeugnis v e r w e i g e r t werden (BGH 12, 235). Die Untersuchung ist u n z u l ä s s i g , wenn sie dem Betroffenen bei Würdigung aller Umstände n i c h t z u g e m u t e t werden kann ( § 8 i c Abs. 1). Die Entnahme von B l u t p r o b e n ist ohne Einwilligung des zu Untersuchenden zulässig, wenn kein Nachteil für seine Gesundheit zu besorgen ist u n d der Eingriff zur Erforschung der Wahrheit unerläßlich ist (§ 81 c Abs. 2). cc) Kann die k ö r p e r l i c h e U n t e r s u c h u n g e i n e r F r a u d a s S c h a m g e f ü h l verletzen, so wird sie einer Frau oder einem Arzt übertragen. Auf Verlangen der zu untersuchenden Frau soll eine andere Frau oder ein Angehöriger zugelassen werden. Diese Vorschriften gelten auch dann, wenn die zu untersuchende Frau in die Untersuchung einwilligt (§ 81 d). dd) Die Anordnung der oben genannten Maßnahmen steht dem R i c h t e r , bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft und ihren Hilfsbeamten zu. ee) Im Falle bb) gilt bei Weigerung des Betroffenen die Vorschrift des § 70 entsprechend. U n m i t t e l b a r e r Z w a n g darf nur auf besondere Anordnung des Richters angewandt werden. Die Anordnung setzt voraus, daß der Betroffene trotz Auferlegung einer Ordnungsstrafe bei der Weigerung beharrt oder daß Gefahr im Verzug ist (§ 81 c Abs. 4). 5. Ein B e w e i s a n t r a g auf Einnahme eines A u g e n s c h e i n s kann a b g e l e h n t werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist (§ 244 Abs. 5).

ZU FALL 4 A. Vorbemerkungen I. Die Zwangsmittel i m S t r a f v e r f a h r e n . Die wirksame Durchführung des Strafverfahrens macht häufig schon im Vorverfahren die A n w e n d u n g von Z w a n g s m i t t e l n erforderlich, d. h. von E i n g r i f f e n in d i e R e c h t s s p h ä r e des e i n z e l n e n , nämlich

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II. Teil: Lösungen

1. in die p e r s ö n l i c h e F r e i h e i t (insbesondere Untersuchungshaft, einstweilige Unterbringung, vorläufige Festnahme, s. folgenderAbschn.il), 2. in die k ö r p e r l i c h e U n v e r s e h r t h e i t (körperliche Untersuchung, siehe Fall 3, Nachtrag B, Abschn. 4d, S. 62), 3. in das E i g e n t u m (Beschlagnahme, siehe Fall 9, Abschn. B I I 2a, bb, S. 131), 4. in das H a u s r e c h t (Durchsuchung, siehe Fall 9, Abschn. B I I 2a, aa, S. 130). (NB. Nach § 136 a, einer Ergänzungsvorschrift zu § 343 StGB, die gemäß § 69 I I I auch für die Vernehmung von Zeugen gilt, darf die Willensentscheidung und Willensbestätigung des zu Vernehmenden durch keinerlei Z w a n g s m i t t e l , insbesondere nicht durch N a r k o a n a l y s e oder H y p n o s e beeinträchtigt werden; dagegen dürfen nach wie vor zulässige Zwangsmittel angewendet werden, wie z. B. Drohung mit Untersuchungshaft, falls der Beschuldigte grundlos leugnet und die Voraussetzungen des § 1 1 2 gegeben sind. Besonders zu beachten ist, daß sich § 136 a nicht nur auf richterliche Vernehmungen bezieht, sondern auch auf Vernehmungen durch die Polizei [§ 163 II] und durch Sachverständige [BGH 11, 211]. Für die Prüfung, ob ein Verstoß gegen § 136 a vorliegt, gilt der Grundsatz des F r e i b e w e i s e s . Es steht also im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, wie es sich die Uberzeugung verschafft, ob ein Verstoß gegen § 136 a vorliegt oder nicht. Die strengen Anforderungen, die die StPO an den Beweis in der Schuld- und Straffrage stellt, gelten insoweit nicht (BGH 16, 164). Kommt das Gericht zu der Überzeugung, daß der Angeklagte ihn belastende Aussagen nur unter dem unmittelbaren oder fortdauernden Einfluß eines unzulässigen Drucks gemacht hat, so dürfen diese Aussagen bei der Urteilsfindung nicht verwertet werden (BGH 15, 187; 17, 364).) II. Eine Freiheitsbeschränkung ist in der StPO in folgenden Fällen vorgesehen: 1. Gegen den Beschuldigten: a ) die U n t e r s u c h u n g s h a f t (§§ H2ff.); b) die e i n s t w e i l i g e U n t e r b r i n g u n g in einer Heil- oder Pflegeanstalt (§ 126 a); c) die v o r l ä u f i g e F e s t n a h m e (§ 127); d) die Verhaftung zur Durchführung der Hauptverhandlung (§§ 230 Abs. 2, 236); e) die V o r f ü h r u n g zur Hauptverhandlung oder zu einem sonstigen richterlichen Vernehmungstermin (§§ 133 Abs. 2, 134, 230 Abs. 2, 236); f) das F e s t h a l t e n eines Angeklagten, der sich aus der H V vorzeitig entfernen will (§ 231 Abs. 1); g) das V e r b r i n g e n z u m A r z t zwecks Entnahme einer Blutprobe gemäß § 8 i a (was nicht mit einer vorläufigen Festnahme gemäß § 127 verbunden sein m u ß ; siehe hierzu ausführlich Kleinknecht N J W 64, 2181);

Fall 4

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h) die U n t e r b r i n g u n g in einer H e i l - o d e r P f l e g e a n s t a l t zur Vorbereitung eines Gutachtens über den Geisteszustand des Beschuldigten (§81); i ) Vorführung oder Verhaftung im Rahmen der S t r a f v o l l s t r e c k u n g

(§457). 2. Gegen Zeugen: a) die V o r f ü h r u n g zur Erzwingung des Erscheinens ( § 5 1 ) ; b ) die Z w a n g s h a f t zur Erzwingung der Aussage bzw. Eidesleistung (§ 72 Abs. 2).

3. Gegen jede beliebige Person: a) Festnahme bei Störung von Amtshandlungen (§ 164); b ) Maßnahmen der Sitzungspolizei (§§ i77ff G V G ) .

III. Die Untersuchungshaft. 1 . Die Vorschriften über die U-Haft (§§ 1 1 2 — 1 2 5 ) wurden durch die am 1. 4. 1965 in Kraft getretene S t r a f p r o z e ß n o v e l l e v o m 19. 12. 1964 neu gefaßt. Die neuen Bestimmungen stellen noch mehr als bisher klar, daß die U-Haft nur dann angeordnet werden darf, wenn eine o r d n u n g s g e m ä ß e D u r c h f ü h r u n g des V e r f a h r e n s a u f a n d e r e W e i s e n i c h t g e w ä h r l e i s t e t erscheint und die mit der U-Haft verbundene F r e i h e i t s b e s c h r ä n k u n g zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Sicherung und Besserung n i c h t a u ß e r V e r h ä l t n i s s t e h t ( § 112 A b s . 1). Dies hindert jedoch nicht, einen wohnsitzlosen Zechpreller, auch bei geringer Schadenshöhe, entsprechend der bisherigen Polizeipraxis vorläufig festzunehmen und dem nächsten Amtsrichter vorzuführen. (Nach § 1 1 3 kann ein Wohnsitzloser selbst bei Ubertretungen in Haft genommen werden.) Ergibt sich dann allerdings, daß der Beschuldigte nicht einschlägig vorbestraft ist und daher nur eine geringe Strafe zu erwarten hat, so hat der Richter gemäß § 120 den Haftbefehl wieder aufzuheben. 2. Wie bisher setzt die U-Haft einen d r i n g e n d e n T a t v e r d a c h t sowie einen b e s t i m m t e n H a f t g r u n d voraus. a) Ein d r i n g e n d e r T a t v e r d a c h t besteht, wenn nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Tat mit großer Wahrscheinlichkeit begangen hat. b) Der H a f t g r u n d ergibt sich aus der jeweiligen Z i e l r i c h t u n g , die mit der Verhaftung in gesetzlich zulässiger Weise erreicht werden soll. Wie bereits oben in Abschnitt III 1 erwähnt, dient die U-Haft der ordnungsgemäßen Durchführung des Verfahrens. Sie will zunächst verhindern, daß der Beschuldigte sich durch die Flucht seiner Verantwortung entzieht (Haftgrund der F l u c h t oder F l u c h t g e f a h r , § 1 1 2 Abs. 2 Nr. 1, 2; Einzelheiten siehe unten Abschnitte 3 und 4). Sie will weiter verhindern, daß der Beschuldigte Beweismittel beiseiteschafft oder auf andere Weise P e t t e r s - P r c i s e n d a n z , S t r a f p r o z e ß f ä l k , 8. Aufl.

5

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II. Teil: Lösungen

versucht, die Aufklärung des Sachverhalts in unlauterer Weise zu vereiteln (Haftgrund der V e r d u n k e l u n g s g e f a h r , § 1 1 2 Abs. a Nr. 3 ; Einzelheiten s. u. Abschn. 5). Eine erst neuerdings gesetzlich anerkannte, weitere Zielrichtung der U-Haft ist die Verhinderung der W i e d e r h o l u n g s g e f a h r bei bestimmten Sittlichkeitsverbrechen ( § 1 1 2 Abs. 3 ; Einzelheiten s. u. Abschn. 6). Schließlich ist die U-Haft schlechthin zulässig bei M o r d , T o t s c h l a g und sog. V ö l k e r m o r d (§ 1 1 2 Abs. 4; Einzelheiten s . u . Abschn. 7). 3. Der Haftgrund der F l u c h t liegt vor, wenn der Beschuldigte bereits f l ü c h t i g ist oder sich v e r b o r g e n h ä l t , um sich der Strafverfolgung zu entziehen (§ 1 1 2 Abs. 2 Nr. 1). Hierbei ist zu beachten, daß die U-Haft nicht nur dann in Betracht kommt, wenn es dem Beschuldigten darum geht, sich einer d r o h e n d e n S t r a f e zu entziehen, sondern auch dann, wenn er eine ihm drohende, mit Freiheitsentzug verbundene M a ß r e g e l d e r S i c h e r u n g u n d B e s s e r u n g vermeiden will, z. B. die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt (vgl. O L G Frankfurt N J W 58, 1009; O L G Bremen N J W 60, 2260; Schwarz-Kleinknecht § 1 1 2 Anm. 1). 4. Die F l u c h t g e f a h r des § 1 1 2 Abs. 2 Nr. 2 muß im Haftbefehl d u r c h T a t s a c h e n k o n k r e t b e l e g t werden (vgl. § 1 1 4 Abs. 2 Nr. 4). Hierbei sind alle Umstände des Einzelfalls eingehend zu prüfen. Ein schablonenhafter Hinweis, daß ein Verbrechen den Gegenstand der Untersuchung bildet und der Beschuldigte eine hohe Strafe zu erwarten hat, reicht zur Begründung von Fluchtgefahr für sich allein nicht aus. Anders jedoch, wenn der Beschuldigte k e i n e n f e s t e n W o h n s i t z nachweisen kann, wenn er ohne f a m i l i ä r e B i n d u n g e n lebt und häufig Wohnsitz und Arbeitsplatz wechselt oder wenn er bereits einen F l u c h t v e r s u c h unternommen hat. 5. Auch die V e r d u n k e l u n g s g e f a h r des § 1 1 2 Abs. 2 Nr. 3 muß gemäß § 1 1 4 Abs. 2 Nr. 4 d u r c h T a t s a c h e n k o n k r e t b e l e g t werden. Eine schablonenhafte Begründung des Haftbefehls, der Beschuldigte bestreite die ihm zur Last gelegte Tat und es sei zu befürchten, daß er, solange er sich auf freiem Fuß befinde, etwaige Mitbeschuldigte oder Zeugen beeinflussen werde, reicht nicht aus. Es gibt auch keine Verbrechen, die praktisch eo ipso unter dem Gesichtspunkt der Verdunkelungsgefahr als „Haftdelikte" behandelt werden dürfen oder gar müssen. Die rein abstrakte Möglichkeit, daß der Beschuldigte etwas zur Verdunkelung des Sachverhalts unternehmen wird, reicht zur Annahme von Verdunkelungsgefahr selbst dann nicht aus, wenn sie der allgemeinen Lebenserfahrung entsprechen mag (vgl. Dahs NJW 65, 889ff.). So kann z. B. ein Lehrer, dem Unzucht mit einer Schülerin zur Last gelegt wird und der die Tat bestreitet, nicht einfach mit der Begründung in U-Haft genommen werden, es sei zu erwarten, daß er, auf freiem Fuß belassen, die Schülerin in unlauterer Weise beeinflussen werde. Es müssen vielmehr konkrete Tatsachen vorliegen, die diese Gefahr konkret begründen, z. B. der Umstand, daß der Lehrer bereits den Versuch unternommen hat, die Schülerin zu einem Widerruf ihrer Angaben zu veranlassen, oder daß er in anderer Weise auf sie oder ihre Eltern einzuwirken versucht hat.

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Fall 4

K e i n e u n l a u t e r e E i n w i r k u n g i. S. von § 1 1 2 Abs. 2 Nr. 3b) oder c) wäre z. B. der Versuch, bei Antragsdelikten den Antragsberechtigten zur Zurücknahme des Strafantrags zu veranlassen, oder der Versuch, einen Angehörigen dazu zu überreden, von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen. 6. Der neu geschaffene Haftgrund der Wiederholungsgefahr kann nur bei den im Gesetz ausdrücklich aufgeführten S i t t l i c h k e i t s d e l i k t e n (§§ 173 Abs. 1, 174, 175a, 176, 177 StGB) herangezogen werden. Auch hier ist die Wiederholungsgefahr gemäß § 1 1 4 Abs. 2 Nr. 4 durch konkrete Tatsachen zu belegen. B e i s p i e l : Bei Aufklärung eines Notzuchtverbrechens ergibt sich, daß einer der Beschuldigten schon früher an einem ähnlich gelagerten Verbrechen beteiligt war und einer Bande von Halbstarken angehört, die es darauf angelegt hat, sich in ländlichen Gasthäusern an junge Mädchen heranzumachen und diese dann auf dem Nachhauseweg — notfalls mit Gewalt — sexuell zu mißbrauchen. 7. Bei Mord, Totschlag und sog. Völkermord (§220 a StGB) darf die U-Haft gemäß § 1 1 2 Abs. 4 auch dann verhängt werden, wenn weder Fluchtgefahr noch Verdunkelungsgefahr besteht. Diese letztgenannten Haftgründe können selbständig neben den des § 1 1 2 Abs. 4 treten. Dieser kommt übrigens auch dann in Betracht, wenn die Tat im V e r s u c h s s t a d i u m geblieben ist oder wenn als Teilnahmeform nur A n s t i f t u n g , v e r s u c h t e A n s t i f t u n g oder B e i h i l f e vorliegen. Aus der Formulierung „ d a r f " ist jedoch zu entnehmen, daß die V e r h a f t u n g n i c h t z w i n g e n d v o r g e s c h r i e b e n ist, sondern — wie auch sonst, vgl. Schwarz-Kleinknecht, § 1 1 2 Anm. 1 — im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts steht. Besonders zu erwähnen ist schließlich, daß auch der auf § 1 1 2 Abs. 4 gestützte Haftbefehl außer Vollzug gesetzt werden kann. § 1 1 6 findet auf diesen Fall analoge Anwendung (vgl. BVerfGer. Beschl. v. 15. 12. 1965 — 1 BvR 513/65)8. Wie bereits oben in Abschn. I I I 1 angedeutet, ist bei jeder Haftentscheidung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (vgl. § 1 1 2 Abs. 1 Satz 2). Dies gilt nach § 113 insbesondere dort, wo die Tat nur mit Gefängnis bis zu 6 Monaten, mit Haft oder mit Geldstrafe bedroht ist. Hierher gehören z. B. Abschieben von Falschgeld (§ 148 StGB), Notdiebstahl (§ 248a StGB), Notbetrug (§ 264a StGB), Verletzung des Berufsgeheimnisses (§ 300 StGB) sowie alle Übertretungen. In diesen Fällen darf w e g e n V e r d u n k e l u n g s g e f a h r n i e m a l s , w e g e n F l u c h t g e f a h r nur a u s n a h m s w e i s e ein Haftbefehl erlassen werden, nämlich dann, wenn der Beschuldigte a) sich dem Verfahren schon einmal entzogen hatte oder Anstalten zur Flucht getroffen hat (Abs. 2 Nr. 1), oder b) keinen festen Wohnsitz oder Aufenthalt hat (Abs. 2 Nr. 2), oder c) sich nicht ausweisen kann (Abs. 2 Nr. 3), oder d) einer Tat verdächtig ist, die mit Arbeitshaus bedroht ist (Abs. 3; wegen Arbeitshaus siehe §§42d, 361 StGB). j*

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I I . Teil: Lösungen

Ist der Beschuldigte bereits f l ü c h t i g oder hält er sich v e r b o r g e n (vgl. § 1 1 2 Abs. 2 Nr. i), so gelten die Beschränkungen des § 1 1 3 nicht. Dies ergibt sich aus der Erwägung, daß das Gesetz seit der Neufassung durch die Strafprozeßnovelle vom 19. 12. 1964 zwischen den Haftgründen „ F l u c h t " und „ F l u c h t g e f a h r " streng unterscheidet, § 1 1 3 sich aber nur mit der Verdunkelungsgefahr und der Fluchtgefahr befaßt. 9 . Eine A u ß e r v o l l z u g s e t z u n g des Haftbefehls ist gemäß § 1 1 6 entgegen der bisherigen Regelung nicht nur bei einem wegen F l u c h t g e f a h r erlassenen Haftbefehl, sondern auch bei V e r d u n k e l u n g s g e f a h r und dem neu geschaffenen Haftgrund der W i e d e r h o l u n g s g e f a h r möglich. Bei einem gemäß § 1 1 2 Abs. 4 wegen Mords, Totschlags oder Völkermords (§ 2 2 0 a StGB) erlassenen Haftbefehl ist § 1 1 6 analog anzuwenden (vgl. BVerfGer. Beschl. v. 15. 12. 1965 — 1 B v R 513/65). Der Natur der Sache entsprechend kommt eine Außervollzugsetzung nur dann in Betracht, wenn erwartet werden kann, daß auch w e n i g e r e i n s c h n e i d e n d e M a ß n a h m e n den Zweck der U - H a f t erreichen. Als solche kommen vor allem in Betracht: a ) bei F l u c h t g e f a h r : Meldepflicht (Abs. 1 Nr. 1), Aufenthaltsbeschränkungen (Abs. 1 Nr. 2), Hausarrest (Abs. 1 Nr. 3), Sicherheitsleistung (Abs. 1 Nr. 4); b ) bei V e r d u n k e l u n g s g e f a h r : die Anweisung, mit Mitbeschuldigten, Zeugen oder Sachverständigen keine Verbindung aufzunehmen (Abs. 2 ) ; c) bei W i e d e r h o l u n g s g e f a h r : die Anweisung, mit bestimmten Personen die Beziehungen abzubrechen oder bestimmte Lokale zu meiden (im Gesetz selbst sind hier keine Beispiele genannt; zulässig sind jedoch alle Maßnahmen, die darauf abzielen, die Wiederholungsgefahr erheblich zu mindern). Der V o l l z u g d e r U - H a f t i s t w i e d e r a n z u o r d n e n , wenn der Beschuldigte gröblich gegen die ihm auferlegten Pflichten oder Beschränkungen verstößt (§ 1 1 6 Abs. 4 Nr. 1), wenn er zeigt, daß das in ihn gesetzte Vertrauen nicht gerechtfertigt war (Abs. 4 Nr. 2) oder wenn neu aufgetretene Umstände die Verhaftung erforderlich machen (Abs. 4 Nr. 3). § 1 1 6 a befaßt sich mit den Einzelheiten der Außervollzugsetzung gegen S i c h e r h e i t s l e i s t u n g . Siehe hierzu auch unten Abschnitt B. 1 0 . Aus dem sog. f o r m e l l e n H a f t r e c h t sind folgende Bestimmungen hervorzuheben: a ) Gemäß § 1 1 4 Abs. 1 wird die U - H a f t durch s c h r i f t l i c h e n H a f t b e f e h l des Richters angeordnet. b ) Der I n h a l t d e s H a f t b e f e h l s entspricht gemäß § 1 1 4 Abs. 2 aufbaumäßig dem Anklagesatz einer Anklage (vgl. Fall 3 Abschn. A I I 8). Anzuführen sind der Beschuldigte, die ihm zur Last gelegte T a t nebst Tatzeit und Tatort, die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale, unter die die T a t fällt, und die anzuwendenden Straftatbestände. Außerdem sind anzuführen der Haftgrund und die Tatsachen, aus denen sich der dringende Tatverdacht und der Haftgrund ergeben. Dieser letzte Teil des Haftbefehls

Fall 4

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enthält eine Art vorläufiges Ermittlungsergebnis, auf das nur verzichtet werden kann, wenn hierdurch die Staatssicherheit gefährdet würde. c) Z u s t ä n d i g für den Erlaß des Haftbefehls ist gemäß § 125 aa) vor Erhebung der öffentlichen Klage (Normalfall) jeder Amtsrichter, in dessen Bezirk ein Gerichtsstand begründet ist oder in dem der Beschuldigte sich aufhält (Abs. 1); bb) n a c h E r h e b u n g d e r ö f f e n t l i c h e n K l a g e das Gericht, das mit der Sache befaßt ist, im Revisionsverfahren das Gericht, dessen Entscheidung angefochten worden ist (Abs. 2); cc) in der g e r i c h t l i c h e n V o r u n t e r s u c h u n g bis zur Antragstellung gemäß § 198 Abs. 2 der Untersuchungsrichter. d) Wird der Beschuldigte aufgrund des gegen ihn ergangenen Haftbefehls verhaftet, so sind unverzüglich folgende S o f o r t m a ß n a h m e n einzuleiten : aa) Bekanntgabe des Haftbefehls (§ 114 a Abs. 1); bb) Mitteilung einer Abschrift des Haftbefehls (§ 114a Abs. 2); cc) Benachrichtigung der Angehörigen (§ 114 b); dd) Vorführung vor den zuständigen Richter (§ 115) bzw. den nächsten Amtsrichter (§ 115 a), der den Beschuldigten spätestens am Tage nach der Vorführung zu vernehmen hat. e) Das H a f t p r ü f u n g s v e r f a h r e n ist gegenüber der bisherigen Rechtslage in wesentlichen Punkten vereinfacht worden, ohne daß die Interessen des Beschuldigten hierdurch beeinträchtigt wurden. aa) Gemäß § 1 1 7 Abs. 1 kann der Beschuldigte, solange er in U-Haft ist (also nicht bei Uberhaft), jederzeit A n t r a g a u f H a f t p r ü f u n g stellen. Außerdem hat er das allgemeine Rechtsmittel der B e s c h w e r d e gemäß § 304. Stellt er Antrag auf Haftprüfung, so ist daneben das Rechtsmittel der Beschwerde unzulässig ( § 1 1 7 Abs. 2 Satz 1). Der Beschuldigte muß also wählen, ob er Antrag auf Haftprüfung stellen oder Beschwerde einlegen will. Macht er dessen ungeachtet von beiden Rechten gleichzeitig Gebrauch, so hat der Antrag auf Haftprüfung den Vorrang. Eine förmliche Entscheidung über die (unzulässige) Beschwerde dürfte i. d. R . entbehrlich sein, insbesondere wenn bei der Haftprüfung dem Antrag auf Aufhebung oder Außervollzugsetzung des Haftbefehls stattgegeben wird. Wird ihm nicht stattgegeben, so eröffnet sich dem Beschuldigten gemäß § 117 Abs. 2 Satz 2 erneut das Beschwerderecht mit der Möglichkeit der w e i t e r e n B e s c h w e r d e gemäß § 310. bb) V o n A m t s w e g e n findet eine f ö r m l i c h e H a f t p r ü f u n g gemäß § 1 1 7 Abs. 5 erstmals statt, wenn die U-Haft d r e i M o n a t e gedauert hat, ohne daß der Beschuldigte selbst Haftprüfung beantragt oder Haftbeschwerde eingelegt hat. Hiervon kann jedoch eine A u s n a h m e gemacht werden, wenn der Beschuldigte einen V e r t e i d i g e r hat. Hat der Beschuldigte zu diesem Zeitpunkt noch keinen Verteidiger, so ist ihm auf seinen Antrag oder auf Antrag der StA ein solcher zu bestellen ( § 1 1 7 Abs. 4 Satz 1). Uber dieses Recht ist der Beschuldigte zu b e l e h r e n (§ 117 Abs. 4 Satz 2).

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II. Teil: Lösungen

cc) Sowohl bei der Haftprüfung als auch bei der Entscheidung über die Beschwerde kann in m ü n d l i c h e r V e r h a n d l u n g entschieden werden (§ 1 1 8 Abs. i, a). Einen Anspruch auf mündliche Verhandlung hat der Beschuldigte aber nur bei der Haftprüfung (§ 1 1 8 Abs. i), und auch hier nicht unbeschränkt. Ist nämlich die U-Haft bereits nach mündlicher Verhandlung aufrechterhalten worden, so hat der Besch, einen Anspruch auf eine weitere mündliche Verhandlung nur, wenn die Haft mindestens 3 Monate gedauert hat und seit der letzten mündlichen Verhandlung mindestens 2 Monate vergangen sind (§ 1 1 8 Abs. 3). Auch während der H V und nach einem auf eine Freiheitsstrafe oder auf eine freiheitsentziehende Maßregel der Sicherung und Besserung laufenden Urteil besteht kein Anspruch mehr auf mündliche Verhandlung (§ 1 1 8 Abs. 4). dd) Wegen der D u r c h f ü h r u n g d e r m ü n d l i c h e n H a f t p r ü f u n g im einzelnen siehe §§ 1 1 8 Abs. 5, 1 1 8 a, 1 1 8 b. ee) Der V o l l z u g der U-Haft ist in § 1 1 9 sowie in der UVollzO geregelt, ff) Mit Rücksicht auf die einschneidende Bedeutung der U-Haft für den Beschuldigten sind die S t r a f v e r f o l g u n g s b e h ö r d e n g e h a l t e n , a l l e H a f t s a c h e n b e s c h l e u n i g t zu b e a r b e i t e n . Um jede unbillige Verzögerung bei der Bearbeitung von vornherein auszuschließen, bestimmt § 121 Abs. 1 in der Neufassung der Strafprozeßnovelle vom 19. 12. 1964, daß g r u n d s ä t z l i c h n i e m a n d w e g e n d e r s e l b e n T a t l ä n g e r als sechs M o n a t e in U - H a f t gehalten werden darf, ohne daß ein Urteil gegen ihn ergangen ist, das auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßnahme der Sicherung und Besserung lautet. Nicht erforderlich ist, daß dieses Urteil in der RM-Instanz rechtlichen Bestand hat. Die Entscheidungsbefugnis des Oberlandesgerichts und die damit verbundene Vorlagepflicht gemäß § 122 Abs. 1 leben also nicht dadurch wieder auf, daß das auf Strafe lautende Urteil im RM-Verfahren aufgehoben und die Sache zurückgewiesen wird (OLG Hamm N J W 65, 1 8 1 8 ; O L G Oldenburg N J W 65, 1819). Unter „derselben T a t " i. S. von § 121 Abs. 1 hat man zunächst — ebenso wie in §§ 155, 264 — den gesamten historischen Geschehnisablauf zu verstehen, auf den sich der Haftbefehl bezieht. Darüber hinaus wird man der ratio legis entsprechend auch noch die Vorgänge mit hinzurechnen müssen, die zwar nicht Gegenstand des Haftbefehls sind, hinsichtlich derer aber bereits bei Beginn des Vollzugs des Haftbefehls ein dringender Tatverdacht vorlag, so daß auch sie in den Haftbefehl hätten aufgenommen werden können (vgl. Rebmann N J W 65, 1152). Andernfalls bestünde die Gefahr, daß zur Umgehung der §§ 121 Abs. 1, 122 Abs. 2 kurz vor Ablauf der 6-Monatsfrist neue Haftgründe nachgeschoben werden (Rebmann a. a. O.). Selbstverständlich gibt es A u s n a h m e f ä l l e , in denen die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder andere wichtige Gründe ein Urteil nicht zulassen, trotzdem aber die weitere U-Haft gerechtfertigt erscheint. Nach Ansicht des O L G Hamburg (NJW 65, 1777) soll auch die durch Überlastung oder sonstige personelle Schwierigkeiten bedingte besondere Geschäftslage der Strafverfolgungsbehörden ein wichtiger Grund für die Haftfortdauer sein (zw.).

Fall 4

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Erachtet der für die Haftprüfung zuständige Richter (vgl. § 126) einen solchen Ausnahmefall für gegeben, so legt er gemäß § 12a Abs. 1 die Akten nach Anhörung des Beschuldigten und seines Verteidigers (§122 Abs. 2 Satz 1) noch vor Ablauf der 6-Monatsfrist des § 121 Abs. 1 durch Vermittlung der StA dem O b e r l a n d e s g e r i c h t vor. Dieses entscheidet alsdann in eigener Zuständigkeit, ob die U-Haft für fortdauernd zu erklären ist oder ob der Haftbefehl außer Vollzug zu setzen oder gar aufzuheben ist. Sobald die Akten beim OLG eingegangen sind, ruht die 6-Monatsfrist des § 121 Abs. 1 (vgl. § 121 Abs. 3). Bestritten ist, ob eine Überschreitung der 6Monatsfrist mindestens zur Haftverschonung zwingt (so OLG Ffm NJW 65, 1731) oder ob § 121 Abs. 2 nur eine prozessuale Ordnungsvorschrift enthält (so OLG Stgt DJ 66, 16; Kleinknecht J Z 56, 119). Erklärt das OLG die U-Haft für fortdauernd, so bleibt es auch für die weitere Haftprüfung zuständig, kann diese jedoch für jeweils höchstens 3 Monate dem normalerweise zuständigen Gericht übertragen (§122 Abs. 3). Die weitere Haftprüfung ist dann spätestens nach jeweils 3 Monaten durchzuführen (§ 122 Abs. 4). IV. § 1 2 6 a betrifft die einstweilige Unterbringung in den Fällen, in denen dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, daß jemand als Zurechnungsunfähiger oder vermindert Zurechnungsfähiger eine strafbare Handlung begangen hat, seine Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt zu erwarten steht und die öffentliche Sicherheit die einstweilige Unterbringung erfordert. V. Zur vorläufigen Festnahme nach § 127 (eine Freiheitsentziehung ohne Haftbefehl) ist j e d e r m a n n berechtigt, wenn der Täter auf frischer Tat betroffen wird und wenn er fluchtverdächtig ist oder seine Persönlichkeit nicht festgestellt werden kann (Abs. 1). Darüber hinaus sind nach Abs. 2 die S t a a t s a n w a l t s c h a f t und die P o l i z e i b e a m t e n zur v. F. berechtigt, wenn die Voraussetzungen eines Haftbefehls oder Unterbringungsbefehls vorliegen und Gefahr im Verzug ist. Der Festgenommene ist unverzüglich dem Richter vorzuführen, der ihn spätestens am folgenden Tag zu vernehmen hat (§ 128). (NB. Der F e s t n e h m e n d e nach § 127 I darf ganz allgemein alle Handlungen vornehmen, die — wenn die öffentlich-rechtliche Befugnis nicht gegeben wäre — als Freiheitsberaubung, Nötigung und evtl. Körperverletzung anzusehen sein dürfen; der F e s t z u n e h m e n d e , der sich zur Wehr setzt, handelt daher nicht in Notwehr, sondern ist u. U. wegen Körperverletzung strafbar — siehe E. 34, 446; 54> '97 —) aber natürlich nicht wegen Widerstandes i. S. des § 113, wie im Falle des § 127 II.) VI. Der Steckbrief (eine öffentliche Aufforderung zur Ergreifung eines Beschuldigten) kann durch den R i c h t e r oder S t a a t s a n w a l t erlassen werden auf Grund eines Haftbefehls oder Unterbringungsbefehls, wenn der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält (§131 Abs. 1), oder o h n e Haftbefehl oder Unterbringungsbefehl, wenn ein Festgenommener entweicht oder sich sonst der Bewachung entzieht (§ 131 Abs. 2). In diesen Fällen kann auch die P o l i z e i b e h ö r d e einen Steckbrief erlassen (§ 131 Abs. 2 S. 2).

II. Teil: Lösungen

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B. Lösung des Falles I. Die Stellungnahme des Staatsanwalts 1. S t r a f u r t e i l e sind nach § 449 nicht v o l l s t r e c k b a r , bevor sie r e c h t s k r ä f t i g geworden sind. Nicht nur durch Ablauf der Rechtsmittelfrist wird das Urteil rechtskräftig, sondern auch durch Zurücknahme des eingelegten Rechtsmittels u n d durch den V e r z i c h t auf Einlegung desselben. Da im v o r l i e g e n d e n F a l l e sowohl der Verurteilte als auch der Staatsanwalt auf Rechtsmittel verzichtet haben, ist das U r t e i l in diesem Augenblick r e c h t s k r ä f t i g g e w o r d e n . 2. M i t d e r R e c h t s k r a f t d e s U r t e i l s ist d a s g e r i c h t l i c h e V e r f a h r e n b e e n d e t . Damit findet aber der richterliche Haftbefehl noch nicht seine Erledigung; er ändert nur seinen Charakter, indem er von der Rechtskraft des Urteils ab nicht mehr die Feststellung, sondern die Befriedigung des staatlichen Strafanspruchs zu sichern bestimmt ist. 3. Nachdem somit feststeht, d a ß der im Vorverfahren erlassene Haftbefehl über die Rechtskraft des Urteils fortdauert, erhebt sich die Frage, ob das e r k e n n e n d e G e r i c h t die B e h ö r d e ist, die n a c h wie vor ü b e r d i e A u f r e c h t e r h a l t u n g d e s H a f t b e f e h l s zu entscheiden hat. Die Frage ist bestritten. M a n wird wohl den Standpunkt vertreten müssen, d a ß mit der a b s o l u t e n R e c h t s k r a f t des auf Strafe lautenden Urteils nunmehr die S t a a t s a n w a l t s c h a f t als das nach § 4 5 1 Abs. 1 grundsätzlich zur Strafvollstreckung berufene Organ des Staats dominus litis wird u n d in dieser Eigenschaft die Verfügungsgewalt über den Verurteilten erlangt, soweit nicht ausdrücklich das Gesetz auch fernerhin dem Gericht f ü r bestimmte, in den §§ 360 Abs. 2, 458, 462 erschöpfend aufgeführte Fälle eine Einwirkung auf die Strafvollstreckung einräumt (Alsberg, Strafprozessuale Entscheidungen der Oberlandesgerichte, Band 1, S. 254ff.). 4. Hieraus folgt: Befindet sich der Angeklagte zur Zeit der Rechtskraft des Urteils in Untersuchungshaft, so ist der vorausgegangene richterliche Haftbefehl der Rechtstitel, auf den hin die Staatsanwaltschaft den Angeklagten in Haft behalten kann, es sei denn, d a ß der Amtsrichter eine S t r a f e bis zu 3 Monaten einschließlich ausgesprochen hat, in welchem Falle er selbst an Stelle des Staatsanwalts Vollstreckungsbehörde ist (vgl. § 5 I StrVollstrO v. 15. 2. 1956 i. V. mit den in Abs. 2 genannten Ausnahmen). Gelangt die Staatsanwaltschaft zu der Uberzeugung, d a ß Fluchtverdacht nicht mehr vorliegt, so kann sie selbständig, d. h. ohne das Gericht u m Aufhebung des Haftbefehls angehen zu müssen, den Verurteilten aus der Haft entlassen.

Fall

5

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II. Die Entscheidung des Amtsrichters 1 . Daß zur Aufhebung des Haftbefehls der Amtsrichter nach der herrschenden Ansicht n i c h t z u s t ä n d i g war, ergibt sich aus den Ausführungen zu I. 2 . Auch die A u s s e t z u n g d e s V o l l z u g e s d e r E n t s c h e i d u n g ist gesetzwidrig. a ) Z w a r kann das Gericht usw. entgegen dem Grundsatz, daß durch Einlegung der Beschwerde der Vollzug der Entscheidung nicht gehemmt wird, anordnen, daß die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung auszusetzen sei (§ 307 I I ) . b ) Indes hat das Gesetz in § 120 Abs. 2 für Haftsachen ganz allgemein bestimmt, daß durch Einlegung eines Rechtsmittels d i e F r e i l a s s u n g d e s B e s c h u l d i g t e n n i c h t v e r z ö g e r t w e r d e n d a r f ; also weder die Beschwerde über einen die Haft betreffenden Beschluß noch ein gegen die Entscheidung in der Hauptsache eingelegtes Rechtsmittel vermögen die Freilassung aufzuschieben. D e r A m t s r i c h t e r m u ß t e a l s o , w e n n er s i c h s c h o n z u r A u f h e b u n g des H a f t b e f e h l s f ü r b e r e c h t i g t hielt und einen d i e s b e z ü g lichen Beschluß erlassen hatte, den A n g e k l a g t e n auf freien Fuß setzen.

ZU FALL 5 A. Vorbemerkung: Allgemeine Grundsätze betr. die Hauptverhandlung I. Die Mündlichkeit, die Unmittelbarkeit, die Öffentlichkeit und der Verlauf der Hauptverhandlung 1 . Die Hauptverhandlung wird beherrscht in erster Linie von dem

Grundsatz der Mündlichkeit (§ 250), d. h. die Entscheidungen des

Gerichts ergehen auf Grund einer Verhandlung, in der die Prozeßbeteiligten m ü n d l i c h e Vorträge halten und m ü n d l i c h e Anträge stellen. Nicht das, was in den A k t e n steht, sondern nur das, was m ü n d l i c h dem Gericht zur Kenntnis gebracht wurde, darf als Erkenntnisquelle für die Urteilsfindung verwertet werden. (Ausnahmen von diesem Grundsatz sind vorgesehen in §§249, 2 5 1 , 253, 254, siehe Nachtrag A zu Fall 3, ferner im Berufungsverfahren und vor allem im Revisionsverfahren.) 2 . Folgen des G r u n d s a t z e s d e r U n m i t t e l b a r k e i t sind neben der Notwendigkeit der u n m i t t e l b a r e n Vorlage der Beweismittel vor Gericht das Erfordernis der A n w e s e n h e i t d e s G e r i c h t s u n d d e r P r o z e ß b e t e i l i g t e n (§§ 226, 230) sowie das Erfordernis des z e i t l i c h e n Z u s a m m e n h a n g s der Hauptverhandlung (§§ 229, 268). a ) Bei der Urteilsfindung können nur d i e j e n i g e n G e r i c h t s p e r s o n e n m i t w i r k e n , vor denen die Verhandlung der Sache stattgefunden hat.

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I I . Teil: Lösungen

Diese Personen müssen gemäß § 226 während der g a n z e n Verhandlung einschließlich der Urteilsverkündung a n w e s e n d sein. Ein Verstoß hiergegen bildet einen absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5. aa) Fällt im L a u f e der Verhandlung ein R i c h t e r aus, so muß die Verhandlung vor dem neubesetzten Gericht von Anfang an wiederholt werden. U m dies zu vermeiden, kann bei Verhandlungen von längerer Dauer der Vorsitzende gemäß § 192 I I G V G sog. E r g ä n z u n g s r i c h t e r zuziehen. bb) Dagegen ist ein W e c h s e l in der Person des S t a a t s a n w a l t s in jedem Stadium des Verfahrens statthaft, wie sich aus § 227 ergibt (E. 16, 180). cc) Ebenso kann der U r k u n d s b e a m t e in jedem Stadium der Hauptverhandlung wechseln. dd) Wegen der Erfordernisse der Anwesenheit des A n g e k l a g t e n s. unten Abschnitt I I , S. 80. ee) Die Anwesenheitspflicht des n o t w e n d i g e n Verteidigers ergibt sich nicht aus § 226, sondern beruht auf § 145. (Siehe hierzu Fall 3, Abschnitt I V , 1, S. 47.) f f ) Wird unter Beteiligung von Personen verhandelt, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, so ist gemäß § 185 G V G ein D o l m e t s c h e r zuzuziehen. Dieser gehört dann ebenfalls zu den Personen, deren Anwesenheit für die gesamte Dauer der Hauptverhandlung erforderlich ist ( B G H 3, 285). Sind die Beteiligten nur t e i l w e i s e der deutschen Sprache nicht mächtig, so steht es im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob und in welchem U m f a n g ein Dolmetscher beizuziehen ist. I n einem solchen Fall gehört der Dolmetscher nicht zu den Personen, deren Anwesenheit für die gesamte Dauer der Hauptverhandlung erforderlich ist. Die Revision kann also nicht auf § 338 Ziff. 5 gestützt werden (vgl. B G H a. a. O.). b) Der Grundsatz der Unmittelbarkeit macht es ferner erforderlich, daß die Hauptverhandlung ein z u s a m m e n h ä n g e n d e s G a n z e s bildet (§§ 228, 229). Diese sog. K o n z e n t r a t i o n s m a x i m e dient dem Ziel, eine A b s c h w ä c h u n g d e s u n m i t t e l b a r e n G e s a m t e i n d r u c k s der mündlichen Verhandlung zu vermeiden. aa) Die U n t e r b r e c h u n g ordnet der Vorsitzende an (§ 228 Abs. 1 Satz 2). Eine unterbrochene Hauptverhandlung wird gemäß § 229 nach der Unterbrechung nur dann noch einmal von neuem begonnen, wenn die Hauptverhandlung insgesamt mehr als 10 T a g e unterbrochen war. Ein Verstoß gegen § 229 stellt k e i n e n a b s o l u t e n R e v i s i o n s g r u n d in dem Sinne dar, daß er gemäß § 338 notwendig die A u f h e b u n g des Urteils zur Folge haben müßte, ebensowenig wie das bei einer Verletzung des § 268 Abs. 2 S. 1 der Fall ist (E. 69, 23). Es ist vielmehr in einem solchen Falle stets zu untersuchen, ob das Urteil auf dem Verstoß beruht. Diese Frage wird allerdings oft nur schwer zu verneinen sein (E. 57, 267), d. h. man wird wohl nur selten feststellen können, daß es ausgeschlossen erscheint, daß die über die Frist des § 229 hinausgehende

Fall 5

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Aussetzung den lebendigen Eindruck der mündlichen Verhandlung abgeschwächt habe. bb) Die A u s s e t z u n g (Vertagung), d . h . die Bestimmung eines neuen Termins zur Hauptverhandlung, beschließt das G e r i c h t (§ 228 Abs. 1 Satz 1). Sie kommt z. B. in Betracht, wenn die Ladungsfrist nicht eingehalten ist, oder wenn weitere Beweiserhebungen erforderlich sind und die Frist des § 22g nicht ausreicht, oder wenn ein psychiatrisches Gutachten erforderlich wird. 3 . Für die Hauptverhandlung gilt ferner der G r u n d s a t z d e r Ö f f e n t l i c h k e i t . Die diesbezüglichen Vorschriften der § § 1 6 9 f f . G V G haben in ihrer Gesamtheit die Aufgabe, die Öffentlichkeit der Verhandlung als eine w e s e n t l i c h e B e d i n g u n g d e s ö f f e n t l i c h e n V e r t r a u e n s z u r Rechtsprechung der Gerichte zu gewährleisten (E. 70, 1 1 2 ; B G H 7, 2 1 8 ; 9, 280). Dieser Gesetzeszweck ist nur dann erreicht, wenn beliebige Z u hörer, sei es auch in begrenzter Zahl, die Möglichkeit des Zutritts haben ( B G H 5, 75). § 169 G V G will allerdings nur die u n m i t t e l b a r e Ö f f e n t l i c h k e i t garantieren, n i c h t auch Übertragungen durch R u n d f u n k und F e r n s e h e n . Fernsehübertragungen von Vorgängen in der H V , auf die sich die Uberzeugung des Gerichts stützen kann, beschränken die Verteidigung und gefährden die Wahrheitsermittlung. Sie sind daher gemäß § 244 Abs. 2 unzulässig ( B G H 16, 1 1 1 ) . a ) N i c h t ö f f e n t l i c h ist die Hauptverhandlung in J u g e n d s a c h e n . Hier ist die Öffentlichkeit nicht nur während der Verhandlung, sondern auch während der Verkündung der Entscheidung ausgeschlossen (§ 48 I J G G ) ; die Verhandlung ist jedoch nach allgemeinen Grundsätzen öffentlich, wenn neben einem Jugendlichen zugleich auch Heranwachsende oder Erwachsene angeklagt sind. In solchen Fällen kann die Öffentlichkeit nur dann ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Erziehung eines jugendlichen Angeklagten geboten erscheint (§ 48 I I I J G G ) . b ) Die Öffentlichkeit k a n n für die ganze Verhandlung oder einen Teil derselben a u s g e s c h l o s s e n werden (§ 172 G V G ) : aa) wegen G e f ä h r d u n g d e r ö f f e n t l i c h e n O r d n u n g , insbesondere der S t a a t s s i c h e r h e i t (§ 172 G V G ) . Gefährdung der ö f f e n t l i c h e n O r d n u n g kann auch in einer Erschwerung der Wahrheitsermittlung (E. 30, 244) oder in einer fortwährenden Störung der Verhandlung (E. 30, 104) liegen oder wenn ein Zeuge bei wahrheitsgemäßer Aussage vom Anhang des Angeklagten Nachteile für Leib oder Leben zu befürchten hat ( B G H 3, 344); bb) wegen G e f ä h r d u n g d e r S i t t l i c h k e i t (§ 172 G V G ) . Siehe hierzu auch § 1 8 4 b S t G B ; cc) wegen Gefährdung eines wichtigen G e s c h ä f t s - o d e r B e t r i e b s g e h e i m n i s s e s (§ 172 G V G ) ; dd) wenn das Verfahren die Unterbringung in einer H e i l - o d e r P f l e g e a n s t a l t zum Gegenstand hat (§ 1 7 1 a G V G ) .

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II. Teil: Lösungen

Keine unzulässige Beschränkung der Öffentlichkeit liegt ferner dann vor, wenn aus triftigen Gründen e i n z e l n e n Personen der Zutritt zur Hauptverhandlung versagt wird, z. B. Kindern oder solchen Personen, die sich nicht im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte befinden oder in unwürdiger Aufmachung erscheinen (§ 175 Abs. 1 G V G ) . Als zulässig angesehen wird auch die Entfernung von Personen, die gegebenenfalls als Zeugen in Betracht kommen oder gegen die auf Grund derselben Vorgänge, die Gegenstand der Hauptverhandlung sind, ein selbständiges Ermittlungsverfahren schwebt ( B G H 3, 386). Bei der Beurteilung derartiger Grenzfälle kommt es entscheidend darauf an, daß der Zweck der Vorschriften über die Öffentlichkeit gewahrt bleibt, d. h. daß die Allgemeinheit auch nach Ausschluß einzelner Personen die Möglichkeit hat, die Vorgänge in der Hauptverhandlung zu kontrollieren (vgl. B G H a. a. O. 390). Bleibt dieser Zweck als solcher gewahrt, so schadet eine nur unwesentliche Beeinträchtigung des Grundsatzes der Öffentlichkeit nicht, sofern sie nicht willkürlich vorgenommen wird, sondern im Interesse der Wahrheitsermittlung. In allen Fällen ist die U r t e i l s v e r k ü n d u n g ö f f e n t l i c h , und zwar muß die Wiederherstellung der Öffentlichkeit vor der Urteilsverkündung durch das Protokoll beurkundet werden, § 1 7 3 Abs. 1 G V G . Durch einen besonderen Beschluß kann in den Fällen aa—cc für die Verkündung der U r t e i l s g r ü n d e wieder die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, § 1 7 3 I I G V G . (NB. Nach § 175 I I G V G kann bestimmten Personen der Zutritt zu nichtöffentlichen Verhandlungen gestattet werden.) c ) Die n i c h t ö f f e n t l i c h e V e r k ü n d u n g d e r U r t e i l s f o r m e l bildet e i n e n a b s o l u t e n R e v i s i o n s g r u n d i. S. des § 338 Nr. 6 (vgl. B G H 4, 279 unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte, wonach mit der „mündlichen Verhandlung" die H V . schlechthin gemeint ist). d) Der B e s c h l u ß über den A u s s c h l u ß d e r ö f f e n t l i c h k e i t während der Hauptverhandlung oder eines Teiles derselben muß ö f f e n t l i c h v e r k ü n d e t werden, § 174 Abs. 1 S. 2 G V G ; ein Verstoß hiergegen begründet ebenfalls einen a b s o l u t e n Revisionsgrund nach § 3 3 8 Nr. 6 (E. 70, 109). Dem Beschluß muß ferner e i n e V e r h a n d l u n g vorausgehen, § 174 Abs. 1 S. 1 G V G , um den Prozeßbeteiligten G e l e g e n h e i t z u r Ä u ß e r u n g zu geben. Ein Verstoß hiergegen bildet aber (im Gegensatz zur früheren Rechtsprechung) keinen absoluten Revisionsgrund i. S. des § 338 Nr. 6, sondern nur einen relativen, d. h. der Verstoß führt nur dann zur Aufhebung des Urteils, wenn dieses auf ihm beruht (E. 69, 4 0 1 ) . Dagegen bildet ein Verstoß gegen § 174 I S. 3 G V G , wonach in den Fällen der §§ 172, 1 7 3 G V G angegeben werden muß, aus welchem Grunde die Öffentlichkeit ausgeschlossen worden ist, den a b s o l u t e n Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 (E. 70, 1 1 2 und B G H 1, 3 4 3 ; 2, 56).

4. Der Verlauf der Hauptverhandlung

a ) Die P r o z e ß l e i t u n g steht dem Vorsitzenden zu, § 238. E r bestimmt die R e i h e n f o l g e der vorzunehmenden Prozeßhandlungen, soweit nicht besondere Vorschriften (§§ 243, 257, 258, 268) Platz greifen. E r hat für

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A u f r e c h t e r h a l t u n g d e r O r d n u n g zu sorgen (Sitzungspolizei, § 176 G V G ) ; er kann R ü g e n und W a r n u n g e n erteilen und auch den Saal räumen lassen. Dem G e r i c h t vorbehalten sind alle Maßregeln, welche den Charakter einer S t r a f e haben (§§ 177, 178 G V G ) , insbesondere die E n t f e r n u n g e i n e r P e r s o n a u s d e m S i t z u n g s z i m m e r wegen U n g e h o r s a m s nach § 177 G V G , oder B e s t r a f u n g wegen U n g e b ü h r nach § 178 G V G (siehe Fall 4 Abschn. A II 3, S. 65). (NB. Diese sämtlichen Befugnisse gemäß §§ 176—179 G V G stehen gemäß § 180 G V G auch einem einzelnen Richter zu, der a u ß e r h a l b e i n e r S i t z u n g tätig wird, insbesondere dem beauftragten Richter und dem Untersuchungsrichter; in diesen Fällen hat die Beschwerde, die nach § 181 I in den Fällen der §§ 178, 180 G V G gegeben ist, gemäß § 181 I I G V G aufschiebende Wirkung. Eine Beschwerde gegen eine Maßnahme nach § 177 G V G ist ausgeschlossen, wie sich aus § 181 G V G ergibt. Wird eine s t r a f b a r e Handlung in der Sitzung begangen [z. B. eine Körperverletzung oder ein Meineid], so hat das Gericht gemäß § 183 G V G ein darüber aufzunehmendes Protokoll der Staatsanwaltschaft mitzuteilen. Eine B e a n s t a n d u n g der Verhandlungsleitung als unzweckmäßig, ungeeignet oder unangemessen ist ausgeschlossen. Lediglich über eine g e s e t z l i c h u n z u l ä s s i g e Anordnung des Vorsitzenden kann die Entscheidung des Gerichts angerufen werden, § 238 Abs. 2.) b) Die M i t w i r k u n g d e r P r o z e ß b e t e i l i g t e n b e i d e r B e w e i s a u f n a h m e ist in §§ 239—241 geregelt: § 239 betrifft das in der Praxis selten angewandte sog. K r e u z v e r h ö r , d. h. die Überlassung der Vernehmung von Z e u g e n und S a c h v e r s t ä n d i g e n an Staatsanwalt und Verteidiger. (Die Vernehmung des A n g e k l a g t e n erfolgt immer durch den Vorsitzenden.) Nach §240 steht s ä m t l i c h e n P r o z e ß b e t e i l i g t e n (insbesondere auch den Geschworenen und Schöffen) das Recht zu, einzelne Fragen an den Angeklagten, die Zeugen und Sachverständigen zu richten. Wird die Befugnis des Kreuzverhörs mißbraucht, kann sie von dem Vorsitzenden wieder entzogen werden (§ 241 I); ebenso kann der Vorsitzende in jedem Falle ungeeignete oder nicht zur Sache gehörige Fragen zurückweisen, mit Ausnahme der von beisitzenden Richtern gestellten (§ 241 II). (NB. Der im Zweifelsfalle gemäß § 242 erforderliche G e r i c h t s b e s c h l u ß , mit dem gemäß § 241 II eine Frage zurückgewiesen wird, muß die Gründe angeben, weshalb das Gericht die Frage als nicht zur Sache gehörend, d. h. als weder unmittelbar noch mittelbar die in der Anklage bezeichnete Tat betreffend, also „als verfahrensfremden Zwecken dienend" ansieht; siehe hierzu E. 66, 14 und B G H 2, 284. Beruht die Zurückweisung durch Gerichtsbeschluß auf rechtsirrtümlichen Erwägungen, dann wird im allgemeinen der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 8 •—• unzulässige Beschränkung der Verteidigung — vorliegen.) c) Die R e i h e n f o l g e im Gang der Verhandlung ist in § 243 gesetzlich festgelegt. Aufruf der Sache, Aufruf der Zeugen und Sachverständigen (erstere müssen, sofern sie nicht gleichzeitig Nebenkläger sind, nach dem Aufruf den Sitzungssaal verlassen, § 243 Abs. 2), Vernehmung des Ange-

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klagten zur Person, Verlesung des Anklagesatzes, Vernehmung des Angeklagten zur Sache (die übrigen Prozeßbeteiligten haben auf Verlangen ein unmittelbares Fragerecht), die Beweisaufnahme § 244 (hierunter fällt die Vernehmung der Zeugen und Sachverständigen, die Verlesung von Schriftstücken und die Einnahme eines Augenscheins; näheres hierüber siehe Nachträge zu Fall 3 und Fall 9), Schlußvorträge § 258 (Angeklagter hat das letzte Wort) und schließlich Erlaß des Urteils (§ 260). Eine V e r l e t z u n g der gesetzlich festgelegten R e i h e n f o l g e kann unter Umständen gemäß § 337 zur Aufhebung des Urteils führen, insbesondere wenn der Angeklagte nicht das Recht zum letzten Wort gehabt hat, bei dessen Geltendmachung er nicht auf die freie Rede verwiesen werden kann, sondern auch schriftliche Unterlagen und Aufzeichnungen verwenden darf (BGH 3, 368). Schwere, sich als Revisionsgründe im Sinne von § 337 auswirkende Verfahrensverstöße liegen ferner dann vor, wenn vor der Vernehmung des Angeklagten einzelne Prozeßhandlungen vorgenommen werden, die zur Beweisaufnahme gehören, z. B. die Vernehmung eines Zeugen, oder wenn ein nach § 247 vorübergehend aus dem Saal entfernter Angeklagter nach seiner Wiederzulassung nicht sofort, d. h. vor jeder weiteren Prozeßhandlung, über das in seiner Abwesenheit Verhandelte unterrichtet wird (BGH 3, 384). Zulässig ist es dagegen, die Hauptverhandlung in mehrere Abschnitte zu zerlegen und den Angeklagten erst zu Beginn eines jeden Abschnitts zur Sache über diesen Abschnitt zu vernehmen. In diesem Fall muß jedoch aus dem Protokoll klar ersichtlich sein, auf welchen Abschnitt sich die jeweilige Vernehmung des Angeklagten bezieht (BGH 10, 342). 5. Das Sitzungsprotokoll Uber die Hauptverhandlung ist ein Protokoll aufzunehmen, das vom Vorsitzenden und dem Urkundsbeamten zu unterschreiben ist, § 271. a) Das Protokoll muß enthalten: aa) Ort und T a g der V e r h a n d l u n g (§ 272 Nr. 1); bb) die N a m e n der Gerichtspersonen (Richter, Schöffen, Geschworene, Protokollführer, Dolmetscher, etwaige Ergänzungsrichter) und des StA (§ 272 Nr. 2); cc) die Bezeichnung der dem Angeklagten nach der Anklage bzw. dem Strafbefehl oder der Strafverfügung zur Last gelegten s t r a f b a r e n H a n d l u n g (§ 272 Nr. 3); dd) die N a m e n der A n g e k l a g t e n , ihrer V e r t e i d i g e r , der P r i v a t und N e b e n k l ä g e r sowie der V e r l e t z t e n , sofern diese Ansprüche aus der Straftat geltend machen (möglich im sog. Adhäsionsverfahren gemäß §§403ff.); ist ein gesetzlicher V e r t r e t e r , Bevollmächtigter oder sonstiger Beistand des Angeklagten usw. anwesend, so ist auch dieser aufzufuhren (§272 Nr. 4); ee) die Angabe, ob ö f f e n t l i c h verhandelt oder ob die Ö f f e n t l i c h keit ausgeschlossen wurde (§ 272 Nr. 4). Wurde die Öffentlichkeit

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ausgeschlossen (siehe hierzu oben Abschn. I 3), so ist im Protokoll festzuhalten, daß die Maßnahme durch Gerichtsbeschluß erfolgte ( B G H 2, 56), aus welchem Grund der Ausschluß erfolgte (vgl. § 174 Abs. 1 Satz 3 G V G ) und daß der Beschluß vollzogen wurde. Nach Wiederherstellung der Öffentlichkeit ist auch dieser Vorgang im Protokoll festzuhalten; f f ) den wesentlichen G a n g u n d d i e E r g e b n i s s e d e r H a u p t v e r h a n d l u n g , die Beobachtung aller wesentlichen F ö r m l i c h k e i t e n , die Bezeichnung der verlesenen S c h r i f t s t ü c k e , die gestellten A n t r ä g e und E n t s c h e i d u n g e n sowie die U r t e i l s f o r m e l ( § 2 7 3 Abs. 1 ) ; gg) die wesentlichen E r g e b n i s s e d e r V e r n e h m u n g e n , und zwar seit der Neufassung der Strafprozeßnovelle v. 19. 12. 1964 nicht nur bei Verhandlungen vor dem Amtsrichter und dem Schöffengericht, sondern vor allen erkennenden Gerichten (§ 273 Abs. 2); hh) den W o r t l a u t einer Aussage nur ausnahmsweise ( § 2 7 3 Abs. 3). b) G r u n d s ä t z e f ü r d i e B e w e i s k r a f t d e s P r o t o k o l l s : § 274 legt n i c h t a l l g e m e i n dem Sitzungsprotokoll e r h ö h t e B e w e i s k r a f t bei. Vielmehr regelt § 274 ebenso wie der gleichlautende § 164 Z P O nur d i e Beweiskraft, die das o b e r e G e r i c h t dem Protokoll beizumessen hat, wenn zwecks Entscheidung über die Gesetzmäßigkeit des bisherigen Verfahrens „die B e o b a c h t u n g d e r f ü r d i e H a u p t v e r h a n d l u n g v o r g e s c h r i e b e n e n F ö r m l i c h k e i t e n " nachzuprüfen ist, z. B. ob der Zeuge beeidigt worden, ob er aufsein eventuelles Zeugnisverweigerungsrecht hingewiesen, ob ein bestimmter Beweisantrag gestellt, bzw. wie er beschieden wurde, ob ein bestimmtes Schriftstück verlesen worden ist. Die Urteilsberatung gehört dagegen nicht zu den Förmlichkeiten, die nur durch das Protokoll bewiesen werden können. Sie ist nicht Bestandteil der Hauptverhandlung, sondern vollzieht sich außerhalb dieser und muß daher nicht im Protokoll festgehalten werden ( B G H 5, 294). Bezüglich der wesentlichen, im Protokoll festzuhaltenden F ö r m l i c h k e i t e n gilt folgender G r u n d s a t z : Was nicht im Protokoll beurkundet ist, gilt als nicht geschehen. Was andererseits im Protokoll steht, gilt als so geschehen, wie es niedergeschrieben ist. Diese p o s i t i v e und n e g a t i v e B e w e i s k r a f t des Protokolls kann durch andere Beweise als durch den der „ F ä l s c h u n g " , d.h. einer Urkundenfälschung nach § 267 S t G B oder der Falschbeurkundung i. S. des § 348 Abs. 1 StGB, weder widerlegt noch ergänzt werden. Ist das Protokoll nicht ordnungsgemäß vom Vorsitzenden und vom Urkundsbeamten unterschrieben, so gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Entsprechendes gilt, wenn eine der beiden Urkundspersonen nachträglich vom Inhalt des Protokolls in einer dienstlichen Erklärung ausdrücklich abrückt. Der Inhalt des Protokolls ist dann insoweit nicht mehr durch die Unterschrift gedeckt ( B G H 4, 364). Wird das Protokoll zwar ordnungsgemäß unterschrieben, aber erst nach Eingang der Revisionsbegründung, so wird seine Beweiskraft dadurch nicht beeinträchtigt, sofern keine inhaltlichen Änderungen vorgenommen werden. Dies gilt selbst dann, wenn durch die Unterschrift einer bereits erhobenenVerfahrensrüge der Boden entzogen wird ( B G H

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12, 270). Die Nachholung der Unterschrift ist insoweit streng zu unterscheiden von einer unzulässigen nachträglichen Protokollberichtigung (s. u. c). Die Beweisregel des § 274 e r s t r e c k t s i c h n i c h t a u f d i e E r k l ä r u n g e n d e s A n g e k l a g t e n z u r S c h u l d f r a g e , insbesondere nicht auf ein vom Angeklagten abgelegtes G e s t ä n d n i s , selbst wenn es gemäß § 273 Abs. 3 wörtlich aufgenommen, vorgelesen und genehmigt worden ist. Dasselbe gilt von den Aussagen der Zeugen. E b e n s o w e n i g erstreckt sich die Beweiskraft des Protokolls auf Tatsachen, die für ein a n d e r e s S t r a f v e r f a h r e n von m a t e r i e l l r e c h t l i c h e r B e d e u t u n g sind. So wäre es z. B. für die Frage, ob A in dem Strafverfahren B einen Meineid geleistet hat, ohne Bedeutung, ob das Protokoll jenes Strafverfahrens die Feststellung enthält, daß A beeidigt worden ist, d. h. in dem jetzt gegen A wegen Meineids eingeleiteten Strafverfahren wäre das Gericht an die in dem Verhandlungsprotokoll des Strafverfahrens B getroffene Feststellung nicht gebunden und könnte nach freier richterlicher Uberzeugung die Eidesleistung als nicht geschehen ansehen (E. 32, 279). Für einen in der H V erklärten R e c h t s m i t t e l v e r z i c h t ist nach B G H 18, 257 folgendes zu beachten: Da der R M - V e r z i c h t nicht zu den wesentlichen Förmlichkeiten 1. S. von § 273 Abs. 1 gehört, nimmt er an der erhöhten Beweiskraft des Protokolls i. S. von § 274 nur dann teil, wenn er gemäß § 273 Abs. 3 auf Anordnung des Vorsitzenden wörtlich protokolliert, vorgelesen und vom Angeklagten genehmigt wird. Ein beurkundungsfähiger Verzicht dieser Art liegt jedoch nicht vor, wenn der Angeklagte oder sein Verteidiger zu verstehen geben, daß sie die Frage des Verzichts noch miteinander oder mit Dritten erörtern möchten. e ) Ist das Protokoll fertiggestellt, so ist der T a g d e r F e r t i g s t e l l u n g im Protokoll festzuhalten ( § 2 7 1 Satz 2 in der Neufassung der Strafprozeßnovelle vom 19. 12. 1964). Erst dann darf das Urteil den Beteiligten z u g e s t e l l t werden (§ 273 Abs. 4). Auf diese Weise soll verhindert werden, daß das Protokoll noch nach Eingang der Revisionsbegründung nachträglich berichtigt und der Revision auf diese Weise der Boden entzogen wird (was im übrigen auch nach der bisherigen Rechtslage unzulässig war, vgl. B G H 2, 1 2 5 ; 10, 145).

I I . Die Grundsätze betr. die Anwesenheit des Angeklagten 1. Die Strafprozeßordnung verlangt g r u n d s ä t z l i c h p e r s ö n l i c h e A n w e s e n h e i t des Angeklagten in der Hauptverhandlung, § 2 3 0 A b s . 1. Sie vertritt den Grundsatz, daß der Angeklagte nicht ungehört verurteilt werden darf, weil das Gericht die materielle Wahrheit nur dann restlos ergründen kann, wenn der Angeklagte in Person vor ihm gestanden hat. Dieser Grundsatz gilt im allgemeinen auch f ü r die Berufungsinstanz (siehe aber § 329), nicht aber für die Revisionsinstanz (§ 350). Die Anwesenheit ist während der ganzen Dauer der Hauptverhandlung notwendig (siehe B G H 3, 1 8 7 ) ; auch nur vorübergehende Abwesenheit begründet die Revision (§ 338 Ziff. 5).

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2. Der n i c h t a u f f r e i e m F u ß b e f i n d l i c h e Angeklagte wird vorgeführt; der auf f r e i e m F u ß b e f i n d l i c h e wird gemäß §216 geladen; erscheint er nicht, so muß die Verhandlung vertagt werden, und es wird, wenn sein Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist, seine Vorführung angeordnet oder ein Haftbefehl erlassen (§ 230 Abs. 2). (NB. Das Gesetz stellt hier einen selbständigen Verhaftungsgrund auf; die Voraussetzungen der §§ H2, 113 brauchen nicht vorzuliegen.) 3. Eine Verhandlung i n A b w e s e n h e i t des Angeklagten ist, abgesehen von den bereits erwähnten Fällen der §§ 329,350, in folgenden Fällen zulässig: a ) Unter den Voraussetzungen des § 232, d. h. wenn im konkreten Einzelfall (praktisch nur bei Ü b e r t r e t u n g e n und l e i c h t e r e n V e r g e h e n denkbar) als Strafen bzw. Nebenstrafen nur H a f t , G e l d s t r a f e , F a h r v e r b o t , E i n z i e h u n g oder U n b r a u c h b a r m a c h u n g , allein oder nebeneinander, zu erwarten sind. Von den Maßregeln der Sicherung und Besserung ist nur die E n t z i e h u n g d e r F a h r e r l a u b n i s zulässig. aa) Es kommt in diesem Falle also nicht darauf an, mit welcher Strafe die T a t b e d r o h t ist, sondern darauf, welche Strafe der Angeklagte im Einzelfalle zu e r w a r t e n hat. Muß wider Erwarten auf eine höhere Strafe erkannt werden, so darf ein solches Urteil in Abwesenheit des Angeklagten nicht ergehen (§ 232 Abs. 1 Satz 2). Die Verhandlung muß dann ausgesetzt werden. Entsprechendes gilt für Maßregeln der Sicherung und Besserung. bb) Zur S i c h e r u n g des Angeklagten ist dieses Abwesenheitsverfahren an folgende w e i t e r e V o r a u s s e t z u n g e n geknüpft: Der Angeklagte muß o r d n u n g s m ä ß i g g e l a d e n sein; eine Ladung durch öffentliche Bekanntmachung genügt nicht (§ 232 Abs. 2). F e r n e r muß in der Ladung darauf h i n g e w i e s e n sein, daß in Abwesenheit verhandelt werden kann (§ 232 Abs. 1 Satz 1). Soll die F a h r e r l a u b n i s entzogen werden, so muß der Angeklagte auch hierauf besonders hingewiesen werden (Abs. 1 S. 3). Dieser besondere Hinweis kann jedoch der ratio legis entsprechend dort entfallen, wo der Angeklagte bereits aus dem — zumeist gleichzeitig zugestellten — Eröffnungsbeschluß entnehmen kann, daß er mit Fahrerlaubnisentziehung zu rechnen hat. U n d s c h l i e ß l i c h muß das in Abwesenheit des Angeklagten ergehende Urteil d u r c h U b e r g a b e z u g e s t e l l t werden (§232 Abs. 4). N i c h t e r f o r d e r l i c h ist allerdings eine Zustellung durch p e r s ö n l i c h e Ü b e r g a b e a n d e n A n g e k l a g t e n ; es genügt vielmehr j e d e Form der Ersatzzustellung nach § 181 ZPO. Lediglich die Zustellung durch Niederlegung gemäß §§ 182, 195a ZPO ist unzulässig (BGH 11, 152). cc) H a t die Hauptverhandlung gemäß § 232 ohne den Angeklagten stattgefunden, so kann er gegen das Urteil binnen einer Woche nach seiner Zustellung die W i e d e r e i n s e t z u n g i n d e n v o r i g e n S t a n d unter den gleichen Voraussetzungen wie gegen die Versäumung einer Frist nachsuchen. H a t er von der Ladung zur Hauptverhandlung keine Kenntnis erlangt, so kann er stets die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beanspruchen. Hierüber ist der Angeklagte bei der Zustellung des Urteils zu belehren (§ 235). P c t t e r s - P r e i s e o d a n z , Strafprozeßfallc, 8. Aufl.

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b) N a c h § 233, d. h. wenn der Angeklagte a u f s e i n e n A n t r a g (zu dessen Stellung der Verteidiger einer besonderen Ermächtigung bedarf, siehe E. 54, 210) von der Verpflichtung zum E r s c h e i n e n in der Hauptverhandlung e n t b u n d e n wird, vorausgesetzt, daß k e i n e h ö h e r e S t r a f e als Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten, Geldstrafe, Fahrverbot, Einziehung, Vernichtung oder Unbrauchbarmachung, allein oder in Verbindung miteinander, zu e r w a r t e n sind. Von den Maßregeln der Sicherung und Besserung ist — ebenso wie im Falle des § 232 — nur die E n t z i e h u n g d e r F a h r e r l a u b n i s zulässig (Abs. 1 Satz 3). Das Verfahren nach § 233 setzt weiter voraus, daß der Angeklagte durch einen b e a u f t r a g t e n o d e r e r s u c h t e n R i c h t e r über den Gegenstand der Anklage vernommen wird (Abs. 2 Satz 1). Hierbei ist er darüber zu belehren, welche Strafen und Maßnahmen bei der in seiner Abwesenheit durchgeführten Verhandlung zulässig sind. Außerdem ist er zu befragen, ob er seinen Antrag auf Befreiung vom Erscheinen in der H V aufrecht erhält (Abs. 2 Satz 2). In der P r a x i s wird das Verfahren gemäß § 233 in der Regel in der Weise durchgeführt, daß in geeigneten Fällen (hauptsächlich Verkehrsstrafsachen) immer dann, wenn der Wohnsitz des Angeklagten vom Gerichtsort weit entfernt liegt, die Akten auch ohne vorherigen Antrag des Angeklagten vom erkennenden Gericht durch Vermittlung der StA an das für den Wohnort des Angeklagten zuständige Amtsgericht geleitet werden. Dieses wird ersucht, den Angeklagten unter Belehrung gemäß § 233 Abs. 2 zu befragen, ob er vom Erscheinen in der H V entbunden werden will. Stellt er darauf den entsprechenden Antrag, so wird er zur Anklage vernommen. Muß wider Erwarten auf eine höhere Strafe oder eine Maßregel der Sicherung und Besserung erkannt werden, so darf ein solches Urteil in Abwesenheit des Angeklagten nicht ergehen (§ 233 I Satz 2). Wegen der weiteren Voraussetzungen dieses Verfahrens siehe § 233 II, I I I . Bei der Zustellung des Urteils ist besonders zu beachten, daß die in § 232 I V vorgesehene Beschränkung (Zustellung durch Ubergabe, siehe oben a) bb) keine entsprechende Anwendung findet. Die Zustellung kann demnach auch durch Niederlegung gemäß §§ 182, 195 a ZPO erfolgen. Siehe hierzu ausführlich B G H 1 1 , 152 und Oppe NJW 62, 1800. c) I m F a l l e d e s § 2 3 1 A b s . 2. Siehe hierzu die Ausführungen unten in Abschnitt B I I. Soweit nach den vorstehenden Erörterungen in Abwesenheit des Angeklagten verhandelt werden kann, also in den Fällen der §§ 232 und 233, aber auch im Falle des § 231 Abs. 2, ist der Angeklagte gemäß § 234 befugt, sich durch einen mit s c h r i f t l i c h e r V o l l m a c h t v e r s e h e n e n V e r t e i d i g e r v e r t r e t e n zu lassen. (NB. Das gleiche gilt gemäß § 350 für die Revision, gemäß § 387 für das Privatklageverfahren und gemäß § 4 1 1 für das Einspruchsverfahren nach vorausgegangenem Strafbefehl.) 4. Bei z e i t w e i s e r A b w e s e n h e i t des Angeklagten kann in folgenden Fällen verhandelt werden:

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a) Wenn das Gericht den Angeklagten aus dem Sitzungssaal abtreten läßt, weil zu befürchten ist, daß ein M i t a n g e k l a g t e r oder Z e u g e in seiner Gegenwart nicht die Wahrheit sagen wird (§ 247 A b s . 1 S. 1). Eine ausdehnende Auslegung dieser Bestimmung ist unzulässig. Insbesondere darf das Gericht einen Angeklagten nicht deshalb abtreten lassen, weil zu befürchten ist, daß er seine Aussagen denen der Mitangeklagten anpaßt ( B G H 15, 194). Die Entfernung des Angeklagten nach § 247 Abs. 1 Satz 1 kann nur aufgrund eines f ö r m l i c h e n G e r i c h t s b e s c h l u s s e s erfolgen, der zu begründen ist ( B G H 15, 194). Fehlt die Begründung und bleibt daher zweifelhaft, ob das Gericht von zutreffenden Erwägungen ausgegangen ist, so begründet dieser Mangel nach § 338 Nr. 5 die Revision ( B G H a. a. O.). b ) Wenn das Gericht den Angeklagten aus dem Sitzungssaal abtreten läßt, weil zu befürchten ist, daß durch die E r ö r t e r u n g s e i n e s k ö r p e r l i c h e n o d e r g e i s t i g e n Z u s t a n d s ein Nachteil für seine Gesundheit entsteht (§ 247 A b s . 1 Satz 2). c) Wenn der Angeklagte gemäß § 177 G V G wegen Nichtbefolgung eines zur A u f r e c h t e r h a l t u n g d e r O r d n u n g erlassenen Befehls aus dem Sitzungszimmer entfernt wird (§ 247 A b s . 2). Wie lange der Angeklagte wegen Ungebühr von der weiteren Verhandlung ausgeschlossen werden soll, steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts und hängt von der Art und dem Grad der Ungebühr ab. (Siehe hierzu B G H 9, 77). d) Wenn der j u g e n d l i c h e Angeklagte wegen der Gefahr nachteiligen Einflusses bei Erörterung bestimmter Fragen (z. B. der häuslichen Familienverhältnisse) das Sitzungszimmer verlassen muß ( § 5 1 I J G G ) . I n a l l e n F ä l l e n hat der Vorsitzende dem Angeklagten nach dessen Rückkehr den wesentlichen I n h a l t desjenigen mitzuteilen, was in seiner Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist, § 247 Abs. 1 Satz 3 ; § 5 1 I S . 2 J G G . 5. I n §§ 276 ff. wird das Verfahren gegen Abwesende behandelt, d.h. gegen solche Beschuldigte, die sich der deutschen Gerichtsbarkeit dadurch entziehen, daß sie sich im Auslande aufhalten oder im Inlande verbergen. Eine Hauptverhandlung findet gemäß § 277 nur statt, wenn die fragliche T a t nur mit Haft, Geldstrafe oder Einziehung b e d r o h t ist. Handelt es sich um ein schwereres Delikt, dann kommt lediglich eine Beweissicherung nach § 285 in Frage. B. Lösung des Falles I. Hätte das Schöffengericht Urteil erlassen können? 1 . N a c h § 2 3 1 A b s . 1 darf sich der erschienene A n g e k l a g t e aus der V e r h a n d l u n g nicht entfernen. E n t f e r n t er s i c h d e n n o c h , so kann die Hauptverhandlung in seiner Abwesenheit zu Ende geführt werden, wenn seine Vernehmung über die Anklage schon erfolgt war und das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet (§ 231 Abs. 2). 6*

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I I . T e i l : Lösungen

Für diese Vorschrift w a r die E r w ä g u n g maßgebend, d a ß es ebensosehr gegen das Interesse der Strafrechtspflege wie gegen die Rücksicht auf die W ü r d e des Gerichts verstoßen würde, w e n n d e m Angeklagten die Möglichkeit gewährt wäre, eine begonnene u n d vielleicht schon d e m Abschluß n a h e H a u p t v e r h a n d l u n g d a d u r c h , d a ß er sich entfernt oder bei ihrer Wiedereröffnung ausbleibt, unwirksam u n d gleichsam ungeschehen zu m a c h e n ; die Bestimmung soll Platz greifen, w e n n von d e m Angeklagten versucht wird, v o r s ä t z l i c h d e m G a n g e d e r R e c h t s p f l e g e e n t g e g e n z u t r e t e n . (E. 58, 1 5 2 ; B G H 2, 300, 304; siehe auch B G H 3, 206 u n d B G H 10, 304. I n F o r t f ü h r u n g dieser Rechtsprechung h a t der Bundesgerichtshof in B G H 16, 178 entschieden, d a ß die H a u p t v e r h a n d l u n g unter den Voraussetzungen des § 231 Abs. 2 auch d a n n fortgeführt werden kann, wenn der Angeklagte d u r c h einen S e l b s t m o r d v e r s u c h seine V e r h a n d l u n g s u n f ä h i g keit herbeigeführt hat.) 2 . F ü r den v o r l i e g e n d e n F a l l ergibt sich hieraus folgendes: a) D a der Angeklagte Müller zu d e m Zeitpunkt, als er sich eigenmächtig aus d e m Sitzungssaal entfernte, bereits zur Anklage v e r n o m m e n war, w ä r e das Gericht gemäß § 2 3 1 Abs. 2 nicht gehindert gewesen, ohne ihn weiterzuverhandeln u n d ihn entsprechend Anklage u n d EröfFnungsbeschluß w e g e n E r p r e s s u n g z u v e r u r t e i l e n . Ein solches Verfahren ist a b e r n u r zulässig, wenn das Gericht n a c h pflichtgemäßer P r ü f u n g der Beweislage glaubt, auch ohne den Angeklagten auskommen zu können. H ä l t das Gericht im Interesse der Wahrheitsfindung die weitere Anwesenheit des Angeklagten f ü r erforderlich, so h a t es g e m ä ß § 236 seine Anwesenheit d u r c h V o r f ü h r u n g s - o d e r H a f t b e f e h l zu erzwingen. Der in der Verh a n d l u n g erlassene Haftbefehl w a r somit rechtmäßig ergangen. b) Für den Fall, d a ß das Schöffengericht sich die in der H V seitens des StA vorgetragene Ansicht zueigen g e m a c h t hätte, wirft sich die Frage auf, o b eine Verurteilung wegen N ö t i g u n g ü b e r h a u p t zulässig gewesen wäre, n a c h d e m d e m Angeklagten in Anklage u n d EB keine Nötigung, sondern eine Erpressung zur Last gelegt worden war. H ä t t e Müller den Saal nicht verlassen, so hätte er abweichend von Anklage u n d EB n u r d a n n wegen Nötigung verurteilt werden dürfen, w e n n er zuvor g e m ä ß § 265 auf die V e r ä n d e r u n g d e s r e c h t l i c h e n G e s i c h t s p u n k t s hingewiesen w o r d e n wäre. Es erhebt sich d a h e r die Frage, ob Müller d a d u r c h , d a ß er sich eigenmächtig der weiteren V e r h a n d l u n g entzog, sein R e c h t auf Belehrung g e m ä ß § 265 verwirkt h a t . Diese Frage wird jedoch allgemein verneint (vgl. E. 32, 97 fF.; Schwarz-Kleinknecht, § 2 3 1 A n m . 3B). Eine Verurteilung wegen Nötigung w ü r d e d a h e r auch unter den Voraussetzungen des § 231 Abs. 2 einen Verstoß gegen § 265 darstellen. Ein f ö r m l i c h e r H i n w e i s n a c h § 265, der als „wesentliche Förmlichkeit" g e m ä ß § 273 Abs. 1 im Protokoll festzuhalten ist ( B G H 2 , 3 7 3 ; ! 9> 141), ist nämlich selbst d a n n n i c h t v e r z i c h t b a r , w e n n die Verfahrensbeteiligten den v e r ä n d e r ten rechtlichen Gesichtspunkt von sich aus angesprochen h a b e n ( B G H 19, 141). Andererseits aber will § 265 lediglich verhüten, d a ß d u r c h die Ä n d e r u n g der K l a g e die V e r t e i d i g u n g des Angeklagten b e e i n t r ä c h -

Fall 5

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t i g t wird. Wenn nun, wie im v o r l i e g e n d e n F a l l e , der Angeklagte zu dem v o n i h m s e l b s t a n g e r e g t e n veränderten rechtlichen Gesichtspunkt schon Stellung genommen hat (er hatte j a die Ladung von Zeugen zum Beweise dafür beantragt, daß er nicht die Absicht gehabt habe, sich zu Unrecht zu bereichern), dürfte kaum ersichtlich sein, daß und wie der Angeklagte bei erfolgtem Hinweis sich hätte anders verteidigen können. Einer auf Verletzung des § 365 gestützten Revision müßte daher im v o r l i e g e n d e n F a l l e der Erfolg versagt bleiben, da als völlig a u s g e s c h l o s s e n erscheinen muß, daß das Unheil durch die Außerachtlassung dieser Vorschrift beeinflußt wurde, daß es also auf der Gesetzesverletzung i. S. des § 337 beruhe (siehe E. 74, 139; BGH 2, 250 und Abschn. I V des folgenden Nachtrags). (Daß der absolute Revisionsgrund nach § 238 Ziff. 5 nicht vorliegt, bedarf nach den obigen Ausführungen keiner weiteren Begründung.) Das S c h ö f f e n g e r i c h t h ä t t e also auch U r t e i l wegen N ö t i g u n g erlassen können.

II. Ist die Sicherheit als für die Staatskasse verfallen zu erklären ? 1. Gemäß § 123 Abs. 2 wird eine noch nicht verfallene S i c h e r h e i t f r e i , wenn a) der Haftbefehl aufgehoben wird oder b) die U-Haft oder die erkannte Freiheitsstrafe bzw. mit Freiheitsentzug verbundene Maßregel der Sicherung und Besserung vollzogen wird. Im vorliegenden Fall käme, nachdem Müller verhaftet werden konnte, allenfalls die letztgenannte Alternative in Betracht. Ohnesorg kann sich jedoch auf diese Bestimmung nicht berufen, da die von ihm g e l e i s t e t e S i c h e r h e i t durch die Flucht Müllers nach Stuttgart gemäß § 124 b e r e i t s v e r f a l l e n war, § 123 Abs. 2 aber ausdrücklich voraussetzt, daß die Sicherheit noch nicht verfallen ist. 2. Hat, wie im vorliegenden Fall, nicht der Angeklagte, sondern ein Dritter die Sicherheit geleistet, so ist neben dem bereits erörterten § 123 Abs. 2 noch § 123 Abs. 3 zu beachten. Diese Bestimmung gibt dem Dritten, der die Sicherheit geleistet hat, die Möglichkeit, sich gegen den drohenden Verlust der Sicherheit dadurch zu schützen, daß er innerhalb einer vom Gericht zu bestimmenden Frist die G e s t e l l u n g des Beschuldigten erwirkt oder die Tatsachen, die den V e r d a c h t e i n e r F l u c h t begründen, so rechtzeitig mitteilt, daß der Beschuldigte verhaftet werden kann. Auch hier käme allenfalls die letztgenannte Alternative in Betracht, da Ohnesorg durch seine Mitteilung an die StA nicht die Gestellung des Müller, sondern lediglich seine Verhaftung bewirkt hat. Aber auch auf diese Bestimmung kann Ohnesorg sich nicht berufen, da seine Mitteilung an die StA erst erfolgte, nachdem Müller bereits geflohen war, § 123 Abs. 3 aber voraussetzt, daß die Flucht verhindert werden konnte. 3 . Die von Ohnesorg geleistete S i c h e r h e i t ist somit gemäß § 124 Abs. 1 f ü r v e r f a l l e n zu e r k l ä r e n . Vor der Entscheidung sind der Ange-

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II. Teil: Lösungen

klagte und Ohnesorg zu einer Erklärung aufzufordern (Abs. 2 Satz 1). Gegen die den Verfall aussprechende Entscheidung steht ihnen gem. Abs. 2 „nur" die s o f o r t i g e B e s c h w e r d e zu, d. h. der ordentliche Rechtsweg ist ausgeschlossen. Nachtrag Das Verhältnis des Urteils zur Anklage I. Gegenstand der Urteilsfmdung ist gemäß § 264 Abs. 1 die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt. Das Urteil ist also — ebenso wie die Verhandlung selbst, vgl. § 1 5 5 Abs. 1 — an der gerichtlich zugelassenen Anklage ausgerichtet. Eine Tat, die nicht Gegenstand der Anklage war, kann auch nicht zum Gegenstand der Verhandlung und des Urteils gemacht werden; ebensowenig kann eine Person, gegen die sich die Anklage nicht gerichtet hat, wegen der in der Anklage bezeichneten Tat verurteilt oder freigesprochen werden (sog. A n k l a g e p r i n z i p ) . II. Tat i. S. der §§ 155, 264 ist der g e s a m t e h i s t o r i s c h e Ges c h e h n i s a b l a u f , auf den Anklage und EB hinweisen (vgl. E. 72, 105; BGH 6, g2; 10, 396; Eb. Schmidt, Lehrkommentar Teil I Nr. 295—311, Teil II § 264 Rn. 5). Unerheblich ist dabei, ob die in der Anklage bezeichnete Tat einen oder mehrere Tatbestände verwirklicht. Auch bei der Verwirklichung mehrerer Tatbestände kann eine einheitliche Tat im prozessualen Sinn gegeben sein. Stehen diese mehreren Tatbestände untereinander materiellrechtlich in I d e a l k o n k u r r e n z , so ist prozessual immer eine einheitliche Tat gegeben. Eine einheitliche Tat i. S. der §§ 155, 264 kann aber auch dann vorliegen, wenn materiellrechtlich R e a l k o n k u r r e n z anzunehmen ist. B e i s p i e l : Die Teilnahme an einer Schlägerei, die den Tb. des § 223 StGB erfüllt, und eine sich hieran anschließende unterlassene Hilfeleistung gemäß § 330 c StGB stellen sich prozessual als eine einheitliche Tat dar, obwohl sie materiellrechtlich in Realkonkurrenz stehen. Wegen weiterer Einzelheiten und Beispiele siehe ausführlich Vorbem. I I I vor Fall 12. III. Ergibt sich in der HV keine neue Tat, sondern nur ein neuer rechtlicher Gesichtspunkt, der in der gerichtlich zugelassenen Anklage bisher nicht berücksichtigt war, so hat das Gericht den Angeklagten gemäß § 265 hierauf hinzuweisen. 1. Z w e c k d i e s e r B e s t i m m u n g ist es, den Angeklagten, der seine Verteidigung auf die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der Anklage eingestellt hat, gegen Überraschungen zu schützen. Erforderlich und ausreichend ist daher jeder Hinweis, der es dem Angeklagten und seinem Verteidiger ermöglicht, die Verteidigung auf den neuen rechtlichen Gesichtspunkt einzurichten (BGH 18, 56). Unterbleibt der Hinweis und läßt sich nicht ausschließen, daß auf diesem Mangel das Urteil beruht, so stellt der V e r s t o ß g e g e n § 265 einen R e v i s i o n s g r u n d i. S. von § 337 dar. Der Verstoß gegen § 265 ist nur dann unschädlich, wenn sicher ist,

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d a ß der Angeklagte und sein Verteidiger ohnehin nichts Neues mehr hätten vorbringen können (vgl. BGH 2, 250), oder wenn feststeht, d a ß der Angeklagte u n d sein Verteidiger sich nach entsprechendem Schlußvortrag des Staatsanwalts bei ihrer Verteidigung tatsächlich auf den neuen rechtlichen Gesichtspunkt eingerichtet haben (vgl. K M R Anm. 13 zu § 265 m. weit. Nachweisen). I n solchen Fällen fehlt die Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Verfahrensverstoß und Urteil. 3. E i n H i n w e i s n a c h § 265 i s t e r f o r d e r l i c h , a) wenn sich ein anderes „Strafgesetz", d. h. ein a n d e r e r T a t b e s t a n d ergibt, dessen Anwendung in der gerichtlich zugelassenen Anklage noch nicht vorgesehen war, z. B. wenn sich die T a t nicht mehr als Diebstahl, sondern als Betrug oder als Erpressung darstellt. Dies gilt auch dann, wenn der neu in Erscheinung tretende Tatbestand lediglich eine m i l d e r e E r s c h e i n u n g s f o r m des in der Anklage angenommenen Tatbestands enthält, z. B. der Tb. des § 370 Nr. 5 StGB gegenüber dem Diebstahl des § 242 oder Fahrlässigkeit gegenüber Vorsatz. Ausgenommen sind jedoch die Fälle, in denen der neue T b . lediglich der Grundtatbestand des in der Anklage angenommenen Tatbestands ist, z. B. einfacher Diebstahl gegenüber schwerem Diebstahl. b) wenn sich eine n e u e T a t b e s t a n d s a l t e r n a t i v e , d. h. eine a n d e r e B e g e h u n g s f o r m des in der Anklage genannten Straftatbestands ergibt, z. B. Mord aus Habgier anstatt Mord zur Ermöglichung einer Straftat, oder Untreue in der Form des Treuebruchstatbestands anstatt in der Form des Mißbrauchtatbestands (BGH N J W 54, 1616). Auch in diesem Fall handelt es sich u m ein „anderes Strafgesetz" i. S. von § 265. c) bei Annahme von F o r t s e t z u n g s z u s a m m e n h a n g , wenn die Anklage von Realkonkurrenz ausgegangen ist, und umgekehrt; d ) bei Annahme von R e a l k o n k u r r e n z , wenn die Anklage von Idealkonkurrenz ausgegangen ist (E. 56, 58), und umgekehrt; e) bei Annahme von V e r s u c h anstatt Vollendung (BGH 2, 250) u n d umgekehrt; f) innerhalb der verschiedenen T e i l n a h m e f o r m e n (E. 63, 430 betr. Mittäterschaft anstatt Alleintäterschaft; siehe auch BGH N J W 52, 1385); g) wenn sich vom Gesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, die die S t r a f b a r k e i t e r h ö h e n , z. B. schwerer anstatt einfacher Diebstahl (Abs. 2); h ) wenn sich die Notwendigkeit einer M a ß r e g e l d e r S i c h e r u n g u n d B e s s e r u n g ergibt, die in der Anklage nicht vorgesehen war (Abs. 2). Dies gilt nach BGH 18, 288 entgegen dem Wortlaut, aber dem Sinn des Gesetzes entsprechend auch bei gleichbleibendem Sachverhalt. 4. Ein Hinweis nach § 265 ist n i c h t e r f o r d e r l i c h , a) wenn lediglich ein s t r a f e r h ö h e n d e r U m s t a n d w e g f ä l l t , z. B. wenn sich ergibt, d a ß der Diebstahl nicht mittels Einbruchs bewirkt wurde;

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b) wenn neben der Strafe P o l i z e i a u f s i c h t in Betracht kommt (BGH 18, 66). Dies ergibt sich aus der Erwägung, daß die Erforderlichkeit der Polizeiaufsicht lediglich von der Wertung des Gerichts abhängt, ob der Angeklagte allgemein als gefährlich anzusehen ist oder nicht. Besondere Feststellungen sind dagegen nicht erforderlich (vgl. BGH a. a. O.). c) wenn sich nur ein n e u e r t a t s ä c h l i c h e r G e s i c h t s p u n k t ergibt, der die Rechtslage nicht verändert. In diesem Fall muß der Angeklagte zwar auch unterrichtet werden. Es genügt jedoch, wenn dies durch den Gang der Verhandlung geschieht. Eines förmlichen Hinweises bedarf es nicht (vgl. BGH 19, 141, andererseits aber BGH 19, 88 betr. anderer Uhrzeit); d) bei N e b e n s t r a f e n (vgl. BGH 16, 47 betr. Einziehung gem. §40 StGB); der Angeklagte muß jedoch die Möglichkeit gehabt haben, sich spätestens nach dem Schlußvortrag des StA zu der Frage der Nebenstrafe zu äußern, da andernfalls sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt wäre (vgl. Art. 103 G G ; BGH a. a. O.). 5. Eine A u s s e t z u n g d e r H a u p t v e r h a n d l u n g wird erforderlich a) auf A n t r a g d e s A n g e k l a g t e n (vgl. Abs. 3), wenn dieser aa) neu hervorgetretene Umstände, die die Anwendung eines schwereren Strafbestands begründen könnten oder unter den Anwendungsbereich des Abs. 2 fallen (s. o. 2 g und h), bestreitet und bb) behauptet, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein. b) auf Antrag eines Beteiligten (z. B. StA) oder v o n A m t s w e g e n , wenn dies zur Vorbereitung von Anklage und Verteidigung angemessen erscheint (Abs. 4). 6. Die D a u e r d e r A u s s e t z u n g steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Das Gericht kann daher auch nur eine kürzere Unterbrechung in der Weise vornehmen, daß die H V gemäß § 229 spätestens am 11. T a g nach der Unterbrechung fortgesetzt wird. 7. Eine B e l e h r u n g d e s A n g e k l a g t e n über sein Recht, unter den Voraussetzungen des Abs. 3 die Aussetzung zu verlangen, ist nicht vorgeschrieben. I V . Ergibt sich während der Hauptverhandlung eine n e u e T a t im prozessualen Sinn, so kann diese nur im Wege der Nachtragsanklage ( § 266) zum Gegenstand der Verhandlung und des Urteils gemacht werden. 1. B e i s p i e l : Der wegen Diebstahls vor dem Amtsgericht (Einzelrichter) unter Anklage stehende A erklärt in der Hauptverhandlung, um sein Gewissen zu entlasten, er habe außer dem ihm in der Anklage zur Last gelegten Diebstahl noch zwei weitere, bisher nicht aufgeklärte Einbrüche begangen.

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2. Die E i n b e z i e h u n g einer von der Anklage nicht erfaßten T a t in ein bereits vor dem erkennenden Gericht anhängiges Verfahren ist gemäß § 266 unter folgenden Voraussetzungen möglich: a) Das G e r i c h t m u ß auch für den Gegenstand der Nachtragsanklage z u s t ä n d i g sein. (Hieran würde es in dem oben in Abschn. 1 gebrachten Beispiel fehlen, da der Amtsrichter als Einzelrichter gemäß § 25 Nr. 3 G V G zur Aburteilung von Verbrechen nur d a n n zuständig ist, wenn die T a t lediglich wegen der Rückfallsvoraussetzungen zum Verbrechen wird.) b) Der A n g e k l a g t e m u ß der Einbeziehung z u s t i m m e n . c) Der StA m u ß (schriftlich oder mündlich) eine der Anforderungen des § 200 Abs. 1 genügende N a c h t r a g s a n k l a g e erheben. Die mündlich erhobene Nachtragsanklage wird im Sitzungsprotokoll aufgenommen (Abs. 2 Satz 2). 3. Ist die Nachtragsanklage in zulässiger Weise erhoben worden, so ist dem Angeklagten Gelegenheit zu geben, sich zu verteidigen (Abs. 2 Satz 3). Hält der Vorsitzende es für erforderlich oder stellt der Angeklagte einen dahingehenden Antrag (der aber nicht offensichtlich mutwillig oder nur zur Verzögerung des Verfahrens gestellt sein darf), so ist die V e r h a n d l u n g z u u n t e r b r e c h e n (Abs. 3 Satz 1). Uber sein Recht, einen solchen Antrag zu stellen, ist der Angeklagte zu belehren (Abs. 3 Satz 2). 4. In der B e r u f u n g s i n s t a n z ist eine Nachtragsanklage g r u n d s ä t z l i c h u n z u l ä s s i g , da sonst eine Instanz verloren ginge (E. 42, 91). Eine Ausnahme gilt nur dort, wo bereits in 1. Instanz eine neue T a t abgeurteilt worden ist, ohne d a ß zuvor ordnungsgemäß Nachtragsanklage erhoben worden war. In diesen Fällen kann die Nachtragsanklage in der Berufungsinstanz nachgeholt werden (vgl. E. 56, 113).

ZU FALL 6 A. Vorbemerkungen I. Allgemeines über die Stellung des Verteidigers 1. D i e Z u z i e h u n g e i n e s V e r t e i d i g e r s hängt im allgemeinen von dem Willen des Beschuldigten oder seines gesetzlichen Vertreters a b ; nur in den vom Gesetz ausdrücklich bestimmten Fällen ist die Verteidigung eine notwendige. (Siehe Fall 3 Abschn. B IV, 1 b, S. 48.) 2. Die r e c h t l i c h e S t e l l u n g d e s V e r t e i d i g e r s : a) Der Verteidiger ist nicht Vertreter des Beschuldigten, sondern ein u n a b h ä n g i g e s O r g a n d e r R e c h t s p f l e g e , dessen Beistands sich der Beschuldigte in jeder Lage des Verfahrens bedienen kann (vgl. § 137; BGH 9, 20; 12, 307; 13, 337). Zu Verteidigern können nur die bei einem deutschen Gericht zugelassenen R e c h t s a n w ä l t e sowie die R e c h t s l e h r e r (auch Privatdozenten) an deutschen Hochschulen gewählt werden (§ >38).

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b) Seine w e s e n t l i c h e A u f g a b e besteht darin, dem Beschuldigten während des gesamten Verfahrens durch R a t und T a t zur Seite zu stehen. E r hat insbesondere darauf hinzuwirken, daß sein Mandant nicht zu U n recht, d. h. entgegen der materiellen Rechtslage, verurteilt wird. Andererseits darf er auch dann den Freispruch seines Mandanten beantragen, wenn er von dessen Schuld überzeugt ist, er aber aufgrund der gegebenen Beweislage den Standpunkt vertreten kann, daß die vorliegenden Beweise nicht ausreichen, seinen Mandanten zu überführen. Der Bereich strafbarer B e g ü n s t i g u n g beginnt erst dort, wo der Verteidiger sich der Wahrheitserforschung hindernd in den Weg stellt ( B G H 9, 20), z. B. dadurch, daß er Zeugen zu falschen Angaben verleitet, Kassiber aus der Haftanstalt herausschmuggelt, belastende Dokumente aus den Akten verschwinden läßt oder sonstige Maßnahmen vornimmt, durch die der Sachverhalt in unlauterer Weise v e r d u n k e l t wird. c ) D a der Verteidiger im Strafprozeß nicht Vertreter, sondern nur Beistand seines Mandanten ist, kann er dessen Anwesenheit und Erklärungen grundsätzlich nicht durch eigene Anwesenheit und Erklärungen ersetzen. Eine V e r t r e t u n g d e s A n g e k l a g t e n i n d e r H V ist ausnahmsweise gemäß § 234 nur in den Fällen zulässig, in denen die H V ohne Anwesenheit des Angeklagten stattfinden kann, d. h. aa) in den Fällen der §§ 2 3 1 Abs. 2, 232, 233 (siehe hierzu ausführlich Fall 5 Abschn. I I 3, S. 8 1 ) ; bb) im S t r a f b e f e h l s - und S t r a f v e r f ü g u n g s v e r f a h r e n nach eingelegtem Einspruch (§§ 4 1 1 Abs. 2, 4 1 3 Abs. 4); cc) im P r i v a t k l a g e v e r f a h r e n (§ 387 Abs. 1 ) ; dd) im B e r u f u n g s v e r f a h r e n , sofern in 1. Instanz die Voraussetzungen zu aa) bis cc) vorlagen (vgl. § 329 Abs. 1 ; O L G Düsseldorf N J W 6 1 , 89); ee) im R e v i s i o n s v e r f a h r e n (§ 350 Abs. 2, 3). Unter den Voraussetzungen des § 234 ist der mit Vollmacht ausgestattete Verteidiger berechtigt, seinen Mandanten sowohl in der Erklärung als auch im Willen zu vertreten ( B G H 9, 356), sofern seine Vollmacht nicht bestimmte Erklärungen ausnimmt. d) Für R e c h t s m i t t e l e r k l ä r u n g e n sind folgende B e s o n d e r h e i t e n zu beachten: aa) Der Verteidiger kann selbst Rechtsmittel e i n l e g e n , jedoch nicht gegen den ausdrücklichen Willen seines Mandanten (§ 297; B G H 1 2 , 367). bb) Z u r Z u r ü c k n a h m e eines Rechtsmittels bedarf der Verteidiger einer ausdrücklichen Ermächtigung (§ 302 Abs. 2). e) Z u s t e l l u n g e n von Schriftstücken, die f ü r den Beschuldigten bestimmt sind, z. B. Ladungen, Beschlüsse und Urteile, können seit der Strafprozeßnovelle vom 19. 12. 1964 gemäß § 145 a Abs. 1 auch dem Verteidiger zugestellt werden, sofern dieser entsprechende Vollmacht zu den

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Akten gegeben hat. Ausgenommen sind lediglich die im Verfahren gemäß § 232 ergangenen Urteile (vgl. §§ 232 Abs. 4, 145a Abs. 2). Doppelzustellungen, d. h. Zustellungen sowohl an den Beschuldigten als auch an seinen Verteidiger, werden grundsätzlich nicht vorgenommen (siehe jedoch § 145 a Abs. 4). K o m m t es doch zu einer Doppelstellung, so richtet sich die Frist (z. B. Rechtsmittelfrist) nach der zuletzt bewirkten Zustellung (§ 37 Abs. 2). 3. Die R e c h t e d e s V e r t e i d i g e r s sind, abgesehen von solchen, die er neben dem Beschuldigten ausüben kann (z. B. Beweisanträge zu stellen, Richter u n d Sachverständige abzulehnen), folgende: a) das R e c h t a u f A k t e n e i n s i c h t (§ 147), das nach Abschluß der Ermittlungen nicht eingeschränkt werden darf (Abs. 2); b) das R e c h t a u f u n e i n g e s c h r ä n k t e n V e r k e h r m i t d e m Bes c h u l d i g t e n , auch wenn dieser sich nicht auf freiem F u ß befindet (§ 148); c) das R e c h t a u f G e b ü h r e n ; d) das Recht auf Z e u g n i s v e r w e i g e r u n g (§ 53 Abs. 1 Nr. 3). 4. Einem R e f e r e n d a r kann der gewählte Verteidiger die Verteidigung selbst mit Zustimmung seines M a n d a n t e n nur d a n n übertragen, wenn der Referendar mindestens 1 J a h r und 3 Monate im Justizdienst beschäftigt ist (§ 139)5. Ein A u s s c h l u ß d e s V e r t e i d i g e r s ist zwar gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt, wird aber in Rspr. und Schrifttum dann f ü r zulässig gehalten, wenn die Tätigkeit des Verteidigers im Einzelfall „den Aufgaben der Verteidigung widerstreitet", vgl. § 146 Abs. 1. Ein Ausschluß kommt schon mit Rücksicht auf Art. 12 Abs. 1 G G nur ganz a u s n a h m s w e i s e in Betracht, z. B. a) wenn festgestellt wird, d a ß der Verteidiger nicht mehr als unabhängiges Organ der Rechtspflege tätig wird, sondern zu Dritten in einem A b h ä n g i g k e i t s v e r h ä l t n i s steht (vgl. BGH J Z 61, 608); b) bei Verdacht der T a t b e t e i l i g u n g , H e h l e r e i oder B e g ü n s t i g u n g (vgl. Schwarz-Kleinknecht Vorbem. 2A vor § 137 mit weit. Nachw.); c) bei Verdacht des P a r t e i v e r r a t s ; d) wenn der Verteidiger versucht, das Gericht zu bestechen oder zu nötigen. Gegen den Ausschluß des Verteidigers haben sowohl dieser selbst als auch der Besch, das Rechtsmittel der Beschwerde (vgl. § 305 Satz 2, letzte Alt.). Z u m Ganzen siehe auch Anschütz, Die Entziehung der Verteidigungsbefugnis. II. Allgemeines über die Kosten des Verfahrens 1. Nach §464 m u ß grundsätzlich jedes Urteil, jeder Strafbefehl u n d jede eine Untersuchung einstellende Entscheidung, d . h . j e d e d a s g e r i c h t liche Verfahren zum Abschluß bringende P r o z e ß h a n d l u n g Bestimmung darüber treffen, von wem die Kosten des Verfahrens zu tragen

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II. Teil: Lösungen

sind. Die Kostenentscheidung ist für sich allein mit den gegen die Entscheidung in der Sache gegebenen Rechtsmitteln anfechtbar. (Siehe Fall 7, Abschn. A II 4a, S. 108.) Maßgebend für die Kostenfestsetzung ist das G e r i c h t s k o s t e n g e s e t z v. 26. 7. 1957 (BGBl. I 861, 941) mit der letzten Änderung v. 15. 1. 1965 (BGBl. I 17). 2. Man unterscheidet G e r i c h t s k o s t e n und a u ß e r g e r i c h t l i c h e Kosten. a) Zu den G e r i c h t s k o s t e n gehören aa) die G e b ü h r e n , die sich gemäß §67 GKG nach der Höhe der erkannten Strafe richten; bb) die A u s l a g e n , zu denen vor allem die Gebühren von Zeugen und Sachverständigen gehören (§§ gi—93 GKG). b) Zu d e n a u ß e r g e r i c h t l i c h e n K o s t e n gehören die n o t w e n d i g e n A u s l a g e n des Angeklagten, des Privatklägers und des Nebenklägers (§ 467 Abs. 2), vor allem die Kosten der Verteidigung, auch der nicht-notwendigen, nicht dagegen das v e r t r a g s m ä ß i g e Verteidigerhonorar, soweit es die Sätze der RAGebO übersteigt. Ferner gehören hierher die Reisen zum Gerichtssitz und zum Verteidiger, dagegen n i c h t die Auslagen für Erwerbsund Zeitverlust (vgl. Löwe-Rosenberg §467 Anm. 5 a). 3. Der A n g e k l a g t e hat die Kosten zu tragen, soweit er v e r u r t e i l t oder eine Sicherungsmaßregel gegen ihn angeordnet wurde. Eine Verurteilung in diesem Sinne liegt auch dann vor, wenn das Gericht den Angeklagten zwar für schuldig erklärt, aber von Strafe absieht, z. B. in den Fällen der §§ 158 I, 175 II, 199 und 233 StGB. Zu den Kosten des Verfahrens gehören auch die Kosten der Vorbereitung der öffentlichen Klage und der Vollstreckung, sowie einer vom Gericht angeordneten Maßregel der Sicherung und Besserung, § 465. Der S t a a t s k a s s e fallen die Kosten zur Last, wenn der Angeklagte f r e i g e s p r o c h e n oder außer Verfolgung gesetzt wird, §467 Abs. 1. Kosten, die durch eine schuldhafte Versäumnis des Angeklagten entstanden sind (z. B. Ausbleiben in der Hauptverhandlung und dadurch bedingte Aussetzung derselben und abermalige Ladung der Zeugen usw.) sind dem Angeklagten trotz Freispruchs aufzuerlegen; die dem Angeschuldigten erwachsenen n o t w e n d i g e n A u s l a g e n können der Staatskasse auferlegt werden, §467 Abs. 2. Sie s i n d ihr aufzuerlegen, wenn der Angeklagte wegen erwiesener Unschuld oder mangels eines begründeten Tatverdachts freigesprochen wurde, § 467 II S. 2. Ein begründeter Verdacht liegt nicht mehr vor, wenn die Verdachtsgründe so weit beseitigt sind, daß der Freispruch einem solchen wegen erwiesener Unschuld nahe kommt (BGH 11, 383; 20, 208). Allgemeine Verdachtsgründe, die lediglich aus der zweifelhaften Persönlichkeit des Angeklagten hergeleitet werden, aber zum Schuldvorwurf selbst in keiner Beziehung stehen (z. B. einschlägige Vorstrafen oder labiler Charakter) begründen noch keinen Verdacht i. S. des §467 II 2 (BGH 20, 208). Gewisse Einschränkungen dieser Rechte des

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freigesprochenen Angeklagten ergeben sich aus § 2 des Gesetzes über die Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft vom 14. 7. 1904, der gemäß § 467 I I S. 2 entsprechende Anwendung findet. So entfällt ein Anspruch auf Erstattung der notwendigen Auslagen, wenn der Angeklagte vorsätzlich oder grobfahrlässig die Einleitung des gegen ihn eingeleiteten Verfahrens verschuldet hat, z. B. durch sinnlose Aussageverweigerung im Ermittlungsverfahren. Wird das Verfahren e i n g e s t e l l t , so trägt ebenfalls die Staatskasse die Kosten. Besonderheiten ergeben sich, wenn das Verfahren wegen Z u r ü c k n a h m e d e s S t r a f a n t r a g s , durch den es bedingt war, eingestellt wurde. In diesem Falle hat der Antragsteller die Gerichtskosten sowie die dem Beschuldigten erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen. Diesem Kostenrisiko kann der Antragsteller dadurch entgehen, d a ß er seinen Strafantrag nur unter der Bedingung zurücknimmt, d a ß er durch die Kostenentscheidung von jeder Kostenlast befreit wird (BGH 9, 149). Das Gericht hat hierbei die Möglichkeit, dem Angeklagten die Kosten aufzuerlegen, allerdings nur, sofern er sich zur Übernahme bereit erklärt. Schließlich sieht das Gesetz dort, wo es unbillig wäre, die Beteiligten zu belasten, die Möglichkeit vor, der Staatskasse die Kosten aufzuerlegen (§ 47°)• Wird das Verfahren wegen V e r j ä h r u n g eingestellt, so sind in entsprechender Anwendung von § 467 I I auch die n o t w e n d i g e n A u s l a g e n d e s A n g e k l a g t e n der Landeskasse aufzuerlegen. Ein Angeklagter, der nicht mehr verfolgt werden durfte, darf nicht schlechter gestellt werden als ein freigesprochener Angeklagter (BGH 13, 75). Die durch § 467 I I Satz 2 gebotenen Einschränkungen sind allerdings auch hier zu beachten (BGH a. a. O. 79). K e i n A n s p r u c h auf Erstattung der notwendigen Auslagen besteht ferner dann, wenn die Verfolgung unter dem in der Anklage zugrunde gelegten rechtlichen Gesichtspunkt erst auf Grund der Beweisaufnahme entfällt und die T a t nach einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt zwar strafbar, aber nicht mehr verfolgbar ist. In diesem Fall kann die Einstellung wegen Verjährung dem Freispruch wegen erwiesener Unschuld nicht gleichgestellt werden (BGH N J W 65, 1818). B e i s p i e l : A ist wegen Mordes angeklagt. In der H V läßt sich jedoch nur ein inzwischen verjährter Totschlag nachweisen (vgl. BGH a. a. O.). 4. D i e K o s t e n p f l i c h t i n P r i v a t k l a g e s a c h e n . a) Wird der B e s c h u l d i g t e v e r u r t e i l t , so hat er außer den Gerichtskosten auch die notwendigen Auslagen des Privatklägers zu erstatten, § 471 Abs. 1. b) Wird der B e s c h u l d i g t e a u ß e r V e r f o l g u n g g e s e t z t oder f r e i g e s p r o c h e n oder wird das Verfahren e i n g e s t e l l t , so fallen dem Privatkläger die Kosten des Verfahrens sowie die dem Beschuldigten erwachsenen notwendigen Auslagen zur Last, § 471 Abs. 2. (Wegen Ausnahmen siehe §471111.) 5. Die Kosten eines z u r ü c k g e n o m m e n e n oder e r f o l g l o s e i n g e l e g t e n R e c h t s m i t t e l s treffen den, der es eingelegt hat. W a r das

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I I . Teil: Lösungen

Rechtsmittel von der Staatsanwaltschaft eingelegt, so können die d e m Beschuldigten erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt werden. H a t t e das Rechtsmittel t e i l w e i s e n E r f o l g (z. B. es w u r d e Freisprechung beantragt, aber n u r Strafermäßigung erreicht), so k a n n das Gericht die G e b ü h r ermäßigen u n d die entstandenen Auslagen angemessen verteilen, § 473 Abs. 1 S. 3. Hierbei ist zu beachten, d a ß sich § 473 Abs. 1 Satz 3 n u r auf die G e r i c h t s k o s t e n u n d die g e r i c h t l i c h e n A u s l a g e n bezieht, nicht auch auf die Auslagen des Angeklagten. Diese sind von der Staatskasse n u r dort zu ü b e r n e h m e n , w o das Gesetz eine entsprechende Regelung ausdrücklich vorsieht, z. B. in den §§ 471, 472 a u n d 473 I Satz 2 (vgl. B G H 10, 15). 6. Darüber, wie zu entscheiden ist, wenn das Rechtsmittel, abgesehen von der Freisprechung, den b e a b s i c h t i g t e n E r f o l g hatte, gibt das Gesetz keine unmittelbare Auskunft, d e n n § 467 betrifft n u r d e n Fall, d a ß d u r c h ein Rechtsmittel Freisprechung erstrebt u n d erreicht wird, nicht aber den Fall, d a ß das Urteil n u r in einem N e b e n p u n k t , insbesondere i m Strafausspruch angefochten u n d der erstrebte Erfolg, insbesondere eine E r m ä ß i g u n g der Strafe erreicht wird. N a c h E. 63, 3 1 1 ist in diesen} Falle § 473 Abs. 1 S. 3 entsprechend anzuwenden, d. h. die Kosten sind in einem solchen Falle d e m Gegner aufzuerlegen. 7. Wegen der Kostenpflicht eines w i d e r b e s s e r e s W i s s e n oder grobf a h r l ä s s i g Anzeigenden (§ 469) siehe Fall 17, Abschn. B I V , 2, S. 202. 8. S t i r b t ein Verurteilter v o r Rechtskraft des Urteils, so haftet sein N a c h l a ß nicht f ü r die Kosten (§ 465 I I ) .

III. Beendigung des Hauptverfahrens auf andere Weise als durch Verurteilung oder Freisprechung. 1. Ergibt sich ein V e r f a h r e n s h i n d e r n i s (z. B. Eintritt der Verj ä h r u n g oder R ü c k n a h m e des Strafantrags), so ist das Verfahren a u ß e r h a l b der H V g e m ä ß § 206a d u r c h B e s c h l u ß , i n n e r h a l b der H V g e m ä ß § 260 Abs. 3 d u r c h U r t e i l einzustellen. 2. K a n n die H V f ü r längere Zeit infolge A b w e s e n h e i t oder eines a n d e r e n in der Person des Angeklagten liegenden H i n d e r n i s s e s nicht d u r c h g e f ü h r t werden, so ist das V e r f a h r e n g e m ä ß § 205 d u r c h Beschluß einzustellen. Als „ a n d e r e Hindernisse" i. S. des § 205 k o m m e n vor allem K r a n k h e i t e n j e d e r Art, insbesondere Geisteskrankheit, in Betracht. Die Einstellung n a c h § 205 ist n u r eine vorläufige. Das Verfahren k a n n jederzeit n a c h Wegfall des Hindernisses fortgeführt werden. 3 . Bei Vergehen u n d Ü b e r t r e t u n g e n k a n n das Verfahren g e m ä ß § 153 Abs. 3 mit Z u s t i m m u n g der StA wegen G e r i n g f ü g i g k e i t eingestellt werden, w e n n die Schuld des Täters gering ist u n d kein öffentliches Interesse a n der Strafverfolgung besteht. V o r der Entscheidung ist der Beschuldigte zu hören. Der Beschluß ist u n a n f e c h t b a r , u n d zwar auch hinsichtlich der Kostenentscheidung ( O L G Karlsruhe D J 66, 15). Wegen der R e c h t s k r a f t w i r k u n g siehe Fall 12 Abschn. A I V 5, S. i s g f .

Fall 6

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4. W e i t e r e d e m O p p o r t u n i t ä t s p r i n z i p u n t e r l i e g e n d e S o n d e r f ä l l e , bei denen das Gericht das Verfahren mit Zustimmung der StA d u r c h B e s c h l u ß e i n s t e l l e n kann, finden sich in den §§ 153a Abs. 2, 153c Abs. 3, 154 Abs. 2, 154b Abs. 4. Siehe hierzu ausführlich Fall 2 Abschn. A I I I , S. 17fr. 5. I m P r i v a t k l a g e v e r f a h r e n kann das Gericht sowohl vor als auch in der H V das Verfahren einstellen, a) wenn die S c h u l d d e s T ä t e r s g e r i n g ist (§ 383 Abs. 2). Der Privatkläger hat in diesem Fall das R M der sofortigen Beschwerde. b) wenn der P r i v a t k l ä g e r s t i r b t (§ 393 Abs. 1), es sei denn, daß es sich um eine Privatklage wegen Beleidigung handelt, die von den Eltern usw. fortgesetzt wird (Abs. 2, 3); c) wenn sich herausstellt, daß die Tat im P r i v a t k l a g e v e r f a h r e n n i c h t v e r f o l g b a r ist (§389); d) wenn die P r i v a t k l a g e z u r ü c k g e n o m m e n wird (vgl. SchwarzKleinknecht § 391 Anm. 3 und Löwe-Rosenberg § 391 Anm. 5, während Eb. Schmidt Rn. 27 vor § 374 in diesem Fall eine Gerichtsentscheidung für entbehrlich hält). In den Fällen a), b) und d) erfolgt die Einstellung immer durch B e s c h l u ß , im Falle c) außerhalb der H V durch B e s c h l u ß , innerhalb der H V durch U r t e i l . 6. U n z u l ä s s i g e B e r u f u n g e n u n d R e v i s i o n e n können ebenfalls durch Beschluß verworfen werden, und zwar bereits von dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wurde (vgl. §§319, 322 für die Berufung, §§ 346, 349 für die Revision). 7. D a s V e r f a h r e n e r l e d i g t s i c h v o n s e l b s t , d. h. es bedarf keiner besonderen Einstellung durch das Gericht, wenn der A n g e k l a g t e bzw. im Privatklageverfahren der P r i v a t b e k l a g t e s t i r b t (vgl. SchwarzKleinknecht § 464 Anm. 1 A; siehe auch die folgende Lösung des Falles).

B. Lösung des Falles I. Der Antrag des Verteidigers 1. Da nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts (§§ 168, 672 BGB), die auf das Verhältnis des Verteidigers zum Beschuldigten Anwendung zu finden haben, die V o l l m a c h t d u r c h d e n T o d des letzteren im Zweifel n i c h t e r l i s c h t , war der Verteidiger zur Stellung des fraglichen Antrags an sich legitimiert. 2. Der Z w e c k des A n t r a g s ist der, die Anwaltskosten von der Staatskasse ersetzt zu erhalten, und zwar gemäß § 467 Abs. 2, der auch bei Einstellung Anwendung findet.

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II. Teil: Lösungen

II. Die Entscheidungen des Amtsrichters 1. D e r e r s t e A b l e h n u n g s b e s c h l u ß d e s A m t s r i c h t e r s a ) Zu den V e r f a h r e n s h i n d e r n i s s e n i. S. des § 206a, die das Gericht zur Einstellung des Verfahrens nach Eröffnung des Hauptverfahrens, aber vor der Hauptverhandlung berechtigen, gehören Verjährung, bereits erfolgte rechtskräftige Entscheidung in der gleichen Sache (ne bis in idem), anderweitige Rechtshängigkeit und fehlender Strafantrag. (Siehe Nachtrag zu Fall 7.) N i c h t hierher gehört jedoch der Tod des Beschuldigten. Er hat vielmehr lediglich ein E r l ö s c h e n d e r S t r a f k l a g e zur Folge; das Verfahren findet in diesem Falle also o h n e E i n s t e l l u n g s v e r f ü g u n g sein Ende. Das Gericht hat lediglich die Beendigung des Verfahrens aktenmäßig festzustellen. b) D e r e r s t e A b l e h n u n g s b e s c h l u ß d e s A m t s r i c h t e r s , d e r d e n A n t r a g d e s V e r t e i d i g e r s b e t r i f f t , ist a l s o r i c h t i g . Eine Entscheidung über die K o s t e n f r a g e kann in diesem Stadium des Verfahrens demnach n i c h t stattfinden, da § 464 mindestens eine die „Untersuchung einstellende Entscheidung" voraussetzt. 2. D e r z w e i t e A b l e h n u n g s b e s c h l u ß d e s A m t s r i c h t e r s a ) Da die S t a a t s a n w a l t s c h a f t mit ihrem Antrag eine E i n s t e l l u n g des Verfahrens in der Hauptverhandlung gemäß § 260 erreichen will, wäre erste Voraussetzung hierfür, d a ß eine Hauptverhandlung überhaupt m ö g l i c h ist. Eine solche Möglichkeit ist aber n i c h t gegeben. Der Grundsatz, daß ein Strafverfahren n u r g e g e n e i n e l e b e n d e P e r s o n durchgeführt werden kann, hat im Gesetz nur z w e i A u s n a h m e n : das W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n zugunsten eines bereits Verstorbenen gemäß § 371 (siehe Fall 15, Abschn. A I X 1, S. 178) und das sog. o b j e k t i v e V e r f a h r e n gemäß §§ 43off., das die Einziehung gemäß § 42 StGB bezweckt und an die Bedingung geknüpft ist, d a ß die Verfolgung und Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausführbar ist (siehe Fall 14, Abschn. B I I I , S. 172). Von diesen beiden gesetzlich besonders geregelten Fällen abgesehen ist jedenfalls eine H a u p t v e r h a n d l u n g n a c h d e m T o d e d e s B e s c h u l d i g t e n schon deshalb n i c h t möglich, da ein Verstorbener nicht geladen, geschweige denn gegen ihn verhandelt werden kann. b) A u s d i e s e n F e s t s t e l l u n g e n e r g i b t s i c h f ü r d e n v o r l i e g e n d e n Fall, d a ß a u c h der zweite A b l e h n u n g s b e s c h l u ß des A m t s r i c h t e r s , der d e n A n t r a g der S t a a t s a n w a l t s c h a f t b e t r i f f t , zu Bedenken keinen A n l a ß gibt. D a ß hiervon abgesehen der Antrag der Staatsanwaltschaft a u c h d e s h a l b unbegründet ist, weil der Tod des Angeklagten eine Einstellung des Verfahrens nicht bewirken kann, ergibt sich aus den oben in Abschnitt 2 a gemachten Ausführungen. (NB. Stirbt der Angeklagte n a c h Erlaß des Urteils, aber v o r dessen Rechtskraft, so können weder die Erben, die den Angeklagten f ü r un-

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schuldig halten, noch der Verteidiger ein Rechtsmittel einlegen; denn hierzu sind gemäß § 296 nur die Staatsanwaltschaft und der Beschuldigte und gemäß § 298 der gesetzliche Vertreter befugt.) III. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft 1. V o r b e m e r k u n g : A l l g e m e i n e s über die schwerde.

Rechtsmittel,

insbesondere

die

Be-

a) R e c h t s m i t t e l i. S. der StPO sind nur B e s c h w e r d e , B e r u f u n g und R e v i s i o n . Sie haben den Zweck, die Nachprüfung einer noch nicht rechtskräftigen richterlichen Entscheidung durch einen höheren Richter zu ermöglichen (sog. Devolutiveffekt). K e i n e Rechtsmittel sind also: der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens, das Gesuch um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie der Einspruch gegen den amtsrichterlichen Strafbefehl. b) B e r u f u n g und R e v i s i o n greifen die Urteile an. Die B e s c h w e r d e richtet sich gegen Beschlüsse und Verfügungen. c) Die Art des Rechtsmittels richtet sich nicht nach der F o r m , sondern nach dem Inhalt der anzufechtenden Entscheidung. (Siehe E. 63, 247, 65, 397 und BGH 8, 383, wo dargelegt wird, daß die Beantwortung der Frage, ob die im einzelnen Falle erlassene gerichtliche Entscheidung als ein Bes c h l u ß oder als ein U r t e i l anzusehen sei, nicht davon abhängt, welche Bezeichnung ihr das Gericht verliehen hat.) Ein U r t e i l kann nur durch B e r u f u n g oder R e v i s i o n angefochten werden. (Näheres über Berufung Fall 7, Vorbemerkung, und über Revision Fall 9, Vorbemerkung.) d) Bezüglich der W i r k u n g d e r E i n l e g u n g des Rechtsmittels gelten folgende Grundsätze: aa) Die Rechtsmittel h e m m e n die formelle R e c h t s k r a f t und somit die Vollstreckung der Entscheidung (sog. S u s p e n s i v e f f e k t ) , mit Ausnahme der Beschwerde (siehe § 307, 316, 343). bb) Jedes von der S t a a t s a n w a l t s c h a f t z u L a s t e n des A n g e k l a g t e n eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung a u c h z u g u n s t e n des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann, § 301. cc) Die vom Angeklagten oder zu seinen Gunsten von der Staatsanwaltschaft eingelegte B e r u f u n g oder R e v i s i o n hat die Wirkung, daß das angefochtene Urteil nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden kann (§§ 331, 358 Abs. 2). (Wegen dieses sog. Verbots der r e f o r m a t i o in p e i u s s. Nachtrag, und wegen der Möglichkeit, Berufung und Revision auf bestimmte Beschwerdepunkte zu beschränken, s. Fall 7 Abschn. A II, S. 108.) e) Wegen der Grundsätze betr. E i n l e g u n g , Z u r ü c k n a h m e V e r z i c h t siehe Fall 11 Abschn. A, S. 149. P e t t e r s - P r e i s e n d a n z , Strafprozeßfälle, 8. Aufl.

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und

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II. Teil: Lösungen

f) F ü r d a s R e c h t s m i t t e l d e r B e s c h w e r d e g i l t i m folgendes:

einzelnen

aa) Die Beschwerde ist das R e c h t s m i t t e l gegen alle richterliche Entscheidungen, die keine Urteile sind, d. h. gegen B e s c h l ü s s e und V e r f ü g u n g e n , soweit diese nicht ausdrücklich der Anfechtung entzogen sind (vgl. § 304 Abs. 1). I m einzelnen sind zu unterscheiden: а) die e i n f a c h e (fristlose) Beschwerde, ß) die s o f o r t i g e (fristgebundene) Beschwerde, y) die w e i t e r e Beschwerde, die gemäß § 310 nur gegen Beschwerdeentscheidungen des Landgerichts zulässig ist, die aus Anlaß einer Verhaftung oder einstweiligen Unterbringung ergangen sind. bb) A u s g e s c h l o s s e n i s t d i e

Beschwerde

a.) gemäß § 304 Abs. 1 in all den Fällen, in denen das G e s e t z dies a u s d r ü c k l i c h b e s t i m m t . Hierher gehören z. B. der Beschluß, durch den einem Gesuch betr. Ablehnung eines Richters stattgegeben wird (§ 28 Abs. 1), der Beschluß, durch den Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird (§46 Abs. 2) sowie der EröfFnungsbeschluß (§ 210 Abs. 1). Siehe ferner §§ 153 Abs. 3, 202 Abs. 3, 270 Abs. 3, 348 Abs. 2. ß ) gemäß §304 Abs. 4 gegen Beschlüsse und Verfügungen der O b e r l a n d e s g e r i c h t e und des B u n d e s g e r i c h t s h o f s , y) gemäß § 305 gegen B e s c h l ü s s e d e r e r k e n n e n d e n G e r i c h t e , die der Urteilsfällung vorausgehen. Erkennendes Gericht ist das Gericht, vor dem das Hauptverfahren eröffnet ist. Im Strafbefehlsverfahren wird der Amtsrichter zum erkennenden Richter, sobald gegen den Strafbefehl Einspruch eingelegt worden ist ( O L G Karlsruhe DJ 62, 26 und DJ 62, 135). Dem Beschwerdeverbot des § 305 Satz 1 unterliegen vor allem Beweisbeschlüsse. Z u den A u s n a h m e n des Satz 2 gehören z. B. die Beschwerde des Verletzten, dem der Anschluß als Nebenkläger versagt wurde, die Beschwerde von Zeugen oder Sachverständigen gegen Ordnungsstrafbeschlüsse, ferner alle Beschlüsse, die sich auf die V e r h a f t u n g (§§ i i 2 f f . ) , die e i n s t w e i l i g e Unterbringung (§ 126a), Beschlagnahmen (§§ 94fr.) und die v o r l ä u f i g e F a h r e r l a u b n i s e n t z i e h u n g ( § m a ) beziehen. б) Ergeht ein unanfechtbarer Beschluß unter Verletzung des A n s p r u c h s a u f r e c h t l i c h e s G e h ö r , so sind die dadurch das S t P A G 1964 neu eingefügten Bestimmungen der §§ 33 a, 311 a zu beachten. cc) E i n g e l e g t wird die Beschwerde zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich beim judex a quo, in dringenden Fällen auch beim Beschwerdegericht (§ 306 Abs. 1). B e f r i s t e t (eine Woche) ist die Beschwerde nur im Falle der s o f o r t i g e n Beschwerde des § 311. (Fälle der sofortigen Beschwerde: §§ 28 I S. 2, 46 I I I ; 206a I I ; 210 I I ; 322 I I ; 372; 383 I I ; 462 Abs. I V ; 469 III.)

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dd) Das Gericht oder der Vorsitzende, dessen Entscheidung angefochten wird, hat, abgesehen vom Falle der sofortigen Beschwerde (siehe § 311 Abs. 3), der Beschwerde a b z u h e l f e n , wenn sie für begründet gehalten wird (§ 306 Abs. 2). ee) Die E n t s c h e i d u n g d e s B e s c h w e r d e g e r i c h t s , die ohne vorherige mündliche Verhandlung erfolgt (siehe aber § 308), lautet e n t w e d e r auf Verwerfung der Beschwerde als u n z u l ä s s i g (nicht statthaft; oder nicht form- oder fristgerecht eingelegt) o d e r als unbegründet o d e r , falls sachlich begründet, auf A u f h e b u n g der angefochtenen Entscheidung u n d anderweitige Entscheidung in der Sache selbst. Das Beschwerdegericht hat also grundsätzlich die Vorinstanz n i c h t zu einer Ä n d e r u n g der angefochtenen Entscheidung a n z u w e i s e n , sondern unter Aufhebung der letzteren seinerseits diejenige Entscheidung zu erlassen, welche von ihm nach Lage der Sache für gerechtfertigt gehalten wird (§ 309 Abs. 2). H a t z. B. das Gericht des ersten Rechtszuges die Eröffnung des Hauptverfahrens zu Unrecht abgelehnt (§204), so erläßt das Beschwerdegericht selbst den Beschluß, welcher die Eröffnung des Hauptverfahrens ausspricht (§ 203). Handelt es sich dagegen um die U n t e r l a s s u n g einer Sachentscheidung durch das Vordergericht, so kann das Beschwerdegericht, statt sie selbst zu treffen, eine diesbezügliche Anweisung an das Vordergericht erlassen, E. 19, 332. ff) R e c h t s k r ä f t i g wird eine mit der s o f o r t i g e n Beschwerde anfechtbare Entscheidung, wenn die erstere nicht rechtzeitig eingelegt oder wenn sie verworfen wird; eine in der Beschwerdeinstanz ergehende abändernde Entscheidung wird wegen ihrer Unanfechtbarkeit sofort mit der Verkündung rechtskräftig. 2. V o r a u s s e t z u n g für den Gebrauch j e d e s R e c h t s m i t t e l s , also auch der Beschwerde, ist stets, daß derjenige, der sich des Rechtsmittels bedienen will, ein b e r e c h t i g t e s I n t e r e s s e an der Aufhebung der anzufechtenden Entscheidung, die sich u n m i t t e l b a r gegen ihn richtet, haben muß. a ) Der A n g e k l a g t e kann nur d a n n ein Rechtsmittel einlegen, wenn er b e s c h w e r t ist. Entscheidend ist dabei der U r t e i l s t e n o r . Auf die Urteilsgründe kommt es nicht an. Der Angeklagte kann daher kein Rechtsmittel einlegen, weil er nur „ m a n g e l s B e w e i s e s " , nicht wegen erwiesener Unschuld f r e i g e s p r o c h e n wird (BGH 7, 153). Anfechtbar ist in diesem Fall lediglich die Kostenentscheidung nach § 467 Abs. 4. Nach BGH 16, 374 ist ein R M gegen ein freisprechendes Urteil auch d a n n unzulässig, wenn der Freispruch wegen Z u r e c h n u n g s u n f ä h i g k e i t erfolgte und das Gericht die Frage, ob überhaupt ein tatbestandsmäßiges und rechtswidriges Verhalten vorlag, offen gelassen hat. b) Die S t a a t s a n w a l t s c h a f t kann ein berechtigtes Interesse an der Aufhebung einer Entscheidung in a l l e n F ä l l e n haben, i n d e n e n i h r ü b e r h a u p t ein R e c h t s m i t t e l zusteht. 7*

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I I . Teil: Lösungen

Der Staatsanwalt k a n n also nicht nur zugunsten des Beschuldigten (§ 296 Abs. 2), sondern a u c h z u g u n s t e n a n d e r e r P e r s o n e n ein Rechtsmittel einlegen, d a er nicht ein Privatinteresse zu vertreten, sondern der objektiven Gerechtigkeit Geltung zu verschaffen h a t . 3 . M a n wird d a h e r i m v o r l i e g e n d e n F a l l e d e m Staatsanwalt das R e c h t zugestehen müssen, b e i d e E n t s c h e i d u n g e n des Amtsrichters mit der Beschwerde a n z u f e c h t e n , denn auch die e r s t e Entscheidung, die sich eigentlich n u r gegen den Verteidiger gerichtet h a t , h a t t e die Einstellung des Verfahrens z u m Gegenstande u n d w a r insofern geeignet, ein von der Staatsanwaltschaft zu vertretendes Interesse (ordnungsmäßige Erledigung des Strafverfahrens) zu begründen. D a ß die z w e i t e Entscheidung offenbar nicht in F o r m eines formellen Beschlusses getroffen wurde, ist rechtlich bedeutungslos, d a die Beschwerde gegen j e d e richterliche M a ß n a h m e gegeben ist.

IV. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts 1. Z u s t ä n d i g ist f ü r die Entscheidung über die Beschwerde, die zunächst g e m ä ß § 306 Abs. 1 beim Amtsrichter einzureichen ist, der zur A b ä n d e r u n g der Entscheidung g e m ä ß § 306 Abs. 2 befugt ist, die Strafk a m m e r (§ 73 G V G ) . 2. Die E n t s c h e i d u n g m u ß d a h i n l a u t e n , d a ß d i e B e s c h w e r d e d e r S t a a t s a n w a l t s c h a f t aus den oben erörterten G r ü n d e n als u n b e g r ü n d e t v e r w o r f e n w i r d . Die Kosten fallen g e m ä ß § 473 der Staatskasse zur Last. (NB. Der Anwalt wird seine Kostenforderung gegen die E r b e n des verstorbenen Angeklagten geltend m a c h e n müssen.)

Nachtrag D a s V e r b o t d e r sog. r e f o r m a t i o in p e i u s 1. G r u n d s a t z : Das Urteil darf in Art u n d H ö h e der Strafe nicht z u m Nachteil des Angeklagten geändert werden, w e n n lediglich er selbst, sein gesetzlicher Vertreter oder die Staatsanwaltschaft zu seinen Gunsten ein Rechtsmittel eingelegt hat. Dieser Grundsatz ist im Gesetz ausdrücklich ausgesprochen f ü r das B e r u f u n g s v e r f a h r e n in § 3 3 1 , f ü r das R e v i s i o n s v e r f a h r e n in § 358 I I . F ü h r t ein R M des Angeklagten g e m ä ß § 260 Abs. 3 zur E i n s t e l l u n g des Verfahrens wegen eines b e h e b b a r e n V e r f a h r e n s h i n d e r n i s s e s , so darf der Angeklagte in d e m n a c h Beseitigung des Mangels d u r c h g e f ü h r ten neuen Verfahren nicht zu einer schwereren Strafe als i m ersten Verf a h r e n verurteilt werden ( B a y O b L G N J W 61, 1487). Das Verbot der reformatio in peius gilt schließlich auch d a n n , w e n n auf ein v o m Angeklagten, seinem gesetzlichen Vertreter oder der Staatsanwaltschaft zu seinen Gunsten eingelegtes Rechtsmittel die Sache g e m ä ß §§ 328 I I , 354 I I z u r ü c k v e r w i e s e n oder gem. §§ 328 I I I , 355 a n das zuständige Gericht w e i t e r v e r w i e s e n wird. F ü r das W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n siehe die entsprechende Regelung in § 373 I I .

Fall 6

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2. Der S i n n des V e r b o t s der reformatio in peius ist der, daß der Angeklagte die einmal erlangte Position nicht wieder verlieren soll, wenn nur er, sein gesetzlicher Vertreter oder die Staatsanwaltschaft zu seinen Gunsten ein Rechtsmittel eingelegt bzw. die Wiederaufnahme des Verfahrens betrieben hat. D e r A n g e k l a g t e soll i n s b e s o n d e r e n i c h t d u r c h die G e f a h r einer h ä r t e r e n Bestrafung von der E i n l e g u n g e i n e s R e e l l t s m i t t e l s o d e r von e i n e m A n t r a g auf W i e d e r a u f n a h m e des V e r f a h r e n s a b g e s c h r e c k t w e r d e n . 3. N u r d e r S t r a f a u s s p r u c h unterliegt dem Verbot der reformatio In peius, n i c h t a u c h d e r S c h u l d s p r u c h . Dies ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut des Gesetzes. Das erneut mit der Sache befaßte Gericht ist also nicht gehindert, eine abweichende, für den Angeklagten nachteilige rechtliche Würdigung der Tat vorzunehmen. Der Angeklagte kann zum Beispiel auf seine Berufung vom Landgericht wegen Raubs verurteilt werden, obwohl das Amtsgericht die Tat noch als Diebstahl gewürdigt hatte. Nur die Strafe darf nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden. 4. I m e i n z e l n e n ist w e g e n des S t r a f m a ß e s f o l g e n d e s zu b e achten: a) Es liegt k e i n e Verschärfung vor, wenn das neu erkennende Gericht an Stelle der vom ersten Gericht erkannten F r e i h e i t s s t r a f e eine G e l d s t r a f e verhängt, sofern letztere die gesetzlich festgelegten Maximalgrenzen nicht überschreitet. Es bedeutet f e r n e r k e i n e Verschärfung, wenn an Stelle der früheren Z u c h t h a u s s t r a f e eine Gefängnisstrafe von längerer Dauer tritt, sofern sie die durch den Umwandlungsmaßstab des § 21 StGB gezogene Grenze einhält (BGH 2, 96). b) War im ersten Urteil auf eine G e s a m t s t r a f e erkannt, so sind folgende drei Fälle zu unterscheiden: aa) Liegt eine Gesamtstrafe wegen z w e i e r Delikte vor, z. B. fünf Monate Gefängnis wegen Diebstahls und zwei Monate Gefängnis wegen Betrugs, zusammengezogen zu einer Gesamtstrafe von sechs Monaten, so darf im zweiten Urteil im Falle der Freisprechung von der Anklage des Betrugs auf höchstens fünf Monate Gefängnis erkannt werden. bb) Bezog sich die Gesamtstrafe des ersten Urteils auf m e h r als z w e i Delikte, war z. B. auf fünf Monate Gefängnis wegen Diebstahls, zwei Monate Gefängnis wegen Betrugs und ein Monat Gefängnis wegen Unterschlagung, Gesamtstrafe sechs Monate Gefängnis erkannt worden, so kann der zweite Richter, wenn er bezüglich der Unterschlagung zu einer Freisprechung gelangt, trotzdem die Gesamtstrafe von sechs Monaten aufrechterhalten (BGH 7, 86); dagegen müßte er sie ermäßigen, wenn er wegen Betrugs freispräche und nur wegen Diebstahls und Unterschlagung verurteilte. cc) Es liegt ein Verstoß gegen das Verbot der S c h l e c h t e r s t e l l u n g des Angeklagten vor, wenn das neue Urteil zwar keine höhere Gesamtstrafe als die früher erkannte ausspricht, jedoch die Einzelstrafen höher bemißt als das aufgehobene Urteil (vgl. BGH 13, 42; 14, 7).

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II. Teil: Lösungen

c) Ist in erster Instanz gemäß § 79 StGB eine n a c h t r ä g l i c h e Ges a m t s t r a f e gebildet worden und darf in der Berufungsinstanz keine Gesamtstrafe mehr gebildet werden, weil die bei der Strafbildung einbezogene Strafe aus dem früheren, bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren inzwischen verbüßt ist, so darf der Angeklagte dessen ungeachtet der ihm einmal gewährten Vergünstigung des § 79 StGB nicht verlustig gehen, obwohl die Voraussetzungen des § 79 StGB an sich gar nicht mehr vorliegen. Die Strafe in dem noch anhängigen Verfahren darf daher nicht höher bemessen werden als die frühere Gesamtstrafe abzüglich der verbüßten Einzelstrafe. Entsprechendes gilt, wenn auf die Revision des Angeklagten eine nachträgliche Gesamtstrafe aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an den Tatrichter zurückverwiesen wird (BGH 12, 94). d) Ist im ersten Urteil die U n t e r s u c h u n g s h a f t angerechnet worden, so bedeutet Beseitigung der Anrechnung ohne gleichzeitige Herabsetzung der Strafe eine unzulässige Verschärfung. Lautet also das erste Urteil auf ein Jahr Gefängnis unter Anrechnung von vier Monaten Untersuchungshaft, so wäre eine Herabsetzung der Strafe auf neun Monate ohne Anrechnung der Untersuchungshaft eine Verschärfung (vgl. E. 59, 231; BGH J Z 52, 7545 NJW 55, 1847). 5. Das Verbot der reformatio in peius steht der Anordnung der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt, einer Trinkerheilanstalt oder einer Entziehungsanstalt nicht entgegen, wohl aber allen anderen Maßregeln der Sicherung und Besserung, z. B. der Fahrerlaubnisentziehung und der Anordnung der Sicherungsverwahrung, was aus deren Nichterwähnung in den §§ 331 II, 358 II und 373 II zu entnehmen ist. 6. N a c h t e i l i g e K o s t e n e n t s c h e i d u n g e n werden vom Verbot der reformatio in peius nicht erfaßt (BGH 5, 52).

ZU FALL 7 A. Vorbemerkung I. Das Rechtsmittel der Berufung 1. Allgemeines, Unterschied zur Revision Die Berufung bezweckt die Nachprüfung des angefochtenen Urteils in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, während die R e v i s i o n nur eine Nachprüfung in rechtlicher Hinsicht erreichen kann. Der Berufung unterliegen alle Urteile des Amtsrichters bzw. Schöffengerichts (§ 312) mit Ausnahme der in § 313 genannten Urteile des Amtsrichters, die ausschließlich Übertretungen zum Gegenstand haben und durch die der Angeklagte entweder freigesprochen oder ausschließlich zu Geldstrafe ver-

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urteilt worden ist. Diese sind nur mit der Revision anfechtbar (sog. E r s a t z r e v i s i o n ) . F ü r die Frage, ob ein Urteil nur Übertretungen zum Gegenstand hat, sind die Urteilsgründe entscheidend, nicht der Tenor. I n den Urteilsgründen hat sich das Gericht mit allen Punkten des Eröffnungsbeschlusses zu befassen. Hieraus folgt: W a r dem Angeklagten im Eröifnungsbeschluß ein Vergehen (z. B. ein Diebstahl) zur Last gelegt worden, so greift § 3 1 3 selbst dann nicht ein, wenn der Angeklagte schließlich nur wegen Genußmittelentwendung (Übertretung gemäß § 370 Ziff. 5 StGB) zu einer Geldstrafe von 30,— D M verurteilt wurde; die Beteiligten haben vielmehr gemäß § 3 1 2 das Rechtsmittel der Berufung (h. L., vgl. O L G H a m m N J W 57, 74 und B a y O b L G V R S 57, 287 mit weiteren Nachweisen) . A n Stelle jeder an sich zulässigen Berufung kann Revision eingelegt werden ( § 3 3 5 ; sog. S p r u n g r e v i s i o n , streng zu unterscheiden von der oben behandelten Ersatzrevision). Eine solche Sprungrevision ist allerdings nur dann sinnvoll, wenn der Sachverhalt bereits geklärt ist und nur noch reine Rechtsfragen streitig sind. K a n n oder will sich der Beschwerdeführer zunächst noch nicht entscheiden, ob er die Berufung oder die Revision wählen soll, so genügt es, wenn er innerhalb der Rechtsmittelfrist erklärt, daß er das Urteil „ a n fechte" ( B G H 2, 62). Die Entscheidung, ob das Urteil mit der Berufung oder der Revision angefochten werden soll, ist dann innerhalb der Rechtsmittelbegründungsfrist ( § § 3 1 7 , 3 4 5 ) zu treffen und dem Gericht mitzuteilen. G e h t a u c h i n n e r h a l b d e r B e g r ü n d u n g s f r i s t k e i n e e i n d e u t i g e E r k l ä r u n g e i n , so ist d a s R e c h t s m i t t e l a l s B e r u f u n g zu b e h a n d e l n . I n Fortentwicklung dieser Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof bis zum Ablauf der Begründungsfrist auch den U b e r g a n g v o n B e r u f u n g a u f R e v i s i o n f ü r z u l ä s s i g erklärt ( B G H 5, 3 3 8 ; ebenso O L G Stuttgart N J W 57, 641). Hiergegen bestehen um so weniger Bedenken, als der Übergang von Berufung auf Revision bei genauer Betrachtung nichts anderes ist als ein nachträglicher Verzicht auf die Uberprüfung des Urteils in tatsächlicher Hinsicht. Bedenklicher erscheint dagegen ein U b e r g a n g v o n R e v i s i o n a u f B e r u f u n g ; denn mit der Wahl der Sprungrevision hat der Beschwerdeführer bereits auf die Uberprüfung des Urteils in tatsächlicher Hinsicht verzichtet. (Siehe auch die ausdrückliche Regelung in § 566a Z P O . ) Das O L G Stuttgart hat daher in N J W 57, 641 durchaus konsequent den nachträglichen Ubergang von Revision auf Berufung f ü r unzulässig erklärt. Auch der Bundesgerichtshof hält einen nachträglichen Ubergang von Revision auf Berufung für unzulässig, allerdings nur für den Fall, daß der Beschwerdeführer bereits bei Einlegung des Rechtsmittels z w e i f e l s f r e i zu erkennen gibt, daß er an Stelle der an sich zulässigen Berufung und unter Verzicht auf sie als Rechtsmittel die Revision wählt ( B G H 1 3 , 388, 392). I m übrigen aber ist es nach Ansicht des B G H zulässig, noch

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I I . Teil: Lösungen

innerhalb der Begründungsfrist zu erklären, daß das zunächst als Revision bezeichnete Rechtsmittel als Berufung zu behandeln sei. Der B G H will auf diese Weise verhindern, daß der Beschwerdeführer an seiner im Vorstadium des zweiten Rechtszugs möglicherweise vorschnell erklärten Rechtsmittelbezeichnung festgehalten wird. Z u m Ganzen siehe auch B G H 1 7 , 44 und Eb. Schmidt N J W 6o, 1 6 5 1 . 2 . Das Berufungsgericht hat, vorbehaltlich der aus §§ 3 1 8 , 327 und 3 3 1 sich ergebenden Einschränkungen in a b s o l u t e r U n a b h ä n g i g k e i t von dem erstrichterlichen Verfahren und dessen Ergebnissen über den Gegenstand der Anklage v o n n e u e m zu verhandeln, dabei auch allen zutage tretenden Änderungen der Sachlage Rechnung zu tragen und ausschließlich auf Grund der Berufungsverhandlung nach e i g e n e r U b e r z e u g u n g die Entscheidung zu treffen, und zwar grundsätzlich in der Sache selbst. I m Gegensatz zur Revision erfolgt bei der Berufung nur a u s n a h m s w e i s e eine Z u r ü c k v e r w e i s u n g an die Vorinstanz (den Amtsrichter bzw. das Schöffengericht), nämlich im Falle des § 328 Abs. 2. O b die Urteilsfindung auf Geschehnisse ausgedehnt wird, die erst in der Berufungsverhandlung als zu der „ T a t " gehörig ermittelt werden, ist ohne Belang. Gegenstand der Urteilsfindung ist also nicht das, was der erste Richter als „ T a t " ermittelt h a t , sondern der Urteilsfindung unterliegen auch die Tatsachen und Vorgänge, die im Rahmen des § 264 bei erschöpfender tatsächlicher und rechtlicher Würdigung als die unter Anklage gestellte „ T a t " zu erfassen gewesen w ä r e n ; nicht den Tatbestand des angefochtenen Urteils, sondern die „ T a t " in ihrem ganzen Umfange ist es, worüber die S t P O einen zweiten Rechtszug eröffnet und einen Anspruch auf abermalige Verhandlung und Entscheidung gewährt. 3 . Die wesentlichen Bestimmungen über den G a n g d e s B e r u f u n g s v e r f a h r e n s sind in den § § 3 1 2 , 325, 326, 327, 328 enthalten. a ) Der Amtsrichter hat zunächst zu prüfen, o b B e r u f u n g eingelegt und ob dies r e c h t z e i t i g geschehen ist, d . h . binnen einer Woche ( § 3 1 4 ) . Ist die Berufung v e r s p ä t e t eingelegt, so hat sie der Amtsrichter als u n z u l ä s s i g z u v e r w e r f e n , § 3 1 9 Abs. 1. Der Beschwerdeführer kann dann binnen einer Woche die Entscheidung des Berufungsgerichts beantragen, § 3 1 9 Abs. 2. b ) Ist die Berufung rechtzeitig eingelegt, so sind die Akten nach Ablauf der Rechtfertigungsfrist von der Geschäftsstelle des Amtsgerichts der Staatsanwaltschaft beim erstinstanzlichen Gericht zu übersenden, die, falls von ihr Berufung eingelegt wurde, Berufungseinlegung und Rechtfertigung dem Angeklagten zuzustellen hat (§ 320). c ) Die Staatsanwaltschaft übermittelt dann die Akten an die Staatsanwaltschaft beim Berufungsgericht, die sie ihrerseits binnen einer Woche dem Vorsitzenden des Berufungsgerichts zu übersenden hat (§ 3 2 1 ) . d ) Es erfolgt nunmehr seitens des Berufungsgerichts (ebenso wie bei der Revision nach § 349) zunächst eine f o r m a l e V o r p r ü f u n g a u ß e r -

Fall 7

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h a l b d e r H a u p t v e r h a n d l u n g dahin, ob die Bestimmungen über die Einlegung der Berufung (Form und Frist) beobachtet wurden. Ist diese Frage zu verneinen, dann k a n n das Berufungsgericht schon in diesem Stadium des Verfahrens die Berufung durch einen mit der sofortigen Beschwerde anfechtbaren B e s c h l u ß als u n z u l ä s s i g v e r w e r f e n (§ 322). (NB. Auch i n der Hauptverhandlung kann diese Frage nochmals geprüft werden und führt bei Verneinung der formalen Voraussetzungen ebenfalls zur Verwerfung der Berufung, diesmal aber durch Urteil, § 322 I S. 2.) e) Aus dem Hinweis in § 323 Abs. 1 auf § 2 1 4 folgt, daß die V o r b e r e i t u n g d e r H a u p t v e r h a n d l u n g in der zweiten Instanz in demselben Maße Sache der S t a a t s a n w a l t s c h a f t ist wie in der ersten Instanz; es steht ihr also vor allem die Entschließung über den Umfang der Beweisaufnahme zu. f ) Die H a u p t v e r h a n d l u n g verläuft, abgesehen von den in g) bis i) erwähnten Besonderheiten, wie in der ersten Instanz (§ 332). Nachdem die Hauptverhandlung nach Vorschrift des § 243 Abs. 1 begonnen hat, hält ein Berichterstatter (bzw. der Vorsitzende, falls ein Urteil des Einzelrichters angefochten wird und daher die k l e i n e Strafkammer als Berufungsgericht zuständig ist) in Abwesenheit der Zeugen einen Vortrag über die Ergebnisse des bisherigen Verfahrens, wobei das Urteil des ersten Rechtszugs verlesen werden muß (§ 324). Von der Verlesung der Urteilsgründe kann abgesehen werden, wenn sie für die Berufung nicht von Bedeutung sind. g ) D a die Sache in der Berufungsinstanz aufs neue verhandelt werden muß, bedarf es regelmäßig einer a b e r m a l i g e n B e w e i s a u f n a h m e , es sei denn, daß nach Lage der Sache in der zweiten Instanz ein Grund vorliegt, von einer Beweisaufnahme ganz oder teilweise abzusehen ( § 3 2 3 Abs. 2). So wird eine abermalige Beweisaufnahme wohl stets entbehrlich sein, wenn die Sache gemäß § 328 Abs. 2 in die erste Instanz zurückzuverweisen ist oder wenn lediglich über eine Rechtsfrage zu entscheiden ist. Dagegen wird eine a b e r m a l i g e B e w e i s a u f n a h m e durch nochmalige Vernehmung der in erster Instanz gehörten Zeugen (also nicht nur durch Verlesung ihrer in erster Instanz gemachten Angaben nach § 325) immer dann notwendig sein, wenn die Schuldfrage nicht ganz eindeutig geklärt ist. h ) Eine Durchbrechung des in § 250 niedergelegten Grundsatzes der U n m i t t e l b a r k e i t d e r B e w e i s a u f n a h m e ( M ü n d l i c h k e i t der Aussagen der Zeugen und Sachverständigen) enthält § 325 insofern, als, abgesehen von den Fällen der § § 2 5 1 , 253, an Stelle der abermaligen mündlichen Vernehmung die V e r l e s u n g d e s i n e r s t e r I n s t a n z a u f g e n o m m e n e n P r o t o k o l l s gestattet sein soll, wenn Staatsanwaltschaft und Angeklagter zustimmen (die Zustimmung kann nicht widerufen werden, E . 63, 302), o d e r die Zeugen usw. zur Berufungsverhandlung nicht geladen (oder gestellt) sind und der Angeklagte ihre Ladung nicht so rechtzeitig beantragt hat, daß sie noch ausführbar war. I n diesem Falle ist eine Ver-

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I I . Teil: Lösungen

lesung auch dann möglich, wenn beide Teile widersprechen. Eine solche Beweisaufnahme durch Verlesung der Aussagen der in der Hauptverhandlung des ersten Rechtszuges vernommenen Zeugen und Sachverständigen wird vor allem dann Platz greifen, wenn durch die Verlesung die fragliche Tatsache ebenso sicher aufgeklärt werden kann wie durch die Vernehmung. (NB. Eine solche ausnahmsweise an Stelle der unmittelbaren Vernehmung eines Zeugen gestattete Verlesung seiner Aussage setzt, wie im Falle des § 2 5 1 , stets voraus, daß bei seiner Vernehmung die Vorschriften über die Beeidigung, und zwar nach Maßgabe der hierfür zur Zeit der Berufungsverhandlung bestehenden Zulässigkeit und Möglichkeit, beachtet sind. Ist also ein in erster Instanz uneidlich vernommener Zeuge inzwischen eidesmündig geworden, so ist die Verlesung seiner uneidlichen Aussage nicht statthaft (E. 63, 229), es sei denn, daß das Gericht eine der Voraussetzungen des § 61 für vorliegend erachtet.) i ) Nach dem Schluß der Beweisaufnahme finden die S c h l u ß v o r t r ä g e statt, wobei der Beschwerdeführer zuerst gehört wird (§ 326). k) D i e E n t s c h e i d u n g des B e r u f u n g s g e r i c h t s : aa) Ist die Berufung b e g r ü n d e t , dann wird das angefochtene Urteil aufgehoben und, wie oben in Abschnitt 2 erörtert wurde, in der Regel vom Berufungsgericht i n d e r S a c h e s e l b s t entschieden (§ 328 Abs. 1). (Wegen des Verbots der reformatio in peius siehe Nachtrag zu Fall 6, S. 100.) bb) Ergibt die Berufungsverhandlung, daß die Berufung u n b e g r ü n d e t ist, dann wird sie v e r w o r f e n . cc) Hat das Amtsgericht seine Z u s t ä n d i g k e i t z u U n r e c h t angenommen, dann verweist das Berufungsgericht gemäß § 328 Abs. 3 unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache an das zuständige Gericht, und zwar durch U r t e i l , das wie jedes andere Berufungsurteil mit der Revision anfechtbar ist (E. 65, 397). dd) Wegen des Falles des § 328 Abs. 2 siehe Fall 8 Abschnitt I I I 2, S. 1 1 9 . 1 . Die s e i t e n s d e s A n g e k l a g t e n e i n g e l e g t e B e r u f u n g ist gemäß § 329 Abs. 1 ohne Prüfung der Sach- und Rechtslage s o f o r t z u v e r w e r f e n , wenn der Angeklagte trotz ordnungsgemäßer L a d u n g weder selbst erschienen noch ausreichend entschuldigt noch in gesetzlich zulässiger Weise vertreten ist. aa) Wegen der Frage, in welchen Fällen der Angeklagte sich in zulässiger Weise v e r t r e t e n lassen kann, siehe ausführlich Fall 6 Abschn. A I 2 c, S. 90. bb) Die Verwerfung nach § 32g Abs. 1 ist u n z u l ä s s i g , wenn der Angeklagte zuvor vom Erscheinen in der H V vor dem Berufungsgericht gemäß § 233 entbunden oder wenn er gemäß § 232 in der Ladung darauf hingewiesen worden war, daß auch ohne ihn verhandelt werden kann. I n diesen

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Fall 7

Fällen bedarf es auch keines Vertreters, um die Säumnisfolgen des § 329 Abs. 1 zu vermeiden. cc) Die Säumnisfolgen des § 329 Abs. 1 werden nicht dadurch ausgeschlossen, daß das Gericht gemäß § 236 das persönliche Erscheinen angeordnet hat (vgl. Schwarz-Kleinknecht § 3 2 9 Anm. 1). dd) Die sofortige Verwerfung ist nicht mehr zulässig, wenn das Berufungsgericht schon in einem früheren Termin zur Sache verhandelt, die Sache dann aber vertagt hat ( B G H 1 7 , 188, str.). m ) H a t d i e S t a a t s a n w a l t s c h a f t B e r u f u n g e i n g e l e g t , so kann über ihr Rechtsmittel auch i n A b w e s e n h e i t d e s A n g e k l a g t e n v e r h a n d e l t w e r d e n , sofern dieser trotz ordnungsgemäßer Ladung unter Hinweis auf die Folgen seines Ausbleibens unentschuldigt ausgeblieben ist (§ 329 Abs. 1 ; B G H 17, 391). Die Höhe der zu erwartenden Strafe ist dabei unerheblich. Das Gericht muß jedoch prüfen, ob nicht die Pflicht zur Erforschung der Wahrheit (§ 244 Abs. 2) oder andere Umstände, z. B. das Erfordernis eines Hinweises nach § 265, die Zuziehung des Angeklagten zur H V im Wege der Vorführung oder der Verhaftung verlangen ( B G H a. a. O.). n) H a b e n s o w o h l der A n g e k l a g t e als a u c h die S t A B e r u f u n g e i n g e l e g t , so ist unter den Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 zuerst die Berufung des Angeklagten zu verwerfen. Alsdann muß sich das Gericht darüber schlüssig werden, ob es über die Berufung der StA in Abwesenheit des Angeklagten verhandelt (in diesem Fall können also in derselben Verhandlung zwei getrennte Urteile ergehen, vgl. E . 65, 231 ff.) oder ob es die Vorführung oder Verhaftung des Angeklagten anordnet.

4. D i e i n d e r P r a x i s a m h ä u f i g s t e n formeln des Berufungsgerichts l a u t e n :

vorkommenden

Urteils-

a ) Das Berufungsgericht hält die Berufung für unbegründet: Die Berufung wird auf Kosten des Angeklagten (der Staatskasse) verworfen. b ) Die Berufung ist teilweise begründet: Die Berufung des Angeklagten (der Staatsanwaltschaft) wird mit der Maßgabe verworfen, daß die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte in Wegfall kommt. c) Das Berufungsgericht hält nicht, wie die erste Instanz, fünf Diebstähle für erwiesen, sondern nur drei: Das Urteil des Amtsrichters wird aufgehoben. Der Angeklagte wird wegen Diebstahls in drei Fällen zu einer Gefängnisstrafe von x Monaten verurteilt. I m übrigen wird er freigesprochen. Soweit Verurteilung erfolgte, hat der Angeklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen, im übrigen fallen die Kosten der Staatskasse zur Last. d ) Angeklagte A und B sind in erster Instanz verurteilt worden. Das Berufungsgericht hält nur die Schuld des A für erwiesen: Das Urteil des Amtsgerichts wird, soweit es den Angeklagten B betrifft, aufgehoben; dieser Angeklagte wird auf Kosten der Staatskasse freigesprochen. Die Berufung des Angeklagten A wird auf dessen Kosten verworfen. e ) Das Berufungsgericht hält das Strafmaß erster Instanz für zu hoch: Das Urteil des Amtsgerichts wird im Strafmaß aufgehoben. Der Ange-

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II. Teil: Lösungen

klagte wird zu x Monaten Gefängnis und zur Tragung der Kosten verurteilt. f ) Das Berufungsgericht hält die Kostenentscheidung im Privatklageverfahren für falsch: Das Urteil des Amtsgerichts wird hinsichtlich der Kostenentscheidung aufgehoben. Im übrigen wird die Berufung verworfen. Die gerichtlichen Kosten werden dem Privatkläger auferlegt, die außergerichtlichen gegeneinander aufgehoben. (NB. Wegen der Kostenentscheidung bei teilweisem Erfolg vgl. § 473 und Fall 6, Abschn. A II 6, S. 94.)

II. Über die teilweise Anfechtung im allgemeinen 1. Jeder Angeklagte, der verurteilt worden ist, hat nicht nur das Recht, die ihm nachteilige Entscheidung anzufechten, sondern kann auch darüber entscheiden, in w e l c h e m U m f a n g e er das Rechtsmittel einlegen will. A n d e r e r s e i t s verbietet die StPO dem Rechtsmittelrichter grundsätzlich, das angefochtene Urteil weiter nachzuprüfen, als die Anfechtungsanträge des Angeklagten gehen (§§ 316 I, 318, 327, 344 I, 352 I). 2. Eine B e s c h r ä n k u n g d e r A n f e c h t u n g ist sowohl bei der B e r u f u n g als auch bei der R e v i s i o n stets dann zulässig und als solche wirksam, w e n n der angefochtene Teil der Entscheidung, losgelöst von dem nichtangegriffenen Teil, einer s e l b s t ä n d i g e n P r ü f u n g u n d B e u r t e i l u n g zugänglich ist, ohne ein erneutes Eingehen auf diese anderen Teile notwendig zu machen (E. 65, 296; B G H 5, 252). Die Beschränkung kann s c h o n b e i d e r E i n l e g u n g des Rechtsmittels oder in der Berufungs- bzw. Revisionsrechtfertigung, schließlich aber auch noch in der Hauptverhandlung erfolgen. D a die nachträgliche Beschränkung aber eine t e i l w e i s e R ü c k n a h m e des Rechtsmittels bedeutet, so untersteht sie der Schranke des § 303. Andererseits aber ist die einmal erfolgte Beschränkung unwiderruflich. 3. Ist das Rechtsmittel (Berufung oder Revision) auf solche rechtlich abtrennbaren Teile beschränkt, so ist das Urteil im übrigen rechtskräftig geworden. Es liegt eine sog. t e i l w e i s e R e c h t s k r a f t vor. Sie hat für die von ihr erfaßten Teile des Urteils die gleiche rechtliche Wirkung wie die völlige Rechtskraft für das ganze Urteil. Für ihren Bereich bewirkt die durch die Rechtsmittelbeschränkung hervorgerufene teilweise Rechtskraft demnach den V e r b r a u c h d e r S t r a f k l a g e und erzeugt damit insoweit ein P r o z e ß h i n d e r n i s (ne bis in idem), das sowohl vom Berufungsgericht als auch vom Revisionsgericht v o n A m t s w e g e n zu berücksichtigen ist. (Siehe Nachtrag.) 4. B e i s p i e l e a u s d e r P r a x i s : a ) E i n e B e s c h r ä n k u n g d e r A n f e c h t u n g ist z u l ä s s i g u n d wirksam: aa) wenn das Urteil m e h r e r e in Realkonkurrenz zusammentreffende S t r a f t a t e n zum Gegenstand hat; hier kann jede Straftat gesondert zum Gegenstand eines Rechtsmittels gemacht werden;

Fall 7

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bb) bezüglich der S t r a f f r a g e gegenüber der S c h u l d f r a g e ( B G H 5, 252). Wird die Berufung in wirksamer Weise auf das Strafmaß beschränkt, so erwachsen die dem Schuldspruch zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen in Rechtskraft. Das Berufungsgericht darf von diesen Feststellungen nicht abweichen. Wurde zum Beispiel in erster Instanz festgestellt, daß der Angeklagte mit unbedingtem Vorsatz gehandelt hat, so darf das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung über die auf das Strafmaß beschränkte Berufung nicht von bedingtem Vorsatz ausgehen ( B G H 10, 7 1 ) . cc) I n n e r h a l b d e r S t r a f f r a g e hinsichtlich einer von mehreren Hauptstrafen, E . 47, 227 (z. B. einer Geldstrafe, welche als zweite Hauptstrafe bei Verurteilung wegen Betrugs i. w. R . neben Zuchthausstrafe verhängt werden muß); ferner hinsichtlich der Bildung einer Gesamtstrafe (E. 37, 284), einer hilfsweisen Freiheitsstrafe (E. 39, 393), einer Nebenstrafe (E. 42, 3 1 ) , z. B. Zulässigkeit der Polizeiaufsicht, Einziehung, Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte; ferner hinsichtlich der Strafe des strafschärfenden Rückfalls (E. 64, 159; 65, 237) und schließlich hinsichtlich der Nichtanwendung der §§ 157, 158 und 163 I I S t G B (E. 60, 106; 6 1 , 1 2 3 , 159). dd) hinsichtlich der Anrechnung der U n t e r s u c h u n g s h a f t ( B G H 7, 214). ee) hinsichtlich der K o s t e n e n t s c h e i d u n g . Eine Beschränkung des Rechtsmittels auf die Kostenfrage kam früher vor allem dort in Betracht, wo einem freigesprochenen Angeklagten die notwendigen Auslagen nicht erstattet wurden. Seit der Neufassung des §467 durch das S t P Ä G 1964 entscheidet das Gericht jedoch über die Verpflichtung der Staatskasse zur Übernahme der notwendigen Auslagen des Angeklagten nicht mehr durch Urteil, sondern durch einen g e s o n d e r t e n B e s c h l u ß . Dieser ergeht gleichzeitig mit dem Urteil, wird den Beteiligten aber erst zugestellt, wenn das Urteil hinsichtlich der Verfahrenskosten rechtskräftig geworden ist. E r ist mit der s o f o r t i g e n B e s c h w e r d e anfechtbar (§467 Abs. 4 und 5). b) N i c h t z u l ä s s i g u n d somit u n w i r k s a m ist d a g e g e n : aa) die B e s c h r ä n k u n g a u f d i e S c h u l d f r a g e ohne Anfechtung im Strafmaß, da die Strafe ohne eine ordnungsmäßige Schuldfeststellung nicht verhängt werden kann; bb) im Falle t a t e i n h e i t l i c h e n Z u s a m m e n t r e f f e n s mehrerer strafbarer Handlungen die Beschränkung der Anfechtung auf einen dieser Tatbestände (E. 60, 109). Die Schuldfrage bei einer und derselben Handlung muß in all diesen Fällen nach allen für die richtige Gesetzesanwendung maßgebenden Gesichtspunkten e i n h e i t l i c h geprüft werden. (Siehe Fall 8, Abschnitt I I I 1 S. 119.) cc) Die R e v i s i o n kann in der Regel nicht auf die Frage beschränkt werden, ob die Strafverfolgung v e r j ä h r t ist, da diese Frage nicht geprüft

iio

I I . Teil: Lösungen

werden kann, ohne d a ß auf die sachlichrechtliche W ü r d i g u n g des festgestellten Sachverhalts eingegangen wird. Die Revision ergreift in diesem Falle auch die sachlichrechtliche Grundlage, auf der die Frage der Verj ä h r u n g zu entscheiden ist (BGH 2, 385). c) Bezüglich der s t r a f e r h ö h e n d e n u n d s t r a f m i n d e r n d e n U m stände gilt folgendes (s. E. 69, 1 1 4 ) : aa) Liegen die besonderen U m s t ä n d e i n M e r k m a l e n d e r T a t s e l b s t begründet, so ist eine Beschränkung des Rechtsmittels u n z u l ä s s i g (so z. B. bei den Erschwerungsgründen des § 3 5 1 StGB oder bei der Gewerbsmäßigkeit der Begehung nach § 260 StGB, siehe E. 64, 151), weil hier die Gewerbsmäßigkeit einen u n t r e n n b a r e n Bestandteil der Schuldfrage bildet. bb) H a n d e l t es sich dagegen u m Umstände, die n u r ä u ß e r l i c h z u d e r T a t h i n z u t r e t e n oder in b e s o n d e r e n E i g e n s c h a f t e n oder Verhältnissen des Täters begründet sind, so ist die Beschränkung z u l ä s s i g u n d wirksam, z. B. bei der Reizung i. S. des § 2 1 3 StGB, beim Rückfall nach §§ 244, 264 StGB (E. 65, 237; B G H 5,252) sowie in den Fällen der §§ 157, 158 StGB. 5. B e s o n d e r e F ä l l e . a ) Die B e s c h r ä n k u n g des Rechtsmittels auf die S t r a f f r a g e hat zur Folge, d a ß auch die Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t des Angeklagten, d a sie ein B e s t a n d t e i l d e r S c h u l d ist, f ü r den Rechtsmittelrichter rechtskräftig feststeht u n d nicht mehr z u m Gegenstand seiner Entscheidung gemacht werden kann, selbst d a n n nicht, w e n n er bei erneuter W ü r d i g u n g der Teile der angefochtenen Entscheidung, die seiner N a c h p r ü f u n g noch unterstehen, zu der Ansicht k o m m e n sollte, d a ß der Erstrichter die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten zu U n r e c h t bejaht hat. U m g e k e h r t k a n n das Rechtsmittel nicht auf die Frage der A n w e n d u n g des § 51 I StGB beschränkt werden. A n d e r e r s e i t s aber handelt es sich bei der v e r m i n d e r t e n Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t des § 5 1 Abs. 2 StGB u m eine Bestimmung, die a u ß e r h a l b der Schuldfeststellung liegt u n d n u r die Strafe betrifft, indem sie d e m Richter lediglich einen gesetzlichen Strafermäßigungsgrund (strafmindernden U m s t a n d ) zur Verfügung stellt. Eine Rechtsmittelbeschränkung auf die Frage der A n w e n d u n g des § 5 1 Abs. 2 ist daher wirksam (str.; so wie hier B G H 7, 283; a. A. Eb. Schmidt L e h r k o m m e n t a r Teil I I Erl. 18 zu § 3 1 8 S t P O : § 5 1 I I StGB stellt nicht lediglich eine auf die Straffrage bezogene Strafzumessungsregel auf, sondern enthält eine g r u n d legende N o r m bezüglich des materiellrechtlichen Schuldbegriffs; eine auf die Nichtanwendung des § 51 I I StGB bezogene Rechtsmittelbeschränkung ist daher immer unbeachtlich). Folgt m a n der hier im Anschluß a n B G H 7, 283 vertretenen Ansicht, so ergibt sich folgendes: Bei einer auf die N i c h t a n w e n d u n g des § 5 1 I I StGB bezogenen Rechtsmittelbeschränkung wird der Schuldspruch rechtskräftig u n d k a n n selbst d a n n nicht mehr abgeändert werden, w e n n sich im weiteren Verfahren überraschend die völlige Zurechnungsunfähigkeit des Angeklagten ergibt. Die Beseitigung unerwünschter Rechtskraftfolgen m u ß im Interesse der Rechtssicherheit d e m W i e d e r a u f n a h m e v e r -

Fall 7

in

f a h r e n überlassen bleiben (vgl. B G H a.a.O.). Dieses kann erst n a c h v o l l s t ä n d i g e r R e c h t s k r a f t betrieben werden, da §359 ausdrücklich ein durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenes Verfahren voraussetzt (str.; so wie hier Schwarz-Kleinknecht Anm. 3 vor § 359 m. weiteren Nachweisen.) b) Die Beschränkung des Rechtsmittels eines als g e f ä h r l i c h e r G e w o h n h e i t s v e r b r e c h e r nach § 2 0 a S t G B Verurteilten, gegen den auch die S i c h e r u n g s v e r w a h r u n g angeordnet wurde, auf diese letztere Maßregel ist —jedenfalls dann, wenn die Strafen nach § 20 a geschärft worden sind — u n w i r k s a m . Nach B G H 7, 101 soll dies allerdings nicht gelten, wenn ausnahmsweise unter bestimmten Umständen erkennbar kein untrennbarer Zusammenhang zwischen der Sicherungsverwahrung und der Strafschärfung nach § 20 a S t G B besteht. Eine derartige Ausnahme wird jedoch in der Praxis äußerst selten sein, denn die G e f ä h r l i c h k e i t des Täters i. S. des § 20 a S t G B und die sich daraus für die Allgemeinheit ergebende Gefahr i. S. des § 4 2 e S t G B kann nur e i n h e i t l i c h beurteilt werden. Das auf die Sicherungsverwahrung beschränkte Rechtsmittel erfaßt demnach auch den Strafausspruch, soweit er auf § 2 0 a S t G B beruht. A n d e r e r s e i t s aber reicht das auf die Sicherungsverwahrung beschränkte Rechtsmittel (das, wie gesagt, auch die Frage „gefährlicher Gewohnheitsverbrecher" mit umfaßt) über den Strafausspruch nicht hinaus, d. h. die Schuldfrage bleibt unberührt, da § 20 a nicht einen Umstand begründet, der sachlich-rechtlich nicht von der Schuldfrage gelöst werden könnte, insbesondere aber keinen straferhöhenden Umstand im Sinn des § 263 Abs. 2 darstellt (E. 68, 385). In einer späteren Entscheidung (E. 73, 81) wird eine Beschränkung des Rechtsmittels auf die Sicherungsverwahrung auch für den Fall abgelehnt, daß die Strafe — versehentlich — nicht dem § 20 a entnommen wurde, vorausgesetzt, daß zwischen der Höhe der Strafe und der Ablehnung der Sicherungsverwahrung ein innerer Zusammenhang besteht. c ) Zulässig ist die Beschränkung eines Rechtsmittels auf die Anordnung der U n t e r b r i n g u n g i n e i n e H e i l - o d e r P f l e g e a n s t a l t nach § 4 2 b StGB. aa) Soweit § 51 Abs. 2 ( v e r m i n d e r t e Z.) in Frage steht, kann — wie oben in a) ausgeführt wurde •— ein Angeklagter regelmäßig wirksam auf eine Nachprüfung des Schuldspruchs verzichten. Er kann in einem solchen Falle auch seine Anfechtung auf die Maßregel des § 42 b S t G B beschränken, da diese hier n e b e n die Strafe tritt. Es kann dann auch eine Nachprüfung geboten sein, ob eine mit Strafe bedrohte Handlung dargetan oder die Zurechnungsfahigkeit rechtlich bedenkenfrei beurteilt worden ist. Diese Nachprüfung kann dann gegebenfalls zur Aufhebung der Maßregel des § 42 b S t G B führen, während es bei der daneben ausgesprochenen Strafe, die der Verurteilte nicht beanstandet und also hingenommen hat, bewendet. bb) Schwieriger ist die Rechtslage, wenn das Gericht die Merkmale des § 5 1 Abs. 1 S t G B ( U n z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t ) festgestellt hat. Dann ist die Sicherungsmaßregel a n d i e S t e l l e der Strafe getreten; sie ist

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I I . Teil: Lösungen

dadurch bedingt, daß das Gericht eine mit Strafe bedrohte, aber nicht schuldhaft begangene Handlung feststellt. Bei dieser ganz besonders gearteten Verfahrenslage ist die Anordnung der Unterbringung so untrennbar mit der Tat- und Schuldfrage verbunden, daß nur eine e i n h e i t l i c h e B e u r t e i l u n g möglich ist, zumal die Unterbringung von der Bejahung der Zurechnungsunfähigkeit abhängt. Dessen ungeachtet ist nach B G H 5, 267 entgegen der Ansicht des Reichsgerichts in E. 7 1 , 265 die Anordnung der Unterbringung auch hier selbständig anfechtbar. Den Freispruch kann der Angeklagte nämlich mangels Beschwer nicht anfechten (siehe auch B H G 7, 153). Daß der Freispruch auf § 51 I S t G B beruht, ist hierbei ohne Bedeutung. Lediglich die Anordnung der Unterbringung beschwert den Angeklagten und berechtigt ihn zu einer Anfechtung des Urteils. Diese Anfechtung kann aber wegen des — z. Z. der Entscheidung E . 7 1 , 265 außer K r a f t gesetzten — Verbots der reformatio in peius nie zu einer Änderung des Schuldspruchs führen. Würde also das angefochtene Urteil in vollem Umfang aufgehoben, so müßte das neu zu erlassende Urteil wiederum auf Freispruch lauten, und zwar selbst dann, wenn sich ergeben sollte, daß der Angeklagte entgegen der bisherigen Annahme strafrechtlich voll verantwortlich ist. Es wäre daher sinnwidrig, wollte man eine Beschränkung des Rechtsmittels auf die Anordnung der Unterbringung nicht zulassen. Der Angeklagte wird durch diese Rechtsmittelbeschränkung in seinen Rechten nicht beeinträchtigt; denn trotz der Teilrechtskraft des Schuldspruchs hat das Gericht im Falle der Zurückverweisung sich erneut mit der Frage zu befassen, ob der Angeklagte wirklich in seiner Zurechnungsfähigkeit ganz oder teilweise beschränkt war. Nur dann nämlich kann die Unterbringung erneut angeordnet werden. (NB. Ergibt sich in der erneuten Hauptverhandlung, daß der Angeklagte voll zurechnungsfähig ist, so muß die Unterbringung in einer Heilund Pflegeanstalt aufgehoben werden; andererseits besteht wegen des Verbots der reformatio in peius keine Möglichkeit, den Angeklagten zu bestrafen: ein unbefriedigendes, aber dogmatisch unvermeidbares Ergebnis, vgl. B G H i i , 320.) d) Sehr streitig und in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob die F a h r e r l a u b n i s e n t z i e h u n g (§ 42 m StGB) unabhängig oder nur zusammen mit dem Strafausspruch angefochten werden kann. (Siehe hierzu B G H bei Dallinger M D R 54, 1 6 ; B G H 6, 183, 184; io, 266; 379fr.; Floegel-Hartung, Straßenverkehrsrecht 1 1 . Aufl. Anm. 1 9 b zu § 4 2 m S t G B ) . Übereinstimmung besteht jedoch darin, daß die Anfechtung des Strafausspruchs zugleich auch die Frage der Fahrerlaubnisentziehung erfaßt ( B G H 10,266). 6. Die u n z u l ä s s i g e B e s c h r ä n k u n g des Rechtsmittels auf einen Teil der Entscheidung hat nicht die Folge, daß das Rechtsmittel wirkungslos ist; vielmehr muß in einem solchen Falle das Urteil auch wegen der dem angefochtenen Teil in der logischen Reihenfolge vorausgehenden Teile bis zu dem als angefochten gelten, der eine selbständige Nachprüfung zuläßt (E. 65, 296).

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B. Lösung des Falles I. Worauf hat der Amtsrichter zu achten, wenn er während der Hauptverhandlung zur Erkenntnis gelangt, daß die Tat sich nur als sog. Mundraub darstellt? 1. Der Amtsrichter wird zunächst prüfen, ob der zur Verurteilung erforderliche S t r a f a n t r a g gestellt ist (vgl. § 370 Abs. 2 Satz 1 StGB). Eine derartige P r ü f u n g w a r bis d a h i n nicht erforderlich, d a die Verfolgung eines Diebstahls g e m ä ß § 242 StGB einen Strafantrag nicht voraussetzt. 2 . D e r Amtsrichter wird weiter prüfen, ob die S t r a f v e r f o l g u n g n o c h n i c h t v e r j ä h r t ist. Diese P r ü f u n g m u ß gerade bei Ü b e r t r e t u n g e n besonders sorgfältig vorgenommen werden, d a Ü b e r t r e t u n g e n g e m ä ß § 67 Abs. 3 StGB bereits n a c h 3 M o n a t e n verjähren. I m vorliegenden Fall ist die T a t noch nicht verjährt, d a die a m 8. April g e m ä ß § 201 bewirkte Mitteilung der Anklage geeignet war, g e m ä ß § 68 StGB die V e r j ä h r u n g zu unterbrechen. 3 . Schließlich wird der Amtsrichter den Angeklagten gemäß § 265 auf die V e r ä n d e r u n g d e s r e c h t l i c h e n G e s i c h t s p u n k t e s hinweisen. A u c h ein milderer Straftatbestand ist ein „anderes Gesetz" i. S. von § 265 (vgl. Fall 5, Nachtrag, Abschn. I I I 3a, S. 87).

II. Die Entscheidung des Amtsrichters bei fehlendem Strafantrag. 1. D e r Strafantrag ist bei allen Antragsdelikten eine P r o z e ß v o r a u s s e t z u n g , die von Amts wegen in j e d e m S t a d i u m des Verfahrens zu berücksichtigen ist. 2 . Fehlt eine Prozeßvoraussetzung, so ist das Verfahren in der H V g e m ä ß § 260 Abs. 3 g r u n d s ä t z l i c h e i n z u s t e l l e n . Dieser G r u n d s a t z findet jedoch eine A u s n a h m e , wenn d e m Angeklagten — wie i m vorliegenden Fall — ursprünglich ein anderes (in der Regel schwereres) Delikt zur Last gelegt worden war, das sich jedoch in der H V nicht erweisen läßt. I n diesem Fall h a t der Angeklagte einen Anspruch darauf, d a ß das Verfahren nicht n u r eingestellt, sondern in einem f r e i s p r e c h e n d e n U r t e i l festgestellt wird, d a ß er die i h m in der gerichtlich zugelassenen Anklage bezeichnete T a t nicht begangen h a t (vgl. E. 66, 5 1 ; B G H 1, 235; siehe auch O L G H a m b u r g N J W 64, 2435 betr. den ähnlich gelagerten Fall, d a ß ein Vergehen in der H V nicht erweisbar u n d der Vorwurf einer in Gesetzeskonkurrenz stehenden Ü b e r t r e t u n g wegen V e r j ä h r u n g nicht verfolgbar ist).

III. Welche Rechtsmittel hat A gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 10. Mai? 1. Urteile des Amtsrichters können g e m ä ß § 3 1 2 g r u n d s ä t z l i c h mit der B e r u f u n g angefochten werden. D a n e b e n ist g e m ä ß § 335 Abs. 1 die sog. S p r u n g r e v i s i o n zulässig. (Siehe hierzu ausführlich Abschn. A l i , S. 102 ff.). P e t t e r s - P r e i s e a d a t i 2 , Strafptozeßfälle, 8. Aufl.

I I . Teil: Lösungen 2 . H a t die Verurteilung n u r eine Ü b e r t r e t u n g z u m Gegenstand, so ist g e m ä ß § 3 1 3 die B e r u f u n g a u s g e s c h l o s s e n u n d n u r die sog. E r s a t z r e v i s i o n des § 334 gegeben, w e n n der Angeklagte entweder freigesprochen oder — wie i m vorliegenden Fall — ausschließlich zu Geldstrafe verurteilt worden ist. Es liegt d a h e r nahe, die Berufung i m vorliegenden Fall als unzulässig anzusehen. Dies wäre j e d o c h nicht richtig. F ü r die Frage, o b das Urteil „ausschließlich Ü b e r t r e t u n g e n z u m Gegenstand h a t " , ist nämlich nicht n u r der Urteilstenor heranzuziehen, sondern das Urteil insgesamt (vgl. O L G H a m m N J W 57, 74; B a y O b L G V R S 57, 287 sowie oben Abschn. A I 1, S. 103). I n d e n Urteilsgründen aber h a t sich das Urteil mit allen tatsächlichen u n d rechtlichen Gesichtspunkten, u n t e r d e n e n die T a t angeklagt war, auseinanderzusetzen. Es m u ß t e also a u c h darlegen, weshalb die T a t sich entgegen der gerichtlich zugelassenen Anklage nicht als Diebstahl g e m ä ß § 242 darstellt. Es h a t somit nicht n u r eine Ü b e r t r e t u n g z u m Gegenstand.

IV. Die rechtliche Beurteilung der am 12. Mai eingegangenen ,,Beschwerde". 1. W i e sich aus d e n Ausführungen zu Abschnitt I I I ergibt, k a n n A g e m ä ß §§ 3 1 2 , 335 sowohl B e r u f u n g als a u c h R e v i s i o n einlegen. § 3 1 3 steht der Berufung nicht entgegen. 2. Das Rechtsmittel der B e s c h w e r d e ist g e m ä ß § 304 n u r gegen Beschlüsse u n d Verfügungen, niemals gegen Urteile gegeben. (Siehe hierzu i m einzelnen Fall 6 Abschn. B I I I 1, S. 97). Gleichwohl wäre es verfehlt, die „Beschwerde" des A als unzulässig zu verwerfen. G e m ä ß § 300 ist nämlich ein I r r t u m i n d e r B e z e i c h n u n g d e s R e c h t s m i t t e l s u n s c h ä d l i c h . Ist n u r ein bestimmtes Rechtsmittel zulässig, so gilt dieses als eingelegt. Sind, wie i m vorliegenden Fall, mehrere R M zulässig, so gilt das als eingelegt, mit d e m der erstrebte Zweck a m besten erreicht werden k a n n (vgl. E. 67, 1 2 5 ; Schwarz-Kleinknecht, § 3 0 0 A n m . 2). H i e r a u s folgt: D a A eine Herabsetzung der Strafe n u r mit der Berufung erreichen k a n n , gilt diese als eingelegt. 3 . Die Erklärung des A, „ d i e Strafe erscheine i h m zu h o c h " , k a n n g e m ä ß § 3 1 8 Satz 1 als eine B e s c h r ä n k u n g d e r B e r u f u n g a u f d a s S t r a f m a ß angesehen werden. Dies h a t zur Folge, d a ß der S c h u l d s p r u c h als r e c h t s k r ä f t i g anzusehen ist. (Siehe hierzu ausführlich Abschn. A I I 5. 108 ff.)

V. Die Rechtslage, wenn sich ergibt, daß die Tat schon am 6. Januar begangen worden ist. 1. Ist die T a t schon a m 6. J a n u a r begangen worden, so w a r die S t r a f v e r f o l g u n g g e m ä ß § 67 StGB mit d e m Ablauf des 5. April, also vor der ersten richterlichen H a n d l u n g , v e r j ä h r t . 2 . Es ist n u n m e h r zu prüfen, ob die Frage der V e r j ä h r u n g in d e r Berufungsinstanz ü b e r h a u p t noch geprüft werden darf, n a c h d e m — wie oben in Abschn. I V festgestellt — der Schuldspruch rechtskräftig geworden

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ist. Hierbei ist folgendes zu beachten: Nach st. Rspr. ist ein V e r f a h r e n s h i n d e r n i s — hier die eingetretene Verfolgungsverjährung — i n j e d e r L a g e d e s V e r f a h r e n s v o n A m t s w e g e n z u b e a c h t e n (vgl. BGH 6, 304; 8, 269; 11, 393; 13, 128; 15, 206). Dies gilt nach den angeführten Entscheidungen auch dann, wenn in der Rechtsmittelinstanz nur noch über eine Nebenfrage zu entscheiden ist, während der Schuldspruch bereits in Rechtskraft erwachsen ist. Die Richtigkeit dieser Rechtsprechung ergibt sich aus der Erwägung, daß eine Sachentscheidung nur dann ergehen darf, wenn das Gericht zur Entscheidung überhaupt befugt ist. Hieran fehlt es aber, wenn — wie im vorliegenden Fall — bereits Verjährung eingetreten ist. 3. Das Gericht hat somit das V e r f a h r e n gemäß § 260 Abs. 3 d u r c h U r t e i l e i n z u s t e l l e n . (Ein Freispruch hinsichtlich des Diebstahls kommt entgegen den Ausführungen zu I I nicht in Betracht, da sich das Gericht mit Rücksicht auf die Teilrechtskraft des Schuldspruchs nur noch mit der Frage zu befassen hatte, ob die für die Übertretung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 5 ausgesprochene Geldstrafe von D M 200,— zulässig und angemessen war.) VI. Die Rechtslage, w e n n sich die Tatzeit nicht m e h r klären läßt. 1. Die Frage, ob die Tat verjährt ist oder nicht, ist wie alle Prozeßvoraussetzungen und Prozeßhindernisse nach den Grundsätzen des sog. F r e i b e w e i s e s zu klären (vgl. BGH 16, 166), d. h. es steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, wie es sich die Uberzeugung verschafft, ob die T a t verjährt ist oder nicht. Die strengen Anforderungen, die die StPO an den Beweis in der Schuld- und Straffrage stellt, gelten insoweit nicht. Von den §§ 244 fr. ist nur § 244 Abs. 2 zu beachten (vgl. SchwarzKleinknecht § 244 Anm. 3B). 2. K a n n das Gericht nach Ausschöpfung aller verfügbaren und zulässigen Erkenntnismittel die Tatzeit nicht feststellen, so ist nach dem Grundsatz „ i n d u b i o p r o r e o " zugunsten des A davon auszugehen, daß die T a t bereits am 6. J a n u a r begangen, also bereits verjährt ist (BGH 18, 274). Die nach wie vor bestrittene Frage, ob der Grundsatz „in dubio pro reo" allgemein auf alle Prozeßvoraussetzungen anzuwenden ist (vgl. Stree, In dubio pro reo, Tübingen 1962, m. weit. Nachweisen), bedarf hier keiner abschließenden Erörterung. Für die Verjährung ist der Grundsatz „in dubio pro reo" nämlich schon deshalb anwendbar, weil die Verjährung eine „Einrichtung im Grenzbereich zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit" darstellt (BGH 18, 278), diese beiden Begriffe aber besser im Einklang stehen, wenn sich das Verlangen nach Bestrafung des Schuldigen dem Anliegen unterordnet, den Rechtsfrieden durch eine möglicherweise ungesetzliche Bestrafung erneut zu verletzen. Ein Verdacht ungesetzlicher Bestrafung würde dem Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit der Strafrechtspflege mehr schaden, als es die Gerechtigkeit befriedigt, wenn der Täter doch noch zur Verantwortung gezogen wird (BGH a. a. O.; Stree a. a. O. S. 6 Anm. 17; S. 56 Anm. 11 und S. 64 Anm. 31). 8«

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I I . T e i l : Lösungen

Nachtrag Prozeßvoraussetzungen und Prozeßhindernisse 1. Begriff und Wesen a) Die Prozeßvoraussetzungen und Prozeßhindernisse sind teils im StGB, teils in der S t P O geregelt. Teilweise ergeben sie sich auch aus allgemeinen Verfahrensgrundsätzen, die von der Rechtsprechung entwickelt wurden. Sie haben alle gemeinsam, daß ein Strafverfahren nicht durchgeführt werden kann, wenn eine Prozeßvoraussetzung (z. B. der erforderliche Strafantrag) fehlt, oder wenn der Strafverfolgung ein Prozeßhindernis (z. B. Verjährung) entgegensteht. Unrechtsgehalt, Schuldgehalt und Strafwürdigkeit einer T a t werden von den Prozeßvoraussetzungen, die dem V e r f a h r e n s r e c h t angehören, nicht berührt.

2. Die Prozeßvoraussetzungen a) Der Beschuldigte muß der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegen. Diese Voraussetzung fehlt bei Exterritorialität (§§ 18, 19 G V G ) . b) Die örtliche und sachliche Zuständigkeit des Gerichts. c) Die Erhebung einer zulässigen K l a g e durch einen zugelassenen K l ä g e r (§ 1 5 1 S t P O für das Offizialverfahren, § 374 S t P O f ü r das Privatklageverfahren) . d) Der Eröffnungsbeschluß (§ 203 StPO). e) Der Strafantrag bei den Antragsdelikten (§ 61 StGB). f ) Die Ermächtigung in den Fällen der §§ 95 I V , 97 I I , 106 b I und 197 StGB. g) Die Genehmigung des Bundestages im Falle des Art. 46 I I Grundgesetz (Immunität von Bundestagsabgeordneten). h) Die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten. i) Die Auflösung der Ehe bei § 170 StGB. k) Die Scheidung der Ehe bei § 172 StGB. 1) Die Nichtigkeitserklärung bei §238 StGB.

3. Die Prozeßhindernisse a) b) c) d)

Rechtshängigkeit und Rechtskraft. Verjährung. Amnestie und Begnadigung. Das Schweben eines Vorverfahrens nach§ 164 Abs. 6 oder§ 191 StGB.

4. Gemeinsame Regeln a) Die Prozeßvoraussetzungen und Prozeßhindernisse müssen weder vom Vorsatz noch vom Unrechtsbewußtsein umfaßt werden. Ein I r r t u m des Täters über ihr Vorliegen ist daher u n b e a c h t l i c h (vgl. B G H 18, 123). b) Die Prozeßvoraussetzungen und Prozeßhindernisse sind f ü r j e d e n T e i l n e h m e r g e s o n d e r t z u p r ü f e n . V o r allem bei Antragsdelikten kommt es häufig vor, daß der Verletzte aus persönlichen Gründen nicht gegen alle Beteiligte Strafantrag stellen will.

Fall 7

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5. Behandlung im Prozeß a ) Die Prozeßvoraussetzungen und Prozeßhindernisse sind i n j e d e r L a g e d e s V e r f a h r e n s v o n A m t s w e g e n z u p r ü f e n ( B G H 6, 304; 8, 269; 1 1 , 393; 1 3 , 1 2 8 ; 15, 206). Bei der örtlichen Zuständigkeit des Gerichts sind allerdings die Besonderheiten der §§ 16, 18 zu beachten. Siehe hierzu ausführlich Fall 1 Abschn. C I I I , S. 1 2 . b ) Ist das Vorliegen einer Prozeßvoraussetzung oder eines Prozeßhindernisses zweifelhaft, so gilt der Grundsatz „ i n d u b i o p r o r e o " (vgl. E b . Schmidt Teil I Nr. 198; Stree, In dubio pro reo, Tübingen 1962, sowie B G H 18, 274, wo der Grundsatz des „ i n dubio pro reo" allerdings uneingeschränkt nur f ü r die Frage der Verjährung anerkannt wird). c ) Ergibt sich ein Prozeßhindernis v o r E r ö f f n u n g d e s H a u p t v e r f a h r e n s , so ist nach § 204 zu verfahren, d. h. das Hauptverfahren darf nicht eröffnet werden. Hat eine gerichtliche V U stattgefunden, so ist der Angeschuldigte außer Verfolgung zu setzen. d ) Steht der H V für längere Zeit die A b w e s e n h e i t d e s A n g e s c h u l d i g t e n entgegen, so kann das Gericht gemäß § 205 das Verfahren durch Beschluß vorläufig einstellen. Das gleiche gilt, wenn der Angeschuldigte vorübergehend k r a n k oder aus einem anderen Grunde v e r h a n d l u n g s u n f ä h i g ist. Eine vorläufige Einstellung nach § 205 ist ferner angebracht, wenn der Bundestag sich weigert, die I m m u n i t ä t eines seiner Mitglieder aufzuheben (vgl. Eb. Schmidt Teil I Nr. 159). Nach Wegfall des Hindernisses kann das Verfahren jederzeit fortgeführt werden. e ) Ergibt sich ein Prozeßhindernis n a c h E r ö f f n u n g d e s H a u p t v e r f a h r e n s , so ist das Verfahren außerhalb der H V gemäß § 206a durch Beschluß, innerhalb der H V gemäß § 260 Abs. 3 durch Urteil einzustellen. f ) Auf F r e i s p r u c h , nicht auf Einstellung ist a u s n a h m s w e i s e in folgenden Fällen zu entscheiden (siehe auch oben Fall 7 Abschn. B I I 2, S. 1 1 3 ) : aa) Der E B wirft dem Angeklagten ein Offizialdelikt (z. B. eine Notzucht) vor, das sich in der H V nicht erweisen läßt. Die H V führt jedoch zu dem Ergebnis, daß der Angeklagte sich eines A n t r a g d e l i k t s (z. B. einer Beleidigung) schuldig gemacht hat, das bisher infolge Gesetzeskonkurrenz keine rechtlich selbständige Bedeutung gehabt hat. Liegt ein ordnungsgemäß gestellter Strafantrag vor, so bestehen nach erfolgtem Hinweis gemäß § 265 keine Bedenken, wegen des Antragsdelikts zu verurteilen. War dagegen kein Strafantrag gestellt und ist die Antragsfrist bereits verstrichen, so hat der Angeklagte einen Anspruch auf Freispruch (vgl. Fall 7 Abschn. B I I 2, S. 1 1 3 mit weit. Nachw.). Ist die Antragsfrist noch nicht verstrichen, so bleibt es bei der normalen Regelung des § 260 Abs. 3, d.h. das Verfahren ist einzustellen. Hierbei ist zu beachten, daß dieses Einstellungsurteil keine endgültige Sachentscheidung treffen will und daher auch keine materielle Rechtskraftwirkung entfalten kann (vgl. Fall 12 Abschn. A I V 1, S. 1 5 5 ) . bb) Anklage und E B werfen dem Angeklagten ein Verbrechen oder Vergehen in Idealkonkurrenz mit einer Übertretung vor, z. B. Hausfrie-

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II. Teil: Lösungen

densbruch in I d K . mit einer Übertretung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 5. Wenn sich in der H V nur die Übertretung erweisen läßt, diese aber bereits v e r j ä h r t ist, so hat ebenfalls Freispruch, nicht Einstellung zu erfolgen. Ein Freispruch bringt besser als eine Einstellung zum Ausdruck, daß das Verfahren in dieser Instanz endgültig abgeschlossen sein soll. Siehe hierzu auch Fall 7 Abschn. B I I 2 m. weit. Nachw. g) Der T o d d e s A n g e k l a g t e n bedeutet ein sofortiges Ende des Verfahrens. Es handelt sich hierbei nicht um ein Verfahrenshindernis, das eine Einstellung nach § 206a oder § 260 Abs. 3 erforderlich macht; das Verfahren erledigt sich vielmehr von selbst (vgl. Eb. Schmidt Teil I Nr. 149 sowie Fall 6 Abschn. A I I I 7, S. 95). h) Die K o s t e n d e s V e r f a h r e n s trägt bei einer Einstellung in jedem Fall die Staatskasse. Wegen der notwendigen Auslagen des Angeklagten bei Einstellung wegen Verjährung siehe Fall 6, Abschn. A I I 3, S. 92.

ZU FALL 8 I. Vorbemerkungen materiellrechtlicher Art 1. I m Gegensatz zu den übrigen Tatbeständen der Beleidigung (§§ 185fr. StGB), die nur auf Antrag verfolgbar sind (vgl. § ig4 StGB), handelt es sich bei § 197 StGB um ein e c h t e s O f f i z i a l d e l i k t . Die StA hat daher, sobald sie von der beleidigenden Äußerung Kenntnis erlangt hat, von Amts wegen die Ermittlungen aufzunehmen und zu prüfen, ob die zur Strafverfolgung erforderliche E r m ä c h t i g u n g erteilt wird. Hier zeigt sich ein wesentlicher Unterschied gegenüber den Antragsdelikten. 2. Eine b e s t i m m t e F o r m d e r E r m ä c h t i g u n g ist im Gesetz nicht vorgesehen. Es genügt, daß die beleidigte Körperschaft ihren Willen zum Ausdruck bringt, daß die Beleidigung verfolgt werden soll. Dies kann auch in der Form eines Strafantrags erfolgen. 3. Wird die Ermächtigung nicht erteilt, so liegt ein P r o z e ß h i n d e r n i s vor, das zur Einstellung des Verfahrens führt (vgl. Nachtrag zu Fall 7). 4. Zu den „ a n d e r e n p o l i t i s c h e n K ö r p e r s c h a f t e n " i. S. der Vorschrift gehören insbesondere Kreisräte sowie die im vorliegenden Fall zur Entscheidung stehenden Gemeinderäte (vgl. E. 33, 68). Zur Frage, wie weit auch s o n s t i g e P e r s o n e n g e m e i n s c h a f t e n unter den Schutz der §§ 185 fr. StGB fallen, siehe ausführlich BGH 6, 186 sowie PettersPreisendanz, Strafgesetzbuch, 25. Aufl. 1965, Vorbem. IV vor § 185. 5. Werden — wie im vorliegenden Fall — durch eine Äußerung nicht nur eine Personengemeinschaft, sondern zugleich auch bestimmte, in dieser Personengemeinschaft tätige Personen in ihrer Ehre angegriffen, so steht § 197 mit § 185 bzw. §§ 186, 187 in I d e a l k o n k u r r e n z .

Fall 8

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I I . Das e r s t e Urteil des A m t s r i c h t e r s 1. Nach § 264, der das Verhältnis des Urteils zur Anklage und zum Eröffnungsbeschluß behandelt, ist das G e r i c h t an d e n E r ö f f n u n g s b e s c h l u ß i n s o f e r n g e b u n d e n , als es n u r die in d i e s e m b e z e i c h nete T a t , n i c h t a b e r eine andere zum G e g e n s t a n d der A b u r t e i l u n g m a c h e n d a r f , andererseits aber den Eröffnungsbeschluß e r s c h ö p f e n muß. Hat das Gericht erster Instanz die Klage nicht vollständig erschöpft, so liegt ein Mangel des Verfahrens vor, welcher im Wege der Revision gemäß § 344 Abs. 2 geltend gemacht werden kann (vgl. Schwarz-Kleinknecht § 264 Anm. 6). 2 . Das Urteil des Amtsrichters ist daher insofern fehlerhaft, als es sich nicht in den Gründen darüber ausspricht, weshalb der Angeklagte nicht auch einer Beleidigung der Gemeinderatsmitglieder und des Bürgermeisters für schuldig befunden wurde. III. Das U r t e i l der S t r a f k a m m e r 1. Die s t r a f b a r e H a n d l u n g als solche ist nicht t e i l b a r in dem Sinne, daß in b e z u g a u f e i n e n r e c h t l i c h e n G e s i c h t s p u n k t verurteilt und in bezug auf den anderen freigesprochen wird oder die Erledigung in dieser Beziehung einem späteren Urteil vorbehalten bleibt. Wenn die S t r a f k a m m e r der Ansicht war, daß möglicherweise eine Beleidigung der Gemeinderatsmitglieder und des Bürgermeisters vorliege, so mußte sie die diesbezügliche endgültige Prüfung s e l b s t v o r n e h m e n . Die Strafkammer durfte aber den Angeklagten nicht wegen der nach ihrer Ansicht nicht zutreffenden Beurteilung der Tat freisprechen. Das war eine u n z u l ä s s i g e T e i l u n g des S c h u l d a u s s p r u c h s . Solange die Strafkammer e i n e Tat des Angeklagten annahm, konnte sie wegen dieser e i n e n Tat nur verurteilen oder freisprechen. (Siehe Fall 7, Abschn. A I I 4b, S. 109.) 2. Was im übrigen die Z u r ü c k v e r w e i s u n g in d i e e r s t e I n s t a n z betrifft, ist folgendes zu sagen: a ) Eine solche Zurückverweisung k a n n gemäß §328 Abs. 2 erfolgen, wenn das Urteil an einem Mangel leidet, welcher die Revision wegen V e r l e t z u n g e i n e r R e c h t s n o r m ü b e r das V e r f a h r e n begründen würde. b) Die Zurückverweisung hat aber nur zu erfolgen, „wenn d i e U m s t ä n d e des F a l l e s es e r f o r d e r n " , andernfalls erkennt das Berufungsgericht in der Sache selbst. Die Entscheidung darüber, ob diese Voraussetzung als gegeben anzusehen ist, liegt in dem E r m e s s e n des G e r i c h t s . Die Zurückverweisung, die übrigens in der Praxis nur selten vorkommt, wird im allgemeinen nur da gerechtfertigt sein, wo der dem Verfahren anhaftende Mangel ein f u n d a m e n t a l e r ist und nicht nur einen einzelnen Verfahrensakt, sondern das Verfahren als Ganzes betrifft, z. B. unter den Voraussetzungen des § 3 3 8 Nr. 1, 2, 3, 5, 6, 7.

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I I . Teil: Lösungen

c) Die Strafkammer jedenfalls hatte keinen Anlaß, im v o r l i e g e n d e n F a l l e , wo lediglich ein Mangel der U r t e i l s g r ü n d e vorlag, die Sache an die erste Instanz zurückzuverweisen. Sie hätte vielmehr, wie schon oben erwähnt, die Frage, ob durch die Äußerung des Angeklagten die Gemeinderatsmitglieder und der Bürgermeister beleidigt worden sind, in e i g e n e r Z u s t ä n d i g k e i t prüfen müssen. D a b e i h ä t t e n s i c h d r e i M ö g l i c h keiten ergeben: aa) Wäre die Strafkammer zur B e j a h u n g dieser Frage gelangt, d a n n hätte sie, da j a ein Urteil wegen Beleidigung vorlag, die B e r u f u n g mit der Maßgabe verwerfen müssen, daß nicht eine Beleidigung des Gemeinderats, sondern eine solche der Gemeinderatsmitglieder u n d des Bürgermeisters vorliege, vorausgesetzt, d a ß gegen den S t r a f a u s s p r u c h des Amtsrichters keine Bedenken bestanden (siehe E. 27, 193). In den U r t e i l s g r ü n d e n hätte dann erörtert werden müssen, w a r u m die fragliche K u n d gebung nicht eine Beleidigung des Gemeinderats, sondern nur eine solche der Mitglieder und des Bürgermeisters enthalte. bb) Wäre die Strafkammer zu dem Ergebnis gelangt, d a ß die S t r a f e des Amtsrichters bei dieser Rechtslage z u h o c h sei, d a n n hätte die Berufung mit d e r w e i t e r e n M a ß g a b e v e r w o r f e n werden müssen, d a ß die Strafe herabgesetzt wird. (Eine E r h ö h u n g der Strafe wäre, da j a nur der Angeklagte Berufung eingelegt hatte, im Hinblick auf § 331 ausgeschlossen gewesen.) cc) Hätte die Strafkammer die Uberzeugung gewonnen, d a ß weder eine Beleidigung des Gemeinderats noch eine solche der Mitglieder u n d des Bürgermeisters vorliege, dann hätte der Angeklagte unter Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils f r e i g e s p r o c h e n werden müssen.

IV. Das zweite Urteil des Amtsrichters 1. Für die R e v i s i o n gilt der Grundsatz, daß das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung u n d Entscheidung zurückverwiesen wird, an die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts gebunden ist (§ 358 Abs. 1). 2. Eine gleiche Regelung für die B e r u f u n g s i n s t a n z enthält das G e s e t z n i c h t . Der erstinstanzliche Richter, an den die Sache gemäß § 328 Abs. 2 zurückverwiesen wird, ist in seiner neuen Entscheidung sowohl auf tatsächlichem als auch auf rechtlichem Gebiet vollkommen frei. W i e d e r h o l t e r den formellen oder materiellen Verstoß, so wird das Berufungsgericht auf erneut eingelegte Berufung eine e i g e n e Sachentscheidung treffen müssen, u m das Verfahren zum Abschluß zu bringen, wobei das Berufungsgericht an seine frühere Entscheidung ebenfalls nicht gebunden ist. Das U r t e i l d e s A m t s r i c h t e r s , der im v o r l i e g e n d e n F a l l e entgegen der Entscheidung der Strafkammer wieder zu dem gleichen Ergebnis kommt wie in seiner ersten Entscheidung, enthält demnach k e i n e G e s e t zesverletzung.

Fall 9

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V . Das Urteil des Oberlandesgerichts 1. Das Urteil des Amtsrichters wurde vom Staatsanwalt gemäß § 335 mit der R e v i s i o n angefochten. Nach §§ 344, 352 wird die Prüfung des Revisionsrichters durch die Begründung der Revisionsanträge dergestalt begrenzt, daß, wenn nur M ä n g e l d e s V e r f a h r e n s gerügt werden, die in der Entscheidung selbst enthaltene unrichtige Anwendung einer Rechtsnorm nicht zur Aufhebung des Urteils führen kann. (Siehe Fall 9, Abschn. A V I I 1, S. 123.) 2. Da im v o r l i e g e n d e n F a l l e der Staatsanwalt l e d i g l i c h einen s p e z i e l l e n p r o z e s s u a l e n V e r s t o ß , nämlich eine angebliche Verletzung des §328 Abs. 2 gerügt hat, ist das Oberlandesgericht n i c h t z u e i n e r A u f h e b u n g des amtsgerichtlichen Urteils b e f u g t , obwohl es zu der Überzeugung gelangte, daß das Strafgesetz unrichtig angewandt wurde, d. h. daß der Angeklagte nicht einer Beleidigung des Gemeinderats, sondern einer Beleidigung der einzelnen Gemeinderatsmitglieder und des Bürgermeisters schuldig sei. 3. Da, wie oben ausgeführt, die prozessuale Rüge des Staatsanwalts u n b e g r ü n d e t ist, hat das U r t e i l des O b e r l a n d e s g e r i c h t s zu lauten: „Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts wird als unbegründet verworfen. Die Staatskasse hat die Kosten des Verfahrens zu tragen."

ZU FALL 9 A. Vorbemerkung: Das Rechtsmittel der Revision I . Die R e v i s i o n ist gemäß § 333 gegen die Urteile der S t r a f k a m m e r n und der S c h w u r g e r i c h t e , ferner gemäß § 334 gegen die Urteile des A m t s r i c h t e r s i n s o w e i t zulässig, als nach § 313 die Berufung ausgeschlossen ist (sog. E r s a t z r e v i s i o n ) . Schließlich ist die Revision auch gegen berufungsfähige Urteile nach freier Wahl des Beschwerdeführers a n S t e l l e d e r B e r u f u n g möglich (sog. S p r u n g r e v i s i o n nach § 335). Einzelheiten siehe Fall 7 Abschn. A I 1, S. 102 ff. II. Die Revision (§ 333) ist ein b e s c h r ä n k t e s R e c h t s m i t t e l . Sie hat nicht die Wirkung, daß eine Uberprüfung der untergerichtlichen T a t f r a g e e n t s c h e i d u n g erfolgt, sondern führt nur eine Uberprüfung der R e c h t s f r a g e e n t s c h e i d u n g sowie des die untergerichtliche Entscheidung tragenden Verfahrens herbei, und zwar nur in der Richtung des Revisionsangriffs. Die Feststellungen k o n k r e t e r T a t s a c h e n durch das Untergericht, insbesondere auch seine B e w e i s w ü r d i g u n g , sind durch die Revision grundsätzlich nicht zu erschüttern, es sei denn, daß die Urteilsgründe W i d e r s p r ü c h e oder Verstöße gegen E r f a h r u n g s s ä t z e oder D e n k g e s e t z e enthalten; denn deren Berücksichtigung fällt nicht in das Gebiet der durch § 261 dem Tatrichter vorbehaltenen Beweis Würdigung,

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I I . Teil: Lösungen

sondern gehört vielmehr zur „richtigen" Anwendung der Rechtsnormen auf die festgestellten Tatsachen, die das Revisionsgericht nach § 337 nachzuprüfen hat (vgl. BGH i, 117; 3, 213; 6, 70, 72). I I I . Die E i n l e g u n g der Revision erfolgt, ebenso wie die der Berufung (siehe § 314), bei dem Gericht, dessen Urteil a n g e f o c h t e n w i r d , zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich, und zwar innerhalb einer Woche nach Verkündung bzw. Zustellung des Urteils, wenn es in Abwesenheit des Angeklagten verkündet wurde (§341). (Wegen § 342 siehe Fall 10, Abschn. A I I 1.) Binnen eines weiteren Monats m u ß eine Revisionsrechtfertigung erfolgen (§ 345). Das Gericht, d e s s e n E n t s c h e i d u n g a n g e f o c h t e n w i r d , hat, ebenso wie bei der Berufung, zu prüfen, ob die Revision r e c h t z e i t i g eingelegt und ob die Revisionsanträge u n d deren Begründung rechtzeitig u n d in der v o r g e s c h r i e b e n e n F o r m angebracht sind. Ist eine dieser Fragen zu verneinen, so wird die Revision durch B e s c h l u ß als u n z u l ä s s i g verworfen (§ 346). Gegen diesen Beschluß kann binnen einer Woche Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts gestellt werden. (Das in Fall 7 Abschn. A. I 3 a, S. 104 zu § 319 Abs. 2 Ausgeführte gilt entsprechend für § 346 Abs. 2.) Durch r e c h t z e i t i g e E i n l e g u n g der Revision wird, ebenso wie gem ä ß § 316 bei der Berufung, die Rechtskraft des Urteils, soweit es angefochten ist, g e h e m m t , §343 Abs. 1. (Wegen der Revisionsrechtfertigungsgründe siehe Abschn. B I 1, S. 126.) Gemäß §347 wird nunmehr die Revisionsschrift dem Gegner, der binnen einer Woche eine Gegenerklärung einreichen kann, zugestellt. Dann erfolgt die Vorlage der Akten an das Revisionsgericht. I V . Ebenso wie das Berufungsgericht (siehe § 322) hat auch das R e v i s i o n s g e r i c h t zunächst eine V o r p r ü f u n g vorzunehmen und durch B e s c h l u ß die Revision zu verwerfen, wenn es sie für u n z u l ä s s i g hält (§ 349 Abs. 1). Das Revisionsgericht hat aber, im Gegensatz zum Berufungsgericht, auch eine s a c h l i c h e V o r p r ü f u n g vorzunehmen und kann die Revision durch B e s c h l u ß verwerfen, wenn es sie einstimmig f ü r o f f e n s i c h t l i c h u n b e g r ü n d e t hält (§349 Abs. 2). Ein solcher Beschluß setzt nach der Neufassung des § 349 durch die Strafprozeßnovelle v. 19. 12. 1964 einen dahingehenden A n t r a g d e r S t a a t s a n w a l t s c h a f t voraus, der mit Gründen zu versehen und dem Beschwerdeführer zwecks Stellungnahme mitzuteilen ist (§ 349 Abs. 3 S. 1). Der Beschwerdeführer hat d a n n die Möglichkeit, innerhalb von zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einzureichen (§ 349 Abs. 3 S. 2). O f f e n s i c h t l i c h u n b e g r ü n d e t ist die Revision, wenn für jeden Sachkundigen ohne längere Nachprüfung erkennbar ist, d a ß sie nur haltlose Angriffe gegen das angefochtene Urteil enthält, z. B. bei Angriffen gegen die Beweiswürdigung oder bei allgemeiner Sachrüge ohne nähere Ausführungen, falls ein Rechtsfehler nicht ersichtlich ist, oder wenn ein nach §329 Abs. 1 oder nach §412

Fall 9

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Abs. 1 ergangenes Urteil mit der Sachrüge angegriffen wird (vgl. SchwarzKleinknecht § 349 Anm. 5 m. weit. Nachw.). Umgekehrt hat das Revisionsgericht nach § 349 Abs. 4 jetzt auch die Möglichkeit, ein Urteil durch B e s c h l u ß auch dann aufzuheben, wenn es die R e v i s i o n e i n s t i m m i g f ü r b e g r ü n d e t h ä l t . Hierbei macht es keinen Unterschied, ob die Sache zugleich mit der Aufhebung zurückzuverweisen ist (§ 354 Abs. 2, 3) oder ob das Revisionsgericht gemäß § 354 Abs. 1 in der Sache selbst entscheiden kann (vgl. Schwarz-Kleinknecht § 349 Anm. 9). V . Weder die A n w e s e n h e i t des A n g e k l a g t e n noch diejenige eines V e r t e i d i g e r s ist in der Hauptverhandlung erforderlich. Der nicht auf freiem Fuß befindliche Angeklagte hat keinen Anspruch auf Vorführung (§ 350 Abs. 2). I n diesem Fall ist ihm jedoch auf seinen Antrag ein V e r t e i d i g e r f ü r die H V zu bestellen (§ 350 Abs. 3 S. 1). U b e r dieses Recht ist er zu belehren (§ 350 Abs. 3 S. 2). Uber den G a n g d e r H V siehe § 3 5 1 . V I . Die s c h r i f t l i c h e U r t e i l s b e g r ü n d u n g und der Inhalt des S i t z u n g s p r o t o k o l l s der letzten Hauptverhandlung bilden die Grundlage für die Prüfung der Frage, ob eine Revision erfolgreich durchgeführt werden kann; mündlich verkündete Urteilsgründe sowie Vorgänge in der Hauptverhandlung, die aus dem Sitzungsprotokoll nicht hervorgehen, sind für die Revision bedeutungslos. Ebensowenig können neue Tatsachen und neue Beweismittel vorgebracht werden. V I I . Das angefochtene Urteil unterliegt, wie schon oben (unter I.) erwähnt wurde, n u r e i n e r N a c h p r ü f u n g i n r e c h t l i c h e r B e z i e h u n g , während die t a t s ä c h l i c h e n Feststellungen des Untergerichts für das Revisionsgericht bindend sind. Die Nachprüfung darf ferner nur erfolgen i n n e r h a l b d e r g e s t e l l t e n R e v i s i o n s a n t r ä g e (§ 352). (Wegen der für die t e i l w e i s e A n f e c h t u n g geltenden Grundsätze siehe Fall 7, Abschn. A I I , S. 108.) Hierbei ist folgendes zu beachten (§ 344): 1 . Will der Beschwerdeführer einen V e r s t o ß im V e r f a h r e n rügen (z. B. Verletzung der Bestimmungen über Beeidigung oder Nichtvereidigung von Zeugen oder Sachverständigen, über Verlesbarkeit von Urkunden, über das Erfordernis des Hinweises auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes, oder Verletzung der die absoluten Revisionsgründe enthaltenden Bestimmungen des § 338), so genügt n i c h t d i e b l o ß e B e h a u p t u n g , daß das Urteil auf Mängeln des Verfahrens beruhe. V i e l m e h r muß in allen diesen Fällen der Beschwerdeführer diejenigen T a t s a c h e n einzeln anführen, die die Verletzung der Verfahrensnorm ergeben (§ 344 I I S. 2 und B G H 2, 168 u. 304). D i e V e r f a h r e n s r ü g e ist n u r d a n n o r d n u n g s g e m ä ß e r h o b e n , wenn die den M a n g e l enthaltenden T a t s a c h e n mit Bestimmth e i t b e h a u p t e t w e r d e n , z. B. wenn die Revision rügt, ein Zeuge sei ohne gesetzlichen Grund unvereidigt geblieben. Z u m Beweis der behaupteten

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II. Teil: Lösungen

Tatsache kann die Revision sich auf das Protokoll berufen (vgl. § 274). Die Verfahrensrüge ist dagegen nicht ordnungsgemäß erhoben, wenn die Revision lediglich vorträgt, aus dem Protokoll sei nicht ersichtlich, ob der Zeuge vereidigt wurde oder nicht; eine Vereidigung sei daher anscheinend unterblieben. D e r a r t i g e P r o t o k o l l r ü g e n s i n d u n z u l ä s s i g (BGH 7, 162). Ist die Anfechtung auf eine Verfahrensrüge beschränkt, so darf ferner nur d e r j e n i g e s p e z i e l l e V e r f a h r e n s v e r s t o ß , den der Beschwerdeführer gerügt hat, nachgeprüft werden. Andere nicht gerügte Verfahrensverstöße kann in diesem Falle das Revisionsgericht ebensowenig prüfen wie die Frage, ob die m a t e r i e l l - r e c h t l i c h e A u f f a s s u n g des Untergerichts Mängel aufweist. Von den hier erwähnten e i g e n t l i c h e n V e r f a h r e n s n o r m e n , deren Verletzung ausdrücklich gerügt werden muß, sind zu unterscheiden die V e r f a h r e n s v o r a u s s e t z u n g e n (Prozeßvoraussetzungen u n d Prozeßhindernisse), die in jedem Stadium des Verfahrens v o n A m t s w e g e n , also o h n e R ü g e , zu prüfen sind. (Siehe E. 68, 18; BGH 7, 26; 15, 203 u n d Nachtrag zu Fall 7, S. 116.) 2. Bei der Rüge m a t e r i e l l e r R e c h t s v e r l e t z u n g e n genügt die b l o ß e B e h a u p t u n g des Beschwerdeführers, d a ß durch das Urteil das materielle Recht verletzt sei (§ 344 e contrario). Das Revisionsgericht ist d a n n verpflichtet, von Amts wegen das Urteil n a c h a l l e n R i c h t u n g e n h i n auf das Vorhandensein materieller Mängel zu prüfen, auch wenn der Beschwerdeführer den einen oder anderen Punkt speziell hervorgehoben haben sollte. 3. Wegen Gesetzesverletzung bei der S t r a f f i n d u n g siehe Fall 18, Abschn. A V 5, S. 215. V I I I . Stellt sich die Revision als u n b e g r ü n d e t heraus, so ist sie zu verwerfen. Ist sie dagegen b e g r ü n d e t , so w i r d das angefochtene Urteil aufgehoben, § 353 Abs. 1. Gleichzeitig sind die d e m U r t e i l z u g r u n d e l i e g e n d e n F e s t s t e l l u n g e n a u f z u h e b e n , s o f e r n sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren die Aufhebung des Urteils erfolgte, § 353 Abs. 2. Hierbei ist folgendes zu beachten: Die tatsächlichen Feststellungen sind i m m e r a u f z u h e b e n , wenn das Urteil wegen v e r f a h r e n s r e c h t l i c h e r Gesetzesverletzung aufgehoben werden muß, denn in diesem Falle m u ß der b e t r o f f e n e T e i l in gesetzmäßigerWeise w i e d e r h o l t werden, was ohne Änderung der tatsächlichen Feststellungen nicht möglich ist. Dagegen müssen im Falle einer s a c h l i c h - r e c h t l i c h e n Gesetzesverletzung die tatsächlichen Feststellungen n u r d a n n aufgehoben werden, wenn die bisherigen Feststellungen ergänzt werden müssen, u m die T a t unter allen für sie in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten nachprüfen zu können. Selbstverständlich ist eine teilweise Aufhebung der tatsächlichen Feststellungen hinsichtlich d e r s e l b e n T a t ausgeschlossen. (NB. B e r i c h t i g u n g e n d e r U r t e i l s f o r m e l sind trotz Verwerfung der Revision möglich, und zwar dann, wenn eine u n d e u t l i c h gefaßte Urteilsformel klargestellt werden soll, wenn eine nach den Urteils-

Fall 9

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gründen tatsächlich erfolgte Verurteilung keinen vollständigen und klaren Ausdruck in der Urteilsformel gefunden hat; siehe hierzu E. 54, 203 und 290.) Ein Urteil unterliegt, wie sich aus den obigen Ausführungen zusammenfassend ergibt, der Aufhebung i n f o l g e R e v i s i o n , wenn f o l g e n d e d r e i V o r a u s s e t z u n g e n gegeben sind: 1. Wenn eine V e r l e t z u n g des Gesetzes stattgefunden hat (§ 337), und zwar e n t w e d e r infolge eines Fehlers im V e r f a h r e n (Verletzung eines Satzes des Strafprozeßrechts in seiner Anwendung auf den gegenwärtigen Prozeß, die fehlerhafte Vornahme oder Nichtvornahme einer Prozeßhandlung, insbesondere einer dem Urteil vorangegangenen Entscheidung) oder infolge eines in der m a t e r i e l l - r e c h t l i c h e n Ents c h e i d u n g liegenden Fehlers, indem entweder der von dem Vorderrichter festgestellte Tatbestand die erfolgte Gesetzesanwendung nicht rechtfertigt oder ein Gesetz außer Anwendung geblieben ist, welches auf diesen Tatbestand hätte angewendet werden müssen. 2. Wenn das Urteil auf der V e r l e t z u n g b e r u h t , d. h., wenn im Falle der Verletzung einer m a t e r i e l l e n Rechtsnorm ohne diese Verletzung die Entscheidung nicht so hätte ergehen können, wie sie ergangen ist, und im Falle der Verletzung einer p r o z e ß r e c h t l i c h e n Norm, wenn nicht klar erhellt, daß die Verletzung einen Einfluß auf das Urteil nicht gehabt hat, wenn also die M ö g l i c h k e i t besteht, daß das Urteil auf dem prozessualen Verstoß beruht, wobei eine solche Möglichkeit ohne weiteres unterstellt wird, wenn es sich um einen sog. absoluten Revisionsgrund im Sinne des § 338 handelt. 3. Wenn eine g e s e t z m ä ß i g e R e v i s i o n s r e c h t f e r t i g u n g (Revisionsantrag und Begründung) erfolgt ist. IX. Nach Aufhebung des Urteils entscheidet ausnahmsweise d a s R e v i s i o n s g e r i c h t an Stelle des Gerichts der Vorinstanz in der S a c h e selbst, wenn es sich um Aufhebung wegen m a t e r i e l l e r Gesetzesv e r l e t z u n g handelt, und wenn ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf völlige oder teilweise Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist, d. h. eine solche, bei deren Verhängung dem richterlichen Ermessen kein Spielraum gewährt wird (z. B. eine Geldstrafe, die in dem mehrfachen Betrage einer hinterzogenen Abgabe besteht), oder das Revisionsgericht in Ubereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet (§354 I). F r e i s p r u c h erfolgt auch dann, wenn der Angeklagte neben der Sachrüge zugleich auch eine an sich begründete Verfahrensrüge erhoben hat, die ohne die Sachrüge zur Zurückweisung führen müßte (BGH 17, 253 m. Anm. Jagusch N J W 62, 1 4 1 7 ) .

Wird ein Urteil aufgehoben, weil das Untergericht sich zu Unrecht für zuständig erklärt hat, so erfolgt V e r w e i s u n g an das z u s t ä n d i g e Ger i c h t (§355).

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II. Teil: Lösungen

I n a l l e n ü b r i g e n F ä l l e n wird die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung a n d i e V o r i n s t a n z z u r ü c k v e r w i e s e n , jedoch nach der Neufassung des § 354 Abs. 2 durch die Strafprozeßnovelle vom 19. 12. 1964 an eine a n d e r e A b t e i l u n g oder K a m m e r . Ist eine solche nicht vorhanden (z. B. bei kleinen Amtsgerichten, die nur eine Strafabteilung haben), so erfolgt die Zurückverweisung an ein zu demselben Land gehörendes a n d e r e s G e r i c h t g l e i c h e r O r d n u n g . Einen Sonderfall betrifft § 354 a. Siehe hierzu § 2 Abs. 2 Satz 2 StGB und B G H 20, 46. Uber die K o s t e n d e r R e v i s i o n wird im Falle der Zurückverweisung immer erst im Endurteil entschieden. X . Das Gericht, an welches die Sache verwiesen ist, hat eine neue Hauptverhandlung durchzuführen, bei der es an die der Aufhebung des Urteils zugrunde liegende R e c h t s a n s i c h t des Revisionsgerichts g e b u n d e n ist (§ 358 Abs. 1). Wird das neue Urteil bei gleichen Feststellungen wieder mit der Revision angefochten, so ist das Revisionsgericht selbst a u c h an seine frühere rechtliche Beurteilung gebunden (E. 59, 34). X I . Wenn das Urteil n u r v o n d e m A n g e k l a g t e n oder zu seinen Gunsten von der Staatsanwaltschaft a n g e f o c h t e n war, kann es nicht z u m N a c h t e i l des Angeklagten geändert werden (§ 358 Abs. 2). (Zu § 357 siehe unten Abschn. B I I I 5, S. 137.) B. Lösung des Falles I. Entspricht die Revisionsrechtfertigung des Rechtsanwalts Fischer den Vorschriften der Strafprozeßordnung? 1 . D i e Form d e r R e c h t f e r t i g u n g . a) D i e F o r m , in welcher die Revisionsrechtfertigung des Angeklagten anzubringen ist, schreibt § 345 Abs. 2 vor; verlangt wird eine von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichnete Schrift oder Erklärung des Angeklagten zu Protokoll der Geschäftsstelle. Die Einreichung einer formlosen Rechtfertigungsschrift ist also ausgeschlossen. Der G r u n d d e r B e s t i m m u n g ist ein doppelter: Einmal soll erreicht werden, daß dem Revisionsgericht die Prüfung ganz grundloser oder unverständlicher Anträge, wie sie häufig von Winkelschreibern verfaßt werden, erspart bleibt; zum anderen liegt es im Interesse des Angeklagten selbst, daß seine Anträge usw. nicht in ungeeigneter Weise gestellt werden. b) Die U n t e r z e i c h n u n g der Rechtfertigungsschrift durch einen Rechtsanwalt oder den Verteidiger wird verlangt, und zwar mit dem vollen bürgerlichen Namen. N i c h t e r f o r d e r l i c h ist d a g e g e n e i n e e i g e n h ä n d i g e U n t e r s c h r i f t . Nach B G H 8, 174 (177) kann sich der

Fall 9

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Verteidiger bei der Unterzeichnung mit seinem Namen vertreten lassen. Folgt man dieser Ansicht, so ist es auch zulässig, daß der Verteidiger die Revision t e l e g r a f i s c h begründet und hierbei das Telegramm fernmündlich aufgibt. Entscheidend ist allein, daß der Verteidiger den zuständigen Postbediensteten ermächtigt, einen bestimmten Text aufzunehmen, mit seiner Unterschrift zu versehen und telegrafisch weiterzuleiten (vgl. B G H a. a. O.). Streitig und in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob die Frist zur Begründung der Revision auch dann gewahrt ist, wenn das Telegramm zunächst nur fernmündlich zugesprochen wurde, die Telegrammurkunde aber noch nicht bei Gericht eingegangen ist. Die Frage wird in B G H 14, 233 grundsätzlich bejaht, jedoch mit der Einschränkung, daß der Telegramminhalt an eine zur Entgegennahme der Erklärung befugte Person des zuständigen Gerichts durchgegeben werden muß und diese darüber eine den Wortlaut des Telegramms wiedergebende Aktennotiz fertigt. Z u r Begründung wird auf § 26 TelegrO hingewiesen, wonach auch die fernmündliche Durchsage als Zustellung des Telegramms gilt. Einzelheiten siehe B G H a.a.O. D i e R e v i s i o n s r e c h t f e r t i g u n g des R e c h t s a n w a l t s F i s c h e r , d i e e i g e n h ä n d i g u n t e r s c h r i e b e n ist, g e n ü g t den F o r m e r f o r d e r n i s s e n d e s § 345 I I .

2. D e r Inhalt d e r R e v i s i o n s r e c h t f e r t i g u n g . a ) I m Gegensatz zu der Berufung bedarf die Revision stets einer R e c h t f e r t i g u n g ; die bloße Einlegung des Rechtsmittels genügt nicht, um die Sache zur Entscheidung des Revisionsrichters zu bringen. Die Revisionsrechtfertigung setzt sich nach § 344 zusammen aus dem R e v i s i o n s a n t r a g und der R ^ v i s i o n s b e g r ü n d u n g . b ) Die Bestimmung des § 344 wird ergänzt durch diejenige des § 352, nach der die G r u n d l a g e u n d den S t o f f f ü r d i e E n t s c h e i d u n g des Revisionsrichters der I n h a l t d e r R e v i s i o n s r e c h t f e r t i g u n g bildet, während die §§ 337, 338, die von der Begründung der Revision in abstracto handeln, die Bestimmungen darüber enthalten, was überhaupt Gegenstand der Beurteilung des Revisionsgerichts sein kann. aa) Die R e v i s i o n s a n t r ä g e sollen den Streitgegenstand für die Revisionsinstanz feststellen; sie beziehen sich lediglich auf die U r t e i l s f o r m e l und müssen erkennen lassen, ob diese in ihrem ganzen Umfange oder nur zum Teil als unrichtig angegriffen wird. Dies hat seine besondere Bedeutung in den Fällen, wenn das Urteil mehrere strafbare Handlungen zum Gegenstand hat oder wenn es mehrere Strafen nebeneinander verhängt. (Siehe wegen teilweiser Anfechtung die Ausführungen in Fall 7 Abschn. A I I , S. 108.) Gegenstand des Antrags ist immer nur die A u f h e b u n g des Urteils; einen Antrag bezüglich der im Falle der Aufhebung zu treffenden weiteren Entscheidung (§§ 354, 355) braucht der Beschwerdeführer nicht zu stellen. bb) Bezüglich der B e g r ü n d u n g der Revisionsanträge äußern sich die Motive folgendermaßen: „ E s ergibt sich aus § 344 Abs. 2, daß er-

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I I . Teil: Lösungen

kennbar sein muß, ob die behauptete Gesetzesverletzung in der E n t s c h e i d u n g s e l b s t oder in dem ihr zugrunde liegenden V e r f a h r e n oder in beiden zugleich gefunden werde. In dieser Beziehung wird die Prüfung des Revisionsrichters durch die Begründung der Revisionsanträge dergestalt b e g r e n z t , daß beispielsweise dann, wenn bloß Mängel des Verfahrens gerügt werden, die in der Entscheidung selbst enthaltene unrichtige Anwendung einer Rechtsnorm nicht zu der Aufhebung des Urteils führen kann." Sonach kann, wenn die Revision lediglich auf prozessuale Verstöße gegründet ist, an sich der Fall vorkommen, daß das Revisionsgericht das Rechtsmittel verwerfen muß, obwohl sich aus dem Urteil klar ergibt, daß das Strafgesetz unrichtig angewendet ist. Die allgemeine Redewendung, das Urteil werde, „in seinem ganzen U m f a n g e " angefochten, kann nicht als zulässige Revisionsbegründung angesehen werden (E. 44, 261). (Siehe auch E . 73, 2 3 : Die Revision ist unzulässig, wenn der Rechtsanwalt in der Revisionsbegründung zu erkennen gibt, daß er nicht die Verantwortung für die Revisionsbegründung übernehmen will. Das Rechtsmittel ist in einem solchen Falle als u n z u l ä s s i g zu verwerfen, § 349 I Satz 1. Siehe schließlich E . 64, 63: Eine vom Angeklagten verfaßte unsachgemäße Revisionsbegründung, die er z u P r o t o k o l l d e s U r k u n d s b e a m t e n d e r G e s c h ä f t s s t e l l e diktiert, ist unwirksam, wenn der Beamte zu erkennen gibt, daß er die Verantwortung für den Inhalt nicht übernehmen könne.) Aus den vorstehenden E r ö r t e r u n g e n im Z u s a m m e n h a n g mit d e n A u s f ü h r u n g e n i n d e r V o r b e m e r k u n g (Abschn. A V I I , S. 123) e r g i b t s i c h , d a ß die R e v i s i o n s r e c h t f e r t i g u n g des R e c h t s a n w a l t s Fischer auch inhaltlich den A n f o r d e r u n g e n der Strafprozeßo r d n u n g g e n ü g t . A l l e r d i n g s ist es in der Praxis üblich, die angeblich verletzte Rechtsnorm durch B e z e i c h n u n g des betreffenden G e s e t z e s p a r a g r a p h e n i n der Revisionsrechtfertigung zu erwähnen; vorgeschrieben ist aber eine solche Benennung nicht.

II. Die 3 Revisionsrügen 1. Die Nicht ausdehn ung der B e w e i s a u f n a h m e auf den Z e u g e n B r e n n e i s e n u n d A b l e h n u n g des V e r t a g u n g s a n t r a g s ohne Gründe. a ) Eine unbedingte Pflicht zur Vernehmung eines g e l a d e n e n Zeugen besteht gemäß § 245 S. 1 nur dann, wenn der Zeuge e r s c h i e n e n ist. Will ein Prozeßbeteiligter einen geladenen, aber nicht erschienenen Zeugen vernommen haben, so muß er in der Hauptverhandlung die Ladung beantragen. Dieser Antrag kann dann vom Gericht rechtswirksam n u r aus den in § 244 Abs. 3 im e i n z e l n e n angeführten G r ü n d e n abgelehnt werden. b ) Einen unmittelbaren, unbedingten A n s p r u c h a u f A u s s e t z u n g bzw. V e r t a g u n g der Hauptverhandlung hat der Angeklagte nicht; denn er würde j a sonst eine Möglichkeit besitzen, das Verfahren dadurch in die

Fall g

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Länge zu ziehen, daß er Zeugen lädt, von denen er von vornherein weiß, daß sie nicht erscheinen werden. Andererseits aber m u ß das Gericht, falls es die Vernehmung eines geladenen, aber nicht erschienenen Zeugen nicht aus einem der in § 244 Abs. 3 aufgeführten Gründe (s. Nachtrag Abschn. B I I I 2 a — g , S. 141) ablehnen kann, und Staatsanwaltschaft und Angeklagter auf die Vernehmung nicht verzichten, die Verhandlung zwecks Herbeischaffung des Zeugen vertagen. O b dem Gericht im v o r l i e g e n d e n F a l l e , in dem der V e r t a g u n g s a n t r a g z u g l e i c h e i n e n B e w e i s a n t r a g (Vernehmung des Zeugen Brenneisen) enthielt, ein gesetzlicher Ablehnungsgrund zur Seite stand, ist aus dem Sachverhalt nicht zu erkennen. c ) Jedenfalls aber liegt im v o r l i e g e n d e n F a l l e insofern eine G e s e t z e s v e r l e t z u n g vor, als der gemäß §§ 228 Abs. 1, 244 Abs. 6 erlassene G e r i c h t s b e s c h l u ß o h n e G r ü n d e geblieben ist entgegen der allgemeinen Vorschrift des § 34, wonach alle Entscheidungen, durch welche ein Antrag abgelehnt wird, mit G r ü n d e n v e r s e h e n sein müssen, es sei denn, daß sich die Begründung aus dem Inhalt des Beschlusses von selbst ergibt. Diese Vorschrift beruht vor allem auf der Notwendigkeit, für die Beteiligten sowohl als für den Revisionsrichter klar ersichtlich zu machen, ob r e c h t l i c h e oder t a t s ä c h l i c h e Gründe die Ablehnung des Antrags herbeigeführt haben. Eine Begründung ist nur dann entbehrlich, wenn auch der Antrag nicht begründet war o d e r wenn der Antragsteller über die Ablehnungsgründe nicht im unklaren sein konnte (E. 57, 44) o d e r wenn zwar ein Antrag gestellt ist, die Entscheidung selbst aber keinen Antrag voraussetzt, z. B. der Beschluß über die Vereidigung eines Zeugen (vgl. B G H 15, 253; bei Nichtvereidigung siehe jedoch § 64, vgl. B G H 17, 186 und Fall 3 Abschn. B II 1 e, S. 43). d) Nach § 338 Nr. 8 liegt ein a b s o l u t e r R e v i s i o n s g r u n d vor, wenn die V e r t e i d i g u n g in einem für die Entscheidung w e s e n t l i c h e n P u n k t e durch einen Beschluß des Gerichts u n z u l ä s s i g b e s c h r ä n k t worden ist. Eine w e s e n t l i c h e B e s c h r ä n k u n g der Verteidigung i. S. der Vorschrift liegt dann vor, wenn das Urteil auf ihr beruhen kann. § 338 Nr. 8 wirkt sich somit praktisch nur als r e l a t i v e r R e v i s i o n s g r u n d aus (vgl. E. 44, 345; Schwarz-Kleinknecht § 338 Anm. 9). Z u m Ganzen siehe auch Fuhrmann J R 62, 321. aa) O b im v o r l i e g e n d e n F a l l e § 338 Nr. 8 insofern zur Anwendung gelangen kann, als schon die A b l e h n u n g a l s s o l c h e eine u n z u l ä s s i g e B e s c h r ä n k u n g d e r V e r t e i d i g u n g bedeutete, kann dahingestellt bleiben, da, wie schon oben bemerkt, aus dem Sachverhalt nicht ersichtlich ist, ob ein gesetzlicher Ablehnungsgrund i. S. des § 244 Abs. 3 vorlag. bb) Jedenfalls aber bedeutete das F e h l e n e i n e r B e g r ü n d u n g für die Ablehnung des Vertagungs- bzw. Beweisantrags eine u n z u l ä s s i g e B e s c h r ä n k u n g d e r V e r t e i d i g u n g . Denn wäre die Entschließung des Gerichts, die Verhandlung nicht zu vertagen, dem Angeklagten mit G r ü n d e n versehen bekanntgegeben worden, dann hätte er bzw. sein P e t t c r s - P r e i s e n d a n z , Strafprozeßfälle, 8. Aufl.

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II. Teil: Lösungen

Verteidiger möglicherweise die Ablehnungsgründe widerlegen und Erklärungen abgeben können, welche geeignet waren, die Entscheidung zu beeinflussen. Es muß deshalb zugunsten des Beschwerdeführers angenommen werden, daß auf der ordnungswidrigen Behandlung des Vertagungs- bzw. Beweisantrags und der hierdurch herbeigeführten Bes c h r ä n k u n g d e r V e r t e i d i g u n g das Urteil b e r u h t oder, i. S. des § 338 Nr. 8 gesprochen, daß die V e r t e i d i g u n g in e i n e m f ü r d i e Entscheidung wesentlichen Punkt unzulässig beschränkt w o r d e n ist. (Siehe E. 23, 137.) cc) Diese Annahme wäre n u r d a n n u n b e g r ü n d e t , wenn nach Sachlage festzustellen wäre, daß der Angeklagte a u c h bei A n g a b e v o n G r ü n d e n nicht in der Lage gewesen wäre, die Erheblichkeit der von dem Zeugen Brenneisen zu erwartenden Angaben nachzuweisen oder andere Beweisanträge für seine Behauptung zu stellen. e) W i r k o m m e n s o m i t i m v o r l i e g e n d e n F a l l e zu d e m E r g e b n i s , d a ß d i e auf d a s F e h l e n d e r E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e g e s t ü t z t e R e v i s i o n s r ü g e a n sich g e e i g n e t ist, die A u f h e b u n g d e s angegriffenen Urteils wegen Verletzung einer V e r f a h r e n s n o r m herbeizuführen. 2. Die V e r l e s u n g des Briefes in d e r H a u p t v e r h a n d l u n g (siehe auch Nachtrag A zu Fall 3, S. 54). a) V o r b e m e r k u n g : A l l g e m e i n e s ü b e r D u r c h s u c h u n g u n d Beschlagnahme. aa) Die D u r c h s u c h u n g (§§ 102 bis 110) ist eine behördliche Maßnahme zum Zwecke der Auffindung von Beweisstücken oder Einziehungsobjekten i. S. des § 94 oder zur Ergreifung einer Person. V o r a u s s e t z u n g e i n e r D u r c h s u c h u n g ist immer, daß eine s t r a f b a r e H a n d l u n g b e r e i t s b e g a n g e n ist. D u r c h s u c h t werden können Wohnungen, Personen und Sachen. (NB. Ebenso wie bei der Beschlagnahme gibt es auch bei der Durchsuchung eine solche a u ß e r h a l b der StPO, die sich als Maßregel der p r ä v e n t i v e n Polizei darstellt oder aus gesundheits- oder sittenpolizeilichen Gründen vorgenommen wird.) Die w i c h t i g s t e und am häufigsten vorkommende A r t d e r D u r c h s u c h u n g ist die H a u s s u c h u n g (§§ 102 bis 110). Hierbei ist zu unterscheiden zwischen der Durchsuchung bei v e r d ä c h t i g e n und bei u n v e r d ä c h t i g e n Personen. Die erstere ist in § 102, die letztere in § 103 geregelt. Zur Nachtzeit ist die Durchsuchung beschränkt (§ 104). Z u s t ä n d i g zur Anordnung der Durchsuchung ist ebenso wie bei der Beschlagnahme der R i c h t e r , bei Gefahr im Verzug auch die S t a a t s a n w a l t s c h a f t oder ein H i l f s b e a m t e r der Staatsanwaltschaft (§ 105 Abs. 1). (In den Fällen des § 104 Abs. 2 sind auch Polizeibeamte, die nicht Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft sind, ohne besondere Anordnung zur Durchsuchung berechtigt, siehe Abs. 3 des § 105.) Wegen der A u s f ü h r u n g der Durchsuchung vgl. §§ 105 Abs. 2, 106—109.

Fall 9 Die D u r c h s u c h u n g v o n P e r s o n e n , die nur bei Verdächtigen zulässig ist, unterliegt nur dann den Bestimmungen der §§ 102, 103, wenn es sich um eine Durchsuchung der ä u ß e r e n Oberfläche des Körpers oder der Kleidung handelt, also bei vollkommener Wahrung der Integrität. Eine körperliche U n t e r s u c h u n g dagegen richtet sich nach den §§ 81 a — 8 1 d (siehe Fall 3, Nachtrag B, Abschn. 4 6 , S. 62). Besonderheiten gelten für die Durchsuchung von Dienstgebäuden und Anlagen der Bundeswehr, § 1 0 5 I V . bb) D i e

Beschlagnahme.

B e s c h l a g n a h m e i. S. des t a t s ä c h l i c h e n I n b e s c h l a g n e h m e n s ist eine behördliche Maßnahme, durch die einzelne Gegenstände, die als B e w e i s m i t t e l f ü r d i e U n t e r s u c h u n g v o n B e d e u t u n g sein können oder der Einziehung unterliegen, in Verwahrung genommen oder sonst sichergestellt werden. Dieses t a t s ä c h l i c h e I n b e s c h l a g n e h m e n kann e n t w e d e r in der Form einer e i n f a c h e n V e r w a h r u n g oder Sicherstellung o d e r durch eine f o r m e l l e A n o r d n u n g der Beschlagnahme erfolgen. (NB. Ebenso wie bei der Durchsuchung g i b t es auch bei der Beschlagnahme eine solche a u ß e r h a l b der StPO, die sich als Maßregel der p r ä v e n t i v e n Polizei darstellt, also ohne Rücksicht auf eine etwa eintretende Strafverfolgung erforderlich ist, z. B. Wegnahme einer Waffe zum Zwecke der Verhütung einer Körperverletzung.) Die e i n f a c h e V e r w a h r u n g o d e r S i c h e r s t e l l u n g darf j e d e r Polizeibeamte, also nicht nur der Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft, ohne besondere Anordnung vornehmen, w e n n die Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können oder der Einziehung unterliegen (z. B. §§ 40, 42m, 152, 245a, 295, 296 S t G B ) , sich e n t w e d e r n i c h t i m G e w a h r s a m e i n e r P e r s o n befinden (z. B. Einbrecherwerkzeug am Tatort) o d e r wenn sie f r e i w i l l i g herausgegeben werden (§ 94 Abs. 1). Die f o r m e l l e B e s c h l a g n a h m e (§§ 9 4 — 1 0 1 ) ist notwendig, wenn die Gegenstände, welche als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können oder der Einziehung unterliegen, von der Person, die sie in Gewahrsam hat, n i c h t f r e i w i l l i g h e r a u s g e g e b e n werden (§ 94 Abs. 2). Z u s t ä n d i g f ü r die Anordnung einer solchen formellen Beschlagnahme ist an sich n u r d e r R i c h t e r , jedoch bei Gefahr im Verzug (ebenso wie bei der Beschlagnahme) auch die S t a a t s a n w a l t s c h a f t und ihre H i l f s b e a m t e n . Eine besondere F o r m der Beschlagnahme ist nicht vorgesehen; es genügt eine diesbezügliche Erklärung an den Besitzer und die Weisung, daß er sich jeder Verfügung über die Sache zu enthalten habe (E. 18, 72). V o n d e r B e s c h l a g n a h m e a u s g e n o m m e n sind bestimmte amtliche Akten (§96) und schriftliche Mitteilungen des Beschuldigten an Angehörige (§ 97) sowie die dem Verletzten durch die Straftat entzogenen Sachen, die immer möglichst bald dem Verletzten zurückzugeben sind (§ 1 1 1 ) . Eine S o n d e r r e g e l u n g ist vorgesehen für die P o s t b e s c h l a g n a h m e , die n u r v o m R i c h t e r und bei 9*

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I I . Teil: Lösungen

Gefahr im Verzuge von der S t a a t s a n w a l t s c h a f t , dagegen n i c h t v o n d e r e n H i l f s b e a m t e n durchgeführt werden kann (siehe §§ 99, 100). b) D e r v o r l i e g e n d e

Fall:

aa) Kriminalkommissar B e n z war als H i l f s b e a m t e r d e r S t a a t s a n w a l t s c h a f t in Tätigkeit getreten und hat, da zweifellos die Gefahr bestand, daß der fragliche Brief, falls nicht sofort zugegriffen wurde, von K a r l Finzer auf die Seite geschafft werde, aus eigener Initiative gehandelt. Es kann auch nicht zweifelhaft sein, daß Benz aus dem gleichen Grunde berechtigt war, die D u r c h s u c h u n g ohne Zuziehung der in § 105 Abs. 2 genannten Personen (Gemeindebeamter oder zwei Gemeindemitglieder) vorzunehmen. Die Durchsuchung erfolgte bei einem U n v e r d ä c h t i g e n (zu der Annahme, daß K a r l Finzer der Teilnahme, Begünstigung oder Hehlerei verdächtig war, gibt der Tatbestand keinen Anlaß) und diente der Sicherstellung eines bestimmten Gegenstandes, nämlich des fraglichen Briefes (§ 103). D a K a r l Finzer den in seinem Gewahrsam befindlichen Brief nicht freiwillig herausgab, schritt Benz gemäß § 94 Abs. 2 z u r B e s c h l a g n a h m e . D a K a r l Finzer gegen die Beschlagnahme Widerspruch erhoben hat, kommt § 98 Abs. 2 in Frage, wonach in einem solchen Falle die r i c h t e r l i c h e B e s t ä t i g u n g innerhalb von drei Tagen nachgesucht werden soll. Diese Bestimmung ist nur eine instruktionelle Vorschrift, so daß auch bei ihrer Nichtbefolgung die Beschlagnahme bestehen bleibt. bb) Wenn es darauf ankommt, den I n h a l t eines Schriftstücks zur Kenntnis der zur Urteilsfindung berufenen Personen zu bringen, so muß das Schriftstück in der Hauptverhandlung gemäß § 249 v e r l e s e n werden (Urkundenbeweis). Der G r u n d s a t z d e r M ü n d l i c h k e i t wird durch eine solche Verlesung nicht berührt; denn dieser Grundsatz verbietet nur, daß vor dem erkennenden Gericht die mündliche Vernehmung einer Person über die von ihr gemachten W a h r n e h m u n g e n durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer schriftlichen Erklärung e r s e t z t wird (§ 250), sofern nicht ein bestimmter gesetzlicher Grund diese Ersetzung rechtfertigt (§ 2 5 1 ) . Siehe hierzu ausführlich B G H 20, 160. cc) Für das s c h r i f t l i c h n i e d e r g e l e g t e G e s t ä n d n i s des Angeklagten enthält zwar § 254 die Bestimmung, daß es verlesen werden darf, wenn es in einem r i c h t e r l i c h e n P r o t o k o l l enthalten ist, und zwar als Ersatz für die Vernehmung des betreffenden Beamten. Damit ist aber die Verlesung von a n d e r e n S c h r i f t s t ü c k e n , z. B. p o l i z e i l i c h e n Vernehmungsprotokollen, B r i e f e n d e s A n g e k l a g t e n , die ein Schuldbekenntnis enthalten, nicht ausgeschlossen, wenn nur die Absicht der Ersetzung mündlicher Vernehmung durch Verlesung des Schriftstücks als ausgeschlossen gelten kann, was vor allem der Fall ist, wenn n e b e n der Verlesung zugleich die Vernehmung des Angeklagten erfolgt. (E. 3 3 , 36; 35, 234. Siehe auch hierzu B G H 20, 160 sowie Nachtrag A zu Fall 3.)

Fall 9

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E i n e p r i n z i p i e l l e V e r p f l i c h t u n g zur V e r n e h m u n g des B r u d e r s des A n g e k l a g t e n , statt der V e r l e s u n g des B r i e f e s , b e s t a n d d e m n a c h an sich n i c h t f ü r das G e r i c h t . dd) D a g e g e n e n t h ä l t die V e r l e s u n g g e r a d e dieses Briefes eine V e r l e t z u n g des G e s e t z e s aus folgenden Gründen: D i e B e s c h l a g n a h m e des an seinen Bruder gerichteten Briefes des Angeklagten durch den Kommissar Benz bedeutete einen Verstoß gegen § g7, wonach schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und denjenigen Personen, die wegen ihres Verhältnisses zu ihm nach §§ 52, 53, 53 a zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt sind, falls sie sich in Händen der letzteren Personen befinden und diese nicht einer Teilnahme, Begünstigung oder Hehlerei verdächtig sind, nicht beschlagnahmt werden dürfen. Dabei ist der Umstand, daß zur Zeit der Beschlagnahme gegen Finzer öffentliche Klage noch nicht erhoben war, ohne Belang, da der Ausdruck „Beschuldigter" in einem weiteren, auch den Verdächtigen umfassenden Sinn zu verstehen ist. D a die g e m ä ß §§94 Abs. a, 98 e r f o l g t e B e s c h l a g n a h m e des Briefes somit u n z u l ä s s i g war, d u r f t e d e r s e l b e n a c h k e i n e r R i c h t u n g als B e w e i s m i t t e l bei der E n t s c h e i d u n g in der H a u p t s a c h e v e r w e r t e t w e r d e n . D a f e r n e r n a c h den G r ü n d e n des S t r a f k a m m e r u r t e i l s der I n h a l t des g e s e t z w i d r i g b e s c h l a g n a h m t e n u n d v e r l e s e n e n Briefes E i n f l u ß a u f die E n t s c h e i d u n g in der H a u p t s a c h e g e w o n n e n hat, das U r t e i l somit a u f d i e s e r G e s e t z e s v e r l e t z u n g b e r u h t , u n t e r l i e g t es an sich der A u f h e b u n g . 3. V e r l e t z u n g des G r u n d s a t z e s ,,ne bis in i d e m " a) Wie in Fall 12 noch näher auszuführen ist, kann eine durch rechtskräftiges Urteil entschiedene Strafsache nicht nochmals zum Gegenstand eines neuen Strafverfahrens gegen denselben Angeklagten gemacht werden. D i e S t r a f k l a g e ist v e r b r a u c h t („ne bis in idem"). Dieser Grundsatz gilt jedoch für S t r a f b e f e h l e , ungeachtet des an sich entgegenstehenden Wortlauts in §410, nur b e s c h r ä n k t . Nach feststehender Rechtsprechung (vgl. Fall 12 Abschn. A IV, 4, S. 158) hindert die Rechtskraft des Strafbefehls nicht, dieselbe Tat nochmals unter einem n e u e n r e c h t l i c h e n G e s i c h t s p u n k t zu verfolgen, der im S t r a f b e f e h l n i c h t b e r ü c k s i c h t i g t war und eine e r h ö h t e S t r a f b a r k e i t bedingt. Andererseits ist eine e r n e u t e V e r f o l g u n g u n z u l ä s s i g , wenn sich ohne Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts nur neue t a t s ä c h l i c h e Gesichtspunkte ergeben, die möglicherweise zu einer höheren Bestrafung führen könnten. b) Aus den Ausführungen zu a) ergibt sich für den v o r l i e g e n d e n F a l l folgendes: Ein neues Verfahren wegen des Diebstahls der Kassette war nur dann zulässig, wenn sich der Kassettendiebstahl entweder gegenüber dem bereits durch Strafbefehl gesühnten Gelddiebstahl als neue T a t darstellt oder wenn zwar Tatidentität besteht, der Kassettendiebstahl sich aber unter einem n e u e n r e c h t l i c h e n G e s i c h t s p u n k t darstellt, der im Strafbefehl nicht berücksichtigt war.

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II. Teil: Lösungen

B e i d e V o r a u s s e t z u n g e n l i e g e n n i c h t v o r . Da die Angeklagten die Kassette in einem engen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Geld aus der Ladenkasse entwendeten (der Diebstahl wurde bei der gleichen Gelegenheit an derselben Stelle ausgeführt), wird man sowohl materiellrechtlich als auch prozessual T a t e i n h e i t annehmen müssen. Es ist daher weiter zu prüfen, ob sich der Kassettendiebstahl im Gegensatz zu dem bereits durch Strafbefehl gesühnten Gelddiebstahl nicht nur als einfacher Diebstahl, sondern als s c h w e r e r D i e b s t a h l darstellt. Diese Frage war lange bestritten. Sie wurde schließlich vom B u n d e s g e r i c h t s h o f in B G H 14, 291 dahin entschieden, daß bei der Tatbestandsalternativen „ m i t t e l s E r b r e c h e n s v o n B e h ä l t n i s s e n " ein schwerer Diebstahl i. S. von § 243 Nr. 2 S t G B nur dann in Betracht kommt, wenn der Täter' das Behältnis in dem Gebäude oder umschlossenen R a u m aufbricht, in dem er es entwendet hat. Der T b . ist dagegen nicht erfüllt, wenn der Täter das Behältnis — wie im vorliegenden Fall — erst zu Hause aufbricht. Hieraus folgt, daß sich auch der Kassettendiebstahl nur als einfacher Diebstahl darstellt und daher kein neues Verfahren rechtfertigt. Bei dieser Sachlage könnte allenfalls gegen F i n z e r ein neues Verfahren eingeleitet werden, wenn dieser, entsprechend der Annahme der StA, r ü c k f a l l b e g r ü n d e n d v o r b e s t r a f t wäre. In diesem Falle wäre § 244 S t G B der neue rechtliche Gesichtspunkt, der im Strafbefehl nicht berücksichtigt war und zu einer höheren Strafbarkeit führen könnte. D a aber nach den Urteilsgründen die Rückfallvoraussetzungen nicht vorliegen, durfte auch er nicht nochmals verurteilt werden. Das Verfahren hätte vielmehr eingestellt werden müssen. Das U r t e i l d e r S t r a f k a m m e r bedeutet daher einen V e r s t o ß g e g e n d e n G r u n d s a t z „ n e b i s i n i d e m " .

III. Wie wird das Revisionsgericht entscheiden? 1 . Die R e v i s i o n s r ü g e n a) Die b e i d e n e r s t e n R ü g e n : aa) Sie beziehen sich auf r e i n e V e r f a h r e n s n o r m e n . Sie können zur Aufhebung des Urteils daher nur führen, wenn der fragliche Verstoß, wie es im v o r l i e g e n d e n F a l l e geschehen ist, a u s d r ü c k l i c h g e r ü g t wird und die Tatsachen angeführt werden, die die Verletzung der Verfahrensnormen ergeben. (Siehe die Erörterungen oben in Abschn. A V I I 1, S. 123.) bb) Da keiner der Fälle des § 338 (absolute Revisionsgründe) vorliegt, ist w e i t e r z u p r ü f e n , ob das Urteil der Strafkammer auf der Gesetzesverletzung beruht (§ 337 Abs. 1), d. h. ob die M ö g l i c h k e i t besteht, daß die Gesetzesverletzung Einfluß auf das Urteil gewonnen hat. Diese Frage ist bezüglich der z w e i t e n R ü g e (Verlesung des fraglichen Briefes) ohne weiteres zu bejahen. Aber auch bezüglich der e r s t e n Gesetzesverletzung (Ablehnung des Vertagungsantrages ohne Gründe) dürften die Voraussetzungen des § 337 erfüllt sein. (Siehe die Ausführungen in Abschn. I I 1, S. i28f.) Wir kommen somit zu dem Ergebnis, daß s c h o n d i e b e i d e n e r s t e n V e r f a h r e n s v e r s t ö ß e zur Aufhebung des Urteils der Strafkammer nebst

Fall 9

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den zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen und zu einer Zurückverweisung gemäß § 354 Abs. 2 führen müßten, wenn das Verfahren im übrigen in Ordnung ginge. b) Bei dem G r u n d s a t z „ n e bis in i d e m " , dessen Verletzung mit der d r i t t e n R ü g e geltend gemacht wird, handelt es sich um ein V e r f a h r e n s h i n d e r n i s , das in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist und in der Revisionsinstanz auch ohne Rüge des Revisionsführers gemäß § 354 Abs. 1 zur E i n s t e l l u n g des Verfahrens führt (vgl. Fall 7 Abschn. B V 2 sowie Nachtrag zu Fall 7). 2. D i e F r i s t v e r s ä u m n i s in d e r R e v i s i o n s e i n l e g u n g des F i n z e r . a) Es handelt sich hier um eine sog. g e s e t z l i c h e E r k l ä r u n g s f r i s t (siehe Fall io, Abschn. A I 1, S. 143). Eine solche ist nur dann g e w a h r t , wenn innerhalb derselben entweder die Erklärung bei dem zuständigen Gericht zu Protokoll gegeben oder ein die Erklärung enthaltendes Schriftstück bei diesem Gericht eingegangen, d. h. in die Hände eines in Vertretung des Gerichts zur Empfangnahme eingehender Schriftstücke berufenen Beamten gelangt ist. b) Nach § 341 muß die R e v i s i o n bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, binnen e i n e r W o c h e nach Verkündung des Urteils zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich eingelegt werden, vorausgesetzt, daß, wie im v o r l i e g e n d e n F a l l e , der Angeklagte bei der Verkündung anwesend war. (Andernfalls beginnt die Frist erst mit der Zustellung des Urteils, § 341 Abs. 2.) Da das Urteil am 16. August 1965 verkündet worden ist, F i n z e r s Revisionseinlegung vom 23. August aber erst am 24. August bei Gericht eingekommen ist (der letzte rechtzeitige Termin wäre gemäß § 43 der 23. August gewesen), hat die Revisionseinlegung als nicht rechtzeitig zu gelten. Es h ä t t e s c h o n d i e S t r a f k a m m e r d i e R e v i s i o n des A n g e k l a g t e n F i n z e r d u r c h B e s c h l u ß g e m ä ß § 346 als u n z u l ä s s i g v e r werfen müssen. c) Da dieser Mangel aber von dem Vorderrichter übersehen wurde, hätte an sich nunmehr das R e v i s i o n s g e r i c h t gemäß § 349 die Revision des Finzer d u r c h B e s c h l u ß als u n z u l ä s s i g verwerfen können; da wir uns aber schon im Stadium der Hauptverhandlung befinden, muß die V e r w e r f u n g d u r c h U r t e i l ausgesprochen werden. Die Frage, ob das Verfahren nicht wegen des Verstoßes gegen den Grundsatz „ne bis in idem" einzustellen ist (s. o. II 3 und III 1 b) darf bei dieser Sachlage überhaupt nicht mehr geprüft werden, da nur ein zulässiges und wirksam angebrachtes Rechtsmittel dem übergeordneten Gericht die Befugnis verleiht, ein angefochtenes Urteil zu überprüfen und erforderlichenfalls in seinen Bestand einzugreifen (BGH 16, 115 gegen BGH 15, 203). 3. Die Z u r ü c k n a h m e d e r R e v i s i o n f ü r F i n z e r . a) Eine b e s t i m m t e F o r m für die Z u r ü c k n a h m e eines Rechtsmittels nach § 302 ist im Gesetz nicht vorgeschrieben; es gilt daher das gleiche wie

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I I . Teil: Lösungen

f ü r die E i n l e g u n g der Rechtsmittel; sie muß schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden (E. 32, 279). b) Bezüglich der Frage, ob eine durch T e l e g r a m m abgegebene Erklärung als s c h r i f t l i c h im Sinne des Gesetzes anzusehen sei, siehe oben Abschn, B I 1 b. c ) Gemäß § 302 Abs. 2 bedarf aber der Verteidiger zur Z u r ü c k n a h m e e i n e s R e c h t s m i t t e l s (und nach E . 64, 164 auch zum Verzicht auf ein solches) einer a u s d r ü c k l i c h e n E r m ä c h t i g u n g ; diese kann schon im voraus, d. h. vor der Einlegung wirksam erteilt werden (E. 24, 142), wobei bestritten ist, ob die a l l g e m e i n e Ermächtigung zur Zurücknahme von Rechtsmitteln ausreicht. (Siehe B G H 10, 245.) Jedenfalls liegt im v o r l i e g e n d e n F a l l e keine Ermächtigung vor, da lt. Sachverhalt Rechtsanwalt Fischer inhaltlich seiner in erster Instanz vorgelegten Vollmacht nur z u r E i n l e g u n g von Rechtsmitteln befugt war. D i e t e l e g r a p h i s c h e Z u r ü c k n a h m e d e r R e v i s i o n des R e c h t s a n w a l t s F i s c h e r b e z ü g l i c h d e s A n g e k l a g t e n F i n z e r ist d e m n a c h rechtsunwirksam. B e z ü g l i c h dieses A n g e k l a g t e n h ä t t e also, f a l l s nicht die V o r a u s s e t z u n g e n d e s § 357 v o r l i e g e n (siehe unten Abschn. 5), d a s U r teil des R e v i s i o n s g e r i c h t e s l a u t e n m ü s s e n : D i e R e v i s i o n des A n g e k l a g t e n R u d o l f F i n z e r gegen das U r t e i l der S t r a f k a m m e r M a n n h e i m v o m 16. A u g u s t 1965 w i r d a l s u n z u l ä s s i g v e r w o r f e n ; der A n g e k l a g t e h a t die K o s t e n zu tragen. (NB. Hätte eine rechtswirksame Zurücknahme der Revision vorgelegen •— die nach § 303 erforderliche Zustimmung des Staatsanwalts war j a erteilt worden — , so wäre die an sich wegen verspäteter Revisionseinlegung gebotene Verwerfung der Revision nicht mehr zulässig gewesen; die Revision hätte dann vielmehr als durch die Zurücknahme erledigt erklärt werden müssen [siehe E . 55, 2 1 4 ] , und das Urteil der Strafkammer wäre im Augenblick der Zurücknahme der Revision rechtskräftig geworden.) 4. D i e E n t s c h e i d u n g b e z ü g l i c h B r u n n e r . Da dieser Angeklagte rechtzeitig Revision eingelegt hatte, muß das R e v i s i o n s g e r i c h t (BGH) wegen der Verletzung des Grundsatzes ,,ne bis in i d e m " seine E n t s c h e i d u n g d a h i n t r e f f e n , d a ß d a s U r t e i l d e r S t r a f k a m m e r a u f z u h e b e n u n d d a s V e r f a h r e n e i n z u s t e l l e n ist unter A u f e r l e g u n g der K o s t e n auf die Staatskasse. D i e r e c h t l i c h e S i t u a t i o n w ä r e n u n a l s o f o l g e n d e : Der Angeklagte Finzer wäre rechtskräftig zu einer Gefängnisstrafe von 1 J a h r 2 Monaten verurteilt, während das Verfahren gegen Brunner eingestellt werden müßte. Ein solches Ergebnis würde aber mit dem Grundsatz der Gerechtigkeit nicht vereinbar sein. Einen Ausweg schafft die Bestimmung des im folgenden Abschnitt erörterten § 357.

Fall 9 5. D i e W i r k u n g d e s g e g e n B r u n n e r e r g a n g e n e n U r t e i l s die prozessuale R e c h t s l a g e des Finzer.

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a

) § 357 l a u t e t : „Erfolgt zugunsten eines Angeklagten die A u f h e b u n g des Urteils wegen Gesetzesverletzung bei A n w e n d u n g des Strafgesetzes u n d erstreckt sich das Urteil, soweit es aufgehoben wird, noch auf a n d e r e Angeklagte, die nicht Revision eingelegt haben, so ist zu erkennen, als o b sie gleichfalls Revision eingelegt h ä t t e n " . Es handelt sich also hier u m einen der Ausnahmefälle, in denen nach der Strafprozeßordnung ein zuungunsten eines Angeklagten bereits rechtskräftig gewordenes Urteil zu dessen Gunsten trotz der eingetretenen Rechtskraft noch aufgehoben werden kann. Der § 357 ist eine B i l l i g k e i t s V o r s c h r i f t , d u r c h die verhindert werden soll, d a ß bei sonst gleicher Lage ein Mitangeklagter, der Revision einlegt, ein günstigeres Ergebnis erzielt als ein anderer Mitangeklagter, der sich bei d e m ersten Urteil beruhigt (E. 71, 215). N a c h erfolgter A u f h e b u n g des Urteils ist ein solcher Mitangeklagter in j e d e r Beziehung so zu behandeln, als w e n n er selbst Revision eingelegt hätte. Es findet also auch das Verbot der reformatio in peius (§ 358 Abs. 2) auf ihn A n w e n d u n g . b) Die V o r a u s s e t z u n g e n dieser Gesetzesstelle sind f o l g e n d e : aa) I d e n t i t ä t d e r T a t , d . h . die A u f h e b u n g des Urteils k a n n nur solchen Angeklagten zustatten kommen, welche nach der erstrichterlichen Feststellung bei derjenigen T a t beteiligt waren, auf welche sich die Revision bezieht u n d bezüglich deren das erste Urteil aufgehoben w i r d ; es ist also erforderlich ein Z u s a m m e n h a n g i. S. des § 3 (E. 6, 260; 72, 24). bb) G e s e t z e s v e r l e t z u n g b e i A n w e n d u n g d e s S t r a f g e s e t z e s . Ursprünglich h a t m a n im Hinblick auf die Fassung des § 357 angenommen, d a ß diese Gesetzesstelle n u r d a n n Platz greife, w e n n das fragliche Urteil auf einer unrichtigen A n w e n d u n g des s a c h l i c h e n Rechts b e r u h t . N a c h der späteren reichsgerichtlichen Rechtsprechung (siehe E. 68, 18; 7 1 , 251) trifft § 3 5 7 auch den Fall, d a ß die von Amts wegen vorzunehm e n d e P r ü f u n g der V e r f a h r e n s v o r a u s s e t z u n g e n ergibt, d a ß das Verfahren sowohl gegenüber d e m Beschwerdeführer als a u c h gegenüber einem Mitangeklagten, der keine Revision eingelegt hat, unzulässig ist, z. B. wenn ein Straffreiheitsgesetz nicht beachtet ist oder der Eröffnungsbeschluß fehlt. Der Bundesgerichtshof h a t diese Rechtsprechung übern o m m e n ( B G H 10, 141). Von d e m Geltungsbereich des § 357 ist also n u r die auf besondere R ü g e zu beachtende Verletzung einer reinen R e c h t s n o r m ü b e r d a s V e r f a h r e n ausgeschlossen. cc) G l e i c h e r R e v i s i o n s g r u n d f ü r die anderen Angeklagten, d . h . es m u ß die bezüglich des Revisionsführers vorliegende Gesetzesverletzung ohne weiteres auch die Urteilsaufhebung bezüglich des anderen Angeklagten begründen. c ) D a im v o r l i e g e n d e n F a l l e die drei Voraussetzungen gegeben sind, u n d d a den Angeklagten, welche die Revision nicht eingelegt haben, die-

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II. Teil: Lösungen

jenigen gleichzuachten sind, die das Rechtsmittel zwar eingelegt, später aber wieder zurückgenommen haben, oder bezüglich deren das Rechtsmittel gemäß § 349 als unzulässig verworfen worden ist (E. 40, 220), ist das R e v i s i o n s g e r i c h t v e r p f l i c h t e t , die A u f h e b u n g des Urteils auch gegenüber dem A n g e k l a g t e n Finzer auszusprechen. Das U r t e i l des R e v i s i o n s g e r i c h t s hat also zu l a u t e n : Auf die R e v i s i o n des A n g e k l a g t e n Brunner wird das U r t e i l der S t r a f k a m m e r M a n n h e i m vom 16. August 1965 in v o l l e m Umf a n g e , gemäß § 357 auch, soweit es den A n g e k l a g t e n F i n z e r b e t r i f f t , aufgehoben. Das V e r f a h r e n gegen beide A n g e k l a g t e wird eingestellt; die Kosten trägt die Staatskasse. Nachtrag Die Beweisaufnahme und deren Umfang A. Beweisanträge vor der Hauptverhandlung (§219) I. Der BGH hat den Begriff des Beweisantrags in BGH 6, 129 wie folgt definiert: „Ein Beweisantrag ist das Begehren eines Prozeßbeteiligten, über eine bestimmte Tatsache ein nach der Prozeßordnung zulässiges bestimmtes Beweismittel zu verwerten". Jeder Beweisantrag muß also ein genau bestimmtes Beweisthema und ein genau bestimmtes Beweismittel bezeichnen. Von den Beweisanträgen i. e. S. sind streng zu unterscheiden die Beweisermittlungsanträge. Diese enthalten nur eine Anregung an das Gericht, in bestimmter Richtung Beweise zu erheben, z. B. Gerichtsakten beizuziehen (BGH 6, 128). Solche Beweisermittlungsanträge müssen zwar nicht durch besonderen Beschluß formell entschieden werden; ihre Ubergehung in der Hauptverhandlung kann jedoch einen Verstoß gegen die sich aus § 244 II ergebende Aufklärungspflicht darstellen. II. G r u n d s ä t z l i c h hat das erkennende Gericht nur einen Beweisantrag zu berücksichtigen, der in der H a u p t v e r h a n d l u n g vorgetragen wird (E. 61, 376). III. Verlangt der Angeklagte vor der Hauptverhandlung die Ladung von Zeugen oder Sachverständigen oder die Herbeischaffung anderer Beweismittel zur Hauptverhandlung, so hat er unter Angabe der Tatsachen, über welche der Beweis erhoben werden soll, seine Anträge bei dem V o r s i t z e n d e n des Gerichts zu stellen. Dieser hat darüber zu entscheiden und seine Verfügung dem Angeklagten bekannt zu machen (§ 219). 1 . Der Vorsitzende kann einen solchen Antrag aus den in § 244 I I I genannten Gründen (mit Ausnahme der Wahrunterstellung, über die nur in der Hauptverhandlung entschieden werden kann) ablehnen (BGH 1, 50-

Fall g

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a ) Eine solche Ablehnung v o r der H a u p t v e r h a n d l u n g k a n n aber i m m e r n u r eine v o r l ä u f i g e Entscheidung sein. Die e n d g ü l t i g e Entscheidung hierüber unterliegt ausschließlich d e m Ermessen des e r k e n n e n d e n G e richts. b ) Die R e v i s i o n k a n n grundsätzlich n i c h t d a r a u f gestützt werden, d a ß der V o r s i t z e n d e a l l e i n v o r der H a u p t v e r h a n d l u n g einen Beweisa n t r a g zu U n r e c h t abgelehnt h a b e . Wünscht der Angeklagte, d a ß der Beweis trotz der Ablehnung des Antrags durch den Vorsitzenden erhoben werde, so m u ß er seinen A n t r a g i n d e r H a u p t v e r h a n d l u n g w i e d e r h o l e n u n d damit d e m erkennenden Gericht zur Entscheidung unterbreiten (E. 75, 165). 2 . Ein Bescheid des Vorsitzenden dahin, d a ß über einen g e m ä ß § 2 1 9 gestellten A n t r a g des Angeklagten i n d e r H a u p t v e r h a n d l u n g entschieden werde, entspricht a n sich n i c h t der Vorschrift des § 219. Trotzd e m kann eine diesbezügliche V e r f a h r e n s r ü g e d a n n keinen Erfolg h a b e n , w e n n aus d e m Bescheid zu erkennen ist, d a ß der Vorsitzende es ablehne, g e m ä ß § 2 1 9 weiteres zu veranlassen, u n d d a ß er d e m Angeklagten anheimgebe, seine Beweisanträge in der H a u p t v e r h a n d l u n g vorzubringen. 3. U n z u l ä s s i g ist aber ein solcher Bescheid u n d kann die A u f h e b u n g des Urteils zur Folge haben, wenn in d e m Angeklagten d u r c h den Bescheid der I r r t u m hervorgerufen wurde, er brauche seinen A n t r a g in der H a u p t verhandlung nicht zu wiederholen, es werde keinesfalls eine ihm ungünstige Entscheidung ergehen, ohne d a ß das erkennende Gericht vorher über den a n den Vorsitzenden gerichteten A n t r a g entscheide (E. 61, 376). Dieser Fall wird vor allem d a n n gegeben sein, wenn der Angeklagte r e c h t l i c h n i c h t e r f a h r e n war u n d keinen Verteidiger hatte. (Siehe zu diesem Fragenkomplex die eingehenden Ausführungen in B G H 1, 286.)

B. Die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung I . Der die ganze Beweisaufnahme b e h e r r s c h e n d e G r u n d s a t z des § 2 4 4 Abs. 2 l a u t e t : D a s G e r i c h t h a t z u r E r f o r s c h u n g d e r W a h r heit die B e w e i s a u f n a h m e von Amts wegen auf alle T a t s a c h e n u n d Beweismittel zu erstrecken, die f ü r die E n t s c h e i d u n g von B e d e u t u n g sind. Diese gesetzliche A u f k l ä r u n g s p f l i c h t , die auch in § 155 Abs. 2 d e m Gericht auferlegt ist, k a n n u. U . zu d e m Ergebnis führen, d a ß zwar die Ablehnung eines bestimmten Beweisantrags gerechtfertigt sein mag, d a ß aber der Tatrichter zugleich von Amts wegen zu prüfen h a b e n kann, o b eine a n d e r e A u f k l ä r u n g s m ö g l i c h k e i t zur V e r f ü g u n g steht, die möglicherweise zu einem Erfolg f ü h r e n könnte. Die Nichtbenutzung eines solchen Beweismittels k a n n einen Verstoß gegen die Vorschrift des § 244 Abs. 2 darstellen (siehe E. 74, 147; 75, 11; B G H 2, 163; 3, 30, 169 u n d 175).

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I I . Teil: Lösungen

II. I m übrigen ist, soweit es sich u m p r ä s e n t e Beweismittel handelt, der U m f a n g d e r B e w e i s a u f n a h m e in § 245 z w i n g e n d vorgeschrieben. 1. Sie m u ß sich erstrecken auf sämtliche v o r g e l a d e n e n Z e u g e n u n d S a c h v e r s t ä n d i g e n , s o w e i t s i e e r s c h i e n e n sind (§845 Satz 1). a ) Die erste Voraussetzung f ü r diese zwingende Vorschrift ist also, d a ß die Zeugen u n d Sachverständigen g e l a d e n sind. aa) Dabei ist es gleichgültig, ob die L a d u n g v o m Gericht oder v o m Angeklagten g e m ä ß § 220 Abs. 1 bewirkt w u r d e u n d ob die L a d u n g v o r oder erst w ä h r e n d der H a u p t v e r h a n d l u n g erfolgt (§ 245 Satz 2). bb) Dagegen k a n n die zwingende Vorschrift des § 245 Satz 1 k e i n e A n w e n d u n g finden auf g e s t e l l t e Personen, d . h . solche, die n i c h t gel a d e n , sondern einfach zur Sitzung mitgebracht worden sind. Bezüglich dieser h a t das Gericht die Erheblichkeit der V e r n e h m u n g zu prüfen u n d k a n n gegebenfalls die V e r n e h m u n g wegen U n e r h e b l i c h k e i t ablehnen. D e n n die Bestimmung des § 245 w ü r d e d e m größten M i ß b r a u c h ausgesetzt sein, w e n n der Angeklagte einen unbedingten Anspruch auf V e r n e h m u n g aller derjenigen Personen hätte, die er im Laufe der H a u p t v e r h a n d l u n g , womöglich aus d e m Zuschauerraum, herbeiholt. b ) Es ist f e r n e r e r f o r d e r l i c h , d a ß die geladenen Zeugen u n d Sachverständigen auch e r s c h i e n e n sind, d . h . d a ß sie sich mindestens noch in einem S t a d i u m des Prozesses gemeldet haben, in welchem die V e r n e h m u n g noch erfolgen k a n n . Will ein Prozeßbeteiligter einen geladenen, aber nicht erschienenen, oder einen geladenen u n d erschienenen, aber nach seiner V e r n e h m u n g bereits wieder entlassenen Zeugen oder Sachverständigen v e r n o m m e n haben, so m u ß er in der H a u p t v e r h a n d l u n g die L a d u n g beantragen; f ü r diesen A n t r a g gilt d a n n die Bestimmung des § 244 Abs. 3. 2 . Die Beweisaufnahme m u ß sich f e r n e r a u f a l l e a n d e r e n h e r b e i g e s c h a f f t e n B e w e i s m i t t e l erstrecken, so insbesondere auf Augenscheinsgegenstände (Überführungsstücke), U r k u n d e n , Protokolle, insbesondere ü b e r kommissarische V e r n e h m u n g e n u n d Augenscheinseinnahme. 3. Eine A b s t a n d n a h m e von der E r h e b u n g h e r b e i g e s c h a f f t e r Beweise (geladene u n d erschienene Zeugen u n d Sachverständige u n d sonstige Beweismittel) ist n u r d a n n statthaft, wenn die Beweiserhebung unzulässig oder nach der U b e r z e u g u n g des Gerichts z u m Zwecke der P r o z e ß v e r s c h l e p p u n g beantragt ist (§ 245 Satz 1) o d e r w e n n die Staatsanwaltschaft u n d der Angeklagte mit der A b s t a n d n a h m e einverstanden sind (§ 245 Satz 3). III. D i e A b l e h n u n g e i n e s B e w e i s a n t r a g s (§ 244 Abs. 3). 1. Ein Beweisantrag m u ß abgelehnt werden, wenn die E r h e b u n g u n z u l ä s s i g ist (z. B. Verlesung einer U r k u n d e entgegen der Bestimmung des §25i)-

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2. Die Erhebung eines Beweises d a r f abgelehnt werden: a ) wenn sie wegen Offenkundigkeit ü b e r f l ü s s i g ist. Der Begriff der Offenkundigkeit wird vom BGH in BGH 6, 293 wie folgt definiert: „Offenkundig sind zunächst die allgemein bekannten Tatsachen. Darunter sind solche Vorgänge zu verstehen, von denen verständige Menschen regelmäßig Kenntnis haben oder über die sie sich aus zuverlässigen Quellen ohne besondere Fachkunde sicher unterrichten können. Diese Allgemeinkundigkeit kann sich auch auf einen bestimmten Kreis von Personen oder eine bestimmte Ortschaft beschränken, wie z. B. hinsichtlich der besonderen Verkehrsverhältnisse in einer Gemeinde. Als offenkundig haben ferner die gerichtskundigen Tatsachen zu gelten. Gerichtskundig in diesem Sinne ist, was der Richter im Zusammenhang mit seiner amtlichen Tätigkeit zuverlässig in Erfahrung gebracht hat". b ) wenn die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne B e d e u t u n g ist, d.h. für die Beurteilung der Schuld- und Straffrage überhaupt nicht in Betracht kommt, c) wenn die zu erweisende Tatsache schon erwiesen ist, d) wenn das Beweismittel völlig u n g e e i g n e t ist (z.B. Geisteskrankheit des Zeugen), e) wenn das Beweismittel u n e r r e i c h b a r ist (z.B. Unauffindbarkeit des Zeugen), f ) wenn der Antrag zum Zwecke der P r o z e ß v e r s c h l e p p u n g gestellt ist (siehe BGH 1, 29) und schließlich, g ) wenn eine erhebliche Behauptung, die zur E n t l a s t u n g des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die b e h a u p t e t e T a t s a c h e wahr. (Siehe hierzu BGH 1, 137: Behauptet der Täter, zur Tat a n g e s t i f t e t zu sein, und bietet er Beweis dafür an, so darf diese Behauptung im allgemeinen nicht als wahr u n t e r s t e l l t werden, sondern muß aufgeklärt werden, weil erst der wirkliche Hergang in der Regel Aufschluß über das Schuldmaß des Täters gibt, das die Strafzumessung mitbestimmt.) 3. U n z u l ä s s i g ist die Ablehnung eines Beweisantrags, als gegen das V e r b o t der V o r w e g n a h m e des B e w e i s e r g e b n i s s e s verstoßend, mit der Begründung, a) daß durch das Verhandlungsergebnis, insbesondere durch andere gehörte Zeugen, bereits das G e g e n t e i l der zu beweisenden Tatsache bewiesen sei (E. 47, 105), b) daß die zu beweisende Tatsache mit dem Ergebnis eines anderen Beweismittels in W i d e r s p r u c h steht, c) daß der Wert des Beweismittels z w e i f e l h a f t erscheine (E. 56, 134), insbesondere, daß ein Verdacht gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen (z. B. nahe Verwandtschaft mit dem Angeklagten) vorliege (E, 63, 332), d) daß das Gericht sich b e r e i t s eine U b e r z e u g u n g von der Sachlage v e r s c h a f f t habe (E. 44, 294).

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S c h l i e ß l i c h darf n a c h der ausdrücklichen Bestimmung des § 246 Abs. 1 eine Beweiserhebung n i c h t deshalb a b g e l e h n t werden, weil das Beweismittel oder die zu beweisende Tatsache zu s p ä t vorgebracht w o r d e n ist. Es m u ß d a h e r j e d e r im Laufe der V e r h a n d l u n g gestellte Beweisantrag sachlich geprüft werden. Formell unzulässig wird das Vorbringen neuer Beweisanträge erst mit Beginn der V e r k ü n d u n g des Urteils (E. 59, 420). (Siehe aber die Bestimmung in § 246 Abs. 2 u. 3, w o d e m G e d a n k e n Rechn u n g getragen wird, d a ß j e d e r Prozeßbeteiligte dagegen geschützt sein soll, d a ß neue, i h m bisher nicht bekannte Beweise gegen i h n verwertet werden, ohne d a ß i h m die Möglichkeit gegeben ist, die Widerlegung derselben vorzubereiten.) 4. I n a l l e n F ä l l e n bedarf die Ablehnung eines Beweisantrags eines G e r i c h t s b e s c h l u s s e s , der vor Schluß der Beweisaufnahme zu verkünden u n d zu b e g r ü n d e n ist (§ 244 Abs. 6). 5. E v e n t u a l a n t r ä g e sind Anträge, die hilfsweise f ü r den Fall gestellt werden, d a ß der Angeklagte nicht freigesprochen wird. Ein solcher A n t r a g b r a u c h t erst in den Urteilsgründen beschieden zu werden (E. 29, 438; 62, 76). I V . Eine S o n d e r r e g e l u n g besteht f ü r P r i v a t k l a g e s a c h e n . Hier ist g e m ä ß § 384 Abs. 3 der U m f a n g der Beweisaufnahme in das E r m e s s e n des Gerichts gestellt. V . B e s o n d e r s v o r g e s c h r i e b e n ist f ü r a l l e G e r i c h t e die V e r n e h m u n g e i n e s A r z t e s a l s S a c h v e r s t ä n d i g e n über d e n geistigen u n d körperlichen Zustand des Angeklagten, wenn d a m i t zu rechnen ist, d a ß die U n t e r b r i n g u n g in einer H e i l - o d e r P f l e g e a n s t a l t , einer T r i n k e r h e i l a n s t a l t oder einer E n t z i e h u n g s a n s t a l t angeordnet w e r d e n wird (§246a). H a t der Sachverständige d e n Angeklagten nicht schon früher untersucht, so „soll" i h m n a c h § 246 a Satz 2 vor der H a u p t v e r h a n d l u n g dazu Gelegenheit gegeben werden. Das Gesetz geht hierbei von der E r w ä g u n g aus, d a ß eine rein aktenmäßige Beurteilung von T a t u n d T ä t e r keine zuverlässige Grundlage f ü r das vom Sachverständigen zu erstattende G u t a c h t e n u n d damit f ü r die Entscheidung des Gerichts bietet. I n der H a u p t v e r h a n d l u n g selbst k a n n sich der Sachverständige schon deshalb kein abschließendes Bild von der Person des Angeklagten m a c h e n , d a dieser in der V e r h a n d l u n g im Bewußtsein ihrer Bedeutung erfahrungsg e m ä ß k a u m aus sich herausgeht oder aber versucht, sich zu verstellen. Die vorherige Untersuchung des Angeklagten d u r c h den medizinischen Sachverständigen m u ß daher über den Wortlaut des § 246 a Satz 2 hinaus als zwingende Voraussetzung f ü r die Einweisung in eine Heil- oder Pflegeanstalt angesehen werden (vgl. B G H 9, 1 im Anschluß a n E. 68, 198, 327; 69, 129)I m übrigen enthält die S t P O bezüglich des S a c h v e r s t ä n d i g e n b e w e i ses in § 244 Abs. 4 folgende Bestimmung: Ein Beweisantrag auf Vernehm u n g eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, a u c h a b g e l e h n t werden, w e n n d a s G e r i c h t s e l b s t d i e e r f o r d e r -

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l i e h e S a c h k u n d e besitzt (BGH 3, 27, 52; 12, 18). Die Anhörung eines w e i t e r e n Sachverständigen kann a u c h d a n n a b g e l e h n t werden, wenn durch das frühere Gutachten das G e g e n t e i l d e r b e h a u p t e t e n T a t s a c h e b e r e i t s e r w i e s e n ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachtens zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachtens überlegen erscheinen. (Siehe hierzu BGH 2, 164; 10, 116.) VI. Ein B e w e i s a n t r a g auf Einnahme eines A u g e n s c h e i n s kann a b g e l e h n t werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist (§ 244 Abs. 5). (Siehe auch Fall 3, Nachtrag B, S. 61 ff.)

ZU FALL 10 A. Vorbemerkung: Allgemeines über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 1. Die StPO gewährt in §§44ff. den R e c h t s b e h e l f d e r W i e d e r e i n s e t z u n g gegen die V e r s ä u m u n g p r o z e s s u a l e r F r i s t e n . a) Als F r i s t gilt der Zeitraum, innerhalb dessen eine bestimmte Prozeßhandlung vorgenommen werden kann oder muß. b) Die §§ 44fr. beziehen sich nur auf g e r i c h t l i c h e F r i s t e n , d . h . auf Fristen, die bei Gericht einzuhalten sind, n i c h t auch auf sonstige Fristen, z. B. die Fristen im K l a g e e r z w i n g u n g s v e r f a h r e n (§ 172 Abs. 1 und 2) und die Antragsfrist des §61 StGB (vgl. Fall 2, Abschn. B V I 2, S. 25 sowie Schwarz-Kleinknecht § 44 Anm. 1 m. weit. Nachw.). c) Innerhalb der gerichtlichen Fristen macht es keinen Unterschied, ob es sich um g e s e t z l i c h e oder um r i c h t e r l i c h e F r i s t e n handelt. aa) Zu den g e s e t z l i c h e n F r i s t e n gehören vor allem die Fristen zur Einlegung und Begründung von Rechtsmitteln (vgl. §§ 311 Abs. 2, 314 Abs. 1, 317, 341 Abs. 1, 345 Abs. 1); bb) Zu den r i c h t e r l i c h e n F r i s t e n gehört z. B. die Erklärungsfrist des § 201. 2. Wegen der B e r e c h n u n g d e r F r i s t e n siehe §§42, 43, wobei nach der Neufassung des § 43 Abs. 2 durch das Gesetz v. 10. 8. 1965 (BGBl. I 753) zu beachten ist, daß eine Frist, deren Ende auf einen S o n n t a g , einen allgemeinen F e i e r t a g oder einen S o n n a b e n d (Samstag) fallen würde, erst mit Ablauf des nächsten Werktags endet.

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II. Ausnahmsweise ist Wiedereinsetzung a u c h g e g e n V e r s ä u m u n g e i n e r H a u p t v e r h a n d l u n g , also eines Termins gegeben, u n d zwar in folgenden vier Fällen: 1. §235: H a u p t v e r h a n d l u n g I. I n s t a n z o h n e A n w e s e n h e i t d e s A n g e k l a g t e n gemäß §232. Der Angeklagte hat hier zwei Rechtsbehelfe, nämlich Wiedereinsetzung nach § 235 oder die Anfechtung nach § 315 (Berufung) bzw. 342 (Revision). Erfolgt die Anfechtung nicht innerhalb der einwöchigen Frist in Verbindung mit oder nach dem Antrag auf Wiedereinsetzung, so gilt das als Verzicht auf die Anfechtung. Erfolgt n u r A n f e c h t u n g , so kann der Antrag auf Wiedereinsetzung auch innerhalb der Frist nicht nachgeholt werden (§315 I I I bzw. § 342 I I I ) . Der Angeklagte kann also i n n e r h a l b d e r e i n w ö c h i g e n F r i s t zuerst Wiedereinsetzung beantragen und später Berufung bzw. Revision. Legt er zunächst nur Berufung ein, d a n n kommt ein Wiedereinsetzungsantrag nicht mehr in Frage. 2. § 3 2 9 1 1 : A u s b l e i b e n d e s A n g e k l a g t e n i n d e r B e r u f u n g s i n s t a n z . Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte außerdem das Rechtsmittel der Revision (§333). (Gegen Versäumung der Hauptverhandlung vor d e m Revisionsgericht gibt es keine Wiedereinsetzung, weil dort die Anwesenheit des Angeklagten oder eines Vertreters nicht erforderlich ist, § 350.) 3. § 391 I V : A u s b l e i b e n d e s P r i v a t k l ä g e r s in I. oder I I . Instanz. 4. § 4 1 2 : Ausbleiben des Angeklagten in der Einspruchsverhandlung (nach S t r a f b e f e h l ) , in der der Einspruch gemäß § 412 Abs. 1 verworfen worden ist. (Siehe aber § 412 Abs. 2.) Für diese vier Fälle gilt ferner folgendes: a) Die Vorschriften über die Fristversäumnis gelten e n t s p r e c h e n d mit der Maßgabe, d a ß § 45 I I selbstverständlich ausscheidet. b) Wird dem Antrag auf Wiedereinsetzung stattgegeben, so ist damit das erste Urteil a u f g e h o b e n , und eine neue Hauptverhandlung ist anzuberaumen. c) Die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Hauptverhandlung ist lediglich davon abhängig, d a ß der Antragsteller infolge unabwendbaren Zufalls an der E i n h a l t u n g d e s T e r m i n s verhindert war; es ist also nicht erforderlich, d a ß der Antragsteller verhindert war, sein Nichterscheinen zur Hauptverhandlung rechtzeitig zu entschuldigen. III. Die Wiedereinsetzung des § 44 ist k e i n R e c h t s m i t t e l ; die §§ 296ff. finden daher auf sie keine Anwendung. Die Wiedereinsetzung dient nicht dem Zwecke, eine gerichtliche Entscheidung anzufechten u n d ihre Nachprüfung zu veranlassen, sondern sie will der Prozeßpartei eine H a n d h a b e bieten, sich gegen die sie unverschuldet treffenden Folgen zu wehren, welche das Gesetz an die Verabsäumung einer gesetzlichen oder richterlichen Frist knüpft. Das Institut will der Partei die Möglichkeit verschaffen, eine versäumte Prozeßhand-

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lung noch nachzuholen mit der Wirkung der Rechtzeitigkeit. Daraus nun, daß die Nachholung eines prozessualen Aktes lediglich von dem W i l l e n d e r P r o z e ß p a r t e i a b h ä n g t , folgt, daß die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu den persönlichen prozessualen Befugnissen gehört, welche nur von demjenigen ausgeübt werden können, welcher ihre Folgen f ü r s i c h beansprucht. Daraus folgt, daß weder von A m t s w e g e n eine Wiedereinsetzung gewährt werden kann (E. 76, 178) noch daß der S t a a t s a n w a l t s c h a f t , ebensowenig wie sie in der Lage ist, die versäumte Prozeßhandlung für den Angeklagten nachzuholen, ein Recht zusteht, das dem Angeklagten gewährte Prozeßrecht der Wiedereinsetzung auszuüben (E. 22, 32). Dagegen kann die Staatsanwaltschaft, wie jeder Prozeßbeteiligte, die Wiedereinsetzung zu eigenen Gunsten in Anspruch nehmen. (Siehe hierzu E. 67, 265.) IV. Die Versäumnisgründe sind g l a u b h a f t zu machen (§ 45 I). Hierunter ist die Erbringung eines nach billigem Ermessen zur Entscheidung genügenden Maßes von W a h r s c h e i n l i c h k e i t zu verstehen. Dies kann z.B. durch Vorlage eidesstattlicher Versicherungen oder anderer Erklärungen von Zeugen geschehen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob diese Beweismittel sonst zur Erbringung vollen Beweises über die Tat- und Schuldfrage im Strafprozeß genügend und zulässig sind (E. 28, 8). (Siehe auch §§ 26, 56.) V . Das Gesuch hindert die Vollstreckung einer gerichtlichen Entscheidung nicht. Das Gericht kann jedoch, und zwar auch von Amts wegen, einen Aufschub der Vollstreckung anordnen (§ 47). VI. Wegen der übrigen Erfordernisse, vor allem wegen des Begriffs „unabwendbarer Zufall", siehe den folgenden Abschn. B. B. Lösung des Falles I. W a r die W i e d e r e i n s e t z u n g sachlich g e r e c h t f e r t i g t und fristgemäß ? 1. V o r b e m e r k u n g : Was als „ u n a b w e n d b a r e r Z u f a l l " i. S. des § 4 4 anzusehen ist, läßt sich nicht erschöpfend bestimmen; das Gesetz begnügt sich deshalb damit, die N a t u r e r e i g n i s s e als die hier hauptsächlich in Betracht kommenden Zufälle beispielsweise anzuführen. Im übrigen entscheidet das r i c h t e r l i c h e E r m e s s e n darüber, ob dasjenige Vorkommnis, auf welches das Gesuch um Wiedereinsetzung gestützt wird, einen unabwendbaren Zufall darstellt. Nach der A n s i c h t des R e i c h s g e r i c h t s ist unter e i n e m u n a b w e n d b a r e n Z u f a l l ein Ereignis zu verstehen, das unter den gegebenen nach der Besonderheit des Falles zu berücksichtigenden Umständen auch durch die äußerste diesen Umständen angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abgewendet werden kann (E. 40, 120). In Betracht kommen also vor allem plötzliche E r k r a n k u n g oder Verhinderung Pctters-Prclsendaaz, StrafproießfäUe, 8. Aufl.

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d u r c h einen Unglücksfall; ferner gilt i m m e r als „ u n a b w e n d b a r e r Z u f a l l " ein a m t l i c h e s V e r s c h u l d e n wie z.B. verspätete Leerung des gerichtlichen Briefkastens oder E n t g e g e n n a h m e der Revisionsbegründung d u r c h einen unzuständigen U r k u n d s b e a m t e n oder w e n n dieser bei A b g a b e der Revisionsbegründung den Angeklagten ü b e r die gesetzlichen Erfordernisse ü b e r h a u p t nicht oder falsch belehrt (siehe E . 67. 197). Als „ u n a b w e n d barer Zufall" wird v o m G e s e t z (§ 44 S. 2) besonders erwähnt die schuldlose Nichterlangung der Kenntnis von einer Zustellung (betrifft vor a l l e m die Ersatzzustellungen n a c h §§ 181 ff. Z P O , d . h . die Zustellungen in Abwesenheit des Adressaten), sowie die unterlassene Belehrung n a c h § 3 5 a , § 3 1 9 1 1 S. 3 oder § 346 I I S. 3. 2. I m Anschluß a n obige Definition des „ u n a b w e n d b a r e n Zufalls" h a t t e n die Strafsenate des Reichsgerichts f ü r das Gebiet der Strafprozeßo r d n u n g f r ü h e r den Grundsatz aufgestellt, d a ß e i n V e r s c h u l d e n d e s V e r t e i d i g e r s einen die W i e d e r e i n s e t z u n g in d e n v o r i g e n Stand begründenden u n a b w e n d b a r e n Zufall nicht darstelle. K o n n t e d e m n a c h bei einem A n t r a g auf Wiedereinsetzung nichts weiter in Betracht k o m m e n als das geltend gemachte Verschulden des Verteidigers selbst, so konnte das Gesuch als begründet nicht a n e r k a n n t werden, es s e i d e n n , d a ß es sich u m das Verschulden eines Verteidigers handelte, der b e s t e l l t worden ist; d e n n es sei, so argumentierte m a n f r ü h e r , in diesem Falle nicht zu bezweifeln, d a ß es f ü r d e n Angeklagten ein reiner Zufall ist, wen der Vorsitzende aus den i h m zur V e r f ü g u n g stehenden Personen auswählt. Diese Rechtsprechung w u r d e in E. 70, 186 aufgegeben. N u n m e h r ist a u c h ein V e r s c h u l d e n d e s W a h l v e r t e i d i g e r s f ü r d e n Angeklagten ein u n a b w e n d b a r e r Zufall, sofern nicht ein eigenes Verschulden hinzuk o m m t ; d e n n der Verteidiger, u n d zwar a u c h der Wahlverteidiger, ist nicht schlechthin der Vertreter des Angeklagten, sondern O r g a n d e r Rechtspflege. 3 . Ein V e r s c h u l d e n d e s G e s c h ä f t s p e r s o n a l s d e s V e r t e i d i g e r s w a r n a c h der f r ü h e r e n Rechtsprechung n u r d a n n ein „ u n a b w e n d b a r e r Zufall", w e n n sowohl der Angeklagte als a u c h der Verteidiger a u c h bei A n w e n d u n g der größten n a c h den U m s t ä n d e n zu verlangenden Vorsicht außerstande w a r e n es zu verhindern (E. 35, 109), nicht aber d a n n , w e n n der Verteidiger d u r c h gehörige Auswahl, Anleitung u n d Ü b e r w a c h u n g die Versäumnis h ä t t e verhindern können. N u n m e h r a b e r ist n a c h der oben e r w ä h n t e n Entscheidung (E. 70, 186) in j e d e m Falle ein Verschulden des Kanzleipersonals ein „ u n a b w e n d b a r e r Zufall", also ohne Rücksicht d a r a u f , o b das Verschulden bei gehöriger Leitung u n d Ü b e r w a c h u n g der Kanzlei d u r c h den Verteidiger h ä t t e vermieden werden können. Dieser R e c h t sprechung h a t sich inzwischen auch der B u n d e s g e r i c h t s h o f angeschlossen (vgl. B G H 14, 308, 332). 4. A u s d i e s e n E r ö r t e r u n g e n e r g i b t sich f ü r d e n v o r l i e g e n den Fall folgendes: a ) D e r „ u n a b w e n d b a r e Z u f a l l " i. S. des § 44 bestand in d e m pflichtwidrigen Verhalten des Kanzleiangestellten X .

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b) Das „ H i n d e r n i s " i. S. des § 45 bestand in der Unkenntnis von der Versäumung der Frist. c) Das Hindernis war „ b e s e i t i g t " am 7. Dezember 1965, d . h . an dem Tag, an dem der Rechtsanwalt durch den Verwerfungsbeschluß Kenntnis von der Fristversäumung erhielt. d) Da schließlich der Wiedereinsetzungsantrag vom 11. Dezember am 12. Dezember, also „ i n n e r h a l b e i n e r W o c h e n a c h B e s e i t i g u n g d e s H i n d e r n i s s e s " beim Landgericht einkam, sind somit sämtliche Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 erfüllt. II. D a g e g e n w a r d e r B e s c h l u ß d e r S t r a f k a m m e r , w a s d i e Z u s t ä n d i g k e i t des i h n e r l a s s e n d e n G e r i c h t s b e t r i f f t , gesetzwidrig. 1. Es unterliegt keinem Zweifel, d a ß die Wiedereinsetzung von einem sachlich u n z u s t ä n d i g e n G e r i c h t gewährt wurde; denn gemäß §46 Abs. 1 war zur Entscheidung über das Gesuch nicht die Strafkammer des Landgerichts Mannheim, sondern ausschließlich der B u n d e s g e r i c h t s h o f zuständig, während das Gesuch selbst gemäß §45 beim Landgericht einzureichen war. 2. Nach § 46 I I ist indes der dem Wiedereinsetzungsgesuch s t a t t g e b e n d e Beschluß der Anfechtung entzogen (gegen die das Gesuch verwerfende Entscheidung ist s o f o r t i g e B e s c h w e r d e zulässig). Diese Vorschrift beansprucht Gültigkeit, gleichviel, ob die Wiedereinsetzung sachlich zu Unrecht gewährt oder ob das Verfahren, in dem der Beschluß erlassen wurde, mit Mängeln behaftet ist. D a h e r i s t d e r B e s c h l u ß a u c h n a m e n t l i c h im vorliegenden Falle der R e c h t s k r a f t fähig, o b w o h l er von e i n e m u n z u s t ä n d i g e n G e r i c h t erlassen w u r d e (E. 40, 272). III. D i e E i n w e n d u n g e n d e s S t a a t s a n w a l t s 1. Nach § 45 I I ist die N a c h h o l u n g der versäumten Handlung an sich ein notwendiges Erfordernis der Wiedereinsetzung; ihr Fehlen hat ebenso eine Zurückweisung des Antrags zur Folge wie die Rechtsunwirksamkeit der nachgeholten Handlung. Indes erscheint die „ N a c h h o l u n g " e n t b e h r l i c h , wenn, wie im v o r l i e g e n d e n F a l l e , die Vornahme der betreffenden Handlung bereits vor der Anbringung des Gesuchs stattgefunden hatte; es dürfte dann die Bezugnahme auf das diesbezügliche Schriftstück genügen. (Siehe O L G Bremen D R Z 50, 94.) 2. Der Staatsanwalt ist ferner offenbar der Ansicht, daß das W i e d e r e i n s e t z u n g s g e s u c h d e s h a l b n i c h t m e h r z u l ä s s i g sei, weil d e r d e m R e c h t s a n w a l t a m 7. D e z e m b e r 1965 z u g e s t e l l t e V e r w e r f u n g s b e s c h l u ß n i c h t a n g e f o c h t e n worden sei. Diese Ansicht ist rechtsirrig: a ) Allerdings wird ein gemäß § 346 Abs. 1 ergehender Beschluß mit fruchtlosem Ablauf der einwöchigen Antragsfrist des § 346 Abs. 2 r e c h t s 10*

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II. Teil: Lösungen

k r ä f t i g , und zwar mit der Wirkung, daß auch das mit der Revision angefochtene Urteil, wenn es nicht schon früher rechtskräftig geworden ist, mit der Rechtskraft des Beschlusses die Rechtskraft erlangt. (N. B. Das gleiche gilt gemäß § 319 für das Berufungsverfahren.) b) I n d e s d a r f h i e r a u s n i c h t g e f o l g e r t w e r d e n , d a ß d i e R e c h t s k r a f t des U r t e i l s n u n m e h r u n a b ä n d e r l i c h f e s t s t e h e und darum für die Wiedereinsetzung gegen die V e r s ä u m u n g d e r E i n l e g u n g s f r i s t k e i n R a u m m e h r sei. Das Reichsgericht führte in dieser Hinsicht in E. 53,288 folgendes aus: „Die Wiedereinsetzung ist der außerordentliche Rechtsbehelf, den das Gesetz mit der Macht ausgestattet hat, das Verfahren in einen Abschnitt v o r der Versäumung der Frist zurückzuversetzen und ihm einen anderen Verlauf zu geben als den, den es infolge der Versäumung und nach ihr genommen hat. Wenn daher der Zeitpunkt der Versäumung vor der Rechtskraft eines Urteils liegt, so wird das Verfahren in diesen Zeitpunkt zurückversetzt. Insoweit hat die Wiedereinsetzung kraft Gesetzes die M a c h t , ü b e r d i e R e c h t s k r a f t h i n w e g z u g e h e n . Gerade diese Rechtskraft ist in den Fällen, in denen die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung von R e c h t s m i t t e l f r i s t e n nachgesucht wird, die mit der Fristversäumnis gesetzlich verbundene nachteilige Rechtsfolge, deren Eintritt Voraussetzung des Wiedereinsetzungsgesuches und deren Beseitigung das Ziel der Wiedereinsetzung ist. Es erscheint daher als eine Umkehr des wirklichen Verhältnisses, wenn aus der Rechtskraft, die der Wiedereinsetzung zu weichen hat, ein Grund gegen die Zulassung des Wiedereinsetzungsgesuchs hergeleitet wird. Daß in den Fällen v e r s p ä t e t e r Einlegung der Revision oder der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist die Rechtskraft des Urteils nach § 346 durch einen besonderen, selbst der Rechtskraft fähigen Beschluß festgestellt wird, begründet gegenüber dem Falle, daß überhaupt kein Rechtsmittel eingelegt worden ist, keinen wesentlichen Unterschied. Denn die Wiedereinsetzung hat, wie gesagt, den gesetzlichen Zweck und die gesetzliche Wirkung, daß die Fristversäumnis und ihre Folge als nicht eingetreten gelten. Damit wird dem Beschlußverfahren seine gesetzliche Grundlage nachträglich kraft Gesetzes wieder entzogen; es verliert ohne weiteres seinen Rechtsbestand." Diese in E. 61, 180 und E. 67, 199 fortgeführte Rspr. wurde inzwischen auch vom B u n d e s g e r i c h t s h o f übernommen (vgl. B G H 18, 34, wo gleichzeitig ausgeführt wird, daß die nach Verwerfung der Revision bis zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbüßte Strafhaft sich nachträglich nicht wieder in U-Haft umwandelt, sondern Strafhaft bleibt). Nach BGH 17, 94 ist jedoch zu beachten, daß eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dann nicht mehr möglich ist, wenn in der Revisionsinstanz bereits eine S a c h e n t s c h e i d u n g ergangen ist, z. B. wenn die Revision gemäß § 349 Abs. 2 als offensichtlich unbegründet verworfen worden ist. Dieser Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor. D i e E i n w e n d u n g e n des S t a a t s a n w a l t s , d e r v o r E r l a ß d e s W i e d e r e i n s e t z u n g s b e s c h l u s s e s g e m ä ß § 33 g e h ö r t w e r d e n mußte, s i n d s o n a c h r e c h t l i c h n i c h t h a l t b a r .

Fall i i

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ZU FALL 11 A. V o r b e m e r k u n g : A l l g e m e i n e s über Einlegung u n d Z u r ü c k n a h m e v o n R e c h t s m i t t e l n u n d über d e n Verzicht auf solche I . E i n l e g u n g und Z u r ü c k n a h m e von Rechtsmitteln sowie der V e r z i c h t auf ein solches (§ 302) sind an k e i n e b e s o n d e r e F o r m gebunden. Es gilt also für alle drei Fälle die allgemeine für die Einlegung von Rechtsmitteln vorgesehene Bestimmung (siehe §§ 306, 314, 341), daß nämlich die diesbezüglichen Erklärungen zu P r o t o k o l l d e r G e s c h ä f t s s t e l l e oder s c h r i f t l i c h erfolgen müssen. Eine lediglich m ü n d l i c h e Erklärung reicht in keinem Falle aus. Zur Frage des Rechtsmittelverzichts in der H a u p t v e r h a n d l u n g siehe ausführlich BGH 18, 257 sowie Fall 5 Abschn. A I 5b, S. 80. II. Für den V e r t e i d i g e r gilt folgendes: 1. Er bedarf zur E i n l e g u n g eines Rechtsmittels (sie darf gemäß § 297 nicht gegen den Willen des Beschuldigten erfolgen) k e i n e r b e s o n d e r e n L e g i t i m a t i o n ; der Nachweis kann vielmehr auch n a c h Ablauf der Rechtsmittelfrist vorgelegt werden, wenn nur die Bevollmächtigung innerhalb der Rechtsmittelfrist stattgefunden hat (vgl. E. 46, 372; 55, 2 1 3 ; O L G Bremen NJW 54, 46). 2. Er bedarf zur Z u r ü c k n a h m e sowie zum V e r z i c h t auf Einlegung eines Rechtsmittels (beides kann gemäß § 302 I schon v o r Ablauf der Frist zur Einlegung wirksam erfolgen) einer ausdrücklichen E r m ä c h t i g u n g , die dem Gericht durch schriftliche oder mündliche Erklärung des Angeklagten nachgewiesen werden muß (§ 302 II und E. 64, 164; BGH 3, 46; siehe auch BGH 10, 245 wegen der Frage des Widerrufs der Ermächtigung). III. B e s o n d e r h e i t e n : 1. Ein von der Staatsanwaltschaft z u g u n s t e n d e s B e s c h u l d i g t e n eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht z u r ü c k g e n o m m e n werden (§302 I S . 2), weil möglicherweise der Angeklagte gerade im Hinblick auf die Einlegung des Rechtsmittels seitens der Staatsanwaltschaft davon abgesehen hat, s e l b s t ein Rechtsmittel einzulegen. (Siehe hierzu BGH 2, 41.) 2. Der g e s e t z l i c h e V e r t r e t e r des Angeklagten kann ein von ihm gemäß § 298 eingelegtes Rechtsmittel auch ohne ausdrückliche Ermächtigung wieder zurücknehmen. Eine dem § 302 I I entsprechende Beschränkung ist für den gesetzlichen Vertreter nicht vorgesehen. Wird der Angeklagte volljährig oder entfallt die gesetzliche Vertretung aus einem sonstigen Grund, so ist nur der Angeklagte selbst befugt, darüber zu entscheiden, ob das Rechtsmittel durchgeführt oder zurückgenommen werden soll. Dieses Recht hat er selbst dann, wenn er in einem früheren Verfahrensstadium seinerseits auf die Einlegung von Rechtsmitteln ausdrücklich verzichtet hat (vgl. BGH 10, 174).

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II. Teil: Lösungen

3. Die Zurücknahme eines Rechtsmittels nach Beginn der Hauptverhandlung (hierunter fällt auch die nachträgliche Beschränkung des Rechtsmittels) ist nur mit Zustimmung des Gegners möglich (§ 303). (Durch diese Vorschrift soll vor allem verhütet werden, daß die nach § 301 für das Gericht bestehende Möglichkeit, das Urteil z u g u n s t e n des Angeklagten abzuändern, ausgeschaltet wird durch Zurücknahme eines nur von der StA eingelegten Rechtsmittels.) I V . W i r k s a m g e w o r d e n e E r k l ä r u n g e n bezüglich Z u r ü c k n a h m e und V e r z i c h t können weder w i d e r r u f e n (E. 40, 133) noch wegen Irrtums angefochten werden (E. 57, 83; 64, 15; BGH 2, 63, 67; 10, 245). Ein unter dem Einfluß von T ä u s c h u n g , Z w a n g oder D r o h u n g abgegebener Rechtsmittelverzicht ist jedoch als u n b e a c h t l i c h anzusehen (BGH 17, 14). Eine solche Situation liegt allerdings nicht schon dann vor, wenn der Vertreter der StA nach Verkündung des Urteils einen sachlich nicht gerechtfertigten Haftbefehlsantrag stellt oder wenn der Angeklagte erst nach Erlaß eines wegen Verdunkelungsgefahr ausgesprochenen Haftbefehls auf R M verzichtet, um sich dem Vollzug des Haftbefehls zu entziehen, es sei denn, der Haftbefehl entbehre jeder gesetzlichen Grundlage (BGH a. a. O.). Durch Zurücknahme und Verzicht ist das Rechtsmittelverfahren ohne weiteres erledigt. Das Urteil wird ohne einen besonderen, das Verfahren beendenden Beschluß des Gerichts rechtskräftig. Eine erneute Einlegung des zurückgenommenen Rechtsmittels ist unwirksam, selbst innerhalb der Rechtsmittelfrist (BGH 10, 245). V. Z u s t ä n d i g zur Entgegennahme sämtlicher Erklärungen ist d a s G e r i c h t , das die fragliche E n t s c h e i d u n g e r l a s s e n hat. Die bei einem a n d e r e n G e r i c h t abgegebene Erklärung wird erst dann rechtswirksam, wenn das betreffende Schriftstück oder Protokoll innerhalb der gesetzlichen Frist beim zuständigen Gericht einkommt. V I . A u s n a h m e n von dem Grundsatz zu V sind für die B e s c h w e r d e (siehe § 306 I Satz 2 und § 3 1 1 II Satz 2) sowie für den Fall vorgesehen, daß der Beschuldigte sich n i c h t a u f f r e i e m F u ß befindet (§ 299). Dann kann er nämlich alle Erklärungen, die sich auf Rechtsmittel beziehen (also nicht nur die Einlegung, sondern auch die Zurücknahme und den Verzicht) zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts geben, in dessen Bezirk die Anstalt liegt, in der er auf behördliche Anordnung v e r w a h r t wird. Die Befugnis des Beschuldigten, die Erklärung s c h r i f t l i c h abzugeben, wird durch diese Vorschrift nicht aufgehoben. Dagegen hat der Beschuldigte — und das ist der Sinn dieser Bestimmung — kein Recht, die Vorführung vor das eigentlich zuständige Gericht zu verlangen. B. Lösung d e s Falles I. Verzicht und B e r u f u n g s e i n l e g u n g des S c h w a r z 1. Nach den in der Vorbemerkung gemachten Ausführungen muß die Frage, ob die von einem Verhafteten g e g e n ü b e r e i n e m G e f ä n g n i s -

Fall l i

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b e a m t e n abgegebene Verzichtserklärung wirksam ist, an sich v e r n e i n t werden. 2. I m v o r l i e g e n d e n F a l l e hat aber Schwarz den Verzicht auf das Rechtsmittel zu P r o t o k o l l des Gefängnisaufsehers erklärt, was einer s c h r i f t l i c h e n Erklärung gleichkommt, da Schwarz laut Sachverhalt das Protokoll unterschrieben hat. Diese Erklärung wurde rechtswirksam, d a sie innerhalb der in § 314 Abs. 1 vorgesehenen Frist von einer Woche beim Amtsgericht einlief. Da a m gleichen Tage auch das p e r s ö n l i c h e S c h r e i b e n des Schwarz, in dem er den Verzicht widerrief und Berufung einlegte, beim Amtsgericht einkam, wurden auch diese Erklärungen rechtswirksam, es sei denn, d a ß der V e r z i c h t auf das Rechtsmittel v o r dem Widerruf u n d der Berufungseinlegung beim Amtsgericht eintraf. Denn die Verzichtsleistung auf ein Rechtsmittel kann n i c h t w i d e r r u f e n werden. (Siehe oben, Abschn. A I V . )

II. Der Beschluß der Strafkammer vom 16. Oktober 1. Der Amtsrichter selbst konnte über die Berufung keine Entscheidung treffen, d a seine Prüfung gemäß §319 ausschließlich die Rechtzeitigkeit der Berufung betrifft, während alle anderen Mängel in der Einlegung des Rechtsmittels der Prüfung des Berufungsgerichts gemäß § 322 unterliegen. 2. Da ebenso wie die Zurücknahme auch der Verzicht n i c h t w i d e r r u f e n werden kann u n d die Strafkammer die Überzeugung erlangt hat, d a ß der Verzicht zeitlich v o r dessen Widerruf mit Berufungseinlegung eingekommen sei, bestehen gegen den Verwerfungsbeschluß vom 16. Oktober 1965 keine rechtlichen Bedenken. (NB. Die beschließende Strafkammer hätte auch von einer Verwerfung Abstand nehmen u n d die Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsmittels dem e r k e n n e n d e n Gericht überlassen können.)

III. Der Beschluß des Oberlandesgerichts 1. Das O L G Stuttgart war zur Erledigung der nach § 322 II erhobenen s o f o r t i g e n B e s c h w e r d e (die nach § 311 I I I von der Strafkammer nicht mehr berücksichtigt werden konnte) gemäß § 121 I Nr. 2 G V G zuständig u n d hatte seine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zu treffen (§3°9l)2. Da die Beschwerde (wie die Berufung, im Gegensatz zur Revision) nicht nur r e c h t l i c h e Fehler, sondern auch auf rein t a t s ä c h l i c h e m G e b i e t liegende Fragen der Z w e c k m ä ß i g k e i t und B i l l i g k e i t zum Gegenstand haben kann, bestehen gegen die gemäß § 309 I I erlassene Entscheidung des Oberlandesgerichts keine Bedenken.

IV. Das Urteil der Strafkammer vom 15. Dezember 1. Der o b e r l a n d e s g e r i c h t l i c h e B e s c h l u ß war für das Berufungsgericht weder als V o r e n t s c h e i d u n g noch als r e c h t s k r ä f t i g e B e j a h u n g d e r Z u l ä s s i g k e i t d e r B e r u f u n g bindend, sondern hatte nur die

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II. Teil: Lösungen

Wirkung, daß der die Berufung verwerfende Beschluß wegfiel und die Strafkammer demgemäß über das Rechtsmittel in der Hauptverhandlung zu entscheiden hatte. a) V o r a u s g e g a n g e n e E n t s c h e i d u n g e n beschränken den Strafrichter in seiner Entscheidungsfreiheit nur insoweit, als dies aus dem G e s e t z s e l b s t h e r v o r g e h t . U m eine solche Einschränkung durch Vorentscheidungen handelt es sich z.B. in den §§ i a — 1 5 , 19, a n , 348 Abs. a und vor allem in § 358 Abs. 1, der das untere Gericht an die rechtliche Beurteilung bindet, die das Revisionsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, soweit es sich um ein Urteil handelt. Dagegen enthält die Strafprozeßordnung nirgends eine Vorschrift, aus der entnommen werden könnte, daß B e s c h l ü s s e der oberen Gerichte als Vorentscheidung i. S. des § 358 Abs. 1 für das untere Gericht verbindlich seien. (Abgesehen davon ist n u r die r e c h t l i c h e Beurteilung des Revisionsgerichts für das untere Gericht als Vorentscheidung maßgebend, während bezüglich der Würdigung von T a t s a c h e n das untere Gericht in jedem Falle vollkommen freie Hand behält.) b) Der Beschluß des Oberlandesgerichts kann aber auch nicht als r e c h t s k r ä f t i g e und a l s s o l c h e bindende Entscheidung angesehen werden. aa) Unbestreitbar ist allerdings, daß der die Zulässigkeit der Berufung bejahende Beschluß des Oberlandesgerichts gemäß § 304 I V u n a n f e c h t b a r gewesen ist. bb) Die U n a n f e c h t b a r k e i t hat nun zwar bei U r t e i l e n ohne weiteres nicht nur die formelle, sondern auch die materielle Rechtskraft zur Folge, nicht aber gilt das gleiche für B e s c h l ü s s e . Hier bestimmt sich vielmehr der Begriff der Rechtskraft bei den einzelnen Arten von Beschlüssen nach dem Wesen und der p r o z e s s u a l e n Bedeutung derselben. Manche Beschlüsse enthalten eine m a t e r i e l l e Entscheidung der Sache oder doch eines einzelnen Punktes derselben, und sie stehen daher in Ansehung ihrer Rechtskraft dem Urteil gleich, so z.B. der Beschluß, welcher die nachträgliche Festsetzung einer Gesamtstrafe ausspricht (§463), oder der in § 469 vorgesehene Beschluß über die Kosten des Verfahrens, oder der Beschluß, welcher die Berufung oder die Revision als unzulässig verwirft (§§ 32a I, 346 I) sowie §§ 368 I, 372 und schließlich auch der dem Wiedereinsetzungsantrag stattgebende Beschluß nach § 46 II. (Siehe Fall 10, Abschn. B II 2, S. 147 und Löwe-Rosenberg, Anm. 9 zu § 311.) cc) Im v o r l i e g e n d e n F a l l e handelt es sich aber nur um einen d a s V e r f a h r e n w e i t e r l e i t e n d e n B e s c h l u ß , der trotz seiner Unanfechtbarkeit n i c h t die Wirkung einer r e c h t s k r ä f t i g e n Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsmittels hat. Es soll also k e i n e s w e g s durch einen solchen Beschluß das G e r i c h t selbst g e b u n d e n werden in der Form, daß es die Zulässigkeit des Rechtsmittels als rechtskräftig feststehend, d.h. unabänderlich anzusehen habe (E. 5g, 241). NB. B l o ß e U n a n f e c h t b a r k e i t der Zwischenentscheidung liegt z.B. auch dann vor, wenn eine Sache gemäß § 270 I an das für zuständig

Fall 12

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erachtete G e r i c h t h ö h e r e r O r d n u n g v e r w i e s e n wird. Auch in einem solchen Falle ist das Gericht, a n das die Sache verwiesen wird, durch die Unanfechtbarkeit der Verweisung nicht gehindert, seinerseits seine sachliche Zuständigkeit gemäß § 6 selbständig zu prüfen u n d unbeschadet des unanfechtbaren Verweisungsbeschlusses die Sache an das seines Erachtens zuständige höhere Gericht weiterzuverweisen. Eine g a n z a n d e r e F r a g e aber ist die, ob ein außerhalb der Hauptverhandlung ergangener r e c h t s k r ä f t i g e r B e s c h l u ß nachträglich w i e d e r a u f g e h o b e n werden kann. Diese Frage hat das R G bezüglich § 349 I ( V e r w e r f u n g d e r R e v i s i o n a l s u n z u l ä s s i g ) f ü r den Fall bejaht, d a ß der Beschluß auf einer t a t s ä c h l i c h unzutreffenden Grundlage beruhte (E. 59, 419). Dagegen ist eine nachträgliche Aufhebung des die Revision als offensichtlich u n b e g r ü n d e t verwerfenden Beschlusses gemäß § 349 I I mit der Feststellung, d a ß die Revision tatsächlich doch begründet ist, nicht möglich, BGH 17, 94. 2. D i e S t r a f k a m m e r w a r a l s o b e r e c h t i g t , ü b e r d a s R e c h t s m i t t e l der B e r u f u n g in s e i n e m vollen U m f a n g , einschließlich der F r a g e seiner Zulässigkeit zu e n t s c h e i d e n , u n d z w a r g e m ä ß § 322 I S a t z 2 d u r c h U r t e i l , d a d i e E n t s c h e i d u n g i n der H a u p t v e r h a n d l u n g zu treffen war.

ZU FALL 12 A. Vorbemerkungen: Die materielle Rechtskraft und ihre Auswirkungen I. Begriff Nach Art. 103 I I I G G darf niemand wegen derselben T a t auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden. Dieser Grundsatz, der in der juristischen Terminologie unter der Formel „ n e b i s i n i d e m " bekannt ist, findet sich zwar in der StPO selbst nicht ausdrücklich ausgesprochen, ist jedoch als Wesenszug rechtsstaatlichen Denkens in Literatur u n d Rechtsprechung schon seit Jahrzehnten anerkannt. Gemeint ist folgendes: Der rechtskräftig Verurteilte oder Freigesprochene soll wegen desselben Sachverhalts nicht nochmal auf die Anklagebank; eine durch rechtskräftiges Urteil entschiedene Strafsache kann daher nicht nochmals zum Gegenstand eines neuen Strafverfahrens gegen denselben Angeklagten gemacht werden. Die S t r a f k l a g e i s t v e r b r a u c h t . Es darf nicht verkannt werden, d a ß der Grundsatz des ne bis in idem in seiner praktischen Auswirkung zu unbefriedigenden Ergebnissen führen kann, insbesondere dort, wo sich n a c h rechtskräftiger Erledigung des Verfahrens ergibt, d a ß die T a t in tatsächlicher oder rechtlicher Beziehung schwerwiegender zu beurteilen ist, als ursprünglich angenommen wurde. Das Bedürfnis nach einer Bestrafung entsprechend dem materiellen U n rechtsgehalt der T a t m u ß jedoch grundsätzlich hinter dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit u n d Rechtsfrieden zurücktreten (BGH 3, 15).

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II. Teil: Lösungen

II. Umfang Die Rechtskraft umfaßt nur solche Taten, zu deren Aufklärung und Aburteilung das Gericht bei der Urteilsfindung berechtigt und verpflichtet war. Als T a t i m p r o z e s s u a l e n S i n n ist dabei d e r g e s a m t e h i s t o r i s c h e V o r g a n g anzusehen, a u f d e n A n k l a g e u n d E r ö f f n u n g s b e s c h l u ß h i n w e i s e n (vgl. E. 72, 105; B G H 6, 92; Eb. Schmidt Lehrkommentar Teil 1 Nr. 295—311, Teil II Erl. 5 zu § 264 StPO). Liegt eine T a t i d e n t i t ä t in diesem Sinne vor und ist auch I d e n t i t ä t des A n g e k l a g t e n gegeben, so kann ein neues Strafverfahren nicht eingeleitet werden; die Strafklage ist verbraucht. III. Einzelheiten und Beispiele 1 . Auch bei Delikten, die nach materiell-rechtlichen Grundsätzen in R e a l k o n k u r r e n z zusammentreffen, ist Tatidentität möglich (vgl. B G H 9, 10; 10, 396; 16, 200). Umgekehrt kann der örtliche und zeitliche Zusammenhang nicht in allen Fällen zur Annahme von Tatidentität fuhren, wenngleich er oft wertvolle Anhaltspunkte geben wird. E n t s c h e i d e n d ist, ob die in Frage stehende, zunächst unberücksichtigt gebliebene Verhaltensweise des Angeklagten nach a l l g e m e i n e r L e b e n s a u f f a s s u n g noch zu dem Vorgang gehört, mit dem sich das zunächst mit der Sache befaßte Gericht gemäß §§ 155, 264 auf Grund der Anklage auseinandergesetzt hat. Der sachliche Zusammenhang der Beschuldigung muß so eng sein, daß eine „getrennte Würdigung und Aburteilung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorganges empfunden würde" (BGH 13, 2 i , 26). B e i s p i e l e : a) Wer einen Verkehrsunfall schuldhaft verursacht, dabei einen anderen Verkehrsteilnehmer verletzt und anschließend Unfallflucht begeht, hat sich materiell-rechtlich wegen zweier selbständiger Handlungen zu verantworten (§§ 230, 142, 74, 78 StGB). Prozessual liegt dagegen nur e i n e T a t vor. b) Wer bei einem Diebstahl auf frischer T a t ertappt wird und Widerstand leistet, um sich im Besitz der Beute zu halten, hat sich materiellrechtlich nur wegen e i n e r T a t zu verantworten, selbst wenn er bei dem Widerstand vorsätzlich einen Menschen getötet hat (§§ 211, 252 [251], 73 StGB). D a ß hier auch prozessual nur eine T a t anzunehmen ist, liegt auf der Hand. c) A n d e r s 'ist jedoch zu entscheiden, wenn in Beispiel b) der Täter erst nach Beendigung des Diebstahls einen Menschen tötet, um diesen als unliebsamen Tatzeugen zu beseitigen. Hier liegen sowohl materiellrechtlich als auch prozessual zwei rechtlich selbständige Handlungen vor (§§ 211, 242, 74 StGB). Der nach Beendigung des Diebstahls begangene Mord ( § 2 1 1 II letzte Alternative) bildet mit dem Diebstahl „nach der Auffassung des Lebens" keinen einheitlichen Vorgang. d) Tatidentität wiederum ist gegeben bei vorsätzlicher Körperverletzung mit nachfolgender unterlassener Hilfeleistung, obwohl auch diese Delikte materiellrechtlich in Realkonkurrenz stehen (BGH 16, 200).

Fall 12

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2. Bei Tatidentität können auch s t r a f e r h ö h e n d e , zunächst unbekannt gebliebene T a t u m s t ä n d e ein neues Verfahren nicht rechtfertigen. Das zuerst mit der Sache befaßte Gericht ist verpflichtet, den Sachverhalt in tatsächlicher u n d rechtlicher Hinsicht u m f a s s e n d zu erforschen u n d zu klären. K o m m t es dieser Pflicht zur „allseitigen Kognition" (Eb. Schmidt a. a. O. Teil I Nr. 296) — verschuldet oder unverschuldet — nicht nach, so darf dieser Mangel den Angeklagten nicht belasten. B e i s p i e l e : a ) Wer wegen einfachen Diebstahls rechtskräftig verurteilt ist, kann nicht erneut unter Anklage gestellt werden, wenn sich nachträglich ergibt, d a ß die T a t unter den strafschärfenden Rückfallsvoraussetzungen des § 244 StGB begangen worden war. b) A ist wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Nach Rechtskraft des Urteils gesteht er, d a ß er die Tötung vorsätzlich begangen hat. Auch hier ist wegen Tatidentität eine neue Anklage unzulässig. Der Umstand, d a ß A nicht fahrlässig, sondern vorsätzlich gehandelt hat, ist zwar ein neuer rechtlicher Gesichtspunkt, der die Strafbarkeit erhöhen würde; er betrifft aber den gleichen Vorgang, über den auf Grund einer entsprechenden Anklage bereits rechtskräftig entschieden wurde. Auch eine Wiederaufnahme nach § 362 Ziff. 4 kommt nicht in Betracht, da A nicht freigesprochen wurde. (NB. Hätte sich die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts schon während des inzwischen rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens ergeben, so hätte ein Hinweis nach § 265 genügt; möglicherweise wäre auch eine Verweisung an das sachlich ausschließlich zuständige Schwurgericht erforderlich gewesen [vgl. §§ 80 GVG, 270 S t P O ] ; eine Nachtragsanklage gemäß § 266 hätte jedenfalls nicht erhoben werden müssen. Es gilt in diesem Zusammenhang folgender G r u n d s a t z : Dort, wo im Verfahren selbst zur Erfassung neu auftretender U m stände ein Hinweis nach § 265 genügen würde, ist nach rechtskräftiger Erledigung des Verfahrens wegen Tatidentität eine erneute Klage unzulässig; dort jedoch, wo neu auftretende Umstände nur im Wege der Nachtragsanklage erfaßt werden könnten, ist auch nach rechtskräftiger Erledigung des Verfahrens unbedenklich eine neue Klage zulässig.)

IV. Besonderheiten 1 . Nach § 260 III ist das Verfahren durch Urteil einzustellen, wenn sich in der Hauptverhandlung ein P r o z e ß h i n d e r n i s herausstellt. Derartige Einstellungsurteile sind d a n n der materiellen Rechtskraft fähig, wenn sie eine endgültige sachliche Erledigung erstreben, z. B. wenn die Einstellung wegen Verjährung erfolgt. Erfolgt die Einstellung wegen eines Prozeßhindernisses, das im Laufe des weiteren Verfahrens beseitigt werden kann, z. B. wenn ein Strafantrag zwar nicht gestellt ist, aber noch gestellt werden kann, so hat dies keinen Verbrauch der Strafklage zur Folge, so lange der Mangel noch behoben werden kann. Bei einer Einstellung wegen U n z u s t ä n d i g k e i t ist nach BGH 18, 1 folgendes zu beachten: D a das die Einstellung aussprechende (unzuständige) Gericht keine endgültige Erledigung der Sache erstrebte, tritt ein Verbrauch der Strafklage nicht ein. Die

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II. Teil: Lösungen

StA kann jedoch nach Rechtskraft des Urteils die Sache nicht mehr bei dem Gericht anklagen, das sich für unzuständig erklärt hat, sondern muß prüfen, ob noch ein anderes Gericht zuständig ist. Findet sich ein solches Gericht, so muß dieses erneut über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheiden. 2 . Für die fortgesetzte S t r a f t a t gilt folgendes: a ) Die Einzelakte einer fortgesetzten Tat stellen sich grundsätzlich als einheitlicher historischer Vorgang ( = Tat im prozessualen Sinn) dar. Das bedeutet, daß sämtliche v o r der Urteilsfindung liegenden Einzelakte der fortgesetzten Tat gemäß §§ 155, 264 der allseitigen Kognitionspflicht des Gerichts unterliegen und damit von der Rechtskraftwirkung des Urteils umfaßt werden. Ob das Gericht sie gekannt hat. ist nicht entscheidend (vgl. BGH 6, 92; Eb. Schmidt a . a . O . Teil I Nr. 304). Hieraus folgt: Unbekannt gebliebene Einzelakte einer fortgesetzten Tat können — sofern sie zeitlich vor Urteilsverkündung liegen — nach rechtskräftiger Erledigung des Verfahrens nicht mehr angeklagt werden; die Strafklage jst verbraucht. b) Einzelakte einer fortgesetzten Tat n a c h Urteilsverkündung nehmen an der Rechtskraftwirkung des Urteils nicht teil: die Rechtskraft eines Urteils kann nicht weiter reichen als die Pflicht des Gerichts, einen ihm vorliegenden Sachverhalt zu erforschen. Das Gericht kann aber nur solche Handlungen erforschen, die v o r der Urteilsfindung liegen. c) Unstreitig ist auch, daß sich bei einem f r e i s p r e c h e n d e n U r t e i l die Rechtskraft auf alle Einzelakte der fortgesetzten Tat erstreckt, die in Anklage und Eröffnungsbeschluß genannt wurden. Bestritten ist aber, ob die unter a) dargelegten Grundsätze auch dann gelten, wenn sich nach Rechtskraft eines Urteils w e i t e r e , b i s h e r n i c h t b e k a n n t e E i n z e l a k t e herausstellen. Diese Frage dürfte zu bejahen sein; denn es besteht kein Grund, die Rechtskraftwirkungen eines F r e i s p r u c h s anders zu beurteilen als die einer v e r u r t e i l e n d e n Entscheidung. Die Pflicht des Gerichts, den ihm vorliegenden Sachverhalt umfassend zu ermitteln und gegebenenfalls bei fortgesetzten Delikten nach weiteren Einzelakten zu forschen, ist unabhängig davon, ob der Angeklagte schließlich verurteilt oder freigesprochen wird (vgl. Eb. Schmidt a. a. O. Teil I Nr. 307; a. A. E. 24, 420; 47, 399; 54, 335; 66, 26; Schwarz Kleinknecht, Einl. 8 Bg). d) Streitig ist ferner, ob eine neue Anklage zulässig ist, wenn von einer fortgesetzten Tat zunächst nur e i n Einzelakt aufgeklärt und rechtskräftig erledigt wird. Auch hier wird man entgegen der h. A. in Lit. und Rspr. ( R G J W 28, 2247; B G H M D R 53, 273 bei Dallinger sowie N J W 63, 549; Schwarz-Kleinknecht Einl. 8 B g) ein neues Verfahren für unzulässig halten müssen. Zwar hat das Gericht, das zunächst mit der Sache befaßt war, nur ein Teilstück der fortgesetzten Tat gekannt ; es wäre jedoch auf Grund seiner Pflicht zur allseitigen Kognition gehalten gewesen, nach weiteren Teilstücken der fortgesetzten Tat zu forschen. Die dem Gericht bekannte Einzelhandlung und die unbekannt gebliebenen Einzelhand-

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lungen sind Bestandteile desselben historischen Vorgangs. Es m u ß daher auch hier der Grundsatz des ne bis in idem gelten. e) Wird B e r u f u n g eingelegt, so ist das Berufungsgericht auf Grund seiner Pflicht zur allseitigen Kognition gehalten, sämtliche Einzelakte der fortgesetzten T a t zu erforschen u n d bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Es kommt hierbei nicht darauf an, ob die Einzelakte der fortgesetzten T a t vor oder nach der Urteilsverkündung in der ersten Instanz liegen. H a t jedoch lediglich der Angeklagte Berufung eingelegt, so hat das Berufungsgericht das Verbot der reformatio in peius (§ 331) zu beachten, d. h. die Strafe darf in Art und Höhe nicht zum Nachteil des Angeklagten abgeändert werden. Das gilt unstreitig für die Einzelakte der fortgesetzten Tat, die v o r der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils liegen. D a s V e r b o t d e r r e f o r m a t i o i n p e i u s g i l t d a g e g e n n i c h t f ü r die T e i l a k t e , die n a c h V e r k ü n d u n g des U r t e i l s in e r s t e r I n s t a n z b e g a n g e n w u r d e n . Es wäre unbefriedigend, könnte der Täter während eines noch sachlich im Bereich der Schuldfrage anhängigen Verfahrens „unter den sehenden Augen des Gerichts" sein strafbares Verhalten ungesühnt fortsetzen (BGH 9, 324). Das in § 331 ausgesprochene Verbot der reformatio in peius ist daher dahingehend einzuschränken, d a ß Einzelhandlungen einer fortgesetzten Tat, die nach dem erstinstanzlichen Urteil liegen, somit bei der Strafzumessung in erster Instanz überhaupt nicht berücksichtigt werden konnten, von dem Verbot der Schlechterstellung nicht betroffen werden. Die vom Berufungsgericht auszusprechende S t r a f e ist v i e l m e h r i n a n a l o g e r A n w e n d u n g d e r §§ 74ff. StGB z u b i l d e n (vgl. BGH a. a. O.). Diese Einschränkung des Verbots der Schlechterstellung ist zwar dogmatisch nicht unbedenklich (vgl. Eb. Schmidt a. a. O. Teil I I Anm. 11 zu § 264); sie ist aber vom Ergebnis her gesehen um so mehr geboten, als wegen des Fortsetzungszusammenhangs u n d der dadurch bedingten Tatidentität nach Rechtskraft des Berufungsurteils die zwischen erster und zweiter Instanz begangenen Teilakte auch in einem neuen Verfahren nicht mehr verfolgt werden können. 3. Die für die fortgesetzte T a t aufgestellten Grundsätze galten ursprünglich auch für die sogenannten Sammelstraftaten oder Kollektivdelikte (vgl. E. 47, 400). Nach der Grundsatzentscheidung des Großen Senats des Reichsgerichts in E. 72, 164 ist dagegen jeder Einzelakt einer Sammelstraftat als rechtlich selbständige Handlung zu beurteilen, d. h. durch das Band der Gewerbsmäßigkeit, Gewohnheitsmäßigkeit oder Geschäftsmäßigkeit wird keine Handlungseinheit gebildet, sofern nicht zufällig im Einzelfall auch die Voraussetzungen des Fortsetzungszusammenhangs gegeben sind. Die h. L. im Schrifttum sowie der BGH sind dieser Ansicht des Reichsgerichts in E. 72, 164 gefolgt (vgl. BGH i, 41 m. weiteren Nachweisen; a. A. Schwarz-Kleinknecht Einl. 8 B g u n d Eb. Schmidt a. a. O. Teil I Nr. 365). Zur Begründung der heute h. A. wird darauf hingewiesen, d a ß die Anerkennung der Sammelstraftat als Fall der Handlungseinheit durch den Gesetzeswortlaut nicht geboten ist u n d zu

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II. Teil: Lösungen

einer Privilegierung des Gewohnheitsverbrechertums, somit zu kriminalpolitisch unerträglichen Folgen führen kann. Diese liegen zum Teil in unerwünschten Rechtskraftfolgen, zum Teil aber auch in der fehlenden Möglichkeit, § 20a Abs. I I StGB anzuwenden. 4. S t r a f b e f e h l e sind ungeachtet des an sich entgegenstehenden Wortlauts in §410 n u r b e s c h r ä n k t d e r m a t e r i e l l e n R e c h t s k r a f t f ä h i g , d. h. die R e c h t s k r a f t des S t r a f b e f e h l s h i n d e r t n i c h t , d i e selbe T a t nochmals unter einem rechtlichen Gesichtspunkt zu v e r f o l g e n , d e r im S t r a f b e f e h l n o c h n i c h t b e r ü c k s i c h t i g t wurde und eine erhöhte S t r a f b a r k e i t bedingt. Diese Einschränkung des in Art. 103 I I I G G verankerten Grundsatzes der Rechtssicherheit nach rechtskräftiger Verurteilung ist ausnahmsweise zulässig, da im Strafbefehlsverfahren eine umfassende Würdigung der Tat unter allen rechtlichen Gesichtspunkten nicht gewährleistet ist (vgl. E. 56, 363; 65, 292; 76, 2 5 1 ; BGH 3, 1 3 ; 9, 10; BVerfGer. N J W 54, 69). Im einzelnen: a) Ein neuer rechtlicher Gesichtspunkt, durch den die Strafbarkeit erhöht wird, und damit die Zulässigkeit eines neuen Verfahrens ist immer dann gegeben, wenn innerhalb des gleichen historischen Geschehens zu den bisher bekannten und im Strafbefehl bereits gewürdigten Delikten r e a l k o n k u r r i e r e n d ein w e i t e r e s D e l i k t h i n z u t r i t t . In einem solchen Fall muß nämlich, sofern die im Strafbefehl ausgesprochene Strafe noch nicht verbüßt ist, gemäß §§ 74, 79 StGB auf eine Gesamtstrafe erkannt werden, die höher ist als die im Strafbefehl ausgesprochene Strafe (vgl. BGH 9, 10). Das gleiche gilt, wenn die Strafe gemäß §§ 77, 78 StGB nach dem Kumulationsprinzip zu bilden ist. b) Ergibt sich nachträglich ein Delikt, das i d e a l k o n k u r r i e r e n d zu den im Strafbefehl bereits gewürdigten Delikten tritt, so hängt die Entscheidung, ob ein neues Verfahren zulässig ist, davon ab, ob durch das neu hinzutretende Delikt der Strafrahmen erhöht wird. Dies gilt nach BGH 18, 141 (ebenso früher schon O L G Stuttgart J Z 60, 608; a. A. O L G Koblenz J Z 60, 607; Schwarz-Kleinknecht § 410 Anm. 2) auch dann, wenn der neue rechtliche Gesichtspunkt, der im Strafbefehl noch nicht berücksichtigt werden konnte, erst n a c h Rechtskraft des Strafbefehls eintritt, z. B. wenn das Opfer-einer Körperverletzung, die bereits durch Strafbefehl gesühnt worden ist, nach R K des Strafbefehls stirbt. Zur Begründung weist der BGH darauf hin, die Einleitung eines neuen Verfahrens unter einem neuen rechtlichen Gesichtspunkt sei nicht davon abhängig, daß die unrichtige RechtsanWendung i m E i n z e l f a l l auf der Unvollkommenheit des Straf befehls beruht; es genüge vielmehr, daß das Strafbefehlsverfahren als solches ein summarisches Verfahren sei, das nicht in gleichem Maße wie eine H V die Berücksichtigung aller für die rechtliche Beurteilung wesentlichen Gesichtspunkte gewährleiste. Diese Argumentation ist indes nicht unbedenklich, da der Eintritt eines n a c h R K eingetretenen Ereignisses mit der Unvollkommenheit des Strafbefehlsverfahrens nicht das geringste zu tun hat (vgl. Schwarz-Kleinknecht a. a. O.).

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c) Kein neues Verfahren ist zulässig, wenn sich im Rahmen des gleichen historischen Geschehens neue Tatumstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen, ohne daß neue rechtliche Gesichtspunkte auftreten (vgl. BGH 6, 122). Beispiel: A ist wegen fortgesetzter Genußmittelentwendung durch Strafbefehl zu einer Haftstrafe von zwei Wochen verurteilt worden. Ergibt sich nach Rechtskraft des Strafbefehls, daß A in Fortsetzung seines ursprünglichen Tatplans noch zwei weitere Genußmittelentwendungen begangen hat, die dem Gericht, das den Strafbefehl erlassen hat, nicht bekannt waren, so ist ein neues Verfahren wegen dieser zwei neu ermittelten Teilakte der fortgesetzten Handlung nur dann zulässig, wenn das Gericht gleichzeitig zu der Uberzeugung gelangt, daß sich die Tat bei Würdigung aller Umstände, insbesondere unter Berücksichtigung von Menge und Wert der entwendeten Genußmittel nicht mehr als Ubertretung gemäß § 370 Ziffer 5 StGB darstellt, sondern unter § 242 StGB, gegebenenfalls sogar unter § 243 oder 244 StGB zu subsumieren ist. d) Kommt es nach den vorstehenden Ausführungen in zulässiger Weise zu einer erneuten Verurteilung (auch ein neuer Strafbefehl ist nicht ausgeschlossen!), so ist die f r ü h e r e S t r a f e , sofern sie bereits verbüßt ist, anzurechnen. Hierbei ergeben sich drei M ö g l i c h k e i t e n : aa) Handelt es sich um g l e i c h a r t i g e Strafen, so kann die erste ohne weiteres von der zweiten in Abzug gebracht werden. bb) Bei u n g l e i c h a r t i g e n F r e i h e i t s s t r a f e n muß der Abzug unter Zugrundelegung des Umwandlungsmaßstabes in § 21 StGB erfolgen. cc) Ist im Strafbefehl auf eine G e l d s t r a f e erkannt worden und im späteren Urteil auf eine F r e i h e i t s s t r a f e , so muß nach BGH 3, 13 (17) nicht etwa die Ersatzfreiheitsstrafe auf die neue Strafe angerechnet, sondern die Rückzahlung der Geldstrafe angeordnet werden. e) War die im Strafbefehl ausgesprochene Strafe noch nicht verbüßt, so ist bei der erneuten Verurteilung auszusprechen, daß die im Strafbefehl erkannte Strafe in Wegfall kommt. f ) Kommt das Gericht nach Einleitung eines neuen Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft zu der Uberzeugung, daß der S t r a f b e f e h l zut r e f f e n d war oder daß er zwar nicht zutreffend war, aber die Voraussetzungen für eine Auflockerung der Grundsätze über die Rechtskraft nicht vorliegen, so ist der jeweiligen Prozeßlage entsprechend aa) die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen (§ 204) oder bb) das Verfahren durch Beschluß gemäß § 206 a bzw. durch Urteil gemäß § 260 I I I einzustellen. 5. Beschlüsse sind nur dort der materiellen Rechtskraft fähig, wo ihnen das Gesetz ausdrücklich diese Rechtswirkung beimißt. Es handelt sich dabei ausschließlich um solche Beschlüsse, die ein bereits eingeleitetes Verfahren abschließen. Hierunter fallen a) der Beschluß, durch den die E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s a b g e l e h n t oder der Angeschuldigte außer Verfolgung gesetzt wird, § 2 1 1 ;

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I I . Teil: Lösungen

b ) der V e r w e r f u n g s b e s c h l u ß des Oberlandesgerichts i m K l a g e e r z w i n g u n g s v e r f a h r e n , § 174 I I ; c) g e r i c h t l i c h e E i n s t e l l u n g s b e s c h l ü s s e n a c h § 2 0 6 a ; d) g e r i c h t l i c h e E i n s t e l l u n g s b e s c h l ü s s e n a c h § 153 I I I ; e) der V e r w e r f u n g s b e s c h l u ß im W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n nach § 370 Abs. 1. I m einzelnen: Z u a ) : H a t das Gericht den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt (§ 204 I) oder den Angeschuldigten nach Abschluß der gerichtlichen Voruntersuchung außer Verfolgung gesetzt (§ 204 I I ) , so ist der Angeschuldigte — sofern die Staatsanwaltschaft nicht mit Erfolg sofortige Beschwerde einlegt (§ 2 1 0 I I ) — bei unveränderter Sachlage gegen weitere Inanspruchnahme gesichert. Ergeben sich jedoch nach Rechtskraft des Beschlusses n e u e T a t s a c h e n o d e r B e w e i s m i t t e l , so tritt ein Verbrauch der Strafklage nicht ein. M a n kann auch hier von beschränkter materieller Rechtskraft sprechen. Der Unterschied gegenüber der beschränkten materiellen Rechtskraft des Strafbefehls darf jedoch nicht verkannt werden: Nach Rechtskraft des Strafbefehls kann ein neues Verfahren selbst bei Vorliegen neuer Tatsachen nur dann eingeleitet werden, wenn sich neue rechtliche Gesichtspunkte ergeben, die bisher nicht berücksichtigt wurden und eine erhöhte Strafbarkeit begründen (siehe oben Abschnitt I V 4, S. 158). Nach Rechtskraft des Beschlusses nach § 204 kommt es dagegen nur darauf an, ob sich neue Tatsachen oder Beweismittel ergeben (vgl. § 2 1 1 ) . Nicht entscheidend ist jedoch, ob sich auch neue rechtliche Gesichtspunkte ergeben oder ob ein höheres Strafmaß zu erwarten ist. Ändert das Gericht lediglich seine frühere, als unrichtig erkannte R e c h t s a u f f a s s u n g , so genügt dies nicht, u m die Rechtskraft des Beschlusses gemäß § 204 aufzuheben (vgl. B G H 18, 225). Z u b ) : Die in § 174 I I getroffene Regelung entspricht der in § 2 1 1 . Hat das Oberlandesgericht entschieden, daß kein Anlaß zur Erhebung der öffentlichen K l a g e besteht, so kann eine öffentliche K l a g e nur auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel erhoben werden. Aus § 174 I I folgt ferner, daß auch der Verletzte ein neues Klageerzwingungsverfahren betreiben kann, wenn er in der L a g e ist, neue Tatsachen oder Beweismittel geltend zu machen (vgl. K G J R 57, 150). Z u c): Für Einstellungsbeschlüsse nach § 206 a gelten dieselben Grundsätze wie für Einstellungsurteile nach § 260 I I I , d. h. ein Verbrauch der Strafklage tritt nur ein, wenn durch den Beschluß eine endgültige sachliche Erledigung erstrebt wurde (siehe oben Abschnitt I V 1, S. 155). Z u d): Der U m f a n g der materiellen Rechtskraft von Einstellungsbeschlüssen nach § 1 5 3 I I I (gerichtliche Einstellung von Bagatellsachen mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft) ist umstritten. aa) Nach Ansicht des Reichsgerichts (E. 65, 2 9 1 ; 75, 123) w a r die Einleitung eines neuen Verfahrens dann zulässig, wenn sich nachträglich ergibt,

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daß es sich bei der eingestellten Bagatellsache in Wirklichkeit um ein Verbrechen handelt, z. B. wenn sich eine zunächst als fahrlässiger Falscheid gewertete Zeugenaussage nachträglich als Meineid darstellt. Der Bundesgerichtshof hat diese Auffassung übernommen (vgl. MDR 54, 181 und MDR 54, 400 bei Dallinger). Im Schrifttum findet sie sich bei Heinitz ( J Z 63, 132) und Eb. Schmidt (Teil I Rn. 327 unter Aufgabe der noch in der 1. Aufl. vertretenen Ansicht, der Beschuß nach § 153 Abs. 3 habe volle Rechtskraftwirkung). bb) Das BayObLG ( J R 65, 350) hält — ähnlich wie bei der beschränkten Rechtskraft des Strafbefehls — ein neues Verfahren dann für zulässig, wenn sich nach der Einstellung des Verfahrens n e u e r e c h t l i c h e Ges i c h t s p u n k t e ergeben, die den Bagatellcharakter der Tat in Frage stellen. Ebenso Löwe-Rosenberg § 153 Anm. 15. cc) Schwarz-Kleinknecht § 153 Anm. 5 und Kleinknecht J R 65, 350 wenden die zu §§ 211, 174 Abs. 2 entwickelten Grundsätze (siehe oben a und b) entsprechend an und halten über die bisher dargelegten Auffassungen hinausgehend die Wiederaufnahme des Verfahrens schon dann für zulässig, wenn sich n e u e T a t s a c h e n oder B e w e i s m i t t e l ergeben, die den Bagatellcharakter der Tat in Frage stellen. Diese Ansicht verdient (unter Aufgabe der in der Vorauflage vertretenen Ansicht) den Vorzug. Eine Parallele zur Rechtskraft des Strafbefehls verbietet sich schon deshalb, weil der Strafbefehl praktisch einem Urteil gleichkommt und schon deshalb mit dem Beschluß nach § 153 Abs. 3 nicht artmäßig verwandt ist. Hinzu kommt, daß der Gesetzgeber im JGG 1953 den hier behandelten Fall praktisch bereits entschieden hat. Die in § 47 Abs. 3 JGG getroffene Regelung ist bewußt der des §211 nachgebildet (vgl. Dallinger-Lackner § 47 Anm. 24). Zu e) Wird ein A n t r a g auf W i e d e r a u f n a h m e des Verfahrens gemäß § 370 Abs. 1 a l s u n b e g r ü n d e t a b g e l e h n t , so kann ein neuer Wiederaufnahmeantrag nicht mehr auf dieselben Tatsachen und Beweismittel gestützt werden. Dies ergibt sich zwar nicht unmittelbar, wohl aber dem Sinn nach aus § 372, der dem Antragsteller bei Ablehnung seines Antrags einerseits das R M der sofortigen Beschwerde einräumt, andererseits aber verhindern will, daß bereits geprüfte und als unbegründet befundene Wiederaufnahmegründe wiederholt geltend gemacht werden (vgl. Eb. Schmidt § 372 Anm. II 8; KMR § 372 Anm. 6; Schwarz-Kleinknecht § 372 Anm. 2). V. Kein Verbrauch der Strafklage tritt ein 1. durch ein Urteil im D i s z i p l i n a r v e r f a h r e n ; 2. durch E i n s t e l l u n g s b e s c h l ü s s e der S t a a t s a n w a l t s c h a f t ; 3. durch Z u r ü c k n a h m e d e r K l a g e im Strafbefehlsverfahren nach erfolgtem Einspruch (E. 63, 266); 4. durch eine E i n s t e l l u n g (Urteil oder Beschluß) .wegen eines p r o z e s s u a l e n M a n g e l s , dessen Behebung möglich ist (siehe oben Abschnitt IV 1 und IV 5 c). P c t t e r s - P r e i s c n d a n z , Strafprozeßfälle, 8. Aufl.

I I . Teil: Lösungen 5. U r t e i l e d e r B e s a t z u n g s g e r i c h t e haben grundsätzlich keine Rechtskraftwirkung, d a die Besatzungsgerichte keine deutsche Gerichtsbarkeit ausgeübt haben (BGH 6, 176); die ausgesprochenen Strafen sind jedoch, soweit verbüßt, in analoger Anwendung von § 7 StGB bei einer erneuten Verurteilung durch ein deutsches Gericht anzurechnen (vgl. BGH a. a. O. 178). Für Urteile der amerikanischen, britischen u n d französischen Besatzung sind außerdem die Besonderheiten des sog. U b e r l e i t u n g s v e r t r a g s vom 30. 3. 1955 (BGBl. I I 405) zu beachten. Nach Art. 7 I des Uberleitungsvertrags bleiben alle Entscheidungen der Besatzungsgerichte a u c h n a c h d e u t s c h e m R e c h t r e c h t s w i r k s a m (vgl. auch BGH N J W 56, 1766). 6. Wegen der Rechtskraft von Bußgeldbescheiden siehe § 65 O W i G . 7. Zur Rechtskraft g e b ü h r e n p f l i c h t i g e r V e r w a r n u n g e n siehe § 22 Abs. 2 StVG und BGH 17, 101.

B. Lösung des Falles I. Die Zurücknahme des Strafantrags 1. Strafanträge können nur dort zurückgenommen werden, wo das Gesetz die Zurücknahme ausdrücklich vorsieht (§ 64 StGB). Dementsprechend ist die Z u r ü c k n a h m e z u l ä s s i g u. a. in den Fällen der §§ 123, 185 fr. (194), 248 a, 248 b, 265 a u n d 370 Ziff. 5/6 StGB. Sie ist dagegen u n z u l ä s s i g in den Fällen der §§ 170, 172, 182, 236, 237, 299, 300, 301, 302 StGB. B e s o n d e r h e i t e n gelten für die K ö r p e r v e r l e t z u n g u n d die S a c h b e s c h ä d i g u n g . Der ausdrücklichen Regelung in § 232 I I bzw. § 303 I V zufolge kann der Strafantrag nur d a n n zurückgenommen werden, wenn es sich bei dem verletzten Antragsteller u m einen Angehörigen des Beschuldigten handelt. (NB. Auch in anderen Fällen bringt das Gesetz klar zum Ausdruck, d a ß die Strafverfolgungsorgane bei Delikten im Bereich der Individualsphäre überhaupt nicht oder nicht gegen den Willen des von der T a t betroffenen Angehörigen zum Einschreiten befugt sind, vgl. §§ 247 I/II, 248a I I I , 248b IV, 263 V, 265a I I I , 266 I I I , 294, 370 Ziff. 5). 2. Eine z e i t l i c h e B e s c h r ä n k u n g f ü r die Zurücknahme des Strafantrags besteht insoweit, als eine Zurücknahme gemäß § 64 StGB n u r bis zur Verkündung eines auf Strafe lautenden Urteils zulässig ist. Entscheidend ist dabei der Beginn der Urteilsverkündung (E. 57, 268). I n der Rechtsmittelinstanz ist die Zurücknahme nur d a n n zulässig, wenn der Angeklagte in den Vorinstanzen freigesprochen wurde. 3. Für den v o r l i e g e n d e n F a l l gilt somit folgendes: Da der Strafantrag gegen einen Angehörigen gerichtet war und ein auf Strafe lautendes Urteil noch nicht ergangen war, konnte Bruno den Strafantrag gegen seinen Bruder Alexander in der Hauptverhandlung rechtswirksam zurücknehmen.

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4. Wird ein Strafantrag zurückgenommen, so muß der Antragsteller damit rechnen, daß ihm bei Einstellung des Verfahrens die K o s t e n auferlegt werden (§ 470 Satz 1). Er kann diesem Kostenrisiko dadurch entgehen, daß er die Rücknahme davon abhängig macht, daß der Angeklagte die Kosten übernimmt (vgl. BGH 9, 149 m. Anm. Henkel J Z 56, 766). II. Die Verneinung eines besonderen öffentlichen Interesses Wird bei einer Körperverletzung ein Strafantrag nicht gestellt oder rechtswirksam zurückgenommen, so kann die Staatsanwaltschaft auch v o n Amts w e g e n ein Verfahren einleiten, wenn ein b e s o n d e r e s ö f f e n t l i c h e s I n t e r e s s e an der Strafverfolgung besteht (§ 232 StGB). Es handelt sich hierbei um eine Ausnahmebestimmung, die nicht analog auf andere Antragsdelikte übertragen werden darf (BGH 7, 256). Ob ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung zu bejahen ist, liegt im pflichtgemäßen Ermessen der StA und kann vom Gericht nicht überprüft werden (vgl. BGH 16, 225). Es ist dabei durchaus möglich, daß die Staatsanwaltschaft in den verschiedenen Stadien des Strafverfahrens zu verschiedenen Ergebnissen kommt (vgl. O L G Stuttgart J R 53, 348). Sie ist hierbei an keine Frist gebunden, insbesondere nicht an die Antragsfrist (vgl. BGH 6, 282). R e f e r e n d a r R konnte also in der H a u p t v e r h a n d l u n g ein b e s o n d e r e s ö f f e n t l i c h e s I n t e r e s s e an der S t r a f v e r f o l g u n g v e r n e i n e n , o b w o h l das b e s o n d e r e ö f f e n t l i c h e I n t e r esse bis d a h i n b e j a h t w o r d e n war. (NB. Bei der Verletzung eines Angehörigen sollte die Staatsanwaltschaft ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung nur ausnahmsweise und nach sorgfaltiger Prüfung aller Umstände bejahen, z. B. wenn der Angehörige sehr schwer verletzt wurde oder das Verschulden des Täters besonders ernst zu beurteilen ist.) III. Die Entscheidung des Amtsrichters Die rechtswirksame Rücknahme des Strafantrags durch Bruno und die Verneinung eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung seitens der Staatsanwaltschaft haben zur Folge, daß dem weiteren Verfahren ein P r o z e ß h i n d e r n i s entgegensteht. Das Verfahren ist daher durch Urteil gemäß § 260 I I I einzustellen. IV. Die Rechtslage nach dem Tod Brunos Es ist zu prüfen, ob mit der Einstellung des Verfahrens eine endgültige Erledigung der Sache gewollt war. Hierfür spricht, daß Bruno seinen zurückgenommenen Strafantrag auch zu Lebzeiten — selbst innerhalb der Antragsfrist — nicht mehr hätte erneuern können, da jeder Verzicht auf den Strafantrag endgültig ist (vgl. Dreher-Maassen a. a. 0 . § 6 4 A n m . 2 ) . Auch die StA ist in diesem Fall an die Entscheidung des Referendars R , die dieser in der H V getroffen hat, gebunden. Sie kann zwar, wie oben in Abschn. I I dargelegt, ein im Ermittlungsverfahren zunächst bejahtes öffentliches Interesse in der HV wieder verneinen und umgekehrt sogar noch in der Revisionsinstanz eine bis dahin unterlassene Strafverfolgungsli*

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II. Teil: Lösungen

erklärung nachholen (vgl. B G H 6, 28a). Dies gilt aber nicht mehr, wenn bereits ein U r t e i l v o r l i e g t , das mangels einer Strafverfolgungserklärung der StA entweder auf E i n s t e l l u n g oder auf F r e i s p r u c h erkannt hat (BGH 19, 377, 381). In diesem Fall ist die StA an ihre letzte, vor Erlaß des Urteils abgegebene Erklärung hinsichtlich der Bejahung oder Verneinung des öffentlichen Interesses gebunden ( B G H a. a. O.). Hieraus folgt für den v o r l i e g e n d e n F a l l : Die Einstellung bezweckte eine endgültige sachliche Erledigung und löste daher die Wirkungen der materiellen Rechtskraft aus. Die Strafklage ist verbraucht. Ein neues Verfahren wegen fahrlässiger Tötung kann nicht eingeleitet werden. V. Die Entscheidung des Schöffengerichts Das Schöffengericht hat die Sache durch Beschluß nach § 270 an das Schwurgericht zu verweisen, dessen ausschließliche Zuständigkeit sich aus § 80 G V G ergibt. (NB. Die Verweisung kann rechtswirksam nur auf Grund der Hauptverhandlung erfolgen; an der Beschlußfassung müssen alle Richter mitwirken, deren Mitwirkung in der Hauptverhandlung erforderlich ist. Mängel beim Zustandekommen des Beschlusses haben zur Folge, daß der Beschluß als rechtlich wirkungslos angesehen werden muß und nicht zur Unterlage des weiteren Verfahrens gemacht werden darf, B G H 6, 109. •— Nach B G H 18, 290 kann die Verweisung auch in dem Verfahrensabschnitt zwischen der Eröffnung des Hauptverfahrens und der H V vorgenommen werden. In diesem Fall aber hat der Verweisungsbeschluß für das Gericht, an das verwiesen wird, keine bindende Wirkung.) VI. Die prozessualen Möglichkeiten der Staatsanwaltschaft Die Staatsanwaltschaft hätte an sich die Möglichkeit, mit den ordentlichen Rechtsmitteln ( B e r u f u n g oder R e v i s i o n ) die Aufhebung des Urteils zu erreichen. Die Sache würde dann an das Schöffengericht zurückverwiesen, das sich erneut mit der Sache befassen und diese schließlich nach § 270 an das Schwurgericht verweisen müßte. (NB. Das Rechtsmittelgericht könnte die Sache nicht unmittelbar an das Schwurgericht verweisen, da das Schöffengericht seine Unzuständigkeit keineswegs verkannt hatte, somit die Voraussetzungen für eine Entscheidung gemäß § 328 III bzw. § 355 nicht vorliegen.) Diesen recht umständlichen und zeitraubenden Weg kann sich die Staatsanwaltschaft ersparen, indem sie ohne Rücksicht auf das Einstellungsurteil des Schöffengerichts u n m i t t e l b a r A n k l a g e b e i m S c h w u r g e r i c h t e r h e b t bzw. die gerichtliche Voruntersuchung beantragt. Dieser Weg ist ohne weiteres gangbar, da das Einstellungsurteil eine endgültige sachliche Erledigung weder herbeiführen wollte noch konnte. Ein Verbrauch der Strafklage ist daher nicht eingetreten (vgl. E. 26, 150 und Eb. Schmidt Teil I Nr. 180 sowie Löwe-Rosenberg Anm. 22 e vor §150-

Fall 13

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VII. Die Klageerhebung b e i m Schwurgericht ist s o f o r t m ö g l i c h . Die R e c h t s h ä n g i g k e i t beim Schöffengericht endet zwar erst mit der Rechtskraft des Einstellungsurteils. Die Staatsanwaltschaft kann jedoch dessen ungeachtet sofort neue Klage erheben, da das Schwurgericht allein sachlich zuständig ist. Es besteht daher keine Gefahr, daß das Schwurgericht in unzulässiger Weise in die Entscheidungskompetenz des Schöffengerichts eingreift und möglicherweise zwei verschiedene Urteile in derselben Sache ergehen. Die anderweitige Rechtshängigkeit wirkt sich bei dieser Sachlage ausnahmsweise nicht als Prozeßhindernis aus (vgl. Eb. Schmidt a. a. O. Teil I Nr. 180 m. weiteren Nachweisen).

ZU FALL 13 I. Die Entscheidung des Amtsrichters 1. Ein rechtskräftiges Urteil der Kleinen Strafkammer liegt bereits vor: Wie sich aus den Vorbemerkungen zu Fall 12 Abschnitt IV 2e (S. 157) ergibt, hätte die Kleine Strafkammer als Berufungsgericht auf Grund ihrer allseitigen Kognitionspflicht alle Einzelakte der fortgesetzten Tat erforschen und bei der Strafzumessung berücksichtigen müssen. Diese Pflicht zur Erfassung des gesamten Sachverhalts bezieht sich auch auf solche Teilakte der fortgesetzten Tat, die n a c h dem erstinstanzlichen Urteil liegen. Auch diese nehmen somit an der Rechtskraft des Urteils teil. Kommt nun das erneut mit solchen Einzelakten befaßte Gericht zu dem Ergebnis, daß die vom Berufungsgericht nicht berücksichtigten Teilakte Bestandteile der bereits vom Berufungsgericht rechtskräftig erledigten fortgesetzten Tat sind, so steht der weiteren Durchführung des Verfahrens das P r o z e ß h i n d e r n i s d e r m a t e r i e l l e n R e c h t s k r a f t entgegen. Die Strafklage ist verbraucht. Hieraus folgt: Erkennt der Amtsrichter das Prozeßhindernis erst n a c h Eintritt in die Hauptverhandlung, so ist das Verfahren gemäß § 260 III durch Urteil einzustellen. 2. Steht die Berufungsverhandlung noch aus, so steht der weiteren Durchfuhrung des Verfahrens das P r o z e ß h i n d e r n i s d e r a n d e r w e i t i g e n R e c h t s h ä n g i g k e i t entgegen. Der Amtsrichter wird also auch bei dieser Sachlage nach § 260 I I I StPO das Verfahren einstellen und die Akten d e m B e r u f u n g s g e r i c h t v o r l e g e n , damit dieses die beiden Vorfälle vom 1.7. bzw. 8. 7. in das dort anhängige Verfahren einbeziehen kann. II. Die gesetzlich zulässige Höchststrafe in der Berufungsinstanz Geht das Berufungsgericht von der Auffassung des Amtsrichters aus, so sind die beiden am 1. 7. bzw. 8. 7., somit n a c h Erlaß des erstinstanzlichen Urteils begangenen Teilakte der fortgesetzten Tat mit zu erfassen und

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II. Teil: Lösungen

abzuurteilen. In analoger Anwendung von § 265 ist die Angeklagte darauf hinzuweisen, daß sie auch wegen dieser beiden Teilakte bestraft werden kann. Auf den Grundsatz des Verbots der reformatio in peius (§ 331 I) kann sich Veronika bei der gegebenen Sachlage nach der neuesten Rechtsprechung des B G H nicht berufen (vgl. B G H 9, 324 sowie Vorbemerkungen zu Fall 12, Abschn. I V 2e S. 157); die Strafe ist vielmehr in a n a l o g e r A n w e n d u n g d e r §§ 74fF. StGB zu bilden. Hieraus folgt: Veronika kann nach dem für Haftstrafen geltenden K u m u l a t i o n s prinzip (§ 77 II StGB) zu insgesamt 12 Wochen Haft verurteilt werden (6 Wochen Haft für die Teilakte v o r Erlaß des erstinstanzlichen Urteils und 6 Wochen Haft für die Teilakte n a c h Erlaß des erstinstanzlichen Urteils). Eine Einweisung in das Arbeitshaus gem. § 42 d StGB erscheint in Hinblick auf §331 II bedenklich. Es wirft sich jedoch die Frage auf, ob die Angeklagte durch ihre erneute Straffälligkeit nach Einlegung der Berufung nicht nur den Schutz des § 331 I, sondern auch den des § 331 II StPO verwirkt hat. Der B G H hat sich — soweit ersichtlich — zu dieser Frage noch nicht geäußert. Er müßte sie jedoch in konsequenter Fortführung seiner in B G H 9, 324 niedergelegten Grundsätze bejahen. I I I . Die Rechtslage, wenn die Kleine Strafkammer die Ansicht des Amtsrichters hinsichtlich des Fortsetzungszusammenhangs nicht teilt. Geht die Kleine Strafkammer als Berufungsgericht entgegen der Ansicht des Amtsrichters davon aus, daß die Vorfälle am 1. 7. und 8. 7. 1965 nicht als Teilakte der fortgesetzten Tat, sondern als rechtlich selbständige Handlungen anzusehen sind, so kommt eine Aburteilung in der Berufungsinstanz nicht in Betracht. Mangels Tatidentität reicht ein Hinweis nach § 265 nicht aus; eine Nachtragsanklage gemäß § 266 ist in der Berufungsinstanz grundsätzlich unzulässig, da den Prozeßbeteiligten sonst eine Tatsacheninstanz verloren ginge (vgl. Fall 5, Nachtrag, Abschn. I V 4, S. 89). Es ist nunmehr zu prüfen, ob das einstellende Urteil der materiellen Rechtskraft fähig war. Wie in den Vorbemerkungen zu Fall 12 Abschn. I V 1 (S. 155) dargelegt, sind auch einstellende Urteile der materiellen Rechtskraft fähig, sofern sie eine endgültige sachliche Erledigung erstreben. Wird — wie hier — wegen anderweitiger Rechtshängigkeit eingestellt, so kann und soll dadurch nicht notwendig das Verfahren endgültig zum Abschluß gebracht werden. Es lassen sich nämlich durchaus Fälle denken, in denen die hindernde anderweitige Rechtshängigkeit nachträglich wegfallt, ohne daß das anderweitig mit der Sache befaßte Gericht eine der materiellen Rechtskraft fähige Entscheidung getroffen hat. So wäre es etwa denkbar, daß Veronika ihre Berufung gegen das Urteil vom 1. 6. 1965 zurücknimmt. In diesem Fall wäre es unbedenklich, wegen der nach dem 1. 6. 1965 begangenen Teilakte der fortgesetzten Handlung ein neues Verfahren einzuleiten. Veronika wäre dann nämlich so zu stellen, wie wenn sie keine Berufung eingelegt hätte.

Fall 14

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Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß das wegen a n d e r w e i t i g e r Rechtshängigkeit einstellende Urteil nicht der m a t e r i e l l e n R e c h t s k r a f t f ä h i g ist. Die S t a a t s a n w a l t s c h a f t ist also n i c h t g e h i n d e r t , e r n e u t K l a g e zu e r h e b e n .

ZU FALL 14 A. Vorbemerkung: Das Strafbefehlsverfahren I. Bei Ü b e r t r e t u n g e n und V e r g e h e n kann die Strafe durch schriftlichen S t r a f b e f e h l des A m t s r i c h t e r s ohne Hauptverhandlung festgesetzt werden, wenn die Staatsanwaltschaft schriftlich hierauf anträgt (§ 407). Durch Strafbefehl dürfen n u r f o l g e n d e S t r a f e n , N e b e n f o l g e n und M a ß r e g e l n d e r S i c h e r u n g und Besserung, allein oder nebeneinander, festgesetzt werden: 1. F r e i h e i t s s t r a f e bis zu 3 Monaten, 2. G e l d s t r a f e (vgl. §§ 27, 27a StGB), 3. F a h r v e r b o t (vgl. § 37 StGB), 4. E i n z i e h u n g (z. B. in den Fällen der §§40, 152, 284b, 295 StGB, § 26 WaffG, 20 FernmG), 5. V e r n i c h t u n g (vgl. z. B. § 13 LebmG), 6. U n b r a u c h b a r m a c h u n g (vgl. § 41 StGB), 7. V e r f a l l e r k l ä r u n g (vgl. z. B. §§ 335 StGB, 12 Abs. 3 UWG), 8. B e k a n n t m a c h u n g d e r E n t s c h e i d u n g (vgl. z. B. §§ 165, 200 StGB, 15 Abs. 1 LebmG), 9. B e f u g n i s z u r B e s e i t i g u n g e i n e s g e s e t z w i d r i g e n Z u s t a n d s (in der Praxis kaum vorkommend), 10. F a h r e r l a u b n i s e n t z i e h u n g , soweit die Sperrfrist nicht mehr als ein Jahr beträgt. Gegen J u g e n d l i c h e darf kein Strafbefehl erlassen werden (§ 79 I J G G ) ; zulässig ist er aber gegen Heranwachsende (§ 103 JGG). 11. Der A n t r a g des S t a a t s a n w a l t s , der eine bestimmte Strafe zum Gegenstand haben muß (§ 408 Abs. 1), enthält verfahrensrechtlich die Erhebung der Anklage und muß daher den Anforderungen des § 200 Abs. 1 genügen (§ 409). III. Der Amtsrichter hat den A n t r a g z u r ü c k z u w e i s e n : 1. Wenn die Sachlage die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens rechtfertigen würde (§ 204), also insbesondere, wenn der Beschuldigte der ihm zur Last gelegten Straftat n i c h t h i n r e i c h e n d v e r d ä c h t i g erscheint oder wenn eine P r o z e ß v o r a u s s e t z u n g f e h l t , z. B. der erforderliche Strafantrag nicht gestellt ist.

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I I . Teil: Lösungen

2. Wenn der Antrag nicht der gesetzlichen F o r m entspricht oder u n s t a t t h a f t ist (§ 407), z. B. weil die T a t ein Verbrechen ist. Die Z u r ü c k w e i s u n g e i n e s S t r a f b e f e h l s a n s t r a g s i s t i m G e s e t z n i c h t b e s o n d e r s e r w ä h n t . Ihre Möglichkeit ergibt sich aber aus § 204, der analog anzuwenden ist. Gegen einen solchen zurückweisenden Beschluß steht der Staatsanwaltschaft die s o f o r t i g e B e s c h w e r d e gemäß §210 Abs. 2 zu. Wird ihr stattgegeben, so wird das Beschwerdegericht unter Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses den Amtsrichter anweisen, dem Verfahren prozessualen Fortgang zu geben. Da ein Strafbefehl immer nur vom Amtsrichter erlassen werden kann, kann das Beschwerdegericht trotz § 309 I I nicht selbst den Erlaß des beantragten Strafbefehls beschließen. Ebensowenig ist es befugt, den Amtsrichter zum Erlaß des beantragten Strafbefehls anzuweisen. Der Amtsrichter kann dann, wenn er seine Bedenken durch den Beschwerdebeschluß behoben sieht, den Strafbefehl wie beantragt erlassen oder aber Hauptverhandlungstermin bestimmen. I V . Der Amtsrichter hat nach §408 Abs. 2 H a u p t v e r h a n d l u n g anzuberaumen (also ohne Eröffnungsbeschluß): 1. wenn er B e d e n k e n hat, ohne Hauptverhandlung zu entscheiden (weil z. B. Zweifel bestehen, wie die T a t rechtlich zu qualifizieren ist); 2. wenn er hinsichtlich der S t r a f e von dem Antrag abweichen will. In diesem letzteren Falle wird er zuvor seine abweichende Ansicht der Staatsanwaltschaft mitteilen und diese zur Erklärung darüber auffordern, ob sie bei ihrem Antrag beharre. I n jedem Falle, also auch im Falle 1, kann eine V e r s t ä n d i g u n g zwischen Amtsrichter und Staatsanwalt dahin führen, d a ß letzterer den Antrag auf Erlaß des Strafbefehls zurücknimmt. V . Der S t r a f b e f e h l w i r d e r l a s s e n , wenn weder tatsächliche noch rechtliche Bedenken entgegenstehen (§408 Abs. 1). Er m u ß neben der Bezeichnung der strafbaren Handlung, des Strafgesetzes, der Beweismittel u n d der Strafe die E r ö f f n u n g e n t h a l t e n , daß er vollstreckbar wird, wenn der Beschuldigte nicht binnen einer Woche nach der Zustellung bei dem Amtsgericht schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle E i n s p r u c h erhebt (§ 409). V I . Die Z u s t e l l u n g des Strafbefehls kann in jeder gesetzlich vorgesehenen Form erfolgen, insbesondere auch durch Niederlegung gemäß §§ 182, 195a Z P O (BGH 13, 182; siehe auch F a l l s Abschnitt I I 3 betr. Zustellung von Urteilen, die in Abwesenheit des Angeklagten ergangen sind). H a t der Beschuldigte einen gesetzlichen Vertreter, so hat die Zustellung auch an diesen zu erfolgen (§ 409 II). H a t er einen V e r t e i d i g e r , so kann die Zustellung auch an diesen erfolgen (vgl. § 145 a sowie Fall 6, Abschn. A I 2e, S. 90. V I I . Bei r e c h t z e i t i g e m E i n s p r u c h (bei entschuldbarer Versäumung der Einspruchsfrist ist Wiedereinsetzung möglich), der bis z u m Beginn der Hauptverhandlung zurückgenommen werden kann, findet H a u p t -

Fall 14 V e r h a n d l u n g statt (§411), ohne daß es eines Eröffnungsbeschlusses bedarf. Grundlage des weiteren Verfahrens ist dann, ebenso wie im Falle des § 408 Abs. 2 (s. o. IV), nicht der Strafbefehl, sondern der Strafbefehlsantrag der StA. Das Fehlen der Unterschrift des Amtsrichters auf dem Straf befehl ist daher für das weitere Verfahren unschädlich (BayObLG N J W 6 1 , 1782). Die Staatsanwaltschaft kann gemäß §411 I im Falle des Einspruchs die Klage zurücknehmen („fallenlassen"), und zwar bis zum Beginn der H a u p t verhandlung (im Gegensatz zur Anklage, die gemäß § 156 nur bis zur Eröffnung der Voruntersuchung oder des Hauptverfahrens zurückgenommen werden kann). Wird kein Einspruch erhoben, so kann der Staatsanwalt den erlassenen Strafbefehl nicht mehr außer Kraft setzen. Der Einspruch, auf den gemäß § 409 Abs. 3 i. V. mit § 302 schon vor Ablauf der Frist v e r z i c h t e t werden kann, kann nicht wirksam auf das S t r a f m a ß b e s c h r ä n k t werden, E. 76, 251. Ebensowenig ist die Beschränkung auf eines von mehreren realkonkurrierenden Delikten zulässig, E. 63, 345. I m letzteren Falle ist aber Trennungsbeschluß des Gerichts möglich mit der Folge, daß der Angeklagte hinsichtlich des einen oder anderen Delikts den Einspruch zurücknehmen kann und insoweit der Straf befehl rechtskräftig wird. V I I I . Für die H a u p t v e r h a n d l u n g gilt folgendes: 1. Die Hauptverhandlung findet grundsätzlich vor dem A m t s r i c h t e r statt, jedoch kann die StA auch Verhandlung vor dem S c h ö f f e n g e r i c h t beantragen. 2. Der Angeklagte kann sich durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten lassen (§ 411 Abs. 2). 3. Bleibt der Angeklagte ohne genügende Entschuldigung in der H a u p t verhandlung aus und wird er auch nicht durch einen Verteidiger vertreten, so wird der Einspruch ohne Beweisaufnahme durch Urteil verworfen (§412 Abs. 1). Gegen ein solches Verwerfungsurteil sind zwei Rechtsbehelfe gegeben: einmal die ordentlichen Rechtsmittel (Berufung und Revision), wobei bei Übertretungen §313 nicht übersehen werden darf. Zulässig ist ferner die Wiedereinsetzung mit der in Abs. 2 des § 412 vorgesehenen Einschränkung. (NB. Die gegen ein solches Urteil eingelegte Berufung kann nur auf die Behauptung gestützt werden, d a ß der E i n s p r u c h z u U n r e c h t v e r w o r f e n worden sei. Stellt sich diese Behauptung als unbegründet heraus, d. h. wurde der Einspruch zu R e c h t verworfen, so darf auch in der Berufungsinstanz auf die Sache selbst nicht eingegangen werden, sondern die Berufung ist ohne weiteres zu verwerfen. Ist der Einspruch vom Amtsrichter zu U n r e c h t verworfen worden, so hat das Berufungsgericht gemäß § 328 das Urteil aufzuheben u n d die Sache an die erste Instanz zurückzuverweisen.) 4. Bei der Urteilsfällung ist das Gericht an den im Strafbefehl enthaltenen Ausspruch n i c h t g e b u n d e n (§411 Abs. 3). Es entscheidet so, als wäre ein Strafbefehl nicht ergangen, sondern Anklage erhoben. Es wird

II. Teil: Lösungen daher im Urteil nicht auf den Strafbefehl eingegangen, insbesondere also nicht etwa der Strafbefehl aufgehoben oder der Einspruch verworfen. Auch gilt hier nicht das Verbot der reformatio in peius. IX. Ein Strafbefehl, gegen den nicht rechtzeitig Einspruch erhoben worden ist, erlangt die Wirkung eines r e c h t s k r ä f t i g e n U r t e i l s (§410). (Siehe hierzu ausführlich Vorbemerkung zu Fall 12, Abschn. IV 4, S. 158.) N a c h t r a g : Das V e r f a h r e n b e i S t r a f v e r f ü g u n g e n ist in § 413 geregelt. Die wichtigsten Bestimmungen sind folgende: das Verfahren ist nur bei Ü b e r t r e t u n g e n möglich (§4131). Der Amtsrichter, der ohne Hauptverhandlung entscheidet, ist an den Vorschlag der Polizeibehörde nicht gebunden, kann also insbesondere eine geringere oder höhere Strafe als die von der Polizei beantragte aussprechen (§ 413 II). Der Amtsrichter kann nicht mangels Beweises einstellen, sondern muß in diesem Falle die Akten der Staatsanwaltschaft zuleiten (§ 413 III). Dagegen kann der Amtsrichter durch unanfechtbaren Beschluß bei geringer Schuld und fehlendem öffentlichem Interesse gemäß § 153 I einstellen (§ 413 V). B. Lösung des Falles I. Wie wird der Rechtsanwalt die Berufung begründen? Der Anwalt wird auf folgende Gesichtspunkte hinweisen: 1. Beiden Verfahren liegt derselbe Sachverhalt zugrunde; es besteht somit T a t i d e n t i t ä t . 2. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 410 ist bei Vorliegen eines rechtskräftigen Strafbefehls ein neues Verfahren wegen derselben Tat nur zulässig, wenn sich neue rechtliche Gesichtspunkte ergeben, die im Strafbefehl nicht berücksichtigt wurden und eine erhöhte Strafbarkeit begründen (vgl. Fall 12, Vorbemerkungen Abschn. A IV 4 S. 158). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben: Auf Einziehung des Gewehrs auf Grund des § 295 StGB konnte und mußte in dem Strafbefehl erkannt werden; mit dem neuen Verfahren sollte lediglich die Behebung dieses Fehlers bezweckt werden, ohne daß die Tat eine a b w e i c h e n d e , einem s c h ä r f e r e n S t r a f r a h m e n unterliegende Beurteilung erfahren konnte. 3. Die Rechtskraftwirkung des Strafbefehls wirkt sich in dem neu eingeleiteten Verfahren als P r o z e ß h i n d e r n i s aus, das in jeder Verfahrenslage von Amts wegen zu beachten ist und zur Einstellung führen muß (vgl. Fall 7, Nachtrag, S. u 6 f ) .

Fall 14.

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II. Was hätte der Staatsanwalt tun müssen, um die beantragte Einziehung des Gewehrs durchzusetzen, wenn er nach Zustellung, aber vor der Rechtskraft des Strafbefehls von der unterbliebenen Einziehung Kenntnis bekommen hätte ? 1. K a n n d e r S t a a t s a n w a l t E i n s p r u c h e i n l e g e n ? a) An sich stehen die z u l ä s s i g e n R e c h t s m i t t e l gegen gerichtliche Entscheidungen nach § 396 sowohl d e r S t a a t s a n w a l t s c h a f t als auch dem B e s c h u l d i g t e n zu. Der Begriff d e r R e c h t s m i t t e l ist kein absolut feststehender. Die StPO versteht unter Rechtsmitteln nur diejenigen prozessualen Rechtsbehelfe, durch welche gerichtliche Entscheidungen, die noch nicht rechtskräftig sind, vor einem G e r i c h t h ö h e r e r I n s t a n z angefochten werden. Rechtsmittel i. S. der StPO sind daher nur die Beschwerde, die Beruf u n g und die Revision. Dagegen fallen n i c h t unter diesen Begriff: der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens, das Gesuch um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, der E i n s p r u c h gegen den amtsrichterlichen Strafbefehl. (Siehe Fall 6, Abschn. B I I I 1 a, S. 97.) b) Da §409 nur von dem E i n s p r u c h des B e s c h u l d i g t e n spricht, muß gefolgert werden, daß ein solcher der S t a a t s a n w a l t s c h a f t n i c h t zusteht. Es folgt dies auch aus der Natur des Strafbefehlsverfahrens insofern, als ja grundsätzlich der Erlaß des Strafbefehls n u r g e n a u n a c h d e m A n t r a g d e r S t a a t s a n w a l t s c h a f t erfolgen darf; es steht dem Amtsrichter nicht zu, in irgendwelcher Richtung von dem Antrag abzuweichen. Trägt der Amtsrichter Bedenken, so hat er die Sache, wie in der Vorbemerkung IV, S. 168 erörtert wurde, gemäß § 408 Abs. 2 zur Hauptverhandlung zu bringen. 2. Hätte der Amtsrichter entgegen der Vorschrift des § 408 Abs. 2 Satz 2 a b s i c h t l i c h die Einziehung unterlassen, dann könnte hierin eine Z u r ü c k w e i s u n g des Antrags auf Erlaß des Strafbefehls in diesem Teil erblickt werden, und der Staatsanwalt könnte aus diesem Grunde gegen den Strafbefehl s o f o r t i g e B e s c h w e r d e gemäß §210 Abs. 2 einlegen. (Die Zurückweisung kommt sachlich dem in § 204 Abs. 1 bezeichneten Beschluß gleich, wie schon in Abschn. A III 2, S. 168 erwähnt wurde.) 3. Da der Amtsrichter aber nur v e r s e h e n t l i c h nicht auf Einziehung erkannt hat, kann der Staatsanwalt vor Rechtskraft des Strafbefehls lediglich dessen Ergänzung beantragen. 4. Wäre lediglich in d e r A u s f e r t i g u n g des Strafbefehls die Einziehung unterblieben, während sie in der Urschrift verfügt war, dann wäre die Zustellung des Strafbefehls u n w i r k s a m gewesen und infolgedessen die Einspruchsfrist nicht in Lauf gesetzt worden (vgl. OLG Hamburg DAR 58, 274)-

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I I . Teil: Lösungen

I I I . Hätte der Staatsanwalt nach Rechtskraft des Strafbefehls die Einziehung des Gewehrs gemäß § 430ff. erreichen können? 1. Auf E i n z i e h u n g , V e r n i c h t u n g oder U n b r a u c h b a r m a c h u n g von Gegenständen ist in der R e g e l neben einer sonstigen S t r a f e im Strafurteil gegen eine bestimmte Person zu erkennen. 2. Die das sog. o b j e k t i v e V e r f a h r e n regelnden §§430—432 behandeln den Fall, in dem u n a b h ä n g i g von jedem auf Bestrafung einer bestimmten Person gerichteten Strafverfahren die E i n z i e h u n g , Vernichtung oder Unbrauchbarmachung von Gegenständen durch gerichtliches Strafurteil ausgesprochen werden kann. 3. Dieses Verfahren ist nach §430 n u r zulässig „in den Fällen, in welchen nach §42 StGB oder nach a n d e r w e i t i g e n g e s e t z l i c h e n Bes t i m m u n g e n auf Einziehung usw. s e l b s t ä n d i g erkannt werden kann". Das objektive Einziehungsverfahren muß also, wenn nicht auf § 42 StGB, so doch auf eine die s e l b s t ä n d i g e Einziehung ausdrücklich oder stillschweigend gestattende anderweitige Gesetzesvorschrift zurückgeführt werden können. a ) K a n n das o b j e k t i v e V e r f a h r e n a u f §42 StGB g e s t ü t z t w e r den ? aa) Daß ein objektives Einziehungsverfahren gemäß § 42 StGB a u c h gegen das in § 295 StGB erwähnte Jagdgerät möglich ist, ist unbestritten. bb) § 42 StGB lautet: Ist in den Fällen der §§ 40 und 41 die Verfolgung oder die Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausführbar, so können die daselbst vorgeschriebenen Maßnahmen s e l b s t ä n d i g erkannt werden, d. h. abweichend von der Regel der §§40, 41 StGB, wonach im Strafurteil selbst die fraglichen Maßnahmen auszusprechen sind. cc) Nach dem in v o r l i e g e n d e m F a l l e allein in Frage kommenden § 40 StGB können Gegenstände, welche durch ein vorsätzliches Verbrechen oder Vergehen hervorgebracht (producta secleris) oder welche zur B e g e h u n g eines v o r s ä t z l i c h e n V e r b r e c h e n s oder V e r g e h e n s geb r a u c h t oder bestimmt sind (instrumenta sceleris), eingezogen werden, sofern sie dem Täter oder einem Teilnehmer g e h ö r e n . dd) Da im v o r l i e g e n d e n F a l l e das Gewehr dem B r u d e r des Beschuldigten gehörte, scheidet § 42 StGB als Grundlage für ein objektives Verfahren von vornherein aus, ohne daß auf die weitere Voraussetzung des §42, nämlich die U n a u s f ü h r b a r k e i t der V e r f o l g u n g e i n e r b e s t i m m t e n P e r s o n , eingegangen zu werden braucht. (Siehe hierzu Abschn. IV, Ziff. 3, S, 173.) b) Auch auf § 295 StGB kann die Einziehung im objektiven Verfahren nicht gestützt werden. Selbst wenn man § 295 nicht als Nebenstrafe auffaßt, sondern als eine p o l i z e i l i c h e S i c h e r u n g s m a ß n a h m e , da die Einziehung auch bei täterfremden Sachen möglich ist (vgl. Petters-Preisendanz, Strafgesetzbuch, 25. Aufl. Vorbem. 3c vor § 13), so kann diese

Fall 14

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Bestimmung immer nur als N e b e n f o l g e in einem gegen eine bestimmte Person durchgeführten S t r a f v e r f a h r e n zur Anwendung kommen. Eine s e l b s t ä n d i g e A n w e n d u n g des § 295 StGB, wie sie §430 StPO voraussetzt, ist dagegen unzulässig. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Fehlen einer dem § 42 StGB entsprechenden Vorschrift, sondern auch aus der G e s e t z e s g e s c h i c h t e . Nach dem klaren Wortlaut der vor 1935 geltenden Fassung gab es keinen Zweifel, daß die Einziehung nur neben der H a u p t strafe in Betracht kam. Hieran sollte durch die Neufassung, durch die im wesentlichen lediglich die Härteklausel des Abs. 2 eingefügt wurde, nichts geändert werden. 4. Z u s a m m e n f a s s e n d i s t s o n a c h f e s t z u s t e l l e n , d a ß k e i n e M ö g l i c h k e i t besteht, n a c h R e c h t s k r a f t des S t r a f b e f e h l s eine E i n z i e h u n g des d e m B r u d e r des T ä t e r s g e h ö r i g e n G e w e h r s zu e r r e i c h e n . (Siehe auch E. 19, 45; 53, 124.) I V . Wie wäre die Rechtslage bezüglich eines objektiven Verfahrens, wenn das Gewehr dem Täter selbst gehört hätte? 1. Auf § 295 StGB kann das objektive Verfahren schon deshalb nicht gestützt werden, weil diese Bestimmung — wie oben in Abschn. I I I 3b ausgeführt —• nur n e b e n einer Strafe, aber n i c h t s e l b s t ä n d i g zur Anwendung kommen kann. 2. Auf § 40 StGB, der durch § 295 nicht ausgeschlossen wird, könnte das objektive Verfahren an sich gestützt werden, da diese Bestimmung gemäß §42d StGB auch s e l b s t ä n d i g zur Anwendung kommen kann. Bei den Ausführungen zu Abschn. I I I wurde eine Anwendung des § 40 StGB im objektiven Verfahren auch nur deshalb abgelehnt, weil § 40 StGB voraussetzt, d a ß der einzuziehende Gegenstand einem Täter oder Teilnehmer gehört. Diese Voraussetzungen lagen jedoch bei dem Sachverhalt der Frage 3 nicht vor. Es liegt daher nahe, bei der jetzt zu entscheidenden Abwandlung des Sachverhalts, derzufolge das Gewehr dem Täter selbst gehört, eine Einziehung gemäß §§40, 42 StGB i. V. mit § 430 fr. für zulässig zu erachten. Dem steht jedoch entgegen, daß es sich bei § 40 StGB — anders als im Falle des § 295 StGB •—• nicht nur u m eine polizeiliche Sicherungsmaßregel, sondern u m eine e c h t e N e b e n s t r a f e handelt, da die Einziehung nur bei tätereigenen Gegenständen möglich ist (vgl. PettersPreisendanz, Strafgesetzbuch, 25. Aufl. Vorbem. 3c vor § 13, § 40 Anm. 1). Damit unterliegt die Einziehung gemäß § 40 StGB dem Grundsatz des ,,ne b i s i n i d e m " , der nicht nur ein neues Strafverfahren, sondern auch die Einleitung eines objektiven Verfahrens ausschließt, soweit dieses — wie im vorliegenden Fall — nicht nur auf eine Sicherungsmaßregel, sondern auf eine Nebenstrafe abzielt (vgl. E. 14, 169). 3. Abgesehen davon scheidet das objektive Verfahren im vorliegenden Falle auch schon deshalb aus, weil in § 42 StGB als Voraussetzung f ü r das selbständige Verfahren verlangt wird, d a ß die Verfolgung oder die Verurteilung einer bestimmten Person n i c h t a u s f ü h r b a r ist, z. B. wegen Tod, Abwesenheit, Unbekanntheit, dauernder Geisteskrankheit des Täters oder Verjährung (E. 8, 350 und 238).

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II. Teil: Lösungen

Von einer „Nichtdurchführbarkeit" kann aber nicht gesprochen werden, wenn die Verfolgung und die Verurteilung einer bestimmten Person stattgefunden hat; denn der Zweck des § 42 StGB ist nur der, der Strafgewalt die nötige Handhabe zu gewähren, dem Gesetz selbst dann Genüge zu verschaffen, wenn aus zufälligen Umständen rechtlicher oder tatsächlicher Natur die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht erfolgen konnte (E. 8, 349). Hat dagegen die Verurteilung einer bestimmten Person stattgefunden, so bedarf es einer solchen Handhabe nicht, da alsdann die Möglichkeit gegeben war, die in § 40 StGB bestimmte Nebenstrafe im Urteil bzw. Strafbefehl gegen den Täter auszusprechen (E. 66, 419). V. Wie wäre die Rechtslage, wenn das Gewehr d e m Landwirt gehört hätte und dieser vor Einleitung eines Strafverfahrens gestorben wäre ? 1. Wäre der Täter v o r Erlaß des Strafbefehls g e s t o r b e n , so stünden der Einleitung eines Verfahrens auf Einziehung des ihm gehörigen Gewehrs gemäß §§42 StGB und 430 StPO k e i n e B e d e n k e n entgegen, da wie schon oben erwähnt, § 40 StGB nicht durch § 295 StGB ausgeschlossen wird (E. 19, 49). 2. Allerdings ist das in § 40 StGB aufgestellte Erfordernis, daß die einzuziehenden Gegenstände dem T ä t e r oder einem Teilnehmer g e h ö r e n müssen, regelmäßig auf den Z e i t p u n k t der im objektiven Verfahren erfolgenden U r t e i l s f ä l l u n g zu beziehen. Dieser Grundsatz kann aber dann nicht Platz greifen, wenn der Täter bereits vorher g e s t o r b e n ist und dadurch das Eigentum an dem Gegenstand auf seine Erben übergegangen ist, denn sonst wäre die selbständige Einziehung gemäß §§ 40, 42 StGB im Falle des Todes des Täters überhaupt nicht statthaft. Es muß daher in einem solchen Falle genügen, wenn dem Täter das Eigentum bis zu seinem Tode zugestanden hat. (E. 53, 181; siehe aber E. 16, 116.) Nachtrag: Für das o b j e k t i v e S t r a f v e r f a h r e n gelten im übrigen folgende Bestimmungen : 1. Der A n t r a g wird seitens der Staatsanwaltschaft oder des Privatklägers bei dem G e r i c h t gestellt, welches für den Fall der Verfolgung einer bestimmten Person zuständig sein würde. Die Entscheidung über den Antrag erfolgt durch Urteil auf Grund mündlicher Verhandlung, wenn die Staatsanwaltschaft oder einer der in §431 I I genannten Beteiligten einen entsprechenden Antrag stellt oder wenn das Gericht eine mündliche Verhandlung für erforderlich hält (§431 I). 2. Die H a u p t v e r h a n d l u n g erfolgt in einem Termin, der ohne besonderen Gerichtsbeschluß vom Vorsitzenden anzuberaumen ist. Auf die Verhandlung finden die Grundsätze des ordentlichen Verfahrens (Besetzung des Gerichts, Öffentlichkeit, Beweisaufnahme) Anwendung (§431).

Fall 15

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Zur Hauptverhandlung sind Personen, die einen rechtlichen Anspruch auf den Gegenstand der Einziehung usw. haben (die sog. Einziehungsbeteiligten), also vor allem der Eigentümer des Gegenstandes zu laden (§431 II), vorausgesetzt, daß der Anspruch mindestens g l a u b h a f t gemacht wird (siehe BGH 2, 295). Diese Personen, die sich durch einen Verteidiger vertreten lassen können, können nicht ab Zeugen vernommen werden (E. 46, 88); sie haben die Befugnisse des Angeklagten (§ 431 Abs. 3 Satz 1). Hieraus folgt, daß ihnen auch das Recht auf ausdrückliche Erteilung des letzten Worts zusteht (BGH 17, 28, 33). 3. Wird kein A n t r a g auf m ü n d l i c h e V e r h a n d l u n g gestellt und hält auch das Gericht eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich, so entscheidet das Gericht im schriftlichen Verfahren nach Anhörung der Staatsanwaltschaft und der Beteiligten durch Beschluß (§ 431 IV). Diese durch das dritte Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. 8. 1953 neu eingefügte Regelung erleichtert das Verfahren vor allem für den in der Praxis sehr häufigen Fall, daß die Beteiligten unbekannt oder nicht auffindbar sind. 4. Das U r t e i l lautet entweder auf E i n z i e h u n g usw. der betreffenden Gegenstände oder, falls der Antrag für unzulässig oder unbegründet befunden wird, auf Z u r ü c k w e i s u n g desselben. Da nicht über eine Schuldfrage zu entscheiden ist, genügt einfache Stimmenmehrheit (§ 196 I GVG). 5. Zur Ergreifung der R e c h t s m i t t e l im objektiven Verfahren sind nach § 432 nur die Staatsanwaltschaft und die in § 431 näher bezeichneten Einziehungsinteressenten berechtigt, auch wenn sie in dem Verfahren des ersten Rechtszugs noch nicht als solche aufgetreten waren. (Siehe hierzu E. 66, 419.)

ZU FALL 15 A. Vorbemerkung: Das Wiederaufnahmeverfahren I . Ein durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenes Verfahren kann unter gewissen Voraussetzungen wieder aufgenommen werden. Die „ W i e d e r a u f n a h m e des V e r f a h r e n s " ist k e i n R e c h t s m i t t e l ; von diesen unterscheidet sie sich dadurch, daß sie nicht auf solche, in dem angefochtenen Urteil enthaltene Fehler gegründet werden kann, welche sich lediglich als r e c h t l i c h e darstellen, daß sie sich vielmehr — abgesehen von dem absoluten Wiederaufnahmegrund unter Z. 3 der §§ 359 und 362 — g e g e n d i e B e w e i s g r u n d l a g e n des U r t e i l s richtet. II. Die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens ist allein zu dem Z w e c k e in die Strafprozeßordnung aufgenommen, um da, wo die G e r e c h t i g k e i t es gebietet, die formell unanfechtbare Entscheidung vor allem der S c h u l d f r a g e von neuem zur Erörterung zu bringen (E. 19, 323) und dadurch den Widerspruch zwischen der durch das rechtskräftige Urteil geschaffenen f o r m a l e n Rechtslage

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I I . Teil: Lösungen

und der m a t e r i e l l e n Tatlage, die sich nachträglich als nicht der Wahrheit entsprechend herausstellt, zu beseitigen. Z w e c k des W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n s im einzelnen kann sein: 1. Im Falle der vorangegangenen V e r u r t e i l u n g des A n g e k l a g t e n : a ) F r e i s p r u c h , wobei die E i n s t e l l u n g des Verfahrens, die in § 359 Nr. 5 an sich nicht ausdrücklich erwähnt ist, einem Freispruch gleichkommt (vgl. O L G Bamberg N J W 55, 1 1 2 1 ; Schwarz-Kleinknecht § 3 5 9 Anm. 6 B); b ) die Anwendung eines m i l d e r e n Strafgesetzes; c ) die Anwendung eines s t r e n g e r e n Strafgesetzes. 2 . Im Falle der vorausgegangenen F r e i s p r e c h u n g des A n g e k l a g t e n : die Herbeiführung einer Verurteilung. I I I . Ein Wiederaufnahmeverfahren findet n i c h t statt: 1. Zum Zwecke der Ä n d e r u n g des S t r a f m a ß e s a u f G r u n d d e s s e l b e n S t r a f g e s e t z e s , § 363 Abs. 1. (Dies gilt sowohl für § 359 als auch für § 362.) 2. Zu dem Zwecke, eine Milderung der Strafe wegen v e r m i n d e r t e r Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t herbeizuführen, § 363 Abs. 2. 3 . Zu dem Zwecke der Erreichung einer dem Angeklagten g ü n s t i g e r e n B e g r ü n d u n g des freisprechenden Urteils. (Der Angeklagte wurde z. B. wegen Unzurechnungsfähigkeit freigesprochen und erstrebt Freispruch wegen erwiesener Unschuld.) I V . Die Wiederaufnahme findet n u r a u f A n t r a g , der vom Staatsanwalt (auch zugunsten des Verurteilten) oder vom Verurteilten gestellt werden kann, also n i e m a l s von A m t s w e g e n statt. Gemäß § 3 7 3 a ist auch eine Wiederaufnahme gegenüber einem rechtskräftigen S t r a f b e f e h l zulässig. V . Die a l l g e m e i n e n B e s t i m m u n g e n ü b e r R e c h t s m i t t e l , also diejenigen der §§ 296 bis 303, finden auch bei dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens Anwendung (§ 365). Es kann demnach der dem Angeklagten früher bestellte Verteidiger ohne weiteres auch im Wiederaufnahmeverfahren fungieren (§ 297 und E. 22, 97). VI. Die W i e d e r a u f n a h m e im e i n z e l n e n : 1. Z u g u n s t e n und z u u n g u n s t e n des Verurteilten findet die Wiederaufnahme statt, wenn in dem angegriffenen Verfahren gewisse s t r a f b a r e H a n d l u n g e n begangen wurden, nämlich: a ) eine U r k u n d e n f ä l s c h u n g (§§ 359 Nr. i, 362 Nr. 1), und zwar genügt schon der Gebrauch einer falschen Urkunde schlechthin, mag sie der Gebrauchende auch für echt gehalten haben,

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b ) eine strafbare E i d e s v e r l e t z u n g bzw. eine vorsätzlich falsche u n eidliche Aussage eines Zeugen oder Sachverständigen (§§ 359 N r . 2, 362 N r . a), c) eine kriminell strafbare A m t s p f l i c h t v e r l e t z u n g e i n e s R i c h t e r s , z . B . eine R i c h t e r b e s t e c h u n g n a c h § 3 3 4 StGB oder eine R e c h t s b e u g u n g nach § 336 StGB, vorausgesetzt, d a ß diese strafbare H a n d l u n g , soweit sie zugunsten des Verurteilten begangen w u r d e (§359), nicht von diesem direkt oder indirekt veranlaßt wurde. I m übrigen ist es g l e i c h g ü l t i g , o b die Amtspflichtverletzung des Richters irgendeinen E i n f l u ß a u f d i e E n t s c h e i d u n g g e h a b t h a t (siehe § 3 7 0 ) ; es liegt also hier ein a b s o l u t e r W i e d e r a u f n a h m e g r u n d vor. (NB. N u r die s t r a f b a r e Pflichtverletzung eines R i c h t e r s , nicht eine solche des Staatsanwalts, des U r kundsbeamten oder des Verteidigers k o m m t hier in Frage.) 2. Z u g u n s t e n des Verurteilten findet die W i e d e r a u f n a h m e statt, w e n n n e u e T a t s a c h e n u n d B e w e i s m i t t e l beigebracht werden (§ 359 Nr. 5). Siehe hierzu die Erörterung u n t e n in Abschn. I I , 1 b. (NB. Der Fall des § 359 N r . 4 spielt in der Praxis eine geringe Rolle. Siehe hierzu Fall 18, Abschn. A I 4, S, 208.) 3 . Z u u n g u n s t e n des Verurteilten findet ferner die W i e d e r a u f n a h m e statt, w e n n der F r e i g e s p r o c h e n e vor Gericht oder außergerichtlich ein glaubwürdiges G e s t ä n d n i s der strafbaren H a n d l u n g ablegt (§ 362 N r . 4). V I I . M i t N r . 1 u n d 2 der §§ 359, 362 können a u c h solche Beweisgrundlagen angegriffen werden, welche die S c h u l d f r a g e n i c h t b e r ü h r e n , insbesondere auch diejenigen, welche die Z u l ä s s i g k e i t d e r S t r a f v e r f o l g u n g betreffen; z. B. k a n n das Wiederaufnahmeverfahren darauf gestützt werden, d a ß das Schriftstück, welches d e n zur Strafverfolgung erforderlichen A n t r a g enthielt, oder das Protokoll, welches einen die Verj ä h r u n g unterbrechenden Akt beurkundet, sich als fälschlich angefertigt erweist. I m übrigen ist in den Fällen der N r . 1 u n d 2 — im Gegensatz zu d e m Falle der Nr. 3 (Richterbestechung u n d Rechtsbeugung) — i m m e r V o r aussetzung, d a ß die Beweismittel einen E i n f l u ß a u f d i e E n t s c h e i d u n g , u n d zwar im Falle des § 359 einen d e m Verurteilten ungünstigen u n d i m Falle des § 362 einen f ü r den Verurteilten günstigen Einfluß gehabt h a b e n . (Siehe § 370 I 2. Halbsatz.) V I I I . Weder eine schon vollzogene S t r a f v o l l s t r e c k u n g noch der T o d des Verurteilten schließen eine W i e d e r a u f n a h m e des Verfahrens aus (§361 I). (NB. Die Vollstreckung des Urteils wird d u r c h den Wiedera u f n a h m e a n t r a g nicht g e h e m m t ; es ist aber Aufschub bzw. U n t e r b r e c h u n g der Vollstreckung möglich, siehe § 360.) I X . A u s n a h m s w e i s e findet s o f o r t , d . h . ohne E r n e u e r u n g der H a u p t verhandlung, eine Sachentscheidung statt, u n d zwar in folgenden z w e i Fällen (§371): Petters-Prelsendanz, Sttafprozeßfälle, 8. Aufl.

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I I . Teil: Lösungen

1. Wenn der Verurteilte bereits v e r s t o r b e n ist. Eine Entscheidung kann in diesem Falle in d o p p e l t e r Form ergehen (§ 371 I ) : a) Entweder ist unter Aufhebung des früheren Urteils auf F r e i s p r e c h u n g zu erkennen, oder b) falls dies nicht möglich ist, auf A b l e h n u n g d e s A n t r a g s , und zwar in beiden Fällen, da die Entscheidung außerhalb der Hauptverhandlung erfolgt, ohne Z u z i e h u n g v o n L a i e n r i c h t e r n , d.h. es entscheidet der Amtsrichter ohne Schöffen und die Strafkammer in der Besetzung von drei Mitgliedern. A n t r a g s b e r e c h t i g t sind in diesem Falle gemäß § 361 I I der Ehegatte, die Verwandten auf- und absteigender Linie sowie die Geschwister des Verstorbenen. (NB. Das Antragsrecht des Staatsanwalts wird durch § 361 I I nicht berührt.) 2. Es kann ferner auch bei einem l e b e n d e n Verurteilten ohne Erneuerung der Hauptverhandlung s o f o r t sachlich entschieden werden, wenn a) das vorliegende Beweismaterial so e i n d e u t i g ist, daß der Verurteilte sofort f r e i g e s p r o c h e n werden kann, u n d b) bei öffentlicher Klage die S t a a t s a n w a l t s c h a f t z u s t i m m t . Auch in diesem Falle erfolgt die Entscheidung ohne Zuziehung von Laienrichtern, und zwar durch B e s c h l u ß , n i c h t d u r c h U r t e i l , da ein Urteil immer eine mündliche Verhandlung und eine öffentliche Verkündung voraussetzt (BGH 8, 383). (Der Fall des § 371 II wird z. B. vorliegen, wenn wegen derselben T a t nachträglich eine a n d e r e P e r s o n rechtskräftig verurteilt wurde, so daß an der Unschuld des früher Verurteilten kein Zweifel bestehen kann, oder wenn Verurteilung erfolgt war ausschließlich auf Grund einer Zeugenaussage, deretwegen der Zeuge wegen Meineids verurteilt wurde. Siehe Löwe-Rosenberg Anm. 3 zu § 371.) X . Erfolgt F r e i s p r u c h im Wiederaufnahmeverfahren, so muß nach dem Gesetz betr. die E n t s c h ä d i g u n g der im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochenen Personen vom 20. Mai 1898 mit Änderung vom 24. November 1933 zugleich ein B e s c h l u ß darüber ergehen, ob dem Angeklagten eine Entschädigung aus der Staatskasse zu gewähren ist. Die Voraussetzungen entsprechen denen der Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft. (Siehe Nachtrag I I zu Fall 18, S. 225.) X I . Uber den V e r l a u f d e s W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n s siehe Nachtrag 1 zu der jetzt folgenden Lösung des Falles. B. Lösung d e s Falles I. Die F o r m des A n t r a g s 1. Der Antrag, der auch n a c h V e r b ü ß u n g der Strafe und, wie oben erwähnt, sogar auch n a c h d e m T o d e des Verurteilten (im letzteren Falle durch die nächsten Angehörigen, siehe §§361 II, 371) gestellt werden

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kann, kann nach § 366 I I nur mittels einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu P r o t o k o l l d e r G e s c h ä f t s s t e l l e angebracht werden (wie § 345 II). Ist der Verurteilte in H a f t , so kann er gemäß §§ 365, 299 den Antrag zu Protokoll der Geschäftsstelle des Gerichts geben, in dessen Bezirk die Anstalt liegt, in der er auf behördliche Anordnung verwahrt wird, während i n a l l e n ü b r i g e n F ä l l e n zur Aufnahme des P r o t o k o l l s nur die Geschäftsstelle des Gerichts zuständig ist, welches das den Gegenstand des Wiederaufnahmeantrags bildende Urteil erlassen hat. D e r A n t r a g h ä t t e also bei der G e s c h ä f t s t e l l e des A m t s gerichts K a r l s r u h e gestellt werden müssen. 2. Der zu Protokoll der Geschäftsstelle angebrachte Antrag m u ß v o l l s t ä n d i g in dieses aufgenommen werden. Es ist nicht statthaft, von dem Antragsteller ein Schriftstück entgegenzunehmen und in dem Protokoll auf dasselbe zu verweisen. Mit der Ausschließung der formlosen Begründung u n d mit der Zulassung der Protokollierung durch die Geschäftsstelle verfolgt das Gesetz den Zweck, d a ß der Urkundsbeamte das ihm Vorgetragene nach Form und Inhalt prüft, den Antragsteller belehrt und so zwecklose Belästigungen der Gerichte verhütet (vgl E. 52, 277). Eine als Revisionsbegründung oder Wiederaufnahmeantrag dem Urkundsbeamten übergebene Schrift genügt ausnahmsweise nur d a n n den Formvorschriften der §§ 345 Abs. 2, 366 Abs. 2, wenn ihr Inhalt vor der Niederschrift mit dem Urkundsbeamten besprochen sowie bei Ubergabe von diesem erneut erörtert, geprüft, gebilligt und schließlich unterzeichnet wird (vgl. O L G Köln J R 57, 308 sowie Schwarz-Kleinknecht Einl. 5 E e). Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier nicht vor. D e r F o r m v o r s c h r i f t ist also a u c h in d i e s e r B e z i e h u n g n i c h t g e n ü g t (siehe auch E. 64, 63).

II. Der Inhalt des Antrags 1. D i e a n g e b l i c h e f a l s c h e A u s s a g e d e s Z e u g e n K a i s e r . a) Auf § 3 5 9 Nr. 2 kann sich der Antragsteller nicht stützen, da gemäß §364 erst eine r e c h t s k r ä f t i g e V e r u r t e i l u n g wegen der die Wiederaufnahme begründenden strafbaren Handlung vorliegen muß, bevor der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zulässig ist; die rechtskräftige Verurteilung bildet die Grundlage des Antrags. b) Es erhebt sich aber die Frage, ob Brandel mit seiner ersten Begründung auf § 359 Nr. 5 ( n e u e T a t s a c h e n o d e r B e w e i s m i t t e l ) mit Erfolg Bezug nehmen kann. aa) D a ß es sich im v o r l i e g e n d e n F a l l e bei der von Brandel vorgebrachten Tatsache, der Hauptbelastungszeuge Kaiser habe an dem fraglichen Tage seine Wohnung überhaupt nicht verlassen, u m eine solche Tatsache handelt, die geeignet ist, eine von dem Urteil des Karlsruher Amtsrichters abweichende Entscheidung der S c h u l d f r a g e (es käme d a n n evtl. Notwehr in Frage) herbeizuführen (das beschließende Gericht m u ß dabei die Frage prüfen, ob die Tatfrage anders, als geschehen, zu ent-

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scheiden gewesen wäre, wenn das Beweismoment schon dem erkennenden Richter vorgelegen hätte) unterliegt keinem Zweifel. Es sei ferner unterstellt, d a ß die Tatsache „ n e u " ist, d . h . dem früher erkennenden Gericht nicht bekannt war, bei der Entscheidung also nicht berücksichtigt werden konnte. bb) Die lange streitig gewesene Frage, ob die Geltendmachung neuer Tatsachen und Beweismittel zur Erschütterung einer den Verurteilten belastenden Zeugenaussage ebenfalls durch § 364 eingeschränkt wird, ist heute durch § 364 S. 2 geklärt. Dieser durch das dritte Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. 8. 1953 neu eingeführten Regelung zufolge ist die Anführung neuer Tatsachen und Beweismittel, insbesondere n e u e r Z e u g e n z u g u n s t e n d e s V e r u r t e i l t e n , nicht davon abhängig, daß die bisherigen Belastungszeugen wegen Verletzung ihrer Zeugenpflichten rechtskräftig verurteilt wurden. Das gilt selbst dann, wenn für den Fall, daß die neu vorgetragenen Tatsachen sich erweisen lassen, ein früherer Zeuge vorsätzlich oder fahrlässig die Unwahrheit gesagt haben muß. Dieser Ausschluß der einschränkenden Bestimmung des § 364 S. 1 bringt für den Verurteilten eine wesentliche Erleichterung, da der Nachweis einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Falschaussage erfahrungsgemäß äußerst schwierig, vor allem aber zeitraubend ist. c) W i r k o m m e n s o m i t z u d e m E r g e b n i s , d a ß B r a n d e l m i t s e i n e m e r s t e n W i e d e r a u f n a h m e g r u n d , was s e i n e n I n h a l t anl a n g t , d i e Z u l a s s u n g d e s A n t r a g s g e m ä ß § 368 e r r e i c h e n müßte. 2. D i e A n f e c h t u n g d e s i n d e r H a u p t v e r h a n d l u n g a b g e g e benen Gutachtens. a ) An sich ist der S a c h v e r s t ä n d i g e ein B e w e i s m i t t e l i. S. der StPO, also auch i. S. des § 359 Z. 5. I n Frage kann also nur kommen, ob im Einzelfall der Sachverständigenbeweis ein e r h e b l i c h e s n e u e s B e w e i s m i t t e l , d . h . geeignet ist, eine von dem Urteil abweichende Entscheidung der Schuldfrage herbeizuführen. Entscheidend ist dabei der Standpunkt des erkennenden Gerichts, d. h. des Richters, der den Angeklagten rechtskräftig verurteilt hat (vgl. BGH 18, 226 m. weit. Nachweisen). Die Frage, ob das neue Beweismittel vom Standpunkt des früheren Richters aus eine abweichende Beurteilung der Sachlage herbeizuführen vermag, wird der erneut mit der Sache befaßte Richter (der mit dem früheren nicht identisch sein darf, vgl. § 23 Abs. 2 n. F.) nach f r e i e r U b e r z e u g u n g verneinen können, wenn er entweder glaubt, zu einer selbständigen abschließenden Beurteilung der Frage imstande zu sein, oder wenn er annimmt, d a ß sie durch ein schon früher erstattetes Gutachten hinreichend entschieden ist (E. 57, 158). Es ist somit in der Regel die Bezeichnung eines a n d e r e n Sachverständigen n i c h t als Beibringung eines n e u e n B e w e i s m i t t e l s anzusehen, es sei denn, d a ß in dem Wiederaufnahmeantrag die Behauptung einer n e u e n T a t s a c h e enthalten ist. Dies wird namentlich d a n n der Fall sein, wenn sich auf dem Gebiet, auf das sich das Gutachten des vernommenen

Fall 15

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Sachverständigen bezieht, nach allgemeinen Begriffen ein W e c h s e l in d e n h e r r s c h e n d e n A n s c h a u u n g e n vollzogen hat, d.h. wenn das seither Anerkannte und scheinbar Unanfechtbare durch das Ergebnis n e u e r F o r s c h u n g e n überholt worden ist oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen des früheren Gutachters überlegen erscheinen. (Siehe hierzu § 244 I V Satz 2, erörtert in Abschnitt I I 2 des Nachtrags zu diesem Fall.) F ü r den vorliegenden F a l l gelangen wir auf G r u n d dieser a l l g e m e i n e n E r ö r t e r u n g e n z u n ä c h s t zu f o l g e n d e m E r g e b n i s : Im Hinblick darauf, daß der Amtsrichter seiner Entscheidung über die Zurechnungsfähigkeit ein „ausführlich begründetes Gutachten des Gerichtsarztes" zugrunde gelegt hatte, mußte dem Wiederaufnahmeantrag des Brandel, soweit er die B e n e n n u n g eines n e u e n S a c h v e r s t ä n d i g e n zum Gegenstand hat, der Erfolg versagt bleiben. Der Antrag wäre daher, wenn kein anderer Wiederaufnahmegrund vorgebracht worden wäre, gemäß § 368 zu v e r w e r f e n , da in ihm „kein geeignetes Beweismittel angeführt ist." b) Sollte der Amtsrichter aber aus irgendeinem hier nicht interessierenden Grunde zu der Überzeugung gelangen, daß zur Verbescheidung des Wiederaufnahmeantrags ein w e i t e r e s G u t a c h t e n e r f o r d e r l i c h sei, dann würden sich bezüglich des Vorbringens des Brandel f o l g e n d e M ö g l i c h k e i t e n ergeben: aa) Würde der neue Sachverständige Dr. Blum zu dem Ergebnis kommen, daß Brandel u n z u r e c h n u n g s f ä h i g i. S. des § 51 Abs. 1 StGB gewesen ist, und würde sich der Amtsrichter diesem neuen Gutachten anschließen, dann läge ein n e u e s B e w e i s m i t t e l vor, das im Hinblick auf den Schuldausschließungsgrund des § 5 1 Abs. 1 StGB die F r e i s p r e c h u n g des Angeklagten zu begründen geeignet wäre (§ 359 Nr. 5). bb) Würde Dr. Blum lediglich feststellen können, daß bei Brandel eine v e r m i n d e r t e Zurechnungsfähigkeit vorgelegen habe, dann wäre die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 363 Abs. 2 a u s g e s c h l o s s e n . Der Wiederaufnahmeantrag müßte gemäß § 370 Abs. 1 als u n b e g r ü n d e t abgelehnt werden (Rechtsmittel: sofortige Beschwerde, §372). cc) Käme der neue Sachverständige Dr. Blum bei der Begutachtung des Brandel zu dem Ergebnis, daß weder die Voraussetzungen des Abs. 1 noch diejenigen des Abs. 2 des § 51 StGB vorliegen, daß aber vom ärztlichen Standpunkt aus dem Brandel m i l d e r n d e U m s t ä n d e zuzubilligen seien, dann wäre der Fall des § 363 I gegeben. Hier wird ausdrücklich eine Wiederaufnahme (zugunsten und zuungunsten des Angeklagten) z u m Z w e c k e e i n e r a n d e r e n S t r a f b e m e s s u n g i n n e r h a l b dess e l b e n S t r a f g e s e t z e s herbeizufuhren, für a u s g e s c h l o s s e n erklärt. (Daß die Frage, ob mildernde Umstände vorhanden sind, lediglich in den Bereich der S t r a f z u m e s s u n g fällt, die Annahme derselben die strafbare Handlung also nicht zu einer anderen macht und nicht die Anwendung eines anderen „milderen" Strafgesetzes zur Folge hat, ist zweifelsfrei; die mildernden Umstände sind lediglich privilegierte Strafzumessungsgründe.

II. Teil: Löstingen Als ein „ a n d e r e s S t r a f g e s e t z " i. S. des § 363 I kommt vor allem der R ü c k f a l l in §§ 244, 261, 264 StGB gegenüber §§ 242, 259, 263 StGB in Frage. Die Wiederaufnahme des Verfahrens kann also darauf gestützt werden, daß die Voraussetzungen des Rückfalls zu Unrecht als vorliegend bzw. nicht als vorliegend erachtet worden seien.) (NB. Bei A n w e n d u n g des § 359 Nr. 5 ist noch f o l g e n d e s zu bea c h t e n : Ist festgestellt, daß ein „milderes Strafgesetz" in Frage kommen kann, so ist die Zulässigkeit der Wiederaufnahme noch davon abhängig, ob von letzterer auch in Ansehung der S t r a f e ein praktischer Erfolg zugunsten des Verurteilten zu erwarten ist; b e i d e Ergebnisse, die Anwendbarkeit des milderen Strafgesetzes u n d die Wahrscheinlichkeit einer Strafmilderung, müssen zusammentreffen. Die Wiederaufnahme findet also n i c h t statt, wenn trotz der Anwendung des milderen Strafgesetzes entweder die erkannte Strafe aufrechterhalten werden müßte, oder doch ihre Aufrechterhaltung zulässig wäre u n d dieselbe von dem beschließenden Gericht nach Lage der Sache auch für angemessen erachtet wird; über die Frage, ob eine geringere Strafe zu erwarten ist, entscheidet das über die Wiederaufnahme beschließende Gericht nach freiem Ermessen (vgl. LöweRosenberg, Anmerkung 20 b zu § 359.)

III. Der Gerichtsbeschluß 1. Die Z u s t ä n d i g k e i t Nach § 367 Abs. 1 Satz 1 entscheidet grundsätzlich das Gericht, dessen Urteil mit dem Antrag angefochten wird. Dies ist im vorliegenden Fall das Amtsgericht Karlsruhe. (NB. Sind Urteile v e r s c h i e d e n e r R e c h t s z ü g e ergangen, so gilt folgendes: a) Hat zuletzt das B e r u f u n g s g e r i c h t entschieden, so ist grundsätzlich dieses zuständig, es sei denn, daß die Berufung nur als unzulässig oder gemäß § 329 Abs. 1 verworfen wurde oder daß das Berufungsgericht infolge Rechtsmittelbeschränkung nur mit der Straffrage befaßt war. In diesen Fällen entscheidet das Amtsgericht über den Wiederaufnahmeantrag, vgl. OLG Celle J R 60, 229 m. weit. Nachw. b) Hat zuletzt das R e v i s i o n s g e r i c h t entschieden, so ist dieses nur dann zuständig, wenn der Wiederaufnahmeantrag auf § 359 Nr. 3 bzw. § 362 Nr. 3 gestützt ist. In allen übrigen Fällen entscheidet das Gericht, dessen Urteil mit der Revision angefochten war, vgl. § 367 Abs. 1 Satz 2.) 2. Der A m t s r i c h t e r in K a r l s r u h e w i r d also n a c h A n h ö r u n g d e r S t a a t s a n w a l t s c h a f t s e i n e E n t s c h e i d u n g d a h i n treffen, d a ß der A n t r a g des J o s e f B r a n d e l a l s u n z u l ä s s i g g e m ä ß § 368 zu v e r w e r f e n ist, da er n i c h t in d e r v o r g e s c h r i e b e n e n F o r m a n g e b r a c h t w u r d e . Die K o s t e n t r ä g t d e r A n t r a g s t e l l e r . (NB. Sowohl der den Antrag zulassende als auch der ihn verwerfende Beschluß kann mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden, § 372.)

Fall 15

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Bei nur unvollständigem Antrag oder einem anderen l e i c h t z u b e h e b e n d e n M a n g e l kann das Gericht, statt den Antrag alsbald zu verwerfen, zunächst den Antragsteller unter Bestimmung einer Frist zur V e r v o l l s t ä n d i g u n g auffordern. Ein solches Verfahren wird sich in den geeigneten Fällen um so mehr empfehlen, als der Antragsteller jederzeit befugt ist, einen verworfenen Antrag nach Behebung des betreffenden Mangels zu erneuern. (Siehe Löwe-Rosenberg, Anm. 5 zu § 368.)

Nachtrag 1 Allgemeines über den Verlauf des Wiederaufnahmeverfahrens 1. Das Gericht hat zunächst darüber zu entscheiden, ob der Antrag z u l ä s s i g ist. a) Ist der Antrag nicht in der vorgeschriebenen F o r m (siehe oben Abschn. I) angebracht oder ist k e i n g e s e t z l i c h e r G r u n d der Wiederaufnahme geltend gemacht oder sind k e i n e g e e i g n e t e n B e w e i s m i t t e l angeführt (z.B. weil sie nicht n e u sind), so ist der Antrag — nach Anhörung der Staatsanwaltschaft gemäß §33 — als u n z u l ä s s i g z u v e r w e r f e n (§368). b) Andernfalls wird der Antrag f ü r z u l ä s s i g e r k l ä r t (§ 369 I). 2. Das Gericht hat nunmehr in die Prüfung der Frage einzutreten, ob der Antrag b e g r ü n d e t ist. Da in der Praxis die meisten Wiederaufnahmeanträge auf § 359 Nr. 5 (neue Tatsachen und Beweismittel) gestützt werden, wird das Gericht in der Regel nicht sofort die Wiederaufnahme des Verfahrens anordnen, sondern gemäß § 369 Abs. 1 durch einen beauftragten oder ersuchten Richter die notwendigen Erhebungen vornehmen lassen. (Handelt es sich um das Urteil eines Amtsrichters, dann wird in der Regel dieser selbst die Erhebungen vornehmen.) Für die Beweiserhebung gelten, soweit § 369 nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt, dieselben Grundsätze wie für die Beweisaufnahme in der H V . E i d e s s t a t t l i c h e V e r s i c h e r u n g e n sind daher u n z u l ä s s i g und wirkungslos (BGH 17,303). 3. Kommt das Gericht auf Grund dieser Erhebungen zu dem Ergebnis, daß der A n t r a g n i c h t b e g r ü n d e t ist (weil z.B. die vom Verurteilten benannten Zeugen dessen Behauptungen nicht bestätigen konnten), dann wird der Antrag, nachdem Staatsanwaltschaft und Antragsteller (Verurteilter) gemäß § 369 Abs. 4 vorher gehört wurden, als u n b e g r ü n d e t v e r w o r f e n (§ 370 Abs. 1). E b e n s o ist z u e n t s c h e i d e n , wenn die in §§ 359 Nr. 1 und 2, 362 Nr. 1 und 2 genannten strafbaren Handlungen offensichtlich k e i n e n E i n f l u ß auf das Urteil gewonnen haben. Die durch Zurückweisung der sofortigen Beschwerde gegen diesen Beschluß (siehe § 372) oder durch Ablauf der Beschwerdefrist eintretende R e c h t s k r a f t des Beschlusses hat zur Folge, daß auf d i e s e l b e n Tatsachen und Beweismittel ein n e u e r A n t r a g n i c h t gestützt werden kann (vgl. K M R §372 Anm. 6; Schwarz-Kleinknecht §372 Anm. 2 sowie Fall 12 Abschn. A IV 5 a. E.).

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II. Teil: Lösungen

4. Ist der Antrag b e g r ü n d e t , so verfugt das Gericht die W i e d e r a u f n a h m e d e s V e r f a h r e n s u n d die E r n e u e r u n g d e r H a u p t v e r h a n d l u n g (§ 370 Abs. 2). Dieser Beschluß bildet die G r u n d l a g e d e s W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n s . Durch ihn wird das rechtskräftige Urteil beseitigt und eine neue Hauptverhandlung nötig gemacht, deren Grundlage die Anklageschrift bildet u n d die gegenüber der früheren Hauptverhandlung v ö l l i g s e l b s t ä n d i g ist, d . h . mit ihr (mit Ausnahme der in § 373 Abs. 2 getroffenen Bestimmung des V e r b o t s d e r r e f o r m a t i o i n p e i u s ) in keinem inneren verfahrensrechtlichen Zusammenhang steht (E. 58, 52). Das neu erkennende Gericht hat insbesondere die Frage der Zulässigkeit des Wiederaufnahmeantrags nicht mehr zu prüfen, auch nicht, wenn die Entscheidung von einem unzuständigen Gericht getroffen wurde; das neue Gericht hat n u r i n d e r S a c h e s e l b s t z u e n t s c h e i d e n . Ebenso wie der Eröffnungsbeschluß die notwendige Grundlage der Hauptverhandlung bildet dergestalt, d a ß ein Urteil, das erlassen wurde, obgleich ein Eröffnungsbeschluß nicht ergangen war, der Aufhebung unterliegt, so kann auch das im wiederaufgenommenen Verfahren ergangene Urteil nicht zu Recht bestehen, wenn ihm ein B e s c h l u ß nach § 370 n i c h t v o r a u s g e g a n g e n ist (E. 35, 351). 5. Die erneute Hauptverhandlung endet nach § 373 I a) mit der A u f r e c h t e r h a l t u n g des früheren Urteils, wenn das Gericht zu dem gleichen Ergebnis wie das erste Urteil gelangt (siehe E. 57, 317), b) mit der A u f h e b u n g des früheren Urteils und einer anderweitigen Entscheidung, wenn das Gericht zu einem anderen Ergebnis kommt. Die W i r k u n g e n des f r ü h e r e n U r t e i l s sind n a c h M ö g l i c h k e i t rückg ä n g i g z u m a c h e n (z.B. durch Erstattung bezahlter Geldstrafen und Kosten). Wird in dem neuen Urteil wiederum auf Strafe erkannt, so ist eine bereits vollstreckte Strafe auf die neue Strafe a n z u r e c h n e n . D a ß für das neue Urteil das V e r b o t d e r r e f o r m a t i o i n p e i u s gilt, wurde bereits erwähnt. 6. Gegen das n e u e Urteil sind die R e c h t s m i t t e l z u l ä s s i g (siehe hierzu E. 77, 282), die gegen das Ursprungsurteil zulässig gewesen wären, d . h . gegen das Urteil, gegen das die Wiederaufnahme beantragt worden ist. 7. Wegen des Gesetzes betreffend die Entschädigung der im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochenen Personen vgl. Nachtrag I zu Fall 18, S. 224.

Nachtrag 2 Der Sachverständige I . S a c h v e r s t ä n d i g e s i n d d r i t t e P e r s o n e n , die mittels eines Gutachtens dem Gericht helfen sollen, Tatsachen, zu deren Beurteilung eine besondere F a c h k u n d e gehört, richtig zu würdigen.

Fall 15

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I I . Der H a u p t u n t e r s c h i e d zwischen dem S a c h v e r s t ä n d i g e n und Z e u g e n liegt in folgendem: 1. Der Z e u g e hat nur über von ihm wahrgenommene tatsächliche Vorgänge auszusagen, während der S a c h v e r s t ä n d i g e über die Schlüsse, die er aus den tatsächlichen Vorgängen zieht, Auskunft zu geben hat. Innerhalb der Tatsachen, auf denen der Sachverständige sein Gutachten aufbaut, den sogen. A n k n ü p f u n g s t a t s a c h e n , sind zwei Gruppen zu unterscheiden: die sogen. B e f u n d t a t s a c h e n und die sogen. Z u s a t z t a t s a c h e n . I m einzelnen: a ) Unter B e f u n d t a t s a c h e n versteht man solche Tatsachen, die von einem Sachverständigen aufgrund seiner besonderen Fachkunde, z. B. von einem medizinischen Sachverständigen aufgrund eines ärztlichen Eingriffs, ermittelt werden. Die Befundtatsachen können durch die g u t a c h t l i c h e n A u s f ü h r u n g e n des Sachverständigen in die Hauptverhandlung eingeführt und vom Gericht uneingeschränkt verwertet werden (vgl. BGH 9, 292; 18, 107, 108). b) Unter Z u s a t z t a t s a c h e n versteht m a n demgegenüber solche Tatsachen, die der Gutachter im R a h m e n seiner Tätigkeit durch Befragung des Angeklagten oder eines Zeugen ermittelt hat u n d zu deren Ermittlung es an sich nicht eines Sachverständigen bedürfte, z. B. wenn ein Psychiater sich von einem Kind, dessen Glaubwürdigkeit er zu prüfen hat, einen Bericht über die häuslichen Verhältnisse geben läßt. Die Zusatztatsachen können nur im Wege des Z e u g e n b e w e i s e s in die Hauptverhandlung eingeführt werden. D e r S a c h v e r s t ä n d i g e m u ß a l s o v o r d e r E r s t a t t u n g seines G u t a c h t e n s als Z e u g e g e h ö r t u n d v e r e i d i g t w e r d e n . Handelt es sich hierbei u m Vorgänge, die der Sachverständige durch die Vernehmung oder Untersuchung eines Zeugen ermittelt hat, der in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, so sind die zu § 252 entwickelten Grundsätze zu beachten. (Siehe hierzu BGH 13, 1; 13, 250; 18, io7f. u n d Nachtrag A zu Fall 3, S. 54 ff-) 2. G e b u n d e n ist der R i c h t e r an das Gutachten des Sachverständigen nur, wenn er von dessen Richtigkeit überzeugt ist, ebenso wie er auch die Aussagen des Zeugen nur zu glauben braucht, wenn er sie für wahrheitsgemäß hält. Nimmt der Sachverständige zu einer R e c h t s f r a g e Stellung, z. B. zu der Frage, ob und in welchem Umfang der Angeklagte zurechnungsfähig ist, so darf das Gericht sich dem Gutachten nicht einfach anschließen; das Gericht entscheidet vielmehr in eigener Verantwortung. Auf jeden Fall aber, also auch wenn das Gericht sich die Auffassung des Sachverständigen zu eigen macht, müssen die Ausführungen des Sachverständigen im Urteil wiedergegeben werden und erkennen lassen, d a ß sie von richtigen rechtlichen Vorstellungen ausgehen (BGH 7, 238). Zur selbstständigen Stellung des Richters zum Sachverständigen siehe auch BGH 8, 113. 3. Während ein Z e u g e n b e w e i s nur nach Maßgabe des § 244 Abs. 3 abgelehnt werden kann, d a r f e i n S a c h v e r s t ä n d i g e n b e w e i s a u c h ab-

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I I . Teil: Lösungen

gelehnt werden, w e n n d a s Gericht selbst die erforderliche S a c h k u n d e besitzt (§ 244 Abs. 4 Satz 1), u n d w ä h r e n d d e r Z e u g e n b e w e i s insbesondere nicht m i t der Begründung abgelehnt werden darf, d a ß d u r c h a n d e r e gehörte Zeugen b e r e i t s d a s G e g e n t e i l d e r z u beweisenden T a t s a c h e bewiesen sei (siehe N a c h t r a g z u Fall 9 Abschn. B I I I , S. 140f.), bestimmt § 244 Abs. 4Satz 2, d a ß ein Beweisantrag auf V e r n e h m u n g eines w e i t e r e n S a c h v e r s t ä n d i g e n a u c h d a n n a b g e l e h n t w e r d e n k a n n , wenn d u r c h d a s frühere G u t a c h t e n d a s G e g e n t e i l d e r b e h a u p t e t e n T a t s a c h e b e r e i t s e r w i e s e n i s t , es s e i d e n n , d a ß die S a c h k u n d e des f r ü h e r e n Gutachters zweifelhaft ist, d a ß sein G u t a c h t e n von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, d a ß d a s G u t a c h t e n Widersprüche enthält oder d a ß d e r neue Sachverständige über Forschungsmittel verfugt, die denen eines f r ü h e r e n Gutachters überlegen erscheinen (siehe N a c h t r a g zu Fall 9 Abschn. B V , S. 142). 4. D e m Sachverständigen k a n n i m G e g e n s a t z z u m Z e u g e n die A k t e n e i n s i c h t sowie die A n w e s e n h e i t w ä h r e n d d e r ganzen H a u p t v e r h a n d l u n g gestattet w e r d e n ; auch k a n n i h m erlaubt werden, a n d e n Beschuldigten u n d die Zeugen unmittelbar Fragen zu stellen (siehe § 80). (Wegen des U m f a n g s d e r Ermessensfreiheit des Gerichts siehe B G H 2, 25.) 5. Gegen einen z u r E r s t a t t u n g d e s G u t a c h t e n s v e r p f l i c h t e t e n S a c h v e r s t ä n d i g e n k a n n sowohl i m Falle des Nichterscheinens als auch bei Weigerung d e r Aussagen eine O r d n u n g s s t r a f e in Geld, a b e r n i c h t wie beim Zeugen z w a n g s w e i s e V o r f ü h r u n g u n d H a f t verhängt werden (§ 77). 6. D e r S a c h v e r s t ä n d i g e h a t , i m Gegensatz z u r allgemeinen Zeugenpflicht, eine G u t a c h t e r p f l i c h t n u r in d e n in § 75 g e n a n n t e n Fällen. E r k a n n ferner aus denselben G r ü n d e n wie d e r Richter a b g e l e h n t werden (§ 74), z.B. deshalb, weil er Angestellter d e r d u r c h die strafbare H a n d l u n g geschädigten F i r m a ist (E. 58, 262). I m übrigen ist die Frage, o b ein M i ß trauensgrund vorliegt, tatsächlicher N a t u r u n d unterliegt d a h e r insoweit nicht d e r N a c h p r ü f u n g d u r c h das Revisionsgericht (E. 25, 361; B G H 8, 144, 226). Das Zeugnis v e r w e i g e r n k a n n d e r Sachverständige aus d e n selben G r ü n d e n , die d e n Zeugen hierzu berechtigen (§ 76). I I I . Eine u n b e d i n g t e V e r p f l i c h t u n g z u r Z u z i e h u n g Sachverständigen besteht n u r in folgenden Fällen:

eines

1. bei d e r E i n w e i s u n g i n e i n e H e i l - o d e r P f l e g e a n s t a l t z u r Beobachtung auf den Geisteszustand ( § 8 1 ) ; 2. w e n n damit z u rechnen ist, d a ß die U n t e r b r i n g u n g i n e i n e r H e i l o d e r P f l e g e a n s t a l t , T r i n k e r h e i l a n s t a l t oder E n t z i e h u n g s a n s t a l t (insbesondere i m Sicherungsverfahren d e r §§ 429a ff.) a n g e o r d n e t wird (§§ 80 a, 246 a ) ; 3. bei L e i c h e n s c h a u u n d L e i c h e n ö f f n u n g (§ 87); 4. beim V e r d a c h t einer V e r g i f t u n g (§ 91);

Fall 16

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5. bei M ü n z d e l i k t e n (§92). 6. Außerdem bildet die N i c h t h i n z u z i e h u n g e i n e s S a c h v e r s t ä n d i g e n immer dann einen Revisionsgrund, wenn durch diese Unterlassung gegen den Grundsatz des § 244 II ( P f l i c h t z u r W a h r h e i t s e r m i t t l u n g ) verstoßen wurde (siehe BGH 2, 14, 16; 8, 130). 7. Schließlich muß ganz allgemein die Beweisaufnahme immer auf den Sachverständigen erstreckt werden, wenn derselbe g e l a d e n und e r s c h i e n e n ist (§ 245 Satz 1). Siehe Fall 9, Nachtrag Abschnitt B I I 1, S. 140. IV. Das Gutachten ist in der H a u p t v e r h a n d l u n g grundsätzlich m ü n d l i c h zu erstatten. A u s n a h m s w e i s e können nach § 256 v e r l e s e n werden Gutachten öffentlicher Behörden und ärztliche Atteste über andere als schwere Körperverletzungen. (Siehe Fall 3, Nachtrag A, Abschn. B II 2, S- 55-) V. Der n a c h Erstattung des Gutachtens zu leistende S a c h v e r s t ä n d i g e n e i d (ob der Sachverständige zu vereidigen ist, liegt grundsätzlich im Ermessen des Gerichts, § 79 I) lautet nach § 79 II dahin, daß der Sachverständige das Gutachten unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen erstattet habe. D i e s e r E i d d e c k t a u c h d i e Z e u g e n a u s s a g e des Sachverständigen insoweit, als er Wahrnehmungen bekundet, die einen untrennbaren Bestandteil des Gutachtens bilden (E. 69, 97). (Im Zweifelsfalle empfiehlt es sich für die Praxis, dem Sachverständigen auch den Zeugeneid abzunehmen.) Der s a c h v e r s t ä n d i g e Z e u g e des § 85, auf den die Vorschriften über den Zeugenbeweis zur Anwendung gelangen, ist ein Zeuge, der über Wahrnehmungen aussagt, zu denen eine besondere Sachkunde erforderlich ist (z. B. der Weichenwärter über die Bedeutung bestimmter Signale). VI. Wegen der Spezialbestimmungen für k ö r p e r l i c h e U n t e r s u c h u n g e n (§§ 81 a, 81 c und 81 d) siehe Nachtrag B zu Fall 3 Abschn. 4d, S. 62.

ZU FALL 16 A. Vorbemerkung: Die Grundsätze des Privatklageverfahrens I . G r u n d s ä t z l i c h ist es S a c h e des S t a a t e s , sein Recht zu strafen, selbst auszuüben, und zwar durch die mit der Strafrechtspflege betrauten Organe. N u r a u s n a h m s w e i s e überläßt der Staat dieses Recht dem durch die Straftat Verletzten (Privatklage nach § 374, für deren Verhandlung und Entscheidung der Amtsrichter zuständig ist, § 25 Nr. 2 a GVG). II. Neben dem V e r l e t z t e n sind zur Privatklage auch legitimiert diejenigen Personen, welche nach den Vorschriften des Strafgesetzbuchs (§§ 65 Abs. 1 S. 2,189, 196, 232 Abs. 3 StGB) neben dem Verletzten selbst und unabhängig von dem Willen desselben die S t r a f v e r f o l g u n g zu beantragen berechtigt sind (§ 374 Abs. 2).

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II. Teil: Lösungen

Sind m e h r e r e P e r s o n e n zur Privatklage berechtigt, d. h. sind durch dieselbe strafbare Handlung mehrere Personen verletzt, o d e r sind n e b e n dem Verletzten noch andere Personen privatklageberechtigt, so ist jedes von dem anderen bei Ausübung dieses Rechts unabhängig, § 375. I I I . Die P r i v a t k l a g e wird e r h o b e n zu Protokoll der Geschäftsstelle oder durch Einreichung einer Anklageschrift (§381). Der Privatklage hat in der Mehrzahl der Fälle des § 3 7 4 ein S ü h n e v e r s u c h voranzugehen, §380. Der Privatkläger muß p a r t e i f ä h i g und p r o z e ß f ä h i g sein, andernfalls die Privatklage unzulässig ist bzw. durch den gesetzlichen Vertreter geführt werden muß (§ 374 Abs. 3). Ein Minderjähriger, auch wenn er das 18. Lebensjahr vollendet hat, ist also zur selbständigen Erhebung der Privatklage nicht befugt. I V . Nach Erhebung der Privatklage setzt das Gericht dem Privatkläger, soweit ihm nicht das Armenrecht bewilligt ist, eine Frist zur Z a h l u n g eines Gebührenvorschusses. Nach § 3 7 9 a Abs. 3 tritt bei Nichteinhaltung der Zahlungsfrist die Z u r ü c k w e i s u n g der Privatklage und die Verwerfung des etwa vom Privatkläger (Nebenkläger) eingelegten Rechtsmittels oder Wiederaufnahmeantrags ein. Die rechtskräftige Zurückweisung der Privatklage hat den endgültigen Verlust des Privatklagerechts zur Folge ( B a y O b L G N J W 56, 758). V . Nach Zahlung des Vorschusses und Erklärung des Beschuldigten bzw. nach Ablauf der hierzu gesetzten Frist b e s c h l i e ß t d e r A m t s r i c h t e r , entweder das H a u p t v e r f a h r e n zu eröffnen oder die K l a g e z u r ü c k z u w e i s e n . Wie im Offizialverfahren kann auch der Amtsrichter vor der Entscheidung Beweiserhebung vornehmen (§ 383 Abs. 1). Eine Z u r ü c k w e i s u n g kommt vor allem in Frage, wenn eine strafbare Handlung überhaupt nicht vorliegt (z. B. wenn es sich um eine wegen Vorliegens des § 193 StGB straflose Beleidigung handelt) oder wenn die Klage nicht den Erfordernissen des § 200 Abs. 1 entspricht (§381 S. 2) oder wenn der Amtsrichter eine Straftat für vorliegend erachtet, welche das Privatklageverfahren ausschließt. V I . Nach § 383 Abs. 2 kann das Gericht bei einem im Wege der Privatklage zu verfolgenden Vergehen bei geringer Schuld des Täters und unbedeutenden Folgen der T a t das Verfahren d u r c h B e s c h l u ß e i n s t e l l e n . Nach Abs. 2 S. 3 ist die Einstellung mit der s o f o r t i g e n B e s c h w e r d e anfechtbar. Wegen der R e c h t s k r a f t w i r k u n g s i e h e d i e e n t s p r e c h e n den Ausführungen zu § 153 Abs. 3 (vgl. Fall 12, Abschn. A I V 5, S. 159). V I I . Das w e i t e r e V e r f a h r e n richtet sich nach den Bestimmungen, welche für das O f f i z i a l v e r f a h r e n gelten. Der Privatkläger übernimmt im allgemeinen die Rolle des Staatsanwalts (§§ 384, 385). Der Eröffnungsbeschluß wird jedoch wie früher vom Vorsitzenden verlesen. § 243 Abs. 3 findet im Privatklageverfahren keine entsprechende Anwendung (vgl. § 384 Abs. 2).

Fall 16 I m übrigen ist folgendes zu beachten: 1. Sowohl der A n g e k l a g t e als auch der P r i v a t k l ä g e r können sich durch einen mit Vollmacht versehenen Rechtsanwalt vertreten lassen (§§ 387, 378). 2. Das Gericht bestimmt den U m f a n g d e r B e w e i s a u f n a h m e (§ 384 Abs. 3). 3. K o m m t das Gericht im Laufe der Verhandlung zu der Überzeugung, d a ß das Privatklageverfahren keine Anwendung finden kann, so ist das Verfahren e i n z u s t e l l e n (§ 389). 4. Die oben in Ziff. V I erwähnte E i n s t e l l u n g bei B a g a t e l l s a c h e n kann auch n a c h Anordnung der Hauptverhandlung u n d auch noch in der Berufungsinstanz erfolgen (vgl. §§ 383 I I 2, 390 V 1). 5. Die Privatklage kann in jeder Lage des Verfahrens, also bis zu dessen rechtskräftiger Erledigung, z u r ü c k g e n o m m e n werden. Nach Beginn der Vernehmung des Angeklagten zur Sache in der H V des I. Rechtszugs bedarf die Zurücknahme jedoch der Zustimmung des Angeklagten (§ 391 Abs. 1). F i n g i e r t wird die Zurücknahme, wenn der Privatkläger n i c h t e r s c h e i n t u n d sich auch nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten läßt. (Siehe § 391 Abs. 2.) V I I I . B l e i b t in der B e r u f u n g s i n s t a n z der P r i v a t k l ä g e r bzw. sein Anwalt a u s , so ist die Rechtslage folgende: 1. Der P r i v a t k l ä g e r hat Berufung eingelegt: a ) I m Falle der F r e i s p r e c h u n g d e s A n g e k l a g t e n im I. Rechtszug: Verwerfung der Berufung (§ 391 Abs. 3). b) Im Falle der V e r u r t e i l u n g d e s A n g e k l a g t e n im I. Rechtszug: Prüfung, ob das Urteil zugunsten des Angeklagten abzuändern ist. (Siehe W o r t l a u t des Abs. 3 des § 391 „Unbeschadet der Vorschrift des § 301".) 2. Der A n g e k l a g t e hat Berufung eingelegt: Die Privatklage gilt als zurückgenommen (§ 391 Abs. 2). 3. Der P r i v a t k l ä g e r u n d d e r A n g e k l a g t e haben Berufung eingelegt: wie zu 2). I X . B l e i b t in der B e r u f u n g s i n s t a n z d e r A n g e k l a g t e bzw. sein Anwalt a u s , so ist die Rechtslage folgende: 1. Der P r i v a t k l ä g e r hat Berufung eingelegt: Es wird über die Berufung des Privatklägers verhandelt (§§ 384, 329). 2. Der A n g e k l a g t e hat Berufung eingelegt: Die Berufung wird verworfen (§§ 384, 329). X . Der Beschuldigte kann bis zur Beendigung der Schlußvorträge im I. Rechtszug W i d e r k l a g e erheben, wenn zwischen ihr u n d der Privatklage ein t a t s ä c h l i c h e r Z u s a m m e n h a n g besteht (§388). Sie kann auch mündlich erhoben werden. Abs. 2 des § 388 enthält die Möglichkeit

II. Teil: Lösungen der Widerklage gegen den Verletzten für den Fall, d a ß nicht dieser selbst, sondern eine der in § 384 Abs. 2 genannten Personen die Privatklage erhoben hat. (Zu § 374 Abs. 2 s. o. I I ) . X I . Der Tod d e s P r i v a t k l ä g e r s hat die Einstellung des Verfahrens zur Folge (§ 393). (Siehe aber Abs. 2 u. 3 des § 393.) XII. Durch den vor der Vergleichsbehörde i m S ü h n e v e r f a h r e n abgeschlossenen V e r g l e i c h bzw. den dort erklärten Verzicht auf das Privatklagerecht wird dieses aufgehoben. Der V e r g l e i c h , der v o r d e m G e r i c h t , bei dem das Privatklageverfahren anhängig ist, abgeschlossen wird, bringt das Privatklageverfahren zum Abschluß. Er enthält in der Regel die Verpflichtung des Privatklägers zur Zurücknahme der Privatklage unter gleichzeitiger Regelung der Frage, wer die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten zu tragen hat. Ein a u ß e r g e r i c h t l i c h e r V e r g l e i c h ist, sofern sein Inhalt nicht auch noch vor Gericht erklärt wird, auf das weitere Verfahren ohne Einfluß. Verpflichtet sich z. B. der Privatkläger dem Beschuldigten gegenüber außergerichtlich, die Privatklage unter bestimmten Voraussetzungen zurückzunehmen, so ist er an diese Erklärung im Verfahren nicht gebunden. Die außergerichtlich eingegangene Verpflichtung kann auch nicht im Zivilrechtsweg durchgesetzt werden (vgl. Härtung ZStW 63,414; SchwarzKleinknecht, Einl. 4 H ) . XIII. D i e S t e l l u n g d e s S t a a t s a n w a l t s i m P r i v a t k l a g e v e r f a h r e n ist folgende: 1. Die Staatsanwaltschaft erhebt wegen der in § 374 bezeichneten Delikte (z. B. Körperverletzung nach §§223, 223a, n i c h t 224 StGB) die ö f f e n t l i c h e Klage nur dann, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt (§376). Sie ist zu einer Mitwirkung im Privatklageverfahren n i c h t v e r p f l i c h t e t . Das Gericht legt ihr die Akten vor, wenn es die Übernahme der Verfolgung durch sie für geboten hält (§ 377). Die Entscheidung darüber, ob ein öffentliches Interesse an der Verfolgung vorliege, steht allein der Staatsanwaltschaft zu. Der Beschuldigte hat kein Recht, der Erhebung der öffentlichen Klage wegen vermeintlichen M a n g e l s des öffentlichen Interesses zu widersprechen, und ebensowenig steht dem Gericht die Befugnis zu, aus diesem Grunde die von der Staatsanwaltschaft beantragte Anordnung der Hauptverhandlung abzulehnen. Ist das Delikt von einem J u g e n d l i c h e n begangen, so erhebt die Staatsanwaltschaft öffentliche Klage, wenn es wegen der öffentlichen Belange oder aus Gründen der Erziehung geboten ist (§ 80 J G G ) . 2. L e h n t d i e S t a a t s a n w a l t s c h a f t die E r h e b u n g d e r öffentl i c h e n K l a g e a b , weil ein öffentliches Interesse nicht vorliegt, so steht dem Verletzten nur die Beschwerde an die vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft zu; der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist ausgeschlossen, denn die Vorschrift des § 1 7 2 II hat nur den Zweck, die Durchführung des L e g a l i t ä t s p r i n z i p s zu gewährleisten (vgl. Fall 2 Abschn. B IV 6, S. 24).

Fall 16 3. D i e S t a a t s a n w a l t s c h a f t k a n n d i e V e r f o l g u n g ü b e r n e h m e n in jeder Lage des Verfahrens bis zum Eintritt der Rechtskraft des Urteils (§ 377 Abs. 2). Durch die Übernahme wird das Privatklageverfahren nicht einfach beseitigt mit der Folge, daß es einzustellen wäre; es ist vielmehr in der Lage des Verfahrens, in der es sich zur Zeit der Übernahme befindet, nach den Vorschriften des ordentlichen Strafverfahrens fortzusetzen (BGH 11, 61 im Anschluß an E. 41, 277; 46, 1 1 9 ; 57, 349). Auch die Zuständigkeit des bisherigen Gerichts wird durch die Übernahme des Verfahrens durch die StA nicht berührt, und zwar selbst dann nicht, wenn es sich um den besonderen Gerichtsstand des § 7 Abs. 2 Satz 2 handelt (sog. perpetuatio fori, vgl. BGH a. a. O.). Die Ü b e r n a h m e e r k l ä r u n g k a n n n i c h t w i d e r r u f e n w e r d e n , da dies einer gemäß § 156 unzulässigen Rücknahme der öffentlichen Klage gleichkäme (vgl. Schwarz-Kleinknecht § 374 Anm. 4). B. Lösung des Falles I. Die Verstöße g e g e n V e r f a h r e n s n o r m e n i n d e m Privatklagev e r f a h r e n und ihre Wirkungen 1. N i c h t b e a c h t u n g d e r i n d e r B e l e i d i g u n g e n t h a l t e n e n A n s c h u l d i g u n g gegen die E h e l e u t e L e i c h t , E h e b r u c h und K u p p e l e i b e g a n g e n zu h a b e n . Zwar wird das Gericht, schon wenn es erhebliche Verdachtsmomente für eine strafbare Handlung aus dem Inhalt der Klageschrift entnehmen zu können glaubt, in der Regel von der Eröffnung des Hauptverfahrens absehen und die Akten der Staatsanwaltschaft zur weiteren Veranlassung vorlegen; indes besteht hierzu eine r e c h t l i c h e V e r p f l i c h t u n g , deren Nichtbeachtung eine Verletzung einer Verfahrensnorm bedeuten würde, gemäß § 191 StGB n u r d a n n , wenn bei der Behörde wegen der angeblichen strafbaren Handlung e i n e A n z e i g e zum Zwecke der Herbeiführung eines Strafverfahrens gemacht worden ist. Hätte also im v o r l i e g e n d e n F a l l e eine Anzeige vorgelegen, so hätte der Amtsrichter bis zu dem Beschluß, daß die Eröffnung der Untersuchung nicht stattfinde, oder bis zur Beendigung der eingeleiteten Untersuchung mit dem Verfahren und der Entscheidung über die Beleidigung zuwarten müssen. 2. D e r u n t e r l a s s e n e S ü h n e v e r s u c h . a) V o r b e m e r k u n g : aa) Nach § 380 ist bei Hausfriedensbruch, B e l e i d i g u n g , leichter vorsätzlicher und fahrlässiger Körperverletzung u. a. die Erhebung der Privatklage erst möglich, nachdem von einer durch die Landesjustizverwaltung zu bezeichnenden Vergleichsbehörde die S ü h n e erfolglos v e r s u c h t worden ist, worüber der Kläger eine Bescheinigung mit der Klage einzureichen hat.

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I I . Teil: Lösungen

bb) Die Vorschrift über den Sühneversuch ist im ö f f e n t l i c h e n I n t e r esse erlassen; sie verfolgt den Zweck, der leichfertigen u n d übereilten Erhebung von Privatklagen vorzubeugen, und will die Geltendmachung des Klagerechts erschweren. Infolgedessen hat das Gericht v o n A m t s w e g e n zu prüfen, ob ein Sühneversuch stattgefunden hat. cc) Erst wenn der Nachweis erbracht ist, d a ß ein Sühneversuch stattgefunden hat, ist die Klage v o r s c h r i f t s m ä ß i g i. S. des § 382 erhoben. Fehlt dieser Nachweis, so wird die Klage aber nicht etwa gemäß § 383 sofort zurückgewiesen, sondern der Amtsrichter bestimmt dem Privatkläger eine Frist zur Nachholung des Versäumten unter Androhung der Zurückweisung. Wird der Nachweis innerhalb der Frist nicht erbracht, so ist die Klage durch B e s c h l u ß z u r ü c k z u w e i s e n . Gegen diesen Beschluß steht dem Privatkläger die s o f o r t i g e B e s c h w e r d e gemäß § 210 Abs. 2 zu. dd) Wird die Privatklage mangels Sühneversuchs als unzulässig zurückgewiesen, so ist dieser Beschluß, da er keine abschließende Erledigung der Sache anstrebt, zwar der formellen, nicht aber der materiellen Rechtskraft fähig (vgl. Schwarz-Kleinknecht § 380 Anm. 5 m. weit. Nachw. sowie Fall 12, Abschn. A I V 1 und 5, S. 155, 159). Der abgewiesene Privatkläger kann also, ohne d a ß §211 zu beachten wäre, den unterlassenen Sühneversuch nachholen und erneut Privatklage erheben. b) § 380 enthält keine echte Prozeßvoraussetzung, sondern eine sog. K l a g e v o r a u s s e t z u n g , die als solche nur für den Prozeßabschnitt Bedeutung hat, welcher mit Erhebung der Klage beginnt und mit der Eröffnung des Hauptverfahrens endigt; mit diesem Zeitpunkt wird der Mangel zwar nicht geheilt, aber gegenstandslos ( O L G H a m b u r g N J W 56, 522). c) Eine N a c h h o l u n g d e s S ü h n e v e r s u c h s im Hauptverfahren oder in höherer Instanz wäre schon deshalb überflüssig, weil das Gericht j a selbst in jeder Lage des Verfahrens eine gütliche Erledigung der Sache im Wege des Vergleichs versuchen kann. Daß der Amtsrichter im v o r l i e g e n d e n F a l l e das Hauptverfahren o h n e vorangegangenes Sühneverfahren eröffnet hat, ist demnach für den weiteren Verlauf des Privatklageverfahrens o h n e B e d e u t u n g ( O L G H a m b u r g a. a. O.). 3. D i e e i d l i c h e V e r n e h m u n g d e r E h e f r a u L e i c h t a l s Z e u g i n . a ) Nach § 384 richtet sich nach der Eröffnung des Hauptverfahrens das weitere Verfahren nach den Bestimmungen, welche für das Verfahren auf erhobene öffentliche Klage gegeben sind, soweit nicht die dem § 384 folgenden Paragraphen Abweichungen enthalten oder solche aus der N a t u r des Privatklagerechts hergeleitet werden müssen. b) So m u ß z. B. als dem Wesen der Privatklage widersprechend die Vernehmung des P r i v a t k l ä g e r s a l s Z e u g e abgelehnt werden. Zwar kann der Privatkläger zwecks Aufklärung zum persönlichen Erscheinen genötigt werden (§ 387 Abs. 3); aus der Natur der Privatklage ergibt sich aber, d a ß der Kläger als eine der Staatsanwaltschaft verwandte

Fall 16

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P r o z e ß p a r t e i anzusehen ist und somit, da nicht dritte Person, im Strafverfahren auch nicht als Zeuge auftreten kann. (Siehe Fall 3, Abschn. B I 1 a, S. 36 und BayObLG NJW 61, 2318.) Die V e r n e h m u n g der E h e f r a u Leicht, in d e r e n N a m e n ihr E h e m a n n P r i v a t k l a g e e r h o b e n hatte, die also P r i v a t k l ä g e r i n war, e n t h ä l t d e m n a c h einen V e r s t o ß gegen eine V e r f a h r e n s n o r m , d e r z u r A u f h e b u n g des auf d i e s e m V e r s t o ß b e r u h e n d e n Urteils führen müßte. II. Die Verstöße gegen Verfahrensnormen in dem Offizialverfahren und Ihre Wirkungen 1. D i e V e r l e s u n g d e r A u s s a g e n d e r E h e f r a u L e i c h t . a) Nach dem in §250 deklarierten G r u n d s a t z d e r U n m i t t e l b a r k e i t ist die Verlesung eines Protokolls über eine Zeugenaussage grundsätzlich unzulässig, wenn dadurch die Vernehmung des Zeugen ersetzt werden soll (vgl. Fall 3, Nachtrag A, Abschn. D, S. 56 sowie BGH 20, 160). b) I n A b w e i c h u n g v o n d i e s e r R e g e l darf in den in §251 aufgeführten Fällen an Stelle der mündlichen Vernehmung einer Person vor dem erkennenden Gericht die Verlesung des Protokolls über eine frühere Vernehmung derselben erfolgen. Absatz 1 Nr. 1 enthält die Fälle absoluter, Absatz 1 Nr. 2 und 3 die Fälle relativer Hinderung. In den ersteren Fällen, wenn also ein Zeuge, Sachverständiger oder Mitbeschuldigter v e r s t o r b e n oder in Geisteskrankheit verfallen oder sein Aufenthalt nicht zu ermitteln gewesen ist, ist die Zulässigkeit der Verlesung des Protokolls über seine frühere (auch nichtrichterliche) Vernehmung an keine Beschränkung geknüpft, insbesondere ist nicht Voraussetzung, daß es sich dabei um ein in der a n h ä n g i g e n Sache aufgenommenes Protokoll handeln muß. (Siehe Nachtrag A zu Fall 3, Abschn. D III 1, S. 57.) Voraussetzung der Anwendbarkeit des § 251 ist also an sich nur, daß ein o r d n u n g s m ä ß i g e s g e r i c h t l i c h e s P r o t o k o l l vorliegt, d.h. ein solches, das den Erfordernissen der §§ 168, 187, 188 (vor allem Unterschriften des Richters und zugezogenen Urkundsbeamten) entspricht. c) I m v o r l i e g e n d e n F a l l e entsteht nun die Frage, welche Bedeutung der Tatsache zukommt, daß die V e r n e h m u n g d e r E h e f r a u L e i c h t als Z e u g i n im Privatklageverfahren gesetzwidrig war. Diese Frage ist unter Bezugnahme auf die Erörterungen in Fall 3, Abschn. B II 2, S. 44 dahin zu beantworten, daß die Verlesung d e r z w a r o r d n u n g s m ä ß i g p r o t o k o l l i e r t e n , aber auf G r u n d einer illegalen V e r n e h m u n g erfolgten Aussagen der Ehefrau Leicht einen V e r s t o ß g e g e n e i n e V e r f a h r e n s n o r m enthält. 2. N i c h t b e a c h t u n g des E i n w a n d e s des A n g e k l a g t e n , er sei wegen der Äußerung bereits verurteilt. Abgesehen davon, daß keine r e c h t s k r ä f t i g e Entscheidung über die Schuldfrage vorliegt (das Privatklageverfahren schwebt j a noch in der Berufungsinstanz), scheidet der Grundsatz „ne bis in i d e m " (siehe hierP c t t e f s - P r e i s e n d a n z , Strafpfozeßfälle, 8. Aufl.

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II. Teil: Lösungen

über Fall 12, Abschn. A, S. 153fr.) schon deshalb aus, weil im vorliegenden Falle, wo ein Privatklageverfahren in Frage kommt, die V o r s c h r i f t des § 375 die entscheidende Norm enthält. a) Diese Vorschrift gilt sowohl für den Fall, daß neben dem Verletzten selbst eine andere zur Privatklage selbständig berechtigte Person vorhanden i s t (§ 374 Abs. 2), als auch dann, wenn m e h r e r e P e r s o n e n d u r c h dies e l b e H a n d l u n g verletzt sind. b) Darüber, daß sowohl die Eheleute Leicht als auch der Regierungsbaumeister Hergert die Beleidigung im Wege der Privatklage zu verfolgen b e r e c h t i g t sind, kann ebensowenig ein Zweifel bestehen, wie in der Richtung, daß beiden Beleidigungen d i e s e l b e strafbare H a n d l u n g zugrunde liegt. Die g r u n d s ä t z l i c h e n V o r a u s s e t z u n g e n f ü r die A n w e n d b a r k e i t des § 375 s i n d d e m n a c h g e g e b e n . Hätte also im v o r l i e g e n d e n F a l l e das im Privatklageverfahren ergangene Urteil vom 30. November 1965 R e c h t s k r a f t erlangt, so hätte diese Entscheidimg gemäß § 375 Abs. 3 die Wirkung gehabt, daß nicht nur wegen der gleichen Tat ein w e i t e r e s P r i v a t k l a g e v e r f a h r e n , sondern auch eine nachträgliche V e r f o l g u n g derselben Handlung durch die S t a a t s a n w a l t s c h a f t auf Grund eines Antrags eines anderen Berechtigten a u s g e s c h l o s s e n gewesen wäre (E. 3, 365). D a s U r t e i l des A m t s r i c h t e r s i m O f f i z i a l v e r f a h r e n v o m 10. D e z e m b e r 1965 h ä t t e in d i e s e m F a l l e a u f E i n s t e l l u n g l a u t e n müssen. c) Im v o r l i e g e n d e n F a l l e handelt es sich aber nur um die Frage, welche Wirkung die Tatsache der R e c h t s h ä n g i g k e i t des Privatklageverfahrens auf das Offizialverfahren ausüben mußte. aa) Handelt es sich um zwei O f f i z i a l v e r f a h r e n , so gilt der Grundsatz, daß die Rechtshängigkeit der Strafklage bei einem Gerichte der Anhängigmachung derselben Sache bei einem anderen Gerichte entgegensteht, und daß, wenn unter Verletzung dieses Grundsatzes dennoch die Strafsache bei dem später angerufenen Gerichte gleichzeitig anhängig geworden sein sollte, dieses das bei ihm schwebende Verfahren e i n z u s t e l l e n hat. bb) Handelt es sich um das Zusammentreffen eines O f f i z i a l - mit einem P r i v a t k l a g e v e r f a h r e n , so greift die Spezialvorschrift des § 375 Abs. 2 Platz, wonach während der Dauer des Privatklageverfahrens die Verfolgung derselben Handlung in einem anderen Verfahren unzulässig ist, den anderen Berechtigten während der Dauer des ersten Verfahrens vielmehr nur der Beitritt zu diesem zusteht. Der mit dem Offizialverfahren b e f a ß t e Amtsrichter h ä t t e also, w e n n er bei E i n k u n f t d e r A n k l a g e s c h r i f t des S t a a t s anwalts von dem Privatklageverfahren K e n n t n i s gehabt h ä t t e , d i e E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s als z. Z. u n z u l ä s s i g a b l e h n e n m ü s s e n ; d a er a b e r e r s t i n d e r H a u p t v e r h a n d l u n g

Fall 16

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d u r c h die V e r t e i d i g u n g des A n g e k l a g t e n v o n d e m n e b e n h e r l a u f e n d e n P r i v a t k l a g e v e r f a h r e n e r f u h r , h ä t t e er d u r c h Bes c h l u ß das O f f i z i a l v e r f a h r e n für v o r l ä u f i g b e r u h e n d e r k l ä r e n m ü s s e n ; denn erst nach Beendigung des Privatklageverfahrens konnte unter Berücksichtigung der Art der Beendigung desselben eine definitive Entscheidung darüber getroffen werden, ob das Klagerecht der Staatsanwaltschaft erloschen sei. (Ein solches E r l ö s c h e n d e s s t a a t s a n w a l t s c h a f t l i c h e n K l a g e r e c h t s würde z.B. dann n i c h t vorliegen, wenn das Privatklageverfahren durch Z u r ü c k n a h m e d e r P r i v a t k l a g e gemäß § 391 seine Erledigung fände; denn eine solche Erledigung hätte lediglich die Wirkung, daß die P r i v a t k l a g e nicht von neuem erhoben werden kann [§ 392], während bezüglich der ö f f e n t l i c h e n K l a g e das Gesetz eine entsprechende Bestimmung nicht enthält, die Erhebung einer solchen also an sich durchaus möglich ist, zumal in der Zurücknahme der Privatklage nicht ohne weiteres auch die Zurücknahme des Strafantrags zu liegen braucht, E. 19, 285.) III. Welche Schritte wird angesichts dieser Sach- und Rechtslage der Staatsanwalt unternehmen, um eine Verurteilung des Stein wegen der Beleidigung der Eheleute Leicht und des Hergert zu erreichen ? 1 . Der S t a a t s a n w a l t , der auf Grund der obigen Erwägungen zu dem Schluß kommen muß, daß das O f f i z i a l v e r f a h r e n in der Berufungsinstanz unbedingt für v o r l ä u f i g b e r u h e n d erklärt werden muß, wird sich zum Eintritt in das Privatklageverfahren entschließen, d. h. er w i r d d i e V e r f o l g u n g g e m ä ß § 377 A b s . 2 ü b e r n e h m e n . a) Die durch a u s d r ü c k l i c h e E r k l ä r u n g zu bewirkende Übernahme durch den Staatsanwalt hat zur Folge, daß das Privatklageverfahren nicht einfach beseitigt wird und entsprechend § 389 einzustellen ist, sondern daß es vielmehr in der Lage, in der es sich zur Zeit der Übernahme befindet, nach den Formen des amtlichen, öffentlich eingeleiteten Verfahrens fortzuführen ist. Die Privatklage ist nunmehr als öffentliche K l a g e zu behandeln. b) Da nunmehr z w e i O f f i z i a l v e r f a h r e n nebeneinander herlaufen, wird der Staatsanwalt weiter bezüglich des ersten Offizialverfahrens die Einstellung beantragen. c) D a d i e E i n l e g u n g e i n e s R e c h t s m i t t e l s seitens des Staatsanwalts noch n a c h A b l a u f der dem Privatkläger gesetzlich zustehenden Rechtsmittelfristen nicht zulässig ist — besondere Rechtsmittelfristen für die Staatsanwaltschaft sind im Gesetz nicht vorgesehen — vielmehr das Privatklageverfahren in der Lage übernommen werden muß, in welcher es sich gerade prozessual befindet, kann der Staatsanwalt, der also an die vorhandene Prozeßlage gebunden ist, im v o r l i e g e n d e n F a l l e , wo die dem Privatkläger Leicht zustehende Frist zur Einlegung der Berufung bereits abgelaufen ist, von diesem Rechtsmittel keinen Gebrauch mehr machen. IS*

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II. T e i l : Lösungen

d) Trotzdem kann das Gericht ohne weiteres den Angeklagten Stein in der Berufungsinstanz a u c h w e g e n V e r l e u m d u n g d e s R e g i e r u n g s b a u m e i s t e r s H e r g e r t bestrafen, da nach § 264 den Gegenstand der Urteilsfindung die in der Anklage bezeichnete T a t bildet, d. h. der g e s c h i c h t l i c h e V o r g a n g (die Beleidigung in ihrem gesamten Wortlaut), der der Anklage zugrunde gelegt ist. Wir kommen demnach zu dem Ergebnis, daß der Staatsa n w a l t d u r c h Ü b e r n a h m e des P r i v a t k l a g e v e r f a h r e n s d i e Bes t r a f u n g des S t e i n w e g e n V e r l e u m d u n g d e r E h e l e u t e L e i c h t und d e s R e g i e r u n g s b a u m e i s t e r s H e r g e r t e r r e i c h e n k a n n . Voraussetzung hierfür ist aber, daß die Aussagen des Zeugen Hergert, der nach § 55 auskunftsverweigerungsberechtigt ist, als Grundlage für ein verurteilendes Erkenntnis ausreichen; denn die Aussagen der zu Unrecht als Zeugen vernommenen Ehefrau Leicht können natürlich auch in dem Berufungsverfahren nicht verwertet werden (siehe oben Abschn. I, 3). IV. Kann der Staatsanwalt eine Verurteilung zu drei Monaten Gefängnis erreichen? Eine E r h ö h u n g der Strafe von 6 Wochen Gefängnis ist im Hinblick auf den G r u n d s a t z d e s V e r b o t s d e r r e f o r m a t i o in p e i u s unmöglich, denn der Staatsanwalt konnte ja, wie wir oben (siehe Abschn. I I I 1 c) gesehen haben, Berufung nicht mehr einlegen.

ZU FALL 17 A. Vorbemerkung: Die Nebenklage I . Während das P r i v a t k l a g e r e c h t den Verletzten g e g e n K l a g e u n t e r l a s s u n g e n schützen will, bezweckt die N e b e n k l a g e , die eine weitere Durchbrechung des staatsanwaltschaftlichen Anklagemonopols bedeutet, dem Verletzten eine Möglichkeit zu geben, etwaigen M ä n g e l n i n d e r K l a g d u r c h f ü h r u n g durch Teilnahme an dem Strafprozeß vorzubeugen. I I . Der N e b e n k l ä g e r ist eine Privatperson, der das Gesetz die Befugnis zugesprochen hat, an dem Strafverfahren nach erhobener K l a g e in jeder Lage des Verfahrens n e b e n d e r S t a a t s a n w a l t s c h a f t teilzunehmen. Im Gegensatz zum Privatkläger tritt der Nebenkläger n i c h t a n d i e S t e l l e des mit der Strafverfolgung regelmäßig betrauten staatlichen Organs, sondern es soll ihm lediglich die Möglichkeit gegeben werden, n e b e n dem Staatsanwalt seine besonderen an der Verurteilung des Angeklagten beteiligten Interessen wahrzunehmen.

Fall 17

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I I I . B e r e c h t i g t z u d e r A n s c h l u ß e r k l ä r u n g sind: 1. die nach M a ß g a b e des § 374 zur Privatklage Berechtigten, sobald die öffentliche Klage erhoben ist (§ 395 I), unter der selbstverständlichen Voraussetzung, d a ß das Privatklagerecht nicht etwa d u r c h Ablauf einer Antragsfrist bereits erloschen ist; 2 . die Eltern, Kinder, Geschwister u n d der Ehegatte eines d u r c h eine mit Strafe bedrohten H a n d l u n g Getöteten (§ 395 I I Ziff. 1), selbst wenn es sich nicht u m ein Privatklagerecht handelt ( B G H 6, 103); 3 . wer d u r c h einen A n t r a g auf gerichtliche Entscheidung (§ 172 II) die E r h e b u n g der öffentlichen Klage herbeigeführt hat (§ 395 I I ) . (NB. Der innere G r u n d f ü r die Berechtigung aus § 395 I I Z. 2 ist ein gewisses M i ß t r a u e n gegen die Staatsanwaltschaft. Derjenige, der die Staatsanwaltschaft genötigt hat, wider ihren Willen die öffentliche K l a g e zu erheben, soll auch die Möglichkeit haben, auf d e n weiteren F o r t g a n g des Verfahrens einen wesentlichen Einfluß auszuüben.) 4. der Bundespräsident im Falle des § 95 StGB sowie bestimmte Staatsorgane u n d ihre Mitglieder im Falle des § 97 StGB (§ 395 I I I ) . I V . Der Anschluß kann in jeder Lage des Verfahrens erfolgen, auch n a c h Erlaß des Urteils zwecks Einlegung von Rechtsmitteln (§ 395 I S. 2). V . K r a f t G e s e t z e s wird z u m Nebenkläger: 1. Der P r i v a t k l ä g e r , wenn die S t a a t s a n w a l t s c h a f t die Verfolgung ü b e r n o m m e n h a t (§ 377 Abs. 3), 2 . das F i n a n z a m t bei Steuerstrafsachen nach der R A b g O , w e n n der Beschuldigte A n t r a g auf gerichtliche Entscheidung gestellt oder die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben h a t (§§ 467, 472 R A b g O ) . V I . D u r c h den Anschluß erlangt der Nebenkläger die R e c h t e d e s P r i v a t k l ä g e r s (§ 397); er k a n n sich insbesondere u n a b h ä n g i g von der Staatsanwaltschaft der Rechtsmittel bedienen (§ 401 I). Legt n u r d e r Nebenkläger ein Rechtsmittel ein (er kann es n u r zu Ungunsten des Angeklagten tun), d a n n h a t trotzdem die Staatsanwaltschaft in d e m Verfahren der höheren Instanz mitzuwirken, u n d zwar in der gleichen Weise, wie w e n n sie selbst das Rechtsmittel eingelegt h ä t t e (siehe Löwe-Rosenberg A n m . 9 zu § 401). N i c h t e r f o r d e r l i c h ist die A n w e s e n h e i t des Nebenklägers w ä h r e n d der ganzen H a u p t v e r h a n d l u n g , d a er nicht zu den in § 226 aufgezählten notwendigen Personen des Verfahrens gehört; § 391 Abs. 2 k o m m t d e m n a c h auf i h n nicht zur A n w e n d u n g , d. h. eine fingierte Z u r ü c k n a h m e der Nebenklage gibt es n i c h t ; auch § 391 Abs. 3 findet keine A n w e n d u n g ( O L G F r a n k f u r t N J W 56, 1250). V I I . Die Anschlußerklärung m u ß bei d e m Gericht s c h r i f t l i c h (eine mündliche E r k l ä r u n g in der H a u p t v e r h a n d l u n g ist unwirksam) eingereicht werden (§ 396). Die E n t s c h e i d u n g ü b e r die Berechtigung (die nach B G H M D R 54, 152 von Amts wegen n a c h z u p r ü f e n ist) h a t d u r c h

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I I . Teil: Lösungen

a u s d r ü c k l i c h e n B e s c h l u ß zu erfolgen. Schließt sich j e m a n d durch R e c h t s m i t t e l e i n l e g u n g der öffentlichen Klage an, so ist für die Entscheidung über die Zulassung des Nebenklägers allein das R e c h t s m i t t e l g e r i c h t zuständig. Dieser Zulassungsbeschluß, der konstitutive Wirkungen hat, ist zu erlassen, wenn nach dem tatsächlichen Inhalt der Anklage oder dem jeweiligen Verhandlungsergebnis die r e c h t l i c h e M ö g l i c h k e i t besteht, das den Gegenstand der Anklage oder der Verhandlung bildende T u n des Angeklagten unter einem rechtlichen Gesichtspunkt zu betrachten, der die Zulassung des Nebenklägers nach § 395 rechtfertigt (E. 43, 262). (Siehe hierzu die Ausführungen in Abschn. B V.) V I I I . Wird der Antrag auf Zulassung der Nebenklage abgelehnt, so hat der Antragsteller das Rechtsmittel der B e s c h w e r d e . § 305 Abs. 1 steht nicht entgegen, d a der Anschluß des Nebenklägers eine selbständige prozessuale Bedeutung hat (Schwarz-Kleinknecht § 3g6 Anm. 5 m. weit. Nachw.; Str.). Umgekehrt haben die StA und der Angeklagte das R M der Beschwerde, wenn dem Antrag auf Zulassung der Nebenklage zu Unrecht stattgegeben wurde. I X . Sowohl die gesetzwidrige Ablehnung einer Zulassung als auch die zu Unrecht erfolgte Zulassung einer Nebenklage können die R e v i s i o n gemäß § 337 begründen (E. 59, 100; 66, 346). X . Die f ü r die Privatklage geltenden Bestimmungen über Zahlung eines G e b ü h r e n v o r s c h u s s e s (siehe Fall 16, Abschn. A IV, S. 188) finden auf den Nebenkläger u n d das von ihm betriebene Verfahren in der RM-Instanz entsprechende Anwendung (§401). X I . Das N e b e n k l a g e - P r o z e ß v e r h ä l t n i s dauert, einmal gültig begründet, grundsätzlich solange wie das Haupt-Prozeßverhältnis. Vorher v e r l i e r t es s e i n e W i r k u n g nur durch W i d e r r u f sowie durch den T o d des Nebenklägers (§ 402). 1. Der W i d e r r u f ist zulässig bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens. Er hindert nicht, im Laufe des weiteren Verfahrens erneut den Anschluß als Nebenkläger zu erklären (E. 61, 99). 2. Der T o d des Nebenklägers führt, ohne d a ß eine besondere Entscheidung des Gerichts erforderlich ist, zur Beendigung des Nebenklage-Prozeßverhältnisses. Ein Recht der Angehörigen, den Prozeß weiterzuführen, besteht entgegen der in § 393 I I für die Privatklage getroffenen Regelung nicht. B. Lösung des Falles I. D u r f t e der K a u f m a n n als Nebenkläger zugelassen w e r d e n ? 1. D a s A n s c h l u ß r e c h t a u s d e r P r i v a t k l a g e b e r e c h t i g u n g . § 395 Abs. 1 bestimmt: Wer nach Maßgabe der Bestimmung des § 374 a l s P r i v a t k l ä g e r a u f z u t r e t e n b e r e c h t i g t i s t , kann sich der er-

Fall 17

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hobenen öffentlichen Anklage in jeder Lage des Verfahrens als N e b e n k l ä g e r anschließen. Der Anschluß kann zur Einlegung von Rechtsmitteln auch n a c h ergangenem Urteil geschehen. a ) D i e P r i v a t k l a g e b e r e c h t i g u n g aus § 374 Abs. 1 u n d 3. aa) Die den Gegenstand des Strafverfahrens bildende g e f ä h r l i c h e K ö r p e r v e r l e t z u n g i. S. des § 223a StGB gehört nach § 374 Abs. 1 Z. 3 zu den Körperverletzungen, die im Wege der Privatklage verfolgt werden können. (NB. § 226 StGB kommt deshalb nicht in Frage, weil laut Sachverhalt ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Körperverletzung und Tod nicht vorgelegen hat.) bb) Als P r i v a t k l ä g e r a u f z u t r e t e n berechtigt ist nach § 374 Abs. 1 der V e r l e t z t e . Dies gilt aber nur, soweit der Verletzte p r o z e ß f ä h i g ist. Die Prozeßfähigkeit ist dabei nach den Grundsätzen der Z P O zu beurteilen. Ist der Verletzte m i n d e r j ä h r i g , so hat nach § 374 Abs. 3 dessen V a t e r als g e s e t z l i c h e r V e r t r e t e r die Befugnis zur Erhebung der Privatklage. Da aber die gesetzliche Vertretung mit dem Tode des vertretenen Minderjährigen ihr Ende erreicht, so muß auch in diesem Zeitpunkt die Befugnis des Vaters zur Erhebung der Privatklage bzw. Nebenklage erlöschen (E. 29, 141). D e r K a u f m a n n k a n n d e m n a c h sein A n s c h l u ß r e c h t n i c h t a u s d e r P r i v a t k l a g e b e r e c h t i g u n g g e m ä ß §§ 395 Abs. 1, 374 A b s . 1 u n d 3 herleiten. b ) D i e P r i v a t k l a g e b e r e c h t i g u n g aus § 374 Abs. 2. aa) In Abs. 2 des § 374 werden diejenigen Personen dem Verletzten gleichstellt, welche gemäß §§ 189, 196, 232 Abs. 3 StGB n e b e n d e m V e r l e t z t e n s e l b s t und u n a b h ä n g i g von dem Willen desselben die Strafverfolgung zu b e a n t r a g e n berechtigt sind. bb) Es ist nun die Frage zu prüfen, ob zu dem Personenkreis des Abs. 2 des § 374 a u c h d e r g e s e t z l i c h e V e r t r e t e r i. S. des § 65 StGB gehört, d. h. ob der g e s e t z l i c h e V e r t r e t e r eines M i n d e r j ä h r i g e n oder Geschäftsunfähigen ebenfalls ein s e l b s t ä n d i g e s , auch dessen T o d ü b e r d a u e r n d e s , also m a t e r i e l l e i g e n e s S t r a f a n t r a g s r e c h t besitzt. Die Meinungsverschiedenheit in dieser Frage ist darauf zurückzuführen, daß der Ausdruck „selbständiges Antragsrecht" sowohl im Sinne von e i g e n e m Recht als auch im Sinne von u n a b h ä n g i g e m Recht gebraucht wird. Das R e i c h s g e r i c h t hat, entgegen seiner früheren Stellungnahme (siehe E. 35, 133; 38, 37) in E. 57, 241 die Frage nach dem A n t r a g s r e c h t des g e s e t z l i c h e n V e r t r e t e r s i. S. des § 374 Abs. 2 dahin entschieden, daß der gesetzliche Vertreter des n o c h n i c h t i 8 j ä h r i g e n M i n d e r j ä h r i g e n kein e i g e n e s , den Tod des Minderjährigen überdauerndes A n t r a g s r e c h t i. S. von § 374 Abs. 2 besitze. Er übe, so sagt das Reichsgericht, nur das Recht des Verletzten aus, zwar u n a b h ä n g i g v o n dessen W i l l e n und insofern „ s e l b s t ä n d i g " , a b e r n u r f ü r i h n als den alleinigen Träger des materiellen Antragsrechts und in seinem

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II. Teil: Lösungen

N a m e n , also nicht mehr, n a c h d e m der Verletzte g e s t o r b e n ist, ohne d a ß der gesetzliche Vertreter Strafantrag gestellt hatte. Die Frage, o b der gesetzliche Vertreter eines M i n d e r j ä h r i g e n , d e r d a s 18. L e b e n s j a h r v o l l e n d e t h a t , ein eigenes, den T o d des M i n d e r j ä h r i g e n überdauerndes Antragsrecht i. S. des § 374 Abs. 2 besitze, h a t das Reichsgericht unentschieden gelassen. Wir v e r n e i n e n diese Frage u n d k o m m e n somit zu d e m Schluß, d a ß mit d e m T o d e des Minderjährigen (gleichgültig, o b er u n t e r oder ü b e r 18 J a h r e alt ist) n i c h t n u r d i e g e s e t z l i c h e V e r t r e t u n g z u r E r h e b u n g d e r P r i v a t k l a g e ( § 3 7 4 A b s . 3), s o n d e r n a u c h d a s A n t r a g s r e c h t n a c h § 374 A b s . 2 e r l i s c h t . Der K a u f m a n n k a n n d e m n a c h seinen Beitritt als N e b e n k l ä g e r a u c h n i c h t a u f d i e B e s t i m m u n g d e s § 374 A b s . 2 s t ü t z e n . 2. D i e A n s c h l u ß b e r e c h t i g u n g a u s § 395 A b s . 2. a ) § 395 I I Ziff. 1 e n t f ä l l t , d a der T o d des Sohnes nicht auf die M i ß h a n d l u n g zurückzuführen ist. b ) Z u prüfen ist weiter, o b sich die Zulassung als Nebenkläger auf § 395 I I Ziff. 2 stützen läßt. A u c h diese Frage ist zu verneinen, d a ein Klageerzwingungsverfahren g e m ä ß § 172 I I S. 3 ü b e r h a u p t nicht möglich war, eine erfolgreiche Beschwerde nach § 172 I aber noch nicht die Rechtsfolge des § 395 I I Ziff. 2 auslösen kann. 3. D a s o m i t k e i n e g e s e t z l i c h e M ö g l i c h k e i t f ü r d i e Z u l a s s u n g des K a u f m a n n s als N e b e n k l ä g e r b e s t a n d , k o m m e n wir zu d e m Ergebnis, d a ß der d i e s b e z ü g l i c h e Beschluß des A m t s r i c h t e r s der gesetzlichen Grundlage entbehrte.

II. Die eidliche Vernehmung des Nebenklägers als Zeugen 1. D a ß der N e b e n k l ä g e r a l s Z e u g e vernommen werden kann, begründet das R G in E. 2, 385 vor allem damit, daß, abgesehen von Erwägungen allgemeiner Art, weder a n irgendeiner Stelle i m Gesetz der Nebenkläger als unfähig z u m Zeugnis erklärt werde, noch die prozessuale Stellung des Nebenklägers als solche zur A n n a h m e der Zeugnisunfähigkeit zwinge. „ D e r Nebenklage ist vor allem R a u m gewährt f ü r alle Fälle d e r Körperverletzung. Berücksichtigt m a n die tatsächliche Bedeutung dieser Deliktsart in der Rechtspflege, erwägt m a n den Wert des Zeugnisses des Verletzten f ü r den Beweis u n d die empfindliche Schädigung der Interessen der Anklage wie auch des Verletzten selbst, wenn das Zeugnis des letzteren nach der Anschlußerklärung unzulässig sein soll, so wird es schon nach diesen Erwägungen der zwingendsten G r ü n d e f ü r die Ann a h m e bedürfen, d a ß die Strafprozeßordnung d e m Nebenkläger die Fähigkeit z u m Zeugnisse h a b e absprechen wollen." 2. Wird der Nebenkläger als Zeuge vernommen, so k a n n er auch b e e i d i g t werden, sofern nicht ein gesetzlicher G r u n d zur u n e i d l i c h e n V e r n e h m u n g (§ 60) vorliegt. G e g e n die e i d l i c h e V e r n e h m u n g des N e b e n k l ä g e r s im vorliegenden Falle bestehen demnach keine Bedenken.

Fall 17

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III. Unterliegt die Frage der Anschlußberechtigung der Prüfung des Berufungsgerichts? 1. Jede Berufung kann sich, wie in Fall 7 Abschn. A II 2 S. 108 ausgeführt wurde, ebenso wie die Revision sowohl gegen das Urteil in seiner G e s a m t h e i t als auch gegen jede im Urteil enthaltene, von den übrigen Urteilsbestandteilen rechtlich loslösbare E i n z e l e n t s c h e i d u n g richten, so z. B. gegen Höhe und Art der erkannten Strafe (im Gegensatz zur Schuldfrage), Verhängung oder Nichtverhängung einer Nebenstrafe, Ehrverlust usw.; sie kann schließlich auch auf den K o s t e n p u n k t bes c h r ä n k t werden. Immer hat die a u s d r ü c k l i c h e B e s c h r ä n k u n g der Berufung auf einen Teil des Urteils selbst zur Folge, daß gemäß § 327 nur dieser eine Teil der Prüfung des Berufungsgerichts unterliegt. D a d u r c h also, d a ß im v o r l i e g e n d e n F a l l e d e r V e r t e i d i g e r des A n g e k l a g t e n a u s d r ü c k l i c h e r k l ä r t h a t , d a ß sich sein Angriff n u r gegen die A b l e h n u n g seines A n t r a g s auf Ü b e r b ü r d u n g d e r K o s t e n auf d e n N e b e n k l ä g e r r i c h t e , k a n n G e g e n s t a n d d e r P r ü f u n g n u r die K o s t e n f r a g e w e r d e n , es sei denn, daß das Berufungsgericht zur Prüfung der Zulassungsfrage usw. v o n Amts wegen verpflichtet war. 2. Eine P r ü f u n g d e r Z u l a s s u n g s f r a g e von A m t s w e g e n k o m m t zwar für das Revisionsgericht (siehe E. 77, 324), nicht aber f ü r das Ber u f u n g s g e r i c h t in B e t r a c h t ; eine solche müßte n u r d a n n eintreten, wenn der N e b e n k l ä g e r d e r B e s c h w e r d e f ü h r e r wäre; dann wäre allerdings der Berufungsrichter verpflichtet, in eine Prüfung dieser Frage von Amts wegen einzutreten, denn nach § 322 hat das Berufungsgericht die Beachtung der Bestimmungen über die Einlegung der Berufung •—• und hierzu gehören auch die Bestimmungen über das R e c h t zur Einlegung des Rechtsmittels •— von Amts wegen zu prüfen (E. 62, 209); stellt sich dabei heraus, daß die Zulassung als Nebenkläger zu Unrecht erfolgt ist, so ist der angebliche Nebenkläger auch nicht zur Berufungseinlegung berechtigt; die Berufung ist alsdann als unzulässig zu verwerfen. W i r k o m m e n also zu d e m S c h l u ß , d a ß d e r P r ü f u n g d e r S t r a f k a m m e r im v o r l i e g e n d e n F a l l e n u r die K o s t e n f r a g e u n t e r l i e g t , u n d d a ß o h n e j e d e N a c h p r ü f u n g die B e r e c h t i g u n g des K a u f m a n n s z u r B e t e i l i g u n g an dem v o r i n s t a n z l i c h e n V e r f a h r e n als N e b e n k l ä g e r u n t e r s t e l l t w e r d e n muß. (NB. Zu dem gleichen Ergebnis müßte man gelangen, wenn es sich um ein R e v i s i o n s v e r f a h r e n handelte. Dem § 327 entspricht § 352, und dem § 322 der § 349.) IV. Auf welche Bestimmung gründet sich der Antrag des Verteidigers in der Kostenfrage? 1. K o s t e n r e c h t l i c h ist für die N e b e n k l a g e folgendes zu beachten: a) Wird der Angeklagte verurteilt, so fallen die gerichtlichen Kosten (Verfahrenskosten) gemäß § 465 dem Angeklagten zur Last. Eine Pflicht des Angeklagten, auch die notwendigen A u s l a g e n des N e b e n k l ä g e r s

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I I . Teil: Lösungen

zu tragen, ergibt sich aus dem Gesetz zwar nicht unmittelbar, wohl aber in analoger Anwendung des §471 Abs. 1. Dieser Vorschrift zufolge hat der Verurteilte nicht nur die Kosten des Verfahrens, sondern auch die notwendigen Auslagen des Privatklägers zu tragen. Da aber gemäß § 397 Abs. 1 der Nebenkläger nach erfolgtem Anschluß die R e c h t e d e s P r i v a t k l ä g e r s hat, bestehen keine Bedenken, §471 Abs. 1 analog anzuwenden (vgl. BGH 11, 195, 197). b) Wird der A n g e k l a g t e f r e i g e s p r o c h e n , so sind die K o s t e n d e s V e r f a h r e n s i m O f f i z i a l v e r f a h r e n gemäß §467 Abs. 1 der Staatskasse, im P r i v a t k l a g e v e r f a h r e n gemäß §471 Abs. 2 dem Privatkläger aufzuerlegen. Eine entsprechende Vorschrift für die Kostenerstattungspflicht des N e b e n k l ä g e r s fehlt, es sei denn, d a ß im Einzelfall die besonderen Voraussetzungen der §§ 469 Abs. 1, 470, 472 a Abs. 2 vorliegen (zu § 469 Abs. 1 s. u. 2). Eine a n a l o g e A n w e n d u n g der für die Privatklage geltenden Kostenbestimmungen auf die Nebenklage ist nicht ohne weiteres möglich. Sie kann insbesondere nicht auf § 397 Abs. 1 gestützt werden, da diese Gesetzesstelle nur von den Rechten des Nebenklägers, nicht auch von seinen Pflichten handelt. Der B u n d e s g e r i c h t s h o f hat sich daher in BGH 11, 189 fr. unter Fortführung der Rechtsprechung des Reichsgerichts auf den Standpunkt gestellt, d a ß der N e b e n k l ä g e r n u r d a n n k o s t e n p f l i c h t i g ist, wenn er allein ein Rechtsmittel eingelegt hat und dieses R e c h t s m i t t e l v e r w o r f e n wird. Nur in diesem Fall ist er dem Privatkläger, dessen Kostenpflicht sich bei einem erfolglosen Rechtsmittel aus § 473 Abs. 1 ergibt, gleichzustellen. Die Berechtigung dieser ausnahmsweisen Gleichstellung hinsichtlich der Kostenpflicht ergibt sich aus der Erwägung, d a ß sich bei einem nur vom Nebenkläger eingelegten Rechtsmittel der Nebenkläger und der Angeklagte in ähnlicher Weise wie die Parteien im Privatklageverfahren gegenüberstehen und der Nebenkläger nur in diesem Fall eine das weitere Verfahren beherrschende Stellung einnimmt. Aus der in diesem Fall ausnahmsweise zulässigen analogen Anwendung des § 473 Abs. 1 folgt weiter, d a ß der Nebenkläger bei einem nur von ihm eingelegten, erfolglos gebliebenen Rechtsmittel nicht n u r die Verfahrenskosten, sondern auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen hat (BGH a. a. O.). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. 2. I m v o r l i e g e n d e n F a l l e n u n hat der Verteidiger seinen Antrag, die der Staatskasse und dem freigesprochenen Angeklagten erwachsenen Kosten des Verfahrens dem Nebenkläger aufzuerlegen, damit begründet, daß der K a u f m a n n bei der Anzeigeerstattung u n d den späteren Vernehmungen g r o b f a h r l ä s s i g den Schreiner als den Täter bezeichnet habe. Der Verteidiger stützt also seinen Antrag auf die Bestimmung des § 469, wonach im Falle einer v o r s ä t z l i c h o d e r l e i c h t f e r t i g e r s t a t t e t e n u n w a h r e n A n z e i g e das Gericht dem Anzeigenden die der Staatskasse u n d dem Beschuldigten erwachsenen Kosten auferlegen kann. Diese Entscheidung, die nicht nur von dem Betroffenen selbst, sondern auch von der Staatsanwaltschaft u n d dem Beschuldigten, von letzterem insbesondere auch dann angegriffen werden kann, wenn die Kosten nicht

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dem Anzeigenden auferlegt wurden, ist, selbst wenn sie in Verbindung mit dem Urteil erlassen wird, eine selbständige, und hat auch in diesem Falle mittels besonderen B e s c h l u s s e s zu erfolgen, wie sich daraus ergibt, d a ß sie nach Abs. 3 mit der s o f o r t i g e n B e s c h w e r d e anfechtbar ist. D e r A m t s r i c h t e r h a t also zu U n r e c h t die E n t s c h e i d u n g n a c h §469 i n d i e U r t e i l s f o r m e l a u f g e n o m m e n . (NB. Das R G vertritt den Standpunkt —• siehe E. 7, 233 und E. 54, 331 —, d a ß im Falle des §469 die s o f o r t i g e B e s c h w e r d e a u c h d a n n d a s a l l e i n z u l ä s s i g e R e c h t s m i t t e l sei, wenn die Entscheidung, wie im vorliegenden Falle, unrichtigerweise im U r t e i l erfolgt ist. Die „Beruf u n g " des freigesprochenen Angeklagten m u ß daher als s o f o r t i g e Bes c h w e r d e behandelt und als solche von der Strafkammer verbeschieden werden.)

V. Wie wäre die Frage der Zulassung als Nebenkläger zu entscheiden, wenn eine schwere Körperverletzung i. S. des § 224 StGB in Frage stünde? 1. Eine Anschlußberechtigung aus § 395 Abs. 1 entfällt, da der Kaufm a n n nach dem Tod seines Sohnes weder als dessen Vertreter noch in eigenem Namen Privatklage erheben könnte (s. o. Abschn. B I 1). 2. § 395 Abs. 2 Ziff. 1 entfällt, da der Tod des Sohnes nicht auf die Mißhandlung zurückzuführen ist. Auch insoweit ergeben sich keine Abweichungen gegenüber Frage 1. 3. Eine Anschlußberechtigung aus § 395 Abs. 2 Ziff. 2 würde voraussetzen, d a ß ein K l a g e e r z w i n g u n g s v e r f a h r e n gemäß § 172 Abs. 2 durchgeführt worden wäre. Aus dem Sachverhalt ergibt sich jedoch nicht, d a ß das Oberlandesgericht mit der Sache befaßt worden ist. Die StA Mannheim ist vielmehr bereits aufgrund der gemäß § 172 Abs. 1 an den Generalstaatsanwalt gerichteten Einstellungsbeschwerde angewiesen worden, Anklage zu erheben. Aber selbst wenn ein Klageerzwingungsverfahren gemäß § 172 Abs. 2 durchgeführt worden wäre, so hätte der K a u f m a n n den Antrag auf gerichtliche Entscheidung nicht in eigenem Namen, sondern nur in seiner Eigenschaft als gesetzlicher Vertreter seines Sohnes stellen können. I n eigenem Namen konnte er das Klageerzwingungsverfahren nicht betreiben, da er s e l b s t d u r c h d i e T a t n i c h t u n m i t t e l b a r v e r l e t z t worden ist, was jedoch eine unabdingbare Voraussetzung sowohl für §172 als auch für §395 Abs. 2 Ziff. 2 darstellt (vgl. O L G H a m b u r g N J W 55, 1770; Schwarz-Kleinknecht §172 Anm. 3; siehe auch Fall 2 Abschn. B I V 3, S. 24). Der Umstand, d a ß der K a u f m a n n f ü r die Krankenhauskosten seines Sohnes aufkommen mußte, genügt, da es sich nur u m einen mittelbaren Schaden handelt, entgegen der noch in der Vorauflage vertretenen Ansicht nicht, hieraus eine Nebenklageberechtigung gemäß §§ 172 Abs. 2, 395 Abs. 2 Ziff. 2 abzuleiten. H a t t e der K a u f m a n n aber das Klageerzwingungsverfahren nur als gesetzlicher Vertreter betrieben, so entfallt nach dem T o d des Sohnes mit der gesetzlichen Vertretung auch die Nebenklageberechtigung.

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I I . Teil: Lösungen

VI. Wie ist die Frage V zu entscheiden, wenn der Sohn nicht gestorben ist ? 1. Lebt der Sohn noch und wurde ein Klageerzwingungsverfahren durchgeführt, so ergibt sich die Berechtigung z u m Anschluß als Nebenkläger aus § 395 I I Ziff. 2. D a ß § 224 StGB nicht zu den Privatklagedelikten gehört, ist unbeachtlich, da sich § 395 I I Ziff. 2 gerade nicht auf Privatklagedelikte erstreckt; für diese ist j a ein Klageerzwingungsverfahren überhaupt nicht möglich (§ 172 I I S. 3). 2. W u r d e k e i n Klageerzwingungsverfahren durchgeführt, so ergibt sich das Recht z u m Anschluß als Nebenkläger aus § 374 I Ziff. 3 i. V. mit Abs. 2 und 3 sowie § 395 I. Dem steht auch hier nicht entgegen, d a ß § 224 StGB nicht zu den Privatklagedelikten gehört. Die A n s c h l u ß b e r e c h t i g u n g h ä n g t n ä m l i c h n i c h t d a v o n ab, d a ß die T a t in der Anklageschrift unter d e n rechtlichen Gesichtspunkt gestellt ist, unter dem allein der Anschluß zulässig sein würde, ebensowenig davon, d a ß die T a t schließlich auch im Urteil unter einem solchen Gesichtspunkt gewertet ist. D i e Z u l a s s u n g d e r N e b e n k l a g e i s t vielmehr lediglich d a d u r c h b e d i n g t , daß nach dem tatsächlichen Inhalt der Anklage oder d e m jeweiligen Verhandlungsergebnis die r e c h t l i c h e M ö g l i c h k e i t vorliegt, das den Gegenstand der Anklage oder der Verhandlung bildende T u n des Angeklagten, sei es auch nur in bestimmter Richtung, unter einem solchen rechtlichen Gesichtspunkt zu betrachten, der nach den gesetzlichen Bestimmungen (§§ 374, 395) die Erhebung einer Nebenklage zuläßt.

Nachtrag Die Entschädigung des Verletzten (Adhäsionsprozeß) Der S i n n u n d Z w e c k des in §§ 403—4o6d geregelten Verfahrens ist es, D o p p e l a r b e i t z u v e r m e i d e n , indem in einem Verfahren nicht nur über die strafrechtliche Schuld entschieden, sondern z u g l e i c h der durch die strafbare H a n d l u n g begründete z i v i l r e c h t l i c h e S c h a d e n s e r s a t z a n s p r u c h geregelt werden kann, soweit eine solche Zusatzentscheidung ohne wesentliche Verzögerung des Strafverfahrens möglich ist. I m m e r aber bleibt es dem Verletzten überlassen, ob er seinen Entschädigungsanspruch im Strafverfahren oder im Zivilprozeß verwirklichen will. I. G e g e n s t a n d des Adhäsionsprozesses 1. Es können geltend gemacht werden a l l e v e r m ö g e n s r e c h t l i c h e n A n s p r ü c h e , die aus der strafbaren H a n d l u n g gegen den Beschuldigten entstanden sind, soweit sie zur Zuständigkeit der o r d e n t l i c h e n Gerichte gehören (arbeitsgerichtliche Ansprüche können z. B. nicht geltend gemacht werden) u n d noch nicht anderweitig gerichtlich anhängig gemacht sind (§ 403 Abs. 1). In Frage kommen nicht nur S c h a d e n s e r s a t z a n s p r ü c h e

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i n G e l d , sondern insbesondere auch Ansprüche auf R ü c k g a b e der durch die strafbare Handlung (z. B. einen Diebstahl) erlangten Sache oder R e n t e n a n s p r ü c h e (z. B. bei Verletzungen durch einen fahrlässig verursachten Autounfall). 2. Die H ö h e d e r E n t s c h ä d i g u n g ist unbegrenzt. In a m t s g e r i c h t l i c h e n S t r a f v e r f a h r e n kann aber der Entschädigungsanspruch nur insoweit geltend gemacht werden, als der Anspruch die zivilrechtliche Zuständigkeitsgrenze (z. Z. 1500,—• DM) nicht übersteigt. Den diese Grenze überschreitenden Teil seines Entschädigungsanspruchs kann der Antragsteller vor den Zivilgerichten weiter verfolgen. II. D a s V e r f a h r e n 1. A n t r a g s b e r e c h t i g t ist der V e r l e t z t e oder sein Erbe. (Wegen des Begriffs „ V e r l e t z t e r " s. o. B V 3). a) Der Antrag kann s c h r i f t l i c h oder m ü n d l i c h z u P r o t o k o l l d e s U r k u n d s b e a m t e n oder m ü n d l i c h i n d e r H a u p t v e r h a n d l u n g bis zu Beginn der Schlußvorträge g e s t e l l t und bis zur Verkündung des Urteils z u r ü c k g e n o m m e n werden (§ 404 Abs. 1 und 4). b) Die Antragstellung entspricht einer K l a g e e r h e b u n g im bürgerlichen Rechtsstreit (§ 404 II), hat also die Wirkung der Rechtshängigkeit (Unterbrechung der Verjährung). 2. Der Antragsteller ist, wenn er seinen Antrag schon im Vorverfahren gestellt hat, von O r t und Zeit der Hauptverhandlung zu b e n a c h r i c h t i g e n , damit er in der Hauptverhandlung erscheinen u n d zur Sache gehört werden kann (§ 404 Abs. 3 Satz 1. Eine A n w e s e n h e i t s p f l i c h t besteht für den Antragsberechtigten nicht (§ 404 Abs. 3 Satz 2). 3. F ü r d i e E n t s c h e i d u n g s e l b s t g i l t f o l g e n d e s : a ) Eine V e r u r t e i l u n g zur Entschädigung ist davon abhängig, d a ß der Angeklagte einer Straftat s c h u l d i g g e s p r o c h e n oder eine Maßregel der Sicherung und Besserung gegen ihn angeordnet wird und d a ß der Antrag b e g r ü n d e t ist (§405 Satz 1). In diesem Falle ist die Entscheidung über den Entschädigungsanspruch in den T e n o r des S t r a f u r t e i l s aufzunehmen (§406 Abs. 1). Die Entscheidung kann für v o r l ä u f i g v o l l s t r e c k b a r erklärt werden (§ 406 Abs. 2). Die U r t e i l s f o r m e l müßte also lauten: „Der Angeklagte wird wegen Betrugs zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Er wird ferner zur Zahlung eines Schadensersatzes von 500,— D M an den Verletzten X verurteilt. Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Das Urteil ist, soweit es auf Zahlung des Schadensersatzes lautet, gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 500,— D M vorläufig vollstreckbar." b) Das Gericht s i e h t gemäß §405 Satz 2 v o n d e r E n t s c h e i d u n g ab, aa) wenn die zu a) genannten Voraussetzungen nicht gegeben sind, bb) wenn sich der Antrag zur Erledigung im Strafverfahren n i c h t e i g n e t , insbesondere wenn seine Prüfung das Verfahren verzögern würde,

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I I . Teil: Lösungen

cc) wenn der Antrag u n z u l ä s s i g ist, d. h. wenn die in §§ 403, 404 bezeichneten Verfahrensvoraussetzungen nicht gegeben sind. In diesen drei Fällen kann das „ A b s e h e n v o n e i n e r E n t s c h e i d u n g " durch B e s c h l u ß geschehen, der in der Regel zusammen mit dem Urteil ergehen wird (§ 405 letzter Halbsatz). Dieser Beschluß steht einer weiteren Verfolgung der Schadensersatzansprüche im Z i v i l p r o z e ß natürlich nicht entgegen. (Siehe Ziff. 4 a.) c) Siehe im übrigen Abs. 2, 3 und 4 des § 406. 4. D i e R e c h t s m i t t e l a ) Der A n t r a g s t e l l e r hat k e i n Rechtsmittel (§4o6aI). Soweit sein Anspruch nicht zuerkannt ist, kann er, wie erwähnt, anderweit geltend gemacht werden (§ 406 Abs. 3 Satz 2). Der Entschädigunsganspruch kann also im Strafverfahren n i c h t r e c h t s k r ä f t i g a b e r k a n n t werden. b) Der A n g e k l a g t e kann, soweit das Gericht dem Antrag stattgibt, die Entscheidung auch ohne den strafrechtlichen Teil des Urteils mit den sonst zulässigen Rechtsmitteln anfechten (§ 406 a Abs. 2 Satz 1). In diesem Falle kann über das Rechtsmittel durch B e s c h l u ß in nicht öffentlicher Sitzung entschieden werden (§ 406 a I I Satz 2). c) Wird auf ein Rechtsmittel unter Aufhebung der Verurteilung der A n g e k l a g t e einer Straftat n i c h t s c h u l d i g gesprochen und auch nicht eine Maßregel der Sicherung und Besserung gegen ihn angeordnet, so ist z u g l e i c h die dem Antrag stattgebende Entscheidung aufzuheben, auch wenn das Urteil insoweit nicht angefochten ist (§ 406 a Abs. 3). 5. Wegen V o l l s t r e c k u n g vgl. § 406b und wegen W i e d e r a u f n a h m e , die nur vom Angeklagten und nicht auch vom Antragsteller betrieben werden kann, siehe § 406 c. 6. Verlangt der Verletzte eine B u ß e (gemäß §§ 188, 231 StGB), so finden die Vorschriften des Adhäsionsprozesses sinngemäße Anwendung (§ 4o6d Abs. 1) mit der A b w e i c h u n g , daß der Antrag, falls er unzulässig oder unbegründet ist, im U r t e i l a b g e l e h n t wird und somit im Falle der Rechtskraft des Urteils nicht mehr anderweitig geltend gemacht werden kann (§ 406 d Abs. 2). 7. Die K o s t e n f r a g e ist in § 472a geregelt.

ZU FALL 18 A. V o r b e m e r k u n g : D a s Urteil I. Wie k o m m t ein Strafurteil zustande? 1. Nach § 261 entscheidet das Gericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner f r e i e n , a u s d e m I n b e g r i f f d e r V e r h a n d l u n g g e s c h ö p f t e n U b e r z e u g u n g . Die Strafgerichte haben also bei Beur-

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teilung der Schuld oder Nichtschuld u n d bei Festsetzung der Strafe n a c h ihrer pflichtmäßigen tatsächlichen u n d rechtlichen Ü b e r z e u g u n g zu entscheiden, o h n e a n b e s t i m m t e B e w e i s r e g e l n g e b u n d e n zu sein. K a n n der T a t r i c h t e r trotz A u s n u t z u n g der v o r h a n d e n e n Beweismittel die U b e r zeugung von einem bestimmten Geschehnisablauf nicht gewinnen, so darf er i h n n a c h d e m Grundsatz „ i n d u b i o p r o r e o " keiner d e m Angeklagten ungünstigen Entscheidung zugrundelegen ( B G H 10, 208). Das R e v i s i o n s g e r i c h t ist nicht befugt, dies deshalb zu beanstanden, weil n a c h seiner eigenen Ü b e r z e u g u n g dieser Geschehnisablauf mit einer „ a n Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit" festgestellt sei ( B G H a. a. O . ) . Ein mit der Revision angreifbarer R e c h t s f e h l e r liegt n u r d a n n vor, w e n n das Gericht z w a r von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt ist, a b e r dennoch freis p r i c h t m i t der Begründung, es bestehe r e i n t h e o r e t i s c h die Möglichkeit, d a ß der tatsächliche Geschehnisablauf doch von d e m abweicht, der n a c h der U b e r z e u g u n g des Gerichts als erwiesen anzusehen ist ( B G H 10, 211). U m g e k e h r t liegt ein mit der Revision angreifbarer Rechtsfehler a u c h d a n n vor, w e n n das Urteil erkennen läßt, d a ß das Gericht seine eigenen Z w e i f e l a n d e r Richtigkeit des der Verurteilung zugrundegelegten Sachverhalts n i c h t ü b e r w u n d e n h a t oder d a ß es seine U b e r z e u g u n g aus V o r g ä n g e n schöpft, die gar nicht Gegenstand der H V waren. 2. E i n e D u r c h b r e c h u n g des G r u n d s a t z e s d e r f r e i e n Beweisw ü r d i g u n g enthält § 190 StGB. Der Zweck dieser Bestimmung, die auf alle T a t b e s t ä n d e der §§ 185 fr. StGB A n w e n d u n g findet, bei denen der Wahrheitsbeweis von Bedeutung ist, besteht in folgendem: Es soll verhindert werden, d a ß der V e r d a c h t einer s t r a f b a r e n H a n d l u n g , der bereits Gegenstand eines rechtskräftig d u r c h Sachurteil abgeschlossenen Strafverfahrens war, i m R a h m e n eines n e u e n Verfahrens wegen Beleidigung, übler N a c h r e d e oder V e r l e u m d u n g nochmals geprüft werden k a n n oder m u ß . Es ist ein Anliegen der Rechtssicherheit u n d des Rechtsfriedens, d a ß ü b e r die gleiche Frage keine abweichenden Entscheidungen ergehen. Wegen Einzelheiten siehe Petters-Preisendanz, Strafgesetzbuch, § 190 A n m . 2 sowie B a y O b L G J R 60, 468. 3 . K e i n e D u r c h b r e c h u n g des Grundsatzes der freien Beweiswürdig u n g enthalten die §§ 245 a, 259 StGB. Hier h a n d e l t es sich u m g e s e t z l i c h e B e w e i s v e r m u t u n g e n , die i m Einzelfall w i d e r l e g b a r sind, d e m Angeklagten jedoch — ähnlich wie i m Falle des § 186 StGB bei Mißlingen des Wahrheitsbeweises — zwar keine Beweislast, wohl a b e r ein B e w e i s r i s i k o auferlegen. Sowohl bei § 2 4 5 a StGB als auch bei § 2 5 9 StGB wird der N a c h w e i s d e s V o r s a t z e s d a d u r c h e r l e i c h t e r t , d a ß bei besonders belastenden U m s t ä n d e n , die j e d e m unbefangenen Betrachter i m Falle des § 245 a d e n Verwendungszweck bestimmter Sachen als Diebeswerkzeug bzw. — i m Falle des § 259 — die s t r a f b a r e H e r k u n f t der Sache h ä t t e n a u f d r ä n g e n müssen, von diesen U m s t ä n d e n auf den Vorsatz geschlossen w e r d e n k a n n . Einzelheiten siehe Petters-Preisendanz, Strafgesetzbuch, § 245 a A n m . 4, § 259 A n m . V 1. A u c h der neue § 42 m Abs. 2 StGB enthält eine solche Beweisvermutung.

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II. Teil: Lösungen

4. Bezüglich der G e b u n d e n h e i t d e s S t r a f r i c h t e r s a n f r ü h e r e U r t e i l e e r g i b t sich aus d e m G r u n d s a t z d e r f r e i e n Beweiswürdigung folgendes: Zu früheren S t r a f u r t e i l e n besteht keinerlei Bindung (mit Ausnahme des oben erwähnten, in § 190 StGB geregelten Falles). Ebenso hat das Gesetz bezüglich der Frage einer B i n d u n g a n Z i v i l u r t e i l e in Abs. 1 des § 262 die Regel aufgestellt, daß die Entscheidung zivilrechtlicher Vorfragen Sache des Strafrichters ist. Der Strafrichter ist daher in einem Verfahren wegen Unterhaltspflichtverletzung (§ 170 b StGB) nicht gehindert, das Bestehen einer Unterhaltspflicht zu verneinen, obwohl der Angeklagte im Zivilprozeß bereits rechtskräftig zur Unterhaltszahlung verurteilt worden ist (BGH 5, 106). Umgekehrt kann er die Unterhaltspflicht bejahen, obwohl der Unterhaltsanspruch rechtskräftig abgewiesen wurde ( O L G Stuttgart NJW 60, 2204). Bestritten ist, ob diese Grundsätze auch bei sog. S t a t u s u r t e i l e n gelten, d. h. bei Urteilen, die rechtsgestaltende Wirkung haben (vgl. §§ 640, 644 ZPO). Die h. L. steht hier auf dem Standpunkt, daß solche Urteile, sofern sie vor dem Strafverfahren ergangen sind, eine Rechtslage begründet haben, die auch für den später entscheidenden Strafrichter verbindlich ist. Ist z. B. eine Ehe rechtskräftig geschieden worden, so existiert sie auch für den Strafrichter nicht mehr (vgl. Eb. Schmidt, Lehrkommentar, Teil II, § 262 Rn. 21). Entsprechendes gilt für r e c h t s g e s t a l t e n d e V e r w a l t u n g s a k t e (Eb. Schmidt a. a. O.). 5. G e g e n s t a n d d e r U r t e i l s f i n d u n g ist nach § 264 die in der gerichtlich zugelassenen Anklage bezeichnete T a t , wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellt. (Siehe hierzu Nachtrag zu Fall 5, S. 86ff.). 6. B e r a t u n g und A b s t i m m u n g finden unter A u s s c h l u ß d e r Ö f f e n t l i c h k e i t statt, und zwar regelmäßig im B e r a t u n g s z i m m e r , also räumlich außerhalb des S i t z u n g s z i m m e r s (siehe § 193 GVG). (NB. Abstimmungen, die nicht das Urteil selbst, sondern Fragen des dem Urteil vorangehenden Verhandlungsverfahrens betreffen, wie Beurteilung eines Beweisantrags, Verlesen von Urkunden, Aussetzung der Verhandlung usw. können in Gegenwart der Prozeßbeteiligten und Zuhörer mit leiser, für andere nicht wahrnehmbarer Stimme erfolgen, siehe E. 22, 396; 42, 85.) 7. D i e A b s t i m m u n g m u ß s i c h a u f f o l g e n d e P u n k t e e r s t r e c k e n : a) auf die Frage, ob überhaupt eine Sachentscheidung ergehen darf. Hieran fehlt es, wenn eine P r o z e ß v o r a u s s e t z u n g (z. B. ein Strafantrag) fehlt oder wenn ein P r o z e ß h i n d e r n i s vorliegt, z. B. wenn die T a t bereits verjährt ist. b) auf die S c h u l d f r a g e , d. h. ob der Angeklagte tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat. Auch die Prüfung der objektiven Strafbarkeitsbedingungen und der Strafausschließungs- bzw. Strafaufhebungsgründe gehört zur Schuldfrage, nicht dagegen die Rückfallsvoraus-

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Setzungen (vgl. § 263 Abs. 3) und die Strafaussetzung zur Bewährung (vgl. § 263 Abs. 4). Die Schuldfrage wird grundsätzlich nur ungeteilt zur Abstimmung gebracht. Es wird also nicht getrennt über Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld abgestimmt. c) auf die S t r a f f r a g e einschließlich etwaiger Nebenstrafen; d ) auf die Frage, ob M a ß r e g e l n d e r S i c h e r u n g u n d B e s s e r u n g in Betracht kommen; e) auf die E n t s c h ä d i g u n g d e s V e r l e t z t e n im Adhäsionsverfahren (vgl. Nachtrag zu Fall 17); f ) auf die K o s t e n f r a g e . 8. Die zur Entscheidung berufenen Richter sind v e r p f l i c h t e t , sich an der Beratung und Abstimmung zu b e t e i l i g e n , insbesondere darf kein Richter, falls m e h r e r e F r a g e n zur Entscheidung stehen, die Abstimmung über eine Frage verweigern, weil er bei der Abstimmung über eine vorhergegangene Frage in der Minderheit geblieben ist (§ 195 G V G ) . Falls er z. B. die Schuldfrage verneint hat, muß er trotzdem noch zur Straffrage Stellung nehmen. 9. B e r a t u n g u n d A b s t i m m u n g werden vom Vorsitzenden geleitet (§ 194 G V G ) . Abgestimmt wird gemäß § 197 G V G in folgender Reihenfolge : a) der Berichterstatter, b) die ehrenamtlichen Richter; sie stimmen nach dem Lebensalter, der Jüngere vor dem Älteren, c) die übrigen beisitzenden Berufsrichter, und zwar in der Reihenfolge nach dem Dienstalter, d ) der Vorsitzende. E r g ä n z u n g s r i c h t e r (§ 192 Abs. 2 G V G ) dürfen sich an der Beweisaufnahme beteiligen, dagegen bei der Beratung nicht zugegen sein. 10. R e g e l m ä ß i g erfolgen die Entscheidungen nach der a b s o l u t e n M e h r h e i t der Stimmen, § 196 Abs. 1 G V G . a) Die a b s o l u t e (einfache) M e h r h e i t bilden: im S c h ö f f e n g e r i c h t , in der kl. S t r a f k a m m e r und den S t r a f s e n a t e n d e r O b e r l a n d e s g e r i c h t e (als Revisionsgerichte) z w e i Richter; in der g r o ß e n S t r a f k a m m e r und den S t r a f s e n a t e n des B u n d e s g e r i c h t s h o f s d r e i Richter; im S c h w u r g e r i c h t f ü n f Richter. Beim e r w e i t e r t e n S c h ö f f e n g e r i c h t gibt bei Stimmengleichheit die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag, § 196 I V . b ) Mit der a b s o l u t e n (einfachen) M e h r h e i t wird entschieden: aa) über die in Abschnitt 7 geannnten Fragen mit A u s n a h m e d e r S c h u l d f r a g e u n d S t r a f f r a g e (siehe folgender Abschnitt 11); bb) in allen das V e r f a h r e n , also nicht das Urteil selbst betreffenden Fragen, wie Verbescheidung eines Beweisantrags, Verlesung von Urkunden, Aussetzung der Verhandlung; P c t t e r s - P r e i s e n d a n z , Sttafprozeßfällc, 8. Aufl.

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II. Teil: Lösungen

cc) über die Frage der Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft und der im Wiederaufnahmeverfahren Freigesprochenen. dd) Daß kraft ausdrücklicher Bestimmung in § 263 Abs. 3 auch über R ü c k f a l l und V e r j ä h r u n g mit a b s o l u t e r Mehrheit abgestimmt wird, wird oft übersehen. Werden also z. B. in der gr. StrK die R ü c k f a l l v o r a u s s e t z u n g e n des Diebstahls von drei Richtern bejaht, während sie zwei Richter verneinen, so muß Urteil wegen Rückfalldiebstahls ergehen; ebenso muß Verurteilung erfolgen, wenn von den fünf Richtern drei die Verjährung verneinen. ee) über S t r a f a u s s e t z u n g z u r B e w ä h r u n g (§263 Abs. 4). 11. Uber die für das Strafverfahren w i c h t i g s t e n F r a g e n wird mit der M e h r h e i t v o n z w e i D r i t t e l n entschieden, nämlich in jeder dem Angeklagten nachteiligen Entscheidung, die die S c h u l d f r a g e , die S t r a f f r a g e und die A n o r d n u n g e i n e r M a ß r e g e l d e r S i c h e r u n g u n d Besser u n g betrifft (§ 263 Abs. 1). Für das S c h ö f f e n g e r i c h t , die k l e i n e Strafkammer und das Oberlandesgericht als Revisionsgericht ist diese Vorschrift ohne Bedeutung, da bei diesen Gerichten die Z w e i d r i t t e l m e h r h e i t mit der e i n f a c h e n M e h r h e i t zusammenfällt. Dagegen kann in der g r o ß e n Strafkammer und im B u n d e s g e r i c h t s h o f (fünf Richter) eine Verurteilung nur erfolgen, wenn vier Mitglieder, und im S c h w u r g e r i c h t (neun Richter), wenn sechs Mitglieder die Schuldfrage bejahen. Beim e r w e i t e r t e n Schöffengericht muß eine qualifizierte Mehrheit von drei Richtern Zustandekommen. 12. A b s t i m m u n g s b e i s p i e l e betr. die S c h u l d f r a g e : a) Die Putzfrau X hat ihrer Arbeitgeberin ein Kleid entwendet; Strafantrag wurde nicht gestellt. Es wird gegen die X zusammen mit anderen Anklagepunkten Anklage wegen Diebstahls (§ 242 StGB) vor dem S c h ö f f e n g e r i c h t erhoben. Richter A ist der Ansicht, daß die Angeklagte X sich als G e s i n d e in der häuslichen Gemeinschaft befunden habe und daß der W e r t des Kleides gering war; er stimmt daher für Einstellung mangels Strafantrags (§§ 247 I StGB, 260 III StPO). Richter B v e r n e i n t das Tatbestandsmerkmal „häusliche Gemeinschaft". Richter C v e r n e i n t die Geringwertigkeit. Die Angeklagte muß wegen Diebstahls nach § 242 verurteilt werden, da zwei Richter die Voraussetzungen des § 247 StGB, wenn auch aus verschiedenen Gründen, verneint und damit diejenigen des § 242 bejaht haben. b) In einem Strafverfahren vor dem S c h ö f f e n g e r i c h t wegen gefährlicher Körperverletzung hält der Richter A die T ä t e r s c h a f t nicht für erwiesen, während der Richter B N o t w e h r für vorliegend erachtet und der Richter C die Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t des Angeklagten v e r n e i n t . Bei einer Abstimmung n a c h T e i l e n müßte der Angeklagte v e r u r t e i l t werden (während doch jeder der drei Richter seine Freisprechung wünscht), denn die T ä t e r s c h a f t wird mit Zweidrittelmehrheit b e j a h t , ebenso die Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t , während die N o t w e h r mit Zweidrittelmehr-

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heit v e r n e i n t wird. Der Angeklagte ist aber f r e i z u s p r e c h e n , da sich keine Zweidrittelmehrheit für eine Bejahung der Schuldfrage ergeben hat. 13. Die S t r a f f r a g e betrifft auch die Fragen, ob und auf welche N e b e n s t r a f e n zu erkennen ist, ob mildernde Umstände zuzubilligen sind, ob ein besonders schwerer F a l l i. S. des § 263 Abs. 4 oder des § 266 Abs. 2 StGB vorliegt, ob bei J u g e n d l i c h e n von Strafe abzusehen ist und schließlich ob die erlittene U n t e r s u c h u n g s h a f t anzurechnen ist. (Mildernde Umstände können also in der gr. StrK. nur dann abgelehnt werden, wenn mindestens vier Richter dagegen sind; stimmen zwei Richter für mildernde Umstände, dann müssen sie zugebilligt werden.) Bei der A b s t i m m u n g über die S t r a f b e m e s s u n g ist noch folgendes zu beachten: a) Bilden sich zwei Meinungen, ohne daß eine die erforderliche Mehrheit für sich hat, so gilt die mildere Meinung (196 I I I S. 2 GVG). B e i s p i e l : In der großen S t r a f k a m m e r stimmen die Richter A, B und C für sechs Monate Gefängnis und die Richter D und E für vier Monate Gefängnis. Es ist auf vier Monate zu erkennen. (NB. Ist das Gericht mit drei Richtern besetzt, dann hat bei zwei Meinungen immer eine die erforderliche Mehrheit.) b) Bilden sich mehr als zwei Meinungen, von denen keine die erforderliche Mehrheit für sich hat, so werden die dem Beschuldigten nachteiligsten Stimmen den zunächst minder nachteiligen Stimmen so lange hinzugerechnet, bis sich die erforderliche Mehrheit ergibt (§ 196 I I I Satz 1.) Beispiel: In der großen S t r a f k a m m e r stimmt der Richter A für fünf Jahre, der Richter B für vier Jahre, der Richter C für drei Jahre, der Richter D für zwei Jahre und der Richter E für ein Jahr Zuchthaus. Es ist auf zwei Jahre Zuchthaus zu erkennen. (NB. § 196 Abs. 2 kommt in Frage bei Strafsachen, in welchen auf Buße erkannt werden kann, sowie beim Verfahren nach §§ 403 ff.) 14. Über Beratung und Abstimmung haben alle Beteiligten S t i l l schweigen zu bewahren. Dies ergibt sich für die Berufsrichter aus § 43 DRiG, für die Laienrichter aus § 45 Abs. 3 DRiG. Aus dem Beratungsgeheimnis folgt, daß es prozessual grundsätzlich unzulässig ist, einen Richter über die Vorgänge bei der Beratung als Zeugen zu vernehmen (E. 26, 202; 36, 371; 61 > 217). Der Richter kann nicht zur Aussage gezwungen werden. Dies hindert ihn jedoch nicht, sich freiwillig als Zeuge zur Verfügung zu stellen, wenn die Frage zu klären ist, ob einer der beteiligten Richter sich bei der Beratung einer strafbaren Handlung (z. B. Rechtsbeugung, Amtsbegünstigung) schuldig gemacht hat (vgl. Schwarz-Kleinknecht, § 43 DRiG Anm. 3 B). II. Die Verkündung des Urteils, § 268 1 . Die Verkündung des Urteils, das im Namen des Volkes ergeht (§ 268 I), besteht aus : a) der Verlesung der Urteilsformel (sie muß also vor Verkündung des Urteils niedergeschrieben werden), u*

212 b) 2. a) b)

I I . Teil: Lösungen der Eröffnung der Urteilsgründe, § 268 Abs. 2. Die V e r k ü n d u n g e r f o l g t (§ 268 I I ) : entweder a m S c h l u ß d e r V e r h a n d l u n g (das ist die Regel), oder spätestens a m v i e r t e n T a g e nach d e m Schluß der V e r h a n d l u n g .

Dieser Vorschrift liegt der G e d a n k e zugrunde, d a ß Beratung u n d Entscheidung unter d e m frischen Eindruck der V e r h a n d l u n g stehen sollen. Andererseits ist es in größeren Verfahren oft k a u m möglich, i n n e r h a l b von 3 bzw. 4 T a g e n nach Schluß der V e r h a n d l u n g ein allseits befriedigendes Urteil zu finden. R e c h t s p r e c h u n g u n d Schrifttum h a b e n sich d a h e r überwiegend auf den S t a n d p u n k t gestellt, d a ß § 268 Abs. 2 Satz 1 n u r eine S o l l v o r s c h r i f t enthält. H i e r a u s f o l g t (entgegen der noch in der Vorauflage vertretenen, strengeren Ansicht): Wird die 4-Tagefrist des § 268 Abs. 2 Satz 1 überschritten, das Urteil aber noch innerhalb der (zwingenden!) Frist des § 229, d. h. spätestens a m 11. T a g n a c h Schluß der V e r h a n d l u n g verkündet, so bedeutet dies keinen Verfahrensfehler, auf den die Revision gestützt werden könnte (vgl. B G H 9, 302; E b . Schmidt, L e h r k o m m e n t a r , Teil I I § 268 R n . 1 5 ; Schwarz-Kleinknecht § 268 A n m . 2). 3. Auf d e m g l e i c h e n G r u n d g e d a n k e n beruht die weitere Vorschrift des § 268 Abs. 3, d a ß nämlich im Falle der Aussetzung der V e r k ü n d u n g die U r t e i l s g r ü n d e schon v o r der V e r k ü n d u n g s c h r i f t l i c h niedergelegt sein sollen. Auch mit dieser Vorschrift soll eine Sicherheit d a f ü r geschaffen werden, d a ß die schriftlichen Urteilsgründe (dazu gehört auch die U n t e r schrift sämtlicher Berufsrichter, welche bei der Entscheidung mitgewirkt haben) unter d e m frischen Eindruck der mündlichen V e r h a n d l u n g festgestellt werden. Diese Vorschrift ist aber ebenfalls n u r eine S o l l v o r s c h r i f t . Dasselbe gilt f ü r § 2 7 5 Abs. 1, wonach das verkündete Urteil mit den G r ü n d e n binnen e i n e r W o c h e n a c h der V e r k ü n d u n g z u d e n A k t e n z u b r i n g e n ist ( B G H J Z 53, 284). 4. Lange streitig w a r die Frage, ob ein Amtsrichter gegen das Gesetz verstößt, w e n n er die U r t e i l s f o r m e l w ä h r e n d d e r S c h l u ß v o r t r ä g e n i e d e r s c h r e i b t . Der Bundesgerichtshof h a t sich hierzu in B G H 11, 74 (79) wie folgt g e ä u ß e r t : „ D e r Einzelrichter berät n u r mit sich selbst. Bei ihm ist im Gegensatz z u m Kollegialgericht die Beratung ein Vorgang, der sich im I n n e r n eines einzelnen Menschen abspielt. E r bedeutet im Gegensatz zur Beratung des Kollegialgerichts, d a ß der Richter nicht mit a n d e r e n berät, sondern bei sich überlegt, wie zu entscheiden ist. M i t vorbereitenden Überlegungen hierzu beginnt ein Richter in aller Regel nicht erst nach d e m Schlußwort des Angeklagten, sondern schon vorher. Die Beratung des Einzelrichters ist im G r u n d e genommen n u r eine unmittelbare Fortsetzung dieser Überlegungen. Sie endet in d e m Augenblick, in d e m der Richter seine Überlegungen abschließt, d . h . sich endgültig entscheidet. H i e r z u kann es n a c h d e m Schlußwort des Angeklagten längerer Überlegungen bedürfen. Es gibt aber auch Fälle, die so klar liegen, d a ß Sekunden genügen. Die so geartete Beratung des Einzelrichters k a n n zwar äußerlich in Erscheinung treten, b r a u c h t dies aber nicht unbedingt zu t u n . Es gibt weder

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213

ein Gesetz noch einen Rechtsgrundsatz des Inhalts, daß der Einzelrichter nach dem Schlußwort des Angeklagten Vorkehrungen treffen muß, die äußerlich erkennbar machen, daß er noch überlegt." Der BGH kommt nach diesen Ausführungen zu dem Ergebnis, daß das Niederschreiben des Urteilstenors vor Beendigung der Schlußvorträge für sich allein weder einen Verstoß gegen § 261 StPO noch gegen Art. 103 I GG darstellt. III. Das Urteil besteht aus vier Teilen: 1. dem sog. R u b r u m : Bezeichnung der Strafsache (Namen des Angeklagten und Bezeichnung der Tat), Bezeichnung des Tages der Sitzung, Namen der Richter, der Geschworenen, der Schöffen, des Staatsanwalts, des Verteidigers und des Urkundsbeamten, § 275 Abs. 3, 2. der Urteilsformel (Tenor), § 260, 3. den Urteilsgründen, § 267, 4. den Unterschriften, § 275 Abs. 2. IV. Die Urteilsformel (der Tenor) enthält den e n t s c h e i d e n d e n T e i l des Urteils. Eine gesetzliche Vorschrift über ihren Inhalt gibt es, abgesehen von der allgemeinen Bestimmung des § 260, nicht. 1. Die Urteilsformel muß, da sie allein die maßgebende Entscheidung enthält, aus sich s e l b s t h e r a u s v e r s t ä n d l i c h sein und keiner Ergänzung aus den Gründen bedürfen, zumal gemäß § 451 eine beglaubigte Abschrift der Urteilsformel die Grundlage der Strafvollstreckung bildet. 2. Wird der Angeklagte wegen mehrerer t a t e i n h e i t l i c h i. S. des § 73 StGB zusammentreffender Straftaten verurteilt, so muß der Urteilstenor die sämtlichen Straftaten enthalten wie beim Vorliegen von T a t m e h r h e i t i. S. des § 74 StGB. Nimmt das Gericht entgegen der Würdigung im Eröffnungsbeschluß eine von mehreren t a t e i n h e i t l i c h zusammentreffenden Straftaten nicht für erwiesen an, so darf hinsichtlich dieser Straftat nicht Freisprechung erfolgen. Ist bei t a t e i n h e i t l i c h zusammentreffenden Straftaten die eine nicht nachweisbar und die andere verjährt, so ist auf Freisprechung zu erkennen, nicht auf Einstellung. Siehe hierzu ausführlich E. 66, 51 sowie Fall 7 Abschn. B I I 2, S. 113 m. weit. Nachweisen. V. Die Urteilsgründe müssen nach §267 enthalten: 1. den als erwiesen angesehenen S a c h v e r h a l t , aus dem sich die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale ergeben (Abs. 1 Satz 1). a) Der festgestellte Sachverhalt muß so eindeutig dargestellt werden, daß er die Verurteilung nicht nur hinsichtlich der objektiven, sondern auch hinsichtlich der subjektiven Tatseite trägt. Bei einer Verurteilung wegen Kreditbetrugs beispielsweise ist auszuführen, daß der Angeklagte wußte, zumindest damit rechnete, er würde seinen RückZahlungsverpflichtungen nicht nachkommen können, daß er sich aber dennoch zur Aufnahme des Kredits entschloß, obwohl er sich darüber im klaren war, daß er bei pflichtgemäßer Offenbarung seiner schlechten Vermögenslage keinen Kredit erhalten hätte.

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II. Teil: Lösungen

b ) I m Falle einer sog. W a h l f e s t s t e l l u n g m u ß das Gericht sämtliche Möglichkeiten darlegen, die seiner Überzeugung nach in Betracht kommen. Eine eindeutige Feststellung der T a t ist in diesem Fall nicht möglich. M a n spricht daher besser nicht von „Wahlfeststellung", sondern von w a h l d e u t i g e r oder d o p p e l d e u t i g e r T a t f e s t s t e l l u n g . Uber deren Zulässigkeit siehe ausführlich Petters-Preisendanz, Strafgesetzbuch, Anm. zu §2b. c) Die Sachverhaltsdarstellung darf k e i n e a b s t r a k t e n R e c h t s b e g r i f f e enthalten, sondern h a t sich auf die festgestellten Tatsachen zu beschränken, aus denen sich die Verwirklichung des gesetzlichen T a t bestands ergibt. Bei einer Verurteilung wegen Straßenverkehrsgefährdung gemäß § 3 1 5 c Abs. 1 Nr. 2 a StGB wäre es z. B. falsch, bei der Sachverhaltsschilderung folgende Formulierung zu wählen: „Bei Uberqueren der gleichberechtigten Rathausstraße n a h m der Angeklagte dem mit seinem P K W von rechts kommenden Zeugen X grob verkehrswidrig u n d rücksichtslos die Vorfahrt, was zur Folge hatte, d a ß beide Fahrzeuge zusammenstießen und beschädigt wurden". Die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale „grob verkehrswidrig" u n d „rücksichtslos" sind Rechtsbegriffe, die in der Sachverhaltsschilderung nichts verloren haben, sondern sich aus dieser schlüssig ergeben müssen. Der Richter m u ß den Sachverhalt so schildern, d a ß erkennbar ist, w a r u m die Fahrweise des Angeklagten grob verkehrswidrig und rücksichtslos erscheint. Dies könnte er etwa wie folgt zum Ausdruck bringen: „ D e r Angeklagte überquerte die gleichberechtigte Rathausstraße mit einer Geschwindigkeit von ca. 50 km/h, obwohl er erkannte, d a ß der von rechts mit seinem P K W kommende Zeuge X, der eine Geschwindigkeit von ca. 30 km/h einhielt, sich bereits auf etwa 10 m der Kreuzung genähert hatte. Er erkannte auch die Gefährlichkeit seiner Fahrweise, verdrängte aber die bei ihm aufkommenden Bedenken, d a er den Anfang einer bestimmten Fernsehsendung unter keinen Umständen versäumen u n d daher rechtzeitig zu Hause sein wollte. Dies hatte zur Folge, daß . . . " 2. die sog. B e w e i s w ü r d i g u n g . I n diesem Abschnitt des Urteils legt der Richter dar, welche Beweismittel u n d Erwägungen ihn dazu bewogen haben, den festgestellten Sachverhalt als erwiesen anzusehen. Einer ausführlichen Beweiswürdigung bedarf es insbesondere dann, wenn der Angeklagte die ihm zur Last gelegte T a t bestreitet. Ist der Angeklagte geständig, so hat der Richter darzulegen, d a ß er das Geständnis f ü r glaubhaft hält. § 267 Abs. 1 Satz 2 befaßt sich mit dem I n d i z i e n b e w e i s . Ein Indizienbeweis ist d a n n erforderlich, wenn ein direkter Beweis nicht gefuhrt werden kann, d. h. wenn die Tatsachen, aus denen sich die gesetzlichen Merkmale einer strafbaren H a n d l u n g ergeben (sog. H a u p t t a t s a c h e n ) nicht unmittelbar bewiesen werden können, sondern nur mit Hilfe von anderen T a t sachen (sog. H i l f s t a t s a c h e n ) . Beide Arten des Beweises stehen prozessual gleichberechtigt nebeneinander und werden oft miteinander verbunden. Die B e w e i s m i t t e l sind dabei d i e g l e i c h e n . Es wäre daher völlig verfehlt (dieser Fehler wird aber im Examen immer wieder gemacht!), den

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2'5

Indizienbeweis begrifflich dem Zeugenbeweis gegenüberzustellen. B e i s p i e l : Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, er habe einen P K W entwendet. Er bestreitet den ihm zur Last gelegten Diebstahl. Gelingt es, einen Zeugen zu ermitteln, der gesehen hat, wie der Angeklagte den P K W aufgebrochen, kurzgeschlossen u n d weggefahren hat, so ist das Tb.-Merkmal „wegnehmen" in § 242 StGB im Wege des direkten Beweises bewiesen. K a n n der Zeuge dagegen nur bekunden, d a ß er den Angeklagten kurz nach der T a t a m Steuer des gestohlenen P K W gesehen hat, so käme ein Indizienbeweis in Betracht. I n beiden Fällen aber handelt es sich, vom Beweismittel her gesehen, u m einen Zeugenbeweis. 3. die sog. r e c h t l i c h e W ü r d i g u n g . I n diesem Abschnitt des Urteils legt der Richter dar, unter welchem gesetzlichen Tatbestand der von ihm als erwiesen angesehene Sachverhalt zu „subsumieren", d. h. einzuordnen ist (vgl. § 267 Abs. 3, S. 1, 1. Halbsatz). So hat der Richter z. B. bei einem Autodiebstahl auszuführen, d a ß der Angeklagte dadurch, d a ß er den P K W des X aufbrach, kurzschloß und wegfuhr in der Absicht, das Fahrzeug nach Gebrauch irgendwo seinem Schicksal zu überlassen, eine fremde bewegliche Sache weggenommen hat, in der Absicht, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen. Er hat weiter auszuführen, d a ß die T a t ein Vergehen gemäß § 242 StGB darstellt. 4. die S t r a f z u m e s s u n g s g r ü n d e (vgl. § 267 Abs. 3, S. 1, 2. Halbsatz). Hierbei sind alle Umstände des Einzelfalls sowohl hinsichtlich der B e d e u t u n g d e r T a t als auch hinsichtlich der S c h u l d d e s T ä t e r s ausführlich zu erörtern und zu würdigen, insbesondere a ) die p e r s ö n l i c h e n V e r h ä l t n i s s e des Angeklagten (Elternhaus, Ausbildung, häusliche Verhältnisse, Einkommens- u n d Vermögensverhältnisse, Vorstrafen); b) der o b j e k t i v e U n r e c h t s g e h a l t d e r T a t (Folgen der T a t f ü r den Verletzten, H ö h e des Schadens); c) die I n t e n s i t ä t d e s v e r b r e c h e r i s c h e n W i l l e n s bei der Tatausführung; d) g e n e r a l p r ä v e n t i v e E r w ä g u n g e n ; e) die i n n e r e E i n s t e l l u n g d e s T ä t e r s nach der T a t (z. B. Reue, Geständnisfreudigkeit, Bereitschaft, den Schaden wieder gutzumachen). 5. Als r e c h t s i r r i g werden in der Rspr. f o l g e n d e S t r a f z u m e s s u n g s g r ü n d e angesehen: a ) strafschärfende oder strafmildernde Berücksichtigung von Umständen, die zum gesetzlichen T b . gehören oder den Grundgedanken des Gesetzes bilden. So wäre es unzulässig, bei fahrlässiger Tötung strafschärfend zu berücksichtigen, daß der Angeklagte durch sein Verhalten ein blühendes Menschenleben vernichtet hat (E. 57, 379). b ) die Erwägung des Tatrichters, er hätte dieselbe Strafe auch d a n n ausgesprochen, wenn der Entscheidung ein in tatsächlicher oder rechtlicher Beziehung abweichender Sachverhalt zugrunde zu legen wäre. Die Strafe

2l6

II. Teil: Lösungen

kann sich nämlich nur •— abgesehen von den Fällen zulässiger Wahlfeststellung, für die besondere Grundsätze gelten — auf ein in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung eindeutig festgelegtes Verhalten beziehen (vgl. E. 71, 104; BGH 7, 359). Derartige unzulässige H i l f s e r w ä g u n g e n können zwar für sich allein nicht zur Aufhebung des Urteils führen, wenn das Revisionsgericht die Rechtsansicht des Tatrichters teilt; sie können aber andererseits nicht hindern, daß das Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen wird, wenn das Revisionsgericht die Sach- und Rechtslage für gegeben hält, für die die Hilfserwägung gelten soll (BGH 7, 359). c) strafschärfende Berücksichtigung des Umstands, daß ein Angeklagter, der von seinem Recht, die Tat zu bestreiten, Gebrauch macht, sich weigert, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen. 6. Besondere A u s f ü h r u n g e n in den Urteilsgründen sind erforderlich: a) wenn in der Verhandlung Umstände behauptet werden, die aa) die S t r a f b a r k e i t ausschließen. Hierher gehören nicht nur die Strafausschließungsgründe i. e. S. (z. B. die Ehegatteneigenschaft bei § 247 Abs. 2 StGB), sondern auch alle Rechtfertigungs-, Schuldausschließungsund Strafaufhebungsgründe. bb) die S t r a f b a r k e i t v e r m i n d e r n , z. B. die Notlage in §§ 248a, 264a StGB, die besonderen Situationen der §§ 157, 158, 213, 216, 217 StGB oder verminderte Zurechnungsfähigkeit gemäß §51 Abs. 2 StGB; cc) die S t r a f b a r k e i t erhöhen, z. B. die Rückfallsvoraussetzungen in §§ 244, 261, 264 StGB, die Gewerbsmäßigkeit in § 260 StGB oder die Eigenschaft als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher gemäß § 20 a StGB. Werden solche Umstände behauptet, so müssen sich gemäß § 267 Abs. 2 die Urteilsgründe darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden. b) wenn das Gesetz bei V o r l i e g e n m i l d e r n d e r U m s t ä n d e die Möglichkeit einer Strafmilderung vorsieht und das Gericht entweder mildernde Umstände annimmt oder entgegen einem in der HV gestellten Antrag verneint. In diesem Fall gelten die Ausführungen zu a) entsprechend (vgl. § 267 Abs. 3 S. 2). c) wenn die S t r a f e gemäß § 23 StGB zur B e w ä h r u n g ausgesetzt oder entgegen einem in der HV gestellten Antrag nicht zur Bewährung ausgesetzt wird (§ 267 Abs. 3 S. 3); d) wenn das Gericht von S t r a f e absieht oder entgegen einem in der HV gestellten Antrag nicht von Strafe absieht (§ 267 Abs. 3 S. 3). Hierher gehören u. a. die Fälle der §§ 157, 158, igg, 233 StGB. e) wenn eine M a ß r e g e l der S i c h e r u n g und Besserung angeordnet oder entgegen einem in der HV gestellten Antrag oder entgegen der gesetzlichen Regel des §42m Abs. 2 StGB nicht angeordnet wird (§267 Abs. 6).

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7. Bei allseitigem, vor Ablauf der RM-Frist erklärtem R e c h t s m i t t e l v e r z i c h t kann das Urteil in a b g e k ü r z t e r F o r m abgefaßt werden (§267 Abs. 4). 8. Bei einem F r e i s p r u c h müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, ob der Freispruch aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen erfolgt (§267 Abs. 5). 9. Ein mit der R e v i s i o n angreifbarer Rechtsfehler liegt vor, a) wenn das Urteil k e i n e E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e enthält (§ 338 Nr. 7), b) wenn die Urteilsgründe so mangelhaft sind, daß sie entweder den festgestellten Sachverhalt nicht erkennen lassen oder dieser so m a n g e l h a f t d a r g e s t e l l t ist, daß er die Verurteilung nicht zu tragen vermag, c) wenn die Entscheidungsgründe W i d e r s p r ü c h e oder D e n k f e h l e r enthalten, d) wenn die gesetzlich erforderlichen besonderen Ausführungen über Zubilligung mildernder Umstände, über Strafaussetzung zur Bewährung usw. fehlen (s. o. Abschnitt 6), e) wenn die Strafzumessungsgründe so mangelhaft sind, daß sie nicht erkennen lassen, ob der Richter wesentliche Gesichtspunkte, die sich aus dem festgestellten Sachverhalt ergeben, entsprechend ihrer Bedeutung gewürdigt hat (vgl. BGH NJW 60, 1869). VI. Die Unterschriften, § 275 Abs. 2 Unterschreiben müssen sämtliche B e r u f s r i c h t e r , die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, wodurch dokumentiert werden soll, daß die in dem Urteil niedergelegten Gründe diejenigen sind, auf welche das Gericht die Entscheidung gestützt hat (E. 23, 261). Ist ein Richter verhindert (z. B. infolge eines inzwischen angetretenen Urlaubs), so vermerkt dies der Vorsitzende unter dem Urteil unter Angabe des Verhinderungsgrundes. VII. Berichtigung und Änderung eines Strafurteils 1. B e r i c h t i g u n g o d e r Ä n d e r u n g d e r U r t e i l s f o r m e l . a) Urteilsformel und Urteilsgründe bilden, wie oben erwähnt, ein Ganzes. Die V e r k ü n d u n g des Urteils ist also erst mit dem Zeitpunkt v o l l e n d e t , in dem die vorgeschriebene Mitteilung beider Urteilsteile — der Formel und der Gründe — beendet ist. Bis zu diesem Zeitpunkt ist das Gericht an die von ihm beschlossene Entscheidung noch nicht gebunden; es ist vielmehr jederzeit in der Lage, auch noch n a c h Verlesung der Urteilsformel und w ä h r e n d der Eröffnung der Urteilsgründe mit der weiteren Verkündung innezuhalten und nochmals in die Verhandlung und Beweisaufnahme einzutreten (E. 57, 142) oder, wenn sich hierzu ein Anlaß gibt, die U r t e i l s f o r m e l zu ä n d e r n (E. 61, 390).

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II. Teil: Lösungen

b ) Ist die Verkündung des Urteils nebst Gründen beendet, so ist die Hauptverhandlung gemäß § 260 zu schließen; e i n e A b ä n d e r u n g o d e r Ergänzungder Urteilsformel durch nachträgliche Verkündung o d e r in e i n e m s p ä t e r e n T e r m i n ist d a n n n i c h t m e h r m ö g l i c h (vgl. E. 61 391, wo die in E. 15, 271 vertretene gegenteilige Ansicht aufgegeben wird). Eine interessante Durchbrechung dieses Grundsatzes findet sich in BGH 5, 6 : I n dieser Entscheidung hatte sich der BGH mit einem Revisionsurteil des O L G München zu befassen, das versehentlich bei der mündlichen Urteilsverkündung die Revision des Angeklagten verworfen hatte, obwohl es ihr an sich stattgeben wollte, was aus den Urteilsgründen auch klar zu erkennen war. Der Urteilstenor wurde zwei Tage später, noch vor der Zustellung des Urteils an die Beteiligten, durch Beschluß berichtigt. Der BGH stellte (a. a. O. 8) zunächst klar, d a ß der Urteilstenor nur in ganz wenigen Ausnahmefallen noch nachträglich berichtigt werden kann, kam dann aber doch zu dem Ergebnis, d a ß in dem zur Entscheidung stehenden Fall die Berichtigung zulässig war. Er wollte offensichtlich vermeiden, d a ß der Angeklagte durch ein reines Verkündigungsversehen in seinen Rechten unanfechtbar benachteiligt wurde. Es sei dem Betroffenen nicht zuzumuten, dort, wo er Recht fordern kann, u m Gnade zu bitten. Alle .Senate des BGH hatten zuvor auf Anfrage der Entscheidung zugestimmt. Es wäre jedoch verfehlt, ihren Inhalt auch auf a n f e c h t b a r e U r t e i l e zu übertragen. 2. B e r i c h t i g u n g o d e r Ä n d e r u n g d e r U r t e i l s g r ü n d e a ) Eine Abänderung der U r t e i l s g r ü n d e (auch s a c h l i c h e r Art) ist so lange zulässig, als ihre Feststellung eine innere Angelegenheit des Gerichts geblieben und das Urteil noch nicht zur Kenntnisnahme durch irgendeine außerhalb des Gerichts stehende Person bestimmt war. (Siehe hierzu E. 54, 21.) b) N a c h t r ä g l i c h e Ä n d e r u n g e n grundsätzlich unzulässig.

in d e n U r t e i l s g r ü n d e n

sind

3. Von diesen zu 1 u n d 2 erörterten Grundsätzen h a t d i e P r a x i s e i n e u n b e d i n g t n o t w e n d i g e A u s n a h m e zugelassen. Eine Berichtigung des Urteils ist d a n n zulässig, wenn dem Gericht bei der Abfassung offenbare Schreibfehler, Rechenfehler oder ähnliche äußere Unstimmigkeiten unterlaufen sind. Diese müssen allerdings ohne weiteres als solche erkennbar sein (E. 61, 3 g i ; BGH 2, 248, 7, 75; 12, 374). S a c h l i c h e Ä n d e r u n g e n s i n d u n z u l ä s s i g u n d d a h e r u n w i r k s a m . Sie haben darüber hinaus zur Folge, d a ß unklar wird, welche Tatsachen nunmehr als festgestellt gelten sollen, denn die bisherige Fassung des Urteils wird j a nach dem (unzulässigen) Berichtigungsbeschluß durch die Unterschrift des Gerichts nicht mehr gedeckt. Diese Unklarheit im Urteil kann zur Aufhebung des Urteils führen, da das Revisionsgericht die entstandenen Lücken in den Feststellungen nicht schließen kann (BGH 7, 77). Nachträgliche Berichtigungen des Urteils sind — soweit überhaupt zulässig — durch B e s c h l u ß vorzunehmen. Der Beschluß ist von allen Richtern

Fall 18

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zu unterschreiben (siehe hierzu E. 28, 57; 61, 392) u n d den Beteiligten z u z u s t e l l e n . Werden durch die Berichtigung die Gründe eines der Revision unterliegenden Urteils ergänzt, so wird die Frist zur Begründung der Revision erst durch die Zustellung des Berichtigungsbeschlusses in Lauf gesetzt (BGH 12, 374). (Wegen der Möglichkeit nachträglicher B e r i c h t i g u n g e n u n d E r g ä n z u n g e n d e s P r o t o k o l l s s. Fall 5, Abschn. A I 5c, S. 80.)

VIII. Wiederherstellung eines Urteils Bei A k t e n v e r l u s t können sowohl die Urteilsformel als auch die Urteilsgründe wiederhergestellt werden. Ein solches rekonstruiertes Urteil ist, falls nach den d i e n s t l i c h e n Ä u ß e r u n g e n der richterlichen Mitglieder des erkennenden Gerichts die neue Urschrift mit der früheren Urschrift (das gilt vor allem für die Urteilsformel) übereinstimmt, der früheren Urschrift in jeder Beziehung gleich. (Siehe Alsberg, Strafprozessuale Entscheidungen der Oberlandesgerichte Bd. 2 S. 133.)

B. Lösung des Falles I. Die Entscheidung der Strafkammer 1. Die in den Urteilsgründen des Landgerichts vertretene, noch in der Vorauflage gebilligte Ansicht, als V e r u r t e i l t e r sei immer der anzusehen, der vor Gericht gestanden hat oder gegen den sich das in seiner Abwesenheit geführte Verfahren gerichtet hat, kann in dieser Formulierung nicht als richtig angesehen werden. Verurteilt ist vielmehr immer nur die Person, die in Anklage, EröfFnungsbeschluß u n d Urteil t a t s ä c h l i c h g e m e i n t ist, u n d zwar ohne Rücksicht darauf, ob die tatsächlich gemeinte Person mit der Person, auf die der angegebene Name hinweist, identisch ist (vgl. Eb. Schmidt Teil I, R n . 290, 293, 294). I m v o r l i e g e n d e n F a l l ist daher als V e r u r t e i l t e r n i c h t d e r w a h r e W e l t z , s o n d e r n d e r P s e u d o W e l t z anzusehen. Nur er wurde zur Hauptverhandlung geladen; nur er kann als der angesehen werden, der in Anklage, Eröffnungsbeschluß und Urteil gemeint war. 2. Geht m a n davon aus, d a ß nicht der wahre Weltz, sondern der Pseudo-Weltz der Verurteilte ist, so m u ß der wahre Weltz nach Aufdeckung des Irrtums k e i n e n F r e i s p r u c h , sondern lediglich eine Ber i c h t i g u n g d e s U r t e i l s anstreben, in dem er nur versehentlich als Verurteilter bezeichnet worden ist. a) Eine B e r i c h t i g u n g d e r U r t e i l s f o r m e l ist in der StPO a n sich nicht vorgesehen. I n analoger Anwendung von § 319 Abs. 1 Z P O wird es jedoch allgemein als zulässig angesehen, o f f e n s i c h t l i c h e V e r k ü n d u n g s v e r s e h e n im Wege der Berichtigung durch Beschluß zu korrigieren. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Von einem Verkündungs-

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II. Teil: Lösungen

versehen kann nur dort gesprochen werden, wo der Urteilstenor nicht den Gedanken zum Ausdruck bringt, den das Gericht zum Ausdruck bringen wollte. Dies gilt vor allem für Schreibfehler (vgl. B G H 3, 245; 5, 5; BVerfGer 9, 235; Schwarz-Kleinknecht § 260 Anm. 2). So bestünden keine Bedenken, den Namen des Verurteilten zu ändern, wenn dieser nur falsch geschrieben worden wäre, z. B. wenn Weltz versehentlich ohne „ t " geschrieben worden wäre. S a c h l i c h e Ä n d e r u n g e n des Urteils sind dagegen u n z u l ä s s i g und für den Fall, daß sie gleichwohl vorgenommen werden, unwirksam. b) Im v o r l i e g e n d e n F a l l kann man zwar, wie dargelegt, nicht von einem offensichtlichen Verkündungsversehen oder einem Schreibfehler sprechen. Andererseits handelt es sich auch um keine sachliche Änderung des Urteils, wenn das Gericht nachträglich feststellt, daß der Verurteilte mit dem Träger des im Urteil bezeichneten Namens nicht identisch ist. Das Gericht darf in seiner Möglichkeit, den Tenor zu berichtigen, nicht auf offensichtliche Schreibfehler und auf mangelnden Ausdruck des erkennbar Gewollten beschränkt werden; es muß vielmehr auch das Recht haben, offenbare Unstimmigkeiten anderer Art zu berichtigen, sofern dadurch die Rechtsstellung des wahren Verurteilten nicht beeinträchtigt wird (vgl. O L G Darmstadt bei Alsberg Bd. 2, S. 131). Da die Rechtsstellung des Pseudo-Weltz durch die Berichtigung des Urteilstenors in keiner Weise beeinträchtigt wird, andererseits aber der wahre Träger des Namens Weltz ein verständliches Interesse an der Berichtigung des gegen ihn lautenden Urteils hat, bestehen rechtlich keine Bedenken, das Urteil in der Weise zu berichtigen, daß festgestellt wird, daß der Verurteilte mit dem Träger des Namens Weltz nicht identisch ist. c) Geht man entsprechend den bisherigen Ausführungen davon aus, daß einerseits eine Berufung des wahren Weltz weder erforderlich noch zulässig ist, da das Verfahren sich nicht gegen ihn gerichtet hat, andererseits einer Berichtigung des Urteilstenors in der unter b) angedeuteten Weise rechtlich nichts entgegensteht, so bleibt nur noch zu klären, ob die Berichtigung durch B e s c h l u ß des A m t s g e r i c h t s zu erfolgen hat (so Eb. Schmidt Teil I Rn. 294) o d e r ob es hierzu einer E n t s c h e i d u n g des B e r u f u n g s g e r i c h t s bedarf (so die Vorauflage). Der erstgenannte Weg ist zweifellos der einfachere. Eine Entscheidung des Rechtsmittelgerichts wird — wie auch in den sonstigen Fällen der Urteilsberichtigung — erst erforderlich, wenn dem Antrag auf Berichtigung nicht stattgegeben wird. Folgt man dieser Ansicht, so hätte das Landgericht die Berufung des Weltz entweder in analoger Anwendung von § 300 als Antrag auf Urteilsberichtigung behandeln oder aber Weltz nach Belehrung über die Rechtslage nahelegen müssen, seine Berufung zurückzunehmen und anstattdessen beim Amtsgericht Antrag auf Berichtigung des Urteils zu stellen. Keinesfalls jedoch durfte Weltz — wie geschehen — freigesprochen werden. Freigesprochen werden kann nur der, gegen den sich das Verfahren richtet. Dies war, wie dargelegt, nicht der wahre Weltz, sondern der PseudoWeltz.

Fall 18

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3. Nach erfolgter Berichtigung des Urteils ist das V e r f a h r e n g e g e n d e n P s e u d o - W e l t z f o r t z u s e t z e n . Einer neuen Anklage bedarf es ebensowenig wie einer neuen Hauptverhandlung. D a der Pseudo-Weltz, wie dargelegt, bereits verurteilt ist, muß ihm das Urteil — sofern es gelingt, seine neue Anschrift zu ermitteln — nur noch zugestellt werden.

II. Welche Wirkungen hätte das Urteil des Amtsgerichts gehabt, wenn es rechtskräftig geworden wäre ? 1. Vorbemerkung: Die formelle Rechtskraft und ihre Wirkungen a ) Ein Urteil wird rechtskräftig, wenn es mit den ordentlichen Rechtsmitteln (Berufung, Revision) nicht mehr anfechtbar ist. Diese sog. f o r m e l l e R e c h t s k r a f t tritt ein: aa) bei Urteilen des B u n d e s g e r i c h t s h o f s und der O b e r l a n d e s g e r i c h t e , gegen die das Gesetz keine Rechtsmittel vorsieht, mit der Verkündung, bb) bei allen übrigen Urteilen (Urteile des A m t s r i c h t e r s , des S c h ö f f e n g e r i c h t s , der S t r a f k a m m e r n und des S c h w u r g e r i c h t s ) entweder oc) durch allseitigen R e c h t s m i t t e l v e r z i c h t oder ß) durch R ü c k n a h m e des eingelegten Rechtsmittels oder y) durch ungenutzten A b l a u f d e r R e c h t s m i t t e l f r i s t oder S) durch rechtskräftige V e r w e r f u n g des Rechtsmittels. b ) Von a b s o l u t e r R e c h t s k r a f t spricht man, wenn das Urteil von keinem Anfechtungsberechtigten mehr angefochten werden kann. Ist das Urteil nur für e i n e n von mehreren Anfechtungsberechtigten unanfechtbar geworden, so spricht man von r e l a t i v e r R e c h t s k r a f t . aa) Die a b s o l u t e R e c h t s k r a f t hat folgende W i r k u n g e n : a) Die S t r a f k l a g e ist v e r b r a u c h t („ne bis in idem"). Siehe hierzu ausführlich Fall 12 Abschn. A, S . i53ff. ß) Das Urteil wird zur G r u n d l a g e d e r S t r a f v o l l s t r e c k u n g . Siehe hierzu §§ 449 fr. bb) Von den A u s w i r k u n g e n d e r r e l a t i v e n R e c h t s k r a f t sind hervorzuheben: a) Hat nur der Angeklagte (bzw. sein Verteidiger oder gesetzlicher Vertreter) oder die StA zu seinen Gunsten Rechtsmittel eingelegt, so gilt das V e r b o t d e r r e f o r m a t i o in p e i u s . Siehe hierzu §§ 331 Abs. 1, 358 Abs. 2 sowie Nachtrag zu Fall 6. ß) Hat nur die StA Rechtsmittel eingelegt, so kann die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Angeklagten abgeändert werden (vgl. §3°i)y) Wurde dem in U n t e r s u c h u n g s h a f t befindlichen Angeklagten im Urteil gemäß § 60 StGB die U-Haft auf die erkannte Strafe angerechnet, so wird ihm die n a c h E r l a ß d e s U r t e i l s v e r b ü ß t e w e i t e r e H a f t nur

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II. Teil: Lösungen

von dem Tage an angerechnet, an dem. er auf Rechtsmittel verzichtet oder das eingelegte Rechtsmittel zurückgenommen hat oder an dem das Urteil infolge Ablaufs der Rechtsmittelfrist rechtskräftig geworden ist (vgl. § 450 Abs. 1). 2. Der vorliegende F a l l : a) Der r i c h t i g e W e l t z kann ebenso wie im Falle der Frage I Antrag auf B e r i c h t i g u n g des U r t e i l s t e n o r s stellen. Daß das Urteil inzwischen rechtskräftig geworden ist, steht dem nicht entgegen. Nach §319 Abs. 1 ZPO, der hier analog anzuwenden ist, kann die erforderliche Berichtigung „jederzeit", gegebenenfalls sogar von Amts wegen erfolgen. b) Droht bereits die S t r a f v o l l s t r e c k u n g , so kann Weltz gemäß § 458 Abs. 1 Einwendungen gegen deren Zulässigkeit erheben. Gelingt es ihm, glaubhaft darzutun, daß er mit dem Verurteilten nicht identisch ist, so wird das Gericht gemäß § 462 Abs. i durch Beschluß die Unzulässigkeit der Strafvollstreckung aussprechen. c) Hinsichtlich des P s e u d o - W e l t z ergeben sich keine Abweichungen gegenüber der Lösung von Frage I. Da ihm als dem eigentlichen Verurteilten, gegen den das Verfahren sich gerichtet hat, das Urteil noch nicht zugestellt worden ist, konnte es auch ihm gegenüber noch nicht in Rechtskraft erwachsen. Das Gericht wird also die zur Ermittlung des Pseudo-Weltz erforderlichen Fahndungsmaßnahmen einleiten, u m ihm das Urteil zustellen zu können. III. Die Ersatzansprüche des w a h r e n Weltz, w e n n a n i h m eine Geld- oder Freiheitsstrafe vollstreckt w o r d e n w ä r e . 1. Eine Entschädigimg nach dem G e s e t z b e t r . E n t s c h ä d i g u n g d e r i m W i e d e r a u f n a h m e v e r f a h r e n f r e i g e s p r o c h e n e n P e r s o n e n vom 20. 5. 1898 (vgl. Nachtrag I) entfallt, da Weltz überhaupt nicht verurteilt worden ist, also auch kein Wiederaufnahmeverfahren betreiben kann. 2. Eine bezahlte G e l d s t r a f e , deren Vollstreckung sich gemäß §463 nach den Vorschriften der Z P O (§§ 704 fr.) richtet, kann nach den allgemeinen bereicherungsrechtlichen Grundsätzen (§§812 ff. BGB) auf dem Zivilrechtsweg zurückgefordert werden. 3. Eine Entschädigung für unschuldig erlittene S t r a f h a f t könnte nur gemäß § 839 BGB i. V. mit Art. 34 GG beansprucht werden, was jedoch voraussetzt, daß der Beamte, der die Strafe vollstreckt hat, hinsichtlich der Identitätsprüfung mindestens fahrlässig gehandelt hat. I V . D i e Rechtslage, w e n n s i c h ergibt, d a ß 1. die Ladung nicht d e m Angeklagten, s o n d e r n einer anderen P e r s o n gleichen N a m e n s zugestellt w o r d e n i s t . a) Wird der I r r t u m s o f o r t a u f g e k l ä r t , so ist die versehentlich geladene, nicht angeklagte Person unverzüglich zu entlassen. Die Verhandlung wird vertagt, um den richtigen Angeklagten zu laden.

Fall 18

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b) Wird der I r r t u m n i c h t a u f g e k l ä r t , so besteht die Gefahr, daß der Erschienene unbeschadet seines Bestreitens verurteilt wird. Für diesen Fall wirft sich die Frage auf, ob überhaupt eine rechtlich beachtliche richterliche Entscheidung vorliegt und — wenn man dieses Frage bejahen w o l l t e — gegen wen sie rechtliche Wirkungen erzeugt. Der Fall unterscheidet sich von dem oben behandelten Fall I wie folgt: Bei dem Sachverhalt zu Fall I hat das Gericht den verurteilt, gegen den sich das Verfahren gerichtet hat; lediglich die Zustellung des Urteils erfolgte an einen anderen, der in Anklage, Eröffnungsbeschluß und Urteil infolge der Namensverwechslung nicht gemeint war. Bei dem hier zu entscheidenden Fall dagegen verurteilt das Gericht zwar den Erschienenen, der aber nicht identisch ist mit dem, auf den sich Anklage und Eröffnungsbeschluß beziehen. Es liegt also bereits bei Erlaß (nicht erst bei Zustellung) des Urteils ein Irrtum über die Identität des Erschienenen vor. Hieraus folgt: Der E r s c h i e n e n e kann n i c h t als v e r u r t e i l t gelten, da als Verurteilter nur der in Betracht kommt, gegen den sich die gerichtlich zugelassene Anklage gerichtet hat. Dies ergibt sich schon aus § 155 Abs. 1, wonach die Untersuchimg und Entscheidung nur auf die in der K l a g e beschuldigten Personen erstreckt werden darf (sog. A k k u s a t i o n s p r i n z i p ) . A n dieser Stelle zeigt sich wieder, daß es — wie bereits unter I dargelegt — nicht richtig ist, schlechthin den als Verurteilten anzusehen, der sich vor Gericht verantwortet hat. Aber auch die in Anklage und Eröffnungsbeschluß gemeinte Person kann nicht als verurteilt gelten, da gegen sie die Hauptverhandlung nicht durchgeführt wurde. Die vom L G Lüneburg in M D R 49, 767 vertretene abweichende Ansicht ist allgemein auf Ablehnung gestoßen. Hieraus folgt: Das gegen die erschienene, aber nicht angeklagte Person ergangene U r t e i l ist r e c h t l i c h u n b e a c h t l i c h . Es kann, auch wenn kein Rechtsmittel eingelegt wird, k e i n e R e c h t s k r a f t w i r k u n g ausstrahlen. Auch ein Wiederaufnahmeverfahren ist weder erforderlich noch überhaupt zulässig (vgl. Eb. Schmidt Teil I R n . 293, O e h l e r J R 62, 277). ( B e a c h t e : M a n unterscheidet unbeachtliche und anfechtbare Urteile. Das imbeachtliche, zuweilen auch unwirksam oder nichtig genannte Urteil ist eine in der Praxis äußerst seltene Erscheinung. Insbesondere das Reichsgericht war in der Annahme unbeachtlicher Entscheidungen sehr zurückhaltend. So hat das R G nur Anfechtbarkeit angenommen, wenn eine unzulässige Verfahrensart gewählt wurde oder wenn das Gericht sachlich unzuständig war (vgl. E. 9, 14; 22, 113; 32, 89; 56, 351; 66, 410). Selbst bei einem nicht ordnungsgemäß verkündeten Urteil wurde in E. 71, 378 Nichtigkeit verneint. Andererseits muß man Nichtigkeit immer dann annehmen, wenn das Urteil oder eine andere gerichtliche Entscheidung mit den Grundprinzipien unserer rechtsstaatlichen Ordnung in evidentem Widerspruch steht (Eb. Schmidt Teil I Rn. 251fr.; Schwarz-Kleinknecht Einl. 4 Fa), z. B. wenn der Angeklagte nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegt o d e r wenn auf eine Strafe erkannt wird, die das deutsche Strafrecht schon der Art nach nicht vorsieht (Prügelstrafe, Todesstrafe, Verstümmelung) o d e r wenn ein Strafunmündiger zu Strafe verurteilt

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I I . Teil: Lösungen

wird o d e r wenn das Urteil einen Verstoß gegen den Grundsatz des „ n e bis in i d e m " darstellt ( R G 54, 12). Hierher kann unbedenklich auch der Fall gerechnet werden, daß ein Urteil ergeht, das sich auf keine Anklage stützen kann).

2. der Erschienene nicht der Angeklagte Ist, sondern dessen Bruder, der sich für den Angeklagten verurteilen lassen will. a ) Wird der I r r t u m s o f o r t a u f g e k l ä r t , so ist wie im Falle I V 1 a der Erschienene zu entlassen und gemäß § 230 Abs. 2 entweder die Vorführung oder die Verhaftung des wahren Angeklagten zu veranlassen. b ) Wird der I r r t u m n i c h t a u f g e d e c k t , so ist die Rechtslage die gleiche wie im Falle I V 1 b, d. h. die gegen den Bruder des Angeklagten ergehende Entscheidung ist unbeachtlich.

3. der unter dem Namen Karl Maier Erschienene zwar der Angeklagte ist, in Wirklichkeit aber August Müller heißt. a ) Wird der I r r t u m s o f o r t a u f g e k l ä r t , so wird, falls nicht zwecks Feststellung der Vorstrafen Vertagung angebracht ist, gegen Müller unter seinem richtigen Namen verhandelt. E r ist der, gegen den sich das Verfahren richtet und gegen den das Hauptverfahren eröffnet worden ist. b ) Wird der I r r t u m e r s t n a c h d e r V e r u r t e i l u n g a u f g e d e c k t , so genügt wie im Falle I die Berichtigung der Urteilsformel.

4. der Erschienene nicht der Angeklagte, sondern eine andere Person gleichen Namens ist, der jedoch infolge eines hier nicht interessierenden Irrtums schon Anklage und Eröffnungsbeschluß zugestellt worden sind. Hier liegt der Fall anders als in Frage I. Der Erschienene ist zwar nicht der richtige Täter, aber der r i c h t i g e A n g e k l a g t e . Es muß daher gegen ihn verhandelt werden. Gelingt es, den Irrtum bereits in der Hauptverhandlung aufzudecken, so muß das Urteil auf F r e i s p r u c h lauten. Wird der Angeklagte jedoch ungeachtet seines Bestreitens verurteilt, so muß er mit dem Ziel des Freispruchs R e c h t s m i t t e l einlegen. Ist der Rechtsmittelweg erschöpft, so bleibt nur die Möglichkeit der W i e d e r a u f n a h m e , um das materiell unrichtige Urteil wieder zu beseitigen.

Nachtrag I. Das Gesetz betreffend die Entschädigung der i m Wiederaufnahmeverfahren freigesprochenen Personen vom 20. Mai 1898 (RGBl. S. 345). I n diesem Gesetz ist bestimmt, daß Personen, die im Wiederaufnahmeverfahren f r e i g e s p r o c h e n oder in Anwendung eines milderen Gesetzes mit einer g e r i n g e r e n S t r a f e belegt werden, E n t s c h ä d i g u n g aus der Staatskasse beanspruchen können, wenn die frühere Strafe ganz oder

Fall 18

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teilweise gegen sie vollstreckt worden ist. Anspruchsberechtigt sind auch die Unterhaltsberechtigten. Das Gesetz wurde durch Gesetz vom 24. November 1933 dahin erweitert, daß auch demjenigen, der im Wiederaufnahmeverfahren die Aufhebungeiner M a ß r e g e l d e r S i c h e r u n g u n d B e s s e r u n g e r r e i c h t , nachdem sie ganz oder teilweise vollstreckt oder wirksam geworden ist (letzterer Ausdruck bezieht sich auf die Untersagung der Berufsausübung), unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen für den entstandenen Vermögensschaden E r s a t z aus der Staatskasse gewährt werden muß. 1. Ein A n s p r u c h a u f E n t s c h ä d i g u n g besteht nur, wenn das Wiederaufnahmeverfahren die Unschuld des Verurteilten bezüglich der ihm zur Last gelegten Tat oder bezüglich eines die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes begründenden Umstands ergeben oder dargetan hat, daß ein begründeter Verdacht gegen den Angeklagten nicht mehr vorliegt. 2. E r s e t z t w i r d der durch die Strafvollstreckung entstandene V e r m ö g e n s s c h a d e n . Durch das erwähnte Gesetz vom 24. November 1933 wurde die H ö c h s t g r e n z e des zu gewährenden Entschädigungsanspruchs auf 75000 R M (jetzt DM) oder einen Rentenbetrag von jährlich 4500 R M (jetzt DM) festgesetzt. Beruht das Fehlurteil auf einem Verschulden des Gerichts, so ist die Haftung der Staatskasse nach § 839 BGB unbeschränkt. 3. Die Verpflichtung der Staatskasse zur Entschädigung wird durch b e s o n d e r e n B e s c h l u ß des im Wiederaufnahmeverfahren erkennenden Gerichts verfügt, der nicht verkündet, sondern nur zugestellt wird. 4. Der A n s p r u c h auf Entschädigung ist a u s g e s c h l o s s e n , wenn der Verurteilte die frühere Verurteilung vorsätzlich herbeigeführt oder durch grobe Fahrlässigkeit verschuldet hat. Für den Entschädigungsanspruch bei Aufhebung einer M a ß r e g e l d e r S i c h e r u n g u n d B e s s e r u n g sieht das Gesetz vom 24. November 1933 als b e s o n d e r e n A u s s c h l i e ß u n g s g r u n d die Tatsache vor, daß der Verurteilte unabhängig von der Tat oder der Verurteilung eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gebildet hat. Die amtliche Begründung sagt hierzu: „Es wäre z. B. keineswegs gerechtfertigt, einem gefahrlichen Geisteskranken eine Entschädigung zu gewähren, wenn das Gericht die ihm zur Last gelegte Tat mit Unrecht festgestellt hat, die Polizeibehörde ihn aber wegen seiner Gefährlichkeit ohnedies in einer Heil- oder Pflegeanstalt hätte unterbringen müssen." II. Das Gesetz betreffend die Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft v o m 14. Juli 1904 in der Fassung des Gesetzes v o m 17. August 1920 (RGBl. 1904 S. 321; 1920 S. 1579)Dieses Gesetz gewährt denjenigen Personen einen Entschädigungsanspruch, die im Strafverfahren f r e i g e s p r o c h e n oder durch Beschluß des G e r i c h t s außer Verfolgung gesetzt worden sind, nicht dagegen Petters-Preiiendanz, StrafprozeßfäUc, 8. Aufl.

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II. Teil: Lösungen

denjenigen, die nur im vorbereitenden Verfahren in Untersuchungshaft gewesen sind und gegen die von der S t a a t s a n w a l t s c h a f t das Verfahren eingestellt worden ist. In diesem Fall sieht jedoch die bundeseinheitliche A V vom 15. 12. 1956 (BAnz. Nr. 247) die Möglichkeit einer Haftentschädigung vor, die im Verwaltungsweg beantragt und gewährt werden kann. 1. Ein A n s p r u c h fahren die Unschuld Verdacht nicht mehr Grundsatz „in dubio gegeben.

auf Entschädigung besteht nur, wenn das Verergeben oder dargetan hat, daß ein begründeter vorliegt. Erfolgt aber die Freisprechung nach dem pro reo", so ist ein Entschädigungsanspruch nicht

2. E r s e t z t wird der durch die Untersuchungshaft entstandene V e r m ö g e n s s c h a d e n . (Wegen der Höchstgrenze siehe oben Abschnitt I, 2.) 3. Uber die Verpflichtung der Staatskasse zur Entschädigung ist von dem Gericht gleichzeitig mit dem freisprechenden Urteil bzw. dem außer Verfolgung setzenden B e s c h l u ß zu entscheiden. Der Beschluß wird nicht verkündet, sondern nur zugestellt, sobald das freisprechende Urteil bzw. der außer Verfolgung setzende Beschluß rechtskräftig geworden ist. 4. Der A n s p r u c h auf Entschädigung ist a u s g e s c h l o s s e n , wenn der Verhaftete die Untersuchungshaft vorsätzlich herbeigeführt oder durch grobe Fahrlässigkeit verschuldet hat. Außerdem k a n n der Anspruch ausgeschlossen werden, u. a. wenn die T a t in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch begangen worden ist. (NB. Nichteinlegung eines Rechtsmittels kann niemals als Fahrlässigkeit gewertet werden.) Wird gegen den z u r e c h n u n g s u n f ä h i g e n Verhafteten die Unterbringung in einer H e i l - o d e r P f l e g e a n s t a l t nach § 42b StGB angeordnet, so ist ein Entschädigungsanspruch n i c h t gegeben. (Siehe Gesetz vom 24. November 1933.) Dieses Gesetz enthält des weiteren eine Ergänzung des Gesetzes vom 17. August 1920 insofern, als der Verhaftung und der Untersuchungshaft die e i n s t w e i l i g e U n t e r b r i n g u n g , dem Verhafteten der einstweilig Untergebrachte, dem Haftbefehl der Unterbringungsbefehl gleichgestellt wird. Das Gesetz schließt ferner, entsprechend der oben in Abschn. I, 4 erwähnten Bestimmung, auch für die einstweilige Unterbringung den Entschädigungsanspruch aus, wenn das Gemeinwohl unabhängig von der T a t die einstweilige Unterbringung erfordert hätte.

Alphabetisches Sachregister (Die Ziffern bedeuten die Seitenzahlen) A Ablehnung von Oerichtspersonen 50ff.; — der Eröffnung des Hauptverfahrens 33f., 140; — eines Beweisantrags 140 ff. Abschluß der Ermittlungen 27 f. Absehen von der Erhebung der Klage IS Abstimmung 208 f. Abwesenheit des Angeklagten 56,81 ff., 117; — von Beweispersonen 57; — von Oerichtspersonen 73f. Adhäsionsverfahren 204ff. Akkusationsprinzip 26, 86, 223 Akteneinsicht des Verteidigers 28, 91; des Sachverständigen 186 Amnestie als Verfahrenshindernis 116 Amtsgericht, Zuständigkeit 4ff. Amtshandlung, Störung 65 Änderung des rechtlichen Gesichtspunkts 84, 86f., 113 Anfechtung des Urteils, teilweise 108 f. Angehörige, Zeugnisverweigerungsrecht 38; Eidesverweigerungsrecht 41; Vereidigung 43; unzulässige Beschlagnahme 131, 133 Angeklagter, Begriff 35; Anwesenheitspflicht 80; Folgen der Abwesenheit 56, 81 ff., 106f., 117; Ladung 54; Entfernung aus dem Sitzungssaal 83; Tod 95f., 177 Angeschuldigter, Begriff 35 Anklage 22, 26ff.; Zulassung 33; Zurücknahme 31 Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft 26 Anklageprinzip 26, 86, 223 Anklagesatz 30 Anklageschrift, Aufgabe 29; Inhalt 30; Mitteilung an Angeschuldigten 15; Mängel 30 Anwesenheitspflicht des Angeklagten 80ff.; der Oerichtspersonen 73f. Anwesenheitsrecht der Prozeßbeteiligten Im Vorverfahren 45; In der gerichtlichen Voruntersuchung 32 Apotheker, Zeugnisverweigerungsrecht 40 Arbeltshaus, Verbot der reformatio in peius 166 Arzt, Zeugnisverweigerungsrecht 40; körperliche Untersuchung 62f. Arztliches Attest, Verlesung 55

Aufhebung des Urteils in der BerufungsInstanz 106 f., in der Revisionsinstanz 125, im Wiederaufnahmeverfahren 184; — des Haftbefehls 71, 73 Aufklfirungspfllcht des Gerichts 139 Augenschein 61 ff.; Anwesenheitsrecht 45 f.; Ablehnung 143 Ausbleiben des Angeklagten in der H a u p t verhandlung 80ff.; in der Berufungsverhandlung 106, 144; In der Revisionsverhandlung 123, 144; im Strafbefehlsverfahren nach Einspruch 169; — des Pflichtverteidigers 47, 74; — des Privatklägers 144, 189 Auslagen, gerichtliche 92; des Angeklagten 92; im Privatklageverfahren 93; des Nebenklägers 201 f. Auslandstaten, Lockerung des Verfolgungszwangs 18 Ausschließung von Gerichtspersonen 50f. Ausschluß der Öffentlichkeit 75 ff. Aussetzung der Hauptverhandlung 75, 88 Außerverfolgungsetzung 32 B Bagatellvergehen, Einstellung 18, 22, 160f. Beamte als Zeugen 41 beauftragter und ersuchter Richter bei kommissarischer Vernehmung 35 Befangenheit als Ablehnungsgrund 51 Behörden, Verlesung von Erklärungen 55 Beratung des Urteils 208 Berichterstatter 105, 209 Berichtigung des Protokolls 80; der Urteilsformel 217f„ 219f.; der Urteilsgründe218 Berufung, Begriff 102; Beschränkung auf einzelne Beschwerdepunkte 108f.; Übergang zur Revision 103; Verwerfung als unzulässig 104, 106; Verwerfung als unbegründet 106 Berufungsverfahren 104ff. Beschlagnahme 130ff. Beschleunigtes Verfahren 35 f. Beschlüsse, Anfechtbarkeit 98; Einstellung durch Beschluß 94f.; Rechtskraft 159ff. Beschränkung des Rechtsmittels 108f.; der Verteidigung 129 H*

Alphabetisches Sachregister Beschuldigter, Begriff 35 Beschwerde 97ff.; Begriff 98; einfache 98; sofortige 98; weitere 98; gegen Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft 23 f. Besetzung des Gerichts 51, 53 Beweis, unmittelbarer und mittelbarer 56 Beweisantrag 138ff.; Ablehnung 140f. Beweisaufnahme, Umfang 138ff.; in der Berufungsinstanz 105; im Privatklageverfahren 189 Beweisermittlungsantrag 138 Beweiskraft des Sitzungsprotokolls 61, 79 Beweismittel, präsente 140; im Wiederaufnahmeverfahren 179f., 183 Beweisperson, Abwesenheit 57 Beweiswürdigung, freie 61, 207; in den Urteilsgründen 214 Bindung des Gerichts an vorausgegangene Entscheidungen 152, 208 Blutentnahme 41, 62f., 64 Briefbeschlagnahme 131 ff. Bundesgerichtshof, Zuständigkeit 7 D Denkgesetze, Verstoß gegen — als Revisionsgrund 121 Devolutiveffekt 97 Dienstaufsichtsbeschwerde 24f. Dolmetscher 74 Dritte als Beschwerdeberechtigte 98 Druckschriften, Gerichtsstand 15 Durchsuchung 130 f. E Ehe, Auflösung und Scheidung als Prozeßvoraussetzungen 116 Ehegatte, Zeugnisverweigerungsrecht 38; Eidesverweigerungsrecht 41; Vereidigung 43; unzulässige Beschlagnahme 131, 133 Eidesformel, bei Zeugen 37; bei Sachverständigen 187 Eidesverletzung als Wiederaufnahmegrund 177 Eidesverweigerung, Folge bei unberechtigter — 37; Recht zur — 41 Einspruch gegen Strafbefehl 168f., 171 Einstellung des Verfahrens durch die StA 17—22; durch das Gericht 94, 113ff., 117; in der Rechtsmittelinstanz 115; im Privatklageverfahren 188f.; vorläufige 22, 94, 117 Einstellungsurteil, Rechtskraft 155, 163 f., 166 Einstellungsverfügung des StA, Rechtsmittel 23 f. Einstweilige Unterbringung 64, 71

Einwand der Unzuständigkeit 16; gegen Eröffnung des Hauptverfahrens 15; gegen Zulässlgkeit der Strafvollstreckung 222 Einziehung im objektiven Verfahren 172ff.; Rechtsnatur 173 Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal 83; als Maßnahme der Sitzungspolizei 77 Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen 37, 92; der im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochenen Personen 178, 222, 224f.; f ü r unschuldig erlittene S t r a f h a f t 222; f ü r unschuldig erlittene U-Haft 225f.; des Verletzten im Adhäsionsverfahren 204ff. Entschädigungsverfahren siehe Adhäsionsverfahren Entziehungsanstalt, Pflicht zur Beiziehung eines Sachverständigen 186 Ergänzungsrichter 74, 209 Ergreifung, Gerichtsstand 10 Erkennendes Gericht 98 Erklärungsfristen 135, 143 Ermächtigung als Prozeßvoraussetzung 118 Ermessensfreiheit gegenüber Opfern der Erpressung 19; siehe auch Opportunitätsprinzip Ermittlungsverfahren des StA, Einleitung 22f.; Abschluß 27f. Ermittlungsergebnis in Anklage 29 Eröffnungsbeschluß 33 f. Eröffnungsverfahren 26, 32 Erpressung, Ermessensfreiheit bei Opfer einer — 19 Ersatzrevision 103, 114, 121 Ersatzrichter, siehe Ergänzungsrichter Erzwingung, siehe Zwangsmaßnahmen F Fahndungsmaßnahmen 22 Falscher Angeklagter 219f., 222ff. Fälschung des Sitzungsprotokolls 79; einer Urkunde als Wiederaufnahmegrund 176 Fernmündliche Strafanzeige 20; Durchgabe eines Telegramms 21 Fernsehübertragung 75 Festnahme, vorläufige 64, 71; bei Störung von Amtshandlungen 65 Fingerabdrücke 62 Flucht als Haftgrund 66 Fluchtgefahr als Haftgrund 66 Formelle Rechtskraft 221 Förmlichkeiten, wesentliche — der Hauptverhandlung im Sitzungsprotokoll 79 Fortgesetzte Tat, Rechtskraft 156; Verbot der reformatio in peius 157, 166 Fragerecht 77 Freibeweis 64, 115

Alphabetisches Sachregister Freiheitsbeschränkungen im Strafprozeß 64 ff. Freilassung gegen Sicherheitsleistung 68 Freispruch, Kostenentscheidung 92; Rechtsmittel 99; Inhalt der schriftlichen Urteilsgründe 217. Fristen, prozeßuale 26, 143 G Gebühren 92; der Zeugen und Sachverständigen 37, 92; des Verteidigers 91, 92 Gebührenvorschuß im Privatklageverfahren 188; bei Rechtsmittel des Nebenklägers 198 Gefährdung der Sittlichkeit, der Staatssicherheit, eines Geschäftsgeheimnisses 75 ff. Geisteskrankheit, Verlesung des Protokolls über frühere Vernehmung 58; einstweilige Unterbringung 71 Geisteszustand, Untersuchung des Beschuldigten 65, 142, 186 Geistlicher, Zeugnisverweigerungsrecht 40 Geldstrafe, Vollstreckung 222; Zurückforderung 222 Gericht, Zuständigkeit 3 f f . ; erkennendes 98 Gerichtliche Entscheidung, Antrag auf 24 Gerichtskosten 92 Gerichtspersonen, Ausschließung und Ablehnung 50ff.; Anwesenheit 73f. Gerichtsstand lOff. Geringfügigkeit, Einstellung 18, 22, 160 Geschäftsvertellung, Verletzung als Revisionsgrund 51 Gesetzlicher Vertreter bei Privat- und Nebenklage 188, 199 f. Geständnis, Verlesbarkeit früherer Protokolle 35, 57, 132; als Wiederaufnahmegrund 177 Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrunds 145 Gutachten, Pflicht zur E r s t a t t u n g 186; Verlesbarkeit 55, 187; siehe auch Sachverständiger H Haftbefehl, als Fahndungsmaßnahme 22; Voraussetzungen 65 ff.; Außervollzugsetzung 68; Zuständigkeit 69, 73; Aufhebung 73; gegen ausgebliebenen Angeklagten 81, 107; im Rahmen der Strafvollstreckung 65 Haftgründe 65 f. Haftprüfungsverfahren 69 f. Haupttatsachen 214 Hauptverfahren 26, Eröffnung 32; Ablehnung 33

229

Hauptverhandlung, Vorbereitung 34f.; Verlauf 76ff.; Unterbrechung 74; Aussetzung 75; Vertagung 75; in Jugendsachen 75; in Abwesenheit des Angeklagten 81 ff.; in der Berufungsinstanz 105; in der Revisionsinstanz 123; im Wiederaufnahmeverfahren 184; im Privatklageverfahren 188 Hell- oder Pflegeanstalt, einstweilige Unterbringung 64, 71; Unterbringung zur Vorbereitung eines Gutachtens 65; kein Verbot des reformatio in peius 102; Rechtsmittelbeschränkung auf Anordnung der Unterbringung 111; Pflicht zur Beiziehung eines Sachverständigen 186; Unterbringung im Sicherungsverfahren 186; keine Entschädigungsansprüche 224,226; Ausschluß der Öffentlichkeit 75; Offizialverteidiger 48. Hilfsbeamte der StA 130 ff. Hilfserwägungen im Urteil 216 Hilfstatsachen 214 Hinwels auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts, siehe Änderung Hypnose 64 I Immunität als Prozeßhindernis 117 In dubio pro reo 115,117, 207, 226 Indizienbeweis 214 Instanzenzug 8 Irrtum in der Bezeichnung des Rechtsmittels 114

J Jugendgerichte, Zuständigkeit 5, 7, Ausschluß der Öffentlichkeit 75

11;

K Kind als Zeuge 39 Klageerhebung, Erscheinungsformen 22, 27; Absehen von 18, 22; siehe auch Anklage Klageerzwingungsverfahren 24; keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 143 Kollusionsgefahr siehe Verdunkelungsgefahr Kommissarische Vernehmung 35 Konzentrationsmaxime 74 Körperliche Untersuchung 62f., 64, 131, 187 Kostenrecht 91 ff. Kostenentscheidung bei Verurteilung 92; bei Freispruch 92; bei Einstellung 93; bei Zurücknahme des Strafantrags 93, 163; bei falscher Anschuldigung 94, 262; im Privatklageverfahren 93; im Nebenklageverfahren 201 ff.; im Rechtsmittelverfahren 93f.; bei Freispruch im Wiederaufnahmeverfahren 224

Alphabetisches Sachregister Krankheit von Beweispersonen 5 8 ; Verlesung früherer Vernehmungsprotokolle 58 Kreuzverhör 77 L Ladung zur Hauptverhandlung 5 4 ; unmittelbare 36, 140 Ladungsfrist 5 4 ; im beschleunigten Verfahren 35 Landgericht, die einzelnen Kammern 3 ; Zuständigkeit 6 ; Besetzung 6 Legalitätsprinzip 17 ff., 24, 27 Leichenöffnung 62, 186 Leichenschau 62, 186 Letztes Wort des Angeklagten 78 Leumundszeugnisse 55 Lichtbilder 8 4 M Maßregeln der Sicherung und Besserung, Abstimmung 209; in den Urteilsgründen 216; Verbot des reformatio in peius 102, 166 Materielle Rechtskraft, siehe Rechtskraft Messungen 62 Mildernde Umstände bei Strafzumessung 215f. Mitangeklagter, Wirkung der Revision 137 Mitbeschuldigter, Verlesung früherer Aussagen 58 Mündlichkeit, Grundsatz 56, 73, 132; in der Berufungsinstanz 105 Münzdelikte, Sachverständiger 187 N Nachtragsanklage 88 f. Nebendelikte, Einstellung 18 f., 22 ne bis In Idem 133, 135, 153ff., 173 Nebenklageverfahren 196f., 198 ff. Nebenkläger als Zeuge 36 Notar, Zeugnisverweigerungsrecht 4 0 Nötigung, Ermessensfreiheit bei Opfer einer — 19 Notwendige Verteidigung 47 f. O Oberes Gericht 13 Oberlandesgericht, Zuständigkeit 3, 7, 24 Objektives Verfahren 172 ff. Offenkundigkeit 141 Öffentliches Interesse, bei Bagatelldelikten 18, 2 2 ; bei Privatklagedelikten 22, 190; bei Körperverletzung 163 Öffentliche Klage, Formen 22, 2 7 ; Zurücknahme 31 Öffentlichkeit, Grundsatz 7 5 ; Ausschluß 75 Offizialverteidiger 4 7 f f . ; Zeitpunkt der Bestellung 28, 47

Opportunitätsprinzip 17 ff., 25, 95 Ordnung, Aufrechterhaltung in der Sitzung 77 Ordnungsstrafe gegen nicht erschienenen Zeugen 3 6 ; wegen unberechtigter Zeugnis- oder Eidesverweigerung 3 7 ; wegen Ungebühr 77 P Parteifähigkeit im Privatklageverfahren 188 Partelöffentllchkelt im Vorverfahren 45 perpetuatio fori 15 Pflichtverteidiger 4 7 f f . ; Zeltpunkt der Bestellung 28, 47 Postbe8chtagnahme 131 Privatkläger als Zeuge 36 Privatklageverfahren 187ff., 191 ff.; Umfang der Beweisaufnahme 142; Verweisung auf den Privatklageweg 23 Protokoll, Verlesung von Protokollen über frühere Vernehmungen 35, 38, 56ff., 193; über Augenschein 55, 6 2 ; Sitzungsprotokoll 7 8 f f . ; in der Berufungsinstanz 105 Protokollrügen 124 Prozeßfähigkeit im Privatklageverfahren 188; im Nebenklageverfahren 199 Prozeßhindernisse 116 f. Prozeßleitung 7 6 f . Prozeßverschleppung 140 f. Prozeßvoraussetzungen 113, 116f. R Rechtfertigungsgründe, Abstimmung

210;

208,

Rechtliches Gehör 24, 98 Rechtsanwalt als Verteidiger 8 9 ; Zeugnisverweigerungsrecht 4 0 ; siehe auch Verteidiger Rechtshängigkeit als Prozeßhindernis 116, 165 Rechtskraft, absolute und relative 2 2 1 ; teilweise 108, 114; formelle 2 2 1 ; materielle 153ff., 165f.; als Grundlage der Strafvollstreckung 7 2 ; von Einstellungsurteilen 155; bei Fortsetzungszusammenhang 156; bei Sammelstraftaten 157; des Strafbefehls 133, 158; von gebührenpflichtigen Verwarnungen 162; von Beschlüssen 159 ff.; Beseitigung durch Wiederaufnahme 175 Rechtsmittel, allgemeine Grundsätze 9 7 f f . ; Wirkungen 9 7 ; Einlegung 149; Zurücknahme 135, 136, 149; Beschränkung auf einzelne Beschwerdepunkte 108f, 114; Verzicht 80, 149; gegen freisprechendes Urteil 9 9 ; gegen Einstellungsverfügung des S t A 23f., 2 5 ; Irrtum in der Bezeichnung 114; im Wiederaufnahmeverfahren 184

Alphabetisches Sachregister Rechtemittelbelehrung 23 Rechtsmittelerklärungen, fernmündliche und telegrafische 20f. Rechtsnorm, bei Verletzung einer — Qber das Verfahren Zurückverweisung aus der Berufungsinstanz 119; Verletzung einer — Voraussetzung für Aufhebung des Urteils in der Revisionsinstanz 123f. reformatio in peius, Verbot 97, lOOff., 157, 166 221, Retorsion, Absehen von Strafverfolgung 18 Revision, Begriff 102, 121; Einlegung 122; Obergang auf Berufung 103; Beschränkungauf einzelne Beschwerdepunkte 108; Begründung 123, 125, 126ff.; Verwerfung 122, 135; Wirkung auf Mitangeklagte 137; siehe auch Rechtsmittel Revisionsrügen 128 Richter, als Zeuge 36; Ausschluß und Ablehnung 50ff.; Zeugnisverweigerungsrecht 41 Rubrum des Urteils 213 Rückfall, Abstimmung über 210 Rundfunkübertragung 75 S Sachentscheidung, keine — bei Prozeßhindernis 115 Sachverständiger 184ff.; Pflicht zur Beiziehung 142, 186; Vereidigung 187; im Wiederaufnahmeverfahren 180 Sammelstraftaten, Verbrauch der Strafklage 157 Schlußanhörung, schriftliche 28 Schlußgehfir 28f., 49 Schlußvorträge 78, 212; in der Berufungsinstanz 106 Schöffengericht, Zuständigkeit 5 Schriftstücke, Verlesung 54ff. Schriftvergleichung 62 Schuldfrage, Abstimmung 208 Schwurgericht, Zuständigkeit 6; Verweisung an 155 Sicherheitsleistung 68, 85 Sicherungsverfahren 6 Sicherungsverwahrung, Rechtsmittelbeschränkung 111 Sittlichkeit, Ausschluß der Öffentlichkeit wegen Gefährdung der — 75 Sitzungspolizei 65, 77 Sitzungsprotokoll 78ff. Sofortige Beschwerde 98 Sprungrevision 103, 121 Staatsanwalt, Zuständigkeit 26; als Zeuge 36; Wechsel in der HV 74; Stellung im Privatklageverfahren 190 Staatsanwaltschaft, Organisation 27 Staatsgefährdung, Einstellung 18 Staatssicherheit, Ausschluß der Öffentlichkeit wegen Gefährdung der — 75

331

Steckbrief 22, 71 Strafantrag 20ff.; als Prozeßvoraussetzung 113, 116; keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 143; Zurücknahme 162 Strafanzeige 17, 20ff. Strafaufhebungsgründe, Abstimmung 208; in den Urteilsgründen 216 Strafausschließungsgründe, Abstimmung 208, in den Urteilsgründen 216 Strafbefehl, als Form der öffentlichen Klage 22; beschränkte Rechtskraft 133, 158f. Strafbefehlsverfahren 167 ff. Straffrage, Abstimmung 209; Rechtsmittelbeschränkung 110 Strafkammer, Zuständigkeit 6 Strafklage, Verbrauch 153ff.; siehe auch ne bis in idem Strafverfahren, Verlauf 26 Strafverfügung 170 Strafvollstreckung, Vorführung 65; Einwendungen gegen die — 222 Strafzumessungsgründe 215 Sühneversuch im Privatklageverfahren 188, 191 Suspensiveffekt 97 T Tat im prozessualen Sinn 86, 154 Tatidentität 137, 154, 170 Tatort, Gerichtsstand 10, 15 Tatsachen, neue als Wiederaufnahmegrund 177, 183; bei erneuter Klageerhebung 160f.; Haupttatsacher 214; Hilfstatsachen 214 Tatverdacht, dringenden 65; hinreichender 33 Teilrechtskraft 108 Telegrafische Erklärungen 20f., 127, 136 Tod des Angeklagten 95, 118, 173f.; des Verurteilten ohne Einfluß auf Wiederaufnahme des Verfahrens 178; eines Zeugen 58; des Privatklägers 190; des Nebenklägers 199 f.; des Straf antragsberechtigten 199 Trinkerheilanstalt, Sachverständiger 142, 186 U Übertretungen, Einstellung wegen Geringfügigkeit 18, 22, 160f.; Verfolgung im Strafbefehlsverfahren 167; Verfolgung im Strafverfügungsverfahren 170; Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten 81 f. Oberzeugung, richterliche 206 f. Umstände, mildernde 211, 216 Unabwendbarer Zufall 26, 145 Unbrauchbarmachung, siehe objektives Verfahren

Alphabetisches Sachregister

832

Unmittelbarkeit, Grundsatz 56, 73f., 193 Unterbrechung der Hauptverhandlung 74 Unterbringung, einstweilige 64, 71; siehe auch Heil- oder Pflegeanstalt Untersuchung, körperliche 62f., 64, 131, 187 Untersuchungshaft 65ff.; Anrechnung 102; Entschädigung 225; nach Rechtskraft des Urteils 72 Untersuchungsrichter 32, 52f. Unzuständigkeit, Folgen 8 f . ; 12f., 16 Unzurechnungsfähigkeit, siehe Zurechnungsunfähigkeit Urkunden, Verlesung in der HV 54ff. Urkundenbeweis 54ff. Urkundsbeamter, Wechsel 74 Urteil, Zustandekommen 206, Verkündung 67, 211 f.; schriftliche Gründe 213ff.; Unterschriften 217; Wiederherstellung 219; Berichtigung 217ff.; Grundlage der Strafvollstreckung 72, 221; Zustellung 80; Verhältnis zur Anklage 86, unbeachtliches 223 Urteilsformel 213; in der Berufungsinstanz 107; Berichtigung 124, 217f„ 219f. Urteilsgründe 213ff.; Berichtigung 218 Urteilsverkündung 76, 211 f.; Öffentlichkeit 76 V Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts 84, 86f., 113 Verbindung zusammenhängender Verfahren 9f. Verbrauch der Strafklage (ne bis in idem) 18, 25, 96, 133, 135, 153ff., 173 Verdunkelungsgefahr 66 Vereidigung von Zeugen 37; von Sachverständigen 187; Verbot 42f.; bei Übertretungen 43; im Privatklageverfahren 43 Verfahren, beschleunigtes 35; objektives 172 Verfahrenshindernisse 116f. Verfahrenskosten 91 ff. Verfahrensvoraussetzungen 116f. Vergiftung, Verdacht 186 Vergleich im Privatklageverfahren 190 Verhaftung, siehe Haftbefehl Verhältnismäßigkeit, Grundsatz 67 Verhandlungsleitung 76 f. Verhörsperson, Vernehmung 59f. Verjährung, Behandlung im Verfahren 114f.; Kostenentscheidung 93; Abstimmung 210 Verlesung von Urkunden 54ff. Verletzter, Einstellungsbeschwerde und Klageerzwingungsverfahren 24, 203; Im Privatklageverfahren 187; als Nebenkläger 203; im Adhäsionsverfahren 204ff.; Nichtvereidigung 43 Verlobter, Zeugnisverweigerungsrecht 39

Vernehmung der Zeugen 37; des Sachverständigen 185, kommissarische 35; im Vorverfahren 45 Vernehmungsprotokoll, Verlesung In der HV 56 ff. Vernichtung von Gegenständen 172 Versäumung von Fristen 143 ff. Verschwägerte, Zeugnisverweigerungsrecht 39 Vertagung 75 Verteidiger, rechtliche Stellung 89; Akteneinsicht 28, 91; Vollmacht 90, 95; als Zeuge 36; Zeugnisverweigerungsrecht 40; Offizialverteidiger 47 ff. Verteidigung, notwendige 47 ff.; Beschränkung der — als Revisionsgrund 84f.; 129 f. Verwandte, Zeugnisverweigerungsrecht 39 Verzicht auf Rechtsmittel 80, 149, 2187 Verurteilter, Begriff 219; Identität 219ff. Verwarnung, gebührenpflichtige 162 Verweisung auf Privatklageweg 23, 190; an das zuständige Gericht 125, 164 Verwertungsverbot von Zeugenaussagen 59 f. Vollmacht des Verteidigers 90, 95 Vollstreckungsverfahren 26, 72; siehe auch Strafvollstreckung Vorführung des Beschuldigten 64, 81, 84; von Zeugen 65; zur Strafvollstreckung 65 Vorläufige Einstellung des Verfahrens 22, 94, 117 Vorläufige Festnahme 64, 71 Vorsitzender, Prozeßleitung und Sitzungspolizei 76f.; bei Beratung und Abstimmung 209 Voruntersuchung, gerichtliche 12f; 22, 26, 31 f., 37, 45 Vorverfahren 26, 31, 27, 45, Vorwegnahme, unzulässige — des Beweisergebnisses 141

W Wahlfeststellung in den Urteilsgründen 214 Wahrheitserforschung als Ziel der Beweisaufnahme 139f., 206f. Weitere Beschwerde 98 Widerklage 189 Widerruf eines Rechtsmittelverzichts 150; der AnSchlußerklärung des Nebenklägers 198 Wiederaufnahme der abgelehnten Klage 160; eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens 175ff., 183f. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 25, 81, 143 ff., 145 ff. Wiederholungsgefahr als H a f t g r u n d 67 Wohnsitz, Gerichtstand 10

Alphabetisches Sachregister Z Zeuge, Begriff 36; Aussagepflicht 37; unentschuldigtes Ausbleiben 36; Zeugnisverweigerung 37ff.; Eidesverweigerung 37; Vereidigung 37; Vernehmung 37; kommissarische Vernehmung 35; Kind als — 39; Staatsanwalt als — 36; Richter als — 36; Privatkläger kann nicht — sein 36, 192; Nebenkläger als — 36, 200; sachverständiger — 187 Zeugnisverweigerungsrecht 37ff., 59, 61 Zufall, unabwendbarer 26, 145 Zurechnungsfähigkeit, verminderte 111,176 Zurechnungsunfähigkeit 99,111,181,; siehe auch Heil- oder Pflegeanstalt

233

Zurücknahme der öffentlichen Klage 31, 169; der Privatklage 189; von Rechtsmitteln 135f., 149; des Strafantrags 162; des Einspruchs 168f. Zurückverweisung an Vorinstanz 100, 104, 119, 126, 169 Zusammenhang von Strafsachen 9f.; Gerichtsstand des Zusammenhangs 9 f. Zusammentreffen mehrerer Gerichtsstände 12; von Offizialverfahten und Privatklageverfahren 190, 195 Zuständigkeit des Gerichts 3ff.; sachliche 4 f f . ; örtliche 10ff.; der StA 26 Zwang, unmittelbarer 63; unzulässiger 64 Zwangshaft 65 Zwangsmittel im Strafverfahren 63 ff.

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Erster Teil

Die Fälle

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FALLI Schwierige Zuständigkeitsfragen A. Der Untersuchungsrichter beim L a n d g e r i c h t H e i d e l b e r g hat die Voruntersuchung eröffnet gegen die Angeschuldigten A, B und C, und zwar gegen den in H e i d e l b e r g wohnhaften Angeschuldigten A wegen einer in Heidelberg begangenen schweren Brandstiftung i. S. des § 307 StGB und eines in S t u t t g a r t in Mittäterschaft mit den dort wohnhaften B und C begangenen Betrugs (§§ 263, 47 StGB; gegen B und C wegen dieses in Stuttgart begangenen Betrugs). Die Angeschuldigten B und C beantragen gemäß § 12 Abs. 2 StPO durch ihren Verteidiger die Übertragung der Strafsachen nach Stuttgart. Welches Gericht wird über diesen Antrag entscheiden und wie wird die Entscheidung lauten? Ist sie anfechtbar? B. Der in Karlsruhe wohnhafte Schriftsteller A hatte in einem Artikel, der in einer S t u t t g a r t e r Zeitung erschienen war, einen in Nürnberg wohnhaften Arzt beleidigt. Kurze Zeit darauf ließ A den gleichen Artikel auch in einer K a r l s r u h e r Zeitung zum Abdruck bringen. Nachdem der beleidigte Arzt wegen des in beiden Zeitungen erschienenen Artikels frist- und formgerecht Strafantrag bei der Staatsanwaltschaft Karlsruhe gestellt hatte, erhob diese gemäß § 376 StPO vor dem Schöffengericht in Karlsruhe am 1. Dezember 1965 Anklage wegen der durch Veröffentlichung in den beiden Zeitungen begangenen Beleidigungen. A erhob auf die gemäß § 201 StPO erlassene Aufforderung den Einwand, daß im Hinblick auf den ausschließlichen Gerichtsstand des § 7 Abs. 2 StPO die Zuständigkeit des Schöffengerichts in Karlsruhe für die in Stuttgart begangene Beleidigung nicht begründet sei. Dieser Einwand wurde durch Beschluß vom 20. Dezember 1965 mit der Begründung, daß sich die Karlsruher Zuständigkeit aus § 8 StPO ergebe, verworfen. Gleichzeitig wurde das Hauptverfahren vor dem Schöffengericht in Karlsruhe eröffnet. In der Hauptverhandlung wiederholte der Verteidiger des Angeklagten nach dessen Vernehmung zur Sache den Einwand der Unzuständigkeit. Das Gericht wies unter Bezugnahme auf § 16 StPO diesen Einwand, weil vera*

4*

Praktische Strafprozeßfälle, I. Teil: Die Fälle

spätet erhoben, durch Beschluß als unzulässig zurück und verurteilte A wegen der beiden Beleidigungen zu je iooo D M Geldstrafe, im Uneinbringlichkeitsfall zu j e einem Monat Gefängnis. W a r das Schöffengericht in Karlsruhe zur Aburteilung zuständig?

FALL 2 Die streitsüchtigen Nachbarn A wurde von seinem Nachbarn N, mit dem er schon seit vielen J a h r e n im Streit lebte, bei der Staatsanwaltschaft wegen Hausfriedensbruchs zur Anzeige gebracht. In seiner a m 8. 3. 1965 bei der StA eingegangenen schriftlichen Anzeige stellte N die Behauptung auf, A habe trotz wiederholter Abmahnung am 22. 2. 1965 beim Schneiden seiner Obstbäume unbefugt sein (des B) Grundstück betreten. Mit Rücksicht auf die geringe Bedeutung des Vorfalls verneinte die StA ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung und verwies N, ohne weitere Ermittlungen einzuleiten, auf den Privatklageweg. Als A durch Zufall am 1. 4. 1965 von der gegen ihn gerichteten Strafanzeige hörte, entschloß er sich sofort zu einer Gegenanzeige wegen falscher Anschuldigung und übler Nachrede. U m keine Zeit zu verlieren, ließ er sich fernmündlich mit der nächsten Polizeidienststelle verbinden, der er den Sachverhalt unterbreitete. Der diensthabende Polizeibeamte weigerte sich jedoch, die Anzeige fernmündlich aufzunehmen, und erklärte, A möge persönlich erscheinen oder die Anzeige schriftlich erstatten. Infolge starker beruflicher Inanspruchnahme kam A aber erst am 8. 7. 1965 dazu, seine Anzeige schriftlich zu formulieren und der Staatsanwaltschaft vorzulegen. Er vertrat dabei den Standpunkt, er habe das Grundstück des N überhaupt nicht betreten; aber selbst wenn er es doch betreten hätte, so wäre dies nicht rechtswidrig gewesen. 1. Durfte der Polizeibeamte sich weigern, die fernmündlich erstattete Strafanzeige entgegenzunehmen? 2. Welche Möglichkeiten der Verfahrensgestaltung hat die StA nach Eingang der schriftlichen Anzeige am 8. 7. 1965? 3. Könnte A auf den Privatklageweg verwiesen werden? 4. Welche Rechtsmittel stehen A zur Verfügung, wenn die StA das Verfahren einstellt mit der Begründung, hinsichtlich der falschen Anschuldigung sei kein hinreichender Tatverdacht gegeben und hinsichtlich der üblen Nachrede sei der Strafantrag nicht rechtzeitig gestellt? 5. Welche Rechtsmittel stehen A zur Verfügung, wenn die StA das Verfahren nicht mangels hinreichenden Tatverdachts, sondern (mit Zustimmung des zuständigen Amtsgerichts) gemäß § 153 Abs. 2 StPO einstellt? 6. Könnte A zum Zwecke der Erhebung der Privatklage wegen übler Nachrede wegen der Versäumung der Antragsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen?

Fall 4

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FALL 3 Ein fehlerhaftes Vorverfahren Bei der Vorbereitung der Hauptverhandlung (also n a c h Eröffnung des Hauptverfahrens) vor dem Amtsgericht (Schöffengericht) gegen H und Genossen wegen gewerbsmäßiger Hehlerei findet der Amtsrichter, der den fraglichen Fall in Vertretung seines plötzlich erkrankten Kollegen übernommen hat, beim Studium der Akten: 1. daß in dem v o r b e r e i t e n d e n V e r f a h r e n (unter Beobachtung der Vorschrift der §§ 169, 193 StPO) ein zur Hauptverhandlung nicht geladener Zeuge b e e i d i g t worden ist, mit der im Protokoll angegebenen Begründung, daß dem Zeugen das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen der Schwierigkeit der Verkehrsverhältnisse nicht zugemutet werden könne; 2. daß in der später durchgeführten V o r u n t e r s u c h u n g der Neffe N des Angeschuldigten H gemäß §66 Nr. 4 StPO e i d l i c h vernommen worden ist, ohne daß er ausweislich des Protokolls über sein Z e u g n i s v e r w e i g e r u n g s r e c h t und E i d e s v e r w e i g e r u n g s r e c h t belehrt worden war, und daß, wie spätere Feststellungen ergaben, auch gegen ihn der Verdacht der Beteiligung an der gewerbsmäßigen Hehlerei besteht; 3. daß in der Voruntersuchung ein A u g e n s c h e i n in einem dem Gerichtsgebäude gegenüberliegenden Privathaus eingenommen worden ist, ohne daß der in Untersuchungshaft befindliche Angeschuldigte H von dem Termin benachrichtigt worden, geschweige denn anwesend war; 4. daß der Angeschuldigte S während der Voruntersuchung die Bes t e l l u n g eines V e r t e i d i g e r s schriftlich beantragt hatte, dieser Antrag aber, wohl versehentlich, nicht verbeschieden worden war; 5. daß er selbst in der Voruntersuchung als S t e l l v e r t r e t e r des U n t e r s u c h u n g s r i c h t e r s das Ersuchen um Einvernahme eines Zeugen an ein auswärtiges Gericht sowohl in den Akten als auch in der Ausfertigung unterschrieben hat; 6. daß die L a d u n g z u r H a u p t v e r h a n d l u n g auf den 25. Mai dem Angeklagten T am 20. Mai zugestellt worden ist. Welche Folgerungen ergeben sich hieraus für die Obliegenheiten des Amtsrichters?

FALL 4 Der Streit um den Haftbefehl In der Hauptverhandlung vor dem Amtsrichter in Mannheim wurde der in Untersuchungshaft befindliche Angeklagte wegen Rückfalldiebstahls unter Annahme mildernder Umstände zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt, wobei drei Monate der erlittenen Untersuchungshaft auf die Strafe angerechnet wurden. Nachdem sowohl er als auch der Staatsanwalt

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Praktische Strafprozeßfälle, I. Teil: Die Fälle

auf Rechtsmittel verzichtet hatten, stellte der Angeklagte den Antrag, ihn aus der U n t e r s u c h u n g s h a f t zu entlassen, damit er zu Hause seine dringenden Feldgeschäfte erledigen könne. Der über diesen Antrag gehörte Staatsanwalt beantragte Abweisung desselben mit der Erklärung, er halte zwar auch eine Fluchtgefahr nicht mehr für vorliegend, allein er erachte es für rechtlich unzulässig, in diesem Stadium des Verfahrens noch einen Beschluß auf Aufhebung des Haftbefehls zu fassen. Als der Amtsrichter trotzdem einen dahingehenden Beschluß erließ, daß der Haftbefehl aufgehoben werde, erklärte der Staatsanwalt, daß er gegen diesen Beschluß Beschwerde einlege und deshalb beantrage, den Vollzug der Entscheidung auszusetzen. Der Amtsrichter gab diesem letzteren Antrag des Staatsanwalts statt und legte die Akten mit dem alle diese Vorgänge beurkundenden Hauptverhandlungsprotokoll dem Landgericht (Strafkammer) Mannheim zur Entscheidung vor. Wie sind die Stellungnahme des Staatsanwalts und das Verfahren des Amtsrichters zu beurteilen?

FALL 5 Der flüchtige Angeklagte In der Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht stellte der wegen Erpressung unter Anklage stehende Angeklagte Müller nach seiner Einvernahme den Antrag auf Ladung neuer Zeugen, durch welche er nachweisen werde, daß er nicht die Absicht gehabt habe, sich zu Unrecht zu bereichern. Durch Gerichtsbeschluß wurde dieser Antrag verworfen. Darauf verließ der Angeklagte in einem unbewachten Augenblick den Verhandlungssaal. Der Staatsanwalt beantragte, die Verhandlung zu Ende zu führen, den Angeklagten jedoch unter weitgehender Berücksichtigung seiner Verteidigung nicht wegen Erpressung, sondern wegen N ö t i g u n g zu verurteilen. Das Schöffengericht ging nicht auf diesen Antrag ein, beraumte Termin zur Fortsetzung der unterbrochenen Hauptverhandlung auf den elften T a g nach der Unterbrechung an und erließ gegen den Angeklagten wegen Fluchtverdachts Haftbefehl. Ein Freund des Angeklagten, Bankier Ohnesorg, leistete sofort durch Hinterlegung von 5000 D M in bar Sicherheit und wendete dadurch die Vollstreckung des Haftbefehls ab. Als Müller von dem gegen ihn erlassenen Haftbefehl hörte, tauchte er bei Verwandten auf dem Land unter, so daß es nicht möglich war, die Hauptverhandlung rechtzeitig, d. h. am 11. T a g nach der Unterbrechung, fortzusetzen. Als Ohnesorg dies erfuhr, fürchtete er um die von ihm geleistete Sicherheit. Es gelang ihm auch, innerhalb kürzester Zeit den Aufenthalt des Müller zu ermitteln und der StA mitzuteilen. Diese bewirkte daraufhin die Verhaftung des Müller. Gleichwohl stellte sie den Antrag, die Sicherheit für verfallen zu erklären.

Fall 7

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1. Hätte das Schöffengericht, als Müller aus der Hauptverhandlung weglief, Urteil erlassen können? 2. Ist die Sicherheit als für die Staatskasse verfallen zu erklären?

FALL 6 Der Tod des Angeklagten vor der Hauptverhandlung Nach Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Amtsrichter war der A n g e k l a g t e g e s t o r b e n , bevor es zur Hauptverhandlung gekommen war. Der Verteidiger des Angeklagten, der seine Vollmacht dem Gericht bereits vor diesem Zeitpunkt vorgelegt hatte, richtete nun an das Amtsgericht den Antrag, das Verfahren e i n z u s t e l l e n und gemäß §467 StPO auszusprechen, daß die dem Angeklagten erwachsenen Kosten der Verteidigung der Staatskasse auferlegt würden. Der Amtsrichter wies diesen Antrag durch Beschluß ab mit der Begründung, daß der vorliegende Fall Anlaß zu einer Einstellung des Verfahrens nicht biete. Hierauf stellte die Staatsanwaltschaft beim Amtsrichter den Antrag auf Anberaumung eines Termins zur Hauptverhandlung, damit durch Urteil die Einstellung des Verfahrens ausgesprochen werde. Der Amtsrichter lehnte diesen Antrag ab mit der Begründung, daß im Hinblick auf den Tod des Angeklagten eine Hauptverhandlung nicht mehr stattfinden könne. Die Staatsanwaltschaft legte nun gegen die bezeichneten beiden Entscheidungen B e s c h w e r d e ein und beantragte in erster Reihe, die Einstellung des Verfahrens zu verfügen. Fürsorglich stellte sie den Antrag, zwecks Einstellung durch Urteil einen Termin zur Hauptverhandlung zu bestimmen. Wie wird das Beschwerdegericht entscheiden?

FALL 7 Der verjährte Mundraub A hat sich vor dem Amtsgericht — Einzelrichter — wegen Diebstahls zu verantworten. In der vom Gericht zugelassenen Anklage wird ihm zur Last gelegt, er habe am 10. Januar einen Stallhasen im Wert von etwa 20,— D M auf nicht erschwerte Weise entwendet. Die Anklage war am 8. April gemäß § 201 StPO mitgeteilt worden; der Eröffnungsbeschluß erging am 20. April. In der Hauptverhandlung am 10. Mai stellt sich der Amtsrichter auf den Standpunkt, daß die dem Angeklagten zur Last gelegte T a t rechtlich nicht als Diebstahl gemäß § 242 StGB, sondern lediglich als Übertretung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 5 StGB zu beurteilen sei. 1 . Worauf wird er in der weiteren Verhandlung zu achten haben, um eine Verurteilung wegen einer Übertretung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 5 aussprechen zu können?

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Praktische Strafprozeßfälle, I. Teil: Die Fälle

2. Wie wird die Entscheidung lauten, wenn der Amtsrichter feststellt, daß ein Strafantrag nicht gestellt ist und auch nicht mehr gestellt werden kann? 3. Welche Rechtsmittel hat A, wenn er gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 5 zu einer Geldstrafe von DM 200,— verurteilt wird? 4. Welche verfahrensrechtlichen Konsequenzen ergeben sich, wenn A mit einem am 12. Mai beim Amtsgericht eingegangenen Schreiben erklärt, er lege gegen das Urteil vom 10. Mai Beschwerde ein, da ihm die Strafe zu hoch erscheine? 5. Wie ist die Rechtslage, wenn sich in der Berufungsinstanz ergibt, daß die Tat nicht erst am 10. Januar, sondern bereits am 6. J a n u a r begangen worden ist? 6. Wie ist die Rechtslage, wenn sich in der Berufungsinstanz nicht mehr mit Sicherheit klären läßt, ob die Tat am 6. oder am 10. J a n u a r begangen worden ist?

FALL 8 Der beleidigte Gemeinderat Gegen den Schneider Nörgelmann wurde das Hauptverfahren eröffnet, weil er den G e m e i n d e r a t von X. als solchen und die G e m e i n d e r a t s m i t g l i e d e r mit dem B ü r g e r m e i s t e r durch eine in der Anklage näher bezeichnete Äußerung beleidigt habe. Eine E r m ä c h t i g u n g i. S. des § 197 StGB liegt vor; außerdem haben sämtliche Gemeinderatsmitglieder und der Bürgermeister S t r a f a n t r a g gestellt. D e r A m t s r i c h t e r verurteilte den Angeklagten nur wegen Beleidigung des G e m e i n d e r a t s . Bezüglich der Frage, ob auch eine Beleidigung der e i n z e l n e n M i t g l i e d e r und des B ü r g e r m e i s t e r s vorliege, enthalten die Urteilsgründe keine Feststellungen. Die S t r a f k a m m e r erläßt auf die B e r u f u n g des Angeklagten, der die ihm zur Last gelegten Äußerungen bestreitet, folgendes Urteil: ,,Das Urteil des Amtsgerichts vom . . . wird aufgehoben. Der Angeklagte wird freigesprochen, soweit er wegen Beleidigung des Gemeinderats verurteilt worden ist. Insoweit treffen die Kosten die Staatskasse. Im übrigen wird die Sache an das Amtsgericht zur Erledigung des Eröffnungsbeschlusses zurückverwiesen*'. Auch die Strafkammer hält, wie in den Urteilsgründen ausgeführt wird, die dem Angeklagten zur Last gelegten Äußerungen für erwiesen, ist aber der Ansicht, daß eine Beleidigung des G e m e i n d e r a t s n i c h t vorliege, und hält mit Rücksicht auf den Inhalt des Eröffnungsbeschlusses eine Prüfung für nötig, ob nicht durch die den Gegenstand der Anklage bildende Äußerung die einzelnen G e m e i n d e r a t s m i t g l i e d e r und der B ü r g e r m e i s t e r beleidigt seien. In der e r n e u t e n H a u p t v e r h a n d l u n g erkennt der Amtsrichter abermals dahin, daß der Angeklagte wegen Beleidigung des Gemeinderats

Fall 9

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verurteilt wird, und führt in den Urteilsgründen aus, warum eine gleichzeitige Beleidigung auch der einzelnen Gemeinderatsmitglieder und des Bürgermeisters nicht vorliege. Gegen dieses Urteil legt der Staatsanwalt R e v i s i o n ein lediglich mit der Begründung, daß das Amtsgericht bei seiner zweiten Entscheidung an die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts gebunden gewesen sei. Es liege eine Verletzung des § 328 Abs. 2 StPO vor; es werde daher Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung beantragt. 1. Die Urteile des Amtsgerichts und der Strafkammer sind auf ihre Richtigkeit nachzuprüfen. 2. Wie wird das R e v i s i o n s g e r i c h t , das der Ansicht ist, daß nicht eine Beleidigung des Gemeinderats, sondern eine solche der Gemeinderatsmitglieder und des Bürgermeisters vorliege, entscheiden?

FALL 9 Ein kompliziertes Revisionsverfahren Der Amtsrichter in Mannheim hat am 1. März 1965 auf Antrag der Staatsanwaltschaft Mannheim gegen den Tüncher R u d o l f F i n z e r und den Gipser O t t o B r u n n e r aus Mannheim durch Strafbefehl eine Gefängnisstrafe von je zwei Monaten festgesetzt unter der Beschuldigung, sie hätten in gemeinschaftlicher Ausführung am 5. Februar 1965 dem Kohlenhändler F r i e d r i c h K r a u s e in Mannheim aus seiner unverschlossenen Ladenkasse 500 D M gestohlen. Der Strafbefehl wurde rechtskräftig. Nachdem beide die gegen sie erkannte Gefängnisstrafe verbüßt hatten, erfuhr der Kriminalkommissar B e n z , der den Fall bearbeitet hatte, daß F i n z e r an seinen Bruder, den Arbeiter K a r l F i n z e r , einen Brief geschrieben habe, der das Geständnis enthalte, B r u n n e r und er hätten bei dem Diebstahl noch eine verschlossene Kassette mit einem Inhalt von D M 2000 entwendet und nachher in der Wohnung des F i n z e r erbrochen. K r a u s e , der das Fehlen der Kassette noch nicht bemerkt hatte, bestätigte dem Kommissar B e n z auf Vorhalt ihren Verlust. Kommissar Benz begab sich darauf zu K a r l F i n z e r und vernahm ihn zur Sache. Dieser bestritt, von seinem Bruder einen Brief des besagten Inhalts erhalten zu haben, und verbat sich die Durchsuchung seiner Person und seiner Wohnung, die ihm der Kommissar androhte, wenn er den Brief nicht freiwillig herausgebe. Bei der trotzdem vorgenommenen Durchsuchung fand der Beamte den B r i e f , b e s c h l a g n a h m t e ihn und legte ihn mit entsprechender Meldung der Staatsanwaltschaft vor. Mittlerweile hatte die Staatsanwaltschaft in Erfahrung gebracht, daß F i n z e r in seiner Jugend mehrere Vorstrafen wegen einfachen und schweren Diebstahls erlitten hatte. (Diese Tatsache war infolge eines Irrtums der Strafregisterbehörde dem Amtsrichter bei Erlaß des Strafbefehls nicht bekannt.) Die Staatsanwaltschaft erwirkte gegen R. Finzer und Brunner Haftbefehl und erhob vor der S t r a f k a m m e r M a n n h e i m eine neue Anklage wegen gemeinschaftlich verübten

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Praktische Strafprozeßfälle, I. Teil: Die Fälle

schweren Diebstahls i. S. der §§ 242, 243 Z. 2, 47 StGB, begangen seitens F i n z e r unter den Rückfallvoraussetzungen des § 244 StGB. Gleichzeitig wurde gegen diesen Beschuldigten als gefährlichen Gewohnheitsverbrecher die S i c h e r u n g s v e r w a h r u n g beantragt. In der H a u p t v e r h a n d l u n g v o r d e r S t r a f k a m m e r am 16. August 1965, in der die beiden Angeklagten von Rechtsanwalt Dr. F i s c h e r verteidigt wurden, gaben die Angeklagten den einfachen Diebstahl wieder zu, bestritten aber, auch die Kassette gestohlen zu haben. Der B r i e f des R u d o l f F i n z e r an seinen Bruder K a r l kam zur V e r l e s u n g . Kommissar Benz bestätigte als Zeuge den Hergang bei der Beschlagnahme des Briefes. Ein zweiter Zeuge, der Schlosser F r i t z B r e n n e i s e n , dessen Ladung vor der Hauptverhandlung von dem Verteidiger zur Entlastung der Angeklagten beantragt und von dem Vorsitzenden des Gerichts auch verfügt worden war, war trotz ordnungsgemäßer Ladung in der Hauptverhandlung nicht erschienen. Der Verteidiger beantragte wegen Ausbleibens dieses Zeugen die Vertagung der Hauptverhandlung und erneute Ladung des Zeugen. Der Antrag wurde vom Gericht ohne Angabe von Gründen abgelehnt. Die Beweisaufnahme wurde darauf geschlossen und von dem Vorsitzenden nach Anhörung des Staatsanwalts und des Verteidigers, und nachdem die beiden Angeklagten das letzte Wort erhalten hatten, nach geheimer Beratung folgendes Urteil verkündet: „Die Angeklagten R u d o l f F i n z e r und O t t o B r u n n e r aus Mannheim werden wegen gemeinschaftlich verübten schweren Diebstahls i. S. der §§ 242, 243 Z. 2, 47 StGB verurteilt, und zwar Finzer zu einer Gefängnisstrafe von 1 J a h r und 2 Monaten und Brunner zu einer Gefängnisstrafe von 8 Monaten. Die Angeklagten haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der gegen den Angeklagten Finzer gestellte Antrag auf Sicherungsverwahrung wird abgelehnt". Gleichzeitig wurde durch Gerichtsbeschluß die Fortdauer der Untersuchungshaft verkündet. Bei der Eröffnung der Urteilsgründe führte der Vorsitzende aus, daß das Gericht auf Grund des verlesenen Briefes des Angeklagten R u d o l f F i n z e r an seinen Bruder K a r l die volle Uberzeugung gewonnen habe, daß beide Angeklagten gemeinschaftlich bei dem Diebstahl a u c h d i e K a s s e t t e des Kohlenhändlers K r a u s e entwendet, diese nachher in der Wohnung des R u d o l f F i n z e r erbrochen und ihren Inhalt sich angeeignet hätten. Diese Tat erfülle den Tatbestand der §§ 242, 243 Z. 2, 47 des StGB. Im übrigen machte der Vorsitzende eingehende, in der Hauptsache rechtliche Ausführungen über die Gründe, die für das Gericht bestimmend gewesen seien, bezüglich der Tat des Angeklagten F i n z e r das Vorliegen der Rückfallvoraussetzungen nach § 244 StGB zu verneinen und den Antrag auf Sicherungsverwahrung abzulehnen. Schließlich nahm der Vorsitzende noch zur Frage des Strafmaßes Stellung und gab zum Schluß die Gründe bekannt, die zur Nichtanrechnung der Untersuchungshaft führten. Die schriftlichen Urteilsgründe hatten im wesentlichen den gleichen Inhalt.

Fall 9 Gegen das Urteil legten beide Angeklagte R e v i s i o n ein, und zwar F i n z e r mit einem Schreiben vom 23. August 1965, das am 24. August 1965, und B r u n n e r mit einem Schreiben vom 19. August, das am 20. August 1965 bei der Strafkammer einkam. Nachdem den Angeklagten am 15. September 1965 das Urteil zugestellt war, beauftragten sie ihren Verteidiger, der schon aufgrund seiner in erster Instanz vorgelegten Vollmacht zur Einlegung von Rechtsmitteln befugt war, die Revision zu begründen. Er tat dies mit folgender Revisionsrechtfertigung, die am 20. September 1965 bei der Strafkammer einkam: Mannheim, den 19. September 1965. Strafsache gegen Rudolf Finzer und Otto Brunner aus Mannheim wegen schweren Diebstahls. Ich beantrage die Aufhebung des gegen F i n z e r und B r u n n e r erlassenen Urteils der Strafkammer in Mannheim vom 16. August 1965 u n d Zurückverweisung der Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz. Es wird Verletzung von Rechtsnormen über das Verfahren gerügt, und zwar: 1. Es wird gerügt, d a ß das Gericht die Beweisaufnahme nicht auf den vorgeladenen Zeugen Schlosser B r e n n e i s e n erstreckt und dem auf Vertagung der Hauptverhandlung wegen Ausbleibens dieses Zeugen gestellten Antrage nicht stattgegeben u n d zudem den ablehnenden Beschluß nicht begründet hat. 2. Es wird weiter gerügt, daß der Brief des Angeklagten F i n z e r an seinen Bruder K a r l als Urkunde in der Hauptverhandlung verlesen worden ist, anstatt den K a r l F i n z e r über den Inhalt des Briefes zu vernehmen. 3. Es wird außerdem Verletzung des Grundsatzes ,,ne bis in idem" gerügt. Die beiden Angeklagten hätten von der Strafkammer nicht verurteilt werden dürfen, weil sie wegen derselben T a t durch den Strafbefehl des Amtsrichters vom 1. März 1965 bereits rechtskräftig bestraft worden sind. Die Anwendung des Strafgesetzes auf den festgestellten Sachverhalt ist daher fehlerhaft und somit auch das materielle Recht verletzt. Dr. Fischer, Rechtsanwalt. Am 15. November 1965 fand die Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht statt. Während gerade der Fall verhandelt wurde, kam ein Telegramm des Rechtsanwalts Dr. Fischer folgenden Inhalts ein: „Ich nehme die Revision des Angeklagten R u d o l f F i n z e r gegen das Urteil der Strafkammer Mannheim vom 15. August 1965 hiermit zurück . Dr. Fischer, Rechtsanwalt.

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Praktische Strafprozeßfälle, I. Teil: Die Fälle

Das Telegramm kam in der Hauptverhandlung, noch bevor sich das Gericht zur Beratung zurückgezogen hatte, zur Verlesung. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft stimmte der Zurücknahme der Revision zu. 1. Entspricht die Revisionsrechtfertigung des Rechtsanwalts Fischer den Vorschriften der Strafprozeßordnung? 2. Sind die Revisionsrügen berechtigt? 3. Wie wird das Revisionsgericht über die Revisionen der beiden Angeklagten Finzer und Brunner entscheiden?

FALL 10 Unzuverlässiges Kanzleipersonal Am 16. November 1965 wurde der Angeklagte K a r l W e i ß von der S t r a f k a m m e r M a n n h e i m wegen mehrerer Verbrechen nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren verurteilt. Am 19. November 1965 bat Weiß seinen Verteidiger, gegen dieses Urteil R e v i s i o n einzulegen. Infolge Verschuldens des Kanzleipersonals des Rechtsanwalts gelangte das die Revisionseinlegung enthaltende Schriftstück mit Vollmacht erst am 24. November 1965 zum Landgericht. Dieses v e r w a r f gemäß §346 StPO durch Beschluß, der dem Rechtsanwalt am 7. Dezember 1965 zugestellt wurde, die Revision als u n z u l ä s s i g . Am 12. Dezember 1965 kam beim Landgericht ein auf die Revisionseinlegung Bezug nehmender A n t r a g des Rechtsanwalts vom 11. Dezember auf W i e d e r e i n s e t z u n g in den v o r i g e n S t a n d ein. Diesem Antrag hatte der Verteidiger eine eidesstattliche Versicherung seines Bürovorstehers beigefügt, in der dieser bekundete, daß der Kanzleiangestellte X, der im Auftrage des Bürovorstehers am 23. November 1965 mit dem die Revisionseinlegung enthaltenden Schriftstück zum Landgericht geschickt worden sei, auf ausdrückliches Befragen nach seiner Rückkehr die Ausführung des Auftrags behauptet, in Wirklichkeit aber das Schriftstück erst zwei Tage später beim Gericht abgegeben habe. Hierauf gewährte die Strafkammer entgegen dem Antrag des Staatsanwalts, der unter Hinweis auf § 45 Abs. 2 und unter Bezugnahme auf § 346 Abs. 2 StPO die Verwerfung des Gesuchs beantragte, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. 1. War die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sachlich gerechtfertigt und entsprach das Verfahren den gesetzlichen Vorschriften? 2. Welche Bedeutung kommt den Einwendungen des Staatsanwalts zu?

FALL 11 Der wankelmütige Angeklagte Am 15. September 1965 wurde der Händler Emil S c h w a r z vom A m t s r i c h t e r in S t u t t g a r t wegen Urkundenfälschung, begangen in Tateinheit mit Betrug, zu neun Monaten Gefängnis verurteilt. Der Ange-

Fall 12

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klagte, dessen Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls abgelehnt worden war, verzichtete am 20. September 1965 zu Protokoll des Gefängnisaufsehers auf das Rechtsmittel der Berufung, erklärte dann aber am gleichen T a g e in einem Schreiben seine „Unterschrift für hinfällig" und legte Berufung ein. Beide Schriftstücke sind am 2 1 . September beim Amtsgericht eingegangen. Das Landgericht —- Strafkammer — Stuttgart, an das die Akten gemäß § 3 2 1 StPO gelangt waren, v e r w a r f gemäß § 3 2 2 Abs. 1 S. 1 als Berufungsgericht durch Beschluß am 16. Oktober 1965 die Berufung als unzulässig mit der Begründung, es sei nach den angestellten Ermittlungen anzunehmen, daß dem Amtsgericht der Widerruf des Rechtsmittel Verzichts mit der Berufungseinlegung erst n a c h Eingang des Verzichts zugegangen sei. Auf sofortige B e s c h w e r d e d e s V e r t e i d i g e r s des Angeklagten wurde der Beschluß des Landgerichts durch das O b e r l a n d e s g e r i c h t S t u t t g a r t aufgehoben und das Landgericht angewiesen, der Berufung des Angeklagten Fortgang zu geben. Das Oberlandesgericht stellte sich dabei auf den Standpunkt, daß zugunsten des Angeklagten anzunehmen sei, daß der Widerruf des Verzichts mit der Berufungseinlegung z u e r s t eingegangen sei, da eine Klarstellung nach dieser Richtung nicht habe geschaffen werden können. In der darauf anberaumten B e r u f u n g s v e r h a n d l u n g vom 15. Dezember 1965 beantragte der V e r t e i d i g e r lediglich Herabsetzung der vom Amtsrichter ausgesprochenen Strafe, da die Notlage, in der sich sein Mandant zur Zeit der T a t befunden habe, nicht genügend berücksichtigt worden sei. Der S t a a t s a n w a l t stellte den Antrag, die Berufung abermals als unzulässig zu verwerfen, da der Gerichtsbeschluß vom 16. Oktober 1965 zu Recht ergangen sei; eine Herabsetzung der Strafe komme jedenfalls nicht in Frage. Der V e r t e i d i g e r erhielt auf seinen Antrag nochmals das Wort und erklärte, die Strafkammer dürfe gar nicht prüfen, ob der oberlandesgerichtliche Beschluß zu Recht ergangen sei, sondern habe ihn als rechtskräftige und bindende Vorentscheidung anzusehen und demgemäß in Befolgung der vom Oberlandesgericht erteilten Weisung in der Sache selbst zu entscheiden. Die S t r a f k a m m e r gelangte nach abermaliger Prüfung der Frage, ob wirksam Berufung eingelegt sei, zu dem in dem Beschluß vom 16. Oktober 1965 festgestellten Ergebnis und verwarf daher durch Urteil die Berufung als unzulässig gemäß § 322 Abs. 1, S. 2 StPO. E n t h ä l t das U r t e i l der S t r a f k a m m e r eine G e s e t z e s v e r l e t z u n g ?

FALL 12 Der Autounfall des Alexander Schnell Der Autoverkäufer A l e x a n d e r S c h n e l l hat mit dem Vorführwagen seiner Firma einen Verkehrsunfall verschuldet und dabei seinen im P K W mitfahrenden B r u d e r B r u n o verletzt. Bruno stellt zunächst Strafantrag, worauf die Staatsanwaltschaft gegen Alexander Schnell Anklage vor dem

Praktische Strafprozeßfälle, I. Teil: Die Fälle Amtsgericht (Einzelrichter) erhebt. Als Bruno auf Drängen seines Bruders in der Hauptverhandlung seinen Strafantrag zurücknimmt, verneint der als Vertreter der Staatsanwaltschaft erschienene Referendar (R) ein besonderes öffentliches Interesse an der weiteren Strafverfolgung. 1. Konnte Bruno Schnell in der Hauptverhandlung den bereits gestellten Strafantrag wieder zurücknehmen? Konnte die Zurücknahme für ihn nachteilige Folgen haben? 2. Konnte Referendar R in der Hauptverhandlung das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung verneinen, nachdem die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse bis dahin bejaht hatte? 3. Wie wird das Gericht bei der gegebenen Sachlage entscheiden? 4. Wie ist die Rechtslage, wenn das Gericht das Verfahren gemäß § 260 I I I einstellt und Bruno nach Rechtskraft des Urteils an den Folgen seiner durch den Unfall erlittenen Verletzungen stirbt? K a n n in diesem Fall ein neues Verfahren eingeleitet werden? 5. Angenommen, Bruno wäre schon während des Ermittlungsverfahrens gestorben und die StA hätte gegen Alexander wegen fahrlässiger Tötung Anklage vor dem Schöffengericht erhoben. Wie wäre in diesem Fall die Rechtslage, wenn in der Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht der begründete Verdacht aufkommt, daß Alexander den Unfall vorsätzlich verschuldet hat, um seinen Bruder, mit dem er schlecht stand, zu töten und gleichzeitig auch sich das Leben zu nehmen? 6. Das Schöffengericht erkennt zwar seine sachliche Unzuständigkeit, übersieht aber § 270 und stellt das Verfahren durch Urteil nach § 260 I I I ein: welche prozessualen Möglichkeiten hat in diesem Fall die Staatsanwaltschaft? 7. Die Staatsanwaltschaft entschließt sich für eine Anklage vor dem Schwurgericht: muß sie die Rechtskraft des vom Schöffengericht erlassenen Einstellungsurteils abwarten oder kann sie sofort die Klage erheben?

FALL 13 Die unbelehrbare Dirne Die Dirne V e r o n i k a H o r r wird am i . J u n i 1965 vom Amtsgericht (Einzelrichter) wegen fortgesetzten öffentlichen Anbietens zur Unzucht ( § 3 6 1 Ziffer 6 StGB) zu einer Haftstrafe von 6 Wochen verurteilt. Gegen dieses Urteil legt sie form- und fristgerecht Berufung ein. Am 1. Juli u n d 8. Juli 1965 kommt sie erneut wegen Übertretung gem. § 361 Ziff. 6 StGB zur Anzeige. Der Staatsanwalt erhebt wiederum Anklage vor dem Amtsgericht wegen zweier rechtlich selbständiger Handlungen. In der Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter am 2. August 1965 beantragt er für jede der beiden Handlungen eine Haftstrafe von 4 Wochen, außerdem Einweisung in ein Arbeitshaus.

Fall 14

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1. Wie wird der Amtsrichter entscheiden, wenn er nach Eintritt in die Hauptverhandlung zur Überzeugung kommt, d a ß die beiden angeklagten Vorfälle am i . J u l i und 8.Juli 1965 als Teilakte der bereits am i . J u n i 1965 abgeurteilten fortgesetzten T a t anzusehen sind und a) die Sache durch Urteil der Kleinen Strafkammer vom 15. Juli 1965 bereits rechtskräftig abgeschlossen ist, b) die Berufungsverhandlung noch aussteht? 2. Welche Höchststrafe kann die Kleine Strafkammer im Falle b) aussprechen, wenn sie die Auffassung des Amtsrichters teilt? K a n n die Einweisung in ein Arbeitshaus ausgesprochen werden? 3. Wie ist die rechtliche Situation, wenn die Kleine Strafkammer entgegen der Ansicht des Amtsrichters davon ausgeht, daß die beiden Vorfälle am i . J u l i und 8 . J u l i rechtlich selbständige Handlungen darstellen?

FALL 14 Die Einziehung des Jagdgewehrs Der Staatsanwalt hat bei dem Amtsrichter Erlaß eines S t r a f b e f e h l s gegen einen Landwirt beantragt, weil er unter V e r l e t z u n g f r e m d e n J a g d r e c h t s dem Wilde nachgestellt hat (§ 292 StGB). Der Antrag lautete auf einen Monat Gefängnis und Einziehung des Gewehrs, das dem Bruder des Landwirts gehörte. Der Amtsrichter erkannte auf die beantragte Gefängnisstrafe, die Einziehung des Gewehrs ist jedoch nicht ausgesprochen worden. Nachdem der Landwirt die Gefängnisstrafe bereits verbüßt hatte, kamen die Akten dem Staatsanwalt wieder in die Hände, und er ersah aus ihnen, daß seinem Antrag auf Einziehung des Gewehrs nicht entsprochen war. Er erhob darauf wegen derselben Tat A n k l a g e vor dem Amtsrichter unter Hinweis darauf, d a ß dem Antrag auf Einziehung des Gewehrs nicht entsprochen sei, in diesem Umfange deshalb Rechtskraft nicht habe eintreten können. Der Amtsrichter, der lediglich infolge eines I r r t u m s die Einziehung des Gewehrs nicht ausgesprochen hatte, schloß sich dieser Auffassung an u n d verurteilte den Landwirt zu einer Gefängnisstrafe von einem Monat unter Anrechnung der bereits verbüßten Strafe und sprach die Einziehung des Gewehrs aus. Der Landwirt u n d dessen Bruder begaben sich darauf unmittelbar nach der Verkündung des Urteils zu einem Rechtsanwalt und berieten sich mit ihm, ob mit Aussicht auf Erfolg das Urteil des Amtsrichters angefochten werden könne. M a n entschloß sich, Berufung einzulegen. 1. Wie wird der Rechtsanwalt die Berufung begründen? 2. Was hätte der Staatsanwalt tun müssen, um die beantragte Einziehung des Gewehrs durchzusetzen, wenn er v o r der Rechtskraft des Strafbefehls von der unterbliebenen Einziehung Kenntnis bekommen hätte? » 3. Hätte der Staatsanwalt n a c h Rechtskraft des Strafbefehls die Einziehung des Gewehrs gemäß §§ 43off. StPO erreichen können?

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Praktische Strafprozeßfälle, I. Teil: Die Fälle

4. Wie wäre die Frage 3 zu beantworten, wenn das Gewehr d e m L a n d wirt selbst gehört hätte? 5. Wie wäre die Rechtslage, wenn das Gewehr d e m Landwirt gehört hätte u n d dieser vor Erlaß des Strafbefehls gestorben wäre?

FALL 15 Das Wiederaufnahmeverfahren des Josef Brandel J o s e f B r a n d e l wurde v o m Amtsgericht Karlsruhe wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 2 2 3 a StGB) zu einer Gefängnisstrafe von einem M o n a t verurteilt, weil er in der N a c h t v o m 28. auf 29. Oktober d e m I g n a z T r e i b e r auf der Straße aufgelauert u n d mit einem starken S t o c k einen Schlag auf den Kopf versetzt hatte. Das Urteil stützte sich hauptsächlich auf das Zeugnis des beeidigten G u s t a v K a i s e r , der angab, er h a b e unmittelbar vor d e m Überfall den Angeklagten B r a n d e l mit einem Prügel bewaffnet hinter der Wirtschaft gesehen, in der sich der Überfallene T r e i b e r befunden habe. Der Angeklagte hatte in der H a u p t v e r h a n d l u n g zwar zugegeben, d a ß er den T r e i b e r mit seinem Stock geschlagen, dagegen in Abrede gestellt, d a ß er i h m aufgelauert habe. E r machte geltend, 1. er sei von T r e i b e r überfallen worden u n d h a b e lediglich in Notwehr gehandelt; 2. überdies sei er unter den Nachwirkungen eines epileptischen A n falles gestanden u n d zurechnungsunfähig gewesen. Der Amtsrichter hatte den ersten Teil der Verteidigung d u r c h das Zeugnis des K a i s e r u n d den zweiten d u r c h ein ausführlich begründetes G u t a c h t e n eines Facharztes f ü r Neurologie als widerlegt angesehen. N a c h Eintritt der Rechtskraft des Urteils erschien der auf freiem F u ß befindliche Verurteilte auf der Geschäftsstelle des Amtsgerichts seines W o h n ortes (Durlach), ü b e r g a b eine von ihm verfaßte u n d unterzeichnete Erklär u n g u n d trug vor, er wolle einen A n t r a g a u f W i e d e r a u f n a h m e d e s V e r f a h r e n s stellen, die Begründung sei in der übergebenen Schrift enthalten. Dementsprechend n a h m der Urkundsbeamte zu Protokoll, d a ß der Erschienene den A n t r a g auf W i e d e r a u f n a h m e stelle u n d sich trotz gegenteiliger Belehrung zur Begründung auf die d e m Protokoll als Anlage beigefügte, v o m Verurteilten übergebene schriftliche Erklärung beziehe. I n d e m übergebenen Schriftstück ist gesagt, d a ß sich der A n t r a g auf § 359 Ziffer 5 der S t P O stütze, u n d hierzu folgendes vorgetragen: 1. Der Zeuge K a i s e r sei wissentlich von der W a h r h e i t abgewichen; m a n berufe sich auf Schulze u n d Müller, die bezeugen würden, d a ß K a i s e r gar keine W a h r n e h m u n g e n gemacht h a b e n konnte, weil er a n fraglichem Abend seine fern vom T a t o r t gelegene W o h n u n g nicht verlassen h a t t e ; mithin lägen eine neue Tatsache u n d neue Beweismittel vor, die geeignet seien, seine Freisprechung zu begründen.

Fall 16

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2. Es werde das in der Hauptverhandlung abgegebene Gutachten angefochten. a) Er berufe sich auf den praktischen Arzt Dr. Blum, der als Sachverständiger begutachten werde, daß er bei Begehung der Tat z u r e c h n u n g s u n f ä h i g gewesen sei. Auch dieses neue Beweismittel sei zur Begündung seiner Freisprechung geeignet. b) Zum mindesten werde der Sachverständige Blum dartun, daß bei Begehung der Tat seine Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t g e m i n d e r t gewesen sei. In diesem Falle werde ihm das Gericht mildernde Umstände zubilligen und eine geringere Strafe gegen ihn aussprechen. Das Amtsgericht Durlach legte den Antrag dem Amtsgericht Karlsruhe zur Entschließung vor. Wie ist der Antrag zu beurteilen 1. nach Form, 2. nach Inhalt (das Vorbringen unter 1 und 2 a—b soll im einzelnen behandelt werden) und welchen Beschluß wird der Amtsrichter in Karlsruhe auf den Antrag erlassen?

FALL 16 Die Privatklage des Agenten Fritz Leicht Dem in Köln wohnhaften Agenten F r i t z L e i c h t hatte am 1. November 1965 der ebenfalls in Köln wohnhafte Maurermeister A u g u s t S t e i n bei einem Wirtshausstreit vorgeworfen, die E h e f r a u L e i c h t treibe Ehebruch mit dem in Bonn wohnhaften Regierungsbaumeister F r a n z H e r g e r t . Es sei eine Schande für einen Staatsbeamten, dem man so etwas nachsage, eine noch größere Schande aber sei es für den „gefälligen" Ehemann, der diesem Treiben ruhig zusehe. L e i c h t erhob am 2. November 1965 Privatklage für sich und namens seiner Ehefrau, von der er Vollmacht vorlegte, gegen S t e i n wegen Verleumdung (§ 187 StGB) beim Amtsrichter in Köln. Die Privatklage wurde dem S t e i n vorschriftsmäßig mitgeteilt und nach Zahlung des Gebührenvorschusses am 16. November 1965 das Hauptverfahren antragsgemäß eröffnet. Am 30. November 1965 fand Hauptverhandlung vor dem Amtsrichter in Köln statt, zu der die E h e l e u t e L e i c h t und S t e i n erschienen. Letzterer gab die Äußerung zu und beantragte lediglich die eidliche Vernehmung der E h e f r a u L e i c h t als Zeugin über ihre Beziehungen zu H e r g e r t . Der Amtsrichter gab dem Antrag statt; die E h e f r a u L e i c h t wurde als Zeugin vernommen und beschwor, daß sie zu H e r g e r t in keinerlei geschlechtsvertraulichen Beziehungen stehe. Daraufhin verurteilte der Amtsrichter den Angeklagten auf Grund des § 187 StGB zu sechs Wochen Gefängnis. Hiergegen legte der Angeklagte frist- und formgerecht B e r u f u n g ein. Nach Ablauf der Fristen der §§ 314, 317 StPO wurden die Akten der Strafkammer des Landgerichts Köln prozeßordnungsgemäß vorgelegt. Inzwischen hatte aber auch H e r g e r t durch L e i c h t von der Äußerung des S t e i n erfahren. Er machte davon seiner vorgesetzten Behörde MitteiP e t t c r s - P r e i s e n d a n z , Strafprozeßfälle, 8. Aufl.

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lung. Diese stellte auf Grund des § 196 StGB am 10. November 1965 Strafantrag gegen S t e i n bei der Staatsanwaltschaft Köln. Die Staatsanwaltschaft ließ S t e i n , H e r g e r t und die E h e l e u t e L e i c h t durch die Kriminalpolizei vernehmen; dabei war wohl von dem Privatklageverfahren die Rede, der Kriminalbeamte war aber der Ansicht, daß dieses für das staatsanwaltschaftliche Verfahren ohne Bedeutung sei, belehrte auch die Beteiligten in diesem Sinne und unterließ es zudem, die betreffenden Angaben in seiner Meldung zu erwähnen. Die Staatsanwaltschaft erhob nunmehr öffentliche Klage vor dem Amtsgericht Köln, und die zuständige Abteilung des Amtsgerichts (eine andere als die mit der Privatklage befaßte) eröffnete am 25. November 1965 das Hauptverfahren. In der Sache fand am 10. Dezember 1965 Hauptverhandlung vor dem Amtsrichter statt. Zu dieser war außer dem Angeklagten nur H e r g e r t als Zeuge erschienen, die weiter geladene E h e f r a u L e i c h t war am Tage vor der Verhandlung an einem Herzschlag verstorben. Der Angeklagte bestritt auch jetzt die Äußerung nicht und wendete gegenüber der Anklage nur ein, er sei j a wegen der Äußerung bereits verurteilt. Der Amtsrichter erhob kurzerhand die Akten des Privatklageverfahrens, entnahm daraus, daß dieses noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sei, beachtete aber den Einwand des Angeklagten nicht weiter, da das Offizialverfahren dem Privatklageverfahren vorgehe. Er vernahm dann den H e r g e r t als Zeugen, verlas nach Verkündung eines entsprechenden Gerichtsbeschlusses trotz Widerspruchs des Angeklagten aus dem Protokoll der Hauptverhandlung vom 30. November 1965 die Aussagen der E h e f r a u L e i c h t und verurteilte schließlich den S t e i n wegen Verleumdung des H e r g e r t zu drei Monaten Gefängnis. Auch hiergegen legte der Verurteilte form- und fristgerecht Berufung mit dem Antrag auf Freisprechung ein. Gemäß § 321 StPO gelangen die Akten an den Staatsanwalt. Er zieht die Akten des Privatklageverfahrens bei und prüft die beiden Verfahren hinsichtlich etwaiger Verfahrensverstöße, um die Aussichten der jeweils eingelegten Rechtsmittel beurteilen zu können. Welches wird das Ergebnis dieser kritischen Prüfung sein? Welche Erklärungen wird er abzugeben, welche Anträge zu stellen haben, wenn er die Verurteilung des S t e i n wegen Beleidigung der E h e l e u t e L e i c h t und des H e r g e r t erzielen will? Kann er die Verurteilung des S t e i n zu der als angemessen zu erachtenden Strafe von drei Monaten Gefängnis erreichen?

FALL 17 Eine überstürzte Anzeige Der 18 Jahre alte Sohn eines Kaufmanns war in Mannheim eines Nachts auf der Straße vor einer Wirtschaft, in der er vorher mit seinem Vater gewesen war, mit einem S c h l o s s e r in Streit geraten, in dessen

Fall 17

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Verlauf der S c h l o s s e r dem Sohne des Kaufmanns mit einem kräftigen Stock einen schweren Schlag auf den Kopf versetzte und ihn nicht unerheblich verletzte. Bei dem S c h l o s s e r befand sich in der Unglücksnacht dessen Freund, ein S c h r e i n e r , der sich aber bei dem ganzen Streit passiv verhielt. In dem Augenblick, als der Sohn des Kaufmanns den Schlag erhielt, kam sein Vater gerade aus der Wirtschaft heraus. Er sah noch, wie sein Sohn den Schlag bekam und zusammenbrach und wie unmittelbar darauf zwei jüngere Männer davonsprangen. Als den einen erkannte er in der Dunkelheit den S c h r e i n e r , den S c h l o s s e r erkannte er dagegen nicht. Obwohl nun der Kaufmann darüber, wer von den beiden den Schlag geführt hatte, sich keineswegs ganz sicher war, erklärte er schon bei der Anzeige und auch bei späteren Vernehmungen mit Bestimmtheit, der S c h r e i n e r sei der Täter gewesen. Der S c h r e i n e r , der in Haft genommen wurde, bestritt mit allem Nachdruck, der Täter gewesen zu sein, und erklärte immer und immer wieder, er sei nur zufällig Zeuge des Streites gewesen, der andere junge Mann habe die Tat vollführt; wie dieser heiße und wer er sei — er wollte seinen Freund in der Hoffnung, daß er selbst bald wieder auf freien Fuß komme, schonen — wisse er aber nicht; er sei nur deshalb davongesprungen, weil er eben den Unannehmlichkeiten, denen Zeugen zumeist ausgesetzt seien, habe aus dem Wege gehen wollen. Die Staatsanwaltschaft erwirkte die Aufhebung des Haftbefehls und stellte das V e r f a h r e n mangels hinreichenden T a t v e r d a c h t s ein. Der Generalstaatsanwalt wies auf die B e s c h w e r d e des Vaters die Staatsanwaltschaft Mannheim zur Erhebung der öffentlichen Klage gegen den Schreiner wegen Vergehens nach § 223 a StGB an. Diese erhob demgemäß Anklage gegen den Schreiner vor dem Amtsrichter in Mannheim. Kurz darauf s t a r b d e r S o h n , und zwar an einer Lungenentzündung, die in keinerlei ursächlichem Zusammenhang mit der Mißhandlung stand. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens schloß sich der Kaufmann der erhobenen öffentlichen Klage als N e b e n k l ä g e r an. Der Amtsrichter sprach nach Anhörung der Staatsanwaltschaft durch Beschluß die Berechtigung des Nebenklägers zum Anschluß aus. In der Hauptverhandlung vor dem Amtsrichter erschien der Kaufmann in Begleitung eines mit Vollmacht versehenen Rechtsanwalts. Der Nebenkläger wurde als Zeuge vernommen. Er bestätigte unter Eid seine schon bei der Anzeige und im Vorverfahren gemachten Angaben, allerdings mit der Einschränkung, daß er nicht mehr mit Bestimmtheit wie bisher aufrechterhalten könne, daß der Angeklagte tatsächlich der Täter gewesen sei. Nach reiflicher Überlegung sei er zu der Uberzeugung gelangt, daß er sich in der Person getäuscht und auch der andere junge Mann den Schlag geführt haben könne. Nach seiner Vernehmung war die Beweislage trotzdem immerhin so, daß mit der Verurteilung des S c h r e i n e r s zu rechnen war. Da trat der im Gerichtssaal anwesende S c h l o s s e r an den Richtertisch und bat um seine Vernehmung; er sei in der Lage, wichtige Angaben zu machen. Das Gericht beschloß, ihn — zunächst unbeeidigt — zu hören. Der S c h l o s s e r gab darauf eine wahrheitsgemäße Schilderung b»

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des ganzen Verlaufes des Streites und versicherte, daß nicht der S c h r e i ner, sondern er der Täter gewesen sei. Der Staatsanwalt beantragte Freispruch. Der Verteidiger stellte außerdem den Antrag, sämtliche der Staatskasse und dem S c h r e i n e r erwachsenen Kosten des Verfahrens dem Nebenkläger aufzuerlegen, da der Nebenkläger durch seine ursprüngliche bestimmte Angabe bei der Anzeigeerstattung und den späteren Vernehmungen, der Schreiner sei der Täter gewesen, zum mindesten grob fahrlässig gehandelt und dadurch das Verfahren gegen diesen veranlaßt habe. Der Amtsrichter s p r a c h darauf zwar den Angeklagten von der erhobenen Anklage frei, wies aber den Antrag des Verteidigers, die der Staatskasse und dem Angeklagten erwachsenen Kosten des Verfahrens dem Nebenkläger aufzuerlegen, in der Formel des Urteils mit der in den Entscheidungsgründen gegebenen Begründung zurück, das Gericht habe sich nicht davon überzeugen können, daß die Anzeige des Nebenklägers auf g r o b e r F a h r l ä s s i g k e i t beruhe. Gegen das Urteil hat der Verteidiger des freigesprochenen Angeklagten form- und fristgerecht Berufung eingelegt und in seiner Berufungsrechtfertigung folgendes ausgeführt: Die Frage, ob der Kaufmann überhaupt als Nebenkläger von dem Erstinstanzgericht hätte zugelassen werden dürfen, wolle er dahingestellt sein lassen. Sein Angriff richte sich lediglich gegen die Ablehnung seines Antrags auf Uberbürdung der Kosten des Verfahrens auf den Nebenkläger. Der Nebenkläger habe durch seine bestimmte Angabe bei der Anzeigeerstattung und den späteren Vernehmungen, der Schreiner sei der Täter gewesen, zum allermindesten grob fahrlässig gehandelt, und deshalb beantrage er, das Urteil des Amtsrichters bezüglich dieses Punktes aufzuheben und seinem von ihm in der ersten Instanz gestellten Antrag, den er wiederhole, zu entsprechen. 1. Durfte der Kaufmann als Nebenkläger zugelassen werden? 2. Durfte er als Zeuge eidlich vernommen werden? 3. Unterliegt die Frage der Anschlußberechtigung der Prüfung des Berufungsgerichts ? 4. Auf welche Bestimmung gründet sich der Antrag des Verteidigers in der Kostenfrage? 5. Wie wäre die Frage der Zulassung als Nebenkläger zu entscheiden, wenn eine schwere Körperverletzung i. S. des § 224 StGB in Frage stünde? 6. Wie ist die Frage 5 zu entscheiden, wenn der Sohn nicht gestorben ist?

FALL 18 Der falsche Angeklagte Ein in Karlsruhe unter dem Namen E r w i n Weltz wohnhafter Mechaniker war vom dortigen Amtsgericht wegen Übertretung nach § 360 Nr. 4 StGB im Abwesenheitsverfahren nach § 232 StPO zu einer Haftstrafe

Fall 18

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von a Wochen verurteilt worden. Die Zustellung des Urteils an ihn erwies sich als unmöglich, weil er kurz nach der Urteilsverkündung Karlsruhe verlassen hatte und sein Aufenthalt nicht ermittelt werden konnte. Es wurde deshalb ein Suchvermerk bei der Strafregisterbehörde niedergelegt. Diese teilte nach 4 Monaten mit, Weltz sei inzwischen in Stuttgart verurteilt worden und wohne noch dort. Nunmehr wurde das Urteil dem Weltz in Stuttgart gemäß § 232 I V StPO durch Ubergabe zugestellt. Er legte rechtzeitig B e r u f u n g ein mit der Begründung, er sei nicht der Täter; zur Zeit der Tat habe er sich im Rheinland aufgehalten, es liege jedenfalls ein Mißbrauch seines Namens und seiner Ausweispapiere vor, die ihm vor Jahresfrist gestohlen worden seien. Die Erhebungen ergaben die Richtigkeit dieser Angaben, worauf die Strafkammer den Erwin Weltz, der die Berufung eingelegt hatte, unter Aufhebung des amtsrichterlichen Urteils f r e i s p r a c h . In den Gründen wurde ausgeführt: Als Verurteilter sei immer der anzusehen, der vor Gericht gestanden oder gegen den sich die in seiner Abwesenheit durchgeführte Verhandlung gerichtet habe. Trotzdem müsse demjenigen, der dem Namen nach verurteilt worden sei, solange die Persönlichkeit des wahren Täters noch nicht feststehe, das Recht zustehen, das gegen ihn ergangene, äußerlich zu Recht bestehende Urteil aus der Welt zu schaffen. Hierzu stehe ihm nur das ordentliche Rechtsmittel zur Verfügung, nachdem das Urteil ihm zugestellt worden sei. Der dem Namen nach verurteilte Nichttäter müsse danach freigesprochen werden, während gegen den wahren Täter, dessen Persönlichkeit zunächst nicht feststeht, für den Fall der Ermittelung eine neue Anklage zu erheben sei. I. Ist das Verfahren und das Urteil des Berufungsgerichts richtig? Wenn nicht, wie hätte es verfahren und entscheiden müssen? I I . Welche Wirkungen hätte das Urteil des Amtsrichters für den Verurteilten, und welche für den richtigen Namensträger gehabt, wenn Weltz kein Rechtsmittel eingelegt hätte? I I I . Welche Ersatzansprüche hätte der richtige Erwin Weltz gehabt, und gegen wen, wenn gegen ihn eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe infolge eines hier nicht interessierenden Irrtums vollstreckt worden wäre? I V . Was hat zu geschehen, wenn sich in einer Hauptverhandlung folgendes herausstellt: 1. Der geladene Erschienene ist nicht der Täter; die Ladung war nicht dem Täter, sondern einer anderen Person gleichen Namens zugestellt worden; 2. Der Erschienene ist nicht der Täter, sondern dessen Bruder, der sich für den Täter verurteilen lassen will; 3. Der unter dem Namen Karl Maier Erschienene ist zwar der Täter; er heißt aber in Wirklichkeit August Müller und hat sich Vorjahren den Namen Karl Maier zu Unrecht beigelegt; 4. Der Erschienene ist nicht der Täter August Müller, sondern eine andere Person gleichen Namens, der infolge eines hier nicht interessierenden Irrtums schon die Anklageschrift zugestellt worden ist.