Politische Romantik [5. ed.] 9783428484287, 3428084284


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German Pages 174 [175] Year 1998

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Table of contents :
Inhaltsübersicht
Einleitung
I. Die äußere Situation
II. Die Struktur des romantischen Geistes
1. La recherche de la réalité
2. Die occasionalistische Struktur der Romantik
III . Politische Romantik
Schluß
Namenverzeichnis
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Politische Romantik [5. ed.]
 9783428484287, 3428084284

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CARL SCHMITT Politische Romantik

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CARL SCHMITT

Politische Romantik

Sechste Auflage

Duncker & Humblot · Berlin https://doi.org/10.3790/978-3-428-48428-7 Generated for Universitaet Leipzig, Universitaetsbibliothek at 139.18.244.59 on 2021-03-23, 10:34:20 UTC FOR PRIVATE USE ONLY | AUSSCHLIESSLICH ZUM PRIVATEN GEBRAUCH

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schmitt, Carl: Politische Romantik / Carl Schmitt. - 6. Aufl. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 I S B N 3-428-08428-4

Erste Auflage 1919 Zweite Auflage 1925 D r i t t e Auflage 1968 Vierte Auflage 1982 Fünfte Auflage 1991

Alle Rechte vorbehalten © 1998 Duncker & H u m b l o t G m b H , Berlin Neusatz auf Basis der 1925 erschienenen zweiten Auflage Druck: Berliner Buchdruckerei U n i o n G m b H , Berlin Printed in Germany I S B N 3-428-08428-4

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Vorwort Den Deutschen fehlt die Leichtigkeit, die aus einem Wort eine handliche, einfache Bezeichnung macht, wegen der man sich ohne große U m stände einigt. Zwar w i r d bei uns ein Ausdruck schnell banal, aber nicht leicht in einem praktischen und verständigen Sinne konventionell. Was über den Tag hinaus als sachliche Benennung bleibt und deshalb eine gründlichere Bestimmung verlangt, schleppt sich in Vieldeutigkeiten und Wortstreitigkeiten fort, und wer in dem Wirrwarr eine sachliche Klarlegung sucht, bemerkt bald, daß er in ein ewiges Gespräch und ein aussichtsloses Gerede verwickelt ist. Das Thema Romantik legt solche Reflexionen nicht nur für uns Deutsche nahe; in der französischen, englischen und italienischen Diskussion ist die Verwirrung nicht geringer. Trotzdem fühlt man auch hier die terminologische Leichtigkeit der französischen Sprache und könnte versucht sein, sie nachzuahmen. Wäre es nicht einfach, etwa zu sagen: Romantik ist alles, was sich psychologisch oder gedanklich auf den Glauben an die „bonté naturelle" zurückführen läßt, also den Satz, daß der Mensch von Natur gut ist? Diese von Franzosen aufgestellte und ihnen anscheinend besonders einleuchtende Definition, die Seillière in vielen Büchern über Mystik und Romantik ausgeführt und belegt hat, gibt wirklich für zahlreiche romantische Phänomene ein treffendes Kriterium und läßt sich auch auf kleine alltägliche Stimmungen und Vorgänge schön anwenden. Denken w i r uns einen Menschen, der durch die Straßen einer Stadt oder über einen Markt geht und die verkaufenden Bäuerinnen und die kaufenden Hausfrauen betrachtet, tief gerührt von dem Bemühn der Menschen, sich gegenseitig schöne Früchte und gute Nahrung anzubieten, entzückt von den reizenden Kindern und den sorgsamen Müttern, den muntern Knaben, den biederen Männern und den verehrungswürdigen Greisen. Das wäre ein Romantiker. Rousseau, wenn er den Naturzustand ausmalt, oder Novalis, mit seiner Schilderung des Mittelalters, unterscheiden sich von ihm vielleicht durch ihre literarischen Qualitäten, nicht aber in der Sache und in der Psychologie. Denn welche Situation und welches Thema gewählt wird, u m ein romantisches Märchen daraus zu machen, ist an sich gleichgültig. So kommt eine Reihe bekannter Figuren zusammen, die als besonders romantisch gelten: der harmlos kindliche Naturmensch, der

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Vorwort

bort sauvage , der ritterliche Feudalherr, der treuherzige Bauersmann, der edle Räuberhauptmann, der Wanderbursch und all die braven Taugenichtse der deutschen Romantik, der gute russische Mushik. Jeder von ihnen entstand aus dem Glauben an eine irgendwo gefundene, natürliche Güte des Menschen. Eine solche Definition - aus dem Satz von der natürlichen Güte des Menschen - ist für das deutsche Empfinden zu sehr moralisch am Menschen und zu wenig an der Geschichte und erst recht nicht am Kosmos orientiert. Sie ist sicher nicht das letzte Wort über die Romantik und reicht keineswegs aus. Man braucht sie deshalb nicht zu verachten und sollte wenigstens anerkennen, daß sie sich nicht mit den oberflächlichen, allgemeinen Charakterisierungen begnügt, unter denen die Behandlung des romantischen Problems leidet. Romantik etwas Schwärmerisches, Sehnsüchtiges, Träumerisches und Poetisches, Heimweh, Fernweh oder dergleichen zu nennen, wäre vielleicht selbst wieder Romantik, aber doch w o h l kein Begriff von ihr. Geradezu absurd ist es - obwohl sich auch dafür Beispiele finden - , eine Reihe von Gegenständen zusammenzustellen, die man als romantisch bezeichnet, und eine Liste „romantischer" O b jekte zu machen, u m daraus womöglich das Wesen des Romantischen abzuleiten. Das Mittelalter ist romantisch, ebenso eine Ruine, der Mondschein, das Posthorn, der Wasserfall, die Mühle am Bach und vieles andere, das, vollständig aufgezählt und mit der eben erwähnten Liste romantischer Figuren kombiniert, einen sehr komischen Katalog ergäbe. Schon die H i l f losigkeit derartiger Versuche sollte das richtige Verfahren zeigen: daß die Definition des Romantischen nicht von irgendeinem als romantisch empfundenen Gegenstand oder Thema ausgehen darf, vom Mittelalter oder der Ruine, sondern vom romantischen Subjekt. Immer w i r d man auf eine bestimmte A r t Menschen treffen, und das versteht sich i m Geistigen von selbst. A u f das eigentümliche Verhalten des Romantikers ist zu achten und von der spezifisch romantischen Beziehung zur Welt auszugehen, nicht von dem Ergebnis dieses Verhaltens und von all den Dingen und Zuständen, die sich i n bunter Menge als Folge oder Symptom einstellen. Der Satz von der natürlichen Güte des Menschen gibt wenigstens eine Antwort. Er sucht das romantische Verhalten dadurch zu begreifen, daß er es auf eine dogmatische Formel bringt, wodurch jedenfalls eine nähere Bestimmung gegeben wird, weil jede Äußerung i m Geistigen, bewußt oder unbewußt, ein - rechtgläubiges oder häretisches - Dogma zur Prämisse hat. Gerade die Lehre von der natürlichen Güte des Menschen hat sich als ein geeignetes Kriterium für zahlreiche Bewegungen erwiesen, namentlich wenn sie sich, wie ihr das naheliegt, mit der Leugnung der Erbsünde verbindet. N i c h t nur i n sogenannten „Rousseauschen" Tendenzen,

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Vorwort

bei sentimentalen Anarchisten und humanitären Betbrüdern, auch i n starken radikalen Strömungen läßt sich eine solche dogmatische Haltung als letzte Triebfeder erkennen. Das Leben vieler Sekten, für die Ernst Troeltsch (in seinen „Soziallehren der christlichen Kirchen") die Formel vom „absoluten Naturrecht" gefunden hat, entspringt einem Fanatismus, dessen anarchische Kraft in der Leugnung der Erbsünde liegt. Ich würde die Erklärung aus dem Satz von der natürlichen Güte des Menschen auch für besser und richtiger halten als die Charakterisierungen der Romantik nach nationalen Prädikaten, wie die Gleichsetzung des Romantischen mit dem Deutschen, dem Nordischen oder dem Germanischen. Aus sehr verschiedenen Motiven hat man solche Definitionen der Romantik aufgestellt. Unter dem Gesichtspunkt, daß das Romantische auf einer Mischung beruhe, wurde die Romantik als Folge einer Verschmelzung romanischer und germanischer Völker betrachtet und insbesondere in dem sogenannten romantischen Mittelalter eine derartige Mischung entdeckt. Dann identifizierten Deutsche das Romantische mit der eigenen Nation, u m beides zu glorifizieren; Franzosen lehnten die Romantik als deutsch ab und schoben sie dem nationalen Gegner zu. Aus Patriotismus kann man die Romantik verherrlichen und verfluchen. Aber eine große, durch die europäischen Nationen hindurchgehende Strömung des 19. Jahrhunderts läßt sich nicht dadurch schulmeistern, daß die übrige Welt entweder als „candidat à la civilisation française" oder als Anwärter deutscher Kultur behandelt w i r d und daß die Romantik, außer den Prädikaten schwärmerisch und sehnsüchtig, auch noch das Prädikat deutsch oder germanisch erhält. A m schlimmsten ist es, wenn solche Prädikate einem pädagogischen Zwecke dienen sollen und die Romantik auf der einen Seite als neues Leben und wahre Poesie erscheint, als das Lebensvolle und Kräftige im Gegensatz zum erstarrten Alten, auf der andern dagegen als wüster Ausbruch krankhafter Sensibilität und barbarischer Unfähigkeit zur Form. Den einen ist die Romantik das Jugendliche und Gesunde, die andern zitieren den Ausspruch Goethes, wonach das Klassische das Gesunde und das Romantische das Kranke ist. Es gibt eine Romantik der Energie und eine der Dekadenz, Romantik als unmittelbar aktuelles Leben und Romantik als Flucht in Vergangenheit und Tradition. Die Erkenntnis dessen, was dem Romantischen wesentlich ist, darf nicht mit solchen positiven oder negativen, hygienisch-moralisierenden oder polemisch-politischen Bewertungen anfangen. Sie mag als Nutzanwendung dahin führen; solange aber noch keine klare Erkenntnis gewonnen ist, bleibt es i m Grunde willkürlich, wie man hier die Prädikate mischt und verteilt und was man sich aus der sehr komplexen Bewegung als das eigentlich „Romantische" aussucht, u m es zu preisen oder zu verdammen. So genommen

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Vorwort

wäre es immer noch das Bequemste, Stendhal zu folgen und einfach zu sagen: das Romantische ist das Interessante, und das Klassische ist das Langweilige, oder natürlich umgekehrt; denn dieses ermüdende Spiel von Lob und Tadel, Enthusiasmus und Polemik dreht sich um einen dürren Stock mit zwei Enden, der sich von jeder Seite anfassen läßt. Jene Definition aus dem Satz von der natürlichen Güte des Menschen ist i m Vergleich hierzu eine verdienstliche und wertvolle Leistung. Aber sie ist doch noch keine geschichtliche Erkenntnis. Ihr Mangel liegt darin, daß sie in dogmatisch-moralischer Abstraktion die geschichtliche Besonderheit der Bewegung verkennt und diese mit zahlreichen andern geschichtlichen Vorgängen auf ein und denselben allgemeinen Satz reduziert. Das führt zu einer ungerechten Ablehnung sympathischer und wertvoller Erscheinungen und Leistungen. Harmlose Romantiker werden dadurch dämonisiert und mit wütenden Sektierern in eine Linie gestellt. Man muß jede geistige Bewegung metaphysisch und moralisch ernst nehmen, aber nicht als Exempel für einen abstrakten Satz, sondern als konkrete geschichtliche Wirklichkeit i m Zusammenhang eines geschichtlichen Prozesses. N u n w i r d niemand von einer geschichtlichen Beschreibung, der es nur auf die Wiedergabe tatsächlicher Vorgänge ankommt, volle systematische Bewußtheit ihres Sprachgebrauchs verlangen, sofern sie nur allgemein verständlich und ohne Selbstwidersprüche bleibt. Anders wenn eine geistige Bewegung in ihrem Zentrum klar erkannt werden soll. Für eine geschichtliche Betrachtung, die von solchen Interessen ausgeht, wäre es an sich ein durchaus richtiges Verfahren, den Gegensatz der romantischen Bewegung zur Aufklärung und zum Klassizismus als Ausgangspunkt zu nehmen. Aber es führt zu einer großen Verwirrung, wenn Kunst-, Literarund Kulturhistoriker diesen Gegensatz als das erschöpfende Wesensmerkmal behandeln und nun, immer die Romantik i m Auge behaltend, nicht wie die abstrakten Beurteiler, viele geschichtliche Erscheinungen auf einen allgemeinen Satz zurückführen, sondern umgekehrt zahlreiche Bewegungen auf die Romantik beziehen und infolgedessen überall in der Weltgeschichte Romantik entdecken. Religiöse, mystische und irrationale Tendenzen aller A r t , Plotins Mystik, die Franziskanische Bewegung, der deutsche Pietismus, Sturm und Drang werden auf solche Weise „romantisch". Es ist ein etwas seltsames Argument, mit dessen Hilfe hier ein großes geschichtliches und ästhetisches Material unter einfachen Antithesen: Romantik oder Klassik, Romantik oder Rationalismus, gruppiert wird. Romantik ist der Gegensatz von Klassik; also wäre Romantik alles, was nicht Klassik ist, wobei Klassik wiederum ein sehr verschiedenartiges Kompositum bedeutet; bald die heidnische Antike, durch welchen Gegensatz dann das christliche Mittelalter zur eigentlichen Romantik und Dante

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Vorwort

zum eigentlich romantischen Dichter würde; bald versteht man unter Klassik die französische Kunst des 17. Jahrhunderts, von der aus gesehen die deutschen Klassiker schon Romantiker sind, denn in Deutschland entwickelt sich eine klassische Literatur aus einer vieldeutigen, sogar von Rousseau beeinflußten, kosmopolitischen Strömung; und in Rußland, w o es überhaupt keine „Klassiker" gab, ist Klassik infolgedessen etwas ganz Fremdes, Westeuropäisches. Oder: Romantik ist der Gegensatz zu Rationalismus und Aufklärung; demnach wäre alles Romantik, was nicht Rationalismus oder Aufklärung ist. Solche negativen Gemeinsamkeiten führen zu unerwarteten und sinnlosen Verbindungen. Die katholische Kirche ist auch nicht Rationalismus und besonders nicht Rationalismus des 18. Jahrhunderts, und so kommt einer dazu, diesen Wunderbau christlicher Ordnung und Disziplin, dogmatischer Klarheit und präziser Moral ebenfalls für romantisch zu erklären und i m romantischen Pantheon neben allen möglichen Genies, Sekten und Bewegungen auch noch das Bild des Katholizismus aufzustellen. Dahin führt die kuriose Logik, die durch eine Ubereinstimmung i m Negativen definiert und i m Nebel solcher negativen Ähnlichkeiten immer neue Verbindungen und Mischungen bewerkstelligt. Die Romantik trat auf als eine jugendliche Bewegung gegen das damals vorhandene Alte, gegen Rationalismus und Aufklärung; die Renaissance war auch eine Bewegung gegen das, was zu ihrer Zeit alt und überlebt schien, ebenso Sturm und Drang und das junge Deutschland der dreißiger Jahre; fast alle dreißig Jahre entstehen solche Bewegungen; überall in der Geschichte gibt es „Bewegung"; also Romantik, wohin man schaut. Aber schließlich ist alles mit allem irgendwie ähnlich, und es kommt doch nicht darauf an, einen unklaren historischen Komplex durch immer neue Ä h n lichkeiten noch unklarer zu machen. Ich halte dieses Verfahren zum großen Teil für eine Folge der Romantik selbst, die ebenfalls geschichtliche Vorgänge zum Anlaß einer eigenartigen literarischen Produktivität nahm, statt sie sachlich zu erkennen, die aber dann auch selber wieder in solcher Weise romantisiert wurde, so daß eine Subromantik entstand. Auch w o man es nicht erwarten sollte, begegnet man solchem Verfahren. N u r ein flagrantes Beispiel: Giovanni Papini, der die Romantik als Individualismus erkennt, w o r i n er durchaus recht hat, als eine aus dem „spirito di rebellione" entstandene Erhebung des Ich, fängt trotzdem seine Beschreibung des „Romantizismus" mit dem Satze an: Es ist etwas Unbestimmtes in diesem Wort, aber, „ w o es sich u m große Phänomene handelt, u m ungeheure Bewegungen, ist nichts präziser als ein unbestimmtes W o r t " 1 . Wenn ein Gegner subjektivistischer Willkür und 1

I i creposcolo dei Filosofi, p. 56.

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Vorwort

Formlosigkeit und ein Feind der Romantik so spricht, wessen darf man sich dann von ihren Freunden versehen? Der Unvollkommenheit menschlicher Sprache und menschlichen Denkens sind w i r uns alle bewußt: aber so töricht und anmaßend es wäre, das Unnennbare benennen zu wollen, so sicher muß das Zentrum einer geistigen Bewegung klar vor Augen stehen und bestimmt sein, wenn man darüber urteilen und sich entscheiden soll. Darauf verzichten hieße wirklich „die Humanität mit Füßen treten". Es ist eben die Aufgabe, Klarheit zu gewinnen, sei es auch nur die Klarheit darüber, warum eine Bewegung objektiv unklar erscheint und aus der U n klarheit ein Prinzip zu machen sucht. Daß die Romantik vielleicht den Anspruch erhebt, unfaßbar und mehr zu sein, als Menschenworte anzudeuten vermögen, gehört auch zu ihr und braucht einen nicht zu beirren. Denn meistens ist die logische Taktik ihres Anspruchs allzu armselig. Es ist nämlich nur darauf zu achten, wie der Romantiker alles durch sich zu definieren sucht und jede Definition seiner selbst durch anderes vermeidet. Es ist romantisch, sich mit allem zu identifizieren, doch niemandem zu erlauben, sich mit dem Romantischen zu identifizieren. Es ist romantisch, zu sagen: die neuplatonische Bewegung ist Romantik, der Occasionalismus ist Romantik, mystische, pietistische, spiritualistische und irrationale Bewegungen aller A r t sind Romantik, nur nicht umgekehrt, etwa, wie das hier vorgeschlagen wird, Romantik ist eine Form des Occasionalismus; denn damit wäre die Romantik selbst in ihrer zentralen Undefinierbarkeit berührt. Grammatisch-logisch gesprochen: diese A r t Literatur macht die Romantik immer nur zum Prädikat, niemals zum Subjekt eines definierenden Satzes. Das ist der einfache Handgriff, mit dem sie ihr geistesgeschichtliches Labyrinth ins Dasein zaubert. Dabei verschwendet sie einen oft erstaunlichen Reichtum differenzierten Geschmacks und subtiler Analyse. N u r bleibt das alles i m Bereich eines bloß ästhetischen Feingefühls und dringt niemals zu einem Begriffe vor. Die K r i t i k gewinnt erst dann eine bedeutendere Tiefe, wenn die Romantik geschichtlich einer großen historischen Konstruktion der letzten Jahrhunderte eingefügt wird. Insbesondere gegenrevolutionäre Schriftsteller haben das in oft sehr interessanter Weise versucht. Sie sahen in der Romantik die Konsequenz jener Auflösung, die mit der Reformation beginnt, i m 18. Jahrhundert zur Französischen Revolution führt und sich i m 19. Jahrhundert in Romantik und Anarchie vollendet. So entsteht das „Monstrum mit den drei Köpfen": Reformation, Revolution und Romantik. Die Verbindung der beiden ersten, Reformation und Revolution, ist bekannt und zieht sich durch das ganze gegenrevolutionäre Denken des europäischen Kontinents, nicht nur in Frankreich bei den eigentlichen Staatsphilosophen der Restauration, Bonald und Maistre, auch in

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Vorwort

Deutschland, w o F. J. Stahl noch 1853 Vorträge hielt, u m zu beweisen, daß wenigstens Luther und Calvin (die Puritaner sind ihm schon zweifelhaft) keine Revolutionsdoktrin aufgestellt hätten. Die Romantik kommt schon während der Restaurationszeit in diese Reihe von Reformation und Revolution. Damals war die enge Verbindung politisch-sozialer und literarischkünstlerischer Bewegungen allen guten Denkern, Liberalen wie Gegenrevolutionären, w o h l bewußt. Auch Donoso Cortés spricht in seinem Aufsatz über Klassizismus und Romantizismus 2 i n ganz axiomatischen Sätzen darüber, nennt die Literatur einen Reflex der ganzen Gesellschaft (la literatura es el reflejo de la sociedad entera) und weiß, daß die Kunst nicht dieselbe bleiben kann, wenn die sozialen Institutionen und Empfindungen sich ändern und durch eine Revolution beseitigt werden. Die Frage ist für ihn niemals eine bloß literarische, sondern immer auch eine philosophische, politische und soziale zu gleicher Zeit. Denn die Kunst ist das notwendige Resultat des sozialen, politischen und religiösen Zustandes der Völker, el resultado necesario del estado social, politico y religioso de los pueblos. Für ihn ist die Romantik, wie es sich damals in Frankreich, Italien und Spanien von selbst verstand, eine revolutionäre Bewegung gegen die überlieferten Formen und die bestehenden sozialen Zustände. Sie wurde daher von den Gegnern der Revolution als Anarchie verurteilt und von ihren Bewunderern als Kraft und Energie gepriesen. So entstand die Reihe: Reformation, Revolution und Romantik. Französische Roy allsten haben diese Auffassung in immer schärferen Formulierungen bis zur Gegenwart geführt und finden täglich neue Argumente für ihre These. Es ist ein beachtenswertes Symptom, daß sie neuerdings auch in Italien vordringt, w o sie in Papini einen lebhaften Vorkämpfer hat und ihr ein so bedeutender Kritiker wie Borgese weit entgegenkommt 3 . Die Auffassung ist i m Kern politisch. Sie erklärt nicht die merkwürdigen charakteristischen Widersprüche, welche die romantische Bewegung gerade auf politischem Gebiete zeigt, sondern behandelt sie summarisch als Rebellion und Anarchie. Aber wie kommt es, daß man in Deutschland, England und in andern Ländern doch auch wieder den Eindruck haben kann, als wäre die Romantik ein natürlicher Bundesgenosse konservativer Ideen? Politische Romantik verbindet sich in Deutschland mit der Restauration, mit Feudalität und ständischen Idealen gegen die Revolution. I n der englischen Romantik treten politische Konservative, Wordsworth und

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El clasicismo y el romanticismo, Obras I I , p. 5 - 41 (zuerst 1838 erschienen i m Correo Nacional). 3

G. A. Borgese, Storia della critica romantica in Italia, Milano, 1924, p. 193 seqq.

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Vorwort

Walter Scott, neben die Revolutionäre Byron und Shelley. Sehr beliebte romantische Objekte, Mittelalter, Rittertum, feudale Aristokratie und alte Burgen, deuten eher auf einen Gegensatz zu Reformation und Revolution. Politische Romantik erscheint als „Flucht in die Vergangenheit", Verherrlichung alter, weit zurückliegender Zustände und Rückkehr zur Tradition. Das führt wiederum zu einer andern Verallgemeinerung: wer nicht bedingungslos die Gegenwart für besser, freiheitlicher und fortschrittlicher hält als frühere Zeiten, w i r d zum Romantiker gestempelt, weil dieser ein „laudator temporis acti" oder ein „prophète du passé" sein soll. Gerade jene französischen Royalisten wären dann ein Schulbeispiel politischer Romantik. Eine Übersicht der verschiedenen politisch-romantischen Möglichkeiten führt also wiederum zu einer sonderbaren Liste: Restaurationsund Revolutions-Romantik, romantische Konservative, romantische U l tramontane, romantische Sozialisten, Völkische und Kommunisten; Marie Antoinette, die Königin Luise von Preußen, Danton und Napoleon als romantische Figuren. Dazu kommt noch, daß die Romantisierung wieder nach entgegengesetzten Richtungen gehen und den gleichen Vorgang bald in den Tönen und Farben einer Verklärung, bald in einer düsteren Schrekkensstimmung behandeln kann. Der eine Romantiker macht das Mittelalter zum Paradies, der andere - Michelet - zum dumpfen Burggewölbe, w o es gespenstisch ächzt und stöhnt, bis die Französische Revolution als Morgenröte der Freiheit leuchtet. Es ist ebenso romantisch, einen Staat zu preisen, weil er eine schöne Königin hat, wie Revolutionshelden als „ k o lossalische Menschen" zu bewundern. I n derartigen politischen und sachlichen Widersprüchen kann trotzdem das Romantische als solches durchaus echt und immer dasselbe sein. Dies merkwürdige Phänomen ist mit romantischen Paraphrasen über die Widersprüche des konkreten Lebens nicht erklärt. Es bedarf einer aus dem Begriff der Romantik abzuleitenden Erklärung. Eine nur politisch interessierte Betrachtung w i r d deshalb die politische Romantik niemals richtig erfassen. Die Romantik ist nicht einfach eine politisch-revolutionäre Bewegung; sie ist ebensowenig konservativ oder reaktionär. Die politische Auffassung der Gegenrevolutionäre muß ins Polemische geraten und ganz willkürlich große Teile der Bewegung ignorieren oder aber harmlosen Äußerungen einen bösen und dämonischen Sinn geben. Dadurch leidet sie schließlich an demselben Mangel, der die Erklärung aus dem Satz von der natürlichen Güte des Menschen unzulänglich macht, und verfehlt den geschichtlichen Kern des Romantischen. Sie spricht nicht von der sozialen Eigenart der Menschen, welche die Träger der Bewegung waren. Darauf kommt es aber für die geschichtliche Betrachtung wesentlich an. Jede Bestimmung des Romantischen, die hier

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Vorwort

eine A n t w o r t gibt, ist wenigstens diskutabel, auch wenn ihre Richtigkeit und Vollständigkeit zweifelhaft sein können. Deshalb verdient die Ansicht Josef Nadlers besonders hervorgehoben zu werden, weil ihr eine echte Definition und nicht nur eine Charakterisierung oder Polemik zugrunde liegt. Nadler betrachtet die Romantik als eine völkische Wiedergeburt, eine Renaissance, gibt ihr aber eine differentia specifica und erhebt sie dadurch über die gewöhnlichen ästhetisierenden und psychologischen Parallelen, daß er sie als die Wiedergeburt einer geschichtlich und soziologisch bestimmten A r t Volk bezeichnet, nämlich eines neustämmigen Kolonialvolkes. Romantik ist für ihn die Krönung des ostdeutschen Siedlungswerkes, das Umschalten der einstmals slawischen Völker zwischen Elbe und Memel vom Osten zum Westen, eine Rückkehr zur altdeutschen Kultur in einem Raum, w o Deutsche und Slawen miteinander kämpften. A u f kolonialem Boden muß in der Tat eine andere Geistigkeit und eine andere A r t Renaissance entstehen als da, w o man zu einem überlieferten Bildungskomplex, zur klassischen Antike, zurückkehrt. Das koloniale Volk sucht den geschichtlichen und geistigen Anschluß an die eigene, ursprüngliche, nationale Vergangenheit. Es war ein ungewöhnliches Verdienst, die Besonderheiten der Kolonie und der neuen Stämme für die Literaturgeschichte gesehen und gezeigt zu haben. Wie auf jedem Boden, so entsteht auch hier eine durch Generationen hindurchgehende Eigenart, und was Nadler über die Romantik sagt, fügt sich in seine Literaturgeschichte der deutschen Stämme ein, dieses bedeutende Werk eines deutschen Literarhistorikers. Natürlich kann man das Wort Romantik auf die geschichtliche und geistige Eigenart von Kolonie und Siedlung beschränken. Aber es gibt eine durch Europa hindurchgehende romantische Bewegung, die von Nadler ignoriert werden muß, wenn er seiner Definition konsequent bleiben will. K. E. Lusser hat mit Recht darauf hingewiesen 4 . Es ist nicht möglich, aus einer umfassenden europäischen Strömung des 19. Jahrhunderts, die man vernünftigerweise, wie das immer üblich war, als Ganzes Romantik nennt, erst etwas speziell Deutsches und dann noch gar einen ostelbischen Vorgang zu machen, der mit märkischem Pietismus, schlesischer Mystik und ostpreußischer Spekulation gleichzusetzen wäre. Allerdings gingen in der großen Strömung neben mystischen, religiösen und irrationalen Tendenzen aller A r t auch solche spezifisch romantischen Elemente mit, deren Eigenart aus dem Berliner oder dem ostelbischen Milieu zu erklären ist. Sie sind sogar für die Gesamtbewegung ein bedeutender Anstoß geworden, jedoch nicht mehr als andere verwandte und trotzdem gar nicht ostelbische Vorgänge, wie die Bewegung der französischen Emi4

Hochland, Mai 1924, besonders S. 177; vgl. auch K. Murray , Taine und die englische Romantik, München und Leipzig (Duncker und Humblot) 1924, Einleitung.

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Vorwort

granten, deren auffälligster Vertreter Chateaubriand war. Kolonie und Emigrantentum haben manches gemeinsam, beide können eine besondere A r t Entfremdung und sogar Entwurzelung zeigen, die auch bei zahlreichen Romantikern zu bemerken ist. Aber das bleibt durchaus am Rande der Bewegung, und solche Inzitamente gingen nicht nur von Berlin, sondern zum Beispiel auch von jenen französischen Emigranten und von Irländern aus. Der eigentliche Träger der Bewegung läßt sich durch sie nicht bestimmen. Ganz anders als solche peripheren Vorgänge hat eine grundlegende Entwicklung die sozialen Zustände Europas geändert und hat eine breite Schicht die romantische Bewegung getragen. Der Träger der romantischen Bewegung ist das neue Bürgertum. Seine Epoche beginnt i m 18. Jahrhundert; es hat 1789 mit revolutionärer Gewalt über Monarchie, Adel und Kirche triumphiert; es stand i m Juni 1848 bereits wieder auf der andern Seite der Barrikade, als es sich gegen das revolutionäre Proletariat verteidigte. I m engsten Anschluß an die große soziologische und geschichtliche Arbeit seiner und der ihm vorangehenden Generation hat, soviel ich sehe, am bestimmtesten Hippolyte Taine eine klare geschichtliche A n t w o r t auf das romantische Problem gegeben. Für ihn ist die Romantik eine bürgerliche Bewegung, die sich i m 18. Jahrhundert gegen die herrschende aristokratische Bildung durchsetzt. Die Signatur der Zeit ist der „plébéien occupé à parvenir". M i t der Demokratie, mit dem neuen Geschmack des neuen bürgerlichen Publikums entsteht die neue romantische Kunst. Sie empfindet die überlieferten aristokratischen Formen und die klassische Rhetorik als künstliches Schema und geht in ihrem Bedürfnis nach dem Wahren und Natürlichen oft bis zur völligen Vernichtung jeder Form. Taine, der diese Auffassung in seiner Literaturgeschichte der englischen Romantik ausgesprochen hat, sah damals noch, u m 1860, in der Französischen Revolution den Beginn einer neuen, großen Epoche. Romantik bedeutete für ihn etwas Revolutionäres und infolgedessen einen Ausbruch neuen Lebens. Aber sein Urteil ist voller Widersprüche; bald ist die Romantik Kraft und Energie, bald Krankheit und Zerrissenheit und die „maladie du siècle". Die sehr verschiedenartigen Gesichtspunkte, die sich in seiner Darstellung der englischen Romantik kreuzen, sind von Kathleen Murray gut analysiert 5 . Doch w i r d Taine durch solche Widersprüche nicht widerlegt, und sein Werk behält einen ungewöhnlichen Wert. Denn er spricht von einer in sich selbst höchst widerspruchsvollen Sache, nämlich der liberalen, bürgerlichen Demokratie. Wenn er das Wort „Demokratie" gebraucht, so denkt er keineswegs an die Massendemokratien moderner, industrialisierter Großstaaten. Er meint die politische

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Taine und die englische Romantik, 1924, S. 35 f.

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Vorwort

Herrschaft des liberalen Mittelstandes, der „classes moyennes", bürgerlicher Bildung und bürgerlichen Besitzes. Während des 19. Jahrhunderts vollzog sich aber ununterbrochen und mit großer Schnelligkeit die Auflösung der alten Gesellschaft zur heutigen Massendemokratie, durch welche gerade jene Herrschaft des liberalen Bürgertums und seiner Bildung beseitigt wurde. Der liberale Bürger war niemals lange Revolutionär. Er stand i m 19. Jahrhundert, wenigstens in Zeiten der Krise, oft sehr unsicher zwischen der überlieferten Monarchie und dem sozialistischen Proletariat und ging in Bonapartismus und Bürgerkönigtum eigenartige Verbindungen ein. Deshalb muß auch Taines Urteil sich verwirren. Der Träger der neuen Kunst ist für ihn bald ein tüchtiger, kräftiger Mensch, dessen Intelligenz, Bildung und Energie den dekadenten Aristokraten besiegen, bald ein ordinärer, platter Geldverdiener, dessen moralische und geistige Niedrigkeit den Namen Bourgeois zum Schimpfwort macht. So schwankt Taine zwischen der Hoffnung, aus der Zersetzung der alten werde eine neue Ordnung entstehen, und der Furcht, die Entwickelung werde i m Chaos enden, und sein Urteil über die Kunst dieser bürgerlichen Gesellschaft schwankt ebenso: die Romantik ist bald etwas Großes und Echtes, bald Krankheit und Verzweiflung. Heute ist die Auflösung der überlieferten Bildung und Form gründlich weitergeführt, aber die neue Gesellschaft hat noch keine eigene Form gefunden. Sie hat auch noch keine neue Kunst geschaffen und bewegt sich weiter in der von der Romantik begonnenen, mit jeder neuheranwachsenden Generation erneuten Kunstdiskussion und wechselnder Romantisierung fremder Formen. Für Taine ist es oft schwierig, seine Erklärung der Romantik als der Kunst des revolutionären Bürgertums durchzuführen. Die Frage lag allzunahe, was denn der politisch revolutionäre Bürger mit der Kunst etwa von Wordsworth oder Walter Scott zu tun habe. Der französische Kritiker hilft sich in solchen Fällen damit, daß er sagt, die politische Bewegung habe sich hier als eine literarische Stilrevolution „verkleidet". Dieses Erklärungsmittel ist für das soziologische und psychologische Denken des 19. und 20. Jahrhunderts überaus charakteristisch. M i t ihm arbeitet insbesondere die ökonomische Geschichtsauffassung ziemlich naiv, wenn sie von der religiösen oder künstlerischen Verkleidung, Spiegelung oder Sublimierung ökonomischer Zustände spricht. Friedrich Engels hat ein M u sterbeispiel dafür gegeben, indem er das kalvinistische Dogma von der Prädestination als religiöse Verkleidung der Unerbittlichkeit kapitalistischen Konkurrenzkampfes bezeichnete. Doch geht die Neigung, überall eine „Verkleidung" zu erkennen, viel tiefer; sie entspricht nicht nur einer proletarischen Stimmung, sondern ist von allgemeiner Bedeutung. Weithin werden alle kirchlichen und staatlichen Institutionen und Formen, alle

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Vorwort

rechtlichen Begriffe und Argumente, alles Offizielle, auch die Demokratie selbst, seitdem sie verfassungsmäßige Form ist, als leere und irreführende Verkleidungen empfunden, als Schleier, Fassade, Attrappe oder Dekoration. Die feinen und groben Worte, mit denen man das umschreibt, sind zahlreicher und stärker als die meisten entsprechenden Redewendungen anderer Zeiten, z. B. die von den „simulacra", deren sich die politische L i teratur des 17. Jahrhunderts als ihres symptomatischen Schlagwortes bedient. Heute w i r d überall gleich die „Kulisse" konstruiert, hinter der sich die eigentlich bewegende Wirklichkeit verbirgt. Darin verrät sich die U n sicherheit der Zeit und ihr tiefes Gefühl, betrogen zu sein. Eine Zeit, die aus ihren eigenen Voraussetzungen keine große Form und keine Repräsentation hervorbringt, muß solchen Stimmungen erliegen und alles Formale und Offizielle für einen Betrug halten. Denn keine Zeit lebt ohne Form, mag sie sich noch so ökonomisch gebärden. Gelingt es ihr nicht, die eigene Form zu finden, so greift sie nach tausend Surrogaten aus den echten Formen anderer Zeiten und anderer Völker, um doch das Surrogat sofort wieder als unecht zu verwerfen. Die Romantik erhob den Anspruch, wahre, echte, natürliche, universale Kunst zu sein. Niemand w i r d den eigenartigen ästhetischen Reiz ihrer Produktivität leugnen. Trotzdem ist sie als Ganzes der Ausdruck einer Zeit, die, wie auf andern geistigen Gebieten, auch in der Kunst keinen großen Stil aufbringt und, i m prägnanten Sinne, keiner Repräsentation mehr fähig ist. Bei aller Verschiedenartigkeit der Beurteilung romantischer Kunst w i r d man sich doch über eines vielleicht einigen können: die romantische Kunst ist nicht repräsentativ. Das muß allerdings auffallen, weil die Romantik mit großem Enthusiasmus gerade als künstlerische und kunstdiskutierende Bewegung auftrat, die geistige Produktivität ins Ästhetische, in Kunst und Kunstkritik, verlegte und dann, vom Ästhetischen aus, alle andern Gebiete erfaßte. Die Expansion des Ästhetischen führt auf den ersten Blick zu einer ungeheuren Steigerung künstlerischen Selbstbewußtseins. Von allen Fesseln befreit, scheint die Kunst ins Unermeßliche sich zu entfalten. Eine Verabsolutierung der Kunst w i r d proklamiert, eine Universalkunst gefordert und alles Geistige, Religion, Kirche, Nation und Staat, fließt in den Strom, der von dem neuen Zentrum, dem Ästhetischen, ausgeht. Sofort aber vollzieht sich eine überaus typische Verwandlung. Die Kunst w i r d verabsolutiert, aber gleichzeitig problematisiert. Sie w i r d absolut genommen, aber durchaus ohne die Verpflichtung zu einer großen und strengen Form oder Sichtbarkeit. Das alles w i r d vielmehr gerade aus Kunst abgelehnt, ähnlich wie sich Schillers Epigramm zu keiner Religion bekennt, und zwar gerade aus Religion. Die neue Kunst ist eine Kunst ohne Werke, wenigstens ohne Werke großen Stils, eine Kunst ohne Publi-

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Vorwort

zität und ohne Repräsentation. Dadurch w i r d es ihr möglich, sich in tumultuarischer Buntheit aller Formen einfühlend zu bemächtigen und sie doch nur als ein belangloses Schema zu behandeln und in einer von Tag zu Tag den Standpunkt wechselnden Kunstkritik und Kunstdiskussion immer von neuem nach dem Wahren, Echten und Natürlichen zu schreien. Die auf den ersten Blick so ungeheure Steigerung bleibt in der Sphäre unverantwortlichen Privatgefühls, und ihre schönsten Leistungen liegen in der Intimität des Gemüts. Denn was bedeutet sozial die Kunst seit der Romantik? Entweder endete sie i m „Part pour l'art", in der Polarität von Snobismus und Bohème, oder sie wurde zu einer Angelegenheit privater Kunstproduzenten für privatim interessierte Kunstkonsumenten. Die allgemeine Asthetisierung diente, soziologisch betrachtet, nur dazu, auf dem Wege über das Ästhetische auch die andern Gebiete des geistigen Lebens zu privatisieren. Wenn die Hierarchie der geistigen Sphäre sich auflöst, kann alles zum Zentrum des geistigen Lebens werden. Aber alles Geistige, auch die Kunst selbst, w i r d in seinem Wesen verändert und sogar gefälscht, wenn das Ästhetische verabsolutiert und zum Mittelpunkt erhoben wird. Darin liegt die erste und einfachste Erklärung der scheinbar so verwickelten Widerspruchsfülle des Romantischen. Religiöse, moralische, politische und wissenschaftliche Angelegenheiten erscheinen in phantastischen Drapierungen, in seltsamen Farben und Tönen, weil sie von den Romantikern, bewußt oder unbewußt, als Thema künstlerischer oder kunstkritischer Produktivität behandelt werden. Weder religiöse, noch moralische, noch politische Entscheidungen, noch wissenschaftliche Begriffe sind i m Bereich des Nur-Ästhetischen möglich. Wohl aber können alle sachlichen Gegensätze und Unterschiede, Gut und Böse, Freund und Feind, Christ und Antichrist, zu ästhetischen Kontrasten und zu Mitteln der Intrige eines Romans werden und sich ästhetisch in die Gesamtwirkung eines Kunstwerks einfügen. Dann sind die Widersprüche und K o m pliziertheiten nur so lange tiefsinnig und geheimnisvoll, als man sie auf dem Gebiete, dem der romantisierte Gegenstand angehört, sachlich ernst nimmt, während man sie nur ästhetisch auf sich wirken lassen sollte. Wenn damit auch die verwirrende Buntheit der romantischen Szenerie in ihrem einfachen Prinzip erkannt ist, so bleibt doch die weitere, wichtigere Frage, welche geistige Struktur dieser Ausdehnung des Ästhetischen zugrunde liegt und warum die Bewegung gerade i m 19. Jahrhundert auftreten und einen solchen Erfolg haben konnte. Wie bei jeder echten Erklärung ist auch hier die metaphysische Formel der beste Prüfstein. Jede Bewegung beruht einmal auf einer bestimmten, charakteristischen Haltung zur Welt und zweitens auf einer bestimmten, wenn auch nicht immer bewußten Vorstellung von einer letzten Instanz, einem absoluten Zentrum. 2 C. Schmitt, Politische Romantik https://doi.org/10.3790/978-3-428-48428-7 Generated for Universitaet Leipzig, Universitaetsbibliothek at 139.18.244.59 on 2021-03-23, 10:34:20 UTC FOR PRIVATE USE ONLY | AUSSCHLIESSLICH ZUM PRIVATEN GEBRAUCH

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Vorwort

Die romantische Haltung w i r d am klarsten durch einen eigenartigen Begriff bezeichnet, den der occasio. Man kann ihn mit Vorstellungen wie: Anlaß, Gelegenheit, vielleicht auch Zufall umschreiben. Aber seine eigentliche Bedeutung erhält er durch einen Gegensatz: er verneint den Begriff der causa, das heißt, den Zwang einer berechenbaren Ursächlichkeit, dann aber auch jede Bindung an eine N o r m . Es ist ein auflösender Begriff, denn alles, was dem Leben und dem Geschehen Konsequenz und Ordnung gibt - sei es die mechanische Berechenbarkeit des Ursächlichen, sei es ein zweckhafter oder ein normativer Zusammenhang - , ist mit der Vorstellung des bloß Occasionellen unvereinbar. Wo das Gelegentliche und das Zufällige zum Prinzip wird, entsteht eine große Überlegenheit über solche Bindungen. I n den metaphysischen Systemen, die man als occasionalistisch bezeichnet, weil sie diese Beziehung des Occasionellen an den entscheidenden Punkt setzen, in der Philosophie des Malebranche zum Beispiel, ist Gott die letzte, absolute Instanz und die ganze Welt und alles, was in ihr vorgeht, bloßer Anlaß seiner alleinigen Wirksamkeit. Das ist ein großartiges Bild der Welt und steigert Gottes Überlegenheit zu einer ungeheuerlichen, phantastischen Größe. Diese charakteristisch occasionelle Haltung kann nun bestehenbleiben, gleichzeitig aber an die Stelle Gottes etwas anderes als höchste Instanz und maßgebender Faktor treten, etwa der Staat, das Volk oder auch das einzelne Subjekt. Das letzte ist in der Romantik der Fall. Ich habe daher die Formel vorgeschlagen: Romantik ist subjektivierter Occasionalismus, d. h. i m Romantischen behandelt das romantische Subjekt die Welt als Anlaß und Gelegenheit seiner romantischen Produktivität. Viele Arten metaphysischer Haltung existieren heute in säkularisierter Gestalt. Für den modernen Menschen sind weithin an die Stelle Gottes andere, und zwar irdische Faktoren getreten: die Menschheit, die Nation, das Individuum, die geschichtliche Entwicklung oder auch das Leben als Leben seiner selbst wegen, in seiner ganzen Geistlosigkeit und bloßen Bewegung. Die Haltung hört dadurch nicht auf, metaphysisch zu sein. Das Denken und Empfinden jedes Menschen behält immer einen bestimmten metaphysischen Charakter; Metaphysik ist etwas Unvermeidliches und, wie O t t o v. Gierke treffend bemerkt hat, man kann ihr nicht dadurch entgehen, daß man darauf verzichtet, sich ihrer bewußt zu werden. Wohl aber kann das, was die Menschen als letzte, absolute Instanz betrachten, wechseln, und Gott kann durch irdische und diesseitige Faktoren ersetzt werden. Das nenne ich Säkularisierung, und davon ist hier die Rede, nicht von den ebenfalls sehr bedeutungsvollen, aber i m Vergleich hierzu äußerlichen Fällen, die sich dem geschichtlichen und soziologischen Betrachter ohne weiteres aufdrängen, daß z. B. die Kirche durch das Theater ersetzt,

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Vorwort

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das Religiöse als Schauspiel- oder Opernstoff, das Gotteshaus als Museum behandelt wird; daß der Künstler in der modernen Gesellschaft, wenigstens bei seinem Publikum, soziologisch gewisse Funktionen des Priesters in oft komischer Verunstaltung wahrnimmt und einen Strom von Emotionen, die dem Priester zukommen, auf seine geniale Privatperson wendet; daß eine Poesie entsteht, die von kultischen und liturgischen Nachwirkungen und Erinnerungen lebt und sie ins Profane verschleudert, und eine Musik, von der Baudelaire mit einem fast apokalyptischen Worte sagt: sie höhlt den H i m m e l aus. Tiefer noch als solche psychologisch, ästhetisch und soziologisch viel zu wenig untersuchten Formen der Säkularisierung liegen die Verwandlungen in der metaphysischen Sphäre. Hier treten unter Beibehaltung der metaphysischen Struktur und Haltung immer neue Faktoren als absolute Instanzen auf. Die Romantik ist subjektivierter Occasionalismus, weil ihr eine occasionelle Beziehung zur Welt wesentlich ist, statt Gottes aber nunmehr das romantische Subjekt die zentrale Stelle einnimmt und aus der Welt und allem, was in ihr geschieht, einen bloßen Anlaß macht. Dadurch, daß die letzte Instanz sich von Gott weg in das geniale „ I c h " verlegt, ändert sich der ganze Vordergrund und tritt das eigentlich Occasionalistische rein zutage. Die alten Philosophen des Occasionalismus, wie Malebranche, hatten zwar auch den auflösenden Begriff der occasio, aber i n Gott, dem objektiv Absoluten, fanden sie Gesetz und Ordnung wieder. Ebenso ist, wenn in einer solchen occasionalistischen Haltung an die Stelle Gottes eine andere objektive Instanz tritt, etwa der Staat, immer noch eine gewisse Objektivität und Bindung möglich. Anders, wenn das isolierte und emanzipierte Individuum seine occasionelle Haltung verwirklicht. Jetzt erst entfaltet das Occasionelle die ganze Konsequenz seiner Ablehnung jeder Konsequenz. Jetzt erst kann wirklich alles zum Anlaß für alles werden und w i r d alles Kommende, alle Folge in einer abenteuerlichen Weise unberechenbar und liegt gerade darin der große Reiz dieser Haltung. Denn sie macht es möglich, irgendeinen konkreten Punkt zum Ausgang zu nehmen, um von i h m aus - je nach der Individualität des einzelnen Romantikers gemütvoll-innig oder dämonisch-böse - ins Grenzenlose und Unfaßbare zu schweifen. Jetzt erst zeigt sich, wie sehr das Occasionelle die Relation des Phantastischen ist und auch - wiederum nach der Individualität des einzelnen Romantikers verschieden - die Relation des Rausches oder des Traumes, des Abenteuers, des Märchens und des zauberhaften Spiels. Aus immer neuen Gelegenheiten entsteht eine immer neue, aber immer nur occasionelle Welt, eine Welt ohne Substanz und ohne funktionelle Bindung, ohne feste Führung, ohne Konklusion und ohne Definition, ohne Entscheidung, ohne letztes Gericht, unendlich wei2* https://doi.org/10.3790/978-3-428-48428-7 Generated for Universitaet Leipzig, Universitaetsbibliothek at 139.18.244.59 on 2021-03-23, 10:34:20 UTC FOR PRIVATE USE ONLY | AUSSCHLIESSLICH ZUM PRIVATEN GEBRAUCH

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Vorwort

tergehend, geführt nur von der magischen Hand des Zufalls, the magic hand of chance. I n ihr kann der Romantiker alles zum Vehikel seines romantischen Interesses machen und - auch hier bald harmlos, bald perfide - die Illusion haben, daß die Welt nur ein Anlaß ist. I n jeder andern geistigen Sphäre, auch in der alltäglichen Wirklichkeit, würde diese Haltung sofort lächerlich und unmöglich. I m Romantischen dagegen kommt es zu einer besonderen ästhetischen Leistung: zwischen dem als gelegentlichen Anlaß dienenden Punkt der konkreten Wirklichkeit und dem schöpferischen Romantiker entsteht eine interessante, bunte Welt von einem oft wunderbaren, ästhetischen Reiz. Man kann ihr ästhetisch zustimmen, aber es würde eine ironische Behandlung verdienen, wollte man sie moralisch oder sachlich ernst nehmen. Diese romantische Produktivität behandelt auch alle überlieferten Kunstformen als bloßen Anlaß. Sie muß sich deshalb von jeder Form ebenso entfernen wie von der konkreten Wirklichkeit, obwohl sie immer wieder einen konkreten Ausgangspunkt sucht. Was man psychologisch als romantische Formlosigkeit und als romantische Flucht ins Vergangene oder ins Ferne bezeichnet hat, die romantische Verklärung weit abwesender Dinge, ist nur die Folge dieser Haltung. Das Ferne, d. h. das räumlich oder zeitlich Abwesende, w i r d nicht leicht gestört oder widerlegt, weder durch die Konsequenz der aktuellen Wirklichkeit noch durch eine N o r m , die hic et nunc befolgt sein will. Es kann leichter zum Anlaß genommen werden, weil man es nicht aufdringlich als Sache oder Gegenstand empfindet und weil es i m Romantischen gerade darauf ankommt, daß alles aufhöre, Sache und Gegenstand zu sein und zum bloßen Anknüpfungspunkt werde. I m Romantischen w i r d alles zum „Anfang eines unendlichen Romans". Diese auf Novalis zurückgehende, den sprachlichen Sinn des Worts wieder zur Geltung bringende Formulierung bezeichnet am besten die spezifisch romantische Beziehung zur Welt. Dabei braucht wohl nicht besonders ausgeführt zu werden, daß statt eines Romans oder Märchens auch ein lyrisches Gedicht oder ein Musikstück, ein Gespräch oder ein Tagebuch, ein Brief, eine kunstkritische oder rednerische Leistung, oder schließlich auch eine romantisch empfundene, bloße Stimmung die occasionelle Haltung des Subjekts beweisen kann. N u r in einer individualistisch aufgelösten Gesellschaft konnte das ästhetisch produzierende Subjekt das geistige Zentrum in sich selbst verlegen, nur in einer bürgerlichen Welt, die das Individuum i m Geistigen isoliert, es an sich selbst verweist und ihm die ganze Last aufbürdet, die sonst in einer sozialen Ordnung in verschiedenen Funktionen hierarchisch verteilt war. I n dieser Gesellschaft ist es dem privaten Individuum überlassen, sein eigener Priester zu sein, aber nicht nur das, sondern, wegen der zentralen Bedeutung und Konsequenz des Religiösen, infolgedessen auch der eigene

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Vorwort

Dichter, der eigene Philosoph, der eigene König, der eigene Dombaumeister an der Kathedrale seiner Persönlichkeit. I m privaten Priestertum liegt die letzte Wurzel der Romantik und der romantischen Phänomene. Man darf, wenn man die Situation unter solchen Aspekten betrachtet, nicht immer nur die guten Idylliker i m Auge haben, sondern muß auch die Verzweiflung sehen, die hinter der romantischen Bewegung steht, ob sie sich nun in einer süßen Mondnacht an Gott und der Welt lyrisch berauscht, ob sie als Weltschmerz und Krankheit des Jahrhunderts klagt, sich pessimistisch zerreißt oder frenetisch in den Abgrund von Instinkt und Leben stürzt. Man muß die drei Menschen sehen, deren entstelltes Antlitz durch den bunten romantischen Schleier hindurchstarrt, Byron, Baudelaire und Nietzsche, die drei Hohepriester und zugleich die drei Schlachtopfer dieses privaten Priestertums.

I m Folgenden ist der Text der ersten Auflage der „Politischen Romant i k " , die 1917/18 entstand und Anfang 1919 erschien, vielfach, wenn auch nicht i m wesentlichen, verändert und erweitert. Der Aufsatz „Politische Theorie und Romantik", Bd. 123 (1920) der „Historischen Zeitschrift", wurde in dieser neuen Auflage verarbeitet. Seit dem Jahre 1919 ist die L i teratur über Romantik noch erstaunlich angeschwollen. Insbesondere hat man Adam Müller, das deutsche Beispiel politischer Romantik, in mehreren neuen Ausgaben gedruckt und als bahnbrechendes Genie gefeiert. Ich sehe darin keineswegs eine Rechtfertigung gegen den Vorwurf, daß ich eine unbedeutende und zweifelhafte Persönlichkeit wie Adam Müller viel zu ausführlich behandelt habe. Die Rechtfertigung liegt vielmehr darin, daß Adam Müller den Typus politischer Romantik in seltener Reinheit darstellt. Nicht einmal Chateaubriand kann man hier mit ihm vergleichen, weil dieser, als Aristokrat und Katholik aus alter Familie, immer noch mit den Dingen verwachsen war, die er romantisierte, während bei Müller, wenn er als Herold von Tradition, Adel und Kirche auftritt, die vitale Inkongruenz ebenso deutlich ist wie die Romantik. N u r so rechtfertigen sich die biographischen und kritischen Ausführungen zu Müllers Leben und Werken. Es kam nicht darauf an, einen Hochstapler zu entlarven, auch nicht, einen armen „Hasen zu jagen", und noch weniger, eine kümmerliche subromantische Legende zu zerstören. Wohl aber hoffe ich, daß diesem Buche alles subromantische Interesse fern bleibe. Denn es verfolgt nicht den Zweck, dem romantischen „ewigen Gespräch" neue, vielleicht „gegensätzische" Anregung und Nahrung zu liefern, sondern möchte auf eine ernst gemeinte Frage eine sachliche A n t w o r t geben. September 1924

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Inhaltsübersicht Einleitung

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Deutsche Auffassung: Politische Romantik als Ideologie der Reaktion und Restauration. - Französische Auffassung: Romantik als revolutionäres Prinzip, Rousseauismus. - Erklärung der Revolution aus dem esprit romantique und dem esprit classique. - Die Verwirrung des Begriffs und der Weg zu einer Definition. I. Die äußere Situation

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Persönliche politische Bedeutung der romantischen Schriftsteller in Deutschland. - Schlegels politische Bedeutungslosigkeit. - Müllers politische Entwicklung: in Göttingen Anglomane, i n Berlin feudalund ständisch-konservativer Anti-Zentralist, i n Tirol Funktionär des absolutistischen Zentralstaats. I I . Die Struktur des romantischen Geistes 1. La recherche de la réalité

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Das philosophische Problem des Zeitalters: Der Gegensatz von Denken und Sein und die Irrationalität des Realen. - Vier verschiedene Arten der Reaktion gegen den modernen Rationalismus. - Gott, die höchste Realität der alten Metaphysik, und seine Vertretung durch zwei neue Realitäten: die Menschheit (das Volk) und die Geschichte. - Die Menschheit als revolutionärer, die Geschichte als konservativer Demiurg. - Das romantische Subjekt und die neuen Realitäten. - Der Gegensatz von Möglichkeit und Wirklichkeit. - Romantisierung von Volk und Geschichte. - Ironie und Intrige. - Realität und Totalität. Die romantische Handhabung des Universums. 2. Die occasionalistische Struktur der Romantik Die Desillusion des Subjektivismus. - Bedeutung der occasio als des Gegensatzes von causa; das Occasionelle als die Relation des Subjektivistischen und Phantastischen. - Wesen des alten Occasionalismus: Aufhebung der Gegensätze durch ein höheres Drittes. - Romantische Aufhebung der Gegensätze durch ein Anderes Höheres: die wahre Realität und die verschiedenen Prätendenten dieser Realität: das Ich,

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Inhaltsübersicht das Volk, die Geschichte, Gott. - Folge: das jeweils Andere als das Höhere und Vermengung der Begriffe. - Romantische Produktivität: die Welt als Anlaß eines Erlebnisses und die wesentlich ästhetische A r t dieser Produktivität. - Vermischung der Geistesgebiete bei den intellektualistischen Romantikern.

I I I . Politische Romantik Ubersicht über die Entwicklung der Staatstheorien seit 1796. - Unterschied der romantischen von der gegenrevolutionären und der legitimistischen Staatsauffassung. - Staat und König als occasionelle Gegenstände romantischen Interesses. - Romantische Unfähigkeit zu ethischer und rechtlicher Bewertung. - Romantisierung staatsphilosophischer Ideen. - Adam Müllers Produktivität; seine Argumentation: oratorisch geformte Resonanz bedeutender Eindrücke, seine Gegensätze: oratorische Kontraste. - Occasioneller Charakter aller romantisierten Objekte. - Kurze Andeutung des Unterschiedes von politischer Romantik und romantischer Politik: bei dieser ist der Effekt, nicht die Ursache occasionell. - Exkurs: Der Romantiker als politischer Typus in der Auffassung des liberalen Bürgertums, exemplifiziert an D . F. Strauß' Julian. - Politische Romantik als Begleitaffekt politischer Vorgänge. Schluß Namenverzeichnis

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Einleitung Als Gentz starb, 1832, waren die Anzeichen des Jahres 1848 und der Revolution des deutschen Bürgertums schon zu erkennen. Die neue revolutionäre Bewegung verstand unter Romantik die Ideologie ihres politischen Gegners, des reaktionären Absolutismus. Von politischem Haß sind selbst literarhistorische Darstellungen der Romantik erfüllt gewesen, bis das Werk von Rudolf H a y m (1870) einen Standpunkt historischer Sachlichkeit fand. Restauration, feudal-klerikale Reaktion, politische Unfreiheit wurden von den deutschen Liberalen seit 1815 mit dem Geist der Romantik in Zusammenhang gebracht. Der publizistische Gehilfe Metternichs, Gentz, ein Freund bekannter Romantiker, erschien daher als der Typus des politischen Romantikers. Die „ganze Romantik von Schlegel und Gentz bis auf den jüngsten Jungdeutschen und den ärmsten Betbruder aus der Berliner oder Hallischen Betschule oder gar aus dem Erlanger Sumpfe" 1 , das war für die jungen Revolutionäre von 1815 bis 1848 der Feind; Gentz insbesondere der „sardanapalische" Held der liederlichen Genialität, „der inkarnierte Esprit der Lucinde", das Beispiel romantischer Unverschämtheit, dessen historische Bedeutung überhaupt nur darin lag, die politischen und praktischen Konsequenzen der Romantik in seiner Person vereinigt und infolgedessen die Mühen eines Kampfes um die Freiheit der bequemen Ruhe des reaktionären Polizeistaates geopfert zu haben 2 . So wurde Gentz durch zahlreiche literar-historische und politische Erörterungen hindurch als der Romantiker mitgeschleppt 3 . Aber allmählich ist 1

Arnold Rüge i n seinem Aufsatz „Das Manifest der Philosophie und seine Gegner" 1840 (Gesammelte Schriften I I I , Mannheim 1846, S. 167). 2

Hallische Jahrbücher, herausgegeben von Rüge und Echtermeyer 1839, S. 281 ff., i n dem Aufsatz „Friedrich von Gentz und das Prinzip der Genußsucht"; ferner Rüge, Friedrich Gentz und die politische Konsequenz der Romantik, Ges. Sehr. I, S. 432 - 450. 3

Deutlich ist die Beeinflussung durch die Hallischen Jahrbücher noch bei Wilhelm Roscher; Die romantische Schule der Nationalökonomik in Deutschland, Zeitschr. f. d. ges. Staatswissenschaft, Bd. 26 (1870), S. 57, 65 f. Die unbewußte Nachwirkung ist i m einzelnen unübersehbar. Als interessante Beispiele seien erwähnt Oscar Ewald, Die Probleme der Romantik als Grundfragen der Gegenwart,

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Einleitung

er, ä h n l i c h w i e de M a i s t r e , als ein M e n s c h e r k a n n t w o r d e n , der ganz i m klassischen Wesen des 18. Jahrhunderts w u r z e l t . N a c h einer L e k t ü r e des großartigen Briefwechsels, dessen Herausgabe F. C . W i t t i c h e n z u d a n k e n i s t 4 , w i r d e i n anderes U r t e i l n i c h t m e h r m ö g l i c h sein. Seine Freundschaft m i t A d a m M ü l l e r ist ein besonderer, p s y c h o l o g i s c h e r F a l l ; die Ü b e r n a h m e r o m a n t i s c h e r N e b e n s ä c h l i c h k e i t e n beweist bei e i n e m sensiblen M e n s c h e n w i e G e n t z ebensowenig w i e bei G o e t h e ; entscheidend ist die rationale K l a r h e i t seines D e n k e n s , seine verständige Sachlichkeit, seine F ä h i g k e i t z u einer j u r i d i s c h e n A r g u m e n t a t i o n 5 , sein G e f ü h l f ü r die G r e n z e n der W i r k samkeit des Staates, sein I n s t i n k t gegen M e n s c h e n w i e die Schlegels, sein H a ß gegen F i c h t e . E r g e h ö r t geistig z u r F o r t s e t z u n g des 18. Jahrhunderts, i n eine Reihe m i t Lessing, L i c h t e n b e r g , W i l h e l m v. H u m b o l d t . N a m e n t l i c h i n p o l i t i s c h e n u n d staatsphilosophischen A n g e l e g e n h e i t e n ist i h m jede r o m a n t i s c h e Begriffsauflösung i m m e r u n v e r s t ä n d l i c h geblieben, u n d v o n d e n „phantastischen u n d m y s t i s c h e n A p o p h t h e g m e n u n d metaphysischen Phantasien" hat er selbst bei seinem F r e u n d e M ü l l e r nichts wissen w o l l e n .

Berlin 1905, S. 10 f., der eine typisch romantische Staatsauffassung an Gentz darstellen w i l l , in einem Buch, das sonst an beachtenswerten Konstruktionen reich ist; und noch Emma Krall, Der Fatalismus des Büchnerschen „Danton" und seine Beziehung zur Romantik, Wissen und Leben X I (1918), S. 598f., eine seltsame Zusammenbringung von Georg Büchners Danton und dem „Romantiker" Gentz, der hier wieder als der „inkarnierte Geist der Lucinde" umgeht. - Die richtige Beurteilung beginnt mit der Darstellung Hayms in der Encyklopädie von Ersch und Gruben Bd. 58 (Leipzig 1854), S. 324 - 392, w o die praktische Klarheit des Gentzischen Denkens und die bloß äußerliche, romantische „Farbe" richtig erkannt ist. Ahnlich R. v. Mohl, Die Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften, Erlangen 1856, I I , S. 488, 491 u n d / . C. Bluntschli, Geschichte des allgemeinen Staatsrechts und der Politik, München 1864, S. 438, der ihn, zum Unterschied von de Maistre, Bonald, Haller, Adam Müller und Görres mit Burke und Johannes v. M ü l ler zusammenstellt. A u c h Eugen Guglia, Friedrich von Gentz, Wien 1901, S. 117 f. sagt von ihm: „Diese Begeisterung für die romantisch-theosophische Staatslehre war doch rein platonisch. I m ganzen gilt gerade auf diesem Gebiet ein Wort, das Metternich von ihm sagte, am meisten: er stand i m Grunde jeder A r t von Romantismus fern." Fr. Schlegel hätte niemals den Fehler begangen, Gentz für einen Romantiker zu halten; er rechnet ihn vielmehr, in vortrefflicher Charakteristik, zum 18. Jahrhundert, „indem uns der meisterhafte Styl seiner korrekten Beredsamkeit i n geistreicher Klarheit des Verstandes von eben dieser vielseitigen Geisteskultur des 18. Jahrhunderts ein A b b i l d gewährt" (Signatur des Zeitalters, Concordia, S. 354, 363). 4

Briefe von und an Friedrich von Gentz. Herausgegeben von Friedrich Wittichen, München und Berlin 1909 f. (zitiert als W. I, W. I I , W. I I I 1 und 2). 5

Vgl. die Darlegung der Legitimität Napoleons, W. I I I , 1. S. 247 ff.

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Carl

Einleitung

Er hatte Sinn für eine gerechte „Balancierung" und zeigte während der Metternichschen Restauration, bei aller Gefügigkeit gegen Metternich, auch für liberale Forderungen Verständnis, sobald er sich nur von der Furcht vor einer Revolution freimachen konnte. Hier tritt nun eine sonderbare Verwechslung der Worte auf. Metternich schrieb einem Freunde nach dem Tode von Gentz, dieser habe ihm zuletzt nur noch Phantasiedienste geleistet, er sei ihm immer frei von Romantik erschienen, erst in den letzten Jahren habe sich eine A r t von Romantik bei ihm bemerkbar gemacht, das sei der Anfang vom Ende gewesen6. Metternich verstand hier unter Romantik die liberalen und humanitären Neigungen, von denen ihm Gentz nicht frei genug erschien. Das war keine Privatterminologie Metternichs. Darin waren die Aristokraten der Restauration sehr empfindlich: Toleranz, Menschenrechte, individuelle Freiheiten, das alles war Revolution, Rousseauismus, entfesselter Subjektivismus und damit Romantik. Aber auch für Revolutionäre des deutschen Vormärz wie Arnold Rüge 7 lag darin das Wesentliche des Romantischen, und es wurde ihnen oft schwer, ihre Terminologie wenigstens äußerlich vor Widersprüchen zu retten. „Der Grund aller Romantik" sagt Rüge, „ist das unruhige, aufsässige Gemüt", dadurch soll sie vom Protestantismus, dem Prinzip des freien Selbst, abstammen. Der Zusammenhang von Protestantismus und Romantik drängt sich auf. N i c h t nur katholische Gegenrevolutionäre haben ihn bemerkt, sondern auch deutsche Protestanten. N o c h vor kurzem hat ein deutscher Gelehrter bemerkt, die Franzosen verspürten „ m i t höchstem Recht" in der Romantik etwas Protestantisches 8 , und G. v. Below meint, 6

F. C. Wittichen, Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, Bd. 30 (1910), S. 110. 7 Rüge, Ges. Schriften I, S. 42,248,263, 301; I I I , S. 249, 433 (1846). Als Vorläufer der Romantik nennt er die „Stürmer und Dränger" Lenz, Klinger usw., aber auch Stolberg, Jacobi, M . Claudius; als eigentliche Romantiker die beiden Schlegel, Tieck, Wackenroder, Z. Werner, Steffens, Creuzer, Gentz, Adam Müller, Haller, J. F. Mayer, Schubert, Brentano, A r n i m , Fouqué; als Epigonen eine tatkräftige A r t : die Turner, und eine pietistisch-aristokratisch-jesuitische: Gentz, Savigny, Görres, Stahl, Jarcke usw. Seit 1830 soll dann ein neuer Ansatz von Romantik beginnen: die Jungdeutschen, die Neu-Schellingianer, die romantischen Hegelianer (Göschel). So w i r d das Wort zu einem Sammelnamen für alle politischen Gegner. Hegel soll beides, die romantische und die freie Seite vereinigen, der Fortschritt bestehe daher in einer Reinigung der Hegeischen Philosophie von den romantischen Elementen. Ges. Schriften I, S. 431 - 4 5 . 8

Victor Klemperer; Romantik und französische Romantik, Festschrift für Karl Voßler, Heidelberg 1922, S. 27.

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28

Einleitung

die Romantik habe „als eine Schöpfung zwar nicht des protestantischen Geistes, aber des protestantischen Bodens und seines Staates, des preußischen zu gelten" 9 . N u r fügen die antiromantischen Revolutionäre des Vormärz hinzu, daß die Romantik trübe Gärung und Willkür sei, exzessive Freiheit des Individuums, das sich die Welt unterwerfen will. „ D i e Romantik ist die Kriegserklärung dieses Geistes der Willkür, der verletzendsten, tyrannischsten, absichtlichsten Willkür gegen den freien gesetzlichen Geist der Zeit." Den Zusammenhang mit der politischen Reaktion konstruierten sie dialektisch in der Weise, daß die Romantik zwar als Negation ein revolutionäres Prinzip enthalte, aber gerade als subjektive Willkür Gegner der „Schranken der wahren Freiheit" sei und die aus der Aufklärung hervorgehende Revolution ablehne. Die Französische Revolution war für die jungen Revolutionäre eine Äußerung des freien Geistes, die Romantik ein geistloser Naturalismus, Substanz, die nicht zum Begriff und Selbstbewußtsein weiterschreitet; daher „die Bestrebungen der politischen Romantiker, dem Staat die Pflanze oder das Tier zum Ideal aufzustellen, ihm den Wuchs der Vegetation und die unwillkürliche Bewegung des tierischen Organismus zur Nachahmung zu empfehlen". Solche hegelianischen Konstruktionen sind zweifellos tiefer und richtiger als die heute üblichen Charakterisierungen der Romantik. Aber sie enthalten doch eine große Verwirrung: äußerster Individualismus und vegetative Dumpfheit werden nebeneinander als Merkmale genannt. Außerdem machten die Hegelianer als Vertreter des „realen Geistes" der naturalistischen Romantik den Vorwurf, sie sei eine transzendente, abstrakte A b kehr vom wirklichen Leben; sie soll, wie man es heute vielleicht nennen würde, eine bloße Wunscherfüllung sein, die illusionistische Befriedigung einer Sehnsucht, die real nicht befriedigt wurde. Daher w i r d sie aus den elenden politischen Verhältnissen Deutschlands erklärt. „ I n der Qual der Erde wurzelt die Romantik, und so w i r d man ein Volk um so romantischer und elegischer finden, je unseliger sein Zustand i s t " 1 0 . Auch gegen den „christlichen" Spiritualismus und seine Entwertung der Wirklichkeit, gegen den Mangel an „Gegenständlichkeit" 1 1 wandte sich der Realismus 9 Die deutsche Geschichtsschreibung von den Freiheitskriegen bis zu unsern Tagen, 2. Auflage, München und Leipzig 1924, S. 4, unter Hinweis auf M. Lenz, Jahrbuch der Goethe-Gesellschaft, 1915, I I , S. 299. 10 A. Rüge, Die wahre Romantik, ein Gegenmanifest (Gesammelte Schriften I I I , S. 134): Romantik ist daher Sehnsucht, selbst die Sehnsucht, aus der Romantik herauszukommen, ist noch Romantik; der Wunsch, die Freiheit in vollen Zügen zu genießen, „diese geheimste Herzensangelegenheit unserer gespannten Zeit".

n Karl Marx, Die heilige Familie, Frankfurt a. M . 1845, S. 19. Die K r i t i k , die Marx in den deutsch-französischen Jahrbüchern an den „Romantikern" geübt hat,

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Einleitung Hegelianischer R e v o l u t i o n ä r e , o h n e daß es i h n e n gelungen wäre, d e n w i d e r s p r u c h s v o l l e n u n d vielgestaltigen F e i n d d u r c h einen r a p i d e n B e g r i f f z u fassen. D i e U n s i c h e r h e i t beruhte a m meisten darauf, daß die W o r t f ü h r e r der k o m m e n d e n R e v o l u t i o n v o n 1848 Rousseau u n d die Französische R e v o l u t i o n b e w u n d e r t e n u n d hier ein großes V o r b i l d sahen, auf das sie sich beriefen. Sie m u ß t e n daher i n D e u t s c h l a n d der R o m a n t i k j e d e n Z u s a m m e n h a n g m i t d e m Geist der R e v o l u t i o n bestreiten. Französische Schriftsteller dagegen haben diesen Z u s a m m e n h a n g i m m e r m e h r h e r v o r g e h o b e n u n d schließlich R e v o l u t i o n u n d R o m a n t i k gleichgesetzt. Das Gemeinsame s o l l i n e i n e m beide B e w e g u n g e n charakterisierenden I n d i v i d u a l i s m u s liegen. W e n n v o n v o r l ä u f i g e n A n d e u t u n g e n abgesehen w i r d , b e g i n n t m i t R o u s seau der Gegensatz z u r Klassik des 17. u n d 18. Jahrhunderts. D a r i n erk a n n t e m a n die Renaissance eines I n d i v i d u a l i s m u s u n d z u g l e i c h d e n Beg i n n der R o m a n t i k , d e n n der I n d i v i d u a l i s m u s ist „ l e c o m m e n c e m e n t d u r o m a n t i s m e et le p r e m i e r élément de sa d é f i n i t i o n " 1 2 . W e i l der B e g r i f f der französischen K l a s s i k - ein K o m p l e x des 17. Jahrhunderts - h i s t o r i s c h ein-

ist bekannt. Von besonderem Interesse ist folgender Satz aus einem Brief von Engels, vom 28. Sept. 1892, den Franz Mehring (die Lessing-Legende, Stuttgart 1893, S. 440) mitteilt: „Marx hatte während seiner Bonner und Berliner Zeit den Adam Müller und Herrn v. Hallers Restauration kennen gelernt; er sprach nur mit ziemlicher Verachtung von diesem faden, phrasenhaft aufgebauschten Abklatsch der französischen Romantiker Joseph de Maistre und Kardinal Boland" (gemeint ist Bonald). I n dem Aufsatz über Hegels Rechtsphilosophie gebraucht Marx den Ausdruck „Romantik" nicht, dagegen sagt er in „Misère de la philosophie" (1847), p. 116, 117, die fatalistischen Ökonomisten seien klassische oder romantische; die Klassischen sehen der Entwicklung mit blasierter Mitleidlosigkeit zu, die Romantischen sind humanitär und geben den armen Proletariern den Rat, sparsam zu sein usw. Hier zeigt sich der französische Sprachgebrauch: romantisch = humanitär. 12 F. Brunetière , Le mouvement littéraire au X I X . siècle, Revue des deux mondes, 1889, 15. Okt., S. 874. Er zählt als Kennzeichen des Romantischen auf: liberté dans l'art; - substitution du sens propre au sens commun dans toutes les acceptations du mot; - exaltation du sentiment du M o i ; passage, pour parler comme les philosophes, de l'objektif au subjectif, ou, littérairement, du dramatique au lyrique et à l'élégiaque; cosmopolitisme, exotisme, sentiment nouveau de la nature; - curiosité du passé, des vieilles pierres et des vieilles traditions; - introduction dans la littérature des procédés ou des intentions de la peinture, voilà le Romantisme. - Diese Aufzählung ist charakteristisch und zeigt die ganze U n z u länglichkeit der Methode, zu charakterisieren statt zu definieren; mit größter N a i vität werden Subjektivismus und Traditionalismus nebeneinander als Merkmale genannt, und wenn man auf den Selbstwiderspruch dieser Merkmale hinweist, muß man gewärtig sein, über den romantischen „Proteus" belehrt zu werden.

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Einleitung

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fach bestimmbar ist, ließ sich die Romantik, als Gegensatz des Klassischen, in Frankreich scheinbar leichter bestimmen als in Deutschland, w o die klassische Generation bereits unter dem Einfluß von Rousseau groß geworden war, so daß die folgende, sogenannte romantische, den Gegensatz von klassisch und romantisch nicht auf eine so klare und traditionell begründete Vorstellung vom Klassischen beziehen konnte wie in Frankreich. N u n übt jede klare Antithese eine gefährliche Anziehungskraft auf andere weniger klare Unterscheidungen aus. Hier geriet die Unterscheidung von Individualismus und Solidarität in den Wirkungsbereich des Gegensatzes von klassisch und romantisch. So kommt es, daß ein französischer Gegner der Revolution, Ernest Seillière, der seine Lebensarbeit der Bekämpfung des von i h m so genannten „romantischen Mystizismus" gewidmet hat, mit dem deutschen Revolutionär Rüge in zahlreichen Wendungen und Argumenten übereinstimmt. Für Seillière ist Mystizismus ein irrationaler, exzessiver Individualismus, Wille zur Macht, Expansionsdrang, Imperialismus des einzelnen Individuums wie kollektiver Individualitäten, Staaten, Rassen, Sekten, sozialer Klassen oder anderer Gemeinschaften. Romantik w i r d zum Synonym von Mystizismus, mit einer nur historischen Einschränkung: sie ist ein seit dem 18. Jahrhundert - seit Rousseau - aus den Fesseln des kirchlichen Christentums sich befreiender Mystizismus. Das Mystische und daher auch das Romantische erscheint als ein tiefer Impuls der menschlichen Natur, ein allgemeiner Faktor menschlicher Aktivität, so elementar wie der Selbsterhaltungstrieb; der Mensch, „von Natur böse", ist immer bereit, über die engen Grenzen des Vernünftigen, d. h. der seit Generationen aufgespeicherten Erfahrung, hinauszugehen, sich einen Gott als metaphysischen Alliierten zu schaffen und mit Hilfe dieser Illusion andere zu unterjochen. I m ästhetischen M y stizismus w i r d der Romantiker, der sich als auserwähltes Werkzeug eines Höheren fühlt, zum genialen Künstler, der als Genie in sich selbst den einzigen Maßstab seiner Kunst findet; i m Mystizismus der Leidenschaft erklärt er seine Begierde für die Stimme Gottes; in der mystischen Religion der sozialistischen Klassenbewegung w i r d der Proletarier zum einzigen Produzenten wirtschaftlicher Werte; der auserwählten Rasse endlich dient eine mystische Rassenromantik zur Grundlage ihres Anspruchs auf die Weltherrschaft. Der Wahn w i r d zu einer ungeheuren Energiequelle und treibt den einzelnen Menschen wie ganze Völker zu überschwenglichen Hoffnungen und Taten. Alles das heißt „Romantik". Auch für Seillière eröffnet Rousseau den modernen Mystizismus, das heißt für ihn wiederum: Romantik 1 3 . 13

Außer den vier Bänden von Seillières Philosophie de l'Impérialisme (I. Le Comte de Gobineau et l'Aryanisme historique; I I . A p o l l o n ou Dionysos;

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Einleitung

Als geistige Revolutionäre hatten sich die ersten Romantiker selbst bezeichnet. Ihre historische Verbindung mit der politischen Reaktion scheint man für eine der vielen Paradoxien zu halten, die zum Romantischen gehören sollen: so daß auch umgekehrt die Verbindung mit der Revolution das Zufällige sein könnte und die verbreitete, einfache Formel: geistige oder kulturelle Revolution - politische Reaktion eine Lösung wäre. Aber für Seillière ist gerade die politische Revolution eine Manifestation romantischer Tendenzen, und gerade die unberechenbare politische I I I . L'Impérialisme démocratique; IV. Le mal romantique) sind benutzt: die Schrift über Charlotte Stieglitz (Une tragédie d'amour au temps du romantisme, Paris 1909); les mystiques du néo-romantisme, 2. ed. Paris 1911; Mysticisme et domination, Paris 1915; Houston-Stewart Chamberlain, le plus récent philosophe du Pangermanisme mystique, Paris 1917, Madame G u y o n et Fénelon, précurseurs de J. J. Rousseau und le Péril mystique dans l'inspiration des démocraties contemporaines, Rousseau visionnaire et révélateur, Paris 1919. Die übersichtlichste Zusammenfassung der Ansichten von Seillière findet sich in seinen Vorträgen „Vers le socialisme rationnel", Paris 1923. Als besonders charakteristisch sei folgende Stelle zitiert: „Ce qu'un Burke reproche à la France de 1793, c'est l'athéisme autant que l'antitraditionalisme: i l ne va donc jamais au fond des choses, i l n'entrevoit pas que l'hérésie mystique de Rousseau sut fournir à l'impérialisme plébeien des alliés métaphysiques pour appuyer sa cause (Revue de deux mondes, 15. Jan. 1918, 350); la véritable source de l'esprit jacobin, qui affirma récemment sous nos yeux sa vitalité par de si patentes manifestations (gemeint sind die Bolschewisten), c'est ce mysticisme chrétien, émancipé de ses cadres rationnels et traditionnels que Rousseau a su traduire en paroles plus éloquentes . . . et qui depuis lors, sous les figures diverses du romantisme, a influencé la pensée européene dans la plupart de ses décisions théorétiques ou pratiques (eod. p. 3 3 9 ) . . . Arthur de Gobineau, héritier intellectuel des Maistre, des Bonald et des Montlosier d'une part, élevé dans les suggestions hegeliennes de l'autre et prédisposé par son talent littéraire à jeter sur cette double tradition le vêtement picaresque du romantisme français de 1830 (Chamberlain, S. 5). Von Taine sagt er, es sei sein Verdienst, mitgearbeitet zu haben „à restaurer l'esprit classique par l'élemination ou tout au moins par la plus large rationnalisation du mysticisme de Rousseau qui continue de fournir leur religion à quelques démocraties contemporaines". A u f den mystischen, von ihm ebenfalls „romantisch" genannten Charakter des Imperialismus hatte bereits Pierre de Coubertin hingewiesen (Études d'histoire contemporaine, Paris 1896, Pages d'histoire contemporaine, Paris 1909) und den Franzosen, weil sie zwischen dem britischen, deutschen und amerikanischen Imperialismus untätig beiseite ständen, ihren „romantischen Pazifismus" vorgeworfen. Aus der großen französischen Literatur gegen Rousseau und die Romantik möchte ich hervorheben: Jules Lemaître's Konferenzen über Rousseau; Pierre Lasserre , le romantisme français, Paris 1908 (seitdem mehrere Auflagen) und vor allem Charles Maurras , dessen wichtigste Schriften zu dieser Frage jetzt i n dem Band „Romantisme et Révolution", Paris 1922 (Nouvelle Librairie Nationale) gesammelt sind.

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32

Einleitung

Energie des Romantischen beunruhigt seinen rationalistischen Empirismus. Hier scheint wenigstens das eine festzustehen, daß die Romantik Individualismus und Irrationalismus als ihre beiden Elemente in sich vereinigt. Leider kann auch das nicht als sicher und klar angenommen werden. Romantiker werden von andern als Begründer historisch-objektiven Denkens gepriesen; sie sollen das Verständnis für Tradition überhaupt erst eingeführt und ein neues Gemeinschaftsgefühl geweckt, das „ V o l k " als organische, überindividuelle Einheit erst entdeckt haben. I n Meineckes berühmtem Buch über „die Genesis des deutschen Nationalstaats" treten sie als Träger deutschen Nationalgefühls auf; Novalis, Friedrich Schlegel und Adam Müller erscheinen in einer Reihe mit Stein und Gneisenau 14 . Georg v. Below rühmt die romantische Bewegung als die wahre Uberwindung der rationalistischen Geschichtsauffassung, als Begründerin eines neuen historischen Sinnes, die allen historischen Disziplinen neues Leben gegeben habe 15 . Eine typisch romantische Vorstellung, das „ewige Gespräch", und die romantische „Geselligkeit" werden als Beweise für die Uberwindung des Individualismus angeführt. Auch daß Romantik dasselbe wie Irrationalismus sei, kann man nicht einfach hinstellen. Schlegels „Versuch über den Begriff des Republikanismus" (1796) ist zu tief im rationalistischen Denken fundiert, als daß es wie ein totes Stück von ihm hätte abfallen können. I m Gegenteil sind oft gerade intellektualistische und rationalistische Elemente als etwas wesentlich Romantisches empfunden worden. Hier konnte wieder ein Zusammenhang mit der Französischen Revolution konstruiert werden. Ein Historiker wie Taine hat ja das Jakobinertum aus dem abstrakten Rationalismus des „esprit classique" erklärt: in sich selbst verliebte Dogmatiker 1 6 , durch ihre „raison raisonnante" zu jeder sachlichen Erfahrung unfähig geworden, suchen die Welt nach den Axiomen ihrer politischen Geometrie zu gestalten; Rousseau bewegt sich ganz i m Rahmen dieser „moule classique", die immer enger und härter wird, bis schließlich ein steriler Intellektualismus alles vernichtet. Was einen Schulmeister wie Robespierre vorwärtstrieb, wäre demnach nicht die vitale Fülle irrationaler Energien gewesen, sondern die Raserei leerer A b 14

Weltbürgertum und Nationalstaat, Studien zur Genesis des deutschen Nationalstaats. 6. Aufl., München und Berlin 1922, Kap. IV, V und V I I . is a. a. O., S. 9. 16

Origines de la France contemporaine, t. II. Trotz Aulard und Seignobos w i r d es bei Ausführungen wie denen des Textes immer notwendig werden, auf die U r teile Taines Bezug zu nehmen; sein psychologischer Scharfblick und seine große Gestaltungskraft, die weite und komplizierte. Vorgänge auf eine prägnante Formel ihrer structure intime zu bringen weiß, sind bisher durch keinen Einwand widerlegt.

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Einleitung s t r a k t h e i t 1 7 . F ü r Seillière ist die R e v o l u t i o n d a m i t gerichtet, daß sie i r r a t i o nal, d. h. f ü r i h n M y s t i k u n d R o m a n t i k ist, Taine f ü h l t sich v o n i h r e r r a t i o nalistischen A b s t r a k t h e i t abgestoßen, v o n i h r e m „ e s p r i t classique". So einfach also f ü r die französische Geschichte der Gegensatz v o n klassisch u n d r o m a n t i s c h z u sein scheint, w e i l eine anerkannte klassische T r a d i t i o n v o r liegt, so unsicher w e r d e n die F o r m e l n , w e n n sie z u r E r k l ä r u n g p o l i t i s c h e r Vorgänge herangezogen w e r d e n . B e i Taine k e h r e n überdies fast alle A r g u mente wieder, die v o n d e n i n D e u t s c h l a n d regelmäßig z u d e n R o m a n t i k e r n gerechneten G e g n e r n der R e v o l u t i o n v o r g e b r a c h t w u r d e n . N i c h t n u r B u r k e u n d sein Ü b e r s e t z e r G e n t z haben die J a k o b i n e r rasende T h e o r e t i ker genannt, auch A d a m M ü l l e r bezeichnet die R e v o l u t i o n als einen G ö t zendienst abstrakter Begriffe u n d k o n s t r u i e r t einen Z u s a m m e n h a n g m i t der klassischen Z e i t : diese w a r der rationalistische A b s o l u t i s m u s eines einzelnen M e n s c h e n , das r e v o l u t i o n ä r e D o g m a ist n u r die „entgegengesetzte Chimäre"

desselben R a t i o n a l i s m u s . M ü l l e r ist bei diesen A r g u m e n t e n

gleichzeitig v o n B u r k e , H a l l e r , de M a i s t r e u n d B o n a l d a b h ä n g i g 1 8 . Gerade 17

Von den beiden Elementen des jakobinischen Geistes, amour-propre und esprit dogmatique, enthält das erste bereits die irrationalen Momente, die Seillière so betont. Sein Gegensatz zu Taine ist also nicht so groß, wie er i m Interesse einer scharfen Antithese behauptet. Taine hat auch (a. a. O., Kap. I) schon bemerkt, daß jeder politische oder religiöse Fanatismus ein „besoin avide", eine geheime Leidenschaft als Grundlage habe, durch welche philosophischen und theologischen Kanäle er sonst auch gehen möge. 18

Von der Notwendigkeit einer theologischen Grundlage der gesamten Staatswissenschaften und der Staatswirtschaft insbesondere, Leipzig 1819 (im Folgenden als Theol. Gründl, zitiert), I I , I I I , V I I , V I I I . (In den Vorlesungen Über König Friedrich II. und die Natur, Würde und Bestimmung der Preußischen Monarchie, Berlin 1810, hatte Müller die Französische Revolution als berechtigte Reaktion gegen den Klassizismus hingestellt.) Die Schrift ist ein Nachklang zu Hallers „Restauration der Staatswissenschaft oder Theorie des natürlich-geselligen Zustandes; der Chimäre des künstlich-bürgerlichen entgegengesetzt" (Winterthur 1816). Burkes Verachtung der politischen Alchimisten und Geometer, der „prinzipiellen" Advokaten, ihrer „fanatischen Eitelkeit", ihrer „Papierschnitzel", die sie Verfassungen nennen, ist bekannt (Reflections on the Revolution in France, 9. ed. London M D C C X C I , p. 226, 268, 287, 289; i n der Übersetzung von Gentz, Ausgewählte Schriften I, Stuttgart und Leipzig 1836, S. 157, 257, 299, 318). Bei Bonald sind bereits die Théorie du pouvoir (1796 in Konstanz erschienen; Œuvres, t. X I I I und X I V , Paris 1843) und der Essai analytique sur les lois naturelles de l'ordre social (1800 erschienen, 2. éd. Œuvres, t. I 1817) erfüllt von dem Abscheu gegen das künstliche „Machen". Für de Maistre vgl. Considérations sur la France, chap. V I . Die Umkehrung: Absolutismus des Königs - Absolutismus des Volkes war zu Müllers Zeit geläufig, vgl. Zeitgenossen (in denen Müller eine Biographie des Kaisers Franz und einen Aufsatz über Franz Horner veröffentlicht hat) I, 3, S. 9: Lud3 C. Schmitt, Politische Romantik https://doi.org/10.3790/978-3-428-48428-7 Generated for Universitaet Leipzig, Universitaetsbibliothek at 139.18.244.59 on 2021-03-23, 10:34:20 UTC FOR PRIVATE USE ONLY | AUSSCHLIESSLICH ZUM PRIVATEN GEBRAUCH

34

Einleitung

sogenannte „politische Romantiker" sehen also die Sinnlosigkeit des Revolutionären in seiner Entfernung von der vernünftigen Erfahrung. Es versteht sich beinahe von selbst, daß kein bürgerlicher Republikaner in Frankreich und kein Mitglied der „Ligue des droits de l'homme et du citoyen" sich dadurch für widerlegt hält; er macht unter Hinweis auf amerikanische Verfassungen geltend, daß es sich bei diesen „aus der Natur" begründeten Formeln zwar äußerlich u m abstrakte Sätze, in Wahrheit aber u m Ausdrücke richtiger Erfahrung und richtigen politischen Instinkts handelt. N u r den Vorwurf der Romantik gibt er seinen Gegnern zurück. N u n ist die Französische Revolution ein Ereignis, das in der modernen Geschichte als richtunggebender Punkt angesehen wird. Nach der verschiedenen Stellung zu den Ideen von 1789 werden die politischen Parteien gruppiert. Liberale und Konservative werden so unterschieden, daß der Liberalismus von 1789 herkommt, der Konservativismus von der Reaktion gegen 1789, von Burke und der Romantik 1 9 . Das maßgebende Ereignis w i r d aber so widerspruchsvoll charakterisiert, daß einmal die Revolutionäre und dann wieder die Gegner der Revolution Romantiker heißen. Die Ideen von 1789 werden in dem Wort „Individualismus" zusammengefaßt 2 0 , aber Romantik soll ebenfalls ihrem Wesen nach Individualismus sein; Romantik soll auch Entfernung von der Wirklichkeit sein, aber gerade politische Romantiker berufen sich der Revolution gegenüber auf positive Erfahrung und Wirklichkeit. Wollte man bei dieser Verwirrung überhaupt darauf verzichten, das Wort zu gebrauchten, so wäre das w o h l ein praktischer Ausweg, aber keine Lösung. Wenn sich auch in der Taktik politischer Kämpfe und in w i g XIV. vernichtete den Staat, die Einheit durch Einerleiheit, „die Revolution brach aus. Ihr furchtbares Wort das Volk ist souverän, das Volk ist der Staat, stellt den Gegensatz auf" (Aufsatz über Fouché, gezeichnet mit H.). 19

Adalbert Wahl, Beiträge zur deutschen Parteigeschichte i m 19. Jahrhundert, Hist. Zeitschr. 104 (1909), S. 344; G. v. Below , Die Anfänge der konservativen Partei i n Preußen, Intern. Wochenschrift 3 (1911), S. 1089 f. Der Konservativismus w i r d also negativ definiert. Die Wirkung solcher negativer Begriffe zeigt sich dann in G. v. Belows Buch „ D i e deutsche Geschichtsschreibung von den Befreiungskriegen bis zu unsern Tagen", Leipzig 1916, 2. Auflage 1924: hier w i r d alles Romantik, was nicht unhistorischer Rationalismus ist. Trotz des hübschen Novalis-Fragments Nr. 136, trotz der Pseudologie der Bettina-Briefe, nimmt man eben die Romantik immer noch beim Wort. 20 Wahl, a. a. Ο., S. 546: ein diesseitiger und demokratischer Individualismus ist der Inhalt der Ideen von 1789; der Mensch hat dem Staat gegenüber nur Rechte, keine Pflichten; der Einzelne hat ein Widerstandsrecht; alle Machtpolitik w i r d abgelehnt, der Individualismus ist diesseitig orientiert; irdisches Glück der Einzelnen durch Tugend und Genuß.

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Einleitung

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dem Wechsel historisch-politischer Erörterungen das unklare Wort hinund herschiebt und in der Mechanik oberflächlicher Antithesen von einer Seite zur andern wandert, so ist es doch notwendig und vielleicht auch möglich, aus den historischen und geistigen Zusammenhängen des K o m plexes, der als Romantik bezeichnet wird, die Eigenart dessen zu bestimmen, was berechtigterweise politische Romantik genannt werden muß. Die Schwierigkeit einer überzeugenden Definition liegt zunächst darin, daß „romantisch" nicht zu einer akzeptierten parteipolitischen Bezeichnung geworden ist. „ D i e Namen politischer Parteien stimmen nie ganz," bemerkt Fr. Engels mit Recht, aber Worte wie liberal, konservativ, radikal haben, wenn auch keinen absoluten, so doch einen historisch feststellbaren, relativen Inhalt. Die Etymologie verhilft in einem solchen Falle nur dazu, die Schwierigkeiten eindringlich vor Augen zu führen. „Romantisch" bedeutet etymologisch „romanhaft"; das Wort ist von Roman abgeleitet und könnte als Differenzierung eines epischen Oberbegriffs eine aus dem Worte selbst erklärliche, prägnante Bedeutung haben. Die Definition, zu welcher die vorliegende Abhandlung führt, w i r d dem Wortsinn wieder gerecht und erhält durch die interessanten philologischen und literargeschichtlichen Untersuchungen von Victor Klemperer 2 1 eine besondere Rechtfertigung. Leider ist aber in einer grauenhaften Verwirrung das Wort Romantik seit fast einem Jahrhundert ein leeres Gefäß, das mit verschiedenem, von Fall zu Fall sich änderndem Inhalt gefüllt wird. Zur Verdeutlichung dieses Zustandes sei einmal der Fall einer analogen Verwendung des ebenfalls epischen Begriffes „Fabel" angenommen. Wenn sich heute eine künstlerische oder literarische Bewegung als die „fabelhafte" bezeichnete und ihre „fabelhafte" Kunst als wahre, höhere, unbedingt echte, lebendige Gesamtkunst definierte, das „Fabelhafte" aber als die höhere A k tivität, Totalität oder Metaphysik, wenn sie ihr Spezifikum darin sähe, nichts anderes und nichts weniger als eben „fabelhaft" zu sein, so würde das allerdings an manche Definitionen der Romantik erinnern 2 2 . Mögli21

Romantik und französische Romantik. Festschrift für Karl Voßler, Heidelberg 1922. Ferner E. Seillière , Les origines romanesques de la morale et de la politique romantiques, Paris 1920, besonders S. 11/12; auch das oben erwähnte Buch über Rousseau zeigt den Zusammenhang mit der Romanliteratur. 22 Während der Korrektur dieser 2. Auflage (Dezember 1924) erfuhr ich, daß die modernen russischen Künstler, die sich Serapionsbrüder nennen, den Übergang zur „Fabel" proklamieren. Dabei bedeutet „Fabel", i n einer höchst bezeichnenden Verwechslung, bald die Handlung (als objektives Geschehen i m Gegensatz zur psychologistischen Auflösung), bald Fabulieren und Romanhaftigkeit, so daß, i n dem Manifest, das Romantische als „große Kunst" erscheint. Interessant ist daran vor allem die seit der Romantik herrschende Unfähigkeit, zu erkennen, daß alle große Kunst repräsentativ und nicht romantisch ist.

3* https://doi.org/10.3790/978-3-428-48428-7 Generated for Universitaet Leipzig, Universitaetsbibliothek at 139.18.244.59 on 2021-03-23, 10:34:20 UTC FOR PRIVATE USE ONLY | AUSSCHLIESSLICH ZUM PRIVATEN GEBRAUCH

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Einleitung

cherweise würde die Bewegung reüssieren und durch einige Produktionen dem Wort einen konkreten historischen Inhalt geben. Dann wäre es töricht, das Kriterium der fabelhaften Kunst oder Geistesart aus der sprachlichen Bedeutung des Wortes „fabelhaft" entnehmen zu wollen, noch törichter aber, in dem Programm der Bewegung etwas anderes zu sehen als eine Ablehnung jeder klaren Unterscheidung. Daher ist nichts damit erreicht, wenn das Romantische als mystisch-expansiver Drang, als Sehnsucht nach dem Höheren, als Mischung von Naivität und Reflexion, als Herrschaft des Unbewußten oder in ähnlicher Weise umschrieben wird, von den romantischen Selbstdefinitionen (die „romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie", sie „umfaßt alles, was nur poetisch ist, vom größten, wieder mehrere Systeme in sich enthaltenden System der Kunst bis zu dem Seufzer, dem Kuß, den das dichtende K i n d aushaucht in kunstlosem Gesang") ganz zu schweigen. Eine weitere, besondere Schwierigkeit liegt darin, daß gerade gute H i storiker, in ihrer Abneigung gegen begriffliche Trennungen, alle möglichen Ansichten eines Menschen, der ihnen nun einmal als Romantiker galt, daraufhin für „romantisch" hielten. Weil Eichendorff z. B. zweifellos ein guter romantischer Lyriker ist, wäre demnach alles, was dieser katholische Edelmann für richtig hielt, romantisch. So erklärt sich eine interessante geschichtliche Erscheinung, die Vladimir G. Simkhovitch treffend hervorgehoben hat, „daß gewisse philosophische und literarische Theorien von Leuten vorgebracht und vertreten werden, die gewisse soziale oder politische Ansichten haben, und mittels eines Vorganges, den man als einen substruktionellen bezeichnen kann", w i r d dann eine Identifizierung vorgenommen. „So wurden in Rußland jahrzehntelang die Schriftsteller, welche für l'art pour l'art eintraten, sofort als politische Reaktionäre erkannt, während jeder Realist ein Liberaler oder Radikaler sein mußte. Ahnlich war in Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Romantizismus gleichbedeutend mit politischem Konservativismus, während in Feuerbachs Jahrzehnt Naturalismus mit politischer Rebellion und humanitärem Sozialismus auf einer Stufe stand" 2 3 . Es ist daher notwendig, durch eine bewußte Begrenzung auf einen bestimmten historischen Komplex das systematisch Wesentliche festzustellen. I m Gegensatz zu der Ausdehnung, die der Begriff Romantik bei Seillière gefunden hat, w o er überhaupt nur noch eine allgemeine Gleichartigkeit eines psychischen Habitus in allen Situationen bezeichnet, ist bei den deutschen Historikern, die sich mit konkreten Untersuchungen i m einzelnen beschäftigt haben, ein Name

23

Marxismus gegen Sozialismus (aus dem Englischen übersetzt). Jena 1915, S. 26/27.

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Einleitung nach d e m andern aus der langen Reihe, die R ü g e n o c h aufgestellt hat, vers c h w u n d e n . Görres w u r d e schon w e g e n seiner d e m o k r a t i s c h e n O p p o s i t i o n n i c h t als p o l i t i s c h e r R o m a n t i k e r angesehen, m a n k o n n t e i h n , ebensow e n i g w i e Stahl u n d Jarcke, v e r n ü n f t i g e r w e i s e niemals R o m a n t i k e r nennen, u n d d u r c h die T r e n n u n g der historischen Staats- u n d Rechtslehre v o n der r o m a n t i s c h e n ist n a m e n t l i c h Savigny ausgeschieden 2 4 . Schließlich b l i e b e n n u r die eigentlichen Schriftsteller der p o l i t i s c h e n Restauration, A d a m M ü l l e r , F r i e d r i c h Schlegel u n d H a l l e r als p o l i t i s c h e R o m a n t i k e r ü b r i g . D o c h steht auch diese Z u s a m m e n s t e l l u n g n o c h u n t e r der N a c h w i r k u n g v o n S c h l a g w o r t e n der deutschen Restaurationszeit u n d liberaler P o l e m i k gegen „ H a l l e r , M ü l l e r u n d K o n s o r t e n " . D a ß alle z u m K a t h o l i z i s m u s übergetreten sind, schien eine weitere G e m e i n s a m k e i t z u begründen, die d a n n w i e d e r z u einer V e r b i n d u n g p o l i t i s c h e r R o m a n t i k u n d

„theokratisch-

t h e o s o p h i s c h e r " Staatsauffassung f ü h r t e - als o b sich r ö m i s c h - k a t h o l i s c h u n d t h e o s o p h i s c h n i c h t ebenso gegensätzlich zueinander v e r h i e l t e n w i e klassisch u n d r o m a n t i s c h . A b e r auch H a l l e r ist k e i n R o m a n t i k e r . Sein 24

Alexander Dombrowsky, Adam Müller, die historische Weltanschauung und die politische Romantik, Zeitschr. f. d. ges. Staatswissensch. 65 (1909), S. 377; er rechnet auch Müller nur in seinen spätem Jahren zur politischen Romantik, übernimmt also die Gleichstellung von Restaurationstheorie und politischer Romantik, doch soll diese der weitere Begriff sein. Leider sind die klaren Unterscheidungen des guten Aufsatzes nicht auf diese Begriffe ausgedehnt. Gunnar Rexius, Studien zur Staatslehre der historischen Schule, Hist. Zeitschr. 107 (1911), S. 520 (in Rehbergs Rezensionen der Müllerschen und Hallerschen Schriften zeigt sich „zuerst die Kluft zwischen der historischen Staatslehre und der Reaktion oder, wenn man so will, der politischen Romantik"; S. 535 erwähnt er den Unterschied der historischen von der romantisch-rationalisierenden [sie] Anschauung, scheint also ein rationalistisches Element als konstitutiven Faktor der politischen Romantik zu betrachten). H. U. Kantorowiez, Volksgeist und historische Rechtsschule, Historische Zeitschrift 108 (1911), S. 303: die Lehre vom Volksgeist ist das Merkmal der historischen Schule; die geschichtliche Methode und die geschichtliche Einsicht sind zwar romantischen Ursprunges (hier ist Novalis zitiert und auf Poetzsch, Studien zur frühromantischen Politik und Geschichtsauffassung, Leipzig 1907, S. 64, 67 verwiesen), aber „nur die politische Romantik eines Adam Müller und v. Haller (!) muß hier außer Betracht bleiben; sie hat aber auch mit der Volks geistlehre nichts zu tun". Wilhelm Metzger, Gesellschaft, Recht und Staat i n der Ethik des deutschen Idealismus, Heidelberg 1917, S. 251, behandelt Fr. Schlegel, A . Müller, K. L. v. Haller zusammen als „reaktionäre Romantiker", zum Unterschied von den historischen: Savigny und Schleiermacher, von Schelling und der frühromantischen Politik; S. 282 erscheint Savigny als von A . Müller beeinflußter Romantiker. Schleiermacher ist von Metzger ausführlich behandelt worden, seine Ansichten über Staat und Gesellschaft hat Günther Holstein, Die Staatsphilosophie Schleiermachers, 1922, zusammengestellt. Vortrefflich Spranger Lebensformen S. 162.

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Einleitung

Ü b e r t r i t t z u m K a t h o l i z i s m u s i m Jahre 1820 hat eine ganz andere M o t i v a t i o n als e t w a der des 25jährigen L i t e r a t e n M ü l l e r i m Jahre 1805. W e n n sein W e r k auf r o m a n t i s c h e N a t u r e n der Restaurationszeit, auf A d a m M ü l l e r , F r i e d r i c h Schlegel u n d n a m e n t l i c h die B e r l i n e r k o n s e r v a t i v e n Kreise einen m ä c h t i g e n E i n d r u c k gemacht hat, so k ö n n t e das eher auf eine geistige Verschiedenheit h i n d e u t e n , w e i l auch so u n r o m a n t i s c h e N a t u r e n w i e B o n a l d o d e r de M a i s t r e die deutschen R o m a n t i k e r maßgebend beeinflußt haben. E r ist m i t R e c h t als e i n Geistesverwandter v o n M o s e r aufgefaßt w o r d e n ; seine nüchterne, praktische A r t , sich an die p o s i t i v e W i r k l i c h k e i t einer feudal-patriarchalischen Gesellschaftsordnung z u halten, begründet d a s 2 5 . S o w e i t er d a r ü b e r hinaus k o n s t r u i e r t , gehört er z u m alten d e d u k t i v e n N a t u r r e c h t 2 6 . So b l e i b t i n der H a u p t s a c h e u n t e r d e n D e u t s c h e n A d a m M ü l l e r als bisher unbezweifeltes Beispiel eines p o l i t i s c h e n R o m a n t i k e r s 2 7 . E r geh ö r t m i t F r i e d r i c h Schlegel u n d Zacharias W e r n e r z u d e n norddeutschen, protestantischen L i t e r a t e n , die die R i c h t u n g nach Süden n a h m e n u n d z u m K a t h o l i z i s m u s übertraten, also ( w e n n v o n d e m f r ü h v e r s t o r b e n e n N o v a l i s 25

Rexius, a. a. O., S. 317 Anm.; trotzdem nennt er, S. 508, Müller und Haller zusammen als die beiden „Propheten der Restauration" und die beiden politischen Romantiker. Über Hallers Leben und Charakter: Ewald Reinhard, Karl L u d w i g von Haller, ein Lebensbild aus der Restaurationszeit, K ö l n 1915 (Görres-Gesellschaft, 2. Vereinsgabe). 26

Daß Hallers Argumentationen methodisch ein Beispiel naturrechtlicher Deduktionen sind, hat zuletzt Metzger; a. a. O., S. 272, ausgeführt. A . v. Arnim, der auch sonst i n politischen Theorien einen guten Blick hat, bemerkte schon (in einem Brief an Görres) die Verwandtschaft mit Rousseau. „ N a c h meiner Überzeugung laboriert er an derselben Halbheit wie Rousseau, nur weil sie nach der andern Seite geht und sich mehr historischen Schein zu geben weiß, scheint er den Leuten neu und groß" (Reinhard, a. a. O., S. 51). Sehr klar Chr. Alb. Thilo, Die theologisierende Rechts- und Staatslehre, Leipzig 1861, S. 263: Hallers „rechtliche Begriffe sind keine andern als die i m Naturrecht hergebrachten". Auch Bluntschli, a. a. O., S. 486, der ihn mit Müller, Görres, Bonald, de Maistre und Lamennais behandelt, sagt von ihm: „dieser unterscheidet sich wesentlich von den andern"; ähnlich Mohl a. a. O., I, S. 253, 254 und G. v. Below , Der deutsche Staat des Mittelalters, Leipzig 1914, S. 8 und 174. Daß er vor Bergbohm keine Gnade findet, versteht sich danach beinah von selbst: „ . . . er ist vielmehr durch und durch Naturrechtler, nur daß er die Muster seines Naturrechts i n den positiven Institutionen vergangener Zeiten suchte . . . er ist ein reaktionärer Naturrechtsdoktrinär, kein Proselyt der Historischen Schule." Jurisprudenz und Rechtsphilosophie, Leipzig 1892, S. 175; unter Hinweis auf Singer; Zur Erinnerung an Gustav Hugo, in Grünhuts Zeitschr. f. d. Privat- und öffentliche Recht 16, 1889, S. 273 f. Über Haller neuerdings F. Curtius, Hochland 1925/24, S. 200. 27

Metzger; a. a. O., S. 260, w i l l sogar Müllers „Lehre v o m Gegensatz", Berlin 1804, als die „Programmschrift der romantischen Weltanschauung" ansehn.

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Einleitung

abgesehen wird) zu dem Teil, dessen Weg sich kreuzte mit dem der süddeutschen Philosophen Hegel, Schelling und Joh. Jac. Wagner, bei denen die Richtung nach Norden zu gehen scheint, deren geistige Leistung jedoch mit dem Prädikat romantisch nicht definiert ist. Da auch Friedrich Schlegel politisch tätig war und zur politischen Romantik i m besondern Sinne gerechnet w i r d 2 8 , ist er ebenfalls zu berücksichtigen. Bevor aber aus geistesgeschichtlichen und systematischen Zusammenhängen die Struktur der politischen Romantik ermittelt wird, muß an einem Beispiel die Praxis eines politischen Romantikers gezeigt werden. Denn wenn es nicht auf beliebige Konstruktionen, sondern auf die entscheidende Eigenart einer politischen Lebensäußerung ankommt, ist es nicht gleichgültig, wie sich politische Romantiker in concrete verhielten. Für Chateaubriand kann auf die glänzende Schilderung von Paléologue verwiesen werden 2 9 . I n Deutschland zeigt Adam Müllers politische Betätigung das typische Bild politischer Romantik. Es w i r d sich schon daraus ergeben, wie unrichtig die heute übliche Darstellung ist, die Männer wie Burke, de Maistre und Bonald mit Adam Müller und Friedrich Schlegel unter dieselbe Kategorie politischer Geistigkeit bringt.

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Meinecke y a. a. Ο., V. Kapitel: Friedrich Schlegel i m Übergang zur politischen Romantik, S. 83: durch den Übertritt zur katholischen Kirche (1808) und den A n schluß an Österreich entwickelte sich die freie und individualistische Romantik Friedrich Schlegels zur politischen und kirchlich gebundenen. De Maistre und Bonald sind für Meinecke natürlich auch politische Romantiker (S. 240), wie denn Meinecke überhaupt, i m Gegensatz zu seiner Differenziertheit i n der Beurteilung anderer Tendenzen, hier einen ganz zufälligen und schlagworthaften Sprachgebrauch übernimmt. So erklärt sich w o h l auch die für einen so feinsinnigen Historiker erstaunliche Distinktion: freie und politische Romantik. 29 Romantisme et Diplomatie, Talleyrand, Metternich, Chateaubriand, Paris 1924, p. 101 seqq. Es braucht nicht gesagt zu werden, daß Talleyrand und Metternich keine Romantiker waren {Paléologue spricht auch nur von der „légende romantique du diplomate"), sie waren ebensowenig „Romantiker" wie zahllose andere Figuren, die zum Anlaß romantischer Produktivität gedient haben. Wenn Talleyrand von der Sand literarisch zu einer romantisch-dämonischen Figur aufgetrieben wird, so bleibt er geschichtlich, was er ist, ein brillanter Techniker der Kabinettspolitik.

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I. Die äußere Situation Die romantische Bewegung, die Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland auftrat, gab sich selbst als eine Revolution aus und stellte dadurch eine Beziehung zu den politischen Vorgängen in Frankreich her. Bei den sozialen Verhältnissen in den Gebieten dieser Bewegung, in N o r d - und Mitteldeutschland, verstand es sich von selbst, daß der Zusammenhang nicht politisch gemeint war. Die bürgerliche Ordnung stand so unbedingt sicher, daß man sich die enthusiastischen Begrüßungen der Revolution unbedenklich gestatten konnte. Als die Göttingischen Professoren, Schlözer, Feder, Spittler, die auf dem Katheder die Befreiung der Nationen vom Tyrannenjoch gefeiert hatten, von der hannoverschen Regierung auf das U n passende ihres Tuns aufmerksam gemacht wurden, waren sie offenbar selbst überrascht, so ernst genommen zu werden. Wenn sich am preußischen H o f eine besondere Freude über die Revolution zeigte, so durfte das geschehen, weil aller Berechnung nach die Vorgänge in Frankreich zu einer Schwächung der Machtstellung Frankreichs führen mußten. Aber auch als die neue Republik eine unerwartete militärische Kraft entfaltete und i m Westen Deutschlands die bedrohten Reichsstände ihre Angst vor dem jakobinischen „Conquerantenstaat" in die Welt riefen, fürchtete sich niemand vor den Abstraktionen von Menschenrechten und Volkssouveränität, die in Frankreich eine so furchtbare Kraft bewiesen hatten. Erst nach den Freiheitskriegen verbreitete sich in Deutschland die Furcht vor einer Revolutionierung durch Ideen und wurde zu einem Vorwand polizeilicher Maßnahmen. Wenn Schlegel sagt, die Französische Revolution, Fichtes Wissenschaftslehre und Goethes Meister seien die größten Tendenzen des Jahrhunderts oder man könne die Französische Revolution als das größte und merkwürdigste Phänomen der Staatengeschichte betrachten, so ist das in seiner politischen Bedeutung ebenso zu bewerten wie zahlreiche andere Sympathiekundgebungen deutscher Bürger, die in der sichern Ruhe des Polizeistaats die Ereignisse auf sich wirken ließen und die grobe Realisierung abstrakter Ideen, die sich in Frankreich abspielte, wieder in die Region des Idealischen zurückführten. Es war der Reflex eines weitentfernten Feuers. Schlegel hat seinen Enthusiasmus auch bald überwunden. Bald war ihm die Französische Revolution nicht mehr großartig genug und er bemerkte,

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I. Die äußere Situation

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die wahre Revolution wäre höchstens noch in Asien möglich; die konkrete französische ließ er nur als einen ganz erfreulichen Versuch gelten 30 . Die Revolution der Romantiker selbst aber bestand darin, eine neue Religion, ein neues Evangelium, eine neue Genialität, eine neue Universalkunstzu versprechen. Von ihren Manifestationen in der gewöhnlichen Wirklichkeit gehörte kaum etwas vor ein Forum externum. Ihre Taten waren Zeitschriften. Die Sensation, die einige bürgerliche Literaten in den Salons Berliner Bankierstöchter machten, gesellschaftliche Skandale, hervorgerufen durch Einbruch in die Ehe von Freunden oder Gastgebern, Kriegserklärung an Goethe und Schiller, Zerschmetterung Nicolais, Erledigung Kotzebues, das waren, äußerlich betrachtet, einige Fakta. Die weitgereiste Frau von Staël drückte einmal ihre Verwunderung darüber aus, daß man in Deutschland die kühnsten revolutionären Gedanken frei vortragen dürfe. Sie wußte freilich auch die Erklärung: i m Ernst kümmerte sich niemand darum. Die politisch maßgebende Schicht, der Adel und die hohe Bürokratie, brauchte sich in ihrer Überlegenheit nicht beirren zu lassen von einigen Schriftstellern, die unter dem Protektorat schöngeistiger Damen Vorlesungen hielten, bei der vornehmen Gesellschaft hospitieren durften 3 1 und eifrig bemüht waren, sich der bewunderten aristokratischen Eleganz zu assimilieren oder wenigstens eine Philosophie der Urbanität daraus zu machen. Die typische Kavaliersauffassung äußerte der Freiherr von Steigentesch, der den Freimut eines leichtfertigen Lebemannes hatte: man solle die Gelehrten sich nur an ihren Schreibtischen austoben lassen, der Hunger treibe ihre Federn und der sonst gefährliche, allgemeinmenschliche Expansionsdrang erzeuge hier nur dicke Bücher 3 2 . Selbst Gentz, der sich doch Respekt zu verschaffen gewußt hatte, wurde von Metternich zuweilen mit einer Freundschaft behandelt, die an die 30 Europa, I. Bd. 1. Stück (Frankfurt a. M . 1803), S. 36. 31

R. M. Werner, Aus dem Wiener Lager der Romantik, Österr. Ung. Revue, N . F. V I I I (1889/90), S. 282. Karl Wagner, Wiener Zeitungen und Zeitschriften in den Jahren 1808 und 1809, Arch. f. österr. Gesch. 104 (1915), S. 203, Anm. Interessant ist eine Stelle in dem von Jakob Bleyer; Friedrich Schlegel auf dem Bundestage in Frankfurt, München und Leipzig 1913, S. 18 (Ungar. Rundschau 2 - 1913 S. 654) mitgeteilten Aktenstück Nr. 354 ex 1816 des Archivs der Obersten Polizeiund Zensurhofstelle: „ A l l e diese wandernden Vorleser und Deklamatoren, welche lange vorher, unter der Mißbilligung vernünftiger Menschen i n dem auswärtigen Deutschland ihr lächerliches Wesen trieben, begeben sich auch hier unter den w i r k samen Schutz der Weiber, welche die Eintrittskarten an die bei ihnen einsprechenden Männer und Weiber mit unwiderstehlicher Zudringlichkeit zu vertrödeln pflegen." Der Teil des Akts, welcher Gentz, Adam Müller und Baron A l b i n i betrifft, war mir nicht zugänglich. 32

I n Friedrich

Schlegels Deutschem Museum, I. Bd., 1. Heft, S. 206/7.

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I. Die äußere Situation

Vertraulichkeit zwischen Herrn und Kammerdiener erinnert 3 3 . Adam Müller verdankte die Rücksicht, die man auf ihn nahm, nur seinem Freund und eifrigen Beschützer Gentz 3 4 . Über die „schändliche" Behandlung, die sich die Wiener Hofkanzleibeamten gegen Müller und Schlegel erlauben durften, war der gute Klinkowström mit Recht empört 3 5 . Auch

33 Metternich hielt es deshalb auch nicht der Mühe wert, sich über Gentz zu ärgern, wenn dieser hinter seinem Rücken über ihn schimpfte oder sich in bedenkliche Geschäfte einließ. „Daß er für sich selbst divaguiert, weiß ich sehr wohl; deswegen muß man ihn nie sich selbst überlassen, aber stets brauchen", schrieb er an Hudelist. (Vgl. W. I I I , 1, S. 268 Anm.) 34

Schuckmann, der Referent der Abteilung für Kultus und öffentliche Angelegenheiten i m Ministerium des Innern, erledigte Müllers Ansuchen, ihn zum Kanzler der Universität Frankfurt zu machen, mit der Bemerkung, er wisse nicht, i n welchem Fach Müller auch nur als Privatdozent auftreten könne, viel weniger, daß man seiner als Kanzler bedürfe. (Friedr: v. Raumer, Lebenserinnerungen und Briefwechsel, Leipzig 1861, I, S. 157, 158). Hardenberg machte zwischen Adam Müller und Saul Ascher höchstens den Unterschied, den die Rücksicht auf Gentz erzwang. Der Erzherzog Johann von Osterreich schrieb (am 30. August 1813) i n sein Tagebuch: „ A d a m Müller war bei mir, es ist ein Vergnügen mit ihm zu sprechen; ich w i l l ihn brauchen; was sonst seine Ansichten, bekümmert mich wenig." (Krones, Tirol 1812-1816 und Erzherzog Johann von Österreich, Innsbruck 1890, S. 129). 3

5 „Aus der alten Registratur der Staatskanzlei", Wien 1870, S. 175, S. 179. Friedrich von Schlegel, der „ . . . endlich nach Jahren den Rang eines Legationsrates erreicht hatte, starb 1829 sozusagen in amtlicher Vergessenheit zu Dresden als vorlesender Philosoph. - Dessen Witwe, eine geborene Mendelssohn, erzählte öfters i m vertrauten Freundeskreise mit lächelndem Munde, daß, wenn ihr Mann i m Amtslokale der Staatskanzlei ein Zimmer zu passieren hatte, in welchem ein oder der andere Staatskanzleibeamte mit Schreiben beschäftigt war, dieser sogleich mißtrauisch die Hand vor das Papier hielt, damit Schlegel ja kein Geheimnis erhasche . . . " „ A u f des Letzteren (Jarckes) mutige Kampfesweise auf dem Felde der Publizistik achtsam geworden, veranlaßte Fürst Metternich dessen ,Allergnädigste' Berufung nach Wien und Zuteilung in die Staatskanzlei. M i t seiner Anstellung war der berühmte Professor unbarmherzig der Ungnade alltäglicher Beamten überantwortet. Mehr als einmal sah sich Jarcke bemüßigt, seinen Kanzleivorständen gegenüber die unerquicklichsten Auseinandersetzungen hervorzurufen, u m sich eine halbwegs annehmbare Stellung in seiner Dienstsphäre zu erobern. Die edle Denkungsart, welche den Fürsten Metternich beseelte, gestattet es nicht, ihn i n erster Linie verantwortlich zu machen für die kränkende Behandlung, welche den gefeierten politischen Schriftstellern Gentz, Schlegel, Müller, Jarcke und Pilat zu Teil wurde. N u r insofern kann man den Staatskanzler nicht jeglicher Schuld ledig erklären, weil er, dafürhaltend, die Personalien seien Dinge, die unter jene Minima gehören, u m die sich der Prätor nicht zu kümmern habe, und dieser Ansicht huldigend - die

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aus den Besprechungen, die Rehberg über Müllers Vorlesungen schrieb, hört man die Verachtung des soliden Manne heraus, die hier u m so stärker wirkt, weil er ohne die persönliche Abneigung, die bei F. Raumer und vielen andern vorlag, mit ruhiger Sachlichkeit Müllers Vortrag aus seiner A b hängigkeit von einem vornehmen Publikum erklärt 3 6 . Aber vor der Verachtung verständnisloser Aristokraten oder Bürokraten wäre vielleicht

Berufenen ganz bona fide seinen Kanzleimännern zur ,weiteren Amtshandlung* normalmäßig überließ." Ferner den Brief von Gentz an Metternich v o m 22. Februar 1827 (Klinkowström S. 76, Wittichen, I I , 2, S. 218): „Wie schändlich Müller bis zu dem Augenblick, w o ich für ihn auftrat, und Baron Stürmer endlich aus Rücksicht auf mich einlenken hieß, behandelt worden ist, damit mag ich Euer Durchlaucht nicht behelligen. Aber Erleichterung seiner Lage für die Zukunft - vor allen Dingen - unparteiische, gerechte Prüfung seiner begründeten Bitten und Beschwerden - das versagen Eurer Durchlaucht ihm nicht! Er provoziert auf jeden ehrlichen Referenten, stellt Euer Durchlaucht die Wahl desselben ehrfurchtsvoll anheim. Ich glaube, Hofrath Lebzeltern würde der geeignetste sein. So kann es nicht bleiben: Müller unterliegt dem Gram und selbst den Sorgen, den recht eigentlichen Nahrungssorgen. U n d noch eine solche Szene wie die, welche der nichtswürdige (Staatskanzleirat Kaesar) mit ihm gespielt hat, bringt ihn ins Grab." Vgl. die Tagebucheintragungen von Gentz vom 6. April, 1. Juli, 17. und 19. Okt., 25. Nov. und 14. Dez. 1827, sowie 31. Jan. 1828; auch den Brief Schlegels an seinen Bruder vom 16. Jan. 1815 (Briefwechsel, herausgegeben von Oskar F. Walzel, Berlin 1890, S. 537). 36 Hallische Allg. Lit. Zeit. 1810, Nr. 107 - 109 (Sämtliche Schriften, Bd. IV, Hannover 1829, S. 243): „Vornehme Personen suchen eine Zerstreuung und Erholung ..., und wollen sich einmal etwas vorklimpern lassen, damit der unsterbliche Geist doch nicht vollends einschlafe. Damit ist denn nun auch der Haufen zufrieden, der den Saal füllen hilft, und sich eingefunden hat, teils u m mit vornehmen Leuten in Gesellschaft gewesen zu sein, teils u m sich als Genossen der höhern K u l tur darzustellen. U m diese Zuhörer zu unterhalten, muß alles Gemeine und Bekannte den Anschein des Neuen und höherer, verborgener, jetzt erst kundgemachter Weisheit erhalten. Es müssen neue Worte und überraschende Zusammenstellungen, Anspielungen, Deutungen gesucht werden. Der überlegte klare Vortrag des verständigen Mannes reicht nicht zu, und muß Seiltänzerkünsten Platz machen . . . Alle Werke, die auf jene A r t entstanden sind, tragen mehr oder weniger Spuren davon an sich - falschen Schmuck, blendenden Schein übertriebener Behauptungen, unpassende Ausdrücke, schreienden Kontrast erzwungener Ansichten mit den gewöhnlichen Vorstellungen. Z u allem diesen kommt noch eine andere Inkonvenienz. Der Ton einer Vorlesung, nicht für Schüler, sondern für Zuhörer, die die Ehre erzeigen, zu erscheinen, verleitet zu einer pedantischen Eleganz. Der Redner steckt in einer Schnürbrust, dergleichen weder Demosthenes, Fox, Burke, noch auch Bossuet getragen haben, so viel Rücksicht auch diese insgesamt auf die Personen nehmen mußten, vor denen sie standen."

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auch Lessing nicht sicher gewesen. Wichtiger ist die A n t w o r t auf eine solche Überlegenheit und das tatsächliche Verhalten des politischen Romantikers, dem Gelegenheit zu politischer Betätigung gegeben wird. Schlegel hatte bekanntlich damit begonnen, jede praktische politische Arbeit als unwürdig von sich zu weisen und sich beschworen, „Glauben und Liebe nicht in die politische Welt zu verschleudern". Doch darf man ihn mit solchen Äußerungen nicht praktisch beim Wort nehmen. Er drängte sich eifrig herbei, als es etwas zu tun gab, sein Ehrgeiz und Temperament brannte nach diplomatischen Geschäften und wichtigen Aufträgen. Von seiner Tätigkeit i m Kriegspressequartier und der journalistischen Arbeit als Redakteur erst der „Österreichischen Zeitung", dann des „Österreichischen Beobachters" braucht nicht gesprochen zu werden; man kann die Stilisierung einiger vorgeschriebener Artikel und Notizen nicht als politische Tätigkeit auffassen; die eigentlichen redaktionellen Arbeiten wurden schon nach kurzer Zeit dem tüchtigeren Pilat übergeben. Daß er 1809 Proklamationen gegen Napoleon aufsetzte und sogar eigenhändig anklebte, ehrt ihn, weil es beweist, daß er eines spontanen Empfindens fähig war. Aber erst die Mitarbeit am Bundestag in Frankfurt, u m die er sich so bemüht hat, könnte politische Betätigung genannt werden, wenn sie nicht so ruhmlos geendet hätte. Freilich hatte er auch hier mit großen Plänen und Versprechungen begonnen. Dorothea schrieb, Friedrich sei jetzt „ m i t Konstitutionen und Ständen, Bundestag und lauter Sachen beschäftigt", die ihre Kinder erst „ i n ihrer künftigen Wirkung" etwas angehen sollten. Er versuchte, sich in diplomatische Geschäfte zu mischen und seinen Chef, den Grafen Buol, der dem beschäftigungslosen Schlegel einige Arbeit übertragen hatte, zu umgehen, hatte damit aber einen peinlichen Mißerfolg. Als Metternich in dem Reskript vom 16. September 1816 Buol ersuchte, sich durch Druckschriften und Zeitungen Einfluß auf die öffentliche Meinung zu verschaffen, erwähnte er als Schriftsteller, die hierfür in Betracht kämen, w o h l Adam Müller, neben Klüber, Nikolaus Vogt und Saalfeld, nicht aber Schlegel. Buol ließ ihn aber doch eine Denkschrift anfertigen. Außer dieser und einigen andern unbeachteten Arbeiten, den „Bemerkungen über die Frankfurter Angelegenheiten", mit denen er sich lästig machte, Zeitungsaufsätzen, darunter einem über den Bundestag, den Gentz als die Arbeit eines „gutmütigen Schwärmers" bezeichnete, hat er bis zu seiner Abberufung (14. A p r i l 1818) kein Ergebnis seiner politischen Tätigkeit aufzuweisen. Die Korrektur der Bundestagprotokolle, die er freiwillig übernommen hatte, wurde ihm bald wieder entzogen. Zuletzt sind seine Briefe, wie die seiner Frau an einflußreiche Bekannte, angefüllt mit Bitten um Verwendung für Entschädigungsansprüche, Übersiedlungsbeiträge, Betreibung seiner Erhebung in den Adelstand 3 7 ; daneben litera-

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risch interessante Charakteristiken seiner Vorgesetzten, psychologische Aphorismen und Kritiken, die freilich nichts daran ändern, daß sein Versuch, politisch eine Rolle zu spielen, ebenso ausgegangen ist wie lange Zeit vorher in Jena sein Auftreten als Philosoph. Metternich nahm ihn schließlich mit, als er bald darauf nach Rom reiste, und machte in seinen Briefen mit gutmütigem Spott Bemerkungen über den korpulenten und eßlustigen Schlegel 38 . Es wäre höchst ungerecht, den unglücklichen Mann menschlich und in seiner geistigen Bedeutung nach diesem Mißerfolg zu beurteilen. Wo jedoch die politische Persönlichkeit in ihrer historischen Wirkung beachtet werden soll, muß trotzdem erwähnt werden, daß die meisten seiner politischen Zeitgenossen unmittelbar von seiner Persönlichkeit kaum einen andern Eindruck gehabt haben als den der Korpulenz, während man ihn als Politiker keines ernsten Wortes würdigt. Er hatte doch den Anspruch gemacht, mit seinen Ideen über Papsttum, Kirche, Adel auch politisch ernst genommen zu werden. Hier konnte er aber nicht einmal neben Adam Müller bestehen, den er sonst als seinen geistigen Mitläufer behandeln durfte 3 9 und über den das Gesamturteil abgegeben worden ist, er sei der „Schatten" Friedrich Schlegels 40 . 37

Bleyer; a. a. O., S. 111. Briefwechsel mit seinem Bruder August Wilhelm, a. a. O., S. 558 f., 575. 3

8 Brief an Gentz vom 9. A p r i l 1819 (W. I I I , 1, S. 390), ferner z. B. Gentz an Pilat am 9. Sept. 1818 (Briefe an Pilat, hrsg. von K. Mendelssohn- Β artholdy\ W. D o r o w an Scheffner am 9. Nov. 1818 (Briefe an und von J. G. Scheffner, hrsg. von Arthur Warda I, 1, München und Leipzig 1916, S. 155). Heinrich Finke, Uber Friedrich und Dorothea Schlegel, K ö l n (Görresgesellschaft) 1918, S. 10 ff., 34 ff. Welche irrigen Vorstellungen über Schlegels politische Bedeutung verbreitet sind, erkennt man am besten aus der Bemerkung von C. Latreille, Joseph de Maistre et la Papauté, Paris 1906, S. 282, wonach Schlegel „ambassadeur d'Autriche à Francfort" war und Osterreich i m Sinne der Ideen de Maistres organisierte ! 39

Sehr deutlich in der Besprechung von Müllers Vorlesungen über die deutsche Wissenschaft und Literatur, Dresden 1807, in den Heidelbergischen Jahrbüchern 1808, S. 226 f., Bd. 143 von Kürschners Deutscher Nationalliteratur, S. 405 f.). I n seinem Brief an August Wilhelm Schlegel vom 14. Jan. 1813 sagt er von Müller: „ E i n Charlatan (wovon er so einen kleinen Beygeschmack hat), kommt hier leichter fort; nur verständige Männer gedeihen hier (sc. in Wien) nicht." Friedrich Schlegels Briefe an seinen Bruder August Wilhelm, a. a. O., S. 638. 40

Wolf gang Menzel, Die Deutsche Literatur, 2. Aufl. I, Stuttgart 1836, S. 306: „ A d a m Müller, sein Schatten, hat ihn i m politischen und Kunstgebiet nachgeahmt, war wie er Renegat und ist ihm nachgestorben, da er von ihm seinen Geist sog." Ahnlich in der Besprechung von Müllers gesammelten Schriften, Bd. I, i m Literaturblatt, 21. Aug. 1840, S. 337.

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Müller, der seit 1815 österreichischer Generalkonsul in Leipzig war, hatte sich dort, gewandt und diensteifrig, einen Wirkungskreis zu schaffen gewußt. Der 45jährige Mann schreibt allerdings einmal melancholisch an Gentz, daß seine, von Zeitungsartikeln angeschlagene rhetorische Ader in seinem „Leipziger Salon" vor einigen gutmütigen Jünglingen, aber ohne weitere Wirkung, verfließt und versiegt. Aber der Schluß des Briefes lautet anders. Müller zieht hier die Bilanz seines Lebens. Er weiß, daß es nichts Geringes war, als Bürgerlicher, ohne Namen und Herkunft, kaiserlicher Generalkonsul in Leipzig zu werden. Dafür dankt er (ohne jede Ironie) „ G o t t und dem Fürsten" (Metternich). Trotzdem: „auf dem Gipfel dessen seit sieben Jahren angelangt, was er vernünftiger Weise begehren konnte", schmerzt es den bürgerlichen Anwalt des Erbadels (dessen N o bilitierung sich nämlich verzögerte), daß die Aristokraten „ihren besten Verteidigern den Weg verrennen und daß die Geburtsprätensionen in Europa, durch unsere sehr wesentliche Mithilfe, sich wieder sehr breit zu machen beginnen". U n d dennoch hinwiederum: „Unser Fürst (Metternich) ist glücklich, das war bis jetzt mein Trost." 4 1 Er hatte die Freude, die zugleich ein politischer Erfolg war, daß unter seinem Einfluß der Herzog Friedrich Ferdinand von Anhalt-Köthen zum Katholizismus übertrat; er erlebte eine Anerkennung, die seinen Lebenswunsch erfüllte, die N o b i l i tierung. N u r war er in dieser ganzen Tätigkeit immer das unbedingte Werkzeug Metternichs gewesen, und wenn er „divaguierte", so geschah das nicht in der politischen Praxis, sondern in theoretischen Andeutungen seiner Schriften. A m Schlüsse seines Lebens war er einfach ein guter, frommer Katholik, oft so demütig, daß er für eine menschliche Beurteilung damit w o h l ein Jahrzehnt bedenklicher Zweideutigkeit ausgeglichen hat 4 2 . Aber die Zeit, in der er aus eignem Entschluß politisch sich entscheiden konnte, liegt in den Jahren 1808 bis 1811. Damals stand i h m noch die Möglichkeit offen, wie Gentz der Sprecher eines bedeutenden politischen Gedankens zu werden, ein Publikum dafür zu suchen und zu beleben. Dadurch hätte er sich selbst als einen politischen Publizisten und, was er Spezifisches zu geben hatte, als politische Idee legitimiert. Der Verlauf dieser Jahre ist, wenn man sie ohne biographische Verliebtheit betrachtet, folgender:

Brief vom 13. Januar 1823, aus Leipzig, BW. Nr. 219. 42

Siegbert Elkuß, Zur Beurteilung der Romantik und zur K r i t i k ihrer Forschung (Hist. Bibliothek, Bd. 38), 1918, S. 6, sagt mit Recht, daß Müllers menschliche und politische Reife in die Zeit nach 1815 fällt. Aber das war die Zeit, i n der er alles Romantische mehr und mehr abzulegen suchte, überdies in Wirklichkeit nur ein bescheidener Diener Metternichs war.

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Auch Adam Müller hat als romantischer Empörer begonnen, obwohl er bereits als zwanzigjähriger Student in Göttingen den Gegner der französischen Revolution spielte. Er tat das als gelehriger Jünger von Gentz und in Anwendung einer anglophilen Pose, die er unter dem Eindruck des Göttingischen Milieus annahm, dessen „kulturelle Physiognomie damals mehr englisch als deutsch w a r " 4 3 . Die Romantik des Kontinents hat immer eine starke Neigung zur Anglomanie gehabt. N u r ist es für die Erkenntnis romantischen Wesens wichtig, daß der Einfluß englischer Kultur, der sich damals in Hannover so stark zeigte, nichts Romantisches hatte. Er beruhte auf der Gemeinschaftlichkeit des Herrscherhauses, auf gemeinsamen gesellschaftlichen Interessen, auf der gründlichen Vertrautheit mit englischem Wesen und englischen Einrichtungen, die intelligente hohe Beamte, wie Brandes und Rehberg, besaßen. Die Verwandtschaft des niedersächsischen und angelsächsischen Stammes kam ihm entgegen und schloß den letzten Rest des Verdachtes aus, es könnte sich hier u m romantische Regungen handeln. So hielt sich auch die hannoversche Universität Göttingen von dem Enthusiasmus für die Französische Revolution fern, und viele Gelehrte fanden eine verständige und kritische Haltung gegenüber den wichtigen Ereignissen der Zeit. I n der Hochflut kantischer und nachkantischer Transzendentalphilosophie ist in Göttingen der „gesunde Menschenverstand" kathederfähig geblieben 44 . Der Eindruck dieser vernünftig und sachlich begründeten Wirkungen englischen Wesens romantisierte sich bei dem jungen Berliner zur Anglomanie. Der Sohn des kleinen Rentmeisters suchte Fremden gegenüber den reichen Engländer zu spielen und zeigte schon i m Anfang seines Auftretens die Neigung, sich an das Ideal gesellschaftlicher Eleganz, das in seiner Umgebung herrschte, schnell anzupassen 45 . England wurde gleichzeitig für ihn das Heimatland der Philosophie, dort sollten sich sogar die Bogen der Akademie erheben, die er zu gründen gedachte. Daneben blieben seine Interessen von romantischer Buntheit: Nationalökonomie, Naturphilosophie, Medizin, Litera43

Rexius, a. a. O., S. 506, w o die Bedeutung des englischen Einflusses für die positive Richtung i n der deutschen Rechts- und Geschichtswissenschaft betont ist. 44

Die Göttinger beteiligten sich daher auch nicht an den Schimpfereien, mit denen die Gegner der Transzendentalphilosophen auf deren Überheblichkeit antworteten. Wohl sind in Bouterweks Neuem Museum der Philosophie und Literatur einige Parodien auf die neue Philosophie und die Romantik erschienen; sie gehören aber zum Besten, was die deutsche Literatur an Parodien hervorgebracht hat. 45 Seine Freunde Kurnatowski sind dem jungen Eichhorn als „sehr gebildete junge Leute" aufgefallen. (Job. FHedr. Schulte, Karl Friedrich Eichhorn, Sein Leben und Wirken, Stuttgart 1884, S. 9/10). Etwas zu boshaft äußert sich Fr. v. Raumer, a. a. O., I, S. 40.

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tur, Astrologie. Sein erstes Buch, „ D i e Lehre vom Gegensatz" (1804), zeigt diese ganze Vielseitigkeit, die keinen interessanten Gegenstand unberührt lassen und keinen sachlich festhalten konnte und die in dem Unternehmen gipfelte, Burke und Goethe in einem höheren Dritten zu verschmelzen. Burke war der Exponent des englischen, Goethe der des romantischen Komplexes; bei beiden handelte es sich nicht um wirkliche, sondern u m romantische Figuren, die infolgedessen leicht verschmolzen werden konnten. Denn der Verfasser war Romantiker, er ging in der Vorrede davon aus, daß die Revolution versagt habe, wie das damals 1803 auch die Auffassung Schlegels war. „Philosophische Systeme, sagt er, zerbrochene Kronen, republikanische Konstitutionen, theophilanthropische Pläne, gescheiterte Unternehmungen für Erhaltung wie für Zerstörung, Moralprinzipe und Lehrbücher des Naturrechts, abgenützte Pflichten und aufgegebene Rechte liegen in einem großen Schutthaufen beieinander, und bis jetzt ist keine Schrift, kein Gespräch, keine Tat, die uns der tumultuarische Schluß des 18. Jahrhunderts hinterließ, vollendet." Bei dieser Sachlage wollte der junge Schriftsteller das gescheiterte Unternehmen der Revolution wieder aufnehmen und zu Ende führen, den Worten Religion, Philosophie, Natur und Kunst einen neuen Inhalt geben, die Schranken der bisherigen mechanischen Zeit sprengen und die weltfremden Spekulationen der geistigen Revolution auf den Boden der Wirklichkeit verpflanzen. I n den folgenden Jahren wurden seine Gedanken nicht klarer, seine soziale und ökonomische Lage aber so, daß sein Ehrgeiz davon bedrückt sein mußte. Er lebte bei seinen polnischen Freunden Kurnatowski und Haza, die ihn auch zum „Deputierten" ihrer „Südpreußischen ökonomischen Sozietät" gemacht hatten. Aber man braucht nur die „Annalen" dieses Vereins ländlicher Grundbesitzer zu sehen, u m zu wissen, daß ein junger Mann, der von dem Verlangen verzehrt wurde, eine Rolle in der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu spielen, damit nicht zufrieden sein konnte 4 6 . I n der Melancholie des einsamen Landaufenthalts litt er an schweren Depressionen, er fühlte sich krank, zur Pflanze geworden, trieb Astrologie 4 7 46

Das erste Heft (Posen und Leipzig 1803), in dem Müller einen „ E n t w u r f zu korrespondierenden Wetterbeobachtungen. Eine Einladung an die Landwirte hiesiger Provinz und der benachbarten Länder" veröffentlichte (S. 149 - 176), enthält Aufsätze über Stallfütterung der Schafe, über das Herumlaufen der Schweine, A n lage von Miststätten und die rechte Behandlung des Mistes auf denselben usw. 47

Sein Horoskop mußte ihm freilich Besorgnisse erregen, wenn er sich i m Ernst damit beschäftigte: er hatte eine Konjunktion des rückläufigen Saturn mit dem Mars i m Skorpion und einen von der Venus quadrierten Jupiter. Das bedeutete öffentlichen Skandal (der tatsächlich 1809 eingetreten ist), plötzlichen Tod durch Schlagfluß (ist ebenfalls eingetroffen), böse Charakteranlagen usw.

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und Meteorologie und folgte schließlich der Einladung von Gentz nach Wien (8. Februar bis 30. A p r i l 1805). D o r t trat er am Tage vor seiner Rückreise zum Katholizismus über 4 8 . I m Oktober 1805 übersiedelte er mit den Hazas, bei denen er wohnte, nach Dresden und hielt hier als Privatgelehrter neben Böttiger und G. H . Schubert Vorlesungen vor einem hauptsächlich aus Fremden zusammengesetzten, vornehmen Publikum: i m Winter 1805/6 über deutsche Literatur, Wissenschaft und Sprache, 1806/7 über dramatische Poesie und Kunst, 1807/8 über die Idee der Schönheit. Die Vorlesungen erschienen auch in Buchform und waren zum Teil i m „Phöbus", den er seit Januar 1808 mit Kleist zusammen herausgab, abgedruckt. Ihr Erfolg war schnell vergessen 49 . A n der von Rühle von L i lienstern seit 1808 herausgegebenen „Pallas, Eine Zeitschrift für Staatsund Kriegs-Kunst" beteiligte er sich mit mehreren Aufsätzen, darunter einigen Ausführungen „bei Gelegenheit der Untersuchungen über den Geburtsadel von Fr. Buchholz", in denen er den Adel gegen die Angriffe von Buchholz verteidigte. Jetzt gab der treue, immer für ihn besorgte Freund Gentz einen entscheidenden Anstoß und schlug ihm vor, zur Verteidigung des Adels ein Buch zu schreiben oder aber eine Sammlung politischer, moralischer und historischer Aufsätze zu veröffentlichen: „ m i t Leib und Seele stehe ich Ihnen dafür, Sie machen sich eine ungeheure Reputation - und entschließen Sie sich zum ersten (zur Verteidigung des Adels), so gründen Sie sich eine höchst angenehme Existenz 5 0 ." Dem Plan von Gentz lag die Berechnung zugrunde, daß eine Partei, die wie der deutsche, besonders der preußische Adel der öffentlichen Meinung gegenüber ins Gedränge geraten war, für jede publizistische Unterstützung dankbar sein würde; in Preußen waren infolge der Niederlage von 1806 liberale Reformen zu erwarten, die den Interessen des Erb- und Grundadels widersprachen. Müller rechnete allerdings damit, in den Dienst der preußischen Regierung zu treten. Er ging aber trotzdem auf den Vorschlag seines Freundes ein und versuchte beides in einem: bereits i m Winter 1808/9 hielt er in Dresden 48

Als Datum des Übertritts hat sich der 31. (!) A p r i l 1805, der zuerst in Brockhaus Konversationslexikon, 5. Originalausgabe, 6. Bd. (1819), S. 621, und danach auch i m Neuen Nekrolog der Deutschen 1829, I. Teil, S. 103 auftaucht, durch alle möglichen Enzyklopädien und Biographien weitergeschleppt. 49 Von Besprechungen seien erwähnt: Jen. Allg. Lit. Ztg. Nr. 26 ff. vom 6. Nov. 1806, Nr. 153, vom 2. Juli 1807 (Kurzer Hinweis auf die 2. Aufl.); Freimütige 1806, 2. Hälfte, S. 88 f., S. 197 (respektvolle Besprechung von G. Merkel); Oberdeutsche Allg. Literaturzeitung Nr. L X I V vom 9. Juni 1808 und ff. Vgl. auch Job. Bobeth, Die Zeitschriften der Romantik, Leipzig 1911, S. 192.

so Briefwechsel Gentz-Müller,

Stuttgart 1857, Nr. 93 vom 28. M a i 1808.

4 C. Schmitt, Politische Romantik https://doi.org/10.3790/978-3-428-48428-7 Generated for Universitaet Leipzig, Universitaetsbibliothek at 139.18.244.59 on 2021-03-23, 10:34:20 UTC FOR PRIVATE USE ONLY | AUSSCHLIESSLICH ZUM PRIVATEN GEBRAUCH

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Vorlesungen über „das Ganze der Staatskunst", in denen er für den Feudaladel eintrat und gleichzeitig eine Reihe politischer und historischer Ausführungen gab. Die Vorlesungen sind „vor Sr. Durchlaucht dem Prinzen Bernhard von Sachsen-Weimar (als dessen Erzieher Müller angestellt war) und einer Versammlung von Staatsmännern und Diplomaten" gehalten. Er veröffentlichte sie unter dem Titel „Elemente der Staatskunst", w o m i t vielleicht auf Euklids Elemente der Geometrie angespielt sein sollte. Auch hier beschränkte sich der Erfolg auf den engeren Kreis der Bekannten 51 . Inzwischen war Müller i m Frühjahr 1809 nach Berlin gegangen, weil sein Aufenthalt in Dresden unmöglich geworden war; zunächst gesellschaftlich und moralisch: er hatte seinem langjährigen Freund und Gastgeber die Frau entführt, die er bald darauf in Berlin heiratete; dann aber auch aus politischen Gründen. Nicht als ob er wie Kleist oder der junge Dahlmann aus Patriotismus sich zu unvorsichtigen Äußerungen oder Handlungen hätte hinreißen lassen. I n seinen Vorlesungen über die Staatskunst war jede deutliche Anspielung auf die Zeit, sogar mehrmals das Wort „französisch" weggelassen, das später in dem Berliner Druck wieder aufgenommen ist - vielleicht eine von der Zensur erzwungene Maßnahme 5 2 . I n den „Elementen der Staatskunst" macht er hämische Bemerkungen, die auf die Leute vom Tugendbund zielen, spricht von ihrer „theatralischen Melancholie", i n der sie sich „gewiß vornehm vorkommen" und, w o h l auf Kleist anspielend, den „Räch- und Mordgedanken, mit denen sie buhlen" (II, S. 6). Den redlichen Martens, der einen Brief des Grafen von Götzen überbrachte und sich nach dem Stande der vaterländischen Bewegung in Sachsen erkundigen wollte, behandelte er mit 51 Von Besprechungen sind außer der schon erwähnten von Rehberg zu nennen: Jen. Allg. Lit. Ztg. Nr. 60 f. vom 13. März 1810 (mit abfälligen Bemerkungen wie: „ I n allem diesem ist viel Mißverstand, von welchem nur ungewiß ist, ob er von dem Verfasser künstlich herbeigeführt, oder dem Geiste desselben notwendig ist"; oder: „Vermöge der vorteilhaften Meinung, die der Verfasser von sich selbst hat, glaubt er alles gefaßt zu haben, was in neuern Zeiten für die Fortbildung der Staatstheorie geschehen ist" usw.). Neue Leipz. Literaturzeitung Nr. 80 vom 5. Juli 1809, S. 1265 (über die unter dem Titel „Von der Idee des Staates und ihren Verhältnissen" zu den „populären Staatstheorien" gesondert veröffentlichte 2. und 3. Vorlesung, Dresden 1809; ebenfalls unter Ablehnung der „schimmernden Antithesen"); Göttinger Gel. Anz. Nr. 91 f. vom 9. Juni 1810, S. 899 f. („der H i m m e l wolle uns vor Wissenschaften ohne Definitionen, ohne deutliche Begriffe, bewahren!")

52 Vgl. Idee des Staates, S. 18, 22, 43, mit Elemente I, S. 59, 85, 86 (statt „Französische Revolution" ist dort nur „Revolution" gesagt!), oder Idee S. 18 mit Elementen S. 34 (die Anspielung auf die „Nachbarschaft jenseits des Rheins" fehlt i n der „Idee").

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überlegener Höflichkeit, die lächerlich und beleidigend zugleich w a r 5 3 . Aber als die Franzosen in Dresden einrückten, mußte er fliehen, weil er sich kurz vorher, während die Österreicher in der Stadt waren, zu sehr in deren Interesse öffentlich bemerkbar gemacht hatte. Doch war auch diese Katastrophe nicht derartig, daß er etwa dauernd „höheren Orts" kompromittiert gewesen wäre 5 4 . I n Berlin unterbreitete er der preußischen Regierung einen interessanten Vorschlag (in einem Brief an den ihm bekannten Geheimen Finanzrat Stägemann, vom 20. August 1809), er legte die N o t wendigkeit einer regelmäßigen Einwirkung der Regierung auf die öffentliche Meinung dar, mit trefflichen Bemerkungen über die Vorteile eines offiziösen Blattes; gleichzeitig hatte er einen findigen Plan, die Opposition dadurch zu sabotieren, daß man sie vorwegnahm; er schrieb wörtlich: „ I c h getraue mir 1. öffentlich und unter der Autorität des Staatsrats ein Regierungsblatt, 2. anonym und unter der bloßen Konnivenz desselbigen ein Volksblatt, mit andern Worten eine Ministerial- und Oppositionszeitung zugleich zu schreiben 55 ." I n diesem Brief wie auch in dem einige Wochen später überreichten „Memoire betreffend die Redaktion eines Preußischen Regierungsblattes" hob er immer wieder seine Hauptsorge hervor: daß er alle diese wichtigen Dienste nur dann leisten könne, wenn die Regierung ihm eine gesellschaftliche Position verschaffe, um ihn mit 53

C. v. Martens, Denkwürdigkeiten aus dem kriegerischen und politischen Leben eines alten Offiziers, Dresden und Leipzig 1848, S. 87: „ I n Herrn Adam Müller fand ich gerade das Gegenteil von Herrn von Pfuel. Der Graf von Götzen hatte mir gesagt, daß ich auf diesen Mann vorzüglich rechnen könne, und ich war mit einem mit sympathetischer Tinte geschriebenen Briefe an ihn versehen, in welchem der Zweck meiner Reise i m allgemeinen angegeben war. Herr Adam Müller empfing mich mit stolzer einstudierter Höflichkeit, an seinem Schreibtische in eleganter Kleidung sitzend. Er nahm das Schreiben, erklärte, daß er keine Zeit habe, sich mit mir zu unterhalten, und das übergebene Schreiben zu lesen, und lud mich ein, ihn am nächsten Morgen zu besuchen. Unerachtet mir diese lächerliche und gezierte Vornehmheit sehr mißfiel, so ging ich dennoch wieder zu ihm und wurde auf die nämliche A r t empfangen. Er dankte mir für das Schreiben, bat mich, dem Grafen von Götzen seine Verehrung darzubringen, wünschte uns Glück zu unserer Unternehmung, bedauerte aber mit einem diplomatischen Achselzucken, daß er keine Hoffnung hegen könne, daß w i r bei der gegenwärtigen öffentlichen Stimmung i n Sachsen irgendeine M i t w i r k u n g finden oder irgendeinen Erfolg haben würden, und daß er selbst durch seine persönliche Stellung durchaus verhindert sei, irgendeinen Anteil an unserem Vorhaben zu nehmen. Ich verließ ihn und sah ihn nicht wieder." 54

Briefe und Aktenstücke aus dem Nachlaß von Stägemann, hrsg. von Franz Kühl, Leipzig 1889,1, S. 117,135/36. 55 Rühl, a . a . O . , S. 118. 6* https://doi.org/10.3790/978-3-428-48428-7 Generated for Universitaet Leipzig, Universitaetsbibliothek at 139.18.244.59 on 2021-03-23, 10:34:20 UTC FOR PRIVATE USE ONLY | AUSSCHLIESSLICH ZUM PRIVATEN GEBRAUCH

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den bedeutendsten und bestgesinnten Männern des Königreichs in Verbindung zu setzen. Der Plan, ein Regierungsblatt zu gründen, wurde von der preußischen Regierung aufgenommen. Das Unternehmen begann für Müller verheißungsvoll; in einigen Zeitungen erschienen bereits Notizen, in denen er als Redakteur der bald erscheinenden preußischen Regierungszeitung genannt wurde 5 6 . Als aber Hardenberg Staatskanzler geworden war, kam Müller für die Herausgabe des Blattes nicht mehr in Betracht. Müller hatte zwar versprochen, die Politik Hardenbergs publizistisch zu vertreten und dafür von Hardenberg ein Wartegeld von 1200 Taler jährlich zugesichert erhalten. Doch forderte er außerdem eine feste Stellung als höherer preußischer Regierungsbeamter, worauf sich Hardenberg, der den unzuverlässigen und oberflächlichen Literaten kannte, nicht einließ. Denn Müller hatte gleichzeitig Beziehungen zu der agrar-konservativen Opposition gefunden. Bereits Anfang 1810 (11. Januar bis 29. März) hielt er Vorlesungen über Friedrich den II., in denen er mit deutlichen Anspielungen auf die „findigen Köpfe" gegen alle liberalen Reformen sprach. Inzwischen entwickelte sich die ständische Opposition weiter und erhielt an der christlich-deutschen Tischgesellschaft, bei deren Gründung Müller mitbeteiligt war, eine bedeutende gesellschaftliche und intellektuelle Stütze. Müllers „Elemente der Staatskunst" wurden eine A r t Programmschrift dieses Kreises. Hier und in den „Abendblättern", die Kleist seit Oktober 1810 herausgab, beteiligte sich Müller lebhaft am Kampf gegen die „neumodischen" Reformer, die „Anglomanen" und Smithianer, machte boshafte Anspielungen auf den Kanzler und seine Mitarbeiter und erregte durch seine Aufsätze gegen das Finanzedikt vom 27. Oktober in Regierungskreisen Arger und Erbitterung. Er hat auch die Denkschrift, vom 11. Februar 1811, die der Führer der ständischen Opposition, v. d. Marwitz, einreichte, stilisiert und selbst in der Reinschrift geschrieben 57 , damit Har56

Sie sind zusammengestellt von Reinhold Steig, in der Besprechung der Rühlschen Veröffentlichung, Deutsche Literaturzeitung X X I I (1901), Sp. 231. Steig erwähnt dort auch Nr. 46 von Zscbokkes Miszellen, w o der „als Schriftsteller rühmlichst bekannte Herr Adam Müller" als Redakteur genannt ist. I n Nr. 85 vom 25. Oktober 1809, S. 339 der Miszellen hatte aber eine N o t i z aus Berlin gelautet: „ Z u den hier lesenden Gelehrten treten für diesen Winter einige neue Subjekte. Adam Müller, der seit einiger Zeit in Berlin, seiner Vaterstadt, sein Hüttchen aufgeschlagen, hat Vorlesungen über Friedrich den Großen, seinen Charakter und seine Institutionen angekündigt"; und Nr. 101 vom 20. Dezember 1809: „Die i n mehreren Blättern aufgenommene Nachricht, daß hier (in Berlin) ein offizielles Blatt unter Leitung Adam Müllers erscheinen wird, ist noch viel zu voreilig verbreitet worden." 57 Dorow, Denkschriften und Briefe, I I I . Bd., Berlin 1839, S. 216 f. („Wie immer in solchen Fällen - bei großen Reformen - hing an die rechtlichsten Gesinnungen

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denberg, dem Müllers Handschrift gut bekannt war, wußte, daß Müller hier seine Hand i m Spiele habe und die Schmeicheleien Hardenbergs, die trotzdem in die Denkschrift eingestreut waren, ihren für Müller vorteilhaften Eindruck nicht verfehlten. Ganz harmlos und ohne jedes Gefühl für seine politische Charakterlosigkeit und Achselträgerei, hielt er immer noch die Beziehungen zu Hardenberg aufrecht, bezog sein Wartegeld weiter und gab durch plötzliche Lobartikel auf den Kanzler zu verstehen, daß er gegen einen entsprechenden Posten in der preußischen Regierung gern bereit sei, auch einen andern Standpunkt zu vertreten. Der Staatskanzler fühlte sich nicht veranlaßt, auf ein solches „gegensätzisches" Spiel einzugehn, doch zog er mit Rücksicht auf Gentz unter einigen überlegenen Liebenswürdigkeiten die Sache noch etwas hin. Müller war durch seine ökonomische Lage gezwungen, eine Politik des Augenblicks zu machen. Als er merkte, daß er beim Kanzler nichts erreichen würde, eilte er nach Wien, zu seinem alten Freund und Helfer Gentz. D o r t blieb er dann, nachdem auch die letzten Versuche, doch noch in Preußen anzukommen, vergeblich gewesen waren 5 8 . Es muß hier betont werden, daß Müller nicht etwa aus einem anti-revolutionären Instinkt sich von dem protestantischen und liberalen Preußen sich auch der Geist der Intrigue. Adam Müller . . . hatte sich in Berlin eingefunden und dem Staatskanzler seine Dienste angeboten. Sein dialektisches Talent und die Gewandtheit seiner Rede entgingen dem Staatskanzler nicht, doch fand er in beiden mehr Schimmer als Gründlichkeit, und er begnügte sich, die künftige Brauchbarkeit des Mannes durch ein vorläufiges Wartegeld für den Staat zu sichern. A l lein das behagte Adam Müllers Meinung nicht, er wollte sogleich in eine seinen Ehrgeiz befriedigende Stellung treten, und nachdem er fruchtlos i n wiederholtem Andringen zu beweisen gesucht, welch ein wichtiger Freund er werden könne, warf er sich mißvergnügt auf die Gegenseite, und wollte nun u m so schärfer dartun, daß er als Feind sich geltend machen könne. Er gesellte sich den Widersachern Hardenbergs zu, lieh ihnen seinen Geist, seine Feder und versäumte nichts, jenem bemerklich werden zu lassen, wer eigentlich diese Sache führe. Er bekannte seinem Freunde Wiesel, daß er in diesem Sinne sogar Briefe zur Post gegeben habe, mit der Absicht und der Hoffnung, sie sollten in die Hände der Behörden geraten und ihnen über seinen Wert endlich die Augen öffnen!"). Genauer Abdruck der Denkschrift bei Fr. Mensel, A . L. v. d. Marwitz, I I , 1, Berlin 1913, S. 252 f. 58

Außer den bekannten Darstellungen von Ranke, Klose, Treitschke, Lehmann und Meinecke sowie Fr. Meusels Veröffentlichungen über F. A . L. von der Marwitz (Berlin 1908 und 1913) sind benutzt: Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe, Berlin und Stuttgart 1901; Alexander Lewy, Zur Genesis der heutigen agrarischen Ideen in Preußen, Stuttgart 1898; Dombrowsky, Aus einer Biographie Adam Müllers (Göttinger Dissertation 1911), S. 8 - 14, 83 ff.; Fr. Lenz, Agrarlehre und Agrarpolitik der deutschen Romantik, Berlin 1912.

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z u m alten, k a t h o l i s c h e n Ö s t e r r e i c h g e w a n d t hat. E r versuchte i m Gegent e i l bis z u m l e t z t e n A u g e n b l i c k , i n Preußen, u n d z w a r bei H a r d e n b e r g , u n t e r z u k o m m e n , u n d die einzige B e d i n g u n g , die er stellte, w a r eine angesehne gesellschaftliche P o s i t i o n . N a c h W i e n ist er n u r deshalb gegangen, w e i l G e n t z i h m d o r t w e i t e r h e l f e n k o n n t e . D a ß er z u m

Katholizismus

übergetreten war, hat er i n B e r l i n v o r s i c h t i g verschwiegen u n d u n t e r allgem e i n e n , damals m o d e r n e n W e n d u n g e n v e r b o r g e n 5 9 . D i e eingebornen M i t glieder der Tischgesellschaft, L e u t e w i e A r n i m , d u r f t e n es sich erlauben, ihre S y m p a t h i e f ü r katholisches Wesen offen auszusprechen; der S o h n des Rentmeisters M ü l l e r aber, der u m jeden Preis einen Posten als höherer Beamter erreichen w o l l t e , hätte sich m i t d e m B e k e n n t n i s z u m K a t h o l i z i s m u s i n B e r l i n u n m ö g l i c h gemacht. D a h e r stellte er diese Seite seines Wesens i n d e n H i n t e r g r u n d . Sein politisches A u f t r e t e n hatte auch i m ü b r i g e n m i t ei-

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Fr. Räumer; a. a. O., I, S. 158, danach hat Müller sich überhaupt für einen Protestanten ausgegeben. Auch i n dem österreichischen, aber i m Dienst der napoleonischen Propaganda stehenden „Morgenboten" 1809, S. 271, w i r d er als Protestant erwähnt: „ A d a m Müller (selbst ein Protestant) sagt i n seinen Vorlesungen über die deutsche Literatur" usw. Als bei Müllers Tode i m „Inland" Nr. 51 v o m 10. Februar 1829 erwähnt wurde, daß er, der strenge Verteidiger der Heiligkeit der Ehe, bekanntlich - 1809 - aus Dresden die Frau seines Gastfreundes v. Haza entführt habe, wandte sich Görres in der „Eos" i n einem heftigen Artikel gegen diese „Leichenschändung", mit der Begründung, das gehöre der „berlinisch-protestantischen Lebensperiode" Müllers an (Eos, Nr. 28 v o m 18. Febr. 1829, S. 113). A n dem lauten und wüsten Zeitungsgeschimpf, das sich bei diesem Anlaß erhob (Ausland, Beil. zu Nr. 58 vom 27. Febr. 1828, Inland Nr. 52 vom 28. Febr., Eos 36 und 37 vom 4. u. 6. März usw.), interessiert hier nur die Tatsache, daß Müllers spätere katholische Freunde diese Dresdener und Berliner Periode ohne weiteres als eine Zeit ansahen, i n der Müller noch Protestant war, obwohl bereits i m Brockhausschen Konservationslexikon das Jahr 1805 als Zeit des Übertritts angegeben war. I n seinen Briefen an Gentz hatte Müller damals seinen Katholizismus bekannt; am 27. M a i 1805, kurz nach dem Übertritt (Briefwechsel Nr. 32), freilich einen verdächtigen „höheren Katholizismus"; i n einem Brief vom 25. Mai 1807 (B. W. Nr. 64) ist er schon so rigoros, Fessiers Katholizismus als eine schändliche Profanation zu verurteilen; nachdem er am 6. Febr. 1808 die antike und (nicht das Christentum, aber) die christliche Poesie des Mittelalters als die beiden wichtigsten Erscheinungen der Weltgeschichte hervorgehoben hatte (B. W. Nr. 86), rügt er an Schlegel am 30. Mai 1808, daß das Verhältnis zu Christus nicht klar sei (B. W. Nr. 94, interessant i m Vergleich mit den späteren Urteilen über den Katholizismus von Görres, Nr. 159 und 208). - Ich bin übrigens der Ansicht, daß Böttiger trotz seiner Ableugnung der Urheber der Einsendung in Nr. 31 des „Inland" ist. Der Fall erinnert an den Vorgang i m Jahre 1806, w o eine Einsendung gegen Müller i m „Freimütigen" erschien und Böttiger, als Gentz energisch für Müller einsprang, ebenfalls ableugnete (vgl. W. I, S. 2 1 4 - 2 1 7 ) .

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ner nicht ganz ehrlichen Pose begonnen. Als er 1808 gegen Buchholz auf den Plan trat, u m den Adel zu verteidigen, betonte er mit schönem Nachdruck, der Adel brauche sich gegen Angriffe wie die von Buchholz nicht zu verteidigen, es handle sich nur darum, daß der Bürgerstand durch solche niedrigen Angriffe beleidigt werde, und nur, u m sich selbst, seinen beleidigten Bürgerstand, zu verteidigen, lasse er sich auf einen Kampf mit Buchholz ein, obwohl für ihn (Adam Müller) sonst nur Gegner wie M o n tesquieu und Burke die Mühe eines Kampfes lohnten 6 0 . N i c h t in der A r t , wie hier Montesquieu und Burke herangezogen werden, liegt die Unehrlichkeit, das war eine romantische Anmaßung, die in der politischen Diskussion nur besonders unvorsichtig war. Aber mit welcher Verachtung mußten Adlige und Bürger einen Mann behandeln, der seit Jahren an den Tischen einiger Aristokraten lebte und es dann wagte, als der Vertreter der Ehre des Bürgerstandes aufzutreten. Hieraus vielleicht erklärt es sich auch, warum so viele Zeitgenossen von ihm den Eindruck der Lüge hatten. Man w i r d sehr wenig Beispiele dafür finden, daß jemand so allgemein seinen Mitmenschen als unecht erschien, und zwar handelt es sich dabei nicht u m den Klatsch der Briefe und Tagebücher, in dem sich die romantische Gesprächigkeit bespiegelt, sondern u m ernste Äußerungen. Rehbergs

60 Pallas, I. Bd., 1. Stück, S. 87/88 (= Vermischte Schriften, Wien 1812, zweite Ausgabe 1817, I, S. 162, 163, vgl. auch Elemente I, S. 167). Der Aufsatz ahmt die Gebärde Burkescher Entrüstung so schön nach, daß man die Begeisterung von Gentz w o h l verstehen kann: „ I c h würde mißverstanden werden, wenn man eine Apologie des Adels von mir erwartete. Ich müßte erst die kleinen politischen Marktschreier meines Vaterlandes für meine Gegner und die ewig unerschütterliche, heilige Institution des Adels für streitig und zweifelhaft anerkennen, u m den Verteidiger zu spielen. Reine und mächtige Hände mit reinen und mächtigen Gründen, ein Montesquieu, ein Burke müßten erst auftreten und ihn angreifen; der Angriff müßte gewaltig und verwegen sein, ich müßte i n der Verteidigung untergehen können, dann würde es sich der Mühe verlohnen. So aber - wie kann ich kämpfen gegen die, welche sich verschanzen hinter einem Zeitgeist, locker, schlaff und schwankend wie er ist, hinter einer öffentlichen Meinung, die den Adel nicht begreift, weil sie das, was sie gestern geadelt, heute mit Füßen tritt. Nein, mich selbst, meinen Stand, den Bürgerstand, werde ich in diesen Blättern verteidigen, u m den Vorwurf zu zerstreuen, als gäbe es auch nicht einen unter uns, der durch die Ehre und Gerechtigkeit, die er dem andern Stand widerfahren läßt, sich selbst und seinen Stand zu ehren wüßte." (Ähnlich, mit „gegensätzischer" Begründung, Elemente I, S. 167.) Höchstwahrscheinlich auf Müllers eigne Angaben zurückzuführen ist auch die N o t i z bei Hay mann, Dresdens teils neuerlich verstorbene, teils jetzt lebende Schriftsteller und Künstler, Dresden 1809, S. 459, w o der Vater Müllers als „Geschäftsmann" figuriert.

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Ansicht wurde schon zitiert; Solger spricht von einer „untreuen Vermischung"; Wilhelm G r i m m sagt, alles Gute, das sich bei Müller finde, sei „auf Borg", und in einem Brief an den Bruder schreibt er offen: „Fühlst D u nicht auch, daß eine gewisse Lüge sich durch alle seine Schriften verbreitet?", und Alexander von der Marwitz ist mit der Rahel darüber einig, daß Müller ein „unächter, lügenhafter Gesell" sei, „faul und irreligiös", und daß es ihm nur auf seine „vornehme Rolle" ankomme 6 1 . Das Bild wäre unvollständig, wenn man nicht auch Müllers Tätigkeit in den folgenden Jahren 1813 bis 1815 zum Vergleich betrachten wollte. Damals hatte er Gelegenheit, seine Stellung als Statthalter Burkes in Deutschland, seine in Berlin gegen Hardenberg ausgespielten Anschauungen über die Notwendigkeit ständischer und korporativer Vorrechte, die Verwerflichkeit der mechanisch-zentralistischen Staatsverwaltung und aller auf den bloß fiskalischen Ertrag berechneten Finanzmaßnahmen praktisch zu bewähren. Während des Krieges von 1813 hatte ihn der provisorische Landeschef Roschmann als Gehilfen und publizistischen Beirat mit nach Tirol genommen. Das Land sollte nach der Eroberung reorganisiert werden. Die Wiener Zentralbehörde erwartete möglichst hohe Einnahmen aus dem Lande, dann aber auch seine „Austriacisierung", d. h. seine Eingliederung in das zentralistische System des Gesamtstaats und die Beseitigung der Stände und ihrer Privilegien: ständische Steuerbewilligungsrechte, eigene Landesverteidigung, selbständiger Einfluß auf die Justiz und Polizeigesetzgebung. Roschmann, ein ehrgeiziger Streber - i m Tagebuch des Erzherzogs Johann heißt er nur „der Schleicher" - , wollte die Gelegenheit benutzen, u m Statthalter von Tirol zu werden; er ging deshalb rücksichtslos i m Sinne der Intentionen seiner Behörde vor und über deren Wünsche womöglich noch hinaus. Namentlich kam es darauf an, in Wien als hervorragender Finanzmann zu erscheinen, der für das nach Tirol bestimmte Militär nicht die allgemeinen, bestimmungsgemäßen Kassen in Anspruch nahm, sondern den Bedarf aus dem Lande selbst deckte. Die bedeutende, auf die Wiederherstellung der alten Sonderrechte gerichtete Bewegung des tirolischen Volkes wurde unterdrückt und in den Berichten nach Wien systematisch verfälscht; den Tirolern gegenüber bestand die Methode dieser Politik in rücksichtsloser Beitreibung der von der „drückenden und unväterlichen" bayrischen Regierung auferlegten Steuern, in Konsumzöllen 61

Vgl. Solgers Nachgelassene Schriften, I. Bd. Leipzig 1826, S. 205 (Brief an Raumer vom 2. Dez. 1810, auch bei F. Raumer, Lebenserinnerungen I, S. 227, 228); W. G r i m m bei Steig, Kleists Berliner Kämpfe, S. 505, 506 (Frankfurter Zeitung vom 12. Juni 1914) und W. Grimms Brief an seinen Bruder vom 3. O k t . 1809; in dem Briefwechsel der Rahel mit A . von der Marwitz dessen Briefe vom 26. Mai, 1. Juni und 9. Juni 1811. Die Zitate lassen sich leicht vermehren.

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auf bayrisches Getreide, Maßregeln gegen die Eingesessenen wegen „aufwieglerischer" Beschwerden und einem polizeilichen Spionagesystem. Müller unterstützte seinen Chef Roschmann durch Proklamationen, Denkschriften und Zeitungsartikel (im „Boten von Südtirol"); er muß überhaupt als der geistige Leiter betrachtet werden, denn Roschmann war ganz auf seine Hilfe angewiesen. I n den Berichten, die nach Wien gingen, sind die „ersprießlichen Dienste" Müllers rühmend hervorgehoben. M ü l ler war glücklich, daß der Kaiser, Metternich und Baldacci - ein besonders energischer Vertreter straffer bürokratischer Zentralisierung - mit ihm zufrieden waren. „Bis nach Neapel und Genf herab entgeht mir nicht leicht eine interessante Person, und die Bekanntschaft mit diesem merkwürdigen Lande werde ich nie bereuen", schrieb er an Gentz; „die interessantesten Arbeiten fallen mir durch die natürliche Schwerkraft zu; ich möchte, der L o h n nähme dieselbe Richtung." Sein Ziel war, wie er sich ausdrückte, „das wilde Fleisch von Tirol und Italien nicht etwa wegzubeizen, sondern in den großen Körper hineinzukurieren" 6 2 . Als Roschmann endlich das Land verlassen mußte, bat der Erzherzog Johann eigens, daß man auch den Adam Müller herausnehme. Er wurde am 23. A p r i l 1815 ins kaiserliche Hauptquartier berufen, gerade als seine 162 Bogen starke Denkschrift über Tirol unterwegs war, in der auf die bedenklichen Neigungen des Tiroler Volkes hingewiesen und angeregt wurde, durch scharfe Maßnahmen gegen Adel und Bauern die ständischen Gelüste zu beseitigen 63 . Damit 62 Briefwechsel mit Gentz, Briefe Müllers vom 7. Febr. 1814 und 30. Sept. 1814 (Nr. 118 und 120). Auch Gentz hebt die Verdienste Müllers in dem Schreiben an Metternich vom 11. A p r i l 1814 (W. I I I , 1, S. 291) hervor und benutzt den Anlaß, Müllers „gut österreichischen Sinn" damit zu belegen und ihn der Gunst Metternichs dringend zu empfehlen. Infolge der anhaltenden Bemühungen von Gentz wurde Müller dann ins kaiserliche Hauptquartier berufen. 63

Über Müllers Tätigkeit in Tirol: Alb. Jäger; Tirols Rückkehr unter Österreich, Wien 1871, S. 115, 148, 149: (S. 148 Anm. zitiert er Dipauli, Diarium I I I : „Vielleicht findet Roschmann darum einige Entschuldigung, daß er selbst, wie aus allen seinen Handlungen hervorgeht, nur ein ränkesüchtiger, tückischer, der Privatrache ergebener und auf persönliche Vorteile bedachter, übrigens aber kopfloser Mann, ganz unter dem Einflüsse seines Sekretärs Adam Müller stand.") Franz von Krones, Tirol 1812 - 1816 und Erzherzog Johann von Österreich, Innsbruck 1890, S. 128: „ A d a m Müller, das Berliner Kind, der Freund und Schützling Friedrichs von Gentz, der philosophische, theosophische Politiker und Publizist, der geistreiche Querkopf, den gerade in einem kritischen Augenblicke, als Müllers Versuch mit einem Erziehungsinstitut in Wien eine finanzielle Niederlage erlebte, Roschmann, der selbstbewußte Hofkommissär für Tirol, als Leibstilisten und Ideeneinbläser anwarb"; S. 221: „Wie sich dieser geistvolle, aber i n allen praktischen Fragen - besonders in den Tirolischen - unklare Ideologe als Mittelpunkt der Geschäfte und

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endete Müllers Tätigkeit bei diesem Volk, das glaubte, durch seine dynastische Treue, die es 1809 bewiesen hatte, einen Anspruch auf Berücksichtigung hergebrachter Sonderrechte zu haben, und dessen geographische, wirtschaftliche und historische Besonderheiten ein Herold der „lokalen Eigentümlichkeiten" w o h l hätte respektieren müssen 64 . geistigen Vormund Roschmanns fühlte, was er denn auch sicher war, beweist sein Brief an Gentz (vom 22. Sept. 1814). Diese seine Rolle fand allerdings bei den Vollbluttirolern eine scharfe Verurteilung und aus gutem Grunde, denn er, der Fremdling unter Verhältnissen, die sein Blick nur streifte, nie durchdrang, war kaum berufen, die Tiroler Frage in einem nach Oben und Unten gedeihlichen Sinne zu lösen." Die Darstellung Hormayrs ist von Haß gegen Metternich und Roschmann und Verachtung für Müller beeinflußt, aber trotzdem beachtenswert, vgl. sein Schreiben an den Erzherzog Johann von Österreich vom 5. Sept. 1826 (Lebensbilder aus dem Befreiungskriege I, 2), (Urkundenbuch), Jena 1844, S. 488, erwähnt den Roschmann „zur Bemäntelung seiner Insuffizienz der Feder wie i n administrativen und scientischen Kenntnissen beigegebenen, wahrhaft genialischen Adam Müller". Nach dem Tode Müllers schrieb er an Raumer (Brief vom 5. März 1829, mitgeteilt i n F. Räumers Lebenserinnerungen I I , S. 289): „ D e r Tod der zwei großen Tartuffe, Friedrich Schlegel und Adam Müller, welche mit Gentz verbunden, so viel Geistesdruck und so bittere Verfolgung in Wien organisiert haben, ließ auch in München die Gemüter nicht unbewegt. Adam Müller hat insonderheit die Todsünde auf sich, daß 1 8 1 4 - 1 5 den Tirolern durch elende Sophismen mit himmelschreiendem Undank ihre alte, geheiligte, noch von Kaiser Franz 1792 - 1797 bekräftigte Verfassung höchst unpolitisch entrissen und dadurch die Stimmung des Landes unwiederbringlich verscherzt worden ist." I n dem nachgelassenen Fragment „Kaiser Franz und Metternich", Leipzig 1848, S. 92, sagt er über Müller, daß Baron Buol das „zweifelhafte Verdienst" habe, „den äußerst talentvollen und beredsamen, aber durch und durch unwahren Sophisten Adam Müller nach Wien gebracht zu haben, als dieser seine eigene Hausfrau, Frau von Haza, ihrem Gatten und Hause entführt, sich einstweilen zugelegt hatte und mit Hardenberg und seinen Reformplänen gleich Friedrich von Raumer völlig zerfallen war." 64 Müller hat in seinem Diensteifer davon überhaupt nichts bemerkt; dabei finden sich in der Bittschrift der Tiroler an den Kaiser (vom 23. Juni 1814), i n der sie u m Schutz vor den Roschmann-Müllerschen Methoden nachsuchen, folgende Stellen: „ D u r c h eine dem Buchstaben nach gleiche Behandlung mit den übrigen, von der Natur gesegneten Provinzen des österreichischen Kaiserstaates würde er (der Tiroler) eben der Sache nach höchst ungleich behandelt . . . Völker, die durch die physische und moralische Beschaffenheit, durch klimatische Einflüsse und den Reichtum ihres Bodens, durch A r t ihres Gewerbes, durch ihre Sitten und Gebräuche, durch ihren Nationalgeist, durch ihre Muttersprache himmelweit voneinander geschieden sind, sollten nach einem Maßstab gemessen werden? Freilich würde daraus eine Uniformität, nämlich jene des allgemeinen Druckes, des allgemeinen Elendes resultieren." (Jäger; a. a. O., S. 125; Hormayr; Lebensbilder I I , S. 372.) I n den „Bemerkungen über die ehemalige Verfassung Tirols" von Giovanelli, die als

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Die unwahren Darstellungen, die Müller später über seine Bedeutung in Berlin, und die selbstgefälligen Schilderungen, die er über seine Leistungen i n Tirol gegeben hat, dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß er in allem nur der eifrige Diener eines beliebigen Systems war, immer bereit, den Teil seiner Ideen, der einem ungehinderten Funktionieren i m Wege stehen konnte, beiseite zu stellen und den andern zu assimilieren 65 . N u r in Memorial der Denkschrift anlagen, heißt es: „ D i e Verfassungen und Fundamentalgesetze, welche noch vor ein paar Jahrzehnten bestanden, waren nicht das Werk einer philosophischen Staatslehre, sondern das unmittelbare Produkt des Verhältnisses zwischen Landesfürsten und Untertanen, mit einem Worte, das Ergebnis des wirklichen öffentlichen Lebens. Wenn aber das, was unmittelbar aus dem Leben hervorgegangen war, nicht zu leeren Formeln herabsinken und seines Geistes beraubt werden sollte, so mußte es sich als etwas Lebendiges beständig fortbilden und durfte seine Bewegung nie erstarren. Seit dem westfälischen Frieden, besonders seit der Mitte des aufgeklärten 18. Jahrhunderts, war aber ein solches Erstarren i m Leben der Verfassungen eingetreten; die Völker hingen w o h l ängstlich am trocknen Buchstaben der Rechte und Freiheiten, aus denen aber der Geist entschwunden war; die Regenten hingegen betrachteten diese Formen als lästige Fesseln und fingen an, in Gemeinschaft mit dem afterphilosophischen Geiste der Zeit, alles gemeinschaftliche Interesse zu vernichten und dem Egoismus des Einzelnen die Tore zu öffnen. Die alten Formen waren zwar dem Scheine nach geblieben, aber der belebende Geist war aus ihnen lange schon gewichen; sie würden gleichviel, ob früher oder später - auf jeden Fall untergegangen sein, wenn auch der alles verschlingende Absolutismus eines Einzigen sie nicht vernichtet hätte . . . Der Charakter und die Verfassung eines Volkes bedingen sich gegenseitig" (Jäger, a. a. Ο., S. 130,131). 65 Müller hat „Tyrolische Denkwürdigkeiten" niedergeschrieben, aber nicht veröffentlicht. Sein Artikel „Aus Speckbachers Leben", in der „Zeitung für die elegante Welt", Nr. 80, 81 vom 25. und 26. A p r i l 1817, ist belanglos. Außer den Briefen an Gentz kommen hier in Betracht der Brief vom 25. O k t . 1813 an Stägemann (Rühl, a. a. Ο., I, S. 311) und an Heeren, mitgeteilt bei Hoffmann von Fallersleben, Findlinge. Zur Geschichte deutscher Sprache und Dichtung, I. Bd., Leipzig 1860, S. 321. Auch der Artikel „ A d a m Müller" i m Brockhausschen Konversationslexikon, 5. Originalausgabe, Bd. 6, S. 621 - 623, dessen Angaben i n den Neuen N e krolog der Deutschen übergegangen sind, spricht davon, daß M . von Hardenberg „ m i t Auszeichnung" behandelt worden sei; er ist auf Müller selbst zurückzuführen. Nach F. Raumers Mitteilung hat er Brockhaus erzählt, er sei mit Raumer zusammen bei Hardenberg vortragender Rat gewesen und habe die alten Grundsätze, Raumer dagegen die modernen, westfälischen verteidigt (Brief Raumers an Manso vom 4. Nov. 1821, Lebenserinnerungen I I , S. 130); Raumer bezeichnet das erste als erlogen, das zweite als verdreht, w o m i t er zweifellos recht hat, er erklärt den Schwindel aus der Eitelkeit Müllers, der „es am Ende, bei allem Bemühn, e'me politische Bedeutung zu gewinnen, doch zu nichts gebracht hat". Raumer und seine Freunde Tieck und Solger waren freilich voreingenommen gegen Müller, aber eine

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I. Die äußere Situation

seinem K a t h o l i z i s m u s der s p ä t e m Jahre hat er einige V o r b e h a l t e gemacht, die j e d o c h u n t e r d e n Verhältnissen der Restaurationszeit k e i n e n u n g e w ö h n l i c h e n E n t s c h l u ß erforderten. I m H o c h g e f ü h l seiner T i r o l e r

Ge-

schäftigkeit hatte er zunächst geschrieben: „ E i g e n t l i c h gehörte i c h i n die K o m m i s s i o n f ü r die R e f o r m der geistlichen K o n v e n t e h i n e i n . Wäre der alte, heilige M a n n der W e l t m ä c h t i g , w ü ß t e er, was seine Jesuiten a n t w o r t e n sollen, w e n n ein gegensätzischer G e l e h r t e r sie ü b e r ihre erstarrte u n d abgestandene P h i l o s o p h i e ins G e b e t nähme, so hätte keine M a c h t der E r d e d e n C o n s a l v i aus d e m engen K o n g r e ß ausschließen k ö n n e n . " A b e r die k a -

bessere Quelle als Müllers eigne Angaben sind ihre Mitteilungen auf jeden Fall. Wenn Rühl, a. a. O., S. L, meint, an Müllers eignen Angaben über seine Beziehungen zu Hardenberg müsse etwas Wahres sein, weil die Beziehungen zu Stägemann sonst nicht so herzlich hätten sein können, so übersieht er, daß Stägemann nur an dem Literaten Müller ein Interesse hatte, nicht an dem Politiker. Daß Müller i n einem Brief an Gentz Wiesel „frech und geistreich wie immer" nennt, ist kein Grund, Wiesel weniger zu glauben als Müller selbst. Auch aus Dombrowskys dramatisch aufgeputzter Schilderung (a. a. O., S. 8 - 14) ergibt sich nur, daß Hardenberg nicht daran dachte, Müller einen wichtigen Auftrag zu geben (der „Auftrag" bestand darin, daß Müller Empfehlungen Hardenbergs an Gentz überbrachte!), und daß Müller auch in Wien noch zu jedem Widerruf und zu würdelos zudringlichen Bitten an Hardenberg bereit war, u m nur irgendwo von ihm gut untergebracht zu werden. Ich weiß nicht, ob Dombrowsky den Brief vom 20. August 1809 mit der typischen Schmock-Offerte an Stägemann gekannt hat; wenn er trotzdem Müller hier einen „Edelmann" nennt, so hat er leider die ethischen oder soziologischen Vorstellungen, die er mit einem solchen Prädikat verbindet, nicht angegeben. Ich kann mich auch nicht mit der Bemerkung M. Paly is, Romantische Geldtheorie, Archiv f. Sozialw. Bd. 42 (1916), S. 89 f. A n m . 28, einverstanden erklären; das Bild, das die meisten Kleistbiographen (außer Steig) von Müller entwerfen, ist immer noch richtiger als jede von den romantischen Selbstporträts beirrte Schilderung. Z u S. Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter, Berlin 1909, S. 208, wäre nur das zu sagen, daß es unmöglich ist, Müller einen tätlichen Uberfall auf Kleist zuzutrauen, und daß es umgekehrt keine Schändung von Kleists Andenken bedeutet, wenn man glaubt, ein Mann von seinem ungeheuren Temperament sei einem Adam Müller gegenüber einmal handgreiflich geworden. Aus Metzgers Urteil, Müller sei neben den beiden andern katholisierenden Romantikern Novalis und Schlegel „ i n seiner bessern Zeit unstreitig der sympathischeste" (a. a. O., S. 252) ist leider nicht ersichtlich, wie diese bessere Zeit zu datieren ist. - D. A. Rosenthals Darstellung (in seinen „Konvertitenbildern aus dem neunzehnten Jahrhundert" I, 1, S. 48 f., Schaffhausen 1866) ist durch den apologetischen Zweck, der bei einem Gegenstand wie Müllers Leben allerdings mit historischer Treue schwer zu vereinen ist, unbrauchbar geworden und kommt nur wegen einiger tatsächlichen A n gaben in Betracht. Unbeachtlich sind auch die Bemerkungen Innerkoflers über Müller (Klemens Maria Hofbauer, Regensburg 1910, S. 670).

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tholische Kirche erwies sich hier als der Felsen, an dem die romantische Eitelkeit, die alles über sein wahres Wesen belehren wollte, zerbrach. Nach den Napoleonischen Kriegen trat in Deutschland die starke religiöse Bewegung auf, die viele, Katholiken und Protestanten, wieder zu einem frommen und bewußten Christentum führte. Sie ergriff nicht nur Romantiker und Apokalyptiker, nicht nur den Anhang der Madame Krüdener, sondern auch den beweglichen Fessier in seinem fernen Sarepta und den ehrlichen Kanne in Erlangen und machte sie zu gläubigen Protestanten. Sie traf Müller, der bereits die Richtung zum Katholizismus genommen hatte, und trug ihn innerlich an die letzten Konsequenzen seiner Richtung, zu einer orthodoxen Religiosität, der auch Görres nicht mehr unbedingt genug war, und die Hallers „Restauration" den Vorwurf machte, daß sie nicht von der Offenbarung ausging. Hier hört er allmählich auf, sich als Romantiker zu zeigen; wie weit er es i m Einzelnen blieb, braucht nicht entschieden zu werden. Jedenfalls ist es unrichtig, ihn einen Romantiker zu nennen, weil er Katholik war. Diese beliebte Auffassung erklärt sich nur aus jener dilettantischen Verwechslung des romantisierten Objekts mit der Romantik. Der Katholizismus ist nichts Romantisches. Sooft die katholische Kirche das Objekt romantischen Interesses war und sooft sie auch romantische Tendenzen in ihren Dienst zu stellen wußte, sie selbst ist nie, sowenig wie irgendeine andere Weltmacht, Subjekt und Träger einer Romantik gewesen.

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I I . Die Struktur des romantischen Geistes 1. La recherche de la réalité Von allen kleinen Perfidien und menschlichen Schwächen, die man i m Leben des politischen Romantikers findet, muß hier abgesehen werden. Die Wurzellosigkeit des Romantikers, seine Unfähigkeit, aus freiem Entschluß eine bedeutende politische Idee festzuhalten, seine innere Widerstandslosigkeit gegen den jeweilig nächsten und stärksten Eindruck haben ihre individuellen Gründe. Wenn sie für eine Definition der politischen Romantik in Betracht kommen sollen, müssen sie nicht psychologisch und soziologisch abgeleitet, sondern in den Zusammenhang der geistigen Situation gebracht werden. Dann zeigt sich, was fremdes Element und was wesentlich an der romantischen Bewegung ist. Die Romantiker haben sich für alle möglichen geschichtlichen, politischen und philosophischen, theologischen Themata interessiert und sich auch eifrig an den philosophischen Diskussionen ihrer Zeit beteiligt. Fichtes Wissenschaftslehre und Schellings Naturphilosophie werden deshalb oft zur Romantik gerechnet. Die gegenseitigen persönlichen und gedanklichen Beeinflussungen sind bekannt und oft untersucht worden. Das Resultat waren immer neue Zusammenhänge, neue Abhängigkeiten, neue Quellen und neue Unklarheiten; Romantik wurde Naturphilosophie, Mythologie, Irrationalismus, ohne daß die Besonderheit ihrer geistigen Situation prägnant hervorgetreten wäre. Ihre Darlegung muß, wie die jeder wichtigen Situation der modernen Geistesgeschichte, mit Descartes beginnen. I m Anfang dieser Moderne stehen zwei große Veränderungen, die sich zu einer interessanten Gegenbewegung zusammenstellen lassen. M i t dem Kopernikanischen Planetensystem, auf dessen umgestaltende Bedeutung sich Kant gern berief, hatte die Erde aufgehört, der Mittelpunkt des Weltsystems zu sein. M i t der Philosophie des Descartes begann die Erschütterung des alten ontologischen Denkens; ihre Argumentation cogito, ergo sum, wies den Menschen an einen subjektiven und internen Vorgang, an sein Denken, statt an die Realität der Außenwelt. Das naturwissenschaftliche Denken der Menschen hörte auf, geozentrisch zu sein und suchte den Mittelpunkt außerhalb der Erde, das philosophische Denken wurde egozentrisch und suchte den Mittelpunkt in sich. Die moderne Philosophie

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ist von einem Zwiespalt zwischen Denken und Sein, Begriff und Wirklichkeit, Geist und Natur, Subjekt und Objekt beherrscht, den auch die transzendentale Lösung Kants nicht behoben hat; sie gab dem denkenden Geist die Realität der Außenwelt nicht wieder, weil für sie die Objektivität des Denkens darin besteht, daß es sich in objektiv gültigen Formen bewegt und das Wesen der empirischen Wirklichkeit, das D i n g an sich, gar nicht erfaßt werden soll. Die nachkantische Philosophie aber griff bewußt nach diesem Wesen der Welt, u m die Unerklärlichkeit, die Irrationalität des wirklichen Seins aufzuheben. Fichte beseitigte den Zwiespalt durch ein absolutes Ich: dieses emaniert, absolut tätig, die Welt und setzt sich selbst und seinen Gegensatz, das Nicht-Ich. I m Unterschied zu einer solchen systematischen Einfachheit war die A n t w o r t Schellings unsicher, dafür aber entsprach sie der Richtung auf die äußere Realität, die man suchte, sie war die Rückkehr zur Natur, freilich nur philosophisch. I h m widerstrebte Fichtes „Annihilation der Natur", aber er konnte das Absolute auch nicht in die Natur setzen, denn er ging ebenfalls vom transzendentalen Kritizismus aus. So bezeichnete er das Absolute als weder subjektiv noch objektiv, sondern als den Indifferenzpunkt beider; die absolute Vernunft hatte zwei Pole, Natur und Geist, die philosophische Realität ist weder die denkende Intelligenz noch die Außenwelt, sondern ein indifferentes absolutes Drittes, das „Vernunft" zu nennen schon wieder eine unsichere Neigung zur Subjektivität beweist. Man kann die Romantik als eine gegen den Rationalismus des 18. Jahrhunderts sich richtende Bewegung auffassen. Aber es gab manche, sehr verschiedene solcher Gegenbewegungen, und es wäre oberflächlich, alles romantisch zu nennen, was nicht moderner Rationalismus ist. I n Schellings Naturphilosophie lag eine philosophische Opposition, die von der Romantik als „liebeleere Weisheit" empfunden wurde. Trotz der gemeinsamen Gegnerschaft gegen den abstrakten Rationalismus unterschied sich der gefühlsmäßige vom philosophischen Gegner. Das ist erklärlich, weil eine rein gefühlsmäßige Behandlung philosophischer Probleme nicht möglich und jede systematische Behandlung wieder eine intellektuelle Leistung ist. Denn jeder Versuch philosophischer Systematisierung bedroht die unbedingte Unmittelbarkeit des Gefühls; das sich selbst unendlich genügende Erlebnis erscheint wieder intellektualistisch gefährdet. Schon Fichtes Wissenschaftslehre enthielt eine philosophische Reaktion auf den Kantianismus. Das Ich, das, absolut tätig, das N i c h t - I c h „setzt", ist kein Begriff i m Sinne des analytischen, zu abstrakten Allgemeinheiten aufsteigenden Begriffes einer rationalistischen Logik; es ist ein konkreter, individueller Begriff, der eine konkrete Welt emaniert. Fichte hatte in der Grundlage seiner Wissenschaftslehre bekannt, der systematische Teil sei-

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ner Lehre wäre Spinozismus, nur daß eines jeden Ich selbst die höchste Substanz bedeute. So wurde die für den abstrakten Rationalismus charakteristische Dualität von abstraktem Begriff und konkretem Sein überwunden und die „lebendige Einheit" gewonnen. N u r ist der alte Rationalismus bei Fichte noch übermächtig. Das Ich, welches mit dem Nicht-Ich in eine kausale Beziehung tritt, sieht i m N i c h t - I c h eine „modificable Materie", eine vernunftgemäß zu bearbeitende und umzugestaltende Sache. Schilling hat dann allerdings in der Idee des „Organismus" eine den Zwiespalt von Natur und Geist überwindende Totalität konstruiert. Aber erst in Hegels Philosophie ist die große systematische Vollendung erreicht: das absolute Subjekt emaniert, werdend, sich selbst in Gegensätzen. N u n fühlt Schelling sich mit Spinoza verwandt, mit dem die ganze deutsche „Gefühlsphilosophie", namentlich Jacobi, sympathisiert. Darin liegt eine wichtige Ubereinstimmung. Die Systeme des nachkantischen Idealismus enthalten nämlich eine Intuitions-Philosophie und einen pantheistischen Rationalismus und reagieren, mit einem (nach dem Ausdruck von Lask) emanatistischen, d. h. die konkrete Individualität konkret setzenden Begriff, gegen einen abstrakten Rationalismus, der nur analytisch-abstrakte, deshalb nie zur konkreten Individualität gelangende Begriffe kennt. Spinozas System aber ist die erste, und zwar eine jener nachkantischen analoge, philosophische Reaktion auf den modernen, damals durch Descartes und Hobbes vertretenen abstrakten Rationalismus, auf eine mechanische Weltauffassung. Der charakteristische Zwiespalt, der nicht nur bei Descartes, sondern auch in besonders interessanter Form bei Hobbes deutlich hervortritt: zwischen einem die äußere Welt als bloße Wahrnehmung betrachtenden Phänomenalismus und einem ebenso ausgesprochenen, nur körperliche Bewegungen anerkennenden Materialismus, w i r d überwunden; Denken und Sein werden Attribute derselben unendlichen Substanz. Neben diesem philosophischen Streben nach der dem abstrakten Rationalismus unzugänglichen Realität, das seine Gipfel in Spinoza und Hegel erreichte, sind noch drei andere Oppositionen erkennbar, die, i n Ausgangspunkten, Methoden und Resultaten durchaus verschieden, sich doch alle gegen den durch Descartes inaugurierten Rationalismus richten. Das ist zunächst die antiphilosophische Mystik, deren Erwecker zwei Frauen, Mme. Guyon und Antoinette Bourignon, und deren Apologeten zwei frühere Philosophen, Fénelon und Poiret (der Vertreter eines „religiösen Realismus") sind. I m 19. Jahrhundert würde dieser Tendenz eine ebenfalls sehr starke, in ihren Produktionen freilich weniger originelle Bewegung entsprechen, deren auffälligste Erscheinung auch hier eine Frau, Mme. Krüdener, ist, in der man aber auch eine so typische Manifestation wie die plötzliche Wendung zum Pietismus, die der bedeutendste Naturphilosoph

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Kanne nahm, nicht übersehen darf. Was die politischen Schlußfolgerungen dieser beiden Reaktionsformen angeht, so läßt sich die emanatistische Philosophie mit konservativen Resultaten w o h l vereinigen. Nach den Beispielen, die Hegel, Schelling und J. J. Wagner i m Anfang des 19. Jahrhunderts für die Anwendung der Idee des „Organismus" auf die bestehenden Zustände des alten deutschen Reiches gegeben haben, scheint sie sogar dazu besonders geeignet zu sein, weil der „Staat" - der konkrete historisch bestehende Staat soll ja nicht mehr abstrakt zu der Idee des Staates in Gegensatz gebracht werden - als die erhabene, das Individuum erst emanierende Realität hingestellt w i r d 6 6 . Dagegen zeigt jene Mystik, soweit sie nicht absolut quietistisch und indifferent, „dejado", ist, deutliche Neigung zur Gesellschaftskritik. Ihre apokalyptischen Elemente können einen starken revolutionären Chiliasmus tragen, und wenn sie den menschlichen Verstand nihilistisch behandelt, so geht das leicht in einen politischen und sozialen Nihilismus über. Bei der Bourignon lassen sich viele revolutionäre Äußerungen aufweisen, von denen die interessanteste lautet: die Cartesianische Wissenschaft sei von den reichen Leuten erfunden, um die Armen zu betrügen (also etwas wie „Klassenideologie"). Hier kündet sich eine soziale, nicht nur eine politische Revolution an. I n diesem Mystizismus ist der Gegensatz gegen den abstrakten und mechanistischen Rationalismus des Descartes ebenso stark wie gegen den pantheistischen Rationalismus des „Atheisten" Spinoza. Z u beiden, offenbar verschiedenen Gegenbewegungen, nämlich 1. der philosophischen, 2. der mystisch-religiösen, kommen dann noch folgende, ebenso deutlich unterschiedene, selbständige Reaktionsformen, nämlich: 3. eine historisch-traditionalistische, die von Vico repräsentiert w i r d und sich gegen die überlieferungsfeindliche Tendenz des Cartesianischen Rationalismus wendet; endlich 4. eine gefühlsmäßig-ästhetizistische (lyrische), deren erster selbständiger Ausdruck bei Shaftesbury zu finden ist. Sie stellt kein philosophisches System auf, verwandelt vielmehr die Gegensätze, die sie sieht, in eine ästhetisch ausbalancierte Harmonie, mit andern Worten, sie bringt den Dua66

Die Staatsphilosophie des Spinoza ist zu sehr von dem rationalistischen N a turrecht ihres zeitlichen Milieus und von Machiavelli beeinflußt, als daß sie ein typischer und konsequenter Ausdruck seiner emanatistischen Philosophie sein könnte. Die Bekämpfung von Hegels pantheistischem Rationalismus durch Stahl steht schon unter dem Einfluß der theistischen Restaurationsphilosophie. 5 C. Schmitt, Politische Romantik https://doi.org/10.3790/978-3-428-48428-7 Generated for Universitaet Leipzig, Universitaetsbibliothek at 139.18.244.59 on 2021-03-23, 10:34:20 UTC FOR PRIVATE USE ONLY | AUSSCHLIESSLICH ZUM PRIVATEN GEBRAUCH

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lismus nicht zu einer Einheit, löst aber die Gegensätze in ästhetische oder in gefühlsmäßige Kontraste auf, um sie dann zu verschmelzen. Weder ist sie in der Lage, den Rationalismus aus sich heraus zu überwinden - sie biegt prägnante Begriffe der Zeitphilosophie ins Gefühlsmäßige um, macht z. B. aus der idée innée ein sentiment inné - , noch geht sie mystisch aus der Welt oder über die Welt hinaus, denn sie findet, in der Welt bleibend, aber mit der Sehnsucht nach dem Andern und Höhern, immer den Weg zur Urbanität. I n dieser Suspendierung jeder Entscheidung, namentlich in dem Rest des Rationalismus, den sie bei allem irrationalen Gebaren sich vorbehält, liegt der Ursprung der romantischen Ironie, dieses deutlichen Kennzeichens, das den Unterschied zur Mystik sofort evident macht, weil es keine ironische Mystik gibt. Der entscheidende Gegensatz liegt darin, daß die Mystik, wie Chr. Janentzky treffend formuliert, eine „Erscheinungsform des religiösen Bewußtseins" i s t 6 7 , während diese vierte Reaktionsform wesentlich der Sphäre des Ästhetischen angehört. Sie entwickelt das spezifisch-romantische Lebens- und Naturgefühl, das, wenn es sich intellektuell artikulieren w i l l (wozu es aus seinen eigenen spezifischen Voraussetzungen trotz scheinbarer Intellektualität - in Wahrheit ein zerebraler Sensualismus - gar nicht imstande ist), verschiedenartige Begriffe philosophischer Systeme - Natur, Logos, Ich - mit sentimentalisierten Zeitbegriffen vermischt, das aber eine eigene, spezifische Produktivität hat, nämlich die Lyrik. Lyrisch-sentimental empfindet es den konsequenten Rationalismus der Staatsphilosophie des Hobbes als etwas besonders Feindliches. Die antiidyllische Vorstellung eines „von Natur bösen" Menschen, eines Kampfes aller mit allen, einer freien Konkurrenz, ist ihm zunächst abstoßend. So rühmt schon Shaftesbury die einfachen, „natürlichen" Sitten der primitiven Völker, wobei er ihre musikalische Begabung besonders betont. Aber erst in Rousseau tritt die Eigenart dieser vierten Reaktionsform deutlicher hervor. Unfähig, den Rationalismus zu überwinden, immer in intellektueller Abhängigkeit von dem überlegenen Gegner (der Contrat social beweist das) bringt er es doch zustande, dessen Konsequenz zu paralysieren und das konkret Reale, das die Philosophie auf systematisch-spekulativem Wege sucht, auf andere Weise zu erreichen. Der Weg, auf dem er dazu gelangt, ist in seiner typischen Eigenart bisher kaum beobachtet worden, aber bereits i m Discours sur Vorigine de l'inégalité zu erkennen: die „ N a t u r " , eine durchaus rationale Vorstellung der überlieferten Philosophie, ein Synonym für das begriffliche, rationale 67 Mystik und Rationalismus, München und Leipzig 1922, S. 9; auch der außerordentlich klare Aufsatz „ Z u r Theorie der M y s t i k " von Erik Peterson , Zeitschr. f. systematische Theologie I, S. 165: Mystik gibt es nur „ i m Bereich von" Religion . . . „insofern als die Mystik der religiösen Welt ontisch zugeordnet ist."

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„Wesen", für Vernunft und Gesetzmäßigkeit, erhält einen sentimentalen Inhalt; der als eine bewußte Abstraktion oder als historisches Faktum behandelte „Naturzustand" der früheren Philosophie w i r d zu einer konkreten, in Wald und Feld sich abspielenden Idylle, zu einer „ imagination romanesque Die deutsche Romantik vom Anfang des 19. Jahrhunderts gehört zu dieser vierten Reaktionsform. I n ihr sind Ideen von Hemsterhuis, Herder, Hamann, Jacobi, Goethe in den Dienst der ästhetischen Reaktion gestellt, allerdings, wie S. Elkuss richtig bemerkt, „literarisch verdünnt" 6 8 . Es ist ferner zu beachten, daß die Begriffe der Zeitphilosophie, die sie zum Gegenstand ihrer gefühlsmäßigen Umbiegung machte, zum Teil der kantischen Philosophie, zum Teil aber auch den philosophischen Systemen Fichtes und Schellings, also bereits Reaktionsäußerungen, entnommen waren. Dadurch w i r d die Vermischung, die bei der ästhetisch-gefühlsmäßigen Ablehnung aller logischen Trennung notwendig eintritt, noch trüber, und die Verwicklung scheint unentwirrbar. Die hier aufgestellten vier Formen sind ja in der historischen Wirklichkeit selten in typischer Reinheit vorhanden. Vico z. B. wirft Descartes nicht nur unhistorische, traditionslose Abstraktheit, sondern auch Mangel an Poesie vor; bei Fénelon sind starke, durch Malebranche und Augustinus vermittelte Neo-Platonismen; Shaftesburys Zusammenhang mit Malebranche ist bei weitem noch nicht genügend beachtet; Spinozas Philosophie enthält genug mystische Elemente, u m sich mit der zweiten Reaktionsform zu berühren; wie tief Rousseau mit dem Guyonschen Quietismus zusammenhängt, ist durch die Veröffentlichungen von P. M . Masson überraschend klar und durch Seillière ausgezeichnet hervorgehoben worden. N o c h stärker ist die Vermischung bei den deutschen Romantikern. Novalis - wenn man einen Jüngling unter solchen Kategorien erfassen w i l l - ist bald Mystiker, bald Romantiker und kam aus dem Kreis der Herrnhuter, deren Religiosität den niederrheinischen Mystikern als „süße Erfahrungen" verdächtig war. Bei Friedrich Schlegel, Zacharias Werner, Adam Müller zeigen sich apokalyptische Stimmungen, nachdem solche, unabhängig von ihnen, in ganz Europa aufgetreten waren. I n den Beziehungen Brentanos mit Katharina Emmerich findet man Analogien zu der Freundschaft zwischen Poiret und Antoinette Bourignon. Die sogenannte „politische Romantik" der Restauration ist von der historischen Reaktion auf den abstrakten Rationalismus abhängig, von Herder, der aus kulturgeschichtlichen, nicht aus romantischen Interessen zu einer andern Bewertung des Mittelalters ge68

Zur Beurteilung der Romantik und zur K r i t i k ihrer Forschung (Historische Bibliothek Bd. 39) 1918, S. 32. Diese bedeutende, ungewöhnlich reiche Abhandlung ist leider Fragment geblieben. 5: https://doi.org/10.3790/978-3-428-48428-7 Generated for Universitaet Leipzig, Universitaetsbibliothek at 139.18.244.59 on 2021-03-23, 10:34:20 UTC FOR PRIVATE USE ONLY | AUSSCHLIESSLICH ZUM PRIVATEN GEBRAUCH

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langte, und von Bonald. Auch Burke wäre hier zu nennen, aber dieser L i berale enthält selbst romantische Elemente und stellte eine historische Verbindung des Whigaristokraten Shaftesbury mit der deutschen Romantik Adam Müllers her 6 9 . Trotzdem bleiben die Typen leicht zu unterscheiden. Sie sind hier aufgestellt, um zu zeigen, wie sehr die Ablehnung des Rationalismus verschiedenartig motiviert und gestaltet ist und wie sich schon hier eine erste Besonderheit des Romantischen ergibt. Für die weitere geistesgeschichtliche Bestimmung der Romantik ist aber noch etwas Wichtigeres zu beachten: eine Änderung, die dadurch eintrat, daß die metaphysische Entwicklung vom 17. zum 19. Jahrhundert zu ganz neuen Vorstellungen von Gott und dem Absoluten führte. Die höchste und sicherste Realität der alten Metaphysik, der transzendente Gott, war beseitigt. Wichtiger als der Streit der Philosophen war die Frage, wer seine Funktionen als höchste und sicherste Realität und damit als letzter Legitimationspunkt in der historischen Wirklichkeit übernahm. Zwei neue diesseitige Realitäten traten auf und setzten eine neue Ontologie durch, ohne auf die Beendigung der erkenntnistheoretischen Diskussion zu warten: die Menschheit und die Geschichte. Völlig irrational, wenn man sie mit der Logik der rationalistischen Philosophie des 18. Jahrhunderts betrachtet, aber objektiv und evident in ihrer überindividuellen Geltung, beherrschten sie in realitate das Denken der Menschheit als die beiden neuen Demiurgen. Der erste, die menschliche Gesellschaft, wurde in verschiedenen Gestalten als Volk, Gemeinschaft, Menschheit, aber immer in derselben revolutionären Funktion wirksam. Seine Allmacht wurde schon i m Contrat social von Rousseau proklamiert; er kann alles beanspruchen, denn der Contrat social enthält in sich 69

Die romantischen Elemente sind für Burkes politische Ansichten nicht entscheidend, sie haben den großen Eindruck auf die Romantik und damit auch die Übernahme konservativer Ideen vermittelt. Ich habe das i n der ersten Auflage nicht genug betont und in dieser Hinsicht dem mir erst später bekannt gewordenen Aufsatz von M. J. Bonn über Burke (Frankfurter Zeitung vom 10. und 12. Juli 1897, 1. Morgenblatt) eine wichtige Anregung zu verdanken. Auch die Ästhetik Burkes ist hier von großem Interesse, bei i h m erscheint das Dunkel als neues Merkmal des Erhabenen, die Musik als Beispiel der pulchritudo vaga, der freien Schönheit i m Gegensatz zu der einem Gegenstande adhärierenden usw. Vgl. die Straßburger Dissertation von Candrea, 1894. Eine treffende Zusammenfassung der komplexen Bedeutung von Burke hat Siegbert Elkuß, a. a. O., S. 11, gegeben: der Ideenstrom, der von Burke ausgeht, teilt sich in historische Weltauffassung und politische Romantik i m engern Sinne; bei Burke ist beides vereinigt, bei ihm aber auch Aufklärung, Reformation und Revolution als individualistische und rationalistische Bewegungen gegenüber dem Traditionalismus.

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„l'aliénation totale de chaque associé avec tous ses droits à la communauté, chacun se donnant entier". Die individualistischen Elemente, die in der Vertragstheorie lagen, wurden i n der Revolution praktisch beiseite geworfen. Die Politik w i r d eine religiöse Angelegenheit, das politische Organ ein Priester der Republik, des Gesetzes, des Vaterlandes. Gegen jeden politischen Dissidenten, jede abweichende Meinung wütete das Jakobinertum mit blutigem Eifer. Sein Zelotismus hatte religiösen Charakter, der neue K u l t der Freiheit, der Tugend oder des „höchsten Wesens" war seine natürliche Folge. Selbst Aulard gibt das z u 7 0 . Jeder politische Feind, Danton, Hébert, war ein Rebell gegen den einzigen und höchsten Souverän, infolgedessen ein „Atheist". Es mag sein, daß sich hier ein entsetzlicher menschlicher Egoismus, ein rasender Wille zur Macht, einer Ideologie bediente, u m sich hemmungslos auszutoben. Das ist oft in der menschlichen Geschichte so gewesen. Entscheidend ist: hier beruft er sich mit Erfolg auf eine neue Religion. Es ist nicht das gleiche, ob ein absoluter Monarch sagt, er selbst sei der Staat, oder wenn ein Jakobiner so handelt, daß er tatsächlich sagen könnte: la patrie c'est moi. Der eine repräsentiert den Staat mit seiner individuellen Person; der andere unterschiebt sich mit seiner Person dem Staat; je mehr er selbst sein will, u m so mehr muß er seine Privatperson verstecken und immer laut betonen, daß er ja nur der Funktionär des allein mächtigen und maßgebenden, überpersönlichen Wesens sei. Selbst wenn er, anders als der strenge Moralist Robespierre, nur von egoistischen Motiven getrieben wäre, dürfte er sich der privaten Vorteile, Macht, Ehre, Reichtum, doch nur beiläufig, als eines belanglosen Abfalls, heimlich und diebisch erfreuen. Er ist nichts für sich und alles in seiner Funktion als Organ der wahren Macht, des Volkes oder der Gesellschaft. Sie hatte man gefunden, als man zur Natur zurückkehren wollte. Die Realität war die menschliche Gemeinschaft, aus welcher der sentimentale Individualist zu fliehen glaubte. Bonald sah von seiner christlichen Staatsphilosophie aus gerade in dem Jakobinertum von 1793 den Ausbruch einer atheistischen Philosophie. Er hatte eine Analogie zwischen der theologischen und philosophischen Vorstellung von Gott und der politischen Gesellschaftsordnung ausgeführt, die zu dem Ergebnis kam, daß der theistischen Vorstellung eines persönli70

Histoire politique de la révolution française, p. 367: „Le culte de l'Etre suprême ne fut pas seulement un expédient de défense nationale, mais aussi une tentative pour poser un des fondements essentiels de la cité future." Nach Sybel , Französische Revolution I I , S. 545, war der K u l t des höchsten Wesens für Robespierre nur ein M i t t e l seiner Politik. Aber S. 520 zitiert er die Instruktion an die Lyoner Patrioten v o m 16. Nov. 1795: der Republikaner hat keine andere Gottheit als das Vaterland.

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chen Gottes das monarchische Prinzip entspreche, weil es einen persönlichen Monarchen als sichtbare Vorsehung verlange; der deistischen Annahme eines außerweltlichen Gottes soll eine monarchisch-demokratische Verfassung gemäß sein, wie jene Konstitution von 1791, nach welcher der König i m Staat so machtlos war wie der Gott des Deismus in der Welt: das ist für Bonald versteckter Anti-Royalismus wie der Deismus versteckter Atheismus. Die „demagogische Anarchie" von 1793 aber war offener Atheismus: kein Gott, kein K ö n i g 7 1 . Diese „identité dans les principes des deux sociétés, religieuse et politique" hat ihre Berechtigung in der methodischen Identität zahlreicher theologischer und juristischer, namentlich staatsrechtlicher Begriffe und darf - ebensowenig wie die von Leibniz aufgestellte Parallele von Theologie und Jurisprudenz - mit theosophischen und naturphilosophischen Spielereien, die wie für alles andre, so auch für Staat und Sozietät bunte Analogien finden, nicht verwechselt werden. Sie wollte eine Verteidigung des Royalismus und der Aristokratie sein, aber sie enthielt die Anerkennung der neuen Realität in der Form der Nation. Der Vorwurf, den Bonald gegen Descartes und Malebranche seit 1796 erhebt, lautet: sie sehen nicht das Wesentliche, die menschliche Gesellschaft; die Gesellschaft und die Geschichte, das ist die Realität 7 2 . Bei Maistre ist die Anerkennung dieser Realität ebenso bestimmt. Wie Burke und Bonald hebt er immer wieder hervor, daß der einzelne Mensch nichts schaffen, nur etwas „machen" kann, während das Recht, die Verfassungen, die Sprache Produkte der menschlichen Gesellschaft sind 7 3 . Die Nation ist freilich ein Geschöpf Gottes. Betrachtet man seine Argumentation aber näher, so 71 De la philosophie morale et politique du 18. siècle (6. oct. 1805), veröffentlicht in den Mélanges littéraires, politiques et philosophiques, t. I, Paris 1819, Œuvres, t. X , p. 104 bis 133, vgl. auch I I I , p. 388 f. Die Unzulänglichkeit der A b handlung von Thilo, Die theologisierende Rechts- und Staatslehre, Leipzig 1861, die übrigens zahlreiche gute kritische Ausführungen, namentlich gegen Stahl, enthält, liegt darin, daß sie die tatsächliche methodische Verwandtschaft von Theologie und Jurisprudenz gar nicht bemerkt. A n Thilo schließt sich Aug. Geyer i n seinen Grundzügen der Rechtsphilosophie, Innsbruck, S. 87 f., in allem an; ihre harte K r i t i k Müllers bleibt i m Ergebnis trotzdem richtig. 72

Théorie du pouvoir (1796), Essai analytique sur les lois naturelles de l'ordre social, Œuvres, t. I, Paris 1817, p. 307, N o t e 1: La réalité est dans l'histoire, il ne considère pas la société (vgl. auch t. I I I , p. 213). 73

Considérations sur la France, 1796, Essai sur le principe générateur des constitutions politiques, Paris 1814 (1809 geschrieben), Nr. X L V I I und X L . Eine deutsche Übersetzung ist 1822 in Naumburg erschienen; der Übersetzer, Albert von Haza, der Stiefsohn Adam Müllers, hat die Schrift mit einer Vorrede und mit A n merkungen versehen, die Hinweise auf Burke und Bonald enthalten und inhaltlich w o h l auf Müller zurückgehen.

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ist sie der maßgebende Punkt. I n einem Schreiben an den Grafen Blacas faßte er die Quintessenz seiner Argumentation so zusammen: „Point de morale publique ni de caractère national sans religion, point de religion européenne (!) sans le christianisme, point de christianisme sans le catholicisme, point de catholicisme sans le pape." Sein starkes Nationalgefühl hat auch während der Revolution und der Herrschaft Napoleons nie geschwankt, es war i h m selbstverständlich, daß Frankreich seine Integrität nach außen verteidigen mußte, sei es auch durch die Revolutionäre 7 4 , und in der sardinischen Politik war er ein guter Italiener. Hier ist aber nur von Interesse, was er als den Kardinalpunkt seiner Argumentation und gleichzeitig als die unbestreitbare Prämisse ansieht: das, worauf alles ankommt, ist morale publique und caractère national. Das Christentum w i r d eine europäische Religion, das Papsttum legitimiert sich durch seine Unentbehrlichkeit für den caractère national, der Katholizismus ist ein nationales Element Frankreichs und w i r d als Staatsreligion nur deshalb abgelehnt, weil bei einer Beschränkung auf einen Staat der praktische Erfolg der Religion erfahrungsgemäß nicht eintreten kann; die Nation muß auf den Gallikanismus verzichten, aber ihrer selbst wegen. Bei diesen Gegnern der Revolution enthält die menschliche Gesellschaft bereits eine geschichtliche Bestimmung, sie ist zur Nation geworden. Ohne das, an sich, ist die grenzenlose Gemeinschaft ein revolutionärer Gott, der alle sozialen und politischen Schranken beseitigt und allgemeine Brüderlichkeit der ganzen Menschheit proklamiert. Wenn die Aufhebung aller Grenzen, das Bedürfnis nach Totalität schon für sich ausreichte, um das Romantische damit zu definieren, so gäbe es kein schöneres Beispiel einer romantischen Politik als den Beschluß des Konvents, der am 19. N o vember 1792 dekretiert, „ q u ' i l accordera fraternité et secours à tous les peuples qui voudront leur liberté, et charge le pouvoir exécutif de donner aux généraux les ordres nécessaires pour porter secours à ces peuples". Eine solche politique sansculotte hebt alle nationalen Grenzen auf und überflutet die politique blanche, die internationale Politik der heiligen A l lianz und des legitimen Status quo. Das Korrektiv der revolutionären Schrankenlosigkeit lag bei dem andern, dem zweiten Demiurgen, der Geschichte. Sie ist der konservative

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C. Latreille, Joseph de Maistre et la Papauté, Paris 1906, p. 8 - 11;/. Mandoul, Joseph de Maistre et la Politique de la Maison de Savoie, Paris 1899; Emile Faguet 3 Politiques et Moralistes du dix-neuvième siècle, 1. série (Paris 1905), p. 28 - 31; Ferd. Brunetière , Etudes critiques sur Phistoire de la littérature française, 8. série, Paris 1907, p. 274, 275; Georges Goyau y Revue des deux mondes, 1. Febr. 1918, S. 611 f.

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Gott, der restauriert, was der andere revolutioniert hat, sie konstituiert die allgemeine menschliche Gemeinschaft zum historisch konkretisierten Volk, das durch diese Begrenzung zu einer soziologischen und historischen Realität w i r d und die Fähigkeit erhält, ein besonderes Recht und eine besondere Sprache als Äußerung seines individuellen Nationalgeistes zu produzieren. Was „organisch" ein Volk ist, was „Volksgeist" bedeutet, läßt sich daher nur historisch feststellen, auch das Volk ist hier nicht, wie bei Rousseau, Herr seiner selbst, sondern das Ergebnis geschichtlicher Entwicklung. Der Gedanke einer willkürlichen Herrschaft über die Geschichte ist der eigentlich revolutionäre Gedanke; er hat zum Inhalt, etwas beliebig „machen", selber schaffen zu können; er kann freilich in jeder menschlichen Aktivität gefunden werden. Der hemmungslose Fanatismus des Jakobiners war „unhistorisches" Denken; der Quietismus der Restaurationszeit konnte sich damit rechtfertigen, daß alles, was geschieht, gut ist, weil es historisches Geschehen ist; was ist, ist vernünftig, weil es das Werk des geschichtlich sich produzierendes Weltgeistes ist; was die Geschichte getan hat, ist wohlgetan. Die voluntas Dei in ipso facto, die früher alles rechtfertigen konnte, hatte der geschichtlichen Rechtfertigung ex ipso facto weichen müssen. N u r darf nicht jeder historische Punkt isoliert aus sich selbst verstanden werden - sonst wäre man ja wieder i m atomistisch-analysierenden Rationalismus des 18. Jahrhunderts; erst in der Dauer w i r d die Zeit zu dem irrationalen Abgrund, der das Weltgeschehen aus sich heraus gebiert. Die Berufung auf die Dauer ist das gegebene konservative und traditionalistische Argument. N u r der dauernde Bestand rechtfertigt jeden Zustand, das longum tempus ist als solches der letzte Rechtsgrund; die Bedeutung der Religion wie der adligen Familien für den Staat liegt darin, daß sie ihm eine Dauer und damit erst seine Realität geben 75 . Wenn der konservative Bodin gegen die machiavellistische Machtpolitik einwendet, sie beachte nur den augenblicklichen Nutzen und führe auf die Dauer zum Unglück des Staates, so ist das noch ein nüchtern-praktischer Einwand, der eine bloße Erfahrung geltend macht, ohne die Dauer systematisch zur Grundlage der Berechtigung zu machen. Erst recht zeigt sich bei Gentz, wenn er von der Dauer spricht, wie sehr er noch i m 18. Jahrhundert steht; er w i l l einfach sagen, daß man bei der Beurteilung politischer Ereignisse abwarten müsse; es ist die verständige Weisheit: tempus docebit 7 6 . Jetzt aber w i r d die Zeit 75

Bonald, Œuvres I, p. 193 (sur la fixité dans le pouvoir et le système de familles); de Maistre, du Pape, 2. ed. 1821, p. 318; sur le principe générateur etc. Nr. X X V I I I bis X X X V I . 76

Historisches Journal, II. Jahrg., 2. Bd., Berlin 1800, S. 403; er spricht von dem sonderbaren Mißverhältnis zwischen der trostlosen wirtschaftlichen und der glän-

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als Geschichte eine schöpferische M a c h t , sie b r i n g t V ö l k e r u n d F a m i l i e n z u weltgeschichtlicher Größe, sie bildet N a t i o n e n u n d I n d i v i d u e n , i n i h r wächst die Menschheit. Maistre hat großartige W o r t e gefunden für die G r o ß a r t i g k e i t des Vorganges, daß eine neue Familie i n der Weltgeschichte auftaucht u n d z u r Herrschaft gelangt, er gebraucht sogar die n u r aus d e m neuen historischen E m p f i n d e n verständliche, seinen ganzen L e g i t i m i s m u s als System u n d P r i n z i p gefährdende W e n d u n g v o n der „ l e g i t i m e n U s u r p a t i o n " , das heißt einer U s u r p a t i o n , die historischen Bestand hat; u n d B o nald sagte: la réalité est dans l'histoire. A u c h B u r k e hatte i m m e r w i e d e r auf den Charakter der N a t i o n als einer dauernden, über Generationen sich erstreckenden Gemeinschaft hingewiesen, er sieht die Rechtfertigung der Fideikommisse darin, daß auf i h n e n die D a u e r des Staates beruht, der geistlichen Besitztümer darin, daß sie weitschauende Pläne, die m i t langen Z e i t r ä u m e n rechnen müssen, ermöglichen; aber bei i h m bleibt das alles praktische E r w ä g u n g , die Vorstellung der neuen M a c h t , die als solche etwas rechtfertigen kann, fehlt bei i h m , o b w o h l i m einzelnen i n der ganzen historischen Rechtsschule k a u m ein sachliches A r g u m e n t auftritt, das sich n i c h t schon bei i h m f ä n d e 7 7 . D a f ü r aber w a r das Pathos, m i t d e m er f ü r

zenden militärischen Lage Frankreichs, erklärt sie aus der unverhältnismäßigen Konzentration aller Kräfte auf die militärische Macht und fährt dann fort: aber „die große Rechnung ist noch immer nicht geschlossen. Der Rausch des Sieges wird nicht ewig währen, und die Tage des nüchternen Nachdenkens werden früher oder später, vielleicht von ganz andern Ideen und Gefühlen als die jetzigen begleitet, aufgehen. Sollte eine neue Erfahrung dartun - was w i r jetzt noch mit kühner Beharrlichkeit für unmöglich erklären müssen - , daß ein so unnatürlicher Zustand wie der eines Staates, in welchem eine ungeheure militärische Macht außer allem Verhältnis mit den übrigen Elementen des Nationalvermögens existiert, sogar eine lange Dauer haben kann, alsdann, aber nur alsdann wird es Zeit sein, einen Vorhang über die Vergangenheit zu ziehen; alsdann, aber nur alsdann können w i r die Prinzipien der Staatsökonomie, die Theorien der Finanzverwaltung, alle unsere bisherige politische Weisheit àuf den Schutthaufen werfen und die Herrschaft über die Welt dem Verwegensten, der denn auch zugleich der Klügste und Würdigste ist, überliefern. Bis dahin aber müssen w i r uns die Regel vorbehalten, indem w i r unsern Nacken unter die Ausnahme beugen." 77 Reflections, p. 249 (Gentz, S. 282) spricht er allerdings von der „method in which time is amongst the assistants", doch ist das bloß als rhetorische Wendung gemeint. Friedrich Mensel, Edmund Burke und die französische Revolution, Berlin 1913, S. 79 f., gibt ausführlichere Beispiele von Burkes historischem Denken, leider unter Übernahme des falschen Begriffes romantisch. Wenn er, S. 81, Anm. 3, den Ausspruch Treitschkes „es ist die Ehrfurcht vor den Tatsachen, die den Historiker macht" zitiert, so ist dazu zu bemerken, daß die Ehrfurcht vor der Dauer wohl eine bessere Charakterisierung wäre.

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die große, überindividuelle, von jeder Macht und Willkür des einzelnen Menschen unabhängige, nationale Wirklichkeit eintritt, um so nachhaltiger. Daß Völker einen besondern Charakter, einen „Volksgeist" zugeschrieben erhielten, war nichts Neues, das war schon bei Voltaire, Montesquieu, Vico, Bossuet geschehen und war weder Malebranche, noch Descartes, noch B o d i n 7 8 fremd; das Neue war: jetzt w i r d das Volk die objektive Wirklichkeit, die geschichtliche Entwicklung aber, die den Volksgeist produziert, w i r d zum übermenschlichen Schöpfer. Bei Schelling („nicht das Individuum handelt in der Geschichte, sondern die Gattung") war die überindividuelle Realität noch wesentlich naturphilosophisch bestimmt, nicht geschichtlich orientiert. Erst Hegel hat die beiden Realitäten zu einer Synthese gebracht und damit konsequent den Schritt getan, der den Gott der alten Metaphysik entthronen mußte. Das Volk, bei ihm rationalisiert zum Staat geworden, und die Geschichte, der dialektisch sich selbst entwickelnde Weltgeist, sind vereinigt, freilich so, daß in seiner Metaphysik der Volksgeist nur als Instrument des Weltgeistes in dessen logischem Prozeß funktioniert. Doch blieb trotzdem empirisch und psychologisch dem Volksgeist ein so großer Spielraum, daß der Hegelianismus politisch eine revolutionäre Richtung neben der reaktionären haben konnte. Die menschliche Gesellschaft blieb selbst in der Ordnung von Hegels System das revolutionäre Ferment, und in der revolutionären Weiterbildung dieses Systems, i m Marxismus, erschien das Volk in der Gestalt des Proletariats wieder als der Träger der wahren, revolutionären Bewegung, der sich mit der Menschheit identifiziert und sich als Herrn der Geschichte weiß. Sonst wäre der Marxismus eine Geschichtsphilosophie wie andere, ohne parteibildende und ohne revolutionäre Kraft. N u r zu dem alten Gott der christlichen Metaphysik führte, trotz der reaktionären Elemente und trotz der christologischen Terminologie Hegels, nichts mehr zurück, und Stahl bewies seine Überlegenheit 78

Bodin, Republik, C. V, c. 1 „des moyens de connaître le naturel des peuples". Wegen der astrologischen Einkleidung, mit der Bodin diese Fragen oft behandelt, möchte ich hier eine Bemerkung einfügen: es w i r d auch von guten Historikern übersehen, wieviele angeblich neue Gedanken bei Autoren des Mittelalters und des 16. und 17. Jahrhunderts in heute nicht mehr üblichen astrologischen Wendungen ausgesprochen sind. Daß jedes Volk und jedes Land seinen besonderen Charakter hat, nach welchem sich Sitten und Gesetze richten, ist diesen Zeiten keineswegs verborgen geblieben, sie formulieren es nur so, daß sie von dem eigenen Genius, dem besondern Planeten oder Gestirn des Volkes oder Landes sprechen. Das war eine landläufige Vorstellung, und ganz banale Vielschreiber des 17. Jahrhunderts, wie Christoph Besold, verfaßten Schriften über die besondere Natur und den Genius der verschiedenen Völker und ihre verschiedenartigen Gesetze und Sitten.

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d a d u r c h , daß er d e n H e g e l i a n i s m u s m i t Sicherheit als d e n F e i n d des auf christlicher G r u n d l a g e bestehenden A l t e n erkannte u n d v o n der P h i l o s o p h i e Schellings ausging, die seit 1809 z u r A n e r k e n n u n g eines p e r s ö n l i c h e n Gottes zurückgekehrt w a r 7 9 . Stahl w a r k e i n R o m a n t i k e r 8 0 . Das Wesentliche an der geistigen S i t u a t i o n des R o m a n t i k e r s ist, daß er sich i n d e m K a m p f der G o t t h e i t e n m i t seiner s u b j e k t i v e n P e r s ö n l i c h k e i t reserviert. Seine P o s i t i o n ist folgende: U n t e r d e m E i n d r u c k v o n Fichtes I n d i v i d u a l i s m u s h a t t e n die R o m a n t i k e r sich stark genug gefühlt, selbst die R o l l e des Weltschöpfers z u spielen u n d die Realität aus sich selbst z u p r o d u z i e r e n ; gleichzeitig w a r e n sie die H e r o l d e der b e i d e n neuen Realitäten, der Gemeinschaft u n d der Geschichte, deren M a c h t sie sofort unterlagen. A b e r alles diente i h n e n nur, n a c h d e m treffend e n A u s d r u c k v o n S. E l k u ß , als „ e i n geistiges M i t t e l , die Souveränität des I c h z u steigern". Sie ließen es i n s t i n k t i v u n k l a r , w i e w e i t das r o m a n t i s c h e I c h m i t d e n neuen M ä c h t e n sich i d e n t i f i z i e r t e oder sich i h r e r als M i t t e l seiner M a c h t bediente. Das geniale S u b j e k t ertrug, w e n n es m i t seiner g ö t t l i c h e n A u t a r k i e p r a k t i s c h E r n s t machte, keine Gemeinschaft

mehr;

die E i n b e z i e h u n g des Subjekts i n Gemeinschaft u n d Geschichte bedeutete

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I n der französischen Wissenschaft hat sich der Gegensatz von Hegel und Schelling ähnlich wiederholt, als gegen den Scientismus von Taine, Bernard, Berthelot, Renan, dessen Anfänge unter der Einwirkung Hegels standen, F. Ravaisson zur Verteidigung des positiven Christentums auftrat und dabei von Schelling beeinflußt war. - Interessant ist der Protest, den Κ. Ε. Schubarth als Preuße und Protestant gegen die Vernichtung der Persönlichkeit durch Hegels Philosophie richtete (Uber die Unvereinbarkeit der Hegeischen Staatslehre mit dem obersten Lebensund Entwicklungsprinzip des preußischen Staates, Breslau, 1839); er führt die konstitutionellen Verfassungen der süddeutschen Staaten auf einen mechanistischen Geist zurück. 80 Für Stahl selbst ist das keine Frage, denn er wußte auch Schellings Naturphilosophie von der Romantik zu unterscheiden. Er spricht von einem „romantischen" Adel, dem „Rest des Mittelalters" (Philosophie des Rechts, I I 2 [2. Aufl. S. 94]) und begeht also den Fehler, ein romantisiertes Thema mit der Romantik zu verwechseln. D o c h dringt dieser beiläufige Sprachgebrauch nicht tiefer. I n der Schrift „ D e r Protestantismus als politisches Prinzip", Berlin 1853, S. 31, spricht er verächtlich von der „Einmischung galanter romantischer Empfindung" in die Lehre von der Obrigkeit. Das Wort „galant" ist hier besonders treffend. - Die sonst so klare und zwingende Darstellung von Ench Kaufmann übernimmt leider die Gleichsetzung von Romantik und Irrationalitätsphilosophie (Studien zur Staatslehre des monarchischen Prinzipes, 1906, S. 54), dann sogar Meineckes Terminologie (Über den Begriff des Organismus in der Staatslehre des 19. Jahrhunderts, Heidelberg 1908, S. 10: antirationalistische und damit personalistisch-romantisch-theistische Weltanschauung).

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die Entthronung des weltschöpferischen Selbst. I n der katholischen Kirche fanden sie, was sie suchten: eine große irrationale Gemeinschaft, eine weltgeschichtliche Tradition und den persönlichen Gott der alten Metaphysik. Alles zusammen; sie konnten deshalb glauben, Katholiken zu werden, ohne sich entscheiden zu müssen. Darin lag für Romantiker das Geheimnis und die vis attractiva des Katholizismus. Aber als sie auch innerlich von ihm überwältigt wurden und i m Ernst fromme Katholiken sein wollten, mußten sie ihren Subjektivismus aufgeben. Sie taten es, nachdem sie eine Zeitlang versucht hatten, auch der Kirche gegenüber das geniale Subjekt zu spielen (wie Adam Müller die Jesuiten und ihre „abgestandene Philosophie" mit seiner Gegensatzlehre ins Gebet nehmen wollte). M i t dem definitiven Verzicht und der Perzeption eines Entweder-Oder war die romantische Situation beendet 81 . U m die romantische Situation und die romantische Bedeutung der beiden neuen Realitäten zu verstehen, muß jedoch eine Komplikation berücksichtigt werden, die durch den romantischen Konflikt von Möglichkeit und Wirklichkeit eintritt. Die Romantik begann als Bewegung der Jungen gegen die Alten. Es ist natürlich, daß die heranwachsende Generation für ihre Opposition gegen die alte, i m Besitz stehende, ein großes Schlagwort sucht. Sie kann es nicht immer von fertigen Leistungen hernehmen, darum beruft sie sich auf ihre Jugend als solche, auf das Lebendige, auf ihre Kraft und Vitalität, d. h. auf ihre Möglichkeiten. Sie ist immer Sturm und Drang, führt neue Ideale herauf und schafft damit Platz für ihre Leistungen, mit denen sie dann für die folgende Generation wieder zu den Alten gehört. Die romantische Generation, Ende des 18. Jahrhunderts, war nun in einer besonders schwierigen Lage. Sie hatte eine Genera-

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A n dem Beispiel Stourdzas und Baaders ist ersichtlich, daß die griechisch-orthodoxe Kirche die gleiche Wirkung haben konnte wie die römisch-katholische. Wäre Schlegel nach Rußland gegangen, wie er das getan hätte, wenn man ihm „einen recht tüchtigen und glänzenden Ruf" dorthin verschafft hätte (Brief an August Wilhelm vom 16. Jan. 1813, a. a. O., S. 537), so wäre das Resultat w o h l ähnlich gewesen wie bei Baader. Vgl. seine Philosophie der Geschichte, Wien 1829, 2. Bd., S. 270 ff. - Es gab noch eine andere Beendigung der romantischen Situation, die der einzige Große unter ihnen fand (denn Kleist rechne ich nicht zu den Romantikern): Kierkegaard. Bei ihm sind alle Elemente des Romantischen wirksam gewesen: Ironie, ästhetische Weltauffassung, Gegensätzlichkeiten von Möglichem und Wirklichem, Unendlichem und Endlichem, das Gefühl der konkreten Sekunde. Sein protestantisches Christentum machte ihn zum einzelnen, bewußt i m Gott des Christentums existierenden Individuum. I n der Unmittelbarkeit des Gottesverhältnisses war jede als solche wertvolle menschliche Gemeinschaft aufgehoben. Für die politische Romantik kommt diese Lösung nicht i n Betracht.

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tion vor sich, deren Leistungen klassisch waren und gegenüber deren größtem Vertreter, Goethe, sie keine andere Produktivität als einen gesteigerten bewundernden Enthusiasmus aufzuweisen hatte. Ihre Leistung war K r i t i k und Charakteristik; alles was sie darüber hinaus prätendierten, war bloße Möglichkeit. Sie machten verwegene Pläne und kühne Versprechungen, deuteten an und stellten in Aussicht, beantworteten jede Erwartung einer Erfüllung ihrer Versprechen mit neuen Versprechen, zogen sich von der Kunst in die Philosophie, in die Geschichte, die Politik, die Theologie zurück, aber die ungeheuren Möglichkeiten, die sie der Wirklichkeit entgegengehalten hatten, wurden niemals Wirklichkeit 8 2 . Die romantische Lösung dieser Schwierigkeit besteht darin, daß die Möglichkeit als die höhere Kategorie hingestellt wird. Die Rolle des weltproduzierenden Ich konnten sie nicht in der gewöhnlichen Wirklichkeit spielen; den Zustand ewigen Werdens und nie sich vollendender Möglichkeiten zogen sie der Beschränktheit konkreter Wirklichkeit vor. Denn realisiert w i r d ja immer nur eine der unzähligen Möglichkeiten, i m Augenblick der Realisierung sind alle andern unendlichen Möglichkeiten präkludiert, eine Welt ist vernichtet für eine bornierte Realität, die „Fülle der Idee" einer armseligen Bestimmtheit geopfert. Jedes gesprochene Wort ist deshalb schon eine Unwahrheit, es beschränkt den schrankenlosen Gedanken; jede Definition ist ein totes, mechanisches Ding, es definiert das indefinite Leben; jede Begründung ist falsch, denn mit dem Grund ist immer auch eine Grenze gegeben. Jetzt kehrt sich also das Verhältnis um; nicht die Möglichkeit ist leer, sondern die Wirklichkeit, nicht die abstrakte Form, sondern der positive Inhalt. Das bedeutet auch philosophisch eine Umkehrung. Das Zeitalter suchte die Realität, u m die rätselhafte Irrationalität des wirklichen Seins 82

Für Friedrich Schlegel darf auf den Nachweis i m einzelnen verzichtet und auf die Darstellung Hayms verwiesen werden. Adam Müller hatte die Kunst, Erwartungen zu erregen, zur Virtuosität entwickelt; fast jeder Brief, mit dem er die Einwendungen, die Gentz gegen seine gerade erschienenen Schriften in aller Freundschaft erhebt, zu beantworten sucht, ist ein Beispiel dafür (B. W. Nr. 107, vgl. auch 17, 20). Bereits in der Lehre vom Gegensatz hatte er versprochen: eine neue Staatsund Gesellschaftslehre, eine neue Kunst, eine neue Weltgeschichte; schließlich macht er (S. 72) folgende Anmerkung: „ D e r Kenner w i r d sagen: w i r deuteten so viel an, versprechen so viel; aber daß w i r ein Recht haben, vieles anzudeuten und manches zu versprechen, daß w i r auf dem rechten Wege sind und wissen, was w i r wollen: w i r d der Kenner auch sagen." N o c h in den „Versuchen einer neuen Theorie des Geldes" (Leipzig und Altenburg 1816), S. 239, verspricht er eine „ K r i t i k der Mathematik", in der er weitere Ausführungen über die Kugelform aller Wissenschaft machen werde, und Theol. Gründl., Kap. I I I , Anm. 1, eine „ K r i t i k der gesamten Wissenschaften".

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aufzuheben. Wenn das durch eine Rationalisierung geschehen sollte, war die Unendlichkeit des Lebens wieder beseitigt, denn damit war es wieder begrifflich eingeengt, definiert. Der Sinn alles Scharfsinns der Philosophen wie der erhitzte Zerebralismus mancher romantischer Äußerungen liegt darin, daß sie das Dasein erklären und erfassen wollen, ohne auf die Schauer der unberührten Möglichkeiten zu verzichten. Doch hilft kein Argument darüber hinweg, daß einer, der argumentiert, sich eines rationalen, nicht eines irrationalen Vermögens bedient. Mochte auch von intellektueller Anschauung, von genialem Aufschwung oder irgendeinem andern intuitiven Vorgang gesprochen werden, mittels dessen besondere, dem bloßen Verstände (in Schlegels Terminologie: der bloßen Vernunft) nicht zugängliche Einsichten gewonnen werden sollten: solange ein philosophisches System prätendiert wurde, war der Widerspruch innerhalb des Systems nicht zu überwinden. Solange aber, more romantico, Fragmente und Aphorismen die Resultate der intuitiven Tätigkeit vermitteln sollten, lag nur ein Appell an die gleiche Tätigkeit gleichgesinnter Seelen, also an die romantische Gemeinschaft vor. Das Ziel alles philosophischen Bemühens, das Irrationale philosophisch zu erreichen, war nicht erreicht; in einer besonderen Form hatte die neue Realität, die societas, den Romantiker überwunden und gezwungen, an sie zu appellieren. Der Gegensatz von Möglichem und Wirklichem w i r d mit dem von U n endlichem und Endlichem, Intuitivem und Diskursivem verschmolzen. Der Mystiker des Mittelalters, der das Problem auf den Streit der Modalitäten zurückführte, fand auch hier wieder die Lösung des Konflikts in Gott: nur Gott ist zugleich unendliche Möglichkeit und jede konkrete Wirklichkeit, er vereinigt das posse und esse in sich als die Aufhebung aller Gegensätze von Unendlichem und Endlichem, Bewegung und Ruhe, Möglichkeit und Wirklichkeit. Er ist, wie die seltsame Wortbildung des Nicolaus Cusanus lautet: das Possest. Das ist eine mystische Auflösung, aber nicht Romantik. Die romantische Haltung ist auch hier wieder die des sich selbst reservierenden Subjekts. Was der mittelalterliche Mystiker in Gott gefunden hatte, suchte das romantische Subjekt selbst zu übernehmen, ohne aber die Möglichkeit aufzugeben, den beiden neuen Demiurgen, der Menschheit und der Geschichte, die Aufgabe einer solchen Vereinigung zuzuweisen. Bei Rousseau ist das Volk bereits zu einer gefühlsmäßigen Gemeinschaft stark sentimentalisiert, und der Romantiker, der als individualistischer Empörer begonnen hatte, erscheint als Kollektivist. Das große, übermenschliche Gesamtindividuum, bei dem Denken und Leben eins sind, das gute, edle, großmütige, instinktsichere Volk, w i r d zum Reservoir aller Irrationalität des unendlichen Unbewußten und des Geistes zu gleicher Zeit. Dem Volk in realitate wurde die Aufgabe zugewie-

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sen, der Träger der Naivität zu werden, die der Romantiker für seine Person verloren hatte: es wurde das treue, geduldige, gleichmütige, anspruchslose Volk, das der ungeduldige, nervöse, anspruchsvolle Intellektualist gerührt bewunderte. Rousseausche Figuren - l'honnête artisan, le généreux laboureur, le sage vieillard, la chaste menagère - treten in jeder Romantik auf, und selbst der Publizist der Metternichschen Restauration, Adam Müller, schrieb 1819: „Der einfache Landmann unter dem täglichen Einfluß der Jahreszeiten und des Segens Gottes, der stille Handwerker, der unscheinbare Teilnehmer des gemeinen Wesens sind die Erhalter unserer Stände und Freiheiten, retten die Gesinnung, welche Europa groß gemacht." Nicht einmal den Adel erwähnt er hier. Aus politischen Gründen vermeidet er das Wort Volk; aber die romantische Funktion des Volkes ist hier so deutlich wie zehn Jahre vorher in seinen Elementen der Staatskunst, w o er statt Volk immer Staat sagte und diesen zum Urgrund aller Möglichkeiten erhebt: sein Wille ist Gesetz, Stimme der Wahrheit, nicht nur juristisch, sondern eben i n Wahrheit. A u f dem Gedanken von Novalis, daß der Staat um so mehr geliebt werde, je größere Anforderungen er an den einzelnen stelle, baute Müller eine romantische Papiergeldtheorie auf. Aber man darf die neue Realität „ V o l k " nicht mit dem romantischen Objekt „ V o l k " verwechseln und die Romantiker nicht für Entdecker des neuen Volks- oder Nationalgefühls halten, weil sie die Realität eilig zu romantisieren suchten. I n der bezeichnenden Vermeidung des Wortes Volk in jenem Müllerschen Ausspruch ist bereits der wesentliche Unterschied enthalten: dem romantischen Objekt ist der revolutionäre Nerv zerschnitten; es steht i m Dienst des romantischen Subjekts, das ihm die Aufgabe zuweist, die Quelle unerschöpfter Möglichkeiten zu sein; es hat in praxi die Pflicht, sich von der Aufklärung fernzuhalten, weil Lesen und Schreiben und der ganze Bildungsschwindel das große Unbewußte vernichten würde. Auch Kinder sind solche Träger irrationaler Fülle, über welche der Romantiker verfügt. N i c h t jedes Kind, nicht die „verzogenen, verweichlichten, süßlichen Kinder", nur die „indeterminierten Kinder", wie Novalis sagte. Schiller hatte, wie manche andere romantische Empfindung, auch das schon in seinem Aufsatz über naive und sentimentalische Dichtung ausgesprochen: das Rührende an einem K i n d liegt darin, daß es noch nicht bestimmt, noch nicht beschränkt ist, alle zahllosen Möglichkeiten noch in sich hat, die der Mann bereits verlor. Die kindliche Menschheit, die primitiven Völker sind ebenfalls Träger solcher unbeschränkten Möglichkeiten. Der Widerspruch von rationaler Begrenztheit und irrationaler Möglichkeitsfülle w i r d romantisch dadurch behoben, daß gegenüber der begrenzten Wirklichkeit eine andere ebenso reale, aber noch unbegrenzte W i r k -

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lichkeit ausgespielt wird: gegenüber dem rationalistisch-mechanisierten Staat das kindliche Volk, gegenüber dem durch seinen Beruf und seine Leistungen bereits beschränkten Mann das mit allen Möglichkeiten spielende Kind, gegenüber der klaren Linie des Klassischen die unendlich vieldeutige Primitivität. Die begrenzte Wirklichkeit ist leer, eine realisierte Möglichkeit, eine gefällte Entscheidung, entzaubert, desillusioniert, sie hat die dumme Melancholie, die ein Lotterielos nach der Ziehung hat, sie ist „ein Kalender, dessen Jahr verrann". Die primitive Naivität ist der glückliche Zustand, aber nur negativ, nicht wegen eines positiven Inhalts; es ist die noch nicht zerstörte Illusion, ewiges Versprechen ewiger Kraft, ewig konservierte, weil ewig unrealisierte Möglichkeit. Der andere der beiden neuen Demiurgen, die Geschichte, ließ sich ebenso romantisch verwerten. I n jeder Sekunde determiniert die Zeit den Menschen und engt den mächtigsten menschlichen Willen ein. Jeder M o ment w i r d dadurch zu einem übermächtigen, irrationalen, gespenstischen Ereignis; er ist die stets vorhandene, ununterbrochene Negation der zahllosen Möglichkeiten, die er vernichtet. Vor seiner Macht weicht der Romantiker in die Geschichte aus. Die Vergangenheit ist Negation der Gegenwart. War die Gegenwart negierte Möglichkeit, so w i r d in der Vergangenheit die Negation wiederum negiert und die Beschränkung aufgehoben. Das vergangene Faktum hat die Seinsqualität des Wirklichen, ist konkret und real, nicht willkürliche Dichtung, und hat trotzdem nicht die Zudringlichkeit der gegenwärtigen Realität, die den Romantiker als existierenden Einzelmenschen in jeder Sekunde bedrängt. Sie ist insofern Realität und Nicht-Realität zugleich, sie kann auch gedeutet, kombiniert und konstruiert werden; sie ist geronnene Zeit, die man in die Hand nehmen kann, u m wunderbare Figuren daraus entstehen zu lassen. Auch die räumlich entfernte Realität läßt sich als ein Mittel gebrauchen, u m der gegenwärtigen zu entgehen. A . W. Schlegel stellte 1802 in seiner Berliner Vorlesung fest: den Franzosen war, wenigstens vor dem Krieg, England das romantische Land geworden, w o die edelmütigen Lords herkommen; so wie dagegen der englische Romanschreiber mit dem deutschen das gemein hat, daß er, wo er nach Wunderbarem strebt, die Szene gern ins südliche Europa, nach Italien oder Spanien verlegt. I n der Mechanik dieser romantischen Vertauschung unterscheidet sich der banalste Romanschreiber nicht von dem anspruchsvollen romantischen Literaten. N u r eignet sich die Zeit besser zum irrationalen Faktor des romantischen Gegenspiels als der Raum, der eine Rationalisierung unmittelbar nahelegt. So flieht der Romantiker u m die Wende des 18. Jahrhunderts ins Mittelalter, weil die Flucht in die Antike damals, während der Französischen Revolution und des Empire, der Gegenwart zu nahe blieb, die sich mit der römischen A n -

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tike drapierte. Eher konnte Griechenland als romantisches A l i b i dienen. Doch bleibt für den Begriff des Romantischen immer wesentlich: das zeitlich oder räumlich entfernte romantische Objekt - was es auch immer sein mag, die Herrlichkeit der Antike, die edle Ritterlichkeit des Mittelalters, die gewaltige Großartigkeit Asiens - ist nicht seiner selbst wegen Objekt des Interesses; es ist ein Trumpf, der gegen die gewöhnliche, real gegenwärtige Wirklichkeit ausgespielt w i r d und soll die Gegenwart widerlegen. Das Ferne, das Seltene, das Phantastische, Proteusartige, Wunderbare, Geheimnisvolle, das von einigen sogar in eine Definition des Romantischen aufgenommen wurde, bedeutet nichts für sich. Seine romantische Funktion liegt in der Negation des Heute und Hier. So geläufig dem Romantiker die Vorstellung vom primitiv guten Menschen ist, vom Urvolk, den Söhnen des Lichts, dem reinen Priestertum, der ersten Menschheit und der hohen Naturweisheit des Altertums, und so oft sich das mit ihrer romantischen K r i t i k der Gegenwart verbindet, so bleibt doch die religiöse oder die mystische Vorstellung vom verlornen Paradies von der romantischen verschieden. Religiöse und mystische Vorstellungen, gnostische Ideen so gut wie traditionalistische Argumente können in den Dienst der romantischen Einstellung gezogen werden. Die Vergangenheit erscheint als die bessere Grundlage der Gegenwart, ja, die Gegenwart w i r d ein Parasit der Vergangenheit. „ W i r leben noch von der Frucht besserer Zeiten" (Novalis), „ w i r verzehren das Kapital unsrer Väter" (Müller). Romantisch ist daran nur die Verwertung der Vergangenheit als Negation der Gegenwart, als Ausweg aus dem Gefängnis der konkret gegenwärtigen Realität. Das ist nicht etwa buddhistisch empfunden; der Romantiker flüchtet nicht ins Nichts, sondern sucht eine konkrete Realität, nur eine solche, die ihn nicht stört und widerlegt. Es hat auch, trotz der Behauptungen der liberalen Hegelianer, keine innern Beziehungen zur christlichen Transzendenz, weil die andre Welt des Christentums ein Jenseits ist, dessen furchtbare Dezision - ewige Seligkeit oder ewige Verdammnis - alle romantischen Anwandlungen zu einem absurden Nichts macht und dessen H i m m e l zwar auch erfüllt ist mit Musik, aber vor dieser ewigen Harmonie steht das Gericht, und sie ist nicht das romantische A n derswo und Anderswann. Endlich ist die romantische Welt auch nicht utopistisch, denn der Utopie fehlt das wichtigste, die Realität; sie soll noch real werden, das ist nichts, was den Romantiker interessiert; er hat eine Realität, die er heute ausspielen kann, er w i l l nicht mit der Aufgabe einer konkreten Realisierung belästigt werden. Wenn Goethe sich vor der Unruhe der politischen Ereignisse in die „Patriarchenluft" des Orients zurückzog, so konnte man das eine Flucht nennen; man kann es moralisch qualifizieren, wie man will, es ist nicht 6 C. Schmitt, Politische Romantik https://doi.org/10.3790/978-3-428-48428-7 Generated for Universitaet Leipzig, Universitaetsbibliothek at 139.18.244.59 on 2021-03-23, 10:34:20 UTC FOR PRIVATE USE ONLY | AUSSCHLIESSLICH ZUM PRIVATEN GEBRAUCH

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romantisch. Man hat als ein Kennzeichen des Romantikers hingestellt, daß er immer auf der Flucht sei. Das trifft den entscheidenden Punkt so wenig wie die Erklärungen von der Sehnsucht nach dem Höheren oder dergleichen. Der Romantiker weicht der Wirklichkeit aus, aber ironisch und mit der Gesinnung der Intrige. Ironie und Intrige sind nicht die Stimmung eines Menschen auf der Flucht, sondern die Aktivität eines Menschen, der, statt neue Wirklichkeiten zu schaffen, die eine Wirklichkeit gegen eine andre ausspielt, u m die jeweilig gegenwärtige, begrenzende W i r k lichkeit zu paralysieren. Ironisch entzieht er sich der beengenden Objektivität und schützt sich davor, auf irgendetwas festgelegt zu werden; in der Ironie liegt der Vorbehalt aller unendlichen Möglichkeiten. So wahrt er sich seine innere, geniale Freiheit, die darin besteht, keine Möglichkeit aufzugeben. Er schützt sich dadurch aber auch vor dem Einwand, der seine Prätentionen vernichten müßte: daß alle Versprechungen und großartigen Projekte, die er den beschränkten Leistungen andrer entgegengehalten hat, durch seine eigene wirkliche Produktion als ein Betrug entlarvt werden. Was überhaupt an konkreten Leistungen in realitate vorliegt, ist für ihn nur ein Abfall, er protestiert dagegen, daß er oder irgendeine Manifestation von ihm in der Beschränktheit gegenwärtiger Realität genommen werde. Das ist er nicht, das ist nicht sein Ich, er ist immer gleichzeitig noch unendlich vieles Andre, unendlich mehr, als er jemals in irgendeiner konkreten Sekunde oder bestimmten Äußerung sein könnte. Er betrachtet es als eine Vergewaltigung, ernst genommen zu werden, weil er die jeweilige Gegenwart nicht mit seiner unendlichen Freiheit verwechseln lassen will. Ein Feind der Romantiker, Arnold Rüge, meinte, die platonische, d. h. sokratische Ironie höre nicht auf, Bonhomie zu sein, die Schlegelsche sei vielmehr „exkludierende Persiflage". Das ist nur i m einzelnen richtig. Die romantische Ironie ist ihrer Entstehung nach ein Rest von Rationalismus, weil sich die Romantik, so wenig wie sonst, auch nicht zwischen Rationalismus und Irrationalismus entscheiden kann. Ihrem Wesen nach ist die romantische Ironie das intellektuelle Mittel des vor der Objektivität sich reservierenden Subjekts. Man braucht nur festzustellen, wie weit sich die Ironie des Romantikers in der praktischen, ganz gewöhnlichen Wirklichkeit, nicht bloß in Literaturkomödien, gegen ihn selbst richtet. Schwerlich w i r d man einen mit geistigen Dingen beschäftigten Menschen zeigen können, bei dem weniger Selbstironie zu finden wäre als bei dem typischen Romantiker Adam Müller. I n keinem seiner vielen Briefe, in seinen Vorträgen oder Reden, nach einem Erfolg oder einem Mißerfolg w i r d man auch nur entfernt etwas davon entdecken. Bei Friedrich Schlegel w i r k t die Ironie der objektiven Situation oft so komisch, daß sie einem Herold der

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Ironie, der durch dieses Wort beständig den Vergleich mit Sokrates herausforderte, nicht hätte entgehen dürfen; gerade daß hier jede Selbstironie fehlt, macht dann seine Situation so peinlich, daß man gern darüber schweigt. Die Objektivierung, die in der Selbstironie liegt, der Verzicht auch auf den letzten Rest subjektivistischer Illusion, hätte die romantische Situation gefährdet; dem geht der Romantiker, solange er Romantiker bleibt, instinktiv aus dem Wege. Das Angriffsziel seiner Ironie ist eben nicht das Subjekt, sondern die objektive Realität, die sich u m das Subjekt nicht kümmert. N u r soll die Ironie die Realität nicht vernichten, sondern, unter Beibehaltung der Qualität realen Seins, dem Subjekt als Mittel zur Verfügung geben und es ihm ermöglichen, jedem Definitivum auszuweichen. Der Anspruch auf die höhere und wahre Realität w i r d dadurch nicht aufgegeben. I n dieser zweideutigen Stellung konnte sich das romantische Subjekt freilich nicht lange halten. Bei Hegel, der die Romantik exekutiert hat, sind bereits Staat und Weltgeist die Subjekte der überlegenen Ironie und Intrige geworden und machen auch das genialste Ich zum O p fer ihrer Ironie. Das Ergebnis der subjektivistischen Vorbehalte war, daß der Romantiker die Realität, die er suchte, weder in sich selbst, noch in der Gemeinschaft, noch in der weltgeschichtlichen Entwicklung, noch, solange er Romantiker war, i m Gott der alten Metaphysik finden konnte. Aber die Sehnsucht nach der Realität verlangte eine Erfüllung. M i t Hilfe der Ironie konnte er sich vor der einzelnen Realität schützen. Sie war jedoch nur die Waffe, mit der das Subjekt sich verteidigte. Die Realität selbst war subjektivistisch nicht zu erringen. Daher unterschob sich ihr etwas anderes, scheinbar noch Größeres, die Totalität. Des ganzen Universums, der gesamten Wissenschaft, der gesamten Kunst konnte das Subjekt sich auf einmal in complexu bemächtigen. Den Hebel entnahm man dem Arsenal der Naturphilosophie. Die philosophische Konstruktion ist auch da, w o sie, wie bei Johann Jakob Wagner, Emanation eines hemmungslosen, ohne jedes Interesse an der empirischen Wirklichkeit der Dinge sich abwickelnden Konstruktionsbedürfnisses zu sein scheint, nicht romantisch 8 3 . N i c h t 83 Ein prachtvolles Beispiel ist J. J. Wagners Buch „Der Staat" (Würzburg 1815). Bei Wagner geht die Entwicklung, die bei Hegel zu immer neuen Synthesen fortschreitet, in einem 4teiligen Schema kreis- (oder ellipsenförmig) i n sich zurück. So entsteht das Schema: Gott (der Urbeginn) teilt sich i n Geist-Natur (diese schließen sich wieder in die mit der Ursprungseinheit identische, aber jetzt durch die Entwicklung hindurchgegangene Einheit:) Universum. Die Tetrade kehrt nun überall wieder. Der historisch gegebene Staat z. B. setzt sich zusammen aus I. Erdverhältnis (Inbegriff der zivilrechtlichen Verhältnisse, nämlich 1. Personen, 2. Sachen, 3. Erwerb, 4. Besitz; Personen sind wieder: 1. Staat, 2. Gemeinde, 3. Korpo6* https://doi.org/10.3790/978-3-428-48428-7 Generated for Universitaet Leipzig, Universitaetsbibliothek at 139.18.244.59 on 2021-03-23, 10:34:20 UTC FOR PRIVATE USE ONLY | AUSSCHLIESSLICH ZUM PRIVATEN GEBRAUCH

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die geometrische Linie, sondern die Arabeske ist romantisch. Die ganze Naturphilosophie der Renaissance, die vor dem großen Wendepunkt Descartes liegt, hat ebenfalls nichts Romantisches, w o h l Schellings Naturphilosophie, aber nicht als Naturphilosophie. Sie wird, wie mystische, theologische, philosophische und andere geistige Gegebenheiten, romantisch verwertet; die naturphilosophische Konstruktion wird, ebenso wie geschichtliche und psychologische Konstruktion, romantisiert. Das vollzieht sich in den verschiedensten Formen, deren äußere Ähnlichkeit mit andern, unromantischen Vorgängen zu einer grenzenlosen Ausdehnung des Wortes geführt hat, weil man sich nicht von der Vorstellung befreien kann, alles, was einen Romantiker interessiert und zu romantischer Produktivität reizt, selber auch in der Sache für romantisch zu halten. Wenn die Romantiker Tagebücher führen, Briefe schreiben, sich selbst und andere analysieren, besprechen, bespiegeln, charakterisieren, so liegt das freilich auch in der Richtung der beiden neuen Realitäten, der Gemeinschaft und der Geschichte: sie verwandeln jeden Gedanken in ein geselliges Gespräch und jeden Augenblick in einen historischen Moment, sie verweilen bei jeder Sekunde und jedem Ton und finden ihn interessant. Aber sie tun noch mehr: jeder Augenblick verwandelt sich in einen Konstruktionspunkt, und wie sich ihr Gefühl zwischen dem komprimierten Ich und der Expansion in den Kosmos bewegt, so ist jeder Punkt gleichzeitig ein Kreis und jeder Kreis ein Punkt. Die Gemeinschaft ist ein erweiration, 4. Familie usw.). II. Leben (Gemüts- und Begriffsleben). I I I . Geist (Priestert u m und Wissenschaft). IV. Staat (Staatsrecht: 1. Justiz, 2. Exekutive, 3. Legislative, 4. Staatsrecht als Zusammenfassung der andern Formen und selbst wieder: 1. Demokratie oder 2. Aristokratie, 3. Monarchie, 4. Despotie). Alles das geht immer wieder in Tetraden zusammen, z. B. das Begriffsleben ist 1. Selbstherrschaft (sc. des Staates über die Menschheit, Strafrecht usw.), 2. Familie, 3. Stände, 4. Wohnung; die Stände sind wieder: 1. Staatsarbeit, 2. Handel, 3. Handwerk, 4. Erdarbeit; die Erdarbeit betrifft wieder: 1. Bergbau, 2. Holzkultur, 3. Ackerbau, 4. Viehzucht; der Bergbau wieder: 1. Metall, 2. Steine, 3. Erde, 4. Salze; die Holzkultur: 1. Laubholz, 2. Nadelholz, 3. Weidenholz, 4. Buschholz; der Ackerbau: 1. Fruchtpflanzen, 2. Blattpflanzen, 3. Stengelpflanzen, 4. Wurzelpflanzen; die Viehzucht: 1. Fische, 2. Vögel, 3. Wild, 4. Haustiere. Das Böse i m Individuum setzt sich zusammen aus: 1. Herrschsucht, 2. Habsucht, 3. Dünkel, 4. Freßsucht. Schließlich hat das Buch 400 Paragraphen, und es muß beunruhigen, daß es nicht auch 400 Druckseiten hat (sondern nur 398). Das Werk ist reich an guten Beobachtungen und verständigen Urteilen; sein Zusammenhang mit der Romantik beruht nur auf äußerlichen, durch die Abstammung von Schellings Naturphilosophie vermittelten Ähnlichkeiten. Übrigens hätte sich auch kein Romantiker solche kräftigen Geschmacklosigkeiten ohne Ironie gestattet. Adam Müller hat ja auch das dreiteilige Schema Bonaids erst spät, seit 1820, übernommen.

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tertes Individuum, das Individuum eine konzentrierte Gemeinschaft; jeder geschichtliche Augenblick ein elastischer Punkt in der großen geschichtsphilosophischen Phantasie, mit der man über Völker und Äonen disponiert. Das ist der Weg, die romantische Herrschaft über die Realität zu sichern. „Alle Zufälle unseres Lebens sind Materialien, aus denen w i r machen können, was w i r wollen." Alles ist „erstes Glied in einer unendlichen Reihe, Anfang eines unendlichen Romans" (Novalis). Hier w i r d das Wort romantisch seiner etymologischen Bedeutung wieder gerecht: die Wirklichkeit w i r d punktualisiert und jeder Punkt der Anknüpfungspunkt für einen Roman. Was man als romantischen Rationalismus und Intellektualismus empfunden hat, ist diese ironische Entwirklichung der Welt in eine phantastische Konstruktion. Dadurch wurden auch die beiden neuen Realitäten Menschheit und Geschichte - zu Figuren, die man „handhaben" konnte. I n den Selbstbespiegelungen der Romantiker liegt so wenig eine Selbstobjektivierung wie in ihrer Gemeinschaftsphilosophie ein politischer Gedanke oder in ihren geschichtlichen Konstruktionen ein historischer Sinn. I n allem, in ihren Tagebüchern, ihren Briefen, ihren Gesprächen, in ihrer Geselligkeit und ihrer Beschäftigung mit der Geschichte sind sie in Wahrheit immer mit sich selbst beschäftigt, und es ist fast komisch, daß sehr ernste Historiker die Romantik für die Begründerin historischen Sinnes halten, eine Bewegung, zu deren typischen Äußerungen Bettina von Arnims Briefromane gehören, die höchstens durch den lustigen Leichtsinn ihrer Legendenbildung als Reaktion das Bedürfnis nach geschichtlicher Echtheit hervorrufen können. I m Romantischen dient alles, Gesellschaft und Geschichte, Weltall und Menschheit, nur der Produktivität des romantischen Ich. Rousseau sagt von sich: Mais de quoi jouissai-je enfin quand j'étais seul? De moi, de l'univers entier. Adam Müller erklärt in einem Brief an Gentz aus dem Jahre 1805 seine Beschäftigung mit der Astrologie für „Umgang mit der Natur i m hohen Stil". U m die gleiche Zeit stellt er fest, daß der Grund seiner psychischen Zerrüttung in „allzu ungebundenem Umgang mit sich selbst" liegt. Das ist es. Der Umgang mit der Natur ist in der Tat bei dem Romantiker Umgang mit sich selbst. Weder der Kosmos, noch der Staat, noch das Volk, noch die geschichtliche Entwicklung interessieren ihn ihrer selbst wegen. Alles kann zu einer handlichen Figuration des sich mit sich selbst beschäftigenden Subjekts gemacht werden. Schellings Naturphilosophie hatte den Gegensatz von Begriff und Leben durch eine Identitätsphilosophie wenigstens in einem großen Gedankensystem zu überwinden gesucht. Die Romantiker benutzten seine Formulierungen ohne jede Rücksicht auf das System, und was Schelling Fichte vorgeworfen hatte, daß er die Natur annihiliere, ist bei den Romantikern,

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die sich Schellingscher Worte bedienen, zu einer wahren Raserei der Vernichtung geworden. Alles w i r d auf den Punkt reduziert; die Definition die der Romantiker so weit von sich wies, weil sie eine Begrenzung oder Beschränkung enthalte, w i r d zur substanzlosen Punktierung: Geist ist . . . Religion ist . . . Tugend ist . . . Wissenschaft ist . . . Sinn ist . . . das Tier ist . . . die Pflanze ist . . . Witz ist . . . A n m u t ist . . . transzendental ist . . . naiv ist . . . Ironie ist . . . Der Drang, jeden Gegenstand auf einen Punkt zu bringen, steigert sich in den zahllosen Erklärungen durch „nichts anderes als"; sie enthalten nicht etwa besonders betonte begriffliche Begrenzungen, sondern sind apodiktische Identifikationen, die den Punkt konzentrieren. Hier überbietet Adam Müller alle andern: höchste Schönheit ist nichts anderes als . . . Kunst ist nichts anderes als . . . das Geld ist nichts anderes als .. Popularität ist nichts anderes als .. die Trennung von Ideal und Wirklichkeit ist nichts anderes als . . . positiv und negativ ist nichts anderes als . . . die ganze Welt ist nichts anderes als nichts anderes. (So hatte der Romantiker auch die Möglichkeit, in gröbstem Sensualismus zu erklären: sie ist also, was sie ist.) Der Punkt selbst ist wiederum nichts anderes als eine Konzentration des Kreises, der Kreis eine Expansion des Punktes. Die substantielle Wirklichkeit war überwunden. Auch der Begriff war überwunden, und dieses ganze Spiel von Punktualisierung und Zyklisierung hat deshalb mit Analyse und Synthese, mit atomistischem und dynamischem Denken keine Beziehungen mehr. Der Augenblick, die gefürchtete Sekunde, verwandelt sich ebenfalls in einen Punkt. Die Gegenwart ist ja nichts anderes als die punktuelle Grenze zwischen Vergangenheit und Zukunft. Sie verknüpft beide „durch Beschränkung" und ist „Erstarrung, Kristallisation" (Novalis). U m sie als Mittelpunkt kann ein Kreis geschlagen werden; sie kann auch der Punkt sein, an dem die Tangente der Unendlichkeit den Kreis des Endlichen berührt; sie ist aber auch Ausgangspunkt für eine Linie ins Unendliche, die nach jeder beliebigen Richtung gehen kann. So ist jeder Vorgang in eine phantastische und traumhafte Vieldeutigkeit verwandelt und kann jeder Gegenstand alles werden. Das „Universum ist die Elongatur meiner Geliebten", aber auch umgekehrt, „die Geliebte ist die Abbreviatur des U n i versums", „jedes Individuum ist der Mittelpunkt eines Emanationssystems", die Emanationen sind statt mystischer Kräfte geometrische L i nien, die Welt löst sich auf in Figuren, und der Zweck ist „die Handhabung des Universums" 8 4 . Die substanzlosen Formen lassen sich zu jedem

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Blütenstaub, Frgm. 2 (Minor I I , S. 111), „ein Kommandowort, heißt es dort weiter, bewegt Armeen". Wegen der übrigen Zitate i m Text sind zu vergleichen: Glaube und Liebe, Nr. 4 und 12 (Minor I I , 146, 147, 149, 150, 151); Blütenstaub,

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Inhalt in Beziehung setzen; in der romantischen Anarchie kann jeder sich seine Welt gestalten und jedes Wort und jeden Ton zum Gefäß unendlicher Möglichkeiten erheben, jede Situation und jeden Vorgang romantisch verwandeln, so wie es etwa Bettina von A r n i m in ihren Briefromanen macht. Wenn Novalis davon spricht, daß er an die Gestalten von Brot und Wein glaube, so sollte man ihm keinen andern Glauben entgegenbringen, als den, den er selbst hat: er meint nämlich, daß Alles Brot und Wein sein kann. Er glaubt an die Bibel, aber jedes echte Buch ist eine Bibel; an das Genie, aber jeder Mensch ist ein Genie; an den Deutschen, aber Deutsche gibt es überall, die Deutschheit ist für ihn, trotz des angeblichen historischen Empfindens der Romantik, nicht auf Staat und Rasse und nicht einmal auf Deutschland beschränkt; besonders die Franzosen sollen durch die Revolution von 1789 eine Portion Deutschheit bekommen haben. Er rühmt die Antike, aber Antike ist überall, w o echter Geist ist; er bekennt sich als Royalisten und Monarchisten, aber „alle Menschen sollen thronfähig werden"; er liebt nur seine Frau, aber er kann sie mit Hilfe seiner Phantasie in tausend andere Frauen verwandeln. Würde diese allgemeine Auflösung, diese spielerische Zauberei der Phantasie in ihrer eigenen Sphäre verbleiben, so wäre sie in der Geschlossenheit ihres Kreises unwiderleglich. Sie vermischt sich aber beliebig und willkürlich mit der Welt der gewöhnlichen Realität. I n einer allgemeinen Vertauschung und Vermengung der Begriffe, einer ungeheuerlichen Promiskuität der Worte, w i r d alles erklärlich und unerklärlich, identisch und gegensätzlich, und kann allem alles unterschoben werden. A u f Fragen und Diskussionen der politischen Wirklichkeit wurde die Kunst angewandt, „alles in Sofien zu verwandeln und umgekehrt". Dies allgemeine „und umgekehrt" ist der Stein der Weisen in der großen Alchimie der Worte, die jeden Kot in Gold und jedes Gold in K o t verwandeln kann. Jeder Begriff ist ein Ich und umgekehrt jedes Ich ein Begriff, jedes System ein Individuum und jedes Individuum ein System, der Staat ist die Geliebte und w i r d Mensch, der Mensch w i r d Staat; oder in Müllers Lehre vom Gegensatz: wenn positiv und negativ ein Gegensatz sind, wie Objekt und Subjekt, so ist positiv und negativ nichts anderes als Objekt und Subjekt, es ist aber auch Raum und Zeit, Natur und Kunst, Wissenschaft und Religion. Monarchie und Republik, Adel und Bürgertum, Mann und Weib, Redner und Hörer; es ist die Formel, durch die „die ganze Welt passieren kann", unter die sich „die Welt vollständig einreihen läßt", mit der „das Universum demonstriert" ist.

Frgm. 27, 66, 102, 116, 119, 124 (II, 136, 140, 141); Studienhefte 1108 ( I I I , 373); Müller, Elem. I I I , 192 f., 228 f., 256.

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II. Die Strutur des romantischen Geistes

Gewiß. N u r ist das nicht die Welt und das Universum, sondern eine kleine Kunstfigur. Der Wille zur Realität endete i m Willen zum Schein. Sie hatten nach der Wirklichkeit der Welt gegriffen, nach der ganzen Welt auf einmal, der Totalität des Kosmos. Statt dessen erhielten sie Projektionen und Resorptionen, Elongaturen und Abbreviaturen, den Punkt, den Kreis, Ellipsen und Arabesken, einen beseelten, d. h. subjektivierten ludus globi. Sie erreichten es, daß sie der Realität der Dinge entglitten, dafür waren ihnen nun auch die Dinge entglitten, und wenn man sie in ihren Schriften, ihren Briefen und Tagebüchern mit der Handhabung des U n i versums beschäftigt sieht, erinnern sie einen manchmal an die Verdammten in der Swedenborgischen Hölle der Allzulistigen: sie sitzen in einer engen Tonne, sehen über sich wunderbare Figuren, die sie für die Welt halten, und glauben, sie hätten diese Welt zu regieren.

2. Die occasionalistische Struktur der Romantik Die Realität, deren Macht sich jeden Tag faktisch erwies, blieb als irrationale Größe i m dunkeln. Es gab kein ontologisches Denken mehr. Das ganze, von romantischem Geist beeinflußte Jahrhundert ist erfüllt von einer eigenen Stimmung. So verschieden, systematisch und gefühlsmäßig, die Voraussetzungen, Ergebnisse und Methoden sind, über den Unterschied von Optimismus und Pessimismus hinweg, ist die Angst des einzelnen Individuums herauszuhören und sein Gefühl, betrogen zu sein. Wir sind hilflos in der Hand einer Macht, die mit uns spielt. Wir mögen ironisch mit den Menschen und der Welt spielen, es ist reizvoll, sich zu denken, daß der Mensch, wie Prospero in Shakespeares „Sturm", das „ M a schinenspiel" des Dramas in der Hand hält, und Romantiker malen sich gern solche Vorstellungen einer unsichtbaren Macht freier Subjektivität aus. Die Phantasien über die Macht geheimer Bünde waren nicht bloß ein Requisit der Hintertreppenromane, Ende des 18. Jahrhunderts so gut wie später; ihren Glauben an geheimnisvolle Intrigen von Jesuiten, Illuminaten und Freimaurern haben auch unromantische Naturen dieses Jahrhunderts zu erkennen gegeben. I n der Vorstellung einer geheimen, „hinter den Kulissen" ausgeübten Macht, die sich in den Händen weniger Menschen vereinigt und es ihnen ermöglicht, mit überlegener Bosheit unsichtbar die Geschichte der Menschen zu lenken, in solchen Konstruktionen des „Geheimen" mischt sich ein rationalistischer Glaube an die bewußte Herrschaft des Menschen über die geschichtlichen Ereignisse mit einer dämonisch-phantastischen Angst vor einer ungeheuren, sozialen Macht und oft noch mit dem säkularisierten Glauben an eine Providenz. Der Romantiker

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sah hier ein Thema für seinen intriganten und ironischen Realitätsdrang: die Freude an geheimer, verantwortungsloser und spielerischer Macht über die Menschen. So treten in Tiecks ersten Romanen überlegene Menschen auf, die andere zu unbewußten Werkzeugen ihres Willens und ihrer Intrige machen; sie experimentieren als „große Maschinisten i m Hintergrunde des Ganzen" und halten die Fäden des Spiels in ihrer Hand. Doch müssen sie schließlich erkennen: auch „ m i t uns spielt das Schicksal wiederum auf seine Weise . . . ein großes Spiel, eine Posse, in der fürchterliche Gestalten seltsam durcheinander gemischt sind". Lovell, der geglaubt hatte, das Schicksal seiner Umgebung mit ironischer Überlegenheit zu beherrschen, war selbst das Werkzeug der Ironie des Andrea gewesen, und die Ironie des Andrea gipfelt und endigt wieder in dem Ausspruch: „ U n d was bin ich denn? - Wer ist das Wesen, das hier so ernsthaft die Feder hält und nicht müde wird, Worte niederzuschreiben? Ich weiß am Ende auch nicht, was ich tue. Ich freute mich sehr, das Haupt einer geheimen, unsichtbaren Räuberbande zu sein, die ganze Welt zum Narren zu haben, und jetzt fällt mir die Frage ein, ob ich mich selbst bei dieser Bemühung nicht selber zum größten Narren gemacht habe . . . Wer ist das seltsame Ich, das so mit mir herumzankt?" Was in Schellings Philosophie noch nicht so hervortrat wie in der von ihr beeinflußten Geschichtsphilosophie Ludens, ist bei Hegel schon so selbstverständlich wie etwas Moralisches: der einzelne Mensch ist ein Instrument der i m dialektischen Prozeß sich entwickelnden Vernunft. Über der Freiheit des einzelnen Menschen schwebt eine unbewußte höhere Notwendigkeit, unwillkürlich realisiert sich die über den bewußten Willen des Einzelnen hinausgehende Geschichte (Schelling). Menschen, Völker und Generationen sind nichts als notwendige Werkzeuge, welcher der Geist des Lebens bedurfte, u m sich an ihnen und durch sie in der Zeit zu offenbaren (Luden). Die Völker sind Instrumente jenes Weltgeistes, u m dessen Thron sie als die Vollbringer seiner Verwirklichung und als Zeugen seiner Herrlichkeit stehen, der einzelne w i r d das Opfer der „List der Vernunft", sein Verstand und was er sich damit denkt, ist „Betrug" (Hegel). Oder die Menschen und Klassen sind gleichzeitig Werkzeuge und Wirkungen des großen Produktionsprozesses, in dessen Verhältnissen sie über ihre Berechnungen hinweg vorwärts geschoben werden (Marx); oder: ein unbewußter, unerklärlicher, drangvoller Wille führt das ganze Trauer- und Lustspiel der Welt mit allen ihren Einzelheiten und Vorgängen auf eigene Kosten auf und sieht sich dabei selber zu; so ist „das Leben ein fortgesetzter Betrug" (Schopenhauer). Die Wahrheit liegt deshalb nie in dem, was der einzelne Mensch begreift oder will, weil alles die Funktion einer außer ihm wirkenden Realität ist.

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Der Optimismus Hegels und des viel naivern J. J. Wagner beruht darauf, das nicht als einen Grund zur Unruhe zu empfinden; sie fühlen sich, wegen ihrer philosophischen Erkenntnis, als Mitglieder oder wenigstens als Eingeweihte der maßgebenden Instanz. Der wahre Grund bleibt auch für sie ein andrer als der sichtbare, dem einzelnen Menschen bewußte Grund, er ist die Wirkung einer fremden, aber in bewußter Gesetzmäßigkeit operierenden höhern Macht. Notwendig muß eine solche Macht entweder Bewußtheit oder Gesetzmäßigkeit erhalten. Daß der Weltgeist bei Hegel überhaupt nur bewußte logische Gesetzmäßigkeit ist, konnte man noch aus seiner panlogistischen Methode erklären. Aber auch bei Schopenhauer w i r d der unbewußte Wille, der sich selbst beim Schauspiel der Welt zuschaut - ein in kosmische Dimensionen projiziertes romantisches Subjekt - , dadurch, daß er in Wahrheit allein tätig ist, trotz aller gegenteiligen metaphysischen Voraussetzungen, bewußt und gesetzmäßig. I n der marxistischen Geschichtsphilosophie erscheinen die Produktivkräfte als gesetzmäßig funktionierende Instanzen, die sogar ihre eigne wissenschaftliche Erklärung produzieren können, und in den modernen psychoanalytischen Untersuchungen unbewußter psychischer Vorgänge wiederholt sich die Dialektik am deutlichsten: die Träume eines Menschen und andre, scheinbar harmlose und zufällige Formen unterbewußter Aktivität haben die absichtlichste und zweckmäßigste Mechanik, deren sich die „ i n Wahrheit" wirksame Kraft zu ihren Zwecken bedient. Uberall sind die beiden modernen Demiurgen - die Menschheit und die Geschichte - wieder tätig. Der einzelne Mensch w i r d das Werkzeug seiner soziologischen Umgebung, oder des weltgeschichtlich sich entwickelnden Weltgeistes, oder der verschiedenartigsten Kombinationen dieser beiden Faktoren. Das braucht nicht zu einer fatalistischen oder quietistischen Aufhebung der menschlichen Aktivität zu führen, weil der Einzelne sich als Glied seines Volkes fühlen und an seiner Stelle mitwirken kann. Auch bei einem so tätigen und positiven Menschen wie de Maistre herrschte die Auffassung, daß jeder Mensch nur das Werkzeug Gottes sei, nicht als bloß theoretische Konstruktion, sondern in gefühlsmäßiger Echtheit. Bei ihm zeigten sich aber auch schon Symptome dafür, wie sehr sich das Gefühl der Abhängigkeit von Gott mit dem der Abhängigkeit von der nationalen Gemeinschaft und ihrer geschichtlichen Entwicklung verbindet, so daß es kein weiter Schritt mehr war, sie miteinander zu verwechseln. Plutarch zitierend und die überlieferte, klassische Anschauung aufnehmend, nennt er den Körper ein Werkzeug der Seele, die Seele ist in gleicher Weise ein Werkzeug Gottes, der Mensch wächst dann in seiner nationalen Gemeinschaft wie eine Eichel in ihrem Boden und bildet bei alledem sich ein, er könne etwas tun, und ist doch nur die „Mauerkelle, die sich einbildet, der

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Baumeister zu sein". Der Abscheu, den Burke, Maistre, Bonald vor dem „Machen" in politischen Angelegenheiten haben, vor den künstlichen, von einem findigen Individuum berechneten Verfassungen, vor den Konstitutionsfabrikanten und den politischen Geometern, entspringt dem Gefühl dafür, daß der Grund alles historisch-politischen Geschehns in einer überindividuellen Macht liegt, wobei „ G r u n d " bei ihnen sowohl die kausale Erklärung wie die normative Rechtfertigung, die Legitimierung, bedeutet. Die Romantiker, die diesen Gedanken mit ihren subjektivistischen Weltkonstruktionen vermischten, empfanden sich gern als Glieder eines höhern Organismus. „Tanzen, essen, sprechen, gemeinschaftlich empfinden und arbeiten, zusammen sein, sich hören, sehen, fühlen usw., alles das sind Bedingungen und Anlässe, selbst schon Funktionen der Wirksamkeit eines höheren, zusammengesetzten Menschen, des Genius" (Novalis). Wie in dem Zwiespalt von Wirklichkeit und Möglichkeit, Endlichkeit und U n endlichkeit die Gemeinschaft und die Geschichte Funktionen wahrgenommen hatten, die in der christlichen Metaphysik Gott zustanden, so wurden sie hier zur wahren Ursache, für welche alles nur ein Anlaß ist. Aber bei näherer Betrachtung zeigt sich, daß nicht einer dieser beiden Demiurgen - Menschheit und Geschichte - , sondern das romantische Subjekt selbst alles zum Anlaß nimmt. Der Gegensatz romantischer Produktivität zu der Tätigkeit, die Fichtes „ I c h " postuliert, ist hier der geeignete Ausgangspunkt für die Darlegung romantischen Wesens, weil dieses Fichtesche „ I c h " zum romantischen Subjekt wurde. Die Welt, das „ N i c h t - I c h " , w i r d bei Fichte zur Materie, die verarbeitet werden muß. Sie soll in „absoluter Kausalität" und absoluter Aktivität umgestaltet werden. Dadurch aber w i r d das Eingreifen in den Mechanismus der Kausalzusammenhänge der äußern Realität notwendig und muß ein berechenbarer, d. h. i m Verhältnis von Ursache und Wirkung adäquater Zusammenhang angenommen werden. Daß in der kausalen Beziehung zwischen Ich und Nicht-Ich die Verbindung mit dem Rationalismus des früheren Jahrhunderts, also die historische Unzulänglichkeit des Systems liegt, hat Hegel bereits 1801 mit genialer Sicherheit erkannt. Die Romantiker waren eines solchen philosophischen Blickes nicht fähig, sondern standen noch ganz unter der Faszination von Fichtes intellektueller Überlegenheit. Aber Schleiermacher hat den Gegensatz wenigstens gefühlt und (im Athenäum) angedeutet. I h m war diese Weltbeherrschung zu mechanisch und technisch. Hier liegt allerdings der entscheidende Punkt. Wenn nämlich etwas die Romantik total definiert, so ist es der Mangel jeglicher Beziehung zu einer causa. Sie wehrt sich nicht nur gegen die absolute Kausalität, d. h. gegen ein absolut berechenbares, adäquates Verhältnis von Ursache und Wirkung, wie es die wissenschaftliche Mechanik vorausset-

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zen muß: auch die in den Wissenschaften vom organischen Leben obwaltende Beziehung von Reiz und Wirkung bleibt immer noch in einem gewissen Rahmen berechenbar und adäquat. I n der Bedeutung von „Sache" hat das Wort causa auch noch den Sinn einer teleologischen oder normativen Bindung und eines geistigen oder moralischen Zwanges, der eine adäquate Beziehung kennt. Ein absolut inadäquates Verhältnis besteht dagegen zwischen occasio und Wirkung; es ist - da jede konkrete Einzelheit occasio eines unberechenbaren Effekts sein kann, etwa der Anblick einer Apfelsine für Mozart der Anlaß, das Duett „la ci darem la mano" zu komponieren - völlig inkommensurabel, jeder Sachlichkeit sich entziehend, a-rational, die Relation des Phantastischen. Wie ist es dieser Relation möglich, die Welt umzugestalten? Novalis gibt die A n t w o r t : „Alle Zufälle unseres Lebens sind Materialien, aus denen w i r machen können, was w i r wollen, alles ist erstes Glied in einer unendlichen Reihe (bis hierhin könnte der Satz noch einen magischen Mystizismus bekunden, aber der Schluß offenbart die Romantik:), Anfang eines unendlichen Romans." Dieses Fragment (Nr. 66) gibt die eigentliche Formel des Romantischen. Daß es nicht zufällig ist (wie naturgemäß vieles bei Novalis und in aller Romantik), zeigt sich in dem andern Fragment des Novalis über Goethe (Nr. 29): Goethe hat die Fähigkeit, kleine und unbedeutende Vorfälle mit wichtigen Begebenheiten zu verknüpfen; das Leben ist voll solcher Zufälle, „sie machen ein Spiel aus, das, wie alles Spiel, auf Überraschung und Täuschung hinausläuft". Auch das Gespräch, dieser Lieblingsbegriff der Romantik, ist ja, nach Novalis, ein „Wortspiel", und das Thema des Gesprächs nach Fr. Schlegel nur ein „Vehikel" der Freude am Gespräch. Besonders aber ist die willkürliche Veränderung der Wirklichkeit in Bettina von Arnims Briefromanen ein herrliches Beispiel romantischer Praxis: jede interessante Begegnung w i r d Anlaß zu einem Roman 8 5 . So kommt es also auch i m Romantischen zu einer Umgestaltung der Welt, aber zu einer andern, als Fichte sie postuliert hatte. Es war die Umwandlung i m Spiel und in der Phantasie, die „Poetisierung", d. h. die Benutzung des konkret Gegebenen, selbst jeder sensuellen Wahrnehmung, als Anlaß zu einer „Fabel", einem Gedicht, einem Objekt ästhetischer Sensationen, oder, weil dies der Etymologie des Wortes Romantik am besten entspricht, zu einem Roman. So erklären sich die scheinbar verwickelten romantischen Phänomene: Fichtes absolutes Ich, ins Gefühls-

85 Über Bettina von Arnims Briefroman das verdienstliche Werk von W. Oehlke (Palaestra X L I ) , Berlin 1905, das leider durch seine subromantische Pseudo-Ethik entstellt ist. Die Einleitung insbesondere ist eine rührende Apologie des Schwindels.

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mäßig-Ästhetizistische umgebogen, ergibt eine nicht durch Aktivität, sondern in Stimmung und Phantasie veränderte Welt. Die romantische Produktivität lehnt jeden Zusammenhang einer causa bewußt ab und damit auch jede in die realen Zusammenhänge der sichtbaren Welt eingreifende Tätigkeit. Trotzdem kann sie wie Fichtes Ich in absoluter Subjektivität absolut schöpferisch sein, indem sie nämlich Phantasien produziert, „poetisiert". Soll ihr Wesen erkannt werden, so darf man daher nicht, wie das bisher meistens geschah, von dem romantisierten Objekt (etwa vom Mittelalter oder den alten Burgen), statt von dem romantisierenden Subjekt oder, nach Shaftesburys Terminologie, vom Beautifyed statt vom Beautifying ausgehn. Die äußere Welt und die historische Wirklichkeit ist für die romantische Leistung nur insofern von Interesse, als sie, u m jenen Ausdruck des Novalis zu gebrauchen, Anfang eines Romans sein kann: das gegebene Faktum w i r d nicht in einem politischen, historischen, rechtlichen oder moralischen Zusammenhang sachlich betrachtet, sondern ist Gegenstand ästhetisch-gefühlsmäßigen Interesses, etwas, woran der romantische Enthusiasmus sich entzündet. Für eine derartige Produktivität liegt das, worauf es ihr ankommt, so sehr i m Subjektiven, in dem, was das romantische Ich aus Eigenem hinzutut, daß, richtig betrachtet, von Objekt oder Gegenstand nicht mehr gesprochen werden kann, weil der Gegenstand zum bloßen „Anlaß" wird, zum „Anfang", „elastischen Punkt", „Inzitament", „Vehikel" oder wie die Umschreibungen der occasio bei den Romantikern lauten. Wie Fr. Schlegel (1791, Walzel S. 32) seinem Bruder schreibt: alles, was w i r Höheres in der Geliebten finden, ist unser eigenes Werk, die Geliebte hat kein Verdienst daran, „sie war nur der Anlaß", sie ist, wie es in der Lucinde heißt, nur die „Wunderblume deiner Phantasie". Die Hingabe an diese romantische Produktivität enthält den bewußten Verzicht auf ein adäquates Verhältnis zur äußern, sichtbaren Welt. Alles Reale ist nur ein Anlaß. Das Objekt ist substanzlos, wesenlos, funktionslos, ein konkreter Punkt, u m den das romantische Phantasiespiel schwebt. Dieses Konkrete bleibt als Anknüpfungspunkt immer vorhanden, aber in keiner kommensurablen Beziehung zu der allein wesentlichen romantischen Abschweifung. Daher fehlt jede Möglichkeit, ein romantisches Objekt klar vom andern - die Königin, den Staat, die Geliebte, die Madonna - zu unterscheiden, weil eben nicht mehr Objekte, sondern nur noch occasiones vorhanden sind. Der Begriff der occasio hat in der Geschichte der Philosophie seinen Platz bei den Systemen des sogenannten Occasionalismus gefunden, bei Géraud de Cordemoy, Geulincx und Malebranche. Der Name ist insofern berechtigt, als diese Systeme die occasio, i m Gegensatz zur causa, an einen entscheidenden Punkt ihrer metaphysischen Konstruktion setzen, freilich

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meistens ohne genauere Bestimmung des Begriffs der occasio. Malebranche z. B. spricht sogar von „causes occasionnelles" und verwirrt dadurch sein ganzes System, was ihm von Zeitgenossen mit Recht als eine fundamentale Unklarheit zum Vorwurf gemacht wurde. Trotzdem bleibt es von maßgebender Bedeutung, daß der höchst eigenartige Begriff in seinem Gegensatz zur causa hier auftritt 8 6 . Denn damit ist ein neuer, besonderer Typus metaphysischer Haltung aufgetreten, wenn auch zunächst noch nicht in der ganzen Entfesselung und Auflösung, die latent in der Vorstellung des Occasionellen enthalten ist. Bei den genannten Philosophen w i r d Gott, i m Sinne der überlieferten christlichen Metaphysik, beibehalten. Deshalb zeigen sich bei ihnen die Eigenarten der occasionalistischen Haltung zur Welt nur mittelbar, weil die Welt und was in ihr vorgeht, zwar nur ein Anlaß ist, aber ein Anlaß für Gott, in welchem sich Ordnung und Gesetz wiederfinden. Das Problem der wahren Ursache ist das Ausgangsproblem des Occasionalismus. I n Gott fand er alle wahre Ursache, und alle Vorgänge dieser Welt erklärte er für einen bloß occasionellen Anlaß. Hier rechtfertigt es sich wiederum, daß die Erörterung der Struktur des romantischen Geistes von Descartes ausging, der von der Argumentation, daß ich bin, weil ich denke, von dem Schluß vom Denken auf das Sein, zu der Unterscheidung von innerlich und äußerlich, Seele und Leib, res cogitans und res extensa geführt wurde. Daraus ergaben sich die logischen und metaphysischen

86 Zur Klarstellung des begrifflichen Gegensatzes mag hier aus der alten Definition des hl. Bonaventura zitiert werden (nach Ant. Mar. de Vicetia et Joa. a Rubino, Lexicon Bonaventurianum, Venetiis M D C C C L X X X , p. 39: Was per modum causae zu etwas führt, hat „intra se rationem ordinationis ad finem"; „quod vero ducit per modum occasionis nullam habet intra se rationem ordinationis in finem." - Man kann nicht sagen, daß der großen Literatur über Malebranche die zentrale Bedeutung des Begriffes der occasio bewußt geworden sei. Malebranche selbst ist hier allzu widerspruchsvoll. Das ändert aber selbstverständlich nichts an dieser zentralen Bedeutung. - Aus der Menge der oft sehr ungenauen Arbeiten möchte ich die Dissertation von James Lewin, die Lehre von den Ideen bei Malebranche, 1912, hervorheben, einmal, weil sie richtig erkennt, daß M . kein Mystiker ist (allerdings legt die Formulierung S. 22 die These nahe, daß religiöser Glaube immer ein mystisches Element enthalte, was mir unrichtig zu sein scheint; w o h l aber gehört umgekehrt das Mystische i n die religiöse Sphäre), dann, weil eine Quelle der vielen W i dersprüche bei M . gut bezeichnet ist, nämlich die „Unmöglichkeit, eindeutige Beziehungen zwischen Realität und Phänomenalität herzustellen". - Die Beziehung des Occasionalismus ist eben, paradox formuliert, die Beziehung der nicht-faßbaren Beziehung, die Beziehung der alle Möglichkeiten offen lassenden Nicht-Beziehung, der Viel-, ja der Alles-Deutigkeit, eine i m Grunde phantastische Beziehung.

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Schwierigkeiten, beides miteinander in Einwirkung zu bringen und die Wechselwirkung zwischen Seele und Leib zu erklären. Die occasionalistische Lösung, die in den Systemen von Géraud de Cordemoy, Geulincx und Malebranche unternommen wurde, beseitigte die Schwierigkeiten dadurch, daß sie Gott als die wahre Ursache jedes einzelnen psychischen und physischen Vorgangs ansah. Gott bewirkt die unerklärliche Ubereinstimmung seelischer und körperlicher Erscheinungen; alles zusammen, der Bewußtseinsvorgang, der Willensantrieb und die Muskelbewegung sind bloßer Anlaß für Gottes Tätigkeit. I n Wahrheit handelt nicht der Mensch, sondern Gott; nihil facimus nisi auxilio potentiae quae nostra non est, sagt Cordemoy und meint damit das natürliche Geschehen, nicht etwa Gnadenwirkungen. Gottes Eingreifen ist in jedem einzelnen Falle die eigentliche Wirksamkeit, die efficacité propre. Für diesen Vorgang finden die Occasionalisten Umschreibungen und Vergleiche, die oft an romantische Stimmungen anklingen. Wenn ich ein Haus baue, so ist es eine höhere Kraft, die meinen Plan entstehen läßt, die meine Hand führt, die jeden Stein bewegt, so daß schließlich ein Haus entsteht. Spectator sum in hac scena, non actor (Geulincx). Auch das oft zitierte Beispiel von der schreibenden Feder, das in der eben erwähnten Stelle aus Tiecks Lovell wiederkehrt, könnte man hier erwähnen: wenn ich schreibe, bewegt Gott die Feder, er bewegt meine Hand, meinen Willen, der die Hand in Bewegung setzt, das Schreiben ist überhaupt eine Bewegung Gottes; quando homo movet calamum, homo nequaquam illum movet, sed motus calami est accidens a Deo in calamo creatus. Doch würde die allgemeine Unterscheidung von Schein und Wesen und die mystische Aushöhlung der handgreiflichen Wirklichkeit trotz der häufigen romantischen Verwertung solcher Motive keinen spezifischen Zusammenhang mit der Struktur des romantischen Geistes begründen können. Es ist zwar bedeutungsvoll, aber noch nicht ausschlaggebend, daß bei Malebranche, der als „rêveur" galt, trotz scheinbaren Rationalismus, in Wahrheit die Phantasie herrscht, was insbesondere Sainte-Beuve (Port-Royal V p. 237) mit brillanter Psychologie bemerkt hat. Wichtig ist ferner, daß Malebranche typisch klassische Figuren, Seneca und Cato, und das stoische Ideal des Weisen heftig bekämpft (Recherche de la vérité, 1. I I . 3e partie, chap. IV, De l'imagination de Sénèque). Nachdem Dilthey die umfassende Bedeutung der stoischen Tradition für das 17. und 18. Jahrhundert aufgewiesen hat, dürfte man einen solchen Angriff nicht mehr übersehen. Endlich war Malebranche eine den meisten zwar unbekannte, aber darum nicht weniger reiche Quelle für einen Autor, der i m 18. Jahrhundert ein Gegengewicht gegen den abstrakten Rationalismus der französischen Aufklärung bildete, für Montesquieu, insbesondere für dessen Lehre von der

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klimatischen und geographischen Besonderheit menschlichen Geistes; Malebranches Äußerung über Tertullian ist hier ein erstaunliches Beispiel 8 7 . Doch liegt das Entscheidende in der strukturellen Besonderheit des Occasionalismus. Sie beruht darauf, daß der Occasionalist einen Dualismus nicht erklärt, sondern ihn bestehen läßt, aber illusorisch macht, indem er in ein umfassendes Drittes ausweicht. Wenn jeder psychische und physische Vorgang nur als ein Tun Gottes erscheint, so w i r d die Schwierigkeit, die in der A n nahme einer Wechselwirkung von Seele und Leib enthalten ist, nicht aus sich selbst gelöst und die Frage nicht entschieden. Das Interesse gleitet einfach vom dualistischen Ausgang in eine allgemeinere „höhere" und „wahre" Einheit. Das erscheint einem Menschen, der an Gott glaubt, keineswegs als eine äußerliche, durch einen Deus ex machina bewirkte Lösung; er w i r d sie vielleicht als höchst „organisch" empfinden, denn i m Wesentlichen, in Gott, gibt es für ihn keinen Dualismus. Der Gott des occasionalistischen Systems hat wesentlich diese Funktion, wahre Realität zu sein, in welcher der Gegensatz von Leib und Seele ins Wesenlose verschwindet. Er ist etwas anderes als Schellings absolute Indifferenz. Solange sich das Denken zyklisch bewegt, ist es nicht occasionalistisch, weil es aus dem Kreislauf der Gegensätze nicht herausgeht. Sobald aber, wie bei den Romantikern, wenn ihre Gedanken nicht verwischt sind, durch die Suggestionen, die von Schelling ausgehn, der „Organismus" nicht bloß in Gegensätzen polarisiert, hebt ein „höheres Drittes" die Gegensätze auf, und zwar so, daß die gegensätzlich gruppierten Dinge i m „höheren D r i t ten" verschwinden und der Gegensatz zum Anlaß dieses „höheren D r i t ten" wird. Der Gegensatz der Geschlechter ist aufgehoben i m „Gesamtmenschen", der Gegensatz der Individuen im höhern Organismus, dem „Staat" oder dem Volk, der Zwiespalt der Staaten durch die höhere Organisation, die Kirche. Das, was die Kraft hat, den Gegensatz als Anlaß seiner höheren, alleinigen Wirksamkeit zu benutzen, ist die wahre und höhere Realität.

87 Recherche de la vérité, Eclaircissement I X : La France et l'Afrique produisent des esprits bien différents. Le génie des Français étant naturel, raisonnable, ennemie de toutes les manières outrées etc. Dagegen soll die Phantasie (imagination) des Tertullian mit den chaleurs d'Afrique zusammenhängen! Ε. Büß, Montesquieu und Cartesius, ein Beitrag zur Geschichte der französischen Aufklärungsliteratur, Philosophische Monatshefte, IV, Berlin 1869/70, S. 1 ff., dem sonst das Verdienst gebührt, fast als Einziger den Zusammenhang von Malebranche und Montesquieu gesehen zu haben, beachtet gerade diese Stelle nicht. Vgl. auch Victor Klemperer; Montesquieu, Heidelberg 1914/15.

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Auch für Adam Müller, der immer so gern von Vermittlung und Wechselwirkung spricht, trifft das zu. Soweit sich bei ihm in dem bunten Zusammenwirken Schellingscher, Schlegelscher und zahlreicher andrer Elemente überhaupt etwas unterscheiden läßt, ist es folgendes: Er hatte mit einer Lehre vom Gegensatz begonnen, die eine absolute Identität als „berühmtes Mißverständnis" ausdrücklich ablehnte und als letztes Prinzip eine A r t „antithetischer Synthesis", eben den Gegensatz, proklamierte: jedes D i n g ist nichts anderes als sein Gegensatz, Natur ist Anti-Kunst, Kunst ist Anti-Natur, die Blume ist der Gegensatz der Anti-Blume und schließlich der Gegensatz selbst abhängig vom Anti-Gegensatz. Hier ist zunächst noch die alte, liberale Vorstellung von der Balance, wie sie bei Shaftesbury und Burke vorkommt, noch gut erkennbar. Aber zu gleicher Zeit spricht Müller schon davon, daß die Uberwindung der Gegensätze nicht durch eine „mechanische" Wechselwirkung bewirkt werden könne, sie soll durch ein Höheres, die „Idee" geschehn. Immer hat er betont, daß die Idee der Menschheit zwei Menschen, Mann und Weib, zu ihrer Verwirklichung gebraucht habe. Ebenso sagt er, daß jeder Vertrag zwei Parteien voraussetze, aber ferner ein gemeinsames Drittes, eine Grundlage, die beide umfaßt. Der Gegensatz, den er in der Wirklichkeit immer von neuem entdeckt, w i r d oft in alter, liberaler Weise einfach „balanciert" (z. B. Verm. Schriften, I, S. 81), oft aber erscheint er als die Emanation einer höhern Identität; gerade in solchen Gedankengängen sah die neue Weltauffassung ihre Überlegenheit über den toten, analytischen Rationalismus des vergangenen Jahrhunderts und die „mechanische" Gleichgewichtslehre. Doch ist hier die Vorstellung der Emanation nicht das primäre; Ausgangspunkt war die Gegensätzlichkeit des konkret Gegenwärtigen und Wirklichen, die aufgehoben werden muß und deren Aufhebung in der Weise vor sich geht, daß ein höherer Dritter (bald die Idee, bald der Staat, endlich Gott) die Gegensätze zum Anlaß seiner höhern Kraft nimmt. Dabei ist ein Doppeltes zu beachten: einmal geht der Gedankengang immer von einer konkreten Gegensätzlichkeit aus und zu einem konkreten A n dern (dem höhern Dritten) über, dann sind die gegensätzlich gruppierten konkreten Dinge immer nur Träger einer Vermittlung für die höhere vermittelnde Kraft, die sich anläßlich des Gegensatzes äußert. Wie Malebranche von der „communication" als der eigentlichen Kraft, so spricht Adam Müller von der „Vermittlung". Alles w i r d bei Romantikern dadurch erklärt, daß die konkrete Gegensätzlichkeit und Mannigfaltigkeit derart i m Höheren aufgeht. Diese Rolle des höhern Dritten kann z. B. die Gemeinschaft spielen. Dann w i r d alles in einer „Geselligkeit" oder „Assoziation" gedacht. Witz ist logische Geselligkeit, Geist ist logische Geselligkeit, das Geld ist nichts andres als Geselligkeit, die Gemeinschaft aber romantisch niemals das Produkt der einzelnen Faktoren, die Einzelnen sind vielmehr 7 C. Schmitt, Politische Romantik https://doi.org/10.3790/978-3-428-48428-7 Generated for Universitaet Leipzig, Universitaetsbibliothek at 139.18.244.59 on 2021-03-23, 10:34:20 UTC FOR PRIVATE USE ONLY | AUSSCHLIESSLICH ZUM PRIVATEN GEBRAUCH

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„Anlässe oder selbst schon Funktionen" der Gemeinschaft. Darin zeigt sich auch hier die allgemeine Richtung zum „höhern Dritten", der wahren Realität. Wenn Romantiker zu dem Gott der christlichen Metaphysik zurückkehren, tritt diese Struktur des romantischen Geistes augenscheinlich hervor. Friedrich Schlegel hat i m Anhang zu den Vorlesungen über Logik Malebranche mit besondrer Sympathie erwähnt und ihn weit über Descartes gestellt 88 . Später erwies es sich, wie sehr dieser Sympathie des Romantikers eine Identifikation zugrunde lag; sie ist, weil sie den Schritt zum Katholizismus erklärt, für den Begriff der Romantik entscheidend. Die ganze Philosophie des Katholiken Schlegel ging von dem Dilemma aus: Natur und Mensch, entweder vernichtet der Mensch (der Geist) die Natur (die Körperlichkeit), oder die Natur vernichtet den Menschen; der Idealismus Fichtes und die Naturphilosophie Schellings waren für Schlegel nur Anwendungsfälle dieses Dilemmas. Die Rettung geschieht unmittelbar durch Gott. Daß Schlegel am meisten auf der Positivität der christlichen Religion bestand, erklärt sich zunächst daraus, daß er seine eignen frühern naturphilosophischen Irrtümer negieren wollte; es enthält aber ferner die endlich entschiedene, unbedingte Anerkennung des als wahre Ursache eingreifenden höhern Dritten. Adam Müller hat Schlegels Philosophie übernommen, oft bis in die wörtlichen Formulierungen 8 9 . Doch war das diesmal nicht einer der vielen Fälle, in denen er der Suggestion heterogener Eindrücke unterlag. Denn hier handelte es sich u m die immanente Konsequenz seiner eigenen Gei88

I n der Ausgabe von Windischmann, Bd. I (Bonn 1836), S. 436, 437; er nennt dort Malebranche ein merkwürdiges Beispiel, „wie in jener Zeit und aus der cartesischen Philosophie ein Mann hervorging, der zu der alten Philosophie und zur Offenbarung zurückführte." Vgl. auch Windischmann I I 475: die (kausale) N o t wendigkeit als Trug der Sinnlichkeit. - Novalis erwähnt den Occasionalismus beiläufig in den Studienheften, Frgm. 140 (Minor, I I I , S. 190). Entscheidend sind die Fragmente Nr. 27 und 66. Das 1800 in Leipzig erschienene Buch „Malebranches Geist i m Verhältnis zu dem philosophischen Geist der Gegenwart" hat keine Beziehungen zur Romantik; der anonyme Verfasser bekennt sich als Kantianer und Bewunderer von Prof. Schulz. - Schopenhauer steht zu sehr unter der Nachwirkung der Klassik, als daß er die „wahre Ursache" in der Gemeinschaft oder der Geschichte hätte finden können; dafür ist bei ihm das Gefühl des Zusammenhangs mit dem Occasionalismus besonders stark: Welt als Wille und Vorstellung, IV, § 60 und I, § 26. 89

Die innere Staatshaushaltung systematisch dargestellt auf theologischer Grundlage, Erster Versuch, Concordia, 2. Heft, Wien 1820, S. 87 ff. (Ges. Schriften, S. 263 f.).

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stesart. Immer hatte er das Wesen der Dinge in einer andern Sphäre gesucht, als der sie angehörten, und war so von einem Gebiet auf das andre entwichen. Das Wesen des Geldes als eines wirtschaftlichen Faktors liegt für ihn nicht i m Wirtschaftlichen, sondern i m Juristischen; das Wesen des Juristischen nicht in ihm selbst, sondern i m Theologischen; Privatrecht und Staatsrecht, die innerhalb des Juristischen qualitative Gegensätze wären, sollten dadurch zu eingebildeten oder doch bloß quantitativen Unterschieden werden. I n der Schrift „über die Notwendigkeit einer theologischen Grundlage der Staatswissenschaften" ist das der Sinn aller seiner Ausführungen: der Mensch kann keinen Schritt tun, ohne daß sich eine Kluft öffnet, auch der ewige Widerstreit zwischen Legitimismus und L i beralismus kann daher nur durch das Eingreifen Gottes geschlichtet werden. Gott allein bewegt die Geschichte. Politisch benutzt Müller das, u m den freiheitlichen Ansprüchen der Völker, die sich auf ihre großen Opfer und Leistungen in den Freiheitskriegen berufen, einen einfachen Einwand entgegenzuhalten: die großen Erfolge, die Besiegung Napoleons, waren das Werk Gottes und nicht der Menschen, also können die Völker keine politischen Forderungen daraus ableiten. Früher, als er noch unter dem Einfluß der Naturphilosophie stand, hätte er gesagt, sie wären das Werk der nationalen „Lebenskraft", die in dem Gegensatz von Fürst und Volk allein produziere (vgl. El. I I , S. 249), oder das Ergebnis organischen geschichtlichen Wachstums, weil so große Dinge überhaupt nicht von Menschen „gemacht" werden könnten. Immer kam es - falls es sich nicht u m eine politische Tagesapologetik handelte - darauf an, daß die Gegensätzlichkeit konkreten Geschehens die allein wahre Wirksamkeit der allein wahren Realität auslöst. Daß es zur romantischen Situation gehört, sich zwischen mehreren Realitäten - Ich, Volk, Staat, Geschichte - zu reservieren und sie gegeneinander spielen zu lassen, ist allerdings verwirrend und verdeckt die einfache Struktur ihrer Wesensart. Ein Occasionalismus mit mehreren durcheinander agierenden „wahren Ursachen" könnte jeden über seine wahre Natur täuschen. Es ist ein Occasionalismus, der von einer Realität zur andern entweicht, und dem das „höhere Dritte", das occasionalistisch notwendig etwas Entferntes, Fremdes, Anderes enthält, bei der beständigen Abbiegung auf ein andres Gebiet, zum Andern oder Fremden schlechthin und schließlich, wenn die überlieferte Gottesvorstellung fällt, das Andere und Fremde mit dem Wahren und Höhern Eins wird. Erst damit ist die Romantik vollendet. Solange der Romantiker sich selbst als das transzendentale Ich fühlte, brauchte ihn die Frage nach der wahren Ursache nicht zu beunruhigen, er war eben selbst der Schöpfer der Welt, in der er lebte. Fichte hatte in der Grundlage seiner Wissenschaftslehre bekannt, der sy7* https://doi.org/10.3790/978-3-428-48428-7 Generated for Universitaet Leipzig, Universitaetsbibliothek at 139.18.244.59 on 2021-03-23, 10:34:20 UTC FOR PRIVATE USE ONLY | AUSSCHLIESSLICH ZUM PRIVATEN GEBRAUCH

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stematische Teil seiner Lehre sei Spinozismus, „nur daß eines jeden Ich selbst die höchste Substanz", der Gott des spinozistischen Systems sei. Jetzt war die Welt aus dem Ich erklärt, nicht, wie bei Berkeley, als EssePercipi, sondern als schöpferische Tat des Ich. Die Situation des Romantikers beruht nun darauf, daß er die Identifikation mit dem Weltschöpfer sich zwar immer vorbehielt, ohne sie jedoch auszuhalten, weil das eben, vom einzelnen empirischen Subjekt aus, eine phantastische Unmöglichkeit ist. Auch Fichte hatte schließlich wieder zwischen dem „wahren" Ich und dem empirischen unterschieden und dadurch für die psychologische Wirklichkeit, auf die hier alles ankommt, die alte Unsicherheit wieder heraufbeschworen. Die Identifikation mit dem Volk oder der Geschichte haben die Romantiker nicht erreicht, das hegelianisch-gute Gewissen blieb ihnen fremd. So glitten sie von einer Realität zur andern, vom Ich zum Volk, zur „Idee", zum Staat, zur Geschichte, zur Kirche, immer, solange sie Romantiker blieben, die eine Realität gegen die andere ausspielend, niemals sich entscheidend in diesem Intrigenspiel der Realitäten. Die Realität, von der sie sprechen, steht immer in einem Gegensatz zu einer andern, das „Wahre", „Echte" bedeutet die Ablehnung des Wirklichen und Gegenwärtigen und ist schließlich nur das Anderswo und Anderswann, das Andere schlechthin. Die natur- und geschichtsphilosophischen Konstruktionen, mit denen sie das Universum handhabten, konnten sie als konkret existierende Menschen nicht für die Realitäten halten, die Worte, die sie gebrauchten, waren substanzlos, weil sie immer nur von sich selbst, nicht von den Gegenständen sprachen. „ M a n w i l l nicht leben, sondern vom Leben schwatzen", klagte Solger. I n leeren und ermüdenden Wiederholungen w i r d immer von neuem versichert, daß es sich um den „echten", nicht den falschen Begriff handle, u m das „Wahre", das „Wirkliche", u m die „echte" Freiheit, die „wahre" Revolution, den „echten" Priester, die „wahre" Religiosität, das „wahre" Buch, die „wahre" Popularität, den „echten" Handelsgeist, die „echte" Republik (deren Wesen darin besteht, „echte" Monarchie zu sein), die „echte" Jurisprudenz, die „wahre" Ehe, die „wahre" Romantik, die „wahren" Gelehrten, die „wirklichen" Gebildeten, die „echte" K r i t i k und die „wahren" Künstler - eine Zusammenstellung, die man leicht über viele Seiten ausdehnen könnte. Man schafft aber keinen neuen Begriff dadurch, daß man einem alten das Prädikat echt beifügt. Nachdem der Rausch, Weltschöpfer zu sein, vergangen war, trat in der Stimmung der Desillusion die einfache Umkehrung ein: das ironisch mit der Welt spielende Subjekt fühlte sich als Objekt der Ironie zahlreicher wahrer Realitäten. Der Hegelianer sprach von der List der Vernunft, aber er glaubte doch, hinter den Kulissen der Weltgeschichte zu stehn, er wußte, um was es sich handelte, und hatte entweder die List der Weltgeschichte über-listet, oder er war auf der Seite des wahren Grundes

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legitim beteiligt. Der Romantiker dagegen war unmittelbar in einem verzweifelten Zustand, weil in ihm mehrere Realitäten ironisch durcheinanderspielten. Man sollte glauben, dieser Zustand hätte einen Menschen geistig, wenn sein Leben ausschließlich geistigen Interessen diente, auch physisch vernichtet. Statt dessen endete die Romantik als Gesamtphänomen i m Biedermeier, vielleicht kein schimpfliches, aber auch kein tragisches Ende. Die revolutionäre Zerrissenheit wurde zur Idylle, der Bourgeois schwärmte für die Romantik und sah in ihr sein Kunstideal und seine Erholung. Der Kreislauf der Gegensätze von Revolution zu Idylle war geschlossen, der ironische Romantiker das Opfer einer bösen Ironie geworden. I m Athenäum hatte Schlegel verkündet, die allumfassende romantische Transzendentalpoesie beginne als Satire, schwebe als Elegie in der Mitte und ende als Idylle mit der absoluten Identität des Idealen und Realen. So ist es auch gekommen. Es ist ein romantischer Irrtum, die Idylle des „Dresdner Liederkreises", dieser Clique dilettierender Philister, „Pseudo-Romantik" zu nennen; es war die Erfüllung der Romantik. Auch das biedermeierische Osterreich, über welches der kluge und ernste Jarcke klagt: „eine wohlklingende, aber hohle und liederliche, in ihrem innersten Wesen unchristliche Poesie, die das dialektische Vermögen der Gebildeten schwächt und den sittlichen Instinkt abstumpft", auch diese philiströse Idylle gehört zur Romantik. M i t Satiren gegen den Philister hatte die Romantik begonnen; in ihm erblickte sie die platte und gemeine Wirklichkeit, den Gegensatz der wahren, höhern Realität, die sie suchte. Der Romantiker haßte den Philister. Aber es stellte sich heraus, daß der Philister den Romantiker liebte, und in einem solchen Verhältnis war die Überlegenheit offenbar auf der Seite des Philisters. Der Kampf der Realitäten hatte den Romantiker nicht in realitate zerrissen. Er hatte ihn affiziert. Es war ein Kampf, an dem der Romantiker sich nicht aktiv beteiligte, weil er nur daran dachte, sich mit seiner Subjektivität zu behaupten. Er hatte einem Kampf zugeschaut und war von den Sensationen erschüttert. Malebranche definierte die Menschen als erschaffene Geister: des substances qui aperçoivent ce qui les touche ou les modifie. Das könnte, von dem vorkantischen Substanzbegriff abgesehen, eine Definition des Romantikers sein. Das Problem des Occasionalismus ist nämlich nicht nur metaphysisch, sondern ebensosehr ethisch. Es betrifft die alte Frage nach der Willensfreiheit des Menschen, d. h. nach dem Grad und dem Inhalt seiner Aktivität. Der von der Fichteschen Wissenschaftslehre illusionierte Romantiker tat freilich eo ipso Alles und war nur seinem autonomen Ich verantwortlich. Alles und Nichts sind aber in solchen Fällen praktisch wirklich Identitäten, und die Frage bleibt: w o r i n besteht

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die Tätigkeit des Menschen? Nach der Ethik occasionalistischer Systeme nur in einer Gemütsbewegung. Ein sittlicher A k t ist ein A k t der Wertschätzung, der Mensch begleitet ein fremdes Handeln mit seiner Zustimmung oder Ablehnung, mit bejahendem oder verneinendem Urteil. I m „consentement" besteht seine Freiheit, in einer Wertempfindung, einem Urteil und einer Kritik. Gerade rationalistische Systeme beschränken gern in ihrer Ethik den Menschen auf den „consensus" zu der unabänderlichen Gesetzmäßigkeit des Geschehens. I n der Romantik aber ist auch diese Vorstellung ins Gefühlsmäßige umgebogen, sentimentalisiert. Das beginnt ebenfalls schon bei Malebranche. Gott schafft und produziert, der Mensch verfolgt das Geschehn in seinem Gemüt, partizipiert aber dadurch an dem Vorgang. Wo die wahre Realität eindeutig und klar empfunden wurde, wie bei Malebranche, - den man für einen aufrichtigen, katholischen Christen halten muß, obwohl er selbst den Tod Christi als bloße occasio der Erlösung ansah - , schloß die Stimmung, occasio in der Hand Gottes zu sein, ein Verantwortungsbewußtsein nicht aus; Menschen, die so fest in ihrem religiösen, sozialen und nationalen Milieu wurzelten, gehörten zu der Gemeinschaft, die u m sie herum wuchs und mit der sie selbst wuchsen. A n ders wenn der Occasionalismus sich subjektiviert, d. h. wenn das isolierte Subjekt die Welt als occasio behandelt. Dann besteht seine Aktivität nur in der phantasievollen Belebung seines Affekts. Der Romantiker reagiert nur mit seinem Affekt, seine Tätigkeit ist der affektmäßige Widerhall einer notwendigerweise fremden Tätigkeit. Die Eigenart des geistigen Typus, den man als occasionalistisch bezeichnen kann, liegt zunächst darin, daß er statt der Lösung des Problems eine Auflösung der Faktoren des Problems gibt. Es war gefragt, wie Leib und Seele aufeinander wirken können, die A n t w o r t lautet: es kommt nicht auf die Wirkung von Leib und Seele an, weil beide aufgehen in dem unendlichen umfassenden Dritten, in Gott, der allein wirkt. Diese A n t w o r t ist aber nur eine Äußerung der wesentlichen, tiefer liegenden Grundrichtung jenes Typus. Der Occasionalist, für den die Welt in Gott schwebt, denkt nicht eigentlich pantheistisch, sondern panentheistisch; dabei scheint alle Aktivität in Gott konzentriert zu sein, und was es an verdienstlichem Tun gibt, ist eine Gnade, ein Geschenk Gottes. Bei Adam Müller findet sich ein klares Beispiel dieses von Gott auf den Staat übertragenen Panentheismus in dem Satz (Elemente I, S. 66), daß der Mensch überall und zu allen Zeiten „ohne den Staat nicht hören, nicht sehen, nicht denken, nicht empfinden, nicht lieben kann, daß er nicht anders zu denken ist, als im Staate". Betrachtet man aber den occasionalistischen Gottesbegriff näher, so w i r d auch die Aktivität Gottes problematisch. Bei Descartes ist Gott ein absoluter Wille, der in unumschränkter Willkür tut,

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was ihm beliebt. Malebranche dagegen macht, wie eben erwähnt, Gott zu einer allgemeinen Ordnung, die sich in vollkommener Harmonie vollzieht und bei der sogar die Gnadenwirkung gesetzmäßig erfolgt. Die fundamentale Abneigung gegen alle persönliche Aktivität und Wirksamkeit führt konsequent zu einer Gottesvorstellung, in der die Persönlichkeit Gottes aufgehoben ist. Descartes sieht den Grund der moralischen Gesetze i m Willen Gottes; für Malebranche sind sie ein ordre éternel , an dem auch Gott nichts ändern kann. Malebranche hat freilich Spinozas Pantheismus verabscheut und dagegen protestiert, daß für ihn die Wahrheit oder die Gesetzmäßigkeit noch über dem persönlichen Gott stehe; er hat auch Spinoza den Vorwurf des Atheismus gemacht. Doch kann auch er der Konsequenz nicht entgehn, daß der persönliche Gott sich in eine allgemeine Naturordnung verwandelt, in einen ordre en général Die Allgemeinheit der Vorstellung „ordre" ist bei Malebranche nur scheinbar cartesianischer Rationalismus, in Wahrheit bedeutet sie die Auflösung der Aktivität Gottes in eine allgemeine Harmonie. Warum gründete Christus eine Kirche? L'ordre le veut ainsi. Warum sind fromme Gebete wirksam? L'ordre veut qu'elles soient exaucées. Warum w i r d der Sünder nicht erhört? L'ordre ne le veut pas. Solchen Argumenten lag eine Gesinnung zugrunde, die von Orthodoxen als gottlos empfunden wurde. Wie kommt die Philosophie dazu, fragte Fénelon, Gottes Autorität beschränken zu wollen? Es ist richtig, daß Gott auf solche Weise einer allgemeinen Ordnung unterworfen und daß der autoritäre Befehl und jede Aktivität unmöglich wird. Hier liegt eine Analogie zu der Denkweise der politischen Revolutionäre, die den Monarchen der volonté générale zu unterwerfen suchten. Es ist der alte Gegensatz, für welchen Tertullian die klassische Formulierung gefunden hat: audaciam existimo de bono divi praecepti disputare, neque enim quia bonum est, idcirco auscultare debemus, sed quia deus praecipit. So wurde denn auch Malebranche als Atheist entlarvt, und der Jesuit Hardouin nahm ihn neben Descartes, Pascal und andern in die Reihe seiner „Athei detecti" auf. Sainte-Beuve hat den Père Hardouin, weil er Pascal einen Atheisten nannte, als Narren bezeichnet. Das war er nicht, nur, bei großer Gelehrsamkeit, ein rabiater Schulmeister. Aber die deutschen Romantiker Schlegel und Müller haben ihre eigne Vergangenheit atheistisch genannt, und wer Schlagworte liebt, könnte ihre Entwicklung i n die Charakteristik zusammenfassen: Malebranche, der sich zum Père Hardouin bekehrt. Diese Auffassung entspringt nicht einem abstrakten Rechtsgefühl, nicht, wie bei Kant, einer juristischen Struktur des Denkens; auch in seinem extremsten Falle würde der Occasionalist kein Schulmeister oder Gesetzestyrann sein. Er w i l l nicht wirken, noch weniger etwas erzwingen. Es ist ihm wesentlich, daß er, wie er dem Ausgangsproblem, der Wechselwir-

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kung von Leib und Seele, ausweicht, auch jeder konkreten Wirklichkeit und Wirksamkeit aus dem Wege geht, alle irdische endliche Wirksamkeit zur occasio für eine allein wesentliche Wirksamkeit macht und sich selbst nur das consentement, das heißt hier die Begleitstimmung, zuschreibt. I n der Romantik zeigt sich das noch auffälliger und entfaltet der Begriff der occasio seine ganze auflösende Kraft, weil jetzt nicht mehr Gott, etwas Absolutes und Objektives, i m Zentrum steht, sondern das einzelne Subjekt die Welt als occasio seiner Tätigkeit und Produktivität behandelt. Auch das größte äußere Ereignis, eine Revolution, ein Weltkrieg, ist ihm an sich gleichgültig, der Vorgang w i r d erst bedeutungsvoll, wenn er Anlaß eines großen Erlebnisses, eines genialen Aperçus oder sonst einer romantischen Schöpfung geworden ist. Wahre Realität hat also nur, was vom Subjekt zum Gegenstand seines schöpferischen Interesses gemacht wird. Das Subjekt ist durch eine einfache Umkehrung Schöpfer der Welt geworden: es bezeichnet nur das als Welt, was ihm als Anlaß eines Erlebnisses diente. Hier scheint ein ungeheures Persönlichkeitsbewußtsein sich zu ungeheurer Aktivität zu konzentrieren. Trotzdem ändert das Selbstgefühl des Romantikers nichts an dem psychischen Sachverhalt, der beim occasionalistischen Typus immer vorliegt, daß er nämlich keine andere Aktivität hat als seine Stimmung. Diese bewertet er allerdings höher als die „gewöhnliche" Aktivität. Der ungebrochene frühromantische Subjektivismus sah eine Leistung schon in dem stimmungsmäßigen Erlebnis. Der Affekt als psychisches Faktum war an sich interessant, in der Verarbeitung zu einem künstlerischen oder logisch-systematischen Gebilde schien das Erlebnis in seiner lebendigen Fülle bereits gefährdet. Man verherrlichte den Naturlaut; ein Seufzer, ein Schrei, ein Ausruf, „der Kuß, den das dichtende K i n d ausgehaucht in kunstlosem Gesang", genügte schon als romantische Leistung und wurde von einem Kreis verwandter Seelen auch als eine Tat empfunden. Ein Freund kann durch einen Seufzer tiefern Eindruck machen als ein Fremder durch das schönste Gedicht; wenn es nur auf die Intensität des subjektiven Eindrucks ankommt, wäre demnach der Seufzer des Freundes die bedeutendere künstlerische Leistung. Bald entdeckte man freilich die Notwendigkeit einer „Gymnastik" des künstlerischen Schaffens, und der Romantiker mußte seine Stimmung gestalten oder in artikulierter Rede umschreiben, das heißt, bestimmten ästhetischen oder logischen Gesetzen sich unterwerfen. Diejenigen unter ihnen, die wirklich eine z. B. lyrische Begabung hatten, verzichteten auch keineswegs darauf, gute Gedichte zu machen, in denen die Stimmung in lyrischer Form schwang. Darin lag die Anerkennung eines gewissen „ordre", der sich freilich auf die Region des Ästhetischen beschränkte. Aber man darf nicht übersehen, daß für das romantische Subjekt auch jede Kunstform, deren es sich bediente, nur ein Anlaß war, ebenso wie jeder konkrete Punkt der

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Wirklichkeit, der zur Anknüpfung des romantischen Interesses diente. Die Stimmung des Subjekts war der Mittelpunkt dieser A r t Produktivität; sie blieb terminus a quo und ad quem, mochte es sich um lyrische Gedichte, u m literarische K r i t i k oder ein philosophisches Räsonnement handeln. Der Gegenstand war immer nur occasionell. Die Außenwelt ist in diesem Zustand durchaus nicht verneint. Jeder konkrete Punkt der Außenwelt kann vielmehr der „elastische Punkt" sein, das heißt der Anfang des romantischen Romans, die occasio für das Abenteuer, der Anknüpfungspunkt des phantasievollen Spiels. Daher die „sinnliche Färbung" des Romantischen i m Gegensatz zum Mystischen. Der Romantiker, der kein Interesse daran hat, die Welt in realitate zu ändern, hält sie für gut, wenn sie ihn in seiner Illusion nicht stört. Ironie und Intrige bieten ihm ausreichende Waffen, u m seine subjektivistische Autarkie zu sichern und i m Occasionellen zu halten, i m übrigen überläßt er die äußern Dinge ihrer eignen Gesetzmäßigkeit. Der geistige Revolutionär liebt, auch wenn er theoretisch Tumult und Chaos postuliert, in der gewöhnlichen Wirklichkeit die äußere Ordnung. Es mußte schon bei Malebranche, der den „amour de l'ordre" zur wichtigsten Tugend seines ethischen Systems macht, auffallen, daß er trotz seines panentheistischen Rationalismus am positiv-kirchlichen Christentum festhalten will. M i t größter Intoleranz urteilt er über die Störer der kirchlichen Ordnung, und daß er selber mit der äußern Ordnung des Kreises, in dem er lebte, in einen wirklichen Konflikt geraten könnte, war für ihn ein unmöglicher Gedanke. Die Abneigung gegen äußere Konflikte, die bei Philosophen natürlich ist, entfaltet im Occasionalismus den spezifischen Gegensatz von zwei polarischen Extremen: die Aufhebung aller Wirklichkeit in Gott und die A n erkennung des positiv Wirklichen als solchen. Das Bestreben, etwas zu tun, haben die Occasionalisten als sündhafte Neigung empfunden; sie haben es analysiert, mit psychologischen Subtilitäten, die oft an die überraschenden Selbstcharakteristiken der Romantiker erinnern. Aber selbst Geulincx, der doch gerade hier den diabolus ethicus entdeckte, verlangt in seiner Ethik aufs strengste, daß man erfülle, was sich einem in dem Kreis, in dem man lebt, als Pflicht darbietet. Das ist eine A r t Quietismus, die als legitimistische Passivität bezeichnet werden kann, weil sie das positiv Gegebene, obwohl sie es vorher wesenlos gemacht hat, doch wieder als solches anerkennt und an dem, was ist, keine Änderung zuläßt. Die Besonderheit des romantischen Occasionalismus liegt darin, daß er den Hauptfaktor des occasionalistischen Systems, Gott, subjektiviert. Das vereinzelte, isolierte und emanzipierte Individuum w i r d in der liberalen bürgerlichen Welt zum Mittelpunkt, zur letzten Instanz, zum Absoluten. Die Illusion, Gott zu sein, konnte natürlich nur in pantheistischen oder

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panentheistischen Gefühlen Bestand haben. Sie verband sich daher in der psychologischen Wirklichkeit mit andern, weniger subjektivistischen Affekten, aber das Subjekt beanspruchte doch immer, daß sein Erleben das allein Interessante sei. Der Anspruch kann nur in einer geregelten bürgerlichen Ordnung verwirklicht werden, weil sonst die „äußern Bedingungen" für die ungestörte Beschäftigung mit der eignen Stimmung fehlen. Die Romantik ist psychologisch und historisch ein Produkt bürgerlicher Sekurität. Das konnte man nur so lange verkennen, als man den Fehler beging, zufällig beliebte romantische Objekte, wie Rittertum und Mittelalter, d. h. einige Themen und Occasionen romantischen Interesses, zur Romantik selbst zu rechnen. Ein Raubritter kann eine romantische Figur sein, aber er ist doch kein Romantiker; das Mittelalter ist ein stark romantisierter Komplex, aber nicht romantisch. N u r das romantisierende Subjekt und seine Tätigkeit sind für die Begriffsbestimmung von Bedeutung. Es hat nun zwar seine Voraussetzung, die bürgerliche Ordnung, nicht romantisiert, sondern lieber ironisiert, weil sie aktuelle Gegenwart war, aber von Schlegels Staatsideal hat man nicht mit Unrecht gesagt, es liege weniger i m Mittelalter als i m Polizeistaat „deutscher, d. h. damals kleinlich-pedantischer F o r m " 9 0 . Daß das geniale Subjekt Gott entthronte, war eine Revolution, aber da der Romantiker Occasionalist blieb, nur eine „geistige", d. h. in Wahrheit ästhetische. Die revolutionäre Terminologie, mit der die junge Romantik auftrat, erklärt sich gerade aus dem occasionalistischen Charakter der Romantik: die Revolution war damals das große eindrucksvolle Ereignis, das von Deutschland weit genug entfernt war, also reagierte der Romantiker nach dieser Richtung. Die Möglichkeit einer wirklichen politischen Revolution, an der er persönlich beteiligt sein könnte, ist ihm nicht in den Sinn gekommen. Mochte seine Phraseologie revolutionär oder reaktionär sein, kriegerisch oder pazifistisch, heidnisch oder christlich, niemals war er entschlossen, die Welt seines stimmungsmäßigen Erlebens zu verlassen und an dem, was sich in der gewöhnlichen Wirklichkeit ereignete, etwas zu ändern. Wie aber gelangt die Romantik zu jener wechselnden Annahme oder Ablehnung irgendeines Ereignisses, etwa der Französischen Revolution? Es sind Begleitaffekte, mit denen er der historischen Entwicklung folgt. Bejahungen und Verneinungen, mögen sie in der literarischen, der historischen oder politischen K r i t i k noch so betont sein, dürfen nicht als Äußerungen entschiedener Aktivität betrachtet werden. Denn Bejahung und Verneinung bedeutet hier nur eine Antithese, einen Gegensatz. Die „gegensätzische" Struktur der romantischen Manifestationen hat einen dop90

W. Metzger; Gesellschaft, Recht und Staat in der Ethik des deutschen Idealismus, 1917, S. 258.

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pelten Grund, einen formalen und einen materiellen. Formal gruppieren sich die Worte, Begriffe und Bilder unter dem ästhetischen Gesichtspunkt des Kontrastes; die Bedeutung dieses ästhetischen Moments w i r d i m folgenden Kapitel besonders an Adam Müllers Produktivität exemplifiziert werden. Hier handelt es sich u m die Antithetik des Materiellen, der Stimmungen und Gefühle, die natürlich als Lust und Unlust, Freude und Schmerz, Zustimmung und Ablehnung, Bejahung und Verneinung, Beifall und Abscheu einander gegenübertreten. Die lust- und unlustbetonte Reaktion auf einen Reiz ist aber keine Aktivität. Ein Mensch w i r d nicht dadurch zur tätigen Persönlichkeit i m moralischen Sinne, daß er noch so intensiv Lust oder Unlust empfindet, auch dann nicht, wenn ihn sein Zustand zu eindrucksvollen Umschreibungen veranlaßt. Die Zustimmungen und Ablehnungen, denen man i m Räsonnement von Romantikern begegnet, sind nun solche Umschreibungen, weil sie nicht etwa bedeuten, daß der Verfasser i m gewöhnlichen Sinne sich entscheiden und in die Außenwelt eingreifen will. Das könnte er überhaupt nicht, ohne seine unendlichen Möglichkeiten in einer beschränkten Wirklichkeit zu realisieren, ohne aus seinem subjektivistischen Schöpfertum herauszutreten, sich auf den Mechanismus von Ursache und Wirkung oder die Bindung an eine N o r m einzulassen. Er könnte sich nicht entscheiden, ohne auf seine überlegene Ironie zu verzichten, d. h. ohne seine romantische Situation aufzugeben. Der Romantiker w i l l nichts tun als erleben und sein Erlebnis stimmungsvoll umschreiben. Darum werden bei ihm Argumentationen und Schlüsse die tönenden Gestaltungen seiner bejahenden und verneinenden Affekte, die sich, nachdem sie einmal an einem Gegenstand der Außenwelt den auslösenden, occasionellen Reiz empfanden, „ i n erhabenen Kreisen" u m sich selber drehen. I n der Umschreibung der zustimmenden und ablehnenden Affekte entwickelt sich eine eigenartige romantische Produktivität, eine Quasi-Argumentation, die eine besondere Technik hat. Es liegt nahe, die Zustimmung dadurch zu umschreiben, daß von etwas Positivem gesprochen wird; dem steht das Abgelehnte als etwas Negatives gegenüber. Positiv w i r d zunächst nur im Sinne von Bejahung gebraucht; es bekommt aber dadurch, daß die Romantiker sich dem positiven Christentum anschließen, eine besondere Bedeutung, die dann, weil Haller das Wort in besonderm Sinne gebraucht, durch eine neue Modifikation vermehrt wird. Das Positive ist das Lebendige, das Negative natürlich das Tote. Das Lebendige ist organisch, das Tote mechanisch (oder auch, bei Schlegel, dynamisch) und anorgisch (anorganisch). Das Organische ist natürlich das Echte, das Mechanische Surrogat usw. So lassen sich aus den Aufsätzen Fr. Schlegels und Adam Müllers leicht folgende Reihen zusammenstellen:

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II. Die Strutur des romantischen Geistes

Positiv Lebendig organisch echt oder wahr dauernd erhaltend historisch fest friedlich legitim christlich ständisch-korporativ

Negativ dynamisch-mechanisch-mathematisch, starr anorganisch Surrogat (Schein, Betrug) augenblicklich zerstörend willkürlich chaotisch parteiisch, polemisch revolutionär heidnisch absolutistisch-zentralistisch.

Die einzelnen Glieder dieser Reihen haben eine besondere Geschichte. Daß lebendig und organisch zusammengehören, ist einleuchtend, damit hatte die Romantik ja begonnen; Dauer und Augenblick hat Adam Müller in die romantische Argumentationsreihe gebracht; bei positiv w i r d unterschieden zwischen dem lebendig Positiven und dem roh-faktischen und grob-materiellen Positiven (das letzte w i r d Haller vorgeworfen); „fest" ist eigentlich i m Sinne der frühromantischen Terminologie nicht positiv, aber Bonaids „fixité" konnte i m Jahre 1820 nicht gut anders als positiv sein, in „starr" hat es außerdem sein Negativum, so daß man es unterscheiden kann. Die konkreten Verhältnisse aber, auf die man dieses Schema anwendet, sind relativ vertauschbar. Wenn sie sich nur unter ein Glied einer Reihe subsumieren lassen, ist es leicht, die ganze Reihe aufzurollen und die Argumentation in eine mächtige Bewegung zu bringen. Die einzelnen Glieder begründen und stützen sich gegenseitig. Wenn z. B. die Revolution als Ausbruch neuen Lebens erscheint, so ist es leicht, ihr die Prädikate der positiven Reihe zu geben und zu behaupten, daß sie eine „ i n Wahrheit" christliche, gegen den heidnischen, aufklärerischen Absolutismus gerichtete Bewegung war. Wenn dagegen das Legitime als das Historische erscheint und das Historische das Organische ist, dann ist infolgedessen das Legitime auch das Lebendige; da nun revolutionär die Negation des Legitimen ist, so muß es „infolgedessen" auch das bloß Augenblickliche, das Unorganische, Mechanische, Heidnische, ja merkwürdigerweise sogar das Starre sein. Der Metternichsche Polizeistaat ist zweifellos legitim, also ist er christlich, echt, organisch, lebendig, und er müßte eigentlich ständisch-korporativ werden, wenn er sich selbst richtig verstände. Wollte aber jemand davon ausgehn, daß dieses Staatswesen absolutistisch genannt werden kann, so würde er leicht beweisen, daß es umgekehrt in Wahrheit revolutionär ist, daß ihm die Legitimität i m höhern Sinne fehlt und seine

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2. Die occasionalistische Struktur der Romantik

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Legitimität nur ein Surrogat der echten, organischen, historischen Legitimität ist. Das zentralistische Preußen Friedrichs II. ist aus diesem Grunde für die Romantiker zu einem revolutionären Staat geworden, seine Ordnung war daher nicht echt und nur ein mit künstlicher Mechanik verhindertes Chaos, wie auch der Staat Napoleons. Ein solches Argumentationssystem ist also „ein Stock mit zwei Enden", es kommt darauf an, von welcher Seite man es anfaßt, dann läßt es sich nach verschiedenen Richtungen bewegen. Adam Müller findet z. B. die Alternative Hammer-Amboß i m natürlich-positiven Recht begründet; was hindert ihn, folgende Reihe aufzustellen: Hammer

Amboß,

positiv

negativ,

oben

unten,

christlich

heidnisch?

N i c h t der sachliche Inhalt seiner Schlüsse und Argumente, sondern eine unabhängig davon bestimmte Bejahung oder Verneinung. Sie ist der M o tor einer Scheinargumentation, deren substanzlose Formeln sich jedem Sachverhalt anpassen können. Das consentement des romantischen Occasionalisten schafft sich ein Gewebe, das von der realen Außenwelt nicht berührt und deshalb auch nicht widerlegt wird. Diese eigenartige Produktivität bedarf noch einer nähern Betrachtung. Das auf sein Erlebnis beschränkte Subjekt, das trotzdem eine Produktivität entwickeln will, weil es ja die Prätention, als Subjekt etwas zu bedeuten, nicht aufgeben mag, sucht sein Erlebnis künstlerisch zu gestalten. Dies ist der psychische Sachverhalt, der einem nur ästhetischen Interesse zugrunde liegt. Das geniale Subjekt, das ein Kunstwerk produziert, w i r d mit Gott, der die Welt schafft, identifiziert. Die occasionalistische Struktur des Romantischen bleibt aber auch gegenüber dieser Abweichung von der Ethik des historischen Occasionalismus bestehn, obwohl hieraus alle die tumultuosen Äußerungen des Romantischen entstanden sind, aus denen manche sein Wesen erklären wollten. Malebranche hatte als cartesianischer Philosoph und unter der Nachwirkung der Scholastik zu starke intellektuelle Elemente herangezogen, als daß er eine Ethik auf einen bloßen Affekt hätte gründen können. Er verzichtet nicht auf eine klare, verstandesmäßige Erkenntnis, die Erklärung aller Unsittlichkeit sieht er sogar in einem Irrtum, der wieder auf einem vorschnellen Urteil beruht; unsre sinnlichen Begierden und unsre Phantasie reißen uns dazu hin, allzu rasch urteilen zu wollen. Es ist psychologisch richtig, daß in seiner ausführlichen Beschreibung der Fehlerquellen, insbesondere der aus der Phantasie entstehenden Irrtümer, eine etwas verdächtige Sachkenntnis zutage tritt, was schon seine Zeitgenossen empfunden haben. Trotzdem bleibt ausschlaggebend,

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II. Die Strutur des romantischen Geistes

daß bei ihm Gott, und zwar der Gott der überlieferten christlichen Metaphysik, der absolute Faktor seines Systems ist und daß Malebranche als Mensch ganz in der noch nicht aufgelösten Tradition seines Zeitalters steht. Der Romantiker dagegen, mit seinem subjektivierten Occasionalismus, kann nur in höchstem Drang urteilen; er definiert und kombiniert nicht nur in kurzer Zeit alle Wissenschaften und Künste, alle Völker und Nationen, Staat, Kirche und Weltgeschichte, er weiß nicht nur das Wesen oder das „Ganze" der Staatskunst, der Politik, der Agronomik zu erfassen, so daß Tieck zuletzt in Klagen ausbrach über all die Journale, in denen man monatlich erfährt, was der A u t o r neu gelernt hat, in denen Unwissenheit und geistige Anarchie schwindelnd und drehend jeden Tag eine neue Philosophie entdeckt - er nennt als Beispiel Adam Müller und sagt, daß er auch das Athenäum nicht ausnehme - , ein Romantiker muß es i m Gegenteil für eine seinsmäßig zu postulierende, vitale Notwendigkeit halten, daß man sich dem großartigen Schwung seiner Phantasie überlasse. Er gelangt denn auch zu - natürlich immer nur provisorischen - Resultaten, zu spitzen und schlagenden Formulierungen, zu „gegensätzischen" Konstruktionen und rauschenden Fragmenten, die sogar die Formen der abstraktesten Wissenschaft, der Mathematik, benutzen. Das alles darf weder zu einer Wissenschaft noch zur Ethik in Beziehung gebracht werden. Die einzige Produktivität, die das Subjekt in dieser Situation entwickeln kann, ist ästhetischer Art. I m Kunstwerk ist die gewöhnliche Realität der Kausalzusammenhänge überwunden, der Künstler kann, ohne sich in den Mechanismus der Kausalität zu begeben, eine Schöpferkraft betätigen. Die Kunst, die i m romantischen Sinne höchste Kunst ist und in der eine spezifische romantische Produktivität erkannt zu werden vermag, ist die musikalische Lyrik und eine A r t lyrischer Musik. Daraus ist der romantische Irrtum entstanden, alle Musik für etwas besonders Romantisches zu halten. Die große Musik des 16., 17. und 18. Jahrhunderts mit ihren bestimmten Kunst- und Stilformen ist in Wahrheit alles andere als romantisch. Aber Töne, Intervalle, Akkorde, Dissonanzen und musikalische Linien können besonders leicht als Anknüpfungspunkte romantischer Gefühlsbewegung und divergierender Stimmungen benutzt werden. Hier kann das Erlebnis ohne weitern Gegenstand in Assoziationen schwingen, sich mit andern Erlebnissen in Akkorden und Dissonanzen vermischen, sich i m Gesang wie in der Musik des lyrischen Gedichts mit Worten bekleiden. Die mathematische Formel, die den Kosmos beherrscht, dient einem Chaos von Stimmungen als Hieroglyphe. Wenn das Wesen der Welt die Zahl oder eine geometrische Figur ist, dann ist die Musik, deren Wesen gleichfalls die Zahl ist, das Wesen der Welt. U n d wie jeder Punkt der Welt Anknüpfungspunkt für

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2. Die occasionalistische Struktur der Romantik

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den romantischen Roman werden und dem romantischen „ludus globi" als occasio dienen kann, so ist die musikalische Linie oder der A k k o r d ein Gefäß für den mannigfaltigsten Erlebnisinhalt. Eine unbegrenzte Welt von Assoziationen und Andeutungen läßt sich mit jeder Melodie, mit jedem Akkord, ja mit einem einzelnen, angeschlagenen Ton in Beziehung bringen; die Deutbarkeit ist unbeschränkt. Dieselbe Melodie kann heute ein leichtfertiges Liebeslied und in einigen Jahren ein ergreifendes Bußlied sein, der Gesang, der für einen Menschen aus seiner Jugend her Träger geheimnisvoller Stimmungserinnerungen ist, ein banaler Gassenhauer. Ein unabsehbares Gebiet für das sich selbst überlassene Spiel der Assoziationen! M i t Recht ist für die Erkenntnis des Romantischen auf den Vorfall hingewiesen worden, den A n t o n Reiser erzählt: er hört als junger Mann in der Kirche ein Lied, das mit den Worten „ H y l o schöne Sonne" beginnt, und ist ergriffen von diesem mystischen, orientalischen Klang; zu seiner Enttäuschung erfährt er dann, daß der Anfang des Liedes in Wirklichkeit hieß: H ü l l ' , ο schöne Sonne (deiner Strahlen Wonne in den tiefen Flor). Sich ein kostbares Wort als Behälter ungeheurer Stimmungsmöglichkeiten zu konservieren, wäre romantisch gewesen, ein solches Wort als Gefäß des romantischen Affekts erfinden, romantische Produktivität. Die Welt der Affekte läßt sich durch einen Klang oder eine musikalische Arabeske erregen, wie eine romantische Vision der Totalität des Kosmos durch eine mathematische Figur, und so wenig in einer solchen Figur eine Rationalisierung liegt, so wenig ist in der romantisch-musikalischen Komposition der Affekt geformt. Vielmehr ist das Ziel der Romantik erfüllt: für einen Inhalt ohne begriffliche Grenzen ist eine Umschreibung gefunden, die keine Begrenzung, keine Aufhebung der subjektiven Freiheit ist und eine Fülle von assoziativen Möglichkeiten wahrt. M i t diesem Zweck w i r d die Kunst musikalisiert, entsteht eine musikalische Poesie, eine musikalische Malerei und eine malende Musik, eine allgemeine Vermischung, die sich aber immer deutlich zu einer besondern A r t aufgelöster Musik orientiert und deren Erfüllung, das Gesamt-, d. h. Mischkunstwerk, eine musikalische Leistung war. Die Fälle, in denen es der künstlerischen Kraft eines Romantikers gelingt, eine musikalische oder lyrische Form zu erreichen, sind für die Ästhetik interessant. Hier kommt es nur auf die Eigenart der Produktivität politischer Romantiker wie Schlegel und Müller an. Auch ihr Wesen war der Widerhall fremder Aktivität, auch sie suchten daraus ihre Produktivität zu gewinnen. Sozial und geistig ohne jeden Halt, unterlagen sie jedem starken Komplex, der in ihrer Nähe mit dem Anspruch auftrat, als wahre Realität genommen zu werden. Sie konnten sich daher, ohne ein moralisches Bedenken, ohne ein anderes Verantwortungsgefühl als das eines

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II. Die Strutur des romantischen Geistes

diensteifrigen, servilen Funktionärs, für jedes politische System benutzen lassen, wie man das an Adam Müllers administrativer Tätigkeit feststellen kann. Soweit sie darüber hinaus eine Produktivität entwickelten, trat eine Komplikation ein, die zu vielen Irrtümern geführt hat. Einer künstlerischen Gestaltung i m eigentlichen Sinne waren sie nicht fähig, weil sie den Affekt, mit dem sie auf ihre jeweilige geistige und soziale Umgebung reagierten, weder poetisch noch musikalisch zu gestalten vermochten. Sie begleiteten als Occasionalisten das, was sich um sie herum ereignete, mit Lob und Tadel, Beifall und Abscheu, sie charakterisierten und kritisierten. Aber als Romantiker versuchten sie gerade darin die Produktivität des genialen Subjekts zu erreichen. Während die großen Occasionalisten Geulincx und Malebranche sich auch in ihrem Privatleben als wahre Philosophen erwiesen und sich auch hier eine Festigkeit zeigt, die ein Reflex der Festigkeit ihrer „wahren Ursache", d. h. ihres Gottesbegriffes ist, so daß man sie nur unter Entschuldigungen und unter Protesten gegen Mißverständnisse mit Schlegel und Müller vergleichen darf, während ihre Weisheit „ u b i nihil vales, ibi nihil velis" das M o t t o einer Satire auf Fr. Schlegel und Adam Müller sein könnte, versuchten diese Romantiker mit intellektualistischem Material ihren akkompagnierenden Affekt zu formen und mit philosophischen, literarischen, historischen und juristischen Argumenten zu konservieren. So entsteht neben der romantischen Vermischung der Künste ein neues, aus ästhetischen philosophischen und wissenschaftlichen Faktoren gebildetes, romantisches Mischprodukt. Dem Eindruck der nächsten Realität preisgegeben, unterschieben sie ihrem Gefühl eine intellektualistische Basis, sie umkleiden den Affekt mit philosophischen und wissenschaftlichen Kombinationen und assoziationsreichen Worten und holen das Material dafür aus der Literatur der ganzen Welt, von allen Völkern, Zeiten und Kulturen zusammen. Für einen Augenblick entsteht dadurch der Eindruck eines ungeheuren Reichtums, ganze Welten scheinen erobert zu werden. Tatsächlich haben sie große Dichter und Gelehrte angeregt und dadurch eine gesteigerte Produktivität hervorgerufen. Für sie selbst aber war es nur die allgemeine Mobilisierung aller Werte, die große Liquidation i m Dienste eines Akkompagnements, mit dem sie einer fremden Tätigkeit folgten, u m durch lobende oder tadelnde K r i t i k und Charakteristik daran zu partizipieren. Worte und Impressionen wie transzendental, Totalität, Kultur, Leben, Tradition, Dauer, Adel, Staat, Kirche werden mit einem Räsonnement unterbaut, das sich selber wiederum aus Affektgestaltungen konstituiert. Das Ganze ist eine räsonierende Resonanz, in der Worte und Argumente zu einer lyrischen Staatsphilosophie, einer poetischen Finanzwissenschaft, einer musikalischen Agronomik verschmelzen, alles determiniert durch den Zweck, den großen Eindruck, der den Romantiker bewegt, nicht zu artikulieren, sondern in einem Aus-

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2. Die occasionalistische Struktur der Romantik

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druck zu umschreiben, der einen entsprechend großen Eindruck macht. Das „Gegensätzische", Antimonische, Dialektische sind widersprechende Affekte; aus dem Widerhall streitender Realitäten mischt sich ein seltsamer Klang. Die Antithetik naturphilosophischer Spekulation und die Psychologie der Mystik beruht auch auf gefühlsmäßigen Gegensätzen, von Lust und Unlust, Liebe und Haß, Freude und Schmerz. Hier ist deshalb für den Romantiker eine Fundgrube beziehungsvoller und stimmungserfüllter Wendungen. N u r benutzt er sie als schöpferisches Subjekt für sein halb ästhetisches, halb wissenschaftliches Gewebe, das dann selbst wieder ein Anknüpfungspunkt tiefsinniger Suggestionen sein kann, weil in ihm nicht gegenständliche Begriffe, sondern occasionelle Stimmungsexpressionen, Assoziationen, Farben und Klänge zu einer Mischung vereinigt sind. Daher läßt sich aus den romantischen Fragmenten und Andeutungen jede beliebige überraschende Weisheit heraushören, wie aus dem Orakel jedes Horoskops alles herauszulesen ist; oder, u m einen Vergleich von Malebranche zu zitieren: wie Kinder aus dem Ton der Glocken alles heraushören, was die Glocken gesagt haben sollen, während die Glocken nichts gesagt und nur geklungen haben.

8 C. Schmitt, Politische Romantik https://doi.org/10.3790/978-3-428-48428-7 Generated for Universitaet Leipzig, Universitaetsbibliothek at 139.18.244.59 on 2021-03-23, 10:34:20 UTC FOR PRIVATE USE ONLY | AUSSCHLIESSLICH ZUM PRIVATEN GEBRAUCH

I I I . Politische Romantik Das Jahr 1796 eignet sich besonders für eine Übersicht über die gegen die Französische Revolution von 1789 vorgebrachten Argumente, weil in diesem Jahre die entscheidenden konservativen Gedanken sämtlich bereits ausgesprochen vorlagen. Burkes Betrachtungen über die Französische Revolution (1790) hatten sich auch außerhalb Englands verbreitet. Ganz i m Geiste des englischen W h i g hatte der Hannoveraner Rehberg 1790 bis 1793 in der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung Kritiken der Französischen Revolution veröffentlicht. 1793 veröffentlichte Gentz seine deutsche Übersetzung von Burkes Betrachtungen; 1796 wurde Bonaids Théorie du pouvoir gedruckt (sie war bereits 1794 geschrieben und wurde bei ihrem Erscheinen sofort von der Direktorialregierung beschlagnahmt); in dem gleichen Jahre 1796 erschienen endlich auch, zuerst in Neuchâtel, de Maistres Considérations sur la France. A n allen diesen Schriften interessiert hier nicht die Tagespolemik, das Plädoyer gegen die Greuel der Pöbelherrschaft und die Jakobinische Phrase, sondern die prinzipielle, gegenrevolutionäre Argumentation. Das ist überall die Ablehnung des Gedankens, Recht und Staat wären Dinge, die aus planmäßiger Tätigkeit der einzelnen Menschen entstehen. Alle wichtigen staatlichen Institutionen, namentlich die während der Französischen Revolution so oft geänderten Verfassungen, sollen sich i m Lauf der Zeit selbst aus der Lage der Verhältnisse, aus der Natur der Sache, ergeben, deren vernünftiger Ausdruck, nicht aber Urheber sie sind. Deshalb wäre es sinnlos, die Dinge nach einem abstrakten Schema zwingen zu wollen; Nation und Gesellschaft entstehen nicht von heute auf morgen durch doktrinäres „Machen", sondern in langen Zeiträumen, ohne daß die beteiligten Einzelmenschen sie übersehen oder gar berechnen könnten. Dabei betont Burke mehr in allgemeinen, oft stark rhetorischen und gefühlsmäßigen Wendungen das über Generationen sich erstreckende Wachstum der nationalen Gemeinschaft; de Maistre sieht, noch ganz mit den Vorstellungen der Theologie des klassischen Zeitalters, den einzelnen Menschen in seiner Bedeutungslosigkeit vor der überweltlichen providentiellen Macht, die uns regiert und in deren Händen ihm die agierenden Revolutionshelden wie Automaten vorkommen; Bonald endlich, ein großer Systematiker, erklärt mit großartiger Bestimmtheit bereits 1796, u m was es sich hier handelt: um den Gegensatz von liberalem Individualismus und sozialer Solidarität: nicht der einzelne

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III. Politische Romantik

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Mensch oder die Masse der Einzelnen ist nach ihm Träger historischer Aktivität, sondern die in der Geschichte lebende, nach bestimmten Gesetzen sich konstituierende Gesellschaft, die den Einzelmenschen überhaupt erst konstituiert. Alle drei stimmen in heftiger Ablehnung der Metaphysiker und Philosophen, besonders Rousseaus, darin überein, daß die auf rationalistische Maximen sich stützende Aktivität der Einzelnen nichts schaffen, daß sie nur den natürlichen Gang der Dinge aufhalten, zerstören und vernichten, nicht aber Dauerndes produzieren kann. I n Deutschland glaubte man noch an die Revolution 9 1 . Fichte warf sich 1793 in den „Beiträgen zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution" auf Rehbergs K r i t i k und auf die „Empiriker" und war enthusiastisch entschlossen, der Welt die „ U n i f o r m der Vernunft" anzuziehen. N o c h 1796 herrschte i n Deutschland durchweg das rationalistische, vom Einzelnen ausgehende Naturrecht des 18. Jahrhunderts. Rousseau wurde von Kant als N e w t o n der Moral gefeiert, der junge Hegel nannte ihn mit Sokrates und Christus zusammen. I n diesem Jahre 1796 veröffentlichte Fichte den ersten Teil der „Grundlage des Naturrechts", Feuerbach eine „ K r i t i k des natürlichen Rechts", Friedrich Schlegel einen „Versuch über den Begriff des Republikanismus", und Schelling schrieb eine „Neue Deduktion des Naturrechts". Recht und Staat werden hier überall, ganz i m Sinne des 18. Jahrhunderts, aus der Koexistenz der Menschen erklärt, aus der Einsicht in die Notwendigkeit der Selbstbeschränkung, die sich ergibt, wenn freie und selbständige Wesen zusammenleben wollen. Das Recht beruht auf einer rein verstandesmäßigen, logischen Konsequenz und ist so sehr Sache des verständig berechnenden Intellekts, daß, nach Kants Ausdruck, auch eine Schar von Teufeln einen Staat gründen könnte, wofern sie nur die nötige Intelligenz haben; kurz, Recht und Staat sind etwas bewußt zu Machendes. Wenn Fichte jetzt, i m Gegensatz zu seiner Revolutionsschrift von 1793, die rechtliche Gemeinschaft als solche anerkennt und sagt, daß alles Recht und Eigentum aus dem Staat hervorgehen und der Einzelne vor dem Staatsvertrage nichts besitze, so wiederholt er auch damit nur den Contrat social Rousseaus. Auch jetzt noch konstituieren die Einzelnen den Staat, der ihnen erst nach dieser Konstituierung als selbständige Einheit, als ein, wie Rousseau sagt, „moi" entgegentritt. So bleibt auch 1796 Fichtes Aktivismus, der mit „absoluter Kausalität" die Welt vernünftig umändern will, bestehen, eine 91

Ein höchst bezeichnendes „Avertissement des éditeurs" steht vor de Maistres Considérations (ich benutze die Londoner Ausgabe, 1797): man dürfe dieses Buch nicht verwechseln mit dem „fatras" von Büchern über die Französische Revolution, die namentlich in Deutschland entständen und nur auf Grund offizieller Veröffentlichungen der französischen Regierung über die Revolution urteilten. * https://doi.org/10.3790/978-3-428-48428-7 Generated for Universitaet Leipzig, Universitaetsbibliothek at 139.18.244.59 on 2021-03-23, 10:34:20 UTC FOR PRIVATE USE ONLY | AUSSCHLIESSLICH ZUM PRIVATEN GEBRAUCH

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III. Politische Romantik

psychische Disposition, die einen guten Jakobiner qualifiziert hätte. Auch hat Fichte später bei allen seinen vielen Widersprüchen - Sozialismus und Individualismus, Kosmopolitismus und Nationalismus - immer an der naturrechtlichen Begründung des Staates durch Vertrag festgehalten. I n den folgenden Jahren schien ein Strom neuen Lebens durch Deutschland zu gehn. Ostern 1797 erschien Hölderlins Hyperion, 1798 veröffentlichten die preußischen Jahrbücher die Fragmente „Glauben und Liebe" von Novalis, 1799 entstand sein Aufsatz „Europa und die Christenheit". I m gleichen Jahre notierte Fichte: „Philosophieren ist ganz eigentlich Nichtleben, Leben ganz eigentlich Nichtphilosophieren." Auch in Hegels Jugendschriften aus dieser Zeit, in der Arbeit über den „Geist des Christentums und sein Schicksal" tritt plötzlich ein über alles Sollen und alle Moralität erhabener „Geist der Schönheit" und der Liebe auf, der die „Gerechtigkeit der Pflichtlinge", die Unmenschlichkeit des jüdischen Gottesglaubens und alles „Mechanische" überwindet. I n den Fragmenten Schleiermachers und Fr. Schlegels, i m Athenäum, w i r d die „juristische" Ethik Kants und die Herabwürdigung des Staates zum notwendigen Übel und bloßen Maschinenwerk verächtlich beiseitegeschoben. Eine neue Staatsphilosophie war das aber noch nicht, obwohl Novalis von dem „schönen Individuum" Staat gesprochen und diesen, i m Anschluß an mystische und theosophische Vorstellungen, einen Makroanthropos genannt hatte. I m ganzen kam der neue Enthusiasmus der Revolution zugute, die als ungeheures Ereignis bewundert wurde. Auch Novalis glaubte Burke am meisten dadurch zu rühmen, daß er von ihm sagte, er habe gegen die Revolution ein revolutionäres Buch geschrieben. Das neue Lebensgefühl äußerte sich in Gedichten, Romanen, Fragmenten. Die neue Staatstheorie wurde erst später, und zwar von Schelling, aufgestellt, nicht ausgeführt, sondern in flüchtiger Skizze am Schluß philosophischer Systeme angedeutet. N o c h 1800 war ihm i m „System des transzendentalen Idealismus" die ganze Rechtslehre nicht anders wie Fichte und dem 18. Jahrhundert als eine Mechanik erschienen, in der freie Wesen in Wechselwirkung gedacht werden. Erst unter dem Einfluß Hegels und nach der Trennung von Fichte w i r d in den „Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums", die 1803 erschienen, der Staat in besonderem Sinne als Organismus bezeichnet. Der Vorwurf des Mechanischen w i r d hier nur gegen den „privatrechtlichen" Staat erhoben, nicht gegen den, alles Private in öffentliches Recht verwandelnden wahren Staat, den objektiven Organismus der Freiheit, die „Naturseite der Kirche". Den Kantischen Naturrechtlern, auch Fichte, w i r d vorgehalten, daß sie einen Staat „ersinnen" wollen und nur einen endlosen Mechanismus schaffen. Aber dieser Staat ist immerhin noch der Vervollkommnung fähig, er soll

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III. Politische Romantik

als ein Kunstwerk nach „Ideen" geschaffen werden. Dieser letzte Rest von „Aufgabe" verschwindet in den Würzburger Vorlesungen über das „System der gesamten Philosophie" von 1804. Hier hat Schelling die heitere und ruhige Erhabenheit Spinozas gewonnen. Der Staat ist in der Idee, etwas Seiendes, nicht etwas erst noch zu Bewirkendes, nichts Moralisches, vielmehr ein Kunstwerk, in dem Wissenschaft, Religion und Kunst sich zu einem einheitlichen, geistigen Organismus durchdringen, ein geistiger Weltkörper, dessen Attribute die drei genannten Potenzen sind, in dem Philosophie und Kirche sich in lebendiger, rhythmischer, harmonischer Schönheit, d. h. eben kunstmäßig, objektivieren. Diese Staatsidee - wie erwähnt, nur flüchtig am Schlüsse der Schellingschen Systeme angedeutet - hatte in den Augen der Romantik einen Mangel, sie war „liebeleere Weisheit" (Schleiermacher). I m gleichen Jahre 1804 begannen die Paris-Kölner Vorlesungen Fr. Schlegels, in denen ausgeführt war, worauf es der Romantik ankam, auf die Gefühle von Liebe und Treue; sie sollten die festeste Stütze staatlichen Lebens sein. Eine weitere Ausführung dieser Ansicht vom Staate w i r d nicht gegeben. Die Vorlesungen beschäftigen sich mit der Konstruktion eines in vier Stände (zwei niedere, Bauer und Bürger, und zwei höhere, Adel und Geistlichkeit) gegliederten Staates, eine Konstruktion, die ähnlichen, von Schelling, Hegel und Johann Jakob Wagner ausgesprochenen, einen monarchischen Ständestaat empfehlenden Theorien entspricht. I m Anschluß an traditionalistische Theorien, wie sie in den damals bereits erschienenen Schriften Bonaids ausgesprochen waren, w i r d der feudale Familienstaat postuliert, daneben enthalten diese Vorlesungen Ideen von Fichte, wie die sozialistische Forderung staatlichen Obereigentums und strengster Kontrolle des gesamten wirtschaftlichen Lebens und des Handels, kurz, hier liegt eine Wiederholung bereits bekannter Ansichten vor, an denen nur die Kombination feudaler mit sozialistischen Ideen interessant und nur die Betonung der gefühlsmäßigen Grundlage des Staates charakteristisch ist. Durch die gleiche Nuancierung ins Gefühlsmäßige zeichnet sich der von Adam Müller in den Vorlesungen „über das Ganze der Staatskunst" (1808/9) komponierte Staat aus. Hier stellt Müller, der w o h l durch Schelver in die Naturphilosophie eingeweiht war, unter ziemlich wörtlicher Übernahme Schellingscher Wendungen, den Staat als „Idee" dem toten, mechanischen „Begriff" des Staates entgegen; der Staat soll die „Totalität aller menschlichen Angelegenheiten", der Inbegriff physischen und geistigen Lebens sein und alle Gegensätze, insbesondere den für die Gliederung des Organismus notwendigen Gegensatz der Stände (Adel, Geistlichkeit und Bürgertum), aber auch den von Person und Sache, in einer großen, lebensvollen, organischen Einheit verbinden. Dieser Staat gehört insofern in Schellings Na-

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III. Politische Romantik

turphilosophie, als er seinem Wesen nach Leben, Buntheit und Bewegung ist. N u r w i r d er - das ist Müllers romantische Eigenart - nicht wie bei Schelling konstruiert. Er ist Gegenstand innigster Liebe, er kann alles von uns beanspruchen, und zwar müssen w i r es i h m mit Liebe geben, mit „Herz, Neigung und Gefühl". Wie bei Fr. Schlegel einem aus traditionalistischen und Fichteschen Elementen zusammengesetzten Staatswesen durch die Gefühle von Liebe und Treue Leben eingehaucht werden soll, so hier Schellings „Organismus", der schon seiner Idee nach Leben ist, aber noch nicht gefühlvolles Leben. Der praktische Schluß dieser Theorien ist die Empfehlung einer halb feudalen, halb ständischen Monarchie. Wahrend bis 1799 die Revolution bewundert w i r d (im Athenäum hatte Schlegel noch gesagt, der revolutionäre Wunsch, das Reich Gottes zu realisieren, sei der elastische Punkt für die progressive Bildung und der Anfang der modernen Geschichte), tritt 1799 - das Jahr, in dem Schlegel Burke kennenlernte - die Wendung zum Konservativen ein. Dann w i r d eine als geistige Revolution sich gebende Philosophie - bei Schlegel ist es Fichte, bei Müller Schelling - benutzt, u m zu einer theoretischen Begründung feudal-konservativer Resultate zu gelangen. Jetzt i m Jahre 1810, d. h. in dem Jahre, in dem Müller Bonaids Schriften näher kennenlernte, tritt wiederum ein Umschwung ein. Jetzt w i r d die bisherige Naturphilosophie als „Atheismus" und „Schwindel" verworfen, statt der Ideen bewegten Lebens die traditionalistische Argumentation Bonaids übernommen und später mit Hallers und de Maistres Argumentationen verbunden. Burke tritt jetzt zurück, obwohl er natürlich als konservativer Politiker in respektvoller Erwähnung bleibt. Aber sein unruhiges Pathos, das früher so entscheidenden Einfluß gehabt hatte, entspricht nicht mehr der Stimmung der Restauration, und seine politischen Ansichten über Verfassung und Parlament sind der monarchischen Theorie unangenehm. Bonald und Maistre hatten zu der Gefühlsmäßigkeit ein weniger enthusiastisches Verhältnis. Bonald erklärt sehr nüchtern, die Liebe und Treue ergebe sich bei der nötigen politischen Festigkeit des Staates von selbst; mit welcher überlegenen Skepsis Maistre von den Gefühlen des Volkes dachte, erfährt man aus der klassischen Schilderung einer Gegenrevolution i m 9. Kapitel seiner Considérations. So verschwindet denn die „Bewegung"; an ihre Stelle tritt die „fixité". Während der Restauration w i r d für die Romantiker sogar Metternichs zentralistischer Polizeistaat organisch, dauernd, erhaltend, fest, friedlich und legitim. Genialität ist jetzt ein verdächtiges Prädikat, von Ironie ist schon längst nicht mehr die Rede. Diese Übersicht über die Entwicklung politischer Ideen bei Romantikern beweist, daß sich das romantische Welt- und Lebensgefühl mit den

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III. Politische Romantik

verschiedensten politischen Zuständen und entgegengesetzten philosophischen Theorien zu verbinden vermag. Solange die Revolution da ist, ist die politische Romantik revolutionär, mit der Beendigung der Revolution w i r d sie konservativ, und in einer ausgesprochen reaktionären Restauration weiß sie auch solchen Zuständen die romantische Seite abzugewinnen. Seit 1830 w i r d dann die Romantik wieder revolutionär, und auch die betagte Bettina fand höchst revolutionäre Töne in ihrem Königsbuch (1843) und in den „Gesprächen mit Dämonen" (1851). Diese Wandelbarkeit des politischen Inhalts ist nicht zufällig, sondern eine Folge der occasionellen Haltung und tief i m Wesen des Romantischen begründet, dessen Kern Passivität ist. Es scheint allerdings nahezuliegen, die allen gegenrevolutionären Theorien gemeinsame Ablehnung des bewußten „Machens" oder den Quietismus einer Legitimitätstheorie mit der politischen Passivität des Romantischen zu identifizieren. Aber alle Begründer der gegenrevolutionären Theorie, Burke, Maistre und Bonald, waren aktive Politiker mit eigner Verantwortung, sie standen jahrelang in einer zähen und energischen O p position gegen ihre Regierung, immer von dem Gefühl durchdrungen, nicht über den politischen Kampf erhaben, sondern verpflichtet zu sein, für das, was sie als Recht betrachteten, sich zu entscheiden. Auch der Traditionalismus in seiner konsequentesten Ablehnung jeder Einzelvernunft ist nicht notwendig passiv. Der Menschheitsgedanke, der i m Traditionalismus enthalten ist, kann auch hier seine revolutionäre Kraft beweisen, die Paroles d'un croyant eines so entschiedenen Traditionalisten wie Lamennais sind ein ungeheures Beispiel dieser Kraft. Von Malebranche aber geht, wie schon seine Zeitgenossen empfanden und wie ein theologischer Bekämpfer des Traditionalismus, J. Lupus (le traditionalisme , t. II, Lüttich , 1858, ρ. 58) richtig hervorhebt, der Weg unmittelbar in den unbedingten, jede Aktivität vernichtenden Passivismus. So begleitet auch der subjektivierte Occasionalismus des Romantischen, was ihm begegnet, und es sollte nicht schwer sein, seine organische Passivität von den aus politischen Erfahrungen und Zielen sich ergebenden Hemmungen eines aktiven Staatsmannes zu unterscheiden. Das Kriterium liegt darin, ob die Fähigkeit, zwischen Recht und Unrecht sich zu entscheiden, vorhanden ist oder nicht. Sie ist das Prinzip jeder politischen Energie, der revolutionären, die sich auf das Natur- oder Menschheitsrecht, wie der konservativen, die sich auf das historische Recht beruft. Auch die Legitimitätsphilosophie erkennt den Unterschied von Recht und Unrecht an, sie hält nur die historisch wohlerworbenen Rechte der naturrechtlichen Unterscheidung von Recht und bloß faktischer Macht entgegen. Wenn in den staatsphilosophischen Theorien der Legitimisten Gott als das letzte Prinzip des staatlichen

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Lebens erscheint, so ist er das als höchster Souverän und Gesetzgeber, als letzter Legitimationspunkt, mithin in einer normativen und damit antiromantischen Kategorie. Die Geschichte ist, wie Maistre sich ausdrückt, nur Gottes premier ministre au département de ce monde. Auch bei Burke ist das Pathos, das ihn angesichts der Revolution beherrscht, niemals das ästhetische Gefühl der Romantiker, die hier ein grandioses Schauspiel oder Naturereignis sahen, für ihn ist die Revolution eine empörende Verletzung göttlichen und menschlichen Rechts. Man braucht nur die feminine Schwärmerei, die jene armen bürgerlichen Literaten Schlegel und Müller für die feudale Aristokratie aufbrachten, mit dem rechthaberischen Plädoyer Burkes für die Emigranten zu vergleichen, u m den großen Unterschied zu sehen. Diese Gegenrevolutionäre sehen in dem auf naturrechtliche Doktrinen gestützten Rechtsbewußtsein der Revolution nur ein durch menschliche Leidenschaften und metaphysische Abstraktionen verwirrtes Urteil. Aber sie selbst halten ein Naturrecht für etwas Selbstverständliches und zeigen nicht die fundamentale Unfähigkeit, es zu begreifen, deren sich Adam Müller in seinen Vorlesungen von 1808/9 rühmt. A u f dieser Unfähigkeit zu normativer Bewertung beruht die „organische" Staatsauffassung des Romantischen. Sie weist das „Juridische" als eng und mechanisch von sich ab und sucht den über Recht und Unrecht erhabenen Staat, d. h. einen Anknüpfungspunkt für Gefühle, der zugleich die Projektion des romantischen Subjekts ins Politische ist. Die Wurzel der romantischen Erhabenheit ist die Unfähigkeit, sich zu entscheiden, das „höhere Dritte", von dem sie immer sprechen, nicht ein höheres, sondern ein anderes D r i t tes, d. h. immer der Ausweg vor dem Entweder-Oder. Weil sie die Entscheidung offenlassen, weil sie die occasio „gegensätzisch" konstruieren, damit sie der elastische Punkt für den Sprung in das „höhere Dritte" sein kann, hat man von ihrem „Dualismus" gesprochen und Anklänge an gnostische und neuplatonische Theorien gefunden, w o es sich nur u m die Gegenstandslosigkeit eines Occasionalismus handelte. Selbst der ganz von der Stimmung der Restauration erfüllte Aufsatz über „die Signatur des Zeitalters", den Friedrich Schlegel in der „Concordia" (1820 - 1823) veröffentlichte, ist ein beweiskräftiger Beleg und aus mehreren Gründen ein brauchbares Beispiel für den Unterschied zwischen politischer Romantik und gegenrevolutionärer Staatstheorie. Er stimmt mit Adam Müllers Anschauungen in allem Wesentlichen überein, verwendet viele Lieblingswendungen Müllers („Gesetzesmaschine", „ L o kal", „englische Krankheit" usw.) und verwirft namentlich, wie Müller, alle „Ultras". Seine Ausführungen sind in einem ruhigen Ton und in zusammenhängender Darstellung geschrieben, die eine Besprechung ermöglichen, die lärmenden Exklamationen der Frühromantik werden abge-

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lehnt, es findet sich sogar eine Charakteristik dieses Stadiums, die vortrefflich genannt werden muß: „äußerlich-dynamisch-kombinatorisches Denken", „Würfelspiel der Gedanken", „wissenschaftliches Phantasieren", „babylonische Sprachverwirrung einer unreifen Philosophie", schließlich: Unwahrheit und Phrasenhaftigkeit. Zwar scheint der Aufsatz beinahe vollständig frei von Regungen, die man auf den ersten Blick als romantisch bezeichnen würde, und nur an einer Stelle ertönt ein hochromantisches Sentiment: wenn der wahre Staat uns nicht vor dem Gewaltstaat schützte, „so würde jeder vernünftige Mensch w o h l den Naturzustand vorziehn, nicht wie die Dichter ihn schildern, oder Theoretiker sich einbilden, sondern wie ihn die Geschichte uns kennen lehrt; nämlich - hier klingt Herders ,Hebräische Poesie' - das freie Leben der Nomaden und bewaffneter Hirtenstämme unter Familienhäuptern und Stammfürsten, wie es etwa zu Abrahams Zeiten uns vorgestellt, und zum Teil noch in Arabien so gefunden wird; und würde man dann gern die armseligen Flitter unsrer Kultur hingeben gegen die Fülle dieses Naturgefühls". I m übrigen zeigt sich äußerlich die gute Wirkung des Katholizismus, vor dem sich der wolkige Tiefsinn der jungen Romantik verflüchtigt hat. Auch bemerkt man, daß die Romantik gegenüber der Restauration Vorbehalte machte und eine andre Zeit herannahte. Aber i m Kern ist der Aufsatz trotzdem ganz romantisch. Er offenbart seine Signatur besonders deutlich, weil er bestrebt ist, den Unterschied zu andern politischen Anschauungen der Restauration, vor allem zu den französischen Royalisten, recht eindringlich zu bestimmen. Diese Unterscheidungen und einige psychologisch feine Charakteristiken von Menschen seiner Zeit, z. B. von Gentz, machen die Bedeutung des Aufsatzes aus, dessen Inhalt sonst bis zur Banalität unoriginell ist. Worin besteht nun die Eigenart seiner Weltanschauung i m Gegensatz etwa zu der Bonaids, der ja auch „politischer Romantiker" sein soll? I m Romantischen. Bonald ist Theoretiker, er liebt abstrakte Formeln, er sucht prinzipielle Erörterungen und w i l l in der Moral und der Politik die zwingende Evidenz mathematischer und naturwissenschaftlicher Gesetze erreichen. Er war dabei ein Mensch, der seine Uberzeugung in der politischen Wirklichkeit vertrat und gegen Phantasien, Träumereien und lyrische Gedichte eine höchst unromantische Abneigung hatte. Darum betätigte er sich während der Restauration in Frankreich als Führer der Ultras, die mit allen politischen Mitteln gegen die halbliberale, konstitutionelle Politik der Regierung ankämpften, er kämpfte für das „système naturel des sociétés" gegen das „système politique des Cabinets" (Œuvres I I I , 367). Wie man immer diesen Standpunkt politisch beurteilen mag, ob man ihn für berechtigt oder borniert hält, jedenfalls mußte ein Mann, dem es mit seiner politischen Uberzeugung ernst war, zu dieser A r t politischer Aktivität kommen. Ganz anders der Romantiker Schlegel. Trotz einiger

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Abweichungen in der geschichtlichen Bewertung einzelner Personen und Ereignisse 92 entsprechen seine Anschauungen und Ideale denen Bonaids; er verlangt wie Bonald einen monarchischen Ständestaat auf christ-katholischer Grundlage. Aber er ist empört bei dem bloßen Gedanken, daß man seine Ideale in der politischen Praxis vertreten könnte. Er hat politische Ideale, aber er beschwört den Leser, doch nicht etwa zu glauben, der Verfasser habe die Anmaßung, an den bestehenden Zuständen das Geringste zu ändern. Was w i l l er also eigentlich? Er w i l l der Entwicklung „ i n teilnehmendem Mitdenken folgen". Es ist ihm nur u m „eine rein intellektuelle Erörterung und Erklärung des Zeitalters zu tun", er w i l l nicht zu den „unberufenen Weltverbesserern" gehören, mögen sie nun schlecht- oder gutgesinnt sein. Die „rein intellektuelle Erörterung und Erklärung des Zeitalters" schließt aber nicht persönliche Bewertungen des Verfassers aus; sie bedeutet nicht, daß der Verfasser nur wissenschaftlich erklären will. I m Gegenteil, der Aufsatz soll beweisen, daß die Zeit böse ist, von einem bösen Prinzip beherrscht, und die Bosheit soll gerade darin bestehn, daß man politisch etwas tun will. Politische Leidenschaft, politische Polemik sind für ihn etwas Unchristliches, der „Ultrageist" ist böse wie jeder Parteigeist; ein Christ darf keiner Partei angehören, und gar eine katholische Partei zu bilden wäre eine „frevelhafte Entweihung" des Katholizismus. Bonald haßte das willkürliche, unhistorische Experimentieren in politischen Dingen, nur verstand es sich für ihn von selbst, daß man eine nach seiner Meinung unhistorische Politik auch wirklich bekämpfen müsse. Der Romantiker gebraucht das Wort historisch so gut wie das Christentum als Deckung für seine Passivität. Er kann mit den korporativ-ständischen Idealen, die er vertritt, kein Anhänger des Metternichschen Zentralstaates sein, das deutet er auch öfters an. Dennoch diente der ganze Aufsatz diesem System. Er hatte den ganz konkreten politischen Zweck, dem allgemeinen Verlangen nach Repräsentatiwerfassungen, das sich auf das Verfassungsversprechen des Art. 13 der Bundesakte berief, entgegenzutreten und dafür ständisch-korporative Verfassungen zu empfehlen und entsprach mit seiner Polemik gegen die Ultras, wie auch Müllers gleichartige Ausführungen, den Intentionen Metternichs, der am 9. A p r i l 1819 an Gentz geschrieben hatte: „ M e i n tägliches Kämpfen geht gegen die Ultras aller A r t . " Dem Schriftsteller, der zwar „den Verteidigern 92

Die Abweichungen beziehen sich z. B. auf die Beurteilung der politischen Bedeutung Karls des Großen und Ludwigs des XIV., gegen deren Verherrlichung Schlegel protestiert, das deutsche Kaisertum i m Mittelalter, das er gegen de Maistre verteidigt, den Westfälischen Frieden von 1648, dessen „tiefdurchdachte Grundsätze" Schlegel rühmt, während Bonald das päpstliche Verdammungsurteil, das gegen diesen Frieden erging, berechtigt findet, usw.

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der christlichen Staatstheorien i m Ganzen zugerechnet" werden kann, Görres, w i r d vorgeworfen, er schwanke noch sehr zwischen korporativen Grundsätzen und „dem gewöhnlichen repräsentativen Schein", er habe auch i m Einzelnen „viel Inkorrektes" und sei ein deutscher „Doktrinär". Als „doktrinär" wurde die konstitutionelle französische Mittelpartei unter Royer-Collard bezeichnet. Damit war Görres widerlegt, denn hier war ja wieder eine Partei, wenn auch eine gemäßigte. Royalisten, Katholiken und Legitimisten haben eine Ultrapartei, die Liberalen und Fortschrittliche sind eine negative Partei, Nationalismus ist eine parteiische Bosheit, Gemäßigte stehen i n der Mitte und sind ebenfalls nur Partei. Indifferent dürfen w i r aber auch nicht sein, das w i r d ausdrücklich betont, denn es wäre böse, heißt es, gegenüber dem guten Prinzip gleichgültig zu sein. Was sollen w i r also tun? Einverstanden sein mit dem, was die Regierung tut. Darin besteht unsere Aktivität, i m consentement. Die Regierung ist über den Gegensätzen der Parteien das höhere, umfassende Dritte. Sie soll sich weder nach rechts noch nach links u m die Parteien kümmern; sie soll vor allem nicht eine gemäßigte Mitte sein wollen, weil sie in dieser Stellung nur eine passive Mitte wäre. Aber auch von einer aktiven Mitte zu sprechen, hält Schlegel für unzulässig. „ N i c h t an den Enden und Extremen, und nicht in der Mitte liegt die Lösung des großen Problems, sondern einzig und allein in der Tiefe und in der Höhe." Vor der Kraft der Regierung sollen die Gegensätze der Parteien „wie ein Phantom in Nichts verschwinden". Sogar Napoleon w i r d ihm hier sympathisch, weil seine Regierung die Kraft hatte, die Parteien zu zermalmen. Gegen die Obrigkeit gibt es kein Widerstandsrecht. Bonald billigt die Weigerung des alten Pariser Parlaments, ein Gesetz zu registrieren, das der „ N a t u r der gesellschaftlichen Beziehungen" widersprach, er freute sich über das „nec possumus, nec debemus", das dem König entgegengehalten wurde 9 3 . Er hat überhaupt Verständnis für republikanische Unabhängigkeit und wünscht, daß sie ein Element des französischen Monarchismus werde 9 4 . Auch Schlegel spricht in seinem Aufsatz vom Widerstandsrecht, freilich sehr vorsichtig und vorübergehend, immerhin muß er die Möglichkeit eines berechtigten Widerstandes zulassen, denn daß man 93

Essai analytique, Œuvres t. I, p. 167. Über den historischen Sachverhalt vgl. Mariéjol bei Lavisse V I , 2, p. 389, Eugen Guglia, Die konservativen Elemente Frankreichs am Vorabend der Revolution, Gotha 1890, S. 5, und die dort zitierte Literatur. 94 Pensées diverses, Paris 1817 (Œuvres V, p. 52): J'aime assez, je l'avoue, dans un homme, ce mélange de sentiments d'indépendance républicaine et de principes d'obéissance et de fidélité monarchiques: c'est là, si l'on y prend garde, ce qui constituoit l'esprit français, et ce qui fait l'homme fort dans une société forte.

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Gott mehr gehorchen muß als den Menschen, kann er als Katholik nicht in Zweifel ziehen. Doch soll nur die Kirche darüber entscheiden, ob ein solcher Fall gegeben ist, ja, die Notwendigkeit einer Kirche soll sich daraus überhaupt erst ergeben (S. 390). Einen Augenblick scheint es, als sei hier ein noch höherer „ordre", die Kirche, eingeführt, und in der Tat beweist diese Stelle, daß der Romantiker hier i m Bereich der Attraktionskraft einer andern politischen Realität, der Kirche, stand. Glücklicherweise war er nicht zu einer praktischen Entscheidung gezwungen, denn zwischen Osterreich und der Kirche ist es nicht zu einem Konflikt gekommen. Aber auch theoretisch hat er sich gar nicht entschieden. A n einer andern Stelle nämlich (S. 189) lehnt er Maistre, der das Überwachungsrecht der Kirche entschieden vertrat, als „unhistorisch" ab, die Kirche soll keine gesetzliche Kontrolle und schiedsrichterliche Stellung gegenüber den weltlichen Staaten haben, das war bis zum 16. Jahrhundert berechtigt, ist aber für unsre Zeiten nicht mehr anwendbar und kann auch nicht wiederkehren. I m Resultat ändert sich also nichts, die überragende Tätigkeit der Regierung ist durch den Gegensatz von Kirche und Staat nicht gefährdet. U n d doch erfährt diese Regierung, die allein tätig sein darf, selbst wieder das gleiche Schicksal wie der Gott des occasionalistischen Systems. Sie soll nichts „Willkürliches", „Mechanisches", „Absolutes" tun, in Wahrheit soll sie sich einfach der historischen Entwicklung überlassen. Was i m occasionalistischen System ordre général hieß, in welchem Gottes A k t i v i tät verschwand, w i r d hier bald historische, bald organische Entwicklung genannt. Praktisch gilt für die politische Betätigung der Regierung das gleiche wie für den Einzelnen: Sie soll nicht „wirken wollen", sondern i m Rhythmus des gesetzmäßigen Geschehens schwingen. Geschichte, Entwicklung, schließlich die Vorsehung Gottes sind die Instanzen, denen auch die Regierung alle wirkliche Tätigkeit überlassen muß. So w i r d alle Aktivität von einem zum andern geschoben, vom Einzelnen zur Regierung, von der Regierung zu Gott, und bei Gott ist sie Vorsehung und Gesetzmäßigkeit. Die einzelnen Faktoren wechseln gelegentlich die Namen, die Regierung kann auch Staat heißen - so in Müllers Elementen der Staatskunst - Schlegel fügt zwischen Regierung und Gott noch die Geschichte ein, die Vorstellung des „Organismus" kann ebenfalls in den Dienst des occasionalistischen Ausweichens gestellt werden und eine „organische Entwicklung" als allein wirksame Instanz begründen, kurz, in der Romantik verwirrt sich die einfache Reihe des occasionalistischen Systems durch die Vermischung der einzelnen Faktoren mit romantisierten Begriffen der Zeitphilosophie. Aber sie bleibt deutlich zu erkennen. Mag das letzte umfassende Glied der Reihe Gott oder Staat, Ich oder Geschichte, Idee oder organische Entwicklung heißen, das Resultat ist im-

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mer, daß alle Aktivität des einzelnen Menschen in seinem „teilnehmenden Mitdenken" besteht. I m politischen Leben ist das Resultat das gleiche: in das, was die zuständige Behörde tut, soll man nicht eingreifen. Auch wenn Müller und Schlegel die Zeit böse nennen und das gute Prinzip einem bösen entgegenstellen, so ist das nicht als eine moralische Entscheidung aufzufassen. Denn sie wollen nicht Partei ergreifen, wie das jeder tun muß, der von gut und böse i m moralischen Sinne spricht und Recht von U n recht unterscheidet. So haben Burke, Maistre und Bonald gegen die Französische Revolution Partei ergriffen, weil sie ein Unrecht darin sahen, und Gentz hat von Anfang an erklärt, daß die Frage der Rechtmäßigkeit der Revolution „die erste und letzte" sei (Hist. Journal I I , 2, S. 48/49). Adam Müller dagegen findet der Revolution gegenüber kein unmittelbares, moralisches Pathos. Nichts ist bezeichnender für die politische Romantik als das Urteil über die Französische Revolution, bei dem er geblieben ist: „ D i e Geschichte der Französischen Revolution ist ein durch 30 Jahre fortgeführter Beweis der Wahrheit, daß der Mensch aus sich selbst und ohne die Religion keine Kette, die ihn drückt, zerbrechen kann, ohne in tiefere Sklaverei zu versinken. Wie wenig überhaupt bei dem bloßen Zerschlagen der Ketten, so löblich an und für sich die dazu erforderliche Aufwallung sein möge, herauskomme, habe ich bereits 1810 in meinen Vorlesungen über Friedrich den Großen und die preußische Monarchie gezeigt." So w i r d die Frage nach der Berechtigung der Revolution mit einer spitzelhaft hämischen Bemerkung erledigt. Dabei ist w o h l zu beachten, daß Müller, in Wahrheit, in jenen Vorlesungen von 1810, S. 305, die Revolution als Äußerung unterdrückten und eingespannten Lebens bezeichnet hatte. Jetzt aber lehnt er sie ab und erklärt offen, ob sie berechtigt oder unberechtigt gewesen sei, interessiere ihn nicht. Wie kommt er also zu seiner Ablehnung? So, wie er zu Bejahungen kommt, es sind die Begleitaffekte, mit denen er der historischen Entwicklung teilnehmend folgt, weil ihn eigentlich nur Gefühl und Poesie interessieren. Konkret gesprochen bedeutet das: Revolution und Restauration können in gleicher Weise romantisch genommen, d. h. zum Anlaß romantischen Interesses gemacht werden, und es ist falsch und irreführend, die Gedanken oder auch nur die Stimmungs- und Gefühlswelt des Legitimismus i m besondern Sinne als „politische Romantik" zu bezeichnen. Ganz verschiedenartige, entgegengesetzte Vorgänge und Gestalten können vom romantischen Subjekt als Anfang des romantischen Romans betrachtet werden. Ohne Änderung ihres Wesens und ihrer Struktur, die immer occasionalistisch bleibt, kann die romantische Produktivität sich an irgendein anderes Objekt der historisch-politischen Wirklichkeit anknüpfen als gerade an den legitimen Fürsten. Wenn Novalis den König und die liebreizende

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Königin, wenn Adam Müller feudale Agrarverhältnisse poetisiert, so kommt das weder für eine monarchische, noch für eine feudale oder ständische, noch für eine legitimistische Staatstheorie in Betracht. Der König ist hier nicht weniger occasionell wie bei andern Romantikern ein „ k o lossalischer" Revolutionsheld, ein Kondottiere oder eine Kurtisane. Vom romantischen Interesse aus ist das eigentlich selbstverständlich. Denn wenn Gefühl, Poesie und Liebreiz die maßgebenden Qualitäten sind, so kann es sich doch leicht ereignen, daß manche höchst legitimen Erscheinungen weniger interessant und weniger „romantisch" erscheinen als etwa die hübschen jungen Mädchen, die u m einen Freiheitsbaum tanzen. Poetische Schönheit und Legitimität sind eben leider nicht notwendig miteinander verbunden, und der Geschmack der Zeit ändert sich schnell. Die jungdeutschen Genies der folgenden Generation haben bereits Napoleon romantisiert und bewiesen, daß man (wie ja schon die Romantiker von 1799) in der Revolution ein eindrucksvolles Schauspiel grandioser Bewegung sehen kann, das ebenso romantisch ist wie jenes milde Bild der hergebrachten Zustände, die romantisch in der eindrucksvollen Beleuchtung des in unvordenkliche Zeiträume verschwimmenden, grauen Alten erscheinen. Beides widerspricht sich nicht, weil beides Thema einer Romantisierung sein kann. Legitimität aber ist eine absolut unromantische Kategorie. O b ein Drama, als dessen Hauptperson Danton figuriert, romantischer ist als ein anderes, das vielleicht O t t o den Faulen zum Helden hat, läßt sich nicht nach den Gesichtspunkten der Legitimität entscheiden. Erst die Poetisierung haucht dem Gegenstand, auch wenn es sich u m eine Figur der historischen Wirklichkeit handelt, das romantische Leben ein. Vorher war er tot, romantisch belanglos, welcher A r t seine politische Bedeutung auch sein mochte. Jede Beziehung zu einem rechtlichen oder moralischen Urteil wäre hier disparat, und jede N o r m erschiene als antiromantische Tyrannei. Eine rechtliche oder moralische Entscheidung wäre sinnlos und müßte die Romantik vernichten. Der Romantiker ist deshalb nicht in der Lage, aus bewußtem Entschluß Partei zu ergreifen und sich zu entscheiden. N i c h t einmal die Staatstheorie, die von dem „von Natur bösen" Menschen ausgeht, kann er mit romantischen Mitteln entschieden ablehnen, denn wenn sie auch vielen Romantikern unsympathisch ist, so besteht doch die Möglichkeit, auch diesen bösen Menschen, die „Bestie", zu romantisieren, sofern sie nur weit genug entfernt ist. Romantisch handelt es sich eben u m H ö heres als u m eine Entscheidung. Die selbstbewußte Frühromantik, die sich von dem Schwung der andern irrationalen Bewegungen ihrer Zeit tragen ließ und zudem das absolute, weltschöpferische Ich spielte, empfand das als Überlegenheit. Als sich dann aber einige typische Romantiker wie

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Friedrich Schlegel und Adam Müller trotzdem theoretisch und praktisch mit den politischen Problemen, wie sie die Zeit damals stellte, beschäftigten, ergab sich, daß sie Burke, Bonald, Maistre, Haller wiederholten, mit andern Worten, daß es eine politische Produktivität i m Romantischen nicht gibt. Jetzt predigen sie völlige Passivität, benutzen mystische, theologische und traditionalistische Vorstellungen wie Gelassenheit, Demut, Dauer, u m die Polizei Metternichs zum würdigen Objekt eines liebenden Attachement zu machen und die vorgesetzte Behörde mit dem höheren Dritten romantisch zu verschmelzen. Das ist also der Kern aller politischen Romantik: der Staat ist ein Kunstwerk, der Staat der historisch-politischen Wirklichkeit ist occasio zu der das Kunstwerk produzierenden schöpferischen Leistung des romantischen Subjekts, Anlaß zur Poesie und zum Roman oder auch zu einer bloßen romantischen Stimmung. Wenn Novalis davon spricht, daß der Staat ein Makroanthropos sei, so ist das ein seit Jahrtausenden ausgesprochener Gedanke. Die Romantik liegt erst darin, daß dieser Staat-Mensch ein „schönes" Individuum genannt wird, das Gegenstand der Liebe und ähnlicher Gefühle ist. Ein extremes, aber durchaus konsequentes Beispiel dieses rein ästhetisch-sentimentalen Verhaltens findet man in der romantischen Auffassung des preußischen Staates, in der Novalis und Adam Müller übereinstimmend das Preußen des aufklärerischen Junggesellen Friedrichs II. für eine öde Maschine, eine Fabrik erklären, das Preußen des Gatten der liebreizenden Königin Luise dagegen für ein wahres Königtum und die schönste, poetischste, natürlichste Form des Staates. Aber Friedrich I I . kann ebenfalls der Anknüpfungspunkt für ein romantisches Interesse sein, und dann ändert sich eben das romantische Bild. Die monarchische Würde beruht auf einer „Dichtung", die sich dem Menschen aufdrängt und eine höhere Sehnsucht seiner Natur befriedigt. Die einfache Konsequenz dieser ästhetischen Staatsphilosophie scheint zu sein, daß der schönste Mensch den Staat beherrschen soll, that first in beauty should be first in might (Keats). Aber das wäre wieder nicht romantisch, weil es ja i m Romantischen nicht auf die Wirklichkeit ankommt, sondern auf die romantische Produktivität, die alles verwandelt und zum Anlaß einer Dichtung macht. Es w i r d absichtlich ignoriert, was der König oder die Königin in Wirklichkeit sind; ihre Funktion besteht vielmehr darin, Anknüpfungspunkt für romantische Gefühle zu sein. M i t der Geliebten ist es nicht anders. Daher ist es, romantisch genommen, gar nicht möglich, zwischen dem König, dem Staat oder der Geliebten zu unterscheiden. I m Zwielicht der Gefühle gehen sie ineinander über. Bei Novalis wie bei Adam Müller erscheint der Staat als die Geliebte, und die von ihnen geleistete Poetisierung der Finanzwissenschaft besteht darin, daß man dem Staat die Steuern bezahlen

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soll, wie man der Geliebten Geschenke macht. So ist es auch gleich, ob Novalis ein Mariengedicht oder Müller ein Kapitel über den Staat produziert. A u f konkrete, geschichtliche Situationen angewandt, ergibt diese A r t Produktivität die liebliche Idylle vom Mittelalter, die Novalis in seinem berühmten Aufsatz „ D i e Christenheit oder Europa" entworfen hat. Der Aufsatz ist in seinem Inhalt, seiner Stimmung und seinem Tonfall ein Märchen, keine gedankliche Leistung, w o h l aber eine schöne poetische Phantasie; er gehört in eine Reihe mit der Schilderung des Naturzustandes, die Rousseau i m „Discours sur l'inégalité" gegeben hat, und daß man ihn nicht als Märchen behandelt, sondern heute noch, mit pedantischem Ernst, neben Äußerungen von verantwortlichen Staatsmännern und philosophischen Denkern, in einem Atem gleichberechtigt als Beleg zitiert, gehört auch zu der romantischen Verwischung aller Kategorien und ist ein Zeichen subromantischer Unfähigkeit, den Stil einer geistigen Äußerung zu erkennen. N u n hat gerade Adam Müller schöne Worte gefunden für die Erhabenheit des Staates und die Verächtlichkeit der humanisierenden, individualistischen Persönlichkeitskultur seiner Zeit. Was ist aber der „Staat", den er ihr in den „Elementen der Staatskunst" entgegenhält? Eine Projektion des romantischen Subjekts ins Politische, ein Über-Individuum, dessen naturhafte Funktion das einzelne Individuum werden soll, der „Gegenstand unendlicher Liebe" zu sein beansprucht und in allen erdenkbaren Gegensätzen und Polaritäten spielt, Mann und Weib, Adel und Bürgertum, Krieg und Frieden, Recht und Nutzen, Stadt und Land, kurz, die romantische Auftreibung der gesuchten Realität, die infolgedessen 1810 ohne weiteres in Bonaids Familienstaat und 1819 sogar in den ganz privatrechtlich konstruierten Staat Hallers übergehen kann. Die Produktivität, die Müller dabei aufwendet, ist rein ästhetisch zu werten, soweit sie nicht ein nach allen Seiten schielender Opportunismus ist. Der Staat war ihm, wie Novalis, die Geliebte, Sofie, die sich in alles verwandeln und in die man alles verwandeln kann, Gegenstand eines Affekts und als solcher occasionell, heute Preußen und dann Osterreich, bald „Souverän", bald „Nationalkraft" oder „Gesamtkredit", ein in „Globularform" schwingendes Produkt seiner eignen Vibrationen, dem mit rechtlichen oder moralischen Begriffen zu nahen, eine Entweihung wäre. Es kommt nicht darauf an, daß Novalis einmal von sich gesagt hat, er sei „durch und durch unjuristisch". Vielleicht hat er oder ein andrer Romantiker von sich auch einmal das Gegenteil gesagt. Wichtiger ist schon die Abneigung, die alle gegen Kants juridische Behandlung der Ethik gehabt haben. Doch könnte man demgegenüber auf ihr schwärmerisches Interesse für die katholische Kirche hinweisen, die wegen der subjektiven

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Freiheit des Protestantismus vielen Protestanten als eine große Anstalt zur Juridifizierung des Christentums erschien 95 und die von Schlegel und Müller, wenn sie das „Positive" des Christentums postulierten, gerade in dieser Form anerkannt worden ist. Aber erst aus der Struktur des Romantischen - als einem zur ästhetischen Produktivität gewendeten occasionalistischen consentement - ergibt sich die Entscheidung: die völlige Unvereinbarkeit des Romantischen mit irgendeinem moralischen, rechtlichen oder politischen Maßstab. Weil hier das Erlebnis w o h l einen künstlerischen Ausdruck, nicht aber eine logisch-begriffliche oder moralisch-normative Klarheit sucht, fehlt i m Romantischen jedes Gefühl sowohl für die Grenzen der Wirksamkeit des Staates wie für die Grenzen des Einzelnen. Adam Müllers amoralisches Verständnis für alles und sein Gegenteil, seine Sucht, überall zu vermitteln, seine „weltumfassende Toleranz", vor der Gentz erschrak, weil „dann nichts mehr übrig blieb, was man lieben und rechtschaffen hassen" konnte, seine unmännliche Passivität, zu der er Burkes, de Maistres und Bonaids Abneigung gegen das künstliche „Machen" umzubiegen verstand, sein gefühlsmäßig i m Grunde immer mit allem einverstandener, alles gutheißender Pantheismus 96 , sind w o h l auch individualpsychologisch aus seiner weiblichen, pflanzenhaften Natur zu erklären, für den romantischen Asthetizismus waren sie aber die geeignete psychische und physische Disposition, weil sie das Subjekt ganz an seinen A f fekt und die mit der Verarbeitung des Affekts sich begnügende ästhetische Produktivität wiesen. Er kann nicht anders als sich mit sich selbst beschäftigen, mag er nun Astrologie (oder heute Psychoanalyse oder in einiger Zeit vielleicht wieder Astrologie) treiben oder seine Ablehnung des 95

Das ist der Grundgedanke von Sohms Kirchenrecht. Doch wäre es falsch, nach subromantischer Methode, daraufhin Novalis als den tiefsinnigen Denker hinzustellen, der nicht nur den Neo-Katholizismus, sondern auch den Protestantismus Sohms „vorweggenommen" habe. Ein Romantiker nimmt immer nur Romantisches vorweg. Ich glaube nicht, daß Sohm jenem romantisch-mystisch-ästhetischspiritualistischen Protestantismus angehörte, den Troeltscb in seinen Ausführungen über die Religiosität der Romantik als „die heimliche Religion" der Gebildeten des modernen protestantischen Deutschland bezeichnet (Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, Tübingen 1912, S. 931). 96 Schlegel hat ihn deshalb einen „schlimmen Realisten" (d. h. i n Schlegels Terminologie, einen Pantheisten) genannt, Philos. Vorl. Windischmann I I (Bonn 1837), S. 460, ähnlich i n der bereits zitierten Besprechung in den Heidelberger Jahrbüchern 1808. Wenn ein Romantiker dem andern solche Vorwürfe macht, so meint er immer sich selbst. Als Katholiken haben beide sich von diesem Pantheismus abgewandt. Wegen des i m Text erwähnten Ausspruches von Gentz vgl. BW. Nr. 115 (der Brief ist, wie Dombrowsky, a. a. O., S. 58, mit Recht annimmt, nicht, wie BW. S. 171, angegeben, i n das Jahr 1816, sondern 1806 zu legen).

9 C. Schmitt, Politische Romantik https://doi.org/10.3790/978-3-428-48428-7 Generated for Universitaet Leipzig, Universitaetsbibliothek at 139.18.244.59 on 2021-03-23, 10:34:20 UTC FOR PRIVATE USE ONLY | AUSSCHLIESSLICH ZUM PRIVATEN GEBRAUCH

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Ästhetentums der Andern stilisieren. Als er ein unbedingter und aufrichtiger Katholik geworden war, offenbarte sich seine wissenschaftliche und politische Unproduktivität in einer billigen Hyperorthodoxie. I n alldem lag nichts wesentlich Individualistisches. Er war jederzeit bereit, sich selbst aufzugeben, doch wollte er wenigstens noch aus dem Affekt der Hingabe bedeutungsvolle Worte und Bilder gewinnen. Das war seine A k tivität. I m übrigen stand er jeder starken Suggestion sofort mit seinem Material zur Verfügung. Weil er ohne eignen Schwerpunkt war und auch durch sachliche Erfahrungen und eigne Verantwortlichkeit nicht gehalten wurde, trug ihn die Konsequenz der Anschauung, die ihn grade beeindruckte, leicht zu den äußersten Höhen ihres Programms. I n Göttingen wurde er Anglomane, in dem feudalen Milieu Berlins extrem feudal, i m klerikalen Kreise Wiens extrem klerikal. Z u m Teil manifestiert sich darin auch der subjektivistische Vorbehalt als Paradoxie: selbst in einem orthodoxen Milieu sucht er in der extremsten Orthodoxie den Anhaltspunkt für eine paradoxe Fronde. Weil ihn keine eigne soziale Substanz belastet, hebt er sich i m Bereich der Attraktionskraft einer sozial herrschenden Schicht von selbst in ihre Nähe; hier hat er dann die soziale Realität, deren Resonanz er bilden kann. Es wäre aber ein Irrtum, seinen verantwortungslosen Subjektivismus als aristokratischen Individualismus und seine Unfähigkeit zu einer größern, über den subjektiven Affekt hinausgehenden Gemeinschaft als aristokratische Exklusivität zu deuten. Wo ein politisches oder soziales Risiko damit verbunden ist, sind ihm die politischen „Enragés" aufrichtig unsympathisch. Er kann alles verstehen und beliebig gutheißen, weil ihm alles zum Material seiner ästhetischen Gestaltung werden kann. Der „Lehrer des Gegensatzes" war unfähig, einen andern Gegensatz als den eines ästhetischen Kontrastes zu sehen. Weder logische Distinktionen, noch moralische Werturteile, noch politische Entscheidungen sind ihm möglich. Die wichtigste Quelle politischer Vitalität, der Glaube an das Recht und die Empörung über das Unrecht, existiert nicht für ihn. Was er über Napoleon sagt, ist literarische Dämonisierung: die Völker fürchten nicht Bonaparte, schreibt er 1805, sondern das „Schicksal in ihm", und schließlich fehlt auch nicht die romantische Identifikation, die den politischen Komplex in eine subjektive „Elongatur" auflöst: Bonapartes Herrschaft bedeutet nur, daß „ w i r den Bonaparte, den w i r in uns tragen, überwinden lernen" (BW. Nr. 50, 51). Das Gefühl für das eigne Recht fehlt ihm ebenso wie jedes soziale Selbstgefühl. Er benutzt es einmal zu einer wirksamen Pose, u m den durch die Angriffe auf den Adel beleidigten Bürger zu spielen 97 . Daß

97 Vgl. oben S. 55.

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den Tirolern, denen trotz aller Garantien ihre Verfassung genommen wurde, ein Unrecht geschah und er selbst daran mitwirkte, hat er gar nicht bemerkt: er hatte Proklamationen und Zeitungsartikel zu stilisieren, deren Thema eben anders war. Das, was den Gedichten Arndts ihre Kraft gibt, der politische Haß, die Empörung über das Unrecht der Fremdherrschaft, fehlt in jeder romantischen Äußerung. Der klare Sachverhalt verwirrt sich allerdings oft dadurch, daß das intellektuelle Material, mit dem die politische Romantik sich umkleidet, von ihr nur in verarbeitetem Zustand übernommen wird. Aus dem unmittelbaren Eindruck einer politischen Tatsache entsteht vielleicht eine politische Lyrik oder ein Lied, aber noch nicht politische Romantik. Vielmehr müssen fertige Komplexe von Argumentationen, Bildern, von prägnanten oder richtiger suggestiven Wendungen vorliegen, an denen sich die spezifisch romantische Produktivität entfaltet, u m wenigstens äußerlich eine Kette von Schlüssen und Resultaten vorzubringen. Argumentationen, die sich bereits als solche formuliert haben, lassen sich akzentuieren und unterstreichen, rhetorisch tremolieren, „gegensätzisch" kontrastieren. So ist Adam Müller mit Burke verfahren. Was Gutzkow von Chateaubriand sagte, daß er der legitimistischen Partei nichts habe geben können als den Schmelz seiner Rede, gilt noch weit mehr von Adam Müller und, w o er politisch wird, auch von Friedrich Schlegel. Das neue historische Gefühl, das erwachende Nationalgefühl sind nicht der Romantik zuzurechnen; es ist so wenig von Romantikern erfunden oder geschaffen oder maßgebend beeinflußt worden, wie sie den Katholizismus geschaffen haben 9 8 . Wer Adam Müller über Burke sprechen hört, muß freilich glauben, Müller habe Burke überhaupt erst entdeckt und für Deutschland zugänglich gemacht; er führt sich als den Statthalter Burkeschen Geistes in Deutschland ein, obwohl neben den tüchtigen und bedeutenden Arbeiten von Brandes, Rehberg und Gentz sein Enthusiasmus für Burke in der Sache belanglos

98

Goyau, dessen Darstellung der Geschichte des deutschen Katholizismus i m 19. Jahrhundert wichtiger ist als zahllose literarhistorische Monographien, erklärt mit Recht den Übertritt des Grafen Stolberg (1800) für das entscheidende Ereignis, nicht den von Müller und Schlegel. Revue des deux mondes, 1. Februar 1918, S. 639; Γ Allemagne religieuse, 1.1, Paris 1905, p. 159, 252, 274. Müller sprach noch 1803 mit überlegener Geste von dem „guten Stolberg" (BW. Nr. 16), so wie er von dem „braven Nettelbladt" und andern sprach. Daß Maistre sich u m ein Buch wie die Elemente der Staatskunst nicht gekümmert hätte, ist bei seiner Antipathie gegen die deutsche Philosophie, gegen Herder, Kant, Fichte und Schelling selbstverständlich. Dagegen hat er Stolbergs Kirchengeschichte sehr geschätzt, vgl. Latreille, a. a. O., S. 70, 71,279. * https://doi.org/10.3790/978-3-428-48428-7 Generated for Universitaet Leipzig, Universitaetsbibliothek at 139.18.244.59 on 2021-03-23, 10:34:20 UTC FOR PRIVATE USE ONLY | AUSSCHLIESSLICH ZUM PRIVATEN GEBRAUCH

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i s t " . Man spricht heute noch in Deutschland von Burke als einer Vorstufe der Romantik, als ob Burke in der Romantik etwas anderes wäre wie Dante, Calderon, Goethe, ein großer Klang in dem Mischkunstwerk des romantischen Intellektualismus, eine romantische Figur, wie etwa Beethoven in Bettinas Briefromanen, ein Nebelbild, das sich mit andern, „wie Wolken ineinanderschmelzend" vermischt. Wenn Burke von der Dauer oder der nationalen Gemeinschaft redet und sich dabei zu einer großartigen Rhetorik steigert, so bleibt er immer der Staatsmann mit großer Verantwortlichkeit, der einem Publikum von normalen Menschen eine Sache demonstrieren und sie vor ihm vertreten will. Wenn Friedrich Schlegel sich für die Französische Revolution enthusiasmiert, so gibt er den Eindruck wieder, den eine verschiedenartige Lektüre und die Gespräche seiner Berliner und Jenaer Umgebung auf ihn gemacht haben, die Sache interessiert ihn nur als „Vehikel eines Gespräches". Das äußert sich dann in der occasionellen, drei heterogene, aber gleichzeitige und gleich starke Eindrücke mischenden, hochromantischen Kombination: die Französische Revolution, Fichtes Wissenschaftslehre und Goethes Meister. Er hatte eben Burke noch nicht gelesen. Wie w i r k t nun die Lektüre von Burke auf ihn? August Wilhelm Schlegel kannte Schriften von Burke seit 1791, wenigstens macht er in diesem Jahr seinen Bruder darauf aufmerksam. Inzwischen hatte auch Novalis Burke kennengelernt; er erwähnt ihn 1798 in den Blütenstaubfragmenten (Nr. 104), und der Aufsatz „Die Christenheit oder Europa" zeigt schon den Einfluß. F. Schlegel las Burke ungefähr Anfang 1799. Die Wirkung: es „würgt" ihn, auch einmal etwas so „Furioses" zu schreiben 100 . Wenn also Novalis von Burke sagt, dieser habe ein „revolutionäres" Buch gegen die Revolution geschrieben, so ist der Eindruck auf den Romantiker, auf Novalis, F. Schlegel und auch auf Adam Müller gut bezeichnet: revolutionär war damals noch gleichbedeutend mit romantisch, aber antirevolutionär konnte auch romantisch sein, 99

Rehberg war daher auch legitimiert, in seiner bereits zitierten Besprechung von Müllers Elementen der Staatskunst (Sämtl. Werke IV, S. 267) das vernichtende Urteil zu fällen: „ D e r Verfasser (Müller) kennt und lobt durchgehends die besten Schriftsteller. Sollte er aber nicht selbst fühlen, daß seine warme Empfehlung von Burkes Schriften eine Satyre auf seinen eignen Vortrag macht?" Er hat es nicht gefühlt, so wenig wie er die Satire auf sich selbst fühlte, als er Fichte und später Buchholtz (übrigens auch Bonald, Verm. Sehr. I, S. 393) Mangel an gründlichen w i r t schaftlichen Kenntnissen vorwarf. 100 Briefe an seinen Bruder, a. a. O., S. 17, 401. A m 26. August 1791 (S. 17): „ D i e ganze Sache intereßiert mich vornehmlich mittelbar nehmlich als Vehikel des Gesprächs mit sehr vielen Leuten." Rieh. Volpers, Friedrich Schlegel als politischer Denker und deutscher Patriot, Berlin 1917, S. 55, schreibt, w o h l versehentlich, „Kurioses".

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das heißt, man sah in beidem, in der Französischen Revolution wie in Burkes prachtvollem Pathos und starkem Temperament, ein Inzitament für ästhetische Bewunderung und Nachahmung. Die Sache, u m die es sich bei Burke handelt, sein historisches Empfinden, sein Gefühl für die nationale Gemeinschaft, seine Abneigung gegen das gewaltsame „Machen", alles, was bei ihm historisch und politisch ist, w i r d in eine andre Sphäre verlegt, romantisiert. Die Romantisierung geht vor sich ohne die Fähigkeit und ohne die Möglichkeit sachlicher Erwägungen: es ist der „fabelhafte" - damals sagte man „romantische" - Eindruck eines Menschen, eines geschichtlichen Ereignisses, einer philosophischen, künstlerischen oder literarischen Leistung. Neben der Französischen Revolution, Fichte und Goethe könnte daher auch Burke stehen; Adam Müller hat ihn ja wirklich so neben Goethe gestellt. Auch Napoleon oder Beethoven werden zu romantischen Figuren. Novalis konnte noch den Freund oder die Geliebte nennen. Schlegel und Müller machen ebenfalls beliebige Zusammenstellungen und Mischungen, aber die Romantisierung gelingt ihnen besser bei „Ideen", das heißt bei einem bereits in gedanklichen Formulierungen vorliegenden Material, das sie antithetisch ins Gegenteil verkehren, mit anderm Material kombinieren, wirksam stilisieren oder in ähnlicher Weise romantisch verändern. Es ist sowohl Rehberg wie Jean Paul aufgefallen, daß Adam Müller sich immer nur mit den größten und besten Schriftstellern beschäftigt und nur sie zitiert. Müller selbst scheint darin einen Beweis seiner eignen Größe gefunden zu haben, denn als er sich mit Buchholtz einließ, bemerkte er ausdrücklich, daß er nur ausnahmsweise, wegen der besondern Lage der Sache, eine Verteidigung des Adels gegen Buchholtz unternehme, an sich würde er das nur tun, wenn er Männer wie Burke oder Montesquieu zu Gegnern hätte. Doch beweist er mit dieser Anspruchsfülle so wenig einen besondern Reichtum an eignen Ideen, wie in seinem Leben das beständige Attachement an die adlige Gesellschaft einen eignen ökonomischen Reichtum oder eine soziale Geltung aus eigner Kraft beweist. Das romantische Interesse an berühmten Namen hat ein ganz anderes Motiv. Ein großer Name ist ein Reservoir von Suggestionen. Die Werke eines großen Mannes enthalten so viele Objektivationen geistiger Werte, daß man nur noch mit feinem Gefühl für ihre „Applikatur, ihren Takt, ihren musikalischen Geist, das zarte Wirken ihrer innern Natur seine Zunge oder seine Hand zu bewegen braucht, u m ein Prophet zu s e i n " 1 0 1 . Darin liegt auch ein bisher stets übersehner Grund für die romantische Neigung zum Katholizismus: in der katholischen Kirche und ihrer Theologie waren in einem Jahr-

101 Novalis, Monologe 1 (Minor I I , S. 18/19).

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tausend geistiger Arbeit alle menschlichen Probleme in der höchsten Form, die sie haben können, nämlich theologisch, erörtert. Das war ein mächtiges Arsenal von handlichen Begriffen und tiefsinnigen Formeln. Ohne sich i n die mühselige und undankbare Arbeit dogmatischer Untersuchungen einzulassen, gebrauchen die Romantiker jetzt, wie sie früher naturphilosophische Termini verwendeten, Worte wie Gnade, Erbsünde und Offenbarung als kostbare Behälter, in welche das romantische Erlebnis sich ergießt. Müller ist deshalb ein reinerer Typus des politischen Romantikers, weil er in höherem Maße als Schlegel oder die andern Romantiker eine spezifische Begabung hatte, die i h m die Technik der politischen Romantisierung sogar nahelegte. Seine „faculté maîtresse" ist das Rednerische. I n seinen musterhaften Perioden sind Beispiele eines bei canto der Rede, wie sie in deutscher Prosa kaum wieder vorkommen. Der Tonfall seiner sorgfältig vorbereiteten Vorlesungen ist auf die Dauer etwas gleichförmig, seine unerschütterliche Feierlichkeit und pedantische Eleganz mußten auf einen nervösen Menschen wie Brentano „eindärmicht" wirken. Aber i m Gespräch, wenn er sich an die Gedanken des Andern anlehnen konnte, in einem Kreise von Bekannten, deren freundschaftliche Sympathie und körperliche und geistige Nähe ihn belebten, in Briefen, bei denen er wußte, daß der Adressat von ihm eingenommen war, zeigt er einen bezaubernden Reichtum beziehungsvoller Worte und einen sichern Instinkt i m Gebrauch aller rednerischen Mittel, sogar eines unbewußten „Cursus", der einem Eingeweihten des Kurialstils Ehre gemacht hätte 1 0 2 . Wenn man dazu sein hellseherisches Gefühl für den Stil seiner Umgebung und eine unbegrenzte Fähigkeit zur Assimilation rechnet, so kann man das Entzücken verstehen, das so viele vornehme Menschen ausgesprochen haben. Bei

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Als Beispiele eines schönen cursus planus ( - u u - u ) möchte ich den Schluß der Briefe an Gentz, BW. Nr. 8, 9, 16, 35, 62, 86, 103, 106 (besonders schön) hervorheben; Nr. 55 und 107 enthalten Beispiele eines schönen cursus velox ( - u u - u - u ) . Was Dombrowsky über Adam Müllers Stil zusammenträgt, ist trotz allen Fleißes unzulänglich. Für die Entstehung und Entwicklung von Müllers Rhetorik kommen biographisch in Betracht: sein Oheim und Erzieher, der Prediger Cube, dann Einwirkung von Spalding, vielleicht auch Bouterweks Privatissimum „über den Styl", vor allem aber Theremin , der sich seit Jahren mit dem Studium der Beredsamkeit theoretisch und praktisch beschäftigt hatte und 1814 darüber ein Buch „ D i e Beredsamkeit eine Tugend" veröffentlichte. Müller hat in Berlin viel mit ihm verkehrt (vgl. die interessante, von Dombrowsky mitgeteilte Tagebuchnotiz des Grafen Loeben v o m 23. Febr. 1810, Euphorion 15 (1908), S. 575, und den Brief von Cl. Brentano an Arnim, v o m 10. Dez. 1812, bei Ernst Kayka, Kleist und die Romantik, Berlin 1906, S. 197 f.).

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Gentz, der selbst eine starke rhetorische Begabung hatte und hier ein oratorisches Talent fühlte, das ihm selbst vielleicht sogar überlegen war, steigerte sich das Vergnügen zu einem überschwenglichen Enthusiasmus, der seine Freundschaft mit Müller w o h l erklärt. So entstanden die Prädikate, mit denen er Müllers Ruhm bei den Zeitgenossen begründet hat: er nannte ihn „einen der größten Köpfe des Zeitalters" und „das erste Genie Deutschlands", Prädikate, die in ihrer Reklamewirkung so bedeutend waren, daß sie in die Artikel der biographischen Lexika und in viele beiläufige Erwähnungen übergegangen sind: Müller, das war der Mann, den Gentz das erste Genie Deutschlands genannt hat; wenn er noch 1919 als „der reifste politische Kopf der Romantik" erscheinen kann, so verdankt er es diesen suggestiven Prägungen seines guten Freundes Gentz. Was der junge Müller in Gesprächen, namentlich über seine „Lehre vom Gegensatz" bei Freunden wie Kurnatowski, Finkenstein, Peterson und bei dem, immer zu aufrichtiger Bewunderung seiner Freunde geneigten G e n t z 1 0 3 an Erwartungen erregte, war aber auch ungeheuer. Gentz mußte hier, ebenso wie andre, einen neuen Propheten sehn, den er zugleich für einen mächtigen Bundesgenossen hielt. Er betrachtete ihn allen Ernstes als den Mann, der Fichte, „diesen Baal", stürzen würde, und zwar durch die „Lehre vom Gegensatz", dieser, zum Unterschied von der Fichteschen, „großen und guten Philosophie". Der Haß, den Gentz, ein gebildeter Mensch des 18. Jahrhunderts, gegen den tobenden Ich-Imperialismus eines Philosophieprofessors empfand, ist erklärlich; auch Wilhelm von Humboldt wandte sich voll Widerwillen ab von dieser rasenden „Ideenjägerei" und sah darin eine Gefahr für das geistige Leben der Deutschen. Gentz sagt selbst, seine Ehrfurcht vor Müller habe mit seinem Haß gegen Fichte begonnen 1 0 4 . Müller ließ sich gern als den kommenden Propheten feiern und nährte die Erwartungen mit großen Andeutungen. Sein Büchlein „ D i e Lehre vom Gegensatz", das 1804 erschien, war dann allerdings eine schlimme Enttäuschung. Die oberflächliche und fragmentarische Berührung aller schwierigen philosophischen Probleme, die romantische Kombination Goethe-Burke, in der diese Philosophie gipfelte, mußten besonders einen erfahrenen und in der Kantischen Schule erzognen Mann wie Gentz arg befremden. Bei allem Enthusiasmus für den Freund war er doch zu klug, u m nicht zu sehn, wie mager die Philosophie des Gegensat-

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Den armen Karl Gustav von Brinckmann hat er als Dichter neben Racine genannt, den man nur durch einen Schrei der Bewunderung rühmen könne (W. I I , S. 237. Diesen Brief vergleiche man mit BW. Nr. 158, u m die Psychologie Gentzschen Lobes zu erkennen!). 104 Brief an Brinckmann vom 26. A p r i l 1803 (W. I I , S. 125).

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zes war, die ihn i m geselligen Gespräch, in der oratorischen Krinoline, so hingerissen hatte; er erklärte, jede Unterredung mit Müller sei i h m lieber als das Buch (BW. Nr. 17). Die gleiche Enttäuschung wiederholte sich nach jeder umfangreichern Publikation Müllers: nach den „Elementen der Staatskunst" (1809) und den „Versuchen einer neuen Theorie des Geldes" (1816). Darum lobte Gentz am liebsten die kleinern Aufsätze, wie in der „Pallas", die Gelegenheitsschrift zur Rückkehr des Königs von Preußen nach Berlin 1809, auch die „Notwendigkeit einer theologischen Grundlage", 1819, von der er schrieb: „Es ist leider nur ein Fragment; dieses Fragment aber enthält Abschnitte und Stellen, die in Deutschland mit nichts, und überall nur mit den besten Kapiteln des unsterblichen Maistre zu vergleichen sind. Selbst der Stil erhebt sich an vielen Orten über das Beste, was die Besten unter uns geleistet haben" 1 0 5 . Freilich, wenn man die wirkungsvollen Briefe Müllers betrachtet, die schöne Gebärde, mit der er auf den Beifall der Welt verzichtet, wenn dieser Beifall sich versagt, wenn er das Unverständnis der Welt womöglich noch durch größere Leistungen beschämen will, die ruhige Überlegenheit, mit der er den Beifall eines Arztes namens Langermann für wichtiger erklärt als den der Welt, wenn man sieht, wie er schon die romantische Einrede des Gesamtkunstwerks macht, indem er seine „Elemente der Staatskunst" als eine aus philosophischen, nationalökonomischen und theologischen Elementen zu einer höhern Einheit verbundene neue Gattung hinstellt, die zu kritisieren infolgedessen weder ein Philosoph, noch ein Nationalökonom, noch ein Theologe berufen sei, wenn dann immer neue Versprechungen und Andeutungen auftreten, denen ein guter Freund gern vertraute, so w i r d es begreiflich, daß Gentz noch 1823 glauben konnte, Müller sei der einzige, der einen Kampf mit Görres aufnehmen könnte; nur fügt er jetzt vorsichtig hinzu, daß er seinen Freund „nicht ohne Zittern und Zagen in diesen Kampf gehen sehn" würde.

los Brief vom 2. Jan. 1823, BW. Nr. 218; den Schluß des 15. Kapitels („Warum aber besteht nichtsdestoweniger eine gewisse Ordnung der Dinge?") hat Gentz als „unvergleichlich i m Rhythmus und schwer in jedem Gedanken" hervorgehoben; der ganze Abschnitt ist w o h l das beste Beispiel eines ausschließlich oratorisch determinierten Denkens, dabei i n der Stimmung so von Novalis ( „ w i r leben noch von der Frucht besserer Zeiten") und von Rousseau erfüllt (der einfache Landmann, der stille Handwerker usw.), daß es unvorsichtig war, hier an Maistre zu erinnern. - Übrigens schrieb Gentz zwei Jahre später, 1825, in sein Tagebuch, daß er von den Aufsätzen Görres' i m „Katholiken" „unbeschreiblich ergriffen" war, so daß er „seit Burke und Maistre nie etwas so Tiefes und Starkes gelesen zu haben glaubt". Müller erwähnt er hier nicht (IV, S. 2/3). I n der Wendung „Selbst der Stil" dürfte sich der eigentliche Grund des Enthusiasmus verraten.

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Die leere, mechanisch sich abwickelnde raison oratoire , die Taine in den Reden der Jakobiner findet, darf man mit den oratorischen Leistungen Müllers nicht einfach gleichsetzen, denn bei diesen handelt es sich u m eine blühende romantische Produktivität. Doch trifft manches, was Taine zur Charakterisierung der raison oratoire bemerkt hat, auch hier überraschend zu. „Toute cette philosophie écrite a été dite, et elle a été dite avec l'accent, l'entrain, le naturel inimitable de l'improvisation . . . tout y est arrangé, apprêté 1 0 6 . . . à peine s'il y rencontre un fait, un détail instructif." Es gibt wenig wirksame Stellen i n Müllers Schriften, die er nicht vorher in Gesprächen oder Briefen - bei ihm auch eine Form des Gesprächs - gefunden hätte. Daß Fichtes N i c h t - I c h das „nihil irrepraesentabile" sei, war z. B. an sich, nach der Lektüre von Kants „Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen", keine tiefsinnige Behauptung; ein philosophischer Fachausdruck, der als solcher eine gewisse esoterische Wirkung ausübte, wurde ins Gespräch geworfen. A u f Gentz machte das einen mächtigen Eindruck, wie aus seinem Brief an Brinckmann (vom 26. A p r i l 1803) zu entnehmen ist. Aber wie schwach w i r k t die gleiche Stelle in dem größern Zusammenhang der „Lehre vom Gegensatz", und in welch vorsichtigen Wendungen w i r d auf den gefährlichen Gegner Fichte angespielt 107 ! U n d wie peinlich w i r k t ein praktisches Detail

106

Das Wort „Appretur" ist Gentz in den Grattenauerschen Schriften gegen die Juden zuerst aufgefallen; er hat es lebhaft aufgegriffen, findet es vortrefflich und „der Unsterblichkeit wert" (Brief an Brinckmann v o m 8. O k t . 1803, W. I I , S. 165). Müller verwertet es denn auch (10. Rede über die Beredsamkeit, S. 209: „ D e n n es gehört eine künstliche Appretur der Geister, eine verdrehte, verzerrte Bildung eines ganzen Geschlechtes dazu" usw.), er empört sich, wie über den privaten Ästhetizismus, so auch über das „Appretierte" der Zeitkultur, obwohl es kaum ein Prädikat gibt, das ihn selber so total kennzeichnet: alles ist wohlpräpariert, mit subtiler Psychologie auf den Eindruck berechnet; in seiner Haltung, seiner Sprache, seiner Kleidung war von romantischer Unmittelbarkeit so wenig zu bemerken wie von Ironie. Doch bleibt bestehen, daß er i m Gespräch seine eigentliche Produktivität entwickelte. Interessant ist dafür das Zeugnis von Franz Gräffer i n seinen „Kleinen Wiener Memoiren" (Zweyter Theil. Wien 1845, S. 67): „ A d a m Müller hatte den Ruf vortrefflich zu sprechen. I n der That war es ein Hochgenuß, diesen Mann reden zu hören, es sey über was immer. Leicht, blühend, scheinbar gewählt und doch höchst populär, sicher, glücklich, effectvoll; nicht die entfernteste Spur oratorischer Absicht. So wie er sprach, schrieb e r . . . " . 107

Lehre vom Gegensatz, S. 49 und 108, der Brief von Gentz: W. I I , 125. Fichte ist erwähnt: in der Vorrede (als Revolutionär), S. 77 (die außerordentlichen Arbeiten von Fichte, Friedrich Schlegel, Schelling und Schleiermacher, „den eigent-lichen Helden der wissenschaftlichen Revolution"). Vgl. auch Phöbus, 1. Heft, S. 52 (Fichtes falsche Popularität), Idee der Schönheit, S. 76, 80, 85, Elemente, S. 19,

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in den „Elementen der Staatskunst", wenn nach den großspurigen Generalisationen, nach Worten von Idee, Dauer, wahrer Staatskunst einmal eine kleine praktische Probe gemacht wird: die Majoratsgesetze aufzuheben, sagt er, verstößt gegen den bestehenden Rechtszustand, dieser ist aber der wahre Rechtszustand, weil er mit dem wahren Nutzen identisch ist und weil ich das respektieren muß, „was die Enkel unter meinen Zeitgenossen als Erbe ihrer Ahnherrn genießen". Bei der Aufhebung der bäuerlichen Gemeinheiten dagegen verhält sich die Sache anders. Warum? „ D i e augenscheinliche Vermehrung des reinen Einkommens einer Nation spricht für die Aufhebung; ein altes Gesetz spricht dagegen, doch ein Gesetz von viel geringerm Umfange als jenes, welches gegen die Aufhebung der Majorate sprach. Gewohnheit, Starrsinn des Bauern stellen sich auf die Seite des Gesetzes; doch der unmittelbare Vorteil kann hier den Sieg über ein beschränktes und ohnmächtiges Gesetz davontragen" 1 0 8 . Das ist die ganze Argumentation. Es ist kein Wunder, daß Rehberg und Raumer, die mit den praktischen Schwierigkeiten der Frage vertraut waren, das als Schwätzerei verachteten und darin einen billigen Sophismus sahen, den ein Rhetor seiner adligen Kundschaft servierte. Neben dieser Abneigung gegen das konkrete Detail, die dem alten rhetorischen Grundsatz entsprach, daß der Redner immer nur in Generalisationen sprechen dürfe, hatte Müller noch zwei oratorische Besonderhei-

107 (wieder gegen den geschlossenen Handelsstaat), Vorlesungen über Friedrich II., S. 137 („Was ist das Anziehende z. B. an Fichte, der mit Recht unwiderstehliche für seine Schüler?" A n t w o r t : „die unaufhörlich militärische Disposition seines Gemüths"). Daß in den Vorlesungen über die deutsche Wissenschaft und Literatur (Dresden 1807, S. 66) Fichtes Satire auf Nicolai „trotz seiner cynischen Ungebundenheit und Härte, das Meisterstück deutscher Polemik" genannt wird, ein „Probestück deutscher Kraft", empfand Gentz (BW. Nr. 115) „schmerzhaft"; es beweist aber, außer der Abhängigkeit von den Schlegels, Müllers Respekt vor Fichte, mit dem noch einmal so wie 1801 anzubinden, er sich w o h l hütete. Damals (im Dezemberheft der Berliner Monatsschrift, 1801) hatte er Fichte Mangel an wirtschaftlichen Kenntnissen und Erfahrungen vorgeworfen; der Vorwurf war berechtigt, nur war der junge Berliner Dilettant der letzte, der legitimiert war, ihn zu erheben; denn soweit er nicht überhaupt mit Fichte übereinstimmt, ist der Artikel ein Nachhall dessen, was M . von Gentz und in Göttingen gehört hatte (vgl. Gentz, Hist. Journal I I , 3,1800, S. 749, Anm. und Gött. gel. Anz. vom 23. Februar 1801, S. 313 f.; Verfasser dieser letzten Besprechung des geschlossenen Handelsstaates - des „großen Zuchthauses", wie er dort heißt - ist Rehberg, vgl. dessen Sämtl. Schriften IV, S. 309-313). 108

Elemente I, S. 89/90, vgl. auch Friedrich II., S. 99, Deutsche Staatsanzeigen I I , S. 33.

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ten, die in seinen Ausführungen oft so stark hervortreten, daß der sachliche Inhalt auf weite Strecken verschwindet. Das ist einmal seine Neigung zu Superlativen, die, an sich eine Nachwirkung der ciceronianischen Tradition, bei ihm daraus zu erklären ist, daß er jedes prägnante Wort seines gegenständlichen Inhalts beraubt. Es figuriert nur noch als Ornament und soll durch die superlativische Auftreibung wieder eindrucksvoll werden. Wie in konventionellen Redewendungen, in Briefschlüssen und ähnlichen Fällen, die Superlative (ergebenst, herzlichst, aufrichtigst, gehorsamst, gütigst) mit psychologischer Notwendigkeit auftreten, so dominieren sie bei vielen Romantikern infolge sachlicher Inhaltslosigkeit und „geselliger" Einstellung. I n ungeheuren Mengen erscheinen sie bei Müller, in den Vorlesungen und Briefen oft zu Dutzenden 1 0 9 . Es gibt Superlative, bei denen sich der Gedanke nicht genug tun konnte mit dem bloßen Positiv, auf der Stelle rotiert und sich zum Superlativ erhitzt; w o es genügt hätte, vom Wesen i m Gegensatz zum Unwesentlichen zu sprechen, sucht sich die abstrakte Vorstellung dadurch eindringlich zu machen, daß sie vom innern Wesen, dann vom innersten und schließlich vom allerinnersten Wesen spricht, ohne selbstverständlich den Gedanken dadurch zu steigern. Bei Fichte wimmelt es von solchen Beschwörungen wie „schlechthin", „durchaus", „nichts anderes", „eigentlich", „rein", „nur", „allein", „absolut", „unbedingt"; er weiß z. B. „ m i t absoluter Evidenz", „daß man nur durch das eigentliche, reine und wahre Denken, und schlechthin durch kein anderes Organ, die Gottheit und das aus ihr fließende selige Leben ergreifen und an sich bringen kann". Bei Fichte entspringt das dem Streben, die andern Menschen zu seinen Gedanken zu zwingen, es war der despotische Drang nach Überwältigung und vernichtender Beweiskraft. Bei 109

U m als Beispiel einen der bessern kleinen Aufsätze herauszugreifen: in dem Artikel über Franz Horner ist die Rede von dem „ausgezeichnetsten Schüler", den „innersten und wesentlichsten Interessen von Europa", dem „strengsten und unauflöslichsten Knoten", den „wesentlichsten Geschäften", dem „angemessensten Licht", in das die Verdienste gesetzt werden, bis der schöne oratorische Schlußsatz den Artikel beschließt: „ . . . die letzten Kräfte des hinsinkenden Körpers auf diese Weise einem der tiefsinnigsten Probleme der Wissenschaft so wie den erhabensten Interessen seines Vaterlandes geopfert zu haben, ist der bleibende Nachruhm unseres Horner." Zeitgenossen, Biographien und Charakteristiken, Leipzig 1818, I I I . Bd. 4, S. 128. I m I. Teil (1816) hatte Müller (S. 12) den Aufsatz „Franz I. von Österreich" veröffentlicht. (Der Aufsatz ist T-Z gezeichnet und in Müllers Gesammelte Schriften, München 1837, I, S. 377 - 408 aufgenommen.) Der Herausgeber, Prof. Koethe, versah Müllers Ausführungen mit einer Vorrede, in der wenigstens die wichtigsten Daten aus dem Leben des Kaisers mitgeteilt waren, denn Müllers schön stilisierter Panegyrikus enthielt kaum eine Angabe, die einen Leser, der sich über das Historisch-Tatsächliche zu unterrichten sucht, interessieren könnte.

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Müller sind die Superlative nur phonetische Steigerungen oder rhetorische Ausrufungszeichen. Sie verbinden sich öfters mit einem zweiten, ebenfalls oratorischen M i t tel, der dreiteiligen Umschreibung, die man den Müllerschen Ternar nennen könnte, weil sie bei ihm so auffällig überwiegt. Auch hier lassen sich Hunderte von Beispielen geben. „Schönes, freies und lebendiges Leben", „Milde, Schonung, Toleranz", „Tadelsucht, Intoleranz, Unglaube", „von der Flamme des Witzes verzehrt, vernichtet, geopfert", „auch in der höchsten, ernsthaftesten, innigsten Hingebung", „das echte, reine, unschuldige Komische", „was ist das Allerheiligste, was ist die höchste Schönheit, was ist die reinste Wahrheit anderes als . . . " , „das Gewaltige, Freie, Üppige" (als Charakteristikum des Romantischen), das „Umsichtige, Elegante, Taktvolle" (als Kennzeichen der französischen Klassik), die „Unschuld, Fülle und Deutlichkeit des Homer", die „gezirkelte, geschweifte, geschliffene Geschwätzigkeit des Cicero", der „bewegteste, zarteste, geflügeltste Geist der alten Welt" (Plato) usw. 1 1 0 . Zuweilen wechselt das ab mit binarischen Bewegungen, es bleibt aber immer ausschließlich von rhythmischen, akustischen oder andern oratorischen Gesichtspunkten bestimmt und entwickelt sich i m Lauf der Jahre von einem jugendlich unbeholfenen Ciceronianismus zu einer geschmackvollen Gravität 1 1 1 . N u r als oratorische Leistung darf man Müllers Argumentation beurteilen. Die Antithesen, die er vorträgt, sind keine sachlichen Unterscheidungen oder Gegensätze, die Superlative keine inhaltlichen Steigerungen und der „Ternar" keine Häufung von Gedanken, sondern von Worten. Die Gegensätze sind rhetorische Oppositionen, oratorische Pendants, die mit Hilfe des Rhythmus und der Klangwirkung eine suggestive Wirkung haben können. So rechtfertigt sich die hochromantische Aufstellung und Vermengung aller möglichen „Gegensätze": Mann und Weib, Stadt und Land, Adel und Bürgertum, Oberhaus und Unterhaus, Leib und Seele, Person und Sache, Raum und Zeit, Innerlichkeit und Äußerlichkeit, Vergangenheit und Zukunft, Augenblick und Dauer, Recht und Nutzen, Theorie und Praxis, romantisch und klassisch, germanisch und römisch, Orient und Occident, Luft und Erde usw. Sie werden vertauscht, bald als parallele Kontraste, bald als Gegensätze, bald als Identitäten behandelt, und bleiben immer nur Töne und Akkorde, die sich mischen, konstrastie110

Die i m Text zitierten Beispiele sind dem 4./5. und dem 6. Stück des Phöbus entnommen (= Verm. Sehr. I I , S. 165, 214 f.). 111

Was an Müllers sprachlichem Stil wertvoll ist, bleibt ganz i m Rahmen des Klassischen, einen neuen romantischen Sprachstil als neue Form hat er so wenig geschaffen, wie die Romantik auf andern Gebieten eine eigene große Form fand.

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ren oder harmonieren, je nach dem oratorischen Effekt i m einzelnen Falle. Er braucht ein dramatisches Bild, u m den Zusammenhang von Vergangenheit und Gegenwart, der selbst wieder für ihn nur ein Bild ist, zu illustrieren: gleich entsteht ein neuer „Gegensatz": Mensch und Erde, die Erde ist der Feind des Menschen, sie zerstört, was er aufgebaut hat, die verschiedenen Generationen der Menschen sind in diesem Krieg Alliierte, nachdem sie früher als Gegensatz von Jung und A l t fungiert hatten. Einen „Krieg" führt aber auch der Privatmann mit dem Staat, ja die Revolutions- und die Napoleonischen Kriege sind „nur ein Sinnbild" dieses in jedem Staat sich abspielenden innern Krieges (Friedrich II., S. 27); zwischen Privat- und öffentlichem Leben, zwischen Besitztümern und Gesetzen, zwischen Schuster und Leder herrscht „Krieg". Der Krieg ist bald der Vater aller Dinge, bald das Böse, bald muß der Staat in jenem Kampf mit dem Privatmann siegen, bald ist er selbst nur der Hallersche Privatmann. Das alles ist nur „raison oratoire" und hat mit Philosophie oder Staatswissenschaft nur insofern zu schaffen, als es deren Termini für eine romantische Produktivität verwertet. I n der Besprechung der „Lehre vom Gegensatze", die 1805 in der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung erschien (Nr. 106, S. 238), ist richtig bemerkt, in einer Lehre vom Gegensatz habe die U n terscheidung von ausschließenden und nicht ausschließenden Gegensätzen nicht fehlen dürfen. Aber mit solchen elementaren logischen Voraussetzungen gab sich der Verfasser nicht ab. I h m kam es darauf an, zu sprechen und in der schönen Bewegung eines geselligen Gesprächs zu schweben. Er kann auch gar nicht anders denken als i m Gespräch. Das Wort „Gespräch" - die Bezeichnung einer besondern A r t von romantischer Produktivität, die irgendeinen Gegenstand zum Anlaß eines geselligen „Wortspieles" nimmt - kehrt unermüdlich bei ihm wieder. Schon in der Vorrede zur Lehre vom Gegensatz bedauert er, daß „kein zusammenhängendes Gespräch über ganz Europa" sich vollendet, in allen Versionen wiederholt es sich, selbst in dem Memoire über die Redaktion eines preußischen Regierungsblatts kann er es nicht unterdrücken: die Regierung führt mit der Opposition ein „Gespräch". Hier zeigt sich die Romantisierung der liberalen „Diskussion" und „Balance", gleichzeitig die liberale Herkunft dieser Romantik. I n der „Lehre vom Gegensatz" hat sich diese Struktur seiner geistigen Produktivität bereits enthüllt. Er setzt auseinander, daß jede Idee sich von Anfang an als Gegensatz konstruiert und infolgedessen die Antithese nicht etwa bloß eine Hauptfigur der Rede sei, sondern „diese ist, insofern sie vollständig lebendig ist, durchaus und bis ins Unendliche antithetisch"; denn „der Hörer ist der wahre Anti-Redner" (S. 38). Der Redner muß sich als Hörer denken, der Hörer als Redner, man kann beide

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Rollen vertauschen wie Subjekt und Objekt, positiv und negativ usw. Das ist die ewige Wechselwirkung, von der er immer spricht, das heißt es bei ihm, wenn er das Leben „ i m Fluge erfassen" w i l l ; es hat weder mit Schelling noch mit Bergson eine geistige Verwandtschaft 1 1 2 , sondern bedeutet: die Gegensätzlichkeit von Rede und Widerrede ist Anlaß romantischen Erlebens. Sein großes Argument, das er so häufig geltend macht: i m A n fang war nicht ein einzelner Mensch, sondern eine Gemeinschaft, bedeutet, daß für ihn alles Anlaß eines Gesprächs werden kann. Seine Widerlegung des „berühmten Mißverständnisses von einer absoluten Identität des Subjekts und Objekts" (S. 41) besteht in der Exemplifizierung eines Gesprächs, an dem ja auch notwendig zwei beteiligt sein müssen, der Redner und der Hörer. Die Eins ist daher nur eine „gestätigte Zwei". Der Künstler führt mit dem Betrachter des Kunstwerks ein Gespräch und, da Natur und Kunst dasselbe sind, auch die Natur mit dem Menschen. Jede Blume, jedes Bild w i r d Partner einer Unterredung und ist bald Hörer, bald Redner; die ganze Welt, das Universum ist ein Gespräch, so daß gelegentlich der Anschein entsteht, dies Denken und Fühlen sei soziologisch orientiert gewesen, weil es - für einen Romantiker ein seltner Fall - Verständnis hat für Reziprozität und dafür, daß der Mensch nicht allein auf der Welt ist. Aber diese menschliche Gemeinschaft hat nur das romantische Gespräch zum Inhalt. Müller hat, trotz der Ablehnung des Schellingschen Identitätssystems, das er unter diesen Verhältnissen nicht verstehen konnte, von Schelling wie von zahlreichen andern Eindrücke und Wendungen übernommen und dadurch den subjektiven Occasionalismus seiner Geistesart verdeckt. Es wäre ganz unrichtig, hier von Dualismus oder Monismus zu 112

Über die Zusammenhänge mit Schelling äußert sich das eingehende, aber trotzdem unzulängliche Buch von Arno Friednchs, Klassische Philosophie und Wirtschaftswissenschaft, Gotha 1913, S. 117f.; S. 160 w i r d der gesellige, ästhetizistische Conférencier Müller ein „einsamer politischer Denker" genannt. Das Buch ist ein Beispiel subromantischer Kritiklosigkeit. Aber selbst ein guter Philosoph wie Metzger hört (a. a. O., S. 260) aus Müllerschen Gegensätzen Hegels „spekulativen Begriff" heraus und erwähnt - weil er den Begriff der occasio nicht kennt sogar E. Cassirers Unterscheidung von Substanz- und Funktionsbegriffen. I n der Tat gibt es kaum einen Gedanken, an den Müllers Worte nicht anklingen könnten, auch an soziologische und pragmatistische Ideen, gleichzeitig aber z. B. auch an Husserls Philosophie der Arithmetik, denn aus der Lehre v o m Gegensatz, S. 62 68, kann man eine Kolligierungstheorie herauslesen; freilich auch ihr Gegenteil. Das ist eben die romantische Leistung, alles als occasio einer vieldeutigen Phantasie zu nehmen. Wer statt dessen jedes Wort eines Romantikers in der Sache ernst nimmt, hat es dann leicht, Entdeckungen zu machen. Vielleicht untersucht einmal jemand die Briefe der Bettina auf die Worte Staat und Volk und präsentiert uns eine „Staatsphilosophie der Bettina" !

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sprechen, denn Dualismus und Monismus sind hier keine Gegensätze, weil die Gegensätze selbst keine Gegensätze sind, sondern nur Anlässe. Kein Begriff behält seine Form, alles löst sich auf in oratorische Musik. Den Redner kann man sich in einem „Krieg" mit dem Hörer denken, er steht ebensosehr in einem friedlichen Zusammenhang mit ihm, sonst wäre das Gespräch nicht möglich; die Gegensätze werden sofort vermittelt und überbrückt, es erfolgt beständig eine Verständigung. „ D i e Gemeinschaft", die tatsächlich immer supponiert wird, ist die unmittelbare, körperlichseelische Nähe von Freunden und Gleichgesinnten, in der unbedenklich vom „wahren" Begriff i m Gegensatz zum falschen gesprochen werden darf, ohne daß es notwendig wäre, sich in umständliche begriffliche oder sachliche Demonstrationen einzulassen. I n seinen Reden über die Beredsamkeit hat Müller die Beredsamkeit als etwas Männliches, auf Tätigkeit und Entschluß Hinzielendes, der Poesie als dem Weiblichen entgegengestellt. Das ist zunächst nur ein Fall seiner oratorischen Kontraste, und es versteht sich beinah von selbst, daß er, wäre seine Begabung eine dichterische gewesen, in der poetischen Produktion als einer schöpferisch-generierenden Tätigkeit etwas Männliches i m Gegensatz zu der in funktioneller Abhängigkeit von einem Publikum stehenden Beredsamkeit gefunden hätte. I n den Reden klingt aber eine ergreifende Klage durch, daß die Deutschen ein schreibendes und daher ein stummes Volk seien 1 1 3 , die Klage des gebornen Redners, der zu keiner andern großen Rede kommt als zu Reden über Beredsamkeit und dessen Begabung unter den politischen Verhältnissen der Zeit überhaupt nicht weiter ging als bis zu bescheidenen Höhen der Beredsamkeit von Freundesgesprächen und geselligen Zirkeln. Die Reden werden getragen von der Sehnsucht nach wirklichem politischen Leben, aber sie sind nur oratorische Gestaltungen dieser Sehnsucht, aus dem engen Rahmen des romantischen Mitfühlens herauszukommen. I m übrigen enthalten sie literarische Kritik. Da Friedrich Schlegels staatsphilosophische Bemühungen, auch soweit sie nicht nur Umschreibungen des kirchlichen Naturrechts enthalten, politisch ohne jede Originalität sind, hat man sie, w o nicht literarhistorische Interessen maßgebend waren, mit Recht kaum neben Adam Müllers Veröffentlichungen beachtlich gefunden 1 1 4 . Müllers Staatstheorie aber anders 113

Z w ö l f Reden über die Beredsamkeit und deren Verfall in Deutschland, gehalten zu Wien i m Frühling 1812 von Adam Müller., Leipzig 1816. Die Abneigung gegen das schreibende und publizierende Deutschland hat hier den Ton aristokratischer Überlegenheit; das war eine Gebärde, die er Leuten wie Steigentesch nachmachte. 114

Metzger, a. a. O., S. 258, S. 259: „Wahrend nun in diesen Gedankengängen Friedrich Schlegels, nüchtern und erbaulich, wie sie vorgetragen werden, von dem

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als ästhetisch-stilistisch zu schätzen, ist unmöglich, sofern auch nur die bescheidensten Ansprüche an Sachlichkeit und Kohärenz gestellt werden. Instinktlos und verworren ändert er seine Ansicht, ohne das geringste Gefühl für Konsequenz, aber mit prachtvollen Worten über ihre Notwendigk e i t 1 1 5 , fügt nach jedem neuen Eindruck neue heterogene Elemente in seine Produktionen ein und findet sich überall bestätigt, mag ihm, dem „Globularphilosophen" der Gegensätze, nun Bonald, Maistre oder Haller begegnen. I n den „Elementen der Staatskunst" hatte er den Individualismus des 18. Jahrhunderts mit hämischem Spott auf die liberale preußische Bureaukratie verworfen, begeistert hatte er von dem Alles, und zwar Alles mit Liebe beanspruchenden Staat gesprochen, aber erst nach der Lektüre Hallers bemerkte er, was er schon bei Burke hätte finden können, daß diese Übersteigerung des Staates und diese Verachtung des Privatrechts revolutionärer Jakobinismus war. Jetzt half er sich - ein schönes Beispiel romantischer Umkehrung - dadurch, daß er jedes Individuum zum Staat erklärte; nunmehr setzt sich der Staat aus Staaten zusammen, wie nach der alten individualistischen Auffassung aus Individuen; der Zweck, das einzelne Individuum vor der Willkür des Staates zu sichern, der früher als ein verächtlicher Egoismus erschienen wäre, ist dadurch erreicht, daß auch das Individuum als Staat behandelt wird, und wenn für Haller alles Recht Privatrecht ist, ohne daß zwischen Staatsrecht und Privatrecht ein qualitativer Unterschied wäre, so ist für Müller eben alles Staatsrecht, das heißt „ i n Wahrheit" auch Privatrecht. Über die „Positivität" des Rechts hatte er in den Elementen der Staatskunst einige unklare Reminiszenzen aus der Nettelbladtschen Schule - freilich unter überlegner Geringschätzung des „braven Mannes" - vorgetragen; er hatte gegen das Naturrecht geltend gemacht, es sei doch überall ein „ L o k a l " , ein positiver Fall, der sein natürliches Gesetz in sich habe, mit andern Worten: das Natur recht widerstrebe der „ N a t u r der Sache" 116. Das Naturrecht war ihm nicht natürlich genug,

lebendigen Geiste romantischen Fühlens und Denkens eigentlich nicht mehr viel zu spüren ist, treffen w i r i n Adam Müller auf einen Charakter von typisch-romantischem Gepräge, auf den romantischsten aller deutschen Staatstheoretiker." U n richtig S. 254, w o von dem „sittlichen Rechtsgefühl" die Rede ist. Das ist etwas romantisch Unmögliches; richtig folgt denn auch die pantheistische „unendliche Urkraft der göttlichen N a t u r " . 115

I n dem Aufsatz über Franz Horner ( „ A l l e politischen Untersuchungen, mit strengster Konsequenz auf eine gewisse Höhe getrieben, führen zu einer Stelle, w o der Mensch auf allen Schritten mit seiner ganzen Person zahlen muß"); vgl. auch Theol. Gründl. Kap. I X und X , w o die Konsequenz das Wesen des Rechts genannt wird.

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d. h. ähnlich wie Rousseau aus der Natur eine konkrete Idylle, macht er aus der Natur etwas Poetisch-Konkretes, das „Lokal". Er hatte gezeigt, daß er überhaupt jeder Abstraktion unfähig war, denn ihm war schon jedes Gesetz, nicht nur das Naturrecht, ein totes Wort, weil jeder konkrete Fall anders sei als das Gesetz, unter das es subsumiert werde. Seinen Sensualismus, der sich hier in der Unfähigkeit zu einem logischen Begriff und einer moralischen Normierung äußert, identifizierte er dann 1819 mit Hallers Realismus und erkannte jetzt das „Recht des Stärkeren" als das „natürliche" Recht an, das nur durch ein theologisches Naturrecht beseitigt werden könne. I n der „theologischen Grundlage" finden sich aber nicht nur Annäherungen an Adam Smith - Müller war ja unversehens wieder Individualist geworden - , auch Rousseaus „stiller Landmann" erscheint wieder, also das, was er in den Artikeln des „Boten von Südtirol" gegen den Demagogen Görres nur als das „sogenannte" Volk erwähnt hatte. Für eine derartige romantische Vorstellung hätte Maistre am wenigsten Verständnis gehabt. Trotzdem fühlte Müller sich mit Maistre einig, der unverbesserliche deutsche Gefühlspantheist in seinem alles vermittelnden Verständnis für alles, mit dem tiefen skeptischen Pessimismus des illusionslosen Diplomaten und dessen Grundsatz, der die ganze Romantik 116

Elemente I, S. 57 - 59: „ W o ein Lokal ist, ein positiver Fall - und der ist doch w o h l überall - , da ist auch unmittelbar ein Gesetz." Eine Seite vorher: „Wer sich das Recht denkt, denkt sich unmittelbar eine bestimmte Lokalität, einen bestimmten Fall, wofür es Recht ist; das ist der natürliche, schöne Drang des lebendigen Menschen nach lebendiger Erkenntnis. Wer ein Gesetz, wie es da i n Buchstaben hingeschrieben steht, erkennt, der hat den Begriff des Gesetzes, d. h. nichts als ein totes Wort; wer es in der Anwendung oder, was dasselbe sagen w i l l , in der Bewegung sieht, der hat ein Drittes, weder bloß die Formel noch bloß etwas Positives oder einen bestimmten Fall. U n d jenes Dritte, das ist nun die Idee des Gesetzes, des Rechtes, die nie abgeschlossen oder fertig, sondern in unendlicher, lebendiger Erweiterung begriffen ist." Das Positive, von dem Müller spricht, ist der konkrete Fall, auf den das Gesetz (die tote Formel) angewandt wird; was bei Locke „occasional judgment" i m Gegensatz zum generellen Urteil des Gesetzes heißt; es scheint sich also u m ein Problem der Gesetzesanwendung zu handeln, und zwar w i r d gesagt, das Gesetz gewinnt Leben i n dem Augenblick, in dem es angewandt wird, aber auch hier ist das occasionalistische Denken noch erkennbar; Lokal und Gesetz werden als Gegensätze hingestellt, die Idee als das Höhere, Dritte, betätigt sich anläßlich des Gegensatzes. Nach S. 59 (dagegen z. B. 182!) hat der positive Fall sein Gesetz unmittelbar in sich; es heißt dort sogar, daß der Mensch „ i m natürlichen Zustande - d. h. solange ihn noch keine falsche und tote Theorie, wenn nicht zerstört, so doch verzogen hat - immer Gesetz und Fall zugleich, oder (!) ein D r i t tes, das höher als beides ist, empfindet, nämlich die Idee". Die Quellen dieser Sätze sind: Novalis, Schelling und Hugo. Daß alle Wahrheiten „lokal" seien, war eine auch bei der Rahel beliebte Wendung. 10 C. Schmitt, Politische Romantik https://doi.org/10.3790/978-3-428-48428-7 Generated for Universitaet Leipzig, Universitaetsbibliothek at 139.18.244.59 on 2021-03-23, 10:34:20 UTC FOR PRIVATE USE ONLY | AUSSCHLIESSLICH ZUM PRIVATEN GEBRAUCH

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aufheben m u ß t e , daß n ä m l i c h der M e n s c h i n seinem W i l l e n u n d seinen T r i e b e n böse u n d n u r d u r c h seine I n t e l l i g e n z g u t s e i 1 1 7 . M ü l l e r s Schrift ü b e r die N o t w e n d i g k e i t

einer t h e o l o g i s c h e n G r u n d l a g e der

gesamten

Staatswissenschaften löst sich auf i n eine aus heterogenem M a t e r i a l gef o r m t e oratorische E i n k l e i d u n g des ganz substanzlosen A f f e k t u r t e i l s : der w a h r e Staat, das ist der w a h r e Staat. A u s d e n leeren K r e i s e n dieser leeren B e j a h u n g e n u n d V e r n e i n u n g e n k o m m t sie d u r c h keine sachliche oder begriffliche E r ö r t e r u n g heraus. D e s h a l b w i m m e l t es v o n diesen S y n o n y m e n f ü r das „ W a h r e " u n d das „ F a l s c h e " : das Lebendige, das Echte, N a t ü r l i c h e , C h r i s t l i c h e , Geschichtliche, Dauerhafte, i m Gegensatz z u m T o t e n , M e chanischen, Schimärischen, Gleisnerischen, H e i d n i s c h e n , U n n a t ü r l i c h e n , u n d z u m Surrogat (ein bei M ü l l e r besonders beliebtes W o r t , das schon Schlegel gegen K a n t gebraucht hatte u n d das w ä h r e n d der K o n t i n e n t a l sperre, als m a n ü b e r a l l Tee-, Kaffee-, Z u c k e r - u n d andern Surrogaten begegnete, n a t ü r l i c h allgemein i n S c h w u n g k a m ) , K a r i k a t u r , Z e r r b i l d , Parodie, Bastard u s w . 1 1 8 . Sie s i n d die n o t w e n d i g e M o n t u r

romantischen

117

Du Pape I I , Cap. I (2. ed. p. 211): L'homme en sa qualité d'être à la fois moral et corrompu, juste dans son intelligence, et pervers dans so volonté, doit nécessairément être gouverné." Beiläufig sei erwähnt, daß die von Schlegel übernommene Geschichtskonstruktion, die das römische Volk und seine K u l t u r und Sprache als beschränkt, privatrechtlich-individualistisch, mechanisch, ablehnte, wobei es sich augenscheinlich u m eine unklare, affektmäßige Identifikation mit dem „Conquerantenstaat" Frankreich handelt (Elemente I I , S. 46 f.), vor der Bewunderung, die Maistre bei jeder Gelegenheit für lateinisches Wesen aussprach, stillschweigend verschwand. Maistre rühmte die Erhabenheit dieses königlichen Volkes und seiner Sprache „née pour commander", dieses Zeichens der europäischen Zivilisation, kurz, was Gobineau später bei den Germanen bewunderte, hatte er schon für die Römer vindiziert. ne Wenn man die Schrift durchgeht, findet man der Reihe nach folgende Beispiele, in denen sich die Quasiargumentation bewegt (vgl. oben S. 108): der unnatürliche und tote Begriff des Staates; der wahre Gott; die Schimäre des absoluten Staates; die Abgötterei mit den Begriffen Staat, Gesetz und Vernunft; der eitle Wahn des falschen, selbstsüchtigen, heidnischen Wissens (im Gegensatz zum wahren Wissen); der „reine Staat" als Surrogat der Kirche; die wahre Kraft und Hoheit des Menschen; die rechte Würde und Wesentlichkeit der Menschheit; der falsche Staatsbegriff; die Wesenheit des wahren und wirklichen Staates; der wesenlose Begriff des Staates; das wahre Staatsrecht; der Wahn der Souveränität; die Surrogate Staat, Gesetz, Volk; der tote Staatseinheitsbegriff; die reale kräftige Freiheit (im Gegensatz zur falschen Freiheit); die sogenannte Souveränität; das Trugbild der Allmacht, die Schimäre Volkssouveränität, die Schimäre eines vermeintlichen natürlichen Völkerrechts (im Gegensatz zum wahren christlichen Völkerrecht), das alte, zuverlässige, derbe, handgreifliche Recht (im Gegensatz zum trüben Besitz einer unbestimmten, unbegrenzten, philosophischen Moral) und zum philosophi-

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Schrifttums: Beteuerungen des zustimmenden oder ablehnenden Affekts, so viel und so wenig wie andre, wegen ihrer Verknüpfung mit philosophischen Assoziationen anscheinend bedeutungsvollere Umschreibungen, wie Müllers Idee (= das Wahre) und Begriff (= das Falsche), Dauer und Augenblick 1 1 9 . sehen Phantom; die Natur i m wahren Sinne des Wortes; das reine Metall des Rechts und die unedle Beimischung der falschen Vernunftmoral; das sogenannte Naturrecht; die alte und echte Jurisprudenz; die angeblichen Wissenschaften; die eigentliche und wahre Moral; die wahre Erkenntnis, die wahre Freiheit, deren Zerrbild, die Willkür; das Surrogat des lebendigen Gottes; das sogenannte Naturrecht; die falsche Staatsweisheit; die ewige und lebendige Vernunft i m Gegensatz zum beschränkten und toten Begriff der endlichen Vernunft; das erdichtete Machwerk; der Götze; der abstrakte Begriff; der wahre Begriff des Staates; die wahre und natürliche Freiheit; die höhere Wesentlichkeit der menschlichen Natur; die wahre Klugheit; organisieren i m wahren Sinne des Wortes; die wahre Sache; die wahre Person; die wahre unendliche Freiheit; die wahrhaft kluge Behandlung; der sogenannte reine Ertrag; die wahre irdische Hausordnung, i m Gegensatz dazu die toten, mechanischen und chemischen Kräfte, Ziffern, aus denen das Rechenexempel, welches sie Haushaltung nennen, besteht; der sogenannte reine Ertrag; die beiden großen Schimären Staat und Volk, die eitle Schlacke des Goldes i m Gegensatz zum wesentlichen Geld; das eitle, vergängliche Selbst; die Schlacke seiner selbst, der eingebildete Staat; die echte Persönlichkeit; der wahre Geist; die wahren Freiheiten i m Gegensatz zur Liberalitätsgleisnerei und den Trugbildern der Begierde; Wahn und Realität; der abstrakte Staatsbegriff, ein Surrogat der Kirche; der Götze, der Fetisch des abstrakten Staates. - Müllers Schriftchen ist gewiß ein stilistisches Kabinettstück, aber für seinen Argumentationswert ist eine solche Ubersicht doch vernichtend; ein so ungeheures Thema, wie Müller es sich stellt, läßt sich nicht mit einigen Koloraturen über wahren und falschen Begriff erledigen. 119

Dombrowsky sagt (a. a. O., S. 96): „das Wertvollste, was bei Müller überhaupt politisch zu holen war", sei die „Antithese" von Augenblick und Dauer gewesen; dadurch soll er die ständische Opposition des v. d. Marwitz „über das N i veau preußischen Stolzes auf die Glorie der vaterländischen Vergangenheit und hartnäckigen Pochens auf die Assekurationsakte von 1798, über einen urwüchsigen Royalismus und junkerlichen Abscheu vor der Revolution" erhoben haben. Müller hat der ständischen Opposition als stilistischer Sekretär gedient, weiter nichts. Uber das, was sie in der Sache zu sagen hatten, brauchten sich die Junker nicht von Adam Müller belehren zu lassen, auch nicht über die „Antithese" von Augenblick und Dauer, dieses älteste Requisit konservativer Argumentation. Bei Müller war, u m den Ausdruck zu gebrauchen, politisch nichts zu holen, was ein konservativer Gegner liberaler Reformen nicht besser bei Burke geholt hätte. Steig macht darauf aufmerksam, daß in Arnims Nachschrift zu des Knaben Wunderhorn Ausführungen sind, die aus Burkes Betrachtungen über die Französische Revolution entnommen sein könnten, ohne daß A r n i m an eine solche Abhängigkeit gedacht hat. Möglicherweise hat A r n i m Reminiszenzen aus seiner Göttinger Zeit verwendet. Aber 10* https://doi.org/10.3790/978-3-428-48428-7 Generated for Universitaet Leipzig, Universitaetsbibliothek at 139.18.244.59 on 2021-03-23, 10:34:20 UTC FOR PRIVATE USE ONLY | AUSSCHLIESSLICH ZUM PRIVATEN GEBRAUCH

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D i e g r ü n d l i c h e U n t e r s u c h u n g der G e l d l e h r e A d a m M ü l l e r s , die i n Päl y i s „ R o m a n t i s c h e r G e l d t h e o r i e " v o r g e n o m m e n ist, k o m m t z u d e m Resultat, daß M ü l l e r sich so o f t „ v o n der zeitgenössischen N a t i o n a l ö k o n o m i e i m w e s e n t l i c h e n n u r d u r c h die f ö r m l i c h e U m k e h r u n g derselben, n i c h t aber d u r c h tiefere E i n s i c h t e n " unterschieden habe. „ D e n G e l d b e g r i f f der klassischen N a t i o n a l ö k o n o m i e hat A d a m M ü l l e r n i c h t vertieft, geschweige d e n n ü b e r w u n d e n ; er hat i h n aber d u r c h einen elastischen Sprachgebrauch, z u d e m i h n die r o m a n t i s c h e n Voraussetzungen seines D e n k e n s geleitet haben, beliebig dehnbar gemacht u n d die h e r k ö m m l i c h e

Lehre

v o n d e m Verhältnis der geldlosen W i r t s c h a f t s o r d n u n g z u der m o n e t ä r e n i n paradoxer Weise i n i h r G e g e n t e i l v e r k e h r t " . Das ist die n a t ü r l i c h e M e t h o d e des r o m a n t i s c h e n I n t e l l e k t u a l i s m u s . U n t e r d e m E i n f l u ß v o n G e n t z , aus d e m U m g a n g m i t P r a k t i k e r n w i e d e n preußischen G u t s b e s i t z e r n u n d n a m e n t l i c h i n seiner Beamtenpraxis hat M ü l l e r sich interessante E i n z e l h e i t e n a n g e e i g n e t 1 2 0 . Sein A r t i k e l

„Londoner Bank" im

Brockhausschen

K o n v e r s a t i o n s l e x i k o n ist sogar ein durchaus sachlicher A u f s a t z , i n d e m eines der M ü l l e r s c h e n L i e b l i n g s b i l d e r , Z e n t r i f u g a l - u n d Z e n t r i p e t a l k r a f t , n i c h t einem rhetorischen Selbstzweck, s o n d e r n der I l l u s t r i e r u n g einer ge-

es beweist jedenfalls, daß Müller in Berlin mit seinem staatsphilosophischen Mischkunstwerk keine neuen Horizonte eröffnet hat. Wohl aber hat er sich als gelehriger Verwerter einiger praktischer Weisheit erwiesen, die er dort i n Gesprächen kombinierte. A u c h sein Urteil über England hat sich unter der Einwirkung des Berliner Milieus geändert. Wenn er 1810 an Gentz schreibt, den Kampf gegen die Anglomanen in der Landwirtschaft betrachte er jetzt als die wichtigste Aufgabe seines Lebens, so war auch diese neue Bewertung der Engländer nichts, was die märkischen Junker von ihm hätten lernen müssen. Trotz der gemeinsamen Feindschaft gegen Napoleon hatten sich die echten Militärs in ihrem Instinkt gegen den „merkantilischen Geist" Englands nicht beirren lassen, gegen das Land, das keine Soldaten, „höchstens ein paar Wagehälse als Seehelden" hervorgebracht hat, dafür aber mit Söldnern Krieg führt und so „das Blut fremder Nationen mit dem Gelde bezahlt, das sein Wuchergeist dem Kontinent entpreßt hat" (vgl. Intelligenzblatt der Neuen Feuerbrände 1808, S. 227, 228). 120

Als ein wenig bekanntes Beispiel aus dieser Zeit sei auf Müllers Denkschrift über Friedrich List aus dem Jahre 1820 hingewiesen, die bei Karl Goeser, Der junge Friedrich List, Stuttgart und Berlin 1914, S. 93 ff., mitgeteilt wird. I n dieser Denkschrift ist der historische Beruf und die Urbestimmung des deutschen Volkes dahin formuliert: „ D i e Deutschen sollen Zwischenhändler mit englischer Ware bleiben", d. h. keine Industrie und keinen Zollverein anstreben. Diese „romantische" Staatswirtschaftslehre mit ihrem Kleinkrämer-Ideal v o m deutschen Volk als dem A d m i nistrator des englischen Industrie- und Handelsmonopols argumentiert natürlich auch hier mit der organischen Quasi-Argumentation (vgl. oben S. 108) v o m „gesunden Körper", „krankhaften Auswuchs" usw.

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genständlichen Darlegung dient. Hier ist er nicht mehr romantisch. Der romantische Theoretiker - es ist freilich ungenau, hier von Theorie oder Denken zu sprechen - läßt das Bild für sich denken und treibt, sich selbst dem kombinatorischen oder antithetischen Spiel fremder Ideen überlassend, sprachliche Bezeichnungen dieser Ideen zu einer beziehungsreichen Vieldeutigkeit auf. Es gibt daher keine romantischen, sondern nur romantisierte Ideen. Für die politische Romantik ist es besonders wichtig, daß das intellektuelle Material, mit dem sich der romantische Affekt zu gestalten sucht, relativ gleichgültig ist. N i c h t jeder aus der politischen Sphäre veranlaßte A f fekt braucht sich mit politischen Assoziationen zu bekleiden. Bei Novalis findet man die einfachsten Beispiele dafür, daß der öccasionelle Eindruck eines politischen Gegenstandes sich in poetisch-naturphilosophische Schwingungen umsetzt, wie auch dafür, daß ein unpolitischer Eindruck in politischen Assoziationen tönt. I n Aphorismen wie: Orden sind Irrwische oder Sternschnuppen; Soldaten haben bunte Kleider, weil sie der Blütenstaub des Staates sind; Gold und Silber sind das Blut des Staates; der K ö nig ist die Sonne i m Planetensystem; ist das Politische poetisiert. Dahin gehören aber auch die zahllosen Fälle, in denen naturphilosophische oder theologische oder andre, einer „höhern" Wissenschaft angehörende Analogien herangezogen werden, denn auch hier ist der Zweck maßgebend, den Gegenstand in eine poetische Sphäre zu erheben, und die Analogie dient keineswegs der begrifflichen Klärung oder systematischen odèr methodischen Interessen, wie das zum Unterschied von den Romantikern bei den eigentlichen Naturphilosophen der Fall ist, auch wenn sie den gröbsten Mißbrauch mit solchen Analogien treiben 1 2 1 . Begründungen, 121

Die Schrift J. J. Wagners „Über die Trennung der legislativen und exekutiven Staatsgewalt", München 1804, die aus Anlaß der Differenzen der bayrischen Regierung mit den Landständen geschrieben ist, würde ich nicht zur politischen Romantik rechnen, da ihre Konstruktion des Staates „aus dem Ganzen" naturphilosophisch ist. Die Schrift verdient übrigens mehr Beachtung als die Müllerschen K o m positionen; eine systematische Begabung versucht, methodisch ähnlich wie oft bei Bonald, die Rolle des Königs in der politischen Wirklichkeit mit der des höchsten Einheitsbegriffes i m philosophischen System zu identifizieren. Für den Vergleich mit Müllers Äußerungen über staatsphilosophische Themata sind folgende Stellen beachtenswert: S. 4 („Reibt euch untereinander nicht auf", ist das erste Prinzip der Staaten für das Naturrecht; es handelt sich dabei u m eine Abgrenzung der Macht des Stärkern gegenüber dem Schwächern. Aber weil das ein bloß negatives Prinzip ist, mußte es „notwendig das ganze Gebäude der Wissenschaft zu einem Ensemble von Gegensätzen machen; denn was negativ ist, beginnt mit der Entgegensetzung . . . die höchstens auf einen Urgegensatz zurückgeführt werden" kann. Die Trennung von Volk und Fürst ist für W. ein solcher Gegensatz, der die Trennung von

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wie: die Monarchie ist deswegen echtes System, weil sie an einen absoluten Mittelpunkt geknüpft ist, kommen auch bei Bonald vor und sind dort Ausdruck einer scholastisch-systematischen Einheitstendenz. Bei Maistre wären sie die Konsequenz eines spezifisch juristischen, höchst unromantischen Bedürfnisses nach einer letzten Instanz. Bei Novalis sind sie ästhetisch determiniert und poetische Figurationen. Deutlich zeigt sich das in Fragmenten wie: die Hierarchie ist die „symmetrische Grundfigur der Staaten, das Prinzip des Staatenvereins als intellektueller Anschauung des politischen Ich": hier mischen sich wahllos naturphilosophische, Fichtesche, ästhetische und politische Assoziationen und schäumen in einem rhythmisch kompakten, sachlich wertlosen Aphorismus auf. Diese romantische A r t , die Dinge zu behandeln, beruht darauf, stets occasionalistisch von einem Gebiet in das andre, zu dem fremden „höhern" Dritten zu entweichen und die Vorstellungen verschiedenartiger Gebiete zu vermischen. Das Wort Solgers, bei Adam Müller sei alles eine „untreue Vermischung", und die treffende Äußerung von Wilhelm Grimm, daß nach seinem Gefühl Müller alles Gute, das sich bei ihm finde, „auf Borg" habe, enthalten den Hinweis auf das zweite Prinzip: die Verwertung fremder Ideen bei dieser Vermischung, ohne jede andre Tätigkeit als die litera-

Legislative und Exekutive nach sich zieht. Wie alle die Vertreter eines esprit géométrique - übrigens auch Adam Müller - kann er mit Montesquieus Dreiteilung nicht viel anfangen; die Justiz, also gerade der Teil, dessen Unabhängigkeit sich historisch am ehesten und deutlichsten herausbildet, fällt aus, weil sie nicht in das einfache Schema der Antithese geht). S. 15 („Glücklich wären wir, wenn es dem Leser gelänge, in dieser Vergleichung - sc. des Staats mit dem menschlichen Organismus - nicht bloß ein Gleichnis zu schauen, sondern die innige Identität der Natur und der Freiheit hier als in concreto zu erkennen"). S. 17 („Der Staat ist nicht zufällig, er beruht nicht auf einem contrat social, er fällt als reife Frucht vom Stamm, sobald sich die ideale Produktivität i m Menschengeschlechte zur Gleichung mit der realen Produktionskraft der Erde gehoben hat"). S. 19 (Zentralpunkt des Staates muß eine Person sein). S. 31 (die seichte Eleganz des Sachsen und des Preußen; interessant wegen der Ähnlichkeit mit der Anschauung des jungen Hegel); S. 22, 32, 48/49, 95 (der König ist nicht der erste Diener des Staates, ein solcher Grundsatz ist schon Demokratie); S. 32 (die Räte bringen dem Fürsten die Begriffe, der Fürst erhebt sie zur Idee); S. 84 (gegen die politische Künstlichkeit, Berechnung des Gleichgewichts; das englische Parlament verzögert den Gang der Geschäfte und gibt der N a t i o n Gelegenheit, sich in der politischen Eloquenz zu üben); S. 51, 65 (alle Wirklichkeit hat ihren Grund in der Möglichkeit; Wirklichkeit ist als solche schon Beschränkung, Krankheit); schließlich, als Symptom der politischen Gesinnung dieses Landsmannes von Hegel, S. 98 („Der berühmte Publizist J. J. Moser konnte zwar auf der Festung Hohentwiel sich seiner Standhaftigkeit freuen, aber die Pläne des Fürsten hindern konnte er nicht.").

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rische Aufbauschung, deren Folge dann die paradoxen Umkehrungen sind. Aber der Eindruck der Untreue ist noch durch ein andres, aus der geistigen Eigenart der Romantisierung hervorgehendes Moment hervorgerufen. Der Punkt, u m den sich der Kreis des romantischen Figurenspiels dreht, ist immer occasionell, und die romantische Quasi-Argumentation kann deshalb jeden Zustand rechtfertigen. Der zentralisierende Polizeistaat kann heute die tote, künstliche Maschine sein, der die lebensvollen Kräfte ständischer Privilegien nicht geopfert werden dürfen; morgen sind diese Privilegien wildes Fleisch, das in den großen, lebendigen Gesamtkörper hineinkuriert werden muß; die Teilung der Gewalten kann eine künstliche Zerreißung des Gesamtorganismus heißen und morgen ein lebendiges Spiel der in der ganzen Natur sich wiederholenden Gegensätze, in deren Wechselwirkung - weil ja der Krieg der Vater aller Dinge ist - der lebendige Organismus sich als höhere Einheit produziert; nichts ist unnatürlicher und abstoßender als das künstliche „Machen", es ist revolutionär und hat keinen Bestand, aber die Größe der preußischen Nation beruht darauf, daß sie bewußt das schafft, was die Natur ihr versagt hat; heute ist die Französische Revolution das, wofür Burke sie hält, ein unnatürlicher Götzendienst und ein sinnloses Verbrechen, morgen kann sie auch einmal „die Naturgewalt, die Wahlverwandtschaft des unterdrückten, eingespannten Lebens" sein, das die Bande moralischer Rücksichten und Formen sprengt (Friedrich II., S. 305) usw. Der Mangel an Konsequenz und die moralische Hilflosigkeit gegen jeden neuen Eindruck haben ihren Grund in der wesentlich ästhetischen Produktivität des Romantikers. Politik ist ihm so fremd wie Moral oder Logik. Doch sind die Fälle politischer Romantik w o h l von einem andern Typus, dem des romantischen Politikers, zu unterscheiden. Ein Mensch, der nicht wesentlich Romantiker ist, kann durch romantisierte Vorstellungen motiviert werden und seine aus andern Quellen fließende Kraft in ihren Dienst stellen. Für einen einfachen Schulfall solcher romantischen Politik halte ich, um nicht gleich von unübersichtlich komplizierten Staatsaktionen zu sprechen, die Ermordung Kotzebues durch den Studenten Karl Ludwig Sand 1 2 2 (20. März 1819). M i t der moralischen Strenge, die in der Jugendbildung des 18. Jahrhunderts noch herrschte, war Sand er122 Für die folgende Darstellung sind außer den bekannten Darstellungen des Falles Sand namentlich die wichtigen Mitteilungen von Wilhelm Hausenstein in den Forschungen zur Geschichte Bayerns, Bd. X V (1907), S. 160, 244 benutzt. Herr Dr. Hausenstein hatte auch die Güte, mir das umfangreiche und wertvolle Material, das er für eine Sand-Biographie gesammelt hat, zur Verfügung zu stellen. Die i n einem Jahrbuch der deutsch-amerikanischen historischen Gesellschaft von Illinois 1916 erschienene Biographie Karl Follens war mir nicht zugänglich.

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zogen; er hat sich als Knabe und als Jüngling mit einer oft rührenden Gymnastik des Willens abgequält und sich gezwungen, keiner Regung von Weichlichkeit und Lüsternheit nachzugeben. I n Frankreich, w o Robespierre ein bekanntes Beispiel dieses strengen Moralismus bietet, würde man das als Nachwirkung der strengen Tradition des esprit classique bezeichnen, in Deutschland wäre eine solche Benennung irreführend, weil die deutsche Klassik bereits unter humanitären und Rousseauschen Ideen stand, in denen sich die frühere Strenge auflöste. Aber sie war auch in Deutschland noch vorhanden und hatte bei Sand zur Folge, daß er die unromantische Fähigkeit zur psychischen Innervation und die Kraft zum Entschluß bewahrte, die Fähigkeit zur Tat i m gewöhnlichen, nicht i m „höhern" Sinne. Er machte als Student die damals schon idyllische populäre Romantik seiner Zeit mit, schwärmte für alte Volkslieder und rühmte das Mittelalter mit seiner echten Biederkeit. A n seine Ideale von Freiheit und Vaterland glaubte er ohne jeden romantischen Vorbehalt. Diesem ehrlichen Menschen erschien der alte, lüsterne, hämische Agent Rußlands, Kotzebue, als der Feind. Die primitive Studentenpolitik, die sich in der Abneigung gegen den Zaren äußerte, hatte nichts Romantisches i m spezifischen Sinne. Die Richtung des deutschen Nationalgefühls ging bewußt nur gegen das Franzosentum, das Welschtum, den damals gerade vertriebenen Feind, dessen Fremdherrschaft das nationale Bewußtsein wachgerufen hatte. Ein „Welscher" war Kotzebue nur „moralisch", wenn man seine Weichlichkeit damit treffen wollte, in der Hauptsache war er für den Studenten der „Verräter" und Spion i m Dienst einer politischen Macht, die das deutsche Burschentum verderben wollte. Doch kann man nicht sagen, Sands Entschluß sei aus einem distinkten nationalen oder politischen Empfinden entstanden, das sich gegen einen klar erkannten Feind gerichtet hätte. Die Tat war allerdings durch politische Vorstellungen motiviert, daß die Wahl aber gerade auf Kotzebue fiel, ist mit großer Wahrscheinlichkeit daraus zu erklären, daß der „Schandbube" für Sand zum Symbol von Niedrigkeit und Gemeinheit, zur romantischen Konstruktion geworden war. Dieser Sachverhalt, die offenbare politische Belanglosigkeit Kotzebues, die einen M o r d und ein Verbrechen zu einem politisch so lächerlichen Vorfall macht, würde auch dann bestehen bleiben, wenn Sand ausschließlich aus nationalen Motiven gehandelt hätte. Daß sich einem bedeutenden, ernst zu nehmenden politischen Willen ein nur occasionelles Objekt unterschiebt, gibt dem Vorgang seine romantische Struktur. Sie ist auch hier occasionalistisch, weil der Punkt, auf den sich die politische Energie konzentriert, occasionell gefunden wird, nur ist die Richtung gegenüber der politischen Romantik entgegengesetzt und geht nach außen, so daß die Wirkung, der terminus ad quem, occasionell ist und keine causa, sondern ein effectus occasionalis vorliegt: ein Komplex von starken

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politischen Kräften ist nicht imstande, sein Ziel zu finden, und trifft mit großer Wucht einen occasionellen Punkt. Der unsterbliche Typus dieser Politik romantisch konstruierter Gelegenheiten ist D o n Quixote, ein romantischer Politiker, kein politischer Romantiker. Er war fähig, statt der höhern Harmonie den Unterschied von Recht und Unrecht zu sehn und sich für das, was i h m Recht schien, zu entscheiden, eine Fähigkeit, die dem politischen Romantiker so sehr fehlt, daß gerade der romantische Legitimismus Schlegels und Müllers aus ihrer Interesselosigkeit für das Recht erklärt werden muß. Wenn die Begeisterung für sein Ideal vom Rittertum und Empörung über vermeintliches Unrecht den armen Ritter auch zu einer tollen Mißachtung der äußern Wirklichkeit hinrissen, so zog er sich doch nicht etwa, Klagen zur K r i t i k der Gegenwart stilisierend, ästhetisch in seine Subjektivität zurück. Sein ehrlicher Eifer brachte ihn in Situationen, in denen die romantische Überlegenheit unmöglich wurde, seine Kämpfe waren phantastisch sinnlos, aber doch Kämpfe, in denen er sich persönlichen Gefahren aussetzte, nicht Kämpfe höherer Art, wie der Adam Müllersche Kampf des Künstlers mit seinem Material oder des Schusters mit dem Leder. Seine Begeisterung war die eines wirklichen Ritters für seinen Stand, nicht die eines Bürgerlichen für das eindrucksvolle Bild einer Aristokratie. I m 19. Jahrhundert sind die adligen Romantiker eher romantische Politiker als politische Romantiker, und Edelleute wie A r n i m und Eichendorff (der sich übrigens mit D o n Quixote identifizierte) haben niemals den Typus des politischen Romantikers so auszuprägen vermocht wie die bürgerlichen Schriftsteller Schlegel und Müller. Aber auch bei D o n Quixote zeigen sich Andeutungen einer neuen Zeit, der die Ontologie ein neues Problem wurde. Hier ist der Hidalgo einem subjektivistischen Occasionalismus oft nahe; er erklärt seine Vorstellung von Dulcinea für wichtiger als ihr wirkliches Aussehn, weil es nicht darauf ankomme, wer Dulcinea ist, sondern nur darauf, daß sie für ihn Gegenstand seiner idealen, zu großen Taten begeisternden Verehrung bleibe (Buch I I , Kap. 11, I X , Kap. 15). Wo das occasionalistische Ausweichen in das höhere, alle Gegensätze in harmonische Einheit auflösende subjektive Schöpfertum fehlt, gibt es keine Romantik. Daher gebrauchen die zahlreichen historischen Parallelen, die wegen einzelner namentlich psychopathologischer Ähnlichkeiten Personen der alten oder mittelalterlichen Geschichte als Romantiker bezeichnen, das Wort oft nur als politische Redensart synonym für Unklarheit, Exzentrizität, exaltierte Launen oder Schwärmerei. Dann verbindet sich die Unklarheit einer solchen Bezeichnung mit der allgemeinen Unsicherheit historischer Analogien. Wer einen Herrscher des 19. Jahrhunderts mit einem römischen Imperator in Parallele setzt, macht aus jedem

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von ihnen eine Figur, deren Linien oft mehr durch die beständige Rücksicht auf die nachzuweisende Ähnlichkeit mit dem andern bestimmt sind als durch sachliche Untersuchungen. So kann der Cäsar romantische Züge erhalten, ohne daß beachtet wird, wie sehr das Romantische etwas spezifisch Modernes ist. Wenn André Suarès ζ. Β. aus dem Kaiser Nero, den er, mit guten psychologischen Bemerkungen, als einen tyrannischen, launenhaften, gefallsüchtigen Mimen schildert, eine aktuelle Konfiguration macht, so ist das eine A r t romantischer P r o d u k t i o n 1 2 3 . Solche historischen Parallelen und Vergleiche sind Hilfsmittel literarischer Gestaltung; sie bedienen sich, als wertvoller Motive, gern bekannter historischer Personen und Komplexe, die schon zu mythologischen oder legendären Formeln geworden sind und eine Wolke von gefühlsmäßigen Assoziationen mit sich führen. Romantiker wie Adam Müller oder Benjamin Constant haben aus Napoleon einen Attila oder Dschingis-Khan gemacht und diese Figuren ästhetisch verwertet, wie Novalis die Mutter Gottes Maria. Eine solche Romantik enthält keine politische Betätigung und bezweckt nach ihren immanenten Voraussetzungen und Methoden einen ästhetischen Effekt. Sie kann, bewußt oder unbewußt, i m Dienst einer politischen Agitation stehn und politische Wirkungen haben, ohne daß sie aufhörte, romantisch, d. h. ein Produkt politischer Passivität zu sein, so wenig wie Aubers „Stumme von Portici" zu einer politischen Tat oder Auber dadurch zu einem Politiker wurde, daß während der belgischen Revolution von 1830 der Enthusiasmus der Revolutionäre sich an dieser Oper entzündete. Anders der aus einem politischen Interesse entstandene, als politisches Mittel benutzte, historische Vergleich. A u f einem solchen aktuellen politischen Interesse beruht eine der bekanntesten historischen Parallelen, die aus dem Romantiker einen politischen Typus zu machen sucht, die Schrift von David Friedrich Strauß über Julian den Abtrünnigen, den „Romantiker auf dem Throne der Cäsaren" (Mannheim 1847). Sie ist für die Begriffsbildung „Politische Romantik" von besonderer Bedeutung.

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André Suarès , La nation contre la race, II. République et barbares, Paris 1917, p. 97. Die bekannten Antithesen Orient-Occident, Quantität-Qualität usw. kehren mit Motiven aus der Apokalypse und der Weltgeschichte ähnlich wieder wie während der Napoleonischen Kriege bei napoleonfeindlichen Romantikern. I m übrigen möchte ich Suarès, den A u t o r des schönen Essays über Dostojewski, keineswegs als Romantiker definieren. Er hat i m Gegenteil mit Recht bemerkt, daß, wenn Stendhal das Wort romantisch braucht, er es gar nicht romantisch meint, er meint nämlich: Shakespeare und nicht Victor Hugo, Dante und nicht Chateaubriand, Beethoven und nicht Berlioz, und Suarès fügt hinzu: „Hundert Jahre später besteht noch immer die Zweideutigkeit; die politischen Betrüger pflegen sie."

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Exkurs über den „Romantiker auf dem Throne der Cäsaren"

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Exkurs über den „Romantiker auf dem Throne der Cäsaren" Durch den Vergleich mit Julian und mit dem mißglückten Versuch, i m vierten christlichen Jahrhundert das Heidentum wiederherzustellen, wollte D . F. Strauß Friedrich Wilhelm IV. und dessen konservative und antiliberale Politik widerlegen. Das Christentum war zur Zeit Julians gegenüber der traditionellen heidnischen Religion das Neue, Revolutionäre, der „Genius der Zukunft", i m 19. Jahrhundert erscheint es in der Rolle des historisch Alten, das sich gegen ein neues Leben zu restaurieren sucht. Die Schrift von D . F. Strauß findet hier zahlreiche Analogien, i m Ganzen und i m Einzelnen: die Versuche, mit Hilfe staatlicher Einrichtungen und Maßnahmen die Religiosität zu heben, Schulen und Kirchen zu unterstützen, Philosophen an den H o f zu ziehn, Wiederaufbau von Tempeln oder Domen, Glaube an die religiöse Sendung des Herrschers. Diese Ähnlichkeiten, die mit großem Geschick skizziert sind, können nun bei jeder Restauration,aber auch bei einer Reformation eintreten. H a r n a c k 1 2 4 hat Julians Versuch, Kultus, Kultusgemeinde und Priesterschaft mit asketischer Frömmigkeit zu erfüllen und mystisch-hierarchisch zu disziplinieren, eine unerhörte Neuerung genannt, die sich erst viel später i m christlichen M i t telalter unter den cluniacensischen Päpsten teilweise realisiert habe und die unter Julian deshalb mißlang, weil die Interessen der heidnischen M y sterienkulte denen des öffentlichen Staatskultes widersprachen. Wenn der Versuch gelungen wäre, bemerkt Harnack, würde es eine Reformation, keine Reaktion gewesen sein. N u n kann es aber nicht auf den Erfolg allein ankommen, sonst wäre einfach ein erfolgreiches Unternehmen eine Reformation und eine mißglückte Romantik. Strauß hat in seiner Schrift den Begriff des Romantischen ausführlich definiert: „Die geschichtlichen Stellen, w o Romantik und Romantiker aufkommen können, sind solche Epochen, w o einer altgewordenen Bildung eine neue gegenübersteht... A u f solchen Markscheiden der Weltgeschichte werden Menschen, in denen Gefühl und Einbildungskraft das klare Denken überwiegt, Seelen von mehr Wärme als Helle, sich immer rückwärts, zum Alten, kehren; aus dem Unglauben und der Prosa, die sie um sich her überhand nehmen sehen, werden sie nach der gestaltenreichen und gemütlichen Welt des alten Glaubens, der urväterlichen Sitte sich sehnen, und diese für sich und w o möglich auch außer sich wiederherzustellen suchen. Da sie aber von dem ihnen widrigen neuen Principe, als 124 Haucks Realenzyklopädie für prot. Theologie, Bd. 9, S. 614 und, über die Äußerungen von Sozomenos, i n Herzogs Real-Enzykl. Bd. X I V , S. 418; vgl. auch Hasenclever, Aus Geschichte und Kunst des Christentums, Braunschweig 1890, Bd. I, S. 50;/. R. Asmus, Z. f. Kirchengeschichte X V I (Gotha 1896), S. 247 f.

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Kinder ihrer Zeit, mehr als sie wissen, selbst auch durchdrungen sind, so w i r d das Alte, wie es sich in ihnen und durch sie reproduciert, nicht mehr das reine ursprüngliche Alte sein, sondern mit dem Neuen vielfach gemischt, und dadurch an dieses zum Voraus verrathen; der Glaube nicht mehr der ächte, unwillkürlich das Subjekt beherrschende, sondern ein solcher, an welchem dieses willkürlich und absichtlich festhält. Den Widerspruch und die Unwahrheit, welche hierin liegt, verbirgt sich jenes gemütliche Bewußtsein durch ein phantastisches Dunkel, w o r i n es sich verhüllt: die Romantik ist wesentlich Mysticismus, und nur mystische Gemüther können Romantiker sein. Allein die Widersprüche zwischen dem Alten und Neuen sind zum Teil auch i m tiefsten Dunkel mit Händen zu greifen; die Unwahrheit eines willkürlichen Glaubens ohnehin muß i m innersten Bewußtsein empfunden werden: weßwegen denn Selbstverblendung und innere Unwahrhaftigkeit zum Wesen jeder Romantik gehören." Diese Begriffsbestimmung, die wegen ihrer typischen Bedeutung ausführlich wiedergegeben wurde, ist w o h l die beste Zusammenfassung einer oft wiederholten Ansicht über das Romantische. Sie versucht, in interessantem Gegensatz zu den Hegelianern, einen allgemeinen, welthistorischen Typus des Romantikers aufzustellen, und läßt die Abstammung vom Protestantismus, an der die Hegelianer festhielten, außer acht. Auch Strauß empfindet eine innere Unwahrhaftigkeit und subjektive Willkür i m Romantischen und erklärt sie nicht unrichtig aus der innern Unsicherheit in einem Konflikt widerstreitender Mächte, aber der Subjektivismus erscheint ihm als eine Folge, nicht als Grund der widersprechenden romantischen Phänomene. I n der weitern Ausführung, bei der immer auf die politische Romantik der Zeit anspielenden Schilderung der moralischen und intellektuellen Eigenschaften Julians, treten die als romantisch empfundenen äußern Symptome maßgebend hervor. Was dabei besonders genannt wird, Julians nervöses Benehmen, seine Neigung zu Gefühlsergüssen, seine kokette Freude an witzigen Bemerkungen, sein Bedürfnis, bei jeder Gelegenheit Reden zu halten oder Freunden Briefe zu schreiben, Gesuchtheit und Absichtlichkeit, ist interessant für die Kenntnis des Bildes, das man sich 1848 von einem Romantiker machte. Es ist auch gut beobachtet, nur reicht es nicht aus, u m einen prägnanten Begriff des Romantischen zu begründen, am wenigsten i n Anwendung auf einen Mann wie Julian, der sich doch mit asketischem Ernst bemühte, das auf Gerechtigkeit und verständiges Maßhalten gerichtete antike Tugendideal praktisch zu verwirklichen 1 2 5 . Die sachlichen Elemente der Begriffsbestimmung aber sind ganz

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Die folgende Übersicht über die geschichtliche Entwicklung des Bildes von Julian möge zeigen, wie sehr die geschichtliche Auffassung des Vergangenen von

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disparat. Daß die nur i m Bereich des Religiösen existierende Mystik mit der wesentlich in die Sphäre des Ästhetischen gehörenden Romantik zusammengeworfen wird, braucht einen nicht zu verwundern, denn es ist den Eindrücken der Gegenwart bestimmt wird. D e m 18. Jahrhundert, wenigstens den Freigeistern, galt Julian als „philosophe", also einer ihresgleichen. Ein Zeitgenosse der jungen Romantik, der Kieler Historiker D. H. Hegewisch (gest. 1812), findet in seinem Aufsatz über Julians Schriften und Charakter (Historische und literarische Aufsätze, Kiel 1801, S. 156), daß Julians Sucht, immer nur außerordentliche Dinge zu sagen und „bloß dem Schimmernden nachzujagen", u m die Wende des 18. Jahrhunderts in Deutschland auffällig verbreitet sei. Gleichzeitig bemerkt er aber in Julians freundschaftlichen Beziehungen zu Philosophen und Literaten eine Verwandtschaft mit Friedrich II. (S. 166). Diese, zu der Charakterisierung als Romantiker schlecht passende Ähnlichkeit mit dem Freund der Enzyklopädisten ist auch von Harnack bemerkt und von O. Gruppe (Griechische Mythologie und Religionsgeschichte, Bd. I I - in dem I. v. Müllerschen Handbuch V, 2 - München 1906, S. 1666,1669) zu einer eingehenden Parallele vertieft worden, in der von dem Romantiker nichts mehr bleibt, als daß er „Unerreichbares erstrebt und dies als Wiederherstellung der Vergangenheit bezeichnet" habe (S. 1658). Auch Johannes Geffcken (Kaiser Julianus, Leipzig 1914, S. 169), der das für „nur sehr teilweise zutreffend" hält, gesteht doch, daß es ein „immer wieder sich aufdrängender Vergleich" ist, allerdings meint er auch zu der Schrift von Strauß: „Julian ist durchaus Mystiker und gelegentlich auch Romantiker - so ganz Unrecht hatte D . Fr. Strauß nicht - und doch nie ganz Träumer" usw. (S. 124). Eine gute Zusammenfassung der inneren Widersprüche des „Proteus" (wie Libanius ihn nannte) gibt G. Negri , Uimperatore Giuliano l'Apostate, Milano 1901, p. 428, 429. I m übrigen könnte man schon aus der übersichtlichen Aufzählung von Belegstellen bei Teuffei (in der ersten Bearbeitung von Paulys Real-Enzyklopädie, Bd. IV, Stuttgart 1846, S. 401 f.) manche Anhaltspunkte für die verschiedenartigsten Ähnlichkeiten finden. Strauß hat i n der Einleitung seiner Schrift gezeigt, wie die Beurteilung Julians sich i n der Neuzeit allmählich geändert hat, weil man seine Opposition gegen die orthodoxe Kirche anders beurteilte. Ebenso interessant ist, wie Julian, der ursprünglich nur der Apostat und Christenverfolger war, infolge des erwachenden politischen Interesses zu einer politischen Figur wird, wofür Strauß selbst das erste auffällige Beispiel gibt. Aber schon vorher zeigen sich Anspielungen auf aktuelle Zustände der Restaurationszeit. Der Großherzoglich Mecklenburgische Konsistorialrat Wiggers, der 1837 in der Zeitschr. f. hist. Theologie einen Aufsatz über Julian den Abtrünnigen veröffentlichte, deutet schon an, daß dem heidnischen Kaiser die Christen als neuerungssüchtige Leute, „Demagogen i m modernen Sinne des Wortes" erscheinen mußten und daß man von einer „Reaktion für das Heidentum" sprechen könne (S. 121, 122, 158). Nach 1848 w i r d das Wort geläufig; Sievers z. B. überschreibt mit einer interessanten Anmerkung über die Schrift von Strauß das X I . Kapitel seiner Biographie des Libanius „ D i e Reaktion unter Julian" Berlin 1868, S. 103; Fr. Rode schreibt eine „Geschichte der Reaktion Kaiser Julians" (Jena 1877) und gebraucht das Wort als technischen Ausdruck. Asmus, a. a. O., S. 52, sagt ein-

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ein alter Irrtum. Warum aber der Mystizismus, der zum Wesen des Romantischen gehören soll, wenn er mit dem Gegensatz von A l t und Jung zusammentrifft, ein so widerspruchsvolles und verlogenes Produkt wie das Romantische entwickelt, ist ganz unerklärlich. Auch ist es nicht wahrscheinlich, daß ein Mensch, bei dem Gefühl und Einbildung das klare Denken überwiegen, das bestehende Alte vorzieht, und in den Konflikten von A l t und Jung ist der Rationalismus nicht selbstverständlich auf der Seite der Jungen. Aber man darf der Definition von Strauß mit solchen Einwänden nicht begegnen, weil sie nur scheinbar begrifflich die Elemente des Romantischen aufstellt, in Wahrheit aber eine schnelle Typisierung des aktuellen politischen Gegners ist. Deutlicher noch als bei Rüge (1840) bestimmt jetzt, kurz vor 1848, das politische Programm den Begriff: wer nicht fortschrittlich ist, ist Romantiker. Das Gefühl, die kommende neue Zeit zu vertreten, ist schon sicher und selbstverständlich; die politische Anschauung des Gegners erscheint i m Grunde so unbegreiflich, daß sein Widerstand nur aus innerer Unwahrhaftigkeit und Willkür erklärt werden kann. Wieder tritt der anscheinend unvermeidliche Fehler ein, statt des romantischen Subjekts das occasionelle Thema romantischer Produktivität, statt des Prozesses der Romantisierung einen der vielen romantisierten Inhalte, das Resultat dieses Prozesses, zu betrachten. Dadurch kommt Strauß zu einer augenscheinlichen Mißachtung naheliegender Widersprüche. Er legt ausführlich dar, wie Julian die alten heidnischen Götter höchst unklar mit Hilfe verschwommener Deutungen wiederbeleben wollte, und weist auf den Zusammenhang der neuplatonischen Mystik mit Schellings Naturphilosophie; er erinnert an Creuzers Symbolik und ihre philosophische U m gestaltung aller Begriffe der christlichen Theologie, die in der neuplatonischen Umgestaltung des heidnischen O l y m p ihr Gegenstück habe. Aber es hätte ihm auffallen können, daß die mystische Auflösung sich w o h l bei Liberalen wie Oken und, sogar in der ganzen Kraft unmittelbarer Innerlichkeit, bei demokratischen Burschenschaftlern, bei Karl Folien und sei-

mal „die kurze Renaissance des Heidentums", i m übrigen übernimmt er dort die Terminologie, Reaktion und Restauration („Somit stellt sich seine Religionspolitik, welche von der objektiven Geschichtsschreibung als eine willkürliche Reaktion gekennzeichnet worden ist, für denjenigen, welcher sich mit Julian auf die Grundlage des heidnischen Pontifikats stellt, als eine berechtigte Restaurationspolitik dar"), während er in seiner wertvollen, für das Studium von Julians Theorien unentbehrlichen Erklärung und K r i t i k zu „Julians Galiläerschrift i m Zusammenhang mit seinen übrigen Werken", Freiburg 1904, v. Gutschmids treffenden Ausdruck „ C o n trereligion gegen das Christentum" mit Recht hervorhebt und übernimmt.

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nen Anhängern zeigte, während die Entwicklung der reaktionären, sogenannten politischen Romantik schon längst zu einem entgegengesetzten Standpunkt geführt hatte. Die deutsche Romantik begann als eine Jugendbewegung, und solange sie wirklich mit Naturphilosophie und Mystizismus vermischt war, bewegte sie sich in revolutionären Gebärden. Als sie mit der politischen Reaktion zusammenging, bekannte sie sich zu einer strengen, positiven Orthodoxie, die jene Auflösung christlicher Vorstellungen als „naturphilosophischen Schwindel" und „Atheismus" von sich wies. Jarcke war nichts weniger als Romantiker, wurde aber, weil er i m Dienste Metternichs stand, doch von den Liberalen dazu gerechnet, obw o h l er, ein kluger und ernster Mensch, die Romantik der Wiener Biedermeierzeit als „hohl und liederlich und in ihrem innersten Wesen unchristlich" empfand, obwohl er ferner mit seiner Schilderung der „Gräuelszenen in Wildenspuch" die Schrecken eines subjektivistischen Mystizismus in einer klassischen Darstellung gezeigt hat. Haller war weder Romantiker noch symbolisierender Mystiker, und i m ganzen liberalen und reaktionären Deutschland zusammen w i r d es w o h l keine so aufrichtige Verachtung pantheistisch-mystischer Theologen gegeben haben wie bei Maistre, der übrigens in Julian einen „dieser gefährlichen Träumer", einen „philosophe" sah. Es ist daher notwendig, die Parteien, um die es sich handelt, näher zu betrachten. Denn das „ A l t e " und das „Neue" ist eine Charakterisierung, die, wenn sie als solche einen Argumentationswert haben soll, selber romantisch genannt werden kann. Die Frühromantik fühlte sich als neue und eben deshalb als wertvollere Zeit; bei Novalis ertönt es immer wieder, daß jetzt ein neues Zeitalter anbricht, das erfüllen wird, was „bisher" nicht möglich war. Damals gehörte also das „Neue" noch in die positive Reihe romantischer Quasiargumentation, das Neue war Leben, organisch, echt usw. Als die Romantiker älter wurden, offenbarte sich ihnen die Würde des Alten, jetzt war alt = dauernd = echt = organisch = Leben usw. (vgl. oben S. 108). Bei Strauß sind, für die aktuelle Gegenwart seiner Schrift, die Parteien nicht genau bezeichnet; es scheint sich sowohl u m eine politische wie eine geistige Gegnerschaft zu handeln. Daß er Julian mit Friedrich Wilhelm IV. von Preußen vergleicht, könnte auf den politischen Charakter des Kampfes von A l t und N e u hindeuten. Aber offenbar darf man hier beides nicht so scharf trennen, weil sich die neue Wissenschaftlichkeit, die Strauß vertrat, mit den politischen Gegnern des Alten solidarisch fühlte, wie auch umgekehrt Friedrich Wilhelm IV. seine Politik als eine religiöse und geistige Angelegenheit auffaßte und bei den Restaurationsphilosophen sich immer wieder die Ansicht findet, daß die Französische Revolution die Folge einer unchristlichen Aufklärungsphilosophie sei und der Kampf gegen eine Idee,

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gegen Heidentum und Gottlosigkeit geführt werden müsse. Trotzdem waren Staat und Gesellschaft der eigentliche Gegenstand des Kampfes. Die Restauration war eine Zusammenfassung politischer und sozialer Kräfte, die sich gegen einen politischen und sozialen Gegner richtete. Das religiöse Leben, das sich in Deutschland nach den Napoleonischen Kriegen bei Katholiken und Protestanten spontan erhob, war unabhängig von politischen Maßnahmen entstanden und wurde nur politisch benutzt. Die kirchlichen Faktoren, die allerdings in weitem Umfang mit der politischen Restauration zusammenarbeiteten, stellten sich wegen ihrer historischen Verbindung mit einer bestimmten politischen und sozialen Ordnung in deren Dienst; sie waren aber nicht die politischen Führer. Was endlich die mit der Restauration in Zusammenhang stehende geistige Produktivität angeht, ist sie i m wesentlichen eine staatsphilosophische Leistung: es entstanden Systeme, deren Ideen von sozialer Solidarität als ebenso neu bezeichnet werden können wie die des liberalen Individualismus. Die A n t i these, mit der Bonald seine Théorie du pouvoir (1796) beginnt und schließt und das Thema des Streites angibt, ist nicht religiös, sondern politisch-sozial: la grande question qui divise en Europe les hommes et les sociétés, l'homme se fait lui-même et fait la société, la société se fait ellemême et fait l'homme, und er rühmt sich, sie von philosophischen Phantasien und Spekulationen auf Tatsachen reduziert zu haben. Wenn die Restaurationstheoretiker ihren Gegnern den Vorwurf des Atheismus machen, so w i r d ein theologischer Begriff zu einem politischen. Für Comtes Positivismus war das Christentum überwunden; wie Taine und Renan darüber gedacht haben, daß sie es als ein Produkt einer dekadenten Kultur ansahen, ist bekannt; aber weil sie zu einer Ablehnung und Verwerfung der Französischen Revolution gekommen sind, berufen sich heute französische Royalisten, die Nachkommen von Bonald und Maistre, auf Comte, Taine und sogar Renan und nennen sich mit ihnen zusammen Realisten. Das Unterscheidungsmerkmal ist eben politischer Natur. Die Geschichte Julians ist, i m Gegensatz zur Restauration von 1815, nur die Geschichte einer fehlgeschlagenen Kultreform und innern Mission des Heidentums, nicht die eines politischen Versuches. Weil es vom Kaiser ausging, war das Unternehmen mit staatlichen Machtmitteln unterstützt, ohne deshalb mehr zu sein als die Herzensangelegenheit eines auf den Thron verschlagenen, i m übrigen praktisch tüchtigen Theosophen. Es war keine aus dem Heidentum hervorgegangene Bewegung. Athanasius nannte es ein „Wölkchen"; ein moderner preußischer Historiker, der Julian mit Friedrich II. vergleicht und ihn als einen Kulturkämpfer des Staates gegen kirchliche Intoleranz verteidigt, O. Gruppe, sagt „ein symbolischer Z u f a l l " 1 2 6 ; Negri meint (a. a. O., S. 491) w o h l mit Recht, Julian sei

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weder ein Reaktionär noch ein Aufklärer gewesen. Er glaubte an die neuplatonische Lehre, die i h m mehr eine Religion als eine Philosophie war, und stand als Soldat unter der E i n w i r k u n g des Mithraskultes. Das C h r i stentum trat i h m nicht als politischer Feind entgegen, es bedrohte nicht unmittelbar den Bestand des Kaisertums wie die Revolution des 18. Jahrhunderts die bestehende staatliche Ordnung. Wenn Julian den Christen „Atheismus" vorwirft, so ist das nicht, wie früher zur Imperatorenzeit, ein beinahe polizeirechtlicher Begriff, sondern ein Ausdruck der Überzeugung des Kaisers, daß der G o t t der Christen kein wahrer G o t t ist. D e m entspricht Julians Argumentation. Sie sucht Widersprüche i n den Lehren der Christen, macht ihnen moralische Vorwürfe und hält ihnen einen durch neuplatonische Ideen verklärten Polytheismus entgegen. I m 19. Jahrhundert waren die christlichen Kirchen m i t der bestehenden staatlichen u n d rechtlichen O r d n u n g i m Kampf gegen die revolutionäre D o k t r i n verbunden, und man könnte bei Julian, dem Vertreter des m i t dem Staate verbundenen Heidentums, ähnliche Argumente gegen das C h r i stentum erwarten, wie sie legitimistische Philosophen gegen die Revolution vorbrachten. Das trifft aber nur i n Einzelheiten zu. V o n dem Gedanken, daß die Religion wie die Sprache ein konstitutives Element jeder u m fassenden menschlichen Gemeinschaft ist, v o n der traditionalistischen Vorstellung, daß G o t t sich i n der Gemeinschaft als solcher offenbart, findet sich nichts bei dem Hellenisten und neuplatonischen Esoteriker, der sich bei seinen religionspolitischen Bemühungen nur u m die Sophisten Athens und Antiochiens, kaum u m die i n römischen Senatsfamilien noch fortbestehende, echte heidnische Tradition kümmerte. D e r G r u n d hierfür lag darin, daß es i h m zu sehr u m den Inhalt einer bestimmten religiösen und philosophischen Überzeugung zu t u n war. W o h l bringt er auch, was Strauß besonders hervorhebt, den i n der konservativen Position natürlichen Hinweis auf Tradition und Dauer vor, der heidnische Polytheismus ist das bewährte Alte, die Religion, die den römischen Staat groß gemacht hat, während das Christentum eine sinnlose Neuerung ist, ohne Verhältnis zum politischen Leben und m i t einer A r t Nächstenliebe, die den Staat auflösen muß. Er begründet sein Pontifikat m i t dem H e r k o m m e n u n d sorgt für die Beibehaltung der πάτριοι νόμοι. A u c h verbindet er damit die alte Lehre v o m göttlichen Ursprung der Gesetze. D o c h bedeutet das 126 A . a. O., S. 1669. Gruppe bemerkt, S. 1663 Anm. 2, daß Friedrich II. und Voltaire Julian „ m i t Recht als ihresgleichen erkannt haben". Das entsprach der Ansicht aller Aufklärer des 18. Jahrhunderts. Auch der Marquis d 3Argens, der Freund Friedrichs II., erklärt und rechtfertigt die Religionspolitik Julians aus der Intoleranz des Christentums (Réflexions sur l'empereur Julian, vor der Ausgabe der Défense du paganisme, 2. éd., 1.1, Berlin 1767, p. L X X X V I ) . 11 C. Schmitt, Politische Romantik https://doi.org/10.3790/978-3-428-48428-7 Generated for Universitaet Leipzig, Universitaetsbibliothek at 139.18.244.59 on 2021-03-23, 10:34:20 UTC FOR PRIVATE USE ONLY | AUSSCHLIESSLICH ZUM PRIVATEN GEBRAUCH

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bei ihm eine Wiederholung neuplatonischer Ideen, zuweilen auch moralische Entrüstung über die Gottlosigkeit der Christen; immer aber ist es Ausdruck seines rein metaphysischen Glaubens an den Zusammenhang von Religion und Schicksal, an den Schutz der Götter und die Wirksamkeit des Gebetes. Der Gott der Galiläer ist aus zahlreichen metaphysischen Gründen nicht der wahre Gott, also kann er uns nicht helfen; das ist der Kardinalpunkt seiner Argumentation 1 2 7 . O f t erinnert diese persönliche Frömmigkeit in der Tat an fromme Wendungen bei Romantikern, die der politischen Restauration dienten. Aber bei Julian handelt es sich u m eine „Kontrereligion", nicht eine Kontrerevolution. Einem für die damalige Vorstellung die ganze Erde umfassenden Staat trat mit dem Anspruch absoluter Wahrheit eine Kirche gegenüber, die, wenn sie Staatskirche wurde, die traditionelle relativistische Toleranz des antiken Staates gegen alle Gottheiten und alle Bekenntnisse aufhob. Daraus, nicht aus subjektivistischer Willkür, entstand der Widerspruch in der Situation Julians. Er mußte, auch wenn seine persönlichen Überzeugungen anders gewesen wären, seinem religiösen Gegner auf religiösem Gebiet entgegentreten; der absoluten Religion des Christentums sollte eine ebenfalls absolut richtige 127

Δ ι ά μέν γάρ την Γαλιλαίων μωρίαν ολίγου δειν άπαντα άνετράπη, διά δέ την των θ εών εύμένειαν σωζόμενα πάντες· οθ εν χρή τιμάν τους θ εούς καΐ τους θεοσεβεΐς άνδρας κ α ι πόλεις. (Brief 7, 376 D , Hertlein, S. 485.) Allard erwähnt a. a. Ο . als Beispiel für das abstrakte, von allem traditionalistischen Empfinden entfernte Denken Julians den Brief an Themistiu?, i n dem allerdings ein ganz „philosophisches" politisches Programm entwickelt ist: der Fürst soll nicht für seine Zeitgenossen, sondern für die Nachwelt und unbeteiligte Fremde berechnete Gesetze geben (262 B, C, Hertlein, p. 339). Der Brief, den Allard einmal, t. I I I , p. 404, i n das Jahr 362, dann, p. 340, i n das Jahr 361 verlegt, wäre an sich ein gutes Beispiel, doch w i r d seine Beweiskraft dadurch beeinträchtigt, daß er wahrscheinlich Anfang 356, also vor dem Beginn der praktischen Tätigkeit Julians in Gallien geschrieben und deshalb eine philosophische Übung ist, die man hier ebensowenig heranziehen darf wie für die Beurteilung Friedrichs II. den Anti-Machiavell. Rud. Asmus, Kaiser Julians philosophische Werke, Philos. Bibl. Bd. 116, Leipzig 1908, S. 23, legt den Brief allerdings in die Zeit nach dem Tode des Konstantius, Ende 361, und Geffcken, a. a. O., S. 78, 147, gibt eine Reihe von Anhaltspunkten dafür. D o c h dürften sie, nach meinem Ermessen, nicht ausreichen, u m die Gründe, die Otto Seeck, Geschichte des Untergangs der antiken Welt, IV, Berlin 1911, S. 469, 470 für das Jahr 356 gibt, ganz auszuräumen, vor allem nicht den entscheidenden Grund, daß der Brief vor der ersten Übernahme schwieriger praktischer Geschäfte geschrieben sein muß. Es dürfte noch hinzukommen, daß der Brief nicht, wie das u m die Zeit des Regierungsantritts zu erwarten wäre (vgl. u. a. den Brief an Maximus, Nr. 38), von den Göttern, sondern mit der für die Zeit, da Konstantius noch lebte, charakteristischen Vorsicht von der Gottheit (τψ θε ψ i m Schlußabsatz auffällig dreimal kurz nacheinander) spricht.

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heidnische Religion entsprechen, obwohl Wesen und politischer Wert dieses Polytheismus gerade in der religiösen Relativität bestanden. Sobald der Liberale Strauß sich i n seiner Schrift dieser Seite des Julianischen Reformwerkes nähert, macht er eine auffallende Schwenkung. Jetzt erscheint ihm der reaktionäre Kaiser plötzlich als ein verständiger und sogar sympathischer Mann, weil er hier nicht nur als „Romantiker", sondern auch als „heidnischer Romantiker" auftrat, wodurch er sich von den christlichen Romantikern „unterscheidet, ja zu ihnen beziehungsweise (!) in einen Gegensatz tritt, der schwerlich zu seinem Nachteil ausschlagen dürfte" (S. 47). Wäre Strauß sich deutlicher bewußt geworden, wie sehr Julians Religionspolitik dem liberalen Gedanken entspricht, daß i m Staate jede Religion geduldet werden muß, so würde er es w o h l ebenso entschieden wie O. Gruppe abgelehnt haben, hier überhaupt von Romantik zu sprechen. Man braucht nur klarzustellen, was eigentlich die Parteien waren, die sich hier als A l t und N e u gegenüberstanden, u m den Unterschied der religiösen Argumentationen Julians von denen der Restaurationsromantik sofort zu erkennen. Der Kaiser stand seinem Feind, einem religiösen Glauben, mit religiösen Argumenten gegenüber; der theologisierende Romantiker wich vor einer politischen Diskussion in religiöse Demonstrationen aus, und die Theologie diente ihm als romantisches Alibi. Das war politische Romantik, aber ebenso Romantik wie die Romantisierung der Revolution oder Napoleons, in der sich die Gesinnungsgenossen von Strauß, die neue romantische Generation, erging. Besonders Bettina von A r n i m wurde ja jetzt wieder revolutionär und veröffentlichte 1843 „Dies Buch gehört dem König" und 1851 „die Gespräche mit Dämonen", typische Produkte revolutionärer politischer Romantik.

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Schluß Wo immer ein ernstes politisches Interesse politischer Romantik begegnet, w i r d die politische Romantik entweder als willkommenes Mittel politischer Suggestionen i n den Dienst der Politik gestellt, oder aber es kommt zu moralischen Vorwürfen gegen die innere „Verlogenheit" des Romantikers. Jede politische Aktivität - mag sie nur die Technik der Eroberung, Behauptung oder Erweiterung politischer Macht zum Inhalt haben oder auf einer rechtlichen oder moralischen Entscheidung beruhen widerspricht nämlich der wesentlich ästhetischen A r t des Romantischen. Ein Mensch von politischer oder moralischer Energie empfindet bald die Vertauschung der Kategorien und weiß das romantische Interesse für eine Sache von der Sache selbst zu unterscheiden. Weil der konkrete Punkt, u m den sich der romantische Roman bildet, immer nur occasionell ist, so kann Alles romantisch werden, und in einer solchen Welt lösen sich alle politischen oder religiösen Unterscheidungen auf in eine interessante Vieldeutigkeit. Der König ist eine romantische Figur wie der anarchistische Verschwörer und der Kalif von Bagdad nicht weniger romantisch als der Patriarch von Jerusalem. Hier läßt sich Alles mit Allem vertauschen. Unter dem Eindruck der Unsachlichkeit, den eine romantische Behandlung politischer Fragen bei einem ehrlichen Gegner leicht hervorruft, haben besonders Gegner Adam Müllers, wie Rehberg und Solger, ihn einen Sophisten genannt. Das Wort hat einen gewissen Sinn und ist nicht einfach ein leeres Schimpfwort. Denn die Verbindung von Subjektivismus und Sensualismus, die sich in der griechischen Sophistik zeigt, hob ebenfalls alle Gegenständlichkeit auf und machte aus der sachlichen Argumentation eine willkürliche Produktivität des Subjekts. Der Rhetor fühlte kein anderes Verpflichtungsgefühl als das, schön zu reden, und kannte keine andere Genugtuung als die Freude an der gelungenen, künstlerischen Form seiner Rede. I n den Briefen des Libanius z. B., des Lehrers Julians, äußert sich dieser völlig amoralische, naturhafte Genuß der eigenen oratorischen Leistung in Vergleichen, in denen er von sich sagt, daß er spreche, wie der Vogel singt, und keinen andern Wunsch habe, als zu singen wie die Nacht i g a l l 1 2 8 . Doch fehlt bei diesen Sophisten, obwohl ihr Ästhetizismus man128 Vgl. Ep. 13 bei j t C. Wolf, Libanii Sophistae Epistolarum Centuria, Lipsiae M D C C X I , p. 30. Weitere Beispiele bei Wilmer Cave Franca, The Emperor Julians

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Schluß

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che Ähnlichkeit mit der romantischen Produktivität begründet, das spezifisch Romantische: das occasionalistische Ausweichen in ein „höheres Drittes", das den Romantiker in die Mystik oder die Theologie führt, die Säkularisierung Gottes zum genialen Subjekt, das sich auch i n der Kunst nicht mit einer formalen Vollendung begnügt, vielmehr die Formen beliebig und occasionell benutzt, u m für sein subjektives Erlebnis die höhere Bedeutung und eine metaphysische oder kosmische Resonanz zu finden. Der wesentliche Widerspruch des Romantischen, der namentlich bei der politischen Romantik den Eindruck innerer Unwahrhaftigkeit rechtfertigt, liegt vielmehr darin, daß der Romantiker in der organischen Passivität, die zu seiner occasionalistischen Struktur gehört, produktiv sein will, ohne aktiv zu werden. Das bleibt der Kern der politischen Romantik. Als subjektivierter Occasionalismus hatte sie auch sich selbst gegenüber trotz zahlloser psychologischer Feinheiten und konfessorischer Subtilitäten nicht die Kraft, ihr geistiges Wesen in einem theoretischen oder praktisch-sachlichen Zusammenhang zu objektivieren. Ihr Subjektivismus wies sie, statt an Begriffe und philosophische Systeme, an eine A r t lyrischer Umschreibung des Erlebnisses, die sich mit jener organischen Passivität vereinigen ließ, oder, w o die künstlerische Begabung fehlte, an die oben beschriebene, halb lyrische, halb intellektualistische Begleitung fremder Aktivität, die den politischen Geschehnissen mit glossierender Charakteristik, Stichworten und Gesichtspunkten, Unterstreichungen und Entgegensetzungen, Anspielungen und kombinatorischen Vergleichen folgt, oft aufgeregt und tumultuarisch, aber immer ohne eignen Entschluß, eigne Verantwortung und eigne Gefahr. Politische Aktivität ist so nicht möglich, w o h l aber Kritik, die alles diskutieren und ideologisch auftreiben kann, die Revolution so gut wie die Restauration, Krieg und Frieden, Nationalismus und Internationalismus, den Imperialismus und den Verzicht darauf. Ihre Methode war auch hier das occasionalistische Abweichen von dem Gebiet, dem der streitige Gegensatz angehört, vom Politischen, ins Höhere, d. h. während der Restauration ins Religiöse; das Resultat: absoluter Gouvernementalismus, d. h. absolute Passivität; die Leistung: ein lyrisch-räsonierendes Tremolieren von Gedanken, die dem Entschluß und der Verantwortung andrer entsprangen. Wo die politische Aktivität beginnt, hört die politische Romantik auf, und es ist kein Widerspruch und kein Zufall, daß jene Nachfahren von Bonald und Maistre, die politisch tätigen Royalisten der dritten Republik, die revolutionäre Ideologie des liberalen Bourgeois mit derselben

Relation to the N e w Sophistic and Neo-Platonism, Chicag. Diss. London 1896,

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Schluß

Entschiedenheit als Romantik verhöhnen, wie der liberale deutsche Bürger, als er einen Versuch machte, politisch aktiv zu werden, in seinem reaktionären Bruder den Romantiker entdeckte. Beide, bürgerliche Revolutionäre wie bürgerliche Reaktionäre, haben i m 19. Jahrhundert als Begleiterin eine Romantik neben sich, wie einen bunten, beweglichen Schatten. Die politische Romantik ist ein Begleitaffekt des Romantikers zu einem politischen Vorgang, der occasionell eine romantische Produktivität hervorruft. Ein Eindruck, den die historisch-politische Wirklichkeit suggeriert, soll zum Anlaß subjektiven Schöpfertums werden. Wenn es dem Subjekt an eigentlich ästhetischer, d. h. lyrisch-musikalischer Produktivität fehlt, so entsteht ein Räsonnement aus historischem, philosophischem, theologischem oder anderem wissenschaftlichem Material, eine intellektuelle Musik zu einem politischen Programm. Das ist nicht die Irrationalität des Mythus, denn die Schöpfung eines politischen oder historischen M y thus entspringt politischer Aktivität, und das Gewebe von Beweisgründen, auf welches auch er nicht verzichten kann, ist Emanation einer politischen Energie. N u r i m wirklichen Krieg entsteht ein Mythus. Romantische Aktivität aber ist eine contradictio in adjecto. Es fehlt der Romantik nicht nur der spezifische Zusammenhang mit der Restauration, den der unrichtige deutsche Sprachgebrauch als „politische Romantik" bezeichnet, auch mit der Revolution besteht keine notwendige Beziehung. Das isolierte, absolute Ich ist über beides erhaben und benutzt beides als A n laß. Man darf sich nicht durch eine unklare, literarhistorische, selbst wieder romantisch beeinflußte Terminologie dazu verleiten lassen, die anspruchsvolle Expansion des Ästhetischen, die der romantischen Bewegung zugrunde liegt, mit politischer Kraft zu verwechseln, und darf, umgekehrt, ebensowenig das von der politischen Tagespolemik des deutschen Vormärz am meisten bemerkte Akzidentale, den Zusammenhang mit der damals stärksten Macht, der katholisierenden Restauration, zum Wesensmerkmal machen. Es ist auch ungenau, in den subjektivistischen Elementen des Romantischen den „exzessiven Individualismus" zu finden, von dem Seillière und die andern Franzosen sprechen. Individualismus hat hier nur dann einen Sinn, wenn das Wort als der Gegensatz zu einem Kollektiven oder Sozialen eine moralische Bedeutung erhält und autonom i m Gegensatz zu heteronom bezeichnet. Wohl besteht ein Zusammenhang mit der Autonomie des Individuums, aber durch die Verlegung ins Ästhetische ist der seinem Wesen nach moralische Begriff der Autonomie völlig verändert, und alle solche Unterscheidungen lösen sich auf. Man kann bei jedem Romantiker Beispiele sowohl anarchistischen Selbstgefühls wie auch exzessiven Geselligkeitsbedürfnisses finden, er w i r d von altruistischen Affekten, von Mitleid und Sympathie ebenso leicht ergriffen wie

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Schluß

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von snobistischer Anmaßung, nur hat das alles weder mit Autonomie noch mit Heteronomie etwas zu schaffen und bewegt sich ganz in der Sphäre romantischer Subjektivität. Ein Affekt, der nicht über den Rahmen des Subjektiven hinausgeht, vermag keine Gemeinschaft zu begründen, der Rausch der Geselligkeit ist keine Basis dauernder Verbindung, Ironie und Intrige sind keine sozialen Kristallisationspunkte, und auf dem Bedürfnis, nicht allein zu sein, sondern in der Bewegtheit eines belebenden Gesprächs zu schweben, läßt sich keine gesellschaftliche Ordnung errichten. Denn keine Gesellschaft kann eine Ordnung finden ohne einen Begriff von dem, was normal, und dem, was Recht ist. Das Normale ist seinem Begriffe nach unromantisch, weil jede N o r m die occasionelle Ungebundenheit des Romantischen zerstört. Vor einem normativen Begriff versagt auch die romantische Gegensätzlichkeit und Kontrastierung: der M u t eines tapfern Mannes ist nicht die höhere Einheit aus Depression und Exaltation, der vernünftig geordnete Staat keine Synthese aus Anarchie und Despotismus. Ebenso sind rechtliche Vorstellungen als solche unromantisch. Das Unrecht ist ja, romantisch gesehen, nur eine Dissonanz, die sich ästhetisch auflöst „ i n eine heilige Musik, ein unendliches Gefühl des höhern Lebens" - nicht bildlich gesprochen, sondern in der einzigen, dem Erleben des Romantikers zugänglichen Kategorie. Darum gibt es weder romantisches Recht noch romantische Ethik, wie es perplex wäre, von einer lyrischen oder musikalischen Ethik zu sprechen, und eine politische Romantik gibt es, wie es eine politische Lyrik gibt. So löst sich die tumultuarische Buntheit des Romantischen in ihr einfaches Prinzip eines subjektivierten Occasioanalismus auf, und der geheimnisvolle Widerspruch der verschiedenartigen politischen Richtungen der sogenannten politischen Romantik erklärt sich aus der moralischen Unzulänglichkeit eines Lyrismus, der jeden beliebigen Inhalt zum Anlaß ästhetischen Interesses nehmen kann. O b monarchische oder demokratische, konservative oder revolutionäre Gedanken romantisiert werden, ist für das Wesen des Romantischen gleich, sie bedeuten nur occasionelle A n knüpfungspunkte für die romantische Produktivität des schöpferischen Ich. Aber i m Kern dieser phantastischen Überlegenheit des Subjekts steckt der Verzicht auf jede aktive Änderung der wirklichen Welt, ein Passivismus, der zur Folge hat, daß nunmehr die Romantik selbst als Mittel unromantischer Aktivität benutzt wird. Trotz ihrer subjektiven Überlegenheit ist die Romantik schließlich nur die Begleitung der aktiven Tendenzen ihrer Zeit und ihrer Umgebung. Rousseaus geschichtliche Bedeutung liegt darin, daß er Begriffe und Argumente des 18. Jahrhunderts romantisierte, und sein Lyrismus kam der Revolution zugute, der siegreichen Strömung seiner Zeit. Die deutsche Romantik romantisierte erst die

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Schluß

Revolution, dann die herrschende Restauration, und seit 1830 wurde sie wieder revolutionär. Trotz Ironie und Paradoxie zeigt sich eine beständige Abhängigkeit. I m engsten Bereich seiner spezifischen Produktivität, i m Lyrisch- und Musikalisch-Poetischen, mag der subjektive Occasionalismus eine kleine Insel freien Schöpfertums finden, aber selbst hier unterwirft er sich unbewußt der nächsten und stärksten Macht, und seine Überlegenheit über die bloß occasionell genommene Gegenwart erleidet eine höchst ironische Umkehrung: alles Romantische steht i m Dienste anderer, unromantischer Energien, und die Erhabenheit über Definition und Entscheidung verwandelt sich in ein dienstbares Begleiten fremder Kraft und fremder Entscheidung.

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Namenverzeichnis A l b i n i 41 Anm. 31 Allard 162 Anm. 127 A r n d t E . M . 131 A r n i m , A . v. 27 Anm. 7, 38 Anm. 26, 54, 134 Anm. 102, 147 Anm. 119, 153 A r n i m , Bettina v. 85, 87, 92, 119, 132, 142 Anm. 112,163 Ascher, Saul 42 Anm. 34 Asmus 155 Anm. 124, 157 Anm. 125, 162 Anm. 127 Auber 154 Augustinus 67 Aulard 32 Anm. 16, 69 Baader 76 Anm. 81 Baudelaire 19, 21 Beethoven 132 f. 154 Anm. 123 Below, G. v. 27, 32, 34 Anm. 19, 38 Anm. 26 Bergbohm 38 Anm. 26 Bergson 142 Berkeley 100 Berlioz 154 Anm. 123 Bernard 75 Anm. 79 Bernhard, Prinz v. S.-W. 50 Berthelot 75 Anm. 79 Besold 74 Anm. 78 Blacas 71 Bleyer, J. 41 Anm. 31, 45 Anm. 37 Bluntschli 26 Anm. 3, 38 A n m . 26 Bobeth, J. 49 Anm. 49 Bodin 72, 74 Bonald 10, 26 Anm. 3, 29 Anm. 11, 31 Anm. 13, 33 u. Anm. 18, 38, 68 ff. 72 A n m . 75, 73, 84 Anm. 83, 91, 108, 117 ff. 121 ff. 123, 125, 127, 129, 132

Anm. 99, 144, 149 Anmn. 121, 150, 160,165 Bonaventura 94 A n m . 86 Bonn, M . J. 68 Anm. 69 Borgese, G. A . 11, A n m . 3 Bossuet 43 Anm. 36, 74 Böttiger 49, 54 A n m . 59 Bourignon 65, 67 Bouterwek 47 Anm. 44,134 Anm. 102 Brandes 47, 131 Brentano 27 Anm. 7, 67, 134 Brinckmann 135 Anm. 103, 137 u. A n m . 106 Brunetière 29 Anm. 12, 71 Anm. 74 Buchholz, F. 49, 55,132 Anm. 99,133 Büchner, G. 26 A n m . 3 Buol 44, 58 Anm. 63 Burke, E. 26 Anm. 3, 31 Anm. 13, 33 f. 39, 43 Anm. 36, 48, 55 f. 68 u. Anm. 69, 70, 73, 91, 97, 114, 116, 118ff. 125, 127, 129, 131 ff. 135, 144, 147 Anm. 119,151 Büß, E. 96 Anm. 87 Byron 12, 21 Calderon 132 Calvin 11 Candrea 68 Anm. 69 Cassirer, E. 142 Anm. 112 Cato 95 Cave France Wilmer 164 Anm. 128 Chamberlain, H . St. 31 A n m . 13 Chateaubriand 14, 21, 39, 131, 154 Anm. 123 Cicero 140 Claudius 27 Anm. 7 Comte 160 Constant, Β. 154

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Namenverzeichnis

170 Cortés, Donoso, 11 Coubertin31 Anm. 13 Creuzer 27 Anm. 7,158 Cube 134 Anm. 102 Curtius, F. 38 Anm. 26 Cusanus, N . 78

Dahlmann 50 Dante 8,132,154 Anm. 123 Danton 12, 26 Anm. 3, 69,126 Demosthenes 43 A n m . 36 Descartes 62, 64 f. 67, 70, 74, 84, 94, 98, 102 f. Dilthey 95 Dipauli 57 Anm. 63 Dombrowsky 37 Anm. 24, 53 Anm. 58, 60 Anm. 65, 129 Anm. 96, 134 Anm. 102, 147 A n m . 119 Dorow, W. 45 Anm. 38, 52 Anm. 57 Dostojewski 154 A n m . 123 Echtermeyer 25 Anm. 2 Eichendorff 36,153 Eichhorn 47 Anm. 45 Elkuß, S. 46 A n m . 42, 67, 68 Emmerich, Kath. 67 Anm. 69, 75 Engels, F. 15, 29 Anm. 11,35 Ewald, O. 25 A n m . 3 Faguet 71 Anm. 74 Feder 40 Fénelon 31 Anm. 13, 64, 67,103 Fessier 54 Anm. 59, 61 Feuerbach 36, 115 Fichte 26, 40, 62 f. 67, 75, 85, 91 ff. 98, 100, 115ff. 118, 131 Anm. 98, 132f. 135, 137, 139 Finke, H . 45 A n m . 38 Finkenstein 135 Folien, K. 151 A n m . 122, 158 Fouché 34 Anm. 18 Fouqué 27 Anm. 7 Fox 43 Anm. 36 Franz (I. Kaiser) 33 Anm. 18, 58 Anm. 63, 139 Anm. 109

Friedrich I I . (d. Große) 33 Anm. 18, 52 u. Anm. 56, 109, 125, 127, 138 Anm. 107 u. 108, 141, 151, 157 Anm. 125, 162 Anm. 127 Friedrich Ferdinand v. Anhalt-Köthen 46 Friedrichs, A . 142 Anm. 112 Friedrich Wilhelm IV. 155,159 Geffcken, J. 157 A n m . 125, 162 Anm. 127 Gentz 25 ff. 27 Anm. 7, 33 u. A n m . 18, 41 f. 42 A n m . 35, 44, 45 Anm. 38, 46 f. 49, 53, 54 A n m . 59, 57 u. Anm. 62, 58 Anm. 63, 60 Anm. 65, 72, 77 Anm. 82, 85, 114, 121, 125, 129, 135 ff. 138 A n m . 107,148 Anm. 119 Géraud de Cordemoy 93 ff. Geulincx 93 ff. 105,112 Geyer, A . 70 Anm. 71 Gierke, Ο . ν. 18 Giovanelli 58 A n m . 64 Gneisenau 32 Gobineau 146 A n m . 117 Goethe 7, 26, 40, 48, 67, 77, 81, 92, 132 f. 135 Görres 26 Anm. 3, 27 A n m . 7, 37, 38 A n m . 26, 54 Anm. 59, 61, 123,136 u. A n m . 105, 145 Göschel 27 Anm. 7 Götzen 50 Goyau, G. 71 A n m . 74,131 A n m . 98 Gräffler, Fr. 137 Anm. 106 Grimm, W. 56,150 Gruppe, O. 157 Anm. 125 Guglia, E. 26 A n m . 3, 123 Anm. 93 Gutschmid, v. 158 Anm. 125 G u t z k o w 131 G u y on 31 Anm. 13, 64

Haller, K. L. v. 26 Anm. 3, 27 A n m . 7, 29 Anm. 11, 33, 37 u. Anm. 24, 38 Anm. 25, 61, 107 f. 118, 127 f. 144 f. 159

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Namenverzeichnis Hamann 67 Hardenberg 42 A n m . 34, 52 ff. 56, 58 Anm. 63, 59 Anm. 65, 60 Anm. 65 Hardouin, P. 103 Harnack 155 f. Hasenclever 155 A n m . 124 Hauck 155 Anm. 124 Hausenstein 151 Anm. 122 Haym, R. 25, 26 A n m . 3, 77 Anm. 82 Haymann 55 Anm. 60 Haza, v. 48, 54 A n m . 49, 58 Anm. 63, 70 Anm. 73 Hébert 69 Heeren 59 Anm. 65 Hegel 27 Anm. 7, 29 A n m . 11, 39, 64 f. 74 f. 83, 89 ff. 91, 115 ff. 142 Anm. 112, 150 Anm. 121 Hegewisch, D . H . 157 A n m . 125 Hemsterhuis 67 Herder 67,121,131 Anm. 98 Hertlein 162 Anm. 127 Herzog 155 Anm. 124 Hobbes 64, 66 Hoffmann v. Fallersleben 59 Anm. 65 Hölderlin 116 Holstein, G. 37 Anm. 24 Hormayr 58 Anm. 63 Horner 33 Anm. 18, 139 Anm. 109, 144 Anm. 115 Hudelist 42 Anm. 33 Hugo, G. 38 Anm. 38, 145 Anm. 116 Hugo, Victor 154 A n m . 123 H u m b o l d t , W. v. 26,135 Innerkofler 60 A n m . 65 Jacobi 27 Anm. 7, 64, 67 Jaeger, Α . 57 Anm. 63, 58 Anm. 64 Janentzky, Chr. 66 Jarcke 27 Anm. 7, 37, 42 Anm. 35, 101, 159 Johann, Erzh. v. Osterreich 42 Anm. 34, 56 f. 58 Anm. 63 Julian Apostata 155 ff. 164

Kaesar 43 Anm. 35 Kanne 61, 65 Kant 62, 103, 115 f. 128, 131 Anm. 98, 137, 146 Kantorowicz, H . U . 37 A n m . 24 Kaufmann, E. 75 Anm. 80 Kayka, E. 134 Anm. 102 Keats 20,127 Kierkegaard 76 Anm. 81 Kleist, Η . v. 49 f. 52, 60 Anm. 65, 76 Anm. 81,134 A n m . 102 Klemperer, V. 27 Anm. 8, 35, 96 A n m . 87 Klinger 27 Anm. 7 Klinkowström 43 A n m . 35 Klose 53 Anm. 58 Klüber 44 Koethe 139 Anm. 109 Kotzebue 41, 151 f. Krall, E. 26 Anm. 3 Krones, F. v. 42 A n m . 34, 57 Anm. 63 Krüdener 61, 64 Kurnatowski 47 A n m . 45, 48,135 Lamennais 38 Anm. 26, 119 Lask, E. 64 Lasserre, P. 31 Anm. 13 Latreille, C. 45 Anm. 38, 71 Anm. 74, 131 A n m . 98 Lavisse 123 Anm. 93 Lebzeltern 43 Anm. 35 Lehmann 53 Anm. 58 Leibniz 70 Lemaître, J. 31 Anm. 13 Lenz, F. 53 Anm. 58 Lenz, J. M . R. 27 Anm. 7 Lenz, M . 28 Anm. 9 Lessing 26, 44 Lewin, J. 94 Anm. 86 Lewy, A . 53 Anm. 58 Libanius 157 Anm. 125, 164 Lichtenberg 26 List, Fr. 148 Anm. 120 Locke 145 Anm. 116 Loeben (Graf) 134 Anm. 102 Luden 89 f.

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Namenverzeichnis

L u d w i g XIV. 33/34 A n m 18, 122 Anm. 92 Luise (Königin) 12,127 Lupus, J. 119 Lusser, K. E. 13 Luther 11 Macchiavelli 65 Anm. 66 Maistre, de, 10, 26, 29 Anm. 11, 31 Anm. 13, 33 u. Anm. 18, 38 u. Anm. 26, 39, 45 Anm. 38, 70, 71 A n m . 74, 72 Anm. 75, 73, 90 f. 114, 118 ff. 122 Anm. 92, 124 f. 127, 129, 131 Anm. 98,136,144,145,150,159 f. 165 Malebranche 18 f. 67, 70, 74, 93 ff. 97 f. 101 f. 105,109 f. 112 f. 119 Mandoul, J. 71 A n m . 74 Manso 59 A n m . 65 Marie Antoinette 12 Mariéjol 123 Anm. 93 Martens, J. v. 50 Marwitz, v. d. 52, 53 Anm. 58, 56, 147 Anm. 119 Marx, K. 28/29 Anm. 11, 89 Mayer, J. F. 27 Anm. 7 Masson, P. M . 67 Maurras, Ch. 31 A n m . 13 Maximus 162 A n m . 127 Mehring, F. 29 Anm. 11 Meinecke 32, 39 Anm. 28, 75 Anm. 80 Mendelssohn 42 A n m . 35 Mendelssohn-Bartoldy 45 Anm. 38 Menzel, W. 45 A n m . 40 Merkel, G. 49 Anm. 49 Metternich 25, 27, 39 A n m . 29, 41, 44 ff. 57, 58 Anm. 63, 118, 127, 159 Metzger, W. 37 Anm. 24, 38 Anm. 27, 60 Anm. 65, 106 Anm. 90, 142 Anm. 112,143 Anm. 114 Meusel, Fr. 53 Anm. 57 Michelet 12 Moeser 38 M o h l , R. v. 26 Anm. 3, 38 Anm. 26 Montesquieu 55, 74, 95, 133 Montlosier31 A n m . 13

Moser, J.J. 150 Anm. 121 Mozart 92 Müller, A . 21, 26, 27 Anm. 7, 29 Anm. 11, 32 f. 33 A n m . 18, 37 u. A n m . 24, 38 f. 42 ff. 45 ff. 48 Anm. 46, 49-61, 67 f. 70 A n m . 73, 76, 77 Anm. 82, 79, 81 f. 84 Anm. 83, 85 f., 97 ff. 102 f. 106 ff. 110 ff. 117 f. 120, 122, 124, 125-129, 131-140, 142 Anm. 112, 143 ff. 153 f. 164 Müller, J. v. 26 A n m . 3 Murray, K. 13 A n m . 4 Nadler, J. 13 Napoleon 12, 26 Anm. 5, 44, 71, 99, 109, 123, 126, 130, 133, 148 Anm. 120,124,163 Negri, G. 157 A n m . 125, 160 Nero 154 Nettelbladt 131 A n m . 98 N e w t o n 115 Nicolai 41, 138 Anm. 107 Nietzsche 21 Novalis 5, 20, 32, 37 Anm. 24, 39, 60 Anm. 65, 67, 79, 81, 85, 86 f. 92 f. 98 Anm. 88, 116, 126, 127 ff. 132 f. 133 Anm. 101, 136 Anm. 105, 149 f. 154, 159 Oehlke, W. 92 A n m . 85 Oken 158 Paléologue 39 Pâlyis, M . 60 A n m . 65,148 Papini, G. 9,11 Pascal 103 Paul, J. 133 Peterson 135 Peterson, Ε. 66 A n m . 67 Pfuel, v. 51 Anm. 53 Pilat 42 Anm. 35, 44, 45 A n m . 38 Plato 140 Plotin 8 Plutarch 90

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Namenverzeichnis Poetzsch 37 Anm. 24 Poiret 64, 67 Quixote, D o n 153 Racine 135 Anm. 103 Rahel 145 Anm. 116 Rahmer, S. 60 Anm. 65 Ranke 53 Anm. 58 Raumer, v. 42 A n m . 34, 43, 47 Anm. 45, 54 Anm. 59, 56 A n m . 61, 58 A n m . 63, 59 Anm. 65,138 Ravaisson, F. 75 A n m . 79 Rehberg 37 Anm. 24, 43, 47, 50 A n m . 51, 55, 114 f. 132 Anm. 99, 133, 138, 164 Reinhard, E. 38 Anm. 25 u. 26 Reiser, A . 111 Renan 75 Anm. 79,160 Rexius, G. 37 Anm. 24, 38 Anm. 25, 47 Anm. 43 Robespierre 32, 69 u. A n m . 70, 152 Rode, Fr. 157 Anm. 125 Roscher, W. 25 Anm. 3 Roschmann 56 f. 57 A n m . 63 Rosenthal, D . A . 60 Anm. 65 Rousseau, J. J. 5, 9, 29 f. 31 Anm. 13, 32, 35 Anm. 21, 38 A n m . 26, 66 f. 68, 72, 78, 85, 115, 128, 136 Anm. 105, 145,167 Royer-Collard 123 Rubin, J. a. 94 A n m . 86 Rüge, A . 25 Anm. 1, 27, 28 Anm. 10, 30, 37, 82,158 Rühl, F. 51 Anm. 55, 52 Anm. 56, 59/60 Anm. 65 Rühle v. Lilienstern 49 Saalfeld 44 Sainte-Beuve 95, 103 Sand, G. 39 Anm. 29 Sand, K. L. 151 f. Savigny 27 Anm. 7, 37 Scheffner 45 Anm. 38

Schelling 37 Anm. 24, 39, 62 ff. 67, 74 f. 84f. 89f. 96, 98,115, 117f. 131 Anm. 98, 137 Anm. 107, 142, 145 A n m . 116,158 Schelver 117 Schiller 16, 41, 79 Schlegel, A . W. 45 A n m . 37 u. 39, 76 Anm. 81, 80,132 Schlegel, D . 44, 45 A n m . 38 Schlegel, Fr. 25 f. 27 A n m . 7, 32, 37 Anm. 24, 37 ff. 40, 41 Anm. 32, 4245, 48, 54 Anm. 59, 58 Anm. 63, 60 Anm. 65, 67, 76 A n m . 81, 77 A n m . 82, 78, 82, 92 f. 98 f. 101, 103, 106 f. l l l f . 115, 125, 127, 129 Anm. 96, 131 -134, 137 Anm. 107, 143, 146 u. Anm. 117,153 Schleiermacher 37 Anm. 24, 91, 116 f. 137 A n m . 107 Schlözer 40 Schopenhauer 89, 98 A n m . 88 Schubarth, K . E. 75 A n m . 79 Schubert 27 Anm. 7, 49 Schuckmann 42 Anm. 34 Schulte, I. F. 47 A n m . 45 Schulz 98 Anm. 88 Scott, W. 12,15 Seeck, 0 . 1 6 2 Anm. 127 Seignobos 32 Anm. 16 Seillière, Ε. 5, 30 f. 33, 35 Anm. 21, 36, 67,166 Seneca 95 Shaftesbury 65-68, 93, 97 Shakespeare 88, 154 A n m . 123 Shelley 12 Sievers 157 Anm. 125 Simkhovitch 36 Singer 38 Anm. 26 Smith, A . 145 Sohm 129 Anm. 95 Sokrates 83,115 Solger 56 u. Anm. 61, 59 Anm. 65, 100, 150, 164 Sozomenos 155 A n m . 124 Spalding 134 Anm. 102 Speckbacher 59 Anm. 65

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Namenverzeichnis

Spinoza 64 f. 67,103,117 Spittler 40

Tieck 27 A n m . 7, 59 Anm. 65, 89, 95,

Spranger, E. 37 A n m . 24 Stägemann 51 u. A n m . 54, 59/60 Anm. 65 Staël, v. 41 Stahl, F. J. 11, 27 Anm. 7, 37, 65 A n m . 66, 70 Anm. 71, 75 Steffens 27 A n m . 7 Steig, R. 52 A n m . 56, 53 Anm. 58, 56 Anm. 61, 60 Anm. 65,147 Anm. 119 Steigentesch, v. 41,143 Anm. 113 Stein, v. 32 Stendhal 8,154 Anm. 123 Stieglitz, Ch. 31 A n m . 13 Stolberg 27 Anm. 7, 131 Anm. 98 Stourdza 76 A n m . 81 Strauß, D . F. 155 f. Stürmer 43 Anm. 35 Suarès, Α . 154 Sybel 69 A n m . 70

Treitschke 53 A n m . 58, 73 Anm. 77 Troeltsch, E. 7,129 Anm. 95

Taine, H . 13 Anm. 4, 14 f. 31 Anm. 13, 32 f. 75 Anm. 79,137,140 Talleyrand 39 Anm. 29 Tertullian 96,103 Teuffei 157 A n m . 124 Theremin 134 A n m . 102 Thilo, Chr. A . 38 Anm. 26, 71

110

Vico 65, 67, 74 Vogt, N . 44 Volpers, R. 132 A n m . 100 Voltaire 74,161 A n m . 126 Vossler, K. 27 Anm. 8, 35 Anm. 21 Wackenroder 27 A n m . 7 Wagner, J. J. 39, 65, 83, 90,117,149/150 Anm. 121 Wagner, K. 41 Anm. 31 Wahl, A . 41 Anm. 19 u. 20 Walzel, O. 43 A n m . 35, 93 Warda, A . 45 A n m . 38 Werner, R. M . 41 A n m . 31 Werner, Zach. 27 Anm. 7, 38, 67 Wiesel 53 A n m . 57, 60 Anm. 65 Wiggers 157 A n m . 125 Windischmann 98 Anm. 88, 129 Anm. 96 Wittichen, Fr. C. 26, 27 Anm. 6, 43 Anm. 35 Wolf, J. C. 222 A n m . 128 Words w o r t h 11,15 Zschokke 52 Anm. 56

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