Politikberatung und Lobbying in Brüssel 3531153889, 9783531153889

Erfolg hat immer viele Väter. Der Misserfolg bleibt stets ein Bastard. Hat die oft kritisierte EU nun zu viele oder zu w

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German Pages 276 [265] Year 2007

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Politikberatung und Lobbying in Brüssel
 3531153889, 9783531153889

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Steffen Dagger · Michael Kambeck (Hrsg.) Politikberatung und Lobbying in Brüssel

Steffen Dagger Michael Kambeck (Hrsg.)

Politikberatung und Lobbying in Brüssel

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

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1. Auflage Juli 2007 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Frank Schindler Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15388-9

Inhalt

Vorwort Steffen Dagger Einführung: Mythos Brüssel?

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1. Die Perspektive der Entscheider – Parlament, Kommission und Rat Hans-Gert Pöttering Politikberatung und Europäisches Parlament – ein Geleitwort

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Martin Schulz Ziel und Quelle – Politikberatung und das Europäische Parlament

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Silvana Koch-Mehrin Lobbyismus zwischen Brüssel und Berlin – ein Sonderfall der Politikberatung

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Karl-Heinz Florenz Politikberatung in Europa am Beispiel der Chemikalienpolitik REACH

42

Rudolf W. Strohmeier Die Europäische Kommission im Gefüge von Politikberatung und Lobbying

61

Thomas Scholz Lobbyismus aus der Sicht der Europäischen Kommission – Tugend oder notwendiges Übel ?

68

Klaus Gretschmann Kommst Du mit der Lösung oder bist Du Teil des Problems? Politikberatung in und für Europa

78

5

Martin Bauer Politikberatung im Rat der Europäischen Union Jochen Grünhage Der Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten – ein Blick hinter die Kulissen von Politikberatung in Brüssel

90

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2. Die Perspektive der Interessenvertreter – Organisationen, Verbände und Agenturen Jorgo Riss Alle reden über Lobbyismus – wer tut was dagegen? Probleme der EULobbykratie, aus der Sicht einer Umweltschutzorganisation

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Hans H. Stein Vorfeldbeobachtung und Einflussnahme bei der europäischen Rechtsetzung: Politikberatung durch die Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Europäischen Union

136

Klaus M. Nutzenberger Politikberatung und Lobbying in Brüssel

146

Martin Säckl 20 Jahre EU-Lobbying als Dienstleistung

156

Jeremy Galbraith Effektives Lobbying in Brüssel: Eine Analyse und zwölf Tipps.

165

3. Die Perspektive der Beobachter und Begleiter – Think Tanks, Wissenschaft und Journalismus Gerd Langguth Lobbyismus und Politikberatung in der EU

183

Wolfgang Wessels / Verena Schäfer Think Tanks in Brüssel: „sanfte“ Mitspieler im EU-System? – Möglichkeiten und Grenzen der akademisch geleiteten Politikberatung

197

6

Peter R. Weilemann Im Brüsseler Think Tank Biotop – zur Kultur politischer Beratung in der Hauptstadt Europas

212

Hajo Friedrich „Nicht wirklich vorwärts kommend, strampeln wir schneller“ – ein kritischer Blick eines freien Journalisten auf EU-Politikberatung und Öffentlichkeit

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Axel Heyer Beratung durch Öffentlichkeit und öffentliche Beratung – Wirkung eines Tests von Abgeordneten-Websites

235

Michael Reichmann EU-Verdrossenheit und Erkenntnisverweigerung – Gedankenspiele eines Journalisten

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4. Fazit Michael Kambeck Schlussanalyse: Politikberatung in Brüssel – notwendig und fehlbewertet

255

Kurzbiographien der Autoren und Herausgeber

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Vorwort

Als wir uns Ende 2004 erstmals in der Mikey-Mouse-Bar des Europäischen Parlamentes trafen, um die Idee eines Buchprojekts „Politikberatung und Lobbying in Brüssel“ zu besprechen, standen wir unter dem unmittelbaren Eindruck ebensolcher Politikberatung. Wir erlebten sie täglich in Form von Anschreiben und Anrufen von Industrievertretern oder NGOs. Wir erlebten Beratung aber auch innerhalb der Institution, schließlich berieten wir auch selbst die Abgeordneten, für die wir zum damaligen Zeitpunkt tätig waren. Wer derartige Eindrücke in ihrer Vielfalt erlebt, empfindet sie als ein hoch spannendes und aufschlussreiches Stück Europa – denn nur wer Teil dieses Uhrwerks wird, kann seine Funktionsweise verstehen oder zumindest ein Gespür dafür entwickeln. Darum geht es uns bei diesem Buch: Ein Gespür für einen ganz wesentlichen Teil des Funktionierens der EU zu vermitteln. Und so war es nur zu logisch, die Betroffenen selbst zu Wort kommen zu lassen, Berater und Beratene selbst ihre Eindrücke wiedergeben zu lassen. Das daraus entstandene Mosaik der vielen Blickwinkel gibt dem Leser ein sehr praxisnahes Bild wieder – mit wiederkehrenden Mustern. Dabei konnten wir auf Erfahrungen aus dem Buchprojekt „Politikberatung in Deutschland“ bauen, wo sich eine ähnliche Methode bewährt hatte. Wir sind den Autoren sehr dankbar für die Abwechslung in Inhalt und Schreibstil, denn sie machen das Buch zu einem nie langweilig werdenden, authentischen Zeugnis. Besonderen Dank möchten wir unseren Familien und Freunden aussprechen, deren Geduld wir während der Erstellung arg strapaziert haben, indem wir an Wochenenden und Abenden nicht verfügbar oder erreichbar waren. Ferner möchten wir allen Autoren und deren Helfern für ihre Beiträge danken, sowie Elmar Brok für die Unterstützung dieses Buchprojektes. Der gute Zweck, Europa einmal von dieser Seite zu erklären, war dies ihnen und uns wert. Brüssel im Januar 2007 Michael Kambeck und Steffen Dagger

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Steffen Dagger

Einführung: Mythos Brüssel?

‚Politikberatung’ ist ein nur allzu schillernder Begriff der politischen Kommunikation, den man heute neben vielen anderen Begriffen wie Lobbying, Public Affairs, Public Relations, Think Tanks oder wissenschaftlicher Politikberatung vorfindet. Im modernen Sprachgebrauch der Medien und Öffentlichkeit wird die Vokabel ‚Politikberatung’ ebenso wie ‚Lobbying’ meist willkürlich gebraucht. Beide Begriffe tauchen in den Medien vor allem im Zusammenhang mit vermeintlichen Unsitten oder Skandalen auf.

1

Aktuelle Diskussion

Insbesondere im Zusammenhang mit dem Begriff Lobbyismus ist Politikberatung zu einem Reizthema mutiert, das viele Medien vor allem auf die Agenda setzen, wenn Graubereiche von Moral, Interessenverquickung oder gar Bestechung gestreift werden.1 In Deutschland sorgen Berichte zu „Beraterverträgen“ von Politikern wie Hermann-Josef Arentz oder Altkanzler Gerhard Schröder für Aufsehen; Schlagworte wie „Waffenlobbyist Schreiber“ oder „Hunzinger-Affaire“2 trüben das Image von Lobbyisten und PR-Beratern und tragen letztlich dazu bei, dass das Ansehen von Beratung und Interessenvertretung in ein bisweilen zweifelhaftes Licht gerückt wird.3 1

Vgl. Kohrs, Ekkehard (2006): „Grauzone zwischen Gewissen und Grundgesetz – Norbert Röttgen ist nicht der einzige Abgeordnete, der mehreren Herren dient“, in: General-Anzeiger, 23.05.2006. 2 Hildebrandt, Antje (2006): „Kontrolle der fünften Gewalt – Der Einfluss von Lobbyisten auf die deutsche Gesetzgebung wächst – eine Initiative nimmt nun die bezahlten Einflüsterer ins Visier“, in: Frankfurter Rundschau, 15.02.2006. Siehe auch Leyendecker, Hans (2006): „Rettung aus der Schweiz – Ex-Staatssekretär Pfahls hofft, dass Bern Beweise in Schmiergeldaffäre blockiert“, in: Süddeutsche Zeitung, 9.12.2006. 3 „’Die Hunzinger-Affäre war ein Tiefschlag’ stöhnt Jürgen Pitzer, Präsident der Deutschen Public Relations Gesellschaft noch heute. Dadurch geriet die ganze Branche der Politik- und Kommunikationsberater in den Verdacht der aktiven Bestechung“, vgl.: Goffart, Daniel (2002): „Die Firmen brauchen Lobbying a la carte – Der neue Trend der Hauptstadt heißt politische Kommunikation statt traditioneller Verbandsarbeit“, in: Handelsblatt, 20.11.2002. Siehe auch Hauschild, Helmut (2006): „EU plant Regeln für Lobbyisten – Brüssel verändert die Arbeit von 15 000 Interessenvertretern“, in: Handelsblatt, 3.5.2006.

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Schlagzeilen produziert Politikberatung auch auf Brüsseler Ebene. Hier ist allzu oft von einem zentralistischen, bürgerfernen, technokratischen und undurchsichtigen „Moloch Brüssel“ die Rede, der über die Köpfe der Menschen hinweg regiere. „Dort hecken hinter den Kulissen Funktionäre, Politiker und Interessenvertreter unbeliebte Beschlüsse aus, mit denen sie die Bevölkerung traktierten“ heißt es4 – Welche Strippenzieher in Brüssel über welche Wege und Kanäle Macht und Einfluss erlangen, ist vielen Bürgern suspekt. Bei dieser Sichtweise ist die Vorstellung vorherrschend, Berater und Lobbyisten seien ein Risiko für das Gemeinwohl oder die Demokratie, da die Politik zum Spielball der Interessen geworden sei.5 Schließlich sorgen die Diskussion um die Sonderberater der Europäischen Kommission und deren mögliche Interessenkonflikte sowie der Anlauf des für Verwaltung und Korruptionsbekämpfung zuständigen EU-Kommissars Sim Kallas zu einer Transparenzinitiative bezüglich Lobbyisten für Gesprächsstoff.6 Auf der anderen Seite scheuen viele nationale Medien eine allzu ausführliche EU-Berichterstattung, da mit EU-Themen wenig Geld zu verdienen ist. Tendenziell geht der journalistische Trend zur Vereinfachung: Redaktionen geben ihren Korrespondenten Vorgaben. „Damit das spröde Thema überhaupt ein bisschen sexy wird: ‚Personalisieren, dramatisieren und wenn es sich anbietet auch: skandalisieren – kurz: eher Gefühle als den Verstand bedienen’“, klagen Brüsseler Korrespondenten.7 Als Sitz der Europäischen Kommission ist Brüssel für Berater und Beratene tatsächlich von zentraler Bedeutung – und gleichzeitig sehr komplex. Das Mehrebenensystem umfasst nach der letzten EU-Erweiterung nunmehr 27 Länder, 23 Amtssprachen und unzählige kulturelle und regionale Befindlichkeiten. Diese enormen Prozesse fließen am Ende allesamt in Einzelentscheidungen auf endlosen Ebenen ein. Nicht wenige Entscheidungen unter ihnen sind dabei inzwischen Grundlage für mittlerweile etwa zwei Drittel der Gesetze und Regelungen in Deutschland geworden. Deshalb sind nicht nur Politiker, sondern auch viele andere Akteure und Entscheider wie Referenten und Beamte allein aus Kapazitätsgründen in besonderem Maße auf fachkundige Politikberatung zu spezialisierten Fachgebieten wie die Wissenschaft, die Medien oder Interessen4 Bolesch, Cornelia (2006): „Frischer Wind treibt Brüsseler Regierungsmühlen an – Die Öffentlichkeit beobachtet Entscheidungsprozesse aufmerksamer und nimmt auch Minister und Regierungschefs in die Pflicht“, in: Das Parlament, 27.03.2006. Siehe auch Klau, Thomas (2007): „Wenn Herr Schmidt nach Brüssel geht – Die EU muss lernen, mit demagogischen Attacken zu leben – das zeigt das Beispiel Washingtons“, in: Financial Times Deutschland, 22.02.2007. 5 Speth, Rudolf (2006): „Wege und Entwicklungen der Interessenpolitik“, in: „Die fünfte Gewalt – Lobbyismus in Deutschland“, S. 38. 6 Friedrich, Hajo (2007): „Berater oder Interessenvertreter – die Grenzen fließen. Die Kommission hat die Liste ihrer Sonderberater veröffentlicht.“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.03.2007. 7 Niemann, Sonja (2006): „Der härteste Korrespondentenjob der Welt“, in: V.i.S.d.P. 3/2006, S. 36.

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gruppen angewiesen. So sind es in der Praxis neben Universitäten und wissenschaftlichen Einrichtungen heute vor allem nationale und internationale Verbände, Unternehmen, NGOs, Think Tanks, Stiftungen, Public Relations- und Public Affairs-Agenturen sowie internationale Rechtsanwaltskanzleien, die den Entscheidern relevante Informationen zur Verfügung stellen.

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Definition

Der Versuch, Politikberatung ‚exakt‘ zu definieren, ist ein schwieriges Unterfangen – es kommt dem sprichwörtlichen Versuch nahe, einen Pudding an die Wand zu nageln.8 Während man über Jahrhunderte in Deutschland unter Politikberatung die Einflussnahme von Höflingen, Stabsmitarbeitern, Hofnarren und Einzelberatern verstand, bedeutet der moderne Ausdruck in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Wissenschaft vor allem die institutionelle Versorgung politisch Handelnder mit rein wissenschaftlichen Informationen. Aktuell wird der Begriff noch weiter ausdifferenziert. Während er seitens der Medien und der Öffentlichkeit recht freizügig und zwanglos gebraucht wird, werden in Deutschland mittlerweile auch solche Akteure als Politikberater bezeichnet, die gegenüber anderen politischen Akteuren beispielsweise im Bereich des Lobbyings, der Public Relations, Public Affairs, der Umfragenerstellung, Kommunikation oder Werbung beratend tätig sind.9 Ähnlich den Entwicklungen in Washington blühte auch in Brüssel und spätestens seit dem Regierungs- und Parlamentsumzug von Bonn nach Berlin auch in Deutschland die Beraterbranche auf und entwickelte sich seitdem beachtlich. Auch die Wissenschaft nimmt diese Praxis zur Kenntnis und erfährt mittlerweile einen Reifungsprozess, der bewusst werden lässt, dass neben ‚wissenschaftlicher Politikberatung’ auch andere Formen der Politikberatung existieren.10 Der Ausdruck ‚Politikberater’ klingt charmant allgemein und unangreifbar: Er ist keine geschützte Berufsbezeichnung; vielmehr kann sich jedermann als solcher bezeichnen. So ist es nicht verwunderlich, dass von dieser Möglichkeit auch Berufsgruppen wie Lobbyisten regen Gebrauch machen, die eine weniger 8

Althaus, Marco: „Die Mächtigen schlau machen? Politikberatung zwischen Wissenschaft und Vertrauen, Strategie und Consultainment“, in: Dagger (Hrg.et.al) (2004): Politikberatung in Deutschland – Praxis und Perspektiven, S. 37 ff.. Die Definitionsfrage wird auch im Rahmen dieses Buches nicht abschließend zu lösen sein. 9 Ausführlich: vgl. Falk, Svenja (Hrg.et.al.) (2006): „Einführung“, in: „Handbuch Politikberatung“, S. 13 ff. 10 So sei Beratung „die sich lediglich auf das Formulieren wissenschaftlicher Fachkenntnisse versteht, in der politischen Praxis zum Scheitern verurteilt“, vgl. Falk (2006): „Einführung“, in: „Handbuch Politikberatung“, S. 11.

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abstrakte bzw. gar konkret lautende Benennung ihrer Tätigkeit offenkundig scheuen. Hinzu kommt, dass einige der professionellen Lobbyisten selbst gar nicht lobbyieren sondern lediglich Firmen und Organisationen bei deren Interessenvertretung beraten. Aufgrund der Komplexität der Kanäle und Richtungen von Politikberatung, der Akteure und Themenstellungen wird sich weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene in naher Zukunft eine eindeutige alle Beratungsdimensionen umfassende Definition des Begriffs finden lassen, welche die gesamte Branche des Lobbyismus, der Medien, Öffentlichkeit, Parteien, Stiftungen oder der Wissenschaft umfassen könnte.11

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Notwendigkeit von Politikberatung für politische Entscheidungsträger

In einer zunehmend komplexer und schnelllebiger werdenden Gesellschaft werden gesetzliche Regelungen in immer kürzerer Zeit in den politischen Prozess eingespeist. Während sich einerseits die Anzahl der Akteure vergrößert, die Politikberatung anbieten und nachfragen, ist zugleich die Materie in vielen Bereichen so umfangreich, dass die zuständigen Entscheider gar nicht die Ressourcen aufbringen können, um gesetzliche Regelungen in einem politischen Feld ohne intensive externe Beratung Dritter handhaben zu können. Unter diesen Voraussetzungen gelingt es vor allem den Lobbyisten, betroffenen Unternehmen aus der Praxis oder spezialisierten Agenturen in Brüssel oder Berlin, relevante Informationen bzw. konkrete Handlungsempfehlungen ihren Beratenen in angemessener Zeit und in einer praxisnahen, nutzerfreundlichen und verwertbaren Form zu liefern.12 Tatsächlich ersuchen politische Entscheidungsträger wie Politiker, Verwaltungsmitarbeiter oder politische Beamte die Beratung von Beratern wie Lobbyisten oder Wissenschaftlern.13 Schließlich laufen Entscheidungsträger immer auch Gefahr, aus Unwissenheit realitätsfremde Ergebnisse einem praxisrelevanten Sachverhalt zu unterstellen. Das Risiko wird nach dem demokratischen Vorbild minimiert, indem relevante gesellschaftliche Akteure bzw. Interessenvertreter gehört 11

Falk, Sonja (Hrg.et.al.) (2006): „Einführung“, in: „Handbuch Politikberatung“, S. 11 ff. vgl. auch: „Seit Jahren ist festzustellen, dass Politiker die Nähe von Unternehmen geradezu suchen. […] Ursache ist ein steigender Druck, neue Regeln zu schaffen. Mal erzwingt sie eine kleine Interessengruppe, mal erfordert es der technische Fortschritt, dann wieder die zunehmende Globalisierung – und überall wachsen die Haftungsrisiken. Das Wissen, wie man diesem Ansturm widerstehen kann, vermuten Politiker und Ministerialbeamte zusehends bei Unternehmen.“, Greven, Michael, in: Hamann, Götz (2005): „Geld für gute Worte“, in: Die Zeit, 20.01.2005. 13 Dies ist allerdings auch abhängig vom jeweiligen politischen Themenfeld. Die EU-Parlamentarierin Silvana Koch-Mehrin bestätigt: „Wir haben gar nicht die Ressourcen, die große Informationsflut zu bewältigen“, vgl. Dagger, Steffen/Lianos, Manuel (2004): Public Affairs in Brüssel – Neues Spiel, altes Glück?“, in: Fachmagazin politik&kommunikation, 11/2004. 12

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werden. So initiieren in Brüssel aber keinesfalls nur Lobbyisten die Beratung in Form von schriftlichen Stellungnahmen, parlamentarischen Abenden oder persönlichen Gesprächen in den Büros und Lobbys der Akteure. Vielmehr sind es die politischen Entscheider selbst, die Einladungen aussprechen und zu Stellungnahmen auffordern, beispielsweise durch Interaktion im Rahmen von Internetkonsultationen zu Gesetzesvorhaben am politischen Entscheidungsfindungsprozess.14 Da sich Beratene der mit der Informationsweitergabe verbundenen Ziele der Lobbyisten bewusst sind, können sie diese „interessengeleiteten Informationen“ aber auch zumeist den einzelnen Interessen folgend entsprechend einordnen und gerade auf diese Weise für sich nutzen und verarbeiten.15 So entsteht sowohl für Entscheidungsträger als auch für Lobbyisten und Politikberater im Rahmen des Tauschgeschäftes eine „win-win-Situation“, bei der beide Parteien im Idealfall vom Kommunikationsprozess profitieren. Erhält der Lobbyist die wertvolle Chance, dem Entscheidungsträger seine Position zu vermitteln, bekommt der Entscheidungsträger im Gegenzug notwendige Informationen, die in die Abwägung seiner Entscheidung mit eingehen müssen, um eine umfassende Sachverhaltskenntnis aufbauen zu können. Schließlich nutzen Entscheidungsträger die ihnen gegebene Möglichkeit, von verschieden(st)en Interessenvertretern mit unterschiedlichen politischen Zielen brauchbare Informationen zu beziehen.

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Konzeption des Buches

Da weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene eine eindeutige und alle Beratungsdimensionen umfassende Definition des Begriffes Politikberatung existiert16, soll dieser Sammelband den Anspruch erheben, das große Feld der Politikberatung in Brüssel vor allem exemplarisch zu beleuchten. So werden im vorliegenden Werk ganz unterschiedliche Formate von Politikberatung, deren Voraussetzungen, Aufgaben, Ziele und Entwicklungslinien, aus der Sicht von hochkarätigen Praktikern, Adressaten der Politikberatung sowie Wissenschaftlern und Begleitern/Beobachtern von Politikberatung in Brüssel dargestellt und analysiert. Basierend auf den Erfahrungen des Buches „Politikberatung in Deutschland“17 wurden drei verschiedene Arten der Politikberatung identifiziert: 14

Vgl. http://ec.europa.eu/enterprise/reach/consultation_en.htm Während Unternehmenslobbyisten unschwer nachzuvollziehende Beweggründe für eine Lobbyingmaßnahme erkennen lassen, sind diese bei Lobbyingmaßnahmen seitens Public Affairs-Agenturen allerdings zumindest so lange nicht ersichtlich, wie man keine Kenntnis vom Auftraggeber einer Maßnahme hat. 16 Falk, Sonja (Hrg.et.al.) (2006): „Einführung“, in: „Handbuch Politikberatung“, S. 11 ff. 17 Dagger, Steffen (Hrg.et.al.) (2004): Politikberatung in Deutschland – Praxis und Perspektiven, S. 11.ff. 15

15

1. 2. 3.

die wissenschaftliche Politikberatung, Lobbying und die professionelle (Agentur-)Politikberatung.

Der Schwerpunkt dieses Buches liegt dabei vor allem auf der Praxis der Politikberatung in Brüssel. Dies schließt die Beleuchtung seiner Strukturen und Eigenheiten ein. So erwartet den Leser erstmals ein Einblick in die häufig der Öffentlichkeit verschlossenen Bereiche und Ebenen der in der Praxis vorzufindenden Brüsseler Politikberatung. Um einen authentischen und praxisgerechten Einblick sicherzustellen, lässt dieser Sammelband neben Vertretern der Wissenschaft vor allem versierte Praktiker zu Wort kommen, die aus den unterschiedlichsten Bereichen der Beratungspraxis in Brüssel stammen. Sie erleben bzw. gestalten Politikberatung als Beratene, Berater oder Beobachter vor Ort. Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Unter den relevanten Akteursgruppen werden zunächst Beratene wie aktive europäische Spitzenpolitiker und Beamte identifiziert. Diese nutzen Politikberatung zur Entscheidungsfindung. Eine zweite Gruppe sind die haupt- und ehrenamtlichen Berater und Lobbyisten verschiedenster Branchen. Hierunter fallen neben Unternehmens- Verbands- und Agenturlobbyisten auch Mitarbeiter von Think Tanks und Vertreter von Stiftungen. Als dritte Gruppe sind schließlich Akteure zu nennen, welche wie Journalisten, aber auch Wissenschaftler, die Praxis von Politikberatung und Lobbying in Brüssel präzise beobachten und begleiten und somit einen ganz eigenen Blickwinkel auf die Branche preisgeben. Die Autoren schreiben jeweils zu einem der folgenden Themenbereiche: 1. 2. 3.

Wege und Effektivität der Politikberatung in Brüssel Trends und Entwicklung der Politikberatung in Brüssel Inhalte von Politikberatung in Brüssel

Die unterschiedlichen Schwerpunkte der Artikel haben das Ziel, das Buch facettenreich und lebendig zu machen. Sie decken die wichtigsten Institutionen und Blickwinkel aus Wissenschaft und Praxis ab; sie decken Stärken und Schwächen des Systems auf und liefern effektiv einen Einblick in den von der Öffentlichkeit vielfach und zunehmend kontrovers diskutierten Mythos von Politikberatung und Lobbying in Brüssel.

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1. Die Perspektive der Entscheider – Parlament, Kommission und Rat

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Hans-Gert Pöttering

Politikberatung und Europäisches Parlament – ein Geleitwort

Die Bedeutung der Europäischen Union nimmt stetig zu. Mit ihren inzwischen 27 Mitgliedstaaten leben heute unter dem Dach der Europäischen Union nahezu 500 Millionen Menschen, die eine jährliche Wirtschaftsleistung von mehr als 11 Billionen Euro erbringen. Mit der erfolgreichen Einführung des europäischen Binnenmarktes im Jahre 1993 mit seinem freien Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr ist einer der dynamischsten Wirtschaftsräume der Welt entstanden. Ermöglicht wurde dies durch eine für alle Mitgliedstaaten verbindliche Rechtssetzung durch die Institutionen der Europäischen Union, die wichtige Bereiche des wirtschaftlichen Lebens umfasst und inzwischen den größten Teil der rechtlichen Rahmenbedingungen bildet. Zahllose Unternehmen und Wirtschaftsverbände verfolgen seither auf europäischer Ebene die politischen Entscheidungen und nehmen aktiv an der Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen in Straßburg und Brüssel teil, um im Dialog mit Politik und Verwaltung zur Aktualisierung und Modernisierung des rechtlichen Rahmens beizutragen. Diese Unternehmen und Organisationen verfügen – jenseits der politischen Interessen – über fundiertes Fachwissen, das von politischen Entscheidern gerne genutzt wird, denn der Bedarf an externem Sachverstand nimmt angesichts der immer komplexer werdenden politischen Themen beständig zu. Innerhalb einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft ist es völlig legitim, eigene Interessen zu vertreten. Die Aufgabe des Politikers ist es, viele Meinungen zu hören, im Anschluss daran jedoch freie Entscheidungen zu treffen. Dabei müssen Politiker nach eigenem Gewissen und im Sinne des Allgemeinwohls entscheiden. Es liegt in der Macht jedes politischen Entscheidungsträgers, Lobbyismus in seiner konstruktiven Form zu nutzen und zu fördern oder ihn zu verhindern, wenn er dem Gemeinwohl zuwiderläuft. Von allen Europäischen Institutionen hat das Europäische Parlament seit der Einführung des Binnenmarktes am stärksten an Bedeutung gewonnen. Mittlerweile ist das Parlament in fast allen Bereichen gleichberechtigter Gesetzgeber mit dem Ministerrat, so dass es für Politikberater bzw. Lobbyisten unerlässlich

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geworden ist, Kontakt zu den jeweils zuständigen Abgeordneten des Europäischen Parlaments zu suchen. Neben Unternehmen und Verbänden nehmen auch zahlreiche kommunale, regionale und föderale Gebietskörperschaften (etwa die Vertretungen der deutschen Bundesländer) in Brüssel eine herausgehobene Rolle im Rahmen der politischen Interessenvertretung ein, um im Kontakt zum Europäischen Parlament und den anderen Institutionen ihre Interessen deutlich zu machen. Hinzu kommen Vertreter der Kirchen, der Medien, der politischen Stiftungen, der Tarifpartner sowie zahlreiche selbständige Politikberater. Die Einflussnahme von sachverständigen Interessengruppen auf die Arbeit des Europäischen Parlaments stellt einen selbstverständlichen Bestandteil im politischen Alltag Brüssels dar. Politikberatung darf jedoch nicht ausufern und die den Politikern übertragene Verantwortung unterlaufen. Umgekehrt darf Politikberatung bzw. Lobbyismus nicht bloßer Selbstzweck sein. Ich würde mich freuen, wenn das vorliegende Buch einen Beitrag zum besseren Verständnis und zur besseren Kooperation zwischen Politik und Lobby leisten kann.

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Martin Schulz

Ziel und Quelle – Politikberatung und das Europäische Parlament

Die Europäische Union ist ein in der Welt einmaliges transnationales Modell. Es ist, diese Bemerkung sei erlaubt, ein einzigartiges Erfolgsmodell. Das alltägliche politische Geschäft und Handeln, die Gesetzgebungs- und Entscheidungsverfahren in den Europäischen „Hauptstädten“ Brüssel, Luxemburg und Strassburg in der EU sind für Außenstehende hoch kompliziert und nur schwer durchschaubar. Es unterliegt einer eigenen Dynamik und ganz spezifischen Regeln, insbesondere das Wechselspiel und Machtgefüge zwischen den Europäischen Institutionen Parlament, Rat, und Kommission. Im Laufe der Jahre hat sich ein System der Zuständigkeitsverteilungen und gegenseitigen Abhängigkeiten herausgebildet, das sich nur bedingt mit bestehenden, bekannten nationalen Modellen vergleichen lässt. Erfolgreiches und effektives politisches Arbeiten in der Europäischen Union, wie übrigens in jeder multikulturellen, vielsprachigen Organisation erfordern daher für alle Akteure spezielles Fachwissen und besondere Erfahrung, aber auch bestimmte persönliche Eigenschaften und Qualitäten. In der jüngsten Vergangenheit, die von zunehmender Zuständigkeits- und Kompetenzverschiebung von den Mitgliedsstaaten hin zur EU geprägt sind, haben sich in Brüssel politische und wirtschaftliche Aktivitäten entwickelt, die im direkten Zusammenhang mit der gesetzgeberischen und sonstigen relevanten Tätigkeiten der Europäischen Union stehen. Parallel zur Zunahme der politischen Bedeutung Brüssels und der stetigen Anhäufung europäischer Institutionen, aber auch anderer internationaler Behörden hat sich eine ebenso vielschichtige und miteinander verwobene internationale Welt verschiedenster Formen der Politikberatung mit Tausenden von Beschäftigten herausgebildet. Neben den hauptsächlich beamtenrechtlich organisierten EU-Bediensteten hat sich insbesondere in Brüssel ein eigener Wirtschaftszweig sui generis entwickelt, dem man sonst in ähnlicher Form nur in den Hauptstädten und Regierungssitzen begegnet, der aber aufgrund der Internationalität sowohl was Umfang und Arbeitsstil betrifft, weit darüber hinausgeht. Die Akteure dieses besonderen Tätigkeitsfeldes sind hauptsächlich damit beschäftigt mit ihren eigenen Interessen oder den Interessen Dritter als Vermittler gehört zu werden, Entscheidungen und Gesetzge-

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bung zu beeinflussen, an europäische Fördertöpfe heranzukommen, mit Rat, Information und Expertise und Daten beiseite zu stehen.

Formen der Politikberatung Die für mich in meiner täglichen Arbeit erfahrbaren und in Anspruch genommenen Formen der Politikberatung sind neben meinem persönlichen Büro und eigenen Beraterstab, die hauseigenen Mechanismen und Austauschmöglichkeiten, die mir in meiner parlamentarischen Tätigkeit als Fraktionsvorsitzender zur Verfügung stehen. Dazu gehören der regelmäßige Austausch und Beratungen mit den Parlamentariern aus meiner Fraktion, insbesondere Sitzungen des Fraktionsvorstands, der Fachausschusssprecher, Treffen mit den parlamentarischen Berichterstattern zu den jeweiligen aktuellen und laufenden Gesetzgebungsverfahren und natürlich die Plenarsitzungen der Gesamtfraktion. All diese Aktivitäten und Sitzungen werden vorbereitet, unterstützt und begleitet durch unsere „hauseigenen“ Politikberater, die politischen Fraktionsangestellten, das Generalsekretariat unserer Fraktion. Darüber hinaus treffe ich als Fraktionsvorsitzender regelmäßig in der Konferenz der Vorsitzenden mit meinen Kollegen aus den anderen politischen Fraktionen zusammen um über Fragen zu diskutieren, die die Institution Europäisches Parlament als Ganzes betreffen, etwa zu Fragen der Tagesordnung oder Gesamtstrategien. Insofern ist auch jeder Abgeordnete Berater unter den Seinen. Diese Art von politischer Beratung macht bei weitem den größten Teil aus, sowohl zeitlich als auch inhaltlich. Daneben finden regelmäßig Treffen mit europäischen Beamten aller Institutionen, Regierungsvertretern, Botschaftern; Landes und Regionalvertretungen und deren Beamten , Vertreter der Regionen, Repräsentanten der eigenen nationalen Partei und der europäischen oder internationalen Parteienfamilie und schließlich natürlich die Kontakte mit den klassischen Interessenvertretern aller Art, die ich mit dem Sammelbegriff Lobbyisten bezeichnen möchte. Darunter fallen Repräsentanten von Nichtregierungsorganisationen, Unternehmen, Verbänden, Interessengemeinschaften oder auch Einzelpersonen, häufig auch in direktem Zusammenhang mit der eigenen Wahlkreisarbeit. Der Begriff Lobbyismus ist im deutschen im Gegensatz zum angelsächsischen Sprachgebrauch, aus dem der Begriff stammt, leicht negativ besetzt, zu Unrecht wie ich meine. Dennoch assoziieren viele Menschen damit Begriffe wie Manipulation, tendenziöse anrüchige Beeinflussung, egoistische rücksichtslose Durchsetzung eigener Interessen, verkürzte engstirnige Sichtweise, Lästigkeit, Aufdringlichkeit.

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Das Bild des in der Parlamentslobby herumlauernden Lobbyisten, der nur auf den richtigen Moment wartet in dem er sich auf die schutzlosen Abgeordneten stürzen kann, um sie mit seinem Anliegen zu bedrängen, hat sich in einigen Köpfen breitgemacht. Das ist natürlich Unsinn und entspricht nicht den Tatsachen, auch wenn es in Einzelfällen von dem einen oder anderen durchaus so empfunden wurde. Für mich als Entscheider auf der Empfängerseite sind zunächst einmal alle „Lobbyisten“ gleichberechtigte Vertreter spezieller Interessen, mit zumindest von ihrer Warte aus berechtigten Interessen, die ihrer Funktion und ihrem Auftrag entspringen. Sie gehören zum politischen Geschäft dazu und ohne deren Zutun wäre gesetzgeberisch Arbeit nur unvollständig leistbar. Kaum ein noch so gründlicher Gesetzesinitiator könnte für sich in Anspruch nehmen einen Entwurf auf alle Auswirkungen in die verschiedensten Bereiche des gesellschaftlichen Lebens geprüft zu haben. Für eine komplette und ausgewogene nachhaltige Gesetzgebung brauchen wir auch die Politikberatung der Lobbyisten. Dabei macht es für mich zunächst von der Herangehensweise keinen Unterschied ob ich beispielsweise mit einem Industrieverband oder einem Umweltverband gegenübertrete. Ich versuche grundsätzlich für alle vernünftigen Anliegen empfänglich zu sein und in alle Gespräche offen, unbefangen, vorurteilslos aber durchaus kritisch und wachsam hineinzugehen. Man sollte prinzipiell keine Berührungsängste haben, auch nicht gegenüber solchen Interessenvertretern, die auf den ersten Blick und nach landläufiger Meinung, nicht unbedingt primär mit der eigenen politischen Richtung assoziiert werden. Industriepolitische und wirtschaftliche Interessen, Schaffung und Erhalt von Arbeitsplätzen, Umwelt-, Verbraucher- und Gesundheitsschutz, Schutz der Arbeitnehmer sind alles berechtigte Interessen, denen sich kein vernünftiger Entscheidungsträger entziehen darf. Soweit so gut. Natürlich muss man sich bewusst sein, dass nicht immer Waffengleichheit besteht zwischen den verschiedenen Akteuren. Verschiedene Mittel der Interessenvertretung kommen zum Einsatz, Effizienz und Geschick klaffen häufig weit auseinander, unterschiedlicher Aufwand finanzieller oder personeller Art steht zur Verfügung, manche Standpunkte sind leichter zu vermitteln als andere, manche Inhalte sind für Laien leichter verständlich. Es ist meine Aufgabe aus den verschiedenen Standpunkten eine Interessenabwägung vorzunehmen und gemäß meiner politischen Überzeugung und dem Wählerauftrag eine „richtige“ Entscheidung zu treffen. Auch wenn ich glücklicherweise die Freiheit und das Privileg habe, mir meine Gesprächpartner und Besucher selber aussuchen zu dürfen, so halte ich es grundsätzlich für unzeitgemäß und für wenig sinnvoll, bestimmte Interessengruppen von vorne herein nicht zu empfangen und mit vorgefertigten Meinungen zu urteilen. Alles hat natürlich seine Grenzen. Einer Organisation die bekanntermaßen Ziele verfolgt, die mit

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meinen Grundüberzeugungen unvereinbar sind würde ich selbstverständlich keine Plattform verschaffen. Im Idealfall sollten alle Interessenverbände, auch wenn sie auf den ersten Blick unterschiedliche Interessen vorbringen das übergeordnete Gemeinwohl, das über das spezifische Anliegen hinausgeht im Auge behalten. Dass das natürlich nicht immer so ist weiß ich auch, aber dennoch mache ich es mir zur Aufgabe die verschiedenen Meinungen und Interessen anzuhören und dann die für mich richtige Auswahl zu treffen. Dabei habe ich es häufig erlebt, dass die speziellen Anliegen eines zahlenmäßig großen oder mächtigen Verbandes nicht immer dem Allgemeinwohl dienen oder einer großen Anzahl von Personen förderlich sind. Andersherum sind Interessen eines kleinen Verbandes oder von Einzelpersonen nicht automatisch nur Detailprobleme sondern können sich durchaus auch gut in ein stimmiges größeres Gesamtbild fügen.

Rollenwandel des Europäischen Parlaments mit Auswirkungen Die EU und besonders ihre Entscheidungsprozesse haben sich in den letzten Jahren radikal geändert. Durch die verschiedenen Vertragsreformen hat das Parlament drastisch an Macht gewonnen, sind die Entscheidungsverfahren transparenter und demokratischer geworden.1 Für Interessenvertreter aller Art sind damit ganz neue Betätigungsfelder geschaffen worden und es haben sich ganz neue Möglichkeiten ergeben mit speziellen Anliegen nicht nur gehört zu werden, sondern diese auch berücksichtigt zu sehen. Insbesondere die Maastrichter Verträge und die Einführung der Mitendscheidungsverfahren, die größere Waffengleichheit zwischen Parlament und Rat schaffen, waren Meilensteine für die Verschiebung der Machtverhältnisse zu Gunsten des Europäischen Parlaments und damit zu Gunsten der demokratisch legitimierten und gewählten Volksvertretung. Die Lobbytätigkeit und entsprechend der politische Beratungsbedarf in Brüssel, ganz spezifisch allerdings innerhalb des Parlaments hat seitdem immens zugenommen. Diese Tatsache ist für alle im Parlament Beschäftigten physisch spür- und wahrnehmbar. Nicht nur die Anzahl der Parlamentsbefassungen aller Art ausgehend von den Europäischen Institutionen sondern auch die Anzahl der Besucher mit professionellen Anliegen von außerhalb, ist seit 1992 exponential gestiegen. Das gestiegene öffentliche Interesse ist eine direkte Folge des Kompetenzzuwachses, des Einflusses und der Gestaltungsmöglichkeiten des Europäischen Parlaments auf Entscheidungen der Europäischen Union verschiedenster Aus1

Für meine Verhältnisse noch nicht weitgehend genug, aber das steht auf einem anderen Blatt

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formung. Man kann es auch anders beschreiben: Lobbyisten würden ihre Zeit nicht im Parlament verschwenden, wenn dort nichts konkret zu erreichen wäre. Das war früher anders: Ministerrat und Europäische Kommission kungelten unter sich im stillen Kämmerlein die Gesetze mit Hilfe der großen Verbände aus und trafen ihre Entscheidungen weitgehend ungestört. Wer dabei geladen oder gehört wurde, entschieden die Damen und Herren Kommissare, Kommissionsbeamte, und Regierungsvertreter. Von Transparenz, Waffengleichheit und gleichem Zugang für alle war man noch meilenweit entfernt. Es war daher systemimmanent und lag in der Natur der Dinge, dass häufig die weniger „potenten“ Interessenverbände und „soft issues“ wie Umwelt, Soziales, Kulturelles nicht im gleichen Umfang berücksichtigt wurden. Das Parlament hatte im Wesentlichen lediglich Anhörungsrechte und war salopp gesagt die Meckerecke der EU, in der sich zuständige Kommissare oder Kommissionsbeamte schlechtestenfalls einen gehörigen öffentlichen Anpfiff einhandelten, der aber ansonsten weitgehend folgenlos blieb. Nach der Parlamentspflichtübung ging man wieder wie gewohnt seiner Beschäftigung nach. Dieser Politikstil und diese Art des Zustandekommens von Gesetzgebung ist nach Einführung der Einheitlichen Europäischen Akte insbesondere aber seit seit den Maastrichter Verträgen nicht mehr möglich. Die verschiedenen zusätzlichen Änderungen seither wie sie beispielsweise durch die Verträge von Amsterdam oder Nizza eingeführt wurden, haben die Parlamentsrechte weiter verstärkt. Der einstweilen bedauerlicherweise durch einen handlungsunfähigen Rat auf Eis gelegte Verfassungsvertrag, der erweiterte Mitentscheidungsrechte und Initiativrechte des Europäschen Parlaments vorsieht, hätten dies noch weiter im Sinne der Bürgernähe, demokratischer Legitimation und Transparenz verstärkt. Es sei hier an dieser Stelle bemerkt, dass das Parlament es geschafft hat, in das durch den in Sklerose verfallenen Rat und eine in ihren Kompetenzen beschnittene, gleichzeitig aber sich in ihren überzähligen Aktivitäten verzettelnde und richtungslose Kommission, hinterlassene Macht und Handlungsvakuum einzudringen. Das Parlament ist heute die tonangebende, meinungsführende und richtungsweisende politische Institution geworden. Das Europäische Parlament ist eines der bürgerfreundlichsten, offensten und am leichtesten zugänglichen Parlamente der Welt. Wer einmal Zutritt hat,2 kann sich frei bewegen und hat theoretisch direkten Zugang zu allen Abgeordnetenbüros und kann bis auf wenige Ausnahmen allen Sitzungen des Plenums, der Ausschüsse und Delegationen beiwohnen. Dieser diskriminierungsfreie Zugang wird gewährt unabhängig davon ob eine Person sich selbst vertritt oder einen 2 Ein Abgeordneter oder Beamter muss für Besucher bürgen, Lobbyisten müssen sich und ihre Organisation samt angestrebter Tätigkeit in einem öffentlichen Register eintragen lassen und bekommen nach einer Prüfung durch die Quästoren Dauer(jahres)ausweise.

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Verband mit Tausenden von Mitgliedern repräsentiert. Das ist einzigartig praktizierte Bürgernähe und etwas worauf wir Parlamentarier sehr stolz sind. Im Europäischen Parlament werden Gesetze tatsächlich und transparent beraten, wodurch wir letztlich unter den Institutionen den glaubwürdigsten Status erhalten haben und anderen als Politikberater dienen.

Einblicke und Abläufe Als Fraktionsvorsitzender mit vielen internen Verpflichtungen und Organisationszuständigkeiten habe ich natürlich nicht die Zeit alle Terminanfragen von Interessenvertretern persönlich zu bedienen und Anliegen anzuhören. Das hat nichts mit Abgehobenheit oder Überheblichkeit zu tun sondern ist einfach eine durch den Zeitmangel bedingte Notwendigkeit. Viele Termine werden daher von meinen Stellvertretern, den Vizefraktionsvorsitzenden, die klar umrissene Ressortzuständigkeiten haben, oder den sich häufig spezialisierten Abgeordneten in den Fachausschüssen oder auch von meinen direkten Mitarbeitern wahrgenommen. Aus Effizienzgründen bin ich gezwungen mich auf Termine zu beschränken, die etwa vor von mir zu treffenden wichtigen, die Gesamtfraktion betreffenden Entscheidungen, wahrgenommen werden. Beispielsweise habe ich natürlich vor den entscheidenden Abstimmungen zur Dienstleistungsrichtlinie Vertreter des Europäischen Gewerkschaftsbundes und Vertreter der direkt betroffenen Handwerksbetriebe und Dienstleister getroffen und deren Rat in meine Meinungsbildung und entsprechende Empfehlung an die Gesamtfraktion einfließen lassen. Ebenso nehme ich nach Möglichkeit alle Termine von übergeordneter Bedeutung oder bei wichtigen nationalen oder regionalen Interessen selbst war. Daneben versuche ich so viele Briefings und Stellungnahmen wie mögliche selbst zu lesen oder mir zumindest die wichtigsten Punkte herausfiltern zu lassen. In Anbetracht der immensen Papier und Informationsflut ist das natürlich nur begrenzt möglich. Längere Papiere sind schlicht und einfach nur sehr selten sowohl zeitlich als auch inhaltlich zu bewältigen. So ist es zwar häufig akademisch interessant, hervorragend ausgearbeitete wissenschaftliche Gutachten zur Untermauerung der Thesen und für ein fundiertes Hintergrundwissen zu erhalten, aber angesichts der Vielfalt der Themen muss ich knappe, auch für den Laien verständliche, auf den Punkt gebrachte Stellungnahmen möglichst mit konkreten Abstimmungsempfehlungen bevorzugen, die nicht weiterer wissenschaftlicher Analysen bedürfen. Der Löwenanteil der politischen Beratung wird von unserem Fraktionssekretariat, insbesondere dem Generalsekretär und dessen Stellvertretern, die nicht nur eine administrative, sondern auch eine eminent wichtige politische Funktion

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haben, zusammen geleistet. Ich habe dabei das Privileg, ebenso wie die anderen Abgeordneten aus meiner Fraktion, auf fest angestellte, der Fraktion angehörige Politikberater zurückgreifen zu können. Unsere Fraktionsmitarbeiter haben häufig langjährige EU-Erfahrung, manche in mehreren Institutionen, sind äußerst gut vernetzt und haben häufig Spezial- und Detailkenntnisse im Rahmen der Arbeit in den Fachausschüssen erworben. Sie sind daher nicht nur bei der Fachberatung hocheffizient, darüber hinaus wissen sie worauf es politisch ankommt und sind entsprechend politisch loyal und zuverlässig. Durch die ständigen Kontakte mit den Kollegen der anderen Fraktionen ist die Beratung durch die Fraktionsmitarbeiter insbesondere bei der Einschätzung von Abstimmungsverhalten oder der Suche nach Mehrheiten für Abstimmungen oder Kompromissen auch fraktionsübergreifender Art von herausragender Bedeutung. Darüber hinaus sind die Fraktionsmitarbeiter in der Regel auch mit der Brüsseler Außenwelt gut vernetzt und deshalb in der Lage Detailinformationen sehr schnell zu beschaffen. Auch die Beratung durch direkt in den Abgeordnetenbüros angestellte Assistenten und Mitarbeiter nimmt einen immer höheren Stellenwert ein. Hier arbeiten häufig junge, mehrsprachige, hoch motivierte und bestens ausgebildete Leute, die sich schnell in Sachverhalte einarbeiten können und daher sehr schnell ein detailliertes Fachwissen und Kompetenzen im Spezialgebiet ihrer Abgeordneten entwickeln auf das ich im Bedarfsfalle schon häufiger zurückgreifen konnte. Darüber hinaus stehen uns auch die Beamten des Parlaments mit Rat und Tat und ihrem Fachwissen zur Seite. Diese Beamten sind gehalten politisch neutral zu arbeiten und stehen Abgeordneten aller Couleur zur Verfügung. Es liegt allerdings in der Natur der Sache, dass sich in einem politischen Arbeitsumfeld gewisse Präferenzen und Sympathien entwickeln, sodass sich die Zusammenarbeit mit der einen oder anderen Person etwas vertrauensvoller gestaltet. Weiter gibt es natürlich die Ländervertretungen und Regionalbüros in denen nationale oder regionale Interessen vertreten werden. Auch hier gibt es häufige Kontakte, immerhin vertritt auch ein Fraktionsvorsitzender eine bestimmte Region und einen Wahlkreis. Meine persönliche Bewertung dieser Arbeit fällt von Fall zu Fall unterschiedlich aus. Während sich einige Dependancen mehr auf das Repräsentieren konzentrieren, leisten andere sehr wertvolle und aufmerksame Hilfe und Beratung in der konkreten Gesetzgebungsarbeit und in der Vertretung der Region, gerade was beispielsweise Strukturhilfen oder Fördermittel anbelangt. Die Europäische Kommission hat schnell hinzugelernt und sich den neuen oben beschriebenen Verhältnissen angepasst. Bei aller Kritik, der die Kommission häufig seitens des Parlaments ausgesetzt ist, ist sie doch eine durch und durch europäische Behörde, in der nationale Sichtweisen nicht mehr so ausgeprägt sind, wie beispielsweise im Ministerrat, wo nationale Egoismen oft aufeinander-

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prallen und manchmal in ein unwürdiges Geschacher ausarten. Aufgrund der oben beschriebenen Macht- und Kompetenzverschiebungen der letzten Jahre zu Gunsten des Europäischen Parlaments sucht die Kommission das Parlament als Verbündeten gegen den Rat, um seine Interessen durchzusetzen. Die Mitarbeiter der Kommission, die häufig zu Unrecht als Eurokraten gescholten werden, weisen einen hohen Spezialisierungsgrad und große fachliche Kompetenz auf. Auch sie sind mir willkommene Ratgeber, da ihre Einschätzungen und Meinungen aufgrund manchmal jahrelanger Meinungsbildung mit Interessenverbänden und innerdienstlichen Konsultationen in der Regel gut fundiert und informiert, aber vor allem auch ausgewogen und politisch eher neutral sind. Wie gesagt, dass ist die Regel. Es gibt aber auch Ausnahmen, wie beispielsweise die jüngsten untauglichen Versuche einer neoliberalen Dienstleistungs und Hafenrichtlinie für einen ultra-deregulierten Dienstleistungsmarkt gezeigt haben. Dort sollte ganz klar eine politische Ideologie durchgeprügelt werden und Konsultationen fanden unter Herrn Bolkestein wohl nur sehr einseitig statt. Da haben wir vom Europäischen Parlament sehr gerne bei Meinungsbildung und Entscheidungsfindung nachgeholfen. Hier zeigt sich im Übrigen die Wichtigkeit gut funktionierender europäischer Dachverbände. Auf den Rat und die Aktivitäten der europäischen Gewerkschaftsverbände und der Dienstleister haben wir bei unserer Entscheidungsfindung sehr genau geachtet.

Rat für Berater Als Parlamentarier auf der Beratungsempfängerseite habe ich gewisse Erfahrungen und Präferenzen wie ich mir Politikberatung von außerhalb vorstelle, die ich gerne weitergeben will. Beispielsweise sind Firmen oder Interessenvertreter aus den Mitgliedstaaten ohne eigenes Büro in Brüssel manchmal besser bei spezialisierten ortsansässigen Firmen aufgehoben, die die speziellen EU-Entscheidungsvorgänge und -stränge, aber auch die Gepflogenheiten besser kennen. Das bedeutet für beide Seiten weniger Zeitverschwendung. Ebenso ist es ratsam, nicht mit halben Fußballmannschaften aufzutreten, bei denen jeder zwar ein Meister seines Fachs ist, aber viel unnütze Zeit durch Reibungsverluste verstreicht, bis ein jeder seine Anwesenheit durch ein eigenes Expose gerechtfertigt hat. Der gesunde Menschenverstand gebietet es, sich auf das Wesentliche zu beschränken, nicht in Details zu verzetteln und keine Nebenkriegsschauplätze zu eröffnen. Das Gewollte sollte nach Möglichkeit gesellschaftlich relevant sein und nicht reinen Partikularinteressen dienen. Irgendjemand wird immer ein Anliegen haben und mit einer Nebenbestimmung eines Richtlinienvorschlags nicht einverstanden sein. Und da es leider heutzutage für alles mögliche und unmögli-

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che Verbände gibt liegt es auf der Hand, dass man den Verband der beidhändigen Tennisrückhandspieler nicht zu jedem Problemchen hört. Absolute Ehrlichkeit und Offenheit bei Motiven und Zielen ist hilfreich beim Aufbau eines Vertrauensverhältnisses auf Dauer. Beim Skat würde man sagen: Hosen runter und Karten auf den Tisch. Politikberatung verlangt gegenseitiges Vertrauen. Wer meint den anderen über den Tisch ziehen können oder mit versteckten Tagesordnungen arbeiten zu können, wird kein erfolgreicher Lobbyist werden. Das mag vielleicht einmal klappen, aber nicht immer wieder. Überhaupt, das langfristige Vertrauensverhältnis ist nicht zu unterschätzen. Politikberatung im Sinne von Lobbyismus ist ein Verhältnis auf Gegenseitigkeit. Zum Telefon greifen und fachspezifischen Rat einholen, das macht natürlich nur, wer sich gegenseitig vertraut, wenn also die handelnden Personen, deren Interessen und deren Informationsquellen bekannt sind. Ein anderes wichtiges Element ist das Timing der Lobbyarbeit. Dies erfordert fundierte Detailkenntnisse bezüglich der Gesetzgebungsverfahren, über die internen Meinungsbildungs- und Entscheidungsfindungsprozesse sowohl im Zusammenspiel zwischen den Institutionen als auch über deren interne Abläufe. Hierbei haben wiederum in Brüssel ansässige Verbände oder spezialisierte Lobbyfirmen,die ihrerseits Dauerkunden oder punktuell an einen konkreten Auftrag gebundene Dienstleistungen verrichten, einen gewissen Wettbewerbsvorteil gegenüber solchen, die von außerhalb operieren. Häufig beschäftigen sie ehemalige Mitarbeiter, die bereits Institutionenerfahrung aufweisen können und daher über genaue Kenntnisse und Netzwerke verfügen, die ein Außenstehender sich erst mühsam erarbeiten und aufbauen muss. In einem multikulturellen, übernationalen Arbeitsumfeld ist es essentiell auf die verschiedenen Mentalitäten und kulturellen Gepflogenheiten der jeweiligen Gesprächspartner eingehen zu können. Diplomatisches Auftreten und Gespür und Geschick im menschlichen Umgang sind wichtig bei erfolgreicher Lobbyarbeit. Für die Zukunft würde ich mir häufiger einen ganzheitlichen Ansatz der Politikberatung wünschen, so wie wir dies selbst bei der Organisation von Seminaren oder Runden Tischen zu spezifischen Themen angehen. Anstatt Einzelaktionen und einem konfrontationellem Kurs gegen andere Interessenvertreter, warum keine Kompromisssuche mit Interessenvertretern der Gegenseite, beispielsweise mit Vertretern der Arbeitnehmer und Arbeitgeberseite. Runde Tische mit Experten aller Betroffenen könnten auch schon im Vorfeld von den Lobbys zur Arbeitserleichterung und Effizienzsteigerung organisiert werden. Diesen Trend gibt es und er sollte verstärkt werden. In unserer internen politischen Fraktionsarbeit verfolgen wir die Ziele eines „policy mixes“. Das heißt, kein Politikbereich wird isoliert betrachtet, sondern auf den richtigen Mix kommt es an. Genauso versuchen wir bei der Entschei-

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dungsfindung eine für alle Fraktionsmitglieder tragbare Linie zu finden, indem wir in unseren Arbeitsgruppen versuchen, die möglicherweise einander widerstrebenden Interessen beispielsweise von Industriepolitik, Umwelt und Soziales durch Dialog und Kompromisssuche miteinander zu vereinbaren. Genau wie wir es uns zur Aufgabe gemacht haben, jeden Gesetzgebungsvorschlag auf seine Auswirkungen auf die Beschäftigung, auf den sozialen Zusammenhalt und auf die Umweltverträglichkeit zu überprüfen. Wenn möglich also nicht einzeln, nicht konfrontativ handeln und versuchen, den anderen auszubooten, wie das unzeitgemäß leider immer noch manchmal der Fall ist. Natürlich darf der Kompromissfindung nicht alles untergeordnet werden. Es wird immer „rote Linien“ geben, es gibt nach wie vor Ideologien und Identitäten, die nicht geopfert werden dürfen. Die Verbände müssen sich weiter europäisieren. Dieser Prozess ist zwar im Gange und der Trend geht eindeutig zu europäischen Dachverbänden im Zuge der Internationalisierung, das europäische Potential ist aber in dieser Hinsicht noch lang nicht ausgereizt. Ein gutes Beispiel liefert wiederum die Abstimmung zur Dienstleistungsrichtlinie. Der Europäische Gewerkschaftsbund vertrat Gewerkschaften aus ganz Europa. Es wurde mit einer Stimme gesprochen was effektiv war und der Sache automatisch mehr Gewicht verschafft hat. Damit kommt man auch nicht in den Verdacht eine nationale Linie zu fahren. Zu guter letzt noch eine Bemerkung zu uns Parlamentariern in eigener Sache. Manche Abgeordnete vertreten selbst Partikularinteressen, sei es weil sie Mitglieder eines Verbandes sind, einem Unternehmen angehören, oder möglicherweise selber eines führen. Dagegen habe ich prinzipiell nichts einzuwenden. Es ist sogar im Interesse einer echten Volksvertretung, Vertreter aus allen Gesellschaftsschichten samt deren Erfahrungen und Kenntnisse zu haben. Allerdings verlange ich dann, dass diese persönlichen Interessen öffentlich gemacht werden und im dafür vorgesehenen, öffentlich einsehbaren Register auch vermeldet werden, wie dies im Europäischen Parlament der Fall ist. Darüber hinaus sollte natürlich die parlamentarische Arbeit nicht unter der Nebenbeschäftigung leiden. Im Falle eines Gewissens- oder Interessenskonflikts, der nicht mit dem Mandat und dem vom Wähler erteilten Auftrag bei einer Debatte oder gar Abstimmung mit der Ausübung der Nebenbeschäftigung vereinbar ist, ist es dann aber nur korrekt und konsequent, dies dem Plenum bekanntzugeben und sich gegebenenfalls sowohl bei Debatte als auch bei Abstimmung zu enthalten. Insgesamt will ich festhalten, dass unsere Politik ohne Politikberatung nicht gut genug fundiert wäre. Im Europäischen Parlament aber wird Politik in einer Breite und Transparenz beraten, die es nirgendwo sonst gibt. Der Löwenanteil dieses Prozesses läuft über direkt gewählte Politiker und ihre Mitarbeiter. Lobbyismus hat und bedarf Regeln, die sicherstellen, dass diese externe Beratung einen

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Mehrwert für das Gemeinwohl beiträgt. All dies ist vielleicht der Grund, weshalb das Europäische Parlament zu DER richtungsweisenden EU-Institution geworden ist und Kommission und Rat uns um Rat ersuchen. Auch das ist Politikberatung und wir geben sie gerne.

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Silvana Koch-Mehrin

Lobbyismus zwischen Brüssel und Berlin – ein Sonderfall der Politikberatung

Wo wirtschaftliche, soziale und politische Entscheidungen getroffen werden, versuchen Vertreter von Interessengruppen, Einfluss zu nehmen. So ist das in Berlin, und so ist das vor allem auch in Brüssel. Die Art und Weise der Einflussnahme kann dabei sehr unterschiedlich sein. Dass sie auch eine helfende, eine beratende Funktion haben kann, wird oft gar nicht erkannt. Ob man Interessen dabei auf nationaler oder internationaler Ebene vertritt, ist ein großer Unterschied. Das erkennt man am Vergleich zwischen Brüssel und Berlin. Auf der einen Seite steht die „EU-Hauptstadt“ Brüssel, mit ihren verschiedenen Kulturen, Sprachen und Nationalitäten, dem Sitz von Europäischer Kommission, Europäischem Parlament und Rat. Auf der anderen Seite Berlin, die deutsche Hauptstadt, geprägt von deutschen Eigenheiten und einer wechselvollen Geschichte, dem Sitz von Bundestag und Regierung. Die Ausgangsbedingungen in den Städten sind nicht identisch. Und das wirkt sich darauf aus, wer wie auf welche Weise wessen Interessen vertritt.

Was ist Lobbying – und was hat das mit Politikberatung zu tun? Für den Begriff Lobbying findet man unterschiedliche Definitionen. Ursprünglich leitet er sich von der Lobby, der Vorhalle des Parlaments, ab. In der Lobby erinnerten die Interessenvertreter die Abgeordneten an die Möglichkeit, von den Bürgern abgewählt zu werden. So konnte eine Form der Kontrolle ausgeübt werden. Lobbying wird heute in erster Linie mit Interessenvertretung, politischer Einflussnahme, Demokratie und Netzwerken, aber auch mit Korruption und Geld verbunden. Ein mindestens ebenso wichtiger Bestandteil der Lobbyarbeit indes wird – wenn denn überhaupt – nur am Rande wahrgenommen: der Informationsaustausch. Lobbyisten versuchen nämlich nicht nur, einen Abgeordneten in seiner Meinungsbildung zu beeinflussen, Stimmungen zu steuern oder Interessen zu vertreten. Sie dienen den Abgeordneten auch als Informanten und Ansprechpartner, wenn es um einen bestimmten Industriezweig, um eine Region oder eine

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Interessengruppe geht. Auf ihrem jeweiligen Gebiet sind sie bestens informiert und helfen dem Politiker, Entscheidungen besser treffen oder kommunizieren zu können. Dass ich das Themenfeld der Politikberatung aus dem Blickwinkel des Lobbyisten beleuchten und die Unterschiede zwischen den zwei „Lobbying-Systemen“ Brüssel und Berlin aufzeigen werde, hat einen einfachen Grund. Bevor ich Abgeordnete im Europäischen Parlament wurde, habe ich selbst als Lobbyistin in Brüssel gearbeitet. Im Jahr 1999 habe ich eine Public Affairs Agentur mitgegründet und bis zu meiner Wahl in das Parlament als Geschäftsführerin geleitet. Nach der Wahl habe ich meine Anteile an der Agentur zurückgegeben. Und als Abgeordnete erlebe ich heute die andere Seite dieser speziellen Politikberatung.

Public Relations vs. Public Affairs Die Begriffe Public Relations und Public Affairs werden oft verwendet, aber selten ist wirklich klar, was gemeint ist. Unter Public Relations, also Öffentlichkeitsarbeit, wird die geplante Kommunikation zwischen einer Organisation und ihren Interessengruppen bezeichnet. Public Relations soll in der Regel ein positives Umfeld für die Geschäfte des Unternehmens sicherstellen. Dagegen wird Public Affairs als Management der institutionellen Beziehungen zwischen Parlament und beispielsweise Regierungen beschrieben. Ein Unternehmen kann heute kaum noch unabhängig von den politischen oder gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Entscheidungen treffen, da diese direkt oder indirekt Einfluss haben. Man versucht, die institutionellen Beziehungen zum Vorteil des Unternehmens zu nutzen. Lobbying ist ein Teil von Public Affairs.

Informationsaustausch oder Bestechung? Lobbying und Interessenvertretung sind seriöse Tätigkeiten, wenn sie professionell ausgeübt werden. Ein Klischee ist dagegen, dass Lobbyisten mit geldgefüllten, braunen Umschlägen hantieren und mit vertraulichen Informationen und Entscheidungen handeln. Unseriöse Anbieter von Lobbying-Dienstleistungen halten sich meist nicht lange auf dem Markt: Sie genügen dem Anspruch professioneller Interessenvertretung nicht. Dabei geht es zu wie in einem Dorf: Ein Fehlverhalten spricht sich schnell herum. Mit offenem Visier kämpfen Interessenvertreter um politischen Einfluss. Sie wollen als Rat- und Stichwortgeber nachhaltig und langfristig erfolgreich sein. Der Aufbau einer Reputation als

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verlässlicher und ehrlicher Makler von Informationen ist hierfür die wesentliche Voraussetzung. Denn beim Lobbying geht es vor allem um Informationsaustausch. Sicherlich hat auch Geld einen Einfluss: Je mehr Mitarbeiter bezahlt werden, desto mehr Informationen können herbeigeschafft werden. Unter diesen Gesichtspunkten möchte ich im Folgenden einige Aspekte erläutern, die die Arbeit der Lobbyisten in Berlin und Brüssel und ihren beratenden Einfluss auf die Politiker beschreiben. Am Ende werde ich zudem auch das Thema Verhaltenskodex und Transparenz ansprechen: Was unterscheidet sich in den beiden Städten und wie wirkt es sich auf die Arbeit eines Lobbyisten aus?

Lobbyismus in Brüssel: Zahlen In Brüssel gibt es unterschiedliche Schätzungen über die Anzahl der Lobbyisten. Je nachdem, wen man hierzu zählt, gibt es in der Hauptstadt Europas zwischen 15.000 und 30.000 Menschen, die sich um die Durchsetzung von Einzel- oder Gruppeninteressen kümmern. So ist es nicht verwunderlich, dass man in den Gängen des Europäischen Parlaments mehr „Außenstehende“ als Politiker trifft. Selbst nach vorsichtigen Schätzungen buhlen etwa dreißig Lobbyisten um die Gunst eines einzelnen Abgeordneten. Dreißig Männer und Frauen, die versuchen, die Meinungsbildung zu beeinflussen, Informationen zu geben, zu beraten. Im Konzert der Lobbyisten spielen nämlich nicht nur die Repräsentanten von Agenturen, Unternehmen und Verbänden eine Rolle – sondern auch die Vertreter der Nichtregierungsorganisationen, der Regionen und der Bundesländer. Zu der bunten Vielfalt der Lobbygruppen in Brüssel gehören die österreichischen Bischöfe, die Plasma-Protein-Therapeuten, der Europäische Rat für Musikliebhaber, die Weltbewegung für die Meere, die internationale Organisation der Metzger und Fleischer ebenso wie die Koalition positiver Menschen. Lobbyisten sind in Brüssel vergleichsweise stark vertreten.

Wer ist ein Lobbyist? In Berlin ist der Fall relativ eindeutig: Verbands- oder Kammervertreter sowie einzelne Unternehmensrepräsentanten sind als Lobbyisten klassifiziert. Im Grossen und Ganzen handelt es sich also um ein traditionelles Metier. Es gibt wenige Anwaltskanzleien, die sich als Lobbyisten und Berater verstehen. Nach und nach treten allerdings vermehrt auch Lobbying-Agenturen, die mit den englischen Public Affairs Agenturen vergleichbar sind, auf den Plan und beginnen, sich auf dem Feld der Politikberatung zu etablieren.

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Der Sinn und Zweck dieser Agenturen wird oft hinterfragt: Was ist ihr Nutzen? Warum soll man Geld für ihre Dienstleistung bezahlen, wenn man als Unternehmen zum Beispiel schon Mitglied im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagebau (VDMA) ist und der Industrie- und Handelskammer (IHK) angehört? Wozu soll ein Unternehmen zusätzlich auch noch externe Berater engagieren? In Berlin scheint diese Frage noch angebracht. Das ist in Brüssel anders. Sowohl nationale als auch europäische Verbände haben ihren Sitz in Brüssel und stehen vor dem gleichen Problem: Um eine gemeinsame Stellungnahme aller Mitglieder zu erreichen, muss man sich oft auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen. So mögen Verbände zwar einen Industriebereich vertreten – nach außen aber vermitteln sie den Eindruck, dass Positionen langsamer und nicht so präzise wie bei einem Einzelunternehmen getroffen werden. Dafür gibt es mehr als 150 Public-Affairs Agenturen: Vom Ein-Mann-Büro bis zum 50-köpfigen Team steht Auftraggebern eine umfangreiche Palette an „Einflüsterern“ zur Auswahl. Es gibt zahlreiche Agenturen, die projektbezogen, meist auch befristet, arbeiten. Darüber hinaus gibt es eine steigende Anzahl von inzwischen sehr großen Anwaltskanzleien. Die amerikanische Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer zum Beispiel bezog zunächst nur eine einzelne Etage in einem Bürohaus, hat sich inzwischen aber auf sechs Etagen ausgedehnt. Die Kanzlei stellt ständig neue Anwälte ein, um die komplexen juristischen Gesetzgebungsverfahren zu begleiten. Zudem ist Freshfields Bruckhaus Deringer in den letzten Jahren dazu übergegangen, auch Nicht-Juristen zu verpflichten: So genannte „European Consultants“, die als Berater auf politischer Ebene Gesetzgebungsprozesse begleiten. Aber wer ist ein Lobbyist, und wer wird als ein solcher angesehen? Die Unterscheidung tut Not. Hintergrund sind unterschiedliche Lobbying-Traditionen: In Brüssel sind angelsächsische Unternehmenskulturen stark ausgeprägt. Das wirkt sich darauf aus, wie die Lobbyarbeit betrieben wird. Lobbying ist in den USA oder Großbritannien schon seit vielen Jahren ein Teil des politischen Meinungsbildungsprozesses. Die Kernfrage ist: Warum wird Interessensvertretung in dieser Form praktiziert? Zahlt sich der Kosteneinsatz am Ende des Tages aus? Das wird in Agenturen und Kanzleien mit angelsächsischer Kultur ganz offen diskutiert. Wenn man dagegen deutsche Lobbyingfirmen oder Verbände darauf anspricht, erfährt man oft, dass diese Fragen so noch nicht gestellt wurden.

Brüssel und Berlin – eine Frage des Stils Die Unterschiede zwischen Brüssel und Berlin sind in punkto Arbeitsstil sind sofort erkennbar. Berlin beeindruckt: Für jeden zweiten Abend bekommt man

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eine Hochglanz-Einladung. Egal ob das Focus Fest, eine Einladung der BILD über den Dächern der Stadt, ein Medientreff der Telekom oder der Empfang eines Unternehmens in den Räumlichkeiten der Neuen Staatsgalerie. Der Aufwand für Veranstaltungen ist gigantisch: Da werden Sanddünen künstlich aufgeschüttet, fantastische Cocktails ausgeschenkt, Gäste von Spitzenköchen bewirtet und mit aufwendigen Präsenten nach Hause geschickt. Dazu werden mit viel Glamour und Tamtam Prominente wie werden Barbara Becker oder Veronica Ferres empfangen, die der Veranstaltung einen Farbtupfer verleihen sollen. In Brüssel ist das anders, der Glamourfaktor liegt wesentlich niedriger. Manche Vertretung der deutschen Bundesländer pflegt indes einen ähnlichen Stil bei ihrer Präsentation. Bayern zum Beispiel hat sich für seine Landesvertretung ein Schloss gekauft, das unmittelbar vor dem Europaparlament, im Herzen des Europaviertels, steht. Selbstbewusst – so scheint es – trotzt der Freistaat dem bunten Treiben um das Schloss herum. Keine andere Landesvertretung wirkt ähnlich opulent. Selbst die Vertretung Deutschlands in Brüssel ist kleiner. Auch die Deutsche Post steht in Sachen Glamourfaktor in Brüssel nichts nach: Die deutsche Community fiebert dem Sommerfest des „gelben Riesen“ regelrecht entgegen. Dann treten Akrobaten auf und Musiker, und alle haben Spaß. Berliner Gäste aber lächeln nur milde: Das soll das gesellschaftliche Highlight Brüssels sein? Die Verwunderung ist groß: Lobbyarbeit und Informationsaustausch finden in Brüssel gemeinhin nicht auf dem gesellschaftlichen Parkett, sondern in Anhörungen und Konferenzen statt. Im Anschluss an solche Informationsveranstaltungen gibt es auch mal einen Empfang mit Champagner. Stil und Auftreten der Unternehmen und Verbände in Brüssel ist aber wesentlich bescheidener, reduzierter und sachlicher. Was wiederum damit zu tun hat, wen man eigentlich lobbyieren oder beraten muss.

Von unten nach oben Der Hierarchie-Unterschied zwischen Berlin und Brüssel ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Ein großes Manko für deutsche Interessenvertreter in Brüssel ist in den meisten Fällen die niedrigere Position gegenüber den Berliner Kollegen, da das Brüsseler Büro oft nicht die direkte Anbindung an den und Zugang zum Vorstand hat. Dabei nimmt die Gesetzgebung meist den umgekehrten Weg: Ein Gesetzesentwurf kommt in mehr als der Hälfte der Fälle bereits heute von Brüssel nach Berlin. Dort wird er zur Kenntnis genommen oder verkompliziert. Wenn man sich die Zahlen vergegenwärtigt, dann haben etwa 70% der Wirtschaftsgesetzgebung den Ursprung in Brüssel und 90% der Umweltgesetzgebung; Verbraucherschutz und einige andere Bereiche stammen zu fast 100% aus

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der EU. Man sieht also, dass bei der Gesetzgebung der Einfluss auf Bundesebene immer mehr abgenommen und die europäische Dimension deutlich an Gewicht gewonnen hat. Insbesondere im Bereich EU-Wettbewerb gilt: Wer die EU-Kommission vergisst, macht die sprichwörtliche Rechnung ohne den Wirt. Ob Regierung oder Unternehmen: Bei staatlichen Beihilfen, Fusionen und im Kartellrecht entscheiden die Brüsseler Wettbewerbshüter mehr und mehr mit. Nicht zuletzt die Schaffung eines gemeinsamen Europäischen Binnenmarkts und die damit verbundene Erhöhung des grenzüberschreitenden Handels hat die Bedeutung der EU-Kommission verstärkt. In der Vergangenheit mussten schon einige Unternehmen unter Androhung von Geldstrafen und Auflagen ihre Pläne zurückziehen. Vorbei sind die Zeiten, wo Lobbying auf Landes- oder Bundesebene alleine die gewünschten Ergebnisse lieferte. Viele Lobbyisten aus den anderen europäischen Mitgliedsstaaten haben das erkannt und vorausblickend entsprechende Maßnahmen getroffen: Sie sind mit großen und personalstarken Büros vor Ort vertreten und verfügen über einen unmittelbaren Zugang zur Unternehmens- oder Verbandsleitung. Bei den deutschen Lobbyisten ist das noch anders. Deutsche Repräsentanzen von Großunternehmen sind oft nicht mit der Leitung der Abteilung Politikberatung in Brüssel vertreten. Der Unternehmensvertreter pendelt zwischen Bonn, Berlin und Brüssel. Und das bringt Reibungsverluste mit sich. Ein Gegenbeispiel ist die Deutsche Bank: Sie hat die Brüsseler Vertretung unmittelbar an den Vorstand angebunden und macht ein sehr sichtbares, anerkanntes Lobbying. Gesprächspartnern vor Ort können sofort Informationen aus erster Hand geboten werden, die nicht erst verschiedene Abteilungen durchlaufen und geprüft werden müssen. Darüber hinaus sind einzelne Unternehmen auch mehrfach in Brüssel vertreten: Über ihre Unternehmensvertretung, über deutsche Verbände oder europäische Dachverbände. So war ein großer Mittelständler insgesamt neun Mal über Verbände und Kammern in Brüssel repräsentiert. Die Leistungen der Mitgliedschaft waren jedoch in keinem Fall zufriedenstellend: Ein wöchentlicher oder gar monatlicher Newsletter, der in der Regel gar nicht erst gelesen wird, reicht nämlich nicht aus. Das Unternehmen entschied sich in der Folge, die meisten Mitgliedschaften zu kündigen und sich durch eine Consultingfirma vertreten zu lassen – ein klassisches Beispiel. Viele Mittelständler wollen sich keine eigene Unternehmensrepräsentanz leisten, aber trotzdem konkret und zielgerichtet ihre Interessen verfolgen. An den Hierarchien wird sich ohne Zweifel noch etwas ändern. Ebenso an der Angliederung der Brüsseler Repräsentanz an das Mutterunternehmen, ob also zunächst an Berlin oder direkt an den Vorstand berichtet wird. Letzteres wird der erfolgreichere Weg sein. Denn fehlt der Anschluss an die europäische Schaltzentrale, droht Unternehmen ein empfindlicher Wettbewerbsnachteil. Der direkte

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Informationsfluss von und nach Brüssel und der Kontakt zu den im doppelten Wortsinn entscheidenden Politikern sind entscheidend.

Multikulti statt nationale Denke Die Art und Weise, Lobbying zu betreiben, ist in beiden Städten ähnlich. Zum Handwerk des Lobbyisten gehört zum einen das so genannte „passive Lobbying“, das heißt die Beobachtung von Gesetzes- und Entscheidungsprozessen (Monitoring), die Analyse und Bewertung von Gesetzen sowie die Ausarbeitung von Änderungsvorschlägen. Passives Lobbying ist die Voraussetzung für aktives Lobbying, das heißt Entscheidungen vorzubereiten und auf Entscheidungsträger einzuwirken. Einem weit gefächerten Netzwerk kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Kontaktnetzwerke müssen auf- und ausgebaut werden. Wie bereits erwähnt: Es geht den Personen in Entscheidungspositionen um den Austausch von Informationen, um loyale Ratgeber und eine entsprechend wertvolle Beratung. Diese wird von den Interessenvertretern geboten. Wie das im Einzelnen verläuft, ist jedoch sehr unterschiedlich. Es gibt andere Verfahren, andere Arbeitsweisen und eben auch ein gänzlich anderes Umfeld. Wie bringt man die richtige Information zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Adressaten? Die Beantwortung dieser Frage ist in Berlin einfacher. Man hat es dort nämlich vor allem mit Politikern zu tun. Die Initiative zur Gesetzgebung liegt bei Bundestag und Bundesrat. Man ist mit den Ministerien in Kontakt. Politiker sind gern gesehene Gäste auf fast jeder Veranstaltung. Dem Politiker bietet sich dort eine willkommene Abwechslung zum Sitzungsalltag und gleichzeitig die Möglichkeit, mit Lobbyisten in Kontakt zu treten. Anders ist das in Brüssel, wo eine Behörde das Recht zur Gesetzesinitiative hat: Die Europäische Kommission. Das Europäische Parlament entscheidet zwar in den meisten Bereichen mit, aber erst nachdem es einen Entwurf von der Kommission erhalten hat. Für Lobbyisten ist es wichtig, schon auf den Entwurf, auf die Initiative hin, Einfluss zu nehmen. Durch die Einrichtung von „Frühwarnsystemen“ können Überraschungen vermieden und wesentliche Punkte eingebracht werden. Die Einflussnahme auf einen Gesetzesentwurf nach Weiterleitung an das Europäische Parlament und den Rat ist weitaus aufwendiger – und nur der zweitbeste Schritt. Besser ist es, den zuständigen Mitarbeiter in der Europäischen Kommission bei der Erstellung des Entwurfs zu kontaktieren, ihn im Idealfall zu beraten und mit Informationen auszurüsten. Oft ist es so, dass der Adressat unter Umständen einen anderen kulturellen Hintergrund hat und nicht unbedingt ein Deutscher ist. Das ist entsprechend eine größere Herausforderung als in Berlin. Der Beamte kann inzwischen, dank der Erweiterung der Europäi-

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schen Union, aus einem von 27 verschiedenen Ländern kommen und bringt seine ganz spezifische Arbeitsweise, Kultur und Denkweise mit. Der Komplex der interkulturellen Kompetenz ist nicht zu unterschätzen. Wenn man es nicht schafft mit allen Nationalitäten gleichermaßen zu arbeiten, entsteht ein entscheidender Nachteil für die Lobbyarbeit. Als Deutscher in Brüssel stellt man oft fest, wie „deutsch“ man denkt und handelt: „Wo bin ich, wo will ich hin und welche Zwischenschritte habe ich“. In Frankreich oder Spanien zum Beispiel ist das anders, man fängt bei minimalen Dingen an. Ein Gespräch beim Mittagessen in entspannter Atmosphäre mit einem Beamten aus der Kommission kann schon an der Frage scheitern, wer die Rechnung bezahlt. Einen Spanier nicht einzuladen, wäre ein Affront. Einen Schweden oder Niederländer einzuladen, wäre aber ebenso falsch. Die Umgangsformen des multi-kulturellen Umfelds muss man sich vor Ort aneignen. Auch die Kommunikationsweise variiert in den unterschiedlichen EU-Ländern. In der Unterhaltung mit einem Finnen kann man beispielsweise Argumente überzeugend und freundlich vorbringen – und doch erntet man zunächst nur ein Schweigen. Der Gesprächspartner sammelt sich erst einmal, strukturiert seine Gedanken und antwortet erst dann. Bei der Gegenseite, die das nicht kennt, löst das eine gewisse Nervosität aus. Nachdem die Kommission einen Gesetzesentwurf an das Parlament weitergeleitet hat, beraten und entscheiden dort Abgeordnete mit wiederum 27 verschiedenen Nationalitäten über den Entwurf. Im Mitentscheidungsverfahren können nur bis zur ersten Lesung von Lobbyisten Änderungen eingebracht werden. Danach geht der Entwurf zum Ministerrat der EU-Mitgliedsländer. Hier werden die Änderungen des Parlaments an dem Gesetzesentwurf diskutiert, entweder angenommen, geändert oder abgelehnt. In der zweiten Lesung kann das Parlament maximal zu dem Ergebnis seiner ersten Lesung zurückkommen. Neue Änderungen können nicht eingebracht werden. All dies macht Lobbying in Brüssel sehr viel komplexer und erfordert eine andere Art von Qualifikation und Kommunikation als in Berlin. In der Berliner Praxis werden häufig Ex-Politiker eingestellt, die entweder als Lobbyisten oder im Beirat eines Unternehmens tätig werden. Ein ehemaliger Politiker hat die unerlässlichen Kontakte innerhalb seiner Partei und nutzt diese, um mit relevanten Ansprechpartnern im Namen seines Arbeitgebers in Verbindung zu treten. In Brüssel gestaltet sich das schwieriger. Die Parteizugehörigkeit ist, genauso wie die Nationalität, nur ein einzelner Faktor.

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Stetig ist der Wandel Andere Gesichtspunkte beeinflussen die Lobbyarbeit und Politikberatung in der Europäischen Kommission. Denn deren Mitarbeiter haben einen Posten nur für einige Jahre inne und werden innerhalb der Generaldirektionen regelmäßig versetzt. Ein Kommissions-Beamter etwa im Bereich Telekommunikationsregulierung, zu dem man einen Kontakt aufgebaut hat, ist unter Umständen nach ein paar Jahren im Bereich Umweltschutz tätig. Langfristig in einem speziellen Bereich aufgebaute Kontakte gehen so wieder verloren. Deshalb ist es wichtig und geradezu unerlässlich, sein Kontaktnetzwerk ständig zu pflegen und auszubauen. Die Notwendigkeit zum Informationsaustausch mit Lobbyisten ist in Brüssel größer als in Berlin, wo den Abgeordneten ein großer wissenschaftlicher Dienst zur Verfügung steht. Ein Bundestagsabgeordneter kann Dossiers mit Hintergrundinformationen anfordern – das geht in Brüssel nicht. Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments haben in der Regel maximal zwei Mitarbeiter und sind daher auf die außerparlamentarische Hilfe angewiesen. Je sachlicher diese Beratung ist, desto besser. Für die Lobbyisten gilt es, frühzeitig mit Hintergrundinformationen präsent zu sein, sich immer wieder in Erinnerung zu rufen und auf Nachfrage gute Detailkenntnisse zu übermitteln. Im Vergleich zu den Ministerien in Berlin ist die Europäische Kommission relativ schlank – ein weiterer Unterschied. Impact-Studies für die Gesetzgebung werden oft nicht von der Kommission im eigenen Haus durchgeführt, weil vergleichsweise wenige Mitarbeiter zur Verfügung stehen. Auch die Kommission ist daher darauf angewiesen, externen Input zu erhalten. Dabei gilt es, eine Ausgewogenheit der Informationen zu gewährleisten und alle Seiten zu hören. Das ist notwendig und macht die Entscheidungsfindung transparenter. Denn auch Staat und Behörden sind nicht objektiv – und zu allen Seiten ausgewogene Gesetzesentwürfe gibt es nicht. Wenn die Quelle der Information eindeutig ist, erhöht das die Authentizität und Gewichtung eines Dokuments, die Transparenz ist erhöht. Gleiches gilt auch für die Einordnung in den richtigen Kontext, da die Interessen der einzelnen Vertreter Rückschlüsse auf die Argumentation zulassen.

Eine Frage der Transparenz Wie wichtig Transparenz im Zusammenhang mit Lobbyarbeit und Politikberatung ist, erkennt man schon allein daran, dass diese Dienstleistung gemeinhin eher kritisch und misstrauisch beäugt wird. So gesehen sollten „Betroffene“ es vermeiden, mögliche Vorurteile zu bestätigen oder Misstrauen zu nähren. Lob-

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byisten und Berater, die in Berlin tätig sind und Zugang zu den Institutionen erhalten wollen, müssen sich schriftlich der Einhaltung bestimmter Verhaltensgrundsätze und Leitlinien verpflichten. Einmal abgesehen davon, dass es sich für einen seriösen Berater ohnehin verbietet, sich in halbseidenen Machenschaften zu verstricken, unterliegen die Berliner Lobbyisten damit einem strengen Verhaltenskodex. Nur wenn sie diesen akzeptieren, haben sie die Möglichkeit, am Gesetzgebungsverfahren teilzunehmen und ihre Interessen zu vertreten. Das ist, keine Frage, gut und wichtig. Auch in Brüssel müssen sich die Interessensvertreter und Konsultanten akkreditieren, um Zugang zu den Gebäuden der Europäischen Institutionen zu erhalten. Eine weitere Kontrolle oder bindende Verhaltensgrundsätze gibt es allerdings noch nicht. Im Rahmen ihrer Transparenzinitiative hat die Europäische Kommission allerdings zwischenzeitlich wichtige Schritte in diese Richtung unternommen. Jeder, der an den Konsultationen um Gesetzesinitiativen teilnehmen und sich zu Wort melden möchte, soll sich – wie in Berlin – registrieren. Ganz egal, ob es sich dabei um eine Nichtregierungsorganisation oder einen anderen Interessensvertreter handelt. Damit soll sichergestellt werden, dass die Öffentlichkeit die Möglichkeit erhält, zu erfahren, wer an den entscheidenden Prozessen beteiligt und wer wessen Interessen eingebracht hat. Die Transparenz von Verwaltungshandeln, das hat die Europäische Kommission erkannt, muss die oberste Maxime sein, um Missbrauch von Steuermitteln zu bekämpfen und das Vertrauen der Bürger in staatliches Handeln zu stärken.

Ende gut, alles gut? Man kann nur darauf hoffen, dass die Öffentlichkeit in Zukunft stärker verfolgt, was in Brüssel passiert. Dann wird sich das existierende Negativbild zurechtrücken – auch insbesondere bei den Themen Lobbying und Politikberatung. Wünschenswert ist ein ehrlicher Umgang damit, was in Brüssel entschieden wird und was in Berlin. Den Beratern der Politik fällt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle zu.

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Karl-Heinz Florenz

Politikberatung in Europa am Beispiel der Chemikalienpolitik REACH

Als ich 1989 zum ersten Mal in das Europäische Parlament gewählt wurde, war eine spezielle Politikberatung für Europaabgeordnete noch kaum existent. Innerhalb des europäischen Institutionengefüges war das Parlament zu dieser Zeit auf die Rolle eines reinen Beratungsgremiums beschränkt, welches über keinerlei legislative Kompetenzen im Gesetzgebungsprozess verfügte. Daher waren auch die Parlamentarier als Ziel für meinungsbildende oder -beeinflussende Kommunikation der gesellschaftlichen Akteure oder Interessengruppe nur von geringem Interesse und hatten nur wenige Kontakte zu diesen Gruppen. Diese Situation hat sich inzwischen jedoch grundlegend geändert. Die Integrationsschritte während der Neunziger Jahre hin zu einer Europäischen Union haben das Europäische Parlament in seiner Funktion als Mitgesetzgeber etabliert und damit die zuvor herausgehobene Stellung des Ministerrates als Entscheidungsgremium im europäischen Gesetzgebungsprozess relativiert. Durch die Verträge von Maastricht, Amsterdam und Nizza ist das Parlament inzwischen als einzige direkt gewählte Institution der EU in allen wesentlichen Politikfeldern der Europapolitik außer der Agrarpolitik direkt an der Gesetzgebung und allen damit verbundenen politischen Entscheidungen maßgeblich beteiligt. Die Aufwertung des Parlaments führte erwartungsgemäß auch zu einem Bedeutungswandel für die inhaltliche Arbeit der Parlamentarier. Das Interesse der Fachverbände und der organisierten Zivilgesellschaft an der Arbeit der Abgeordneten nahm in der Folge des wachsenden Einflusses auf die Gesetzgebung ständig zu. Diese politische Entwicklung führte zugleich auch zu einem veränderten Selbstbild der EU-Parlamentarier. Dies betraf vor allem die Wahrnehmung des Parlaments als Vertretung der Bürger Europas und ihre Interessenwahrung durch die Parlamentarier im Rahmen der Gesetzgebung. Der Berichterstatter des Parlaments zu einem Gesetzgebungsvorschlag der Kommission sowie die so genannten Schatten-Berichterstatter1 für die einzelnen 1

Im Rahmen der innerfraktionellen Legislativarbeit benennen die Obleute nach Interessenbekundung durch die Abgeordneten den verantwortlichen Berichterstatter für die Fraktion. Ihnen obliegen die Begleitung des Gesetzgebungsvorschlags entsprechend den politischen Werten und Zielen der eigenen Fraktion sowie die Koordination der Änderungsanträge der Fraktion. Vor allem bei der Aushand-

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Fraktionen sind heute Schlüsselfiguren im Gesetzgebungsprozess der Europäischen Union. Ihr Einfluss auf die parlamentarische Entscheidung, aber auch auf die Meinungsbildung zu einem Thema in den Medien und der Öffentlichkeit übertrifft die Bedeutung eines Bundestagsabgeordneten deutlich. Entgegen der Wahrnehmung in der deutschen Öffentlichkeit sind die Europaabgeordneten zu den bevorzugten Ansprechpartnern von Unternehmen, Fachverbänden, Interessengruppen oder gemeinnützigen Vereinen geworden, wenn es um europäische Gesetzgebung mit spürbaren Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland geht. Die Bedeutung der Politikberatung in Brüssel konkurriert daher auch mit jener in Berlin. Auf EU-Ebene werden viele Entscheidungen für Deutschland getroffen, die danach entsprechend den Zielen der europäischen Harmonisierung kaum oder unverändert zu einem Teil deutschen Rechts werden. Das betrifft vor allem den gesetzgeberischen Rahmen für die wirtschaftliche Tätigkeit im EU-Binnenmarkt, aber auch den Bereich der Umweltpolitik oder des Verbraucherschutzes. Inzwischen sind beim Europäischen Parlament mehrere tausend Interessenvertreter akkreditiert und die Zahl wächst monatlich weiter. Das Parlament ist aus Sicherheitsgründen inzwischen gezwungen, den permanenten Zutritt von Außenstehenden zeitlich zu begrenzen und die Anzahl der Personen mit Dauerausweisen für das Parlament ebenfalls zu limitieren. Der tatsächliche Bedeutungszuwachs des Europäischen Parlaments im Gesetzgebungsprozess der EU lässt daher sich nirgends schneller und eindrucksvoller darstellen wie durch den Zuwachs an professioneller Interessenvertretung durch dauerhaft akkreditierte Lobbyisten und die damit verbundene permanente Interessenvertretung durch alle relevanten gesellschaftlichen Kräfte. Inzwischen ist die Rolle dieser Interessenvertreter auch formal in der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments geregelt. Der darin enthaltene Verhaltenskodex ist als Arbeitsgrundlage der Politikberater zu werten. Er dient als Basis des Verhältnisses zwischen Abgeordneten, deren Mitarbeitern und externen Interessenvertretern mit permanentem Zugang zu den Gebäuden des Europäischen Parlaments. Die Grenzen zwischen Informationsvermittlung, Meinungsbildung und Meinungsbeeinflussung durch Interessenvertreter sind fließend und kaum voneinander zu trennen. Selbst die wenigsten Nachrichtensendungen trennen heute noch klar Information und Meinung. Auch die Interessenvertreter in Brüssel verstehen sich nicht als Dienstleister am Parlamentarier, die wertneutral und unparteiisch Informationen übermitteln, um die Arbeit des Abgeordneten zu erleichtern. Es geht um Einflussnahme auf Meinungsbildung und damit um die Beeinflussung der Entscheidung in den Schlussabstimmungen von Fachauslung von Kompromissen mit dem Berichterstatter und anderen Schatten-Berichterstatter kommt Ihnen eine große Bedeutung für die politische Arbeit und Konsensfindung im Sinne der Fraktion zu.

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schuss und Plenum. Es geht im Kern also um den direkten Zugang zu parlamentarischem Einfluss auf eine bestimmte Gesetzgebung.

Warum Politikberatung notwendig ist und wo die Grenzen liegen Interessenvertretung und die Vermittlung von Information sind ein notwendiger Teil des gesetzgeberischen Prozesses. Parlamentarier sind kaum in der Lage, komplexe Zusammenhänge vollständig zu überblicken, die Auswirkung von Gesetzgebung auf alle Beteiligten zu erfassen oder die notwendige Detailkenntnis nur durch Lektüre zu erwerben. Sie sind daher auf externe Informationen angewiesen, zumal die jeweilige Situation in 27 Mitgliedstaaten durchaus verschieden sein kann. Zudem ist entscheidend, dass das Europäische Parlament trotz allen Bedeutungszuwachses weiterhin nicht über ein Initiativrecht zur Gesetzgebung verfügt. Während die Europäische Kommission als „Hüterin der Gesetze“ über zahlreiche interne und externe Expertise verfügt und sich der Beamtenstab innerhalb der einzelnen Generaldirektionen und Abteilungen intensiv mit nur einem spezifischen Politikfeld beschäftigt, decken die Abgeordneten ein viel breiteres Spektrum an Themen ab. Dies ist schon am Zuschnitt der Parlamentausschüsse erkennbar. Während die EU-Kommission beispielsweise über zwei getrennte Generaldirektionen für die Bereiche Umwelt und Gesundheit verfügt, sind beide Themenbereiche im Parlament in einem Ausschuss vereint. Damit einhergeht, dass Europaabgeordnete eher über Fachkenntnis in der Breite verfügen, während Detailkenntnisse sich zumeist nur auf wenige Themen beschränken, zum Beispiel Abfallbewirtschaftung, Luftreinhaltung oder sinnvolle Schutzmaßnahmen vor BSE oder der Vogelgrippe. Hinzu kommt für die Europaparlamentarier die ganz wesentliche Arbeit in den Wahlkreisen und der eigenen Partei, die einen Großteil der Arbeitszeit außerhalb von Brüssel oder Straßburg in Anspruch nimmt. Ein weiteres erhebliches Manko sind die begrenzten personellen Ressourcen, über die ein Abgeordneter verfügen darf. Während etwa ein US-Senator ein vollständiges Kabinett von mehr als 20 Mitarbeitern beschäftigen kann, fehlt es den Europaabgeordneten an ausreichenden Mitarbeitern, die sich mit der ganzen Themenbreite beschäftigen könnten. So arbeiten zumeist nur zwei parlamentarische Assistenten in den Brüsseler Büros – faktisch zu wenig, um den Abgeordneten in den vielen auch sachfremden Themen der Europapolitik zu informieren und Entscheidungsoptionen zu erarbeiten. In ihren Spezialgebieten können Europaabgeordnete jedoch zu echten Experten werden, deren genauen politischen Vorstellungen und Erfahrungen auch im Umgang mit Interessenvertretern Wirkung zeigen. Dies kann für die Politik-

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beratung vorteilhaft sein, weil bereits aus früherer Gesetzgebung Kontakte bestehen oder nachteilig, sofern der Abgeordnete klare politische Vorstellungen zu einem Thema hat und damit eine gewisse „Beratungsresistenz“ aufweist, beziehungsweise über ausreichende Sachkenntnis verfügt und nur wenig Informationsbedarf besteht. Genau hier liegen auch die notwendigen Grenzen von Einfluss, den strategische Kommunikation auf die Meinung eines Abgeordneten nehmen sollte. Ein Parlamentarier ist nicht von einer bestimmten Organisation oder einem einzelnen Verband gewählt worden, sondern von einer heterogenen Menge von Bürgen mit unterschiedlichen Interessen, Wünschen und Handlungsaufträgen an die Politiker. Dies reflektiert sich im Selbstverständnis des Abgeordneten, dessen Meinung eine Schnittmenge der unterschiedlichen Standpunkte zu einem politischen Thema sein sollte. Der Wirkungskreis des Lobbying ist also umso größer, je weniger ein Abgeordneter bereit ist, sich mit der Vielfalt an Meinungen zu einem politischen Thema auseinanderzusetzen. Es ist daher entscheidend, dass Parlamentarier sich Informationen zu Themen und Problemen sowie Lösungsansätze von unterschiedlichen Seiten zukommen zu lassen. Eine Vereinnahmung durch nur eine gesellschaftliche Interessenvertretung sollte ein Abgeordneter vermeiden. Die daraus entstehende Problematik fragwürdiger Beziehungen und Abhängigkeiten liegt auf der Hand.

Spezifische Politikberatung für und in Europa Aus eigener Erfahrung kenne ich das große Talent der Verbände, nur einen Ausschnitt aus einem komplexen Thema darzustellen, Nachteile zu dramatisieren, aber bestehende Vorteile unerwähnt zu lassen. Beliebt ist ferner, am Anfang der parlamentarischen Beratungen mit Maximalforderungen zu beginnen, um möglichst viel von der eigenen Position durch das Verfahren zu bringen. Dies gilt gleichermaßen für die Industrie wie für die zahlreichen Vertreter der Zivilgesellschaft. In jüngerer Zeit hat sich die Interessenvermittlung vor allem der größeren Industrieverbände, aber auch der internationalen Nichtregierungsorganisationen zweigleisig aufgestellt. Neben persönlichen Gesprächen, regem Nutzen der elektronischen Medien, Hochglanzbroschüren, besonderen Mittags- oder Abendveranstaltungen, auf denen je nach Rahmen formell oder informell entweder mehr die Informationsvermittlung oder mehr die Meinungsbildung im Vordergrund steht, werden die Europaabgeordneten nun auch verstärkt über ihre Wahlkreise und damit von zu Hause aus auf Problemstellungen aufmerksam gemacht.

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Handelt es sich um besonders kontroverse oder sensible Themen, beispielsweise die Einführung des Handels mit Emissionsrechten, der Reform des Chemikalienrechts (REACH2) oder der Dienstleistungsrichtlinie, werden parallel zur Lobbyarbeit an den europäischen Schauplätzen verstärkt die nationalen Parlamentarier aus dem Bundestag oder den Land- oder Kreistagen in das Lobbying für EU-Gesetzgebung eingebunden. Weniger mit der Materie und dem Gegen- und Sachstand der Beratungen in Brüssel vertraut, werden sie von den Interessenvertretern mit den bereits erwähnten Maximalforderungen konfrontiert. Eindeutig steht hier klar die Meinungsbildung und im Anschluss daran die Meinungsvertretung im Vordergrund. Dies hat aber noch einen anderen Grund: Den nationalen Abgeordneten fehlt es durch die thematische Distanz zu vielen Legislativverfahren auf Brüsseler Ebene an Einsicht in die Komplexität vieler Beratungen. Der Informationsfluss aus den Vertretungen der Bundesländer oder der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU geht nicht primär an die Parlamente, sondern zunächst über die Staatskanzleien oder das Kanzleramt auf die Ministerialebene in der Fachministerien. Oft hinken die Parlamentarier bei den Beratungen auf europäischer Ebene hinterher, ohne dass dies selbstverschuldet wäre. Damit ist es für Politikberater durchaus einfacher, einem nationalen Abgeordneten ein Problem aus rein nationaler Sichtweise zu präsentieren und die Auswirkungen der europäischen Gesetzgebung auf den Standport zu dramatisieren. Dies ist auf EU-Ebene kaum möglich und überwiegend sogar kontraproduktiv, da es die europapolitische Realität nicht abbildet. Aus diesem Grund achten die Interessenvertreter in Brüssel darauf, dass die europäische Dimension eines Problems berücksichtigt wird und ein Lösungsansatz für ein spezifisches Problem auch auf die Situation in anderen Mitgliedstaaten anwendbar wäre. Es sollte dabei nicht unerwähnt bleiben, dass viele Interessenvertreter bei dieser Vorgehensweise auch die besondere Arbeitsweise des Parlaments im Auge behalten. Faktisch ist der eigentliche Gegenspieler des Parlaments der Ministerrat. Demnach versuchen die einzelnen Fraktionen zwar in Erster Lesung, ihre politische Sichtweise zu einem Gesetzgebungsvorhaben möglichst deutlich und mit großen Mehrheiten zu verwirklichen. In der Zweiten Lesung geht es allerdings dann um die Mehrheit aller Abgeordneten, um den Gemeinsamen Standpunkt des Ministerrates abändern zu können und als Parlamentsposition gegenüber dem Rat zu bestehen. Dazu bedarf es im Grunde einer Großen Koalition.

2 REACH ist eine Abkürzung und steht für: Registration, Evaluation and Authorisation of CHemicals. Das Wort beschreibt das Grundprinzip der neuen Chemikalienpolitik, nach dem etwa 30.000 Substanzen registriert werden müssen. Danach folgt eine Auswertung der vorliegenden Daten und eine Risikobewertung, die in eine Genehmigung für bestimmte Verwendungen münden kann, sofern es sich um für Umwelt und Gesundheit gefährliche Substanzen handelt.

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Professionelle Interessenvertreter wissen um diese Situation. Daher kann es nicht im Interesse der Interessenvertreter sein, beide großen Fraktionen (EVP-ED und SPE) während der Ersten Lesung gegeneinander auszuspielen. Dementsprechend versuchen sich erfahrene Lobbyisten in der Rolle eines fairen Vermittlers zwischen den Flügeln des Hauses. Dies ist vor allem dann der Fall, sofern sie die eigenen Interessen in Gefahr sehen, zwischen Links und Rechts aufgerieben zu werden oder die reellen Mehrheitsverhältnisse ihren eigenen Erwartungen klar entgegenstehen. Kommunikation und Meinungsbildung zielen aber nicht nur auf Abgeordnete der großen Fraktionen, sondern wollen möglichst ein breites Spektrum der politischen Richtungen und Herkunftsländer erreichen. Damit wird dem spezifischen Charakter der Interessenvertretung auf europäischer Bühne ebenfalls Rechnung getragen. Zwar stellen die deutschen Europaabgeordneten mit gegenwärtig 99 von 732 Parlamentariern die zahlenmäßig stärkste Gruppe. Eine rein nach deutschen Kriterien aufgebaute Interessenvertretung wird aber kaum in der Lage sein, die notwendige Mehrheit zu erzielen. Schließlich ist auch die Haltung einer Fraktion zu einem spezifischen Thema in der Summe nur ein Kompromiss aus persönlicher Abgeordnetenmeinung und nationalen Interessen zu jeweiligen Themen. Der Einfluss, den ein solches Lobbying letztlich auf das Abstimmungsergebnis haben kann, darf nicht unterschätzt werden, bleibt aber nur bedingt quantifizierbar oder direkt auf nachweisbare Lobbyaktivitäten zurückführbar. Worauf es daher ankommt, ist neben dem wichtigsten Instrument, einem persönlichen Gespräch mit dem Parlamentarier, auch die kulturelle und sprachliche Herkunft des Abgeordneten zu berücksichtigen. Kommunikationsstrategien, die diese genannten Besonderheiten des Europäischen Parlaments nur unzureichend berücksichtigen, haben auch nur begrenzte Erfolgsaussichten. Diese werden weiter geschmälert, sofern ein Thema kontrovers ist und in verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedlich bewertet wird. Dann ist zu erwarten, dass auch die Abgeordneten in den politischen Fraktionen im Europäischen Parlament in ihrer Meinung national gespalten sind und Mehrheiten entlang nationaler Interessen gesucht werden. Diese sind jedoch selten tatsächlich mehrheitsfähig.

Politische Kommunikation – persönlich und zielgerichtet Schieben wir zunächst einmal eine Vorstellung zur Seite, deren Konsequenzen möglicherweise gar nicht bekannt sind. Als mit dem Internet auch E-MailSysteme entwickelt wurden, schien das Goldene Zeitalter des Lobbyismus angebrochen. Eine Nachricht wurde an alle gesendet und alle Empfänger wussten

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Bescheid. Es mag sein, dass dies zu Beginn auch so war und es tatsächlich gelang, in kurzer Zeit viele Adressaten über die eigene Position zu informieren und von der Richtigkeit zu überzeugen. Heute aber erhält mein Büro täglich über hundert E-Mails. Das sind nicht alles Schreiben von Verbänden oder der Zivilgesellschaft. Viele davon sind aber mit der Absicht des Absenders versand worden, den Parlamentarier inhaltlich zu erreichen. Genau hier liegt die Problematik des Systems: Eine Rund-Mail an alle 732 Europaabgeordnete, zusammen mit mehrseitigen Anhängen, die extra ausgedruckt werden müssen, führt nicht zum Ziel. Warum? Es mag vielleicht überraschend sein, aber die Erklärung ist simpel: Ein Brief hat auch nur einen Empfänger. E-Mails sind dann sinnvoll und erreichen ihr beabsichtigtes Ziel, sofern sie in Form und Inhalt einem Brief entsprechen und eben mit der Absicht versandt wurden, nur eine Person oder wenige Betroffene über einen Sachverhalt zu informieren und die Meinung zu einem Gesetzgebungsvorhaben zu kommunizieren. Es ist simpel: Informiert man alle, fühlt sich keiner angesprochen. Eine Rundmail ist daher in ihrem Wirkungskreis oftmals viel geringer als eine persönliche E-Mail, die auf den Abgeordneten, seine vielleicht schon geäußerte Meinung oder seine Erfahrung mit dem Thema eingeht. Daraus lässt sich ableiten, dass eine E-Mail vor allem dann Erfolg versprechend sein kann, wenn bereits ein Kontakt zwischen dem Interessenvertreter und dem Abgeordneten stattgefunden hat und die Mail als zusätzliche Information oder Zusammenfassung des vorausgegangenen Gesprächs zu betrachten ist. Daher ist der klassische Telefonanruf nicht etwa ein Instrument aus der Mottenkiste der Interessenvertretung, sondern als erster Kontakt vermutlich die beste Herangehensweise an ein Abgeordnetenbüro. Damit ist bereits ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg in der Politikberatung genannt: Der persönliche Kontakt in Form eines Gesprächs – am Telefon oder persönlich – erlaubt beiden Seiten einen intensiven Meinungsaustausch und bietet die Gelegenheit, auf Fragen der Gegenseite einzugehen. Dabei gilt es, die europäische Besonderheit der Vielsprachigkeit nicht zu unterschätzen. Viele Abgeordnete sprechen durchaus auch Fremdsprachen, vor allem Englisch. Es wäre jedoch voreilig zu meinen, dass die Fremdsprachenkenntnisse immer ausreichen, Fachgespräche mit technischen oder themenspezifischen Begriffen zu führen und unterschiedliche Positionen mit Experten zu debattieren. Für viele meiner Kollegen wie auch für mich selbst lassen sich Gespräche vor allem dann intensiv und nützlich gestalten, wenn sie in der Muttersprache geführt werden können. Dabei stellt eine deutsche Verhandlungsführung für mich keine Bequemlichkeit dar, sondern ist als schlichte Arbeitserleichterung zu sehen. Schließlich gilt nicht zuletzt, dass das Verständnis von komplexen Zusammenhängen nur dann auch erfolgreich an Kollegen aus anderen Mitgliedstaaten in einer Fremdsprache

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kommuniziert werden kann, wenn die Kenntnisse zuvor in der eigenen Sprache vermittelt und auch verstanden wurden. Daher gilt für die Politikberatung in Europa, dass Abgeordnete bevorzugt in der eigenen Sprache kontaktiert und informiert werden wollen. Zweifelsohne kann ich bestätigen, dass es schwierig ist, Abgeordnete zu längeren persönlichen Gesprächen zu treffen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass selbst die Terminvereinbarung von Abgeordneten untereinander keine leichte Aufgabe ist. Dennoch lässt sich selbst in nur einer halben Stunde mehr vermitteln und informieren, als jedes schriftliche Dokument darzustellen vermag. Neben dem persönlichen Gespräch sind parlamentarische Abende oder Mittagessen in einem speziellen Rahmen wichtige Elemente in der Strategie der Informationsvermittlung. Beide wesentlichen Akteure im Falle der mir bestens vertrauten Umweltgesetzgebung – Industrieverbände und Nichtregierungsorganisationen (NRO) – bedienen sich dieses Instruments. Dabei wird der Industrie vielfach vorgeworfen, über andere finanzielle Mittel zu verfügen, als es der organisierten Zivilgesellschaft möglich ist. Dieser Vorwurf kann nicht völlig entkräftet werden, jedoch bedeutet dies nicht automatisch auch mehr Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess. Informationsvermittlung ist besonders dann erfolgreich, wenn sie präzise und lösungsorientiert formuliert wird. Dies kann im Rahmen eines kurzen Espresso durchaus schlagkräftiger stattfinden, als während es dreigängigen Menus zu erwarten ist. Der Grund ist auch hier der Zeitdruck, unter dem viele Abgeordnete stehen und der dazu führt, dass ein sorgsam geplanter Parlamentarischer Abend letztlich nicht die Resonanz an Parlamentariern erreichen mag, wie es ursprünglich geplant war. Dies hängt nicht zuletzt mit der inflationären Entwicklung solcher Veranstaltungen zusammen, die meistens nur an zwei Tagen, Dienstag oder Mittwoch, während einer Sitzungswoche stattfinden können.3 Dennoch bleibt es ein zentrales Instrument, um eine Zielgruppe von Abgeordneten direkt anzusprechen und Gelegenheit zum Meinungsaustausch zu geben.

Außerparlamentarisches Lobbying – Medien und Öffentlichkeit als Instrument Neben der Lobbying-Strategie, die sich gezielt an die Europaabgeordneten wendet, verläuft ein anderes Konzept parallel zu den parlamentarischen Beratungen, welches sich an die außerparlamentarische Öffentlichkeit richtet. Dies sind im Wesentlichen pressewirksame (Protest-)Veranstaltungen in Nähe des Parlaments. 3 Dienstag und Mittwoch sind die Kerntage des Parlamentsbetriebes, Montag und Donnerstag sind häufig Reisetage

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Während der Beratungen zur Ersten Lesung der Reform des Europäischen Chemikalienrechts (REACH) gab es mehrere solcher Veranstaltungen. So übergaben die europäischen Tierschutzverbände öffentlichkeitswirksam eine Petition gegen Tierversuche und platzierten dazu unzählige Pappe-Kaninchen auf den Treppenstufen des Parlamentsgebäudes in Brüssel. Die mittelständische chemische Industrie organisierte unter dem Schlagwort „Einspruch“ eine Kampagne gegen wesentliche Teile des Gesetzgebungsvorhabens, welches aus ihrer Sicht zu viele Nachteile für den Mittelstand bedeuten hätte. Diese Veranstaltungen finden durchaus ein Echo in den Medien, sind jedoch längst nicht so wirksam, wie es Großdemonstrationen sein können. Auch wenn es sich dabei nicht um Lobbying im klassischen Sinne handelt und eine Politikberatung im Sinne von direkter Kommunikation in diesem Falle auch gar nicht beabsichtigt ist, so ist in jedem Fall eine Medienresonanz im Sinne der eigenen Anliegen zu erwarten. Nicht der Parlamentarier ist der Adressat, sondern die Öffentliche Meinung. Das auch hier die Grenzen zwischen der Ausübung von Meinungsfreiheit, dem Demonstrationsrecht sowie dem Recht auf Information einerseits und gewalttätigem Protest andererseits schnell überschritten werden, haben die schlimmen Randale der Hafenarbeiter vor dem Parlamentsgebäude in Straßburg vor der Abstimmung über die Hafendienstleistungen im Januar 2006 gezeigt. Außerparlamentarisches Lobbying ist insofern funktionaler Teil von Politikberatung in Europa, weil es gelingt, betroffene Bürger zu den Abgeordneten zu bringen. Aus eigener Erfahrung als Parlamentarier weiß ich, dass das Interesse an einem auch sachfremden Thema dann zunimmt, wenn mich Bürger oder Bürgerorganisationen aus meinem Wahlkreis direkt oder über die Medien auf Probleme mit einer europäischen Gesetzesinitiative hinweisen. Daher haben solche Maßnahmen durchaus ihre Berechtigung und sind eine sinnvolle Ergänzung zur Informationsvermittlung im Parlament selbst. Das Parlament als Institution profitiert im Übrigen durchaus von solchen Aktionen: Die europäische Bürgervertretung leidet unter Anonymität und räumlicher Distanz zu den Wählern der Europaabgeordneten. Dies ist umso problematischer, je mehr Entscheidungskompetenz dem Parlament zugesprochen wurde. Bürgern ist vielfach unklar, dass etwa die deutsche Umweltgesetzgebung längst vollständig in Brüssel entschieden und für Deutschland vorgegeben wird. Den professionellen Politikberatern ist das selbstverständlich bekannt und ihre Arbeit reflektiert diese Situation vollständig. Dem Bürger wird das Europäische Parlament aber leider tatsächlich oftmals nur durch Demonstrationen oder medienwirksame Veranstaltungen von großen NRO näher gebracht. Selbstverständlich kann und darf in diesem Zusammenhang Gewalt und Zerstörung von öffentlichem und privatem Eigentum nicht toleriert werden. Solch ein Verhalten bleibt

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eines demokratischen Diskurses unwürdig. Unabhängig davon sind solche Meinungsäußerungen zudem kontraproduktiv und wenig geeignet, Meinungen von Abgeordneten im angestrebten Sinn zu beeinflussen.

Das Europäische Parlament – Leichte Beute für Lobbyismus? Eingangs erwähnte ich bereits, dass Europaabgeordnete nur über begrenzte Humanressourcen verfügen und sich zumeist auf zwei parlamentarische Assistenten und einen Mitarbeiter im Wahlkreis beschränken müssen. Zwar mag damit das Tagesgeschäft ohne größere Schwierigkeiten zu bewältigen sein, problematisch wird es jedoch, wenn große Legislativdossiers wie die bereits genante Dienstleistungsrichtlinie oder die Reform des europäischen Chemikalienrechts (REACH) mit erheblicher Medienresonanz viele Detailfragen über die Konsequenzen der Gesetzgebung aufwerfen. Das letztgenannte REACH-Verfahren, welches im Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit federführend behandelt wurde, setzte eine Kommunikation- und Beratungs-Maschine seitens der Chemieindustrie und der Zivilgesellschaft in Gang, deren Ausmaß das Parlament bei kritischer Betrachtung zunächst schlicht überfordert hat, deren Auswirkungen auf die Behandlung des Themas nach meinem Eindruck erheblich war und bewertend eher als nachteilig für die innerparlamentarische Konsensfindung zu sehen ist. Eine abschließende Bewertung über Erfolg und Misserfolg der Politikberatung zu REACH kann erst nach der endgültigen Verabschiedung des Dossiers erfolgen. Dennoch erkenne ich aus meiner Perspektive als Ausschussvorsitzender bereits heute, dass das Europäische Parlament als Institution, die Beamten und Mitarbeiter der Fraktionen, vor allem aber viele Abgeordneten und ihre persönlichen Referenten selbst nur begrenzt in der Lage waren, sich der REACHGesetzgebung mit der notwendigen und erforderlichen Aufmerksamkeit zu widmen. Damit einhergehend verblieb die Dimension der Gesetzgebung vielen eher verborgen und die zahlreichen technischen Fragestellungen wurden – obwohl politisch bedeutsam – nicht erschöpfend auch politisch diskutiert. Als Beispiel mag etwa die Frage dienen, welche Testverfahren für welche Substanzen erforderlich oder ausreichend sein könnten, um die Ziele von REACH zu füllen. Sie verblieb trotz ihrer Bedeutung für die Ziele von REACH auf der Expertenebene und in den außerparlamentarischen Seminaren. Worum geht es? Nach meiner Überzeugung fehlte seitens des Parlaments eine interne Brücke“, um komplexe technische Fragegestellungen zu einem Teil der politischen Entscheidungsprozesse zu machen. Es fehlt ein Parlamentsdienst

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zur Reduktion von Komplexität in der Gesetzgebung, der zugleich technische Details umfassend erarbeiten und bewerten könnte. Dies wäre eine erhebliche Arbeitserleichterung für die Europaparlamentarier und hätte positive Auswirkungen auf die fachliche Qualität ihrer Arbeit. Dies soll keinesfalls die exzellente Arbeit vieler Kollegen in den Fachausschüssen schmälern. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass die Parlamentsarbeit verbesserungsfähig ist und der dargestellten Bedeutung des Parlaments als Gesetzgeber besser gerecht werden würde. Was bedeutete dieser strukturelle Mangel für die Interessenvertretung bei REACH? Viele Argumente seitens des Lobbyismus aller Couleur wurden zumindest zu Beginn der Debatte relativ unreflektiert übernommen. Parlamentarier waren somit mehr Sprachrohr oder Lautsprecher unterschiedlichster Interessen denn Vertreter eines gesamtgesellschaftlichen Zieles. Das Parlament war durch den beschriebenen strukturellen Mangel anfällig für eine simple Meinungskopie vom Interessenvertreter zum Abgeordneten – vor allem zu Beginn der Gesetzgebung zu REACH. Selbstkritisch sollte sich das Parlament der Tatsache bewusst werden, dass es seiner Rolle als Mitgesetzgeber und der daraus resultierenden Verantwortung für eine nachhaltige Chemikalienpolitik zu Beginn der Debatte nur schleppend gerecht wurde. Dennoch sollte auch anerkannt werden, dass das Dossier trotz dieser schwierigen Situation inhaltlich souverän behandelt wurde und das Gesetzgebungsverfahren, obwohl inhaltlich hoch komplex, in den innerparlamentarischen Prozessen stets transparent und nachvollziehbar diskutiert wurde. Das bedeutet auf der anderen Seite, dass das Europäische Parlament trotz der genannten personellen Defizite hochprofessionell arbeitet und auch bei REACH, obwohl zunächst Getriebener einer Lobbymaschine, schließlich mit klaren politischen Zielvorstellungen das Verfahren bearbeitete. Bleibt also festzuhalten, dass das Europäische Parlament und seine Abgeordneten keine leichte Beute für den Lobbyismus sind, aber durchaus empfänglich für einfache Botschaften bleiben, wenn ein Thema intern noch nicht erschöpfend debattiert wurde.

Politikberatung bei REACH: Die Chemieindustrie, die Weiterverarbeiter und die NRO Ein zentraler Gegenstand des Lobbying zu REACH war die Frage der Ermittlung und Offenlegung von Informationen, um bisher ungekannte langfristige Auswirkungen von chemischen Substanzen auf Umwelt und menschliche Gesundheit besser einschätzen und bewerten zu können. Hier bestand – und besteht – wei-

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terhin ein tiefer Graben zwischen den Herstellern und der organisierten Zivilgesellschaft. Beide Lager stritten verbittert um das Ausmaß der durchzuführenden Testreihen, aber auch um die Art und Weise, welche Tests geeignet sind, um an die erforderlichen Informationen zur Klassifizierung einer Substanz zu gelangen. Während die Industrie in ihrer Argumentationsweise vor allem den Faktor entstehender Kosten gegenüber unkalkulierbarem Nutzen sowie dem Verlust an Geschäftsgeheimnissen ins Feld führte, forderten die NRO die umfassende Offenlegung aller Informationen, um ihrem eigentlichen Ziel – der Substitution4 – näher zu kommen. Die chemische Industrie nutzte vor allem bis zur Vorlage des endgültigen Kommissionstextes eine Strategie, die auf der klaren Ablehnung der Reform als solcher basierte und eine Blockadepolitik gegenüber konstruktiveren Ansätzen verfolgte. Im Rahmen ihrer Lobbyaktivitäten wurden überwiegend die negativen Auswirkungen auf den Chemiestandort Deutschland und Europa in Form erheblicher Kosten und Arbeitsplatzverluste hervorgehoben sowie die bürokratischen Anforderungen der Reform betont. Dabei wurde durch die klare Zuordnung entstehender Kosten pro Unternehmen auf Wettbewerbsnachteile auf den globalisierten Märkten verwiesen, da die Nutzenseite – besserer Gesundheitsschutz – in der Zukunft liegt und zudem die makroökonomische Seite betrifft. Ohne ins Detail einzelner Beratungsstrategien gehen zu wollen, kann in Rückschau erkannt werden, dass sich die Industrie Zeit gelassen hat, einen kompromissorientierten Ansatz zu REACH zu entwickeln und zu kommunizieren. Erst als unzweifelhaft feststand, dass die EU-Kommission ihren Gesetzgebungsvorschlag nicht zurückziehen würde, wurde die Debatte offener. Die chemische Industrie präsentierte Lösungen und kommunizierte diese durch Informationsveranstaltungen. Damit entstand eine positivere Grundstimmung in der gesamten Debatte, die auch im Parlament bei der Suche nach Kompromissen hilfreich war. Das es der Industrie schließlich gelang, vor allem das Registrierungsverfahren nach dem risikobasierten Ansatz5 zu gestalten, kann als Erfolg ihrer Kompromissbereitschaft bewertet werden. Beide Seiten nutzten das Thema Tierversuche, um für ihre Positionen zu werben. Während die Industrie die Kosten einer Tierversuchsreihe in Zusammenhang mit dem unnötigen Tod vieler Versuchstiere benutzte, um die Notwendigkeit einer stärkeren Kosten-Nutzen-Relation pro Datenerhebung darzustellen, warben die NRO und vor allem die Tierversuchsgegner für den Einsatz alternativer Testmethoden. Obwohl auch hier wieder schwer einzuschätzen ist, welche 4 Substitution bedeutet den Ersatz einer chemischen Substanz durch eine andere mit vergleichbaren Eigenschaften, jedoch weniger Risikopotenzial für Umwelt und Gesundheit. 5 siehe unten

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Lobbypraxis mehr Erfolg hatte, kann festgehalten werden, dass der Schutz von Versuchstieren und die Vermeidung unnötiger Tests auf beiden Seiten des Parlaments eine erhebliche Rolle gespielt hat. Eine interessante Rolle spielten die so genannten Weiterverarbeiter oder Downstream-User.6 Ohne den Vertretern der Branche tatsächliche eine Vermittlerrolle zwischen beiden Lagern zuschreiben zu können, kann behauptet werden, dass ihre Kampagne zu REACH das Ziel hatte, ihren Kunden möglichst viele Informationen über Inhaltsstoffe der Produkte offenzulegen und gemeinsam mit der Chemieindustrie in einen Dialog mit den Konsumenten über den Nutzen chemischer Stoffe einzutreten. Die Umweltschutzorganisationen oder Verbraucherschützer nutzten zu Beginn der Debatte jedoch ebenfalls eine negative Kampagnenstrategie. Aus ihrer Sicht sollte die Reform der Chemikalienpolitik vor allem umwelt- und gesundheitspolitische Ziele verfolgen. Drastische, aber dennoch wissenschaftlich fundierte Darstellungen der Auswirkungen von Chemikalien, vor allem Erkrankungen und Umweltauswirkungen als Spätfolgen von Chemikalieneinsatz, wurden von den NRO genutzt, um für mehr Informationen und mehr Herstellerverantwortung zu werben. Die Forderung nach einem starken Substitutionsprinzip flankierte die Lobbyarbeit der NRO. Damit ist auch die Grundproblematik allen Lobbyings zu REACH beschrieben. Während sich die Chemieindustrie auf den industriepolitischen Teil der Reform fokussierte, wollten die NRO eine unweltpolitische Wende im Umgang mit Chemikalien erzielen. Dieser Grundkonflikt bleibt auch nach der Ersten Lesung ungelöst. Beide Seiten waren und sind nicht wirklich in der Lage, einen Interessenausgleich zu propagieren. Allerdings ist dies aus Sicht der Interessenvertretung auch nicht zu erwarten! Während die Industrie also substanzielle Veränderungen am Kommissionstext anstrebte, entwickelten sich die NRO zum Verteidiger eben dieser Kommissionsvorlage. Dabei bleibt festzuhalten, dass sich aus NRO-Sicht der überarbeitete Text ja bereits erheblich in Richtung Industriepolitik geneigt hatte. Schließlich bleibt festzuhalten, dass nach der Ersten Lesung ein vernünftiger Ansatz für das Registrierungsverfahren eine Mehrheit in Parlament und Ministerrat erzielte. Dieser so genannte risikobasierte Ansatz verfolgt das Ziel, Substanzen nicht nur gemäß ihrer inhärenten Eigenschaften – etwa toxisch oder nicht toxisch – zu registrieren, sondern vor allem dann mehr Tests zu verlangen, wenn die Möglichkeit eines Kontakts mit der Substanz besteht. Vereinfacht dargestellt werden demnach hochtoxische Substanzen, die in den allgemeinen Handel gelangen wesentlich höhere Testanforderungen auferlegt als harmlosen Stof6 Damit sind jene Unternehmen gemeint, die chemische Produkte wie Haushaltsreiniger, Wandfarben oder Waschmittel direkt an Endkunden verkaufen.

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fe, die nur in internen Herstellungsprozessen der Chemieindustrie zur Anwendung kommen. Bei dieser Bewertung wird auch das jährliche Produktionsvolumen berücksichtigt.

REACH in Zweiter Lesung – neue Akteure und neue Ziele Das Beispiel REACH zeigt ebenfalls, dass sich die Interessenvertretung in der zweiten parlamentarischen Lesung sehr viel spezifischer darstellt als zu Beginn der Beratungen. Dies hat mehrere Gründe. Zunächst sind viele Lösungsansätze während der Ersten Lesung diskutiert worden und gegebenenfalls auch von einer Mehrheit in Parlament und Rat unterstützt worden. Daher ist eine auf die Breite des gesetzgeberischen Vorhabens zielende Kommunikation der Interessenvertreter nicht länger erforderlich und auch nicht länger zielführend. Stattdessen wird genauer auf Details der Gesetzgebung eingegangen. Sektorspezifische Kommunikation von besonderen Problemstellungen tritt damit an die Stelle des branchenorientierten Lobbyings. Verstärkt treten einzelne Unternehmen mit ihren Partikularinteressen auf, die sich von den Interessen der Gesamtbranche durchaus unterscheiden können. Hier zeigt sich übrigens auch noch ein besonderer Umstand für die mittelständische Industrie. Wenn in Erster Lesung wesentliche Ziele formuliert und an entscheidender Stelle auch verwirklicht werden konnten, bedeutet das nicht unbedingt, dass davon alle Unternehmen in gleichem Maße profitieren. Bei REACH kann das heißen, dass die dann zu erfüllenden Testverfahren, Prüfauflagen, Grenzwerte oder Informationspflichten gegenüber der Öffentlichkeit von der Großindustrie durch das vorhandene Humankapital und die wesentlich größere Kapitalausstattung leichter zu erfüllen sein könnten. Dies muss aber für den Mittelstand nicht der Fall sein. REACH kann die mittelständische Chemieindustrie vor viel größere Herausforderungen und Probleme stellen. Daher sollte grundsätzlich auch in zweiten Lesungen noch einmal von den Politikberatern untersucht werden, ob wirklich alle Beteiligten einer Branche mit dem Ergebnis aus Erster Lesung zufrieden sind. Bei REACH lässt sich außerdem feststellen, dass in Zweiter Lesung – bedingt durch die Dimension des Gesetzgebungsvorhabens – nun viele Unternehmen außerhalb des Chemiesektors – etwa der Flugzeugbau oder die Recyclingwirtschaft – mit eigenen Besonderheiten den Kontakt zu den Abgeordneten suchen. Hier zeigt sich, dass Betroffene teilweise zu spät bemerken, dass ihre unternehmerische Tätigkeit von einer zukünftigen Gesetzgebung berührt wird. Tatsächlich lässt sich feststellen, dass sich einige Branchen im Vorfeld der Debatte zur Chemikalienreform zu wenig bis überhaupt nicht mit der Tatsache

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befasst haben, dass sie über die Wertschöpfungsketten Chemikalien bei der Herstellung ihre Produkte verwenden, sie selbst weiterverarbeiten oder unverändert in ihre Produkte einbauen. Dies mögen Legierungen sein, die im Maschinenbau Einsatz finden oder hochkomplexe Ummantelungen in der Elektronikindustrie. Die Fokussierung auf die Chemieindustrie als Hauptadressaten von REACH ist eine viel zu enge Sichtweise und verzerrt die tatsächliche Dimension von REACH erheblich. REACH wird durch die zentrale Rolle der Chemieindustrie in modernen Produktionsprozessen voraussichtlich Einfluss auf alle Branchen der verarbeitenden Industrie haben. Der Erfolg dieser Reform hängt ganz wesentlich davon ab, wie die Kommunikation von Einsatz und Verwendung einer chemischen Substanz entlang der Wertschöpfungsketten von den beteiligten Betrieben – den eigenen Zulieferern oder Weiterverarbeitern – realisiert werden wird. Sollte sich ein Unternehmen also erst verspätet mit REACH beschäftigen, kommt den Interessenvertretern sogar die Aufgabe zu, nicht nur auf den gesetzgeberischen Prozess zu wirken, sondern zunächst auf den Grad der Betroffenheit durch REACH und mögliche Auswirkungen auf die eigene Produktion hinzuweisen – mehr als beeinflusst muss also zunächst erst informiert werden! Wie bereits erwähnt, ist Interessenvertretung dann am erfolgreichsten, wenn sie frühzeitig eingeleitet wird und gezielt auf die Probleme aus Unternehmenssicht eingeht. In Zweiter Lesung sind die wesentlichen Entscheidungen bereits getroffen und nicht nur aus formal-technischer Sicht ist es schwierig, durch Änderungsvorschläge noch Einfluss auf das endgültige Gesetzeswerk zu nehmen. Damit ist weniger die Bereitschaft der Abgeordneten gemeint, sich nochmals mit den bekannten oder eben auch neuen Problemstellungen zu beschäftigen, sondern vielmehr die Tatsache angesprochen, dass es der absoluten Mehrheit aller 732 Abgeordneter bedarf (367 Stimmen in der Plenarabstimmung), um den Gemeinsamen Standpunkt des Rates zu verändern. Tatsächlich sind jedoch selten alle Europaabgeordneten bei einer Plenarabstimmung anwesend, so dass die zu erzielende Mehrheit nicht 50% und eine Stimme ist, sonder eher 65% oder mehr aller anwesenden Parlamentarier erreicht werden muss. Für die praktische Interessenvertretung heißt das konkret, dass ohne die inhaltliche Unterstützung der beiden größten Fraktionen von Christdemokraten (Europäische Volkspartei – EVP) und Sozialdemokraten (Sozialdemokratische Partei Europas SPE) keine ausreichende Mehrheit zu erzielen sein wird. Dabei wird unterstellt, dass es keine entgegenstehende Meinung einer Einzeldelegation innerhalb der Fraktion gibt, sondern eine gemeinsame Fraktionslinie vereinbart wurde. Sollte dies jedoch nicht der Fall sein, besteht also keine klare Fraktionslinie, wächst die Bedeutung der kleineren Fraktionen als Mehrheitsbeschaffer erheblich. Daher empfiehlt es sich in jedem Fall, auch Abgeordnete dieser Fraktionen anzusprechen, sofern dies nicht schon in erster Lesung geschehen ist.

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Stehen sich Parlament und Rat mit divergierenden Meinungen nach der Ersten Lesung gegenüber, ist es nach meiner Erfahrung nicht sonderlich schwierig, die Parlamentsposition trotz des erforderlichen Quorums in Zweiter Lesung zu bestätigen. Bei REACH sind jedoch beide Kammern in vielen Fragen nicht sehr weit auseinander und es besteht die Sorge, dass eine Konfrontation in Zweiter Lesung die in Erster Lesung erzielten Lösungen gefährden würde. Dies erschwert die Situation für Interessenvertreter, sofern es sich um die genannten Sonderfälle handelt, dann erheblich.

REACH – die Entscheidung Bereits zur Übermittlung des Gemeinsamen Standpunkts des Rates während des ersten September-Plenums in Straßburg war das erklärte Ziel beider Kammern, zu einer Einigung unter finnischem Ratsvorsitz zu kommen, dass bedeutete bis Ende des Jahres 2006. Zweifelsohne erhöhte diese Festlegung den Entscheidungsdruck auf die beteiligten Akteure erheblich. Rückblickend kann festgestellt werden, dass mit Blick auf Politikberatung und Lobbying zwei Phasen stattfanden: Eine erste Phase bis zur Abstimmung im federführenden Umweltausschuss am 10. Oktober und eine sich daran anschließende zweite Phase bis zur Schlussabstimmung im Plenum. Für Politikberater geht es in Zweiter Lesung zumeist darum, für politische Entscheidungen des Parlaments, die vom Rat nicht übernommen wurden, erneut Mehrheiten zu bewirken. Dies fand auch bei REACH im Rahmen der üblichen Kommunikationsmittel statt. Da die wesentliche Überzeugungsarbeit bereits in Erster Lesung geleistet wurde, wurden zahlreiche Änderungsanträge erneut vorgebracht und abgestimmt. Dies führte zu einem Text, der mehr als 170 Abänderungen am Gemeinsamen Standpunkt vorschlug. Um das formelle Vermittlungsverfahren zu vermeiden, einigten sich nach der Abstimmung im Umweltausschuss der Berichterstatter und die Ratspräsidentschaft auf eine informelle Vorgehensweise, die für die außerparlamentarische Öffentlichkeit nur wenig Einfluss zuließ und einer Fokussierung auf wenige Aspekte von REACH bedeutete. Es ging um die Bestimmung einer Marschroute, deren wesentliche Richtung ein unterstelltes Plenarabstimmungsergebnis war.7 Dies geschah unter dem Eindruck, innerparlamentarisch eine sichere Mehrheit von mindestens 367 Stimmen für einen Kompromisstext gewinnen zu müs-

7 Es wurde korrekterweise unterstellt, dass das Abstimmungsergebnis des Umweltausschusses insbesondere im kritischen Bereich des Zulassungsverfahrens völlig andere Mehrheiten ergeben hätte. Gleiches galt für den Bereich von Veröffentlichungspflichten von unternehmensrelevanten Daten.

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sen, zugleich aber den Ministerrat nicht vor für die Mitgliedstaaten inakzeptable Forderungen zu stellen. Die Kompromissfindung klammerte bewusst einige Aspekte von REACH aus – etwa das sensible Thema Geltungsbereich, obwohl gerade hier nochmals sehr viel Lobbydruck ausgeübt wurde. Hier wurde wie auch schon in Erster Lesung versucht, zahlreiche Ausnahmen vom Geltungsbereich zu erwirken. Schließlich wurde in dieser Frage der Gemeinsame Standpunkt nicht abgeändert, sondern nur um eine Wiedervorlageklausel nach fünf Jahren ergänzt. Damit kann die Kommission prüfen, ob es zu Doppelgesetzgebungen gekommen ist, die eine Verengung oder Präzisierung des Geltungsbereichs rechtfertigen würden. Dies lässt sich als pragmatische Lösung bewerten und erscheint mir ein fairer Ansatz, mögliche Probleme in der Zukunft erneut zu diskutieren. Schließlich fand am 30. November die abschließende informelle Sitzung des Berichterstatters gemeinsam mit mir als Vertretern des Parlaments, der finnischen Ratspräsidentschaft und den zuständigen Kommissaren Verheugen und Dimas statt. Der gefundene Kompromiss änderte den Gemeinsamen Standpunkt deutlich in den Bereichen Zulassungsverfahren, Sorgfaltspflicht, Tierversuche und Chemikalienagentur wie auch im Bereich der Offenlegungspflichten von Unternehmen, Schutz von geistigem Eigentum und Informationen für die Öffentlichkeit ab. Das Registrierungsverfahren erfuhr ebenfalls Änderungen. Die Schlussabstimmung im Straßburger Plenum am 13. Dezember ergab eine deutliche Zustimmung von 529 Ja-Stimmen, bei 98 Gegenstimmen und 24 Enthaltungen für den Kompromisstext. Mein politisches Ziel, welches sich mit dem des Berichterstatters deckte, aus der Mitte des Hauses eine breite Mehrheit für REACH zu erzielen, war durch die Unterstützung von Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberalen und Nationaldemokraten erreicht worden. REACH blieb bis zum Schluss ein hochtechnisches Dossier, welches externes Expertenwissen und damit fachliche Politikberatung benötigte. Lobbying im klassischen Sinne der Meinungsbeeinflussung spielte dagegen in Zweiter Lesung keine wirklich bedeutende Rolle mehr.

Schlussbemerkungen In der Öffentlichkeit ist Politikberatung meist nicht die des persönlichen politischen Beraterstabs sondern trägt einen anderen Namen: Lobbying oder Lobbyismus. Es entspräche nicht den Realitäten, wenn hierbei von einer positiven Grundeinstellung der öffentlichen Meinung zu dieser Tätigkeit ausgegangen würde.

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Politikberatung ist allerdings nichts Neues: In der Geschichte hielten sich Kaiser, Könige und Päpste stets Beraterstäbe, die ihre Meinungen kundtun sollten und dabei auch das eigene Interesse im Auge behielten. Dies ist heute nicht anders. Daher wäre es falsch zu behaupten, Politikberatung sei erst durch den großen Bedeutungszuwachs des komplexen globalisierten Wirtschaftslebens in einer Gesellschaft entstanden. Es wäre aber genauso falsch zu behaupten, Politikberatung sei reine Dienstleistung an der Politik. Das eigene Interesse des Beraters oder seiner Auftraggeber ist Sinn und Zweck des Lobbying. Information und Kommunikation sind nur Methode. Jeder Parlamentarier ist auf externe Beratung angewiesen; darauf habe ich eingangs hingewiesen. Ein autonom agierender Abgeordneter, der entscheidet, ohne fremde Meinungen gehört und abgewogen zu haben, würde eher einem autokratischen Prinzip folgen, statt am demokratischen Diskurs teilzunehmen. Entscheidend ist aber, dass ein demokratisch gewähltes Parlament die Werte, Meinungen und Einstellungen, aber auch Wünsche, Sorgen und Nöte einer Gesellschaft abbildet. Die Wähler erteilen entsprechend den Mehrheitsverhältnissen einer oder mehreren Parteien einen politischen Handlungsauftrag, um diese genannten Faktoren zu verändern. Jedoch gibt es für Probleme einer Gesellschaft selten nur eine Pauschallösung. Vielmehr existieren mehrere Handlungsoptionen und es gilt, diese zu erkennen und in ihren gesellschaftlichen Dimensionen zu bewerten. Daher muss ein Abgeordneter politische Berater konsultieren, um eben Handlungsoptionen, aber auch deren Konsequenzen für die Gesellschaft abwägen zu können. Politikberatung bedeutet nicht, in Hinterzimmern bei schwachem Licht Entscheidungen zu planen und auch nicht, Politik zu kaufen. Es geht allerdings sehr wohl um Interessenwahrung gesellschaftlicher Akteure im Rahmen politischer Handlungsoptionen und damit verbunden die schon genannte Beeinflussung von demokratischen Entscheidungsprozessen. Politikberatung in Europa unterscheidet sich deutlich von der Interessenwahrung auf nationaler Ebene. Die Gründe sind genannt worden und liegen vor allem in der kulturellen Vielfalt, die die Europäische Union ausmacht. Die EU ist in weniger als einem halben Jahrhundert zu einem wirtschaftspolitischen Machtzentrum geworden. Jede Beitrittsrunde hat den Binnenmarkt wachsen lassen und gestärkt und der EURO trägt seinen Teil dazu bei. Dabei ist auch die Politikberatung in Europa nie nur eine deutsche oder nur eine französische Angelegenheit. Um REACH ein letztes Mal zu bemühen. Selten hatte ich mehr Kontakt zu USamerikanischen, japanischen, südamerikanischen oder australischen Interessenvertretern als während der Ersten Lesung zu REACH. Was bedeutet das konkret? Es zeigt, dass es in Europa eine nicht mehr überschaubare Anzahl an Interessenvertretern gibt, die teilweise gar nicht aus einem

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Mitgliedstaat der EU kommen. Oder sie kommen aus einem Mitgliedstaat der EU und arbeiten für die Interessen eines Unternehmens aus einem anderen. Es zeigt außerdem, dass die EU in ihrer politischen Entscheidungsfindung nicht mehr allein für 27 Mitgliedstaaten relevant ist, sondern über die Wirtschaftskraft auf Märkte und Unternehmen und damit auch auf Menschen in anderen Regionen der Welt ausstrahlt. Es zeigt schließlich aber auch, dass die Politikberatung in Brüssel und Straßburg so vielfältig ist, dass eine meinungsbildende Vereinnahmung der Abgeordneten durch Politikberater nur dann möglich ist, wenn der Abgeordnete es bewusst zulässt. Je mehr Akteure aber in Brüssel und Straßburg auf dem parlamentarischen Parkett agieren, desto mehr Öffentlichkeit entsteht und eine solche Situation bliebe kaum längere Zeit unerkannt. Daher sollte Politikberatung in Europa auch als Teil einer europäischen Öffentlichkeit verstanden werden, die sich am demokratischen Diskurs im Europäischen Parlament beteiligt. Den Abgeordneten als Vertretern der Bürger Europas bleibt es jedoch im Rahmen ihres Mandates frei zu entscheiden, mit welchem Teil der Öffentlichkeit sie bevorzugt kommunizieren wollen und wessen Interessen sie sich letztlich auch überwiegend verpflichtet fühlen.

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Rudolf W. Strohmeier1

Die Europäische Kommission im Gefüge von Politikberatung und Lobbying

In ihrem Grünbuch zu einer Europäischen Transparenzinitiative vom Mai 2006 erkennt die EU-Kommission die Bedeutung von Lobbyarbeit im politischen Beratungsverfahren ausdrücklich an, weil z.B. Lobbyisten die europäischen Organe und Einrichtungen auf wichtige Themen aufmerksam machen. Allerdings sollte durch Lobbyarbeit kein unzulässiger Einfluss ausgeübt werden. Eine Grundvoraussetzung für Lobbyisten, überhaupt Einfluss auf EU-Ebene zu nehmen, ist zunächst die genaue Kenntnis des EU-Gesetzgebungsverfahrens. Vor dem Hintergrund dieses Verfahrens wirft dieser Beitrag daher einen Blick auf die Rolle der Kommission und die Praxis von Politikberatung und Lobbyismus. Der Kommission kommt die Rolle des Hauptadressaten von Lobbyaktivitäten zu, hat sie doch neben ihrer Funktion als Hüterin der Gemeinschaftsverträge die der Vertreterin des Gemeinschaftsinteresses und des Exekutivorgans der Gemeinschaft. Im Blick auf das Gesetzgebungsverfahren ist hervorzuheben, dass nur die Kommission das alleinige Gesetzesinitiativrecht hat. Gesetzgebungsvorhaben auf der EU-Ebene können somit nur auf der Basis eines Vorschlages der Kommission erlassen werden. Grundsätzlich gilt – wie auch auf der nationalen Ebene – dass die Einflussmöglichkeiten am besten sind, solange das Papier noch weiß ist. Es zeigt sich, dass immer mehr Lobbyisten versuchen, bereits in diesem Stadium Einfluss zu nehmen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Kommission natürlich auch unterhalb dieser Ebene tätig werden kann, etwa durch Memoranden,2 Grünbücher,3 Weißbücher4 oder bloße Mitteilungen.5 Mit der Vorlage von Grün- und Weißbüchern verfolgt die Kommission das Ziel, das sie in ihrem Ansatz „weniger Ge1

Kabinettchef von EU-Kommissarin Dr. Viviane Reding, Brüssel Kurzgefasste Vorlage der Kommission ohne Amtsblatt Veröffentlichung 3 Vorlage der Kommission zum Anstoß einer Diskussion, mit Schwerpunkt auf der Definition politischer Ziele 4 Vorlage der Kommission zur Vertiefung einer Diskussion, mit Bestandsaufnahme und Maßnahmenvorschlägen 5 Von der Kommission beschlossener Text zur Kommunikation an andere EU-Institutionen, im Amtsblatt veröffentlicht 2

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setzgebung für besseres Handeln“ beschrieben hat. Sie legt in wichtigen Fällen nicht gleich einen Gesetzgebungsvorschlag vor. Stattdessen reißt sie ein aus der Sicht der Kommission bestehendes Problem erst einmal mit einem Grünbuch auf, und diskutiert es anhand der in dem Grünbuch enthaltenen Gedanken – in der Regel mittels einer Internetkonsultation – mit den Mitgliedstaaten, Regionen, Interessenverbänden, etc. In einem zweiten Schritt werden die sich aus diesem Diskussionsprozess ergebenden Handlungsoptionen in Form eines Weißbuches veröffentlicht. Erst nach dem sich daran anschließenden weiteren Diskussionsprozess legt die Kommission dann ihre konkreten Vorschläge vor, die sie seit ihrer „better regulation“ -Initiative mit einer Folgenabschätzung6 versieht. Nach einer Übersicht der Kommission vom Dezember 1998, die für den Wiener Gipfel vorbereitet worden war, aber in groben Zügen noch Gültigkeit haben dürfte, entstehen die Kommissionsvorschläge aus folgenden Anstößen 1. 2. 3.

4. 5.

35% aus Verpflichtungen, die sich aus internationalen Abkommen ergeben7; zwischen 25% und 35% zielen auf eine Anpassung schon bestehender Rechtsvorschriften ab; 20% der Vorschläge werden auf Wunsch der anderen Organe erstellt, namentlich Rat und Europäisches Parlament, Mitgliedstaaten und Wirtschaftsbeteiligte, in diesem Fall mitunter auch zwecks Berücksichtigung neuer Erkenntnisse und Entwicklungen in Wirtschaft und Technik; 10% aufgrund des Primär- wie Sekundärrechts, wo die Kommission keinen Ermessensspielraum hat;8 nur der Rest sind Vorschläge, die die Kommission im Interesse der Europäischen Union für erforderlich hält und denen häufig Grün- und Weißbücher vorgeschaltet sind.

Von diesem Gesetzesinitiativrecht der Europäischen Kommission zu trennen sind politische Impulse anderer Organe, die erst einen Vorschlag der Kommission auslösen können. Derartige Impulse gibt neben dem Europäischen Parlament und dem Ministerrat auch immer mehr der Europäische Rat, obwohl er (noch) kein Organ der Gemeinschaft ist. Da das Europäische Parlament auch nach dem Vertrag von Nizza weiterhin kein uneingeschränktes Mitentscheidungsrecht hat, geschieht dies von seiner Seite aus in der Regel durch so genannte Initiativbe6

im engl. Fachausdruck Impact Assessment Beim Zustandekommen dieser internationalen Verpflichtungen, z.B. Handelsabkommen, sind die Mitgliedstaaten beteiligt. 8 damals z.B. hauptsächlich jährliche Agrarpreise, seit den Fischler-Reformen im Agrarbereich jedoch überholt 7

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richte. Mit einem zwischen Kommission und Europäischem Parlament vereinbarten Verhaltenskodex wird jedoch festgelegt, dass die Kommission nur in begründeten Fällen von derartigen Initiativen des Europäischen Parlaments abweichen kann. Interessenvertreter können also auch auf diesem Wege Gesetzgebungsprozesse anstoßen. Auch wenn der Europäischen Kommission immer wieder vorgehalten wird, dass sie nicht transparent genug operiere: Zu Beginn jedes Jahres veröffentlicht sie ein Arbeitsprogramm, das durch ein konkretes Gesetzgebungsprogramm vervollständigt wird. Dabei wird sogar das Quartal angegeben, in dem die Kommission einen bestimmten Gesetzgebungsvorschlag unterbreiten möchte. Dieses Arbeits- und Gesetzgebungsprogramm wird zusätzlich im Europäischen Parlament debattiert. So hat z.B. der für Gesundheitsfragen und Verbraucherangelegenheiten zuständige Kommissar Kyprianou Ende Mai 2006 sein Arbeitsprogramm für 2007 nicht nur dem Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit, sondern auch dem Agrarausschuss des Europäischen Parlaments vorgestellt. Dies erlaubt den europäischen Abgeordneten, aber auch nationalen Verwaltungen wie nationalen Parlamenten, die sich entsprechend organisiert haben, und Interessenvertretern, sich nicht nur frühzeitig über Initiativen der Kommission zu informieren, sondern dazu auch Input zu geben. Das interne Verfahren in der Kommission beginnt in der Regel damit, dass die zuständige(n) Generaldirektion(en) (zusammen) einen Entwurf erarbeitet(en). Dieser muss dann nach der Geschäftsordnung der Kommission mit den anderen betroffenen Dienststellen und dem Juristischen Dienst abgestimmt worden.9 Danach wird er auf der Ebene der sogenannten Kabinette der EU-Kommissare, d.h. deren persönlichen Berater, in einem zweistufigen Verfahren besprochen. Zunächst diskutieren den Vorschlag die sachlich zuständigen Kabinettsmitglieder, die wegen ihres spezifischen Sachverstandes besonders gerne von Lobbyisten angesprochen werden. Am darauf folgenden Montag beraten dann die Kabinettchefs. Dort wird entschieden, ob ein Vorschlag streitig oder unstreitig dem Kollegium vorgelegt werden kann, bzw. welche Streitfragen und Lösungsoptionen bestehen. Erst anschließend passiert er das Kollegium der Kommissare selbst. Selbstverständlich ist jeder Kommissar frei, in der Kommissionssitzung einen auf Beamtenebene als unstreitig klassifizierten Vorschlag dennoch zur Sprache zu bringen. Von daher wird gerne von Lobbyisten versucht, auch den unmittelbaren Kontakt zum Kommissar und/oder seinem Kabinett zu pflegen. Dies ist faktisch dadurch leichter geworden, dass die von den Kommissaren Fischler und Liikanen während der Santer-Kommission begründete Praxis, sich mit einem Kabinett 9

sogenanntes Interservice-Verfahren

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aus Angehörigen mehrerer Mitgliedstaaten zu umgeben, zunehmend zur Regel geworden ist. So wie dies den Zugang des Kommissars zu anderen Mitgliedstaaten erleichtert, erleichtert dies umgekehrt auch den Zugang zum Kommissar und seinem Kabinett. Die Auswahlkriterien für die Kabinettsbildung bleiben aber nach wie vor an erster Stelle ƒ ƒ ƒ

Kompetenz im Kommissar anvertrauten Dossier und politisches Verständnis und zunehmend gender balance.

Allerdings sind die Einflussmöglichkeiten auf eine Entscheidung in diesem Stadium, insbesondere wegen des engen Zeitfensters zwischen der Sitzung der Kabinettschefs montags und der Sitzung des Kollegiums am Vormittag des Mittwoch oder in Straßburg-Sitzungswochen des Europäischen Parlaments Dienstag Nachmittag, begrenzt. Auch von daher bieten sich im langen, teilweise sich über Jahre hinziehenden Vorstadium der Erarbeitung von Vorschlägen durch die Kommission10 sowohl den nationalen und regionalen Verwaltungen wie auch Lobbyisten oder den Interessenverbänden wie Nichtregierungsorganisationen wesentliche Einflussmöglichkeiten. Der beschriebene mehrstufige Prozess der Erarbeitung von Vorschlägen bietet Lobbyisten die Gelegenheiten, nicht nur ihre Interessen zu artikulieren, sondern die Vorschläge der Kommission auch begleitend mitzugestalten. Die Erfahrung zeigt, dass gerade NGOs schon in der Vorbereitungsphase, etwa auf der Basis des Arbeitsprogramms der Kommission, mit großem Erfolg Einfluss zu nehmen versuchen, während die Industrielobby oft erst auf einen förmlichen Gesetzgebungsvorschlag reagiert. Dies konnte man z.B. beim REACHGesetzgebungsvorschlag gut beobachten. Der Vorschlagsentwurf der Kommission wird dann an Rat und Parlament gesendet. Wenn der Rat den Text des EP wie in 1. Lesung abgestimmt billigt, ist der Text angenommen. In Wirklichkeit ist dies jedoch die Ausnahme. Normalerweise stehen sich beide Institutionen in 2 Lesungen gegenüber. Im Falle der Meinungsverschiedenheit nach diesem Stadium existiert sogar ein Vermittlungsverfahren. Das Gesetzgebungsverfahren auf der EU-Ebene ist deshalb jenen in Bundesstaaten wie in Deutschland vergleichbar. Mit anderen Worten, und dies ist neu seit dem Inkrafttreten des Nizza Vertrags am 1. Februar 2003, spielt das Europäische Parlament eine ganz entscheidende Rolle und seine Berichterstatter haben einen ähnlichen Einfluss, wie dies von der Ebene der nationalen Parlamente her bekannt ist. Da sie aber mit Ausnahme der britischen und zum Teil auch 10

siehe zum Beispiel die bereits 2003 begonnenen Konsultationen zur Revision der „Fernsehen ohne Grenzen“ – Richtlinie vom Dezember 2005

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der französischen Abgeordneten häufig viel schwächer mit der nationalen Regierung vernetzt sind, sind sie sehr viel offener, sich mit den unterschiedlichsten Interessengruppen auseinanderzusetzen. Arbeitsgruppen der Fraktionen, Ausschüsse des Europäischen Parlaments wie Fraktionsmitarbeiter wären in diesem Zusammenhang weitere, geeignete Ansprechpartner für den erfolgreichen Lobbyisten. Die Behandlung der sogenannten Dienstleistungsrichtlinie entlang der nationalen Diskussionslinien im Europäischen Parlament war hier eher die Ausnahme von der Regel. Daraus resultiert, dass für jene Fragen, die auf europäischer Ebene geregelt sind, heute ein MdEP viel einflussreicher und daher als Adressat für Lobbyaktivitäten wichtiger ist als der nationale Abgeordnete, auf den sich das öffentliche Interesse nach wie vor konzentriert: weil europäische Gesetze in allen Mitgliedstaaten unmittelbar angewendet werden müssen. Sogar in einem europäischen Rahmengesetz ist der Mitgliedstaat nur frei, innerhalb der Grenzen dieses Rahmens zu entscheiden. Dies ist weniger als sich der Durchschnittsbürger vorstellen mag. Im Falle der für die Wirtschaft relevanten Rechtsvorschriften gehen vorsichtige Schätzungen davon aus, dass heute mindestens 50% EU-induziert sind. Andere sprechen von bis zu 80%. Aber damit sind die Einflussmöglichkeiten eines Lobbyisten noch nicht begrenzt; der Kommissionsvorschlag geht neben dem Europäischen Parlament ja auch in den Ministerrat. Dieser setzt sich aus den Vertretern der Mitgliedstaaten zusammen, wobei jede Regierung eines ihrer Mitglieder entsendet. Welches Regierungsmitglied es konkret ist, hängt davon ab, ob der Rat als sogenannter Allgemeiner Rat11 oder als Fachministerrat tagt. Die Räte werden entweder von seinem Präsidenten, auf Antrag eines Mitgliedstaates oder der Kommission einberufen. Die Präsidentschaft wechselt dabei turnusmäßig alle sechs Monate. Die Ratsformationen wurden vor einiger Zeit gestrafft. Es gibt seit dem 1. Dezember 2003 nur noch folgende neun Ministerräte: ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ 11

Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen, Wirtschaft und Finanzen, Justiz und Inneres, Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz, Wettbewerbsfähigkeit (Binnenmarkt, Industrie und Forschung), Verkehr, Telekommunikation und Energie, Umwelt, Bildung, Jugend und Kultur, Agrar- und Fischereifragen. d.h. Außenminister oder ihre Stellvertreter

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Hier stellt sich für den Interessenvertreter allerdings häufig die Frage, wer auf nationaler Ebene letztlich für die Bestimmung der nationalen Position verantwortlich ist, da dies entsprechend der nationalen Ressortverteilung von nationaler Regierung zu nationaler Regierung variieren kann – wenn in föderalen Staaten nicht sogar auch regionale Minister federführend sind. Unterstützt wird der Rat und die jeweils amtierende Präsidentschaft durch ein Generalsekretariat, das seinen Sitz in Brüssel hat, und in Generaldirektionen gegliedert ist, mit dem Juristischen Dienst als zusätzlichem Querschnittsdienst und der Strategieplanungs- und Frühwarneinheit. Das Generalsekretariat bereitet die Ratssitzungen technisch vor. Inhaltlich werden sie auf politischer Ebene durch den Ausschuss der Ständigen Vertreter12 sowie im Agrarbereich durch den Sonderausschuss Landwirtschaft vorbereitet. In diesen Ausschüssen sind die Mitgliedstaaten durch ihren so genannten Ständigen Vertreter13 bzw. dessen Stellvertreter14 repräsentiert. Die wöchentlichen Tagungen des AStV werden auf fachlicher Ebene durch Ratsgruppen und Ausschüsse vorbereitet, in denen jeder Mitgliedstaat durch Fachbeamte aus der jeweiligen Ständigen Vertretung bzw. den betroffenen Fachministern vertreten ist. Wird auf dieser Ebene bzw. des Ausschusses der Ständigen Vertreter Einigung erzielt, entscheidet der Rat den betreffenden Vorschlag als so genannten A-Punkt, d.h. ohne inhaltliche Aussprache. Möglich sind bei Zustimmung aller Mitgliedstaaten auch schriftliche Verfahren. Insbesondere in den Ratsarbeitsgruppen gibt es somit eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten, um Einfluss auf Positionen nehmen zu können. Hier spielt allerdings die starke Rückkoppelung der Vertreter der Mitgliedstaaten in den Ratsarbeitsgruppen in ihre Hauptstädte eine ganz wesentliche Rolle, d.h. dass sich in diesem Stadium dann nationale und EU-Lobbytätigkeit zu überschneiden beginnen. Neben der genauen Kenntnis, wann und gegenüber wem interveniert werden sollte, sind für eine erfolgreiche Lobbyarbeit auf EU-Ebene allerdings noch andere Voraussetzungen nötig. Die Komplexität und die Vielzahl unterschiedlicher Interessen bei nun 27 Mitgliedstaaten bringt es mit sich, dass erfolgreiche Lobbytätigkeit dem Lobbyierten mehr anbieten muss, als nur die Darstellung einer in der Regel national geprägten Interessenlage. Sehr viel mehr als auf der nationalen Ebene, wo häufig die schiere Größe eines Verbandes oder die Lautstärke des Auftretens (politische) Wirkungen zeigt, hängt auf EU-Ebene erfolgreiche Einflussnahme von der 12

genannt AStV oder frz. COREPER EU-Botschafter der Mitgliedstaaten; sogenannter COREPER I, der sich mit den sechs oben letztgenannten Ratsformationen beschäftigt 14 die sich als COREPER II mit den restlichen 3 Räten befassen 13

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argumentativen Stärke des vorgetragenen Standpunktes ab. Umfassende Kenntnis nicht nur der eigenen Position, sondern – bei 27 Mitgliedstaaten ist es ja auch immer schwieriger, das Interessengemenge zu durchschauen – der Positionen der anderen Parteien, verbunden mit der Bereitschaft und Gabe, die eigene Position auch hinterfragend zu präsentieren, ist viel Erfolg versprechender, weil damit dem Gegenüber, sei es in der Kommission oder dem Parlament, viel Arbeit abgenommen wird, sich ein umfassendes Bild über einen Sachverhalt und der divergierenden Interessenlagen zu machen. Dies kann für Brüsseler Lobbyisten gegenüber ihren Auftraggebern oder ihrer nationaler Basis manchmal insofern eine Gradwanderung bedeuten, als sie riskieren von diesen als zu „soft“ angesehen zu werden. Wer sie aber meistert, gewinnt persönliche Reputation bei seinen Brüsseler und Straßburger Gesprächspartnern, weshalb man dann auf diese Kompetenz in anderen Problemfällen gerne zurückgreift. Die Erfahrung zeigt: Der Schlüssel zum Lobbyerfolg auf der EU-Ebene ist neben umfassender Sachkenntnis in erster Linie persönliche Glaubwürdigkeit und Kompetenz, nicht Lautstärke oder die (behauptete) große Zahl der hinter dem Anliegen stehenden Stakeholder.

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Thomas Scholz

Lobbyismus aus der Sicht der Europäischen Kommission – Tugend oder notwendiges Übel ?

Wenn man als Unbeteiligter, und dann noch als Deutscher, über Lobbyismus in Brüssel bei der Europäischen Kommission nachsinniert, verwickelt man sich schnell in Stereotypen. Allein in Deutschland denkt man zuerst an windige PRBerater, die in gepanzerten Limousinen durch die Gegend fahren, und mit Aufmerksamkeiten politische Ideen und Karrieren beeinflussen. Kombiniert man dies zusätzlich noch mit Brüssel, der Hauptstadt Europas, so gesellen sich gedanklich Lachshäppchen und Champagnerempfänge hinzu, auf denen sich die Beamten solange „beraten“ lassen, bis sich auch die letzte Richtlinie oder Verordnung keinem mehr weh tut. Hat man aber, wie in meinem Fall, die Möglichkeit zeitlich begrenzt für 2 Jahre als Mitarbeiter bei der Europäischen Kommission, hinter die Kulissen zu schauen, relativiert sich das Bild recht schnell. Man merkt, dass hier Mitarbeiter recht emsig und viel arbeiten um sich, Ihre Dienststelle oder sogar die gesamte Generaldirektion in einem möglichst positiven Licht darzustellen. Natürlich gibt es auch hier die „typischen“ Beamten, die möglichst unauffällig ihren Dienst nach Vorschrift ableisten, das lebenslange Arbeitsrecht genießen, und auch ansonsten sehr froh sind nicht in der kapitalistischen Welt da draußen ihren Mann bzw. ihre Frau stehen zu müssen. Diesbezüglich unterscheidet sich der europäische Beamte nicht so sehr von seinem nationalen Kollegen, höchstens dadurch, dass er in der Regel ein bis zwei Fremdsprachen mehr beherrscht. Dies gilt erst recht für die Eurokraten aus den neuen Beitrittsländern, die französisch als die vorherrschende Stadt- und Kommissionssprache spätestens in Brüssel lernen, Englisch und Deutsch als Fremdsprache mitbringen und ansonsten in ihrer Heimatsprache als Art Geheimsprache untereinander kommunizieren. Kurzum: Die meisten Eurokraten, die ich kennen lernen durfte, hätten in der freien Wirtschaft ohne Probleme auch ihre Karriere gemacht, allerdings ohne dem Hindernis des typischen Propozdenkens („Sie sind ja recht gut, aber wir benötigen auf diesem Posten leider einen aus den neuen Beitrittsländern, der zudem fließend spanisch spricht).

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Wie wird man aber Mitarbeiter „auf Zeit“ bei der Kommission? Grundsätzlich sind diese zeitlich begrenzt angestellten Mitarbeiter keine Seltenheit. Im internen Fachjargon werden diese „Nationale Experten“ oder END genannt und kommen in der Regel aus den öffentlich-rechtlichen Verwaltungen der einzelnen Mitgliedsstaaten, sind also ebenfalls Beamte. Nationale Experten erhalten in der Regel jährliche Verträge, die bis zu einer maximalen Laufzeit von 4 Jahren verlängert werden können. Das System der END dient zum einen dem fachlichen Wissensaustausch zwischen der Kommission und der Fachbehörden der Mitgliedsstaaten, zum anderen der Integration der supra-nationalen Behörde in das europäische Rechtsystem. So helfen dann auch derzeit zahlreiche Mitarbeiter der deutschen Finanzverwaltung mit, den umsatzsteuerlichen Binnenmarkt zu vollenden, weisen die Kollegen vor Ort auf praktische Umsetzungsprobleme hin und geben wertvolle Tipps, wie man Umgehungsversuche findiger Steuerbürger ins Leere oder in die Fangnetze der Steuerbehörden laufen lassen kann. Auf diese Art und Weise verbinden sich Eurovisionäre und Fachvertreter zu einer bunten Mischung, was nicht immer zu einer einfachen und verständlichen Gestaltung von Vorschriften führt. Dies gilt aber auch für nationale Gesetzgebungsvorhaben, die zudem zusätzlich manchmal das Problem mangelnder Europatauglichkeit aufweisen. Kehren dann diese Beamten wieder in ihre Heimatbehörden zurück, weisen diese nicht nur einen oftmals Karrierefördernden Auslandsaufenthalt im Lebenslauf aus, sondern können in Zukunft bei diversen Problemen auf ein internationales Netzwerk zurückgreifen. Diesbezüglich gelten hier die gleichen Regeln wie in der Privatwirtschaft. Hinzu kommt, dass man als Nationaler Experte nach einer gewissen Zeit den „heimischen Rucksack der Ideologie“ abstreift und sich öfters dabei ertappt europäisch zu denken. Dies ist gut so, denn nur wer europäisch denken kann, ist in der Lage Brüsseler Ideen sinnvoll und effektiv umsetzen. Dies geht zweifelsohne umso leichter, wenn man den „Brüsseler Geist“ am eigenen Leib verspürt hat. In seltenen Fällen ist diese fachliche Kompetenz (noch) nicht in den öffentlich rechtlichen Verwaltungen präsent. Aus diesem Grunde kann die Kommission auch Mitarbeiter aus der Privatwirtschaft beschäftigen. In meinem Fall suchte die Generaldirektion Binnenmarkt der Europäischen Kommission einen Mitarbeiter für die Abteilung Rechnungslegung und Wirtschaftsprüfung, der insbesondere im Bereich der internationalen Rechnungslegung sowohl praktische Erfahrung als auch ein theoretisch fundiertes Grundwissen mitbrachte. Nach einem Fachgespräch mit dem Referatsleiter und einem kurzen Gespräch mit dem

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zuständigen Direktor bekam ich recht schnell eine positive Antwort auf meine Bewerbung. Aufgabe war es bei der praktischen Umsetzung und Weiterentwicklung der IAS Verordnung der Europäischen Kommission zu helfen. Mit dieser Verordnung aus dem Jahre 2002 hat die europäische Kommission unmittelbar bestimmt, dass alle börsennotierten Unternehmen ab dem 1. Januar 2005 ihre Konzernrechnungslegung nach den vom International Accounting Standards Board (IASB), London, verabschiedeten internationalen Regeln (IFRS) aufstellen müssen. Da in den meisten Mitgliedstaaten die börsennotierten Unternehmen bis zu diesem Zeitpunkt überwiegend ihre Konzernrechnungslegung nach den nationalen Regeln – sei es deutsche, französische oder spanische – aufgestellt hatten, verfügten (und bisweilen verfügen)die nationalen Aufsichtsbehörden (wie beispielsweise die Banken- oder Versicherungsaufsicht) nur über sehr limitierte Kenntnisse der neuen Regelungen. Hinzu kommt, dass diese internationalen Regeln in einem sehr technischem Englisch verfasst werden, das nicht gerade zur Standardausbildung europäischer Beamter gehört. Und wenn diese nationalen Behörden über derartige „Perlen“ verfügten, waren sie nicht bereit diese nach Brüssel zu entsenden. In dieser Situation entschied sich die Kommission einen END aus dem Privatsektor „auszuleihen“. Über diverse Kontakte wurde bei einer der vier weltweit führenden Wirtschaftsprüfungsgesellschhaften („Big Four“) angefragt, ob für eine begrenzte Zeitdauer einen deutschen Wirtschaftsprüfer mit Fachausrichtung IFRS ausgeliehen werden könnte. Alternativ hätte man natürlich auch einen Berater aus der Privatwirtschaft engagieren können, der aber wahrscheinlich erheblich teurer geworden wäre und der aufgrund seiner Unabhängigkeit nicht immer ausschließlich die Interessen der Kommission vertritt. Daher werden privatwirtschaftliche Berater weniger für das normale Tagesgeschäft, sondern eher bei Studien oder Sonderprojekten eingeschaltet, für deren Ausarbeitung die Kommission keine eigenen Leute bereithält. Ziel und Zweck der Abordnung war es die Verordnungen in europäisches Recht umzusetzen, die notwendig waren um das Grundgerüst, das im Jahre 2002 gelegt wurde, entsprechend zu ergänzen und zu modernisieren, damit zum Zeitpunkt der erstmaligen Umstellung am 1. Januar 2005 den Unternehmen eine „stabile Plattform“ zur Verfügung stand. Ziel war es nicht die notwendigen Veränderungen, die die internationale Börsenaufsicht (IOSCO) bereits 2002 angemahnt hatte, herbeizuführen oder zu bewerten. Die Regelungen an sich werden von einem 14-köpfigen privat rechtlich organisierten Gremium in London, dem International Accounting Standards Board (IASB) erlassen. In diesem Gremium sind u.a. Vertreter der nationalen Standardsetzer, Wirtschaftsprüfer, Analysten und Hochschulprofessoren vertreten.

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Ziel war auch nicht die technische Bewertung dieser Vorschriften. Diese wiederum nimmt eine von der Europäischen Kommission initiierten Expertengruppe (EFRAG) vor, in deren 11-köpfige Arbeitsgruppe sich in etwa die Zusammensetzung des IASB widerspiegelt. Im Anschluss des Erlasses der neuen Normen durch den IASB und nach der Beurteilung durch EFRAG war es an der Kommission, zusammen mit den Fachvertretern der Mitgliedstaaten, über deren europäischen Umsetzung zu entscheiden. Letztendlich wird erst dann die Norm in europäisches Recht transferiert, wenn der Kommissar die entsprechende Verordnung unterzeichnet und im Amtsblatt veröffentlichen lässt. Somit umgibt ihn der Hauch des Finalen. Dies macht den Kommissar auch zur Zielscheibe derer, deren Bedenken im normalen Konsultationsprozess des IASB entweder von diesem nicht verstanden oder nicht ernst genommen wurden und die nun in die Übernahme in europäisches Recht in letzter Minute verhindern wollen. Es kann aber auch durchaus sein, dass derjenige in Unkenntnis des neuen Verfahrensablaufes die Fristen versäumt hat und nun zu retten sucht was noch zu retten ist. Sie hoffen darauf, dass Normen, die bereits vom IASB verabschiedet wurden, dennoch nicht europäisches Recht werden, weil sie entweder vom Kommissar nicht (vollständig) freigegeben werden oder in der Zwischenzeit vom IASB entfernt, repariert bzw. zurückgezogen werden. Meine Aufgabe war es, diese Übernahmeentscheidungen vorzubereiten. Die Tätigkeit basierte auf der grundsätzlichen Vorgabe der Kommission, dass zwischen den in London erlassenen internationalen Vorschriften und den ins Europarecht transformierten Regelungen grundsätzlich kein Unterschied bestehen darf, da ansonsten die europäischen Firmen lediglich europäisches und nicht internationales Bilanzrecht anwenden würden. Dies war und ist deshalb wichtig, damit die europäischen Unternehmen auch mit ihren internationalen Regelungen am nationalen US-Markt – dem größten Kapitalmarkt der Welt – bestehen können. Unter diesen Vorgaben – no differences, please – ist es eigentlich nicht auf den ersten Blick ersichtlich, welchen Nutzen mein Arbeitgeber aus meiner Tätigkeit haben sollte und warum ich gleichzeitig in diesen zwei Jahren die wohl spannendsten und lehrreichsten Tage meiner bisherigen beruflichen Karriere verbracht habe. Dies auch vor dem Hintergrund, dass man hierarchisch betrachtet als END am untersten Laufbahnende arbeitet. Jeder Beamte ist fachlich betrachtet ein Vorgesetzter und entsprechend werden Vermerke, fachliche Ausarbeitungen, Redemanuskripte und Briefentwürfe von mehreren Stellen abgezeichnet, bevor das Dokument die Kommission verlässt. In der Regel mussten der Abteilungsleiter, der Direktor und der Assistent des Generaldirektors eine Unterschriftenmap-

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pe abzeichnen, bevor der Generaldirektor oder der Kommissar ein Schriftstück unterzeichnen konnte. War man als eigenverantwortlich arbeitender Wirtschaftprüfer gewohnt, lediglich seinen Berufskollegen um eine Mitunterschrift zu bitten und das Antwortschreiben innerhalb von zwei Stunden hinaus zu senden, so musste man sich daran gewöhnen, gewisse Terminlieferungen rechtzeitig in den Apparat einzuspeisen. Gleiches galt im Umgang mit Besuchern der Kommission. Während man bislang selbstverständlich fachliche Gespräche mit dem Kunden oder mit dem vorgesetzten Partner geführt hat, blieben derartige Veranstaltungen ausschließlich den beamteten Kollegen vorbehalten; oft genug basierend auf Ausarbeitungen, die man selber für diese Treffen vorbereitet hat. Worin bestand der Nutzen meines Arbeitgebers aus der Entsendung? Zum einen bestimmt darin, dass jeder Auslandsaufenthalt den persönlichen Horizont eines Arbeitnehmers erweitert, er neue Ideen sammelt, neue Kontakte knüpft und lieb gewonnene Sichtweisen aus anderen Blickwinkeln zu betrachten lernt. Zum anderen lernt er auch fachlich hinzu, da er zusätzliche Arbeitsgebiete betreut, neue Aufgaben übernimmt und auch einen Einblick in Arbeitsabläufe und strukturen erhält, die von außen nur schwer nachvollziehbar sind. Auch ist es möglich, Informationen schneller als bisher zu erlangen und Entwicklungstendenzen besser abschätzen zu können. Die Möglichkeit der direkten Beeinflussung ist zwar nicht gegeben – dafür hat der Nationale Experte keinerlei Entscheidungskompetenz. Dennoch können früher Überlegungen und Abstimmungen angestellt werden, wie man potentiellen Initiativen begegnen will. Und natürlich hofft man als Firma darauf, dass der eigene Kollege in seiner Freizeit, die eine oder andere Fragestellung entsprechend der aktuellen Firmenpolitik beantwortet. Und was macht den persönlichen Reiz aus für die Kommission zu arbeiten, wenn man am unteren Ende der Hierarchie sitzt, teilweise die eigenen Vermerke bis zur Unkenntlichkeit verändert werden sollen und man keinen direkten Draht zum ultimativen Vorgesetzten hat. Kann man da überhaupt Einfluss ausüben, als einer unter insgesamt 26.000 EU-Beamten bzw. 450 Mitarbeiter im Bereich Binnenmarkt? Macht es überhaupt Spaß in einem derartigen Mengengelage zu arbeiten? Die Antwort fällt für mich eindeutig positiv aus – zum einen weil man mit seiner Fachkompetenz durchaus den einen oder anderen Anstoß geben kann. Sei es, indem man einen Alternativvorschlag ins Feld führt, der beiden Seiten hilft, sei es indem man die Bedenken der Gegenseite anhand von Fakten und Argumenten entkräften kann. Zum anderen, weil man in Brüssel dem Lobbyismus in all seinen Schattierungen begegnet und selbst die Vor- aber auch die Nachteile durchlebt.

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Am Ende meiner zweijährigen Zeit muss ich zugeben, dass ich hierzu eine Menge gelernt habe und unter dem Strich den Lobbyismus in einem ausgewogeneren Lichte sehe. Natürlich gibt es die Schattenseiten über die dann – falls aufgedeckt – ausführlich in der Presse berichtet wird. Es gibt aber auch durchaus hilfreiche Geister, die leider nicht die Anerkennung bekommen, die Sie verdienen. Natürlich könnte man einwenden, dass wenn es um so etwas Trockenes wie Rechnungslegung oder Buchhaltung geht, Fachwissen alles und Lobbyismus fehl am Platze ist. „Soll“ und „Haben“ gleichen sich immer aus und die Vermögensseite einer Bilanz ist immer genauso lang wie die Seite der Schulden. Wo sollen die Meinungsverschiedenheiten herkommen? Beispiele gefällig ? Der einfachste Fall meiner zweijährigen „Amtszeit“ ließ sicher wirklich mit bloßem Fachwissen lösen, sollte aber doch am Ende fast am politischen Widerstand der beteiligten Personen scheitern. Stellen sie sich vor, sie kaufen eine Druckmaschine, mit der sie in der Regel bei normalem Betrieb rund 10 Jahre lang frische Zeitungen drucken können. Der normale Kaufmann spricht hier von einer Investition, deren Anschaffungspreis er über die voraussichtliche Nutzungszeit verteilt. Verkauft er diese Maschine vor Ablauf dieser Nutzungsdauer, so stellt er Verkaufserlös und verbleibenden Wert in den Büchern gegenüber und verbucht die Differenz entweder als Gewinn oder Verlust. Frei nach dem Motto: Keine Maschine mehr, dann habe ich auch aus dieser Maschine keine Erlöse mehr. Außerdem gehört sie mir ja nicht mehr. Dieses einfache Prinzip, dass man problemlos auch ohne Buchhaltungskenntnisse mit dem normalen Menschenverstand lösen kann, wird etwas schwieriger, wenn wir die Druckmaschine in unserem Beispiel mit Sportlern ersetzen. Diese kann man zwar auch nur für eine gewisse Zeit engagieren, aber möglicherweise hat man nach deren Abschied vom Verein noch gewisse Werbeeinnahmen. Während diese These von Anhängern südeuropäischer Clubs sicherlich ohne Abstriche geteilt wird, hat man im Norden Europas hierfür schon weniger Verständnis. Noch weniger Verständnis hatte man aber in Brüssel dafür, dass diese kuriose Buchhaltungstechnik in einem südeuropäischen Mitgliedstaat kurzfristig sogar in Gesetzesform gegossen wurde. Man stelle sich vor (rein hypothetisch) Michael Ballack wird vom FC Bayern München nach Spanien verkauft. Ballack unterschreibt einen Dreijahresvertrag (kann danach ablösefrei wechseln), Bayern München erhält 30 Mio. Euro Ablöse und der spanische Verein kann diese Summe in seiner Gewinn- und Verlustrechnung über 10 Jahre verteilen. Ob die Spanier in 5 Jahren noch BallackTrikots kaufen oder die neu erworbenen Dauerkarten noch verlängern, wenn er

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danach in England spielt? Der gesunde Menschenverstand zweifelt, der vorsichtige Buchhalter erst recht! Aber wenn es das Gesetz doch zulässt? Am Ende half auch ein wehleidiges Flehen an den Präsidenten der Kommission, ebenfalls ein Südländer, nichts. Das Gesetz musste grundlegend überarbeitet werden. Hier war kein Platz für Lobbyismus. Die von mir gelernte Lektion war schlicht – Buchhaltung ist keine Wissenschaft, wo es richtig oder falsch gibt, sondern lediglich eine Konvention, die man individuell gestalten kann. Aber immer im gewissen Rahmen und mit Augenmaß! Dies hat meines Erachtens die Kommission im Folgejahr bei einer weitaus strittigeren Fachfrage bewiesen, mit der es den Rechnungswesenanhänger sogar gelang in ordentliche Tageszeitungen, wie zum Beispiel die Financial Times, die Frankfurter Allgemeine Zeitung oder die Börsenzeitung aufgenommen zu werden. In ganzseitigen Artikeln wurde tatsächlich der Untergang des Abendlandes heraufbeschworen sollte die betreffende Rechnungslegungsvorschrift – je nach Standpunkt – entweder ganz, teilweise oder gar nicht in europäisches Recht übernommen werden. Europa stritt im Ernst über Rechnungslegungsvorschriften, als gäbe es sonst nichts Wichtigeres in der Welt. Es stritten Nord- gegen Südeuropäer, Engländer gegen Franzosen, Bankfachleute gegen Industriekapitäne – und die Kommission hörte zu. Es ging um Vorschriften zur erstmaligen Bilanzierung von Finanzinstrumenten innerhalb der Bilanz – besser bekannt unter dem Synonym IAS 39 – einem Thema, das an sich nur wenige kennen, noch weniger lesen und keiner vollständig versteht. Und zwischendrin die Kommission, die am Ende entscheiden muss, was zu geschehen hat. Um die Brisanz des Themas zu verdeutlichen, genügt eigentlich der dezente Hinweis, dass der betreffende Standard bereits im Jahre 2002 zur Verabschiedung anstand und bereits damals – dank eines persönlichen Schreibens eines benachbarten Staatspräsidenten – nicht in europäisches Recht übernommen wurde. Man stelle sich vor seinem geistigen Auge vor, unser Bundespräsident müsste einen Brief an den Präsidenten der Europäischen Kommission zum Thema der Rechnungslegungsvorschriften unterschreiben. Bei dem ersten gescheiteren Versuch im Jahre 2002 konnte man sich noch damit trösten, dass der Standard beim IASB bereits zur Überarbeitung anstand und sowieso erst in 2005 anzuwenden war. Mittlerweile schrieb man aber das Jahr 2004 und die unmittelbare Anwendung stand vor der Tür. Die Befürworter gaben zwar zu, dass der vorgelegte Standard noch seine Tücken hatte, aber es sei ja besser als der vorherige Zustand der Nichtberücksichtigung. Aufgeschreckt durch einige Bilanzskandale, auch in Deutschland hat es im Zusammenhang mit der Nichtberücksichtigung von Finanzinstrumenten die eine oder andere Schieflage gegeben, sollte dieses Manko unter allen Um-

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ständen beseitigt werden. Auch die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank als Hüter des Binnenmarktes und Verfechter stabiler Finanzmärkte waren an sich an einer entsprechenden Lösung interessiert. Die Gegenseite verwies auf die unnötige und auswuchernde Komplexität der Vorschriften und auf die drohende verstärkte künstliche Volatilität innerhalb der Bilanz. Normalerweise hätte sich die Kommission nach hinten lehnen können und wie gewohnt die fachliche Arbeit dem IASB und deren technischen Beurteilung der EFRAG überlassen. Dem stand aber entgegen, dass ab dem 1. Januar 2005 alle börsennotierte Unternehmen in Europa auf die neuen Rechnungslegungsstandards umstellen mussten und diese Umstellung bei den Unternehmen in der Regel mehrere Monate in Anspruch nimmt. Erschwerend kam hinzu, dass der IASB sich nicht imstande fand innerhalb der kurzen Zeit eine für alle einvernehmliche Lösung zu erstellen – teilweise aufgrund tatsächlicher technischer Probleme, teilweise aufgrund des bloßen Unverständnisses für die Positionen der Gegenseite. Auch auf EFRAG konnte sich die Kommission nicht ausschließlich verlassen, da die dort versammelten Experten nach zähen Ringen zu keiner einhelligen Meinung kamen. Hier herrschte ebenfalls die weit verbreitete Meinung vor, dass der Standard an sich durchaus eine Verbesserung mit sich brächte aber an der einen oder anderen Stelle auch über das Ziel hinausschießt. Anfänglich war man in der Kommission noch der Auffassung, dass man zwischen den Parteien vermitteln könne und man nur beide an einen Tisch setzen müssen. Ziemlich schnell war aber klar, dass die Fronten derart verhärtet waren, dass eine rein fachliche Lösung nicht möglich war. In dieser Situation hatte die Kommission somit mehrere Möglichkeiten: entweder das ganze Projekt „IAS 2005“ um ein Jahr zu verschieben, nur den strittigen Standard zu vertagen, den Standard nur auf unstrittige Sachverhalte sprich Branchen anzuwenden oder strittige Passagen vorübergehend zu eliminieren. Spätestens in so einer Situation ist man auf guten Lobbyismus angewiesen und lernt ihn sogar zu schätzen. Denn der Vorteil der Lobbyisten besteht auch darin, dass diese nicht nur ungefragt die Kommission mit eigenen Einschätzungen überschütten, sondern auch Informationen bereithalten, wenn man sie darum bittet. Es ist für einen durchschnittlichen Kommissionsbeamten (und auch für einen Nationalen Experten wie mich) zwar nicht möglich, sich kurzfristig in alle Verästelungen eines Problems hineinzudenken, geschweige denn einen Rechnungslegungstandard von 200 Seiten par excellence zu beherrschen. Wenn man aber die Möglichkeit hat, in kurzer Zeit ein Problem unter verschiedenen Gesichtspunkten zu betrachten, findet man sehr schnell heraus, ob es sich um ein wirkliches oder ein potentielles oder sogar virtuelles Problem handelt. Findet man dann zudem noch in

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Einzelgesprächen heraus, dass, hinter vorgehaltener Hand, vermeintliche Befürworter des Standards eine andere Position vertreten, erhärtet dies die Einschätzung, dass ein tatsächliches Problem vorliegt. Hier kommt es dann darauf an, alle wesentlichen Mitspieler zu identifizieren und zu kontaktieren. Dabei bietet es sich insbesondere an auf Verbände zuzugehen, da diese in der Regel über einen größeren Erfahrungsschatz verfügen als Einzelunternehmen. Die letztendlich von der Kommission gewählte Lösung – Eliminierung einiger strittiger Passagen – hat zwar auch nicht von allen Seiten ungeteilte Zustimmung erhalten. Aber die Lösung, die die ungeteilte Zustimmung des Europäischen Parlamentes und der qualifizierten Mehrheit der Mitgliedstaaten erhalten hat, half das Projekt „IAS 2005“ planmäßig starten zu lassen. Erstmalig konnten in der Bilanz Finanzinstrumente zu Zeitwerten abgebildet werden, was zu einer wesentlichen Verbesserung der Jahresabschlüsse geführt hat. Industrieunternehmen, die von den strittigen Passagen nie berührt waren (und deshalb sinnigerweise immer die Übernahme des ganzen Standards propagierten) konnten unbehelligt den Standard anwenden. Die betroffenen Banken – nicht nur französische sondern auch deutsche und englische – können mit der getroffenen Lösung leben und arbeiten, müssen dies aber gegenüber dem Kapitalmarkt explizit erklären. Ob der Kapitalmarkt sie deswegen in irgendeiner Form abstraft, ist derzeit noch nicht abzusehen. Und die beteiligten Parteien hatten dadurch etwas Zeit für die fachliche Lösung des Problems gewonnen, da nun der Erfolgsdruck herausgenommen wurde. Natürlich bleibt der Wehmutstropfen einer Abweichung vom vollständigen Standard. Dies wird und muss auch kritisiert werden, da es dem langfristigen Ziel der Kommission widerspricht. Aufgrund der umfangreichen Konsultation, auch mit Lobbyisten, ist es aber gelungen, dass die gewählte Lösung noch nie fachlich kritisiert oder deren Wirksamkeit abschlägig beschieden wurde. Die von mir gelernte Lektion war diesmal vielschichtiger. Zum einen ist Buchhaltung nicht nur eine technische Veranstaltung, sondern durchaus auch eine politische. Zum anderen ist Lobbyismus legitim in einer Gesellschaft, die demokratisch geprägt ist und in der vielleicht zu oft Technokraten den Weg vorgeben. Es ist sogar fraglich ob Lobbyismus heutzutage nicht sogar unverzichtbar für den politischen Prozess ist, wenn man komplexe Themen in angemessener Zeit behandeln will und Entscheidungen unter Zeitvorgaben stehen. Inwieweit man dabei die Linie der Kommission aufgrund von Lobbyismus mitformulieren kann, liegt sowohl an der Stärke der eigenen Argumente, der Gegenargumente als auch an den hinreichend (?) bekannten allgemeinen Zielen der Kommission, oftmals abgesegnet vom Ministerrat oder dem Europäischen Parlament, das zunehmend selbstbewusster auftritt.

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So ist es zwar aussichtslos darauf zu hoffen, mittels eigener Argumente einen Trend weg von den IFRS und hin zu den europäischen oder amerikanischen Rechnungslegungstandards zu bewirken, da diese generelle Richtung bereits von den Mitgliedstaaten einstimmig beschlossen wurde. Nicht viel aussichtsreicher wäre auch der Versuch einer bloßen Verschiebung des Übergangszeitpunktes zu den neuen Rechnungslegungsnormen, da dies ebenfalls bereits gesetzlich geregelt wurde. Leichter ist die Beeinflussung hingegen bei den vermeintlich kleineren Details, bei der Aufarbeitung potentieller oder tatsächlicher Probleme oder bei Anschlussfragestellungen, wie beispielsweise die Ausweitung der internationalen Rechnungslegung auf kleine und mittlere Unternehmen. Hier ist die Kommission geradezu darauf angewiesen, dass sie konstruktives Feedback erhält, auch von Lobbyisten. Obwohl es „abgedroschen“ klingt, ist auch europäische Politik kein Selbstzweck, sondern soll letztendlich uns allen nutzen. Aufgrund der Vielschichtigkeit des Entscheidungsprozesses, der zahlreichen „checks and balances“ und auch aufgrund seines gut ausgebildeten und motivierten Mitarbeiterstabes, ist die Europäische Kommission durchaus fähig, Lobbyismus zur Ausgewogenheit und Effizienzsteigerung zu nutzen. Auch wenn es manchmal dem ein oder anderen etwas zu lange dauert: Der Binnenmarkt wächst unaufhörlich zusammen.

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Klaus Gretschmann1

Kommst Du mit der Lösung oder bist Du Teil des Problems? Politikberatung in und für Europa

1. Gründe und Hintergründe Wann immer politische Entscheider in Brüssel wirtschaftlichen, juristischen oder sonstigen Rat brauchen, scheint professioneller Sachverstand nicht weit: Studien, Simulationen, Folgeabschätzungen, Trendvorhersagen etc. zählen mittlerweile Legion. Personen und Institutionen im Politikberatungsprozess buhlen um Zugang und Einfluss unter der hehren Überschrift „Politische Beratung“. Eine neue Unübersichtlichkeit hat sich breit gemacht. Mit besonderem Augenmerk auf den Ministerrat soll dieser Beitrag ein wenig beim Lichten des Nebels helfen. In der Tat ist Politikberatung wie ein Zoo, der viele unterschiedliche Arten repräsentiert: Lobbyisten, Rechtsberater, Kanzleien, Wissenschaftler, Think Tanks, Komitees, High Level Expert Groups, aber auch eine Vielzahl an persönlichen Beratern, oftmals hohe Ex-Beamte der europäischen Institutionen und ehemalige Diplomaten. Diese Entwicklung erstaunt nicht, gilt doch als unstrittig, dass die „EU is generating ever closer and tighter formal and legal commitments, involving an increasingly heterogeneous set of Member States across expanding policy areas“.2 In einer solchen zunehmend hyper-komplexen politischen Struktur gilt es, für die an Entscheidungen Beteiligten und von Entscheidungen Betroffenen Komplexität und Ambiguität zu reduzieren, Optionen zu prüfen und Lösungen zu implementieren und legitimieren. Je mehr politische Entscheidungen primär auf EU-Ebene getroffen werden – und tatsächlich lief und läuft die Europäische Gesetzgebungsmaschinerie manchmal wie am Fließband – desto mehr politische Beratung wird nötig. Dies hat nicht zuletzt damit zu tun, dass – und dafür stehen von BSE über die russische Erdgaspolitik bis hin zur Dienstleistungsrichtlinie Chemikalienpolitik oder dem Emissionshandel viele Beispiele 1 Prof. Dr. Klaus Gretschmann ist General-Direktor des General-Sekretariat des EU-Ministerrats. In seine Zuständigkeit fallen Wettbewerbsfähigkeit, Binnenmarkt, Industriepolitik, Forschung, Energie, Informationsgesellschaft und Transport und Verkehr. Die in diesem Beitrag geäußerten Thesen reflektieren ausschließlich die persönliche Meinung des Verfassers und nicht die des Rats. 2 Andersen, S., Sitter, N. (2006) Differentiated Integration, in: European Integration, Vol. 28, S. 313330

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– die europäischen Politik- und Verwaltungsapparate wissenschaftsbasierte, erprobte und aktualisierte Lösungen („fit for function“) nicht vorhalten können, sondern stets neu schaffen müssen.

2. Fakten und Zahlen Politikberatung ist in den Europäischen Verträgen als Instrument oder Verfahrensbestandteil des politischen Prozesses nicht explizit vorgesehen. Gleichwohl hat sich seit der Einheitlichen Europäischen Akte, der ersten Revision der Römischen Verträge im Jahr 1989, die Zahl der Berater und Beratungsinstitute dramatisch erhöht. Dies reflektiert zum einen die stetig gewachsene Macht und Bedeutung der EU-Institutionen, zum anderen hat die Komplexität von politischen Entscheidungen ebenso massiv zugenommen wie die Interessen-Heterogenität in einem erweiterten Europa der heute 27 Mitgliedstaaten. In einer Studie von Notre Europe, dem vom früheren Kommissionspräsidenten Jacques Delors geleiteten Pariser Think Tank, werden 36 Europa-spezifische Denkfabriken aufgelistet.3 Andere Studien wie etwa des Corporate Europe Observatory zählen 50 oder mehr Brüsseler Beratungsinstitute.4 Das European Public Affairs Directory 2005 listet 70 „non-profit institutions researching different aspect of European integration“ auf. So verfügt alleine schon die EU-Kommission über eine Reihe von eigenen Forschungsinstitutionen, wie das Joint Research Centre mit etwa 2500 Mitarbeitern oder das Bureau of European Policy Advisors, das einen speziellen Status in der Kommission erhalten hat, und welches direkt an den EU-Kommissionspräsidenten Barroso berichtet. Vorläufer war u.a. die fast schon legendäre „Cellule des Prospectives“, die der frühere und wohl prägendste Kommissionspräsident Jacques Delors etabliert hatte. Noch wesentlich höher wird die Zahl der politisch Beratenden, nimmt man die Lobbyisten und Verbandsvertreter in Brüssel hinzu. Als unterer Schwellenwert werden 8.500 und als oberer ca. 20.000 Lobbyisten genannt. Auch Ihre Zielsetzung ist es, beratend zu assistieren, um politische Prozesse, zu fördern, zu modifizieren oder zu blockieren.5

3 Stephen Boucher (2004), Europe and its think tanks: a promise to be fulfilled, Notre Europe Study n°35, S.16 4 CEO (Corporate Europe Observatory) (2005), Transparency unthinkable? Financial secrecy common among EU think tanks, Brüssel 5 Burson-Marsteller (2005), The definitive guide to lobbying the EU-institutions, Brussels – siehe auch Galbraith, Jeremy in diesem Band

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Die Bandbreite der wichtigsten Beratungsinstitute reicht von tradierten Mainstream Einrichtungen wie etwa den Friends of Europe, die häufig von den EU-Präsidentschaften mit Studien beauftragt werden, über das CER (Center of European Reform), welches kritische und originelle Beiträge zur Situation und Entwicklung der europäischen Integration liefert, über das Centre for European Policy Studies (CEPS) und Bruegel (Brussels European and Global Economic Laboratory) mit ökonomischen Schwerpunkten bis hin zu kleinen Newcomers mit marktradikalen Positionen wie etwa dem Lisbon Council, der die unzureichende Durchführung des Lissabon-Reformprogramms bemängelt und eine verstärkte Implementierung einklagt. Im Bereich der institutionell noch schwach verankerten, de-facto aber immer wichtiger werdenden Außen- und Sicherheitspolitik hat der Rat in einer sogenannten Joint Action 2001 entschieden, das in Paris beheimatete Institute for Security Studies (ISS) zu beauftragen, Analysen und Empfehlungen zu erarbeiten, die dem Hohen Repräsentanten der EU-Außenpolitik, Javier Solana, zur Verfügung gestellt werden sollen.6

3. Funktion und Motive Das Hauptmotiv für die Einrichtung von Think Tanks und Beratungsinstituten in Brüssel ist einerseits der Wunsch, das Denken der politischen Akteure zu beeinflussen und damit indirekt den europäischen Entscheidungsprozess mit zu gestalten.7 Ihre Aktivitäten umfassen zahllose Publikationen, Diskussionszirkel, Workshops, Studien und Stellungnahmen, deren tatsächliche politische Wirkung meist indirekt und schwer zu messen ist. Häufig – wenngleich nicht zwangsläufig – laufen diese Aktivitäten Gefahr, Pseudo-Debatten in Euro-Slang beschränkt auf European Professionals wie Beamte, Diplomaten, Parlamentarier und Interessenvertreter im Raumschiff Brüssel auszulösen. Ihr tatsächlicher Einfluss und ihre Reichweite in die höchsten politischen Ebenen sind strittig. Als Aufgaben, die sich die europäische Politikberater-Garde gesetzt hat, sind exemplarisch und selektiv die Folgenden zu vermerken: ƒ ƒ ƒ 6 7

Trends und Stimmungen in Europa zu antizipieren (Wirtschaft, Umwelt, Soziales) Politische und ökonomische Probleme zu prognostizieren und diagnostizieren detaillierte Analysen von einzelnen Politikmaßnahmen vorzulegen

Gnesotto, N., Grevi, G. (2006), The New Global Puzzle – What World for the EU in 2025, Paris Schendelen, R. van (2002), Macchiavelli in Brussels, Amsterdam University Press

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Positionen von Mitgliedsländern in einzelnen Politikfeldern zu bestimmen die Qualität der Debatten über europäische Streitfragen zu verbessern Unterstützung oder Opposition zu einzelnen Maßnahmen zu aktivieren Ökonomische Reformen auf EU-Ebene zu stimulieren die Interessen des Unternehmenssektors im EU-Politikprozess zu artikulieren zielführende Maßnahmenpakete und Finanzierungsmöglichkeiten zu formulieren Wirkungen und Gesetzesfolgen von europäischer Politik abzuschätzen Kommunikation und Interaktion mit der europäischen Öffentlichkeit herzustellen.

Damit ist ein äußerst breites Spektrum an Berater-Leistungen benannt, wobei die Adressaten bzw. Nachfrager nach diesen Leistungen im Wesentlichen entweder die Entscheidungsträger europäischer Politik, etwa in Kommission, Rat oder Parlament, sein können oder aber Unternehmen, Verbände und organisierte Interessen, die Kenntnis von und Einfluss auf die europäischen Gesetzesmaschinerie benötigen.8

4. Anforderungen und Profile Vor diesem Hintergrund verwundern weder die Komplexität noch die schillernde und polyvalente Wahrnehmung der europäischen Politikberatung in der Öffentlichkeit. Es geht um die Bereitstellung von Wissen, aber auch um Verwertungsinteressen; es geht um Analyse, aber auch um Strategie und Legitimationsbeschaffung; es geht um Lobbying aber auch um Gesetzesfolgenabschätzung; es geht um issue management, aber auch um politische Planung und Gestaltung; es geht um legislative Prozesse, aber auch um Zielplanung und Erwartungssicherheit; und schließlich geht es um Werte und Interessen, um Actors and Factors, um Kontext und Perspektiven, kurzum: um vorausschauende Politikgestaltung Wie theoretisch gut belegt, erfordert Steuerung von politischen Prozessen in internationalen Mehrebenensystemen wie der EU tiefenscharfes Vor-Denken und nicht nur Nach-Denken. Dies gilt für die Problemanalyse, die Konzeptentwicklung, die Maßnahmenkonsistenz, die Kommunikation und Legitimation, die Entscheidung und Durchführung sowie die Implementation und Wirkungsanalyse. Politische Beratung muss insbesondere drei ineinander verschobene Ebenen berücksichtigen: 8

Gramke, K. (2005), Interessenvertretung in Brüssel, Prognos Paper, Frankfurt

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ƒ ƒ ƒ

die nationale Politikebene, die EU-Ebene und die globale Ebene.

Die Prozesse, Trends, Maßnahmen und Entscheidungen können sich gegenseitig befruchten, blockieren oder verstärken. Für den politischen Berater in EU-Angelegenheiten bedeutet dies Kompetenz, Konsistenz, Persistenz in Übereinstimmung zu bringen. Beratung darf sich nicht von ideologischen Vorfestlegungen prägen lassen. Sie benötigt eine pragmatische Neubestimmung des Verhältnisses von Staat und Markt ebenso wie Effizienzüberlegungen und kontinuierliche Berücksichtigung von legitimatorischen und prozeduralen Eigenheiten des Politikprozesses. Eine wesentliche Anforderung an Berater besteht darin, wissenschaftliche Erkenntnis in die nicht-wissenschaftliche Sprache der Entscheidungsträger zu übersetzen. Dabei geht es nicht nur um die (Nicht-) Verwendung mathematische Formeln oder wissenschaftliche Fachtermini sondern – und fast noch wichtiger – um die Verwendung kategorialer Konzepte. Um ein Beispiel zu geben: Wenn Ökonomen von Wettbewerb (vollständiger W., monopolitischer W., funktionsfähiger W. etc.) sprechen haben sie ein ganz anderes Raster der Realität im Kopf (Effizienz- und Kostenüberlegungen) als im Fall des Juristen, der Wettbewerb als Rechtsfigur begreift. Der Berater muss Expertenwissen in Handlungswissen überführen, mithin in die operative Sprache des Entscheiders, ohne die Substanz seiner Argumentation, ihre Überzeugungslogik und empirische Tragfähigkeit zu verlieren. Dazu sind im Beratergeschäft mehr und mehr Grenzgänger zwischen Wissenschaft und Politik, aber auch zwischen business und politics etc. von Nöten. Dies ist besonders dort wichtig, wo die Entscheidungswege sowohl multi-national (EU-Rat) wie auch quasi supra-national (Kommission) geerdet sind. Politikberatungsgeschäft ist aber auch Vereinfachungsgeschäft: An nichts sind europäische Policy-makers weniger interessiert als an theoretisch-abstrakten Ableitungen, an Hintergrunddebatten über Basisannahmen (neofunktionalistische, institutionalistische oder realistische Integrationstheorien), oder an statistischen Verfahren und Ausführungen. Die frühere ökonomische Chefberaterin des ehemaligen Kommissionspräsidenten Prodi, Maria Rodrigues, hat das als „continuous conflict between simplicity of theory and fitting the problem at hand!“ bezeichnet. Dies gilt in besonderem Maße für den EU-Politikprozess. Entscheidungsträger benötigen sachgerechte Lösungsalternativen, prozedurale Vorschläge für deren politische Durchsetzung, Vorab-Info über mögliche Wirkungen auf gesellschaftliche Gruppen, einzelne Länder und Regionen, über

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Nutzen und Kosten sowie Pros und Cons einzelner Optionen. An der Herleitung dieser Zusammenhänge besteht kein Interesse, allerdings muss die wissenschaftliche Basis dafür solide sein. Dies wird vom Berater verlangt und vorausgesetzt. Dies bedeutet jedoch auch, dass ein verkürztes Denken und damit die Vernachlässigung mehrerer Wirkungsschleifen NICHT akzeptiert werden kann. Die Nachfrager nach Beratungsleistungen in Brüssel wollen ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ

Optionen aufgewiesen haben; ein Frühwarnsystem etabliert haben; attraktive Themen identifiziert haben; Handlungswirkungen analysiert haben und Wahrnehmung von politischen Prozessen gemanaged haben.

Dazu gehört als Anforderung insbesondere prozedurales Wissen. Dies ist im EUPolitikprozess,9 der durch vielfältige Verschaltungen und institutionelle Verquickungen und Rückkopplungen extrem komplex geworden ist, insbesondere im Prozess der sogenannten Mitentscheidungsverfahren, von prädominanter Bedeutung. Umso mehr erstaunt es, dass viele politische Berater den EU-Entscheidungsprozess entweder gar nicht oder nur in einer Lehrbuch-Version kennen, was ihrer Beratungsleistung geradezu hinderlich ist. Hinzu kommt häufig das mangelnde Wissen um die Positionen verschiedener Mitgliedsländer und deren Begründung zu individuellen politischen Maßnahmen, die nicht zuletzt für die Entscheidungsabläufe im Ministerrat ausschlaggebend sind.

5. Leistungsfähigkeit und Leistungsgrenzen Die europäische Politikberatungslandschaft ist fragmentiert, intransparent und es fehlt an hinreichender Qualitätskontrolle. Wahrnehmungen, Erwartungen und Präferenzen, wie auch Instrumente, Philosophie und Standort variieren auf Seiten von Auftraggebern und Auftragnehmern sowie innerhalb beider Kategorien. Hinzu kommt, dass die Zeitknappheit für die Erarbeitung und Prüfung von Argumenten, Fakten und Zahlen noch knapper ist als in den nationalen Politikgestaltungssystemen. So kommt es, dass politische Beratung häufig „verspätet“ ist und die interne Entscheidungsrationalität in Brüssel eher ein verzerrtes Trugbild generiert als dass sie eine handlungssichere Grundlage für Policy Making darstellt.10 Leicht wird damit aus ernsthafter politischer Beratung im Sinne der Su9

Wallace, H., Wallace, W. and Webb. C (Hg) (1983), Policy Making in the European Union, London Götze, S. et al (2005), Was ist gute Politikberatung?, www.nautilus-politikberatung.de

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che nach und Durchsetzung von besten Lösungen immer öfter ein politisches expost Legitimations-Surrogat! Häufig ist europäische Politik wissenschaftlich verspätet, will sagen: Sie beruht auf überkommenen und überholten wissenschaftlichen Theorien oder Annahmen. So verwundert es nicht, wenn immer wieder geäußert wird, dass die Qualität der Beratungsleistungen zu wünschen übrig lässt. Zu viele unterschiedliche Interessen, Präferenzen, Sichtweisen, Wahrnehmung und Erwartungen gehen in den Beratungsprozess auf beiden Seiten – Angebot und Nachfrage – ein. Eine besondere Problematik der wissenschaftlichen Politikberatung besteht in der Existenz unterschiedlicher wissenschaftlicher Paradigmata einerseits und der wissenschaftlichen Kontroverse als Motor des wissenschaftlichen Fortschritts im Sinne Poppers andererseits. Populär, aber nicht unbedingt realitätsfern ist etwa die scherzhafte Äußerung derzufolge ein Kreis von 5 wissenschaftlichen Beratern in der Regel zwischen 5 und 10 verschiedenen Meinungen und Empfehlungen vertreten. Nichts also ist es mit den Hoffnungen der Entscheider auf eine one best recommendation. Einfache und eindeutige Lösungen sind und bleiben die Ausnahme. Kontroverses Wissen produziert widerstreitende Ratschläge und diese führen zu Irritationen und Unsicherheiten bei den Entscheidern. Um so wichtiger wird daher die leider allzu oft undurchsichtige Auswahl der Experten und Berater. Hinzu kommt im EU-Kontext, dass die nationalen Wissenschafts- und Forschungstraditionen und Erfahrungen natürlich in die Ergebnisse einfließen. Daraus ergibt sich eine gewisse Divergenz der Sichtweisen und Empfehlungen. Die Antworten auf die Frage, ob wir in einer Währungsunion mehr oder weniger Koordination wirtschaftspolitischer Maßnahmen auf EU-Ebene bedürfen, differieren deutlich zwischen deutschen, französischen und britischen Experten. Ca. 40 % der Varianz in den Antworten kann durch die nationale wissenschaftliche Prägung erklärt werden. Advice reflektiert eben auch nationale Traditionen, Sichtweisen, Erfahrungen, Strukturen, Denkansätze. Sollte Übereinstimmung doch zum Tragen kommen, verbirgt sich oftmals dahinter ein Phänomen, welches die Wissenssoziologie als „danger of fashion“ bezeichnet. Damit ist gemeint, dass sich auch in der EU in Wissenschaft und Politik Modezyklen finden, was Annahmen, Schlussfolgerungen und Maßnahmen angeht. Diese und nicht die Übereinstimmung wissenschaftlicher Analyse wären in diesem Fall die Ursache von Lösungs- und Empfehlungskonvergenz. Eine weitere oft virulente Beschränkung der politischen Beratung in Brüssel besteht darin, dass die Berater entweder allzu stark, wie im Fall von Public Affairs Akteuren oder Lobbyisten, an bestimmten (Nicht-) Ergebnissen oder, wie im Fall vieler Wissenschaftler, allzu wenig an den substantiellen Resultaten und

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an deren Implementation interessiert sind. Wissenschaftliche Politikberatung dient allzu häufig primär als Reputationsmotor „zu Hause“ („und haben meine Arbeiten und Ergebnisse doch insbesondere bei der EU-Kommission Anklang gefunden.“) oder als Finanzierungsquelle, insbesondere angesichts der Verknappung der nationalen Forschungs- und Gutachtengelder. Beratung der EU fördert weitere Forschung, Publikationen („publish or perish“) und die Karriere der wissenschaftlichen Berater. Berater sind nicht nur häufig unterschiedlicher Meinung, sondern es verstecken sich hinter wissenschaftlichen Annahmen und Wirkungszusammenhängen häufig Werturteile.11 Als Beispiel mag hier der Aufruf einer Gruppe von 147 Ökonomen GEGEN die Einführung des Euros in deutschen überregionalen Tageszeitungen dienen, ein Aufruf der umgehend durch ein gegenteiliges Plädoyer FÜR die Einführung des Euros durch eine Gruppe von 152 Ökonomen gekontert wurde! Natürlich gibt es sowohl pros wie cons bei europäischen Entscheidungen – ein Abwägen der Effekte erscheint rational. An einer auf Werturteilen und politischen Wollen beruhenden Entscheidung12 kann auch wissenschaftliche Beratung nichts ändern! Wichtig sind die Entscheidungsgrundlagen sowie das Bewußtsein, dass schon kleinste Veränderungen in den wissenschaftlichen Modellen zu großen Unterschieden in den Ergebnissen und Empfehlungen führen können, etwa bei Berechnungen über die Beschäftigungswirkungen der Dienstleistungsrichtlinie. Politikberatung ersetzt eben kein Orakel von Delphi! Auch gilt häufig, dass operatives Denken jenseits wissenschaftlicher Würde angesiedelt wird. Wissenschaftliche Hybris erzeugt leicht eine unnötige Distanz zwischen wissenschaftlicher Politikberatung einerseits und den politisch handelnden Adressaten andererseits. Dies hat damit zu tun, dass wissenschaftliche Politikberatung das aus der Theorie bekannte Principal-Agent Problem beinhaltet. Der Prinzipal (Auftraggeber) ist über die Qualität des Agent/Kontraktors (Beraters) ebenso wie über dessen wissenschaftliche Leistungsfähigkeit, seine Grundeinstellungen etc. nur unzulänglich informiert. „The principal cannot observe and check the contractor’s efforts in composing the expert opinion, nor can he competently evaluate the scientific quality of the expert opinion delivered“ schreiben Gert Wagner und Wolfgang Wiegard, und weiter „experts out to maximize their own utility will exploit this asymmetry of information to their own advantage after signing a contract.“13 Aber wissen denn sowohl die politischen Entscheider und Entscheidungsvorbereiter als auch die Berater, was sie wissen – und wollen – müssen? Und ist 11

Weber, M. (1919), Wissenschaft als Beruf, München Ders. (1919), Politik als Beruf, München 13 Wagner,G., Wiegard, W. (2002), Economic Research and Policy Advice, DIW Research Paper, Berlin 12

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der Beratungsprozess, der der Bereitstellung von entscheidungsrelevantem Wissen dient, effizient und nützlich? Die Antworten dazu sind durchaus gemischt. So meint etwa die bereits erwähnte Studie von Notre Europe, dass der Beratungsmehrwert durch Think Tanks und Lobbyisten von den Entscheidern nur als bedingt, beschränkt und allenfalls moderat nützlich angesehen wird. Dabei wird üblicherweise der wissenschaftlichen Beratung und den Think Tanks in Brüssel eine größere Seriosität zugesprochen als der großen an Zahl Public Affairs Beratern, Verbandsvertretern oder Lobbyisten. Think Tanks betreiben im allgemeinen kein Lobbying, zumindest streben sie keine direkte Einflussnahme auf den Einscheidungs- und Rechtssetzungsprozess an. Ihnen geht es eher um die Bereitstellung entscheidungsrelevanten Wissens, um die Anregung von Vorhaben, die Einleitung von Diskursen, um Argumentations- und Analyseketten und die Frage ob politische Maßnahmen ein Mindestmaß an Politikkonsistenz erfüllen. Think Tanks leben in Brüssel allerdings oft zwischen Einfluss-Illusion und Schubladen-Angst, m.a.W. sie überschätzen ihren Einfluss gewaltig und gleichzeitig fürchten sie, dass ihre Expertisen in den Schubladen der Entscheidungsträger vergilben.

6. Rat und Bratung Wie in den obigen Ausführungen schon deutlich geworden, sind die Übergänge zwischen wissenschaftlicher Politikberatern, den Public Affairs und Kommunikationsberatern, den Verbände-Vertretern und Lobbyisten durchaus fließend. Eine eingehende Betrachtung würde daher eine sehr viel stärkere Differenzierung als in diesem Beitrag möglich erfordern. Gleiches gilt uneingeschränkt auch für die unterschiedlichen institutionellen Nachfrager nach Beratungsleistungen in Brüssel – sei es die EU-Kommission, das EU Parlament, die Permanenten Repräsentanzen der Mitgliedsländer, oder den Rat. Da deren Rolle im Entscheidungsprozess der europäischen Politik stark differiert, differiert auch ihr Beratungsbedarf in Qualität und Quantität erheblich. Betrachten wir z.B. die Rolle der Ratspräsidentschaften14: Natürlich beauftragt die jeweilige Präsidentschaft meist nationale Institute oder Experten mit der Ausarbeitung von Diskussionspapieren oder Stellungnahmen zu Problemen, die den Präsidentschaften besonders am Herzen liegen. Einige Beispiele: Die Niederländische Präsidentschaft befasste den ersten informellen Wettbewerbsfähigkeitsrat in Maastricht mit dem Thema Leistungsfähigkeit und Schwächen Europäischer Unternehmen im Globalen Wettbewerb und legte dazu den Ministern 14

Art. 203 EGV

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aller Mitgliedsländer ein Studie von McKinsey NL vor, die auf großes Interesse stieß. Die britische Ratspräsidentschaft legte dem informellen Europäischen Rat der Regierungschefs in Hampton Court u.a. ein Reflexions-Papier zur Europäischen Energiepolitik vor, welches die Diskussion animierte und orientierte. Österreich ließ eine Studie zu den Beschäftigungswirkungen der DienstleistungsRichtlinie anfertigen, die zum Ergebnis hatte, dass für die gesamte EU ein Netto Plus von 600 000 Jobs zu erwarten sei. Und auch die Finnische Präsidentschaft legte eine Reihe von Studien und Papieren zur Frage der Innovations-Förderung auf EU-Ebene vor. Daraus nun folgern zu wollen, es gäbe somit eigentlich gar keine genuin europäische Politikberatung, sondern nur nationalstaatlich gefärbte, ginge an der Wirklichkeit vorbei. Allerdings gibt es eine starke Komponente der Beratung von und für nationale Regierungen zu europapolitischen Themen. Die meisten Ressourcen und Finanzmittel für politische Beratung setzt dabei zweifelsohne die EU-Kommission ein. Rat und Parlament sind demgegenüber mit Personal und Finanzmitteln weitaus schwächer ausgestattet. Dies hat mit der jeweils unterschiedlichen Funktion der EU-Institutionen zu tun: Während die EU-Kommission das alleinige formale Vorschlagsrecht in der EU-Gesetzgebung innehält und daher die ersten Entwürfe zu erstellen und Initiativen zu entwickeln hat, dementsprechend intensiv auch auf Beratung zurückgreifen muss, ist dies bei den Parlamentarischen Beratungen und im Bereich der Ratsentscheidungen und Vorbereitungen weit weniger der Fall: Da die kontroverse Debatte über einzelne Dossiers in den Ratsarbeitsgruppen erfolgt, d.h. in einer Art Ressortabstimmung zwischen Fachexperten der nationalen Regierungen, wird Beratungsarbeit hier weitgehend indirekt vorgenommen. Die nationalen Experten werden mit Argumentation und Fakten aus den jeweiligen Hauptstädten versorgt. Diese Argumente gehen sodann in den Abstimmungsprozess zwischen den Mitgliedstaaten ein. Wichtig ist dabei zweierlei: 1. die Reaktionen und Effekte auf die von einer Gesetzesregelung Betroffenen zu ermitteln und 2. eine Art Strategieberatung zu beziehen, die es erlaubt, Kompromisse auszuloten, Handlungs- und Entscheidungsoptionen zu ermitteln und eine Strategie für eine gemeinschaftlich akzeptable Lösung zu erstellen. Ein äußerst aktuelles Beispiel für die Notwendigkeit von Politikberatung im Rahmen der Ratsarbeit ist die sogenannte Impact Analysis oder Gesetzesfolgenabschätzung, die im Rahmen des „better regulation“, also der besseren europäischen Rechtsetzung, angestrebt ist. Während die EU-Kommission sowohl mit Hilfe interner wie externer Experten ihre Gesetzesvorschläge mit Folgeabschätzungen und Wirkungsstudien versehen kann, steht der Rat dabei vor erheblichen Problemen: Da die Kommissionsvorlagen im Zuge des Abstimmungsprozesses in den Ratsarbeitsgruppen durchaus oft substantiell verändert werden, wäre eine

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ausführliche Folgenabschätzung (Auswirkungen aus der Sicht der Mitgliedsländer) essentiell. Dies ist freilich ein aufwendiges und teures Unterfangen, für welches der Rat externe Experten und deren Leistung zukaufen müsste, wofür bislang keine Finanzmittel vorgesehen sind. Wirtschaftliche, soziale und Umwelt-Wirkungen im Detail zu ermitteln und abzugreifen, wird eine der wesentlichen Herausforderungen für Rat und Berater in der unmittelbaren Zukunft werden.

7. Politikberatung in der Europäischen Union: änderlich oder unabänderlich Fassen wir zusammen: Europäische Politikberatung ist weder eindimensional noch simplizistisch, sie steht vielmehr vor enormen Aufgaben, die sich aus den Beratungsbedingungen in einer hyper-komplexen Entscheidungs-Umgebung ergeben. So ist es verständlich, dass sie als oft nicht hinreichend systematisch, sondern eher spontan, reaktiv und ad-hoc, denn proaktiv und geplant, kritisiert wird. Aber heißt dies Abschied von der europäischen Beratung zu nehmen, sich Gestaltungs-Illusion und Bewältigungsoptimismus einzugestehen und auf „muddling-through“, auf Durchwursteln, überzugehen. Nein, das kann die Antwort nicht sein: die Notwendigkeit für politische Beratung ist unabänderlich; was aber wohl änderlich ist, das sind Form und Funktion der Politikberatung. Benötigt werden 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Transparenz bei der Auswahl der Berater15 Transparenz über das Zustandekommen der Ergebnisse und Empfehlungen Transparenz bei den Annahmen über die erwarteten Wirkungen von Maßnahmen Überprüfung der Qualität der Beratungsergebnisse Überprüfung der Kohärenz der Empfehlungen Überprüfung der empirischen Evidenz und Daten- und Erfahrungsgrundlagen Verschaltung von nachfrage- und angebotsgetriebenen Beratungsaktivitäten Verschaltung von forschungs- und handlungsgeleiteten Ansätzen Verschaltung von nationalstaatlichen und europäischen Beratungsinteressen

und schließlich

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CEO (Corporate Europe Observatory) (2005), aaO

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10. die strategische Orientierung muss um wirkungsanalytisch-taktische Analyse ergänzt werden. Damit kann europäische Politikberatung zu einem Katalysator werden, der die europapolitische Debatte befruchten und bereichern kann. Politische Beratung kann damit zum Scharnier zwischen wissenschaftlichem Vordenken und politischem Handeln werden, welches den „conventional wisdom“ herausfordert und neue Konzepte generiert.

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Martin Bauer

Politikberatung im Rat der Europäischen Union

Einleitung Würde man einen durchschnittlich gebildeten „Normalbürger“ nach seinen ersten Assoziationen zum Rat der Europäischen Union befragen, wären seine ersten Antworten wahrscheinlich „Minister“, „Mitgliedstaaten“, „Verhandlungen“, „politischer Kompromiss“ oder Ähnliches. Das alles trifft zu, denn in der Tat besteht der Rat gemäß Artikel 203 EG-Vertrag „aus je einem Vertreter jedes Mitgliedstaats auf Ministerebene“. Ausschließlich diese politischen Entscheidungsträger können im Rat endgültige und rechtsverbindliche Beschlüsse fassen und treten in der Öffentlichkeit in Erscheinung, wenn sie in oft langen Verhandlungen im Rat politische Kompromisse erzielen. Bereits weit weniger bekannt ist der organisatorische Unterbau des Rates. Europapolitisch Interessierte haben wohl schon vom Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) gehört, der gemäß Artikel 207(1) EG-Vertrag die Aufgabe hat, die Arbeiten des Rates vorzubereiten. Der AStV ist ungeachtet der Tatsache, dass er „nur“ aus hochrangigen Beamten der Mitgliedstaaten besteht, de facto zur politischen Ebene des Rates zu zählen und ist zweifellos eines der einflussreichsten Gremien im institutionellen Gefüge der Europäischen Union. Seine Arbeit sowie die des Rates wird von rund 160 weiteren Vorbereitungsorganen (Ausschüsse und Arbeitsgruppen) unterstützt und vorbereitet, in denen jeweils Delegierte bzw. Experten der Mitgliedstaaten vertreten sind.1 Ein weitgehend unbekanntes Wesen ist jedoch das Generalsekretariat des Rates, von dem es in Artikel 207(2) EG-Vertrag nur lakonisch heißt, dass es den Rat „unterstützt“. In der Tat tritt dessen Chef, Javier Solana, fast ausschließlich in seiner Rolle als Hoher Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in Erscheinung und wird in seiner Funktion als Generalsekretär des Rates von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.

1 Eine ausführliche Darstellung der Strukturen und der Funktionsweise des Rates sowie seiner Vorbereitungsorgane findet sich in Martin Westlake /David Galloway, The Council of the European Union (3rd edition, London, 2004).

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Anliegen dieses Beitrages ist es, Licht auf dieses Generalsekretariat zu werfen und dessen Arbeit hinter den Kulissen als beratende und unterstützende Einrichtung der politischen Entscheidungsebene des Rates näher zu beleuchten.

Ursprung und Entwicklung Die Anfänge des Generalsekretariats gehen zurück bis in das Jahr 1951, als durch den Vertrag von Paris die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) geschaffen wurde. Das Sekretariat des „Besonderen Ministerrates“ umfasste damals gerade einmal 30 Beamte, davon nur fünf der Funktionsgruppe Administration, also mit Hochschulabschluss. Seine Aufgaben beschränkten sich zunächst auf reine Sekretariatstätigkeiten, wie das Erstellen der Wortprotokolle des Rates2 sowie die Vorbereitung und Verteilung der Tagesordnung für die Tagungen des Rates. Bald wurden dem Generalsekretariat jedoch auch konzeptive und „intellektuelle“ Aufgaben übertragen, und die Zahl seiner Bediensteten wuchs mit dem Inkrafttreten der Verträge von Rom im Jahr 1958 auf insgesamt 264 Beamte, davon 58 der Funktionsgruppe Administration. Mit den sukzessiven Erweiterungen der Union und der Ausdehnung ihrer Tätigkeit auf neue Bereiche entwickelten sich auch die Organisation und das Rollenbild des Generalsekretariats. Neue Aufgaben, insbesondere in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie im Bereich Justiz und Inneres, erforderten die Anpassung der Strukturen des Generalsekretariats sowie seines traditionellen Tätigkeitsbildes. Zur Aufgabe der Beratung und Unterstützung des Vorsitzes in technisch-prozeduralen und rechtlichen Fragen traten zunehmend auch politische Beratungsaufgaben. So erstellte beispielsweise im Jahr 1999 eine interne Arbeitsgruppe unter der Leitung des damaligen Generalsekretärs, Jürgen Trumpf, sowie des Generaldirektors des Juristischen Dienstes des Rates, JeanClaude Piris, einen umfassenden Bericht über das Funktionieren des Rates, begleitet von Empfehlungen für Reformen mit Blick auf die bevorstehende Erweiterung des Rates. Viele dieser Empfehlungen wurden vom Europäischen Rat in Helsinki 1999 übernommen und in der Folge umgesetzt. Einen Meilenstein für die Entwicklung des Generalsekretariats stellt der am 1. Mai 1999 in Kraft getretene Vertrag von Amsterdam dar, mit dem der Posten des Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik geschaffen wurde, der gleichzeitig Generalsekretär des Rates ist. Während die früheren Generalsekretäre des Rates durchwegs einen Hintergrund als hochrangige Beamte und Diplomaten hatten, wird diese Position nunmehr seit 1999 in 2 Diese wurden 1970 abgeschafft und durch knappere, zusammenfassende Protokolle über die in der Sitzung gefassten Beschlüsse ersetzt.

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der Person von Javier Solana Madariaga, ehemaliger Generalsekretär der NATO und spanischer Außenminister, von einer Persönlichkeit mit einem starken politischen Profil ausgefüllt. Eine weitere Neuerung war die Einführung der Funktion des Stellvertretender Generalsekretärs. Diese wird ebenfalls seit 1999 von Pierre de Boissieu ausgeübt, der vor seiner Bestellung unter anderem als Ständiger Vertreter Frankreichs bei der Europäischen Union tätig war. Heute beschäftigt das Generalsekretariat rund 3000 Bedienstete, davon ungefähr 500 der Funktionsgruppe Administration oder gleichwertige nationale Experten, die sich auf zehn Generaldirektionen (einschließlich des Juristischen Dienstes) sowie direkt dem Generalsekretär bzw. dem Stellvertretenden Generalsekretär unterstellte Stabsstellen verteilen. Im Haushaltsplan 2007 stehen dem Rat rund € 594 Millionen an Verwaltungsmitteln (vor allem zur Finanzierung der Personalausgaben, der Gebäude und der Büroinfrastruktur) zur Verfügung, für deren Verwendung der Generalsekretär und der Stellvertretende Generalsekretär verantwortlich sind. Die Leitung und Verwaltung dieses umfangreichen Apparats erfolgt vor allem seit der Amtsübernahme von Javier Solana und Pierre de Boissieu, die einen umfangreichen Modernisierungsprozess des Generalsekretariats eingeleitet haben, nach modernen Managementmethoden.

Das heutige Generalsekretariat Im Rahmen der Modernisierung des Generalsekretariats wurde kürzlich nach eingehender Diskussion in einer vom Stellvertretenden Generalsekretär eingesetzten Arbeitsgruppe ein Leitbild für das Generalsekretariat angenommen. Es fasst in kurzer Form die Aufgaben und Grundwerte des Sekretariats und seiner Mitarbeiter zusammen und soll als Ausgangspunkt für die weiteren Ausführungen dienen. Leitbild Als permanenter und unabhängiger europäischer öffentlicher Dienst gewährleistet das Generalsekretariat des Rates das reibungslose Funktionieren des Rates der Europäischen Union und leistet diesem jede nötige Hilfestellung bei der Erfüllung der Aufgaben, die ihm von den Verträgen im Interesse der Weiterentwicklung der Union übertragen sind. Das Generalsekretariat unterstützt die Mitglieder des Rates, den Vorsitz und den Generalsekretär/Hohen Vertreter in allen Tätigkeitsbereichen des Rates und des Europäischen Rates sowie bei Tagungen auf Ministerebene und Regierungskonferenzen.

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Unsere Werte Das Generalsekretariat als Organisation sowie seine einzelnen Bediensteten lassen sich bei der Erfüllung ihrer Aufgaben von folgenden Grundwerten leiten : - Professionalität In unserer Arbeit beweisen wir Integrität, berufliche Kompetenz, Effizienz und Engagement. Wir sind aktiv und aufgeschlossen bei der Suche nach Lösungen. Wir sind für unsere Arbeit verantwortlich und legen darüber Rechenschaft ab. - Teamgeist Wir arbeiten zusammen und kommunizieren miteinander, damit das Generalsekretariat seine Aufgabe wirksam und kohärent erfüllen kann. - Unparteilichkeit Wir sind objektiv bei der Erfüllung unserer Pflichten und behandeln alle Ratsmitglieder unparteiisch, unter Beachtung unserer Verpflichtung zur Loyalität gegenüber dem Rat. In unserer multikulturellen Umgebung behandeln wir alle Personen mit dem gleichen Respekt.

Rollenbild und Grundwerte Nicht zufällig stehen die Begriffe „permanent“ und „unabhängig“ ganz am Anfang des Leitbildes, denn sie sind von zentraler Bedeutung für das Rollenverständnis des Generalsekretariats. Zunächst ist das Generalsekretariat mit seinem auf Dauer bestellten Kopf, dem Generalsekretär, und seinem permanenten Beamtenapparat der einzige Akteur innerhalb des Rates, der die Kontinuität der Tätigkeit des Rates gewährleisten kann und als dessen institutionelles Gedächtnis fungiert. Das liegt zum einen daran, dass die Dauer des Vorsitzes im Rat mit sechs Monaten viel kürzer ist als die Dauer der Mandate des Kommissionspräsidenten (fünf Jahre) und des Präsidenten des Europäischen Parlaments (zweieinhalb Jahre). Zum anderen führt in jeder Ratsformation ein anderer Minister des jeweiligen Mitgliedstaates den Vorsitz. Diese Fragmentierung setzt sich fort auf der Ebene der Arbeitsgruppen,

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die der jeweiligen Ratsformation zuarbeiten. Überdies sind die Minister, die den Vorsitz im Rat führen, nicht ausschließlich mit ihrer Tätigkeit für die Union beschäftigt, sondern haben nebenbei noch ihre nationalen Aufgaben zu erfüllen und verbringen daher meist nur einige Tage im Monat mit EU-Angelegenheiten. Dazu kommt noch, dass unter den Delegierten der Mitgliedstaaten in den Vorbereitungsorganen des Rates eine regelmäßige Rotation stattfindet. Das Generalsekretariat ist daher ein unverzichtbarer Bestandteil der Maschinerie des Rates und spielt eine bedeutende Koordinationsrolle zwischen den einzelnen Ratsformationen und Vorbereitungsorganen sowie zwischen den verschiedenen Hierarchieebenen des Rates. Was unter der Unabhängigkeit der Beamtenschaft des Generalsekretariats zu verstehen ist, ergibt sich aus Artikel 11 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften. Gemäß dieser Bestimmung hat sich der Beamte „bei der Ausübung seines Amtes und in seinem Verhalten ausschließlich von den Interessen der Gemeinschaft leiten zu lassen; er darf von keiner Regierung, Behörde, Organisation oder Person außerhalb seines Organs Weisungen anfordern oder entgegennehmen. Der Beamte führt die ihm aufgetragenen Aufgaben objektiv, unparteiisch und unter Einhaltung seiner Loyalitätspflicht gegenüber den Gemeinschaften aus.“ Innerhalb des Rates ist damit das Generalsekretariat der einzige Akteur, der nicht nationalen Interessen verpflichtet ist, sondern ausschließlich die Interessen der Gemeinschaft insgesamt zu verfolgen hat. Bei der Erfüllung ihrer Aufgaben sind die Beamten des Generalsekretariats – unter der Verantwortung des Generalsekretärs und dessen Stellvertreters – ausschließlich an die Weisungen ihrer Vorgesetzten im Generalsekretariat gebunden.

Die Aufgaben des Generalsekretariats Das oben zitierte Leitbild beschreibt zunächst die traditionellen Aufgaben des Generalsekretariats, die allgemein darin bestehen, für das „reibungslose Funktionieren des Rates“ zu sorgen und diesem „jede nötige Hilfestellung“ bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu leisten. In diesem Sinne hat das Generalsekretariat zunächst dem Rat die für seine Arbeit nötige administrative und praktische Infrastruktur bereitzustellen. Das scheint auf den ersten Blick banal, hat sich aber mit dem Anwachsen der Zahl der Aufgaben und der Mitglieder des Rates zu einer beachtlichen logistischen Herausforderung entwickelt. So müssen Sitzungssäle, Dolmetschteams für die Tagungen des Rates und sämtliche seiner rund 160 Vorbereitungsorgane bereitgestellt werden. Täglich werden große Mengen von Dokumenten übersetzt, produziert und zeitgerecht an alle Delegationen verteilt. Der ständig wachsende

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Raumbedarf des Rates erfordert professionelles Management der Gebäude- und Büroinfrastruktur. Die zweite traditionelle Rolle des Ratssekretariats ist die des Protokollführers. Wie bereits erwähnt, wurde die Praxis der Wortprotokolle des Rates schon um 1970 beendet. Heute verzeichnet das Protokoll der Tagungen des Rates nur die dem Rat vorgelegten Schriftstücke, die gefassten Beschlüsse oder Schlussfolgerungen sowie die Protokollerklärungen des Rates, eines seiner Mitglieder oder der Kommission3. Auch die Berichte über die Sitzungen der Vorbereitungsorgane stellen in der Regel nur in knapper, zusammenfassender Form die Ergebnisse bzw. den Stand der Beratungen dar, identifizieren Probleme, die in der Diskussion aufgetaucht sind, und zeigen Wege zu deren Lösung auf. Die Positionen einzelner Delegationen werden in aller Regel nur zusammenfassend, meist in Form von Fußnoten zum jeweils zur Diskussion stehenden Text, festgehalten. Weiters stellt das Generalsekretariat sicher, dass Fristen und verfahrensmäßige Verpflichtungen, insbesondere betreffend die Konsultation anderer Organe, eingehalten werden, und verwaltet die Archive des Rates. Infolge verschiedener Vertragsänderungen, durch die dem Rat neue Aufgaben übertragen wurden, sowie der Erweiterung der Zahl der Ratsmitglieder hat das Generalsekretariat in jüngerer Zeit neben seinen traditionellen Aufgaben eine Reihe von neuen Rollen übernommen, die mit dem Schlagwort „Politikberatung“ durchaus zutreffend umschrieben sind. Dieses neue Aufgabenbild kommt im zweiten Teil des Leitbildes zum Ausdruck, wonach das Generalsekretariat „die Mitglieder des Rates, den Vorsitz und den Generalsekretär/Hohen Vertreter in allen Tätigkeitsbereichen des Rates und des Europäischen Rates sowie bei Tagungen auf Ministerebene und Regierungskonferenzen“ unterstützt. Diese Unterstützung bezieht sich zunächst auf die Gestaltung, Koordinierung und Überwachung der Kohärenz der Arbeiten des Rates und der Durchführung seines Jahresprogramms, an der das Generalsekretariat „eng beteiligt“ ist.4 Der Planungsprozess beginnt bereits geraume Zeit vor Beginn einer Präsidentschaft mit ersten Kontakten zur Fixierung des Arbeitsprogramms und der Termine der Ratstagungen. Wenn der Vorsitz näher rückt, konkretisiert sich die Terminplanung auch für die Arbeitsgruppen. Während der Beratungen des Rates und seiner Vorbereitungsorgane besteht der Mehrwert des Generalsekretariats weniger in seinem spezifischen Fachwissen über das jeweilige Dossier – dieses ist in der Kommission und/oder in den Mitgliedstaaten vorhanden –, sondern in seiner Fähigkeit zur Identifizierung, Synthese und Darstellung der Probleme im Verhandlungsprozess in Form von 3

Vgl. Artikel 13 der Geschäftsordnung des Rates – Beschluss des Rates vom 15. September 2006 zur Festlegung seiner Geschäftsordnung, ABl. L 285 vom 16.10.2006, S. 47. Siehe Artikel 23 Absatz 3, erster Unterabsatz der Geschäftsordnung des Rates.

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zusammenfassenden Dokumenten. Eine wichtige Funktion des Sekretariats besteht außerdem darin, über den Tellerrand des jeweiligen Dossiers hinauszuschauen und die weiteren politischen, rechtlichen, verfahrensmäßigen und budgetären Auswirkungen beabsichtigter Beschlüsse des Rates im Auge zu behalten. So muss etwa das Generalsekretariat den Rat zeitgerecht darauf hinweisen, dass das Generalsekretariat ihm neu zugewiesene Aufgaben nur dann erfüllen kann, wenn auch die entsprechenden Budgetmittel und Ressourcen bereitgestellt werden – andernfalls kommt es zu Ungleichgewichten zwischen verschiedenen Tätigkeitsbereichen des Rates. Weiters haben das Generalsekretariat und der Juristische Dienst darauf hinzuweisen, wenn ein beabsichtigter Beschluss des Rates in einer Ratsformation einen Präzedenzfall schaffen würde, der negative Auswirkungen auf die Position des Rates in einem anderen Bereich hätte. Die Erfüllung dieser Funktion erfordert in der Tat den Teamgeist, die Zusammenarbeit und die effiziente interne Kommunikation, die das Leitbild als grundlegende Werte des Generalsekretariats definiert. Die ständig wachsende Komplexität und Vielfalt der Aufgaben des Rates bringt es mit sich, dass das Generalsekretariat zunehmend auch als politischer Berater und rechte Hand des Vorsitzes bei allen seinen Aufgaben fungiert. Die Beratung bezieht sich auf inhaltliche Fragen und mögliche Kompromisslinien ebenso wie auf Strategie und Taktik zur effizienten Gestaltung von Sitzungen oder der Verhandlungen im Allgemeinen. Oft sondiert das Generalsekretariat Probleme einzelner Mitgliedstaaten und erarbeitet in informellen Kontakten mit den betroffenen Delegationen, der Kommission und dem Europäischen Parlament mögliche Lösungsansätze. Diese Nähe zum Vorsitz steht nicht im Widerspruch zum Postulat der Unabhängigkeit des Generalsekretariats. Einerseits ist eine Präsidentschaft nur dann effizient, wenn sie ihre nationalen Interessen für die Dauer des Vorsitzes zurückstellt und als neutraler Makler und Förderer von Kompromissen auftritt. Das Gleiche gilt für das Generalsekretariat in seiner Rolle als rechte Hand der Präsidentschaft sowie insbesondere den Juristischen Dienst des Rates, dessen Glaubwürdigkeit wesentlich von seiner Objektivität und Unparteilichkeit abhängt. Andererseits ist das Generalsekretariat auf längere Sicht nicht in erster Linie dem alle sechs Monate wechselnden Vorsitz loyal, sondern vielmehr dem Rat insgesamt. Es kann und sollte daher darauf hinweisen, wenn eine Initiative des Vorsitzes im Widerspruch zu den Interessen des Rates steht oder zu stark national gefärbt ist. Letztendlich ist aber natürlich der Vorsitz für die in seinem Namen vorgelegten Dokumente verantwortlich und hat daher das letzte Wort über deren Inhalt. Die politische Beratung durch das Sekretariat erstreckt sich auf alle Ebenen des Rates und erfolgt mündlich, und zwar im Rahmen von Briefings für die Prä-

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sidentschaft oder auf informelle Weise, oder schriftlich in Form von Entwürfen für Dokumente und Kompromissvorschläge des Vorsitzes und „speaking notes“ für die Präsidenten des AStV und der verschiedenen Ratsformationen mit Hintergrundinformationen über die Positionen der Delegationen sowie strategisch/taktischen Ratschlägen für die Sitzungsführung und einer Skizze möglicher Ergebnisse. Seine Rolle als rechte Hand der Präsidentschaft bringt es mit sich, dass das Generalsekretariat diese bei der Suche nach Kompromissen unterstützt und als Vermittler im Verhandlungsprozess auftritt. Anders als die Delegierten der Mitgliedstaaten in den Arbeitsgruppen, die in der Regel alle paar Jahre wechseln, betreuen die Beamten des Generalsekretariats einen bestimmten Fachbereich oft über viele Jahre und sind daher fester Bestandteil des Netzwerks der Personen, die in den Mitgliedstaaten und in anderen Institutionen auf diesem Gebiet tätig sind. Die Generalsekretäre sowie die Beamten des Generalsekretariats stehen auf allen Ebenen in ständigem Kontakt mit ihren Kollegen aus der Kommission, um Probleme frühzeitig zu identifizieren und Lösungsansätze auszuarbeiten. Dabei ergänzen sich die Rollen des Ratssekretariats und der Kommission : während die Kommission als Motor der Gemeinschaftspolitik daran interessiert ist, möglichst viel vom Inhalt ihrer Vorschläge zu retten, ist das Hauptanliegen des Generalsekretariats die Suche nach pragmatischen Kompromisslösungen. Auch mit dem Europäischen Parlament unterhält das Ratssekretariat enge Kontakte, vor allem in jenen Bereichen, in denen Rat und Parlament eng zusammenwirken müssen, wie insbesondere im Haushaltsverfahren und im Mitentscheidungsverfahren. In jüngster Zeit ist dem Generalsekretariat mit der Bestellung von Javier Solana zum Generalsekretär und Hohen Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik eine weitere Rolle zugewachsen, die sich von den eben beschriebenen wesentlich unterscheidet, nämlich die eines politischen Sekretariats zur Unterstützung des Hohen Vertreters. Dieser spricht in regelmäßigen Abständen zum Rat für Außenbeziehungen und liefert inhaltlichen Input für dessen Beratungen. Diese aktive Rolle des Hohen Vertreters setzt sich in den Ausschüssen und Arbeitsgruppen fort, die den Rat für Außenbeziehungen vorbereiten. Anders als in den Sitzungen der meisten anderen Ausschüsse und Arbeitsgruppen des Rates, in denen das Generalsekretariat in erster Linie hinter der Kulissen tätig ist und sich nur ausnahmsweise zu Wort meldet, spielen die Mitarbeiter des Generalsekretariats, insbesondere der Solana direkt unterstellten „policy unit“, in den Gruppen im Bereich Außenbeziehungen eine durchaus aktive Rolle. Sie beteiligen sich an der inhaltlichen Diskussion bzw. legen unter der Verantwortung des Hohen Vertreters schriftliche Beiträge vor. Neben der „policy unit“ stehen dem Hohen Vertreter auch ein rund um die Uhr besetztes „situation centre“, persönliche Vertreter für bestimmte Fachbereiche bzw. geographische Re-

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gionen, ein Militärstab sowie die Generaldirektion für Außenbeziehungen zur Seite. In diesem Zusammenhang ist das Generalsekretariat auch mit der Planung und Durchführung von Maßnahmen zur zivilen und militärischen Krisenbewältigung betraut. Die Integration dieser stark wachsenden operationellen Aufgaben in das Sekretariat, dessen Strukturen für die Begleitung eines politischen Meinungsbildungs- und Beschlussfassungsverfahrens konzipiert sind, war und bleibt eine Herausforderung. Da das Generalsekretariat nicht über das nötige spezifische Fachwissen verfügt, greift man in diesem Bereich verstärkt auf nationale Experten mit befristeten Verträgen zurück. Auch die Verfahren zur Finanzierung von Maßnahmen zur Krisenbewältigung sowie zur Beschaffung des nötigen Materials müssen den spezifischen Notwendigkeiten angepasst werden. Ein weiteres umfangreiches Aufgabenfeld des Generalsekretariats liegt in der Anwendung der Bestimmungen über die Transparenz der Arbeiten des Rates, insbesondere über den Zugang zu Ratsdokumenten5. Das Sekretariat betreut das öffentliche und mittels Internet zugängliche elektronische Register der Dokumente des Rates, in dem im Februar 2007 insgesamt rund 862 000 Dokumente mit Bezugsnummer, Gegenstand und/oder kurzer Beschreibung des Inhalts sowie Datum des Eingangs oder der Erstellung verzeichnet waren. Davon waren rund 574 000 Dokumente im Volltext auf der Internet-Seite des Rates (www. consilium.europa.eu) verfügbar. Weiters hat jeder Bürger das Recht, einen Antrag auf Zugang zu nicht öffentlichen Ratsdokumenten zu stellen, über den zunächst das Generalsekretariat entscheidet. Im Falle einer (teilweise) ablehnenden Entscheidung kann der Antragsteller deren Überprüfung durch den Rat verlangen. Diese findet in der Praxis in der Ratsarbeitsgruppe „Information“ statt, in der ein leitender Beamter des Generalsekretariats den Vorsitz führt, und wird ebenfalls durch das Generalsekretariat vorbereitet, das alle nötigen Konsultationen durchführt und der Arbeitsgruppe einen Entscheidungsentwurf vorlegt. Dieses Verfahren gibt dem Generalsekretariat eine beträchtliche Verantwortung, denn in der Praxis wird die größte Zahl der Anträge bereits in der ersten Phase erledigt. Im Jahr 2006 hatte das Sekretariat 2224 Anträge betreffend 11416 Dokumente zu bearbeiten, von denen bereits in der ersten Phase 9466 zur Gänze oder teilweise freigegeben wurden. Hingegen wurden im selben Jahr nur 40 Zweitanträge betreffend 141 Dokumente gestellt, von denen 98 zur Gänze oder teilweise freigegeben wurden. Darüber hinaus beantwortet das Generalsekretariat Fragen von Bürgern zur Tätigkeit des Rates und der Union im Allgemeinen, versorgt die Presse mit Informationen, empfängt Besuchergruppen, gibt Bro5 Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. L 145 vom 31.5.2001, S. 43), sowie Anhang II zur Geschäftsordnung des Rates.

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schüren heraus, gestaltet den Internet-Auftritt des Rates usw. Das Generalsekretariat ist also – neben der jeweiligen Präsidentschaft – das Fenster des Rates zu den Bürgern und gestaltet aktiv dessen Bild in Öffentlichkeit mit. Wie sich aus dem letzten Teil des Leitbildes ergibt, dient schließlich das Generalsekretariat des Rates auch als Sekretariat für Einrichtungen, die zwar aus rechtlicher Sicht nicht Teil des Rates sind, in ihrer Struktur und ihren Verhandlungsmethoden diesem aber stark ähneln und mit dem Rat organisatorisch eng verbunden sind, insbesondere den Europäischen Rat6 und Regierungskonferenzen zur Änderung der Verträge sowie über den Beitritt neuer Mitgliedstaaten.

Der Juristische Dienst des Rates Der Juristische Dienst des Rates ist organisatorisch Bestandteil des Generalsekretariats. Er besteht aus rund 60 Juristen bzw. Beamten der Funktionsgruppe Administration und rund 65 Rechts- und Sprachsachverständigen unter der Leitung eines Generaldirektors, der gleichzeitig Rechtsberater des Rates ist, und gliedert sich nach Fachbereichen in mehrere Teams, die jeweils unter der Leitung eines Direktors stehen. Die Hauptaufgabe des Juristischen Dienstes besteht darin, dem Rat unabhängige Rechtsberatung in allen seinen Tätigkeitsbereichen zu bieten. Unabhängigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, dass dieser Dienst außerhalb der Hierarchie des Generalsekretariats steht; der Generaldirektor des Juristischen Dienstes und seine Mitarbeiter sind Beamte des Generalsekretariats und als solche selbstverständlich an die allgemeinen Weisungen des Generalsekretärs und seines Stellvertreters in Fragen der Organisation des Generalsekretariats gebunden. Die Unabhängigkeit des Juristischen Dienstes besteht vielmehr darin, seine Beratungstätigkeit ohne Einflüsse von außen, ohne Rücksicht auf nationale Interessen und allein im Interesse seines „Klienten“, des Rates, ausüben zu können. Anders als die Gutachten der Rechtsdienste der Regierungen der Mitgliedstaaten, die ausschließlich an die jeweilige Regierung gerichtet sind und selbst bei größtem Bemühen um Objektivität Probleme zwangsläufig durch die nationale Brille betrachten, richten sich die schriftlichen oder mündlichen Stellungnahmen des 6 Gemäß Artikel 4 EU-Vertrag gibt der Europäische Rat "der Union die für ihre Entwicklung erforderlichen Impulse und legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen für die Entwicklung fest." Im Europäischen Rat kommen die Staats- oder Regierungschefs der Mitgliedstaaten sowie der Präsident der Kommission zusammen. Sie werden von den Ministern für auswärtige Angelegenheiten der Mitgliedstaaten und einem Mitglied der Kommission unterstützt. Die Tagungen des Europäischen Rates werden vom Rat "Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen" vor- und nachbereitet.

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Juristischen Dienstes an alle Mitglieder des Rates und sind auf Dauer nur glaubhaft, wenn sie objektiv und frei von jeder nationalen Färbung sind. Mit Blick auf das Interesse des Rates an der Rechtmäßigkeit und Bestandskraft seiner Rechtsakte kann und muss der Juristische Dienst auch dann auf rechtliche Probleme und Risiken eines beabsichtigten Beschlusses des Rates hinweisen, wenn alle Mitglieder des Rates diesen Beschluss unterstützen. Der Juristische Dienst ist damit ein wichtiges Instrument, das den Rat in die Lage versetzt, sich eine Meinung über rechtliche Risiken eines beabsichtigten Beschlusses zu bilden und in voller Kenntnis der Sachlage zu entscheiden. Er folgt dabei fast immer der Meinung des Juristischen Dienstes, der aufgrund seiner Unabhängigkeit und der Qualität seiner Arbeit hoch geschätzt wird. Dazu trägt auch die Tatsache bei, dass die Spitzenbeamten des Juristischen Dienstes fast durchwegs über langjährige Erfahrung im Rat verfügen. So ist der Generaldirektor des Juristischen Dienstes das mit Abstand dienstälteste „Mitglied“ des AStV. Die Unabhängigkeit des Juristischen Dienstes bezieht sich auch auf die Art und Weise seiner Beratungstätigkeit. Der Generaldirektor bzw. die Direktoren des Juristischen Dienstes sind bei den Tagungen des Europäischen Rates und des Rates sowie bei allen Tagungen des AStV und anderer hochrangiger Vorbereitungsgremien des Rates und den vorbereitenden Besprechungen mit dem Vorsitz (Briefings) anwesend. Auf den unteren Ebenen ist jeder Jurist für eine bestimmte Anzahl von Arbeitsgruppen zuständig und besucht deren Sitzungen. So ist es möglich, Rechtsprobleme bereits in einem frühen Stadium der Diskussion zu identifizieren und mögliche Lösungsansätze aufzuzeigen. Die Vertreter des Juristischen Dienstes nehmen entweder auf Ersuchen des Vorsitzes in der Sitzung mündlich zu auftauchenden Rechtsfragen Stellung oder erarbeiten schriftliche Gutachten. Diese müssen im Interesse der Kohärenz der „Doktrin“ des Dienstes jeweils vom verantwortlichen Direktor und dem Generaldirektor genehmigt werden und sind vor allem dann, wenn es um Rechtsfragen von grundlegender Bedeutung für die Praxis des Rates in einem bestimmten Bereich geht, oft das Resultat einer intensiven internen Diskussion, an der alle Direktoren und die zuständigen Sachbearbeiter beteiligt sind. Der Juristische Dienst kann aber auch auf eigene Initiative in einer Sitzung das Wort ergreifen bzw. schriftliche Stellungnahmen abgeben, wenn er der Auffassung ist, dass ein rechtliches Problem in der Diskussion übersehen wird. Dabei bemüht sich der Juristische Dienst, das jeweilige Problem klar zu identifizieren und konstruktive Wege zu einer rechtlich einwandfreien Lösung aufzuzeigen. Die Gutachten und mündlichen Stellungnahmen können sich auf alle Rechtsfragen beziehen, die sich in der Diskussion über einen konkreten Rechtsakt des Rates stellen. Typische Fragen sind etwa die nach der richtigen Rechtsgrundlage für den fraglichen Rechtsakt oder die Frage, ob die Gemeinschaft

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allein für den Abschluss eines Abkommens mit einem Drittstaat oder einer internationalen Organisation zuständig ist oder ob diese Zuständigkeit zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten geteilt ist und daher der Abschluss eines „gemischten Abkommens“ nötig ist. Häufig hat der Juristische Dienst auch zu untersuchen, ob der zur Diskussion stehende Rechtsakt den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts, wie zum Beispiel den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit oder der Gleichbehandlung, entspricht. Weitere wichtige Themen sind Verfahrensfragen, etwa die Frage, ob das Europäische Parlament nach einer substanziellen Änderung des ursprünglichen Kommissionsvorschlags neuerlich konsultiert werden muss, sowie Fragen der Anwendung und Auslegung der Geschäftsordnung des Rates. All diese Fragen können in einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof relevant werden, in dem die Rechtmäßigkeit oder die Gültigkeit eines Rechtsaktes des Rates (oder das Versäumnis des Rates, einen bestimmten Beschluss zu fassen) in Frage gestellt wird, sei es in Form einer Direktklage oder im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Artikel 234 EG-Vertrag. In diesem Fall vertritt der Juristische Dienst den Rat im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof und verteidigt die Rechtmäßigkeit des betreffenden Rechtsaktes. Zu diesem Zweck ernennt der Generaldirektor des Juristischen Dienstes – in Ausübung einer allgemeinen Ermächtigung durch den Rat – in der Regel zwei Mitarbeiter des Juristischen Dienstes als Bevollmächtigte. Diese erarbeiten zunächst einen Entwurf der schriftlichen Stellungnahme des Rates und übermitteln diesen vor der Einreichung beim Gerichtshof den Ständigen Vertretungen zur Einsicht und Stellungnahme. Nach dem Ende des schriftlichen Verfahrens vertreten die Bevollmächtigten den Rat in der mündlichen Verhandlung und antworten auf etwaige Fragen der Richter bzw. Generalanwälte. Schließlich informiert der Juristische Dienst den AStV durch einen schriftlichen Vermerk über das Urteil des Gerichtshofes und gibt – soweit nötig – Empfehlungen für dessen Umsetzung. Neben diesen Kernaufgaben der Rechtsberatung und gerichtlichen Vertretung des Rates hat der Juristische Dienst auch über die redaktionelle Qualität der EU-Gesetzgebung zu wachen, die aufgrund der Tatsache, dass in langen Verhandlungen zahlreiche Beteiligte, die überdies meist nicht in ihrer Muttersprache arbeiten, jeweils ihre Spuren im Text hinterlassen, oft zu wünschen übrig lässt. Nach Artikel 22 der Geschäftsordnung des Rates hat der Juristische Dienst „rechtzeitig die redaktionelle Qualität der Vorschläge und Entwürfe von Rechtsakten zu überprüfen und dem Rat und seinen vorbereitenden Gremien redaktionelle Vorschläge zu unterbreiten.“ Aufbauend auf einer Interinstitutionellen Vereinbarung zwischen Rat, Kommission und Parlament vom 22. Dezember 1998 über gemeinsame Leitlinien für die redaktionelle Qualität der gemein-

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schaftlichen Rechtsvorschriften7 haben überdies die Juristischen Dienste dieser drei Organe gemeinsam einen praktischen Leitfaden für die Abfassung von Rechtstexten herausgebracht. In der Praxis ist es allerdings oft schwierig, die Einhaltung der Leitlinien für die redaktionelle Qualität durchzusetzen. Das gilt insbesondere für die Rechts- und Sprachsachverständigen, deren Rolle es ist, einen Text, über den der Rat bereits politische Übereinstimmung erzielt hat, vor seiner endgültigen Annahme im Rat und seiner nachfolgenden Veröffentlichung im Amtsblatt in allen Sprachfassungen zu revidieren und dafür zu sorgen, dass alle Sprachfassungen inhaltlich übereinstimmen. Da manchmal ein Kompromiss nur zum Preis bewusst mehrdeutiger Formulierungen zustande kommt, ist es schwierig, mühsam verhandelte Kompromissformeln im Nachhinein zu ändern. Die Juristischen Dienste von Rat, Kommission und Parlament spielen weiterhin eine Rolle bei der amtlichen Kodifizierung sowie der Neufassung von Rechtsakten. Diese Instrumente dienen zur Verbesserung der Lesbarkeit geltender Rechtsvorschriften, die durch zahlreiche Änderungen im Laufe der Zeit unübersichtlich geworden sind.8

Zusammenfassung Das Generalsekretariat und der Juristische Dienst des Rates sind unverzichtbare Bestandteile im institutionellen Räderwerk der europäischen Union. Sie sorgen aufgrund ihrer Erfahrung und ihres Überblicks für die Kohärenz und Kontinuität der Tätigkeit des Rates und wirken hinter den Kulissen als unabhängige und allein den Interessen des Rates und der Union insgesamt verpflichtete Berater der politischen Ebene des Rates in einem immer komplexeren politischen und rechtlichen Umfeld.

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ABl. C 73 vom 17.3.1999. In beiden Fällen werden der ursprüngliche Rechtsakt sowie sämtliche Rechtsakte zu dessen Änderung in einem neuen Rechtsakt zusammengefasst, der die bisherigen Rechtsakte ersetzt, ohne diese jedoch inhaltlich zu ändern. Die amtliche Kodifizierung erfolgt gemäß einer Interinstitutionellen Vereinbarung vom 20. Dezember 1994 (ABl. C 102 vom 4.4.1996, S. 2) in einem gesonderten, beschleunigten Gesetzgebungsverfahren. Bei der Neufassung von Rechtsakten werden in einem einzigen Rechtsakt gleichzeitig die Bestimmungen des betreffenden Aktes kodifiziert und gewisse, von der Kodifizierung deutlich abgegrenzte und als solche ausgewiesene inhaltliche Änderungen des bisherigen Rechtsaktes vorgenommen. Die Juristischen Dienste der drei Institutionen wachen darüber, dass eine reine Kodifizierung überhaupt keine inhaltlichen Änderungen mit sich bringt und dass ein Vorschlag zur Neufassung eines Rechtsaktes keine anderen sachlichen Änderungen als die als solche ausgewiesenen enthält. 8

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Jochen Grünhage

Der Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten – ein Blick hinter die Kulissen von Politikberatung in Brüssel

Vorbemerkung Die nachfolgenden Ausführungen stellen keine theorie-wissenschaftliche Abhandlung dar. Sie sollten als Erfahrungsbericht eines Europa-Praktikers gelesen werden, der als deutsches Mitglied im Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV), Teil I in den Jahren 1987 bis 2001 europapolitische Interessen Deutschlands vertreten hat und dreimal – während der sechsmonatigen deutschen Ratspräsidentschaften in den Jahren 1988, 1994 und 1999 den Vorsitz in diesem Gremium übernommen hat. Sie erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit; der vorgegebene Rahmen würde sonst gesprengt. Der Beitrag beleuchtet die Politikberatung in Brüssel vielmehr vor dem Hintergrund meiner Tätigkeit im AStV – auch anhand von Beispielen – um dem Leser einen Einblick in das sonst der Öffentlichkeit entzogene, im institutionellen Gefüge der Europäischen Union so zentrale Gremium zu verschaffen.

Aufgaben und Rolle des AStV Innerhalb der europäischen Institutionen – das sind im Wesentlichen Kommission, Parlament und Ministerrat – ist der AStV dem Rat zugeordnet. Der Prozess der Willensbildung im Zusammenwirken dieser Institutionen ist bekanntlich komplex und nur begrenzt steuerbar, vor allem in einer auf 27 Mitglieder angewachsenen Gemeinschaft teilsouveräner Staaten. Dennoch gelingt es immer wieder, durch geduldiges, oft hartes Verhandeln zu tragfähigen Kompromissen zu gelangen, deren Konturen schon zu Beginn des Gesetzgebungsprozesses in der Regel erkennbar sind, jedenfalls für die an diesem Prozess direkt Beteiligten. Das Problem ist, die Verhandlungsergebnisse der Öffentlichkeit nachvollziehbar verständlich zu machen. Das ist schon deshalb schwierig, weil der Begriff der „Öffentlichkeit“ wenig aussagekräftig ist. In der Regel setzt sich die öffentliche

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Meinung aus sehr unterschiedlichen Positionen zusammen, auf nationaler wie auf europäischer Ebene. Willensbildung und Entscheidungsfindung im AStV unterscheiden sich grundlegend von vergleichbaren Gremien auf der nationalen oder der internationalen Ebene: Im AStV stellen nationale, von ihren Regierungen nach Brüssel abgeordnete Beamte im Rahmen der europäischen Institution Ministerrat Weichen für die europäische Gesetzgebung, gemeinsam mit der Kommission als Gesetzgebungsinitiator und dem Europäischen Parlament als Mitgesetzgeber. Nach dem wenig aussagekräftigen Art. 207 EG-Vertrag hat der Ausschuss, der sich aus den Ständigen Vertretern der Mitgliedstaaten zusammensetzt, die Aufgabe, die Arbeiten des Rates vorzubereiten und die ihm vom Rat übertragenen Aufträge auszuführen. Wegen des allumfassenden Aufgabenbereiches und des außerordentlich hohen Arbeitsanfalls ist der AStV in zwei Bereiche aufgeteilt: ƒ

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Der AStV, Teil II, ist zuständig für Zukunfts- und institutionelle Fragen der EU, für die gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, für die Wirtschafts- und Finanzpolitik einschließlich der Haushaltspolitik, für die Innen- und Justizpolitik, für die Handelspolitik und für Entwicklungszusammenarbeit. Der Arbeitsbereich des AStV, Teil I umfasst die Politiken Binnenmarkt einschließlich Wettbewerbs- und Beihilfenpolitik, Industrie, Forschung, Verkehr, Energie, Telekommunikation, Umwelt, Beschäftigungs- und Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz, Bildung, Jugend, Kultur, Lebensmittelrecht und verwandte Bereiche sowie die Fischereipolitik. So sind z.B. die grenzüberschreitenden Marktöffnungen in den Sektoren Verkehr, Telekommunikation und Energie oder das Studentenaustauschprogramm Erasmus im AStV, Teil I, verhandelt worden. Der AStV-I ist überwiegend mit bürgernahen, innenpolitisch relevanten Themen befasst. Ihn als „technischen Ausschuss“ zu bezeichnen, wäre verfehlt. Die drastische Senkung der Telefontarife als Folge der europäischen Gesetzgebung auf dem Telekommunikationssektor ist nur ein Beispiel dafür, dass die Arbeitsergebnisse des AStV-I weiter reichen als die „Harmonisierung“ von Normen und Standards.

In der praktischen Anwendung des Art. 207 EG-Vertrag stellt sich der AStV-I als primärer Ko-Gesetzgebungsausschuss insbesondere der Aufgabe, Gesetzgebungsvorschläge der Europäischen Kommission soweit wie möglich zur Entscheidungsreife zu bringen. Auf der Ebene des Ministerrates werden in der Regel nur noch die politisch besonders umstrittenen Punkte beraten, über die sich der

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AStV nicht verständigen konnte. Können alle Mitgliedstaaten oder – so die Regel – kann eine qualifizierte Mehrheit ein von der Ratspräsidentschaft vorgelegtes Kompromisspaket akzeptieren und verzichtet die Minderheit auf eine Debatte auf Ratsebene, dann bestätigt der Ministerrat das Ergebnis förmlich durch Annahme einer Sammelliste, auf der die einzelnen Entscheidungspunkte inhaltlich gar nicht mehr dargestellt sind. Das kann dazu führen, dass Minister in den Pressekonferenzen nach Ende der Ratstagung auf entsprechende Fragen von Journalisten bisweilen ihre Mitarbeiter zu Rate ziehen müssen, welchen Inhalt die Sammelliste (sogenannte A-Punkte der Ratstagesordnung) hat, d.h. was der befragte Minister nun gerade mitbeschlossen hat. Den Ministern ist daraus kaum ein Vorwurf zu machen, werden doch sogar Punkte auf die Sammelliste gesetzt, die in die Zuständigkeit anderer Fachminister fallen. Verhandlungsergebnisse des AStV werden dem Ministerrat also nur noch zur förmlichen Zustimmung unterbreitet, ohne Beratung auf der politischen Ebene, sofern im AStV darüber Einverständnis herrscht. Daraus folgt eine große politische und fachliche Verantwortung der Mitglieder des AStV, die auf der Grundlage von Weisungen ihrer Regierungen verhandeln und sich dabei von ihren aus den verschiedenen Ministerien an die Ständigen Vertretungen entsandten Mitarbeitern beraten lassen. Für beide Teile des AStV gilt: Die Ständigen Vertreter sind Nadelöhr und Filter, durch die alle Vorgänge in den Ratsgremien laufen, von unten nach oben und umgekehrt. Wegen des großen Arbeitsanfalls tagt der AStV wöchentlich, Teil I in der Regel zweimal. Beide Teile arbeiten parallel direkt den ihnen zugeordneten Ministerratsformationen zu. Die Verhandlungsführung im AStV muss stets einen strategischen Ausgangspunkt haben: Will sich eine Regierung gegenüber einem Gesetzgebungsvorschlag der Kommission, über den mit Mehrheit zu entscheiden ist, konstruktiv oder abweisend verhalten? Mit anderen Worten: Soll der Ständige Vertreter im AStV so verhandeln, dass er sich an der gestaltenden Mehrheit beteiligt oder sich darum bemühen, eine blockierende Minderheit gegen den Vorschlag der Kommission und gegebenenfalls auch gegen die nachfolgenden Kompromissvorschläge der Ratspräsidentschaft zu organisieren? Die Erfahrung zeigt: Es ist viel schwieriger, eine Ratsentscheidung zu verhindern als sich an einer Mehrheitsentscheidung, die man inhaltlich mitgestaltet, zu beteiligen. So hatte Deutschland im Falle der ersten Tabak-Werbeverbots-Richtlinie zunächst eine solide Sperrminorität aufgebaut. Kurz vor der Behandlung im Rat hatte die Ratspräsidentschaft im Zusammenwirken mit der Kommission Griechenland mit einem Sonderzugeständnis, der Freistellung des Werbeverbots an Kiosken, aus der Sperrminorität „herausgekauft“. Deutschland wurde gemeinsam mit seinen verbliebenen Minderheitspartnern überstimmt, die Richtlinie mit Mehrheit vom

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Rat beschlossen. Später klagte Deutschland erfolgreich gegen diese Entscheidung. Mit einem erfolgreichen Gang zum EuGH können überstimmte Mitgliedstaaten in der Regel aber nicht rechnen. Die Bereitschaft, sich an der Kompromissfindung zu einem Gesetzgebungsvorschlag zu beteiligen, setzt voraus, bestimmte eigene Interessen zurückzustellen, um dafür andere Interessen durchsetzen zu können. An dieser Grundsatzbereitschaft fehlt es in Deutschland eher als in anderen Mitgliedstaaten. Der Grund: Der deutschen Europapolitik fehlt es bisweilen an einer klaren Definition eigener strategischer Interessen. Sicher ist zwar: je größer der Mitgliedstaat, um so größer das Interesse, das nationale System zu bewahren. Da aber auf Grund der Mehrheitsregeln im Rat der Vorsitz nur denen seine Aufmerksamkeit widmet, die bereit sind, einen Kompromisstext mitzugestalten, besteht das Risiko, ohne Einflussnahme auf das Ergebnis überstimmt zu werden. Weisungen, die ich als deutscher AStV-Vertreter bisweilen erhalten habe und die etwa lauteten: „Vorschlag der Kommission ist abzulehnen, da er nicht dem geltendem deutschen Recht entspricht“ hatten keine Chance im AStV. Es ist schließlich Tagesgeschäft der europäischen Institutionen, Anpassungen im nationalen Recht der Mitgliedstaaten anzustoßen! Klüger ist eine Weisung, die einen Vorschlag nicht à priori ablehnt, sondern argumentativ untermauerte Alternativen aufzeigt, die auch die Interessen der Mehrheit mit berücksichtigen – vor allem natürlich die eigenen. Ein grundsätzliches Problem der deutschen Weisungskoordinierung ist die Schwerfälligkeit, die oft zu verspäteten Interventionen im AStV führt, sowie die häufig zu beobachtende Rigidität der deutschen Position, die kaum Verhandlungsspielräume eröffnet. Auf einem Seminar der ENA in Paris ist mir von französischen Beamten mit Brüsseler Verhandlungspraxis einst vorgehalten worden, in den Ratsarbeitsgruppen und im AStV warteten alle übrigen Delegationen regelmäßig auf die Darlegung der deutschen Position. Sei diese im fortgeschrittenen Verhandlungsstadium endlich festgelegt, so sei sie tatsächlich „festgelegt“, an ihr sei kaum noch zu rütteln. Ich habe darauf erwidert, eine zu frühe Positionierung könne den eigenen Interessen zuwider laufen. Die Festlegung einer fundierten Stellungnahme bedürfe gerade in einem großen Mitgliedsland, das bundesstaatlich organisiert ist, sorgfältiger Abwägung; Deutschland habe sich noch immer rechtzeitig vor der entscheidenden Verhandlungsphase mit guten Argumenten zu Wort gemeldet. Dem Verhandlungsergebnis habe das keineswegs geschadet, auch nicht den deutschen Interessen. Die französischen Teilnehmer überzeugte das kaum. Frankreich stellt zu Verhandlungsbeginn in der Regel zunächst Fragen, legt seine Position im Verhandlungsverlauf schrittweise dar und passt sie der sich heraus-

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bildenden Mehrheitsentscheidung nach Möglichkeit an. Nur selten lässt sich Frankreich überstimmen.

Beratungsaufgaben und Verantwortung des Ständigen Vertreters Der Ständige Vertreter im AStV, Teil II und sein Stellvertreter im Teil I sind die Chefverhandler ihrer Regierungen auf der Ebene direkt unterhalb des Ministerrats in seinen verschiedenen Formationen. Außerdem beraten die Mitglieder des AStV ihre Minister bzw. Staatssekretäre vor und während der Ratstagungen. Bei deren Abwesenheit übernehmen sie die Delegationsleitung für ihre Regierung. Darüber hinaus vertreten die Mitglieder des AStV ihre Regierungen im Vermittlungsausschuss nach Art. 251 EG-V, suchen also in der letzten Stufe des Gesetzgebungsprozesses gemeinsam mit den Abgeordneten des Europäischen Parlaments nach einem politischen Gesamtkompromiss zwischen Europäischem Parlament und Rat. In der Anfangsphase des Vermittlungsverfahrens beschwerten sich einzelne Parlamentarier darüber, dass ihnen keine Regierungsmitglieder, d.h. Minister oder Staatssekretäre gegenüber saßen. Inzwischen hat sich das Verfahren längst eingespielt. Dem Parlament ist bewusst, dass die AStV-Mitglieder für ihre Regierungen politisch verantwortlich zu handeln vermögen. Auch in den AStV-internen Beratungen können die Mitglieder des Ausschusses der Ständigen Vertreter ihren Aufgaben und ihrer Verantwortung im interaktiven Zusammenspiel der europäischen Institutionen nur gerecht werden, wenn sie sich nicht auf die Rolle des bloßen Übermittlers von Regierungsweisungen beschränken. Von ihnen wird gefordert, dass sie ihre Regierungen beraten und so Einfluss auf Weisungen und Verhandlungen auf allen Ebenen des Ministerrats nehmen. AStV-Mitglieder blicken auf ihre Hauptstadt und auf die Brüsseler Ebene zugleich. Sie müssen alle Informationen und Positionen berücksichtigen und verarbeiten, um bestmögliche Verhandlungsergebnisse für ihre Regierungen zu erzielen, also Verantwortungsbereitschaft auch für Kompromisslösungen zeigen, die den Weisungsgebern nicht immer genehm sind. Ein Stück Unbequemsein für die eigene Regierung und ein Stück selbst erarbeiteter Unabhängigkeit gegenüber einzelnen Regierungsstellen gehören zur Durchsetzungsstärke eines Ständigen Vertreters / Stellvertreters in den europäischen Institutionen. Dazu ein Beispiel aus der Praxis: Nach Einführung des Mitentscheidungsverfahrens im Zuge des Maastrichter Unionsvertrages von 1992 kam es im AStV-I schon bald zu den ersten Kraftproben mit dem Europäischen Parlament über einzelne Gesetzgebungsakte. In dem hier dargestellten Fall ging es um eine Verbraucherschutz-Richtlinie zum sogenannten Fernabsatz, die vor allem Haustürgeschäfte betraf. Das Parlament be-

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stand – im Widerspruch zur Ratsposition – auf der Einführung der Verbandsklage durch einen in die Richtlinie einzufügenden Artikel und verband das mit der Forderung einer Ausdehnung auch auf andere Verbraucherschutz-Richtlinien. Die Kommission war damit einverstanden, die meisten Regierungen letztlich auch, bis auf die Bundesregierung. Diese hätte im Rat überstimmt werden können. Das federführende Bundesministerium wollte das aber vermeiden. Es fürchtete eine Präzedenzwirkung auf die nationale Gesetzgebung in anderen Bereichen, insbesondere beim Umweltschutz. Die in diesem Ministerium Verantwortlichen fürchteten eine Klageflut von Verbraucherverbänden und Bürgerinitiativen, wenn sich die damalige Opposition im Deutschen Bundestag unter Berufung auf die Einführung der Verbandsklage auf der europäischen Ebene mit ihrer Forderung durchsetzen sollte, das Institut der Verbandsklage in Deutschland gesetzlich auf breiter Basis einzuführen. An der starren Haltung der Bundesregierung, deren weisungsgebende Koordinierungsinstanzen hier versagten, drohte die Richtlinie zu scheitern, weil sich im AStV zunächst Bereitschaft zeigte, die Position der Bundesregierung gegenüber dem Parlament aus Gründen der „Ratssolidarität“ unnachgiebig zu vertreten. AStV-Vorsitz und die übrigen Mitglieder bedrängten mich als deutschen Vertreter in der Schlussphase der Verhandlungen dann aber doch, einzulenken, um die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament nicht zu blockieren. Das war wegen der ablehnenden schriftlichen Weisung der Koordinierungsstelle der Bundesregierung nicht möglich. Eine Nachfrage ergab, dass der Parlamentarische Staatssekretär des federführenden Ministeriums spiritus rector der Weisung war. Es blieb mir nichts übrig, als dieses Mitglied der Bundesregierung anzurufen und ihm die Lage zu schildern. Das Gespräch nahm – im Folgenden verkürzt und vereinfacht – folgenden Verlauf, wobei mit B der Staatssekretär bezeichnet wird: A: Wenn die Bundesregierung gegenüber dem EP nicht einlenkt, scheitert die Richtlinie. Alle übrigen Mitgliedstaaten können der EP-Forderung im Wege eines Gesamtkompromisses nachgeben, sind aber bereit, Deutschland nicht zu überstimmen, wenn die Bundesregierung auf Ratssolidarität gegenüber dem EP besteht. B: Dann erteile ich Ihnen hiermit die Weisung, auf Ratssolidarität zu bestehen. A: In diesem Falle muss der Bundeskanzler unterrichtet werden. Er hat im Vertrag von Maastricht das Mitentscheidungsverfahren des Europäischen Parlaments selbst durchgesetzt, um der Europäischen Union mehr demokratische Legitimation zu verschaffen. Wenn Deutschland jetzt beim ersten Konfliktfall auf Ratsso-

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lidarität, d.h. auf eine die Parlamentsforderung ablehnende Einstimmigkeit im Rat besteht, blockiert es damit das im Vertrag festgelegte Verfahren der qualifizierten Mehrheitsentscheidung. Das Mitentscheidungsverfahren wäre im vorliegenden Falle ausgehebelt. Andere Mitgliedstaaten könnten sich im Bedarfsfall später auf die deutsche Position berufen. Die Bundesregierung würde also im Ergebnis das von ihr selbst durchgesetzte Recht des Parlaments negieren, gleichberechtigt an der europäischen Gesetzgebung mitzuwirken. B: Ihrer politischen Beratung folgend, verhandeln Sie so, dass das Mitentscheidungsverfahren nicht beschädigt wird. In der anschließenden AStV-Sitzung habe ich dem Gesamtkompromiss des Vorsitzes nicht mehr widersprochen und in meinem Bericht an die Bundesregierung lediglich erwähnt, dass der zuständige Parlamentarische Staatssekretär für das Einlenken der Bundesregierung persönlich grünes Licht gegeben hatte, damit die zentrale Koordinierungsstelle der Bundesregierung nicht den Vorwurf erheben konnte, der deutsche Sprecher habe seine Weisung missachtet. Es ist dem Staatssekretär hoch anzurechnen, dass er – wenn auch erst nach entsprechenden Hinweisen – das Gemeinschaftsinteresse an der Funktionsfähigkeit des von Deutschland gewollten Mitentscheidungsverfahrens höher gestellt hat als das Eigeninteresse seiner Partei, des damaligen (kleineren) Koalitionspartners FDP. Das auch für die Bundesregierung wichtige Gemeinschaftsinteresse an der Funktionsfähigkeit des interinstitutionellen Zusammenspiels – das sollte dieses Beispiel zeigen – hätte ernsten Schaden genommen, hätte Deutschland die Verabschiedung der Richtlinie verhindert. Im selben Zusammenhang wurde einige Monate später im AStV-I eine Telekommunikations-Richtlinie beraten, die zur europaweiten Öffnung der Festnetze und damit zu grenzüberschreitendem Wettbewerb der Diensteanbieter beitragen sollte. Der Vertreter Frankreichs im AStV hatte gerade gewechselt. Mein neuer französischer Kollege bestand während der Beratungen im AStV auf Ratssolidarität gegenüber dem Europäischen Parlament, das eine Begrenzung der sogenannten Gemeinwohlverpflichtungen als Voraussetzung für eine Einigung mit dem Ministerrat forderte, die die Mehrheit der Regierungen unterstützte, Frankreich aber strikt ablehnte. Nach der entscheidenden Sitzung nahm ich meinen französischen Kollegen zur Seite und erläuterte ihm die Vorgeschichte, d.h. den Streit um die Fernabsatz-Richtlinie. Ich erklärte ihm, dass Deutschland einen für das Funktionieren des Mitentscheidungsverfahrens bei der europäischen Gesetzgebung positiven Präzedenzfall geschaffen habe. Es habe letztendlich die übrigen Mitgliedstaaten aus der Ratssolidarität entlassen, um die gemeinsame Gesetzgebung mit dem Europäischen Parlament nicht zu beschädigen. Daraufhin

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fragte Frankreichs Vertreter in Paris nach und erklärte in der folgenden Sitzung des AStV, auch Frankreich gebe den Weg frei für eine Gesamteinigung mit dem Europäischen Parlament.

Generalisten und Spezialisten Die Mitglieder des AStV-I müssen Generalisten und Spezialisten zugleich sein. Ohne die Kenntnis der sektorübergreifenden allgemeinen Verhaltensregeln und ungeschriebenen Gesetze in den Ratsgremien und ohne Detailkenntnis der Kernpunkte eines Verhandlungstextes fehlt ihnen Überzeugungs- und Durchsetzungskraft. Zur Illustration mag das folgende Beispiel aus den neunziger Jahren dienen: Wieder ging es im AStV und im Rat um eine Richtlinie aus dem Bereich der Telekommunikation. Im AStV war die Richtlinie „ausverhandelt“, auf der Ministerratstagung sollte der Gesamtkompromiss nur noch politisch gewürdigt und förmlich beschlossen werden. Ich selbst hatte auf der Basis detaillierter Weisungen an dem technisch komplizierten Gesetzestext mitgewirkt und ihm zugestimmt. In der Richtlinie gab es aber einen, erst nach den abschließenden Beratungen im AStV in der Bundesregierung als politisch eingestuften Punkt: Die Erhebung von Gebühren für die Erteilung von Mobilfunklizenzen der ersten Generation. Die im Rat zu verabschiedende Richtlinie sah vor, dass die Mitgliedstaaten nur Verwaltungsgebühren in Höhe der ihnen durch die Lizenzerteilung entstehenden Kosten erheben durften. Infolge fehlender Kommunikation unter den Bonner Ministerien war der Bundesminister der Finanzen davon ausgegangen, dass aus der Lizenzerteilung höhere Einnahmen für den Bundeshaushalt zu erzielen seien, als nach der Richtlinie zugelassen. Er hatte einen hohen Betrag in seine Haushaltsplanung eingesetzt, der, wenn er nicht als Einnahme verbucht werden konnte, nicht durch andere Erträge ausgeglichen werden konnte. Der zuständige Fachminister erhielt deshalb den Verhandlungsauftrag, den dem Rat zur Entscheidung vorliegenden Richtlinientext „nachzubessern“. Vor Beginn der Ratstagung teilte der Minister mir überraschend mit, dass er dem Kompromiss nicht zustimmen könne und fragte, wie er eine Entscheidung verhindern und eine Vertagung zwecks Eröffnung von Nachverhandlungen erreichen könne. Ich warnte den Minister vor einer solchen Vorgehensweise. Er würde damit die ungeschriebenen Regeln der vertrauensvollen Zusammenarbeit im Ministerrat verletzen und gegenüber seinen Ministerkollegen aus den übrigen Mitgliedstaaten und gegenüber dem Kommissar in eine schwierige Situation geraten. Doch wies ich den Minister auf die Geschäftsordnung des Rates hin, wonach zur Verabschiedung anstehende Gesetzestexte dem Rat in allen Sprachen der Ge-

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meinschaft innerhalb einer bestimmten Frist vor der Ratstagung vorgelegt werden müssen. Diese Frist sei im vorliegenden Falle nicht eingehalten worden. Der offizielle deutsche Text sei erst am Vorabend der Ratstagung vom Generalsekretariat des Rates der Ständigen Vertretung übermittelt worden. Ich musste aber hinzufügen, dass die Nichteinhaltung der Übermittlungsfrist gängige Praxis des Ratssekretariats sei, die bisher von niemand beanstandet worden war. Die Texte seien den Regierungen in deren Sprachen schon längst bekannt, nur nicht mit der Überschrift „Ratsdokument“ und ohne eine entsprechende Dokumentennummer. Bei formaler Betrachtung und unter Zitieren des entsprechenden Artikels der Geschäftsordnung des Rates könne der Minister zwar die Absetzung dieses Punktes von der Tagesordnung verlangen. In meiner Eigenschaft als Mitglied des AStV und Berater des Ministers empfahl ich aber dringend, von der entsprechenden Verfahrensvorschrift keinen Gebrauch zu machen. Der Minister schwieg zunächst. Nach Betreten des Ratsgebäudes – die Unterredung erfolgte auf dem Weg vom Flughafen zur Sitzung – seufzte der Minister im Fahrstuhl und zitierte mit einem Anflug von Galgenhumor den Titel des französischen Filmklassikers „Fahrstuhl zu Schafott“. Mir war klar, dass der Minister letztlich einlenken würde. Zum Glück blieb dem hochgeschätzten Bundesminister die Bonner politische Guillotine erspart, nachdem er in der Ratstagung zwar zunächst den Vertagungsantrag gestellt, von seinen Kollegen heftige Kritik geerntet und daraufhin der Verabschiedung der Richtlinie nicht mehr widersprochen hatte. Der Bericht der Ständigen Vertretung über diese Ratstagung wies aus, dass das deutsche Regierungsmitglied mit seinem Vertagungsantrag auf massive, begründete Kritik aller übrigen Ratsmitglieder gestoßen sei und deshalb, um Schaden am Ansehen Deutschlands abzuwenden, der Entscheidung nicht mehr widersprechen konnte.1 Ein weiteres Beispiel für die Verantwortung des Ständigen Vertreters und seine Pflicht zur Beratung stammt aus der Zeit nach dem Regierungswechsel im Jahre 1998. Im AStV-I war die sogenannte Altauto-Richtlinie abschließend beraten worden. Ein Gesamtkompromiss, einschließlich bestimmter Übergangszeiten für die kostenlose Rücknahme von Altautos durch die Hersteller, war einvernehmlich erzielt worden. Die neue Bundesregierung forderte – allerdings gegen die Position des zuständigen Ministers Jürgen Trittin (Grüne) – eine Verlängerung der Übergangsfristen. Mit Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft im 1 Tatsächlich hat die seinerzeit neue polnische Regierung im Zusammenhang mit einer Richtlinie zu Computer Implementierten Erfindungen im Jahr 2005 denselben Versuch gewagt und einen im AStV mit billigenden Ministerweisungen beschlossenen Text vom (zwischenzeitlich gewechselten) Minister nicht bestätigen wollen. Auch dieser Versuch scheiterte am empörten Druck der anderen Mitgliedstaaten, die die Verlässlichkeit getroffener Entscheidungen einforderten. Allerdings scheiterte am Ende die Richtlinie im Europäischen Parlament.

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ersten Halbjahr 1999 befand ich mich als neuer Vorsitzender des AStV-I in einer schwierigen Situation. Mehrere Mitgliedstaaten und die Kommission ließen – der Geschäftordnung des Rates entsprechend – die Altauto-Richtlinie zum Zwecke der Verabschiedung auf die Tagesordnung der März-Tagung des Umweltministerrates setzen. Der Ablauf im Rat war vorhersehbar: Wenn der deutsche Ratspräsident seinen Kollegen beim Aufrufen der Altauto-Richtlinie mitteilen würde, er beabsichtige, die Abstimmung auf die Juni-Tagung zu verschieben, um noch weitere Gespräche mit den deutschen Produzenten zu führen, würden einzelne Ratsmitglieder und die Kommission den Antrag auf Abstimmung über die Richtlinie stellen. Dafür ist nur die einfache Mehrheit der Ratsmitglieder erforderlich, an deren Erreichen kein Zweifel bestand. Es galt also, schon im Vorfeld der Ratstagung, die „Abstimmung über die Abstimmung“ zu vermeiden. Als AStV-Vorsitzender rief ich deshalb eine Woche vor der März-Tagung des Rates meine Kollegen im engsten Rahmen, d.h. ohne Mitarbeiter und Dolmetscher zusammen und appellierte an sie ganz persönlich und unter Kollegen, auf ihre Minister bzw. ihre Kommissarin dahin einzuwirken, dass sie keinen Antrag auf Abstimmung stellen, sondern dem Vorschlag des Ratspräsidenten folgen, die Abstimmung auf die Juni-Tagung zu verschieben. In der Tat erklärten sich alle Minister und die Kommissarin während des Arbeitsessens in der Mittagspause des Rates bereit, am Nachmittag keinen Antrag auf Abstimmung über die Altauto-Richtlinie zu stellen. Darüber war der Ratspräsident Trittin, der innerhalb des Bundeskabinetts seine eigene Politik verfolgte, überrascht. Er hatte fest damit gerechnet und hätte dann im Kabinett berichten können, er sei zur Abstimmung gezwungen worden. Um das Blatt noch zugunsten einer Abstimmung zu wenden, machte er seine Ratskollegen darauf aufmerksam, welches Risiko sie eingingen, wenn auf dieser Ratstagung keine Entscheidung fallen würde: Die Automobilindustrie in den Produzentenländern würde erheblichen Druck auf eine Aufweichung der Richtlinie zu ihrem Gunsten und zu Lasten der Umwelt ausüben. Seine Warnhinweise gipfelten in der Frage: „Liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen Sie das wirklich?“ Darauf erfolgte die erwartete Reaktion der Minister und der Kommissarin, dass sie nun am Nachmittag auf einer Abstimmung über die Richtlinie bestehen müssten. An dieser Stelle der erhitzt geführten Debatte musste ich, als Vertreter der gesamten Bundesregierung, dem deutschen Minister zuflüstern, dass er unverzüglich die Leitung des Bundeskanzleramts über die Entwicklung unterrichten müsse. Um das zu vermeiden, empfahl ich dem Minister eine Kehrtwendung und ein Plädoyer für Vertagung. Der Minister folgte dieser Empfehlung, zog sich aber heftige Kritik der Teilnehmer am Mittagessen wegen dieses Zick-ZackKurses zu. Besonders die bitteren Worte der Kommissarin sind mir in Erinnerung geblieben. Auf der Juni-Tagung wurde die Richtlinie dann mit verlängerten

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Übergangszeiten vom Rat beschlossen. Zum Ansehen der damaligen deutschen Ratspräsidentschaft hat diese Episode nicht beigetragen. Sie hat aber dazu geführt, dass die Abstimmungsprozesse innerhalb der Bundesregierung vom Bundeskanzleramt strenger kontrolliert werden. Als Fazit ist festzuhalten, dass der Ständige Vertreter mehrere Rollen wahrzunehmen hat. Seine Bemühungen zur Durchsetzung wohlverstandner nationaler Interessen, die auch das Gemeinschaftsinteresse umfassen, stützen sich insbesondere auf ƒ

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Absolute, aber auch kritische Loyalität gegenüber der eigenen Regierung, die die Pflicht zur Darlegung eigener, von der Regierung abweichender Überzeugungen einschließt. Dabei bleibt die Letztentscheidung stets bei der Regierung. Kompetenz in der Sache, auch im Detail. Dabei muss er ein breites Themenspektrum abdecken. Ein gewisses Verständnis und den notwendigen Respekt für die Positionen anderer Mitgliedstaaten, um dem Ziel eines Kompromisses näher zu kommen. Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit gegenüber der eigenen Regierung und den Partnern auf der europäischen Ebene. Durchsetzungswille durch Argumentation, notfalls auch durch Konfrontation. Die Fähigkeit zum Zuhören und die Selbstdisziplin zur inhaltlichen und zeitlichen Konzentration der eigenen Rede, um die Aufmerksamkeit der Verhandlungspartner zu gewinnen und zu erhalten.

Aktive und passive Politikberatung Die Ständigen Vertreter sind in erster Linie zentrale Interessenvertreter der Mitgliedstaaten gegenüber den Europäischen Institutionen vor Ort. Als Teil der Institution Ministerrat sind sie zugleich verantwortliche Beteiligte am Gesetzgebungsprozess. Das unterscheidet sie grundlegend von der Politikberatung durch Außenstehende. Aktive Politikberatung betreibt nicht nur der Ständige Vertreter als Individuum, auch der Ausschuss berät das ihm politisch vorgesetzte Gremium des Ministerrates. Diese Beratung findet in Form von Empfehlungen und Vorschlägen statt, die die einzelnen Ausschussmitglieder ihren Ministerien gegenüber individuell begründen. Ein wichtiger Beratungspunkt betrifft hin und wieder das Mitentscheidungsverfahren zwischen Rat und Parlament. So ist es mehrfach

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vorgekommen, dass ein Minister vor einer entscheidenden Trilog- oder Vermittlungsausschusssitzung mit dem EP eine Entscheidung auf Ministerratsebene forderte, wie der AStV gegenüber dem EP zu verhandeln habe.2 Der diesem Minister zugeordnete Ständige Vertreter kann seinem Minister zwar davon abraten. Größeres Gewicht hat er aber, wenn der Ausschuss in seiner Gesamtheit von einer Befassung auf Ministerebene mit der Begründung abrät, den Verhandlungen mit dem EP könne nicht vorgegriffen werden. In solchen Fällen stimmt sich der AStV dahin ab, dass jedes Mitglied seinen Minister entsprechend unterrichtet und der Vorsitzende des AStV als Berater des Ratspräsidenten diesem vorschlägt, das Begehren einzelner Ministerkollegen abzulehnen. Der AStV kann auch Adressat von Interessenvertretung werden. Dazu ist mir besonders folgendes Beispiel in Erinnerung geblieben: In der Mitte der neunziger Jahre hatte die Kommission eine Richtlinie zum Schutz gegen Lärmemissionen von Flugzeugen vorgeschlagen. Grund waren die Beschwerden von Anwohnern europäischer Flughäfen, die sich insbesondere in ihrer Nachtruhe gestört sahen. Der Richtlinienvorschlag legte Grenzwerte für den Lärmpegel für europäische Flughäfen anfliegende und von dort startende Verkehrs- und insbesondere Frachtmaschinen fest. Zunächst schien es, dass der Vorschlag im AStV keine größeren Hürden nehmen musste. Nach einigen Beratungsrunden auf Arbeitsgruppenebene und im AStV wandelte sich jedoch die zunächst positive Entwicklung. Einzelne Ständige Vertreter, insbesondere die Vertreter Großbritanniens und Frankreichs, machten auf zu erwartende transatlantische Probleme aufmerksam. Damals war noch die „Concorde“ im Einsatz. Die USA hatten Großbritannien und Frankreich gedroht, das lärmintensive Überschall-Verkehrsflugzeug mit einem Landeverbot auf US-amerikanischen Flughäfen zu belegen, sollte die Richtlinie mit dem vorgeschlagenen Inhalt verabschiedet werden. Außerdem veranstaltete die US-Administration ein umfangreiches Lobbying bei den europäischen Institutionen und in allen Mitgliedstaaten. Grund für die massive Intervention der US-Administration waren Beschwerden der USLuftfahrtindustrie. Die amerikanischen Luftfahrtgesellschaften hatten ihre älteren, lärmintensiveren Flugzeuge mit sogenannten hush-kits nachgerüstet. Das sind schalldämpfende Aufsätze, die an den Triebwerken angebracht werden. Deren Geräuschpegel lag aber noch immer erheblich über den Grenzwerten des Richtlinienentwurfes. Diese Grenzwerte erfüllten nur moderne Triebwerke, die 2 Im Vermittlungsausschuss treffen sich Rat und EP, wenn auch nach der Zweiten Lesung keine Einigung erzielt werden konnte. Die Kommission wohnt den Sitzungen als Mediator bei. Da diese Sitzungen bei 27 Mitgliedstaaten zu personenreich für praktische Verhandlungen sind, werden zuvor sogenannte Triloge einberufen, an denen nur ausgewählte Vertreter (z.B. EP-Berichterstatter, Ratspräsidentschaft, Kommissar) teilnehmen.

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im Gegensatz zu den älteren Modellen eine kurze, gedrungene, lärmmindernde Form haben. Für die umfangreiche, mit hush-kits ausgerüstete Flotte von älteren Flugzeugen amerikanischer Herkunft wäre das Landeverbot auf europäischen Flughäfen mit erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen verbunden gewesen. Amerikanische Fluggesellschaften hätten diese Flugzeuge nicht nur aus dem Verkehr mit Europa ziehen müssen. Sie hätten sie außerdem nur mit erheblichen Preisabschlägen an dritte Länder verkaufen können. In einer bereits fortgeschrittenen Verhandlungsphase im AStV intervenierte die US-Mission beim Vorsitzenden des AStV-I und schlug ein Gespräch des AStV mit hochrangigen Vertretern aus Washington vor. In der darauffolgenden Sitzung des AStV, in dem der Vorsitzende über den Gesprächswunsch der US-Mission berichtete, entwickelte sich eine heftige Diskussion über die Frage, ob der AStV als solcher überhaupt Außenkontakte haben dürfe oder sollte. Einige AStV-Mitglieder hielten es für klüger, wenn sie nur individuell angesprochen würden, andere meinten, man befinde sich in einer stärkeren Position, wenn man den Abgesandten aus Washington geschlossen gegenüber trete. Da der Vorsitzende diese Verfahrensfrage klugerweise nur im Konsens klären wollte, kam es zu keinem Ergebnis. Als Zwischenlösung stellte der Vorsitzende es seinen Kollegen frei, an einem rein informellen Gespräch mit den Amerikanern teilzunehmen, das man nicht ausschlagen solle. Voraussetzung für diese Begegnung sei aber, dass die Teilnehmer nur Erläuterungen der USSeite entgegennehmen und gegebenenfalls Verständnisfragen stellen würden. Jede Meinungsäußerung der teilnehmenden AStV-Mitglieder sei zu unterlassen. Der AStV-Vorsitzende wolle sich auf den Hinweis beschränken, dass das Gespräch mit Außenstehenden ausschließlich informativen Charakter habe. Die Meinungsbildung im AStV sei eine interne Angelegenheit, die sich aufgrund von Weisungen aus den Hauptstädten entwickele. Der US – AStV-I – Dialog zum Thema hush-kits fand in einem fensterlosen, abgeschirmten Raum in der Brüsseler US-Mission3 statt. Zunächst versuchte ein amerikanischer Experte, mit Diagrammen und anderen visuellen Hilfsmitteln sehr technisch und sehr detailliert darzulegen, dass mit hush-kits nachgerüstete ältere Triebwerke ebenso umweltfreundlich und lärmarm wie moderne Triebwerke seien. Das ergebe sich aus den amerikanischen Messwerten. Die von der europäischen Kommission angewandte Messmethode, die bei Triebwerken mit hush-kits zu erheblich höheren Lärmwerten führe, sei nicht korrekt und könne deshalb nicht anerkannt werden. Anschließend wies der US-Delegationsleiter auf die Folgen für die amerikanische Wirtschaft hin, sollte die Richtlinie in der vor3

Vertretung der USA bei der EU

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liegenden Form beschlossen werden. Die anwesenden Mitglieder des AStV nahmen dies zur Kenntnis und behielten sich ihre Position in vollem Umfang vor. Im Verlauf der nachfolgenden internen Beratungen im AStV setzten sich die US-Behörden im Ergebnis mit ihrer Forderung durch; der Druck, vor allem auf Frankreich und Großbritannien war zu stark. Dieser Druck wurde bilateral in den Hauptstädten ausgeübt. Der AStV und seine Mitglieder waren also nicht unmittelbar Adressat der amerikanischen Forderungen. Das Gespräch mit den AStV-Mitgliedern hatte jedoch aus amerikanischer Sicht das Ziel, bei den Beteiligten durch technische Erläuterungen Verständnis für die US-Position zu wecken. Die US-Seite erwartete wohl, dass sich die bei dem Gespräch Anwesenden gegenüber ihren Weisungsgebern für flexiblere Instruktionen einsetzen würden. Nach Kenntnis des Verfassers ist dies nicht gelungen. In den auf die Begegnung mit den US-Vertretern nachfolgenden internen Beratungen des AStV argumentierte kein Beteiligter, die Argumente der US-Seite hätten ihn überzeugt. In der Regel jedoch findet Interessenvertretung, gekleidet in die Form der Politikberatung durch Darlegung von technischen, ökonomischen oder politischen Argumenten und deren Verknüpfung zu zielführenden Zusammenhängen gegenüber den einzelnen Mitgliedern des AStV, nicht gegenüber dem AStV als Kollegium statt. Grundsätzlich wenden sich die Politikberater an die AStV-Mitglieder ihres Mitgliedstaates. Ich selbst bin z.B. von dem Interessenvertreter eines großen französischen Reifenherstellers aufgesucht worden, wenn es um europäische Gesetzgebung ging, die sein Unternehmen betraf. Mir waren diese Kontakte nützlich, weil sie meine allgemein gehaltenen Weisungen mit konkreten Fragestellungen füllten, denen ich gegenüber meinen eigenen Behörden dann – kundiger gemacht – auch im Interesse konkurrierender deutscher Unternehmen – nachgehen konnte. Ein guter regelmäßiger Kontakt mit einem deutschen Interessenvertreter ergab sich für mich z.B. im Zusammenhang mit der sogenannten FolgerechtsRichtlinie. Diese Gesetzgebung aus den neunziger Jahren sah vor, dass alle Künstler an ihren Werken im Falle des Weiterverkaufes am Erlös beteiligt werden, soweit er den Kaufpreis, den der Künstler beim Erstverkauf erzielt hatte, übersteigt. Großbritannien lehnte den Vorschlag der Kommission vehement ab. Im Gegensatz zu anderen Mitgliedstaaten wie Deutschland kannte Großbritannien kein nationales Folgerecht. Ein Großteil von Werken der bildenden Kunst wurde wegen der geringeren Versteigerungskosten von den Eigentümern zur Auktion nach London verbracht, zum Nachteil auch deutscher Auktionshäuser. Der Inhaber eines deutschen Auktionshauses erläuterte mir Hintergründe, Zusammenhänge und Wettbewerbspraktiken auf den europäischen Kunstmärk-

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ten. Ich konnte mit Hilfe dieser Informationen meine Weisungen argumentativ anreichern und die Behauptungen des britischen Kollegen, der wie stets auf die Beratungen im AStV ausgezeichnet vorbereitet war, mit auf Fakten und Zahlen gestützten Gegenargumenten widerlegen. Andere Mitglieder des AStV griffen die deutsche Argumentation auf und brachten Großbritannien gemeinsam mit Deutschland in eine klare Minderheitsposition. Da der Richtlinienvorschlag von britischer Seite als hochpolitisch eingestuft war, wurde er beim Arbeitsessen der Binnenmarkt-Minister im engsten Kreise diskutiert. Nach diesen Beratungen und vor Wiederaufnahme der Nachmittagstagung des Ministerrates erfuhr ich, dass die britische Ministerin unverhohlen mit dem „vitalen Interesse“ Großbritanniens an der Erhaltung der britischen Abgabefreiheit für versteigerte Kunstwerke gedroht und eine Mehrheitsentscheidung des Rates gegen Großbritannien kategorisch abgelehnt hatte. Binnenmarktkommissar Bolkestein hatte der britischen Ministerin trotz seiner Verantwortung als Hüter des Vertrages nicht widersprochen. Da der deutsche Staatsekretär nach der Mittagspause abreisen musste, leitete ich die deutsche Delegation in seiner Vertretung. Unmittelbar nach Wiedereröffnung der Sitzung bat ich um das Wort und fragte den Kommissar, ob es zutreffend sei, dass Großbritannien beim Mittagessen eine Mehrheitsentscheidung des Rates unter Berufung auf vitale britische Interessen als inakzeptabel bezeichnet habe und dass der Vertreter der Kommission dem nicht widersprochen habe. Ich musste daran erinnern, dass die Berufung auf sogenannte „vitale Interessen“ zur Verhinderung von Mehrheitsentscheidungen gerade im Kernbereich der europäischen Verträge, dem Binnenmarkt unzulässig sei, weil sie den erreichten Integrationsstand gefährde. Für die deutsche Delegation erklärte ich, dass Deutschland eine Berufung auf vitale Interessen nach der Vollendung des europäischen Binnenmarktes nicht akzeptieren könne. Es folgte im Rat eine nicht weiterführende Debatte mit dem Ergebnis, dass dieser Tagesordnungspunkt an den AStV zurückverwiesen wurde. Mein Hinweis an die Ratsmitglieder hatte offensichtlich eine Mehrheit überzeugt. Im Endeffekt jedoch setzten sich politische Erwägungen gegenüber den Verfahrensfragen durch. Denn in der darauf folgenden Tagung des AStV, Teil I, änderte der britische Kollege seine Taktik. Er erklärte nicht, seine Regierung könne im vorliegenden Fall keine gegen sie gerichtete Mehrheitsentscheidung akzeptieren, sondern umgekehrt, Großbritannien lege großen Wert darauf, im Verlauf der weiteren Beratungen in die Mehrheit einbezogen zu werden. Dazu könne er durch neue Kompromissvorschläge beitragen. Der Inhalt dieser Vorschläge, die nach langen weiteren Beratungen im AStV schließlich – auf entsprechende Weisungen aus den Hauptstädten – akzeptiert wurden, entleerte die Substanz der Richtlinie. Durch massive Erhöhung der Wertgrenzen, ab denen eine

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Abgabe überhaupt erst erhoben wurde, und durch eine drastische Senkung der Abgaben wurde die Richtlinie ihrem ursprünglichen Zweck, Wettbewerbsgleichheit unter den europäischen Auktionshäusern durch die Erhebung relevanter Abgaben im Interesse der Urheber der Kunstwerke in allen Mitgliedstaaten zu erreichen, nicht mehr gerecht. Ich gestehe, ich hätte mir ein negatives Votum Deutschlands zu diesem Ergebnis gewünscht; direkte Verbindungen auf politischer Ebene führten jedoch zu einem Einlenken Deutschlands. Schließlich kann der Ständige Vertreter auch als Interessenvertreter außerhalb der Ratsgremien auftreten, z.B. in Personalfragen gegenüber dem Generalsekretariat des Rates oder der Kommission, in Wettbewerbs- und insbesondere Beihilfeverfahren oder im Bereich der industriellen Standortpolitik. Zum letzteren will ich beispielhaft die Rolle des deutschen AStV-I-Mitgliedes als Standortlobbyist für den Hamburger Senat in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre darstellen. Am 21. Mai 1992 hatte der Rat die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFHRL) verabschiedet. Die Mitgliedstaaten hatten sie anschließend in nationales Umweltschutzrecht umgesetzt. Nach der Richtlinie waren Naturschutzgebiete auszuweisen, in denen nur ausnahmsweise und mit Genehmigung der Kommission industrielle Anlagen errichtet oder ausgebaut werden durften, sofern der betreffende Mitgliedstaat gleichwertige Ausgleichsflächen schaffte. Deutschland hatte von den Vorschriften der FFH-RL besonders ausgiebigen Gebrauch gemacht und unter anderem das sogenannte „Mühlenberger Loch“ als Schutzgebiet ausgewiesen. Diese zu industriellen Zwecken geschaffene, künstliche Elberweiterung bei Hamburg-Finkenwerder stammte noch aus der Zeit vor 1945. An seinen Ufern siedelte sich nach 1945 der Schierlingswasserfenchel an, eine unscheinbare, jedoch unter Naturschutz stehende Uferpflanze. Unmittelbar an das „Mühlenberger Loch“ grenzt das Gelände der AirbusIndustries. Um eine Teilfertigung des Großflugzeuges A 380 in Hamburg-Finkenwerder sicherzustellen, musste ein Teil des „Mühlenberger Loches“ wieder zugeschüttet werden, um Platz für eine Ausdehnung der Fertigungsanlagen des zum Mutterkonzern EADS gehörenden Betriebes zu schaffen. Es ging um den Standortwettbewerb zwischen Hamburg und Toulouse: Sollte die Fertigung des neuen Großflugzeuges allein in Toulouse erfolgen oder sollte das Projekt – wie auch andere Airbus-Modelle – an beiden Standorten verwirklicht werden? Der Hamburger Senat setzte sich nachdrücklich gegenüber Bundesregierung und EU-Kommission für eine Ausnahmegenehmigung nach der FFH-RL ein und bot, in Zusammenarbeit mit Schleswig-Holstein, Ausgleichflächen für die Ansiedlung des Schierlingswasserfenchels an. Die in der Kommission zuständigen Beamten in der Generaldirektion Umwelt sträubten sich mit immer neuen Argumenten, die Genehmigungsfähigkeit

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des Projektes anzuerkennen. Als Mitglied des AStV-I, das maßgeblich an der Verabschiedung der FFH-Richtlinie mitgewirkt hatte, nicht aber an der Ausweisung der Schutzgebiete in Deutschland, vertrat ich das deutsche Interesse, den Ausbau des EADS-Betriebsgeländes in Hamburg-Finkenwerder zur Sicherung eines wichtigen deutschen Industriestandortes und zur Schaffung einer großen Zahl von Arbeitsplätzen aktiv zu unterstützen. Zwar ohne schriftliche Weisung der Bundesregierung, jedoch in enger Abstimmung mit dem Bundeskanzleramt und dem Hamburger Senat vermittelte ich ein Gespräch zwischen dem Hamburger Wirtschaftsenator und dem UmweltGeneraldirektor britischer Nationalität der EU-Kommission, dem ich zuvor eingehend Hintergründe und Interessen der Beteiligten darlegen konnte, insbesondere auch den zugrundeliegenden Standortwettbewerb zwischen Toulouse und Hamburg. Das Ergebnis des Gespräches im Brüsseler Büro des Generaldirektors, an dem neben mir nur die engsten Mitarbeiter des Senators und des Generaldirektors teilnahmen, war, dass die Kommission die teilweise Zuschüttung des „Mühlenberger Loches“ unter den von Hamburg angebotenen Auflagen genehmigte.

Fazit Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass der Ausschuss der Ständigen Vertreter als ein der Öffentlichkeit nicht zugängliches,4 zentrales Organ des Ministerrates – im Rahmen seines Auftrags nach Art. 207 EG-Vertrag – auch Politikberater und Adressat von Politikberatung ist. Aktive und passive Beratung sind in erster Linie bei seinen Mitgliedern angesiedelt. Durch Abstimmung untereinander gehen die AStV-Mitglieder aber auch konzertiert vor, wenn es als nützlich erscheint. Aufgrund ihrer Funktion und ihrer Erfahrung im nahezu täglichen Miteinander, sei es im AStV, im Rat, in der Vermittlung mit dem Europäischen Parlament oder in informellen Besprechungen und aufgrund ihrer Offenheit zueinander, sind die Ständigen Vertreter einflussreiche Steuerleute innerhalb der Institution Ministerrat, mit erheblicher Außenwirkung auch in Richtung Kommission und Parlament.

4 Einige Sitzungen des Rates werden inzwischen im Internet übertragen, was die Entwicklung zu mehr Öffentlichkeit der Ratsarbeit insgesamt verdeutlicht.

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Schlussbemerkung Staatliche und nichtstaatliche Interessenvertretung in wirtschaftsnahen Bereichen unterscheiden sich in der Substanz nicht grundlegend voneinander. Regierungsseitig vertretene Wirtschaftsinteressen, wie das Beispiel der Altauto-Richtlinie oder der hier im einzelnen nicht dargestellten Tabakwerbe-Richtlinie zeigen, haben im europäischen Gesetzgebungsprozess allerdings eine größere Aussicht auf Durchsetzung. Deshalb ist es den außerhalb der Regierungen stehenden Politikberatern so wichtig, diese als Verbündete zu gewinnen. Nach meinem Ausscheiden aus dem Amt habe ich die Rolle getauscht und bin Bevollmächtigter des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV) bei der Europäischen Union geworden. In diesem Rollentausch liegt aber auch ein Stück Kontinuität: Die öffentlich-rechtlichen Sparkassen und Landesbanken sind gesetzlich dem Gemeinwohl verpflichtet, im Rahmen ihrer auf Gewinn ausgerichteten Geschäftstätigkeit. Auch hier vertrete ich nun Interessen, allerdings in einer ganz anderen Rolle und nicht mehr im breiten Umfang meiner früheren Tätigkeit, sondern fokussiert auf den Bereich der Finanzdienstleistungen öffentlich-rechtlicher Kreditinstitute. Die eigene Erfahrung zeigt: Wohlverstandene Politikberatung innerhalb oder außerhalb einer amtlichen Funktion unterscheiden sich nicht grundlegend. Stets sollte es zuallererst um die ernsthafte, gemeinsame Suche nach einem Interessenausgleich bei unterschiedlichen Ausgangspositionen gehen. Erst wenn sich eine Verständigungslösung als nicht erreichbar oder einer Seite als unzumutbar erweist, sollten die Instrumente der verpflichtenden Konfliktbewältigung eingesetzt werden, d.h. der Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat bzw. der Klage vor dem Europäischen Gerichtshof, z.B. gegen Entscheidungen des Rates oder der Europäischen Kommission.

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2. Die Perspektive der Interessenvertreter – Organisationen, Verbände und Agenturen

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Jorgo Riss

Alle reden über Lobbyismus – wer tut was dagegen? Probleme der EU-Lobbykratie, aus der Sicht einer Umweltschutzorganisation1

Hinweis der Herausgeber: Auf unseren Wunsch hat der Autor Namen von Politikern, PR-Beratungsunternehmen und Chemiefirmen in den unten aufgeführten Beispielen entfernt.

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Brüssel, Hauptstadt der Lobbyisten

Brüssel ist eines der Machtzentren der Welt, und jede Firma, die es sich leisten kann, ist hier vertreten und versucht, mit professionellen Politikberatern auf die Entscheidungen der Europäischen Union einzuwirken. Die europäische Hauptstadt ist mit 15.000 Lobbyisten nach Washington weltweit zweitgrößter Tummelplatz für Interessenvertreter. Neben unternehmenseigenen Lobbybüros machen in Brüssel vor allem hunderte von Public Relations (PR) Beratungsfirmen und Anwaltskanzleien Einflussnahme als Auftragsarbeit – von der Kontaktpflege mit Beamten der Europäischen Kommission oder Abgeordneten des Europäischen Parlaments bis zur breit organisierten öffentlichen Kampagne. Die Branche floriert – die jährlichen Ausgaben für Lobby- und PR Arbeit auf EU-Ebene werden auf bis zu 1 Milliarde Euro geschätzt.2 Die meisten Lobbyisten arbeiten für Unternehmen oder für die Dachverbände verschiedener Wirtschaftszweige. Auch einige der großen Organisationen der Zivilgesellschaft – von Amnesty International bis WWF – sind finanziell in der Lage, in Brüssel vertreten zu sein und Interessen der Allgemeinheit im EUPolitikprozess zur Geltung zu bringen. Greenpeace hat seit 1988 ein EuropaBüro3, um direkt vor Ort dafür zu sorgen, dass EU-Entscheidungsträger den Schutz der Umwelt – ein vertraglich bindendes Ziel der Europäischen Union

1 Ich danke Roxina Villegas, Edith Riss, Susannah Ling, Stefan Krug, Stefan Scheuer und Ludwig Krämer für Anregungen und Kommentare zu diesem Artikel. 2 Titley, S. „The rise of the NGOs“, ‘Handbook of Public Affairs’ 2005, zitiert in ALTER-EU ‘Submission to the consultation on the ETI – chapter 1’ http://ec.europa.eu/comm/eti/docs/contributions/ 19_C7_Ch1_alter_eu.pdf 3 Für mehr Informationen siehe www.greenpeace.eu

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(Artikel 2 EG-Vertrag) – nicht im Ansturm kommerzieller Lobbyisten vergessen oder vernachlässigen. Wie viele kommerzielle Lobbyisten arbeiten eigentlich in Brüssel? Genaue Zahlen gibt es nicht, aber einen Richtwert findet man beim Europäischen Parlament, das ein rudimentäres Registrierungssystem für Interessenvertreter eingerichtet hat. Die Internetseite des Parlaments listet mehrere tausend dort akkreditierte Lobbyisten namentlich auf. Dies sind jene Lobbyisten, die Zugangspässe für das Parlament erhalten haben. 70% von ihnen arbeiten für Wirtschaftsinteressen – als externe Berater, als firmeninterne Lobbyisten oder als Vertreter nationaler beziehungsweise europäischer Wirtschaftsverbände.4 13% der beim Parlament akkreditierten Interessenvertreter arbeiten für Umwelt-, Gesundheits- und Menschenrechtsorganisationen. Weitere Lobbyisten agieren unter anderem für Vertretungen verschiedener europäischer Städte und Regionen, für internationale staatliche Organisationen und für politische Institute, sogenannte ‘think tanks’, die selbst wiederum oft von großen Firmen finanziert werden.

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Lobby ist nicht gleich Lobby

Für Greenpeace arbeiten zurzeit 12 Personen in Brüssel. Die Greenpeace EUExperten – hauptsächlich Juristen, Politik- und Naturwissenschaftler/innen – analysieren kontinuierlich die Auswirkungen von EU-Politik auf den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen. Durch Präsenz vor Ort ist es möglich, politische Chancen und Gefahren frühzeitig zu erkennen und in Zusammenarbeit mit nationalen Greenpeace Büros Strategien zu entwickeln, mit denen die Organisation durch Information und konstruktive Kritik versucht, den Umweltschutz auf EUEbene zu stärken. So hat Greenpeace zum Beispiel gegen den Druck großer amerikanischer und europäischer Chemiekonzerne in den vergangenen Jahren erfolgreich dazu beigetragen, die gesetzliche Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel in der EU einzuführen. Auch das (begrenzte) EU-Verbot von gefährlichen Chemikalien in PVC-Kunstoff Kinderspielzeug ist durch Greenpeace Arbeit erreicht worden. Parallel zu Protestaktionen, in denen Greenpeaceaktivisten öffentlich und gewaltfrei Umweltsünder konfrontieren, ist der Kontakt mit politisch Verantwortlichen unabdingbar für den Erfolg der Arbeit. Der Grossteil des Engagements in Brüssel findet dabei zwangsläufig hinter den Kulissen statt, in oftmals langwierigen Besprechungen mit Abgeordneten,

4 siehe van Schendelen, ‘Machiavelli in Brussels. The Art of Lobbying the EU’, Amsterdam, 2005, S.50. Die Liste der beim Europäischen Parlament akkreditierten Interessenvertreter findet sich im Internet www.europarl.europa.eu

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Mitarbeitern der Kommission, Diplomaten und Vertretern fortschrittlicher, ökologisch verantwortlicher Unternehmen. Im Gegensatz jedoch zu Produkten wie chemischen Flammschutzmitteln, Atomstrom, PVC-Kunststoff oder gentechnisch veränderten Pflanzen hat die Umwelt keine Lobby. Umweltschutzorganisationen sind keine Unternehmen, die durch ihre Lobbyarbeit finanzielle Gewinne erzielen. Sie können der Lobbyarbeit der Industrie nicht mit gleichen Mitteln entgegen treten. Die finanziellen und rechtlichen Ungleichheiten sind bedeutend. So verfolgt zum Beispiel im Greenpeace EU-Büro eine Mitarbeiterin die Entwicklung des EU-Rechts zum Schutz der Umwelt und Gesundheit vor chemischen Gefahrstoffen, während alleine der Dachverband der europäischen Chemieindustrie (CEFIC) mehr als 140 Personen in Brüssel beschäftigt. Daneben sind Bayer, BASF und andere Firmen zusätzlich mit hauseigenen Lobbybüros vertreten. Die finanziellen Unterschiede der Lobbyetats von Privat- und Allgemeininteressen sind nicht bekannt, da die Unternehmenslobbyisten ihre Budgets nicht offenlegen. Aufgrund anekdotischer Informationen ist anzunehmen, dass die Unterschiede gewaltig sind. So erzählte mir ein Unternehmenslobbyist, seine Firma bezahle pro Jahr allein für repräsentative Empfänge zur Kontaktpflege in Brüssel mehr als eine Million Euro – das sind Kosten in der Höhe des gesamten Greenpeace EU-Jahresetats.5 Auch rechtlich stehen den Unternehmenslobbys Mittel zur Verfügung, die den Vertretern von Allgemeininteressen verwehrt sind. So können Firmen gegen EU-Entscheidungen klagen, wenn diese ihre wirtschaftlichen Interessen unverhältnismäßig beeinträchtigen. Umweltverbänden stehen dagegen im EG-Recht keine Mittel zur Verfügung, um Umweltsünder vor Gericht zu bringen.6 In der Praxis bedeutet das, dass Unternehmen gegen geplante Verbote von giftigen Chemikalien mit Klagen drohen können, während Umwelt- und Gesundheitsverbände nicht gleichermaßen die Zulassung solcher Gefahrstoffe gerichtlich verhindern können. Die Nachteile, die aus den finanziellen und rechtlichen Ungleichheiten zwischen Vertretern von Unternehmens- und Allgemeininteressen erwachsen, werden durch die Undurchsichtigkeit der EU-Entscheidungsprozesse noch verstärkt: Ohne Transparenz ist öffentliche Kontrolle der Entscheidungsprozesse kaum möglich, und private Interessen können mit intensiver Lobbyarbeit EU-Amtsträger unverhältnismäßig beeinflussen.7 Für Greenpeace ist ‘Öffentlichkeit schaffen’ daher ein grundlegendes Prinzip. Die Organisation macht Themen publik 5 Finanzielle Informationen über Greenpeace findet man unter www.greenpeace.org/eu-unit/ about/summary-of-finances 6 siehe dazu Kraemer, L. ‘EC Environmental Law, Fifth Edition’, London, 2003, S.393 7 siehe dazu auch: Hoedeman, O. und Wesselius, E. ‘Lobbyismus in Brüssel. Gehen wir essen, Herr Kommissar?’ in: ‘Das kritische EU Buch’. Wien, 2006, S. 58-71

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mit dem Ziel, Umweltsünder zur Stellungnahme und Verhaltensänderung zu bewegen, und darüber hinaus einen grundlegenden Wandel in Richtung ökologisch verantwortliches Wirtschaften zu fördern. Auf EU-Ebene versucht Greenpeace, durch Öffentlichkeit zu erreichen, dass Umweltinteressen nicht von der Tagesordnung verschwinden und gegen den Druck starker wirtschaftlicher Einzelinteressen verteidigt werden. Gleichzeitig setzt sich Greenpeace in Brüssel auch dafür ein, dass die EU-Lobbykratie – das enge Zusammenspiel zwischen EU-Institutionen und Interessenvertretern – durch verbindliche Regeln generell offener, demokratischer und kontrollierbarer wird.

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Professionelle Interessenvertretung zahlt sich aus

Der Großteil der in Brüssel agierenden Unternehmen versucht, sich durch Einfluss auf EU-Gesetze Wettbewerbsvorteile zu schaffen, zum Beispiel durch genehme Produktstandards, Zugriff auf öffentliche Forschungsgelder, oder passende Marktbeschränkungen. Lobbyarbeit wird auch zur Minimisierung von Wettbewerbsrisiken eingesetzt: EU-Regelwerke, die das eigene Geschäft verderben und einem Konkurrenten Marktanteile zukommen lassen könnten, zum Beispiel Verbote gefährlichen Chemikalien für die sicherere, innovative Alternativen existieren, werden oft frühzeitig durch koordinierte Kampagnen verhindert. Gesetzesentwürfe der Kommission verschwinden dann in den Schubladen von Abteilungsleitern der Europäischen Kommission, bevor Parlament und Rat je dazu Stellung nehmen konnten. Es gibt viele Gründe für den erfolgreichen Einfluss privater Interessen auf die EU-Institutionen. Ein gewichtiger ist die aktive Unterstützung kommerzieller Interessen durch die Regierungen großer Mitgliedstaaten, in denen ein einzelnes Unternehmen oder ein Wirtschaftszweig ökonomisch und politisch stark ist. So hat sich bisher die europäische Atomindustrie vor allem mit der Unterstützung Frankreichs erfolgreich EU-Forschungsgelder in Milliardenhöhe gesichert. Die chemische Industrie zählt auf die Hilfe Deutschlands, um innovative EU-Gesetzgebung zu verhindern, die den Austausch krebserregender und anderer hochgefährlicher Chemikalien durch sicherere Alternativen zur Folge hätte.8 Erfolgreiche Interessenvertretung funktioniert aber nicht allein mit Unterstützung durch große Mitgliedstaaten. Weitreichende Vorarbeit geht in der Regel den politischen Entscheidungen voraus. Die gelungensten Lobbystrategien schaffen es, Leitliniendebatten in der EU anzuregen mit der Konsequenz, dass Geset-

8

siehe www.chemicalreaction.org und www.greenpeace.eu/issues/chem.html

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zesänderungen und neue Initiativen zügig gefördert werden.9 Auch in kleinerem Rahmen wird versucht, das Denken der relevanten Entscheidungsträger frühzeitig zu beeinflussen, auf verschiedenen Ebenen und aus verschiedenen Quellen. So werden zum Beispiel von kommerziellen PR-Firmen Seminare mit einem ausgewählten Publikum veranstaltet, mit dem Kommissionsbeamte und Europaabgeordnete debattieren. Eine PR-geschulte Pressearbeit zieht die passende Berichterstattung nach sich. Scheinbar unabhängiger Akteure wie politische Institute (think tanks), Experten und Regierungen von nicht-EU-Staaten treten zum richtigen Zeitpunkt mit unterstützenden Argumenten auf.10 Die am besten organisierten Lobbygruppen halten stets regelmäßigen Kontakt mit ihrer zu beeinflussenden Zielgruppe. Das bedeutet in der Kommission: vom Sachbearbeiter bis zum Kommissar. Dabei werden Argumente auf allen Entscheidungsebenen eingebracht, die Wirkung der eigenen Lobbyarbeit getestet, und sofort reagiert, falls die erhoffte Wirkung ausbleibt oder sich der politische Wind dreht. In der Regel haben Bürgerinitiativen und entsprechende Organisationen der Zivilgesellschaft zu wenig Geld, um Debatten für das Fachpublikum in Brüssel in gleichem Stil zu führen, und zu wenig Personal, um persönliche Kontakte mit Beamten und Politikern mit der Intensität kommerzieller Lobbyisten zu pflegen. Deshalb kommen im Wettstreit um die Aufmerksamkeit und das Verständnis der Amtsträger Interessen der Allgemeinheit systematisch zu kurz. Den Einfluss gezielter Lobbystrategien auf die Arbeit der Europäischen Kommission schätzt Professor Ludwig Krämer, ehemaliger Abteilungsleiter bei der Europäischen Kommission (Generaldirektion Umwelt), als beträchtlich ein: „This influence [of business interest representatives] is not so much exercised by legal papers which argue this or that rule, but rather by influencing the strategic thinking inside the Commission administration. I estimate that even within DirectorateGeneral ENV [Environment], out of 100 contacts or interlocutors which the Directorate-General has outside the national administrations, more than 90 represent vested interests. Such exchange of views is bound to have some long-term repercussions. ... Examples where vested interests seem to have significantly influenced the Community policy of environmental law, are in my opinion: the abandoning of integrated emission limit values for industries or sectors of industries; the abandoning, as a rule, of setting emission values from point sources at Community level; the establishing of provisions for environmental taxes and charges at Community level; 9 Van Schendelen, op.cit., S.36-37, sowie Hoedemann und Wesselius, op.cit., S 59 schreiben dem ‘European Roundtable of Industrialists’ solch ein Rolle in der Gestaltung des EU-Binnenmarktes zu. 10 Greenpeace hat diese Taktiken am Fallbeispiel REACH (EU-Chemikalienreform) dokumentiert, in dem Bericht ‘Toxic Lobby, How the chemicals industy is trying to kill REACH’, Mai 2006, www.greenpeace.org/toxiclobby

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the abandoning of limit values for CO² emissions from cars; the omission to formalise, in some binding form, the polluter-pays principle; active participation in industrial standardisation; the omission to promote alternative energies and the strong financial support for a nuclear energy policy.“11

Auch auf die Arbeit des Europäischen Parlaments versuchen Lobbyisten ständig Einfluss zu nehmen. Die meisten Abgeordneten arbeiten unter hohem Zeitdruck und mit geringen personellen Mitteln.12 Sie können sich in der Regel nicht über die Vielzahl der von ihnen zu entscheidenden Gesetze selbst informieren. Viele Abgeordnete empfangen Interessenvertreter deshalb als Berater, die ihnen das Verständnis komplexer Sachverhalte erleichtern. Oftmals sind Lobbyisten die einzigen Gesprächspartner, die einem Abgeordneten mit Informationen zur eigenen Meinungsbildung verhelfen, oder mit vorformulierten Änderungsvorschlägen komplexe Arbeit erleichtern. Einige Parlamentarier beschränken dabei ihre Rolle im demokratischen Prozess auf die Auswahl der Interessengruppe, von der sie sich beraten und durch praktische Hilfe unterstützen lassen. Immer wieder kann man beobachten, wie Abgeordnete die Standpunkte von Lobbyverbänden fast wortgetreu übernehmen – anscheinend ohne Problembewusstsein. Bezeichnend dafür ist die Antwort, die das Büro eines deutschen Europa-Abgeordneten der Financial Times gab, nachdem veröffentlicht wurde, dass dieser sich als Verhandlungsführer in parlamentsinternen Abstimmungen über die Reform des EU-Chemiekalienrechts (REACH) durchgehend von einem Lobbyisten der Chemieindustrie beraten lassen habe: „We need advice from experts“.13 Die Selbstverständlichkeit, mit der sowohl Mitarbeiter der Europäischen Kommission als auch Abgeordnete des Europaparlaments Lobbyisten zu Rate ziehen, birgt offensichtliche Gefahren. So meint EU-Experte Professor Paul Magnette: „The politicians risk being absorbed by the lobbyists. It’s inevitable, as part of the whole phenomenon. In other words, politicians who are dependent on lobbyists for their information risk favouring those interests. There is also a risk of asymmetry, in that, obviously, groups with the biggest financial resources or brainpower can far better defend their cause than those who are spread out or badly organised.“14

Wenn sich Parlamentarier nicht allein durch persönliche Gespräche überzeugen lassen, setzen Lobbyfirmen auch aggressivere Taktiken ein, um sicherzustellen, dass die Interessen ihrer Klienten von Europa-Abgeordneten beachtet werden. So 11

Kraemer, L., op.cit. S.46 in der Regel beschäftigt ein Abgeordneter zwei Assistenten 13 ‘Chemicals companies ‘watered down law’’. Financial Times, 4.5.2006, S.5 14 ‘Lobbying in the European policy arena.’ European Broadcasting System, 29.5.2006 12

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berichtete eine konservative Irische Europa-Parlamentarierin der BBC, wie eine Public Relations Beratungsfirma im Auftrag der chemischen Industrie Abgeordnete bearbeitete, nachdem sich im Parlament eine Mehrheit für ein Verbot klimaschädigender fluorierter Gase (F-Gase) abzeichnete: „Literally, we’ve had six months of constant lobbying, largely from the Germanbased industry might I say. The Americans had a hand in it, too. They’d contact industries in Ireland and try and get them to come back to me like the Irish refrigeration industry. The European bases of multinational companies contacted my office non-stop. It wasn’t once or twice, it wasn’t just email, it was phoning, writing, emailing, faxing, virtually spam lobbying at every stage.“15

Dabei setzten die von der Beratungsfirma koordinierten Lobbyisten auf das Argument, dass ein Verbot der klimaschädigenden F-Gase Arbeitsplatzverluste zur Folge haben würde. Auf Nachfrage der BBC zeigte sich, dass weder die Beratungsfirma noch die beteiligte Industrie diese Behauptung durch Studien belegen konnten. Die Abgeordnete nennt das „scaremongering lobbying“ – Angstmache, und erklärt, warum dieses Lobbying funktionierte: „… on technical legislation, there would only have been a handful of us as MEPs [Members of the European Parliament] who would actually have been engaged in the actual facts of it. And if you take the vast majority of MEPs who can’t, because we’ve a huge amount of legislation, everyone has their own work to do here. If they have lobbyists, not just one, not just ten, but maybe dozens of letters from industries based in their constituencies, threatening them with job losses if they vote for this amendment or if they vote for that directive, are they going to go with voting for legislation that they actually know nothing about, or are they going to take the word of their industries based in their constituency where they have to face back into election maybe next year maybe [in] two years time? It does get to people eventually if you get very heavy pressure from your back yard.“16

Die Parlamentarier stimmten schließlich gegen ein Verbot von F-Gasen. Die Antwort der Irischen Europa-Abgeordneten auf die Frage der BBC, ob diese Entscheidung von Lobbyisten entschieden wurde: „Decided by lobbyists – no,

15 British Broadcasting Corporation, Radio 4, ‘File on Four – European Commission’ Programme Number 05VY3031LHO, November 2005. http://news.bbc.co.uk/1/hi/programmes/file_on_4/445 9586.stm Siehe dazu auch den Bericht ‘Chilling Intent’ der Organisation Corporate Europe Observatory http://www.corporateeurope.org/lobbycracy/chillingintent.html 16 BBC transcript S.9

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each MEP voted for themselves. Heavily influenced and directed by lobbyists – yes, without a doubt“17

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Der unregulierte Lobbymarkt

Interessenvertretung ist in einem repräsentativen politischen System wie der EU grundsätzlich legitim. EU-Entscheidungsträger müssen über die möglichen Folgen ihres Handelns und Nichthandelns aufgeklärt sein, und Interessengruppen können dazu hilfreiche Informationen und Erfahrungen liefern. Sie tragen zu Pluralismus und demokratischer Teilnahme bei, wenn sie unterschiedliche Sichtweisen öffentlich vortragen. Sie können eine aktive Zivilgesellschaft fördern und damit helfen, die Distanz zwischen Bürgern und Amtsträgern zu verringern. Allerdings fördert Interessenvertretung nicht automatisch Pluralismus und öffentliche Teilnahme. So kommt es immer wieder vor, dass Lobbygruppen in Brüssel Entscheidungsträger gezielt falsch informieren oder PR-Beratungsfirmen Kampagnen inszenieren, die öffentliches Interesse simulieren und die finanziellen Interessen ihrer Auftraggeber verschleiern. Illegitime Interessenvertretung wird in der EU nicht geahndet – anders als zum Beispiel in Washington gibt es in Brüssel weder verbindliche Regeln zur Transparenz, noch Sanktionen gegen Fehlverhalten von Lobbyisten. Die gleichen multinationalen Lobbyfirmen, die in den USA seit den 1990er Jahren verpflichtet sind, sich registrieren zu lassen und zu berichten, zu welchen Gesetzesvorhaben sie Lobbyarbeit betreiben, in wessen Auftrag und für wieviel Geld,18 kommen in der EU bisher mit freiwilligen Verhaltenskodizes aus. Die Verhaltenskodizes der EU-Lobbyverbände sind jedoch praktisch unwirksam. Sie enthalten keine wirksamen Sanktionen, außerdem wird ihr Einhalten so gut wie nie überprüft: die Verbände legen weder jährliche Rechenschaftsberichte vor, noch gibt es eine Prüfung von unabhängigen Gutachern. So können die Lobbyverbände immer behaupten, sie hielten die Kodizes ein. Tatsache ist, dass Fehlverhalten wie das oben genannte Beispiel im Kampf um das Verbot von F-Gasen nicht Einzelfälle sind, sondern gängige Praxis. Hier zur Illustration ein paar weitere Beispiele, alleine aus dem Bereich der Chemikalienpolitik:

17

Ibid. US Lobbying Disclosure Act, siehe dazu die Artikel von Holman, Craig www.cleanupwashington. org/lobbying/page.cfm?pageid=25 18

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Inszenierung von Frontgruppen Als Frontgruppen werden Organisationen bezeichnet, die von PR-Beratungsfirmen für Lobbyzwecke gegründet und als Sekretariate betrieben werden und die, in der Regel, die Identität und die wirtschaftlichen Interessen ihrer Auftraggeber verschleiern oder in den Hintergrund stellen. Beispiel: Die Brom-Chemikalie Deca-BDE ist ein chemisches Brandschutzmittel, das sich im Menschen anreichert und gesundheitsgefährlich ist. Sicherere Alternativen sind längst auf dem Markt. Da der wissenschaftliche Ausschuss der EU sich im März 2005 höchst skeptisch zu Deca-BDE geäussert hatte, kam es zu einem EU-Verbot von Deca-BDE in neuen Elektro- und Elektronikgeräten. Um gegen dieses Verbot vorzugehen hat die Bromindustrie eine internationale Beratungsfirma beauftragt, ein Sekretariat in Brüssel einzurichten. Dieses Sekretariat präsentiert sich als Umwelt- und Wissenschaftsforum und agiert unter diesem Namen gegen ein Verbot von Deca-BDE und für die wirtschaftlichen Interessen der Bromindustrie.19 Interessenkonflikte (‘Revolving Doors’) Interessenkonflikte können auftreten, wenn Mitarbeiter der EU-Institutionen von oder zu Firmen wechseln, die ein direktes finanzielles Interesse an der Gesetzgebung haben, an der die Mitarbeiter innerhalb der EU-Institutionen arbeiten. Beispiel: Von 1999 bis Ende 2006 hat die EU an der Reform des europäischen Chemikalienrechts, REACH (Registration, Evaluation and Authorisation of Chemicals) gearbeitet. Die zwei umstrittensten Fragen der REACH Debatte waren, inwieweit die chemische Industrie innerhalb des nächsten Jahrzehnts Sicherheitsdaten über ihre Stoffe offenlegen muss, und ob krebserregende und andere hochgefährliche Chemikalien nur noch dann zugelassen werden sollen, wenn keine sichereren Alternativen vorhanden sind. Greenpeace hat mehrere Fälle von ‘revolving doors’ im Zusammenhang mit REACH aufgedeckt:20 So wechselten zum Beispiel ehemalige Lobbyisten großer deutscher Chemieunternehmen zur REACH Abteilung der Europäischen Kommission, während ein für REACH und EU-Wirtschaftspolitik zuständiger Generaldirektor nach seiner Pensionierung 2004 von der Kommission zum Dachverband der europäischen Industrie wechselte. Die Lobbyisten dieses Verbandes agierten in Brüssel hinter den Kulissen gegen die Umwelt- und Gesundheitsziele von REACH.

19 Dieses Beispiel ist weiter ausgeführt in dem Artikel ‘Public Relations – Meister der Verdrehung.’ Der Spiegel, Nr 31/2006, S.75 20 Greenpeace, ‘Toxic Lobby’, op.cit., S.13

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Gezielte Fehlinformation Beispiel: Ebenfalls im Kontext der Lobbykampagne der deutschen chemischen Industrie gegen REACH stellte eine Beraterfirma im Dezember 2002 eine Studie vor, die allein für Deutschland bis zu 2.35 Millionen Arbeitsplatzverluste vorhersagte. Auftraggeber der Studie war der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI). Erst Wochen später, nachdem diese Katastrophenmeldung die erwarteten Schlagzeilen gemacht hatte, stellte der BDI die vollständige Studie zur unabhängigen Prüfung bereit. Das Umweltbundesamt organisierte daraufhin eine Expertenkonferenz, auf der die führenden deutschen Wirtschaftsinstitute die BDIfinanzierte Studie begutachteten und für methodologisch unhaltbar befanden.21 Die negativen Aspekte der Brüsseler Lobbypraxis werden zunehmend von Medien, Wissenschaftlern, einigen Abgeordneten und auch von Interessenvertretern publik gemacht und kritisiert. Viele stellen die Frage, ob und inwieweit der Einfluss der Lobbyisten in Brüssel mit dem demokratischen Anspruch der EU vereinbar ist.

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Die Europäische Transparenzinitiative – symbolhafte Politik oder tatsächliche Reform der EU-Lobbykratie?

Die Europäische Kommission hat in der Vergangenheit wiederholt das Thema Interessenvertretung in der EU aufgegriffen. Bereits in den Jahren 1992 und 2001 gab es Vorschläge, die europäisches Regieren und das Zusammenspiel zwischen Interessengruppen und der Kommission durchsichtiger machen sollten.22 Bisher hat die Kommission dabei jedoch auf rechtlich verpflichtende Transparenzregeln für Lobbyisten verzichtet. Wird die neueste Initiative der Kommission, die „Europäische Transparenzinitiative“, dies ändern? Der EUKommissar für Verwaltungsangelegenheiten, Audit und Betrugsbekämpfung, Siim Kallas, kündigte im März 2005 an, die Kommission wolle in Zukunft dem Misstrauen der Bürger gegenüber Brüsseler Machenschaften durch Offenheit auch über Lobbyismus begegnen.23 In diesem Zusammenhang hob Kallas den 21 Methodological problems of assessing the economic impacts of EU chemicals policy: Summary results of the conference of experts. Umweltbundesamt Berlin, 6.Februar 2003 http://www.umwelt daten.de/uba-info-presse/hintergrund/stoffpol-e.pdf 22 Europäische Kommission, ‘Ein offener und strukturierter Dialog zwischen der Kommission und den Interessengruppen’ (93/C 63/02), http://ec.europa.eu/civil_society/interest_groups/docs/v_de.pdf; Europäische Kommission ‘Weißbuch Europäisches Regieren’ KOM (2001) 428, http://eur-lex. europa.eu/LexUriServ/site/de/com/2001/com2001_0428de01.pdf 23 Europäische Kommission, Siim Kallas, ‘The need for a European Transparency Initiative’, 3 März 2005, Nottingham. Speech/05/130

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Einfluss professioneller Interessenvertreter auf die EU-Gesetzgebung als Problem hervor: „Lobbyists can have considerable influence on legislation, in particular on proposals of a technical nature. Their lobby is mainly directed to the Commission and the Parliament. But their transparency is too deficient in comparison to the impact of their activities.“24

Kallas formulierte auch ein klare Kritik an freiwilligen Verhaltenskodizes für Lobbyisten. Solche freiwilligen Regelungen sind bisher die bevorzugte Antwort der Lobbybranche auf Forderungen nach mehr Offenheit und Kontrolle. Kallas bemängelt daran: „There is no mandatory regulation on reporting or registering lobby activities. Registers provided by lobbyists’ organisations in the EU are voluntary and incomprehensive and do not provide much information on the specific interests represented or how it is financed. Self imposed codes of conduct have few signatories and have so far lacked serious sanctions.“25

Diese Ideen stoßen auf heftigen Widerstand. Offiziell ist natürlich niemand gegen Transparenz – aber verpflichtende Regeln über die Berichterstattung und Registrierung von Lobbyaktivitäten geht den professionellen Lobby- und Wirtschaftsverbänden zu weit.26 Sie argumentieren unter anderem, verbindliche Regeln für Lobbyisten seien bürokratisch, nicht effektiv und teuer. Tatsächlich zeigt aber bereits das US-Modell, dass ein elektronisches Berichtssystem nicht viel kostet. Darüber hinaus können gesetzliche Transparenzregeln Korruption und illegitimes Lobbying zwar nicht verhindern, aber wichtige Informationen zur Aufdeckung von Korruptionsfällen liefern. Während die kommerziellen Politikberater die Transparenzinitiative geschliffen und gekonnt bekämpfen, haben sich über 140 Organisationen der Zivilgesellschaft in der Alliance for Lobbying Transparency and Ethics Regulation (ALTER-EU) zusammengefunden, um eine Verwässerung der Transparenzinitiative zu verhindern. ALTER-EU fordert verbindliche EU-Transparenzregeln für alle Interessenvertreter und einen verbesserten Verhaltenskodex für das Personal der Kommission, einschließlich der Kontrolle des Wechsels von Kommissionsmitarbeitern ins Lobbying-Geschäft.27 24

Kallas, ‘The need for a European Transparency Initiative’, S.6 Kallas, ‘The need for a European Transparency Initiative’, S.6 26 siehe dazu auch die Beiträge von CEFIC, SEAP und anderen im Rahmen der Konsultation zur Europäischen Transparenzinitiative, http://ec.europa.eu/comm/eti/contributions.htm 27 www.alter-eu.org/statement 25

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Im Mai 2006 legte die Europäische Kommission mit dem Grünbuch „Europäische Transparenzinitiative“28 ihre ersten Ideen zur öffentlichen Konsultation vor. Das Grünbuch ist ein Diskussionspapier, das problematische Aspekte der Interessenvertretung in der EU aufgreift und die Frage nach der „Notwendigkeit eines strukturierten Rahmens für die Lobbyarbeit“ stellt. Die Kommission betont im Grünbuch den generellen Nutzen von Interessenvertretung für die Arbeit der EU-Institutionen, führt aber auch eine Reihe von Lobbypraktiken an, die „über eine berechtigte Interessenvertretung hinausgehen könnten“. Dabei „geht es nicht um eindeutig rechtswidrige Praktiken (Betrug und Korruption), sondern auch um andere unzulässige Lobbymethoden, die entweder die offene Politik der EUOrgane und -Einrichtungen ausnutzen oder einfach irreführend sind.“ 29 Einige von der Kommission zitierte Beispiele: ƒ

Die EU-Organe und -Einrichtungen werden über mögliche wirtschaftliche, soziale oder umweltpolitische Auswirkungen von Legislativvorschlägen falsch informiert. Mit modernen Kommunikationstechniken (Internet und E-Mail) ist es einfach, für oder gegen ein bestimmtes Thema ganz massiv Propaganda zu betreiben, ohne dass die EU-Organe und -Einrichtungen herausfinden können, inwiefern es sich um ein tatsächliches Anliegen der Bürger handelt. Informationen über Lobbyisten, die auf EU-Ebene tätig sind, sind unzureichend. So ist unter anderem nicht klar, wer sie in welchem Umfang finanziert.

ƒ

ƒ

Die Kommission beschreibt im Grünbuch recht umfassend das Feld der in Brüssel aktiven Lobbyisten und nennt die wichtigsten Kritikpunkte an der gängigen Lobbypraxis. Die erwogenen Lösungsmöglichkeiten sind allerdings sehr limitiert. Die Kommission schlägt vor, wie bereits im Jahr 1992, dass Lobbyisten freiwillig Verhaltenskodizes annehmen. Auch könnte ein System zur Registrierung aller Interessengruppen eingerichtet werden – „die Registrierung würde auf freiwilliger Basis erfolgen“.30 Damit bleibt die Kommission weit hinter den Forderungen von Gruppen wie ALTER-EU zurück, für die verbindliche Transparenzregeln notwendig sind, um die EU-Lobbykratie durchsichtiger und öffentlich kontrollierbarer zu machen. Für Brüsseler Insider ist das zögernde Vorgehen der Kommission nicht überraschend. Mehr als ein Jahr verging allein zwischen der Ankündigung der Transparenzinitiative durch Kommissar Kallas im März 2005 und der Veröffent28 29 30

KOM (2006) 194 Grünbuch Europäische Transparenzinitiative, S.5 ibid., S.8

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lichung des Grünbuchs im Mai 2006. Darauf folgte im Sommer 2006 eine Konsultation im Internet, bevor die Kommission im Frühjahr 2007 Maßnahmen zur Reform ankündigen will. Das ist ausreichend Zeit für erfahrene Lobbyisten, einem unliebsamem Vorschlag das Wasser abzugraben.

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Ausblick

Die politische Kultur der EU ist durch das Fehlen einer wirklichen europäischen Öffentlichkeit geprägt. Was in Brüssel und in den Hauptstädten der Mitgliedstaaten zwischen EU-Entscheidungsträgern und verschiedenen Interessengruppen ausgehandelt wird, wissen nur sehr wenige. Interessenvertretung, an sich ein legitimes und wichtiges Element repräsentativer Demokratie, hat sich so in der EU-Hauptstadt zu einem bestimmenden Faktor politischer Entscheidungsfindung entwickelt. Es ist zu hoffen, dass die EU in Zukunft unter wachsender öffentlicher Aufmerksamkeit verbindliche Regeln zur Auskunftspflicht für Lobbyisten und zur Transparenz der Entscheidungsprozesse einführt. Demokratie in Europa – wie immer man sie definiert – darf kein Prozess sein, in dem finanzielle Stärke, handwerkliches Geschick und Skrupellosigkeit von Lobbyisten entscheidet, welche Interessen von den EU-Institutionen bedient werden. Verbindliche Gesetzgebung, die eine öffentliche Kontrolle der EU-Lobbykratie ermöglicht, sowie verbesserte Verhaltenskodizes für die EU-Institutionen, mit denen Interessenkonflikte vermieden werden, sind wichtige Schritte, um den übermäßigen Einfluss der Lobbyisten in Brüssel einzuschränken. Das Ungleichgewicht zwischen privaten Interessengruppen und Organisationen, die Interessen der Allgemeinheit vertreten, wird durch mehr Transparenz allerdings nicht beseitigt werden. Letztlich liegt es in der Verantwortung der EU-Entscheidungsträger, den Einfluss verschiedener Interessengruppen auf die europäische Politik wirksam zu begrenzen.

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Hans H. Stein1

Vorfeldbeobachtung und Einflussnahme bei der europäischen Rechtsetzung: Politikberatung durch die Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Europäischen Union

„Wir sind verflochten mit unseren Nachbarn wie kaum eine andere Region in der Europäischen Union. Um die Herausforderungen der Globalisierung zu bewältigen, braucht Nordrhein-Westfalen Europa.“ Mit dieser politischen Kernaussage skizzierte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers die neue Europapolitik des Landes in seiner Regierungserklärung vor dem Landtag Nordrhein-Westfalens am 13. Juli 2005. Innerhalb dieser Politik nimmt die Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der EU eine besondere Rolle ein. Diese Rolle als Politikberater, als Berater der Politik in Brüssel, Düsseldorf und Berlin, aber auch als Berater Nordrhein-Westfalens und seiner besonderen Interessen sind Gegenstand dieses Beitrags.

Aufbau und Einbindung der Landesvertretung Die besondere europäische Verflechtung Nordrhein-Westfalens wird schon durch seine geografische Lage im Zentrum Europas ersichtlich. Die politische, wirtschaftliche und kulturelle Kooperation gerade mit den angrenzenden Nachbarländern ist für das Land von größter Bedeutung. Insbesondere in den vier grenzüberschreitenden Euregios wird Europa tagtäglich vor Ort gelebt, gleich ob es sich um die Gestaltung grenzüberschreitender Gewerbegebiete, den regionalen öffentlichen Personennahverkehr, die Gesundheitsversorgung oder die Aus- und Weiterbildung handelt. Auch die wirtschaftlichen Fakten zeichnen ein klares Bild: Nordrhein-Westfalen erwirtschaftet 16 Prozent seines Bruttosozialproduktes aus dem Export von Waren und Dienstleistungen in die anderen EU-Länder. Rund 60 Prozent der Exporte nordrhein-westfälischer Unternehmen gehen in die europäischen Partnerländer. 1

Leiter der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Europäischen Union

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Gleichzeitig hat der Prozess der europäischen Integration in den zurückliegenden Jahrzehnten dazu geführt, dass sich die politische Verantwortung zunehmend auf die europäische Ebene verlagert hat. Die Verantwortung der Europäischen Union für den wirtschaftlichen Ordnungsrahmen und andere Politikbereiche nimmt kontinuierlich zu. In zentralen Bereichen wie der Wirtschafts-, Innovations-, Landwirtschafts-, Umwelt- und Verbraucherschutzpolitik definiert das Gemeinschaftsrecht die Gestaltungs- und Handlungsspielräume. Rund 80 Prozent der in Deutschland in Kraft tretenden Gesetze haben mittlerweile ihren Ursprung in Brüssel. Für Nordrhein-Westfalen als bevölkerungsreichste Region in Europa ist es daher von entscheidender Bedeutung, schon so früh wie möglich auf den europäischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess einzuwirken. Zugleich kann das Land eine Brücke bilden zwischen den Bürgerinnen und Bürgern, den heimischen Unternehmen und Verwaltungen, die meist viel unmittelbarer mit den Auswirkungen der Gemeinschaftspolitik konfrontiert sind als die nationalen Regierungen, die im Ministerrat die Beschlüsse fassen. Der Bedarf an Politikberatung Brüsseler Insider und die Signifikanz einer guten Beratung sind entsprechend hoch. Vor diesem Hintergrund entschloss sich die damalige Landesregierung, im Jahr 1986 einen Vertreter nach Brüssel zu entsenden. Nordrhein-Westfalen war damit das erste große deutsche Flächenland, das ein Büro in der europäischen Hauptstadt eröffnete; ein Jahr zuvor hatte das so genannte Hanse-Office der norddeutschen Länder Hamburg und Schleswig-Holstein die Reihe der deutschen Verbindungsbüros in Brüssel begründet. Mittlerweile sind alle deutschen Länder in Brüssel vertreten, ebenso wie etwa 200 weitere Regionalbüros aus allen 27 Mitgliedstaaten. Aus dem nordrhein-westfälischen „Ein-Mann-Beobachtungs-Büro“ wurde im Verlauf der letzten zwanzig Jahre eine Vertretung mit 25 Mitarbeitern. Sie ist die einzige Auslandsdienststelle der Staatskanzlei unter Führung des Ministers für Bundes- und Europaangelegenheiten, Michael Breuer. Das europapolitische Engagement der nordrhein-westfälischen Landesregierung basiert auf der festen Überzeugung, dass Europa mehr ist als ein „Projekt“ oder eine „Freihandelszone“. Europa ist eine Wertegemeinschaft, die den Frieden sichert, sozialen Schutz bietet und der kulturellen Vielfalt Raum gibt. Die Landesregierung unterstützt daher bei ihrer Politikberatung offensiv die Weiterentwicklung und Vertiefung der europäischen Integration. Sie bekennt sich nachdrücklich zu den demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderalen Grundsätzen der Europäischen Union. Gleichzeitig sieht die Landesregierung in dem Prinzip der Subsidiarität ein hohes Gut. Sie wirbt daher für ein Europa mit starken Regionen. Die Regionen dürfen nicht zu einer bloßen „Agentur“ für die Umsetzung europäischer Verordnungen und Richtlinien werden. Im Sinne der

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Subsidiarität ist es vielmehr ein vordringliches Ziel, die Mitwirkung der Länder und Regionen in europäischen Angelegenheiten zu stärken. Bei den Mitwirkungsmöglichkeiten Nordrhein-Westfalens am europäischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess sind zwei Ebenen zu unterscheiden: die nationale sowie die europäische. Sie unterscheiden sich darüber hinaus im Adressatenkreis und im Zeitpunkt der Einflussmöglichkeiten. Auf nationaler Ebene wurde die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union anlässlich der Ratifizierung des Vertrags von Maastricht in folgenden Bestimmungen geregelt: ƒ ƒ ƒ

Artikel 23 Absätze 2 und 4 bis 7 Grundgesetz, Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBLG), Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Länder über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen Union in Ausführung von § 9 EUZBLG.

Am Anfang steht eine umfassende und frühzeitige Informationspflicht der Bundesregierung. Die Unterrichtung bezieht sich auf alle Vorhaben, die für die Länder von Interesse sein könnten und umfasst Dokumente, Berichte und Mitteilungen von Organen der Europäischen Union und der Ständigen Vertretung Deutschlands über Sitzungen und Entscheidungen von EU-Gremien sowie Dokumente und Informationen über Initiativen und Stellungnahmen der Bundesregierung an Organe der Europäischen Union. Neben der reinen Unterrichtung ist der Bundesrat auch an der Festlegung der deutschen Verhandlungsposition aktiv zu beteiligen, soweit Interessen der Länder berührt sind. Die Stellungnahmen des Bundesrates sind allerdings von unterschiedlichem Gewicht, je nachdem, ob bei einer entsprechenden innerstaatlichen Regelung der Bund oder die Länder zuständig wären. Soweit ein Vorhaben ausschließliche Zuständigkeiten des Bundes betrifft, Interessen der Länder dennoch berührt werden, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates bei der Festlegung der Verhandlungsposition. Das heißt nichts anderes, als dass sie sich mit den vom Bundesrat vorgetragenen Argumenten auseinander zu setzen hat. Betrifft ein Vorhaben im Schwerpunkt die Gesetzgebungskompetenzen der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder das Verwaltungsverfahren, so ist die Stellungnahme des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen. Das bedeutet, sie ist im Zweifel die entscheidende bei der Festlegung der deutschen Verhandlungsposition. Im Zuge der jüngsten Föderalismusreform wurde die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bun-

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desrat benannten Vertreter der Länder übertragen, wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind. Bei den durch den Amsterdamer Vertrag eingeführten Rahmenbeschlüssen im Bereich der polizeilichen und strafjustiziellen Zusammenarbeit (Art. 34 Abs. 2 b EUV) handelt die Bundesregierung grundsätzlich nur im Einvernehmen mit dem Bundesrat. Über diese formellen Mitwirkungsmöglichkeiten können die Bundesländer die Position der Bundesregierung im Rat als Legislativorgan der Europäischen Union mit prägen.

Mittel und Wege der Interessensvertretung Allerdings setzt das formelle Mitwirkungsverfahren auf nationaler Ebene erst spät ein, so dass sich die Beratungsleistung der Landesvertretung nicht auf dieses beschränken kann. Da die Europäische Kommission das Initiativrecht hat und damit allein für die Ausarbeitung von Gesetzes- und Verordnungsvorschlägen verantwortlich ist, ist es wichtig, auf diesen Ursprungsvorschlag frühzeitig Einfluss zu nehmen. Änderungen über den Ministerrat sind oftmals nur noch sehr schwer durchzusetzen. Darüber hinaus spielt das Europäische Parlament als zweiter legislativer Arm in der Europäischen Union eine immer bedeutsamere Rolle. Dies macht es für ein Bundesland wie Nordrhein-Westfalen erforderlich, in Brüssel selbst präsent zu sein und frühzeitig auf die Akteure in den europäischen Institutionen einzuwirken, auch wenn das Land selbst über keinen förmlichen Status verfügt, sondern eher eine informelle Rolle spielt. Umso wichtiger ist es, dass sich die Mitarbeiter der Landesvertretung als Lobbyisten des Landes Nordrhein-Westfalen verstehen und auf den Fluren der Kommission und des Europäischen Parlaments „das Gras wachsen hören“. Ihre wesentliche Beratungsaufgabe besteht darin, vor Ort das politische Geschehen zu beobachten und zu analysieren, frühzeitig in die Landeshauptstadt Düsseldorf zu kommunizieren und im Sinne der Landesregierung auf den europäischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess einzuwirken: „Wirksame Vorfeldbeobachtung und Einflussnahme bei der europäischen Gesetzgebung“ – so fasste NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers die Aufgabe der Vertretung des Landes bei der Europäischen Union in seiner Regierungserklärung vor einem Jahr prägnant zusammen. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, pflegt die Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Europäischen Union den ständigen Kontakt mit den europäischen Institutionen, den Brüsseler Repräsentanzen von Unternehmen und Verbänden aus Nordrhein-Westfalen und repräsentiert Nordrhein-Westfalen als

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bevölkerungsreichstes Bundesland und attraktive Wirtschafts-, Wissenschaftsund Kulturregion im Zentrum Europas. Im europapolitischen Tagesgeschäft muss sich die Landesvertretung dabei im Wettbewerb mit den anderen Regionalvertretungen und mehreren tausend Lobbyisten, die einen „single interest“ vertreten, bewähren. Aufgrund des reichhaltigen Erfahrungsschatzes bei der Umsetzung gesetzgeberischer Maßnahmen ist sie aber ein besonders anerkannter und geschätzter Berater und Gesprächspartner der Europäischen Institutionen, gerade wenn es darum geht, europäisches Recht fundiert, effizient und für die Bürger nachvollziehbar zu schaffen. Trotz dieses Startvorteils ist angesichts der Vielzahl der Akteure auf der Brüsseler Bühne für eine erfolgreiche Vertretung der Landesinteressen ein gezieltes Lobbying erforderlich. Dabei darf nicht unterschätzt werden, dass in keiner anderen europäischen Metropole soviel Lobbying betrieben wird und nirgendwo sonst die Interessenkonkurrenz so schnell gewachsen ist wie auf dem EU-Parkett. Damit ist auch für ein Land wie Nordrhein-Westfalen nirgendwo sonst der Bedarf, erfolgreiche Lobby-Strategien zu entwickeln, so groß wie an den Entscheidungsplätzen der Europapolitik in Brüssel, Straßburg und Luxemburg. Die Landesvertretung verfolgt folglich für jedes europapolitische Thema eine spezifische Lobbying-Strategie, die in persönlichen Gesprächen, gezielten fachpolitischen Veranstaltungen, Übermittlung von Positionspapieren, Netzwerkbildung mit Kooperationspartnern und ähnlichem besteht. Von besonderer Bedeutung für die Vernetzung der Leitungsebene der Landesregierung mit den Entscheidungsträgern aus den EU-Institutionen sind die jährlichen auswärtigen Kabinettsitzungen der nordrhein-westfälischen Landesregierung sowie die jährlichen Leitungsklausuren der Fachressorts in Brüssel. Da Einflussnahme und Mitwirkung stark an die Einbindung von Personen gebunden ist, spielen im Rahmen des Lobbying auch die Entsendung so genannter „Nationaler Experten“ aus Nordrhein-Westfalen in die EU-Institutionen, die Mitwirkung in den Ratsgremien sowie die intensive Zusammenarbeit mit den Abgeordneten des Europäischen Parlaments eine herausragende Rolle. Darüber hinaus werden die nordrhein-westfälischen Vertreter im Ausschuss der Regionen als beratender Institution, der die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften im institutionellen Gefüge der EU vertritt, bei ihrer Arbeit unterstützt. Last but not least hat vor allem die Netzwerkbildung mit anderen europäischen Regionen in der Landesvertretung nicht nur ihren Ort, sondern sie wird von ihr auch mitorganisiert und mit stimuliert. Beispiele sind das Netzwerk der Regionen mit Gesetzgebungskompetenzen (RegLeg), das seit 2000 zusammenarbeitet und sich gegenwärtig auch auf das Thema „Bessere Rechtsetzung“ konzentriert; zu nennen sind aber

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auch das Netzwerk der Metropolregionen und die Netzwerke der europäischen Chemieregionen und der Ziel-2-Regionen.

Zwei Fallbeispiele Zwei konkrete Beispiele mögen im Folgenden die Arbeit der Landesvertretung näher veranschaulichen. Diese liegen im Bereich der regionalen Strukturpolitik sowie der europäischen Chemikalienpolitik. Der im Jahr 1975 begründete Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) hat zum Ziel, das Wohlstandsgefälle in den europäischen Regionen zu nivellieren und weniger begünstigte Regionen gezielt zu fördern. Auch in Nordrhein-Westfalen kamen in der Vergangenheit EFRE-Mittel zum Einsatz, um den Strukturwandel voranzutreiben, die Wettbewerbsfähigkeit der nordrhein-westfälischen Wirtschaft zu unterstützen und die Sicherung bestehender und die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu fördern. Mit der Erweiterung der Europäischen Union bestand für Nordrhein-Westfalen allerdings die Gefahr, dass die für das Land zur Verfügung stehenden Mittel deutlich gekürzt werden könnten, um insbesondere nach Mittel- und Osteuropa umgelenkt zu werden. Um eine Einschränkung der Strukturfondsmittel zu verhindern, wurde unter anderem auf Initiative Nordrhein-Westfalens ein gemeinsames Vorgehen mit anderen europäischen Regionen vereinbart, die in der Stärkung von im Wandel begriffenen industriellen Regionen ein ähnlich gelagertes Interesse hatten. Dazu gehören beispielsweise die Regionen Flandern, die Wallonie, die ostniederländischen Provinzen, Nord-Pas de Calais, die britischen Midlands und Katalonien. In der Landesvertretung fand eine gemeinsame Konferenz statt, bei der die Vertreter aller beteiligten Regionen im Beisein der Europäischen Kommission eine Gemeinsame Erklärung zur zukünftigen Strukturförderung in Industrieregionen unterzeichneten. Wichtig war dabei stets der kontinuierliche Informations- und Meinungsaustausch mit Vertretern der genannten europäischen Ziel-2-Regionen. In diesem Beispiel war also zunächst eine wechselseitige Politikberatung unter den betroffenen nötig, um eine Basis für gemeinsame Interessenwahrung zu schaffen. So konnte in Zusammenarbeit mit anderen Ziel-2-Industrieregionen noch vor der Vorlage des Kommissionsvorschlags am 14. Juli 2004 verhindert werden, dass diese Gebiete ganz aus der europäischen Strukturförderung herausfallen. Die Landesvertretung in Brüssel bereitete darüber hinaus den Besuch der für Regionalpolitik zuständigen EU-Kommissarin im Ruhrgebiet vor. Der nordrhein-westfälische Europaminister führte zahlreiche Gespräche mit der Europäischen Kommission zur Regionalförderung. Die nordrhein-westfälischen Abge-

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ordneten im Europäischen Parlament unterstützten ebenfalls die Zielsetzung der Landesregierung. Auf nationaler Ebene konnte die Unterstützung seitens der Bundesregierung bewirkt werden, so dass die Staats- und Regierungschefs sich im Rat im Dezember Ende 2005 auf einen Finanzkompromiss einigten, der auch die Strukturförderung der alten Mitgliedstaaten weitgehend berücksichtigt. Ebenfalls verankert wurde ein Kernanliegen des Landes, auf die enge Umschreibung der Fördergebiete zu verzichten und so der Landesregierung eine wettbewerbsorientierte, an der Lissabon-Strategie ausgerichtete Strukturförderung zu ermöglichen, bei die Qualität der Projekte im Vordergrund steht und nicht mehr allein der Standort des Antragstellers. Erst auf der Schlussgeraden vor den abschließenden Verhandlungen zwischen Rat und Parlament gelang es, die von der Europäischen Kommission zunächst nicht vorgesehene Anrechenbarkeit der Kofinanzierung der Ziel-2-Förderprogramme mit Privatmitteln sowie die Anrechenbarkeit der Mehrwertsteuer doch noch durchzusetzen. Maßgeblich hierfür waren Gespräche auf höchster Ebene mit der Europäischen Kommission, der amtierenden österreichischen Ratspräsidentschaft, der Bundesregierung und dem Europäischen Parlament. Schließlich verabschiedeten Parlament und Rat im Juli 2006 die Verordnungen für eine europäische Regionalpolitik 2007 bis 2013. Fast auf den Tag genau nach zwei Jahren ging damit ein für Nordrhein-Westfalen äußerst bedeutendes Gesetzgebungsverfahren der Europäischen Union erfolgreich zu Ende. Durch gezielte Aktivitäten von Landesvertretung und Landesregierung konnte erreicht werden, dass auch in der neuen Förderperiode 2007 bis 2013 insgesamt ein etwa gleich hohes Gesamtvolumen von etwa zwei Milliarden Euro für den Einsatz in Nordrhein-Westfalen bereitgestellt wird. Das zweite Beispiel betrifft die europäische Chemikalienpolitik. Die von der EU-Kommission vorgeschlagene neue EU-Chemikalienpolitik REACH (Registrierung, Evaluierung, Autorisierung und Beschränkung von Chemikalien) wird Auswirkungen auf alle Industriezweige haben, die Chemikalien herstellen, importieren und verwenden. Es sollen, neben einem generellen Paradigmenwechsel mit der Übertragung der Verantwortung von den öffentlichen Behörden auf die Hersteller und Importeure, der Gleichstellung von chemischen Neu- und Altstoffen und der Gründung einer europäische Agentur mehr als 40 bestehende Richtlinien und Verordnungen ersetzt werden. Nordrhein-Westfalen als größte deutsche Chemieregion mit rund 500 Chemieunternehmen, in denen über 110.000 Arbeitnehmer beschäftigt sind, hatte an einer frühzeitigen Einflussnahme ein originäres Interesse. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalens hat sich dabei immer für eine moderne Chemikalienpolitik eingesetzt und die Zielsetzung der neuen EU-Chemikalienpolitik im Grundsatz begrüßt. Allerdings sah sie entscheidenden Verbesserungsbedarf, um die Innova-

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tions- und Wettbewerbsfähigkeit vor allem der rund 420 kleineren und mittleren Chemieunternehmen im Lande nicht zu gefährden. Der erste Kommissionsvorschlag zu REACH aus dem Jahr 2003 hätte nach Einschätzung der Landesregierung unnötig zu nicht tragbaren bürokratischen Belastungen der Chemieunternehmen geführt. Hier galt es, eine breit angelegte Aufklärungsberatung zu leisten. Ziel der von einer Fülle von Multiplikatorenveranstaltungen in Brüssel begleiteten Lobbyarbeit der Landesregierung war es daher, ein praktikables und umsetzbares System zu entwickeln, um die Kosten für die Unternehmen in einem vertretbaren Rahmen zu halten, ohne den Schutz des Menschen und der Umwelt zu gefährden. Als erste europäische Region entwickelte Nordrhein-Westfalen ein Planspiel, um einige Schlüsselelemente des REACH-Systems in der Praxis zu erproben. Der Verband der Chemischen Industrie und andere Wirtschaftsverbände, die Chemiegewerkschaft, Umwelt- und Verbraucherverbände sowie Bundesbehörden unterstützen dieses Vorhaben aktiv. Die Landesregierung lieferte damit einen viel beachteten Beitrag zur europäischen Diskussion. Die Ergebnisse dieses Pilotprojekts wurden im Internet in deutscher und englischer Sprache veröffentlicht und fanden national, EU-weit und international, auch und gerade in Japan und den USA, ein breites Interesse. Aus ihnen wurden Empfehlungen abgeleitet und seitens des Landes in den nationalen und europäischen Rechtsetzungsprozess eingebracht. In einem Beschluss des Bundesrates fanden sie vollständige Berücksichtigung. Die Europäische Kommission griff die Forderungen aus dem Planspiel sowie die Verbesserungsvorschläge anderer Mitgliedstaaten sowie von Wirtschaftsverbänden auf, legte eine eigene Pilotstudie auf, die die Ergebnisse der nordrhein-westfälischen Studie noch weiter vertiefte, und leitete schließlich weitere Maßnahmen zur praktikableren Gestaltung von REACH ein. Daneben wurden zahlreiche Gespräche und Korrespondenzen mit der Bundesregierung, anderen Landesregierungen sowie Europaabgeordneten aus Nordrhein-Westfalen geführt und der enge Schulterschluss gesucht. Vor der ersten Lesung im Europäischen Parlament im Oktober 2005 wandte sich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident noch einmal mit einem Schreiben an alle deutschen Abgeordneten des Europäischen Parlaments mit der Bitte um Unterstützung für die zentralen Forderungen aus Nordrhein-Westfalen. Ferner wurde eine fraktionsübergreifende Entschließung des nordrhein-westfälischen Landtags den nordrhein-westfälischen Europaabgeordneten zugeleitet. Mitte November 2005 nahm das Europäische Parlament in Erster Lesung des Kommissionsvorschlags mit großer Mehrheit substantielle Änderungen vor, aufgrund derer insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen der chemischen Industrie bei der Bilanzierung klei-

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nerer Chemikalienmengen gegenüber dem Erstentwurf deutlich entlastet werden sollen. Auf Initiative Nordrhein-Westfalens befasste sich der Bundesrat sich im November 2005 erneut mit REACH und richtete eine klare Stellungnahme an die Bundesregierung, um die Verhandlungsposition Deutschlands für die politische Einigung im Rat abzustecken. Im Dezember 2005 konnten die zuständigen Minister im federführenden Rat Wettbewerbsfähigkeit eine politische Einigung zur REACH-Verordnung erzielen. Im Juni 2006 wurde der Gemeinsame Standpunkt des Rates vom Umweltrat verabschiedet. Die Zweite Lesung im Europäischen Parlament fand im Herbst 2006 statt. Auch diese Beratungsphase wurde intensiv von der Landesregierung und der Landesvertretung begleitet. Mitte Dezember 2006 wurde die Verordnung dann von Parlament und Rat nach Klärung letzter strittiger Punkte und Detailfragen beschlossen, um zum 1. Juni 2007 in Kraft treten zu können. Insgesamt kann das Ergebnis als ausgewogener und unterstützenswerter Kompromiss bewertet werden. Zusammenfassend ist zu sagen, dass alle nordrhein-westfälischen Akteure und politisch Verantwortlichen auf den verschiedenen Ebenen in Düsseldorf, Berlin und in Brüssel ihre Möglichkeiten und ihren Einfluss genutzt haben, um auf ein für die Unternehmen praktikables REACH-System hinzuwirken, zur Sicherung des Chemiestandorts in NordrheinWestfalen beizutragen und ein vernünftiges Gleichgewicht zwischen der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und dem Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt zu wahren.

Politikberatung als Vorfeldbeobachtung und Einflussnahme Beide Fallbeispiele zeigen deutlich, wie notwendig eine wirksame Vorfeldbeobachtung und Einflussnahme bei der europäischen Gesetzgebung aus Perspektive eines deutschen Bundeslands ist und warum die Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen sich auf diese Aufgabe konzentriert. Um die Interessen des Landes zu wahren und eigene politische Positionen durchzusetzen, ist ein koordiniertes Vorgehen auf allen Ebenen des europäischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesses erforderlich, sei es durch die formale Beteiligung über den Bundesrat auf nationaler Ebene, um den Standpunkt der Bundesrepublik Deutschland im Rat zu beeinflussen, sei es im direkten, wenn auch informellen Kontakt zu den europäischen Institutionen. Hierbei kommt der nordrheinwestfälischen Landesvertretung bei der Europäischen Union eine entscheidende Bedeutung zu. Ohne Beratungsangebote anderer Institutionen zu verdoppeln berät die Landesvertretung darüber hinaus Bürgerinnen und Bürger, Untenehmen, Verbände

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und Vereine, Forschungseinrichtungen und Hochschulen, Städte und Gemeinden aus Nordrhein-Westfalen, die sich aus erster Hand über europapolitische Entwicklungen informieren wollen. Als Anlaufstelle unterstützt sie diese Akteure dabei, sich im politischen und administrativen System der EU zurechtzufinden und ihre besonderen Anliegen wirksam zur Geltung zu bringen. Die Landesvertretung dient zudem als Schaufenster Nordrhein-Westfalens in Europa: Hier präsentiert sich Nordrhein-Westfalen mit zahlreichen Veranstaltungen wie Ausstellungen, Konzerten, Seminaren und Vorträgen als größtes deutsches Bundesland und attraktive europäische Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturregion. Die Landesvertretung sorgt so dafür, dass Nordrhein-Westfalen in Brüssel als dynamische, vielseitige und interessante Region wahrgenommen wird, schafft ein lebendiges Diskussionsforum für europapolitische Themen und bietet eine Plattform des Gedankenaustausches und der Begegnung zwischen den „Europäern“ und den „Nordrhein-Westfalen“. Und manchmal ist die Landesvertretung aber einfach nur ein Stück „Heimat“ für die vielen Menschen aus NordrheinWestfalen, die im multikulturellen Brüssel leben, oder für die Gäste von Rhein, Ruhr und Lippe, die beruflich bei der Europäischen Union zu tun haben.

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Klaus M. Nutzenberger

Politikberatung und Lobbying in Brüssel

I. Ausgangslage: Das Europabüro des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB) ist am 01. April 2002 in der belgischen Hauptstadt ins Leben gerufen worden. Das Europabüro ist integraler Teil der Europaarbeit des DStGB, der als kommunaler Spitzenverband mit Sitz in Berlin die Interessen der kommunalen Selbstverwaltung kreisangehöriger Städte und Gemeinden in Deutschland und Europa vertritt. Seine Mitgliedsverbände repräsentieren über 12.500 Städte und Gemeinden in Deutschland mit mehr als 47 Millionen Einwohnern. Präsident des DStGB ist der Bergkamener Bürgermeister Roland Schäfer. Geschäftsführendes Präsidialmitglied (Hauptgeschäftsführer) ist Dr. Gerd Landsberg. Der DStGB ist föderal organisiert und parteipolitisch unabhängig. Die Besetzung der Organe orientiert sich an dem Votum der Wähler bei den Kommunalwahlen. Der DStGB arbeitet unabhängig von staatlichen Zuschüssen. Die Arbeit des Europabüros unterscheidet sich grundsätzlich in zweifacher Hinsicht von der der Hauptgeschäftsstelle. Das Büro ist ƒ ƒ

örtlich vom Sitz des Verbandes in Berlin getrennt ist, was eine „Zentrale – Außenstelle Situation“ bedingt und inhaltlich gesehen, stärker in der Informationsarbeit und der Kontaktpflege tätig als die Hauptgeschäftsstelle.

Man kann dem Büro deshalb in gewisser Weise die Aufgabe einer Vorfeldorganisation zuordnen. Letztendlich mündet die Arbeit des Büros in dem Ziel der „gehobenen“ Information über die Vorhaben der EU sowie der direkten Beeinflussung der Vorhaben der EU. Hinzu kommt ein wichtiger Punkt. Die hiesigen Brüsseler Büros – und zwar auch die öffentlichen – haben einen rein privaten Status. Die Europäische Union1 hat als alleinige offizielle Ansprechpartner die nationalen Regierungen der EU. 1 Der offizielle Kontakt/Briefverkehr der Europäischen Kommission mit der Bundesrepublik Deutschland und umgekehrt läuft bis heute immer nur über die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland, die ihn dann an die entsprechenden Stellen weiterleitet.

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Grundsätzlich unterscheidet sich der Status der hiesigen Kommunal- und Bundesländerbüros daher nicht von dem eines Wirtschaftsverbandes oder eines Großunternehmens. Diese Tatsache hat z.B. Auswirkungen auf die Vergabe von Zugangsausweisen oder Aufenthaltsrechten in bestimmten sensiblen Bereichen.

II. Arbeitsbereiche (generell): Hinsichtlich der Arbeitsthemen des Büros sind zwei Vorbemerkungen zu machen: Zum einen richten sich die Inhalte an den offiziellen Arbeitsprogrammen der Kommission (Kommission = „Motor“ der Verträge) aus, die jährlich veröffentlicht werden. Dabei muss das Europabüro zusammen mit der Europaabteilung des Verbandes jedes Mal eine Schwerpunktauswahl vornehmen. Zum anderen ist zu bemerken, dass die Themen dem aktuellen Lauf der politischen Diskussion folgen müssen. Folglich kann man feststellen, dass sich die kommunale Europaarbeit auf der einen Seite relativ gut – anhand der konkreten Arbeitsprogramme – berechnen lässt, auf der anderen Seite sie jedoch oft aktuellen Änderungen unterworfen ist. Für beide genannten Bereiche gilt weiter, dass die Themen nach drei grundsätzlichen Gesichtspunkten geordnet werden können (die Beispiele können jeweils Bezüge zu 1, 2 oder 3 haben): 1.

2.

3.

EU-Entscheidungen, die den politischen Stellenwert der kommunalen Gebietskörperschaften beeinflussen (zum Beispiel EU-Verfassung, Rolle der kommunalen Selbstverwaltung in Europa, Beteiligungsrechte der kommunalen Seite). EU-Entscheidungen, die die „Kontrollfunktion“ der kommunalen Gebietskörperschaften beeinflussen (zum Beispiel Umwelt-, Gesundheits-, Katastrophenschutz, Asyl-/Ausländerrecht); EU-Entscheidungen, die die wirtschaftliche Tätigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften im allgemeinen Interesse beeinflussen (z.B. Wasserversorgung, Entsorgung von Abfällen, Stadtwerke, Sparkassen, öffentliches Auftragswesen, soziale Dienstleistungen).

Bei näherer Betrachtung der drei Entscheidungsfelder lässt sich eine direkte und intensive Beziehung zwischen den Handlungen der Europapolitik auf höchster Ebene und der der kommunalen Seite feststellen. Eine Wechselbeziehung, die nur auf den ersten Blick erstaunlich ist. Denn wenn die Europäische Union mit der EU-Verfassung die Kompetenzen zwischen den einzelnen staatlichen Ebenen neu strukturieren will (Punkt 1), dann stellt sich automatisch die Frage nach der

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Verfasstheit der deutschen kommunalen Selbstverwaltung. Und wenn die Europäische Union sich der Aufgabe stellt, ein alle Flächen und Standards abdeckendes Netz der Kontrolle vom Tejo bis zum Bug zu installieren (Punkt 2), dann wird sie nicht ohne die Beantwortung der Frage auskommen, wer im öffentlichen Auftrag der Union, des Nationalstaates oder der Regionalverwaltung diese Aufgabe zu wahren hat. Ferner ist es eine bisher ungeklärte und sehr diffizile Frage, ob die Tätigkeit der kommunalen Seite in verschiedenen Wirtschaftsbereichen „überholt“ oder ob sie nicht vielmehr für den gerade von der Union geforderten wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt der Europäischen Staaten sowie für eine nachhaltige Entwicklung unabdingbar ist (Punkt 3).

III. Personelle Anforderungen: Die Frage nach den personellen Anforderungen der Brüsseler Lobbyistengemeinde ist so vielschichtig wie die immer umstrittene Frage nach Managerqualitäten oder Politikereigenschaften. Ähnlich wie dort gilt die Regel, dass der Mensch mit seinen Aufgaben wächst oder eben scheitert. Regeln lassen sich daher schwer aufstellen. Dennoch lassen sich – mit einiger Vorsicht – einige Eigenschaften beschreiben, die für das Brüsseler Umfeld günstig sind. So ist es sicherlich vorteilhaft, wenn der Brüsseler Lobbyist neben seiner Muttersprache auch noch die englische und französische Sprache beherrscht. Über die Nützlichkeit der französischen Sprache wird zwar viel in Brüssel diskutiert und die langsame Minderung ihres Einflusses konstatiert. Doch bisher kommt es immer noch häufig in Brüssel vor, dass die aus Spanien, Italien, Griechenland, Portugal und zum Teil auch aus Österreich entsandte Verwaltungselite diese Sprache spricht und sie auch als gewisses angenehmes Gegengewicht gegen die angelsächsische Sprachdominanz sieht. Als Lobbyist gilt es dies zu nutzen. Im übrigen ist dieser Umstand, was die deutsche Sprache betrifft, bei Kontakten mit osteuropäischen Ländern ebenfalls zu beobachten. Ferner sollte ein Lobbyist in Brüssel über eine gute Allgemeinbildung verfügen, denn eine alte Diplomatenweisheit sagt aus, dass Gespräche oder Verhandlungen immer mit einem allgemeinen Meinungsaustausch beginnen, der Vertrauen schaffen soll. Das Führen eines solchen Meinungsaustausches kann jedoch nur gelingen, wenn man sich in die kulturellen und sozialen Rahmenbedingungen des oft ausländischen Gegenübers einfindet. Diese wenigstens ansatzweise zu kennen, ermöglicht nur eine gute Allgemeinbildung.

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Als Drittes sei die alte Max Webersche Unterscheidung von Gesinnungsethik und Verantwortungsethik2 erwähnt. Es liegt auf der Hand, dass sich für eine Lobbytätigkeit in Brüssel der Gesinnungsethiker weniger eignet als der Verantwortungsethiker. In Brüssel ist es notwendig, Menschen zu überzeugen, die viel unabhängiger (weil meist ganz anderen Hierarchien und/oder Nationen entstammend) von dem jeweiligen Gesprächspartner sind als im Normalfall und sich daher viel schneller dem Beeinflussungsversuch entziehen können. In Brüssel gilt es, Kompromisse zu finden und nicht „weltanschauliche Schlachten zu schlagen“.

IV. Ansprechpartner: Folgend der Überlegung, dass die Kommission Ausgangspunkt jeder gesetzlichen Initiative ist, nimmt die Arbeit des Büros hier ihren Anfang. Dies bedeutet, dass die einzelnen Generaldirektionen der Kommission, und hier besonders die für den ersten Entwurf zuständigen Referenten, beachtet werden müssen. Die Generaldirektionen, z.B. für Verkehr, Umweltschutz, Wettbewerb, Soziales und Binnenmarkt, sind meist dankbar für Informationen aus erster Hand zu bestimmten Themen. In vielen Fällen geht die Kommission aber auch von sich aus auf die Brüsseler Lobbyistenszene zu. Hier gilt es ebenso präsent zu sein. Neben der Kommission ist das Europäische Parlament (EP) eine der Hauptanlaufstellen für kommunale Lobbyarbeit. Besonders bei Beschlüssen, die das so genannte „Mitentscheidungsverfahren“ betreffen (zum Beispiel Umweltschutz), hat das Parlament eine starke Stellung, die es zu gewichten gilt. Dabei reicht es nicht, sich allein nach den einzelnen politischen Fraktionen auszurichten. Es ist keineswegs ausgemacht, dass ein sozialistischer spanischer Abgeordneter immer mit seinem deutschen oder österreichischen Kollegen übereinstimmt oder ein deutscher Christ-Sozialer immer mit einem britischen Konservativen. Der Hang zur Fraktionsdisziplin ist im EP lange nicht so ausgeprägt wie in deutschen Parlamenten, obwohl es ihn natürlich gibt. Eine zusätzliche Richtschnur für die Lobbyarbeit muss hier neben den nationalen Interessen der Parlamentarier der Blick auf zwischenstaatliche Gemeinsamkeiten liefern. So wird z.B. das Thema Daseinsvorsorge sicher in den Ländern Nordeuropas oder in Österreich anders als in Deutschland gesehen. Auch 2 Die Verantwortungsethik zielt auf die Verantwortbarkeit der Folgen des Handelns bzw. der Ergebnisse ab. Im Gegensatz zur Gesinnungsethik stellt sie die tatsächlichen Ergebnisse der Handlung über das Motiv und die Absicht der Handlung. Die Gesinnungsethik zielt auf das Motiv des Handelnden und damit auf den Ursprung der Handlung. Im Gegensatz zur Verantwortungsethik stellt sie das Motiv und die Absicht über den tatsächlichen Erfolg der Handlung.

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kann man den französischen „Service Publique“ nicht mit den deutschen kommunalen Auffassungen zur Daseinsvorsorge vollständig in Einklang bringen. Dennoch gibt es Überschneidungen, denn die Forderung nach einer „Versorgung im Raum, bei Beachtung der sozialen Komponente und eines gewissen Umweltstandards für ganz Europa“ ist allen Überlegungen eigen. Hier gilt es anzusetzen und Verbündete zu suchen.

V. Vorgehensweise: Wie sind nun die Erfahrungen im konkreten politischen Betrieb? Es lohnt sich dabei mit der EU-Verfassungsdiskussion zu beginnen, die für die deutschen Kommunen manches Positives eröffnete, dessen konkrete Umsetzung jedoch momentan gefährdet ist. Mit dem EU-Verfassungsvertrag ist Europa auf dem Weg, die Kommunen zu entdecken und damit mehr Bürgernähe zu erzielen. Nachdem anfänglich im Konvent die Skepsis gegenüber einer Stärkung der Kommunen in Europa groß war, konnten hier im Verlauf der Arbeiten doch wichtige Erfolge erzielt werden. Dies geschah indem man Papier um Papier schrieb, Modifikation um Modifikation nachvollzog und sich auf nationaler Ebene um die Länder- und Bundesschiene bemühte. Dieses Vorgehen folgte einem klassischen weil vorrangig durch die Erarbeitung von detaillierten Gesetzestexten geprägtem Muster. Das Ergebnis sah danach folgendermaßen aus: Im Europäischen Verfassungsentwurf erfolgte die Aufnahme der kommunalen Selbstverwaltung in das Gebot der Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten (Art. I-5 Abs. 1 der EU-Verfassung). Dies ist überhaupt das erste Mal, dass der Begriff der „kommunalen Selbstverwaltung“ in einem europäischen Gesetzestext auftaucht! Weiterhin wurden die Kommunen und Regionen ausdrücklich in das so genannte Subsidiaritätsprinzip aufgenommen, das die Handlungszuständigkeiten der EU reguliert. Der Verfassungsentwurf sieht zudem in seinem Art. I-11 Abs. 3 vor, dass die europäische Ebene nur dann tätig werden soll, sofern das zu erreichende Ziel nicht besser auf der Ebene der Mitgliedstaaten, der Regionen oder der Kommunen erreicht werden kann. Wer hätte im Jahr 1992 – bei Einführung des Binnenmarktes mit all seiner Ausrichtung auf die Wirtschaftspolitik (und die damit einhergehende Zentralisierung der Entscheidungsstränge) – gedacht, dass diese „urkommunalen“ Anliegen eine solche Breite in dem Entwurf einnehmen würden. Ein zweiter Punkt ist die seit langem erhobene Klage der kommunalen Ebene über die Bevormundung der kommunalen Gebietskörperschaften in den Bereichen der Daseinsvorsorge. Hier scheinen sich angelsächsisches Wirtschafts-

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recht und deutsches Verwaltungsrecht unversöhnlich gegenüberzustehen. Eine Entfremdung zwischen der Europäischen Spitze und den folgenden Staatsebenen ist die Folge. Vermutet die Europäische Union andauernd wettbewerbsfeindliche Absprachen, so unterstellt die kommunale Seite der EU Zerschlagung von Strukturen, die sich seit Bismarcks Zeiten in Deutschland bewährt haben. Wie geht die kommunale Seite dieses Problem nun an? Nun – in Form eines pragmatischen Kompromisses und im Gegensatz zum obigen Fall mit einem nur allgemeine Eckpunkte umfassenden Ansatz. Die kommunale Seite versucht zur Zeit die Kommission davon zu überzeugen, dass 1.

2.

3.

aus Gründen der regionalen Wirtschaftsförderung es den Kommunen überlassen bleiben muss zu entscheiden, ob ein Unternehmen öffentlich bleibt oder nicht; die Mehrzahl der öffentlichen Unternehmen im Daseinsvorsorgebereich Umsätze vorweist, die keinesfalls binnenmarktrelevant sind, sie damit zu den so genannten Quantités négliables gehören und folglich aus dem Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts fallen; die so genannte Interkommunale Zusammenarbeit (z.B. Zweckverbände) ein rein interkommunaler Akt ist, der keine wirtschaftliche Tätigkeit darstellt und somit ebenfalls aus dem Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts herausfällt.

Es geht demnach hier um den lobbyistischen Erfolg oder Misserfolg, den Organen der Europäischen Union ein allgemeines Grundverständnis von kommunaler Tätigkeit zu vermitteln, welche aufgrund der Verträge zu Recht oder zu Unrecht in Frage gestellt wird. Etwas anderes ist hierbei am Rande zu erwähnen, denn an diesem Thema wird deutlich, dass jede lobbyistische Aktion auch immer einen größeren Hintergrund hat. In diesem Fall liegt er in dem „philosophischen“ Rat der unteren staatlichen Ebenen an die EU, sich nicht in die allerletzten Dinge der Staatsgeschäfte einzumischen. Die Kommission verstößt zu oft gegen diesen Rat, wie eben in der Frage, ob es kommunalen Gebietskörperschaften erlaubt sein soll, ihre Zweckverbände organisatorisch zu ordnen wie sie es wollen oder ob sie dazu die Kommission fragen sollen. Wer alles regeln will, regelt am Ende gar nichts mehr. Dies zu artikulieren, gehört ebenfalls zu den Aufgaben eines Lobbyisten. Ein dritter Punkt sei erwähnt: Die Erfahrung der kommunalen Seite mit der Politik der ländlichen Entwicklung. Nicht nur dem britischen Premierminister, sondern auch anderen Politikern ist die Ausrichtung des EU-Budgets auf konventionelle Aufgaben wie die Marktstützung der hiesigen Landwirtschaftsprodukte oder die alleinige Ausrichtung der Förderung des ländlichen Raumes auf

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landwirtschaftsnahe Projekte ein Dorn im Auge (geplant circa 6,8 Milliarden Euro pro Jahr von 2007 – 2013). Man wirft zu Recht oder zu Unrecht der herkömmlichen Politik vor, alte Strukturen zu stützen. Vielmehr seien Investitionen im technologischen oder im Forschungsbereich – auch und gerade im ländlichen Bereich – notwendig. Hier steht die kommunale Seite in einer mittleren Position. Sie ist der Meinung, dass der ländliche Raum von der Landwirtschaft unabhängige Förderungsquellen erhalten muss, die andererseits aber durchaus in eine modifizierte Entwicklung der Landwirtschaft eingepasst werden sollten. Einen Gegensatz zwischen Landwirt und ländlichem Bewohner herzustellen, erscheint unsinnig. Die starke Fixierung des EU-Fonds für ländliche Entwicklung (zweite Säule) auf landwirtschaftnahe Projekte, dient allerdings dieser Politik nicht. Hier ist eine Lockerung seitens der EU nötig, um Alternativen für die gesamte Bevölkerung im ländlichen Raum zu entwickeln. An diesem Beispiel wird deutlich, dass sich der Lobbyist bei aller Diplomatie und Zurückhaltung nicht immer aus den politischen Auseinandersetzungen heraushalten kann und soll. Die lateinische Redewendung „Fortiter in re, suariter in modo“3 drückt die dann angemessene Haltung gut aus. Der kommunale Lobbyist mit seiner Verpflichtung für die Bevölkerung im ländlichen Raum muss mit darauf hinwirken, dass es zu einem vernünftigen Ausgleich zwischen den Interessenten für die Maßnahmen kommt, vor allem dann, wenn der ländliche Raum im Osten Deutschlands immer mehr zum Sorgenkind wird. Hier geht es demnach darum, den Konflikt mit dritten Interessensverbänden nicht zu scheuen. Sowohl gegenüber den Organen der EU als auch – in diesem Zusammenhang wichtiger – durch allgemeine Stellungnahmen in dem politischen Umfeld (Medien, interessierte Verbände, Parteistiftungen etc.) ist hier der Boden für eine Umorientierung vorzubereiten. Fassen wir zusammen: Die Vorgehensweise der Lobbyisten gegenüber der Politik ist nach Auffassung des Autors durch einen Dreisatz geprägt, der je nach Bedarf a) vom konkreten zum allgemeinen; b) vom schriftlichen zum (eher) mündlichen; c) oder vom direkten zum indirekten verläuft. Jeder engagierte Lobbyist wird sich einer dieser Methoden bedienen und jede Spielart trifft man auch in Brüssel an. Dabei darf jedoch eines nicht vergessen werden, i.e. die Suche nach Verbündeten. Diese Suche ist der Königs3

„Stark/hart in der Sache, gemäßigt in der Form/im Ton“.

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gedanke jeglicher Lobbyarbeit, denn eine von möglichst vielen kommunalen Europäischen Lobbyisten getragene Position zu einem politischen Vorhaben ist für Kommission und Parlament immer von stärkerem Gewicht als eine nationale oder sektorale. An diesem Ziel muss allerdings – was die kommunale Seite betrifft – noch gearbeitet werden. Die deutschen, österreichischen, französischen und italienischen kommunalen Vertretungen in Brüssel gehen hier voran. Potentiell ist der Wille bei allen anderen Vertretungen auch vorhanden. An der Verbesserung der bisher noch rudimentären Struktur wird in Brüssel fast täglich gearbeitet. Zu alledem gehört letztendlich allerdings auch eine funktionierende lebendige Infrastruktur von innen heraus. Was den Deutschen Städte- und Gemeindebund betrifft – und zwar auf allen Ebenen – so ist diese Infrastruktur und vor allem das Interesse daran vorhanden. Diese Struktur muss jedoch noch stärker und häufiger von den einzelnen Gemeinden genutzt werden. Doch setzen wir die „Kommunalen erst einmal öfter in den Sattel, reiten werden sie dann schon können“.

VI. Adressat der Botschaften: Im obigen Text ist bereits deutlich geworden, wer im Brüsseler Kontext Hauptadressat der Botschaft ist, die ein Lobbyist zu transportieren hat. Neben Vertretern der Presse, der interessensverwandten Verbände oder dem Ausschuss der Regionen sowie dem Wirtschafts- und Sozialausschuss sind dies vor allem die Europäische Kommission und das Europäische Parlament. Beide Adressaten sind unterschiedlich zu sehen, weil sie unterschiedliche Interessen und Verpflichtungen haben. So wird oft übersehen, dass die Kommission, die mit ihrer Arbeit am Anfang des politischen Entscheidungsprozesses steht, durch den EU-Vertrag gebunden ist. Weiterhin arbeiten die dort angesprochenen in Hierarchien, sind somit weisungsgebunden und wissen meist nicht genau, wie in den einzelnen europäischen Nationalstaaten die Gesetzeslage und die Verwaltungstraditionen sind. Ferner muss immer in Rechnung gestellt werden, dass die Kommission zum einen als Motor und Wächter der Verträge per definitionem standfest sein und zum anderen die Interessen des Ministerrats wie des Europäischen Parlamentes ausbalancieren muss. Es gilt demnach gegenüber der Kommission bei aller Übermittlung der Grundüberzeugungen in erster Linie einmal darum, aufzuklären und auf eventuelle Stolpersteine im zukünftigen Gesetzgebungsverfahren hinzuweisen. Die Arbeit mit der Kommission hat zudem den nicht zu

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ersetzenden Vorteil, dass hier zeitlich gesehen die ersten entscheidenden Festlungen getroffen werden. Das EP hat eine andere Ausgangslage. Es steht stärker als alle anderen Organe der EU in einem nationalen Zusammenhang, denn jeder Abgeordnete repräsentiert nicht nur seine Partei sondern auch seine Region und sein Land; manchmal auch seine Klientelgruppe. Ihr Einfluss ist im EP immer spürbar. Deshalb sind die Parlamentarier auch stärker an pragmatischen Lösungen interessiert und hängen folglich nicht so sehr an puristischen Lösungen. Hinzu kommt, dass der Abgeordnete nominell frei in seiner Entscheidung ist und theoretisch keine Vorgesetzten kennt. Der EU-Vertrag ist seine Richtschnur und nicht sein verbindlicher Katechismus. Daraus resultiert im allgemeinen, dass das EP eher ein Interesse an generellen und „politischen“ Informationen hat als die Kommission, wobei natürlich konkrete Gesetzestextvorschläge, die ihm die rein organisatorische Parlamentsarbeit erleichtert, immer willkommen sind. Das EP eröffnet dem Lobbyisten daher einen anderen und tendenziell größeren Spielraum als die Kommission. Dies alles hat allerdings den zeitlichen Nachteil, dass die ersten Eckpunkte durch die Kommission de facto schon festgelegt sind. Kommen wir zum Schluss. Stimmt man den oben beschriebenen Unterschieden zu, so ergeben sich für den (kommunalen) Lobbyisten folgende Grundregeln bei der Auswahl und der Behandlung der Adressaten: a.

b. c.

d.

Hauptansprechpartner sind die Europäische Kommission sowie das EP. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) sowie der Ministerrat entziehen sich aus systemimmanenten Gründen der Lobbyistentätigkeit weitgehend; Die Kommission steht am Anfang des politischen Prozess, das Parlament setzt erst danach seine Eckpunkte. Flankierend sind Institutionen wie der Ausschuss der Regionen, befreundete Lobbyistenverbände, die Presse sowie der Wirtschafts- und Sozialausschuss in die Lobbyarbeit mit einzubeziehen; Die Kommission ist tendenziell an einer Erhöhung ihres Wissenstandes interessiert, den sie zur Lösungsfindung benötigt, das Parlament ist eher offen für pragmatische und politische Lösungsvorschläge.

Folgt man den weiter oben beschriebenen Vorgehensweisen sowie den gerade skizzierten zeitlich und inhaltlich bedingten Ansätzen für eine erfolgreiche Lobbyistentätigkeit, so bleibt allerdings immer noch der alles konstituierende Hauptpunkt unerwähnt. Über ihn kann man wissenschaftliche Abhandlungen schreiben oder nur einen Satz. Der Autor zieht die zweite Version vor und will deshalb mit einem Zitat von Goethe enden, welches lautet: „Höchstes Glück der

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Erdenkinder, sei nur die Persönlichkeit“.4 Sie ist es, die über die Qualität der Lobbyistenarbeit in jedem Handlungsrahmen entscheidet. Sie kann jedoch durch keine Handlungsanweisung gelehrt werden.

4

Johann Wolfgang von Goethe, Westöstlicher Diwan, Buch Suleika (1819).

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Martin Säckl

20 Jahre EU-Lobbying als Dienstleistung

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Geschichte des Lobbyings in Brüssel

Die Geschichte des Lobbyings spiegelt die Bedeutung der europäischen Integration im Laufe der Zeit wieder. Bereits 1949, also noch vor der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, bildete sich der Rat der Europäischen Industrieverbände (CIFE). Nach Unterzeichnung der Römischen Verträge haben 1958 jene Mitgliedsorganisationen der CIFE, deren Länder Mitglied der Europäischen Gemeinschaften waren, die Union des Industries de la Communauté européenne (UNICE) gegründet. Ziel der UNICE war es, die Aktivitäten der Europäischen Gemeinschaften im Auge zu Behalten. Heute würde man das „Monitoring“ nennen. Die Landwirtschaft hatte ebenfalls schnell die Bedeutung Europas erkannt und 1958 mit der COPA (Ausschuss der berufsständischen landwirtschaftlichen Organisationen) eine erste repräsentative Organisation des gesamten Sektors gegründet. Der Landwirtschaftsbereich war in den folgenden drei Jahrzehnten als der am weitesten vergemeinschaftete Wirtschaftszweig führend im EU-Lobbying. So wie heute noch stand auch damals schon der größten Teil des Gemeinschaftsbudgets für diesen Sektor zur Verfügung. Das Beispiel UNICE zeigt, dass es auch außerhalb des konkreten Anlasses „EGKS, EWG und Euratom“ das Bestreben gibt, europäische Dachverbände für Branchen- , aber auch für sonstige Interessensorganisationen zu gründen. Dieses Bestreben hat bis zu den 90er Jahren eine erkleckliche Anzahl von Europäischen Dachverbänden gründen lassen, wie beispielsweise den Europäischen Verband der Baumaschinenhändler (ECED), das Büro der Europäischen Konsumentenschutzorganisationen (BEUC), oder das Forum für Kunst und kulturelles Erbe (EFAH). Mit der „Einheitlichen Europäischen Akte“ und dem damit verbunden Ziel der Umsetzung des Europäischen Binnenmarktes bis 1.1.1993 hat sich die Brüsseler Lobbying-Landschaft stark geändert. Plötzlich gab es einen handfesten Grund in Brüssel vertreten zu sein. Jetzt wurde Gesetzgebung geschaffen, die konkrete Auswirkung auf zahlreiche Branchen und soziale Gruppen hatte. Jetzt haben auch einzelne große Unternehmen in Brüssel eigene Repräsentanzen oder Verbindungsbüros aufgebaut. 156

Die zweite Hälfte der 80er-Jahre war der Beginn des Agentur-Lobbyings in Brüssel. Man spricht heute auch von EU-Consultancies. Plötzlich gab es einen Markt. Dieser Markt war aber fast ausschließlich angloamerikanisch, denn Unternehmen und Verbände, die schon in den USA oder im Vereinigten Königreich tätig waren, kannten den Nutzen von zu Hause. Dort war die „Public Affairs“ ein normaler Teil der Unternehmenskommunikation. Zwar wird in der Public Affairs eine kleinere Zielgruppe, nämlich nur die in einem politischen Entscheidungsprozess beteiligten Personen, behandelt, jedoch sind die Techniken ähnlich jener der Public Relations. Es geht also vor allem um Kommunikation. Daher ist auch nicht verwunderlich, dass die Marktführer im Brüsseler Europa-Lobbying, amerikanischen Kommunikationskonzerne waren, wie: Weber-Shandwick, BSMG, Hill & Knowlton, Burson Marsteller, Fleishman Hillard und andere. Neben den großen Kommunikationsunternehmen bildeten sich zahlreiche kleinere Agenturen nach Westminster Muster. Damit sind Agenturen ähnlich wie in London mit etwa einem Dutzend Mitarbeitern gemeint. Erfolgreich waren bei diesen Agenturgründungen besonders die Briten, die bereits einen bestehenden Markt bedienen konnten. Wenn ein britisches Unternehmen irgendwo im Vereinigten Königreich eine Fabrik auf die Wiese stellen will, gibt sie einer Public Affairs Agentur den Auftrag, sich darum zu kümmern. Wenn eine Europäische Gesetzgebung im entstehen ist, dann ist es für einen britischen Unternehmen ganz natürlich jemanden zu suchen, der sich damit beschäftigt. Dieser Markt wurde von den jungen Brüsseler Agenturen bedient. Agenturgründer, die nicht in den englischen und amerikanischen Markt hineinarbeiten konnten, hatten es hier ungleich schwieriger. Deutschland, Frankreich, Spanien, Skandinavien, etc. hatten höchst spezifische nationale LobbyingKulturen, wo eine Übernahme dieser Tätigkeit durch eine Agentur noch sehr fremd anmutete. Trotzdem wurden immer wieder Consultancies gegründet, die aber eine Pionierrolle in der Schaffung eines Marktes übernehmen mussten. Das war für einige eine zu große Bürde. Sie gaben wieder auf. Während dieses ersten Hypes haben mehrere Einzelpersonen versucht, eine Consultancy zu gründen. Grundlage für diesen Schritt in das Unternehmertum war eine Europa-Expertise, die beispielsweise durch eine Mitarbeit in der EGAdministration als Nationaler Experte, als Praktikant, als Mitarbeiter in einer Ständigen Vertretung oder in einem Europäischen Verband gewonnen wurde. Einige dieser Gründungen waren längerfristig erfolgreich. Mit den Consultancies Euralia (Frankreich), Kreab (Skandinavien), Praaning Meines (Niederlande) und SACES (Spanien) haben sich jeweils die Champions in ihren Heimmärkten herausgebildet. Der Versuch Lobbying-Kunden aus einem nationalen Markt zu akquirieren, macht aus strategischen und kulturellen Gründen Sinn. Sich bei der Umsetzung

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von Europäischen Lobbystrategien auf nationale Netzwerke zu verlassen, kann jedoch gefährlich werden. Zu sehr entsteht hier eine „Inselsituation“, die sich selbst rechtfertigt, während die wahren Entscheidungen ganz woanders fallen. Am augenfälligsten passiert das mit französischen Consultancies. Brüsseler Consultants nehmen hin und wieder mit Erstaunen wahr, dass es überhaupt eine große französische Consultancy wie Euralia gibt, von der sie bisher nichts wussten. Der offensichtliche wirtschaftliche Erfolg einer Consultancy, ohne dass diese in der Szene wahrgenommen wird, bestätigt eine Behauptung, die den Franzosen nachgesagt wird: Franzosen sprechen nur mit Franzosen. Ganz so einfach ist es aber auch wieder nicht. Dazu muss man die französische Situation etwas beschreiben. Anders als in Deutschland ist in Frankreich das Elitedenken nicht verpönt. Die Spitzen des Staates und der Wirtschaft sollen, nach französischer Denke von dieser Elite geführt werden. Diese Elite bildet sich in den Grand Écoles. Im Bereich Verwaltung ist das die ENA (Ecole Nationale d’Administration), wo das zukünftige Führungspersonal für die Ministerien ausgebildet wird. Um aber in einem Ministerium Karriere machen zu können, sollte man einmal in der EU-Administration gearbeitet haben. Das führt dazu, dass in Brüssel hervorragende französische Beamte zu finden sind. Unternehmensführer, Verbandsmanager, oder Lobbyisten, die ebenfalls an diesen Hochschulen ausgebildet wurden, benutzen selbstverständlich das informelle Netzwerk der gemeinsamen Ausbildung. Auf den ersten Blick mag dies ein Vorteil sein. Bei genauerer Betrachtung liegt darin aber die große Gefahr der Einseitigkeit der Auslegung von Information.

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Die Geschichte des deutschsprachigen Lobbyings in Brüssel

Im deutschen Denken hatte Politik mit Gesetzen zu tun und dafür sind Rechtsanwälte zuständig. Doch das hat sich offensichtlich geändert. So nennt das European Affairs Directory aus dem Jahr 1998 noch etwa zwei Dutzend Kanzleien aus Deutschland und Österreich. Heute gibt es nach der gleichen Quelle nur mehr ein Dutzend. Manche Consultancies, wie die aus Bayern stammende EUTop, bezeichnen sich bewusst nicht als Agentur. EUTop versteht sich als Anwaltskanzlei für „Governmental Affairs“. Ähnlich ist es mit der ebenfalls aus Bayern stammenden EU-Select, die sich auf ihrer Website als „Interessensvertreter“ bezeichnet. Beide Consultancies wurden jedenfalls schon in den frühen 90ern gegründet und gehören heute zu den Top 4 deutschsprachigen Consultancies.

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Ein früher Vorläufer einer deutschen Kommunikationsagentur in Brüssel war die damals bekannte Frankfurter PR-Agentur Hunzinger PR, die in der EUHauptstadt mit einem Türschild bei einer Rechtsanwaltskanzlei vertreten war. Erst 1999 hat die deutsch-schweizerisch-österreichische PR-Agentur Trimedia die erste deutschsprachige „European Affairs“-Dependence in Brüssel gegründet – also gut 10 Jahre nach der ersten Gründungswelle durch die Angloamerikaner. Gleichzeitig war dies der erste Versuch des Unternehmens überhaupt in der Public Affairs. Vier Jahre später hat sich die Agentur wieder aus Brüssel zurückgezogen. Ebenfalls Ende der 90er haben einige kleine deutschsprachige Agenturen mit dem European Affairs-Geschäft begonnen. Dies waren die Agenturen Conseillé+Partner, EuroPA, Euventure und Miller&Meier. 2003 haben dann EuroPA, Miller&Meier und der ehemalige Trimedia Brüssel-Geschäftsführer die European Affairs Consultancy Group (EACON) gegründet, die ebenfalls zu den Top 4 im deutschsprachigen Markt in Brüssel zählt. Der letzte Ankömmling unter den Top 4 deutschsprachigen EU-Consultancies in Brüssel ist die in Deutschland führende Kommunikationsagentur Pleon, die damals noch Kothes & Klewes hieß. Das Pleon-Büro in Brüssel wurde 2002 eröffnet. Während die anderen drei Consultancies reine Public Affairs Agenturen sind, die fallweise mit Public Relations Agenturen zusammen arbeiten, ist Pleon eine Public Relations Agentur, die auch Public Affairs anbietet. EACON, Eutop und Pleon haben unter anderem Büros in Berlin. Ähnlich haben Consultancies von anderen Märkten mindestens ein Büro in einer nationalen Hauptstadt. Dies zeigt vor allem, dass die nationale und die europäische Ebenen im Politikgeschäft sehr stark ineinander verschwimmen. Gleichzeitig gibt diese Verbundenheit Consultancies „zu Hause“ die Möglichkeit, in Brüssel mit zu spielen, was einige Berliner oder Wiener Public Affairs Consultancies wie Jurka Managementberatung oder Kovar & Köppl tun. Ein weiterer Beweis für die Verschränktheit der beiden Ebenen zeigen die Deutsche Gesellschaft für Politikberatung (degepol) und die Zeitschrift „Politik und Kommunikation“. Bei der degepol waren schon von Beginn an Brüsseler Consultants dabei und bei „Politik und Kommunikation“ wird regelmäßig auch über die Lobbyingbranche in Brüssel informiert.

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Lobbyings 1990 und heute

Hier gibt es sehr große Unterschiede. Zu Beginn der 90er Jahre wurde tatsächlich noch Geschäft mit dem einfachen Verkauf von Kommissionsdokumenten gemacht. Die erst 1997 entstandene Society of European Affairs Professionals

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(SEAP) sah sich sogar genötigt, dieses Verhalten in ihrem Ehrenkodex zu verdammen. Die relative Unzugänglichkeit der europäischen Institutionen hat dazugeführt, dass die Vermittlung von den richtigen Ansprechpartnern ebenfalls zum Geschäft werden konnte. Heute werden beide Leistungen nebenbei miterfüllt. Heute geht es mehr um strategische Beratung und um die Umsetzung derselben. Es gibt zwei wesentliche Gründe, warum sich das Lobbying im letzten Jahrzehnt so stark geändert hat: das Internet und Maastricht. Etwa 1995, seit dem alle möglichen Dokumente von jedermann von der Website europa.eu.int herunter zu laden sind, können diese nicht mehr verkauft werden. Die Website ist in der Tat so reichhaltig, dass es für Nicht-Experten wiederum schwer wird, das Richtige zu finden. Dennoch, jeder hat die Möglichkeit (fast) alles zu erfahren. Diese Transparenz auf der Website hat zu einer Transparenz in der Verwaltung selbst geführt. Es kommt heute sehr selten vor, dass beispielsweise die Kommission nicht innerhalb von drei Tagen auf eine Frage reagiert. Diese zunehmende Offenheit der Kommission und des Parlaments – weniger des Rates – hat dazu geführt, dass durch Wegfall der Geschäftsgrundlage die unseriösen Lobbyisten vom Markt verschwunden sind. EUBeamte gehen daher heute partnerschaftlicher mit den Lobbyisten um, zumindest solange sie von diesen fair und professionell behandelt werden. Die Tragweite dieses neuen Mediums Internet kann jedenfalls für den Politikentscheidungsprozess und damit auch für das Public Affairs Geschäft nicht hoch genug eingeschätzt werden. Dies wäre ein interessantes Thema für Diplomarbeiten und Dissertationen, das noch nicht ausreichend bearbeitet ist. Die zweite große Änderung kam 1992 mit dem Vertrag von Maastricht und der vergrößerten Kompetenz des Europaparlaments. Diese Änderung zeigte seine Auswirkungen weniger schnell als das Internet. Der Grund dafür lag und liegt immer noch in der Natur der Menschen. Bis Maastricht war die Kommission der Mittelpunkt eines jeden Brüssler Lobbyisten. Das EP wurde, wie auch von den Kommissionsbeamten selbst, als Quatschbude abgetan. Und tatsächlich, bis Maastricht hatte das Parlament relativ wenig Mitentscheidungskompetenz. Das hatte sich nun geändert. Plötzlich gab es bei Richtliniene-Entwürfen Änderungen von Seiten des EPs, die man ernst nehmen musste und nicht mehr einfach übergehen konnte. Das EP hatte also einen gleichberechtigten Platz im institutionellen Dreieck Kommission-EP-Rat bekommen. Für die Brüsseler Lobbyisten hieß das aber, dass der mühsame Aufbau ihrer Netzwerke nur mehr halb so viel wert war. Diese Netzwerke hatten sich fast ausschließlich auf die Kommission konzentriert. Das EP blieb sowohl personell wie auch funktionell fremd. Einige konnten sich umstellen und das EP in ihre Arbeit integrieren. Einige ältere Lobbyisten hatten aber augenscheinlich Schwie-

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rigkeiten damit. Zu dieser Zeit haben Branchenverbände sogar das EP-Knowhow von EU-Consultancies eingekauft. Ein Verhalten, das sogar noch zu Beginn des neuen Jahrtausends beobachtet werden konnte. Andere haben nach wie vor das EP gegenüber ihren Kunden oder ihren Vorgesetzen klein geredet, was wahrscheinlich zu einigen Fehleinschätzungen geführt hat. Ab Mitte der 90er Jahre sind verstärkt ehemalige Assistenten von Europaparlamentariern in Consultancies, NGOs und Europäische Verbände gegangen und haben ihr EP-Know-how mitgebracht. Heute ist der Generationswechsel praktisch vollzogen. Wer heute noch in Brüssel tätig ist, hat zu allen drei großen Institutionen das passende Know-how und Netzwerk. 2005 zeigte sich eine neue Entwicklung, deren Auswirkungen sich aber noch nicht abschätzen lassen. Am Beispiel der Softwarepatent-Richtlinie gab es im EP einen Lobbying-Overkill, der vielen Abgeordneten zu viel war. Vor allem die Abgeordneten aus den neuen Mitgliedsländern reagierten verstört auf das massive Lobbying. In den Tagen des Juli-Plenums in Straßburg gab es für die Abgeordneten kein Entrinnen. Überall haben sich die Lobbies im und um das Parlament mit Transparenten und Ständen aufgebaut. Sogar auf dem Fluss Ill, der zwischen zwei Parlamentsgebäuden liegt und über welchen eine Brücke geht, haben sich Propaganda-Boote eine Informationsschlacht geliefert. Einige Monate später scheint dieser Vorfall nach vielen Beschwerden von den Abgeordneten verdaut worden zu sein. Dennoch wurde damit ein Damm gebrochen. Für die Zukunft könnten noch mehr und vor allem teuere LobbyingSchlachten zu erwarten sein. Jahrelanges sachliches Lobbying bei den Institutionen wird am Schluss von populistischen Argumenten erschlagen. Es wird sich nun zeigen, ob das EP mitspielt oder nicht. Je nachdem wird sich die Zukunft des EU-Lobbyings entwickeln.

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Lobbying Splitter

90% Schweiß, 10% Aktion Bevor man die allgemein bekannten Lobbyingtätigkeiten durchführen kann – wie etwa Gespräche mit Abgeordneten und Beamten – muss ein Monitoring (Beobachtung der politischen Prozesse) betrieben werden. Dann wird das gesammelte Material analysiert. Daraufhin müssen der eigene Standpunkt erarbeitet und Strategien entwickelt werden. Erst dann geht man aktiv auf die Entscheidungsfinder zu.

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Essenseinladungen Obwohl es in Brüssel eine hervorragende Restaurantkultur gibt, werden Essenseinladungen oft als Zeitverschwendung angesehen. Meistens kann man die gleiche Mitteilung in einem halbstündigen Termin im Büro besser hinüber bringen, als in einem zweistündigen Businesslunch. Empfänge Empfänge sind ein hervorragender Ort zum Aufbau und zur Pflege von Netzwerken. Da die dargereichten Speisen und Getränke im „Vorbeigehen“ konsumiert werden, merkt man gar nicht, wie viel man schon gegessen hat. Bei mindestens zwei Empfängen pro Woche sieht man das Ergebnis bald auf der Waage. Noch schlimmer ist es, nicht mit dem Alkohol umgehen zu können. Damit wurden schon einige Lobbyisten-Karrieren verloren. Sprachen Die allgemeine Umgangssprache in Brüssel ist schlechtes Englisch. Nachdem Englisch für selten die Muttersprache ist, haben die meisten das gleiche Handicap. Durch die neue Erweiterungsrunde ist das Französische zum Leidwesen der Franzosen in der Praxis weiter nach hinten gerutscht. Grundsätzlich gibt es aber kaum Verständigungsprobleme. Fast alle sprechen zwei oder mehrere Fremdsprachen. Da findet man bald eine gemeinsame Sprache. Selbst mit Deutsch kommt man sehr weit. Geldkoffer Schwarzgeldkoffer spielen im Lobbying keine Rolle. Weder Beamte noch Parlamentarier dürfen Geschenke annehmen. Da kann schon ein Kugelschreiber zu einem Problem werden. Besser ist es, eine billige Nylonkrawatte als Mitbringsel zu übergeben. Diese kann der Parlamentarier wenigstens bei der nächsten Tombola als Sachspende einbringen. Bürokratie Der Brüsseler Moloch ist mit 24.000 Beamten doch wesentlich kleiner als sein Ruf. Jede europäische Großstadt von einer Million Einwohnern (z.B. Köln) hat eine ähnlich große Verwaltung.

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Multikulti in Brüssel Die Stadt ist mit knapp unter einer Million Einwohner sehr überschaubar und trotz einiger Unzulänglichkeiten lebenswert. Fast die Hälfte der Einwohner sind dabei keine Belgier und etwa 100.000 Personen haben direkt, oder als Familienangehörige mit der EU, der NATO oder den zahlreichen Lobbies und Interessensvertretungen zu tun. In Brüssel sind offiziell etwa 7.000 Deutsche und nur 934 Österreicher (Stand 2003) gemeldet, wobei die Österreicher einer der kleinsten Gemeinden bilden. Crossroad In Brüssel kreuzen sich schon seit Jahrhunderten viele Wege. Egal in welche Richtung man mit dem Auto fährt, in spätestens einer Stunde hat man das Land verlassen. Die Belgier sind trotz der vielen Schlaglöcher sogar so stolz auf ihre Autobahnen, Fast das gesamte Autobahnnetz ist bei Nacht beleuchtet. Mit dem Zug ist man in 1 ½ Stunden in Paris, in 2 ½ Stunden in Köln oder Amsterdam und in 3 Stunden in London. Und der Flughafen von Brüssel ist schöner und größer als alle drei Flughäfen von Berlin zusammen. Viel Verdienen Die guten Zeiten bei der EU-Kommission gut verdienen zu können sind seit der aktuellen Reform vorbei. Freilich verdienen die Beamten noch immer gut, aber das darf man bei der geforderten Qualität des Personals verlangen. Alle sprechen mehrere Sprachen und haben meistens mehrere Studien hinter sich. Schließlich mussten sich einzelne bei so genannten „Concours“ schwierigen Tests unterziehen. Von 20.000 Bewerbern schaffen es etwa 300 Personen. Die Frage ist nun, ob sich bei einem nun niedrigeren Gehalt immer noch die besten Kräfte um einen Job in der Kommission bewerben? Sie könnten leicht in der Privatwirtschaft mehr Geld verdienen. Journalisten Brüssel ist noch vor Washington die Welthauptstadt der Journalisten. Etwa 1000 Journalisten sind bei der Pressestelle der Kommission als „EU-Korrespondenten“ akkreditiert.

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Place Luxembourg Mit der politischen Aufwertung des Europäischen Parlaments seit dem Vertrag von Maastricht hat das Leopold-Viertel um das EP an Attraktivität gewonnen. Es ist nun das teuerste Büroviertel der Stadt. Im Zentrum des Viertels befindet sich der Place Luxembourg, an dem zahlreiche Cafés bei warmen Wetter große Terrassen aufbauen. Berüchtigt ist die Happy Hour zwischen 18.00 bis 19.00 Uhr. Hier trifft man dann das Who-is-Who der jungen EU-Szene. Berlayment 1991 mussten die EU-Beamten aus dem „Berlayment“, dem bisherigen Hauptgebäude der Kommission ausziehen. Das Gebäude war mit Asbest verseucht. Jetzt ist die Kommission in mehr als 40 Gebäuden über die ganze Stadt verstreut. Der belgische Staat, dem das Berlayment gehört, übernahm die Renovierung, die zum Desaster wurde. Ursprünglich sollte das Gebäude bereits 1999 wieder bezugsfertig sein sollen. Aber erst im November 2004 wurde es wieder in Besitz genommen. Dem belgischen Staat ist die Verspätung und die exzessive Verteuerung zu einem Finanzdebakel geworden. Richter und Staatsanwälte beschäftigen sich nun damit.

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Jeremy Galbraith

Effektives Lobbying in Brüssel: Eine Analyse und zwölf Tipps.

„Lobby – verb, to seek to influence (public officials) especially in the lobby1.“ Das Wort hat seine Wurzeln in Großbritannien und stammt aus dem späten 16. bzw. frühen 17. Jahrhundert. Es bezeichnet Personen, die sich in der Central Lobby des britischen Houses of Parliament aufhielten und darauf warteten, mit den Parlamentariern, die von einem der beiden Säle der Parlamentskammern kamen oder sich dorthin begaben, zu sprechen. Diese besondere Art der Politikberatung ist nicht neu und beschreibt die Summe partikularer Interessenvertretung und Einflussnahme aus der Zivilgesellschaft heraus. Der Lobbyismus breitete sich bis in die USA aus, wo er in Washington bald fester Bestandteil des politischen Alltags wurde. Auch in Brüssel, der Hauptstadt der Europäischen Union, gewann er rasch an Bedeutung, und mit der Erweiterung der EU auf 27 Mitgliedstaaten wird die Zahl der dort tätigen Lobbyisten bald genauso hoch sein wie die in Washington. Obwohl der Lobbyismus in Brüssel inzwischen beachtliche Ausmaße angenommen hat, wurde er bisher noch nicht in einer wissenschaftlichen Studie untersucht. Erst 2005 startete Burson-Marsteller eine erste maßgebliche Umfrage, um herauszufinden, wie Politiker und Beamte in Brüssel die Bemühungen von Lobbyisten einschätzen. Befragt wurden 50 Beamte der Kommission, 50 Mitglieder des Europäischen Parlaments (MEPs) und 50 Beamte der Ständigen Vertretungen. Die Stichprobe umfasste eine breite Mischung an Befragten aus verschiedenen Ländern, Generaldirektionen, Ausschüssen, politischen Gruppen und Ratsformationen. Bis zu dieser Studie war es für Lobbyisten – insbesondere für jene, die in vielschichtigen politischen Zentren wie Brüssel tätig waren – ein Leichtes, ihre Dienste als eine Art „geheimnisvolles Geschäft“ abzuschirmen, das nur Eingeweihte ausüben und verstehen konnten. Die Daten zeigen, dass Lobbyarbeit in Brüssel den größten Erfolg dort erzielt, wo sie als Wissenschaft gehandhabt und von Experten praktiziert wird, die mit dem komplexen politischen Umfeld der 1 Engl. Definition aus dem Chambers Dictionary: Verb; Versuch, insbesondere in der Parlamentslobby (auf Beamte) Einfluss zu nehmen

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EU und den verschiedenen Politikern, Verwaltungsbeamten und – ein entscheidender Faktor – den unterstützenden Mitarbeitern vertraut sind. Durch die Umfrage konnten Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen (NRO), die immer größere Summen in die Lobbyarbeit in Brüssel investieren, erstmals erfahren, wie Kommissionsbeamte, die Ständigen Vertretungen der Mitgliedstaaten und Mitglieder des Europäischen Parlaments ihre Tätigkeit bewerten. Die Ergebnisse haben aber auch eine übergreifendere, langfristigere Bedeutung für die Wirtschaft und die beteiligten Akteure. Sie treffen den Kernpunkt einer effizienten Lobbyarbeit. Durch die Studie wurden einige Mythen, wie sie von manchen Geschäftsführern gepflegt wurden, aufgelöst. Da Geschäfte häufig im Rahmen persönlicher Treffen zwischen Geschäftspartnern abgeschlossen werden, gehen die Geschäftsführer davon aus, dass das politische Handlungsumfeld in Brüssel auf die gleiche Weise funktioniert. Ihr Leitspruch lautet: „Wenn es mir gelingt, den ranghöchsten Beamten für eine Stunde zu sprechen, könnte ich ihn/sie davon überzeugen, in unserem Interesse zu handeln.“ Die Umfrage ergab allerdings, dass eine zu einem ungünstigen Zeitpunkt der falschen Person angetragene und schlecht vorbereitete Stellungnahme nicht die Wirkung erzielt, die viele Geschäftsführer sich erhoffen.

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Wie aus der Abbildung „Nützlichkeit unterschiedlicher Informationsquellen – Unterteilung nach EU-Institutionen“ hervorgeht, stützen sich die Kommission, das Parlament und die Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten, um sich eine Meinung zu bilden, in erster Linie auf ihre Mitarbeiter, Kollegen und eigene Recherchen – und erst dann auf die Stellungnahmen der Wirtschaft. Die Brüsseler Entscheidungsträger messen dem Rat ihrer Mitarbeiter und Kollegen eine enorme Bedeutung bei. Der Wert, den ein Entscheidungsträger der Beratung durch interne Quellen beimisst (ganz zu schweigen von seiner/ihrer persönlichen Recherche), stellt den Einfluss der Medien und die Bemühungen der Wirtschaftslobby und der Nichtregierungsorganisationen in den Schatten. Auch haben die Stellungnahmen von Nichtregierungsorganisationen keinen größeren Einfluss auf die Kommission, das Parlament und die Vertreter der Mitgliedstaaten als die der Wirtschaft. Die Abbildung zeigt vielmehr, dass Nichtregierungsorganisationen mit ihren Stellungnahmen die gleiche Wirkung erzielen wie die Industrie. Für diejenigen, die in Brüssel ein Problem zur Sprache bringen und lösen wollen – sei es als Vertreter der Wirtschaft oder einer Nichtregierungsorganisation – ist das Fazit also dasselbe: Anstatt direkt ranghohe Beamte anzusprechen, sollten sie ihre Zeit und ihren Einsatz von Anfang an besser auf lobbyistische Bemühungen konzentrieren, die sich vornehmlich an das unterstützende Personal und die Kollegen richten. Lobbykampagnen sollten einen breiteren Einflussbereich anvisieren und sich nicht allein auf die Spinne in der Mitte des Netzes konzentrieren. Dieser Erfahrungssatz für Lobbyisten kommt nirgendwo so anschaulich zum Ausdruck wie bei der Wertung durch die Parlamentsmitglieder, die ihren Mitarbeitern als Grundlage für fundierte Entscheidungen die höchste Note für ihre Unterstützung geben: 8,5. Assistenten und Mitarbeiter der Parlamentsmitglieder haben demnach den größten Einfluss in Brüssel. Vertreter aus der Wirtschaft oder von Nichtregierungsorganisationen, die annehmen, dass diese Helfer lediglich die Büroarbeit erledigen, laufen Gefahr ignoriert zu werden. Die Ergebnisse lassen deutlich erkennen, wie wichtig es für Wirtschaftsvertreter ist, Zeit in die Einflussnahme auf Berater zu investieren: Während die Entscheidungsträger der Kommission die Nützlichkeit ihres Personals mit 7,9 bewerten, liegt die Wirtschaft mit gerade einmal 5,7 nur knapp über dem Einfluss der Medien. Wenngleich die Nichtregierungsorganisationen im Hinblick auf ihre Nützlichkeit als Informationsquelle bei den Parlamentsmitgliedern ein relativ gutes Ergebnis erzielen, schneiden sie bei der Kommission und beim Rat schlechter ab – dies ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass es dort normalerweise mehr auf Fakten denn auf Emotionen ankommt. Dies wurde durch die Studie als eine der Kernschwächen der Lobbyarbeit von Nichtregierungsorganisationen

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herausgestellt. Ähnlich verhält es sich mit den Medien, die auf Parlamentsmitglieder größeren Einfluss als auf andere Gruppen haben – zweifelsohne, weil die Medien eine wichtige Rolle bei der Beeinflussung der Meinung der Wähler spielen. Lokale und Wahlkreis-Informationen haben erwartungsgemäß mit Abstand den größten Einfluss auf Parlamentsmitglieder.

Häufige Fehler der Wirtschaft und von Nichtregierungsorganisationen Die häufigsten Fehler, die von Lobbyisten der Wirtschaft und der Nichtregierungsorganisationen begangenen werden, sind in den Abbildungen „Die häufigsten Arten von schlechtem Wirtschaftslobbyismus“ und „Die häufigsten Arten von schlechtem NRO-Lobbyismus“ dargestellt.

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Wirtschafts-Lobbyisten begehen am häufigsten den Fehler, dass sie sich zu früh oder zu spät in den Prozess einschalten, ungeeignetes Briefing-Material verwenden oder dass ihre Position auf einer übermäßig nationalen Haltung beruht. Wie oben erwähnt, ist der bei weitem größte von Nichtregierungsorganisationen begangene Fehler der Einsatz von Emotionen statt Fakten, um ihr Anliegen vorzubringen. Während die zentrale Erkenntnis gewonnen werden konnte, dass Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen – mit jeweils 5,6 – gleichviel Kompetenz bei Lobby-Aktivitäten zugesprochen wird, zeigt der Vergleich im Hinblick auf die Wirksamkeit kleine Abweichungen bei den Meinungen der EU-Institutionen: Parlament und Kommission halten die Lobbyarbeit von Nichtregierungsorganisationen für etwas effizienter als die der Wirtschaft; die Ratsmitglieder hingegen sind der Meinung, die Wirtschaft arbeite etwas effizienter. Die Tatsache, dass Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen in der Frage der Effizienz gleich gut abschneiden, stellt die unter vielen Nichtregierungsorganisationen und einigen Politikern verbreitete Annahme in Frage, dass

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es für Nichtregierungsorganisationen schwierig ist, die Lobbyarbeit der Wirtschaft auszugleichen. Die Ergebnisse lassen auch Zweifel an der Meinung einiger Wirtschaftsvertreter aufkommen, die Lobbyarbeit von Nichtregierungsorganisationen sei immer effizienter als der ihre. Dies spiegelt wahrscheinlich den Argwohn wider, mit dem die Wirtschaft ihren Opponenten (häufig Nichtregierungsorganisationen) mitunter begegnet – und umgekehrt. Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen machen bei ihrer Lobbyarbeit oftmals die gleichen Fehler. Sowohl die Wirtschaft als auch Nichtregierungsorganisationen: ƒ ƒ ƒ ƒ

liefern ungeeignetes Briefing-Material schalten sich mit ihrer Lobbyarbeit zu früh oder zu spät ein besitzen unzureichende Kenntnisse über EU-Prozesse und -Verfahren wenden sich an den falschen Ansprechpartner.

Während die Wirtschaft zusätzlich dafür kritisiert wird, ihre Argumente zu stark auf nationale Positionen zu stützen, bekommt die Neigung der Nichtregierungsorganisationen, ihre Positionen auf Emotionen anstatt auf Fakten zu stützen, die schlechteste Wertung in der Frage nach schlechten Lobby-Taktiken (5,9). Dies ist jedoch keineswegs eine pauschale Kritik daran, dass Nichtregierungsorganisationen ihre Anliegen gerne auf Emotionen stützen. Tatsächlich geben die Parlamentsmitglieder dem Ansatz der Nichtregierungsorganisationen den Vorzug. Dies hängt zweifelsohne damit zusammen, das die Parlamentsmitglieder politische Wahlkämpfer sind, die klare Botschaften intuitiv hoch einschätzen – was wiederum häufig mit Appellen an die Emotionen einhergeht. Die meisten Beobachter würden zustimmen, dass zu offensives Verhalten, mangelnde Transparenz bei der Erörterung eines Anliegens und das Angebot ethisch nicht vertretbarer Anreize durch Lobbyisten nicht akzeptabel ist. Die Umfrage zeigt jedoch, dass in der Praxis diese Aspekte, insbesondere die ethisch nicht vertretbaren Anreize, für EU-Entscheidungsträger kein signifikantes Problem darstellen.

Die effizientesten Lobbyisten Brüssels Auf die Frage, wo in Brüssel die effizientesten Lobbyisten gefunden werden können, ist die Antwort nicht, wie vermutet werden könnte, bei einflussreichen Wirtschaftssektoren oder renommierten Nichtregierungsorganisationen zu suchen, sondern bei den Mitgliedstaaten. Wie in der Abbildung „Effizienz des Lobbyismus – Unterteilung nach EU-Institutionen“ dargestellt, ist die Lobbyar-

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beit der Regierungen der Mitgliedstaaten und anderer EU-Institutionen der Umfrage zufolge effizienter als der der Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen, wobei die Parlamentsmitglieder sich von diesen Quellen weniger überzeugen lassen.

Bei der Entwicklung von Lobbykampagnen auf EU-Ebene sollte die Bedeutung der Mitgliedstaaten also nie unterschätzt werden. So wie in den nationalen Hauptstädten das Zusammenspiel zwischen politischen Institutionen ein wichtiger regierungspolitischer Aspekt ist, so spielen auch in Brüssel die wechselseitigen Beziehungen zwischen den verschiedenen EU-Institutionen eine entscheidende und potenziell einflussreiche Rolle bei der Entscheidungsfindung. Auf die Institutionen sollte möglichst immer gleichermaßen und parallel, und nicht nacheinander oder gesondert Einfluss genommen werden. Dies gilt sicherlich in den weitaus meisten Fällen für die Befürwortung von Gesetzesvorschlägen. Die Lobbyarbeit von Regierungen von Drittländern ist am wenigsten effektiv. Dies ist eine wichtige Erkenntnis. Die Botschaft lautet, dass Regierungen von Nicht-EU-Ländern nicht zugestanden wird, Anliegen effizient und überzeugend vorzubringen.

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Nichtregierungsorganisationen nur bei sektorspezifischer Analyse von der Wirtschaft übertroffen Während Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen insgesamt als gleichermaßen effiziente Lobbyisten gelten, zeigt der sektorspezifische Vergleich, dass die Wirtschaft einen Vorsprung hat. Wie in den Abbildungen „Effizienz des Wirtschafts-Lobbyismus – Unterteilung nach EU-Institutionen“ und „Effizienz des Lobbyismus: Wirtschaft – NRO“ dargestellt, wird die Lobbyarbeit der Wirtschaft in allen Sektoren, mit Ausnahme des Sektors Verbrauchsgüter, Nahrungsmittel und Getränke, als etwas effizienter wahrgenommen.

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In den Sektoren Chemie, Energie und Transport werden große Summen in die Lobbyarbeit investiert. Dies spiegelt sich in den Umfrageergebnissen wider. Die Wirtschaft erzielt bei der Frage nach der Effizienz ihrer Lobbyarbeit in diesen drei Sektoren gute Ergebnisse – in den Sektoren Chemie und Transport dicht gefolgt von den Nichtregierungsorganisationen. In der Bewertung der Effektivität der Lobbyarbeit hat die Wirtschaft gegenüber den Nichtregierungsorganisationen in vier Sektoren einen großen Vorsprung: Energie (6,5 gegenüber 5,8), Finanzdienstleistungen (6,2 gegenüber 5,2), Elektro und Elektronik (6,1 gegenüber 5,3), Verteidigung, Luft- und Raumfahrt (5,7 gegenüber 4,7). In den Bereichen Gesundheitswesen und Pharmazie (6,1 gegenüber 5,6) und IT und Telekommunikation (6,1 gegenüber 5,6) fällt der Vorsprung der Wirtschaft etwas geringer aus. Eine Ausnahme bildet die Lobbyarbeit der Nichtregierungsorganisationen im Sektor Verbrauchsgüter, Nahrungsmittel und Getränke, in dem ihre Arbeit im Vergleich zur Wirtschaft als etwas effizienter eingestuft wird (6,2 gegenüber 6,1). Diese Bewertung könnte die Debatte innerhalb der EU über Fettleibigkeit, Ernährung und gesundheitsbezogene Werbeaussagen widerspiegeln, die während der Umfrage geführt wurde. Im Institutionenvergleich stuften die Vertreter der Kommission die Effizienz des Wirtschaftslobbyismus im Bereich Finanzdienstleistungen und Gesundheitswesen / Pharmazie auffallend hoch ein. Dem Parlament zufolge ist der Lobbyismus der Wirtschaft im Sektor Chemie etwas effizienter als der der Nichtregierungsorganisationen. Die Lobbyarbeit im Bereich Verteidigung und Luft-

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und Raumfahrt ist in den Augen der Kommission effizient, wird jedoch von den Parlamentariern relativ schlecht bewertet. Der einzige Bereich, in dem die Lobbyarbeit der Wirtschaft von den Parlamentsmitgliedern besser bewertet wird als von den Vertretern der Kommission, ist der Sektor Chemie. Dies spiegelt die traditionelle Vorliebe der Wirtschaft wider, ihre Lobbyarbeit auf die Kommission zu konzentrieren. In allen anderen Sektoren erhalten die Lobbybemühungen der Wirtschaft von den Parlamentsmitgliedern schlechtere Noten als von den Kommissionsbeamten. Interessanterweise knüpfen die Ergebnisse der Einstufung der Effizienz nach Sektoren an frühere Umfragen von Burson-Marsteller zum Lobbyismus bei Parlament und Kommission an, die 2001 bzw. 2003 durchgeführt wurden. Der Lobbyismus im Bereich Chemie gilt nach wie vor als der effizienteste und der im Bereich Einzelhandel als der am wenigsten effiziente.

Die Bedeutung persönlicher Treffen und schriftlicher Briefings Wenn es darum geht, sich politischen Einfluss zu verschaffen, ist die automatische Reaktion von Vertretern der Wirtschaft und von Nichtregierungsorganisationen sehr häufig: „Lasst uns einen Empfang machen“. Brüssel bietet, wie die meisten politischen Zentren, unzählige Abendempfänge, und in der Regel ist es kein Problem, Besucher für sie zu finden. Aber Abendempfänge sind beinahe die ineffizienteste Art, Informationen an Entscheidungsträger zu übermitteln, wie die Abbildung „Wie werden Ihnen Informationen am besten vermittelt – Unterteilung nach EU-Institutionen“ zeigt. Lediglich DVDs / Videos und Ausstellungen (auf den ersten Blick gute Arten, Informationen zu übermitteln) schneiden noch schlechter ab als die allgegenwärtigen Abendempfänge. Fakt ist, dass Entscheidungsträger der EU, die ihren ganzen Arbeitstag am Schreibtisch oder auf Sitzungen verbracht haben und auf dem Nachhauseweg kurz Zwischenstation bei einem Empfang machen, eher daran interessiert sind, etwas zu trinken oder sich zu unterhalten als Informationen einzuholen. Die Tabelle zeigt deutlich, dass für Entscheidungsträger der EU die wichtigste Art, Informationen zu bekommen, persönliche Treffen oder schriftliches Briefing-Material sind. Abendempfänge und Ausstellungen können wichtig sein, um auf ein besonderes Interesse oder eine spezielle Organisation und ihre Hauptinteressen aufmerksam zu machen und Beziehungen zu knüpfen. Bei der Übermittlung von Informationen spielen sie jedoch nur eine untergeordnete Rolle.

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Es gibt wichtige Unterschiede zwischen den drei Kategorien der Entscheidungsträger. An erster Stellen bevorzugen beispielsweise Beamte der Kommission, Informationen im Rahmen von Meetings zu sammeln, gefolgt von den Parlamentsmitgliedern und zuletzt den Ratsmitgliedern. Während schriftliche Informationen im Vergleich zu persönlichen Meetings für alle Typen von Entscheidungsträgern zweitrangig sind, steht auch hier die Kommission an der Spitze, gefolgt von den Parlaments- und den Ratsmitgliedern. Das gleiche gilt für die telefonische Übermittlung von Informationen: Auch hier führen die Kommissionsbeamten (5,2), vor dem Rat (5,0) und den Parlamentsmitgliedern (3,8).

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Wahl der bestgeeigneten Zeitung oder Medienanstalt Es ist für Lobbyisten notwendig zu wissen, welche Zeitung oder welche Medienanstalt Politiker bevorzugt konsultieren. Solange sie nicht genau wissen, welches Medium die erste Wahl der Politiker ist, vergeuden sie ihre Ressourcen womöglich nach dem Gießkannenprinzip. Die Umfrage zeigt, dass die Financial Times in der Kommission und im Rat als beste Informationsquelle für Wirtschaftsfragen eingestuft wird. Wie jedoch aus der Abbildung „Wichtige Quellen für Wirtschaftsinformationen – Unterteilung nach EU-Institutionen“ ersichtlich wird, geben die Parlamentsmitglieder ihren jeweiligen nationalen Zeitungen den Vorzug, dicht gefolgt von der Financial Times (7,9 bzw. 7,5).

Diese Ergebnisse bestätigen einmal mehr, dass Parlamentarier dazu neigen, sich zuallererst an ihrem Wahlkreis oder an nationalen und regionalen Begebenheiten zu orientieren. Auch die Mitglieder des Rates – letztendlich damit betraut, die

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nationalen Minister zu ernennen – messen ihren jeweiligen nationalen Zeitungen, die hinter der Financial Times den zweiten Platz belegen, eine hohe Bedeutung bei. Die Entscheidungsträger der Kommission, deren Aufgabe darin besteht, EU-weit zu denken, messen ihren jeweiligen nationalen Zeitungen eine wesentlich geringere Bedeutung bei: 5,8 gegenüber 7,6 für die Financial Times. Die BBC wird besonders von Parlamentariern und der Kommission geschätzt, während die Agence Europe, die tägliche Informationsquelle für Brüssel-Insider, bei allen und insbesondere bei Entscheidungsträgern des Rates gut abschneidet. Auch die Brüsseler Wochenzeitung European Voice ist äußerst beliebt.

Englisch – erste Wahl als Zweitsprache in der EU Die Vorherrschaft des Englischen als Zweitsprache in der EU ist nach wie vor ein heikles politisches Thema. Ungeachtet jeglicher politischer Aussagen zeigen unsere Umfrageergebnisse, dass in der Praxis die breite Mehrheit der Männer und Frauen an der Spitze der EU Englisch als ihre Zweitsprache betrachten.

85 % der Befragten nannten Englisch als die bevorzugte Sprache, wenn keine Informationen in ihrer eigenen Sprache erhältlich sind. Die große Bedeutung des Englischen ist zweifelsohne auf die EU-Erweiterung im Jahre 1995 zurückzuführen. Damals traten Schweden, Österreich und

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Finnland bei. Dies festigte, zusammen mit dem Beitritt mittel- und osteuropäischer Länder sowie von Zypern und Malta im Jahre 2004, die Vorherrschaft des Englischen als bevorzugte Sprache.

Wie sieht gute Lobbyarbeit in Brüssel aus? Die Umfrageergebnisse lassen erkennen, dass Lobbyismus immer dann am effektivsten ist, wenn er einen echten Beratungswert aufzeigt. Dabei gibt es offenbar einige Handlungsweisen, die für Lobbyisten empfehlenswert sind, und einige, die sie vermeiden sollten. Dies sind zwölf Tipps für eine effektive Lobbyarbeit gegenüber den EU-Institutionen: Versuchen Sie stets, ein Teil des Brüsseler Denkprozesses zu sein. Es reicht nicht aus, den Entscheidungsträger anzusprechen, wenn ein Thema zur Sprache kommt. Richten Sie auch Prozesse ein, mit denen Sie zukünftig auftauchende Themen, die Entscheidungsträger möglicherweise zum Handeln zwingen, identifizieren können. Orientieren Sie sich und Ihre Strategie am Lauf der Geschichte. Tatsache ist, dass manche Streitigkeiten in der EU nicht über einen Frontalangriff gewonnen werden können. Anstatt also zu versuchen, Änderungsprozesse aufzuhalten, gilt es, die Richtung des Änderungsprozesses auszumachen, sich ihm gegebenenfalls anzupassen und zu versuchen, die Richtung des Änderungsprozesses zu ändern anstatt ihn zu stoppen. Denken Sie politisch. Identifizieren Sie den Kern politischer Argumente, die relevanten Werte und Interessen und die potentielle Grundlage für einen Konsens. In Brüssel ist es wichtig, Botschaften zu „europäisieren“ und sie manchmal auch zu politisieren. Ausschließlich nationale Interessen zu verteidigen ist nicht nur schwierig, sondern häufig auch kontraproduktiv – auch wenn ein nationales Argument bei manchen Parlamentsmitgliedern oder einer Ständigen Vertretung angebracht sein mag. Erkennen Sie die zwischen den und innerhalb der EU-Institutionen herrschende mangelhafte Kommunikation und nutzen Sie diese.

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Handeln Sie transparent. Der politische Kodex von heute verlangt, dass alle Interessen das Recht haben, gehört zu werden. Haben Sie also keine Angst, völlig offen zu zeigen, wen Sie repräsentieren. Seien Sie nicht überrascht, dass andere auf ihrem Recht bestehen, gehört zu werden. Die EU-Institutionen sind transparenter als die meisten nationalen Verwaltungsapparate. Suchen Sie Verbündete und gehen Sie Bündnisse ein, wann immer es möglich ist. Spontane und vorübergehende themenspezifische Bündnisse können ebenso einflussreich sein wie langjährige Partnerschaften. Erkennen Sie, dass wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse allein eine dürftige Lobby-Botschaft abgeben. Unterstützen Sie fundierte wissenschaftliche Ansätze und nehmen Sie Bezug auf die gesellschaftlichen und politischen Entscheidungen, die Entscheidungsträger treffen müssen. Befassen Sie sich mit dem Zusammenhang zwischen Politiken, Prozessen und Strategien. In Brüssel schaffen Institutionen und Prozesse Veränderungen. Führen Sie sich vor Augen, in welcher Beziehung die Prozesse und die politischen Ergebnisse zueinander stehen. Ein gutes Timing ist stets von größter Wichtigkeit; dies gilt auch für die Ansprache der richtigen Leute auf die richtige Art unter Verwendung von geeigneten Briefing-Materialien, die auf die verschiedenen Zielgruppen (öffentliche Bedienstete oder Politiker) abgestimmt sind. Stärken Sie Ihr Auftreten in Brüssel. Beschränken Sie sich bei Ihrer Lobbyarbeit nicht auf ein ständiges „Kommen und Gehen“. Die Geschwindigkeit und Konstanz, mit der in der EU-Entscheidungen getroffen werden, sowie die hierzu erforderlichen Kompromisse machen es für einen Außenstehenden unmöglich, effizient auf EU-Entscheidungsprozesse einzuwirken. Anstatt ständig zu kommen und zu gehen, gilt es, vor Ort zu sein und zu bleiben. Erkennen und respektieren Sie die Vielfalt der Kulturen, Sprachen und Denkweisen Europas und nutzen Sie diese, wo möglich, zu Ihrem Vorteil. Seien Sie kreativ. Denken Sie stets daran, dass derjenige, der in Brüssel einen Kompromiss ausarbeitet, häufig als Gewinner aus der Diskussion hervorgeht.

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3. Die Perspektive der Beobachter und Begleiter – Think Tanks, Wissenschaft und Journalismus

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Gerd Langguth

Lobbyismus und Politikberatung in der EU

Irgendwo im oder zumindest in der Nähe eines Parlaments: Fernab vom für die Medien aufbereiteten Politikbetrieb treffen sich – konspirativ inszeniert – zwei Männer. Der eine ist ein mit Anzug und Krawatte gekleideter Abgeordneter und offiziell für die Interessen der Wähler verantwortlich. Der andere agiert im Auftrag eines profitgierigen Unternehmens; zumeist im Halbdunkeln, denn er will unter allen Umständen verhindern, dass er von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Ein kurzes Gespräch, dann plötzlich gibt der mysteriöse Mann dem Volksvertreter entweder ein dickes Geldbündel oder zumindest die Zusage, in absehbarer Zukunft einen lukrativen Posten in der freien Wirtschaft bekleiden zu können. So oder so ähnlich sieht es aus, wenn „Hollywood“ die weit verbreiteten Vorurteile über Lobbyismus in Filmproduktionen verarbeitet. „Lobbyismus“ ist ein Wort, das vielen Menschen immer noch suspekt ist. Sie verbinden – aufgeschreckt durch Schlagzeilen über die Kommission unter Jacques Santer (1999), den Ex-Verteidigungsminister Rudolf Scharping (2002), den ehemaligen CDUGeneralsekretär Laurenz Meyer (2004) oder Altkanzler Gerhard Schröder (2006) – damit unlauteren Wettbewerb, Egoismus, fehlende Transparenz, Korruption und Bestechung. In letzter Zeit dürften darüber hinaus in Deutschland vielfach „Heuschrecken“-Assoziationen aufkommen. Hinter diesen Ängsten gegenüber vermeintlichem Neo-Liberalismus steckt eine vielfach verbreitete, idealtypische Demokratieauffassung, die sich am Staatsmodell Jean-Jacques Rousseaus orientiert. Hiernach sollten die Kämpfe zwischen Interessengruppen möglichst verschwinden und ein starker Staat sich nur an Gemeinwohl und -willen, der volonté générale, orientieren. Kein Wunder, dass die Große Koalition in der Bundesrepublik zeitweilig eine hohe Zustimmung fand, befriedigte sie doch die unpolitische Sehnsucht nach Konsens und Beilegung möglichst aller interessengeleiteter Auseinandersetzungen. Auf der anderen Seite bestreitet kaum ein namhafter Politiker und Wissenschaftler, dass Interessengruppen und –verbände für einen lebhaften Pluralismus und somit für das westliche Demokratieverständnis unverzichtbar sind. So Peter Lösche 2002: „Die Vertretung von Interessen in der Poli-

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tik ist nicht nur selbstverständlich, sondern konstituierend für eine Demokratie.“1 Sie ist Teil des notwendigen Beratungsbetriebs. Wenn von Lobbyismus in einer gelebten Demokratie die Rede ist, so sind damit sowohl die Interessenvertretungen der Arbeitgeber (Arbeitgeberverbände, Industrieverbände, Einzelunternehmen) als auch die der Arbeitnehmer (Gewerkschaften) gemeint. Darüber hinaus sind weitere Lobbyisten von Teilinteressen zu benennen, angefangen von Vertretern des ADAC über Lobbyisten einzelner Branchen hin zu den Aktivisten von Greenpeace. In den angelsächsischen Ländern zum Beispiel begegnet man Lobbyisten nicht mit der kontinentaleuropäischen Reserviertheit, gelten hier doch individuelle Handlungsfreiheit und Wettbewerb als besonders schützenswerte Güter. Befürworter eines starken Lobbyismus verweisen darüber hinaus darauf, dass es in einer immer komplexer und unübersichtlicher werdenden Welt gerade zu den modernen Demokratien gehöre, dass neben den Parteien weitere, genuin gesellschaftliche Gruppierungen intermediäre Instanzen darstellten, die ein Scharnier zwischen dem Staat und dem einzelnen Bürger bilden. Politik kann und soll nicht an den Politikbetroffenen vorbei gestaltet werden. Die Legitimation einer Regierung erfolgt zwar zuallererst durch demokratische Wahlen, doch der rege Kontakt und Informationsaustausch zwischen dem Staat auf der einen und Individuen, Verbänden und Gewerkschaften auf der anderen Seite ist auch während einer Legislaturperiode unerlässlich. Dies gilt für den einzelnen Nationalstaat, aber gleichermaßen auch für die EU. Zwar hat der „Staatenverbund“, wie das Bundesverfassungsgericht das supranationale Gebilde der EU getauft hat, noch längst nicht „Staatsqualität“ im engeren Sinne, doch immer mehr Gesetzesentscheidungen werden nicht mehr nur jeweils in Berlin, Madrid, Paris oder Warschau getroffen, sondern in Brüssel. In einer Vielzahl von Politikbereichen haben die Nationalstaaten gewichtige Kompetenzen an die EU abgegeben, allen voran im Bereich der Ökonomie: So wird für Deutschland immer wieder gerne konstatiert, dass weit mehr als die Hälfte (zumeist wird von 70 bis 80 Prozent gesprochen) aller wichtigen wirtschaftsbezogenen Legislativakte ihren Ursprung in EU-Vorgaben haben. Verständlicherweise hat dies nicht nur für die Politik Konsequenzen. Jedes größere Unternehmen und jede bedeutsame Interessengruppe, ob sie wirtschaftliche, umweltpolitische oder menschenrechtliche Ziele verfolgt, muss doppeltes Lobbying betreiben: in der jeweiligen Hauptstadt und in Brüssel. Bereits im inzwischen ausgelaufenen Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) war in Artikel 46 festgehalten, dass die Hohe Behörde, also die spätere Kommission, jederzeit die nationalen 1

Peter Lösche, Lobbyismus und Politik – Nur ein „ganz normales Geschäft“? Kontroverse Peter Lösche und Konrad Adam, in: universitas, Jg. 1957, 2002, S. 1064.

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Regierungen, die verschiedenen Unternehmer, Arbeitnehmer, Verbraucher, und Händler, ihre Verbände sowie Sachverständige anhören konnte. Umgekehrt konnten genauso die Interessenvertreter eigenständig an die Hohe Behörde herantreten. In der Folge galt, dass im Zuge der großen integrationspolitischen Schritte Europas, vor allem der Römischen Verträge, der Einheitlichen Europäischen Akte und dem Maastrichter Vertrag, auch der Eurolobbyismus immense Wachstumsschübe verzeichnete. Heute gilt Belgiens Hauptstadt längst als „Lobbying-Mekka“ (Rene Buholzer)2; weltweit betrachtet agieren nur in Washington D. C. noch mehr Interessenvertreter auf einem einzigen Fleck. Je nach dem, wen man als Lobbyist zählt und welchen Schätzungen man folgt, gibt es in Brüssel zwischen 15.000 und 30.000 Lobbyisten und etwa 2.600 bis 6.500 Interessengruppen, die in Europas Hauptstadt ein permanentes Büro unterhalten. Die einzelnen Lobbyisten arbeiten für Dachverbände, spezifische Fachverbände (Branchenverbände) sowie als einzelne Akteure, welche durch die unterschiedlichsten Firmen Aufträge erhalten. Namhafte Dachverbände sind die Industrie- und Arbeitgeberverbände (UNICE), die Agrarverbände (COPA) sowie der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB). Dazu kommen Handelskammern, eigenständige Beraterfirmen und Anwaltsbüros, Think Tanks sowie Vertretungen nationaler und internationaler Organisationen. Auch Länder und Kommunen spielen auf EUEbene mit: Mehr als hundert europäische Regionen und Städte besitzen ein eigenes Büro in Brüssel. Die meisten der organisierten Interessenvertretungen (rund 70 Prozent) verfolgen wirtschaftliche Ziele. Wird berücksichtigt, dass bei der Kommission rund 25.000 Beamte beschäftigt sind, so kommt Schätzungen zufolge auf einen Kommissionsbeamten ungefähr ein Lobbyist. Dies sind beeindruckende Zahlen. Sie sagen aber noch nichts über die Anlaufstellen und den Ablauf lobbyistischer Tätigkeit auf dem europäischen Parkett aus. Einige der Lobbyakteure wurden schon benannt. In der Öffentlichkeit werden meist nur die großen und einflussreichen Verbände der Sozialpartner, also die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen, wahrgenommen. Eine Verlagerung vom (nicht nur in Deutschland vielfach anzutreffenden) „Korporatismus zum Lobbyismus“3 sehen manche mit großen Bedenken, wird doch vermutet, hiervon profitierten in erster Linie starke wirtschaftspolitische Interessen. Jedenfalls ist nicht zu bestreiten, dass es vielen Verbänden immer weniger gelingt, die auseinanderstrebenden Interessen wirksam zu integrieren und diese damit nach außen hin und vor allem gegenüber der Politik glaubwürdig zu vertreten. Das im 2

Rene Buholzer, Legislatives Lobbying in der Europäischen Union: ein Konzept für Interessengruppen, Bern 1998, S. 11. 3 s. hierzu: Ulrich von Alemann, Vom Korporatismus zum Lobbyismus? Die Zukunft der Verbände zwischen Globalisierung, Europäisierung und Berlinisierung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 2627, 2000, S. 3-6.

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deutschen Korporatismus sichtbare Abhängigkeitsverhältnis von Akteuren der Interessenvertretung (wie den Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften) mit dem Staat setzte voraus, dass die jeweiligen Verbände eine Art Repräsentationsmonopol für ihre Mitglieder haben und in der Lage sind, die jeweils ausgehandelten Ergebnisse auch gegenüber ihren Mitgliedern durchsetzen zu können.4 Jedenfalls wird man für die Ebene der EU konstatieren können, dass sich hier sowohl die Zahl als auch die Art der Akteure des Lobbyismus deutlich erweitert hat:5 ƒ

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Staatliche Institutionen unterhalb der Regierungsebene: Hierzu zählen in Brüssel etwa die Verbindungsbüros der deutschen Bundesländer oder das sich derzeit im Aufbau befindliche Büro des Deutschen Bundestages, ferner die Institution des Länderbeobachters. Auch andere Regionen innerhalb der EU unterhalten eigene Verbindungsbüros, die ebenfalls keinen diplomatischen Status besitzen. Auch die Vertretungen kommunaler Gebietskörperschaften (Deutscher Städtetag, Deutscher Gemeindetag, Deutscher Landkreistag) oder sogar von Städten (Frankfurt RheinMain) müssen genannt werden. Da der Ausschuss der Regionen (AdR) bislang keinen nennenswerten Einfluss hat, kommt den genannten staatlichen Institutionen eine besondere Bedeutung zu. Europäische Interessenverbände: Diese Dachverbände und Organisationen repräsentieren Mitglieder aus den einzelnen nationalen Interessenverbänden. Zu ihnen gehören – neben den bereits genannten UNICE, COPA und EGB – der Verband der europäischen chemischen Industrie (CEFIC), die Vereinigung der nationalen Verbraucherorganisationen (BEUC) wie auch der Vereinigung der nationalen Dachorganisationen der Industrie- und Handelskammern (Eurochambres). Nationale Interessenverbände: Die bedeutenden nationalen Lobbyorganisationen sind trotz ihrer Mitgliedschaft in europäischen Interessenverbänden ebenfalls auf der EU-Ebene vertreten (auf deutscher Seite so der BDI, der DGB etc.). Nicht nur Interessengruppen des wirtschaftlichen Bereichs sind in Brüssel präsent. Zahlreiche Lobbyorganisationen, die sich etwa für Glaubensfragen, Umweltschutz oder Freizeitinteressen stark machen, unterhalten Büros in der belgischen Hauptstadt.

4 s. hierzu: Ulrich von Alemann/Rolf G. Heinze (Hrsg.), Verbände und Staat: Vom Pluralismus zum Korporatismus. Analysen, Positionen, Dokumente, Opladen 1979. 5 s. hierzu: Justin Greenwood, Interest representation in the European Union, London 2003; Marc Biedermann, Braucht die EU Lobbying-Gesetze? Basler Schriften zur Europäischen Integration, Nr. 73, Basel o.D..

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Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO): Auch die NGO spielen eine zunehmend wichtigere Rolle; zumal eine ganze Reihe solcher Organisationen, die zum Teil aus den Haushaltsmitteln der Europäischen Kommission eine erhebliche finanzielle Unterstützung erfahren.6 Dazu gehören das 1976 gegründete NGO-Netzwerkkomittee CLONG (heute CONCORDE), der Zusammenschluss von humanitären Hilfsorganisationen (VOICE) oder die Social Platform, die eng mit der Generaldirektion für Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit zusammenarbeitet. Auch Greenpeace bekennt sich zum Lobbying in Brüssel. Private und öffentliche Unternehmen: Hier handelt es sich vorwiegend um Repräsentanten multinationaler Unternehmen, auch wenn deren Firmen in nationalen und/oder europäischen Dachorganisationen Mitglied sind. Als Beispiel ist die gut vernetzte Autoindustrie zu nennen. Diese Firmenvertreter müssen sich nicht mit ihren Konkurrenten absprechen, auch wenn sie häufig gleichgerichtete Interessen haben. Jedenfalls erleichtert die Einrichtung von Firmenrepräsentanzen direktes Lobbying, zumal europäische Verbände häufig sehr schwerfällig agieren. Auftragslobbyisten: Diese Lobbyakteure, die es mit einem Verspätungseffekt immer mehr auch auf der nationalen, deutschen Ebene gibt7, werden in der Politikwissenschaft auch als „Söldner der Politik“ (Marco Althaus)8 bezeichnet. Hier handelt es sich um Rechtsanwaltskanzleien oder um Beratungsunternehmen, die in der Regel von privaten Firmen, aber auch von Verbänden Aufträge auf Zeit erhalten. Sie bringen als „Mittler“ zwischen Industrie und Politik ihre Kenntnisse über die Funktionsweise politischer Entscheidungsprozesse ein. Insbesondere kleinere Unternehmen, die es sich nicht leisten können, eine eigene Repräsentanz zu unterhalten, zählen zu den Auftraggebern dieser Beraterzunft.

Im Wesentlichen findet Interessenvertretung im europäischen Kontext auf den folgenden drei Ebenen statt: ƒ

Mittelbares Lobbying über die Mitgliedsstaaten: Die erste Ebene ist der Versuch seitens größerer Unternehmen und etablierter Verbände, die eigene

6 s. hierzu: Cornelia Woll, Herrschaft der Lobbyisten in der Europäischen Union? In: Aus Politik und Zeitgeschichte, 15-16, 2006, S. 35 f. 7 s. hierzu: Katrin Greve-Grönebaum/Stephanie von Hayek, Public Relations, Public Affairs und Lobbyismus: Brauchen wir neue Spielregeln für die Berliner Republik?, in: www.bridges.de/ Download/Diskussionspapier_030902.pdf (27. Mai 2006). 8 Marco Althaus, Söldner der Politik. Vom Amateur zum Profi: Political Consultants in den USA und Deutschland, in: Stephan Becker-Sonnenschein/Manfred Schwarzmeier (Hrsg.), Vom schlichten Sein um schönen Sein?, Wiesbaden 2002, S. 236.

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nationale Regierung zu beeinflussen. Schließlich sind diese im Rahmen des Rats der EU für die europäische Gesetzgebung von überragender Bedeutung. Hierbei offenbart sich allerdings ein Dilemma: Da im Rat Mehrheitsoder sogar Einstimmigkeitsentscheidungen getroffen werden müssen, reicht der Einfluss auf die eigene Administration nicht aus, um die gewünschten Ergebnisse zu erreichen. Die wenigsten nationalen Interessengruppen haben jedoch die Einflussmöglichkeiten, um sich auch über die Staatsgrenzen hinaus Geltung zu verschaffen. Als Ausweg hieraus ist für viele nur eine untereinander abgestimmte Strategie der nationalen Akteure gegenüber ihren jeweiligen Regierungen möglich. Direkt-Lobbying bei der EU durch nationale Akteure: Die zweite Ebene europäischen Lobbyings besteht in dem Versuch, den direkten Kontakt zu den Institutionen der EU zu suchen. Noch mehr, als dies auf der ersten Ebene gilt, ist dies aber nur den mitglieder- und ressourcenstärkeren Verbänden und Unternehmen möglich. Insbesondere die EU-Kommission versucht, dieses Direkt-Lobbying zu verhindern, da sie allein aus Gründen der zeitlichen Ökonomie an der Bildung europäischer Verbände interessiert ist. Andererseits ist ein solches Lobbying nationaler Interessenvertreter durchaus gang und gäbe, vor allem im Verhältnis zu den Europaabgeordneten (z.B. durch parlamentarische Abende, Einladungen zu Konferenzen etc.). Auch Auftragslobbyisten können sich im Auftrag nationaler Akteure um Einflussnahme bemühen. Direkt-Lobbying bei der EU durch europäische Verbände: Als dritte Option der Interessenvertretung bietet sich schließlich der Zusammenschluss der nationalen Akteure zu einer europäischen Vereinigung an, die die unterschiedlichen Interessen bündelt, strategisch koordiniert und direkt auf die Brüsseler Organe Einfluss nimmt. Problematisch hierbei ist, dass die konkreten Absichten der nationalen Akteure immer wieder variieren bzw. sogar einander widersprechen können, auch wenn sie grundsätzlich die gleiche wirtschaftliche oder soziale Zielrichtung verfolgen. Von den europäischen Verbänden entwickelte und vertretene Positionen stellen daher oft nur einen kleinsten gemeinsamen Nenner dar, was teilweise die Schwerfälligkeit der großen europäischen Verbände erklärt. Die meisten Großunternehmen, die sich es leisten können, „ergänzen“ deshalb die Arbeit auch derjenigen europäischen Verbände, in denen sie Mitglied sind.

Doch wer sind im komplexen Institutionengeflecht der EU überhaupt die zentralen Ansprechpartner für die Lobbyisten?

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Kommission: Aufgrund ihres Initiativrechtes bezüglich aller Legislativakte ist dies klassischerweise als erstes die Kommission. Zwischen den dort tätigen Beamten und den jeweiligen Interessenvertretern besteht ein wechselseitiges Verhältnis: Auf der einen Seite haben alle Lobbyisten natürlich die Durchsetzung ihres eigenen Interesses im Visier. Durch Einflussnahme auf die Kommission kann diese überhaupt erst dazu veranlasst werden, einen Legislativakt zu einer bestimmten Materie herauszuarbeiten. Ferner können durch eine frühe Kenntnis Veränderungen an bereits in Planung befindlichen Richtlinien oder Verordnungen angeregt werden. Auf der anderen Seite hat auch die Kommission ein gewichtiges Interesse am Kontakt mit den Lobbyisten. Zwar hört sich die Zahl von 20.000 Beamten enorm an, doch verglichen mit der Bedeutung und der Komplexität der Materie, die es zu bearbeiten gilt, sowie der Anzahl an Verwaltungsangestellten einer deutschen Großstadt oder gar des Bundes erscheint die Brüsseler Bürokratie regelrecht unterbesetzt. Dementsprechend sind die Beschäftigten der Kommission auf den Sachverstand gesellschaftlicher Gruppierungen geradezu angewiesen. Sie alleine können nicht genug Expertise besitzen, um alle Politikbereiche der EU samt ihrer unzähligen Verästelungen, von der Marmeladenproduktion und dem Versicherungswesen über Bildungsprogramme bis hin zur Eindämmung von Luftschadstoffen, in der gebotenen Tiefe zu durchschauen. So liefern Lobbyisten Analysen und Standpunkte, die im Gesetzerarbeitungsprozess verwendet werden können. Die Grenzen zwischen Informationsvermittlung und Interessenvertretung sind dabei fließend, obschon Lobbyisten verpflichtet sind, sich zu erkennen zugeben. Der Kontakt kann sowohl auf formeller (Hearings, Runde Tische) als auch auf informeller Ebene stattfinden, wobei eine vom Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) durchgeführte empirische Untersuchung der Wirtschaftsverbände in der EU ergeben hat, dass in der Selbstwahrnehmung der Verbände die Kontaktaufnahme mehrheitlich (60,1 Prozent) von den Wirtschaftsrepräsentanten selbst initiiert wird.9 Ministerrat: Der Rat der EU ist insofern ein wichtiger Anlaufpunkt für Lobbyisten, da er das zentrale beschlussfassende und gesetzgebende Organ der EU ist, auch wenn in dieser Hinsicht in den letzten Jahren die Kompetenzen des Europäischen Parlaments erweitert wurden. Der Rat, der im Vergleich zur supranationalen Kommission intergouvernementale Qualität besitzt, arbeitet auf drei Ebenen: den Arbeitsgruppen, dem Ausschuss der Ständigen Vertreter (COREPER) und dem Ministerrat, in dem sich die jeweils zuständigen Ressortminister und ihre Vertreter wiederfinden. Die Mehrzahl aller

9 Christine Quittkat/Peter Kotzian, Interessenvertreter und Informationsvermittler: Die Rolle von Wirtschaftsverbänden in der EU, in: GGW, 4, 2003, S. 19.

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Entscheidungen wird im COREPER getroffen. Im Gegensatz zur Kommission ist der Rat als Institution in der Regel weniger auf Expertenwissen angewiesen, da die Mitglieder detaillierte Weisungen aus den jeweiligen Ländern bekommen und auch auf den dort vorhandenen Sachverstand zurückgreifen können.10 Deshalb ist für Lobbyisten der Zugang zum Rat nicht leicht: Der MZES-Studie zufolge bewerten ihn fast zwei Drittel der Wirtschaftsverbände (63,7 Prozent) als eher schwierig oder sehr schwierig.11 Die Interessenvertretung im Rat wird aus diesem Grund zumeist über Einflussnahme auf die nationalen Regierungen ausgeübt, auch wenn dies – wie bereits erwähnt – aufgrund der Abstimmungsmechanismen im Rat nicht ausreicht. Direktes Lobbying auf der europäischen Ebene erfolgt insbesondere über den Kontakt zu den Mitarbeitern der einzelnen Arbeitsgruppen. Dies wird dadurch erschwert, dass viele Sitzungen der Arbeitsgruppen im Verborgenen stattfinden, was den unmittelbaren Kontakt zu den Ratsmitarbeitern behindert. Interessenvertreter versuchen deshalb, Insiderwissen aus den Ratsarbeitsgruppen abzuschöpfen.12 Europäisches Parlament: Für die Interessenvertretung an Relevanz zugenommen hat durch die Erweiterung der politischen Gestaltungsrechte, insbesondere durch die Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens, in den letzten Jahren ferner das Europäische Parlament. Es rangiert in der Prioritätenliste der Lobbyisten allerdings immer noch hinter der Kommission und den nationalen Regierungen. In der Mannheimer Studie beklagen die Wirtschaftsverbände, dass ihnen die Abgeordneten nicht genug Aufmerksamkeit schenken, während auf der anderen Seite viele Interessenvertreter vielfach den Bedeutungszuwachs des Parlaments übersehen haben. Einen Ansatzpunkt für die Kontaktaufnahme stellen vor allem die Parlamentsausschüsse dar, in denen Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben erarbeitet und Hearings veranstaltet werden. Als hilfreich für die Interessenvertretung erweist sich, dass neben den öffentlichen Anhörungen auch die Sitzungen der Ausschüsse öffentlich stattfinden. Als wichtig für die Lobby-Arbeit ist immer wieder der persönliche Kontakt mit den Mitgliedern des Parlaments, die im Gegensatz zu ihren Kollegen im Deutschen Bundestag nur auf einen deutlich kleineren wissenschaftlichen Dienst zurückgreifen können. Ein möglichst engmaschiges Netzwerk zu besitzen, ist mehr als nur hilfreich: Es ist unerlässlich, um Kommunikationshürden abzubauen und Einfluss geltend machen zu können. Besondere Beachtung finden hierbei besonders diejenigen Ab-

Gegenbeispiele bei Jochen Grünhage in diesem Band Ebda., S. 18. 12 s. hierzu Jörg Teuber, Interessenverbände und Lobbying in der Europäischen Union, Frankfurt am Main 2001, S. 126. 11

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geordneten, die als Berichterstatter für das Parlament einen bestimmten, von der Kommission eingebrachten Rechtsakt begleiten und eventuell Änderungsvorschläge formulieren. Für Außenstehende wenig ersichtlich ist, dass zwei relativ große EU-Institutionen, der Wirtschafts- und Sozialausschuss (WSA) sowie der AdR, als Ziel für Interessensvertretung irrelevant sind. Seinem Selbstverständnis nach sieht sich der WSA als das Organ der „organisierten Zivilgesellschaft“, doch seine Lobbyingrelevanz ist – weil lediglich beratender Funktion (siehe Art. 257 EG-Vertrag) – gering.13 Seine Existenz ist zwar im EGVertrag verankert, er stellt jedoch kein Hauptorgan der EG dar. Er setzt sich aus Vertretern der nationalen Verbände zusammen und übt nur eine beratende Funktion aus.14 Ihm gehören 344 Mitglieder an (Gruppe I: Arbeitgeber; Gruppe II: Arbeitnehmer; Gruppe III: Verschiedene Interessen). Sollte der WSA abgeschafft werden, würde dies kaum jemand bemerken. Aufgrund seiner Machtlosigkeit im EU-Gefüge wird der WSA kaum als Tätigkeitsfeld für Lobby-Arbeit wahrgenommen. Vielmehr sind im WSA Lobbyisten vertreten, die von ihrer jeweiligen Klientel benannt werden. Aber großen Einfluss verschafft ihnen das nicht. Über einen ähnlich geringen Einfluss verfügt der AdR, aus denselben Gründen. Natürlich sehen dies die Akteure in beiden Institutionen völlig anders.

Nun reicht für den Lobbyisten allerdings nicht nur die grundlegende Zielsetzung aus, die genannten Institutionen bzw. die dort Beschäftigten beeinflussen zu wollen. Doch welche Eigenschaften muss ein erfolgreicher Brüsseler Interessenvertreter in seinem Beruf mitbringen? Und wo sind Unterschiede zum Berliner Lobbyismus zu sehen? Hier ist festzustellen, dass neben der klassischen, eigentlichen Lobby-Arbeit, dem Versuch der Beeinflussung von Entscheidungsträgern, die Informations- und Sachverstandsaufbereitung eine zentrale Aufgabe ist. Dies geschieht – wie bereits erwähnt – einerseits in Richtung der EU-Institutionen. Andererseits muss ein Verband aber auch seine eigenen Mitglieder (unter anderem durch das Verfassen von Newslettern, Informationsveranstaltungen u.ä.) über die Vorgänge in und um Brüssel unterrichten. Ein nicht zu unterschätzender Teil der Arbeit von Interessenvertretern besteht aus dem sog. „Monitoring“. Die Strukturen und die Materien der EU sind zumeist so komplex, dass viele gar 13

Ebda, S. 51. Verglichen mit der relativ geringen Bedeutung des WSA für die großen europäischen Interessenvertretungen nimmt der WSA allerdings für kleinere Interessenvertretungen eine verhältnismäßig bedeutende Stellung ein, hilft er etwa den Umwelt- oder Verbraucherverbänden bei deren Aktivitäten, insbesondere im Bereich der Informationsvermittlung; vgl. Simone Siebeke, Institutionalisierte Interessenvertretungen in der Europäischen Union, Baden-Baden, 1996, S. 57. 14

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nicht dazu in der Lage sind, sie zu verstehen und nachvollziehen zu können. Die Komplexität auf ein allgemein verständliches Maß herunterzubrechen, ist – nimmt man die demokratische Willensbildung, nach westlicher Lesart „von unten nach oben“, ernst – deshalb unerlässlich. Desgleichen muss ein Verband seinen Mitgliedern glaubhaft machen, dass er nicht nur Geld kostet, sondern auch geldwerte Vorteile bringt. Dies gilt umso mehr gegenüber ihren Auftraggebern für die professionellen Anwaltskanzleien und Public Affairs-Agenturen. Gerade letztere arbeiten an einem indirekten Lobbying, so mit Hilfe breit angelegter Lobbyingkampagnen. Da sich diese Form der Interessendurchsetzung verhältnismäßig aufwendig darstellt, wird sie in Brüssel häufig nicht durch Verbände oder Unternehmen selbst betrieben. Für die Maßnahmen des indirekten Lobbying stehen vielmehr eigens hierfür spezialisierte Public Affairs-Agenturen zur Verfügung, die eine umfangreiche und professionelle politische Kommunikationstätigkeit entfalten können. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass sich eine solche Kommunikationstätigkeit nicht nur an die politischen Entscheidungsträger (Politische Ebene, administrative Ebene) richtet, sondern darüber hinaus auch in dem Versuch besteht, ein für den Auftraggeber günstiges politisches Klima in der Öffentlichkeit und in den Medien zu schaffen. Dies setzt aber auch die Fähigkeit der Beratungsfirmen voraus, die jeweiligen Auftraggeber hinsichtlich der Einwirkungsmöglichkeiten auf Politik und Administration beraten zu können. Wie auf der nationalen Ebene Institutionen der Politikberatung (Politische Stiftungen, Bertelsmann-Stiftung u.a.) tätig sind, so sind diese und weitere Think Tanks, ebenfalls auf der Ebene der EU vertreten. Diese auf Politikberatung spezialisierten Organisationen versammeln Experten aus der Wissenschaft. Dazu zählen auch zahlreiche Konferenzen, die „objektive“ Politikberatung vornehmen, in Wirklichkeit aber gelegentlich auch interessengeleitete Veranstaltungen darstellen. Besteht die Lobby in Deutschland, auch wenn sich das allmählich ändert, vor allem noch aus Verbands- und Kammervertretern sowie einigen Unternehmensvertretern, ist demgegenüber die Professionalisierung auf der EU-Ebene weiter fortgeschritten: Die Grenzen zwischen klassischem Lobbyismus, Politikberatung und Public Affairs-Strategien sind dabei fließend. Nach amerikanischem Muster agieren hier immer mehr spezialisierte Anwaltskanzleien und Kommunikationsdienstleister, die von Verbänden, Organisationen und einzelnen Unternehmen kurz- oder langfristig mit der Vertretung der Interessen und der Erarbeitung erfolgreicher Lobbying-Konzepte beauftragt werden. Interessenvertretung ist auf europäischer Ebene längst ein sich an Kriterien der Ökonomie und Effizienz orientierendes Dienstleistungsgeschäft. Für die Politikberatung reicht es nicht mehr nur aus, Fakten und Probleme zu identifizieren sowie verantwortliche Entscheidungsträger zu sensibilisieren. Eine schlichte Analyse der Gegeben-

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heiten im Sinne einer Frühwarnfunktion ist nur der erste Schritt. Mehr noch müssen konkrete politische Optionen und Kommunikationsstrategien erarbeitet und zur Verfügung gestellt werden – und dies in einer immer komplexer und schneller werdenden Zeit innerhalb kürzester Zeit und darüber hinaus in einer knappen operativ handhabbaren Form, die zunächst im politischen Prozess, aber auch für die massenmediale Aufbereitung nutzbar ist. Für Brüsseler Lobbyisten ist es dabei zunächst eine Aufgabe, die komplexen Materien und Entscheidungsprozesse im Rahmen eines „Monitoring“ aufzuarbeiten und für die jeweiligen Auftraggeber zu „übersetzen“. Die Entwicklung einer Strategie zur Begrenzung negativer Auswirkungen beziehungsweise der Durchsetzung positiver Ziele ist dann der nächste Schritt. Insbesondere der Brüsseler Lobbyist müsste im Idealfall ein Allround-Genie sein: Er sollte über fundierte rechts-, wirtschafts-, politikwissenschaftliche und soziologische Kenntnisse sowie über eine umfassende Allgemeinbildung verfügen, die sowohl ökonomische als auch ethische Grundsätze zu berücksichtigen weiß. Die Komplexität der meisten EU-Materien verlangt eine Gabe zur raschen Einarbeitung und möglichst vollständigen Analyse. Darüber hinaus sollte der EU-Lobbyist ausgeprägte Kommunikationsfähigkeiten und verhandlungssichere Sprachkenntnisse in Englisch und möglichst auch Französisch besitzen. Das Erarbeiten und die Pflege persönlicher Kontakte und Netzwerke sind trotz fortschreitender Professionalisierung immer noch unerlässlich. Dies geschieht in Brüssel – neben den informellen Tuchfühlungen – zumeist über Hearings und Konferenzen. Zwar finden auch hier gesellschaftliche Veranstaltungen statt, doch im Vergleich zu Berlin, wo permanent Empfänge, Feste und Galas veranstaltet werden, ist die Anzahl und die Größe der Ereignisse eher spärlich gesät.15 Insbesondere die Fähigkeit zum Aufbau von Kontakten wird durch die Rotation von Kommissionsbeamten zwischen den einzelnen Ressorts immer wieder beansprucht. Hier ist auch interkulturelle Kompetenz gefragt, denn schließlich stammen die Kommissions-, Parlaments- und Regierungsmitglieder sowie die Beamten und weiteren Angestellten nach der Osterweiterung aus 27 Ländern. Es gilt nicht nur, sprachliche Barrieren zu überwinden, sondern sich überdies klar zu machen, dass die Regeln des deutschen „Knigges“ in den anderen Ländern nicht in gleicher Weise bewertet werden. Um eine langfristige Beziehung zu den politisch Verantwortlichen aufzubauen, müssen die Interessenvertreter Vertrauen schaffen und auf die (Informations-)Bedürfnisse der Entscheidungsträger eingehen. Einmal verspieltes Vertrauen, zum Beispiel durch ein allzu aggressives Vorgehen oder die Verletzung von zwar nicht juristisch, aber allgemein anerkannten Regeln zur Durchsetzung von Partikularinteressen, ist nur schwer wie15

vgl. Silvana Koch-Mehrin in diesem Band

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derzugewinnen; viele Brüsseler Politiker und Beamte reagieren mit Nichtbeachtung. Im Hinblick auf die Einflussnahme auf die öffentliche Meinung empfiehlt es sich außerdem, Erfahrungen in der Medienbranche gesammelt zu haben. Die Forderung, dass sich Lobbyisten und Politikberater auch mit Fragen der Ethik und der Verantwortung des eigenen Handelns auseinandersetzen sollen, kommt nicht von ungefähr. Für die meisten Beobachter ist der Lobbyismus – nach der Legislative, der Exekutive, der Judikative und den Medien – in Deutschland, aber noch vielmehr in Europa längst zur einflussreichen „fünften Gewalt“ (Thomas Leif/Rudolf Speth)16 geworden. Viele Bürger vermuten hier einen weitgehend undurchschaubaren und damit unheimlichen Prozess. Sie fürchten die schon in den 50er Jahren von Theodor Eschenburg beschriebene „Herrschaft der Verbände“17 – in der EU umso mehr angesichts ihres vielbeschworenen Demokratiedefizits. Spätestens die Diskussionen um den Verfassungsvertrag, der bei Inkrafttreten dieses Defizit ansatzweise zu beheben helfen würde, und dessen Ablehnung in den Niederlanden und Frankreich haben gezeigt, dass in weiten Teilen der europäischen Bevölkerungen eine ausgeprägte Skepsis gegenüber den vielfach schwer durchschaubaren Politikvorgängen in Brüssel herrscht. Aber nicht nur die „normalen“ Bürger, sondern ebenso eine Vielzahl von europäischen Wissenschaftlern fordern seit Jahren eine größere Transparenz. Dies gilt nicht nur für das Zusammenspiel und die Machtbalance der politischen Institutionen, sondern auch für das Ausmaß der gesellschaftlichen Interessenvertretung. Da der Prozess der Beschlussfindung bzw. Gesetzgebung in der EU derart komplex ist, ergeben sich unzählige Ansatzpunkte und Anlaufstellen für Interessenvertreter, so dass es selbst dem politisch Versierten unmöglich erscheint, das gesamte Netzwerk der Interessenvertretung zu durchschauen. Und hinter allem, was man nicht zu durchschauen und verstehen mag, vermutet der Mensch – dies liegt scheinbar in seiner Natur – mysteriöse Kräfte und dubiose Machenschaften. Dies führt zu oftmals überzogenen Korruptions- und Bestechungsbefürchtungen. Zum anderen wird allerdings zu Recht darauf hingewiesen, dass zwischen den einzelnen Unternehmen und manchen Verbänden beim Kampf um Einflussnahme kaum Chancengleichheit herrschen dürfte. Als Beispiel sei die Diskussion um die Chemikalien-Richtlinie REACH genannt, mit der sich 140 Mitglieder des Dachverbandes der Europäischen Chemieindustrie, aber nur zwei Aktivisten von Greenpeace beschäftigten. Ob eine vollständige Chancengleichheit überhaupt herrschen kann oder sollte, sei an dieser Stelle dahingestellt. Es gilt allerdings, feste Spielregeln festzu16

siehe hierzu: Thomas Leif/Rudolf Speth (Hrsg.), Die stille Macht – Lobbyismus in Deutschland, Wiesbaden 2003 Theodor Eschenburg, Die Herrschaft der Verbände? Stuttgart 1955

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setzen und diese der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Zwar gibt es für die Beamten der Kommission einen Verhaltenskodex im Umgang mit Lobbyisten, doch es fehlt an einer Kontrollinstanz. Auch muss sich ein jeder Lobbyist, um Zugang zum Europäischen Parlament zu erlangen, registrieren lassen. Das Verzeichnis des Parlaments weist bisher 4.500 Eintragungen auf. Um den Forderungen nach mehr Transparenz Nachdruck zu verleihen, hat Siim Kallas, Kommissionsvizepräsident und für Verwaltung und Betrugsbekämpfung zuständiger Kommissar, kürzlich ein Diskussionspapier zu einer „Europäischen Transparenzinitiative“ veröffentlicht. Seiner Meinung nach sollen die EU-Bürger in Zukunft wissen, „wer mit welchen Interessen den Kontakt zu EU-Beamten, Parlamentariern und Regierungsvertretern sucht.“18 Seine Planungen sehen vor, dass sich alle Lobbyisten freiwillig in ein Melderegister eintragen lassen und dabei die Quelle der Geldmittel für ihre lobbyistische Tätigkeit, nicht jedoch die Höhe offen legen. Diejenigen Interessenvertreter, die sich nicht melden, sollen von der Kommission in Zukunft nicht mehr bei Gesetzesvorhaben zu Rate gezogen werden. Des Weiteren regte er an, dass die Lobbyisten selbständig einen Verhaltenskodex erarbeiten. Ob dieser Vorstoß wirklich zu mehr Transparenz führen wird, ist bisher nicht abzusehen. Strittig ist vor allem, ob das Vertrauen in die freiwillige Bändigung gerechtfertigt ist und wer überhaupt alles unter den Begriff des „Lobbyisten“ fällt. Eine Reihe von Anwaltskanzleien sowie die Gewerkschaften haben bereits geäußert, dass sie nicht darunter zu fassen seien. In gewissem Sinne ist vernünftiger Lobbyismus so etwas wie eine notwendige Politikberatung. Auch auf Ebene der Europäischen Union müssen die politisch entscheidenden Kräfte vor den Rechtssetzungsakten wissen, welche Auswirkungen ihre Entscheidungen auf die einzelnen Felder von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik haben. Die Vertretung von Einzelinteressen ist nicht nur legitim, sondern trägt durch die Konfrontation zu anderen Interessen letztlich zu einer Gemeinwohlorientierung bei – wenn die Interessen offengelegt sind. Die Politik darf sich die Entscheidung nicht durch die Lobby abnehmen lassen – dies geschieht umso weniger, je mehr die verschiedenen Interessenvertreter (wie Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Kirchen, Sportverbände oder karitative Einrichtungen) aktiv in den politischen Prozess einbezogen werden. Einerseits ist Lobbyismus eine direkte und häufig auch pluralistische Einflussnahme auf den politischen Entscheidungsprozess und sogar ein Gegengewicht zur Macht der politischen Parteien. Andererseits stellt sich die Frage, wer in einer pluralen Gesellschaft diejenigen Interessen vertritt, die keine mächtigen Lobbyorganisationen hinter sich wissen. Gelegentlich kann Lobbying sogar eine Tendenz verstärken, dass Partikularinteressen gegenüber dem (gleichwohl 18

zit. nach: Helmut Hauschild, EU plant Regeln für Lobbyisten, in: Handelsblatt, 3. Mai 2006, S. 3

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schwer definierbaren) „Gemeinwohl“ überhand nehmen. Deshalb ist es wichtig, dass hinsichtlich der Einflussnahme auf die Politik klare Regeln der Transparenz herrschen. Lobbyismus ist aber auch Politikberatung und damit ein Teil eines durch die Demokratie garantierten Pluralismus.

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Wolfgang Wessels / Verena Schäfer

Think Tanks in Brüssel: „sanfte“ Mitspieler im EU-System? – Möglichkeiten und Grenzen der akademisch geleiteten Politikberatung

I. Think Tanks: Bedeutung und Rollenvielfalt 1. Zum Phänomen Think Tanks gelten als Ausweis für moderne politische Systeme und nehmen einen nicht immer eindeutig festlegbaren Platz in der Politikberatung ein. Die Aktivitäten dieser Akteure in den politischen Arenen der westlichen Hauptstädte sind vielfältig, und Medien spekulieren gerne über die Arbeit der „Denkfabriken“. Umstritten ist häufig, was wir einen „sanften“, d.h. nicht klar eindeutig nachvollziehbaren und indirekten da „machtlosen“ Einfluss dieser vielfältigen Formen der Politikberatung auf die „Mächtigen der Zeit“ nennen. Auch in Brüssel nehmen Zahl und Vielfalt der Think Tanks zu, wobei daraus nicht unmittelbar auf einen generellen Bedeutungszuwachs geschlossen werden sollte, da die politische Relevanz der vor Ort vertretenen Politikberatungen von verschiedenen Erfolgsbedingungen im EU-System abhängt. Zu dem Phänomen „Think Tanks“ gehört, dass eine einheitliche Definition des zuerst in der US-amerikanischen Literatur1 verwendeten Begriffs nicht besteht. Die Organisationsformen, Aufgaben und Funktionen, die mit dem Etikett Think Tank versehen werden, variieren beträchtlich; nicht zuletzt in Europa sind mehrere Formen des Zugangs und der Beteiligung dieser Gruppen von Akteuren an politischen Prozessen zu beobachten. Die amerikanische Bezeichnung Think Tank, die landläufig mit dem Begriff „Denkfabrik“ übersetzt wird, entstand während des Zweiten Weltkriegs und bezeichnete ursprünglich einen abhörsicheren Ort (tank), an dem zivile und militärische Experten Invasionen planten und militärische Strategien erdachten.2 Der Begriff Think Tank wurde erst in den 1960er und 1970er Jahren in den USA als 1

Erste wissenschaftliche Forschungen wurden im Jahr 1971 von Paul Dickson in seinem Buch „Think Tanks“ zusammengefasst. 2 Vgl. Martin Thunert, Think Tanks in Deutschland – Berater der Politik?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (ApuZ), 51/2003, S. 30, abrufbar unter: http://www.bpb.de/publikationen/TFYILK.html

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übergreifende Bezeichnung für die seit den frühen 1920er Jahren immer stärker in Erscheinung tretenden politischen und politikwissenschaftlichen Zusammenschlüsse – Brain-Trusts, politische Diskussionsgruppen und Forschungsinstitute – genutzt.3 Die Definition von Think Tanks muss so nicht zuletzt auch für den EUKontext bewusst weit gefasst werden, um die Vielfalt der darunter zu fassenden Phänomene, Funktionen und Aufgaben sowie deren Entwicklung einbeziehen zu können. Hinzu kommt, dass auch die organisatorischen Strukturen dieser Denkfabriken recht unterschiedlich sind und fortlaufenden Anpassungen und Veränderungen unterliegen.4 Die Definitionsfindung wird auch dadurch erschwert, dass der Begriff Think Tank aus Werbezwecken zu einer Eigenmarke avanciert ist: Organisationen verstehen sich in zunehmenden Maße und oftmals unberechtigter Weise als Think Tanks, um von der im Allgemeinen mit diesem Begriff verbundenen Glaubwürdigkeit zu profitieren.5 Aufbauend auf diesem Vorverständnis liegt den anschließenden Betrachtungen von Think Tanks auf europäischer Ebene folgende, bewusst weit ausgelegte Definition zugrunde: unter derartigen Denkfabriken können privat oder öffentlich finanzierte Forschungsinstitute verstanden werden, die wissenschaftlich fundiert politikbezogene und praxisrelevante Fragestellungen behandeln und – so im Idealfall – in mehreren Formen und mit verschiedenen Funktionen im EU-Politikzyklus ohne eigene Machtmittel „sanft“ mitwirken.6 Keine Kriterien für Think Tanks sind hingegen die Intensität und Bandbreite ihrer thematischen und policy-spezifischen Ausrichtungen. Bei dieser Funktionsbeschreibung ist – nicht zuletzt auch im EU-Kontext – der Übergang zu Interessengruppen und indirektem Lobbying fließend: Häufig unterhalten gesellschaftliche und wirtschaftliche Gruppen auch ihnen nahe stehende wissenschaftlich ausgerichtete bzw. geprägte Institute. Da das Phänomen der Think Tanks zuerst in den USA aufkam und dort schon früh einen festen Platz in der Forschungslandschaft einnahm, finden sich in den USA mit 3500 auch noch heute die meisten „Denkfabriken“7, aber auch in europäischen Staaten sind Entstehung und Entwicklungen dieser Form der Politikberatung zu beobachten, die zudem signifikante Unterschiede aufweisen.

3 Vgl. James G. McGann/Kent Weaver (Hrsg.), Think Tanks and civil societies: catalysts for ideas and action, New Brunswick 2002, S. 4. 4 Vgl. Diane Stone, Capturing the political imagination: Think Tanks and the policy process, London 1996, S. 12. 5 Vgl. unter anderem James Brustein, Think Tanks, in: Gotham Gazette vom 23.3.2003, abrufbar unter http://gothamgazette.com/article//20030329/200/332 6 In Anlehnung an die Definition von Martin Thunert 2003, S. 31. 7 Vgl. Donald E. Abelson, Do Think Tanks matter?, Assessing the impact of public policy institutes, London 2002, S. 3.

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In der Bundesrepublik Deutschland können derzeit zwischen 80 und 130 Think Tanks gezählt werden.8 Auffällig ist dabei das breite politische Spektrum der Denkfabriken, die insbesondere von Sozialpartnern und Parteien aufgebaut wurden: so können die Friedrich-Ebert-Stiftung9 und die Konrad-Adenauer-Stiftung10 der SPD bzw. der CDU zugeordnet werden, während die Hanns-SeidelStiftung11 von der CSU ins Leben gerufen wurde. Die Friedrich-Naumann-Stiftung12, die Heinrich-Böll-Stiftung13 sowie die Rosa-Luxemburg-Stiftung14 vertreten jeweils die Werte der derzeitigen Oppositionsparteien – FDP, Bündnis 90/DIE GRÜNEN und PDS/Linkspartei. Im Vergleich zu anderen EU-Staaten werden in Deutschland politische Stiftungen der Bundestagsparteien, die auch Politikberatung betreiben, zu rund 90 Prozent aus öffentlichen Geldern finanziert, woran auch gesamtgesellschaftliche Verpflichtungen und eine gemeinnützige Orientierung gebunden sind. Zu den deutschen Denkfabriken gehören auch Wirtschaftsforschungsinstitute, die – wie beispielsweise das BDI-nahe Institut der Deutschen Wirtschaft15 – auch eng an Sozialpartner gebunden sein können. Eine solche Verknüpfung besteht auch zwischen der Hans-Böckler-Stiftung16 und dem Deutschen Gewerkschaftsbund. Das Angebot von Think Tanks in der Bundesrepublik Deutschland wird noch ergänzt durch außenpolitisch ausgerichtete Forschungsinstitute wie die Stiftung Wissenschaft und Politik17, sozialwissenschaftliche Forschungsinstitute, zu denen auch das Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung18 zählt sowie durch privat oder mischfinanzierte Organisationen wie die BertelsmannStiftung19, das Centrum für Angewandte Politikforschung (CAP)20 oder das Institut für Europäische Politik (IEP) und das Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik21.22

8

Vgl. zu den variierenden Zahlen Martin Thunert 2003, S. 31. http://www.fes.de/ 10 http://www.kas.de/ 11 http://www.hss.de/ 12 http://www.fnst.de/ 13 http://www.heinrich-boell-stiftung.de/ 14 http://www.rosalux.de/ 15 http://www.iwkoeln.de/ 16 http://www.boeckler.de/ 17 http://www.swp-berlin.org/ 18 http://www.mpi-fg-koeln.mpg.de/ 19 www.bertelsmann-stiftung.de/ 20 http://www.cap.uni-muenchen.de/ 21 http://www.dgap.org/ 22 Siehe für eine ausführlichere Aufzählung Martin Thunert 2003, S. 31. 9

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2. Zur idealtypischen „sanften“ Rolle von Think Tanks: Qualitätssteigerung der Politik – ein Spannungsverhältnis Im Idealfall einer „sanften“ Mitspielerrolle soll die Politikberatung durch Think Tanks Politikern auf nationaler oder europäischer Ebene helfen, bessere Entscheidungen zu treffen: unabhängig von den machtorientierten Interessen und Ideologien von Parteien, von engen Interessen der Lobbyisten oder eingefahrenen Haltungen von Bürokratien und losgelöst von unverständlichen Analysen des wissenschaftlichen Betriebs erwartet man von derartigen Denkfabriken informierte, umsichtige und reflektierte Ratschläge zu aktuellen politischen Fragen. Idealtypisch setzt sich die Politikberatung der Think Tanks über die „Herrschaft der Verbände“23 bzw. die „Herrschaft der Lobbyisten in der Europäischen Union“24 ebenso wie über einen „Parteienstaat“ und bürokratische Eigeninteressen hinweg und stellt derartigen Interessenvertretungen unabhängige Analysen entgegen. Think Tanks bilden auch eine Schnittstelle zwischen der theorielastigen wissenschaftlichen Welt und der praktischen politischen Welt. In dieser Funktion sollen sie Erkenntnisse aus dem akademischen Raum der „Elfenbeintürme“ für die Fragestellungen der Politiker und die Herangehensweise dieser Zielgruppe aufbereiten, d. h. theoretische Reflektionen in praktische Handlungsanleitungen „transformieren“ (siehe Abbildung 1). Think Tanks nehmen dabei die Rolle von praktisch versierten Experten ein, die verschiedene Optionen vorlegen, auf die Politiker – je nach politischen Präferenzen – im Entscheidungsprozess zurückgreifen. Die Distanz zwischen der Art und Weise wissenschaftlichen Arbeitens einerseits und der Desiderata politischer Prozesse soll auf diese Weise überbrückt werden – nicht zuletzt zum Nutzen eines – wie auch immer definierten – „allgemeinen Interesses“. Abbildung 1:

Think Tanks als Medium zur Transformation von theoretischem Wissen zu praktischer Verwertbarkeit

Quelle: Eigene Darstellung Jean Monnet Lehrstuhl – Universität zu Köln. 23

Zit. nach Theodor Eschenburg, Herrschaft der Verbände, 2. Auflage, Stuttgart 1963. Zit. nach Cornelia Woll, Herrschaft der Lobbyisten in der Europäischen Union, in: Aus Parlament und Zeitgeschichte (APuZ), 15-16/2006, S. 33-38, abrufbar unter http://www.bpb.de/files/ NVFQ8X.pdf

24

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Aus dieser Skizze eines idealtypischen Rollenverständnisses von Think Tanks treten die Möglichkeiten, aber auch die Schwierigkeiten bereits zutage. Bilden Entscheidungsträger die Zielgruppe der Politikberatung, dann haben Think Tanks die Spezifika politischer Prozesse zu internationalisieren: d.h. sie haben zeit- und punktgerecht zu arbeiten; lange Vorläufe für vertiefte wissenschaftliche Gutachten sind häufig nicht gegeben; guter Rat ist nicht selten im Hinblick auf überraschende Entwicklungen – etwa internationale Krisen – kurzfristig gefragt. Think Tanks müssen jederzeit entsprechenden Sachverstand bereithalten. Um berücksichtigt zu werden, ist zudem jene Sprache zu beherrschen, die Politiker ohne Aufwand lesen und nachvollziehen können. Wissenschaftlicher Jargon und ein etabliertes Fachvokabular können zwar für die Kommunikation unter Experten nützlich sein und deren innerakademische Transaktionskosten sparen – für Politiker, die sich teilweise erst einarbeiten müssen und naturgemäß weniger Zeit aufwenden können als Fachleute25, stellen sie Verständnisbarrieren dar und wirken abstoßend bis lächerlich.26 Fachsprachen, die von „epistemic communities“27 geprägt werden, sind dabei zu „übersetzen“: d.h. sie sind nicht nur nachvollziehbarer zu formulieren, sondern auch auf das (macht-)politische Denken der Politiker auszurichten. Dieser Sichtweise folgend, soll Politikberatung nicht nur Rat in der Sache (policy advice) geben, sondern die taktischen und strategischen Kalküle der politischen Prozesse (political advice) einbeziehen.28 So gilt es nicht nur zu erklären, wie ein „optimaler Währungsraum“ aussieht oder die institutionelle Architektur der EU zu verbessern ist, sondern auch wie, d.h. mit welchen Mitgliedstaaten bzw. unter welchen Bedingungen, diese Pläne und Visionen durchführbar sind, aber auch, welchen politischen Ertrag sie für Politiker im Hinblick auf die sie tragenden Kräfte, wie Parteien und Interessengruppen, bringen. Nicht zuletzt stehen auch viele Entscheidungen im „langen Schatten“ der nächsten Wahlen. Auch wenn Entscheidungen in Brüssel weiter von dem üblichen Resonanzboden nationaler Politik entfernt scheinen, so können sich auch Entscheidungen in den EU-Institutionen auf das Profil von Politikern und die ihnen gewährte Unterstützung auswirken. Derartige politische Konstellationen erfordern dann häufig, dass „second best options“ unmittelbar mitzudenken sind. Einfache und vielleicht überzeugende technokratische Vorschläge können sich in den 25

Vgl. grundsätzlich Max Webers Charakterisierung von Politikern als „Amateure“. Max Weber, Politik als Beruf, Düsseldorf 1986. 26 Anekdotisch wird berichtet, dass der frühere deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder bei der Frage nach der Finanzierung eines großen Think Tank zur internationalen Politik dessen Notwendigkeit mit dem Hinweis auf den Abteilungsleiter für internationale Beziehungen in Frage gestellt haben soll. 27 Zit. nach Peter M. Haas, Introduction: Epistemic Communities and International Policy Coordination, in International Organization, Vol. 46, Nr. 1, 1992, S. 1-35. 28 In Anlehnung an Martin Thunert 2003, S. 30.

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politischen Kontroversen als ungeeignet, ja kontraproduktiv erweisen. Angesichts dieser Konstellationen kann sich in der praktischen Entscheidungssituation – wider besseres Wissen – eine Kluft zwischen der theoretisch besten Handlungsoption und dem – von vielen Faktoren abhängigen – politisch am gangbarsten Weg auftun. Politikberatung setzt aber nicht nur Anpassungsleistungen akademisch geschulter Dienstleister voraus, sondern auch die Bereitschaft der Politik, sich auf unabhängige Ratgeber einzulassen sowie deren Stärken, aber auch Schwächen zu respektieren. Beiträge und Stimmen von Think Tanks dürfen nicht als ein „Luxus“ in ruhigen Zeiten gesehen werden, gerade bei eilbedürftigen Entscheidungen in Krisensituationen sollten sich Politiker die Zeit nehmen, ihre Überlegungen auf ein breitere Basis zu stellen. Eine derartige Nähe setzt jedoch auch Vertrauen voraus: erst über einen gewissen Zeitraum entwickelt sich die Möglichkeit zu sinnvollen Dialogen, bei denen „Ideenblitze“ aus derartigen Beraterkreisen auch in eine politisch aufgeladene Konstellation „einschlagen“ können. Mit wachsender Vertrautheit kann aber auch eine Kumpanei entstehen, die die notwendige Unabhängigkeit in der Analyse gefährdet: die beliebte Rolle als „Geheimrat“ kann zu einem Denken führen, das den zu erwartenden Vorstellungen der Beratenen vorauseilt. In Kontroversen neigen auch Politiker dazu, lieber Unterstützung als Widerspruch zu ihren Meinungen zu hören. Guter Rat ist auch teuer, wenn er zeitnah, fundiert und Zielgruppen angemessen zur Verfügung stehen soll. Neben einer notwendigen fachlichen Distanz von Beraterkreisen zu politischen Entscheidungsträgern ist für die Unabhängigkeit von Think Tanks auch die Art ihrer Finanzierung von erheblicher Bedeutung: über welche Ausstattung verfügen sie und inwiefern sind sie direkt oder indirekt von der finanziellen Unterstützung ihrer Zielgruppe abhängig? Neben einer direkten Beratung von politischen Entscheidungsträgern können Think Tanks auch im medialen Raum eine wichtige Rolle einnehmen. So wirken sie nicht nur unmittelbar hinter verschlossenen Türen von Gremien, Tagungen und durch persönliche Gespräche; politiknahe Experten beteiligen sich oftmals an öffentlichen Debatten, bei denen ihr Fachwissen häufig auch bestimmten Grundhaltungen zugeschrieben werden kann. Think Tanks gelten dann als sachkundige Verfechter allgemeiner Interessen wie Umweltschutz oder liberaler Marktwirtschaft. Für die Wahrnehmung ihrer öffentlichen Rolle haben sie eine Medien- insbesondere Fernsehtauglichkeit zu erwerben. Häufig fallen Think Tanks in dieser Arena durch „gloom and doom“ Analysen auf, mit denen sie Risiken von Fehlentwicklungen – im Rückblick zu Recht oder zu Unrecht – vereinfachen und dramatisieren. Damit können sie auch als „Frühwarner“ und „Propheten“ zum Stichwortgeber der politischen Tagesordnung werden.

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Think Tanks wirken damit in einem Spannungsdreieck zwischen politischen Entscheidungszirkeln, der öffentlichen Debatte und wissenschaftlichen Grundlagenarbeiten (siehe Abbildung 2). Für öffentliche Debatten sind Innovation, Provokation und Außenseitertum gefragt – für die direkte Beratung von Entscheidungsträgern sind – statt „lauten“ medienwirksame Tönen – „sanfte“ Ratschläge weit wirkungsvoller. Bei beiden Aktivitäten ist auch auf den wissenschaftlichen Ruf zu achten. Die jeweilige Sprache und Strategie sind somit auf die entsprechenden Zielgruppen abzustimmen. Eine einfache Lösung in diesem Spannungsdreieck ist daher nicht zu erreichen. Abbildung 2:

Think Tanks im Spannungsdreieck

Quelle: Eigene Darstellung Jean Monnet Lehrstuhl – Universität zu Köln.

II. Thinks Tanks im politischen System der Europäischen Union 1. Die Nachfrage nach Politikberatung: vielfältige Zugänge zur institutionellen Architektur Diese grundlegenden Rollenzuweisungen können nicht losgelöst von den institutionellen Strukturen und Gepflogenheiten der politischen Kultur eines Regierungssystems diskutiert werden. Für die Rolle der Politikberatung auf europäischer Ebene müssen entsprechend die spezifischen Ausprägungen der EUArchitektur und deren Handlungslogik berücksichtigt werden. Im Vergleich zu Arbeiten über Think Tanks in den USA oder in einzelnen Mitgliedstaaten ist hier eine deutliche Forschungslücke festzustellen. Informationen und Analysen sind ein gesuchtes Gut in den politischen Prozessen der Europäischen Union. Das empfindliche Gleichgewicht zwischen den Institutionen erfordert geradezu mehrere Formen der Politikberatung. Die Logik

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einer Dreieckkonstellation29 zwischen Kommission, EP und Rat lässt im Politikzyklus (siehe Abbildung 3) eine verstärkte Nachfrage nach Expertise entstehen. Abbildung 3:

Der EU-Politikzyklus

Quelle: Eigene Darstellung Jean Monnet Lehrstuhl – Universität zu Köln.

Zunächst muss sich die Kommission mit umfassenden, sachlich zuverlässigen und politisch belastbaren Informationen ausstatten, um ihr Vorschlagsmonopol effizient und effektiv auszuüben. Dazu hat sie ein reichhaltiges Instrumentarium mit wechselnden Schwerpunkten entwickelt; so legt sie Grün- und Weißbücher vor30, setzt zudem mehr als tausend Expertengruppen31 ein und lässt immer wieder ad hoc Berichte von unabhängigen Sachverständigen erstellen32; auch hat Kommissionspräsident José Manuel Barroso nach mehreren Anläufen zur Nutzung von Planungsgruppen schließlich das „Bureau of European Policy Advisers“ (BEPA)33 eingerichtet. Für das Europäische Parlament ist die Nachfrage aufgrund der institutionellen Rolle als Co-Legislative vielleicht noch höher: das EP verfügt nicht über 29 Vgl. Wolfgang Wessels, Gesetzgebung in der EU – Vertragsregeln und Vertragspraxis im institutionellen Dreieck, in: Wolfgang Ismayr (Hrsg.), Die politischen Systeme Westeuropas, 4. Aufl., Opladen (im Erscheinen). 30 Ein Verzeichnis sämtlicher Grün- und Weißbücher enthält die Homepage der Europäischen Kommission, http://europa.eu/documents/comm/index_de.htm 31 Eine detaillierte Aufstellung der von der Europäischen Kommission eingesetzten Expertengruppen im Jahre 2004 findet sich in Anja Thomas/Wolfgang Wessels, Die deutsche Verwaltung und die Europäische Union, Brühl 2005, S. 87. 32 Ergebnisse solcher unabhängigen Expertengruppen sind u. a. der Cecchini-Bericht und der SapirBericht. Vgl. Paolo Cecchini, Europa ´92 – Der Vorteil des Binnenmarktes, Baden-Baden 1988; André Sapir et al., An Agenda for a growing Europe – The Sapir Report, Oxford 2004. 33 http://ec.europa.eu/dgs/policy_advisers/index_en.htm

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denselben Beamtenapparat wie die Kommission und die Mitgliedsregierungen, aber es soll und will gleichgewichtig an zentralen Fragen der Politikgestaltung mitwirken. Dieses Desiderat gilt nicht nur bei Gesetzesakten und dem Haushalt, sondern noch mehr in Bereichen, in denen das EP mit weniger Mitwirkungsbefugnissen ausgestattet ist – so etwa in Fragen der Innen- und Justizpolitik oder der Außen- und Sicherheitspolitik. In diesem Zusammenhang schreibt das EP auch regelmäßig entsprechende Gutachten aus, deren Auswirkungen auf Debatten des EP näher zu untersuchen wären. Auch der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs und der Ministerrat mandatieren immer wieder entscheidungsvorbereitende Gremien34, auch wenn manche dieser Aufträge zunächst der Verschiebung anstehender, aber kontrovers diskutierter Entscheidungen dienen mögen. Die Nachfrage nach Politikberatung ergibt sich aber nicht nur aus der Logik der institutionellen Architektur, sondern auch aus der Natur vieler Entscheidungen. Im Vergleich zu politischen Entscheidungen auf der nationalen Ebene fehlen häufig Informationen und Analysen, die die Wirkungen von Beschlüssen für die Union insgesamt wie für einzelne Mitglieder darstellen. Angesichts der Heterogenität der Mitgliedstaaten ist der Bedarf nach umfassendem, sachkundigem und reflektiertem Rat besonders hoch. Diese Schwierigkeiten für eine sachgestützte Politik treten besonders bei wesentlichen Entscheidungen der Systemgestaltung zutage, d.h. bei Vertragsänderungen und Beitrittsabkommen. 2. Das Angebot von Ratgebern: umfassend und vielfältig Die institutionelle Logik des EU-Systems schafft so eine beträchtliche Nachfrage nach Politikberatung. Wie aus der folgenden Aufstellung ersichtlich wird (siehe Abbildung 4), bemühen sich neben Think Tanks auch andere, unterschiedlich relevante „Mitspieler“ außerhalb der EU-Institutionen, den Beratungs- und Konsultationsbedarf auf Brüsseler Ebene zu decken. Aus der Übersicht zu Zahl und Herkunft von Organisationen, die in den Jahren 1990-2005 zur EU-Arena gezählt werden, wird ein erheblicher Wachstums- und Differenzierungstrend der Akteurslandschaft ersichtlich. Aus der detaillierten Übersicht geht hervor, dass schon im Jahr 1990 alle national relevanten Interessengruppen auf Brüsseler Ebene vertreten waren und sich diese, wie am Beispiel der Presse-, PR- und Medienagenturen bzw. der Unternehmensver34

Siehe unter anderem Léo Tindemans’ Bericht an den Europäischen Rat sowie den Bericht der „drei Weisen“ zur politischen Lage in Österreich, deren Empfehlungen sich die französische EU-Ratspräsidentschaft in einer Erklärung anschloss. Léo Tindemans, Die Europäische Union, Brüssel 1976; Martti Ahtisaari/Jochen Frowein/Marcelino Oreja, Bericht vom 8.9.2000, abrufbar unter http://derstandard.at/upload/images/bericht.pdf

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tretungen und Gemeinnützigen Interessengruppen deutlich wird, im Laufe der Zeit unterschiedlich stark etablieren konnten. Abbildung 4:

Politisch relevante Mitspieler auf EU-Ebene: Übersicht 19902005

Art der Interessenvertretung Unternehmensvertretungen Europäische Interessenvertretungen (Dachverbände) Gemeinnützige Interessengruppen Handelskammern - aus EU-Ländern1) - aus Nicht-EU-Ländern Nationale Arbeitgeber- bzw. Industrieverbände Think Tanks Gewerkschaften Auf EG/EU spezialisierte Anwaltskanzleien Politikberatungen Wirtschafts- und Managementberatungen PR-Beratungen Nationale Interessenverbände Presseagenturen Medienvertretungen Regionalvertretungen Vertretungen von Drittstaaten Gesamt

Anzahl 2000 349

1990 189

1995 329

2005 303

527

632

704

827

147 19 13 6

187 34

267 29 11 18

426 30 17 13

19

22

33

36

5 15 87 56 15 14 177 40 419 48 177

14 20 159 85 39 18 109 48 358 106 177

27 27 145 91 39 14 126 49 313 165 186

71 21 117

1954

2337

2564

148 127 40 346 197 154 2843

1)

ab 2004 inklusive der zehn neuen Mitgliedstaaten. Quelle: Eigene Darstellung Jean Monnet Lehrstuhl – Universität zu Köln, gezählt in Allain Fallik (Hrsg.), European Public Affairs Directory, Oxford 2005.

Auch wenn die Zahl der in Brüssel vertretenen Think Tanks35 in den letzten 15 Jahren erheblich zugenommen hat, kann diese Form der Politikberatung in Brüssel angesichts der identifizierten Nachfrage dennoch als unterentwickelt bezeichnet werden. Eine Erklärung für begrenzte Angebote kann in der Wettbewerbsituation gesehen werden. In Brüssel hat sich im Laufe der Jahre ein differenzierter „politischer (Mehrebenen-)Meinungsmarkt“36 herausgebildet. Nicht zu übersehen ist dabei die Zunahme von spezialisierten Anwaltskanzleien sowie Politik-, 35

In der Kategorie „Think Tanks“ wurden alle „non -profit- institutions researching different aspects of European integration, they may be funded by corporations“ aufgelistet. 36 Wilhelm Lehmann, Das Europäische Parlament als Mittler und Sprachrohr aggregierter Interessen, in: Andreas Maurer/Dietmar Nickel (Hrsg.), Das Europäische Parlament, Baden-Baden 2005, S. 152.

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Wirtschafts- und PR-Beratungsbüros. Fachkundiger Rat ist zudem nicht zwangsläufig an nur eine Kategorie der Politikberatung gebunden – parallel arbeiten Experten zu einer Vielzahl von Fragen auch für andere Akteure des politischen Raums – so etwa für europäische Dachverbände, Vertretungen der Regionen und große Unternehmen. Auch Wissenschaftler von außen stoßen immer wieder dazu. In der Auflistung von Think Tanks (Abb. 4), die aufgrund von Erhebungsschwächen nicht als abschließend betrachtet werden kann, sind zu finden: ƒ

ƒ ƒ ƒ

Büros nationaler Einrichtungen wie Vertretungen der Bertelsmann-Stiftung, der Konrad-Adenauer-Stiftung, des „European Institute of Public Administration“ (EIPA)37 oder des „Institut Francais pour les Relations International“ (IFRI)38 Spezifische EU-orientierte Think Tanks, wie das „Center for European Policy studies“ (CEPS)39, das „European Policy Center“ (EPC)40 oder die „Friends of Europe“41 Industrienahe Think Tanks wie das „Philip Morris Institute“42 Zusammenschlüsse nationaler Think Tanks auf europäischer Ebene wie die „Trans European Policy Studies Association“ (TEPSA)43

Aber auch auf der Ebene der Mitgliedstaaten sind nachhaltige Entwicklungen im Hinblick auf EU-Entscheidungen zu beobachten. Viele nationale Forschungsinstitute und Think Tanks sind ganz oder zu einem erheblichen Teil auf das Geschehen der Europäischen Union fokussiert – so das „Instituto Affari Internationali“ (IAI)44 in Rom, die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und das ebenfalls in Berlin angesiedelte Institut für Europäische Politik (IEP), das Centrum für Angewandte Politikforschung (CAP) in München ebenso sowie das „Center of European Reform“ (CER)45 in London.46 Außerdem richten auch Vereinigungen von Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen zunehmend ihre Auf37

http://www.eipa.nl/ http://www.ifri.org/ 39 http://www.ceps.be/ 40 http://www.theepc.be/ 41 http://www.friendsofeurope.org/ 42 http://www.philipmorrisinternational.com 43 http://www.tepsa.be/ 44 http://www.iai.it/ 45 http://www.cer.org.uk/ 46 Für eine ausführliche Übersicht über die auf EU-Ebene aktiven nationalen Think Tanks siehe u. a. die Mitgliedslisten der europäischen Netzwerke TEPSA, EPIN und CEPS, http://www.tepsa.be/; http://www.epin.org/; http://www.ceps.be/ 38

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merksamkeit auf das EU-Geschehen. Nicht zuletzt dank der Forschungsrahmenprogramme der EU47 ist ein europäischer Forschungsraum entstanden, der sich ständig weiterentwickelt und in dem sich auch Think Tanks bewegen und mitwirken. In diesen von der Europäischen Union geförderten Projekten werden fundierte Vorschläge zu einer Vielzahl anstehender Entscheidungen erarbeitet. Die Kommission legt dabei auf politische Verwertbarkeit besonderen Wert. Diese Phänomene machen erneut deutlich, dass einzelne Kategorien der Politikberatung nicht einfach voneinander abzugrenzen sind. Im Tagesgeschäft des Politikzyklus können Grenzen zwischen den Aktivitäten einzelner Akteure und Mitspieler nicht eindeutig festgelegt werden; bewusst werden Formen des Zusammentreffens gesucht, die einen unprotokollarischen Austausch ermöglichen: Konferenzen, auch außerhalb Brüssels, Arbeitsgruppen, gemeinsame Mahlzeiten, bereits mit dem Frühstück beginnend, sind häufig beliebte Orte eines direkten Meinungsaustausches mit einer erhofften Einflussnahme. Für diese Art der informellen Politikberatung sind besonders jene Personen hilfreich, die entsprechende Türen öffnen bzw. interessante Kreise zusammenbringen können. Ehemalige Politiker können eine derartige Rolle immer wieder ausfüllen. Sollten sie auch noch die zusätzliche Fähigkeit haben, die Mittelausstattung zu verbessern, können sie als Idealbesetzung gelten. Einige europäische Denkfabriken sind von ehemaligen Spitzenpolitikern gegründet worden und leben von deren Ruf und Einfluss. Dazu gehört „Notre Europe“48 in Paris, das eine Gründung des früheren Kommissionspräsidenten Delors ist. 3. Aktivitäten und Spezifika europäischer Think Thanks Die auf die EU spezialisierten Think Tanks lassen eine erhebliche Bandbreite von Variationen im Hinblick auf Selbstverständnis, Aktivitäten, Forschungsfelder und Strukturen erkennen Das im Jahr 1983 gegründete „Center for European Policy Studies“ (CEPS) beschäftigt sich ebenso wie das im Jahr 2005 ins Leben gerufene „Brussels European and Global Economic Laboratory“ (BRUEGEL)49 mit primär ökonomischen Themen. Während sich das BRUEGEL-Institut als fachkompetente „neue Stimme“ auf die Europäische Wirtschaftspolitik spezialisiert und zu seinen Mitgliedern dementsprechend auch zahlreiche nationale Wirtschaftsunternehmen zählen 47 Ausführliche Informationen zum 6. und 7. Rahmenforschungsprogramm der Europäischen Union sind u. a. auf der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung eingerichteten Homepage zu finden, http://www.forschungsrahmenprogramm.de/ 48 http://www.notre-europe.asso.fr/ 49 http://www.bruegel.org/

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kann, versteht sich das CEPS als unabhängiges politisches Forschungsinstitut mit einer breiten Palette an inhaltlichen Schwerpunkten, zu denen dreißig Mitarbeiter aus fünfzehn EU-Mitgliedstaaten arbeiten. Neben Publikationen zu wirtschaftspolitischen Themen bietet der BRUEGEL-Think Tank auch Seminare und Workshops für seine Mitgliederbasis an50 – die Aktivitäten von CEPS konzentrieren sich hingegen stärker auf Veröffentlichungen (Research Reports, Working Documents, Paperbacks) zu verschiedenen Forschungsschwerpunkten51. TEPSA, 1973 gegründet, versteht sich als unabhängiger Zusammenschluss von 24 nationalen Think Tanks aus 25 Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit weiteren assoziierten Mitgliedern. Dieses institutionalisierte Netzwerk ermöglicht einen Austausch zwischen den einzelnen politischen Denkfabriken und bietet darüber hinaus auch Strukturen, um den regelmäßigen Dialog von Wissenschaft und Politik auf mehreren Ebenen zu etablieren: so richten nationale Think Tanks entsprechend des Rotationsprinzips des Europäischen Rates so genannte „Präsidentschaftskonferenzen“ aus, die im Vorfeld der Übernahme des Ratsvorsitzes im jeweiligen Mitgliedstaat stattfinden und an denen Politiker wie Experten und Medienvertreter teilnehmen.52 Ein weniger koordinierendes und viel stärker inhaltlich arbeitendes Netzwerk ist hingegen das European Policy Center (EPC). Das EPC, das sich durch eine heterogene Mitgliederstruktur, bestehend aus führenden Unternehmen, Berufs- und Wirtschaftsverbänden, diplomatischen Vertretungen, Stiftungen, regionalen nationalen und internationalen Organisationen auszeichnet, weist eine Vielzahl von Aktivitäten und Analysen zu aktuellen Themen der EU-Politik53 auf. Durch regelmäßige Aktivitäten, zu denen neben Seminaren und Workshops auch Frühstücksrunden mit führenden Politikern und Beamten der EU gehören, nimmt das European Policy Center eine wichtige Rolle im Dialog von Wissenschaft und politischen Entscheidungsträgern ein.

50 So z. B. zur „neuen wirtschaftlichen Geografie“ der Europäischen Union nach der Erweiterung oder zur sozialen und wirtschaftlichen Dimension von Europa. 51 Auf der CEPS-Homepage können derzeit unter anderem Analysen zum europäischen Datenschutz und zur Zukunftsstrategie des Europäischen Rates abgerufen werden, vgl. http://shop.ceps.be/ 52 Im Vorfeld der deutschen Ratspräsidentschaft (1.1.-30.6.2007) wurde eine Präsidentschaftskonferenz vom Berliner Institut für Europäische Politik (IEP) in Kooperation mit TEPSA und einem weiteren europäischen Netzwerk – EU-CONSENT – ausgerichtet. 53 Dazu gehören beispielsweise Paper, Briefings und Reports zu den Themen Erweiterung und Europäische Nachbarschaft, Europa und Asien, Europäische Sicherheit und Global Governance sowie Wachstum und Beschäftigung in der EU.

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III. Fazit: Think Tanks als „sanfte“ Mitspieler im EU-System? Nationale wie europäische Think Tanks haben eine Vielzahl von Zugängen zum Politikzyklus auf jeder Ebene des EU-Systems auf- und ausgebaut. Als Beispiel für die „sanfte“ Einflussnahme dieser Mitspieler auf Politik und Öffentlichkeit im Mehrebenensystem kann unter anderem ihre Rolle in den Beratungen auf europäischer – so wie bei den Deliberationen des Konvents – wie nationaler Ebene bei den Ratifizierungsdebatten zu den Verfahren und Inhalten des Verfassungsvertrag gelten: sowohl europäische als auch nationale Think Tanks haben sich mit vielerlei Anregungen und auf spezielle Fragestellungen zugeschnittenen Analysen in die Diskussion eingebracht und politische Entscheidungsträger damit auf „sanfte“ Weise mit wissenschaftlich gestützten Ratschlägen bedient. Die Nachfrage nach Politikberatung zur EU-Politik- und Systemgestaltung wird in Brüssel und auch in den Mitgliedstaaten nicht abnehmen. Unsicherheiten und Zweifel über zukünftige Entwicklungen des EU-Systems, wie sie in der Reflektionsphase deutlich zu Tage traten54, erhöhen vielmehr die Suche nach sachkundigem und reflektiertem Rat. Aus einer derartigen Analyse ist aber nicht unmittelbar auch ein Bedeutungszuwachs von Think Tanks abzulesen. Die Konkurrenz um Zugang und Beteiligung zum EU-Politikzyklus wird nicht kleiner, sondern wird sicher noch weiter zunehmen. Damit verbunden, wird neben der Nachfrage auch gleichzeitig das Angebot für den „Mehrebenen-Meinungsmarkt“ immer größer.55 Damit sich einzelne Think Tanks trotz steigender Konkurrenzsituation auf lange Sicht auf europäischer Ebene etablieren können, müssen sie folgende Erfolgsbedingungen erfüllen: Sie müssen zeitnahe und politikgerechte Analysen produzieren, die sowohl wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht werden als auch den Interessen der politischen Akteure genügen. Vermögen sie die Brücke zwischen „ivory tower“ und politischer Arena zu schlagen und theoretische Reflektionen in praktische Handlungsoptionen zu übertragen? Dabei stellt sich auch die Frage, ob eine 1:1 Übersetzung überhaupt möglich ist und ob es sich dabei nicht eher um einen Lernprozess handelt. Wollen Think Tanks in Brüssel ihren „sanften“ Einfluss weiter ausbauen und zu relevanten Mitspielern werden, so muss es ihnen gelingen, auf verschiedenen Ebenen des EU-Systems präsent zu sein und einen wirklichen europäischen Meinungsmarkt (mit-)schaffen. Auch müssen sich Think Tanks eine stabile Grundfinanzierung erhalten, durch die sie ihre Unab54 Siehe zur Unsicherheit über die Zukunft der Europäischen Union insbesondere die Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates vom 15./16.Juni 2006, in denen die von den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten nach dem Scheitern des Europäischen Verfassungsvertrages eingeläutete Reflektionsphase nochmals verlängert wurde. 55 Vgl. dazu die in Abbildung 4 für den Zeitraum 1990-2005 ausgewertete Tendenz.

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hängigkeit von möglichen Zielgruppen wahren können. Nur auf diese Weise bleiben ihre Dienstleistungen dauerhaft anerkannt und nachgefragt. Wenn Think Tanks diese Erfolgsbedingungen berücksichtigen und mit ihrem wissenschaftlichen Sachverstand aktiv den Kontakt zu Politik und Wirtschaft suchen, können beide Seiten davon profitieren: Diese Formen der Politikberatung könnten ihren „sanften“ Einfluss ausbauen und zu immer relevanteren Mitspielern im EU-System werden, was sich auch positiv auf die Möglichkeiten der EU-Institutionen, sinnvolle Politik zu betreiben, auswirken könnte.

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Peter R. Weilemann

Im Brüsseler Think Tank Biotop – zur Kultur politischer Beratung in der Hauptstadt Europas

Wenn von politischer Beratung die Rede ist, weiß jeder was er meint. Kaum zwei aber stimmen darin überein, was sie sich dabei vorzustellen haben. Der eine hat die Institution eines nationalen Sicherheits- oder Präsidentenberaters vor Augen, der andere denkt an von staatlicher Seite berufene Gremien wie Sachverständigenräte, ein dritter wiederum hat wissenschaftliche Forschungsinstitute oder Think Tanks im Kopf. Wenn im folgenden von politischer Beratung die Rede ist, dann geht es in erster Linie um diese nichtstaatlichen, privat finanzierten und unabhängigen Institutionen, die in öffentlichem Interesse oder auch mit Gewinnabsicht bestimmte politische Themen besetzen und Entscheidungshilfen für politische Akteure anbieten.

Die Rolle der politischen Stiftungen Wer die Entwicklung der Europäischen Union in den letzten Jahren beobachtet hat, kann feststellen, dass Brüssel ein großes Betätigungsfeld im Bereich der politischen Beratung bietet und zu einem wahren Biotop für Think Tanks geworden ist. Eine Anfang 2006 erschienene kleine Broschüre listet fast fünfzig Think Tanks im Brüsseler Umfeld auf, nicht gezählt die gewerblichen Beratungsbüros oder die Interessenvertretungen der Wirtschaft, der Regionen, sozialer Einrichtungen oder Kirchen etc., die ihre Expertise in die Entscheidungsprozesse der Institutionen der Europäischen Union einfließen lassen. Erwähnt werden dagegen die Büros der deutschen politischen Stiftungen. In der Tat sind auch die Politischen Stiftungen Think Tanks. Gegenüber anderen Organisationen weisen sie aber einige Besonderheiten auf. Sie sind nicht weisungsgebunden, aber wertgebunden. Sie gehören einer politischen Familie an, aber als öffentlich finanzierte Institutionen sind sie rechtlich, organisatorisch und finanziell unabhängig von den ihnen nahe stehenden Parteien. Ihr Aufgabenspektrum umfasst nicht in erster Linie politische Beratung, sondern auch politische Bildung, Begabtenförderung, internationale Demokratieförderung und geht damit weit über die Agenda eines Think Tanks im engeren Sinne hinaus. Ihre

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Brüsseler Büros sind letztlich zwar nur die Vertretungen, aber sie haben gegenüber anderen Think Tanks ein eigenes Profil. Dieses ergibt sich einerseits aus der engen Verknüpfung mit der Zentrale und deren Beratungstätigkeit in der Hauptstadt Berlin. Sie haben aber nicht nur Brüssel und Berlin im Visier, sondern auch ihre Partner in den anderen Hauptstädten der Mitgliedstaaten der EU wie der Kandidatenländer. Darüber hinaus bringen sich die deutschen politischen Stiftungen mit ihrer jahrzehntelangen Erfahrung in der Demokratieförderung und ihrer weltweiten Präsenz – die Konrad-Adenauer-Stiftung z.B. ist in rund 120 Ländern der Welt mit politischen Beratungsprojekten tätig – zunehmend in die Durchführung europäischer Entwicklungspolitik ein. Die Brüsseler Vertretungen können deshalb über ein entsprechend weit gestrecktes internationales Netzwerk von Politik und Wissenschaft zurückgreifen, in dem z.B. Grundsatzfragen der Integrationspolitik ebenso abgedeckt sind wie aktuelle „Policy-Fragen“. Aus der Perspektive eines solchen Büros und im Sinne der – wie der Soziologe sagen würde – teilnehmenden Beobachtung, sollen im folgenden einige Erfahrungssätze zum Wesen politischer Beratung allgemein und zur Brüsseler Think Tank Landschaft hier zur Diskussion gestellt werden.

Beratungsziele und -wege Wer politische Beratung leisten will, muss sich sehr genau über die Zielgruppe im Klaren sein auf die es Einfluss zu nehmen gilt. Diese Eingangsthese ist beileibe keine Binsenweisheit. Ist es der politische Entscheidungsträger in den Führungsgremien der Exekutive, sind es die Parlamentarier, zielt er auf die „Bürokraten“, die politische Entscheidungen vorbereiten bzw. sie administrativ umsetzen sollen, oder will er das politische Umfeld, die interessierte Öffentlichkeit beeinflussen. Im Vergleich zu nationalen Hauptstädten scheint das Brüsseler Umfeld für politische Beratung offener, gleichzeitig aber auch komplizierter. Der Grund liegt in der spezifischen Zuständigkeitsverteilung, dem Zusammenspiel der Institutionen der Europäischen Union. Der Rat der Europäischen Union in seiner Doppelfunktion als Gesetzgeber und Exekutive ist in fast allen Entscheidungsprozessen nach wie vor die letzte Instanz. Aber gerade, weil der Ministerrat in seinen unterschiedlichen Formationen die nationalstaatliche Komponente vertritt, ist er nicht die erste Adresse für Politikberatung in Brüssel, sondern eher für die in der heimischen Kapitale. Das Europäische Parlament ist, was politische Gestaltungsmöglichkeiten betrifft, weit stärker als die meisten nationalen Volksvertretungen, aber schwächer, wenn es um die Bündelung politischer Mehrheiten geht. Seine Nachfrage nach fachlicher

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Expertise kann die externe Politikberatung decken, als Katalysator für Mehrheiten oder Moderator von Bündnissen ist sie nur beschränkt tauglich. Auch die Kommission als Motor der Integration und Hüter der Verträge hat einen hohen fachlichen Beratungsbedarf bei der Umsetzung ihrer Vorhaben. Ihr politisches Profil gewinnt sie aus ihrem alleinigen Initiativrecht. Im Laufe des Gesetzgebungsprozesses aber muss sie die politische Verantwortung mit den nationalen Regierungen und dem Parlament teilen – was aber nicht ausschließt, dass sie am Ende alleine für das Ergebnis haftbar gemacht wird. Für die Theorie wie auch die Praxis könnte man deshalb versucht sein zu unterscheiden zwischen politischer Beratung und „Consulting“ im engeren Sinne. Consulting wäre das zur Verfügung stellen von Expertisen bei der Durchführung und Umsetzung politischer Entscheidungen, d.h. Vorschläge und Optionen zur Lösung von bestehenden Problemen zu erarbeiten. Bei der politischen Beratung im weiteren Sinne dagegen geht es darum, Ideen zu platzieren, Urteile zu treffen und die strategischen Voraussetzungen für politische Führung zu schaffen. In der Praxis ist die Grenze fließend aber nicht unbedeutend. Das Brüsseler System scheint für das Consulting im beschriebenen Sinne eher aufnahmefähig als für die politische Beratung. Zumindest sind die dazugehörenden Instrumente zur Einholung von Expertisen oder Meinungen besser ausgebildet. Neben den klassischen Formen, wie Hearings oder Beratergremien, treten zunehmend neuere auf, wie das Konsultationsverfahren via Internet. Anders als für Lobbyisten sind die letzteren Kanäle für einen angebotsorientiert arbeitenden Think Tank von eher nachgeordneter Bedeutung. Im Vergleich zu nationalen Hauptstädten mit eindeutigen politischen Machtverhältnissen entlang parteipolitischer Mehrheiten und klaren Ministerzuständigkeiten, treffen beide aber in Brüssel auf ein weit wechselhafteres und damit auch eher ergebnisoffeneres Spiel. Das wichtigste politische Beratungsinstrument aber ist das persönliche Gespräch unter vier Augen bzw. in kleiner Runde. Für den Entscheidungsträger ist Zeit das kostbarste Gut und Zeitdruck die tägliche Realität. Wenn er denn lange Papiere liest, dann nur, wenn er den Verfasser persönlich kennt oder von einer ihm vertrauten Person darauf aufmerksam gemacht wird. In allen anderen Fällen gewinnt der Berater Aufmerksamkeit für seine Studien am besten über die Medien. Erst wenn die Presse darüber berichtet, so könnte man es zynisch formulieren, wird nach der Studie nachgefragt, die der Berater einige Wochen vorher exklusiv zugeschickt hat. Große amerikanische Think Tanks haben deshalb in den letzten Jahren einen Großteil ihres Budgets in die Kommunikation und Vermarktung ihrer Produkte gesteckt. Natürlich verfügen auch die Brüsseler Institutionen über eigene Internetseiten, die meisten versenden zusätzlich noch gedruckte Newsletter oder Positions-

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papiere. Mit den oben erwähnten Veranstaltungsformen verfügen sie ebenfalls über Instrumente, Ergebnisse der eigenen Arbeit zu verbreiten. Man stößt selbst in Brüssel aber rasch an die Grenzen einer europäischen Öffentlichkeit. Weder im Bereich der Print- noch der elektronischen Medien gibt es echte europäische Zeitungen oder Fernseh- bzw. Rundfunksender mit Wirkung über Eliten hinaus.

Beratungsvermögen Wer den politischen Entscheidungsträger beraten will, muss immer mit dessen Beratungsresistenz rechnen. Der Politiker ist offen für Argumente, die seine getroffene politische Entscheidung untermauern. Fähigkeit zur Selbstkritik oder Kurskorrektur wird er nur im engsten Kreise der Berater entwickeln – Ausnahmen bestätigen die Regel. Doch diese Haltung ist verständlich. 40% einer richtigen politischen Entscheidung, so hat es kürzlich ein hochrangiger deutscher Politiker formuliert, beruht auf Expertise, 30% auf politischem Instinkt und die restlichen 30% sind Glück und Zufall. Grundsätzlich dürfte es in dieser Einschätzung keine Unterschiede zwischen der nationalen und der europäischen Ebene geben. Der gute Berater kann Optionen und Gestaltungsvorschläge entwickeln. Aber er übernimmt nicht die politische Verantwortung. Aus diesem Merksatz folgt eine dritte These. Stellung und Einfluss des Beraters bestimmt sich nur zu einem nachgeordneten Teil aus seiner intellektuellen Analysefähigkeit. Gefragt ist politisches Urteilsvermögen und ein breites politisches Netzwerk. Wenn dieser Erfahrungssatz stimmt, dann hat er weitreichende Auswirkungen für die Organisation und die Strukturen von Beratungsinstitutionen. Daraus folgt auch, dass Wissensmanagement und Vermittlung von Kontakten zu denen, die in der Sache gebraucht werden, in der Regel höher eingeschätzt werden als lange Positionspapiere und Studien, die der politische Entscheidungsträger zu lesen kaum selbst Zeit hat. Die Brüsseler Think Tank Landschaft reflektiert dies insoweit, als zu den bevorzugten Vehikeln des Meinungsaustausches und der Ideenvermittlung Roundtable-Diskussionen, Seminare, Arbeitsfrühstücke oder -mittagessen etc. mit ausgewählten Entscheidungsträgern gehören. Dies gibt den politischen Entscheidungsträgern Gelegenheit, Ideen zu testen, Stimmungen aufzunehmen, eigene Vorstellungen zu transportieren und Kontakte zu knüpfen. Den Hauptnutzen aber trägt die interessierte Öffentlichkeit.

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Wissen sammeln oder Forschung betreiben? Nur ganz wenige der Brüsseler Thinks Tanks verfügen über einen Forschungsapparat der diesen Namen verdient und erarbeiten tiefergehende Analysen und Studien. Man darf deren Rolle nicht unterschätzen. Natürlich sind betriebswirtschaftlich gesehen die Fixkosten höher und die forschungspolitische Flexibilität geringer. Auch ist es kein Geheimnis, dass akademische Arbeitsweise und politische „deadlines“ nicht immer leicht unter einen Hut gebracht werden können und die Einschätzung der politischen Relevanz und Umsetzbarkeit von Forschungsergebnissen bei Politikern und Wissenschaftlern oftmals auseinander liegt. Der Trend geht deshalb gerne zum Wissensmanagement. In der Praxis heißt das, der Berater identifiziert die in Frage kommenden Experten, bringt sie zu einem „brainstorming“ zusammen und schöpft so das Wissen ab, das er dann für den politischen Gebrauch kondensiert. Unter dem Gesichtspunkt von Aktualität und Politiknähe hat das Verfahren viele Vorteile. Der politisch gut verdrahtete Wissensmanager kann die richtigen Fragen formulieren, die notwendigen Antworten transportieren und auch neue Impulse für die weitere Forschung geben. Er muss aber auch bis zu einem gewissen Grad in der Materie selbst bewandert sein, zumindest soweit, dass er als Gesprächspartner von den Fachleuten und Experten akzeptiert wird. Hier beginnen die Vorteile eigener Forschungskapazitäten in Think Tanks zu greifen. Sie sind, nicht zuletzt auch unter dem Gesichtpunkt der Nachwuchsförderung, der Ort, wo Experten die Gelegenheit haben, ein entsprechendes Anforderungsprofil der Politikberatung herauszubilden. Generell darf man Politikberatung nicht als lineare Entwicklung begreifen. Sie ist, wie politische Entscheidungen überhaupt, nicht vergleichbar mit einer kausalen Abfolge physikalischer Reaktionen wie man sie aus den Naturwissenschaften kennt, sondern allenfalls mit einem chemischen Prozess vergleichbar, über dessen Substanzen und deren Zusammenwirken die Analyse am Ende nur annähernde Aussagen machen kann. Für die Politikberatung heißt dies aber auch, dass nur an tagespolitischen Leitfragen orientierte Forschung Kanäle der politischen Innovation versiegen lassen kann. Hier liegt ein weiterer komparativer Vorteil von Think Tanks mit eigenen Forschungskapazitäten. Auf europäischer Ebene kommt hinzu, dass diese idealiter Schmelztiegel sein können, in dem sich „gemeinschaftliches Denken“, das über die Addition nationaler Perspektiven hinausgeht, entwickelt. Exklusivität mag der Traum eines jeden Beraters sein. Objektiv gesehen ist er aber der Alptraum des zu Beratenden. Politik hat und braucht viele Quellen der Information: Den eigenen bürokratischen Apparat, die wissenschaftlichen Dienste, Freunde aus dem politischen Umfeld, der Wirtschaft oder der Wissen-

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schaft sowie die im Wettbewerb zueinander stehenden Beratungsinstitute. Aus nationaler Erfahrung lässt sich sagen, dass die Nähe zu einer Partei in dieser Auseinandersetzung nicht notwendigerweise einen Standortvorteil garantiert. Natürlich profitieren in Deutschland z.B. die politischen Stiftungen von leichteren Zugängen zu politischen Entscheidungsträgern. Ihr Ansehen und ihre Reputation, insbesondere im Ausland, wachsen mit der politischen Bedeutung der ihnen nahe stehenden Partei, vor allem wenn sie Regierungsverantwortung trägt. Intern kann das ganz anders aussehen. Politiker und ihre Mitarbeiter, die einer Regierungspartei angehören, verfügen über viele zusätzliche Ansprechstellen und Ressourcen der politischen Beratung innerhalb und außerhalb der Administration. Andere Institute und Think Tanks arbeiten hart um ihr Entree zu den Zentren der Macht. Und einer Regierung hilft es in der Öffentlichkeit oft besser, ihre Position mit Bezug auf einen „neutralen“ Berater zu unterfüttern als mit Verweis auf einen aus der eigenen politischen Familie. In Oppositionszeiten ändert sich das Bild. In dem Maße, wo die Kommunikationskanäle in den Regierungsapparat austrocknen, steigt die Nachfrage bei den nahe stehenden Institutionen. Auf europäischer Ebene gibt es noch keine vergleichbare Situation. Im Kontext der vom Parlament angestoßenen Reform des Parteienstatuts werden zur Zeit auch Überlegungen zur Errichtung Europäischer Politischer Stiftungen diskutiert. Dabei denken die Parteien vor allem daran, sich zusätzliche eigene Think Tank-Kapazität zu schaffen. Diese Aufgabenkonzentration macht in vielerlei Hinsicht viel Sinn, vor allem wenn die neuen Institutionen mit den bereits existierenden eng kooperieren werden und Doppelarbeit vermieden wird. Entsprechende Institutionen können die Rolle eines echten europäischen Vordenkers übernehmen. Sie können der Ort sein, von dem aus Testballons gestartet werden etc. Aufgrund der erwähnten anderen politischen Gegebenheiten im Brüsseler politischen Prozess, die – fast – nicht erforderliche Rücksichtnahme auf die „Regierung an der Macht“, dürften die Freiräume dieser Think Tanks größer sein als auf der nationalen Ebene. Gleichwohl gibt es auch hier nicht wegzuleugnende Loyalitäten gegenüber dem eigenen politischen Umfeld, die Grenzen ziehen für Themen und politische Lösungsvorschläge.

Brüssler Beratungskultur: Schmelztiegel nationaler Besonderheiten Die Entscheidungshilfe die am meisten gebraucht wird, ist die, die Spreu vom Weizen zu trennen. Der Berater, der Einfluss haben möchte, muss deshalb nicht nur seine eigenen Vorstellungen vermitteln können, sondern vor allem auch die Positionen und Argumente der anderen kennen. Auch wenn es keinen positiven

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Zusammenhang zwischen der politischen Klugheit von Entscheidungen und der Anzahl externer Beratungsinstitutionen gibt, so kann Wettbewerb im Beratungsgeschäft nur gut sein. Angesichts der oben erwähnten Anzahl der Think Tanks und Institute ist er sicherlich in Brüssel stärker gegeben als in den meisten europäischen Hauptstädten. Aber die Härte des Konkurrenzkampfes misst sich eher im Werben um die Teilnehmer an der eigenen Veranstaltung, wenn mehrere, wie meist üblich, zur gleichen Zeit angeboten werden. Und selbst bei der Einwerbung von Fördermitteln aus EU-Quellen oder bei privaten Sponsoren kommt er nur bedingt zum Tragen. Noch ist der Kuchen groß genug, die Themenpalette längst nicht überall besetzt. Die positive Kehrseite dieses gezähmten Wettbewerbes ist die Offenheit der Think Tanks untereinander, die Bereitschaft zu partnerschaftlicher Kooperation und damit das Nutzen von Synergien. Jede politische Kultur hat auch ihre eigene Beratungskultur, die in Strukturen, Verfahren und Themen zum Ausdruck kommt. Oftmals wird das amerikanische Modell gerade im Think Tank Bereich als Positivbeispiel angeführt ohne tatsächlich Qualitätsbeweise zu haben. Nach Washington hat Brüssel sicherlich die größte Dichte von Beratungsinstituten an einem Ort versammelt. Eine spezifische „europäische Beratungskultur“ lässt sich jedoch nur in Ansätzen erkennen. Historisch gesehen – bezogen auf die Gründungsinitiative – ist die Think Tank Landschaft sogar eher angelsächsisch dominiert. Von den Strukturen her gibt es keine wesentlichen Unterschiede zu vergleichbaren nationalen Institutionen. Es gibt Organisationen, die Universitäten angeschlossen sind, ihre Verankerung im wissenschaftlichen Bereich suchen, ebenso wie rein „policy-orientierte“ Einrichtungen und Think Tanks, die sich ausschließlich auf Ideentransfer ohne eigene Analyse konzentrieren. Es gibt öffentlich geförderte Institutionen, die ihre Grundfinanzierung aus Mitteln des EU-Haushaltes oder nationalen Budgets erhalten, oder solche, die auf rein privater Finanzierung basieren. Überwiegend schlägt die nationale Komponente durch. Die Mitarbeiterstäbe außerhalb der größeren Forschungsapparate sind nur begrenzt europäisch zusammengesetzt, wie es auch bei der Ansprache außerhalb des engeren Umfeldes der EU-Institutionen häufig nur unzureichend gelingt, die Grenzen der nationalen „communities“ zu überwinden. Der Grund mag die Sprache sein. Lingua franca der Brüsseler Think Tank Landschaft ist Englisch. Die Kommunikation innerhalb der eigenen Institution bleibt landessprachlich gefärbt. Bemerkenswert ist, dass immer mehr nationale Einrichtungen der Politikanalyse, darunter auch einige amerikanische Institutionen, eine Vertretung in Brüssel errichten. Aber längst noch nicht alle Mitgliedsländer haben eine derartige Präsenz vorzuweisen. Insbesondere die neuen Staaten sind unterrepräsentiert.

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Natürlich leiten sich die Themenstellungen aus der europäischen Agenda ab. Schwerpunkte sind Wirtschaftsthemen und Außenpolitik, zu einem signifikanten Teil auch die institutionelle Fortentwicklung der EU einschließlich Verfassungsdebatte und Erweiterungsfragen. Erst in den letzten Jahren nimmt man sich auch intensiver den Fragen von Migration und Integration an. Zusammenarbeit im justitziellen Bereich scheint eher etwas für Spezialisten zu bleiben, obwohl auch hier sich auf europäischer Ebene viel getan hat. Im Grunde allerdings sind es dieselben Fragestellungen, die auch rein nationale Think Tanks beschäftigen.

Think Tanks bedarfsdeckend Gleichwohl, vor dem Hintergrund der derzeitigen Zukunftsdebatte der Europäischen Union, haben die Institute politischer Beratung hinsichtlich Substanz und Vermittlung europäischer Politik ein großes Feld zu bestellen. Entscheidend dabei wird sein, wie sie sich auf die neue Lage einstellen. Es geht nicht mehr darum Europabegeisterung zu wecken. Die Mehrheit der Bürger Europas steht hinter dem europäischen Einigungsgedanken. Doch es reicht nicht mehr, die Menschen davon überzeugen zu wollen, dass die in Brüssel gemachte Politik Antworten auf die Herausforderungen gibt, die national allein nicht mehr zu bewältigen sind. Es geht vor allem darum deutlich zu machen, dass die Lösungen, die Brüssel anbietet, besser sind als die im nationalen Alleingang angebotenen Alternativen. Hier mitzuhelfen, die intellektuellen wie politischen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Politik zu schaffen, ist klassische Think Tank-Aufgabe. Insofern dürfte der Beratungsbedarf auch in Zukunft weiter wachsen und braucht es einem um das Brüsseler Think Tank Biotop nicht Bange werden.

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Hajo Friedrich

„Nicht wirklich vorwärts kommend, strampeln wir schneller“ – ein kritischer Blick eines freien Journalisten auf EU-Politikberatung und Öffentlichkeit „Die jüngere Beratungswelle geht von der korrekten Annahme aus, dass Agenten, die nicht allzuviel tun können, am besten unterstützt werden von Konsultanten, die wissen, dass sie nicht allzuviel wissen…Für Auskünfte dieser Qualität zahlen herausragende Inkompetenzträger inzwischen fast jede Summe“. (aus: Peter Sloterdijk, Im Weltinnenraum des Kapitals; Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005) „Ich bin hoch motiviert, den schlechten Zustand Europas beenden zu helfen. Ich hoffe, dass wir im Jahr 2009/2010 die irrationalen Hemmnisse beiseite räumen…selbst dieses Datum ist optimistisch. Die Denkpause…muss weitergehen“(Jean-Claude Juncker, Mai 2006)

Dieser Beitrag stellt einen Versuch dar, gegen den kräftigen Strom derjenigen anzuschwimmen, die vorgeben: ‚Eigentlich kann alles so weitergehen. Was zu ändern ist, das kriegen wir schon allein hin’. Vorneweg zunächst zehn zugespitzte Thesen und Provokationen zum Thema EU-Politik(beratung) und Medien. Danach folgt ein bunter Strauß von Beispielen und Erfahrungen aus dem Brüsseler Alltag. 1. 2. 3.

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Der Bedarf an professioneller und weitsichtiger EU-Politikberatung ist groß. Die gegenwärtige Politikberatung ist mehr Ursache als Lösung der EUKrise. Die Europapolitik ist gepflastert mit Beratungsversagen. Eine Folge: Europapolitische Debatten über zentrale Themen – etwa die Erweiterung, Finanzen und große Gesetzesvorhaben wie die Dienstleistungsrichtlinie – werden entweder nicht oder dilettantisch geführt. Fast jeder EU-Player fühlt sich zum Berater und Spin-Doktor berufen.

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Die meisten Politiker und Institutionen sind ‚beratungsresistent’ und scheuen besonders Freigeister. 6. Selbstzufriedenheit und Machtdenken bilden die stärkste Bremse für eine Reform an Haupt und Gliedern und für wirkliche Demokratie in der EU. 7. Die vierte Gewalt, die Medien, vermag weder genügend Öffentlichkeit und Transparenz zu schaffen, noch kann sie korrigierend auf „schlechte Politik’ einwirken. 8. Im Gegenteil: Die Medien werden eingespannt als Verstärker und Vehikel von Werbebotschaften, Ideologie und – notfalls – Demagogie 9. In der aktuellen EU-Krise liegt für Politik(beratung) und Medien die Chance eines Neubeginns. 10. Für die gebotene ‚Neugründung’ der EU fehlt gegenwärtig eine ‚kritische Masse’. Wer Europapolitik verstehen und ihren enormen Beratungsbedarf ermessen will, muss sich erst einmal eine Bresche schlagen: durch die Fülle von Widersprüchen, Inkonsequenzen, Reflexen und anderen Schablonen und Mechanismen. Bei vielen dieser Phänomene, die das Treiben im ‚Raumschiff Brüssel’ immer mehr beherrschen, sind in unterschiedlicher Zusammenstellung beteiligt: Politiker, Institutionen, Berater, die Medien und Lobbyisten. Der Bürger erscheint in diesem Treiben nur als dumpf fühlende Masse, die mal mehr und mal weniger Europa will.

Europa in der Achterbahn Keine Beschreibung der europäischen Malaise ohne Verweis auf das Meinungsklima. Mehr noch als die innerstaatliche Politik, gleicht die Europa-Diskussion einer Achterbahnfahrt. Das gilt von den Stammtischen bis zu den Regierungsbänken und Denkerflügeln in den Medienburgen. Heute noch gelten die Chiffren ‚Brüssel’ und ‚EU’ als Inbegriff für Verschwendung und Überregulierung, morgen schon wird die Gemeinschaft zur letzten Instanz erklärt, zu einem Heilsbringer oder Problemlöser, der das leisten soll, was die Nationalstaaten allein nicht mehr vermögen. So züchten manche Politiker in den EU-Ländern gegenwärtig zum Beispiel die Erwartung: nicht durch die einzelnen Länder, sondern nur ‚europäisch’ sei den hohen Energiepreisen oder anderen Auswüchsen beizukommen. Den Medien gelingt dabei keine Aufklärung: wer spricht zum Beispiel offen aus, dass die gleichen Politiker und Parteien noch vor wenigen Jahren unwidersprochen be-

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haupten konnten, die Marktöffnung bringe mehr Wahlfreiheit und niedrigere Preise. Gleiches gilt für Entwicklungen auf anderen Märkten.

Europa als Erfolgsgeschichte Statt solche Ablenkungsmanöver zu stoppen, lassen sich viele Medien immer wieder dafür einspannen. Das neue alte Rezept in der Brüsseler Kommissionszentrale sowie im Parlament lautet: „wir müssen mehr bürgernahe Erfolgsgeschichten verkaufen“. So kritisieren die EU-Behörde und Abgeordnete regelmäßig überhöhte Preise in Europa – etwa für Mobilfunkgespräche im Ausland. Garniert werden diese Meldungen mit dunklen Andeutungen, notfalls rechtlich gegen die Preisdiktatoren vorzugehen. Unerwähnt bleibt, dass die europäische Politik die Rahmenbedingungen für diese – auf dem Verordnungswege wohl kaum beizukommenden – Marktentwicklungen erst vor wenigen Jahren geschaffen hat. Anders gesagt: Die mit den genannten und ähnlichen Oberflächenphänomenen verbundenen Fragen nach der Funktionsweise des Binnenmarkts und der Wettbewerbspolitik, zum sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhalt der 450 Millionen EU-Bürger werden nicht gestellt. Dafür scheint weder der Politik noch den Medien die Puste zu reichen. Nur weniger Berater beklagen dieses Vakuum. Politik und Medien sind sich aus jeweils eigenen Interessen offenbar einig, bloß keine Grundsatzdebatten zu führen. Welche Folgen hat das für die Medien? Wenn das Regulativ der Öffentlichkeit nicht funktioniert, darf es nicht überraschen, wenn Institutionen und Politiker weiter ihre Energie auf kurzfristige, populistische Effekte richten. Dazu mehr Beispiele weiter unten.

Widersprüche, Inkonsequenzen Europapolitik ist längst Innenpolitik. Nahezu jeder Politiker und EU-Experte räumt ein, dass in den europäischen Institutionen in Brüssel, Luxemburg und Straßburg inzwischen der Großteil der für Wirtschaft und Gesellschaft der Mitgliedstaaten wichtigen Politiken und Regelungen vorbereitet, beraten und beschlossen wird. Doch weder Politik, Verwaltungen noch die Medien ziehen die angemessenen Konsequenzen. Nicht Schritt gehalten hat die Professionalität, Entscheidungen vorzubereiten und zu verwirklichen. Das Bewusstsein dafür, dass Europapolitik mehr professioneller Berater und weniger Amateure oder Untergebene im Beratergewand bedarf, ist in Deutschland und in Brüssel nur gering ausgeprägt. Offizielle, beru-

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fene oder selbsternannte politische Player und Berater gibt es viele im EUHamsterrad. Der Brüsseler Beraterchor ist so vielstimmig, das er nur noch schrill klingt. Mit dem zunehmenden Beratungsbedarf hat sich auch die Zahl der offiziellen und selbsternannten Berater vervielfacht. Jeder Akteur im Raumschiff sieht sich auch als Berater für die Medien und für andere Akteure: der Diplomat steuert mit stillem Genuss den Politiker, der Europapolitiker die Politiker in der heimatlichen Provinz, der Lobbyist berät den Abgeordneten und der Kommissionsbeamte seinen Kommissar. Brüsseler Anwälte dürften mehr Geld mit Beratung und Lobbying verdienen als mit der Rechtsvertretung. Hinzu kommen offizielle Beratungsgremien wie der Ausschuss der Regionen und der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss. Deren Beratungserfolge sind bis heute erheblich dünner gesät, als die der wachsenden Zahl von Public Affairs-Agenturen und der schätzungsweise 15000 EU-Lobbyisten. Selbst hehre Gemeinschaftsinstitutionen, von denen man eine klare Aufgabenbegrenzung und Zurückhaltung erwarten könnte – wie der Europäische Gerichtshof oder der Europäische Rechnungshof – betätigen sich immer wieder auch als Berater und Mahner. Offen oder zwischen den Zeilen finden sich in ihren Urteilen und Berichten Hinweise oder gar Rügen in Richtung der Brüsseler Politik und Institutionen. Zur Erinnerung: im März 1999 waren es nicht etwa kritische Abgeordnete oder auf Skandale spezialisierte Journalisten, sondern vor allem ehemalige führende Mitglieder des EU-Rechnungshofs, die die gesamte Kommission unter ihrem Präsident Jacques Santer stürzten. Grundlage bildete ihr Bericht über mutmaßliche Günstlingswirtschaft und Missmanagement in der Kommission. Auftraggeber des Berichts war das Europäische Parlament. Zur Überraschung aller EU-Beobachter und Berater fiel die Kritik an den Brüsseler Missständen so vernichtend aus, dass sich die gesamte SanterKommission zum sofortigen Rücktritt gezwungen sah. Von dem damit verbundenen Ansehensverlust hat sich die EU-Kommission bis heute offensichtlich noch nicht erholt. Was zeigt dies? Berater, Gutacher oder andere beauftragte Stellen bilden zuweilen auch eine Gefahr für ihre Auftraggeber oder tragen zumindest zu einer unerwarteten oder unerwünschten Eigendynamik bei. Vielleicht erklärt das auch die Furcht von Politikern und anderen Ratsuchenden vor Freigeistern im Konsultantengewand. Zumal ein Mehltau aus Misstrauen und Skepsis inzwischen auch auf den anderen EU-Institutionen lastet.

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Entwicklungsland Europaparlament Das lässt sich fast täglich im Europäischen Parlament beobachten: die Abgeordneten haben sich zwar über die Jahre geschickt mehr Zuständigkeiten und Rechte erkämpft. Die Vorsitzenden der großen Fraktionen werden nicht müde, die „Parlamentarisierung der Europapolitik“ herauszustellen. Doch viele Abgeordnete klagen zu Recht, dass der Parlamentsapparat ihnen nicht genügend Expertise und andere Unterstützungsleistungen zur Verfügung stellen kann, den enormen Anforderungen an den Mitgesetzgeber auch gerecht zu werden. Eine bleibende Herausforderung für Berater und ein dankbarer Stoff für Skandalberichterstattung bleibt die Reform der EU-Institutionen – nicht zuletzt des Europaparlaments. Bei der jahrelangen leidigen Diskussion über das Abgeordnetenstatut hätte zum Beispiel die Parlamentsführung mehrfach Gelegenheit gehabt, Weitsicht und Führungskraft zu beweisen. Statt die Diskussion für eine grundlegende Reform der Parlamentsarbeit zu nutzen, kungelten einige Abgeordnete mit den EU-Regierungen fernab der Öffentlichkeit im Frühjahr 2005 unter luxemburgischer EU-Ratspräsidentschaft einen fragwürdigen Text aus und verkauften ihn als Erfolg. Das Statut wird zwar erst zu Beginn der nächsten Wahlperiode, also im Jahr 2009, in Kraft treten. Doch die kritische Berichterstattung ist programmiert, denn für fast alle Abgeordneten werden sich hohe Gehaltssteigerungen ergeben. Auch einige der bestehenden pauschalen Spesenregelungen dürften fortbestehen. Sie ermöglichen den Abgeordneten hohe steuerfreie Nebeneinnahmen. Der Hauptantrieb der etablierten Berufseuropäer für diesen Schnellschuss war offensichtlich, das Schreckensthema im Europawahlkampf 2004 endlich aus den Boulevardmedien zu verbannen. Für das Scheitern ihres ersten Anlaufes zu einer Reform der Diäten, Anfang 2004, hatten die meisten Europaabgeordneten eine angebliche Hetzkampagne bestimmter Medien verantwortlich gemacht. Das zeigt immerhin: die Massenmedien können durchaus Missstände aufzeigen und Politik(er) zu Konsequenzen bewegen – doch diese sind meist nur punktuell, kurzatmig und symbolisch. Auf meine Frage an einen Fraktionsvorsitzenden im EU-Parlament, warum die Diskussion über Diäten und Reisekostenabrechnungen nicht für eine grundlegende Reform der Parlamentsarbeit genutzt wurde, antwortete er nur resigniert: „Weil die Parlamentsspitze eine grundlegende Modernisierung ihrer Arbeit nicht will oder für nicht machbar hält“. Ähnlich strukturkonservativ reagieren Verbandsfunktionäre, wenn man sie auf die geforderten, neuen Formen besserer Entscheidungsfindung in der EU-Politik anspricht: „Das bringt mir bloß meinen ganzen Apparat durcheinander“, sagte ein Generalsekretär.

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Den Medien bleibt dann oftmals nur, engagierten Volksvertretern eine Klagemauer zu bieten: zum Beispiel im Blick auf die ungenügende Leistungsfähigkeit des wissenschaftlichen Dienstes des Parlaments. Aber wer nimmt sich dieser Klagen an? Und welchen Leser oder Chefredakteur interessiert es in einem Meinungsklima der gefühlten EU-Überregulierung, dass dem Berichterstatter eines wichtigen Wirtschaftsgesetzes nicht genügend neutrale, unabhängige Beratung und Expertise zur Verfügung gestellt wird. Nach wie vor drängt es nicht die erste Garde deutscher Politiker nach Brüssel und Straßburg. Der Bundestag und einige seiner Fraktionen mögen inzwischen die Bedeutung der EU für die nationale Gesetzgebung erkannt haben. So planen sie gegenwärtig die Einrichtung von „Frühwarnsystemen“ in Brüssel – als ob die EU in erster Linie eine Gefahr sei, die abgewehrt werden müsste. Von dem Willen zur Mitgestaltung in den Keimzellen der Europapolitik ist keine Rede. Kein Wunder, dass Fachministerien oder andere Verwaltungen von Bund und Ländern die Erfahrungen und Kontakte – also große Beratungspotentiale – ihrer auf das EU-Parkett entsandten Mitarbeiter noch immer nicht ausreichend belohnen. Im Gegenteil: „Du hast dir in Brüssel doch ein schönes Leben gemacht“, muss sich mancher an die Heimatfront Zurückgekehrte anhören. Kein Wunder, wenn mancher sagt: „Dann kann ich mir auch gleich ein schönes Leben machen“. Eine Ausnahme bildet das Auswärtige Amt. Es ist bei der Verfolgung seiner Interessen der erfolgreichste Berater auf dem EU-Parkett. Es weiß am besten um die strategische Bedeutung „Brüssels“: für seine Machtposition im Konkurrenzgerangel mit den Fachministerien und dem Bundeskanzleramt sowie im Blick auf die Karrierewege des Diplomatencorps.

Die vierte Gewalt Die so genannte vierte Gewalt – die Medien – hat nicht erkannt oder vielleicht wieder vergessen, welche Chancen der Profilierung und Selbstbehauptung ihnen die Europapolitik bieten könnte. Sie scheitern an der Herausforderung, ihren Lesern und Zuschauern die komplizierte Gemeinschaftspolitik ohne allzu große Vereinfachung verständlich zu machen. Versäumt wird auch, Teilhabe- und Mitgestaltungschancen am Gemeinschaftsprojekt aufzuzeigen sowie Orientierungsangebote in einer von den Bürgern als immer komplizierter wahrgenommenen Welt zu unterbreiten. Zu oft, immer öfter gleichen Leitartikel nur noch einer Aneinanderreihung von Gemeinplätzen. Orientierungsmarken enthalten nur wenige, viele bedienen bloß die herrschenden Ressentiments.

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Noch vor ein paar Jahren glaubten selbst manche EU-Korrespondenten, sie könnten Politiker, Diplomaten und Beamte beeinflussen – etwa mit ihren Kommentaren sowie Fragen in Pressekonferenzen oder Hintergrundgesprächen. Seit geraumer Zeit dürfte die so genannte fünfte Gewalt – die Lobby der großen Verbände und Unternehmen – die vierte Gewalt längst im Griff und an Einfluss überholt haben. Auch EU-Politiker oder Diplomaten versuchen immer wieder, Journalisten – etwa mit Hilfe des Zuckerl „Exklusivinformation“- für ihre Zwecke einzuspannen. Zum Beispiel, um Einfluss auf die heimische Politikfront zu nehmen. Die zum Großteil von der werbenden Wirtschaft subventionierten Medien laufen – wie die Politik – im Hamsterrad: nicht wirklich vorwärts kommend, strampeln sie immer schneller. Wohin: dem Herztod entgegen? Aber auch die Kaste der Denker weiß nicht weiter. Sie stöhnt beim Thema ‚Europa’ meist nur noch laut auf und verliert sich sodann, in Allerweltsweisheiten, Appellen („Europa neu denken“) und den von Massenmedien geprägten Gefühlsmustern. Einfluss auf europäische Sach- oder Personalentscheidungen dürften die Medien nur besitzen, wenn sie sich mit anderen Interessenten verbünden und sich als Verstärker in laufende Diskussionen einspannen lassen. Die Lage ist verwirrend. Gestern noch sollen die Bürger ihren Unmut über die (heimische) Politik auf Brüssel abladen können. Morgen schon wird ihnen die EU als Lösung der großen Probleme – etwa Arbeitslosigkeit, Terrorismus und Globalisierung – verkauft. Leider funktionieren viele Medien dabei als Lautsprecher und Verstärker. Die Expertise und das Differenzierungsvermögen erfahrener EU-Berichterstatter ist in den meisten Chefredaktionen heute weniger gefragt als der locker und oberflächlich geschriebene Schnellschuss, der obendrein mehr dumpfe Gefühle als den Verstand bedient.

Verpackung statt Inhalte Ähnlich unwürdig und kurzsichtig wird in der Gemeinschaft über die Finanzen gestritten. Auch viele Journalisten glauben, sie könnten den Streit um Zahlen leichter verkaufen als Inhalte. Über Möglichkeiten der seit Jahren geforderten Neuausrichtung der Finanzinstrumente – etwa mehr Darlehen und Kredite statt der üblichen verlorenen Zuschüsse – verlieren sich bestenfalls noch Steuerzahlerverbände. Hoch geschrieben wird der Streit der Politik um die Größe und Verpackung von Kompromisspaketen. Der Inhalt scheint nachrangig, weil auch viel zu schwierig. Verschwiegen wird auch, dass die Beteiligten oftmals bereits am Anfang wissen, was herauskommt. Der Streit wird bloß ritualisiert. So hat EU-Haushaltskommissarin Dalia Grybauskaite bereits Ende 2004 – in Hinter-

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grundgesprächen – das Ergebnis der Verhandlungen über den EU-Haushalt von 2007 bis 2013 bis auf die zweite Stelle hinter dem Komma vorausgesagt, auf das sich die Regierungen und das Parlament mehr als ein Jahr später verständigten. Die Medien müssen sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen, lieber zu menscheln, als die Tiefen der Europapolitik auszuschreiten. Kein Wunder, dass einige angereiste Journalisten im Dezember 2005 die frisch gekürte Kanzlerin Angela Merkel als Retterin der finanziellen Vorausschau (2007 bis 2013) feierten. Bei genauerem Hinsehen und mehr Mut und Rückgrat, sich den Einflüsterungen von Beamten und Diplomaten zu verschließen, wäre von der vermeintlichen Leistung Merkels wohl nicht mehr übrig geblieben. Die Herausstellung Merkels diente vor allem dem britischen Premierminister Tony Blair, den Kompromiss seinen Wahlbürgern zu verkaufen. Hinzu kommt: Frau Merkels Vorgänger, Gerhard Schröder, hatte das Terrain für eine Einigung bereits Monate vorher bereitet. Doch das haben die Medien Wochen später höchstens nur noch am Rande vermeldet. Kein Wunder, wenn Politiker wie auch Medienvertreter in diesem Muster fortfahren: Dem Leser oder Zuschauer wird Europapolitik nur noch in beliebig zubereitbaren ‚Stories’ geboten, die wahren Hintergründe erfährt er dagegen selten oder nie. Das spielt den vielen EU-Playern in die Hände, die hinter den Kulissen tätig sind und Öffentlichkeit scheuen. Sind die Medienvertreter auch Berater? Als Brüsseler ‚Berater’ sieht sich in manchen Stunden nach Redaktionsschluss oder auf Konferenzen bestenfalls eine Minderheit. Und die wenigen, über europäisches Herzblut verfügenden Journalisten erteilten wohl am liebsten allen Playern Ratschläge. Diese werden aber nur mit einem freundlichen Dankeschön quittiert und kaum ernst genommen. Die um ihr Profil besorgten EU-Abgeordneten und Kommissare stellen ihr Tun und Trachten eher auf die Journalisten ein, die Brüssel vor allem als Durchlaufstation ihrer Karriere sehen und bei ihren EU-Geschichten die Erwartungen und Gefühle der Heimatfront bedienen. Dort sind zugespitzte und personalisierte Stories mehr gefragt, als nüchterne Analysen.

Machtkampf um die Verfassung Ein Auf und Ab, das Schwindel erregt und Glaubwürdigkeit untergräbt, lässt sich gegenwärtig auch in der Frage zur Zukunft des geplanten EU-Verfassungsvertrags beobachten: hektisch-hilflos wird nach Wegen und Tricks gesucht, wie der wachsenden Masse der EU-Skeptiker der geplante Verfassungsvertrag doch noch – zumindest in Teilen – schmackhaft gemacht werden könnte.

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Die Stimmung ähnelt einem Machtkampf zwischen Eliten und dem Volk. Dabei klingt ein Selbstverständnis mit folgendem Tenor durch: „Wir, die Eliten, haben alle großen EU-Projekte – von der Währungsunion bis zum Big Bang der Erweiterung – durchgezogen, wir lassen uns doch nicht von ein paar ablehnenden Volksentscheiden von unserem Kurs abbringen. Und überhaupt: wir wissen doch am besten, was für ‚Europa’ gut ist“. Wo sind die Berater, die der Politik von solcher Arroganz abraten?

Denkpause Ob die EU-Entscheidungsträger ihre selbst auferlegte, sich voraussichtlich noch bis 2009 – dem Jahr der Europawahlen und der Neubestallung der Kommission – oder länger hinziehende „Denkpause“ oder „Reflexionsphase“ für einen wirklichen Neuanfang nutzen, ist zu bezweifeln. Die eingangs zitierte Aussage von Jean-Claude Juncker spricht Bände. Von neuem Denken ist keine Spur. Stattdessen regiert Aktivismus in den vertrauten Bahnen: Konferenzen, Reden und Bekenntnisse, Studien, neue Projekte, Zeitpläne sowie andere, als große Erfolge für die ‚Bürger’ verkaufte Non-Events und –Entscheidungen. Dies dürfte nicht ausreichen, das beklagte Legitimationsdefizit zu beheben. Das nur noch schnellere Drehen des Hamsterrads verstärkt bloß die Ermüdungserscheinungen der Bewohner des Hauses Europa. Doch statt innezuhalten und zum Beispiel eine Reihe mehrtägiger Klausurveranstaltungen einzuberufen, richten sich die Akteure obendrein auch noch in Verdrängungs- und andere Immunisierungsstrategien ein: So wird zum Beispiel die Urteilskraft und damit auch Glaubwürdigkeit der Kritiker infragegestellt. Etwa der vielen Bürger, die nach regelmäßigen Umfragen der EU-Kommission einerseits mehr europäisches Handeln auf vielen Politikfeldern fordern, andererseits aber dem Gemeinschaftshandeln großes Misstrauen entgegenbringen. Wer so widersprüchlich urteilt, der braucht auch nicht ernst genommen zu werden, schwingt es larmoyant in den Reden der Politiker mit. Dabei sind es Widersprüche, die sie eigentlich auf den Plan rufen müssten. Juncker hat immerhin den Mut zur Bankrotterklärung der gegenwärtigen EU-Führung: „Die Politik schafft es nicht, eine Brücke zwischen diesen beiden Befindlichkeiten zu schlagen“, sagt der Karlspreisträger 2006 zu dem Phänomen, dass eine Hälfte der Europäer mehr und die andere weniger Europa haben will. Europas Identitätskrise ist auch eine Krise der Selbstwahrnehmung. So wird etwa bei Gesprächen mit den EU-Eliten deutlich, dass sie die Malaise am wenigsten bei sich selbst, sondern eher bei den jeweils anderen sehen. Was bedeutet das? Medizinisch gesprochen: Wer sich nicht krank, aber (von der öffentlichen

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Meinung) zur Einnahme von Medikamenten verpflichtet fühlt, der wird sich doch wohl nur Placebos, also unwirksame Mittel verschreiben. Als langjähriger Brüsseler Beobachter ertappe ich mich gelegentlich bei der saloppen Einschätzung: der Karren „Europa“ muss wohl noch mehr an die Wand fahren, bis die Eliten erkennen, dass ‚Europa’ so nicht weiterwursteln kann. Die erforderliche Neujustierung darf vor unangenehmen Wahrheiten genauso wenig zurückschrecken wie vor grundlegenden Reformen an Haupt und Gliedern der Gemeinschaft. Ob die Staats- und Regierungschefs und die EU-Institutionen dies aus eigener Kraft vermögen, muss bezweifelt werden. Hinzu kommt, dass die Bewohner des Raumschiffs EU, die durchaus zu einer Selbsterneuerung bereit wären, derzeit keine kritische Masse – auch in der EU-Berichterstattung – in die Waagschale werfen können. Sie werden eher aufgerieben. Zu viele Politiker, Beamte und Diplomaten sowie eine kaum überschaubare Fülle von EU-Dienststellen haben sich im Raumschiff fest geklammert und versuchen – mit Hilfe großer PR-Apparate und anderer Mittel – ihre Besitzstände zu verteidigen. Warum stellen sich zum Beispiel noch immer nur wenige Europafachleute nach ihrer Verabschiedung in den finanziell bestens abgesicherten Ruhestand selbstlos –in den Dienst des europäischen Aufbauwerks? Zum Beispiel als Berater von NGO’s oder anderen, dem Gemeinwohl verpflichteten Stellen. Warum widerstehen viele nicht der Versuchung, ihre Expertise und Kontakte dem meistbietenden Vertreter von Partikularinteressen zu verkaufen? Die Jahre vor der Erweiterung von 15 auf 25 Ländern wären eine Chance gewesen, Führungskraft (‚Leadership’) und Teamfähigkeit zu beweisen. Die Medien haben versäumt, von der Politik Antworten auf wegweisende Fragen einzufordern. Zum Beispiel: was für eine Gemeinschaft wollen wir, wie viel finanzielle Solidarität können wir uns leisten? Was hat die Aufmerksamkeit gebunden, wohin wurden Journalisten gelenkt? Auf Details, das große Ganze geriet aus dem Blick.

Ratlose Erweiterungszwänge Die meisten Journalisten haben sich – nicht zuletzt von EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen – über Jahre ins Bockshorn jagen lassen. Der Sozialdemokrat konnte immer wieder über die Medien den Eindruck erzeugen, die Aufnahmeprüfung falle streng aus. Dabei war der Big Bang, der EU-Beitritt von zehn neuen Ländern, seit Jahren entschieden. Dies berichtete mir in einem Hintergrundgespräch ein Botschafter aus einem der Beitrittsländer.

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Frageverbote sind Denkverbote Schief angeschaut wurden auch Journalisten, die die Verdauungsschwierigkeiten der Erweiterung ahnten und Antworten einforderten, etwa auf die Frage nach der Finalität der Gemeinschaft. Das rächt sich heute. Denn die Fragen stellen sich immer dringlicher. Wie ratlos die EU-Staats- und Regierungschefs dabei sind, zeigte sich an ihrer im Frühjahr 2006 erhobenen Forderung an die Europäische Kommission, bis Ende des Jahres einen Bericht über die „Aufnahmefähigkeit der Union“ vorzulegen. Damit verspielen die Medien eine weitere Chance, sich als Anwalt der Bürger zu profilieren. Denn diese erwarten zu Recht von der Politik, dass sie selbst und nicht EU-Bürokraten zentralen Fragen klärt. Öffentlicher Druck und – zuweilen – berechtigte Kritik an den Unzulänglichkeiten der EU-Politik kommt dagegen vor allem von profilierungssüchtigen Populisten. Das Bestreben vieler Medien ist es, sich nicht nachsagen lassen zu müssen, Populismus zu betreiben. Das dürfte letztlich bloß dazu führen, dass sie die Meinungs- und Gefühlsbildung in der Europapolitik dem Boulevard überlassen. Kein Wunder, wenn Politiker auf gute Kontakte vor allem zur Bild-Zeitung und anderen Massenblättern setzen und ihnen für bestimmte Themen eine ‚exklusive’ Zusammenarbeit anbieten. Auch dies trägt zur Disqualifizierung und Selbstdisqualifizierung des Korrespondentenplatzes Brüssel bei. Warum bleiben die Berater ungehört, die die EU-Eliten von plumpen Reflexen abhalten? Weil es davon nicht genügend gibt. Vor allem aber ist die große Mehrheit der EU-Politiker, Diplomaten und Beamten steif und fest von der Güte ihres Handelns überzeugt. Für sie liegt das Problem eher beim Bürger. Der muss die Bedeutung des EU-Apparats und ihres Personals endlich anerkennen, sie ‚machen lassen’ – und natürlich auch ‚angemessen’ finanzieren. Sowohl Politikberater wie Medien haben keine Antworten auf die zentrale Frage: Wer könnte Politikberatung überhaupt leisten, die in der Lage ist, die verkrusteten Strukturen aufzubrechen? In Frage kommen entweder Fachleute, die das Politgeschäft mit seinen zahlreichen Verflechtungen kennen, da sie selbst Teil des Ganzen waren. Oder aber kritische Beobachter, wie etwa Medienfachleute, die aus der Rolle des Beschreibenden in die Rolle des Beratenden schlüpfen wollen. Erforderlich wäre hierfür eine enorme Standfestigkeit und Konsequenz, um die Widerstände zu durchbrechen, die sich zwangsläufig aus einer Politikberatung ergeben würden, die das Ziel verfolgt, nicht den Mainstream zu bedienen, sondern langfristige Veränderungen herbeizuführen.

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Commission impossible „Die politischen Führer müssen den Bürgern echte Möglichkeiten bieten, an Entscheidungsprozessen teilzunehmen“, fordert EU-Kommissarin Margot Wallström. Das klingt zunächst wunderbar, doch ist es nicht mehr als Anbiederei. Konkrete Forderungen nach einem Politikwechsel – etwa nach der Zulassung von mehr plebiszitären Elementen in der EU-Politik – sucht man bei Frau Wallström vergebens. Damit folgt auch die, sich so bürgernah gebende Sozialdemokratin dem überholten Muster der politischen Klasse. Ihr gelingt es immer wieder, dem Bürger das Gefühl zu geben: „Ich habe verstanden. Ich führe euch da raus. Wählt mich. Und habt dann Geduld: der Änderungsbedarf ist so groß, dass die Früchte wohl erst meine Nachfolger in vielen Jahren ernten können“. Doch auch die Schwedin dürfte wissen, dass auf europäischer Ebene wohl kaum etwas gelingen dürfte, was noch nicht einmal in den Nationalstaaten funktioniert oder gewünscht wird. Unverdrossen fährt Wallström in ihrem Mantra fort: „Die Bürger müssen mitschreiben können am Drehbuch für die Zukunft“. Dabei weiß sie genau: Eine europäische Öffentlichkeit oder Bürgerbewegungen, die eine Neubegründung der EU anstoßen könnten, gibt es nicht, zumindest noch nicht. An Mitentscheidungsmöglichkeiten bleiben den Bürgern nur Europawahlen und Volksabstimmungen. Wo sind die Berater, die Frau Wallström und die Hunderte anderer Gebetsmühlen in Brüssel stoppen. Es gibt offensichtlich keinen, der sich durchsetzen kann. Auch die vielen kritischen Kommentare aus dem Heer der mehr als 1000 in Brüssel akkreditierten EU-Korrespondenten dringen nicht durch. Stattdessen offensichtlich viele Beamte und PR-Berater, die sie ermuntern, Kurs zu halten, den vielen widerborstigen Bürgern (und Journalisten) der Nutzen der gegenwärtigen Gemeinschaftspolitik und ihrer Institutionen einzutrichtern. So gibt es immer wieder Überlegungen in der EU-Behörde, zum Beispiel eine kommissionseigene Nachrichtenagentur und Fernsehstation einzurichten. Medienwissenschaftler nennen dies zu Recht „Bezahltes Regierungsfernsehen“. Ein Beispiel für den Trend bei den Politikern, Institutionen und ihrem wachsenden Heer von Spin-Doktoren, eine eigene wohlfeile Öffentlichkeit zu schaffen. Oder über ‚Geschäfte auf Gegenseitigkeit’ herzustellen.

Geschäfte auf Gegenseitigkeit Ein fast täglich zu beobachtendes Phänomen in europäischen Wirtschafts- und Finanzzeitungen sind „Exklusivgeschichten“: da erhalten Medien frühzeitig vor der offiziellen Veröffentlichung detaillierte Informationen etwa über geplante

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Gesetzesvorschläge oder Entscheidungen der EU-Kommission. Gegenüber der wachsenden Konkurrenz können sie damit punkten. Und der Nutzen für die Quelle? Sie hat ein Thema platziert, eine inoffizielle, aber nützliche Vorprüfung gestartet und sich obendrein noch der Dankbarkeit wichtiger Multiplikatoren versichert. Kein Wunder, wenn auch EU-Abgeordnete oder Lobbyisten zu diesen Geschäftsmethoden greifen. Denn auch ihre Hauptinteressen bestehen darin, sich zu profilieren und/oder Politiken und andere Vorhaben zu fördern oder im Keim zu ersticken.

Reflexe statt Reflexion Je tiefer Europa in der Krise steckt, desto tatkräftiger und handlungsfähiger versuchen sich die Politiker im Raumschiff Brüssel zu geben. Je ratloser sie sind, den großen Erwartungen der Bürger an die „EU“ gerecht zu werden, desto lauter wird vor allem der Ruf nach neuen Aktionsplänen und Kommunikationsstrategien. Doch die vollmundig angekündigten Vorhaben bestehen größtenteils nur aus technokratischen und kurzatmigen Public-Relations-Aktionen. Am liebsten wird der Zeitpunkt ihrer angestrebten Verwirklichung so weit in die Zukunft gelegt, dass die Verantwortlichen nicht mehr für das voraussichtliche Versagen verantwortlich gemacht werden können. Dies lässt sich zum Beispiel an den von der Prodi-Kommission (Amtszeit 1999-2004) eingeleiteten internen „Reformen“ beobachten, die die Kommission nach dem peinlichen Sturz der Santer-Kommission im März 1999 zur „besten Verwaltung der Welt“ machen sollten. Externe Berater dürften Millionen von Euro kassiert haben. Doch die neuen Managementmethoden dürften den Apparat mehr lahm gelegt als beflügelt haben. Die von internen und externen Beratern als Fortschritt verkaufte Dezentralisierung der Mittelvergabe an die Kommissionsvertretungen, etwa in Mittel- und Osteuropa, erweist sich immer mehr als Flop, sagen Betrugsbekämpfungsfachleute. Die Hauptverantwortlichen für die Maßnahmen, Kommissar Neil Kinnock und der deutsche Generaldirektor Horst Reichenbach, haben die EU-Behörde längst verlassen, andere Beteiligte wurden auf hohe Posten gehievt. Und die Medien? Sie haben sich für das Thema entweder nicht interessiert oder sich von den Protagonisten anstacheln lassen, gegen vermeintlich reformunwillige Beamte zu polemisieren. Aber auch im EU-Alltag zeigt sich der Immobilismus, die Starre echter Gemeinschaftspolitik. Zum Beispiel: Noch bevor sie sich richtig entwickeln können, geraten europapolitische Diskussionen immer häufiger aus den Fugen und werden mit untauglichen Mitteln wieder eingefangen. Eindrücklich zeigte sich dies an der Diskussion über den Vorschlag der Kommission für eine EU-

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Richtlinie zur Schaffung des Binnenmarkts für Dienstleistungen. Dabei lässt sich beobachten: sachgerechte Diskussionen finden dazu weder in den Ausschüssen statt, noch gar im Plenum des Europaparlaments. Stattdessen wird die Diskussion – begleitet und verstärkt durch den Lautsprecher der Medien – von Gegnern dominiert, die einzelne Aspekte der Regelungen so zuspitzen, dass das ganze Vorhaben diskreditiert wird. Um angesichts populistischer Auseinandersetzungen Handlungsfähigkeit und Lufthoheit gegenüber der „Straße“ zu beweisen, lässt sich bei EU-Politikern folgendes Muster beobachten: gesetzgeberische Großprojekte werden immer häufiger in Hinterstuben, großkoalitionären Absprachen und auf Anweisung von Regierungs- und Parteizentralen im Eilverfahren abgestimmt und von den Protagonisten dann autistisch als „Parlamentarisierung“ der Europapolitik verkauft. All dies zeigt: Die Europapolitik und damit auch Teilbereiche wie die Politikberatung oder Kommunikation der EU stecken in der Krise. Es ist keineswegs nur eine „Vermittlungskrise“, wie uns dies viele Politiker und Kommissare einzuhämmern versuchen. Die Generalüberholung muss weiterreichen als all die Rezepte, die sich die europäischen Player derzeit im Stundentakt selbst verschreiben. Kaum ein vertrauliches Gespräch zwischen Politikern, Beamten oder anderen ‚Playern’ im Raumschiff/Hamsterrad Brüssel vergeht ohne Fragen, Klagen oder Selbstzweifel. Psychologen würden von einer Identitäts- oder Sinnkrise sprechen. Guter Rat, wie die Gemeinschaft diese Krise konstruktiv, beispielsweise für einen Neuanfang nutzen könnte, ist nicht nur teuer, sondern anscheinend weit und breit auch nicht zu finden. Oder er findet kein Gehör. Kein grundlegender Kurswechsel ohne Mentalitätswandel. Gute Politikberatung weiß um die Bedeutung des subjektiven Faktors. Hier lautet die Diagnose: Europa braucht mehr Politiker, Diplomaten und Beamte mit Herzblut. Und es benötigt weniger Berufseuropäer, die zwar perfekt ‚menscheln und pfäffeln’ können, denen es jedoch vor allem um ihre Macht, Befugnisse und andere Vorteile geht.

Ausblick Gute Berater und die Medien habe eine Gemeinsamkeit bei der Frage: wie kann eine kritische Masse an Personen und Öffentlichkeit mit dem Ziel entstehen, das System entweder von innen grundlegend zu reformieren oder von außen so hohen Druck zu erzeugen, dass überkommene Strukturen aufgebrochen werden? Auch wenn der Vorschlag an überholte Aktionsmuster erinnert: Ein erster Schritt wäre zum Beispiel die Bildung von Expertenzirkeln, die Strategien ent-

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wickeln und der Öffentlichkeit präsentieren könnten. Mitglieder eines solchen Kreises wären sinnvollerweise ebenfalls erfahrene, an grundlegenden Änderungen interessierte Fachleute aus verschiedenen Politikfeldern sowie Wirtschaft und Interessengruppen – mit der nötigen Distanz zum aktuellen Geschäft. Um eine Mindestmaß an öffentlicher Wirkung zu erzielen, wäre eine Wiederaneignung der Medien als vierte Gewalt erforderlich. Nur so lassen sich die Ideen transportieren und der Druck auf die politisch Verantwortlichen erhöhen. Gelingt dies nicht: armes Europa!

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Axel Heyer

Beratung durch Öffentlichkeit und öffentliche Beratung – Wirkung eines Tests von AbgeordnetenWebsites

Erkki Liikanen war zu Besuch in Berlin, als ihm ein Mitarbeiter eine Notiz aus der aktuellen Ausgabe des Focus vorlegte, die ihn betraf. Demnach hatte er bei einem Website-Test der EU-Kommissare nur einen Mittelfeldplatz belegt. Und das, obwohl der Finne in Brüssel ausgerechnet für das Ressort „Informationsgesellschaft“ der Europäischen Kommission verantwortlich war – quasi ein europäischer „Mr. Internet“. Noch von Berlin aus rief er seinen Webmaster an, damit die im Test angesprochenen Mängel möglichst rasch abgestellt würden. Diese Geschichte vom Herbst 2000 erzählte mir ein Kommissionsmitarbeiter, der sich darüber gefreut hatte, dass mit Hilfe unseres damaligen WebsiteTests und der damit erreichten Öffentlichkeit ein besseres Ergebnis für die Menschen erreicht wurde, die sich im Internet mit Europapolitik beschäftigen. Für uns als Tester wurde im Kleinen wahr, was sich im Großen viele bezahlte politische Berater oft vergeblich wünschen: Mit einem Wettbeweber-Vergleich und einigen kritischen, aber konstruktiven Anmerkungen einen Politiker zum schnellen Kurswechsel zu bewegen.

Eine gute Website – ein Muss? Die professionelle Selbstdarstellung mittels einer Website ist in den letzten Jahren zu einer Selbstverständlichkeit für Abgeordnete und Kandidaten auf verschiedenen politischen Ebenen geworden. Der Wille zur eigenen Website folgt der Erkenntnis, dass über das Internet zwar nicht die Massen angesprochen werden, wohl aber für Politiker wichtige Zielgruppen: ƒ ƒ

Journalisten aus der Region bzw. aus dem Fachgebiet auf der InternetSuche nach Material und Kontaktdaten. Menschen (politisch wichtige und unwichtige), die vor oder nach einem direkten Kontakt mit dem Europaabgeordnete die Website insgesamt oder bestimmte Informationen checken 235

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Menschen, die, vor allem in der Heimatregion, vom Europaabgeordneten hören und neugierig genug sind, sich via Internet einen Eindruck zu verschaffen. Menschen, die im Internet nach Informationen zu einem speziellen Aspekt von Europa suchen und erfreulicherweise genau auf der MEP-Website fündig werden. Schließlich die Parteikollegen und anderen Verbündeten im Lande, die mittels Website und Newsletter überzeugt werden sollen, dass in Brüssel bedeutendes passiert. Insofern ist es im übrigen eine wichtige Anforderung an die Webbetreuer, dafür zu sorgen, dass die Inhalte der Website über Suchmaschinen wie Google leicht zu finden sind.

Um also diese Zielgruppen ordentlich zu bedienen, müssen Politiker Expertise einkaufen und möglichst auch selbst entwickeln. Im Vergleich zu vielen ihrer politischen Fragen scheint dabei die unfallfreie Herausgabe einer Website ein überschaubares Feld zu sein. Die Konsequenzen einer schlechten Beratung dürften zumindest nach wie vor in aller Regel weniger schwer zu wiegen bzw. leichter zu korrigieren sein. Vor diesem Hintergrund haben wir mit europa-digital in den letzten Jahren Erfahrungen damit gemacht, wie Europaabgeordnete sich Expertise aneignen und wie sie darauf reagieren, wenn diese im Vergleich mit ihren Kollegen bewertet wird. europa-digital ist das größte täglich aktualisierte, unabhängige Informationsportal im deutschsprachigen Internet zum Thema Europa. Europa-Amateure erfahren auf über 3.000 Einzelseiten, wie in Brüssel und in den nationalen Hauptstädten Politik gemacht wird. EU-Profis finden in den aktuellen Presseschauen und den Themendossiers wertvolle Hinweise für ihre Arbeit.1 Seit 1999 beobachten wir auf www.europa-digital.de aus deutscher Perspektive, was sich in Brüssel und Straßburg online abspielt. Die Websites der deutschen Abgeordneten hatten wir zum ersten Mal im November 2001 auf Herz und Nieren getestet und uns dann vorgenommen, diesen Test nach der nächsten Europawahl zu wiederholen. Im Spätherbst 2004 war es wieder so weit. Was wir mit diesem Test erlebten und inwiefern er einen interessanten Aspekt politischer Beratung beleuchtet, sollen die folgenden Seiten veranschaulichen.

1 Der Fairness halber: Auch Websites wie www.politik-digital.de, www.politikerscreen.de, www. abgeordnetenwatch.de oder www.kandidatenwatch.de liefern interessante Polit-Informationen und insbesondere den Vergleich zwischen Abgeordneten, sei es in Bezug auf ihre Websites, sei es in Bezug auf ihr Abstimmungsverhalten oder konkrete Fragen von Bürgern. Aber all diese Angebote konzentrieren sich auf nationale Politik und nicht, wie europa-digital, auf Europa.

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Öffentliche Punkt-für-Punkt-Beratung – die Bewertungskriterien Platzierungen, Punkte und Benotungen machen den sportlichen Reiz eines solchen Tests aus. Damit das relativ hohe Ross, auf das man sich als Tester setzt, nicht zum Verhängnis wird, müssen die Bewertungskriterien sinnvoll, nachvollziehbar und transparent sein. Auch wenn in der Bewertung der einzelnen Aspekte subjektive Einschätzungen stattfinden, so wurde diese in unseren Tests von einem Tester gründlich und von einem im Quervergleich mit den anderen Angeboten gegengeprüft. So liefern die tabellarischen Ergebnisse und die sich daraus ableitende, konstruktiv ausgerichtete Kurzkritik in unserem Testbericht die Basis dafür, dass die Europaabgeordneten ihr Ergebnis nachvollziehen können – und sie sind ein öffentlicher, detaillierter Punkt-für-Punkt-Ratgeber. Deshalb seien an dieser Stelle kurz die Kriterien dargestellt, nach denen wir bewertet haben. Sie verteilen sich auf fünf Bereiche, in denen insgesamt maximal 100 Punkte erzielt werden können: 15 für die Gestaltung, 15 für die Navigation, 50 für den Inhalt, 10 für die Interaktivität, 10 für die Technik. Unsere Prädikate für die schließlich erreichten Punktezahlen kann man im Vergleich zu denen in der Schule als großzügig bezeichnen: über 80 Punkte: „Sehr gut“ über 70 Punkte: „Gut“, über 60 Punkte: „Befriedigend“, über 50 Punkte: „Ausreichend“, unter 50 Punkte: Noch nicht ausreichend (Prädikat „Auf geht's“). 1. Die Gestaltung der Website Ob hausgemachte Website oder vom Profi eingekauft, in dieser Kategorie sind die MEPs gut beraten, grundsätzliche Mediengesetze zu befolgen – auch ein Sinn für die optische Wirkung kann nicht schaden. „Gestaltung“ ist ein weiter Begriff, es geht nicht nur um den ersten visuellen Eindruck der Website. Daher haben wir diese Rubrik in drei Kategorien unterteilt: Unsere Tester haben zum einen die Konsistenz untersucht und dafür maximal sechs Punkte verteilt. Leitfragen dabei: Ist die Anordnung der einzelnen Elemente ansprechend und homogen? Wirkt die Website nicht überladen? Werden Bilder und Grafiken in die Website einbezogen? Ergeben die verwendeten Farben einen guten Gesamteindruck? Weitere Punkte (maximal sechs) gibt es in der Einzelbetrachtung von Text und Bild. Hier zählt, ob das Schriftbild einheitlich, die Schrift groß genug, versehen mit Absätzen und nicht mit Zeilen über die volle Bildschirmbreite eingesetzt ist. Außerdem: Ist die Bildqualität ansprechend? Zusätzlich haben wir die Barrierefreiheit (maximal drei Punkte) bewertet: Gibt es eine Textversion, ist die Textgröße verstellbar und sind die Grafiken (mit so genannten alt-Tags) richtig beschrieben?

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An all diesen Fragen haben sich unsere Tester in der Kategorie Gestaltung orientiert und ihre Wertung entsprechend abgegeben. Dabei ist nicht zu vermeiden, dass ein kleines „Subjektivitätsrisiko“ bleibt. Insgesamt gab es also für die Gestaltung maximal 15 Punkte. 2. Die Navigation Bei der Navigation sollten besonders die im Web unerfahrenen MEPs unbedingt Rat einholen. Wir haben verschiedene Aspekte untersucht. Maximal acht Punkte gab es für die Konsistenz. D.h. unsere Tester haben untersucht, ob die Navigation übersichtlich, intuitiv und nicht zu überladen ist. Zudem legten wir Wert darauf, dass die inhaltliche Gewichtung auf der ersten Ebene sinnvoll ist, dass z.B. nicht „Meine Arbeit im EP“ auf einer Ebene mit „Meine Hobbies“ steht. Die Funktionalität ist bei der Navigation natürlich auch wichtig. Deshalb gab es weitere Punkte (maximal fünf) wenn die Navigation auch in der/den tieferen Ebene(n) durchgängig war, man sich in der Navigation einfach hoch und runter bewegen konnte und man immer angezeigt bekam, wo man gerade navigiert. Leicht verdiente Punkte gab es für die Wahl der richtigen, einfach mit dem MEP zu verbindenden Internetadresse. Wer sich im Jahr 2004 immer noch auf irgendwelchen Unterseiten seiner Partei präsentiert, ist selbst Schuld und bekommt keinen Punkt. Zwei Punkte gab es, wenn der/die Abgeordnete einfach unter seinem guten Namen zu finden ist, egal ob mit Bindestrich zwischen Vorund Nachnamen oder ohne. Wer eine Variante dazwischen gewählt hat, bekam noch einen Punkt. 3. Der Inhalt der Website Wichtigstes Kriterium ist für uns aber der Inhalt, ein Punkt in dem sich alle MEPs eigentlich selbst als Meister bezeichnen. Dabei haben wir verschiedene quantitative und qualitative Aspekte bewertet. Zunächst haben wir uns die inhaltliche Tiefe der angebotenen Infos angeschaut und dafür maximal fünf Punkte verteilt. Hier zählte, wie der Gesamteindruck des inhaltlichen Aufwands ist und ob es besonders intensiv dargestellte Spezialthemen gibt. Dann wollen wir natürlich wissen, wie sich der Politiker selbst darstellt, also Informationen zur Person. Besucher möchten schließlich den Menschen kennen lernen, der sie im Parlament vertritt. Standards sind dabei ein Lebenslauf, eine Anzahl aussagekräftiger Fotos (etwa in einer Fotogalerie), ein Einblick in den Tagesablauf (möglichst mit einem gepflegten Terminkalender) und Informa-

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tionen zu den persönlichen Schwerpunkten oder Lieblingsthemen. Hierfür gab es maximal zehn Punkte. Mindestens genauso wichtig ist die Frage, welches die konkreten Aufgaben des MEP sind. Daher haben wir bewertet, ob die Website nützliche Angaben zum individuellen Arbeitsbereich im EP enthält (maximal zehn Punkte). Wenn auch noch allgemeine Informationen über die Funktionsweise der Europäischen Union zu finden sind, gab es noch einmal bis zu drei Punkte obendrauf. Auch die Vertreter der Presse schauen sich die Websites der Abgeordneten an und suchen nach Informationen für ihre Arbeit. Daher haben wir zwei Punkte verteilt, wenn es einen eigenen Bereich mit Materialien (aktuelle Pressemitteilungen, hochaufgelöste Fotos) speziell für die Presse gibt. In Bezug auf die Qualität haben wir vor allem darauf geachtet, wie verständlich die Inhalte für den Normalbürger sind – und dafür maximal 13 Punkte vorgesehen. Wenn der Besucher zwar viele Informationen auf der Seite finden kann, diese aber im EU-Fachchinesisch verfasst sind, verliert er leicht den Überblick und wendet sich entnervt ab. Wichtig ist auch, dass ein MEP den Besuchern die einzelnen Bereiche der Website (gerade da, wo es komplizierter wird) mit verständlich geschriebenen Anmoderationen näher bringt. Unerlässlich für jede gute Website ist zudem, dass die Inhalte aktuell sind. Auch wenn man von Abgeordneten, bis auf den Bereich Pressemitteilungen, keine Tagesaktualität erwarten darf, treibt es Besucher in die Flucht, sobald klar wird, dass die Website einer Geisterstadt gleicht, in der schon lange niemand mehr lebt. Für die Aktualität wurden deshalb bis zu sieben Punkten verteilt. Gerade in dieser Kategorie muss man daran erinnern, dass alle Punkte erreichbar sind, ohne dass die MEPs dafür Unsummen investieren müssen. Das einzige was zwischen Ihnen und einer guten Wertung in diesem Hauptteil steht, sind also gegebenenfalls Wissenslücken – um die oben genannten Punkte oder um die Bedeutung einer guten Website. Wer also als MEP dieses Wissen nicht selbst mitgebracht hat, der war hoffentlich gut beraten… 4. Die Interaktivität der Website Das Internet hat gegenüber den herkömmlichen Medien den Vorteil, dass man seinen Abgeordneten einfach per eMail kontaktieren kann. Doch ob der angeschriebene Parlamentarier dann darauf reagiert und wie lange er dafür braucht, ist eine andere Frage. Daher haben wir die Reaktionszeit gemessen und dafür bis zu fünf Punkte verteilt. Angesichts der eMail-Inflation, mit der die MEPs konfrontiert sind, haben wir im Vergleich zu früheren Tests deutlich mehr Reaktionszeit zugestanden. Noch bis zum 3. Arbeitstag nach Erhalt der Testmail gibt es die volle Punktzahl, dann im 3- bzw. 4-Tagesrhythmus jeweils einen weniger;

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noch am 20. Arbeitstag nach Erhalt der Mail bekommen die gestressten Abgeordneten einen Punkt, dann ist es aber auch mal genug. In diesem Punkt müsste Beratung gewiss die Büroorganisation sehr grundsätzlich angehen. Die anderen fünf Punkte, gibt es entsprechend den Angeboten für Besucher, die Website interaktiv zu nutzen. Ist der Kontakt-Bereich schnell zu sehen und enthält er die Standards (eMail und Telefonnummern)? Außerdem haben wir nach Newslettern, Gästebüchern, Umfragen, eCards, etc. geforscht und dafür bis zu drei Punkte vergeben. 5. Die Technik der Website Hier haben wir insbesondere die Ladegeschwindigkeit (bei einer durch aus noch standardmäßigen ISDN-Verbindung) gemessen und bei einem schnellen Aufbau maximal drei Punkte vermerkt. Außerdem haben wir einen Blick auf die Programmierung geworfen, d.h. wie vernünftig hat der Webmaster externe Links einbezogen, Cookies verwendet oder Frames eingebunden? Wenn dies in Ordnung war, vergaben unsere Tester bis zu fünf Punkte. Zum Schluss gab es noch maximal zwei Punkte, wenn die Darstellung browserübergreifend funktionierte und die Homepage bei Aufruf mit zwei verschiedenen Browsern (Internet Explorer und Mozilla Firefox) gleich aussah.

Die Ergebnisse Nicht alle hatten es in den sechs Monaten nach der Europawahl 2004 geschafft, ihre Website einzurichten oder zu aktualisieren. Natürlich liegen im fürwahr vollen Terminkalender der Abgeordneten gute Gründe für andere Prioritäten, aber dennoch war es, wie unser Test zeigte, einer ganzen Reihe von Kollegen gelungen, ihre Websites angemessen zu bearbeiten. Zwei der zu Beginn wohl besonders gestressten EP-Neueinsteiger landeten sogar in den Top 5. Für die meisten MEPs ist die persönliche Website zwar irgendwie dann doch zu einer Selbstverständlichkeit in der politischen Kommunikation geworden, aber nicht in jede Selbstverständlichkeit wird dann auch gebührend Aufmerksamkeit, Zeit und Geld investiert. Nur die wenigsten Abgeordneten werden ihre Websites im Wesentlichen selber programmieren oder pflegen. Beim Testsieger Daniel Caspary ging in der Umsetzung fast alles über ein medienkompetentes Team. Aber die Situation bei unseren TopTen zeigte: Die Nähe zum Medium und das aktive Interesse an einer guten Website führen zu besseren Ergebnissen. MEPs, die die Website in ihrem engeren Team betreuen lassen, erzielen bessere Ergebnisse als solche, die nicht

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nur die Grundprogrammierung sondern auch die Inhaltspflege an externe Dienstleister ausgliedern. Wie oben beschrieben sind es die MEPs selbst, die die Inhalte erzeugen, weshalb Beratung nicht dazu führen sollte, dass auch die Inhalte aus der Hand gegeben werden. Natürlich ist das auch ein Frage der Finanzen und der Organisation im Team, beispielsweise wenn ohnehin gestresste Mitarbeiter nun auch noch „die Website machen“ sollen. Aber zum einen stehen den Abgeordneten just für ihre Öffentlichkeitsarbeit zweckgebundene Mittel von den Fraktionen zur Verfügung. Zum anderen hilft ein Plan im Team, der dem Aufwand für die Website Rechnung trägt und die Aufgabenverteilung dafür möglichst klar definiert. Allerdings: Wenn der MEP nie im Netz gesurft hat, wie soll er einschätzen können, wieviel Aufwand „die Website machen“ bedeutet? Ein aktives Interesse sollten möglichst viele Europaabgeordnete entwickeln, denn das Internet wird zwar in seiner direkten Breitenwirkung auch in dieser Wahlperiode bis 2009 die Medien Fernsehen, Radio, Zeitung und Zeitschrift sicher nicht übertrumpfen. Aber seine Bedeutung steigt – gerade für Abgeordnete, die so fern der Heimat agieren. Und: die Journalisten der klassischen Medien bedienen sich täglich des Internets für die Basisrecherchen. Gerade angesichts der steigenden politischen Bedeutung des Europäischen Parlaments und des damit steigenden Drucks auf die Medien, der Öffentlichkeit vom vielfältigen und oft sehr komplizierten Treiben in Brüssel und Straßburg zu berichten, gewinnt die verständliche und detaillierte Information via persönlicher Website einen hohen Stellenwert.

Und es geht voran... Unser Website-Test 2004 hat, gerade im Vergleich zu dem von 2001, gezeigt, dass die Europaabgeordneten das Medium Internet akzeptieren. Manche eher passiv nach dem Motto „Ok, mach' mir mal auch so eine Website“, manche aktiv nach dem Motto „Da will ich Maßstäbe setzen!“. Dass dieser Prozess insgesamt sehr dynamisch ist, zeigte sich auch im Test: Die Breite an der Spitze hatte sich in drei Jahren schon so stark entwickelt, dass unser erster Testsieger, Wolfgang Kreissl-Dörfler, mit einem relativ wenig weiterentwickelten Angebot nunmehr auf Platz 27 rangiert. 33 Abgeordneten-Websites haben über 70 Punkte erzielt und damit das Prädikat „Gut“ oder „Sehr gut“ erzielt; 2001 waren dies erst 9 Websites. Fast alle Abgeordnete machten in unserer Bewertung auch punktemäßig einen Schritt nach vorn. Es ist gewiss fair festzustellen, dass ein erheblicher Teil der Fortschritte durch die Berichterstattung in den Medien angestoßen wurde. Denn wer, wie die

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meisten Abgeordneten, selbst kein Fan des Internet ist, dem erschließt sich die Bedeutung des Netzes und der eigenen Seite darin nur durch Rat von außen. Den Druck dazu haben die Medien erzeugt. Wir sind durchaus stolz, dass unsere Tests einen Beitrag dazu geleistet haben. Die Kriterien unserer Tests ließen sich dabei sogar als Verbesserungsanleitungen nutzen. Aus den Rückmeldungen insbesondere der Mitarbeiter der MEPs schließen wir, dass unsere Tests von den Abgeordneten sehr genau studiert wurden – selbst von jenen, die Internetseiten nur ausgedruckt konsumieren. Dieser Trend setzt sich bis heute weiter fort: Die MEP-Websites liefern insgesamt mehr Inhalte, werden aktueller und auch technisch ausgereifter – das Internet ist im Bewusstsein der Abgeordneten angekommen. Von den 99 deutschen Europaabgeordneten haben Mitte 2006 immerhin 95 eine Website, 2001 waren es erst 63 gewesen. Das zeigt, dass die Parlamentarier mittlerweile erkannt haben, dass das Internet ein wichtiges Informationsmedium ist. Nur der SPDVeteran Heinz Kindermann, der Grüne Frithjof Schmidt sowie die PDS-Politiker Gabi Zimmer und Helmut Markov leisten sich den Luxus, auf ein eigenes Internetportal zu verzichten, wobei letztere immerhin mittels der Website ihrer Partei über ein annehmbares Informationsangebot zu ihrer Personen verfügen. Testsieger wurde 2004 der junge badische CDU-Abgeordnete Daniel Caspary, der sich mit exklusiven Ideen, wie einem Weblog und einem digitalen Adventskalender abhob, gefolgt von den beiden SPD-Abgeordneten Jutta Haug und Erika Mann und der Grünen-Politikerin Elisabeth Schroedter. Daniel Caspary ist ein Kind der Internetgeneration. Wenn es darum geht, eine ordentliche Website zu bauen, musste er sich nicht auf eine Agentur irgendwo im Wahlkreis oder andere Berater verlassen sondern konnte eigene Ideen entwickeln. Nach einem halben Jahr im Europäischen Parlament hatte der Badener seinen ersten Titel sicher: Sieger beim Test der deutschen MEP-Websites von europa-digital. Die unkonventionelle Umsetzung eines digitalen Adventskalenders in Form von verweihnachtlich verkleideten EU-Kommissaren ist freilich nicht der ausschlaggebende Faktor gewesen, der Caspary zum Testsieger gemacht hat. Aber sie zeigt den Spirit, die einer Website das gewisse Etwas verleiht. War die Resonanz auf den Website-Test bei Caspary und den Nächstplatzierten natürlich uneingeschränkt positiv, so zeigte sich darüber hinaus bei Kontakten in den folgenden Monaten ein gemischtes Bild. Viele Angeordnete aber auch viele ihrer – bisweilen offenherzigeren – Assistenten sahen den Vergleich sportlich, auch wenn die eigene Website in wichtigen Punkten bemängelt wurde. Einige aber nahmen uns die Kritik übel und reagierten auf weitere journalistische Anfragen mit deutlicher Zurückhaltung. Besonders positiv in Erinnerung geblieben sind zwei CSU-Abgeordnete, die unabhängig voneinander aktiv auf unsere kritischen Anmerkungen eingingen und die mit ihrem Team durchgeführten

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Veränderungen im persönlichen Gespräch vorstellten. Wie in der Politik üblich reicht das Spektrum von Beratungsoffenheit bis Beratungsresistenz.

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Michael Reichmann

EU-Verdrossenheit und Erkenntnisverweigerung – Gedankenspiele eines Journalisten

Nun, ein Journalist, ein Medienschaffender, ein Beratender in Sachen Medien, der versucht sein eigenes Arbeitsgebiet zu beschreiben, vielleicht sogar eine sogenannte Theorie darüber vorzubringen, ganz klar, ein solcher Journalist macht meist eine unglückliche Figur. Daher: Keine Grundsätze. Keine Definitionen. Vielleicht einige Vermutungen, Zumutungen, ein paar Andeutungen, mehr nicht. Um Ihre Neugier zu zerstreuen begnüge ich mich, die Eine oder Andere Enttäuschung zu säen. Politikberatung? Es geht um Politiker und die Institutionen und was mit ihnen geschieht. Mit ihnen und denen die „mit dranhängen“, was von ihnen wollen und sich im Gewirr innerhalb des Dreieckes von Europäischem Parlament, Europäischer Kommission und Europäischen Rat verirren. Die Wege zwischen den Institutionen sind faktisch kurz, doch für die intellektuellen Kapazitäten der darin Agierenden, endlos lang und schier undurchdringlich. In diesem Dreieck ist schnell untergehen.

Raumschiff Brüssel – abgehoben aber alimentiert Was sind diese Institutionen? Darüber kommt man schon mal ins Grübeln. Dunkel erinnere ich mich an einschlägige Theorien darüber, bei der zwei Hauptsorten benannt sind. Die eine besagt, es war die des ehrenwerten Thomas Hobbes (in Leviathan), dass der Mensch eine viel zu einfältige und gefährliche Kreatur sei, als dass man ihn seinen eigenen Sinnen und Bestreben überlassen dürfe. Institutionen dienen dazu, seine, des Menschen an sich bösartigen Triebe, zu kontrollieren, die allzu komplexe Welt so zu vereinfachen, das er sie versteht. Kurzum: ihm die schwere Last der Freiheit von seinen schwachen Schultern zu nehmen. Auf der anderen Seite gibt es Leute, die keine so hohe Meinung von den Segnungen der Institutionen hegen, so wie der ehrenwerte Dr. Marx, der sie als Mittel der Unterdrückung betrachtet. Die Institutionen funktionieren, sie funktionieren für eine bestimmte Gruppe von Leuten, die einen besonderen Beruf ausüben und der Klienten drumher-

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um, die passiv und aktiv derselben Praktik verbunden sind: Politik. Versehen mit einem festen Kanon an Ritualen, Regeln. Und versehen mit bestimmten Kompetenzen, Aufträgen, Befugnissen, Wählerwünschen usw. die in dem genannten institutionellen Dreieck, stillschweigendes Einverständnis genießen. Innerhalb des Pferches der politischen Institutionen lässt sich deshalb gut leben, nur, mit Wirklichkeit hat das wenig zu tun. Die Realität muss draußenbleiben. Das ist in Brüssel so wie anderswo. Weshalb das so ist, ist schwer zu sagen, denn die Schuldigen sind im Unterholz der Institutionen zu suchen, dort wird man ihrer nur schwer habhaft. Soweit der Kontext. Es ist nicht allein das oft zitierte Raumschiff Brüssel, sondern es sind wir alle, die zulassen, dass Politikerirrsinn zu bürokratischen Monstern mutiert, sich gegen Bürgersinn wendet. Es darf nicht sein, das die, die institutionell gesichert, dauerhaft subventioniert und von den Wünschen und Bedürfnissen der Menschen unabhängig, über die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen entscheiden. Nicht bemerkt wird, dass die Grenze zwischen Politik, Journalismus, Lobbyismus, Politikberatung, Public Relation verschwimmt, sich auflöst, noch gelegentliche Erregungswellen produziert, um dann wieder abzuebben, seicht im warmen Dreieck dümpelnd, die Realität vage zur Kenntnis nehmen, zur Tagesordnung übergehen. Alltag der Brüsseler kakophonischen Gesellschaft, ganz europäisch, in vielen Sprachen. Gedankensplitter eines Europa-Politikers: Für wen ist das relevant und für wen nicht und was sagt der Wahlkreis, der Parteifreund, der Lobbyist dazu, der ja angehört wird und seine Meinung sagt, obwohl, mal ehrlich, verstanden hat das eh` niemand, war ja auch blöde präsentiert, mit Powerpoint und so und das Thema ist auch schwierig und eigentlich betrifft es ja in meinem Wahlkreis eh` gar niemand, die Industrievertreter wollen immer dasselbe, die NGOs sowieso, bekannter werde ich als Abgeordneter damit auch nicht. Als EU-Fachbeamter ohnehin nicht. Also guck`ich mal, was denn so geht und mach mal schnell ein Pressefrühstück, Hintergrundgespräch, unter Drei, versteht sich, vielleicht lancieren ja die Pressebengels was. Und `ne Pressemeldung gibt`s gratis hinterher, kann mein Praktikant oder Assistent schnell schreiben und rausjagen, dann sehen meine Leute, das ich was mache. Gedankensplitter eines Journalisten: …so sehen die Pressemitteilungen auch aus und die Hintergrundgespräche dito, aber – man weiß ja nie – gehn wir besser mal hin. Kann ja doch noch `was bei herauskommen. Und die Gesichtsund Kontaktpflege, ist ja schließlich auch schon etwas, ist ja nicht Nichts. Fast immer aber ist es schrecklich. Fast immer, Fachjournalisten, Lobbyisten und wichtige Menschen in schlechtsitzenden Anzügen. Sie sprechen in einem der deutschen Sprache nicht unähnlichen Idiom, über die sie bewegenden Themen.

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Die Journalistenmeute hockt mit am Frühstücks- / Mittags- / Abendbrottisch der Abgeordneten, der EU-Kommissare, der Chef-Lobbyisten. Die Partei, die Fraktion, die Firma zahlt und die Meute freut sich, die Brosamen der Macht mitfuttern zu dürfen. Wir sind auserkoren.

Vorsprung durch Technik Zu den verteilten Hintergrund- oder Positionspapieren: Ich kann es mir nicht versagen zu fragen, weshalb dieses Stroh von Praktikanten, Assistenten, PRFirmen und anderen angeblichen Professionellen, so dermaßen erbärmlich gedroschen wird. Da werden Dinge geregelt, ergänzt, beschleunigt, sichergestellt, vereinheitlicht, zurückgewiesen, eingepasst, vordringlich beachtet, sorgfältig unterschieden, genauer geprüft, berücksichtigt, politisch abgelehnt, festgestellt usw. usw. Zusammenhänge nicht beschreiben, geschweige denn erkennen können. Bei Nachfragen, oho, gewagt, gewagt, da will ja jemand mal tatsächlich was wissen, da wird die Problembeschreibung vom Abgeordnetenbüro mal kurz, ganz kurz, auf zwanzig eng beschriebene DIN-A-4 Seiten gekauderwelscht. Geschrieben von Leuten, die von des Gedankensblässe noch nie angekränkelt waren, denen Klarheit von Aussagen, potemkinsche Dörfer sind. So beugen wir angewiderten Leser uns über die trübe Buchstabensuppe und versuchen so etwas wie Sinn zu löffeln. Dies lärmende Nichts, dieses Unisono der Nullaussagen ist ohrenbetäubend, findet den Weg in Zeitung, Radio- und Fernsehsendungen, wird teilweise wörtlich zitiert und dann ganz schnell vergessen. Im Pressespiegel, den der Abgeordnete/Beamte erhält, findet er seine Aussagen wieder, natürlich ungenügend oder falsch zitiert. Aber, die Erwähnung allein ist ein Erfolg, genau wie der, dass der Journalist seine Geschichte ins Blatt oder ins Programm bekommen und der Lobbyist seinen geänderten Spiegelstrich im Gesetzestext untergebracht hat. Die Gemengelage innerhalb des institutionellen Dreieckes ist klar. Jeder und Jede lebt vom anderen, hat seine Informanten, politischen Freunde und Zuträger, Gegner, Günstlinge, Helfer und alle eint eines in Brüssel mit größter Selbstverständlichkeit. Das die draußen, draußen im Lande, Millionen von Ahnungslosen sind. Das gehört zwar zur psychischen Grundausstattung eines jeden Berufspolitikers, doch in Brüssel ist die Haltung deckungsgleich mit denen der Journalisten/Lobbyisten/ PR-Beratern/Medienschaffenden. Den Beamten und denen drumherum sowieso. Denn wir sind vor Ort, wir wissen es besser. Immer. Per se. Immer wieder werden dieselben Gründe bemüht, weshalb europäische Themen angeblich nicht vermittelbar sind:

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ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ

„Das kann ich meinen Lesern nicht erklären.“ „Das ist viel zu kompliziert, das versteht niemand.“ „ Ich muss immer bei Null anfangen, weil die Leute ja nix wissen.“ „Tja, ob die EU-Kommission was sagt oder nicht, deshalb `ham wir ja keinen Stau auf der A 1“. „Wo bleibt der deutsche Bezug, bei den Europaabgeordneten?“

Zugegeben, in den Heimatredaktionen wimmelt es von inkompetenter Ignoranz, dies gehört zum Repertoire der meisten Korrespondenten. Das journalistische Bestreben der Heimatredakteure beschränkt sich auf Auflagenerhöhung oder Quotenvorgabenerfüllung. So kommt es zu den ewig sich ähnelnden Headlines, Überschriften von den angeblich wichtigen Ereignissen, über die alle Zeitungen und Fernsehsender auf allen Kanälen zeitgleich berichten, gelegentlich nur unterschieden durch ideologische Deutungsversuche, die im Sande verlaufen, niemanden berühren. Vor diesem Hintergrund stellen sich die Fragen: Was will die politische Kaste in Brüssel? Was wollen die Beamten in der EU-Kommission? Was sollen die Mitarbeiter im europäischen Rat tun, um wahrgenommen zu werden? Politische Probität wäre da mal eine Alternative. Doch nichts liegt ihnen ferner als das. Einflussnehmen, Überreden, politischen Druck ausüben, Ergebnisse produzieren, Recht bekommen, so lauten die Ziele der Kaste. Wunderlicherweise versuchen sie dies mit dem Mittel der Erkenntnisverweigerung, denn ihr angelerntes Wissen bezieht sich auf Erkenntnisse von vor über 30 Jahren. Erkenntniszuwachs seitdem, besser nicht. Noch heute wird locker auf die Kenntnisse von damals verwiesen, in der aberwitzigen Vermutung, dass das reicht. Der Kenntnisstand über Medien, Öffentlichkeit, ist hoffnungslos veraltet. Der Glaube an das Medium Fernsehen, mit seiner großen Reichweite ist ungebrochen. Dabei werden die Regeln des Mediums übersehen, der Zuschauer / Wähler meist arrogant ignoriert. Aber der Zuschauer mit seiner TV-Fernbedienung in der Hand weiß: Ich habe Macht. Ich besitze ein Kommunikationsverweigerungsinstrument. Schließlich schaltet man das Gerät ein, um abzuschalten. Die Verachtung der Politik gegenüber Öffentlichkeit, gegenüber Verständlichkeit und Transparenz rührt von dem Kenntnisstand her, dass der Mediennutzer grundsätzlich ein wehrloses Opfer, der Veranstalter dagegen ein durchtriebener Täter ist. Manipulatoren und Manipulierte, Vorbeter und Nachbeter, Verblöder und Verblödete stehen sich symmetrisch gegenüber. Wo steht der typische Politiker? Entweder er macht keinen Gebrauch von den Medien, dann weiß er nicht wovon er spricht, ist vor der Medienwirkung gefeit, nicht verblendet, moralisch vollständig intakt, kann souverän zwischen Talmi und Tatsachen entscheiden

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und ist vollkommen unberührt gegenüber denen, die sich mit Bild, Bams und Glotze bescheiden. Kummervoll sei angemerkt; das ist wenig wahrscheinlich, schlicht unrealistisch. Ihnen ist natürlich bewusst, – und dafür kämpfen sie mit den Funktionären der Medien – dass jede Sekunde im Bild, und sei es ihr historisch bedeutsamer Auftritt vor dem Bundesverband der expatriierten Albinokaninchen, ihrer Karriere hilft. Von der Zahl der Sendeminuten, zur Kameraeinstellung, bis zum Grade der Untertänigkeit des fragestellenden Reporters, alles will kontrolliert sein. Das klappt nie richtig und erklärt den politischen Streit mit den Gremien, den Aufsichtsräten und Chefredakteuren der öffentlich-rechtlichen wie privaten Sender. Letztendlich möchten Abgeordnete, EU-Kommissare, Entscheider, Lobbyisten, Vorstandsvorsitzende, Gewerkschaftsbosse endlich einmal ein gutes Bild in der Öffentlichkeit abgeben. Dabei bedienen sie sich PR-Profis, Medienberatern und manchmal auch Journalisten.

Die ungeschminkte Praxis Ein hoffnungsloses Unterfangen. Umgeben von Ja-Sagern in den Büros, die abhängig vom Wohlwollen des Firmenchefs, des Europaparlamentariers, der EU-Kommissare sind und deren Bemühungen hintertreiben, bleibt nur die professionelle Hilfe von außen. Wenn sie Glück haben, erhalten sie Hilfe von denen, die sich dem Gewirr des institutionellen Dreieckes, entflochten haben. Die wissen, wie es geht, worauf es ankommt, was gebraucht wird, erfolgversprechend ist. Medienschulungen, Medienbildung wäre vonnöten, generell, doch niemand traut sich, dies laut zu fordern. Das Thema ist hochideologisch, zu brisant, um im politisch Einerlei zu bestehen. Erfahrungen annehmen, sich einlassen auf neue Erkenntnisse, Publikum, Betrachter, Wähler, Bürger gar ernst nehmen? Zuviel verlangt im politischen Alltagsgeschäft. Lobbyisten lassen sich schulen, und die anderen? Ein Beispiel: Als einer durchaus erfolgreichen Europapolitikerin im Medientraining gesagt wurde „stellen Sie sich bitte vor die Kamera und äußern Sie Ihre Kernthesen. Die Ihnen zur Verfügung stehende Zeit beträgt 45 Sekunden,“ war das Resultat das reine Gnarren. Auf den Hinweis, sich doch bitte auf die Aussage zu konzentrieren und den Zusammenhang flüssig, allgemeinverständlich, deutlich darzustellen, war die Antwort. „Ich bin doch keine Schauspielerin, ich lass mich hier doch nicht verbiegen, wer mich verstehen will, wird mich verstehen.“ Die Mitarbeiter ihres Büros unterstützten sie in dieser Haltung, wohl wissend, dass die Dame dringend

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an ihrer öffentlichen Darstellung zu üben hatte. Wer äußert schon gerne ungeschminkte Wahrheiten gegenüber seinem Finanzier. Die Präsentation der meisten EU-Politiker lässt sich als optisch revoltierend, inhaltlich reaktionär, rhetorisch redundant, beschreiben. Trotz diverser psychologischer Volten der Seminarleiter, war es der Dame nicht vergönnt, Kritik anzunehmen oder gar Veränderungen an sich vorzunehmen. Sie vermied fürderhin das Medientraining. Im Europaparlament ist sie nicht mehr vertreten. Die Annäherung an das Vollkommene ist, wie überall, so auch im Fernsehen ein langwieriger, mühsamer Prozess. Mancher unterliegt immer wieder dem Irrglauben, Fernsehen ließe sich zur Stabilisierung von Machtpositionen einspannen. Andere glauben an die Produktivkräfte des Mediums, welche es nur zu entfachen gelte, damit in der Gesellschaft enorme Lernprozesse in Gang gesetzt werden. Aus jedem Medienbaukasten lassen sich diese Bausteine zusammensetzen – und sind immer falsch. Diese Ideologie aus den siebziger Jahren hat sich erledigt, ist perdu. Niemand überlebt im politischen Geschäft, wenn Er/Sie nicht auf der Tastatur der Medien spielen kann. Für das Fernsehen gelten optische Reize in besonderem Maße. Manchem Vorstandsvorsitzenden, Europaabgeordneten, EU-Kommissar, Generalsekretär muss schonend beigebracht werden, dass trotz der bedeutenden Position die er/sie bekleiden, es wenig opportun ist, zum blauen Hemd mit weißem Kragen, eine gepunktete rot-gelbe Fliege und ein schwarz-weißes Pepita-Jacket zu tragen. Solch modische Geschmacklosigkeiten gehen im Alltag vielleicht unter, bei einem TV-Auftritt beschleunigen derartige textile Obszönitäten, das Karriereende. Der ausgeleierte Diplomaten-Polit-WirtschaftsexpertenSprech gibt dem ohnehin schon abgeneigten Betrachter dann vollständig den Rest. Bei den Funktionsträgern aus der Privatwirtschaft ist es natürlich viel besser. Ein durchaus repräsentativer Abend. ist es, wenn wir Journalisten, wie jüngst, zu einer Diskussion über europäische, grenzüberschreitende Steuerpolitik, eingeladen sind. Unternehmensberater, Steuerexperten, Firmenchefs und PRStrategen, sitzen an großen, runden, weiß gedeckten Tischen, tafeln und lauschen ergeben den Expertenergüssen. Ganz abgesehen davon, dass jeder Gast naturgemäß, ganz seinem Selbstverständnis entsprechend, ohnehin alles besser weiß, zumindest mehr weiß, als der Referierende vorne auf der improvisierten Bühne. Und außerdem – wer hört schon gerne zu, wenn während des Vortrages, Seeteufel im Blätterteigkrokant auf Avocadomousse serviert und leise vom livrierten Kellnern gefragt wird, ob`s denn roter oder weißer Wein sein dürfe? Doch das nur nebenbei. Jedesmal wenn ein/e Redner/in nach vorne stapft, die Bühne erklimmt, wird das Licht gedimmt. Dann bestaunen alle den Lichtbildvortrag.

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Damit es ernsthafter wirkt und auf der Höhe der Zeit ist, geben die schwitzigen Redner Bedienungsanweisungen an das verstohlen kauende, geladene Publikum. Es handle sich um eine Power-Point-Präsentation wird uns weisgemacht, und der allgemeinen Verständlichkeit halber habe man sich entschlossen, die, so wörtlich, „einzelnen Slides nicht zu overloaden, damit bei den barres der breakeven besser gereadet wird.“ Spätestens jetzt sinkt der Kopf in die noch lauwarme Avocadomousse. Doch zurück zu den Institutionen. Abgeordneten, Funktionären der Europäischen Union ist offensichtlich nicht bekannt, dass sie das Objekt der Begierde sind, gewünscht von den eigenen Institutionen, befördert durch den altmodischen Glauben in die Wirkung der medialen Darstellung. Europäisches Parlament und Europäische Kommission verstärken ihre Medienpräsenz mit den eigenen, ungenügenden Mitteln. Jeder Handschlag, jede Geste der Parlamentarier/Kommissare wird von den Institutionen selbst, visuell aufgezeichnet und Sendern, auf Wunsch, kostenlos zugestellt. Im Europaparlament in Straßburg, eilen Abgeordnete/Assistenten in Shorts und Schlappen durchs Gebäude, Resultat des Werbeslogans „ich will so bleiben wie ich bin“? Sind die Bilder gesendet, wird sich bei Gremien und Chefredakteuren darüber beschwert, dass im Fernsehen die Parlamentarier / Kommissare unangemessen dargestellt werden. Die Damen und Herren sollten sich schon ihre Rolle bewusst sein, sie entsprechend ausfüllen oder bewusst konterkarieren. Doch dazu fehlt ihnen in der Regel eine wichtige Voraussetzung: Substanz. Für Vorstände, Verbandsfürsten gilt dies ebenso. Die vollkommene Unkenntnis ihrer optischen wie sprachlichen Wirkung, transportiert via elektronische Medien, ist gerade in Brüssel so ernüchternd. Auf dem glatten internationalen Parkett rutschen die meisten deutschen Standesvertreter und Politiker aus. Ihre Herkunft aus tiefster Provinz ist unleugbar erkennbar, darauf auch noch stolz zu sein, nicht dazulernen zu wollen, korrespondiert mit der Missachtung ihrer Wähler. Der Politikerjob ist zwar kein Lehrberuf. Nachdenken darüber aber hilft. Lernen noch mehr. Erkenntnisverweigerung ist dagegen keine Lösung, sondern ein Auslaufmodell.

Ratschlag Professionalisierung Inhaltlicher, optisch angemessen, präsentationssicher, rollenbewusst. Die Professionalisierung des Politikerberufes verlangt zwingend die Medienausbildung auf allen Feldern.

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Der gedankliche Sprung vom Rezipienten zum Produzenten der Nachrichten, Informationen und Interessenforumulierung ist ihnen bisher gründlich missglückt. Die EU-Kommission und das Europaparlament planen deshalb, die Vermarktung der eigenen Leute voranzutreiben, klandestin, unter dem Deckmäntelchen der Transparenz. Mit Steuergeldern werden die politische Kaste und ihre Adlaten vermeintlich besser bedient. Schon jetzt nennen EU-Kommission und Europaparlament, unsinnig große audiovisuelle Abteilungen ihr Eigen. Demnächst folgen von EU-Kommission und Europaparlament betriebene Sender. Allerdings unterliegen sie nicht den Regeln der journalistischen Professionalität, der gesellschaftlichen Kontrolle oder gar des Marktes. Ein Programm von Politikern für Politiker, von Beamten für Beamte. Dieser Holzweg ist zwar längst faulig und morsch, munter wird er weiter bezimmert, verstärkt, verlängert, beschritten. Doch möchte ich diese Gedankenspiele mit versöhnlicheren Worten beenden. Die meisten politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Akteure im Brüsseler Dreieck, kennen ihr Sujet. Mehr Mut nach draußen und hin zu den Bürgern, heißt die Devise. Weniger hasenfüßig gegenüber Kritikern (in den eigenen Parteien und Ländern), professioneller im Umgang mit Medien, zum Teufel mit politischer Korrektheit und albernen Sprachregelungen. Als der europäische Verfassungsvertrag bei den Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden scheiterte, war die Reaktion der politischen Klasse an Erbärmlichkeit nicht zu überbieten. „Die Menschen haben das nicht verstanden.“ „Sie haben national und nicht europäisch entschieden.“ „Sie haben den Vertrag nicht gelesen, sind Nationalisten auf den Leim gekrochen.“ Was erdreisten Sie sich? Die Bevölkerung ist nicht blöder als Politiker. Der Souverän hat entschieden. Punkt. Die politischen Interpretationen waren und sind anmaßend. Das war ein Höhepunkt an Erkenntnisverweigerung, an Realitätsverlust, ein PR und Mediendesaster allererster Güte. Nun gibt es eine verordnete Denkpause bis Ende 2008. Von europäischer Pause ist derzeit viel zu spüren, vom Denken wenig. Öffentlicher Disput über die Verfassung, keine Spur. Stattdessen, juristische Rabulistik, Hinterstübchendiplomatie. Doch langsam dämmert der politischen Kaste, dass es so nicht weitergehen kann. Ein Silberstreif am Horizont. Mit professionellem politischen Auftreten, die Tastatur der Medien beherrschen, die Bürger, den Zuschauer und den Leser ernst nehmen, so besteht die Chance, dem europäischen Projekt, Visionäres wieder einzuhauchen, sich der Bürokraten zu entledigen, Politik greifbar zu machen, die Bürger zu begeistern. Wir alle in Brüssel halten nichts von uns in der Europäischen Union, unbescheiden sind wir allein im Singular. Als europäisches Gemeinwesen sind wir

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zur Eigenliebe nicht fähig. Doch, auch wenn es niemand hören mag, wir sind hier Vorreiter, schwer atmende Opfer unseres eigenen, bisherigen, europäischen Erfolges. Nur weil ein paar Hanseln sich mit aller Kraft den notwendigen Reformen und Erkenntnissen verweigern, nicht lernen, nicht erkennen wollen, soll alles umsonst gewesen sein? NIEMALS.

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4. Fazit

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Michael Kambeck

Schlussanalyse: Politikberatung in Brüssel – notwendig und fehlbewertet

Ziel dieses Beitrages ist, die in diesem Band gelieferten Mosaikbausteine zu einem Gesamtbild zusammenzufügen. „Wie funktioniert eigentlich dieses Europa“ ist eine der spannendsten Fragen, egal ob wissenschaftlich oder aus politischem Interesse gestellt. Doch kann sie nicht ohne einen Blick auf die Funktionsweise der Politikberatung beantwortet werden. Politikberatung ist gewiss nicht alles, aber sie ist in allem, in jedem Entscheidungsprozess, der die Brüsseler Mühlen durchläuft. Juristisches, prozedurales, politisches und journalistisches Wissen wird daher nur dann wertvoll, wenn es um Wissen über Politikberatung ergänzt wird. Und umgekehrt, die Beiträge dieses Bandes helfen auch Außenstehenden und Teil-Insidern, ein geschärftes Gespür für die Abläufe eben dieser Prozeduren in der Praxis zu erhalten. Denn Politikberatung besteht ja eben aus juristischer, prozeduraler, politischer und journalistischer bzw. KommunikationsBeratung. Dieses Gesamtbild soll im Folgenden in fünf Thesen Konturen erhalten: Grundlegende These: These Beratene:

These Berater:

These Beobachter:

Schlussthese:

Politikberatung ist eine Brüsseler Notwendigkeit, mehr als auf Bundesebene. Entscheider begrüßen Politikberatung als Beitrag zur guten Gesetzgebung, wissen aber Informationen vor dem Hintergrund ihrer Quelle zu werten. Berater betreiben eine zunehmende Professionalisierung der Politikberatung. Dieser Prozess steht jedoch noch am Anfang. Beobachter sehen in der Politikberatung häufiger einen nützlichen Beitrag zum politischen Prozess als einen schädlichen, warnen aber vor einer Verflachung. Die Effektivität von Politikberatung wird oft zu hoch oder zu niedrig, jedoch meist falsch eingeschätzt.

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These 1: Politikberatung ist eine Brüsseler Notwendigkeit, mehr als auf Bundesebene. Politikberatung ist, das zeigen die Beiträge in diesem Band, eine Brüsseler Notwendigkeit. So problematisch und kontrovers sie auch diskutiert wird und diskutiert werden muss, keiner der Autoren lies sich zu der Aussage verleiten, die Politikberatung sei im System der EU entbehrlich. Statt des „Ob“ ist also das „Wie“ zu prüfen. Dieser Punkt, die zwingende Notwendigkeit von Politikberatung als Voraussetzung für das Funktionieren des Systems, darf nicht als Binsenweisheit abgetan werden. Denn je mehr die Auseinandersetzung mit diesem Thema in den Medien stattfindet oder je populistischer sie betrieben wird, desto häufiger wird diese Notwendigkeit unterschlagen. Bürgern wird vorgegaukelt, Berater, insbesondere in Form von Lobbyisten, seien grundsätzlich ein Übel in der Politik. Doch gerade auf europäischer Ebene ist gute Rechtsetzung ohne die Anhörung der Interessenvertreter von Industrie und Zivilgesellschaft, aber auch ohne die Beachtung der persönlichen Berater der Entscheider nicht möglich. Ohne diesen Input wären die Gesetze aus Brüssel praxisuntauglich, so das übereinstimmende Fazit der Autoren dieses Bandes quer über Parteien und Institutionen. Hier liegt gewiss auch eine Besonderheit im Vergleich zur Politikberatung auf Bundesebene: Kein noch so erfahrener Entscheider in Brüssel kann von sich behaupten, alleine alle sprachlichen, rechtlichen, gesellschaftlichen, politischen und fachlichen Besonderheiten der 27 Mitgliedstaaten hinreichend überblicken zu können. These 2: Entscheider begrüßen Politikberatung als Beitrag zur guten Gesetzgebung, wissen aber Informationen vor dem Hintergrund ihrer Quelle zu werten. Die Annahme, Politiker seien offen für jedwede Politikberatung und wer nur die meisten Mittel besitzt bekommt politische Mehrheiten, ist falsch. Politiker mögen mit der Vielzahl der Fachbereiche und der oft immensen technischen Tiefe der Gesetzgebungsvorhaben in der EU überfordert sein, doch wer daraus abgeleitet der Mehrheit der Politiker politische Dummheit unterstellt, der widerspricht den Schilderungen in diesem Band, sowie den Beobachtungen des Autors aus der Praxis. Politiker machen Tag ein Tag aus wenig anderes als Informationsquellen zu bewerten. Oft entscheiden sich ganze Karrierewege daran, ob Freund und Feind richtig auseinander gehalten werden konnten. Entsprechend leicht fällt es den meisten Entscheidern, Quellen skeptisch zu bewerten und gemäß der Herkunft in den eigenen Entscheidungsprozess einfließen zu lassen. Anschauli-

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che Beispiele dazu liefern insbesondere die Artikel von Florenz und Schulz in diesem Band. Letzterer unterstreicht die wenig erforschte Bedeutung der hausinternen Beratung in den Institutionen. Die dortigen Mitarbeiter sind nicht nur vernetzte Fachleute, sondern oft in ihrer Karriere von den Entscheidern abhängig, die sie beraten. Dies mag eine Vielzahl von Auswirkungen auf die Art der Politikberatung haben, doch eines ist gewiss, keiner dieser persönlichen Berater möchte den Vorgesetzten auf’s Glatteis führen. Dies erklärt die hohe Bedeutung, die die Studie Galbraith’s dieser Beratergruppe zuordnet. Während Vertreter von Partikularinteressen oft erklären müssen, warum ihre Informationen unabhängig und dem Gemeinwohl verpflichtet sind, bietet sich den Entscheidern im eigenen Mitarbeiterstab eine Quelle, die glaubwürdiger als „unabhängig“ ist. Sie ist „abhängig“ – vom Entscheider. Welche Formen dies annehmen kann, beschreibt der besonders seltene Einblick Grünhages in die Arbeit des AStV1 sowie die Beiträge Gretschmanns und Bauers zum Rat insgesamt. Grünhage zeigt aber ein noch tiefer gehendes Phänomen: Die Ständigen Vertreter sind zugleich Entscheider und Berater. Sie beraten ihre eigene Regierung, teils aber auch andere Regierungen. Dabei wird ein Grundgedanke der Politikberatung deutlich, der in Brüssel besonders ausgeprägt ist. Verhandlungen sind nicht nur politischer Prozess sondern oft auch Beratung der an den Verhandlungen Beteiligten untereinander. Nicht umsonst heißt es: „der Punkt wird beraten“. In Brüssel ist das Wissen über die Positionen der vielen Verhandlungspartner zu Beginn der Beratungen geringer als auf Bundesebene. Die Regierungen im Rat oder Abgeordneten im Europäischen Parlament beraten sich daher gegenseitig. Die Angleichung der Informationsbasis führt dann zu Einigungsmöglichkeiten. Wer selbst als Entscheider auch Berater ist, lässt sich von externen Beratern nicht leicht ein X für ein U vormachen. Nach den Schilderungen in diesem Band nerven entsprechende Versuche die Politiker einerseits, andererseits sind sie offenbar nicht die Regel. Strohmeier liefert zudem durch Analyse der prozeduralen Abläufe am Beispiel der Kommission einige Anhaltspunkte dafür, was die Beratungsfähigkeit einschränkt. Die Kommission, die schließlich durch neue Transparenzregelungen die externe Politikberatung regulieren möchte, wehrt sich daher auch in keiner Weise gegen diese Beratung an sich.2 Sie will es den Entscheidern nur leichter machen, die Informationsquellen einzuordnen. Insgesamt fallen Unterschiede zwischen den Institutionen auf. Während Kommission und Rat auf starke interne wissenschaftliche und juristische Bera1

Ausschuss der Ständigen Vertreter, siehe Grünhage in diesem Band Ob die von der Kommission vorgeschlagenen Regeln tatsächlich Transparenzlücken schließen, darf bezweifelt werden. 2

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tungsdienste zurückgreifen können, vergleichbar mit den Diensten des Bundestages und der Ministerien in Berlin, hat das Europäische Parlament hier offenbar Nachholbedarf. Koch-Mehrin weist ferner darauf hin, dass die Lobbyisten in Brüssel professioneller und Informationsbedachter sind als in Berlin. Dazu später mehr. Die Kommission spielt klar ihre eher neutrale und supranationale Rolle auch als Geber und Empfänger von Politikberatung aus, weshalb es selten ratsam ist, hier nationale oder parteipolitische Karten auszuspielen. Die geringe Auswirkung nationaler Herkunft der Kommissionsmitarbeiter auf ihre Arbeit in der Kommission analysiert der END3 Scholz am praktischen Beispiel. Dagegen haben nationale Gesichtspunkte beim Europäischen Parlament und beim Rat immense Bedeutung. Dabei soll das Ratssekretariat laut Bauer eine ausgleichende Rolle spielen und die Institution insgesamt im Auge behalten. Ähnliches leisten auf völlig andere Weise die Fraktionen im Europäischen Parlament. Dieses wiederum ist, wie Schulz und Pöttering darlegen, Schauplatz sehr politischer Prozesse, in der die Parteipolitik an Bedeutung gewinnt wie in keiner anderen Institution in Brüssel. So hat jede Institution ihren völlig eigenen Charakter, was sich entsprechend auf die Politikberatung in und gegenüber diesen Institutionen auswirkt. Allerdings gibt es keine Anzeichen, dass diese Differenzen zu unterschiedlichen Fähigkeiten führen, Politikberatung zu bewerten. Denn in allen Institutionen gilt grundsätzlich: je politischer der Adressat, desto höher sein politisches Gespür – ist der Adressat jedoch auf der Fachebene, so steht ihm mehr Fachwissen zur Verfügung. In beiden Fällen kann externe Politikberatung korrekt bewertet werden, entweder vor dem Hintergrund ihrer Quellen oder fachlich. Voraussetzung dafür ist natürlich die Transparenz der Informationsquellen. Ferner gilt für alle Institutionen, dass die internen Berater und Informationsquellen höhere Glaubwürdigkeit besitzen, als externe Berater und Lobbyisten. Diese internen Berater, Mitarbeiter der Institutionen und Kollegen der politischen Entscheider, sind daher die ersten, die mit externem Rat konfrontiert werden. Erst wenn mehrere dieser internen Berater eine externe Information für gleichsam relevant und zutreffend erachten, wird diese Information auch Wirkung entfalten können. Die Hürden liegen also nicht gerade niedrig. These 3: Berater betreiben eine zunehmende Professionalisierung der Politikberatung. Dieser Prozess steht jedoch noch am Anfang. Direkter Lobbyismus und viel mehr noch die indirektere Politikberatung sind starker Konkurrenz unterworfen. Der klassische Verbandsvertreter, dessen Wis3

Expert National Détaché, auf Zeit entsandter nationaler Beamter oder Experte

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sen sich im Wesentlichen aus Tätigkeiten in der Fachbranche speist, greift in Brüssel zu kurz, wenn er nicht auch das Wissen über Institutionen, Politik, Kommunikation und Sprachen sowie persönliche Kontakte mitbringt. Dies ist Ergebnis der Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte, wie Säckl ausführt. Als Reaktion auf diese Erkenntnis hat die gesamte Branche begonnen, sich zu professionalisieren. Denn nur wer über Jahre als Profi diese Tätigkeit ausübt, kann all die vorgenannten Kenntnisse akkumulieren. Langguth zählt eine ausführliche Liste von Schlüsselkenntnissen auf, die in Summe an die eierlegende Wollmilchsau erinnern. Derartige Qualitätsakkumulation hat ihren Preis. Entweder einzelne Mitarbeiter bringen all dies mit und sind so begehrt wie teuer oder mehrere Mitarbeiter bringen die Qualitäten zusammen. Idealerweise können Interessenvertreter natürlich auf eine große Anzahl erfahrener Mitarbeiter zurückgreifen, die sich fallweise gemäß ihren unterschiedlichen Fähigkeiten, Nationalitäten und Kontakten zu immer neuen Teams zusammenstellen lassen. Doch die Mittel, solche an Qualität und Quantität reiche Personalbestände vorzuhalten, haben eigentlich nur die professionellen Beratungsagenturen, die durch ihre große Anzahl von Kunden dieses Personal auch permanent sinnvoll auslasten können. Die gesamte Branche hat aufgerüstet. Auch die Fachverbände haben Fähigkeiten aufgebaut, alle sie betreffenden Politikvorhaben zu beobachten und entsprechende Interessenvertretung zu leisten. Wie umfangreich sich dies darstellt, beschreibt Nutzenberger am Beispiel des Deutschen Städte und Gemeindebundes. Stein analysiert in seinem Beitrag, warum sich die teils erheblichen Investitionen für seinen Auftraggeber, das Land NRW, lohnt. Am Beispiel von REACH zeigt sich, dass eine einzige Entscheidung, die eine wichtige Branche des Landes – hier Chemie – über Gebühr belastet, viele Arbeitsplätze und Steuerzuflüsse gefährdet. Zugleich ist das Land stark am Verbraucherschutz interessiert – kein Politiker kann sich hier eine zu schwache Linie vorwerfen lassen. So sind die Landesvertretungen, die in gewisser Weise immer das gesamte Gemeinwohl im Auge haben müssen, eine Ausnahme unter den Beratern. Diese Ausnahme gibt ihnen jedoch durchaus eine erhöhte Glaubwürdigkeit. Auf ebendiese höhere Glaubwürdigkeit verzichten einige Berater und deklarieren ihre eigenen, singularen, oft nationalen Interessen zum Gemeinwohl. Riss beklagt in seinem Beitrag die Ungleichheit der Mittel zwischen den Vertretern partikularer Interessen und jenen Vertretern, die wie Greenpeace die Allgemeinheit vertreten. Dabei stellt sich die Frage, ob Umweltschutz nicht ebenso ein Partikularinteresse darstellt und somit die Vorgabe, dass die Ziele von Greenpeace auch die der Allgemeinheit sind, die Glaubwürdigkeit eher schwächt. Gleichermaßen hat die Chemieindustrie oft behauptet, dass ihre Partikularinteressen die Allgemeinheit berühren – gewiss häufiger, als dies der Fall war.

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Das Beispiel REACH zeigt, dass die meisten Lobbyisten von links und rechts, von Industrie und Umweltschutz das Ergebnis als eher unbefriedigend bewerten, während Politik und Medien meist ein positives Fazit ziehen. Der dabei durchlaufene Prozess der Politikberatung, in diesem Band sehr genau von Florenz beschrieben, war einer der intensivsten und zugleich wichtigsten, den die EU bislang durchlaufen hat – das ist die klare Feststellung aller Beiträge, die REACH als Beispiel erwähnen. Im Ergebnis hat dieser Prozess einerseits das schärfste Umweltrecht der Welt hervorgebracht, andererseits einen Rahmen für die Chemiebranche, der ihr das Arbeiten ermöglicht und oft bessere Planungsund Rechtssicherheit bringt. Dies spricht bei aller Ungleichheit der Mittel dafür, dass am Ende des Tages nur jene Argumente mehrheitsfähig waren, die eine besondere Glaubwürdigkeit oder Logik besaßen. Der Chor der Berater hat also grundsätzlich bei der Politik weder ein chaotisches Zufallsergebnis noch ein einseitiges Ergebnis bewirkt – trotz Mammutprojekt und Berichten mit hunderten Seiten Text und über 1000 Änderungsanträgen im Europäischen Parlament. Dabei ist es üblich, dass in der Praxis auffallende Details der Nachbesserung bedürfen. Insgesamt spricht bei REACH vieles für ein sehr gelungenes Verfahren, bei dem Politikberatung eine äußerst wichtige und qualitätssteigernde Bedeutung hatte. Die professionelle Beratung bringt eine wesentliche Änderung in den Prozess. Die aus der Branche selbst stammenden Vertreter betrachten die Dinge oft aus einem sehr persönlichen Blickwinkel, gemäß dem Ansatz „Warum machen die [Institution X, Politiker Y] so einen Blödsinn?“ Dagegen bringen angestellte oder über Agenturen beauftragte professionelle Berater, die oft zuvor selbst in den Institutionen tätig waren, mehr Verständnis für beide Seiten auf, und können somit auch leichter und besser Brücken bauen. Sie können auch leichter tatsächliche Aspekte des Gemeinwohles erkennen und von überzogenen und weniger glaubwürdigen Argumenten abraten. Und sie haben meist gute Beziehungen zu den persönlichen Beratern der Entscheider. Galbraith listet diese nach einer quantitativen Studie als mit Abstand wichtigste Informationsquelle der Entscheider auf, gemeinsam mit politischen Kollegen und persönlichen Recherchen der Entscheider. Sein Beitrag listet zudem die häufigsten Fehler der Lobbyisten auf und zeigt, dass diese sich mit zunehmender Professionalität allesamt vermeiden lassen. Ethische Probleme oder Intransparenz sind nach Angaben der Entscheider übrigens kein häufiges Phänomen.

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These 4: Beobachter sehen in der Politikberatung häufiger einen nützlichen Beitrag zum politischen Prozess als einen schädlichen, warnen aber vor einer Verflachung. Die Beiträge der hier als Beobachter zusammengefassten Vertreter von Wissenschaft und Journalismus unterstellen gemäß unserer Grundthese einhellig den Bedarf an Politikberatung, fordern diese teils sogar stärker ein. Am deutlichsten unterstreicht dies der vielleicht sprachlich frischste Beitrag des Bandes von Reichmann. Gemeinsam mit seinem Kollegen Friedrich beschreibt er aber auch zugleich die Verzweiflung über Beratungsversagen. Friedrich konstatiert gar das Scheitern der Vierten Gewalt, da die Medien ihrer Kontrollaufgabe nicht ausreichend gerecht werden. Dass gerade die Medienvertreter eine so defätistische Sichtweise einnehmen und die Funktionskraft ihres Genre in Zweifel ziehen, mag an der getroffenen Wahl der Autoren liegen – die Herausgeber dieses Buches wollten an dieser Stelle bewusst eine kritische Auseinandersetzung mit der Thematik und hatten entsprechend erfahrene, aber vor allem freie Journalisten um Beiträge gebeten. Das Ergebnis sollte eher als Ansporn an die eigene Zunft und die der Berater angesehen werden denn als repräsentative Situationsbeschreibung. Das Grundproblem der medialen Begleitung des Politikberatungsprozesses ist, dass die Medien Teil des recht schnelllebigen und auf Nachrichten ausgelegten Prozesses sind. Für grundsätzliche und mittelfristige Blicke auf das Gesamtbild bleibt oft kein Raum. Mittel wurden von vielen Redaktionen zurückgefahren, Bild- und Nachrichtenmaterial wird zunehmend von den Agenturen eingekauft, eigene Recherchen im Verhältnis zurückgefahren. Das führt erstens dazu, dass die Medien sich leichter durch Aktionismus von medienberatenen Politikern täuschen lassen. Zweitens schaffen es Interessenvertreter und ihre Organisationen leichter, durch mediengerechte Aktionen die Medien für sich zu instrumentalisieren. Sollten sich Aktionismen der Politiker und Lobbyisten später nach und nach als Luftnummer herausstellen, ist dies kaum nachrichtenwürdig. Die Grundtendenz folgt dem in der Medienbranche bekannten Muster „overnewsed but underinformed“4. Drittens nimmt die Beratende Funktion der Medien insgesamt ab. Fast alle Entscheidungsträger lassen sich von medial hervorgebrachter Kritik und von überzeugend hervorgebrachten Tatsachen beeinflussen. Doch eben die dafür notwendige Art von Analyse und Hintergrund wird zurückgefahren. Rühmliche Ausnahmen gibt es freilich, und wie das Beispiel europa-digital im Beitrag von Heyer zeigt, haben diese auch deutliche Beratungswirkung. 4

Die Herkunft dieses Ausdrucks ist nicht gänzlich klar, er wird aber häufig dem amerikanischen Medienwissenschaftler Marshall McLuhan zugeschrieben.

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Etwas weniger dramatisch analysieren die wissenschaftlichen Beobachter die Lage, teilen dabei aber die Sorge vor Verflachungstendenzen. Weilemann spricht etwa von zunehmendem Wissensmanagement bei abnehmenden genuinen Forschungskapazitäten der Brüsseler Think Tanks. Wessels und Schäfer verweisen auf das Zeitproblem wissenschaftlicher Beratung im schnelllebigen Politikgeschäft. Gepaart mit wachsender Konkurrenz unter den Think Tanks bei ebenso steigender Nachfrage besteht die Gefahr, dass Geschäftsmodelle mit Fast-FoodEigenschaften die größten Marktanteile sichern, deren Rat einerseits auf eher oberflächlichen Analysen beruht, andererseits auf medienwirksame Ziele setzt. Wenn dazu die Unabhängigkeit mancher Think Tanks intransparent ist, sie oft als nationale Ableger von Partikularinteressen eingerichtet werden, dann können die Abnehmer von solcher Politikberatung auch gleich eine professionelle Beratungsagentur engagieren. Und selbst hier gab es in Brüssel einen offenen Versuch, die Grenzen zu verwischen, indem ein erfolgreicher Lobbyismusberater nach Verkauf seiner Agentur einen, nach eigener Beschreibung, „Think-DoTank“ gründete.5 Insgesamt erfüllen die Think Tanks, aber auch die Summe der anderen Politikberater ihre Aufgabe durchaus. Bei allen Schwierigkeiten mit verschiedenen Sprachen und 27 Ländern, erfüllen Sie sogar eine wichtige Funktion, wenn sie keinerlei Einfluss auf Entscheidungsprozesse ausüben: Sie informieren ihre Auftraggeber. Die zahlreichen Brüsseler Politikberater sind ein massives Informations- und Übersetzungsbüro für Industrie und Politik in den Mitgliedstaaten der EU, wobei die Übersetzung sowohl die sprachliche Übersetzung als auch die inhaltliche Zusammenfassung und Einordnung umfasst. Langguth sieht darin eine Besonderheit gegenüber den Politikberatern in der Bundeshauptstadt. Dies mag auch ein Grund für die vergleichsweise höhere Professionalisierung der Politikberatung in Brüssel sein. Diese Professionalisierung stammt allerdings auch aus der etwas anders gearteten Interessensvertretungskultur in Brüssel, die sich eher am angloamerikanischen Modell denn an deutscher Vereinsmeierei orientiert. Die Vielfalt der Berater stellt sogar eine gewisse Gemeinwohlorientierung sicher, wobei Langguth zurecht die Frage stellt, wer in diesem Konzert das Lied jener Gruppen singt, die keine Lobby haben. Doch wer sich umsieht wird es schwer finden, eine solche Gruppe auszumachen. Während die einstigen Underdogs Greenpeace, WWF und Tierschutzverbände heute zu den dauerhaft etablierten und zunehmend professionalisierten Single-Issue-Lobbyisten zählen, gibt es für jedwedes gesellschaftliches und politisches Problem aufkommende und abfallende Organisationsgrade von Interessensvertretern, oft abhängig von der 5 vgl. Kambeck, Michael; „PA-/PR-Beratungsagenturen in Brüssel“; Juni 2004; http://www.europadigital.de/aktuell/dossier/lobby/papbinbxl.shtml

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öffentlichen Diskussion. In seiner Zeit im Europäischen Parlament gehörte es zur täglichen Pflicht des Autors, über einhundert Zuschriften einer Beantwortung zuzuführen. Darunter waren neben professionellen Kampagnen immer wieder durchaus eindrucksvolle, individualisierte Schreiben von teils winzigen Betroffenheitsgruppen, die mit geringstem finanziellem Aufwand und etwas Freizeit sehr effektiv konkrete Vorschläge oder Bitten äußerten – oft erfolgreich. Exemplarisch sei hier die kleinste Randgruppe erwähnt, die dem Autor in der Erinnerung blieb: Der Europäische Verband homosexueller Skinheads (EGSA).6 These 5: Die Effektivität von Politikberatung wird oft zu hoch oder zu niedrig, jedoch meist falsch eingeschätzt. Viele Autoren in diesem Band haben das stereotype Bild des Lobbyisten mit dem Geldkoffer bemüht, um auf die öffentliche Wahrnehmung von Politikberatung insgesamt und ihre vermeintliche oder tatsächliche Intransparenz hinzuweisen. Tatsächlich hat dieses Buch einen handfesten Beitrag dazu geleistet, Politikberatung und Lobbying in der Praxis transparent zu machen. Dabei zeigt sich, dass Politikberatung sich nicht nur als notwendiger und integraler Bestandteil der Politik in Brüssel etabliert hat, sondern auch, dass sie wesentlich alltäglicher und unkritischer vonstatten geht, als gemeinhin wahrgenommen. Es mag an der oft, auch in diesem Band, geäußerten mangelnden EU-Öffentlichkeit liegen, dass das Image dieses spannenden aber alltäglichen Teils der Brüsseler Politik so schlecht ist. Schlimmer aber wiegen gewiss die abschreckenden, bekannt gewordenen Beispiele unethischen Lobbyings, von denen allerdings mehr nationale existieren als europäische. Dennoch bleibt in der Öffentlichkeit eine Fehleinschätzung der Art und Weise von Politikberatung und Lobbying, sowie eine starke Überschätzung ihres Einflusses zu konstatieren. Bei Vertretern der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft kommt es zu ebensolchen Fehleinschätzungen, die allerdings andere Formen annehmen, wenn sie sich intensiv mit der EU befassen oder gar in Brüssel tätig sind. Oft werden sie vom eigenen Einflussmangel überrascht, stecken sich fast trotzig unrealistische Ziele oder verfassen einfach nur Dauerklagen – nicht selten zurecht – über die EU-Institutionen, die die eigenen, doch „richtigen“ Ziele einfach ignorieren. Dann folgt meist die gegenteilige Fehleinschätzung als Projektion für die Zukunft, indem sie resignierend den Einfluss von Politikberatung geringschätzen und gar nicht mehr versuchen, eigene Positionen in die Beratung einfließen zu lassen. Sie kürzen in der Folge ihre Mittel und Aktivitäten und programmieren damit negative Ergebnisse erst recht vor. Feststeht: Berater sind nicht die Ent6

http://www.geocities.com/westhollywood/4010

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scheider7 – sie können ihre Informationen nur zur Verfügung stellen, können deren Berücksichtigung aber nicht erzwingen. Sie sollten ihre Informationen allerdings auch zur Verfügung stellen, da der Politik sonst wichtiger Input verloren geht. Die oben beschriebene Professionalisierung wird die Fehleinschätzungen reduzieren. Sie wird einerseits für mehr Realitätssinn, mehr Verständnis und eine leichtere Informationsaufnahme sorgen, aber andererseits auch die Effektivität der Interessenvertretung erhöhen. Welche der eigenen Interessen berechtigterweise in den Politikprozess einfließen sollten und wie man seine Informationen richtig vermittelt, dazu haben die Beiträge in diesem Band viele anschauliche Ratschläge gegeben. Das genau sollte auch das Ziel dieses Buches sein: Fehleinschätzungen minimieren und zeigen, wie Politikberatung läuft und wie besser nicht.

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wobei es Entscheider gibt, die auch Berater sind, s.o.

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Kurzbiographien der Autoren und Herausgeber1

Martin Bauer ist Rechtsberater im Juristischen Dienst des Rates. Er war Mitglied der Task Force für die Regierungskonferenz zur Ausarbeitung der EU-Verfassung und beschäftigt sich derzeit vor allem mit Fragen des Haushalts und der mittelfristigen Finanzplanung sowie mit institutionellen Fragen. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Wien war er von 1985 bis 1996 zunächst Sachbearbeiter im österreichischen Rechungshof und im Bundesministerium für Umwelt, anschließend Mitarbeiter der EFTA-Überwachungsbehörde in Brüssel, dann Experte für Fragen der Umsetzung des EWR-Abkommens für die Regierung des Fürstentums Liechtenstein in Vaduz und schließlich Sachbearbeiter in der Europäischen Kommission, DG Umwelt. Steffen Dagger ist seit September 2006 Büroleiter und Referent für Energiepolitik bei der Abgeordneten Dr. Maria Flachsbarth im Deutschen Bundestag sowie Herausgeber des Buches „Politikberatung in Deutschland“ (VS-Verlag 2004). Von 2003 bis 2006 war er Mitarbeiter der Landesgruppe Niedersachsen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, 2005 auch Persönlicher Referent eines Bundestagsabgeordneten und CDU-Wahlkampfleiter eines Wahlkreises im Bundestagswahlkampf. Neben seinem Studium in Bayreuth, Göttingen und Berlin sammelte der Dipl.-Politologe mit dem Studienschwerpunkt Lobbying und Public Affairs weitere Erfahrungen beim Vorsitzenden der EVP/ED-Fraktion im Europäischen Parlament, Prof. Dr. Hans-Gert Pöttering MdEP und 2004 als Freier Mitarbeiter des Fachmagazins politik&kommunikation in Brüssel. Karl-Heinz Florenz, MdEP, ist seit 2007 der Berichterstatter des Europäischen Parlaments zu Fragen des Klimawandels und Mitglied im nichtständigen Ausschuss für Klimafragen. Er ist zudem Mitglied des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit des Europäischen Parlaments sowie Mitglied des Vorstands der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten. Florenz war von 1994-2004 Obmann der EVP-ED-Fraktion im Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit und von 2004 bis 2007 Vorsitzender dieses Ausschusses. Er war von 1984-1989 Mitglied des Stadtrates von Neukirchen-Vluyn und ist seit 1989 Abgeordneter für den Niederrhein im Europäischen Parlaments. 1

Stand: Januar 2007

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Hajo Friedrich ist 1955 in Köln am Rhein geboren und aufgewachsen. In Marburg und Berlin hat er Politik, Wirtschaft und Recht studiert. Während und nach dem Studium arbeitete er u.a. in wissenschaftlichen Projekten zur Friedens- und Konfliktforschung und war Redakteur der Zeitschrift Bürgerrechte und Polizei (Cilip). 1989 kam er für ein deutsches Beratungsunternehmen mit dem Auftrag nach Brüssel, ein Informations- und Lobbybüro in der Hauptstadt der EU-Institutionen zu installieren. Anfang der neunziger Jahre machte er sich selbstständig. Seitdem arbeitet er als freier Journalist u.a. für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Deutsche Handwerkszeitung. Einen Spruch zitiert Friedrich besonders gerne und häufig im Blick auf Europa und seine Arbeit: „Nur wer sich bewegt, spürt seine Fesseln“. Jeremy Galbraith ist seit 2000 Geschäftsführer der europäischen Public Affairs Beratung Burson-Marsteller Brüssel und Vorsitzender des europäischen Public Affairs Geschäftsbereiches der Firma. 1995 kam er als Leiter der britischen Public Affairs Practice zu Burson-Marsteller. Zuvor war er stellvertretender Geschäftsführer bei Market Access, einer führenden Politikberatung in Westminster, sowie Direktor des Brüsseler Tochterbüros. Seine politische Karriere begann er im britischen Unterhaus bei einem konservativen Abgeordneten. Der in Leeds ausgebildete Jurist, verfügt über 18 Jahre Erfahrung als politischer Berater für Kunden aus diversen Industriesektoren. Prof. Dr. Klaus Gretschmann ist seit 2001 Generaldirektor im Sekretariat des Europäischen Ministerrats in Brüssel mit Zuständigkeiten für Telekommunikation, Informationsgesellschaft, Verkehr, Binnenmarkt, Industriepolitik, Zölle, Energie und Forschung. Vorher war er im Bundeskanzleramt in Berlin als Ministerialdirektor für Wirtschaft und Finanzen sowie als persönlicher Beauftragter des Bundeskanzlers zur Vorbereitung der Weltwirtschaftsgipfel (G7/G8 Sherpa) tätig. Er lehrte bis 1998 Volkswirtschaft, Finanzwissenschaft und Internationale Politische Ökonomie an der Universität zu Köln, am European Institute of Public Administration in Maastricht und an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen. Längere Forschungsaufenthalte führten ihn an das Europäische Hochschul-Institut in Florenz, an die Johns-Hopkins Universität sowie an das Zentrum für Interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld. Er arbeitete als Consultant u.a. für IMF, OECD, Weltbank und die World Intellectual Property Organisation. Neben sieben Büchern hat er mehr als 80 akademische Publikationen verfasst und ist Träger des Ordens „Kommandeur der französischen Ehrenlegion“.

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Dr. Jochen Grünhage war von 1987 bis zum Eintritt in den Ruhestand im Jahre 2001 als Stellvertretender Ständiger Vertreter Deutschlands bei der Europäischen Union, zuletzt im Botschafterrang, an vielen europapolitischen Verhandlungen und Entscheidungen beteiligt. Seitdem ist er Bevollmächtigter des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes bei der Europäischen Union. Er studierte Rechtswissenschaft und Volkswirtschaft an den Universitäten Heidelberg, Lausanne, Göttingen und Brüssel sowie an der London School of Economics. Nach Abschluss seiner Ausbildung trat er in die Grundsatzabteilung des Bundesministeriums für Wirtschaft ein. Nach Einsätzen bei der UN-Welternährungsorganisation in Rom sowie als persönlicher Referent von Staatssekretär Dr. Rohwedder und von Staatssekretär Dr. Schlecht, übernahm er die Leitung des Referats Agrarpolitik in der Grundsatzabteilung. Im Jahre 1978 wurde ihm die Leitung der Wirtschaftsabteilung in der Ständigen Vertretung Deutschlands in Brüssel übertragen. 1984 kehrte er in das Bundeswirtschaftsministerium zurück und übernahm eine Führungsaufgabe in der Energieabteilung. Axel Heyer ist seit 2007 Presseattaché der (liberalen) ALDE-Fraktion des Europäischen Parlaments für die deutschsprachigen Medien. Zuvor war er Journalist und Medienberater, Herausgeber der Website europa-digital.de und bis Dezember 2006 Vorsitzender des Vereins europa einfach ev. Nach Schule, Zivildienst und Verlagsausbildung in Köln schloss er 1996 das Studium der Politikwissenschaft plus Geschichte und Französisch mit einer Magisterarbeit zum Thema „Europäische Integration im Politikfeld Informationstechnologie“ ab. Neben der sich anschließenden Tätigkeit für die Webagentur denkwerk arbeitete er journalistisch für den Verband Deutscher Zeitschriftenverleger. Im April 1999 gründete er mit zehn Mitstreitern die Redaktion von europa-digital, die er von 2002-2006 vom Standort Brüssel aus verantwortete. Dr. Michael Kambeck ist seit September 2006 Berater („Manager“) bei BursonMarsteller, mit den Schwerpunkten Kommunikations- und Strategieberatung in den Bereichen Auswärtiges und Umwelt. 2004-2006 Büroleiter des Außenausschussvorsitzenden Elmar Brok im Europäischen Parlament. 2003 beriet er bei der Gründungskampagne einer bundesweiten Bürgervereinigung deren Vorstand. Ab Ende 2001 war er für ein halbes Jahr bei der Europäischen Kommission in Brüssel als Stagiaire in der Generaldirektion Presse tätig. Ehrenamtlich ist er seit Anfang 2004 zunächst als Journalist, dann als Herausgeber engagiert bei europadigital.de, Deutschlands führender Europa-Website – seit Dezember 2006 auch als Vorsitzender des Trägervereins europa einfach ev. Nach seinen Studien an den Universitäten Duisburg, Leeds und Bonn hat er Abschlüsse in Anglistik,

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Informatik, Europawissenschaft und Politikwissenschaft, mit Promotion zum Thema „Politikvermittlung auf EU- und Bundesebene“. Dr. Silvana Koch-Mehrin, MdEP, ist Vorsitzende der FDP-Delegation im Europäischen Parlament und stellvertretende Vorsitzende der Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa. Sie studierte Volkswirtschaftslehre und Geschichte in Hamburg, Straßburg und Heidelberg und gründete nach ihrer Promotion die Unternehmensberatung Conseillé+Partners sprl. Seit 1999 ist sie Mitglied des FDP Bundesvorstandes, seit 2000 Mitglied im ELDR-Council und seit Juli 2004 Mitglied im Präsidium der FDP. Prof. Dr. Gerd Langguth lehrt Politische Wissenschaft an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität Bonn. Zahlreiche Veröffentlichungen, zuletzt Biographien zu Horst Köhler und Angela Merkel. Geboren 1946 war er von 1976 bis 1980 Bundestagsabgeordneter. Zwischen 1981 und 1985 war Langguth Direktor der Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn. Zwischen 1986 und 1987 war er Staatssekretär und Bevollmächtigter des Landes Berlin beim Bund. Anschließend wurde er von 1988 bis 1993 Leiter der Vertretung der EG-Kommission in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn. Zwischen 1993 und 1997 war Gerd Langguth geschäftsführender Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, Sankt Augustin. Dr. Klaus M. Nutzenberger ist Direktor des Europabüros des Deutschen Städte- und Gemeindebundes in Brüssel. Nach einer Ausbildung zum Industriekaufmann studierte er Geschichte, Philosophie und Politische Wissenschaften an der Universität Münster. Von 1986-1991 war er Stellvertretender Pressesprecher des Kreises Recklinghausen und Persönlicher Referent des Oberkreisdirektors. Von 1991-2002 war er stellvertretender Leiter des Europabüros der Deutschen Kommunalen Selbstverwaltung. Er ist Lehrbeauftragter für Umweltpolitik und Umweltrecht an der FH Kehl und Autor verschiedene Veröffentlichungen in Kommunalzeitschriften. Prof. Dr. Hans-Gert Pöttering, MdEP, ist seit Januar 2007 Präsident des Europäischen Parlamentes. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft, Politik und Geschichte in Bonn und Genf arbeitete er zunächst als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Osnabrück. Er ist Mitglied des Europäischen Parlaments seit 1979, war Vorsitzender des Unterausschusses „Sicherheit und Abrüstung“ und leitete die Arbeitsgruppen „Regierungskonferenz 1996“ sowie „Erweiterung der Europäischen Union“ der EVP-ED-Fraktion. Von 1994 bis 1999 war er

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Stellvertretender Vorsitzender und von 1999 bis 2007 Vorsitzender der EVP-EDFraktion im Europäischen Parlament. Michael Reichmann ist Europa-Korrespondent/Journalist/ Film- und Fernsehproduzent. Er lebt in Brüssel und Hamburg und ist seit 20 Jahren im TVGeschäft. 1985 gründete er das erste gemeinnützige linke Radio der Bundesrepublik Deutschland. Danach ging er als Redakteur zur Nachrichtenredaktion von RTL nach Köln. Nach Stationen als Moderator und Redakteur bei SAT-1 Regional in Hamburg und ab 1992 als Projekt- und Produktionsleiter für ARD/ZDF Fernsehshows (u.a. mit H-J. Kulenkampff) arbeitete er ab 1993 als EU-Korrespondent für VOX-Fernsehen in Brüssel. Von 1995 bis 2006 war er fester, freier EU-Korrespondent für RTL-Television in Brüssel, seither für SAT-1 und N24, EuroNews u.a. Seit 2000 ist er Seminarleiter bei der Journalistenausbildung, Medien- und Politikberatung in Brüssel. Jorgo Riss leitet seit 2003 das EU-Büro von Greenpeace in Brüssel. Erste Erfahrungen als Umweltaktivist sammelte er 1980 in der Anti-Atomkraftbewegung, bei der Besetzung des Bohrlochs 1004 in Gorleben. In den 90er Jahren begann er, mit Greenpeace zusammenzuarbeiten, zuerst als Rechercheur illegaler Giftmüllexporte von Europa nach Afrika und Lateinamerika, später als politischer Berater der Greenpeace Kampagne gegen Umweltgifte und schädliche Chemikalien in Gebrauchsgütern. Jorgo ist Politikwissenschaftler; außerhalb seines Umweltengagements arbeitete er als Reporter für die tageszeitung und unterrichtete von 1999 bis 2001 Politische Theorie an der London School of Economics and Political Science. Jorgo ist einer der Gründer der Allianz für Lobbytransparenz und Ethik-Regeln in der EU (ALTER-EU). Martin Säckl ist Geschäftsführender Partner der EACON – European Affairs Consulting Group sprl in Brüssel. Er engagierte sich in den späten 1980er Jahren für die Jungen Europäischen Föderalisten. Als Student arbeitete er bei der Informationskampagne der österreichischen Bundesregierung zum EU-Beitritt mit. Nach dem Studium der Betriebswirtschaft, Kunstgeschichte und des Kulturmanagements in Wien und London kam er zur Europäischen Kulturstiftung Pegasus nach Brüssel. Mit dem Beitritt Österreichs wechselte er als Parlamentarischer Mitarbeiter ins EP. Danach ging er ins Consulting-Geschäft, wo er das European Affairs Büro von Trimedia Communications aufbaute und leitete. Anfang 2003 gründete er mit vier Partnern die EACON. Seit 2002 ist er Mitglied des Vorstandes der Society of European Affairs Professionals (SEAP).

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Verena Schäfer, M.A., hat in Köln und Lausanne (CH) Politikwissenschaften, Neue und Mittlere Geschichte sowie Lateinamerikanische und Iberische Geschichte studiert. Seit März 2006 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Jean Monnet-Lehrstuhl für Politische Wissenschaften und Europäische Fragen der Universität zu Köln. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören der EU-Konstitutionalisierungsprozess, Strategien und Szenarien zur Zukunft der Europäischen Union sowie der Europäische Rat und die Deutsche Ratspräsidentschaft 2007. Thomas Scholz war von 2003 bis 2005 Nationaler Experte bei der EUKommission, Generaldirektion Binnenmarkt, Abteilung Rechnungslegung und Wirtschaftprüfung, zuständig für fachliche Stellungnahmen und Gremienarbeit rund um die IAS Verordnung. Der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer arbeitete nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften in Stuttgart-Hohenheim und Mannheim von 1992 bis 1998 bei einer mittelständischen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Von 1998 bis 2001 war er Manager am German Desk der PricewaterhouseCoopers Ungarn in Budapest, zuständig für nationales und internationales Handelsrecht ungarischer Tochtergesellschaften vorwiegend deutscher Mandanten, 2001 bis 2003 Senior Manager bei PricewaterhouseCoopers Stuttgart im Bereich internationale Mandantschaft, insbesondere US-GAAP und IFRS. Seit September 2005 ist er Mitarbeiter der internationalen Fachabteilung der PricewaterhouseCoopers Frankfurt, Fachgebiet IFRS Anwendung. Martin Schulz, MdEP, ist Vorsitzender der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament. Von 1975-1979 machte er eine Buchhändlerlehre und arbeitete bis 1994 zuletzt als Inhaber einer Buchhandlung. Seit 1999 ist er Mitglied des Bundesvorstands der SPD und bis 1999 Mitglied des Rates der Stadt Würselen, deren Bürgermeisteramt er von 1987-1998 innehatte. Er ist seit 1994 Mitglied des Europäischen Parlaments. Von 1994-1996 war er Koordinator der SPE-Fraktion im Unterausschuss Menschenrechte; von 1996-2000 Koordinator der SPE-Fraktion im Ausschuss für Grundfreiheiten und innere Angelegenheiten. 2000-2004 war er sowohl Vorsitzender der SPD-Gruppe im EP als auch Erster stellvertretender Vorsitzender der SPE-Fraktion. Hans H. Stein ist seit März 2006 Leiter der Landesvertretung Nordrhein-Westfalens bei der Europäischen Union in Brüssel. Jahrgang 1965, studierte er Volkswirtschaftslehre und Politische Wissenschaften an den Universitäten Bonn und Köln. Als Diplom-Volkswirt war er u. a. Geschäftsführer des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln. Von 2000 bis 2006 war Stein Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer e. V. (ASU)

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in Berlin und zusätzlich seit 2002 Generalsekretär der „European Group of Owner-Managed and Family Enterprises“ (GEEF), Brüssel. Zuvor war er Ressortleiter für Wirtschaftspolitik bei der ASU, Persönlicher Referent des mittelstands-, und wirtschaftspolitischen Sprechers der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, Paul K. Friedhoff und Summer Fellow des Institute for Humane Studies, George Mason University, Fairfax, VA (USA). Dr. Rudolf Strohmeier ist Leiter des persönlichen Beraterstabes (Kabinettschef) der EU-Kommissarin Viviane Reding, zuständig für Informationsgesellschaft und Medien. Zuvor mehrere Kabinettspositionen in der Europäischen Kommission: 2003-2004 für Kommissionspräsident Romano Prodi, 1995-2000 für Franz Fischler (Agrar), 1987-1995 für Peter M. Schmidhuber (Wirtschaft und Regionalpolitik, ab 1989 Haushalt). Von 2000-2003 war er Abteilungsleiter, später 2004-2005 zunächst Berater, dann Direktor in der Generaldirektion AGRI für Kommunikation und Interinstitutionelles. 1987 Gründer und erster Direktor des Bayrischen Informationsbüros in Brüssel. 1980-1985 Beamter im Bayrischen Verbindungsbüro in Bonn und 1985-1987 „Expert National Détaché“ bei der Kommission in Brüssel. Strohmeier ist Volljurist und promovierte 1981 zum Dr. iur. utr. der Universität Würzburg mit einer Dissertation zum EMS. Er veröffentlichte zahlreiche Artikel sowie „Die Europäische Union – Ein Kompendium aus deutscher Sicht“ (2. ed. 1999). Dr. Peter R. Weilemann ist seit 2003 Leiter des Europa-Büros der KonradAdenauer-Stiftung in Brüssel. Als Politikwissenschaftler ist er seit über 20 Jahren Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung und leitete seit 2000 die Hauptabteilung Internationale Zusammenarbeit mit ihren Büros in Europa und den Vereinigten Staaten. Zuvor war er stellvertretender Direktor und Abteilungsleiter für internationale Politik und Wirtschaft. Frühere Positionen: 1983-1991 stellvertretender Institutsleiter der KAS; 1982/83 West European Analyst, IRIS, Arlington (Virginia USA); 1978-1982 Wissenschaftlicher Assistent, Institut für Politikwissenschaft und Europafragen der Universität Köln; 1976/77 Visiting Scholar Georgetown University. 1979 promovierte er in Köln zum Dr. rer. pol. („Weltmacht in der Krise – Isolationistische Impulse in der amerikanischen Außenpolitik der siebziger Jahre“) und hat seither zahlreiche Veröffentlichungen im Bereich Außen- und Europapolitik vorgelegt. Weilemann ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, der Deutschen Atlantischen Gesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Politikwissenschaft, sowie des Europaausschusses und des Ausschusses für Außen- und Sicherheitspolitik der BundesCDU.

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Prof. Dr. Wolfgang Wessels ist seit 1994 Inhaber des Jean-Monnet-Lehrstuhls am Forschungsinstitut für Politische Wissenschaft und Europäische Fragen der Universität zu Köln. Schwerpunkte seiner Forschung und Lehre sind das politische System der Europäischen Union, die Rolle der EU im internationalen System, die Vertiefung und Erweiterung der EU sowie Theorien der internationalen Beziehungen und europäischen Integration. Gemeinsam mit Prof. Weidenfeld gibt er seit 1991 das Taschenbuch „Europa von A-Z“ heraus. Im Rahmen seiner Schwerpunkte engagiert er sich u.a. im Vorstand des Instituts für Europäische Politik (Berlin), als Chairman der Trans European Policy Association (Brüssel), als Gründungsmitglied des Jean Monnet Centre of Excellence, als Projektkoordinator des Netzwerks „EU-CONSENT“ sowie als Visiting Professor am College of Europe, Brügge und Natolin.

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