Politischer Traktat: Lateinisch-Deutsch [2 ed.] 9783787319602, 3787319603

In der unvollendet gebliebenen, posthum 1677 publizierten Streitschrift »Tractatus politicus« entwickelt Spinoza seine P

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German Pages 300 [302] Year 2010

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Politischer Traktat: Lateinisch-Deutsch [2 ed.]
 9783787319602, 3787319603

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BARUCH DE SPINOZA

Sämtliche Werke Band 5.2

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

BARUCH DE SPINOZA

Politischer Traktat Tractatus politicus Neu übersetzt, herausgegeben, mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Wolfgang Bartuschat

Lateinisch-Deutsch

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 95 b

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-1960-2

2., verbesserte Auflage © Felix Meiner Verlag, Hamburg 2010. Alle Rechte an dieser Ausgabe, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: Type & Buch Kusel, Hamburg. Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Printed in Germany.

I N H A LT

Einleitung. Von Wolfgang Bartuschat ........................... VII 1. Politik und Ethik ...................................................... VII 2. Politik und Natur .................................................... XVII 3. Staat und Individuum .............................................. XXVII 4. Zu dieser Ausgabe .................................................... XLIII Bibliographie .............................................................. 1. Ausgaben ................................................................. 2. Übersetzungen.......................................................... 3. Sekundärliteratur .....................................................

XLVII XLVII XLVII XLVIII

Baruch de Spinoza

Auctoris epistola ad Amicum / Brief des Autors an einen Freund ............................................................................

3

Politischer Traktat

Text und Übersetzung I. II. III. IV. V.

Einleitung ............................................................ 7 Von dem natürlichen Recht .................................. 13 Von dem Recht des Staates .................................... 35 Von den Aufgaben des Staates ................................ 53 Vom letzten und höchsten Zweck eines Staates .......................................................... 61 VI. Grundlagen der Monarchie ................................... 69 VII. Rechtfertigung der Grundlagen der Monarchie ....................................................... 93 VIII. Grundlagen der Aristokratie einer Stadt ................ 135

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Inhalt

IX. Grundlagen der Aristokratie mehrerer Städte.......... 189 X. Garantien der Aristokratie ..................................... 207 XI. Einiges zur Demokratie ......................................... 221 Anmerkungen des Herausgebers ..................................... 229 Sachregister .................................................................... 245

E I N L E I T U NG

Der hier vorliegende »Politische Traktat« (TP) ist Spinozas letztes Werk, das zu vollenden der Tod ihn gehindert hat. Spinoza hat ihn 1675 nach der Fertigstellung seiner »Ethik« begonnen. Der letzte uns erhaltene Brief Spinozas bezeugt die Arbeit an unserem Traktat; er enthält eine Inhaltsangabe der schon fertiggestellten und noch geplanten Kapitel. Die Herausgeber der »Opera Posthuma« (1677), in denen unser Traktat enthalten ist, haben diesen Brief dem Text vorangestellt, wohl auch deshalb, weil in ihm deutlich wird, wie wichtig Spinoza das Thema ist, das innerhalb der »Ethik«, dem philosophischen Hauptwerk, eine nur marginale Rolle gespielt hat. Um unseren Traktat in das Ganze der Philosophie Spinozas einordnen zu können, sollen zunächst die Gründe hierfür in den Blick gebracht werden.

1. Politik und Ethik In der »Ethik« findet sich in der Anmerkung 2 zum 37. Lehrsatz des Vierten Teils ein kurzer Abriß einer Politik-Theorie. Ihre Exposition in einer bloßen Anmerkung macht deutlich, daß die Politik ihren Ort nicht innerhalb des die »Ethik» kennzeichnenden Deduktionsganges hat; ihre zu erweisende Struktur stützt sich auf Fundamente, die die »Ethik« nicht im Blick hat. Andererseits steht die anmerkungsweise dargestellte Politik-Theorie nicht an einer beliebigen Stelle, sondern, wie A. Matheron deutlich gemacht hat, genau dort, wo die Theorie eines vernünftigen Umgangs mit den die Menschen unausweichlich bestimmenden Affekten vom Standpunkt eines Individuums in den der Intersubjektivität übergeht.1 Diese Perspektive ist für jene Theorie 1

A. Matheron, Individu et communauté chez Spinoza, Paris 1969, 21988.

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von entscheidender Bedeutung, weil die menschliche Affektivität sich wesentlich in der Orientierung des Individuums an seinen Mitmenschen herausbildet, wie der Dritte Teil der »Ethik« gezeigt hat. Affekte, so wird dort gezeigt, gründen in einem individuellen Streben (conatus), in dem der Mensch bloß meint, dasjenige realisieren zu können, worauf er wie jedes andere Ding natürlicherweise aus ist, die Erhaltung des eigenen Seins (in suo esse perseverare). In einem Selbsterhaltungsstreben in Form des Meinens (imaginatio) sucht sich der Mensch auf Kosten seiner Mitmenschen durchzusetzen, mit der Konsequenz eines wechselseitigen Konflikts der Menschen. Das natürliche Aussein eines jeden Menschen auf Steigerung der eigenen Seinsmacht (potentia) wird so im wesentlichen durch die Mitmenschen gehemmt, so daß die mit ihm verbundenen positiven Affekte der Freude und Liebe ständig Gefahr laufen, in ihr Gegenteil, solche der Trauer und des Hasses, umzuschlagen. In subjektiver Perspektive führt dies zu einer Schwankung des Gemüts (fluctuatio animi) und in intersubjektiver Perspektive zu einer latenten wechselseitigen Feindschaft, in beiden Sphären also zu einer Form der Instabilität, die Ausdruck dessen ist, daß der Mensch in Abhängigkeit von äußeren Einflüssen steht, die ihn fremdbestimmen. Ihnen ausgesetzt zu sein, bedeutet, ein Leben zu führen, das allein deshalb nicht vernünftig ist, weil es selbsterhaltungswidrig ist. Bilden sich die den Menschen bestimmenden Affekte wesentlich in der Sphäre zwischenmenschlichen Agierens heraus, dann wird er kein vernünftiges Leben führen können, wenn er seine Affekte nicht in einer Weise kontrollieren kann, der seine Mitmenschen sich anschließen. In den der individuellen Perspektive folgenden Passagen des Vierten Teils der »Ethik« legt Spinoza dar, daß die Vernunft (ratio) es ist, die eine intersubjektive Harmonie zu stiften vermag (IV, prop. 35 ff.), im Gegensatz zu einem Eingenommensein durch Leidenschaften (passiones), die, im bloßen Meinen verankert, von unvernünftiger Gestalt sind (IV, prop. 32 ff.). Doch hat die Vernunft eine dahingehende Kraft nur, wenn alle Individuen sie auch gebrauchen, in bezug worauf derjenige, der sich von ihr leiten läßt, eher skeptisch sein

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muß, weil das in der »Ethik« beschriebene aus der Vernunft hervorgehende Streben nicht nur etwas ist, das auf Einsicht (intelligere) gerichtet ist (IV, prop. 26). Es ist selber eine Form von Einsicht, die ihre höchste Form in der Erkenntnis Gottes hat (IV, prop. 28), in der erst die Menschen, ihre affektiv bedingten Divergenzen überwindend, tatsächlich untereinander übereinstimmen (IV, prop. 36). Mit dieser Form vernünftigen Strebens ist ein Maß an Intellektualität verbunden, das offensichtlich nur dem Philosophen oder Weisen (sapiens) eigen ist. Das hat die fatale Konsequenz, daß der Vernünftige, wenn die mit ihm Zusammenlebenden widervernünftig handeln, von seiner Vernunft absehen müßte, um sich selbst nicht den eigenen Untergang zu bereiten. Er müßte, orientiert an jenen, strategisch verfahren und sich einem rationalen Kalkül unterwerfen, der sich hinreichend auf das Sichverhalten seiner Mitmenschen und deren Affektivität einläßt. Ist das Aussein auf Selbsterhaltung vernünftig und stünde seine Realisierung unter jenem Kalkül, dann müßte einer zweckrationalen Vernunft das Wort geredet werden, die von einer Vernunft als Vermögen unbedingter Einsicht nichts übrigließe. Diesen Schluß zieht die »Ethik« allerdings nicht. Sie ist vielmehr im Ganzen ihres Aufbaus so organisiert, daß sie mit der Explikation der Struktur Gottes als eines ersten unbedingten Prinzips zugleich die Bedingungen entwickelt, unter denen derjenige, der Einsicht in diese Struktur hat, einen Weg gehen kann, auf dem er kraft seines Erkennens aus sich heraus und darin in Freiheit das ihm eigene Sein genießt.2 Dieser Weg, der ebenso schwierig wie selten ist (V, prop. 42, schol.), ist freilich mit Hindernissen gepflastert, die der menschlichen Natur selbst entspringen. Es ist die Affektivität, deren Wirksamkeit es dem Menschen schwierig macht, sein Erkennen so zu verinnerlichen, daß dieses den eigenen conatus und damit die Weise, in der er sein Leben führt, ausschließlich bestimmt. Spinoza zeigt, wie der Mensch im Kampf mit diesen Schwierigkeiten bestimmte Vgl. meine Abhandlung »Spinozas Theorie des Menschen« (Hamburg 1992). 2

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Etappen durchlaufen muß und sich dabei solcher Hilfsmittel zu bedienen hat, die relativ auf die faktischen Hindernisse sind und darin dem Anspruch auf ein rein vernünftiges und damit freies Leben nicht schon genügen. Sie entwickelt Spinoza in dem Teil der »Ethik«, der »Von menschlicher Knechtschaft« überschrieben ist; und dort hat die anmerkungsweise eingeschobene Politik-Theorie ihren Ort. In ihrer Struktur nicht aus dem an menschlicher Einsicht orientierten Konzept der »Ethik« zu gewinnen, hat der Staat wesentlich die Funktion, ein dem Vernünftigen günstiges Milieu zu schaffen, in dem dieser, frei von Anfeindungen, sein ihm eigenes Leben führen kann. Denn auch für ihn, dessen Lebensform die »Ethik« beschreibt, ist ein ihm entgegenkommendes Milieu unerläßlich: »Ein Mensch, der sich von der Vernunft leiten läßt, ist freier in einem Staat, wo er nach gemeinsamem Beschluß (ex communi decreto) lebt, als in einem Alleinsein, in dem er nur sich selbst gehorcht« (IV, prop. 73). In diesem Kontext ist der Staat eine äußere Bedingung, unter der der Mensch die Freiheit, die er seinem Erkennen verdankt, genießen kann. Doch muß der Staat, um seine Funktion, freiheitsgewährend zu sein, ausüben zu können, seinerseits unter einer Bedingung stehen, deren Möglichkeit die »Ethik« nicht darlegen kann und die zu entwickeln es deshalb einer separaten Abhandlung bedarf. Es ist die in obigem Zitat genannte Bedingung, daß der Mensch im Staat tatsächlich nach einem gemeinsamen Beschluß lebt, wofür eine Übereinstimmung der Individuen in Anspruch genommen werden muß, deren Grundlage nicht jener Gebrauch der Vernunft sein kann, der der »Ethik« zufolge die alleinige Bedingung von Übereinstimmung ist. Mag der Staat also einem vernünftigen Leben dienen, so bleibt doch die Frage, ob er aus diesem Bezug in seiner Struktur verständlich gemacht werden kann. Weil er gerade aufgrund des Tatbestandes des nicht vernunftgeleiteten affektiven Lebens der vielen erforderlich ist, scheint es fraglich zu sein, ob er seine Leistungskraft aus einer Verfaßtheit haben kann, die dem vernünftigen Leben entgegenkommt. Im Kontext der »Ethik« gelesen, ist es freilich naheliegend, ihn so zu verstehen, weil ihr zufolge der Vernunftgebrauch allein es ist, der eine Harmonie stiftende Ge-

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meinsamkeit der Individuen garantiert. Der Staat würde in einer Förderung der latenten Vernünftigkeit das gewährleisten, worauf auch der Vernünftige aus ist, bloß mit besseren Mitteln, als ein Privatmann es kann, und die Politik wäre eine Verlängerung des Bemühens, das Spinoza in der der Staats-Theorie vorangehenden Anmerkung 1 zu Lehrsatz 37 des Vierten Teils der »Ethik« erwogen hat. Dort wird die individuelle Perspektive des Erkennens auf die intersubjektive Sphäre so erweitert, daß der sich selbst begreifende Vernünftige den Genuß, den er im Erkennen erfährt, als etwas versteht, von dem er begehrt, daß auch andere an ihm partizipieren. Eine geschickte Pädagogik ist hier vonnöten, in der ein Mensch die anderen durch ein vorbildhaftes Leben so leitet, daß diese zur Selbständigkeit des Vernunftgebrauchs gebracht werden. Eine Übereinstimmung, die sich nicht auf schon praktizierte Vernunft stützt, käme durch ein Verfahren, das der Vernunft gemäß ist, zustande. Dahingehende Überlegungen greifen einen Gesichtspunkt auf, den Spinoza in seiner ersten der Politik gewidmeten Abhandlung verfolgt hat, in dem »Theologisch-Politischen Traktat« (TTP) aus dem Jahre 1670, dessen Anliegen zum besseren Verständnis des hier vorliegenden Traktats skizziert sei. Seine Grundthese ist, daß das Programm der Ethik und die Theorie der Aufgaben des Staates sich nur hinsichtlich der Unterschiedlichkeit ihrer Adressaten unterscheiden. Anders als die gelingende Lebensführung aus dem Selbstverständnis des seiner eigenen Vernunft verpflichteten Individuums ist das Leben, das die Politik den Individuen garantiert, indem sie auf das unvernünftige Begehren und die damit verbundenen Erwartungen, sie regulierend, durch Zwang und damit von außen Bezug nimmt, nicht aus der Vernunft vollzogen, aber doch der Vernunft gemäß. Darin bleibt die Politik mit der Ethik in Einklang, wenn sie auch hinsichtlich der einzusetzenden Mittel von ihr unterschieden ist und der Einsatz der rechten Mittel einer Erörterung bedarf, die sich dem, was die »Ethik« im Hinblick auf das vernünftige Leben des Weisen entwickelt, entzieht. Analog dazu hat Spinoza auch die Religion verstanden und unter diesem Aspekt beide Bereiche, die Politik und die Reli-

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gion, zu einer Abhandlung zusammengefaßt. Für die Sphäre der Innerlichkeit, den privaten Glauben des einzelnen, leistet die Religion das, was die Politik für die Sphäre des Äußeren leistet. In ihrer Lehre sich anpassend an die Fassungskraft des Volkes und in ihrer Form der Präsentation keinen Anspruch auf Wahrheit enthaltend, hat sie einen rein vernünftigen Gehalt, der den Gläubigen ein vernunftgemäßes Leben, wenn auch in Form des Gehorsams, ermöglicht. So verstanden gibt die Religion den Unwissenden eine Chance, ein gelingendes Leben zu führen, mögen diese dabei auch von außen geleitet sein und folglich in einer Weise leben, die dem nicht genügt, was in der »Ethik« das Leben der Wissenden ausmacht.3 Die Religion vermag darüber hinaus in der Regulierung des affektiven Begehrens bei den Menschen eine Haltung und Charakterstärke auszubilden und darin Formen des zwischenmenschlichen Umgangs zu schaffen, die dem Philosophierenden entgegenkommen, wenn auch eine weitergehende Regulierung durch die Rechtsgesetze des Staates erforderlich ist, denen die Religionsausübung unterzuordnen ist. Spinozas kritische Religionsphilosophie will die Religion rechtfertigen und attackiert lediglich deren Interpreten, die Theologen, die die Religion in den Dienst der eigenen Machtausübung nehmen, die nicht auf die Förderung eines selbstbestimmten Lebens der Individuen aus ist, sondern auf dessen Unterdrückung. Doch mußte Spinoza klar sein, daß seine Theorie der Religion eine bloße Konstruktion ist, die mit dem Konzept einer rein vernünftigen Religion universellen Charakters sich auf das Selbstverständnis derer, für die die Religion bedeutsam ist, nicht hinreichend einläßt. Zwar hatte er geglaubt, daß die verbleibenden Restbestände dogmatisch-sektiererischer Religionen in den ihnen eigenen Ansprüchen auf alleinige Geltung von der Gewalt des Staates neutralisiert und in die private Sphäre bloßer Innerlichkeit verwiesen werden können. Problematisch mußte in seinen Augen das analoge Verfahren bloßer Konstruktion jedoch werden, sobald es um die Theorie des Staates als einer öffentVgl. A. Matheron, Le Christ et le salut des ignorants chez Spinoza, Paris 1971. 3

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lichen Einrichtung geht, in die die Individuen in ihrem tatsächlichen Begehren integriert sein müssen. Das hat das Politik-Konzept des »Theologisch-Politischen Traktats« nicht hinreichend im Blick, wenn es die Verfaßtheit des Staates aus der Relation zu einem Selbstverständnis der Individuen zu entwickeln sucht, dem unterstellt wird, vernunftorientiert zu sein. Der »Theologisch-Politische Traktat« ist eine Streitschrift, mit der Spinoza in die geistige Situation seiner Zeit hat eingreifen wollen. Er sah die Gefahr, daß ein geistiges Klima sich ausbreiten könnte, das dem Gehalt der eigenen Philosophie entgegensteht: der Ethik einer Lebensführung, die der selbst zu vollziehenden Einsicht eines jeden Individuums verpflichtet ist und damit einer Freiheit, die sich dem selbständigen Denken verdankt. Im Hinblick darauf will er zeigen, daß die wichtigsten das menschliche Leben mitbestimmenden außerphilosophischen Instanzen, Religion und Politik, die ihnen eigene Aufgabe, nämlich Frömmigkeit auszubreiten und Frieden zu stiften, nur erfüllen können, wenn sie in ihrer institutionalisierten Form von Kirche und Staat jene Freiheit des Philosophierens einschließlich aller seiner Vorformen einer geistigen Betätigung überhaupt zugestehen. Die dem Titel beigegebene Charakterisierung der Abhandlungen des Traktats enthält das Programm: In ihnen wird gezeigt, »daß die Freiheit zu philosophieren nicht nur unbeschadet der Frömmigkeit und des Friedens im Staat zugestanden werden kann, sondern daß sie nur zugleich mit dem Frieden im Staat und mit der Frömmigkeit selbst aufgehoben werden kann«. Bezogen auf die Politik heißt das, daß die Freiheit zu philosophieren nicht nur etwas ist, das vom Staat wegen ihrer Belanglosigkeit ohne Gefahr zugestanden werden kann, sondern daß ihr Zugeständnis eine unerläßliche Erhaltungsbedingung des Staates selber ist und damit die Voraussetzung dafür, daß er seine Funktionen überhaupt wahrnehmen kann. Die Verträglichkeit von Philosophie und Politik ist diesem Verständnis nach nicht das Nebeneinander sich nicht berührender Sphären; der Staat bedarf vielmehr desjenigen, was Voraussetzung alles Philosophierens ist, die freie Betätigung des Geistes, weil er die ihm eigenen Aufgaben nur erfüllen kann, wenn sich in ihm eine Gemeinsamkeit der von ihm

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beherrschten Individuen artikuliert, die sich letztlich, so meint Spinoza in Einklang mit der »Ethik«, nur in Form einer geistigen Tätigkeit, die niemandem genommen werden kann, herausbilden kann. Ist der Staat nicht eo ipso ein Gebilde, das von einer Gemeinsamkeit seiner Individuen getragen wird, dann muß er, um sich selbst erhalten zu können, dies erst anstreben, und dann ist es nur konsequent, wenn Spinoza Freiheit als Ziel des Staates bestimmt (20. Kap.).4 Diese Theorie muß in Übereinstimmung mit dem Konzept der »Ethik« unterstellen, daß den Menschen der Gebrauch der Vernunft wesentlich ist und daß sie sich deshalb in einem Staat, der durch den Bezug auf ihren Vernunftgebrauch gekennzeichnet ist, wiedererkennen. Auch in der Idee einer vertraglichen Übereinkunft im Anschluß an Hobbes (16. Kap.), derzufolge sich die Menschen eigens entschließen, die Regelung ihres Zusammenlebens der Souveränität eines Staates zu übertragen, um dem affektiven Gegeneinander des bloß Privaten in einer sie alle verbindenden Weise zu entgehen, ist den Individuen, deren unvernünftige Affektivität der Keim latenter Konflikte ist, schon ein Vernünftigsein unterstellt und zugleich der Vernunft eine Kraft zugesprochen, die in der Bestimmung menschlichen Handelns größer ist als die der Affekte. Der Staat muß, gerade wenn er nichts anderes als die gemeinsame Macht der Individuen verkörpert, so konzipiert sein, daß er den Bezug auf die Vernunft der Individuen und die darin sich artikulierende Freiheit wahrt. Diesen Gesichtspunkt hat der Theoretiker des Staates gegen stets mögliche Einschränkungen durch Machthaber, die an diesem Bezugspunkt nicht orientiert sind, zu verteidigen. Derjenige Staat wird in sich stabiler und damit hinsichtlich seiner Aufgabe der Friedenssicherung leistungsfähiger sein, der in der Verhinderung freiheitswidriger Gewalt zugleich ein Mehr an Freiheit gewährt, der also die Aktivität des geistigen Sich-Äußerns im Feld der Öffentlichkeit fördert und darin zugleich die Voraussetzungen, unVgl. W. Bartuschat, Freiheit als Ziel des Staates. In: D. Bostrenghi (Hg.), The Proceedings of the Urbino Conference an Hobbes and Spinoza. Science and Politics, Neapel 1992. 4

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ter denen ein Philosophieren allererst möglich ist, dessen rechte Form Spinozas »Ethik« beschreibt. Aber offensichtlich ist die im ersten Traktat gegebene Beschreibung der Verfaßtheit eines optimalen Staates an dem bestehenden Staat der Niederlande unter der liberalen Regentschaft der Brüder de Witt orientiert, für dessen Erhalt gegen eine drohende Gefährdung durch den Zeitgeist der Traktat streitet. Jedenfalls gibt Spinoza die Begründung dafür, daß der von ihm beschriebene Staat auch der optimale, weil leistungsfähigste ist, aus der Empirie, nämlich im Hinweis auf die blühende Stadt Amsterdam und das Wohlergehen ihrer Bürger (20. Kap.). Spinoza mußte jedoch bald erfahren, daß der bestehende Staat, der die Theorie der Bedingungen des Bestehens von Staat stützen sollte, nicht von Bestand war. Die liberalen Regenten dieses Staates, die Brüder de Witt, wurden 1672 von Bürgern ihres Staates durch Aktionen gestürzt und liquidiert, die, Ausdruck blinder Affektivität, alles andere als vernünftig waren. Spinoza mußte erfahren, daß er einer Illusion erlegen ist, der Illusion eines Theoretikers der Politik, der unterstellt, daß diejenigen, die er in seiner Theorie beschreibt, diese Theorie auch übernehmen, d. h. aus ihrer Perspektive sich von dem leiten lassen, was der Theoretiker als tauglich für den Staat erkennt. Aber nur wenn die Freiheit des Geistigen etwas ist, das die Individuen tatsächlich begehren, wird man sagen können, daß ein Staat, der den Bezug darauf wahrt, in sich stabil ist, weil er dann ein gemeinsamer Bezugspunkt des individuellen Begehrens ist. Wird dies ausgeblendet, dann hat die auf die Vernunft der Individuen sich beziehende Theorie einen normativen Gehalt, der lediglich Vorschriften für das affektive Begehren formuliert, die dieses nicht bestimmen können, solange sie ihm transzendent und darin äußerlich sind. Genau das hat die Analyse der Verfassung des individuellen conatus in der »Ethik« ergeben. Die Vernunft hat eine ihr allein zukommende Kraft der Lebensgestaltung nur, wenn sie dem conatus nicht mehr äußerlich ist und das menschliche Begehren nichts als eine Weise des Erkennens ist, in der der Mensch zugleich in höchstem Maße emotional betroffen ist. Dies entwikkelt Spinoza, fern von aller Politik, im letzten Teil der »Ethik«,

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der der Macht des Intellekts und darin der menschlichen Freiheit gewidmet ist. Daß der dort beschriebene Weg, wie es in der »Ethik» heißt, »sehr schwierig« ist, das wird im »Politischen Traktat« in der Einleitung, in der Spinoza erörtert, was Politik ist und sein kann (I, 5), wiederholt, um zu unterstreichen, daß dieser Weg der Politik nicht offen ist. Die Vernunft müßte, um wirkungsvoll zu sein, eine Gestalt annehmen, die sie bei den meisten nicht haben kann, während ihrer Gestalt des bloß Präskriptiven nur derjenige eine Wirkungskraft einräumen wird, der hinsichtlich dessen, was menschliches Begehren ist, ahnungslos ist. »Wer sich deshalb einredet, eine Menschenmenge oder diejenigen, die in öffentlichen Angelegenheiten zerstritten sind, könnten dazu gebracht werden, nach einer bloßen Vorschrift der Vernunft zu leben, der träumt vom goldenen Zeitalter der Dichter oder von einem Märchen« (I, 5). So setzt sich der »Politische Traktat« von dem Programm des »Theologisch-Politischen Traktats« ab und blendet auch weitgehend den Gesichtspunkt aus, daß die Politik ein Hilfsmittel ist, dessen der Weise auf dem ihm eigenen Weg eines gelingenden Lebens bedarf.5 Wird diese Funktion auch nicht in Frage gestellt, so ist die Theorie der Politik doch unabhängig von einem Ziel zu entwickeln, das dem politischen Geschäft transzendent ist. Die Frage ist allein, wie der Staat verfaßt sein muß, damit er angesichts des affektiven Begehrens ein friedvolles Leben der Menschen untereinander sicherstellen kann. Spinozas Grundthese ist, daß der Staat hierfür eine in sich stabile Organisation sein muß, deren Stabilität unabhängig von dem Vernunftgebrauch der Individuen ist und auch von subjektiven Einstellungen, die sich auf Redlichkeit oder sonst irgendeine moralische Haltung stützen, die vielmehr so verfaßt sein muß, daß sie in den für Angelegenheiten des Staates Verantwortung tragenden Subjekten destabilisierende Faktoren gar nicht erst aufkommen läßt.

Zum internen Verhältnis der drei Politik-Konzeptionen vgl. L. MugnierPollet, La philosophie politique de Spinoza, Paris 1976. 5

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2. Politik und Natur Von dieser Grundthese her kann das Anliegen des Traktats gut verständlich gemacht werden. Subjekte sind auf der Basis eines je individuellen Strebens, das nicht schon vernunftorientiert ist, in ein Geflecht zu integrieren, das sie in ihrem Streben dann bestimmt, wenn es sich auf etwas stützt, das, in der Natur des Menschen gelegen, allen Menschen gemeinsam ist. Und es sieht so aus, als wolle Spinoza das Zustandekommen eines solchen Geflechts als einen natürlichen Vorgang beschreiben. Das Gemeinsame der Menschen sei deren Affektivität, in der sich das Merkmal eines jeden Individuums, Macht zu sein, ursprünglich äußert. An sie wird der Staat so gebunden, daß er als das Resultat eines affektiven Strebens der Menschen erscheint, das ihn eine gemeinsame Macht sein läßt, durch die er zugleich höchste Macht ist, die ihm die Gewalt (potestas) verleiht, kraft seiner Machtfülle das bloß individuelle Streben, das konfliktträchtig ist, in Schranken zu halten und so Frieden unter den Individuen zu stiften. Wie eine Gemeinsamkeit des affektiven Strebens möglich ist, versucht Spinoza in einem ersten Zugriff aus der Faktizität menschlichen Strebens in dessen Bedürftigkeit zu beantworten, die den einzelnen Menschen in seinem Aussein auf Selbsterhaltung mit anderen Menschen, auf die er angewiesen ist, schon eine natürliche Verbindung eingehen läßt. »Wenn zwei auf einmal zusammenkommen (convenire) und ihre Kräfte verbinden, dann vermögen sie zusammen mehr ...« (II, 13), mit diesem Satz eröffnet Spinoza die Darlegung des natürlichen Fundaments des Staates. Es ist die Beschreibung dessen, was die Menschen, weil sie auf Machterhalt aus sind, schon im natürlichen Zustand tun. Der Zusammenschluß der Individuen, aus dem der Staat resultiert, ist, so verstanden, ein natürliches Ereignis, das immer schon geschieht, weil Menschen in ihrem Selbsterhaltungsstreben, sich einander anpassend und sich arrangierend, zu natürlichen Bündnissen gelangen. Gerade im Begrenztsein der eigenen Macht durch äußere Mächte übertragen sie immer schon einander ihre Macht, ohne daß es dafür eines eigenen Aktes beschließender Übereinkunft bedürfte. Jener Akt, kraft dessen die Menschen

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den Naturzustand verlassen, hätte, wie in der Vertragstheorie von Hobbes, die Konsequenz, den Staat gegen das natürliche Streben der Individuen als ein künstliches Gebilde anzusehen, das, abgehoben von den natürlichen Antrieben der Individuen, kein ihnen gemeinsames Gebilde wäre. Dieses Verständnis des Staates als Resultat naturwüchsigen Sichzusammenfindens von im affektiven Streben sich manifestierenden Kräften hat Spinoza in der Einleitung von einem Vorrang der tatsächlichen politischen Praxis gegenüber aller bloßen Theorie sprechen lassen. Alles den Menschen Förderliche sei von ihnen tatsächlich erprobt und alles der Tatsächlichkeit sich Entziehende könne ihnen nicht förderlich sein (I, 3). Andererseits, Spinoza betont es zur Genüge, führt das tatsächliche affektgeleitete Streben der Menschen jedoch keineswegs zu einem einträchtigen Zusammen der Menschen, sondern primär zu einem konfliktträchtigen Gegeneinander. Insofern dieser Tatbestand nicht das Resultat einer Verdammung der Affekte ist, sondern ihrer Beschreibung, in der Spinoza ein unerreichter Meister ist, und insofern sich auch nirgendwo ein in sich stabiles Staatsgebilde aufzeigen läßt, müßte eher angenommen werden, daß es die Menschen sind, die, immer noch zerstritten, irgend etwas falsch gemacht haben und nicht nur, wie Spinoza unterstellt, die Theoretiker in ihren falschen Beschreibungen der menschlichen Natur. Man kann diesem Vorbehalt nicht entgehen, indem man die Entstehung des Staates nach einem physikalischen Modell sich arrangierender und miteinander verknüpfender Kräfte zu erläutern sucht, das Spinoza in der »Ethik« in bezug auf Körper entwickelt hat.6 Dort hat er in einer Physik des Körpers (nach Lehrsatz 13 des Zweiten Teils), orientiert an dem cartesischen Begriff der Bewegungsgröße, Körper, die einander anliegen oder die sich ihre Bewegungen nach einer bestimmten Regel wechselseitig mitteilen (communicare), als miteinander vereinigte Körper (corpora invicem unita) definiert, die alle zusammen einen Körper, d. h. ein Individuum Verteidigt besonders von A. Matheron, Individu et communauté chez Spinoza, Paris 1969, 21988. 6

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bilden (omnia simul unum corpus sive individuum componere), das wiederum mit anderen Individuen dieser Art ein größeres Ganzes, das seinerseits einen einheitlichen Körper bildet, ausmacht bis hin zu der ganzen Natur (tota natura), die, wie es im scholion zu lemma 7 heißt, ein Individuum ist, das, wie immer die einzelnen Körper als dessen Teile sich verändern mögen, der eigenen Gestalt nach unverändert bleibt (absque ulla ejus formae mutatione). Es ist unschwer zu sehen, daß sich dieses Modell auf die Theorie des Staates nicht übertragen läßt.7 Denn 1. sind menschliche Individuen, die sich aufgrund ihrer Affektivität zu einem Staat zusammenfinden, nicht primär Körper, sondern vorstellende und damit geistige Wesen, und 2. hat die sich bei aller internen Veränderung gleichbleibende Gestalt des ganzen Universums nichts mit der Gestalt eines Staates zu tun, der, anders als die Natur im Ganzen, ein von Menschen zustandegebrachtes Gebilde ist. Die Gestalt der Natur im Ganzen ist ein vermittelter unendlicher Modus, von Spinoza »facies totius universi« genannt (Brief 64), der, aus der Natur Gottes folgend, ewig ist und den endlichen Modi logisch vorausgeht, worin er deren Aktivität immer schon bestimmt. Der Staat geht hingegen nicht endlichen Modi logisch voraus, sondern ist erst deren Resultat; und er ist auch nicht ewig, sondern bestenfalls immerwährend (»aeternum«), also ein in die Zeit fallendes Gebilde und damit zeitlichen Veränderungen unterworfen. Daß Menschen natürlicherweise auf ein staatliches Gebilde aus sind, kann nicht heißen, daß sie in ihrem Streben schon durch ein solches Gebilde bestimmt sind, das, ihnen immanent, ihr Streben leitete. Dem menschlichen Streben geht keine Gemeinsamkeit voraus, die analog wäre zu dem, was sich in der Sphäre sich bewegender Körper ereignet. Es ist durch eine Selbstbezüglichkeit in Form subjektiven Sichverstehens gekennzeichnet, weil der Mensch in

Vgl. L. Rice, Individual and Community in Spinoza’s Social Psychology. In: E. Curley / P.-F. Moreau (Hg.), Spinoza. Issues and Directions, Leiden 1990. 7

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seinem affektiven Begehren nicht nur, wie jedes Seiende, danach strebt, sich zu erhalten (in suo esse perseverare), sondern auch ein Bewußtsein davon hat, daß es dabei um sein eigenes Sein geht. Wie undeutlich dieses Bewußtsein auch sein mag und welch unklare Vorstellung der Mensch dabei von dem haben mag, was er selber ist, er hat immer noch eine Vorstellung von sich, die in sein Streben eingeht und dieses ausgestaltet. Deshalb gibt es unterschiedliche Theorien des Staates, gewiß mehr oder minder gute, die aber, ob gut oder schlecht, in die politische Praxis selber eingehen und das politische Handeln bestimmen, anders als es in der Physik von Körpern der Fall ist, die sich nach einer Gesetzlichkeit bewegen, die unabhängig davon ist, wie sie verstanden wird. Und deshalb macht es sich Spinoza wohl zu einfach, wenn er das eigene theoretische Geschäft nur als Zurückweisung falscher Theorien versteht, denengegenüber es bloß darauf ankomme, die tatsächlich geschehende politische Praxis aus der Natur des Menschen zu rechtfertigen. Denn jene Theorien, die in Spinozas Augen falsch sind, sind nicht bloß willkürliche Konstruktionen, die Träumereien nachhängen; sie greifen vielmehr ein Selbstverständnis, das Menschen haben, auf, das, mag es auch falsch sein, denn irren ist menschlich, wie Spinoza selber weiß (II, 12), wirklich vorhanden ist und insofern das menschliche Sichverhalten, das von Vorstellungen, Wissen und Erwartungen geleitet ist, auch tatsächlich bestimmt. Hatte Spinoza im »Theologisch-Politischen Traktat« unterstellt, daß die Individuen in ihrem Sichverhalten an einer richtigen Theorie zumindest orientiert sind, nämlich an derjenigen, die Spinoza entwickelt, so scheint er in dem »Politischen Traktat« mit der Preisgabe dieses Konzepts in das andere Extrem zu verfallen, nämlich zu unterstellen, daß Individuen überhaupt nicht von Theorien geleitet sind und ihr Begehren sich so natürlich vollziehe wie die Bewegungen von Körpern im Raum des bloß Physischen. In Wirklichkeit hält Spinoza in unserem Traktat das Modell des Physischen aber gar nicht durch. Man kann sich das an Spinozas Begriff von Natur verdeutlichen, der in den Begriff des Naturzustandes ebenso wie in den des Naturrechts und den des Staates als eines natürlichen Dinges eingeht. Basis all dieser Begriffe ist

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der Begriff der Macht (potentia).8 Naturzustand und politischer Zustand sind gleichermaßen Ausdruck der menschlichen Macht, die sich in ihnen nur unterschiedlich ausdrückt. Und sie ist es auch, an die der für die Staatstheorie zentrale Begriff des Rechts gebunden ist. Macht ist ein Individuum, das ist Spinozas erste systematische Überlegung in unserem Traktat, weil es ein Modus der göttlichen Substanz ist, welche wesentlich sich betätigende Macht ist, die sich in Form einer immanenten Kausalität in ihren Produkten, den Modi, äußert, denen deshalb das ihr wesentliche Merkmal ebenfalls wesentlich zukommt. Diese Macht hat bei einem endlichen Modus, der durch die Macht anderer Modi begrenzt ist, die Gestalt eines conatus, worin sie eine Tätigkeit ist, die durch andere Modi bestimmt ist, darin aber immer noch Tätigkeit dieses Modus ist, der dies, überhaupt Macht zu sein, nicht erst durch andere Modi erhält, sondern durch Gott, wenn auch notwendigerweise im Kontext mit allen anderen Modi, die Gott auch produziert. Diese Macht eines einzelnen Dinges und damit auch des Menschen wird von Spinoza als dessen Recht bezeichnet, das ein Recht der Natur ist, weil es unabhängig vom Staat und dem durch es gesetzten Recht ist, also dem Menschen auch schon im vorstaatlichen Naturzustand zukommt. Die natürliche Macht als ein Recht zu bezeichnen, steht allerdings zugleich unter der Perspektive auf das gesetzte Recht. Nur ein solcher Hinblick rechtfertigt es, auch mit der Macht Gottes den Begriff des Rechts zu verbinden (II, 3) eine Verbindung, die sich in der »Ethik«, in der die Theorie Gottes entwickelt wird, nirgendwo findet und die in bloß ontologischer Perspektive auch sinnlos ist. Erst im Hinblick auf das Recht, das vom Menschen in positiver Gesetzgebung geschaffen wird, erhält ein Recht, das Gott zugesprochen wird, einen Sinn, nämlich das, was sich von Gott herleitet, die Macht eines Individuums, als eine unantastbare Instanz einzuführen, gegen die ein Staat in seiner Gesetzgebung nichts vermag. Gegen sie Rechtsgesetze zu erlassen, bedeutet, daß solche Gesetze wirkungslos sind. Vgl. hierzu D. J. Den Uyl, Power, State and Freedom. An Interpretation of Spinoza’s Political Philosophy, Assen 1983. 8

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Mit »Naturrecht« wird dann zwar einerseits nur das Sichäussern eines individuellen conatus, also das, was ohnehin geschieht, mit einem weiteren Namen belegt, der diesem Geschehen nichts hinzufügt, andererseits aber dieses Sichäußern als Ausdruck je individueller Macht gegen ein falsches Verständnis verteidigt. Und genau dort hat der Rechtsbegriff seinen genuinen Ort, nicht dort, wo es nichts zu verteidigen gibt, also nicht in bezug auf Gott und auf die Natur im Ganzen. Auch sie können zwar vom Menschen falsch verstanden werden, doch bleiben sie von einem solchen Verständnis unberührt, während der Mensch durch die Weise, in der andere Menschen ihn verstehen, tatsächlich beschränkt wird. Es ist die Macht des Geistes, durch die sich Menschen in ihrem Sichentfalten wechselseitig unterdrücken; sie ist es, nicht die Körperkraft, die zu Konflikten unter den Menschen führt und Menschen zu Wesen macht, die sich mehr als andere Wesen voreinander fürchten müssen (II, 11 und 14). Deshalb ist es irreführend, wenn Spinoza in seiner verdeckten Polemik gegen Hobbes, der zwischen Recht und Natur strikt geschieden hat, von einem Recht der Natur im Ganzen spricht (II, 4), deren Gesetzlichkeit ohnehin nicht verletzt werden kann und die sich kraft dieser Gesetzlichkeit auch immer selbst erhält. Und erst recht irreführend ist es, das Recht des Menschen von den Gesetzen dieser Natur her verstehen zu wollen (II, 5). Denn das hieße, ihn als einen bloßen Teil der Natur im Ganzen zu verstehen, der lediglich zu deren Erhaltung seinen Beitrag leistete, gleichgültig was dabei mit ihm selbst geschieht. Es ginge einem Menschen dann nicht um die eigene Selbsterhaltung, sondern nur um die der ganzen Natur; sie zu erhalten, bedürfte es gewiß keines Staates. Nur derjenige, der unterdrückt werden kann, steht unter einem Begriff des Rechts, und zwar unter fremdem Recht, wenn das tatsächlich geschieht, und unter eigenem, wenn er jene unterdrückende äußere Gewalt zurückweisen und darin ein Leben führen kann, das der eigenen Sinnesart gemäß ist. Mit diesen Überlegungen (II, 9) beginnt Spinozas Theorie des Staates als einer Organisationsform, die das Recht eigens im Blick hat und die als das Medium verstanden wird, das dem einzelnen das ihm

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eigene Naturrecht sichert, etwas, was dieser in außerstaatlicher Vereinzelung für sich allein nicht kann. Daß diese Sicherung erst durch positive Gesetze des Staates zu erbringen ist, ist Konsequenz der vorpositiven Bindung des Rechts eines Individuums an dessen Macht. Denn wenn Recht und Macht identisch sind und Macht nur in ihren Äußerungen ist, dann ist das Recht eines Individuums in seinem Umfang und damit in seiner Wirksamkeit von der Reichweite der Macht bestimmt, die durch die Übermacht von Äußerem begrenzt ist. Sie ist nicht Ursache dafür, daß ein einzelnes Ding überhaupt Macht ist, aber doch Ursache dafür, daß ein Individuum sich nicht aus sich heraus entfalten kann. Es gelangt nicht zu seinem Recht, weil die eigene Macht faktisch eingeschränkt ist. Das bloße Sichberufen auf ein Naturrecht kann daran nichts ändern, weil das an die Macht gebundene Recht auch an die Weise gebunden ist, in der sich die Macht äußert. Sie ist ein Vollzug, dem das Individuum nie vorweg sein kann, und deshalb hält Spinoza von dem Recht als Naturrecht alle Verbindlichkeit eines Gebietens oder Verbietens fern, die den Menschen auf etwas hin verpflichten könnte (II, 8). Ein Sichberufen auf es garantierte dem Menschen nicht mehr, als er kraft seiner Macht ohnehin kann, also gar nichts. Deshalb ist das Naturrecht in einem durch Vereinzelung gekennzeichneten Naturzustand bedeutungslos (II, 15). Genießen kann es der einzelne nur in einem Staat, der es sichert mit Hilfe seiner eigens erlassenen Rechtsgesetze, die, einmal erlassen, eine für die Untertanen des Staates verbindliche Kraft haben und darin dem einzelnen etwas garantieren: den Schutz vor der Gewaltsamkeit durch eine äußere Übermacht. Das Naturrecht des einzelnen, das im Naturzustand bedeutungslos ist, hat gleichwohl eine fundamentale Bedeutung für den Staat.9 Denn die Verbindlichkeit der Rechtsgesetze ist davon abhängig, daß der gesetzgebende Staat über hinreichende Macht Man wird deshalb Spinoza nicht in die Reihe der Rechtspositivisten (so M. Walther, Spinoza und der Rechtspositivismus. In: E. Giancotti (Hg.), Proceedings of the First Italian International Congress on Spinoza, Neapel 1985) einordnen können. 9

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verfügt, was nur der Fall ist, wenn er sich auf die Macht der Individuen, die seine Bürger sind, und damit auf deren Recht stützt. Spinoza zufolge ist das dann der Fall, wenn er sich als deren gemeinsame Macht erweist, d. h. wenn er etwas ist, das allein durch die Individuen ist. Unter dieser Voraussetzung ist das, was von Staats wegen zu Recht (jure) geschieht, mit äußerer Gewalt unvereinbar, so daß der vom Staat ausgehende Zwang nichts den Individuen Äußeres ist, anders als der Zwang, der im Naturzustand, ausgeübt auf einen von einem anderen, der mächtiger ist als dieser, immer schon stattfindet und der eine bloße Gewalttätigkeit ist. Die zwingende Gewalt (potestas) des Staates, die als bloße Gewalt willkürlich sein kann, ist, gebunden an die Macht (potentia) des Staates, gegenüber den Untertanen genau dann nicht willkürlich, wenn sie deren gemeinsame Macht ist. Eine solche Legitimation der Gewalt des Staates steht unter keinen moralischen Ansprüchen, die naturrechtlich verankert wären, aber doch unter Ansprüchen, die von den Individuen und deren Macht ausgehen. Und weil die Macht des einzelnen dessen Naturrecht ist, ist dieses, so hat es Spinoza gegen Hobbes formuliert, in der Theorie des Staates immer unangetastet zu lassen (Brief 50). Individuen werden ihr Naturrecht nicht preisgeben und einem anderen übertragen, auch nicht einer staatlichen Souveränität, weil sie es gar nicht können. Auch wenn sie es im Eingeschränktsein ihrer Macht faktisch auf andere übertragen, werden sie immer etwas von ihm zurückbehalten, weil die Macht, obschon sie in ihren Äußerungen ist, in diesen nicht aufgeht. Sie ist immer noch die Macht eines Individuums, dem es um sich selber geht, um den eigenen Vorteil und Nutzen. Individuen werden einem Staat nicht zustimmen, sondern gegen ihn rebellieren, der ihnen nicht das garantiert, worauf sie selber aus sind: eine Sicherheit, gemäß ihrer eigenen Macht tätig zu sein und darin ihres Naturrechts inne zu werden, etwas, das ihnen im Naturzustand wegen einer sie bedrohenden Übermacht der anderen, die nicht rechtsgesetzlich geregelt ist, nicht möglich ist. Die Sicherheit, die herzustellen die Rechtsgesetze des Staates dienen, ist folglich die Sicherung von etwas, das der Gesetzgebung vorausgeht: daß Individuen sich selbst, ungezwungen durch andere,

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betätigen können. Der hierfür zu stiftende Frieden, die zentrale Aufgabe des Staates, kann deshalb, anders als bei Hobbes10, nicht in negativer Weise als Abwesenheit von Krieg verstanden werden (V, 4), sondern nur in positiver Weise als eine Tugend (virtus), in der die Bürger selber tätig sind. Und sie bestimmt Spinoza als eine solche, die an den Geist gebunden ist (V, 5), weil sie ein Wissen des Individuums um sich selber einschließt. Unter dieser Voraussetzung ist nicht zu sehen, wie die Entstehung des Staates aus den affektiven Machtäußerungen von Individuen verständlich gemacht werden könnte, weil in ihnen die Individuen divergieren und nicht zu einer Einheit gelangen, die erlaubte, von einer gemeinsamen Macht zu sprechen. Zwar behauptet Spinoza, daß sich im Naturzustand und im politischen Zustand ein und derselbe Affekt, erläutert an dem der Furcht, durchhalte und nur hinsichtlich seines Gegenstandes verschieden sei und daß Individuen, anders als im Naturzustand, im Staat »ein und denselben Urheber von Sicherheit« haben, wodurch ihnen zugleich »ein und dieselbe Lebensweise« garantiert werde (III, 3). Er setzt dabei aber schon voraus, daß der Staat als gemeinsame Macht ein einheitliches Gebilde ist. Und er macht deutlich, daß, wenn von dem affektiven Streben der Individuen ausgegangen wird, im Hinblick auf eine solche Einheit das von der staatlichen Gesetzgebung Beschlossene lediglich »so genommen werden muß, als sei es von jedem einzelnen beschlossen worden« (III, 5). Bezogen auf die Faktizität des Strebens steht der Staat unter dem Aspekt eines »als ob«, der den Individuen etwas unterstellt, das nicht tatsächlich vorhanden ist. Dieses »als ob« ist insbesondere in die Formulierung eingegangen, daß die Menschen im Staat »wie von einem Geist geleitet werden (una veluti mente ducuntur)«, die erstmals dort gebraucht wird, wo Spinoza von dem Tatbestand eines schon bestehenden Staates ausgeht (II, 16). Es ist eine geistige Einheit, die, bezogen auf die Affekte, nicht wirklich sein kann, weil bei Menschen, die Affekten unterworfen sind, ein einheitlicher Geist gerade nicht vorhanden ist. Zu Spinoza und Hobbes vgl. die Einleitung von S. Zac in seiner Ausgabe des »Politischen Traktat«. 10

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Indem die veluti-Formel diese Möglichkeit zurückweist, redet sie nicht einem Fanatismus derer das Wort, die sich von einem Geist, der sie fremdbestimmt, emotional zur Gemeinsamkeit eines blinden Aktionismus11 aufstacheln lassen, wovon, um mit Spinoza zu reden, »jedes Zeitalter höchst traurige Beispiele erlebt hat« (III, 10). Ist eine Gemeinsamkeit im Affektiven bloß fiktiv, dann läßt sich ein Staat, der durch gemeinsame Macht definiert ist, nicht aus dem affektiven Leben der Menschen herleiten. Es kann nur gezeigt werden, welche Bedingungen er von sich aus erfüllen muß, damit er sich als eine gemeinsame Macht erweist. Deshalb entwickelt Spinoza die Staatstheorie in zwei voneinander unabhängigen Schritten. In einem ersten Schritt schließt er aus der Beschreibung des Naturzustandes, in dem der einzelne seines natürlichen Rechts nicht teilhaftig wird, auf das Erfordernis eines Staates, in dem Menschen gemeinsame Rechtsgesetze haben, und in einem zweiten Schritt beschreibt er die Bedingungen, die ein Staat erfüllen muß, damit gesagt werden kann, daß Menschen Rechtsgesetze haben, die ihnen tatsächlich gemeinsam sind. Die Trennung der beiden Betrachtungsweisen ist im Übergang von § 15 zu 16 des Kapitels II markiert. In § 15 stellt Spinoza den Genuß des natürlichen Rechts unter die Bedingung gemeinsamer Rechtsgesetze; in § 16 geht er vom Tatbestand gemeinsamer Rechtsgesetze aus, um im Anschluß daran zu entwickeln, was diese Annahme impliziert. So unterstellt die vage Formel des »wie von einem Geist Geleitetwerdens aller« in 16, daß Menschen gemeinsame Rechtsgesetze schon haben. Und in 17 wird das der Souveränität des Staates zukommende Recht schlicht als ein durch die Macht der Menge (multitudo) bestimmtes Recht definiert. Das Bestehen von »multitudo« als Name für jene tatsächliche Einheit aller, die die gemeinsame Macht der Individuen verkörpert, wird angenommen, wenn von einem höchsten Recht staatlicher Souveränität soll gesprochen werden können, Eine extrem aktionistische Interpretation findet sich bei A. Negri, L’anomalia selvaggia. Saggio su potere e potenza in Baruch Spinoza, Mailand 1981. 11

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ohne daß erwiesen wäre, wie sie möglich ist. So wenig wie die Quasi-Einheit des Geistigen einem Staat vorangeht, so wenig besteht die multitudo unabhängig von ihm. Sie ist vielmehr nur in einem Staat, dessen höchste Macht die Macht der Menge und nichts anderes ist. Wenn die Genese einer einheitlichen Menge sich nicht aufzeigen läßt und damit auch nicht deren Wirklichkeit, dann kann der Staat, dessen Strukturen Spinoza unter der Annahme eines Zusammenfalls von Menge und Staat beschreibt, gar kein wirklicher Staat sein. Spinoza müßte mit ihm die Form eines optimalen Staates im Blick haben, der, obwohl nur ein Ideal, immerhin den Vorzug hätte, daß von ihm her wirkliche Staaten in ihrer Leistungsfähigkeit sich beurteilen ließen. Er wäre aber nur ein theoretischer Entwurf, der die Gründe enthält, warum Staaten zerfallen, wenn sie hinter ihm zurückbleiben. Praktisch bedeutsam wäre eine solche Beurteilung erst, wenn sich zeigen ließe, daß ein so konzipierter Staat keine bloße Idee ist, sondern ein Gebilde, das sich verwirklichen läßt. 3. Staat und Individuum Spinozas Bemühen, den Nachweis der Wirklichkeit eines solchen Staates zu erbringen, steht nun in einer eigentümlichen Spannung zu dem Tatbestand, daß der Staat, nimmt man den Ausgang von den Individuen in deren Sichverhalten, etwas ist, das erst aussteht. Kriterium der Wirklichkeit eines Staates ist für Spinoza sein Bestehen im Sinne einer sich durchhaltenden Stabilität, und Spinozas Hauptanliegen ist zu zeigen, wie er gegen eine Gefährdung zustandegebracht werden kann. Gefährdet ist er durch die Individuen, die Interessen verfolgen, die einer Gemeinsamkeit entgegenstehen, gegen die er sich als ein gemeinsamer Staat etablieren muß. Spinoza zufolge wird ein Staat dieser Gefährdung entgehen, weil er ein natürliches Ding ist, das wie jedes Individuum nach Selbsterhaltung strebe und deshalb Gesetze erlassen wird, die der eigenen Selbsterhaltung dienen. Doch ist er ein natürliches Ding nur, sofern er an das natürliche Streben der Individuen gebunden ist, gegen das er nichts vermag,

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worin er mitnichten schon ein Ding ist, dem ein einheitlicher conatus zukäme. Aus dem vermeintlichen Streben eines Gemeinwesens nach Selbsterhaltung kann so wenig der Erlaß guter Gesetze hergeleitet werden wie aus dem tatsächlichen Selbsterhaltungsstreben eines Individuums das Ergreifen guter Mittel, die der Selbsterhaltung wirklich dienen. Spinoza will deshalb nicht nur beschreiben, welche zu erlassenden Gesetze gut sind, weil der Verweis auf ein Gutes, bezogen auf die Tatsächlichkeit, bloß präskriptiv ist, analog zur Einführung der »dictamina rationis« im Zusammenhang der Theorie einer möglichen Beherrschung der Affekte im Vierten Teil der »Ethik«.12 Wie dort in einem zweiten Schritt zu zeigen ist, inwiefern die Theorie des Guten keine bloße Vorschrift ist, folgt auch hier auf die Beschreibung in einem zweiten Schritt die rechtfertigende Begründung. Die Kapitel zu den Regierungsformen der Monarchie und Aristokratie machen dies deutlich. Spinoza entwickelt zunächst jeweils die grundlegenden Gesetze, die das Gesetzgebungsverfahren im einzelnen regeln, und bedient sich hierbei über weite Strecken im Gebrauch des Konjunktivs13 eines Modus des Unwirklichen, der anzeigt, wie Gesetze sein sollen, damit das Gemeinwesen einen Bestand haben kann. Und im Anschluß daran will er nachweisen, daß diese Gesetze tatsächlich erlassen werden können, worin jene Vorschriften erst einen Wirklichkeitsbezug erhalten, durch den sie gerechtfertigt sind: »Es genügt nicht, wenn man gezeigt hat, was geschehen sollte; man muß vielmehr vor allem zeigen, wie es möglich ist, daß ...« (VII, 2). Das, was geschehen kann, muß sich aus dem Können des Staates herleiten lassen, d. h. aus dessen Macht, die ihre Wirklichkeit aber allein darin hat, tatsächlich die gemeinsame Macht der Individuen zu sein. Vgl. W. Bartuschat, Die Theorie des Guten im 4. Teil der »Ethik«. In: A. Dominguez (Hg.), La ética de Spinoza. Fundamentos y significado, Ciudad Real 1992. Jetzt auch in M. Hampe/R. Schnepf (Hg.), Baruch de Spinoza. Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt, Berlin 2006. 13 Die Franzosen (Zac, Moreau, neuerdings auch Ramond), die in der Übersetzung einfach die Form des Futurs verwenden, verwischen die Differenz. 12

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Die Frage, wie der Staat sich als eine solche Macht erweisen kann, läßt sich zunächst unter einem negativen Gesichtspunkt verfolgen. Er bestünde darin, den Staat auf ein Gemeinsames sich beziehen zu lassen, das unabhängig von den Äußerungen ist, in denen sich die Macht der Individuen artikuliert. So erhält beispielsweise der Begriff der Gerechtigkeit, der für Spinoza vor einer positiven Gesetzgebung keine Bedeutung hat (II, 23), auch durch die Positivität keine inhaltliche Füllung. Gerecht, so lesen wir, sei »derjenige, der den beständigen Willen hat, jedem das Seine zukommen zu lassen« (ebd.). Nicht über die dürftige Formel des naturrechtlichen gefaßten »suum cuique tribuere«, die der Kritik der Rechtspositivisten geradezu ausgesetzt ist, hinausgehend, hat diese Formel ihre Stärke darin, daß sie das, was das Seine ist, nicht inhaltlich bestimmt, sondern lediglich den Bezug auf einen jeden betont und darin jedem Individuum zugesteht, etwas als das Seine zu haben, das ihm nicht genommen werden kann. Die Berücksichtigung eines jeden, unangesehen seines spezifischen Könnens und der daraus sich herleitenden Fähigkeiten, sich unterschiedlich durchzusetzen und zur Geltung zu bringen, läßt die Gesetzgebung eines Gemeinwesens als Ausdruck einer gemeinsamen Macht erscheinen und darin zugleich als eine Gesetzgebung, die gerecht ist. Auch in den Begriff des Nutzens, über den ein Gemeinwesen in vorzüglicher Weise seine interne Stabilität erlangt, geht ein bloß formaler Gesichtspunkt ein. Eine Gemeinsamkeit der Bürger im Sinne jener Einheit, die terminologisch als multitudo gefaßt wird, sei nicht denkbar, wenn das Gemeinwesen nicht auf das aus wäre, »was die gesunde Vernunft als nützlich für alle Menschen ausgibt«, heißt es bei der Erläuterung der Reichweite der Macht und damit des Rechts des Gemeinwesens (III, 7). Auch hier wird nicht bestimmt, worin der Nutzen besteht, sondern allein betont, daß es um einen Nutzen geht, der alle Menschen und damit einen jeden Menschen betreffen muß, worin anerkannt wird, daß ein jeder etwas von sich aus ist und verfolgt. Deshalb können die Rechtsgesetze des Gemeinwesens auch nicht das betreffen, was so an die Innerlichkeit eines Individuums gebunden ist, daß es durch äußeren Zwang nicht genötigt werden kann: die Freiheit des Urteilens über Sachver-

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halte, die unabhängig von aller positiven Gesetzgebung bestehen, aber auch die Emotionalität des Betroffenseins durch die elementaren Affekte von Liebe und Haß (III, 8). Beide Momente charakterisieren das staatliche Recht nur negativ: Zurückweisung von Privilegien für einige unter Ausschluß von anderen und Beschränkung des Zwangs auf Handlungsäußerungen, die andere in deren Handeln lädieren. In dieser Negativität mögen sie allgemein zustimmungsfähig sein, rechtfertigen aber nicht die Positivität einschränkender Zwangsgesetze als Ausdruck der Souveränität des Staates. Sie rechtfertigt Spinoza über eine natürliche Selbstbindung der rechtssetzenden und ihrerseits nicht rechtsgesetzlich kontrollierbaren Souveränität, die den natürlichen Gesetzen der Selbsterhaltung gehorcht (IV, 4 und 5). Zur Vermeidung dessen, was einem Gemeinwesen den eigenen Untergang bereitet, gehört in erster Linie der Abbau von Furcht, der ausgesetzt zu sein bedeutet, nicht höchste Macht zu sein. Dieser Aspekt betrifft nicht nur das Verhältnis von Gemeinwesen untereinander, das, dem Kriegsrecht bloßer Stärke unterliegend, Spinoza zufolge überhaupt nicht rechtsgesetzlich geregelt werden kann (III, 11 ff.), sondern auch die Binnenrelation zwischen der gesetzgebenden Gewalt und den von dieser Gewalt betroffenen Bürgern. Denn Furcht abzubauen, bedeutet nicht nur für ein Gemeinwesen, sich um die eigene Stärke zu sorgen, um nicht in Abhängigkeit von einem anderen Gemeinwesen zu geraten (III, 14), sondern auch für die Regierung, den Grund einer Furcht vor ihren Bürgern zu beseitigen. Nicht nur sie sind es, die die Gesetzgebung der höchsten Gewalt zu fürchten haben, sondern umgekehrt hat auch die höchste Gewalt die Bürger zu fürchten, solange nämlich, wie sie sich nicht tatsächlich als höchste Gewalt erwiesen hat, d. h. als eine gemeinsame Macht.14 Wie die Furcht ein wechselseitiges Phänomen ist, müßte es auch ihr Abbau sein. Indem die Souveränität ihre Furcht vor den Bürgern beseitigt, müßte sie zugleich deren Furcht vor ihr beseitigen. Die erste Vgl. E. Balibar, Spinoza: la crainte des masses. In: E. Giancotti (Hg.), Proceedings of the First International Italian Congress on Spinoza, Neapel 1985. 14

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Furcht wäre beseitigt, wenn alle Bürger in das Gesetzgebungsverfahren integriert wären und sie folglich die gegebenen Gesetze als ihre Gesetze verstehen könnten; und ebendann hätten sie, sofern dies realisiert wäre, von diesen Gesetzen nichts mehr zu befürchten, weil es ihre eigenen Gesetze wären, die ihnen nicht mehr äußerlich sind. Es wäre der realisierte Zusammenfall von multitudo und civitas, der im Begriff einer gemeinsamen Macht in Anspruch genommen wird. Weil dies nur eine Idee ist, die unter dem Vorbehalt des »Alsob« steht, ist es jedoch unverständlich, wie ein Gemeinwesen dies sollte erstreben können. Ihm müßte ein einheitliches Streben zukommen, wofür es schon gemeinsame Macht sein müßte, die zu erreichen andererseits erst ihr Ziel ist und deshalb für das Streben nicht schon in Anspruch genommen werden kann. Die Möglichkeit, die angesichts dieses Dilemmas verbleibt und die verfolgt zu haben, Interpreten Spinoza gerne unterstellen15, wäre eine Theorie des Sich-Herausbildens eines optimalen Staates in geschichtlicher Entwicklung. Die einzige Theorie einer historischen Entwicklung von Staat, die sich in unserem Traktat findet, ist jedoch die Darstellung einer Verfallsgeschichte, die Verwandlung einer ursprünglichen Demokratie in die Despotie einiger Weniger, bedingt durch äußere Einflüsse, insbesondere die Zuwanderung von Fremden, über die mit dem Auseinanderfallen von Regierungsverantwortung und Verfolg bloß ökonomischer Interessen die Ursprünglichkeit gemeinsamer Interessen unterhöhlt und destabilisiert wird (VIII, 12). Und an dem Beispiel, das mit dem Verweis auf das Reich der Aragonesen einen tatsächlichen historischen Sachverhalt anführt, rühmt Spinoza gerade nicht eine Fortentwicklung, sondern die Beharrlichkeit der Rechtsordnung über eine erstaunlich lange Zeit, die freilich am Ende auch einer Überfremdung erlegen ist, die eine Ursprünglichkeit in Sterilität verformt hat (VII, 30). Wenn sich eine EntVgl. A. Tosel, Y-a-t-il une philosophie du progrès historique chez Spinoza? In: E. Curley / P.-E. Moreau (Hg.), Spinoza. Issues and Directions, Leiden 1990; P. Macherey, Spinoza, la fin de l’histoire et la ruse de la raison. In: Ders., Avec Spinoza, Paris 1992, S. 111–140. 15

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wicklung aufzeigen läßt, so in dem Bereich, der ein Zweites neben dem der politischen Verantwortung ist, dem Bereich der Ökonomie, in dem diejenigen, die von der Regierungsverantwortung ausgeschlossen sind, sich betätigen können.16 Spinoza sieht in dieser Sphäre, die man später »bürgerliche Gesellschaft« genannt hat, zwar eine unerläßliche Basis für die Stärke eines Staates, die ihm gegenüber anderen Staaten die Selbständigkeit, unter eigener Macht zu stehen, garantiert. Doch können hierfür auch Fremde ihren Beitrag leisten, die deshalb willkommen sind; und von ihnen unterscheiden sich die Bürger nur unwesentlich, solange ihr Status dadurch definiert ist, durch den Staat in den Genuß von Vorteilen zu gelangen (III, 1), und nicht dadurch, an der Gesetzgebung, die ihnen solche Vorteile verschafft, selber teilzuhaben. Die Beschreibung der Organisationsformen des Staates und des darin integrierten Gesetzgebungsverfahrens im zweiten Teil des Traktates (Kap. VI ff.) macht deutlich, daß Spinozas PolitikModell sich gegen grundlegende Änderungen sperrt und darin statisch und antirevolutionär ist. Seine Regierenden sind ältere Herren an der Schwelle zum Greisenalter, alle durchweg in einem Alter, von dem Spinoza wußte, daß er selber es nie erreichen würde, erfahrungsgesättigte Männer, die Veränderungen abhold sind, wenn ihnen auch Nachfolge-Kandidaten im Nacken sitzen, die sie am Einschlafen hindern. Eine systeminterne Lebendigkeit erhält die sich gleichbleibende Staatsform am Leben, das Einspannen von Aktivitäten zahlreicher Bürger, die, wenn es schon nicht alle sind, doch von großer Zahl sein müssen, damit verhindert wird, daß über viele einige wenige herrschen, die der Komplexität der zu erledigenden Staatsaufgaben nicht gewachsen wären. So wird die Wechselseitigkeit der Aktivität der politisch verantwortlichen Bürger zum entscheidenden Kriterium der Stabilität des Gemeinwesens, die Bindung des einen an den anderen, das eine wechselseitige Kontrolle ermöglicht und so zu einem Gleichgewicht der sich betätigenden Kräfte führt. Vgl. D. J. Den Uyl / St. Warner, Liberalism and Hobbes and Spinoza. In: Studia Spinozana 3, 1987. 16

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Es ist einmal, vor allem in der Aristokratie, die Kontrolle, die in einem Geflecht von beratenden, entscheidenden, beurteilenden und ausführenden Gremien ein Gremium an das andere bindet, es ist zum anderen die wechselseitige Kontrolle der verschiedenen Gruppenvertreter innerhalb eines Gremiums, und es ist schließlich die Kontrolle eines jeden politisch Aktiven durch andere über Mechanismen eines Entscheidungsverfahrens, das einerseits Raum gibt für die Aktivität der einzelnen (Offenhalten von Positionen durch beschränkte Amtsdauer) und andererseits diese an kollektive Entscheidungen bindet (Verhinderung des Mißbrauchs von Positionen und Unabhängigmachen der Entscheidungen von der persönlichen Integrität des einzelnen). Spinoza ist hier von der Politik-Theorie van Hoves beeinflußt, der in der »Politischen Waage«17 ein Konzept des Gleichgewichts der sich wechselseitig einschränkenden und darin sich tragenden politischen Kräfte entwickelt hat, dessen Vorschläge er in vielen technischen Details übernimmt und für deren genaue Beschreibung (etwa was die Zahl der Gremienvertreter oder die Prozedur im Beschlußverfahren anbelangt) er sich viel, uns heute ermüdende, Zeit nimmt. Wichtig sind darüber hinaus Mittel zur Realisierung eines schnellen Geschäftsgangs in der Erledigung zu treffender Entscheidungen. Sie sollen die Praktibilität dessen dartun, was für das Gedeihen eines Gemeinwesens unabdingbar ist: Politische Entscheidungen bedürfen einer Diskussion, die in den Gremien freimütig auszutragen ist. Letztlich muß sie öffentlich sein, weil keinem Individuum das eigene Urteilen genommen werden kann, das sich selbstverständlich auch auf die Erlasse des Staates bezieht. »Zu wollen, daß man alles ohne Wissen der Bürger erledige und diese gleichwohl nicht verkehrte Urteile darüber fällen ..., ist die größte Torheit« (VII, 27). Dieser Grundgedanke des Consideratien van Staat ofte Polityke Weegschaal beschreven door V. H. Amsterdam 1661. Vgl. dazu W. Röd, Van den Hoves »Politische Waage« und die Modifikation der Hobbesschen Staatsphilosophie bei Spinoza. In: Journal of the History of Philosophy 8 (1970); H. W. Blom, Spinoza en De la Court, Leiden 1981. 17

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»Theologisch-Politischen Traktats« bleibt auch im »Politischen Traktat« lebendig, mag er auch explizit nicht in das Zentrum der Überlegungen gestellt werden. Implizit zentral ist er, weil Spinoza einen Staat favorisiert, der nicht durch Unterdrückung der Untertanen die Sicherheit einer Friedhofsruhe gewährt, sondern der von der Aktivität seiner Bürger getragen ist, die eine solche des Geistes ist und damit auch der Urteilsbildung, die Informationen über das, was es zu beurteilen gilt, zur Voraussetzung hat. Unabhängig von dem Bezug auf eine latente Vernunft der Individuen, die sich erst herauszubilden hat, will Spinoza jedoch zeigen, daß die Stabilität des Staates sich unter den Gegebenheiten, die das menschliche Leben faktisch bestimmen, realisieren läßt. In Ansehung gegebener Umstände verficht er eine Theorie unbedingter Stabilität, die gegenüber den sich wandelnden Umständen den unbedingten Vorrang erhält. Das führt zu einer Typologie von Staatsformen, die sich einer historischen Entwicklung sperrt. Gegen die Überführung einer Staatsform in eine andere wird die Theorie der Stabilität als Theorie derjenigen Mittel verstanden, die erforderlich sind, um die jeweilige Regierungsform »ohne nennenswerte Veränderung« zu erhalten (VI, 2). Einem an eine bestimmte Regierungsform gewöhnten Volk eine Veränderung der Form zuzumuten, ist ein stabilitätsgefährdender allzu großer Einschnitt. Selbst innerhalb einer Regierungsform sind die gesetzlichen Regulierungen der Verfahrenspraxis der im jeweiligen Volk herrschenden Gewohnheit und Tradition anzupassen, die unangetastet bleiben sollten. Nicht zufällig redet Spinoza, wenn er von der Stabilität eines Staates redet, von der Stabilität der »civitas«, d. h. eines Gemeinwesens, dessen Bürger durch die kulturelle und ethnische Gemeinsamkeit einer in sich geschlossenen Region schon eine Gemeinsamkeit von Lebensformen haben; auch provinzielle Gesichtspunkte, die auf die Gefahr einer Überfremdung durch fremde Lebensformen abheben, treten zutage (vgl. X, 4 und 7). Gemeinsam ist allen Staatsformen, die Spinoza im Blick hat, allerdings, daß die Menge, die sich zu einem Staat findet, frei ist. Denn nur unter der Voraussetzung, daß einem Volk nicht durch das Recht des Krieges ein Staat von außen aufgezwungen wird (V, 6), kann von einer Aktivität

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der Bürger gesprochen werden, die darin besteht, nicht dem Tod entgehen zu wollen, sondern ein eigenständiges Leben (»sibi vivere«) zu führen, und darin Ausdruck dessen ist, daß die Bürger von dem Staat etwas für sich erhoffen, was vergebens wäre, wenn er ihnen fremd, weil auferzwungen ist. Diesem Nebeneinander einer Typologie von in sich stabilen Regierungsformen steht auf der anderen Seite eine Beurteilung gegenüber, die diese Formen von unterschiedlicher Stabilität sein läßt. Die drei Formen unterscheiden sich darin, wieweit sie einer »uneingeschränkten Regierungsform« (absolutum imperium) mehr oder minder nahekommen, hinter der die Monarchie am weitesten zurückbleibt, der sich die Aristokratie stärker annähert, die sich jedoch allein in der Demokratie erfüllt. Denn eine uneingeschränkte Regierungsform ist diejenige, die die Menge selbst in Händen hält (VIII, 3), bei der also jene multitudo als Ausdruck gemeinsamer Macht realisiert ist, so daß die gesetzgebende Gewalt nicht mehr gegen Gruppen agiert, die sie so lange zu fürchten hat, wie sie nicht in den Gesetzgebungsprozeß integriert sind. Ist allein unter dieser Voraussetzung der Staat tatsächlich höchste Macht und ebendamit in sich stabil, dann ist die Demokratie das theoretische Modell18, das Spinozas Theorie des Staates trägt, und zwar auch unter dem Gesichtspunkt der Stabilität. Von der demokratischen Regierungsform hat Spinoza im »Theologisch-Politischen Traktat« gesagt, daß sie die natürlichste (»maxime naturale«) zu sein scheint, nicht weil sie irgend etwas mit der Natur als Physis zu tun hat, sondern weil sie der Freiheit am nächsten kommt, die die Natur jedem einzelnen gewährt, und das heißt, wie Spinoza in demselben Atemzug sagt, weil sie das Naturrecht des einzelnen (»jus suum naturale«) hinreichend berücksichtigt hat. Es überträgt in der Demokratie niemand so auf einen anderen, daß er fortan nicht mehr zu Rate gezogen wird, ist es doch eingegangen in die Majorität der gesamten Gesellschaft, von der er selber einen Teil ausmacht (16. Kap.; Opera III, 195). Der demokratische Staat hat das Naturrecht der Vgl. A. Matheron, La fonction théorique de la démocratie chez Spinoza. In: Studia Spinozana 1, 1986. 18

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einzelnen so in sich integriert, daß die positiven Rechtsgesetze in einer Macht gründen, die als höchste, weil gemeinsame Macht zugleich ein zuhöchst ausgewiesenes Recht ist. Positive Gesetze, gegen welche die Bürger, gestützt auf ihr Naturrecht, aufbegehren, sind nicht in einer hinreichend großen Macht gegründet und deshalb nicht hinreichend rechtens. Das ist Spinozas entscheidende Kritik am Rechtspositivismus von Hobbes. Solche Gesetze sind nicht Garantien einer Stabilität, die einen sich auf sie stützenden Staat erhalten ließen. Stabilität ist keine Alternative zur individuellen Freiheit, sondern schließt sie ein, anders als es Spinoza in I, 6 formuliert. Monarchie und Aristokratie sind demgegenüber Regierungsformen, deren Stabilität durch einen verbleibenden Gegensatz von Regierenden und Regierten latent gefährdet ist. Evident ist dieser Gegensatz in der Monarchie, weil hier der Regierende eine einzige Person ist, dem alle anderen gegenüberstehen. Diese hat der Monarch so zu berücksichtigen, daß er Personen als Ratgeber aus ihrem Kreis bedarf, die als Räte eine ihn beratende Ratsversammlung konstituieren, gegen die er zwar nichts beschließen kann, die aber selber nur Vorschläge einreichen kann. Aus ihnen wird bei nichteinheitlichem Votum der Monarch allein kraft seines Willens die ihm gutdünkende auswählen, wenn auch unter Kenntnisnahme der Gründe für die unterschiedlichen Auffassungen (VI, 25). Sie nicht zu ignorieren, liegt in seinem an Selbsterhaltung orientierten Interesse, das, naturwüchsig, nicht rechtsgesetzlich verankert ist und deshalb immer noch der Gefahr eines den Naturzustand kennzeichnenden Gegeneinanders ausgesetzt ist. Die Polarität zweier Instanzen mit jeweils beschränkten Befugnissen ist in der Aristokratie zwar überwunden, in der die Regierenden, selber hinreichend zahlreich, keine Berater nötig haben und durch kooptierende Zuwahl der Mitglieder eine immerwährende und entscheidungsfähige »Oberste Versammlung« bilden (VIII, 3), deren Erhalt und Zusammensetzung in Rechtsgesetzen verankert ist. Doch uneingeschränkt ist die Souveränität dieser Regierungsform nicht, weil sie von einer Elite Auserwählter getragen wird, der immer noch die Menge (multitudo) gegenübersteht. Wenn auch an sie, die von Beratung und Abstim-

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mung ausgeschlossen ist, die Regierungsgewalt nie zurückfallen kann, verbleibt ihr doch das naturrechtliche Moment, die eigene Freiheit bewahren zu wollen, das den Regierenden Furcht bereitet und sie deshalb nötigt, die Belange der Menge zu berücksichtigen (VIII, 4). Deshalb ist auch der aristokratische Staat, weil er in seiner Gesetzgebung das Naturrecht der einzelnen nicht hinreichend positiv-rechtlich aufgegriffen hat, nicht hinreichend stabil, mag sich auch zeigen lassen, wie er unter gegebenen Voraussetzungen eine größtmögliche Stabilität erreichen kann. In der Demokratie, dem Modell der uneingeschränkten Regierungsgewalt, verschwindet allerdings der Vorteil der Aristokratie, sich auf die Kompetenz derer, die an ihr beteiligt sind, stützen zu können, da es der naturwüchsige Zufall der Geburt ist (VIII, 1; XI, 1), der die Bürger zur Partizipation an der Regierungsgewalt berechtigt. Ob unter dieser Voraussetzung eine auch Stabilität garantierende uneingeschränkte Regierungsgewalt realisierbar ist, bleibt im Hypothetischen (»wenn es so etwas gibt«, VIII, 3). Spinoza hat wenig dazu sagen können, da der Text zu Beginn des Demokratie-Kapitels abbricht. Was er dazu gesagt hat, ist unerfreulich. Die Thematisierung menschlicher Affekte, die in den vorangegangenen Kapiteln unter dem Aspekt ihrer Neutralisierung durch Einbindung in ein Geflecht untereinander zusammenhängender Organisationsformen gestanden hat, führt hier zur Spaltung der Menge, nämlich zum Ausschluß eines ganzen Geschlechts von der Regierungsverantwortung. Die elementare Bestimmung eines jeden, als potentia von sich aus tätig zu sein und darin ein ursprüngliches Recht (Naturrecht) auf Selbstbetätigung zu haben, wird Frauen abgesprochen, die »von Natur aus« Männern unterworfen seien und deshalb nicht das gleiche Recht wie diese haben könnten (XI, 4). Beriefe sich Spinoza hierfür nur auf die Geschichte oder folgte er nur den dahingehenden Äußerungen van Hoves, könnte man dies als eine zeitbedingte Befangenheit abtun. Doch er versucht es von der Sache her zu begründen, nämlich im Rückgriff auf die menschliche Affektivität, die im Verhältnis der Geschlechter unter den Titeln von sinnlicher Leidenschaft und Eifersucht erscheint. Hier hätte Spinoza die Feder aus der Hand legen müssen, auch wenn er

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nicht gestorben wäre.19 Denn ihm mußte die Brüchigkeit einer Theorie deutlich sein, die eine Gemeinschaftsbildung, die der Sicherung der Freiheit des einzelnen dient, aus dem tatsächlichen affektiven Leben der Menschen verständlich machen will. Damit ist noch nicht die Basis der hier entwickelten politischen Theorie hinfällig, aber doch die Konstruktion, die Spinoza auf ihr zu errichten sucht, nämlich der Gedanke einer immerwährenden Stabilität, mit dem er eine falsche Parallele zum Programm der am Ewigen orientierten »Ethik« zieht. Eine davon verschiedene Perspektive ist in Spinozas politischer Theorie durchaus angelegt. Gerade weil das politische Gebilde kein totes Gebilde ist, sondern ein solches, das von der Aktivität seiner Mitglieder lebt, aus der es sich erst herausbildet, kann seine Stabilität nicht so verstanden werden, daß die Transformation eines politischen Systems zu der großen Gefahr wird. Mit der Beförderung von Aktivitäten als der Voraussetzung für eine zu erreichende Gemeinsamkeit der Individuen kann nicht etwas Immer-währendes verbunden sein, das eine schon bestehende Gemeinsamkeit in Anspruch nehmen muß und darin etwas zementiert, das doch erst entsteht und darin einem Wandel unterliegt. In dieser Perspektive muß der Gedanke einer realisierten Stabilität an Gewicht verlieren; Stabilität müßte etwas sein, das erst zu erreichen ist und ebendeshalb das Moment der Gefährdung in sich schließt, das die politische Theorie zuzugestehen hat (vgl. VIII, 44). Indem Spinoza die Demokratie als das Modell gemeinsamer Macht eindeutig favorisiert und zugleich hinsichtlich der Möglichkeit ihrer Realisierung zurückhaltend ist, ließe sich seine Theorie auch unter dem Aspekt einer Zurückhaltung gegenüber dem Begriff einer immerwährenden Stabilität lesen. Wenn vom Konzept der Demokratie her Monarchie und Aristokratie bloß abgeleitete Regierungsformen sind, in denen ein Staat nicht gemeinsame Macht ist, erhält das dort entwickelte Konzept immerwährender Stabilität eine nur relative Bedeutung, Vgl. A. Matheron, Femmes et serviteurs dans la démocratie spinoziste. In: Ders., Anthropologie et politique au XVIIe siècle, Paris 1986. 19

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das lediglich der Erhaltung dieser Staatsformen dient, unbezogen darauf aber nicht mehr als ein ausstehendes Ziel sein kann. Auf es hin muß ein Weg gegangen werden, der beschwerlich und gefährdet ist, nicht anders als der, den der Weise in der »Ethik« durchläuft. Nur kann der Autor, anders als dort, nicht wissen, daß der Weg an ein befriedigendes Ende gelangt, weil er ihn selber nicht durchlaufen kann. Denn er ist gebunden an die Einstellungen der Individuen, die ihn gehen müssen, von denen der Autor kein vorgängiges Wissen haben kann. Diese Sichtweise bleibt verdeckt, weil der Autor des »Politischen Traktats« viel zu oft gerade in bezug auf die das menschliche Leben bestimmenden Affekte von einem »gewiß« und »zweifelsfrei« spricht, das eine Sicherheit suggerieren will, von der er meint, sie könne der Sicherheit des Staates korrespondieren. Selbst in bezug auf das Geschlechterverhältnis behauptet er, daß seine dubiose Folgerung leicht einzusehen sei (XI, 4). Aber auch wenn man der solideren Perspektive folgt, daß es auf der Basis egoistischer Selbstbezüglichkeit um die Einbindung der Affekten unterworfenen Individuen in ein Organisationsgefüge geht, verbleibt der Tatbestand, daß Individuen in ihrer Affektivität sich selbst verstehen. Jeder befördert, so meint Spinoza, nur seine eigenen Angelegenheiten und die der anderen nur so weit, wie sie ihm selber nützen oder, in den meisten Fällen, ihm zu nützen scheinen. Ist dem so, dann kommt es darauf an, das Gemeinwesen so zu organisieren, daß die eigenen Interessen durch die Beförderung der Interessen anderer tatsächlich am besten befördert werden, also den einzelnen an ein Gefüge wechselseitiger Beziehungen zu binden, das er im eigenen Interesse zu berücksichtigen hat, sei es daß es ihm von außen auferlegt wird (Kontrolle durch andere, die Bestechlichkeit und Überheblichkeit verhindert), sei es daß es seiner Aktivität entgegenkommt (Offenhalten von Positionen, das den Ehrgeiz befriedigt; wirtschaftliche Verflechtung, die das Profitstreben kanalisiert). Der Katalog von Vorsichtsmaßregeln, der der Kontrolle menschlicher Affekte dient, von Spinoza erweitert durch die exakte Berechnung der Zahl von Mitgliedern in Gremien und durch die genaue Angabe von Besoldungsmodalitäten und Prozeduren bei Entscheidungsfindung

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und Beschlußfassung, stützt sich auf die allgemeine Struktur menschlicher Affektivität. Er ist das Ergebnis einer rationalen Rekonstruktion, von der die »Ethik« gezeigt hat, daß sie in ihrer Allgemeinheit nicht dem Selbstverständnis derer, die jeweiligen Affekten unterliegen, entspricht, daß dieses Selbstverständnis aber das affektive Leben jedes einzelnen bestimmt, so daß die Affekte gerade nicht bei allen gleich sind. Daß Krieg teuer ist und deshalb die Wirtschaft ruiniert, ist wohl wahr, daß Menschen deshalb aber, geleitet vom Affekt der Gewinnsucht, den Frieden präferieren werden, wenn sie kraft gesetzlicher Regelungen vom Frieden ökonomisch mehr haben als vom Krieg, das anzunehmen ist keineswegs klar, sondern scheint eher naiv zu sein, weil es das, wovon sich einzelne in ihren affektiv-bedingten Handlungen tatsächlich bestimmen lassen, nicht genügend berücksichtigt. Die Forderung, Krieg solle nicht sein, wäre Spinoza zufolge ein bloßer Appell ohne Kraft, so daß Regelungen zu finden, die Krieg verhindern, allemal besser ist. Sofern das Prinzip dieser Regelungen die positive Gesetzgebung des Staates ist, die in der gemeinsamen Macht der Individuen gründet, kann es aber nicht etwas von den Individuen Abgehobenes sein. Es muß in ihnen selbst gründen und damit in dem Selbstverständnis, das sie von sich haben. Sofern ihr Selbstverständnis affektiv bestimmt ist, hat die Berücksichtigung der Affekte in der Tat eine eminente Bedeutung, weil unbezüglich darauf die Rechtsgesetze keine Kraft hätten; sie wären bloße Vorschriften, an die sich niemand hielte; sie enthielten, was geschehen soll, und wären ebendeshalb nicht nur ungewiß, sondern sogar verderblich für das in der Freiheit zu gründende Wohlergehen der Bürger (VII, 2). Die Äußerlichkeit einer bloß gebietenden Gesetzlichkeit kann jedoch nicht überbrückt werden, solange in den Affekten nicht eine Aktivität zum Ausdruck gelangt, kraft derer die Bürger die Gesetze als ihre Gesetze übernehmen. Dort, wo die Trennung zwischen Gesetzgeber und Menge am größten ist, in der Monarchie, ist der von dem Gesetzgeber zu beachtende Affekt deshalb am stärksten negativ bestimmt. Es ist die zu vermeidende Entrüstung beim Volk (VII, 3), in der die Bevölkerung

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auf ein durch die Gesetzgebung hervorgerufenes Geschehnis bloß reagiert, wenn auch mit einem vom Gesetzgeber zu fürchtenden Drohpotential, das im Tatbestand ihres Bewaffnetseins liegt, das sich also auf das Recht des Krieges stützt, das dem positiven Recht, mit ihm nicht vermittelt, gegenübersteht. Die Artikulation der Affektivität in wechselseitiger Furcht ist Anzeichen dafür, daß die positive Gesetzgebung noch nicht Ausdruck höchster, nämlich gemeinsamer Macht ist, die alle Äußerlichkeit gegenüber den Bürgern getilgt hat, bei den Bürgern also den Akt einer Zustimmung implizierte. Freilich kann das nicht heißen, daß sie ihr faktisch zustimmen, wohl aber, daß sie ihr müssen zustimmen können, von Spinoza in der Wendung formuliert, daß die Gesetzgebung so anzusehen ist, als ob das von ihr Beschlossene von jedem einzelnen beschlossen worden ist (IV, 5). Dieser Zusammenfall kann kein Faktum sein, gerade weil die Bürger von Affekten geleitet sind und darin je unterschiedliche Ziele verfolgen, die zu verfolgen nicht das Resultat vernünftiger Überlegung ist. Gegen deren Unvernünftigkeit versteht Spinoza das in Anspruch genommene Als-ob als Ausdruck einer Vernunft, die gegenläufig zur Faktizität Kriterium des optimalen Staates ist. Daß ein solcher Staat in der Vernunft sich gründet, wird Spinoza nicht müde zu betonen, nicht in der Vernunft derer, die ihn, ihm kluge Gesetze gebend, optimal verwalten, sondern in der Vernunft, die einer Organisationsform zugesprochen wird, sofern diese das sicherstellt, was die Vernunft im Gegensatz zum unvernünftigen Begehren enthält, nämlich das der eigenen Selbsterhaltung tatsächlich Dienende zu tun. Die in der Struktur des Staates sich artikulierende Vernunft versteht Spinoza als ein zweites Element neben der den Menschen gemeinsamen Affektivität, das, zusammen mit dieser, erst die Stabilität des Staates garantiert (X, 9). Sie ist ein zweites Moment, weil sie als Merkmal einer Organisationsform unabhängig davon sei, ob die Regierenden oder gar die Bürger ihre Affektivität vernünftig gestalten, also sich selber von der Vernunft leiten lassen. Das hieße freilich, daß die Organisationsform unabhängig von den Individuen, die sie tragen, einen Bestand haben könnte, ganz so, wie es

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die Struktur der Natur im Ganzen ist, die sich erhält, was immer im einzelnen geschehen mag. Weil diese Analogie jedoch schief ist, ist es müßig, einer am Sichgleichbleiben der Natur orientierten immerwährenden Stabilität das Wort zu reden, wenn es um die Verfaßtheit eines politischen Gemeinwesens geht. Die von Spinoza zu Recht als zentral verstandene Frage nach der Stabilität von Gemeinwesen, die auf dem Grundgedanken basiert, daß eine positive Gesetzgebung, um wirkungsvoll sein zu können, an die Zustimmung der Bürger gebunden ist, müßte unter den Aspekt einer möglichen oder anzustrebenden Stabilität gebracht werden und nicht unter den einer tatsächlichen Stabilität, die sich einem sich selbst erhaltenden System von Organisationsformen verdankt. Wenn anerkannt wird, daß eine solche Stabilität nicht ohne die Individuen ist, die als Glieder eines sie umfassenden Systems ursprünglich auf sich selbst bezogen sind, etwas, was Spinoza fraglos anerkennt, bleibt, will man die Stabilität mit der Faktizität zusammenfallen lassen, nur noch der Ausweg, die Vernünftigkeit des Systems so an die Affektivität der Bürger zu binden, daß deren Organisatoren, die Staatsmänner, auf Erwartungen der Bürger sich beziehen, die sich in dem Medium artikulieren, das Grundlage aller Affektivität ist, in dem Medium bloßen Meinens nämlich. Anklänge in diese Richtung, wenn auch versteckt, lassen sich finden, etwa in der Wendung, daß die Menschen von der Regierung so zu leiten sind, daß sie den Eindruck haben, nicht geleitet zu werden, sondern nach eigener Sinnesart und eigenem freien Entschluß zu leben (X, 8). Wenn es genügt, daß sie dies von sich glauben (»sibi videntur«), dann sind sie zwar der Sache nach von außen geleitet, in der Perspektive, die sie selber einnehmen, aber nicht. Der Hinweis auf die Qualität der Staatsmänner, schlau und verschlagen zu sein (I, 3), und die unverhohlene Hochschätzung Machiavellis im Zusammenhang der Darlegung des optimalen Staats (V, 7) sprechen eine deutliche Sprache. Freilich sind dies eher resignative Untertöne, die man überlesen sollte zugunsten jener Elemente, die die demokratischen Grundlagen der hier entwickelten Politik umreißen, zu denen nicht zuletzt die Öffentlichkeit freien Redens über politische

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Sachverhalte gehört: »Die Geisteskraft der Menschen ist zu schwach, um alles auf einmal durchdringen zu können; durch Sichberaten, Zuhören und Diskutieren wird sie aber geschärft, und indem sie alle möglichen Lösungen erprobt, findet sie endlich diejenigen, die sie will, die dann alle Menschen gutheißen und woran doch vorher niemand gedacht hätte« (IX, 14). Dieser öffentliche Diskurs schließt nicht nur die Möglichkeit ein, daß Menschen ihr bloßes Meinen korrigieren, sondern arbeitet auch darauf hin. Es ist eine wesentliche Bedingung dafür, daß die Freiheit der Individuen, um deren Sicherung es geht, sich tatsächlich realisiert. In diesem Element geht der »Politische Traktat« mit dem »Theologisch-Politischen Traktat« konform und auch mit den Passagen der »Ethik«, die den Weg beschreiben, den jeder durchlaufen muß, der zum wahren Wissen will gelangen können. Doch ist es in der Politik ein Weg, der an kein definitives Ende gelangen kann, und der deshalb bestenfalls ein stets gefährdeter Weg zur Stabilität ist. Spinoza ist mit seiner späten Politik-Theorie nicht an ein Ende gelangt. Wir wissen nicht, ob das Demokratie-Kapitel diese Offenheit des Weges dargetan hätte. Die Theorie im Ganzen ließe sich aber darauf hin lesen. 4. Zu dieser Ausgabe Der lateinische Text der Abhandlung ist erstmals in Spinozas »Opera Posthuma« 1677 ediert worden. Die kurz darauf erschienene niederländische Übersetzung in »De Nagelate Schriften« (1677) weicht an zahlreichen Stellen von jener Edition ab, offensichtlich gestützt auf ein Manuskript Spinozas, das uns nicht erhalten ist. Wie auch bei den anderen Texten Spinozas, die sich in den nachgelassenen Schriften finden, ist es schwierig, aus dem so vorliegenden Textbestand den authentischen Text Spinozas zu rekonstruieren. Grundlage der hier vorliegenden Ausgabe ist die von Carl Gebhardt besorgte kritische Edition der Opera Spinozas, die zu verbessern ich mich allerdings bemüht habe. Abweichungen von dem Text der »Opera Posthuma« sind unterhalb des lateinischen Textes vermerkt. Akzentsetzung und Groß-

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schreibung, die durchweg nicht von Spinoza stammen, habe ich getilgt, die exzessive Kommasetzung gemildert.20 Für meine Übersetzung habe ich die vorzüglichen Übersetzungen von Wernham und Moreau mit Gewinn zu Rate ziehen können. Es ist mir darauf angekommen, in der Übersetzung nicht nur die begrifflichen Unterschiede zwischen Termini wie »potentia« und »potestas« oder »imperium« und »civitas« zur Geltung kommen zu lassen, sondern auch die Bedeutungsmannigfaltigkeit einheitlicher Termini wie »imperium« oder »jus«. Asterixen am Rande der deutschen Übersetzung verweisen auf meine im Anschluß an den Text zusammengefaßten Anmerkungen zum Text, in denen einige Zusammenhänge verdeutlicht werden sollen. Meine Einleitung will Spinozas späten Entwurf einer Politik-Theorie, sein letztes Werk, in den Zusammenhang seiner Philosophie einordnen und von dort her kritisch beurteilen. Sie löst ihn darin von den historischen Gegebenheiten, auf die er gewiß auch bezogen ist, insbesondere von den Gegebenheiten des Landes, für das Spinoza sich engagiert hat. Wenn er sich auch als Philosoph für dessen Gedeihen eingesetzt hat, so ist das, was seine Philosophie auszeichnet, doch nicht relativ darauf. Die Bibliographie enthält die wichtigste Literatur zur Politik-Theorie Spinozas, die, wie die Sache es gebietet, nicht auf unseren Traktat beschränkt sein kann. Tobias Berben sei für die Mitarbeit bei der Erstellung des Sachregisters gedankt, das das Auffinden zentraler Begriffe erleichtern soll. Hamburg, im Februar 1994

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Die 2. Auflage hat sich auf die inzwischen erschienene kritische Ausgabe des Tractatus politicus (Spinoza, Oeuvres, Bd. V. Tractatus politicus [...] Texte établi par Omero Proietti, Paris 2005) stützen können, die die bislang maßgebliche Ausgabe Gebhardts Vgl. dazu die Einleitung zu meiner Ausgabe: Spinoza, Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes / Tractatus de intellectus emendatione, Hamburg 1993 (PhB 95 a), S. XXXVII. 20

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in den Spinoza Opera ablöst. Ich habe sie im Abdruck des lateinischen Textes gebührend berücksichtigt. Die kritische Ausgabe enthält auch eine vorzügliche neue französische Übersetzung, besorgt von Charles Ramond, die ich mit Gewinn konsultiert habe. Manfred Walther bin ich für zahlreiche Anregungen zur Präzisierung meiner Übersetzung zu großem Dank verpflichtet. Die 2. Auflage enthält somit einen überarbeiteten und, so hoffe ich, auch verbesserten Text der lateinischen Fassung und meiner Übersetzung. Darüber hinaus habe ich den Anmerkungsteil, auch in Berücksichtigung der neueren Spinoza-Literatur, erweitert und die Auswahl-Bibliographie auf den neuesten Stand gebracht. Hamburg, im März 2010

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BI BL IO G R A PH I E

1. Ausgaben Spinoza, Opera Posthuma, Amsterdam I677, S. 265–354 [enthalten die erste Veröffentlichung unseres Textes] [OP]. Spinoza, De Nagelate Schriften, Amsterdam 1677, S. 301–403 [niederländische Übersetzung unter dem Titel »Staatkundige Verhandeling«, streckenweise von dem Text der Opera Posthuma abweichend, wohl gestützt auf das Manuskript Spinozas] [NL]. Spinoza, Opera, herausgegeben von J. van Vloten und J. P. N. Land, Den Haag 1914, Bd. II, S. 1–82. Spinoza, Opera. Im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften herausgegeben von Carl Gebhardt, Bd. III, Heidelberg 1925, S. 271–360 [die lange Zeit maßgebliche kritische Ausgabe. Anmerkungen zur Textgestaltung S. 421–431; ergänzender Kommentar in Bd. V, Heidelberg 1987, S. 133–196]. Spinoza, The Political Works, edited by A. G. Wernham, Oxford I958, S. 256–444 [kritische Ausgabe des lateinischen Textes mit Korrekturen gegenüber Gebhardt]. Spinoza, Œuvres, Bd. V. Tractatus politicus – Traité politique. Texte établi par Omero Proietti. Traduction, introduction, notes, glossaire, index et bibliographie par Charles Ramond, Paris 2005 [die nunmehr maßgebliche kritische Ausgabe des lateinischen Textes].

2. Übersetzungen deutsch: Kirchmann, J. H.: Abhandlung vom Staate, Berlin 1871. Gebhardt, C.: Abhandlung vom Staate, Leipzig I907 [zusammen mit Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes; verbessert 1922; Phil. Bibl. 95, neu eingeleitet von K. Hammacher 1977]. Klenner, H.: Politischer Traktat, Leipzig 1988 [übersetzt von G. Güpner].

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B A RUC H DE S PI NOZ A

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Auctoris epistola ad amicum, quae Praefationis loco huic Tractatui Politico apte praefigi et inservire poterit



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Amice dilecte, Grata tua mihi heri tradita est. Gratias pro cura tam diligenti, quam pro me geris, ex animo ago. Hanc occasionem … non praetermitterem, nisi in quadam re essem occupatus, quam utiliorem judico, quaeque tibi, ut credo, magis arridebit; nempe in Tractatu Politico concinnando, quem ante aliquod tempus, te auctore, inchoavi. Hujus Tractatus capita sex jam sunt absoluta. Primum ad ipsum opus introductionem quasi continet; secundum tractat de jure naturali; tertium de jure summarum potestatum; quartum quaenam negotia politica a summarum potestatum gubernatione pendeant; quintum quidnam sit illud extremum et summum, quod societas potest considerare; et sextum qua ratione imperium monarchicum debeat institui ne in tyrannidem labatur. Impraesentiarum caput septimum tracto, in quo omnia praecedentis sexti capitis membra ordinem bene ordinatae monarchiae concernentia methodice demonstro. Postea ad aristocraticum et populare imperium, denique ad leges aliasque particulares quaestiones politicam spectantes transibo. Hisce vale. … Patet hinc Auctoris scopus; sed morbo impeditus et morte abreptus hoc opus non ulterius quam ad finem aristocratiae perducere valuit, quemadmodum Lector ipse experietur.

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Brief des Autors an einen Freund, der, hier vorangestellt, in geeigneter Weise als Vorwort zu diesem Politischen Traktat dienen könnte Lieber Freund, Ihr lieber Brief ist mir gestern zugestellt worden. Von ganzem Herzen danke ich Ihnen für die aufrichtige Teilnahme, die Sie mir zukommen lassen. Diese Gelegenheit ... hätte ich nicht vorübergehen lassen, wenn ich nicht mit einer Sache beschäftigt wäre, die ich für nützlicher halte und die Ihnen, wie ich glaube, mehr zusagen wird, nämlich mit der Ausarbeitung eines Politischen Traktats, womit ich vor einiger Zeit, auf Ihre Anregung hin, begonnen habe. Sechs Kapitel dieses Traktats sind schon vollendet. Das erste enthält eine Art Einleitung in dieses Werk; das zweite handelt von dem natürlichen Recht; das dritte von dem Recht der höchsten Gewalten; das vierte von den politischen Aufgaben, die deren Kontrolle unterliegen; das fünfte von dem Letzten und Höchsten, das eine Gesellschaft beherzigen kann; und das sechste von der Weise, in der ein monarchischer Staat eingerichtet werden muß, damit er nicht der Tyrannei verfällt. Gegenwärtig arbeite ich an dem siebten Kapitel, in dem ich alle die Verfassung einer wohl organisierten Monarchie betreffenden Elemente des vorhergehenden sechsten Kapitels methodisch entwickle. Dann werde ich zu dem aristokratischen und dem vom Volk getragenen Staat übergehen und schließlich zu den Gesetzen und zu anderen speziellen Fragen der Politik. Und nun leben Sie wohl. ...

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Dieser Brief läßt das Vorhaben des Autors erkennen; aber aufgehalten von Krankheit und schließlich vom Tod dahingerafft, hat er sein Werk nicht weiter als bis zum Abschluß der Aristokratie voranbringen können, wie der Leser selbst feststellen  wird.

5

T R AC TAT US P OL I T IC US ,

In quo demonstratur, quomodo Societas ubi Imperium Monar chicum locum habet, sicut et ea ubi Optimi imperant, debet institui, ne in Tyrannidem labatur, et ut Pax Libertasque civium inviolata maneat.

P OL I T I S C H E R T R A K TAT,

in dem gezeigt wird, wie eine Gesellschaft, deren Regierungsform monarchisch oder  aristokratisch ist, eingerichtet werden muß, damit sie nicht der Tyrannei verfällt und damit der Frieden und die Freiheit der Bürger unangetastet  bleiben. *

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T R AC TAT US P OL I T IC US

capu t i



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§ 1. Affectus, quibus conflictamur, concipiunt philosophi veluti vitia, in quae homines sua culpa labuntur; quos propterea ridere, flere, carpere vel (qui sanctiores videri volunt) detestari solent. Sic ergo se rem divinam facere et sapientiae culmen attingere credunt, quando humanam naturam, quae nullibi est, multis modis laudare et eam, quae revera est, dictis lacessere norunt. Homines namque non ut sunt, sed ut eosdem esse vellent, concipiunt; unde factum est, ut plerumque pro ethica satyram scripserint et ut nunquam politicam conceperint, quae possit ad usum revocari, sed quae pro chimaera haberetur, vel quae in Utopia vel in illo poetarum aureo saeculo, ubi scilicet minime necesse erat, institui potuisset. Cum igitur omnium scientiarum, quae usum habent, tum maxime politices theoria ab ipsius praxi discrepare creditur, et regendae reipublicae nulli minus idonei aestimantur quam theoretici seu philosophi. § 2. At politici contra hominibus magis insidiari quam consulere creduntur, et potius callidi quam sapientes aestimantur. Docuit nimirum eosdem experientia vitia fore, donec homines. Humanam igitur malitiam praevenire dum student, idque iis artibus, quas experientia longo usu docuit et quas homines, magis

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kapit el i [Einleitung] § 1. Die Affekte, von denen wir mitgenommen werden, verstehen Philosophen als Fehler, in die die Menschen durch eigene Schuld verfallen. Deshalb pflegen sie sie zu belachen, zu beklagen, zu verspotten oder (sofern sie sich den Anschein besonderer Sittenreinheit geben wollen) zu verdammen. Sie glauben dergestalt etwas Erhabenes zu tun und den Gipfel der Weisheit zu erreichen, wenn sie nur gelernt haben, eine menschliche Natur, die es nirgendwo gibt, in höchsten Tönen zu loben, und diejenige, wie sie tatsächlich ist, herunterzureden. Sie stellen sich freilich die Menschen nicht vor, wie sie sind, sondern wie sie sie haben möchten; und so ist es gekommen, daß sie statt einer Ethik meistens eine Satire geschrieben und niemals eine Politik-Theorie konzipiert haben, die sich auf das wirkliche Leben anwenden ließe; produziert haben sie nur etwas, das als eine Chimäre anzusehen ist oder das man in Utopia oder in jenem goldenen Zeitalter der Dichter, wo dies fürwahr am wenigsten erforderlich war, hätte errichten können. Glaubt man bei allen Wissenschaften, die eine Anwendung haben, daß die [bloße] Theorie im Widerspruch zur Praxis steht, so glaubt man dies deshalb besonders bei der Politik und erachtet niemanden für weniger geeignet, einen Staat zu regieren, als Theoretiker oder Philosophen. § 2. Politiker, so glaubt man andererseits, haben es eher auf die Menschen abgesehen, als daß sie für sie Sorge tragen, und man hält sie eher für schlau als für weise. Nicht weiter verwunderlich ist das, hat doch die Erfahrung sie gelehrt, daß es Laster gibt, solange es Menschen gibt. Weil sie deshalb darauf aus sind, der menschlichen Bosheit zuvorzukommen und dies mit denjenigen Mitteln, die sie im Lauf langer praktischer Erfahrung kennengelernt haben und an die die Menschen sich mehr aus

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Tractatus politicus · I

metu quam ratione ducti, exercere solent, religioni adversari videntur, theologis praecipue, qui credunt summas potestates debere negotia publica tractare secundum easdem pietatis regulas, quibus vir privatus tenetur. Ipsos tamen politicos multo felicius de rebus politicis scripsisse quam philosophos dubitari non potest. Nam quoniam experientiam magistram habuerunt, nihil docuerunt, quod ab usu remotum esset. § 3. Et sane mihi plane persuadeo experientiam omnia civitatum genera, quae concipi possunt, ut homines concorditer vivant, et simul media quibus multitudo dirigi seu quibus intra certos limites contineri debeat, ostendisse, ita ut non credam nos posse aliquid, quod ab experientia sive praxi non abhorreat, cogitatione de hac re assequi, quod nondum expertum compertumque sit. Nam homines ita comparati sunt, ut extra commune aliquod jus vivere nequeant; jura autem communia et negotia publica a viris acutissimis, sive astutis sive callidis, instituta et tractata sunt; adeoque vix credibile est nos aliquid, quod communi societati ex usu esse queat, posse concipere, quod occasio seu casus non obtulerit, quodque homines, communibus negotiis intenti suaeque securitati consulentes, non viderint. § 4. Cum igitur animum ad politicam applicuerim, nihil quod novum vel inauditum est, sed tantum ea, quae cum praxi optime conveniunt, certa et indubitata ratione demonstrare atque ex ipsa humanae naturae conditione deducere intendi; et ut ea, quae ad hanc scientiam spectant, eadem animi libertate, qua res mathematicas solemus, inquirerem, sedulo curavi humanas actiones

23 atque] aut Vorschlag Proietti, gestützt auf NS

Einleitung

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Furcht als aus vernünftigen Motiven zu halten pflegen, scheinen sie der Religion zu opponieren, insbesondere in den Augen der Theologen, die glauben, die höchsten Gewalten müßten die Staatsgeschäfte nach denselben Regeln der Moral handhaben, die für eine Privatperson verbindlich sind. Gleichwohl haben gerade Politiker über Angelegenheiten der Politik viel ergiebiger geschrieben als Philosophen, daran ist nicht zu zweifeln. Denn geleitet von der Erfahrung, haben sie nichts dargetan, das sich vom praktischen Leben entfernt hätte. § 3. Tatsächlich bin ich völlig überzeugt, daß die Erfahrung alle Formen politischer Gebilde schon aufgezeigt hat, die im Hinblick auf ein einträchtiges Leben der Menschen denkbar sind, und zugleich auch die Mittel, mit denen eine Menschenmenge zu lenken, d. h. innerhalb bestimmter Grenzen in Schranken zu halten ist. Insofern glaube ich nicht, daß wir in dieser Sache etwas der Erfahrung, d. h. der Praxis, nicht Widersprechendes durch bloßes Nachdenken erfassen können, das nicht schon erprobt worden und somit wohlbekannt ist. Denn die Menschen sind so verfaßt, daß sie ohne irgendein Recht, das ihnen gemeinsam ist, nicht leben können. Nun sind es äußerst scharfsinnige Männer, schlau oder verschlagen kann man sie nennen, die gemeinsame Rechtsgesetze erlassen und öffentliche Angelegenheiten verwaltet haben; und daher ist kaum anzunehmen, daß wir uns irgend etwas, das dem überall üblichen gemeinschaftlichen Leben zu nutzen vermag, ausdenken könnten, was uns die Gunst der Umstände oder der bloße Zufall nicht schon dargeboten hätten und was Menschen, achtsam auf ihre gemeinsamen Angelegenheiten und bedacht auf die eigene Sicherheit, nicht schon bemerkt hätten. § 4. Als ich mich mit der Politik beschäftigt habe, war es daher meine Absicht, nicht irgend etwas Neues und bis jetzt noch Unbekanntes [zu entwerfen], sondern lediglich das, was mit der Praxis am vorzüglichsten übereinstimmt, auf sichere und zweifelsfreie Weise zu beweisen, nämlich so, daß ich es aus der Verfaßtheit der menschlichen Natur, wie sie tatsächlich ist, herleite. Um das, was Gegenstand dieser Wissenschaft ist, mit derselben Unbefangenheit, mit der wir es bei der Mathematik zu tun pfle-



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Tractatus politicus · I

non ridere, non lugere, neque detestari, sed intelligere; atque adeo humanos affectus, ut sunt amor, odium, ira, invidia, gloria, misericordia et reliquae animi commotiones, non ut humanae naturae vitia, sed ut proprietates contemplatus sum, quae ad ipsam ita pertinent ut ad naturam aeris aestus, frigus, tempestas, tonitru et alia hujusmodi, quae, tametsi incommoda sunt, necessaria tamen sunt certasque habent causas, per quas eorum naturam intelligere conamur; et mens eorum vera contemplatione aeque gaudet ac earum rerum cognitione, quae sensibus gratae sunt. § 5. Est enim hoc certum, et in nostra Ethica verum esse demonstravimus, homines necessario affectibus esse obnoxios et ita constitutos esse, ut eorum, quibus male est, misereantur, et quibus bene est, invideant, et ut ad vindictam magis quam ad misericordiam sint proni, et praeterea unumquemque appetere, ut reliqui ex ipsius ingenio vivant, et ut probent, quod ipse probat, et quod ipse repudiat, repudient. Unde fit ut, cum omnes pariter appetant primi esse, in contentionem veniant et quantum possunt nitantur se invicem opprimere, et qui victor evadit, magis glorietur, quod alteri obfuit quam quod sibi profuit. Et quamvis omnes persuasi sint religionem contra docere, ut unusquisque proximum tanquam se ipsum amet, hoc est, ut jus alterius perinde ac suum defendat, hanc tamen persuasionem in affectus parum posse ostendimus. Valet quidem in articulo mortis, quando scilicet morbus ipsos affectus vicit et homo segnis jacet, vel in templis, ubi homines nullum exercent commercium, at minime in foro vel in aula, ubi maxime necesse esset. Ostendimus praeterea rationem multum quidem posse affectus coercere et moderari; sed simul vidimus viam, quam ipsa ratio docet, per-

17 contentionem] contentiones Korrektur Proietti, gestützt auf NS

Einleitung

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gen, zu erforschen, habe ich mich sorgsam bemüht, menschliche Tätigkeiten nicht zu verlachen, nicht zu beklagen und auch nicht zu verdammen, sondern zu begreifen. Deshalb habe ich die menschlichen Affekte, beispielsweise Liebe, Haß, Zorn, Neid, Ruhmsucht, Mitleid und die übrigen Gemütsbewegungen, nicht als Fehler der menschlichen Natur betrachtet, sondern als deren Eigenschaften, die zu ihr so gehören wie zu der Natur der Luft die Hitze, die Kälte, der Sturm, der Donner und anderes dieser Art, Eigenschaften, die, mögen sie auch unangenehm sein, gleichwohl notwendig sind; sie haben bestimmte Ursachen, durch die wir ihre Natur zu begreifen suchen, und [unser] Geist erfreut sich an ihrer unbestechlichen Betrachtung ebenso sehr wie an der Erkenntnis dessen, was den Sinnen angenehm ist. § 5. Das ist aber gewiß, und in unserer »Ethik« haben wir seine Wahrheit erwiesen: Menschen sind notwendigerweise Affekten unterworfen und so verfaßt, daß sie die Unglücklichen beklagen und die Glücklichen beneiden, daß sie mehr zur Rache als zum Mitgefühl neigen, daß außerdem jeder danach trachtet, die anderen mögen nach seiner Sinnesart leben, nämlich billigen, was er selber billigt, und verwerfen, was er selber verwirft. So kommt es, daß, weil alle gleichermaßen danach streben, an vorderster Stelle zu stehen, die Menschen in Konflikt miteinander geraten und dabei, so weit sie können, sich gegenseitig zu unterdrücken trachten; und wer als Sieger daraus hervorgeht, prahlt mehr damit, andere geschädigt als sich selbst gefördert zu haben. Obwohl alle davon überzeugt sind, daß die Religion im Gegenteil einen jeden anweist, seinen Nächsten so wie sich selbst zu lieben, d. h. das Recht des anderen wie das eigene zu verteidigen, vermag diese Überzeugung, wie wir gezeigt haben, doch wenig gegen die Affekte. Geltend macht sie sich freilich auf dem Sterbebett, wo ja Krankheit die Affekte schon besiegt hat und der Mensch kraftlos daniederliegt, oder auch in der Kirche, wo die Menschen keinen [konkurrierenden] Umgang miteinander haben, keineswegs aber vor Gericht oder am Hof, wo sie am meisten nötig wäre. Wir haben überdies gezeigt, daß die Vernunft bei der Zügelung und Mäßigung der Affekte zwar viel vermag, zugleich aber gesehen, daß der Weg, den gerade die Vernunft weist, sehr schwierig ist.



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arduam esse; ita ut qui sibi persuadent posse multitudinem vel qui publicis negotiis distrahuntur, induci, ut ex solo rationis praescripto vivant, saeculum poetarum aureum seu fabulam somnient. § 6. Imperium igitur, cujus salus ab alicujus fide pendet et cujus  negotia non possunt recte curari nisi ii, qui eadem tractant, fide velint agere, minime stabile erit; sed, ut permanere possit, res ejus publicae ita ordinandae sunt, ut qui easdem administrant, sive ratione ducantur sive affectu, induci nequeant, ut male fidi sint  seu prave agant. Nec ad imperii securitatem refert, quo animo homines inducantur ad res recte administrandum, modo res recte administrentur. Animi enim libertas seu fortitudo privata virtus est; at imperii virtus securitas. § 7. Denique, quia omnes homines, sive barbari sive culti sint,  consuetudines ubique jungunt et statum aliquem civilem formant, ideo imperii causae et fundamenta naturalia non ex rationis documentis petenda, sed ex hominum communi natura seu conditione deducenda sunt, quod in sequenti capite facere constitui. capu t ii 

§ 1. In nostro Tractatu Theologico-politico de jure naturali et civili egimus, et in nostra Ethica explicuimus, quid peccatum, quid meritum, quid justitia, quid injustitia et quid denique humana libertas sit. Sed ne ii, qui hunc tractatum legunt, opus habe-

3 seu] ceu 16 causae] causas Korrektur Wernham

Von dem natürlichen Recht

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Wer sich deshalb einredet, eine Menschenmenge oder diejenigen, die in öffentlichen Angelegenheiten zerstritten sind, könnten dazu gebracht werden, nach einer bloßen Vorschrift der Vernunft zu leben, der träumt vom goldenen Zeitalter der Dichter oder von einem Märchen. § 6. Ein Staat also, dessen Wohlergehen von der Redlichkeit irgendeines Menschen abhängt und dessen Geschäfte nur richtig besorgt werden können, wenn die damit Betrauten bereit sind, redlich zu handeln, wird keineswegs stabil sein. Die Geschäfte des Staates müssen vielmehr, damit er Bestand haben kann, so geordnet sein, daß diejenigen, die sie verwalten, seien sie dabei von der Vernunft oder von einem Affekt geleitet, gar nicht dahin gebracht werden können, sich unredlich zu geben oder schlecht zu handeln. Für die Sicherheit des Staates ist es ohne Belang, welche Gesinnung Menschen veranlaßt, ihre öffentlichen Angelegenheiten richtig zu verwalten, wenn sie sie nur richtig verwalten. Die Freiheit der geistigen Haltung, d. h. die Standhaftigkeit des Charakters, ist nämlich eine Privattugend; die Tugend des Staates hingegen ist die Sicherheit. § 7. Weil schließlich alle Menschen, mögen sie ungebildet oder gebildet sein, allenthalben sich zu geselligem Umgang verbinden und immer schon irgendeinen staatlichen Zustand herstellen, sind die Ursachen und natürlichen Grundlagen des Staates nicht den Lehrsätzen der Vernunft zu entnehmen; sie sind vielmehr aus der gemeinsamen Natur oder Verfaßtheit der Menschen herzuleiten, was zu tun ich mir für das folgende Kapitel vorgenommen habe.



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kapi tel i i [Von dem natürlichen Recht] § 1. In unserem »Theologisch-Politischen Traktat« haben wir * von dem natürlichen und dem staatlichen Recht gehandelt, und in unserer »Ethik« haben wir erläutert, was Sünde, was Ver- * dienst, was Gerechtigkeit, was Ungerechtigkeit und schließlich was menschliche Freiheit ist. Damit aber die Leser des gegen-

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Tractatus politicus · II

ant ea, quae ad hunc ipsum tractatum maxime spectant, in aliis quaerere, ea hic iterum explicare et apodictice demonstrare constitui. § 2. Res quaecunque naturalis potest adaequate concipi, sive existat sive non existat; ut igitur rerum naturalium existendi principium, sic earum in existendo perseverantia ex earum definitione non potest concludi. Nam earum essentia idealis eadem est, postquam existere inceperunt quam antequam existerent. Ut ergo earum existendi principium ex earum essentia sequi nequit, sic nec earum in existendo perseverantia; sed eadem potentia, qua indigent ut existere incipiant, indigent ut existere pergant. Ex quo sequitur rerum naturalium potentiam, qua existunt et consequenter qua operantur, nullam aliam esse posse quam ipsam Dei aeternam potentiam. Nam si quae alia creata esset, non posset seipsam et consequenter neque res naturales conservare; sed ipsa etiam eadem potentia, qua indigeret ut crearetur, indigeret ut in existendo perseveraret. § 3. Hinc igitur, quod scilicet rerum naturalium potentia, qua existunt et operantur, ipsissima Dei sit potentia, facile intelligimus, quid jus naturae sit. Nam quoniam Deus jus ad omnia habet, et jus Dei nihil aliud est quam ipsa Dei potentia, quatenus haec absolute libera consideratur, hinc sequitur unamquamque rem naturalem tantum juris ex natura habere, quantum potentiae habet ad existendum et operandum, quandoquidem uniuscujusque rei naturalis potentia, qua existit et operatur, nulla alia est quam ipsa Dei potentia, quae absolute libera est. § 4. Per jus itaque naturae intelligo ipsas naturae leges seu regulas, secundum quas omnia fiunt, hoc est, ipsam naturae potentiam; atque adeo totius naturae et consequenter uniuscujusque individui naturale jus eo usque se extendit quo ejus potentia; et consequenter quicquid unusquisque homo ex legibus suae na-

30 individui] invidui

Von dem natürlichen Recht

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wärtigen Traktats das für ihn Relevante nicht anderswo nachschlagen müssen, will ich es auch hier darlegen und streng beweisen. § 2. Jedes natürliche Ding kann adäquat begriffen werden, mag es existieren oder nicht; deshalb läßt sich weder der Beginn des Existierens natürlicher Dinge noch deren Verharren in der Existenz aus ihrer bloßen Definition folgern. Denn ihre begrifflich zu bestimmende Essenz ist vor und nach dem Beginn ihres Existierens dieselbe. Wie der Beginn ihres Existierens also nicht aus ihrer Essenz folgen kann, so wenig kann es ihr Verharren in der Existenz. Sondern dieselbe Macht, die sie für den Beginn ihres Existierens benötigen, ist es auch, die sie für die Fortdauer ihres Existierens benötigen. Daraus folgt, daß die Macht der natürlichen Dinge, durch die sie existieren und durch die sie folglich tätig sind, keine andere sein kann als genau Gottes Macht, die ewig ist. Denn handelte es sich um eine andere Macht, eine solche, die erschaffen wäre, dann könnte sie nicht sich selbst und folglich auch nicht die natürlichen Dinge erhalten; sie würde vielmehr dieselbe Macht, die sie benötigte, um erschaffen zu werden, auch benötigen, um im Existieren zu verharren. § 3. Daraus nun, daß die Macht der natürlichen Dinge, durch die sie existieren und tätig sind, ganz genau Gottes Macht ist, ist leicht ersichtlich, was das Recht der Natur ist. Weil nämlich Gott ein Recht auf alles hat und das Recht Gottes nichts anderes als eben Gottes Macht ist, sofern sie als uneingeschränkt frei angesehen wird, folgt, daß ein jedes natürliche Ding von Natur aus so viel Recht hat, wie es Macht hat zu existieren und tätig zu sein, da nun einmal die Macht eines jeden natürlichen Dinges, durch die es existiert und tätig ist, nichts anderes ist als genau Gottes Macht, die uneingeschränkt frei ist. § 4. Unter dem Recht der Natur verstehe ich somit die tatsächlichen Gesetze der Natur oder die Regeln, nach denen alles geschieht, d. h. eben die Macht der Natur. Deshalb erstreckt sich das natürliche Recht der ganzen Natur und folglich auch dasjenige eines jeden Individuums so weit wie deren bzw. dessen Macht. Was folglich ein jeder Mensch nach den Gesetzen seiner

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turae agit, id summo naturae jure agit, tantumque in naturam habet juris, quantum potentia valet. § 5. Si igitur cum humana natura ita comparatum esset, ut homines ex solo rationis praescripto viverent nec aliud conarentur, tum naturae jus, quatenus humani generis proprium esse consideratur, sola rationis potentia determinaretur. Sed homines magis caeca cupiditate quam ratione ducuntur; ac proinde hominum naturalis potentia sive jus non ratione, sed quocunque appetitu, quo ad agendum determinantur quoque se conservare conantur, definiri debet. Equidem fateor cupiditates illas, quae ex ratione non oriuntur, non tam actiones quam passiones esse humanas. Verum quia hic de naturae universali potentia seu jure agimus, nullam hic agnoscere possumus differentiam inter cupiditates, quae ex ratione, et inter illas, quae ex aliis causis in nobis ingenerantur, quandoquidem tam hae quam illae effectus naturae sunt, vimque naturalem explicant, qua homo in suo esse perseverare conatur. Est enim homo, sive sapiens sive ignarus sit, naturae pars, et id omne, ex quo unusquisque ad agendum determinatur, ad naturae potentiam referri debet, nempe quatenus haec per naturam hujus aut illius hominis definiri potest. Nihil namque homo, seu ratione seu sola cupiditate ductus, agit nisi secundum leges et regulas naturae, hoc est (per art. 4 hujus cap.), ex naturae jure. § 6. At plerique ignaros naturae ordinem magis perturbare quam sequi credunt, et homines in natura veluti imperium in imperio concipiunt. Nam mentem humanam a nullis causis naturalibus statuunt produci, sed a Deo immediate creari, a reliquis rebus adeo independentem, ut absolutam habeat potestatem

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Natur tut, das tut er mit höchstem Recht der Natur, und er hat auf [Dinge in der] Natur so viel Recht, wie weit seine Macht reicht. § 5. Wäre die menschliche Natur also so beschaffen, daß die Menschen bloß nach der Vorschrift der Vernunft lebten und nichts anderes erstrebten, dann wäre das Recht der Natur, jetzt als dem Menschengeschlecht eigen betrachtet, allein von der Macht der Vernunft her bestimmt. Doch werden die Menschen mehr von der blinden Begierde als von der Vernunft geleitet; und deshalb muß die natürliche Macht der Menschen, d. h. deren natürliches Recht, nicht über das Merkmal der Vernunft definiert werden, sondern über das eines jeden Triebes, von dem her sie zum Handeln bestimmt werden und gestützt auf den sie sich selbst zu erhalten streben. Zwar gebe ich zu, daß Begierden, die nicht der Vernunft entspringen, eher Ausdruck menschlichen Leidens als menschlichen Handelns sind. Aber weil wir hier von der Macht oder dem Recht der Natur im allgemeinen handeln, können wir jetzt keinen Unterschied zwischen Begierden, die der Vernunft [entspringen], und solchen, die aus anderen Gründen in uns entstehen, gelten lassen. Denn die einen wie die anderen sind Wirkungen der Natur und verdeutlichen die natürliche Kraft, mit der der Mensch strebt, in seinem Sein zu verharren. Der Mensch ist nämlich, mag er weise oder töricht sein, ein Teil der Natur, und all das, von dem her ein jeder zum Handeln bestimmt wird, muß zur Macht der Natur gerechnet werden, sofern diese Macht, wohlgemerkt, durch die Natur dieses oder jenes Menschen sich definieren läßt. Denn der Mensch, mag er von der Vernunft oder bloß von der Begierde geleitet sein, handelt nur den Gesetzen und Regeln der Natur gemäß, d. h. (nach § 4 dieses Kapitels) kraft des Rechts der Natur. § 6. Gar manche glauben freilich, daß die Toren die Ordnung der Natur mehr stören, als daß sie ihr folgen; sie verstehen die Menschen innerhalb der Natur wie einen Staat im Staat. Denn sie nehmen an, daß der menschliche Geist von keinen natürlichen Ursachen hervorgebracht, sondern von Gott unmittelbar erschaffen werde und von den übrigen Dingen so unabhängig sei, daß er eine uneingeschränkte Gewalt hat, sich selbst zu



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sese determinandi et ratione recte utendi. Sed experientia satis superque docet, quod in nostra potestate non magis sit mentem sanam quam corpus sanum habere. Deinde, quandoquidem unaquaeque res quantum in se est suum esse conservare conatur, dubitare nequaquam possumus, quin, si aeque in nostra potestate esset, tam ex rationis praescripto vivere quam caeca cupiditate duci, omnes ratione ducerentur et vitam sapienter instituerent, quod minime fit. Nam trahit sua quemque voluptas. Nec theologi hanc difficultatem tollunt, qui scilicet statuunt hujus impotentiae causam humanae naturae vitium seu peccatum esse, quod originem a primi parentis lapsu traxerit. Nam si etiam in primi hominis potestate fuit tam stare quam labi, et mentis compos erat et natura integra, qui fieri potuit, ut sciens prudensque lapsus fuerit? At dicunt eum a diabolo deceptum fuisse. Verum quis ille fuit, qui ipsum diabolum decepit, – quis, inquam, ipsum omnium creaturarum intelligentium praestantissimum adeo amentem reddidit, ut Deo major esse voluerit? Nonne enim se ipsum, qui mentem sanam habebat, suumque esse quantum in se erat conservare conabatur? Deinde qui fieri potuit, ut ipse primus homo, qui mentis compos erat et suae voluntatis dominus, seduceretur et mente pateretur capi? Nam si potestatem habuit ratione recte utendi, decipi non potuit; nam, quantum in se fuit, conatus est necessario suum esse mentemque suam sanam conservare. Atqui supponitur eum hoc in potestate habuisse; ergo mentem suam sanam necessario conservavit nec decipi potuit. Quod ex ipsius historia falsum esse constat; ac proinde fatendum est, quod in primi hominis potestate non fuerit ratione recte uti, sed quod, sicuti nos, affectibus fuerit obnoxius.

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bestimmen und die Vernunft in rechter Weise zu gebrauchen. Doch die Erfahrung lehrt uns übergenug, daß es nicht mehr in unserer Gewalt liegt, einen gesunden Geist zu haben als einen gesunden Körper. Mehr noch, da ein jedes Ding, soviel es vermag, danach strebt, sein Sein zu erhalten, ist überhaupt nicht daran zu zweifeln, daß, wenn es gleichermaßen in unserer Gewalt stünde, nach der Vorschrift der Vernunft zu leben wie von blinder Begierde sich leiten zu lassen, alle sich von der Vernunft leiten ließen und ihr Leben weise gestalteten, was keineswegs der Fall ist. Denn es ist die sinnliche Lust, die jeden mit sich reißt. Auch die Theologen beseitigen diese Schwierigkeit nicht, wenn sie die Ursache dieser Ohnmacht in ein Gebrechen der menschlichen Natur verlegen, d. h. in eine Sünde, die vom Sündenfall der Urahnen sich fortgeschleppt hat. Denn selbst wenn es in der Gewalt des ersten Menschen war, zu stehen oder zu fallen, und er seines Geistes mächtig und von unverderbter Natur war, wie konnte es geschehen, daß er, weise und klug, dennoch fiel? Sie sagen, der Teufel war es, von dem er hintergangen wurde. Wer war es dann aber, der den Teufel selbst hintergangen hat? Wer hat, so frage ich, ihn, das herausragendste aller vernunftbegabten Geschöpfe, so wahnsinnig gemacht, daß er mehr sein wollte als Gott? Doch wohl nicht er selber, der einen gesunden Geist hatte und das eigene Sein, soviel er vermochte, zu erhalten strebte? Ferner, wie hat es geschehen können, daß dieser erste Mensch, da er doch seines Geistes mächtig war und Herr seines Willens, sich verführen und seinen Geist verwirren ließ? Wenn er nämlich die Gewalt hatte, seine Vernunft richtig zu gebrauchen, hat er nicht betrogen werden können, weil er dann notwendigerweise bestrebt war, mit aller Kraft sein Sein und damit auch seinen gesunden Geist zu erhalten. Unter Voraussetzung einer solchen ihm zukommenden Gewalt hat er seinen gesunden Geist also notwendigerweise erhalten, und er hat nicht betrogen werden können. Doch ist diese Voraussetzung nach dem Bericht, den wir über ihn haben, offensichtlich falsch; also ist einzugestehen, daß es nicht in der Gewalt des ersten Menschen stand, seine Vernunft richtig zu gebrauchen, daß vielmehr auch er, nicht anders als wir, Affekten unterworfen war.

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§ 7. Quod autem homo, ut reliqua individua, suum esse quantum in se est conservare conetur, negare nemo potest. Nam si hic aliqua concipi posset differentia, inde oriri deberet, quod homo voluntatem haberet liberam. Sed quo homo a nobis magis liber conciperetur, eo magis cogeremur statuere ipsum sese necessario debere conservare et mentis compotem esse, quod facile unusquisque, qui libertatem cum contingentia non confundit, mihi concedet. Est namque libertas virtus seu perfectio; quicquid igitur hominem impotentiae arguit, id ad ipsius libertatem referri nequit. Quare homo minime potest dici liber, propterea quod potest non existere vel quod potest non uti ratione, sed tantum quatenus potestatem habet existendi et operandi secundum humanae naturae leges. Quo igitur hominem magis liberum esse consideramus, eo minus dicere possumus, quod possit ratione non uti et mala prae bonis eligere; et ideo Deus, qui absolute liber existit, intelligit et operatur, necessario etiam, nempe ex suae naturae necessitate, existit, intelligit et operatur. Nam non dubium est, quin Deus eadem qua existit libertate operetur. Ut igitur ex ipsius naturae necessitate existit, ex ipsius etiam naturae necessitate agit, hoc est, libere absolute agit. § 8. Concludimus itaque in potestate uniuscujusque hominis non esse ratione semper uti et in summo humanae libertatis fastigio esse, et tamen unumquemque semper quantum in se est conari suum esse conservare, et (quia unusquisque tantum juris habet quantum potentia valet) quicquid unusquisque, sive sapiens sive ignarus, conatur et agit, id summo naturae jure conari et agere. Ex quibus sequitur jus et institutum naturae, sub quo omnes nascuntur homines et maxima ex parte vivunt, nihil, nisi quod nemo cupit et quod nemo potest, prohibere; non conten-

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§ 7. Daß der Mensch, wie alle anderen Individuen auch, danach strebt, sein Sein, soviel er vermag, zu erhalten, kann niemand leugnen. Denn wenn sich hier irgendein Unterschied denken ließe, müßte er daher rühren, daß der Mensch einen freien Willen hat. Je freier wir uns jedoch einen Menschen vorstellen, desto mehr sind wir genötigt anzunehmen, daß er sich notwendigerweise selbst erhalten und Herr seines Geistes sein müsse. Ein jeder, der Freiheit und Zufälligkeit nicht durcheinanderwirft, wird mir das einräumen. Freiheit ist nämlich eine Tugend, d. h. eine Vollkommenheit; was also eine Ohnmacht des Menschen aufzeigt, kann nicht auf dessen Freiheit zurückgeführt werden. Deshalb kann der Mensch keineswegs frei genannt werden, weil er [auch] nicht existieren kann oder weil er seine Vernunft [auch] nicht gebrauchen kann, sondern allein insofern, als er die Gewalt hat, gemäß den Gesetzen der menschlichen Natur zu existieren und tätig zu sein. Je mehr wir deshalb einen Menschen als frei ansehen, um so weniger können wir sagen, daß er seine Vernunft [auch] nicht gebrauchen und dem Schlechten den Vorzug vor dem Guten geben könne. Gott, der uneingeschränkt frei existiert, begreift und tätig ist, existiert, begreift und betätigt sich ebendeshalb notwendigerweise, nämlich aus der Notwendigkeit seiner Natur heraus. Denn zweifellos ist Gott kraft derselben Freiheit tätig, kraft derer er existiert; wie er also aus der Notwendigkeit seiner ihm eigenen Natur heraus existiert, so handelt er auch aus ebendieser Notwendigkeit heraus; und das heißt, daß er uneingeschränkt frei handelt. § 8. Wir schließen also folgendermaßen: Es steht nicht in der Gewalt eines jeden Menschen, seine Vernunft immer zu gebrauchen und auf dem Gipfel der menschlichen Freiheit zu sein; und dennoch strebt stets ein jeder, soviel er vermag, sein Sein zu erhalten; und weil ein jeder so viel Recht hat, wie weit seine Macht reicht, gilt: was auch immer ein jeder, weise oder töricht, erstrebt und [insofern] tut, das erstrebt und tut er mit höchstem Recht der Natur. Daraus folgt, daß das Recht als eine Einrichtung der Natur, unter der alle Menschen geboren werden und zum größten Teil leben, nichts verbietet als das, was niemand begehrt und niemand kann; es verwirft nicht Rivalitäten, Haß, Zorn, Arg-



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tiones, non odia, non iram, non dolos, nec absolute aliquid, quod appetitus suadet, aversari. Nec mirum; nam natura non legibus humanae rationis, quae non nisi hominum verum utile et conservationem intendunt, continetur, sed infinitis aliis, quae totius naturae, cujus homo particula est, aeternum ordinem respiciunt, ex cujus sola necessitate omnia individua certo modo determinantur ad existendum et operandum. Quicquid ergo nobis in natura ridiculum, absurdum aut malum videtur, id inde est, quod res tantum ex parte novimus totiusque naturae ordinem et cohaerentiam maxima ex parte ignoramus, et quod omnia ex praescripto nostrae rationis ut dirigerentur volumus; cum tamen id, quod ratio malum esse dictat, non malum sit respectu ordinis et legum universae naturae, sed tantum solius nostrae naturae legum respectu. § 9. Praeterea sequitur unumquemque tamdiu alterius esse juris, quamdiu sub alterius potestate est, et eatenus sui juris, quatenus vim omnem repellere damnumque sibi illatum ex sui animi sententia vindicare, et absolute, quatenus ex suo ingenio vivere potest. § 10. Is alterum sub potestate habet, quem ligatum tenet, vel cui arma et media sese defendendi aut evadendi ademit, vel cui metum injecit, vel quem sibi beneficio ita devinxit, ut ei potius quam sibi morem gerere et potius ex ipsius quam ex sui animi sententia vivere velit. Qui primo vel secundo modo alterum in potestate habet, ejus tantum corpus, non mentem tenet; tertio autem vel quarto, tam ipsius mentem quam corpus sui juris fecit, sed non nisi durante metu vel spe; hac vero aut illo adempto manet alter sui juris. § 11. Judicandi facultas eatenus etiam alterius juris esse potest, quatenus mens potest ab altero decipi. Ex quo sequitur mentem

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list, ja überhaupt nichts, wozu der Trieb einlädt. Das ist nicht verwunderlich, unterliegt doch die Natur nicht den Gesetzen einer menschlichen Vernunft, die auf nichts als auf den wahren Nutzen der Menschen und damit auf deren Erhaltung aus ist, sondern unendlich vielen anderen, die die ewige Ordnung der ganzen Natur, von der der Mensch nur ein bescheidener Teil ist, betreffen, aus deren bloßer Notwendigkeit heraus alle Individuen bestimmt sind, in bestimmter Weise zu existieren und sich zu betätigen. Wenn uns also etwas in der Natur als lächerlich, widersinnig oder schlecht erscheint, dann deshalb, weil wir die Dinge nur zum Teil erkennen, die Ordnung und den Zusammenhang der Natur im Ganzen aber größtenteils nicht kennen, und weil wir alles nach der Vorschrift unserer Vernunft eingerichtet sehen wollen. Doch ist das, was die Vernunft für schlecht erklärt, nicht schlecht im Hinblick auf die Ordnung und die Gesetze der Natur im ganzen, sondern allein im Hinblick auf die Gesetze bloß unserer Natur. § 9. Außerdem folgt daraus, daß jeder so lange unter dem Recht eines anderen steht, wie er unter dessen Gewalt steht, und nur so weit unter eigenem Recht, wie er alle Gewalttätigkeit zurückweisen und einen ihm zugefügten Schaden nach eigenem Gutdünken vergelten kann, d. h. uneingeschränkt gesprochen, wie er nach seiner eigenen Sinnesart leben kann. § 10. Derjenige hat einen anderen in seiner Gewalt, der ihn gefesselt hält, ihm die Waffen und die Mittel, sich selbst zu verteidigen oder auch zu fliehen, genommen hat, ihm Furcht eingeflößt hat oder ihn durch Begünstigung so für sich gewonnen hat, daß er lieber ihm als sich selbst willfahren, d. h. lieber nach dessen als nach der eigenen Ansicht leben will. Wer nach der ersten oder zweiten Art einen anderen in seiner Gewalt hat, beherrscht nur dessen Körper, nicht dessen Geist. Nach der dritten oder vierten Art hat er sowohl den Geist wie den Körper des anderen seinem Recht unterworfen, freilich nur so lange, wie die Furcht oder die Hoffnung andauern; verschwinden diese Affekte, bleibt der andere wie zuvor unter eigenem Recht. § 11. Die Urteilsfähigkeit kann auch insofern unter dem Recht eines anderen stehen, als der Geist von einem anderen getäuscht



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eatenus sui juris omnino esse, quatenus recte uti potest ratione. Imo quia humana potentia non tam ex corporis robore quam ex mentis fortitudine aestimanda est, hinc sequitur illos maxime sui juris esse, qui maxime ratione pollent quique maxime eadem ducuntur. Atque adeo hominem eatenus liberum omnino voco, quatenus ratione ducitur, quia eatenus ex causis, quae per solam ejus naturam possunt adaequate intelligi, ad agendum determinatur, tametsi ex iis necessario ad agendum determinetur. Nam libertas (ut art. 7 hujus cap. ostendimus) agendi necessitatem non tollit, sed ponit. § 12. Fides alicui data, qua aliquis solis verbis pollicitus est se hoc aut illud facturum, quod pro suo jure omittere poterat vel contra, tamdiu rata manet, quamdiu ejus, qui fidem dedit, non mutatur voluntas. Nam qui potestatem habet solvendi fidem, is revera suo jure non cessit, sed verba tantum dedit. Si igitur ipse, qui naturae jure sui judex est, judicaverit, seu recte seu prave (nam errare humanum est), ex fide data plus damni quam utilitatis sequi, ex suae mentis sententia fidem solvendam esse censet, et naturae jure (per art. 9 hujus cap.) eandem solvet. § 13. Si duo simul conveniant et vires jungant, plus simul possunt et consequenter plus juris in naturam simul habent quam uterque solus; et quo plures necessitudines sic junxerint suas, eo omnes simul plus juris habebunt. § 14. Quatenus homines ira, invidia aut aliquo odii affectu conflictantur, eatenus diverse trahuntur et invicem contrarii sunt; et propterea eo plus timendi, quo plus possunt magisque

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werden kann. Folglich steht der Geist nur so weit gänzlich unter eigenem Recht, wie er richtig von der Vernunft Gebrauch machen kann. Mehr noch: Weil die menschliche Macht mehr nach der Kraft des Geistes als nach der Stärke des Körpers zu veranschlagen ist, ergibt sich, daß jene am meisten unter eigenem Recht stehen, die sich am meisten durch Vernunft auszeichnen, d. h. am meisten von ihr sich leiten lassen. Daher nenne ich einen Menschen nur so weit gänzlich frei, wie er sich von der Vernunft leiten läßt, weil er nur dann aus Ursachen, die sich durch seine Natur allein adäquat begreifen lassen, zum Handeln bestimmt wird, wenn er aus ihnen auch mit Notwendigkeit dazu bestimmt wird. Denn Freiheit (wie wir in § 7 dieses Kapitels gezeigt haben) schließt nicht die Notwendigkeit des Handelns aus, sondern stützt sich auf sie. § 12. Die jemandem gegebene Zusage, in der jemand nur mit Worten versprochen hat, dieses oder jenes zu tun, die zu geben er kraft eigenen Rechts auch unterlassen konnte, bleibt so lange in Kraft, wie sich der Wille desjenigen, der die Zusage gegeben hat, nicht ändert. Denn wer die Gewalt behält, eine Zusage zu brechen, hat sein Recht nicht tatsächlich aufgegeben, sondern bloß Worte von sich gegeben. Wenn also er, der nach dem Recht der Natur sein eigener Richter ist, geurteilt hat, einerlei ob richtig oder unrichtig (denn irren ist menschlich), daß aus der gegebenen Zusage sich für ihn mehr Schaden als Nutzen ergibt, dann meint er gemäß dieser Einschätzung, daß die Zusage zu brechen ist; und er wird sie (nach § 9 dieses Kapitels) nach dem Recht der Natur brechen. § 13. Wenn zwei [Menschen] auf einmal zusammenkommen und ihre Kräfte verbinden, dann vermögen sie zusammen mehr und haben folglich zusammen mehr Recht auf [Dinge in der] Natur als jeder für sich allein. Und je mehr Verbündete es sein werden, die so ihre Kräfte zusammengeschlossen haben, um so mehr Recht werden alle zusammen haben. § 14. In dem Maße, in dem die Menschen von Zorn, Neid oder irgendeinem anderen Affekt des Hasses mitgenommen werden, sind sie zerstritten und einander entgegengesetzt; und sie sind mehr zu fürchten, weil sie mächtiger, schlauer und verschlagener

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callidi et astuti sunt quam reliqua animalia; et quia homines ut plurimum (ut in art. 5 praec. cap. diximus) his affectibus natura sunt obnoxii, sunt ergo homines ex natura hostes. Nam is mihi maximus hostis, qui mihi maxime timendus et a quo mihi maxime cavendum est. § 15. Cum autem (per art. 9 hujus cap.) in statu naturali tamdiu unusquisque sui juris sit, quamdiu sibi cavere potest ne ab alio opprimatur, et unus solus frustra ab omnibus sibi cavere conetur, hinc sequitur, quamdiu jus humanum naturale uniuscujusque potentia determinatur et uniuscujusque est, tamdiu nullum esse, sed magis opinione quam re constare, quandoquidem nulla ejus obtinendi est securitas. Et certum est unumquemque tanto minus posse et consequenter tanto minus juris habere, quanto majorem timendi causam habet. His accedit, quod homines vix absque mutuo auxilio vitam sustentare et mentem colere possint; atque adeo concludimus jus naturae, quod humani generis proprium est, vix posse concipi, nisi ubi homines jura habent communia, qui simul terras, quas habitare et colere possunt, sibi vindicare, seseque munire vimque omnem repellere et ex communi omnium sententia vivere possunt. Nam (per art. 13 hujus cap.) quo plures in unum sic conveniunt, eo omnes simul plus juris habent; et si Scholastici hac de causa, quod scilicet homines in statu naturali vix sui juris esse possunt, velint hominem animal sociale dicere, nihil habeo, quod ipsis contradicam. § 16. Ubi homines jura communia habent omnesque una veluti mente ducuntur, certum est (per art. 13 hujus cap.) eorum unumquemque tanto minus habere juris, quanto reliqui simul ipso potentiores sunt, hoc est, illum revera jus nullum in naturam

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sind als die anderen Lebewesen. Weil Menschen nun größtenteils (wie wir in § 5 des vorherigen Kapitels gesagt haben) diesen Affekten von Natur aus unterworfen sind, sind Menschen also von Natur aus Feinde. Denn derjenige ist mein größter Feind, den ich am meisten zu fürchten und vor dem ich mich am meisten in acht zu nehmen habe. § 15. Da nun (nach § 9 dieses Kapitels) im natürlichen Zustand jeder nur so lange unter eigenem Recht steht, wie er sich vor der Unterdrückung durch einen anderen schützen kann, einer allein jedoch vergeblich sich vor allen anderen zu schützen suchte, ist das natürliche Recht des Menschen, solange es von der Macht eines einzelnen her bestimmt wird und dieser ein auf sich gestellter einzelner ist, folgerichtig so gut wie nichts; es besteht eher in der Einbildung als in Wirklichkeit, fehlt doch jegliche Sicherheit, seiner inne zu sein. Und sicherlich hat ein jeder um so weniger Macht und folglich um so weniger Recht, je mehr er Anlaß zur Furcht hat. Hinzu kommt, daß es den Menschen kaum möglich ist, ohne wechselseitige Hilfe ihr Leben auszuhalten und ihren Geist auszubilden. Daraus schließen wir, daß von einem Recht der Natur, das dem Menschengeschlecht eigen ist, kaum anders als dort gesprochen werden kann, wo die Menschen gemeinsame Rechtsgesetze haben und [auf dieser Grundlage] zusammen es vermögen, Ländereien, die sie bewohnen und bebauen können, für sich zu beanspruchen, und zugleich sich selbst zu schützen, alle Gewalttätigkeit zurückzuweisen und gemäß einem Gutdünken zu leben, das allen gemeinsam ist. Denn (nach § 13 dieses Kapitels) je mehr Individuen zu einer Einheit in dieser Weise zusammenkommen, um so mehr Recht haben sie alle zusammen. Wenn die Scholastiker aus diesem Grund, daß nämlich die Menschen im Naturzustand ihr eigenes Recht kaum aufrechterhalten können, den Menschen ein geselliges Lebewesen nennen wollen, dann habe ich gegen sie nichts einzuwenden. § 16. Wo Menschen gemeinsame Rechtsgesetze haben und alle wie von einem Geist geleitet werden, da hat sicherlich (nach § 13 dieses Kapitels) jeder von ihnen um so weniger Recht, je mehr ihn die anderen zusammen an Macht übertreffen. Das bedeutet, daß er in Wirklichkeit kein anderes Recht auf [Dinge in der]

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habere praeter id, quod ipsi commune concedit jus, caeterum quicquid ex communi consensu ipsi imperatur, teneri exequi vel (per art. 4 hujus cap.) jure ad id cogi. § 17. Hoc jus, quod multitudinis potentia definitur, imperium appellari solet. Atque hoc is absolute tenet, qui curam reipublicae ex communi consensu habet, nempe jura statuendi, interpretandi et abolendi, urbes muniendi, de bello et pace decernendi, etc. Quod si haec cura ad concilium pertineat, quod ex communi multitudine componitur, tum imperium democratia appellatur; si autem ex quibusdam tantum selectis, aristocratia; et si denique reipublicae cura et consequenter imperium penes unum sit, tum monarchia appellatur. § 18. Ex his, quae in hoc capite ostendimus, perspicuum nobis fit in statu naturali non dari peccatum, vel, si quis peccat, is sibi, non alteri peccat, quandoquidem nemo jure naturae alteri, nisi velit, morem gerere tenetur, nec aliquid bonum aut malum habere, nisi quod ipse ex suo ingenio bonum aut malum esse decernit; et nihil absolute naturae jure prohibetur, nisi quod nemo potest (vid. art. 5 et 8 hujus cap.). At peccatum actio est, quae jure fieri nequit. Quod si homines ex naturae instituto tenerentur ratione duci, tum omnes necessario ratione ducerentur. Nam naturae instituta Dei instituta sunt (per art. 2 et 3 hujus cap.), quae Deus eadem qua existit libertate instituit, quaeque adeo ex naturae divinae necessitate consequuntur (vide art. 7 hujus cap.), et consequenter aeterna sunt, nec violari possunt. Sed homines

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Natur hat als das, welches das gemeinsame Recht ihm zugesteht, und daß er im übrigen gehalten ist, alles auszuführen, was ihm aus gemeinsamer Übereinstimmung heraus befohlen wird, anders formuliert (nach § 4 dieses Kapitels) wozu er zu Recht gezwungen wird. § 17. Dieses Recht, das von der Macht der Menge her definiert wird, nennt man als Regierungsgewalt gewöhnlich die Souveränität des Staates. Derjenige hat sie vollkommen in Händen, der aus gemeinsamer Übereinstimmung heraus die Verwaltung der Staatsgeschäfte innehat; zu ihr gehört insbesondere, Rechtsgesetze zu erlassen, auszulegen und aufzuheben, Städte zu befestigen, über Krieg und Frieden zu entscheiden und anderes mehr. Kommt diese Aufgabe einer Versammlung zu, die sich aus der gesamten Menge zusammensetzt, nennt man den Staat Demokratie; man nennt ihn Aristokratie, wenn sich die Versammlung nur aus einigen Auserwählten zusammensetzt; liegt schließlich die Verwaltung der Staatsgeschäfte, und folglich die Souveränität, in den Händen nur einer Person, nennt man ihn Monarchie. § 18. Aus dem in diesem Kapitel Dargelegten wird uns deutlich, daß es im Naturzustand keine Sünde gibt; anders gesagt: wer [dort] sündigt, tut dies gegen sich, nicht gegen einen anderen. Denn vom Recht der Natur her ist niemand gehalten, einem anderen zu willfahren, es sei denn, er will es, noch irgend etwas als gut oder schlecht anzusehen, es sei denn, er selbst hält es entsprechend seiner eigenen Sinnesart für gut oder schlecht. Nichts ist vom Recht der Natur her absolut verboten, es sei denn dasjenige, was ohnehin niemand kann (vgl. §§ 5 und 8 dieses Kapitels). Eine Sünde ist aber eine Handlung, die nicht zu Recht geschehen kann. Wären die Menschen von der Einrichtung der Natur her gehalten, sich von der Vernunft leiten zu lassen, dann würden sich alle notwendigerweise von ihr leiten lassen. Denn die Einrichtungen der Natur sind Einrichtungen Gottes (nach §§ 2 und 3 dieses Kapitels), die er mit derselben Freiheit, kraft derer er existiert, bewirkt hat, die also aus der Notwendigkeit der göttlichen Natur folgen (vgl. § 7 dieses Kapitels); sie sind folglich ewig und können nicht verletzt werden. Die Menschen indessen werden meist von einem vernunftlosen



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maxime appetitu sine ratione ducuntur, nec tamen naturae ordinem perturbant, sed necessario sequuntur; ac proinde ignarus et animo impotens non magis ex naturae jure tenetur vitam sapienter instituere, quam aeger tenetur sano corpore esse. § 19. Peccatum itaque non nisi in imperio concipi potest, ubi scilicet quid bonum et quid malum sit, ex communi totius imperii jure decernitur, et ubi nemo (per art. 16 hujus cap.) jure quicquam agit, nisi quod ex communi decreto vel consensu agit. Id enim (ut in praec. art. diximus) peccatum est, quod jure fieri nequit, sive quod jure prohibetur; obsequium autem est constans voluntas id exequendi, quod jure bonum est et ex communi decreto fieri debet. § 20. Solemus tamen id etiam peccatum appellare, quod contra sanae rationis dictamen fit, et obsequium constantem voluntatem moderandi appetitus ex rationis praescripto; quod omnino probarem, si humana libertas in appetitus licentia et servitus in rationis imperio consisteret. Sed quia humana libertas eo major est, quo homo magis ratione duci et appetitus moderari potest, non possumus, nisi admodum improprie, vitam rationalem vocare obsequium, et peccatum id, quod revera mentis impotentia, non autem contra se ipsam licentia est, et per quod homo servus potius quam liber potest dici. Vide art. 7 et 11 hujus cap. § 21. Verumenimvero, quia ratio pietatem exercere et animo tranquillo et bono esse docet, quod non nisi in imperio fieri potest, et praeterea quia fieri nequit, ut multitudo una veluti mente ducatur, sicut in imperio requiritur, nisi jura habeat, quae ex rationis praescripto instituta sint, non ergo adeo improprie

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Trieb geleitet; gleichwohl stören sie dann nicht die Ordnung der Natur, sondern folgen ihr mit Notwendigkeit. Deshalb ist der Dumme, der seines Geistes nicht mächtig ist, vom Recht der Natur her nicht mehr gehalten, sein Leben weise einzurichten, als der Kranke gehalten ist, einen gesunden Körper zu haben. § 19. Sünde ist also ein Vergehen, das nur im Staat denkbar ist, dort also, wo von dem gemeinsamen Recht des alle umfassenden Staates her entschieden wird, was gut und was böse ist, und wo niemand (nach § 16 dieses Kapitels) etwas zu Recht tut, was er nicht gemäß eines gemeinsamen Beschlusses, d. h. gemäß einer Übereinstimmung, tut. Das nämlich ist (wie im vorhergehenden Paragraphen dargelegt) ein Vergehen, was nicht zu Recht geschehen kann, d. h. was vom Recht her verboten wird. Gehorsam, auf der anderen Seite, ist der beständige Wille, dasjenige auszuführen, was dem Recht nach gut ist und kraft eines gemeinsamen Beschlusses geschehen soll. § 20. Dennoch pflegen wir auch Sünde zu nennen, was gegen das Gebot der gesunden Vernunft geschieht, und Gehorsam den beständigen Willen, die Triebe nach der Vorschrift der Vernunft zu mäßigen; dem stimmte ich ganz zu, wenn die menschliche Freiheit in der Ungebundenheit des Triebes und die Knechtschaft in der Herrschaft der Vernunft bestünde. Weil aber die menschliche Freiheit um so größer ist, je größer die Kraft des Menschen ist, sich von der Vernunft leiten zu lassen und [dadurch] seine Triebe zu mäßigen, können wir nur sehr uneigentlich ein vernünftiges Leben als »Gehorsam« bezeichnen und als »Sünde« dasjenige, was in Wirklichkeit keine Vollmacht gegen die Vernunft ist, sondern eine Ohnmacht des Geistes, etwas also, wodurch jemand eher ein Sklave als ein freier Mensch genannt werden kann (vgl. §§ 7 und 11 dieses Kapitels). § 21. Gleichwohl: Weil die Vernunft lehrt, die Moralität zu praktizieren und ruhigen und guten Sinnes zu sein, was nicht anders als in einem Staat geschehen kann, und weil überdies die Menge nur dann wie von einem Geist geleitet wird, wie es in einem Staat erforderlich ist, wenn sie Rechtsgesetze hat, die der Vorschrift der Vernunft gemäß erlassen sind, nennen die Men-



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homines, qui in imperio vivere consueverunt, id peccatum vocant, quod contra rationis dictamen fit, quandoquidem optimi imperii jura (vide art. 18 hujus cap.) ex rationis dictamine institui debent. Cur autem dixerim (art. 18 hujus cap.) hominem in statu naturali sibi peccare, si quid peccat, de hoc vide cap. IV, art. 4 et 5, ubi ostenditur, quo sensu dicere possumus eum, qui imperium tenet et jure naturae potitur, legibus adstrictum esse et peccare posse. § 22. Ad religionem quod attinet, certum etiam est hominem eo magis esse liberum et sibi maxime obsequentem, quo Deum magis amat et animo magis integro colit. Verum quatenus non ad naturae ordinem, quem ignoramus, sed ad sola rationis dictamina, quae religionem concernunt, attendimus, et simul consideramus eadem nobis a Deo, quasi in nobis ipsis loquente, revelari, vel etiam haec eadem prophetis veluti jura fuisse revelata, eatenus, more humano loquendo, dicimus hominem Deo obsequi, qui ipsum integro animo amat, et contra peccare, qui caeca cupiditate ducitur. Sed interim memores esse debemus, quod in Dei potestate sumus sicut lutum in potestate figuli, qui ex eadem massa alia vasa ad decus, alia ad dedecus facit; atque adeo quod homo contra haec Dei decreta quidem, quatenus in nostra vel in prophetarum mente tanquam jura inscripta fuerunt, at non contra aeternum Dei decretum, quod in universa natura inscriptum est quodque totius naturae ordinem respicit, quidquam agere potest. § 23. Ut itaque peccatum et obsequium stricte sumptum, sic etiam justitia et injustitia non nisi in imperio possunt concipi. Nam nihil in natura datur, quod jure posset dici hujus esse et non alterius; sed omnia omnium sunt, qui scilicet potestatem

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schen, gewohnt in einem Staat zu leben, nicht uneigentlich Sünde, was gegen das Gebot der Vernunft geschieht, müssen doch die Rechtsgesetze des besten Staates (vgl. § 18 dieses Kapitels) dem Gebot der Vernunft gemäß erlassen sein. Warum ich gesagt habe (§ 18 dieses Kapitels), daß der Mensch im Naturzustand gegen sich selbst sündigt, wenn er überhaupt sündigt, dazu vergleiche §§ 4 und 5 des Kapitels IV, wo gezeigt wird, in welchem Sinn sich sagen läßt, daß der, der die Regierungsgewalt innehat und sie kraft des Rechts der Natur ausübt, an Gesetze gebunden ist und [insofern] »sündigen« kann. § 22. Was die Religion anbelangt, so ist ebenfalls unbestreitbar, daß ein Mensch um so freier ist und um so mehr sich selbst gehorcht, je mehr er Gott liebt und je reineren Herzens er ihn verehrt. Sofern wir allerdings nicht auf die Ordnung der Natur, die wir [in ihren Einzelheiten] nicht kennen, achten, sondern nur auf die die Religion betreffenden Gebote der Vernunft und zugleich erwägen, daß sie uns von Gott offenbart werden, der gleichsam in uns selbst spricht, oder auch daß sie den Propheten gleichsam als Rechtsgesetze offenbart worden sind, dann sagen wir, eine menschliche Redeweise gebrauchend, daß Gott gehorcht, wer ihn reinen Herzens liebt, und, im Gegensatz dazu, sündigt, wer von blinder Begierde sich leiten läßt. Doch müssen wir bei alledem dessen eingedenk sein, daß wir in Gottes Hand sind wie der Ton in der Hand des Töpfers, der aus derselben Masse unterschiedliche Gefäße formt, die einen zu einem ehrenden, die anderen zu einem schändlichen Gebrauch. So verstanden kann der Mensch wohl gegen die Beschlüsse Gottes, sofern sie in unserem Geist oder dem der Propheten wie Rechtsgesetze eingeschrieben sind, irgendetwas verrichten, nicht aber gegen den ewigen Beschluß Gottes, der der Natur im ganzen eingeschrieben ist und die Ordnung der ganzen Natur betrifft. § 23. Nicht anders als Sünde und Gehorsam (streng genommen) können deshalb auch Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit nur innerhalb eines Staates verständlich gemacht werden. Denn in der Natur gibt es nichts, von dem sich zu Recht sagen ließe, es gehöre diesem und nicht einem anderen; vielmehr gehören alle Dinge allen, denen nämlich, die die Gewalt haben, sie sich anzu-



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habent sibi eadem vindicandi. At in imperio, ubi communi jure decernitur, quid hujus quidque illius sit, ille justus vocatur, cui constans est voluntas tribuendi unicuique suum, injustus autem, qui contra conatur id, quod alterius est, suum facere.  § 24. Caeterum laudem et vituperium affectus esse laetitiae et tristitiae, quos comitatur idea virtutis aut impotentiae humanae tanquam causa, explicuimus in nostra Ethica. caput iii

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§ 1. Imperii cujuscunque status dicitur civilis, imperii autem integrum corpus civitas appellatur, et communia imperii negotia, quae ab ejus, qui imperium tenet, directione pendent, respublica. Deinde homines, quatenus ex jure civili omnibus civitatis commodis gaudent, cives appellamus, et subditos, quatenus civitatis institutis seu legibus parere tenentur. Denique status civilis tria dantur genera, nempe democraticum, aristocraticum et monarchicum, ut in art. 17 cap. praeced. diximus. Jam antequam de unoquoque seorsim agere incipiam, illa prius demonstrabo, quae ad statum civilem in genere pertinent; quorum ante omnia considerandum venit summum civitatis seu summarum potestatum jus. § 2. Ex art. 15 praeced. cap. patet imperii seu summarum potestatum jus nihil esse praeter ipsum naturae jus, quod potentia, non quidem uniuscujusque, sed multitudinis, quae una veluti mente ducitur, determinatur; hoc est, sicut unusquisque in statu naturali, sic etiam totius imperii corpus et mens tantum juris habet quantum potentia valet; atque adeo unusquisque civis seu subditus tanto

15 dantur] dari 16 ut] ergänzt nach NS 24 sicut] quod Korrektur Proietti

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eignen. Im Staat erst, wo nach gemeinsamem Recht entschieden wird, was diesem und was jenem gehört, wird jemand gerecht genannt; es ist derjenige, der den beständigen Willen hat, jedem das Seine zukommen zu lassen, während ungerecht ist, wer im Gegenteil danach strebt, zu dem Seinen zu machen, was einem  anderen gehört. § 24. Was im übrigen Lob und Tadel angeht, so haben wir in unserer »Ethik« erläutert, daß sie Affekte der Freude bzw. der Trauer sind, die von der Idee der menschlichen Tugend bzw. Ohnmacht als deren Ursache begleitet werden. * kapit el ii i [Von dem Recht des Staates] § 1. Der Zustand, in dem es irgendeinen Staat gibt, wird »staatlicher Zustand« genannt, der ganze Körper eines Staates »Gemeinwesen«, und die öffentlichen Aufgaben des Staates, die der Leitung dessen unterliegen, der die Staatsgewalt in den Händen hält, heißen »Staatsgeschäfte«. Ferner nennen wir Menschen, sofern sie kraft staatlichen Rechts alle Vorteile des Gemeinwesens genießen, »Bürger«, und sofern sie gehalten sind, seinen Einrichtungen oder Gesetzen zu gehorchen, »Untertanen«. Schließlich gibt es nach § 17 des vorherigen Kapitels drei Arten staatlicher Verfassung, nämlich Demokratie, Aristokratie und Monarchie. Bevor ich über jede von ihnen im einzelnen zu handeln mich anschicke, werde ich zuerst darlegen, was zu dem staatlichen Zustand im allgemeinen gehört; vor allem ist dabei das souveräne Recht des Gemeinwesens, d. h. das Recht der höchsten Gewalten, zu betrachten. § 2. Aus § 15 des vorherigen Kapitels ist klar, daß das Recht des Staates oder der höchsten Gewalten nichts anderes ist als eben das Recht der Natur, das von der Macht, nun nicht mehr jedes einzelnen, sondern der wie von einem Geist geleiteten Menge her bestimmt wird. Gerade so wie im Fall eines einzelnen im Naturzustand hat also auch der Körper und der Geist des ganzen Staates so viel Recht, wie weit dessen Macht reicht. Und so hat

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minus juris habet, quanto ipsa civitas ipso potentior est (vide art. 16 praeced. cap.), et consequenter unusquisque civis nihil jure agit nec habet praeter id, quod communi civitatis decreto defendere potest. § 3. Si civitas alicui concedat jus et consequenter potestatem (nam alias per art. 12 praeced. cap. verba tantum dedit) vivendi ex suo ingenio, eo ipso suo jure cedit et in eum transfert, cui talem potestatem dedit. Si autem duobus aut pluribus hanc potestatem dedit, ut scilicet unusquisque ex suo ingenio vivat, eo ipso imperium divisit; et si denique unicuique civium hanc eandem potestatem dedit, eo ipso sese destruxit, nec manet amplius civitas, sed redeunt omnia ad statum naturalem; quae omnia ex praecedentibus manifestissima fiunt. Atque adeo sequitur nulla ratione posse concipi, quod unicuique civi ex civitatis instituto liceat ex suo ingenio vivere, et consequenter hoc jus naturale, quod scilicet unusquisque sui judex est, in statu civili necessario cessat. Dico expresse ex civitatis instituto; nam jus naturae uniuscujusque (si recte rem perpendamus) in statu civili non cessat. Homo namque tam in statu naturali quam civili ex legibus suae naturae agit suaeque utilitati consulit. Homo, inquam, in utroque statu spe aut metu ducitur ad hoc aut illud agendum vel omittendum; sed praecipua inter utrumque statum differentia est, quod in statu civili omnes eadem metuant, et omnibus una eademque securitatis sit causa et vivendi ratio; quod sane judicandi facultatem uniuscujusque non tollit. Qui enim omnibus civitatis mandatis obtemperare constituit, sive ejus potentiam metuit vel quia tran-

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jeder, Bürger oder Untertan, um so weniger Recht, je mehr ihn das Gemeinwesen an Macht übertrifft (vgl. § 16 des vorherigen Kapitels); und folglich tut oder besitzt jeder Bürger zu Recht nur, was er kraft eines gemeinsamen Beschlusses des Gemeinwesens in Anspruch nehmen kann. § 3. Wenn das Gemeinwesen irgendeinem das Recht und folglich die Gewalt (denn anderenfalls hat es ihm nach § 12 des vorherigen Kapitels nur Worte gegeben) einräumt, nach seiner eigenen Sinnesart zu leben, dann begibt es sich des ihm eigenen Rechts und überträgt es auf denjenigen, dem es eine solche Gewalt gewährt hat. Wenn es zweien oder mehreren diese Gewalt gewährt, daß nämlich ein jeder nach seiner Sinnesart lebt, dann hat es genau damit die Souveränität des Staates geteilt. Und wenn es schließlich jedem Bürger ebendiese Gewalt gewährt, dann hat es sich damit selbst zerstört und bleibt nicht weiter ein Gemeinwesen; vielmehr kehrt dann alles in den Naturzustand zurück, was alles aus dem vorher Gesagten ganz offensichtlich ist. Deshalb läßt sich in keiner Weise denken, daß das Prinzip des Gemeinwesens einem jeden erlaubte, nach seiner eigenen Sinnesart zu leben; und folglich verschwindet das natürliche Recht jedes einzelnen, Richter über sich selbst zu sein, notwendigerweise im staatlichen Zustand. Ich sage ausdrücklich »das Prinzip des Gemeinwesens«; denn das jedem einzelnen Menschen zukommende Recht der Natur (wenn wir nur gründlich untersuchen, was es ist) verschwindet im staatlichen Zustand nicht. Der Mensch, im staatlichen Zustand nicht anders als im natürlichen, handelt nämlich kraft der Gesetze seiner Natur und ist auf den eigenen Vorteil bedacht. Der Mensch, sage ich, wird in beiden Zuständen von Hoffnung oder Furcht geleitet, dieses oder jenes zu tun oder nicht zu tun. Doch liegt der Hauptunterschied zwischen beiden Zuständen darin, daß im staatlichen Zustand alle dasselbe fürchten und daß es für alle ein und denselben Urheber von Sicherheit gibt und [damit auch] ein und dieselbe Lebensweise, etwas, das gewiß nicht die Urteilsfähigkeit des einzelnen aufhebt. Wer sich nämlich vorgenommen hat, allen Anordnungen des Gemeinwesens zu gehorchen, sei es weil er dessen Macht fürchtet, sei es weil er ein ruhiges Leben liebt, der ist doch gewiß

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quillitatem amat, is profecto suae securitati suaeque utilitati ex suo ingenio consulit. § 4. Praeterea concipere etiam non possumus, quod unicuique civi liceat civitatis decreta seu jura interpretari. Nam si hoc unicuique liceret, eo ipso sui judex esset, quandoquidem unusquisque facta sua specie juris nullo negotio excusare seu adornare posset et consequenter ex suo ingenio vitam institueret, quod (per art. praeced.) est absurdum. § 5. Videmus itaque unumquemque civem non sui sed civitatis juris esse, cujus omnia mandata tenetur exequi, nec ullum habere jus decernendi, quid aequum, quid iniquum, quid pium, quidve impium sit; sed contra, quia imperii corpus una veluti mente duci debet et consequenter civitatis voluntas pro omnium voluntate habenda est, id, quod civitas justum et bonum esse decernit, tanquam ab unoquoque decretum esse censendum est; atque adeo, quamvis subditus civitatis decreta iniqua esse censeat, tenetur nihilominus eadem exequi. § 6. At objici potest, an non contra rationis dictamen est se alterius judicio omnino subjicere, et consequenter, an status civilis rationi non repugnat. Ex quo sequeretur statum civilem irrationalem esse nec posse creari nisi ab hominibus ratione destitutis, at minime ab iis, qui ratione ducuntur. Sed quoniam ratio nihil contra naturam docet, non potest ergo sana ratio dictare, ut unusquisque sui juris maneat, quamdiu homines affectibus sunt obnoxii (per art. 15 praeced. cap.), hoc est (per art. 5 cap. I), ratio hoc posse fieri negat. Adde quod ratio omnino docet pacem quaerere, quae quidem obtineri nequit nisi communia civitatis jura inviolata serventur; atque adeo, quo homo ratione magis ducitur, hoc est (per art. 11 praeced. cap.), quo magis liber est,

11 decernendi] Proietti liest discernendi

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auf die eigene Sicherheit und den eigenen Vorteil in Übereinstimmung mit der eigenen Sinnesart bedacht. § 4. Nicht denkbar ist ferner, daß es jedem Bürger freistünde, die Beschlüsse oder Rechtsgesetze des Gemeinwesens selber auszulegen. Denn wäre das einem jeden erlaubt, wäre dieser ebendamit Richter über sich selbst, könnte doch dann ein jeder seine Taten unter einem Anschein von Recht mühelos rechtfertigen oder beschönigen; er würde folglich sein Leben nach seinem eigenen [bloß privaten] Sinn gestalten, was (nach dem vorherigen §) widersinnig ist. § 5. Wir sehen also: Jeder Bürger steht nicht unter seinem eigenen Recht, sondern unter dem des Gemeinwesens, dessen Anordnungen insgesamt er zu befolgen gehalten ist; und er hat kein Recht zu bestimmen, was billig, was unbillig, was moralisch oder unmoralisch ist. Im Gegenteil, weil der Körper des Staates wie von einem Geist geleitet sein muß und folglich der Wille des Gemeinwesens für den Willen aller genommen werden muß, ist das, was das Gemeinwesen als gerecht und gut beschließt, so anzusehen, als sei es von jedem einzelnen beschlossen worden. Und deshalb ist der Untertan gehalten, die Beschlüsse des Gemeinwesens, selbst wenn er sie für unbillig hält, dennoch zu befolgen. § 6. Aber ist es nicht, so kann man einwenden, dem Gebot der Vernunft zuwider, sich dem Urteil eines anderen gänzlich zu unterwerfen, und widerstreitet deshalb nicht der staatliche Zustand der Vernunft? Daraus würde folgen, daß der staatliche Zustand unvernünftig ist und nur von Menschen, die der Vernunft beraubt sind, geschaffen werden kann, nicht jedoch von denen, die von ihr sich leiten lassen. Da aber die Vernunft nichts gegen die Natur vorbringt, kann die gesunde Vernunft nicht enthalten, daß jeder sein eigenes Recht sich erhält, solange die Menschen den Affekten ausgesetzt sind (nach § 15 des vorherigen Kapitels); d. h. (nach § 5 des Kapitels I): die Vernunft verneint gerade, daß dies der Fall sein könnte. Hinzu kommt, daß die Vernunft durchaus lehrt, den Frieden zu suchen, der sich gewiß nur aufrecht erhalten läßt, wenn die gemeinsamen Rechtsgesetze des Gemeinwesens unangetastet bleiben. Je mehr also ein Mensch sich von der Vernunft leiten läßt, d. h. (nach § 11 des vorherigen



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eo constantius civitatis jura servabit et summae potestatis, cujus subditus est, mandata exequetur. Ad quod accedit, quod status civilis naturaliter instituitur ad metum communem adimendum et communes miserias propellendum, ac proinde id maxime intendit, quod unusquisque, qui ratione ducitur, in statu naturali conaretur, sed frustra (per art. 15 praeced. cap.). Quapropter si homini, qui ratione ducitur, id aliquando ex civitatis mandato faciendum est, quod rationi repugnare novit, id damnum longe compensatur bono, quod ex ipso statu civili haurit. Nam rationis etiam lex est, ut ex duobus malis minus eligatur. Ac proinde concludere possumus neminem quicquam contra suae rationis praescriptum agere, quatenus id agit, quod jure civitatis faciendum est; quod nobis facilius unusquisque concedet, postquam explicuerimus, quo usque civitatis potentia et consequenter jus se extendit. § 7. Nam considerandum primum venit, quod sicuti in statu naturali (per art. 11 praeced. cap.) ille homo maxime potens maximeque sui juris est, qui ratione ducitur, sic etiam illa civitas maxime erit potens et maxime sui juris, quae ratione fundatur et dirigitur. Nam civitatis jus potentia multitudinis, quae una veluti mente ducitur, determinatur. At haec animorum unio concipi nulla ratione posset, nisi civitas id ipsum maxime intendat, quod sana ratio omnibus hominibus utile esse docet. § 8. Secundo venit etiam considerandum, quod subditi eatenus non sui sed civitatis juris sint, quatenus ejus potentiam seu minas metuunt, vel quatenus statum civilem amant (per art. 10 praeced. cap.). Ex quo sequitur, quod ea omnia, ad quae agenda

21 At haec] Adhaec

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Kapitels) je freier er ist, um so fester wird er die Rechtsgesetze des Gemeinwesens beachten und die Anordnungen des Souveräns, dessen Untertan er ist, befolgen. Hinzu kommt noch, daß der staatliche Zustand natürlicherweise geschaffen wird, um die überall anzutreffende Furcht zu beseitigen und das weithin verbreitete Elend abzuwehren; und deshalb ist das, worauf dieser Zustand im höchsten Maße aus ist, auch das, was jeder einzelne, der sich von der Vernunft leiten läßt, im Naturzustand erstrebt, wenn auch dort vergeblich (nach § 15 des vorherigen Kapitels). Wenn deshalb ein Mensch, der von der Vernunft sich leiten läßt, manchmal auf Anordnung des Gemeinwesens etwas tun muß, von dem er weiß, daß es der Vernunft widerspricht, dann wird dieser Schaden bei weitem durch das Gute kompensiert, das er gerade dem staatlichen Zustand verdankt. Denn es ist auch ein Gesetz der Vernunft, von zwei Übeln das geringere zu wählen. Wir können daraus schließen, daß niemand gegen die Vorschrift seiner Vernunft etwas tut, wenn er tut, was nach dem Recht des Gemeinwesens zu tun ist. Das wird uns jeder ohne weiteres zugeben, wenn wir erklärt haben werden, wie weit die Macht und damit das Recht des Gemeinwesens sich erstreckt. § 7. Denn erstens ist zu beachten, daß, wie im Naturzustand (nach § 11 des vorherigen Kapitels) derjenige Mensch am mächtigsten ist und am meisten unter eigenem Recht steht, der von der Vernunft sich leiten läßt, auch dasjenige Gemeinwesen am mächtigsten ist und am meisten unter eigenem Recht steht, das auf der Vernunft sich gründet und dadurch sich regiert. Denn das Recht des Gemeinwesens wird von der Macht der Menge, die wie von einem Geist geleitet wird, her bestimmt. Diese geistige Einheit wäre aber in keiner Weise denkbar, wenn nicht das Gemeinwesen im höchsten Maße auf das aus wäre, was die gesunde Vernunft als nützlich für alle Menschen ausgibt. § 8. Zweitens ist auch zu beachten, daß die Untertanen so weit nicht unter eigenem Recht stehen, sondern unter dem des Gemeinwesens, wie sie dessen Macht und die damit verbundenen Drohungen fürchten oder wie sie den staatlichen Zustand, [von ihm etwas erhoffend], lieben (nach § 10 des vorherigen Kapitels). Daraus folgt, daß all die Handlungen, zu denen niemand



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nemo praemiis aut minis induci potest, ad jura civitatis non pertineant. Ex. gr. judicandi facultate nemo cedere potest; quibus enim praemiis aut minis induci potest homo, ut credat totum non esse sua parte majus, aut quod Deus non existat, aut quod corpus, quod videt finitum, ens infinitum esse credat, et absolute ut aliquid contra id, quod sentit vel cogitat, credat? Sic etiam quibus praemiis aut minis induci potest homo, ut amet quem odit, vel ut odio habeat quem amat? Atque huc etiam illa referenda sunt, a quibus humana natura ita abhorret, ut ipsa omni malo pejora habeat, ut quod homo testem contra se agat, ut se cruciet, ut parentes interficiat suos, ut mortem vitare non conetur et similia, ad quae nemo praemiis nec minis induci potest. Quod si tamen dicere velimus civitatem jus sive potestatem habere talia imperandi, id nullo alio sensu poterimus concipere, nisi quo quis diceret hominem jure posse insanire et delirare. Quid enim aliud nisi delirium jus illud esset, cui nemo adstrictus esse potest? Atque hic de iis expresse loquor, quae juris civitatis esse nequeunt et a quibus natura humana plerumque abhorret. Nam quod stultus aut vesanus nullis praemiis neque minis induci possit ad exequenda mandata, et quod unus aut alter, ex eo quod huic aut illi religioni addictus sit, imperii jura omni malo pejora judicat, jura tamen civitatis irrita non sunt, quandoquidem iisdem plerique civis continentur; ac proinde, quia ii, qui nihil timent neque sperant, eatenus sui juris sunt (per art. 10 praeced. cap.), sunt ergo (per art. 14 praeced. cap.) imperii hostes, quos jure cohibere licet. § 9. Tertio denique considerandum venit ad civitatis jus ea minus pertinere, quae plurimi indignantur. Nam certum est homi-

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durch Belohnungen oder Drohungen gebracht werden kann, nicht Gegenstand der Rechtsgesetze eines Gemeinwesens sind. Beispielsweise kann niemand seine Urteilsfähigkeit aufgeben; denn welche Belohnungen oder Drohungen können einen Menschen zu dem Glauben bringen, daß das Ganze nicht größer ist als einer seiner Teile, daß Gott nicht existiert oder ein Körper, dessen Begrenztheit sichtbar ist, ein unbegrenztes Seiendes ist, allgemein gesprochen, dazu bringen, daß er das Gegenteil von dem, was er fühlt oder denkt, glaubte? Durch welche Belohnungen oder Drohungen sollte ferner ein Mensch dazu gebracht werden, den zu lieben, den er haßt, oder den zu hassen, den er liebt? Hierzu ist auch zu rechnen, was der menschlichen Natur so zuwiderläuft, daß es als schlimmer gilt als alles Übel: Zeugnis gegen sich selbst ablegen, sich selbst martern, seine Eltern töten, dem Tod nicht entgehen wollen und ähnliches, wozu niemand durch Drohungen oder Belohnungen gebracht werden kann. Wollten wir trotzdem sagen, das Gemeinwesen habe das Recht oder die Gewalt, dergleichen zu befehlen, so nur in dem Sinne, wie sich sagen ließe, ein Mensch könne zu Recht toll und verrückt sein. Aber was wäre ein solches Recht, zu dem niemand genötigt werden kann, anderes als Wahnsinn? Ich rede hier ausdrücklich von dem, was nicht zu dem Recht des Gemeinwesens gehören kann, nämlich von dem, was der menschlichen Natur gewöhnlich zuwiderläuft. Mag ja auch ein Tor oder ein Narr durch keine Belohnungen und Drohungen dazu gebracht werden können, Anordnungen zu befolgen, und mag der eine oder andere, dieser oder jener [sektiererischen] Religion ergeben, die Rechtsgesetze des Staates für schlimmer als jedes Übel halten, so sind in einem Gemeinwesen dessen Rechtsgesetze doch nicht wirkungslos, da ja die größte Zahl seiner Bürger von ihnen umfaßt wird. Und deshalb sind die, die nichts fürchten und nichts hoffen und insoweit nur ihrem eigenen Recht unterliegen (nach § 10 des vorherigen Kapitels), Feinde des Staates (nach § 14 des vorherigen Kapitels), die in Schranken zu halten zu Recht erlaubt ist. § 9. Drittens ist schließlich zu beachten, daß am wenigsten zum Recht des Gemeinwesens gehört, was bei den meisten Em-

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nes naturae ductu in unum conspirare, vel propter communem metum, vel desiderio damnum aliquod commune ulciscendi; et quia jus civitatis communi multitudinis potentia definitur, certum est potentiam civitatis et jus eatenus minui, quatenus ipsa causas praebet, ut plures in unum conspirent. Habet certe civitas quaedam sibi metuenda, et sicut unusquisque civis sive homo in statu naturali, sic civitas eo minus sui juris est, quo majorem timendi causam habet. Atque haec de jure summarum potestatum in subditos; jam antequam de earundem in alios jure agam, solvenda videtur quaestio, quae de religione moveri solet. § 10. Nam objici nobis potest, an status civilis et subditorum obedientia, qualem in statu civili requiri ostendimus, non tollat religionem, qua Deum colere tenemur. Sed si rem ipsam perpendamus, nihil reperiemus, quod possit scrupulum injicere. Mens enim, quatenus ratione utitur, non summarum potestatum, sed sui juris est (per art. 11 cap. praeced.). Atque adeo vera Dei cognitio et amor nullius imperio subjici potest, ut nec erga proximum charitas (per art. 8 hujus cap.); et si praeterea consideremus summum charitatis exercitium esse illud, quod ad pacem tuendam et concordiam conciliandam fit, non dubitabimus illum revera suo officio functum esse, qui unicuique tantum auxilii fert, quantum jura civitatis, hoc est concordia et tranquillitas, concedunt. Ad externos cultus quod attinet, certum est illos ad veram Dei cognitionem et amorem, qui ex ea necessario sequitur, nihil prorsus juvare nec nocere posse; atque adeo non tanti faciendi sunt, ut propter ipsos pax et tranquillitas publica perturbari me-

2 metum] Proietti ergänzt gemäß Kap. III, § 8 spem vel metum

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pörung hervorruft. Denn sicherlich liegt es in der Natur der Menschen, sich konspirativ zusammenzutun, sei es aufgrund einer gemeinsamen Furcht, sei es aus dem Verlangen, einen gemeinsam erlittenen Schaden zu rächen; und weil das Recht des Gemeinwesens von der gemeinsamen Macht der Menge her definiert wird, verringert sich sicherlich dessen Recht, d. h. dessen Macht, in dem Maße, in dem es selber Veranlassung gibt, daß viele sich [aus diesen Gründen] zusammenrotten. Und so hat sicherlich auch das Gemeinwesen einiges zu befürchten; nicht anders als jeder Bürger oder jeder Mensch im Naturzustand steht auch das Gemeinwesen um so weniger unter eigenem Recht, je mehr es Grund zur Furcht hat. So viel vom Recht der höchsten Gewalten gegenüber den Untertanen. Bevor ich von ihrem Recht gegenüber anderen Staaten handle, ist wohl noch eine Frage zu klären, die sich traditionell in Anbetracht der Religion stellt. § 10. Man kann uns nämlich einwenden, ob der staatliche Zustand und der, wie wir gezeigt haben, mit ihm verbundene Gehorsam der Untertanen nicht die Religion aufhebe, die uns verpflichtet, Gott zu verehren. Wenn wir aber den Sachverhalt, wie er wirklich ist, genau erwägen, wird sich nichts finden lassen, was ein solches Besorgnis hervorrufen könnte. Der Geist unterliegt nämlich, sofern er die Vernunft gebraucht, seinem eigenen Recht und nicht dem der höchsten Gewalten (nach § 11 des vorherigen Kapitels). Deshalb kann die Erkenntnis Gottes und die wahre Liebe zu ihm niemandes Herrschaft unterworfen sein, so wenig wie die Nächstenliebe (nach § 8 dieses Kapitels). Und wenn wir außerdem beachten, daß die höchste Form der Nächstenliebe darauf bedacht ist, Frieden zu sichern und Eintracht zu stiften, werden wir nicht daran zweifeln, daß derjenige tatsächlich seine Pflicht erfüllt hat, der jedem so viel Beistand leistet, wie es die Rechtsgesetze des Gemeinwesens, die ja an Eintracht und ruhigem Leben orientiert sind, zulassen. Was den äußeren Kult angeht, so gilt, daß er für die wahre Erkenntnis Gottes und die daraus notwendigerweise hervorgehende Liebe zu Gott weder schädlich noch nützlich sein kann. Deshalb ist er nicht so wichtig zu nehmen, daß es sich lohnte, seinetwegen Frieden und öffentliche Ruhe zu gefährden. Im übrigen ist es



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reatur. Caeterum certum est me jure naturae, hoc est (per art. 3 praec. cap.) ex divino decreto, non esse religionis vindicem. Nam nulla mihi est, ut olim Christi discipulis fuit, potestas ejiciendi spiritus immundos et faciendi miracula, quae sane potestas adeo necessaria est ad propagandam religionem in locis ubi interdicta est, ut sine ipsa non tantum oleum et opera, ut ajunt, perdatur, sed plurimae insuper creentur molestiae, cujus rei funestissima exempla omnia viderunt saecula. Unusquisque igitur, ubicunque sit, Deum potest vera religione colere sibique prospicere, quod viri privati officium est. Caeterum cura religionis propagandae Deo vel summis potestatibus, quibus solis incumbit reipublicae habere curam, committenda est. Sed ad propositum revertor. § 11. Jure summarum potestatum in cives et subditorum officio explicato, superest ut earum jus in reliqua consideremus, quod jam ex dictis facile cognoscitur. Nam quandoquidem (per art. 2 hujus cap.) jus summae potestatis nihil est praeter ipsum naturae jus, sequitur duo imperia ad invicem sese habere ut duo homines in statu naturali, excepto hoc, quod civitas sibi cavere potest, ne ab alia opprimatur; quod homo in statu naturali non potest, nimirum qui quotidie somno, saepe morbo aut animi aegritudine et tandem senectute gravatur, et praeter haec aliis incommodis est obnoxius, a quibus civitas securam se reddere potest. § 12. Civitas igitur eatenus sui juris est, quatenus sibi consulere et cavere potest, ne ab alia opprimatur (per art. 9 et 15 praec. cap.), et (per art. 10 et 15 praec. cap.) eatenus alterius juris, quatenus alterius civitatis potentiam timet, vel quatenus ab ea impeditur, quo minus id quod vult exequatur, vel denique quatenus

3 discipulis fuit, potestas ejiciendi] discipulis potestas fuit, ejiciendi Korrektur Proietti

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gewiß, daß mich das Recht der Natur, d. h. (nach § 3 des vorherigen Kapitels) göttlicher Beschluß, nicht zu einem Verfechter der Religion macht. Denn ich habe, anders als ehedem die Jünger Christi, keinerlei Vermögen, unreine Geister auszutreiben und Wunder zu vollbringen, ein Vermögen, das fürwahr erforderlich ist, die Religion in Orten, in denen sie verboten ist, zu verbreiten, soll nicht nur, wie man sagt, Hopfen und Malz verloren sein, sondern auch nicht, und das ist wichtiger, die Fülle an Unheil entstehen, von dem jedes Zeitalter höchst traurige Beispiele erlebt hat. Jeder kann also, an welchem Ort auch immer, Gott mit wahrer Religion verehren und für sein eigenes Heil sorgen, eine Aufgabe, die ihm als Privatperson zukommt. Ansonsten soll man die Aufgabe einer Verbreitung von Religion Gott überlassen oder den höchsten Gewalten, denen allein die Führung der Staatsgeschäfte obliegt. Doch nun komme ich zu meinem Vorhaben zurück. § 11. Nach den Ausführungen zum Recht der höchsten Gewalten über die Bürger und zur Schuldigkeit der Untertanen bleibt noch das Recht der höchsten Gewalten gegenüber anderen Staaten zu betrachten, das sich aus dem schon Gesagten leicht verstehen läßt. Weil das Recht des Souveräns (nach § 2 dieses Kapitels) in der Tat nichts als eben das Recht der Natur ist, verhalten sich folglich zwei Staaten so zueinander wie zwei Menschen im Naturzustand, bloß daß ein Gemeinwesen sich vor der Unterdrückung durch ein anderes selbst schützen kann, was ein Mensch im Naturzustand nicht kann, braucht dieser doch täglich Schlaf, ist häufig Krankheit oder Kummer ausgesetzt, muß am Ende das Alter ertragen und ist darüber hinaus noch anderen Beschwerden unterworfen, vor denen ein Gemeinwesen sich selbst schützen kann. § 12. Ein Gemeinwesen steht also so weit unter eigenem Recht, wie es für sich selbst sorgen und sich vor Unterdrückung durch ein anderes Gemeinwesen schützen kann (nach §§ 9 und 15 des vorherigen Kapitels); es ist (nach §§ 10 und 15 des vorherigen Kapitels) so weit fremdem Recht unterworfen, wie es die Macht eines anderen Gemeinwesens fürchtet oder auch wie es von ihm an der Ausführung der eigenen Absichten gehindert



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ipsius auxilio ad sui conservationem vel incrementum indiget. Nam dubitare nequaquam possumus, quin, si duae civitates invicem mutuum auxilium praestare volunt, ambae simul plus possint et consequenter plus juris simul habeant quam alterutra sola. Vid. art. 13 cap. praec. § 13. Haec autem clarius intelligi possunt, si consideremus, quod duae civitates natura hostes sunt; homines enim (per art. 14 praec. cap.) in statu naturali hostes sunt; qui igitur jus naturae extra civitatem retinent, hostes manent. Si itaque altera civitas alteri bellum inferre et extrema adhibere media velit, quo eam sui juris faciat, id ei jure tentare licet, quandoquidem, ut bellum geratur, ei sufficit ejus rei habere voluntatem. At de pace nihil statuere potest nisi connivente alterius civitatis voluntate. Ex quo sequitur jura belli uniuscujusque civitatis esse; pacis autem non unius, sed duarum ad minimum civitatum esse jura, quae propterea confoederatae dicuntur. § 14. Hoc foedus tamdiu fixum manet, quamdiu causa foederis pangendi, nempe metus damni seu lucri spes, in medio est; hac autem aut illo civitatum alterutri adempto, manet ipsa sui juris (per art. 10 praec. cap.) et vinculum, quo civitates invicem adstrictae erant, sponte solvitur. Ac proinde unicuique civitati jus integrum est solvendi foedus, quandocunque vult, nec dici potest, quod dolo vel perfidia agat, propterea quod fidem solvit simulatque metus vel spei causa sublata est; quia haec conditio unicuique contrahentium aequalis fuit, ut scilicet quae prima extra metum esse posset, sui juris esset eoque ex sui animi sententia uteretur; et praeterea quia nemo in futurum contrahit nisi positis praecedentibus circumstantiis; his autem mutatis totius status

6 intelligi] intellegi

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wird oder schließlich wie es für die eigene Erhaltung oder sein Wachstum auf dessen Hilfe angewiesen ist. Denn, wenn zwei Gemeinwesen sich wechselseitig beistehen wollen, sind sie zweifellos zusammen mächtiger und haben folglich zusammen mehr Recht als eines von ihnen allein (vgl. § 13 des vorherigen Kapitels). § 13. Noch klarer läßt sich dies verstehen, wenn man bedenkt, daß zwei Gemeinwesen von Natur aus Feinde sind; Menschen sind nämlich (nach § 14 des vorherigen Kapitels) im Naturzustand Feinde; diejenigen, die außerhalb der Grenzen des Gemeinwesens am Recht der Natur festhalten, bleiben also Feinde. Wenn demnach ein Gemeinwesen einem anderen den Krieg erklären, d. h. auf die äußersten Mittel zurückgreifen will, um es dem eigenen Recht zu unterwerfen, dann ist ihm der Angriff zu Recht erlaubt, reicht ihm doch zum Kriegführen, daß es den Willen dazu hat. Über den Frieden kann es dagegen ohne den zustimmenden Willen des anderen Gemeinwesens keine Entscheidungen treffen. Folglich gehört das Recht, Krieg zu führen, zum Recht eines jeden isolierten Gemeinwesens, das Recht, Frieden zu beschließen, aber nicht zu dem bloß eines, sondern wenigstens zweier Gemeinwesen, die deshalb »Alliierte« heißen. § 14. Diese Allianz besteht so lange, wie der Anlaß sie einzugehen besteht: Furcht vor Schaden oder Hoffnung auf Profit. Verschwindet dieser Anlaß bei dem einen oder dem anderen Gemeinwesen, bleibt dieses (nach § 10 des vorherigen Kapitels) unter eigenem Recht, und das Band, mit dem sie wechselseitig verbunden waren, löst sich von selbst. Deshalb hat jedes Gemeinwesen das volle Recht, eine Allianz zu lösen, sobald es dies will, und man kann ihm dabei nicht List oder Treulosigkeit vorwerfen. Denn wenn es den Beistandspakt löst, dann deshalb, weil es keinen Grund mehr hat zu Furcht oder Hoffnung, war doch diese Bedingung bei beiden Paktierenden gleich: daß, wer zuerst die Furcht los sein konnte, unter eigenem Recht stünde, von dem er nach eigenem Gutdünken Gebrauch machen dürfe. Und hinsichtlich der Zukunft paktiert darüber hinaus ohnehin jeder nur im Rahmen zuvor gegebener Umstände; ändern sie



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etiam mutatur ratio. Et hac de causa unaquaeque confoederatarum civitatum jus retinet sibi consulendi, et unaquaeque propterea quantum potest conatur extra metum et consequenter sui juris esse, et impedire quo minus altera potentior evadat. Si quae ergo civitas se deceptam esse queritur, ea sane non confoederatae civitatis fidem, sed suarn tantummodo stultitiam damnare potest, quod scilicet salutem suam alteri, qui sui juris et cui sui imperii salus summa lex est, crediderit. § 15. Civitatibus, quae una pacem contraxerunt, jus competit dirimendi quaestiones, quae moveri possunt de pacis conditionibus seu legibus, quibus sibi invicem fidem adstrinxerunt, quandoquidem pacis jura non unius civitatis, sed contrahentium simul sunt (per art. 13 hujus cap.); quod si de iis convenire inter ipsas non possunt, eo ipso ad belli statum redeunt. § 16. Quo plures civitates simul pacem contrahunt, eo unaquaeque reliquis minus timenda, sive unicuique minor est potestas bellum inferendi; sed eo magis pacis tenetur conditiones servare, hoc est (per art. 13 hujus cap.), eo minus sui juris est, sed eo magis communi confoederatarum voluntati sese accommodare tenetur. § 17. Caeterum fides, quam sana ratio et religio servandam docet, hic minime tollitur. Nam nec ratio nec Scriptura omnem datam fidem servare docet. Cui enim pollicitus sum argentum ex. gr. quod mihi secreto servandum dedit, custodire, fidem praestare non teneor simulac noverim aut scire crediderim furtum

5 queritur] quaeritur 14 possunt] potest Korrektur Gebhardt, gestützt auf NS 19 confoederatarum] foederatorum Korrektur Proietti

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sich, dann ändert sich der Grund für den ganzen Sachverhalt. Deshalb behält sich jedes der verbündeten Gemeinwesen das Recht vor, die eigenen Interessen zu erwägen, und deshalb ist jedes, soviel es vermag, bestrebt, durch Beseitigung der Furcht unter eigenem Recht zu stehen, und [dazu gehört] zu verhindern, daß das andere mächtiger wird als es selber. Beklagt sich also ein Gemeinwesen, daß es hintergangen worden ist, dann kann es das nun wirklich nicht einer [fehlenden] Treue des Gemeinwesens, mit dem es verbunden war, anlasten, sondern nur der eigenen Dummheit, nämlich sein Wohlergehen einem anderen Gemeinwesen anvertraut zu haben, das unter eigenem Recht steht und dem das eigene Wohlergehen oberstes Gesetz ist. § 15. Gemeinwesen, die untereinander einen Friedensvertrag geschlossen haben, steht das Recht zu, Streitfragen zu schlichten, die hinsichtlich der Klauseln entstehen können, unter denen der Frieden steht, oder hinsichtlich der gesetzlichen Bestimmungen ihrer wechselseitigen Verpflichtung, weil ja rechtliche Regelungen über den Frieden nicht einem Gemeinwesen allein unterliegen, sondern den Vertragspartnern zusammen (nach § 13 dieses Kapitels); können sie sich über diese Dinge untereinander nicht einigen, fallen sie ebendadurch in den Kriegszustand zurück. § 16. Je mehr Gemeinwesen zusammen einen Friedensvertrag schließen, um so weniger ist jedes einzelne von den übrigen zu fürchten, anders formuliert, um so weniger Gewalt hat es, Krieg zu beginnen; es ist vielmehr um so mehr gehalten, die Friedensklauseln zu respektieren, steht also (nach § 13 dieses Kapitels) um so weniger unter eigenem Recht und ist deshalb um so mehr gehalten, sich dem gemeinsamen Willen der Alliierten zu beugen. § 17. Im übrigen wird die Treue, die zu bewahren die gesunde Vernunft wie die Religion lehren, hierdurch in keiner Weise angetastet. Denn weder die Vernunft noch die Heilige Schrift lehren, daß man jedes gegebene Versprechen einhalten müsse. Habe ich beispielsweise jemandem versprochen, Geld, das er mir unter vier Augen zur Verwahrung gegeben hat, aufzubewahren, dann bin ich nicht gehalten, mein Versprechen einzuhalten, sobald ich weiß oder zu wissen glaube, daß das mir zur Aufbewahrung ge-



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esse, quod mihi servandum dedit; sed rectius agam, si dem operam, ut suis restituatur. Sic etiam, si summa potestas aliquid alteri se facturam promisit, quod postea tempus seu ratio docuit aut docere videbatur communi subditorum saluti obesse, fidem sane  solvere tenetur. Cum itaque Scriptura non nisi in genere doceat fidem servare et casus singulares, qui excipiendi sunt, uniuscujusque judicio relinquat, nihil ergo docet, quod iis, quae modo ostendimus, repugnat. § 18. Sed ne toties opus sit sermonis filum interrumpere et  similes posthac objectiones solvere, monere volo me haec omnia ex naturae humanae quomodocunque consideratae necessitate demonstrasse, nempe ex universali omnium hominum conatu sese conservandi, qui conatus omnibus hominibus inest, sive ignari sive sapientes sint; ac proinde quomodocunque homines,  sive affectu sive ratione ducti, considerentur, res eadem erit, quia demonstratio, ut diximus, universalis est. caput iv § 1. Jus summarum potestatum, quod earum potentia determinatur, in praec. cap. ostendimus, idque in hoc potissimum con sistere vidimus, nempe quod imperii veluti mens sit, qua omnes duci debent; adeoque solas jus habere decernendi, quid bonum, quid malum, quid aequum, quid iniquum, hoc est, quid singulis vel omnibus simul agendum vel omittendum sit; ac proinde vidimus iis solis jus competere leges condendi easque, quando  de iis quaestio est, in quocunque singulari casu interpretandi,

15 ducti] duci Korrektur Proietti

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gebene Geld gestohlen ist; richtiger handle ich vielmehr, wenn ich mir Mühe gebe, es dem Eigentümer zurückzugeben. Ebenso, wenn ein Souverän einem anderen etwas versprochen hat, von dem sich wandelnde Umstände im Verlauf der Zeit oder auch die Vernunft gezeigt haben oder auch nur anzuzeigen scheinen, daß es dem gemeinsamen Wohlergehen der Untertanen zuwider ist, dann ist er gewiß gehalten, das Versprechen zu brechen. Da die Heilige Schrift nur im allgemeinen lehrt, Treue zu bewahren, und es dem Urteil des einzelnen überläßt, welche besonderen Fälle Ausnahmen gestatten, lehrt sie also nichts, was mit dem soeben Gesagten nicht verträglich wäre. § 18. Damit ich aber den Leitfaden der Untersuchung künftighin nicht so oft verlassen und Einwände dieser Art zurückweisen muß, will ich daran erinnern, daß ich dies alles aus einem notwendigen Element der menschlichen Natur erwiesen habe, wie immer man sie betrachten mag, nämlich aus dem allgemeinen Selbsterhaltungsstreben aller Menschen, einem Streben, das allen Menschen innewohnt, mögen sie töricht oder weise sein. Deshalb wird der zu erweisende Sachverhalt derselbe sein, ob man nun die Menschen als von der Affektivität oder der Vernunft geleitet ansieht, gilt doch der Beweis, wie gesagt, allgemein.



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kapit el iv [Von den Aufgaben des Staates] § 1. Im vorherigen Kapitel haben wir gezeigt, daß das Recht  der höchsten Gewalten von deren Macht her bestimmt wird, und gesehen, daß es im höchsten Maße darin besteht, daß es gleichsam einen Geist des Staates gibt, von dem alle geleitet sein müssen, und daß insoweit allein die höchsten Gewalten das Recht haben festzulegen, was gut und böse, was billig und unbillig ist,  d. h. was jeder einzelne oder alle zusammen zu tun und zu lassen haben. Ebenso haben wir gesehen, daß ihnen allein das Recht zusteht, Gesetze zu erlassen, diese, sofern sie in ihrem Sinn strittig sind, in jedem einzelnen Fall auszulegen und zu entscheiden,

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et decernendi, an datus casus contra vel secundum jus factus sit (vide art. 3, 4, 5 praec. cap.); deinde bellum inferendi, vel pacis conditiones statuendi et offerendi vel oblatas acceptandi. Vid. art. 12 et 13 praec. cap. § 2. Cum haec omnia ac etiam media, quae ad eadem exequenda requiruntur, omnia negotia sint, quae ad integrum imperii corpus, hoc est, quae ad rempublicam spectant, hinc sequitur rempublicam ab ejus solummodo directione pendere, qui summum habet imperium ; ac proinde sequitur solius summae potestatis jus esse de factis uniuscujusque judicandi, de factis cujuscunque rationem exigendi, delinquentes poena mulctandi et quaestiones inter cives de jure dirimendi, vel legum latarum peritos statuendi, qui haec ejus loco administrent; deinde omnia ad bellum et pacem media adhibendi et ordinandi, nempe urbes condendi et muniendi, milites conducendi, officia militaria distribuendi et quid factum velit imperandi, et pacis causa legatos mittendi et audiendi, et denique sumptus ad haec omnia exigendi. § 3. Quoniam itaque solius summae potestatis jus sit negotia publica tractandi vel ministros ad eadem eligendi, sequitur subditum imperium affectare, qui suo solo arbitrio, supremo concilio inscio, negotium aliquod publicum aggressus est, tametsi id, quod intenderat agere, civitati optimum fore crediderit. § 4. Sed quaeri solet, an summa potestas legibus adstricta sit et consequenter an peccare possit. Verum quoniam legis et peccati nomina non tantum civitatis jura, sed etiam omnium rerum naturalium et apprime rationis communes regulas respicere solent, non possumus absolute dicere civitatem nullis adstrictam esse legibus seu peccare non posse. Nam si civitas nullis legibus seu

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ob im gegebenen Fall eine Handlung dem Recht gemäß geschehen ist oder nicht (vgl. §§ 3, 4 und 5 des vorherigen Kapitels), des weiteren das Recht, Krieg zu erklären sowie Friedensklauseln festzulegen und anzubieten oder angebotene zu akzeptieren. Vgl. § 12 und 13 des vorherigen Kapitels. § 2. Da diese Aufgaben einschließlich der dafür einzusetzenden Mittel alles Geschäfte sind, die den ganzen Körper des Staates betreffen und darin das ausmachen, was man Staatsgeschäfte nennt, hängen sie auch einzig und allein von der Leitung dessen ab, der die Souveränität des Staates in Händen hat. Daraus folgt, daß die höchste Gewalt allein das Recht hat, über die Taten jedes einzelnen zu richten, über sie unangesehen der Person Rechenschaft zu verlangen, Schuldige zu bestrafen, Rechtsstreitigkeiten unter den Bürgern zu schlichten oder kompetente Rechtsverwalter zu bestellen, die diese Funktionen an ihrer Stelle ausüben. Sie hat ferner allein das Recht, alles für Krieg und Frieden Erforderliche aufzubringen und einzusetzen: Städte zu gründen und zu befestigen, Truppen auszuheben, militärische Posten zu verteilen, Order zur Durchführung von Entscheidungen zu erteilen, Friedensvermittler zu entsenden und zu empfangen und schließlich die Kosten für dies alles einzutreiben. § 3. Weil also allein dem Souverän das Recht zusteht, die öffentlichen Geschäfte zu führen oder hierfür Verwalter zu benennen, ist es eine Anmaßung der Staatsgewalt, wenn ein Untertan bloß nach eigenem Ermessen und ohne Wissen der dazu berufenen obersten Versammlung sich in irgendeiner öffentlichen Angelegenheit engagiert, selbst wenn er geglaubt hat, mit seiner Absicht das Beste im Interesse des Gemeinwesens zu tun. § 4. Freilich gibt es die traditionelle Frage, ob die höchste Gewalt an Gesetze gebunden ist und folglich sich vergehen kann. Da nun die Worte »Gesetz« und »Vergehen« gewöhnlich nicht nur auf die Rechtsgesetze eines Gemeinwesens bezogen werden, sondern auf die allen natürlichen Dingen gemeinsamen [Gesetze] und besonders auf die allgemeinen Regeln der Vernunft, läßt sich nicht uneingeschränkt sagen, daß das Gemeinwesen an keine Gesetze gebunden sei oder sich nicht vergehen könne. Denn wäre es an keine Gesetze oder Regeln gebunden, ohne die

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regulis, sine quibus civitas non esset civitas, adstricta esset, tum civitas non ut res naturalis sed ut chimaera esset contemplanda. Peccat ergo civitas, quando ea agit vel fieri patitur, quae causa esse possunt ipsius ruinae; atque tum eandem eo sensu peccare dicimus, quo philosophi vel medici naturam peccare dicunt; et hoc sensu dicere possumus civitatem peccare, quando contra rationis dictamen aliquid agit. Est enim civitas tum maxime sui juris, quando ex dictamine rationis agit (per art. 7 praeced. cap.); quatenus igitur contra rationem agit, eatenus sibi deficit seu peccat. Atque haec clarius intelligi poterunt, si consideremus, quod cum dicimus unumquemque posse de re, quae sui juris est, statuere quicquid velit, haec potestas non sola agentis potentia, sed etiam ipsius patientis aptitudine definiri debet. Si enim ex. gr. dico me jure posse de hac mensa quicquid velim facere, non hercle intelligo, quod jus habeam efficiendi, ut haec mensa herbam comedat. Sic etiam, tametsi dicimus homines non sui sed civitatis juris esse, non intelligimus, quod homines naturam humanam amittant et aliam induant, atque adeo quod civitas jus habeat efficiendi, ut homines volent, vel, quod aeque impossibile est, ut homines cum honore adspiciant ea, quae risum movent vel nauseam; sed quod quaedam circumstantiae occurrant, quibus positis ponitur subditorum erga civitatem reverentia et metus, et quibus sublatis metus et reverentia et cum his civitas una tollitur. Civitas itaque, ut sui juris sit, metus et reverentiae causas servare tenetur; alias civitas esse desinit. Nam iis vel ei, qui imperium tenet, aeque impossibile est ebrium aut nudum cum scortis per

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es ja gar nicht ein Gemeinwesen wäre, dann wäre es nicht als ein natürliches Ding, sondern als eine Chimäre anzusehen. Ein Gemeinwesen vergeht sich also, wenn es solches ausführt oder geschehen läßt, das den eigenen Untergang verursachen kann. In diesem Falle sagen wir, daß es in dem Sinne sich vergeht, in dem Philosophen und Mediziner von der Natur sagen, daß sie sich vergeht. So verstanden läßt sich sagen, daß ein Gemeinwesen sich vergeht, wenn es etwas gegen das Gebot der Vernunft ausführt. Weil es nämlich dann im höchsten Maße unter eigenem Recht steht, wenn es nach dem Gebot der Vernunft tätig ist (nach § 7 des vorherigen Kapitels), verfehlt es sich selbst oder vergeht sich in dem Maße, in dem es gegen die Vernunft handelt. Noch klarer läßt sich das verstehen, wenn wir Folgendes beachten. Wenn man sagt, ein jeder könne hinsichtlich der Sache, die unter seinem Recht steht, machen, was er wolle, dann ist diese Gewalt nicht von der Macht des Handelnden allein her zu definieren, sondern auch von der spezifischen Beschaffenheit der Sache her, in bezug auf die er etwas tut. Wenn ich beispielsweise sage, daß ich zu Recht mit diesem Tisch machen kann, was ich will, so meine ich doch wahrlich nicht, daß ich das Recht habe, den Tisch zu einem Ding zu machen, das Gras frißt! Und gleichermaßen meinen wir, wenn wir sagen, daß die Menschen nicht unter eigenem Recht, sondern unter dem des Gemeinwesens stehen, nicht, daß Menschen ihre menschliche Natur aufgeben und eine andere sich zulegen, und also auch nicht, daß das Gemeinwesen das Recht habe zu veranlassen, daß Menschen fliegen oder, was gleichermaßen unmöglich ist, mit Ehrfurcht betrachten, was Gelächter hervorruft oder Ekel erregt. Wir meinen vielmehr, daß es bestimmte Umstände gibt, deren Gegebensein bei den Untertanen Achtung und Furcht gegenüber dem Gemeinwesen hervorruft, deren Fehlen hingegen die Furcht und Achtung zum Verschwinden bringt und in eins damit das Gemeinwesen aufhebt. Ein Gemeinwesen ist deshalb, um unter eigenem Recht zu stehen, gehalten, die Ursachen für Furcht und Achtung aufrechtzuerhalten, weil anders es aufhörte, ein Gemeinwesen zu sein. Gleichermaßen unmöglich ist es, daß die Inhaber der Regierungsgewalt, mehrere oder einer, trunken oder nackt mit Huren durch die Straßen laufen,



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plateas currere, histrionem agere, leges ab ipso latas aperte violare seu contemnere, et cum his majestatem servare, ac impossibile est simul esse et non esse. Subditos deinde trucidare, spoliare, virgines rapere et similia, metum in indignationem et consequenter statum civilem in statum hostilitatis vertunt. § 5. Videmus itaque, quo sensu dicere possumus civitatem legibus teneri et peccare posse. Verum si per legem intelligamus jus civile, quod ipso jure civili vindicari potest, et peccatum id, quod jure civili fieri prohibetur, hoc est, si haec nomina genuino sensu sumantur, nulla ratione dicere possumus civitatem legibus adstrictam esse aut posse peccare. Nam regulae et causae metus et reverentiae, quas civitas sui causa servare tenetur, non ad jura civilia sed ad jus naturale spectant, quandoquidem (per art. praeced.) non jure civili sed jure belli vindicari possunt; et civitas nulla alia ratione iisdem tenetur quam homo in statu naturali, ut sui juris esse possit sive ne sibi hostis sit, cavere tenetur ne se ipsum interficiat; quae sane cautio non obsequium, sed humanae naturae libertas est. At jura civilia pendent a solo civitatis decreto, atque haec nemini nisi sibi, ut scilicet libera maneat, morem gerere tenetur, nec aliud bonum aut malum habere, nisi quod ipsa sibi bonum aut malum esse decernit; ac proinde non tantum jus habet sese vindicandi, leges condendi et interpretandi, sed etiam easdem abrogandi et reo cuicunque ex plenitudine potentiae condonandi. § 6. Contractus seu leges, quibus multitudo jus suum in unum concilium vel hominem transfert, non dubium est, quin violari

25 contractus] contractûs nach Maßgabe der NS; falsche Akzentsetzung in OP 26 transfert] transferunt Korrektur Proietti

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sich als Clown aufführen, die selbst erlassenen Gesetze offen verletzen oder mißachten und dann noch ihre Würde bewahren; das ist so unmöglich wie zu derselben Zeit zu sein und nicht zu sein. Schließlich, Untertanen zu ermorden, sie auszuplündern, junge Mädchen zu entführen und anderes dieser Art, das verkehrt Furcht in Empörung und folglich den staatlichen Zustand in einen solchen der Feindseligkeit. § 5. Wir sehen also, in welchem Sinne sich sagen läßt, daß das Gemeinwesen an Gesetze gebunden ist und sich vergehen kann. Verstehen wir aber unter »Gesetz« das vom Staat gesetzte Recht, das durch ebendieses Recht gerichtlich in Anspruch genommen werden kann, und unter »Vergehen« was dem staatlichen Recht nach verboten ist, nehmen wir also diese Worte in ihrem genuinen Sinn, dann läßt sich keineswegs sagen, daß ein Gemeinwesen an Gesetze gebunden ist oder sich vergehen kann. Denn die Regeln unterliegenden Ursachen für Furcht und Achtung, die ein Gemeinwesen im eigenen Interesse zu beachten gehalten ist, gehören nicht zu den vom Staat erlassenen Rechtsgesetzen, sondern in das Feld des natürlichen Rechts, weil sie ja (nach dem vorherigen §) kraft des Rechts des Krieges beansprucht werden können und nicht kraft staatlichen Rechts. Ein Gemeinwesen ist nur in dem Sinne an sie gebunden, in dem ein Mensch im Naturzustand, um unter eigenem Recht stehen zu können, d. h. um nicht sein eigener Feind zu sein, gehalten ist, Vorsorge gegen den eigenen Untergang zu treffen. Diese Vorsicht hat nichts mit Unterwerfung zu tun; sie gehört vielmehr zu der in der menschlichen Natur [verankerten] Freiheit. Die erlassenen Rechtsgesetze dagegen hängen allein von dem Beschluß des Gemeinwesens ab; und es ist, um frei zu bleiben, nicht gehalten, irgend jemandem als sich selbst zu willfahren und etwas anderes für gut oder schlecht zu halten, als was es selbst als gut oder schlecht für sich beschließt. Deshalb hat es nicht nur das Recht, sich selbst zu verteidigen, Gesetze zu erlassen und auszulegen, sondern auch das Recht, sie aufzuheben und jeden Schuldigen kraft seiner Machtfülle zu begnadigen. § 6. Was den Vertrag anbelangt, d. h. die Gesetze, mit denen die Menge ihr Recht auf eine Versammlung oder auf einen einzi-



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debeant, quando communis salutis interest easdem violare. At judicium de hac re, an scilicet communis salutis intersit easdem violare an secus, nemo privatus, sed is tantum, qui imperium tenet, jure ferre potest (per art. 3 hujus cap.); ergo jure civili is  solus, qui imperium tenet, earum legum interpres manet. Ad quod accedit, quod nullus privatus easdem jure vindicare possit; atque adeo eum, qui imperium tenet, revera non obligant. Quod si tamen ejus naturae sint, ut violari nequeant, nisi simul civitatis robur debilitetur, hoc est, nisi simul plerorumque civium com munis metus in indignationem vertatur, eo ipso civitas dissolvitur et contractus cessat, qui propterea non jure civili, sed jure belli vindicatur. Atque adeo is, qui imperium tenet, nulla etiam alia de causa hujus contractus conditiones servare tenetur quam homo in statu naturali, ne sibi hostis sit, tenetur cavere ne se  ipsum interficiat, ut in praeced. art. diximus. capu t v § 1. In art. 11 cap. II ostendimus hominem tum maxime sui juris esse, quando maxime ratione ducitur, et consequenter (vid. art. 7 cap. III) civitatem illam maxime potentem maximeque sui  juris esse, quae ratione fundatur et dirigitur. Cum autem optima vivendi ratio ad sese, quantum fieri potest, conservandum ea sit, quae ex praescripto rationis instituitur, sequitur ergo id omne optimum esse, quod homo vel civitas agit, quatenus maxime sui

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gen Menschen überträgt, so unterliegt es keinem Zweifel, daß sie gebrochen werden müssen, sobald es das allgemeine Wohl verlangt. Das Urteil darüber, ob das allgemeine Wohl dies verlangt oder nicht, kann aber zu Recht keiner einzelnen Person zustehen, sondern nur demjenigen, der die Regierungsgewalt innehat (nach § 3 dieses Kapitels). Also bleibt nach staatlichem Recht auch in diesem Punkt allein der Inhaber der Regierungsgewalt der Interpret jener Gesetze. Hinzu kommt, daß keine einzelne Person sie kraft gesetzten Rechts durchsetzen kann, und deshalb verpflichten sie den Inhaber der Regierungsgewalt tatsächlich nicht. Sind diese Gesetze indes von der Art, daß sie nicht verletzt werden können, ohne daß zugleich das Gemeinwesen seiner Stärke beraubt wird, d. h. ohne daß zugleich die gemeinsame Furcht der Mehrzahl der Bürger in Empörung umschlägt, dann löst sich, wenn dies geschieht, das Gemeinwesen auf; d. h.: der Vertrag zerbricht, der also nur nach dem Recht des Krieges respektiert wird, nicht aber nach staatlichem Recht. Deshalb ist der Inhaber der Regierungsgewalt auch nur aus demselben Grund gehalten, die Bedingungen dieses Vertrages zu beachten, aus dem ein Mensch im Naturzustand, um nicht sein eigener Feind zu sein, gehalten ist, Vorsorge gegen den eigenen Untergang zu treffen, wie wir im vorherigen § gesagt haben.



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kapit el v [Vom letzten und höchsten Zweck eines Staates] § 1. In § 11 des Kapitels II haben wir gezeigt, daß ein Mensch  dann in höchstem Maße unter eigenem Recht steht, wenn er sich im höchsten Maße von der Vernunft leiten läßt, und daß folglich (vgl. § 7 des Kapitels III) dasjenige Gemeinwesen im höchsten Maße über Macht verfügt und unter eigenem Recht steht, das auf der Vernunft sich gründet und dadurch sich regiert. Da nun die beste Lebensweise, um sich soweit wie möglich selbst zu erhal-  ten, diejenige ist, die sich auf die Vorschrift der Vernunft stützt, handelt folglich ein Mensch oder ein Gemeinwesen immer dann am besten, wenn er oder es dabei im höchsten Maße unter eige-

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juris est. Nam non id omne, quod jure fieri dicimus, optime fieri affirmamus; aliud namque est agrum jure colere, aliud agrum optime colere; aliud, inquam, est sese jure defendere, conservare, judicium ferre etc., aliud sese optime defendere, conservare atque optimum judicium ferre; et consequenter aliud est jure imperare et reipublicae curam habere, aliud optime imperare et rempublicam optime gubernare. Postquam itaque de jure cujuscunque civitatis in genere egimus, tempus est, ut de optimo cujuscunque imperii statu agamus. § 2. Qualis autem optimus cujuscunque imperii sit status facile ex fine status civilis cognoscitur, qui scilicet nullus alius est quam pax vitaeque securitas. Ac proinde illud imperium optimum est, ubi homines concorditer vitam transigunt et cujus jura inviolata servantur. Nam certum est, quod seditiones, bella, legumque contemptio sive violatio non tam subditorum malitiae quam pravo imperii statui imputanda sunt. Homines enim civiles non nascuntur, sed fiunt. Hominum praeterea naturales affectus ubique iidem sunt. Si itaque in una civitate malitia magis regnat pluraque peccata committuntur quam in alia, certum est id ex eo oriri, quod talis civitas non satis concordiae providerit nec jura satis prudenter instituerit, et consequenter neque jus civitatis absolutum obtinuerit. Status enim civilis, qui seditionum causas non abstulit, et ubi bellum continuo timendum, et ubi denique leges frequenter violantur, non multum ab ipso naturali statu differt, ubi unusquisque ex suo ingenio magno vitae periculo vivit.

10 optimus] fehlt in OP; ergänzt von Gebhardt nach NS

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nem Recht steht. Wir behaupten nämlich nicht, daß alles, von dem wir gesagt haben, es geschehe zu Recht, auch in bestmöglicher Weise geschieht; denn es ist etwas anderes, einen Acker zu Recht zu bestellen, als ihn in bestmöglicher Weise zu bestellen; ein anderes, sage ich, ist es, zu Recht sich zu verteidigen, sich selbst zu erhalten und ein Urteil zu fällen, als in bestmöglicher Weise sich zu verteidigen, sich selbst zu erhalten und ein Urteil zu fällen; folglich ist es etwas anderes, zu Recht zu befehlen und die Staatsgeschäfte auszuführen, als in bestmöglicher Weise zu befehlen und in bestmöglicher Weise die Staatsgeschäfte zu koordinieren. Nachdem wir von dem Recht eines jeden Gemeinwesens im allgemeinen gehandelt haben, wird es daher Zeit, von der Verfassung zu handeln, die für jeden Staat die beste ist. § 2. Welche Verfassung für einen jeden Staat die beste ist, ist leicht aus dem Zweck des staatlichen Zustandes zu erkennen, der, wohlgemerkt, nichts anderes ist als Frieden und Sicherheit des Lebens. Folglich ist jener Staat der beste, in dem die Menschen ihr Leben in Eintracht verbringen und in dem die erlassenen Rechtsgesetze unangetastet aufrechterhalten bleiben. Denn sicherlich sind Aufruhr, Kriege und Mißachtung oder Verletzung von Gesetzen nicht so sehr der Bosheit der Untertanen wie der schlechten Regierungsform eines Staates anzulasten. Menschen nämlich werden nicht als Staatsbürger geboren, sondern zu ihnen erst gemacht. Zudem sind die natürlichen Affekte der Menschen überall dieselben. Wenn also in einem Gemeinwesen mehr Bosheit herrscht und mehr Verbrechen begangen werden als in einem anderen, dann sicherlich deshalb, weil ein solches Gemeinwesen nicht genug Vorkehrungen für die Eintracht [der Menschen] getroffen und seine Rechtsgesetze nicht mit genügend Klugheit erlassen hat, das heißt aber, weil es als Gemeinwesen nicht zu dem uneingeschränkten Recht gelangt ist. Denn ein staatlicher Zustand, der die Ursachen von Aufruhr nicht beseitigt hat, in welchem zudem ständig Krieg zu befürchten ist und in welchem endlich die Gesetze oft verletzt werden, unterscheidet sich nicht sehr von dem eigentlichen Naturzustand, wo ein jeder nach eigener Sinnesart, [aber] unter großer Lebensgefahr lebt.



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§ 3. At sicut subditorum vitia nimiaque licentia et contumacia civitati imputanda sunt, ita contra eorum virtus et constans legum observantia maxime civitatis virtuti et juri absoluto tribuenda est, ut patet ex art. 15 cap II. Unde Hannibali merito eximiae virtuti ducitur, quod in ipsius exercitu nulla unquam seditio orta fuerit. § 4. Civitas, cujus subditi metu territi arma non capiunt, potius dicenda est, quod sine bello sit, quam quod pacem habeat. Pax enim non belli privatio, sed virtus est, quae ex animi fortitudine oritur; est namque obsequium (per art. 19 cap. II) constans voluntas id exequendi, quod ex communi civitatis decreto fieri debet. Illa praeterea civitas, cujus pax a subditorum inertia pendet, qui scilicet veluti pecora ducuntur, ut tantum servire discant, rectius solitudo quam civitas dici potest. § 5. Cum ergo dicimus illud imperium optimum esse, ubi homines concorditer vitam transigunt, vitam humanam intelligo, quae non sola sanguinis circulatione et aliis, quae omnibus animalibus sunt communia, sed quae maxime ratione, vera mentis virtute et vita, definitur. § 6. Sed notandum imperium, quod in hunc finem institui dixi, a me intelligi id, quod multitudo libera instituit, non autem id, quod in multitudinem jure belli acquiritur. Libera enim multitudo majori spe quam metu, subacta autem majori metu quam spe ducitur; quippe illa vitam colere, haec autem mortem tantummodo vitare studet; illa, inquam, sibi vivere studet, haec

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§ 3. Wie aber die Laster der Untertanen, ihre ungehemmte Freizügigkeit und ihre Widerspenstigkeit [der Schwäche] des Gemeinwesens anzulasten sind, so sind umgekehrt ihre Tüchtigkeit und ihr standhafter Gesetzesgehorsam der Vortrefflichkeit des Gemeinwesens, nämlich dessen uneingeschränktem Recht, beizumessen, wie nach § 15 des Kapitels II klar ist. So schreibt man es verdientermaßen der außerordentlichen Tugend des Hannibal zu, daß in seinem Heer niemals irgendein Aufruhr ausgebrochen ist. § 4. Von einem Gemeinwesen, dessen Untertanen nicht zu den Waffen greifen, weil sie von Furcht eingeschüchtert sind, läßt sich eher sagen, daß es ohne Krieg ist, als daß es sich in einem Zustand des Friedens befindet. Frieden ist nämlich nicht die Abwesenheit von Krieg, sondern eine Tugend, die einer Stärke des Charakters entspringt; denn Gehorsam ist (nach § 19 des Kapitels II) der beständige Wille auszuführen, was kraft eines gemeinsamen Beschlusses des Gemeinwesens geschehen soll. Überdies kann man ein Gemeinwesen, bei dem der Frieden von der Trägheit der Untertanen abhängt, die man wie eine Herde führt, um sie lediglich zu Sklaven abzurichten, angemessener »Einöde« als »Gemeinwesen« nennen. § 5. Wenn wir also sagen, jener Staat sei der beste, in dem die Menschen ihr Leben in Eintracht verbringen, dann verstehe ich unter menschlichem Leben etwas, das nicht bloß über den Blutkreislauf und andere [physiologische] Funktionen, die allen Lebewesen gemeinsam sind, sondern in erster Linie von der Vernunft her definiert ist, die eine Tugend des Geistes ist und das wahre [menschliche] Leben [ausmacht]. § 6. Freilich ist zu beachten, daß ich unter einem Staat, von dem ich gesagt habe, daß er zu dem genannten Zweck eingerichtet ist, einen solchen verstehe, den eine freie Menge eingerichtet hat, nicht aber einen solchen, den man sich über eine [besiegte] Bevölkerung durch Kriegsrecht verschafft. Eine freie Menge wird nämlich mehr von Hoffnung als von Furcht, eine unterworfene hingegen mehr von Furcht als von Hoffnung geleitet; jene ist darauf aus, das Leben zu gestalten, diese nur, dem Tod zu entrinnen; jene, sage ich, ist darauf aus, eigenständig zu leben, diese



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victoris esse cogitur; unde hanc servire, illam liberam esse dicimus. Finis itaque imperii, quod aliquis jure belli adipiscitur, est dominari et servos potius quam subditos habere. Et quamvis inter imperium, quod a libera multitudine creatur, et illud, quod jure belli acquiritur, si ad utriusque jus in genere attendamus, nulla essentialis detur differentia, finem tamen, ut jam ostendimus, et praeterea media, quibus unumquodque conservari debeat, admodum diversa habent. § 7. Quibus autem mediis princeps, qui sola dominandi libidine fertur, uti debet, ut imperium stabilire et conservare possit, acutissimus Machiavellus prolixe ostendit; quem autem in finem, non satis constare videtur. Si quem tamen bonum habuit, ut de viro sapiente credendum est, fuisse videtur ut ostenderet, quam imprudenter multi tyrannum e medio tollere conantur, cum tamen causae, cur princeps sit tyrannus, tolli nequeant, sed contra eo magis ponantur, quo principi major timendi causa praebetur; quod fit, quando multitudo exempla in principem edidit et parricidio quasi re bene gesta gloriatur. Praeterea ostendere forsan voluit, quantum libera multitudo cavere debet, ne salutem suam uni absolute credat, qui, nisi vanus sit et omnibus se posse placere existimet, quotidie insidias timere debet, atque adeo sibi potius cavere, et multitudini contra insidiari magis quam consulere cogitur ; et ad hoc de prudentissimo isto viro credendum magis adducor, quia pro libertate fuisse constat, ad quam etiam tuendam saluberrima consilia dedit.

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wird gezwungen, dem Sieger untertan zu sein; diese heißt deshalb versklavt, jene frei. Der Zweck eines Staates, dessen Souveränität jemand durch Kriegsrecht erlangt, ist deshalb, bloß Herrschaft auszuüben, d. h. eher Sklaven als Untertanen zu haben. Und obwohl zwischen einem Staat, der von einer freien Menge geschaffen wird, und einem solchen, den man sich kraft Kriegsrechts verschafft, kein wesentlicher Unterschied besteht, wenn man nur auf beider Recht im allgemeinen achtet, so haben sie doch, wie wir gezeigt haben, einen ganz verschiedenen Zweck und zudem auch unterschiedliche Mittel, die sie für die eigene Selbsterhaltung einsetzen müssen. § 7. Welche Mittel ein Fürst, der bloß von dem Verlangen nach Herrschaft bewegt wird, einsetzen muß, um seinen Staat stabilisieren und erhalten zu können, hat der äußerst scharfsinnige Machiavelli ausführlich gezeigt; welchen Zweck der Autor damit verfolgte, scheint freilich nicht recht klar zu sein. Hatte er jedoch einen guten, den man einem weisen Mann wohl zugestehen muß, scheint es der gewesen zu sein, zu zeigen, wie unklug das Bestreben vieler ist, einen Tyrannen aus dem Weg zu räumen, wenn sie die Ursachen, die aus dem Fürsten einen Tyrannen machen, nicht beseitigen können, sondern im Gegenteil noch vergrößern, insofern sie dem Fürsten Anlaß zur Furcht geben; und das geschieht genau dann, wenn die Menschenmenge schon Beispiele [von Feindseligkeit] gegen einen Fürsten gegeben hat und den Fürstenmord als eine gleichsam gute Tat glorifiziert. Vielleicht wollte er außerdem zeigen, wie sehr eine freie Menge sich davor hüten müsse, das eigene Wohlergehen vollständig einem einzigen Menschen anzuvertrauen, der, wenn er nicht eitel ist und allen glaubt gefallen zu können, sich jeden Tag vor einem Anschlag fürchten muß und sich deshalb genötigt sieht, zur eigenen Verteidigung die Menschenmenge eher zu hintergehen als für sie zu sorgen. Diesen höchstklugen Mann in dieser Richtung zu verstehen, fühle ich mich um so mehr bewogen, als er bekanntlich ein Anhänger der Freiheit war, zu deren Verteidigung er auch die heilsamsten Vorschläge gemacht hat.

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§ 1. Quia homines, uti diximus, magis affectu quam ratione ducuntur, sequitur multitudinem non ex rationis ductu, sed ex communi aliquo affectu naturaliter convenire et una veluti mente duci velle, nempe (ut art. 9 cap. III diximus) vel ex communi spe, vel metu, vel desiderio commune aliquod damnum ulciscendi. Cum autem solitudinis metus omnibus hominibus insit, quia nemo in solitudine vires habet, ut sese defendere et quae ad vitam necessaria sunt, comparare possit, sequitur statum civilem homines natura appetere, nec fieri posse, ut homines eundem unquam penitus dissolvant. § 2. Ex discordiis igitur et seditionibus, quae in civitate saepe concitantur, nunquam fit, ut cives civitatem dissolvant (ut in reliquis societatibus saepe evenit), sed ut ejusdem formam in aliam mutent, si nimirum contentiones sedari nequeunt servata civitatis facie. Quare media, quae ad imperium conservandum requiri dixi, ea intelligo, quae ad imperii formam absque ulla ejus notabili mutatione conservandam necessaria sunt. § 3. Quod si cum humana natura ita comparatum esset, ut homines id, quod maxime utile est, maxime cuperent, nulla esset opus arte ad concordiam et fidem; sed quia longe aliter cum natura humana constitutum esse constat, imperium necessario ita instituendum est, ut omnes, tam qui regunt quam qui reguntur, velint nolint, id tamen agant, quod communis salutis interest, hoc est, ut omnes, sponte vel vi vel necessitate coacti, possint ex rationis praescripto vivere; quod fit, si imperii res ita ordinentur,

25 possint] sint Korrektur Proietti

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kapi tel vi [Grundlagen der Monarchie] § 1.Weil die Menschen, wie gesagt, sich mehr von der Affektivität als von der Vernunft leiten lassen, gilt folgendes: Wenn eine Menge natürlicherweise übereinstimmt und meint, von gleichsam einem Geist geleitet zu werden, dann nicht, weil sie von der Vernunft, sondern weil sie von irgendeinem gemeinsamen Affekt geleitet wird, nämlich (wie wir in § 9 des Kapitels III gesagt haben) von gemeinsamer Hoffnung, gemeinsamer Furcht oder dem Verlangen, eine gemeinsam erlittene Schlappe zu rächen. Weil zudem allen Menschen die Furcht vor dem Alleinsein innewohnt, hat doch niemand, auf sich allein gestellt, die Kraft, sich selbst zu verteidigen und sich das zum Leben Notwendige zu besorgen, läßt sich folgern, daß die Menschen den staatlichen Zustand von Natur aus erstreben und ihn niemals gänzlich auflösen können. § 2. Aus Zwietracht und Aufruhr, die in einem Gemeinwesen häufig zum Ausbruch kommen, wird also niemals bewirkt, daß die Bürger ihr Gemeinwesen auflösen (wie es häufig bei anderen Arten von Assoziation der Fall ist), sondern nur, daß sie seine Form in eine andere umwandeln, dann nämlich, wenn sie ihre Streitigkeiten nicht unter Beibehaltung der Gestalt des Gemeinwesens beilegen können. Daher verstehe ich unter Mitteln, die meiner Ansicht nach zur Erhaltung eines Staates erforderlich sind, solche, die unabdingbar sind, um dessen Form ohne nennenswerte Veränderung zu erhalten. § 3. Wäre die menschliche Natur so verfaßt, daß Menschen dasjenige, was ihnen am meisten von Nutzen ist, auch am meisten begehrten, bedürfte es keiner Kunst, um Eintracht und Loyalität zu befördern. Weil es aber bekanntlich ganz anders mit der menschlichen Natur bestellt ist, ist ein Staat notgedrungen so einzurichten, daß alle, Regierende wie Regierte, mögen sie wollen oder nicht, dasjenige tun, was im Interesse des gemeinsamen Wohls ist, d. h. daß alle, aus freien Stücken oder gezwungen, sei es von äußerer Gewalt, sei es von bloßer Notwendigkeit, nach der Vorschrift der Vernunft leben können; das ist der Fall, wenn



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ut nihil, quod ad communem salutem spectat, ullius fidei absolute committatur. Nemo enim tam vigilans est, qui aliquando non dormitet, et nemo tam potenti tamque integro animo fuit, qui aliquando, et praesertim quando maxime animi fortitudine opus est, non frangeretur ac pateretur vinci. Et sane stultitia est ab alio id exigere, quod nemo a se ipso impetrare potest, nempe ut alteri potius quam sibi vigilet, ut avarus non sit, neque invidus, neque ambitiosus etc., praesertim is, qui omnium affectuum incitamenta maxima quotidie habet. § 4. At experientia contra docere videtur pacis et concordiae interesse, ut omnis potestas ad unum conferatur. Nam nullum imperium tamdiu absque ulla notabili mutatione stetit quam Turcarum, et contra nulla minus diuturna quam popularia seu democratica fuerunt, nec ulla ubi tot seditiones moverentur. Sed si servitium, barbaries et solitudo pax appellanda sit, nihil hominibus pace miserius. Plures sane et acerbiores contentiones inter parentes et liberos quam inter dominos et servos moveri solent, nec tamen oeconomiae interest jus paternum in dominium mutare et liberos perinde ac servos habere. Servitutis igitur, non pacis interest omnem potestatem ad unum transferre. Nam pax, ut jam diximus, non in belli privatione, sed in animorum unione sive concordia consistit. § 5. Et sane, qui credunt posse fieri, ut unus solus summum civitatis jus obtineat, longe errant. Jus enim sola potentia determinatur, ut capite II ostendimus. At unius hominis potentia longe impar est tantae moli sustinendae. Unde fit, ut quem multitudo regem elegit, is sibi imperatores quaerat seu consiliarios

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die Angelegenheiten des Staates so geordnet werden, daß nichts, was das gemeinsame Wohl angeht, der Loyalität irgendeines Menschen, wer es auch sei, uneingeschränkt anheim gegeben wird. Niemand ist nämlich so wachsam, daß er nicht manchmal schläft, und niemand von so starkem und lauterem Charakter, daß er nicht manchmal, zumal wenn Charakterstärke besonders vonnöten ist, einknickte und sich besiegen ließe. Und wahrlich ist es Torheit, von einem anderen zu verlangen, was niemand von sich aus erfüllen kann, nämlich für einen anderen wachsamer zu sein als für sich selber, der Habgier, dem Neid, dem Ehrgeiz und dergleichen zu entsagen, besonders bei einem Menschen, der täglich dem Antrieb aller Art von Affekten äußerst ausgesetzt ist. § 4. Andererseits scheint die Erfahrung zu lehren, daß es im Interesse des Friedens und der Eintracht ist, alle Gewalt einem Einzigen zu übertragen. Denn kein Reich hat so lange ohne alle merkliche Veränderung bestanden wie das türkische, und im Gegensatz dazu sind keine vergänglicher gewesen und haben mehr Aufruhr kennengelernt als Volksstaaten oder Demokratien. Wenn freilich Sklaverei, Barbarei und Einöde Frieden heißen soll, dann gäbe es für die Menschen nichts Erbärmlicheres als Frieden. In der Tat entstehen gewöhnlich mehr und heftigere Streitereien zwischen Eltern und Kindern als zwischen Herren und Knechten, und doch liegt es nicht im Interesse des Haushalts, das väterliche Recht in ein Herrenrecht umzuwandeln und so die Kinder wie Knechte zu behandeln. So dient es der Sklaverei und nicht dem Frieden, alle Gewalt einem Einzigen zu übertragen. Denn der Frieden besteht, wie schon gesagt, nicht in einer Abwesenheit von Krieg, sondern in der Einheit oder Eintracht einer geistigen Haltung. § 5. Und wahrlich, wer da glaubt, daß einer allein das höchste Recht eines Gemeinwesens innehaben könne, ist sehr im Irrtum. Denn was Recht ist, wird allein von der Macht her bestimmt, wie wir in Kapitel II gezeigt haben. Die Macht eines einzigen Menschen aber ist einer so großen Last nicht im entferntesten gewachsen. Die Folge davon ist, daß der von der Menge zum König Gewählte sich Feldherren, Ratgeber oder Vertraute sucht,



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seu amicos, quibus suam et omnium salutem committit, ita ut imperium, quod absolute monarchicum esse creditur, sit revera in praxi aristocraticum, non quidem manifestum, sed latens et propterea pessimum. Ad quod accedit, quod rex puer, aeger aut senectute gravatus, precario rex sit, sed ii revera summam potestatem habeant, qui summa imperii negotia administrant, vel qui regi sunt proximi; ut jam taceam, quod rex libidini obnoxius omnia saepe moderetur ex libidine unius aut alterius pellicis aut cinaedi. Audieram, inquit Orsines, in Asia olim regnasse foeminas; hoc vero novum est, regnare castratum. (Curtius lib. X, cap. 1). § 6. Est praeterea hoc certum, quod civitas semper magis propter cives quam propter hostes periclitetur; rari quippe boni. Ex quo sequitur, quod is, in quem totum imperii jus delatum est, magis cives quam hostes semper timebit, et consequenter sibi cavere et subditis non consulere sed insidiari conabitur, iis praecipue, qui sapientia clari vel divitiis potentiores sunt. § 7. Accedit praeterea, quod reges filios etiam plus timent quam amant, et eo magis, quo pacis bellique artes magis callent et subditis ob virtutes dilectiores sunt. Unde fit, ut eos ita educare studeant, ut causa timendi absit. Qua in re officiarii promptissime regi obsequuntur et studium adhibebunt summum, ut regem successorem rudem habeant, quem arte tractare possint. § 8. Ex quibus omnibus sequitur regem eo minus sui juris et subditorum conditionem eo miseriorem esse, quo magis absolute civitatis jus in eundem transfertur. Atque adeo necesse est ad imperium monarchicum rite stabiliendum fundamenta jacere

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denen er das eigene Wohl und das aller Bürger anvertraut, so daß der Staat, der für eine absolute Monarchie gehalten wird, in der Praxis tatsächlich eine Aristokratie ist, allerdings keine offene, sondern eine versteckte und deshalb die allerschlechteste. Hinzu kommt, daß der König, wenn er ein Kind, krank oder vom Alter beschwert ist, nur König von anderer Gnaden ist; in Wahrheit haben diejenigen die höchste Gewalt inne, die die wichtigsten Geschäfte des Staates besorgen oder im Umkreis des Königs leben, ganz zu schweigen von dem Fall, wo der König, seiner sinnlichen Lust unterworfen, alles nach der Laune dieser und jener Maitresse oder dieses und jenes Günstlings bald so, bald anders handhabt. »Ich habe gehört«, sagt Orsines, »daß in Asien einst Frauen regiert haben; das aber ist neu, daß ein Kastrat regiert« (Curtius, Buch X, Kap. 1). § 6. Zudem ist sicher, daß ein Gemeinwesen immer mehr durch die eigenen Bürger als durch äußere Feinde in Gefahr ist; denn selten gibt es zuverlässige Bürger. Folglich wird derjenige, dem das ganze Recht des Staates übertragen ist, immer mehr die Bürger fürchten als die äußeren Feinde und infolgedessen bestrebt sein, sich selbst vor ihnen zu schützen und gegen die Untertanen zu agieren, anstatt sich um deren Interessen zu kümmern, vor allem gegen diejenigen, die aufgrund ihrer Weisheit angesehen oder wegen ihres Reichtums zu mächtig sind. § 7. Hinzu kommt noch, daß Könige auch ihre Söhne mehr fürchten als lieben, und zwar um so mehr, je mehr diese sich in den Regeln des Friedens und des Krieges auskennen und wegen ihrer Tüchtigkeiten bei den Untertanen beliebt sind. Deshalb suchen sie ihre Söhne so zu erziehen, daß dieser Anlaß zur Furcht wegfällt. Hierbei sind die Höflinge dem König aufs pünktlichste zu Diensten, die sich die größte Mühe geben werden, einen ungehobelten Thronfolger zu bekommen, den sie geschickt gängeln können. § 8. Aus alldem folgt, daß ein König um so weniger unter eigenem Recht steht und die Lage der Untertanen um so erbärmlicher ist, je uneingeschränkter ihm das Recht des Gemeinwesens übertragen wird. Daher ist es zur gehörigen Stabilität des monarchischen Staates unabdingbar, ihn auf festen Grundlagen zu

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firma, quibus superstruatur, ex quibus monarchae securitas et multitudini pax sequatur; ac proinde ut monarcha tum maxime sui juris sit, cum maxime multitudinis saluti consulit. Quaenam autem haec imperii monarchici fundamenta sint, primum breviter proponam, et deinde ordine ea ostendam. § 9. Urbs una aut plures condendae et muniendae sunt, quarum omnes cives, sive ii intra moenia sive extra propter agriculturam habitent, eodem civitatis jure gaudeant; ea tamen conditione, ut unaquaeque certum civium numerum ad sui et communem defensionem habeat. Quae autem id praestare nequit, aliis conditionibus in ditione habenda. § 10. Militia ex solis civibus nullo excepto formanda est et ex nullis aliis; atque adeo omnes arma habere teneantur, et nullus in civium numerum recipiatur, nisi postquam exercitium militare didicerit, illudque signatis anni temporibus exercere pollicitus fuerit. Deinde uniuscujusque familiae militia in cohortes et legiones divisa nullius cohortis dux eligendus, nisi qui architecturam militarem noverit. Porro cohortium et legionum duces ad vitam quidem, sed qui unius familiae integrae militiae imperet, in bello tantummodo eligendus, qui annum ad summum imperium habeat, nec continuari in imperio nec postea eligi possit. Atque hi eligendi sunt ex regis consiliariis (de quibus art. 15 et seqq. dicendum), vel qui officio consiliarii functi sunt. § 11. Omnium urbium incolae et agricolae, hoc est, omnes cives in familias dividendi sunt, quae nomine et insigni aliquo distinguantur; et omnes ex aliqua harum familiarum geniti in civium numerum recipiantur, eorumque nomina in catalogum eorum familiae redigantur, simulac eo aetatis pervenerint, ut arma

4 imperii monarchici] Imperii Monarchi 19 familiae] Proietti fügt dahinter vel ein

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errichten, aus denen Sicherheit für den Monarchen und Frieden für die Menge derart folgen, daß der Monarch dann im höchsten Maße sein Recht behauptet, wenn er im höchsten Maße für das Wohl der Menge sorgt. Welches die fraglichen Grundlagen des monarchischen Staates sind, will ich zuerst kurz aufzeigen und dann in gehöriger Ordnung beweisen. § 9. Eine Stadt oder mehrere sind zu erbauen und zu befestigen, deren Bürger insgesamt, mögen sie innerhalb der Mauern oder als Bauern außerhalb ihrer wohnen, dasselbe Recht des Gemeinwesens genießen, unter der Bedingung allerdings, daß die jeweilige Stadt über eine bestimmte Anzahl von Bürgern zu ihrer eigenen Verteidigung und der des gemeinsamen Staates verfügt. Eine Stadt, die dies nicht erbringen kann, ist unter anderen Bedingungen in Abhängigkeit zu halten. § 10. Die Miliz ist allein aus den Bürgern zu bilden, wobei niemand auszunehmen ist, nicht aber aus anderen Personen. So sollen alle Bürger verpflichtet sein, Waffen zu besitzen, und keiner darf in den Stand des Bürgers aufgenommen werden, der nicht im Militärdienst ausgebildet worden ist und versprochen hat, ihn zu bestimmten Zeiten des Jahres auszuüben. Ferner ist für die in Kompanien und Regimenter eingeteilte Kriegstruppe eines jeden Familienverbandes als Kommandant einer Kompanie nur ein Mann zu benennen, der die Kriegsbaukunst versteht. Des weiteren sind die Anführer der Kompanien und Regimenter auf Lebenszeit zu wählen; wer die ungeteilte Truppe eines einzigen Familienverbandes anführt, ist jedoch nur für die Dauer des Krieges zu benennen; er soll den Oberbefehl nur für ein Jahr haben, ohne Möglichkeit der Verlängerung oder Wiederwahl. Solche Befehlshaber sind aus dem Kreis der Räte des Königs (über die in §§ 15 ff. zu sprechen ist) oder aus dem der ehemaligen Räte zu wählen. § 11. Alle Stadt- und Landbewohner, d. h. alle Bürger, sind in Familienverbände einzuteilen, die sich durch den Namen und durch irgendein Abzeichen unterscheiden sollen; und alle, die in einem solchen Familienverband geboren werden, sollen in den Stand des Bürgers aufgenommen und namentlich in die Liste ihres Verbandes eingetragen werden, sobald sie alt genug sind,



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ferre et officium suum noscere possint; iis tamen exceptis, qui ob scelus aliquod infames, vel qui muti, vesani vel famuli sunt, qui servili aliquo officio vitam sustentant. § 12. Agri et omne solum et, si fieri potest, domus etiam publici juris sint, nempe ejus, qui jus civitatis habet, a quo annuo pretio civibus, sive urbanis et agricolis, locentur; et praeterea omnes ab omni exactione tempore pacis liberi sive immunes sint. Atque hujus pretii alia pars ad civitatis munimenta, alia ad usum domesticum regis referenda est. Nam tempore pacis urbes tanquam ad bellum munire, et praeterea naves et reliqua instrumenta bellica parata necesse est habere. § 13. Electo rege ex aliqua familia, nulli nobiles censendi nisi a rege oriundi, qui propterea insignibus regiis a sua et a reliquis familiis distinguantur. § 14. Regis consanguinei nobiles masculi, qui ei, qui regnat, gradu consanguinitatis tertio aut quarto propinqui sunt, uxorem ducere prohibeantur; et si quos liberos procreaverint, illi illegitimi habeantur et omni dignitate indigni, nec parentum haeredes agnoscantur, sed eorum bona ad regem redeant. § 15. Regis praeterea consiliarii, qui ei proximi vel dignitate secundi sunt, plures esse debent et non nisi ex civibus eligendi; nempe ex unaquaque familia tres aut quatuor aut quinque (si familiae non plures quam sexcentae fuerint), qui simul unum hujus concilii membrum constituent, non ad vitam, sed in tres aut quatuor aut quinque annos, ita ut singulis annis eorum tertia, quarta aut quinta pars nova eligatur; in qua electione tamen apprime observandum, ut ex unaquaque familia unus ad minimum juris peritus consiliarius eligatur.

17 illi] Hinzufügung Wernham nach NS

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Waffen zu tragen und ihre Obliegenheit zu kennen. Auszunehmen sind nur solche Personen, die wegen eines Verbrechens entehrt, stumm oder geisteskrank sind oder die als Handlanger mit irgendwelchen Dienstleistungen ihren Unterhalt bestreiten. § 12. Die Äcker, aller Grund und Boden und, wenn dies möglich ist, auch die Häuser sollen öffentliches Eigentum sein, also dem gehören, der das Recht des Gemeinwesens in Händen hält, von dem sie gegen eine jährliche Abgabe an die Bürger, Stadtwie Landbewohner, verpachtet werden; darüber hinaus sollen in Friedenszeiten alle von jeglicher Besteuerung befreit oder entlastet sein. Ein Teil dieser Abgabe ist für die Befestigungsanlagen des Gemeinwesens, ein anderer für den königlichen Haushalt zu verwenden. Denn in Friedenszeiten muß man die Städte für den Krieg befestigen und außerdem Schiffe und anderes Kriegswerkzeug bereithalten. § 13. Ist der König einmal aus irgendeinem Familienverband auserwählt worden, dann haben nur die Descendenten des Königs als adlig zu gelten, die sich deshalb durch königliche Abzeichen von dem eigenen Familienverband und den übrigen unterscheiden sollen. § 14. Männlichen Adligen, die mit dem König im dritten oder vierten Grad blutsverwandt sind, soll die Heirat verboten werden. Haben sie Kinder gezeugt, sollen diese für illegitim gelten und aller öffentlichen Würde entbehren; sie sollen nicht als Erben ihrer Eltern anerkannt werden, deren Güter vielmehr an den König zurückfallen sollen. § 15. Die Räte des Königs, nächster Punkt, die ihm am nächsten stehen, der Würde nach also an zweiter Stelle, müssen von großer Zahl sein. Sie sind allein aus dem Kreis der Bürger zu wählen, und zwar aus jedem Familienverband drei oder vier oder (wenn es nicht mehr als sechshundert Verbände gibt) auch fünf, die in dieser Formation zusammen eine Sektion der Ratsversammlung bilden, aber nicht auf Lebenszeit, sondern nur auf drei, vier oder fünf Jahre, so daß in jedem Jahr der dritte, vierte oder fünfte Teil von ihnen neu gewählt wird. Doch ist bei dieser Wahl auf jeden Fall darauf zu achten, daß aus jedem Familienverband wenigstens ein Rat benannt wird, der rechtskundig ist.



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§ 16. Haec electio ab ipso rege fieri debet, cui constituto anni tempore, quo scilicet novi consiliarii eligendi sunt, unaquaeque familia omnium suorum civium nomina, qui ad annum quinquagesimum aetatis pervenerunt et qui hujus officii candidati rite promoti fuerunt, tradere debet; ex quibus quem velit rex eliget. At eo anno, quo alicujus familiae juris peritus alteri succedere debet, juris peritorum tantum nomina sunt regi tradenda. Qui statuto tempore officio hoc consiliarii functi sunt, in eodem continuari nequeant, nec ad catalogum eligendorum quinquennio aut amplius referri. Causa autem, cur necesse sit singulis annis ex unaquaque familia unum eligere, est, ne concilium jam ex inexpertis novitiis, jam ex veteratis et rerum expertis componeretur, quod necessario fieret, si omnes simul recederent et novi succederent. Sed si singulis annis ex unaquaque familia unus eligatur, tum non nisi quinta, quarta aut ad summum tertia concilii pars ex novitiis erit. Praeterea si rex aliis negotiis impeditus aut alia de causa, huic electioni vacare aliquamdiu non possit, tum ipsi consiliarii alios pro tempore eligant, donec ipse rex vel alios eligat vel, quos concilium elegit, probet. § 17. Hujus concilii primarium officium sit imperii fundamentalia jura defendere et consilia de rebus agendis dare, ut rex, quid in bonum publicum decernendum sit, sciat; atque adeo ut regi nihil de aliqua re statuere liceat nisi intellecta prius hujus concilii sententia. Sed si concilio, ut plerumque fiet, non una mens fuerit, sed diversas habuerit sententias etiam postquam bis aut ter quaestionem de eadem re habuerint, res in longius

5 tradere] OP hat davor regi; gestrichen nach NS von Wernham 13 fieret] fiet korrigiert von Vloten – Land und Gebhardt

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§ 16. Es ist der König, durch den diese Wahl geschehen muß. Zu der Zeit des Jahres, wenn neue Räte zu wählen sind, muß ihm jeder Familienverband die Namen aller seiner Mitglieder vorlegen, die das fünfzigste Lebensjahr erreicht haben und ordnungsgemäß als Kandidaten für dieses Amt benannt worden sind. Aus ihnen wird der König auswählen, wen er will. In dem Jahr, in dem ein Rechtskundiger eines bestimmten Familienverbandes einem anderen folgen muß, sind jedoch bloß die Namen der Rechtskundigen dem König vorzulegen. Räte können nach Ablauf der festgesetzten Amtsdauer nicht länger im Amt bleiben und in den nächsten fünf oder mehr Jahren auch nicht in die Liste der Kandidaten aufgenommen werden. Der Grund, warum es nötig ist, in jedem Jahr aus jedem Familienverband einen Rat zu wählen, ist der, daß die Ratsversammlung nicht bald nur aus Neulingen, die keine Erfahrung haben, bald nur aus Veteranen, die die Sache leid sind, sich zusammensetzt, was zwangsläufig der Fall wäre, wenn alle zugleich ausschieden und ihnen dann neue nachfolgten. Wenn aber in jedem Jahr aus jedem Familienverband einer gewählt wird, dann wird nur der fünfte, vierte oder höchstens dritte Teil der Ratsversammlung aus Neulingen bestehen. Ist der König übrigens durch anderweitige Geschäfte in Anspruch genommen oder aus einem anderen Grund eine Zeitlang nicht imstande, sich mit dieser Wahl zu befassen, dann sollen die Räte ihrerseits vorläufig neue Mitglieder wählen, bis der König selber entweder andere wählt oder die von der Ratsversammlung Gewählten bestätigt. § 17. Die Hauptaufgabe dieser Ratsversammlung soll darin bestehen, die grundlegenden Rechtsgesetze des Staates zu verteidigen und für die Regelung der öffentlichen Angelegenheiten Ratschläge zu erteilen, damit der König weiß, was für Entscheidungen im öffentlichen Interesse zu treffen sind. Das bedeutet, daß der König in keiner Sache etwas beschließen darf, ohne vorher die Meinung der Ratsversammlung gehört zu haben. Wenn die Ratsversammlung, wie es meistens der Fall sein wird, jedoch nicht eines Sinnes ist, wenn vielmehr selbst nach zweibis dreimaliger Erwägung derselben Sache noch verschiedene Ansichten bestehen, dann ist die Sache nicht länger hinzuzie-

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trahenda non est, sed discrepantes sententiae ad regem deferendae, ut art. 25 hujus capitis docebimus. § 18. Hujus praeterea concilii officium etiam sit regis instituta seu decreta promulgare, et quid in rempublicam decretum est, curare totiusque administrationis imperii curam habere tanquam regis vicarii. § 19. Civibus nulli ad regem aditus pateant nisi per hoc concilium, cui omnes postulationes seu libelli supplices tradendi sunt, ut regi offerantur. Legatis etiam aliarum civitatum non nisi intercedente hoc concilio veniam regem alloquendi impetrare liceat. Epistolae praeterea, quae ex aliis locis regi mittuntur, ei ab hoc concilio tradi debent; et absolute rex censendus est veluti civitatis mens, hoc autem concilium mentis sensus externi seu civitatis corpus, per quod mens civitatis statum concipit et per quod id agit, quod sibi optimum esse decernit. § 20. Cura filios regis educandi huic etiam concilio incumbat, et etiam tutela, si rex successore infante seu puero relicto obiit. Sed ne tamen concilium interea temporis sine rege sit, ex nobilibus civitatis senior eligendus, qui regis locum suppleat, donec legitimus successor eo aetatis pervenerit, quo imperii onus sustinere possit. § 21. Hujus concilii candidati ii sint, qui regimen, fundamenta et statum seu conditionem civitatis, cujus subditi sunt, norint. At qui jurisperiti locum occupare vult, is praeter regimen et conditionem civitatis, cujus subditus est, aliarum etiam, cum quibus commercium aliquod intercedit, scire debet. Sed nulli, nisi qui

13 seu] ceu

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hen; vielmehr sind die bestehenden divergierenden Ansichten dem König vorzulegen, wie wir in § 25 dieses Kapitels zeigen werden. § 18. Eine weitere Aufgabe der Ratsversammlung soll darin bestehen, die Anordnungen und Verfügungen des Königs zu veröffentlichen, für die Durchführung der die Staatsgeschäfte betreffenden Beschlüsse zu sorgen und die ganze Verwaltung des Staates im Namen des Königs zu überwachen. § 19. Den Bürgern soll der Zugang zum König nur durch Vermittlung der Ratsversammlung offen stehen, der alle Petitionen oder Bittschriften zu übergeben sind, damit sie dem König vorgelegt werden. Auch die Gesandten fremder Gemeinwesen sollen nur durch Vermittlung dieser Versammlung Audienz beim König erhalten. Briefe, die von auswärts an den König eingehen, müssen ihm ebenfalls von dieser Versammlung übergeben werden. Uneingeschränkt gesagt: Der König ist gleichsam als der Geist des Gemeinwesens anzusehen und die Ratsversammlung als die äußeren Sinne dieses Geistes, d. h. als der Körper des Gemeinwesens, durch den der Geist den Zustand des Gemeinwesens erfährt und durch den er das tut, von dem er meint, es sei das Beste für das Gemeinwesen. § 20. Auch die Verantwortung für die Erziehung der Prinzen obliegt dieser Versammlung, ferner die Vormundschaft, wenn der König gestorben ist und einen Minderjährigen als Nachfolger hinterläßt. Damit die Ratsversammlung aber währenddessen nicht ohne König ist, ist unter den Adligen des Gemeinwesens ein Ältester zu wählen, der den König ersetzt, bis der legitime Nachfolger das Alter erreicht hat, in dem er imstande ist, die Last des Staates zu tragen. § 21. Kandidaten für diese Versammlung sollen diejenigen sein, die die Regierungsform, die Grundlagen und den Zustand, d. h. die Verfassung, des Gemeinwesens, dessen Untertanen sie sind, kennen. Wer die Stelle eines Rechtskundigen einnehmen will, muß jedoch nicht nur die Regierungsform und die Verfassung seines eigenen Gemeinwesens kennen, sondern auch die der anderen Länder, zu denen das eigene nennenswerte Beziehungen unterhält. Allerdings ist auf die Liste der Kandidaten nur



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ad quinquagesimum aetatis annum nullo convicti crimine pervenerint, in catalogum eligendorum referendi sunt. § 22. In hoc concilio nihil de rebus imperii concludendum nisi praesentibus omnibus membris: quod si aliquis morbi aut alia de causa adesse nequeat, aliquem ex eadem familia, qui eodem officio functus vel qui in catalogum eligendorum relatus est, in ipsius locum mittere debet. Quod si nec hoc fecerit, sed quod concilium propter ejus absentiam rem aliquam consulendam in diem differre coactus fuerit, summa aliqua pecuniae sensibili mulctetur. Sed hoc intelligendum, quando quaestio est de re, quae integrum imperium spectat, videlicet de bello et pace, de jure aliquo abrogando vel instituendo, de commercio, etc. Sed si quaestio sit de re, quae unam aut alteram urbem spectet, de libellis supplicibus, etc., satis erit, si major concilii pars adsit. § 23. Ut inter familias aequalitas in omnibus et ordo sedendi, proponendi et dicendi habeatur, vices servandae sunt, ut singulae singulis sessionibus praesideant, et quae hac sessione prima, sequenti ultima sit. Sed eorum, qui ejusdem familiae sunt, is primus sit, qui prior electus fuerit. § 24. Hoc concilium quater ad minimum in anno convocetur, ut rationem administrationis imperii a ministris exigant, ut rerum statum noscant, et si quid praeterea statuendum sit, videant. Nam adeo magnum civium numerum negotiis publicis continuo vacare impossibile videtur. Sed quia negotia publica interim exerceri nihilominus debent, ideo ex hoc concilio quinquaginta aut plures eligendi sunt, qui soluto concilio ejus vicem suppleant, quique quotidie congregari debeant in cubiculo, quod regio sit proximum, atque adeo quotidie curam habeant aerarii,

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zu setzen, wer das fünfzigste Lebensjahr erreicht hat und nicht vorbestraft ist. § 22. In dieser Versammlung ist über Angelegenheiten des Staates nur bei Anwesenheit aller ihrer Mitglieder ein Beschluß zu fassen. Ist jemand wegen Krankheit oder aus einem anderen Grund verhindert, anwesend zu sein, muß er als Stellvertreter einen anderen aus demselben Familienverband schicken, der dasselbe Amt schon bekleidet hat oder auf der Liste der Kandidaten steht. Hat er es nicht getan und war die Versammlung wegen seiner Abwesenheit gezwungen, die Beratung einer Sache zu vertagen, soll dies mit einer empfindlichen Geldbuße geahndet werden. Freilich gilt dies nur bei Angelegenheiten, die den ganzen Staat betreffen, also bei Erörterungen über Krieg und Frieden, über Aufhebung oder Erlaß eines bedeutsamen Gesetzes, über Handelsbeziehungen, usw. Handelt es sich nur um eine Frage, die diese oder jene Stadt betrifft, um Bittschriften und dergl., wird die Anwesenheit der Mehrheit der Versammlung genügen. § 23. Damit unter den einzelnen Familienverbänden in allem eine Gleichheit besteht und eine Ordnung hinsichtlich von Vorsitz, Antragstellung und Rederecht, ist ein Turnus von der Art einzuhalten, daß jeder Verband bei den einzelnen Sitzungen einmal den Vorsitz führt und der Verband, der in einer Sitzung präsidiert, in der folgenden an letzter Stelle steht. Innerhalb eines Familienverbandes soll den Vorsitz jedoch haben, wer zuerst gewählt worden ist. § 24. Diese Versammlung soll mindestens viermal im Jahr einberufen werden, um von den Staatsdienern Rechenschaft über die Verwaltung des Staates zu fordern, um sich über den Stand der öffentlichen Angelegenheiten zu informieren und um zu erwägen, ob zu anderen Fragen Entscheidungen zu treffen sind. Denn es ist wohl nicht möglich, daß sich eine so große Anzahl von Bürgern ständig den öffentlichen Geschäften widmet. Weil diese aber mittlerweile trotzdem erledigt werden müssen, sind aus dieser Versammlung fünfzig oder mehr Mitglieder zu benennen, die an deren Stelle treten sollen, wenn sie sich vertagt. Sie müssen sich täglich an einem der königlichen Residenz nahe gelegenen Ort versammeln und sollen sich so täglich um die Finan-



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urbium munimentorum, educationis filii regis et absolute eorum omnium magni concilii officiorum, quae modo enumeravimus, praeterquam illud, quod de rebus novis, de quibus nihil decretum est, consulere non possint. § 25. Congregato concilio, antequam aliquid in eo proponatur, quinque aut sex aut plures jurisperiti ex familiis, quae illa sessione ordine loci priores sunt, regem adeant, ut libellos supplices vel epistolas, si quas habent, tradant, ut rerum statum indicent, et denique ut ex ipso intelligant, quid in suo concilio proponere jubeat. Quo accepto concilium repetant, et qui ordine loci prior est, rem consulendam aperiat. Nec de re suffragia statim colligenda, quae aliquibus videtur alicujus esse momenti, sed in id tempus differenda, quod rei necessitas concedit. Concilio igitur ad id statutum tempus soluto, poterunt interea uniuscujusque familiae consiliarii de ipsa seorsum quaestionem habere, et, si res iis magni momenti videbitur, alios, qui eodem officio functi vel qui ejusdem concilii candidati sunt, consulere; et si intra constitutum tempus inter ipsos convenire non poterit, illa familia extra suffragium erit (nam unaquaeque familia unum tantum ferre suffragium poterit), alias ejus familiae jurisperitus instructus sententiam, quam optimam judicaverint esse, in ipso concilio ferat, et sic reliqui; et si majori parti visum fuerit post auditas cujusque sententiae rationes, rem iterum perpendere, concilium iterum in tempus solvatur, ad quod unaquaeque familia, quaenam ultima ejus sit sententia, pronunciabit; et tum demum praesente integro concilio suffragiis collectis ea irrita habeatur, quae centum ad

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zen, die Befestigung der Städte, die Erziehung des Thronfolgers, überhaupt um alle Aufgaben der großen Ratsversammlung kümmern, die wir soeben aufgezählt haben, mit der einen Ausnahme, daß sie sich mit neuen Angelegenheiten, über die noch nichts beschlossen worden ist, nicht befassen können. § 25. Ist die Ratsversammlung zusammengetreten, sollen, ehe ihr eine Vorlage unterbreitet wird, fünf, sechs oder mehr Rechtskundige aus den Familienverbänden, die im Verlauf der betreffenden Sitzung den Vorsitz führen, sich zum König begeben, um ihm die Bittschriften oder Briefe, die sie gerade haben, zu übergeben, um ihn über den Stand der öffentlichen Angelegenheiten zu informieren und endlich um von ihm Anweisungen über das in seiner Ratsversammlung Vorzulegende entgegenzunehmen. Nach empfangenem Bescheid sollen sie die Versammlung wieder aufsuchen, und wer gerade den Vorsitz führt, soll die Verhandlung eröffnen. Über eine Angelegenheit, die einigen Mitgliedern als wichtig erscheint, ist nicht sofort abzustimmen; vielmehr ist die Abstimmung so lange aufzuschieben, wie die Dringlichkeit der Sache es erlaubt. Während sich die Versammlung bis zu dem festgelegten Zeitpunkt vertagt, werden die Räte jedes Familienverbandes darüber unter sich beraten und, wenn ihnen die Sache als sehr wichtig erscheint, auch andere hinzuziehen können, die dasselbe Amt schon bekleidet haben oder Kandidaten der genannten Versammlung sind. Wird man innerhalb der festgesetzten Zeit nicht miteinander übereinkommen können, wird der betreffende Familienverband keine Stimme haben (denn jeder Verband wird nur eine Stimme abgeben können); im anderen Fall wird der Rechtskundige dieses Verbandes angewiesen, die Ansicht, die man für die beste erachtet hat, in der Versammlung selbst vorzutragen, und gleiches gilt für die übrigen Verbände. Wenn nach Anhörung der Gründe einer jeden Ansicht die Mehrheit es für gut hält, die Sache nochmals zu beraten, soll die Versammlung abermals bis zu einem bestimmten Zeitpunkt vertagt werden, zu dem jeder Familienverband seine endgültige Ansicht kundgeben wird; und dann erst soll in Anwesenheit der gesamten Ratsversammlung die Abstimmung erfolgen. Diejenige Ansicht soll als nichtig gelten, die nicht wenigstens hun-



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minimum suffragia non habuerit; reliquae autem ad regem deferantur a jurisperitis omnibus, qui concilio interfuerunt, ut ex iis, postquam uniuscujusque partis rationes intellexerit, quam velit, eligat. Atque inde digressi ad concilium revertantur, ubi omnes regem ad constitutum ab ipso tempus exspectent, ut quam sententiam ex latis eligendam censet, omnes audiant, et quid faciendum ipse decernat. § 26. Ad justitiam administrandam concilium aliud ex solis jurisperitis est formandum, quorum officium sit lites dirimere et poenas ex delinquentibus sumere; sed ita ut omnes sententiae, quas tulerint, ab iis, qui concilii magni vicem supplent, probari debeant, num scilicet servato rite in judicando ordine prolatae fuerint et absque partium studio. Quod si quae pars, quae causa cecidit, ostendere poterit aliquem ex judicibus munere aliquo corruptum fuisse ab adversario, vel aliam communem causam amicitiae erga eundem vel odii erga ipsum habere, vel denique quod communis judicandi ordo non fuerit servatus, ea in integrum restituatur. Sed haec forsan observari non possent ab iis, qui, quando quaestio de crimine est, non tam argumentis quam tormentis reum convincere solent. Verum nec ego hic alium in judicando ordinem concipio praeter eum, qui cum optimo civitatis regimine convenit. § 27. Hi judices magno etiam et impari numero esse debent, nempe sexaginta et unus aut quinquaginta et unus ad minimum; et ex una familia non nisi unus eligendus, nec tamen ad vitam, sed ut quotannis etiam aliqua ejus pars cedat et alii totidem eligantur, qui ex aliis sint familiis, quique ad quadragesimum aetatis annum pervenerint. § 28. In hoc concilio nulla sententia pronuncianda nisi praesentibus omnibus judicibus. Quod si aliquis morbi aut alterius rei causa diu concilio interesse non poterit, alius ad id tempus

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dert Stimmen auf sich vereinigt hat; die übrigen sollen von allen Rechtskundigen, die in der Ratsversammlung anwesend waren, dem König vorgelegt werden, damit er nach Kenntnisnahme der Gründe jeder Partei sich nach Gutdünken für eine Ansicht entscheide. Von ihm sollen die Rechtskundigen in die Versammlung zurückkehren, wo alle den König zu einer von ihm festgesetzten Zeit erwarten, um zusammen zu hören, welche der vorgetragenen Ansichten er für gut hält und was gemäß seiner Entscheidung zu tun ist. § 26. Für die Justizverwaltung ist eine andere Versammlung bloß aus Rechtskundigen zu bilden, deren Aufgabe darin bestehen soll, Rechtsstreitigkeiten zu schlichten und Gesetzesübertreter zu bestrafen. Doch müssen alle von ihnen gefällten Urteile von dem ständigen Ausschuß der großen Ratsversammlung überprüft werden, ob sie nämlich unter gehöriger Beachtung der Gerichtsordnung und ohne Parteilichkeit zustande gekommen sind. Kann die im Prozeß unterlegene Partei den Nachweis erbringen, daß ein Richter sich vom Gegner hat bestechen lassen oder irgendeinen anderen Anlaß zur Freundschaft für den Gegner oder zum Haß gegen sie selbst hat, oder endlich daß die allgemeine Prozeßordnung nicht beachtet worden ist, muß das Urteil aufgehoben werden. Vielleicht halten diejenigen, die bei der Untersuchung eines Vergehens den Angeklagten nicht mit Beweisen, sondern mit Hilfe der Folter zu überführen pflegen, dieses Verfahren für nicht akzeptabel. Ich habe aber hier keine andere Prozeßordnung im Blick als diejenige, die mit der besten Regierungsform eines Gemeinwesens in Einklang steht. § 27. Die Zahl dieser Richter muß nicht nur groß, sondern auch ungerade sein, nämlich einundsechzig oder mindestens einundfünfzig. Aus jedem Familienverband ist nicht mehr als einer zu wählen, aber nicht auf Lebenszeit, sondern so, daß auch hier jährlich ein bestimmter Teil ausscheidet und dafür ebensoviel andere gewählt werden, die aus anderen Familienverbänden kommen und das vierzigste Lebensjahr erreicht haben. § 28. In dieser Versammlung ist nur bei Anwesenheit aller Richter ein Votum abzugeben. Wird jemand wegen Krankheit oder aus einem anderen Grund für längere Zeit an den Sitzungen



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eligendus, qui ipsius locum suppleat. In suffragiis autem ferendis debebit unusquisque sententiam suam non palam dicere, sed calculis indicare. § 29. Hujus et praecedentis concilii vicariorum emolumenta sint primo bona eorum, qui mortis damnati sunt ab ipsis, et etiam eorum, qui summa quadam argenti plectuntur. Deinde ex unaquaque sententia, quam de rebus civilibus tulerint, ab eo, qui causa cecidit, pro ratione totius summae partem aliquotam accipiant, qua utrumque concilium gaudeat. § 30. His conciliis alia subordinentur in unaquaque urbe, quorum etiam membra ad vitam eligi non debent; sed etiam quotannis pars aliqua eligenda ex solis familiis, quae in eadem habitant. Sed opus non est haec latius persequi. § 31. Militiae stipendia nulla solvenda tempore pacis; tempore autem belli iis tantummodo quotidiana stipendia danda, qui quotidiano opere vitam sustentant. At duces et reliqui officiarii cohortium nulla alia emolumenta ex bello exspectanda habeant praeter hostium praedam. § 32. Si quis peregrinus alicujus civis filiam in uxorem duxerit, ejus liberi sunt cives censendi et in catalogo familiae matris inscribendi. Qui autem ex peregrinis parentibus in ipso imperio nati et educati sunt, iis constituto aliquo pretio jus civis ex chiliarchis alicujus familiae emere liceat, et in catalogum ejusdem familiae referantur. Nec imperio, tametsi chiliarchae lucri causa aliquem peregrinum infra constitutum pretium in numerum suorum civium receperint, aliquod inde detrimentum oriri potest; sed contra media excogitanda, quibus facilius civium augeri possit numerus et magna hominum detur confluentia. At qui in

5 primo bona] Gebhardt liest bona primo

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der Versammlung nicht teilnehmen können, ist für diese Zeit ein Stellvertreter zu benennen. Bei der Abstimmung wird der einzelne seine Stimme nicht offen abgeben müssen, sondern geheim mittels Stimmsteinen. § 29. Ihre Vergütung sollen die Mitglieder dieses und des vorhin genannten Gremiums zunächst aus dem Besitz derer erhalten, die von ihnen zum Tode verurteilt worden sind, und auch von denen, die mit einer Geldstrafe belegt werden. Ferner sollen sie bei jedem Urteil in einem Zivilprozeß von der unterlegenen Partei einen bestimmten Prozentsatz der Streitsumme erhalten, der beiden Gremien zugute kommen möge. § 30. Diesen Versammlungen sollen in jeder Stadt andere untergeordnet sein, deren Mitglieder ebenfalls nicht auf Lebenszeit gewählt werden dürfen, von denen ein Teil vielmehr jedes Jahr zu wählen ist, und zwar ausschließlich aus dem Kreis der in der jeweiligen Stadt ansässigen Familienverbände. Es ist jedoch nicht erforderlich, solche Einzelheiten weitläufiger darzulegen. § 31. Der Miliz ist in Friedenszeiten kein Sold zu entrichten; in Kriegszeiten ist bloß denen ein täglicher Sold zu geben, die ihren Unterhalt mit ihrer täglichen Arbeit bestreiten. Die Generäle und die übrigen Offiziere der Truppen sollen jedoch keinen anderen Gewinn aus dem Krieg zu erwarten haben als die den Feinden genommene Beute. § 32. Hat ein Ausländer die Tochter eines Bürgers geheiratet, sind seine Kinder als Bürger anzusehen und in die Liste des mütterlichen Familienverbandes einzutragen. Kinder ausländischer Eltern, die auf dem Territorium des Staates geboren und dort groß geworden sind, soll es gestattet sein, zu einem festgesetzten Preis von den Vorstehern eines beliebigen Familienverbandes sich das Bürgerrecht zu erkaufen; sie sollen dann in die Liste dieses Verbandes eingetragen werden. Selbst wenn Vorsteher einen Ausländer aus Habsucht unter dem festgesetzten Preis in den Rang ihrer Mitbürger aufnehmen sollten, kann dem Staat daraus kein nennenswerter Schaden erwachsen. Im Gegenteil sollte man auf Mittel bedacht sein, mit denen die Zahl der Bürger sich leichter vergrößern läßt und ein großer Zustrom von Menschen sichergestellt wird. Es ist jedoch billig, daß die in die Bürgerliste



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catalogum civium non referuntur, aequum est, ut tempore saltem belli otium suum labore aut exactione aliqua compensent. § 33. Legati, qui tempore pacis ad alias civitates pacis contrahendae vel conservandae causa mitti debent, ex solis nobilibus eligendi sunt, et ex civitatis aerario sumptus iisdem suppeditandi, non autem ex regis domestico aerario. [Maar men moet zodanige bespieders verkiezen, die aan de Koning bequaam zullen schijnen.] § 34. Qui aulam frequentant et regis domestici sunt, quibusque ex suo aerario domestico stipendia solvit, ab omni civitatis ministerio seu officio secludendi sunt. Dico expresse quibus rex ex aerario suo domestico stipendia solvit, ut corporis custodes ab iisdem secludam. Nam corporis custodes nulli praeter cives ejusdem urbis in aula, servatis vicibus, vigilare pro rege ante fores debent. § 35. Bellum non nisi pacis causa inferendum, ut eo finito arma cessent. Urbibus igitur jure belli captis et hoste subacto pacis conditiones instituendae sunt, ut captae urbes nullo praesidio servari debeant, sed vel ut hosti, pacis foedere accepto, potestas concedatur easdem pretio redimendi, vel (si ea ratione timor semper a tergo maneat formidine loci) prorsus delendae sunt et incolae alio locorum ducendi. § 36. Regi nullam extraneam matrimonio sibi jungere, sed tantum ex consanguineis vel civibus aliquam in uxorem ducere liceat; ea tamen conditione, si scilicet civem aliquam duxerit, ut qui uxori sanguine sint proximi nullum civitatis officium administrare possint. § 37. Imperium indivisibile esse debet. Si igitur rex plures liberos procreaverit, illorum major natu jure succedat; minime autem concedendum, ut imperium inter ipsos dividatur, nec ut

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nicht eingetragenen Ausländer, wenigstens in Kriegszeiten, ihre Freistellung vom Militärdienst durch ihre Arbeitskraft oder eine ihnen auferlegte Steuer kompensieren. § 33. Die Gesandten, die in andere Gemeinwesen in Friedenszeiten entsandt werden müssen, um den Frieden vertraglich zu vereinbaren oder zu bewahren, sind allein aus dem Kreis der Adligen zu wählen. Ihre Aufwendungen sind von dem Budget des Gemeinwesens zu tragen, nicht aber von der Privatschatulle des Königs. [Als Geheimagenten sind aber auch solche auszuwählen, die der König als kompetent einschätzen wird]. § 34. Die Höflinge, die Diener des Königs und diejenigen, die er aus seiner Privatschatulle bezahlt, sind von allen Aufgaben und Funktionen im Dienst des Gemeinwesens auszuschließen. Ich sage ausdrücklich »die der König aus seiner Privatschatulle bezahlt«, um die Leibwache davon auszunehmen. Denn nur Bürger der Residenzstadt dürfen die Leibwache bilden, die im Palast vor den Türen des Königs reihum Wache hält. § 35. Krieg ist nur um des Friedens willen zu führen, also so, daß nach seinem Ende alle Waffen ruhen. Sind daher Städte kraft Kriegsrechts erobert und ist der Feind unterworfen, dann sind die Friedensbedingungen so zu stellen, daß die eroberten Städte nicht durch Besatzung gehalten werden müssen, entweder so, daß dem Feind, wenn er den Friedensvertrag angenommen hat, die Möglichkeit zugestanden wird, sie wieder loszukaufen, oder so, daß jene Städte (wenn unter diesen Bedingungen wegen der bedrohlichen Lage des Ortes immer eine Furcht im Rücken bliebe) gänzlich zu zerstören und ihre Einwohner umzusiedeln sind. § 36. Dem König soll nicht erlaubt sein, eine Ausländerin zur Frau zu nehmen; nur eine Frau aus dem Kreis seiner Blutsverwandten oder aus dem Kreis der Bürger soll er heiraten dürfen. Heiratet er eine Bürgerliche, dann nur unter der Bedingung, daß die nächsten Blutsverwandten seiner Frau kein Recht haben, eine Funktion im Dienst des Gemeinwesens auszuüben. § 37. Der Staat muß unteilbar sein. Wenn also der König mehrere Kinder hat, soll der Älteste kraft Recht der Geburt sein Nachfolger sein. Niemals ist zu gestatten, daß der Staat unter sie



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indivisum omnibus vel aliquibus tradatur, et multo minus, ut partem imperii dotem filiae dare liceat. Nam filias in haereditatem imperii venire, nulla ratione concedendum. § 38. Si rex liberis masculis orbus obierit, ille, qui ipsi sanguine  proximus, haeres imperii habendus, nisi forte uxorem extraneam duxerit, quam repudiare nolit. § 39. Ad cives quod attinet, patet ex art. 5 cap. III eorum unumquemque ad omnia regis mandata sive edicta a concilio magno promulgata (vide de hac conditione art. 18 et 19 hujus capitis)  obtemperare debere, tametsi eadem absurdissima credat, vel jure ad id cogi. Atque haec imperii monarchici fundamenta sunt, quibus superstrui debet, ut stabile sit, quemadmodum in seq. cap. demonstrabimus. § 40. Ad religionem quod attinet, nulla plane templa urbium  sumptibus aedificanda, nec jura de opinionibus statuenda, nisi seditiosae sint et civitatis fundamenta evertant. Ii igitur, quibus religionem publice exercere conceditur, templum, si velint, suis sumptibus aedificent. At rex ad religionem, cui addictus est, exercendam templum in aula sibi proprium habeat.

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capu t vi i § 1. Imperii monarchici fundamentis explicatis eadem hic ordine demonstrare suscepi; ad quod apprime notandum est praxi nullo modo repugnare, quod jura adeo firma constituantur, quae nec ab ipso rege aboleri queant. Persae enim reges suos inter deos

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aufgeteilt wird oder ungeteilt ihnen allen oder einigen von ihnen überlassen wird, und noch viel weniger, daß ein Teil des Staates einer Tochter zur Mitgift gegeben wird. Denn daß Töchter den Staat beerben, ist in keiner Weise zu tolerieren. § 38. Ist der König ohne männliche Nachkommen gestorben, hat sein nächster Blutsverwandter als Erbe des Thrones zu gelten, wenn er nicht gerade eine Ausländerin zur Frau hat, die er nicht verstoßen will. § 39. Was die Bürger betrifft, so geht aus § 5 des Kapitels III hervor, daß jeder von ihnen allen Anordnungen des Königs, d. h. allen von der großen Ratsversammlung verkündeten Erlassen (über diese Bedingung vgl. §§ 18 und 19 dieses Kapitels) gehorchen muß, auch wenn er sie für höchst widersinnig hält; anderenfalls kann er zu Recht dazu gezwungen werden. Dies sind die Grundlagen eines Staates von monarchischer Regierungsform, auf die er gebaut sein muß, um stabil zu sein, wie wir im nächsten Kapitel beweisen werden. § 40. Was die Religion betrifft, so sind keinesfalls Kirchen auf Kosten der Städte zu errichten, noch sind Rechtsgesetze zu erlassen, die [religiöse] Meinungen regulieren, dann wenigstens nicht, wenn diese nicht aufrührerisch sind und nicht die Grundlagen des Gemeinwesens untergraben. Diejenigen, denen die öffentliche Ausübung ihrer Religion gestattet wird, mögen sich also, wenn sie wollen, ein Gotteshaus auf eigene Kosten bauen. Der König soll jedoch zur Ausübung der Religion, zu der er sich bekennt, eine eigene Hofkirche haben.



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kapi tel vi i [Rechtfertigung der Grundlagen der Monarchie] § 1. Nachdem ich die Grundlagen des monarchischen Staates dargelegt habe, habe ich es hier unternommen, sie in gehöriger  Ordnung zu beweisen. Dabei ist vor allem zu bemerken, daß es keineswegs mit der Praxis im Widerspruch steht, die Rechtsgesetze so fest zu etablieren, daß sie selbst vom König nicht aufgehoben werden können. Die Perser beispielsweise pflegten ihre

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colere solebant, et tamen ipsi reges potestatem non habebant jura semel instituta revocandi, ut ex Dan. cap. 6 patet; et nullibi, quod sciam, monarcha absolute eligitur, nullis expressis conditionibus. Imo nec rationi nec obedientiae absolutae, quae regi debetur, repugnat; nam fundamenta imperii veluti regis aeterna decreta habenda sunt, adeo ut ejus ministri ei omnino obediant, si, quando aliquid imperat, quod imperii fundamentis repugnat, mandata exequi velle negent. Quod exemplo Ulissis clare explicare possumus. Socii enim Ulissis ipsius mandatum exequebantur, quando navis malo alligatum et cantu Syrenum mente captum religare noluerunt, tametsi id modis multis minitando imperabat; et prudentiae ejusdem imputatur, quod postea sociis gratias egerit, quod ex prima ipsius mente ipsi obtemperaverint. Et ad hoc Ulissis exemplum solent etiam reges judices instruere, ut scilicet justitiam exerceant nec quenquam respiciant, nec ipsum regem, si quid singulari aliquo casu imperaverit, quod contra institutum jus esse noverint. Reges enim non dii, sed homines sunt, qui Syrenum capiuntur saepe cantu. Si igitur omnia ab inconstanti unius voluntate penderent, nihil fixum esset. Atque adeo imperium monarchicum, ut stabile sit, instituendum est, ut omnia quidem ex solo regis decreto fiant, hoc est, ut omne jus sit regis explicata voluntas, at non ut omnis regis voluntas jus sit; de quo vide art. 3, 5 et 6 praec. cap. § 2. Deinde notandum, quod in jaciendis fundamentis maxime humanos affectus observare necesse est, nec ostendisse sufficit quid oporteat fieri, sed apprime qui fieri possit, ut homines, sive affectu sive ratione ducantur, jura tamen rata fixaque habe-

2 cap. 6] cap. 5

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Könige wie Götter zu verehren, und doch hatten diese Könige nicht die Gewalt, einmal erlassene Rechtsgesetze zu widerrufen, wie aus Buch Daniel, Kap. 6 hervorgeht. Nirgendwo wird, soviel ich weiß, ein Monarch uneingeschränkt, d. h. ohne ausdrücklich gemachte Bedingungen erwählt. Das widerstreitet ja weder der Vernunft noch dem uneingeschränkten Gehorsam, den man dem König schuldet. Denn die Grundlagen des Staates sind als gleichsam ewige Beschlüsse des Königs anzusehen, so daß seine Staatsdiener ihm durchaus gehorsam sind, wenn sie sich weigern, seine Anordnungen auszuführen, sobald er etwas befiehlt, das sich mit den Grundlagen des Staates nicht verträgt. Das können wir an dem Beispiel des Odysseus deutlich aufzeigen. Die Gefährten des Odysseus führten nämlich seine Anordnung aus, als sie sich weigerten, ihn, der am Schiffsmast angebunden und vom Sirenengesang bezaubert war, loszubinden, obwohl er es ihnen unter vielfachen Drohungen befahl; und es wird ihm als Weisheit angerechnet, daß er später seinen Gefährten dafür, daß sie seiner ersten Willensäußerung gehorcht hatten, gedankt hat. Diesem Beispiel des Odysseus folgend, pflegen auch Könige die Richter anzuweisen, Gerechtigkeit auszuüben, ohne auf jemanden besondere Rücksicht zu nehmen, selbst nicht auf den König, wenn er in einem bestimmten Fall etwas angeordnet hat, von dem sie wissen, daß es dem geltenden Recht widerstreitet. Denn Könige sind keine Götter, sondern Menschen, die sich häufig vom Sirenengesang verführen lassen. Wenn also alles von dem unbeständigen Willen eines einzelnen abhinge, dann gäbe es keinerlei Stabilität. Daher ist ein monarchischer Staat, um Bestand zu haben, so einzurichten, daß zwar alles dem Beschlusse des Königs gemäß geschieht, d. h. daß jedes Rechtsgesetz der erklärte Wille des Königs ist, daß aber nicht jeder Wille des Königs auch Gesetz ist; siehe dazu §§ 3, 5 und 6 des vorherigen Kapitels. § 2. Zu bemerken ist ferner, daß man bei der Errichtung der genannten Grundlagen in erster Linie die menschlichen Affekte im Auge haben muß. Es genügt nicht, wenn man gezeigt hat, was geschehen sollte; man muß vielmehr vor allem zeigen, wie zuwege gebracht werden kann, daß die Menschen, mögen sie von der Affektivität oder von der Vernunft geleitet sein, verbürgte



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ant. Nam si imperii jura, sive libertas publica, solo invalido legum auxilio nitatur, non tantum nulla ejus obtinendae erit civibus securitas, ut art. 3 cap. praec. ostendimus, sed etiam exitio erit. Nam hoc certum est, nullam civitatis conditionem miseriorem esse quam optimae, quae labascere incipit, nisi uno actu et ictu cadat et in servitutem ruat (quod sane impossibile videtur esse); ac proinde subditis multo satius esset suum jus absolute in unum transferre quam incertas et vanas sive irritas libertatis conditiones stipulari, atque ita posteris iter ad servitutem crudelissimam parare. At si imperii monarchici fundamenta, quae in praec. cap. retuli, firma esse ostendero nec divelli posse nisi cum indignatione maximae partis armatae multitudinis, et ex iis regi et multitudini pacem et securitatem sequi, atque haec ex communi hominum natura deduxero, dubitare nemo poterit eadem optima esse et vera, ut patet ex art. 9 cap. III et art. 3 et 8 praec. cap. Quod autem hujus illa naturae sint, quam paucis potero, ostendam. § 3. Quod officium ejus, qui imperium tenet, sit imperii statum et conditionem semper noscere et communi omnium saluti vigilare, et id omne, quod majori subditorum parti utile est, efficere, apud omnes in confesso est. Cum autem unus solus omnia perlustrare nequeat, nec semper animum praesentem habere et ad cogitandum instituere, et saepe morbo aut senectute aut aliis de causis rebus vacare publicis prohibeatur, necesse ergo est, ut monarcha consiliarios habeat, qui rerum statum noscant et regem consilio juvent et ipsius locum saepe suppleant; atque adeo fiat, ut imperium seu civitas una semper eademque mente constet.

14 hominum] Einfügung Wernham nach NS 24 vacare] vocare

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und unabänderliche Rechtsgesetze haben. Denn wenn sich die Rechtsgesetze des Staates, d. h. die öffentliche Freiheit, nur auf Vorschriften ohne Kraft stützen, dann wird den Bürgern nicht nur die Sicherheit fehlen, daß diese Gesetze eingehalten werden, wie wir in § 3 des vorherigen Kapitels gezeigt haben, sondern es wird auch der Untergang [der Freiheit] sein. Denn sicherlich ist keine Situation für ein Gemeinwesen schlechter, als wenn es aus einem vorzüglichen Zustand ins Wanken gerät, es sei denn, daß es mit einem Schlag auf einmal zusammenstürzt und in Sklaverei verfällt (was freilich unmöglich zu sein scheint). Die Untertanen hätten, so gesehen, mehr davon, wenn sie ihr Recht uneingeschränkt auf einen Einzigen übertragen, als wenn sie sich unbestimmte und inhaltsleere, d. h. wirkungslose, Garantien der Freiheit ausbedingen und so den Nachkommen den Weg in die grausamste Sklaverei bereiten. Werde ich aber gezeigt haben, daß die im vorherigen Kapitel beschriebenen Grundlagen des monarchischen Staates fest sind und nicht zerstört werden können, ohne die Entrüstung des größten Teiles der bewaffneten Bevölkerung hervorzurufen, und daß aus ihnen für beide, den König und die Menge, Frieden und Sicherheit folgen, und werde ich das aus der den Menschen gemeinsamen Natur hergeleitet haben, dann wird niemand mehr daran zweifeln können, daß sie die besten und wahren Grundlagen sind, so wie es aus § 9 des Kapitels III und aus §§ 3 und 8 des vorherigen Kapitels evident ist. Daß sie von diesem Charakter sind, will ich so kurz wie möglich zeigen. § 3. Daß es die Aufgabe des Inhabers der Regierungsgewalt ist, über den Zustand und die Verfassung des Staates stets unterrichtet zu sein, über das gemeinsame Wohl aller zu wachen und all das ins Werk zu setzen, was für die Mehrheit der Untertanen von Nutzen ist, darüber sind sich alle einig. Weil jedoch einer allein nicht alles überblicken, nicht immer geistig präsent und mit Nachdenken befaßt sein kann, ihn häufig Krankheit, Alter oder andere Gründe daran hindern, sich mit den Staatsgeschäften zu beschäftigen, benötigt der Monarch Räte, denen der Stand der Dinge bekannt ist, die den König mit Rat unterstützen und ihn häufig auch vertreten. So würde der Staat oder das Gemeinwesen stets aus ein und demselben Geist fortbestehen.



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§ 4. Sed quia cum humana natura ita comparatum est, ut unusquisque suum privatum utile summo cum affectu quaerat, et illa jura aequissima esse judicet, quae rei suae conservandae et augendae necessaria esse, et alterius causam eatenus defendat, quatenus rem suam eo ipso stabilire credit, hinc sequitur consiliarios necessario debere eligi, quorum privatae res et utilitas a communi omnium salute et pace pendeant. Atque adeo patet quod, si ex unoquoque civium genere sive classe aliquot eligantur, id majori subditorum parti utile erit, quod in hoc concilio plurima habuerit suffragia. Et quamvis hoc concilium, quod ex adeo magno civium numero componitur, frequentari necessario debeat a multis rudi admodum ingenio, hoc tamen certum est, unumquemque in negotiis, quae diu magno cum affectu exercuit, satis callidum atque astutum esse. Quapropter si nulli alii eligantur nisi ii, qui ad quinquagesimum aetatis annum usque negotia sua sine ignominia exercuerunt, satis apti erunt, ut consilia res suas concernentia dare possint, praesertim si in rebus majoris ponderis tempus ad meditandum concedatur. Adde quod longe abest, ut concilium, quod paucis constat, a similibus non frequentetur. Nam contra maxima ejus pars ex hominibus ejusmodi constat, quandoquidem unusquique ibi maxime conatur socios habere bardos, qui ab ipsius ore pendeant, quod in magnis conciliis locum non habet. § 5. Praeterea certum est unumquemque malle regere quam regi. Nemo enim volens imperium alteri concedit, ut habet Sallustius in prima ad Caesarem oratione. Ac proinde patet, quod multitudo integra nunquam jus suum in paucos aut unum transferet, si inter ipsam convenire possit, nec ex controversiis, quae plerumque in magnis conciliis excitantur, in seditiones ire; atque adeo multitudo id libere tantummodo in regem transfert, quod absolute in potestate ipsa habere nequit, hoc est, controversiarum

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§ 4. Weil aber die menschliche Natur so verfaßt ist, daß ein jeder seinen privaten Vorteil mit aller Leidenschaft sucht und diejenigen Rechtsgesetze für die billigsten hält, die für die Erhaltung und Vermehrung seines eigenen Besitzes erforderlich sind, und weil ein jeder die Sache eines anderen nur so weit verteidigt, wie er damit seine eigene zu stärken glaubt, ist es unvermeidlich, Räte zu benennen, deren Privatbesitz und Eigeninteresse von dem gemeinsamen Wohl und dem Frieden aller abhängig sind. Offensichtlich wird es für die Mehrheit der Untertanen von Vorteil sein, wenn aus jeder Gruppe oder Klasse von Bürgern ein paar gewählt werden, wird sie doch so sehr viele Stimmen in der genannten Ratsversammlung haben. Und obwohl diese Versammlung, die sich dann aus einer großen Zahl von Bürgern zusammensetzt, unausweichlich auch mit vielen ziemlich ungebildeten Vertretern besetzt ist, ist doch sicher, daß ein jeder in Geschäften, die er lange mit großem Eifer betrieben hat, hinreichend gewandt und schlau ist. Wenn daher nur solche gewählt werden, die bis zu ihrem fünfzigsten Lebensjahr ihre eigenen Geschäfte ehrenhaft betrieben haben, werden diese ausreichend befähigt sein, Ratschläge in ihren eigenen Angelegenheiten geben zu können, zumal wenn ihnen bei Fragen von größerem Gewicht eine Bedenkzeit eingeräumt wird. Außerdem ist die Annahme abwegig, daß eine Versammlung, die aus wenigen besteht, aus ähnlichen Vertretern sich nicht zusammensetzte. Im Gegenteil wird sie weitgehend aus Leuten dieses Schlages bestehen, weil jeder sehr darauf aus sein wird, zu Kollegen einfältige Menschen zu haben, die an seinen Lippen hängen, was in großen Versammlungen nicht passiert. § 5. Überdies ist sicher, daß jeder lieber herrschen als gehorchen will. Denn niemand überläßt freiwillig einem andern die Herrschaft, wie Sallust in seiner ersten Rede an Cäsar sagt. Demnach ist klar, daß eine ungeschwächte Menschenmenge niemals ihr Recht auf einige wenige oder auf einen Einzigen übertragen würde, wenn sie in sich einig werden könnte und so verhinderte, daß Streitereien, wie sie in großen Versammlungen meist entstehen, in Aufruhr übergehen. Daher überträgt eine Menge aus freiem Entschluß nur dasjenige auf den König, was sie nicht uneingeschränkt in ihrer Gewalt haben kann, nämlich Streitfälle zu



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diremptionem et in decernendo expeditionem. Nam quod saepe etiam fit, ut rex belli causa eligatur, quia scilicet bellum a regibus multo felicius geritur, inscitia sane est, nimirum quod, ut bellum felicius gerant, in pace servire velint; si quidem pax eo in imperio potest concipi, cujus summa potestas sola belli causa in unum translata est, qui propterea virtutem suam et quid omnes in ipso uno habeant, maxime in bello ostendere potest; cum contra imperium democraticum hoc praecipuum habeat, quod ejus virtus multo magis in pace quam in bello valet. Sed quacunque de causa rex eligatur, ipse solus, ut jam diximus, quid imperio utile sit, scire nequit; sed ad hoc, ut in praec. art. ostendimus, necesse est, ut plures cives consiliarios habeat. Et quia concipere nequaquam possumus, quod aliquid de re consulenda potest concipi, quod tam magnum hominum numerum effugerit, sequitur, quod praeter omnes hujus concilii sententias, quae ad regem deferuntur, nulla poterit concipi ad populi salutem idonea. Atque adeo, quia populi salus suprema lex seu regis summum jus est, sequitur jus regis esse unam ex latis concilii sententiis eligere, non autem contra totius concilii mentem quicquam decernere vel sententiam ferre (vide art. 25 praeced. cap.). Sed si omnes sententiae in concilio latae ad regem deferendae essent, fieri posset, ut rex parvis urbibus, quae pauciora habent suffragia, semper faveret. Nam quamvis ex lege concilii statutum sit, ut sententiae non indicatis earum authoribus deferantur, nunquam tamen tam bene cavere poterunt, ut non aliqua effluat; ac proinde necessario statuendum est, ut illa sententia, quae centum ad minimum suffragia non habuerit, irrita habeatur; quod quidem jus majores urbes summa vi defendere debebunt.

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schlichten und durch Entscheid zu einem guten Ende zu bringen. Einen König um des Krieges willen zu wählen, was häufig geschieht, weil man glaubt, Kriege könnten mit größerem Erfolg von Königen geführt werden, ist eine große Dummheit. Man will, um erfolgreicher Krieg zu führen, sich in Friedenszeiten in die Sklaverei begeben, wenn überhaupt von Frieden in einem Staat gesprochen werden kann, dessen höchste Gewalt bloß um des Krieges willen einem einzigen Menschen übertragen worden ist, der deshalb seine Trefflichkeit und den Nutzen, den alle von ihm selbst haben, in erster Linie im Krieg zeigen kann; demgegenüber besteht der Vorzug des demokratischen Staates gerade darin, daß sein Wert weit mehr im Frieden als im Krieg zur Geltung kommt. Aber aus welchem Grund man auch einen König wählt, er allein kann, wie gesagt, nicht wissen, was für den Staat von Nutzen ist; hierfür benötigt er, wie wir im vorherigen § gezeigt haben, zahlreiche Bürger als Räte. Und weil es undenkbar ist, daß sich bei einer zur Beratung stehenden Sache etwas ersinnen ließe, das einer so großen Zahl von Menschen entgangen sein könnte, läßt sich außer den in der Ratsversammlung vorgetragenen und dem König vorgelegten Ansichten keine weitere denken, die dem Wohl des Volkes dient. Weil nun das Wohl des Volkes das oberste Gesetz ist, d. h. das höchste Recht des Königs, hat der König folglich das Recht, aus den vorgelegten Ansichten der Ratsversammlung eine auszuwählen, aber nicht das Recht, gegen den Geist der ganzen Versammlung eine Entscheidung zu treffen oder ein Urteil zu fällen (vgl. § 25 des vorherigen Kapitels). Wären jedoch alle in der Versammlung vorgetragenen Ansichten dem König vorzulegen, könnte es geschehen, daß der König immer die kleineren Städte, die die wenigsten Stimmen haben, begünstigte. Denn wenn auch die Geschäftsordnung der Ratsversammlung bestimmt, daß die Ansichten anonym vorgetragen werden, wird es sich doch niemals ganz verhindern lassen, daß nicht irgend etwas an die Öffentlichkeit kommt. Deshalb ist die gesetzliche Festlegung nötig, daß eine Ansicht, die nicht mindestens hundert Stimmen auf sich vereinigt hat, als ungültig anzusehen ist, ein Recht, das die größeren Städte mit aller Entschiedenheit werden verteidigen müssen.



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§ 6. Atque hic, nisi brevitati studerem, magnas hujus concilii utilitates alias ostenderem; unam tamen, quae maximi videtur esse momenti, adducam, nempe quod nullum majus ad virtutem incitamentum dari potest hac communi spe summum hunc honorem adipiscendi. Nam gloria maxime ducimur omnes, ut in nostra Ethica fuse ostendimus. § 7. Quin majori hujus concilii parti nunquam animus gerendi bellum, sed magnum pacis studium et amor semper futurus sit, dubitari non potest. Nam praeterquam quod ex bello ipsis timor semper erit bona sua cum libertate amittendi, accedit, quod ad bellum novi sumptus requirantur, quos suppeditare debent, ac etiam quod ipsorum liberi et affines, curis domesticis intenti, studium ad arma in bello applicare et militatum ire cogentur, unde domum nihil praeter gratuitas cicatrices referre poterunt. Nam, uti art. 31 praeced. cap. diximus, militiae stipendia nulla solvenda, et art. 10 ejusdem cap. ipsa ex solis civibus et ex nullis aliis formanda. § 8. Ad pacem et concordiam aliud praeterea, quod etiam magni est momenti, accedit, nempe quod nullus civis bona fixa habeat (vid. art. 12 praeced. cap.). Unde omnibus ex bello par propemodum periculum est; nam omnes lucri causa mercaturam exercere, vel argentum suum invicem credere, si, ut olim ab Atheniensibus, lex lata sit, qua prohibeatur unicuique argentum suum foenere aliis quam incolis dare; atque adeo negotia tractare debebunt, quae vel invicem intricata sunt, vel quae eadem media, ut promoveantur, requirunt. Atque adeo hujus concilii maximae parti circa res communes et pacis artes una plerumque eademque erit mens; nam, ut art. 4 hujus cap. diximus, unusquisque alterius causam eatenus defendit, quatenus eo ipso rem suam stabilire credit.

15 art. 31] art. 30 16 art. 10] art. 11

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§ 6. Hier würde ich, wenn ich nicht nach Kürze strebte, noch weitere große Vorteile dieser Versammlung darlegen. Doch einen nur, der mir vom größten Gewicht zu sein scheint, will ich anführen. Es ist der, daß es keinen größeren Anreiz zur Tüchtigkeit geben kann als die allgemein verbreitete Hoffnung, diese höchste Ehrenstelle zu erlangen. Von Ruhmsucht nämlich werden wir alle am meisten bewegt, wie wir in unserer »Ethik« ausführlich gezeigt haben. § 7. Daß die Mehrheit dieser Versammlung sich niemals für den Krieg begeistern, sondern immer eine große Neigung und Liebe zum Frieden haben wird, daran kann niemand zweifeln. Denn abgesehen davon, daß man im Kriegsfall fürchten muß, mit der Freiheit sein Hab und Gut zu verlieren, macht der Krieg auch zusätzliche Ausgaben erforderlich, für die man aufkommen muß; selbst Kinder und Anverwandte, die sonst die Sorge für das Hauswesen tragen, sind gezwungen, ihren Eifer dem Kriegshandwerk zu widmen und ins Feld zu ziehen, von wo sie weiter nichts als Gratis-Narben nach Hause bringen können. Denn der Miliz ist, wie wir in § 31 des vorherigen Kapitels gesagt haben, kein Sold zu zahlen; und nach § 11 desselben Kapitels ist sie bloß aus Bürgern und aus niemandem sonst zu formieren. § 8. Noch etwas anderes, ebenfalls von großer Bedeutung für den Erhalt von Frieden und Eintracht, kommt hinzu, daß nämlich kein Bürger unbewegliches Eigentum besitzen soll (vgl. § 12 des vorherigen Kapitels). Daher ist die aus einem Krieg drohende Gefahr für alle fast gleich; um des Profits willen werden nämlich alle genötigt sein, Handel zu treiben oder untereinander Geld auszuleihen, vor allem, wenn es, wie einst bei den Athenern, ein Gesetz gibt, das verbietet, anderen als den Einheimischen gegen Zinsen Kredit zu geben. Sie werden also Geschäfte betreiben müssen, die miteinander zusammenhängen oder wenigstens auf dieselben Mittel angewiesen sind, um zu einem guten Ende gebracht zu werden. Deshalb wird eine deutliche Mehrheit dieser Versammlung hinsichtlich der gemeinsamen Angelegenheiten und der Bereitschaft zum Frieden meistens eines Sinnes sein, denn jeder verteidigt, wie wir in § 4 dieses Kapitels gesagt haben, die Sache eines anderen so weit, wie er damit die eigene zu sichern glaubt.



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§ 9. Quod nemo unquam in animum inducet hoc concilium muneribus corrumpere, dubitari non potest. Si enim aliquis ex tam magno hominum numero unum aut alterum ad se trahat, sane nihil promovebit; nam, uti diximus, sententia, quae centum ad minimum suffragia non habuerit, irrita est. § 10. Quod praeterea hujus concilii semel stabiliti membra ad minorem numerum redigi non poterunt, facile videbimus, si hominum communes affectus consideremus. Omnes enim gloria maxime ducuntur, et nullus est, qui sano corpore vivit, qui non speret in longam senectutem vitam trahere. Si itaque calculum ineamus eorum, qui revera annum quinquagesimum aut sexagesimum aetatis attigerunt, et rationem praeterea habeamus magni istius concilii numeri, qui quotannis eligitur, videbimus vix aliquem eorum, qui arma ferunt, dari posse, qui non magna spe teneatur huc dignitatis ascendere; atque adeo omnes hoc concilii jus, quantum poterunt, defendent. Nam notandum, quod corruptio, nisi paulatim irrepat, facile praevenitur; at quia facilius concipi potest et minori invidia fieri, ut ex unaquaque familia quam ut ex paucis minor numerus eligatur, aut ut una aut alia secludatur, ergo (per art. 15 praeced. cap.) consiliariorum numerus non potest ad alium minorem redigi, nisi simul ab eo una tertia, quarta aut quinta pars auferatur, quae sane mutatio admodum magna est et consequenter a communi praxi omnino abhorrens. Nec mora praeterea sive in eligendo negligentia timenda est, quia haec ab ipso concilio suppletur. Vid. art. 16 praeced. cap. § 11. Rex igitur, sive multitudinis metu ductus, vel ut sibi armatae multitudinis majorem partem devinciat, sive animi gene-

20 art. 15] art. 14

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§ 9. Daß es nie jemandem in den Sinn kommen wird, diese Versammlung mit Geschenken zu bestechen, auch daran kann niemand zweifeln. Denn wenn jemand auch den einen oder anderen aus einer so großen Zahl von Menschen für sich gewinnen könnte, wird er damit doch nichts erreichen, ist doch, wie gesagt, eine Ansicht, die nicht mindestens hundert Stimmen auf sich vereinigt hat, wirkungslos. § 10. Daß zudem die Mitgliederzahl dieser einmal eingesetzten Versammlung sich nicht wird herabsetzen lassen, wird leicht ersichtlich werden, wenn wir die den Menschen gemeinsamen Affekte ins Auge fassen. Alle lassen sich nämlich in erster Linie von der Ruhmsucht bewegen, und es gibt keinen Menschen von guter Gesundheit, der sein Leben nicht auf ein hohes Alter zu bringen hoffte. Berechnen wir nun die Zahl derer, die tatsächlich das fünfzigste oder sechzigste Lebensjahr erreicht haben, und ziehen wir außerdem die große Zahl der jährlich neu zu wählenden Ratsmitglieder in Betracht, dann werden wir unter den Waffenfähigen kaum jemanden finden können, der sich nicht große Hoffnung machte, zu dieser ehrenhaften Position aufzusteigen. Daher werden alle dieses die [Zusammensetzung der] Ratsversammlung betreffende Gesetz nach Kräften verteidigen. Man beachte nämlich, daß sich seiner Aushöhlung, wenn sie sich nicht allmählich einschleicht, leicht vorbeugen läßt. Weil man leichter akzeptieren kann und es zudem weniger Neid erregt, wenn von einer Verkleinerung der Zahl jeder Familienverband betroffen ist, als wenn es nur einige sind oder der eine oder andere Verband gänzlich ausgeschlossen wird, kann (nach § 15 des vorherigen Kapitels) die Zahl der Ratsmitglieder nur so vermindert werden, daß man ein Drittel, Viertel oder Fünftel auf einmal wegnimmt, eine Veränderung, die doch wahrhaft sehr einschneidend ist und sich deshalb ganz und gar nicht zum allgemeinen Gebrauch empfiehlt. Und außerdem ist eine Verzögerung oder Sorglosigkeit bei der Wahl der Mitglieder nicht zu befürchten, weil die Ratsversammlung selbst sich ergänzt (vgl. § 16 des vorherigen Kapitels). § 11. Der König wird also, sei es aus Furcht vor der Menge, sei es um die Mehrheit des bewaffneten Volkes an sich zu binden, sei



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rositate ductus, ut scilicet utilitati publicae consulat, illam semper sententiam, quae plurima suffragia habuerit, hoc est (per art. 5 hujus cap.), quae imperii majori parti est utilior, firmabit, aut discrepantes sententias, quae ad ipsum delatae sunt, si fieri potest, conciliare studebit, ut omnes ad se trahat, qua in re nervos intendet suos, et ut tam in pace quam in bello experiantur, quid in ipso uno habeant; atque adeo tum maxime sui juris erit et imperium maxime habebit, quando maxime communi multitudinis saluti consulit. § 12. Nam rex solus omnes metu continere nequit; sed ipsius potentia, ut diximus, nititur militum numero, et praecipue eorundem virtute et fide, quae semper inter homines tamdiu constans erit, quamdiu indigentia, sive haec honesta sive turpis sit, copulantur. Unde fit, ut reges incitare saepius milites quam coercere, et magis eorum vitia quam virtutes dissimulare soleant, et plerumque, ut optimos premant, inertes et luxu perditos inquirere, agnoscere, pecunia aut gratia juvare, prehensare manus, jacere oscula, et omnia servilia pro dominatione agere. Ut itaque cives a rege prae omnibus agnoscantur, et quantum status civilis sive aequitas concedit, sui juris maneant, necesse est, ut militia ex solis civibus componatur, et ut ipsi a consiliis sint; et contra eos omnino subactos esse et aeterni belli fundamenta jacere, simulatque milites auxiliares duci patiuntur, quorum mercatura bellum est et quibus in discordiis et seditionibus plurima vis. § 13. Quod regis consiliarii ad vitam eligi non debeant, sed in tres, quatuor, vel quinque ad summum annos, patet tam ex art. 10 hujus capitis quam ex iis, quae in art. 9 hujus etiam capitis dixi-

3 aut] et Korrektur Gebhardt nach NS

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es um aus Großmut für das öffentliche Wohl zu sorgen, immer diejenige Ansicht bestätigen, die die meisten Stimmen auf sich vereinigt hat, d. h. (nach § 5 dieses Kapitels) die für die Mehrheit der Staatsbürger die vorteilhaftere ist; oder er wird danach trachten, die ihm vorgelegten widerstreitenden Ansichten so weit wie möglich zu versöhnen, um alle an sich zu binden, wofür er seine ganze Kraft aufbringen wird, und sie im Frieden wie im Krieg erfahren zu lassen, was sie allein an ihm haben. Und so wird er um so mehr unter eigenem Recht stehen und die Herrschaft um so mehr innehaben, je mehr er für das allgemeine Wohl der Menge Sorge trägt. § 12. In der Tat kann ein König von sich aus nicht alle durch Furcht im Zaume halten; vielmehr stützt sich seine Macht, wie gesagt, auf die Zahl der Soldaten und besonders auf deren Tüchtigkeit und Loyalität, die unter den Menschen stets nur so lange von Bestand sein wird, wie ein Bedürfnis, sei es ehrenhafter oder schimpflicher Art, sie zusammenhält. Daher kommt es, daß Könige gewöhnlich die Soldaten häufiger aufstacheln als im Zaume halten und eher deren Laster übersehen als deren Tüchtigkeiten [anerkennen], und daß sie meistens, um die Besten zu unterdrükken, Faule und Verkommene sich aussuchen, die sie anerkennen, mit Geld oder Gunst unterstützen, denen sie die Hände drükken, Küsse zuwerfen und für die sie, um über sie zu herrschen, alles tun, was einem Sklaven eigen ist. Um also sicherzustellen, daß die Bürger in den Augen des Königs höher stehen als andere Leute und sie, soweit der staatliche Zustand oder die Rechtsgleichheit es gestatten, ihr eigenes Recht bewahren, ist es unerläßlich, daß sich die Miliz bloß aus Bürgern zusammensetzt und daß ebendiese auch die Mitglieder der Ratsversammlung stellen. Dagegen ist es unausweichlich, daß sie gänzlich unterjocht werden und einen beständigen Krieg provozieren, sobald sie dulden, daß Hilfstruppen in Sold genommen werden, für die der Krieg ein Gewerbe ist und deren Einfluß bei Zwietracht und Aufruhr wächst. § 13. Daß die Räte des Königs nicht auf Lebenszeit gewählt werden dürfen, sondern nur auf drei, vier oder höchstens fünf Jahre, geht sowohl aus § 10 dieses Kapitels wie aus dem in § 9



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mus. Nam si ad vitam eligerentur, praeterquam quod maxima civium pars vix ullam spem posset concipere eum honorem adipiscendi; atque adeo magna inde inter cives inaequalitas, unde invidia et continui rumores et tandem seditiones orirentur, quae sane regibus dominandi avidis non ingratae essent; magnam praeterea ad omnia licentiam (sublato scilicet succedentium metu) sumerent, rege minime adversante. Nam quo civibus magis invisi, eo magis regi adhaerebunt eique ad adulandum magis proni erunt. Imo quinque annorum intervallum nimium adhuc videtur, quia eo temporis spatio non adeo impossibile factu videtur, ut magna admodum concilii (quam etiam magnum sit) pars muneribus aut gratia corrumpatur. Atque adeo longe securius res sese habebit, si quotannis ex unaquaque familia duo cedant et totidem iisdem succedant (si nimirum ex unaquaque familia quinque consiliarii habendi sunt), praeterquam eo anno, quo juris prudens alicujus familiae cedit et novus ejus loco eligitur. § 14. Rex praeterea nullus majorem sibi securitatem polliceri potest, quam qui in hujusmodi civitate regnat. Nam praeterquam quod cito perit, quem sui milites salvum esse nolunt, certum est regibus summum semper periculum esse ab iis, qui eis proximi sunt. Quo igitur consiliarii numero pauciores et consequenter potentiores sunt, eo regi majus ab ipsis periculum est, ne imperium in alium transferant. Nihil sane Davidem magis terruit, quam quod ipsius consiliarius Achitophel partes Absolomi elegerat. Huc accedit, si omnis potestas in unum absolute translata fuerit, quae tum longe facilius ex uno in alium transferri potest. Suscepere enim duo manipulares imperium Romanum transferre, et transtulerunt (Tacit. Hist. lib. I). Omitto artes et astus

7 sumerent] sument Korrektur Gebhardt nach NS 26 quae] Wernham liest quod

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dieses Kapitels Gesagten hervor. Denn würden sie auf Lebenszeit gewählt, könnte sich der größte Teil der Bürger kaum Hoffnung machen, einmal diese Ehrenstelle einzunehmen. Daraus entstünde unter den Bürgern große Ungleichheit und mit ihr Neid, beständiges Murren und schließlich offene Empörung, was sicherlich herrschsüchtigen Königen nicht unwillkommen wäre. Außerdem träte bei den Räten selbst, befreit von der Furcht vor Nachfolgern, in allem eine große Willkür zu Tage, welcher der König nicht im geringsten entgegentreten würde. Denn je mehr sie bei den Mitbürgern verhaßt sind, um so mehr werden sie sich dem König anschließen und ihm zu schmeicheln geneigt sein. Selbst ein Zeitraum von fünf Jahren ist offenbar noch zu lang, weil es nicht ganz unmöglich zu sein scheint, daß sich doch ein recht großer Teil der Ratsversammlung, wie groß sie auch sein mag, in dieser Zeit mit Geschenken oder Begünstigungen bestechen läßt. Deshalb wird es weit sicherer sein, wenn jährlich aus jedem Familienverband zwei ausscheiden und ebensoviele nachrücken (vorausgesetzt, daß jeder Familienverband fünf Ratsmitglieder zu haben hat), außer in dem Jahr, in dem der Rechtskundige eines Familienverbandes ausscheidet und ein neuer an dessen Stelle gewählt wird. § 14. Kein König kann überdies sich selbst eine größere Sicherheit verheißen als der in einem Gemeinwesen dieser Art regierende. Denn abgesehen davon, daß ein König, dem seine Soldaten nicht wohlgesonnen sind, schnell ins Verderben stürzt, droht Königen sicherlich die größte Gefahr immer von denjenigen, die ihnen am nächsten stehen. Je geringer also die Zahl der Räte ist und je mächtiger sie infolgedessen sind, um so mehr läuft der König Gefahr, daß sie die Herrschaft einem anderen übertragen. Nichts hat David wahrlich mehr erschreckt, als daß sein eigener Ratgeber Achitophel die Partei Absaloms ergriffen hatte. Hinzu kommt noch, daß, wenn die ganze Gewalt uneingeschränkt einem Einzigen übertragen worden ist, sie dann auch weit leichter von diesem einen auf einen anderen übergehen kann. Zwei gemeine Soldaten haben es unternommen, dem römischen Reich einen neuen Herrscher zu geben, und sie haben es vollbracht (Tacitus, Historien, Buch I). Ich übergehe die Kunst-



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callidos consiliariorum, quibus sibi cavere debent, ne invidiae immolentur, quia nimis noti sunt, et nemo, qui Historias legit, ignorare potest consiliariis fidem plerumque exitio fuisse; atque adeo, ut sibi caveant, eosdem callidos, non fidos esse oportet. Sed si consiliarii plures numero, quam ut in eodem scelere convenire possint, et omnes inter se aequales sint, nec ultra quadriennium eo officio fungantur, regi nequaquam formidolosi esse queunt, nisi libertatem iis adimere tentet, quo omnes cives pariter offendet. Nam (ut Ant. Perezius optime notat) imperio absoluto uti principi admodum periculosum, subditis admodum odiosum, et institutis tam divinis quam humanis adversum, ut innumera ostendunt exempla. § 15. Praeter haec alia fundamenta in praec. cap. jecimus, ex quibus regi magna imperii et civibus libertatis ac pacis obtinendae securitas oritur, quae suis locis ostendemus. Nam quae ad supremum concilium spectant, quaeque maximi ponderis sunt, ante omnia demonstrare volui; jam reliqua eo, quo ipsa proposui, ordine persequar. § 16. Quod cives eo potentiores et consequenter magis sui juris sint, quo majores urbes et magis munitas habent, dubio caret. Quo enim locus in quo sunt tutior est, eo libertatem suam melius tueri, sive hostem externum vel internum minus timere possunt; et certum est homines naturaliter securitati suae eo magis consulere, quo divitiis potentiores sunt. Quae autem urbes alterius potentia, ut conserventur, indigent, aequale jus cum eo non habent; sed eatenus alterius sunt juris, quatenus alterius potentia indigent. Jus enim sola potentia definiri in cap. II ostendimus.

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griffe und listigen Ränke der Räte, mit denen sie sich schützen müssen, um nicht der Mißgunst zum Opfer zu fallen, weil sie nur zu bekannt sind, und wer die Historien [von Tacitus] gelesen hat, muß wissen, daß die Loyalität der Ratgeber sehr oft zu deren Untergang geführt hat. Um sich selbst zu schützen, müssen sie verschlagen, nicht loyal sein. Sind die Räte jedoch zu zahlreich, um sich zu ein und demselben Verbrechen zusammentun zu können, sind sie untereinander alle gleich und beträgt ihre Amtsdauer nicht mehr als vier Jahre, hat der König nichts von ihnen zu fürchten, es sei denn, er versuchte, ihnen die Freiheit zu nehmen, womit er aber alle Bürger gleichermaßen gegen sich aufbrächte. Denn (wie Ant. Perez sehr treffend bemerkt) die uneingeschränkte Herrschaft auszuüben, ist für einen Fürsten sehr gefährlich, den Untertanen sehr zuwider und den göttlichen wie menschlichen Einrichtungen entgegen, wie unzählige Beispiele zeigen. § 15. Außer diesen Elementen habe ich im vorherigen Kapitel noch andere angeführt, die dem König die Souveränität und den Bürgern die Behauptung von Freiheit und Frieden mit großer Sicherheit verbürgen und die wir am gehörigen Ort darlegen wollen. Denn vor allem wollte ich die tragenden Elemente der obersten Ratsversammlung rechtfertigen, was zu tun von größter Wichtigkeit ist; nun will ich das übrige verfolgen, wobei ich mich an die Reihenfolge, in der ich es schon vorgebracht habe, halte. § 16. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Bürger um so mächtiger sind und folglich um so mehr unter eigenem Recht stehen, je größer und je besser befestigt ihre Städte sind. Denn je sicherer der Ort ist, in dem sie wohnen, um so besser können sie ihre Freiheit behaupten, d. h. um so weniger brauchen sie einen äußeren oder inneren Feind zu fürchten; und gewiß ist auch, daß die Menschen von Natur aus um so mehr auf ihre Sicherheit bedacht sind, je mächtiger sie aufgrund ihres Reichtums sind. Städte, die zu ihrer Erhaltung der Macht eines anderen bedürfen, haben nicht gleiches Recht wie ihr Beschützer, sondern stehen so weit unter dessen Recht, wie sie seiner Macht bedürfen. Was Recht ist, wird nämlich allein von der Macht her definiert, wie wir in Kapitel II gezeigt haben.



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§ 17. Hac eadem etiam de causa, ut cives scilicet sui juris maneant et libertatem tueantur, militia ex solis civibus nullo excepto constare debet. Est enim homo armatus magis quam inermis sui juris (vide art. 12 hujus cap.), et ii cives suum jus in alterum absolute transferunt ejusdemque fidei omnino committunt, cui arma dederunt et urbium munimenta crediderunt. Huc accedit humana avaritia, qua plerique maxime ducuntur. Fieri enim non potest, ut auxiliarius miles sine magnis sumptibus conducatur, et cives vix pati possunt exactiones, quae sustentandae otiosae militiae requiruntur. Quod autem nullus, qui integrae militiae vel magnae ejus parti imperet, nisi cogente necessitate in annum ad summum eligendus sit, norunt omnes, qui historias tam sacras quam profanas legerunt. Ratio autem nihil hoc clarius docet. Nam sane imperii robur ei omnino creditur, cui satis temporis conceditur, ut militarem gloriam occupet ipsiusque nomen supra regis attollatur, vel fidum sibi exercitum faciat obsequio, liberalitate et reliquis artibus ducibus assuetis, quibus alienum servitium et sibi dominationem quaerunt. Denique ad majorem totius imperii securitatem addidi, quod hi militiae imperatores eligendi sunt ex regis consiliariis, vel qui eodem officio functi sunt, hoc est, viris, qui eo aetatis pervenerunt, qua homines plerumque vetera et tuta quam nova et periculosa malint. § 18. Cives inter se familiis distinguendos esse dixi, et ex unaquaque aequalem consiliariorum numerum eligendum, ut majores urbes plures haberent pro numero civium consiliarios et plura, ut aequum est, adferre possent suffragia. Nam imperii potentia et consequenter jus ex civium numero aestimanda est; nec credo, quod ad hanc inter cives aequalitatem servandam aliud

3 Est enim] Etenim Korrektur Proietti 13 quam] quas

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§ 17. Aus ebendiesem Grund, damit nämlich die Bürger im Besitz ihres eigenen Rechtes bleiben und ihre Freiheit bewahren, muß die Miliz ausnahmslos aus Bürgern allein bestehen. Ein bewaffneter Mensch steht nämlich mehr unter eigenem Recht als ein unbewaffneter (vgl. § 12 dieses Kapitels); und die Bürger übertragen ihr Recht uneingeschränkt auf einen anderen und unterwerfen sich gänzlich seiner Obhut, sobald sie ihm die Waffen übergeben und die Befestigungsanlagen ihrer Städte anvertraut haben. Hinzu kommt die menschliche Habsucht, die ein äußerst starker Antrieb für die meisten ist. Unmöglich können Hilfstruppen ohne große Kosten rekrutiert werden, und die Bürger können kaum die Aufwendungen tragen, die durch den Unterhalt einer unbeschäftigten Miliz entstehen. Daß der Oberbefehlshaber des ganzen Kriegsheeres oder eines großen Teils desselben außer in Zeiten der Not nur auf höchstens ein Jahr zu ernennen ist, wissen alle, denen die heilige wie profane Geschichte vertraut ist. Auch die Vernunft lehrt nichts mit größerer Deutlichkeit. Denn die Kraft des Staates wird gewiß demjenigen gänzlich anvertraut, dem man genug Zeit läßt, Kriegsruhm zu erwerben und den eigenen Namen über den des Königs zu stellen oder auch das Heer durch Willfährigkeit, Freigiebigkeit und andere den Feldherren vertraute Machenschaften sich ergeben zu machen, Machenschaften, die dazu dienen, andere zu Knechten und sich selbst zu Despoten zu machen. Im Hinblick auf die größere Sicherheit des ganzen Staates habe ich schließlich hinzugefügt, daß die Militär-Kommandanten aus dem Kreis der Räte des Königs oder dem der ehemaligen Räte zu wählen sind, d. h. unter Männern, die schon ein Alter erreicht haben, in dem man zumeist das Alte und Bewährte dem Neuen und Gefährlichen vorzieht. § 18. Daß die Bürger in Familienverbänden einzuteilen sind und aus jedem Verband eine gleiche Anzahl von Räten zu wählen ist, habe ich betont, damit die größeren Städte im Verhältnis zur Zahl ihrer Bürger mehr Räte haben und billigermaßen auch mehr Stimmen abgeben können. Denn die Macht eines Staates und folglich sein Recht ist nach der Anzahl seiner Bürger zu bemessen; und ich glaube nicht, daß sich ein geeigneteres Mittel ersinnen läßt, die Gleichheit unter den Bürgern aufrechtzuer-



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medium aptius excogitari potest, qui omnes natura ita comparati sunt, ut unusquisque generi suo adscribi velit et stirpe a reliquis internosci. § 19. Praeterea in statu naturali unusquisque nihil minus sibi vindicare et sui juris facere potest quam solum et quicquid solo ita adhaeret, ut id nusquam abscondere nec portare, quo velit, possit. Solum igitur et quicquid ei ea, qua diximus, conditione adhaeret, apprime communis civitatis juris est, nempe eorum omnium, qui junctis viribus, vel ejus, cui omnes potestatem dederunt, qua id sibi vindicare possit. Et consequenter solum et quicquid ei adhaeret, tanti valere apud cives debet, quantum necesse est, ut pedem eo in loco figere et commune jus seu libertatem tueri possint. Caeterum utilitates, quas civitas hinc necesse est, ut capiat, ostendimus art. 8 hujus capitis. § 20. Ut cives, quantum fieri potest, aequales sint, quod in civitate apprime necessarium est, nulli nisi a rege oriundi nobiles censendi sunt. At si omnibus ex rege oriundis uxorem ducere seu liberos procreare liceret, successu temporis in magnum admodum numerum crescerent, et regi et omnibus non tantum oneri, sed formidolosissimi insuper essent. Homines enim, qui otio abundant, scelera plerumque meditantur. Unde fit, ut reges maxime nobilium causa inducantur bellum gerere, quia regibus nobilibus stipatis major ex bello quam ex pace securitas et quies. Sed haec, utpote satis nota, relinquo, ut et quae ex art. 15 usque ad 26 in praec. capite dixi; nam praecipua in hoc cap. demonstrata, et reliqua per se manifesta sunt. § 21. Quod judices plures numero esse debeant, quam ut a viro privato magna ejus pars possit muneribus corrumpi, ut et

1 qui] Wernham liest quia 7 possit] potest 25 26] 27

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halten, sind doch alle von Natur aus so verfaßt, daß jeder seinem eigenen Geschlecht zugerechnet und durch seine Abstammung sich von anderen unterschieden wissen will. § 19. Wenn es ferner im Naturzustand etwas gibt, das der einzelne nicht sich zuschreiben und unter eigenes Recht bringen kann, dann ist es der Grund und Boden und dasjenige, was so mit ihm verbunden ist, daß man es nirgendwo verstecken und nach Belieben wegtragen kann. Der Grund und Boden also und das in der genannten Weise mit ihm Verbundene stehen in besonderem Maße unter dem gemeinsamen Recht des Gemeinwesens, d. h. der Gesamtheit derer, die ihn mit vereinten Kräften beschützen, oder desjenigen, dem alle die Gewalt übertragen haben, ihn für sie zu beschützen. Folglich müssen Grund und Boden und das damit Verbundene in dem Maße für die Bürger einen Wert haben, wie sie ihn benötigen, um auf ihm einen festen Wohnsitz haben und dort ihr gemeinsames Recht, d. h. ihre Freiheit behaupten zu können. Im übrigen haben wir in § 8 dieses Kapitels die Vorteile dargelegt, die das Gemeinwesen unausweichlich aus dieser Regelung zieht. § 20. Damit die Bürger so weit wie möglich gleich sind, in einem Gemeinwesen ein äußerst notwendiger Aspekt, sind nur Abkömmlinge des Königs als Adlige anzusehen. Wäre es aber allen Abkömmlingen des Königs erlaubt, zu heiraten und Kinder zu zeugen, würde die Zahl der Adligen im Lauf der Zeit sehr anwachsen und für den König wie für alle Bürger nicht nur eine Last, sondern auch eine äußerst große Gefahr werden. Denn Menschen, die einen Überfluß an freier Zeit haben, denken gewöhnlich an kriminelle Machenschaften. Deshalb lassen sich Könige in erster Linie des Adels wegen zum Krieg verleiten, ziehen sie doch, wenn sie vom Adel umlagert sind, Sicherheit und Ruhe eher aus dem Krieg als aus dem Frieden. Aber da dies ja hinreichend bekannt ist, lasse ich es beiseite, ebenso wie das in §§ 15– 26 des vorherigen Kapitels Gesagte; die Hauptsache nämlich ist in diesem Kapitel bewiesen, und das übrige ist von selbst klar. § 21. Allgemein bekannt ist auch, daß die Zahl der Richter so groß sein muß, daß eine Bestechung ihrer Mehrheit durch einen Privatmann unmöglich ist, ferner daß sie nicht offen, son-

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quod suffragia non palam, sed clam ferre debeant, et quod vacationis praemium mereantur, omnibus etiam notum. Sed solent ubique annuum habere stipendium; unde fit, ut non admodum festinent lites dirimere, et saepe ut quaestionibus nullus sit finis. Deinde ubi bonorum publicatio regum emolumenta sunt, ibi saepe non jus aut verum in cognitionibus, sed magnitudo opum spectatur; passim delationes, et locupletissimus quisque in praedam correpti; quae gravia et intoleranda, sed necessitate armorum excusata etiam in pace manent. At judicum avaritia, qui scilicet in duos aut tres annos ad summum constituuntur, metu succedentium temperatur, ut jam taceam, quod judices bona fixa nulla habere possunt, sed quod argentum suum lucri causa concivibus credere debeant; atque adeo iis magis consulere quam insidiari coguntur, praesertim si ipsi judices magno, uti diximus, numero sint. § 22. At militiae nullum decernendum esse stipendium diximus; nam summum militiae praemium libertas est. In statu enim naturali nititur unusquisque sola libertatis causa sese quantum potest defendere, nec aliud bellicae virtutis praemium exspectat quam ut suus sit. In statu autem civili omnes simul cives considerandi perinde ac homo in statu naturali, qui propterea, dum omnes pro eo statu militant, sibi cavent sibique vacant. At consiliarii, judices, praetores, etc. plus aliis quam sibi vacant, quare iis vacationis praemium decerni aequum est. Accedit quod in bello nullum honestius nec majus victoriae incitamentum esse potest quam libertatis imago. Sed si contra civium aliqua pars militiae designetur, qua de causa necesse etiam erit iisdem certum stipendium decernere, rex necessario eosdem prae reliquis agnoscet (ut art. 12 hujus cap. ostendimus), homines scilicet, qui belli ar-

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dern geheim abstimmen müssen und für ihre Arbeit eine Vergütung erhalten. In der Regel haben sie überall ein Jahres-Gehalt, was aber dazu führt, daß sie sich nicht sehr beeilen, Prozesse zu beenden, Untersuchungen also oft gar kein Ende nehmen. Wo ferner die Einziehung der Güter zum Vorteil der Könige erfolgt, dort geschieht es oft, »daß bei Untersuchungen nicht auf Recht und Wahrheit, sondern auf die Größe des Vermögens geachtet wird; Denunziationen weit und breit; gerade die Reichsten fallen ihnen zur Beute; diese Härten und Unerträglichkeiten, entschuldigt noch durch den Notstand des Krieges, dauern auch im Frieden fort.« Hingegen wird bei Richtern, die nur für zwei, höchstens drei Jahre bestellt werden, die Habgier von der Furcht vor Nachfolgern in Schranken gehalten, ganz zu schweigen davon, daß Richter keine unbeweglichen Güter haben können und deshalb ihr Geld, um Profit daraus zu ziehen, ihren Mitbürgern ausleihen müßten. Mithin sind sie genötigt, eher auf deren Wohl bedacht zu sein, als sie zu benachteiligen, zumal wenn sie selber, wie gesagt, von großer Zahl sind. § 22. Der Miliz ist, wie gesagt, kein Sold zu entrichten, denn für den Kriegsdienst ist der höchste Lohn die Freiheit. Im Naturzustand trachtet nämlich jeder sich bloß um der Freiheit willen soviel er vermag zu verteidigen, und für seine Tüchtigkeit im Kampf erwartet er keinen anderen Lohn als sein eigener Herr zu sein. Im staatlichen Zustand sind nun die Bürger, alle zusammengenommen, wie ein einzelner Mensch im Naturzustand anzusehen. Wenn sie deshalb für diesen Zustand Krieg führen, dann schützen sie sich selbst und sind für sich selbst tätig. Räte dagegen, Richter, Verwaltungsbeamte usw. sind mehr für andere als für sich selbst tätig, und deshalb ist es billig, ihre Tätigkeit zu vergüten. Es kommt hinzu, daß es im Krieg keinen ehrenhafteren und stärkeren Ansporn zum Sieg geben kann als die Vorstellung der Freiheit. Wird andererseits nur ein Teil der Bürger zum Kriegsdienst bestimmt, denen man deswegen auch einen bestimmten Sold wird festsetzen müssen, dann wird der König diese Bürger unausweichlich höher als die übrigen schätzen (wie wir in § 12 dieses Kapitels gezeigt haben). Er begünstigt dann Menschen, die bloß das Kriegshandwerk verstehen, die im Frie-



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tes tantummodo norunt, et in pace propter nimium otium luxu corrumpuntur, et tandem propter inopiam rei familiaris nihil praeter rapinas, discordias civiles et bella meditantur. Atque adeo affirmare possumus imperium monarchicum hujusmodi revera statum belli esse, et solam militiam libertate gaudere, reliquos autem servire. § 23. Quae de peregrinis in civium numerum recipiendis art. 32 praeced. cap. diximus, per se nota esse credo. Praeterea neminem dubitare existimo, quod ii, qui regi sanguine propinqui sunt, procul ab eo esse debeant, et non belli, sed pacis negotiis distrahi, ex quibus ipsis decus et imperio quies sequatur. Quamvis nec hoc quidem Turcarum tyrannis satis tutum visum fuerit, quibus propterea religio est fratres omnes necare. Nec mirum; nam quo magis absolute imperii jus in unum translatum est, eo facilius ipsum (ut art. 14 hujus cap. exemplo ostendimus) ex uno in alium transferri potest. At imperium monarchicum, quale hic concipimus, in quo scilicet mercenarius miles nullus est, satis hoc, quo diximus, modo regis saluti cautum fore, extra dubium est. § 24. De iis etiam, quae art. 34 et 35 praeced. cap. diximus, ambigere nemo potest. Quod autem rex extraneam in uxorem ducere non debet, facile demonstratur. Nam praeterquam quod duae civitates, quanquam foedere inter se sociatae, in statu tamen hostilitatis sunt (per art. 14 cap. III), apprime cavendum est, ne bellum propter regis res domesticas concitetur; et quia controversiae et dissensiones ex societate praecipue, quae ex matrimonio fit, oriuntur, et quae inter duas civitates quaestiones sunt, jure belli plerumque dirimuntur, hinc sequitur imperio exitiale

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den aufgrund zu viel müßiger Zeit durch Schwelgerei verderbt werden und die endlich, vermögenslos wie sie sind, immer nur auf Räubereien, Bürgerzwiste und Kriege erpicht sind. Demnach können wir getrost behaupten, daß ein monarchischer Staat dieser Art in Wahrheit einen Zustand des Krieges darstellt, in dem allein die Soldaten die Freiheit genießen, während alle übrigen im Stand der Sklaverei sich befinden. § 23. Was wir in § 32 des vorherigen Kapitels über die Aufnahme von Fremden in den Stand der Bürger gesagt haben, spricht, wie ich glaube, für sich selbst. Auch wird meines Erachtens niemand daran zweifeln, daß die nächsten Blutsverwandten des Königs weit weggeschickt werden müssen, beauftragt mit Geschäften nicht des Krieges, sondern des Friedens, die ihnen selbst Ehre und dem Staat Ruhe einbringen. Selbst dies ist den türkischen Gewaltherrschern nicht sicher genug erschienen, die deshalb die unverbrüchliche Sitte haben, all ihre Brüder umzubringen. Kein Wunder, denn je uneingeschränkter das Recht der Souveränität einem Einzigen übertragen worden ist, um so leichter kann es auch (wie wir durch ein Beispiel in § 14 dieses Kapitels gezeigt haben) von dem einen auf einen anderen übergehen. Ein monarchischer Staat aber, wie wir ihn hier fassen, in dem es nämlich keinen einzigen Söldner gibt, wird in der angegebenen Weise die persönliche Sicherheit des Königs hinlänglich garantieren, das steht außer Zweifel. § 24. Auch über das in §§ 34 und 35 des vorherigen Kapitels Gesagte kann niemand im Ungewissen sein. Daß ferner der König keine Ausländerin zur Frau nehmen darf, läßt sich leicht beweisen. Denn abgesehen davon, daß zwei Gemeinwesen, auch wenn sie durch ein Bündnis miteinander verbunden sind, im Zustand der Feindseligkeit verbleiben (nach § 14 des Kapitels III), ist besonders darauf zu achten, daß nicht Krieg aus Familienangelegenheiten des Königs entsteht. Weil nun Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten vor allem aus einer durch Heirat zustande gekommenen Verbindung erwachsen und weil Streitfragen zwischen zwei Gemeinwesen gewöhnlich dem Kriegsrecht gemäß entschieden werden, ist es für einen Staat verderblich, eine so enge Verbindung mit einem anderen einzuge-



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esse arctam societatem cum alio inire. Hujus rei fatale exemplum in Scriptura legimus. Mortuo enim Salomone, qui filiam regis Aegypti sibi matrimonio junxerat, filius ejus Rehabeam bellum cum Susaco Aegyptiorum rege infelicissime gessit, a quo omnino subactus est. Matrimonium praeterea Ludovici XIV, regis Galliarum, cum filia Philippi IV novi belli semen fuit; et praeter haec plurima exempla in historiis leguntur. § 25. Imperii facies una eademque servari, et consequenter rex unus et ejusdem sexus, et imperium indivisibile esse debet. Quod autem dixerim, ut filius regis natu major patri jure succedat, vel (si nulli sint liberi) qui regi sanguine proximus est, patet tam ex artic. 13 praeced. cap. quam quia regis electio, quae a multitudine fit, aeterna, si fieri potest, esse debet; alias necessario fiet, ut summa imperii potestas saepe ad multitudinem transeat, quae mutatio summa est et consequenter periculosissima. Qui autem statuunt regem ex eo, quod imperii dominus est idque jure absoluto tenet, posse, cui vellet, idem tradere et successorem, quem velit, eligere, atque adeo regis filium imperii haeredem jure esse, falluntur sane. Nam regis voluntas tamdiu vim juris habet, quamdiu civitatis gladium tenet; imperii namque jus sola potentia definitur. Rex igitur regno cedere quidem potest, sed non imperium alteri tradere nisi connivente multitudine vel parte ejus validiore. Quod ut clarius intelligatur, venit notandum, quod liberi non jure naturali sed civili parentum haeredes sunt. Nam sola civitatis potentia fit, ut unusquisque quorundam bonorum sit dominus. Quare eadem potentia sive jure, quo fit, ut voluntas alicujus, qua de suis bonis statuit, rata sit, eodem fit, ut eadem voluntas etiam post ipsius mortem rata maneat, quamdiu civitas

4 Susaco] Susano

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hen. Ein verhängnisvolles Beispiel dafür lesen wir in der Schrift. Nach dem Tod von Salomon, der eine Tochter des Königs von Ägypten geheiratet hatte, hat sein Sohn Rehabeam einen höchst unglücklichen Krieg gegen Susak, den König von Ägypten, geführt, von dem er vollständig unterworfen wurde. Auch die Ehe von Ludwig XIV., dem König von Frankreich, mit der Tochter von Philipp IV., [dem König von Spanien,] ist zum Keim eines Krieges in unserer Zeit geworden; und man findet noch viele andere Beispiele hierfür in der Geschichte. § 25. Die Gestalt des Staates muß ein und dieselbe bleiben, und deshalb darf es nur einen König geben und aus immer demselben Geschlecht, und der Staat muß unteilbar sein. Wenn ich ferner gesagt habe, der älteste Sohn des Königs sei der rechtmässige Nachfolger des Vaters oder, wenn keine Kinder da sind, sein nächster Blutsverwandter, so geht das aus § 13 des vorherigen Kapitels hervor, ebenso auch daraus, daß die Wahl des Königs durch die Menge nach Möglichkeit für alle Zeit sein muß. Andernfalls fiele unausweichlich die höchste Gewalt des Staates häufig in die Hände der Menge zurück; das ist eine Veränderung von großer Tragweite und folglich sehr gefährlich. Wer aber behauptet, der König könne den Staat, weil er ihn als dessen Herr mit uneingeschränktem Recht in Händen hält, übertragen, wem er wolle, und zum Nachfolger wählen, wen er wolle, und der Sohn des Königs sei deshalb von Rechts wegen Erbe des Staates, ist sicherlich im Irrtum. Denn der Wille des Königs hat nur so lange Rechtskraft, wie er das Schwert des Gemeinwesens in Händen hält, wird doch das Recht eines Staates allein von dessen Macht her definiert. Der König kann also abdanken, den Staat kann er aber einem anderen nur übertragen, wenn die Menge oder ihr einflußreicherer Teil die Zustimmung dazu gibt. Zum besseren Verständnis dieses Sachverhaltes ist zu bemerken, daß Kinder nicht nach natürlichem, sondern nach staatlichem Recht die Erben ihrer Eltern sind. Denn allein kraft der Macht des Gemeinwesens ist ein jeder Herr bestimmter Güter. Dieselbe Macht, d. h. dasselbe Recht, das den Willen eines Menschen, mit dem er über seine Güter verfügt, rechtskräftig sein läßt, macht deshalb zugleich, daß dieser Wille auch nach dem Tod des In-

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permanet; et hac ratione unusquisque in statu civili idem jus, quod dum in vivis est, etiam post mortem obtinet, quia, uti diximus, non tam sua quam civitatis potentia, quae aeterna est, de suis bonis quicquam statuere potest. At regis alia prorsus est ratio. Nam regis voluntas ipsum jus civile est et rex ipsa civitas; mortuo igitur rege obiit quodammodo civitas, et status civilis ad naturalem et consequenter summa potestas ad multitudinem naturaliter redit, quae propterea jure potest leges novas condere et veteres abrogare. Atque adeo apparet neminem regi jure succedere nisi quem multitudo successorem vult, vel in theocratia, qualis Hebraeorum civitas olim fuit, quem Deus per prophetam elegerit. Possemus praeterea haec inde deducere, quod regis gladius sive jus sit revera ipsius multitudinis sive validioris ejus partis voluntas, vel etiam ex eo, quod homines ratione praediti nunquam suo jure ita cedunt, ut homines esse desinant et perinde ac pecudes habeantur. Sed haec ulterius persequi non est opus. § 26. Caeterum religionis sive Deum colendi jus nemo in alium transferre potest. Sed de hoc in duobus ultimis capitibus Tractatus Theologico-Politici prolixe egimus, quae hic repetere superfluum est. Atque his me optimi imperii monarchici fundamenta satis clare, quamvis breviter, demonstrasse autumo. Eorum autem cohaerentiam sive imperii analogiam facile unusquisque observabit, qui eadem simul aliqua cum attentione contemplari velit. Superest tantum monere me hic imperium monarchicum concipere, quod a libera multitudine instituitur, cui solummodo haec ex usu esse possunt. Nam multitudo, quae alii imperii for-

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dividuums so lange rechtskräftig bleibt, wie das Gemeinwesen fortbesteht. Aus diesem Grund behält im staatlichen Zustand ein jeder dasselbe Recht, das er während seines Lebens hat, auch nach seinem Tode, weil, wie gesagt, nicht seine eigene Macht es ist, kraft derer er über seine Güter verfügen kann, sondern die des Gemeinwesens, die immerwährend ist. Ganz anders verhält es sich aber beim König. Denn der Wille des Königs ist das staatliche Recht selbst und der König das Gemeinwesen selbst. Ist also der König gestorben, ist auch das Gemeinwesen gewissermaßen gestorben; der staatliche Zustand kehrt in den natürlichen zurück, und folglich fällt die höchste Gewalt natürlicherweise an die Menge zurück, die deshalb zu Recht neue Gesetze geben und die alten aufheben kann. Daraus wird klar, daß nur derjenige rechtmäßiger Nachfolger des Königs ist, den die Menge zum Nachfolger will, oder, in einer Theokratie wie einst bei den Hebräern, den Gott durch einen Propheten auserwählt hat. Dies könnten wir übrigens auch daraus herleiten, daß das Schwert des Königs, d. h. sein Recht, in Wahrheit der Wille der Menge selbst oder ihres einflußreicheren Teils ist, oder auch daraus, daß vernunftbegabte Menschen sich niemals ihres Rechts so begeben, daß sie aufhörten Menschen zu sein und sich wie Vieh behandeln ließen. Aber es ist nicht nötig, dies weiter zu verfolgen. § 26. Schließlich kann niemand das Recht, eine Religion auszuüben, d. h. Gott zu verehren, auf einen andern übertragen. Indes haben wir diesen Gegenstand in den beiden letzten Kapiteln unseres »Theologisch-Politischen Traktates« ausführlich behandelt, so daß es überflüssig ist, dies hier zu wiederholen. Hiermit meine ich die Grundlagen des monarchischen Staates in seiner besten Gestalt hinlänglich klar, wenn auch kurz, gerechtfertigt zu haben. Deren interne Verknüpfung und damit die rechte Proportionalität [der Kräfte] eines Staates wird jeder leicht bemerken, der sie mit einiger Aufmerksamkeit in ihrem Zusammenhang zu betrachten bereit ist. Ich habe nur noch daran zu erinnern, daß ich hier einen monarchischen Staat im Blick habe, welcher von einer freien Menge errichtet worden ist, der allein die genannten Grundlagen von Nutzen sein können. Denn eine Menge, die schon an eine andere Regierungsform gewöhnt ist, wird nicht



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mae assuevit, non poterit sine magno eversionis periculo totius imperii recepta fundamenta evellere et totius imperii fabricam mutare. § 27. Atque haec, quae scripsimus, risu forsan excipientur ab iis, qui vitia, quae omnibus mortalibus insunt, ad solam plebem restringunt; nempe quod in vulgo nihil modicum, terrere ni paveant, et quod plebs aut humiliter servit aut superbe dominatur, nec ei veritas aut judicium, etc. At natura una et communis omnium est. Sed potentia et cultu decipimur; unde est, ut duo cum idem faciunt, saepe dicamus, hoc licet impune facere huic, non licet, non quod dissimilis res sit, sed qui facit. Dominantibus propria est superbia. Superbiunt homines annua designatione. Quid nobiles, qui honores in aeternum agitant. Sed eorum arrogantia fastu, luxu, prodigalitate certoque vitiorum concentu et docta quadam insipientia et turpitudinis elegantia adornatur, ita ut vitia, quorum singula seorsim spectata, quia tum maxime eminent, foeda et turpia sunt, honesta et decora imperitis et ignaris videantur. Nihil praeterea in vulgo modicum; terrere nisi paveant; nam libertas et servitium haud facile miscentur. Denique quod plebi nulla veritas neque judicium sit, mirum non est, quando praecipua imperii negotia clam ipsa agitantur, et non nisi ex paucis, quae celari nequeunt, conjecturam facit. Judicium enim suspendere rara est virtus. Velle igitur clam civibus omnia agere, et ne de iisdem prava judicia ferant, neque ut res omnes sinistre interpretentur, summa est inscitia. Nam si plebs sese temperare et de rebus parum cognitis judicium suspendere vel ex paucis

4 Atque] Wernham liest Atqui 17 foeda] faeda

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ohne große Gefahr des Umsturzes die überlieferten Grundlagen des ganzen Staates beseitigen und seinen Bau vollständig umändern können. § 27. Trotzdem wird das, was wir geschrieben haben, vielleicht von jenen mit Lächeln aufgenommen werden, die die Laster, die allen Sterblichen innewohnen, auf das niedere Volk allein beschränken. Beim niederen Volk gäbe es kein Maßhalten; schrecklich sei es, wenn es sich nicht fürchtet; es krieche, wenn es beherrscht wird, und sei arrogant, wenn es herrscht; Wahrheit und Urteilskraft seien ihm fremd, usw. Aber die Natur ist nur eine und allen Menschen gemeinsam. Was uns irreleitet, sind Macht und Erziehung. Deshalb sagen wir oft, wenn zwei das gleiche tun, dürfe der eine es ungestraft tun, der andere aber nicht; nicht weil die Handlung verschieden wäre, sagen wir es, sondern weil ihr Urheber es ist. Den Herrschenden ist der Hochmut eigen. Hochmütig sind die Menschen, wenn sie für ein Jahr einen Posten bekleiden: wie mag es dann mit den Adligen bestellt sein, die ihre Ehrenstellen für immer besitzen! Ihre Arroganz wird freilich durch Prahlerei, Luxus und Verschwendung, einen gewissen Stil ihrer Laster, brillante Stupidität und elegante Verderbtheit so geschmückt, daß ihre Laster, die, einzeln und isoliert betrachtet, offensichtlich schändlich und liederlich sind, in den Augen der Unerfahrenen und Unwissenden einen Schein des Noblen und Feinen haben. Ferner, das gemeine Volk kennt kein Maßhalten und ist schrecklich, wenn es nichts fürchtet; allerdings, Freiheit und Knechtschaft gesellen sich nicht leicht zueinander. Daß schließlich nicht Wahrheit und Urteilskraft bei dem Pöbel zu finden sind, darüber darf man sich nicht wundern, wenn die wichtigsten Angelegenheiten des Staates ohne dessen Wissen erledigt werden und er nur aus dem wenigen, was sich nicht verheimlichen läßt, seine Schlüsse zieht. Sein Urteil zurückzuhalten, ist in der Tat eine seltene Tugend. Zu wollen, daß man alles ohne Wissen der Bürger erledige und diese gleichwohl nicht verkehrte Urteile darüber fällen und alles ungünstig auslegen, ist größte Torheit. Denn könnte der Pöbel sich mäßigen, also über das zu wenig Bekannte sein Urteil zurückhalten oder auf der Basis einer geringen Information über Sachverhalte ein richtiges Urteil fäl-



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praecognitis recte de rebus judicare posset, dignior sane esset, ut regeret quam ut regeretur. Sed, uti diximus, natura omnibus eadem est; superbiunt omnes dominatione, terrent nisi paveant, et ubique veritas plerumque infringitur ab infensis vel obnoxiis, praesertim ubi unus vel pauci dominantur, qui non jus aut verum in cognitionibus, sed magnitudinem opum spectant. § 28. Milites deinde stipendiarii, militari scilicet disciplinae assueti, algoris et inediae patientes, civium turbam contemnere solent, utpote ad expugnationes vel aperto marte dimicandum longe inferiorem. Sed quod imperium ea de causa infelicius sit aut minus constans, nullus, cui mens sana est, affirmabit. Sed contra unusquisque aequus rerum aestimator illud imperium omnium constantius esse non negabit, quod parta tantum tueri nec aliena appetere potest, quodque propterea bellum omnibus modis declinare et pacem tueri summo studio conatur. § 29. Caeterum fateor hujus imperii consilia celari vix posse. Sed unusquisque mecum etiam fatebitur multo satius esse, ut recta imperii consilia hostibus pateant, quam ut prava tyrannorum arcana clam civibus habeantur. Qui imperii negotia secreto agitare possunt, idem absolute in potestate habent, et ut hosti in bello, ita civibus in pace insidiantur. Quod silentium imperio saepe ex usu sit, negare nemo potest; sed quod absque eodem idem imperium subsistere nequeat, nemo unquam probabit. At contra rempublicam alicui absolute credere et simul libertatem obtinere, fieri nequaquam potest; atque adeo inscitia est parvum damnum summo malo vitare velle. Verum eorum, qui sibi imperium absolutum concupiscunt, haec unica fuit cantilena, civitatis omnino interesse, ut ipsius negotia secreto agitentur, et alia hujus-

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len, verdiente er wahrlich, eher zu regieren als regiert zu werden. Aber, wie gesagt, die Natur ist bei allen Menschen dieselbe: Alle sind arrogant, wenn sie herrschen; alle sind schrecklich, wenn sie nichts fürchten, und überall wird die Wahrheit am meisten verfälscht von den Verbitterten oder Unterwürfigen, vor allem da, wo einer allein oder einige wenige herrschen, die in Prozessen nicht auf Recht oder Wahrheit achten, sondern auf die Größe des Vermögens. § 28. Söldner, an militärische Disziplin gewöhnt und fähig, Kälte und Hunger zu ertragen, verachten gewöhnlich das Volk der Bürger, das ja bei Eroberungen oder in offener Feldschlacht weit hinter ihnen zurückbleibt. Daß dieser Tatbestand einen Staat aber weniger erfolgreich oder weniger stabil machte, wird kein Mensch von gesundem Verstand behaupten. Im Gegenteil, kein unparteiischer Beurteiler der Dinge wird leugnen, daß derjenige Staat stabiler als alle anderen ist, der stark genug ist, den eigenen Besitz zu schützen, ohne einen fremden zu begehren, und deshalb darauf aus ist, den Krieg mit allen Mitteln zu vermeiden und den Frieden mit größtem Eifer zu bewahren. § 29. Übrigens gebe ich zu, daß die Politik eines solchen Staates kaum geheim bleiben kann. Es wird mir aber jeder darin recht geben, daß es viel besser ist, wenn die ehrenwerte Politik eines Staates den Feinden zugänglich ist, als wenn die verwerflichen Machenschaften von Tyrannen den Bürgern verborgen bleiben. Diejenigen, die die Angelegenheiten des Staates im geheimen betreiben können, haben ihn uneingeschränkt in ihrer Gewalt; sie stellen den Bürgern im Frieden Fallen wie dem Feind im Krieg. Daß Schweigen für den Staat oft von Nutzen ist, kann niemand bestreiten; daß anders derselbe Staat sich aber nicht erhalten könne, wird nie jemand nachweisen können. Jemandem die Staatsgeschäfte uneingeschränkt anzuvertrauen und zugleich die Freiheit zu bewahren, ist hingegen in keiner Weise möglich, und Torheit ist es deshalb, einen geringen Schaden mit einem Übel größten Ausmaßes vermeiden zu wollen. Das ist freilich immer dieselbe Leier bei denen gewesen, die die uneingeschränkte Herrschaft für sich beanspruchen: das Interesse des Gemeinwesens fordere es ganz und gar, daß dessen Angelegenheiten geheim ge-



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modi, quae quanto magis utilitatis imagine teguntur, tanto ad infensius servitium erumpunt. § 30. Denique quamvis nullum, quod sciam, imperium his omnibus, quas diximus, conditionibus institutum fuerit, poterimus tamen ipsa etiam experientia ostendere hanc monarchici imperii formam optimam esse, si causas conservationis cujuscunque imperii non barbari et ejusdem eversionis considerare velimus. Sed hoc non sine magno lectoris taedio hic facere possem. Attamen unum exemplum, quod memoria dignum videtur, silentio praeterire nolo, nempe Arragonensium imperium, qui singulari erga suos reges fide affecti et pari constantia regni instituta inviolata servaverunt. Nam hi simulatque servile Maurorum jugum a cervicibus dejecerant, regem sibi eligere statuerunt; quibus autem conditionibus non satis inter eosdem conveniebat, et hac de causa summum Pontificem Romanum de ea re consulere constituerunt. Hic, Christi profecto vicarium hac in re se gerens, eos castigavit, quod non satis Hebraeorum exemplo moniti regem adeo obfirmato animo petere voluerint; sed si sententiam mutare nollent, suasit, ne regem eligerent nisi institutis prius ritibus satis aequis et ingenio gentis consentaneis, et apprime ut supremum aliquod concilium crearent, quod regibus, ut Lacedaemoniorum ephori, opponeretur, et jus absolutum haberet lites dirimendi, quae inter regem et cives orirentur. Hoc igitur consilium sequuti jura, quae ipsis omnium aequissima visa sunt, instituerunt, quorum summus interpres et consequenter supremus judex non rex, sed concilium esset, quod Septendecim vocant, et cujus praeses Justitia appellatur. Hic igitur Justitia et hi Septendecim, nullis suffragiis sed sorte ad vitam electi, jus absolutum habent omnes

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regelt werden, und anderes dieser Art, etwas, das, je mehr es mit dem Schein der Nützlichkeit bemäntelt wird, in eine nur noch schlimmere Sklaverei führt. § 30. Obgleich nun meines Wissens nie ein Staat nach den genannten Bedingungen errichtet worden ist, werden wir doch auch aus der tatsächlichen Erfahrung zeigen können, daß diese Form des monarchischen Staates die beste ist, wenn wir nur die Ursachen von Erhaltung und Untergang eines jeden zivilisierten Staates betrachten wollen. Ich könnte es jedoch nur um den Preis eines großen Überdrusses beim Leser hier tun. Ein bemerkenswertes Beispiel will ich dennoch nicht mit Stillschweigen übergehen. Es handelt sich um das Reich der Aragonesen, die von einer ganz besonderen Loyalität zu ihren Königen erfüllt waren und mit gleicher Standhaftigkeit die Einrichtungen ihres Reiches unverletzt aufrecht erhalten haben. Sobald sie das sie erniedrigende Joch der Mauren abgeworfen hatten, beschlossen sie, sich einen König zu wählen. Weil sie sich über die Bedingungen der Wahl nicht recht einigen konnten, beschlossen sie, den römischen Papst hierüber um Rat zu fragen. Er, in dieser Angelegenheit sich vollkommen als Stellvertreter Christi verhaltend, hat sie getadelt, daß sie, von dem Beispiel der Hebräer nicht hinreichend gewarnt, so hartnäckig einen König haben wollten. Für den Fall jedoch, daß sie ihre Meinung nicht ändern wollten, hat er ihnen geraten, erst dann zur Wahl eines Königs zu schreiten, wenn sie schon Einrichtungen geschaffen haben, die hinreichend unparteiisch und dem Geist ihres Volkes angepaßt sind; und er hat ihnen geraten, vor allem eine oberste Ratsversammlung zu schaffen, die, wie in Sparta die Ephoren, den Königen opponieren könnte und das uneingeschränkte Recht haben müßte, Streitigkeiten zwischen König und Bürgern zu schlichten. Diesem Ratschlag sind sie gefolgt und haben eine Rechtsordnung geschaffen, die ihnen die gerechteste von allen zu sein schien; deren oberster Interpret und folglich der oberste Richter sollte nicht der König sein, sondern eine Ratsversammlung, die sie »Siebzehn« nennen und deren Vorsitzender »Justitia« heißt. Dieser Vorsitzende namens »Justitia« und diese »Siebzehn«, nicht durch Abstimmung, sondern durch Los auf Lebenszeit ernannt, haben



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sententias in civem quemcunque ab aliis conciliis, tam politicis quam ecclesiasticis, vel ab ipso rege latas revocandi et damnandi, ita ut quilibet civis jus haberet ipsum etiam regem coram hoc judicio vocandi. Praeterea olim jus etiam habuerunt regem eligendi et potestate privandi; sed multis post elapsis annis rex Don Pedro, qui dicitur Pugio, ambiendo, largiendo, pollicitando, omnique officiorum genere tandem effecit, ut hoc jus rescinderetur (quod simulac obtinuit, manum pugione coram omnibus amputavit, vel, quod facilius crediderim, laesit, addens, non sine sanguinis regii impendio licere subditis regem eligere), ea tamen conditione, ut potuerint et possint arma capere contra vim quamcunque, qua aliquis imperium ingredi in ipsorum damnum velit, imo contra ipsum regem et principem futurum haeredem, si hoc modo (imperium) ingrediatur. Qua sane conditione praecedens illud jus non tam aboleverunt quam correxerunt. Nam, ut art. 5 et 6 cap. IV ostendimus, rex non jure civili, sed jure belli dominandi potentia privari potest, vel ipsius vim vi solummodo repellere subditis licet. Praeter hanc alias stipulati sunt conditiones, quae ad nostrum scopum non faciunt. Hi ritus ex omnium sententia instructi incredibili temporis spatio inviolati manserunt, pari semper fide regum erga subditos ac subditorum erga regem. Sed postquam regnum Castellae Ferdinando, qui omnium primus Catholicus nuncupatus fuit, haereditate cessit, incepit haec Arragonensium libertas Castellanis esse invisa, qui propterea ipsum Ferdinandum suadere non cessabant, ut jura illa rescinderet. At ille

6 omnique] omniumque Korrektur Proietti 19 Hi ritus] His ritibus Korrektur Gebhardt nach NS

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das uneingeschränkte Recht, alle von anderen Körperschaften, staatlichen wie kirchlichen, oder auch vom König gegen einen Bürger gefällten Urteile neu zu verhandeln und [gegebenenfalls] zu verwerfen, so daß jeder Bürger das Recht hatte, sogar den König selbst vor diesen Gerichtshof zu zitieren. Außerdem haben sie in früherer Zeit auch das Recht gehabt, den König zu wählen wie ihn seiner Gewalt zu berauben. Nach Verlauf vieler Jahre brachte es der König Don Pedro, genannt der Dolch, mit Intrigen, Bestechungen, Versprechungen und Gefälligkeiten aller Art jedoch dahin, daß dieses Recht aufgehoben wurde (sobald er es erreicht hatte, schnitt er sich vor aller Augen die Hand mit einem Dolch ab oder verletzte sich wenigstens, wie ich eher glauben möchte, die Hand, wobei er hinzufügte, daß es den Untertanen nur um den Preis von Königsblut erlaubt sein solle, den König zu wählen), wenn auch unter folgender Bedingung: »daß die Bürger, wie ehedem, zu den Waffen greifen können gegen jegliche Gewalttätigkeit, mit deren Hilfe jemand sich des Staates zu ihrem Schaden bemächtigen will, selbst wenn es der König persönlich oder der Thronfolger ist, der sich auf diese Weise des Staates zu bemächtigen sucht«. Unter dieser Bedingung haben sie jenes frühere Recht eigentlich nicht aufgehoben, sondern eher verbessert. Denn wie wir in §§ 5 und 6 des Kapitels IV gezeigt haben, kann der König nicht kraft staatlichen Rechts, sondern nur kraft Kriegsrechts seiner Macht, durch die er herrscht, beraubt werden; seiner Gewalttätigkeit können die Untertanen deshalb nur mit Gewalttätigkeit begegnen. Außer dieser einen sind noch andere Bedingungen vereinbart worden, die aber mit dem, worauf wir hinauswollen, nichts zu tun haben. Diese unter allgemeiner Zustimmung etablierte Gepflogenheit ist eine unglaublich lange Zeit hindurch unangetastet geblieben: die Loyalität des Königs gegen die Untertanen und die der Untertanen gegen den König war immer gleich. Nachdem das Königreich Kastilien aber durch Erbschaft an Ferdinand gefallen war, der als erster aller Könige der »Katholische« genannt worden ist, wurde diese Freiheit der Aragonesen den Kastiliern verhaßt, die deshalb unaufhörlich ihrem König Ferdinand zuredeten, jene Rechtsgesetze aufzuheben. Jener aber, an uneingeschränkte Herrschaft noch nicht gewöhnt,



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nondum imperio absoluto assuetus, nihil tentare ausus, consiliariis haec respondit: praeterquam quod Arragonensium regnum iis, quas noverant, conditionibus acceperit, quodque easdem servare sanctissime juraverit, et praeterquam quod inhumanum sit fidem datam solvere, se in animum induxisse suum regnum stabile fore, quamdiu securitatis ratio non major regi quam subditis esset, ita ut nec rex subditis, nec contra subditi regi praeponderarent; nam si alterutra pars potentior evadat, pars debilior non tantum pristinam aequalitatem recuperare, sed dolore accepti damni in alteram contra referre conabitur, unde vel alterutrius vel utriusque ruina sequeretur. Quae sane sapientia verba non satis mirari possem, si prolata fuissent a rege, qui servis, non liberis hominibus imperare consuevisset. Retinuerunt igitur Arragonenses post Ferdinandum libertatem, non jam jure, sed regum potentiorum gratia usque ad Philippum II, qui eosdem feliciori quidem fato, sed non minori saevitia quam Confoederatorum Provincias oppressit. Et quamvis Philippus III omnia in integrum restituisse videatur, Arragonenses tamen, quorum plerique cupidine potentioribus assentandi (nam inscitia est contra stimulos calces mittere) et reliqui metu territi, nihil praeter libertatis speciosa vocabula et inanes ritus retinuerunt. § 31. Concludimus itaque multitudinem satis amplam libertatem sub rege servare posse, modo efficiat, ut regis potentia sola ipsius multitudinis potentia determinetur et ipsius multitudinis praesidio servetur. Atque haec unica fuit regula, quam in jaciendis imperii monarchici fundamentis sequutus sum.

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wagte keinen dahingehenden Versuch und gab seinen Ratgebern folgende Antwort: »Abgesehen davon, daß er das Königreich Aragon unter den ihnen bekannten Bedingungen erhalten habe und aufs feierlichste geschworen habe, sie aufrecht zu erhalten, und abgesehen davon, daß es eines Menschen unwürdig sei, das gegebene Wort zu brechen, hege er die Überzeugung, daß sein Königreich so lange von Bestand sein werde, wie das Ausmaß der Sicherheit für König und Untertanen gleich groß ist, so nämlich, daß weder der König den Untertanen, noch die Untertanen dem König überlegen sind; denn wenn einer der Teile mächtiger werde als der andere, werde der schwächere Teil nicht nur versuchen, die frühere Gleichheit wiederzugewinnen, sondern dem anderen auch den Schmerz über den erlittenen Schaden heimzuzahlen, woraus der Untergang des einen der beiden Teile oder beider zugleich die Folge wäre«. Über diese weisen Worte könnte ich mich gar nicht genug wundern, wären sie von einem König gesprochen worden, der gewohnt war, über Sklaven und nicht über freie Menschen zu herrschen. So haben die Aragonesen nach dem Tod Ferdinands ihre Freiheit bewahrt, aber nicht mehr kraft eines Rechts, sondern dank der Gnade übermächtiger Könige, bis hin zu Philipp II., der sie genau so grausam, wenn auch mit größerem Erfolg, unterdrückt hat wie die Provinzen der Vereinigten Niederlande. Obwohl Philipp III. alles wieder in den früheren Stand zurückversetzt zu haben scheint, haben die Aragonesen, von denen die meisten nur den Wunsch haben, mit den Mächtigeren sich zu arrangieren (es ist ja Torheit, wider den Stachel zu löcken), und die wenigen übrigen durch Furcht eingeschüchtert sind, nichts weiter von der Freiheit behalten als schönklingende Worte und nichtssagende Satzungen. § 31. Wir schließen also, daß sich die Menge eine weitgefaßte Freiheit unter einem König bewahren kann, wenn sie nur zuwege bringt, daß die Macht des Königs allein von der Macht der Menge selbst her bestimmt und durch den Beistand ebendieser Menge bewahrt wird. Und das ist die einzige Regel gewesen, der ich bei der Exposition der Grundlagen des monarchischen Staates gefolgt bin.



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capu t vii i Quod imperium aristocraticum magno patriciorum numero constare debet; de ejus praestantia, et quod ad absolutum magis quam monarchicum accedat, et hac de causa libertati conservan dae aptius sit.

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§ 1. Huc usque de imperio monarchico. Qua autem ratione aristocraticum instituendum sit, ut permanere possit, hic jam dicemus. Aristocraticum imperium illud esse diximus, quod non unus, sed quidam ex multitudine selecti tenent, quos imposterum patricios appellabimus. Dico expresse, quod quidam selecti tenent. Nam haec praecipua est differentia inter hoc et democraticum imperium, quod scilicet in imperio aristocratico gubernandi jus a sola electione pendeat, in democratico autem maxime a jure quodam innato vel fortuna adepto (ut suo loco dicemus); atque adeo, tametsi imperii alicujus integra multitudo in numerum patriciorum recipiatur, modo illud jus haereditarium non sit nec lege aliqua communi ad alios descendat, imperium tamen aristocraticum omnino erit, quandoquidem nulli nisi expresse electi in numerum patriciorum recipiuntur. At si hi duo tantummodo fuerint, alter altero potior esse conabitur, et imperium facile ob nimiam uniuscujusque potentiam in duas partes dividetur, et in tres aut quatuor aut quinque, si tres aut quatuor aut quinque id tenuerint. Sed partes eo debiliores erunt, quo in plures ipsum imperium delatum fuerit. Ex quo sequitur in imperio aristocratico, ut stabile sit, ad minimum patriciorum numerum determinandum necessario habendam esse rationem magnitudinis ipsius imperii.

21 uniuscujusque] unicujusque

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kapit el vii i [Grundlagen der Aristokratie einer Stadt] Daß die Aristokratie aus einer großen Zahl von Patriziern bestehen muß; von ihren Vorzügen; daß sie sich mehr als die Monarchie einer uneingeschränkten Regierungsform nähert und des-  halb geeigneter ist zur Erhaltung der Freiheit. * § 1. Soweit von dem monarchischen Staat. Auf welche Weise der aristokratische einzurichten ist, damit er von dauerhaftem Bestand sein kann, wollen wir jetzt darlegen. Denjenigen Staat haben wir aristokratisch genannt, dessen Souveränität nicht in den Händen eines Einzigen liegt, sondern in den Händen einiger aus dem Kreis der Menge ausgewählten Personen, die wir fortan Patrizier nennen wollen. Ich sage ausdrücklich: »die in den Händen einiger Ausgewählter liegt«. Denn darin besteht der Hauptunterschied zwischen dieser und der demokratischen Regierungsform, daß im aristokratischen Staat das Recht zu regieren allein von einer Wahl [im Sinne der Kooptation] abhängt, in einem demokratischen dagegen in erster Linie von einem Recht, das angeboren oder durch günstiges Geschick erworben ist (wie wir am geeigneten Ort erläutern werden). Selbst wenn in einem Staat das gesamte Volk zu dem Stand der Patrizier Zugang hat, wird, solange jenes Recht nicht erblich und kraft irgendeines allgemeinen Gesetzes auf andere übertragbar ist, der Staat im Prinzip doch aristokratisch bleiben, da ja nur ausdrücklich Gewählte in den Stand der Patrizier aufgenommen werden. Gäbe es aber bloß zwei Patrizier, dann wird der eine den anderen zu beherrschen suchen, und dann wird der Staat leicht wegen der zu großen Macht eines jeden der beiden in zwei Parteien sich spalten und in drei, vier oder fünf, wenn seine Souveränität in drei, vier oder fünf Händen sein wird. Die Parteien werden indes um so schwächer sein, je größer die Zahl derer ist, denen die Regierungsgewalt übertragen worden ist. Folglich muß man in einem aristokratischen Staat, damit er stabil ist, notwendigerweise eine nicht zu unterschreitende Minimalzahl von Patriziern festsetzen und dies relativ auf die Größe des jeweiligen Staates.

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§ 2. Ponatur itaque pro mediocris imperii magnitudine satis esse, ut centum optimi viri dentur, in quos summa imperii potestas delata sit, et quibus consequenter jus competat collegas patricios eligendi, quando eorum aliquis vita excessit. Hi sane omni modo conabuntur, ut eorum liberi vel qui iis sanguine proximi sunt sibi succedant. Unde fiet, ut summa imperii potestas semper penes eos sit, quos fortuna patriciis liberos aut consanguineos dedit. Et quia ex centum hominibus, qui fortunae causa ad honores ascendunt, vix tres reperiuntur, qui arte et consilio pollent vigentque, fiet ergo, ut imperii potestas non penes centum, sed penes duos tantummodo aut tres sit, qui animi virtute pollent quique facile omnia ad se trahere; et unusquisque more humanae cupidinis viam ad monarchiam sternere poterit. Atque adeo, si recte calculum ineamus, necesse est, ut summa potestas imperii, cujus magnitudinis ratio centum optimatum ad minimum exigit, in quinquies mille ad minimum patricios deferatur. Hac enim ratione nunquam deerit, quin centum reperiantur animi virtute excellentes, posito scilicet quod ex quinquaginta, qui honores ambiunt eosque adipiscuntur, unus semper reperiatur optimis non inferior, praeter alios, qui optimorum virtutes aemulantur quique propterea digni etiam sunt, qui regant. § 3. Solent frequentius patricii cives esse unius urbis, quae caput totius imperii est, ita ut civitas sive respublica ex eadem habeat vocabulum, ut olim Romana, hodie Veneta, Genuensis etc. At Hollandorum respublica nomen ex integra provincia habet, ex quo oritur, ut hujus imperii subditi majori libertate gaudeant. Jam antequam fundamenta, quibus hoc imperium aristocraticum niti debet, determinare possimus, notanda est differentia inter

7 sit] erit Korrektur Proietti 28 inter] in

Grundlagen der Aristokratie einer Stadt

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§ 2. Angenommen also, bei einem Staat von mittlerer Größe genügen hundert auserlesene Männer, denen die höchste Regierungsgewalt zu übertragen ist und denen folglich das Recht zusteht, in ihr Kollegium neue Patrizier zu wählen, wenn einer von ihnen gestorben ist. Sicherlich wird ihr ganzes Streben dann darauf gerichtet sein, als Nachfolger die eigenen Kinder oder nächsten Blutsverwandten zu bekommen. Die Folge wird sein, daß die höchste Regierungsgewalt immer in den Händen derer liegt, die das Glück haben, Söhne oder Blutsverwandte von Patriziern zu sein. Weil man zudem unter hundert Menschen, die ihre Ehrenstellen einem solchen Glück verdanken, kaum drei findet, die durch Kompetenz und Klugheit sich auszeichnen, wird des weiteren die Folge sein, daß die Regierungsgewalt gar nicht in den Händen von hundert Personen liegt, sondern nur von zweien oder dreien, die kraft ihres Geistes dazu befähigt sind und die keine Mühe haben werden, alles an sich zu reißen; und jeder von ihnen wird, wie es die menschliche Begierde nun mal mit sich bringt, den Weg zur Monarchie sich bahnen können. Die Rechnung geht also nur auf, wenn in einem Staat, der entsprechend seiner Größe mindestens eine Zahl von hundert Männern aus der Elite braucht, die höchste Gewalt mindestens fünftausend Patriziern übertragen wird. Bei dieser Relation werden sich immer hundert geistig hervorragende Männer finden lassen, unter der Voraussetzung eben, daß sich unter fünfzig, die sich um Ehrenstellen bewerben und sie erhalten, immer einer findet, der zu der Elite zählt, ohne diejenigen mitzuzählen, die danach streben, den Fähigkeiten der Besten gleichzukommen, und deshalb ebenfalls würdig sind zu regieren. § 3. In der Regel sind die Patrizier Bürger einer einzigen Stadt, die die Hauptstadt des ganzen Reiches ist, derart daß das Gemeinwesen oder die Republik ihren Namen trägt, wie das früher in Rom der Fall war, heute in Venedig, Genua und anderen Städten. Die Republik der Holländer hat dagegen ihren Namen von einer ganzen Provinz; und aus diesem Grund genießen die Untertanen dieses Staates eine größere Freiheit. Bevor wir nun die Grundlagen bestimmen können, auf die der zu erörternde aristokratische Staat sich stützen muß, ist der Unterschied zwi-



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imperium, quod in unum, et illud, quod in satis magnum concilium transfertur, quae sane permagna est. Nam primo unius hominis potentia integro imperio sustinendo (ut art. 5 cap. VI diximus) longe impar est, quod sine manifesto aliquo absurdo de concilio satis magno enunciare nemo potest; qui enim concilium satis magnum esse affirmat, simul negat idem imperio sustinendo esse impar. Rex igitur consiliariis omnino indiget, concilium autem hujusmodi minime. Deinde reges mortales sunt, concilia contra aeterna; atque adeo imperii potentia, quae semel in concilium satis magnum translata est, nunquam ad multitudinem redit, quod in imperio monarchico locum non habet, ut art. 25 cap. praeced. ostendimus. Tertio regis imperium vel ob ejus pueritiam, aegritudinem, senectutem, vel aliis de causis saepe precarium est; hujusmodi autem concilii potentia econtra una eademque semper manet. Quarto unius hominis voluntas varia admodum et inconstans est; et hac de causa imperii monarchici omne quidem jus est regis explicata voluntas (ut in art. 1 cap. praeced. diximus), at non omnis regis voluntas jus esse debet, quod de voluntate concilii satis magni dici nequit. Nam quandoquidem ipsum concilium (ut modo ostendimus) nullis consiliariis indiget, debet necessario omnis ejus explicata voluntas jus esse. Ac proinde concludimus imperium, quod in concilium satis magnum transfertur, absolutum esse vel ad absolutum maxime accedere. Nam si quod imperium absolutum datur, illud revera est, quod integra multitudo tenet. § 4. Attamen quatenus hoc imperium aristocraticum nunquam (ut modo ostensum) ad multitudinem redit, nec ulla in eo multi-

1 illud] inter id Korrektur Proietti

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schen einer Regierung, deren Gewalt einer einzigen Person, und einer solchen, deren Gewalt einer genügend großen Versammlung übertragen wird, zu beachten, ein Unterschied, der in der Tat sehr groß ist. Denn erstens ist die Macht eines einzigen Menschen der Aufgabe, die Last eines ganzen Staates zu tragen, nicht gewachsen, wie wir in § 5 des Kapitels VI ausgeführt haben, was ohne offenbaren Widersinn niemand von einer genügend großen Versammlung behaupten kann; denn wer von einer Versammlung spricht, die genügend groß ist, behauptet ebendamit, daß sie jener Aufgabe gewachsen ist. Ein König braucht also durchaus Ratgeber, eine Versammlung dieser Art aber keineswegs. Zweitens sind Könige sterblich, Versammlungen hingegen immerwährend; die Regierungsgewalt, einmal einer genügend großen Versammlung übertragen, kehrt daher niemals zur Menge zurück, anders als bei der monarchischen Regierungsform, wie wir in § 25 des vorherigen Kapitels gezeigt haben. Drittens steht die Herrschaft eines Königs wegen seiner Jugend, seiner Krankheit, seines Alters oder aus anderen Gründen oft unter Widerruf, die Macht einer derartigen Versammlung hingegen bleibt immer ein und dieselbe. Viertens ist der Wille eines einzigen Menschen äußerst wechselnd und unbeständig, weshalb in einem monarchischen Staat alles erlassene Recht zwar der erklärte Wille des Königs ist, wie wir in § 1 des vorherigen Kapitels gezeigt haben, aber nicht jeglicher Wille des Königs für Recht gehalten werden darf, was vom Willen einer genügend großen Versammlung nicht gesagt werden kann. Denn da die Versammlung (wie wir soeben gezeigt haben) ja gerade keine Ratgeber braucht, muß notwendigerweise all ihr erklärter Wille Recht sein. Daraus schließen wir, daß die einer genügend großen Versammlung übertragene Regierungsgewalt eine uneingeschränkte Regierungsgewalt ist oder ihr sich wenigstens in hohem Maße nähert. Denn eine uneingeschränkte Regierungsgewalt ist, wenn es so etwas gibt, in Wahrheit diejenige, die die ganze Menge in Händen hat. § 4. Insofern die Regierungsgewalt des aristokratischen Staates jedoch niemals (wie ich soeben gezeigt habe) zur Menge zurückkehrt und in ihm die Menge auch niemals konsultiert wird,



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tudini consultatio, sed absolute omnis ejusdem concilii voluntas jus est, debet omnino ut absolutum considerari; et consequenter ejus fundamenta sola ejusdem concilii voluntate et judicio niti debent, non autem multitudinis vigilantia, quandoquidem ipsa tam a consiliis quam suffragiis ferendis arcetur. Causa igitur, cur in praxi imperium absolutum non sit, nulla alia ese potest, quam quia multitudo imperantibus formidolosa est, quae propterea aliquam sibi libertatem obtinet, quam, si non expressa lege, tacite tamen sibi vindicat obtinetque. § 5. Apparet itaque hujus imperii conditionem optimam fore, si ita institutum fuerit, ut ad absolutum maxime accedat, hoc est, ut multitudo, quantum fieri potest, minus timenda sit nullamque libertatem obtineat, nisi quae ex ipsius imperii constitutione ipsi necessario tribui debet, quaeque adeo non tam multitudinis quam totius imperii jus sit, quod soli optimates ut suum vindicant conservantque. Hoc enim modo praxis cum theoria maxime conveniet, ut ex art. praeced. patet et per se etiam manifestum est. Nam dubitare non possumus, imperium eo minus penes patricios esse, quo plura sibi plebs jura vindicat, qualia solent in inferiori Germania opificum collegia, Gilden vulgo dicta, habere. § 6. Neque hinc, quod scilicet imperium in concilium absolute delatum est, ullum ab eodem infensi servitii periculum plebi metuendum. Nam concilii adeo magni voluntas non tam a libidine quam a ratione determinari potest; quippe homines ex malo affectu diverse trahuntur, nec una veluti mente duci possunt, nisi quatenus honesta appetunt, vel saltem quae speciem honesti habent.

26 diverse] diversi von Gebhardt korrigiert nach NS; Wernham behält diversi bei

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insofern vielmehr jeglicher Wille der nämlichen Versammlung in uneingeschränkter Weise Recht ist, muß sie, im ganzen gesehen, als uneingeschränkt angesehen werden. Und folglich müssen sich ihre Grundlagen allein auf den Willen und das Urteil dieser Versammlung stützen, nicht aber auf die Wachsamkeit der Menge, die ja von Beratung wie Abstimmung gleichermaßen ausgeschlossen ist. Die Ursache, warum in der Praxis im aristokratischen Staat die Regierungsgewalt nicht uneingeschränkt ist, kann also keine andere als die sein, daß die Menge den Herrschenden Furcht einflößt und dadurch eine gewisse Freiheit für sich behält, die sie zwar nicht nach einem ausdrücklich formulierten Rechtsgesetz, aber doch stillschweigend für sich in Anspruch nimmt und behauptet. § 5. Offensichtlich wird deshalb die Verfaßtheit eines solchen Staates dann die beste sein, wenn er so eingerichtet ist, daß er der uneingeschränkten Regierungsgewalt möglichst nahe kommt, die Menge also möglichst wenig zu fürchten ist und bloß die Freiheit behält, die ihr nach der Verfassung dieses Staates notwendigerweise zugestanden werden muß. Diese Freiheit ist dann nicht so sehr ein Recht der Menge wie ein Recht des gesamten Staates, das allein die Aristokraten als ihr eigenes Recht verteidigen und bewahren. Auf diese Weise wird die Praxis am besten mit der Theorie übereinstimmen, wie aus dem vorherigen § hervorgeht und wie es auch an sich klar ist. Denn unzweifelhaft liegt die Regierungsgewalt um so weniger in den Händen der Patrizier, je mehr Rechte das einfache Volk für sich in Anspruch nimmt, solche etwa, wie sie in Niederdeutschland traditionell die Korporationen der Handwerker, gewöhnlich »Gilden« genannt, besitzen. § 6. Aus dem Tatbestand, daß die Regierungsgewalt in uneingeschränkter Weise einer Versammlung übertragen ist, ist für das Volk noch nicht die Gefahr einer verhaßten Knechtschaft zu befürchten. Denn es ist unmöglich, daß der Wille einer so großen Versammlung eher von launischer Willkür als von Vernunft bestimmt wird; aus schlechten Affekten heraus sind Menschen ja zerstritten, und von gleichsam einem Geist können sie nur geleitet werden, wenn sie Ehrenhaftes anstreben oder wenigstens solches, das den Schein von Ehrenhaftem hat.



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§ 7. In determinandis igitur imperii aristocratici fundamentis apprime observandum est, ut eadem sola voluntate et potentia supremi ejusdem concilii nitantur, ita ut ipsum concilium, quantum fieri potest, sui juris sit nullumque a multitudine periculum habeat. Ad haec fundamenta, quae scilicet sola supremi concilii voluntate et potentia nitantur, determinandum, fundamenta pacis, quae imperii monarchici propria et ab hoc imperio aliena sunt, videamus. Nam si his alia aequipollentia fundamenta imperio aristocratico idonea substituerimus et reliqua, ut jam jacta sunt, reliquerimus, omnes absque dubio seditionum causae sublatae erunt, vel saltem hoc imperium non minus securum quam monarchicum, sed contra eo magis securum et ipsius conditio eo melior erit, quo magis quam monarchicum absque pacis et libertatis detrimento (vid. art. 3 et 6 hujus cap.) ad absolutum accedit. Nam quo jus summae potestatis majus est, eo imperii forma cum rationis dictamine magis convenit (per art. 7 cap. III), et consequenter paci et libertati conservandae aptior est. Percurramus igitur, quae cap. VI ex art. 9 diximus, ut illa, quae ab hoc aliena sunt, rejiciamus, et quae ei congrua sunt, videamus. § 8. Quod primo necesse sit urbem unam aut plures condere et munire, nemo dubitare potest. Sed illa praecipue munienda est, quae totius imperii est caput, et praeterea illae, quae in limitibus imperii sunt. Illa enim, quae totius imperii caput est jusque summum habet, omnibus potentior esse debet. Caeterum in hoc imperio superfluum omnino est, ut incolae omnes in familias dividantur. § 9. Ad militiam quod attinet, quoniam in hoc imperio non inter omnes, sed tantum inter patricios aequalitas quaerenda est,

16 art. 7] art. 5 Korrektur W.B. 18 ex] Einfügung Wernham

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§ 7. Bei der Bestimmung der Grundlagen des aristokratischen Staates ist also in erster Linie zu beachten, daß sie allein auf dem Willen und der Macht der genannten Obersten Versammlung beruhen, derart daß diese Versammlung unter höchstmöglichem eigenen Recht steht und ihr von der Menge keine Gefahr droht. Um diese allein auf dem Willen und der Macht der Obersten Versammlung beruhenden Grundlagen zu bestimmen, wollen wir die Grundlagen des inneren Friedens betrachten, die bloß dem monarchischen Staat eigen, dem hier in Frage stehenden aber fremd sind. Wenn wir nämlich diese Grundlagen durch andere, die dem aristokratischen Staat angemessen und von gleicher Effizienz sind, ersetzt und die übrigen, wie wir sie schon festgelegt haben, beibehalten haben, dann werden zweifellos alle Ursachen von Aufruhr beseitigt sein. Oder zumindest wird dieser Staat nicht weniger sicher sein als der monarchische; er wird sogar um so sicherer und von um so besserer Verfaßtheit sein, je mehr er sich, anders als der monarchische Staat, ohne Beeinträchtigung von Frieden und Freiheit (vgl. §§ 3 und 6 dieses Kapitels) der uneingeschränkten Regierungsform nähert. Denn je größer das Recht der Souveränität ist, um so mehr stimmt die Form des Staates mit dem Gebot der Vernunft überein (nach § 7 des Kapitels III) und um so tauglicher ist sie deshalb, Frieden und Freiheit zu bewahren. Wir wollen also das in § 9 [-12]des Kapitels VI Gesagte durchgehen, um zu verwerfen, was dieser Staatsform fremd ist, und zu sehen, was ihr angemessen ist. § 8. Zuerst ist es erforderlich, eine Stadt oder mehrere zu gründen und zu befestigen; niemand kann daran zweifeln. Diejenige ist aber in erster Linie zu befestigen, die die Hauptstadt des ganzen Staates ist, sodann auch die Grenzstädte. Die Hauptstadt, die das höchste Recht des ganzen Staates innehat, muß nämlich mächtiger sein als die anderen. Dagegen ist es bei dieser Staatsform ganz überflüssig, alle Einwohner in Familienverbände einzuteilen. § 9. Was die Miliz betrifft, so gehört es, weil es bei dieser Staatsform auf die Gleichheit nicht unter allen, sondern nur unter den Patriziern ankommen muß, vor allem aber, weil die Macht der



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et praecipue patriciorum potentia major est quam plebis, certum est ad leges seu jura fundamentalia hujus imperii non pertinere, ut militia ex nullis aliis quam ex subditis formetur. Sed hoc apprime necesse est, ut nullus in patriciorum numerum recipiatur, nisi qui artem militarem recte noverit. Subditos autem extra militiam esse, ut quidam volunt, inscitia sane est. Nam praeterquam quod militiae stipendium, quod subditis solvitur, in ipso regno manet, cum contra id, quod militi extraneo solvitur, omne pereat, accedit, quod maximum imperii robur debilitaretur. Nam certum est illos singulari animi virtute certare, qui pro aris et focis certant. Unde etiam apparet illos etiam non minus errare, qui belli duces, tribunos, centuriones etc. ex solis patriciis eligendos statuunt. Nam qua virtute ii milites certabunt, quibus omnis gloriam et honores adipiscendi spes adimitur. Verum contra legem stabilire, ne patriciis militem extraneum liceat conducere, quando res postulat, vel ad sui defensionem et seditiones coercendas, vel ob alias quascunque causas, praeterquam quod inconsultum est, repugnaret etiam summo patriciorum juri, de quo vide art. 3, 4 et 5 huj. cap. Caeterum unius exercitus vel totius militiae dux in bello tantummodo et ex solis patriciis eligendus, qui annum ad summum imperium habeat, nec continuari in imperio nec postea eligi possit; quod jus cum in monarchico tum maxime in hoc imperio necessarium est. Nam quamvis multo facilius, ut supra jam diximus, imperium ex uno in alium quam ex libero concilio in unum hominem transferri possit, fit tamen saepe, ut patricii a suis ducibus opprimantur, idque multo majori reipublicae damno ; quippe quando monarcha e medio tollitur, non imperii sed tantummodo tyranni mutatio fit. At in imperio aristocratico fieri id nequit absque eversione imperii et maximo-

3 nullis] ullis 14 gloriam] gloriae Korrektur Wernham

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Patrizier größer ist als die des einfachen Volkes, sicher nicht zu den grundlegenden Rechtsgesetzen dieses Staates, daß die Miliz nur aus Untertanen gebildet wird. Eines ist jedoch unerläßlich, daß nämlich niemand in den Stand der Patrizier aufgenommen wird, der nicht das Kriegshandwerk gehörig versteht. Daß die Untertanen indes vom Kriegsdienst befreit sein sollten, wie einige wollen, ist der reine Unverstand. Denn abgesehen davon, daß der Sold, der den Untertanen gezahlt wird, im Lande bleibt, während alles, was einem ausländischen Soldaten gezahlt wird, gänzlich verloren geht, hieße das, die wichtigste Kraft des Staates zu schwächen. Denn sicherlich kämpfen diejenigen eminent tapferen Herzens, die für Haus und Herd kämpfen. Deshalb ist offenbar auch nicht weniger im Irrtum, wer die Generäle, Obersten, Hauptleute usw. nur aus dem Kreis der Patrizier gewählt sehen will. Denn wie sollten wohl Soldaten tapfer kämpfen, wenn man ihnen jede Hoffnung auf Ruhm und Ehrenstellen nimmt. Wollte man hingegen per Gesetz den Patriziern verbieten, nötigenfalls ausländische Truppen anzuwerben, sei es zur eigenen Verteidigung und Unterdrückung von Unruhen, sei es aus irgendwelchen anderen Gründen, so würde dies, abgesehen davon, daß es unklug wäre, auch dem höchsten Recht der Patrizier widerstreiten (vgl. hierüber §§ 3, 4 und 5 dieses Kapitels). Im übrigen ist der Kommandant einer Armee oder der gesamten Streitkräfte lediglich in Kriegszeiten und nur aus dem Kreis der Patrizier zu wählen und dies für nur ein Jahr ohne Recht auf Verlängerung oder Wiederwahl, eine Regelung, die schon im monarchischen Staat nötig ist, mehr aber noch im aristokratischen. Denn wenn auch, wie oben gesagt, die Regierungsgewalt viel leichter von einem einzigen Menschen auf einen anderen als von einer freien Versammlung auf einen einzigen Menschen übertragen werden kann, so kommt es doch häufig vor, daß die Patrizier von ihren eigenen Heerführern unterdrückt werden, und das zu weit größerem Schaden für die Republik; wird nämlich der Monarch aus dem Wege geräumt, dann ist das nicht ein Wechsel der Form des Staates, sondern nur der Identität eines Tyrannen. Im aristokratischen Staat kann ein solcher Vorgang aber nicht ohne die Zerstörung des Staates und den Untergang seiner hervorra-



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rum virorum clade. Cujus rei funestissima exempla Roma dedit. Caeterum ratio, cur in imperio monarchico diximus, quod militia sine stipendio servire debeat, locum in hujusmodi imperio non habet. Nam quandoquidem subditi tam a consiliis quam suffragiis ferendis arcentur, perinde ac peregrini censendi sunt, qui propterea non iniquiore conditione ac peregrini ad militandum conducendi sunt. Neque hic periculum est, ut a concilio prae reliquis agnoscantur. Quinimo ne unusquisque suorum factorum iniquus, ut fit, aestimator sit, consultius est, ut patricii certum praemium militibus pro servitio decernant. § 10. Praeterea hac etiam de causa, quod omnes praeter patricios peregrini sunt, fieri non potest absque totius imperii periculo, ut agri et domus et omne solum publici juris maneant, et ut incolis annuo pretio locentur. Nam subditi, qui nullam in imperio partem habent, facile omnes in adversis urbes desererent, si bona, quae possident, portare quo vellent liceret. Quare agri et fundi hujus imperii subditis non locandi sed vendendi sunt, ea tamen conditione, ut etiam ex annuo proventu partem aliquotam singulis annis numerent etc., ut in Hollandia fit. § 11. His consideratis ad fundamenta, quibus supremum concilium niti et firmari debet, pergo. Hujus concilii membra in mediocri imperio quinque circiter millia esse debere ostendimus art. 2 hujus cap. Atque adeo ratio quaerenda est, qua fiat, ne paulatim ad pauciores deveniat imperium, sed contra ut pro ratione incrementi ipsius imperii eorum augeatur numerus; deinde ut inter patricios aequalitas, quantum fieri potest, servetur; ut

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gendsten Männer geschehen. Die traurigsten Beispiele dafür hat uns Rom gegeben. Dagegen hat der Grund, der uns sagen ließ, in der Monarchie solle das Heer ohne Sold dienen, für die hier zu erörternde Staatsform keine Geltung. Denn da die Untertanen von Beratungen und Abstimmungen ausgeschlossen sind, haben sie als »Fremde« zu gelten; sie sind deshalb nicht unter Bedingungen zum Kriegsdienst heranzuziehen, die für sie ungünstiger sind als für Ausländer. Auch besteht hier nicht die Gefahr, daß die Versammlung die Soldaten gegenüber anderen Untertanen bevorzugt. Damit nicht jeder einzelne, wie gewöhnlich, seine eigenen Leistungen über Gebühr hochschätzt, ist es sogar klüger, daß die Patrizier den Soldaten für ihre Dienste einen festgesetzten Lohn bewilligen. § 10. Des weiteren ist es aus diesem Grund, daß nämlich alle außer den Patriziern Fremde sind, ohne Gefährdung des ganzen Staates auch nicht möglich, daß Äcker, Häuser und aller Grund und Boden Gemeingut bleiben und den Einwohnern nur gegen jährlichen Zins in Pacht gegeben werden. Denn Untertanen, die nicht an der Regierungsgewalt teilhaben, würden in Zeiten der Not schnell zuhauf die Städte verlassen, wenn sie ihre Besitztümer hinbringen könnten, wohin sie wollten. Deshalb sind in diesem Staat die Äcker und Grundstücke den Untertanen nicht zu verpachten, sondern zu verkaufen, unter der Bedingung allerdings, daß sie in jedem Jahr vom Jahresertrag eine bestimmte Quote abgeben und noch andere Lasten tragen, wie es in Holland der Fall ist. § 11. Nach diesen Überlegungen gehe ich zur Erörterung der Grundlagen über, auf die die Oberste Versammlung sich stützen und in denen sie ihre Stabilität finden muß. Wir haben in § 2 dieses Kapitels gezeigt, daß die Mitgliederzahl dieser Versammlung in einem Staat von mittlerer Größe gegen fünftausend betragen muß. Deshalb ist ein Verfahren zu ermitteln, welches Gewähr bietet, daß die Regierungsgewalt nicht allmählich in die Hände einer geringeren Zahl von Leuten gerät, sondern umgekehrt sich die Zahl proportional zum Wachstum des Staates selbst vergrößert; ferner, daß die Gleichheit unter den Patriziern so weit wie möglich gewahrt bleibt; sodann, daß bei den Tagungen der



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praeterea in conciliis celeris detur expeditio; ut communi bono consulatur; et denique ut patriciorum seu concilii major sit quam multitudinis potentia, sed ita ut nihil inde multitudo detrimenti patiatur. § 12. Ad primum autem obtinendum maxima oritur difficultas ex invidia. Sunt enim homines, ut diximus, natura hostes, ita ut, quamvis legibus copulentur adstringanturque, retineant tamen naturam. Atque hinc fieri existimo, ut imperia democratica in aristocratica et haec tandem in monarchica mutentur. Nam plane mihi persuadeo pleraque aristocratica imperia democratica prius fuisse, quod scilicet quaedam multitudo novas sedes quaerens, iisque inventis et cultis, imperandi aequale jus integra retinuit, quia nemo imperium alteri dat volens. Sed quamvis eorum unusquisque aequum esse censeat, ut idem jus, quod alteri in ipsum est, ipsi etiam in alterum sit, iniquum tamen esse putat, ut peregrinis, qui ad ipsos confluunt, aequale cum ipsis jus sit in imperio, quod sibi labore quaesierant et sui sanguinis impendio occupaverant. Quod nec ipsi peregrini renuunt, qui nimirum non ad imperandum, sed ad res suas privatas curandum eo migrant, et satis sibi concedi putant, si modo ipsis libertas concedatur res suas cum securitate agendi. Sed interim multitudo ex peregrinorum confluentia augetur, qui paulatim illius gentis mores induunt, donec demum nulla alia diversitate dignoscuntur quam hoc solo, quod adipiscendorum honorum jure careant; et dum horum numerus quotidie crescit, civium contra multis de causis minuitur; quippe saepe familiae extinguuntur, alii ob scelera exclusi, et plerique ob rei domesticae angustiam rempublicam negligunt, dum interea potentiores nihil studeant quam soli

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Versammlung ein schneller Geschäftsgang herrscht; daß für das gemeinsame Wohl gesorgt wird; und schließlich, daß die Macht der Patrizier, d. h. der Versammlung, größer ist als die der Menge, aber so, daß die Menge dadurch keinen Schaden erleidet. § 12. Die größte Schwierigkeit, das erste Ergebnis zu erreichen, resultiert aus dem Neid. Menschen sind nämlich, wie gesagt, von Natur aus Feinde, und zwar so sehr, daß sie ihre Natur selbst dann behalten, wenn sie über Gesetze vereinigt und eng miteinander verbunden sind. Meines Erachtens verwandeln sich deshalb Demokratien in Aristokratien und diese schließlich in Monarchien. Denn ich bin fest davon überzeugt, daß die meisten aristokratischen Staaten ursprünglich demokratisch waren; eine Menschenmenge auf der Suche nach einem neuen Aufenthaltsort hat nämlich, wenn sie ihn gefunden und bebaut hat, an dem Recht zu regieren immer so festgehalten, daß es allen gleichermaßen und damit ihr als ganzer zukommt, weil niemand einem anderen die Herrschaft freiwillig überläßt. Obschon nun ein jeder dieser Gemeinschaft es für billig hält, daß dasselbe Recht, das ein anderer gegen ihn hat, er auch gegen jenen hat, hält er es gleichwohl für unbillig, daß die zuziehenden Fremden das gleiche Recht wie sie selber in einem Staat haben, den sie mit so viel Mühe sich verschafft und um den Preis ihres Blutes sich zu eigen gemacht hatten. Damit geben sich auch die Fremden ihrerseits zufrieden, die ja eingewandert sind, nicht um politisch tätig zu sein, sondern um ihren Privatgeschäften nachzugehen, und die es für ein genügendes Zugeständnis halten, wenn man ihnen nur die Freiheit zugesteht, diesen Geschäften ungefährdet nachzugehen. Mittlerweile wächst aber die Bevölkerung durch die Zuwanderung der Fremden, die nach und nach die Sitten der ursprünglichen Siedler annehmen, bis sie sich schließlich von ihnen nur noch dadurch unterscheiden, daß sie des Rechts, zu Ehrenstellen zu gelangen, beraubt sind. Und während ihre Zahl von Tag zu Tag steigt, sinkt andererseits die der Bürger aus vielen Gründen; oft sterben ja Familien aus, andere werden wegen krimineller Vergehen von Ämtern ausgeschlossen, und sehr viele kümmern sich wegen ihrer knappen Vermögensverhältnisse nicht um die Staatsgeschäfte, während unterdessen die Mächti-



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regnare; et sic paulatim imperium ad paucos et tandem ob factiones ad unum redigitur. Atque his alias causas, quae hujusmodi imperia destruunt, adjungere possemus; sed quia satis notae sunt, iisdem supersedeo et leges, quibus hoc imperium, de quo agimus, conservari debet, ordine jam ostendam. § 13. Primaria hujus imperii lex esse debet, qua determinatur ratio numeri patriciorum ad multitudinem. Ratio enim (per art. 1 hujus cap.) inter hanc et illos habenda est, ita ut pro incremento multitudinis patriciorum numerus augeatur. Atque haec (per illa, quae art. 2 hujus cap. diximus) debet esse circiter ut 1 ad 50, hoc est, ut inaequalitas numeri patriciorum ad multitudinem nunquam major sit. Nam (per art. 1 hujus cap.) servata imperii forma numerus patriciorum multo major esse potest numero multitudinis. Sed in sola eorum paucitate periculum est. Qua autem ratione cavendum sit, ut haec lex inviolata servetur, suo loco mox ostendam. § 14. Patricii ex quibusdam tantummodo familiis aliquibus in locis eliguntur. Sed hoc expresso jure statuere perniciosum est. Nam praeterquam quod familiae saepe extinguuntur et quod nunquam reliquae absque ignominia excluduntur, accedit, quod hujus imperii formae repugnat, ut patricia dignitas haereditaria sit (per art. 1 hujus cap.) Sed imperium hac ratione democraticum potius videtur, quale in art. 12 hujus cap. descripsimus, quod scilicet paucissimi tenent cives. Attamen contra cavere, ne patricii filios suos et consanguineos eligant et consequenter ne imperandi jus in quibusdam familiis maneat, impossibile est, imo absurdum, ut art. 39 hujus cap. ostendam. Verum modo id nullo expresso jure obtineant, nec reliqui (qui scilicet in imperio

1 factiones] factionem 3 notae] nota Korrektur Wernham nach NS

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geren auf nichts anderes aus sind als allein zu herrschen. Und so kommt nach und nach die Regierungsgewalt in die Hände weniger Männer und schließlich durch Cliquenwirtschaft in die eines Einzigen. Diesen Ursachen könnten wir noch andere hinzufügen, die Staaten dieser Art zerstören; da sie aber genugsam bekannt sind, lasse ich sie beiseite und werde jetzt der Ordnung nach die Gesetze darlegen, die für die Erhaltung des Staates, von dem wir hier handeln, erforderlich sind. § 13. Das wichtigste Gesetz dieses Staates muß dasjenige sein, welches das Verhältnis der Zahl der Patrizier zur Menge festlegt. Das Verhältnis nämlich (nach § 1 dieses Kapitels) zwischen beiden ist so zu regeln, daß die Zahl der Patrizier in Proportion zur Vergrößerung der Menge zunimmt. Dieses Verhältnis muß (nach dem in § 2 dieses Kapitels Gesagten) ungefähr 1 zu 50 sein, womit ich meine, daß die Verhältniszahl zwischen Patriziern und Menge nie geringer sein darf. Denn (nach § 1 dieses Kapitels) kann die Zahl der Patrizier auch weitaus größer sein als die der Menge, und der Staat bliebe immer noch eine Aristokratie; bloß in ihrer zu geringen Zahl liegt die Gefahr [für diese Staatsform]. Mit welchem Mittel man dafür sorgen muß, daß dieses Gesetz unverletzt bleibt, werde ich bald an geeigneter Stelle zeigen. § 14. In einigen Orten werden die Patrizier nur aus bestimmten Familien gewählt. Dies aber ausdrücklich durch Gesetz festzulegen, ist verderblich. Denn abgesehen davon, daß Familien häufig aussterben und der übrige Teil der Bevölkerung immer um den Preis einer Schmälerung der bürgerlichen Ehre ausgeschlossen wird, ist wichtiger noch, daß die Erblichkeit der Patrizierwürde dieser Staatsform widerstreitet (nach § 1 dieses Kapitels). Eine solche Regelung ließe den Staat eher wie eine Demokratie des Zuschnitts aussehen, den wir in § 12 dieses Kapitels beschrieben haben, wo die Souveränität in den Händen von äußerst wenigen Bürgern liegt. Indes verhindern zu wollen, daß die Patrizier ihre Söhne und Blutsverwandten wählen und folglich das Recht zu regieren in bestimmten Familien verbleibt, ist unmöglich, ja sogar unsinnig, wie ich in § 39 dieses Kapitels zeigen werde. Wenn sie jedoch dieses Recht nicht ausdrücklich durch Gesetz erhalten, die übrigen Bürger also nicht

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nati sunt, et patrio sermone utuntur, nec uxorem peregrinam habent, nec infames sunt, nec serviunt, nec denique servili aliquo officio vitam sustentant, inter quos etiam oenopolae et cerevisiarii numerandi sunt) excludantur, retinebitur nihilominus imperii forma, et ratio inter patricios et multitudinem servari semper poterit. § 15. Quod si praeterea lege statuatur, ut nulli juniores eligantur, nunquam fiet, ut paucae familiae jus imperandi retineant; atque adeo lege statuendum, ut nullus, nisi qui ad annum aetatis trigesimum pervenit, in catalogum eligendorum referri possit. § 16. Tertio deinde statuendum est, ut patricii omnes in quodam urbis loco statutis certis temporibus congregari debeant, et qui, nisi morbo aut publico aliquo negotio impeditus, concilio non interfuerit, sensibili aliqua pecuniae poena mulctetur. Nam ni hoc fieret, plurimi ob rei domesticae curam rem publicam negligerent. § 17. Hujus concilii officium sit leges condere et abrogare, collegas patricios et omnes imperii ministros eligere. Non enim fieri potest, ut is, qui supremum jus habet, ut hoc concilium habere statuimus, alicui potestatem det leges condendi et abrogandi, quin simul jure suo cedat et in illum id transferat, cui illam potestatem dedit; quippe qui vel uno solo die potestatem habet leges condendi et abrogandi, ille totam imperii formam mutare potest. At quotidiana imperii negotia aliis ad tempus secundum constituta jura administranda tradere, retento supremo suo jure, potest. Praeterea, si imperii ministri ab alio quam ab hoc concilio

2 nec serviunt] nunc serviunt 15 rem] Hinzufügung Proietti

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ausdrücklich ausgeschlossen werden (solche nämlich, die im Staate geboren sind, die Landessprache reden, keine Ausländerin zur Frau haben, nicht der Ehrenrechte beraubt sind, nicht dienend bei einem anderen tätig sind und nicht mit dienender Tätigkeit ihren Lebensunterhalt verdienen, zu denen auch die Wein- und Schankwirte zu rechnen sind), dann wird die Form des Staates trotzdem gewahrt bleiben und das rechte Verhältnis zwischen Patriziern und Menge immer aufrecht erhalten werden können. § 15. Wenn außerdem durch Gesetz festgelegt wird, daß keine jüngeren Leute wählbar sind, dann wird es nie dazu kommen, daß einige wenige Familien das Recht zu regieren sich vorbehalten. Daher ist durch Gesetz festzulegen, daß niemand vor seinem dreißigsten Lebensjahr in die Liste der Kandidaten aufgenommen werden kann. § 16. Drittens ist festzulegen, daß alle Patrizier zu festgesetzten Zeiten sich an einem bestimmten Ort der Stadt versammeln müssen und daß diejenigen, die dieser Versammlung fernbleiben, es sei denn, sie sind durch Krankheit oder irgendein Staatsgeschäft verhindert, mit einer empfindlichen Geldbuße belegt werden. Ohne eine solche Bestimmung würden nämlich sehr viele die Sorge um die öffentliche Sache zugunsten ihrer Privatangelegenheiten vernachlässigen. § 17. Die Aufgabe dieser Versammlung soll sein, Gesetze zu erlassen und aufzuheben, Patrizier zu kooptieren und sämtliche Staatsbeamten zu ernennen. Denn wer das höchste Recht besitzt, was nach unserer Voraussetzung bei dieser Versammlung der Fall ist, kann die Gewalt, Gesetze zu erlassen und aufzuheben, unmöglich einem anderen übertragen, ohne zugleich seines Rechts sich zu begeben und es jenem zu übertragen, dem er diese Gewalt gegeben hat. Wer nämlich auch nur einen Tag lang die Gewalt hat, Gesetze zu erlassen und aufzuheben, der kann die ganze Form des Staates umwandeln. Die täglichen Regierungsgeschäfte kann sie dagegen nach festgelegten Rechtsgrundsätzen vorübergehend anderen zur Besorgung übertragen, ohne ihr höchstes Recht zu verlieren. Zudem, würden die Staatsbeamten von irgendeiner anderen Instanz ernannt werden, verdienten die



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eligerentur, tum hujus concilii membra pupilli potius quam patricii appellandi essent. § 18. Huic concilio solent quidam rectorem seu principem creare, vel ad vitam ut Veneti, vel ad tempus ut Genuenses, sed tanta cum cautione, ut satis appareat id non sine magno imperii periculo fieri. Et sane dubitare non possumus, quin imperium hac ratione ad monarchicum accedat; et quantum ex eorum historiis conjicere possumus, nulla alia de causa id factum est quam quia ante constituta haec concilia sub rectore vel duce veluti sub rege fuerant; atque adeo rectoris creatio gentis quidem, sed non imperii aristocratici absolute considerati requisitum necessarium est. § 19. Attamen, quia summa hujus imperii potestas penes universum hoc concilium, non autem penes unumquodque ejusdem membrum est (nam alias coetus esset inordinatae multitudinis), necesse ergo est, ut patricii omnes legibus ita astringantur, ut unum veluti corpus, quod una regitur mente, componant. At leges per se solae invalidae sunt et facile franguntur, ubi earum vindices ii ipsi sunt, qui peccare possunt, quique soli exemplum ex supplicio capere debent, et collegas ea de causa punire, ut suum appetitum ejusdem supplicii metu frenent, quod magnum est absurdum. Atque adeo medium quaerendum est, quo supremi hujus concilii ordo et imperii jura inviolata serventur, ita tamen, ut inter patricios aequalitas quanta dari potest sit. § 20. Cum autem ex uno rectore vel principe, qui etiam in conciliis suffragium ferre potest, magna necessario oriri debeat inaequalitas, praesertim ob potentiam, quae ipsi necessario concedi debet, ut suo officio securius fungi possit, nihil ergo, si omnia recte perpendamus, communi saluti utilius institui potest, quam quod huic supremo concilio aliud subordinetur ex qui-

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Mitglieder dieser Versammlung eher Unmündige als Patrizier genannt zu werden. § 18. Manche pflegen für diese Versammlung einen Leiter oder Präsidenten zu wählen, sei es lebenslänglich wie die Venezianer, sei es auf Zeit wie die Genuesen, aber mit so viel Vorsichtsmaßregeln, daß man zur Genüge sieht, daß damit eine große Gefahr für den Staat verbunden ist. Zweifellos nähert sich ein Staat mit einer solchen Praktik der Monarchie; und soviel sich aus der Geschichte dieser Republiken vermuten läßt, war der einzige Grund hierfür, daß sie vor Einrichtung von Versammlungen dieser Art schon einem Leiter oder Dogen ganz wie einem König unterworfen waren. So gesehen ist die Wahl eines Leiters zwar für dieses oder jenes Volk zwangsläufig, aber nicht für den aristokratischen Staat als solchen. § 19. Wie dem auch sei, weil die höchste Gewalt dieses Staates in den Händen der genannten Versammlung als ganzer liegt, nicht aber getrennt in den Händen eines jeden einzelnen ihrer Mitglieder – sonst wäre sie ja nur ein ungeordneter Haufen –, ist es unter diesem Gesichtspunkt notwendig, daß alle Patrizier so durch Gesetze miteinander verbunden sind, daß sie gleichsam einen Körper bilden, der wie von einem Geist geleitet wird. Gesetze sind aber für sich allein kraftlos und werden leicht dort gebrochen, wo ihre Verteidiger auch diejenigen sind, die sich vergehen können, müssen sie sich doch an der Strafe ein Beispiel nehmen und ihre Kollegen bestrafen, um die eigene Begierde aus Furcht vor ebendieser Strafe zu zügeln, was vollkommener Unsinn ist. Deshalb bedarf es eines Mittels, kraft dessen die Organisation dieser Obersten Versammlung und überhaupt die Rechtsgesetze des Staates intakt bleiben, so jedoch, daß unter den Patriziern die größtmögliche Gleichheit gewährleistet ist. § 20. Da mit einem Leiter oder Präsidenten, der bei Sitzungen der Versammlung auch Stimmrecht hat, unausweichlich eine große Ungleichheit entstehen muß, besonders wegen der Macht, die ihm, damit er mit größerer Sicherheit sein Amt ausüben kann, notwendigerweise zugestanden werden muß, kann also, richtig erwogen, keine dem gemeinsamen Wohl nützlichere Einrichtung geschaffen werden, als wenn man dieser Obersten Versammlung



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busdam patriciis, quorum officium solummodo sit observare, ut imperii jura, quae concilia et imperii ministros concernunt, inviolata serventur, qui propterea potestatem habeant delinquentem quemcunque imperii ministrum, qui scilicet contra jura, quae ipsius ministerium concernunt, peccavit, coram suo judicio vocandi et secundum constituta jura damnandi. Atque hos imposterum syndicos appellabimus. § 21. Atque hi ad vitam eligendi sunt. Nam si ad tempus eligerentur, ita ut postea ad alia imperii officia vocari possent, in absurdum, quod art. 19 hujus cap. modo ostendimus, incideremus. Sed ne longa admodum dominatione nimium superbiant, nulli ad hoc ministerium eligendi sunt, nisi qui ad annum aetatis sexagesimum aut ultra pervenerunt et senatorio officio (de quo infra) functi sunt. § 22. Horum praeterea numerum facile determinabimus, si consideremus hos syndicos ad patricios sese habere ut omnes simul patricii ad multitudinem, quam regere nequeunt, si justo numero pauciores sunt; ac proinde syndicorum numerus ad patriciorum numerum debet esse ut horum numerus ad numerum multitudinis, hoc est (per art. 13 hujus cap.) ut 1 ad 50. § 23. Praeterea ut hoc concilium secure suo officio fungi possit, militiae pars aliqua eidem decernenda est, cui imperare, quid velit, possit. § 24. Syndicis vel cuicunque status ministro stipendium nullum, sed emolumenta decernenda sunt, talia ut non possint sine magno suo damno rempublicam prave administrare. Nam quod hujus imperii ministris aequum sit vacationis praemium decerni, dubitare non possumus, quia major hujus imperii pars plebs est, cujus securitati patricii invigilant, dum ipsa nullam rei publicae sed tantum privatae curam habet. Verum quia contra nemo (ut

9 possent] possint 11 nimium] nimirum 27 vacationis] vocationis 29 rei publicae] Reip.

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eine andere unterordnet, die sich aus einigen Patriziern zusammensetzt, deren Aufgabe allein darin besteht, darüber zu wachen, daß die staatlichen Rechtsgesetze, die die Versammlungen und die Staatsbeamten betreffen, strikt eingehalten werden, und die deshalb die Gewalt haben müssen, jeden Staatsbeamten, der gegen die für seinen Amtskreis geltenden Rechtsgesetze verstoßen hat, vor ihr Gericht zu laden und nach den bestehenden Rechtsgesetzen zu verurteilen. Die Mitglieder dieser Versammlung werden wir im folgenden Syndici nennen. § 21. Die Syndici sind auf Lebenszeit zu wählen. Denn würden sie nur auf Zeit gewählt, so daß sie später zu anderen Staatsämtern berufen werden könnten, würden wir in den soeben (§ 19 dieses Kapitels) erwähnten Unsinn verfallen. Damit sie aber bei sehr langer Amtsdauer nicht zu überheblich werden, ist in dieses Amt nur zu wählen, wer wenigstens das sechzigste Lebensjahr erreicht und schon das Amt eines Senators (davon weiter unten) bekleidet hat. § 22. Im übrigen wird es leicht sein, die Anzahl der Syndici zu bestimmen, wenn wir nur erwägen, daß sie sich zu den Patriziern verhalten wie die Gesamtheit der Patrizier zur Menge, die zu regieren sie bei zu geringer Zahl unfähig sind. Daher muß die Zahl der Syndici zu der Zahl der Patrizier in demselben Verhältnis stehen wie deren Zahl zur Zahl der Menge, also (nach § 13 dieses Kapitels) im Verhältnis 1 zu 50. § 23. Damit darüber hinaus die Versammlung der Syndici ungefährdet ihr Amt ausüben kann, ist ihr ein Teil der Kriegsmacht zur Verfügung zu stellen, dem sie nach eigenem Belieben Befehle erteilen kann. § 24. Den Syndici wie auch den anderen Staatsbeamten ist kein festes Gehalt zu zahlen, sondern bloß eine Vergütung, die von der Art ist, daß sie nur mit großem Schaden für sich selbst die Republik schlecht verwalten können. Denn zweifellos ist es billig, den Beamten dieses Staates einen Lohn für ihre Tätigkeit zukommen zu lassen, weil die Mehrheit in diesem Staat das einfache Volk bildet, über dessen Sicherheit die Patrizier wachen, während es selbst sich nur um seine Privatangelegenheiten, nicht aber um die der Republik kümmert. Weil aber andererseits kein



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art. 4 cap. VII diximus) alterius causam defendit, nisi quatenus rem suam eo ipso stabilire credit, res necessario ita ordinandae sunt, ut ministri, qui reipublicae curam habent, tum maxime sibi consulant, cum maxime communi bono invigilant. § 25. Syndicis igitur, quorum officium, uti diximus, est observare, ut imperii jura inviolata serventur, haec emolumenta decernenda sunt, videlicet ut unusquisque paterfamilias, qui in aliquo imperii loco habitat, quotannis nummum parvi valoris, nempe argenti unciae quartam partem, solvere teneatur syndicis, ut inde numerum inhabitantium cognoscere possint atque adeo observare, quotam ejus partem patricii efficiant; deinde ut unusquisque patricius tyro, ut electus est, syndicis numerare debeat summam aliquam magnam, ex. gr. viginti aut viginti quinque argenti libras; praeterea pecunia illa, qua absentes patricii (qui scilicet convocato concilio non interfuerunt) condemnantur, syndicis etiam decernenda est, et insuper ut pars bonorum delinquentium ministrorum, qui eorum judicio stare tenentur et qui certa pecuniae summa mulctantur, vel quorum bona proscribuntur, iisdem dedicetur, non quidem omnibus, sed iis tantummodo, qui quotidie sedent et quorum officium est syndicorum concilium convocare, de quibus vide art. 28 hujus cap. Ut autem syndicorum concilium suo semper numero constet, ante omnia in supremo concilio solito tempore convocato de eo quaestio habenda est. Quod si a syndicis neglectum fuerit, ut tum ei, qui senatui (de quo mox erit nobis dicendi locus) praeest, supremum concilium ea de re monere incumbat et a syndicorum praeside silentii habiti causam exigere, et quid de ea supremi concilii sententia sit, inquirere. Quod si is etiam tacuerit, ut causa ab eo, qui supremo judicio praeest, vel eo etiam tacente ab alio quocunque patricio suscipiatur, qui tam a syndicorum quam senatus et judicum pre-

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Mensch (nach § 4 des Kapitels VII) sich der Interessen eines anderen annimmt, wenn er damit nicht seine eigenen zu sichern glaubt, ist es unabdingbar, die Verwaltung so zu organisieren, daß die Beamten, denen die Sorge für die Republik obliegt, dann ihren eigenen Interessen am besten dienen, wenn sie am besten über das gemeinsame Wohl wachen. § 25. Den Syndici, deren Aufgabe, wie gesagt, es ist, darüber zu wachen, daß die Rechtsgesetze des Staates unverletzt bleiben, ist also folgende Vergütung auszusetzen: Jeder im Staat wohnende Familienvorstand hat ihnen jährlich eine Summe geringen Wertes, nämlich eine Viertelunze Silber, zu entrichten, so daß sie so die Einwohnerzahl kennen und zugleich berechnen können, welche Zahl von Patriziern sich daraus ergibt. Sodann soll jeder neue Patrizier, sobald er gewählt ist, den Syndici eine ziemlich große Summe zahlen, z. B. zwanzig oder fünfundzwanzig Pfund Silber. Außerdem ist auch das Bußgeld der zu einer einberufenen Versammlung nicht erschienenen Patrizier den Syndici zu entrichten. Ferner soll ein Teil des Vermögens schuldiger Beamter, die von ihrem Gericht, dem sie sich stellen müssen, zu einer bestimmten Geldstrafe verurteilt werden, oder deren Vermögen eingezogen wird, ihnen zuerkannt werden, wenn auch nicht allen, sondern nur denen, die täglich tagen und deren Aufgabe es ist, die Versammlung der Syndici einzuberufen (siehe hierüber § 28 dieses Kapitels). Damit die Versammlung der Syndici immer aus der nötigen Mitgliederzahl besteht, ist dieser Punkt vor allen anderen in der regulär einberufenen Obersten Versammlung zu erörtern. Wenn die Syndici es versäumen, eine Debatte darüber in Gang zu bringen, obliegt es dem Vorsitzenden des Senats (über den bald zu sprechen Gelegenheit sein wird), die Oberste Versammlung darauf aufmerksam zu machen, von dem Vorsitzenden der Syndici Auskunft über sein Stillschweigen zu fordern und die Oberste Versammlung dazu nach deren Meinung zu befragen. Wenn dieser ebenfalls schweigt, soll der Fall von dem Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofes oder, wenn auch dieser schweigt, von irgendeinem anderen Patrizier aufgegriffen werden, der von den Vorsitzenden sowohl der Syndici wie des Senats und des Gerichtshofs Rechen-



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side silentii rationem exigat. Denique ut lex illa, qua juniores secluduntur, stricte etiam observetur, statuendum est, ut omnes, qui ad annum aetatis trigesimum pervenerunt quique expresso jure a regimine non secluduntur, suum nomen in catalogo coram syndicis inscribi curent, et accepti honoris signum quoddam statuto aliquo pretio ab iisdem accipere, ut ipsis liceat certum ornatum iis tantummodo concessum induere, quo dignoscantur et in honore a reliquis habeantur. Et interim jure constitutum sit, ut in electionibus nulli patricio quenquam nominare liceat, nisi cujus nomen in communi catalogo inscriptum est, idque sub gravi poena; et praeterea ne cuiquam liceat officium sive munus, ad quod subeundum eligitur, recusare. Denique, ut omnia absolute fundamentalia imperii jura aeterna sint, statuendum est, si quis in supremo concilio quaestionem de jure aliquo fundamentali moverit, utpote de prolonganda alicujus ducis exercitus dominatione vel de numero patriciorum minuendo et similibus, ut reus majestatis sit, et non tantum mortis damnetur, ejusque bona proscribantur, sed ut supplicii aliquod signum in aeternam rei memoriam in publico emineat. Ad reliqua vero communia imperii jura stabiliendum sufficit, si modo statuatur, ut lex nulla abrogari nec nova condi possit, nisi prius syndicorum concilium et deinde supremi concilii tres quartae aut quatuor quintae partes in eo convenerint. § 26. Jus praeterea supremum concilium convocandi resque decernendas in eodem proponendi penes syndicos sit, quibus etiam primus locus in concilio concedatur, sed sine jure suffragii. Verum antequam sedeant, jurare debent per salutem supremi illius concilii perque libertatem publicam se summo studio conaturos, ut jura patria inviolata serventur et communi bono consu-

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schaft über ihr Schweigen fordern möge. Damit schließlich auch jenes Gesetz, das die Jüngeren ausschließt, streng beachtet wird, ist festzulegen, daß alle, die ihr dreißigstes Lebensjahr erreicht haben und die nicht durch Rechtsverordnung ausdrücklich von der Regierung ausgeschlossen sind, dafür sorgen müssen, daß ihr Name im Beisein der Syndici in eine Liste eingetragen wird und sie von ihnen zu einem festgesetzten Preis irgendein Zeichen der erlangten Würde erhalten, etwa die Erlaubnis, einen bestimmten Ornat anzulegen, der, nur ihnen zugestanden, sie von den anderen unterscheidet und ihnen Respekt verschafft. Gleichzeitig soll durch Rechtsgesetz festgelegt werden, daß bei fälligen Wahlen kein Patrizier jemanden vorschlagen darf, dessen Name nicht in der allgemeinen Liste eingetragen ist, und dies unter Androhung schwerer Strafe, und außerdem, daß niemand ein Amt oder eine Position, in die er gewählt wird, ablehnen darf. Endlich soll, damit alle grundlegenden Rechtsgesetze des Staates ausnahmslos immerwährend sind, festgesetzt werden: Wenn jemand in der Obersten Versammlung irgendein grundlegendes Rechtsgesetz in Frage stellt, z. B. indem er vorschlägt, die Amtsgewalt eines Heerführers zu verlängern oder die Zahl der Patrizier zu verkleinern und ähnliches, dann soll er als Majestätsverbrecher angeklagt werden; nicht genug, daß er zum Tode verurteilt wird und sein Vermögen eingezogen wird, es soll auch an einem öffentlichen Platz ein Mahnmal zur immerwährenden Erinnerung an das schwere Verbrechen errichtet werden. Für den Erhalt der übrigen allgemeinen Rechtsgesetze des Staates genügt die Bestimmung, daß kein Gesetz aufgehoben und kein neues erlassen werden kann, ohne daß drei Viertel oder vier Fünftel zunächst der Versammlung der Syndici und dann der Obersten Versammlung sich darauf geeinigt haben. § 26. Im übrigen soll die Einberufung der Obersten Versammlung und die Unterbreitung der in ihr zu entscheidenden Angelegenheiten Sache der Syndici sein, denen dort auch die vorderste Reihe, aber ohne Stimmrecht, eingeräumt werden soll. Ehe sie ihre Sitze einnehmen, sollen sie beim Heil jener Obersten Versammlung und bei der öffentlichen Freiheit schwören, mit allem Eifer danach zu trachten, die Rechtsgesetze des Vaterlandes



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latur; quo facto res proponendas ordine aperiant per ministrum, qui ipsis a secretis est. § 27. Ut autem in decernendo et in eligendis imperii ministris omnibus patriciis aequa sit potestas, et celeris expeditio in omnibus detur, omnino probandus est ordo, quem Veneti observant, qui scilicet ad nominandos imperii ministros aliquot e concilio sorte eligunt, et ab his ordine ministris eligendis nominatis unusquisque patricius sententiam suam, qua propositum ministrum eligendum probat vel reprobat, indicat calculis, ita ut postea ignoretur, quisnam hujus aut illius sententiae fuerit auctor. Quo fit non tantum, ut omnium patriciorum in decernendo auctoritas aequalis sit et ut negotia cito expediantur, sed etiam ut unusquisque absolutam libertatem, quod in conciliis apprime necessarium est, habeat suam sententiam absque ullo invidiae periculo proferendi. § 28. In syndicorum etiam et reliquis conciliis idem ordo observandus est, ut scilicet suffragia calculis ferantur. Jus autem syndicorum concilium convocandi resque in eodem decernendas proponendi, penes eorundem praesidem esse oportet, qui cum aliis decem aut pluribus syndicis quotidie sedeat ad plebis de ministris querelas et secretas accusationes audiendum, et accusatos, si res postulat, asservandos, et concilium convocandum etiam ante constitutum tempus, quo congregari solet, si in mora periculum esse eorum aliquis judicaverit. At hic praeses et qui cum ipso quotidie congregantur a supremo concilio eligi, et quidem ex syndicorum numero debent, non quidem ad vitam, sed in sex menses, nec continuari nisi post tres aut quatuor annos. Atque his, ut supra diximus, proscripta bona et pecuniarum mulctae vel eorum pars aliqua decernenda est. Reliqua, quae syndicos spectant, suis in locis dicemus.

21 accusatos] accusatores Korrektur Proietti

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unverletzt zu bewahren und für das gemeinsame Wohl zu sorgen; danach sollen sie durch ihren Sekretär die zu verhandelnden Angelegenheiten der Reihe nach eröffnen lassen. § 27. Damit bei den Verhandlungen und bei der Wahl der Staatsbeamten alle Patrizier die gleiche Befugnis haben und damit in allem eine schnelle Erledigung gewährleistet wird, ist die von den Venezianern befolgte Geschäftsordnung voll zu empfehlen: Zur Ernennung von Staatsbeamten wählen sie per Los einige Mitglieder der Ratsversammlung, und nachdem diese der Reihe nach die zu wählenden Beamten vorgeschlagen haben, gibt jeder Patrizier durch Stimmsteine seine Meinung kund, ob er die Wahl des vorgeschlagenen Beamten gutheißt oder verwirft, so daß unbekannt bleibt, wer diese oder jene Stimme abgegeben hat. Das bewirkt nicht nur, daß alle Patrizier bei den Abstimmungen die gleiche Autorität haben und ein rascher Geschäftsgang gewährleistet ist, sondern auch, daß jeder die volle Freiheit hat, und das vor allem ist in Versammlungen unabdingbar, seine Ansicht ohne Furcht vor Anfeindung zum Ausdruck zu bringen. § 28. Auch in den Versammlungen der Syndici und in allen anderen ist dieselbe Geschäftsordnung einzuhalten, nämlich die geheime Abstimmung. Das Recht, die Versammlung der Syndici einzuberufen und ihr die dort zu entscheidenden Fragen zu unterbreiten, muß ihrem Präsidenten zustehen, der jeden Tag mit zehn oder mehr anderen Syndici tagen soll, um Beschwerden und geheime Anklagen des Volkes gegen Beamte zu vernehmen, um die Beschuldigten nötigenfalls in Gewahrsam zu nehmen und um die Versammlung [der Syndici] auch zu außerordentlichen Sitzungen einzuberufen, wenn nach seiner Einschätzung oder der eines Kollegen Gefahr im Verzug ist. Der Präsident und diejenigen, die sich täglich mit ihm treffen, müssen von der Obersten Versammlung und, selbstverständlich, aus dem Kreis der Syndici gewählt werden, nicht auf Lebenszeit, sondern nur für sechs Monate; und erst nach drei oder vier Jahren dürfen sie wiedergewählt werden. Ihnen sind, wie gesagt, die eingezogenen Güter und die Bußgelder oder wenigstens ein Teil davon zuzuweisen. Was sonst noch die Syndici betrifft, werden wir an geeigneter Stelle darlegen.



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§ 29. Secundum concilium, quod supremo subordinandum est, senatum appellabimus, cujus officium sit publica negotia agere, ex. gr. imperii jura promulgare, urbium munimenta secundum jura ordinare, diplomata militiae dare, tributa subditis imponere eaque collocare, externis legatis respondere, et quo legati mittendi sunt decernere. Sed ipsos legatos eligere supremi concilii officium sit. Nam id apprime observandum est, ne patricius ad aliquod imperii ministerium vocari possit, nisi ab ipso supremo concilio, ne ipsi patricii senatus gratiam aucupari studeant. Deinde illa omnia ad supremum concilium deferenda sunt, quae praesentem rerum statum aliqua ratione mutant, uti sunt belli et pacis decreta; quare senatus decreta de bello et pace, ut rata sint, supremi concilii auctoritate firmanda sunt. Et hac de causa judicarem ad solum supremum concilium, non ad senatum pertinere nova tributa imponere. § 30. Ad senatorum numerum determinandum haec consideranda veniunt: primo ut omnibus patriciis spes aeque magna sit ordinem senatorium recipiendi; deinde ut nihilominus iidem senatores, quorum tempus in quod electi fuerant elapsum est, non magno post intervallo continuari possint, ut sic imperium a viris peritis et expertis semper regatur; et denique ut inter senatores plures reperiantur sapientia et virtute clari. Ad has autem omnes conditiones obtinendas nihil aliud excogitari potest, quam quod lege institutum sit, ut nullus, nisi qui ad annum aetatis quinquagesimum pervenit, in ordinem senatorium recipiatur, et ut quadringenti, hoc est, ut patriciorum una circiter duodecima pars in annum eligatur, quo elapso post biennium iidem continuari iterum possint. Hoc namque modo semper patriciorum una circiter duodecima pars brevibus tantummodo interpositis intervallis munus senatorium subibit; qui sane numerus una cum

2 appellabimus] Wernham liest appellavimus 29 duodecima] NS haben vierde (quarta)

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§ 29. Eine weitere Versammlung, die der Obersten Versammlung unterzuordnen ist, wollen wir Senat nennen. Ihre Aufgabe soll sein, die Staatsgeschäfte auszuführen, z. B. die Rechtsgesetze des Staates zu veröffentlichen, die Befestigung der Städte im Rahmen dieser Gesetze zu organisieren, militärische Ernennungsurkunden auszufertigen, den Untertanen Steuern aufzuerlegen und über deren Verwendung zu entscheiden, auswärtigen Gesandten Bescheide zu erteilen und zu entscheiden, an welche Orte Gesandte zu entsenden sind. Die Ernennung der Gesandten soll dagegen Aufgabe der Obersten Versammlung sein. Denn darauf ist vor allem zu achten: Ein Patrizier kann zu einem Staatsamt nur von der Obersten Versammlung selbst berufen werden, damit Patrizier nicht die Gunst des Senats zu erheischen trachten. Ferner ist all das vor die Oberste Versammlung zu bringen, was in irgendeiner Weise die bestehenden Verhältnisse des Staates ändert, wie Entscheidungen über Krieg und Frieden. Deshalb bedürfen Beschlüsse des Senats über Krieg und Frieden, um gültig zu sein, der Bestätigung durch die Autorität der Obersten Versammlung. Aus diesem Grund hielte ich es auch für richtig, daß die Auflage neuer Steuern nicht zur Befugnis des Senats, sondern allein der Obersten Versammlung gehört. § 30. Für die Festsetzung der Zahl der Senatoren kommt folgendes in Betracht. Zunächst müssen alle Patrizier eine gleich große Aussicht haben, den Rang eines Senators zu erlangen; sodann sollen Senatoren, deren Amtszeit abgelaufen ist, gleichwohl nach nicht zu langem Zwischenraum wiedergewählt werden können, damit so der Staat immer von kundigen und erfahrenen Männern geleitet wird; und schließlich soll es unter den Senatoren sehr viele geben, die wegen ihrer Weisheit und Tüchtigkeit allseits geschätzt werden. Um all diese Bedingungen zu erfüllen, läßt sich kein besseres Mittel ersinnen, als durch Gesetz festzulegen, daß niemand vor dem fünfzigsten Lebensjahr in den Senatorenrang aufgenommen wird, daß vierhundert, also ungefähr ein Zwölftel der Patrizier, für ein Jahr gewählt werden, und daß sie zwei Jahre nach Ablauf ihres Amtes wiedergewählt werden können. Auf diese Weise wird immer ungefähr der zwölfte Teil der Patrizier mit nur kurzer Unterbrechung das Senatorenamt

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illo, quem syndici conficiunt, non multum superabitur a numero patriciorum, qui annum aetatis quinquagesimum attigerunt. Atque adeo omnibus patriciis magna semper erit spes senatorum aut syndicorum ordinem adipiscendi, et nihilominus iidem patricii, interpositis tantummodo, uti diximus, brevibus intervallis, senatorium ordinem semper tenebunt, et (per illa quae art. 2 hujus cap. diximus) nunquam in senatu deerunt viri praestantissimi, qui consilio et arte pollent. Et quia haec lex frangi non potest absque magna multorum patriciorum invidia, nulla alia cautione, ut valida semper sit, opus est, quam ut unusquisque patricius, qui eo quo diximus aetatis pervenit, syndicis ejus rei testimonium ostendat, qui ipsius nomen in catalogum eorum, qui senatoriis muneribus adipiscendis destinantur, reponent et in supremo concilio legent, ut locum in hoc supremo concilio similibus dicatum, et qui senatorum loco proximus sit, cum reliquis ejusdem ordinis occupet. § 31. Senatorum emolumenta talia esse debent, ut iis major utilitas ex pace quam ex bello sit; atque adeo ex mercibus, quae ex imperio in alias regiones vel quae ex aliis regionibus in imperium portantur, una centesima aut quinquagesima pars ipsis decernatur. Nam dubitare non possumus, quin hac ratione pacem, quantum poterunt, tuebuntur et bellum nunquam protrahere studebunt. Nec ab hoc vectigali solvendo ipsi senatores, si eorum aliqui mercatores fuerint, immunes esse debent; nam talis immunitas non sine magna commercii jactura concedi potest, quod neminem ignorare credo. Porro contra statuendum lege est, ut senator vel qui senatoris officio functus est, nullo militiae munere fungi possit, et praeterea ut nullum ducem vel praetorem, quos tempore belli tantummodo exercitui praebendos diximus art. 9 hujus capitis, renunciare liceat ex iis, quorum pater vel avus senator est vel senatoriam dignitatem intra biennium habuit. Nec dubitare possumus, quin patricii, qui extra senatum sunt, haec jura summa vi defendant; atque adeo fiet, ut senatoribus majus semper emolumentum ex pace quam ex bello sit, qui propterea bellum nunquam nisi summa imperii necessitate cogente suadebunt. At objici nobis potest, quod hac ratione, si scilicet syndicis

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innehaben, eine Zahl, die zusammen mit der der Syndici wohl nicht viel hinter der der Patrizier, die das fünfzigste Lebensjahr erreicht haben, zurückbleibt. So werden alle Patrizier stets eine große Aussicht haben, den Rang von Senatoren oder Syndici zu erlangen; und gleichwohl werden es immer dieselben Patrizier sein, die mit, wie gesagt, nur kurzen Unterbrechungen den Senatorenrang innehaben, und im Senat wird es (nach dem in § 2 dieses Kapitels Gesagten) nie an vorzüglichen Männern fehlen, die sich durch Kompetenz und Geschick auszeichnen. Und da dieses Gesetz nicht ohne das Mißfallen vieler Patrizier gebrochen werden kann, bedarf es zu seiner Sicherung keiner anderen Garantie, als daß jeder Patrizier, der das genannte Alter erreicht hat, diesen Sachverhalt den Syndici nachweist, die dann seinen Namen in die Liste der für das Senatorenamt Wählbaren eintragen und in der Obersten Versammlung verlesen, damit er dort zusammen mit den übrigen gleichen Ranges einen reservierten Platz nahe den Sitzen der Senatoren einnimmt. § 31. Die Vergütung der Senatoren muß derart sein, daß sie vom Frieden mehr Vorteil haben als vom Krieg. Deshalb soll ihnen von allen Waren, exportiert oder importiert, ein oder zwei Prozent zugestanden werden. Denn so werden sie zweifellos nach Kräften über den Frieden wachen und einen Krieg nie in die Länge zu ziehen suchen. Selbst Senatoren, die Kaufleute sind, dürfen von dieser Steuer nicht befreit werden; denn es wird wohl niemand verkennen, daß eine solche Befreiung nicht ohne großen Schaden für den Handel gewährt werden kann. Andererseits ist durch Gesetz festzulegen, daß ein Senator oder ein ehemaliger Senator kein militärisches Amt bekleiden darf und daß darüber hinaus zum Feldherrn oder Kommandanten, die nach § 9 dieses Kapitels nur in Kriegszeiten zu ernennen sind, niemand ernannt werden darf, dessen Vater oder Großvater Senator ist oder das Senatorenamt in den letzten zwei Jahren inne hatte. Zweifellos werden die Patrizier, die dem Senat nicht angehören, diese Rechtsgesetze mit aller Kraft verteidigen; so wird sich bewerkstelligen lassen, daß für die Senatoren der Frieden immer einträglicher ist als der Krieg, die deshalb zum Krieg nur raten werden, wenn das Interesse des Staates sie unbedingt dazu zwingt. Nun kann man



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et senatoribus adeo magna emolumenta decernenda sunt, imperium aristocraticum non minus onerosum subditis erit quam quodcunque monarchicum. Sed praeterquam quod regiae aulae majores sumptus requirunt, qui tamen ad pacem tutandam non praebentur, et quod pax nunquam nimis caro pretio emi possit, accedit primo, quod id omne, quod in monarchico imperio in unum aut paucos, in hoc in plurimos confertur. Deinde reges eorumque ministri onera imperii cum subditis non ferunt, quod in hoc contra accidit; nam patricii, qui semper ex ditioribus eliguntur, maximam partem reipublicae conferunt. Denique imperii monarchici onera non tam ex regiis sumptibus quam ex ejusdem arcanis oriuntur. Onera enim imperii, quae pacis et libertatis tutandae causa civibus imponuntur, quamvis magna sint, sustinentur tamen et pacis utilitate feruntur. Quae gens unquam tot tamque gravia vectigalia pendere debuit ut Hollandica? Atque haec non tantum non exhausta, quin contra opibus adeo potens fuit, ut ejus fortunam omnes inviderent. Si itaque imperii monarchici onera pacis causa imponerentur, cives non premerent; sed, uti dixi, ex hujusmodi imperii arcanis fit, ut subditi oneri succumbant; nempe quia regum virtus magis in bello quam in pace valet, et quod ii, qui soli regnare volunt, summopere conari debent, ut subditos inopes habeant, ut jam alia taceam, quae prudentissimus Belga V.H. olim notavit, quia ad meum institutum, quod solummodo est imperii cujuscunque optimum statum describere, non spectant. § 32. In senatu aliqui ex syndicis, a supremo concilio electis, sedere debent, sed sine suffragii jure; nempe ut observent, num jura, quae illud concilium spectant, recte serventur, et ut supremum concilium convocari curent, quando ex senatu ad ipsum su-

4 qui] quae Korrektur Gebhardt

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uns einwenden, daß auf diese Weise, wenn nämlich den Syndici und Senatoren so große Vergütungen zuzubilligen sind, für die Untertanen der aristokratische Staat nicht minder lastend sein wird als irgendein monarchischer. Aber abgesehen davon, daß königliche Hofhaltungen einen größeren Aufwand erfordern, der gleichwohl nicht der Sicherung des Friedens zugute kommt, und für den Frieden kein Preis zu hoch ist, gilt zunächst einmal, daß alles, was in der Monarchie einem Einzigen oder einigen wenigen zuteil wird, hier sehr vielen zuteil wird. Ferner tragen die Könige und ihre Minister die Lasten des Staates nicht gemeinsam mit den Untertanen, anders als hier, wo es die Patrizier sind, die, immer unter den Reicheren gewählt, den größten Teil der Kosten der Republik tragen. Schließlich entstehen die Lasten des monarchischen Staates weniger aus dem Aufwand des Königs als aus seinen geheimen Machenschaften. Lasten, die der Staat den Bürgern im Interesse des Friedens und der Freiheit auferlegt, sind nämlich, selbst wenn sie groß sind, erträglich, und man erträgt sie im Interesse des Friedens. Welches Volk hat je so viele und so belastende Steuern zahlen müssen wie das holländische? Aber weit davon entfernt, dadurch erschöpft zu werden, ist es so wohlhabend geworden, daß es von allen wegen seines Reichtums beneidet wird. Würden also in einer Monarchie die Lasten nur um des Friedens willen auferlegt, wären sie nicht drückend für die Bürger. Aber, ich habe es gesagt, die Ausgaben für die geheimen Machenschaften eines solchen Staates machen es, daß die Untertanen von der Last der Kosten erdrückt werden. Denn der Wert von Königen tritt mehr im Krieg als im Frieden hervor, und diejenigen, die Alleinherrscher sein wollen, müssen sehr darauf aus sein, daß ihre Untertanen arm bleiben, ganz zu schweigen von dem, was kürzlich V. H., ein sehr verständiger holländischer Autor, ausgeführt hat, weil es mit meiner Aufgabe, bloß die beste Form eines jeden Staates zu beschreiben, nicht im Zusammenhang steht. § 32. Im Senat müssen einige von der Obersten Versammlung gewählte Syndici Sitz haben, aber ohne Stimmrecht, mit der Aufgabe, die strikte Einhaltung der den Senat betreffenden Gesetze zu überwachen und für die Einberufung der Obersten Versamm-



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premum concilium aliquid deferendum est. Nam jus supremum hoc concilium convocandi resque in eo decernendas proponendi penes syndicos, ut jam diximus, est. Sed antequam de similibus suffragia colligantur, qui senatui tum praesidet, rerum statum, et quaenam de re proposita ipsius senatus sit sententia, et quibus de causis, docebit; quo facto suffragia solito ordine colligenda erunt. § 33. Integer senatus non quotidie, sed, ut omnia magna concilia, statuto quodam tempore congregari debet. Sed quia interim imperii negotia exercenda sunt, opus est ergo, ut senatorum aliqua pars eligatur, quae dimisso senatu ejus vicem suppleat, cujus officium sit ipsum senatum, quando eo opus est, convocare ejusque decreta de republica exsequi, epistolas senatui supremoque concilio scriptas legere, et denique de rebus in senatu proponendis consulere. Sed ut haec omnia et universi hujus concilii ordo facilius concipiatur, rem totam accuratius describam. § 34. Senatores in annum, ut jam diximus, eligendi, in quatuor aut sex ordines dividendi sunt; quorum primus primis tribus vel duobus mensibus in senatu praesideat, quibus elapsis secundus ordo locum primi occupet, et sic porro servatis vicibus unusquisque ordo eodem temporis intervallo primum locum in senatu teneat, ita ut, qui primis mensibus primus, is secundis ultimus sit. Praeterea quot ordines, totidem praesides totidemque eorundem vicarii, qui ipsorum vicem, quando opus est, suppleant, eligendi sunt, hoc est, ex quocunque ordine duo eligendi sunt, quorum alter praeses, alter vicarius ejusdem ordinis sit, et qui primi ordinis praeses est, primis etiam mensibus senatui praesideat, vel si absit, ejus vicarius ispius vicem gerat, et sic porro reliqui, servato ut supra ordine. Deinde ex primo ordine aliqui sorte vel suffragio eligendi sunt, qui cum praeside et vicario ejusdem ordinis senatus vicem, postquam dimissus est, suppleant, idque eodem temporis intervallo, quo idem eorum ordo primum locum in senatu tenet; quippe eo elapso ex secundo ordine totidem iterum

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lung zu sorgen, wenn vom Senat in sie etwas einzubringen ist. Denn das Recht, die Oberste Versammlung einzuberufen und ihr Vorlagen zu unterbreiten, haben, wie schon erwähnt, die Syndici. Bevor jedoch über dergleichen abgestimmt wird, wird der amtierende Senatspräsident den Sachverhalt und die Ansicht des Senats über die Vorlage nebst ihrer Begründung darlegen, und erst im Anschluß daran wird die Abstimmung in der gewohnten Ordnung vorzunehmen sein. § 33. Wie alle großen Körperschaften muß sich der ganze Senat nicht täglich, sondern nur zu bestimmten Zeiten versammeln. Weil in der Zwischenzeit die Regierungsgeschäfte aber zu erledigen sind, muß ein Senats-Ausschuß gewählt werden, der in dieser Zeit den Senat vertritt. Seine Aufgabe ist, den Senat selbst nötigenfalls einzuberufen, dessen Beschlüsse auszuführen, Zuschriften an den Senat und die Oberste Versammlung zu lesen und schließlich zu beraten, welche Vorlagen dem Senat zu unterbreiten sind. Damit dies alles und die Organisation dieser Versammlung im ganzen besser verständlich wird, will ich es genauer schildern. § 34. Die Senatoren, die, wie gesagt, für ein Jahr zu wählen sind, sind in vier oder sechs Sektionen zu gliedern. Die erste von ihnen soll in den ersten drei oder zwei Monaten im Senat den Vorsitz führen, nach deren Verlauf soll die zweite an ihre Stelle treten, und so soll weiter in regelmäßigem Wechsel jede Sektion gleich lange die erste Stelle im Senat in der Weise einnehmen, daß die, die in den ersten paar Monaten die erste war, in den zweiten die letzte ist. Ferner sind so viel Präsidenten, wie es Sektionen gibt, zu wählen und auch Vizepräsidenten, um sie nötigenfalls zu vertreten, d. h. aus jeder Sektion zwei Personen, den Präsidenten und den Vizepräsidenten. Der Präsident der ersten Sektion oder bei Abwesenheit sein Stellvertreter soll in den ersten Monaten auch den Vorsitz im Senat führen, im Anschluß daran die anderen nach der oben angegebenen Ordnung. Darüber hinaus sind durch Los oder Abstimmung aus der ersten Sektion einige Senatoren zu ernennen, die zusammen mit dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten ihrer Sektion den Senat nach dessen Vertagung vertreten, und zwar so lange, wie ihre Sektion die erste Stelle im Senat einnimmt. Danach sind aus der zweiten Sektion



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sorte vel suffragio eligendi sunt, qui cum suo praeside et vicario primi ordinis locum occupent vicemque senatus suppleant, et sic porro reliqui. Nec opus est, ut horum electio, quos scilicet sorte vel suffragio singulis tribus vel duobus mensibus eligendos dixi, et quos imposterum consules appellabimus, a supremo concilio fiat. Nam ratio, quam in art. 29 hujus cap. dedimus, locum hic non habet, et multo minus illa art. 17. Sufficiet igitur, si a senatu et syndicis, qui praesentes adsunt, eligantur. § 35. Horum autem numerum determinare non ita accurate possum. Attamen hoc certum est, plures esse debere quam ut facile corrumpi possint. Nam tametsi de republica nihil soli decernant, possunt tamen senatum protrahere, vel, quod pessimum esset, ipsum deludere proponendo illa, quae nullius, et illa reticendo, quae majoris momenti essent; ut jam taceam, quod si nimis pauci essent, sola unius aut alterius absentia moram publicis negotiis adferre posset. Sed quoniam contra hi consules ideo creantur, quia magna concilia publicis negotiis quotidie vacare nequeunt, medium necessario hic quaerendum est, et defectus numeri temporis brevitate supplendus. Atque adeo, si modo triginta aut circiter in duos aut tres menses eligantur, plures erunt quam ut hoc brevi tempore corrumpi possint; et hac de causa etiam monui, ut ii, qui in eorum locum succedunt, nullo modo eligendi sint nisi eo tempore, quo ipsi succedunt et alii discedunt. § 36. Horum praeterea officium esse diximus senatum, quando eorum aliqui, licet pauci sint, opus esse judicaverint, convocare resque in eodem decernendas proponere, senatum dimittere ejusque de negotiis publicis decreta exequi. Quo autem id fieri ordine debeat, ne res inutilibus quaestionibus diu protrahantur, paucis jam dicam. Nempe consules de re in senatu proponenda,

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wieder ebensoviele Senatoren durch Los oder Abstimmung zu ernennen, die mit ihrem Präsidenten und Vizepräsidenten die erste in der Vertretung des Senats ablösen, und so geht es weiter. Nicht nötig ist es, daß die Ernennung dieser Männer, die, wie ich sagte, durch Los oder Abstimmung für drei oder zwei Monate zu wählen sind und die wir hinfort Konsuln nennen wollen, durch die Oberste Versammlung erfolgt. Denn der in § 29 dieses Kapitels angegebene Grund gilt hier nicht und noch viel weniger derjenige aus § 17. Es genügt also, wenn sie vom Senat und den dort anwesenden Syndici benannt werden. § 35. Die Zahl dieser Konsuln kann ich nicht so genau bestimmen. Sicher ist indes, daß ihre Zahl so groß sein muß, daß man sie nicht leicht bestechen kann. Wenn sie auch von sich aus in Staatsgeschäften nichts entscheiden können, so können sie doch den Senat hinhalten, oder, was das Schlimmste wäre, ihn zum besten haben, indem sie ihm Unwichtiges vorlegen und das Wichtigere zurückhalten; ganz abgesehen davon, daß bei zu geringer Zahl die bloße Abwesenheit des einen oder anderen eine Verzögerung der auszuführenden Staatsgeschäfte mit sich brächte. Da diese Konsuln andererseits gerade ernannt werden, weil große Körperschaften sich nicht täglich mit der Ausführung öffentlicher Geschäfte befassen können, ist hier notwendigerweise ein Mittelweg zu suchen und die fehlende Garantie über die Zahl durch die Kürze der Amtszeit zu ersetzen. Wenn also ungefähr dreißig für zwei oder drei Monate ernannt werden, wird ihre Zahl genügend groß sein, daß man sie in einem so kurzen Zeitraum nicht bestechen kann. Aus diesem Grund habe ich auch darauf hingewiesen, daß ihre Nachfolger keinesfalls vor dem Zeitpunkt zu ernennen sind, zu dem sie den Platz der scheidenden Konsuln einnehmen. § 36. Ihre Aufgabe ist auch, wie erwähnt, den Senat einzuberufen, sobald einige von ihnen, selbst wenn es nur wenige sind, dies für nötig erachten, ihm Sachverhalte zur Beratung zu unterbreiten, Senatssitzungen zu vertagen und Senatsbeschlüsse zu öffentlichen Angelegenheiten auszuführen. In welcher Ordnung das zu geschehen hat, damit die Dinge nicht durch unnötige Diskussionen in die Länge gezogen werden, will ich jetzt noch kurz angeben. Die Konsuln sollen über die dem Senat zu unterbrei-

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et quid factu opus sit consulant, et si de eo omnibus una fuerit mens, tum convocato senatu et quaestione ordine exposita, quaenam eorum sit sententia, doceant, nec alterius sententia exspectata suffragia ordine colligant. Sed si consules plures quam unam sententiam foverint, tum in senatu illa de quaestione proposita sententia prior dicenda erit, quae a majori consulum numero defendebatur; et si eadem a majori senatus et consulum parte non fuerit probata, sed quod numerus dubitantium et negantium simul major fuerit, quod ex calculis, ut jam monuimus, constare debet, tum alteram sententiam, quae pauciora quam prior habuerit inter consules suffragia, doceant, et sic porro reliquas. Quod si nulla a majori totius senatus parte probata fuerit, senatus in sequentem diem aut in tempus breve dimittendus, ut consules interim videant, num alia media, quae magis possint placere, queant invenire. Quod si nulla alia invenerint, vel si, quae invenerint, senatus major pars non probaverit, tum senatoris cujusque sententia audienda est. In quam si etiam major senatus pars non iverit, tum de unaquaque sententia iterum suffragia ferenda, et non tantum affirmantium, ut huc usque factum, sed dubitantium etiam et negantium calculi numerandi sunt. Et si plures reperientur affirmantes quam dubitantes aut negantes, ut tum sententia rata maneat, et contra irrita, si plures invenientur negantes quam dubitantes aut affirmantes. Sed si de omnibus sententiis major dubitantium quam negantium aut affirmantium fuerit numerus, ut tum syndicorum concilium senatui adjungatur, qui simul cum senatoribus suffragia ferant, calculis solummodo affirmantibus aut negantibus, omissis iis, qui animum ambiguum indicant. Circa res, quae ad supremum concilium a senatu deferuntur, idem ordo tenendus est. Haec de senatu. § 37. Ad forum quod attinet, sive tribunal, non potest iisdem fundamentis niti quibus illud, quod sub monarcha est, ut illud

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tenden Angelegenheiten und deren praktische Durchführung sich beraten; sind sie sich einig, sollen sie den Senat einberufen, ihm den Sachverhalt ordnungsgemäß vorlegen, die eigene Ansicht darüber vortragen und, ohne die Äußerung einer anderen Ansicht abzuwarten, die Abstimmung ordnungsgemäß vornehmen. Waren die Ansichten der Konsuln jedoch geteilt, wird die Ansicht der Mehrheit über die vorliegende Frage zuerst vorzutragen sein; findet sie nicht die Zustimmung der Mehrheit des Senats und der Konsuln, sind vielmehr die Unentschiedenen und Ablehnenden in der Mehrzahl, was ja die Stimmsteine, wie schon erwähnt, zeigen müssen, dann soll man die Ansicht, die die nächst geringere Stimmenzahl der Konsuln auf sich vereinigte, vortragen und so fort die übrigen. Wird keine von der Mehrheit des ganzen Senats angenommen, ist die Sitzung bis zum folgenden Tag oder für kurze Zeit zu vertagen, damit die Konsuln zwischenzeitlich überlegen, ob sich nicht andere Lösungen finden lassen, die mehr Zustimmung erhalten können. Vermögen sie es nicht oder werden die gefundenen Lösungen von der Mehrheit des Senats abgelehnt, ist die Ansicht eines jeden Senators zu hören. Tritt die Mehrheit des Senats keiner bei, ist über jede Ansicht wieder eine Abstimmung vorzunehmen, wobei diesmal nicht nur die Stimmen der Zustimmenden wie bisher, sondern auch die der Unentschiedenen und Ablehnenden zu zählen sind. Stellt sich heraus, daß die Zahl der Zustimmenden größer ist als die der Unentschiedenen oder Ablehnenden, soll die Ansicht als angenommen gelten, als verworfen hingegen, wenn die Zahl der Ablehnenden die der Unentschiedenen oder Zustimmenden überwiegt. Ist aber bei allen Ansichten die Zahl der Unentschiedenen größer als die der Ablehnenden oder Zustimmenden, dann soll die Versammlung der Syndici mit dem Senat zu einer Sitzung zusammentreten, auf der sie gemeinsam abstimmen, wobei (auch hier geheim) bloß die zustimmenden oder ablehnenden Stimmen gezählt werden und die unentschiedenen unberücksichtigt bleiben. Für Angelegenheiten, die der Obersten Versammlung vom Senat vorgelegt werden, ist dasselbe Verfahren anzuwenden. Soviel über den Senat. § 37. Was den Gerichtshof, d. h. das Tribunal betrifft, so kann er nicht auf denselben Grundlagen beruhen wie der in einer



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in cap. VI art. 26 et seqq. descripsimus. Nam (per art. 14 hujus cap.) cum fundamentis hujus imperii non convenit, ut ulla ratio stirpium sive familiarum habeatur. Deinde quia judices ex solis patriciis electi metu quidem succedentium patriciorum contineri possent, ne in eorum aliquem iniquam aliquam sententiam pronuncient et forte ut neque eos secundum merita punire sustineant, sed contra in plebeios omnia auderent et locupletes quotidie in praedam raperent. Scio hac de causa Genuensium consilium a multis probari, quod scilicet non ex patriciis, sed ex peregrinis judices eligant; sed hoc mihi rem abstracte consideranti absurde institutum videtur, ut peregrini et non patricii ad leges interpretandas vocentur. Nam quid aliud judices sunt nisi legum interpretes? Quare mihi persuadeo Genuenses in hoc etiam negotio magis suae gentis ingenium quam ipsam hujus imperii naturam respexisse. Nobis igitur rem abstracte considerantibus media excogitanda sunt, quae cum hujus regiminis forma optime conveniunt. § 38. Sed ad judicum numerum quod attinet, nullum singularem hujus status ratio exigit; sed ut in imperio monarchico ita etiam in hoc apprime observari debet, ut plures sint quam ut a viro privato corrumpi possint. Nam eorum officium solummodo est providere, ne quisquam privatus alteri injuriam faciat, atque adeo quaestiones inter privatos tam patricios quam plebeios dirimere, et poenas delinquentibus, etiam ex patriciis, syndicis et senatoribus, quatenus contra jura, quibus omnes tenentur, deliquerunt, sumere. Caeterum quaestiones, quae inter urbes, quae sub imperio sunt, moveri possunt, in supremo concilio dirimendae sunt. § 39. Temporis praeterea, in quod eligendi sunt, ratio est eadem in quocunque imperio, et etiam ut quotannis aliqua eorum pars cedat, et denique, quamvis non opus sit, ut unusquisque ex

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Monarchie, wie wir ihn in §§ 26 ff. des Kapitels VI beschrieben haben. Denn es steht (nach § 14 dieses Kapitels) im Widerspruch zu den Grundlagen des aristokratischen Staates, daß auf Herkunft oder Familie Rücksicht genommen wird. Weil ferner bloß Patrizier zu Richtern gewählt werden, kann es leicht geschehen, daß sie sich aus Furcht vor ihren Nachfolgern veranlaßt sehen, gegen einen von ihnen ein ungerechtes Urteil zu fällen, und sie vielleicht auch nicht nach Gebühr zu bestrafen wagen, während sie sich dem einfachen Volk gegenüber alles erlauben und sich die Begüterten unter ihnen täglich zur Beute aussuchen. Ich weiß, daß viele deshalb die Satzung der Genuesen loben, die ihre Richter nicht aus dem Kreis der Patrizier, sondern unter den Ausländern wählen. Mir scheint es aber, wenn ich den Sachverhalt im allgemeinen betrachte, eine widersinnige Einrichtung zu sein, zur Auslegung der Gesetze auswärtige Richter und nicht Patrizier zu berufen. Denn was sind die Richter, wenn nicht Ausleger der Gesetze? Ich bin daher überzeugt, daß die Genuesen auch in dieser Angelegenheit mehr der Sinnesweise ihres Volkes als dem wesentlichen Merkmal dieser Staatsform Rechnung getragen haben. Uns, die wir die Sache im allgemeinen betrachten, muß es darauf ankommen, Mittel ausfindig zu machen, die der Struktur dieses Regimes am angemessensten sind. § 38. Was die Zahl der Richter angeht, so fordert die Verfaßtheit dieser Staatsform nichts Besonderes. Gerade wie in der Monarchie muß auch hier in erster Linie darauf geachtet werden, daß ihre Zahl so groß ist, daß eine Bestechung durch einen Privatmann ausgeschlossen werden kann. Denn ihre Aufgabe ist ja gerade zu verhüten, daß ein Privatmann einem anderen Unrecht tut, und deshalb Streitigkeiten zwischen Privatleuten, Patriziern wie Plebejern, zu schlichten und Vergehen zu bestrafen, selbst solche von Patriziern, Syndici und Senatoren, sofern diese gegen die Rechtsgesetze verstoßen haben, die für alle gelten. Im übrigen sind mögliche Streitigkeiten zwischen dem Staat unterworfenen Städten in der Obersten Versammlung zu regeln. § 39. Für die Amtsdauer der zu wählenden Richter gilt in jeglichem Staat derselbe Gesichtspunkt, auch daß jährlich ein Teil von ihnen ausscheidet, und schließlich daß, wenn sie auch



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diversa sit familia, necesse tamen est, ne duo sanguine propinqui simul in subselliis locum occupent. Quod in reliquis conciliis observandum est, praeterquam in supremo, in quo sufficit si modo in electionibus lege cautum sit, ne cuiquam propinquum nominare, nec de eo, si ab alio nominatus sit, suffragium ferre liceat, et praeterea ne ad imperii ministrum quemcunque nominandum duo propinqui sortem ex urna tollant. Hoc, inquam, sufficit in concilio, quod ex tam magno hominum numero componitur et cui nulla singularia emolumenta decernuntur. Atque adeo imperio inde nihil erit detrimenti, ut absurdum sit legem ferre, qua omnium patriciorum propinqui a supremo concilio secludantur, ut art. 14 hujus cap. diximus. Quod autem id absurdum sit, patet. Nam jus illud ab ipsis patriciis institui non posset, quin eo ipso omnes absolute suo jure eatenus cederent, ac proinde ejusdem juris vindices non ipsi patricii, sed plebs esset, quod iis directe repugnat, quae in art. 5 et 6 hujus cap. ostendimus. Lex autem illa imperii, qua statuitur, ut una eademque ratio inter numerum patriciorum et multitudinis servetur, id maxime respicit, ut patriciorum jus et potentia conservetur, ne scilicet pauciores sint quam ut multitudinem possint regere. § 40. Caeterum judices a supremo concilio ex ipsis patriciis, hoc est (per art. 17 hujus cap.) ex ipsis legum conditoribus eligendi sunt, et sententiae, quas tulerunt tam de rebus civilibus quam criminalibus, ratae erunt, si servato ordine et absque partium studio prolatae fuerint; de qua re syndicis lege permissum erit cognoscere, judicare et statuere. § 41. Judicum emolumenta eadem esse debent, quae art. 29 cap. VI diximus, nempe ut ex unaquaque sententia, quam de

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nicht aus verschiedenen Familien sein müssen, es doch nötig ist, daß nicht zwei Blutsverwandte zu gleicher Zeit die Richterbank einnehmen. Diese Unvereinbarkeit ist auch bei den übrigen Körperschaften zu beachten, ausgenommen bei der Obersten Versammlung. Hier genügt es, wenn bei den Wahlen bloß durch Gesetz verboten wird, daß jemand einen Verwandten vorschlägt oder, wenn dieser von einem anderen vorgeschlagen ist, für ihn stimmt, ferner daß bei der Ernennung eines Staatsbeamten zwei miteinander Verwandte das Los aus der Urne ziehen. Das, sage ich, genügt bei einer Körperschaft, die sich aus einer so großen Zahl von Menschen zusammensetzt und deren Mitglieder keine besondere Vergütung erhalten. Dem Staat wird deshalb kein Schaden daraus entstehen, so daß es widersinnig wäre, wie wir schon in § 14 dieses Kapitels gesagt haben, durch Gesetz die Verwandten aller Patrizier von der Obersten Versammlung auszuschließen. Daß es widersinnig wäre, ist zudem evident. Denn jene rechtliche Anordnung könnte nicht von den Patriziern selbst erlassen werden, ohne daß diese sich dadurch alle gänzlich ihres Rechts begäben, so daß die Verteidiger dieses Rechts nicht die Patrizier selbst wären, sondern das einfache Volk, was in direktem Widerspruch zu dem in §§ 5 und 6 dieses Kapitels Entwickelten steht. Das Gesetz des Staates, welches bestimmt, daß immer ein und dasselbe Verhältnis zwischen der Zahl der Patrizier und der der Menge bestehen soll, zielt aber in erster Linie darauf ab, das Recht und die Macht der Patrizier zu erhalten, nämlich ihre Zahl immer groß genug sein zu lassen, um die Menge regieren zu können. § 40. Die Richter sind übrigens von der Obersten Versammlung aus dem Kreis der Patrizier, d. h. (nach § 17 dieses Kapitels) dem der Gesetzgeber selbst, zu wählen. Die Entscheidungen, die sie sowohl in Zivil- wie in Strafsachen gefällt haben, werden nur gültig sein, wenn sie ordnungsgemäß und unparteiisch gefällt worden sind. Die Syndici werden die gesetzliche Befugnis haben, diesen Gesichtspunkt zu überprüfen, zu beurteilen und zur abschließenden Entscheidung zu bringen. § 41. Die Bezüge der Richter müssen von der Art sein, die wir in § 29 des Kapitels VI entwickelt haben, daß sie nämlich



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rebus civilibus tulerint, ab eo, qui causa cecidit, pro ratione totius summae partem aliquotam accipiant. At circa sententias de rebus criminalibus haec sola hic differentia sit, ut bona ab ipsis proscripta et quaecunque summa, qua minora crimina mulctantur, ipsis solis designetur, ea tamen conditione, ut nunquam iis liceat quenquam tormentis cogere quippiam confiteri. Et hoc modo satis cautum erit, ne iniqui in plebeios sint et ne metus causa nimium patriciis faveant. Nam praeterquam quod hic metus sola avaritia eaque specioso justitiae nomine adumbrata temperetur, accedit, quod plures sint numero, et quod suffragia non palam sed calculis ferantur, ita ut si quis ob damnatam suam causam stomachetur, nihil tamen habeat, quod uni imputare possit. Porro ne iniquam aut saltem ne absurdam aliquam sententiam pronuncient, et ne eorum quispiam dolo quicquam faciat, syndicorum reverentia prohibebit, praeterquam quod in tam magno judicum numero unus semper aut alter reperietur, quem iniqui formident. Ad plebeios denique quod attinet, satis iis etiam cavebitur, si ad syndicos iisdem appellare liceat, quibus, uti dixi, jure permissum sit de judicum rebus cognoscere, judicare et statuere. Nam certum est, quod syndici multorum patriciorum odium vitare non poterunt et plebi contra gratissimi semper erunt, cujus applausum, quantum ipsi etiam poterunt, captare studebunt. Quem in finem data occasione non omittent sententias contra leges fori prolatas revocare, et quemcunque judicem examinare, et poenas ex iniquis sumere; nihil enim hoc magis multitudinis animos movet. Nec obstat, quod similia exempla raro contingere possint, sed contra maxime prodest. Nam praeterquam quod illa civitas prave constituta sit, ubi quotidie exempla in delinquentes

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bei jeder Entscheidung in Zivilsachen von der unterlegenen Partei einen bestimmten Prozentsatz der Streitsumme erhalten. Bei Entscheidungen in Strafsachen soll ein Unterschied insofern bestehen, als bei geringeren Vergehen die von ihnen eingezogenen Güter und die Strafgelder ihnen allein zugewiesen werden, jedoch unter der Bedingung, daß sie niemals jemanden durch Foltern zu einem Geständnis zwingen dürfen. Dadurch wird genügend Vorsorge getroffen sein, daß sie das einfache Volk nicht ungerecht behandeln und nicht aus Furcht die Patrizier begünstigen. Denn außer daß dieser Furcht schon die Habsucht, verborgen unter dem schönen Namen Gerechtigkeit, entgegenwirkt, gilt ja noch, daß es eine hinreichend große Zahl von Richtern gibt und daß sie ihre Stimmen nicht offen, sondern mittels Stimmsteinen abgeben, so daß jemand, der wegen eines verlorenen Prozesses lospoltert, keinen Anhalt hat, einem einzelnen Richter die Schuld zu geben. Außerdem wird der Respekt vor den Syndici sie abhalten, eine ungerechte oder auch nur widersprüchliche Entscheidung zu fällen oder hinterlistig zu agieren, abgesehen davon, daß bei einer so großen Zahl von Richtern sich immer der eine oder andere finden wird, vor dem die zu Ungerechtigkeit neigenden Kollegen sich fürchten. Was die einfachen Leute anbelangt, so werden auch sie eine hinreichende Rechtssicherheit haben, wenn ihnen erlaubt ist, an die Syndici zu appellieren, die, wie gesagt, die gesetzliche Befugnis haben, alle Entscheidungen der Richter zu überprüfen, zu beurteilen und zur abschließenden Entscheidung zu bringen. Die Syndici werden sicherlich dem Haß vieler Patrizier nicht entgehen können, dafür aber beim einfachen Volk sehr beliebt sein, dessen Beifall zu gewinnen sie sich nach Kräften bemühen werden. Unter diesem Aspekt werden sie es gegebenenfalls nicht versäumen, gesetzwidrige Urteile zu kassieren, die Amtsführung eines jeden Richters zu überprüfen und ungerechte Richter zu bestrafen. Nichts rührt nämlich die Herzen der Menge mehr. Dagegen spricht auch nicht, daß solche Fälle sich doch nur selten ereignen können; es spricht im Gegenteil sehr dafür. Denn abgesehen davon, daß es um ein Gemeinwesen schlecht bestellt wäre, in dem täglich Fälle von Bestrafung dieser Art bekannt werden (wie wir in § 2 des Kapitels V gezeigt haben), muß fürwahr



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eduntur (ut cap. V art. 2 ostendimus), illa profecto rarissima esse debent fama, quae maxime celebrantur. § 42. Qui in urbes vel provincias proconsules mittuntur, ex ordine senatorio eligendi essent, quia senatorum officium est de urbium munimentis, aerario, militia etc. curam habere. Sed qui in regiones aliquantulum remotas mitterentur, senatum frequentare non possent, et hac de causa ii tantummodo ex ipso senatu vocandi sunt, qui urbibus in patrio solo conditis destinantur; at quos ad magis remota loca mittere volunt, ex iis eligendi sunt, quorum aetas a senatorio gradu non abest. Sed neque hac ratione paci totius imperii satis cautum fore existimo, si nimirum urbes circumvicinae jure suffragii omnino prohibeantur, nisi adeo impotentes omnes sint, ut palam contemni possint, quod sane concipi nequit. Atque adeo necesse est, ut urbes circumvicinae jure civitatis donentur, et ex unaquaque viginti, triginta aut quadraginta (nam numerus pro magnitudine urbis major aut minor esse debet) cives electi in numerum patriciorum adscribantur, ex quibus tres, quatuor aut quinque quotannis eligi debent, qui ex senatu sint, et unus ad vitam syndicus. Atque hi, qui ex senatu sunt, proconsules in urbem, ex qua electi sunt, mittantur una cum syndico. § 43. Caeterum judices in unaquaque urbe constituendi ex patriciis ejusdem urbis eligendi sunt. Sed de his non necesse judico prolixius agere, quia ad singularis hujus imperii fundamenta non pertinent. § 44. Qui in quocunque concilio a secretis sunt, et alii ejusmodi ministri, quia suffragii jus non habent, eligendi sunt ex plebe. Sed quia hi diuturna negotiorum tractatione maximam rerum agendarum notitiam habent, fit saepe, ut eorum consilio plus quam par est deferatur, et ut status totius imperii ab eorum

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äußerst selten sein, was auf die öffentliche Meinung .den größten Eindruck macht. § 42. Wer in die Städte oder Provinzen als Prokonsul geschickt wird, sollte aus dem Stand der Senatoren zu wählen sein, weil es Aufgabe der Senatoren ist, für die Befestigung der Städte, die Finanzen, das Heerwesen usw. zu sorgen. Weil aber diejenigen, die in ziemlich entfernte Gegenden entsandt werden, an den Sitzungen des Senats nicht teilnehmen könnten, sind bloß solche unmittelbar aus dem Senat zu berufen, denen die Verwaltung einer im Heimatland gelegenen Stadt obliegt. Die man in entferntere Orte schicken will, sind aus dem Kreis der Patrizier, die das senatsfähige Alter erreicht haben, zu wählen. Ich glaube indes, daß der Frieden des ganzen Staates auf diese Weise nicht hinreichend sichergestellt sein wird, wenn die Städte im Umkreis der Hauptstadt vom Stimmrecht völlig ausgeschlossen werden, es sei denn, sie sind so machtlos, daß man sie unverhohlen mißachten kann, was kaum denkbar ist. Daher ist es nötig, den umliegenden Städten das der Hauptstadt zukommende Recht zu gewähren und aus jeder Stadt zwanzig, dreißig oder vierzig gewählte Bürger (die Zahl muß sich nach der Größe der Stadt richten) in den Kreis der Patrizier aufzunehmen. Von ihnen müssen drei, vier oder fünf jedes Jahr in den Senat gewählt werden und einer zum Syndicus auf Lebenszeit. Diese Vertreter des Senats sollen zusammen mit dem Syndicus als Prokonsuln in die Stadt geschickt werden, von der sie gewählt worden sind. § 43. Im übrigen sind die in jeder Stadt einzusetzenden Richter aus dem Kreis der Patrizier dieser Stadt zu wählen. Ich halte es aber nicht für nötig, ausführlicher darauf einzugehen, weil es nicht zu den eigentümlichen Grundlagen der hier behandelten Staatsform gehört. § 44. Die Sekretäre einer jeden Körperschaft und andere Beamte dieser Art sind, weil sie kein Stimmrecht haben, aus dem einfachen Volk zu wählen. Weil diese Leute durch ihre ständige Geschäftsführung aber die größte Sachkenntnis besitzen, kommt es häufig vor, daß man ihrer Umsicht mehr überläßt, als sich gebührt, und daß dann der Zustand des ganzen Staates gänzlich



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directione maxime pendeat; quae res Hollandis exitio fuit. Nam id sine magna multorum optimorum invidia fieri nequit. Et sane dubitare non possumus, quin senatus, cujus prudentia non a senatorum, sed ab administrorum consilio derivatur, maxime ab inertibus frequentetur; et hujus imperii conditio non multo melior erit quam imperii monarchici, quod pauci regis consiliarii regunt; de quo vide cap. VI art. 5, 6 et 7. Verumenimvero imperium, prout recte vel prave institutum fuerit, eo minus aut magis erit huic malo obnoxium. Nam imperii libertas, quae non satis firma habet fundamenta, nunquam sine periculo defenditur; quod patricii ne subeant, ministros gloriae cupidos ex plebe eligunt, qui postea vertentibus rebus veluti hostiae caeduntur ad placandam eorum iram, qui libertati insidiantur. At ubi libertatis fundamenta satis firma sunt, ibi patricii ipsi ejusdem tutandae gloriam sibi expetunt studentque, ut rerum agendarum prudentia ab eorum tantummodo consilio derivetur. Quae duo in jaciendis hujus imperii fundamentis apprime observavimus, nempe ut plebs tam a consiliis quam a suffragiis ferendis arceretur (vid. art. 3 et 4 hujus cap.), atque adeo ut suprema imperii potestas penes omnes patricios, auctoritas autem penes syndicos et senatum, et jus denique senatum convocandi resque ad communem salutem pertinentes proponendi penes consules ex ipso senatu electos esset. Quod si praeterea statuatur, ut qui a secretis in senatu vel in aliis conciliis est, in quatuor aut quinque ad summum annos eligatur, atque ei secundus, qui a secretis in idem tempus designatus sit, adjungatur, qui interim laboris partem ferat, vel si in senatu non unus sed plures a secretis sint, quorum alius his, alius aliis negotiis detinetur, nunquam fiet, ut administrorum potentia alicujus sit momenti.

22 proponendi] eingefügt nach Maßgabe der NS, die an dieser Stelle noch mehr enthalten; Proietti ergänzt: in eodem decernendas proponendi

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von ihrem Einfluß abhängt. Das ist den Holländern zum Verhängnis geworden. In der Tat kann dies nicht geschehen, ohne bei vielen Edlen Neid hervorzurufen. Zweifellos wird ein Senat, der seine Umsicht nicht den Ratschlägen der Senatoren, sondern der Verwaltungsbeamten verdankt, sich hauptsächlich aus Inaktiven zusammensetzen, und ein darauf sich stützender Staat wird in nicht viel besserer Lage sein als eine Monarchie, in der einige wenige Ratgeber des Königs regieren (vgl. hierüber §§ 5, 6 und 7 des Kapitels VI). Tatsächlich wird ein Staat unter diesem Übel mehr oder minder leiden, je nachdem wie er eingerichtet ist, ob gut oder schlecht. Denn die Freiheit eines Staates, deren Grundlagen nicht fest genug sind, läßt sich nie ohne Risiko verteidigen. Patrizier, die sich ihm nicht aussetzen wollen, wählen ehrgeizige Beamte aus dem Volk, die sie dann, wenn ein Umsturz erfolgt, als Opfer hinschlachten lassen, um den Zorn derer zu besänftigen, die Feinde der Freiheit sind. Wo aber die Grundlagen der Freiheit fest genug sind, werden die Patrizier schon selbst den Ruhm, die Freiheit zu schützen, für sich in Anspruch nehmen und danach trachten, daß man eine kluge Staatsführung bloß ihrer Umsicht zuschreibt. Diese beiden Gesichtspunkte haben wir beim Aufriß der Grundlagen dieser Form des Staates in erster Linie im Auge gehabt, daß nämlich das einfache Volk sowohl von den Beratungen als auch von den Abstimmungen ausgeschlossen wird (vgl. §§ 3 und 4 dieses Kapitels), und folglich die höchste Gewalt des Staates bei den Patriziern in deren Gesamtheit liegt, die Autorität bei den Syndici und dem Senat und schließlich das Recht, den Senat einzuberufen und Vorschläge für das gemeinsame Wohl zu unterbreiten, bei den aus der Mitte des Senats gewählten Konsuln. Wird außerdem bestimmt, daß ein Sekretär des Senats oder einer anderen Körperschaft bloß für vier oder höchstens fünf Jahre gewählt und ihm ein zweiter Sekretär mit gleicher Amtsdauer zur Seite gestellt wird, der zwischenzeitlich einen Teil seiner Arbeit übernimmt, oder daß es im Senat nicht einen, sondern mehrere Sekretäre gibt, die mit unterschiedlichen Aufgaben betraut sind, dann wird es nie vorkommen, daß die Macht der Verwaltungsbeamten irgendwelche Bedeutung gewinnt.

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§ 45. Aerarii tribuni ex plebe etiam eligendi sunt, qui ejus rationem non tantum senatui, sed etiam syndicis reddere teneantur. § 46. Ad religionem quae spectant, satis prolixe ostendimus in Tractatu Theologico-Politico. Quaedam tamen tum omisimus, de quibus ibi non erat agendi locus; nempe quod omnes patricii ejusdem religionis, simplicissimae scilicet et maxime catholicae, qualem in eodem tractatu descripsimus, esse debeant. Nam apprime cavendum est, ne ipsi patricii in sectas dividantur, et ne alii his, alii aliis plus faveant, et deinde ne superstitione capti libertatem subditis dicendi ea, quae sentiunt, adimere studeant. Deinde quamvis unicuique libertas dicendi ea, quae sentit, danda est, magni tamen conventus prohibendi sunt. Atque adeo iis, qui alii religioni addicti sunt, concedendum quidem est tot quot velint templa aedificare, sed parva, et certae cujusdam mensurae et in locis aliquantulum ab invicem dissitis. At templa, quae patriae religioni dicantur, multum refert, ut magna et sumptuosa sint, et ut praecipuo ipsius cultui solis patriciis vel senatoribus manus admovere liceat, atque adeo ut solis patriciis liceat baptizare, matrimonium consecrare, manus imponere, et absolute ut templorum veluti sacerdotes patriaeque religionis vindices et interpretes agnoscantur. Ad concionandum autem, et ecclesiae aerario ejusque quotidianis negotiis administrandis aliqui ex plebe ab ipso senatu eligendi sunt, qui senatus quasi vicarii sint, cui propterea rationem omnium reddere teneantur. § 47. Atque haec illa sunt, quae hujus imperii fundamenta spectant; quibus pauca alia minus quidem principalia, sed magni tamen momenti addam; nempe ut patricii veste quadam seu habitu singulari, quo dignoscantur, incedant, et ut singulari quodam titulo salutentur, et unusquisque ex plebe iis loco cedat; et si

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§ 45. Die Finanzbeamten sind ebenfalls aus dem einfachen Volk zu wählen; sie sind gehalten nicht nur dem Senat, sondern auch den Syndici Rechenschaft zu schulden. § 46. Was die Religion anbelangt, so haben wir von ihr ausführlich im »Theologisch-politischen Traktat« gehandelt. Einiges haben wir jedoch dort übergangen, wovon zu handeln dieses Werk nicht der geeignete Ort war. Alle Patrizier müssen nämlich ein und derselben Religion angehören, und zwar der einfachsten und höchstallgemeinen, wie wir sie in jenem Traktat beschrieben haben. Denn vor allem muß verhütet werden, daß sich die Patrizier in Sekten teilen und die einen diese, die anderen jene Sekte begünstigen, aber auch, daß sie, im Aberglauben befangen, den Untertanen die Freiheit, ihre Meinung zu äußern, zu nehmen suchen. Ferner sind, wenn auch jedem die Freiheit der Meinungsäußerung zu gewähren ist, doch große Versammlungen zu untersagen. So ist den Anhängern einer anderen Religion zwar zu gestatten, so viel Kirchen, wie sie wollen, zu bauen, aber doch bloß kleine, die von festgelegtem Ausmaß sind und in Orten liegen, die einigermaßen voneinander entfernt sind. Für Kirchen, die der Landesreligion geweiht sind, ist es dagegen von großer Wichtigkeit, daß sie groß und prächtig sind und daß es nur Patriziern oder sogar nur Senatoren erlaubt ist, dort die wichtigsten religiösen Handlungen zu zelebrieren. Bloß Patrizier sollen also taufen, Ehen einsegnen, die Hände auflegen dürfen, und überhaupt sollen sie es sein, die als Priester der Kirchen und als Wächter und Ausleger der Landesreligion gelten. Zum Predigen aber, zur Verwaltung des Kirchengutes und zum Verrichten der täglichen Kirchengeschäfte sind vom Senat einige Männer aus dem Volk zu benennen, die als seine Vertreter fungieren und aus diesem Grund ihm über alles Rechenschaft schuldig sein sollen. § 47. Das ist es also, was die Grundlagen des aristokratischen Staates betrifft. Ich will noch einiges wenige hinzufügen, das zwar nicht so prinzipiell, aber doch von großer Bedeutung ist. Die Patrizier sollen in einer ihnen eigenen, sie von anderen unterscheidenden Gewandung oder Tracht einhergehen; sie sollen mit einem besonderen Titel gegrüßt werden; und jeder aus dem einfachen Volk soll ihnen Platz machen. Hat ein Patrizier nachweis-



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aliquis patricius bona sua aliquo infortunio, quod vitari nequit, amiserit, idque liquido docere poterit, ut in integrum ex publicis bonis restituatur. Sed si contra constet eundem largitate, fastu, ludo, scortis, etc. eadem consumpsisse, vel quod absolute plus debet quam est solvendo, ut dignitate cedat et omni honore officioque indignus habeatur. Qui enim seipsum resque suas privatas regere nequit, multo minus publicis consulere poterit. § 48. Quos lex jurare cogit, a perjurio multo magis cavebunt, si per salutem patriae et libertatem perque supremum concilium quam si per Deum jurare jubeantur. Nam qui per Deum jurat, privatum bonum interponit, cujus ille aestimator est; at qui jurejurando libertatem patriaeque salutem interponit, is per commune omnium bonum, cujus ille aestimator non est, jurat, et, si pejerat, eo ipso se patriae hostem declarat. § 49. Academiae, quae sumptibus reipublicae fundantur, non tam ad ingenia colenda quam ad eadem coercenda instituuntur. Sed in libera republica tum scientiae et artes optime excolentur, si unicuique veniam petenti concedatur publice docere, idque suis sumptibus suaeque famae periculo. Sed haec et similia ad alium locum reservo. Nam hic de iis solummodo agere constitueram, quae ad solum imperium aristocraticum pertinent. caput i x

§ 1. Huc usque hoc imperium consideravimus, quatenus ab una sola urbe, quae totius imperii caput est, nomen habet. Tem pus jam est, ut de eo agamus, quod plures urbes tenent, quodque

14 eo ipso] eo ipse

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lich durch unverschuldetes Unglück sein Vermögen verloren, soll es ihm gänzlich aus Staatsmitteln ersetzt werden. Hat er es aber offenbar durch Verschwendung, durch Luxus, im Spiel oder mit Dirnen vergeudet, oder hat er, generell, mehr Schulden, als er begleichen kann, dann soll er seine Würde verlieren und jeder Ehrenstelle, überhaupt jedes Amtes unwürdig sein. Denn wer sich selbst nicht beherrschen und seine Privatangelegenheiten nicht regeln kann, der wird noch viel weniger in öffentlichen Angelegenheiten sich engagieren können. § 48. Wer vom Gesetz zum Eid gezwungen wird, wird weit mehr einen Meineid scheuen, wenn er beim Heil des Vaterlandes, bei der Freiheit und bei der Obersten Versammlung, als wenn er bei Gott schwören soll. Denn wer bei Gott schwört, setzt ein privates Gut ein, dessen Wert er selbst bestimmt, wer aber beim Schwur die Freiheit und das Heil des Vaterlandes einsetzt, schwört bei dem gemeinsamen Gut aller, dessen Wert nicht er allein bestimmt. Schwört er falsch, dann erklärt er sich dadurch zum Feind des Vaterlandes. § 49. Universitäten, die auf Staatskosten gegründet werden, werden weniger zur Ausbildung als zur Einschränkung der Talente errichtet. In einer freien Republik hingegen werden Wissenschaft und Kunst am besten gedeihen, wenn jedem, der darum nachsucht, die Erlaubnis erteilt wird, öffentlich zu lehren, und zwar auf eigene Kosten und mit Gefahr seiner Reputation. Dies und ähnliches hebe ich aber für ein anderes Kapitel auf. Denn hier war es meine Absicht, lediglich das zu behandeln, was bloß den aristokratischen Staat betrifft.

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kapit el ix [Grundlagen der Aristokratie mehrerer Städte] § I. Bisher haben wir den aristokratischen Staat betrachtet,  sofern er seinen Namen von einer einzigen Stadt als der Hauptstadt des ganzen Staates hat. Nun ist es Zeit, von demjenigen zu reden, dessen Regierungsgewalt mehrere Städte innehaben, * von einem Staat, der meiner Meinung nach den Vorzug vor dem

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ego praecedenti praeferendum existimo. Sed ut utriusque differentiam et praestantiam noscamus, singula praecedentis imperii fundamenta perlustrabimus, et quae ab hoc aliena sunt, rejiciemus, et alia, quibus niti debeat, eorum loco jaciemus. § 2. Urbes itaque, quae civitatis jure gaudent, ita conditae et munitae esse debent, ut unaquaeque sola sine reliquis subsistere quidem non possit, sed contra etiam ut a reliquis deficere nequeat absque magno totius imperii detrimento. Hoc enim modo semper unitae manebunt. At quae ita constitutae sunt, ut nec se conservare, nec reliquis formidini esse queant, eae sane non sui, sed reliquarum juris absolute sunt. § 3. Quae autem art. 9 et 10 praec. cap. ostendimus ex communi imperii aristocratici natura deducuntur, ut et ratio numeri patriciorum ad numerum multitudinis, et qualis eorum aetas et conditio esse debeat, qui patricii sunt creandi, ita ut nulla circa haec oriri possit differentia, sive imperium una sive plures urbes teneant. At supremi concilii alia hic debet esse ratio. Nam si quae imperii urbs supremo huic concilio congregando destinaretur, illa revera ipsius imperii caput esset; atque adeo vel vices servandae essent, vel talis locus huic concilio esset designandus, qui civitatis jus non habeat quique ad omnes aeque pertineat. Sed tam hoc quam illud, ut dictu facile, ita factu difficile est, ut scilicet tot hominum millia extra urbes saepe ire, vel ut jam hoc, jam alio in loco convenire debeant. § 4. Verum ut recte, quid in hac re fieri oporteat, et qua ratione hujus imperii concilia instituenda sint, ex ipsius natura et conditione concludere possimus, haec consideranda sunt. Nempe

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zuvor erörterten verdient. Um den Unterschied der beiden Formen von Staat kennenzulernen und worin der Vorzug des einen gegenüber dem anderen besteht, werden wir die Grundlagen der ersten Form einzeln durchgehen, diejenigen, die für die andere nicht paßt, beiseite lassen und dafür andere einsetzen, auf die sie sich stützen muß. § 2. Die Städte, die das Stadtrecht genießen, müssen so gebaut und befestigt sein, daß zwar keine für sich allein ohne die übrigen existieren kann, jede aber andererseits auch [stark genug ist], daß sie nicht ohne großen Schaden für den ganzen Staat von den übrigen abfallen kann. Auf diese Weise werden sie nämlich immer vereinigt bleiben. Städte hingegen, die weder sich selbst erhalten noch den übrigen Furcht einflößen können, stehen gewiß nicht unter ihrem eigenen Recht, sondern uneingeschränkt unter dem der übrigen. § 3. Alles, was wir in §§ 9 und 10 des vorherigen Kapitels aufgezeigt haben, leitet sich aus der allgemeinen Natur des aristokratischen Staates her, also das Verhältnis der Zahl der Patrizier zur Zahl der Menge, Bestimmungen hinsichtlich ihres Alters und die sonstigen Bedingungen ihrer Wählbarkeit, so daß darin kein Unterschied bestehen kann, mögen bloß eine Stadt oder mehrere die Regierungsgewalt innehaben. Im Fall der Obersten Versammlung muß die Sache hier jedoch anders liegen. Würde nämlich eine bestimmte Stadt zum Versammlungsort dieses Gremiums bestimmt, wäre sie faktisch die Hauptstadt des Staates; um das zu vermeiden, hätte entweder der Versammlungsort reihum zu wechseln oder der Sitz dieser Versammlung an einem Ort zu sein, der kein Stadtrecht besitzt und allen Städten in gleichem Maße gehört. Doch ist das eine wie das andere leicht gesagt, aber schwer getan; man bedenke nur, daß soviel tausend Menschen häufig ihre Städte verlassen oder bald hier, bald dort zusammenkommen müßten. § 4. Um für das, was angesichts dieses Sachverhalts zu geschehen hat, und für das Problem, in welcher Weise die Gremien der in Frage stehenden Staatsform einzurichten sind, die richtige Lösung aus der Natur und Beschaffenheit dieser Form gewinnen zu können, ist folgendes in Erwägung zu ziehen. Jede Stadt hat



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quod unaquaeque urbs tanto plus juris quam vir privatus habeat, quanto viro privato potentior est (per art. 4 cap. II); et consequenter unaquaeque hujus imperii urbs (vide art. 2 hujus cap.) tantum juris intra moenia seu suae jurisdictionis limites habeat, quantum potest. Deinde quod omnes urbes non ut confoederatae, sed ut unum imperium constituentes invicem sociatae et unitae sint, sed ita ut unaquaeque urbs tanto plus juris in imperium quam reliquae obtineat, quanto reliquis est potentior; nam qui inter inaequales aequalitatem quaerit, absurdum quid quaerit. Cives quidem aequales merito aestimantur, quia uniuscujusque potentia cum potentia totius imperii comparata nullius est considerationis. At urbis cujuscunque potentia magnam partem potentiae ipsius imperii constituit, et eo majorem, quo ipsa urbs major est; ac proinde omnes urbes aequales haberi nequeunt. Sed ut uniuscujusque potentia, ita etiam ejusdem jus ex ipsius magnitudine aestimari debet. Vincula vero, quibus adstringi debent, ut unum imperium componant, apprime sunt (per art. 1 cap. IV) senatus et forum. Quomodo autem eae omnes his vinculis ita copulandae sunt, ut earum tamen unaquaeque sui juris, quantum fieri potest, maneat, breviter hic ostendam. § 5. Nempe uniuscujusque urbis patricios, qui pro magnitudine urbis (per art. 3 hujus cap.) plures aut pauciores esse debent, summum in suam urbem jus habere concipio, eosque in concilio, quod illius urbis supremum est, summam habere potestatem urbem muniendi ejusque moenia dilatandi, vectigalia imponendi, leges condendi et abrogandi et omnia absolute agendi, quae ad suae urbis conservationem et incrementum necessaria esse judicant. Ad communia autem imperii negotia tractanda senatus creandus est iis omnino conditionibus, quas in praeced. cap. diximus, ita ut inter hunc senatum et illum nulla alia sit differentia quam quod hic authoritatem etiam habeat dirimendi

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mehr Recht als ein Privatmann, in dem Maße nämlich, wie sie ihm an Macht überlegen ist (nach § 4 des Kapitels II); folglich hat jede Stadt dieser Staatsform (vgl. § 2 dieses Kapitels) so viel Recht innerhalb ihrer Mauern oder innerhalb der Grenzen ihrer Gerichtsbarkeit, wie sie Macht hat. Ferner sind alle Städte nicht einfach als Alliierte, sondern als konstitutive Bestandteile eines einzigen Staates miteinander verbunden und vereinigt, allerdings so, daß jede Stadt so viel mehr Recht als die übrigen auf die Regierung hat, wie sie die übrigen an Macht überragt; denn Gleichheit unter Ungleichen zu suchen, heißt etwas Unsinniges zu suchen. Die Bürger werden allerdings mit Recht als gleich angesehen, weil die Macht eines einzelnen, verglichen mit der des ganzen Staates, als unerheblich anzusehen ist. Die Macht einer Stadt dagegen bildet einen großen Teil der Macht des Staates selbst, und zwar einen um so größeren, je größer die Stadt ist; deshalb können nicht alle Städte untereinander als gleich angesehen werden. Vielmehr muß, nicht anders als ihre Macht, auch ihr Recht nach ihrer Größe veranschlagt werden. Die Bande, mit denen sie so verbunden werden müssen, daß sie zusammen einen einzigen Staat bilden, sind in erster Linie (nach § 1 des Kapitels IV) der Senat und der Gerichtshof. Wie sie alle mit diesen Banden so zu vereinigen sind, daß dabei dennoch jede Stadt, soweit es möglich ist, unter eigenem Recht bleibt, will ich jetzt kurz zeigen. § 5. Ich denke, daß es so ist: Die Patrizier einer jeden Stadt, die je nach Größe ihrer Stadt (nach § 3 dieses Kapitels) von größerer oder geringerer Zahl sein müssen, haben das höchste Recht über ihre eigene Stadt; d. h. in der obersten Versammlung dieser Stadt haben sie die höchste Verfügungsgewalt, Befestigungswerke anzulegen, die Stadtmauern zu erweitern, Steuern aufzuerlegen, Gesetze zu erlassen und aufzuheben, uneingeschränkt gesagt, all das zu tun, was sie für die Erhaltung und das Wachstum ihrer Stadt für unabdingbar erachten. Zur Führung der Geschäfte, die den gesamten Staat betreffen, ist jedoch ein Senat zu schaffen, und zwar genau unter den im vorherigen Kapitel angegebenen Bedingungen, so daß er sich von dem dort beschriebenen Senat nur darin unterscheidet, daß er noch die Autorität hat, Streitig-



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quaestiones, quae inter urbes oriri possunt. Nam hoc in hoc imperio, cujus nulla urbs caput est, non potest, ut in illo, a supremo concilio fieri (vide art. 38 praec. cap.). § 6. Caeterum in hoc imperio supremum concilium convocandum non est, nisi opus sit ipsum imperium reformare, vel in arduo aliquo negotio, ad quod peragendum senatores se impares esse credent; atque adeo raro admodum fiet, ut omnes patricii in concilium vocentur. Nam praecipuum supremi concilii officium esse diximus (art. 17 praec. cap.) leges condere et abrogare, et deinde imperii ministros eligere. At leges, sive communia totius imperii jura, simulatque instituta sunt, immutari non debent. Quod si tamen tempus et occasio ferat, ut novum aliquod jus instituendum sit aut jam statutum mutandum, potest prius de eodem quaestio in senatu haberi; et postquam senatus in eo convenerit, tum deinde legati ad urbes ab ipso senatu mittantur, qui uniuscujusque urbis patricios senatus sententiam doceant; et si denique major urbium pars in sententiam senatus iverit, ut tum ipsa rata maneat, alias irrita. Atque hic idem ordo in eligendis ducibus exercitus et legatis in alia regna mittendis, ut et circa decreta de bello inferendo et pacis conditionibus acceptandis teneri potest. Sed in reliquis imperii ministris eligendis, quia (ut in art. 4 hujus cap. ostendimus) unaquaeque urbs, quantum fieri potest, sui juris manere debet et in imperio tanto plus juris obtinere, quanto reliquis est potentior, hic ordo necessario servandus est. Nempe senatores a patriciis uniuscujusque urbis eligendi sunt; videlicet unius urbis patricii in suo concilio certum senatorum numerum ex suis civibus collegis eligent, qui ad numerum patriciorum ejusdem urbis se habeat (vide art. 30 praeced. cap.) ut 1 ad 12; et quos primi, secundi, tertii etc. ordinis esse volunt,

19 ut et] et Hinzufügung Gebhardt gemäß NS

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keiten zu schlichten, die zwischen den Städten entstehen können. Denn in einem Staat ohne Hauptstadt kann dies nicht, wie bei der ersten Form von Aristokratie, durch eine Oberste Versammlung geschehen (vgl. § 38 des vorherigen Kapitels). § 6. Im übrigen ist in dieser Form des aristokratischen Staates die Oberste Versammlung nur einzuberufen, wenn es erforderlich ist, den Staat selber neu zu gestalten, oder bei einer schwierigen Angelegenheit, deren Durchführung sich die Senatoren nicht gewachsen sehen. Es wird also sehr selten vorkommen, daß alle Patrizier zu einer Sitzung jener Versammlung einberufen werden. Denn, wie gesagt, die Hauptaufgabe der Obersten Versammlung besteht darin (§ 17 des vorherigen Kapitels), Gesetze zu erlassen und aufzuheben sowie Staatsbeamte zu ernennen. Gewiß, Gesetze, sofern es sich um dem ganzen Staat gemeinsame Rechtsgesetze handelt, dürfen, einmal festgesetzt, nicht abgeändert werden. Wenn gleichwohl Zeit und Umstände die Einführung einer neuen Gesetzesbestimmung oder die Abänderung einer bereits bestehenden fordern, kann darüber zunächst eine Beratung im Senat stattfinden. Ist der Senat hierin einig geworden, soll er offizielle Gesandte in die Städte schicken, die den Patriziern einer jeden Stadt die Ansicht des Senats vorlegen; wenn sich schließlich die Majorität der Städte dieser Ansicht anschließt, möge sie angenommen, anderenfalls verworfen sein. Dasselbe Verfahren kann man bei der Wahl von Heerführern und von ins Ausland zu schickenden Gesandten und ebenso bei Beschlüssen, Krieg zu beginnen und Friedensbedingungen anzunehmen, anwenden. Bei der Wahl der anderen Staatsbeamten hingegen ist notwendigerweise eine andere Prozedur einzuhalten, weil (wie wir in § 4 dieses Kapitels gezeigt haben) jede Stadt möglichst ihr eigenes Recht bewahren und im Staat um so mehr Recht haben muß, wie sie den übrigen Städten an Macht überlegen ist. Die Senatoren sind von den Patriziern jeder Stadt zu wählen; d. h.: die Patrizier jeder Stadt wählen in ihrer Versammlung unter den Kollegen ihrer Stadt eine bestimmte Zahl von Senatoren, die zu der Zahl der Patrizier dieser Stadt sich wie 1 zu 12 (vgl. § 30 des vorherigen Kapitels) verhält; und sie werden auch bestimmen, welche von ihnen sie in welcher Sektion sehen wollen, in der ersten, zweiten,



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designabunt. Et sic reliquarum urbium patricii pro magnitudine sui numeri plures paucioresve senatores eligent, et in tot ordines distribuent, in quot senatum dividendum esse diximus (vid. art. 34 praeced. cap.). Quo fiet, ut in unoquoque senatorum ordine pro magnitudine cujuscunque urbis plures paucioresve ejusdem senatores reperiantur. At ordinum praesides eorumque vicarii, quorum numerus minor est urbium numero, a senatu ex consulibus electis sorte eligendi sunt. In judicibus praeterea supremis imperii eligendis idem ordo retinendus est, scilicet ut uniuscujusque urbis patricii ex suis collegis pro magnitudine sui numeri plures aut pauciores judices eligant. Atque adeo fiet, ut unaquaeque urbs in eligendis ministris sui juris, quantum fieri potest, sit, et ut unaquaeque quo potentior est, eo etiam plus juris tam in senatu quam in foro obtineat; posito scilicet, quod senatus et fori ordo in decernendis imperii rebus et quaestionibus dirimendis talis omnino sit, qualem art. 33 et 34 praec. cap. descripsimus. § 7. Cohortium deinde duces et militiae tribuni e patriciis etiam eligendi sunt. Nam quia aequum est, ut unaquaeque urbs pro ratione suae magnitudinis certum militum numerum ad communem totius imperii securitatem conducere teneatur, aequum etiam est, ut e patriciis uniuscujusque urbis pro numero legionum, quas alere tenentur, tot tribunos, duces, signiferos etc. eligere liceat, quot ad illam militiae partem, quam imperio suppeditant, ordinandam requiruntur. § 8. Vectigalia nulla etiam a senatu subditis imponenda, sed ad sumptus, qui ad negotia publica peragenda ex senatus decreto requiruntur, non subditi, sed urbes ipsae ab ipso senatu ad censum vocandae sunt, ita ut unaquaeque urbs pro ratione suae magnitudinis sumptuum partem majorem vel minorem ferre debeat; quam quidem partem ejusdem urbis patricii a suis urbanis ea,

2 tot] Hinzufügung Gebhardt gemäß NS

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dritten usw. Ebenso werden die Patrizier der übrigen Städte je nach ihrer Zahl mehr oder weniger Senatoren wählen und auf so viele Sektionen verteilen, wie der Senat nach unseren Angaben (vgl. § 34 des vorherigen Kapitels) zu haben hat. Auf diese Weise werden die einzelnen Städte in jeder Senatsabteilung je nach ihrer Größe mit mehr oder weniger Senatoren vertreten sein. Doch sind die Präsidenten und Vizepräsidenten der Sektionen, deren Zahl ja geringer ist als die Zahl der Städte, vom Senat unter den gewählten Konsuln durch Los auszuwählen. Bei der Wahl der höchsten Richter im Staat ist das genannte Verfahren beizubehalten, daß nämlich die Patrizier jeder Stadt aus ihren Kollegen der Größe ihrer Stadt entsprechend mehr oder weniger Richter wählen. Auf diese Weise wird jede Stadt bei der Wahl der Beamten, soweit es möglich ist, ihr eigenes Recht bewahren, und jede wird um so mehr Recht im Senat wie im Gerichtshof haben, je mächtiger sie ist, vorausgesetzt natürlich, daß die Geschäftsordnung des Senats und des Gerichtshofs bei den Beschlüssen über Staatsangelegenheiten und bei der Schlichtung von Streitfragen ganz so ist, wie wir sie in §§ 33 und 34 des vorherigen Kapitels beschrieben haben. § 7. Ferner sind die Heerführer und Kommandanten ebenfalls aus dem Kreis der Patrizier zu wählen. Denn da es billig ist, jede Stadt zu verpflichten, im Verhältnis zu ihrer Größe eine bestimmte Zahl von Soldaten zur gemeinsamen Sicherung des Gesamtstaates zu stellen, ist es auch billig, daß sie entsprechend der Zahl der Regimenter, die sie unterhalten muß, so viel Kommandanten, Heerführer, Fähnriche usw. aus dem Kreis ihrer Patrizier benennen darf, wie zur Leitung des Truppenteils, den sie dem Staat stellt, erforderlich sind. § 8. Auch Steuern sind nicht vom Senat den Untertanen aufzuerlegen; zur Bestreitung der Kosten, die nach Senatsbeschluß für den Staatshaushalt erforderlich sind, sind vielmehr nicht die Untertanen, sondern die Städte selber vom Senat heranzuziehen, wobei jede Stadt im Verhältnis zu ihrer Größe einen größeren oder geringeren Teil der Kosten tragen muß. Ihn mögen die Patrizier der Stadt von deren Einwohnern in einer Weise erheben, die sie für gut halten, entweder durch Belastung der



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qua velint, via exigent, eos scilicet vel ad censum trahendo vel, quod multo aequius est, iisdem vectigalia imponendo. § 9. Porro, quamvis omnes hujus imperii urbes maritimae non sint, nec senatores ex solis urbibus maritimis vocentur, possunt tamen iisdem eadem emolumenta decerni, quae art. 31 praec. cap. diximus; quem in finem pro imperii constitutione media excogitari poterunt, quibus urbes invicem arctius copulentur. Caeterum reliqua ad senatum et forum, et absolute ad universum imperium spectantia, quae in praec. cap. tradidi, huic etiam imperio applicanda sunt. Atque adeo videmus, quod in imperio, quod plures urbes tenent, non necesse sit supremo concilio convocando certum tempus aut locum designare. At senatui et foro locus dicandus est in pago vel in urbe, quae suffragii jus non habet. Sed ad illa, quae ad singulas urbes spectant, revertor. § 10. Ordo supremi concilii unius urbis in eligendis urbis et imperii ministris et in rebus decernendis idem ille, quem art. 27 et 36 praec. cap. tradidi, esse debet. Nam eadem hic quam illic est ratio. Deinde syndicorum concilium huic subordinandum est, quod ad urbis concilium se habeat ut illud syndicorum praeced. cap. ad concilium totius imperii, et cujus officium intra limites jurisdictionis urbis idem etiam sit iisdemque emolumentis gaudeat. Quod si urbs et consequenter patriciorum numerus adeo exiguus fuerit, ut non nisi unum aut duos syndicos creare possit, qui duo concilium facere nequeunt, tum syndicis in cognitionibus pro re nata judices a supremo urbis concilio designandi sunt, vel quaestio ad supremum syndicorum concilium deferenda. Nam ex unaquaque urbe aliqui etiam ex syndicis in locum, ubi senatus residet, mittendi sunt, qui prospiciant, ut jura

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Einkünfte oder, was weitaus angemessener ist, durch indirekte Abgaben. § 9. Wenn auch nicht alle Städte dieses Staates Küstenstädte sind, die Senatoren also nicht bloß von den Küstenstädten benannt werden, kann man ihnen doch dieselben Einkünfte zuweisen, von denen wir in § 31 des vorherigen Kapitels gesprochen haben. Im Hinblick darauf wird man der Struktur des Staates angemessene Mittel ausfindig machen können, die die Städte noch enger miteinander verbinden. Im übrigen sind die anderen Regelungen, die ich in bezug auf den Senat, den Gerichtshof, überhaupt den Staat im ganzen im vorherigen Kapitel entwickelt habe, auch auf diesen Staat anzuwenden. Wir sehen also, daß in einem Staat, dessen Regierung mehrere Städte innehaben, es nicht erforderlich ist, für die Einberufung der Obersten Versammlung eine bestimmte Zeit oder einen bestimmten Ort festzusetzen. Dem Senat und dem Gerichtshof dagegen ist eine ländliche Gegend oder eine Stadt ohne Stimmrecht als Tagungsstätte zuzuweisen. Aber nun kehre ich zu dem zurück, was die einzelnen Städte betrifft. § 10. Das von der obersten Versammlung einer Stadt befolgte Verfahren bei der Wahl der städtischen und staatlichen Beamten und beim Fassen von Beschlüssen muß dasselbe sein wie das in §§ 27 und 36 des vorherigen Kapitels beschriebene, denn hier wie dort ist die Grundlage dieselbe. Des weiteren ist dieser Versammlung eine Versammlung der Syndici unterzuordnen, die sich zu ihr verhält wie die im vorherigen Kapitel beschriebene Versammlung der Syndici zur Versammlung des Gesamtstaates. Auch ihre Aufgabe soll, innerhalb der Grenzen der Gerichtsbarkeit der Stadt, dieselbe sein, und ihre Mitglieder sollen dieselben Einkünfte beziehen. Sollte eine Stadt und folglich die Zahl ihrer Patrizier so klein sein, daß sie nur einen oder zwei Syndici wählen kann, dann sind, weil diese zwei ja keine Versammlung bilden können, den Syndici für ihre Entscheidungen je nach Fall von der obersten Versammlung der Stadt Richter beizuordnen, oder die Streitfrage ist der obersten Versammlung der Syndici vorzulegen. Aus jeder Stadt sind nämlich auch einige Syndici zu dem Ort zu entsenden, an dem der Senat seinen Sitz hat, die darauf achten sollen, daß die Rechtsgesetze des Gesamtstaates

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universi imperii inviolata serventur, quique in senatu absque jure suffragii sedeant. § 11. Urbium consules a patriciis etiam ejusdem urbis eligendi sunt, qui veluti senatum illius urbis constituant. Horum autem numerum determinare non possum, nec etiam necesse esse existimo, quandoquidem ejusdem urbis negotia, quae magni ponderis sunt, a supremo ejusdem concilio, et quae ad universum imperium spectant, a magno senatu peraguntur. Caeterum si pauci fuerint, necesse erit, ut in suo concilio palam suffragia ferant, non autem calculis ut in magnis conciliis. In parvis enim conciliis, ubi suffragia clam indicantur, qui aliquanto callidior est, facile cujusque suffragii auctorem noscere et minus attentiores multis modis eludere potest. § 12. In unaquaque praeterea urbe judices a supremo ejusdem concilio constituendi sunt, a quorum tamen sententia supremum imperii judicium appellare liceat, praeterquam reo palam convicto et confitenti debitori. Sed haec ulterius persequi non est opus. § 13. Superest igitur, ut de urbibus, quae sui juris non sunt, loquamur. Hae si in ipsa imperii provincia vel regione conditae et earum incolae ejusdem nationis et linguae sint, debent necessario, sicuti pagi, veluti urbium vicinarum partes censeri, ita ut earum unaquaeque sub regimine hujus aut illius urbis, quae sui juris est, esse debeat. Cujus rei ratio est, quod patricii non a supremo hujus imperii, sed a supremo uniuscujusque urbis concilio eligantur, qui in unaquaque urbe pro numero incolarum intra limites jurisdictionis ejusdem urbis plures paucioresve sunt (per art. 5 hujus cap.). Atque adeo necesse est, ut multitudo urbis, quae sui juris non est, ad censum multitudinis alterius, quae sui juris sit, referatur et ab ejus directione pendeat. At urbes jure belli captae, et quae imperio accesserunt, vel uti imperii sociae

31 vel uti] veluti Korrektur Proietti

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unverletzt bleiben, und die im Senat einen Sitz haben sollen, wenn auch ohne Stimmrecht. § 11. Von den Patriziern der jeweiligen Stadt sind auch die Konsuln der Städte zu wählen, die gleichsam den Senat dieser Stadt bilden. Ihre Anzahl kann ich nicht genau angeben, was ich aber auch nicht für nötig halte, weil ja doch die wichtigeren Geschäfte einer jeden Stadt von ihrer obersten Versammlung und, soweit sie den Gesamtstaat angehen, von dem großen Senat erledigt werden. Ist übrigens ihre Zahl klein, wird es nötig sein, daß sie in ihren Versammlungen offen abstimmen und nicht geheim wie in den großen Versammlungen. In kleinen Versammlungen kann nämlich jemand, der ein wenig schlauer ist, bei geheimer Abstimmung leicht herausbekommen, wer welche Stimme abgegeben hat, und die weniger Achtsamen auf vielerlei Art zum besten haben. § 12. In jeder Stadt sind außerdem Richter von ihrer obersten Versammlung einzusetzen, hinsichtlich deren Entscheidungen jedoch an den obersten Staatsgerichtshof appelliert werden kann, außer wenn ein Angeklagter offen überführt oder ein Schuldner geständig ist. Doch bedarf dies keiner weiteren Ausführung. § 13. Es bleibt uns nun noch übrig, von den Städten zu reden, die nicht unter eigenem Recht stehen. Wenn sie in einer Provinz oder Region des Staates errichtet sind und ihre Einwohner von gleicher Nationalität und Sprache sind, müssen sie notwendigerweise, ebenso wie die ländlichen Gemeinden, als Teile der benachbarten Städte angesehen werden, in der Weise, daß jede unter der Regierung dieser oder jener selbständigen Stadt stehen muß. Der Grund dafür ist, daß die Patrizier nicht von der Obersten Versammlung des Staates, sondern von der obersten Versammlung der jeweiligen Stadt gewählt werden, deren Zahl sich in jeder Stadt nach der Bevölkerungszahl in den Grenzen ihrer Gerichtsbarkeit richtet (nach § 5 dieses Kapitels). Daher ist es unabdingbar, daß die Bevölkerung einer unselbständigen Stadt in die einer anderen, die selbständig ist, einbezogen wird, und daß sie von deren Verwaltung abhängt. Die kraft Kriegsrechts eroberten und vom Staat annektierten Städte hingegen sind entweder als Bundesgenossen des Staates zu betrachten und, einmal



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habendae et beneficio victae obligandae, vel coloniae, quae jure civitatis gaudeant, eo mittendae et gens alio ducenda, vel omnino delendae. § 14. Atque haec sunt, quae ad hujus imperii fundamenta spectant. Quod autem ejus conditio melior sit quam illius, quod nomen ab una urbe sola habet, hinc concludo, quod scilicet uniuscujusque urbis patricii, more humanae cupidinis, suum jus tam in urbe quam in senatu retinere et, si fieri potest, augere studebunt, atque adeo, quantum poterunt, conabuntur multitudinem ad se trahere et consequenter imperium beneficiis magis quam metu agitare suumque numerum augere; quippe quo plures numero fuerint, eo plures (per art. 6 hujus cap.) ex suo concilio senatores eligent, et consequenter (per art. eundem) plus juris in imperio obtinebunt. Nec obstat, quod, dum unaquaeque urbs sibi consulit reliquisque invidet, saepius inter se discordent et tempus disputando consumant. Nam si dum Romani deliberant perit Sagunthus, dum contra pauci ex solo suo affectu omnia decernunt perit libertas communeque bonum. Sunt namque humana ingenia hebetiora quam ut omnia statim penetrare possint; sed consulendo, audiendo et disputando acuuntur, et dum omnia tentant media, ea, quae volunt, tandem inveniunt, quae omnes probant et de quibus nemo antea cogitasset. [Daar af wy in Hollant veel voorbeelden gezien hebben]. Quod si quis regerat hoc Hollandorum imperium non diu absque comite vel vicario, qui vicem comitis suppleret, stetisse, hoc sibi responsum habeat, quod Hollandi ad obtinendam libertatem satis sibi putaverunt comitem deserere et imperii corpus capite obtruncare, nec de eodem reformando cogitarunt, sed omnia ejus membra, uti antea

3 delendae] delenda est Korrektur Proietti; Gebhardt hatte urbs hinter vel eingefügt

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besiegt, durch bloßes Wohlwollen mit dem Staat verbunden; oder es sind Ansiedler mit Bürgerrecht dorthin zu schicken und ihre Bevölkerung anderswo zu verpflanzen; oder sie sind ganz zu zerstören. § 14. Das ist es also, was die Grundlagen eines solchen Staates betrifft. Daß seine Verfassung besser ist als die eines aristokratischen Staates, der nach einer Stadt allein benannt ist, schließe ich aus dem Folgenden. Die Patrizier einer jeden Stadt werden, wie die menschliche Begierde nun einmal ist, danach streben, ihr Recht sowohl in ihrer Stadt wie im Senat zu behaupten und womöglich zu erweitern. Daher werden sie danach streben, möglichst viel Bevölkerung in die eigene Stadt zu ziehen, also darauf bedacht sein, mehr mit Wohltaten als durch Schrekken zu regieren und [auf diese Weise] die Bevölkerungszahl ihrer Stadt zu vermehren. Denn je größer ihre Zahl ist, desto mehr Senatoren werden sie (nach § 6 dieses Kapitels) aus ihrer Mitte benennen, und desto größer wird folglich (nach demselben §) ihr Recht im Staat sein. Wenig bedeutet es demgegenüber, daß die einzelnen Städte, indem jede nur für sich selbst sorgt und auf die übrigen neidisch ist, häufig in Zwist miteinander geraten und ihre Zeit mit Disputen vergeuden. Gewiß, »während die Römer beratschlagten, ging Sagunt zugrunde« – aber wenn einige wenige bloß nach ihrer Affektivität alles entscheiden, gehen die Freiheit und das gemeinsame Wohl zugrunde. Die Geisteskraft der Menschen ist zu schwach, um alles auf einmal durchdringen zu können; durch Sichberaten, Zuhören und Diskutieren wird sie aber geschärft, und indem sie alle möglichen Lösungen erprobt, findet sie endlich diejenigen, die sie will, die dann alle Menschen gutheißen und woran doch vorher niemand gedacht hätte. [Dafür sind uns viele Beispiele in Holland bekannt]. Wollte jemand dem entgegenhalten, daß der holländische Staat nicht lange ohne einen Grafen oder einen seinen Platz einnehmenden Statthalter bestanden hat, diene ihm dies zur Antwort. Die Holländer haben geglaubt, es sei für die Erhaltung ihrer Freiheit ausreichend, sich des Grafen zu entledigen, also dem Körper des Staates den Kopf abzuhauen, und dabei nicht an die Neugestaltung ihres Staates gedacht. Sie haben vielmehr alle Glieder so gelassen, wie sie vor-

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constituta fuerant, reliquerunt, ita ut Hollandia comitatus sine comite, veluti corpus sine capite, ipsumque imperium sine nomine manserit. Atque adeo minime mirum, quod subditi plerique ignoraverint, penes quos summa esset imperii potestas. Et quamvis hoc non esset, ii tamen, qui imperium revera tenebant, longe pauciores erant quam ut multitudinem regere et potentes adversarios opprimere possent. Unde factum, ut hi saepe impune iis insidiari et tandem evertere potuerint. Subita itaque ejusdem reipublicae eversio non ex eo orta est, quod tempus in deliberationibus inutiliter consumeretur, sed ex deformi ejusdem imperii statu et paucitate regentium. § 15. Est praeterea hoc aristocraticum imperium, quod plures urbes tenent, alteri praeferendum, quia non opus est, ut in praecedenti, cavere, ne universum supremum ejus concilium subito impetu opprimatur, quandoquidem (per art. 9 hujus cap.) eidem convocando nullum tempus nec locus designatur. Sunt praeterea potentes cives in hoc imperio minus timendi. Nam ubi plures urbes libertate gaudent, non sufficit ei, qui viam ad imperium affectat, urbem unam occupare, ut imperium in reliquas obtineat. Est denique in hoc imperio libertas pluribus communis. Nam ubi una sola urbs regnat, eatenus reliquarum bono consulitur, quatenus regnanti huic urbi expedit.

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her bestanden haben, und so ist Holland eine Grafschaft ohne Graf wie ein Körper ohne Haupt und der Staat selbst ohne Namen geblieben. Daher ist es nicht verwunderlich, daß die Mehrzahl der Untertanen gar nicht wußte, in wessen Händen denn die höchste Regierungsgewalt ist. Und selbst wenn es so nicht gewesen wäre, waren diejenigen, die die Regierungsgewalt tatsächlich innehatten, doch viel zu gering an Zahl, um die Menge regieren und ihre mächtigen Gegner niederhalten zu können. So sind diese in der Lage gewesen, ihnen, häufig ungestraft, entgegenzuarbeiten und sie schließlich zu stürzen. Der plötzliche Untergang dieser Republik ist deshalb nicht dem Umstand zu verdanken, daß man die Zeit mit Beratungen unnütz vergeudet hatte, sondern dem Umstand, daß die Verfassung dieses Staates zerrüttet und die Zahl derer, die ihn regierten, zu klein war. § 15. Ein weiterer Vorzug des aus mehreren Städten gebildeten aristokratischen Staates gegenüber der anderen Form von Aristokratie besteht im übrigen darin, daß in ihm, anders als in dem zuvor erörterten, nicht Maßnahmen erforderlich sind, die verhindern, daß die gesamte Oberste Versammlung durch einen Handstreich beseitigt wird, da ja (nach § 9 dieses Kapitels) Zeit und Ort für deren Einberufung nicht festgesetzt sind. Überdies sind in diesem Staat mächtige Bürger weniger gefährlich. Denn wo mehrere Städte im Genuß der Freiheit sind, genügt es nicht, wenn jemand, der sich den Weg zur Herrschaft bahnen will, von einer Stadt Besitz ergreift, um die Herrschaft über die anderen zu gewinnen. Schließlich ist in diesem Staat einer größeren Zahl von Bürgern die Freiheit eigen. Denn wo nur eine einzige Stadt herrscht, dort kümmert man sich um das Wohl der übrigen Städte nur so weit, wie es im Interesse der herrschenden Stadt ist.



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§ 1. Imperii utriusque aristocratici fundamentis explicatis et ostensis superest, ut inquiramus, an aliqua causa culpabili possint dissolvi aut in aliam formam mutari. Primaria causa, unde hujusmodi imperia dissolvuntur, illa est, quam acutissimus Florentinus Disc. 1 lib. 3 in Tit. Livium observat, videlicet quod imperio, sicuti humano corpori, quotidie aggregatur aliquid, quod quandoque indiget curatione. Atque adeo necesse esse, ait, ut aliquando aliquid accidat, quo imperium ad suum principium, quo stabiliri incepit, redigatur. Quod si intra debitum tempus non acciderit, vitia eo usque crescent, ut tolli nequeant nisi cum ipso imperio. Atque hoc, inquit, vel casu contingere potest, vel consilio et prudentia legum aut viri eximiae virtutis. Nec dubitare possumus, quin haec res maximi sit ponderis, et quod, ubi huic incommodo provisum non sit, non poterit imperium sua virtute, sed sola fortuna permanere; et contra, ubi huic malo remedium idoneum adhibitum fuerit, non poterit ipsum suo vitio, sed solummodo inevitabili aliquo fato cadere, ut mox clarius docebimus. Primum quod huic malo remedium occurrebat, hoc fuit, ut scilicet singulis lustris supremus aliquis dictator in mensem unum aut duos crearetur, cui jus esset de senatorum et cujuscunque ministri factis cognoscendi, judicandi et statuendi, et consequenter imperium ad suum principium restituendi. Sed qui imperii incommoda vitare studet, remedia adhibere debet, quae cum imperii natura conveniant, et quae ex ipsius fundamentis deduci queant; alias in Scyllam incidet cupiens vitare Charybdin.

20 in mensem unum aut duos] Proietti möchte in in annum unum ändern 21 crearetur] creetur Korrektur Vloten – Land

Garantien der Aristokratie

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kapi tel x [Garantien der Aristokratie] § 1. Nachdem wir die Grundlagen der beiden aristokratischen Staatsformen entwickelt und gerechtfertigt haben, bleibt noch zu untersuchen, ob es irgendeine innere Ursache gibt, die Schuld daran ist, daß sie sich auflösen oder in eine andere Form verwandeln. Die Hauptursache, weshalb sich Staaten dieser Art auflösen, ist die, die der äußerst scharfsinnige Florentiner in seinen Discorsi über Titus Livius (3. Buch, 1. Kap.) angibt, daß nämlich »in einem Staat sich wie in einem menschlichen Körper täglich etwas ansammelt, das von Zeit zu Zeit eine Kur erfordert.« Daher ist es notwendig, sagt er, daß von Zeit zu Zeit ein Ereignis eintritt, das den Staat wieder auf das ihm eigene Prinzip zurückführt, in dem er anfangs seine Stabilität hatte. Tritt es nicht zur rechten Zeit ein, werden die Übel in einem solchen Maße anwachsen, daß sie nur mit dem Staat selbst beseitigt werden können. Ein solches Ereignis, fährt er fort, kann entweder zufällig eintreten oder mit Umsicht herbeigeführt werden, nämlich durch die Klugheit der Gesetze oder eines Mannes von hervorragender Tüchtigkeit. Zweifellos ist dies von größter Wichtigkeit, denn wo gegen jenen Übelstand keine Vorsorge getroffen ist, da wird ein Staat nicht durch eigene Tüchtigkeit, sondern bloß durch günstige Umstände Bestand haben können; wo hingegen ein geeignetes Gegenmittel jenes Übel bekämpft hat, da wird der Staat nicht durch eigenes Gebrechen, sondern nur durch irgendein unabwendbares Geschick fallen können, wie wir bald klarer zeigen werden. Das erste sich darbietende Gegenmittel bestand darin, alle fünf Jahre einen obersten Diktator für ein oder zwei Monate zu wählen, der das Recht hatte, die Tätigkeit der Senatoren und sämtlicher Staatsbeamten zu untersuchen, zu beurteilen und zu sanktionieren, und folglich das Recht, das ursprüngliche Prinzip des Staates wieder herzustellen. Wer sich bemüht, die einen Staat bedrohenden Schäden zu vermeiden, muß aber Gegenmittel anwenden, die mit der Natur des Staates im Einklang stehen, d. h. die sich aus dessen Grundlagen herleiten lassen; sonst fällt er in die Scylla, indem er der Charybdis entgehen will. Es ist allerdings wahr,



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Est quidem hoc verum, quod omnes, tam qui regunt quam qui reguntur, metu supplicii aut damni contineri debeant, ne impune vel cum lucro peccare liceat; sed contra certum etiam est, quod, si hic metus bonis et malis hominibus communis fuerit, versetur necessario imperium in summo periculo. Cum igitur dictatoria potestas absoluta sit, non potest non esse omnibus formidabilis, praesertim si statuto tempore, ut requiritur, dictator crearetur, quia tum unusquisque gloriae cupidus eum honorem summo studio ambiret; et certum est, quod in pace non tam virtus quam opulentia spectatur, ita ut quo quisque superbior, eo facilius honores adipiscatur. Et forte hac de causa Romani nullo constituto tempore, sed fortuita quadam necessitate coacti dictatorem facere consueverant. At nihilominus rumor dictatoris, ut Ciceronis verba referam, bonis injucundus fuit. Et sane, quandoquidem haec dictatoria potestas regia absolute est, potest non absque magno reipublicae periculo imperium aliquando in monarchicum mutari, tametsi in tempus quantumvis breve id fiat. Adde quod, si ad creandum dictatorem nullum certum tempus designatum sit, ratio tum nulla temporis intercedentis ab uno ad alium, quam maxime servandam esse diximus, haberetur; et quod res etiam vaga admodum esset, ut facile negligeretur. Nisi itaque haec dictatoria potestas aeterna sit et stabilis, quae servata imperii forma in unum deferri nequit, erit ergo ipsa, et consequenter reipublicae salus et conservatio, admodum incerta. § 2. At contra dubitare nequaquam possumus (per art. 3 cap. VI), quod si possit servata imperii forma dictatoris gladius perpetuus et malis tantummodo formidini esse, nunquam eo usque vitia invalescere poterunt, ut tolli aut emendari nequeant. Ut igi-

13 rumor] tumor Korrektur Vloten – Land im Anschluß an Cicero

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daß alle, Regierende wie Regierte, durch die Furcht vor Strafe oder sonst einem Nachteil daran gehindert werden müssen, ungestraft oder gar zu ihrem Vorteil die Gesetze zu übertreten; aber auch das ist gewiß: stünden die Guten gerade so unter dieser Furcht wie die Bösen, wäre der Staat unvermeidlich in größter Gefahr. Da nun die diktatorische Gewalt uneingeschränkt ist, kann es nicht ausbleiben, daß sie für alle Anlaß zur Furcht ist, besonders wenn der Diktator, wie es erforderlich ist, zu einer festgesetzten Zeit ernannt wird, weil dann jeder Ruhmsüchtige mit größtem Eifer nach dieser ehrenvollen Position strebt. Und sicherlich gilt in Friedenszeiten Überfluß mehr als Tüchtigkeit, so daß gerade die Anmaßendsten am leichtesten zu ehrenvollen Ämtern kommen werden. Vielleicht war das der Grund, daß die Römer nicht zu festgelegter Zeit, sondern immer erst, wenn die Not sie zufällig dazu zwang, einen Diktator aufzustellen pflegten. Gleichwohl ist der laute Ruf nach einem Diktator, um mit Cicero zu reden, den guten Bürgern ein Ärgernis gewesen. Und wahrlich, weil diese diktatorische Gewalt der Sache nach eine uneingeschränkte Königsgewalt ist, kann damit für eine Republik die große Gefahr verbunden sein, daß der Staat sich von Zeit zu Zeit in eine Monarchie verwandelt, mag der Zeitraum auch noch so kurz sein. Hinzugefügt sei, daß man, wäre für die Ernennung eines Diktators keine bestimmte Zeit festgesetzt, auch keine Regelung für den Zeitraum zwischen zwei Diktaturen respektieren würde, die zu beachten, wie wir hervorgehoben haben, äußerst wichtig ist; mehr noch, die ganze Einrichtung wäre so unbestimmt, daß sie leicht überhaupt nicht beachtet wird. Wenn also diese diktatorische Gewalt nicht immerwährend und dauerhaft ist (wäre sie das, könnte sie, ohne die Form des Staates zu zerstören, nicht einem einzelnen übertragen werden), dann wird sie, und mit ihr das Wohl und die Erhaltung der Republik, eine ziemlich unsichere Institution sein. § 2. Umgekehrt läßt sich nicht daran zweifeln (nach § 3 des Kapitels VI), daß, wenn das Schwert des Diktators unter Wahrung der Form des Staates fortwährend sein könnte und ein Schrekken nur für die Bösen wäre, die Laster nie werden so überhand nehmen können, daß sie sich nicht beseitigen oder korrigieren



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tur has omnes conditiones obtineamus, syndicorum concilium concilio supremo subordinandum diximus, ut scilicet dictatorius ille gladius perpetuus esset non penes personam aliquam naturalem, sed civilem, cujus membra plura sint, quam ut imperium inter se possint dividere (per art. 1 et 2 cap. VIII) vel in scelere aliquo convenire. Ad quod accedit, quod a reliquis imperii muneribus subeundis prohibeantur, quod militiae stipendia non solvant et quod denique ejus aetatis sint, ut praesentia ac tuta quam nova et periculosa malint. Quare imperio nullum ab iis periculum; et consequenter non bonis sed malis tantummodo formidini esse queunt, et revera erunt. Nam ut ad scelera peragenda debiliores, ita ad malitiam coercendam potentiores sunt. Nam praeterquam quod principiis obstare possunt (quia concilium aeternum est), sunt praeterea numero satis magno, ut sine invidiae timore potentem unum aut alterum accusare et damnare audeant, praesertim quia suffragia calculis feruntur et sententia nomine totius concilii pronunciatur. § 3. At Romae plebis tribuni perpetui etiam erant, verum impares, ut Scipionis alicujus potentiam premerent; et praeterea id quod salutare esse judicabant, ad ipsum senatum deferre debebant, a quo etiam saepe eludebantur, efficiendo scilicet, ut plebs ei magis faveret, quem ipsi senatores minus timebant. Ad quod accedit, quod tribunorum contra patricios auctoritas plebis favore defenderetur, et quotiescunque ipsi plebem vocabant, seditionem potius movere quam concilium convocare viderentur. Quae sane incommoda in imperio quod in praeced. duob. capp. descripsimus locum non habent.

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ließen. Damit all diese Bedingungen erfüllt werden, haben wir gesagt, daß der Obersten Versammlung eine Versammlung der Syndici zu unterstellen ist, so daß jenes fortwährende Schwert des Diktators dann nicht in den Händen einer natürlichen Person liegt, sondern in denen eines politischen [Gremiums], dessen Mitglieder zu zahlreich sind, als daß sie den Staat unter sich aufteilen (nach §§ 1 und 2 des Kapitels VIII) oder sich untereinander auf einen verbrecherischen Anschlag verständigen könnten. Dazu kommt noch, daß die Syndici von der Übernahme anderer Staatsämter ausgeschlossen sind, sie der Miliz keinen Sold zahlen und schließlich in einem Alter stehen, in dem man die Sicherheit des Vorhandenen einer gefahrvollen Neuerung vorzieht. Darum droht dem Staat von ihnen keine Gefahr, und infolgedessen können sie auch nicht den guten Bürgern, sondern nur den schlechten ein Schrecken sein, was sie auch tatsächlich sein werden. Je schwächer sie nämlich sind, selber Verbrechen zu begehen, desto mächtiger sind sie, die Bosheit zu bändigen. Denn abgesehen davon, daß sie den Anfängen widerstehen können, weil ihre Versammlung immerwährend ist, sind sie auch zahlreich genug, um sich ohne Furcht vor Mißgunst zu erkühnen, den einen oder anderen Mächtigen anzuklagen und zu verurteilen, insbesondere weil sie geheim abstimmen und ihr Urteil im Namen der ganzen Versammlung verkündet wird. § 3. In Rom indes waren die Volkstribunen, auch sie fortdauernde Amtsträger, in Wahrheit der Aufgabe nicht gewachsen, die Macht eines Scipio einzuschränken. Zudem mußten sie Maßnahmen, die sie für heilsam hielten, auch noch dem Senat vorlegen, der sie oft zum besten hielt, indem er es beispielsweise dahin zu bringen wußte, daß das einfache Volk seine Gunst am meisten demjenigen Tribun zuwandte, den die Senatoren am wenigsten zu fürchten hatten. Dazu kommt noch, daß die Autorität der Tribunen gegenüber den Patriziern sich auf die Gunst des einfachen Volkes stützte, und daß sie jedesmal, wenn sie das Volk zusammenriefen, eher einen Aufruhr zu stiften, als eine Versammlung einzuberufen schienen. Solche Mißstände treten natürlich nicht in dem Staat auf, den wir in den beiden vorherigen Kapiteln beschrieben haben.

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§ 4. Verumenimvero haec syndicorum auctoritas hoc solummodo praestare poterit, ut imperii forma servetur, atque adeo prohibere, ne leges infringantur et ne cuiquam cum lucro peccare liceat; sed nequaquam efficere poterit, ne vitia, quae lege prohiberi nequeunt, gliscant, ut sunt illa, in quae homines otio abundantes incidunt, et ex quibus imperii ruina non raro sequitur. Homines enim in pace deposito metu paulatim ex ferocibus et barbaris civiles seu humani, et ex humanis molles et inertes fiunt, nec alius alium virtute, sed fastu et luxu excellere studet; unde patrios mores fastidire, alienos induere, hoc est, servire incipiunt. § 5. Ad haec mala vitandum multi conati sunt leges sumptuarias condere, sed frustra. Nam omnia jura, quae absque ulla alterius injuria violari possunt, ludibrio habentur, et tantum abest, ut hominum cupiditates et libidinem frenent, quin contra easdem intendant; nam nitimur in vetitum semper cupimusque negata. Nec unquam hominibus otiosis ingenium deest ad eludenda jura, quae instituuntur de rebus, quae absolute prohiberi nequeunt, ut sunt convivia, ludi, ornatus et alia hujusmodi, quorum tantummodo excessus malus, et ex uniuscujusque fortuna aestimandus est, ita ut lege nulla universali determinari queat. § 6. Concludo itaque communia illa pacis vitia, de quibus hic loquimur, nunquam directe, sed indirecte prohibenda esse, talia scilicet imperii fundamenta jaciendo, quibus fiat, ut plerique, non quidem sapienter vivere studeant (nam hoc impossibile est), sed ut iis ducantur affectibus, ex quibus reipublicae major sit utilitas. Atque adeo huic rei maxime studendum, ut divites,

7/8 ferocibus et] ferocibus

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§ 4. Die Autorität der Syndici wird allerdings bloß dazu tauglich sein können, die Form des Staates intakt zu halten; sie wird also nicht zulassen, daß Gesetze gebrochen werden und jemand aus einem Vergehen einen Vorteil zieht. Nicht verhüten wird sie aber können, daß sich Laster einschleichen, die durch Gesetze nicht verboten werden können, solche etwa, zu denen der Müßiggang Menschen verleitet und die nicht selten den Ruin eines Staates zur Folge haben. In der Tat, in Friedenszeiten werden die Menschen, einmal von der Furcht befreit, allmählich aus wilden und barbarischen zu zivilisierten und humanen Wesen, aus diesen dann zu verweichlichten und schlaffen, die sich nicht mehr durch Tüchtigkeit einander zu überbieten suchen, sondern mit Prunk und Luxus. So beginnen sie auf die heimischen Sitten herabzusehen und fremde sich anzueignen, das heißt, die Attitüde von Sklaven anzunehmen. § 5. Man hat oft versucht, diesem Übel durch Gesetze gegen den Luxus vorzubeugen, aber vergebens. Denn alle Rechtsgesetze, die sich, ohne einen anderen zu lädieren, verletzen lassen, werden nicht ernst genommen; weit davon entfernt, die Begierden und Lüste der Menschen zu zügeln, stacheln sie diese im Gegenteil noch an, denn immer trachten wir nach dem, was verboten ist, und begehren das, was man uns verweigert. Unbeschäftigten Menschen fehlt es nie an Einfällen, Rechtsgesetze, die solches zum Gegenstand haben, was sich nicht absolut verbieten läßt, zu umgehen, als da sind Gelage, Spiel, Schmuck und dergleichen, bei denen nur das Übermaß schlecht ist und [deren Maß] nach den Vermögensverhältnissen eines jeden einzuschätzen ist, ohne daß es durch ein allgemeines Gesetz sich bestimmen ließe. § 6. Daraus schließe ich, daß jene hier erwähnten Laster, die gewöhnlich in Friedenszeiten [auftreten], niemals direkt, sondern immer nur indirekt zu verhindern sind, dadurch nämlich, daß der Staat in solchen Grundlagen verankert wird, daß die meisten, wenn sie schon nicht weise zu leben suchen (denn das ist unmöglich), sich wenigstens von Affekten leiten lassen, die von erheblichem Vorteil für die Republik sind. So hat man darauf bedacht zu sein, daß die Reichen, wenn sie nicht haushälte-



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si non parci, avari tamen sint. Nam non dubium est, quin, si hic avaritiae affectus, qui universalis est et constans, gloriae cupidine foveatur, plerique rei suae sine ignominia augendae summum ponant studium, quo honores adipiscantur et summum dedecus vitent. § 7. Si itaque ad fundamenta utriusque imperii aristocratici, quae praeced. duobus capp. explicui, attendamus, hoc ipsum ex iisdem sequi videbimus. Numerus enim regentium in utroque adeo magnus est, ut divitum maximae parti aditus ad regimen pateat et ad imperii honores adipiscendos. Quod si praeterea (uti diximus art. 47 cap. VIII) statuatur, ut patricii, qui plus debent quam sunt solvendo, ordine patricio deturbentur, et qui bona sua infortunio perdiderunt, ut in integrum restituantur, non dubium est, quin omnes, quantum poterunt, conabuntur bona sua conservare. Peregrinos praeterea habitus nunquam concupiscent nec patrios fastidient, si lege constituatur, ut patricii, et qui honores ambiunt, singulari veste dignoscantur; de quo vide art. 25 et 47 cap. VIII. Et praeter haec alia in quocunque imperio cum natura loci et gentis ingenio consentanea excogitari possunt, et in eo apprime vigilari, ut subditi magis sponte quam lege coacti suum officium faciant. § 8. Nam imperium, quod nihil aliud prospicit, quam ut homines metu ducantur, magis sine vitiis erit quam cum virtute. Sed homines ita ducendi sunt, ut non duci, sed ex suo ingenio et libero suo decreto vivere sibi videantur; atque adeo ut solo libertatis amore et rei augendae studio speque imperii honores adipiscendi retineantur. Caeterum imagines, triumphi et alia virtutis

6 § 7] Die Numerierung fehlt in OP

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risch sein können, doch wenigstens gewinnsüchtig sind. Wenn die Gewinnsucht, dieser allgemein verbreitete und beharrliche Affekt, sich noch mit der Ruhmsucht verbindet, werden nämlich ohne Zweifel die meisten Menschen alle Kraft daran setzen, ihr Vermögen auf anständige Weise zu vergrößern, um so zu Ehrenstellen zu kommen und der größten Schande zu entgehen. § 7. Ein Blick auf die Grundlagen der zwei in den beiden vorherigen Kapiteln dargelegten Formen des aristokratischen Staates zeigt uns, daß ebendies die Konsequenz aus ihnen ist. Die Zahl der Regierenden ist bei der einen wie der anderen Form nämlich so groß, daß dem größten Teil der Reichen der Weg zur Regierung und zu den Ehrenstellen des Staates offen steht. Wird überdies noch, wie ich in § 47 des Kapitels VIII gesagt habe, die Bestimmung getroffen, daß Patrizier, die mehr Schulden haben, als sie begleichen können, aus dem Kreis der Patrizier verstoßen werden und diejenigen, die durch Unglück ihr Vermögen verloren haben, vollständigen Ersatz erhalten, dann werden zweifellos alle nach Kräften bestrebt sein, ihr Vermögen zu bewahren. Sie werden überdies nie nach fremder Lebensart verlangen und die heimische verachten, wenn durch Gesetz festgelegt wird, daß Patrizier und Kandidaten für solche Ehrenstellen sich von den anderen Bürgern durch eine besondere Tracht unterscheiden sollen (vgl. hierüber §§ 25 und 47 des Kapitels VIII). Außer diesen lassen sich in jedem Staat noch andere Mittel finden, die zu der Natur des Landes und dem Charakter des Volkes passen, wobei vor allem darauf zu achten ist, daß die Untertanen mehr aus freien Stücken als unter dem Zwang des Gesetzes ihre Pflicht tun. § 8. In der Tat, ein Staat, der nur daran denkt, die Menschen durch Furcht zu regieren, wird eher frei von Lastern als durch einen ihm eigenen Vorzug [ausgezeichnet] sein. Menschen sind vielmehr [von der Regierung] so zu leiten, daß sie den Eindruck haben, nicht geleitet zu werden, sondern nach eigener Sinnesart und eigenem freien Entschluß zu leben, so also, daß sie bloß von der Liebe zur Freiheit, dem Verlangen nach Vergrößerung ihres Vermögens und der Hoffnung auf staatliche Ehrenstellen zurückgehalten werden. Dagegen sind Bildsäulen, pompöse Umzüge und andere zur Tüchtigkeit stimulierende Mittel eher

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incitamenta magis servitutis quam libertatis sunt signa. Servis enim, non liberis virtutis praemia decernuntur. Fateor quidem homines his stimulis maxime incitari; sed ut haec in initio viris magnis, ita postea crescente invidia ignavis et opum magnitudine tumidis decernuntur, magna omnium bonorum indignatione. Deinde qui parentum triumphos et imagines ostentant, injuriam sibi fieri credunt, ni reliquis praeferantur. Denique, ut alia taceam, hoc certum est, quod aequalitas, qua semel exuta communis libertas necessario perit, conservari nullo modo possit, simulatque alicui viro virtute claro singulares honores jure publico decernuntur. § 9. His positis videamus jam, an hujusmodi imperia culpabili aliqua causa possint destrui. Verum si quod imperium aeternum esse potest, illud necessario erit, cujus semel recte instituta jura inviolata manent. Anima enim imperii jura sunt. His igitur servatis servatur necessario imperium. At jura invicta esse nequeunt, nisi et ratione et communi hominum affectu defendantur; alias, si scilicet solo rationis auxilio nituntur, invalidae sane sunt facileque vincuntur. Cum itaque utriusque imperii aristocratici jura fundamentalia cum ratione et communi hominum affectu convenire ostenderimus, possumus ergo affirmare, si quae ulla imperia, haec necessario aeterna fore, vel nulla culpabili causa, sed fato tantummodo aliquo inevitabili posse destrui. § 10. At objici nobis adhuc potest, quod, quamvis imperii jura in praecedd. ostensa ratione et communi hominum affectu

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Zeichen der Knechtschaft als der Freiheit. Denn nur Knechten, nicht freien Menschen werden für ihre Tüchtigkeit Belohnungen zuerkannt. Ich gebe zwar zu, daß Menschen mit solchen Reizmitteln sehr stimuliert werden; aber wenn man sie auch anfangs nur großen Männern zukommen läßt, erhalten sie bei wachsendem Neid später auch Untüchtige und durch großen Reichtum Aufgeblasene, und dies zum großen Unwillen aller guten Bürger. Ferner werden alle, die mit den Umzügen und Bildsäulen ihrer Vorfahren Staat machen, glauben, ihnen geschehe Unrecht, wenn man nicht auch sie selber über die anderen stellt. Schließlich, um von anderem zu schweigen, ist es gewiß, daß die Gleichheit [der Bürger], deren Verlust notwendigerweise auch den der gemeinsamen Freiheit nach sich zieht, sich in keiner Weise aufrecht erhalten läßt, sobald einem wegen seiner Tüchtigkeit angesehenen Mann durch staatliches Gesetz besondere Ehren zuerkannt werden. § 9. Dies vorausgesetzt, wollen wir nun sehen, ob so beschriebene Staaten aus irgendeiner internen Ursache zerstört werden können. Wenn aber überhaupt ein Staat immerwährend sein kann, dann notwendigerweise derjenige, dessen Rechtsgesetze, einmal richtig festgesetzt, unverletzt bleiben. Die Seele des Staates sind nämlich dessen Rechtsgesetze. Bleiben sie erhalten, bleibt notwendigerweise der Staat erhalten. Aber sie können nicht intakt bleiben, wenn sie nicht [zugleich] in der Vernunft und in der den Menschen gemeinsamen Affektivität ihre Stütze haben. Ist es anders, stützen sie sich bloß auf die Hilfe der Vernunft, dann sind sie kraftlos und leicht aufzuweichen. Weil wir nun gezeigt haben, daß die grundlegenden Rechtsgesetze der beiden aristokratischen Regierungsformen mit der Vernunft und mit der den Menschen gemeinsamen Affektivität im Einklang stehen, können wir auch behaupten: Wenn überhaupt, dann werden es notwendigerweise diese beiden Formen von Staat sein, die immerwährend sind, also nicht aus einer internen Ursache, sondern nur durch ein unabwendbares Geschick zerstört werden können. § 10. Nun kann man uns noch einwerfen, daß die in den vorherigen Kapiteln dargelegten Rechtsgesetze des Staates, wenn sie auch in der Vernunft und in der den Menschen gemeinsa-



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defendantur, possint nihilominus aliquando vinci. Nam nullus affectus est, qui aliquando a fortiori et contrario affectu non vincatur. Timorem namque mortis a cupidine rei alienae saepe vinci videmus. Qui hostem metu territi fugiunt, nullo alterius rei metu detineri possunt, sed sese in flumina praecipitant, vel in ignem ruunt, ut hostium ferrum fugiant. Quantumvis igitur civitas recte ordinata et jura optime instituta sint, in maximis tamen imperii angustiis, quando omnes, ut fit, terrore quodam panico capiuntur, tum omnes id solum, quod praesens metus suadet, nulla futuri neque legum habita ratione, probant; omnium ora in virum victoriis clarum vertuntur, eundemque legibus solvunt, atque ipsi imperium (pessimo exemplo) continuant, totamque rempublicam ipsius fidei committunt, quae res sane romani imperii exitii fuit causa. Sed ut huic objectioni respondeam, dico primo, quod in recte constituta republica similis terror non oritur nisi ex justa causa; atque adeo is terror, et confusio ex eo orta, nulli causae, quae prudentia humana vitari poterat, adscribi potest. Deinde notandum, quod in republica, qualem in praecedd. descripsimus, fieri non potest (per art. 9 et 25 cap. VIII), ut unus aut alter virtutis fama ita excellat, ut omnium ora in se vertat. Sed necesse est, ut plures habeat aemulos, quibus plures alii faveant. Quamvis itaque ex terrore confusio aliqua in republica oriatur, leges tamen fraudare atque aliquem contra jus ad imperium militare renunciare nemo poterit, quin statim contentio alios petentium oriatur, quae ut dirimatur, necesse tandem erit ad semel statuta et ab omnibus probata jura recurrere atque res imperii

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men Affektivität ihre Stütze haben, nichtsdestoweniger irgendwann umgestoßen werden können. Es gibt ja keinen Affekt, der nicht zuweilen von einem stärkeren und entgegengesetzten Affekt überwältigt wird. So sehen wir oft die Todesfurcht von der Begierde nach fremdem Besitz besiegt. [Oder, ein anderes Beispiel:] Wer aus Furcht vor dem Feind flieht, läßt sich nicht von der Furcht vor etwas anderem zurückhalten, sondern stürzt sich ins Wasser oder rennt ins Feuer, bloß um dem feindlichen Schwert zu entgehen. Ein Gemeinwesen mag noch so gut organisiert, seine Rechtsgesetze noch so vortrefflich gestaltet sein, in der höchsten Not des Staates, wenn alle, was vorkommt, von panischem Schrecken ergriffen werden, [so sagt man,] wollen alle nur das, wozu die Furcht des Augenblicks ihnen rät, weder an die Zukunft noch an die Gesetze denkend; alle Augen richten sich auf einen durch seine Siege berühmten Mann, den man über die Gesetze stellt, dessen Befehlsgewalt (und das ist das allerschlimmste) man verlängert und dessen Loyalität man die ganze Republik anvertraut. Hierdurch ist, ganz gewiß, das römische Reich zugrunde gegangen. Auf diesen Einwand antworte ich so: Erstens bricht in einer wohlbegründeten Republik eine solche Panik nur aus triftigem Grund aus, und deshalb kann sie, wenn sie ausbricht, und die aus ihr entstehende Konfusion keiner Ursache zugeschrieben werden, die sich kraft menschlicher Voraussicht hätte vermeiden lassen. Zweitens ist zu bemerken, daß es in einer Republik, wie wir sie in den vorherigen Kapiteln beschrieben haben, gar nicht möglich ist (nach §§ 9 und 25 des Kapitels VIII), daß ein einzelner Mann, wer es auch sei, durch den Ruf seiner Tüchtigkeit so hervorragt, daß auf ihn sich alle Augen richten. Vielmehr ist es unausweichlich, daß er mehrere Rivalen hat, die ihrerseits ihre Gefolgsleute haben. Mag also in einer Republik aus Panik auch eine gewisse Konfusion entstehen, so wird doch niemand die Gesetze unterlaufen und rechtswidrig jemanden zum Militärführer ausrufen können, ohne sofort in Streit mit denen zu geraten, die andere Kandidaten dafür in Vorschlag bringen. Dieser Streit wird nicht anders sich schlichten lassen, als daß man auf die einmal festgesetzten und von allen anerkannten Rechtsgesetze zurückgreift und die



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secundum leges latas ordinare. Possum igitur absolute affirmare, cum imperium, quod una sola urbs, tum praecipue illud, quod plures urbes tenent, aeternum esse, sive nulla interna causa posse dissolvi aut in aliam formam mutari.



caput xi

§ 1. Transeo tandem ad tertium et omnino absolutum imperium, quod democraticum appellamus. Hujus ab aristocratico differentiam in hoc potissimum consistere diximus, quod in eo a sola supremi concilii voluntate et libera electione pendeat, ut  hic aut ille patricius creetur, ita ut nemo jus suffragii et munera imperii subeundi haereditarium habeat, nemoque id jus sibi poscere jure possit, ut in hoc, de quo jam agimus, imperio fit. Nam omnes, qui ex parentibus civibus vel qui in patrio illo solo nati, vel qui de republica bene meriti sunt, vel ob alias causas, ob quas  lex alicui jus civis dare jubet, ii, inquam, omnes jus suffragii in supremo concilio muneraque imperii subeunda jure sibi poscunt, nec denegare iis licet nisi ob crimen aut infamiam. § 2. Si igitur jure institutum sit, ut seniores tantummodo, qui ad certum aetatis annum pervenerunt, vel ut soli primogeniti si mulatque per aetatem licet, vel qui certam pecuniae summam reipublicae contribuunt, jus suffragii in supremo concilio et imperii negotia tractandi habeant, quamvis hac ratione fieri posset, ut supremum concilium ex paucioribus civibus componeretur

Einiges zur Demokratie

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Angelegenheiten des Staates gemäß der geltenden Rechtsordnung regelt. Ich kann also ohne Einschränkung behaupten, daß der [aristokratische] Staat, dessen Regierungsgewalt eine Stadt in Händen hält, im besonderen Maße aber derjenige, in dem sie mehrere Städte in Händen halten, immerwährend ist, d. h.  aus keiner internen Ursache zerstört oder in eine andere Form umgewandelt werden kann. kapit el xi [Einiges zur Demokratie] § 1. Ich gehe nun endlich zur dritten Form des Staates über, zu derjenigen, deren Regierungsform ganz und gar uneingeschränkt ist, die wir Demokratie nennen wollen. Ihr Unterschied zu der Aristokratie besteht, wie gesagt, in erster Linie darin, daß es dort allein vom Willen und autonomen Wahlverfahren der Obersten Versammlung abhängt, ob dieser oder jener zum Patrizier erwählt wird, so daß niemand ein erbliches Stimmrecht oder ein erbliches Recht auf Zugang zu Staatsämtern hat und niemand ein solches Recht von Rechts wegen für sich beanspruchen kann, wie das in dem Staat, von dem wir jetzt handeln, der Fall ist. Denn hier haben alle, die Bürger zu Eltern haben oder auf dem Boden des Vaterlandes geboren sind, die sich um den Staat verdient gemacht haben oder denen aus anderen Gründen per Gesetz das Bürgerrecht verliehen ist, all diese, sage ich, haben einen rechtlichen Anspruch auf das Stimmrecht in der Obersten Versammlung und dem Zugang zu Staatsämtern; und dieser Anspruch darf ihnen nicht verweigert werden, außer wenn sie straffällig geworden oder für ehrlos erklärt worden sind. § 2. Selbst wenn durch Gesetz festgelegt ist, daß bloß Personen von einer gewissen Altersgrenze an oder bloß die Erstgeborenen, sobald es ihr Alter erlaubt, oder nur diejenigen, die der Republik eine bestimmte Geldsumme entrichten, das Stimmrecht in der Obersten Versammlung und das Recht zur Leitung der Staatsgeschäfte haben, und mag es auch sein, daß unter diesen Voraussetzungen die Oberste Versammlung sich aus weniger Bürgern

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quam illud imperii aristocratici, de quo supra egimus, erunt nihilominus hujusmodi imperia democratica appellanda, quoniam eorum cives, qui ad regendam rempublicam destinantur, non a supremo concilio, ut optimi, eliguntur, sed lege ad id destinantur. Et quamvis hac ratione hujusmodi imperia, ubi scilicet non qui optimi, sed qui forte fortuna divites vel qui primi nati sunt ad regimen destinantur, imperio aristocratico cedere videantur, tamen, si praxin seu communem hominum conditionem spectemus, res eodem redibit. Nam patriciis ii semper optimi videbuntur, qui divites vel ipsis sanguine proximi vel amicitia conjuncti sunt. Et sane, si cum patriciis ita comparatum esset, ut liberi ab omni affectu et solo studio publicae salutis ducti collegas patricios eligerent, nullum esset imperium cum aristocratico comparandum. Sed rem contra omnino sese habere satis superque ipsa experientia docuit, praesertim in oligarchiis, ubi patriciorum voluntas ob defectum aemulantium maxime lege soluta est. Ibi enim studio optimos a concilio arcent patricii, et eos sibi socios in concilio quaerunt, qui ab eorum ore pendent, ita ut in simili imperio multo infelicius res ejus sese habeant, propterea quod patriciorum electio ab absoluta quorundam libera sive omni lege soluta voluntate pendeat. Sed ad inceptum redeo. § 3. Ex dictis in praeced. art. patet nos posse imperii democratici diversa genera concipere. Sed meum institutum non est de unoquoque, sed de eo solummodo agere, in quo omnes absolute, qui solis legibus patriis tenentur, et praeterea sui juris sunt honesteque vivunt, jus suffragii in supremo concilio habent muneraque imperii subeundi. Dico expresse, qui solis legibus patriis tenentur, ut peregrinos secludam, qui sub alterius imperio esse

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zusammensetzt als die des aristokratischen Staates, von der wir oben gehandelt haben, selbst dann werden Staaten dieser Art Demokratien zu nennen sein; denn hier werden ihre zur Staatsführung bestimmten Bürger nicht von der Obersten Versammlung gewählt, weil sie die Besten sind, sondern ein Gesetz ist es, das sie dazu bestimmt. Obwohl aus diesem Grund Staaten dieser Art, in denen nicht die Besten, sondern die vielleicht durch einen Glücksfall Reichgewordenen oder die Erstgeborenen zum Regieren bestimmt sind, hinter dem aristokratischen Staat zurückzustehen scheinen, kommt es doch, sobald man die tatsächliche Praxis oder die gewöhnliche Verfaßtheit der Menschen ins Auge faßt, auf eins hinaus. Denn die Patrizier werden immer diejenigen als die Besten ansehen, die reich oder mit ihnen verwandt oder befreundet sind. Wäre es mit den Patriziern freilich so bestellt, daß sie, frei von jeglichem Affekt und geleitet allein von der Rücksicht auf das öffentliche Wohl, ihre Kollegen wählten, dann wäre kein Staat dem aristokratischen gleichzustellen. Daß die Sache sich aber ganz anders verhält, hat die Erfahrung übergenug bewiesen, namentlich in den Oligarchien, in denen der Wille der Patrizier, weil Rivalen fehlen, sich gänzlich vom Gesetz gelöst hat. Dort sind die Patrizier nämlich bemüht, die Besten von der Versammlung fernzuhalten und sich solche Kollegen auszusuchen, die an ihren Lippen hängen, so daß in einem solchen Staat die Dinge weit schlechter stehen, weil hier die Wahl der Patrizier von der uneingeschränkten Willkür einiger weniger abhängt, d. h. von einem Willen, der von jedem Rechtsgesetz losgelöst ist. Aber ich komme zu meinem Gegenstand zurück. § 3. Aus dem im vorherigen § Gesagten ist klar, daß wir uns verschiedene Arten von Demokratie denken können. Ich habe aber nicht die Absicht, sie alle zu behandeln, sondern bloß diejenige, in der uneingeschränkt alle, die allein den Gesetzen ihres Landes unterworfen sind und die überdies unter eigenem Recht stehen und ein anständiges Leben führen, das Stimmrecht in der Obersten Versammlung und das Recht auf dem Zugang zu Staatsämtern haben. Ich sage ausdrücklich, »die allein den Gesetzen ihres Landes unterworfen sind«, um Ausländer auszuschließen, die als Untertanen eines anderen Staates gelten. Ich habe



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censentur. Addidi praeterea, quod, praeterquam quod legibus imperii teneantur, in reliquis sui juris sint, ut mulieres et servos secluderem, qui in potestate virorum et dominorum, ac etiam liberos et pupillos, quamdiu sub potestate parentum et tutorum sunt. Dixi denique, honesteque vivunt, ut ii apprime secluderentur, qui ob crimen aut aliquod turpe vitae genus infames sunt. § 4. Sed forsan rogabit aliquis, num foeminae ex natura an ex instituto sub potestate virorum sint. Nam si ex solo insituto id factum est, nulla ergo ratio nos coegit foeminas a regimine secludere. Sed si ipsam experientiam consulamus, id ex earum imbecillitate oriri videbimus. Nam nullibi factum est, ut viri et foeminae simul regnarent, sed ubicunque terrarum viri et foeminae reperiuntur, ibi viros regnare et foeminas regi videmus, et hac ratione utrumque sexum concorditer vivere. Sed contra Amazonae, quas olim regnasse fama proditum est, viros in patrio solo morari non patiebantur, sed foeminas tantummodo alebant, mares autem, quos pepererant, necabant. Quod si ex natura foeminae viris aequales essent, et animi fortitudine et ingenio, in quo maxime humana potentia et consequenter jus consistit, aeque pollerent, sane inter tot tamque diversas nationes quaedam reperirentur, ubi uterque sexus pariter regeret, et aliae, ubi a foeminis viri regerentur atque ita educarentur, ut ingenio minus possent. Quod cum nullibi factum sit, affirmare omnino licet foeminas ex natura non aequale cum viris habere jus, sed eas viris necessario cedere, atque adeo fieri non posse, ut uterque sexus pariter regat, et multo minus, ut viri a foeminis regantur. Quod si praeterea

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ferner hinzugesetzt, »außer, daß sie den Gesetzen des Landes unterworfen sind, müßten sie ansonsten unter eigenem Recht stehen«, um Frauen und Knechte auszuschließen, die der Gewalt ihrer Männer und Herren unterstehen, und ebenso Kinder und Unmündige, solange sie von der Gewalt ihrer Eltern und Vormünder abhängen. Ich habe schließlich gesagt, »und die ein anständiges Leben führen«, um vor allem diejenigen auszuschließen, die wegen eines Verbrechens oder einer schimpflichen Lebensweise verrufen sind. § 4. Aber vielleicht wird man fragen, ob Frauen von Natur aus oder kraft institutioneller Regelung unter der Gewalt ihrer Männer stehen. Denn ist es nur der Tatbestand institutioneller Regelung, hätten wir die Frauen von der Regierung ohne triftigen Grund ausgeschlossen. Halten wir uns jedoch an die tatsächliche Erfahrung, werden wir sehen, daß dies von ihrer Schwäche herrührt. Denn nirgendwo ist es vorgekommen, daß Männer und Frauen zugleich regierten, sondern wo es auf Erden Männer und Frauen gibt, da sehen wir, daß die Männer regieren und die Frauen regiert werden und daß auf dieser Basis die beiden Geschlechter einträchtig zusammen leben. Die Amazonen, die einer sagenhaften Überlieferung zufolge einst regiert haben, duldeten im Gegenteil keine Männer in ihrem Land, sondern zogen bloß die Mädchen groß und töteten die Knaben nach deren Geburt. Wären nun von Natur aus die Frauen den Männern ebenbürtig und wären sie ihnen an Charakterstärke und Geisteskraft, worin die Macht der Menschen und demnach auch deren Recht hauptsächlich besteht, gleichwertig, dann müßte es doch unter so vielen und so verschiedenartigen Völkern wenigstens einige geben, bei denen beide Geschlechter gleichberechtigt regieren, und andere, bei denen die Männer von den Frauen regiert und so erzogen werden, daß ihre Geisteskraft beschränkt bleibt. Da das aber nirgendwo der Fall ist, darf man getrost behaupten, daß Frauen von Natur aus nicht ein gleiches Recht haben wie Männer, sondern ihnen notwendigerweise unterworfen sind und daß es deshalb nicht möglich ist, daß beide Geschlechter gleichberechtigt regieren, und noch weniger, daß Männer von Frauen regiert werden. Ziehen wir zudem noch die menschlichen Affekte



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humanos affectus consideremus, quod scilicet viri plerumque ex solo libidinis affectu foeminas ament, et earum ingenium et sapientiam tanti aestiment, quantum ipsae pulchritudine pollent, et praeterea quod viri aegerrime ferunt, ut foeminae, quas amant,  aliis aliquo modo faveant, et id genus alia, levi negotio videbimus, non posse absque magno pacis detrimento fieri, ut viri et foeminae pariter regant. Sed de his satis. Reliqua desiderantur.

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in Betracht, daß nämlich die Liebe der Männer zu den Frauen meist nur sinnliche Leidenschaft ist und sie Geist und Klugheit bei Frauen nur so weit schätzen, wie sie mit Schönheit vereint sind, und daß Männer es außerdem nur schwer ertragen, wenn die von ihnen geliebten Frauen auch anderen die leiseste Gunst  erweisen, dem sich weiteres dieser Art hinzufügen ließe, dann werden wir leicht einsehen, daß es ohne große Beeinträchtigung des Friedens nicht möglich ist, daß Männer und Frauen gleichberechtigt regieren. Doch genug zu diesem Punkt. Ende des erhaltenen Textes.

A N M E R K U NG E N DE S H E R AU S G E BE R S

Seite 3, Zeile 3 Spinozas niederländisch geschriebener Brief, dessen Empfänger uns nicht bekannt ist, ist wohl 1676 verfaßt. Er ist in den Opera Posthuma in lateinischer Übersetzung abgedruckt. 5,11 Der Untertitel stammt wahrscheinlich nicht von Spinoza, sondern von den Herausgebern der OP. 7,4 Das erste Wort, mit dem der Traktat beginnt, kennzeichnet das Programm, dem sich eine Politik-Theorie, die das wirkliche Leben der Menschen nicht überfliegen will, stellen muß. Der Theoretiker der Politik darf die Affekte nicht unter die Norm eines bloß Wünschenswerten bringen. Zur Weise, in der Affekte theoretisch zu erörtern sind, vgl. Eth. III, praef. 7,24 Vgl. Machiavelli, Il Principe, Kap. XV. Zur Sache vgl. A. Matheron, Machiavélisme et utopie. In ders.: Anthropologie et politique au XVIIe siècle, Paris 1986, S. 49–79. 9,13 Erstes Auftreten des Terminus »multitudo«, der sich in der »Ethik« nicht findet, hier noch in unspezifischer Bedeutung einer bloßen Ansammlung von Menschen, die auch »Volk« genannt werden könnte. 11,13 Der Hinweis auf den Zusammenhang von Erkenntnis und Emotionalität, der in der »Ethik« entscheidend ist, wird in unserem Traktat nicht aufgegriffen, weil die praktische Bedeutung des adäquaten Erkennens hier keine Rolle spielt. 11,15 Eth. IV, prop. 4, coroll. Im einzelnen vgl. Eth. III, prop. 32, schol.; III, prop. 41, schol.; III, prop. 31, coroll.; IV, prop. 58, schol. 11,37 Eth. V, prop. 4, schol. und prop. 32, schol. 13,17 Das richtige Verwalten steht unter objektiven, wenn man will »äußeren«, Bedingungen, die unabhängig von der Innerlichkeit einer Haltung sind. Der daran geknüpfte Gegensatz von Freiheit als einer Privattugend und Sicherheit als der Tugend des Staates, an den sich ein Gegensatz der Konzeptionen in TTP und TP knüpfen ließe, ist allerdings nicht absolut, weil auch der TP den wesentlichen Bezug zwischen öffentlichem Recht und individueller Freiheit nicht nur wahrt, sondern ausdrücklich betont (vgl. besonders Kap. V). 13,23 Der Staat hat natürliche Grundlagen, weil die Menschen ihn natürlicherweise herstellen (formant). Damit wird zugleich die These des Entstehens des Staates aus einem Vertrag zurückgewiesen. Die gemein-

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Anmerkungen des Herausgebers

same (communis) Natur der Menschen, auf die demgegenüber abgehoben wird, enthält allerdings noch keine Gemeinsamkeit der Menschen im Sinne einer Übereinstimmung, die die Vertragstheorie unterstellt. 13,30 TTP, 16. Kap. 13,32 Eth. IV, prop. 37, schol. 2. Merkwürdig ist der Hinweis auf die menschliche Freiheit, weil sie in der Form, in der sie in der »Ethik« (fünfter Teil) entwickelt wird, hier nicht thematisch ist. 15,4 Adäquates Begreifen ist das Begreifen der Essenz eines Dinges, die bei einem endlichen Ding nichts über dessen Existieren in der Zeit enthält. Die These ist: Dinge existieren nicht aus sich selbst, d. h. nicht kraft ihrer Essenz; wenn sie existieren, dann ist Ursache hierfür die Essenz Gottes, d. h. dessen Macht, die ewig ist (Eth. I, prop. 24–27). 15,25 Daß Gott überhaupt ein Recht auf irgend etwas habe, sagt Spinoza in der »Ethik« nirgendwo. Daß sich der Begriff des Rechts aus dem Gottes herleiten läßt, ist insofern keineswegs »leicht ersichtlich«. Vgl. die Abgrenzung der Macht Gottes von der Macht und dem Recht von Königen in Eth. II, prop. 3, schol. 15,34 Kritik an Hobbes, der natürliches Recht und natürliche Gesetze nicht nur unterscheidet, sondern in einen Gegensatz bringt (de cive, XIV, 3). 17,22 Handeln, das in der Vernunft gegründet ist, und Leiden, das in den Passionen gegründet ist, entspringen gleichermaßen dem conatus des Menschen (Eth. III, prop. 9), der als conatus in suo esse perseverandi die Macht und damit die wirkliche Essenz eines jeden Dinges ist (Eth. III, prop. 7). 19,1 In der »Ethik« sagt Spinoza genau das Gegenteil. Er definiert dort die Tugend (virtus) des Menschen, die mit seiner Macht (potentia) identisch ist, über die einem Menschen zukommende Gewalt (potestas), solches zu bewirken, das aus den Gesetzen seiner eigenen Natur von ihm selbst eingesehen werden kann (IV, def. 8). In Teil 5 zeigt er, in welcher Weise das Erkennen ein in unserer Gewalt liegendes Mittel gegen die Affekte ist (»affectuum remedium, quod a nostra potestate pendeat«, V, prop. 4, schol.). Er blendet in unseren Traktat diesen am Erkennen orientierten Gesichtspunkt aus den genannten Gründen aus und hebt dagegen darauf ab, daß es nicht in der Gewalt »eines jeden« Menschen steht, seine Vernunft »immer« zu gebrauchen (vgl. II, 8). 19,11 Die Theologen, an die Spinoza denkt, sind wohl Augustinus und Calvin. Vgl. Gebhardts Kommentar in Opera V, S. 135 f. Zum Begriff der Sünde vgl. auch den Brief an Blyenbergh (Brief 19; Opera IV, S. 86 ff.) 21,16 Die Gewalt zu etwas zu haben bedeutet nicht, wählen zu kön-

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nen, sondern in Übereinstimmung mit der eigenen Natur zu sein. An dieses Verständnis ist der Begriff der menschlichen Freiheit gebunden, die sich also nicht in der Übereinstimmung mit der Natur im Ganzen erfüllt, mit der der Mensch, wie er auch handeln mag, immer schon in Einklang ist. 23,17 Es sieht so aus, als wird hier einer Ohnmacht der Vernunft das Wort geredet. Doch meint Spinoza: Weil die Natur nicht Rivalitäten verwirft, sollen auch wir sie nicht verwerfen, sondern versuchen, mit ihnen in vernünftiger Weise umzugehen, d. h. aber mit einer Vernunft, die sich an uns und nicht an dem, was ohnehin besteht und dessen internen Zusammenhang wir gar nicht kennen, orientiert. Die Passage »das ist nicht verwunderlich …« ist fast wörtlich aus dem TTP, 16. Kap. übernommen. 23,18 Mit diesem Abschnitt beginnt die Erörterung des Rechtsbegriffs in intersubjektiver Perspektive. Der Begriff des »sui juris« wird gegen den des »alterius juris« eingeführt und als Zurückweisung von Gewalt im Sinne von Gewalttätigkeit verstanden. Das eigene Recht, gebunden an die eigene Sinnesart, stößt in dieser Bindung an natürliche Grenzen. 25,1 Der hier entwickelte Aspekt, auf dem Boden der »Ethik« genuin spinozanisch, steht quer zu den Darlegungen des Traktats, der davon ausgeht, daß, mag auch der Geist »gänzlich« unter eigenem Recht stehen können, dies nicht für die Menschen in ihrem sozialen Kontext gilt. 25,21 Kritik an Hobbes, für den Worte Zeichen der Willenserklärung sind, die hinreichend binden (de cive, I, 4 und 7). Vgl. dazu P.-F. Moreau, Politiques du langage. In: Revue philosophique de la France et de l’étranger, 1985, S. 189–194. 25,31 Bloße Addition von Kräften im Zusammenkommen (convenire) von Zweien führt zu einem Mehr an Macht und damit Recht. In der »Ethik« heißt es aber, daß die beiden hierfür »von ganz derselben Natur« sein müssen (IV, prop. 18, schol.), womit eine zusätzliche Qualität in den Blick kommt. 27,4 Der zentrale Affekt der Furcht hat bei Menschen ein besonderes Gewicht, weil sie geistige Wesen sind und darin schlauer und verschlagener als andere Lebewesen. Er stellt darin einen Gegensatz zur bloßen Addition von Kräften im vorhergehenden Paragraphen dar, die sich noch physikalisch deuten ließe. 27,22 Ich habe »jura«, den Plural von »jus«, nicht mit »Rechten«, sondern mit »Rechtsgesetzen« übersetzt, weil Spinoza mit diesem Terminus nahezu durchgängig die vom Staat erlassenen Gesetze in deren Funktion, den Menschen einen Rechtsanspruch auf etwas zu sichern,

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bezeichnet. Deutlich wird diese Bedeutung in III, 4, wo Spinoza »jura« als Beschlüsse des Gemeinwesens (civitatis decreta) versteht und dementsprechend decreta und jura durch ein »seu« (oder) verbindet. 27,26 Die Kombination der beiden Aspekte in § 13 und § 14 führt zur Notwendigkeit des staatlichen Zustandes. Im Naturzustand, in dem der einzelne auf sich gestellt ist, hat das Individuum, weil seine Macht durch andere, die es fürchten muß, faktisch eingeschränkt ist, keine Chance, unter eigenem Recht zu stehen. Insofern ist dieser Zustand auch kein Zustand menschlicher Freiheit, sondern menschlicher Ohnmacht. Das der Macht des einzelnen korrespondierende und insofern natürliche Recht (jus) ist durch eigens zu erlassende Rechtsgesetze (jura), die den Menschen gemeinsam (communia) sind, zu sichern. 27,32 Der politische Aristotelismus, wenn auch ohne teleologische Implikation, wird in der Abhebung von Hobbes anerkannt, für den er falsch ist, weil die Vereinigung der Menschen zu einem Staat kein naturnotwendiges, sondern zufälliges Ereignis ist (de cive, I, 2). 27,34 Die Wendung »omnes una veluti mente ducuntur« wird erstmals dort eingeführt, wo davon ausgegangen wird, daß Menschen schon gemeinsame Rechtsgesetze haben und insofern einer Form von Einheit unterliegen. 29,6 Auch der Terminus »multitudo« als Beschreibung einer Menge, die gemeinsame Macht ist, wird in dieser Bedeutung erstmals dort eingeführt, wo von einem Recht ausgegangen wird, das sich gemeinsamen Rechtsgesetzen verdankt. Zugleich wird gegen Hobbes betont, daß die auf gemeinsame Rechtsgesetze sich stützende Souveränität des Staates nicht eine von der Menge geschiedene Instanz sein kann. 33,22 Der Begriff der Sünde, der nur im Staat, d. h. unter eigens erlassenen Rechtsgesetzen, eine Bedeutung hat und darin aller theologischen Implikationen entkleidet wird, ist auch innerhalb einer rein vernünftigen Religion, die auf der Erkenntnis und der damit verbundenen Liebe Gottes basiert, bedeutungslos und bedeutsam allenfalls im Zusammenhang der geoffenbarten Religion, aber auch dort nur im Selbstverständnis der Gläubigen, nicht der Sache nach, sofern auch die geoffenbarte Religion, wie Spinoza im TTP zu zeigen sucht, nichts als die Präsentationsform der rein vernünftigen Religion ist, die sich von ihr nur hinsichtlich der Adressaten, nicht aber dem Gehalt nach unterscheidet. Vgl. hierzu S. Zac, Spinoza et l’interprétation de l’Ecriture, Paris 1965. 33,33 Der Begriff der Gerechtigkeit bleibt ebenso inhaltsleer wie der der Sünde. Spinoza scheut sich, ihn näher zu bestimmen, weil er im Kontext der hier vorgebrachten Begründung den Staat als Instanz der Zuteilung von Eigentum fassen müßte, was quer zu seiner besonders in

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den Aristokratie-Kapiteln entwickelten These einer den Staat tragenden ökonomischen Aktivität der Bürger steht. 35,10 Eth. III, prop. 29, schol. Lob und Tadel sind Formen, nicht Affekte von Freude und Trauer. Und allein daraus ergibt sich der im TP, nicht aber in der »Ethik« erwähnte Bezug auf Tugend und Ohnmacht. 37,5 Das von der Reichweite seiner Macht her bestimmte Recht des Staates schränkt das Recht der Individuen ein, bleibt aber gebunden an deren Macht und damit deren Recht, die als Menge die gemeinsame Macht des Staates konstituieren. 37,20 Das Gemeinwesen höbe sich selber auf, wenn es duldete, daß die Untertanen den von ihm erlassenen Gesetzen nicht gehorchten, was der Fall wäre, wenn es ihnen zugestehen würde, generell nach der eigenen bloß privaten Sinnesart leben zu können. Daß der Gesetzesgehorsam eines Individuums im eigenen Interesse ist, setzt freilich eine bestimmte Qualität der Gesetze voraus, nämlich in einer gemeinsamen Macht zu gründen, für deren Zustandekommen vorausgesetzt ist, daß der einzelne nicht an seiner bloß privaten Sinnesart festhält. 39,15 Schwieriger Punkt für Spinoza. Aus der Perspektive des Staates kann er, Hobbes folgend, nicht zugestehen, daß die Gesetze des Staates von dem einzelnen interpretiert und insofern beurteilt werden; aus der Perspektive des einzelnen kann den Individuen die Urteilsfähigkeit jedoch generell nicht genommen werden. Die Perspektive des »als ob», soll hier vermitteln. 41,9 Der Staat ist, sofern er darauf aus ist, Furcht zu beseitigen und unter den Menschen Frieden im Sinne einer Eintracht des Geistes zu schaffen, der Vernunft gemäß, sowohl einer reinen Vernunft, die ewige Strukturen erkennt, wie der kalkulierenden, die zwischen zwei Übeln das geringere wählt. 43,2 Etwas, das sich dem staatlichen Zwang entzieht, unter staatliche Gesetze zu bringen, ist deshalb nicht rechtens. Bezogen auf die Innerlichkeit sowohl des Urteilens wie der elementaren Emotionalität, ist das gegen Hobbes gerichtet, der dem Souverän auch in diesem Feld ein uneingeschränktes Recht zubilligt und den Untertanen nur die Gehorsamsverweigerung zugesteht (de cive, II, 18–19; VI, 13). 43,18 Jus sive potestas. Hier hat »potestas« (Gewalt) eine pejorative Bedeutung, mit der ein unsinniges Recht bezeichnet wird, an das sich niemand halten kann. »Potestas« steht allerdings in der Regel nicht in einem strikten Gegensatz zum Begriff der »potentia« (Macht), an den Spinoza sonst das Recht bindet; potestas bringt das tatsächliche Können dessen, der über Macht verfügt, zum Ausdruck, also die Durchsetzungskraft des Rechts (im Unterschied zu einem illusorischen Wünschen oder

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bloßem Erbitten). Vgl. III, 3: jemanden das Recht und folglich die Gewalt einräumen (im Unterschied zum Geben bloßer Worte), besonders aber III, 2, wo das Recht des von seiner Macht her definierten Staates mit dem Recht der höchsten Gewalten gleichgesetzt wird (»summarum potestatum jus«). Zur internen Relation der beiden Begriffe im Feld der Politik vgl. M. Terpstra, De wendig naar de politiek. Een studie over de begrippen »potentia« en »potestas« bij Spinoza, Nimwegen 1990. 45,12 Der Staat ist in der Positivität seiner Gesetzgebung nicht Herr seiner selbst, solange die Gesetzgebung ein naturrechtlich verankertes Aufbegehren der Untertanen gegen ihn nicht getilgt hat. 45,35 Spinoza unterscheidet zwischen einer Erkenntnis Gottes und der daraus resultierenden Liebe zu ihm, die kaum Religion genannt werden dürfte (entwickelt im fünften Teil der »Ethik«), einer offenbarten Religion universellen Charakters, die im Dienst von Gerechtigkeit und Nächstenliebe steht (entwickelt im »Theologisch-Politischen Traktat«), und einer statutarischen Religion, die sich auf einen äußeren Kult stützt und darin, sofern ihr eine Tendenz zum Sektiererischen innewohnt, für die innere Einheit des Staates eine Gefahr werden kann. Daher wohl die Überlegung, die Praktizierung religiöser Zeremonien in die Hände der Regierenden zu legen, zumindest in der Aristokratie (vgl. VIII, 46). 47,30 Spinoza verweist nicht auf die Schwierigkeit einer rechtsförmigen Regelung internationaler Beziehungen, weil sie unter dem Gesichtspunkt einer gemeinsamen Macht von Staaten die Preisgabe der rechtsförmig gestalteten Souveränität des einzelnen Staates bedeutete, sondern er hält an dem naturrechtlichen Kriegszustand zwischen Staaten fest, weil ein Staat, anders als ein Individuum, über hinreichende Macht der Selbstverteidigung verfügt. Sie auszubauen und zu stärken ist deshalb eine zentrale Aufgabe eines jeden Staates, damit er nicht in die Abhängigkeit von anderen Staaten gerät. Spinoza ist bei seinen Darlegungen zur internationalen Politik im wesentlichen von dem Gedanken der Verteidigung des eigenen Landes aus eigener Kraft gegen eine drohende Fremdherrschaft geleitet. 49,24 Eine Allianz von Staaten ist immer nur vorübergehend, weil sie unter strategischen Gesichtspunkten eingegangen wird, die ihrerseits einem Wandel der Interessen und der gegebenen Umstände unterliegen. Deshalb dominiert die Klugheit die Loyalität. Spinoza folgt hier Machiavelli (Discorsi sopra la prima deca di Tito Livio, I, Kap. 16) und Hobbes (Leviathan, Kap. 12). 55,4 Der Katalog der Aufgaben der Souveränität, schon in II, 17 umrissen und in IV, 2 erweitert, ist Traditionsgut der neuzeitlichen Politik-Theorie. Vgl. etwa Hobbes, de cive, VI, 18.

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55,29 Ausgehend von dem tradierten römischen Satz »Princeps legibus solutus est«. 59,15 Der Staat ist in seiner Gesetzgebung nicht an positive Gesetze, die er selber erst erläßt, gebunden und auch nicht an moralische Normen, sondern allein an die natürlichen Gesetze der Selbsterhaltung, die keine Rechtsgesetze sind. Deshalb verpflichten sie ihn nicht, binden ihn aber insoweit, als er darauf aus sein muß, gemeinsame Macht zu sein, die er nicht gegen die Individuen und deren naturrechtliche Macht sein kann. Die in IV, 4 gegebenen Beispiele für das, was der Souverän nicht tun darf, sind freilich eher läppisch. Zum Problem eines dem Staat selber unterstellten Strebens nach Selbsterhaltung vgl. meine Einleitung S. XXVII f. 59,36 Das ist die einzige Stelle in unserem Traktat, an der Spinoza von einem »Vertrag« (contractus) spricht, an der er ihm zugleich den Sinn nimmt, den er bei Hobbes und auch noch im »Theologisch-Politischen Traktat« hat. Indem er ihn unter den Terminus »Gesetze« (leges) bringt, subsumiert er ihn unter die Gesetze eines Selbsterhaltungsstrebens, an die ein Staat natürlicherweise gebunden ist, und nimmt ihm den Charakter einer Instanz, die nach staatlichem Recht zu respektieren wäre. Die Brechung jenes Vertrags ist dann nichts als die Beschreibung des Tatbestandes, daß der Staat faktisch zerfällt. 63,14 Das Kapitel V leitet zu den folgenden Kapiteln über, die unterschiedliche Regierungsformen untersuchen und darin Staatsformen nach ihrer Qualität unterscheiden. 63,18 Die beste Form muß einem Kriterium unterliegen, das sich aus dem einem Staat immanenten Zweck ergibt. Sicherheit als Zweck des Staates scheint der Freiheit, auf die der Staat im »Theologisch-Politischen Traktat« abzielt, zu opponieren. Doch zeigt Spinoza in den folgenden §§ dieses Kapitels, daß die Sicherheit in einer Freiheit des Geistes gründet. 65,21 Deutliche Kritik an Hobbes, der Frieden negativ als Abwesenheit von Krieg bestimmt (de cive, I, 12). Spinoza bindet demgegenüber den Frieden an eine Haltung der Individuen, in der eine über alle bloße Innerlichkeit hinausgehende Aktivität zum Ausdruck gelangt, die der Staat zu befördern hat. »Einöde« (solitudo) bei Tacitus (De vita Julii Agricolae, 30). 65,26 Wiederum deutliche Kritik an Hobbes und dessen Begriff von Leben mit seiner Nähe zu den von Harvey entdeckten Funktionen des Blutkreislaufs. Vgl. dazu meinen Aufsatz »Hobbes’ philosophische Grundlegung der Politik« (Studia Leibnitiana 10, 1978, S. 159–191). Diese - Kritik enthält zugleich eine Zurückweisung jener Interpretati-

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onen, die das Zusammenwirken der individuellen conatus nach einem physikalischen Modell verstehen wollen. 67,2 Hobbes unterscheidet zwischen einem Staat per acquisitionem und einem Staat per institutionem, charakterisiert beide aber über den Modus der Furcht (Leviathan, Kap. 20). Furcht ist demgegenüber für Spinoza Ausdruck eines Bestimmtseins durch Äußeres und deshalb ein der Freiheit zuwiderlaufendes Element. Ein Staat, der sich primär auf sie stützt, verfehlt seinen Zweck und wird sich deshalb nicht erhalten. 67,35 Eine eigenartig wohlwollende Interpretation Machiavellis als eines heimlichen Bundesgenossen, die sich aber wohl kaum auf dessen Begriff von Freiheit stützt. Spinoza steht damit aber nicht allein. Vgl. das Urteil von Alberico Gentili, De legationibus libri III, London 1585, S. 101: »Democratiae laudator et assertor acerrimus; … tyrannidis summe inimicus« (Hinweis bei Gebhardt, Opera V, S. 143). 69,27 Als Folgerung aus dem vorhergehenden § erscheint dies nicht als schlüssig. Aus dem Tatbestand, daß der Mensch notwendigerweise in irgendeinem Staat lebt, folgt nicht, daß es darauf ankomme, die Form eines bestimmten Staates »ohne nennenswerte Veränderung« zu erhalten. 69,37 »Nach der Vorschrift der Vernunft leben können« wird hier, grundlegend für alle weiteren Überlegungen, ganz unabhängig davon bestimmt, wieweit die Menschen in ihrem Leben ihre Vernunft auch gebrauchen und darin etwas »aus freien Stücken« tun. Dem, was die Vernunft vorschreibt, genügt eine objektive Struktur, der eine interne Vernünftigkeit zukommt, die sich in der Einrichtung des zu beschreibenden Staates aufzeigen läßt, ohne daß sich diejenigen, die den Staat verwalten, an Vorschriften der Vernunft orientieren müßten. 71,17 Das türkische Reich hat seine Stabilität über die Sklaverei seiner Untertanen erlangt. Van Hove hat in der »Polityke Weegschaal« eine ausführliche Beschreibung des türkischen Reichs gegeben. Spinoza bezieht sich von nun an häufig auf dieses Werk. 73,3 Vgl. Aristoteles, Politik 1287b. 73,14 Qu. Curtius Rufus, Historiae Alexandri Magni, X, 1, 37. 73,17 Grundthese Spinozas ist, daß der Staat in erster Linie von innen und nicht von außen gefährdet ist. Spinoza verkennt nicht, daß diese Gefahr, bedingt durch die menschlichen Affekte, groß ist, ist es doch schwierig, gute, d. h. zuverlässige, Bürger zu haben. Das hier auftretende »selten« (rari) findet sich auch im letzten Satz der »Ethik«, daß nämlich was schwer ist, selten (rara) ist (Eth. V, prop. 42, schol.). 73,32 Ausführlich bei van Hove. 75,7 Die Wichtigkeit der Städte ergibt sich aus der Sozialstruktur der verstädterten Niederlande.

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75,15 Eindringlich gefordert von Machiavelli in »Sette libri dell’ arte della guerra« (Buch 1), auch in »Discorsi« und »Il Principe«. 75,33 Familienverbände sind durch gemeinsame Abstammung ihrer Mitglieder gekennzeichnet. Auch Morus kennt in seiner »Utopie« die Familieneinteilung. Die jüdischen Stämme zerfallen in Stammhäuser, von Spinoza im TTP mit »familia« übersetzt (18. Kap.; Opera III, S. 211). 79,1 Der Beliebigkeit der Wahl durch den König sind dadurch Grenzen gesetzt, daß die Räte Repräsentanten von zu berücksichtigenden Familienverbänden sind. Weil Räte aber nur beraten, können sie nicht von den Verbänden selber gewählt werden, sondern nur von dem, den sie beraten. 81,16 Wie das »gleichsam« (veluti) anzeigt, handelt es sich hier um eine Metapher ohne Gehalt. Der Gedanke, ein Gemeinwesen könnte ein Organismus sein, ist Spinoza fremd. 81,25 Das Problem stellte sich, als es um die Vormundschaft des minderjährigen Wilhelm III. von Oranien ging, über die ausländische Mächte Einfluß auf die Niederlande zu nehmen suchten. 85,35 Spinoza betont die Wichtigkeit des Sichberatens in dem Gremium derer, die bloß Ratgeber sind. Denn nur es kann zu einer Einigung führen, die dem König die Macht nimmt, eine beschließende Instanz unabhängig von der Ratsversammlung zu sein (vgl. VI, 17). 87,24 Die wechselseitige Kontrolle der Gremien steht auch unter dem Aspekt des Argumentierens, nicht nur unter dem der Kanalisierung selbstsüchtiger Affekte. 91,10 Die Stelle findet sich nicht in den OP, sondern nur in der niederländischen Übersetzung der NS. 91,28 Ebenso Machiavelli, Discorsi, II, 23. 91,34 Die durch Heirat Wilhelms II. von Oranien bedingte Verbindung des Hauses Oranien mit dem britischen Haus der Stuarts hatte gefährliche Folgen für die Niederlande. 95,31 Die Unterscheidung zwischen dem König als Institution und als Person ist eine implizite Kritik an der auf eine Person konzentrierten Monarchie. 97,20 Der König als Inhaber der Regierungsgewalt und die Menge, die regiert wird, stehen sich in dieser Wechselseitigkeit immer noch gegenüber, bilden also bestenfalls eine Allianz. 99,25 Antwort auf Hobbes, der großen Versammlungen mangelnde Sachkenntnis unterstellt (de cive, X, 10). 99,30 Pseudo-Sallust, Ad Caesarem senem de Republica Oratio. 103,7 Eth. III, def. aff. 44.

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103,17 Qu. Curtius, Historiae Alexandri Magni, VIII, 7, 11. 103,33 Der kommerzielle Gesichtspunkt ist nicht spezifisch nur für die Monarchie; er ist so übergreifend, daß auch der monarchische Staat an ihn gebunden ist. 107,24 Tacitus, Historiae, I, 36. 109,32 2. Buch Samuelis 15, 31. 109,37 Tacitus, Historiae, I, 25. 111,12 Antonio Perez (1539–1610), Geheimsekretär Philipps II. von Spanien. »Las Obras y Relaciones de Ant. Perez Secretario de Estado« (1644) waren im Besitz Spinozas (er zitiert aus S. 207); vgl. dazu Gebhardt Opera V, S. 156 ff. 115,3 Eine Begründung hierfür aus der Natur des Menschen gibt Spinoza nicht, auch nicht in der Affektenlehre der »Ethik«. Merkwürdig ist auch das Argument, mit dem Spinoza auf die Gleichheit der Bürger abzielt, die er nicht über eine interne Qualität bestimmt, sondern über die Zugehörigkeit zu einem Verband, dessen Recht relativ auf seine Größe bestimmt wird und der darin eher auf Ungleichheit verweist. Zur Rechtfertigung des Gesichtspunkts der Quantität vgl. die Einleitung von Ch. Ramond in die kritische Ausgabe des TP (Spinoza, Œuvres V) 115,21 Deutliche Absage an die Feudalstruktur einer Gesellschaft. 117,11 Tacitus, Historiae, II, 34. 117,20 Weil Krieg im Dienst der Freiheit steht, ist er ihr, die ihrerseits nicht unter der Äußerlichkeit eines Belohntwerdens steht, unbedingt unterzuordnen. Einen analogen Zusammenhang entwickelt Spinoza in der »Ethik« für die an das Erkennen gebundene menschliche Freiheit (vgl. Eth. V, prop. 42). 121,5 2. Buch der Chroniken 12. 121,9 Nachfolgekrieg um die spanische Niederlande 1667–1668. 121,25 Gemeint ist Hobbes (de cive X, 18; IX, 12 und 13; VII, 15). Der Souverän ist also in Wahrheit der einflußreiche Teil der Menge, der jedoch aus Gründen der Stabilität der monarchischen Regierungsform an einer klaren Nachfolgeregelung interessiert ist und sich deshalb seines Rechts, den König zu wählen, begibt. Quer zu diesen Überlegungen steht dann die These, die Menge könne beim Tod des Königs neue Gesetze geben und alte aufheben, die ein deutlich antimonarchisches Element enthält und die grundlegenden Gesetze der Monarchie in Frage stellt. 125,7 Tacitus, Annales, I, 29. 125,8 Livius XXIV, 25. 125,9 Tacitus, Historiae, I, 32. 125,15 Terenz, Adelphoe 823.

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125,18 Tacitus, Annales, II, 36. Die Zusammenstellung der Zitate findet sich auch bei van Hove, das Sichberufen auf das Livius-Zitat auch bei Machiavelli (Discorsi, I, 58). 125,35 Wichtige Stelle, derzufolge bestehende Differenzen zwischen den Simplen und den Klugen sich über Information und eine darauf sich stützende Ausbildung der Urteilsfähigkeit überbrücken lassen. Spinoza will mit seinem (seltenen) Blick auf das einfache Volk in erster Linie das bei den Vornehmen verbreitete Vorurteil abbauen, das die Stabilität des Staates gefährdende Laster bloß subjektiver Vorteilssuche sei eine Angelegenheit bloß des Pöbels. Der Hinweis, daß die Laster allen Sterblichen innewohnen, sich davon ausnehmen zu wollen also das Laster des Dünkels ist, wäre natürlich in den Kapiteln zur Aristokratie mit dem Blick auf die dort Herrschenden ebenso angebracht, was jedoch eine stärkere Provokation gewesen wäre, die Spinoza offenbar vermeiden wollte. 127,6 Tacitus, Historiae, I, 1. 127,19 Der Kriegszustand, der zwischen Staaten wegen der fehlenden Rechtsförmigkeit ihrer Beziehung herrscht (III, 12 ff.), impliziert also nicht notwendig das Führen von Krieg. 127,21 Die mangelnde Geheimhaltung, die Hobbes großen Versammlungen vorhält (de cive, X, 14–15), ist kein Nachteil, sondern offensichtlich eine Bedingung der Freiheit. 129,11 In Anlehnung an den Bericht von Antonio Perez in dessen Relaciones. Zitiert bei Gebhardt Opera V, S. 163–166. 129,19 Wohl Papst Gregor VII. 131,33 Ferdinand von Aragon (1479–1516), König seit 1504 nach dem Tode seiner Frau Isabel. 133,34 Eindeutige Verurteilung der absoluten Monarchie durch die Bindung der Macht des Königs an die Macht der Menge, freilich unter der Voraussetzung, daß diese Bindung aus der Macht der Menge verständlich wird. 135,6 Der Untertitel ist möglicherweise von den Herausgebern der Opera Posthuma hinzugefügt worden. Vgl. M. Francès, Œuvres complètes de Spinoza, éd. Pléiade, Paris 1954 (Anm. 56 zum TP). 135,13 Die Passage ab »ich sage ausdrücklich …« fehlt in den NS. Sie ist von Spinoza vermutlich erst hinzugefügt worden, als er damit begann, die demokratische Regierungsform zu entwickeln. 135,25 Merkmal des Status des Patriziers ist sein Gewähltsein im Sinne der Kooptation, nicht unbedingt seine Kompetenz. Demgegenüber basiert in der Demokratie der Status des Bürgers auf einem Recht, das erblich und damit natürlich ist, entweder angeboren (durch Geburt) oder durch Gunst erworben (Adoption oder Einbürgerung).

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141,13 Die Autarkie der Versammlung der Patrizier ist, anders als in der Monarchie, der Garant des Immerwährenden der grundlegenden Gesetzgebung. Ihre Regierungsgewalt ist jedoch nur theoretisch uneingeschränkt, nicht tatsächlich, da die Menge nicht in sie integriert ist und die Regierung deshalb deren Naturrecht in einer Weise zu berücksichtigen hat, die nicht rechtsgesetzlich geregelt ist. 141,28 Die Patrizier verteidigen das Recht der (ausgeschlossenen) Menge als ein vermeintliches Recht des Gesamtstaats, indem sie ihr keine verbrieften Rechte zugestehen, also, am Beispiel der Gilden erläutert, von der ökonomischen Aktivität der Bürger die politische Aktivität fernhalten. 141,37 Dem Charakter des »als ob« der Einheit korrespondiert die Gleichgewichtigkeit von Sein und Schein. Politiker müssen verschlagen, nicht weise sein. Vgl. hierzu meine Einleitung S. XLII. 147,8 In der hier beschriebenen Militär-Regulierung fällt der aristokratische Staat offenbar hinter den monarchischen zurück. Untertanen, die für die Freiheit kämpfen, kämpfen für Lohn, da sie politisch entmündigt sind. 147,18 Auch der Verkauf von Grund und Boden, im Unterschied zur Verpachtung in der Monarchie, ist relativ auf den politisch eingeschränkten Status der Untertanen. 151,4 Die historische Entwicklung ist also gegenläufig zu der begrifflichen Entwicklung der Staatsformen auf die optimale Form hin. Eine Verfallsgeschichte in bezug auf die Republik Venedig gibt Machiavelli in seinen Discorsi (I, 6). 153,6 Unklar, weshalb die Gastwirte hier ausdrücklich genannt werden. Nicht ihre dienende, sondern ihre (in Spinozas Augen) unehrenhafte Position ist es wohl, die den Ausschlag gibt. Offenbar ist der überlieferte Text an dieser Stelle korrupt. 153,26 Absage an eine Gewaltenteilung im Staat. Die Versammlung, die die gesetzgebende Gewalt innehat, ernennt und kontrolliert auch die mit der Ausführung beauftragten Mandatsträger. 157,9 Als Vorbild dient, beschrieben von van Hove, offenbar der Rat der Zehn in Venedig, die Kontrollbehörde der Sindici di Mare; die folgenden Ausführungen weichen stellenweise von der venezianischen Geschäftsordnung ab. 163,25 Die Rechte des an der Regierung nicht partizipierenden Volkes sind also sehr wohl zu schützen, wenn auch an dieser Stelle nur gegenüber den Beamten und nicht den Patriziern. 165,2 Als Vorbild dient auch hier offenbar der Senat in Venedig, den van Hove beschreibt, vielleicht auch der Staatsrat als beschließende und

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ausführende Behörde der Vereinigten Niederlande, der allerdings eine geringere Zahl von Mitgliedern hatte. Vgl. hierzu Gebhardt Opera V, S. 176 f. 167,19 Profitgier führt bekanntlich zum Krieg, denn an der Waffenproduktion läßt sich verdienen. Geld muß, wenn es Antrieb menschlichen Handelns ist (vgl. Eth. IV, caput 28) deshalb auch, wie Spinoza sieht, beim Aussein auf Frieden, für den er plädiert, im Spiel sein, aber doch wohl unter der Voraussetzung, daß die Gier nach Geld schon besiegt ist, die Senatoren also, um deren Besoldung es hier geht, ein »anständiges« Leben führen, d. h. eine moralische Haltung eingenommen haben, die dem politischen Bemühen des Staates entgegenkommt. 169,31 Der Verfasser der »Polityke Weegschaal«. 173,3 Das umständlich beschriebene Verfahren soll offenbar dem Affekt der Eifersucht Rechnung tragen. 173,37 Diese Ordnung verdanken wir van Hove. 177,16 Die Schwierigkeit besteht darin sicherzustellen, daß ein Gerichtshof, der sich nur aus Patriziern zusammensetzt, unparteiisch ist. Es ist fraglich, ob die große Zahl der Richter hierfür, wie Spinoza annimmt, ausreichend ist, und ob der zusätzlich angenommene Respekt vor den Syndici, die ebenfalls Patrizier sind (VIII, 41), hier etwas leistet. 181,29 Weshalb den Syndici die Rolle der Verteidiger der Rechte des Volkes zukommt, gleichsam wie ehedem den Volkstribunen in Rom, erfährt keine hinreichende Begründung. Zum Unterschied von Syndici und Volkstribunen vgl. X, 3. 185,1 Sekretäre sind reine Verwaltungsbeamte, die Positionen einnehmen, die dem einfachen Volk offenstehen, und aufgrund ihrer Sachkenntnis sehr einflußreich sein können, deren Macht deshalb von den Gremien, deren Mitglieder sich selbst ergänzen, zu beschneiden ist. Jan de Witt ist ein solcher einflußreicher Sekretär gewesen, der als Ratspensionär (d. h. als ein von der Obersten Versammlung besoldeter Beamter) ohne Stimmrecht faktisch regierte. Die Hochschätzung, die Spinoza für de Witt hatte, ist also von der Einschätzung dieser Position als eines Gliedes im Mechanismus des ganzen Staates zu trennen. Vgl. hierzu Gebhardt Opera V, S. 182 f. 185,16 Das Schicksal de Witts ist ein Beispiel hierfür, aber auch die Opferung des Ratspensionärs Jan van Oldenbarnevelt (1547–1619) durch die regierenden Patrizier der Partei der Oranier. 187,10 TTP, 14. Kap., formuliert in 7 grundlegenden Glaubenssätzen (Opera III, S. 177 f.). 187,23 Stabilisierende Funktion der Landesreligion (in den Niederlanden die reformierte Kirche) mit Einbindung der Patrizier als

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Funktionäre des äußeren Kults, um einem Sektierertum zu entgehen, das die im TTP propagierte religio simplicissima et maxime catholica unterläuft. 189,2 Die Abhängigkeit eines Patriziers aufgrund wirtschaftlicher Verhältnisse von seinen Kollegen soll vermieden werden. 189,17 Daß der Schwur beim Vaterland gewichtiger ist als der bei Gott, setzt voraus, daß das Vaterland allen gemeinsam ist. Äußerlich gesehen ist auch Gott allen Individuen gemeinsam, da sie allesamt dessen Modi sind, aber er ist es deshalb noch nicht im Selbstverständnis der Individuen. Auch das Vaterland darf den Individuen nicht äußerlich sein, soll der Schwur bei dessen Heil eine verbindende Kraft haben. 189,21 Universitäten als Ausbildungsstätten des freien Geistes werden der staatlichen Aufsicht gänzlich entzogen. Nichts spricht dafür, daß dies nicht auch für dort vorgetragene Theorien des Staatsrechts gilt. Das Gegenteil sagt Hobbes, der in einer diesbezüglichen unkontrollierten Freiheit eine Gefahr für den Staat gesehen hat und deshalb die freie Meinungsbildung durch den Staat unterdrückt sehen will, der hierfür mit den Universitäten anzufangen habe (»incipiendum est ab academiis«, de cive, XIII, 9). Die nicht garantierte unbedingte Lehrfreiheit hat Spinoza einen Ruf an die Universität Heidelberg ablehnen lassen (vgl. Brief 48). 189,33 Während die Aristokratie einer Stadt weitgehend an den oberitalienischen Republiken orientiert ist, bezieht sich Spinoza hier im wesentlichen auf die Provinz Holland mit ihren 18 gleichberechtigten Städten, von der der Staatenbund der Vereinigten Niederlande noch zu unterscheiden ist, der aus 7 Provinzen (Holland, Utrecht, Geldern, Zeeland, Overijssel, Friesland und Groningen) bestand. 191,29 Den Haag war seit Ende des 16. Jahrhunderts Tagungsstätte der niederländischen Generalstaaten und der Städte Hollands, ohne Stadtrechte zu haben, während vorher der Versammlungsort reihum gegangen war. 193,7 Das auf zwischenstaatliche Beziehungen nicht übertragbare Modell der den Naturzustand überwindenden multitudo klingt hier an. 193,18 Faktisch hatte im Provinzialrat das kleine Edam ebenso wie das große Amsterdam eine Stimme. 193,21 Auch der Gerichtshof war in den Niederlanden ein solcher der jeweiligen Provinz, nicht des Staatenbundes der Vereinigten Niederlande. 199,2 Spinoza schließt sich hier van Hove an. Offenbar soll eine Steuerflucht der Reichen vermieden werden; möglicherweise bezieht

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sich darauf die Einschätzung, daß eine Verbrauchssteuer »angemessener« ist. 203,4 Proiettis plausible Korrektur bezieht »zerstören« auf Städte und macht Gebhardts Einfügung von »Stadt« (urbs) überflüssig. Vgl. VI, 35, wo ebenfalls von einer Zerstörung der Städte die Rede ist. Auch Machiavelli, Discorsi, II, 23, auf den sich Spinoza möglicherweise beruft, spricht lediglich von einer Zerstörung der Gebäude einer Stadt, nicht von einer Liquidierung der Bevölkerung. 203,22 Livius XXI, 7. 203,30 Der Satz fehlt in OP. Holland, so wird deutlich, gibt Beispiele nicht nur dafür, daß ein stabiler Staat ein solides ökonomisches Fundament haben muß, sondern auch dafür, daß er auf einem öffentlichen Diskurs basieren muß. 203,33 Nach der Absetzung des letzten Grafen der Niederlande, Philipps II. von Spanien, im Jahre 1581 versuchten die Niederländer die Souveränität des Staates auf ausländische Potentaten zu übertragen, also den bisherigen Zustand bloß zu verlängern, ohne daß an eine republikanische Verfassung und die Verfaßtheit derer, die in einem solchen System zu regieren haben, gedacht wurde. 207,28 Proiettis Vorschlag, »ein oder zwei Monate« in »ein Jahr« zu ändern, hat sowohl hinsichtlich der uns überlieferten Geschichte wie hinsichtlich der Praktikabilität durchaus Plausibilität; doch steht es so nicht in dem uns überlieferten Text. 209,6 Noch einmal wird deutlich: Furcht zu erregen, ist mit den Grundlagen eines gut organisierten Staates unvereinbar, und loyale Bürger sind solche, die die Gesetzgebung des Staates nicht zu fürchten haben. 209,17 Cicero, Epistolae ad Quintum fratrem, III, 8. 211,5 Machiavellis dictatoria potestas (Discorsi, I, 34) orientiert sich am venezianischen Rat der Zehn, dem Vorbild für Spinozas Versammlung der Syndici. 211,18 Ovid, Remedia amoris, 91. 213,15 Gemeint ist die Verweichlichung der holländischen Sitten durch die sich ausbreitende französische Hofkultur im Haag. Deutlich wird hier ein gut Stück altfränkischer Biederkeit bei Spinoza. 213,22 Nach Ovid, Amores, III, 4, 17. 215,2 »avaritia« ist »immoderata divitiarum cupiditas« (Eth. III, def. aff. 47), niederländisch »profyt«. 215,32 Der Abbau von Furcht, der eine Aktivität der Menschen impliziert, bedient sich hier des Mediums des Scheins, mit dem raffinierte Politiker vertraut sind und das, anders als die Äußerlichkeit der Bildsäulen, von größerer Effizienz ist, weil Menschen sich so als selber tätig ver-

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Anmerkungen des Herausgebers

stehen können. Spinozas politischer Antiplatonismus enthält hier von Platon bekämpfte sophistische Elemente. 217,11 Gleichheit, die hier als Bedingung gemeinsamer Freiheit auftritt, ist ein Element, das der Staat zu respektieren hat, nicht aber selbst zustande bringt. Was von ihm ausgehen kann, ist die Hervorrufung von Ungleichheit durch Belohnungen. 217,22 Kernsatz der Politik-Theorie Spinozas, der hier eher beiläufig erwähnt wird. 217,34 Es ist nicht klar, was Spinoza mit dem »unabwendbaren Geschick« meint, auf jeden Fall ein äußeres Ereignis im Gegensatz zu den internen Grundlagen des Staates. Es könnten Naturkatastrophen sein, vielleicht auch die Unterwerfung durch übermächtige fremde Staaten, der sich zu erwehren ein Staat faktisch zu schwach ist. Die strikte Behauptung der Unmöglichkeit des Zerfalls der beschriebenen Aristokratie aus internen Ursachen ist aber illusionär. Spätestens das DemokratieKapitel macht deutlich, daß die Integration der menschlichen Affektivität, der natürlich auch die Patrizier unterworfen sind, in die beschriebenen Mechanismen eine bloß theoretische Konstruktion ist (XI, 2), die die Praxis nicht erfaßt, weil sie sich auf das Selbstverständnis, von dem Individuen sich tatsächlich leiten lassen, nicht hinreichend einläßt. Vgl. zu diesem Punkt meine Kritik an Matheron in meiner Rezension von E. Giancotti (Hg.), Proceedings of the First Italian International Congress on Spinoza (Studia Spinozana 4, 1988, S. 444 f.). Die Kontrolle der in Form einer Panik auftretenden Affektivität im folgenden trifft das Problem nicht in angemessener Weise. 219,12 Spinoza denkt offenbar an die Panik, die zur Ermordung der Brüder de Witt geführt hat. 223,6 Es ist ein dem Willen des aristokratischen Gremiums noch vorgelagertes Gesetz, das seinerseits willkürlich sein kann (Bindung an Erstgeburt, Alter oder Vermögen), das, einmal erlassen, den davon betroffenen Personen aber einen Anspruch verleiht, der unabhängig von der Zustimmung einer politischen Institution ist. 223,29 Spinoza will die beste Form von Demokratie untersuchen, bei der das die politische Mündigkeit bestimmende Gesetz nur unter solchen Einschränkungen steht, von denen Spinoza meint, daß sie sich rational begründen lassen. 225,16 Spinoza folgt hier, wie in so vielen, van Hove, der sich ebenfalls gleich zu Beginn seiner Erörterung der Demokratie (Polityke Weegschaal, S. 433 f.) zum Status der Frauen äußert. Doch schiebt er am Ende eine vermeintlich rationale Begründung aus der Natur der menschlichen Affekte nach.

S AC H R E GI S T E R

Abstimmung; Stimme (suffragium) 85, 89, 99 f., 105 f., 113, 141, 147, 155, 161 f., 169 f., 175, 179, 183 f., 199 f., 211, 221 Achtung; Respekt (reverentia) 57 f., 181 Adel (nobiles) 77, 81, 91, 115, 125 Affekt (affectus) 7 ff., 19, 25, 35, 39, 53, 63, 69 f., 95, 105, 141, 203, 213, 217 f., 223, 227 Allianz; Bündnis (foedus) 49 f., 119, 193 Anordnungen (mandata) 37 ff., 95 Aristokratie (aristocratia) 29, 35, 73, 135–223 Aufruhr; Empörung (seditio) 63 f., 69 f., 99, 107 f., 143 f., 211 Ausländer (peregrinus) 89 ff., 119 f., 145 ff., 153, 177, 223 Beamte; Staatsdiener (ministri) 55, 83, 95, 153 ff., 179, 183 f., 195 ff., 207 Begierde (cupiditas) 17 f., 33, 137, 203, 213, 219 Beschluß (decretum) 31, 37 f., 59, 65, 81, 95, 165, 171 f., 195 f. Bürger (civis) 35 ff., 55, 61, 69, 73 ff., 83, 89 ff., 97, 101, 107–127, 137, 153, 169, 183, 193, 205, 221 f.

Demokratie (democratia) 29, 35, 71, 101, 135, 149 f., 221 ff. Diktator (dictator) 207 ff. Ding, natürliches (res naturalis) 15, 55 f. Ehrenstelle (honor) 103, 109, 125, 137, 145, 149, 189, 209, 215 Ehrgeiz (ambitio) 71 Eintracht (concordia) 45, 63 f., 69 f., 103, 225 Empörung; Entrüstung (indignatio) 45, 59, 61, 97, 217 erblich (haeriditarius) 77, 93, 121 f., 135, 151, 221 Erfahrung (experientia) 7 f., 19, 71, 79, 129, 223 f. »Ethik« 11, 13, 35, 103 ewig (aeternus) 15, 23, 29, 33 Familienverband (familia) 75–89, 105, 109, 113 f., 143, 149 ff., 177 f. Feind (hostis) 27, 43, 49, 59 f., 73, 89 f., 111, 127, 149, 219 Frauen (foeminae) 73, 225 f. Freiheit (libertas) 13, 21, 25, 31, 59, 65 f., 97, 111 ff., 125 ff., 137, 141 f., 163, 169, 185 ff., 203 f., 215 f. Frieden (pax) 29, 39, 49 f., 55, 63 f., 71 ff., 77, 83, 89 f., 97 ff., 115 f., 127, 143, 165 ff., 213, 227 Furcht (metus) 7, 23, 27, 37 ff., 45, 49, 57 ff., 65, 69, 105 ff., 117, 141, 155, 177, 181, 209, 213 ff.

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Sachregister

Gehorsam (oboedientia; obsequium) 31 f., 45, 65, 95 Geist (mens) 11, 17 ff., 23 ff., 31, 45 f., 65, 81, 97, 101, 155 »von gleichsam einem Geist« (una veluti mente) 27, 31, 35, 39 f., 53, 69, 81, 141 Gemeinwesen (civitas) 35–51, 55–65, 61–65, 69–93, 109– 127, 137, 181 Gerechtigkeit (justitia) 13, 33 f., 39, 95, 129, 181 Gerichtshof (forum) 175, 193, 197 f. Gesandte (legati) 81, 91, 165, 195 Gesetz (lex) 17–23, 35, 41, 51, 53–61, 63 f., 97, 101 f., 123, 145, 151 ff., 161, 167, 177, 193 f., 213, 219, 223 f. Gesinnung; Charakter (animus) 13, 33, 65, 71, 107, 145, 181, 225 Gewalt (potestas) 17 ff., 25, 33, 37, 57, 71, 95, 101, 109, 115, 127, 153, 209, 225 Gewalttätigkeit (vis) 23, 27, 131 Gleichheit (aequalitas) 83, 115, 133, 143, 147 f., 155, 193, 217, 227 Gott [ontologisch] (Deus) 15, 21, 29, 43 Gott [religiös] (Deus) 19, 33, 45 f., 95, 123, 189 Grund und Boden (solum) 77, 115, 147 Habgier (avaritia) 71, 113, 117, 181, 215 Haß (odium) 11, 23 f., 43, 87, 181

Hauptstadt (caput) 137, 143, 189 ff. Herrschaft (imperium) 31, 45, 99, 107, 111, 127, 205 höchste Gewalt (summa potestas) 9, 35, 41, 45 f., 53 f., 73, 101, 121, 137, 143, 205 Hoffnung (spes) 23, 37, 49, 65, 69, 103 f., 145, 167, 215 immerwährend (aeternus) 123, 139, 161, 209, 217, 221 Konsul (consul) 171 ff., 185, 195, 201 König (rex) 71–133, 139, 169, 185 Körper (corpus) 19, 23 f., 31, 35, 39, 55, 81, 155, 203 f. Kraft (vis) 17, 25, 69, 115, 121 Krieg (bellum) 29, 49 f., 55, 63 f., 71 ff., 89, 101 f., 107, 115 ff., 127, 145 f., 165 ff., 195 Leben (vita) 19, 27, 31, 39, 63 ff., 69, 105, 223 Liebe (amor) 11, 33, 37, 41 ff., 73, 103, 215, 227 Loyalität; Redlichkeit; Treue (fides) 13, 51 f., 69 f., 107, 111 f., 131, 219 Macht (potentia) 15 f., 21, 25 ff., 35 f., 41 ff., 53 ff., 61, 71, 107, 111 f., 121 f., 135, 139, 143 f., 149, 155, 179, 185, 193, 211, 225 Menge (multitudo) 29 f., 35, 41, 45, 61, 65 f., 71, 75, 97 f., 105 f., 121 f., 135–143, 149 f., 157, 179 f., 191, 205 Miliz (militia) 75, 89, 103, 107, 113, 117, 143 ff., 197, 211 Monarchie (monarchia) 29, 35, 73–133, 137 f., 143 f., 155, 169, 177, 185, 209

Sachregister

Natur (natura) 15 ff., 29, 33, 57 Natur, menschliche (natura humana; natura hominis) 7 f., 13, 17 ff., 43, 53, 57 ff., 69, 99 Naturzustand (status naturalis) 27 f., 33–41, 45 ff., 59 f., 63, 115 f. Neid (invidia) 11, 25, 71, 105, 109, 149, 185, 203 Notwendigkeit (necessitas) 21 f., 25, 29, 53, 69 Oberste Versammlung (supremum concilium) 147–179, 191, 195, 199 ff., 205, 211, 221 f. Patrizier (patricii) 135–189, 193–203, 211, 215, 223 Präsident (praeses) 155, 163, 171 f., 197 Praxis (praxis) 7 f., 73, 93, 141, 223 privat (privatus) 9, 13, 47, 61, 99, 115, 149, 153, 157, 177, 189, 193 Provinz (provincia) 133, 137, 183 f., 201 Rat; Ratgeber (consiliarius) 71, 75 ff., 85, 97 ff., 107 f., 113, 117, 139, 185 Ratsversammlung (concilium) 79–87, 93, 99–111 Recht, eigenes (sui juris esse) 23 ff., 39 ff., 47 ff., 57 ff., 73, 107, 143, 191 ff., 223 f. Recht des Krieges (jus belli) 59 f., 65 f., 91, 201 Recht, natürliches (jus naturalis; jus naturae) 13 ff., 21, 25 ff., 33 f., 47 f., 59, 121 Recht, staatliches (jus civile) 35, 59 f., 121, 131

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Rechtsgesetze (jura) 9, 27 ff., 39 ff., 55, 59, 63, 79, 93, 95 f., 145, 155 ff., 165, 177, 195, 199, 217 f. Rechtskundiger (jurisperitus) 77 ff., 85 f., 109 Regierungsgewalt; Souveränität (imperium) 29, 37, 55 ff., 97, 135 ff., 147 ff., 205 Reiche; Reichtum (dives; divitiae) 73, 111, 169, 213 f., 223 Religion (religio) 9 f., 33, 43 ff., 51, 93, 123, 187 Richter (judex) 25, 37 f., 87, 95, 115 f., 129, 177 ff., 197 ff. Ruhmsucht (gloria) 11, 103 f., 185, 209, 215 Sekretär (qui a secretis est) 163, 183 f. Sektion (membrum; ordo) 77, 171 f., 195 f. Senat; Senator (senatus; senator) 157–187, 195–203, 207 ff. Sicherheit (securitas) 9, 13, 27, 37, 63, 75, 97, 109 ff., 133, 157, 197 Sinnesart, eigene (suum ingenium; ipsius ingenium) 11, 23, 29, 37 f., 65, 215 Sklaverei; Knechtschaft; Sklave (servitium; servus) 31, 65 f., 71, 97, 107, 113, 125, 129, 133, 141, 213, 217 Sold; Gehalt (stipendium) 57, 89, 103, 117, 147, 157 Soldaten; Truppen (milites) 55, 107 f., 119, 127, 145 f., 157, 197 Staat (imperium) 13, 17, 29 ff., 39, 43, 47, 53 f., 63 ff., 69, 73, 79 ff., 89 ff., 95 f., 101, 121,

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Sachregister

127 f., 135, 147 f., 155, 159 f., 169, 179, 183, 189 ff., 199 f., 207 ff., 221 ff. Staatsgeschäfte (respublica) 29, 35, 47, 55, 63, 81, 127, 149, 173 staatlicher Zustand (status civilis) 13, 35 ff., 45, 59, 63, 69, 107, 117, 123 Stadt (urbs) 29, 55, 75 f., 83 f., 89 ff., 101, 111, 143, 147, 165, 177, 183, 189, 189–205, 221 Steuern; Abgaben (vectigalia; exactiones; tributa) 77, 91, 165 ff., 193, 197 Strafe (supplicium) 155, 161, 209 Syndici (syndici) 157–187, 199, 211 f. »Theologisch-Politischer Traktat« 13, 123, 187 Tod (mors) 43, 67, 89, 121 f., 161, 219 Trieb (appetitus) 17, 23, 31 Tugend; Tüchtigkeit (virtus) 13, 21, 35, 65, 73, 101, 107, 117,

125, 137, 165, 207 f., 213, 217 f. Tyrann (tyrannus) 67, 119, 127, 145 Untertan (subditus) 35 f., 41, 45 f., 53 f., 59, 63 f., 73, 81, 97, 111, 131, 137, 145 f., 165, 169, 187, 197, 205, 215 Urteilsfähigkeit (judicandi facultas) 23, 37, 43 Vergütung; Einkünfte (emolumenta) 89, 157 f., 179 f., 199 Vernunft (ratio) 9, 13, 17 ff., 25, 29 ff., 39 f., 45, 51 f., 57, 61, 65, 69, 95, 123, 141 f., 217 Vertrag (contractus) 61 Waffen (arma) 23, 65, 75, 91, 97, 105, 113 Wille (voluntas) 19 f., 25, 31, 35, 39, 49 f., 65, 95, 121 f., 139 ff., 221 f. Wohl (salus) 13, 51, 53, 61, 67 f., 73 f., 97 ff., 107, 155, 163, 185, 209, 223 Zweck (finis) 63 ff.