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HANS-JOACHIM ARNDT
Politik und Sachverstand im Kreditwährungswesen
Politik und Sachverstand im Kreditwährungswesen Die verfassungsstaatlichen Gewalten und die Funktion von Zentralbanken
Von
Hans-Joachim Arndt
DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN
Alle Rechte vorbehalten 1963 Duncker & Humblot, Berlin Gedruckt 1963 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany
©
Es besitzt derjenige, der sich lediglich mit Teil-Ordnungen, etwa mit denen des Goldes begnügen will, am Ende überhaupt kein Wissen, vielmehr ist er wie einer, der bloß die Regeln eines kalten, starren und abstrakten Spieles gelernt hat und meint, sie seien die alles Menschentums. Hermann Broch : Der Versucher
Inhalt Die Fragestellung 0000000000000000000000000000000000000000000000000000
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Ao Währungshoheit und Kreditgeld 00000000000000000000000000000000oo 11 1. Knapp's Staatliche Theorie des Geldes als Theorie des Ausnahme-
zustands o oooo0o000o0o0o0000000o000oo000000000000000000000000000 a) Das Doppelgesicht der Knapp'schen Theorie 000000000000000000 b) Nominalismus bei Chartalgeld und in der Binnenwirtschaft o000 c) Dezisionismus bei Kreditgeld und in der Außenwirtschaft 0000
12 14 26 31
2o Währungshoheit und Geldverfassung 00000000000000000000000000 38 3o Priv atbankgeld und Währungshoheit o oo0ooo00o00000000000000000 51
B. Kreditgeldsteuerung als Herrschaftsmittel 000000000000000000000000 67 4o Zentralbanken zwischen Kommerzialität und Herrschaft 00000000 69 5o Zwei historische Beispiele der Zentralbankentwicklung 0000000000 80 a) Frankreich: Vom Emissionsprivileg zur staatlichen Kreditgeldsteuerungszentrale 000000000000000000000000000000000000000000 81 b) Deutschland: Die Zentralbank als weisungsunabhängige Staatsanstalt o0 000000000000........ .. .... .... . 0000000. 00000. 0... 000 100 6o "Bank der Banken" im Übergangszustand 0000000. 00. 000. 0.. 0000 119 a) Das alte Recht reicht nicht mehr aus 00000000000000000000000000 121 b) Das neue Recht bleibt imperfekt ... . 0. ..... 00. 00..... . 0... 0. . 131
C. Versachlichung der Geldpolitik als Voraussetzung der Zentralbankautonomie .•.. 0... 0. . 00. 000.... .. . ... ..... 0... .. .. . 000. 0.. 0000000. 146 7. Stellung und Aufgabe von Zentralbanken und Sachlichkeit . 00. 00 a) Die Sache d er Zentralbanken im Goldwährungssystem . 00000. 0 b) Die Sache von Zentralbanken unter dem Gold-Devisen-Standard .. 0.. 0........ 00.. . . 0............................ 0000000 80 Versuche, die Kreditgeld-Steuerung zu funktionalisieren 00. 0.... a) Wa r enreservewährun g 000000. 0. 0000000. . 00000. 0000000. .. . 00. b) Indexwährung 0. 0. 0000... 0. 0... . .. 0. 00. . 0. 0.. 0. 000000. 000000 c) Orientierung am Produktivitätszuwachs . 0... 000. 0.. 0.. 000000
149 149 158 167 168 172 184
9o Das e inzig Sa chliche: Geld als kollektives Grundrecht sta tt st aatlicher Daseinsvorsorge . . . o.. o.. o0...... .... .. 0. 0000000. 00000000 195 D. Die politischen Gewalten und der Geldmechanismus 0. 0. 00. 0. 0000000 215 100 Interessen ten u n d Sachverständige b ei der Bestimmung d er Währungsziele . 0. . 0. .. . 0. 0. 0. .. . ..... 0. 0. 0. 0. 00000. 00. 0... 000000000 218
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Inhalt 11. Die Verfahren zur politischen Bestimmung der Geldmechanik . .. . 234 12. Elemente von Weisungsabhängigkeit der Deutschen Bundesbank 251
E. Die Zentralbank im Spannungsfeld zwischen Gewalten und Funlttionen .. ........ .. .. ... ...... . .. .... . . .... . . ... . . .. ............ ... 263 13. Eigentumsschutz als Gesetz und Geldwertsicherung als Planziel .. 265 a) Die Tauschwertbildung von Kreditgeld im Markte . . . . . . . . . . . . 265 b) Die Garantierbarkeit von konkretem Eigentum und von Geld-. werten .............. . .... . ........... . . .. .......... . . .... .. 274 14. Planvolle und planlose Geldsteuerung ... . .................. . ... 286 a) Ein neuer Begriff von Gemeinwohl erfordert neue Formen der Sachlichkeit ..... ... . . ... . ..... ... .... ... ......... .. ..... ... 286 b) Die Verschmelzung von Zentralbank und Souverän zum "technischen Staat" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 15. Trennung von Politik und Technik im Kreditgeldwesen ...... .. .. 304 a) Ist die Trennung überhaupt möglich? .. . . . ............ . .. . ... 305 b) Ansätze zur Entwicklung der Regeln für eine "Neue Sachlichkeit" .... . . ... . .. .... . ........... .. .... . . ......... .. ...... . . 318
F. Souveränität, Liquidität und Legalität ......... . .......... . ..... . . . 325 16. Politiker, Sachverständiger und Interessent im Kreditgeldwesen . . 327 17. Zusammenfassender Exkurs über Geldwertstabilität als politische Forderung und als Organisationsproblem ..... ......... .. . . . . ... 334
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
Die Fragestellung Die funktionelle Stellung von Zentralbanken im System einer Geldund Marktwirtschaft ist zwar von der nationalökonomischen Wissenschaft weitgehend begriffen und geklärt; ihr Ort im System der politischen Gewalten war aber bisher nicht mit derselben Eindeutigkeit bestimmbar. Infolgedessen konnten ihre Rechte und Pflichten innerhalb der Rechtsdogmatik nur unvollkommen erfaßt werden; und was für die Theorie gilt, gilt für die auf ihr aufbauende Praxis: Politische Ordnungen, die allesamt sich als parlamentarische Demokratien und Rechtsstaaten begreifen und sich in der einen oder anderen Form vom klassischen Prinzip der Gewaltentrennung herleiten, sind bei der Einfügung ihrer Zentralbanken in ihren Ordnungsrahmen zu durchaus verschiedenen, ja sich widersprechenden Ergebnissen gelangt. Das muß bei einem Institut, dessen grundlegende Bedeutung für das gesamte wirtschaftliche- und deshalb auch politische- System mindestens die theoretische Nationalökonomie festgestellt hat, erstaunen und ist denn auch zur Ursache ausgedehnter Erörterungen um Stellung und Aufgabe von Zentralbanken geworden, die von Wissenschaft und Praxis, von Gesetzgebung, Verwaltung, Privatwirtschaft und nicht zuletzt von den Zentralbankleitungen selbst angestrengt wurden. Die vorliegende Arbeit versucht, einen Beitrag zu diesen Erörterungen zu liefern, indem sie sich dem Thema mit einer bestimmten Erkenntnismethode nähert: der der Wissenschaft von der Politik. Sie nimmt die Ergebnisse der nationalökonomischen wie die der rechtswissenschaftlichen Forschung genau so als gegeben hin wie die ermittelten historischen Tatsachen und die erlassenen Gesetze und Verordnungen, bemüht sich aber, aus diesen Daten Folgerungen zu ziehen, welche zu einem systematischen Begreifen der Vorgänge führen können. Der Verfasser verzichtet an dieser Stelle darauf, die Systematik der politischen Begriffe, innerhalb derer sich die Untersuchung vollzieht, im Zusammenhang darzulegen. Sollten bei einem Vorhaben, das die innere Verknüpfung zwischen Geldwirtschaft und politischer Ordnung behandeln muß, greifbare und diskutierbare Ergebnisse erzielt werden, so durfte die Darstellung nicht mit erkenntnistheoretischen und geschichtsphilosophischen Rechtfertigungsversuchen belastet werden.
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Die Fragestellung
Der Gang der Untersuchung und Beweisführung erhält dadurch zuweilen einen scheinbar einseitig technischen, pragmatischen Charakter. Ursache dafür ist einmal das Erkenntnisobjekt "Geld", nach Georg Simmel "das Werkzeug schlechthin", zum anderen die angewandte Methode der Politischen Wissenschaft, welche sie als Organisationslehre begreift und deshalb institutionelle Probleme in den Vordergrund rückt. Trot:lldem stellt die Arbeit eine politische Studie über das Geldwesen dar und nicht eine Studie über Geldpolitik, schon gar nicht über Geldund Währungstechnik, für die der Autor nicht voll qualifiziert ist. Auch die 8cheinbar filigranartigen Analysen von Organisations- und Institutionsfragen haben immer die konkrete politische Lage - und das heißt: die Lage des Menschen- der Gegenwart zum Ausgangs- und Richtpunkt, selbst wenn erst in der Schlußzusammenfassung, die absichtlich auf wissenschaftliche Trennschärfe verzichtet, ausdrücklich brennende politische Probleme wie das des "Stabilen Geldwerts" in den Mittelpunkt gestellt werden. Behutsamkeit und "kleine Schritte" erfordert das Thema vor allem deshalb, weil auf jeden Fall der Eindruck vermieden werden muß, hier würden geldreformerische Ziele verfolgt. Selbst die radikaleren unter den großen politischen Gruppen der westlichen Welt haben den Glauben aufgegeben, daß monetäre Tricks der Menschheit irdisches Heil zu bringen vermögen, ein Glaube, der dem Geldwesen so viele Sekten wie den Religionen beschert hat. Statt dessen wird immer deutlicher erkannt, ein wie empfindlicher Mechanismus das scheinbar so rationale Geldwesen moderner Industrie-Gesellschaften ist, und wie viele blutende Traditionen man den blutenden Grenzen hinzufügen würde, wenn man aus dem Kopf, und nur aus dem Kopf, ein Geldsystem entwirft.
A. Währungshoheit und Kreditgeld Daß ein souveräner Staat die Währungshoheit besitzt, ist seit dem Aufkommen des Staatsbegriffs überhaupt Grundüberzeugung der Staatslehre und auch in praxi unbestritten. Die Entwicklung eines geordneten, zentralisierten Münzwesens hing eng mit der Entwicklung zu systematisch und zentral geordneten, geschlossenen Territorialeinheiten zusammen; und nur auf solche ist der Begriff "Staat" anwendbar, auch wenn diese politische Einheit in sich föderal organisiert wurde. "Schrift und Münze halten die Völker zusammen" konnte ein Historiker am Ende des 19. Jahrhunderts sagen1 ; es hat Zeiten gegeben, in denen fast das einzige, was von einem debellierten Staat übrig blieb, das "Währungsgebiet" war2 ; und ein zerrüttetes Währungswesen hat nicht nur Regierungsstürze, sondern sogar Staatsumbildungen und Ausnahmezustände verursacht3 • Jedoch ist weniger klar, was die Währungshoheit eigentlich bedeutet, welche inhaltlichen Rechte aus ihr abzuleiten sind. Eine präzise Bestimmung dieses Hoheitsrechts fällt um so schwerer, sobald von einer reinen Metallwährung zu einer Kreditwährung übergegangen wird, welche keinesfalls Staatspapiergeld zu bedeuten braucht. Eine präzise Bestimmung des Inhalts der Währungshoheit ist aber deshalb so dringend erforderlich, weil es mindestens dieses Hoheits1
Mommsen, zit. in: Gerloff: Geld und Gesellschaft, Frankfurt/Main 1952,
s. 271.
2 So waren z. B. die Verordnungen der Alliierten Militärbehörden in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg auf das Währungsgebiet beschränkt, was zu Schwierigkeiten führte, wenn es sich um Teile des alten Reichsgebietes handelte, die als Enklaven inmitten fremdstaatlichen Territoriums lagen und die Währung dieses Fremdstaates benutzten (mitgeteilt von Prof. Schneider, Heidelberg). 3 Über die Situation im Deutschen Reich 1923, Schacht: Die Stabilisierung der Mark, Stuttgart-Berlin-Leipzig 1927, S. 53: "Plünderungen und Revolten waren an der Tagesordnung, so daß das Reich schließlich, um den sozialen Gefahren zu begegnen, die der Markverfall herbeigeführt hatte, am 27. September 1923 den Ausnahmezustand verhängte." - Über den Druck, den die vollziehende Militärgewalt im Ausnahmezustand einer Hyperinflation zum Zustandekommen einer Währungsreform ausgeübt hat, vgl. die Denkschrift des Reichswehrministers über den militärischen Ausnahmezustand, Nr. 349.24 pers. I 1 III, v. 12. 8. 1924 (gedruckt im Reichswehrministerium).
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A. Währungshoheit und Kreditgeld
recht ist, mit dem die politische Organisation "Staat" legitim in die wirtschaftliche Organisation "Markt" eingreifen darf und soll. 1. Knapp's Staatliche Theorie des Geldes als Theorie
des Ausnahmezustands
Staat und Geldsystem des späten 19. Jahrhunderts, nämlich Rechtsstaat und Metallwährung, waren im Prinzip marktkonform4 • Daran änderte auch nichts, daß der Staat, sich aus dem ihm von jeher zustehenden Münzregal legitimierend, Währungsmetall und Währungseinheit bestimmte. Auch das neben der Metallwährung existierende Kreditgeld privater Banken brach nicht mit dem Prinzip der Marktkonformität. Mit Hilfe des "metrischen Monopols" über das Geld tat der Staat allerdings etwas, das ihm bei allen anderen Waren, Preisen und Leistungen der Marktwirtschaft prinzipiell nicht zustehen sollte: er "fixierte einen Preis", eben den Preis einer bestimmten Menge des Währungsmetalles, zuletzt meist des Goldes. Unseres Wissens ist dies die einzige konkrete Güter- oder Leistungsmenge, die im klassischen Rechtsstaat legitim in Gesetzesform auftauchen kann, und zwar in Form eines streng allgemeinen, dauerhaften Normengesetzes, dem gegenüber das Budget nur ein solcher "Plan" ist, der keine Preise fixiert. Der oft noch daneben als konkrete "Preisfixierung" zu verzeichnende Fürsorgerichtsatz wirkt demgegenüber wie ein Überhang aus den Zeiten des Kameralismus. Aber ein bloß metrisches Monopol - im Gegensatz zu einem "ökonomischen Monopol" -bleibt marktkonform; so sagt Miksch: "Denn dabei handelt es sich nur um eine zentrale Durchgangsstelle, die ähnlich wie das allgemeine Wettbewerbsrecht oder wie ein einheitliches Maßund Gewichtssystem die Erfüllung bestimmter technisch-formaler Ansprüche erzwingt, während innerhalb dieses Rahmens die ökonomisch relevanten Entscheidungen von der großen Zahl der unabhängigen Verkehrsbeteiligten getroffen werden" 5 , und Stackelberg formuliert: "Nur in einem Sonderfall ist (die obrigkeitliche Festlegung von Frei4 Zum Begriff der Marktkonformität etwa Müller-Armack: Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft, Harnburg 1948, S. 93: "Wir können als marktgerecht alle jene wirtschaftspolitischen Maßnahmen bezeichnen, die die Funktion einer variabel gehandhabten Wirtschaftsrechnung nicht gefährden." 5 Miksch: Die Geldschöpfung in der Gleichgewichtstheorie, in: ORDO, Bd. 2, Bad Godesberg 1949, S. 309. - s. auch ders.: Die GeLdordnung der Zukunft, in Zeitschr. f. d. ges. Kreditwesen, Jg. 1948, S. 151. - Miksch unterscheidet ein ökonomisches Monopol (Marktform des Monopols), das die Geldschöpfung betrifft, von einem metrischen Monopol, das vereinbar mit vollständiger Konkurrenz bleibt.
1. Knapp's Staatliche Theorie des Geldes
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sen) systemgerecht: wenn es sich nämlich auf die Festlegung eines einzigen Preises beschränkt, so z. B. den Goldpreis in der Goldwährung" 6 • Ein metrisches Monopol leistet konkret folgendes: Eine bestimmte, durch die Technik des Wiegens und der Feingehaltbestimmung ermittelte Menge eines Metalls wird mit einem Namen belegt, in eine rechtlich fixierte Form gebracht, als Währungseinheit deklariert und für die Rechtsgenossen zum endgültigen Zahl- und Schuldentilgungsmittel erklärt. Daß dieses so geschaffene "definitive Kurantgeld" nicht nur als endgültiges, sondern auch als ausschließliches, in jedem Falle und bei jeder Art von Vertragserfüllung geltendes Zahl- und Tilgungsmittel befohlen wird, leistet die Bestimmung der Werteinheit nicht notwendig. Das bleibt nach wie vor den Privatverträgen überlassen. Die eigentliche Bedeutung dieser "Namengebung" und damit die Bedeutung der "Werteinheit" (Monetary Unit) ist juristisch immer schwer zu fassen gewesen. "Der Name einer Sache ist ihrer Natur ganz äußerlich" sagt Marx in diesem Zusammenhang7 ; uns scheint das nicht ganz zuzutreffen. Besonders klar zeigt schon das Gesetz vom 7. Germinal des Jahres XI (28. März 1803) "sur la fabrication et la verification des monnaies" - das Münzgesetz, das den berühmten "Franc Germinal" schuf- den Zusammenhang zwischen Namengebung und Werteinheit; die Formulierung lautet dort nämlich in der "Disposition Generale": "Cinq gram.mes d'argent, au titre de neuf dixiemes de fin, constitue l'unite monetaire, qui conserve le nom de franc 8 ." Gegen die Auffassung, daß die Währungshoheit durch die Definition der Währungseinheit nur einer Stoffmenge Namen und Form gibt, hat Georg Friedrich Knapp, seiner Theorie getreu, Einspruch erhoben und sich dabei ausdrücklich gegen die angeblich irrigen Überlegungen gewandt, die der erwähnten Franc-Definition zugrunde liegen9 • Seine Nachfolger sind dem gefolgt, so etwa Helfferich: "Historisch ist es falsch, die Geldeinheit als ein bestimmtes Quantum obrigkeitlich nach Feinheit und Gewicht beglaubigten Edelmetalles aufzufassen10." Wir meinen, daß diese Kritik nur in bestimmten Grenzen gilt, wobei wir einstweilen über die, von allen Kritikern Knapps gerügte, Ver6 Stackelberg: Möglichkeiten und Grenzen der Wirtschaftslenkung, in: ORDO, Bd. 2, Bad Godesberg 1949, S. 202. 7 Marx: Kapital, Bd. I, Berlin 1947, S. 106. Daß der Name etwas ganz Äußerliches sei, wird z. B. von Carl Schmitt bestritten: Nehmen, Teilen, Weiden, in: Verfassungsrechtliche Aufsätze, Berlin 1958. 8 s. Jeanneney et Perrot: Textes de Droit Economique et Social Fran!;ais, Paris 1957, S. 99. 9 Knapp: Staatliche Theorie des Geldes, Leipzig 1905, S. 305/6. 10 Helfferich: Das Geld, Leipzig 1910, S. 331.
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A. Währungshoheit und Kreditgeld
nachlässigung des ökonomischen Geldwerts Theorie hinwegsehen wollen.
durch die
Staatliche
a) Das Doppelgesicht der Knappsehen Theorie Mit dem Hoheitsakt der Bestimmung eines Währungsmetalles, des Festlegens des Metallgewichts der Grundmünze und der juristischen Proklamierung einer bestimmten Form (Morphe) geschieht noch nicht ein systemfremder Eingriff in den Markt, soweit und solange zwei Grundbedingungen erfüllt bleiben, die "den Markt in der Währung lassen" und "den Staat im Gesetz gefangen halten": freie Ausprägbarkeit eines Metalles, das bereits als Geld im Gebrauch befindlich ist, und Bindung des Währungssouveräns an den einmal fixierten Metall"preis". Was geschieht, ist lediglich dann 1. die staatliche Sanktionierung einer bereits auf einem außerstaatlichen Markt, etwa einem Weltmarkt, als Geld geltenden Metall"ware", und 2. die Benennung und Ausformung einer bestimmten Gewichtseinheit dieses Metalls mit einem Namen und zu einer Münze. Der Staat übernimmt in diesem Falle passiv ein bestehendes Geldsystem und paßt es als Währung in seinen Ordnungsrahmen ein. Passiv, im Sinne von: in der souveränen Entscheidungsfreiheit beschränkt, verhält sich ein Staat selbst da, wo er scheinbar dezisionistisch eine neue Metallwährung proklamiert, denn ein solches Dekret bleibt rein formal, solange das neue Metall nicht im Umlauf war oder als Deckung für Kreditgeld diente und der Staat es selbst nicht beschaffen und zur Verfügung stellen kann. Hier ist die Souveränität eben durch technische, stoffliche Grenzen beschränkt11. Die Preise der im staatlichen Rechtsraum gehandelten und hergestellten Güter und Leistungen werden hinfort mit dem Namen der Währungseinheit ausgedrückt und bezahlt oder, bei Trennung von Währungseinheit und Zahlmittel, in der einen ausgedrückt, in dem anderen bezahlt. Sie bleiben aber "freie" Preise; die Werteinheit ist nur "metrisch" fixiert; ihre ökonomische Funktion bleibt dem Markte überlassen, aus dem sie auch stammt. Das Warenpreisniveau hängt somit von der Knappheit oder Reichlichkeit des Münzmetalls innerhalb und außerhalb der Grenzen des Rechtsraums des Staates ab ; letztlich vom Spiel des Weltmarkts und 11 z. B. wurde der übergang zur GoLdwährung 1871 im Deutschen Reich wesentlich durch die französische Kriegsentschädigung erleichtert, die zur Beschaffung des nötigen Münzmetalls beitrug. Dazu Stucken: Deutsche Geld- und Kreditpolitik, Tübingen 1953, S. 2; und v. Mises: Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel, München u. Leipzig 1912, S. 64.
1. Knapp's Staatliche Theorie des Geldes
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des Außenhandels. Entsprechend schwankten auch die Preise - und Einkommen - in den nationalen Währungsräumen des 19. Jahrhunderts meist langfristig mit den Weltmarktbewegungen12 • Aber das wurde damals nicht erst vom Staat, sondern bereits von der gesamten "freien" Wirtschaftsgesellschaft hingenommen und sogar bejaht; garantierte diese Bindung der Preise und des Volkseinkommens an das Gold doch gerade die freie Austauschbarkeit von Geld, Kapital, Gütern und Leistungen auch über die Staatsgrenzen hinweg. Der freie Welthandel erforderte ein "Weltgeld"; "die restriktive Goldwährungspolitik und die Ausgestaltung eines weltweiten Freihandels waren so durchaus Korrelate" sagt Müller-Armack13 • Und Wilhelm Röpke betont, daß "durch die Anwendung des Prinzips der Entpolitisierung aufs Geldwesen es gelungen (sei), eine wirklich internationale Währungsordnung ins Leben zu rufen"; "die feste und freie Koppelung (des Geldes an das Gold, d. Verf.) zwang die Nationalregierungen durch Währungsgesetze zu einem undiskutierbaren Dauerzustand" 14 • Die Verpflichtungen der Goldwährung sieht Röpke richtig als einen Teil des "ordre public" des Weltmarktes; er und andere beschwören dies Ideal noch heute. Ein metrisches Monopol ist also solange nicht marktschädlich, als ein Staat an freier Ausprägbarkeit, einschließlich freier Ein- und Ausfuhr, des Währungsmetalls ebenso festhält wie an Freiheit aller Güter- und Leistungspreise, und als die Gesetzgebung an dem einmal fixierten Metall-Mengen-Preis als Definition der Währungseinheit sowie der stofflichen Grundlage der Einheitsmünze festhält. Schon Marx hat diese Rechts- und Gesetzeskontinuität als die Grundlage des angeblichen "Goldmechanismus" oder "Goldautomatismus" gekannt15 ; später wurde dann diese rechtliche Grundlage der Goldautomatik zuweilen übersehen. So sagt Lutz: "Jahrhundertelang wurde das Geld durch den Staat geschaffen, der es in Form geprägter Münzen in den Verkehr brachte. Nach welchen Prinzipien er dies tat, ist gleichgültig. Ob er bestimmte, daß alles, was seiner Münze von einem bestimmten Metall angeboten wurde, zu Geld ausgeprägt werden solle oder ob er andere Regeln befolgte, interessiert hier nicht . . . Im 12 Dazu etwa Hansen: Monetary Theory and Fiscal Policy, New YorkToronto-London 1949, S.187; Dupriez: Central Banking Policy and Long Trends in Prices, in Money, Trade, and Economic Growth, Festschrift für Williams, New York 1951; Veit: Wandlungen des Geldwertes, in: Der Wert unseres Geldes, Frankfurt/Main 1958, S. 177 ff. 13 Mii.ller-Armack, a.a.O., S. 134. 14 Röpke: Wirtschaftssystem und Internationale Ordnung, Prolegomena, in: ORDO, Bd. 4, Bad Godesberg 1951, S. 273/4. 15 Marx: Kapital, a.a.O., Bd. I, S. 103.
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A. Währungshoheit und Kreditgeld
19. Jahrhundert hat sich das grundlegend geändert ... "16; - nun erwartet man, es würde folgen: es wurde im 19. Jahrhundert interessant, nach welchen Prinzipien Geld geschaffen wurde, aber Lutz behandelt daran anschließend den privaten Charakter der Notenbanken. Die "freie" Prägung des Geldes an einer staatlichen Münze, die unter streng allgemeinen, dauerhaften Normengesetzen stand, garantierte gerade die Marktkonformität der Währungsverfassung und war somit sehr bedeutsam. Durch diese Rechtskonstruktion wurde nämlich die Produktion der zugrundeliegenden Geld"ware", meist: des Goldes, dem freien Marktverkehr der Privaten und der Konkurrenz überlassen; das Geld und die Geldproduktion unterlagen damit denselben, nur formalen, Bindungen durch allgemeine Normengesetze wie alle anderen Waren und Leistungen. Diese Regelung durch allgemeine Normengesetze gilt aber noch heute als Grundlage eines bestimmten, rein staatsfreien Wirtschaftsprinzips und des mit ihm korrespondierenden Rechtsstaats. So verlangte noch 1953 Friedrich Hayek "allgemeine Rechtsregeln" und nicht "die auf Zweckmäßigkeitserwägungen und daher notwendig auf Ermessen begründete Verwaltungsentscheidung: die besonderen Befehle oder Verbote an bestimmte Personen, die ihrer Natur nach unvoraussehbar sind . .. Das Funktionieren der Marktwirtschaft verlangt, daß wirklich vermeidbare Ungewißheit auf ein Minimum herabgesetzt wird ... Der Staat muß sich an allgemeine Regeln binden, und nicht selbst die Ziele der Wirtschaft bestimmen, so daß ... die Einzelnen die Maschine des Staates für ihre Zwecke verwenden können. Das aber ist gerade das Wesen der freien Wirtschaftsordnung" 17• Und ein deutscher Landeszentralb:ankpräsident bemerkt in einer Besprechung von Hayeks "Weg zur Knechtschaft": "Wie viele Menschen sind sich denn wirklich klar darüber, daß in der Unterscheidung zwischen formalen und materiellen Rechtsnormen die Frage: Rechtsstaat oder nicht? beschlossen liegt?" 18 • Die einmalige, dauerhafte Setzung der Währungseinheit war eine solche "allgemeine Rechtsregel", und der so definierte "Geldnominalismus" ist also ein Teil der Ordnung durch allgemeine Normengesetze, damit ein Teil von Rechtsstaat und Marktwirtschaft. Der jeweilige "Fall" von Goldimport, Goldexport, Münzprägung - und sogar: Noteneinlösung - konnte sich jederzeit rechtssicher unter das Gesetz 16 Lutz: Das Grundproblem der Geldverfassung, Stuttgart u. Berlin o. J. (1936), s. 2. 17 Hayek: Marktwirtschaft und Wirtschaftspolitik, in: ORDO, Bd. 6, Bad Godesberg 1954, S. 9. - Hayek bekennt jedoch selbst, daß das "Theorie" sei (S. 5). 18 Irmler, in: ORDO, Bd. 2, Bad Godesberg 1949, S. 339.
1. Knapp's Staatliche Theorie des Geldes
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"subsumieren". Die Geldproduktion- hier: Metallproduktion- blieb dem freien Wettbewerb des Marktes überlassen. Der Staat gab nur sein Siegel als Garantie für Feinheit und Gewicht. Dieser Geldnominalismus bedeutet also eine technische Vervollkommnung des Geldverkehrs durch die staatliche Gesetzgebung; es wird mit staatlich beglaubigten Metallmengen gezahlt, nicht mehr ist- wie beim pensatorisehen Warengeld - ein Abwiegen oder Abzählen bei jedem Zahlungsakt erforderlich. In diesem Sinne war der Geldnominalismus schon vor Knapp den Juristen geläufig19, Allerdings hat auch diese Form des Geldnominalismus: die dauerhafte Definition eines gesetzlichen Zahlmittels, eine über das rein Formale hinausgehende rechtspolitische Bedeutung: Der Gesetzgeber bindet dadurch die Kategorie des Vermögens in einer losen Form an die staatliche Hoheit (nicht nur die Kategorie der Schrulden und Forderungen, wie Knapp meinte). Und zwar wird das Vermögen - in der noch zu erörternden losen Form - von der staatlichen Hoheit potentiell abhängig, indem diese es positiv legalisiert. Damit ist gemeint: Vermögenswerte müssen hinfort in der gesetzlich fixierten Werteinheit ausgedrückt und berechnet werden, und Zahlungen und Schuldtilgungen erfolgen mit dem gesetzlichen ZahlmitteL Die juristischen Definitionen des Geldes stellen meist auf diese Wirkung ab, z. B. die von Helfferich: "Geld im Rechtssinne ist in einem jeden Staatsgebiete die Gesamtheit derjenigen Gegenstände, die von der Rechtsordnung in der ordentlichen Bestimmung, die Übertragung von Vermögenswerten von Person zu Person zu vermitteln, anerkannt sind20." Das Vermögen wird also durch die juristische Definition einer Währungseinheit näher an den Staat herangerückt, während das Eigentum weiter von Staat und Herrschaft wegrückt, indem es negativ legalisiert wird, d. h. zum schutzwürdigen Privateigentum erklärt wird. Vermögensbesitzer und Eigentümer stehen nun etwa gleich weit vom Staat entfernt: der eine vom Gesetz erfaßt, der andere vom Gesetz geschützt. Der Vermögensbesitzer - auch der Schuldner und Gläubiger wird also potentiell der staatlichen Hoheit ausgeliefert, nachdem er l9- F. A. Mann: The Legal Aspect of Money, Oxford 1953, S. 12/13, spendet Knapp und Max Weber Lob, bemerkt aber, daß Knapps juristische Theorie des Geldes (obwohl es kein juristisches Werk sein sollte) den Juristen nichts Neues brachte: "The State theory of money is the necessary consequence of the sovereign power of the monopoly over currency, which over a lang period of history the State succeeded in assuming and which modern constitutional law almost invariably establishes." 20 Helfferich, a.a.O., S. 287. s. auch die Gelddefinition des Reichsgerichts (RGStr. LXXXVIII, 255, 256 v. 11. 7. 1924).
2 Amdt
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A. Währungshoheit und Kreditgeld
als Besitzer von in Geld ausgedrückten Marktwerten schon immer dem Funktionsmechanismus des Marktes ausgeliefert war und bleibt. Die staatliche Eingriffsmöglichkeit bleibt aber eine potentielle und wird nicht realisiert, solange sich der Staat durch das dauerhafte Gesetz des Nominalismus gebunden fühlt. Weiterhin ist die Koppelung von Geld und Vermögen an den Staat nur eine lose. Denn der Nominalismus ist ursprünglich, was viele Juristen bekümmert, keine staatlich-hoheitliche, öffentlich-rechtliche, zwingende, streng ausschließlich bindende Einrichtung, sondern beruht letztens doch auf der privaten Vertragsfreibeit21. Er bleibt dispositiv, solange durch den Annahmezwang das gesetzliche Zahlmittel nicht gleichzeitig zum ausschließlichen Zahlmittel erklärt wird. Solange das nicht geschieht, steht es den privaten Vertragschließenden frei, sich jeden anderen Zahlmittels, bis hin zum Sachtausch, zu bedienen. Nur in den Fällen, wo ein Vertrag die Tilgungs- oder Zahlungsart nicht spezifiziert hat, schiebt sich der Geldnominalismus als subsidiäres Prinzip ein. Selbst Knapp sah das und durchbrach damit - in einem Nebensatz - seine Staatliche Theorie des Geldes ganz erheblich: da nominelle und lytrische (auf das Zahlmittel lautende) Schulden oft nicht zu unterscheiden seien, führe der Staat die "Präsumption" ein, daß, wo eine besondere Klausel (ähnlich einer Wertsicherungsklausel) fehle, man es mit Nominalschulden zu tun habe22• Nur in wenigen Fällen schreibt die Gesetzgebung im Bürgerlichen oder Öffentlichen Recht bindend und ausschließlich den Gebrauch des gesetzlichen Zahlmittels vor. Neben den Steuerzahlungen ist das vor allem bei Lohnzahlungen der Fall, als Sicherung gegen das sogenannte "Truck"-8ystem23. Ein Gegner Knapps, Gerloff, sieht denn auch die Festlegung des "Nennwerts" des Geldes durch Rechtsetzung und Rechtsprechung als ein bloßes "Faktum", dem eine gesellschaftliche Theorie des Geldes 21 Darüber äußert sich mit Erstaunen der Jurist und Anhänger der Staatlichen Theorie F. A. Ma.nn, a.a.O., S. 66---70, 119; dort eine wenig überzeugende Auseinandersetzung mit Eckstein: Geldschuld und Geldwert, Berlin 1932. - Der Jurist Nussbaum: Money in the Law, Brooklyn 1950, kann über diesen scheinbaren Widerspruch leichter hinwegkommen: S . 17, und Book I, Chapter 2: Debts. 22 Knapp, a.a.O., S.17. 23 Als Recheneinheit ist das gesetzliche Zahlmittel vorgeschrieben für das Grundbuch, die kaufmännische Buchführung, das Grund- und Stammkapital der Kapitalgesellschaften. Dazu Helfferich, a .a .O., S. 283/84, S. 301 ; und von Caemmerer: Referat auf dem 40. Deutschen Juristentag, Wirtschaftliche Abteilung: Empfehlen sich gesetzliche Bestimmungen über die Wertsicherung? Tübingen 1954, S. D 13.
1.
Knapp's Staatliche Theorie des Geldes
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nur "Rechnung zu tragen hat"24, Solange das gesetzliche Zahlmittel nicht zum ausschließlichen erklärt worden ist - und das geschieht keinesfalls schon durch die Erklärung von "Zwangskurs" und Annah.mezwang z. B. für bestimmte Banknoten -, können Private Verträge schließen, die Zahlung in fremder Währung oder in durch Bindung an fremde Währungen oder an Gold- und Sachwertklauseln "wertgesicherter" eigener Währung vorsehen25 • Index- und Sachwertsicherungsklauseln bedeuten hierbei praktisch ein Abgehen von der reinen funktionellen Geldrechnung und eine Annäherung an den konkreten Sachtausch, also eine Art Flucht in die Sachwerte. Um das Problem der Ausschließlichkeit des gesetzlichen Zahlmittels und der Zulässigkeit von Gold- oder sonstigen Wertsicherungsklauseln gibt es seit langem erbitterte Debatten. Es geht hier letztlich um die Stringenz des Rechtszwanges beim nominalistischen Prinzip. Nur wenige Staaten vertreten den Ausschließlichkeitsanspruch. In Frankreich enthält der Code Napoleon den Paragraphen 1895, der als solcher ausgelegt werden könnte und zuweilen ausgelegt wurde; doch haben andererseits Vertragsparteien und Gerichte komplizierte Rechtsumwege konstruiert, um die "freie" Wahl des Zahlmittels in Privatverträgen offenzuhalten. Erst seit 1958 wurde die seit Jahrzehnten anwachsende Flut von Indexverträgen, indexierten Wertpapieren und Pachten durch Regierungserlaß eingedänunt; doch hatte sich die Regierung selbst mit Indexemissionen staatseigener Betriebe und mit auf Gold indexierten Anleihen daran beteiligt26, Die Bundesrepublik - ein Teil des inflationsverängstigten Deutschland - vertritt einen weitgehenden Ausschließlichkeitsanspruch. Das Bundesbankgesetz von 1957 bestimmt in seinem Paragraphen 14 Zentralbanknoten als "das einzige unbeschränkte gesetzliche Zahlungsmittel"; Paragraph 35 verbietet unter Androhung von Gefängnisstrafen das unbefugte Ausgeben von Geldzeichen (Marken, Münzen usw.), "auch wenn ihre Wertbezeichnung nicht auf Deutsche Mark 24 25
Gerloff, a.a.O., S. 180, 184, 185. Helfferich, a.a.O., S. 338: "Wir haben also prinzipiell die Möglichkeit
anzuerkennen, daß Vertragsabreden die Wirkung künftiger Änderungen der Münzgesetzgebung auszuschließen vormögen." - Ungenau formuliert bei Strickrodt: Die Finanzordnung als Lebensbasis der arbeitsteiligen Wirtschaft, Vortrag, Karsruher Vers.Woche, 29. 4. 1955; er sagt zu den Indexverträgen während der Hochinflation 1923: "An solche und ähnliche Verträge hat sich damals jeder gebunden gehalten, damit die Währung im bürgerlichen Recht begründend, als das Staatsrecht diese preisgegeben hatte." Eine ausschließliche, zwingende Fundierung der Währung im Staatsrecht war damals nicht gegeben. 26 Dazu das Sonderheft der Revue Economique, Nr. 2, März 1955: La Pratique de L'Indexation en France, und Jeanneney: Forces et Faiblesses de L'Economie FranQaise, Paris 195-6, S. 244, der die Indexklauseln ein "antidote de la defiance envers la monnaie" nennt. 2*
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lautet" 27• Dazu setzt der Art. 3 des (alliierten) Währungsgesetzes von 1948 ein strenges Wertsicherungsklausel-Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Die Erlaubnis - merkwürdigerweise von der Bundes"bank" zu erteilen - wurde mit zunehmender Stabilisierung der Deutschen Mark großzügiger gegeben, außerdem wurde und wird das Verbot durch geschickt formulierte Verträge nicht selten umgangen. Der Wunsch, den Art. 3 abzuschaffen oder ab:uuändern, ist wiederholt geäußert worden2s. Oft haben außergewöhnlich strenge Wertsicherungsverbote der Legislative oder Exekutive dazu geführt, daß die Gerichte mildere Urteile fällten und damit den Ausschließlichkeitsanspruch des staatlich legalisierten Geldes durchbrachen; umgekehrt erwiesen sich selbst die geschicktesten Wertsicherungen in Ausnahmesituationen immer wieder als unhaltbar, so erklärte das Deutsche Reich nach 1933 sukzessive alle Indexklauseln für nichtig29, Als Kuriosum sei vermerkt, daß das Allgemeine Preußische Landrecht - zu noch "absolutistisch" zu nennenden Zeiten - in seinem Paragraphen 785 eine Vorschrift kannte: "Ist seit der Zeit des gegebenen Darlehens der Münzfuß verändert worden, so bestimmt das Verhältnis des alten gegen den zur Zeit der Rückzahlung bestehenden Münzfuß die Verbindlichkeit des Schuldners30." Das Geld z,um ausschließlichen Instrument jeder Vertragserfüllung im strengsten Sinne, gleichsam zur Öffentlichen Sache zu machen, ist noch keinem Staat gelungen und wohl auch eine Utopie. Als letzter Ausweg bei striktestem Zahlungszwang bleibt immer noch der Naturaltausch, und den kann man den Privaten schwerlich verbieten. Dieser durchbricht selbst in Form Schwarzer Märkte die wesentlich schärfere Form staatlicher Wirtschaftserfassung durch ein Bezugscheinsystem, das 1910 noch Heljfferich anfechtbar erschien: "Ein stärkerer Eingriff in die wirtschaftliche Freiheit, wie ein Verbot an die Verkäufer, ihre Waren gegen ein anderes als gegen das vom Staate bezeichnete Gut abzulassen, ließ sich kaum ausdenken31." Helfferich verband mit staatlich bezeichnetem Geld noch den Begriff der wirtschaftlichen Freiheit, und selbst der Vater der "Staatlichen Theorie des Geldes", Knapp, war in Wirklichkeit, wie sein Gegner Ger27 Gesetz über die Deutsche Bundesbank v. 26. Juli 1957, BGBl. Teil I, Nr.33. 28 s. dal'lU Beschluß d es 40. Deutschen Juristentages, a.a.O.; und Die Illusion der Indexmark, in: Ztschr. f. d. ges. Kred.Wes., Jg. 1957, S. 371. 29 Dazu s. die ausgedehnten Auseinandersetzungen mit dem Wertsicherungsproblem bei Mann und Nussbaum, a .a.O., passim. 30 s. HeLfferi ch, a.a.O., S. 342. Eine solche Klausel macht jede Aboder Aufwer tung unwirksam. 31 Helfferich, a.a.O., S. 300.
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laff mit Recht bemerkt, nur der Begründer einer "Theorie des Staatlichen Geldes"32 • Schon gegenüber der Banknote, selbst der Zentralbanknote, verstand er sein System nicht mehr recht anzuwenden und ergänzte sein Werk um einen Paragraphen, in dem er sie als Privatgeld behandelt. Er definiert sie weiter in klassischer Manier als bloßes Zahlungsversprechen und fügt, auf das Beispiel Österreichs verweisend, hinzu, nach Aufhebung der Einlösungsverpflichtung in KurantMetall-Geld sei sie nur noch ein "unwirksames Zahlungsversprechen". Selbst die Unterschrift auf einer einlösbaren Banknote bewiese "höch· stens, daß die Banknote als Zahlungsversprechen gemeint war, als man sie ausstellte"33, Diese Bemerkung beweist, wie wenig Respekt Georg Friedrich Knapp vor der Gesetzesnorm und deren Erz:wingung hatte, er, der das Geld "nicht als Schöpfung der Jurisprudenz, sondern der rechtsbildenden Tätigkeit des Staates" ansehen wollte, und der es "überhaupt als ganz verkehrt" bezeichnete, "in einer so verwickelten Sache wie unser Geldwesen es ist, noch mit dem Gewohnheitsrecht zu arbeiten, dessen Zeiten längst vorbei sind" 34 .
Zumindest das Geld der "Goldenen Zeit" war aber im Prinzip eine Schöpfung der privaten Marktwirtschaft, welchen Namen der Staat ihm auch immer gab, und von Privatkreditverboten und Barkassenbegrenzungen, wie sie heute im Sowjetblock gelten, ebenso weit entfernt wie von Währungsreformen der Zeit nach 1918 und von fürstlichen Münzverschlechterungen und Münzaufrufen der Zeit von vor 178935• Wenn Unruhe über Knapps "Staatliche Theorie" entstand, so deshalb, weil Knapp sie selbst so angelegt hatte, daß sie Änderungen der Währungseinheit durch staatliches Gesetz oder durch Erlaß nicht nur mit einschloß, sondern geradezu auf solchen Änderungen als Grundlage aufbaute. Nicht mehr die durch staatliches Gesetz ein für allemal mit einem Namen belegte Metallmenge sollte die Währungseinheit bestimmen, sondern der Akt der staatlichen Setzung und Formung sollte es sein, der die Währung schuf. "Wenn nun die Rechtsordnung einen Namen für die Werteinheit schafft ... und diesen Namen rekurrent definiert, so steht durchaus nichts im Wege, dem morphischen Zahlungsmittel eine Geltung als Werteinheit beizulegen, die nicht durch Wägung gefunden wird, sondern durch Gebot. Beim Morphismus ist also noch ein anderer Weg offen außer dem pensatorischen: die Gel32 33 34
Gerloff, a.a.O., S. 187. Knapp, a.a.O., S. 119 ff. Knapp, a.a.O., S. 33, 69.
Zu Münzverschlechterungen s. vom Standpunkt des Numismatikers her die kenntnisreiche Studie von Gaettens: Inflationen, München 1955. 35
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tung kann proklamatorisch sein36." Mit diesem Satz hat Knapp den Geldnominalismus der oben geschilderten Art verlassen; bei einem solchen Handeln des Staates kann auch ein metrisches Monopol marktunkonform werden. Veit sagt denn auch richtig: "Der Staat als Geldmonopolist kann die Neutralität des Geldes ebenso verletzen bei einem metrischen Monopol, indem er den Münzfuß verändert, wie beim ökonomischen Monopol der Geldschöpfung, indem er die Grenzen des marktmäßigen Gleichgewichts mißachtet87." Wenn ein bloßer freier Akt der staatlichen Setzung darüber entscheidet, was als Geld gelten soll, so ist es demgegenüber zweitrangig, aus welchem Stoff Geld besteht oder durch welches Verfahren es geschaffen wird. Den stofflichen Waren-Charakter eines Metallgeldes wollte denn Knapp auch nur als "Pfand" bei Staatsuntergang ansehen, und er spricht von dem "tröstenden Anblick des valutarischen Bargeldes, den die Leute genießen"38. Die Staatliche Theorie will also nicht nur ein Waren-(Metall-)Geld erklären, sondern jede Art von Papiergeld, einschließlich Kreditgeld und Staatspapiergeld. Insofern ist, vom Standpunkt des Rechtsstaates und seines Gesetzesnormativismus her betrachtet, Knapps Theorie eine Theorie über die Ausnahmezustände. Knapp hat das auch gesehen: "Es handelt sich hier nicht um das, was in den meisten Fällen geschieht und in nur wenigen Fällen nicht geschieht; sondern es handelt sich um das Wesen der Sache, es handelt sich um die wirklich allgemeine Formulierung, die nicht Ausnahmen, sondern nur besondere Fälle zuläßt"; und: "Eine Theorie muß auf die Spitze getrieben werden, sonst ist sie ganz wertlos"; deshalb: "Der Nominalismus der Schulden besteht nicht etwa darin, daß der Staat das Zahlungsmittel mehr oder weniger häufig ändert, sondern darin, daß er eine solche Änderung grundsätzlich für möglich erklärt39." Was Knapp hier als Staatskonstruktion voraussetzt, ist kein Rechtsstaat mehr, der mit allgemeinen, dauernden Normengesetzen eine Marktwirtschaft regelt, sondern ein "dezisionistischer" oder positivistischer Herrschaftsstaat. Jeder Anhänger des Rechtsstaatsprinzips, der allgemeine Normengesetze als wesentlich ansieht, ist so unruhig geworden, wie es die Nationalökonomen wurden, als die "Staatliche Theorie" ihnen mitteilte, es sei der Souveränität des Gesetzgebers im Knapp, a.a.O., S. 25. ar Veit: Pecunia in ordine rerum, in: ORDO, Bd. 6, Bad Godesberg 1954, S. 76, Anm. Zit. v. F. W. Meyer. - Diese Anmerkung ist beim Wiederabdruck des Aufsatzes, in: Der Wert unseres Geldes, a.a.O., weggelassen (S. 264). as Knapp, a.a.O., S. 21, 58, 269. 39 Knapp, a.a .O., S. 20, S. VII, S. 14. 36
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Prinzip unbenommen, die Rahmengesetze, auf denen alle Ordnung beruht, nach seinem Willen zu ändern. Man kann Knapps Geldauffassung nur kritisieren, indem man seine Staatsauffassung und deren Rechts- und Gesetzesbegriff in Frage stellt. Diesen Zusammenhang sieht selbst ein so "liberaler" Nationalökonom wie Ludwig v. Mises nicht genau: "Nicht der Staat, sondern die auf dem Markte Tauschenden in iihrer Gesamtheit schaffen Geld", sagt er richtig, fährt aber dann widerspruchsvoll fort: "aus sozialpolitischen oder fiskalischen Gründen" könne die Erklärung eines Objektes zum Zahlmittel zugelassen werden, "welches einen höheren oder geringeren Tauschwert hat als das der Parteienverabredung gemäß zu liefernde"; der Staat könne "den Verkehr unter gewissen Bedingungen zum Aufgeben einer Geldart und zur Annahme einer neuen ... veranlassen. Das ist alles"40. - Damit ist dem Staate aber schon viel, und wir meinen: dem marktkonformen Rechtsstaat zu viel konzediert. Knapps Staatliche Theorie des Geldes widerspricht in ihrer dezisionistischen Form dem Geldnominalismus in der Form eines allgemeinen, dauernden Normengesetzes. Sie widerspricht ihm ebenso, wie der klassische, aus dem Absolutismus abgeleitete Staatsbegriff mit seinem Attribut, der "Souveränität", dem Rechts"staat" widersprechen muß41 . Ein streng allgemeines Normengesetz wäre im Bereich der Herrschaftsmittel des klassischen Staates zugleich ein "letzter Befehl" ; mit seinem Erlaß verläßt der Souverän schweigend die Weltbühne und dankt ab; das nachfolgende Verwalten erfolgt durch Subsumtion der Rechtssubjekte unter die Norm; in diesem Sinne ist unter geltenden allgemeinen Gesetzen ("Rule of Law") nicht mehr "der Staat" souverän, sondern "das Gesetz". Analog dankte mit dem Erlaß eines Währungsgesetzes, etwa eines solchen, das eine bestimmte Goldmünze als Währungseinheit schafft, der Staat als Währungssouverän ab, hinfort ist das Gold "König"; "L'or n'est plus roi" betitelte denn auch Emile Rache, später Präsident des Wirtschaftsrats in der französischen IV. Republik, 1942 ein Buch, das die Schachtsehe Währungspolitik pries42• Otto Veit beschreibt die Rechtslage bei Goldwährung präzis v. Mises: Theorie des Geldes ..., a.a.O., S. 57--69. s. C. J. Friedrich: The New Belief in the Common Man, o. 0. 1945, S. 79: "Both ,state' and ,sovereignty' are symbols of totalitarian government (and) . . . fraught with implications that are incompatible . . . with democracy." - Anders Heller: Staatslehre, Leiden 1934, S. 246. - Dazu die Auseinandersetzung mit C. Schmitt von Schneider: Ausnahmezustand und Norm, Stuttgart 1957. 42 Rache: L'Or n'est plus Roi, Paris 1942, mit einer vorsichtigen Einleitung des früheren französischen Finanzministers und Ministerpräsidenten J. Caillaux. - J. M. Keynes antwortete 1924 auf die Frage, warum die Engländer, obwohl doch bekannt sei, daß der Goldwert durch die 40
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so: "Formal blieb die Autonomie der Währungspolitik als Souveränitätssache jedes teilnehmenden Landes unangetastet. Materiell war sie durch die Festlegung auf die Mechanik des Goldes freiwillig preisgegeben"43. - Dasselbe meinten wir, wenn wir oben sagten, durch ein streng nominalistisch bleibendes Währungsgesetz passe sich der Staat einem bereits bestehenden, außerstaatlichen Weltgeld an, das den Weltmarkt konstituiert. Der Hinweis auf die im Rechtsstaats-Raum außergewöhnliche Tatsache, daß der geltende Gesetzes"befehl" arbiträr sei und ebenso willkürlich wieder geändert werden könne, daß also die Figur der absoluten, souveränen, dez.isionistischen Staatlichkeit keineswegs abgedankt habe, sondern hinter dem Rechtsstaat für den Ausnahmezustand weiterhin in Bereitschaft stehe, stellt den Gesetzesnormativismus und damit den Geldnominalismus von jeher vor eine schMTierige Frage44• Eine "allgemeine Rechtslehre" kann sich hier noch auf den Schutz zurückziehen, den gewisse Grundnormen durch die Auflage qualifizierter Mehrheiten für ihre Änderung genießen, oder sogar durch das schlechthinnige Verbot ihrer Änderung, oder sie argumentiert m etaphysisch mit Naturrechtsprinzipien. Das Währungsrecht kannte eine solche Auflage oder gar ein striktes Änderungsverbot nicht. Knapp brauchte sich damit gar nicht erst auseinanderzusetzen. Uns ist aus dem 19. Jahrhundert ein einziger Fall bekannt, bei dem durch eine positive Verfassungsauflage der Geldnominalismus als allgemeines, dauerndes Normengesetz verankert werden sollte: Eine Ergänzung zur Verfassung des Staates New York (Art. VIII, Par. 5) aus dem Jahre 1846 verbot der Legislative, die Goldeinlösungspflicht von Banknoten aufzuheben. Dennoch: 1857 und 1861 suspendierten die Banken die Einlösung; 1867 wurde dann der Verfassungsartikel wieder gestrichen45. Politik bestimmt werde und nicht umgekehrt, zur Goldwährung zurückstrebten: wegen der "preference of Englishmen for shearing a monarch of his powers rather than of his head" (in Fisher: Stable Money, New York 1934, S. 88). - Bozis: Monnaie, Progres, Stagnation et Decadence, in: Le Franc, Mythe et Realite, Sondernummer der NEF, 10. Jg., Nr. 3, Juin 1953, erklärt die Goldwährung für eine .,monetäre Theokratie". Über Proudhon's und der Alt-Sozialisten Haß gegen das Geldwesen aus angeblich anti-monarchischen Instinkten, s. Simmel: Philosophie des Geldes, Leipzig 1907, S. 158, 175. - Anläßlich einer Parlamentsdeba tte um die Verlängerung des Privilegs der Banque de France zitierte der Abgeordnete Millerand Proudhon's Philippika gegen Monarchie und Gold (in Ramon, Histoire de la Banque de France, Paris 1929, S. 409). - Muthesius: Inflation, Frankfurt/Main 1958, S. 164, nennt heute noch das Gold nostalgisch den .,Souverän der Souveräne, den Polizisten der Politiker". 43 Veit: Pecunia ... , a .a.O., S. 263. 44 s. dazu z. B. die o. e. Auseinandersetzung Schneiders mit C. Schmitt. 4 5 s. dazu Nussbaum, a.a.O., S. 78.
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In neuerer Zeit sind wieder Bestrebungen auf eine "verfassungsgesicherte Währung" festzustellen; wir werden noch davon zu sprechen haben. Sogar eine Art "Naturrecht des Geldes" wird zuweilen bemüht, wie es z. B. bei Miksch anklingt: "Wie es daher keinem Parlament gestattet sein könnte, sich über bestimmte allgemeine Menschenrechte hinwegzusetzen, so ist auch die Stabilität der Währung eine allgemeine Ordnungsgrundlage, deren Zerstörung durch eine parlamentarische Mehrheit niemals sanktioniert werden könnte46." Knapp jedenfalls konnte 1905 behaupten, der Nominalismus der Schulden sei allein durch die grundsätzliche Möglichkeit der Änderun.g des Zahlmittels gegeben. "Die Werteinheit (muß) mindestens im Zeitpunkt des Übergangs als nominell betrachtet werden47 ." Das gleicht einer Legitimation der staatlichen Währungssouveränität aus dem Ausnahmezustand heraus, wie sie besser kein barocker Absolutist und kein Kameralist hätte geben können. Mit dieser Argumentation haben die Fürsten jahrhundertelang ihre Münzen verschlechtert; - aber das war vor der amerikanischen und französischen Revolution, die fürstliche Willkür abschaffen und einen Rechtsstaat errichten wollten. Schon in der französischen Encyclopedie klingt eine rechtsstaatliche Warnung an den Fürsten an; im Artikel "Monnoie" heißt es: "La monnoie est un signe, qui represente la valeur ... Le prince donne une forme, un nom et une empreinte ... Le Prince est oblige en justice et en honneur, envers les sujets et les etrangers qui trafiquent avec eux, de ne point faire de changement dans la monnoie48."
Für Knapp scheinen die bürgerlichen Revolutionen und das von ihnen erkämpfte Prinzip der Legalität am Prinzip der Staatlichkeit fundamental nichts geändert zu haben. Unter dem Geld als "Geschöpf der Rechtsordnung" wollte er gerade nicht "Geschöpf der Jurisprudenz" verstanden wissen, sondern ein Geschöpf "der Rechtspolitik" 49 Damit scheint er sich in entschiedenen Gegensatz zum Staats- und 46 Miksch: Die künftige Bundesbank, in: Ztschr. f. d. ges. Kred.Wes., Jg. 1949, S. 518. - Auch Veit nennt das Geld ein "Grundrecht von höchstem Range" (Pecunia ... , a.a.O., S. 264). - Über den Grundrechtscharakter des Geldes - der u. E. nie den Geldwert einbegreifen kann - s. u. Kapitel 9.Zu "Verfassungsgarantierte Währung" s. den so betitelten Aufsatz von Strickrodt, in: Ztschr. f. d. ges. Kred.Wes., 5. Jg., 1952, S. 533 ff.; dazu unten Anm. C 129, E 29, E 33. 47 Knapp, a.a.O., S. 14. 48 Encyclopedie, ou Dictionnaire Raisonne des Sciences, des Arts et des Metiers, Art. Monnoie, Tome X, o. 0. 1751. - Zur Geschichte des Geldnominalismus s. Stampe: Die geschichtliche Entwicklung des Geldnominalismus, Berlin 1927; und Eckstein: Geldschuld und Geldwert, a.a.O. 4 9 Knapp, a.a.O., S. 33.
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Rechtsdenken des 19. Jahrhunderts zu stellen, auf dessen Prinzipien der Zusammenklang zwischen Rechtsstaat und Marktwirtschaft beruht. Er wäre entweder ein Nachzügler. der absolutistischen oder kameralistischen Epoche oder ein Vorbote irgendeiner Form von "interventionistischem" Staat. Nun war Friedrich Georg Knapp jedoch kein Ideologe des Pragmatismus oder Positivismus, sondern ein Mann, der im Deutschen Reich des Fin de Sieeie lebte. Und das besagt: Für ihn hatte der Staat ein Janusgesicht, wie etwa für Ranke oder Jacob Burckhardt. Innenpolitisch war er Hüter des Rechts, außenpolitisch Verteidiger der Macht, wobei die Außenpolitik den Primat erhielt. An den Beispielen, die Knapp aufführt, merkt man, was für eine Art Staat er sich 1905 nur vorstellen konnte: nämlich einen solchen, auf den der Regelsehe Begriff "die Welt, die der Geist sich gemacht hat" zutrifft, nicht der von der Welt, die dann die Menschen des 20. Jahrhunderts daraus machten. Der Geldnominalismus bedeutet für Knapp innenpolitisch nicht staatliche Willkür. Nur in den Außenwährungsbeziehungen sollte nicht das Recht, sondern die Macht bestimmend sein. Entsprechend hat die Knappsehe Staatliche Theorie des Geldes ein Doppelgesicht. Sie meint jeweils mit "Nominalismus" eine andere Art von staatlichem Handeln, ja geradezu eine andere Art von Staat. b) Nominalismus bei Chartalgeld und in der Binnenwirtschaft Man hat Knapp immer wieder :mun Vorwurf gemacht, er habe die ökonomische "Wert"-Seite des Geldes völlig ausgeklammertso. Aber darin unterschetdet er sich nicht von "klassischen" Nationalökonomen, die alle Preise aus dem Wahrscheinlichkeitsspiel von Angebot und Nachfrage erklären, und die der jeweiligen konkreten historischen Höhe der Preise gegenüber indifferent sind, solange sie sich nur "frei" und "automatisch" ergibt. Da im normengesetzlichen Nominalismus der Staat nur den Namen des Geldes dekretierte, ließ er den eigentlich ökonomischen "Preis" des Geldes - seine "Kaufkraft" - frei, und darin lag ja gerade die Marktkonformität. Fragwürdig wird nur, wenn der Begriff Nominalismus auch dezisionistische staatliche Setzungen und Änderungen der Währungseinheit decken soll, die Form des "rekurrenten Anschlusses" bei Namengebung oder Namensänderung. Hier gibt Knapp nun bezeichnenderweise eine für die Binnenwirtschaft nominalistisch.e Antwort im Sinne 50 So Hettferich, a.a.O., S. 307, 311, 334, 341; Bendixen: Das Wesen des Ge1des, München u. Leipzig 1918, S. 20, 23, 24; Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1956, Bd. I, S. 40; Halm: Geld, Außenhandel und Beschäftigung, dtsch. München 1957, S. 100.
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einer Antwort, die nicht Dezisionen, sondern allgemeine Normengesetze voraussetzt. Eine dekretierte Änderung der Werteinheit bleibt nämlich solange nur eine bloße Namensänderung, das Dekret hat nur formelle Bedeutung und ändert die Wirtschaftsrelationen nicht materiell, als alle Verträge, die auf die staatliche Werteinheit lauten, gleichmäßig "umgestellt" werden. In Zukunft werden dann nur alle Einkommen, Vermögen und Preise in der neuen Werteinheit "gemessen" und bezahlt. Eine solche rein formale Währungsumstellung hat es 1958/59 in Frankreich gegeben, als aus allen Verträgen lediglich zwei Nullen bei den Franc-Summen gestrichen wurden und dadurch eine neue Werteinheit, der "Nouveau Franc", geschaffen wurde; ein ebensolches Verfahren wandte Griechenland nach dem zweiten Weltkrieg an. Es ist dasselbe Verfahren, mit dem auch im Deutschen Reich 1873 alle Talerschulden im Verhältnis 1:3 in Markschulden umgewandelt wurden, als im Zuge der Zentralisierung des Münzwesens im neuen Reich die Mark geschaffen wurde51. Die einschneidende Bedeutung einer "Währungsreform" hat eine Änderung der Werteinheit erst dann, wenn sie nicht gleichmäßig auf alle Verträge angewandt wird, sondern wenn Differenzierungen bei der Umwertung verschiedener Ansprüche vorgenommen werden. Erst eine solche staatliche Handlung hat den Charakter eines dezisionistischen Befehls und bricht mit dem allgemeinen, dauernden Normengesetz des Nominalismus. Es ist hierbei gleichgültig, ob Legislative, Exekutive oder Gerichte bei der Umwertung differenzieren 52 • Selbst dies gilt nicht ohne Einschränkung: eine bestimmte Art von Differenzierung hat noch nicht einmal notwendig den Charakter eines marktunkonformen Befehls, nämlich eine solche, die jeweils Einkommen unter sich und Vermögen, Schulden und Forderungen unter sich verschieden, aber innerhalb der beiden großen Gruppen gleich umwertet. Eine solche Differenzierung zwischen Vermögen, Schulden und Forderungen einerseits und Einkommen (also auch Preisen) andererseits ist im Grunde das, was in Deutschland nach den Erfahrungen von 1923 und 1948 als Währungsreform verstanden wird. In Wirklich51 Die französische "Namensänderung" war mit einer davon völlig unabhängigen - Abwertung verbunden, s. dazu unten Kap. 1 c. 52 So begann im Deutschen Reich die offizielle "Umwertung" in der Hochinflation formalrechtlich mit dem Urteil des Reichsgerichtes v. 28. 11. 1923, das den Standpunkt "Mark gleich Mark" verließ und nach § 242 BGB die Aufwertung von Papiermarkhypotheken zuließ. Es folgte als Maßnahme der Exelmltive die dritte Steuernotverordnung vom 14. 2. 1924. Formell brachte die Einführung der Rentenmark und der Reichsmark noch keine rechtliche Anerkennung einer differenzierten Umwertung. Dazu Schacht: Die Stabilisierung der Mark, a.a.O., S. 163/64.
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keit handelte es sich auch hierbei im Prinzip um eine reine Namensänderung der Werteinheit53. Diese Tatsache wurde 1948 allerdings verdeckt dadurch, daß staatliche Mengenbewirtschaftung, Preis- und Lohnstopps die vorangegangene Zahlmittelvermehrung sich nicht auf die Preise auswirken ließ, die fumktionell notwendige Inflation also "gestoppt" wurde. Wären Preise und Löhne frei geblieben, so hätte sich die Entwertung der Vermögen, Schulden und Forderungen sukzessive bemerkbar gemacht und nicht erst bei Gelegenheit der Punktation, des Währungsschnitts. Wegen der vorangegangenen Bewirtschaftung wurden Sparer, Gläubiger und Schuldner von der Entwertung plötzlich betroffen - falls ihnen nicht schon vorher ein "SchiWarzer Markt" eine, wegen der Kosten seiner Illegalität nur ungenügende und ungefähre, Vorstellung vom Grade der inflationären Störung vermitteln konnte. Die entscheidenden Vorgänge in Deutschland 1914/23 und 1936/48 waren die Inflation und die später bei ihrer Liquidierung vom Gesetzgeber oder von den Gerichten vorgenommenen Differenzierungen in der Umwertung innerhalb der Kategorie der Vermögen, Forderungen und Ersparnisse, aber nicht die Währungsumstellung an sich. Wo, wie 1948, Vermögen, Forderungen und Ersparnisse, aber nicht Einkommen und Preise abgewertet wurden, blieb die Währungsreform eine rein formale, gleichmäßige Änderung der Werteinheit mit der Absicht, die Kaufkraft der neuen Werteinheit etwa wieder auf den Zustand vor der Inflation zurückzubringen. Der Staat korrigierte damit nicht die von ihm hauptsächlich verschuldete - Inflation, sondern lediglich seine eigenen Maßnahmen, die sie kaschieren sollten: Preis- und Lohnstopps, Zwangssparen. Erst Differenzierungen innerhalb der Forderungs- und Vermögenskategorie, und schließlich Umverteilungen zwischen Geld- und Sachwerten sollten später dann auch die Inflationsfolgen "gerechter" verteilen und bedeuteten einen Bruch mit dem allgemeinen Normengesetz des Geldnominalismus, soweit es seine Geltung betrifft. Was den Nominalismus bei der Schaffung des GeLdes betrifft, so war mit dem bereits bei der Aufhebung der Goldeinlösungspflicht der Mark 1914 und der Reichsmark 1931 gebrochen worden. Durchbrechun.g en des geltenden Geldnominalismus waren 1923 das Abgehen von einer "Mark gleich Mark"-Rechtsprech'tlng der Gerichte und ähnliche, spätere Maßnahmen der Legislative; 1948 waren es Unterschiede bei der Behandlung von Privat- und Reichsvermögen und -schulden, Differenzierungen zwischen bestimmten privaten Forde53 Vgl. das deutsche Umstellungsgesetz v. 27. 6. 1948, dazu Stucken: Deutsche Geld- und Kreditpolitik, a.a.O., S. 197 ff.
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rungs- und SchuLdkategorien und schließlich die folgende AltsparerGesetzgebung. Ein Ausgleich der Inflationsfolgen zwischen Sachwertbesitzern und Geldvermögensbesitzern wurde bei beiden Inflationen später durch Sondersteuern und Lastenaus.gleichsgesetze angestrebt; letztere bedeuten im Grunde auch eine SondersteuerM. Staatliche Willkür ist bei dem Versuch, eine gestoppte Inflation und ihre Folgen auszugleichen, allerdings meist nie zu verhindern, auch wenn es sich bei der reinen Währungsumstellung um eine allgemeinnominalistische Maßnahme handelt. Einerseits ist ein Maßstab für die Höhe der Punktation, also für das Abschöpfen des Geldüberhanges, schwer objektiv zu finden, zum anderen gilt das gleiche für die Höhe der Belastung des Sacheigentums. Einfacher ist demgegenüber die Liquidierung einer solchen Inflation, die, wie etwa in Frankreich 1936/58, sich in Preisen und Einkommen ausdrücken konnte. Hier kann man erst undif.ferenziert die Werteinheit ändern und dann den Lastenausgleich innerhalb von Geldschuldnern und -gläubigern und zwischen Geldvermögen und Sacheigentum durch Steuern und Sonderabgaben vornehmen, deren Wirkung einsichtig und öffentlich ist55. Wir erkennen also, daß der sogenannte Geldnominalismus auch bei stringentester Anwendung einen Staat noch nicht notwendig zum Herrn des Geldes macht, sondern lediglich zum Herrn der Werteinheit und der Währung. Ein Staat erwirbt erst dann eine entscheidende Gewalt über das gesamte Geldsystem, wenn 1. die Geldeinheit zum ausschließlichen Zahlmittel erklärt wird und 2. bei Änderungen der Geldeinheit differenziert vorgegangen wird. Nur unter diesen beiden Voraussetzungen kann der Nominalismus marktunkonform werden; er wäre dann gar kein "Nominalismus" im 54 In Japan wuvden durch die Nachkriegsgesetzgebung nach dem zweiten Weltkrieg "sämtliche Ansprüche gegen den Staat und gegen die öffentliche Verwaltung aus der Kriegszeit im Wege eines Steuergesetzes weggesteuert" (Die Finanzverfassung im Rahmen der Staatsverfassung, Verhandlungen der Tagung der deutschen Staatsrechtslehrer 1955, Heft 14, Berlin 1956, S. 72). - Auch die o. erw. dritte Steuernotverordnung v. 14. 2. 1924 hatte diesen ge1dabschöpfenden Effekt, dazu Stucken, a.a.O., S. 58. 55 Eine ähnliche Möglichkeit wurde von deutschen Stellen auch 1948 diskutiert, die aber nicht zum Zuge kamen. Dazu Stucken, a.a.O., S. 194 ff.S. auch Der Amerikanische Plan für die deutsche Währungsreform, Einführung v. Sauermann, in: Ztschr. f. d. ges. Staatswiss., Bd. 111, 1955, S. 193, und den englischen Text dazu: Cohn!Dodge/Goldsmith: A plan for the Iiquidation of war finance and the financial r ehabilitation of Germany, dort S. 204. - Weiter Hielscher: Der Le~densweg der deutschen Währungsreform, München 1948. Die Liquidierung gestoppter Inflationen erfordert das Herantasten an die richtige Punktationsquote; dementsprechend sah auch der "Hombur.ger Plan" :f!ür die deutsche Währungsreform eine Freiquote von 5 vH, eine Festquote von 10 vH und eine Teilstreichung von 60 vH vor. Die dann vollzogene Währungsreform kannte noch eine "Schattenquote" von 10 vH.
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Sinne allgemeiner, dauerhafter Normengesetze mehr, sondern ein "Dezisionismus", weil nämlich mit Befehlen, die bestimmte Einzelne (z. B. auch die Notenbank) in bestimmten Situationen zu bestimmten Zeiten treffen, konkrete Mengen in der Wirtschaftsumwelt durch die Staatsgewalt umverteilt werden56. Gerade diese beiden Voraussetzungen wollte jedoch Knapp für den Binnenraum einer Währung, genauer: für auf heimische Währungseinheiten abgeschlossene Verträge, nicht gelten lassen. Zur ersten: Seine Anerkennung des subsidiären Charakters des Nominalismus und der Privatgeld-Eigenschaft der Banknote durchbricht den Ausschließlich.keitsanspruch; und ZJum anderen: Ein einziger Satz in Knapps Werk deutet darauf hin, daß er die Bedeutung des Unterschiedes zwischen einem allgemeinen und einem differenzierten rekurrenten Anschluß zwar nicht voll erkannt hatte, wie selbstverständlich aber eine gleichmäßige Umstellung als einzig mögliche ansah. "Denn nicht das Zahlmittel ist das bleibende", sagt er, "sondern der Grundsatz, daß alle auf gleiche Weise in neue Werteinheiten umgerechnet werden, so daß also ihre relative Größe unveränderlich ist57." Der inzwischen an andere Formen von Werteinheitsänderungen gewöhnte Währungsjurist Nussbaum sagt denn auch mit Recht: "According to Knapp, the link appears in the ratio chosen for the conversion of debts. This cannot be accurate since the ratio is often scaled.58." Gebraucht Knapp in diesem Zusammenhang den Ausdruck "Nominalismus", so will er damit nur die rein formale Tatsache beschreiben, daß der Begriff der Werteinheit stets historisch definiert ist: "Denn die Chartalverfassung bringt es mit sich, daß die Werteinheit no·m inal, das heißt nur historisch definiert ist59." Dieser Begriff von Nominalismus ist also durchaus mit Marktkonformität der währungshoheitlichen Eingriffe vereinbar, ja, nimmt man das Vertrauen Knapps in den "Grundsatz, daß alle Zahlmittel auf gleiche Weise in neue Werteinheiten umgerechnet werden", hinzu, so ist dieser Nominalismus geradezu der juristische Ausdruck für Marktkonformität. Eine Änderung der Werteinheit, mit welchem "rekurrenten Anschluß" immer, 56 Ein solcher Dezisionismus widerspricht einer Wirtschaftsordnung, welche sich über das Ge1d steuern will. Siehe dazu unten Kapitel 9. - Angesichts dieser Unvereinbarkeit der beiden Systeme muß es erstaunen, wenn der Währungsjurist Mann (a.a .O., S . 358) zu Wechselkursmanipulationen und Devisenbewirtschaftung sagt: "Exchange control is merely an aspect or a ramification of a system of physical control to which the modern world has become used, which it does not generally abhor, and to which it applies established principles of law." - Differenzierend hierzu Veit: Grundriß der Währungspolitik, Frankfurt/Main 1961, S. 179. 57 Knapp, a.a.O., S. 14. 58 Nussbaum, a .a .O., S . 137, Anm. 87. 59 Knapp, a .a .O., S. 9, 13.
1.
Knapp's Staatliche Theorie des Geldes
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hat in diesem Falle keinerlei reale Wirkungen auf die Wirtschaftsrelationen, sondern bleibt eine reine Namensänderung. c) Dezisionismus bei Kreditgeld und in der Außenwirtschaft Knapp sah durchaus, und das war eine der Grundlagen seiner Art von Nominalismus, daß in den "stets historischen Begriff der Werteinheit" der Staat hineinkommt "durch die Tatsache, daß es Schulden gibt", denn "lytrische Schulden hängen vom rekurrenten Anschluß ab"60. Was er jedoch nicht behandelte - und hier hat die sachliche Kritik an Knapps Konzeption anzusetzen - , ist eine bestimmte Geldverfassung, in die der Schuldbegriff nicht erst durch einen Akt der Währungshoheit, der die Geltung des Geldes betrifft, hineingetragen wird, sondern in der er bereits durch die Art der Schaffung der Zahlmittel konstitutiv angelegt ist. Wir sprechen vom Kreditgeld, das der Chartalist und Banknotengeld-Verächter Knapp nicht in seine Theorie einbezog, obwohl er eine so enge Verbindung zwischen Geld und Schulden konstruierte. Notenbankgeld war zu der Zeit, als Knapp schrieb, bereits ein bedeutender Faktor im Geldwesen der Industriegesellschaften; nach der Demonetisierung der Metalle und seiner Erklärung zum einzig legalen Kurantgeld ist das Kreditgeld das Geld schlechthin geworden. Knapp hielt zwar mit seiner Chartaltheorie eine Erklärung dafür bereit, wieso aus Banknotengeld Währungen werden können, wieso aber durch Kreditaufnahme bei Banken Geld werden kann, erklärt er nicht. Seine Staatliche Theorie des Geldes bleibt formal-juristische Theorie; sie vermag nicht zu unterscheiden zwischen einem juristisch sanktionierten Kreditgeld und einem reinen Staatspapiergeld, das nicht auf Kreditnahme und dazugehöriger Schuldtilgung beruht, sondern durch Staatsbefehl allein geschaffen wird. Wenn Knapp sagt: "Beim Morphismus ist ... noch ein anderer Weg offen außer dem pensatorischen: die Geltung kann proklamatorisch sein"61 , so argumentierte er durch eben diese Bezugnahme auf die Geltung juristischer, legalistischer, etatistischer als einer der Väter des modernen Verwaltungsstaats, Lorenz v. Stein. Denn dieser bemerkte immerhin, daß selbst Staatspapiergeld mehr als bloß einer juristischen Begründung seiner Geltung durch Gebot bedurfte, nämlich darüber hinaus einer Fundation seiner Schaffung. Als letztere nannte Stein einmal eine "bankmäßige" oder "Wirtschafts"-Fundation, zum anderen eine "regiminale", darunter die "Steuer-Fundation"62 • Wir 60
61 62
a.a.O., S. 13. a.a.O., S. 25. Lorenz Stein: Lehrbuch der Finanzwissenschaft, Leipzig 1860, S. 501.
Knapp, Knapp,
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A. Währungshoheit und Kreditgeld
würden heute sagen: Kreditgeld soll nicht nur durch staatliche Proklamation gelten, sondern eine Begründung oder "Deckung" haben in Form realisierbarer Einkommenserwartungen der kreditaufnehmenden Privatwirtschaft und/oder des Staates, letztere ausgedrückt in den Steuererwartungen, die die Einkommenserwartungen des Staates sind.
Knapp entging alles dies, weil er als Chartalist zu sehr an der morphischen Münze hing und, trotz seiner Hineinnahme des Schuldbegriffs in das Geldwesen, übersah, daß bei Kreditgeld die Befriedigung durch Geld wirklich und tatsächlich "zirkulatorisch" ist, aber nicht, wie er es meinte, im logisch-methodologischen Sinne, sondern im real-zeitlichen63. Kreditgeld ist auch ohne staatliche Proklamation "eskomptierte Zeiterwartung"; es beruht auf Zukunftserwartungen bereits bei seiner Schaffung, nicht erst wird es durch einen staatlichen Akt, der seine Geltung betrifft, mit dem Raum der Historie verbunden. Die moderne Marktwirtschaft, die auf der Steuerung durch reines Kreditgeld beruht, lebt immer um eine Phase in die Zukunft verschoben. "The credit structure projects not only beyond the existing gold basis, brut also beyond the existing cornmodity basis" sagte dazu Schumpeter64; und Rittershausen definiert Kreditgeld als "eine spezielle, veredelte und gewissermaßen auf einen Markencharakter gebrachte Qualität von Kredit, nämlich von Kredit, den jemand bei seiner Bank eingelegt hat oder über den zu verfügen die Bank ihm erlaubt hat"; von dieser Ge1ddefinition, die als Verfahrensdefinition der Knappsehen Gebotsdefinition geradezu entgegengesetzt ist, kommt Rittershausen denn auch zu einer dem Knappsehen Morphismus unerreichbaren Definition für Scheidemünzen: "Die einfachste Hypothese ist wohl, daß es sich hier um auf Blech gedruckte oder vielmehr geprägte Banknoten handelt6ii." Knapp stand, trotz der Rolle, die er dem "rekurrenten Anschluß" in seiner Theorie ZJubilligte, noch recht verständnislos der Bedeutung des Faktors "Zeit" und dem Dynrunismus im modernen Denken gegenüber, durch den nicht erst das Währungs-, sondern schon das Geld63 Der Begriff der "zirlrulatorischen Befriedigung" durch Geld ist konstitutiv für Knapps Theorie, entspricht aber durchaus dem WerkzeugCharakter des Geldes, wie er schon von Adam Smith gesehen wurde. Die neue Bedeutung, welche er durch ein reines Kreditgeld erhält; bleibt aber sowohl bei Smith als auch bei Knapp verborgen. 64 Schumpeter: Theory of Economic Development, Cambridge/Mass., 1955, S. 101. - In der modernen Wachstumstheorie stellt sich dieser Tatbestand folgendermaßen dar: "Denn die notwendige Deckung der Grenzkosten macht einen ÜberschlUß der Kaufkraft über die Produktionskosten erforderlich" (Hanns-J. Rüstow: Theorie der Vollbeschäftigung in der freien Marktwirtschaft, Tübingen 1951, S. 312/13). 65 Rittershausen: Wirtschaft, Frankfurt/Main 1958, S. 148; S. 151. - S. auch eine ähnliche Definition der Golddeckung von Veit, u. Anm. B 235.
1. Knapp's Staatliche Theorie des Geldes
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wesen bestimmt wird. Hier trifft Spenglers Kritik zu: "Das ,römische' Sachdenken unserer Juristen ist deshalb ebenso lebensfremd wie eine Geldtheorie, die bewußt oder unbewußt vom Geldstück ausgeht"." Knapps "römisch"-juristische Denkweise mag dazu beigetragen haben, daß er die Änderung des früher "statischen" Geldbegriffs in Richtung auf das Dynamisch-Funktionelle hin übersah, so wie es noch bei einem modernen Währungsjuristen der Fall ist, bei F. A. Mann, einem Anhänger der Knappsehen Staatlichen Theorie: "But the orthodox and correct view connects the problern of nominalism not with money but with monetary obligations and their exten~7." Mann richtet diese Polemik gegen den Währungsjuristen Nussbaum, Anhänger einer gesellschaftlichen Theorie des Geldes, und hält dabei eine Unterscheidung zwischen Geld und Forderung aufrecht, die selbst Savigny nicht mehr traf, und die schon Lorenz v. Stein verwarf: "Durch diese Zettelschuld (des Staates, so nannte er das Papiergeld) wird nun das Interesse der Finanzen so eng mit dem der Bank verflochten, daß das ganze Papiergeldwesen zu einem wesentlichen Theile der Finanzverwaltung gehört. Da aber das Medium dieser Verschmelzung die Staatsschuld ist, so fällt das Papiergeldwesen und seine Verwaltung praktisch unter die Lehre vom Staatscredit, obgleich es theoretisch dem Münzregal angehör~8."
Knapps Theorie, brauchbar für die juristische Diskussion um das Gelten einer Währung, gibt keinerlei Anhaltspunkte für die Schaffung eines Geldes, schon ,gar nicht eines Kreditgeldes. Nach Knapp könnte der Staat jede beliebige Sache zum Gelde ernennen; und: "Für Papiergeld ist es nicht möglich, eine technische Definition zu geben", es sei nur noch historisch zu definieren durch den rekurrenten Anschluß, der "ein freier Akt der Staatsgewalt" sei; und "gerade weil diese Akte frei sind, können sie an gewisse Regeln gebunden werden, sie müssen es nicht"1i 9 • Dabei vergißt Knapp, daß er an anderer Stelle mindestens eine Regel gelten lassen will, nämlich die des gleichmäßigen Anschlusses für alle Geldforderungen. In dieser Unfähigkeit, über Regeln oder Regellosigkeit klare Aussagen zu machen, verbirgt sich Knapps Schwäche. Wie unter seiner Form von Nominalismus das Geld - seine Geltung und Schaffung - durch staatliche Eingriffe geschützt und 66 Spengler: Der Untergang des Abendlandes, München 1922, Bd. 2, S. 610, 617. Er stellt das "apollinische" Stückgeld einem "faustischen" Beziehungsgeld gegenüber. - Andreae (Geld und Geldschöpfung, Stuttgart-Wien 1953, S. 58) nennt das Geld das "organisierende Wirtschaftsmittel . . . des Dynamismus". 67 Mann, a.a.O., S. 20. 68 v. Stein, a.a.O., S. 149/50. 69 Knapp, a.a.O., S. 8, 20.
3 Arndt
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gestört werden konnte, darüber wußte er nichts zu sagen. Er sah dieses Problem damals noch einseitig unter dem Gesichtspunkt einer (Edelmetall-)Geldmenge, ohne um das Wahrscheinlichkeitsspiel des im Markte entstehenden Kreditgeldes zu wissen. Knapp bemerkt nur: "Es wäre dann darüber nachzudenken, an welche Regeln sich der Staat 2JU binden hätte, was die Menge des zu schaffenden Geldes betrifft." Aber das sei "nicht so dringlich, denn es soll ja gar nicht zu einer solchen Neuerung geschritten werden"70, Das war 1905. Inzwischen ist zu einer solchen Neuerung geschritten worden, und das Problem ist sehr dringlich, aber immer noch nicht gelöst. Mit dem Prinzip des Nominalismus als eines allgemeinen, dauernden Normengesetzes ist durch willkürlich differenzierte Währungsschnitte oft gebrochen worden; verfassungsmäßige Sicherungen für Währungen gibt es nirgends; die Metallwährungen sind als Staatswährung gänzlich abgeschafft; die Währungen der Welt sind ausnahmslos Kreditwährungen geworden, auch wenn und wo noch "Goldparitäten" festgesetzt werden; der Staat beansprucht und verwaltet zusätzlich zum metrischen Monopol über die Geltung der Währung auch das ökonomische Monopol über die Schaffung von Geld, aber seine Geldpolitik mangelt der Legalisierung; die Zentralnotenbanken und Finanzministerien operieren in einem "Raum peinlicher Rechtsverdünnung" mit schwer oder gar nicht exekutierbaren Generalklauseln; Veit sagt zu Recht: "Eine scharf umgrenzte Bindung des Geldes an ein automatisches Prinzip wurde mit einem Schlag ersetzt durch weitgehende Ermessensfreiheit. Ein klarer Rechtsschutz gegen Währungswillkür des Staates oder der Zentralbank fehlt71." Ein Tummelplatz :liür Staatsbefehle ist insbesondere der immer noch rechtsferne Raum der Außenhandels- und Außenwährungspolitik. Zwischenstaatliche Verträge, die ihn- etwa seit 1944 durch die Bretton-Woods-Abkommen - wieder or·dnen sollten, erwiesen sich als dünne Bande, gegenüber dem früheren Zwang des angeblichen Geldautomatismus. Aber selbst unter diesem angeblichen Normalzustand der Welt-GoldWährung des 19. Jahrhunderts lauerte schon der Ausnahmezustand, 70 71
Ebenda, S. 281.
Veit: Pecunia ..., a.a.O., S. 260; ders. sagt in seinem Werk Grundriß
der Währungspolitik, a.a.O., S.l77, zum Thema "Berührungen mit der Rechtsordnung": "Die Probleme, die daraus erwachsen, sind in einem volkswirtschaftlich angelegten Grundriß wenig zu vertiefen. Sie werden daher in diesem Kapitel nur kurz angezeigt". Und S.182 : "Eine fundierte theoretische Erfassung des Verhältnisses der Währungsbank zum Staat (ist) hier nicht möglich." Der Ausdruck "Raum peinlicher Rechtsverdünnung" bei Kern: Zur heutigen Grundlagenproblematik des Verwaltungsrechts, in: Arch. f. Rechts- u. Soz. Philosophie, XLIII/4-1957, S. 515.
1. Knapp's Staatliche Theorie des Geldes
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und Knapp hat deshalb schon 1905 für die Außenwährungs-Relationen, insbesondere für das Verhältnis des Staates zu Währungsparität und Wechselkurspolitik, einiges zu sagen gehabt, das heute noch gültig ist, ja, das später erst gültig wurde, nachdem der Ausnahmezustand akut geworden war. Akte der Währungshoheit wie Werteinheits-Änderungen, bei Kreditgeld: Ab- oder Aufwertungen gegenüber ausländischen Währungseinheiten, mögen binnenwirtschaftlich rein nominalistisch erscheinen; für die Außenhandelsbeziehungen haben sie materielle Änderungen in den Wirtschaftsrelationen zur Folge. Der Grund liegt darin, daß Änderungen der Metallparität oder Ab- und Aufwertungen bei Kreditgeld diflferenzierende Eingriffe in das Ge1dwesen darstellen und keine gleichmäßigen Umrechnungen der Währungseinheit bleiben. Verträge, die nur heimische Wirtschaftsleistungen berühren, werden anders behandelt als solche, die ein Umtauschgeschäft von der einen in die andere Währung voraussetzen, also vornehmlich Import- und Exportverträge. Der Unterscll.ied zwischen einer "dezisionistischen" Abwertung und einer "nominalistischen" Änderung der Währungseinheit wird bei den Vorgängen in Frankreich 1957/59 deutlich: der "Nouveau Franc" bedeutete eine einfache Namensänderung der Werteinheit und tangierte weder die Binnen- noch die .Außenwirtschaft (außer eventuell durch seinen "psycholQgischen Effekt"); die gleichzeitig vollzogene Abwertung des Franc - die teilweise nur die "Action 20 %" der GaillardRegierung von 1957 nachholte und legalisierte - griff dagegen in die Außenhandelstransaktionen ein. Wir erkennen hieraus, daß es für die Währungseinheit, auch bei Kreditgeld, durchaus noch eine andere Definition gibt als die historische durch rekurrenten AnschLuß an die aufgegebene alte Währungseinheit, nämlich die Definition durch Relation zu den Währungseinheiten anderer Geldräume. Knapp benutzte diese Definition in seiner Theorie nicht72. Jedoch hat er sehr klar erkannt, daß die staatliche Währungshoheit gerade dann, wenn es sich um Änderungen der Beziehungen zwischen der heimischen Währung und ausländischen Währungen handelt, in 72 Mann (a.a.O., S. 42) sagt zu Recht, daß die "historische Definition" der Währungseinheit die Tatsache außer Betracht läßt, daß Staaten sich auch an das Geld anderer Räume anlehnen können. - Veit (Grundriß ..., a.a.O., S. 32, 192) spricht von "zwei Arten der Stabilität": a) dem Gleichgewicht im Raum - Außenwertstabilität - Kursstabilität, b) dem Gleichgewicht in der Zeit - Binnenwertstabilität - Kaufkraftstabilität. Allerdings verwirrt es, wenn Veit (S. 192) formuliert, daß "der Mechanismus des Goldes ... theoretisch das räumliche und das zeitliche Gleichgewicht zugleich sichert". Das Gold leistete niemals "Kaufkraftstabilität".
3•
A. Währungshoheit und Kreditgeld
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den Raum "dezisionistischer" Entscheidungen gerät, weil dann meist 2JWischen Verträgen differenziert wird. Dies mag für die Masse der nur in der Binnenwirtschaft über das "staatlich definierte Gdd" Verfügenden für den Anfang verborgen bleiben, weil die Differenzierung sie nicht direkt trifft; später machen sich die funktionellen Folgen einer Ab- oder Aufwertung auch für die gesamte Binnenwirtschaft bemerkbar. Es ist nun bezeichnend, daß im Raum der "Devisenbeziehungen" Knapp vom bloßen Nominalisten 7JUin echten Ausnahmetheoretiker
wird. Er war hier mit seinem "Dezisionismus" ein Vorbote kommender Zeiten, und er sah sich als ein solcher: "Aber diese kritischen Zeiten gehören doch ebenfalls zu dem wirklichen Erleben und dürfen nicht aus Bequemlichkeit in die Ecke der Ausnahmen geschoben werden. Ausnahmen gibt es bekanntlich für die Theorie nicht73."
In seinem Werk, veröffentlicht 1905, führt er bereits unter der Bezeichnung "exodromische Verwaltung" alle die Maßnahmen an, die wir erst später, nach 1914, als Außenhandelsbeschränkungen, Devisenzwangswirtschaft, Abwertungen usw., erlebt haben. Der "Mechanismus" des Ausgleichs der Zahlungsbilanz durch Goldverschiffungen bei Erreichen der Goldpunkte gelte, so führt Knapp lakonisch aus, "nur für ruhige Zeiten", aber was g~schähe, wenn ein Handels-Defizit oder einsinnige Kapital-Bewegungen chronisch würden? Die Währungsänderungen im 19. Jahrhundert seien aus solchen "exodromischen Gründen" erfolgt; die schwächeren Staaten hätten sich dem starken England anpassen müssen; die Ausbreitung der Goldwährung beruhe nicht auf den Eigenschaften des Metalles, sondern auf der handelspolitischen Machtstellung des führenden Goldwährungslandes, eben Englands74 • Der Gegenspieler Knapps, Gerloff, führt in seiner "Gesellschaftlichen Theorie des Geldes" ein Beispiel zwar nicht für eine staatliche, aber doch für eine politische Theorie des Geldes an, und zwar indirekt: in einer Debatte über Währungsgesetze äußerte 1871 der Abgeordnete Bamberger im Reichstag, das Silber sei "nur noch für Nationen zweiten Ranges gut genug"75. Aus diesem Spiel staatlicher Mächte in der Weltwirtschaft folgert
Knapp, daß "das Gold . . . nicht unser Wertmesser (ist) ... In diesem
Sinne haben wir gar keinen Wertmesser". Der Preis des Metalls sei nur "ex institutione, nicht ex definitione fest"76 . - Diese Feststellung 73
Knapp, a.a.O., S . 209. -
74
Knapp,
ist deutlich. 75 76
Die Analogie im Denken zu dem Carl Schmitts
a.a.O., S. 218-269. Gerloff, a.a.O., S . 269. Knapp, a.a.O., S . 83, 80.
1. Knapp's Staatliche Theorie des Geldes
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ist übrigens bezeichnend für die Begriffsverwirrung um den soziologischen Charakter von Geld und Währung. Das gesellschaftliche Verhalten des Menschen - und darum ging es auch bei einer Metallwährung - ist stets nur ex institutione, nie ex definitione fest. Die Verwirrung besteht noch heute, wie die Bemerkung eines Zentralbankpräsidenten beweist: "Was mich am Goldstandard so fasziniert hat, ist das rechte Maß, das die Goldautomatik unabhängig von menschlicher Willkür involvierte . . . Die internationale Währungsordnung, wie sie durch den Internationalen Währungsfonds repräsentiert wird, hat nicht mehr automatischen, sondern institutionellen Charakter77." Auch der "Automatismus" einer Goldwährung ist nicht schon dadurch garantiert, daß die Währungseinheit durch eine Menge Goldes definiert wird, sondern erst dann, wenn "institutionell" auch Geldpolitik mit Hinblick auf Stabilerhaltung dieser Definition betrieben wird, etwa Ausgleich von Zahlungsbilanzdefiziten durch Goldtransferierungen erfolgt und entsprechende Veränderungen des heimischen Preisniveaus hingenommen werden. Diese "systemrichtige" Reaktion sah Knapp schon 1905 als nicht mehr immer gegeben an, und deshalb suchte er nach einer Theorie, die nicht nur den Normalzustand, sondern auch den Ausnahmezustand einbezieht. "Wo in aller Welt erlaubt sich eine andere Wissenschaft, irgend einen Vorgang, dessen Wirklichkeit offenbar ist, als anomal zu bezeichnen, weil er einer herrschenden Theorie widerspricht?78" In dem Bemühen, auch den Ausnahmezustand einzubegreifen, wird Knapps Staatliche Theorie des Ge1des zu einer Theorie des Ausnahmezustands. Sie wird es, obwohl seine Gedanken, so wie er sie auf die Binnen-Geldpolitik ,bei Metallwährung angewandt wissen wollte, eher eine nominalistische als eine dezisionistische Interpretation nahelegen. Für die Außenbeziehungen von Währungsräumen und für ein Zeitalter des reinen Kreditgeldes gilt Knapps Theorie - eben weil sie eine Theorie des Ausnahmezustandes ist - immer noch. Aber sie gilt als rein formal-juristische und sagt nicht mehr aus, als daß im Ausnahmezustand des GeLdes die staatliche Hoheit über seine Geltung die letzte Entscheidung hat. Über die Schaffung des Geldes, also über seine Sache und sein Verfahren, über die inhaltliche Richtigkeit und Regelhaftigkeit staatlicher Entscheidungen betreffs Währungseinheit und Ge1dpolitik, sagt Knapps Theorie nichts aus. Die Bedienungsanleitung für die sachliche Verfahrensseite des Geldwesens nach der Krise, für einen neuen Normalzustand, der anders ist als der naive Frieden von vor 1914, fehlt immer noch. Infolgedessen steht es mit 77 Blessing: Vortrag vor Beamten, Angestellten und Arbeitern der Deutschen Bundesbank am 22. 2. 1959, Frankfurt/Main (unveröffentlicht). 78 Knapp, a.a.O., S. 131.
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A. Währungshoheit und Kreditgeld
den Währungsverfassungen aller Länder schlecht. Sie schweben in einem weitgehend rechtsfreien Raum.
2. Währungshoheit und Geldverfassung In Knapps "Staatlicher Theorie" verschlingen sich offenbar verschiedene Betrachtungsweisen staatlichen Handelns, letztens verschiedene Betrachtungsweisen dessen, was ein Staat ist und kann. Unmittelbar, einfach und einsichtig ist aus Knapps scharfsinnigem Werk nicht abzuleiten, welche legitimen Rechte ein Staat wann über welche Geldphänomene hat und haben kann. Die Unklarheiten sind unseres Erachtens nach die notwendige Folge dreier Unterlassungen: Erstens unterschied Knapp nicht ausreichend zwischen Ausnahmezustand und Norm; zweitens nicht genug zwischen Währung und Geld; und drittens nicht zwischen chartalern Metallgeld und Kreditgeld. Allen drei Unterlassungen liegt zugrunde die mangelnde Unterscheidung zweier Komponenten im Begriff des Geldnominalismus: einer eigentlich und rein nominalistischen, die Namen und Geltung einer Währung im juristischen Sinne betrifft, und einer dezisionistischen, welche es mit der Schaffung des Geldes im technischökonomischen Sinne zu tun hat. Die Begriffe "Währung" und "Geld" scheinen uns bisher keineswegs randscharf genug definiert worden zu sein. Währungshoheit und Geldhoheit werden nicht selten synonym gebraucht oder irgendwie zusammengefügt: "Ein inflationistisches Zeitalter mit einer ganz anderen Wirtschaftspsychologie begann am 2. August 1914. Es begann mit der Beseitigung der Goldwährung. Von nun an änderte sich sukzessive der Währungsbegriff: er wurde identisch mit dem des (papierenen oder giralen) Geldes" sagt Rittershausen dazu79 • In angelsächsischen und romanischen Ländern kommt als weiterer, verwirrender Begriff noch der des "monetary system" (systeme monetaire) hinzu80 • Der Schweizer Gutzwiller meint, daß ein "Währungssystem (die Währung) eine staatliche Einrichtung" sei; zwar sei das Geld "nicht . . . vom Staat geschaffen ... , aber jedenfalls (von ihm) geordnet . . . Geldverfassungen stehen im Recht; was nichts anderes besagen will, als daß sie zunächst unter spezifisch rechtlichen Gesichtspunkten zu betrachten sind". Gutzwiller zieht jedoch eine Grenze zwischen der "Aufrichtung eines systeme monetaire als öffentlicher AnRittershausen: Wirtschaft, a.a.O., S. 260. Vgl. dazu Mann, a.a.O., S. 27 ff., Nussbaum, a.a.O., 8.116/17; Nogaro: La Monnaie et les systemes monetaires, Paris 1948; Mater: Traite Juridique de la Monnaie et du Change, Paris 1925; Jeze: Quelques observations sur le röle et le pouvoir de l'Etat en matiere de monnaie et de papier-monnaie, in Melanges Hauriou, Paris 1929, S. 389 ff. 7 a.
80
2. Währungshoheit und Geldverfassung
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stalt", was mit der Handhabung des staatlichen Imperiums zu tun habe, mit der Erhebung gewisser Metallstücke oder deren Repräsentanten zu gesetzlichen Zahlmitteln, einerseits und "gewissermaßen ... der Naturwissenschaft des Geldes, ... seiner Biologie, Physiologie" anderersei ts 81• In der deutschen Literatur ist die Lage nicht klarer. Max Weber sagt viel zu ungenau: "Der moderne Staat hat sich zugeeignet ... in fast ausnahmsloser Regel: das Monopol der Geldschaffung (Geldemission), mindestens für Metallgeld" 82 • Bei "freier Prägung" besaß der moderne Staat Webers aber gerade nur das Recht zur Benennung und Prägung (Ausformung) der Münzen, auf gar keinen Fall ein Recht - schon gar nicht ein Monopolrecht - auf die Produktion der dem Gelde zugrundeliegenden Sache. Das Verfassungs-, Staats- und Verwaltungsrecht ist demgegenüber auch nicht präziser. Der Wirtschaftsverwaltungsjurist Huber unterscheidet innerhalb eines "Geldregals" einmal "Geldverfassung", dann "Geldverwaltung" (in letztere reiht er merkwürdigerweise das ein, was Gutzwiller "Biologie des Geldes" nannte); er bringt dann noch den Begriff "Geldhoheit" ins Spiel, zu der "auch die Währungshoheit" gehöre, und definiert: "Währung im formellen Sinne ist die Ordnung des nominellen Wertes, der dem Geld als Zahlungsmittel zukommt. Im materiellen Sinne ist ,Währung' die Ordnung des effektiven Wertes (der ,Kaufkraft'), den das Geld im innerstaatlichen Verkehr und auf ausländischen Märkten besitzt." "Die Entscheidung über die Geldverfassung steht dem Gesetzgeber zu, die Entscheidungen der Geldverwaltung werden grundsätzlich der Regierung zugewiesen sein. Doch kann das staatliche Geldregal zur Ausübung an die Währungs- und Notenbank übertragen sein83 ." Offenbar geht es hier immer um zwei, nicht scharf geschiedene, Dinge: einmal um eine konkrete Sache oder ein Verfahren, das im technischen, funktionellen, wirtschaftlichen Ablauf des Gesellschaftsgeschehens eine Rolle spielt, und dann um deren juristische Benennung, Bedeutung, Fixierung, um die Erzwingung ihres Gebrauchs bei bestimmten funktionellen Vorgängen. Um die Unterscheidung zwischen beiden präziser vornehmen zu können, nehmen wir einige Gedanken von Laband und Helfferich wieder auf: "Man hat früher", so argumentiert Helfferich, "unter dem Wort ,Münzregal' das gesamte Verhältnis des Staates zu seinem Gelde zuWährungen als Gegenstände der Gesetzgebung, in: 81 Gutzwiller: Schweizer Jur. Ztg., 39/11, 1942, S. 158 ff. 82 Max Weber, a.a.O., Bd. I, S. 97. 83 Huber: Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2 Bde., Tübingen 1953, 1954, Bd. I, s. 489 ff.
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A. Währungshoheit und Kreditgeld
sammengefaßt. Für die tiefer eindringenden juristischen Erwägungen hat es sich jedoch notwendig gezeigt, innerhalb des alten Begriffs Münzregal zwei verschiedenartige Bestandteile zu unterscheiden, die wir mit Laband als ,Münzhoheit' und ,Münzprägung' bezeichnen können. Münzhoheit ist das in der Staatsgewalt enthaltene und von der Staatsgewalt untrennbare Recht, das Geldsystem durch den Erlaß von Rechtssätzen zu regeln; die Münzprägung umfaßt den technischen Akt der Herstellung der dem Geldsystem entsprechenden Münzstücke." "Es ist einzig und allein das Gesetz, das diesen Metallstücken und Papierscheinen juristische Eigenschaften, durch die sie sich von allen anderen unterscheiden, beilegt, nicht der Akt der Prägung84." -Diese juristischen Erwägungen decken sich mit dem formal-juristischen und insoweit richtigen Kern der Knappsehen Theorie; Knapp sagt: "Wir zahlen mit geformten beweglichen Sachen, welche Zeichen tragen. Als wesentlich kommt noch hinzu: wir zahlen mit juristisch bedeutsamen Stücken .. . Was aber diese Zeichen bedeuten, das wird nicht durch Lesung dieser Zeichen, sondern durch Einsicht in die Rechtsordnung erkannt85 ." Helfferich beruft sich weiter auf Laband: "Die Herstellung von Münzen ist nicht die Ausübung eines Hoheitsrechts, ist keine Betätigung der Staatsgewalt, keine Normierung eines Rechtszustandes, sondern ein industrielles Unternehmen, eine mit Gewinn betriebene Ar-. beitsleistung, welche man im allgemeinen dem Betriebe jeder beliebigen Metallwarenfabrik gleichsetzen kann86. " Bauen wir diese Überlegungen weiter aus, so kommen wir zu dem Schluß, daß nicht nur die Prägung (bei Papiergeld: der Druck) von Geldzeichen ein "industrielles Unternehmen" ist - wobei wir hier statt Unternehmen lieber "technischer Produktionsbetrieb" setzen würden, denn dessen wirtschaftliche Organisationsform kann entweder ein Unternehmen im Markt sein oder eine andere ökonomische Kategorie. Wesentlicher ist, daß bereits die Herstellung der Geldsache (des Geldstoffs, Metall) eine rein technische Angelegenheit ist und mit der staatlichen Hoheit nicht notwendig etwas zu tun zu haben braucht. Auch sie kann wiederum auf gewinnwirtschaftlicher Unternehmensgrundlage organisiert sein oder nicht. Die mögliche Privatheit der Geld"sache" und ihrer Herstellung betrifft nun aber nicht nur den Stoff bei Metallgeld, sondern ebenso die "Sache" eines Kreditgeldes, wobei mit "Sache" keineswegs die Papierherstellung für Banknoten gemeint ist - Kreditgeld kann ebensogut 84 Helfferich, a.a.O., S. 345 ff. ss Knapp, a.a.O., S. 227. ss Laband, zitiert bei Helfferich, a.a.O.; (Laband: Staatsrecht, Bd. II.
8.162).
2. Währungshoheit und Geldverfassung
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Giralgeld wie Notengeld sein-; sondern die vom staatlichen Hoheitsakt der Währungsbenennung zu unterscheidende Geldsache meint bei Kreditgeld eben den Kredit. Liebt man Verbalauslegungen, so steckt in den Verfassungsklauseln, welche die Währungshoheit betreffen, keineswegs eine Legitimation für die Produktion des Geldstoffs oder die Regelung des Geldverfahrens durch den Staat, etwa in der U.S. Verfassung, Art. I, Sect. 8, Abs. 5: "The Congress shall have the power to coin (sie!) money, regulate the value thereof, and of foreign coin, and fix the standard of weights and measures"; wobei der gewählte Zusammenhang mit Maßen und Gewichten darauf hindeutet, daß auch die Währungshoheit nominalistisch gemeint war87• Wir geben Gutzwiller recht, wenn er sagt: "Die Einrichtung eines Geldsystems setzt . . . einen technischen Apparat in Bewegung, der selbst wieder rechtlicher Regelung bedarf" 88 ; aber damit ist keineswegs ausgemacht, ob es sich bei der rechtlichen Regelung, soweit sie die Geldschaffung betrifft, um .die Sphäre des Öffentlichen Rechts handeln muß. Die Herstellung des Edelmetalls, aus dem die Goldwährung hervorging, unterlag den Normen des Bürgerlichen, Privat-Rechts, so wie die jeder Ware. Die Geldsache, der Geldstoff, das Geldverfahren sind aber ökonomisch viel wichtiger als ihre juristische Auszeichnung durch die Währungshoheit; Gerlaff sagt denn auch mit Recht: "Die Sanktion des Geldes durch den Staat berührt in erster Linie die Technik des Geldverkehrs und bedeutet eine technische Vervollkommnung des Geldes89." Wir definieren also: Mit Geld bezeichnen wir eine Sache oder ein Verfahren, welche die Funktion erfüllen, allgemein von jedem Beliebigen als Zähl-, Zahl- und Wertaufbewahrungsmittel verwendet und angenommen zu werden90 • Mit Geldsystem oder Geldverfassung be87 Auf diese Formel berief sich fälschlicherweise in einem "Hearing" 1922 Dr. Wolff vom U.S. Bureau of Standards, um die Verantwortung des Parlaments auch für die Kaufkraft zu beweisen: "Congress has practically limited itself ... to fixing the weight and fineness of composition of coins, whether gold, silver, nickel, or copper. It did not recognize that this merely fixed the value of such coin in terms of the nwnber of grains of gold in the Dollar, which is not an expression of real value in terms of commodities" (zit. in: Fisher: Stahle Money, a.a.O., S. 147). -Die Gelddefinition sollte gerade auf den Metallgehalt beschränkt bleiben. 88 Gutzwiller, a.a.O., S. 160. 89 Gerloff, a.a.O., S. 188. 90 Zum Problem der Gelddefinition s. z. B. Amonn: Der Begriff des Geldes und das Geldwertproblem, Z. f. d. ges. Staatswiss., Bd. 109/1953, S. 665 ff.; Amonn unterscheidet vier wirtschaftliche Funktionen: Tauschmittel, Zahlmittel, Wertmaß, Wertaufbewahrungs- und übertragungsmittel (S. 667). Wir beschränken uns auf die klassischen drei, da die Funktion des Tauschmittels teils in der des Zahlmittels, teils in der des Wertübertragungsmittels enthalten ist.
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A. Währungshoheit und Kreditgeld
zeichnen wir die Organisation und Ordnung der Herstellung, Verteilung und Vernichtung dieser Sache. Es bleibt hierbei gleichgültig, ob es sich bei "Sache" um einen tangiblen Stoff (Metallgeld nach Gewicht), eine bestimmte Form (chartales Zahlmittel) oder um ein funktionelles Verfahren mit Hilfe schriftlicher Darstellung (Notenbankgeld, Giralgeld) handelt. Mit Währung bezeichnen wir die Benennung einer bestimmten Geldsache mit einem Namen durch Hoheitsakt rechtlich dazu legitimierter Stellen und den Befehl einer Rechtsordnung - gegebenenfalls subsidiär wirkend-, sich bei bestimmten funktionellen Vorgängen dieser Sache zu bedienen. In diesem Sinne beinhaltet die Währungshoheit keinesfalls die Verfügungsgewalt über Herstellung, Verteilung und Vernichtung der als Geld geltenden und durch die Währung juristisch verbindlich . gemachten Sache; die Währung hat es nicht notwendig mit dem technisch-ökonomischen Akt des Herstellens, Verfügens oder Vernichtens von Geld zu tun; ihre einzige Berührung mit wirklichen Sachen, Stoffen oder Verfahren ist die "Widmung", die sie einer bestimmten Sache, genauer: einer konkreten Menge einer bestimmten Sache, verleiht, deren technisch-ökonomische Handhabung aber weiter ihrer Verfügungsgewalt entzogen bleiben kann. Unsere Definition trennt also Währungshoheit von Geldverfassung. Der Rechtsstaat bei freier Goldwährung und Goldprägung besaß zwar die erstere, verzichtete aber bei rein nominalistischer Hinnahme eines außerstaatlich bereits geltenden Geldes darauf, über die zweite zu bestimmen. Ein Satz von Helfferich bliebe unverständlich, wenn er nicht eine "autonome", der Währungshoheit vorgegebene, übergeordnete Geld-Verfassung voraussetzte: "Der Staat darf sein Geld nicht außer Kurs setzen, ohne es einzulösen" 91 ; - denn hier steht etwas NichtStaatliches im Hintergrund, in das "eingelöst" werden kann. Ein Staat kann jedoch auch mit einem puren Akt der Währungshoheit in die Geldverfassung eingreifen, sich also auch zu deren Herrn machen. Dies geschieht, wenn er eine Sache zum Gelde ernennt, die ohne einen solchen "dezisionistischen" Akt nicht als Geld gegolten hätte, jedenfalls nicht allgemein. Ob der staatliche Akt der Widmung, Ernennung, Erhebung einer bestimmten konkreten Sache zum Gelde nun ein rein nominalistischer im Sinne von Namen-Gebung ist oder ein dezisionistischer der Aufzwingung einer neuen Sache (oder einer anderen Menge der alten Sache), bestimmt sich allein nach dem Gebrauch, der von Sachen ("als" Geld) im Raume einer vor-staatlichen Ordnung gemacht wird. Eine solche Ordnung kann auch eine über91
Helfferich, a.a.O., S. 354.
2. Währungshoheit und Geldverfassung
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staatliche Ordnung sein oder die Ordnung eines anderen Staates, dessen Geld übernommen oder an dessen Geld die eigene Währung angelehnt wird. Welche konkrete Menge welcher Sache staatlich zum Gelde ernannt wird, ist also nicht nur formal-juristisch bedeutsam, sondern auch materiell-rechtlich von Belang; hier befaßt sich selbst der wirtschaftsfernste, alt-liberalste Staat mit der konkreten Wirtschaftswirklichkeit von Produktion und Verbrauch allein dadurch, daß er eine Währungseinheit als allgemeines, dauerhaftes Normengesetz proklamiert. Aber eine Dezision im Sinne einer Veränderung der konkreten Wirtschaftswirklichkeit ist dies nur, wenn die benannte Sache vor dem staatlichen Akt noch nicht für die Funktion in Gebrauch war, die sie durch ihn erhält. Im Normalfalle wird sozusagen lediglich etwas, das bisher das Politikum eines staatsfreien Marktes war, zum staatlichen Gesetz erhoben, also legalisiert. Wir stoßen hier auf dasselbe Problem, mit dem sich die angelsächsische Jurisprudenz unter dem Begriff der "Classification" beschäftigt hat. Irgendwo tangiert selbst das allerformalste Gesetz die Wirklichkeit, mindestens bei der Definition dessen, was als Gesetzesmaterie bestimmt wird. Als "Wirklichkeit" kann dabei ein so weites Feld gewählt werden, daß faktisch durch ein allgemeines Normengesetz keine Einengung irgendeines Rechtssubjekts, keine Änderung des vor-gesetzlichen Zustands erfolgt; andererseits aber kann auch ein rein formales Gesetz die Wirklichkeit so einengen, daß für eine beträchtliche Zahl von Betroffenen unmittelbar Folgen entstehen92. Umgekehrt bestehen für den Gesetzgeber unüberspringbare Grenzen der Wirklichkeit, vor allem im Geldwesen, wo es schließlich um wirtschaftliche Vorgänge, d. h. um das Verfügen über konkrete, erst zu produzierende Dinge geht, die in einem bestimmten Funktionszusammenhang stehen. Diese Grenzen bekommt jeder Staat dann zu spüren, wenn eine Marktgesellschaft ein von ihm aufgezwungenes Geld repudiiert, oder wenn er eine Sache zur Währung stempeln will, ohne in der Lage zu sein, genügend Umlaufsmengen der neu dekretierten Sache herbeizuschaffen. Der "Normalzustand", der das Unterscheidungskriterium dafür anbietet, ob es sich um einen dezisionistischen oder um einen nominalistischen staatlichen Akt handelt, ist also auch im Währungs- und Geldwesen immer vorstaatlich gegeben, und derselbe staatliche Akt kann, je nach Situation, heute Dezision, morgen bloße Normierung 92 Man nehme als Beispiel die Definition von erlaubten Lastzuglängen oder -gewichten, die, wenn sie weit genug gefaßt wird, niemanden trifft.
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A. Währungshoheit und Kreditgeld
sein. Wobei eine staatlich gesetzte Norm, die bei ihrer Setzung legitim und legal war, durch bloße Änderung der zugrundeliegenden Wirklichkeit "Dezision" werden kann, und zwar ohne daß ein neuerlicher Akt erfolgt, einfach durch ihre wirklichkeitsfremde Beibehaltung. Die reine "legal constancy" genügt also nicht zur Definition des Nominalismus93; zwar konnte die berüchtigte "Mark gleich Mark"-Rechtsprech.ung bis 1923 sich schon nicht mehr darauf berufen - oder hätte es nicht tun dürfen, denn durch die Aufhebung der Goldeinlösungsverpflichtung für Reichsbanknoten 1914 war bereits von der Rechtskontinuität - nämlich bei der Geldschaffung - abgewichen worden. Die Frage der "Richtigkeit" oder "Wirklichkeitsgerechtigkeit" einer einst für die Geldschaffung als dauerhaft gemeinten Goldwährung stellte sich dagegen in den Vereinigten Staaten nach dem Ersten Weltkrieg94. Welches nun der "vor-staatliche" Normalzustand ist, der als Unterscheidungskriterium zwischen Dezision oder Gesetz dient, wird sich nicht immer einheitlich ausmachen lassen, ebensowenig wie immer Einmütigkeit darüber besteht, wann eine Änderung der Wirklichkeit eine Gesetzesänderung erfordert. Ein allgemein anerkannter, unstrittiger, immer gültiger ORDO-Begriff im Sinne einer vorgegebenen Ordnung, an die der Staat bei seinen Hoheitsakten sich "konform" anpassen könnte und müßte, wäre nur naturrechtlich zu postulieren95 . Aber schon bei der bloßen Definition eines solchen treten gewöhnlich Interessenkonflikte auf, so daß, was für den einen oder die eine Gruppe erstrebte Legalisierung durch Norm ist, für die andere nur hingenommene oder gar widersprochene Entscheidung bedeutet, ja, zuweilen als Willkür hingestellt werden kann. Die stärkste Form eines solchen Konfliktes entstammt naturgemäß dem Streit zwischen Marktwirtschaft überhaupt und Zentralverwaltungswirtschaft. Wenn Röpke z. B. sagt: "Eine Verschmelzung von Wirtschaftsprozeß und Regierungshoheit legt eine politische und wirtschaftliche Barriere zwischen den Befehlsbereich und die übrige Welt" 96, und wenn er sich gegen eine solche Verschmelzung ausspricht und die Barrieren beseitigt wissen will, so bedeutet das heute nicht 9.:! Über die sog. "Legal-constancy-theory", s. Nussbaum, a.a.O., S. 14, 135. 94 Damals blieben die Golddefinition und die Goldeinlösung erhalten, erwiesen sich jedoch politisch als unerwünscht, da der Goldeinfl.uß, hätte man ihn sich auf den Banknotenumlauf auswirken lassen, eine inflationistische Bewegung verursacht. 95 Die Suche nach einem unstrittigen, überstaatlichen ORDO-Begriff spielt für die Grundlegung der neoliberalen Schule um Walter Eucken eine ausschlag.g ebende Rolle. - Veit (Grundriß ..., a.a.O., Kap. III, 2; S. 178 ff.) spricht hier von "Gemeininteresse". 96 Röpke: Wirtschaftssystem ..., a.a.O., S. 282. über "offene" und ".g eschlossene" Systeme vgl. auch Veit: Grundriß ... , a.a.O., Kap. I, 3, 4; und s. 72.
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mehr nur ein einfaches Votum für Freihandel, sondern gleichzeitig eine Option für eine bestimmte Welt-Währungs- und Geldpolitik, welche die brisante Forderung in sich birgt, die Folgen der bolschewistischen Revolution zu beseitigen. Denn diese hat ein Welt-Geld unmöglich gemacht. Etwaige Konflikte um eine als vor-staatlich anzunehmende, vorgegebene Ordnung brauchen aber gar nicht so weit zu gehen, daß das System einer Marktwirtschaft schlechthin in Frage gestellt wird. Kollisionen sind bereits möglich, wenn es um die Entscheidung geht, welcher territoriale Bereich als Träger des Marktes behandelt werden soll: nur das Staatsgebiet oder auch größere Regionen oder gar der gesamte Bereich eines Weltmarktes. Je nach der Antwort darauf wird eine bestimmte Staatshandlung als ordnendes Normengesetz oder ab; wirklichkeitsverändernde Entscheidung angesehen werden. So zerstört etwa eine Änderung des Münzfußes bei Metallwährungen oder der Währungsparität und Wechselkurspolitik bei Kreditwährungen durch einen Einzelstaat noch nicht notwendig den Markt iin Binnenraum, wenn auch solche Maßnahmen für den "über-staatlichen" (Regional- oder Welt-)Markt nicht-konforme Eingriffe bedeuten. Stärker kommt das noch bei Devisenbewirtschaftung zum Ausdruck, die den Binnenmarkt unangetastet läßt. - Ob es sich bei solchen Änderungen um Nominalismus oder Dezisionismus handelt, bestimmt sich danach, ob man als vor-staatlichen Ordnungsraum den Bereich einer "privaten" Binnenwirtschaft oder den gesamten Bereich eines "privaten" Weltmarkts ansieht. Hieraus erklärt sich, wieso Knapp im Binnenwirtschaftsraum Nominalist, im Außenwirtschaftsraum jedoch Dezisionist und Ausnahmetheoretiker sein kann. Sein Begriff der "exodromischen Verwaltung" betrifft vornehmlich oder nur das Handeln des Staates nach außen. Die Sicherheit, mit der er hier urteilt, bezeugt, daß er die einzelstaatliche Währungshoheit als unzweifelhaft der Weltmarktorganisation übergeordnet ans.ah. Seine Theorie bricht bereits mit dem ORDO-Begriff des Marktes auf dem Gebiet der Weltwirtschaft und kündigt die politischen Veränderungen an, die in diesem Bereich später auch folgten: die Suspendierung eines freien Welthandels, während die "Staatliche Theorie" binnenwirtschaftlich so interpretiert werden kann, daß dort das Markt- und Geldsystem erhalten bleibt. Allerdings kann eine Auf- oder Abwertung oder Paritätsänderung - unabhängig von ihrem späteren notwendigen funktionellen Effektauch direkte Folgen für alle Binnenwirtschafts-Teilnehmer haben, und zwar dann, wenn die Wirtschaftssubjekte, die sich des durch Staatsbefehl geltenden und nun in seiner Parität veränderten Zahlmittels bedienen, ständig den Außenkurs "mitzudenken" gewohnt waren. Das heißt: wenn sie die Geltung des Geldes niemals von einer bestimmten
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A. Währungshoheit und Kreditgeld
Form seiner Schaffung trennen. Das ist z. B. meist dann der Fall, wenn der Außenkurs einer Währungseinheit bei jedem Akt der Geldverfügung auch im Innern präsent ist, etwa bei einer Metall-UmlaufsWährung97. Handelt es sich dagegen nur um eine metallgedeckte Währung mit papierenen Umlaufsmitteln, also Banknoten, so ist die Grenzlinie zwischen Nominalismus und Dezisionismus, gezogen durch eine außerstaatliche normale Wirklichkeit, weniger eindeutig zu sehen. Erfolgt nach der Auf- oder Abwertung eines Metalles, oder gar nach seiner völligen Demonetisierung, etwa durch Aufhebung der Einlösungspflicht für Banknoten, keine sofortige Anpassung der Binnenpreise unabhängig von den Außenhandelswirkungen, so steht zu vermuten, daß die Bevölkerung gar nicht mehr metallistisch dachte und handelte, sondern bereits chartalistisch, währungssoziologisch: nicht mehr dem internationalen Metallgeld, sondern dem nationalen Kreditgeld vertraute. Insofern ist es irreführend, bei einem reinen, durch Gebrauch normierten, als gesetzliches Zahlmittel durch staatlich dekretierten Annahmezwang nur legalisierten, Kredit-Papiergeld in jedem Falle von "Zwangskurs" (cours force) zu sprechen, wie oft geschiehe8 • Dann würde auch eine staatliche Definition der Währungseinheit bei Goldwährung stets "Zwangskurs für Gold" bedeuten. Ob aber der "cours force" tatsächlich ein dezisionistischer Zwangseingriff in einen Markt war - und in welchen Markt, einen nationalen oder einen Weltmarkt - , hängt davon ab, wieweit der Markt oder ein Teil desselben, etwa das Ausland, die neuen Zahlmittel (Banknoten) bereits als üblich oder als aufgedrängt empfindet, wieweit also vorher die Goldkasse der Banken nur Fassade war. Nur beim erzwungenen Übergang von Metallkurantgeld zu Kreditgeld als gesetzlichem Zahlmittel kann man von Zwangskurs sprechen. Währungshoheit ist also nicht notwendig identisch mit staatlicher Verfügungsgewalt über das Geldsystem, und keinesfalls identisch mit staatlicher Verfügungsgewalt über Produktion, Verteilung und Vernichtung der Geldsache in ihrem technisch-funktionellen Sinne. Nur ein dezisionistischer Akt der Währungshoheit greift in die Wirtschaftsmaterie ein. 97 So sieht A. Rüstow (Zur Soziologie der Währung, Z. f. d. ges. Kred. Wes., J.g. 1955, S. 29) die "soziologische Verwurzelung" einer Goldwährung darin, daß das System "seine Wurzelfasern in die Tasche fast jedes einzelnen Staatsbürgers" senkt; und Rittershausen spricht davon, daß bei "Goldwährung ohne Annahmezwang (für Noten) ein geräuschvoller oder lautloser Grüf des Finanzministers in die privaten Portemonnaies ausgeschlossen" ist (Rittershausen: Internationale Handels- und Devisenpolitik; Frankfurt!Main o. J., S. 188). 98 Dieser Sprachgebrauch z. B. bei Rittershausen, a.a.O., passim.
2. Währungshoheit und Geldverfassung
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Eine solche scharfe Trennung zwischen Währung und Geld ist technisch und politisch - d. h. durch Funktionen und Gewalten - einfach zu vollziehen, solange ein Metallgeld vor- oder überstaatlich als Kurantgeld gilt und akzeptiert wird. Jede Änderung einer technisch eindeutig durch Wiegen und Feingehaltbestimmung definierbaren Menge ist Entscheidung statt Normierung, sobald sie nicht allgemein für alle Verträge gleichmäßig gilt. Sie stört die privaten, funktionellen Wirtschaftsrelationen, die bei nominalistisch geordnetem Metallgeld auch für die Produktion und Verteilung des Geldstoffes maßgebend sein sollten. Ein Metallgeld erlaubt eindeutig die Feststellung, wann die Währungshoheit einen Normalzustand anerkennt und wann sie durch Dezision einen Ausnahmezustand statuiert. Bei reinem Kreditgeld ist diese Feststellung nicht mehr eindeutig zu treffen. Zwar ,g ilt das Unterscheidungskriterium auch hier genau so wie bei Metallgeld, soweit es sich um den Außenkurs der Währung handelt. Abwertungen und Aufwertungen, Änderungen der Parität gegenüber anderen Währungseinheiten, sind auch bei Kreditgeld auf eine griffige "technische" Entscheidung zuzuspitzen und geben die Ausnahme (vom normalen Weltmarktzustand fester Währungsparitäten und daraufhin betriebener Wechselkurspolitik) zu erkennen. In Form eines solchen "räumlichen" - nicht zeitlichen, rekurrenten - Anschlusses an Währungseinheiten anderer Wirtschaftskörper bliebe auch bei Kreditgeld eine scharfe, präzise Definition der heimischen Währungseinheit möglich, wie sie bei Metallgeld durch Festlegung der Einheitsmünze erfolgte. Eine solche Definition würde aber durch den Rekurs auf fremde Währungen die Abhängigkeit von bestimmten außenpolitischen Daten, etwa von einer "Leitwirtschaft" des "Weltmarkts" deutlich machen, was keinem souveränen Staat leicht fallen dürfte. Deshalb definiert wohl auch der Art. IV Set. I a der Articles of Agreement of the International Monetary Fund die Währungsparitäten sowohl durch Relation zum U.S. Dollar als auch durch Beziehung zum Golde. Zudem wäre der Regressus solcher räumlichen Anschlußdefinitionen bei Kreditwährungen nicht unendlich fortzusetzen; irgendwo bleibt am Ende eine Leitwährung übrig, die nicht mehr statisch-technisch durch Relation zu einem anderen Gelde definiert werden könnte. Hier bliebe nur die Rückkehr zum Golde oder aber Knapps Definition durch rekurrenten Anschluß zeitlicher Art möglich. Diese verflüchtigt sich jedoch, konsequent durchgedacht, zu einem "Namen": Schon 1819 war der einzige Zeuge, der sich vor einem britischen Parlamentsausschuß gegen die Wiedereinführung der Goldeinlösungspflicht für das Pfund Sterling aussprach, nicht in der Lage, zu sagen,
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A. Währungshoheit und Kreditgeld
was er sich ohne Golddefinition unter der Währungseinheit "Pfund" vorstellen würde: "It is something that has existed without variation in this country for eight hundred years before the introduction of gold." "This was indeed the only definition he could give" berichtet der Chronist99 • So wendet denn auch noch ein moderner Währungsjurist, F. A. Mann, gegen Knapp ein: "The doctrine of recurrent link does not assist in defining the Pound, because the history of the English Pound is a continuous one" 1oo. Dagegen wiederwn argumentiert Nussbaum: "In England, ,raising' of coins was by no means unknown, and the penny of sterling silver was debased between the tenth and the nineteenth century from 24.00 to 7.27 grains of troy101." Die Rechtsprechung in England deckte- schon in dem bekannten "Case of Mixt Moneys" (1604) - staatliche Münzwertänderungenl02; erst seit der Rückkehr zum Goldstandard nach den Napoleonischen Kriegen bis zur Ab.wertung 1931 hatte dann das Pfund kontinuierlich das gleiche Münzgewicht - allerdings war 1914 bis 1925 de facto die Einlooungspfiicht der Zentralbanknoten suspendiert. Die Verwirrung über die Definition der Währungseinheit ist seit der Verlegenheit des britischen Ausschußzeugen nicht geringer geworden. Knapp sagte - hier als Dezisionist - lapidar: "Eine wirkliche Definition des Zahlmittels dürfte schwerlich zu geben sein, ebenso wie man in der Mathematik nicht sagen kann, was eine Linie oder was eine Zahl ist, oder in der Zoologie, was ein Tier ist103." Miksch schränkt diese Unmöglichkeit auf das Kreditgeld ein: "Ein metrisches Monopol ist im (Kredit)geldsystem nicht möglich1 04." Entsprecllend kapituliert der Währungsjurist Nussbaum: "No more can be said than that ,dollar' is the name for a value which, at any definite moment, is understood in the same sense throughout the community105. " Deutlich zeigt die Verwirrung der Währungsjurist Mann, der im selben Werk kurz hintereinander sagt: "There remains nothing but to consider a unit of account, such as the Pound Sterling, simply as a name for something which cannot be precisely defined ... The unit of account which, in a perhaps not quite satisfactory but generally sufficient manner has thus been defined, not as a mere name nor as a certain quantity of meta! but as an abstract measure of the relation of a given currency In: Nussbaum, a.a.O., S. 5. 1oo Mann, a.a.O., S. 43/44. 1o1 Nussbaum, a.a.O., S. 38. 1°2 Nussbaum, a.a.O., S. 172 ff. 103 Knapp, a.a.O., S. 5. 104 Miksch: Die Geldordnung der Zukunft, Jg. 1949, s. 156. 1os Nussbaum, a.a.O., S. 14. 99
in: Z. f. d. ges. Kred.Wes.,
2. Währungshoheit und Geldverfassung
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standard to its predecessor, is the one essential characteristic of a monetary system106." Hier geht es immer nur um Definitionen der Geltung des Geldes, während die Definition der Schaffung des Zahlmittels vernachlässigt wird - ein Mangel, der wohl der allzu engen Anlehnung an juristische Denkweisen (genauer: Denkweisen der Begriffsjurisprudenz) zuzuschreiben ist. Diesen Mangel weist selbst das Denken amerikanischer Juristen auf, die sonst, ihrem Common-Law-Begriff zufolge, ihm weniger ausgesetzt sind: "Obviously in fact a Dollar or a Mark may have different values at different times. ;But to the law that establishes it, it is always the same" urteilte Justice HoZmes107 • Es bleibt hier zu fragen, was eigentlich "it" ist. Eine juristisch-etatistische Denkweise ist geneigt, zu übersehen, daß die Definition der Geltung des Zahlmittels innerhalb eines bestimmten, vorstaatlichen ORDO-Begriffs untrennbar mit der Definition der Schaffung zusammenhing. Die Beachtung und Aufrechterhaltung beider machte gerade das Nominalistische bei Akten der Währungshoheit aus, gegenüber dezisionistischen Trennungen beider. Der Mangel an klarer begrifflicher Trennung zwischen Schaffung und Geltungsdefinition der Währungseinheit ist es u. E., der eine klare Unterscheidung zwischen Währungshoheit und Geldproduktion bei Kreditgeld so schwierig werden läßt, daß sie selten angetroffen werden kann. Es ist niemals die staatliche Proklamation des geltenden Zahlmittels, die das Zahlmittel in seiner Konkretheit schafft; und umgekehrt: die konkrete Schaffung von Zahlmitteln hat nichts mit dem Akt der Verleihung einer juristischen Bedeutung durch den Staat zu tun. Das trifft auch für Zahlmittel zu, die nicht pensatorischer odeli chartaler Art sind, also nicht "Warengeld" in Metallform sind, nämlich auch für Kreditgeld in Banknoten- oder Giralform. Ohne die mindestens gedanklich vollzogene Trennung zwischen Schaffung und juristischer Geltung von Geld bliebe ein Satz des Währungsjuristen Nussbaum, eines Gegners von Knapp und Anhängers einer gesellschaftlichen Theorie vom Gelde, unverständlich: "It is erroneous to believe that the societary approach as such leads to 1os Mann, a.a.O., S. 44.
107 Urteil von Justice Holmes im Fall Deutsche Bank vs. Humphrey 1926, in: Mann, a.a.O., S. 74. - Das "it" ist eben nicht dasselbe, sobald zwar die Geltungsdefinition aufrechterhalten wird, nicht aber die Definition der Schaffung. In der Terminologie von Rittershausen, der den richtigen Tatbestand meint, kommt dies nicht klar zum Ausdruck: "Kennzeichnend für die Vereinigung von Währung und Zahlungsmittel war der Grundsatz Mark gleich Mark; man hätte auch sagen können, Zahlungsmitteleinheit gleich Währungseinheit" (Rittershausen: Bankpolitik, Frank:furt/Main 1956, S. 59).
4 Arndt
A. Währungshoheit und Kreditgeld
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metallism . . . The societary theory of money and nominalism go well together108. " Wobei wir hinzufügen müssen: Nussbaum meint hier mit Nominalismus nicht Dezisionismus, sondern einen Nominalismus im Sinne streng allgemeiner Normengesetze, welche lediglich die juristische Geltung eines Zahlmittels proklamieren, dessen konkrete Herstellung und Verteilung - auch wenn es sich nicht mehr um eine durch Wiegen und Feingehaltbestimmung definierbare Metallmenge handelt - nicht durch den Staat erfolgt. Diese scharfe Trennung zwischen staatlicher Währungshoheit und nichtstaatlicher Zahlmittelproduktion scheint bei einem Kreditgeld nun nicht mehr durchgeführt. Eine "staatliche" Zentralbank steuert den Kreditgeldumlauf mit konkreten Befehlen, unabhängig davon, ob die Banknoten außerdem vom Staate den Rechtscharakter von "legal tender" erhalten haben. Eine solche Steuerung des Kreditgeldvolumens kann niemals als Ausfluß der staatlichen Währungshoheit konstruiert werden, denn eine staatliche Zentralbank steuert die Geldmenge auch im Normalzustand, sie gibt also "laufend" Befehle, befände sich also einem nominalistisch geordneten Metallgeld gegenüber immer im Ausnahmezustand. Diese ihre Tätigkeit kann ebensowenig aus dem klassischen Recht der Währungshoheit abgeleitet werden, wie Handlungen der Exekutive oder Legislative, die mit Hilfe des Staatshaushalts Einfluß auf die Gesamtgeld-Steuerung und damit auf die Wirtschaftskonjunktur ausüben, noch aus der Steuerhoheit legitimiert werden dürften. Zwar sind solche Zentralbank-Steuerungs-Maßn ahmen meist indirekt die Folge einer bestimmten staatlichen Dezision, nämlich der Demonetisierung eines Metalls und der Proklamation der Geltung einer reinen Kreditwährung. Sie müssen das aber nicht notwendig sein; der Übergang von reiner Edelmetallwährung zur Kreditwährung kann sich auch allmählich und ohne staatliche Dezision im "Normalzustand" einer vorstaatlich gegebenen Ordnung vollziehen. Warum in diesem Falle, abweichend vom Verfahren bei Metallgeld unter dem Geldnominalismus, auch die konkrete Schaffung der Kreditzahlmittel eine staatliche Aufgabe geworden sein soll, kann nicht mehr unter Hinweis auf die klassische Währungshoheit begründet werden. Die Verbreitung reiner Kreditwährungen hat offenbar die vorstaatliche Wirklichkeit so verändert, daß die Trennung zwischen Währung und Geld nicht mehr mit der Eindeutigkeit wie bei Metallgeld vorgenommen werden kann. Entweder muß der Begriff der Währungshoheit verändert werden, oder aber es bedarf zur Legitimation der Kreditgeldsteuerung eines neuen Hoheitsrechts, oder aber es muß eine neue lOS
Nussbaum, a.a.O., S. 18.
3. Privatbankgeld und Währungshoheit
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Konstruktion gefunden werden, mit deren Hilfe auch bei Kreditgeld die konkrete Schaffung der Zahlmittel nicht-staatlich bleiben kann.
3. Privatbankgeld und Währungshoheit Man mag das Geld in Zeiten vor der bürgerlichen Revolution, vor der Entstehung des Rechtsstaats also, als eine "res publica" betrachten, was damals hieß: als eine Sache des Fürsten, - auch wenn es nie an weisen Ratschlägen gefehlt hat, er solle seine Münzhoheit und deren Verleihung als Privileg mit Verantwortung und in Maßen ausüben. Der Fürst besaß oft neben der Währungs- auch die Geldhoheit (nach unseren Definitionen); in den meisten Fällen stammten ursprünglich die zu Münzen ausgeprägten Metalle aus fürstlichem Besitz: Kasse, Beute oder Bergwerk. Diese Regel wurde durchbrachen durch das Vermögen der Kurie und der im Frühkapitalismus aufkommenden Großbankiers und Großkaufleute, - die allerdings, soweit sie nicht selbst Staaten gründeten, in enger Verbindung mit den Fürstenhäusern standento9. Jedoch betraf die Münzhoheit - und die Gesetzgebung gegen das Majestätsverbrechen der Falschmünzerei110 - lange nur das Ausmünzen von Metall, obwohl es schon seit dem Frühkapitalismus andere Zahlungsweisen als die mit Metallgeld gab, so die Handelswechsel der europäischen Kaufmannschaft und sogar einige Giralbanken. Letztere fand man vornehmlich in Kaufmannsrepubliken; nicht selten war ihr Kapital im Staatsbesitzlll. Die Banknote - und selbstverständlich die Bankgutschrift - blieb jedoch lange eine Privatangelegenheit, nämlich ein Forderungszertifikat, das die spätere bürgerliche Jurisprudenz nur graduell von langfristigen Obligationen unterschied, z. B. bei Dritterwerb und bei Kraftloserklärung im Falle des Verlustes oder der Vernichtung112• Die Noten von John Laws "Banque Generale", gegründet 1716, wurden zwar 1718, bei rder Umwandlung der Bank in eine "Banque Royale", 109 "Das größte Finanzgeschäft der beginnenden Neuzeit war die Aufbringung der Mittel, die Karl V. zu den für seine Kaiserwahl nötigen Bestechungen brauchte" (Simmel, a.a.O., S. 428). 110 1351 erklärte Edward III. Falschmünzerei für "Hochverrat"; sie wurde lange mit den schwersten Marterstrafen geahndet. - Dazu Nussbaum, a.a.O., S. 41. 111 Die Giralbanken - im 12. Jh. Bank von Venedig, im 15. Jh. Bank von Genua - versahen damals auch Staatsaufgaben, ohne daß sie dadurch notwendig ihren Bankcharakter verloren. - Dazu Cauboue: Servitude ou liberte de la Banque de France, in Nouv. Revue de l'Economie Contemporaine, Nr. 52, April 1954; und Art. Banque, in: Encyclop&iie ..., a.a.O., Tome II, 1751, S. 60 ff. 112 Dazu Helfferich, a.a.O., S. 289, und Mann, a.a.O., S. 8, Nussbaum, a.a.O., S. 81 ff.
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A. Währungshoheit und Kreditgeld
zu gesetzlichen Zahlmitteln erklärt; die Assignaten waren es von Beginn an; aber der katastrophale Ausgang dieser Experimente brachte für lange Zeit, vor allem in dem betroffenen Land: Frankreich, staatliches Banknotengeld in Verruf113, Seit den Physiokraten und vor allem dann seit Adam Smith empfing die klassische Auffassung, dernach es sich bei Banknoten um Forderungspapiere handelt, lautend auf das einzig legale Geld, nämlich ein Metall-Kurantgeld, ihre systematisch-theoretische Bestätigung. Die französische Encyclopedie erwähnt 1751 unter dem Stichwort "Banque" (compte en banque, credit en banque, virements usw.) kein Wort von "Geld", ebensowenig wie unter dem Artikel "Monnoie" etwas vom Bankwesen zu lesen steht114. Diese Auffassung, daß es sich bei Geld nur um Metallgeld handele, änderte sich auch nicht, als die Staaten dazu übergingen, die Banknotenausgabe in ihrer Hand zu monopolisieren, sie blieb in manchen Staaten bis zum ersten Weltkrieg geltendes Recht. Die Noten der Bank of England (gegr. 1694) erhielten zwar 1833 durch die "Bank of England Act" den Charakter des gesetzlichen Zahlmittels, aber bezeichnenderweise befristet nur für die Dauer der Aufrechterhaltung der Goldeinlösungspflicht; sie konnten also nach Aufhebung der Goldeinlösung repudiiert werden115, Die Noten der Banque de France (gegr. 1800, Notenprivileg für Paris 1803, für ganz Frankreich 1863) wurden erst 1878 auch in normalen Zeiten "legal tender"; im Deutschen Reich wurde die Reichsbanknote am 1. Januar 1910 gesetzliches Zahlmittel. In der Schweiz sprachen sich noch 1949 bei einem Referendum zwei Drittel der Abstimmenden gegen eine Ausdehnung des Legalkurses auf Banknoten austts. In Frankreich hatten gleich nach der Privilegverleihung für die Notenemission im Raum Paris an die Banque de France, 1803, Gläubiger Wechsel zu Protest gehen lassen, wenn die Bezahlung in Banknoten angeboten wurde. Nach der Finanzkrise 1804/05 nahmen der Justizminister und der Conseil d'Etat Stellung zur Frage der möglichen Verleihung des Annahmezwangs an die Noten der privilegierten Bank. Der Justizminister erklärte damals den "Zwangskurs" für unmöglich, da die Banknoten "manquent des caracteres essentiels de toute monnaie publique: ils ne sont empreints d'aucun des signes qui puissent commander obeissance et confiance; ce ne sont, en un mot, 113 Dazu Nussbaum, a.a.O., S. 46 ff., 72 ff.; Ramon, a.a.O., S. 10; Bopp : The Government an.d the Bank of France, Cambridge/Mass. 1941, S. 7. 114 Encyclopedie, a.a.O. 115 Dazu Nussbaum, a.a.O., S. 46 ff., 72 ff. 116 Pose, in: Le Franc, Mythe et Realite, a.a.O. Zur Lage seit 1954 s. u. Anm. B 236.
3. Privatbankgeld und Währungshoheit
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que de simples effets de commerce d'une espece particuliere, dont le crOOit ne saurait etre fonde que sur une confiance spontanee et de pure convention". Trotzdem trugen die Noten damals den Aufdruck: "La Loi punit de mort le contrefacteur". Ein Gesetz vom 28. April 1832 änderte dann die Todesstrafe bei Falschmünzen von Banknoten in lebenslängliche Zwangsarbeit um; der königliche Siegelbewahrer erklärte dazu in der Kammerdebatte: "Toutefois ... c'est un crime contre la propriete et non contre les personnes et quelque grave qu'il soit, la conscience publique ne permet plus l'application de la peine capitale." - Nocll aus den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts kennen wir einen Bericht des Direktors der Niederlassung Caen der französischen Zentralbank, der sich darüber beklagt, daß die Bauern Bezahlung in Metall der in Noten vorziehen und dann das Metall solange bei sich horten, bis sich Gelegenheit zum Grundstückskauf geboten hat117. Es wird zwar kein Zufall sein, daß die Regierungen gerade zu jenem Zeitpunkt ihr Auge auf die Monopolisierung der Kreditgeldausgabe in ihrer Hand zu werfen begannen, da ihnen einerseits durch das Budgetrecht des Parlaments das Mittel der Besteuerung, andererseits durch ein stringentes, vom Parlament verabschiedetes Währungsgesetz das Mittel der Münzverschlechterung fortgenommen wurden. Indes wurde damals der Finanzhunger der Exekutive gerade gezähmt, und das ganze Instrumentarium positivistisch-legaler staatlicher Möglichkeiten war bestenfalls in Latenz vorhanden. Eine Ansicht Lorenz v. Steins aus dem Jahre 1860 hätte als ketzerisch gegolten und galt es noch lange nach ihrer Veröffentlichung: "Der Staatsschatz ist zunächst vorhanden in dem Kassenbestand aller Kassen der Finanzen. Der Staatsschatz im weiteren Sinne besteht dagegen in der Fähigkeit des Staats, Kassenscheine oder Staatspapiergeld mit bloßer Steuerfundation auszugeben118." Erstmalig wurde unseres Wissens erst in den berühmten "legal-tender"-Fällen des amerikanischen Bürgerkrieges der Annahmezwang von Papiergeld aus der staatlichen Münzgewalt abgeleitet, so durch Justice Strong: "Every contract for the payment of money simply is necessarily subject to the constitutional power of the government over the currency"119; aber hier handelte es sich um Staatspapiergeld, nicht Privat-Kreditgeld, und bezeichnenderweise wurden auch während dieser "Greenback"-Periode Goldklauseln in Privatverträgen von den Gerichten anerkannt. Als Papiergeld war außer in solchen Ausnahmezeiten nur Banknotengeld bekannt, und dieses galt ursprünglich nur als "akzesso117
118 119
In: Ramon, a.a.O., S . 69, S. 74, S.l79, S. 265, S. 98. Lorenz v. Stein, a.a.O., S. 476. Dazu Mann, a.a.O., S. 74, 124, 13; Nussbaum, a.a.O., S. 583 ff.
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risches" Zahlmittel; es kursierte vornehmlich unter der Kaufmannschaft - daher die lange sich haltende Vorstellung seiner "Deckung" durch gute Handelswechsel- und später unter den Warenproduzenten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Bezeichnend ist dafür auch die Entwicklung der Notengröße. Das Gesetz vom 24. Germinal des Jahres XI (14. April 1803), das der Banque de France das Emissionsprivileg für den Raum von Paris verlieh, schrieb eine Mindestnotengröße von 500 Francs vor. 1847 wurden Noten von 200 Francs eingeführt; die Debatte darüber in der französischen Abgeordnetenkammer dauerte vier Tage; 1848 folgte dann die 100-Francs-, 1870 die 25-Francs- und 1871 die 5-Francs-Note; alles, wie man sieht, Ergebnisse von Kriegs- und Revolutionszeitenl20. - Im Deutschen Reich lautete noch 1906 die kleinste Reichsbanknote auf 100 Mark; dann erhielt die Reichsbank das Recht zur Ausgabe von 50-Mark- und 20-Mark-Noten; in Großbritannien führte erst das "Currency and Bank Notes Act" von 1914 die Pfund- und die 10-Sch.illing-Note einl21. Die Privatbanknote war marktkonform, solange sie auf einer TeilDeckung in staatlich legalisiertem Kurantgeld oder dessen Metall beruhte: sor,gsam gehütete Metallstücke oder Barren, die in ihrer Masse aus der ersten Kapitaleinzahlung der Eigentümer und dem Außenhandelszufluß stammten. Die Teil-Deckung in Metall hielt sich in einer nach funktionellen Marktzusammenhängen zu gestaltenden Relationlange als "Goldene Bankregel" bezeichnet- zur anderen Teil-Deckung durch erstklassige Handelswechsel und Lombardwerte, also kommerzielle Papiere, zu denen auch in normalen Zeiten sichere kurzfristige Staatsschatzwechsel gerechnet wurden. Ein System von privaten Notenbanken auf Metallwährungsgrundlage entspricht den Funktions-Erfordernissen der Marktwirtschaft, weil ihr Passivgeschäft "echt" ist: es beruht auf Einlagen in Form eines Kurantgeldes, das die Banken nicht selbst beliebig produzieren können. Sie müssen sich in Kurantgeld "liquide" halten wie jedes private Unternehmen am Markt. Die Nachfrage nach Kredit schafft zusammen mit dem Angebot aus Einlagen und Kapital einen Preis, der dem Markt unterworfen ist. "Marktpreis" heißt in diesem Zusammenhang: freie Zins- und freie Kursbildung, Orientierung der Diskont- oder Zinspolitik an der Metallklasse, Umlauf der Noten als Privat-Zahlmittel ohne staatlichen Zwangskurs und staatlichen Annahmezwang. 120 Zum Gesetz von 1803: Jeanneney: Textes de Droit ... , a.a.O., 8 . 102; Zur Einführung geringerer Notengrößen, Ramon, a.a.O., S. 212; Aymard, Art. zum 150jährigen Jubiläum der Banque de France, in: Revue Economique franco-suisse, Nr. 6, Juni 1950, 30. Jg. 121 Stucken, a.a.O., S. 7; Nussbaum, a.a.O., S. 47/48.
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Solche Banken sind dem Risiko des Konkurses genau so ausgesetzt wie jedes Unternehmen der Güterwirtschait; sie müssen eine Kreditpolitik auf gewinnwirtschaftlicher Grundlage treiben mit dem Ziel, die Strafe einer Kurseinbuße, des Umsatzruckgangs und des Konkurses zu vermeiden. Ein solches System des privaten Notenbank-Kreditgeldes hat es lange gegeben, und es gibt Geldfachleute, die noch heute die Rückkehr zu einem System der freien Konkurrenz privater Notenbanken sogar ohne die Basis eines Metall-Kurantgeldes empfehlen122• In diesem Fall soll die Notenausgabe meist auf Grundlage der "Deckung" durch Handelswechsel, durch Steuereinnahmen garantierte Staatskassenwechsel und eventuell noch eine klar definierte Art lombardfähiger Wertpapiere erfolgen, so wie es im Banksystem früher neben dem Metallgeld üblich war. Was von modernen Verfechtern eines solchen privaten Notenbanksystems jedoch zuweilen übersehen wird, ist die Tatsache, daß es heute innerhalb eines bestimmten Währungsraumes zumindest das Bestehen eines metrischen Monopols voraussetzt. Dieses metrische Monopol würde nicht, wie gewöhnlich gemeint wird, nur in abstracto eine Währungseinheit als "Recheneinheit" definieren und es dem Verhalten der Privaten überlassen, womit sie in concreto zahlen. Ein metrisches Monopol muß ein definitives Kurantgeld betreffen, mit dem konkret bezahlt wiro. Denn erstens: In einer Geldart müssen Schulden endgültig getilgt werden können, und wenn diese Geldart nur subsidiär vom Staate verordnet wird; und eine Werteinheit muß zweckmäßigerweise die Rechen- und Verrechnungseinheit sein, oder die in hochkomplizierten Wirtschaftsordnungen unumgängliche Forderung nach Vertrags- und Kreditrationalität ist nicht erfüllt. Es bedarf daZiU aber der Benennung einer bestimmten konkreten Sache zur Werteinheit; das metrische Monopol, das dieses vornimmt, wird aller geschichtlichen Erfahrung nach beim Münzherrn, beim Staate liegen. Es schadet, wie erwähnt, nicht der Marktkonformität des Geldes, solange es nominalistisch bleibt. Ein Staat, der darauf verzichtet, eine konkrete Sache als Währungseinheit zu benennen, riskiert, selbst das metrische Monopol zu 122 z. B. hält Miksch (Die Geldschöpfung in der Gleichgewichtstheorie, S. 314 ff., a.a.O.) ein ökonomisches Monopol für die Kreditgeldschöpfung nicht für unabänderlich; und Rittershausen sagt: "Es wäre ohne weiteres möglich, auch heute noch durch Aufhebung der entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen und Schaffung anderer Institutionen das Geld wieder seiner ·Sonderexistenz zu berauben und in den Rang eines nur graduell verbesserten, d. h. nur durch die zusätzliche Unterschrift der Bank in puncto des Kreditrisikos verbesserten Kredits herabzustoßen" (in: Wirtschaft, a.a.O., 8.153).
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verlieren und Zustände heraufzubeschwören, wie wir sie heute im zwischenstaatlichen Raum als das Dilemma zahlreicher Wechselkurse zahlreicher Währungen kennen; - Zustände, die ja gerade überwunden werden sollen und deren Überwindung im innerstaatlichen Raum ja gerade zu den besonderen, zentralisierenden Leistungen des modernen Staatsapparats gezählt wird. Eine extreme Reprivatisierung nicht nur des Geldes, sondern sogar der Währung, wie sie z. B. die Indexgeld-Anarchie im Deutschland der zwanziger Jahre und im modernen Frankreich darstellen, ist der politischen Anarchie nicht fern. Und zum zweiten: Es genügt nicht, den Staat nur eine "Rechenwährung" definieren zu lassen und der Privatwirtschaft die Aufgabe freizugeben, mit welcher konkreten Werteinheit sie zahlt1 28 . Eine nur als Rechengröße di,e nende Währungseinheit wäre weder als konkrete Sache noch als konkretes Verfahren - etwa als Bankbuchung - wirklich und begreifbar; man könnte mit ihr nicht nur nicht zahlen, sondern auch schon nicht rechnen. Die Tatsache, daß irgendwo die metrische Definition einer realen Menge "gewidmet" werden muß, bleibt hier verborgen. Wir geraten hier wieder in die Diskussion über den "Namens"Charakter der Werteinheit. Nach unserer Meinung ist es zwar keinesfalls notwendig, daß, wie Nussbaum sagt, "der Ausdruck ,Geld' dem stofflichen Geld (physical money) vorbehalten bleiben solle, nämlich Münzen und Papiergeld"124; aber der Schluß, den der zitierte Autor an derselben Stelle zieht, erscheint uns ebensowenig zutreffend: "Whether the unit itself is actually represented by specific money is of no consequence." Durch irgendeine konkrete Sache ist die Werteinheit immer repräsentiert, und wenn es sich um ein konkretes Verfahren handelt, etwa die Monetisierung von Markterwartungen in Form eines Bankkredits, der eine Buchung zur Folge hat. Es hat ZIWar nicht selten eine Trennung von Recheneinheit und Zahlmittel gegeben, und da, wo man eine Verpflichtung in heimischer Währung ausdrückt und tilgen muß, aber auf fremder Währung "indexiert", gibt es sie heute noch. In solchen Fällen stellt sich aber das Problem der Definition der Recheneinheit als konkreter Sache immer noch; in früheren Zeiten, als man mit aus dem Umlauf gezogenen Währungen weiter "rechnete", orientierte man sich an irgend einem Warenindex, oder in Wirklichkeit war doch das Zahlmittel gleichzeitig 123 So will Rittershausen eine metallene "Hilfs- und Rechenwährung" nach der Anregung der Pelerin-Gesellschaft einführen (in: Int. Hand. u. Dev. Pol., a.a.O., S. 354); während Miksch, wie oben Anm. 104 erwähnt, ein metrisches Monopol bei Kreditgeld für unmöglich hält und dieses daher einem Metall anvertrauen will, das aber nur als Recheneinheit gebraucht werden soll (Die Geldschöpfung ... , a.a.O., S. 322). 124 Nussbaum, a.a.O., S. 16, 115.
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Recheneinheit; heute steht und fällt ein indexierter Vertrag mit der Gesundheit der Indexbasis. In Zeiten galoppierender Inflation kann so, wie es mit dem Dollar 1922 und 1946 im Deutschen Reich und in den Westzonen geschah, eine ausländische Währung heimlicher Wertmesser sein; aber das eigentliche Problem ist damit nur um eine Phase verschoben. Alle Versuche, das Gold oder den US-Dollar nur als Rechengröße zu verwenden -was manchmal als "Gold Management System" oder als "Gold Parity Standard" bezeichnet wird12 5 - , laufen darauf hinaus, an irgendeiner Stelle die Werteinheit einer konkreten Menge "aufzusetzen", sei es nun der manipulierte Dollar oder das manipulierte Gold. Meist bedeutet "Rechengröße" nur, daß eine bestimmte konkrete Sache zwar da und grundlegend, aber nicht im Umlauf ist. Der "Name", den der Nominalismus dem Gelde gibt, muß an irgendeiner Stelle immer einer konkreten Sache verliehen werden, zumindest einem konkreten Verfahren. Das gesamte System der Marktwirtschaft beruht darauf, daß es konkretes Geld gibt. Max Weber hat das klar gesehen: "Die Kapitalrechn.u ng in ihrer formal rationalsten Gestalt setzt ... effektive - nicht konventionell zu irgendwelchen rein technischen Zwecken fingierte - Preise und also eJfektives, als begehrtes Tauschmittel umlaufendes Geld voraus (nicht bloße Zeichen für technische Betriebsabrechnungen)l~." An irgendeiner Stelle muß also der Hoheitsakt, der die Werteinheit benennt, mit der konkreten Wirklichkeit verzahnt sein; dies deshalb, damit man mit dem staatlich sanktionierten Geld weiter innerhalb des funktionellen Tauschsystems, das Marktwirtschaft genannt wird, beim Tausch konkrete Mengen bewerten und bezahlen kann.
Nun könnte allerdings der "Name" der Recheneinheit theoretisch vom metrischen Monopol jeder beliebigen Sache aufgesetzt werden. In dem Gedanken allein liegt bereits die Denaturierung des Nominalismus vom allgemeinen Normengesetz zum Dezisionismus: der metrische Monopolist würde sich nicht darum kümmern, welche konkreten Mengen von der von ihm benannten Sache im wirklichen Markt zu Zahlungszwecken benutzt werden, ja überhaupt nicht, ob die von ihm bestimmte Sache im Raume eines vorstaatlichen ORDO Zahlmittel ist. Einerseits ist diese Indifferenz des Staates als metrischen Monopolisten gerade das, was eine Metallwährung, die auf privater, konkurrenzunterworfener Metallproduktion beruhte, marktkonform machte und es gestattete, den Geldnominalismus in das System allgemeiner Normengesetze einzubeziehen, nämlich dann, wenn die "marktrichtige" 126 126
Nussbaum, a.a.O., S. 121; Mann, a.a.O., S. 30. Max Weber, a.a.O., Bd. I, S. 49/50.
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Sache benannt wurde. Andererseits: geschieht das nicht, wird eine "falsche" Sache benannt oder wird die Produktion der "richtigen" Sache marktunkonform verfälscht, so wird nach diesem Prinzip der Nominalismus zu Tode geritten, etwa wenn ein Staat durch Befehle an die geldschöpfende Zentrale eine Hochinflation verursacht und gleichzeitig eine "marktkonforme" Rechtsprechung deckt, für die die angeschiwollene Menge der umlaufenden Werteinheiten an Geltung und Zahlmittelfunktion nichts ändert -, wie auch immer die Preise und der Geldwert sein mögen. Die Bindung des Geldnamens an eine konkrete Sache geschieht bei Abgehen von einer Metallwährung zur Kreditwährung nun gewöhnlich durch die Ausstattung der Noten und Konten einer gewissen konkreten Bank mit der Eigenschaft des gesetzlichen Zahlmittels. Wo das definitive Kurantgeld nicht mehr durch ein zugrundeliegendes Metall dargestellt wird, muß der metrische Monopolist zumindest einer von ihm ausgewählten Bank eine Art "regiminaler Fundation" für ihre Zahlmittel .g eben, etwa die Steuerfundation oder die des gesetzlichen Zahlmittels. Nach diesem Prinzip etwa forderte Helfiferich 1923 die Rentenbank als private Währungsbank, getragen von den "freien Kräften der Wirtschaft", und trat gleichzeitig nachdrücklich für die Erklärung der Rentenmark zum gesetzlichen Zahlmittel ein127. In diesem Falle brauchte sich der nur "metrische" Monopolist immer noch nicht um die konkrete Menge der von dieser Bank geschaffenen Zahlmittel zu kümmern. Er könnte der Bank - wie selbstverständlich allen ihren nicht privilegierten Konkurrentinnen - die Zahlmittelschaffung weiterhin nach dem Prinzip des freien und privaten Geschäfts überlassen -, auch ohne Goldkasse und mit reinem Kreditgeld. Seine Funktion: eine konkrete Sache mit einem Namen zu benennen und damit zum gesetzlichen Zahlmittel zu machen, hätte er erfüllt: jeder, der einen Kredit von dieser bestimmten Bank erhält, besitzt gesetzliches Geld. Nun könnte man hier einwenden: damit hätten wir doch eine Definition des Zahlmittels, die keine "historische" ist und doch recht konkret. Jedoch, müßten wir da mit Knapp antworten: die Definition der Werteinheit fehlt; sie geschieht hier wieder nur durch rekurrenten Anschluß an eine aufgegebene Metallwährung oder durch Anschluß an eine fremde Währung. Und zwar fehlt die Definition der Werteinheit - die bisher durch die Metallmenge erfolgte - deshalb, weil nicht genau angegeben werden kann, unter welchen Bedingungen jeder Beliebige jederzeit welche Höhe von Kredit erhalten kann und soll. Das Prinzip des Geldnominalismus als eines allgemeinen N ormengesetz.es, 127
s. dazu Schacht: Die Stabilisierung ..., a.a.O., S . 59/60.
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angewandt auf die Kred.itgeld-Schöpfung, erforderte, daß man hier eine Antwort geben kann, die jederzeit für jeden Beliebigen gilt, so wie bei Goldwährung jederzeit jeder Beliebige eine Währungseinheit erhielt, der eine gewisse Menge GoLdes zur staatlich€n Münze brachte. Mit dem Prinzip des Geldnominalismus als allgemeinem Normengesetz, angeblich dem Rechtsstaats- und Marktprinzip, ist bei der Geldschöpfung in dem Augenblick gebrochen worden, in dem nicht mehr bindend, dauerhaft und für jeden Beliebigen geltend gesagt werden kann, unter welchen Bedingungen denn Geld geschaffen werden kann. Dieser Bruch mit dem Geldnominalismus bei der Geldschaffung geschieht bei KreditgeLd immer: Statt ein für allemal gültige, klar umrissene Geschäftsbedingungen für die geldschaffenden Stellen: die privilegierten Banken, festzulegen, wie es analog durch das Münzgesetz für die staatlichen Münzstätten ,geschah, wird "Kreditpolitik" getrieben, d. h. die Bedingungen der Geldschöpfung werden ständig, und für die einzelnen Marktteilnehmer unvoraussehbar, geändert. Trotzdem bleibt der Nominalismus für die Geltung der derart unnormiert geschaffenen Zahlmittel in Kraft: etwas gesetzlos Geschaffenes soll als Gesetz gelten. Es könnte die Produktion von Kreditgeld noch durchaus der Kon~urrenz Privater unter einem metrischen Monopol überlassen bleiben, wenn es für seine Herstellung mengenbezogene Kriterien wie bei Metallgeld gäbe, wo Kosten durch Überwindung stofflichen Widerstands und durch Organisieren von Arbeit entstehen. Jedoch sind die sach- und organisationstechnischen Kosten der Zettel- und Giralgeldproduktion, gemessen an dem durch Nachfrage zu erzielenden Preis, gleich Null. Daß Privatbanken scharf kalkulieren müssen, kommt nicht daher, daß sie im Wettbewerb stehen oder Lohn- und Sachaufwendungen haben, sondern hauptsächlich daher, daß sie das Geld nicht so beliebig produzieren können, wie es Notendruck und Kontenführung eigentlich erlaubten. Sie sind durch organisatorische, juristische Bestimmungen an eine Zentral-Notenbank gekoppelt, und diese bestimmt die Grenzkosten künstlich, in Form von Befehlen an das PrivatbankSystem, und nicht unter einem allgemeinen, dauerhaften, stringenten N ormengesetz. Nun brauchte eine Zentralbank ihre Kreditpolitik nicht als ökonomischer Monopolist zu treiben. Ein Staat könnte eines von mehreren geldausgebenden Instituten durch Gesetz besonders auszeichnen, etwa indem er seinem Gelde gesetzliche Zahlkraft verleiht, und die übrigen als PrivatgeLd-Institute bestehen lassen. Die besonders ausgezeichnete Modellbank besäße dann zwar kein ökonomisches Monopol, gäbe aber "Modellgeld" aus und müßte sich deshalb ".modellgerecht" verhalten, d. h. eine Modell-Kreditpolitik treiben. Das heißt aber nichts anderes
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als: sie müßte sich genau so verhalten, wie es eine Monopol-Zentralbank bei manipulierter Währung in einem gut regierten Staat auch zu tun ,bestrebt ist. Sie würde vor genau denselben Problernen stehen, vor denen alle Zentralbanken der Welt als ökonomische Monopolisten auch stehen. Eine so skizzierte "Theorie des privaten Kreditgeldes" wäre also, genau besehen, nur eine andere Ausdrucksform für die heute praktizierte zentralisierte und monopolisierte Geldschöpfung. Sie ist völlig identisch mit ihr, wenn man die Giralgeld schaffenden Privatbanken als "Konkurrenten" einer privilegierten und deshalb vom Staat beaufsichtigten, notenschaffenden Zentralbank ansieht. Das Giraldgeld der Privatbanken wäre dann nicht, wie in Modellen der Geldtheorie gewöhnlich dargestellt, eine auf das Zentralbankgeld aufgestockte, von ihm abhängige, aufs engste mit ihm verzahnte "Etage", sondern eine weitgehend selbständige Geldsorte, eine Geldware "heterogener" oder gar "homogener" Art. Seine Produzenten müßten sich lediglich dem "Marktführer" Zentralbank (Modellbank) jeweils anschließen, wie auch Produzenten auf anderen unvollkommenen Märkten. Eine solche Auffassung wird heute noch durch einige Tatsachen unterstützt. So äußerte Schacht vor dem Dawes-Ausschuß bei der Beratung des Reichsbankgesetzes 1924 die Auffassung: "Die Reichsbank muß in der Lage sein, unter Umständen den privaten Banken eine direkte Konkurrenz zu rnachen" 12B. Noch 1927 vertrat er vor einem deutschen Untersuchungsausschuß diese Ansicht. Als der Ausschußvorsitzende Georg Bernhard ihn fragte: "Es hat ja (früher) gerade ein häufiger Kampf zwischen den Banken und der Reichsbank um das Wechselmaterial stattgefunden, in dem sich die Reichsbank dagegen wehrte, daß die Banken bestrebt waren, das gesamte Wechselmaterial von ihrer Kundschaft heranzuziehen . . . Ist das heute nicht in viel geringerem Maße der Fall?", beklagte er diesen tatsächlichen Zustand und fügte hinzu: "An den gesetzlichen Bestimmungen liegt es nicht; die gesetzlichen Möglichkeiten werden nicht ausgeschöpft1 29.'' Weiter spricht für die Ansicht, daß es sich bei der Beziehung Zentralbank-Privatbanken um wirtschaftliche Konkurrenzbeziehungen handelt, die weitgehend auf dem Privatrecht beruhende Rechtsform dieser Beziehungen (dazu unten Kapitel 6), und schließlich die Tatsache, daß das Giralgeld der Privatbanken kein gesetzliches Zahlmittel ist und keinen "Zwangskurs" hat. Eine Banküberweisung befreit nur 12a 129
Schacht, a.a.O., S. 131. Aussage von Schacht vor dem Ausschuß zur Untersuchung der Er-
zeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Wirtschaft, in: Verhandlungen und Berichte des Unterausschusses für Geld-, Kredit- und Finanzwesen: Die Reicll.sbank, Berlin 1929, S.132/33.
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dann von einer Schuld, wenn der Empfänger sich vorher - etwa durch Bekanntgabe seines Bankkontos auf der Rechnung - damit einverstanden erklärt hat; das Bürgerliche Gesetzbuch in Deutschland nennt z. B. Privatbank-Giralgeld nicht unter den Zahlmitteln. Die alte juristische Debatte, ob Noten Forderungsrechte oder Geld darstellen, hat sich heute auf das Giralgeld verlagert. "Währung ist ein System von Ge1dzeichen", sagt der Jurist Gutzwiller13o, "und ohne solche Konkretisierung gibt es, gesunder Auffassung nach, kein Geld im Rechtssinne . . . Die juristische Betrachtung schließt deshalb ein Giroguthaben aus der GeLddefinition aus, weil es nicht Gegenstände oder Sachen darstellt." Auch ökonomische Einwände .gegen den Geldcharakter des Bankguthabens können gebracht werden, z. B. daß für Sichtguthaben Zinsen bezahlt werden. In den Vereinigten Staaten in denen durch Gesetz eine solche Verzinsung von Sichtguthaben untersagt ist - hat man dies mit einer "imperfect moneyness" erklären wollen; es .gilt aber wohl die Auffassung von Lukas: "Wohl ebensogut hätten seinerzeit die entstehenden privaten Notenbanken ihre Noten verzinslich gestalten und (einen) ... Kuponbogen mitgeben können131 ." Daß das Giralgeld, wenn es überhaupt "Geld" ist, eine "private Ware" darstellt, könnte letztens damit begründet werden, daß wenigstens prinzipiell Privatbanken private Unternehmen sind, die fallieren können; ihre Geschäftsführung erfolgt unter privatem Marktrisiko. Alle diese Voraussetzungen- Privatcharakter der Giralbanken und ihrer Guthaben, Wettbewerb zwischen Zentralbank und Privatbanken - sind jedoch heute in allen hochindustrialisierten Staaten stark durchlöchert. Mag bürgerlich-rechtlich das Giralgeld nicht als Zahlmittel anerkannt sein; im Bereich des Ö:llfentlichen Rechts, etwa des Verwaltungsrechts, gilt es de facto als zum Währungswesen gehörig. Die Zentralbank trifft mit ihrer Kreditpolitik das Giralgeld der Privatbanken. Der Staat behandelt in Krisenzeiten fallierende Bankunternehmen anders als die Konkurse von Wirtschaftsunternehmen außerhalb der Ge1dsphäre. In der Bankenkrise 1931 z. B. vertrat Schacht ursprünglich den gemäßigten Standpunkt, das Deutsche Reich solle Beträge bis zu 10 000,- RM für "den kleinen Gläubiger" garan130 Gutzwiller: Die internationalen Währungspläne und das internationale Recht, in: Schweiz. Jur. Zeit., Nr. 9/10, Jg. 40, 1944. 131 Lukas: Aufgaben des Geldes, Stuttgart u. Berlin 1937, S. 274, Anm. 89. - Gegen die enge juristische Auffassung Rittershausen: Wirtschaft, a.a.O., S. 150/151, der auch (in mündlicher Mitteilung) darauf hingewiesen hat, daß man eventuell aus dem Paragraphen 387 (Aufrechnung) des BGB den soziologischen Geldcharakter von Giralgeld auch ohne ausdrückliche Legalisierung rechtserheblich gestalten könnte: "Schulden zwei Personen einander Leistungen, die ihrem Gegenstande nach gleichwertig sind, so kann jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teiles aufrechnen."
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tieren, große Gläubiger dagegen, "die die wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und Zusammenhänge genau übersehen mußten", die Konsequenzen ihres Handeins tragen lassen1Z2 • Die Lösung sah schließlich anders aus: das Reich stützte die großen Privatbanken in allen ihren Verpflichtungen, und nach der Sanierung besaßen Reich, Reichsbank und Golddiskontbank vom Grundkapital der drei größten Banken: Deutsche Bank ein Drittel, Commerzbank zwei Drittel und Dresdner Bank fast das gesamte AktienkapitaJ133. Nach der Bankenkrise im Deutschen Reich 1931 wurde das Kredit(wie das Versicherungs-)Gewerbe unter Sonderkuratel gestellt; seit 1931 gibt es eine Bankenaufsicht; seit 1934 gilt das Kreditwesengesetz1M. Die private Wirtschaftsfreiheit der Bankiers ist weit mehr eingeschränkt als die jedes anderen Wirtschaftsbürgers im modernen Staat, und nimmt man Tätigkeit der Bankenaufsicht und Befehle der Zentralbank zusammen, so muß als Wesentliches hinzugefügt werden: eingeschränkt nicht nur durch "marktkonforme" allgemeine Normengesetze, sondern auch durch die Pflicht, unerwartbaren Befehlen z:u gehorchen. In manchen Staaten ist auch heute noch eine besondere Sorte Zentralbankgeld, nämlich Zentralbankguthaben, bürgerlich-rechtlich eine Privatsache, d. h. hier: der Staat kann es nicht durch einen Hoheitsakt aufdrängen, es ist kein gesetzliches ZahlmitteL In anderen Staaten wiederum ist selbst die Zentralbanknote, wo sie gesetzliches Zahlmittel ist, kein ausschließliches, nämlich da, wo Gold- oder W ertsicherungsklauseln erlaubt sind. Man kann aus dieser Mischung zwischen zwingendem und dispositivem Recht ersehen, in welchem ÜbergangsSchacht: 76 Jahre meines Lebens, Bad Wörishofen 1953, S. 361. Dazu Lüke: Von der Stabilisierung zur Krise, Zürich 1958, S. 351/52. 134 In Deutschland bestanden außer dem Hypothekenbankgesetz vom 13. 8. 1899 (RGBl. 375) lange keine Beschränkungen für das Privatbankwesen. VO des Reichspräsidenten vom 19. 9. 1931 (RGBl. I 493) führte die Bankenaufsicht ein, dann 5. 12. 1934 Reichsgesetz über das Kreditwesen (RGBl. I 1456), neue Fassung 29. 9. 1939 (RGBl. I 1953); dazu Huber, a.a.O., S. 743 ff., Stucken, a.a.O., S. 104 ff.; neues KWG verabschiedet 10. 7.1961. In Frankreich wurden seit dem Gesetz vom 13. 3. 1917 Spezialbanken gewisser Wirtschaftszweige (vor allem des Klein- und Mittelgewerbes und der Landwirtschaft, Genossenschafts- und Volksbanken) einer gewissen losen Staatsaufsicht unterstellt; 1941 wurde unter deutschem Besatzungseinfluß das Bankwesen im "Comite d'Organisation" korporativ-ständisch organisiert; auf dieser Organisation - deren nicht-staatlicher Charakter teilweise beibehalten wurde - baute dann das Gesetz Nr. 45-015 vom 2. 12. 1945 auf, das die Banque de France und vier große Depositenbanken verstaatlichte und einen nationalen Kreditrat schuf (Jeanneney: Textes ..., a.a.O., S. 318, 508, und die Angaben unten Kapitel 5 a). In den USA besteht eine Zwangsversicherung für alle Bankeinlagen von - seit 1950 - zehntausend Dollar, die bei Federal Reserve Banken eingelegt sind (dazu Cahn: Der Segen der Depositenversicherung, in: Z. f. d. ges. Kred.Wes., Jg. 1958, S. 736). 132
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zustand sich das Währungswesen jetzt noch, Jahrzehnte nach dem Abgehen von der juristisch "säuberlichen" Metallwährung, befindet. Der Währungsjurist Nussbaum sagt denn auch: "The rules relating to money are scattered over various fields of law- contract, administrative, constitutional, criminal, procedural, international, etc.1ss." Für gewisse Maßnahmen der GeLd- und Kreditpolitik fehlt überhaupt jede Rechtsgrundlage. Zum Beispiel bestehen weder für die ursprüngliche Absicht, die sich mit dem Zwang zur Mindestreservenhaltung für die Privatbanken verband: die Liquiditätssicherung, noch für die Manipulationsmöglichkeiten, die sich später aus dieser einmal eingeführten Auflage ergab: Kreditpolitik durch Regulierung der Geldmenge, ausreichende verfassungsmäßige Grundsätze136. In der Bundesrepublik wird für Unterschreitungen des monatlichen Mindestreservesolls ein Sonderzins erhoben. Der völlig normfremde Befehlscharakter dieses Sonderzinses geht klar aus einer Äußerung im Geschäftsbericht der Bundesbank für 1958 hervor: "Die Höhe des Sonderzinses für Unterschreitungen des Reservesolls war früher in den Mindestreserveanweisungen festgelegt. Im Gegensatz hierzu wird sie nach der neuen Anweisung jeweils von der Bundesbank angeordnet1 37." Immerhin werden doch durch Mindestreservebestimmungen Privatvermögen zwangsilliquidisiert, und zwar nach der faktischen Entwicklung der Geldpolitik der meisten Marktwirtschaftsländer mit "Einbahn-Effekt", d. h. mit äußerst geringer Wahrscheinlichkeit der Wieder-Liqu.i.disienmg. Im Grunde stellt diese Maßnahme also eine Art "kleiner Währungsreform" dar, eine verfassungsrechtlich unbegründete Zwangs-Illiquidisierung, - was doch gewiß eine schärfere Form des Eingriffs in private Vermögensrechte darstellt als eine Zwangs-Liquidisierung, wie sie jede Enteignung gegen Entschädigung bedeutet, ein Eingriff, der verfassungsrechtlich streng geregelt ist. Um eine andere Form der Zwangs-Illiquidisierung oder "Liquiditätsenteignung", die das Investitionshilfegesetz in der Bundesrepublik anordnete, hat es scharfe Rechtsauseinandersetzungen gegebenlss. Dd.e Aufga;ben, Pflichten ,und Ermächtigungen einer Geldverwaltung, etwa einer Zentralbank, werden zwar in jeweiligen positiven Gesetzen geregelt - die Ermächtigungen strenger als die Pflichten und Aufgaben-, aber die verfassungsmäßige Legitimation fehlt dazu. Das Recht des Staates, Steuern zu erheben - auch eine Form der "Ent1 35 1 36
Nussbaum, a.a.O., S. 44.
s. dazu unter Kap. 6 b.
Geschäftsbericht der Deutschen Bundesbank für 1958, S. 61. 138 Der Ausdruck "Liquiditätsenteignung" ist von Strickrodt eingeführt worden. - Zum Investitionshilfegesetz (7. 1.1952, BGBl. I, 7) vgl. das Gutachten von Forsthoff; dazu Huber, a.a.O., Bd. II, S. 230 ff. 137
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eignung", die auf "Liquidität" abzielt - gehört zu den klassischen Rechten und wird doch immer wieder in den Verfassungen ausdrücklich erwähnt. Es darf nicht Wunder nehmen, wenn Währungsjuristen bei der Untersuchung einer Währungsreform zu dem Ergebnis kommen, im Grunde stelle sie eine steuerliche Maßnahme dar, und wenn Staatsrechtier das materielle Währungsrecht ebensowenig in den Rechtsstaat einbeziehen können wie das materielle Steuerrecht und, wie Hettlage, zu dem Ergebnis kommen: "Diese Herausnahme des Steueranspruchs aus dem Verfassungsschutz ,gegen enteignende Eingriffe bedeutet eine wesentliche Durchbrechung des ganzen rechtsstaatliehen Schutzsystems. Tatsächlich ist sie auch das trojanische Pferd des Sozialismus im bürgerlichen Rechtsstaat139." Die "kleine Währungsreform", als welche wir die Mindestreservenpolitik bezeichneten, wäre demnach auch eine Art Besteuerung durch Blockierung, und in der Tat sind dann auch die Funktionsfinanz und die Monetary Fiscal Policy auf die Steuerpolitik als Form der Währungs- und Geldpolitik gestoßen. Wenn Steuerpolitik und Währungspolitik - wieder, müssen wir sagen, seit den Zeiten des Absolutismus - so eng zusammenrücken können, so ist dies wohl ein Beweis mehr, daß das reine Kreditgeld, die "managed currency", mit der Privatwirtschaft, als dem Wirtschaften vieler Einzelner im Funktionszusammenhang des Marktes, nicht mehr zu meistern ist. So erkennt denn auch Lutz, daß es bei Kreditgeld "prinzipiell nicht den geringsten Sinn (habe), die Geldschöpfung der durch freie Konkurrenz geregelten privaten Tätigkeit zu überlassen", und daß es "sinnlos" sei, von einer möglichst reichlichen und billigen Versorgung mit Geldscheinen als Verhaltensmaxime zu sprechen, so wie man das noch bei Metallgeld und bei allen anderen Gütern und Leistungen kann140. Zwar geht die Ge1dschöpfung auch bei Kreditgeld noch in privat-geschäftlicher Form vor sich, aber das "Dilemma" ist nach Lutz, daß "für die Aktivseite desselben Geschäfts- die Kreditgewährungein prinzipiell anderes Organisationsprinzip zweckentsprechend ist als für die Passivseite- die Schaffung von Geld"141 . Lutz gelangte denn auch erst zu der Folgerung, daß "die Goldwährung die Geldordnung der Wettbewerbsordnung sei"; später sprach er sich dann für den "Chicago-Plan" eines "100-vH-Geldes" aus, die Deckung des Privatbankgeides zu 100 vH durch Zentralbankgeld, was den Unternehmenscharakter der Privatbanken gänzlich vernichten würde142. 139 Hettlage: Die Finanzverfassung im Rahmen der Staatsverfassung, in: Veröff. d. Vereins d. dtsch. Staatsrechtslehrer, Heft 14, Berlin 1956, S. 5. S. auch unten Anm. E 25, E 27. 140 Lutz: Das Grundproblem ..., a.a .O., S. 4. 141 Ebenda. 142 Ebenda; s. a . Fisher: 100 Ofo Money, New York 1936.
3. Privatbankgeld und Währungshoheit
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Daß das Kreditgeld nicht der freien Konkurrenz überlassen werden kann, sondern in irgendeiner Form gesteuert werden muß, ist im Grunde seit der "Bullion"-Kontroverse in England Mehrheitsmeinung. Damals konnte es allerdings noch einfach an ein Kurantgeld mit metallischer Grundlage gebunden werden; heute wird eine Rückkehr zur "vollautomatischen" Steuerung durch das ~ld nur noch von wenigen vertreten143• Meist wird, wenn das Gold ins Spiel kommt, eine geordnete "Misch!währungsform" empfohlen, die letztens aber doch wieder auf eine manipulierte Währung hinausläuft, etwa auf eine solche, die, wie Veit es nennt, so dirigiert wird, "als ob" ihr Gold zugrundeläge144 . So beklagt Eucken es mit Gestrich als "merkwürdig, daß die Wettbewerbswirtschaft gerade eine zentralgeleitete, machtvolle Geld- und Kreditpolitik braucht"; er sympathisiert mit dem "Chicago-Plan", weil der Grund für die Unstabilität des Kreditgeldes für ihn darin liegt, daß "die Banken zu Münzstätten wurden"; ein 100-vH-Geld ist Eucken dann aber schließlich doch noch zu wenig sicher, da es vom guten Willen des Staates abhängt, und deshalb empfahl er eine Warenreservewährung, in der statt ~1d ein bestimmtes Warenbündel als stoffliche "Deckung" für das umlaufende Banknotengeld dienen soll145. Welche politischen Schwierigkeiten bei der Verwirklichung eines solchen Planes überwunden werden müssen, und wo seine prinzipiellen Tücken liegen, werden wir noch unten im 8. Kapitel behandeln. Wir sind der Meinung, daß der Mensch die Verantwortung für das Geld, nachdem es als Kreditgeld nun einmal "machbar" geworden ist, nicht wieder an irgendeine "Automatik" zurückdelegieren kann, auch nicht in der Form eines "als ob". In Wirklichkeit könnte auch eine solche Automatik den Charakter einer politischen Entscheidung nicht leugnen, und zwar einer recht archaischen. Dem Entstehen eines reinen Kreditgeldes liegt nämlich eine konkrete politische Entwicklung mit höchst präzisen organisatorischen Folgen und einsichtigem historischem Sinn zugrunde: Die Währungsform einer Kreditwährung, in der das Geld durch Ausleihen geschaf143 Dazu etwa Rist: Defense de l'Or, Paris 1953; Palyi: Die Währung am Scheideweg, o. 0. 1960, S. 289. 144 Veit: Grundriß ..., a.a.O., S. 805 f.: "Ansätze zur ,gesteuerten Goldwährung"', und ders.: Die Verantwortung der Notenbank, in: Der Wert unseres Geldes, S. 33, dort Vorschlag einer suspendierten Goldwährung ähnlich 1924 im Deutschen Reich; H. J. Rüstow: Verbesserte Goldumlaufswährong, in: Z. f . d. ges. Kred.Wes., Jg. 1955, Heft 1, und das Sonderheft derselben Zeitschrift zum Goldproblem Nr. 1, 1955. - Zur effektiven Rolle des Goldes im heutigen Währungssystem, s. unten Kap. 6 b. - Der Ausdruck "Mischwährung" bei Miksch: Die Geldordnung der Zukunft, a.a.O., S. 155 ff. 145 Eucken: Die Wettbewerbsordnung und ihre Verwirklichung, in: ORDO, Bd. 2, Bad Godesberg 1949, S. 78 und passim. - Zur Auseinandersetzung mit dem Warenreserveplan, s. unten Kap. 8 a.
5 Arndt
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fen und durch Tilgen vernichtet wird, stellt die Geldverfassung auf die Einkommenserwartungen der Marktgesamtheit, d. h. auf eine psychologisch-soziologische Größe innerhalb eines Funktionszusammenhangs. Infolgedessen fällt es auch so schwer, ein internationales, überstaatliches Kreditgeld zu schaffen. Die Goldproduktion war noch als Technioum ein ubiquitäres Phänomen. Das Gold trat als mit Arbeit, Organisationsgabe und Technik produzierte Menge sozusagen über-staatlich in den privaten Wirtschaftsraum ein. Es erwies sich deshalb stärker als Unordnung, Anormalität, Ausnahmezustände im Staatswesen, bis heute, wo es bei Aufweichung der "Staatswährung" sofort wieder als heimlicher oder offener, geduldeter oder verfolgter Wertmesser und als tatsächliches Zahlmittel auftaucht. Es durchschlug sogar Kriege und Revolutionen. Demgegenüber beruht die Kreditgeldproduktion auf vielen Imponderabilien, von denen nicht die geringsten Normalität, Ordnung, Frieden im gesamten Währungsraum sind. Helfferich sagt deshalb mit Recht: "(Es) könnte ein einigermaßen stabiles Verhältnis zwischen dem Gelde dieser Staaten nicht bestehen, solange nicht die gesamte Papiergeldausgabe für sämtliche Staaten eine einheitliche wäre und von einer Zentralstelle aus geleitet würde. Die Voraussetzungen für ein solches Papiergeld wären keine geringeren als diejenigen für den ewigen Frieden." Unmittelbar davor behauptet Helfferich aber - u . E. wiederum mit Recht -: "Nicht nur die Gerechtigkeit und das Gesamtinteresse der Volkswirtschaft, sondern auch die Entwicklungsgeschichte des Geldes scheint mithin auf die reine Papierwährung als auf die ideale Geldverfassung hinzuweisen1~."
Was als zu erhaltender "Normalzustand" bei einer Kreditwährung angesehen werden muß, ist nicht mehr so eindeutig auszumachen wie bei einer Metallwährung. Es handelt sich nicht mehr um die Fixierung von Metallmengen und um eine Geldpolitik, die sich um Aufrechterhaltung d ieses einmal fixierten "Kurses" bemüht, sondern es geht um die Steuerung von Erwartungen einer Marktgesamtheit. Nach der Demonetisierung des Goldes bedarf es eines neuen Rechts, weil eine neue Sache politisch geworden ist: die Kreditge1dsteuerung. 146
Helfferich, a.a.O., S. 591, 588.
B. Kreditgeldsteuerung als Herrschaftsmittel Die Legalisierung des Phänomens der Kreditgeldsteuerung, und die Legalisierung der Steuerung treibenden Zentralstelle, einer Zentral"bank", ist bisher in allen Staaten, die ihre Wirtschaft in Form einer Kreditgeld-Wirtschaft organisieren, nur unvollkommen gelungen. Einen Grund sehen wir darin, daß das Phänomen der Steuerung selbst, in seinen konkreten, sachlichen Eigenschaften, in seiner Wirkung auf die betroffenen Menschen, als politisches Organisationsprinzip, noch nicht zureichend erkannt ist. Es trat übrigens nicht nur vom Gelde her in den politischen Raum ein; fast gleichzeitig drang es auch von demjenigen Bereich in die Politik ein, dessen Steuerungsorgan das Kreditgeld ist: von der Wirtschaft her. Das Konzept der "Sozialen Marktwirtschaft" arbeitet heute ausdrücklich mit "Steuerung" als einem Kernbegriff, ja als demjenigen Begriff, durch den sich eine "Soziale Marktwirtschaft" recht eigentlich sowohl von der eines "Laissez-FaireManchestertums" als auch von einer "gelenkten, Zentral-VerwaltungsWirtschaft" zu unterscheiden sucht1 • Eine ins einzelne gehende Analyse des phänomenologischen Charakters der "Steuerung" von Menschen mittels des Kreditgeldes können wir hier nicht bieten. Wir begnügen uns mit einigen systemlogischen Folgerungen aus dem System einer Marktwirtschaft heraus. Organisiert sich eine Wirtschaft auf dem Gelde, so stellt sie den technischen Fortschritt unter das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Das heißt: im Bereich des eigentlich technischen Erzeugens und Verbrauchens wird keinerlei inhaltliche, sachliche Gemeinsamkeit unter den Wirtschaftenden gefordert, im Gegenteil, nach dem Prinzip des Wettbewerbs lebt eine Geldwirtschaft gerade aus Antagonismen der Erzeuger und Verbraucher gegen- und untereinander, durch solche Gegensätze wird der Markt konstituiert. Die Motive der innerhalb des Bereichs einer Geldwirtschaft wirkenden Gegensätze begreifen wir als "Interessen" 2 ; den Generalnenner aller Motivationen innerhalb einer 1 Dazu etwa Mü.Her-Armack: Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft, Harnburg 1948, S. 90 ff.: Prinzipien einer gesteuerten Marktwirtschaft. 2 Wir verwenden hierbei den Ausdruck "Interesse" auch im juristischen Sinne; so etwa bei Forsthoff (Lehrbuch des Verwaltungsrechts, München und Berlin 1958, S. 305): "Eine Entschädigung kommt bei beschränkendem Eingriff nicht in Betracht, wenn er bloße Interessen und Chancen beeinträchtigt. ... Das sind Eingriffe in Interessen, aber nicht in Rechte."
5*
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B. Kreditgeldsteuerung als Herrschaftsmittel
Marktwirtschaft, gewöhnlich Erwerbstrieb oder so ähnlich genannt, nennen wir "allgemeines kommerzielles Interesse". Der Markt wäre also als diejenige wirtschaftliche Organisationsform zu begreifen, in der sich der technische Fortschritt durch Auseinandersetzungen von Interessen um Geld vollzieht. Der Zwang, Einkommen zu maximieren, zwingt die Interessenten dabei, nachfragerichtig und technisch fortgeschritten zu produzieren und anzubieten; was und wie produziert wird, bestimmt nach dem Modell die Konkurrenz aller gegen alle. Es scheint an dieser Stelle geboten, darauf hinzuweisen, daß die Organisation durch Konkurrenz von Geldinteressenten nicht die einzige Wirtschaftsform ist, mit der technischer Fortschritt erzielt werden kann. Ein Hinweis darauf gehört um so mehr zu unserem Thema, als staatliche Anstalten innerhalb eines Rechtsstaats in den meisten Fällen produzierende Betriebe sind und als solche gezwungen, auch technisch modern zu sein. Zum Beispiel können Krankenanstalten so begriffen werden. Nicht immer jedoch sind sie auch Marktunternehmen, d. h. nicht immer vollzieht sich ihr Engagement am technischen Fortschritt durch Anpassung an das Funktionsgefüge eines Marktes als Geldinteressent. Wo Betriebe nicht Marktunternehmen sind und trotzdem technisch modern und nachfragerichtig produzieren sollen, müssen andere Motivationen als die Einkommensmaximierung vorausgesetzt werden, z. B. bei Krankenanstalten ein ethischer oder intellektueller Antrieb. In einer ähnlichen Lage befindet sich eine Zentralbank als Kreditgeldsteuerungszentrale, wenn sie nicht mehr als Unternehmen begriffen werden kann und trotzdem die Geldproduktion steuern soll. Ist für den Markt das Vorhandensein von Interessenverschiedenheiten konstitutiv, so hat er als Grundlage doch eine "gemeinsame Sache", n ä mlich die Unterordnung unter ein konkretes Geld. Die Annahme, Hinnahme dieser sachlichen Gemeinsamkeit bedeutet für die Marktteilnehmer die Unterwerfung unter ein bestimmtes Organisationsprinzip, die exklusive Verwendung eines bestimmten Verfahrens beim Wirtschaften. Daß es sich hier um ein Organisationsprinzip handelt und nicht um die mehr oder weniger zufällige Bildung einer Gemeinsamkeit aus d em individ.ualistischen Handeln vieler Einzelner, die "irrational" am (Gold-)Gelde h ängen, mag bei einer Metallw ährung weniger deutlich werden als bei einer Kreditwährung. Bei letzterer ist das nicht mehr zu übersehen: es kann bestimmter "regelnder" Eingriffe "von oben" oder "von außen" bedürfen, um die Geldorganisation als solche und die auf ihr ruhende Marktwirtschaft zu erhalten. Die Kreditgeldsteuerung läßt die Geldorganisation und die Marktwirtschaft als eine Herrschaftsorganisation erkennbar werden.
4. Zentralbanken zwischen Kommerzialität und Herrschaft
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Im Vollzug einzelner Steuerungsmaßnahmen wird dies deutlich sichtbar: dann üben nämlich konkrete Menschen auf andere konkrete Menschen Einfluß durch Handhabung der Kreditgeldmechanik aus. Die pure Existenz des Geldes ruht nicht mehr, wie es noch bei Metallgeld begriffen werden konnte, auf den kumulierten individualistischen Wünschen vieler Einzelner, sondern auf dem Gehorsam aller gegenüber den Steuerungsmaßnahmen konkreter Personen. Die Herrschaftsausübung innerhalb dieser manipulierten Geldorganisation braucht nicht bis zu Währungsreformen, Barkassenbegrenzungen, Hortungsoder Privatkreditverboten zu gehen; sie geschieht, worauf wir später noch hinweisen werden, oft mit Mitteln, die dem Bereich des allgemeinen kommerziellen Interesses entstammen und deshalb auch mit Instituten des Privatrechts legalisiert werden können. Bei mindestens einem Instrument der Geldpolitik ist jedoch der herrschaftliche Charakter der Geldsteuerung deutlich zu sehen, nämlich bei der Mindestreserven-Festsetzung und -manipulation. Es ist deshalb nicht nur übertrieben, sondern schlicht falsch, der Wettbewerbsordnung und ihrer Geldorganisation einen "anarchischen" Charakter zuzuschreiben3 ; sie ist durchaus eine durch menschliche Eingriffe gesteuerte und regelhafte Organisation, und zwar eine politische, weil sie Befehle und Gehorsam gegenüber Befehlen kennt. Die Stelle, die legitim eine Marktwirtschaft durch Befehle steuern kann und muß, ist bei Kreditgeld die Zentralbank. Wir beschränken uns bei der weiteren Behandlung der Funktion der Geldsteuerung einstweilen auf die Maßnahmen der Zentralbank, ohne zu vergessen, daß auch die "klassischen" Staatsorgane Geldsteuerung betreiben können, z. B. in Form der Funktionsfinanz. An dieser Stelle geht es uns nur um eine systemlogische Untersuchung über die Stellung von Zentralbanken im Steuerungssystem. 4. Zentralbanken zwischen Kommerzialität und Herrschaft Solange eine Zentralbank noch "Bank" ist, etwa: ein privilegiertes Monopol-Emissionsinstitut auf Basis eines als unantastbar geltenden Metall-Kurantgeldes, eine Bank unter Banken im Weltmarkt, können ihre geldpolitischen Akte als Folge ihrer kommerziellen Stellung im Weltmarkt begriffen werden. Die Wirkungen ihrer Geldpolitik (etwa: einer Diskontheraufsetzung) auf die individuellen Wirtschaftsteilnehmer sind einsehbare Folgen einer kommerziellen Unternehmens3 So etwas Baudin: La Monnah~ et la Formation des Prix, Paris 1947, S. 642, der von einer "anarchischen Theorie des Geldes" spricht und damit eine solche meint, die Gerloft als "gesellschaftliche" im Gegensatz zu Knapps "staatlicher" bezeichnen würde.
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B. Kreditgeldsteuerung als Herrschaftsmittel
Situation. Die Zentralbank operiert mit allen anderen Unternehmen zusammen im Raum des "allgemeinen kommerziellen Interesses". Ist jedoch ein klarer oder ein "schleichender" Bruch mit der Außenhandelslage als Orientierungskriterium erfolgt, steuert eine Zentralbank ein weitgehend "souveränes" Währungsgebiet, so sind ihre Steuerungsmaßnahmen nicht mehr in dieser Art kommerziell zu legitimieren. Trotzdem kann aber eine Zentralbankmaßnahme die Planungen, ja, sogar die Existenz einzelner Wirtschaftsteilnehmer weiter zuweilen hart treffen, und dies liegt auch in ihrer Absicht. Denn diese Absicht kann geradezu darin bestehen, Grenzproduzenten oder Grenznachfrager vom Markte auszuschließen, genauer: ihre Einkommenschancen zu verringern und sie gemäß den "Marktgesetzen" zu zwingen, sich mit ihrer Produktion oder ihrer Arbeitskraft in solchen Bereichen zu engagieren, wo sie auch unter der verordneten Kreditrestriktion noch rentabel, d. h. mit maximalem Einkommen, produzieren können. Mit dem Hinweis auf eine schwankende Menge an internationaler Liquidität - der "Deckung" in Edelmetall - kann dann eine Zentralbank eine solche, eindeutig "Herrschaft" ausübende Maßnahme nicht mehr begründen. Schon bei Orientierung am Weltmarkt und dessen "Weltgeld" läßt sich die notwendig zu haltende Menge an internationaler Liquidität keinesfalls, wie die Deutsche Bundesbank richtig feststellt, nur "rein quantitativ aus irgendwelchen statistischen Relationen" bestimmen; sie ist von den internationalen Konjunkturschwankungen und den am Weltmarkt geltenden Kreditfazilitäten abhängig4 • Aber so ergeht es auch den Dispositionen anderer Marktunternehmen, die trotzdem kommerzielle Dispositionen bleiben. Eine Zentralbank, die verpflichtet ist, unter dem streng nominalistischen Münzgesetz einer Metallwährung den "Automatismus" der Goldpunkte zu beachten, muß nach kommerziellen Überlegungen handeln, die ihr, wie jedem Unternehmen, empfehlen, sich entsprech,end der Marktlage für die zu erwartenden Zahlungsleistungen liquide zu halten, und zwar liquide in einer GeLdsorte, die sie nicht selbst schaffen kann, sondern die ihr, wie jedem anderen Unternehmen, durch die staatliche Benennung einer Werteinheit, bestehend aus international liquidem Metall, vorgeschrieben wurde. Eine Zentralbank dagegen, deren eigenes Kreditge1d das legale Kurantgeld gewovden ist, und für welche die Konjunkturschwankungen des Binnenmarktes maßgebender sein sollen als die des Weltmarktes, 4 Geschäftsbericht der Deutschen Bundesbank für 1958, S. 52. Muthesius gibt für das Frühjahr 1958 folgende Zentralbankbestände an internationaler Liquidität an: USA 20 Monate, Schweiz 12 Monate, Westdeutschland 6Y. Monate, Großbritannien 2 Monate, Frankreich 1 Y. Monate (Inflation, Frankfurt/Main 1958, S. 174).
4. Zentralbanken zwischen Kommerzialität und Herrschaft
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exekutiert nur noch die "Gesetze" des "Systems" der auf der Geldrechnung und dem Prinzip der Einkommensmaximierung beruhenden Marktwirtschaft. Und zwar so, daß in jedem einzelnen Fall einer Zentralbankmaßnahme diese "Gesetze" in ihren direkten Funktionsbezügen einsehbar, aufzeigbar und fühlbar werden: die Zentralbank erhöht den Diskontsatz, die Mindestreserven, senkt einen Kreditplafond, - und bestimmte marginale Wirtschaftsteilnehmer geraten deshalb in Schwierigkeiten. Die Situation ist also ganz anders als bei rein kommerziellen Änderungen der Geschäftsbedingungen einer im Weltmarkt als Bank operierenden Zentralbank, denn die eintretende Folge wird ohne Umweg über kommerzielle Erwägungen (etwa: auf Grund eines Bilanzstatus) direkt .gewollt. Die Kreditrestriktion einer Zentral"bank", welche Kreditgeldsteuerungszentrale eines souveränen Währungsgebietes geworden ist, ist in letzter Konsequenz direkt darauf angelegt, Grenzproduzenten illiquider zu machen oder gar auszuschalten, und bei Krediterleichterungen vice versa. Wenn Schumpeter sagt: "This economic system cannot do without the ultimate ratio of the complete destruction of those existences which are irretrievably associated with the hopelessly unadapted" 5 , so haben wir in der Zentralbank eine Instanz vor uns, die im Grenzfalle diese Zerstörung direkt beabsichtigen und vornehmen muß. In ihr wird die "invisible band" des Adam Smith nunmehr sichtbar. Die "Herrschaftsposition" bestimmter Personen, hier: der Zentralbankleitung, ist also unmittelbar einsehbar; deren Legitimationsgrundlage jedoch bleibt oft unverstanden. Sie hleibt es deshalb, weil sie noch im Raum der "klassischen" Staatsbegriffe gesucht wird, während sie in Wirklichkeit eine Steuerungsfunktion ist, welche sich nicht aus den klassischen Staatsaufgaben ableiten läßt, sondern nur aus dem System einer auf dem Geld beruhenden Marktwirtschaft. Diese Wirtschaftsform aber konnte und sollte im Denkmodell des klassischen Staates und seiner Metallwährung gerade nicht als Herrschaftsorganisation begriffen werden. So behauptet Franz Böhm, daß die Gewerbeordnung von 1869, Modellbeispiel für die Einführung einer Wettbewerbsordnung durch Gesetz, die "offene Absage der Wirtschaftsgesetzgebung an das Herrschaftsprinzip . . . (bedeutet habe) und die allgemeine Proklamation der herrschaftsfreien Wirtschaftsverfassung"6. An anderer Stelle führt er über die Organisationsform dieses "herrschaftsfreien Systems" Näheres aus: "Die Geset:zmäßigkeiten dieses Systems (sind) außer6· 6
Schumpeter, a.a.O., S. 252.
Franz Böhm: Wettbewerb und Monopolkampf, Berlin 1933, S. 128.
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staatliche, gleichsam naturgesetzliche Zwangsläufigkeiten ... , da hier durch die Kraft eines menschlichen Triebes, des Ertragsstrebens, unter bestimmten äußeren Umständen, nämlich eines Zustandes der gewerblichen Freiheit, der Automatismus eines Kampfverlaufes in Gang gesetzt wird. Dieser Automatismus ist es, der es verhindert, daß die Ordnung der freien Verkehrswirtschaft als soziale Ordnung empfunden wird7." In späterer Zeit ist zwar - z. B. von Müller-Armack - darauf hingewiesen worden, daß es sich bei der Marktwirtschaft keinesfalls um einen "Voll-Automatismus" handele, sondern um einen "der Bedienung und Steuerung bedürftigen Halbautomaten", um ein "in die verschiedenen Datenkonstellationen einfügbares, formalwirtschaftliches Verfahren", "welches in den verschiedensten sozialen Rahmen zu funktionieren vermag" und "durchaus instrumentalen Charakter" trägt. "Begreifen wir die Marktwirtschaft als variablen Rechnungsund Signalapparat, so ist in dieser formalen Bestimmung ihres Wesens gleichzeitig ausgesagt, daß dieser Apparat das Ziel des Wirtschaftens nicht von sich aus bestimmt, sondern als ein Datum hinnimmt8." Es muß an dieser Stelle aber daran erinnert werden, daß die Marktwirtschaft ,eben doch ein "Apparat" ist, dessen Funktionieren davon abhängt, daß die "Signale" (z. B. Preisveränderungen), die er gibt, nicht nur bemerkt, sondern auch beachtet und befolgt werden, also zu einem bestimmten Handeln führen. Die jeweils sich ergebenden, womöglich auch die "von außen eingegebenen" Ziele wevden nur dann erreicht, wenn die Wirtschaftssubjekte den Signalen gegenüber auch Gehorsam zeigen, etwa: Produktionen verändern, Arbeitsplätze wech~ seln usw. Müller-Armack hat dies in einer früheren Veröffentlichung deutlich ausgedrückt: "Man kann die Form des Kapitalismus direkt als einen Antizipations- und Realisationsmechanismus :flür wirtschaftlichen Fortschritt auffassen9." Bei Kreditgeld richtet sich die Tätigkeit der Zentralbank direkt und primär auf die Administration dieser "Marktgesetze", das heißt gegebenenfalls auch auf die Zerstövung von durch sie nicht mehr gerechtfertigten Existenzen. Der ehemalige Reichsbankpräsident Schacht berichtet in bezeichnender Wortwahl, daß nach: den scharfen Kreditrestriktionen der Reichsbank im April 1924, die in einem absoluten 7
Ebenda, S. 369.
Müller-Armack, a.a.O., S. 94, 90, 93, 92. Müller-Armack: Entwicklungsgesetze des Kapitalismus, Berlin 1932, S. 37, zit. bei Kraus: Wirtschaftswachstum und Gleichgewicht, Frankfurt/ 8
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Main 1955, S.152.
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Kreditzuwachsstop .gipfelten, Konkurse "wie ein Herbststurm" stattfanden; ihre Zahl stieg von März bis Juli 1924 von 68 auf 117310. Eine Zentralbank ist unter den Instrumenten einer modernen Wirtschaftspolitik dasjenige, das zuweilen negative, hemmende Maßnahmen ergreifen muß und auch über ein entsprechendes Stehvermögen verfügen soll. "Zentralbanken sind das technische Instrument, dessen sich Techniker auf Grund technischer Kenntnis und Erfahrung auf dem Währungsgebiet unparteiisch zu bedienen haben", sagt dazu ein deutscher Zentralbankpräsident, Vocke 11 ; "Der Fachmann verträgt Unpopularität", fügt ein deutscher Währungsjournalist, Muthesius, hinzu12. Insofern trifft die folgende Überlegung von Oskar Morgenstern eher auf eine Zentralbank als auf die klassischen Staatsorgane zu: "Im Widerspruch zu heute allgemein vertretenen Ansichten folgt ... , daß eine absolutistisch-autokratische Regierungsform einer liberalen Wirtschaftspolitik keineswegs widerspricht, sondern dieser - wenn sie überhaupt einmal .beschlossen ist - viel größere Möglichkeiten einräumt, als sonst der Fall ist. Der Grund hierfür liegt darin, daß es bei freier Wirtschaftsgestaltung weniger darauf ankommt, positive Maßnahmen zu setzen, ·als vielmehr solche zu unterlassen . . . Der autoritäre Staat kann ... wirklich ,Nein' sagen13." - Es ist heute weniger "der Staat", also Parlament und Regierung, die "Nein" gegenüber Forderungen sagen, sondern die Zentralbank; dagegen bemühen sich Legislative und Exekutive nur zu oft, Engpässe, die womöglich erst durch "negative" Zentralbankmaßnahme in bestimmten Wirtschaftssektoren entstanden oder verschärft worden sind, durch "positive", gezielte Maßnahmen wieder auszugleichen oder doch, wie es gewisse neo-liberale Wirtschaftspolitiker forderten, die durch die Zentralbank "signalisierten" notwendigen Anpassungsbewegungen zu erleichtern14 • Der Herrschaftscharakter der Geldadministration und ihres Organs, der Zentralbank, zeigt sich auch darin, daß eine solche Bank eben Zentrale ist. Bei Kreditgeld wird - im Gegensatz zum Metallgeld der gesamte Geldumlauf durch die Bilanz des Bankensystems jedenfalls formaljuristisch hindurchgefädelt und :b leibt jederzeit potentiell Schacht: Die Stabilisierung ..., a.a.O., S. 117, 123. Vocke: Gesundes Geld, Frankfurt/Main 1956, S. 83. 12 Muthesius: Die Notenbank im Bundesstaat, Z. f. d. ges. Kred.Wesen., Jg. 1952, s. 533. 13 Morgenstern: Die Grenzen der Wirtschaftspolitik, Wien 1934, S. V. 14 Dafür z. B. A. Rüstow: Die staatspolitischen Voraussetzungen des wirtschaftspolitischen Liberalismus, Sehr. d . Ver. f. Soz.Pol., Bd. 187, u. d. Titel: Interessenpolitik oder Staatspolitik? Wiederabgedruckt, in: Der Deutsche Volkswirt, Berlin 1932, Jg. 7, Nr. 6, S. 169 ff. 10 11
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durch die Zentralbank erfaßt und womöglich rückrufbar. Der gesamte Geldumlauf ruht auf Kreditnahmen, bei Beachtung der klassischen Deckungsregeln sogar auf kürzestfristigen Kreditnahmen, und die dadurch zumindest potentiell gegebene ständige Eingriffsfähigkeit der Zentralbank unterscheidet ein Kreditgeld ,bereits wesentlich als Organisationsmittel von einem Metallgeld, das nach der Prägung ständig bis zur Unterschreitung des Passiergewichts oder bis zum privaten Einschmelzen tunlaufen kann und nur durch Münzauirufe erfaßbar wäre15• Bei Metallgeld wäre eine - etwa gar: gezielte - Konjunkturpolitik, wie sie heutigentags von einer Zentralbank gefordert wird, organisationstechnisch gar nicht möglich gewesen; schon daran scheitert die Wiedereinfüh:mmg einer "vollmechanischen" Metallwährung. Deutlich wil'd deshalb auch der "herrschaftspolitische" Charakter einer Kreditgeldorganisation in den besonderen Fällen, in denen sich das weitere Hängen einer Bevölkerung an einem - nunmehr demonetisierten - Gold störend bemerkbar macht, und wo dagegen zuweilen mit den schärfsten Mitteln eingeschritten wivd16• Das Gold, ursprünglich das extra- oder supra-staatliche Geld des Welthandels, stellt sich im Organisationsgefüge eines streng durchrationalisierten Kreditgeldes geradezu als "anarchischer" Störenfried heraus, wobei der anarchische Effekt sich keineswegs ,g egen ein staatliches Kreditge1d, also als "klassische" Anarchie .g egen einen "klassischen" Staat :ru richten braucht, sondern sich auch als Untergrabung einer nicht- oder überstaatlichen Kreditgeldorganisation darstellen kann, - woraus sich wiederum der "geschlossene" Herrschaftscharakter selbst eines nicht-staatlichen Kreditgeldes als Wirtschaftsmittels ableiten läßt. Das Geld ist insofern ein "autonomes" Herrschaftsmittel, und es ist nicht ausgemacht, ob Kreditgeldsteuerung überhaupt eine staatliche Auigabe zu sein hat, das heißt: eine Aufgabe des klassischen Staatsinstituts. Immerhin geschieht sie technisch durch das Mittel der Geldschöpfung mittels Kredithingabe an Private und Geldvernichtung durch Tilgung seitens Privater, so wie die Metallproduktion zu Zeiten einer Metallwährung auch eine private Angelegenheit war. Die Beeinflussungs-Techniken der Kreditgeldsteuerung konnten bisher im Raume des klassischen Rechtsstaates nicht legitimiert und deshalb auch nicht legalisiert wevden. Der Vorwurf gegen die "bürgerliche" Demokratie, sie sei wegen der Vernachlässigung der politischen Effekte ökonomischer Beziehungen eine "bloß formale Demokratie", mag aus diesem Zusammenhang heraus eine konkrete und juristisch faßbare Form .g ewinnen. Wenn Schacht einen Satz zitiert: "Für die Uber Münzaufrufe s. Gaettens: Inflationen, a.a.O. s. dazu die amerikanische Gesetzgebung gegen die Goldhortllillg, unten, Kap.6b. 15
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Echtheit einer Demokratie ·g ibt es keinen besseren Prüfstein als das Finanzsystem des Landes" 17, so bedeutet dieser Gedanke, übertragen vom Finanz- auf das GeLdwesen: Eine Demokratie müßte, um von einer angeblich nur formalen zur realen zu werden, nicht notwendig das Wirtschaften über das Geld abschaffen; sie müßte aber eines ihrer grundlegenden Herrschaftsverhältnisse, das der Geldorganisation, in den Bereich ihrer rechtlich geregelten Willensbildungs-Prozesse einbeziehen. Wie es damit steht, beweist vielleicht am nachdrücklichsten eine Bemerkung des Nationalökonomen Miksch, die sich auf die funktionelle Bindung des Investitionsverhaltens der Unternehmungen bei Kreditwährung bezieht, die aber letztlich den Einfluß der Kredit- und Geldpolitik auf dieses Verhalten betrifft: Die Investitionen neigten dazu, so sagt Miksch, den "freiwilligen Ersparnissen vorauszueilen, so daß im Wege der Preissteigerung oder der unterlassenen Preissenkung ein Zwangssparen entsteht. Selbst dann, wenn in jeder anderen Hinsicht die Wettbewerbsordnung vollkommen durchgeführt ist, hat der Konsument über die wichtigste Frage, über den zeitlichen Aufbau des Wirtschaftsprozesses, über das Verhältnis von Verbrauch und Investition kein Mitbestimmungsrecht. Er ist in dieser Hinsicht völlig entmündigt und einem Verwaltungsermessen unterworfen, dem gegenüber angesichts des ganzen Problems eine parlamentarische Willensbildung und Kontrolle undenkbar ist"lB. Diese Ansicht mag vielleicht, zumindest in ihrer Schärfe, nicht von allen Nationalökonomen geteilt werden, und es ist durchaus richtig, wenn Stucken darauf hinweist, daß es "unangebracht" sei, "in der Frage der Ge1dverfassung, der Währung, Stellung zu beziehen, ehe an Hand der Untersuchung einer Vielzahl von Einzelproblemen über die Wirksamkeit des Geldes im Wirtschaftsleben Klarheit geschaffen worden ist" 19• So viel steht aber schon fest, daß man es bei GeLdsteuerungsmaßnahmen mit einem ganz andersgearteten funktionellen Effekt zu tun hat als etwa bei Haushaltsgesetzen und Steuerbefehlen. Die Notwendigkeit, zwischen verschiedenen Funktionsbeziehungen zu scheiden, ist ebenso wie bei Maßnahmen der Zentral"bank" auch dann zu beachten, wenn eine "klassische" Exekutive oder Legislative Geldsteuerung betreibt, etwa durch "Monetary Fiscal Policy", "Functional Finance", antizyklische Konjunkturpolitik mittels Steuermanipulation2o. 17
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Schacht: Die Stabilisierung ... , a.a.O., S. 18. Miksch: Die Geldordnung der Zukunft, a.a.O., S. 156. Stucken: GeLd und Kredit, Tübingen 1957, S. 215.
20 s. dazu, unten, Kap. 14. Als klassisches Werk der Functional Finance sei Lerners The Economics of Control, New York 1947, genannt. Dort,
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Eine Steuererhöhung mit nachfolgender Stillegung der erhobenen Gelder, die den Zweck hat, die Konjunktur zu dämpfen, legitimiert sich (noch) mit dem klassischen Recht der Steuerhoheit. Sie hat aber denselben funktionellen Effekt wie eine entsprechende Maßnahme der Zentralbank, etwa eine Mindestreservenerhöhung. Dieser Effekt ist ein gänzlich anderer als der, den eine solche Steuererhöhung im System des klassischen Haushalts hatte: dort handelte es sich im schlicht privatwirtschaftliehen Sinne um Deckung von Staatsausgaben. - Umgekehrt bedeutet eine Steuersenkung, eine Wiederverwendung bisher thesaurierter Gelder der Staatskasse, oder gar eine Geldschöpfung zur Konjunkturanstachelung durch staatliches "Deficit Spending" funktionell dasselbe wie Krediterleichterungen einer Zentralbank, während eine Verschuldung des Staates beim Bankensystem zur Deckung von Defiziten ohne konjunkturpolitischen Zweck (wenn auch meist mit konjunkturpolitischem Effekt) einem ganz anderen Funktionszusammenhang entstammt. Entsprechend doppeldeutig sind die Wirkungen auf die betroffenen Bürger und deren Reaktion darauf. Steuer- und Anleihemanipulationen der Exekutive oder Legislative zur Konjunktursteuerung wird der einsichtige Privat-Wirtschaftsbürger (einsichtig im Sinne von: das Wirtschaftssystem einsehend) im Grenzfall ebenso hinnehmen, möglichenfalls bejahen wie technisch analoge Maßnahmen der Zentralbank. Dieselben Manipulationen, zum Zwecke des Budgetausgleichs unternommen, finden gegebenenfalls seine schärfste Kritik - und umgekehrt. Er urteilt nach den verschiedenen funktionellen Effekten, und auf die kommt es gerade an. Als "technische" Aufgabe einer Zentral"bank", die zur Kreditgeldsteuerungszentrale geworden ist, wird gewöhnlich genannt, sie solle das für Kreditgeld leisten, was die Goldproduktion für eine strikt eingehaltene Goldwährung leistete, nämlich die Begrenzung der umlaufenden Geldmenge. Nicht zu Unrecht spricht man ironisch davon, Zentralhanken hätten ein Goldbergwerk im Keller; in der Sprache der nationalökonomischen Modelle ausgedrückt: für die Binnenwirt~chaft, in der die Zentralbank die Zahlmittel selbst schaffen kann, ist sie "immer liquide" 21 • Das war und ist der "klassische" Staat keineswegs. "Die Souveränität leidet an einem Erb übel, und das ist der Geldmangel", sagt dazu ein S. 302, der bezeichnende Satz: "The principle of disregarding all traditional conceptions of what is ,sound' in finance and judging fiscal matters only by their effects or the way they function in society may be called functional finance." 21 s. z. B. Schneider: Einführung in die Wirtschaftstheorie, Tübingen 1956/57, Bd. III, S. 18; Veit: Volkswirtschaftliche Theorie der Liquidität, Frankfurt/Main 1948, S. 65/66.
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französischer Autor der Neuzeit, Cauboue, und wiederholt damit nur den alten Satz des Jean Bodin: " . . . quod vetere proverbio dicitur, republicae nervos in pecuniis consistere22 ." - Nun meint das Modelltheorem von der "immer liquiden Zentralbank" natürlich nicht, eine Zentralbank sei "immer reich" oder "immer vermögend". Diese aus dem Bereich der Privatwirtschaft und des Geschäfts - der "Mikroökonomik" - abgeleiteten Begriffe sind bei einer Kreditgeldsteuerungszentrale nicht mehr brauchbar23 • Eine solche Zentralbank muß z. B., wenn sie als Ziel ihrer Steuerungsmaßnahmen etwa ein stabiles Binnenpreisniveau anstrebt, die Gesamtmenge der von ihr "produzierten" oder zur Produktion zugelassenen "Ware" Geld so bemessen, daß deren "Marktpreis" konstant bleibt. Denn Stabilerhaltung eines Preisniveaus kann immer nur das Niveau eines konkreten Warenbündels betreffen, dessen Preis eben "fixiert" werden soll, etwa die Preise der Lebenshaltung für eine mittlere Verbrauchergruppe. Nun könnte eine Zentralbank mit einer solchen Politik immer noch ein Bankunternehmen genannt werden; sie wäre dann ein Monopolunternehmen - nicht im staatlich-privilegierten, sondern im ökonomischen Sinne. Denn auch privatwirtschaftliche Monopole regulieren zuweilen eine Menge mit dem Ziel, einen Preis zu fixieren - wenn dies auch nach den Regeln des "vollkommenen Wettbewerbs" unmöglich und unstatthaft sein sollte. Jedoch: das Kriterium, das Zentralbanken von solchen kommerziellen Monopolen unterscheidet, ist, daß die ersteren eine solche Mengensteuerung nicht zur Maximierung des eigenen Gewinns vollziehen, oder zufolge anderer, an der Marktstellung des eigenen Unternehmens orientierter kommerzieller Überlegungen. Bei der Intervention von Zentralbanken dreht es sich um unternehmens-externe Ziele. Der "Handel" einer Zentralbank mit Offenmarkt-Fapieren z. B., mag er auch formalrechtlich dem Wertpapierhandel kommerzieller Banken ähnlich sehen, bedeutet für die Kreditgeldsteuerungszentrale etwas gänzlich anderes. Ein Privatbank-Unternehmen würde gegebenenfalls Papiere aus dem eigenen Portefeuille abstoßen, um mit dem Erlös Schulden zu tilgen oder sich ertragreicher zu engagieren. Die Abgabe von Offenmarktpapieren durch eine Zentralbank hat dagegen den Zweck, die primäre Liquidität (d. h.: in Zentralbankzahlmitteln) der 22
Cauboue: Servitude ou Liberte de la Banque de France, a.a.O.; Jean
Bodin: De republica, 1586, Lib. VI, II, s. dazu auch Lorenz v. Stein, a.a.O.,
S.2.
23 Rittershausen: Bankpolitik, a.a.O., S. 103: "Im Gegensatz zum Sprachgebrauch, der unter ,viel GeLd' Reichtum oder Liquidität einer Person versteht, benutzt die Wissenschaft den Ausdruck ,ausgedehnter' oder ,durch Neuschöpfwlg vermehrter Kredit' nur makroökonomisch und im Sinne einer pointierenden Hervorhebung des Merkmals ,Gefährlichkeit'."
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Privatbanken, ihrer "Geschäftspartner", zu verengen und außerdem das gesamte Zinsgefüge zu beeinflussen. Für eine Privatbank wäre die Rücknahme eigener Passiva mit dem alleinigen Zweck, ihre Bilanzsumme dadurch zu verkürzen, daß sie sie aus dem Umlauf zieht, absurd. Gerade das beabsichtigt aber eine Zentralbank, welche die rückfließenden Noten dann bei sich "volkswirtschaftlich vernichtet"; Noten, also Passiva, die, sobald man von der Außenwirtschaftsverflechtung eines "souveränen" Währungsgebietes absieht, gar keine Forderungsrechte mehr begründen, also gar keine echten Passiva mehr sind. Aus ähnlichen unternehmensfremden Erwägungen war auch in der Bundesrepublik der Gesetzentwurf NölZ v . d. Nahmer u. Gen. möglich24, der versuchte, den nicht-kreditären Charakter der "Erstausstattung" nach der Währungsreform und deren "Deckung" durch langfristige "Ausgleichsforderungen" gesetzlich zu verankern. Die "Forderungen" sollten in eine unverzinsliche Bundes"schuld" ohne Tilgungsverpflichtung umgewandelt werden, also praktisch verschenkt werden, so wie es in vielen Zentralbankbilanzen der Welt eingefrorene Posten gibt, z. B. in der der Banque de France solche, die bis auf das Jahr 1857 zurückgehen. Rittershausen behauptete denn auch, daß die "Bank Deutscher Länder seit 1948 durch den Block von Ausgleichsforderungen an das Modell der Investitionsbank oder der Staatspapiergeld-Ausgabestelle angenähert ist" 25• Doch braucht man gar nicht so weit zu gehen. Auch eine Kreditgeldsteuerungszentrale, die "echte" Kredite gibt, bleibt keine reine Bank mehr, sobald das Schwergewicht auf die reine Binnenwährung gelegt wird. Eine solche Zentral"bank" veröffentlicht zwar noch eine Jahres"bilanz", "Geschäfts"berichte und in einigen Staaten auch in kurzzeitiger Folge Status-Auszüge; sie erzielt Gewinne und verteilt sie. Aber weder aus den Bilanzen noch aus den Gewinnen kann man eindeutig den Erfolg ihrer Tätigkeit ablesen, denn dieser ist kein Geschäftserfolg mehr. Um ihren wirklichen Effekt und den Stand ihrer Tätigkeit an Hand ihrer eigentlichen Funktionen beurteilen zu können, sind Liquiditätsschemata der Gesamtwirtschaft und monetäre Gesamtanalysen viel geeigneter. Diese aber lesen sich eher wie Bedienungsanleitungen für komplizierte Maschinen, oder wie die Tabellen automatischer Leistungsschreiber, als wie Geschäftsberichte kommerzieller Unternehmen. Und nicht zufällig entstammt der Begriff der "Steuerung" auch dem Bereich der Apparate und Maschinen26 • Drucksache 1040, erster Bundestag. Rittershausen: Int. Hand. u. Dev. Pol., a.a.O., S. 186. 26 Müller-Armack (a.a.O., S. 94) will die Marktwirtschaft "einem der Bedienung und Steuerung bedürftigen Halbautomaten vergleichen. So etwa wie ein Automobilmotor ...". - Als Beispiele für Liquiditätssehemate s. im 24
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Das allgemeine kommerzielle Interesse wird von einer Zentralbank "interesselos" unter dem Gesichtspunkt einer Technik, genauer: seiner Technik gesehen und gesteuert, und es erscheint in diesem Zusammenhang bezeichnend, daß bei Umstellung des kommerziellen Bankbetriebes, für den etwa der Scheck eine rechtsbedeutsame Urkunde ist, auf elektronische Verfahren derselbe Scheck die Bedeutung eines funktionellen Maschinenteils erwirbt. Da er das Element des Persönlichen verliert, das ihm anhaftete - z. B. dargestellt durch eine Unterschrift - , und zu einem reinen technischen Werkzeug wird, bedürfte es einer Änderung der Scheckgesetze. Wir wollen hiermit nun keinesfalls behaupten, daß etwa das gesamte Bankwesen einschließlich der steuernden Zentralbank "vollautomatisiert" zu gestalten sei, d. h., durch Eingeben von Daten des regelnden menschlichen Eingriffs entbehren könne. Im Gegenteil, das Kreditgeld braucht gerade steuernde Entscheidungen, die immer konkrete menschliche Entscheidungen sein werden; und die Bemerkung des Chefs der N ew York Federal Reserve Bank in einer der zahllosen Debatten, bei denen es um eine schärfere Legalisierung des amerikanischen Zentralbanksystems ging, behält ihr Recht: "There is no magic formula ... You cannot eliminate human judgment in the administration oi these matters"; entsprechend betonte auch der 10. Jahresbericht des Federal Reserve Board für 1923: "No statistical mechanism alone, however carefully contrived, can furnish an adequate guide to credit administration. Credit is an intensely human institution27 ." Es fragt sich nur, als was der Mensch hier gesehen wird, gesehen werden muß, also: welcher Art die Beziehungen zwischen der Zentralbank und den von ihr Gesteuerten sind. Um rein kommerzielle Beziehungen, um Beziehungen des Tauschs zwischen zwei Personen oder Unternehmen, die beide auf Einkommensmaximierung hin wirtschaften, kann es sich nicht mehr handeln. Die Daten, nach denen eine Zentralbank sich zu orientieren versucht, nachdem sie zur KreditgeldSteuerungszentrale geworden ist, sind nicht mikroökonomischer, son12. Jahresbericht des Nationalen Kreditrats, Paris 1957, Abschn. V, Kap. Il, Sct.1: "Tableau resume des operations relatees dans le present rapport"; Gemeinschaft zum Schutz der Deutschen Sparer: "Quellen und Wege des starken Ge1dzustromes, - Versuch einer volkswirtschaftlichen Liquiditätsbilanz", in: Mitteilungen und Kommentare zur Geldwertstabilität, Nr. 11/ 1958, Bonn; und die regelmäßig veröffentlichte Monetäre Gesamtanalyse (Zur Entwicklung der Geldversorgung des Bundesgebietes), in den Monatsberichten der Bank Deutscher Länder (Bundesbank), z. B. April 1958. Die zur verbalen Erklärung solcher Schemata verwandte Sprache erinnert an den Versuch, die Vorgänge und Handgriffe zu erklären, welche zum In-Bewegung-Setzen und -Halten einer komplizierten Maschine nötig sind. S. dazu Monetary Semantics (E. A. Goldenweiser, in: Money, Trade, and Economic Growth, a.a.O., S. 210 ff.). 27 In: Fisher: Stable Money, a.a.O., S. 163, 231.
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dern makroökonomischer Natur. Andererseits kann es sich auch nicht um das Über-Unterordnungs-Verhältnis handeln, wie es aus der klassischen Staatsfigur bekannt ist. Kreditgeldsteuerung ist ein Herrschaftsmittel sui generis, das weder allein mit dem klassischen Öffentlichen Recht noch allein mit dem klasischen Bürgerlichen Recht erfaßt werden kann.
5. Zwei historische Beispiele der Zentralbankentwicklung Die Frage, was eine Zentralbank, die mit reinem Kreditgeld ein souveränes Währungsgebiet steuert, ist und welche Funktionen sie ausübt, ist von der theoretischen Nationalökonomie für den Modellfall geklärt. Noch nicht eindeutig geklärt ist jedoch die historische Frage, ab wann Zentralbanken, und ab wann welche Zentralbanken, sich nicht mehr als kommerzielle Banken begriffen, begreifen konnten und begreifen mußten, und die damit verknüpfte, für uns wichtige, systematische Frage, ab wann und wie andere gesellschaftliche Mächte und Organe, etwa Privatwirtschaft, Parlament und Exekutive, sich einer Zentralbank gegenüber nicht mehr an dem Objekt "Bank", sondern an dem Objekt "Kreditgeldsteuerungszentrale" orientierten und orientieren mußten. Die Beantwortung der historischen Frage scheint uns eng verknüpft mit der Antwort auf die systematische, also mit der Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnis, allgemeiner: des historischen Bewußtseins. Diese Verknüpfung zwischen geschichtlich-tatsächlicher Entwicklung und systematischem Begreifen ist um so bedeutsamer, als es sich um das Begreifen einer der für die Neuzeit fundamentalsten Institutionen handelt, um das Geld und die auf ihm aufbauende Wirtschaftsform. Daß hier "Begreifen" identisch ist nicht allein mit Veränderung der Sichtweise, sondern- entscheidend- mit Veränderung der Handlungsweise, scheint uns geschichtssoziologische und geschichtsphilosophische Ausblicke zu eröffnen, die wir hier nicht weiter verfolgen können. Verfolgt soll hier lediglich werden die historische Entwicklung einer Begriffsänderung und der damit verbundenen Wirklichkeitsveränderung, das Auftauchen einer Erkenntnis und ihrer Anwendung, die zwar jetzt - und zwar seit den Zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts - innerhalb der entsprechenden Fachwissenschaft als gesichert gelten können, die aber vor diesem Zeitpunkt nicht bei dieser Fachwissenschaft und entsprechend schon gar nicht bei den "Praktikern" gegeben waren. Für das 19. Jahrhundert nehmen wir als Hauptgegenstand unserer Untersuchung vornehmlich die Entwicklung der Banque de France, für
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das 20. die Entwicklung der deutschen Zentralbanken. Dafür haben wir mehr Gründe als nur den, daß wir uns mit diesen Instituten besonders befaßt haben. Im 19. Jahrhundert galten zwei Zentralbanken großer Nationalstaaten als Vorbilder: die englische und die französische28, und von beiden scheint uns die Banque de France den Exemplarfall einer Zentralbank darzustellen, die ursprünglich klar als Unternehmen gemeint war und sich selbst lange so begriff. Im 20. Jahrhundert wiederum waren die Reichsbank, die Bank Deutscher Länder und die Deutsche Bundesbank diejenigen Geldinstitute von Großstaaten, die am häufigsten grundlegende Erwägungen über ihren Charakter von der Praxis her erforderten, und zwar nicht nur, weil die Frage ihres Eigentums zum Problem wurde (wie etwa in Frankreich und England), sondern vor allem, weil auch die rechtliche Einordnung ihrer gesamten Tätigkeit in das Staatswesen von Grund auf neu gefaßt werden mußte. Behauptungen von streng allgemeiner Gültigkeit werden sich aus einer solchen Untersuchung zweier Institute nicht ableiten lassen, zumal sowohl die Entwicklung in Großbritannien als auch die gänzlich anders gelagerte in den Vereinigten Staaten nur am Rande mitbehandelt werden wird; doch genügt uns, wenn wir aufweisen können, welches "Denkmodell" bei der Konstituierung und dem Handeln der Zentralbanken in Frankreich und Deutschland jeweils zum geschichtlichen Zeitpunkt von den Handelnden vorausgesetzt wurde. Soweit man nicht die Einschränkung macht, daß in zwei so mächtigen Völkern die in entscheidender Sache Verfügenden nicht auf der Höhe der Erkenntnisse ihrer Zeit standen, irrten oder das "falsche Bewußtsein" hatten, darf die Lage in Frankreich und Deutschland zumindest als symptomatisch angesehen und gewertet werden.
a) Frankreich: Vom Emissionsprivileg zur staatlichen Kreditgeldsteuerungszentrale Die Banque de France wurde am 13. Februar 1800 (24. pluviöse des Revolutionsjahrs VIII) auf die Initiative von sieben Privatbankiers als Aktiengesellschaft gegründet. Napoleon I. hatte die Gründung durch einen Erlaß vom 18. Januar 1800 autorisiert, griff jedoch in keiner 28 Müller-Armack (a.a.O., S. 133) nennt die Peels-Akte von 1844 das "Modellstatut für die Zentralnotenbanken". Sie mag es für die vom PfundWährun.gsraum unzweifelhaft abhängigen Länder gewesen sein. Schon die amerikanische Zentralbankregelung - d. h. die fehlende - war im 19. und wurde um das 20. Jh. gänzlich anders als die englische. Das französische Notenbankstatut, auch auf anderen Mitteln, wenn auch zu dem gleichen Zweck aufbauend, war wiederum einflußreich in jenen Ländern, auf deren Geldsystem Frankreich einwirkte. 6 Arndt
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Form in die Festsetzung der ursprünglichen Statuten durch die erste Aktionärsversammlung ein. Seine Mitwirkung geschah auf dem gänzlich kommerziellen Wege, daß er und seine Familie Aktien zeichneten29. Die Statuten dieser Gründung entsprachen den damals üblichen kommerziellen Regeln privatwirtschaftlicher Bankinstitute. Artikel 5 bestimmt als den Kreis der Geschäfte Wechseldiskontierung, Lombarddarlehen, Konten- und Depotführung, Vornahme von Zahlungen auf Weisung der Kundschaft, Ausgabe von gegen Sicht zahlbaren Noten, Einrichtung einer Sparkasse. Der Artikel endet mit dem bezeichnenden Satz: "La Banque s'interdit toute espece de cornmerce autre que celui des matieres d'or et d 'argent", - woraus hervorgeht, daß Gold und Silber als "Ware" angesehen wurden30• Die Statuten enthielten weder Auflagen über Notenumlaufgrenzen, noch über Notendeckung und Diskontpolitik außer (Art. 5) einem Satz, welcher der kommerziellen "Goldenen Bankregel" entsprach und der Geschäftsführung alle Möglichkeiten beläßt und alle Verantwortung zuteilt: "Ces billets seront emis dans des proportions telles, qu'au moyen du numeraire reserve dans les caisses de la Banque, et des echeances du papier de son portefeuille, elle ne puisse dans aucun temps etre exposee a differer le payement de ses engagements au moment ou ils lui seront presentes3 1 ." Die Präambel der Statuten zeigt zwar deutlich, daß die Gründung der Bank einen politischen Hintergrund hatte: es wird ausdrücklich auf die französische Revolution und ihre Ergebnisse Bezug genommen. Aber dieses Politikum war gerade die Befreiung der Bürger zum Kommerziellen hin: der durch die Revolution errungene politische Freiheitsraum der Bürger sollte durch Aktivierung ihrer kommerziellen Tätigkeiten ausgefüllt und ausgenutzt werden; dabei sollte die Banque de France dafür sorgen, daß das private Wirtschaftsmittel des Bankkredits entschiedener zum Wiederaufbau nach Kriegen und Wirren eingesetzt wurde. So heißt es in der Präambel, daß die "französische Nation, vertraut mit den größten Anstrengungen zur Gewinnung der Freiheit, sich nicht länger durch Umstände bedrücken lassen muß, zu deren Änderung sie die Macht hat" (qu'il est en son pouvoir de maitriser); und die bedrückenden Umstände werden näher beschrieben als das "unvermeidliche Resultat" von Revolution und Krieg: "Le deplacement et la dispersion des fonds qui alimentaient son commerce, l'alteration du credit public et le ralentissement de la circulation de ses richesses32." 29 Dazu Ramon: Histoire de la Banque de France, a.a.O., S. 24; Bopp: The Government and the Bank of France, a.a.O., S. 6. 30 Die Statuten in Jeanneney: Textes de Droit ... , a.a.O., 1800. 31 Ebenda. 32 Ebenda.
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"Politisch" war die Gründung der Banque de France außerdem dadurch, daß in Frankreich zwermal Versuche mit staatlichem Papiergeld zu Katastrophen geführt hatten: durch das Lawsche Experiment und zu Zeiten der Assignaten. Die Gründung der Banque de France erfolgte deshalb durch private Bankiers; und die Geschichte der Banque zeigt immer wieder, daß sie gegen ein langanhaltendes Ressentiment in der Bevölkerung anzukämpfen hatte; unter anderem erklären sich Unterschiede in der Stellung und im Verhalten zwischen Banque de France und Bank of England dadurch33• Bei diesen unliebsamen Erinnerungen war bereits die bloße Autorisation der Gründung durch Napoleon ein gefährliches quasi-hoheitliches Additivum zur kommerziellen Aufgabe der Bank; Kontroversen, die kurz vor und nach der Gründung über den Charakter des Bankinstituts entstanden, zeigen dies: man lehnte sich schließlich an das Vorbild Englands als Meisters in der Mischung zwischen Politik und Kommerz an: die Banque de France sollte eine Gesellschaft besonderer Art sein ähnlich den englischen Kolonialgesellschaften34• Zwei Wochen nach Erlaß des neuen Münzgesetzes, das den "Franc Germinal" als "Name für fünf Gramm Silber" schuf, am 14. April 1803, wurde der Bank von Frankreich das alleinige Notenprivileg für den Rawn von Paris auf 15 Jahre verliehen. Ein neuer Bruch mit England stand bevor und mag bei der Privileg-Verleihung eine Rolle gespielt haben. Wie kommerziell aber trotzdem das Verhalten der Bank zu dieser Zeit gewesen war, mag daraus hervorgehen, daß durch das gleiche Gesetz ein Mißstand korrigiert wurde: Wechsel, die von Aktionären eingereicht wurden, durften nicht mehr bevorzugt eskomptiert werden. Außerdem wu11de das Kapital von 30 auf 45 Millionen Francs erhöht35. Ein neues Gesetz vom 22. April 1806 schrieb schließlich vor, daß "Seine Majestät der Kaiser" einen Gouverneur der Bank und zwei Vizegouverneure einsetzte. Napoleon wollte der Bankverwaltung, die sich aus Bankiers zusammensetzte, welche, wie er sich beklagte, "nur an ihre Einzelinteressen dachten", einen "starken und desinteressierten Mann" hinzufügen. Im Zusammenhang mit dem berühmten Wort des Kaisers: "Ich möchte, daß die Bank in den Händen der Regierung ist, aber nicht zu sehr", ist dieses Einsetzungsrecht des Gouverneurs oft so ausgelegt worden, als ob es sich bei der Banque de France schon damals um ein staatliches Institut gehandelt habe ähnlich den modernen Zentralbanken bei reinem Kreditgeld. Napoleon hatte aber von 33 34 35
&•
s. o. Anm. A 113. Ramon, a.a.O., S. 25. Ramon, a.a.O., S. 23; Jeanneney, a.a.ö., 8.101.
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der Banque de France eine durchaus kommerzielle Auffassung, was aus vielen Äußerungen von ihm hervorgeht36 . Zwistigkeiten zwischen ihm und der Bankleitung betrafen meist die Diskontpolitik und rührten von einer anderen Auffassung des Kaisers über die "Konjunkturlage" her, -wie wir heute sagen würden. Wenn jemand bei der Banque de France privilegiert war, so nicht der Kaiser oder die von ilun eingesetzten Gouverneure, sondern die berühmten 200 Aktioäre mit dem stärksten Aktienbesitz, welche den Aufsichtsrat wählten. Diesem privaten Aufsichtsrat war auch der vom Staate bestellte Gouverneur verantwortlich; er leistete einen Treueid auf die "Lois et Statuts" der Bank und mußte Aktienbesitz nachweisen - den er vielleicht nicht immer aus eigenem Vermögen erwarb37. Durch ein Dekret vom 16. Januar 1808 wurden die ursprünglichen Statuten von 1800 und die Gesetze von 1803 und 1806 zusammengefaßt und neu verkündet, aber nicht im Wesen verändert3s. Unter diesen, als kommerzielle Bankregeln gemeinten, Statuten hat dann die Banque de France im wesentlichen bis 1936 "funktioniert". Demselben Zustand: einer Privatbank unter vom Staate bestellten Gouverneuren, dem 1806 der Zensor Martin den Vorwurf der "Staatsallmacht" gemacht hatte, WIU!'de dann 1936 vorgeworfen, er errichte die Vorherrschaft privater Interessen39. Jedoch hatten Legislative und Exekutive von 1806 bis 1936 in normalen Zeiten weder in die Geschäftspolitik eingegriffen noch die Statuten grundsätzlich verändert. Manipulationen war hier durch die strikte Aufrechterhaltung der Einlösungspflicht in Kurantgeld eine Grenze .gezogen; diese zwang die Bank zu einem geschäftsmäßigen Verhalten wie jedes Privatunternehmen. Manipulabel waren nur die Papierposten der Aktiendeckung; hier ergaben sich geringfügige Änderungen zugunsten der untilgbaren "Avances" an den Staat, meist bei Privilegienverlängerung; der Anstoß zur Änderung der statutarischen Bestimmungen über die bankmäßige Papierdeckung ging aber eben36 Als Beispiele für den nach wie vor kommerziellen Charakter der Bank s. Ramon, a.a.O., S. 61, 66, 77, 79, 89, 93, 95, 101. - Nennenswerte Streitigkeiten zwischen Gouverneur und Regierung einerseits, Gouverneur und Aktionären oder Regenten andererseits, hat es nach 1806 (bis 1914) außer in den Krisenjahren von Krieg und Revolution und Abwertung nicht gegeben; dagegen vor Einsetzung des staatlichen Gouverneurs 1803 (s. Ramon, a.a.O., S. 59). - V.gl. auch Bopp, a.a.O., S. 5, 6, 34, und ders.: La Politique de la Banque de France 1800-l!H4, in: Banque, Nr. 76, Okt.!Nov.
1952.
3 7 s. Jeanneney: Textes ... , 1806; und Lois et Statuts de la Banque de France; die Abhängigkeit der Gouverneure von den Aktionären wurde erst 1936 abgeschafft, s. dazu, unten, Anm. 67, 76. 38 s. Jeanneney: Textes ... , a.a.O., 1808. 39 s. Bopp: The Government . . ., a.a.O., S. 4, 6, 34, 35.
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falls oft von den Privateigentümern aus und hatte den Zweck, mehr gewinnbringende Papiere in das Portefeuille nehmen zu können40 • Zwar hat die Banque de France im 19. Jahrhundert, vornehmlich nach 1871, eine bestimmte "Kassenpolitik" betrieben, die zuweilen zu einer wesentlich höheren faktischen Deckung der Noten in Gold und Silber führte als es etwa bei der Bank of England der Fall war; 1893 z. B. mußte die Bank Gold statt Noten zahlen, da sie derartig im Goldüberfluß steckte41. Diese "Politik" war jedoch den Administratoren der französischen Zentralbank durch kein Gesetz und keine Weisung auferlegt worden; sie ist durchaus mit den Geschäftspraktiken eines guten Kaufmanns vereinbar, der sich in Erwartung von Ausnahmesituationen übermäßig - oder gar unnötig - liquide hält, und der dafür mit einem geringeren Gewinn fürlieb nimmt. Die erste Sorge der Leitung der Banque de France galt bis 1914 - und dann wieder von 1928 bis 1936 -der Verteidigung der Kasse; dafür war sie notorisch bekannt, und das ist ein durchaus konunerzielles Verhalten42• So konnte es zwar vorkommen, daß der Diskontsatz nicht "automatisch" bei Goldzufluß gesenkt wurde; daß aber weiter unternehmerisch gedacht wurde, geht daraus hervor, daß das umgekehrte Verhalten: weitere Notenausgabe trotz Abnahme der Deckung unter einen kritischen Punkt hinaus, als selbständiges Verhalten der Bankleitung nicht nachweisbar ist und daß es dort, wo es unter politischem Druck in Ausnahmesituationen - etwa 1848, 1870 - erfolgte, eindeutig als Bruch mit dem kommerziellen Grundcharakter der Bank angesehen wurde. Überdies waren andere Handlungskriterien neben den unternehmerisch-konunerziellen im 19. Jahrhundert bei der Banque de France unbekannt; so spielten das Binnenpreisniveau und die 40 s. z. B. die Zufriedenheit der Banque de France, als es ihr 1834 endlich gelang, Staatsschuldpapiere mit längerer Verfallszeit unter die lombardfähigen Papiere aufnehmen zu dürfen (Ramon, a.a.O., S. 157, 173 ; und Compte Rendu für 1834). Die Geschäftsführung war nach Gewinnprinzipien orientiert: Der Gouverneur, Comte d'Argout, sagte bei der Rechnungslegung vor der Generalversammlung am 29. 1. 1835: ,.L'escompte du papier de commerce est la source principale des benefices de la Banque, (il faut la) faciliter et accroitre, dans l'interet general de toutes les transactions commerciales, comme dans celui des acti0'11Ilaires" (Compte Rendu d e 1834, S. 2). - Vgl. auch Gozard: Les Avances de la Banque de France a !'Etat, in: Revue Politique et Parlementaire, Oct. 1953. 41 Ramon, a.a.O., S. 412; Bopp: La Politique . . ., a.a.O. 42 Bopp, ebenda. Ramon (a.a.O., S. 309) erwähnt das Ergebnis einer Untersuchung des belgischen Finanzministers 1873, nach der Frankreich in 24 Jahren einen GoLdzufluß von 6,6 Mrd. Francs hatte, demgegenüber England, Australien und die USA msammen 8,85 Mrd. Francs, daß also Frankreich in diesem Zeitraum 44 vH des Goldzuflusses eingeheimst hat, bei stationärer Bevölkerung, die nur 33 vH der Gesamtbevölkerung dieser Länder ausmachte, und bei wesentlich geringerem Wirtschaftswachstum.
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allgemeine Wirtschaftsbetätigung für ihre Geschäftspolitik nicht anders eine Rolle als bei den Überlegungen jedes im Wettbewerb am Markte stehenden Kaufmanns. Der spätere französische Industrie- und Handelsminister Jeanneney berichtet, daß es erst seit 1949 in Frankreich einen ausreichend repräsentativen, offiziellen Lebenshaltungskostenindex gibt43. Schließlich darf nicht übersehen werden, daß das ganze 19. Jahrhundert hindurch in Frankreich als "Geld" der Silber- und später der Goldfranc galt und umlief; die Entwicklung der Notengröße als Indiz dafür haben wir bereits oben im 3. Kapitel erwähnt. Aber auch das Verhältnis zwischen dem umlaufenden Metallgeld und den umlaufenden Noten der Banque de France zeigt, daß die Bank niemals Geldsteuerungszentrale sein konnte. 1847 z. B. wurde der Metall-Kurantgeld-Umlauf auf 2 Milliarden Francs geschätzt, der Umlauf an Noten der Banque de France betrug 350 Millionen Francs44 • Dabei darf weiterhin nicht vergessen werden, daß die Banque de France lange Zeit nicht das alleinige Notenprivileg für ganz Frankreich besaß. Erst als im Zuge der Revolution die Noten der Banque durch Dekret vom 15. März 1848 "Zwangskurs" für ganz Frankreich bekamen - der später wieder aufgehoben wurde -, entwickelte sich daraus später der Abbau der Privilegien der anderen Departements-Banken; ab 1863 erst war dann die Banque de France nicht mehr nur eine privilegierte Emissionsbank für den Raum Paris, sondern das Monopol-Emissionsinstitut für ganz Frankreich45 • Bezeichnend für die Mentalität der liberalen Epoche ist das Urteil eines Amerikaners, Liesse, über diese Ausdehnung des Emissionsprivilegs der Banque de France auf ganz Frankreich im Zuge der Revolution von 1848: "1848 a single bank of issue was prod:uced in France as a result of a revolution whose programme was to suppress privilegeMi." Diese Äußerung stammt aus dem Jahre 1909, vor der Errichtung des amerikanischen Federal Reserve System. Am 15. März 1872 hielt Thiers seine berühmte Rede in der Kammer, aus der wir die bezeichnenden Sätze entnehmen, die deutlich zeigen, als was die Banque de France damals betrachtet wul'de: "Si l'Etat qui s'appelle la France osait emettre directement plus de 2,8 Mrd. ou pour 3 Mrd. de billets, croyez-vo'us que ce papier serait au pair? Qui le croit? Personne assurement. - Mais, si nous pretons a la Banque de France cette faculte des emissions, eile nous prete en retour son 43 s. dazu unten Anm. D 9 und D 11 zur Bedeutung des Preisniveaus vor 1914, dort auch die Bemerkung von Jeanneney. 44 Dazu Nussbaum, a.a.O., s. 72 ff.; Ramon, a.a.O., S. 212. 45 Jeanneney: Textes ... , a.a.O., 1848. 46 Liesse: Evolution of Credit and Banks in France, Senate Document Nr. 522, 61st Congress, 2nd Sess., Washington 1909.
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crooit. Ses billets ne sont pas des billets d'Etat, ce sont les billets de la Banque de France, du plus grand etablissement financier de l'univers41." Das größte Finanzinstitut der Welt- so sah ein Chef der Exekutive damals eine Zentralbank. Sie bedeutete ihm ein Bankinstitut, bei dem man leihen konnte - bei dem auch der Staat leihen konnte und mußte wie ein Privatmann - , und nicht eine Zentralstelle, von der aus man die Gesamtwirtschaft über die Geldschöpfung steuern konnte. Als 1878, nach Tilgung der im Kriege aufgenommenen Schulden der Regierung bei der Banque bis auf 300 Millionen Francs, der "Zwangskurs" - d . h. in diesem Falle: Annahmepflicht trotz Aufhebung der Goldeinlösung - wieder abgeschafft und die Goldeinlösung wieder eingeführt wurden, blieben trotzdem bestehen die Bestimmung einer Notenwnlaufsgrenze durch das Parlament, die während des Krieges eingeführt worden war, und der Charakter der Banknoten als gesetzliches Zahlmittel (legal tender). Rückblickend von der modernen Auffassung einer Zentralbank als Kreditge1dsteuerungsorgan her gesehen, erscheint dies heute als Indiz dafür, daß zwnindest seit 1878 die Banque de France kein reines Unternehmen mehr war. Ein zeitgenössischer Beobachter urteilte jedoch so: "Les billets ... continueraient de partager avec la monnaie legale la force liberatoire. C'est un privilege considerable que cette delegation du droit supreme de l'Etat a une institution privee, . . . mais la Banque de France a merite cette faveur4 8 ." Im Februar 1878 ersuchte und erreichte die Banque de France eine Änderung der Bestimmungen über die Notensteuer mit der Absicht, ihre Ertragslage günstiger zu gestalten49. Kritisch war das Verhältnis des Geset~ebers oder des Kabinetts zur Banque de France nur in Krisenzeiten geworden, und zwar dann und dort, wo der Staat Geld brauchte, es weder über Steuern noch über Anleihen heranziehen und auch nicht, wie etwa in den USA, zur direkten Ausgabe von Staatspapiergeld schreiten wollte. In diesen Fällen erfolgte bei wirklichen Staatsnotständen schnell, in strittigen Fällen nach. langem Tauziehen zwischen Bankleitung - die aus einem vom Staate bestimmten Gouverneur bestand! - und Exekutive, die Aufhebung der Fundamentalstatuten: der Goldeinlösungspflicht und/ oder des "Freikurses", seit eine bestand, auch eine An- oder Aufhebung der Notenwnlaufsgrenze. Die Zentralbanknote wurde gesetzliches Zahlmittel und erhielt "cours force". Es sei hier bereits vermerkt - worauf unten im Kapitel 11 noch eingegangen wird -, daß 47 48 49
Ramon, a.a.O., S. 376. Ramon, a.a.O., S. 390. Ramon, a.a.O., S. 391.
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B. Kreditgeldsteuerung als Herrschaftsmittel
im 19. Jahrhundert der Respekt vor Parlament und Gesetz - wo es sie gab - so groß war, daß in solchen Fällen fast stets die Legislative bemüht wurde. Eine Änderung des eigentlichen Währungsgesetzes erwies sich nie als nötig, da dieses kein ausschließliches Zahlmittel schuf. Bezeichnenderweise hat man im 19. Jahrhundert - z. B. bei der Revolution 1848 - nocll den Gedanken erwogen, Ausnahmezustände im Notenbankwesen, wie Auslaufen der Metallkasse infolge Schalterstürmen, mit ordentlichen bürgerlich-rechtliche n Mitteln zu regeln, statt den Geldnominalismus zu brechen und "staatliches Geld" durch Zwangskurs und Aufhebung der Einlösungspflicht zu dekretieren. So dachte man ernsthaft daran, 1848 die Banque de France zu liquidieren; Rarnon behauptet dazu, die Liquidation sei damals möglich gewesen, obwohl die sofort realisierbaren Aktiva nur 30 vH des "passif exigible" ausmachten. Der Comte d'Argout hat schließlich die Weiterführung der "Geschäfte" bei Aufhebung der Goldeinlösungspflich t durchgesetzt mit dem Argument: "C'etaient !es industriels sans ressources, les ouvriers sans salaires, Paris sans provisions, !es troupes sans solde, les grands travaux publies arretes, la desorganisation immediate des services publies sans ecus·~o." Solche Ausnahmezustände verursachten im 19. Jahrhundert jedoch lediglich kurzfristige Suspendierungen der Metallwährungs-Gru ndlage und des "Unternehmens" Zentralbank. Es entstand nicht auf lange Sicht Staatspapiergeld, denn die Kredite, welche der Staat mit Befehlen erzwungen hatte, wurden schließlich zJUrückgezahlt. So begannen bereits 1872 die privaten Kreditnehmer der Banque de France vornehmlich kleine Händler - ihre Schulden in Gold und nicht in Noten zu tilgen. Die Staatsanleihe zur Teilaufbringung der Kriegsentschädigung sollte 2 Mrd. Francs ei"bringen und wurde um 200 Mio. Francs überzeichnet. Am 21. Juni 1871 WUI"den alle während des Krieges von der Regierung bei der Banque de France aufgenommenen "Avances" vom Parlament mit 547 gegen 0 Stimmen nachträglich gebilligt. Es waren 1,53 Mrd. Francs51, Die Finanzierung von Krisen wie Kriegen und Revolutionen verursachte im 19. Jahrhundert eben, gemessen an der Wirtschaftskraft der Völker, keine das Grundgefüge erschütternden Anstrengungen. Kriege blieben lokale Kriege und durchbrachen nicht radikal den neutralen Handel. Der Volksteil, den die Regierung mit Steuern und Anleihen :rur Kriegsfinanzierung und zur Deckung von Kriegsschulden oder Kriegsentschädigung en bedrücken konnte und mußte - damals vornehmlich Bürgertum und Adel - , verfügte über liquidisierbare Reserven und war vor allem dem Staate gegenüber loyal, auch in 50
51
Ramon, a.a.O., S. 221; Bopp, The Government ..., S. 25/26. Ramon, a.a.O., S. 318 ff., bes. S. 363-390.
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schlechten Zeiten. Es war "sein" Staat; noch nicht - wie später für Arbeiter und Unternehmer - ein feindlicher Klassen- oder Steuerstaat. Bei der schnellen Überwindung finanzieller Krisen spielte auch die große Wachstumskraft und Kapitalakkumulation der Wirtschaftskörper dieser Zeit eine Rolle, und die Homogenität und Universalität des Entwicklungsfortschritts der eurpoäischen Haupt-Volkswirtschaften, welche für "natürlich" ausgeglichene Zahlungsbilanzen sorgten, alimentiert durch große internationale Privat-Kapitalbewegungen. Schließlich war auch der Staat in der Übung, sich als gleichrangiger Partner am Markte zu fühlen; er nahm deshalb Anleihen bei der Notenbank oder am Offenen Markt nur mit dem Willen auf, sie zurückzuzahlen und nur in dem Maße, in dem er das auch konnte. Strickrodt betont vielleicht diese rechtsstaatliche Komponente zu sehr, wenn er sagt: "Trot2ldem hat, vom politischen Assignaten-Experiment, das dann aber als solches isoliert wurde, die Geldordnung standgehalten ... Selbst ein so schwer in Mitleidenschaft gezogener Staat wie der preußische, konsolidierte seine SchuLden und schuf damit für ein volles Jahrhundert ein Standardwertpapier. Diese Leistungen wurden vollbracht, nicht weil die Not damals geringer war und die Moral höher stand, sondern weil die Rechtsordnung noch nicht vom Vorbehalt der Staatsintervention aufgelockert worden war-5 2 ." Ein Hinweis auf die soziologischen Grundursachen der schnellen finanziellen Sanierung kann vielleicht aus der Tatsache entnommen werden, daß Privatbanken und die Notenbank damals feine Ohren dafür besaßen, welchem Staat, welchem jeweiligen Herrscher oder Revolutionär sie ein Kreditgesuch und Ausnahmemaßnahmen in der Krise nicht ablehnen durften. Napoleons Bankier Ouvrard finanzierte später die Bourbonen - eine Kontinuität, die nach der Oktoberrevolution 1917 unmöglich gewesen wäre; der neue Bürgerkönig erhielt nach der Revolution 1830 Kredit von der Banque de France; im Revolutionsjahr 1848 wurde nach langem Zögern von der Banque doch die Einwilligung zu Zwangskurs, Aufhebung der Einlösungspflicht und Kredit gegeben; Napoleon III. erhielt nach dem Staatsstreich 1851 nochmals Kredit; - aber 1870 verweigerte der Gouverneur der Banque de France den Führern der Kommune die Schlüssel. Die Revolutionäre drangen auch nicht mit den letzten Mitteln auf die Bankleitung ein - 1870 einer Bank mit Privatkapital, privatem Aufsichtsrat und von der Regierung bestellten Gouverneuren -; es mag hier die damals noch sehr starke Stellung der Banque de France in der Öffentlichen Meinung mitgespielt haben und die Scheu, auch die Scheu von Revo52 Strickrodt: Die Finanzordnung als Lebensbasis ..., a.a.O., S . 12. - über die Rückzahlung der französischen Kriegsentschädigungen von 1813/15 und 1871, s. auch Marx mit Anm. von Engels: Kapital, a.a.O., Bd. I, S. 150/51.
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lutionären, vor .den in Frankreich noch sehr wachen Erinnerungen an die Lawschen und Assignaten-Schwindel, die das Volk, ganz gleich zu welcher Klasse es gehörte, abschreckten53. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Banque de France dann zwar zuweilen heftig angegriffen, aber nur von Gruppen oder Personen, die damals als Extremisten oder Querköpfe galten, wie Victor Hugo und Gambetta. 1892 wurde, anläßlich einer Parlamentsdebatte um Privilegienverlängerung, von Jaures und Millerand ein Antrag auf Nationalisierung der Banque eingebracht; Millerand zitierte bei dieser Gelegenheit Proudhons Philippika gegen Monarchie und Gold. Der Antrag unterlag mit 114 gegen 405 Stimmen; das ist etwa die reziproke Mehrheit gegenüber der, mit der 1936 Leon Blum die Bankleitung voll verstaatlichteM. Zum Beginn des Weltkriegs 1914 finanzierte die Bank die Exekutive mit demselben nationalistischen Pathos, das sie auch im Kriege 1870/71 gezeigt hatte. Kriegsvorbereitungen im Geldwesen, darunter Pläne zur Aufhebung der Einlösungsverpflichtung für Banknoten, gehen bereits auf Geheimabkommen zwischen Bankleitung und Finanzministerium aus dem Jahre 1911 zurück. Offenbar erwartete die Bank später ein kommerzielles Verhalten der Exekutive, also Tilgung der aufgenommenen Kredite, wie in vorherg.e gangenen Ausnahmezuständen. Den ersten Weltkrieg finanzierte Frankreich zu 16 vH aus regulären Einnahmen, 72 vH aus Anleihen (vornehmlich ausländischen) und 11 vH aus Avances von der Banque de France55 • Entsprechend versuchte denn auch die französische Regierung nach dem Kriege, sich stützend mit der Devise "L'Allemagne payera tout", Schuldnertreu jährlich 2 Mrd. Francs von den geschuldeten 15 Mrd. an die Zentralbank zurückzuzahlen, und die Bankleitung erwartete dies und versuchte, es durch Zweckbindung von Staatseinnahmen zu erzwingen. Jedoch erwies sich der Tresor als überfordert und befand sa Dazu Cauboue : Servitude ou Liberte ... , a. a. 0.; Ramon, a. a. 0., S. 318ff.; Bopp: The Government ... , a.a.O., S. 8; und Röpke: Jenseits von Angebot
und Nachfrage, Erlenbach/Zürich 1958, der S. 287 die dramatischen Vorgänge schildert, die sich zwischen Kommune und den in Paris verbliebenen Notenbankvertretern abspielten. 64 Ramon, a.a.O., S. 401, 412. Zum Nationalisierungsgesetz von 1936 s. u . Anm. 74, 75.
65 Zur Convention von 1911 und den darauf beruhenden geheimen Zirkularen, s. Ramon, a.a.O., S. 428/29, 457. - Zur Haltung der Bank bei Kriegsbeginn, s. typisch Compte Rendu des Gouverneurs Pallain am 28. 1. 1915 vor der Aktionärsversammlung. - Zur Finanzierung des ersten Weltkrieges in Frankreich, s. Pose, in: Le Franc - Mythe et Realite, a.a.O.; Laufenburger: Credit public et finances de guerre, Paris 1944; Schacht (Die Stabilisierung ..., a.a.O., S. 3) behauptet, Frankreich habe alle Kriegskosten aus Anleihen finanziert: 43 vH innere, 21 vH ausländische, 36 vH Vermehrung der schwebenden SchJuld.
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sich häufig in Liqutditätsschwierigkeiten; der Gouverneur der Banque de France, Robineau, mußte z. B. arn 27. Januar 1921 der Aktionärsversammlung über einen weiteren Tilgungsaufschub, der der Regierung gewährt worden war, berichten und tat dies mit den bezeichnenden Worten: "Ce n'est pas sans une tres profonde deception ... que votre Conseil (d. h. der Aufsichtsrat der Aktionäre, d. Vf.) a du s'incliner ainsi, par deux fois, devant l'inevitable56." Trotz der Tilgungsversuche nahm der Geldumlauf zu. 1925 kam es zu einem Skandal mit nachfolgendem Regierungssturz wegen falscher Angaben in der Bilanz der Banque. Der gesetzliche Notenplafond dessen Fixierung im Kriege dem Finanzministerium zugestanden worden war, seit 1919 jedoch wieder dem Parlament zustand - wurde erstmalig überschritten57. Bis 1926 hatten zwei Chefs des Schatzamts (Directeurs du Mouvement des Fonds), Farmentier und Mony, ihren Posten verlassen, weil sie den Abbau der Avancen an die Bank und des Notenumlaufs zu Lasten des Anwachsens der flottierenden Staatsschuld nicht verantworten zu können glaubtenss. 1926 ließ der Finanzminister Caillaux den Gouverneur der Banque de France, Robineau, ablösen •und ersetzte ihn durch Moreau59. Es scheint uns jedoch unzutreffend, wenn ein französischer Chronist dazu sagt: "Voici comment finit un gouverneur de la Banque de France, du temps ou il etat libre, pour ne pas avoir montre assez de souplesse vis-a-vis du gouvernement"60; denn der Nachfolger Moreau dachte auch kommerziell wie Robineau, nur klüger, und war der Regierung keineswegs immer bequem. Der Vorgang findet seine Parallele in der Ablösung Havensteins durch Schacht nach dem Tode des ersteren im Deutschen Reich, wovon im nächsten Abschnitt zu berichten sein wird. Moreau hat selbst die späteren dramatischen Ereignisse, die zur Stabilisierung des Franc auf einem Fünftel seiner Vorkriegsparität führten, .g eschildert61 • In seinen Memoiren berichtet er, wie er entschetdend zum Sturz der Regierung Herriot am 21. Juli 1926 beigetragen hat, um freie Bahn für seine Sanierungspläne zu bekommen. Als man ihm diesen politischen Eingriff später, nach seinem Rücktritt vom Gouverneursamt, aber noch vor Veröffentlichung seiner Memoiren, vorwarf, berief er sich auf seinen Eid auf die Bankstatuten und auf
Compte Rendu v. 27. 1. 1921, für das Jahr 1920. Dazu Pose, a.a.O., Bopp: The Government ... , a.a.O., S. 14/15. 58 Dazu Ardant: Erreurs techniques et ideologiques, in: Le Franc, Mythe et Realite, a.a.o. 59 Dazu Bopp: The Government . .. , a.a.O., S. 16 ff., und Cauboue: Servitude ..., a.a.O. 6° Cauboue, a.a.O. 61 Moreau: Souvenirs d'un Gouverneur de la Banque de France, Paris 66 57
1954.
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B. Kreditgeldsteuerung als Herrschaftsmittel
die formale Tatsache, daß nicht er, sondern das Parlament die Regierung gestürzt habe1l2 • Ebenso scharf setzte sich Moreau gegen die Regierung Poincare durch, die schließlich 1928 die Francstabilisierung verantworten mußte. Poincare äußerte auf eine Rücktrittsdrohung Moreaus hin in der entscheidenden Kabinettssitzung: "Les dirigeants de la Banque de France n'accepteraient pas une autre politique que celle de la stabilisation. Or, si ces dirigeants etaient amenes a demissioner, le monde entier donnerait tort au Gouvernement, car le prestige de la Banque a l'etranger est enorme, plus grand que celui de l'Etat63 ". 1928 begab dann die Banque de France sich wieder unter die kommerzielle "Herrschaft" des Goldes, wenn auch, durch das schlechte Beispiel Englands gewitzigt, nur auf Basis von einem Fünftel des Vorkriegskurses, bei etwa auf das Fünffache gestiegenem Preisniveau. Eine Convention zwischen Bank und Regierung vom 23. Juni 1928 die zwei Tage vor der Annahme des neuen Währungsgesetzes abgeschlossen wurde - tilgte die Staatsschulden bei der Zentralbank vom August 1914 bis Dezember 1925 gegen entsprechende Aufwertung der Go1dkasse. Das neue Währungsgesetz wurde am 25. Juni 1928 mit 452: 18 Stimmen in der Assemblee Nationale und fast einstimmig im Senat angenommen64. Jetzt wurde auch die Goldbindung statutarisch verankert, indem eine Golddeckung von 35 vH vorgeschrieben wurde. Gerade eine solche Golddeckungsklausel unterstreicht aber u . E. nur den kommerziellen Charakter einer Zentralbank, denn durch sie wird scharf zwischen Metall-Kurantgeld, bestimmt durch Münzgesetz der Währungshoheit, einerseits und der Banknotenausgabe andererseits geschieden. Wir meinen, daß selbst strenge Deckungsvorschriften, wie sie etwa Frankreich 1928 bis 1936, England seit 1844, das Deutsche Reich seit 1875 kannten, nicht notwendig am kommerziellen Grundcharakter einer Zentralbank etwas ändern, sondern prinzipiell nur eine Verstärkung der durch Metalleinlösungspflicht überdies gegebenen Abhängigkeit vom Metall-Kurantgeld, letztlich also vom Außenhandel, darstellen. Denn sonst wäre auch Privat-Giralbanken, welche MindestreserveBestimmungen (in Zentralbankgeld) unterliegen, der Unternehmenscharakter abzusprechen, zumal solche Bestimmungen nicht nur, wie Golddeckungsbestimmungen, eine fixe Deckungsquote erfordern, sondern sogar eine unvoraussehbar variierende. In der Zeit der Wiederetablierung "normaler" Verhältnisse im französischen Notenbankwesen nach 1928 hat denn auch die Banque de 62
63 64
Moreau, a.a.O., S.36/39; Bopp, a.a.O., S.l7. Moreau, a.a.O., S. 584. Jeanneney: Textes ... , 1928; Moreau, a.a.O., S. 592.
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France deutlich kommerzielle Züge gezeigt. Als Schacht Moreau vorwarf, die Sanierung des Franc 1928 wäre mit Hilfe der ausländischen Zentralbanken billiger gekommen, antworte letzterer: "Schließlich bringt uns die Operation Gewinn65." Als Begründung für seine Weigerung, einer neuen Gewinnverteilung zru.gunsten der Regierung zuzustimmen, erklärte Moreau: "Ich stütze mich auf die bestehenden Gesetze, die nicht ohne Zusttmmung der Bank geändert werden können, und das bietet M. Poincare auch einen festen Boden, um Forderungen des Parlaments zu widerstehen66." Das ist die Äußerung eines Zentralbankgouverneurs im Jahre 1928, der von der Regierung auf Grund eines Gesetzes von 1806 eingesetzt worden war und jederzeit rückrufbar blieb, aber seinem privaten Aufsichtsrat verantwortlich war. Die damalige Einstellung drückt vielleicht am besten ein Artikel aus dem "Temps" vom 20. Februar 1931 aus: "Sans doute, le gouverneur est nomme par le Ministre des Finances. Mais une fois nomme, il n'a pas de compte.s a lui rendre. Le gouvernement peut le revoquer et le remplacer. C'est son seul droit. Il ne peut s'immiscer dans la gestion de !'Institut d'Emission. Ceux qui assument cette charge en sont responsables devant les actionnaires et devant eux seulement67." Bei den Aktionären handelte es sich -u m die berühmten 200 mit dem größten Aktienbesitz, deren Einfluß selbst in den vorsichtig formulierten Memoiren Moreaus deutlich wahrzunehmen ist, und bis 1936 auch wahrnehmbar bliebns. Die Banque de France arbeitete nach 1928, nach dem neuen Münzgesetz, weiter unter ihren Statuten aus dem 19. Jahrhundert, den Statuten einer kommerziellen Bank im Weltmarkt mit Sonderprivileg. Eine Sonderkonvention mit der Regierung, die zusammen mit den die Abwertung regelnden Fragen geschlossen wurde, gab der Banque de France größere Freiheiten im Verkehr mit a-usländischen Zentra1banken69 , Mit diesen Rechten ausgestattet, konnte sie dann später ihre maßgebende Rolle bei der Gründung und ersten "Geschäftsführung" der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich spielen, Vorgänge, welche wir 'u nten im 7. Kapitel betrachten werden. 1931 beantragte und erhielt die Banque de France beim französischen Parlament, nach heißer Debatte mit 321 gegen 264 Stimmen, eine EntschädigtUng für kommerzielle Verluste durch die Abwertung 65 66
Moreau, a.a.O., S. 548. Moreau, a.a.O., S. 586.
67 In: Les Fonctions de la Banque de France, Notes et Etudes Documentaires, Presidence du Conseil, Ser. Fran!;aise CCCXXVIII, Ec. et Financ., 18. 2. 1954, Nr. 1. 838. 68 Moreau, a.a.O., passim und besonders S. 212/13. 69 Moreau, a.a.O., S. 592.
Bo Kreditgeldsteuerung als Herrschaftsmittel
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des englischen Pfundes70. Sie war in London stark engagiert gewesen, und es gibt gewichtige Stimmen, die auch den deutschen Bankzusammenbruch 1931 -dessen wahre Ursache in anderen Gründen gelegen haben mag, die wir hier nicht untersuchen wollen - der auf Kommerzialität versteiften Haltung der Banque de France zurückführen, welche Stützungs-Kredite an die Reichsbank unter Hinweis auf ihren politischen Charakter ablehnte71 • Das .gleiche Verhalten trat bei der Auseinandersetzung zwischen der französischen und der englisch:e n Zentralbank zutage, die "in ihren Entschlüssen durch den Umfang der französischen Gelder in London nicht mehr frei war"72 • Der Vertreter Frankreichs bei der Londoner Besprechung 1931, Jacques RueJf, argumentierte mit einer Grundtendenz, die nationale Wirtschaftskörper wie private Firmen behandelte. Unter Berufung auf gesunde kaufmännische Prinzipien unterstützte die Banque de France - mit vom Staate bestelltem Gouverneur! - noch 1931 bis 1936 die Deflationspolitik Frankreichs. Typisch dafür ist die Äußerung des früheren Doyens des privaten Aufsichtsrats nach dem Leon Blumschen Reformgesetz, das den staatlichen Einfluß im Aufsichtsrat etablierte: von nun an bestände die unzweifelhafte Drohung, daß Kredit mit Subvention verwechselt werde73, 1936 war der Respekt vor der Unantastbarkeit einer inzwischen 136 Jahre alt .g ewordenen privaten Institution soweit geschwunden, daß Leon BZum unter der Devise: Machen wir aus der Bank von Frankreich die Bank Frankreichs, eine einschneidende Statutenänderung durch Gesetz vornehmen lassen konnte. Einige Monate später erfolgte dann eine Franc-Abwertung; der Goldstandard wurde wieder suspendiert und ist es bis heute geblieben74.
Das Gesetz vom 24. Juli 1936 wuvde mit 430 gegen 111 Stimmen in der Nationalversammlung beschlossen und änderte die Zusammensetzung des entscheidenden Aufsichtsgremiums so, daß praktisch eine Staatsadministration daraus wurde: Von 20 Räten wählte zwei die Generalversammlung der Aktionäre (nicht mehr nur die 200 stärksten), dieselbe bestimmte weiter drei nicht stimmberechtigte Zensoren; neun Räte ernannte die Staatsexekutive, und neun stammten aus Wirtschaftsverhänden (davon wieder zwei Vertreter staatlicher Institute, 70 Bopp: The Government . 0 0, a oa.Oo, S. 19.
Schacht: 76 Jahre aoaoOo, So 364; über den Druck der französischen Banken anläßlich der Young-Plan-Beratungen dort So 298. - Lilke: Von der Stabilisierung ..., a oa.O., So 309. 72 Lilke, a oaoOo, So 314; zum Bericht Jacques Rueff's, S. 319. 73 Cauboue: Servitude . .. , aoaoOo 7 4 Den Text des Abwertungsgesetzes, s o Uo Anm. 94 Uo D 40. 71
0
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ein Personalvertreter und sechs vom Finanzminister aus einer Liste ausgewählte Interessenvertreter)15. Durch den personeHen Einfluß der Regierung wurde die Banque de France faktisch eine "weisungsabhängige Staatsanstalt". Der Eid des Gouverneurs wurde geändert: er leistete ihn nicht mehr auf die Bankstatuten, sondern auf das Wohl des Landes 76 • Alle diese Änderungen wurden von einer breiten Mehrheit für notwendig befunden, was doch woihl beweist, daß bis 1936 ein Einfluß privater Kreise auf die Leitung der Banque de France im Sinne der Leitung eines nicht für die breite Allgemeinheit, sondern für eben diese privaten Gruppen arbeitenden Unternehmens als gegeben galt. Die Situation von 1806 hatte sich, ohne daß die darauf bezüglichen Statuten gändert worden waren, ins Gegenteil verkehrt77. Das Gesetz von 1936 änderte aber im wesentlichen nur den personellen Einfluß und beließ die "Sache", die Aufgabe der Bank mit einer Ausnahme bei den alten Statuten aus den Jahren 1800 bis 1806. Das 15 Artikel umfassende Gesetz ordnet nur in einem letzten Artikel eine wesentliche Änderung der kommerziellen Grundstatuten an. Der Artikel - als Artikel 122 in die späteren "Lois et Statuts" aufgenommen - besagt: "Tous les effets de la dette flottante emis par le Tresor public et venant a echeance dans un delai de trois mois au maximum sont admis sans limitation au reescompte de l'institut d' emission, sauf au profi.t du Tresor public 78 ." Dieser einzige Artikel, der weiterhin auf der klassich-kommerziellen Theorie des DreimonatsWechsels als Notendeckung beruht, mußte .genügen, um eine staatliche Arbeitsbeschaffungs-Politik zu finanzieren. Paradoxerweise arbeitete die Banque de France, seit 1936 nun eindeutig als staatliche Kreditge1dsteuerungszentrale eines souveränen, vom Ausland unabhängig gemachten, Währungsgebiets gemeint, weiter auf der sachlichen Grundlage ihrer kommerziellen Statuten aus dem 19. Jahrhundert. Der erwähnte Artikel bedeutet formal noch nicht einmal eine system-unkonforme Abweichung. Der Gesetzgeber unterstrich noch die weiterbestehende Bindung an die alten Statuten, indem er im Art. 15 des Gesetzes von 1936 anordnete: "Les textes legislatifs ou statutaires regissant la Banque de France seront codifies par decret avant le 31 decembre 19367 9." Ein Regierungserlaß vom 31. Dezember 75 Jeanneney: Textes ..., a.a.O., 1936; Bopp: The Govermnent ..., a.a.O., S.18, 34. 76 Bopp, a.a.O., S. 18. 77 s. o. Amn. 39. Durch die Einrichtung eines Stabilisierungsfonds wurde der Staatseinfluß auf die Geldpolitik weiter verstärkt, dazu Veit: Grundriß ... , a.a.O., S. 139 ff., 184, 662 ff. 78 Jeanneney: Textes ... , a.a.O., Lois et Statuts. 79 Jeanneney, a.a.O.
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1936 brachte dann die "Codification des textes concernant la Banque de France", die "Lois et Statuts", welche heute (1962) noch gelten. Es handelt sich um eine kumulative Sammlung,- eine durchaus "englische" Methode im sonst so systemlogischen Frankreich -, welche, ausgehend vom ursprünglichen Statut der privaten Bank vom 13. Februar 1800, über die Gesetze von 1803, 1806, 1808, 1832 bis 1936 ganze 53 Lois, Ordonnances, Decrets, Traites und Conventions zusammenfaßt. Dieses Verfahren wurde ständig fortgesetzt; bis zum 26. Juni 1957 kamen noch weitere sieben Ergämrungen in Deckblattform hinzu. Eine dieser Ergänzungen war das Gesetz vom 2. Dezember 1945, das - zusammen mit den großen französischen Depotbanken - das Kapital der Banque de France gegen Entschädigung enteignet und damit den letzten noch bestehenden, geringen Einfluß der Aktionäre ausschaltete - offenbar wieder eine Maßnahme, welche 1945 noch für nötig gehalten wurde; einige Politiker, welche 1945 unter dem Klima der Befreiung F!'ankreichs für die Enteignung gestimmt hatten, plädierten später sogar wieder auf Rückgängigmachung und Reprivatisierung80. Das Gesetz von 1945 schreibt in seinem Artikel 3 vor: "La Banque continue a etre regie par les dispositions de la legislation commerciale dans la mesure ou il n'y a pas derogation par les lois et statuts qui lui sont propres." Derselbe Artikel stipulierte zwar auch, daß die Statuten der Zentralbank durch ein Gesetz, das bis zum 28. Februar 1946 erlassen sein sollte, "geändert und ergänzt" werden mußten. Dies Gesetz ist aber bis ZiUm Jahre 1962 nicht ergangen; ein Versuch des sozialistischen Finanzministers Philip scheiterte 1946B1, Die französische Zentralbank, 1936 personell, 1945 auch kapitalmäßig dem Staate einverleibt, arbeitet also bis heute de jure unter Statuten, die ursprünglich einem rein kommerziellen Bankinstitut galten. Das Gesetz von 1945 hat den Status der Banque de France außerordentlich unscharf definiert. Formalrechtlich wurde sie das Exekutivorgan eines "Nationalen Kreditrates". Dieser übernahm die Funktionen eines 1941, unter dem Besatzungsregime, eingesetzten korporativ-ständischen Gebildes; er hat "beratende" Funktion gegenüber der Regierung in monetären und kreditären Fragen; er ist Berufungsinstanz für gewisse Entsche1dungen der Bankenaufsicht82• Der Rat 80 Das Gesetz von 1945: Jeanneney, a.a.O., 1945; und Lois et Statuts. Zur Rückgängigmachung der Nationalisierung des Kapitals, s. Cauboue, a.a.O. 81 Jeanneney, a.a.O., 1945. 82 Dazu Perouse: Le Conseil National du Credit, in: Annales de l'Economie Collective, Nr. 527-530, Mai!Aug. 1957. Perouse war 1958 Sekretär des Nationalen Kreditrates. - Weiter: La Politique de credit en France, ver-
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bestand 1957 aus 38 Mitgliedern; Vorsitzender ist laut Gesetz ein Minister, "der durch die Regierung bestimmt wird" - tatsächlich der Finanzminister, der seit 1945 in Frankreich gleichzeitig Wirtschaftsminister war. Stellvertretender Vorsitzender ist der Notenbankgoltlverneur. Der Finanzminister hat die Sitzungen des Kreditrats - die alle zwei bis drei Monate stattfinden, von 1945 bis 1957 etwa 80 - bis 1957 nur 3roal persönlich geleitet; sonst präsidiert der Gouverneur der Banque de France seinem eigenen Aufsichtsgremiuro83. Die Mitglieder des Rats setzen sich folgendermaßen rusaroroen (soweit aus dem Privatsektor stammend, vom jeweiligen Fachminister ausgewählt): zehn aiUS dem Kreis der Kreditnehmer, sieben aus dem Kreis der großen Interessenorganisationen, sieben aus verschiedenen Regierungsressorts, sieben aus dem Finanzministeriuro, sieben aus den öffentlichen und halböffentlich.en Kreditanstalten, und dazu kommen seit 1953 Vertreter von Zentralbanken aus dem Gebiet der "Union Fran(;aise". Das Verfahren der Beschlußfassung innerhalb dieses Verwaltungsgreroiuros ist ungeregelt; auch das Verhältnis zwischen Kreditrat, Bank und Regierung bleibt letztlich offen. Die Zentralbank formell Exekutivorgan des Kreditrats, dessen Vorsitzender der Finanzminister ist - schließt z. B. bei Krediten an die Regierung nach wie vor mit dieser "Conventions" ab 84 • Die Rechte der Banque gegenüber den Privatbanken und deren genossenschaftlicher Organisation sind zwar geregelt, nicht jedoch ihre "Participation ä l'eboration de la politique du credit" - also das wichtigste Recht einer Zentralbank. Da:zJU heißt es in einer halboffiziellen Publikation: "Les attributions du Conseil sont, ä cet egard, beaucoup moins nettement definies, elles revetent un caractere purement consultatif85." Der Bankgouverneur hat in der Zeit der massiven Inflation nach 1945 zuweilen die Flucht in die Öffentlichkeit vor Kreditansinnen von Parlament und Regierung angetreten. Andererseits wirkte die Banque wesentlich beim Wiederaufbau der französischen Wirtschaft durch Exekution der Investitionspläne mit, die zwar ab Plan 2 vom Parlament als - in deutscher Terminologie: - "Orientierungsbudget" beschlossen wuvden, also nicht die Stringenz von Gesetzen hatten, die jedoch der Kreditpolitik mit als Unterlage dientenso. Die technische Durchführung erfolgte in der Art, daß die Regierung Prioritäts-Zuteilungen für wichtige Aufgaben festsetzte, die das Banksystem de facto honorieren mußte, die offenbar aber nicht durch einen Generalvollständigter Sonderdruck aus La Banque, Nr. 5, Nov. 1954, S. IX ff.: Les Institutions Nouvelles. 83 Nach Auskunft von M. Perouse. 84 Jeanneney: Textes ... , a.a.O., 1945. 85 La Politique de credit en France, a.a.O., S. XI. 86 Ebenda, S. VIII: Les deux periodes essentielles. 7 Arndt
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B. Kreditgeldsteuerung als Herrschaftsmittel
plan aufeinander und auf das Konsumgebaren der Bevölkerung abgestimmt waren87• 1945 hatten sich anläßlich der "Palais-Royal-Konferenz" sämtliche großen Interessengruppen (Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Landwirtschaft) und die Regierung zusammengesetzt und sich gegenseitig alle ihre Hauptforderungen zugestanden; die Banque de France hatte sie letztlich zu monetisieren, mit dem Erfolg, daß der Franc auch noch nach der Absorbierung des Geldüberhanges aus dem Krieg immer weiter fiel. "Ce que le Parlement se refuse a faire l'inflation le fait", sagt Duverger dazuss. Besser: was Parlament und Regierung nicht öffentlich durchzusetzen wagten, überließen sie der Zentralbank, deren Geldpolitik auf uneinsichtigere Weise zum gleichen Ergebnis führte. In diesem Zusammenhang finanzierte die Banque de France nach 1945 Investitionen durch Kreditgeldschöpfung, deren Tilgung sich später als schwierig herausstellte. Das betrifft vornehmlich die Wohnungsbaufinanzierung; die Kredite an die Industrie erwiesen sich als "echte" Kredite und wurden liquidiert. Um formell den - alten kommerziellen - Statuten zu entsprechen, erfolgte die Monetisierung mittelfristiger Kredite durch erneuerbare Dreimonatswechsels9. Im Portefeuille der französischen Zentralbank allein befanden sich an solchen "Cr&iits ii Moyen Terme" 1947: 3 Mrd. Francs, 1952: 313 Mrd., 1954: 505 Mrd., 1955: 600 Mrd., 1956: 1036 Mrd. Francs (jeweils Dezember); die gesamten Sichtverpflichtungen betrugen demgegenüber 1956: 3277 Mrd. Francs. Fast ein Drittel der Sichtverpflichtungen waren also schließlich durch Investitionskredite "gedeckt" 90• "Un tel systeme a ete institue par l'Etat pour que celui-ci n'ait pas en charge directemment la construction immobiliere" sagt dazu ein französischer Kritiker9t. Die Wohnungsbaukredite beim
a prendre
87 Bazis (in Le Franc ..., a.a.O.) sagt dazu: "Ne jamais rien refuser, ne savoir ni decider, ni choisir, pretendre poursuivre simultanement une quantite d'objectifs qui, ensemble, depassent les ressources et les forces du pays" (Monnaie, Progres, Stagnation et Decadence). - Über die Entwicklung der französischen Inflation nach 1948 - der Zeit der Absorbierung des Geldüberhanges aus dem Kriege -, s. a. Jeanneney: Forces et Faiblesses de L'Economie Fran~aise, a.a.O., S.106 ff., 217 ff.; Merigot et Coulbois: Le Franc 1938-1950, Paris 1950; Sedillot: A. B. C. de l'inflation, Paris 1958; Etudes et Conjoncture, Sonderheft über die Inflation, Nov. 1951; Institut National de la Statistique et des Etudes Economiques (I. N. S. E. E.): Mouvement economique en France de 1944 a 1957, Paris 1958. 88 Duverger: Le poumon d'acier, in: Le Franc ..., a.a.O. Zur PalaisRoyal-Konferenz Bozis, a .a.O. 89 Dazu Simon et Paves: Le credit a Moyen Terme, Preface de J. Rueff, Paris 1957. eo Jeanneney: Foces et Faiblesses ..., a.a.O., S. 246; Compte Rendu der Banque de France f. 1956. 91 Guibert: L'Emission du billet de banque en France, Paris o. J. (1955/56), S.92.
5. Zwei historische Beispiele der Zentralbankentwicklung
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Bankensystem wurden erst eingeschränkt, als die Baupreise zu steigen begannen, und zwar in erheblichem Ausmaß; sie hatten aber offenbar schon vorher inflationäre Effekte für die Lebenshaltungskosten. Die Bauindustrie bestreitet dies natürlich, ebenso wie die Gefahr, daß deflationistische Effekte auftreten würden, wollte man bei Abschluß der Aktion an eine Tilgung der Forderungen denken, die ein Drittel der Aktivdeckung allein bei der Zentralbank ausmachen 92 . Diskriminierungen und Förderungen bestimmter Wirtschaftszweige erfolgten also unter Umgehung des Parlaments, aber unter Einschaltung der Zentralbank. Wiederholte Versuche der Bankleitung, sich der hierzu notwendigen Geldschöpfung entgegenzustellen, blieben praktisch ergebnislos. Sie griff zwar 1958 zu dem Mittel, einen 3-MilliardenFrancs-Kredit an den Tresor durch entsprechende Kreditrestriktionert für die Privatwirtschaft zu kompensieren, mußte aber den Kredit an den Staat doch geben und verstieß mit ihrer Diskriminierung gegen den gesamten Privatsektor offensichtlich gegen eine ihrer Grundregeln93. Bei allen ,diesen Aktionen operierte die Banque de France in einem "Raum peinlicher Rechtsverdünnung", denn formell stand sie nach wie vor unter den Statuten von 1800/1808, deren Einhaltung ihr im Nationalisierungsgesetz von 1945 weiter zur Pflicht gemacht worden war. Diese Statuten galten einer kommerziellen Bank; die Banque de France war aber mindestens seit 1936 eindeutig staatliche Kreditgeldsteuerungszentrale und steuerte über ein von ihr selbst beliebig zu schaffendes Zahlmittel eine Wirtschaft, die sich ausdrücklich seit 1936 aus dem normalen Weltmarktzusammenhang gelöst hatte. Denn das Währungsgesetz vom 1. Oktober 1936 hatte die Goldeinlösungspflicht der Banknoten wieder aufgehoben und für die Definition der Währungseinheit bestimmt: "La nouvelle teneur en or du franc, unite monetaire fran!;aise, sera ulterieurement fixee par un decret pris en Conseil des ministres"94, - die Definition der Währungseinheit also offengelassen und damit eine nominalistische Einordnung der französischen Währung in ein Weltgeld suspendiert. Über die Franc-Abwertungen, die sich daran anschlossen, wird unten im Kapitel 11 noch zu sprechen sein. Die Leitung der Banque de France scheint an einer Neufassung der Statuten, durch die sie an die wirkliche Sachlage angepaßt würden, wenig interessiert ZJU sein. Sie fürchtet offenbar, daß sie damit nur 92 Le Monde, 28. 6. 1958: "Le credit a la construction n'est pas inflationniste - affirme la Federation du batiment." 93 s. dazu, unten, Kapitel 15 b, Anm. E 102. 94 Jeanneney: Textes ... , a.a.O., 1936. Prinzipiell hat auch die "Währungsreform" von 1958 an der Sachlage nichts geändert. - s. dazu unten, Kap. 6 und 11.
7•
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B. Kreditgeldsteuerung als Herrschaftsmittel
zu weiterer Ohnmacht verurteilt würde. Das wäre jedoch nicht der Fall, wenn eine Legalisierung "richtig" erfolgte, und das heißt: der veränderten Situation und Funktion der Zentralbank gemäß.
b) Deutschland: Die Zentralbank als weisungsunabhängige Staatsanstalt Das Gesetz über die Errichtung der Reichsbank vom 14. März 187595 ist eines derjenigen Zentralbankgesetze, die ein ganz neues Institut schufen zu einer Zeit, als Kreditzahlmittel bereits eine erhebliche Rolle im Wirtschaftssystem spielten, als aber doch eine Metallwährung noch unbestritten herrschte: Im Dezember 1871 war eine Reichsgoldmünze mit einer neuen Werteinheit, der Mark, erst geschaffen worden, und das Münzgesetz vom 9. Juli 1873 ergänzte und vervollständigte diese streng nominalistische Metallwährung96. Das Grundkapital des neuen Instituts war in Händen Privater97, die indessen keinen nennenswerten Einfluß auf die Geschäftspolitik hatten. Die Leitung stand dem Reichskanzler zu, dem das Reichsbankdirektorium als bloß geschäftsführendes Gremium unterstellt war. Eine Novelle von 1919 setzte an Stelle des Reichskanzlers die Reichsregierung98. Es scheint uns aber zu sehr von der modernsten Situation reiner Kreditwährungen her gesehen, wenn ein Wirtschafts-Verwaltungsjurist meint, der Grund, warum "Wirtschaftsanstalten mit hoheitlichadministrativen Aufgaben in privatrechtlicher Sonderform" in der Vergangenheit errichtet wurden, sei in der Betonung der Unabhängigkeit "von der staatlichen Weisungsgewalt" und der Erhöhung des "allgemeinen Vertrauens in die neugeschaffenen Währungs- und Kreditinstitute" zu suchen99 . Durch die Unterstellung unter den Reichskanzler war die Abhängigkeit von der staatlichen Weisungsgewalt gerade betont; sie wurde aber offenbar zu den damaligen Zeiten nicht als Gefahr für eine Notenbank angesehen, die in einem Goldwährungssystem und unter strikten Golddeckungs-Vorschriften operierte. Auch wenn Staatsbeamte- und der Reichsbankpräsident war von 1875 bis 1922 ein solcher - Wirtschaftsbetriebe leiten, braucht das noch nicht zu heißen, daß solche Betriebe keine Unternehmen mehr sind, sondern hoheitliche Aufgaben erfüllen. Das Reichsbankgesetz schrieb eine Dritteldeckung in Gold vor und band insofern das Institut an das (1871) durch die Währungshoheit RGBI. 177. s. dazu Stucken: Deutsche Geld- und Kreditpolitik, a.a.O., S. 2. 97 s. dazu v. Eynern: Die Reichsbank, Jena 1928; Veit: Grundriß, a.a.O., S.186 ff. 98 Par. 5 des Überleitungsgesetzes v. 4. 3. 1919 (RGBI. 285). 99 Huber: Wirtschaftsverwalt~srecht, a.a.O., Bd. I. S. 121. 95
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5. Zwei historische Beispiele der Zentralbankentwicklung
101
fixierte Kurantgeld. Die emittierten Noten waren nicht gesetzliches Zahlmittel100• Die Reichsbank konnte für ein privilegiertes Kreditunternehmen gehalten werden, und noch nicht einmal für ein Monopolunternehmen; bis 1935 gab es noch weitere Notenbanken im Deutschen Reich101• Noch 1908, anläßlich einer Bankenenquete, erklärte sich die Reichsbank in ihren Geschäften "marktkonform" als vom Außenhandel abhängig, also als Bank unter Banken102• Erst am 1. Januar 1910 wurde durch Gesetz der Annahmezwang für Reichsbanknoten verkündet; von diesem Datum an waren sie gesetzliches Zahlmittel zusammen mit der in Gold definierten Mark. Rittershausen sagt dazu: "Auf Grund der Gutachten eines Ausschusses, der sich mit der finanziellen Vorbereitung eines etwaigen Krieges beschäftigte, wurde . . . die Vereinigung von Währung und Zahlungsmittel Gesetz" 103 ; - was wir allerdings nicht so verstehen würden, als ob vor dem I. Januar 1910 nicht auch in Währung - nämlich GoldMark - gezahlt worden sei. Indessen änderte sich mit dem Ersten Weltkrieg entscheidend der Charakter der Reichsbank, und die juristische Abhängigkeit von der Exekutive wurde auch tatsächlich erheblich. Durch Gesetz wurde am 4. August 1914 die Goldeinlösungspflicht aufgehoben und gleichzeitig eine Änderung des Münzgesetzes vorgenommen. Die Vorschrift über Dritteldeckung blieb zwar bestehen, doch wurden auch Darlehnskassenscheine in die Deckung mit einbezogen - was jede Möglichkeit zur Geldschöpfung durch die Exekutive eröffnete104• Bis Ende 1918 hatte denn auch der Zahlmittelumlauf im Deutschen Reich (Reichsbanknoten, Reichskassenscheine, Darlehnskassenscheine, Privatbanknoten, Scheidemünzen - ohne Gold) von 7,2 Mrd. Mark (Ende 1914) auf 28,4 Mrd. Mark zugenommen, darunter 16 Mrd. Mark Reichsbanknoten. Die schwebende Schuld des Reiches aus diskontierten Schatzanleihen betrug 48,5 Mrd. Mark, davon befanden sich allein 19,4 Mrd. im Reichsbankportefeuille105• Im kritischen September 1923 betrug schließlich der Reichsbanknotenumlauf 43 595 Mrd. Mark (bei 57 849 Mrd. Mark Reichsschulden); der Goldbestand der Reichsbank jedoch 596 Millionen Mark. Am 15. November 1923 schuldete das Reich der Reichsbank 189,8 Trillionen Mark, während alle übrigen Kredite, s. dazu oben Kapitel 3. 1875 gab es 33 notenausgebende Institute im Deutschen Reich. Stucken, a.a.O., S. 14; dagegen s. aber unten Anm. 182, 183. 1°3 Rittershausen: Bankpolitik, a.a.O., S. 59. R. gebraucht hier dieselbe Terminologie, die (wie oben Anm. A 107) den Sachverhalt nicht ganz deutlich werden läßt. 1°4 RGBl. 326, 347. Dazu Stucken, a.a.O., S. 13 ff. 105 Schacht: Die Stabilisierung ... , a.a.O., S. 4/5. 100 101 102
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B. Kreditgeldsteuerung als Herrschaftsmittel
die von der Reichsbank gewährt worden waren, 40,1 Trillionen Mark au.smachten106. Ein späterer Reichsbankpräsident, Schacht, sagt zu dieser Entwicklung: "Die enge Verbindung, die das Reich mit dem Zentralnoteninstitut verband, ist dem letzteren zum Verhängnis geworden. Man hat die frühere Reichsbankleitung wegen der Kredithergabe an das Reich oft hart getadelt. Indessen müssen bei einer kritischen Würdigung zwei Perioden scharf geschieden werden. Bis zum Erlaß des Autonomiegesetzes vom 26. Mai 1922 war die Reichsbank nichts anderes als eine nach den Anweisungen des Reichskanzlers arbeitende Reichsstelle ... Nach der Bankgesetznovelle vom Mai 1922 war die Situation, rechtlich gesehen, eine andere ... Die Novelle wurde in der ausdrücklichen Absicht erlassen, der Reichsbank die Möglichkeit zu geben, von dem Zwang der Kreditgewährung an das Reich loszukommen107." Indessen scheint es uns weniger die enge personelle Bindung an die Exekutive zu sein, als, "rechtlich gesehen", die Erklärung der Reichsbanknote zum gesetzlichen Zahlmittel 1910 und die Aufhebung der Goldeinlösungspflicht 1914 ohne ausreichenden Ersatz durch Regeln für die Geldschöpfung, welche der Reichsbank zum Verhängnis geworden sind. "Sachlich" wurde nun zwar durch das Autonomiegesetz an den Statuten der Reichsbank, also auch an dem seit 1914 regellosen Zustand, nichts geändert; das Gesetz von 1922 brachte nur eine personelle Autonomie. Trotzdem sind auch wir der Meinung, daß die Art, in der das Gesetz zustandekam, bereits wieder gewisse Regeln für die Geldschöpfung durchblicken ließ, also eine Änderung in der "Sache" brachte. Einen gewissen Hinweis auf eine Bindung an Regeln bei der Geldschöpfung sehen wir nämlich darin, daß ausländische Kräfte maßgebend an der Fassung und dem Durchbringen des Gesetzes beteiligt waren108 • Das ausländische Interesse bezeugte, daß die verstärkte Stellung des Reichsbankpräsidenten als Schritt zur Wiedereinsetzung einer kommerziell orientierten Bank im Weltmarkt gemeint war, d. h., die Reichswährung wieder nominalistisch in den Weltmarkt einfügen wollte. Daß eine bloß personelle Autonomie, selbst auf außerordentlichen Vollmachten aufbauend, allerdings nicht genügte, um Weltmarktinter106 1o1 108
Lüke, a.a.O., S. 13; Schacht, a.a.O., S. 84. Schacht, a.a.O., S. 84/85.
Gesetz über die Autonomie der Reichsbank, 22. 5. 1922, RGBI. II 135. Zum Auslandseinfluß Schacht, a.a.O., S. 31/32: "Die Währungsfrage schiebt sich in den Vordergrund und verdichtet sich zu der Sachverständigenforderung, das Verhältnis zwischen Reichsbank und Reich zu revidieren. Eine deutsche Delegation trifft am 11. 1. 1922 in Cannes ein. Da aber am folgenden Tag das Kabinett Poincare an die Stelle des Kabinetts Briand tritt, muß die Konferenz in Cannes abgebrochen werden, nicht ohne daß Deutschland sich bereit erklärt, die Autonomie der Reichsbank durchzuführen."
5. Zwei historische Beispiele der Zentralbankentwicklung
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essen gegen etatistische und binnenwirtschaftlich orientierte Interessen zu verteidigen, zeigte sich in der Folge. Es fehlte weiter eine rein sachlich fundierte, gesetzlich geregelte Bindung der Notenbankpolitik, und es erwies sich als schwierig, eine gänzliche Änderung des Inhalts der Reichsbankpolitik allein dadurch zu erreichen, daß man der Leitung personell Unabhängigkeit verlieh und es im übrigen bei den alten, durchlöcherten Statuten und bei den gleichen Personen beließ. Der Reichsbankpräsident Havenstein nutzte die Vollmachten, die ihm das Gesetz vom 22. Mai 1922 verliehen hatte, lange Zeit nicht aus. Erst im August 1923 drohte er der Regierung an, ab Anfang 1924 keine ungedeckten Kredite mehr geben zu wollen. Schacht versucht, dieses Verhalten zu erklären mit "der Tradition und ... psychologischen Einstellung des früheren Reichsbankpräsidenten und eines Teils seiner Mitarbeiter ..., die angesichts der unglücklichen außenpolitischen Lage Deutschlands den Willen nicht aufbrachten, das Reich gewaltsam auf seine eigenen Kräfte und Hilfsquellen zu verweisen und die Reichsbanknote damit aus dem weiteren Währungsverfall herauszulösen" 109• Paradoxerweise haben - nach der Revolution von 1918, in der neuen Republik unter neuer Verfassung- Reichspräsident und Reichsregierung dem Reichsbankpräsidenten Havenstein, der - auf Grund einer vor der Revolution vom Kaiser vollzogenen Ernennung-lebenslänglich unabrufbar war, wiederholt nahegelegt, zurückzutreten. Beim Präsidenten der Zentralnotenbank handelte es sich wohl um den einzigen hohen "Politiker", der sein Amt kontinuierlich über die Revolution hinweg beibehielt; denn daß er als eine politische Kraft angesehen und gewertet wurde, zeigt der ergebnislose Versuch, ihn zum Rücktritt zu bewegen, obwohl er doch eigentlich den Regierungen nach 1919 so wenig Schwierigkeiten bereitet hatte. Das Amt wurde jedoch erst mit dem Tode Havensteins frei, und zwar nachdem bereits S chacht als Reichswährungskommissar eingesetzt worden war. Für die Stabilisierung der Mark war die Stelle eines besonderen Kommissars nicht zuletzt deshalb geschaffen worden, weil der Reichsbankpräsident, dem diese Aufgabe eigentlich "rein sachlich" auf den Leib geschnitten war, der Regierung nicht genehm schien, sie sich seiner aber nicht entledigen konnte110• Diese Ohnmacht einer post-revolutionären Regierung gegenüber einem vor-revolutionären Zentralbankleiter, der seine Unabsetzbarkeit aus einer ganz andersgearteten politischen, verfassungsrechtlichen, staatsrechtlichen und währungsrechtlichen Konstellation bezog, scheint uns höchst kennzeichnend. Mit der Wahl Schachts zum Nachfolger des Reichsbankpräsidenten im Dezember 1923 wurde dann - trotz Weiterbestehens der alten 109 110
Schacht, a.a.O., S. 84. Dazu Schacht, a.a.O., S. 65/66, und ders.: 76 Jahre .. ., a.a.O., S. 226/27.
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Reichsbankstatuten von 1875 unter suspendierter Goldwährungsklausel - ein weiterer Schritt in Richtung auf Eingliederung der Reichswährung und damit der Reichswirtschaft in den Welthandel und sein Weltgeld vollzogen. Die richtungsbestimmende Entscheidung lag in der Wahl seiner Person in ein Amt, das ihm sowohl juristisch außerordentliche Vollmachten verlieh (dazu behielt er noch das Amt des Reichswährungskommissars bei) als auch faktisch bei der damaligen Wirtschafts- und Währungslage eine große Wirkmöglichkeit zugestand. Er galt zwar der Regierung - gegenüber seinem Konkurrenten Helfterich-als "Mann weiter links" 111, und ebenso wohl auch dem Reichsbankdirektorium, das sich geschlossen, und dem Zentralrat der Reichsbank, der sich mit allen gegen drei Stimmen gegen ihn aussprach112• Trotzdem scheint es uns, als ob die Ernennung Schachts für dieses entscheidende Amt wesentlich den Weg mit abgesteckt hat, den die Weimarer Republik später ging, darunter auch das Erlahmen des Einflusses der Sozialdemokratie und anderer linker Kräfte. Schacht ging sofort nach seiner Ernennung daran, die deutsche Währung mit dem Primat des Welthandels wieder aufzubauen; er wandte sich gegen die Roggen- und Rentenmark als reine Binnenwährungen113, - obwohl ein mehr binnenwirtschaftlich orientiertes Geld damals schon, und später um so stärker, als Signum einer mehr "links" orientierten Wirtschafts- und Währungspolitik galt. Daß das damals geplante Binnengeld, gegen das Schacht opponierte, mehr von der politischen Rechten, vornehmlich der Landwirtschaft gefordert wurde - mit der Devise, "den Anschluß an die nächste Ernte zu finden" 114 - , sollte einer mehr links eingestellten Regierung nur als Hinweis und Warnung gedient haben, daß jede Geldform, die neu geschaffen wurde, eine politische Färbung hatte und ihrer Aufsicht bedurfte. Statt dessen ließ man Schacht weitgehend freie Hand, um seine Pläne zu verwirklichen, deren Umrisse von Beginn ab erkennbar waren. Er mobilisierte unter den ausländischen Zentralbanken als erste die Bank of England für seine Vorhaben115• Später berichtete er, daß in England ihm der Widerstand des Zentralrats der Reichsbank von großem Nutzen gewesen sei. Wenn er in diesem Zusammenhang zu seinem Kampf gegen die Errichtung einer rheinischen Separat-Notenbank unter französischer Beteiligung bemerkt, die Reichsbank sei "gegen eine solche Einschränkung der Währungssouveränität" gewesen, so liegt hier wohl die Betonung auf "solche" : Schacht war gegen eine 1 11 112
11a 114 115
Schacht: 76 Jahre ... , S. 237. Schacht, ebenda, S. 238. Lüke, a.a.O., S.14; Schacht: 76 Jahre . . ., S. 227. Schacht, ebenda, S. 255; Lüke, a.a.O., S. 14. Schacht, ebenda, S. 240 ff.
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solche Einschränkung der Währungssouveränität, welche die Gefahr mit sich brachte, daß die Währung zu anderen Zwecken als dem einer kommerziellen Einordnung in den Welthandel gebraucht wurde. Eine Abhängigkeit von England bedeutete für ihn deshalb keine Gefahr, sondern das Normale: er sicherte sich die Unterstützung Montagu Normans gegen den französischen Separatbankplan, lieh auf dem Londoner Geldmarkt, mobilisierte in London die Hälfte des Grundkapitals für seinen Golddiskontbank-Flan - 100 Mio RM in englischen Pfunden -, und plante sogar, durch die Golddiskontbank - eine deutsche Bank- auf englische Pfunde lautende Noten ausgeben zu lassen. Die Noten waren bereits gedruckt116• Die Widersprüche, in die sich alle verstrickt sahen, die sich mit der Neuordnung des Zentralbankwesens befaßten, werden zum Beispiel in dem Beschluß sichtbar, den ein von Reichsfinanzminister Hilferding am 5. September 1923 einberufenes Sachverständigengremium - dem Havenstein, Schacht, Helfferich, Reichsernährungsminister Luther u. a. angehörten - faßte: er richtete sich sowohl gegen eine Roggenmark als auch gegen eine private Goldbank und enthielt den Satz: "Das Notenmonopol ist ein grundlegendes Hoheitsrecht des Staates und darf nicht auf die Berufsstände der Privatwirtschaft übertragen werden. Träger der Währungspolitik darf nur die Reichsbank sein, wobei vorausgesetzt wird, daß ihre ... Geschäftsführung sich entsprechend den z. Z. bestehenden Bedürfnissen umstellt117." -Es handelte sich jedoch um die Beratung eines Notenbankgesetzes, das der Bankleitung gerade weitgehende Unabhängigkeit von der Regierung zubilligen wollte, und das der Zentralbankleitung gerade die Vollmacht geben wollte, notfalls gegen die Regierung gerichtete, strenge Maßnahmen zur Wiedergeltendmachung kommerzieller Gesichtspunkte zu treffen. Es steht zu vermuten, daß das hartnäckige Drängen Schachts vor dem Dawes-Komitee auf Beteiligung des Reiches bei der Besetzung des Amtes des Reichsbankpräsidenten weniger verfassungsmäßigen Bedenken als nationalen Erwägungen entsprang. Die Formulierung: "Für die deutsche Auffassung vom Staate sei es untragbar, daß das Reichsoberhaupt nicht einen Einfluß auf die Auswahl der Leiter des zentralen Währungsinstituts ausüben solle"118, verstärkt durch ihren Bezug auf das Reichsoberhaupt diese Vermutung. So entgegnete denn Schacht auch in der Krise 1930 dem Reichsfinanzminister Moldenhauer, der seinen Rücktritt forderte: "Freiwillig werde ich aus meinem Amt sofort zurücktreten, wenn der Reichspräsident mir den Rücktritt nahelegt; keineswegs aber nur auf den Wunsch einer vorübergehenden Re116 117 118
Ebenda, S. 246-252. Lüke, a.a.O., S. 14.
Schacht:
Die Stabilisierung . .. , a.a.O., S. 127.
B. Kreditgeldsteuerung als Herrschaftsmittel
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gierung hin119." Der Staatssekretär des Reichspräsidenten, Meissner, trug ein Ersuchen Moldenhauers auf Abberufung des Reichsbankpräsidenten gar nicht erst vor, und Schacht wandte sich schließlich mit einem Brief direkt an Hindenburg 120• Schachts Argumente vor dem Dawes-Komitee für ein Mitentscheidungsrecht des Reiches waren kommerziell eingekleidet: Als Owen Young den ausländischen Einfluß auf die Bankleitung damit begründete, daß das Ausland der Reichsbank "so viel Geld anvertrauen" müßte, nämlich im Zusamenhang mit den Reparationszahlungen, entgegnete Schacht, daß dann das Reich als "nächstgrößter Kunde" der Reichsbank ebenfalls ein Mitspracherecht erhalten müsse121 • So scheint uns denn auch der ausländische Einfluß auf die deutsche Reichsbankleitung, die ausländische Mitwirkung bei der Gestaltung des Reichsbankgesetzes 1924, und das "Fehlen eines staatlichen Aufsichtsrechts" über das neue Noteninstitut keinesfalls als "Anomalie" hinzunehmen zu sein, "die ihre Ursache in bestimmten völkerrechtlichen Bindungen" hatte, wie der Wirtschaftsverwaltungsjurist Huber später meinte 122 • Anomal war lediglich die ausdrückliche Betonung des ausländischen Einflusses im Gesetz; normal scheint uns dagegen die Tatsache, daß eine Zentralbank "als Bank" vornehmlich dem Ausland, dem Außenhandel, zugewandt arbeiten sollte. Traf das schon auf den Goldstandard zu, so um so mehr noch auf den nach 1924 gewählten, Gold-Devisen-Standard, von dem ein Währungsjurist sagt: "This system, which, under American administration, was used in the Philippines until 1910 still afforded to the moneyed individual independence from monetary policies of the local government, but it involved financial, if not political subordination of the local government to that of the gold standard country123." Im übrigen gehen die Ansichten über die tatsächliche Schwere des ausländischen Einflusses auf die Reichsbank auseinander; bemerkenswerterweise stellte ihn der Reichsbankpräsident Schacht selbst als gering dar. Zweifellos erfolgte auf jeden Fall die Beratung des Gesetzes durch das internationale Gremium des Dawes-Komitees, und seine Formulierung durch dessen "Organisationsausschuß", dessen Mitglieder Sir Robert Kindersley und Dr. Schacht waren124• Durch internationalen Druck wurde das Recht des Reichspräsidenten bei der Ernennung des HS.
120 121
Schacht: 76
Ebenda.
Jahre ..., a.a.O., S. 326.
Schacht: Die Stabilisierung ... , S. 126; ebenso als Ausschußzeuge vor dem Ausschuß zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Wirtschaft, a.a.O., S. 5. 1 22 Huber: Wirtschaftsverwaltungsrecht, a.a.O., S. 135, Bd. I. 123 Nussbaum, a.a.O., S. 120. 124 Schacht: Die Stabilisierung, a.a.O., S. 125, 127; ders.: 76 Jahre ... , a.a.O.,
S.268.
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Reichsbankpräsidenten auf bloße Gegenzeichnung eingeschränkt, die bei dreimaliger Verweigerung fortfiel125• Schacht spricht in diesem Zusammenhang einmal davon, daß es gelang, "den ausländischen Einfluß auf die Reichsbank in vernünftigem Rahmen zu halten" 126 ; später, 1926, erklärte er andererseits vor einem Ausschuß zur Untersuchung der Reichsbank gar: "Der Generalrat hat nur ein gesetzliches Recht: sich vom Präsidenten der Reichsbank wie von dem Notenkommissar (einem Ausländer, d. Verf.) Bericht erstatten zu lassen. Irgendwelche beschließenden Befugnisse, die die Reichsbankpolitik selbst angeht, hat er nicht12 7." Nach dem Reichsbankgesetz vom 30. August 1924 bestand der Generalrat aus sieben Deutschen und sieben Ausländern; er ernannte den Reichsbankpräsidenten für sieben Jahre lang unabrufbar; die Reichsregierung erhielt erst 1930 ein Zustimmungsrecht. Der Generalrat war zuständig für Unterschreitungen der Golddeckung, zu der Einstimmigkeit minus eine Stimme erforderlich war, und für Einführung der einstweilen suspendierten Goldeinlösungspflicht, die im Einvernehmen mit dem Reichsbankdirektorium erfolgen mußte128. Die Tatsache, daß es sich bei dem ausländischen Einfluß auf die deutsche Zentralbank - anders als bei der gleichzeitig errichteten Reparationskommission samt Agenten - nicht um eine Anomalie handelt, sondern eher um die institutionelle Unterstreichung und das - allerdings unübliche- Sichtbar-Machen eines früher als normal geltenden Zustands, scheint uns daraus hervorzugehen, daß sowohl bei der Zusammensetzung des Dawes-Komitees als auch bei der Bestimmung der Generalratsmitglieder darauf geachtet werden sollte, daß nur "Sachverständige" und keine Regierungsdelegierten zugelassen wurden. Die Gremien sollten also nach ihrem für Bankkreise geltenden Fachverstand zusammengesetzt werden, das heißt, kommerzielle Gesichtspunkte wahren: "Dem wirtschaftlichen Grundgedanken des DawesPlanes entsprechend, sind die Mitglieder, namentlich die ausländischen, nicht Beauftragte irgendeiner Regierung. Der Dawes-Plan hat ausdrücklich hervorgehoben, daß für die Wahl der Mitglieder des Generalrates nur deren Fachkenntnisse und Erfahrung bestimmend sein sollen, und daß kein Regierungsbeamter, auch keine andere Person, die von der deutschen oder ausländischen Regierung eine Vergütung bezieht, Mitglied des Generalrates werden darf. Bei der Auswahl der ausländischen Mitglieder des Generalrates ist eine Mitwirkung der ausländischen Zentralnotenbanken insofern vorgesehen, als die Notenbank 125 126
127
128
Schacht, Schacht: Schacht: Schacht:
ebenda. Die Stabilisierung, a.a.O., S. 126, ders.: 76 Jahre . .., S. 268. Ausschuß ..., a.a.O., S. 129. Ebenso in Stabilisierung, S. 126. Ausschuß ..., S. 6, 19. - Gesetz v. 30. 8. 1924, RGBl. II 235.
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B. Kreditgeldsteuerung als Herrschaftsmittel
desjenigen Landes, dessen Staatsangehöriger gewählt werden soll, eine gutachtliche Äußerung über den in Frage kommenden Kandidaten abzugeben hat129." Hinter diesen Bestimmungen steht eine ganze politische Konzeption. Sehen wir einmal davon ab, daß vorausgesetzt wird, daß über das Gutachten von Zentralbanken nicht doch regierungsabhängige Personen vorgeschlagen werden, denn nicht alle in Frage kommenden ausländischen Zentralbanken waren ja regierungsunabhängig. Wesentlicher ist, daß offenbar eine Art Unvereinbarkeit zwischen (politischer) Regierungsabhängigkeit und Fachverstand zugrundegelegt wird, und da uns das absurd erscheint, bleibt als einzige Lösung, daß in Wirklichkeit mit "Fachmann" der "Privatmann" gemeint war. So fand dann unter neuem Namen die Notenbankkonstruktion des 19. Jahrhunderts ihre Wiederauferstehung: die Konstruktion nach den Regeln und unter der Aufsicht der Privatwirtschaft. So müssen auch die Äußerungen von Schacht verstanden werden, "daß die ganzen Erörterungen mit dem Expertenkomitee sich immer, soweit es nur die politische Lage irgend zuließ, auf rein sachlicher Grundlage bewegt haben", und daß der "Expertenbericht das Reparationsproblem (das mit der Schaffung der neuen Zentralbank eng verbunden war, d. Verf.) aus der vergifteten politisch-militaristischen Atmosphäre herausgehoben und wirtschaftspolitischem Denken den Vorrang gesichert hatte" 130• Mit "Sache" und "Sachlichkeit" ist hier das kommerzielle Funktionsgefüge des Welthandels gemeint. Ebenso gingen dann später auch die Überlegungen bei der Zusammensetzung des Gremiums unter Owen D. Young 1929; auch dessen Sachverständige sollten "unabhängig von Regierungen" sein und waren mit der ausdrücklichen Bestimmung ernannt worden, daß sie "ihre eigene Auffassung vertreten sollten" 131• Was den deutschen "unabhängigen Sachverständigen", den damaligen Reichsbankpräsidenten Dr. Schacht, nicht hinderte, später zu schreiben: "In jedem anderen Lande würde es wahrscheinlich unmöglich sein, daß eine zu außenpolitisch wichtigen Entscheidungen von der Regierung entsandte Delegation an der Wahrnehmung der Interessen ihres Landes durch den Parteienkampf in Parlament und Presse behindert wird. Uns blieb dies nicht erspart132." Solche "Sachverständigen" sind eben in ihrer Sachverständigeneigenschaft gleichzeitig Verfechter einer bestimmten Form von Außenund Innenpolitik, nämlich einer auf Welthandel und Weltgeld beruhen129 130 131 132
Schacht, ebenda, S. 6. Schacht: Die Stabilisierung ... , S. 134/35. Schacht: 76 Jahre ... , a.a.O., S. 296, 302. Ebenda, S. 304.
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den, und müssen dies sein, - was sie zuweilen in Konflikt mit andersgerichteten politischen Strömungen im In- und Ausland bringen kann. Ihre politische Option für den Welthandel erfordert gleichzeitig eine bestimmte Zentralbankkonstruktion: eine "bankmäßige", was unkommerzielle, gegen Welt- oder gar gegen Binnen-Marktwirtschaft gerichtete, politische Weisungen ausschließt. So war denn auch die neue Reichsbank 1924 gleichsam durch eine doppelte Sicherung als "autonomes" Institut errichtet worden: durch die Zuerkennung der personellen Autonomie an ihre Leitung, und durch kommerzielle Deckungsbestimmungen: die 40 °/oige Gold-Devisendeckung und, daneben als einzige Aktivdeckung zugelassen, ordentliche Handelswechsel133• Die Goldeinlösungspflicht blieb einstweilen suspendiert; sie war einem vereinten Beschluß des Generalrats und der Reichsbankleitung überlassen134• Dieser erfolgte 1930, nachdem die Reichsbank schon vorher de facto Devisen und Gold zur Parität abgegeben hatte. Woraufhin der neue Reichsbankpräsident seine Geldpolitik betrieb, hat er selbst eindeutig dargelegt: "Ich sah meine Rolle in den Jahren nach der Inflation in erster Linie darin, daß ich in meiner Stellung als Reichsbankpräsident eifersüchtig darüber wachte, daß unsere Währung nicht wieder im Kurse abglitt135." Er optierte also für Stabilität des Wechselkurses, d. h. ausgeglichene Zahlungsbilanzen, - das "normale" Verhalten eines Zentralbankleiters der "Normal"-Zeit des Welthandels von vor 1914, dem das Binnenpreisniveau eine abhängige Variable blieb. Für die "Definition" der Währungseinheit Reichsmark heißt das: Solange die Goldeinlösungspflicht suspendiert blieb - von 1924 bis 1930 - , war die Reichsmark "räumlich" definiert durch eine fixe Beziehung zu den Devisen der Welt-Leit-Wirtschaften und ihren Währungseinheiten136 • Daß die Sicherung durch das Reichsbankgesetz von 1924 eine doppelte war, nämlich einmal eine sachliche und außerdem eine durch personelle Autonomie, erwies sich in der Zukunft: durch die Aufhebung der Gold- und Devisenbindung 1931 fiel die sachliche Barriere, bestehen blieb aber eine personelle Unabhängigkeit, die es noch 1939 unter einem totalitären Regime der Reichsbankleitung gestattete, eine Handlung zu b egehen, die Hitler als "Meuterei" bezeichnete. Erst durch das Gesetz vom 15. Juni 1939, das die Reichsbank "dem Führer und Reichskanzler unmittelbar" unterstellte, wurde auch die personelle Dazu Stucken, a.a.O., S. 65. Schacht: Die Stabilisierung . .. , a.a.O., S. 133, 137. 135 Schacht: 76 Jahre ..., a.a.O., S. 292. 136 Zur räumlichen Definition s. o. Kapitel 2, und Kapitel 1, Anm. A 72. Über die Stringenz dieser Definition, s. u. Kapitel 6 b. 133 134
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Autonomie beseitigt137• Was aber die damit geschaffene personelle Weisungsabhängigkeit betrifft, so entstand dadurch wieder ein Zustand, wie er bereits von 1875 bis 1922 geherrscht hatte;- der Unterschied lag darin, daß seit 1931 keine eindeutige sachliche Bindung mehr gesetzlich fixiert war. Vor diesem historischen Hintergrund muß die Diskussion um die "Unabhängigkeit der Bundesbank" gesehen werden, wie sie vor, während und nach der Abfassung und Verkündung des "Gesetzes über die Deutsche Bundesbank" vom 26. Juli 1957 geführt wurde138,138a, Ihre Vorgängerin, die Bank Deutscher Länder, war durch Verordnung der amerikanischen und britischen Militärregierung vom 1. März 1948 errichtet worden139 und hatte mit strikter Weisungsunabhängigkeit der - de jure förderal, de facto aber zentral organisierten - Bankleitung einen Präzedenzfall geschaffen. Diese personelle Autonomie hielt das Bundesbankgesetz aufrecht; es bestimmt in Paragraph 12 ausdrücklich: "(Die Bank) ist bei der Ausübung ihrer Befugnisse, die ihr nach diesem Gesetz zustehen, von Weisungen der Bundesregierung unabhängig." Die Begründung zum Gesetz unterstreicht dazu, daß auch das Vorschlagsrecht der Bundesregierung bei der Zusammensetzung des Direktoriums - ursprünglich nach dem Gesetzentwurf nur ihr allein zustehend- nicht als Durchbrechung der Weisungsunabhängigkeit angesehen werden kann: "Die Möglichkeit der Beeinflussung sollte nicht überschätzt werden, weil erfahrungsgemäß nicht der Vorschla137 Gesetz vom 15. 6. 1939, RGBl. I 1015, Aufhebung des freien Devisenverkehrs durch Notverordnungen v. 15. und 18. 7., 1. 8. 1931, s. dazu unten Kapitel 11, Anm. D 57. - über die Vorgänge 1939 im Einzelnen unten Teil E, Kap. 15 b. 138 Gesetz 26. 7. 1957, RGBI. I 745. Zur Diskussion s. u. a. v. Eynern: Die Unabhängigkeit der Notenbank, Berlin 1957; Geisler: Notenbankverfassung und Notenbankentwicklung in USA und Westdeutschland, Berlin 1953; Köllner: Notenbanken im Dienste staatlicher Beschäftigungsfinanzierung, Art. in: Z. f. d. ges. Staatswiss., 111/1955; Meimberg: Einige Grundfragen der Geldpolitik und Notenbankverfassung, Art. in: Jahrb. f. Nat. Ök. u. Stat., 169/1957; Miksch: Die künftige Bundesbank, Art. in: Z. f. d. ges. Kred.Wes., Jg.1949, S. 518 ff.; v. Spindler: Der Kampf um die Bundesnotenbank, Art. in: z. f. d. ges. Kred.Wes., Jg. 1957, S. 167; Veit: Die Verantwortung der Notenbank, Art. in: Weltwirtsch.Arch. 68/1952, wiederabgedruckt in: Der Wert unseres Geldes, Frankfurt/Main 1958; Wirtschaftswissenschaftliches Institut des Deutschen Gewerkschaftsbundes: Notenbank im Umbau, Köln 1951; Stahlberg: Die Bundesbank, Z. f. d. ges. Kred.Wes., Jg.1949, S. 416; Huber: Wirtschaftsverwaltungsrecht, a.a.O., Bd. I, S. 105 ff.; v. Spindler!Starke!Wecker: Die Deutsche Bundesbank, Grundzüge des Notenbankwesens, Kommentar zum Gesetz ... , Stuttgart 1957. - Veit (Grundriß ..., a.a.O., S. 182) diskutiert von allen Währungs-Rechts-Fragen nur diese. 13Sa Rittershausen: Die Zentralnotenbank, Frankfurt/Main 1962, konnte für die vorliegende Arbeit nicht mehr berücksichtigt werden. 139 Dazu Huber, a.a.O., Bd. I, S.133 ff.; Stucken, a.a.O., S.193 ff. Die BdL blieb bis 1951 den Weisungen der Alliierten Bankkommission unterworfen (Veit: Grundriß ..., a.a.O., 8.188).
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gende, sondern Amt und Aufgabe die ausgewählten Männer beherrschen140." Und der Geschäftsbericht der Bundesbank für 1957 sagt in einem Kommentar zum neuen Gesetz: "Erwähnenswert ist auch der Übergang des Grundkapitals der Bank von den Landeszentralbanken auf den Bund; da indessen eine Einflußnahme auf die Politik und Geschäftsführung der Notenbank aus dem Besitztitel nicht hergeleitet werden kann, kommt dem Besitzwechsel in dieser Hinsicht keine wesentliche Bedeutung zu141," In diesem Zusammenhang muß die Tatsache erstaunen, daß bei der Beratung des Gesetzes die schärfsten, ja die einzigen Auseinandersetzungen nicht um inhaltliche, materielle, sachliche Bestimmungen über Aufgaben und Pflichten der neuen Zentralbank gingen, sondern um die Frage, welchen Einfluß die Länder und welchen der Bund auf die Besetzung der leitenden Gremien haben sollten. Dieser Streit führte auch zur gravierendsten Abänderung des ursprünglichen Regierungsentwurfes142; er bliebe aber unverständlich, wenn man es mit der Weisungsunabhängigkeit klar und ernst gemeint hätte, denn dann wäre wirklich die Bundesbankleitung nur nach "sachlichen" Gesichtspunkten zu besetzen gewesen und nur "Amt und Aufgabe" hätten die leitenden Männer beherrscht. Es gewinnt indessen das "Element des Persönlichen" in Zentralbankangelegenheiten143 dann eine besondere Note, wenn die Aufgabe eines Bankleiters nicht mehr "rein sachlich" scharf zu definieren und gesetzlich festzulegen ist. Die Unabhängigkeit oder Autonomie von Zentralbanken war zu den normalen Zeiten der Metallwährungen durch ihre vorrangige Bindung an das Metall-Kurantgeld, somit den Welthandel und sein Weltgeld, rein sachlich legitimiert, - ob das nun durch eine Deckungsauflage betont wurde oder nicht. Die Einlösungsverpflichtung für Banknoten und Konten bedeutete nach kommerziellen Regeln eine Grenze für die Noten- und Giralgeldschöpfung. Demgegenüber blieb eine etwa außerdem bestehende personelle Unabhängigkeit der Bankleitung zweitrangig. Die deutschen Gesetze von 1948 und 1957 kennen eine solche "sachliche", scharf definierbare Aufgabenstellung, die gleichzeitig Begrenzung ist, nicht mehr. Es gibt keine Deckungs- und keine Einlösungsverpflichtungen, nicht einmal, wie gleich auszuführen bleibt (Kapitel 6), eine Einlösungsverpflichtung in Devisen. Personelle und institutionelle Autonomie bei Abwesenheit einer eindeutig streng justiziabel definier140 Entwurf eines Gesetzes über die Deutsche Bundesbank, 2. Btg., Ds. 2781, S. 26. 141 Geschäftsbericht der Dtsch. Bundesbank f. 1957, S. 7. 142 Par. 5/6 des Regierungsentwurfes in Par. 5/9 des Gesetzes abgeändert. 143 Dazu Veit: Die Leitung der deutschen Währungspolitik- Das Element des Persönlichen, in: Der Wert unseres Geldes, a.a.O., S. 99 ff.
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ten Aufgabe wirft nun aber alle die Probleme auf, die sich um den Begriff der "Unabhängigkeit der Notenbank" ranken. Mit dem Wegfall dieser Verpflichtungen fällt der Charakter der Zentralbank als kommerzieller Bank. Es ergibt sich die Frage, als was sie im Rechtsraum des Staates nunmehr einzuordnen ist. Die die Reichsbank .betreffenden Gesetze von 1875, 1924 und 1930 sprechen nur von "juristischer Person"; doch geht die Meinung jetzt innerhalb der deutschen Rechtswissenschaft dahin, daß es sich um eine Anstalt des Öffentlichen Rechts handele. Die Verordnung von 1948 bezeichnete die Bank Deutscher Länder zwar als "Körperschaft Öffentlichen Rechts"; dagegen wird aber- wohl zu Recht- argumentiert, daß die Landeszentralbanke n nicht im eigentlichen Sinne "Mitglieder einer Körperschaft" gewesen seien, daß es sich also doch um eine Anstalt gehandelt habe144. Das Bundesbankgesetz von 1957 bezeichnet die Zentralbank wieder nur als eine "bundesunmittelbare juristische Person des öffentlichen Rechts" (Paragraph 2) und räumt dem Zentralbankrat und dem Direktorium die Sonderstellung von obersten Bundesbehörden ein (Paragraph 29). Die Formulierung des Regierungsentwurfs "Anstalt des öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit " (Paragraph 2) war dem federführenden Parlamentsausschuß ru eng erschjenen. Ein Kommentar zum Gesetz stellt aber wieder fest: "Man wird die Bundesbank daher als eine anstaltsähnliche Einrichtung eigener Art mit regelwidriger - kupierter Dienstaufsicht ansehen müssen145." Die deutsche Rechtslehre hat für den Anstaltsbegriff ein spezielles Rechtsinstitut entwickelt, mit dem sie die Rechtsbeziehungen innerhalb des Anstaltsraums dann zu begreifen versucht, wenn sie nicht oder nicht ausreichend durch positive gesetzliche Ermächtigung begründet sind: das des "besonderen Gewaltverhältnisses"1 46. Öffentlichrechtliche Anstalten konstituieren selbstverständlich hoheitliche Gewaltverhältnisse. Unter ein solches Gewaltverhältnis gerät jeder, der sich in den Raum einer Anstalt hineinbegibt, und es ist gerade deshalb ein "besonderes", weil es eben nur diejenigen betrifft, die sich im Anstaltsraum bewegen. Jedoch war die Rechtslehre bisher nicht in der Lage, eine ausdrückliche juristische Legitimation für dieses besondere Gewaltverhältnis einer Anstalt beizubringen, sobaLd es nicht, wie andere StaatstätigHuber, a.a.O., Bd. I, S. 133 ff. v. SpindZer et al., a.a.O., S. 169. Dieser auf 0. Mayer zurückgehende Begriff bes. bei Forsthoff: Lehrbuch des Verw.Rechts, a.a.O., z. B. S. 442: "Die Legitimation der Anstaltsgewalt zur einseitigen, hoheitlichen Regelung und Handhabung der Benutzung ist von doppelter Art; sie kann auf gesetzlicher Ermächtigung und auf dem Begriff des besonderen Gewaltverhältnisses beruhen." 144 14.5 146
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keiten, entweder aus der Verfassung oder aus positiven Gesetzen abgeleitet werden kann. Nun erleidet aber, wer in den Bereich einer öffentlich-rechtlichen Anstalt eintritt, "eine Einbuße an persönlicher Freiheit, die der Rechtfertigung bedarf" 147. Solange diese nicht gegeben werden kann, "klafft ... die Lücke des Rechtsstaats"148. Diese Lücke besteht nicht nur deshalb, weil eine ausdrückliche juristische Legitimation für ein Gewaltverhältnis fehlte, sondern auch und vor allem dadurch, daß den Anstaltsunterworfenen kein Rechtsweg rur Verfügung gestellt werden kann, über den sie sich gegen Maßnalunen von Anstalten schützen könnten. Ein solcher Rechtsweg besteht immerhin noch gegen Entscheidungen der Exekutive bei der Ausführung von Gesetzen auch innerhalb des Ermessensbereichs, nämlich durch Aufzeigen fehlerhafter Verwaltungsakte. Als Fehler gelten dabei vornehmlich Ermessensüberschreitung und "sachfremde Willkür". Beim fehlerhaften Verwaltungsakt spielen also "Sache" und "Sachlichkeit" eine entscheidende Rolle als Unterscheidungskriterium zwischen falsch und richtig und damit auch als Legitimationsgrundlage. Es scheint uns deshalb auch folgerichtig, wenn Bestrebungen im Gange sind, die fehlende Rechtsgrundlage für das besondere Gewaltverhältnis ·einer Anstalt ebenfalls aus einem Sachzweck ru beschaffen. So sagt z. B. Forsthoff: "Diese Anstaltsgewalt hat persönliche und sachliche Grenzen ... Wichtiger noch ist 'die sachliche Schranke. Die Anstalt darf nur befehlen oder fordern, was durch den Zweck der Anstalt selbst geboten ist . . . In Anwendung eines allgemeinen Grundsatzes, der für alle Verwaltungsinstitutionen gilt, ist für die öffentlichen Anstalten festzustellen, daß sie ihre Zwangsmittel nur im Rahmen der Anstaltszwecke und rur Wahrung dieser Zwecke gebrauchen dürfen149." Die "Einbuße an pPrsönlicher Freiheit", welche derjenige erleidet, der dem besonderen Gewaltverhältnis einer Anstalt unterworfen ist, wird also durch einen Sachzweck gerechtfertigt. Unter Berufung auf diesen Sachzweck wird dann auch wieder ein Rechtsschutz gegenüber der Anstaltsgewalt möglich, und Rechtswege, sich gegen "sachfremde Willkür" ru wehren, müßten möglich sein. Forsthoff weist sogar daraJUf hin, daß es auch eine "Gewaltenteilung" innerhalb der Exekutive Ebenda, S . 117. Ebenda, S. 118. Ebenda, S. 444, 445. Dort S. 443: "Solange die gesamte Ordnung des deutschen Verwaltungsrechts auf dem strikt durchgeführten Grundsatz beruht, daß jede Behörde nur diejenigen Hoheitsrechte ausüben darf, die ihr durch Gesetz oder gesetzlich gedeckten Rechtssatz übertragen sind, kann es keine Hoheitsrechte ,kraft Wesens' oder ,aus der Natur der Sache' geben." 141 148 149
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gibt, nämlich die Beschränkung auf das Sachgebiet, und daß der Anfang vom Ende da naht, wo staatliche Leistungen oder Rechtsschutz auf einem Sachgebiet von einem bestimmten Verhalten des Bürgers in einem anderen Sachgebiet abhängig gemacht werden, etwa durch ein Junktim zwischen Arbeitsplatz und Lebensmittelkarte15o. Sache und Sachlichkeit sind jedoch innerhalb der Jurisprudenz einmal keineswegs um.unstrittene Kategorien, und andererseits ist schon gar nicht gesichert, ob und inwieweit sie rechtserheblich sind. Die Kategorie der Sachlichkeit ist selbst in der Soziologie, in der sie eine Rolle spielt, noch ungeklärt; - wir werden unten (Teil C) noch darauf einzugehen haben. Solange die legitimierende Kraft von Sache und Sachlichkeit nicht anerkannt sind, ist über den Rechtsweg einer Verwaltungsklage nicht gegen gesetzlich nicht eindeutig begründete Maßnahmen von Anstalten einzuschreiten, und a fortiori natürlich nicht gegen Maßnahmen von "weisungsunabhängigen Anstalten". Eine nicht weisungsgebundene Anstalt bildete eine Art unabhängiger "Insel" mitten im staatlichen Geschehen, deren Tätigkeit nur aus einer "Natur der Sache" legiti~ miert werden könnte. Wir dürfen auch im Umkehrschluß erklären: nur wenn und insoweit als ein Sachzweck gegeben ist, kann eine Anstalt weisungsunabhängig sein, denn ihr Handeln kann dann, mangels gesetzlicher Auflagen und Kontrolle, aus diesem Sachzweck heraus begriffen und begründet werden. Um eine ebensolche, nicht weisungsgebundene Anstalt soll es sich aber bei der Zentralbank deutscher Konstruktion handeln. Nun liegt ein klar definierbarer Sachzweck bei bereits "klassisch" gewordenen weisungsunabhängigen Anstalten deutlich auf der Hand - oder ist doch weitgehend auch ohne gesetzliche Definition als gegeben und an~ erkannt vorauszusetzen, so etwa bei Krankenanstalten, wissenschaftlichen Anstalten oder auch bei Versorgungsbetrieben, die in kommunaler Hand sind. Weit weniger klar ist, welche "Sache" eigentlich eine Zentralbank zu besorgen hat, welche "autonom", also weisungsunabhängig von Legislative und Exekutive, konstruiert worden ist. "Die generellen Hoheitsakte der Bundesbank", sagt ein Kommentar zum Gesetz, "die sie im Rahmen der währungspolitischen Befugnisse vornimmt, (sind) als Ausfluß der ihr zustehenden autonomen Rechts~ setzung innerhalb des Verbandes des nationalen Kreditsystems anzusehen"151, und die Autoren fahren fort: "Die generellen Hoheitsakte der Bundesbank, enthalten in den währungspolitischen Grundsatzhandlungen wie Diskont-, Kredit-, Offenmarkt-, Mindestreserve- und Einlagenpolitik sowie der statistischen E~hebung, stellen Rechtsakte 150 151
Ders., ebenda" S. 444/45. v. Spindler et al., a.a.O., S. 119.
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dar, die üblicherweise, wenn sie außerhalb eines besonderen Gewaltverhältnisses erlassen würden, im Wege des Gesetzes oder der Rechtsverordnung in Kraft zu setzen wären. Sie wären dann nicht im Wege der Verwaltungsklage angreifbar, weil der Verwaltungsgerichtsbarkeit nur Einzelakte der Verwaltung unterliegen. Das gleiche muß gelten, wenn die generellen Hoheitsakte im Wege eines besonderen Gewaltverhältnisses oder der Selbstbindung in Kraft gesetzt werden". Als Ausweg wird genannt: "Es bleibt den betroffenen Kreditinstituten nur die Möglichkeit, diese Regelung zu ignorieren und dann, wenn die Bundesbank auf Grund dieses Verhaltens der Kreditinstitute nunmehr im Rahmen der laufenden Geschäftsbeziehungen . . . Sanktionen . . gegen sie ergreift, im ordentlichen Klagewege gegen die Bank vorzugehen152." Uns ist ein einziger Fall bekannt, daß ein Betroffener gegen eine "normale" kreditpolitische Maßnahme einer Zentralbank Klage erhoben hat; - Klage gegen Maßnahmen, welche eine Zentralbank als Beauftragte für völlig bankfremde Aufgaben traf (etwa D€visenbewirtschaftung, Aufrechterhaltung eines Wertsicherungsverbots u. a.), sind dagegen häufiger. Bei der erwähnten Klage gegen eine ordentliche kreditpolitische Maßnahme handelt es sich um Frankreich, wo die Banque de France noch nicht einmal als "weisungsunabhängige Anstalt" begriffen und eingeordnet wird. Die Klage gelangte nach einigen Umwegen vor den Conseil d'Etat, der sich für unzuständig erklärte153. Der Kläger - ein privater Bürger - blieb ohne Recht. Der oben erwähnte Kommentar ZiUIIl Bundesbankgesetz erwähnt denn auch die bestehende Rechtslücke: "Das Gesetz geht davon aus, daß die Notenbank generelle Rechtsakte setzen kann und daß diese Rechtsakte keine Rechtsverordnungen darstellen ... Eine Begründung hierfür ist jedoch bisher nicht im einzelnen gegeben worden154." Die Definition der Bundesbank lautet infolgedessen am selben Ort sehr verschwommen: "Die Bundesbank ist eine unabhängig von der Bundesregierung bestehende bundesunmittelbare juristische Person des Öffentlichen Rechts eigener Art, die für den monetär-kreditären Bereich das dem Bund zustehende Hoheitsrecht der Steuerung der Währung selbständig (autonom) in bankmäßiger Form und unter Zuhilfenahme bankgeschäftlicher Mittel wahrnimmt, wobei sie die sonstigen für die Steuerung der Währung maßgebenden Faktoren der allgemeinen Wirtschaftspolitik beachtet und nach Möglichkeit berücksichtigt1!>5." Ebenda, S. 120/21. Nach mdl. Auskunft von M. Boccon-Gibod, Banque de France. - Vgl. u. Anm.E39. 154 v. Spindler et al., a.a.O., S.llS. Vgl. auch Veit: Grundriß ..., a.a.O., S.l99. 155 Ebenda. 152 153
a•
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Es wird hier also ein bisher unbekanntes "Hoheitsrecht der Steuerung der Währung" bemüht, das Autonomie einer Anstalt und deren autonome Rechtssetzung legitimieren soll. Der genaue Inhalt dieses Rechts wäre von außerordentlicher Bedeutung, denn hier würde es sich um die "Sache" handeln, deren Vorhandensein und deren allgemeine Anerkennung allein die Sonderstellung der Zentralbank rechtfertigen könnte. Der rein .f ormale Begriff "Steuerung der Währung" scheint uns zu undeutlich zu sein, um nicht die Gefahr "sachfremder Willkür" von Zentralbankmaßnahmen offen zu lassen. Als Beweis für die Unvollkommenheit der ihm Z!Ugrundegelegten Samdefinition führen wir die Unklarheit an, welche über den Kreis der von geldsteuernden Maßnahmen Betroffenen herrscht. Das Gewaltverhältnis, das durch die Errichtung einer Zentralbank geschaffen wild, begreift die Rechtslehre als das einer üblichen Anstalt, nämlich als ein besonderes, partielles. So spricht der erwähnte Kommentar von "besonderem Gewaltverhältnis" und ",besonderer Gewaltunterworfenheit"156. Den "sachlichen" Kreis der von Gewaltmaßnahmen Betroffenen leitet er aus "ganzheitlicher Betrachtung des Bankwesens einschließlich der Zentralbank" ·ab; er sieht das gesamte Kreditsystem als "Verbundsystem", als einen "losen Verband mit bestimmten Rechten tmd Pflichten in einem festumgrenzten Mitgliedsrahmen, der auf der besonderen Geschäftserlaubnis des Paragraphen 3 Kreditwesengesetz beruht und unter besonderer staatlicher Aufsicht steht ... Wenn dieses System auch nicht soweit konsolidiert ist, daß es als solches eine Körperschaft des öffentlichen Rechts darstellt, so ist doch anerkannt, daß innerhalb dieses Verbandes besondere Gewaltverhältnisse herrschen, in deren Rahmen die Mitgliedsbanken den auf die Währungspolitik bezüglichen Akten der Zentralbank unterworfen sind" 1m. Die Zentralbank .wirkt nach dieser Ansicht als "Bank der Banken", als - womöglich monopolistische - Refinanzierungsquelle des Privatbanksystems. Die "Anstaltsunterworfenen" wären die Privatbankunternehmen. Für das "Sachgebiet" dieser Anstalt drehte es sich um rein banktechnische, oder kommerziell gesehen: um bankgeschäftliche Fragen. Wir sind der Ansicht, daß diese Erklärung das Problem ZlU einfach sieht und eine Kreditgeldsteuerungszentrale noch zu sehr unter einem Gesichtspunkt betrachtet, als sei sie eine - wenn auch mit Privileg versehene - kommerzielle Bank. Der Kommentar muß auch an anderer Stelle zugeben: "Wenn Befugnisse gegenüber Bund, Sonderver156
Ebenda, S. 120, 118.
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mögen und Ländern (Einlagenpolitik)" vorliegen, "wird man bei diesen .. ., die nicht Mitglieder des volkswirtschaftlichen Kreditsystems sind, von dem Begriff einer besonderen Gewaltunterworfenheit unter die Autonomie der Notenbank nicht ausgehen können15B." Es wird also durchaus bemerkt, daß zu den Gewaltunterworfenen nicht nur das Bankensystem, sondern darüber hinaus mindestens alle Geldmarktteilnehmer ,g ehören. Wir gehen noch weiter und meinen, daß zru den von geldsteuernden Maßnahmen einer Zentralbank Betroffenen alle über das spezielle N otenbankge1d Verfügenden gehören. Die Zentralbank betreibt ihre Kreditpolitik im Hinblick auf die .g esamte Geschäftswelt, nicht nur im Hinblick auf die Banken. Sie bezieht aus der Gesamtwirtschaft ihre Daten; sie will die Gesamtheit des Wirtschaftskörpers beeinflussen, und sie betont das auch in der Öffentlichkeit. Die gesamte Wirtschaft wird von kreditpolitischen Maßnahmen betroffen, fühlt sich betroffen, nimmt sie hin oder kritisiert sie - ohne allerdings, da es sich um ein Gewaltverhältnis, begründet durch eine nicht weisungsgebundene Anstalt, handelt, legale Einspruchsmöglichkeiten gegen sie zu haben. Es handelt sich also bei der Beziehung Zentralbank - Steuerungsobjekte nicht um ein besonderes, sondern um ein allgemeines Gewaltverhältnis, um eines, das "alle" .betrifft, soweit sie sich der Geldwirtschaft einfügen, genauer: der Wirtschaft, welche über dies konkrete Geld .g esteuert wird. Unter dem Blick einer Jurisprudenz, die für ·gewisse Vollzüge den Anstaltsbegriff entwickelt hat und diesen auf eine Zentralbank ausdehnt, stellt sich das gesamte Geldwesen, und daraus abgeleitet: das gesamte System einer Geld- und Marktwirtschaft, als eine einzige "Anstalt" heraus, die vom Staate weisungsunabhängig ist. Die Allgemeinheit dieses Gewaltverhältnisses wird dann besonders deutlich, wenn eine Zentralbank - vor allem eine "autonome", d. h. unabhängig von und unverantwortlich gegenüber Exekutive und Legislative arbeitende- eine "gezielte", selektive, Kreditpolitik treibt. Sie vollzieht damit nicht mehr die "neutrale" Steuerung der Gesamtgeldmenge, wobei es ihr gleichgültig ist, welche konkreten Wirtschaftssubjekte als marginale Marktteilnehmer jeweils von ihren Maßnahmen betroffen werden. Sie differenziert und diskriminiert vielmehr nach politischen oder sozialen Gesichtspunkten, d. h. sie treibt in Wirklichkeit Subventions-, Wirtschafts- oder Sozialpolitik. Eine autonom gesetzte Zentralbank dürfte dies aber nie tun, denn die Allgemeinheit ihres Gewaltverhältnisses müßte jede Diskriminierung ausschließen. 167
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Ebenda, S. 118. EJbenda, S. 120.
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Gezielte Geldmaßnahmen sind ein Privileg des "klassischen" Staates und bedürfen der Kontrolle durch das Budgetrecht des Parlaments. Sie widersprechen der "Sache" der Zentralbank und widersprechen der verfassungsmäßigen Ordnung. "Monetary control, unlike most direct regulations of supply, demand, and price, is impersonal and non-discriminatory" sagt ein amerikanischer Autor zu diesem "Grundgesetz" der Geldwirtschaft159; richtiger sollte es wohl heißen: "should be", denn der mit entscheidender amerikanischer Beteiligung zu.standegekommene Internationale Währungsfonds steht gezielten kreditpolitischen Maßnahmen keineswegs ablehnend gegenüber; sie gehören in aller Welt zum üblichen Instrwnentarium von Notenbanken16o. Die rein sachliche Ermächtigung für autonome Notenbanken erlaubte jedoch nur generelle Rechtsakte, wie es der "Sache" des Geldes als reinstem Werkzeug entspricht und wie es auch formal aufrechterhalten wird161• Gänzlich ausgeschlossen müßten eigenmächtige Diskriminierungen der Zentralbank sein, und ob die - z. B. im Bundesbankgesetz Paragraph 12 auferlegte - "Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik der Regierung" auch so weit zu gehen hat, daß besondere, gezielte wirtschaftspolitische Maßnahmen der Regierung durch ebensolche kreditpolitische Maßnahmen der Zentralbank unterstützt werden, scheint uns durcha.u s offen. Meimberg sagt wohl mit Recht: "Wenn die Regierung wünscht, daß die Notenbank bestimmte wirtschaftspolitische Anliegen fördert, wie etwa die Exportfinanzierung oder die Vorfinanzierung von Investitionen, obliegt es der Notenbank zu beurteilen, ob und inwieweit das mit der Stabilerhaltung der Währung vereinbar ist162." Die gesamte Geldadministration bei Kreditgeld beruht als eine "Anstalt", die alle über das Geld verfügenden Bürger umfaßt, auf einem Gewaltverhältnis, das sich nicht aus der Exekution von Staatsgesetzen, sondern aus der Durchsetzung von "Marktgesetzen" ergibt. Das ist der "sachliche" Kern. Offen bleibt, ob er die Handlungsziele von Zentralbanken so ausreichend umschreibt, daß die Institute allein auf Grund dieser Sache autonom gestellt werden können. 159 Ellis: The Rediscovery of Money, in Money, Trade, and Economic Growth, a.a.O., S. 260. 160 Dazu die Aufzählung der Notenbankinstrumente modernsten Datums von Fousek: Foreign Central Banking, New York 1957. - Die deutsche Notenbankpolitik kennt diskriminierende Akte außer bei Auslandsgeldern bei Landmaschinenwechseln z. B., die vom Verbot der Monetisierung von Teilzahlungswechseln ausgenommen sind. - Zur Ausländerdiskriminierung s. Veit: Grundriß ..., a.a.O., S. 179 ff. 1 61 v. Spindler et al., a.a.O., zu generellen Rechtsakten, S. 118, 120. 162 Meimberg: Einige Grundfragen ..., a.a.O., S. 238.
6. "Bank der Banken" im übergangszustand
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6. "Bank der Banken" im 'Ubergangszustand Das Goldwährungssystem barg schon im 19. Jahrhundert Systemlücken. Sie beruhten im wesentlichen darauf, daß die Banknote - und später das Giraldge1d - de facto oft bereits den Charakter eines allgemein angenommenen Zahlmittels erworben hatten, selbst wenn sie nicht gesetzliches Zahlmittel waren. Sie konnten damit den Charakter eines autonomen, schließlich sogar vom legalen, metallischen Kurantgeld unabhängigen, Zahlmittels erwerben. Für diesen Zustand blieb der Zusammenhang zwischen KurantgeLd und "akzessorischem" Notengeld unbegriffen, ebenso wie der Zusammenhang zwischen dem Giralgeld der Privatbanken und dem Notengeld der Zentralbank. Der Weg, der "von der Diskontpolitik zur Herrschaft über den GeLdmarkt" führte - so betitelte Plenge sein scharfsinniges Buch 1913 -, lag noch im Dunkeln163. Es ist wahrscheinlich, daß das englische GeLdwesen nach der scheinbar strengen Regelung durch die Peelsche Bankakte 1844 nur deshalb in der Lage war, den wachsenden GeLdbedarf der Industrialisierung Englands "funktionell" zu befriedigen, weil seine Schöpfer das Giralgeld vergessen hatten. Sie strebten ein ökonomisches Monopol getreu der Currency Theory an, brachten aber nur ein metrisches getreu der Banking Theory zustande. Lutz bezeichnet die Peelsche Bankakte als eine Anwendung des 100-vH-Geldprinzips auf die Notengeldschöpfung; sie war "zwar in der Konzeption genial, aber hatte einen wesentlichen Fehler: man hatte übersehen, daß auch Depositen, über die mit Scheck oder Überweisung verfügt wird, Geld sind"164. Miksch urteilt ebenso, fügt aber hinzu, daß de facto die Bank of England auch über ein ökonomisches Monopol verfügte, weil die Privat-Giral-Banken freiwillig ihre Leitstellung anerkannten165. Dagegen äußerte schon 1907 Bendixen: "Es ist nicht anders: wie Österreich mit uneinlösbarem PapiergeLd, so wirtschaftet England mit ungedecktem Giralgeldtoo." Der Einfluß der Zentralbank auf die Schaffung der sich mehr und mehr ausbreitenden anderen Geldsorte, des Giralgeldes, ging auf verschlungenen Wegen vonstatten. Die Diskont- und Zinspolitik der Zentralbank orientierte sich, wenn sie ihrem kommerziellen Prinzip treu bleiben wollte, an ihrer Goldkasse, also letztlich am Außenhandel und hatte- in heutiger Terminologie:- "stabile Wechselkurse" zum Ziel. 163 Plenge: Von der Diskontpolitik zur Herrschaft über den Geldmarkt, Berlin 1913. 164 Lutz: Das Grundproblem der Geldverfassung, a.a.O., S. 19. 165 Miksch: Die GeLdschöpfung in der Gleichgewichtstheorie, a.a.O., S. 317,
318.
1 66
Bendixen: Das Wesen des Geldes, a.a.O., S.17.
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Diese ihre Politik war jedoch durch kein Gesetz bindend gemacht worden für die giralgeldschaffenden Privatbanken und hatte bei diesen nicht notwendig denselben Effekt. Noch 1927 konnte Schacht in einer Ausschußsitzung sagen: "Die Bezugnahme des Kontokorrentsatzes auf den Diskont ist ja eine rein .zufällige167." Die Verbindung zwischen Zentralbank und Privatbanken galt lange als rein kommerzielle und unterlag dem Bürgerlichen Recht; "Hoheitsrechte" besaß eine Zentralbank nicht. Auch wenn sie das Notenemissions-Privileg besaß, betrieb sie nur "Geschäfte". Sie kannte nur in einem Falle einen "Kontrahierungs:zJWang": die Noteneinlösung in Kurantgeld oder Währungsmetall, die ihre Form der Schuldbegleichung darstellte. Erst 1901 erfolgte im Deutschen Reich ein Unterbietungsverbot, das Privatbanken untersagte, den Diskontsatz der Reichsbank zu unterschreiten. Jedoch unterboten noch 1926, nach Schachts Aussage, Privatbanken den Reichsbanksatz, als sie liquide genug waren168. Noch über die Zustände von 1928 konnte ein Gouverneur der Banque de France schreiben: "Le Banque d'Emission doit dominer les autres banqu.es. C'est ce qui se passe dans tous les pays, sauf en France169." Ähnlich wie die Beziehung der Notenbank zu den privaten Giralgeldbanken im Dunkeln blieb, herrschte wenig Klarheit über die Tatsache, daß mit zunehmender Verbreitung des Kreditgeldes Währungspolitik durch Kreditpolitik betrieben wird. Daß durch die Bedingungen, die man einer Zentralnotenbank - und den Giralbanken - für die Durchführung ihrer Geschäfte setzt, sowohl die Währungsordnung fixiert als auch ein bestimmtes Verfahren und Ziel der Geldmengensteuerung gewählt wird170, war lange nicht so gut bekannt wie es die einfache Tätigkeit der "freien" Münzprägung war. Mollien, einer der geistigen Väter der Banque de France, bemühte sich mit wechselndem Erfolg, Napoleon I. diesen Zusammenhang deutlich zu machen. "C'est la premiere chose bien claire, bien faite et sans abstraction que j'aie lue sur cette matiere", sagte der Kaiser zu einem Expose Molliens über die Rolle des Handelswechsels als Notendeckung, das zwar wirklich leicht verständlich gehalten war, aber die Sache nicht ganz funk167 168
Schacht: Ausschuß zur Untersuchung ..., a.a.O., S. 150.
Ebenda, S. 64. Moreau: Souvenirs ..., a .a.O., S. 134. Lukas: Geld und Kredit, Heidelberg 1951, S. 117: "Die Frage der Währung ist durch die Geschäfte, zu denen man eine Notenbank ermächtigt, schon weitgehend vorentschieden." - Cassel: Theoretische Nationalökonomie, Leipzig 1918, S. 377, spricht davon, daß "durch die Art der Deckung eine gewisse allgemeine natürliche Begrenzung der Zahlungsmittelversorgung .gewonnen werden" solle. 169 170
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tionsrichtig darstellte171. Die Verwirrung, die deshalb noch spät im 19. Jahrhunderts herrschte, kann aus den 30 Broschüren von 25 Autoren ersehen werden, die anläßlich einer von Napoleon III. verordneten Enquete über die Banque de France 35 verschiedene Geldsysteme der Kommission empfahlent72.
a) Das alte Recht reicht nicht mehr aus Das Goldgeld wurde in Bergwerksbetrieben gewonnen und über die Unternehmensbilanz des Goldproduzenten zu Markt gebracht; die Münzstätten des Staates veränderten nur seine Form und gaben ihm das Siegel, durch welches es Namen und Rechtsgeltung erhielt. In den Kellern der Notenbanken lagerte es als Deckungsware und wurde zu seinem Wert am Markte eingetauscht. Die Zentralnotenbanken mit Goldeinlösungspflicht arbeiteten, solange sie sich prinzipiengetreu an ihrer Goldkasse orientierten, als Unternehmen auf Gewinn unter Verlustrisiko, wenn dieses letztere auch durch das verliehene Staatsprivileg gering war. Welche Goldmenge jeweils in der Kasse vorhanden war und als Deckung für umlaufende Noten dienen konnte, hing vom Goldangebot ab; entsprechend der Notenumlauf. Die Zentralnotenbank, auch wenn sie sich in Staatsbesitz befand, führte ihre Geschäfte wie ein Unternehmen und war ein (Handels-)Betrieb. In dem Augenblick, in dem nicht mehr das stoffliche Gut Gold, sondern ein rechtlich bedeutsames Papier oder gar eine Buchung Geld darstellt, kann der Hersteller dieser "rechtlichen Bedeutsamkeit" nicht der des Papiers oder der Buchung - kein Unternehmen am Markt mehr sein, und auch nicht mehr ein technischer Betrieb in dem Sinne, daß nach einem sachtechnisch (naturwissenschaftlich) fundierten, sozialtechnisch durch Befehl innerhalb einer überschaubaren, konkreten Gruppe exekutierten Plan eine gewollte, vorher beschreibbare Sache oder Leistung unter durch Widerstände verursachten Kosten erstellt wird. Das trifft mit Sicherheit auf die Zentralnotenbank zu; inwieweit es auf die von ihr abhängigen Giralgeldbanken privaten Charakters zutrifft, bleibt offen. Zumindest sind ihre Kosten zum großen Teil - nämlich außer den "Apparat"-Kosten - künstlich geschaffene 171 Ramon, a.a.O., S.103. Das berühmte Memoire von Mollien lehnte sich eng an die Handelskredittheorie an und wollte den Notenumlauf gründen auf Kredite "garanties pardes valeurs en magasin que la consommation appelle, que le revenu des consommateurs doit solder" (ebenda, s. 43 ff.). 172 Ramon, a.a.O., S. 301. Der Bankier Pereire schlug damals sogar vor, die nötige Kasse der Zentralbank allenfalls nicht durch Diskonterhöhung zu beschaffen, sondern durch Realisierung von Teilen des Grundkapitals oder notfalls Kapitalerhöhung (ebenda, S. 302).
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Kosten, welche von einer Zentralbank mit Befehlen manipuliert werden173. Inwieweit private Giralbanken "unter" einer Zentralbank in unabhängiger oder abhängiger Form, als kommerzielle oder als nicht-kommerzielle Institute, weiterbestehen und weiterbestehen können, inwieweit also einer bestimmten Geldsorte noch reiner Kommerz-Charakter anhaftet, wollen wir hier nicht beantworten. Wir umgehen das Problem, indem wir uns auf die Kreditgeldsteuerung der Zentralbank beschränken und annehmen, diese sei effektiv genug, um das gesamte Banksystem zu steuern. Die Zentralbank steht hier also stellvertretend für das gesamte Banksystem, für die "konsolidierte Bankbilanz" 174• Die enge, weit über bloße kommerzielle Verflechtungen hinausgehende Verbindung zwischen Zentralbank und Privatbanken findet auch in der Rechtslehre ihren Ausdruck, wenn auch nach wie vor andererseits den Geschäftsbanken der private Unternehmenscharakter zugestanden wird171'. So spricht der erwähnte Kommentar zum Bundesbankgesetz in dem Versuch, das Gewaltverhältnis der Bundesbank doch zu begründen, davon, daß es "wohl in der Einheit des Kreditsystems" läge. "Da die Geschäftsbanken an der währungspolitisch essentiellen Geldschöpfung durch Kreditgewährung . . . maßgebend beteiligt sind, üben sie als ,verlängerter Arm der Notenbank' insofern abgeleitete währungspolitische Funktionen aus, so daß ihnen hier eine ,mittelbare Hoheitsaufgabe' obliegt." Der "Zentralbank als Leiterin der nationalen Geld- und Kreditpolitik" werden "die übrigen Geldinstitute als ,Mitgliedsbanken' des volkswirtschaftlichen Geld- und Kreditsystems gegenübergestellt" 176. Zu beachten bleibt allerdings, daß diese "Erfassung" des gesamten Bankwesens durch Einspannung in einen funktionellen Bezug, welcher später dann öffentlich-rechtliche Legalisierung erfuhr, keinesfalls erst mit der Erhebung v on Noten oder Giralgeld zum gesetzlichen Zahlmittel nötig wird. "Wenn sonach Zentralbank und Bankwirtschaft zur bestmöglichen Erfüllung ihrer Zwecke in der Marktwirtschaft aufein173 Eine Bankkostenrechnung ist darum nicht nur deshalb schwierig, weil "der Einzelleistungen ... zu viele" sind (Zimmerer: Vom Nutzen der Bankkostenrechnung, in: Z. f. d. ges. Kred.Wes., Jg. 1956, S. 310), sondern vor allem wegen der Befehlseingriffe der Zentralbank. Es sei an die immer wiederkehrende Klage der Geschäftsbanken erinnert, daß liquiditätsbeschränkende Maßnahmen auch die Rentabilität treffen. 174 S. dazu oben Kapitel 3, bes. Anm. A 134.- Weiter Panten: Das Bankgewerbe in der Marktwirtschaft, i. Z. f. d. ges. Kred.Wes., Jg. 1955, S. 646; Muthesius: Wettbewerb oder "öffentliche Funktion", ebenda, Jg. 1956, S. 107; F. Muthesius: Konkurrenz im Geldwesen, ebenda, 8.120; Kaiser: Marktwirtschaft im Kreditgewerbe, ebenda, Jg. 1958, S. 878; Suchestow: Die Unvollkommenheit des GeLdmarktes, Wintertbur 1955. 175 Dazu oben Anm. A 135. 176 v. SpindZer et al., a.a.O., S. 117, 118.
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ander angewiesen sind, so erwächst hieraus eine Verbundenheit, die auf das Wesen der Zentralbank zurückwirkt. Auf diesem inneren Zusammenhang aller an der Währungssteuerung unmittelbar oder mittelbar beteiligten Institutionen ist die Autonomie der Zentralbank aufgebaut (sie wird von der Begründung Reg.Entw. A IV insoweit, als sie die äußere Seite der Unabhängigkeit der Notenbank betrifft, als vorrechtliche Gegebenheit gewürdigt) 177." Daß von rechtswissenschaftlic her Seite ein funktioneller Zusammenhang zwischen der Zentralbank und den Geschäftsbanken "unter dem allgemeinen Gesichtspunkt des ,vorrechtlichen Gesamtbildes' ... , das der Grundgesetzgeber vorgefunden und nicht ausdrücklich geändert hat" (so die Regierungsbegründu ng zum Bundesbankgesetz-E ntwurf) 17B konstruiert wird, und daß dann dieser Zusammenhang zur Begründung der Autonomie der Zentralbank herangezogen wird, scheint uns höchst bedeutsam. Denn das bedeutet doch, daß dieser Zusammenhang auch zwischen dem Kreditgelde der Zentralbank-den Noten- und dem Kreditgelde der Geschäftsbanken-d en Sichtguthaben- besteht. Damit haben die Bereiche des Öffentlichen Rechts - Verwaltungs- und Staatsrecht - von der Existenz des Kreditgeldes als einer "öffentlichen Sache" Kenntnis genommen; der Staat nimmt auf dem Wege über die Zentralbank sogar das Giralgeld der Privatbanken in seine Pflicht, - während dem Bürgerlichen Recht nach wie vor ein privates Sichtguthaben nicht als Geld im Rechtssinne gilt. Der Übergang ·vom Edelmetall- zum Kredit- und Giralgeld braucht keineswegs erst dann als vollzogen zu gelten, wenn die Öffentliche Rechtsordnung den Übergang von einer Edelmetall- zur Papierwährung durch Demonetisierung von Gold und Legalisierung von Noten (oder Nebeneinanderbeste hen beider als gesetzlicher Zahlmittel) erklärt; das klassische Bürgerliche und das klassische Öffentliche Recht können sogar erheblich später von der faktischen Geltung einer neuen Währungsform Kenntnis nehmen als die auch irgendwie "staatliche", aber eben nicht klassische Kreditgeld- und Notenbankverfassun g. Das Wesentliche an dem oben erwähnten Begriff der "rechtlichen Bedeutsamkeit" ist also die Bedeutsamkeit, nicht die Rechtlichkeit, wenigstens nicht die Rechtlichkeit in einem dem ursprünglichen klassischen Verfassungsstaat entsprechenden Sinne. Wesentlich ist, daß Noten oder Buchungen funktionell als Geld innerhalb eines statistisch bedeutsamen Bevölkerungsteils umlaufen und angenommen werden, ohne daß eine etwaige Metallgrundlage und ihr eigentlich privatrechtlicher Charakter als bloßes Forderungsrecht noch "mitgedacht" werden; 177 178
Ebenda, S. 118.
Drucks. 2781, 2. Btg., S. 25.
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und wesentlich ist, daß eine "öffentliche" Instanz sich dieses Umlaufs annimmt, - auch wenn das nicht der klassische Staat ist, sondern eine "Bank". Diese unsere Auffassung entspricht im GI'Wlde einer "gesellschaftlichen" (soziologischen) Theorie des Geldes gegenüber Knapps "staatlicher", die eigentlich eine formal-juristische ist. Das funktionell Bedeutsame bei einer Kreditwährung ist die Tatsache, daß eine Bevölkerung Bankkredite als Geld annimmt. In diesem Sinne sind der eigentliche "Charakterwandel" der Zentralbanken im 19. Jahrhundert und der Übergang von einer Metall- zu einer Kreditwährung nicht genau datenmäßig festzustellen: denn sie beruhen nicht notwendig auf dem Rechtsakt der Aufhebung der Goldeinlösungspfiicht, sondern auch auf dem Verhalten der Bevölkerung und dem Verhalten der Bankleitungen selbst. Bezeichnend für eine solche soziologische Fundierung eines Geldes ist die Behandlung, die die Note der Bank of England erfuhr. Sie war durch die Bankakte von 1833 zum "legal tender" erklärt worden, aber nur für die Dauer der Aufrechterhaltung der Goldeinlösungspfiicht179, Es war also de jure eine Doppelwährung geschaffen worden, deren Hauptträger aber das Gold blieb, was durch die Peelsche Bankakte elf Jahre später, die strengste Golddeckungsvorschrüten einführte, noch unterstrichen wurde. Spätestens bei Beginn des ersten Weltkrieges hatte aber die Note der Bank of England soweit vom Golde unabhängigen Geldcharakter erreicht, daß England 1914 formell am Gesetz von 1833 festhalten konnte rund lediglich faktisch die Einlösung der Noten der Bank of England einstellte180. Die Zentralbanknoten kursierten weiter ohne sonderliche Schwierigkeiten; erst 1921 wurden sie exklusiv Kurantgeld - was sie auch blieben, nachdem Großbritannien 1925 wieder mit dem Gold Standal'd Act zur Goldbindung überging, da die Goldeinlösung nur in Barren stattfand und keine Goldumlaufswährung geschaffen wurde1B1, Was den Charakter der Zentralbanken als Unternehmen oder als Kreditgeldsteuerungszentralen angeht, so kann man nur mit einiger Wahrscheinlichkeit feststellen, wie lange sich maßgebende Zentralbanken als kommerzielle Banken - privilegiert und mit besonderer Verantwortung behaftet - fühlten. Es wuroe oben schon darauf hingewiesen, daß sich z. B. die Reichsbank noch 1908 in ihren Geschäften 179 Daz,u Nussbaum, a.a.O., S. 47/48. Vgl. auch unten Anm. C 18. 180 Ebenda. 181 Die Gold Standard Act vom 13. 5. 1925 bezeichnet deshalb auch Mann (a.a.O., s. 38) zu Recht als den "klarsten Ausdruck einer Offenmarktpolitik mit Gold". Nur Barren von 400 Unzen (etwa 1700 Pfund Sterling) waren umtauschbar.
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als vom Arußenhandel abhängig hielt. Dage.g en schrieb Bendixen ~ reits 1907: "Eine mächtige goldene Säule scheint im Tempel unseres nationalen Wirtschaftsgebäudes die Dachkonstruktion zu tragen; die Andeutung, daß das wertvolle Ding keinen Zweck habe, da die Konstruktion sich von selber halte, rührt an ganz andre und viel tiefere Empfindungen als nur an das technische Interesse182." Und 1913 stellte Plenge fest, daß die Reichsbank "trotz gleichbleibenden Barbestandes" durch niedrigen Zins eine Geldmengenausweitung zugelassen habe, statt um der Metalleinfuhrwillen den Zins hochzuhalten183.- Immerhin hütete sie sich damals noch, im Goldbestand unter das Deckungssoll zu geraten; dagegen war das umgekehrte Verhalten: Beschränkung der Notenausgabe trotz zunehmenden Barbestandes, bei Zentralbanken häufiger anzutreffen, - wie oben für die Banque de France geschildert. Beide VePhaltensweisen waren aber, wie auch oben erwähnt, weder ungesetzlich noch eigentlich ·unkommerziell. Immerhin hat d1eser ScbJWebezustand zwischen reiner Metallwährung und reiner Kreditwährung später Eucken und Miksch Anlaß gegeben, ihn als "Mischwährungssystem" zu bezeichnen; Miksch nannte ihn ein ".gleichgewichtsloses Gemenge" 184 . Es bleibt noch zu erwähnen, daß die "Kreditetage", die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts auf die Goldbasis aufgesetzt hatte, neben ihren binnenwirtschaftlichen Folgen aucll Bedeutung für die Außenhandelstransaktionen hatte. Darauf weist z. B. der Geschäftsbericht der Deutschen Bundesbank für 1958 erneut hin: "Vor dem ersten Weltkrieg ist das Weltwährungssystem bekanntlich mit relativ viel geringeren zentralen Reserven ausgekommen als heute, und zwar vor allem, weil ein funktionsfähiges internationales Kreditsystem zur Verfügung stand, das nicht durch Vertrauenskrisen und Devisenbewirtschaftung gestört wurde185." Welcller Natur inmitten eines solchen immer mehr zum reinen Kreditgeld hindrängenden Währungssystems eine Zentralbank wirklich war, und welche Rolle sie zu spielen hatte, konnte, solange es noch Golddeckung und Goldeinlösung gab, als Diskussionsthema der Fachwelt allein überlassen bleiben. Mit dem aucll juristischen Wegfall der Währungsrolle des Goldes durch den ersten Weltkrieg mußte die Diskussion öffentlich und politisch werden. Insbesondere wurde wichtig, bis zu welchem Ergebnis die Fachdiskussion inzwischen gediehen war. Bendixen: Das Wesen des Geldes, a.a.O., S. 47. - s. o. Anm.102. Plenge: Von der Diskontpolitik ... , a.a.O., S. 90. - Vgl. auch über die Schweizer Nationalbank vor dem 1. Weltkrieg, Veit: Grundriß ... , a.a.O., s. 647. 184 Miksch: Die Geldordnung der Zukunft, a.a.O., S. 158. 185 Geschäftsbericht der Bundesbank f. 1958, S. 52. 182 183
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Plenge hatte noch vor dem ersten Weltkrieg einen Ausspruch des Bankiers von Stroell aus dem Jahre 1912 zitiert: "Als ganz charakteristisch für die jüngste Reichsbankentwicklung ist die Tatsache zu verzeichnen, daß das Reichsbankdirektorium, früher eine oberste Bankbehörde, gegenwärtig mehr und mehr volkswirtschaftliche Zentralinstanz zu werden scheint1 00." Daraus zog aber Plenge nicht die Folgerung, den tatsächlichen Zustand auch institutionell und gesetzlich zu verankern, sondern er plädierte für ein anderes "Herrschaftsongan über den Geldmarkt" als die Reichsbank, "durch das die Interessen der Allgemeinheit wahrgenommen werden; durch das der Staat spricht ... Dazu ist die Reichsbank auf die Dauer nicht berufen"l'-'7, Bendixen wollte es schon 1907 "nicht recht motiviert erscheinen, daß die Reichsbank bei diesem Geschäft (i. e. der Wechselrediskontierung und damit der Geldsteuerung, d. Vf.) einen Zinsgewinn von einer Höihe macht, die eigentlich nur berechtigt wäre, wenn es sich um Hergabe von Kapital handelte"tss. Ähnlich bahnte sich die Einsicht, daß es sich bei der Kreditgeldsteuerung um etwas ganz anderes als ein kommerzielles Geschäft handeln könnte, bei dem Franzosen Ramon, dem Biographen der Banque de France, an. Er gibt zu bedenken, daß die Gewinnquote, die die französische Zentralbank an den Staat abzuführen hatte, doch eigentlich "ihre einzige Legitimation darin hatte, daß ein Teil der Noten niemals zur Einlösung präsentiert wird" 189, Der Grund dafür liegt, wie wir heute wissen, darin, daß es sich gar nicht mehr um echte Passiva :u nd nicht mehr um Forderungsrechte hande}tl90, Trotzdem spielten auch nach dem ersten Weltkrieg weiter Geschäft und Gewinn eine bedeutsame Rolle in der Diskussion um das Verhalten von Zentralbanken; zumindest bemühte man sich, zu bestreiten, daß die Gewinnerzielung Handlungskriterium für die Zentralbanken sein konnte. Die "Comptes Rendus" der Gouverneure Pallain und Robineau, mit denen sie am 29. Januar 1920 und am 27. Januar 1921 der Aktionärsversammlung Rechnung legten, waren bereits gesamtvolkswirtschaftliche Konjunkturberichte; trot:zldem dachten Gouverneure und Aktionäre - wie oben erwähntt91 - noch in Gewinn- und Erwerbssphären.
Plenge, a.a.O., S. 354. Ebenda, S. 358, 355. Bendixen, a.a.O., S. 59. Ramon, a.a.O., S. 447. Rittershausen: Bankpolitik, a.a.O., S. 63: "Durch (die) Emission kontrahiert die Emissionsstelle keine Schuld", dazu die Anmerkung R.'s Nr. 37, ebenda S. 211. - "The ,debtor' has disappeared" sagt dazu Nussbaum, a.a.O., S. 80. 1 1M Anm.56. 186 187 188 189 190
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Wicksell wies 1919 ausdrücklich darauf hin, daß die schwedische Riksbank nur auf das öffentliche Wohl hin funktionieren solle, daß sie eine Staatsinstitution sein solle und ohne Rücksicht auf Gewinn arbeiten müsse - ein Hinweis, der offenbar noch für nötig befunden wurde192.
Schacht argumentierte bei der Neuordnung der Deutschen Reichsbank 1923/24, daß die Notenbank zwar nicht vom Staate verwaltet und von ihm abhängig sein solle, daß sie indessen dem staatlichen Zusammenhang nicht entzogen werden dürfe, "da sie das Notenausgaberecht vom Staate empfange ... Deutlicher gesagt, eine Notenbank darf nur nach volkswirtschaftlichen, nicht nach privatwirtschaftliehen Interessen geführt werden"193. Wobei vorausgesetzt wird, daß "volkswirtschaftliches Interesse" und "staatlicher Zusammenhang" identisch sind. Noch 1927 mußte Schacht als Ausschußzeuge betonen: "Die Reichsbank ist in erster Linie ein Institut, das der Allgemeinheit, der Volkswirtschaft zu dienen hat, nicht aber den Interessen der Aktionäre ... Ich glaube ... , daß keinerlei von Gewinn und Unkosten ... diktierte Rücksichten für die Diskontpolitik maßgebend zu sein brauchen194 ." Der Ausschußvorsitzende Georg Bernhard hatte - 1927! - die Frage gestellt, welche Rolle der Gewinn bei der Reichsbankpolitik spiele. Zur tatsächlichen Lage sei hier eingeschaltet, daß die Reichsbank Anfang 1924 zu dem seit der Währungsstabilisierung unveränderten Satz von 10 vH diskontierte, obwohl der Geldsatz am offenen Markt nicht selten 100 vH überstieg195. Noch der MacMillan-Report mußte zu Beginn der dreißiger Jahre darauf hinweisen, daß das Gewinnmaximierungsprinzip kein Erfolgsmesser mehr für die Geschäftsführung einer Zentralbank sei, und er relativierte selbst die- bei der Einsetzung des Mac-Millan-Ausschusses durch Snowden noch bestehende - Goldwährung: "The international gold standard system involves a common agreement as to the ends for which it exists196." Der Status des Besitzes an den Zentralbanken konnte, ebenso wie das Ertragsstreben, nicht als Kriterium angesehen werden. Es befand sich zwar auch nach dem ersten Weltkriege noch das Grundkapital der Notenbanken der Haupt-Industriestaaten Europas in Privathand, und l 92 Wickseil: The Riksbank and the Commercial Banks, Ekonomisk Tidskrift II, 1919, zit. in Fisher: Stable Money, a.a.O., S. 296 ff. 193 Schacht: Die Stabilisierung ... , a.a.O., S. 58. Später versuchte man gerade, auch die volkswirtschaftlichen Interessen vom staatlichen Zusammenhang abzusondern. s. dazu unten Kap. 11. 194 Schacht: Ausschuß ... , a.a.O., S. 1511153. 1 95 Schacht: Die Stabilisierung ... , a.a.O., S. 155. 1 96 In: Fisher, a.a.O., S. 296 ff.
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die Verbindung zur Währungshoheit war immer noch durch die Verleihung eines Emissionsprivilegs rechtlich ausgedrückt. So wurde am 20. Dezember 1918 das Emissionsprivileg der Banque de France bis :rum 31. Dezember 1945 verlängert; das Reichsbankgesetz von 1924 verlieh dem deutschen Emissionsinstitut das "Privileg" für den langen Zeitraum von 50 Jahren nur deshalb, weil offenbar die Alliierten in gewisser Form einen Präjudizfall für die Reparationszahlungen schaffen wollten; das Dawes-Komitee schlug sogar vor, wie in England eine Trennung in Kredit- und Notendepartement vorzunehmen und das letztere ins Ausland ~ verlegen197. Aber die Trennung zwischen Eigentum und Verfügungsgewalt über die Zentralbankgeschäfte war in den meisten Ländern, mit der wesentlichen Ausnahme Frankreich, im Laufe der Zeit vollzogen worden. Andererseits wieder konnte auch der Fiskus, wo er das Eigentum am Bankkapital hatte, daraus jedenfalls keine Rechte ableiten: für das Handeln einer Zentralbankleitung traten ganz andere Richtlinien zutage, als sie für die Geschäftsführung normaler, aber im Staatsbesitz befindlicher Unternehmen bekannt waren. Auch konnte wiederum die Tatsache, daß schon seit längerem Gouverneure und Präsidenten von Zentralbanken, auch von solchen in Privatbesitz, durch Staatsorgane bestimmt wurden und teilweise Beamtenstatus hatten, nicht ohne weiteres zwn Anlaß genommen werden, wn den Nicht-Unternehmenscharakter von Zentralbanken zu beweisen. Auch Beamte können Unternehmerfunktionen ausüben, etwa solche, die Staatsunternehmen vorstehen oder von Behör-den in Aufsichtsräte delegiert werden. So war der Gouverneur der Banque de France, obwohl von der Regierung auf Grund des Gesetzes von 1806 bestimmt, kein Staatsbeamter, sondern stand im Kontraktverhältnis zu dem privaten Aufsichtsrat der Aktionäre, mußte sogar bis 1936 Aktienbesitz nachweisen. Seit dem Bankgesetz von 1924 war der deutsche Reichsbankpräsident kein Beamter mehr, ein Verhältnis, das b~s :rum Bundesbankgesetz von 1957 übernommen wurde. Einige neugegründete Zentra1banken hatten überhaupt nicht mehr "Bank"charakter, wie das 1913 ,g eschaffene amerikanische "BundesReserve-System", das so genannt wurde, weil es ursprünglich als ein System gemeint war, welches eine Mindestreserve an Gold bei den Mitgliedsbanken garantieren sollte. Die Federal-Reserve-Noten sind, trotzihres Namens, Regierungsobligationen. Sie weDden unter der Aufsicht des Boar.d of Governors des Systems durch den lokalen Federal Reserve Agent den Banken ausgegeben, aber auf Anweisung des 197
Jeanneney: Textes de Droit ..., a.a.O.; Schacht: Die Stabilisierung,
S.l28.
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"Comptrollers of the Ourrency", der ein Exekutivbeamter ist und die Noten auch drucken läßt198. Dieses amerikanische Reserve-"Bank"-System durchbrach nach 1918 bei Aufrechterhaltung strikter Golddeckung und Goldeinlösung völlig den Zusammenhang zwischen Aktiva und Passiva - de facto, nicht de jure, wie Keynes es damals schon forderte199. Die amerikanische Geldpolitik wurde völlig von den Goldbewegungen .gelöst; das Federal Reserve System absorbierte durch Offenmarktpolitik einen Teil des Goldeinflusses aus Europa und betrieb zuweilen eine genau entgegengerichtete, besonders die Landwirtschaft hart treffende, Restriktionspolitik. Wie unvollkommen aber die eigentliche Funktion einer Zentralbank selbst im Amerika dieser zwanziger Jahre be.g riffen werden konnte, mag eine Äußerung des Abgeordneten Wingo anzeigen, des Vorsitzenden eines Parlamentsausschusses, vor dem 1922 ein Projekt Irving Fishers verhandelt wurde, das darauf ausging, das "StableDollar"-Prinzip eines festen Binnen-Preisniveaus in den Zentralbankstatuten zu verankern. Wingo entgegnete darauf: "It is the most vicious form of socialism to say that a government agency will undertake to control the volume of credit2 00." Einen besonders lehrreichen Fall für das Verständnis - oder Unverständnis - des Kreditgeldes und seiner Steuerungsorganisation bietet der "Portuguese Bank Note Case". 1925 hatte eine raffinierte Schwindlerbande mit Unterstützung eines portugiesischen Diplomaten 480 000 Original-500-Esoudo-Noten von der englischen Druckerei nachdrucken lassen, bei der auch die portugiesische Zentralbank ihre Noten bestellte. Es waren die Original-Druckplatten benutzt worden. Die Banco de Portugal klagte gegen das englische Druckerei-Unternehmen auf Schadenersatz; sie forderte den vollen Paritätswert in englischen Pfunden für diejenigen Noten, die bei dem notwendig werdenden Notenumtausch über die in ihrer Bilanz verbuchte Menge hinaus abgeliefert worden waren und ersetzt werden mußten (rund 1 Million Pfund Sterling), ruzüglich der Druckkosten für neue Noten (6500 Pfund Sterling), abzüglich des Liquidationserlöses aus der Auflösung eines von den Schwindlern gegründeten Bankhauses (488 430 Pfund Sterling), über das sie die Noten in den Verkehr gebracht hatten. Das Druckhaus wurde in letzter Instanz vom englischen Oberhaus (3: 2) verurteilt, den internationalen Wert der Noten zu ersetzen. Die Entscheidung des Gerichts beruhte auf der Meinung, die Notenbank habe bei dem Umtausch einen Verlust erlitten "measured by the value 198 DaZiu The Federal Reserve System, Its Purposes and Functions, Washington D. C. 1947; Nussbaum, a.a.O., S. 91/92; Veit: Grundriß ..., S. 185 ff. 199 s. dazu Fisher, a.a.O., S. 216 ff. 200 Ebenda, S. 156.
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which the notes would in the normal course of events habe realized. This ... was the full exchange value of the notes201 ." Die Noten der Banco de Portugal waren aber seit 1891 für uneinlösbar erklärt worden. Eine abweichende Minderheit der Richter hatte deshalb argumentiert, der einzige Verlust bestände in den Druckkosten, die auch angefallen wären, wenn die Noten etwa in den Banksafes - vor der Ausgabe - verbrannt wären. Demgegenüber hatte der Appellationsgerichtshof in vorletzter Instanz den halben Wert der Forderung anerkannt. -Es ist interessant, daß der Währungsjurist Mann, ein Anhänger der Staatlichen Theorie Knapps, die Gerichtsentscheidung für korrekt erklärt, während Nussbaum, der auf einer gesellschaftlichen Geldtheorie fußt, nur den entgangenen Diskontgewinn und die Neudruckkosten als Verlust ansehen wi11202 • Der Fall gewinnt eine tragikomische Note durch die vorangegangenen und nachfolgenden Ereignisse: Die ursprüngliche Gold-Pfund-Parität von 1891 des Escudo hatte 4 Schilling 51/4 Pence betragen; bis zur Zeit des Betruges hatte sich der Escudo auf etwa 2112 Pence abgewertet. Die Forderung beruhte auf diesem letzteren - inoffiziellen - Kurs. Die in Umlauf gebrachten "falschen" Noten hatten rund 6 vH des portugiesischen Notenumlaufs betragen; die Bancode Portugal hatte aber keine Maßnahmen ergriffen, um die durch den Geldeinfluß sich bemerkbar machende Inflation zu bekämpfen. Später strich der portugiesische Staat den Erlös der Liquidation des Schwindlerischen Bankunternehmens ein und entschädigte die Zentralbank mit Schatzanweisungen; und schließlich ermächtigte die Regierung die Zentralbank nach dem Umtausch zu weiterer - "echter" - Geldschöpfung, wodurch die Notierung des Escudo von 1925 bis 1928 um weitere 13,7 vH fiel203• Gänzlich anders hatte übrigens kurz nach dem ersten Weltkrieg cin - auch englisches - Gericht in einem ähnlichen Falle entschieden, dem Fall Marshall vs. Grienbaum. Ein Besitzer von Noten der ehemaligen (zaristischen) russischen Staatsbank klagte gegen die Bank of England auf Umtausch der Noten in russisches Zentralbankgold, das bei der englischen Zentralbank ausgelagert worden war. Das Gericht entschied, daß die Golddeckungsklausel der russischen Zentralbank nicht gestatte, irgendein hypothekarisches Recht oder eine sonstige Forderung ihr gegenüber zu konstruieren, sie sei "merely a making of regulations for the issue of notes with the object of insuring that any holder who brings a note to the State Bank may receive the 201 Dazu Sir Cecil H. Kisch: The Portuguese Bank Note Case, London 1932; Nussbaum, a.a.O., S. 84 ff.; Mann, a.a.O., S. 25 ff. 2o2 Mann und Nussbaum, ebenda. 203 Ebenda.
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nominal amount of the note in gold" 204. An eine rein kommerzielle Liquidation einer solchen Zentralbank durch ein ordentliches Konkursverfahren dachte zu dieser Zeit niemand mehr - im Gegensatz zum Frankreich von 1848. Ein solches Verfahren wäre diejenige Form von rechtlicher Auseinandersetzung, welche einer Zentralbank gegenüber am Platze ist, die als Unternehmen betrachtet wird.
b) Das neue Recht bleibt imperfekt Eine neue Form stringenter Gesetzlichkeit für Zentralbanken, die nach der de :facto- oder der de jure-Demonetisierung des Goldes nun Kreditge1dsteuerungszentralen geworden sind, ist bis heute nicht gefunden. "Ein großer Teil der Währungssorgen unserer Zeit", sagt Veit, "hängt damit zusammen, daß die Zentralbankgesetze der Welt bis in die jüngste Zeit auf dem GoLdstandard basieren, während die Verpflichtungen der Zentralbank, die daraus erwachsen (Goldeinlösung zu festem Preis), längst aufgehoben sind205." Um den eigentümlichen Charakter eines Geldsteuerung treibenden Organs näher beschreiben zu können, dessen Herrschaftsmittel gegenüber den Gesteuerten auf einem allgemeinen Gewaltverhältnis beruhen muß, und das troudem von den "klassischen" Staatsinstanzen weisungsunabhängig sein soll, seien die technischen Mittel betrachtet; mit denen es die Steuerungsfunktion ausübt. Einige ,d ieser Steuerungsinstrumente haben sich erst ganz allmählich aus ursprünglich marktkonformen, kommerziellen Verhaltensweisen von Bankunternehmen entwickelt; die Diskontpolitik aus der Geschäftspolitik, die Offenmarktpolitik aus dem Kauf und Verkauf ertraglbringender Papiere, die Mindestreservepolitik und die staatlichen Liquiditätsregeln aus der Liquiditätsplanung, wie sie alle jedes Unternehmen und jeder Betrieb kennen kann und noch kennt. Die Geschichte der Entwicklung der kreditpolitischen Instrumente ist ein Beispiel dafür, wie das Steuern eines Apparats nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum erlernt wird. Man kann dazu dasselbe behaupten wie das, was Goldenweiser über das ganze amerikanische Bundesreservesystem sagt: "Ein Musterbeispiel einer Institution, die sich auf ganz andere Weise entwickelt hat, als ihre Schöpfer es beabsichtigen206". Seit wann frühestens von einer separaten, kommerziellem Denken nicht ausschließlich verhafteten, Diskontpolitik als systematisch angewandter "Kunst der Zentralbankpolitik" gesprochen werden kann, ist In: Mann, a.a.O., S. 33. Veit: Pecunia in ordine rerum, a.a.O., S. 260. -Ebenso ders. in: Grundriß ..., a.a.O., s. 192. 2os Goldenweiser: American Monetary Policy, New York 1951, S. 72/73. 204 205
g•
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B. Kreditgeldsteuerung als Herrschaftsmittel
ungewiß207 . Der Streit zwischen der sogenannten Konstatierungs- und der Lenkungstheorie dauerte noch weit ins 20. Jahrhundert hinein an: ob die Zentralbank die Geldmarktbewegung en nur konstatiere oder sie steuere. Die ·b eiden anderen Hauptmittel der Kreditpolitik, die Offenmarkt- und die Mindestreservenpoli tik, gab es als bewußte Funktionsinstrumente erst seit dem ersten Weltkrieg; es sei denn, man nimmt die Golddeckungsvorsch riften (etwa der Bank of England oder der Reichsbank) als "Mindestreserven", deren zweckbestimmte Variation dann aber außerhalb des Denkbereichs lag. Einen Fall von "unbewußter" Praktizierung von "Offenmarktpolitik" nennt Ramon -ohne es selbst zu bemerken- für 1808208. Die Banque de France steuerte mit anderen Banken zusammen Käufe und Verkäufe ihrer eigenen Aktien, um damit ein bestimmtes Zins- und Kursniveau zu halten. Offiziell wurde der Banque de France die Offenmarktpolitik erst durch Dekret vom 17. Juni 1938 erlaubt. Irving Fisher schildert den merkwürdigen Fall der "Entdeckung" einer Offenmarktpolitik in den USA: Zwölf Federal Reserve Banken begannen in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts, Regierungsschuldpapiere zu kaufen, um ihre Rentabilität zu erhöhen, die durch die Depression nach dem ersten Weltkrieg zurückgegangen war, da weniger Wechsel diskontiert wurden. Merkwürdigerweise reduzierten sich die Erträge weiter: durch den Ankauf der Papiere gelangte Geld auf den Offenen Markt, und es WUI'den noch weniger Wechsel eingereicht209. In Deutschland besaß die Reichsbank bis 1933 nicht das Recht auf Offenmarktpolitik. Was heute als solche betrieben wird, untersch·e idet sich übrigens erheblich von dem, was man in anderen Ländern darunter versteht210, Was die Mindestreservepoliti k, d. h. die Änderung der Sätze nach funktionellen Zwecken, betrifft, so ist selbst vom "Federal Reserve System" der USA der Reservezwang ursprünglich nicht als variabler gemeint gewesen211. In Deutschland sch,u f erst das Kreditwesengesetz von 1934 starre Sätze und ließ mit den angekündigten Ausführungsbestimmungen für deren Variation auf sich warten; erst die Bank deutscher Länder nach 1948 handhabte das Instrument212. Verschie-
Hawtrey: The Art of Central Banking, London 1932. 208 Ramon, a.a.O., S. 96. 209 Fisher, a.a.O., S. 246.
20T
21o
s. 73.
Dazu Schneider: Einführung in die Wirtschaftstheorie, a.a.O., Bd. III,
211 Dazu Gleske: Die Liquidität in der Kreditwirtschaft, Frankfurt/Main
1953, 212
a.a.O.
s. 103. Dazu Stucken: Deutsche Geld- und Kreditpolitik, a.a.O., S. 111; Fousek,
6. "Bank der Banken" im Übergangszustand
133
dene Länder - darunter Großbritannien und Frankreich - kannten bis 1959 keine strengen legalen Mindestreservevorschriften; in England vollzieht sich der Einfluß der Zentralbank auf die Reservehaltung der Privatbanken aus Übung. Viele der kreditpolitischen Instrwnente einer modernen Kreditgeldsteuerungszentrale bewahren noch bis heute ihre enge Verwandtschaft mit den üblichen Geschäftspraktiken jedes .g uten Kaufmanns; der Gouverneur der Banque de France, Baumgartner, konnte deshalb mit gewissem Recht noch 1953 behaupten, die Grundbegriffe im Notenbankwesen hätten sich durch alle Änderungen hindurch seit dem 19. Jahrhundert erhalten213. Man kann noch mit einigem Recht von den "Allgemeinen Geschäftsbedingungen" der Deutschen Bundesbank sprechen und von ihren "Geschäften", von "Geschäftskreis" usw., wie es das Bundesbankgesetz tut214. Bezeichnenderweise gehört z. B. die Deutsche Bundesbank zu den wenigen Staatsanstalten, deren Personalbedingungen sich wesentlich von denen anderer Behörden unterscheiden; es gilt dort z. B. nicht das sonst weitgehend eingehaltene Almdemikerprivileg für die höhere Laufbahn, sondern ein mehr kaufmännischer Ausbi1dungsgang21l>. Weiter verpflichtet das Gesetz die Bundesbank zur Berichterstattung auf Grund des Aktienrechts (Paragraph 26); die Auskunftspflicht gegenüber der Bundesregierung gemäß Paragraph 13 betrifft nur "Angelegenheiten von wesentlicher wirtschaftspolitischer Bedeutung, nicht privatrechtliche Geschäfte", und kollidiert nach herrschender Meinung nicht mit ihrer Schweigepflicht als kOIIIlmerzielle Bank, wie sie z. B. im Paragraph 18 enthalten ist216. Entsprechend vollziehen sich auch viele Akte, durch die eine Zentralbank mit der Geschäftswelt in Beziehung tritt, noch heute formal auf der Basis des Bürgerlichen Rechts, auch wenn sie "im Kern hoheitsrechtlicher Natur" sind217. So können Zentralbanken mancher europäischer Großstaaten (etwa Großbritanniens und Frankreichs) wichtige kreditpolitische Instrumente formal nur in Form von "Empfehlungen" an die Privatbanken direkt oder an deren genossenschaft213 Baumgartner: Quelques mots sur les banques centrales, in Le FrancMythe et Realite, a.a.O. 214 Allgemeine Geschäftsbedingungen der Deutschen Bundesbank ("Grünes Buch"), Bundesbankgesetz Par. 19-22. 215 s. Par. 31 Bundesbankgesetz; zum Personalstatut s. v. Spindler et al., Kommentar, a.a.O., S. 219, 1. Aufl. 216 s. dazu v. Spindler, a.a.O., S. 223, 1. Aufl. 217 v. Spindler, a.a.O., S. 119, 121, 2. Aufl. Noch und wieder •b ei der Diskussion des Bundesbankgesetzes von 1957 wurde die Frage aufgeworfen, ob man einem "Bank"institut überhaupt hoheitliche Befugnisse übertragen dürfe (Veit: Die Verantwortung der Notenbank, Weltw. Arch. Nr. 68/1952. Die entsprechende Stelle fehlt im Wiederabdruck, in: Der Wert unseres Geldes, a.a.O., S. 27 ff.).
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B. Kreditgeldsteuerung als Herrschaftsmittel
liehe Organisation einsetzen. Die Geldschöpfung durch Kredithingabe, etwa Wechselsdikontierung oder Lombardierung, beruht eben auf einem Kreditvertrag nach Bürgerlichem Recht, selbst dann, wenn dieser Vertrag - wie etwa in Frankreich - eine "Konvention" zwischen dem Finanzminister (ratifiziert durch das Parlament) und einer Bankleitung ist, die aus von demseibern Finanzminister bestellten Gouverneuren besteht und von einem Gremium beaufsichtigt wird (dem "Conseil National du Credit"), dem eben derselbe Finanzminister vorsitzt21 B. Bei den kreditpolitischen Instrumenten fällt in Deutschland - wie auch andernorts - die Zinslenkung unter die leersten Rechtslücken dieses schlechthin peinlich verdünnten Rechtsraums21 9. Das Kreditgewerbe ist ausdrücklich von der Wirkung des "Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen" ~dem sog. "Kartellgesetz") ausgenommen. Die Koppelung der Sollzinsen für kurzfristige Kredite auf Kontokorrent an den Diskontsatz geschieht "automatisch", die Habenzinsen werden durch eine kartellähnliche Abrede der Banken, die von der Bankenaufsicht rechtsverbindlich gemacht wird, angepaßt 22 0. Diese Anpassung geschieht nicht immer ohne lange Auseinandersetzungen, da nicht alle Kreditinstitute an einer Änderung - insbesondere Senkung - der Gläubigerzinsen interessiert sind. - In Frankreich besteht eine der deutschen ähnliche Regelung: Festsetzung der Sollzinssätze, angelehnt an den Diskontsatz, durch den Nationalen Kreditrat; Habenzinsabkommen der Banken mit Sanktionierung durch den Kreditrat. Für langfristige Kredite ist eine Regelung seit dem 2. August 1956 in Kraft221 . In der rechtlichen Fixierung derjenigen Mittel, zu deren Gebrauc.lJ. eine Zentralbank überhaupt ermächtigt ist, sind moderne Gesetze meist von der größten Genauigkeit. Aber einerseits bleibt hier oft zu fragen, ob diese Ausstattung mit diesen Mitteln denn genügt, um einer höchst unscharf umrissenen Aufgabe gerecht zu werden, und ob durch diese Diskrepanz zwischen Aufgabe und Mitteln nicht Erwartungen - z. B. der Öffentlichen Meinung - geweckt werden, die mit diesen Mitteln jedenfalls nicht immer erfüllt werden können, oder nur dann, wenn andere Staatsorgane .gleichsinnig handeln oder gar den Ermessensspielraum der Zentralbank ausweiten, etwa Notenumlaufss. o. Anm. 82 bis 85. Dazu Fousek, a.a.O., S. 17 ff.; Huber, a.a.O., Bd. II, S. 254: Zinslenkung, Bd. I, S. 744 ff., wo das Reichsgesetz über das Kreditwesen von 1934 unter dem Teil 5: "Private Wirtschaftstätigkeit", Par. 63: "Kreditinstitute" behandelt wird; Stucken, a.a.O., S.104 ff., S. 248. 220 Dazu Höfermann: Reform oder Abschaffung des Habenzinsabkommens?, in: Z. f. d. ges. Kred.Wesen, Jg. 1956, S. 393. 22 1 La Politique de credit en France, a.a.O., S. XVIII, XX. 21s
219
6. "Bank der Banken" im Obergangszustand
135
grenzen erhöhen oder Mindestreserven-Manipulationsgrenzen au.fstocken222. Zum anderen fehlt für bestimmte Steuerungsinstrumente, die offensichtlich nicht mehr dem Raum des Kommerziellen angehören, sondern hoheitliche Gewalteingriffe darstellen, etwa für Mindestreservemanipulationen und Kreditkontingentierungen, die rechtsdogmatische Legitimation. Noch und wieder bei der Diskussion um das Bundesbankgesetz wurde die Frage aufgeworfen, ob man einem "Bank"institut überhaupt hoheitliche Befugnisse zuteilen dürfe, und einen Teil der das Kreditwesen betreffenden Befugnisse muß die Bundesbank auch mit der rein "klassisch"-staatlichen Bankaufsichtsbehörde teilen223. Im Grunde müßten auch heute noch selbst solche Zentralbanken, die ausdrücklich durch positives Gesetz als Oberste Staatsbehörden konstituiert wurden, ihre einzige Verbindung zur staatlichen Hoheit rechtssystematisch aus dem Notenausgabe"privileg" ableiten, also aus einem Ausfluß der Währungshoheit, - obwohl damit selbst "normale" Kreditgeldsteuerungsmaßnahmen gar nicht zu legitimieren wären. Ausdrückliche Verfassungslegitimationen für geldsteuernde Akte der Zentralbank - etwa analog der Finanz- und Steuerhoheit - fehlen. Die Legitimation, die konkrete Kreditgeldmenge durch Befehle zu steuern, ist z. B. aus dem Art. 73 Satz 4 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland nicht ohne weiteres abzuleiten: "Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über ... 4. das Währungs-, Geld- und Münzwesen224. Die gesetzgeberische Absicht ging bei diesem Artikel auf die Abgrenzung von Btuldes- und Länderkompetenzen. Der sachliche Inhalt bei Absatz 4 bleibt undeutlich. Dasselbe trifft auf den Art. 34 der Verfassung der V. Republik Frankreichs zu: "La loi fixe les regles concernant ... le regime d'emission de la monnaie." Zwar erfolgte in der Bundesrepublik Deutschland die Legalisierung der Zentralbank durch ein positives Gesetz, das in Befolgung einer Verfassungsauflage erging. Art. 88 GG schreibt vor: "Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank." Eine solche Auflage ist ein Novum in Verfassungen. Wir halten es jedoch für nicht zutreffend, aus dieser Verfassungsbestimmung eine inhaltliche Legiti222 Zu den Manipulationsgrenzen s. Fousek, a.a.O., Appendix I-III. In der Schweiz z. B. setzt die Exekutive die Mindestreservekontingente fest. 223 s. o. Anm. 217; zur Bankenaufsicht: Steinert: Probleme der Bankenaufsicht, in: Z. f. d. ges. Kred.Wes., Jg. 1954/55, 8.124; Muthesius: Bankenaufsicht - durch wen?, ebenda, Jg. 1951, S. 457. Veit (Die Verantwortung der Notenbank, a.a.O.) betrachtet die Bankenaufsicht als "gewerbepolizeiliche Angelegenheit"; Muthesius möchte einen Teil ihrer Aufgaben der Zentralbank zuteilen. 224 Für die Interpretationsbedürftigkeit dieses Artikels vgl. o. Kap. 2.
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B. Kreditgeldsteuerung als Herrschaftsmittel
mation für eine bestimmte Zentralbankkonstruktion abzuleiten, wie es z. B. ein Bundesbankgesetz-Kommentar tut: "Die Rechtsgrundlage dieser aus dem Wesen der Währung und der Notenbank herzuleitenden autonomen Stellung findet sich in Art. 88 GG225." Ebenso unzutreffend scheint es uns, aus diesem Verfassungssatz nach Art einer "impliedpowers"-Auslegung alle heute praktizierten Geldsteuerungsmaßnahmen zu le~itimieren, wie es z. B. die Regierungsbegründung zum Gesetz tut: "Wortlaut und Sinn des Grundgesetzes verlangen also, daß der Bundesgesetzgeber eine mit allen typischen Funktionen ausgestattete Zentralbank errichtet226." Die Abfdcht des Verfassungsgesetzgebers scheint uns auch beim Art. 88 auf eine klare Trennung von Bundes- und Länderkompetenzen hinauszugehen; um diese Frage der Errichtung "als Bundesbank" entspann sich. ja dann auch im Gesetzgebungsverfahren die Auseinandersetzung, und nicht um den sachlichen Inhalt des Begriffs "Währungsund Notenbank" und um deren "typische Funktionen". Über den Charakter einer solchen Bank sagt der Verfassungssatz nichts aus; es ist darüber keineswegs eine so einhellige Meinung vorhanden, daß man einfach unspezifiziert von einem geltenden "Typus" einer Zentralbank schlechthin sprechen konnte. Hierunter fiele z. B. auch ein MonopolUnternehmen bei völlig intakter Goldwährung, und keine Kreditgeldsteuerungszentrale, wie es der Fall ist. Immerhin schuf das Gesetz von 1957 ein klares hoheitliches Gewaltverhältnis, das noch dadurch akzentuiert wird, daß den Chefgremien der Deutschen Bundesbank die Stellung von obersten Bundesbehörden verliehen wird mit dem Recht zur Teilnahme an Beratungen der Bun~ desregierung "über Angelegenheiten von währungspolitischer Bedeutung" (Paragraph 13). Aber über den Inhalt, die Sache der Bundeszentralbank sagt weder die Verfassung etwas aus, noch schreibt das v. SpindZer et al., a.a.O., S. 119. Ds. 2781, 2. Btg., S.19. - Veit (Grundriß ..., a.a.O., S. 197/98) sieht das Novum bei der Bundesbankgesetzgebung an anderer Stelle: "Rechtstheoretisch ist der Katalog der Geschäfte, in dessen Rahmen die Bundesbank nach den Regeln des bürgerlichen Rechts oder gegebenenfalls des Handelsrechts kontrahiert, unproblematisch. . . . Die Einteilung in einen Abschnitt ,Geschäftskreis' und einen Abschnitt über die ,währungspolitischen Befugnisse' der Bank ist ein Novum in der Notenbankgesetzgebung." Aber auch er fährt fort : "Problematischer steht es mit der rechtlichen Einstufung der Befugnisse der Bank gemäß Par. 14 bis 18, speziell jener Bestimmungen, die den Charakter von Auflagen tragen. Hier wird die im Gesetz nicht hervorgehobene Trennung von bankmäßigen und administrativen Handhaben der Kreditpolitik wichtig. Diese Trennung nötigt Schritt für Schritt dazu, die Verfahrensweisen einer Geschäftsbank und einer vom Staat beauftragten Währungsbank gegenüberzustellen. Fast ist dies - neben der Notenausgabe - der Angelpunkt der rechtlichen Sonderposition einer Währungsbank." 22s 226
6. "Bank der Banken" im übergangszustand
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Gesetz mehr vor als die "Aufgabe" in Paragraph 3: "Die Deutsche Bundesbank regelt mit Hilfe der währungspolitischen Befugnisse, die ihr nach diesem Gesetz zustehen, den Geldumlauf und die Kreditversorgung der Wirtschaft mit dem Ziel, die Währung zu sichern, und sorgt für die bankmäßige Abwicklung des Zahlungsverkehrs im Inland und mit dem Ausland." Die ganze Breite des Ermessensspielraumes, der durch solche Generalklauseln - auch wo sie, wie etwa in Österreich, etwas schärfer gefaßt sind227 - den Zentralbanken überlassen bleibt, wird deutlich aus folgender Überlegung: Mit ganz verschwindend geringen Ausnahmen unterliegt keine Zentralbank irgendeinem Kontrahierungszwang, der in seiner Exaktheit der früheren Einlösungsverpflichtung entsprechen würde. Eine Goldankaufsverpflichtung kannten zu Fixpreis 1958 die USA und Belgien; eine Goldverkaufsverpflichtung nach Muster einer "freien" Goldwährung gibt es in keinem Staat. Die Rolle des Goldes und damit die Schärfe und Exaktheit der Bindung der Zentralbanken an dieses Wirtschaftsmittel wurde durch die Bretton-Woods-Abkommen keineswegs ausreichend definiert. Der Artikel IV, Sect. 1, der Articles of Agreement of the International Monetary Fund schreibt vor, daß die Währungsparität jedes Mitgliedes ausgedrückt werden soll "in terms of gold as a common denominator or in terms of the United States dollar of the weight and fineness in effect on July 1, 1944". Hawtrey sah darin die Festlegung eines Golddevisenstandards; Keynes verneinte das mit den Worten, das bedeute lediglich "the use of gold merely as a common denominator by means of which the relative values of national currencies - these being free to change- are expressed" 228 • Der Währungsjurist Mann sagt zu Veränderungsmöglichkeiten: Daß der Goldstandard oder die Parität in gewissen Fällen verändert werden kann, "would seem to effect the firmness of the tie rather than its 227 Par. 2 des Gesetzes über die Österreichische Nationalbank: "Sie hat mit allen ihr w Gebote stehenden Mitteln dahin zu wirken, daß der Wert des Österreichischen Geldes in seiner Kaufkraft im Inland sowie in seinem Verhältnis zu den wertbeständigen Währungen des Auslandes erhalten bleibt" (dazu Irmler: Währungspolitische Bedingungen stetigen Wirtschaftswachstums, Verh. der Ges. f. Wirtsch. u. Soz.Wiss., Schriften Nr. 15, Berlin und München 1959, S. 106). - über weitere moderne Formeln in Notenbankgesetzen vgl. auch Veit: Grundriß ..., a.a.O., S. 192 ff. Nicht immer spricht bei solchen Generalklauseln die Vermutung dafür, daß es sich um reine Ermessensklauseln handelt (Huber, a.a.O., Bd. I,
s. 59/60).
228 Mann, a.a.O., S. 31. Vgl. auch Lutz: International Monetary Mechanisms, The Keynes and White Proposals, Princeton 1943; und über das "gewissermaßen ambivalente Ergebnis" von Bretton Woods Veit: Grtmidriß .. ., a.a.O., S. 180, 723 ff.
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B. Kreditgeldsteuerung als Herrschaftsmittel
existence in principle" 229. Da war Knapp ehrlicher; und auch Mann muß später seine Behauptung wieder abschwächen, ohne den Widerspruch erklären zu können: "Provisions of this type have frequently been misunderstood. They involve more than a mere programme; they amount to less than the identification of the unit of account with a certain quantity of metal230." Dagegen sagt derselbe Autor zu der "suspendierten Golddevisenwährung" im Deutschen Reich von 1924 bis 1930 - die sich ja wegen der fehlenden Einlösungsverpflichtung nicht von dem Währungszustand nach dem Bretton-Woods-Abkommen unterschied -: "These provisions only meant that the German unit of account had a fixed relation with gold, but they did not mean that 1 Reichsmark was equal to 1/1390 kg of gold ... The wording of the provisions makes it quite clear that they simply indicate a policy or a programme231." Der Währungsjurist Nussbaum behauptet gar über die IMF-Regelung: "The alternative is verbal only: the dollar as defined means simply 15 5/21 grains of gold 9/10 fine. Thus the gold clause stoned to death by so many legislatures, has been resurrected in full glory on the international plane232." Die Rechtslage des Goldes scheint uns dagegen seit Bretton Woods ganz klar zu anderen Ergebnissen zu führen. Sect. 2 des Art. IV schreibt vor, daß die "Mitglieder" des Fonds innerhalb einer von diesem vorgeschriebenen "Bandbreite" - und nur innerhalb dieser fremde Währungen handeln dürfen. Sect. 3, Satz b, regelt, daß diese Bedingung als erfüllt gelten soll, wenn die Mitglieder "for the settlement of international transactions" Gold frei kaufen und verkaufen. Der IMF legalisiert also das Gold lediglich als zwischenstaatliches Verrechnungsinstrument, denn Mitglieder sind die Staaten, und über deren Verhalten gegenüber den privaten Wirtschaftssubjekten wird in den Statuten nichts ausgesagt; Nussbaum meint dazu: "One can assume, however, that members must not countenance any gold transactions public or private, which would jeopardize exchange stability233." Das Gold des IMF ist lediglich ein Außenhandelsinstrument zur Verrechnung zwischen den Staaten und damit das gerade Gegenteil von "privatem Weltgeld"; Gutzwiller vergleicht es denn auch zu Recht mit dem "Nomisma hellenikon", dem Außenhandelsgeld in Platos Nomoi, das "nicht für gewöhnliche Idioten" Rechtsgeltung besaß 234. 229 Mann, a.a.O., S. 31. 230 Ebenda. 231 Ebenda, S. 42. 232 Nussbaum, a.a.O., S. 533. 233 Ebenda, S. 536. 2 34. Gutzwiller: Die Internationalen Währungspläne und das Internationale Recht, in: Schweizer Jur. Zeitg., J.g. 40, Nr. 9/10, 1944.
6. "Bank der Banken" im übergangszustand
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Das drückt sich aus in der Rechtsstellung, die alle einzelstaatlichen Währungs- und Notenbankgesetze dem Golde einräumen. V eit sagt hierzu: "Trotzdem wird heute der goldgedeckte Teil des Geldvolumens nicht zum Repräsentativgeld, da weder eine Pflicht zur Golddeckung, noch eine Einlösungspflicht bestehen. Insoweit sind Goldbestand und Notenumlauf als Posten auf den beiden Seiten der Zentralbankbilanz nicht aufeinander bezogen. Die Geldschöpfung gegen Gold stellt sich dar als Kreditgeschäft ohne Befristung, als Dauerkredit mit Warendeckung. - Wirtschaftlich ist ein solcher Kredit vergleichbar einem W arenlombardkredit236." Es folgt dann der Satz: "Ganz anders ist der Sachverhalt allerdings in dem heute unrealistisch gewordenen Fall der Einlagerung von Goldmünzen, die dem inländischen Kurantgeldumlauf entstammen. Nur im letzten Fall war das Gold bereits Geld; in den vorher genannten Fällen wird es mit der Einlagerung gegen Ausgabe von Noten monetisiert." Unabhängig vom "heute unrealistisch gewordenen Fall" eines GoldKurantgeldes, also einer Gold-Umlaufswährung, gilt, daß mit dem Wegfall der Einlösungsverpflichtung in Gold (Münzen und Barren) dieses Metall seine monetäre Rolle ausgespielt hat, auch wenn es von Notenbanken weiter "gehandelt" wird. Gegenüber dem an seine Stelle gehobenen Kreditgeld stellt es höchstens einen störenden Faktor dar, woraus sich die Gesetzgebung mancher Staaten gegen Goldhortung und "Außenhandel mit Gold" erklärt236 • Daß die Vereinigten Staaten, obwohl sie die Leitwirtschaft der Marktsystem-Länder darstellen, die rigorosesten Staatsmaßnahmen gegen Goldhortung und -handel ergriffen haben, daß sie damit das krasse Gegenteil von Einlösungsverpflichtung praktizieren, ist aus dem Widerspruch zwischen Gold- und Kreditwährung abzuleiten. Gegen das Verhältnis 35 Dollar gleich 1 Unze Feingold übt "der Markt" seit Jahren einen DFuck aus, dem nachzugeben sich die amerikanischen Behörden beharrlich weigern. Das Dollar-Preisniveau, das bei "Gold-
Veit: Grundriß ..., a.a.O., S. 252'. In den USA ist die Goldhortung seit Roosevelts Erklärung vom 6. 3. 1933 für Private unter Gefängnisstrafe gestellt; die Gesetzgebung dazu ist seitdem oft verändert, im Prinzip aber aufrechterhalten worden (s. dazu Nussbaum, a.a.O., S. 597 ff.). - Zur Gesetzgebung gegen die Goldhortung in Frankreich gleich nach dem 2. Weltkrieg, s. a. Bing: Wirtschaft und Währung Frankreichs im Spiegel der Jahresberichte der Banque de France, Frankfurt/Main 1956. Die Schweiz kam bis 1954 der Noteneinlösung in Gold noch am nächsten, obwohl auch damals "der Besitz von GoLd nur einen sehr begrenzten Wert" hatte (Nussbaum, a.a.O., S. 79, Anm. 29). Durch Bundesratsbeschluß vom 29. 6. 1954 wurde auch dort die Noteneinlösung suspendiert, dementsprechend gelten die Noten der Schweizerischen Nationalbank als gesetzliches Zahlungsmittel (s. dazu Veit: Grundriß ..., a.a.O., S. 643). 236 236
B. Kreditgeldsteuerung als Herrschaftsmittel
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automatik" eigentlich fallen müßte, steigt aber gerade weiter mittels einer vom Metall gänzlich losgelösten Kreditpolitik. Die "freien", grauen und schwarzen Goldmärkte in aller Welt rechnen mit zuweilen erheblich abweichenden Kursen des Dollars zum Golde. Dasselbe tun die zahllosen privaten Horter, die über die ganze Welt verstreut sind, und für die das Gold mehr ein "Sachwert", eine Ware, ist als Geld. Als solche, im - in Kreditgeld ausgedrückten - Preis schwankende Ware betrachten es im Grunde auch alle Zentralbanken mit Ausnahme vielleicht des Federal Reserve Systems selbst. Denn mit dem Wegfall der Goldeinlösungsverpflichtung für den binnenwirtschaftlichen Notenumlauf fiel auch selbstverständlich gleichzeitig der Kontrahierungszwang für Außen-Zahlungen. Das gilt nicht nur für Gold, sondern erstaunlicherweise auch für Kreditgeld-Transaktionen. Schon der Paragraph 22 des Reichsbankgesetzes von 1924 zwang das Institut zwar zum - einstweilen suspendiert bleibenden - An- und Verkauf von Gold, nicht aber von Devisen, obwohl das Weltwährungssystem dieser Zeit auf dem Gold-Devisenstandard beruhte237 , Der Kontrahierungszwang der Zentralbanken für Devisentransaktionen nach 1944 könnte einzig und allein aus dem interpretationsbedürftigen Art. IV, Sect. 4 des IMF abgeleitet werden: "Each member undertakes to collaborate with the Fund to promote exchange stability ... (and) undertakes, through appropriate measures consistent with this Agreement, to permit within its territories exchange transactions between its currency and the currencies of other members only within the limits prescribed under Section 3 of this Article238 ." Wenn auf dieser Vorschrift ein System der "freien Konvertierbarkeit" der Mitgliedswährungen bei Aufrechterhaltung der Parität "fester Wechselkurse" unter Zulassung minimaler Schwankungsbreiten - aufgebaut werden soll, so müßten mindestens die Zentralbanken der Mitgliedsstaaten in die Pflicht genommen werden - analog der Goldeinlösungspflicht früher - jede angebotene Menge Devisen oder Sorten (mindestens von Leitwährungen) innerhalb der Schwankungsbreiten zu kaufen und zu verkaufen. Unmittelbar bindet aber das Abkommen, durch die Exekutiven und Banksachverständige ausgehandelt, nur die Staaten. Konstruiert ein Staat nun, wie etwa in der Bundesrepublik, eine "weisungsunabhängige" Zentralbank, so kann offen bleiben, inwieweit diese an die Statuten des IMF gebunden ist. Die automatische Geltung allgemeiner Völkerrechtssätze auch im innerstaatlichen Raum, wie sie in der Bundesrepublik z. B. der Ausschuß ..., a.a.O., S. 78. Es wäre zu ergänzen: ... wenn die "Mitglieder" (d.h. die Staaten) überhaupt den GoLdhandel zulassen. 237
238
Schacht:
6. "Bank der Banken" im übergangszustand
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Art. 25 GG stipuliert, ist in ihrer Anwendung auf Abkommen wie die Statuten des IMF umstritten, erst die Tatsache, daß der Beitritt der Bundesrepublik zum Internationalen Währungsfonds auf Grund eines vom Parlament beschlossenen Gesetzes erfolgte (28. Juli 1952), klärt die Frage der innerstaatlichen Geltung eindeutig239 • Wie aber steht es dann mit der Geltung von Regierungsmaßnahmen für eine Zentralbank, die durch ein anderes Gesetz ausdrücklich von der Exekutive weisungsunabhängig konstruiert wurde? Erforderte eine Paritätsänderung dann nicht immer und gerade einen Akt der Legislative? Die systemlose Regelung der Paritätsfragen verstärkt übrigens den Ermessens-Spielraum aller Zentralbanken in bezug auf notorisch "weiche" Währungen, so wie den Einfluß des Devisen-, insbesondere des Devisen-Terminhandels der privaten Großbanken. Da klare Bestimmungen für die Zentralbanken fehlen, bleibt auch letztlich offen, ob unter den "geeigneten Maßnahmen", von denen der Art. IV IMFStatuten spricht, notwendig und nur An- und Verkaufsverpflichtungen zu Fixkurs zu verstehen sind. Es wären auch Bewirtschaftungsmaßnahmen denkbar. Die Bindung an einen stabilen Wechselkurs hat die Bundesregierung nur durch ein Verwaltungsabkommen an die Bundesbank "weitergereicht", das formell die Kontrahierungsfreiheit der "Bank" unangetastet ließ 240 • Daß der deutsche Zentralbankpräsident mit der Vertretung der Bundesregierung beim Internationalen Währungsfonds betraut wurde, ist eine reine Personalunion und kann nicht als rechtsgültige institutionelle Bindung ausgelegt werden. Schon Schacht drohte 1929 der Reichsregierung mit der Weigerung, sich als deutscher Vertreter in die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zu begeben, und Finanzminister Moldenhauer plante daraufhin ein Reichsgesetz, das er ausländischen Mächten zusicherte und das den Reichsbankpräsidenten verpflichten würde, den Sitz in Basel einzunehmen241 • Durch das Fehlen eines Kontrahierungszwanges bei ihrem zentralen "Geschäft", den Devisentransaktionen, sind die Notenbanken eindeutig de jure als kommerzielle Banken im Weltmarkt suspendiert und als Kreditgeldsteuerungszentralen errichtet. Die einzige, bei Kreditgeld greifbare, sachliche, präzise, "Definition" des gesetzlichen Zahlmittels, nämlich die räumliche durch Anlehnung an das Geld anderer Währungsräume mittels Fixierung einer Währungsparität und Durchführung der Geldsteuerung unter primärer Bindung an diese Parität, ist streng rechtlich nicht mehr gegeben. 239 Dazu v. Mangoldt: Das Bonner Grundgesetz, Berlin u. Frankfurt/Main 1953, S. 165 ff., und Veit: Grundriß ... , a.a.O., S. 180. 240 s. dazu unten Kap. 11 und 12, bes. Anm. D 60, D 61, D 74. 241 Schacht: 76 Jahre ... , a.a.O., S. 325/26.
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B. Kreditgeldsteuerung als Herrschaftsmittel
Daran ändert nichts, daß de facto eine solche Bindung zuweilen konstruiert werden kann, oder daß sie durch Vertrag zwischen Bank und Regierung errichtet wird. Die Pflicht, ihre Noten in Welt-Kurantgeld einzulösen, ergab sich für die Zentralbanken der Metallwährungszeit nicht aus einem Vertrag mit einer Regierung, sondern aus ihrer Natur: sie mußten, wie jedes Unternehmen, Forderungen begleichen, sobald sie ihnen von Gläubigern präsentiert wurden. Bezeichnenderweise ist die Kontrahierungsfreiheit von modernen Zentralbanken zwar nicht durch eine Einlösungspflicht, dafür aber auf andere Weise de facto und gelegentlich sogar durch ihre Statuten eingeschränkt. Dazu gehören z. B. Bindungen an staatlich gesetzte Zinsfüße - wie lange in den USA242 - , oder - wie in Frankreich durch Gesetz vom 24. Juli 1936 - die Pflicht der Zentralbank, alle Staatsschuldpapiere bis zu drei Monaten Laufzeit zu diskontieren243 , was mittels Erneuerung der Regierung einen unbegrenzten Kredit verschafft. Schließlich gehört dazu die unten im Kapitel 8 a noch zu behandelnde Pflicht mancher Zentralbanken zur Diskontierung gewisser Landwirtschaftsund Außenhandelswechsel, z. B. der Einfuhr- und Vorratsstellen244 • In der Bundesrepublik ist die Bundesbank nicht gesetzlich verpflichtet, den der Regierung im Gesetz eingeräumten Kreditplafond auszufüllen. Sie unterliegt überhaupt keinem Kontrahierungszwang; irgendwelche - auch Effekten betreffende - Deckungsbestimmungen sind nicht vorhanden. Alle diese Bestimmungen regeln "Geschäfte" und sind deshalb Kann-Bestimmungen. Kein uns bekanntes Zentralbankgesetz beschränkt die Fähigkeit von solchen Instituten, eine gezielte, selektive, diskriminierende Kreditpolitik zu treiben. Das erscheint uns bei einer mit "allgemeinen" Gewaltbefugnissen ausgestatteten Anstalt, die, wie in der Bundesrepublik, weisungsunabhängig ist, als eine massive Durchbrechung des Rechtsstaatsprinzips. Es zeigt sich besonders dann, wenn eine Zentralbank überdies zur Veröffentlichung gewisser Daten ihrer Maßnahmen nicht verpflichtet ist - was bei entsprechend gezielten Maßnahmen von Parlamenten allein schon durch das Mittel der Gesetzlichkeit erreicht wird. Bei der Festsetzung von Rediskontlinien kann z. B. eine einzelne Privatbank deshalb niemals feststellen, ob ,gegen sie diskriminiert wird oder nicht. Die Bindung einer modernen Kreditgeldsteuerungszentrale an eine konkrete, präzis zu definierende Sache und Aufgabe kann aus allen 242 Dazu Board of Governors of the Federal Reserve System: The Treasury-Central-Bank-Relation ship, Washington D. C. 1950; dass., Federal Reserve Policy, Wash. D. C. 1947; Rosa: Interest Rates and the Central Bank, in: Money, Trade, and Economic Growth, a.a.O. 243 Art.13 Ges. v. 24. 7. 1936, Jeanneney: Textes ... , 1936. 2 4.4 s. u. Anm. C 59.
6. "Bank der Banken" im übergangszustand
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diesen Gründen nicht aus einer Interpretation der Geschäftsbedingungen abgeleitet werden. Das liegt in der Natur des Kreditgeldes. Wir wiesen oben im 3. Kapital bereits darauf hin, daß ein Kreditgeld erst dann in streng systemlogischem Sinne in Rechtsstaat und Markt einzupassen wäre, wenn die Geschäftsbedingungen von Zentralbanken so präzis und dauerhaft zu fixieren wären, daß sie für jeden Beliebigen jederzeit gelten, also die Form eines allgemeinen Normengesetzes haben. Befehle könnten dann zwar immer noch möglich und nötig sein, sie bewegten sich aber, wie die Tätigkeit der klassischen Staatsverwaltung, in einem klar abgegrenzten Ermessensspielraum. Durch die Legalisierung der Geldschöpfungsbestimmungen in Form eines allgemeinen Normengesetzes hätte jedermann jederzeit einen klaren Rechtsanspruch auf Kreditmonetisierung, sobald er sich unter die fixierten Bedingungen subsumiert, so wie bei Metallwährung jedermann, der eine gewisse Menge Goldes brachte, den Anspruch auf "freie Prägung" einer Währungseinheit besaß. So hat denn auch bereits einmal vor dem ersten Weltkrieg der Geldtheoretiker und Bankier Bendixen ein "Recht auf Kredit" für die Privatwirtschaft und eine analoge "Geldschöpfungspfl.icht" für den Staat konstruieren wollen: "Was wir hier vor uns sehen, ist nicht weniger als ein Kreditrecht des Produzenten, das freilich noch keine Gesetzgebung anerkannt hat. Aber faktisch wird es geübt, in der Leitung der Reichsbank wird man mindestens die Überzeugung teilen, daß in kritischen Zeiten die Aufrechterhaltung der Wechseldiskontierungen wichtiger ist als die Einhaltung der Deck.ungsvorschriften245 ." Wären solche Rechte und Pflichten präzis faßbar - so präzis wie früher die Definition der Währungseinheit nach Feingehalt und Gewicht -, so wäre auch die Rechtssicherheit des Geldes, also auch der in ihm ausgedrückten Ersparnisse und Vermögen, garantiert durch die Tatsache, daß ausschließlich nur unter den so präzise formulierten Bedingungen GeLd geschaffen werden darf. Die Währungseinheit schließlich wäre als stets gleichbleibender Teil eines solchen ausschließlichen Rechtsanspruches auf Kreditmonetisierung definiert, also durch den quantifizierten Teil einer Einkommenserwartung. Helfferich hat sich gegen Bendixens Auffassung gewandt, aber mit gänzlich unzureichenden, noch kommerziellem Denken verhafteten Argumenten: "Das ,Recht auf Kredit' und die von jeder Rücksicht auf die metallische Notendeckung befreite ,Ge1dschöpfungspfl.icht' sind, konsequent durchgedacht, unvereinbar mit einer Handhabung der Diskontpolitik, die gegebenenfalls einschränkend auf den Geldbegehr einwirkt2Ml." 241> 246
Bendixen, a.a.O., S. 41. Hetfferich, a.a.O., S. 590.
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B. Kreditgeldsteuerung als Herrschaftsmittel
Die Schwierigkeit käme nicht daher, daß ein Recht auf Kredit unweigerlich zu uferloser Kreditgeldschöpfung führen müsse, sondern daher, daß die Bedingungen - ein quantifizierbarer Teil einer Einkonunenserwartung - nie so exakt zu definieren sind, daß Kreditverweigerungen wie die Rückweisung einer unzureichenden Goldquantität oder-qualitätbei der staatlichen Münze erfolgen könnten. Eine streng gültig bleibende Definition der Bedingungen der Kreditgeldschöpfung ist eine Utopie; sie setzt nämlich etwas als Erkenntnis voraus, das das Kreditgeld erst in actu leistet: die Quantifizierung, Integrierung und Honorierung der allerverschiedensten Einkommenserwartungen. Mit dieser Definition wäre ein Ausdruck für das Zentralbemühen einer ganzen Kultur gefunden, und zwar ein quantifizierter Ausdruck für das Streben aller in einer Kultur, die sich auf das Geld gestellt hat. Es käme also nichts anderes heraus als eine Duplizierung des Geldbegriffs. In dem Finden einer anderen, rational-ökonomischen Rechenbasis als der des Geldes, und zwar eines konkreten, in Aktion befindlichen Geldes, nicht nur einer bloßen Rechengröße, steckt daher das Hauptproblem einer "geldlosen" Wirtschaft. Das zeigt sich in der Wirtschaftsplanung der Sowjetsysteme, die ja zwar "Geld" noch als Verteilungsmarke kennen, die sich aber nicht durch Anpassung individueller Wirtschaftseinheiten an ein "autonomes" Geld steuern. Schon Max Weber bemerkte richtig, "daß die begriffliche Scheidung von ,Sozialismus' und ,Sozialreform', wenn irgendwo, dann gerade hier liegt"247; wir würden heute sagen: hier liegt die Scheidung zwischen Sowjetsystem und westlichem Sozialismus. Die Marktwirtschaft und die mit ihr untrennbar verbundene parlamentarische Demokratie sollten aber nicht mit allzu viel Stolz auf die Tatsache hinweisen, daß sie mit dem Gelde gegenüber dem Sowjetsystem über eine solche rationale, konkrete Rechen- und Verrechnungsbasis verfügen. Im Grunde steht der Westen nämlich innerhalb seines Systems vor genau den gleichen Schwierigkeiten, denen die Sowjets in ihrem Plansystem begegnen: auch Marktwirtschaft und Rechtsstaat können keine Antwort auf die Frage geben, nach welchen präzisen Maßstäben das Geld, mit Hilfe dessen sie sich steuern, konkret geschaffen werden soll. Ist die Sowjetwirtschaft ohne das Werkzeug eines Geldes verlegen um eine rationale Gestaltung des Wirtschaftsprozesses, so ist die Marktwirtschaft, die sich durch dieses Werkzeug steuern will, verlegen, wenn es darum geht, den rationalen Maßstab für dieses Werkzeug selbst zu finden. 247
Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, a.a.O., Bd. I, S. 56.
6. "Bank der Banken" im Übergangszustand
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Deshalb haben sich Rechtsstaat und Marktwirtschaft bisher ohne Erfolg bemüht, Sache, Aufgabe, Rolle und Stellung einer Zentralbank in ihrem System mit derselben Schärfe 2JU definieren und zu legalisieren, wie es zu Zeiten der Metallwährung der Fall war. Alte und neue Hoheitsrechte, also das klassische Öffentliche Recht, erwiesen sich als genau so unzureichend zur Legalisierung einer Kreditgeldsteuerungszentrale wie das Bürgerliche Recht. Selbst ein modernstes Zentralbankgesetz, wie das der Bundesrepublik, bleibt eine Iex imperfecta; für die Einhaltung der einzig vorgeschriebenen Verpflichtung, der nur unscharf definierten und definierbaren Generalklausel, welche die "Aufgabe" bestimmt, sind keine Sanktionen vorgesehen - und wir fügen hinzu: gegen Maßnahmen zur Wahrung der Aufgabe sind keine Rechtsmittel gegeben. "Ebenso ist nicht genau bestimmt, wer die genaue Abgrenzung über die ,Wahrung der Aufgabe' vorzunehmen hat 24 8", welche im Bundesbankgesetz Paragraph 12 den Vorrang vor der "UnterstütlJUng der allgemeinen Wirtschaftspolitik der Regierung" erhalten hat. Zentralbanken operieren als Steuerungszentralen eines "souveränen" KreditgeLdes in einem Raum, der deshalb weitgehend von strengen Rechten und Pflichten frei ist, weil ihre präzise Aufgabe, ihre Sache offen bleibt. "Im Umkreis der Geldwirtschaft bildet sich eine Zone des Sonderrechts, was rechtstheoretisch wenig ~u befriedigen vermag ... Das Problem ist theoretisch schwer zu fassen249."
248 249
v. SpindZer et al., a.a.O., S. 168. Veit: Grundriß . .. , a.a.O., S. 182. -
10 Arndt
Vgl. auch unten Anm. C 156.
C. Versachlichung der Geldpolitik als Voraussetzung der Zentralbankautonomie In den Gesetzen, die moderne Zentralbanken als Kreditgeldsteuererungszentralen konstituieren, ist von der "Sache", die sie betreiben sollen, nicht mehr präzis die Rede; diese Gesetze meinen, wenn sie das Geld oder die Währung erwähnen, immer nur den Namen, den man dieser Sache gegeben hat, der aber bei diesem "reinsten Werkzeug" nicht eindeutig beschreibt, um was es sich denn sachlich handelt. Beim GeLde kann man am allerwenigsten erwarten, daß jedermann schon wisse, was es ist und wie man sich seinem Mechanismus gegenüber sachgerecht verhält. Es genügt dann schon gar nicht, Gesetze zu erlassen, in denen man mehr durch Namensanrufung beschwört als sachlich verordnet und normiert. Wäre man sich über die Sache klar, so fiele es auch leichter, die Aufgabe einer Zentralbank zu bestimmen und die hoheitlichen Mittel, mit denen sie innerhalb eines so fixierten Sach-Ermessensraums funktionieren kann. Wegen der mangelnden Klärung von Sache und Aufgabe einer Zentralbank ist es auch bisher nicht möglich gewesen, klare Aussagen über Ort und Stellung einer solchen im oder gegenüber dem Staate zu machen: ob sie "abhängig" oder "unabhängig" sein soll und darf- d. h.: von Legislative und Exekutive-, und abhängig oder unabhängig bis zu welchem Grade, innerhalb welchen Ermessensspielraumes, welchen Sachgebiets1• Der Streit um die Stellung einer Zentralbank ist solange ein leerer, als unklar bleibt, und als nur unexakt, höchst dehnbar und voller Generalklauseln definierbar ist, was eine Zentralbank für Aufgaben zu lösen hat, um welche Sache es sich handelt. Stellung und Aufgabe einer Zentralbank sind nur zusammen zu legalisieren, und beide werden vom Sachgebiet bestimmt, nämlich vom Gelde und seiner Funk1 Zur Stellung der Notenbank vgl. neben den oben in Anm. B 138 genannten Schriften über die deutschen Verhältnisse auch Cauboue: Servitude ou Liberte, a.a.O.; Dierschke und Müller: Die Notenbanken der Welt, 2 Bde., Berlin 1926; Gozard: Les Avances de la Banque de France a l'Etat, Art. in: Revue Politique et Parlementaire, Oktober 1953; Starke: Die Stellung der Notenbank im Staatsgefüge unter Berücksichtigung des Bundesbankgesetzentwurfs, Art. in: Wertpapier-Mitteilungen, Nr. 3, 18.1.1957, S. 75; Kisch und Elkin: Central Banks, London 1928; Andreae: Geld und Geldschöpfung, Stuttgart/Wien 1953 (mit Anhang: Der Staat und die Notenbanken); D. H. Robertson: Money, London u. Cambridge 1948.
C. Versachlichung der Geldpolitiik
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tion. Wir behaupten, daß eine klare rechtliche Fixierung von Stellung und Aufgabe einer Zentralbank solange nicht möglich ist, als man nicht klar begriffen hat, was Geld ist und was es leisten soll, und als man sieh nicht darüber hat einigen können, wo seine Sachgrenzen liegen. Mit anderen Worten: vor der Legalisierung der Aufgabe und Stellung der Geldverwaltung steht die Definition des Geldes und seiner Aufgaben. Ein solches Herausstreichen von Definitionen ist nicht eine logische oder juridische Spielerei. Es dreht sich hier um nichts anderes als um das, was seit Jahrzehnten unter der Forderung nach "Versachlichung der Geldpolitik" in der politischen Debatte ist. Lediglich wird nicht klar gesehen, daß die Frage der Versachlichung eng verknüpft ist mit dem Problem der Autonomie der Zentralbank, ja daß eine Zentralbank erst dann und nur insoweit "autonom" gestellt werden kann, als sie rein sachliche Leistungen zu erbringen hat. Sachlichkeit setzt ein klar abgrenzbares Sachgebiet voraus, das heißt: ein aus anderen Bezügen klar herauszuhebendes, partielles Sach-Bezugssystem, durch das eben das besondere Gewaltverhältnis konstituiert würde, welches z. B. öffentlich-rechtliche Anstalten auszeichnet. Sache und Sachlichkeit, Versachlichung können offenbar bei soo.ialen Zusanunenhängen nur bedeuten: Bestimmte Formen menschlichen gemeinsamen Handeins oder Duldens werden als so adäquate, richtige Mittel zur Erreichung von klar und deutlich bestimmten, allgemein anerkannten Zielen und Zwecken angesehen, daß über diesen Bereich Streitigkeiten, Diskussionen lilld Konflikte unter vernünftigen Zeitgenossen unmöglich erscheinen. Nur auf der Grundlage eines solchen Consensus, der überhaupt erst "Sachlichkeit" abgrenzt, vermögen wir der seit Marx und Engels bis Freyer immer wieder aufgestellten Behauptung einen Sinn abzugewinnen, die Herrschaft von Personen werde durch die Verwaltung von Sachen abgelöst2 • So kommen z. B. die Autoren einer modernen Studie über "Technik und Industriearbeit" in ihrer Schlußfolgerung zu dem Ergebnis, daß in hochtechnisierten Betrieben die "Systematik der Arbeitsteilung, die Arbeitsorganisation und die jeweilige Abgrenz:ung der Arbeitsaufgabe, als Ratio der technischen Anla.g e und nicht mehr als Ratio irgendeines Vorgesetzten evident" wird3 • Es gilt nicht mehr 2 Dazu Freyer: Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Stuttgart 1955, S.100 ff.; Gehlen: Die Seele im technischen Zeitalter, Harnburg 1957. Bei Ardant: Technique de l'Etat, a.a.O., S. 120, die bezeichnende Auffassung, daß die Unprodaktivität von Befehlsorganisationen auf ihrer militärischen Erbschaft beruhe, die zum Widerspruch führe zwischen "les exigences du commandement et celles de l'efficacite, ou l'on prefere entre le gouvernement des personnes et l'administration des choses". 3 Popitz et al.: Technik und Industriearbeit, Tübingen 1957, S. 212.
10*
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C. Versachlichung der Geldpolitik
der Befehl einer Person, sondern der Zwang einer "Sache an sich" Und die Autoren zitieren an dersel~n Stelle Ferdinand Tönnies, um zu belegen, welche Bewußtseinsveränderung diese Verlagerung von Herrschaft über Personen zur Verwaltung von Sachen mit sich bringt: "Freiheit ist immer etwas Relatives . . . und die von Menschen ,gemeinte' Freiheit ist hauptsächlich Freiheit von der äußeren Nötigung durch andere Menschen, die ihrem Gefühl und Bewußtsein nach kein ,Recht', d. h. keinen von ihnen selbst beglaubigten Auftrag zu solcher Nötigung haben. Die Menschen werden um so freier sich vorkommen, je mehr sie einerseits nur den Sachen gehorchen ..., andererseits je mehr sie sich selbst beherrschen." Wir meinen, daß "Gehorsam gegenüber Sachen" keineswegs den Gehorsam einem menschlichen Befehl gegenüber ausschließt, sondern im Grunde meint: es wird solchen Befehlen gehorcht, welche "sachlich" als gerechtfertigt gelten. Und Rechtfertigung durch eine Sache vermögen wir wiederum nur zu begreifen als Rechtfertigung durch eine "gemeinsame Sache", also durch einen zugrundeliegenden Consensus, eine bestimmte Tätigkeit, einen ~stimmten Funktions- und Organisationszusammenhang betreffend. Die Herrschaftsorganisation eines Betriebes z. B. wird nur dann als "sachlich" empfunden, wenn das Dictum: Produktion im Betrieb soll sein, bejaht wurde. Eben aber weil weite Gebiete der sozialen Gesamtzusammenhänge durch widerstreitende Mächte, Interessen und Ideen aufgesplittert sind, sowohl was die anzuwenden Mittel als auch was die anzustrebenden Ziele betrifft, wird Sachlichkeit immer nur über Teilgebiete zu erreichen sein. Was Krankheit und was Gesundheit zum Beispiel sind, darüber besteht (noch?) weithin Einigkeit, und entsprechend auch über die Mittel, die zur Gesundheit führen - jedenfalls solange Respekt vor der "sachlichen" Könnerschaft der Medizin und der Ärzte vorhanden ist. Eben deshalb, so meinen wir, können Krankenanstalten weisungsunabhängig gestellt werden, soweit es den Prozeß der Heilung betrifft. Mit derselben Begründung können auch Forschung und Lehre "frei" gesetzt werden, nämlich solange ein die Gesamtheit verpflichtendes Wahrheitskriterium anerkannt wird und ~stimmte Methoden als verpflichtend gelten, die der Wahrheitstindung dienen. Entsprechend können und müssen Krankenanstalten und Körperschaften wie Universitäten innerhalb ihres Bereichs über ein "besonderes Gewaltverhältnis" verfügen: gegenüber jenen, die sich in diesen Bereich begeben: Patienten, Studenten. Es fragt sich jedoch, ob das allgemeine Gewaltverhältnis, welches aus den Steuerungsmaßnahmen einer Zentralbank abgeleitet werden muß, noch sachlich begründet werden kann, ob also für seine Legiti-
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mation eine klar definierbare, anerkannte, unstrittige Sache beigebracht werden kann mit einem Sachgebiet, das aus dem Raum des Kontroversen herausgehalten werden kann. In der Antwort darauf wird auch die Lösung des Problems der Stellung einer Zentralbank liegen, welche zur Kreditgeldsteuerungszentrale eines "souveränen" Währungsgebiets geworden ist. Wir beginnen allerdings aus methodischen Gründen unsere Suche nach der "Sachlichkeit im Geldwesen" mit einer Analyse des "Sachgebiets" solcher Zentralbanken, die noch unter einer voll geltenden Edelmetallwährung arbeiteten.
7. Stellung und Aufgabe von Zentralbanken und Sachlichkeit a) Die Sache der Zentralbanken im Goldwährungssystem Die Zentralbanken der Goldwährungszeit - auch die MonopolZentralhanken - waren entweder als Unternehmen organisiert, deren Kapital in Privathand lag, oder als Staatsunternehmen, die aber als solche "weisungsunabhängig" waren. Diese Weisungsunabhängigkeit galt de facto- wenn auch keinesfalls immer de jure -, solange auch Exekutive und Legislative als oberstes "Gesetz" einer Zentralbank das kommerzielle der Gewinnmaximierung am (Welt-)Markte gelten ließen. Erweitert man den Begriff einer öffentlich-rechtlichen Anstalt so, daß auch Unternehmen dazugehören, und verwendet man unsere Hypothese, daß eine Anstalt nur in einem konkreten Sachgebiet weisungsunabhängig gestellt werden kann, so bedeutet das für die Zentralhanken der Goldwährungszeit: Ursprünglich lag eben ihr "Sachgebiet" so sehr auf der Hand, daß nur selten danach gefragt wurde, und daß selbst eine etwaige juristische Weisungsabhängigkeit von der Exekutive im Grunde die gebotene "Sachlichkeit" nicht verletzte: Sache der Zentralbanken als "Banken" war eben "das Kommerzielle", oder konkreter: der Welthandel. Und zwar ein Welthandel, gesteuert und getätigt durch ein eindeutig als "sachlich" von den Staaten und den Zentralbanken anerkanntes, durch die Währungshoheit jeweils definiertes und fixiertes Weltge1d: eine Währungseinheit, bestimmt durch Metallgerwicht und Feingehalt. Das "allgemeine Gewaltverhältnis", welches, wie wir sahen, aus der "Sache" einer modernen Zentralbank bei reiner Kreditwährung hervorgeht, wurde zu Metallwährungszeiten durch die Unterordnung aller an der Welt-Geld-Wirtschaft beteiligten und von ihr beeinflußten Menschen unter das Weltgeld, etwa die Goldwährung, begründet und dargestellt. Dieses Gewaltverhältnis konnte damals tatsächlich als ein
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C. Versachlichung der Geldpolitik
"allgemeines" begriffen werden, solange der "freie Welthandel" von allen bejaht wurde und sein Geld - das Gold - allgemein als "das Geld" galt. Das Gewaltverhältnis war so allgemein, daß es als solches den einzelnen Menschen gar nicht ins Bewußtsein trat. Unter dieses allgemeine Gewaltverhältnis beugten sich auch die Einzelstaaten, wenn und soweit sie die Welt-Goldwährung durch einen nominalistischen Akt ihrer Währungshoheit akzeptierten; allerdings trat hier die Tatsache, daß es sich um die Unterordnung unter eine Gewalt handelte, gewöhnlich stärker in Erscheinung. Wir werden hierauf gleich eingehen. Jedenfalls mußte sich eine Zentralbank unter der Goldwährung "weltmarktkon:form" verhalten und wurde, solange sie dies tat, als legitim angesehen: sie war insoweit nur kommerzieller Exekutor eines ihr vorgesetzten - und zwar nicht vom Einzelstaat, sondern von der vor-, ja überstaatlichen Welt-Markt-Ordnung vorgesetzten - "Normalzustands". Es mag unüblich klingen, wenn wir Welt-Geld und Welt-Markt als eine die "Autonomie" (damals: Geschäftsunabhängigkeit) einer Zen-' tralhank rechtfertigende und erfordernde "Sache" bezeichnen, nachdem wir oben als "Sache" und "sachlich" im Bereich des menschlichen Zusammenlebens solche Bereiche bezeichnet haben, in denen keine Streitigkeiten, Diskussionen und Konflikte über die klare, distinkte und zweckmäßige Organisationsform zum Erreichen einmütig anerkannter Zwecke bestehen und möglich sind, und nachdem wir oben gerade bezweifelt hatten, ob es eine "allgemeine Sache" überhaupt geben könne, sondern nicht vielmehr nur partielle Sachgebiete. Immerhin müßten wir nach dem nunmehr Gesagten den gesamten Weltmarkt als eine öffentliche, von Einzelstaaten "weisungsunabhängige Anstalt" begreifen, gegen die aus dem Raum rechtsstaatlicher Normen heraus kein Eingriff möglich sein dürfte. Bisher galt gerade umgekehrt der nunmehr aus dem Markt ausgeklammerte Staat als eine "Anstalt", welche sich aus einer schlechthin "gemeinsamen Sache" legitimierte, nämlich aus der "res publica". Stellen wir die Frage der Nebenordnung von Staat und Markt als innenpolitisches Problem einstweilen bis zum Kapitel 9 zurück, so bleibt für die außenpolitischen, überstaatlichen Beziehungen von Einzelstaat und Weltmarkt folgendes festzustellen: Im Gefüge einer Rechtslehre, die aus dem Rechtsstaat erwächst, stellt sich der Weltmarkt wie eine Anstalt dar, sobald Rechtsnormen ihn so z.u erfassen versuchen, daß nicht nur die einzelnen getätigten Geschäfte erscheinen (wie unter dem Blickpunkt des Bürgerlichen Rechts), und auch nicht die Markt-"Rahmen"-Ordnung durch Gesetze (wie unter dem Blick-
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punkt des klassischen Öffentlichen Rechts), sondern so, daß der Weltmarkt als eine konkrete Organisation mit Herrschaftscharakter erscheint. Die von uns als vorstaatlich gegeben, als normal bezeichnete Ordnung des Weltmarkts stellt sich in der funktionellen Gesamtheit ihrer Bezüge dem Rechtsstaat gegenüber "wie" eine Anstalt dar, welche, anderen weisungsunabhängigen Anstalten gleich, eine "Insel" von "sich selbst regelnden Sachbezügen" innerhalb des Staatlichen bildet. Ein Weltmarkt, und damit ein durch den Außenhandel gesteuertes Geld, existiert als Normalm.lstand, sobald und solange der Satz: Wirtschaft soll in der ganzen Welt durch ein Geld gesteuert werden, allgemein und unstrittig anerkannt wird, solange er als rein sachlich gilt. Jedoch war die Entscheidung darüber, welches konkrete Geld den Markt steuern sollte, nicht rein sachlich zu fällen. Schon bei der Konstituierung eines konkreten Weltgeldes spielten "politische" Entscheidungen eine Rolle; mit der Entscheidung zu einem bestimmten Metall z. B. fiel gleichzeitig die Option für eine bestimmte Art der Geldsteuerung, vorausgesetzt, daß die Metallwährung "rein" eingehalten wurde. Funktionell gesehen handelte es sich damals um denselben Akt, welcher später dann bei reinem Kreditgeld sich in Form der Festlegung der Währungsparität und der Zentralbankstatuten darstellte. Die "politische" Entscheidung über die Währung brachte auch bei Weltgeld die Einzelstaaten ins Spiel. Formell behalten und behielten diese immer das Hoheitsrecht, durch einen "dezisionistischen" Akt den Münzfuß oder das gesamte Währungssystem zu ändern. Damit würden sie die "nominalistische" Anpassung an Weltmarkt und Weltgeld durchbrechen. Sie stellen hierbei - da sie gewöhnlich ein solches Handeln nicht als pure Willkür angeprangert sehen wollen, sondern es zu legitimieren, d. h. zu begründen suchen- eine höhere Notwendigkeit, juristisch gesprochen: ein höheres Recht, gegen die Sachlichkeit eines Weltmarkts. Wir wollen dieses "Recht", mit dem Staaten ihre dezisionistischen Handlungen zu begründen versuchen, mit dem alten Namen der "Raison d'Etat" bezeichnen. Das Legitimationsprinzip der vorstaatlichen Ordnung, gegen welche eine Staatsraison dann sich richten würde, haben wir oben schon als das "allgemeine kommerzielle Interesse" bezeichnet. Eine der Grenzen der Sachlichkeit in der Geldpolitik läge also in der Staatsraison. Der Staatsraison als begründender "Instanz" entspricht als klassisches Recht das der Währungshoheit. Umgekehrt: immer dann, wenn die Währungshoheit ins Spiel kommt, liegen Erwägungen der Staatsraison zugrunde. Diese Überlegungen können nun einmal zu der
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C. Versachlichung der Geldpolitik
Elmpfehlung führen, sich dem Weltmarkt anzupassen; - dann folgt ein nominalistischer Akt der Währungshoheit. Ein dezisionistischer Akt ist die Folge der Überleg;ungen, die damit enden, Staatsraison über Weltmarktinteresse zu stellen. Akte der Staatsraison, der Währungshoheit, sind deshalb bei Metallwährung die nominalistische oder dezisionistische Bestimmung der Währungseinheit, gegenüber der Geldproduktion, die der privaten Wirtschaftsbetätigung überlassen bleibt; bei Kreditwährung sind es die Verleihung des Charakters als gesetzliches Zahlmittel an bestimmte Noten, deren Paritätsbestimmung, Auf- und Abwertungen. Knapps "exodromische Verwaltung" ist eindeutig ein Ausfluß der Staatsraison, erfolge sie nun lediglich in einmaligen Akten der Auf- oder Abwertung mit der Absicht, die neugeschaffene Währungsparität relativ dauerhaft zu erhalten, oder erfolge sie als endgültiger Bruch mit Weltmarktbeziehungen dadurch, daß "physical controls", etwa kontinuierliche Devisenbewirtschaftung, eingeführt und aufrechterhalten werden4 • Jedoch können sich selbst solche dezisionistischen Akte der Währungshoheit, die den Weltmarkt stören, aus dem Gefüge dieses Weltmarkts heraus, also vom "allgemeinen kommerziellen Interesse" her gesehen, wiederum als partielle Interessentenhandlungen darstellen. Die Interessen des Weltmarkts sehen dann Auf- oder Abwertungen wie Preisfixierungen durch einen Staat an: ein Produzent - hier: der der Ware Geld - bestimmt monopolistisch die Austauschrelation seiner Ware zu anderen Gütern. Der Einzelstaat wird in diesem Falle wie ein Interessent angesehen, dessen Handlungen sich eigentlich nicht auf eine Staatsraison, sondern auch a,u f ein Wirtschaftsinteresse berufen müßten. Beim Fall eines Abwertungsdumping scheint dies z. B. die richtigere Erklärung zu sein. Mögen Akte der Währungshoheit von anderen Staaten - also von gleichgeordneten politisch-juristischen Gebilden- auch als nicht mehr weiter ableitbare Ergebnisse der Staatsraison hingenommen werden; für das allgemeine kommerzielle Interesse sind Eingriffe partieller Staaten in die Sache des Weltmarkts auch in Form von InteressentenHandlungen erklärbar. Entweder so, daß die gesamte einzelstaatliche Wirtschaftsgemeinschaft als eine Interessengruppe auftritt, oder aber - worüber im zehnten Kapitel noch zu sprechen sein wird -, daß partielle Interessenten innerhalb der Wirtschaftsgemeinschaft, etwa Importeure oder Exporteure, durch die Staatsmaschinerie hindurch handeln. Denn "Interesse" kann, nach unserer oben eingeführten Terminologies, nur eine Absicht heißen, welche sich im Spiel des Geldes und des Marktes zur Geltung bringt. 4 6
s. dazu oben Kap. 1 und 2', und unten Teil D. s. oben Kap. 4, besonders Anm. B 2.
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Man könnte geradezu die Währungshoheit als ein Interesse bezeichnen, welches sich mit der Staatsraison drapiert, wenn nicht noch immer - und wieder - das Prinzip der Staatlich.keit sich als ein eigenständiges, und zwar als ein solches bemerkbar machte und behauptete, das vom Bereich des Kommerziellen her nicht ganz zu begreifen ist. Nach wie vor müssen wir deshalb die einzelstaatliche Währungshoheit als eine Grenze der (kommerziellen) Sachlichkeit in der Geldpolitik begreifen, ohne ihre Unsachlichkeit anders begründen z:u können als unter Hinweis auf eine Staatsraison. Denn wären Völker und ihre Staaten nichts anderes als Interessentengruppen, so bliebe unerfindlich, mit welcher Legitimation und vor allem: mit welcher Institution sie sich denn unterfangen können, Akte zu begehen, die eindeutig nicht in ihrem eigenen kommerziellen Interesse liegen, oder die das allgemeine Interesse des Weltmarkts insgesamt ignorieren oder gar vernichten. Was besonders bei Währungsentscheidungen unter dem Deckmantel der Staatsraison mit einem allgemeinen oder partiellen konunerziellen Interesse unversöhnbar kollidiert, sind gewöhnlich Nationalismen. So vertrat z. B. der französische Ministerpräsident bei den Debatten um die Franc-Abwertung 1928 nach den Berichten des Notenbankgouverneurs Moreau "le sentiment de ce qu'il y avait de plus noble dans le pays", "le souci de l'interet public et de la gloire de la France" höchst abstrakte Größen, die trotz des gewählten Namens mit "Interesse" gar nichts mehr zu tun hatten, während Moreau selbst "le röle ingrat de representer les techniciens" hatte - nämlich die Rolle der "Techniker des Koounerziellen" 6 • Oft ist es mehr das nationale Selbstbewußtsein von Völkern und ihren Repräsentanten, und weniger der kommerzielle Wunsch nach Aufrechterhaltung der internationalen Kreditfähigkeit, wenn die Währung nach außen ein "make-up" erfährt, z. B. durch Sonderregelungen für ausländische Gläubiger bei Abwertungen. Der Art. 2 des "Loi Monetaire" vom 25. Juni 1928, das den Franc auf ein Fünftel abwertete, wollte für Auslandsschulden von vor der Abwertung sogar die neue Franc-Definition nicht gelten lassen. Der alte "Franc Germinal" von 1803 war eben fast heilig7. Zwei gegensätzlich.e Haltungen von Währungsprestige seien hier erwähnt: Bei den Pariser Vorort-Verträgen, die den Ersten Weltkrieg beendeten, war Großbritannien der einzige Siegerstaat, der auf Zahlung der Reparationen in Sterling-Einheiten ohne Goldklausel bestand8; allerdings hatte dieses nationale Selbstbewußtsein auch seine Moreau: Souvenirs ... , a.a.O., S. 572/73. Ebenda, S. 144, u. Art. 2 des "Loi Monetaire" v. 25. 6. 1928, ebenda S. 5·93. 8 Nussbaum, a.a.O., S. 228. 6
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Vorteile, die sich später, bei der Pfundabwertung 1931, für die englischen Schulden bemerkbar machten: "Da die englischen Forderungen und Verpflichtungen gegenüber dem Ausland durchgängig auf englische Pfunde lauteten, merkten die englischen Gläubiger und Schuldner nicht viel von der Abwertung" 9 • - Weitgehend aus Gründen des Währungsprestiges - auch gegenüber dem Inland, das durch die Inflation 1914 bis 1923 empfindlich geworden war- wertete die deutsche Reichsregierung 1931 die Reichsmark nicht mit ab, sondern führte Devisenbewirtschaft ung ein10• Als zweites, gegensätzliches Beispiel: Das Geschäft über den Verkauf der ostchinesischen Eisenbahn zwischen der UdSSR und Japan am 3. März 1935 wurde auf Schweizer Goldfranken-Basis abgeschlossen11. - Auch der Artikel 11 des Abkommens der Deutschen Bundesrepublik mit dem Staate Israel sieht eine Art Währungssicherungs klausel vor12• Bei dem dezisionistischen Einfluß der Staatsraison auf die Geldmechanik eines Weltgeldes gilt es allerdings eines zu beachten: Selbst ein formal "souveräner" Staat ist nicht ganz frei in der Wahl und Veränderung seiner Währung. Das idealtypische Modell von Welthandel und Weltmarkt kennt in seiner reinsten Form den Begriff partieller souveräner Staaten überhaupt nicht, sondern nur den eines Weltgeldes und eventuell den eines internationalen Privatrechts. Die Währungshoheit bedeutete deshalb im 19. Jahrhundert für viele Staaten nur ein potentielles Recht und ist bis heute für viele nur ein fiktives geblieben. Als "Weltgeld" - in nationalökonomische n Modelltheoremen dasjenige Zahlmittel, das über staatliche Grenzen hinweg Geltung besaß, das bei Zahlungsbilanzdefizi ten als letzter, vornehmster Ausgleich verwandt wurde - entwickelte sich im 19. Jahrhundert das Gold. Historisch-konkret war das Goldgeld das Zahlmittel des potentesten Währungsraums und seiner staatlichen Ordnung, das heißt, das Geld Großbritanniens. Alle anderen Staaten hängten sich mehr oder weniger an diese "Leitwährung" - wie die moderne Terminologie lautet an. Die formelle Währungshoheit anderer Staaten bestand im Grunde darin, von ihren nationalen Währungen im Laufe des 19. Jahrhunderts zur Goldwährung hinzufinden - de jure oder de facto. Ein Abgehen von der Goldwährung bedeutete schwerwiegende Störungen des Außenhandels solcher Staaten, womöglich kam die Integration eines solchen Staates in die Weltwirtschaft (d. h. die Wirtschaftsverpflich tungen zwiDtsch. Geld- und Kred. Pol., a.a.O., S. 89. Ebenda, S. 90. Mann, a.a.O., S. 458 ff. Ebenda, S. 453.
9 Stucken: 10 11
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sehen den sich entwickelnden industriellen Großstaaten und ihren abhängigen Gebieten) zum Erliegen. Die Anpassung der Staaten an die Leitwährung, das englische Goldpfund, vollzog sich keinesfalls ohne schwere politische Kontroversen13 • Zwar ließ sich im 19. Jahrhundert gegen die Geldwirtschaft in abstracto nur "unsachlich" polemisieren; der Satz: "Wirtschaft soll durch Geld gesteuert werden" wurde nur von Kommunisten und Sozialisten aller Schattierungen in Zweifel gezogen - damals Minoritäten. Häufiger schon tauchten Streitigkeiten darüber auf, ob das konkrete Geld, durch das Wirtschaften gesteuert werden sollte, überhaupt ein Metall sein sollte oder nicht vielmehr reines Papiergeld. Der "Bullion-Kontroverse" liegt diese Alternative zu Grunde; und nach dem Bürgerkrieg der Sechziger Jahre zogen amerikanische Gewerkschaften unter der Devise "Our God, our Country, our fiat money" in den Wahlkampf14 • Aber auch das konnte man - vor allem nach den Erfahrungen mit John Law, den Assignaten und den amerikanischen Greenbacks- als "unsachlich" abtun. Rein als "politisch" anerkannt waren jedoch die Kämpfe um das Währungsmetall; es sei nur an den Streit um die Silberwährungen erinnert - Frankreich hielt bis 1928 formaljuristisch an einer Silber-Franc-Definition fest - und an die Kontroverse um den Bimetallismus15• Der Streit um die Währungsmetalle endete, spätestens 1900 bei der Deklaration des Golddollars, mit dem Sieg des englischen Goldes; das Silber war eben "nur noch für Nationen zweiten Ranges gut genug" 16 • - Zum selben Zeitpunkt aber waren bereits die Zentralbanken der meisten großen Industrieländer monopolisiert und privile.giert, irgendwie dem Staate verbunden - und wenn durch das Emissionsprivileg und die Erklärung ihrer Noten zum gesetzlichen Zahlmittel -, und der Kreditgeldumlauf hatte eine gewisse Bedeutung im Funktionssystem der Märkte gewonnen. Staatsraison und Währungshoheit hatten aber innerhalb der Bankenorganisation, auch der Zentralbank, in Normalzeiten nichts zu suchen; mit ihnen war die Währung zu erklären, aber nicht die Geldproduktion, schon gar nicht die des Kreditgeldes. Eine Zentralbank hatte der Befehlsorganisation des klassischen Staates gerade fernzubleiben, wenn sie ihren Bankcharakter bewahren wollte. Jedoch steht eine Zentralbank mit Währungshoheit und Staatsraison in einer bestimmten Beziehung, welche nicht die einzelnen Akte ihrer 13
Daru vgl. Mertens: La Naissance et le Developpement de l'Etalon-Or
15
s. daru Encyclopedia of the Social Sciences, Art. "Monetary Unions",
16
s. o. Anm. A 75.
(1696-1922), Paris 1944. - Vgl. auch die o. a. Stelle bei Knapp (Anm. A 74). 14 v. Mises, a.a.O., S. 272. 1933.
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C. Versachlichung der Geldpolitik
Geldsteuerungstätigkeit, sondern die Art ihrer Existenz betrifft. Es könnte zwar so scheinen, als ob ein Staat - genauer: die Majorität seines Parlaments -bei Erlaß eines Zentralbankgesetzes in der Wahl der Form, in welcher er seine Zentralbank in seine Ordnung einfügt, ja schon bei der Grundfrage, ob sie als Bank oder als Kreditsteuerungszentrale zu betrachten ist, "frei" oder "beliebig" verfahren könne. Dieser Eindruck wird verstärkt durch die Tatsache, daß Diskussionen um Ort und Stellung einer Zentralbank vornehmlich im Hinblick auf ein wünschbares Sollen geführt werden, so etwa, als sei die Autonomie einer Zentralbank mehr oder weniger Sache eines guten Willens oder doch, im Gefüge der Interessentenpolitik, der Menschen guten Willens. Wir sind hingegen der Ansicht, daß die für die Einordnung einer Zentralbank essentiellen Fragen: ob sie mehr als Bank oder als Kreditgeldsteuerungszentrale zu betrachten ist, ob sie Änderung von Währungsparitäten (Wechselkursen) erwarten, hinnehmen, zulassen darf oder nicht, ob sie andere Zielsetzungen der Geldpolitik beachten oder hinnehmen muß als die ihrer eigenen Überlegung und ihrem Gesetz entspringenden, - kurz: daß die Frage "autonome Zentralbank oder nicht?" keineswegs aus einer Idee oder Vorstellung vom Wünschbaren her zu beantworten sind, die man haben oder nicht haben kann, sondern daß sich diese Fragen stellen und beantworten lassen in höchst konkreter Art nach der jeweiligen konkreten Situation, in der sich ein Staat befindet. Diese Situation bestimmt sich aus seiner Stellung im Geflecht der internationalen Politik, insbesondere der Weltwirtschaft und des Welthandels. Eine gute oder gar eine "richtige" Gesetzgebung in puncto Zentralbankstellung ist also zumindest innerhalb eines bestimmten Rahmens möglich, aber nicht nach Meinung oder Theorie, sondern nach faktischen Situationen. Der Grad der Abhängigkeit von Wirtschaftskörpern vom Welthandel und Weltgeld bestimmt nicht nur das Ausmaß an Währungshoheit, über das de facto der entsprechende Staat verfügen kann - oder das er mit "politischen Mitteln" aufbringen muß, um vom Welthandel unabhängig zu werden - , er bestimmt auch das Ausmaß an Autonomie, das ein Staat seiner Zentralbank gewähren kann und müßte. Die Unterordnung der Staaten unter das Gold Großbritanniens mußte, sollte sie konform zum Weltmarktprinzip sein, eine dauerhafte sein; und mit wenigen Ausnahmen ist sie dies auch bis zum Ersten Weltkrieg geblieben. Unterordnung unter das Edelmetall als Geldsteuerungsprinzip bedeutete aber: Setzung - einmalige und dauerhafte Setzung - eines Münzfußes, damit einer stabilen Währungsparität zum Goldpfand, und damit eines bestimmten Geldsteuerungskriteriu.ms. Es war diese einmalige und dauerhafte Setzung eines Me-
7. Stellung und Aufgabe von Zentralbanken und Sachlichkeit
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tall-Kurant-Geldes, die es den Emissionsbanken aller Länder - ganz gleich, wie sie rechtlich konstruiert waren - erlaubte, ihre Kreditpolitik in einer Form und mit Zielsetzungen zu betreiben, die äußerst ähnlich dem Geschäftsgebaren privater Unternehmen waren. Die Zentralbanken des 19. Jahrhunderts konnten sich deshalb weitgehend als "B!inken" begreifen, vielleicht mit Ausnahme der Bank of England selbst. Wir sind zwar der Meinung, daß strenge, nicht variable Deckungsbestimmungen einem Bankinstitut noch nicht notwendig den Charakter eines kommerziellen Unternehmens rauben, - sonst müßten, wie erwähnt, auch die privaten Giralbanken, die sogar unter variablen Mindestreservebestimmungen stehen, keine Unternehmen mehr sein können. Trotzdem stellt eine Reserve-Bestimmung - betreffe sie Gold oder Zentralbanknoten - eine politische Rahmen-Dezision dar, auch wenn sie die kommerzielle Form beibehält. Politisch daran ist nicht, daß "irgendeine" Deckung verordnet wird; das Politikum besteht darin, daß Deckung in einem konkreten Wirtschaftsmittel befohlen wird. So war an der Peel-Akte politisch, daß sie von der Bank of England eine Golddeckung verlangte. Allerdings sagt Müller-Armack richtig dazu: "Es kam freilich der Zeit kaum zum Bewußtsein, in welchem Umfang hier die marktwirtschaftliche Ordnung ein Steuerungsprinzip sich eingliederte. Die Durchführung der geforderten Kredit und Geld verknappenden Maßnahmen wurde in der Goldwährung gleichsam automatisiert. Nach der Zeit der grundsätzlichen Annahme der Goldwährung kam diese wirtschaftspolitische Steuerung als solche nicht mehr zum Bewußtsein. Alles erschien im wesentlichen als Funktion sachlicher Notwendigkeiten der Währungsapparatur17." Die Entscheidung zum Gold war jedoch nicht nur eine formal-wirtschaftspolitische Rahmendaten-Setzung, sondern vor allem eine außenpolitische Entscheidung von Weltmarktteilnehmern, und es ist diese Entscheidung, die aus der Bank of England bei Aufrechterhaltung ihrer kommerziellen Aufgabe gleichzeitig ein politisches Instrument macht. Dieser Status wurde noch unterstrichen dadurch, daß die Noten der englischen Zentralbank bereits 1833 - für lange Zeit als einzige Monopolbank-Kreditzahlmittel europäischer Großstaaten - den Charakter des "legal tender" erhalten hatten, bezeichnenderweise für die Dauer der Aufrechterhaltung der Goldeinlösungspflicht, also wiederum eng an das politische Gold Englands gebunden wurden. 17 Müller-Armack: Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft, a.a.O., S. 134. - Die Peelsche Bankakte von 1844 war auf der Annahme konstruiert, daß ein Minimum - ein "Bodensatz" - des GeLdumlaufs durch Staatspapiere gedeckt sein könne und solle (dazu Lutz: Das Grundproblem der Geldverfassung, a.a.O., S. 17). Darüber hinaus war Golddeckung vol'geschrieben.
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C. Versachlichung der Geldpolitik
Es bleibt hierbei unerheblich, ob man als den die Goldwährung konstituierenden politischen Akt die Dezision des englischen Staates, also das Münzgesetz von 1823 - das nicht ganz unbestritten aus metallistischer Atmosphäre heraus erfolgte18 - und die Peelsche Akte mit ihren Deckungsbestimmungen nimmt, oder die politische Dezision des englischen Marktes, also der Interessenten. Die dargelegte Verbindung zwischen dem Golde und der englischen Macht bedeutet nicht ein Bekenntnis zu einer Staatlichen Geldtheorie. Ob die Goldwährung im 19. Jahrhundert das Erzeugnis der englischen Welthandels-Interessen war oder ihres Staates, bleibt unter diesem Gesichtspunkt unerheblich. Auch ob Napoleon III. bei seinem Versuch, den Silberfranc durch Stärkung mittels einer Lateinischen Münzunion zu einem wirksamen Konkurrenzinstrument gegen das englische Goldpfund auszugestalten, aus Überlegungen einer "reinen" politischen Staatsraison handelte oder direkt ein kommerzielles Partial-Interesse im Blick hatte - die Banque de France, deren Kasse starke, unproduktive Silberhorte aufwies, unterstützte ihn -, bleibt hier unerheblich, denn zumindest war zu der Zeit - um 1865 - eine politische Absicht Napoleons mit gewissen kommerziellen Interessen und Interessenten identisch19• Auf jeden Fall war es die strenge, normengesetzlich sanktionierte Bindung der Währungen an das Gold-Kurant-Geld, welche die politische Entscheidung über den Inhalt der Geldpolitik scharf von der kommerziellen Form, in der sie betrieben wurde, zu trennen gestattete durch die Trennung zwischen währungshoheitlicher Definition der Währungseinheit und privatwirtschaftlicher Metallproduktion samt kommerzieller Notenbankgeldproduktion. Insofern erforderte die Anerkennung der englischen Goldwährung, d. h. der "Geldpolitik" Englands, gleichzeitig die Setzung der Zentralbanken als kommerzielle, und d. h. im Rahmen des staatlichen Entscheidungsapparats: als autonome, weisungsunabhängige Institute unter einem klaren Sachzwang.
b) Die Sache von Zentralbanken unter dem Gold-Devisen-Standard Auch bei einer reinen Kreditwährung wäre eine ebensolche Steuerung der binnenwirtschaftlichen Geldpolitik durch Weltmarkteinwirkungen noch zu erzielen, nämlich wenn die Aufrechterhaltung einer festen Parität gegenüber einer Leitwährung oberstes geldpolitisches Ziel wäre, also die Geldpolitik mit Hinsicht auf "stabile Wechselkurse" und Ausgleich der Zahlungsbilanz nach dem Gesichtspunkt der Deckung 18 s. dazu oben Anm. A 99. Es muß in diesem Zusammenhang daran erinnert werden, daß England die Trennung in Öffentliches und PrivatRecht nicht kennt. Eine Entscheidung von Parlament und Regierung behält dort immer auch etwas von einer "Entscheidung der Gesellschaft". 19 s. Art. "Monetary Unions", a.a.O.; Mertens, a.a.O.; Ramon, a.a.O., s. 285 ff.
7. Stellung und Aufgabe von Zentralbanken und Sachlichkeit
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des umlaufenden Binnengeldes durch Devisen betrieben Wiiirde. Auch dann wäre selbst bei reiner Kreditwährung die Einordnung der Zentralbank in das Staatsgefüge ohne sonderliche Schwierigkeiten, nämlich analog zur Goldwährung, zu vollziehen: die Zentralbank wäre primär Bankinstitut und müßte auf ihre Liquidität (die "internationale Liquidität") achten ähnlich einem Privatbank-Unternehmen. Deshalb kann Veit sagen: "In gewissem Sinne ist daher das Prinzip der Außenwertstabilität einer rein bankmäßig verfahrenden Währungspolitik zuzuordnen20." Allerdings würde in diesem Falle die binnenländische (Kredit-)Geldpolitik von der Gestaltung der (Kredit-)Geldpolitik des Leitwährungslandes abhängig; in allgemeinerer Form meint dasselbe Schmölders, wenn er sagt: "Was ist Konvertierbarkeit der Währungen anderes als eine Wiederherstellung des Glaubens und des Gedankens einer internationalen Konjunktur statt der nationalen Konjunktur?" 21. Für die Einordnung der Zentralbanken in die Teilnehmerstaaten eines überregionalen Kreditwährungssystems - mit Ausnahme, meinen wir, der Zentralbank der Leitwirtschaft selbst - bedeutete dies mit Meimbergs Worten: "Nur dann könnte eine Internationalisierung der Notenbankpolitik von einer unterschiedlichen zu einer gleichartigen Entwicklung des Geldwertes führen, wenn die Entscheidung über dessen Schicksal letztens allein bei den Notenbanken läge oder doch liegen könnte22." Es ist selbstverständlich, daß hier unter "gleichartiger Entwicklung des Geldwertes" keinesfalls notwendig die Stabilhaltung nach Maßgabe irgendeines Index verstanden zu werden braucht, sondern nur die Gleichartigkeit der Geldwertbewegung. Die abhängigen Währungen sind unter einem solchen System gezwungen, die Geldpolitik des Leitwährungslandes nachzuvollziehen, so wie bei Goldwährung die Weltpreise von der Goldproduktion abhängig waren oder von jenem Teil, den ihre politischen Manipulationen in den Umlauf brachten. Eine solche Welt-Geld-Politik, fundiert durch einen Gold-DevisenStandard, hat sich von 1924 bis 1931 sukzessive entwickelt, mit entsprechend analoger Entwicklung der Stellung der Zentralbanken und ihrer Handlungsmaximen. Mit Hinblick auf ein Weltgeld, also auch eine Welt-Konjunktur, lehnten sowohl Schacht als auch die Leiter des deutschen Privatbankwesens und der deutschen - stark am Außenhandel interessierten - Industrie reine Binnenwährungen ab. Gegen 20 Veit: Grundriß ... , a.a.O., S. 33. 21 Schmölders: Die Internationalisierung der Geld- und Finanzpolitik, Vortrag, 16. 6. 1954, o. 0., S. 13. 22 Meimberg: Probleme der Angleichung der Notenbankpolitik bei Bildung eines gemeinsamen Marktes, Z. f. d. ges. Staatswiss., Bd. 113, 1957, 8.459. - Vgl. auch oben Anm. A 146.
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C. Versachlichung der Geldpolitik
eine Roggen- oder sonstige Sachwertmark argumentierte der Bankier Max Warburg: "Die Hypothek entspricht nicht dem Haupterfordernis der Währungsreserve, das heißt, die sogenannte Deckung der Noten muß sich als internationales Ausgleichsobjekt, als Valutaregulator eignen. Hierauf beruht die Bedeutung des Goldes als Notendeckung, solange das Ausland jederzeit bereit ist, Gold in Zahlung zu nehmen23." Die funktionellen Folgen eines solchen Geldsystems mußten denen, die es vorschlugen und exekutierten, klar sein. Wenn Schacht die "durchgreifende Maßnahme" der Kreditrestriktion durch die Reichsbank nach dem 5. April 1924 als eine solche erklärt, "die das Primat der Währung vor allen anderen wirtschaftspolitischen Forderungen etablierte" 2 \ so meinte er damit, wie von ihm auch an anderer Stelle ausdrücklich bestätigt25, den Vorrang eines stabilen Außenkurses. Auch über die politische Bedeutung der Etablierung eines GoldDevisenstandards war man sich zu jener Zeit durchaus klar, d. h. über die Frage, von wem die Weltwährung in diesem Falle abhängig war. Zwar wurde zuweilen eine angeblich selbständige, unpolitische, rein sachliche Rolle des Goldes hervorgehoben; so konstatierte Schacht, "daß die metallistische Währungstheorie in der Welt nicht schwächer, sondern stärker als je zuvor" sei26 , und meinte noch 1927: "Daß wir überhaupt auf Gold an Stelle von Devisen Wert legen, und daß wir über das gesetzliche Minimum hinaus Gold ankaufen, das beruht schließlich auch auf der Überzeugung, daß Gold im Keller der Reichsbank immer noch etwas besser ist als ein Dollar-Guthaben bei einer amerikanischen Bank27." Doch erkannte Schacht andererseits ganz klar einmal den formalen politischen Charakter der Zentralbanken in diesem Währungssystem: "Demnach ist die freie Dollar-Notiz keine manipulierte Dollar-Notiz. Sie ist nur dem Einfluß des größten Devisenhändlers (i. e. der Reichsbank, d. Verf.) genau so unterworfen wie beispielsweise der Einfluß auf die Ölpreise in der Hauptsache bei der Standard Oil liegt28." Zum anderen sah er klar den außenpolitischen Inhalt der zugrundeliegenden Währungsentscheidung. Bezeichnend ist Schachts Antwort auf die Frage des Vorsitzenden eines Ausschusses, vor dem er die Reichsbankpolitik zu vertreten hatte: "Ich halte die Goldwährung 23 Schacht: Die Stabilisierung ..., a.a.O., S. 55 u . 57, 93; s. a. o. Anm. B 113, B 114. 24 Ebenda, 8.117. Dagegen hat das Wort "Währung" in der unten Anm. 151 zitierten Ansicht von Vocke einen wesentlich anderen, nämlich mehr innenpolitischen Unterton. 25 s. o. Anm. B 135. 26 Schacht: Die Stabilisierung .. ., a.a.O., S. 160. 27 Schacht: Ausschuß ... , a.a.O., S. 157/58. 28 Ebenda, S. 173.
7. Stellung und Aufgabe von Zentralbanken und Sachlichkeit
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sicherlich für eine Theorie. Aber Theorien sind ja doch letzten Endes dazu da, um praktische Maßnahmen darauf aufzubauen ... (Ausschußmitglied Dernburg: es ist jedenfalls eine Welttheorie) ... und ich kann nur sagen, daß ich ... die Goldwährung ... unter den heutigen Umständen, wie der Welthandel und die Produktionsverhältnisse nun einmal gelagert sind, für die einzig mögliche halte. Ich bin aber bereit, jede andere Theorie unbesehen anzunehmen, die von Amerika und England angenommen wird (Heiterkeit) 29 ." Von 1924 an entwickelte sich dementsprechend ein Weltwährungssystem, das prinzipiell auf dem Zusammenspiel von de jure oder de facto autonomen Zentralbankleitern beruhte, unter demHaupteinfluß der beiden Leitwährungen Englands und der USA. Nach 1928 trat auch die Banque de France diesem Club bei, ausdrücklich zur engeren Zusammenarbeit mit ausländischen Zentralbanken ermächtigt durch eine Sonderkonvention zwischen Regierung und Generalrat der Bank, die anläßlich der Franc-Stabilisierung und der Einführung der Golddeckungsbestimmungen abgeschlossen wurde 30 • "Das einzige, was heute an internationalen, ich will nicht sagen Vereinbarungen, aber sagen wir einmal Zusammenstimmungen besteht, ist, daß heute zwischen den großen Notenbanken ... ein engerer persönlicher Kontakt vorhanden ist als vor dem Kriege" sagte Schacht 1927 dazu vorsichtig 31 • Deutlicher aber hatte er das schon in seinem Abschiedstoast auf die Dawes-PlanErgebnisse ausgedrückt: "Es ist die Ersetzung der alten Methoden von Diplomatie und Krieg durch eine neue Methode, welche versucht, die Schwierigkeiten des menschlichen Zusammenlebens zu lösen 32 ." Die "Ersetzung von Diplomatie und Krieg" durch "neue Methoden" bedeutete institutionell eine wachsende internationale Rolle der Zentralhanken gegenüber den klassischen Staatsorganen, weil das Schwergewicht der außenpolitischen Beziehungen sich von den Mitteln der Staatsraison zu den Mitteln einer Wirtschaft verlagerte, welche trotz deklamatorischer Erwähnung des Goldes in Wirklichkeit durch Kreditwährungen gesteuert wurde. Einige Zentralbankleiter knüpften an eine solche Verlagerung des Schwergewichts weitreichende Folgerungen und Forderungen. So berichtet der Gouverneur der Banque de France, Emile Moreau, am 19. Oktober 1926 Äußerungen, die der Gouverneur der Bank of England, Montagu N orman, ihm gegenüber gemacht hat: "Sa grande idee 29 Ebenda, S.155; und ders.: Die Stabilisierung ... , a.a.O., S.160; und ders.: Währung und Wirtschaft, Vortrag v. d. Industrieclub in Düsseldorf, 8. 1.1925, S. 6: "Ich bin bereit, zu jeder anderen Währung überzugehen, sobald England und Amerika das auch gemacht haben." 30 s. o. Anm. B 69. 31 Schacht: Ausschuß ... , a.a.O., S. 163. 32 Schacht: Die Stabilisierung ... , a.a.O., S. 142.
11 Arndt
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serait la suivante. L'organisation economique et financiere du monde parait au gouverneur de la Banque d'Angleterre devoir etre l'reuvre du XXe siecle. Les hommes et les institutions politiques lui semblent hors d'etat de mener avec la competence et la continuite necessaires cette täche d'organisation qu'il voudrait voir entreprendre par les banques d'emission independantes a la fois des Gouvernements et des financiers prives. D'ou sa campagne en faveur des banques d'emission tout a fait autonome vis-a-vis de !'Etat et maitresses de leur marche financier. De telles Banques tireraient leur pouvoir de leur accord entre elles. Elles reussiraient a faire sortir du domaine politique les problemes essentiels pour le developpement de la prosperite des nations: la securite monetaire, la distribution du credit, et le mouvement des prix. Elles empecheraient ainsi les luttes politiques interieures de nuire a la richesse des nations et a leurs progres economiques33 ." Zu welchen praktischen Folgen eine solche Idee führte, zeigt sich z. B. daran, daß derselbe Montagu Norman sich weigerte, einen Vertreter des französischen Schatzamtes zu empfangen, der nach London geschickt worden war "in einer Angelegenheit, deren privaten Charakter er (Norman, d. Verf.) bewahren wollte" 34 • Es handelte sich bei dieser "privaten Angelegenheit" um die Modalitäten der Rückzahlung der französischen Kriegsschuld an England. - Im übrigen sind auch von dem deutschen Notenbankpräsidenten schon aus den MittzwanzigerJahren Äußerungen nicht selten, die sich in ähnlicher Richtung wie Montagu Norman gegen die Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Systems aussprechen 35• Eine Probe für die hier schlummernde Form einer "legalen Finanzdiktatur" gaben die Bestrebungen, welche sich um die Gründung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich rankten. Die Zusammenarbeit der Zentralbanken wurde durch diese Einrichtung förmlich institutionalisiert. Ihr einziger Zweck bestand ursprünglich keineswegs in der Ordnung der Reparationszahlungen. Schacht berichtet z. B. davon, daß er Owen D. Young vorschlug, die Bankgründung zur- später höchst modernen, aber von den klassischen Staatsorganen betriebenen - Förderung von Entwicklungsländern zu benutzen36 ; Lüke sieht in der BIZ eine Vorstufe zum später·en OEEC-Apparat3 7. Für die "internationale Kommerzialität" bezeichnend ist das Zustandekommen der BIZ aus einem Gremium von Bank-"Sachverstän33
Moreau,
London 1957.
a.a.O., S.137; s. dazu auch Sir Henry Clay: Lord Norman,
a.a.O., S. 252. Währung und Wirtschaft, a.a.O., S. 23; ders.: Grundsätze deutscher Wirtschaftspolitik, Oldenburg 1932, S. 22. 36 Schacht: 76 Jahre meines Lebens, a.a.O., S. 312 ff. 3 7 Lii.ke, a.a.O., S. XVII. 34
35
Moreau, Schacht:
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digen" des Young-Komitees, die, wie oben im Kapitel 5 b beschrieben, von den Regierungen unabhängig sein sollten. Der spätere französische Ministerpräsident Pierre Mendes-France, der damals als junger Mann die Vorgänge aus nächster Nähe hatte beobachten können, hat 1930 die dabei zutagekommenden über-, ja gegenstaatlichen Tendenzen beschrieben38. Von einem französischen Finanzmann wurde uns gegenüber die Einrichtung der BIZ als "Kirche" apostrophiert. Das Gremium, das die Statuten der BIZ ausarbeitete, bestand nur zum Teil aus Notenbankvertretern, zum anderen aus Privatbankiers. Es ist höchst bezeichnend für eine Gestaltung der Weltpolitik mit Hilfe nichtstaatlicher Kommerz-Beziehungen, daß infolge eines Vetos des Präsidenten Hoover die USA nur durch Privatbanken an der Institution der BIZ beteiligt waren39 . Auf der Abschluß-Presse-Konferenz in Baden-Baden wollte Jackson Reynolds das Ergebnis der StatutenBeratungen nicht an die Journalisten geben, bevor es allen - nicht anwesenden - Zentralbankpräsidenten bekanntgemacht worden war; keineswegs drückte ihn die Sorge, daß Regierungen nicht informiert waren. Schacht besorgte dann die Bekanntgabe von sich aus in seiner Eigenschaft als Reichsbankpräsident40• "Große sachliche Differenzen bei der Erörterung des Statuts der BIZ gab es während unserer Beratungen nicht41." Im Reichstag wie in der französischen Nationalversammlung wurden bei der schließliehen Ratifizierung dieses von Sachverständigen entworfenen Abkommens Bedenken geäußert der Art, daß die BIZ "eine Gefahr für die Entwicklung der freien Demokratien Europas darstelle durch die Errichtung eines mächtigen oligarchischen Überstaates, der nicht unter ihrer Kontrolle steht" 42 • Der Deputierte Margaine erklärte in der Nationalversammlung: "Si l'on suppose qu'un jour quelque pays veuille faire des experiences socialistes, jugees un peu trop risquees par la finance internationale, la Banque Internationale n'aura aucune difficulte a couper les vivres a ce pays et a detruire sa monnaie43." MendesFrance meint, daß wegen der bei der Errichtung der BIZ zutage getretenen großen Autonomie und Eigenmächtigkeit des Zentralbank38 Mendes-France: La Banque Internationale, Paris 1930. 39 Ebenda; und Schacht: 76 Jahre . . ., a.a.O., S. 316. - Vgl. dazu auch die grundsätzliche Untersuchung über die politische Abwesenheit der USA in Europa bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Anwesenheit in Carl Schmitt: Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, Köln
s. 228 ff. Schacht: 76 Jahre ..., a.a.O., S. 319. Ebenda, S. 316. Mendes-France, a.a.O., S. 186. Ebenda, S. 188.
1950, 40
41 42
43
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C. Versachlichung der Geldpolitik
präsidenten im Deutschen Reich 1930 das volle Mitspracherecht des Reichspräsidenten bei seiner Ernennung wieder hergestellt wurde44 . Jedoch ruhten diese Autonomie und deren Folgen nach wie vor auf einer ursprünglichen Entscheidung des Währungssouveräns, nämlich der zur Errichtung eines Weltgeld-Surrogats, das bei Kreditwährungen durch den Primat einer stabilen Währungsparität ("fester Wechselkurse") vor anderen währungs- und geldpolitischen Zielen gegeben ist. Mit der Abwertung des Pfundes 1931 bis zur Abwertung des Franc 1936 wurde de facto die von der Sache her gegebene Autonomie der Zentralbanken wieder aufgehoben, auch wenn eine persönliche Weisungsunabhängigkeit bei einigen ihrer Leiter bestehen blieb. Ein noch heute für die Goldwährung plädierender Währungstheoretiker, Melchior Palyi, sagt denn auch dazu: "Nichts zeigt den Niedergang der Führerschicht im westeuropäischen Finanzwesen besser als der Druck, den die betreffenden Behörden . . . in immer größerem Ausmaß auf Washington ausüben, um mehr Unterstützung und/oder eine DollarAbwertung zu erreichen45." Mit dem Zusammenbruch des von autonomen, kommerziellen Zentralhanken getragenen Weltwährungssystems (das übrigens, daran muß hier erinnert werden, 1931 nur noch eine halbe Welt umgriff, da die Sowjetunion selbstverständlich nicht dazugehörte) entwickelten sich die Zentralbanken von Banken zu Kreditgeldsteuerungszentralen von nunmehr währungssouveränen Wirtschaftskörpern. Diese Entwicklung erfolgte übrigens keinesfalls immer gegen den Widerstand von Zentralbankpräsidenten46. Die kommerziellen Interessenkonflikte der Wirtschaftskörper spiegelten sich in Konflikten zwischen Zentralbankpräsidenten selbst wider, z. B. zwischen dem Gouverneur der Banque de France einerseits und etwa dem Reichsbankpräsidenten und dem Gouverneur der Bank of England andererseits. Mit dem Wegfall einer unzweideutigen "Sache", eines von Leitwirtschaften bestimmten "WeltgeLdes", fiel auch die sachliche Grundlage für die volle Autonomie der Zentralbanken. Schon während des Funktionierens eines solchen Weltgeld-Systems mußte es immer fraglich bleiben, ob die Zentralbanken der Leitwirtschaften selbst so autonom zu stellen waren, daß sie in ihrem Handeln niemandem als dem Funktionsmechanismus des Marktes verantwortlich waren. Das Federal Reserve System z. B. hat in den zwanziger Jahren zweifellos seine Geld- und Kreditpolitik nicht "klassisch" an den Goldbewegungen orientiert, sondern hat binnenwirtschaftlichen Erwägungen den Vorrang gegeben. Diese binnenwirtschaftlichen Erwägungen waren aber 44 45
46
Ebenda. Palyi: Die Währung am Scheideweg, a.a.O., S. 280. Dazu Lüke, a.a.O., S. 316 ff.
7. Stellung und Aufgabe von Zentralbanken und Sachlichkeit
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weder im Zentralbankgesetz der USA klar fixiert, noch hatten Legislative oder Exekutive die Möglichkeit, hier im einzelnen mit Weisungen einzugreifen. In diesem, aus der tatsächlichen Situation herauswachsenden, übergroßen Ermessensraum der Zentralbank einer WeltLeitwirtschaft liegt u. E. der Grund für die jahrelangen Debatten um eine strengere Legalisierung der amerikanischen Zentralbank. Seit 1922 etwa gab es tatsächlich bereits den "Compensated Dollar" Irving Fishers, und die legale Dollar-Definition in Gold war trotz weiteren Golddollar-Umlaufs eine Fiktion, eine "Fassade", geworden. Eine neue "Definition" dieser Währungseinheit einer Leitwirtschaft konnte auch nicht einfach aus ihrer Relation zu den Währungseinheiten abhängiger Wirtschaftskörper gewonnen werden; sie hätte in der Definition einer neuen Geldpolitik bestehen müssen, und eben diese fehlte. Für 1957 hat Rittershausen geschätzt, daß etwa 50 vH der geltenden einzelstaatlichen Währungen durch staatliche Dezision in ihrem Außenkurs "marktunkonform" falsch bewertet sind und durch künstliche Maßnahmen so gehalten werden47. Entsprechend gering müßte die Zahl derjenigen Zentralbanken geworden sein, die im Weltmarkt noch als reine Banken auftreten und deshalb binnenwirtschaftlich und binnenstaatlich de jure oder de facto voll autonom gestellt werden können. In allen anderen Fällen handelt es sich gar nicht mehr um "Banken", sondern um Kreditgeldsteuerungszentralen, die zwar in ihrer formalen Technik noch Bank"geschäfte" ausüben mögen, die aber im Inhalt ihres Handeins durch die Form ihrer Tätigkeit nicht mehr ausreichend bestimmt und gebunden sind. Dies wird z. B. deutlich, wenn wir uns die Außenwährungsrelationen in ihrer Wirkung auf Zentral"banken" betrachten, welche Kreditgeldsteuerungszentralen eines souveränen oder quasi-souveränen Währungsgebietes geworden sind. Entweder muß eine solche Bank zu gegebener Zeit eine Änderung der Parität, dekretiert von der Exekutive, hinnehmen und verliert dann zumindest für die Dauer dieses Aktes ihre Bankeigenschaft, ähnlich wie nach Knapp die Währungseinheit "für die Dauer des Übergangs als nominal betrachtet werden muß". Auch wenn die Zentralbank später auf Basis einer auf- oder abgewerteten Währung weiterarbeiten kann (was Weiterbestehen des Primats stabiler Wechselkurse voraussetzt), stellen z. B. Bilanzmanipulationen, die etwa Staatsschulden gegen Wertzuwachs der Metall- und Devisenkasse verrechnen, nicht gerade übliche "Geschäfte" dar. 47 Rittershausen: Wirtschaft, a.a.O., S. 261. Vgl. auch ders.: Internationale Handels- und Devisenpolitik, a.a.O., passim.
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C. Versachlichung der Geldpolitik
Oder aber ein Staat verzichtet überhaupt auf eine Integration in einen Weltmarkt mittels "Weltgeld"; dann müßte er zu einer Außenwährungspolitik völlig frei schwankender Wechselkurse übergehen; die Definition einer Währungs"parität" wäre dann nicht mehr möglich, damit auch nicht mehr jene Form der Festlegung von Währungsund Geldpolitik, die durch die Bindung an feste Paritäten und feste Wechselkurse gegeben war, und die Zentral"bank" bedürfte neuer, auf den Binnenmarkt ausgerichteter Steuerungsziele. Dasselbe trifft zu für den Fall, daß ein Staat überhaupt keine marktmäßigen Außenwirtschaftsbeziehungen mehr zulassen will, weder auf festen noch auf schwankenden Wechselkursen beruhende, und zu "physical controls" in Außenhandel und Devisenwirtschaft übergeht. Überträgter-was oft geschieht, aber, wie das Beispiel Italiens zeigt, nicht notwendig ist - dann die Verwaltung der Devisenbewirtschaftung auch der Zentral"bank", so ist deren Vernichtung als "Bank" eindeutig einsehbar und unbestritten - zumindest, was diese Außenwirtschaftstransaktionen betrifft. Bezeichnenderweise hat für diese und andere - bankfremde Tätigkeiten das Verwaltungsrecht dann wieder Instrumente zur Hand48. Spätestens mit der Errichtung solcher, zu Kreditgeldsteuerungszentralen und sogar Devisenbewirtschaftungsstellen gewordenen, Zentral"banken" wird die Frage der Geldsteuerung und ihrer Ziele ganz neu gestellt. Wir sagen "spätestens", denn einmal war sie für die Zentralbanken der Leitwirtschaften auch schon vorher zu stellen gewesen, sobald eine Weit-Währungsform nicht mehr streng auf dem Golde beruhte, und zum anderen stellte sie sich auch schon vorher bei allen denjenigen abhängigen Wirtschaftskörpern, die ihre Währung nicht mehr primär nach den Außenwirtschaftswirkungen fixer Paritäten und "fester Wechselkurse" steuerten, sondern in wirksamem Ausmaß auch binnenwirtschaftliche Daten berücksichtigen wollten. Die gleichzeitige Bindung der Geldpolitik jedenfalls sowohl an feste Wechselkurse (oder Goldparität) als auch an binnenwirtschaftliche Steuerungsziele führt im Konfliktfall zu jenen Verzerrungen, die sich schließlich als "falsche Wechselkurse" nach außen und als Störungen der Steuerungsfunktion der Zentralbank im Innern auswirken. Die erforderliche "neue" Fassung der Geldpolitik und ihrer Ziele stellt auch die Frage nach der "Sache" und damit der Stellung der Zentralbank in neuer Form. Unstrittig "kommerziell" ist die Sache einer Zentralbank nur unter einer strikt eingehaltenen Edelmetallwährung, und zwar deshalb, weil die Definition des Geldes, unter dem 48
Dazu v. SpindZer et al., a.a.O., S. 122.
8. Versuche, die Kreditgeld-Steuerung zu funktionalisieren
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die Zentralbank wie jedes andere Unternehmen zu arbeiten hat nämlich die Definition der Währungseinheit -, streng in der rechtslogischen Form eines allgemeinen Normengesetzes und damit "marktkonform" erfolgt. Schon ein Weltgeldsurrogat, das aus Kreditwährungen besteht, welche durch den Primat fester Wechselkurse verbunden ist, bricht mit dieser Stringenz, weil nämlich der feste Wechselkurs nicht mehr in der Rechtsform eines allgemeinen Normengesetzes "gilt"49 • Außerdem bedürfte in diesem Falle mindestens die Leitwährung und/oder eine etwaige Weltwährungsbehörde (z. B. der IMF) einer weiteren, über Wechselkursfragen hinausgehenden rechtsförmigen "Einspannung", denn die Bindung der Wechselkurse besagt noch gar nichts über die Kriterien, nach denen nunmehr das gesamte Währungskonglomerat gesteuert werden soll. Schlimmstenfalls errichtet man auf Weltebene etwas von Neuem, das man im Binnenstaatsraum gerade als überwunden preist: mehrere selbständige, völlig "freie", an keine "Deckungsbestimmungen" gebundene Banken mit Notenausgaberecht. Es bleibt zu fragen, welche "Sachlichkeit" und damit welche Stellung den Zentralbanken bei reiner Kreditwährung zukommt.
8. Versuche, die Kreditgeld-Steuerung zu funktionalisieren Die Maßstäbe und Orientierungskriterien, die eine Zentralbank bei Kreditwährung beachten muß, wenn sie ihre gesetzlich unscharf definierte Aufgabe erfüllen will, sind von der klassischen Rechtsdogmatik weit weniger präzis zu fassen (und sind deshalb auch in keinem Zentralhankgesetz erfaßt), als es etwa durch Wiegetechnik und Feingehaltbestimmung bei Metallwährungen möglich war. Letztere stellen technische Verfahren dar, wie sie auch bürgerlichen Kauf- und Lieferverträgen zugrundeliegen; auf solchen technisch - d . h.: nach dem jeweiligen Stand der Naturwissenschaft mit ausreichender Präzisionbestimmbaren konkreten Mengen, Zeiten und Qualitäten beruhte im Wesen das Währungsrecht der Metallzeit und beruht noch heute im Wesen der bürgerliche Kauf- und Liefervertrag mit Ausnahme desjenigen Arbeitsvertrages, bei dem nur die Arbeitszeit streng fixierbar und entloJmbar ist, bei dem es sich also nicht um einen Akkord- oder Leistungslohnvertrag handelt. Der Übergang vom "statischen" Prinzip des Tausches so definierter konkreter Mengen und Zeiten, auf dem noch ein Metallgeld beruht, zum eigentlichen Geld der "dynamischen" Marktwirtschaft, dem Kreditgeld, und zu dessen Steuerungsprizipien scheint offenbar den Über49
Vgl. dazu oben Kap. 6 b.
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gang zu anderen Maßstäben und Methoden ebenso mit sich. zu bringen wie den Übergang zu anderen Rechtskategorien zu fordern. Mit dem Entstehen vom Metall unabhängiger Kreditwährungen finden Gebilde funktioneller Rechenbarkeit Eingang in Verwaltungsmaßnahmen und Gesetzesüberlegungen, die- im Bilde gesprochennicht mehr im Begriffssystem der "klassischen Physik" faßbar sind. Differential- und Marginalwerte und Funktionsformeln werden politisch erheblich und erlangen damit auch rechtliche Erheblich.keit, ohne daß es bisher gelungen wäre, sie so präzis zu fassen, wie es einst mit den einfach wäg- und meßbaren Größen der Währungseinheit und der Waren möglich gewesen ist. Das Begreifen sozialer Zusammenhänge in Form von Funktionen beschränkt sich. keinesfalls auf die Geldsteuerung. Die Soziologie arbeitet seit längerem mit dem Funktionsbegriff, ebenso die Anthropologie; auch. die Politische Wissenschaft verwendet ihn bisweilenso. Mit der "Functional Finance" hat dieser Begriff sogar ausdrücklich innerhalb der Finanzwissenschaft Raum gewonnen51. In dieser Ausdrücklichkeit fand das Funktionsdenken nur im Gefolge der Funktionsfinanz in die Geldpolitik Eingang, also eher vom Staatshaushalt her als von der Zentralbank. Doch sehen wir in gewissen Versuchen, die Geldpolitik an bestimmten makroökonomischen Durchschnitts- und Beziehungszahlen auszurichten, ja sogar sie darauf festzulegen, Bestrebungen zur Funktionalisierung der Geldsteuerung, - womöglich in exakt meßbarer Form. Die Frage ist zu stellen, ob eine solche Funktionalisierung etwa identisch sei mit der gesuchten Versachlichung der Geldpolitik Unter den Bestrebungen, funktionelle Beziehungen als Steuerungskriterien der Geldpolitik zu verwenden, sie also dadurch zu "entpolitisieren", daß Situationsentscheidungen durch Anpassung an vorher "eingegebene" Meßziffern ersetzt werden, wählen wir zur Behandlung die Vorschläge auf eine Warenreservewährung, eine Indexwährung und die Anlehnung an einen Produktivitätsindex. a) Warenreservewährung
Dieser Vorschlag hat in jüngster Zeit dadurch eine gewisse Öffentlichkeitswirkung erfahren, daß Walter Eucken, auf der Suche nach 50
Zur Anthropologie und Soziologie vgl.
z. B. die Arbeiten von
Malinowski-Brown, Merton, La Piere. Zur Politischen Wissenschaft, Friedrich: Constitutional Government and Democracy, Boston!New York
1946, dtsch.: Der Verfassungsstaat der Neuzeit, Berlin!Göttingen!Heidelberg 1953, s. 137. 151 s. dazu den oben Anm. B 20 zitierten Satz aus dem Werk von Lerner.
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einer "entpolitisierten" Geldsteuerung, sich ihn zu eigen machte52. Er beruht auf dem Prinzip, statt des Goldes ein Bündel von standardisierten Waren stofflich als Deckung für das umlaufende Geld zu verwenden. Die Preise der einzelnen Waren dieses Bündels wären zwar nicht, wie der Goldpreis als Definition der Währungseinheit früher, im Einzelnen fixiert, aber doch der Preis des ganzen Bündels, wobei Relationsänderungen zwischen den einzelnen Warenpreisen erlaubt blieben. Es sind diese Relationsänderungen und die Formel, mit Hilfe derer sie "sachlich" zu gestalten wären, die dieser Währungsform einen funktionellen Charakter verleihen, obwohl sie eigentlich durch den Begriff der Warendeckung noch statisch anmutet. Die Idee soll auf Graham zurückgehen, doch haben bereits Ford und Edison zu Beginn der zwanziger Jahre einen ähnlichen Vorschlag gemacht53. Statt des Goldes als Deckung besäßen also die Notenbanken Lager von Warenbündeln, deren Pauschalpreis fixiert wäre und als Grundlage zur Definition der Währungseinheit diente. Die Notenbanken trieben dann "Offen-Markt-Politik" mit diesen Warenbündeln, wie früher mit Gold, indem sie sie jederzeit zu Fixpreisen an- und verkaufen54. Werden die Waren auf dem Markt knapper, tendieren also zur Preissteigerung, so werden die Lagervorräte der Notenbank nachgefragt, die sie zu Fixpreisen verkauft. Dadurch verknappt sie die umlaufende Geldmenge und hindert die Preise auch der anderen volkswirtschaftlichen Güter und Leistungen am Steigen. Somit wären die umlaufende Geldmenge und das Gesamtpreisniveau, so wie früher vom Goldvorrat, jetzt von der Produktion und vom Vorrat der Dekkungswaren abhängig. Damit hätte man eine scheinbar marktkonforme, einfach zu handhabende Methode zur Kaufkraftstabilisierung: ex institutione bliebe der Preis eines bestimmten Warenbündels immer gleich so wie früher der Goldpreis; die Geldschöpfung gesch.ä he unter einem allgemeinen Normengesetz. Nähme man für die Deckungswaren lagerfähige Existenzgüter der Lebenshaltung, so wäre scheinbar eine politische Grundforderung erfüllt: Kaufkraftstabilität, gemessen an bestimmten Preisen der Lebenshaltungsgüter. Allerdings geschähe das um den Preis, das Gesamtniveau aller Preise und Einkommen nunmehr vom Schicksal dieser Deckungswaren ab112 Eucken: Die Wettbewerbsordnung und ihre Verwirklichung, in: ORDO, Bd. 2, Bad Godesberg 1949. - Auch Lutz hat sich später vom 100 °/o-Geld abgewandt und ist für eine Warenwährung eingetreten (Geldpolitik und Wirtschaftsordnung, a.a.O.). - Auch in Frankreich hat eine Warenwährung noch heute Befürworter (Ullmo , in: Le Franc, Mythe et Realite, a.a.O.). 53 Dazu Fisher: Stahle Monev, a.a.O., S. 111. Graham: Storage and Stabilitity, New York/London 1937. 54 Zum Begriff "Offenmarktpolitik mit Gold" s. o. Anm. B 181.
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hängig zu machen, und von einer "sachlich" herzustellenden Mischung unter den einzelnen Waren. Das scheint uns eine brisante politische Forderung zu sein. Die Fixierung des Goldpreises durch die Proklamation der Währungseinheit bei Goldgeld war zwar auch ein Politikum mit entsprecllenden Folgen, doch war das Gold in den meisten Fällen bereits Zahlmittel eines vorstaatlichen Weltmarktes, und war vor allem vornehmlich Zahlmittel und nur außerdem auch verwertbarer Stoff, etwa als Schmuck oder für industrielle Zwecke. Schon diesem Golde wurde zuweilen der Vorwurf gemacht, es sei zu wenig "funktionell", um als bestes Zahlmittel dienen zu können, so von Keynes: "Es zeigt sich das interessante Ergebnis, daß das Merkmal, das nach überlieferter Annahme Gold besonders zweckmäßig für den Gebrauch als Wertstandard machen soll, nämlich die Unelastizität seines Angebots, sich gerade als das Merkmal erweist, das der Kern des Übels ist55." Deckungswaren einer Warenreservewährung wären nun aber primär Ver- und Gebrauchsgüter, ihre Aufgabe als reines Funktions-Instrument würde ihnen nur zusätzlich stipuliert. Ihre Hauptrolle als Verund Gebrauchsgut würde das auf ihnen aufgebaute Geld zu einer Bezugsmarke denaturieren. Ein Geldzeichen ist aber gerade nicht, wie oft fälschlich behauptet, eine Anweisung auf einen bestimmten konkreten Teil des Sozialprodukts, eine Art Bezugschein. "Es scheint", sagt Simmel, "als ob selbst das nutzbarste Objekt, um als Geld zu funktionieren, auf seine Nützlichkeit verzichten müsse"; er definiert das Geld als das "reinste Werkzeug" und das "absolute Mittel" und gelangt schließlich zu dem Ergebnis: "So schließt sich das Geld der allgemeinen Entwicklung an, die auf jedem Gebiet und in jedem Sinn das Substanzielle in freischwebende Prozesse aufzulösen strebt ... Genau genommen ist auch der Substanzwert des Geldes nichts als ein Funktionswert56." Neben einem handfest "substantiellen" Element brächten die Dekkungswaren einer Warenreservewährung darüber hinaus in das Geldsystem einen politisch•en Faktor ein, und zwar gerade wegen ihres Substanz-Charakters. Dieser politische Faktor war auch bei einer Goldwährung vorhanden, stellte aber dort nicht entfernt so viel Sprengstoff dar. Eucken bemerkt, daß, um eine Warenreservewährung zur Weltwährung zu machen, "ein internationaler Vertrag über die 55 Keynes: Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, deutsch, Berlin 1955, S. 197. 56 Simmel: Philosophie des Geldes, a.a.O., S. 129, S. 203-208, S. 151. - Vgl. auch oben Anm. A 146 die Auffassung von Helfferich zur Funktionalisierung des Geldes. - Dazu auch die Kritik von Marx an Owens "ArbeitsgeLd" (Kapital, a.a.O., Bd. I, S. 100). Er bezeichnet es dort als "Theatermarke".
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Zusammensetzung des Warenbündels" nötig sei57. Wir müssen hinzufügen: und über den Preis des Gesamtbündels und die Gewichtung der einzelnen Waren in ihm. Vergegenwärtigen wir uns nun, welche Warenmengen Graham für diese Währungsform vorschlug- die auch von Eucken wiederholt werden -: 12 bushel Weizen, 12 1/2 bushel Mais, 87 pound Baumwolle, 25 pound Wolle, 24 pound Kautschuk, 34 pound Kaffee, 91/4 pound Tee, 300 pound Zucker, 16,3 pound Tabak, 6,3 barreis Petroleum, 7840 pound Kohle, 204 pound Zellulose, 506 pound Roheisen, 35 pound Kupfer, 4 pound Zinn. Erinnern wir uns weiter, daß internationale Preis- und Marktregelungen schon für einzelne dieser hochpolitischen und -strategischen Güter immer wieder versucht wurden und - aus anderen als währungspolitischen Gründen - scheiterten58, so erkennen wir, wie wenig funktionell und sachlich der Charakter einer solchen Warenreservewährung wäre. Doch sei hier daran erinnert, daß in praxi sich unversehens ein Kern von Warenwährung in das Kreditsystem vieler Staaten geschoben hat, wenn auch aus ganz anderen Gründen als solchen der Funktionalisierung des Geldes, nämlich aus fast entgegengesetzten, politischen, die aus der Not eine Tugend machen und die Weltmarktschranke, vor der spätestens eine Warenreservewährung scheitern würde, mit ihrer Hilfe gerade aufrichten wollen: Die- etwa in Frankreich und der Bundesrepublik existierenden - Einfuhr- und Vorratsstellen für gewisse landwirtschaftliche Grundgüter (Fett, Fleisch, Zucker, Getreide) haben den Effekt einer Warenreservewährung, wenn auch nicht mit stabilem Preis. Diese Stellen handhaben den Ein- und Verkauf und die Lagerung der Güter ebenso wie früher eine Notenbank den Goldankauf und die Goldeinlösung: sie halten durch Kauf und Verkauf einen politisch- meist jährlich durch Gesetz oder Dekret - fixierten Preis fest und beeinflussen durch ihr Verhalten die Geldmenge des gesamten Banksystems. Ihr Einfluß ist zwar monetär nicht sehr groß, doch genügt der Zwang zur Monetisierung der Einfuhr- und Vorratsstellenwechsel, um die Banken einschließlich der Zentralbank unruhig zu machen: hier ist ein Element, das ihrer Kontrolle entzogen ist59. Eucken, a.a.O., S. 82; Aufzählung der Waren, S. 80. über Politisierung der Weltmarktpreise s. Herczeg: Zukunft der Weltwirtschaft, Düsseldorf 1958, Kap. IV; Die Welt, 31. 12. 1958: Rohstoffpreise unter politischem Einfluß; Pentzlin: Die Bruchstellen der Weltkonjunktur, in: Die Welt, 24. 8. 1957. - Gegen eine Warenreservewährung unter Hinweis auf die nicht-monetäre Verwendung der Bündelwaren, auch Veit: Pecunia ... , a.a.O., S. 247. 59 Die Eskomptierung und Reeskomptierung von Lagerwechseln des "Office Interprofessionnel des Cereales" gehört z. B. zu den wenigen Pflichten, denen sich die Banque de France nicht unter Berufung auf eine gesetzliche Vorschrift entziehen kann (s. Loi et Statuts, Art. 120). - In der Bundesrepublik besteht eine solche Verpflichtung nicht, doch unterliegen Einfuhr- und Voratsstellenwechsel einer Sonderregelung "auf Grund be57
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Die wirkliche Absicht solcher Institutionen ist natürlich das Heraufschleusen der Preise ausländischer Einfuhr, gegebenenfalls auch der inländischen Erzeugung, also genau das Gegenteil der freien Weltgoldwährung. Doch leisten sie immerhin, im Verein mit den Gesetzen oder Dekreten der Legislative oder Exekutive, die den Preis fixieren, funktionell etwas Ähnliches wie eine Warenreservewährung, und das mit scheinbar binnenmarkt-konformen Mitteln, wenn auch nur für je eine Ware im Einzelnen.
b) Indexwährung Im Grunde beruht die zweite Form, mit der versucht wird, Kaufkraftstabilität des Geldes z.u erreichen, auf ähnlichen Prinzipien wie die Warenreservewährung, wenn sie auch ganz andere Methoden anwendet. Wir sprechen von einer "Indexwährung", die, von Keynes und anderen empfohlen oder begrüßt, nach Aufgabe des Goldstandards neue Regeln für die Geldschöpfung zu bringen versuchte. Im strengen Sinne kann man mit Indexwährung nur eine gesetzliche Bindung der Zentralbankpolitik an die Aufrechterhaltung eines Preisniveaus verstehen, das durch einen bestimmten, konkreten Warenpreisindex berechnet wird. Eine solche strenge Bindung hat bisher kein Notenbankgesetz gebracht. Auch das deutsche Bundesbank-Gesetz von 1957 lehnt eine Indexbindung ausdrücklich ab6°. Die Währungsform verdient aber doch Beachtung, denn selbst wenn keine strenge gesetzliche Bindung an einen Warenpreisindex vorliegt, so meinen doch alle Zentralbankgesetze mit der unscharf formulierten Aufgabe, "Sicherheit der Währung nach innen" o. s. ä. anzustreben, irgendeine Orientierung der Geldpolitik an einem konkreten Index, denn anders wäre der Erfolg oder Mißerfolg bei einer solchen Zielsetzung gar nicht meßbar und noch nicht einmal diskutierbar, weil nicht definierbar. Weil das Problem der Meßbarkeit, Diskutierbarkeit und Definierbarkeit des Handlungsziels "Preisniveaustabilität" sowohl bei einer streng gesetzlichen Indexwährung als auch bei einer Benutzung von Preisindices als bloßen Orientierungskriterien gleichermaßen gegeben ist, behandeln wir hier unter "Indexwährung" beide Formen; es wird uns erst später interessieren, ob ein solches Handlungsziel überhaupt politisch, juristisch und technisch durchführbar, exekutabel und justiziabel ist. Bei einer Indexwährung "handelt" eine Notenbank nicht wirklich, wie bei einer Warenreservewährung, mit gewissen Gütern zu Fixpreis, sanderer Beschlüsse des Zentralbankrats" (s. die Kredit- und devisenpolitischen Regelungen der Deutschen Bundesbank, in Geschäftsbericht für das Jahr 1958, S. 56). 60 Regierungsbegründung, Ds. 2784, 2. Btg., S. 23; Ausschußbericht, Ds. 3603, s. 2/3.
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sie richtet nur ihre Kreditpolitik an der Stabilerhaltung eines konkreten Preisindex aus. - Irving Fisher trat schon vor dem ersten Weltkrieg an die amerikanische Legislative und Exekutive mit seinem Plan eines "Compensated Dollar" heran, eines Golddollars, dessen Gewicht variabel sein sollte, mit dem Ziel, seine Werteinheit ständig gegen eine feste Menge Waren eintauschbar zu halten. Als Riebtsatz und Maßstab empfahl Fisher einen Index, um dessen Formulierung er sich dann sein Leben lang bemühte. Er versuchte jahrzehntelang, seinen Plänen durch öffentliche Tätigkeit Gewicht zu verschaffen61. Hinter dem- noch vom Metall-Münz-Denken bestimmten- Wort vom "Compensated Dollar" verbirgt sich schlicht die Abkehr vom Goldstandard, bei Fisher unter Aufrechterhaltung der Goldeinlösung, und der Bruch mit der Außenwährungsstabilität, die eine Anlehnung an einen Indexstandard immer bedeutet. Änderung des Münzgewichts einer einzelstaatlichen Währung bedeutet einfach Abwertung oder Aufwertung. Hinter Fishers Plan steckt also im Prinzip nichts anderes als das, was alle Staaten ab 1931 auch taten, die USA unter Roosevelt 1933/34 eingeschlossen. Irving Fisher hat diese wirtschaftspolitischen Folgen seines Plans genau gesehen, z. B. stimmt er ausdrücklich Wieksen zu, "der stabile Wechselkurse durch ein stabiles inneres Preisniveau ersetzen wollte" 62. Der Zusammenhang zwischen Wechselkursen und Preisniveau wird uns unten im Teil D noch beschäitigen; an dieser Stelle sei nur noch auf ein Beispiel hingewiesen, das die Folgen eines streng gesetzlich gesicherten Indexgeldes auf den Außenhandel verdeutlicht: In der Schweiz fand nach dem zweiten Weltkrieg eine Volksabstimmung über das Begehren des "Freiwirtschaftsbundes" statt, das vorschlug, eine Indexwährungs-Vorschrift in die Verfassung aufzunehmen. Das Begehren wurde abgelehnt, vornehmlich weil in der Öffentlichen Meinung das Gegenargument durchschlug, ein "Schwebender Franken" würde schwankende Wechselkurse bedeuten und damit der Außenhandelsverflechtung der Schweiz schaden63 • Auch Irving Fisher war von dem Sektenfanatismus, von dem so viele Währungsreformer besessen sind, nicht frei. Auch er war ein terrible simplificateur, der den Kongreß, über von ihm gewonnene Parlamentarier, mit Gesetzentwürfen überschwemmte. Er erntete dabei o.ft höhnendes Unverständnis. "Do you mean you want the Government to fix the price of wheat?" fragte ein Mitglied des Zentralbankrats den von Fisher vorgeschickten Abgeordneten Strong, der den Zusam61 62
Fisher, a.a.O., S. 146 ff. Fisher, a.a.O., S. 43.
Vgl. dazu auch unten Kap. 10 und 13.
63 Dazu Strickrodt: Verfassungsgarantierte Währung, a.a.O., S. 534. Über Zusammenhang von Indexgeld und schwankenden Wechselkursen s. auch Veit: Pecunia ..., a.a.O., S. 257; und ders., allgemein zu Indexwährungen, in: Grundriß ... , a.a.O., S. 161 ff.
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menhang zwischen stabilem Geld und stabilem Preisniveau zu erläutern versuchte. Und Bankier Morgan erklärte zu dem ganzen Index-Unfug unwisch: "Money is gold, and nothing else64." Fisher gibt selbst zu: "Ich bin zur Wirtschaftswissenschaft über die mathematische Physik gekommen", und daher seine Meinung: "Es gibt kein natürliches Yard, kein natürliches Kilowatt, wir können von Rechts wegen den Dollar machen wie wir wollen, ebenso wie wir das Yard nach unserem Belieben machen können65." Er vergißt nur, daß man mit einem Meter weder zahlen, noch es besitzen kann. Die recht blinde Begeisterung für ein Indexgeld hatte neben Fisher und Keynes in den Experimentierjahren der Kreditwährung auch viele andere, bedeutende Politiker, ergriffen, darunter Franklin D. Roosevelt66. Am 3. Juli 1933 sandte er an die gerade stattfindende Weltwirtschaftskonferenz in London seine berühmte Botschaft - die die Konferenz sprengte. Sie enthielt die Worte: "Die alten Fetische sogenannter Weltbankiers werden nun gestürzt ... Die Vereinigten Staaten suchen die Art Dollar, die noch in einer Generation dieselbe Kaufund Schuldentilgungskraft haben wird wie der Dollar, den wir in nächster Zukunft zu schaffen hoffen67." 1934 ließ Roosevelt die GoLdreserven des Federal Reserve Systems beschlagnahmen. Die Zentralbank schlug vor, wenigstens 40 vH des Goldes als Notendeckung im System zu belassen. Die damals noch herrschende Auffassung vom Staat und von der Rolle des "privaten" Goldes in einer Zentralbank beleuchtet eine Episode aus einem "H~aring" im U. S. Senate, bei dem es um die Beschlagnahme des Goldes ging. Senator Perkins fragte Mr. Norris, einen der Direktoren des Federal Reserve Systems: "Also will die Bundesreservebehörde das Gold lieber behalten?" - Norris: "Ja." - Perkins: "Also haben sie mehr Vertrauen in das Gold als in die Regierung?" -Der Justizminister bestimmte schließlich, daß der Ersatz des Goldes durch Goldzertifikate der Regierung in den Bilanzen des Banksystems verfassungsmäßig sei6B, Die Lebenshaltungskosten in den Vereinigten Staaten sind seit 1934 - einem Jahr nach der feierlichen Erklärung Roosevelts - auf a.a.O., S. 392, 372. Ebenda, S. 375, 393. Der Bericht eines von der Columbia University eingesetzten Ausschusses empfahl 1934 ein solches Geld; Mitglieder waren: Walter Lippmann, Jacob Viner, Schumpeter, Mitchell, J. M. Clark u. a. - Schon Gustav Cassel, a.a.O., S. 44, trat 1918 für nach Preisindices manipulierte Währungen ein. 67 Fisher, a.a.O., S. 356. 68 Ebenda, S. 370/71. Der frühere Vizegouverneur des Zentralbanksystems, Platt, sprach sogar von einem "Diebstahl" des ReservegoLdes durch die Regierung (ebenda, S. 361). 64 65 66
Fisher,
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das Doppelte gestiegen; und das ist noch nicht einmal außergewöhnlich, in Frankreich z. B. stiegen sie in derselben Zeit - bis 1958 auf das Vierzigfache. Und selbst wenn wir hier noch davon absehen, ob es überhaupt politisch und technisch möglich gewesen wäre, ein solches Steigen des Preisniveaus zu verhindern, so ist bei dieser Indexbewegung bereits fraglich, ob die Messungsgrundlagen so hieb- und stichfest, unumstritten "sachlich" gewählt und aufbereitet werden können, daß der Index auch nur seine Index-, d. h. seine AnzeigeFunktion sachgerecht erfüllen kann. Der wirtschaftliche Fortschritt ändert den Knappheitsgrad einer Wirtschaft und beeinflußt damit das Konsumgebaren. Und zwar nicht nur in dem - umstrittenen - Sinne, daß relativ vom Sozialprodukt weniger konsumiert und mehr gespart wird, sondern auch dadurch, daß die objektive Knappheit in den verschiedenen Bereichen der Wirtschaft verschieden schnell abninunt, die Nachfrage jedoch nicht reziprok dazu wächst. Eine Registrierung dieser Tatsache im Preisindex erforderte ständig das neue Gewichten der in ihm enthaltenen Güter. Die einzelnen Preise der einzelnen Güter streben mit den verschiedensten Tempi in die verschiedensten Richtungen, und zwar - von Preisschwankungen naturabhängiger Rohstoffe hier ganz abgesehen - sowohl wegen der verschiedenartigen Wirkung des technischen Fortschritts als auch wegen des Einflusses des "autonomen" Verbrauchsgebarens der Konsumenten. Welche der sich so bewegenden Preise oder Preisgruppen die den Index aufbereitende Instanz der den Index als Kriterium benutzenden Instanz als stabilzuhaltende empfiehlt, wird zu einem eminenten Politikum. Wählt sie die - nur mäßig vom technischen Fortschritt betroffenen - Lebensmittel-Erzeugerpreise als "Mitte" des Index (bei diesen Gütern ist in mäßig versorgten Volkswirtschaften die Nachfrage-Elastizität verhältnismäßig starr), so präjudiziert sie die dem technischen Fortschritt stärker unterworfenen Preise von Massenproduktions-Gütern einerseits, die durch die Wirkung der Technik wenig beeinflußbaren Dienstleistungen - vornehmlich die Löhne andererseits. In keinem Falle kann sie einer politischen Option entgehen; selbst wenn sie den jeweiligen historischen Warenkorb noch so repräsentativ als "Sample" zusammenstellt, bleibt es inuner der Warenkorb einer konkreten soziologischen Gruppe. Gerade dieser Warenkorb ändert sich, je stärker der technische Fortschritt, desto schneller. Gerade bei sehr starkem Wirtschaftswachstum - das oft durch eine politisch strittige hohe Selbstfinanzierungsquote der Unternehmen erreicht wird - beobachten die Lohnempfänger als Konsumenten aber besonders argwöhnisch die Bewegungen des Preis-
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index. Zu welchen politischen Folgen die Technikalie einer statistischen Berechnung in solcher Lage führen kann, mag dem Jahresbericht der Deutschen Bundesbank für 1958 entnommen werden. Diese Veröffentlichungen zeichnen sich gewöhnlich durch besondere Korrektheit und erschöpfende Darstellung aus: "In Wirklichkeit war der Preisumschwung vielleicht sogar noch ausgeprägter ... Es ist möglich, daß ... auch das Gewichtungsschema der einzelnen Indizes die Bedeutung verschiedener Preissenkungen nicht ganz in Erscheinung treten läßt, weil die betreffenden Waren in den Indizes mit einem geringeren Gewicht berücksichtigt sind, als ihrem heutigen Anteil am Verbrauch entsprechen würde. So hat z. B. im vergangeneu Jahr eine Berechnung des Statistischen Bundesamts viel Aufsehen erregt, nach der die Steigerung des Lebenshaltungskostenindex zwischen 1950 und 1957 viel geringer war, wenn man ihn nach der Verbrauchsstruktur von 1957 und nicht nach der von 1950 gewichtete69." Hier erregt bereits der Erfolg eines technischen Fortschritts und einer Verbrauchsänderung von sieben Jahren viel Aufsehen- welche Exaktheit muß da erst einem Preisindex zukommen, nach dem eine Zentralbank ihre Geldpolitik für den - geschichtlich und rechtlich gesehen kurzen- Zeitraum von zwanzig Jahren zu steuern versucht? Über den Einfluß des Wirtschaftswachstums auf die Preise gibt es erst in jüngster Zeit exakte Untersuchungen - obwohl das Problem längst bekannt ist. So haben Colin Clark und Jean Fourastie auf die völlig verschiedenen Wirkungen hingewiesen, und sie empirisch zu errechnen versucht, die das Wachsturn auf die Produktion der verschiedenen Güter und deren Nachfrage und damit auf deren Preise und die daraus abgeleiteten Einkommen hatte. Fourastie mag hierbei die Einwirkung auf die Güter des "primären" Wirtschaftssektors (hauptsächlich Landwirtschaft), des "sekundären" (vornehmlich Industrieproduktion) und des "tertiären" (Dienste, Leistungen, Lohn) allzu pauschal dargestellt haben, wogegen Colin Clark und andere mit Recht Einwände erheben. Doch in der Tendenz hat wohl Fourastie Recht, wenn er behauptet, "daß in Zeiten des technischen Fortschritts man die Geldwertstabilität weder in bezug auf ein gegebenes Gut (denn der Preis jedes Gutes wechselt im Zuge der Entwicklung gegenüber den Preisen anderer 69 Geschäftsbericht der Deutschen Bundesbank für 1958, S. 25. über weitere offene Probleme, z. B. der Indexierung von "Konsumentengeld" oder von "Unternehmergeld" s. Gemeinschaft zum Schutz der Deutschen Sparer: Das Jahr der Stabilisierung, Jahresbericht für 1958, S. 23. - über nicht erfaßbare Qualitätsverbesserungen s.: Was die Preisstatistik nicht weiß, in: z. f. d. ges. Kred.Wes., Jg.1957, S. 644.
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Waren ständig), noch in bezug auf die Gesamtproduktivität messen kann, und auch nicht in bezu.g auf ein anderes Geld, das als stabil angenommen würde". "In Zeiten des technischen Fortsclrritts kann man weder stabiles Geld noch feste Wechselkurse haben70."
Fourastie optiert mit solcher Behauptung nicht für die angebliche Unvermeidlichkeit der Preisniveausteigerung bei technischem Fortschritt, die aus politischen Gründen gegeben sein soll. Sein Argument betrifft lediglich die Unmöglichkeit, überhaupt einen Maßstab zu finden, der selbst stabil bleibt und an dem Änderungen gemessen werden können. Ein solcher Maßstab, ein aussagekräftiger Index für die Feststellung des Geldwertes, scheint ihm auf längere Sicht nicht zu existieren71. Schon Wieser hatte auf eine weitere Wirkung des Wirtschaftswachstums hingewiesen, die das Preisniveau in unberechenbarer Weise beeinflußt. Unter dem Versuch, ein Preisniveau stabilzuhalten, kann immer nur verstanden werden: das Niveau der Preise eines zu einer gewissen Zeit als historischer Standard-Warenkorb üblich gewesenen Konsumgebarens72 • Die langfristige Geltung eines solchen Index setzte also voraus, daß das gesamte Konsumgebaren- das Fourastie "Genre de vie" (Lebensweise) nennt im Gegensatz zu "Standard de vie" (Lebenshaltungskosten) - gleich bleibt, und daß das Wirtschaftswachstum nur die bereits früher im Warenkorb enthaltenen Güter und 7° Fourastil~ und Vimont: Histoire de Demain, Paris 1956, S. 112. Weiter ders.: Le grand espoir du XXe siecle, Paris 1958; Colin Clark: The Conditions of Economic Progress, London 1957; Simmel, a.a.O., S. 143/44; Veit: Hemmnisse freier Währungspolitik, in: Der Wert unseres Geldes, a.a.O., S.173: "Secular Inflation und technischer Fortschritt"; schon Kammerer: Der Einfluß des technischen Fortschritts auf die Produktivität, Sehr. d. Ver. f. Soz. Pol., Leipzig 1910. 71 Dazu Veit: Wandlungen des Geldwertes, in: a.a.O., S. 177 ff.; Veit sagt an anderer Stelle (Grundriß ..., a.a.O., S. 51) zum Zusammenhang von Inflation, Deflation und "Neutralem Geld": "Hier ergibt sich eine eigenartige Konsequenz. Inflation und Stabilität der Kaufkraft des Geldes sind verbündet - ja Stabilität der Geldkaufkraft kann bei technischem Fortschritt überhaupt nur erzielt werden durch Inflation." - Mit "Inflation" ist hier natürlich in formalem Sinne "Geldschöpfung", "Injektion neuen Geldes in den Kreislauf" gemeint. - Vgl. dazu die Bemerkung von H.-J. Rüstow oben Anm. A 64. - Zum Zusammenhang zwischen langfristiger Preisniveaustabilität, technischem Fortschritt und Geldschöpfung s. auch weiter Hansen: Monetary Theory and Fiscal Policy, New York/Toronto/London 1949, S. 187; Dupriez: Central Banking Policy and Long Trends in Prices, in: a.a.O., S. 243 ff.; Kraus: Wirtschaftswachstum und Gleichgewicht, Frankfurt/Main 1955, S. 155; Bombach: Quantitative und monetäre Aspekte des Wirtschaftswachstums, in: Finanz- und währungspolitische Bedingungen stetigen Wirtschaftswachstums, Sehr. d. Ges. f. Wirtsch.- u. Soz.Wiss., Nr. 15, Berlin und München 1959, S. 184 ff., 191 ff., 201 ff. 72 v. Wieser: Der Geldwert und seine Veränderungen, Sehr. d. Ver. f. Soz. Pol., Leipzig 1910.
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Leistungen betrifft. Schon für diesen Fall ist, wie oben ausgeführt, die Änderung der Gewichtung auf lange Sicht schwierig. In der Wirklichkeit kommt aber noch hinzu, daß ständig gänzlich neue Güter und Leistungen sich dem historischen Verbrauchsgebaren hinzufügen, und außerdem werden Güter und Leistungen in Markt und Arbeitsteilung eingeführt, welche früher im privaten Haushalt oder gar in "Selbstv.ersorgung" durch und für eine Person allein erstellt wurden. Wieser bezeichnet es als "eine entscheidende Lücke der Theorie", daß die "das Einfressen der Geldwirtschaft in die Naturalwirtschaft" vergessen habe, das Ausgreifen des Marktes, der "immer mehr Dinge in die Rechnung zieht, die früher im Innern der Hauswirtschaft abgeschlossen waren ... So muß man einen Aufschlag auf die Preise machen. die diese immer in die Höhe treiben ... Mit der Geldmenge, die am Ausgang des Mittelalters zur Verfügung stand, konnte das neuzeitliche Europa für die Bewältigung der ungeheuer gestiegenen Wertmassen des Verkehrs gewiß nicht ausreichen" 73. Neue oder neu vermarktete Güter und Leistungen erhöhen das Nominaleinkommen eines Volkes- so wie die Anrechnung der Arbeit der Frauen im Haushalt das Volkseinkommen erhöhen würde -; sie lassen das reale Sozialprodukt jedoch unberührt, wenn sie bisher auch schon produziert wurden, nur nicht über den Markt. Infolgedessen steigern sie die "Aufgaben des Ge1des" und gehen, wo sie "übergewälzt" werden können (allerdings nur da), in Kosten und Preise ein, erhöhen also das Gesamtpreisniveau. So konnte schon Hume darauf hinweisen, daß seit dem 15. bis zum 18. Jahrhundert der Geldumlauf sich stärker vermehrt habe als die Preise gestiegen seien, "due ... to the fact that commodities have come much more to the market" 74• Eine Politik, die versucht, ein einmal gegebenes Niveau von Preisen eines historischen Warenkorbs langfristig und streng stabil zu halten, hätte also unter Umständen die Folge, den technischen Fortschritt zu hemmen. Das trifft sowohl für Tendenzen zur Preisniveausenkung als auch -hebung zu. Die Statistiker beherzigen eine solche Warnung auch, nur nicht immer die Gesetzgeber der Notenbankgesetze und die Leitungen mancher Notenbanken, und selten die Öffentliche Meinung. Man will vielleicht noch kurzfristige Schwankungen des Preisniveaus zulassen, langfristige aber nicht, - auch wenn man sie schließlich doch hinnehmen muß. 73 Ebenda, S. 519, 527. In diesen Zusammenhang fällt der von Gerloft eingeführte Unterschied zwischen Kaufkraft des Geldes und Kaufmacht (Die Kaufmacht des Geldes, Frankfurt/Main 1947); ähnlich der Fourastieschen Unterscheidung in "niveau de vie" und "genre de vie" (Le grand Espoir ... a.a.O., Kap. VIII, IX). 74 In: Hansen, a.a.O., S. 1.
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Befürworter eines Indexgeldes oder einer Indexbindung pflegen dem denn auch Rechnung zu tragen, indem sie zugeben, der Index müsse: natürlich von Zeit zu Zeit revidiert werden. Aber durch wen? Durch die Geldverwaltung selber? Dann würde sie ihre eigenen Maßstäbe entwerfen; und oft genug geschieht das auch: als die schwedische Riksbank 1931 im Gefolge der Pfundabwertung vom Goldstandard abging, setzte sie zur Beruhigung der Bevölkerung an Stelle des Goldes eine Art Indexbindung durch Proklamation. Irving Fisher sagt dazu: Die Zentralbank hatte natürlich das Recht, den ihr angemessen erscheinenden Index als Maßstab des Erfolges ihrer Politik zu wählen75. Hat sie dieses Recht auch bei Änderungen in der Indexwahl? In anderen Ländern ist die Berechnung und offizielle Festlegung eines Index Sache anderer öffentlicher Stellen als der Zentralbank soweit es überhaupt möglich ist, in diesem Gebiet einen amtlichen Index festzustellen 76. Schon bei dem nicht seltenen Streit um verschiedene Indices als bloße Anzeige-Maßstäbe der Geldwertbewegung läßt sich erkennen, daß diese statistischen Größen politische Bedeutung erwerben können. Macht man sie zu Orientierungskriterien oder gar zu gesetzlichen Richtlinien, so läßt sich ihr politischer Charakter gar nicht mehr leugnen. Die Politik, die durch eine Bindung der Geldsteuerung an die Stabilerhaltung eines konkreten Preisniveaus gerade herausgehalten weroen sollte, kommt so durch die Hintertür wieder hinein. In Frankreich spielten Preisindices dadurch eine weit über bloße Orientierungskriterien hinausgehende Rolle, daß durch Gesetze an sie Mindestlöhne und daran wieder andere Wirtschaftsdaten (wie Mieten) gekoppelt waren, - entsprechend der weithin durch Indexierung verseuchten französischen Wirschaftsstruktur77 . Es wurde uns berichtet, 75
Fisher, a.a.O., S. 324.
76 In Frankreich setzte z. B. die Exekutive die Gewichtung des neuen
Index der Lebenshaltungskosten fest, der 179 Artikel beinhaltet; alles übrige blieb dem fachmännischen Ermessen des I. N. S. E. E. (des Statistischen Amtes) überlassen, das nach deutschen Rechtsbegriffen eine in ihrem Bereich weisungsunabhängige Anstalt ist. Der Index wurde von einigen Gewerkschaften übernommen. 77 s. Gesetz über indexierte Mindestlöhne Nr. 42-834 vom 18. 11. 1952 (Jeanneney: Textes de Droit ... , a.a.O .. 1952). Es sieht eine Lohnangleichung nach einer 5-vH-Steigerung des Lebenshaltungskostenindex (im Text nicht erwähnt: Fallen des Index) durch Dekrete vor; der Index wird von einem Unterausschuß der ständigen Tarifkommission der französischen Wirtschaft überwacht. Das Gesetz verbietet, außer in Ausnahmefällen, eine zweimalige Angleichung binnen vier Monaten. - Eine ähnliche Einrichtung kennt Schweden, wo ursprünglich die Anpassung automatisch erfolgte (vgl. die oben Anm. A 26 erwähnte Literatur). - In den USA führte F. D. Roosevelt als Unterstaatssekretär im Marineministerium während des ersten Weltkrieges Indexlöhne für Werftarbeiter ein; es gab Schwierigkeiten, als das Preisniveau fiel: s. Fisher, a.a.O., S. 59.
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daß infolgedessen Betriebsbelegschaften gegen die Aufnahme der Preise der von ihnen hergestellten Produkte in den amtlichen Index streikten, weil diese Preise dann vom Staat schärfer beobachtet und damit zu "politischen" wurden7s. Der Versuch, die GeLdsteuerung durch Bindung an Preisindices zu funktionalisieren, welche dann selbst wieder den sich ändernden realwirtschaftlichen Daten funktionell angepaßt werden müssen, bedeutet im Grunde den Versuch, die angeblich ursprünglichen realwirtschaftlichen Steuerungskriterien einer dynamischen Marktwirtschaft, nämlich den technischen Fortschritt und das Verbrauchsgebaren der "autonomen" Konsumenten, in dynamisch-funktionelle Formeln zu fassen. Ein französischer Wachstumstheoretiker, Fran~ois Perroux, kommt denn auch zu der Folgerung: "Le niveau et la structure de la demande de biens de consommation doivent eux-memes etre inclus dans l'analyse de l'equilibre et ne peuvent etre consideres comme autonomes 79." Diese Forderung scheint uns den in letzter Konsequenz politischen Charakter eines Indexgeldes zu zeigen; und entsprechend forderte auc>h die Idee eines "stabilen Binnenpreisniveaus" zu ihrer Verwirklichung politische Entscheidungen, welche sich nicht unmittelbar aus dem System einer Geld- und Marktwirtschaft ergeben. Gustav Cassel. der bereits 1918 für eine nach Preisindices manipulierte Währung als beste Lösung eintrat, fügte deshalb auch vorsichtig hinzu: "Ob es auch möglich wäre, die großen administrativen und politischen Schwierigkeiten, die der Durchführung einer solchen Währung unzweifelhaft entgegenstehen, zu überwinden, liegt außerhalb der Domäne der ökonomischen Theorie und muß hier beiseite gelassen werdenso." Andere Wirtschaftswissenschaftler und Geldtheoretiker gelangen denn auch, unter strenger Beachtung des rein funktionellen Gefüges einer Markt- und Geldwirtschaft, zu Resultaten wie etwa Halm: "Für die Zwecke der Geldtheorie und Geldpolitik sollte jedoch die Idee der Stabilisierung eines allgemeinen Preisniveaus aufgegeben und eine sorgfältige Analyse der relativen Preisbewegungen (ausgedrückt durch 78 Nach Auskunft von Prof. Meynaud. Durch zahlreiche Regierungsmaßnahmen wurde die Angleichung umgangen (Zuschläge zum Lohn, Indexänderung usw.). - Über die Regierungsmaßnahmen zur Kontrolle der Preise des Indexwarenkorbs nach Einführung des Indexlohnes vgl. I. N. S. E. E.: Mouvement Economique, a.a.O., S. 263. - Die Indexbindung der Mindestlöhne blieb auch nach der "Währungsreform" von 1958/59 bestehen. 79 Perroux: La Recherche de la Stabilite: Les Facteurs Reels, Art. in: Economie Appliquee, Tome IX, 1954, S. 134. 80 Cassel, a.a.O., S. 44.
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spezielle Durchschnittspreise) an ihre Stelle gesetzt werden81. " Ähnlich folgert Baudin: "Le mouvement d'un niveau general nous importe assez peu ... Le disparites entre les prix ... que le niveau masque ... comptent souvent ... car elles constituent la crise82." "Es ist weder gewährleistet noch notwendig", erklärt dazu Paulsen, "daß ein bestimmter Preisindex als statistische Durchschnittsgröße einer Gruppe gewichtet~r Güter bei solchen Änderungen völlig unverändert bleibt" 83• Kein Zentralbankgesetz der Welt kennt deshalb auch eine strenge Indexbindung. In den Zwanziger Jahren, und noch bis 1934, versuchte der amerikanische Congress immer wieder, eine solche für das Federal Reserve System einzuführen. Das Projekt scheiterte unter den konservativen Regierungen bis 1933, damals noch an Argumenten, die dem "Business" entlehnt waren und wenig Verständnis für makroökonomische Steuerung erkennen ließen. So wandte sich das langjährige Mitglied der Zentralbank, Miller, gegen eine Indexbindung mit den Worten: "The average of commodity prices does not mean anything. It is merely a metaphysical concept, something that has been invented by economists. It has no counterpart in actuality - it can not be traded in, bought, or sold. It is purely a figment of the mind84." Richtiger schon traf es der Gouverneur Meyer vom Federal Reserve Board: "You cannot supply judgment by law85 ." Trotzdem verfaßte man ein solches Gesetz: am 2. Mai 1932 wurde vom Repräsentantenhaus die sogenannte "Goldsborough Bill" mit 269 gegen 60 Stimmen angenommen; Irving Fisher, einer der geistigen Väter, kommentiert dazu stolz: "It was the first time that any bill embodying the principle of stabilizing the purchasing power of a monetary unit had passed any legislative body in the world86 . " Es sollte sich als Pyrrhussieg herausstellen. Der Gesetzentwurf weckte große Unruhe im In- und Ausland - wegen der Wirkung auf den Dollar-Wechselkurs - und Proteststürme, so u. a. von der New York Merchant's Association. Als ein ähnlicher Gesetzentwurf durch Senator Fleteher auch im Senat eingebracht wurde, organisierte sich der Widerstand. Die Zentralbankleitung betonte in einem "Hearing" vor einem Senats-Ausschuß, daß sie nicht die Macht zur Durchführung eines solchen Gesetzes habe. Der Secretary of the Treasury, Ogden A. Mills, schrieb einen Brief an den Senats81
Halm: Geld, Außenhandel und Beschäftigung, deutsch, München 1957,
s. 53.
Baudin, a.a.O., S. 643. Paulsen, in: Finanz- und währungspolitische Bedingungen ..., a.a.O .. S. 35; ähnlich Bombach, ebenda, S. 209 ff. 84 In: Fisher, a.a.O., S. 202. 82
83
85 86
Ebenda, S. 231. -
Vgl. auch oben Anm. B 27.
Ebenda, S. 196-208.
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ausschuß, in dem er sich auf die Expertenmeinung der Zentralbank berief und in schärfster Form gegen das Passieren des Gesetzes auftrat. Der Entwurf wurde schließlich im Senat durch Zusatzanträge verschleppt; angeblich soll Präsident Hoover geäußert haben, er würde bei seinem Passieren sein verfassungsmäßiges Veto einlegen87 • Nachdem die Demokraten an die Regierung gekommen waren, wurde wieder eine auf Indexbindung abzielende "Monetary Authority Bill" emgebracht. Diesmal opponierte der demokratische Finanzminister, Henry Morgenthau jr., man solle die Regierung nicht in ihrem monetären Programm stören und lieber abwarten. Der Gesetzentwurf wurde wieder verworfen88 • 1935 regelte schließlich ein Gesetz die organisatorischen Zuständigkeiten von Exekutive, Legislative und Zentralbankleitung neu, es wurde aber, wie der langjährige Leiter der volkswirtschaftlichen Abteilung der Zentralbank, Alexander Goldenweiser, später dazu sagte: "kein bestimmter Anhaltspunkt aufgestellt, wonach der Erfolg oder das Versagen" der Geldpolitik beurteilt werden sollten und konnten89• So steht es noch heute in allen Ländern der Welt: "In den meisten Ländern", kommentiert Veit dazu resignierend, "sind die Zentralbanken bestrebt, die Warenpreisbewegung zwar zu beachten, eine Festlegung auf einen Warenpreisindex aber dennoch zu vermeiden ... Damit verhalten sie sich ... im short run aneutral. Im long run verfolgen sie aber, so gut es geht, die Linie des neutralen Geldes - meist ohne ausdrückliches Bekenntnis dazu90 ." So spielt ein Warenpreisindex weiter seine merkwürdige Rolle in der Geldpolitik: zwar nicht als streng gesetzliche Auflage, aber doch als ein entscheidendes inoffizielles Erfolgskriterium. Im Grunde bleibt er doch als heimlicher letzter Maßstab für Zentralbank, Exekutive und Legislative, und für die Kritik der Öffentlichen Meinung, übrig. Und schließlich muß irgendein Datum dieser Art auch vom Gesetzgeber gemeint sein, wenn er - wie im Bundesbankgesetz, Paragraph 3 - von dem "Ziel, die Währung zu sichern", spricht, auch wenn in der Regierungsbegründung die Festlegung auf einen konkreten Index ausdrücklich verneint wurde 91 • Elbenda. Ebenda, Monetary Authority Bill (H. R. 7157 und 8780, 73rd Congress, 2nd Sess.). 89 Goldenweiser, a.a.O., S.l73. s. dazu auch Veit: Grundriß ... , a.a.O., s. 185 ff. 90 Veit: Pecunia ... , a.a.O., S. 257. 91 Die meisten Theoretiker und Praktiker, die sich an einer Stelle scharf gegen die Aussagekraft von Preisindices und ihre Verwendung zur Steuerung aussprechen, kommen an anderer Stelle doch wieder auf sie als Kriterium zurück; s. z. B. Rittershausen: Int. Hand. u. Dev. Pol., a.a.O., 87 88
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Diese Scheu vor strenger juristischer Bindung an einen konkreten Preisindex mag einmal aus der richtigen Einsicht stammen, daß allein schon die Berechnung eines Index nicht technisch so perfekt zu gestalten ist wie früher das Wiegen einer Metallmenge bei Goldwährung, und daß sie bereits politischen Einflüssen Raum gibt. Ist das der Fall, so müßte allerdings auch die Behörde, welche heute die Berechnung vornimmt, strenger in das System des Ausgleichs zwischen politischen Mächten eingespannt werden, das die parlamentarische Demokrati~ entwickelt hat: der öffentlichen Debatte und Abstimmung im Parlament. Die Ablehnung von Indexbedingungen kann aber ebensogut aus der Einsicht stammen, daß das Stabilhalten eines konkret indizierten Preisniveaus entweder technisch unmöglich ist oder aber politische Konsequenzen hat, die "man" nicht hinnehmen will. Ob Stabilhalten eines Preisniveaus, - womöglich mit den rigorosesten kreditpolitischen Mitteln - , überhaupt technisch möglich ist, ob es sich bei einer Indexbindung überhaupt um ein exekutables und justiziables Gesetz handelt, könnten nur die Fachleute des Zentralbankwesens entscheiden. Von ihrer Seite ist bisher immer wieder nur Skepsis in bezug auf eine schärfere Legalisierung der Geldpolitik zu hören gewesen. Wir werden uns im letzten Teil unserer Untersuchung damit beschäftigen müssen, ob diese Skepsis sich tatsächlich auf dem Fachverstand der Zentralbankleitungen gründete, also auf den Grenzen der Technik, mit der sie zu verfahren haben, oder ob der Grund für ihre Ablehnung einer strenger legalisierten Geldpolitik nicht vielmehr im Raume der Politik zu suchen ist. Die Antwort darauf wird erst gegeben werden können, wenn dargelegt ist, in welcher rechtstechnischen Form "neuer Sachlichkeit" die Bindung an ein Preisniveau überhaupt noch erfaßbar ist, nachdem deutlich wurde, daß die Rechtsfigur eines allgemeinen Normengesetzes hier versagt92• Aber selbst wenn für die Funktionsformeln der "neuen Sachlichkeit" ein neues, brauchbares Rechtsinstrument gefunden werden sollte, so bleibt, wenn zwar auch nicht seine Anwendung, so doch seine Setzung weiterhin ein Politikum, ebenso wie die Gesetzgebung Politikum bleiLt, auch wenn die Gesetzesausführung als "rein sachliche" bloße Verwaltung begriffen wird. Eine auf Formeln und Rechtsinstituten der "neuen Sachlichkeit" begründete Autonomie der Notenbank könnte sich also ebensowenig auf die Setzung und Änderung der Formeln erstrecken wie eine Unabhängigkeit der klassischen Verwaltung je den Erlaß jener Gesetze mit umfassen durfte, deren Rahmen S. 165, Ablehnung, S. 207, Empfehlung von Preisindices als Steuerungskriterium. s. a. unten Anm. D 27, Zitat von Veit. 92 s. u. E., Kap. 14, 15.
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ihre "alte Sachlichkeit" absteckte. Das heißt: was als "sachlich" gelten soll, Rechtsgeltung beanspruchen soll, das zu bestimmen bleibt auch bei funktionellen Bindungen der Notenbank Aufgabe der politischen Gewalten und könnte niemals in den Bereich der Notenbankautonomi e einbezogen werden. c) Orientierung am Produktivitätszuwac hs
Daß bestimmte soziale Gruppen sich bei ihrer Einkommenspolitik am Produktivitätszuwac hs ihres Sektors oder der gesamten Volkswirtschaft ausrichten oder ausrichten sollen, ist oft zu hören. In der Bundesrepublik ist durch Gesetz sogar seit 1957 eine Anpassung der Berechnungsgrundlage n für Neurenten an den volkswirt:::chaftlichen Produktivitätszuwachs vorgeschrieben93• Auch eine Koppelung irgendwelcher Art zwischen Lohnerhöhungen und Produktivitätsfortsc hritt wird angestrebt; in einigen Ländern haben sich Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisa tionen ausdrücklich auf eine Beachtung der Produktivitätsdaten geeinigt, so in Belgien, wo eine "Gemeinsame Erklärung über die Produktivität" am 5. Mai 1954 von solchen Interessenorganisationen unterschrieben wurde94• Auch Zentralbanken bemühen sich, bei der Steuerung der GesamtGeldmenge, welche bei Kreditgeld eine Steuerung von Einkommen, Einkommenszuwach s und deren Erwartung ist, das funktionelle Datum des Produktivitätszuwac hses als Orientierungskriteri um zu benutzen, vornehmlich in der Relation Löhne/Produktivität . So sagt Bombach: "Angleichung der Lohnentwicklung an den Produktivitätsfortsc hritt gilt heute vielfach als Garantie für die Aufrechterhaltung der monetären Stabilität, und Preissteigerungen werden damit erklärt, daß die Löhne schneller gestiegen seien als die Produktivität der Arbeit95. " Die Deutsche Bundesbank hat in ihrem für den Bundeskanzler im Frühjahr 1960 erstatteten Gutachten zur Währungsstabilität eine bestimmte Lohnzuwachsrate als maximal zulässig erklärt, welche sie aus dem Produktivitätsfortsc hritt ableitete. Besonders in Frankreich spielen die Produktivität und ihr Marginalwert im Denken einer bestimmten Schicht von Technokraten eine dominierende Rolle. Hier werden nicht nur Löhne, sondern auch An93 Rentenversicherungs-N euordnungsgesetz, BGBI. I, 4/1957, 45; dazu Gemeinschaft zum Schutz der Deutschen Sparer: Die Rentenreform 1956/57, Köln 1957; Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft: Das Problem der Rentenreform, Tag.Prot. Nr. 6, Ludwigsburg 1956. 94 Gemeinsame Erklärung über die Produktivität v. 5. 5. 1954 der Federation des Irrdustries Belges, Federation des Employeurs du Commerce, des Banques et des Assurances, Federation CMnerale du Travail de Belgique, Confederation des Syndicats Chretiens de Belgique. Verteilt v. d. EPAEuropean Productivity Agency, OEEC, Paris. 95 Bombach, a.a.O., S. 205.
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leihen an Produktivitätswerte gekoppelt. Jules Mannet, der die Investitionspläne nach dem Zweiten Weltkrieg einführte, hat auch das Produktivitätsdenken unterstützt. Die Gewerkschaften waren anfangs nur schwer zu gewinnen, da sie diese Bemühungen für eine neue Art von Taylorismus hielten. Über die "Association pour l'Accroissement de la Productivite" sucht die Bewegung systematischen Einfluß auf die Einstellung der französischen Unternehmer zu gewinnen. Diese Vereinigung, welche eng mit der "European Productivity Agency", einem Institut der früheren OEEC, zusammenarbeitete, ist eine private Organisation, die aber zu 60 vH vom Staat subventioniert wird; die Regierung besitzt - nach Auskunft eines der Leiter der Association ein "Gewohnheitsrecht auf Anhören" 96 • In Frankreich waren und sind auch Bestrebungen im Gange, die Privatbanken zu bewegen, Kredite nicht nach privatwirtschaftlicher Rentabilität, sondern nach volkswirtschaftlicher Produktivität zu gewähren. Frankreichs zentrale Kreditpolitik durch die Banque de France ist nach 1945 zeitweise direkt nach Produktivitätsgesichtspunkten betrieben worden; die Schwierigkeiten, denen man dabei begegnete, drückt ein offiziöser Bericht mit den Worten aus: "Beaucoup d'industries produisent a la fois des biens extremement divers dont les uns presentent plus que d'autres un caractere d'utilite97." Der Produktivitätsbegriff ist neuerdings von einigen Forschern zu einer Grundkategorie geradezu geschichtsphilosophischer Dignität erhoben worden. Fourastie z. B. versucht an diesem Maßstab die Grundtendenz der Geschichte der letzten 150 Jahre abzulesen98 • Von den möglichen Bezügen dieses Datums wählt er den auf Quanta menschlicher Arbeitszeit, gelangt also zur Arbeitsproduktivität. Sehen wir nun einstweilen noch von der Richtigkeit der ausschließlichen Bezugnahme auf den Produktivitätsbegriff als Orientierungs96 Dazu das oben (Anm. A 26) erwähnte Sonderheft der Revue Economique; und: Mendes-France: Equilibre economique et progres social, in: Le Franc, a.a.O.; Ardant: Technique de l'Etat, a.a.O.; Fourastil?: Productivite, Prix et Salaires, EPA, OECE, Proj. Nr. 235, Paris 1957; Sondernummer "Productivite" der Documentation Economique, Paris o. J. 97 La Politique de Credit en France ... , a.a.O. Zur Produktivitätsorientierung von Geschäftsbanken: Les Banques Americaines et la Productivite, Rapport de la Mission Franc;aise de Productivite aux Etats-Unis, ed. La Socil~te Auxiliaire pour la Diffusion des Editions de Productivite, Paris o. J., bes. S. 69170. - Ebenso: Les Banques Allemandes et la Productivite. - Daß solche Anregungen befolgt wurden, Privatbanken also nach (volkswirtschaftlichen) Produktivitätsgesichtspunkten ihre Geschäfte betrieben und nicht mehr allein nach (privatwirtschaftlichen) Rentabilitätsmaßstäben - ohne dazu gezwungen zu werden - , zeigt eine im Geschäftsbericht des "Credit de l'Ouest" für 1956, S. 23, erkennbare Regionalplanung einer Geschäftsbank. 98 Fourastie: Histoire .. ., a.a.O., Le Grand Espoir . .. , a.a.O.
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kriterium der Geldpolitik ab, so bleibt als erstes die Frage offen, ob Produktivitätsindices- ebenso wie Preisindices- unangreifbar sachlich richtig zu berechnen sind. Dagegen gibt es schwerwiegende Einwände; z. B. sagt Bombach: "Die Arbeitsproduktivität des Statistikers, die heute als Leitzahl der Lohnpolitik zu einem Politikum erster Ordnung geworden ist, ist nichts als eine bloße Beziehungszahl mit allen Schwächen eines unechten Durchschnittes. Tückische Aggregations- und Messungsprobleme liegen hinter ihr verborgen99." Fourasties Methode beruht auf einer Relation zwischen Erzeugerpreisen und Arbeitszeit und birgt - abgesehen von der Schwierigkeit, gesetzliche oder gar faktische Arbeitszeit-Durchschnitte und die Arbeitsbevölkerung über Jahrzehnte hinweg erfassen zu müssen - eine Geldgröße in sich, die schwer eliminiert werden kann. Er vernachlässigt weiter ausdrücklich den verschiedenen Grad der natürlichen Knappheit: "De 1800 a 1940, ce n'est nulle part la rarete des matieres premieres qui a limite le rendement100." Zu bedenken gibt hier, daß die Berechnung auf Basis der Arbeitsproduktivität dem Faktor Kapital - also, unterhalb des Geldschleiers gesehen: Sach- und Naturleistungen- keine formelhafte Einwirkung, und deshalb auch keine Einkommensverteilungsfunktion, zumißt. Je nach Berechnungsbasis kommt man nämlich zu recht verschiedenen Ergebnissen des Produktivitätszuwachses; so Colin Clark: "While the USA has effected such immense improvements in yield per man-hour, it is interesting to see that per unit of area it is hardly any higher than it was 40 years ago101 . " Es ist zwar auch eine Produktivitätsberechnung auf Grund der Kapitalproduktivität möglich, aber auch dieser "Kapitalkoeffizient" ist durch eine schwer eliminierbare Geldgröße verfälscht, so daß Bornbach geradezu folgert: "Wir können hier nicht auf die an sich sehr wichtige Frage eingehen, ob die Leistung des Produktionsfaktors Kapital in diesem Zusammenhang nicht besser durch Strömungsgrößen, also Maschinenstunden usw., gemessen werden sollte102." Selbst wenn es jedoch möglich wäre, sowohl Arbeitsproduktivität als auch Kapitalkoeffizient auf nicht-monetäre "rein sachliche" Leistungen, Mengen und Zeiten zurückzuführen, so bleibt eine Schwierigkeit immer bestehen, welche der soziologische, ja politische Charakter des scheinbar rein funktionell-technisch neutralen Produktivitätsbegriffs mit sich bringt. Die Durchschnitts- oder Grenzproduktivität einer arbeitsteiligen Wirtschaft ist nämlich immer ein gesellschaftliches S.9
Bombach,
a.a.O., 8.157.
° Fourastie: Histoire . .., a.a.O., S. 41; Le Grand Espoir ..., a.a.O., S 7.
10
1o1 102
Colin Ctark, a.a.O., S. 295.
Bombach,
a.a.O., S . 225.
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Phänomen, welcher Tatsache Berechnungen beim Kapitalkoeffizienten auch durch Einbau einer "Strukturkomponente" stattgeben, und woraus Clark und Fourastie überhaupt erst ihre soziologischen Folgerungen für die Wirkung der Produktivitätszunahme auf die einzelnen Wirtschaftssektoren (den primären, sekundären und tertiären) ziehen. Diese gesellschaftlich-e Grundlage des Produktivitätsbegriffs führt nun zu einer Annäherung dieses aus der Marktwirtschaft abgezogenen Begriffs an Kategorien, welche für das marxistische System grundlegend sind. Diese Annäherung scheint uns für die oben im 6. Kapitel erwähnte Hypothese zu sprechen, daß Marktwirtschaft und Sowjetsystem bei ihrer Suche nach einer rationalen, der Geldpolitik oder dem Zentralplan zugrundezulegenden, ökonomischen Rechenbasis vor sehr ähnlichen Schwierigkeiten stehen. Sie scheinen beide auch denselben Fehler zu begehen, sobald sie, die Marktwirtschaft im Produktivitätsbegriff, das Sowjetsystem in dem gleich zu erörternden, analogen marxistischen Begrüf, diese rationale Rechenbasis und damit eine Lösung ihrer Schwierigkeiten gefunden zu haben glauben. Wir meinen nämlich, daß der marktwirtschaftliche Produktivitätsbegrüf seine genaue marxistische Entsprechung in dem Begriff "gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit", letztlich in der marxistischen Arbeitswerttheorie, findet und genau denselben Gefahren ausgesetzt ist wie diese. Das sei durch eine kurze Analyse eines Marxschen G-edankens erläutert: Der Tauschwert eines Gutes - auch der der "Ware" Gold - ist nach Marx gleich dem Wert der in ihr verkörperten Arbeit. Um den dehnbaren Begriff "Arbeit" zu konkretisieren, führt Marx den Begriff "gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit" ein. Lassen wir ihn selbst sprechen: "(Der Leineweber) soll auf sein Produkt nur den gesellschaftlich notwendigen Durchschnitt von Arbeitszeit verausgabt haben. Der Preis der Ware ist also nur Geldname des in ihr vergegenständlichten Quantums gesellschaftlicher Arbeit. Aber ohne Erlaubnis und hinter dem Rücken unseres Leinewebers gerieten die altvertrauten Produktionsbedingungen der Leineweberei in Gärung. Was gestern zweifelsohne gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit zur Produktion einer Elle Leinwand war, hört heute auf, es zu sein . .. Zu seinem Unglück gibt's viele Weber auf der Welt. Gesetzt endlich, jedes auf dem Markt vorhandne Stück Leinwand enthalte nur gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit. Trotzdem kann die Gesamtsumme dieser Stücke überflüssig verausgabte Arbeitszeit enthalten. Vermag der Marktmagen das Gesamtquantum Leinwand, zum Normalpreis von 2 Schilling per Elle, nicht zu absor;bieren, so beweist das, daß ein zu großer Teil der gesellschaft-
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liehen Gesamtarbeitszeit in der Form der Leinweberei verausgabt wurde. Die Wirkung ist dieselbe, als hätte jeder einzelne Leinweber mehr als die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit auf sein individuelles Produkt verwandt. Hier heißt's: mitgefan.gen, mitgehangen103." Was Marx zu Beginn die gesellschaftlich notwendige Arbeitzeit nennt, ist die technisch notwendige Arbeitszeit. Die Technik ist zwar ein gesellschaftliches Ereignis, oder genauer: ein historisches, aber deren gibt es viele, und sowohl als Logiker als auch als Dialektiker muß man das genus proximum durch die differentia specifica definieren. Erfolgt das nicht, so kann es geschehen, daß unter dem Begriff "gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit", wie er dann in der zweitletzten Zeile des Marxzitats gebraucht wird, etwas ganz anderes verstanden wird als die technisch notwendige Arbeitszeit: nämlich derjenige Teil der unter technisch notwendigen Bedingungen auf die Produktion von Leinwand verwandten Arbeitszeit der gesamten Gesellschaft, dessen Produktion tatsächlich auch Absatz findet, weil sie nachgefragt ist. Man könnte ihn allenfalls die "gesellschaftlich nachgefragte, technisch notwendige Arbeitszeit" nennen. Das heißt: Sowohl die Produktivität als auch ihre marxistische Entsprechung, welche wir hier kurz als "Arbeitswert" bezeichnen, können nur unter einer gewissen Voraussetzung gültiger Maßstab für den Tauschwert einer Produktion sein, und entsprechend einen Maßstab für die Planung oder die Geldsteuerung abgeben. Diese Voraussetzung ist eine konstante oder sonstwie gegebene Nachfrage. Die Reduktion der Wirtschaftsvorgänge und ihrer Steuerung auf die reine Arbeitsproduktivität - wie auf eine reine "gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit", mit der in Wirklichkeit die technisch notwendige Arbeitszeit gemeint ist - reduziert das Wirtschaften auf den technischen Vorgang des Anfertigens und vernachlässigt die Frage, ob die Produktion auch nachgefragt ist. Sie vernachlässigt also das zweite Preisbestimmungsdatum in der Marktwirtschaft neben dem Angebot. Die reine technische Produktivität wäre z. B. ein ausreichendes Planoder Geldsteuerungskriterium, wenn die Nachfrage - nach einem bestimmten Gut oder insgesamt - unbegrenzt wäre. Diese Annahme kann jedoch nur für eine völlig unterentwickelte Wirtschaft Geltung haben. In einer höchstentwickelten Wirtschaft kann die Produktivität allein schon deshalb nicht oberster oder gar einziger gültiger Maßstab sein, weil es nicht mehr nur das "Produzieren" von Gütern und Leistungen ist, welches das Wachstum einer Wirtschaft in ihrem funktionellen Zusammenhang bestimmt; eine "Überfiußwirtschaft" etwa bedarf zusätzlich des Anreizes zur Nachfrage, um die gesamte Produk103
Marx: Kapital, a.a.O., Bd. I, S. 112.
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tion absetzen zu können104 • Für die Leistung des Vertriebs-, Absatz-, Werbe-, Marketing- und Servicepersonals dürfte es schwierig sein, einen gesamtvolkswirtschaftlichen Produktivitätsbegriff als Maßstab anzuwenden. Diese realwirtschaftlichen Überlegungen finden ihre Entsprechung auf der Geldseite. Die Steuerung eines Kreditgeldes nach Produktivitätsdaten ist eigentlich nur die gesamtvolkswirtschaftliche, nunmehr substanzlos funktionelle Form derjenigen Geldsteuerung, wie sie bereits die Goldwährung vollzog. Bei der letzteren erfolgte die Anlehnung lediglich an die Produktivität eines einzigen Wirtschaftszweiges, nämlich der Goldsuche, des Goldbergbaus und der Goldgewinnung. Die Nachfrage nach Gold wurde als unbegrenzt angesehen. So wie die moderne Wirtschaftssteuerung die Annahme einer grenzenlosen Nachfrage fallen lassen müßte, so wendet auch die moderne Geldtheorie bereits die These vom abnehmenden Grenznutzen auf die "Ware" Geld an. Es erfolgte die "critical reexamination of the view that the elasticity of demand for money is always unity and consequently that prices are always directly proportional to the quantity of money" 105 • Die Produktivitätsformel kann also nur einen der zahlreichen makroökonomischen Bestimmungsgründe des Wirtschaftswachstums und der Geldumlaufsvermehrung anbieten. Immerhin scheint uns bedeutsam, daß mit der Rolle, die diese Formel für die Geldpolitik heute noch spielt, in gewisser Form die marxistische Arbeitswerttheorie innerhalb der Marktwirtschaft ihre Wiederauferstehung erlebt. Durch das Zurückführen des Geldes auf seine Arbeitsleistung versucht der Mensch offenbar immer wieder, es, wie SimmeZ sagt, "wenigstens ursprünglich auch zu irgend einem zentralen Wertgefühl ... in Beziehung" zu setzen106. Die erste französische Verfassung von 1791 nahm den Tageslohn als monetären Wertmesserto7. Eine strenge Bindung der Geldpolitik an die Funktionsformel des Produktivitätszuwachses erlaubte zwar eine rein sachliche Geldpolitik, aber für den Preis, nur die technischen Vorgänge zu begreifen, seien es die einer unbegrenzt erscheinenden Produktionsvermehrung oder die einer auf unbegrenzte Nachfrage hingesteuerten Konsumtion. Sie wäre damit gleichzeitig eine "unmenschliche" Geldpolitik. So ist auch Dazu Galbraith: The Affluent Society, Boston 1958. Gregory: Art. "Money", in: Encyclopaedia of the Social Sciences, 1933. Simmel, a.a.O., S. 389. - Vgl. die Versuche Simmels (S. 457-486), die Arbeitswerttheorie als die "philosophisch interessanteste" zu beweisen. Er endet schließlich bei einem angeblich sozialistischen Planungssystem, dessen Prinzipien sich in nichts von der Urform einer liberalen Marktwirtschaft unterscheiden. 107 Simmel, a.a.O., S. 389. 104 105 106
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C. Versachlichung der Geldpolitik
die Kritik Jacques Elluts an dem Produktivitätstheoretiker Fourastie zu verstehen: "Je m'oppose ici a cette attitude, qui, par exemple chez M. Fourastie, combine les elements selon la pure logique, et donne un resultat terriblement lineaire et peu humainlos." Aus derselben Einsicht heraus sagte auch ein Zentralbankpräsident, Dr. Schacht, als Zeuge vor einem Untersuchungsausschuß: "Die Kunst der Reichsbankpolitik besteht demnach nicht darin, irgendwelche arithmetischen oder geometrischen festliegenden Zahlenreihen oder Größenverhältnisse anzuwenden. Wenn das das Geheimnis einer Diskontpolitik wäre, so müßte man natürlich zweckmäßigerweise einen Mathematiklehrer :uur Leitung der Reichsbank berufen (Vorsitzender Bernhard: eine Additionsmaschine wäre besser! - Heiterkeit) 1 09. " Ähnliche Aussprüche amerikanischer Zentralbankfachleute anläßlich der zahlreichen "Hearings" in den zwanziger Jahren, bei denen es um eine strengere Legalisierung des Federal Reserve System ging, sind Legion und wurden zum Teil auch oben in den Kapiteln 4 und 8 b erwähnt. Noch der Präsident der Bank deutscher Länder, Dr. Vocke, mußte sich 1956 gegen eine mechanische Anpassung der Geldp