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German Pages 193 Year 2012
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1201
Planungsrecht in der gerichtlichen Kontrolle Kolloquium zum Gedenken an Werner Hoppe Herausgegeben von Wilfried Erbguth und Winfried Kluth
Duncker & Humblot · Berlin
WILFRIED ERBGUTH / WINFRIED KLUTH (Hrsg.)
Planungsrecht in der gerichtlichen Kontrolle
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1201
Planungsrecht in der gerichtlichen Kontrolle Kolloquium zum Gedenken an Werner Hoppe
Herausgegeben von Wilfried Erbguth und Winfried Kluth
Duncker & Humblot · Berlin
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Begrüßung Von Marion Eckertz-Höfer, Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Sehr geehrte Damen und Herren, ich begrüße Sie herzlich im Bundesverwaltungsgericht. Der Anlass ist zwiespältig: Ich wünschte mir jedenfalls, Werner Hoppe wäre heute dabei und wir könnten heute ein Fachkolloquium zu seinem 80. Geburtstag veranstalten. Sein runder Geburtstag wäre im Juni dieses Jahres gewesen. Professor Hoppe wäre heute sicher unter den eifrigsten Diskutanten! Ein Treppensturz im Bahnhof von Münster im letzten Jahr hat Werner Hoppe das Leben gekostet. Dieser tragische Tod hat mich – wie sicher viele von Ihnen – tief erschüttert. Dass Sie heute statt zu einem Geburtstags- zu einem Gedächtnis-Kolloquium nach Leipzig gekommen sind, erweist uns, dass er nicht vergessen werden wird. Nicht vergessen werden wird er ganz besonders im Planungsrecht. Hier hat Werner Hoppe durch sein jahrzehntelanges und unermüdliches Wirken sicher die tiefsten Spuren hinterlassen. Erkennbar wird dies bereits an der organisatorischen Ausgestaltung des heutigen Tages: Nicht nur, dass die Veranstaltung hier im Bundesverwaltungsgericht stattfindet. Was sicher angemessen ist, kann dieses Gericht doch für sich in Anspruch nehmen, zahlreiche seiner Gedanken zum Planungsrecht geprüft, für gut befunden, andere verworfen, oder prozessual eingekleidet und damit justiziabel gemacht zu haben. Die heutige Veranstaltung, sie hat auch eine Reihe der bekanntesten Planungsrechtler der Bundesrepublik hier zusammengeführt. So kann ich hier nicht nur meine früheren Kollegen Prof. Jörg Berkemann und Dr. Stefan Paetow, sondern als weitere Referenten auch die Professoren Michael Uechtritz (Stuttgart), WolfRüdiger Schenke (Mannheim), Wilfried Erbguth (Rostock), Martin Beckmann (Münster), Winfried Kluth (Halle) begrüßen. Seien Sie herzlich willkommen! Wie sich Werner Hoppes reichhaltigen Schriften entnehmen lässt, fanden in seiner Person Praxis und Wissenschaft zu einer besonders glücklichen Verbindung. Hierauf weist schon hin, dass er zunächst als Rechtsanwalt begann. Seine Habilitation erfolgte erst später. Bedeutsame Mandate erwiesen sich ebenso wie die Hochschullehrertätigkeit als ein intellektuelles Reizklima. Es inspirierte Werner Hoppe zu zahlreichen rechtswissenschaftlichen Schriften. Heute können wir in verschiedensten Rechtsge-
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Begrüßung
bieten wie dem Kommunal-1, Bau-2 und Umweltrecht3 – um nur Beispiele zu nennen – auf seine Schriften und Lehrbücher zurückgreifen,4 teilweise inzwischen Standardwerke! Diesen zahlreichen Veröffentlichungen lässt sich sein unablässiges Ringen um die Fortentwicklung des Verwaltungsrechts und dabei vor allem des Planungsrechts entnehmen. Dem Planungsrecht hatte sich Hoppe schon früh gewidmet: Bereits in einem Aufsatz von 19645 hatte Hoppe die Grundelemente des Abwägungsgebots im Bundesbaugesetz herausgearbeitet. Es ging ihm um die Eigenständigkeit der planerischen Abwägung gegenüber einer allgemeinen Ermessenslehre. So gehört die formale und inhaltliche Systematisierung des Abwägungsgebotes zu seinen Meisterleistungen. Hoppe hat damit nicht zuletzt auch der späteren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts den Weg bereitet6. Aber auch andere Strukturprinzipien, die von Hoppe geprägt wurden, haben es in den festen Bestand unserer Rechtsordnung geschafft. Greifen wir noch eines heraus. So hat der Gesetzgeber zwischenzeitlich bekanntermaßen den zunächst nur dogmatisch entwickelten Grundsatz der Planerhaltung in der Kodifizierung der §§ 214 ff. BauGB aufgegriffen. Auch im Fachplanungsrecht im engeren Sinne finden sich entsprechende Gedanken. Hoppe hat hierzu einmal selbst bekannt, er habe sich diesbezüglich vom Saulus zum Paulus gewandelt7. Das juristische Damaskus-Erlebnis soll dabei übrigens einer Anregung Horst Sendlers entsprungen sein.8 Die bekannt gewordene, zugleich umstrittene Mahnung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1979 an die Tatsachengerichte, sie sollten sich davor hüten, „von sich aus und gleichsam ungefragt in eine Suche nach Fehlern in der Vor- und Entstehungsgeschichte eines Bebauungsplans einzutreten“,9 verwies überdies auf einen offensichtlich praktischen Bedarf, jedenfalls an einem Mindestmaß an Planerhaltung im Fehlerfall. Dem damals vorherrschenden Nichtigkeitsdogma schwor Hoppe ab, weil er – wie er es
1 Z.B. Handbuch kommunale Unternehmen, hrsg. von Werner Hoppe und Michael Uechtritz. Bearb. von Stefanie Beinert. 2., vollst. überarb. Aufl. Köln 2007. 2 Z.B. Werner Hoppe / Christian Bönker / Susan Grotefels, Öffentliches Baurecht: Raumordnungsrecht, Städtebaurecht, Bauordnungsrecht. Unter Mitarb. von Jan-Dirk Just / Bernd Schieferdecker; 4. Aufl. München 2010. 3 Z.B. Werner Hoppe / Martin Beckmann / Petra Kauch, Umweltrecht: juristisches Kurzlehrbuch für Studium und Praxis. 2., vollst. überarb. Aufl. München 2000. 4 Vgl. nur die Aufstellung im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek, https://portal.d-nb. de/opac.htm?query=Woe%3D119346702&method=simpleSearch. 5 Hoppe, DVBl 1964, 165. 6 So die Bewertung Sendlers, DVBl 2005, S. 659 ff., S. 662. 7 Werner Hoppe, Der Rechtsgrundsatz der Planerhaltung als Struktur- und Abwägungsprinzip, in: Abwägung im Recht, Symposium zur Emeritierung von Werner Hoppe (Hrsg. W. Erbguth u. a.), 1996, S. 133, 134. 8 A.a.O. (Fn. 5). 9 Urteil vom 7. 9. 1979 – BVerwG 4 C 7.77, Buchholz 406.11 § 10 BBauG Nr 10.
Begrüßung
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selbst ausdrückte – sich nicht länger als „Totengräber von Plänen“10 begreifen wollte. In der Debatte pro und contra Planerhaltung setzte er aber nicht zuletzt auf moderate Lösungen: Dies zeigen die Figuren der „Planergänzung“ oder des „ergänzenden Verfahrens“. Welche Verdienste sich Werner Hoppe in Rechtswissenschaft und Praxis erworben hat, zeigt insb. auch eine Festschrift, die zu Werner Hoppes 70. Geburtstag im Jahr 2000 erschien. Sie ist nicht nur über 1.100 Seiten stark – was ja selbst für eine Festschrift als „stattlich“ zu bezeichnet ist. Sie kann vor allem aber auch inhaltlich glänzen. Ein Rezensent – übrigens der heutige Referent und Kollege Paetow – wertete sie damals als „ein Werk […] das […] des wohl einflussreichsten Planungsrechtlers der letzten Jahrzehnte wahrhaft würdig ist.“11 „Planung“ lautete dementsprechend der schlichte, aber damit zugleich ambitionierte Titel des Werks, in dem sich 60 namhafte Autoren daran gemacht hatten, zu Ehren Hoppes den aktuellen Stand des Fachplanungsrechts zusammenzutragen. Möglicherweise setzt das heutige Kolloquium dieses Werk fort. Ich bin mir jedenfalls sicher, dass es in Werner Hoppes Sinn ist, dass es heute vor allem fachbezogen um die Gegenwartsthemen des Planungsrechts gehen soll. Sie haben also ein spannendes Programm vor sich. Ich wünsche Ihnen ein interessantes und ertragreiches Kolloquium, einen lebhaften Gedankenaustausch hier im Bundesverwaltungsgericht.
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A.a.O. (Fn. 6). DVBl. 2001, 619.
Inhaltsverzeichnis Jörg Berkemann Die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Planungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Michael Uechtritz Die planerische Steuerung des großflächigen Einzelhandels . . . . . . . . . . . . . . . .
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Wolf-Rüdiger Schenke Gerichtliche Kontrolleröffnungen gegenüber Plänen, insbesondere gegenüber Raumordnungs- und Flächennutzungsplänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Wilfried Erbguth Die planerische Abwägung und ihre Kontrolle – aus rechtsstaatlicher Sicht . . . . 103 Martin Beckmann Planfeststellung zwischen Zulassungsverfahren und Planung. Steht die Zukunft der Planfeststellung auf dem Spiel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Winfried Kluth Standort und rechtlicher Stellenwert des zentralörtlichen Gliederungsprinzips im Recht der Raumordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Stefan Paetow Ziele der Raumordnung – Entwicklung in Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit . . 179
Die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Planungsrecht Von Jörg Berkemann Die Kompetenzfrage darf sich nicht als Schranke für eine in jeder Hinsicht optimale Planung erweisen.1
I. Allgemeines Das Begriffsfeld „Entwicklung“ als Vorgang erfasst, beurteilt und bewertet Entstehen und Verändern, aber auch Vergehen und Verlust. Dennoch besitzt das Wort zumeist eine positive Grundstimmung. Das sich in ihm andeutende Progressive intendiert Zeitdimensionen, die längerfristig gedacht werden. Zugleich fordert es den Betrachter auf, rückwärts zu sehen und so eine historische Perspektive einzunehmen. Gerade darin liegt eine Gefahr. Stark ist dann die Neigung zu spüren, in der Abfolge einzelner Befunde, Ereignisse oder eingeleiteter Bewegungen eine innere Logik zu sehen. Dies suggeriert nicht selten eine Zwangsläufigkeit auch dort, wo es schlicht Separates und Chronologisches zu betrachten gilt. Und um es gleich mit Klarheit zu sagen: In den Judikaten des BVerwG herrscht keineswegs der allesverbindende Weltgeist hegelscher Sicht. Man darf auf die „List der Vernunft“ nur hoffen. Sie dem Gang zahlreicher Judikate des BVerwG zugrunde zu legen, wäre leichtfertig.2 Zeitströmungen, auch juristische, gibt es gewiss. Personale Qualitäten treten hinzu. Hier soll mit dem Planungsrecht ein zentraler Bereich des öffentlichen Rechts betrachtet werden. Für die Entwicklung des Planungsrechts bildet das Baurecht des 1 BVerwG, Urt. v. 18.04.1996 – 11 A 86.95 – DVBl 1996, 921 = NVwZ 1996, 901 unter Bezug auf BVerwG, Urt. v. 26.05.1994 – 7 A 21.93 – NVwZ 1994, 1002. 2 Vgl. auch die Darstellungen Blumenberg, Neuere Entwicklungen zu Struktur und Inhalt des Abwägungsgebots im Bauplanungsrecht, DVBl 1989, 86; Wahl, Entwicklung des Fachplanungsrechts, NVwZ 1990, 426; Wahl/Hönig, Entwicklung des Fachplanungsrechts, NVwZ 2006, 161; Wahl/Dreier, Entwicklung des Fachplanungsrechts, NVwZ 1999, 606; SchulzeFielitz, Verwaltungsgerichtliche Kontrolle der Planung im Wandel – Eröffnung, Maßstäbe, Kontrolldichte, in: Festschrift für Werner Hoppe zum 70. Geburtstag 2000, S. 997; Erbguth, Abbau des Verwaltungsrechtsschutzes. Eine Bestandsaufnahme anhand des Fachplanungs- und Immissionsschutzrechts, DÖV 2009, 921; Blümel, Die Entwicklung des Rechtsinstituts der Planfeststellung, in: Erbguth/Oebbecke/Rengeling (Hrsg.), Planung. Festschrift für Werner Hoppe zum 70. Geburtstag 2000, München 2000, S. 3.
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Jörg Berkemann
BBauG 1960 gleichsam den Prototyp. An ihm beginnt das BVerwG seine Rechtsprechung zum Bauplanungsrecht und, etwas später, vor allem zum Fachplanungsrecht zu entwickeln. Das Bundesbaurecht kann dieses Jahr (2010) seinen fünfzigjährigen Geburtstag feiern. Widmet man dem Planungsrecht des Baurechts und des Fachplanungsrechts für jedes Jahr nur eine Entscheidung des BVerwG, sprengt bereits dies den Rahmen. So bleibt dem Autor nur die Auswahl, mithin ein pars pro toto.
II. Das Abwägungsgebot 1. Der Einstieg: Das bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot – BVerwGE 34, 301 [1969] Die Leistung des BVerwG beginnt 1969 damit, das Abwägungsmodell von der tradierten Regelungsdogmatik des „Ermessens“ zu entkoppeln. Noch schreibt man etwas unscharf als Leitsatz „Zum Zusammenhang zwischen Planung und Planungsermessen“.3 Dieses Abwägungsgebot bildet im Bauplanungsrecht eine Art Brücke zwischen dem Betroffensein eines (individuellen) Interesses und der Pflicht des Planers, dieses Interesse bei der Entscheidung über den Erlass und den Inhalt des Planes zu berücksichtigen. Noch ist es nicht so weit. Man darf daran erinnern, dass BVerwGE 34, 301 eine Klage einer Gemeinde zum Gegenstand hat, die sich gegen die Versagung der Genehmigung ihres Bebauungsplanes wehrt. Die Genehmigung darf nur versagt werden, wenn der Plan dem BBauG widerspricht. Das BVerwG sieht den Prüfungsmaßstab in § 1 Abs. 5 BBauG 1960, den es noch als „Schranke des Planungsermessens“ versteht. Die Entscheidung macht Karriere, obwohl der Lorbeer einem früheren Judikat gebührt. In BVerwG DVBl 1969, 697 hatte das BVerwG bereits formuliert: „Das Gebot, die von einer Planung berührten öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen (§ 1 Abs. 4 S. 2 BBauG), ergibt sich aus dem Wesen einer rechtsstaatlichen Planung und gilt dementsprechend allgemein.“4 Das ist ein kühner Satz. Nicht das BVerwG, sondern der Gesetzgeber ist es, der in § 1 Abs. 4 S. 2 BBauG 1960 das bauplanungsrechtliche Gebot der Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen statuiert, vielleicht nicht ganz wissend, was er „anrichtet“. Aber erst das 3 BVerwG, Urt. v. 12. 12. 1969 – IV C 105.66 – BVerwGE 34, 301 = DVBl 1970, 414 (zu OVG Lüneburg, Urt. v. 08. 09. 1966 – DVBl 1967, 391); BVerwG, Urt. v. 05. 07. 1974 – IV C 50.72 – BVerwGE 45, 309 (312) = DVBl 1974, 767 = NJW 1975, 70 (zu OVG Münster, Urt. v. 12. 04. 1972 – VII A 844/71 – DVBl 1972, 687 [Flachglas]); BVerwG, Urt. v. 01. 11. 1974 – IV C 38.71 – BVerwGE 47, 144 (146) = DVBl 1975, 492 = NJW 1975, 841; BVerwG, Urt. v. 07. 07. 1978 – IV C 79.76 – BVerwGE 56, 110 (116) = DVBl 1978, 845 = NJW 1979, 64 (Planfeststellung für einen Verkehrsflughafen [Frankfurt]); BVerwG, Beschl. v. 09.11.1979 – 4 N 1.78 – BVerwGE 59, 87 (98) = DVBl 1980, 233 = NJW 1980, 1061 (Bebauungsplan). 4 BVerwG, Urt. v. 30. 04. 1969 – IV C 6.68 – DVBl 1969, 697 = NJW 1969, 1868, unter Bezug auf BVerwG, Urt. v. 11. 10. 1968 – NJW 1969, 340.
Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Planungsrecht
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BVerwG ist es, welches aus diesem Nebensatz eine wirkliche Perle seiner Judikatur entwickelt. Es ist das Modell der abwägenden, planerischen Entscheidung und ihrer gerichtlichen Kontrolle. Die intellektuelle Leistung wird sich mit dem Namen des Richters Felix Weyreuther (1928 – 1997) verbinden.5 Das Abwägungsgebot, dogmatisch aus der Ermessenslehre entwickelt und diese doch überhöhend, ist ein Kind rechtsstaatlich gebotener Rationalität. Intuitiv wird erkannt, dass zwischen dem Produktionsvorgang und dem Produktionsergebnis zu unterscheiden sei.6 Obwohl die Belastung sich erst im Entscheidungsergebnis offenbart, erkennt das BVerwG alsbald, dass dieses Ergebnis seine innere Legitimation aus der Zielsetzung einer geforderten Konfliktlösung und der Rationalität des Produktionsvorganges bezieht. Das Gericht versteht dies in zweierlei Hinsicht: Der Anspruch auf sachgerechte Abwägung schließt im Allgemeinen einen Anspruch auf ein bestimmtes Abwägungsergebnis aus. Eine Planung ohne Gestaltungsfreiheit wäre ein Widerspruch in sich selbst, formuliert das BVerwG textbausteinartig immer wieder.7 Gleichwohl betrifft das Abwägungsgebot mit seinen Anforderungen sowohl den Abwägungsvorgang als auch das Abwägungsergebnis.8 Danach muss eine Abwägung überhaupt stattfinden, in sie ist an Belangen einzustellen, „was nach Lage der Dinge eingestellt werden muss“, die Bedeutung der Belange muss richtig gewichtet werden, und der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen muss in einer Weise vorgenommen werden, der zu ihrer objektiven Gewichtigkeit nicht außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das 5 Vgl. Redeker, Richterpersönlichkeiten – Erinnerungen eines Anwalts, in: Schmidt-Aßmann u. a. (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, Köln 2003, S. 127 ff. 6 Vgl. jüngst Erbguth, Abwägung als Wesensmerkmal rechtsstaatlicher Planung – die Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips, UPR 2010, 281; vgl. auch Berkemann, Horizonte rechtsstaatlicher Planung, in: ders. u. a. (Hrsg.), Planung und Plankontrolle. Festschrift Otto Schlichter, Köln 1995, S. 27. 7 BVerwG, Urt. v. 27.10.1999 – 11 A 1.99 – juris (zu § 18 Abs. 1 AEG). Vgl. auch BVerwG, Urt. v. 12. 12. 1969 – IV C 105.66 – BVerwGE 34, 301 (304) = DVBl 1970, 414 (zu OVG Lüneburg, Urt. v. 08. 09. 1966 – DVBl 1967, 391); BVerwG, Urt. v. 07. 07. 1978 – IV C 79.76 – BVerwGE 56, 110 (116) = DVBl 1978, 845 = NJW 1979, 64 (Planfeststellung für einen Verkehrsflughafen [Frankfurt]), ähnlich BVerwG, Urt. v. 11.04.1986 – 4 C 51.83 – BVerwGE 74, 124 (133) = DVBl 1986, 1003 = NVwZ 1986, 837 (Beteiligung der Gemeinden bei Verteidigungsprojekten und Verteidigungsbauten); BVerwG, Urt. v. 10. 02. 1978 – IV C 25.75 – BVerwGE 55, 220 = DVBl 1979, 63 = NJW 1978, 2308 (wasserrechtliche Planfeststellung für einen Kiesabbau); vgl. auch BVerwG, Urt. v. 09.03.1990 – 7 C 21.89 – BVerwGE 85, 44 = DVBl 1990, 589 = NVwZ 1990, 969 (abfallrechtliche Planfeststellung). Abweichend für die atomrechtliche Planfeststellung BVerwG, Beschl. v. 26.03.2007 – 7 B 74.06 – NVwZ 2007, 837 (zu OVG Lüneburg, Urt. v. 08.03.2006 – 7 KS 145/02 – DVBl 2006, 1044), für die bergrechtliche Planfeststellung BVerwG, Urt. v. 15.12.2006 – 7 C 1.06 – BVerwGE 127, 259 = NVwZ 2007, 700 (zu OVG Münster, Urt. v. 27.10.2005 – 11 A 1751/04 – NuR 2006, 320) – jeweils insoweit „gebundene“ Entscheidungen. 8 Erneut und dezidiert: BVerwG, Urt. v. 05. 07. 1974 – IV C 50.72 – BVerwGE 45, 309 (312) = DVBl 1974, 767 = NJW 1975, 70 (zu OVG Münster, Urt. v. 12. 04. 1972 – VII A 844/71 – DVBl 1972, 687 [Flachglas]); ebenso für die „naturschutzrechtliche“ Abwägung BVerwG, Urt. v. 27.09.1990 – 4 C 44.87 – BVerwGE 85, 348 = DVBl 1991, 209 = NVwZ 1991, 364.
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Abwägungsgebot dann nicht verletzt, wenn sich der zur Planung berufene Planungsträger in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet.9 Mit der Formel „nach Lage der Dinge“ soll vereinfachend darauf aufmerksam gemacht werden, dass ein Zusammenstellen des Abwägungsmaterials nicht um seiner selbst willen, sondern im Hinblick auf die zu treffende planerische Entscheidung zu erfolgen habe, welche die vielfältigen, auch gegenläufigen Belange nicht aus dem Blick verlieren darf.10 Es stört das Gericht nicht, dass die Formel „nach Lage der Dinge“ zirkulären Charakter besitzt. Die Richter wissen, was sie damit meinen. Und so bietet diese Formel gute Möglichkeiten, neue Entwicklungen als zu betrachtende und „einzustellende“ Belange aufzunehmen. Der Gesetzgeber lässt das BVerwG gewähren. Dennoch schwankt das BVerwG seit Anbeginn und schwankt immer noch in seiner Grenzziehung: Die inhaltliche Bestimmung und die Anwendung der in den gesetzlichen Ermächtigungen enthaltenen Begriffe ist einerseits der gerichtlichen Kontrolle uneingeschränkt unterworfen. Hier wird der gerichtliche Durchgriff von Anfang an reklamiert. Die Abwägung der von der planerischen Entscheidung berührten Belange besteht andererseits im Wesentlichen darin, diese Belange in ihrem Verhältnis zueinander zu gewichten. Diese Gewichtung ist dem BVerwG grundsätzlich Ausdruck der planerischen Gestaltungsfreiheit. Das soll respektiert werden, ohne Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zu missachten. Die Gewichtung kann aus zwei Gründen fehlerhaft sein. Zum einen: Die aus dem Abwägungsgebot folgende Verpflichtung, in die Abwägung an Belangen einzustellen, was „nach Lage der Dinge“ in sie eingestellt werden muss, bedeutet, dass alle die Planung, d. h. die Planziele legitimierenden und die von der Planung berührten Belange, ermittelt, als „Abwägungsmaterial“ erkannt und festgestellt werden müssen. Das BVerwG formuliert also ein offenes Relevanzkriterium. Das sind der prozessuale und der dogmatische Preis, den das Gericht zahlen muss, um ein akzeptiertes Finalprogramm kontrollierbar zu machen.11 So sind etwa in die straßenrechtliche Abwägung nicht nur diejenigen öffentlichen und privaten Belange einzustellen, in die zur Verwirklichung des Straßenbauvorhabens unmittelbar eingegriffen werden muss, sondern auch solche Belange, auf die sich das Vorhaben als raumbedeutsame Maßnahme nur mittelbar auswirkt.12 Zum anderen: Die Gewichtung ist ferner fehlerhaft, wenn im Abwägungsvorgang oder im Abwägungsergebnis
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BVerwG, Urt. v. 12. 12. 1969 – IV C 105.66 – BVerwGE 34, 301 = DVBl 1970, 414. BVerwG, Beschl. v. 26.06.1992 – 4 B 1 – 11.92 – DVBl 1992, 1435 = NVwZ 1993, 572 = juris Rdnr. 23. 11 Zum „Finalprogramm“ der Abwägung vgl. seinerzeit Hoppe, in: Ernst/Hoppe, Das öffentliche Bau- und Bodenrecht, Raumplanungsrecht, 2. Aufl. München 1981, Rdnr. 186, 312; Wahl, Rechtsfragen der Landesplanung und der Landesentwicklung, Berlin 1978, S. 86; weiterführend Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, Tübingen 1968, S. 58 ff. (68 ff.). 12 BVerwG, Urt. v. 15. 04. 1977 – IV C 100.74 – BVerwGE 52, 237 = NJW 1978, 119. 10
Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Planungsrecht
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einer der Belange in einer Weise berücksichtigt wird, die zu seiner objektiven Gewichtigkeit außer Verhältnis steht.13 Diese Gewichtigkeit wird anfangs hinsichtlich privater Belange mit einer eher diffusen Vorstellung von der Sozialgebundenheit des Eigentums verkoppelt. Nur wenn die Belastung „schwer und unerträglich ist“, kommt ihr letztlich auch rechtliche Bedeutung zu.14 Erst Ende der 1980er Jahre findet das BVerwG präziseren Zugang zu der inzwischen entstandenen Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG.15 Zugleich wird das bisherige „Schweremodell“ endgültig durch das moderate Modell der wechselseitigen Rücksichtnahme substituiert. Der Einfluss des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebotes, als Korrekturmittel vor allem im Rahmen des § 34 BauGB richterrechtlich entwickelt, bietet ein attraktives Mittel der Problemindividualisierung. Bereits Mitte der 1970er Jahre hatte eine neue Sicht das Institut der gebotenen Schutzauflagen gefördert. Das BVerwG zieht daraus auch prozessuale Konsequenzen. Das Klageziel der umfassenden Kassation wird abgeschwächt. Gedanken der Planerhaltung gewinnen an Resonanz. Die Kontrolldichte kann verschärft werden, wenn nicht die Kassation die richterliche Alternative ist. Unterlassene, aber gebotene Schutzauflagen sind durch Verpflichtungsklagen zu verfolgen.16 Ansätze zu einer Problemdifferenzierung werden sichtbar. Hier ist die richterrechtlich entstandene Wurzel des späteren Verfahrens der „Planergänzung“. Der Gesetzgeber wird diesen Gedanken später aufnehmen. 2. Der Ausbau des Abwägungsmodells Seit Mitte der 1970er Jahre beginnt das BVerwG deutlicher als zuvor, über inhaltliche Schranken innerhalb des Abwägungsmodells nachzudenken. Noch wird stets die umfassende planerische Gestaltungsfreiheit der Planfeststellungsbehörde hervorgehoben. Aber zugleich werden Schranken formuliert. Diese sollen sich – erstens – aus behördeninternen Bindungen, – zweitens – aus dem Erfordernis der rechtlichen 13
BVerwG, Urt. v. 05. 07. 1974 – IV C 50.72 – BVerwGE 45, 309 (312) = DVBl 1974, 767 = NJW 1975, 70 (zu OVG Münster, Urt. v. 12. 04. 1972 – VII A 844/71 – DVBl 1972, 687 [Flachglas]). 14 Deutlich etwa BVerwG, Urt. v. 05. 07. 1974 – IV C 50.72 – BVerwGE 45, 309 (312) = DVBl 1974, 767 = NJW 1975, 70 unter ausdrücklichem Bezug auf BVerwG, Urt. v. 13. 06. 1969 – IV C 234.65 – BVerwG 32, 173 = DVBl 1970, 57 = NJW 1969, 1787 (zu OVG Koblenz, Urt. v. 21.06.1965 – 1 A 87/64 – AS RP-SL 9, 316). 15 Vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 15.02.1990 – 4 C 23.86 – BVerwGE 84, 322 = DVBl 1990, 572 = NVwZ 1990, 755; BVerwG, Urt. v. 15.02.1990 – 4 C 47.89 – BVerwGE 84, 361 = DVBl 1990, 585 = NJW 1990, 2572; BVerwG, Urt. v. 24.06.1993 – 7 C 26.92 – BVerwGE 94, 1 = DVBl 1993, 1141 = NJW 1993, 2949; BVerwG, Beschl. v. 30.09.1996 – 4 NB 31.96 – NVwZ 1997, 887; BVerwG, Beschl. v. 18.07.1997 – 4 BN 5.97 – NVwZ-RR 1998, 225. 16 BVerwG, Urt. v. 07. 07. 1978 – IV C 79.76 – BVerwGE 56, 110 Rdnr. 94 = DVBl 1978, 845 = NJW 1979, 64 (Verkehrsflughafen Frankfurt); bereits BVerwG, Urt. v. 14. 02. 1975 – IV C 21.74 – BVerwGE 48, 56 (70) = DVBl 1975, 713 = NJW 1975, 1373 (B 42); BVerwG, Urt. v. 21. 05. 1976 – IV C 80.74 – BVerwGE 51, 15 = DVBl 1976, 779 = NJW 1976, 1760.
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Zielsetzung des zur Planung ermächtigenden Gesetzes als entsprechende Rechtfertigung des konkreten Planvorhabens, – drittens – nach Maßgabe vorhandener gesetzliche Planungsleitsätze sowie – viertens – aus den (allgemeinen) Anforderungen des Abwägungsgebots ergeben.17 Gerade im letzteren Bereich erweist sich das BVerwG – durchaus fallbezogen – als besonders kreativ. Es werden neben einem Modell rationaler Entscheidungsfindung zentrale Planungsgrundsätze entwickelt, um das allgemeine Abwägungsmodell aus seiner anscheinenden Beliebigkeit herauszuführen und ihm subsumtive Strukturen zuzuordnen. Diese Strukturierung in guter Absicht, um dem Planungsvorgang doch etwas den Charakter einer blackbox zu nehmen, kann sich der Gefahr eines dogmatischen Eigenlebens nicht immer erwehren. Fachsprachliche Attitüden treten hinzu. Das Modell der Abschnittsbildung zu sog. Zwangspunkten wird später ausdrücklich als eine richterrechtliche Ausprägung des Abwägungsgebots bezeichnet.18 a) Planrechtfertigung Ungeschriebene Voraussetzung für jede Fachplanung ist die „Planrechtfertigung“. Zahlreiche Entscheidungen umkreisen dieses vom BVerwG „erfundene“ Kriterium. Die Planrechtfertigung ist gegeben, wenn das Vorhaben in Übereinstimmung mit den Zielen eines die Enteignung zulassenden Gesetzes steht und, gemessen an den Zielen dieses Gesetzes, „vernünftigerweise geboten ist“. Das ist eine ebenso „offene“ Formel wie das Kriterium „nach Lage der Dinge“. Immerhin: Das Erfordernis der Planrechtfertigung ist nach Ansicht des BVerwG beispielsweise erfüllt, wenn für das beabsichtigte Vorhaben, gemessen an den Zielsetzungen des jeweiligen Fachplanungsgesetzes, ein Bedarf besteht.19 Der Ausdruck „Planrechtfertigung“ war zunächst eher beiläufig benutzt.20 Er entwickelte sich zu einer Standardformel.21 Sein differenzierendes Leistungsprofil blieb in den Randbereichen eher unbestimmt. So war und blieb die Planrechtfertigung eine recht merkwürdige Allerweltsformel. Sie verlor in den kommenden Jahren etwas an streitentscheidender Bedeutung, obwohl die Sichtweise die des strikten, gerade abwägungsunabhängigen Rechtssatzes gemeint war. Die Formel konnte in wichtigen 17 BVerwG, Urt. v. 14. 02. 1975 – IV C 21.74 – BVerwGE 48, 56 = DVBl 1975, 713 = NJW 1975, 1373 (Autobahn B-42). 18 BVerwG, Beschl. v. 05.06.1992 – 4 NB 21.92 – NVwZ 1992, 1093 Rdnr. 19; BVerwG, Beschl. v. 22.07.2010 – 7 VR 4.10 – DVBl 2010, 1300 Rdnr. 27 = NVwZ 2010, 1486. 19 BVerwG, Urt. v. 13.12.2007 – 4 C 9.06 – BVerwGE 130, 83 (100 Rdnr. 48) = DVBl 2008, 525 = NVwZ 2008, 563 (zu VGH München, Urt. v. 02.12.2005 – 20 A 04.40040 bis 40048 – UPR 2006, 399 [Ausbau des Militärflugplatzes Memmingen]). 20 Vgl. BVerwG, Urt. v. 07.07.1978 – 4 C 79.76 – BVerwGE 56, 110 (118) = DVBl 1978, 845 = NJW 1979, 64. 21 BVerwG, Urt. v. 22.03.1985 – 4 C 15.83 – BVerwGE 71, 166 (168) = DVBl 1985, 900 = NJW 1986, 80; BVerwG, Urt. v. 06.12.1985 – 4 C 59.82 – BVerwGE 72, 282 (284) = DVBl 1986, 416 = NJW 1986, 1508; BVerwG, Urt. v. 05.12.1986 – 4 C 13.85 – BVerwGE 75, 214; BVerwG, Urt. v. 09.03.1990 – 7 C 21.89 – BVerwGE 85, 44 = DVBl 1990, 589 = NVwZ 1990, 969.
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Fragen auch eher verdeckend als rechtsstaatlich aufklärerisch wirken. Nach Ansicht des BVerwG betrifft die Planrechtfertigung eine Rechtsfrage, die der vollständigen gerichtlichen Überprüfung unterliegt.22 Die Prüfung der Planrechtfertigung sei der gerichtlichen Abwägungskontrolle vorgelagert und dürfe mit ihr nicht vermengt werden, belehrt das Gericht die Vorinstanz.23 Indes changierte das BVerwG selbst mit seinen Zuordnungen. Jedenfalls blieb die Frage der gerichtlichen Kontrolle der Bedarfsfrage ein kritischer Punkt der Judikatur des BVerwG.24 Ein Verkehrsflughafen dürfe auf eine Bedarfslage ausgerichtet werden, die zwar noch nicht eingetreten sei, aber bei vorausschauender Betrachtung in absehbarer Zeit mit hinreichender Sicherheit erwartet werden könne.25 Die Kernfrage nach den Grenzen des Bedarfs stellt sich das Gericht nicht wirklich. 1990 legt der Gesetzgeber den „Bedarf“ für den Ausbau von Bundesstraßen verbindlich fest (FStrAbG).26 Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit seiner Bedarfsfeststellung die Grenzen seines gesetzgeberischen Ermessens überschritten habe, verneinte das BVerwG regelmäßig.27 Davon sei allenfalls dann auszugehen, wenn die Feststellung des Bedarfs evident unsachlich sei.28 Der Verweis auf den Vorbehalt des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG blieb ein theoretischer.29 Eine Planrechtfertigung bestehe jedenfalls dann nicht, wenn die Verwirklichung des Vorhabens bereits im Zeitpunkt des Planfeststellungsbeschlusses ausgeschlossen
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BVerwG, Urt. v. 24.11.1989 – 4 C 41.88 – BVerwGE 84, 123 (130) = NVwZ 1990, 860. BVerwG, Urt. v. 11.07.2001 – 11 C 14.00 – BVerwGE 114, 364 Rdnr. 34 = DVBl 2001, 1848 = NVwZ 2002, 350. 24 Vgl. BVerwG, Urt. v. 08.07.1998 – 11 A 53.97 – BVerwGE 107, 142 (146) = DVBl 1998, 1188 = UPR 1998, 457; BVerwG, Urt. v. 20.04.2005 – 4 C 18.03 – BVerwGE 123, 261 (271 f.) = DVBl 2005, 1046 = NVwZ 2005, 933 (Nachtflugregelung für Flughafen München); BVerwG, Urt. v. 16.03.2006 – 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 Rdnr. 282 = NVwZ 2006, Beilage Nr. I 8, 1 (Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld); BVerwG, Urt. v. 13.12.2007 – 4 C 9.06 – BVerwGE 130, 83 Rdnr. 50 = DVBl 2008, 525 = NVwZ 2008, 563 (NATO-Militärflugplatz Memmingen); BVerwG, Beschl. v. 01.04.2009 – 4 B 61.08 – NVwZ 2009, 910 = UPR 2009, 344. 25 BVerwG, Urt. v. 20.04.2005 – 4 C 18.03 – BVerwGE 123, 261 (272) = DVBl 2005, 1046 = NVwZ 2005, 933 (Nachtflugregelung für Flughafen München), ähnlich BVerwG, Urt. v. 16.03.2006 – 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 Rdnr. 282 = NVwZ 2006, Beilage Nr. I 8, 1; BVerwG, Urt. v. 13.12.2007 – 4 C 9/06 – BVerwGE 130, 83 Rdnr. 50 = DVBl 2008, 525 = NVwZ 2008, 563 (NATO-Militärflugplatz Memmingen). Vgl. Kupfer, Die Bedarfsprüfung im Fall der Lockerung eines Nachtflugverbots auf einem Flughafen, ZLW 2006, 53. 26 Gesetz über den Ausbau der Bundesfernstraßen (Fernstraßenausbaugesetz) in der Fassung vom 28. 06. 1990 (BGBl. I S. 1221). 27 Vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 09.06.2010 – 9 A 20.08 – juris; BVerwG, Urt. v. 19.05.1998 – 4 C 11.96 – NVwZ 1999, 528; BVerwG, Urt. v. 22.01.2004 – 4 A 32.02 – BVerwGE 120, 87 (100) = DVBl 2004, 649 = NVwZ 2004, 722; BVerwG, Urt. v. 12.03.2008 – 9 A 3.06 – BVerwGE 130, 299 Rdnr. 43 = NuR 2008, 633. 28 BVerfG (Kammer), Beschl. v. 08.06.1998 – 1 BvR 650/97 u. a. – NVwZ 1998, 1060; BVerwG, Urt. v. 26.10.2005 – 9 A 33.04 – juris. 29 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.01.2007 – 9 B 14.06 – NVwZ 2007, 462. 23
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werden muss, weil sie nicht beabsichtigt oder objektiv ausgeschlossen ist.30 Diesen Nachweis zu führen, gelang dem Kläger kaum. Ob auch der nur mittelbar Eigentumsbetroffene eine fehlende Planrechtfertigung geltend machen könne, blieb jahrzehntelang unklar. Die Rechtsprechung des BVerwG bot kein einheitliches Bild.31 Erst 2006 erweiterte der 4. Senat des BVerwG zögernd die Klagemöglichkeiten. Die Planrechtfertigung im Sinne der Zielkonformität sei nicht nur im Enteignungsfall zu prüfen, sondern auch dann, wenn sich ein Grundeigentümer nur gegen mittelbare Beeinträchtigungen durch das Vorhaben zur Wehr setze.32 Für Klagen der Umweltvereine blieb die entsprechende Frage umstritten. Nach Ansicht des 4. Senates des BVerwG sind naturschutzrechtliche Vereine prozessual nach Maßgabe des § 61 BNatSchG 2002 nicht befugt, Einwände gegen die Planrechtfertigung des Projektes zu erheben.33 Der im Planungsrecht konkurrierende 9. Senat des Gerichtes ließ die Frage der Planrechtfertigung im Rahmen einer naturschutzrechtlichen Verbandsklage zumeist offen.34 b) Das Gebot der Konfliktbewältigung – Belange „nach Lage der Dinge“ Mancherlei Gründe bewegen das BVerwG, vom Planungsträger eine hinreichende und umfassende Entscheidung zu verlangen. Rasch entwickelte das Gericht den Grundsatz der Problembewältigung.35 Den zugrunde gelegten Grundsatz der Einheit30 BVerwG, Urt. v. 24.11.1989 – 4 C 41.88 – BVerwGE 84, 123 = NVwZ 1990, 860 (Hochrheinautobahn A 98). 31 Vgl. u. a. BVerwG, Urt. v. 08.07.1998 – 11 A 30.97 – NVwZ 1999, 70; BVerwG, Beschl. v. 17.06.1998 – 11 VR 9.97 – Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 14; BVerwG, Urt. v. 11.07.2001 – 11 C 14.00 – BVerwGE 114, 364 = DVBl 2001, 1848 = NVwZ 2002, 350; BVerwG, Urt. v. 22.01.2004 – 4 A 32.02 – BVerwGE 120, 87 (99 f.) = DVBl 2004, 649 = NVwZ 2004, 722; BVerwG, Urt. v. 23.02.2005 – 4 A 5.04 – BVerwGE 123, 23 (37) = DVBl 2005, 908 = NVwZ 2005, 808. Vgl. auch Steinberg/Berg/Wickel, Fachplanung, 3. Aufl. 2000, S. 384 mit Fn. 149. 32 BVerwG, Urt. v. 09.11.2006 – 4 A 2001.06 – BVerwGE 127, 95 = NVwZ 2007, 445, anders noch apodiktisch BVerwG, Urt. v. 08.07.1998 – 11 A 30.97 – NVwZ 1999, 70. 33 Dezidiert BVerwG, Beschl. v. 01.07.2003 – 4 VR 1.03 – Buchholz 406.400 § 61 BNatSchG 2002 Nr. 3; offen gelassen wohl BVerwG, Urt. v. 19.05.1998 – 4 A 9.97 – BVerwGE 107, 1 (8 f.) = DVBl 1998, 900 = NVwZ 1998, 961 (Ostsee-Autobahn), wiederum offen gelassen BVerwG, Beschl. v. 01.04.2009 – 4 B 62.08 – NuR 2009, 414. 34 BVerwG, Urt. v. 17.01.2007 – 9 A 20.05 – BVerwGE 128, 1 = NVwZ 2007, 1054 (Westumfahrung Halle); ebenfalls offen gelassen BVerwG, Urt. v. 09.06.2004 – 9 A 11.03 – BVerwGE 121, 72 (insoweit nicht abgedruckt) = DVBl 2004, 1546 = NVwZ 2004, 1486 (Ortsumgehung Michendorf); dagegen bejaht BVerwG, Beschl. v. 01.04.2005 – 9 VR 7.05 – NuR 2005, 709 = ZUR 2005, 376. 35 Vgl. BVerwG, Urt. v. 15. 04. 1977 – IV C 100.74 = BVerwGE 52, 237 (245) = NJW 1978, 119; BVerwG, Urt. v. 07. 07. 1978 – IV C 79.76 – BVerwGE 56, 110 (129) = DVBl 1978, 845 = NJW 1979, 64; BVerwG, Urt. v. 09. 03. 1979 – IV C 41.75 – BVerwGE 57, 297 (302) = DVBl 1980, 287 = NJW 1980, 413; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 22. 06. 1979 – IV C 8.76 – BVerwGE 58, 154 (156) = DVBl 1980, 289 = NJW 1980, 1063.
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lichkeit der Planungsentscheidung verstand es seit jeher als Ausfluss des planerischen Gebots der Konfliktbewältigung. Dieses leitete es aus dem Abwägungsgebot her.36 Sachfragen, die sachgerecht nur einheitlich gelöst werden könnten, müssten auch verfahrensrechtlich einheitlich geplant und entschieden werden.37 Das im Abwägungsgebot enthaltene Gebot der Konfliktbewältigung ist danach dann verletzt, wenn dem Betroffenen dadurch, dass ein durch die Planung hervorgerufenes Problem zu seinen Lasten ungelöst bleibt, ein nach Lage der Dinge unzumutbares Opfer abverlangt wird.38 Dabei entwickelte das BVerwG nuancenreich verschiedene Gesichtspunkte, gleichsam Untergruppen mit typologischer Qualität. Die Planung darf u. a. nicht dazu führen, dass Konflikte, die durch sie hervorgerufen werden, zu Lasten betroffener Belange letztlich ungelöst bleiben (Verbot des Konflikttransfers). Der Planungsträger darf von einer abschließenden Konfliktbewältigung Abstand nehmen, wenn bei vorausschauender Betrachtung die Durchführung der als notwendig erkannten Konfliktlösungsmaßnahmen außerhalb des Planungsverfahrens auf der Stufe der Verwirklichung der Planung hinreichend sichergestellt ist.39 Das bot dem Planungsträger 36
BVerwG, Urt. v. 09. 03. 1979 – IV C 41.75 – BVerwGE 57, 297 (302) = DVBl 1980, 287 = NJW 1980, 413; BVerwG, Urt. v. 23. 01. 1981 – BVerwGE 61, 307 (311) = DVBl 1981, 935 = NJW 1982, 950. 37 BVerwG, Beschl. v. 26.06.1992 – 4 B 1 – 11.92 – DVBl 1992, 1435 = NVwZ 1993, 572. 38 Zur Lärmschutzproblematik vgl. BVerwG, Urt. v. 22.03.1985 – 4 C 63.80 – BVerwGE 71, 150 = DVBl 1985, 896; BVerwG, Urt. v. 22.05.1987 – 4 C 17 bis 19.84 – BVerwGE 77, 295 = NJW 1985, 3034. Vgl. ferner BVerwG, Urt. v. 28.02.1996 – 4 A 27.95 – NVwZ 1996, 1011; BVerwG, Urt. v. 10.04.1997 – 4 C 5.96 – BVerwGE 104, 236 = DVBl 1997, 1115 = NVwZ 1998, 508; BVerwG, Urt. v. 31.01.2002 – 4 A 15.01 – DVBl 2002, 990 = NVwZ 2002, 1103 (Ostseeautobahn A 20 bei Lübeck II). 39 Fachplanungsrecht: BVerwG, Urt. v. 09.06.2010 – 9 A 20.08 – juris; BVerwG, Urt. v. 26.05.2004 – 9 A 6.03 – BVerwGE 121, 57 = DVBl 2004, 1289 = NVwZ 2004, 1237 (Ausbau der B 170 in Dresden; Schutz vor Luftschadstoffen); BVerwG, Urt. v. 22.11.2000 – 11 C 2.00 – BVerwGE 112, 221 = NVwZ 2001, 429 (Auflagenvorbehalt im Planfeststellungsbeschluss); BVerwG, Beschl. v. 15.09.1995 – 11 VR 16.95 – NVwZ 1996, 396 (naturschutzrechtliche Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen); BVerwG, Beschl. v. 30.08.1994 – 4 B 105.94 – NVwZ-RR 1995, 322 (naturschutzrechtliche Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen); BVerwG, Urt. v. 09.03.1979 – 4 C 41.75 – BVerwGE 57, 297 (300) = DVBl 1980, 287 = NJW 1980, 413; der Sache nach BVerwG, Urt. v. 14. 02. 1975 – IV C 21.74 – BVerwGE 48, 56 (68) = DVBl 1975, 713 = NJW 1975, 1373 (Bundesstraße B 42); BVerwG, Urt. v. 23.01.1981 – 4 C 68.78 – BVerwGE 61, 307 (311) = DVBl 1981, 935 = NJW 1982, 950; Bebauungsplan: vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.10.2009 – 4 BN 53.09 – BRS 74 Nr. 17 (2009) = juris Rdnr. 5; BVerwG, Beschl. v. 16.03.2010 – 4 BN 66.09 – NVwZ 2010, 1246; BVerwG, Beschl. v. 02.12.2008 – 4 BN 14.08 – juris (Bebauungsplan); BVerwG, Beschl. v. 02.04.2008 – 4 BN 6.08 – ZfBR 2008, 592; BVerwG, Beschl. v. 08.11.2006 – 4 BN 32.06 – juris Rdnr. 4; BVerwG, Beschl. v. 26.06.2007 – 4 BN 24.07 – BRS 71 Nr. 15 (2007); BVerwG, Beschl. v. 21.02.2000 – 4 BN 43.99 – ZfBR 2000, 424; BVerwG, Beschl. v. 30.03.1998 – 4 BN 2.98 – juris Rdnr. 4; BVerwG, Beschl. v. 25.08.1997 – 4 BN 4.97 – Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 94; BVerwG, Beschl. v. 17.05.1995 – 4 NB 30.94 – DVBl 1995, 1010 = NJW 1995, 2572 (Vorkehrungen zum passiven Schallschutz); BVerwG, Beschl. v. 18.05.1994 – 4 NB 15.94 – DVBl 1994, 1139 = NVwZ 1994, 1004; BVerwG, Beschl. v. 14.07.1994 – 4 NB 25.94 – DVBl 1994, 1152 = NVwZ-RR 1995, 130
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eine kalkulierte Entlastungsstrategie. Eine Konfliktverlagerung auf einen anderen Planungsträger ist danach nur dann zulässig, sofern die Problemregelung in dem hierfür vorgesehenen Planungs- oder Genehmigungsverfahren zwar noch aussteht, aber nach den Umständen des Einzelfalles „bei vernünftiger Betrachtungsweise“ objektiv zu erwarten ist.40 Das Modell der vorsichtigen Verlagerung erhöht die Möglichkeit, anwendungsbezogene Lösungen zu finden, ohne den Vorhabenträger aus seiner Verantwortlichkeit zu entlassen. Der Plan muss zwar nicht alle auftretenden Konflikte, die er in einem zu ordnenden Bereich vorfindet, lösen. Er darf indes vorhandene Konflikte nicht verfestigen oder verschärfen, sondern muss grundsätzlich dazu beitragen, eine kritische Situation zu verbessern. Damit sollte die Exekutive auch rechtliche Verantwortung übernehmen. Der auch pädagogische Unterton war unüberhörbar. Überschritten waren die Grenzen zulässiger Konfliktverlagerung, wenn bereits im Planungsstadium absehbar war, dass sich der offen gelassene Interessenkonflikt auch in einem nachfolgenden Verfahren nicht sachgerecht werde lösen lassen. Immer wieder musste das Gericht die Planungsträger allerdings darüber belehren, dass Vorbehalte zugunsten nachrangiger Entscheidungen zu keiner Politik der Konfliktleugnung führen dürften.41 Demgemäß mussten im Rahmen der sachgerechten Abwägung alle relevanten Belange ermittelt, bewertet und zueinander in Beziehung gesetzt werden. Das alles hatte sich auf den Zeitpunkt der abwägenden Planungsentscheidung zu konzentrieren und musste in der Planbegründung nachlesbar sein. Das Gericht steigerte laufend die Begründungsprofile. Darin konnte man eine verfahrensbezogene Reaktion auf die fast vollkommen fehlende Ergebniskontrolle sehen. Begründungsdefizite wurden in unausgesprochener Analogie zu § 114 Satz 2 VwGO missbilligt. Dem Planungsträger blieb nur die Möglichkeit, die fehlende Kausalität des Mangels für das Planungsergebnis darzutun. Hierbei half ihm die Kausalitätslehre des Gerichts. Darauf ist noch gesondert einzugehen.
(Straßen-Bebauungsplan); BVerwG, Beschl. v. 06.03.1989 – 4 NB 8.89 – DVBl 1989, 661 = NVwZ 1989, 960; BVerwG, Urt. v. 11.03.1988 – 4 C 56.84 – DVBl 1988, 845 = NVwZ 1989, 659 (Festsetzung einer Gemeinbedarfsfläche für soziale und sportliche Zwecke); BVerwG, Beschl. v. 28.08.1987 – 4 N 1.86 – DVBl 1987, 1273 = NVwZ 1988, 351 (Volksfürsorge); BVerwG, Beschl. v. 17.02.1984 – 4 B 191.83 – BVerwGE 69, 30; BVerwG, Urt. v. 05.07.1974 – 4 C 50.72 – BVerwGE 45, 309 = DVBl 1974, 767 = NJW 1975, 70. 40 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.12.1995 – 11 VR 6.95 – DVBl 1996, 676 = NVwZ 1996, 896 (Eisenbahnneubaustrecke Erfurt-Leipzig/Halle). 41 BVerwG, Urt. v. 14. 02. 1975 – IV C 21.74 – BVerwGE 48, 56 = DVBl 1975, 713 = NJW 1975, 1373 (B 42).
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c) Sog. Optimierungsgebote – Abwägungsdirektive (1) Im Abwägungsmodell sind Belange zu gewichten. Grundsätzlich sind alle Belange gleichrangig.42 Es hat nicht an Versuchen gefehlt, dieses Prinzip durch Vorgaben der Gewichtung zu durchbrechen. Zu diesen Versuchen zählt die Figur des sog. Optimierungsgebotes. Das BVerwG folgte diesem Versuch seit Mitte der 80er Jahre.43 Vorschriften, die (nur) eine Berücksichtigung oder Optimierung bestimmter öffentlicher Belange forderten, sollten diesen Belangen ein besonderes Gewicht verleihen. Dem sei bei der Abwägung Rechnung zu tragen. Eine weitergehende Rechtsbindung ergebe sich daraus allerdings nicht, hieß es dann abschwächend.44 Zusammen mit der Figur der sog. Planungsleitsätze entstand ein gewisser terminologischer Wirrwarr.45 So enthielt nach Ansicht des Gerichtes § 50 BImSchG „einen Planungsgrundsatz in der Form eines Optimierungsgebotes“.46 Wenig später wollte das Gericht hinsichtlich des in § 8 Abs. 2 und 3 BNatSchG 1976 enthaltenen Minimierungsgebots für Eingriffe, die zu unvermeidbaren Beeinträchtigungen führen, zwischen Planungsleitsatz und einem in der Abwägung überwindbaren Optimierungsgebot unterscheiden.47 Die Missachtung eines Optimierungsgebotes führe stets zur Unzulässigkeit der geplanten Maßnahme hieß es 1989.48 Allerdings schränkte man ein. Gesetzliche Optimierungsgebote lenkten zwar die Ermittlungen inhaltlich in eine bestimmte Richtung. Eine stärkere Genauigkeit der Ermittlungen könne damit jedoch nicht mehr gefordert werden.49 Damit wich das Gericht von dem allgemeinen Grundsatz ab, dass das materielle Recht auch die Intensität der Sachverhaltsermitt-
42 BVerwG, Beschl. v. 10.10.1988 – 7 B 37.88 – NVwZ 1989, 154 = UPR 1989, 37; BVerwG, Urt. v. 07.03.1997 – 4 C 10.96 – BVerwGE 104, 144 = DVBl 1997, 838 = NVwZ 1997, 914. 43 BVerwG, Urt. v. 22.03.1985 – 4 C 73.82 – BVerwGE 71, 163 = DVBl 1985, 899 = NJW 1986, 82; BVerwG, Urt. v. 05.12.1986 – 4 C 13.85 – BVerwGE 75, 214 (254) = DVBl 1987, 573 (590) = NVwZ 1987, 578; BVerwG, Beschl. v. 24.08.1987 – 4 B 129.87 – DVBl 1987, 1267 = NVwZ 1988, 532; BVerwG, Beschl. v. 27.01.1989 – 4 B 201 – 205.88 – Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 82; BVerwG, Urt. v. 14.10.1996 – 4 VR 14.96 – Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 123. 44 Als Beispiele nannte das BVerwG u. a. § 1 Abs. 1 FStrG 1974 (optimalen Verkehrsfluss); §§ 1 Abs. 2 BNatSchG 1976; § 50 BImSchG (Trennungsprinzip); § 41 Abs. 1 BImSchG (stillschweigende Aufgabe in BVerwG, Urt. v. 28.01.1999 – 4 CN 5.98 – BVerwGE 108, 248 Rdnr. 29 = DVBl 1999, 1288= NVwZ 1999, 1222, hiervon wiederum abweichend BVerwG, Urt. v. 15.03.2000 – 11 A 31.97 – NVwZ 2001, 79); § 2 Abs. 1 Satz 2 AbfG; § 124 Abs. 1 S. 1 BBergG. BVerwG, Beschl. v. 12.06.1990 – 7 B 72.90 – NVwZ 1990, 962 = UPR 1990, 439 bezeichnet § 50 BImSchG nicht als Optimierungsgebot, sondern als „Planungsgrundsatz“. 45 Vgl. Blumenberg, Neuere Entwicklungen zu Struktur und Inhalt des Abwägungsgebots im Bauplanungsrecht, DVBl 1989, 86. 46 BVerwG, Urt. v. 04.05.1988 – 4 C 2.85 – NVwZ 1989, 151 = UPR 1988, 346. Ähnlich BVerwG, Beschl. v. 15.11.1989 – 4 NB 28.89 – juris. 47 BVerwG, Beschl. v. 21.08.1990 – 4 B 104.90 – NVwZ 1991, 69 = UPR 1991, 102. 48 BVerwG, Beschl. v. 13.07.1989 – 4 NB 20.89 – juris. 49 BVerwG, Beschl. v. 27.01.1989 – 4 B 201 – 205.88 – Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 82.
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lung steuert. In der Rückschau zeigte sich, dass der Gedanke der Optimierung von Belangen zwar richtig, eine subsumtive Anwendung indes kaum möglich war. (2) Der schärfste Kritiker des sog. Optimierungsgebotes war zunächst Rudolf Steinberg, etwas moderater dann Werner Hoppe.50 Das Gericht sah nach einer ersten euphorischen Phase dann wohl selbst, dass es in eine Sackgasse geraten würde. Zunehmend relativierte die Spruchpraxis das Gebot dann in seiner konkreten Anwendung.51 Wie eine Monstranz, die man grüßte, wurde der Grundsatz allerdings einstweilen aufrechterhalten. Eine klare Bestimmung über den Inhalt eines Optimierungsgebotes gelang dem BVerwG jedenfalls nicht. Gegen Ende der 90er Jahre begann es, den Ansatz des Optimierungsgebotes deutlich abzuschwächen, alsdann ganz aufzugeben.52 Die in Optimierungsgeboten geschützten Ziele könnten in der Abwägung zumindest teilweise gegenüber anderen Belangen ohnedies zurücktreten.53 Eine derartige Interpretation durfte man als endgültigen Abschied verstehen. Das schloss wiederholende Bemerkungen zum Optimierungsgebot allerdings noch nicht aus.54 Bereits Anfang 2000 änderte sich stillschweigend der Sprachduktus des BVerwG. Rückfälle des einen oder anderen Berichterstatters gab es. Aber erst 2006 distanzierte sich das Gericht deutlicher als je zuvor von der Figur des Optimierungsgebotes.55 Längst 50 Kritisch und differenzierend etwa Hoppe, Die Bedeutung von Optimierungsgeboten im Planungsrecht, DVBl 1992, 853; Hoppe, „Verwirrung“ und „Entwirrung“ beim Abwägungsgebot (§ 1 Abs. 6 BauGB), UPR 1995, 201; Bartlsperger, Planungsrechtliche Optimierungsgebote, DVBl 1996, 1; Steinberg/Berg/Wickel, Fachplanungsrecht, 3. Aufl. 2000, S. 178 (212); Steinberg, NVwZ 1986, 812; Steinberg, Neue Entwicklungen in der Dogmatik des Planfeststellungsrechts, DVBl 1992, 1501; Jarass, Die materiellen Voraussetzungen der Planfeststellung in neuerer Sicht. Dogmatische Grundlagen und praktische Folgen, insbesondere im Verkehrswegebereich, DVBl 1998, 1202; di Fabio, Die Struktur von Planungsnormen, in: Planung. Festschrift für Werner Hoppe zum 70. Geburtstag 2000, S. 75; Bartlsperger, Ökologische Gewichtungs- und Vorrangregelungen, in: Planung. Festschrift für Werner Hoppe zum 70. Geburtstag 2000, S. 127; Dreier/Engel/Pietrzak, Der Dispens von zwingenden Rechtsvorschriften in der Planfeststellung, VBlBW 2006, 265. 51 Vgl. etwa BVerwG, Beschl. v. 27.07.1989 – 4 NB 19.89 – Buchholz 406.11 § 214 BauGB Nr. 3 = juris Rdnr. 19. 52 Distanzierung bereits BVerwG, Urt. v. 07.03.1997 – 4 C 10.96 – BVerwGE 104, 144 = DVBl 1997, 838 = NVwZ 1997, 914; ferner BVerwG, Beschl. v. 31.01.1997 – 4 NB 27.96 – BVerwGE 104, 68 = DVBl 1997, 1112 = NVwZ 1997, 1213; BVerwG, Urt. v. 26.03.1998 – 4 A 2.97 – BVerwGE 106, 290 = DVBl 1998, 895 = NVwZ 1998, 1180, sehr deutlich dann BVerwG, Beschl. v. 07.07.2004 – 4 BN 16.04 – ZfBR 2005, 71 = BRS 67 Nr. 33 (2004). 53 Vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 16.03.2010 – 4 BN 66.09 – NVwZ 2010, 1246 unter Verweis auf den Charakter einer „Abwägungsdirektive“; ebenso BVerwG, Beschl. v. 05.12.2008 – 9 B 28.08 – NVwZ 2009, 320 (324) = UPR 2009, 154. 54 Vgl. etwa BVerwG, Beschl. v. 07.07.2004 – 4 BN 16.04 – ZfBR 2005, 71 = BRS 67 Nr. 33 (2004) zu § 50 BImSchG; BVerwG, Beschl. v. 15.07.2005 – 9 VR 43.04 – UPR 2005, 390 zu § 124 Abs. 1 Satz 1 BBergG; BVerwG, Urt. v. 23.11.2005 – 8 C 14.04 – DVBl 2006, 779 = NVwZ 2006, 595 zu Art. 20a GG; BVerwG, Urt. v. 25.01.2006 – 8 C 13.05 – BVerwGE 125, 68 = DVBl 2006, 781 = NVwZ 2006, 690. 55 BVerwG, Urt. v. 16.03.2006 – 4 A 1001.04 – NVwZ 2006, 1055 = BRS 70 Nr. 28 (2006) – Gemeindeklagen gegen Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld; BVerwG, Urt. v.
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hatte das Gericht in dem Ausdruck der gesetzlich formulierten „Abwägungsdirektive“ eine Ersatzformel gefunden.56 Der Ausdruck sollte auch jene gesetzlichen Vorgaben erfassen, welche das Gericht früher als „Planungsleitsätze“ bezeichnete.57 Schon 2001 war § 50 BImSchG zur „Abwägungsdirektive“ mutiert.58 Ob sich in der Sache etwas geändert hatte, blieb freilich ungewiss.
III. Planerhaltungsrecht Die Folgen von Rechtsverletzungen zu minimieren, begleitet die Rechtsprechung des BVerwG von Anfang an. Im Bauplanungsrecht verschärfte sich die Problemlage, weil nach allgemeiner Auffassung jeder Fehler zur Nichtigkeit des Bebauungsplanes führte.59 Der Gesetzgeber reagierte in seiner ersten Novellierung des BBauG 1976.60 Wenig später sah sich das BVerwG zu der Ermahnung an die Verwaltungsgerichte veranlasst, die Sachverhaltsaufklärung bei der Normenprüfung nicht zum Anlass zu nehmen, bei Bebauungsplänen „gleichsam ungefragt auf Fehlersuche“ zu
16.03.2006 – 4 A 1075/04 – BVerwGE 125, 116 – Individualklagen gegen Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld. 56 Erstmals bereits BVerwG, Beschl. v. 20.08.1992 – 4 NB 20.91 – BVerwGE 90, 329 = DVBl 1992, 1438 = NVwZ 1993, 167 betreffend Ziele der Raumordnung und Landesplanung, dies aufnehmend BVerwG, Beschl. v. 07.06.1996 – 1 B 127.95 – Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 32, dann häufiger, vgl. etwa BVerwG, Beschl. v. 14.10.1996 – 4 VR 14.96 – Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 123; BVerwG, Gerichtsbescheid v. 30.07.1998 – 4 A 1.98 – NVwZ-RR 1999, 162; BVerwG, Urt. v. 28.01.1999 – 4 CN 5.98 – BVerwGE 108, 248 = DVBl 1999, 1288 = NVwZ 1999, 1222; BVerwG, Beschl. v. 11.01.2001 – 4 B 37.00 – NVwZ 2001, 1398. 57 BVerwG, Beschl. v. 01.09.1999 – 4 BN 25.99 – NVwZ-RR 2000, 146 zu § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BauGB 1987. Vgl. auch BVerwG, Urt. v. 23.11.2001 – 4 A 46.99 – DVBl 2002, 565 = UPR 2002, 192 („Abwägungsdirektive“ des § 2 Abs. 1 Nr. 7 BNatSchG 1976). 58 BVerwG, Urt. v. 11.01.2001 – 4 A 13.99 – NVwZ 2001, 1154, BVerwG, Urt. v. 19.09.2002 – 4 CN 1.02 – BVerwGE 117, 58 Rdnr. 58 = DVBl 2003, 204 = UPR 2003, 148; BVerwG, Urt. v. 23.02.2005 – 4 A 1.04 – juris Rdnr. 50 = DVBl 2005, 913 = NVwZ 2005, 810; BVerwG, Urt. v. 22.03.2007 – 4 CN 2.06 – BVerwGE 128, 238 = DVBl 2007, 834 = NVwZ 2007, 831; BVerwG, Beschl. v. 05.12.2008 – 9 B 30.08 – juris; BVerwG, Urt. v. 13.05.2009 – 9 A 72.07 – BVerwGE 134, 45 = DVBl 2009, 1307 = NVwZ 2009, 1498; BVerwG, Beschl. v. 16.03.2010 – 4 BN 66.09 – NVwZ 2010, 1246; BVerwG, Beschl. v. 22.07.2010 – 7 VR 4.10 – DVBl 2010, 1300; vgl. dazu auch BVerwG , Urt. v. 28.01.1999 – 4 CN 5.98 – BVerwGE 108, 248 (253) = DVBl 1999, 1288 = NVwZ 1999, 1222. 59 Vgl. die Darstellung von Otto, Nichtigkeitsdogma und Fehlerbehebung im Städtebaurecht, Berlin 2000. 60 Bundesbaugesetz (BBauG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. 08. 1976 (BGBl. I S. 2256). Vgl. auch Söfker, Zu einigen Fragen der Rechtswirksamkeit von Bebauungsplänen im Zusammenhang mit den „Heilungsklauseln“ der §§ 155a bis 155c BBauG, ZfBR 1981, 60.
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gehen.61 Dieser Hinweis blieb in den Folgejahren umstritten. Verhältnismäßig spät korrigierte sich das Gericht. Es handele sich nur um eine Maxime richterlichen Handelns.62 Sie solle zu sachgerechten Ergebnissen führen. Betrachtet man die Entwicklungslinien des Planerhaltungsrechtes, so ist zwischen richterlicher Spruchpraxis und legislatorischen Aktionen zu unterscheiden, wenngleich letztere wieder Gegenstand richterlicher Interpretation sind. 1. Richterrechtliches Planerhaltungsrecht – Drei „Strategien“ Die insbesondere von Horst Sendler, aber auch von Günter Gaentzsch verfolgte These, es gebe einen allgemeinen „Grundsatz der Planerhaltung“ hat im BVerwG selbst keine Anhänger gefunden.63 Stattdessen hat das BVerwG eher subtile Interpretationen entwickelt, die sich funktionell als Beiträge zur Planerhaltung darstellen lassen. Nachfolgend sollen drei Bereiche aus der Rechtsprechung angeführt werden. Sie zeigen bei einer Gesamtschau, dass das BVerwG stillschweigend von einer faktischen Vermutung zugunsten der Rechtmäßigkeit der einmal getroffenen Planungsentscheidung ausgeht. Wer als Anfechtungskläger angreift, wird faktisch mit einer Darlegungs- und Beweislast belastet. a) Beurteilungsspielraum – Einschätzungsprärogative Entgegen der durch frühere Entscheidungen vielleicht erweckten Erwartung besteht eine durchgehende Tendenz der Judikatur des BVerwG, der Verwaltung in stärkerem Maße schwer überprüfbare Ermessens-, Beurteilungs- und Entscheidungsspielräume einzuräumen.64 Auch wenn das Gericht für die Orientierungswerte etwa der TA Lärm nicht mehr vom Begriff des sog. antizipierten Sachverständigengutachtens ausgeht, hat sich in der Sache nichts geändert.65 Die amtlichen oder mehr oder minder offiziösen Regelwerke haben die Vermutung der Richtigkeit oder der Angemessenheit für sich. Neben den für Planverfahren besonders bedeutsamen Lärmfragen gilt entsprechendes für Probleme des Naturschutzes, der FFH-Verträglich61 BVerwG, Urt. v. 07.09.1979 – 4 C 7.77 – DVBl 1980, 230. Vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 01.04.1997 – 4 B 206.96 – NVwZ 1997, 890; BVerwG, Beschl. v. 20.06.2001 – 4 BN 21.01 – NVwZ 2002, 83. 62 BVerwG, Beschl. v. 04.10.2006 – 4 BN 26.06 – NVwZ 2007, 223; vgl. auch bereits BVerwG, Urt. v. 17.04.2002 – 9 CN 1.01 – BVerwGE 116, 188 (196 f.) = DVBl 2002, 1409 = NJW 2002, 2807. 63 Sendler, Der Jubilar, der Grundsatz der Planerhaltung und das Richterrecht, DVBl 2005, 659; Gaentzsch, Bemerkungen zur Planerhaltung im Fachplanungsrecht, DVBl 2000, 741. 64 So auch Fehrensen, Zur Anwendung zwingenden Gemeinschaftsrechts in der aktuellen Rechtsprechung des BVerwG zum Artenschutz nach der „Kleinen Novelle“ des Bundesnaturschutzgesetzes, NuR 2009, 13. 65 Gusy, „Antizipierte Sachverständigengutachten“ in Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsverfahren, NuR 1987, 156.
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keitsprüfung und des Artenschutzes. Auf einiges soll noch gesondert eingegangen werden. b) Die „richterliche“ Kausalitätsprüfung Mängel bei der bauplanungsrechtlichen Abwägung der von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange sind nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind (so § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB). Erhebliche Mängel bei der fachplanungsrechtlichen Abwägung oder eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften führen nach gesetzlicher Regelung nur dann zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses oder der Plangenehmigung, wenn sie nicht durch Planergänzung oder durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden können; die §§ 45 und 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes bleiben unberührt. Im „ergänzenden Verfahren“ heilbar sind alle Mängel der Abwägung, bei denen die Möglichkeit besteht, dass die Planfeststellungsbehörde nach erneuter fehlerfreier Abwägung an der getroffenen Entscheidung festhält.66 So können selbst Mängel der spezifisch naturschutzrechtlichen Abwägung, die nicht die Planung als Ganzes von vornherein in Frage stellen, in zumindest entsprechender Anwendung des § 75 Abs. 1a Satz 2 VwVfG in einem ergänzenden Verfahren geheilt werden.67 Eine Entscheidungserheblichkeit ist zudem nur dann gegeben, wenn die „konkrete Möglichkeit“ besteht, dass die Planfeststellungsbehörde ohne den Verfahrensfehler eine andere Entscheidung getroffen hätte.68 Eine bloße „abstrakte“ Möglichkeit reicht dafür nicht aus.69 Hier überträgt das BVerwG den Regelungskreis des § 46 VwVfG auf das Planungsrecht. Dieselben Gedanken gelten nach Ansicht des BVerwG auch im Bauplanungsrecht. Das Gericht entwickelte dies in Ausdeutung des § 214 Abs. 3 BauGB. Danach ist ein diagnostizierter Abwägungsmangel nur beachtlich, wenn er – wie erwähnt – auch auf das Ergebnis von Einfluss gewesen ist. Letzteres ist nach der gefestigten Rechtsprechung der Fall, wenn nach den Umständen des je66
BVerwG, Beschl. v. 05.12.2008 – 9 B 28.08 – NVwZ 2009, 320 = UPR 2009, 154. BVerwG, Urt. v. 17.01.2007 – 9 C 1.06 – BVerwGE 128, 76 = DVBl 2007, 641 = NVwZ 2007, 581.Vgl. auch BVerwG, Urt. v. 27.10.2000 – 4 A 18.99 – BVerwGE 112, 140 = DVBl 2001, 386 = NVwZ 2001, 673 zu § 17 Abs. 6c Satz 2 FStrG a.F. 68 Vgl. BVerwG, Urt. v. 12.08.2009 – 9 A 64.07 – BVerwGE 134, 308 Rdnr. 31; BVerwG, Urt. v. 13.12.2007 – 4 C 9.06 – BVerwGE 130, 83 Rdnr. 38 ff. = DVBl 2008, 525 = NVwZ 2008, 563; BVerwG, Urt. v. 25.01.1996 – 4 C 5.95 – BVerwGE 100, 238 (250) = DVBl 1996, 677 = NVwZ 1996, 788; BVerwG, Urt. v. 21.03.1996 – 4 C 1.95 – DVBl 1996, 915 = NVwZ 1997, 493; BVerwG, Urt. v. 20.5.1998 – 11 C 3.97 – NVwZ 1999, 67; BVerwG, Urt. v. 09.06.2004 – 9 A 11.03 – BVerwGE 121, 72 = DVBl 2004, 1546 = NVwZ 2004, 1486; BVerwG, Urt. v. 09.06.2010 – 9 A 20.08 – juris; BVerwG, Urt. v. 30.05.1984 – 4 C 58.81 – BVerwGE 69, 256 (269 f.) = DVBl 1984, 1075 = NVwZ 1984, 718. 69 BVerwG, Urt. v. 30.05.1984 – 4 C 58.81 – BVerwGE 69, 256 (270) = DVBl 1984, 1075 = NVwZ 1984, 718; BVerwG, Urt. v. 05.12.1986 – 4 C 13.85 – BVerwGE 75, 214 (228) = DVBl 1987, 573= NVwZ 1987, 578; BVerwG, Urt. v. 25.01.1996 – 4 C 5.95 – BVerwGE 100, 238 (252) = DVBl 1996, 677 = NVwZ 1996, 788 (Umweltverträglichkeitsprüfung – A 60); BVerwG, Urt. v. 12.08.2009 – 9 A 64.07 – BVerwGE 134, 308 = UPR 2010, 193 (Lückenschluss A 33). 67
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weiligen Falles die „konkrete Möglichkeit“ besteht, dass ohne den Mangel im Vorgang die Planung anders ausgefallen wäre. Eine derartige konkrete Möglichkeit besteht immer dann, wenn sich anhand der Planunterlagen oder sonst erkennbarer oder naheliegender Umstände die Möglichkeit abzeichnet, dass der Mangel im Abwägungsvorgang von Einfluss auf das Abwägungsergebnis gewesen sein könnte.70 Auch das Gewicht des betroffenen Belangs in der Abwägung kann für die Ergebnisrelevanz von Bedeutung sein.71 Im Ergebnis liegt die Argumentationslast damit beim angreifenden Kläger. Die Rechtsprechung, die Mitte der 1980er einsetzte, verfestigte sich dann in den 1990er Jahren. Das BVerwG hält an ihr fest. Dass diese Problemsicht mit der verfahrensbezogenen Grundtendenz der Judikatur des EuGH nicht übereinstimmt, darf man als gesichertes Wissen des BVerwG durchaus annehmen. c) Unzureichendes Prozessvorbringen Es gehört wohl zu den Strategien der Gerichte, der Beantwortung einer als schwierig angesehenen Sachfrage durch Betonung des erforderlichen Prozessvorbringens auszuweichen. Auch das BVerwG ist in seiner Rechtsprechung zum Planungsrecht hiervon nicht immer frei. Als Bereiche der Befundanalyse bieten sich das materiell-rechtliche und das prozessuale Präklusionsrecht an. Natürlich ist der bestandssichernde Wert, dem die Präklusion dienen soll, nicht als gering anzusehen. Den Umfang der präjudiziellen Wirkung zu bestimmen, kann im Einzelfall schwierig sein. Einwendungen sind sachliches Gegenvorbringen. Das Vorbringen im vorangegangenen Beteiligungsverfahren muss so konkret gewesen sein, dass die zuständige Behörde erkennen kann, in welcher Weise sie z. B. bestimmte umweltschutzbezogene Belange einer näheren Betrachtung unterziehen soll.72 Dies gilt im Immissionsschutzrecht gleichermaßen wie im Fachplanungsrecht.73
70 So bereits BVerwG, Urt. v. 21.08.1981 – 4 C 57.80 – BVerwGE 64, 33 (39 f.) = DVBl 1982, 354 = NJW 1982, 591 zu § 155b Abs. 2 S. 2 BBauG 1979; BVerwG, Beschl. v. 20.01.1992 – 4 B 71.90 – NVwZ 1992, 663; BVerwG, Urt. v. 09.04.2008 – 4 CN 1.07 – BVerwGE 131, 100 = DVBl 2008, 859 = NVwZ 2008, 899. 71 BVerwG, Urt. v. 18.11.2004 – 4 CN 11.03 – BVerwGE 122, 207 (213) = DVBl 2005, 386 = NVwZ 2005, 442. 72 BVerwG, Beschl. v. 24.07.2008 – 7 B 19.08 – AbfallR 2008, 262 (L) = juris zu § 10 Abs. 3 S. 4 BImSchG; BVerwG, Urt. v. 29.08.1986 – 7 C 52.84 – DVBl 1987, 258 = NVwZ 1987, 131; BVerwG, Beschl. v. 16.10.2001 – 4 VR 20.01, 4 A 42.01 – DVBl 2002, 275 = NVwZ 2002, 726; BVerwG, Urt. v. 21.06.2006 – 9 A 28.05 – BVerwGE 126, 166 (172) = DVBl 2006, 1309 = NVwZ 2006, 1161; BVerwG, Urt. v. 09.02.2005 – 9 A 62.03 – DVBl 2005, 903 = NVwZ 2005, 813 (816); BVerwG, Urt. v. 21.06.2006 – 9 A 28.05 – BVerwGE 126, 166 (172) = DVBl 2006, 1309 = NVwZ 2006, 1407; BVerwG, Beschl. v. 12.02.1996 – 4 VR 19.93 – Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 109 S. 78. 73 BVerwG, Beschl. v. 30.01.1995 – 7 B 20.95 – Buchholz 406.25 § 10 BImSchG Nr. 3.
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Die Einwendungen müssen also in einer ersten Stufe hinreichend „thematisiert“ sein.74 Sie müssen dazu zumindest Angaben dazu enthalten, welches Schutzgut durch ein Vorhaben betroffen wird und welche Beeinträchtigungen ihm drohen.75 Im Regelfall ist auch die räumliche Zuordnung eines naturschutzrechtlich bedeutsamen Vorkommens oder einer Beeinträchtigung zu spezifizieren.76 Die Substantiierungslast folgt dann einer Je-desto-Formel: Je umfangreicher und intensiver die vom Vorhabenträger bereits erfolgte Begutachtung und fachliche Bewertung ausgearbeitet ist, desto intensiver muss auch die Auseinandersetzung mit dem vorhandenen Material ausfallen.77 Die Gefahr, dass nur noch wenige Experten wissen, was Entscheidungsgegenstände sind, liegt auf der Hand. So ist es kaum verwunderlich, dass die Bandbreite dessen, was das BVerwG noch als hinreichend substantiiert gelten oder nicht mehr gelten lässt, erheblich ist. Erkennbar ist das Gericht in den letzten Jahren bereit, die vom Gesetzgeber inaugurierte und präkludierende Verlagerung auf die vorprozessualen Entscheidungsebenen mitzutragen. 2. Gesetzliches Planerhaltungsrecht a) Fehlerqualifizierung – legislatorische Katalogisierungen Der Bundesgesetzgeber hat im Bauplanungsrecht mit den §§ 214, 215 BauGB und im Fachplanungsrecht (vgl. etwa § 17a Nr. 7 FStrG; § 10 Abs. 4 LuftVG; § 18a Nr. 7 AEG; § 14a Nr. 7 WaStrG) eine breite Palette an Mängeln markiert, für die er die Rechtsfolge einer Kassation ausschließt. Einige Bereiche erklärt er aus Rechtsgründen als unerheblich und schließt damit die Kausalität des Fehlers ex lege aus. Im Übrigen reguliert er die von ihm erwünschte Bestandskraft mit Hilfe rechtzeitig erhobener Einwendungen. Die Rechtsprechung des BVerwG ist dieser legislatorischen „Breitenarbeit“ ohne den Ansatz rechtsstaatlicher Kritik gefolgt. Bemerkenswert ist, dass § 215 Abs. 1 Halbs. 1 Nr. 2 BauGB 1998 eine Präklusionsfrist von sieben Jahren als ausreichend ansah, § 215 Abs. 1 Nr. 3 BauGB 2004 die Frist auf zwei Jahre verkürzte und § 215 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und Nr. 3 BauGB 2007 eine weitere Re-
74 Zu den Anforderungen vgl. u. a. VGH Mannheim, Urt. v. 09.10.2000 – 5 S 1883/99 – VBlBW 2001, 278; VGH Mannheim, Urt. v. 09.10.2000 – 5 S 1885/99 – VBlBW 2001, 315; vgl. ferner Stüer/Rieder, Präklusion im Fernstraßenrecht, DVBl 2003, 473 (479). 75 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.11.2007 – 9 B 38.07 – UPR 2008, 112 = NuR 2008, 176 = ZUR 2008, 257; BVerwG, Beschl. v. 16.10.2001 – 4 VR 20.01 – DVBl 2002, 275 = NVwZ 2002, 726 = UPR 2002, 111 = NuR 2002, 287; BVerwG, Beschl. v. 12.02.1996 – 4 A 38.95 – Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 109; OVG Lüneburg, Urt. v. 10.11.2008 – 7 KS 1/05 – NuR 2009, 188; OVG Lüneburg, Urt. v. 19.02.2007 – 7 KS 135/03 – NordÖR 2007, 330 (L) = juris. 76 BVerwG, Urt. v. 22.01.2004 – 4 A 4.03 – DVBl 2004, 655 = NVwZ 2004, 861 = UPR 2004, 266 = BauR 2004, 964 = BRS 67 Nr. 217 (2004). 77 BVerwG, Urt. v. 22.01.2004 – 4 A 4.03 – DVBl 2004, 655 = NVwZ 2004, 861 = UPR 2004, 266 = BauR 2004, 964 = BRS 67 Nr. 217 (2004).
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duzierung auf ein Jahr vornahm. Für das Fachplanungsrecht hat das BVerwG stets die Verfassungsgemäßheit einer auch materiellen Präklusion angenommen.78 Die Verfassungsgemäßheit der materiellen Präklusion für Rügen einheitlich für alle Mängel der Abwägung ist bereits zur ursprünglichen Regelung des § 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB 1987, der eine Siebenjahresfrist als Rügefrist vorsah, vielfach erörtert worden.79 Auch eine verfassungskonforme Auslegung wurde befürwortet. Die Annahme war dabei, dass zwischen einem „einfach-rechtlichen“ Abwägungsgebot und einem Verstoß gegen höherrangiges Verfassungsrecht unterschieden werden könne.80 Kritik fand die gesetzliche Regelung vor allem darin, dass auch schwerste Mängel hinsichtlich des Abwägungsergebnisses präkludiert wurden. Den Gesetzgeber haben die verfassungsrechtlichen Bedenken unberührt gelassen. Das BVerwG 2001 hat die Bedenken erwogen, indes letztlich mit dem Hinweis auf Möglichkeiten der verfassungskonformen Auslegung als nicht durchgreifend beurteilt.81 Noch 1981 hatte sich das Gericht für eine verfassungskonforme Auslegung des § 155b Abs. 2 Satz 2 BBauG 1979 erwärmen können.82 Die Entstehungsgeschichte des § 215 Abs. 1 BauGB 2007 enthält keinerlei Hinweise, dass der Gesetzgeber oder die ihn unterstützende Ministerialbürokratie in eine Abwägung widerstreitender Interessen eingetreten ist. Man kann schlechterdings nicht behaupten, der Gesetzgeber habe bewusst einen Interessenausgleich zwischen Rechtssicherheit (Bestandssicherheit) und materieller Richtigkeit vorgenommen.83 Nunmehr wird auch kritisch, dass der Gesetzgeber materielle Teilbereiche der planerischen Abwägung nicht in § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB, sondern seit 2004 in § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB als „Verfahrensvorschrift“ qualifiziert hat. Für diesen Bereich ordnet § 215 Abs. 1 Nr. 1 BauGB eine materielle Präklusion gerade an. Die entstandene Gesetzeslage löst nicht die verfassungsrechtlich relevante Einsicht, dass bereits in der Bewertung kon78 BVerwG, Urt. v. 24.05.1996 – 4 A 38.95 – DVBl 1997, 51 = NVwZ 1997, 489 = UPR 1996, 386 = ZUR 1996, 259 = NuR 1997, 83. 79 Verfassungsrechtliche Bedenken bereits zu § 155b Abs. 2 S. 1 BBauG bei OVG Lüneburg, Urt. v. 31.01.1980 – 1 A 168/78 – NJW 1980, 1765 = DÖV 1980, 525. 80 So etwa Dolde, Die „Heilungsvorschriften“ des BauGB für Bauleitpläne, BauR 1990, 1 (10); Peine, Zur verfassungskonformen Interpretation des § 215 I Nr. 2 BauGB, NVwZ 1989, 637 (639); Lemmel, in: Berliner Kommentar zum BauGB, 2. Aufl. 1995, § 215 Rdnr. 11; Käß, Inhalt und Grenzen des Grundsatzes der Planerhaltung. Dargestellt am Beispiel der §§ 214 bis 216 BauGB, Berlin 2002, S. 210 ff. 81 Vgl. etwa BVerwG, Beschl. v. 02.01.2001 – 4 BN 13.00 – ZfBR 2001, 418 = BauR 2001, 1888 = BRS 64 Nr. 57 (2001). 82 BVerwG, Urt. v. 21. 08. 1981 – BVerwGE 64, 33 (35) = DVBl 1982, 354 = NJW 1982, 591. 83 Die Verfassungsgemäßheit bezweifelnd etwa Quaas/Kukk, Neustrukturierung der Planerhaltungsbestimmungen in §§ 214 ff. BauGB, BauR 2004, 1541 (1550); zweifelnd auch Erbguth, Rechtsschutzfragen und Fragen der §§ 214 und 215 BauGB im neuen Städtebaurecht, DVBl 2004, 802 (808 f.); Uechtritz, Die Änderungen im Bereich der Fehlerfolgen und der Planerhaltung nach §§ 214 ff BauGB, ZfBR 2005, 11 (18 f.); verfassungsrechtlich zweifelnd wohl auch Stelkens, Planerhaltung bei Abwägungsmängeln nach dem EAG Bau, UPR 2005, 81 (86).
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fligierender Belange ein Grundrechtseingriff liegen kann. Indes muss man feststellen, dass das BVerwG seine anfänglichen Bedenken im weiteren Verlauf seiner Judikatur schlicht hat fallen lassen. b) Fachplanungsrechtliche Planergänzung – Schutzauflage (BVerwGE 41, 178 [1972]) Das BVerwG erweiterte das Modell der Planergänzung auf andere Bereiche. Das geschah erkennbar in dem steten Bemühen, eine Kassation möglichst zu vermeiden. Die Gedanken des Gerichtes waren durchaus kreativ. Drei Fallbereiche sollen hier erwähnt werden. Sie betreffen den Lärmschutz, die naturschutzrechtlichen Ausgleichsleistungen und den individuellen Übernahmeanspruch. Die Bereiche sind jeweils von dem Gedanken einer punktuellen Nachbesserung geprägt. Dieses stand unter dem Vorbehalt, dass die Planungsstruktur nicht ins Wanken gerate. Das Planergänzungsverfahren dient dazu, solche Rechtsfehler zu beheben, die für die Planungsentscheidung insgesamt nicht von so großem Gewicht sind, dass dadurch die Ausgewogenheit der Gesamtplanung oder eines abtrennbaren Planungsteils in Frage gestellt wird, und die durch eine Schutzauflage behoben werden können.84 Das BVerwG hat diesen Gedanken vertiefend erstmals 1978 entwickelt.85 Er erwies sich als eine Erfolgsgeschichte. Die Identität des planfestgestellten bzw. des genehmigten Vorhabens darf nicht angetastet werden. Dieses Kriterium erlaubt den Gerichten durchaus eine richterliche Einschätzung. Die im Planfeststellungsbeschluss nach Maßgabe des materiellen Rechts zu treffende Anordnung über Schutzanlagen im (immissionsschutzrechtlichen) Lärmschutzbereich ist ihrer rechtlichen Natur nach eine „echte“ Auflage. Sie kann mit der Anfechtungsklage entweder selbständig angefochten und mit der Verpflichtungsklage selbständig begehrt werden.86 Damit erreichte das BVerwG, dass ein durch 84 BVerwG, Urt. v. 20.01.2010 – 9 A 22.08 – NVwZ 2010, 1151 Rdnr. 28; BVerwG, Urt. v. 09.06.2004 – 9 A 11.03 – BVerwGE 121, 72 (81 f.) = DVBl 2004, 1546 = NVwZ 2004, 1486; BVerwG, Urt. v. 05.03.1997 – 11 A 25.95 – BVerwGE 104, 123 (129) = DVBl 1997, 831 = NVwZ 1998, 513; BVerwG, Urt. v. 18.03.1998 – 11 A 55.96 – BVerwGE 106, 241 (245) = DVBl 1998, 1181 = NVwZ 1998, 1071. 85 BVerwG, Urt. v. 07. 07. 1978 – BVerwG 4 C 79.76 u. a. – BVerwGE 56, 110 (132 f.) = DVBl 1978, 845 = NJW 1979, 64. Vgl. auch Ziekow, Die Bestandskraft luftverkehrsrechtlicher Planfeststellungsbeschlüsse, VerwArch 2008, 559; Sieg, Die Nachholung von Schutzauflagen, ZUR 1993, 61; Ramsauer, Die Herstellung der Zumutbarkeit von Straßenverkehrslärm durch Schutzauflagen und Ausgleichszahlungen bei der Straßenplanung durch Bebauungsplan, NuR 1990, 349. 86 BVerwG, Urt. v. 17. 11. 1972 – IV C 21.69 – BVerwGE 41, 178 = DVBl 1973, 492 = NJW 1973, 915 (Anordnung von Schutzanlagen im Planfeststellungsbeschluss); Ansätze zu dieser Judikatur bereits bei BVerwG, Urt. v. 01. 07. 1968 – IV C 99.66 – Buchholz 407.4, § 17 FStrG Nr. 7; BVerwG, Urt. v. 01. 07. 1968 – IV C 9.66 – DVBl 1969, 307. Vgl. zu der sich entwickelnden Schutzauflagenjudikatur etwa BVerwG, Urt. v. 21. 05. 1976 – IV C 80.74 – BVerwGE 51, 15 = DVBl 1976, 779 = NJW 1976, 1760; BVerwG, Urt. v. 21. 05. 1976 – IV C 24.75 – BVerwGE 51, 35 = DVBl 1976, 784; BVerwG, Urt. v. 07. 09. 1979 – IV C 58.76 – BVerwGE 58,
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Schutzauflagen auszumerzender Abwägungsmangel nicht bereits stets das gesamte Abwägungsgefüge ergriff. Können Rechtsmängel bei der Festsetzung von naturschutzrechtlichen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen durch Planergänzung behoben werden, so schließt die Fehlerfolgenregelung des FStrG die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses oder die Feststellung seiner Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit durch das Gericht aus. Das gilt auch für die Klage eines anerkannten Naturschutzvereins. In diesem Fall ist der Naturschutzverein zur Erhebung einer Verpflichtungsklage auf Planergänzung befugt.87 Schließlich befürwortete das BVerwG einen Anspruch auf Übernahme des Grundstücks, wenn die Beeinträchtigungen faktisch ein derartiges Gewicht haben, dass jede weitere Nutzung als unzumutbar erscheinen muss. Das ist bei schweren und unerträglichen Lärmbelastungen angenommen worden.88 Dies ist stets der Fall, wenn der zu erwartende Lärm von so hoher Einwirkungsintensität ist, dass er den Grad einer Gesundheitsgefährdung erreicht.89 Die Zumutbarkeitsschwelle zieht das BVerwG derzeit bei einem Dauerschallpegel von 70 dB(A) tags und 60 dB(A) nachts.90 Der zunächst auf Art. 14 Abs. 1 GG, inzwischen auf § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG gestützte Anspruch besitzt Surrogatcharakter.91 281 = DVBl 1980, 292 = NJW 1980, 2266; BVerwG, Urt. v. 24.09.1982 – 4 C 36.79 – DVBl 1983, 635 = NJW 1983, 1747; BVerwG, Urt. v. 22.03.1985 – 4 C 63.80 – BVerwGE 71, 150 = DVBl 1985, 896 = NJW 1985, 3034. 87 BVerwG, Urt. v. 09.06.2004 – 9 A 11.03 – BVerwGE 121, 72 Rdnr. 110 = DVBl 2004, 1546 = NVwZ 2004, 1486. 88 Vgl. BVerwG, Urt. v. 23.01.1981 – 4 C 4.78 – BVerwGE 61, 295 (305) = DVBl 1981, 932 = NJW 1981, 2137; BVerwG, Urt. v. 05.12.1986 – 4 C 13.85 – BVerwGE 75, 214 (260) = DVBl 1987, 573 = NVwZ 1987, 578; BVerwG, Urt. v. 22.05.1987 – 4 C 17 – 19.84 – BVerwGE 77, 295 (298) = DVBl 1987, 1011 = NJW 1987, 2884; BVerwG, Urt. v. 29.01.1991 – 4 C 51.89 – BVerwGE 87, 332 (383) = DVBl 1991, 1143 = NVwZ-RR 1991, 601; BVerwG, Urt. v. 06.06.2002 – 4 A 44.00 – NVwZ 2003, 209 (210), BVerwG, Urt. v. 23.02.2005 – 4 A 5.04 – BVerwGE 123, 23 (37) = DVBl 2005, 908 = NVwZ 2005, 808. Vgl. auch BVerfG (Kammer), Beschl. v. 23.0.2010 – 1 BvR 2736/08 – NVwZ 2010, 512 (zu BVerwG, Beschl. v. 02.07.2008 – 4 A 1025.06 – NVwZ 2008, 1113). Vgl. zum Anspruch auf Übernahme des Restgrundstücks BVerwG, Urt. v. 07.07.2004 – 9 A 21.03 – NVwZ 2004, 1358 in Abgrenzung zu BGH, Urt. v. 06. 03. 1986 – III ZR 146/84 – NJW 1986, 2424 = NVwZ 1986, 961. 89 BVerwG, Urt. v. 16.03.2006 – 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 Rdnr. 376 (Flughafen Schönefeld); BVerwG, Urt. v. 29.01.1991 – 4 C 51.98 – BVerwGE 87, 332 (383) = DVBl 1991, 1143 = NVwZ-RR 1991, 601 (Flughafen München II); BVerwG, Urt. v. 21.03.1996 – 4 C 9.95 – BVerwGE 101, 1 (12) = DVBl 1996, 916 = NVwZ 1996, 1003; BVerwG, Urt. v. 06.06.2002 – 4 A 44.00 – DVBl 2002, 1494 = NVwZ 2003, 209; BVerwG, Urt. v. 23.02.2005 – 4 A 5.04 – BVerwGE 123, 23 (25) = DVBl 2005, 908 = NVwZ 2005, 808 (Neubau der Bundesautobahn A 72). 90 So etwa BVerwG, Urt. v. 20.05.1998 – 11 C 3.97 – NVwZ 1999, 67 = UPR 1998, 449; BVerwG, Urt. v. 10.11.2004 – 9 A 67.03 – NVwZ 2005, 591 (594) = UPR 2005, 191. 91 BVerwG, Urt. v. 06.06.2002 – 4 A 44.00 – DVBl 2002, 1494 = NVwZ 2003, 209; BVerwG, Urt. v. 07.07.2004 – 9 A 21.03 – NVwZ 2004, 1358; BVerwG, Urt. v. 27.06.2007 – 4 A 2004.05 – BVerwGE 129, 83 = NVwZ 2007, 1308 (Ausbau des Flughafens Leipzig); BVerwG, Urt. v. 09.11.2006 – 4 A 2001.06 – BVerwGE 127, 95 = NVwZ 2007, 445; BVerwG, Beschl. v. 02.07.2008 – 4 A 1025.06 – NVwZ 2008, 1113 (Ablehnung eines Aufopferungsgewohnheitsrechtes).
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Sein Anwendungsbereich reicht aus diesem Grunde allerdings nicht weiter als die Primärregelung des § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG, die für den Anspruch Betroffener auf Schutzvorkehrungen Auswirkungen auf deren Rechte voraussetzt. Es handelt sich um mittelbare Beeinträchtigungen, die das planfestgestellte Vorhaben hervorruft. Da anders als bei einer Enteignung ein gesonderter Rechtsakt in Gestalt des Enteignungsbeschlusses fehlt, hat die Planfeststellungsbehörde schon im Planfeststellungsbeschluss über einen Übernahmeanspruch dem Grunde nach zu entscheiden.92 c) Bauplanungsrechtliche Planergänzung Es wurde bereits erwähnt, dass das BVerwG das fachplanerische Institut der „Planergänzung“ nicht nur entwickelt, sondern immer weiter ausgebaut hatte. Der Bundesgesetzgeber hat dies 1998 zum Anlass genommen, mit § 215a Abs. 2 BauGB das Institut des „ergänzenden Verfahrens“ in das BauGB aufzunehmen. Überraschend war, dass der Gesetzgeber bei der Anordnung der Fehlerwirkung nunmehr die Unterscheidung zwischen „Nichtigkeit“ und einer nicht näher bezeichneten Rechtsunwirksamkeit einführte. Die zweitgenannte Fehlergruppe sollte sich danach qualifizieren, dass sie in einem „ergänzenden Verfahren“ behoben werden konnte. Damit vermengte der Gesetzgeber die Qualifizierung des Fehlers mit dem Verfahren der Fehlerbehebung. Das gab der Judikatur mancherlei Rätsel auf. Offenbar sollten die Gerichte jetzt eine Prognose darüber abgeben, ob eine Reparatur in Betracht kam. Für die Anwendbarkeit des § 215a Abs. 1 Satz 1 BauGB genügte es nach Ansicht des BVerwG immerhin, dass die „konkrete Möglichkeit“ der Fehlerbehebung in einem ergänzenden Verfahren besteht. Das setzte wiederum voraus, dass der Mangel nicht die Grundzüge der Planung berührte. Auch das Normenkontrollrecht des § 47 VwGO wurde entsprechend geändert. Nunmehr war auch hier zwischen Rechtsunwirksamkeit und Nichtigkeit zu unterscheiden. Der Gesetzgeber gerierte sich als Dogmatiker, indes als ein fehlsamer. Das Konzept war – wie die Rückschau deutlicher zeigt – ersichtlich misslungen. Im Jahre 2004 wurde dieser legislatorische Irrweg beseitigt. Etwa 200 Entscheidungen der Verwaltungsgerichte hatten sich inzwischen mit diesem legislatorischen Abenteuer beschäftigt. „Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“ hatte Friedrich Carl von Savigny 1814 seine Streitschrift betitelt. Daran durfte man sich erinnert fühlen. In der Novellierung 2004 schuf der Gesetzgeber mit § 214 Abs. 4 BauGB ein gewisses Maß an Klarheit.93 Eine größere Bedeutung erreichte die Vorschrift in der Rechtsprechung des BVerwG bislang nicht, wohl aber in der Spruchpraxis der Obergerichte.
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BVerwG, Urt. v. 07.07.2004 – 9 A 21.03 – NVwZ 2004, 1358. Vgl. auch BVerwG, Urt. v. 09.04.2008 – 4 CN 1.07 – BVerwGE 131, 100 = DVBl 2008, 859 = NVwZ 2008, 899. 93
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IV. Klagebefugnisse 1. Die klagende Gemeinde – Verteidigung der Planungshoheit Die Klagebefugnis der Gemeinde betrachtete das BVerwG anfangs recht restriktiv.94 Das war immer bemerkenswert. Denn der zumeist zuständige 4. Revisionssenat galt als ausgesprochen gemeindefreundlich eingestellt. Dennoch: Die Gemeinde könne zwar eine behördliche Maßnahme unter Berufung auf ihre Planungshoheit abwehren.95 Aus Art. 28 Abs. 2 GG folge kein Recht auf umfassende Überprüfung eines Planfeststellungsbeschlusses unter allen rechtlichen Gesichtspunkten.96 Gemeinden seien insbesondere nicht befugt, sich über die Anrufung der Verwaltungsgerichte zum „Kontrolleur“ der zur Wahrung öffentlicher Belange jeweils berufenen staatlichen Behörden aufzuschwingen. Sie könnten auch nicht die grundrechtlich geschützten Abwehrinteressen ihrer Einwohner gleichsam bei sich bündeln, indem sie diese als Sachwalterin der örtlichen Gemeinschaft geltend machten.97 Bei der Planfeststellung vermittele die gemeindliche Planungshoheit des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG eine „wehrfähige“, in die Abwägung einzubeziehende Rechtsposition nur in drei Fallbereichen. Das Vorhaben müsse entweder eine hinreichend bestimmte gemeindliche Planung nachhaltig stören98, wesentliche Teile des Gemeindegebietes einer durchsetzbaren gemeindlichen Planung entziehen99 oder gemeindliche Einrichtungen erheblich beeinträchtigen.100 94
Vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 11.01.2001 – 4 A 12.99 – NVwZ 2001, 1160. Vgl. BVerwG, Urt. v. 21.03.1996 – 4 C 26.94 – BVerwGE 100, 388 = DVBl 1996, 914 = NVwZ 1997, 169 = UPR 1996, 337 = ZfBR 1996, 280 = NuR 1996, 520 = BRS 58 Nr. 2 (1996); BVerwG, Urt. v. 21.05.2003 – 9 A 40.02 – NVwZ 2003, 1381 = NuR 2004, 658. 96 BVerwG, Urt. v. 26.02.1999 – 4 A 47.96 – NVwZ 2000, 560 = UPR 1999, 271; BVerwG, Urt. v. 24.11.1994 – 7 C 25.93 – BVerwGE 97, 143 (151) = DVBl 1995, 238 = NVwZ 1995, 598. 97 BVerwG, Beschl. v. 21.01.1993 – 4 B 206.92 – NVwZ 1993, 884 (886); BVerwG, Beschl. v. 30.12.1996 – 11 VR 24.95 – UPR 1997, 153 (154); BVerwG, Urt. v. 21.03.1996 – 4 C 26.94 – BVerwGE 100, 388 (391) = DVBl 1996, 914 = NVwZ 1997, 169; BVerwG, Beschl. v. 15.04.1999 – 4 VR 18.98 – NVwZ-RR 1999, 554. 98 BVerwG, Urt. v. 21.03.1996 – 4 C 26.94 – BVerwGE 100, 388 (394) = DVBl 1996, 914 = NVwZ 1997, 169 = UPR 1996, 337 = ZfBR 1996, 280 = NuR 1996, 520 = BRS 58 Nr. 2 (1996). 99 Vgl. BVerwG, Urt. v. 16.12.1988 – 4 C 40.86 – BVerwGE 81, 95 (106) = DVBl 1989, 363 = NVwZ 1989, 750 (Hubschrauberlandeplatz Minden); BVerwG, Urt. v. 27.03.1992 – 7 C 18.91 – BVerwGE 90, 96 (100) = DVBl 1992, 1233 = NVwZ 1993, 364; BVerwG, Urt. v. 09.02.2005 – 9 A 62.03 – DVBl 2005, 903 = NVwZ 2005, 813 (816) = UPR 2005, 272; BVerwG, Beschl. v. 02.08.2006 – 9 B 9.06 – DVBl 2006, 1304 = NVwZ 2006, 1290 = UPR 2007, 30. 100 Vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 11.04.1986 – 4 C 51.83 – BVerwGE 74, 124 (132) = DVBl 1986, 1003 = NVwZ 1986, 837; BVerwG, Urt. vom 16.12.1988 – 4 C 40.86 – BVerwGE 81, 95 (106) = DVBl 1989, 363 = NVwZ 1989, 750; BVerwG, Urt. v. 15.12.1989 – 4 C 36.86 – BVerwGE 84, 209 (215) = NVwZ 1990, 464 = DÖV 1990, 479; BVerwG, Urt. v. 27.03.1992 – 7 C 18.91 – BVerwGE 90, 96 = DVBl 1992, 1233 = NVwZ 1993, 364; BVerwG, Beschl. v. 30.08.1995 – 4 B 86.95 – NVwZ-RR 1996, 67; BVerwG, Urt. v. 21.03.1996 – 4 C 26.94 – 95
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Damit sind indiziell Fallgruppen beschrieben, in denen die Gemeinde vor allem gegenüber einer Fachplanung „wehrfähig“ ist, weil ihre Planungshoheit mehr als nur geringfügig beeinträchtigt sein kann. Das BVerwG geht davon aus, dass die Beachtlichkeit geltend gemachter Belange einer Gemeinde in aller Regel nicht die Zulässigkeit des eingelegten Rechtsmittels, sondern dessen Begründetheit betrifft. § 50 Satz 1 BImSchG vermittelt den Gemeinden kein subjektives Recht auf Einhaltung des in dieser Vorschrift normierten Planungsgrundsatzes. Insbesondere ist die Gemeinde nicht befugt, Gefahren für Leben und Gesundheit zu rügen, da sie nicht gleichsam in Prozessstandschaft für ihre Einwohner auftreten darf. Die abstrakte Möglichkeit, dass der Gemeinde die Möglichkeit planerischer Gestaltung der Infrastruktur für ihr Gemeindegebiet genommen werden könnte, genügte nach allem nicht.101 So ließ das BVerwG jahrelang offen, ob Gemeinden im Rahmen einer Anfechtungsklage eine Überprüfung der Planrechtfertigung beanspruchen können, wenn sie dem planfestgestellten Vorhaben substantiiert vorhielten, durch das Vorhaben würden wesentliche Teile des Gemeindegebiets der gemeindeeigenen Planung entzogen, hinreichend gesicherte Planungen der Gemeinden unmöglich gemacht oder die Funktionsfähigkeit gemeindlicher Einrichtungen beeinträchtigt.102 Erst 2006 entschied sich das Gericht zugunsten der Gemeinden. Seien von dem Lärmzuwachs ausgewiesene Baugebiete betroffen, könnten Gemeinden ihr Interesse an der Bewahrung der in der Bauleitplanung zum Ausdruck gekommenen städtebaulichen Ordnung vor nachhaltigen Störungen als eigenen abwägungserheblichen Belang geltend machen.103 Sie können damit zumindest geltend machen, dass dem planfestgestellten Vorhaben die erforderliche Planrechtfertigung fehle. 2. Enteignungsrechtliche Vorwirkung – „verdeckte“ Verbandsklage (BVerwGE 67, 74) Das Naturschutzrecht und das allgemeine Umweltschutzrecht verleihen dem Einzelnen grundsätzlich nicht das Recht, Rechtsverletzungen im Sinne des § 42 Abs. 2 BVerwGE 100, 388 (394) = DVBl 1996, 914 = NVwZ 1997, 169; BVerwG, Beschl. v. 05.12.1996 – 11 VR 8.96 – NVwZ-RR 1997, 339; BVerwG, Urt. v. 26.02.1999 – 4 A 47.96 – NVwZ 2000, 560; BVerwG, Urt. v. 14.12.2000 – 4 C 13.99 – BVerwGE 112, 274 = DVBl 2001, 395 = NVwZ 2001, 1030; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 30.08.1993 – 7 A 14.93 – NVwZ 1994, 371 = ZfBR 1994, 43 zur Darlegungslast der Gemeinde bezüglich ihrer konkreten Planung. 101 Vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 18.03.1987 – 7 C 28.85 – BVerwGE 77, 128 (132 f.) = DVBl 1987, 845 = NJW 1987, 2096; BVerwG, Urt. v. 18.03.1987 – 7 C 31.85 – BVerwGE 77, 134 (138) = DVBl 1987, 1000 = NVwZ 1987, 590; BVerwG, Beschl. v. 23.03.1993 – 7 B 126.92 – NVwZ-RR 1993, 373. BVerwG, Beschl. v. 18.09.1998 – 4 VR 11.98 – NuR 1999, 631; BVerwG, Beschl. v. 18.03.2008 – 9 VR 5.07 – NuR 2008, 502. 102 Vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 03.09.1997 – 11 VR 20.96 – NVwZ-RR 1998, 289 (290) = DÖV 1998, 79. 103 BVerwG, Urt. v. 17.03.2005 – 4 A 18.04 – BVerwGE 123, 152 = DVBl 2005, 1044 = NVwZ 2005, 811; BVerwG, Urt. v. 16.03.2006 – 4 A 1001.04 – NVwZ 2006, 1055 = BRS 70 Nr. 28 (2006).
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VwGO geltend zu machen. Das gilt auch für die Vogelschutzrichtlinie und die FFHRichtlinie.104 Es war eine rechtspolitische Tat, als das BVerwG 1983 eine Art Verbandsklage kreierte.105 Das Ganze hatte etwas von einem grundrechtlich verbrämten Trick an sich. Aber die Lösung war unvermeidbar. Der Einzelne besitzt gegenüber Eingriffen in sein durch Art. 14 GG geschütztes Eigentum ein klagefähiges Abwehrrecht auch insoweit, als sich die Rechtswidrigkeit des Vorhabens aus objektiv-rechtlichen Vorschriften ergibt.106 Denn der Begriff des Wohls der Allgemeinheit ist umfassend. Das hieß jetzt: Der Eigentümer eines Grundstücks, das für ein fernstraßenrechtliches Straßenbauvorhaben unmittelbar in Anspruch genommen wird, ist danach nicht darauf beschränkt, eigene Belange geltend zu machen. Dies gilt auch dann, wenn ein Naturschutzverein als Eigentümer eines Grundstücks im Trassenbereich des Vorhabens, das den Gegenstand des Planfeststellungsbeschlusses bildet, sich zur Wehr setzt.107 So kann sich der enteignungsbetroffene Grundeigentümer auch auf die Missachtung der Vogelschutz-RL berufen, wenn und soweit die Vogelschutz-RL als objektives Recht anwendungsfähig und von den nationalen Behörden zu beachten ist.108 Das BVerwG erweiterte den Kreis der Kläger durch seine sog. Zwangspunkt-Rechtsprechung. Danach kann sich ein Eigentümer gegen eine heranrückende Planung, die sein Grundstück noch nicht unmittelbar betrifft, zur Wehr setzen, wenn ein Zwangspunkt geschaffen wird, der im weiteren Planungsverlauf zwangsläufig dazu führen muss, dass er in seinen Rechten betroffen wird.109 Durch eine derartige „vorbeugende“ Klagemöglichkeit soll der künftig notwendig Rechtsbetroffene zur Sicherung seines effektiven Rechtsschutzes vor der Schaffung vollendeter Tatsachen 104 BVerwG, Urt. v. 26.04.2007 – 4 C 12.05 – BVerwGE 128, 358 = NVwZ 2007, 1074 (zu OVG Hamburg, Urt. v. 02.06.2005 – 2 Bf 345/02 – NVwZ-RR 2006, 97 [Mühlenberger Loch]). 105 BVerwG, Urt. v. 18.03.1983 – 4 C 80.79 – BVerwGE 67, 74 (76) = DVBl 1983, 899 = NJW 1983, 2459; BVerwG, Urt. v. 06.03.1987 – 4 C 11.83 – BVerwGE 77, 86 (91) = DVBl 1987, 901 = NJW 1987, 3146; BVerwG, Urt. v. 18.12.1987 – 4 C 9.86 – BVerwGE 78, 347 (355) = DVBl 1988, 492 = NVwZ 1988, 527. 106 BVerwG, Urt. v. 18.03.1983 – 4 C 80.79 – BVerwGE 67, 74 (76) = DVBl 1983, 899 = NJW 1983, 2459; BVerwG, Urt. v. 12.12.1985 – 4 C 40.83 – BVerwGE 72, 15 = DVBl 1985, 1141 = NVwZ 1985, 736; BVerwG, Urt. v. 06.03.1987 – 4 C 11.83 – BVerwGE 77, 86 (91) = DVBl 1987, 901 = NJW 1987, 3146; BVerwG, Urt. v. 18.12.1987 – 4 C 9.86 – BVerwGE 78, 347 (355) = DVBl 1988, 492 = NVwZ 1988, 527; BVerwG, Urt. v. 27.07.1990 – 4 C 26.87 – NVwZ 1991, 781; BVerwG, Urt. v. 10.04.1997 – 4 C 5.96 – BVerwGE 104, 236 = DVBl 1997, 1115 = NVwZ 1998, 508; BVerwG, Gerichtsbescheid v. 16.03.1998 – 4 A 31.97 – NuR 1998, 647. 107 Vgl. BVerwG, Urt. v. 10.04.1997 – 4 C 5.96 – BVerwGE 104, 236 = DVBl 1997, 1115 = NVwZ 1998, 508. 108 BVerwG, Urt. v. 19.05.1998 – 4 C 11.96 – NVwZ 1999, 528. 109 Vgl. BVerwG, Urt. v. 26.06.1981 – 4 C 5.78 – BVerwGE 62, 342 = DVBl 1981, 936 = NJW 1981, 2592; BVerwG, Urt. v. 21.03.1996 – 4 C 1.95 – DVBl 1996, 915 = NVwZ 1997, 493; BVerwG, Beschl. v. 02.11.1992 – 4 B 205.92 – DVBl 1993, 161 = NVwZ 1993, 887; BVerwG, Urt. v. 24.05.1996 – 4 A 16.95 – NVwZ 1997, 491; BVerwG, Urt. v. 24. 03. 2004 – G 9 A 34.03 – juris; einschränkend BVerwG, Beschl. v. 14.07.2005 – 9 VR 23.04 – juris.
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bewahrt werden. Allerdings kann sich eine Gemeinde in einem Planfeststellungsverfahren, das enteignungsrechtliche Vorwirkungen hat, nicht auf eine Verletzung von Art. 14 GG berufen.110 Nur die Klagebefugnis aus Art. 28 Abs. 2 GG steht ihr zur Verfügung.111 Das BVerwG bleibt in diesem Punkt hart. Bereits 1997 deutete sich an, dass das BVerwG die Möglichkeit des Missbrauchs der Klageform erwog.112 Ein Jahr später betont das Gericht die Frage des Missbrauchs, lässt aber eine Entscheidung noch offen.113 Das Judikat liest sich wie eine letzte Ermahnung, die Dinge nicht zu überziehen. Zwar sei ein anerkannter Naturschutzverband nicht gehindert, mit Hilfe eines sog. Sperrgrundstücks geltend zu machen, der Planfeststellungsbeschluss verstoße durch seine enteignungsrechtliche Vorwirkung gegen Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG. Dabei könne es allerdings Grenzen geben. Wie jede Rechtsposition könne auch eine Klagebefugnis dem Einwand der unzulässigen Rechtsausübung unterliegen. Das sei dann der Fall, wenn konkrete Umstände vorhanden sind, die ohne weiteres erkennen lassen, dass an der erworbenen Rechtsstellung, welche die Klagebefugnis vermitteln soll, kein über das Führen eines erwarteten Rechtsstreits hinausgehendes Interesse gegeben ist. Die Mahnung wird überhört. Im Jahre 2000 versagt das BVerwG erstmals die Klagebefugnis wegen Missbrauchs. Die Klagebefugnis fehle, wenn die Eigentümerstellung rechtsmissbräuchlich begründet worden sei. Dies sei anzunehmen, wenn das Eigentum nicht erworben worden sei, um die mit ihm verbundene Gebrauchsmöglichkeit zu nutzen, sondern nur als Mittel dafür diene, die formalen Voraussetzungen für eine Prozessführung zu schaffen, die nach der Rechtsprechung dem Eigentümer vorbehalten sei.114 Das Modell hat sein Ende gefunden. Zugleich beginnt das BVerwG die inhaltliche Reichweite der „Vorwirkungsklage“ zu begrenzen. Der Anspruch eines von der enteignungsrechtlichen Vorwirkung eines Planfeststellungsbeschlusses Betroffenen auf gerichtliche Überprüfung des Plans auf seine objektive Rechtmäßigkeit (sog. Vollüberprüfungsanspruch) unterliegt Einschränkungen. Eine Anfechtungsklage kann keinen Erfolg haben, wenn der geltend gemachte Rechtsfehler aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen für die Eigentumsbetroffenheit des Klägers nicht erheblich, insbesondere nicht kausal ist. Bereits 1996 hatte das BVerwG entschieden, dass ein Verstoß gegen die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung auf die Klage eines durch die enteignende Vorwirkung der straßenrechtlichen Planfeststellung betroffenen Grundstückseigentümers nur dann zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses führe, wenn der Verstoß für die Eigen110 Vgl. BVerwG, Urt. v. 01.07.1988 – 4 C 15.85 – NVwZ 1989, 247; BVerwG, Beschl. v. 13.03.1995 – 11 VR 2.95 – NVwZ 1995, 905; BVerwG, Urt. v. 11.01.2001 – 4 A 12.99 – NVwZ 2001, 1160; BVerwG, Beschl. v. 18.03.2008 – 9 VR 5.07 – NuR 2008, 502. 111 Vgl. zuletzt BVerwG, Urt. v. 10.12.2008 – 9 A 19.08 – juris. 112 BVerwG, Urt. v. 27.08.1997 – 11 A 61.95 – NuR 1998, 138. 113 BVerwG, Gerichtsbescheid v. 16.03.1998 – 4 A 31.97 – NuR 1998, 647. 114 BVerwG, Urt. v. 27.10.2000 – 4 A 10.99 – BVerwGE 112, 135 = DVBl 2001, 385 = NVwZ 2001, 427.
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tumsinanspruchnahme kausal sei.115 In einem ersten Zwischenschritt meint das Gericht 1998, ein von der Planfeststellung mit enteignender Vorwirkung betroffener Grundstückseigentümer habe keinen Anspruch auf ein schlechthin fehlerfreies Verfahren. Vielmehr seien etwaige Mängel rechtlich unerheblich, wenn sich auch im Falle ihrer Vermeidung an der Eigentumsinanspruchnahme nichts geändert hätte.116 Dies ist u. a. dann der Fall, wenn behauptete naturschutzrechtliche Mängel des Beschlusses durch schlichte Planergänzung behoben werden können.117 Behauptete artenschutzrechtliche Mängel, die nach Art und Umfang im Rahmen eines naturschutzfachlichen Monitorings oder einer qualifizierten begleitenden ökologischen Bauüberwachung aufgefangen werden können, können der Anfechtungsklage eines von der enteignungsrechtlichen Vorwirkung Betroffenen grundsätzlich nicht zum Erfolg verhelfen.118 3. Prozessualer Widerstand: Das BVerwG und die Effektivität der Normenkontrollklage Der Bundesgesetzgeber führte 1976 das Institut der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle ein.119 Dies galt als eine rechtsstaatlich und rechtspolitisch begrüßenswerte Tat. Später scheint den Gesetzgeber sein eigenes, rechtswegöffnendes Handeln gereut zu haben. Er reduzierte die Möglichkeiten der Normenkontrolle. Der Gesetzgeber erschwerte zunächst die Voraussetzungen der Antragsbefugnis.120 Dann normierte er eine Antragsfrist und verkürzte diese wenige Zeit später.121 Im Jahre 2006 verfiel er auf den Gedanken, mit § 47 Abs. 2a VwGO in Verb. mit § 3 Abs. 2 BauGB eine prozessuale Präklusion einzuführen.122 Das BVerwG nahm in vier Bereichen eine gegensteuernde Interpretation des § 47 VwGO vor. Die Bereiche seien hier chronologisch, also nicht systematisch vorgestellt.
115 BVerwG, Urt. v. 21.03.1996 – 4 C 1.95 – DVBl 1996, 915 = NVwZ 1997, 493; BVerwG, Urt. v. 21.03.1996 – 4 C 19.94 – BVerwGE 100, 370 = DVBl 1996, 907 = NVwZ 1996, 1016. 116 BVerwG, Beschl. v. 19.03.1998 – 11 VR 10.97 – juris. 117 BVerwG, Urt. v. 12.08.2009 – 9 A 64.07 – UPR 2010, 193 (Lückenschluss A 33). 118 BVerwG, Urt. v. 12.08.2009 – 9 A 64.07 – UPR 2010, 193 (Lückenschluss A 33). 119 Gesetz zur Änderung verwaltungsprozessualer Vorschriften vom 24. 08. 1976 (BGBl. I S. 2437). 120 Sechstes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze (6. VwGOÄndG) vom 01. 11. 1996 (BGBl. I S. 1626); vgl. auch Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess (RmBereinVpG) vom 20. 12. 2001 (BGBl. I S. 3987). 121 Sechstes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze (6. VwGOÄndG) vom 01. 11. 1996 (BGBl. I S. 1626); Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte (StadtPlErlG) vom 21. 12. 2006 (BGBl. I S. 3316). 122 Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte (StadtPlErlG) vom 21. 12. 2006 (BGBl. I S. 3316).
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a) Abwägungsanspruch als subjektives Recht (BVerwGE 107, 215) Noch 1975 hatte das BVerwG in seinem B-42-Urteil gemeint, das Abwägungsgebot verleihe ein subjektives öffentliches Recht auf gerechte Abwägung lediglich im Hinblick auf rechtlich geschützte eigene Belange des Betroffenen.123 So bleibt es Jahrzehnte. 1998 wird diese Beschränkung aufgegeben. Das in § 1 Abs. 6 BauGB (heute § 1 Abs. 7 BauGB 2004) enthaltene Abwägungsgebot habe drittschützenden Charakter hinsichtlich solcher privater Belange, die für die Abwägung erheblich sind.124 So formuliert es das BVerwG zur Antragsbefugnis in einem verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren zu § 47 Abs. 2 VwGO. Die eigentlichen Gründe für diesen Sinneswandel bleiben im Dunklen. Das Gericht fügt ergänzend hinzu, man wisse wohl, dass sich der Gesetzgeber bei der Novellierung des § 47 VwGO in der Annahme der Parallelität zu § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO etwas anderes vorgestellt habe. Aber Gesetz sei Gesetz, setzte der 4. Revisionssenat sinngemäß in einem obiter dictum hinzu. Der Gesetzgeber nimmt diese höchstrichterliche Belehrung über sorgfältige Gesetzesarbeit hin. Schnell etabliert sich mit dieser Entscheidung eine sog. gefestigte Rechtsprechung.125 Sie wirkt dann in das Fachplanungsrecht hinein.126 Dem Abwägungsgebot wird drittschützender Charakter indes nur hinsichtlich solcher privater Belange zugewiesen, die für die Abwägung „nach Lage der Dinge“ auch erheblich sind.127 Die Versuchung, die Prüfung der Antragsbefugnis mit Darlegungslasten zu überfrachten, ist nicht eben gering, da für die Begründetheit des Normenkontrollantrags keine subjektive Rechtsverletzung notwendig ist. Ist der Antragsteller erst einmal 123
BVerwG, Urt. v. 14. 02. 1975 – IV C 21.74 – BVerwGE 48, 56 = DVBl 1975, 713 = NJW 1975, 1373 (Autobahn B-42). 124 BVerwG, Urt. v. 24.09.1998 – 4 CN 2.98 – BVerwGE 107, 215 = DVBl 1999, 100 = NJW 1999, 592 (zu OVG Saarland, Beschl. v. 12.01.1998 – 2 N 4/97 – juris). Zuvor bereits andeutend BVerwG, Urt. v. 10.03.1998 – 4 CN 6.97 – NVwZ 1998, 732. Vgl. auch Ehlers, Die Befugnis natürlicher und juristischer Personen zur Beantragung einer verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle, in: Festschrift für Werner Hoppe zum 70. Geburtstag 2000, München 2000, S. 1041; Krebs, Öffentlich-rechtlicher Drittschutz im Bauplanungsrecht – Vom Wandel des Gebotes der Rücksichtnahme zu einer Rücksichtnahmelehre, in: Festschrift für Werner Hoppe zum 70. Geburtstag 2000, München 2000, S.1055; Schütz, Das „Recht auf gerechte Abwägung“ im Bauplanungsrecht – Das Urteil des BVerwG vom 24. 09. 1998 und seine Folgeprobleme, NVwZ 1999, 929; Muckel, Die fehlgeschlagene Einschränkung der Antragsbefugnis bei der Normenkontrolle von Bebauungsplänen, NVwZ 1999, 963. Vgl. auch bereits die Erörterung bei Steinberg/Berg/Wickel, Fachplanung, 3. Aufl. 2000, S. 386. 125 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 07.01.2010 – 4 BN 36.09 – juris; BVerwG, Beschl. v. 16.03.2010 – 4 BN 66.09 – NVwZ 2010, 1246; BVerwG, Beschl. v. 07.03.2007 – 4 BN 1.07 – DVBl 2007, 634 = NVwZ 2007, 825. 126 Vgl. BVerwG, Urt. v. 16.10.2008 – 4 C 3.07 – BVerwGE 132, 152 = DVBl 2009, 315 = NVwZ 2009, 452; BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 – 7 A 7.09 – DVBl 2010, 519 Rdnr. 18 = NVwZ 2010, 584; jüngst BVerwG, Urt. v. 03.05.2011 – 7 A 9.09 – juris Rdnr. 26 (Wasserrecht). 127 BVerwG, Urt. v. 24.09.1998 – 4 CN 2.98 – BVerwGE 107, 215 = DVBl 1999, 100 = NJW 1999, 592 (zu OVG Saarland, Beschl. v. 12.01.1998 – 2 N 4/97 – juris).
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durch den Flaschenhals der Antragsbefugnis hindurch, kann er eine Vollprüfung erreichen. Gegen diese Neigung der Obergerichte musste das BVerwG wiederholt belehrend eingreifen. Sehr folgerichtig ist die Auffassung des Gerichtes, dass es für die Antragsbefugnis nicht darauf ankomme, ob eine vom Antragsteller geltend gemachte Verletzung des Abwägungsgebots, wenn sie vorläge, nach den Planerhaltungsvorschriften beachtlich wäre.128 Wendet ein Normenkontrollgericht § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO jedenfalls zu engherzig an, kann dies mit einer Verfahrensrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO beanstandet werden.129 Allerdings mussten auch die Anwälte darüber belehrt werden, dass zwar das Abwägungsgebot ein subjektives Recht vermittele, für die Klagebefugnis indes zusätzlich eine Rechtsverletzung plausibel dargetan werden müsse. Das Erfordernis der Darlegung einer Verletzung von Rechten des Antragstellers verlangt unverändert, dass dieser konkret und substantiiert die Möglichkeit einer Verletzung seiner subjektiven Rechte durch das Ergebnis der umstrittenen Planung, also etwa den betreffenden B-Plan mit seinen darin getroffenen Festsetzungen, aufzeigen muss.130 b) Der „obligatorische“ Kläger (BVerwGE 105, 178; 107, 215) Den personellen Kreis der Antragsbefugten dehnte das BVerwG aus. Nicht nur der Grundeigentümer, sondern auch der Mieter und der Pächter können antragsbefugt sein.131 Damit gab das Gericht teilweise die sog. Repräsentationstheorie auf.132 Eine entsprechende Entwicklung hatte sich bereits im Fachplanungsrecht abgezeichnet.133 Ein Pächter, der sich dagegen zur Wehr setzt, dass sein Pachtgrundstück auf der Grundlage des FStrG für ein Straßenbauvorhaben unter Einschluss der damit verbundenen naturschutzrechtlichen Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen in Anspruch genommen wird, ist klagebefugt.134 Aber auch der Mieter, der sich immissionsschutz128
BVerwG, Beschl. v. 16.03.2010 – 4 BN 66.09 – NVwZ 2010, 1246. Vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 18.03.1994 – 4 NB 24.93 – DVBl 1994, 701 = NVwZ 1994, 683. 130 BVerwG, Urt. v. 11.12.2003 – 4 CN 10.02 – BVerwGE 119, 312 = DVBl 2004, 635 = NVwZ 2004, 729; ebenso BVerwG, Urt. v. 20.11.2003 – 4 CN 6.03 – BVerwGE 119, 217 = DVBl 2004, 629 = NVwZ 2004, 614. 131 BVerwG, Urt. v. 05.11.1999 – 4 CN 3.99 – BVerwGE 110, 36 = NVwZ 2000, 806; BVerwG, Urt. v. 21.10.1999 – 4 CN 1.98 – DVBl 2000, 793 = NVwZ 2000, 807. Vgl. auch bereits BVerwG, Beschl. v. 07.04.1995 – 4 NB 10.95 – NVwZ-RR 1996, 8; BVerwG, Beschl. v. 11.11.1988 – 4 NB 5.88 – DVBl 1989, 359 = NVwZ 1989, 553 (Mieter); BVerwG, Beschl. v. 25.01.2002 – 4 BN 2.02 – ZfBR 2002, 493 (gesunde Wohnverhältnisse). 132 Einschränkend wiederum BVerwG, 19.04.2006 – 4 BN 11.06 – ZfBR 2006, 583 (Schallschutz). 133 BVerwG, Urt. v. 01.09.1997 – 4 A 36.96 – BVerwGE 105, 178 = DVBl 1998, 44 = NVwZ 1998, 504, und zwar unter Aufgabe von BVerwG, Urt. v. 04.03.1983 – 4 C 74.80 – DVBl 1983, 898 = NVwZ 1983, 672; BVerwG, Urt. v. 16.09.1993 – 4 C 9.91 – DVBl 1994, 338 = NVwZ 1994, 682; BVerwG, Beschl. v. 26.07.1990 – 4 B 235.89 – NVwZ 1991, 566. 134 BVerwG, Urt. v. 01.09.1997 – 4 A 36.96 – BVerwGE 105, 178 = DVBl 1998, 44 = NVwZ 1998, 504. 129
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rechtlichen Belastungen ausgesetzt sieht, erhält eine eigene Klagebefugnis. Er ist nicht mehr auf die Handlungsbereitschaft seines Vermieters angewiesen. Auch die BGB-Gesellschaft ist klagebefugt. Hier folgt das BVerwG der neueren Rechtsprechung des BGH.135 Ein innerer Widerspruch bleibt es, wenn die obergerichtliche Rechtsprechung die Antragsbefugnis des Mieters verneint, ein behördliches Einschreiten gegen ihn störende baurechtswidrige Zustände zu fordern.136 c) Ziel der Raumordnung (BVerwGE 119, 217) Nach der Begriffsbestimmung des § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG sind Ziele der Raumordnung verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Landes- oder Regionalplanung abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums. Sie sind anders als Grundsätze der Raumordnung nicht bloß Maßstab, sondern als räumliche und sachliche Konkretisierung der Entwicklung des Planungsraumes das Ergebnis landesplanerischer Abwägung.137 Ihre Bedeutung in der Steuerung des Raumes und in der Zuordnung von Entwicklungschancen ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Die Steuerung des Einzelhandels durch landesplanerische Ziele der Raumordnung hat sich als beispielgebend herausgestellt.138 Der Gesetzgeber hat in § 2 Abs. 2 Satz 2 BauGB 2004 den Gemeinden eine Klagebefugnis eröffnet. Für die Errichtung von Windenergieanlagen sind die Ziele der Raumordnung nach Maßgabe des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB eine projektbezogene Raumordnung. Es musste eine Frage der Zeit sein, wann das BVerwG auf diesen deutlichen Funktionswandel des Raumordnungsrechtes reagierte. 2003 entschied das Gericht, dass die in einem Regionalplan festgelegten Ziele der Raumordnung Rechtsvorschriften im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO seien.139 Das stellte einen Paradigmenwechsel dar. Der Bundesgesetzgeber umschreibt den Begriff der Ziele in § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG einheitlich für die Raumordnung im Bund und in den Ländern. Die Rechtsbindungen, die Ziele der Raumordnung erzeugen, sind in dem Sinne strikt, dass die Adressaten 135 BVerwG, Beschl. v. 15.04.2010 – 4 BN 41.09 ZfBR 2010, 583 – zu BGH, Urt. v. 29. 01. 2001 – II ZR 331/00 – BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056; BGH, Urt. v. 25. 09. 2006 – II ZR 218/05 – NJW 2006, 3716. 136 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.07.1989 – 4 B 33.89 – NJW 1989, 2766 = UPR 1989, 389; BVerwG, Beschl. v. 20.04.1998 – 4 B 22.98 – DVBl 1998, 899 = NVwZ 1998, 956. 137 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.08.1992 – 4 NB 20.91 – BVerwGE 90, 329 (333) = DVBl 1992, 1438 = NVwZ 1993, 167. 138 Vgl. Kuschnerus, Die Steuerung des Einzelhandels durch landesplanerische Ziele der Raumordnung, ZfBR 2010, 324; Waechter, Raumordnungsziele als höherrangiges Recht, DÖV 2010, 493; Steinberg, Landesplanerische Standortplanung und Planfeststellung – unter besonderer Berücksichtigung der Planung von Verkehrsflughäfen, DVBl 2010, 137. 139 BVerwG, Urt. v. 20. 11. 2003 – CN 6.03 – BVerwGE 119, 217 = DVBl 2004, 629 = NVwZ 2004, 614; BVerwG, Beschl. v. 17.06.2004 – 4 BN 5.04 – BRS 67 Nr. 45; BVerwG, Beschl. v. 15.06.2009 – 4 BN 10.09 – NVwZ 2009, 1226.
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die Ziele zwar je nach Aussageschärfe konkretisieren und ausgestalten, sich über sie aber nicht im Wege der Abwägung hinwegsetzen dürfen. Sie können vom Zieladressaten damit zum Gegenstand einer Normenkontrolle gemacht werden, auch wenn der Landesgesetzgeber für den Regionalplan keine Rechtssatzform vorgibt. Die Grundsatzentscheidung des Jahres 2003 öffnete die Erörterung zahlreicher Detailfragen. „Ziele“ mussten von Grundsätzen der Raumordnung abgegrenzt werden. Die Frage, ob „Sollbestimmungen“ mit § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG verträglich seien, erhitzte die Gemüter.140 Das BVerwG wich einer klaren Beantwortung interpretatorisch weitgehend aus.141 Die Frage, ob Soll-Plansätze Zielcharakter hätten, lasse sich nicht generell in der einen oder anderen Richtung entscheiden. d) Konzentrationsflächen (BVerwGE 117, 287; BVerwGE 128, 382) Flächennutzungspläne unterliegen grundsätzlich nicht dem Anwendungsbereich des § 47 Abs. 1 VwGO. Sie sind keine Rechtsnormen. So hatte das BVerwG dies 1990 als rechtens befunden.142 Indes stieß das Gericht auf einen „zwiespältigen“ Gesetzgeber. Die Planerhaltungsvorschriften des § 214 Abs. 2 BauGB ergaben, dass nahezu jede Verletzung des Rechts des Flächennutzungsplanes belanglos war. Im Regelungsbereich des § 34 BauGB hatte der Plan jede Bedeutung verloren. Hingegen hatte der Gesetzgeber den Plan in § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB zu einem unmittelbar wirksamen Steuerungselement aufgewertet. Auch wenn das Wort nicht fiel, so war dies doch ein legislatorischer Etikettenschwindel, denn aus diesem Plan sollte entgegen der Annahme des § 8 Abs. 2 S. 1 BauGB zu keinem Zeitpunkt ein Bebauungsplan entwickelt werden. Wie die Festsetzungen eines Bebauungsplans bestimmen Darstellungen des Flächennutzungsplans mit den Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG; wie ein Bebauungsplan müssen sie demgemäß dem Gewährleistungsgehalt des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG genügen. Ähnlich seiner Rechtsprechung zu den Zielen der Raumordnung vollzog das BVerwG auch hier einen Paradigmenwechsel. Flächennutzungspläne, welche im Außenbereich die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB haben, sind funktional den Bebauungsplänen gleichzusetzen. Aus diesem Grunde sind sie in analoger Anwendung des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO der prinzipalen Normenkontrolle zugänglich.143 Nach der sehr ausgebauten Rechtsprechung des BVerwG ist der Eintritt der 140 Hoppe, Eine Wende für das Landesplanungsrecht zu Einzelhandelsgroßobjekten?, NVwZ 2005, 1141, zu OVG Münster, Urt. v. 06.06.2005 – 10 D 145/04.NE – UPR 2005, 448. 141 BVerwG, Urt. v. 16.12.2010 – 4 C 8.10 – DVBl 2011, 491; bereits BVerwG, Beschl. v. 15.04.2003 – 4 BN 25.03 – BauR 2004, 285. 142 BVerwG, Beschl. v. 20.07.1990 – 4 N 3.88 – DVBl 1990, 1352 = NVwZ 1991, 262. 143 BVerwG, Urt. v. 26.04.2007 – 4 CN 3.06 – BVerwGE 128, 382 = NVwZ 2007, 1081; BVerwG, Beschl. v. 23.10.2008 – 4 BN 16.08 – ZfBR 2009, 156. Vgl. Battis, Flächennutzungsplan und entsprechende Anwendbarkeit der (prinzipalen) Normenkontrolle, JZ 2007,
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Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB davon abhängig, dass die Konzentrationszonen der Windenergienutzung „in substanzieller Weise Raum schaffen“.144 Dem Plan muss daher ein schlüssiges gesamträumliches Planungskonzept zugrunde liegen, das den allgemeinen Anforderungen des planungsrechtlichen Abwägungsgebots gerecht wird. Die Zuordnung gerade zu § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO entsprach strategischem Denken. Das BVerwG sicherte damit eine bundeseinheitliche Lösung.
V. Fragen des Lärmschutzes – Die Zumutbarkeitsfrage zwischen Wissen und Abwägung (1) Seit Mitte der 70er Jahre sah sich das BVerwG zunehmend mit Fragen des Lärmschutzes konfrontiert. Die Lärmwirkungsforschung steckte noch in den Kinderschuhen. Von einer Analyse von gesundheitsgefährdenden Belastungen war man noch weit entfernt. Es war ein Tasten in einem noch unbekannten Terrain. So blieb die Judikatur des Gerichtes zunächst recht allgemein. Erst 1974 hatte das BImSchG in seinem § 3 den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen „definiert“, indes noch recht vage. Lärmeinwirkungen durch Verkehrsgeräusche begründeten einen Anspruch auf Schutzanlagen dann, wenn sie ihrem Maße und ihrer Intensität nach erheblich seien, hieß es zunächst. In diesem Sinn „erheblich“ seien solche Verkehrsgeräusche, die der Umgebung mit Rücksicht auf deren durch die Gebietsart und die konkreten tatsächlichen Verhältnisse bestimmte Schutzwürdigkeit nicht zugemutet werden können.145 Was das im Einzelnen bedeutet, blieb zunächst offen. Das BVerwG benutzt diese Sichtweise zunächst, um den Bereich der Klagebefugnis auszudehnen und damit die Exekutive unter Begründungszwang zu setzen. Das gilt sowohl für das Fachplanungsrecht als auch für die Normenkontrollklagen. Immerhin entschied das BVerwG 1976, dass die allgemeine Grenze der Zumutbarkeit für ein nicht vorbelastetes Grundstück in einem allgemeinen Wohngebiet in aller Regel bei 55/45 dB(A) als Tages- und als Nachtwert liege.146 Das BVerfG billigte die von den Verwaltungs1153; Wollenteit, Antragsberechtigung bei der Normenkontrolle von Flächennutzungsplänen, in: Antragsberechtigung bei der Normenkontrolle von Flächennutzungsplänen, NVwZ 2008, 1281; Herrmann, Rechtsschutz gegen Flächennutzungspläne im System des Verwaltungsprozessrechts, NVwZ 2009, 1185. 144 Vgl. BVerwG, Urt. v. 17.12.2002 – 4 C 15.01 – BVerwGE 117, 287 (295) = DVBl 2003, 797 = NVwZ 2003, 733; BVerwG, Urt. v. 13.03.2003 – 4 C 4.02 – BVerwGE 118, 33 (37) = DVBl 2003, 1064 = NVwZ 2003, 738; BVerwG, Urt. v. 20.05.2010 – 4 C 7.09 – DVBl 2010, 1235. 145 BVerwG, Urt. v. 21. 05. 1976 – IV C 80.74 – BVerwGE 51, 15 = DVBl 1976, 779 = NJW 1976, 1760. 146 BVerwG, Urt. v. 21.05.1976 – 4 C 80.74 – BVerwGE 51, 15 (34) = DVBl 1976, 779 = NJW 1976, 1760; erneut BVerwG, Urt. v. 22.05.1987 – 4 C 33 – 35.83 – BVerwGE 77, 285 = DVBl 1987, 907 = NJW 1987, 2886; BVerwG, Urt. v. 04. 05. 1988 – 4 C 2.85 – NVwZ 1989,
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gerichten insoweit in Anspruch genommene „richterliche Notkompetenz“.147 Indes blieben derartige Aussagen des BVerwG vereinzelt. Die in der TA Lärm 1968 angenommenen Lärmwerte wurden nicht wirklich hinterfragt. Der Modus des „antizipierten Sachverständigengutachtens“ sollte den revisiblen Zugriff geradezu absichtsvoll verhindern (vgl. § 137 VwGO).148 Die prozessuale Frage war und ist, ob das BVerwG als Revisionsgericht sog. „legal facts“ selbst aufklären darf. Das BVerwG zögert in dieser Frage.149 Der Beschwerdeführer eines Revisionszulassungsverfahrens muss angesichts der derzeitigen Judikatur des BVerwG die Frage der maßgebenden „legal facts“ zumindest nachdrücklich in der Vorinstanz aufgeworfen haben. Nach Ansicht des Gerichts unterliegt es unverändert der tatrichterlichen Würdigung, ob sich neue Erkenntnisse der Lärmwirkungsforschung in der wissenschaftlichen Diskussion durchgesetzt und allgemeine Anerkennung gefunden haben.150 Mit dieser Auffassung verspielt das BVerwG seine ihm aufgetragene Koordinierungsfunktion. (2) Eine zweite Phase der Lärmschutzjudikatur des BVerwG trat ein, als der Verordnungsgeber mit der 16. BImSchV 1990 verbindliche Grenzwerte für den Verkehrslärm, mit der 18. BImSchV 1991 Orientierungswerte für den Sportlärm normierte. § 2 Abs. 1 Nr. 2 16. BImSchV setzte für allgemeine Wohngebiete die maßgeblichen Immissionsgrenzwerte auf 59 dB(A) tags und 49 dB(A) nachts fest. Das BVerwG 1995 bestätigte die Rechtmäßigkeit dieser Zumutbarkeitsschwelle.151 Zugleich verfestigte sich die Rechtsprechung, dass die sog. enteignungsrechtliche Zumutbarkeitsschwelle für Wohngebiete bei einem Beurteilungspegel von etwa 70 dB (A) tags bzw. 60 dB(A) nachts beginne.152 An dieser Beurteilung hielt das BVerwG in der Folgezeit noch lange fest.153 Noch 2010 entschied das BVerwG, dass durchgreifende Zweifel, dass die 16. BImSchV noch den gesetzlich vorgesehenen (§§ 41 ff. 151; BVerwG, Beschl. v. 21.08.1989 – 4 NB 18.88 – NVwZ 1990, 256; BVerwG, Urt. v. 20.10.1989 – 4 C 12.87 – BVerwGE 84, 31 = NJW 1990, 925. 147 BVerfG, Beschl. v. 30.11.1988 – 1 BvR 1301/84 – BVerfGE 79, 175 = DVBl 1989, 352 = NJW 1989, 1271. 148 BVerwG, Urt. v. 17.02.1978 – 1 C 102.76 – BVerwGE 55, 251 (256); zurückhaltend bereits BVerwG, Urt. v. 22.05.1987 – 4 C 33 – 35.83 – BVerwGE 77, 285 Rdnr. 17 = DVBl 1987, 907 = NJW 1987, 2886; dagegen immer noch z. B. BVerwG, Beschl. v. 07.05.2007 – 4 B 5.07 – BRS 71 Nr. 168 (2007); BVerwG, Beschl. v. 15.01.2008 – 9 B 7.07 – NVwZ 2008, 675 Rdnr. 15. 149 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 02.02.2011 – 6 B 37.10 – NVwZ 2011, 507 Rdnr. 11; BVerwG, Urt. v. 06.11.2002 – 6 C 8.02 – Buchholz 402.5 WaffG Nr. 89 Rdnr. 42. 150 BVerwG, Urt. v. 20.04.2005 – 4 C 18.03 – BVerwGE 123, 261 Rdnr. 62 = DVBl 2005, 1046 = NVwZ 2005, 933; so auch im Kern auch erstinstanzlich (!) BVerwG, Urt. v. 16.03.2006 – 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 (Flughafen Berlin-Schönefeld). 151 BVerwG, Urt. v. 21.03.1996 – 4 A 10.95 – NVwZ 1996, 1006. 152 Vgl. BVerwG, Urt. v. 12.04.2000 – 11 A 18.98 – BVerwGE 111, 108 = DVBl 2000, 1344 = NVwZ 2001, 82; BGH, Urt. v. 25. 03. 1993 – III ZR 60.91 – BGHZ 122, 76 (81) = NJW 1993, 1700, kritisch gegenüber einer schematischen Anwendung immerhin BVerwG, Beschl. v. 08.09.2004 – 4 B 42.04 – Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 66. 153 BVerwG, Urt. v. 09.11.2006 – 4 A 2001.06 – BVerwGE 127, 95 = NVwZ 2007, 445 unter Bezug auf BVerwG, Urt. v. 20.05.1998 – 11 C 3.97 – NVwZ 1999, 67; BVerwG, Urt. v. 10.11.2004 – 9 A 67.03 – NVwZ 2005, 591 (594).
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BImSchG) oder grundrechtlich (Art. 2 Abs. 1 GG) gebotenen Schutz vor Straßenverkehrslärm gewährleiste, nicht bestünden.154 Dem Verordnungsgeber stünde bei der Festlegung von Immissionsgrenzwerten, die eine abstrakt-generelle Abwägung widerstreitender Interessen erfordert, ein erheblicher Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu. Dieser erstrecke sich auch auf das Verfahren zur Ermittlung der Immissionsbelastung.155 Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Diskussionen in der Lärmwirkungsforschung erreichen das Gericht einstweilen noch nicht. Diese seien einer (luftverkehrsrechtlichen) Planungs- oder Zulassungsentscheidung in der Regel erst dann zugrunde zu legen, wenn sie sich in der wissenschaftlichen Diskussion durchgesetzt und allgemeine Anerkennung – nicht notwendig einhellige Zustimmung – gefunden hätten.156 Das wird noch 2006 verneint.157 Eine gewisse Schwankungsbreite lässt das BVerwG allerdings zur Frage von Betriebsregelungen zum Schutz gegen nächtlichen Fluglärm erkennen.158 2006 erkennt das Gericht, dass die Zulassung eines nächtlichen Flugbetriebs wegen der Pflicht, auf die Nachtruhe der Bevölkerung besonders Rücksicht zu nehmen, vor allem in der Kernzeit von 0:00 bis 5:00 Uhr, in erhöhtem Maße rechtfertigungsbedürftig sei.159 Zugleich werden Fragen der Lärmkontingentierung problematisiert.160 Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG sind im Rahmen der Abwägung zum Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Fluglärm die jeweils anwendbaren Werte des § 2 Abs. 2 FLärmSchG 2007 zu beachten; diese Werte bestimmen die sogenannte fachplanungsrechtliche Zumutbarkeitsgrenze.161 Erst Mitte der 2000er Jahre beginnt das BVerwG, seine Rechtsprechung zur gerichtlichen Überprüfung von Flugbetriebszeiten zu präzisieren. Es entwickelte jene in Richtung 154
BVerwG, Urt. v. 09.06.2010 – 9 A 20.08 – juris. Vgl. BVerwG, Urt. v. 21.03.1996 – 4 A 10.95 – NVwZ 1996, 1006; BVerwG, Urt. v. 03.03.1999 – 11 A 9.97 – NVwZ-RR 1999, 720; BVerwG, Urt. v. 20.10.2000 – 11 A 7.00 – NVwZ-RR 2001, 360; BVerwG, Urt. v. 14.11.2001 – 11 A 31.00 – BVerwGE 115, 237 (242) = DVBl 2002, 560 = NVwZ 2002, 733; BVerwG, Urt. v. 09.06.2010 – 9 A 20.08 – juris. 156 BVerwG, Urt. v. 16.03.2006 – 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 Rdnr. 306 (Flughafen Berlin-Schönefeld) unter Bezug auf vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.01.2004 – 4 B 82.03 – NVwZ 2004, 618 (619); BVerwG, Urt. v. 20.04.2005 – 4 C 18.03 – BVerwGE 123, 261 (284 f.) = DVBl 2005, 1046 = NVwZ 2005, 933; BVerwG, Urt. v. 26.02.2003 – 9 A 1.02 – juris, unter Bezug auf BVerfG (Kammer), Beschl. v. 28.02.2002 – 1 BvR 1676/01 – DVBl 2002, 614 = NJW 2002, 1638 (Mobilfunkanlage). 157 BVerwG, Urt. v. 16.03.2006 – 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 Rdnr. 306 (Flughafen Berlin-Schönefeld). 158 Vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 20.04.2005 – 4 C 18.03 – BVerwGE 123, 261 (284 f.) = DVBl 2005, 1046 = NVwZ 2005, 933; BVerwG, Urt. v. 09.11.2006 – 4 A 2001.06 – BVerwGE 127, 95 = NVwZ 2007, 445; BVerwG, Beschl. v. 01.11.2007 – 4 VR 3000.07 – NVwZ 2008, 217; BVerwG, Urt. v. 16.03.2006 – 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116. 159 BVerwG, Urt. v. 16.03.2006 – 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 Rdnr. 269 ff. (Flughafen Berlin-Schönefeld). 160 BVerwG, Urt. v. 29.01.1991 – 4 C 51.89 – BVerwGE 87, 332 = DVBl 1991, 1143 = NVwZ-RR 1991, 601 (Flughafen München II). 161 BVerwG, Beschl. v. 01.04.2009 – 4 B 61.08 – NVwZ 2009, 910. 155
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auf eine stärker bedarfsspezifische Abwägungskontrolle. Dazu stellt es weitere Gewichtungsvorgaben zur Bewältigung des Konflikts zwischen Nachtflugbetrieb und nächtlichem Lärmschutz der Anwohner auf.162 Danach besitzt der Lärmschutz in den Nachtrandstunden (22:00 Uhr bis 24:00 Uhr, 5:00 Uhr bis 6:00 Uhr) nicht dasselbe hohe Gewicht wie der Lärmschutz in der Nachtkernzeit.163 Später wird das BVerwG detaillierter die sachliche Rechtfertigung einer Nutzung in den Nachtrandstunden behandeln. Es erörtert, ob eine Schutzgebietsausweisung in einem Lärmschutzkonzept vorzunehmen sei.164 Neben gesundheitsgefährdenden Belastungen sah das Gericht seit Mitte der 90er Jahre zunehmend auch erhebliche Kommunikationsbeeinträchtigungen als abwägungserheblich an.165 Das war ein neuer Gedanke. Durchgreifende Zweifel an der 16. BImSchV hat das Gericht jedoch unverändert nicht.166 Immerhin hatte man die frühere Rechtsprechung des BGH stillschweigend verlassen. Dieses Gericht hatte für Gebiete, die – auch – dem Wohnen dienten, die verfassungsrechtliche Zumutbarkeitsgrenze bei Mittelungspegeln von 70 dB(A) bis 75 dB(A) tagsüber gezogen.167 Das BVerwG (11.[9.] Senat) war dem BGH in dieser Einschätzung weitgehend gefolgt168 Die Rechtsprechung des 4. Senats des BVerwG deutete zunächst in dieselbe Richtung. Im Jahre 2002 heißt es dann, dass Lärmwerte von 66 dB(A) tags „deutlich unterhalb eines Bereichs (liegen), der für die Annahme einer Gesundheitsgefährdung in Betracht kommt“.169 Eine kritische Reflexion scheint einzusetzen. Zunehmend wird das BVerwG in der Berechnung von Lärmwerten zu einem Experten. So erfährt man etwa in einem Judikat aus dem Jahr 2001, dass die Berücksichtigung eines Korrekturwerts „DStrO“ von -2 dB(A) 162 Vgl. BVerwG, Urt. v. 16.03.2006 – 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 Rdnr. 280 bis 288 (Flughafen Berlin-Schönefeld); BVerwG, Urt. v. 09.11.2006 – 4 A 2001.06 – BVerwGE 127, 95 Rdnr. 67 bis 74 = NVwZ 2007, 445 (Flughafen Leipzig/Halle I); BVerwG, Urt. v. 24.07.2008 – 4 A 3001.07 – BVerwGE 131, 316 Rdnr. 39 = NVwZ 2009, 109 (Flughafen Leipzig/Halle II); BVerwG, Urt. v. 16.10.2008 – 4 C 5.07 – BVerwGE 132, 123 Rdnr. 51 = NVwZ 2009, 459 (Flughafen Niederrhein). 163 Vgl. auch BVerwG, Urt. v. 20.04.2005 – 4 C 18.03 – BVerwGE 123, 261 (272 f.) = DVBl 2005, 1046 = NVwZ 2005, 933 (Nachtflugregelung für Flughafen München). 164 BVerwG, Beschl. v. 07.07.2009 – 4 B 71.08 – juris (zu OVG Münster, Urt. v. 27.08.2008 – 20 D 5/06.AK – juris [Änderung der Betriebsgenehmigung für den Verkehrsflughafen Düsseldorf]). 165 Vgl. auch BVerwG, Urt. v. 16.03.2006 – 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 Rdnr. 318 ff. (Flughafen Schönefeld). 166 Vgl. BVerwG, Urt. v. 09.06.2010 – 9 A 20.08 – DVBl 2011, 36 = NVwZ 2011, 177. 167 Vgl. BGH, Urt. v. 25. 03. 1993 – III ZR 60/91 – BGHZ 122, 76 (81) = DVBl 1993, 1089 = NJW 1993, 1700; BGH, Urt. v. 16. 03. 1995 – III ZR 166/93 – BGHZ 129, 124 (127) = DVBl 1995, 739 = NJW 1995, 1823. 168 Vgl. BVerwG, Urt. v. 18.03.1998 – 11 A 55.96 – BVerwGE 106, 241 (249) = DVBl 1998, 1181 = NVwZ 1998, 1071; BVerwG, Urt. v. 28.10.1998 – 11 A 3.98 – BVerwGE 107, 350 = DVBl 1999, 861 = NVwZ 1999, 539; BVerwG, Urt. v. 12.04.2000 – 11 A 18.98 – BVerwGE 111, 108 (122) = DVBl 2000, 1344 = NVwZ 2001, 82; BVerwG, Beschl. v. 13.11.2001 – 9 B 57.01 – DVBl 2002, 276 = NVwZ-RR 2002, 178. 169 BVerwG, Urt. v. 06.06.2002 – 4 A 44.00 – DVBl 2002, 1494 = NVwZ 2003, 209.
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nach der Fußnote zur Tabelle B der Anlage 1 zu § 3 der 16. BImSchV für die Verwendung des lärmmindernden Straßenbelags „Splittmastixasphalt, 0/8 und 0/10 ohne Absplittung“ keinen Bedenken begegnet.170 Problemen der Lärmsummation nähert sich das Gericht nur recht allgemein.171 (3) Welchen rechtsdogmatischen Status die TA Lärm oder die TA Luft im System der Rechtsquellen besitzt, hatte das Schrifttum vor allem in den 1980er Jahren mit erheblichem Aufwand erörtert. Die Auffassungen innerhalb des BVerwG waren nicht einheitlich. Sein 7. (immissionsschutzrechtlicher) Senat entwickelte bereits Ende der 1980er Jahre die These von der „norminterpretierenden“ (normkonkretisierenden) Verwaltungsvorschrift.172 Ihr sollte eine gewisse normersetzende Bindung zukommen. Die bereits behandelte These des „antizipierten“ Sachverständigengutachtens hatte sich als haltlos erwiesen.173 Im Ergebnis änderte dieser Paradigmenwechsel zunächst kaum etwas, betrachtet man es aus revisionsprozessualer Sicht. Der 8. Senat schloss sich der Ansicht des 7. Senates an.174 Der 4. Senat vermied jede Auseinandersetzung und formulierte unverändert, die Lärmwerte der TA Lärm seien „Orientierungswerte“. Der Plangeber könne ihnen folgen oder auch nicht. Folge man ihnen nicht, müsse man im Rahmen der Abwägung dafür recht gute Gründe haben und diese auch anführen. Eine eigene anwendungsbezogene Beurteilung vermied man. Grundsätzliche Zweifel an der Eignung der TA Luft, im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit das Maß der gesetzlich gebotenen Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen zu konkretisieren, bestünden nicht. Dies gelte auch für ihre Heranziehung zur Beurteilung der Schädlichkeit von Emissionen, die von Verkehrsanlagen ausgehen.175
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BVerwG, Urt. v. 11.01.2001 – 4 A 13.99 – NVwZ 2001, 1154. BVerwG, Urt. v. 21.03.1996 – 4 C 9.95 – BVerwGE 101, 1 = DVBl 1996, 916 = NVwZ 1996, 1003. 172 BVerwG, Beschl. v. 15.02.1988 – 7 B 219.87 – DVBl 1988, 539 = NVwZ 1988, 824; BVerwG, Beschl. v. 10.01.1995 – 7 B 112.94 – DVBl 1995, 516 = NVwZ 1995, 994; BVerwG, Beschl. v. 21.03.1996 – 7 B 164.95 – NVwZ-RR 1996, 498; BVerwG, Urt. v. 20.12.1999 – 7 C 15.98 – BVerwGE 110, 216 = DVBl 2000, 810 = NVwZ 2000, 440; BVerwG, Urt. v. 21.06.2001 – 7 C 21.00 – BVerwGE 114, 342 = DVBl 2001, 1460 = NVwZ 2001, 1165; BVerwG, Urt. v. 19.12.1985 – 7 C 65.82 – BVerwGE 72, 300 (320 f.) = DVBl 1986, 190 = NVwZ 1986, 208 für bestimmte atomrechtliche Verwaltungsvorschriften. Vgl. dazu Sendler, UPR 1993, 321 (324). 173 So noch BVerwG, Urt. v. 17.02.1978 – 1 C 102.76 – BVerwGE 55, 251 = DVBl 1978, 591 = NJW 1978, 1450. Eine Sonderentwicklung hatten die beamtenrechtlichen Beihilfevorschriften genommen, vgl. BVerwG, Urt. v. 28.05.2009 – 2 C 28.08 – NVwZ-RR 2009, 730. 174 BVerwG, Urt. v. 28.10.1998 – 8 C 16.96 – BVerwGE 107, 338 (340 f.) = DVBl 1999, 399 = NVwZ 1999, 1114 zu Allgemeine Rahmen-Verwaltungsvorschrift über Mindestanforderungen an das Einleiten von Abwasser in Gewässer – Rahmen-AbwasserVwV – vom 08. 09. 1989 (GMBl S. 518); BVerwG, Urt. v. 26.02.1993 – 8 C 20.92 – BVerwGE 92, 153 = NJW 1993, 2065 (Einberufungsrichtlinie betreffend Wehrpflicht). 175 BVerwG, Beschl. v. 14.06.1996 – 4 A 3.96 – NVwZ-RR 1997, 340. 171
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Im Jahre 2007 gab der 4. Senat seinen hinhaltenden Widerstand zur Frage der Rechtsquellenqualität der Technischen Anweisungen auf.176 Für eine einzelfallbezogene Beurteilung der Schädlichkeitsgrenze aufgrund tatrichterlicher Würdigung lasse das „normkonkretisierende Regelungskonzept“ insoweit noch Raum, als die TA Lärm 1998 insbesondere durch Kann-Vorschriften und Bewertungsspannen Spielräume eröffne. Das klingt nach einem Kompromiss. Wenn daher die Technischen Anleitungen „norminterpretierende“ Verwaltungsvorschriften sind, dann eröffnet dies ihre Revisibilität.177 Nur das ist folgerichtig. Man darf gespannt sein, wann die Anforderungen der unionsrechtlichen Umgebungslärm-Richtlinie (RL 2002/49/EG) und das darauf beruhende Recht des Lärmaktionsplanes (vgl. § 47d BImSchG) das BVerwG erreichen.
VI. Unionsrechtliche Einflüsse – Europäisierung Es wirkt heute anachronistisch, aber noch 1969 ließ das BVerwG die Frage offen, ob Recht der EWG Bundesrecht im Sinne von § 137 Abs. 1 VwGO darstelle.178 Ein Jahr später wurde die Frage bejaht.179 In der neueren Rechtsprechung wird die Frage der Revisibilität nicht mehr erwähnt, sondern als selbstverständlich zugrunde gelegt.180 Eine breite Europäisierung des nationalen Rechts ist eingetreten.181 Das BVerwG hat mehr denn je damit zu tun, das nationale Recht in unionsrechtskonformer Auslegung auszulegen und anzuwenden. Für den Bereich des Planungsrechtes haben sich einige typische Rechtsbereiche herausgestellt, die es hier skizzierend zu betrachten gilt.
176 BVerwG, Urt. v. 29.08.2007 – 4 C 2.07 – BVerwGE 129, 209 Rdnr. 12 = DVBl 2007, 1564 = NVwZ 2008, 76 zu TA Lärm (Windenergieanlagen); BVerwG, Beschl. v. 01.12.2009 – 4 B 37.09 – ZfBR 2010, 160 zu ZDv 34/230 ”Schutzabstandsbestimmungen für den Umgang mit Munition” zur Konkretisierung der in § 1 Abs. 2 und 4 sowie § 2 Abs. 2 Schutzbereichsgesetz. 177 Vgl. BVerwG, Urt. v. 29.08.2007 – 4 C 2.07 – BVerwGE 129, 209 Rdnr. 12 = DVBl 2007, 1564 = NVwZ 2008, 76 zu TA Lärm (Windenergieanlagen). 178 BVerwG, Urt. v. 14. 02. 1969 – VII C 15.67 – BVerwGE 31, 279 (284) = DVBl 1969, 661 = JW 1969, 999. 179 BVerwG, Beschl. v. 12. 06. 1970 – VII C 35.69 – BVerwGE 35, 277 = DVBl 1970, 630 Rdnr. 23. 180 Vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 27.01.2000 – 4 C 2.99 – BVerwGE 110, 302 = DVBl 2000, 814 = NVwZ 2000, 1171. 181 Wahl, Europäisches Planungsrecht – Europäisierung des deutschen Planungsrechts, in: Planung – Recht – Rechtsschutz (Festschrift für Willi Blümel zum 70. Geburtstag am 6. Januar 1999) 1999, S. 617; Wahl, Das Verhältnis von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozessrecht in europäischer Sicht, DVBl 2003, 1285; Jarass, Europäisierung des Planungsrechts, DVBl 2000, 945; Ehlers, Die Europäisierung des Verwaltungsprozeßrechts, DVBl 2004, 1441.
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1. UVP-Richtlinie 85/337/EWG (RL 97/11/EG, RL 2003/35/EG) (1) Die Richtlinie behandelt umweltbezogene Problembereiche, die später Gegenstand der „Zweiten Säule“ der èrhus-Konvention 1998 wurden. Sie warf alsbald inhaltliche, methodische, vor allem aber verfahrensbezogene Fragen der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) auf. Grundgedanken der Richtlinie waren dem US-amerikanischen National Environmental Policy Act entnommen. Auch dort ging es zunächst um eine Strukturierung der Entscheidungsvorbereitung.182 Für die Planungsbehörde ist die UVP ein unselbständiger Teil des Planfeststellungsverfahrens. Sie ist ein eingeschobener formalisierter Zwischenschritt mit dem Ziel einer zunächst auf die Umweltbelange zentrierten Bewertung der Auswirkungen des Vorhabens im Rahmen der Abwägung.183 Durch die UVP-RL werden die materiell-rechtlichen Zulassungsvoraussetzungen des nationalen Rechts für UVP-pflichtige Vorhaben nicht verschärft. Die förmliche UVP strukturiert für planfeststellungsbedürftige Vorhaben nach Ansicht des BVerwG (1996) lediglich den Abwägungsvorgang in der Weise, dass zunächst eine auf die Umwelt beschränkte Ermittlung und Bewertung der Auswirkungen des Vorhabens stattzufinden hat. Es zeichnete sich alsbald in der Judikatur des BVerwG ein Bild starker Restriktion ab. Nur inhaltliche Mängel der UVP könnten auf die Abwägungsentscheidung durchschlagen.184 Das sei aber keine Besonderheit gerade der UVP. Das Fehlen einer förmlichen UVP allein indiziere jedenfalls nicht einmal beweismäßig einen Abwägungsmangel.185 Vielmehr sei jeweils konkret zu prüfen, ob Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass als Folge der Unterlassung der UVP abwägungserhebliche Umweltbelange außer Acht gelassen oder fehlgewichtet worden sind. Die UVP-RL sei demgemäß auch nicht geeignet, fehlende Umweltstandards zu ersetzen oder Defizite im Bereich der Untersuchungsmethoden und der Bewertungsmaßstäbe zu kompensieren.186 Weder aus dem UVPG noch aus der UVP-Richtlinie 85/337/EWG ergebe sich eine Verpflichtung zur Alternativenprüfung im Rahmen von planerischen Zulassungsentscheidungen. Ob eine solche Prüfung geboten sei, bestimme sich allein nach den Umständen des Einzelfalls und den sich daraus ergebenden Anforderungen des Abwägungsgebots.187 Der Bedarfsplan für den Fernstraßenausbau wie auch die Aufnahme eines Fernstraßenausbauvor182 Vgl. Halama, in: Berkemann/Halama, Handbuch zum Recht der Bau- und Umweltrichtlinien der EG, Bonn 2008, S. 641 ff. 183 BVerwG, Urt. v. 25.01.1996 – 4 C 5.95 – BVerwGE 100, 238 = DVBl 1996, 677 = NVwZ 1996, 788. 184 BVerwG, Urt. v. 25.01.1996 – 4 C 5.95 – BVerwGE 100, 238 = DVBl 1996, 677 = NVwZ 1996, 788; BVerwG, Beschl. v. 16.11.1998 – 6 B 110.98 – NVwZ-RR 1999, 429. 185 BVerwG, Beschl. v. 29.05.2000 – 11 B 65.99 – ZLW 2001, 601. 186 BVerwG, Urt. v. 25.01.1996 – 4 C 5.95 – BVerwGE 100, 238 = DVBl 1996, 677 = NVwZ 1996, 788. 187 BVerwG, Beschl. v. 14.05.1996 – 7 NB 3.95 – BVerwGE 101, 166 = DVBl 1997, 48 = NVwZ 1997, 494; BVerwG, Urt. v. 25.01.1996 – 4 C 5.95 – BVerwGE 100, 238 = DVBl 1996, 677 = NVwZ 1996, 788.
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habens in den Bedarfsplan bedürften keiner UVP.188 Ohnedies sei die UVP „ergebnisneutral“.189 Verfahrensvorschriften des UVPG versagte das BVerwG folgerichtig eine drittschützende Funktion. Die mögliche Beteiligung Dritter am Scoping-Termin (§ 5 Satz 4 UVPG) diene nicht deren Schutz. Die Teilnahme habe die alleinige Funktion, die Behörde bei der sachgerechten Bestimmung des voraussichtlichen Inhalts und Umfangs der Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterstützen.190 (2) Erst 2004 deutet sich eine gewisse Aufweichung der restriktiven Auffassung vom Funktionswert der UVP an. Je größeres Gewicht den Belangen des Umweltschutzes in der Abwägung zukomme, desto eher sei davon auszugehen, dass sich methodische Unzulänglichkeiten bei der Ermittlung, Beschreibung und Bewertung im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 2 UVPG auf das Planungsergebnis ausgewirkt haben könnten.191 Eine Wende vermochte das BVerwG indes nicht aus sich heraus einzuleiten. Der Anstoß kam 2004 vom EuGH. Im Verfahren Delena Wells entschied der Gerichtshof, dass der Einzelne sich darauf berufen könne, dass das Verfahren der UVP zeitlich vor der beantragten und erteilten Genehmigung durchzuführen sei. Sei diese Verfahrensweise verletzt, sei es Sache des nationalen Gerichts festzustellen, ob nach nationalem Recht die Möglichkeit bestehe, eine bereits erteilte Genehmigung zurückzunehmen oder auszusetzen, um dieses Projekt einer UVP gemäß den Anforderungen der RL 85/337/EWG zu unterziehen, oder aber die Möglichkeit für den Einzelnen, wenn er dem zustimme, Ersatz des ihm entstandenen Schadens zu verlangen.192 Es konnte nur eine Frage der Zeit sein, wann das BVerwG aus dem Judikat des EuGH Folgerungen für seine eigene Rechtsprechung zog. War eine rechtlich gebotene UVP für ein Vorhaben nicht durchgeführt worden, so war bislang die Aufhebung der Zulassungsentscheidung oder ihre Außervollzugsetzung bis zur Behebung des Fehlers in einem ergänzenden Verwaltungsverfahren nach der Rechtsprechung des BVerwG nur in Betracht gezogen worden, wenn die konkrete Möglichkeit bestand, dass die Behörde nach Durchführung einer UVP anders entschieden hätte.193 Dies wurde nahezu regelhaft verneint. 2008 schränkte das BVerwG seine Judikatur mit zwei Entscheidungen stark ein. Im ersten Fall eines Putenmastbetriebes im Außen188
BVerwG, Beschl. v. 22.09.1997 – 4 B 147.97 – NVwZ-RR 1998, 300. BVerwG, Beschl. v. 09.07.2003 – 9 VR 1.03 – juris Rdnr. 9; vgl. auch bereits BVerwG, Beschl. v. 14.05.1996 – 7 NB 3.95 – BVerwGE 101, 166 (173) = DVBl 1997, 48 = NVwZ 1997, 494. 190 BVerwG, Urt. v. 09.11.2006 – 4 A 2001.06 – BVerwGE 127, 95 = NVwZ 2007, 445. 191 BVerwG, Urt. v. 18.11.2004 – 4 CN 11.03 – BVerwGE 122, 207 = DVBl 2005, 386 = NVwZ 2005, 442. 192 EuGH, Urt. v. 07. 01. 2004 – Rs. C-201/02 – EuGHE 2004 I-723 = DVBl 2004, 370 = NVwZ 2004, 593 (Delena Wells vs. Secretary of State for Transport, Local Government and the Regions). 193 BVerwG, Urt. v. 16.10.2008 – 4 C 5.07 – BVerwGE 132, 123 = NVwZ 2009, 459; BVerwG, Urt. v. 13.12.2007 – 4 C 9.06 – BVerwGE 130, 83 Rdnr. 38 = DVBl 2008, 525 = NVwZ 2008, 563; BVerwG, Urt. v. 18.11.2004 – 4 CN 11.03 – BVerwGE 122, 207 (213) = DVBl 2005, 386 = NVwZ 2005, 442; BVerwG, Urt. v. 25.01.1996 – 4 C 5.95 – BVerwGE 100, 238 (250) = DVBl 1996, 677= NVwZ 1996, 788. 189
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bereich war eine erforderliche Vorprüfung unterblieben. Sie war allerdings im gerichtlichen Verfahren nachgeholt worden. Das BVerwG hielt hier eine entsprechende Anwendung von § 45 Abs. 2 VwVfG für angezeigt.194 Die eigentliche Wende der Rechtsprechung findet sich in einem obiter dictum dieses Judikates. Dort heißt es nämlich: „Ergibt die nachgeholte Vorprüfung hingegen, dass das Vorhaben erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben kann, eine Umweltverträglichkeitsprüfung also hätte durchgeführt werden müssen, wird die Umweltverträglichkeitsprüfung in der Regel im gerichtlichen Verfahren nicht nachgeholt werden können.“195 Das BVerwG bezieht sich dazu ausdrücklich auf zwei Entscheidungen des EuGH, unter ihnen das Verfahren Delena Wells.196 In einem zweiten Fall stellte das BVerwG fest, dass das Unterlassen einer förmlichen UVP dann auf die Planungsentscheidung von Einfluss gewesen sei, wenn es dazu geführt habe, dass die betroffene Öffentlichkeit keine Gelegenheit hatte, sich zu dem Projekt zu äußern.197 2. Das Unionsrechtliche Habitatschutzrecht Während das BVerwG in der eigenen Effektuierung der UVP-RL 85/337/EWG außerordentlich zurückhaltend war, akzeptierte das Gericht von Anfang an die Notwendigkeit, das europäische Habitatschutzrecht innerstaatlich umzusetzen. Dabei kam ihm nicht zuletzt zu Hilfe, dass der Bundesgesetzgeber mit dieser Umsetzung nur zögerlich vorankam. Das Gericht adaptierte die Judikatur des EuGH, vermied dennoch jedes Verfahren der Vorabentscheidung. Auch hier kann dieser Beitrag nur einige Skizzen zur Rechtsentwicklung geben. Das soll nicht chronologisch, sondern nach Gegenständen geschehen. a) Vogelschutz-Richtlinie 79/409/EWG Bereits 1993 hatte der EuGH den Begriff des „faktischen Vogelschutzgebietes“ entwickelt.198 Das BVerwG folgte dem EuGH bei erster Gelegenheit mit dem Institut des „faktischen“ (d. h. nicht-erklärten) Vogelschutzgebietes.199 Ein Vogelschutzge194 BVerwG, Urt. v. 20.08.2008 – 4 C 11.07 – BVerwGE 131, 352 = DVBl 2008, 1445 = NVwZ 2008, 1349 (UVP-Vorprüfung für Putenmaststall). 195 BVerwG, Urt. v. 20.08.2008 – 4 C 11.07 – BVerwGE 131, 352 Rdnr. 26 = DVBl 2008, 1445 = NVwZ 2008, 1349 (UVP-Vorprüfung für Putenmaststall). 196 Außerdem EuGH, Urt. v. 03. 07. 2008 – Rs. C-215/06 – EuGHE 2008 I-4911 Rdnr. 59 = NuR 2008, 562 – Kommission vs. Irland; vgl. auch EuGH, Urt. v. 25. 07. 2008 – Rs. C-142/07 – EuGHE 2008 I-6097 Rdnr. 59 – Ecologistas en Acciýn-CODA vs. Ayuntamiento de Madrid. 197 BVerwG, Urt. v. 16.10.2008 – 4 C 5.07 – BVerwGE 132, 123 Rdnr. 40 = NVwZ 2009, 459 (Militärflugplatz Weeze-Laarbruch); BVerwG, Urt. v. 13.12.2007 – 4 C 9.06 – BVerwGE 130, 83 Rdnr. 43 = DVBl 2008, 525 = NVwZ 2008, 563. 198 EuGH, Urt. v. 02. 08. 1993 – Rs. C 355/90 – EuGHE 1993 I-4221 = NuR 1994, 521 – SantoÇa. 199 BVerwG, Urt. v. 19.05.1998 – 4 C 11.96 = NVwZ 1999, 528 mit Bezug auf EuGH, Urt. v. 02. 08. 1993 – Rs. C 355/90 – EuGHE 1993 I-4221 = NuR 1994, 521 – SantoÇa.
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biet erlaubt praktisch keinerlei Eingriffe. Art. 4 Abs. 4 Vogelschutz-RL ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat der EU nicht befugt ist, die wirtschaftlichen Erfordernisse als Gründe des Gemeinwohls zur Durchbrechung des Schutzregimes zugrunde zu legen.200 Das geminderte Schutzregime des Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL für ein Vogelschutzgebiet ist nur maßgebend, wenn die förmlichen Voraussetzungen des Art. 7 FFH-RL erfüllt sind.201 Bei dieser Härte des Schutzes ist es verständlich, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Annahme eines nur faktischen Vogelschutzgebietes umstritten waren. Auch darin lehnte sich das BVerwG an die Judikatur des EuGH an. Als faktisches Vogelschutzgebiet ist ein Gebiet allerdings nur dann zu qualifizieren, wenn es aus ornithologischer Sicht für die Erhaltung der im Anhang I der VRL aufgeführten Vogelarten oder der in Art. 4 Abs. 2 VRL genannten Zugvogelarten von so hervorragender Bedeutung ist, dass es in dem Mitgliedstaat zu den zahlen- und flächenmäßig geeignetsten im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Satz 4 VRL gehört.202 Die Auswahlkriterien für Vogelschutzgebiete unterliegen nur einer eingeschränkten Kontrolle durch die Verwaltungsgerichte. Das BVerwG betonte dies wiederholt.203 Der naturschutzfachlich gegebene Beurteilungsspielraum sei zu respektieren. Das Gericht, das hier zumeist erstinstanzlich befasst war, wollte sich offensichtlich nicht in eine gutachterliche Diskussion hereinziehen lassen. Natürlich kann ein Bundesland das Bestehen eines „faktischen“ Vogelschutzgebiets in seinem Bereich nicht dadurch ausschließen, dass es sein Gebietsauswahlverfahren für das europäische Netz „Natura 2000“ förmlich für beendet erklärt.204 In diesem Sinne war der Freistaat Bayern höchstrichterlich zu „belehren“. b) FFH-Richtlinie 92/43/EWG (1) Ein deutliches Schwergewicht der Judikatur des BVerwG zum unionsrechtlichen Habitatschutzrecht bildet unverändert die FFH-RL 92/43/EWG. Mehr als einhundert Entscheidungen sind bislang zu dieser Richtlinie ergangen. Die Rechtsprechung des BVerwG und der Instanzgerichte zum FFH-Recht war lange Zeit vor allem durch legislative und exekutivische Umsetzungsdefizite bestimmt. Das BNatSchG wurde der FFH-RL 92/43/EG erst mit vierjähriger Verspätung im Jahr 1998 ange200
BVerwG, Urt. v. 19.05.1998 – 4 A 9.97 – BVerwGE 107, 1 = DVBl 1998, 900 = NVwZ 1998, 961 (Ostsee-Autobahn I); BVerwG, Beschl. v. 21.11.2001 – 4 VR 13.00 – NuR 2002, 153. 201 BVerwG, Urt. v. 01.04.2004 – 4 C 2.03 – BVerwGE 120, 276 = DVBl 2004, 1115 = NVwZ 2004, 1114. 202 BVerwG, Urt. v. 31.01.2002 – 4 A 15.01 – DVBl 2002, 990 = NVwZ 2002, 1103; BVerwG, Urt. v. 14.11.2002 – 4 A 15.02 – BVerwGE 117, 149 = DVBl 2003, 534 = NVwZ 2003, 485; BVerwG, Beschl. v. 12.06.2003 – 4 B 37.03 – NVwZ 2004, 98; BVerwG, Urt. v. 15.01.2004 – 4 A 11.02 – BVerwGE 120, 1 = DVBl 2004, 642 = NVwZ 2004, 732. 203 Vgl. auch BVerwG, Urt. v. 31.01.2002 – 4 A 15.01 – DVBl 2002, 990 = NVwZ 2002, 1103. 204 BVerwG, Urt. v. 14.11.2002 – 4 A 15.02 – BVerwGE 117, 149 = DVBl 2003, 534 = NVwZ 2003, 485.
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passt. Noch deutlich länger dauerte es, bis die Bundesländer ihrer Pflicht zur Meldung schutzbedürftiger Gebiete nachkamen und damit der EU-Kommission die Erstellung der Liste von Gebieten gemeinschaftlicher Bedeutung ermöglichten. Die erste Liste konnte erst 2004 veröffentlicht werden.205 Das BVerwG übte unter teilweisem Rückgriff auf die Judikatur des EuGH bis zu diesem Zeitpunkt eine Art Notkompetenz aus. Seit 1998 sah sich das BVerwG mit der Frage konfrontiert, wie die materielle Rechtslage hinsichtlich der nicht fristgerecht umgesetzten FFH-RL 92/43/EWG zu beurteilen sei. In Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH zum „faktischen“ Vogelschutzgebiet entschloss sich das Gericht, die Figur des „potentiellen“ FFH-Gebietes zu entwickeln.206 Aus dem Gemeinschaftsrecht folge die Pflicht eines Mitgliedstaates der EG, vor Ablauf der Umsetzungsfrist einer EG-Richtlinie und erst recht danach die Ziele der Richtlinie nicht zu unterlaufen und durch eigenes Verhalten keine gleichsam vollendeten Tatsachen zu schaffen, welche später die Erfüllung der aus der Beachtung der Richtlinie erwachsenen Vertragspflichten nicht mehr möglich machen würden (Pflicht zum „Stillhalten“).207 Vor der Aufnahme eines Gebietes in die von der Kommission nach Art. 4 Abs. 2 FFH-RL festgelegte Liste der Gebiete von gemein205 Entscheidung der Kommission vom 07. 12. 2004 gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Verabschiedung der Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der kontinentalen biogeografischen Region (2004/798/EG); Entscheidung der Kommission vom 13. 11. 2007 gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Verabschiedung einer ersten aktualisierten Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der kontinentalen biogeografischen Region (2008/25/EG); Entscheidung der Kommission vom 12. 12. 2008 gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Verabschiedung einer zweiten aktualisierten Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der kontinentalen biogeografischen Region (2009/93/EG); Beschluss der Kommission vom 22. 12. 2009 gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Verabschiedung einer dritten aktualisierten Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der kontinentalen bio-geografischen Region (2010/44/EU). 206 BVerwG, Urt. v. 19.05.1998 – 4 A 9.97 – BVerwGE 107, 1 = DVBl 1998, 900 = NVwZ 1998, 961 (Ostsee-Autobahn I). 207 Zur Rechtsprechung des BVerwG zum „potentiellen“ FFH-Gebiet vgl. u. a. BVerwG, Urt. v. 19.05.1998 – 4 A 9.97 – BVerwGE 107, 1 = DVBl 1998, 900 = NVwZ 1998, 961; BVerwG, Urt. v. 27.01.2000 – 4 C 2.99 – BVerwGE 110, 302 = DVBl 2000, 814 = NVwZ 2000, 1171; BVerwG, Beschl. v. 24.08.2000 – 6 B 23.00 – DVBl 2001, 375 = NVwZ 2001, 92; BVerwG, Urt. v. 27.10.2000 – 4 A 18.99 – BVerwGE 112, 140 = DVBl 2001, 386 = NVwZ 2001, 673; BVerwG, Urt. v. 31.01.2002 – 4 A 15.01 – DVBl 2002, 990 = NVwZ 2002, 1103; BVerwG, Urt. v. 17.05.2002 – 4 A 28.01 – BVerwGE 116, 254 = DVBl 2002, 1486 = NVwZ 2002, 1243; BVerwG, Urt. v. 14.11.2002 – 4 A 15.02 – BVerwGE 117, 149 = DVBl 2003, 534 = NVwZ 2003, 485 ( Bundesstraße 173 „Lichtenfels-Kronach“); BVerwG, Urt. v. 27.02.2003 – 4 A 59.01 – BVerwGE 118, 15 = DVBl 2003, 1061 = NVwZ 2003, 1253 (Autobahn A 17 [Dresden-Prag]); BVerwG, Beschl. v. 05.03.2003 – 4 B 70.02 – NuR 2004, 520; BVerwG, Beschl. v. 12.06.2003 – 4 B 37.03 = NVwZ 2004, 98 = NuR 2004, 522; BVerwG, Beschl. v. 25.09.2003 – 9 VR 9.03 – juris – (Ortsumgehung Michendorf); BVerwG, Urt. v. 15.01.2004 – 4 A 11.02 – BVerwGE 120, 1 = DVBl 2004, 642 = NVwZ 2004, 732; BVerwG, Urt. v. 22.01.2004 – 4 A 4.03 – DVBl 2004, 655 = NVwZ 2004, 861; BVerwG, Urt. v. 22.01.2004 – 4 A 32.02 – BVerwGE 120, 87 = DVBl 2004, 649 = NVwZ 2004, 722; BVerwG, Urt. v. 09.06.2004 – 9 A 11.03 – BVerwGE 121, 72 = DVBl 2004, 1546 = NVwZ 2004, 1486; BVerwG, Beschl. v. 31.01.2006 – 4 B 49.05 – DVBl 2006, 579 = NVwZ 2006, 823; BVerwG, Urt. v. 12.03.2008 – 9 A 3.06 – BVerwGE 130, 299 = NuR 2008, 6.
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schaftlicher Bedeutung müssten die deutschen Behörden geeignete Schutzmaßnahmen treffen, um die ökologischen Merkmale der Gebiete zu erhalten, die auf der der Kommission nach Art. 4 Abs. 1 FFH-RL übermittelten nationalen Liste aufgeführt seien. Diese gemeinschaftsrechtlich begründete Pflicht zum „Stillhalten“ bestehe auch, wenn nach Ablauf vorgesehener Fristen der Rechtsstatus eines Gebietes aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht noch ungeklärt sei. Die Rechtsprechung des BVerwG fand später im Grundsatz die Billigung des EuGH.208 Da inzwischen alle gemeldeten Gebiete in die gemeinschaftliche Liste aufgenommen wurden, hat sich die Figur des „potentiellen“ Gebietes erledigt. Inzwischen wird eher erörtert, ob die getroffenen Gebietszuweisungen rechtlich zutreffend sind.209 Hier besteht noch keine Klarheit zur Frage, in welcher Hinsicht überhaupt bei „gelisteten“ Gebieten eine Prüfungskompetenz der nationalen Gerichte besteht. (2) Art. 6 Abs. 3 FFH-RL verknüpft nach Ansicht des BVerwG die Vorprüfung mit der eigentlichen Verträglichkeitsprüfung dadurch, dass er jeweils auf die Verträglichkeit der Pläne oder Projekte mit den für das FFH-Gebiet festgelegten Erhaltungszielen abhebt.210 Das BVerwG versteht dies dahin, dass der Verträglichkeitsentscheidung eine Art Vorprüfung vorgeschaltet ist.211 Die bei der Vorprüfung nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der FFH-RL anzulegenden Maßstäbe sind nicht identisch mit den Maßstäben für die Verträglichkeitsprüfung selbst. Bei der Vorprüfung ist nur zu untersuchen, ob erhebliche Beeinträchtigungen des Schutzgebietes ernstlich zu besorgen sind. Erst wenn das zu bejahen ist, schließt sich die Verträglichkeitsprüfung mit ihren Anforderungen an den diese Besorgnis ausräumenden naturschutzfachlichen Gegenbeweis an.212 Sind nach dem Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung trotz möglicher Maßnahmen erhebliche Beeinträchtigungen des FFH-Gebiets zu besorgen, so ist das Projekt vorbehaltlich der Abweichungsprüfung unzulässig.213 Ein Vorhaben, welches das Erfordernis der fachplanerischen Planrechtfertigung erfüllt und der Abwägungskontrolle des deutschen Planungsrechts standhält, ist nicht – gleichsam automatisch – aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses im Sinne des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL notwendig. Die Gewichtung des öffentlichen Interesses muss den Ausnahmecharakter einer Abweichungsentscheidung gemäß Art. 6 208 Vgl. EuGH, Urt. v. 07. 09. 2004 – Rs. C-127/02 – EuGHE – 2004, I-7405 = NuR 2004, 788 – Landelijke Vereniging tot Behoud van de Waddenzee und Nederlandse Vereniging tot Bescherming van Vogels gegen Staatssecretaris van Landbouw, Natuurbeheer en Visserij; EuGH, Urt. v. 14. 09. 2006 – Rs. C-244/05 –EuGHE 2006 I-08445 = DVBl 2006, 1439 = NVwZ 2007, 61 – Bund Naturschutz in Bayern e.V. und andere vs. Freistaat Bayern. 209 Vgl. BVerwG, Urt. v. 14.04.2010 – 9 A 5.08 – BVerwGE 136, 291 Rdnr. 34 = NVwZ 2010, 1225. 210 BVerwG, Urt. v. 17.01.2007 – 9 A 20.05 – BVerwGE 128, 1 = NVwZ 2007, 1054 (Westumfahrung Halle); BVerwG, Beschl. v. 26.11.2007 – 4 BN 46.07 – NVwZ 2008, 210. 211 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.11.2007 – 4 BN 46.07 – NVwZ 2008, 210; vgl. auch bereits BVerwG, Beschl. v. 21.01.1998 – 4 VR 3.97 – DVBl 1998, 589 = NVwZ 1998, 616. 212 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.11.2007 – 4 BN 46.07 – NVwZ 2008, 210. 213 BVerwG, Urt. v. 12.03.2008 – 9 A 3.06 – BVerwGE 130, 299 Rdnr. 67 = NuR 2008, 633 (Hessisch Lichtenau).
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Abs. 4 FFH-RL berücksichtigen. Nicht jedem Vorhaben, das das Erfordernis der Planrechtfertigung erfüllt, kommt ein besonderes Gewicht zu.214 Das Unionsrecht verlangt eine bipolare, den spezifischen Regeln des FFH-Rechts folgende Abwägung. Das öffentliche Interesse an der Verwirklichung des Vorhabens ist abzuwägen gegen das Interesse an der Integrität des betroffenen FFH-Gebiets.215 Das BVerwG versucht durch verfahrensbezogene Strategien diesem Interessengeflecht Herr zu werden. Bei der Entscheidung über Kohärenzsicherungsmaßnahmen verfügt die Planfeststellungsbehörde über eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative.216 Diese betonte Prävalenz erscheint wie ein Selbstschutz vor der Befürchtung, in einem erstinstanzlichen Verfahren in einen kaum zu bewältigenden Gutachterstreit hineingezogen zu werden. (3) Zahlreich sind inzwischen Entscheidungen des BVerwG zu kritischen Bereichen der Anwendung des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL. Einige Entscheidungen des BVerwG lesen sich wie eine Checkliste, was der Fachplaner beachten sollte.217 Die interpretatorische Deutungshoheit über die FFH-RL liegt allerdings beim EuGH. Hinsichtlich der Maßstäbe der Verträglichkeitsprüfung greift das BVerwG vielfach auf das Herzmuschelfischerei-Urteil des EuGH (2004) zurück.218 Auch zur Frage der spezifischen Alternativenprüfung ist eine umfangreiche Judikatur entstanden.219 Das Prüfungsraster wird durch Art. 6 Abs. 4 FFH-RL strukturiert. Eine Ausführungsalternative ist vorzugswürdig, wenn sich mit ihr die Planungsziele mit geringerer Eingriffsintensität verwirklichen lassen.220 Inwieweit Abstriche von einem Planungsziel hinzunehmen sind, hängt maßgebend von seinem Gewicht und dem Grad seiner Er-
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1054.
BVerwG, Urt. v. 09.07.2009 – 4 C 12.07 – BVerwGE 134, 166 = NVwZ 2010, 123. BVerwG, Urt. v. 09.07.2009 – 4 C 12.07 – BVerwGE 134, 166 = NVwZ 2010, 123. BVerwG, Urt. v. 12.03.2008 – 9 A 3.06 – BVerwGE 130, 299. Vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 17.01.2007 – 9 A 20.05 – BVerwGE 128, 1 = NVwZ 2007,
218 EuGH, Urt. v. 07. 09. 2004 – Rs. C-127/02 – EuGHE 2004 I-7405 = NuR 2004, 788 – Landelijke Vereniging tot Behoud van de Waddenzee und Nederlandse Vereniging tot Bescherming van Vogels vs. Staatssecretaris van Landbouw, Natuurbeheer en Visserij. 219 Vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 17.05.2002 – 4 A 28.01 – BVerwGE 116, 254 (262) = DVBl 2002, 1486 = NVwZ 2002, 1243 (Lichtenauer Hochland – A 44); BVerwG, Urt. v. 15.01.2004 – 4 A 11.02 – BVerwGE 120, 1 (11) = DVBl 2004, 642 = NVwZ 2004, 732 (SuhlLichtenfels – A 73); BVerwG, Urt. v. 17.01.2007 – 9 A 20.05 – BVerwGE 128, 1 = NVwZ 2007, 1054 = NuR 2007, 336 (Westumfahrung Halle – A 143); BVerwG, Urt. v. 13.12.2007 – 4 C 9.06 – BVerwGE 130, 83 = DVBl 2008, 525 = NVwZ 2008, 563 (NATO-Militärflugplatz Memmingen); BVerwG, Urt. v. 12.03.2008 – 9 A 3.06 – BVerwGE 130, 299 = NuR 2008, 633 (Hessisch Lichtenau A 44); BVerwG, Urt. v. 09.07.2009 – 4 C 12.07 – BVerwGE 134, 166 = NVwZ 2010, 123 = UPR 2010, 33; BVerwG, Beschl. v. 16.07.2007 – 4 B 71.06 – juris Rdnr. 42; BVerwG, Beschl. v. 01.04.2009 – 4 B 61.08 – NVwZ 2009, 910 = UPR 2009, 344; BVerwG, Beschl. v. 03.06.2010 – 4 B 54.09 – NVwZ 2010, 1289 = UPR 2010, 394. 220 BVerwG, Urt. v. 17.05.2002 – 4 A 28.01 – BVerwGE 116, 254 (262) = DVBl 2002, 1486 = NVwZ 2002, 1243; BVerwG, Urt. v. 12.03.2008 – 9 A 3.06 – BVerwGE 130, 299 Rdnr. 170 = NuR 2008, 633.
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reichbarkeit im jeweiligen Einzelfall ab.221 Hier will sich das BVerwG nicht näher durch Subkriterien festlegen. Prägend ist die durch die FFH-RL vorgegebene Unterscheidung von prioritären und nicht prioritären Lebensraumtypen und Arten. Neben differenzierten unionsrechtlichen Vorgaben hat das „innerstaatliche“ Modell der Abwägung unverändert seine Berechtigung, mögen auch in der Spruchpraxis des BVerwG die Schwerpunkte sich verlagert haben. Das öffentliche Interesse an der Verwirklichung des Vorhabens ist abzuwägen gegen das Interesse an der Integrität des betroffenen FFH-Gebiets. Das Gewicht, mit dem das Integritätsinteresse in die Abwägung einzustellen ist, hängt alsdann entscheidend vom Ausmaß der Beeinträchtigungen ab.222 Maßgebend für die Abwägung ist das Interesse an der Integrität des betroffenen FFH-Gebiets, nicht nur das bloße Interesse an der Kohärenz von Natura 2000. Nach dem Regelungssystem der FFH-Richtlinie sind Beeinträchtigungen eines FFH-Gebiets nach Möglichkeit zu verhindern. Das geschieht vorzugsweise durch Schadensminderungs- und Schadensvermeidungsmaßnahmen.223 Sind nach dem Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung trotz dieser Maßnahmen erhebliche Beeinträchtigungen des FFH-Gebiets zu besorgen, so ist das Projekt vorbehaltlich der Abweichungsprüfung unzulässig.224 (4) Auch die Judikatur des BVerwG zum unionsrechtlich geprägten Artenschutz nach Art. 12, 16 FFH-RL ist inzwischen reichhaltig, befindet sich indes noch deutlich in der Entwicklung.225 Einen zunächst eingeschlagenen, eher naiven Weg von der Bedeutung des unionsrechtlichen Artenschutzrechtes hat das BVerwG längst verlassen. Noch 2001 meinte das Gericht, der naturschutzrechtliche Artenschutz könne eine baurechtlich zulässige Bebauung einer Baulücke nicht hindern.226 Diese „Zurückhaltung“ ist überwunden. Auch hier musste erst die Judikatur des EuGH bestimmend werden.227 Im Falle eines ungünstigen Erhaltungszustands der Populationen der betroffenen Art sind Ausnahmen nach Art. 16 Abs. 1 FFH-RL nur zulässig, wenn sachgemäß nachgewiesen ist, dass sie weder den ungünstigen Erhaltungszustand dieser Populationen weiter verschlechtern noch die Wiederherstellung eines günstigen Er221 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 01.04.2009 – 4 B 61.08 – NVwZ 2009, 910 Rdnr. 62 = UPR 2009, 344. 222 BVerwG, Urt. v. 12.03.2008 – 9 A 3.06 – BVerwGE 130, 299 Rdnr. 154. 223 Vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott zu Rs. C-239/04 – EuGHE 2006, I10183 Rdnr. 35. 224 BVerwG, Urt. v. 12.03.2008 – 9 A 3.06 – BVerwGE 130, 299 Rdnr. 67. 225 Vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 09.06.2010 – 9 A 20.08 – DVBl 2011, 36 = NVwZ 2011, 177 (Neubau der Autobahn 44 (A 44) im Stadtgebiet von Bochum); BVerwG, Urt. v. 09.09.2008 – 9 A 14.07 – BVerwGE 131, 274 Rdnr. 54 ff. = NVwZ 2009, 302 (Nordumfahrung von Bad Oeynhausen [Lückenschluss A 30)); BVerwG, Urt. v. 12.03.2008 – 9 A 3.06 – BVerwGE 130, 299 = NuR 2008, 633 (Hessisch Lichtenau – A 44). Vgl. auch Thum, Ankunft des Artenschutzrechts in der Fachplanung, ZUR 2006, 301. 226 Vgl. noch BVerwG, Urt. v. 11.01.2001 – 4 C 6.00 – BVerwGE 112, 321 = DVBl 2001, 646 = NVwZ 2001, 1040. 227 EuGH, Urt. v. 30. 01. 2002 – Rs. C-103/00 – EuGHE 2002 I-1147 = NuR 2004, 596 (Schildkrötenschutz auf Zakynthos).
Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Planungsrecht
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haltungszustands behindern; darüber hinaus müssen keine „außergewöhnlichen Umstände“ vorliegen.228 Ermittlungs- und Bewertungsdefizite, die der einem Planfeststellungsbeschluss zugrunde gelegten FFH-Verträglichkeitsprüfung anhaften und nicht in Anwendung von § 17e Abs. 6 Satz 1 FStrG unbeachtlich sind, können grundsätzlich nur durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden, das auf der Grundlage einer ordnungsgemäßen FFH-Verträglichkeitsprüfung, einer aktualisierten Bewertung des Artenschutzes und einer von Ermittlungs- und Bewertungsdefiziten nicht beeinflussten fachplanerischen Abwägung mit einer erneuten, den früheren Planfeststellungsbeschluss insoweit ersetzenden Zulassungsentscheidung der zuständigen Behörde abschließt.229 Nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses durchgeführte Erhebungen in einem Naturraum sind in der Regel nicht geeignet, eine der Planung zugrunde liegende frühere, nach Methodik und Umfang ordnungsgemäße artenschutzrechtliche Bestandsaufnahme in Frage zu stellen.230 Auch hier ist die naturfachliche Beurteilungsperspektive maßgebend. Was etwa als Fortpflanzungs- oder Ruhestätte im Sinne des Art. 12 Abs. 1 Buchst. d FFH-RL anzusehen ist, ist eine in erster Linie naturschutzfachliche Frage, die je nach den Verhaltensweisen der verschiedenen Arten unterschiedlich beantwortet werden kann.231 „Außergewöhnliche Umstände“, die eine Ausnahme nach Art. 16 Abs. 1 FFH-RL auch dann rechtfertigen können, wenn sich die Population der betroffenen Art nicht in einem günstigen Erhaltungszustand befindet, liegen nicht nur bei der unmittelbaren Gefährdung höchster Güter, wie z. B. des menschlichen Lebens oder der menschlichen Gesundheit, vor.232
VII. Herausforderungen und Erwartungen Betrachtet man die Rechtsprechung des BVerwG zum Planungsrecht in ihrer Entwicklung über den behandelten Zeitraum von etwa fünfzig Jahren, dann zeichnen sich drei Entwicklungsabschnitte und Entwicklungslinien ab: Das Abwägungsmodell, das von Anfang an das Planungsrecht zutreffend prägte, hat einen außergewöhnlichen Stand an differenzierender Professionalität erhalten. Kleinere Irrwege waren offenbar unvermeidbar. Indes ist der Test einer produktiven Durchdringung und Verknüpfung von Normen und „was nach Lage der Dinge“ ein228
BVerwG, Urt. v. 14.04.2010 – 9 A 5.08 – BVerwGE 136, 291 = NVwZ 2010, 1225. Vgl. Frenz, Die FFH-Verträglichkeitsprüfung nach der A-44-Entscheidung des BVerwG, UPR 2011, 170. 229 BVerwG, Beschl. v. 10.12.2009 – 9 A 9.08 – NVwZ 2010, 320. 230 BVerwG, Urt. v. 12.08.2009 – 9 A 64.07 – BVerwGE 134, 308. 231 BVerwG, Urt. v. 18.03.2009 – 9 A 39.07 – BVerwGE 133, 239 Rdnr. 69 = NVwZ 2010, 44; BVerwG, Urt. v. 09.07.2008 – 9 A 14.07 – BVerwGE 131, 274 = NVwZ 2009, 302. 232 Vgl. BVerwG, Beschl. 01.04.2009 – 4 B 61.08 – NVwZ 2009, 910 = UPR 2009, 344 mit Bezug auf EuGH, Urt. v. 14. 06. 2007 – Rs. C-342/05 – EuGHE 2007 I-4713 = NuR 2007, 477 – Kommission vs. Finnland („Wolfsjagd“). Vgl. dazu nunmehr BVerwG, Beschl. v. 17.04.2010 – 9 B 5.10 – NVwZ 2010, 1221; BVerwG, Beschl. v. 14.04.2010 – 9 A 5.08 – NVwZ 2010, 1225.
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zustellen ist, bestanden. Neue Herausforderungen des Umwelt- und Naturschutzrechtes sind hinzugetreten. Sie mussten in das Grundschema planerischer Rationalität integriert werden. Auch dies wird man – bei allen Wertungsunterschieden und wissenschaftlichen Erkenntnisdefiziten im einzelnen – als weitgehend gelungen anzusehen haben. Die dabei vom BVerwG geleistete Detailarbeit ist beeindruckend. Nicht ganz so günstig fällt die Bilanz zum prozessualen Rechtsschutz aus. Hier sind die retardierenden Momente stark. Dies ist vor allem auf den Gesetzgeber zurückzuführen, der in erster Linie auf Bestandssicherung ausgerichtet ist. Herausforderungen werden sich auch hier erneut aus dem Unionsrecht ergeben. Es ist nicht allein die „deutsche“ Schutznormtheorie, die in den Randbereichen zerfasert. Ihre kanalisierende Funktion und ihr Gewicht werden die Verbandsklagen künftig mindern. Auch hier war der EuGH jüngst belehrend.233 Vor Herausforderungen wird das BVerwG stehen, wenn es die vom Unionsrecht geforderte Öffentlichkeitsbeteiligung umzusetzen hat.
233 EuGH, Urt. v. 12. 05. 2011 – Rs. C-115/09 – juris (Trianel Kohlekraftwerk Lünen zu § 2 Abs. 1 UmwRG).
Die planerische Steuerung des großflächigen Einzelhandels Von Michael Uechtritz
I. Vorbemerkung Das Thema „Planerische Steuerung des großflächigen Einzelhandels“ ist weit gefasst. Auf der Ebene der Bauleitplanung ist es ein Dauerbrenner, der seit Jahrzehnten den Gesetzgeber und die Verwaltungsgerichtsbarkeit beschäftigt. Auf der vorgelagerten bzw. übergeordneten Ebene hat die raumordnerische Steuerung des (großflächigen) Einzelhandels1 zunehmend an Bedeutung gewonnen. Sie beschäftigt vermehrt die gerichtliche Praxis2. Da die Raumordnung speziell auch die raumordnerische Steuerung des Einzelhandels einen zentralen Stellenwert im wissenschaftlichen Werk von Werner Hoppe besitzt3, beschränke ich mich – schon aus Zeitgründen – auf diesen Aspekt des Themas, klammere also die bauleitplanerische Steuerung aus. Entsprechend dem Leitmotiv unseres heutigen Kolloquiums sollen in einem knappen Überblick aktuelle Entwicklungslinien der raumordnerischen Steuerung des großflächigen Einzelhandels aufgezeigt werden – mit einem besonderen Augenmerk auf die gerichtliche Kontrolle dieser Steuerungsbemühungen. Dies erscheint zum heutigen Zeitpunkt besonders reizvoll, weil gerade die jüngsten Entwicklungen die Frage aufwerfen, ob bei unserem Thema eher Konstanz oder Wandel zu diagnostizieren ist oder ob – möglicherweise – sogar Umbrüche bevorstehen könnten. 1 In jüngerer Zeit sind verstärkt Tendenzen erkennbar, raumordnerische (regionalplanerische) Vorgaben auch für den nicht großflächigen Einzelhandel zu machen. Hierauf ist im Folgenden noch näher einzugehen. Diese Ausdehnung des raumordnerischen Steuerungsanspruchs wirft in besonderer Weise die Frage nach dessen Grenzen auf. 2 Hervorzuheben sind die Entscheidungen des OVG Münster, Urt. v. 06.06.2005 – 10 D 145/ 04.NE – und des BVerwG, Beschl. v. 28.12.2005 – 4 BN 40.05 –, BauR 2006, 802 (CentrO Oberhausen) sowie des OVG Lüneburg, Urt. v. 01.09.2005 – 1 LC 107/05 –, ZfBR 2005, 809 und des BVerwG, Beschl. v. 08.03.2006 – 4 B 75.05 –, BauR 2006, 1087 (FOC Soltau); aus jüngster Zeit: VerfGH NRW, Urt. v. 26. 08. 2009 – VerfGH 18/08 –, BauR 2009, 1851 (Verfassungswidrigkeit des § 24a S. 4 LEPro NRW); OVG Münster, Urt. v. 30.09.2010 – 10 A 1676/ 08 –, BauR 2010, 426 und BVerwG, Beschl. v. 14.04.2010 – 4 B 78/09 –, BauR 2010, 1169 (FOC Ochtrup) (Verneinung der Zielqualität von § 24a LEPro); OVG Greifswald, Urt. v. 29.03.2010 – 3 K 27/07 –, BauR 2010, 1712 und HessVGH, Urt. v. 25.03.2010 – 4 A 1687/09 –, NVwZ 2010, 1165 – Zielabweichung vom Regionalplan Mittelhessen). 3 Hoppe, DVBl 2000, 293 ff., ders., BayVBl 2002, 129 ff.; ders., NVwZ 2004, 282 ff.; ders., DVBl 2004, 478 ff. und ders., NVwZ 2006, 1345 – BauR 2009, 1851.
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Michael Uechtritz
II. Bestandsaufnahme und Entwicklungstendenzen 1. Grundstrukturen der raumordnerischen Steuerung Die Grundstruktur der raumordnerischen Steuerung des großflächigen Einzelhandels4 ist in fast allen Bundesländern (Flächenstaaten) ähnlich ausgestaltet: Die Steuerung knüpft an das zentralörtliche Gliederungsprinzip an. Der großflächige Einzelhandel wird – allgemein gesprochen – den zentralen Orten mit ihrer jeweils unterschiedlichen Versorgungsfunktion „zugeordnet“. Ungeachtet der raumwissenschaftlichen und rechtswissenschaftlichen Diskussion über das „Zentrale-Orte-Konzept“, an der sich auch Werner Hoppe – kritisch – beteiligt hat5, ist die raumordnungsrechtliche Steuerung des großflächigen Einzelhandels de lege lata mit diesem Konzept verknüpft. Die Steuerung erfolgt auf der Ebene der Landes- und Regionalplanung6 typischerweise durch die Festlegung von Ge- und Verboten, die als Ziele der Raumordnung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG ausgestaltet und daher von den Kommunen bei ihrer Bauleitplanung nach § 1 Abs. 4 BauGB grundsätzlich „strikt“ zu beachten sind, also nicht unter Abwägungsvorbehalt stehen. Regelmäßig finden sich (bei vielfältigen Modifikationen im Einzelnen) folgende Vorgaben: • Das Konzentrationsgebot; • das Kongruenzgebot; • das Beeinträchtigungsverbot und • das (städtebauliche) Integrationsgebot. Da die hierauf beruhende Systematik der Einzelhandelssteuerung in der Raumordnung und Landesplanung vielfach dargestellt worden ist, beschränke ich mich zur Charakterisierung des Systems auf wenige Stichworte: • Unter einem Konzentrationsgebot wird üblicherweise die raumordnerische Zielvorgabe verstanden, dass großflächige Einzelhandelsbetriebe nur in zentralen Orten angesiedelt werden dürfen. Für bestimmte Betriebe finden sich Beschränkungen auf Ober- und Mittelzentren7. Fast alle Pläne enthalten Sonderregelungen für die Zulässigkeit von FOCÏs8. Die strikte Geltung des Ziels wird regelmäßig da4
Vgl. hierzu Schmitz/Federwisch, Einzelhandels- und Planungsrecht, 2005, S. 31 ff.; Uechtritz, NVwZ 2007, 1337 ff. und Kuschnerus, ZfBR 2010, 324 ff. 5 Hoppe, Das Nachhaltigkeitsprinzip und das planungsrechtliche Prinzip der zentralörtlichen Gliederung (Zentrale-Orte-Konzept), in: Umweltrecht und Umweltwissenschaft, FS für Eckard Rehbinder, 2007, S. 191 ff. 6 Zu den Besonderheiten in Stadtstaaten (Bremen), BVerwG, Urt. v. 29.04.2010 – 4 CN 3.08 – BauR 2010, 1701. 7 Vgl. z. B. das Landesentwicklungsprogramm (LEP IV) von Rheinland-Pfalz, Plansatz Z 57 (Beschränkung von Einzelhandelsbetrieben mit mehr als 3.000 m2 Verkaufsfläche auf Mittel- und Oberzentren). 8 Vgl. nur LEP BaWü 2002, Plansatz 3.3.7 (Beschränkung von „Hersteller-Direktverkaufszentren“ auf Oberzentren).
Die planerische Steuerung des großflächigen Einzelhandels
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durch relativiert, dass dieses nur „in der Regel“ oder „grundsätzlich“ gilt, oder dahingehend, dass die Ansiedlung (nur) in entsprechenden Zentren stattfinden „soll“. Die jeweiligen Ausnahmen sind in den verschiedenen raumordnungsrechtlichen Plänen mit unterschiedlicher Konkretheit bezeichnet9. • Das Kongruenzgebot schreibt vor, dass der anzusiedelnde großflächige Einzelhandelsbetrieb der zentralörtlichen Versorgungsfunktion bzw. dem Verflechtungsbereich des jeweiligen zentralen Ortes entsprechen muss10. • Das Beeinträchtigungsverbot findet sich in praktisch allen landesplanerischen Vorgaben zur Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe. Kennzeichnend sind Formulierungen, wonach die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung und die Funktionsfähigkeit anderer zentraler Orte nicht (wesentlich) beeinträchtigt werden dürfen. Auch eine Beeinträchtigung zentraler Versorgungsbereiche der planenden Gemeinde ist regelmäßig zu vermeiden. • Das Integrationsgebot, das in nicht wenigen Raumordnungsplänen ausdrücklich als städtebauliches Integrationsgebot bezeichnet wird, gebietet, dass Einzelhandelsgroßprojekte nur in städtebaulich integrierten Lagen zuzulassen sind. Für nicht zentrenrelevante Warensortimente kommen auch städtebauliche Randlagen in Betracht11. 2. Aktuelle Entwicklungen bei der Steuerung des großflächigen Einzelhandels Betrachtet man die Entwicklung, die diese Steuerungsmechanismen in den letzten Jahren im Zuge der Fortschreibung der Landesentwicklungspläne und der Regionalpläne genommen haben, dann lässt sich diese Entwicklung als zunehmende Verfeinerung bzw. Intensivierung der Steuerung charakterisieren. Die Aussage, die sich im jüngst veröffentlichten Bericht über die „Berliner Gespräche zum Städtebaurecht“ findet, in „vielen Regionen (sei) ein Rückzug der Raumordnung zu beobachten“12, ist m. E. nicht zutreffend. Im Folgenden soll diese These anhand einiger Beispiele verdeutlicht werden. Eine Intensivierung der Steuerung (verbunden mit der damit einhergehenden verstärkten Beschränkung der kommunalen Planungshoheit) findet sich im Bereich der Ausgestaltung der Konzentrationsgebote. Zunehmend begnügt sich die Raumordnung, regelmäßig die Regionalplanung, nicht mehr damit, den großflächigen Einzelhandel auf zentrale Orte (insgesamt) zu verweisen, wobei es dem jeweiligen zentralen Ort obliegt, im Rahmen seiner kommunalen Bauleitplanung die Entscheidung zu tref9
Näher hierzu Uechtritz, NVwZ 2007, 1337 (1339) m.w.N. Vgl. LEP 2002, BaWü, Plansatz 3.3.7.1. 11 Vgl. LEP BaWÜ 2002, Plansatz 3.3.7.2. 12 Berliner Gespräche zum Städtebaurecht, Bd. I, Bericht, S. 38, hrsg. vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und dem Deutschen Institut für Urbanistik, November 2010. 10
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Michael Uechtritz
fen, an welchen Stellen des Gemeindegebiets die Ansiedlung erfolgen soll. Einzelne Regionalpläne legen gebietsscharf zentralörtliche Versorgungskerne fest und beschränken die Ansiedlung auf diese Teilbereiche13. Für großflächige Einzelhandelsbetriebe mit nicht zentrenrelevanten Sortimenten werden außerhalb der zentralörtlichen Versorgungskerne – gleichfalls gebietsscharf – Ergänzungsstandorte festgelegt. Überschneidend hiermit erfolgt eine Begrenzung der kommunalen Planungshoheit durch eine Verschärfung bzw. Konkretisierung des Integrationsgebotes. Auch insoweit beschränkt sich die Raumordnung nicht mehr darauf, allgemeine Aussagen im Sinne einer Beschränkung auf städtebaulich integrierte Lagen zu machen, sondern gibt diese Lagen vor14 bzw. fordert die Kommunen auf, diese festzulegen. Die Frage, ob man insoweit von einer Fortentwicklung des Konzentrations- oder des Integrationsgebots sprechen will, ist m. E. lediglich terminologischer Natur. Entscheidend ist die zunehmende gebietsscharfe15 (teilweise quasi parzellenscharfe) Verortung des großflächigen Einzelhandels durch die Raumordnung. In Bezug auf das Beeinträchtigungsverbot sind – soweit ersichtlich – in jüngerer Zeit keine substantiellen Veränderungen in den fortgeschriebenen Raumordnungsplänen zu konstatieren. Allerdings zeigt die raumordnerische Praxis auch hier teilweise eine Neigung zur verschärften Steuerung: So sehen sich z. B. in der Region Stuttgart Kommunen, die eine Bauleitplanung zur Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe innerhalb eines (raumordnungsrechtlich festgelegten) zentralörtlichen Versorgungskerns betreiben mit der Forderung konfrontiert, durch Marktgutachten zu belegen, dass vorhandene Betriebe innerhalb dieses zentralörtlichen Versorgungskerns nicht geschädigt werden (Umsatzumverlagerungen von mehr als 10 %), obwohl die Kommune – gleichfalls durch Marktgutachten – den Nachweis zu führen vermag, dass die Kaufkraftbindung und damit die Attraktivität und Funktionsfähig-
13 Vgl. z. B. den Regionalplan 2002 des Verbandes Region Stuttgart, Teilfortschreibung von Plansatz 2.7.2 und 2.7.11; danach sind Standorte für Einzelhandelsgroßprojekte nur in den zentralörtlichen Versorgungskernen der zentralen Orte zulässig, die zeichnerisch in der Raumnutzungskarte festgelegt werden (vgl. Plansatz 2.7.3); gemäß § 24a Abs. 1 S. 1 LEPro NRW dürfen Kerngebiete sowie Sondergebiete für großflächigen Einzelhandel nur in zentralen Versorgungsbereichen ausgewiesen werden; das OVG Münster hat angenommen, diese Regelung habe jedenfalls keinen Zielcharakter, weil sie ohne gemeindliche Festlegung zentraler Versorgungsbereiche ins Leere gehe, Urt. v. 30.09.2009 – 10 A 1676/08 – BauR 2010, 426. 14 Vgl. hierzu Regionalverband Mittlerer Oberrhein, Regionalplan 2003, Teilfortschreibung Mai 2006, Kapitel 2.5.3: dort ist folgende, als Ziel bezeichnete Vorgabe enthalten: „Einzelhandelsgroßprojekte sind in den in der Raumnutzungskarte ausgewiesenen Vorranggebieten (integrierten Lagen) anzusiedeln. Einzelhandelsgroßprojekte mit zentrenrelevanten Sortimenten dürfen nur in diesen Standorten ausgewiesen, errichtet und erweitert werden“. 15 Die Problematik derartiger Festlegungen im Hinblick auf den Rahmen setzenden Charakter der Raumordnung und die kommunale Planungshoheit soll dadurch entschärft werden, dass als zeichnerische Festlegungen Gebietsschraffuren verwendet werden, um der nachgeordneten (kommunalen) Planungsebene eine räumliche Konkretisierung in Randbereichen zu ermöglichen (vgl. Goppel, UPR 2009, 51 ff. und Runkel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, ROG, 2010, § 3 Rdnr. 26).
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keit des zentralen Versorgungskerns insgesamt durch die Zulassung des neuen Betriebs gestärkt wird16.
3. Raumordnerischer Steuerungsanspruch in Bezug auf nicht großflächigen Einzelhandel Auch wenn das hier vorgegebene Thema „Steuerung des großflächigen Einzelhandels“ lautet, bedarf es eines Blicks auf das in jüngerer Zeit zu konstatierende Bemühen der Raumordnung, jedenfalls in Teilbereichen auch Vorgaben zur Steuerung des nicht großflächigen Einzelhandels zu machen. Die Behandlung dieser Thematik ist schon deshalb angezeigt, weil sich hier die Problematik des stringenteren Steuerungsanspruchs der Raumordnung im Hinblick auf deren Funktion und im Hinblick auf die kommunale Planungshoheit besonders deutlich aufzeigen lässt. Eine solche Ausdehnung bzw. Erweiterung des Steuerungsanspruchs stellen die Agglomerationsregelungen17 dar, die sich vermehrt in der Landes- und Regionalplanung finden. In unterschiedlicher Ausgestaltung schreiben diese vor, dass die „klassischen“ Ziele zur Steuerung des großflächigen Einzelhandels (Konzentrations-, Kongruenz- und Integrationsgebot sowie Beeinträchtigungsverbot) auch für Agglomerationen des nicht großflächigen Einzelhandels gelten18. Teilweise wird dies mit einer Definition der Agglomeration verknüpft: So liegt nach der Begriffsbestimmung der Region Stuttgart eine Agglomeration vor, wenn die Gebäudeeingänge nicht mehr als 150 m voneinander entfernt sind19. Die entsprechenden Bemühungen erklären sich vor dem Hintergrund der neueren Judikatur des BVerwG, die eine Funktionseinheit benachbarter Einzelhandelsbetriebe nur noch unter eingeschränkten Voraussetzungen bejaht. Eine solche, die ein „Zusammenrechnen“ der Verkaufsflächen benachbarter Einzelhandelsbetriebe gestattet, soll regelmäßig dann ausscheiden, wenn diese in baulich und betrieblich-funktionel16 Die Problematik einer solchen Handhabung, mit der sich der Verfasser in seiner Beratungspraxis konfrontiert sieht, besteht in doppelter Hinsicht: Bei diesem Verständnis mutiert das Beeinträchtigungsverbot zu einem Konkurrenzschutz bestehender Betriebe; darüber hinaus wird die kommunale Planungshoheit, die schon durch das Verbot, Einzelhandelsbetriebe außerhalb des zentralörtlichen Versorgungskerns auszuweisen, eingeschränkt ist, weiter begrenzt. Auch innerhalb des zentralörtlichen Versorgungskerns soll die Gemeinde bei ihrer Standortentscheidung nicht frei sein, wo sie großflächigen Einzelhandel zulassen will. 17 Als „noch nicht in jeder Beziehung befriedigend gelöst“ wird die Agglomerationsproblematik auch im Bericht über die „Berliner Gespräche zum Städtebaurecht“ (vgl. oben Fn. 12), S. 38, bezeichnet. 18 Näher hierzu Uechtritz, VBlBW 2010, 185 ff.; zur Problematik auch Sparwasser, VBlBW 2008, 171 (177) und Nonnenmacher, VBlBW 2008, 161 (166). 19 Verband Region Stuttgart, Regionalplan 2002, Plansatz 2.7.11; andere Regionalpläne wie etwa der Regionalplan 2003 des Regionalverbandes Mittlerer Oberrhein, Kapitel 2.5.3, verwenden eine zurückhaltendere Definition; danach soll eine Agglomeration dann vorliegen, wenn von Einzelhandelsbetrieben aufgrund ihres räumlichen und funktionalen Zusammenhangs negative raumordnerische und städtebauliche Folgeeffekte ausgehen können.
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ler Hinsicht selbständig genutzt werden können. Eine abweichende Beurteilung kommt nach Auffassung des BVerwG nur im Verhältnis Hauptbetrieb/Nebenbetriebe in Betracht20. Die Aufnahme der Agglomerationsregelungen kann als das Bemühen verstanden werden, diese bauplanerische Wertung gewissermaßen auf der raumordnerischen Ebene zu korrigieren. Zu nennen ist ein weiteres Beispiel: Der Regionalplan Mittelhessen 2001 enthält das Ziel, dass die Einrichtung von Verkaufsflächen innerhalb von Industrie- und Gewerbeflächen nur für die Selbstvermarktung der in diesen Gebieten produzierenden und weiterverarbeitenden Betriebe zulässig ist. Durch raumordnerische Zielvorgabe wird also die Wertung der BauNVO über die grundsätzliche Zulässigkeit nicht großflächiger Einzelhandelsbetriebe in Gewerbe- und Industriegebieten „korrigiert“. Auf die Frage, ob in Bezug auf die konkrete örtliche Situation die Voraussetzungen erfüllt sind, die in der Rechtsprechung für eine Steuerung nach § 1 Abs. 5 BauNVO bzw. eine Feinsteuerung nach § 1 Abs. 9 BauNVO aufgestellt worden sind, soll es danach nicht mehr ankommen21. 4. Zur Problematik der Entwicklung Die rechtliche Problematik dieser Entwicklung liegt auf der Hand: Der zunehmende Steuerungsanspruch, besonders die gebietsscharfe Steuerung, wirft die Frage auf, inwieweit die Raumordnung mit derartigen Festlegungen ihren Aufgabenbereich überschreitet bzw. ob die damit verbundene Beschränkung der kommunalen Planungshoheit durch hinreichend gewichtige (überörtliche) Belange gerechtfertigt werden kann. Übergreifend stellt sich die Frage nach den Grenzen des raumordnerischen Steuerungsanspruchs; hinzuweisen ist nur auf das Verhältnis zur Fachplanung und zu allgemeinen Politikzielen (z. B. in Bezug auf Klimaschutz und Energieeffizienz)22. Jedenfalls können die Erwägungen, mit denen die Rechtsprechung gebietsscharfe Festlegungen für große Infrastrukturvorhaben gebilligt hat23, schwerlich auf die Fest20
BVerwG, Urt. v. 24.11.2005 – 4 C 14.04 – und – 4 C .05 –, BauR 2006, 644 und 648; zu diesen Urteilen Hauth, BauR 2006, 775 (780 ff.) und Schütz, UPR 2006, 169 ff. 21 Der VGH Kassel, Urt. v. 13.10.2005 – 4 UE 3311/03 –, ESVGH 56, 86, hat dies gebilligt und insoweit angenommen, überörtliche (also raumordnerische) Gründe könnten einen regionalen Bezug aufweisen, der „zugleich“ die städtebauliche Qualität besitze, die einen Ausschluss des isolierten Einzelhandels nach § 1 Abs. 5 und Abs. 9 BauNVO erforderlich mache; kritisch zu dieser Argumentation Uechtritz, Großflächige Einzelhandelsbetriebe und Regionalplanung, S. 187 f., in: 15. Deutscher Verwaltungsrichtertag, Dokumentation, hrsg. vom Verein Deutscher Verwaltungsrichter e.V. 2008. 22 Vgl. hierzu den Bericht von Stüer, DVBl 2011, 84 (86), über die Erörterung der Thematik „Umweltschutz in der Raumplanung“ im Rahmen der 34. Umweltrechtlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht vom 11. bis 13. 11. 2010 in Leipzig. 23 Vgl. BVerwG, Urt. v. 15.05.2003 – 4 CN 9/01 –, NVwZ 2003, 1263 (Landesmesse); auch die Gründe, mit denen gebietsschafe Festlegungen mit dem Anknüpfen an faktische Gegebenheiten gerechtfertigt werden (dazu VerfGH NRW, Urt. v. 15. 12. 1989 – VerfGH 5/88 –, NVwZ 1990, 456), lassen sich auf die hier zu erörternde Konstellation kaum übertragen;
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legung des Standorts großflächiger Einzelhandelsbetriebe innerhalb eines zentralen Ortes übertragen werden. Zwar erscheint durchaus denkbar, dass überörtliche (Raum-)Belange, wie eine Reduktion des Flächenverbrauchs, Verkehrsvermeidungen und das Bestreben, eine vorhandene Infrastruktur besser auszunützen, raumordnerische Integrationsgebote rechtfertigen können24. Ungeachtet dessen bedarf es der Grenzziehung zum Aufgabenbereich der kommunalen Bauleitplanung. Nicht alles, was in raumwissenschaftlicher Sicht oder schlicht politisch sinnvoll und wünschenswert erscheint (vielleicht nur deshalb, weil man der Weisheit und Weitsicht bzw. den Egoismen der lokalen Entscheidungsebene misstraut), rechtfertigt die Zuweisung der entsprechenden Aufgabe in die Kompetenz der Raumordnung. Regelungsgegenstand der Raumordnung ist die zusammenfassende, übergeordnete (also auch überörtliche) Planung und Ordnung des Raumes25. Zu beachten ist die Grenze, die der Raumordnung insoweit gegenüber der Materie des Bodenrechts, also der kommunalen Bauleitplanung, gesetzt ist. Zweifel, ob der Gesetzgeber in NRW diese Grenze beachtet hat, hat das OVG Münster in seiner Entscheidung zum FOC Ochtrup ausdrücklich angesprochen. Hierauf ist sogleich noch näher einzugehen. Auch der in der Raumordnung angemahnte Grundsatz der Rücksichtnahme als Leitprinzip der Ausübung von Kompetenzen26 und die Erwägung, ein „Übergriff“ in den Regelungsbereich der kommunalen Bauleitplanung setze voraus, dass die jeweilige Materie auf der unteren Planungsebene nicht sachgerecht geregelt werden kann, ist wohl schwerlich die oberste Handlungsmaxime einer Raumordnungsplanung, die Ziele der vorstehend geschilderten Art festlegt bzw. entsprechende Ziele derartig weit interpretiert. In Bezug auf die Bemühungen, den nicht großflächigen Einzelhandel zu steuern (Stichworte „Agglomeration“ und raumordnersiche Beschränkung in Gewerbe- und Industriegebiete), gilt Entsprechendes. Gerade hier ist in besonderer Schärfe die Frage aufgeworfen, inwieweit tatsächlich eine überörtliche Planungsaufgabe betroffen ist, die in die Kompetenz der Raumordnung und nicht in die des Bodenrechts, also Nachweise zur älteren Diskussion über die Zulässigkeit gebietsscharfer raumordnerischer Festlegungen bei Koch/Hendler, Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, 5. Aufl. 2009, S. 132. 24 In diesem Sinne el Bureiasi, Landesplanerische Beurteilung des großflächigen Einzelhandels, 2005, S. 229 ff. und S. 269 f.; siehe auch Uechtritz, NVwZ 2007, 1337 (1344 ff.); zu entsprechenden Erwägungen, um unionsrechtlich die in der Steuerung des Einzelhandels liegende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit zu legitimieren, auch das jüngst ergangene Urteil des BVerwG v. 16. 12. 2010 – 4 C 8.10 –, hierzu näher unten, Ziff. IV; inzwischen hat der EuGH bestätigt, dass entsprechende Ziele zwingende Gründe des Allgemeininteresses sein können, die eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen können, Urt. v. 24. 03. 2011 – C 400/08 –, BauR 2011, 1117. 25 Halama, Durchsetzung und Abwehr von Zielen der Raumordnung und Landesplanung auf der Gemeindeebene, in: Berkemann u. a. (Hrsg.), FS für Schichter 1995, S. 201 (218); grundlegend zur Abgrenzung BVerfGE 3, 407 ff.; aus jüngster Zeit OVG Münster, Urt. v. 30.09.2009 – 10 A 1676/08 –, BauR 2010, 426. 26 Runkel, in: Spannowsky u. a. (Fn. 15), § 3 Rdnr. 30.
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der kommunalen Bauleitplanung, fällt. Besonders problematisch erscheint, wenn auf der übergeordneten Ebene der Raumordnung Festlegungen getroffen werden, die die Gemeinden auf der nachgeordneten Ebene der Bauleitplanung zum Einsatz des Steuerungsinstrumentariums des § 1 Abs. 5, Abs. 9 BauNVO verpflichten – obwohl dies doch gerade im Hinblick auf die jeweiligen besonderen örtlichen Verhältnisse erfolgen soll27. Hinzu kommt hier die Problematik, dass derartige Ziele nicht selten so formuliert sind, dass sie zwar für die Beurteilung eines Bauantrages tauglich sein mögen, ihre Handhabung in der Bauleitplanung aber erhebliche Probleme aufwirft28. Ein mit Mitteln der Bauleitplanung nicht umsetzbares Ziel kann keine Bindungswirkung entfalten.
III. Rechtsprechungsentwicklung 1. Allgemeine Tendenz Entsprechend dem verstärkten Steuerungsanspruch haben sich in den vergangenen Jahren, gerade in jüngster Zeit, Judikate gehäuft, die sich mit Anforderungen und Grenzen der raumordnerischen Steuerung des großflächigen Einzelhandels befassen. Der nachfolgende Überblick beansprucht keine Vollständigkeit. Es kann nur darum gehen, „Trends“ der Rechtsprechung aufzuzeigen, die – wenn meine Wahrnehmung nicht trügt – keinesfalls einheitlich ist. Insoweit ist auch zu beachten, dass es dem BVerwG nur eingeschränkt möglich ist, alle Zweifelsfragen, die die skizzierten Steuerungsinstrumente aufwerfen, zu beantworten. Es handelt sich jeweils um landesrechtliche Regelungen, deren Auslegung revisionsrichterlicher Überprüfung entzogen ist, wie das BVerwG mehrfach hervorgehoben hat29. Revisibel und damit bundeseinheitlich klärbar sind nur die Anforderungen, die bundesrechtlich an ein Ziel der Raumordnung zu stellen sind – insbesondere im Hinblick auf Bestimmtheit und Bestimmbarkeit, sowie im Hinblick auf das Erfordernis „abschließend abgewogen“. Darüber hinaus erscheint auch die grundsätzliche Grenzziehung zwischen Bauleitplanung und Raumordnung bundesrechtlich klärungsfähig und -bedürftig.
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Vgl. hierzu die oben (Fn. 21) erwähnte Entscheidung des VGH Kassel; es erscheint höchst zweifelhaft, ob die Rechtfertigung für den raumordnerischen Ausschluss des Einzelhandels zur Sicherung von Flächen für gewerblich/industrielle Nutzungen tatsächlich für alle Gemeinden im Gebiet des jeweiligen Regionalplans tragfähig ist. 28 Insoweit zu recht generell kritisch Kuschnerus, Der standortgerechte Einzelhandel, 2007, S. 223 f.; hierzu auch Uechtritz, VBlBW 2010, 185 (189). 29 Vgl. insoweit nur die Entscheidungen des BVerwG (jeweils im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren), Beschl. v. 28.12.2005 – 4 BN 40.05 –, BauR 2006, 208, Beschl. v. 08.03.2006 – 4 B 75.05 –, BauR 2006, 1087 und Beschl. v. 14.04.2010 – 4 B 78.09 –, BauR 2010, 1169.
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2. Beurteilung von „i. d. R.“ und „Soll“-Zielen Nicht wenige der raumordnerischen Ziele, z. B. viele Konzentrationsgebote, aber auch Kongruenz- und Integrationsgebote bzw. das Beeinträchtigungsverbot sind – wie eingangs bereits angemerkt – nicht strikt formuliert. Der Geltungsanspruch ist vielfach dadurch relativiert, dass diese nur „grundsätzlich“ bzw. „in der Regel“ gelten sollen. Diese Formulierungstechnik hat – jedenfalls überwiegend – keine Bedenken in Bezug auf die Anforderungen an ein abschließend abgewogenes Ziel der Raumordnung hervorgerufen30. Dies allerdings mit der Einschränkung, dass das Bundesverwaltungsgericht bei „in der Regel-Zielen“ postuliert hat, erforderlich sei es, dass in solchen Fällen neben dem Regel- auch der Ausnahmetatbestand mit hinreichender Bestimmtheit oder doch zumindest Bestimmbarkeit festgelegt worden sei31. Ob Konzentrationsgebote in der Form von Soll-Zielen zulässig sind und ob sich die Aussagen des Bundesverwaltungsgerichts zu landesplanerischen Aussagen mit einer RegelAusnahme-Struktur auf Soll-Ziele übertragen lassen (was bekanntlich Werner Hoppe bestritten hat32), ist höchstrichterlich noch nicht entschieden. Der 4. Senat des BVerwG wird in wenigen Wochen anlässlich seiner Revisionsentscheidung über das Urteil des VGH Mannheim33 zur beabsichtigten IKEA-Ansiedlung in Rastatt hierüber zu entscheiden haben34. 3. Sonderfall FOCÏs Mehrfach befasst war die Rechtsprechung mit raumordnerischen Zielvorgaben in Bezug auf FOCÏs. Das Bundesverwaltungsgericht hatte in seiner Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des OVG Lüneburg zum geplanten FOC in Soltau keine Bedenken gegen ein landesplanerisches Ziel, wonach FOCÏs nur in Oberzentren zulässig sind35. Demgegenüber hat der Verfassungsgerichtshof NRW in jüngster Zeit § 24a Abs. 1 Satz 4 LEPro verworfen, wonach FOCÏs mit mehr als 5.000 m2 Verkaufsfläche nur in 30
Vgl. die Nachweise bei Uechtritz, NVwZ 2007, 1337 (1340), besonders Fn. 31. BVerwG, Urt. v. 18.09.2003 – 4 CN 20.02 –, BVerwGE 119, 54 (58) und vom 20.11.2003 – 4 CN 6.03 –, BVerwGE 119, 217 (222 f.). 32 Vgl. z. B. Hoppe, DVBl 2004, 478 ff. und ders. in: Durch Soll-Vorschriften „intendierte“ Ziele der Raumordnung und ihre Bezüge zu „intendiertem Ermessen“, FS Maurer, 2001, S. 625 ff. 33 VGH Mannheim, Urt. v. 17.12.2009 – 3 S 2110/08 –, VBlBW 2010, 357. 34 In diesem Urteil, das am 16. 12. 2010 (4 C 8.10), BauR 2011, 781, ergangen ist, hat das BVerwG nunmehr Soll-Ziele gebilligt, wenn die Voraussetzungen, bei deren Vorliegen die SollVorschrift eine Ausnahme von der Zielbindung zulässt, im Wege der Auslegung auf der Grundlage des Raumordnungsplans hinreichend bestimmt oder wenigstens bestimmbar ist. 35 BVerwG, Urt. v. 08.03.2006 – 4 B 75.05 –, BauR 2006, 1087 ff.; aus jüngster Zeit OVG Koblenz, Urt. v. 15.11.2010 – 1 C 10320/09.OVG – (FOC Montabaur) und VG Lüneburg, Beschl. v. 09.11.2010 – 2 B 54/10 – (FOC Soltau). 31
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Gemeinden mit mehr als 100.000 Einwohnern ausgewiesen werden dürfen36. Der Verfassungsgerichtshof hat angenommen, diese Bestimmung verstieße gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip und das Willkürverbot. Sie sei nicht durch überörtliche Interessen von höherem Gewicht gerechtfertigt. Insbesondere wurde beanstandet, es sei offen, worauf sich die Einschätzung des Gesetzgebers gründe, bei einer Verkaufsfläche von mehr als 5.000 m2 handle es sich im Fall einer Standortgemeinde mit nicht mehr als 100.000 Einwohnern generell um eine stadtunverträgliche Größenordnung. Aus der Entscheidung lässt sich entnehmen, dass der Verfassungsgerichtshof strikte Schwellenwerte schon deshalb kritisch beurteilt, weil diese – sofern sie auf Landesebene angeordnet werden – die jeweiligen regionalen Gegebenheiten nicht in den Blick nehmen37. Gerügt wurde auch, dass die gemeindliche Planungshoheit nicht angemessen berücksichtigt worden sei. Auch wenn die Struktur des § 24a Abs. 1 Satz 4 LEPro anders beschaffen ist als das entsprechende Ziel im seinerzeitigen niedersächsischen Landesentwicklungsplan, sodass kein direkter Widerspruch zur Soltau-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts besteht, lässt dieses Urteil des Verfassungsgerichtshofs NRW doch die Tendenz erkennen, die Anforderungen an strikte (jedenfalls numerische) Vorgaben zur Steuerung des Einzelhandels skeptisch zu beurteilen – zumal auf Landesebene, ohne dass den nachfolgenden Planungsebenen Raum zur Berücksichtigung der regionalen Besonderheiten eingeräumt würde. 4. Bundesrechtliche Anforderungen an Ziele der Raumordnung In Bezug auf die geschilderten Bestrebungen, den großflächigen Einzelhandel gebietsscharf zu steuern, verdient das bereits genannte Urteil des OVG Münster in Sachen FOC Ochtrup Beachtung38, weil es bedeutsame Aussagen zum Verhältnis Raumordnung / Bodenrecht und zu den Anforderungen an Ziele der Raumordnung enthält. Das OVG hat in dieser Entscheidung in bemerkenswerten obiter dicta in Bezug auf § 24a Abs. 1 Satz 1 LEPro ausgeführt, hier handle es sich um eine Materie des Bodenrechts nach Art. 74 Nr. 18 GG; nicht um eine Materie der Raumordnung. § 24a Abs. 1 Satz 1 LEPro bestimme, dass Kerngebiete sowie Sondergebiete für großflächige Einzelhandelsbetriebe nur in zentralen Versorgungsbereichen ausgewiesen werden dürften. Die nachfolgenden Sätze 2 und 3 (die ein Beeinträchtigungsverbot postulieren) knüpften hieran an.
36 VerfGH NRW, Urt. v. 26. 08. 2009 – VerfGH 18/08 – BauR 2009, 1851; zu dieser Entscheidung die Anmerkung von Schoenenbroicher, in: NWVBl 2010, 478. 37 Hinzuweisen ist insoweit auf die Ziele in Plansatz B.II 1.2.1.2 des LEP Bayern 2006, das zwar strikte Prozentzahlen als zulässige Obergrenzen für die Kaufkraftabschöpfung festlegt, hier aber regionale Differenzierungen vornimmt; hierzu Goppel, UPR 2009, 51. 38 Urt. v. 30.09.2009 – 10 A 1676/08 – BauR 2010, 42.
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Diese Kritik geht über Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Einschränkung der kommunalen Planungshoheit hinaus, indem sie generell die Grenzen der Raumordnung im Verhältnis zur Bodenordnung thematisiert39. Sie macht deutlich, dass die Zulässigkeit entsprechender Ziele nicht allein im Hinblick auf die Möglichkeit einer Zielabweichungsentscheidung bejaht werden kann, wodurch Bedenken gegen eine übermäßige Beschränkung der kommunalen Planungshoheit ausräumbar seien. Die Kompetenzfrage ist der Frage der Verhältnismäßigkeit entsprechender Ziele vorgelagert. Fehlt der Raumordnung für derartige Festlegungen die Kompetenz, dann ändert sich dies nicht durch die Möglichkeit eines Zielabweichungsverfahrens. Das Bundesverwaltungsgericht musste zu dieser Frage im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde40 keine Stellung nehmen, da das Urteil des OVG letztlich auf eine andere Erwägung gestützt war: Dieses hat § 24a Abs. 1 LEPro jedenfalls deshalb die Zielqualität abgesprochen, weil es an dem für ein Ziel der Raumordnung charakteristischen Verbindlichkeitsanspruch in räumlicher und/oder sachlicher Hinsicht fehle. Die Regelung des § 24a Abs. 1 Satz 1 LEPro knüpfe an die – vorangehende – Ausweisung entsprechender zentraler Versorgungsbereiche durch die Gemeinde an. Insoweit sei die Gemeinde aber nicht an vorgelagerte raumordnerische Zielfestlegungen gebunden41. Hätten die Gemeinden die Festlegung von zentralen Versorgungsbereichen unterlassen, gehe § 24a Abs. 1 LEPro ins Leere. Im Rahmen seiner Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde hat das Bundesverwaltungsgericht diese (bundesrechtlichen) Anforderungen an ein Ziel der Raumordnung nicht beanstandet42. Hinzuweisen ist darauf, dass sich ähnlich strukturierte Regelungen auch in anderen Bundesländern finden. So sieht z. B. der LEP IV von Rheinland-Pfalz in Z58 vor, dass großflächige Einzelhandelsbetriebe mit innenstadtrelevantem Sortiment nur in städtebaulich integrierten Bereichen zulässig sind. Weiter wird gefordert, dass die städtebaulich integrierten Bereiche von den zentralen Orten „in Abstimmung mit der Regionalplanung“ verbindlich festzulegen sind. Wendet man die Maßstäbe der Ochtrup-Entscheidung des OVG Münster43 auf derartige Regelungen an, dann müsste auch hier der Zielcharakter zu verneinen sein. Mit der Frage des „abschließend Abgewogenseins“ nicht in Bezug auf ein Ziel, sondern in Bezug auf die damit korrespondierende Ausnahmeregelung im LEP MV 2005 war unlängst das OVG Greifswald befasst44. Die fragliche Ausnahme gestattet in Stadt-Umland-Räumen die Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten außerhalb zentraler Orte, wenn neben zusätzlichen Voraussetzungen (funktionale Ver39 40 41 42 43 44
Hierzu auch Maidowski/Schulte, BauR 2009, 1380 (1387). BVerwG, Beschl. v. 14.04.2010 – 4 B 78/09 –, BauR 2010, 1169. Hierzu bereits Reidt/Wahlhäuser, UPR 2008, 169. Vgl. den Nachweis in Fn. 40. Vgl. den Nachweis in Fn. 38. Urt. v. 29.03.2010 – 3 K 27/07 –, BauR 2010, 1712.
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flechtungen und gute Erreichbarkeit mit dem ÖPNV) die Standortentscheidung auf der Basis eines regionalen Einzelhandelsentwicklungskonzeptes getroffen wird. Da im Sachverhalt ein derartiges regionales Einzelhandelskonzept fehlte, verneinte das OVG die Einschlägigkeit dieses Ausnahmetatbestandes. Das OVG Greifswald hat die Revision gegen sein Urteil zugelassen wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage des Zielcharakters einer raumplanerischen Festsetzung, die eine Ausnahme unter der Voraussetzung einer interkommunalen Abstimmung (Einzelhandelskonzept) vorsieht. Das Revisionsverfahren ist gegenwärtig beim BVerwG anhängig45. Besonderes Interesse verdient die bereits angesprochene demnächst anstehende Revisionsentscheidung des 4. Senats des BVerwG in Sachen IKEA Rastatt46, und zwar in zweifacher Hinsicht: Der VGH Mannheim hat sich in seinem Urteil47 mit einem raumordnerischen Kongruenzgebot48 befasst, das in Form eines „Soll-Ziels“ formuliert ist. Weder gegen das Kongruenzgebot an sich, wonach der Einzugsbereich des geplanten Vorhabens den Verflechtungsbereich des zentralen Ortes nicht wesentlich überschreiten darf, noch gegen dessen Fassung als „Soll-Ziel“ hatte der VGH Mannheim durchgreifende Bedenken geäußert. Dieses Urteil steht in Gegensatz zur – kritischeren – Judikatur des OVG Münster im bereits älteren Urteil zum CentrO Oberhausen49. In dieser Entscheidung hatte das OVG NRW die hinreichende Bestimmtheit bzw. Bestimmbarkeit eines ähnlich formulierten Kongruenzgebotes verneint. Jedenfalls in Bezug auf die grundsätzliche Zulässigkeit von Soll-Zielen, speziell in Bezug auf die Frage, ob die vom Bundesverwaltungsgericht getroffenen Aussagen für „in der Regel“-Ziele auf Soll-Ziele übertragen werden können, dürfen wir wohl eine Klarstellung durch den 4. Senat erwarten50. Ob dies auch in Bezug auf die Anforderungen an Kongruenzgebote gilt (hier steht primär die Auslegung der landesrechtlichen Ausgestaltung im Raum), bleibt abzuwarten. Da gerade deren Auslegung und 45 BVerwG – 4 CN 4.10 –; mit Urteil vom 22. Juni 2011 hat das BVerwG die Revision zurückgewiesen. 46 Das Urt. des BVerwG in dieser Sache erging am 16.12.2010 – 4 C 8.10 –. 47 Vom 17.12.2009 – 3 S 2110/08 –, VBlBW 2010, 357. 48 Gewichtige Bedenken gegen die hinreichende Bestimmtheit des im LEP BaWü angeordneten Kongruenzgebotes, das sich in ähnlicher Weise auch in anderen raumordnerischen Zielfestlegungen findet (vgl. z. B. Plansatz 2.3, Ziff. 03 S. 1 LROP 2008 Niedersachsen), äußerst Kuschnerus, ZfBR 2010, 324 (329); zum Verständnis des im LROP 2008 Niedersachsen enthaltenen Kongruenzgebots vgl. VG Hannover, Beschl. v. 23.06.2010 – 4 B 96/10 – und die hierzu ergangene Beschwerdeentscheidung des OVG Lüneburg, Beschl. v. 07.07.2010 – 1 ME 128/10 –. 49 Urt. v. 06.06.2005 – 10 D 145/04 NE –, BauR 2005, 1477. 50 Im Revisionsurteil v. 16.12.2010 – 4 C 8.10 – hat das OVG die Zulässigkeit von SollZielen grundsätzlich bejaht – und zwar in Anknüpfung an seine vorangegangene Judikatur, dass auch Plansätze mit einer Regel-Ausnahme-Struktur als landesplanerische Letztentscheidung i.S. eines Ziels der Raumordnung angesehen werden können, wenn der Plangeber neben der Regel auch die Voraussetzungen der Ausnahmen mit hinreichender tatbestandlicher Bestimmtheit oder doch wenigstens Bestimmbarkeit selbst festlegt.
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Handhabung erhebliche Probleme bereitet51, wäre eine Klarstellung aus Sicht der Planungspraxis zu begrüßen. Auch stellt sich in Bezug auf die Kongruenzgebote die Frage nach der Rechtfertigung der damit verbundenen Einschränkung der kommunalen Planungshoheit – wenn man das Kongruenzgebot nicht in Zusammenschau mit dem regelmäßig bestehenden Beeinträchtigungsverbot betrachtet. Jedenfalls ist nicht ohne weiteres ersichtlich, welche öffentlichen Belange das Kongruenzgebot rechtfertigen können – sieht man von der allgemeinen Erwägung ab, ein Einzelhandelsvorhaben mit einem großen (überregionalen) Verflechtungsbereich generiere ein besonderes Verkehrsaufkommen und die damit verbundenen Umweltbelastungen52. Diskussionsbedürftig ist auch, ob die Erwägung, das Kongruenzgebot ergänze das Beeinträchtigungsverbot in dem Sinne, dass gewissermaßen ein „abstrakter Gefährdungstatbestand“53 formuliert wird, für die Rechtfertigung der Beschränkung der kommunalen Planungshoheit ausreicht. 5. Steuerung des nicht großflächigen Einzelhandels Auch in Bezug auf die Ausdehnung der raumordnerischen Steuerung auf den nicht großflächigen Einzelhandel steht – möglicherweise – eine – zumindest punktuelle – höchstrichterliche Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht an. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat sich jüngst mit einer regionalplanerischen Agglomerationsregelung befasst54. Er hat einen Bebauungsplan für unwirksam erklärt, weil die durch den Plan ermöglichte (regional bedeutsame) Einzelhandelsagglomeration gegen das Konzentrationsgebot und das Kongruenzgebot verstießen. Das fragliche regionalplanerische Ziel erklärte das Konzentrationsgebot und das Kongruenzgebot im Fall einer Agglomeration nicht großflächiger Einzelhandelsbetriebe für entsprechend anwendbar. Dabei erscheint die Annahme des VGH im Ausgangspunkt unproblematisch, dass eine Agglomeration nicht großflächiger Einzelhandelsbetriebe im Einzelfall regional bedeutsam und insofern dem Steuerungsanspruch der Raumordnung unterfallen kann55. Zweifel bestehen aber hinsichtlich der Frage, ob die entsprechenden Agglomerationsregelungen so formuliert sind, dass für die planende Gemeinde hinreichend deutlich ist, wann und unter welchen Voraussetzungen die Agglomerationsregelung den Ausschluss nicht großflächigen Einzelhandels gebietet. Der VGH Mannheim hat die Revision mit der Erwägung zu51
Vgl. dazu Kuschnerus, ZfBR 2010, 324 (329). Dahin tendiert aber offenkundig BVerwG, Urt. v. 16.12.2010 – 4 C 8.10 –, ebenso der EuGH in seinem Urteil vom 24. 03. 2011 – C 400/08 –, BauR 2011, 1117 in Bezug auf die Einschränkung der Niederlassungsfreiheit, vgl. unten IV. 53 Vom Kongruenzgebot als „abstrakte Stufe“ im Vorfeld konkreter Beeinträchtigungen spricht auch das OVG Lüneburg im Beschl. v. 07.07.2010 – 1 ME 128/10 –. 54 Urt. v. 21.09.2010 – 3 S 324/08 –; zuvor bereits VGH BaWü, Urt. v. 27.09.2000 – 3 S 2875/06 –, VBlBW 2008, 218. 55 In diesem Sinne bereits VGH Mannheim, Urt. v. 27.09.2007 – 3 S 2875/06 –, VBlBW 2008, 218; zustimmend Uechtritz, VBlBW 2010, 185 (188). 52
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gelassen, die Frage, ob die Agglomerationsregelung ein mit Mitteln des Bauplanungsrechts umsetzbares Ziel der Raumordnung sei, besitze grundsätzliche Bedeutung.
IV. Unionsrechtliche Problematik der raumordnerischen Steuerung des Einzelhandels Bei dem Stichwort „Kontinuität oder Wandel“ im Hinblick auf unser Thema dürfen mögliche Einwirkungen aus Brüssel nicht unerwähnt bleiben. Bekanntlich prüft die Kommission im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens, ob § 24a LEPro NRW und Plansatz 2.7.5 des Regionalplans der Region Stuttgart gegen die unionsrechtlich garantierte Niederlassungsfreiheit und Art. 10 und 14 der Dienstleistungsrichtlinie verstoßen56. Je nach Standpunkt erhoffen sich die einen von diesem Verfahren eine Befreiung von rigiden Steuerungsvorgaben, während die anderen ein Ende der planerischen Einzelhandelssteuerung befürchten – verbunden mit weiteren Konsequenzen im Sinne einer Amerikanisierung der tradierten europäischen Stadt. Im Rahmen dieses Vortrags muss eine vertiefte Auseinandersetzung mit den (unionsrechtlichen) Fragen, die dieses Verfahren aufwirft, unterbleiben. Nur so viel sei angemerkt: Es ist zweifelhaft, ob man die aktuell in Brüssel laufende Prüfung nur als „Sturm im Wasserglas“ bezeichnen und einen Konflikt mit der Niederlassungsfreiheit schon deshalb verneinen kann, weil kein Grundstückseigentümer einen Anspruch auf Schaffung eines Planungsrechts mit einem bestimmten Inhalt (nämlich demjenigen, überall einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb zu errichten) besitzt57. So zutreffend diese Feststellung ist (bisher ist auch noch nicht geltend gemacht worden, § 11 Abs. 3 BauNVO sei im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit bedenklich)58, so wenig überzeugt es, allein im Hinblick hierauf eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit zu verneinen. Raumordnerische Vorgaben, speziell strikt bindende Ziele, die die Zahl potentieller Einzelhandelsstandorte limitieren, sind geeignet, die Niederlassungsfreiheit für Einzelhandelsunternehmen zu begrenzen59. Da in Bezug auf die raumordnerische Steuerung des Einzelhandels die Annahme einer offenen oder versteckten Diskriminierung fernliegt, dürfte sich das unionsrechtliche Schicksal der raumordnerischen Steuerung des großflächigen Einzelhandels daran entscheiden, ob es den deutschen Vertretern gelingt, die Kommission und evtl. den europäischen Gerichtshof davon zu überzeugen, dass sich die entsprechenden raum-
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Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 25. 06. 2009. So aber Bischopink, BauR 2009, 1688 ff. 58 Vgl. aber die Infragestellung der Europarechtskonformität des § 34 Abs. 3 BauGB durch Krumb/Stapelfeldt, BauR 2011, 64 ff. 59 So zutreffend Kment, Planerische Steuerung des Einzelhandels und unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit, Thesenpapier zum Symposium „Einzelhandelsplanungsrecht“ der Bezirksregierung Münster am 22. 06. 2010. 57
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ordnerischen Rechtsakte durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses rechtfertigen lassen60.
V. Fazit Versucht man abschließend ein kurzes Fazit zu ziehen, so kann dieses nur lauten: Es bestehen in erheblichem Umfang offene und klärungsbedürftige Fragen. Die obergerichtliche Rechtsprechung in der Beurteilung der typischen Steuerungsinstrumente ist uneinheitlich. Die grundsätzlichen Anforderungen, die in Bezug auf die Formulierung raumordnerischer Ziele (bundesrechtlich) zu stellen sind, sind vom Bundesverwaltungsgericht – teilweise – geklärt. In Bezug auf die Zulässigkeit von „Soll“-Zielen dürfte eine Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht in Kürze erfolgen. Die häufige Frage, wann ein raumordnerisches Ziel hinreichend bestimmt oder zumindest bestimmbar ist, ist zwar bundesrechtlicher Natur. Primär handelt es sich aber um eine Frage der Auslegung landesrechtlicher Normen. Die Neigung des Bundesverwaltungsgerichts, die – divergierenden – Anforderungen der OVGs an Bestimmtheit und Bestimmbarkeit zu korrigieren, ist gering. In grundsätzlicher Hinsicht besteht Klärungsbedarf zur Präzisierung der Grenzen, die der raumordnerischen Steuerung in Bezug auf den großflächigen Einzelhandel in Relation zur kommunalen Planungshoheit gezogen sind. Dies gilt insbesondere in Bezug auf gebietsscharfe Festlegungen, in Gestalt modifizierter Konzentrationsgebote bzw. konkretisierter Integrationsgebote. In Bezug auf die gemeindliche Planungshoheit besteht auch Klärungsbedarf, wie die Grenzen der kompetentiellen Rücksichtnahme zu ziehen sind. Letztlich dürfte es sich hierbei aber regelmäßig um die Beurteilung im Einzelfall gehen, so dass generalisierende Aussagen kaum möglich sein dürften. In Bezug auf die Steuerung des nicht großflächigen Einzelhandels, speziell im Hinblick auf Agglomerationsregelungen, stellt sich gleichfalls die Frage nach den Grenzen der Raumordnung. Insbesondere ist hier die Frage aufgeworfen, inwieweit Agglomerationsregelungen tatsächlich mit Mitteln des Bauplanungsrechts umsetzbare Ziele der Raumordnung darstellen oder ob hier nicht ein (untauglicher) Versuch 60 Im bereits erwähnten Urt. des BVerwG v. 16.12.2010 – 4 C 8.10 – hat sich das BVerwG mit der hier angesprochenen unionsrechtlichen Fragestellung befasst. Es problematisiert, inwieweit das im Sachverhalt zu beurteilende Kongruenzgebot mit der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV kollidiert. Das BVerwG bejaht eine mittelbare Einschränkung, sieht diese aber durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses als gerechtfertigt an. Verwiesen wird darauf, dass Beschränkungen der Standorte großer Einzelhandelseinrichtungen auf städtische Bevölkerungszentren und Beschränkungen der Größe der Einrichtungen in weniger bevölkerungsreichen Gebieten ein geeignetes Mittel seien, umweltbelastende Autofahrten zu vermeiden, dem innerstädtischen Verfall entgegenzuwirken, ein umweltgerechtes Stadtmodell zu erhalten und den Bau neuer Straßen zu vermeiden sowie den Zugang mit öffentlichen Verkehrsmitteln sicherzustellen – unter Verweis auf die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 07. 10. 2010 – RSC-400/08, Kommission/Spanien; in diesem Sinne nunmehr auch der EuGH in seinem Urteil vom 24. 03. 2011 (Fn. 52).
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vorliegt, mit Mitteln des Raumordnungsrechts eine Korrektur bauplanungsrechtlicher Bestimmungen bzw. deren Auslegung durch die Rechtsprechung vorzunehmen61. Letztlich sollte der Umstand, dass das deutsche Raumordnungsrecht in Bezug auf die Steuerung des großflächigen Einzelhandels auf dem unionsrechtlichen Prüfstand steht, auf nationaler Ebene die Raumordnung und Landesplanung aber auch deren Interpreten daran erinnern, dass die hiermit verbundenen Restriktionen nicht nur im Blick auf die kommunale Planungshoheit und die Grenzen des Kompetenztitels Raumordnung (die im deutschen Diskurs im Vordergrund stehen), sondern darüber hinaus auch im Hinblick auf die unionsrechtlich garantierte Niederlassungsfreiheit rechtfertigungsbedürftig sind. Gewiss dürfte weitgehend Konsens hinsichtlich der grundsätzlichen Notwendigkeit einer raumordnerischen Steuerung des Einzelhandels bestehen. Dieser weitreichende Konsens darf aber nicht den Blick darauf verstellen, dass die einzelnen Steuerungsinstrumente daraufhin zu prüfen sind, inwieweit sie tatsächlich geeignet und erforderlich sind, die öffentlichen Belange zu fördern, deren Wahrung sie dienen sollen.
61 Im Bericht über die „Berliner Gespräche zum Städtebaurecht“ (Fn. 12), S. 38 f. wird empfohlen, die weitere Entwicklung der Rechtsprechung abzuwarten und – für den Fall eines Regelungsbedarfs – systematisch zutreffend eine Änderung der städtebaulichen Regelung des § 11 Abs. 3 BauNVO erwogen.
Gerichtliche Kontrolleröffnungen gegenüber Plänen, insbesondere gegenüber Raumordnungsund Flächennutzungsplänen Von Wolf-Rüdiger Schenke
I. Allgemeines Das Thema „Gerichtliche Kontrolleröffnungen gegenüber Plänen“ umschreibt ein weites Feld. Es in einem Vortrag umfänglich beackern zu wollen, ist unmöglich. Deshalb bin ich froh, dass mir die Veranstalter bei der Konkretisierung der Thematik einen weiten Ermessensspielraum zugebilligt haben. Das eröffnet mir die Möglichkeit, aus dem bunten Strauß sich hier stellender Probleme einige herauszugreifen, die mir besonders interessant erscheinen und bezüglich derer sich in den letzten Jahren bemerkenswerte Neuentwicklungen in der Rechtsprechung wie auch in der Rechtslehre angebahnt haben. Ich konzentriere mich daher im Folgenden auf den Rechtsschutz gegen raumordnerische Planungen und gegen Flächennutzungspläne, gegen die bis vor wenigen Jahren ein Rechtsschutz Privater als grundsätzlich ausgeschlossen angesehen wurde und bei denen sich auch in Bezug auf das Wie des Rechtsschutzes von Gemeinden nach wie vor schwierige und m. E. nicht voll gelöste rechtliche Probleme ergeben. Eine Konzentration auf diese Themenfelder erscheint mir vor allem deshalb gerechtfertigt, weil ihnen das besondere Interesse von Werner Hoppe galt. Jedenfalls äußerte er sich1 zu den sich hier stellenden Problemen wiederholt und nahm dabei wichtige Weichenstellungen vor, die auch in der Gegenwart noch nachwirken.
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Vgl. hierzu z. B. Hoppe, Planung und Pläne in der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, in: Festschrift für Menger, 1985, S. 747 ff.; ders., Plädoyer für eine verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle von Gebietsentwicklungsplänen in Nordrhein-Westfalen, in: Festschrift für Redeker, 1993, S. 377 ff.; ders., Die Rechtswirkungen eines Flächennutzungsplans gegenüber nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegierten Außenbereichsvorhaben in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, DVBl 1991, 1277 ff.; ders., „Ziel der Raumordnung und Landesplanung“ und „Grundzüge der Raumordnung und Landesplanung“ in normtheoretischer Sicht, DVBl 1993, 681 ff.; ders., Die rechtliche Wirkung von Zielen der Raumordnung und Landesplanung gegenüber Außenbereichsvorhaben (§ 35 Abs. 3 S. 3 BauGB), DVBl 1993, 1109 ff.
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II. Rechtsschutz gegen Raumordnungspläne Eine Klärung des Rechtschutzes gegen Raumordnungspläne erfordert zunächst die Bestimmung ihrer Rechtsnatur (dazu 1.). Dabei empfiehlt sich eine Differenzierung zwischen Zielen und Grundsätzen der Raumordnung, da sich diese in ihren Wirkungen erheblich unterscheiden. Dies legt die Vermutung nahe, dass sich hieraus Konsequenzen für den Rechtsschutz ergeben. Ziele der Raumordnung beinhalten gem. § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Raumordnungsbehörde abschließend abgewogenen (§ 7 Abs. 2 ROG) textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums. Dagegen treffen Grundsätze der Raumordnung gem. § 3 Abs. 1 Nr. 3 ROG Aussagen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums als Vorgaben für nachfolgende Abwägungs- oder Ermessensentscheidungen. Anknüpfend an die Bestimmung der Rechtsnatur von Zielen und Grundsätzen der Raumordnung ist zu untersuchen, welche Möglichkeiten des Rechtsschutzes hier für juristische Personen des öffentlichen Rechts, insbesondere für Gemeinden, sowie für Private bestehen. Als Rechtsschutz kommen nicht dabei nicht nur oberverwaltungsgerichtliche Normenkontrollen gem. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO (dazu 2.), sondern auch andere verwaltungsgerichtliche Verfahren in Betracht (dazu 3.). 1. Die Rechtsnatur von Zielen der Raumordnung Die Rechtsnatur von Zielen der Raumordnung war lange Zeit sehr umstritten. Das hing mit den Schwierigkeiten zusammen, die die Einordnung von Plänen in das Arsenal hoheitlicher Handlungsinstrumente allgemein bereitet. So verwundert es nicht, dass hier von Anbeginn an sehr unterschiedliche Auffassungen vertreten wurden. Sie wurden als Regierungsakte, als Akte sui generis, als Akte mit Doppelnatur, als Verwaltungsvorschriften, als Verwaltungsakte oder als Rechtsnormen qualifiziert.2 Inzwischen hat sich das Meinungsspektrum gelichtet. Streit besteht heute nur noch, ob Ziele der Raumordnung als Rechtsnormen, als Verwaltungsakte oder Verwaltungsvorschriften zu qualifizieren sind. a) Untaugliche Qualifikationsversuche Die Qualifizierung von Raumordnungszielen als Regierungsakte3 scheidet in der Tat von vorneherein aus4. Sie wäre nur dann zu bejahen, wenn es sich um staatslei2 Dazu Bielenberg/Erbguth/Söfker, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder Bd. II, 11. Lieferung 1984, M 500, Rdnr. 8 ff. 3 Für sie Hohberg, Das Recht der Landesplanung in der Bundesrepublik Deutschland, 1966, S. 57 f.; Kühl, Landesplanung in Schleswig-Holstein nach Gesetz und Wirklichkeit (unter Berücksichtigung der Bundesraumplanung), 1967, S. 79 ff.
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tende Akte oberster Staatsorgane außerhalb der Rechtsetzung handelte. Daran fehlt es aber aus einer Reihe von Gründen. So erscheint es bereits zweifelhaft, ob sie staatsleitenden Charakter aufweisen, zudem werden sie häufig nicht durch oberste Staatsorgane erlassen, und schließlich sprechen – wie noch unter b) zu zeigen sein wird – gute Gründe dafür, sie als Rechtsetzungsakte zu qualifizieren. Die Verlegenheitslösung, die Raumordnungsziele als Akte sui generis zu klassifizieren5, weicht der Problematik der Einordnung der Pläne in das rechtsstaatliche Handlungsinstrumentarium aus und führt schon aus diesem Grund nicht weiter. Aus ähnlichen Gründen zu verwerfen ist die Ansicht von der Doppelnatur6 von Planungsakten. Zwar ist es durchaus möglich, verschiedenen innerhalb eines Planes enthaltenen Vorschriften eine unterschiedliche Rechtsnatur beizumessen. So liegt es auf der Hand, dass den Zielen eines nicht im Normgebungsverfahren erlassenen Raumordnungsplans eine andere Bedeutung zukommen kann als den dort aufgestellten planerischen Grundsätzen. Ausgeschlossen ist es aber, dass ein und dieselbe Regelung je nach ihren Adressaten eine unterschiedliche Rechtsnatur aufweist. Das verbietet sich schon deshalb, weil die Folgen eines Rechtsverstoßes von der Rechtsnatur eines Hoheitsaktes abhängen. Sind die gegenüber verschiedenen Personen getroffenen Regelungen untrennbar miteinander verbunden, so vermag ein rechtswidriger Hoheitsakt aber nicht je nach seinen Adressaten gleichzeitig als Rechtsnorm nichtig und als Verwaltungsakt rechtswirksam zu sein. b) Raumordnungsziele als Rechtsnormen Da die Gemeinden ihre Bauleitplanung den Zielen der Raumordnung anzupassen haben (§ 1 Abs. 4 BauGB) und die Bauleitplanung einen Bestandteil des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts darstellt, verbietet sich die Qualifizierung der Ziele als Verwaltungsvorschriften. Damit kommt nur noch ihre Qualifikation als Verwaltungsakt oder als Rechtsnorm in Betracht. Für die Qualifikation der von Verwaltungsbehörden erlassenen Ziele der Raumordnung als Rechtsnorm spricht es, wenn der Gesetzgeber vorsieht, dass sie in der Form eines Rechtssatzes, d. h. als Verordnung oder als Satzung, zu ergehen haben7. Damit bringt er zum Ausdruck, dass sie als Rechtsnormen zu behandeln sind. Es gilt insoweit Gleiches wie bei Bebauungsplänen, bei denen der Streit über ihre Rechtsnatur durch den Gesetzgeber in § 10 BauGB autoritativ beendet wurde, 4
Zum Begriff des Regierungsakts s. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 12. Aufl 2009, S. 92. 5 Balscheit, Die Rechtsnatur des Plans, 1969, S. 35 ff; Gronemeyer, Der Geltungsverlust von Bebauungsplänen infolge normwidersprechender Fakten, DVBl 1977, 756; Schröder, Planung auf staatlicher Ebene, 1974, S. 23; Ritter, Grenzen der verwaltungsgerichtlichen Normenkontolle, DÖV 1976, 804 f. 6 Zur Doppelnatur von Hoheitsakten s. näher Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 17. Aufl. 2011, Anh. § 42 Rdnr. 8 ff. 7 BVerwG, NVwZ 2004, 614 (615); vgl. auch BVerwGE 81, 128 (131).
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indem er dort ausdrücklich normierte, dass sie als Satzungen beschlossen werden. Bestimmungen dieser Art bedeuten nicht nur, dass entsprechende Hoheitsakte im Normgebungsverfahren zu erlassen sind, sondern implizieren zugleich, dass sie nach ihrem Erlass prinzipiell den für Normen geltenden Regeln unterworfen sein sollen. Auch soweit raumordnerische Ziele auf der Basis von Landesplanungsgesetzen erlassen werden, bestehen keine grundlegenden Bedenken dagegen, dass der Landesgesetzgeber – ungeachtet sonst bestehender bundesrechtlicher Vorgaben für die Abgrenzung von Verwaltungsakten und Rechtsnormen8 – die Rechtsnatur solcher Pläne bindend festlegt. § 11 ROG lässt sich entnehmen, dass von der Verwaltung erlassene Raumordnungspläne als Rechtsverordnungen ergehen können. Damit erkennt der Bundesgesetzgeber die diesbezügliche Qualifikationskompetenz der Länder ausdrücklich an. Das dient nicht zuletzt der Rechtssicherheit und erübrigt damit eine Erörterung der Frage, ob sich die Rechtsnatur einer Regelung nach deren Inhalt oder der Form, in der sie getroffen wird, richtet9. Schwieriger gestaltet sich die Rechtslage dann, wenn der Gesetzgeber keine Regelungen darüber trifft, in welcher Form Raumordnungspläne der Länder erlassen werden. Insoweit besteht denn auch keineswegs Einigkeit. So sprach der HessVGH10 den nicht durch förmlichen Rechtsetzungsakt erfolgten Festlegungen von Zielen der Raumordnung den Charakter von Rechtsnormen ab und sah deshalb einen auf § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i. V. mit § 15 Abs. 1 HessAGVwGO gestützten Normenkontrollantrag bereits als unstatthaft an. Die Entscheidung des HessVGH wurde aber zu Recht durch das BVerwG aufgehoben. Wie das BVerwG11 überzeugend darlegte, scheitert die Qualifikation der Ziele eines Raumordnungsplans als Rechtsnorm nicht schon daran, dass dieser nicht in der für Normen sonst üblichen Weise veröffentlicht wurde. Maßgeblich ist in einem solchen Fall vielmehr der Inhalt der getroffenen Regelung. Da die Normenkontrolle des § 47 VwGO der Rechtsklarheit und der ökonomischen Gestaltung des Prozessrechts dient, spricht in der Tat viel dafür, auch solche Regelungen, die zwar nicht in der für untergesetzliche Rechtsvorschriften vorgesehenen Weise veröffentlicht wurden, aber dieselben Wirkungen wie diese erzeugen und auf die deshalb die ratio der oberverwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle gleichermaßen passt, ebenfalls als Rechtsvorschriften i. S. des § 47 Abs. 1 VwGO anzusehen. Diese Ansicht steht zudem im Einklang damit, dass das BVerwG auch sonst Regelungen, die nicht in der für untergesetzliche Rechtsvorschriften vorgesehenen Form erlassen werden, wegen ihrer normgleichen Wirkung unter § 47 VwGO subsu-
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Dazu Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 185 und 207. s. hierzu näher Schenke, Rechtsschutz bei Divergenz von Form und Inhalt staatlichen Verwaltungshandelns, VerwArch. Bd. 72 (1981), 185 ff. sowie ders., Formeller oder materieller Verwaltungsaktsbegriff?, NVwZ 1990, 1009 ff. 10 HessVGH, Urt. v. 16. 08. 2002 – Az. 4 N 336/02. 11 BVerwG, NVwZ 2004, 614 ff. 9
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miert12. Diese anhand inhaltlicher Merkmale erfolgende Bestimmung des Begriffs der Rechtsvorschrift korrespondiert auch mit dem Umstand, dass der Begriff des Verwaltungsakts als Gegenbegriff zum Rechtsnormbegriff nach richtiger, freilich umstrittener Ansicht (vorbehaltlich abweichender gesetzlicher Vorgaben) nicht durch formelle, sondern durch materielle Kriterien geprägt wird13. Inhaltlich gesehen spricht für die Qualifizierung der Ziele eines Raumordnungsplans als abstrakt-generelle Regelung, dass diese bindende Wirkung für die Aufstellung einer Vielzahl von Bebauungsplänen entfalten, die ihrerseits Rechtsnormen sind. Indiziert wird diese Qualifikation – wie das BVerwG14 zu Recht betont – zudem dadurch, dass die zielförmigen Planaussagen sich nicht in punktuellen Regelungen erschöpfen, sondern wesentlich durch den Gesamtzusammenhang bestimmt werden, in den sie eingebettet sind. Deshalb steht der Umstand, dass Zielaussagen eines Raumordnungsplans in der Regel nur einen beschränkten Adressatenkreis haben, ihrer Qualifikation als Rechtsnorm nicht entgegen. Ohnehin ist im Übrigen der Kreis der Adressaten von Raumordnungsplänen dadurch erweitert worden, dass diese nicht nur für öffentliche Stellen Bindungswirkung besitzen, sondern über § 35 Abs. 3 S. 2 und 3 BauGB einen Bedeutungszuwachs erfahren haben und insoweit gegenüber Privaten unmittelbar verbindlich sind. Ganz auf dieser Linie liegt es auch, dass Ziele der Raumordnung nach dem neu geschaffenen § 4 Abs. 1 Nr. 3 ROG nunmehr auch bei Entscheidungen öffentlicher Stellen über die Zulässigkeit raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen von Personen des Privatrechts, die der Planfeststellung oder der Genehmigung mit der Rechtswirkung der Planfeststellung bedürfen, bindend sind. c) Die Rechtsnatur raumordnerischer Grundsätze Schreibt der Gesetzgeber auch für die in den Raumordnungsplänen enthaltenen Grundsätze vor, dass sie in Form einer Rechtsverordnung oder Satzung ergehen, spricht dies dafür, dass er sie ebenfalls als Rechtsnormen behandelt wissen will. Das Bestehen einer solchen Qualifikationskompetenz des Landesgesetzgebers auch hinsichtlich der Grundsätze der Landesplanung ergibt sich auch hier aus § 11 Abs. 1 ROG, der die Verkündung von Raumordnungsplänen allgemein – und nicht nur hinsichtlich der in ihnen enthaltenen Raumordnungsziele – durch von der Verwaltung erlassene Rechtsverordnungen erlaubt. Dass auch die in Form einer Rechtsverordnung erlassenen Grundsätze als Rechtsnormen zu behandeln sind, entspricht der
12 So geht es davon aus, dass Flächennutzungspläne, wenn sie – wie dies nach § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB zutrifft – normgleiche Wirkung entfalten, als Rechtsnormen anzusehen sind (BVerwG NVwZ 2009, 1226 und dazu näher unten III 1). 13 Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 231; ders., Formeller oder materieller Verwaltungsaktsbegriff?, NVwZ 1990, 1009 ff. 14 BVerwG, NVwZ 2004, 614 (617).
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Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts15. Das gilt ungeachtet des Umstands, dass diesen Grundsätzen – anders als raumordnerischen Zielen – keine strikte normative Verbindlichkeit zukommt und sie nur wichtige, bei der Ausübung des planerischen Ermessens zu berücksichtigende Abwägungs- und Ermessensdirektiven beinhalten. Soweit Grundsätze der Raumordnung allerdings nicht in dem für untergesetzliche Rechtsvorschriften vorgeschriebenen Normsetzungsverfahren erlassen werden, geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass sie keine Rechtsnormen sind16. Dies erklärt sich daraus, dass ihnen – anders als den Raumordnungszielen – die für Normen charakteristische strikte Bindungswirkung abgeht. Zwar beinhalten sie gewichtige Abwägungsgesichtspunkte, die durch andere Planungsträger – insbesondere durch die Gemeinden – mit zu berücksichtigen sind. Ihnen kommt aber keine normgleiche Wirkung zu. Insofern ähneln sie – ungeachtet ihrer Außenwirkung gegenüber Gemeinden – in ihrer Wirkungsweise eher ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften, denen schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht jene strikte Bindungswirkung zukommt, wie sie Rechtsverordnungen eigen ist. Bei alldem wird nicht verkannt, dass die Abgrenzung von Bestimmungen eines Raumordnungsplanes, die verbindliche Zielfestsetzungen enthalten, von solchen, die raumordnerische Grundsätze beinhalten, im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten bereiten kann. Zu der umstrittenen Frage, ob die Festlegung eines Vorbehaltsgebiets in einem nicht förmlich als Rechtsnorm beschlossenen Regionalplan als Rechtsvorschrift i. S. des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO zu qualifizieren ist, hat sich das BVerwG17 in einem Beschluss vom 15. 06. 2009 dahingehend geäußert, dass die Festsetzung von Vorbehaltsgebieten den Grundsätzen und nicht den Zielen der Raumordnung zuzurechnen sei. Es sah deshalb einen gegen die Festsetzung eines Vorbehaltsgebiets gerichteten Antrag als unzulässig an. 2. Der Rechtsschutz gegen als Rechtsnormen zu qualifizierende Raumordnungspläne über § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO Als Möglichkeiten des Rechtsschutzes gegen als Rechtsnormen zu qualifizierende Raumordnungspläne der Länder kommt – neben inzidenten Rechtsschutzmöglichkeiten – vor allem die oberverwaltungsgerichtliche Normenkontrolle des § 47 VwGO in Betracht.
15 BVerwG, NVwZ 2004, 614; 2009, 1226; VGH München, Urt. v. 22. 01. 2009 – Az 4 N 08.708 – Juris. 16 BVerwG, NVwZ 2009, 1226 und schon früher BVerwG, NVwZ 2004, 614. 17 BVerwG, NVwZ 2009, 1226.
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a) Die Statthaftigkeit einer Normenkontrolle gem. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO Da die von der Landesverwaltung erlassenen Ziele der Raumordnung Rechtsnormen sind (s. oben II 1 b), kommt ihnen gegenüber eine oberverwaltungsgerichtliche Normenkontrolle gem. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Betracht18. Dasselbe gilt für die durch die Landesverwaltung statuierten Grundsätze der Landesplanung, sofern sie als Rechtsverordnungen erlassen werden (s. oben 1 c)19. Voraussetzung für die Statthaftigkeit entsprechender Normenkontrollen ist freilich, dass das betreffende Land von der Ermächtigung des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO Gebrauch gemacht hat. Das trifft heute in allen Bundesländern mit Ausnahme von Berlin, Hamburg und NordrheinWestfalen zu. Da die Normenkontrolle des § 47 VwGO nur gegenüber landesrechtlichen untergesetzlichen Rechtsvorschriften verwaltungsrechtlichen Inhalts eröffnet ist, scheidet ein solches Normenkontrollverfahren gegenüber bundesrechtlichen Raumordnungsplänen hingegen generell aus. Der Versuch, den Anwendungsbereich des § 47 VwGO auch auf bundesrechtliche untergesetzliche Rechtsnormen zu erweitern20, hat zu Recht keine Resonanz gefunden, da er im erklärten Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers steht. Nicht statthaft ist die Normenkontrolle des § 47 VwGO ferner gegenüber Raumordnungsplänen, die von einem Parlament als formelle Gesetze erlassen wurden. In diesem Zusammenhang stellt sich ein interessantes Problem, wenn ein in Form einer Rechtsverordnung erlassener Raumordnungsplan durch ein vom Parlament erlassenes Gesetz geändert wird und dieses Gesetz hinsichtlich der Änderung die Rückkehr zum einheitlichen Verordnungsrang anordnet (sog. Entsteinerungsklausel). Das BVerwG21 und das BVerfG22 gehen bei dieser Fallgestaltung davon aus, dass die vom Parlament im Gesetzgebungsverfahren verabschiedeten Regelungen nur den Rang von untergesetzlichen Rechtsvorschriften besäßen, womit dann konsequenterweise auch eine oberverwaltungsgerichtliche Normenkontrolle gem. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i. V. mit den Ausführungsgesetzen der Länder zur VwGO in Betracht kommt. Obschon für diese Auffassung praktische Gesichtspunkte sprechen und sie im Übrigen auf der Linie der Entscheidung des BVerfG23 vom 14. 05. 1985 liegt, 18
Statt vieler BVerwG, NVwZ 2004, 614 ff.; Kment, Rechtsschutz im Hinblick auf Raumordnungspläne, 2002, S. 232 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, § 47 Rdnr. 33 m. weit. Nachw. 19 BVerwG NVwZ 2009, 1226. 20 So z. B. Bartlsperger, Die Bauleitplanung als Reservat des Verwaltungsstaats, DVBl. 1967, 360 (372 f.); Frenz, Der Rechtsschutz gegen unmittelbar beeinträchtigende Normen, BayVBl 1993, 483 (490 f.); kritisch hierzu Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 883 und 1080. 21 BVerwG, NJW 2003, 2039. 22 BVerfG, NVwZ 2006, 191 ff; NVwZ 2006, 322. 23 BVerfGE 70, 35 ff. mit Sondervotum Steinberger; krit. zu dieser Rspr. Schenke, Urteilsanmerkung, DVBl 1985, 367 ff.
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wird man ihr nicht folgen können. Sie steht im Widerspruch zu Art. 100 GG, der den Gerichten gegenüber formellen nachkonstitutionellen Gesetzen zwar eine Prüfungsbefugnis einräumt, ihnen hingegen – anders als bei Rechtsverordnungen – eine Verwerfungsbefugnis verwehrt. Über den durch Art. 100 GG bezweckten Schutz des Gesetzgebers vor einem ungerechtfertigten Vorwurf verfassungswidrigen Handelns, kann das Parlament nicht disponieren24. b) Die Antragsbefugnis Auch wenn die von der Landesverwaltung erlassenen Raumordnungspläne als Rechtsnormen zu qualifizieren sind und deshalb eine oberverwaltungsgerichtliche Normenkontrolle gem. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit den Ausführungsgesetzen der Länder prinzipiell statthaft ist, setzt deren Zulässigkeit eine Antragsbefugnis des Antragstellers voraus. Diese ist bei Gemeinden, die bei Erlass eines Bauleitplans durch die Ziele der Raumordnung gebunden sind und ihre schon erlassenen Bauleitpläne nach § 1 Abs. 4 BauGB an diese Ziele anzupassen haben, grundsätzlich zu bejahen. Von einer Antragsbefugnis der Gemeinden ist aber auch hinsichtlich der als Verordnung erlassenen Grundsätze der Raumordnung auszugehen, da diese das planerische Ermessen der Gemeinden inschränken, auch wenn diese Grundsätze für die Gemeinden keine strikte Bindungswirkung entfalten, sondern nur zu berücksichtigen sind. Entsprechendes gilt für andere Hoheitsträger, für die Raumordnungspläne rechtlich relevant sind. Anderes galt nach früher ganz herrschender Auffassung für natürliche und juristische Personen des Privatrechts. Bei ihnen verneinte man eine Antragsbefugnis meist, weil man annahm, dass es in Bezug auf sie an der Möglichkeit einer Verletzung subjektiver Rechte fehle25. Diese Auffassung dürfte allerdings in dieser Allgemeinheit heute nicht mehr zu halten sein. Deutlich wird dies bereits an § 7 Abs. 2 ROG 2008. Nach dieser Vorschrift sind bei der Raumordnungsplanung auch private Belange zu berücksichtigen, soweit sie auf der jeweiligen Planungsebene erkennbar und von Bedeutung sind. Enthält ein Raumordnungsplan standortkonkrete Ziele zu bestimmten Nutzungsarten, dann müssen entsprechende private Belange in die Abwägung einbezogen werden und im Hinblick auf den drittschützenden Charakter, der dem Abwägungsgebot in Bezug auf private Belange zukommt, ist nunmehr eine Rechtsverletzung möglich26. Für diese Auffassung spricht auch, dass raumbedeutsame Vorhaben im Außenbereich Zielen der Raumordnung nach § 35 Abs. 3 S. 2 BauGB nicht widersprechen dürfen. Zudem sieht § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB vor, dass öffentliche Belange einem Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nrn. 2 bis 6 BauGB in 24
s. hierzu Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 879. So für die früher ganz h. M. Erbguth, in: Bielenberg/Erbguth/Söfker, Raumordnungsund Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder Bd. II, 11. Lieferung 1984, M 500, Rdnr. 68. 26 s. Runkel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 93. Ergänzungslieferung 2009, § 1 Rdnr. 95. 25
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der Regel auch dann entgegenstehen, soweit hierfür als Ziel der Raumordnung eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist. Wegen der Abstraktheit der Ziele der Raumordnung wird eine Beeinträchtigung subjektiver Rechte Privater allerdings nur selten gegeben sein. So liegt sie zwar sicher dann vor, wenn ein Grundstückseigentümer die Errichtung einer Windenergieanlage auf seinem im Außenbereich gelegenen Grundstück beabsichtigt, für das im Gegensatz zu anderen Gebieten im Außenbereich der Gemeinde keine Nutzung zu diesem Zweck vorgesehen ist27. Es fehlt hingegen in der Regel an der Antragsbefugnis, wenn sich der Eigentümer eines Wohngrundstücks gegen eine zielförmige Festsetzung eines Eignungsgebiets „Windnutzung“ in einem Regionalplan wendet, von dem er Immissionsbelastungen für sich befürchtet. Das BVerwG28 betont in diesem Zusammenhang zutreffend, dass in einem solchen Fall eine Verletzung von Rechten eines Antragstellers erst in Betracht kommt, wenn in dem fraglichen Eignungsgebiet des Regionalplans entweder ein Bebauungsplan ergangen ist, der die Errichtung von Windenergieanlagen zulässt, oder wenn eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für derartige Vorhaben erteilt wird. Eine Antrags- bzw. Klagebefugnis besteht selbst dann nur bezüglich der auf der Basis des Raumordnungsplans erlassenen Rechtsakte. Auch das OVG Magdeburg29 weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass die Abwägungsprozesse bei raumordnerischen Zielen regelmäßig grobmaschiger und die Ermittlungen berührter Belange pauschaler als bei der Bauleitplanung erfolgen und aus diesem Grund eine Beeinträchtigung konkreter privater Belange und damit subjektiver Rechten Privater meist ausscheidet. Auch wenn eine Normenkontrolle von möglicherweise durch den Raumordnungsplan verletzten Hoheitsträgern oder Privaten zulässig ist, bleibt zu beachten, dass diese nur dann begründet ist, wenn der dem Raumordnungsplan anhaftende Mangel dessen Unwirksamkeit zur Folge hat. Das ist dann nicht der Fall, wenn der Mangel nach näherer Maßgabe des § 12 ROG unbeachtlich ist. In einem solchen Fall können die Betroffenen nur – Rechtsschutzinteresse vorausgesetzt – beantragen, die Rechtswidrigkeit des Raumordnungsplans festzustellen30.
3. Der Rechtsschutz gegen nicht dem § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO unterfallende Raumordnungspläne In den Bundesländern, welche von der Ermächtigung des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO keinen Gebrauch gemacht haben, kommt gegen Raumordnungspläne, die als Normen 27
OVG Magdeburg, Beschl. v. 05.07.2006 – 2 R 154/06. BVerwG, NVwZ 2007, 229; ebenso OVG Magdeburg, ZfBR 2010, 167. 29 OVG Magdeburg, ZfBR 2010, 167. 30 Dazu näher Schenke, Die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Norm als Streitgegenstand der oberverwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle gem. § 47 VwGO, in: Gedenkschrift für Kopp, 2007, S. 114 ff. 28
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erlassen wurden, grundsätzlich nur eine inzidente verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle in Betracht. Nicht statthaft ist eine Normenkontrolle gem. § 47 VwGO ferner gegenüber vom Bund erlassenen Raumordnungsplänen. Der Versuch, den Anwendungsbereich des § 47 VwGO auch auf bundesrechtliche untergesetzliche Rechtsnormen zu erweitern31, hat sich zu Recht nicht durchzusetzen vermocht, da er im erklärten Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers steht. In Betracht kommt damit für eine Gemeinde eine inzidente Normenkontrolle z. B. mittels einer Klage, mit der festgestellt werden soll, dass der Träger der Raumplanung nicht verlangen kann, dass die Gemeinde beim von ihr vorgesehenen Erlass eines Bebauungsplans ein ihrer Ansicht nach nichtiges Ziel eines Raumordnungsplans zu beachten hat32. Geht sie von der Nichtigkeit von Grundsätzen der Raumordnung aus, kann sie ferner – unabhängig davon, ob diese im Normgebungsverfahren erlassen wurden – feststellen lassen, dass sie zur Berücksichtigung dieser Grundsätze beim Erlass eines konkreten Bebauungsplans gegenüber dem Träger der Raumplanung nicht verpflichtet ist. Soweit Zielen der Raumordnung bereits unmittelbare Rechtsverbindlichkeit gegenüber Privaten zukommt, kann ein Privater, der entgegen der dort getroffenen Festsetzungen zu bauen beabsichtigt, im Rahmen einer Klage auf Erlass einer Bau- oder einer Bebauungsgenehmigung die Unwirksamkeit entsprechender Festsetzungen geltend machen. Auch bei einer inzidenten Normenkontrolle ist freilich zu beachten, dass sie nur dann Erfolg hat, wenn die Fehler, die einem Raumordnungsplan anhaften, dessen Unwirksamkeit zur Folge haben und nicht nach Maßgabe des § 12 ROG unbeachtlich sind. Ein Rechtsschutz mittels einer auf Beseitigung von Raumordnungsplänen gerichteten allgemeinen Leistungsklage scheidet dann aus, wenn die in dem Raumordnungsplan getroffenen Bestimmungen Normcharakter besitzen. Eine auf Erlass einer Rechtsnorm gerichtete allgemeine Leistungsklage erweckte nicht nur deshalb Bedenken, weil es sich bei ihr – entgegen der h. M. – um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit handeln dürfte33. Sie verbietet sich vor allem deshalb, weil sie der Sache nach auf eine Umgehung des § 47 VwGO hinausliefe. Anderes gilt nur für solche Raumordnungspläne, die lediglich Grundsätze der Raumordnung enthalten und nicht als Normen erlassen wurden. Im letzteren Fall gilt Ähnliches wie bei Flächennutzungsplänen ohne Rechtsnormcharakter. Deshalb kommt sowohl für Gemeinden 31
So z. B. Bartlsperger, Die Bauleitplanung als Reservat des Verwaltungsstaats, DVBl 1967, 360 (372 f.); Frenz, Der Rechtsschutz gegen unmittelbar beeinträchtigende Normen, BayVBl 1993, 483 (490 f.); kritisch hierzu Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 883 und 1080. 32 Soweit es um den Erlass eines bestimmten Bebauungsplans geht, kann gegen die Zulassung einer Feststellungsklage dieses Inhalts auch nicht geltend gemacht werden, dass sie nicht auf die Feststellung eines konkreten Rechtsverhältnisses gerichtet sei (so aber Kment, Rechtsschutz im Hinblick auf Raumordnungspläne, S. 245 ff.). 33 s. hierzu näher Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 130; ders., AöR Bd. 131 (2006), 117 (130 ff.); a. A. die h. M., s. z. B. Bethge, Jura 1998, 529 (533).
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wie auch für Private eine allgemeine Leistungsklage in Betracht, die auf Beseitigung der sie in ihren Rechten verletzenden Grundsätze des Raumordnungsplans gerichtet ist (s. dazu näher unter III 2)34. Allerdings werden in Raumordnungsplänen enthaltene Grundsätze – anders als Flächennutzungspläne – wegen ihres hohen Abstraktionsniveaus Private nur sehr selten in ihrer subjektiven Rechtsstellung betreffen. Ist eine Normenkontrolle gegen Raumordnungspläne trotz deren Rechtsnormcharakter nach § 47 VwGO nicht statthaft und erweisen sich inzidente Rechtsschutzmöglichkeiten zur Gewährung des nunmehr auch nach Ansicht des BVerfG35 gem. Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen Rechtsschutzes gegen untergesetzliche Rechtsnormen (ausnahmsweise) als nicht ausreichend36, ist der Rechtsschutz von Gemeinden und Privaten durch eine Verfassungsbeschwerde gem. §§ 90 f. BVerfGG zu gewährleisten37. Eine solche kommt auch dann in Betracht, wenn eine Normenkontrolle nach § 47 VwGO zwar statthaft war, aber keinen Erfolg hatte.
III. Rechtsschutz gegen Flächennutzungspläne Zu den lange Zeit unumstrittenen und auch vom Bundesverwaltungsgericht anerkannten Grundsätzen des Planungsrechts wie auch des Prozessrechts gehörte es, dass ein Rechtsschutz Privater gegen Flächennutzungspläne grundsätzlich nicht gegeben sei. Wegen ihres nur vorbereitenden Charakters wurde davon ausgegangen, dass sie – anders als die auf ihrer Grundlage entwickelten Bebauungspläne – keine subjektivrechtliche Relevanz für Private entfalten. Das Problem eines Rechtsschutzes gegen Flächennutzungspläne konnte sich damit gar nicht stellen38. Eine Normenkontrolle gem. § 47 VwGO (dazu 1.) schien zusätzlich daran zu scheitern, dass es sich bei Flächennutzungsplänen nicht um Rechtsnormen handelte. Auch andere Rechtsschutzmöglichkeiten wurden ganz überwiegend abgelehnt (dazu 2.).
34 Eine allgemeine Leistungsklage dieses Inhalts wird durch Kment, Rechtsschutz im Hinblick auf Raumordnungspläne, S. 267 f. – wohl im Hinblick auf die Nichtigkeit eines rechtswidrigen Raumordnungsplans – nicht einmal erwogen, sondern nur eine auf Unterlassung der Bauleitplanung gerichtete allgemeine Leistungsklage in Betracht gezogen. 35 BVerfG, JZ 2006, 1021 ff. und dazu Schenke, Rechtsschutz gegen normatives Unrecht, JZ 2006, 1004 ff. 36 Zu den Fällen, in welchen Art. 19 Abs. 4 GG zur Realisierung des Rechtsschutzes gegen Normen grundsätzlich eine prinzipale Normenkontrolle erfordert, s. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 1077 ff. 37 Dazu, dass auch eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde einen Rechtsweg i. S. des Art. 19 Abs. 4 GG darstellt, s. Schenke, in: Dolzer/Graßhof/Kahl/Waldhoff, Bonner Kommentar zum Grundgesetz (Drittbearb.), 2009, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 89 ff. 38 So z. B. statt vieler Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 10. Aufl. 1994, 47 Rdnr. 16a.
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1. Rechtsschutz gegen Flächennutzungspläne mittels einer oberverwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle a) Normenkontrollen bei Festsetzung von Konzentrationsflächen Die Auffassung, Flächennutzungspläne seien keine Rechtsnormen, wurde in der Rechtsprechung erstmals durch das OVG Koblenz39 für den Sonderfall eines Flächennutzungsplans, der Festsetzungen der in § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB genannten Art enthielt, in Frage gestellt. Der Flächennutzungsplan sah die Errichtung von Windenergieanlagen nur in bestimmten, dem Außenbereich zuzuordnenden Gemeindegebieten vor und schloss diese damit zugleich in anderen Gebieten der Gemeinde aus. Im Hinblick auf diese Ausschlusswirkung wurde durch das OVG Koblenz – und teilweise schon früher durch eine Mindermeinung im rechtswissenschaftlichen Schrifttum40 – die These vertreten, dass gegen Flächennutzungspläne, die Regelungen der in § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB genannten Art enthalten, wegen deren normgleicher Wirkung eine Normenkontrolle gem. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO statthaft sein müsse. Dieser Ansicht war auch Werner Hoppe41. Als Konsequenz dieser sich hier anbahnenden Neuorientierung wurde angenommen, dass in den Bundesländern, welche von der Ermächtigung des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO Gebrauch gemacht hatten, nunmehr eine oberverwaltungsgerichtliche Normenkontrolle statthaft sei. Allerdings war damit – anders als gegenüber Bebauungsplänen gem. § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO – eine Normenkontrolle gegenüber Flächennutzungsplänen mit Konzentrationsflächen nicht bundeseinheitlich eröffnet. Da Berlin, Hamburg und Nordrhein-Westfalen von der Ermächtigung des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO keinen Gebrauch gemacht haben, schied hier eine prinzipale Normenkontrolle gegenüber Flächennutzungsplänen generell aus. Um dem entgegen zu wirken, wurde durch mich Anfang 2007 erstmals die Ansicht vertreten, dass im Hinblick auf die bebauungsplangleiche Wirkung, die einem Flächennutzungsplan gem. § 35 Abs. 3 S. 2 BauGB zukommt42, 39
OVG Koblenz, ZNER 2005, 336 f., a. A. die früher h. M., s. z. B. BVerwG, NVwZ 1991, 262 f.; OVG Lüneburg, NVwZ 2007, 1081; Battis, Öffentliches Baurecht und Raumordnungsrecht, 5. Aufl. 2006, Rdnr. 74. 40 Hendler, Verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle Privater gegen Raumordnungs- und Flächennutzungspläne, NuR 2004, 485 (490); Hoppe, Zur planakzessorischen Zulassung von Außenbereichsvorhaben durch Raumordnungs- und durch Flächennutzungspläne, DVBl 2003, 1345 (1355); Kment, Die unmittelbare Außenwirkung des Flächennutzungsplans, NVwZ 2004, 314 f.; Loibl, Zur Zulässigkeit von Normenkontrollen von Privaten gegen Regional- und Flächennutzungspläne, UPR 2004, 419 (421). 41 Hoppe, DVBl 2003, 1345 (1355). 42 Dieser bebauungsplangleichen Wirkung steht – anders als von Herrmann, Rechtsschutz gegen Flächennutzungspläne im System des Verwaltungsprozessrechts, NVwZ 2009, 1185 (1189), postuliert – nicht entgegen, dass sie nur bezüglich des Ausschlusses bestimmter Nutzungen außerhalb von Konzentrationsgebieten besteht und keine gleichzeitigen postiven
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die Normenkontrolle bundeseinheitlich analog § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO eröffnet sei43. Wenige Monate nach Veröffentlichung dieser Abhandlung sprach sich das BVerwG44 ebenfalls für diese Analogie zu § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO aus. Sie wird inzwischen auch von der h. M. befürwortet45. b) Einwände gegen die Analogie Gegenüber der Analogie zu § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO wird im neueren Schrifttum freilich z. T. auch Kritik geübt46. Sie stützt sich darauf, dass es an einer für eine Analogie erforderlichen Regelungslücke fehle. Selbst wenn man nämlich in einem Flächennutzungsplan, der Regelungen der in § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB genannten Art enthält, eine Rechtsnorm sehe, bestehe hiergegen Rechtsschutz nach Maßgabe des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i. V. mit den Ausführungsgesetzen der Länder zur VwGO47. Dieser Kritik kann aber schon deshalb nicht gefolgt werden, weil sie auf einer methodologisch nicht überzeugenden Verengung des Lückenbegriffs basiert. Wie in der modernen Methodenlehre heute ganz überwiegend anerkannt wird, besteht eine Lücke nicht erst dann, wenn es ohne eine Analogie an einer anwendbaren Rechtsnorm fehlte, sondern bereits dann, wenn es ohne die Analogie zu schwerwiegenden Wertungswidersprüchen48 käme, die der Regelungsabsicht des Gesetzgebers zuwiderliefen und damit gegen den Gleichheitssatz verstießen. Eben dies trifft aber hier zu, da der Gesetzgeber gegenüber allen auf dem BauGB basierenden Normen eine bundeseinheitliche oberverwaltungsgerichtliche Normenkontrolle eröffnen wollte. Die generelle Aussagen über die Zulässigkeit bestimmter Vorhaben getroffen werden. Ein Bebauungsplan kann sich nämlich ebenfalls nur auf bestimmte negative Festsetzungen beschränken. 43 Schenke, Rechtsschutz gegen Flächennutzungspläne, NVwZ 2007, 134 (141 ff.). 44 BVerwG, NVwZ 2007, 1081 ff. 45 OVG Berlin-Brandenburg, NVwZ 2008, 232; OVG Koblenz, BauR 2008, 1101 (1102); Battis, Flächennutzungsplan und entsprechende Anwendbarkeit der (prinzipalen) Normenkontrolle, JZ 2007, 1153; Giesberts, in: Posser/Wolff, Verwaltungsgerichtsordnung, 2008, § 47 Rdnr. 22; Held, Flächennutzungspläne, Aktuelle Bedeutung und Umfang der Normenkontrolle, LKRZ 2008, 367 (370 f.); Hug, Gemeindenachbarklagen im öffentlichen Baurecht, 2009, S. 303 ff.; Lahme, Prinzipale Normenkontrolle gegen Flächennutzungspläne, ZNER 2007, 225; M. Redeker, in: Redeker/v. Oertzen, Verwa1tungsgerichtsordnung, 15. Aufl. 2010, § 47 Rdnr. 17; Scheidler, Flächennutzungspläne als Gegenstand eine Normenkontrollklage, DÖV 2008, 766 (769); J. Schmidt, in: Eyermann, 13. Aufl. 2010, § 47 Rdnr. 23; Schröppel/SchübelPfister, Aktuelles Verwaltungsprozessrecht, JuS 2007, 1001 (1003); Wollenteit, Antragsberechtigung bei der Normenkontrolle gegen Flächennutzungspläne, NVwZ 2008, 1281; a. A. Dazert, Statthaftigkeit der Normenkontrollklage gegen Darstellungen von Konzentrationszonen für Windenergie im Flächennutzungsplan, BauR 2007, 659; Herrmann, NVwZ 2009, 1187 ff.; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 3. Aufl 2010, § 47 Rdnr. 79a. 46 Herrmann, NVwZ 2009, 1187 f.; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 3. Aufl. 2010, § 47 Rdnr. 79a. 47 So die Argumentation von Herrmann, NVwZ 2009, 1185 (1189) und Ziekow, in: Sodan/ Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, § 47 Rdnr. 79a. 48 Grundlegend Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 1964.
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Nichteinbeziehung von Flächennutzungsplänen in den Anwendungsbereich des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO beruhte lediglich darauf, dass diesen bei Schaffung der VwGO generell kein Normcharakter zugebilligt wurde. Das hat sich aber im Hinblick auf den später geschaffenen § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB nach inzwischen herrschender Meinung nunmehr gerade verändert. Dass der Gesetzgeber selbst nach Inkrafttreten des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB davon absah, bei späteren Novellierungen des § 47 VwGO Flächennutzungspläne mit Konzentrationsflächen in den Anwendungsbereich des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO einzubeziehen, erklärt sich zwanglos daraus, dass die Rechtsnatur solcher Flächennutzungspläne noch unmittelbar vor einer Neuorientierung der bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung umstritten war49 und der Gesetzgeber sich hier anbahnenden neuen dogmatischen Entwicklungen offenbar nicht vorgreifen wollte50. Dass eine analoge Anwendung des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO auf sonstige untergesetzliche Rechtsvorschriften, die ihre Grundlage nicht im BauGB haben, schon wegen § 47 Abs 1 Nr. 2 VwGO ausscheidet und dies auch unter dem Aspekt des Art. 19 Abs. 4 GG grundsätzlich nicht zu beanstanden ist, spricht entgegen Herrmann51 schon deshalb nicht gegen die hier befürwortete Analogie, weil die ratio des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO auf solche Rechtsvorschriften, die nicht auf der Grundlage des BauGB erlassen wurden, ersichtlich nicht passt. Eine Analogie stünde hier im erkennbaren Widerspruch zum in § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers. Sie verbietet sich deshalb ebenso wie eine analoge Anwendung des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO auf bundesrechtliche Normen52, die mit der bewussten Entscheidung des Bundesgesetzgebers gegen eine Erstreckung der Normenkontrolle des § 47 VwGO auf bundesrechtliche Rechtsvorschriften kollidierte. Da es dem Gesetzgeber bei Schaffung des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ersichtlich nur darum ging, eine bundeseinheitliche Normenkontrolle gegenüber solchen Rechtsnormen sicherzustellen, deren Erlass auf dem BauGB beruht, lässt sich die analoge Anwendung des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO auf Flächennutzungspläne auch nicht mit dem Argument Ziekows53 in Frage stellen, in ihrer Konsequenz müsse auch gegenüber Raumordnungsplänen, die Ziele der in § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB genannten Art enthielten, eine bundeseinheitliche Normenkontrolle statthaft sein. Auch wenn solche Raumordnungspläne im Fall des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB dieselben Auswirkungen haben wie ein diesbezüglicher Flächennutzungsplan, richtet sich ihr Erlass nicht – 49
Gegen eine Anwendung des § 47 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VwGO z. B. noch OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2007, 445. 50 Nicht überzeugend daher Herrmann, NVwZ 2009, 1190, der aus dem Schweigen des Gesetzgebers noch bei der 2006 erfolgten Novellierung des § 47 VwGO ableiten will, dass der Gesetzgeber nach wie vor eine Erstreckung der Normenkontrolle auf Flächennutzungspläne generell ablehnte. 51 Herrmann, NVwZ 2009, 1187. 52 Für sie Bartlsperger, DVBl 1967, 360 (372); Frenz, BayVBl 1993, 483 (490 f.); krit. hierzu Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 883, 1080. 53 Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 47 Rdnr. 79a.
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wie in den sonstigen von § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO erfassten Fällen – nach dem BauGB, sondern nach den Raumordnungs- und Landesplanungsgesetzen der Länder. Selbst wenn man in den Fällen des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB wegen der hier bestehenden bebauungsplangleichen Wirkung von Raumordnungsplänen und Flächennutzungsplänen ihre prozessuale Gleichbehandlung als geboten ansähe, hätte dies nur zur Folge, dass dann § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO auch auf entsprechende Raumordnungspläne anzuwenden wäre. Es rechtfertigte aber nicht die Ablehnung einer analogen Anwendung des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO auf Flächennutzungspläne in den Fällen des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB. Gleichfalls nicht weiterführend ist das Argument54, für eine Analogie bestehe kein Bedürfnis, weil bereits durch inzidente Normenkontrollen ein dem Art. 19 Abs. 4 GG genügender Rechtsschutz gegenüber Flächennutzungsplänen gewährleistet sei, die Festsetzungen der in § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB enthielten. Diese Argumentation vermag schon deshalb nicht zu überzeugen, weil die Analogie zu § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO nicht auf das Bestehen einer sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Rechtsschutzlücke gestützt wird. Die Notwendigkeit einer Analogie ergibt sich vielmehr daraus, dass die ratio des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO dessen Erstreckung auf Flächennutzungspläne der in § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB bezeichneten Art erforderlich macht, da diese genauso wie Bebauungspläne wirken und ebenso wie diese ihre Rechtsgrundlage im BauGB haben. Lehnte man eine Analogie zu § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO auf die hier behandelten Flächennutzungspläne ab, so wäre im Übrigen wegen deren Rechtssatzcharakter die Anwendung des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO zwingend geboten, und dies, obwohl Art. 19 Abs. 4 GG in der Regel eine solche prinzipale Normenkontrolle gerade nicht erfordert. Anderweitig bestehende inzidente Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Flächennutzungspläne schlössen den weiterreichenden prinzipalen Rechtsschutz – wie sonst allgemein anerkannt wird – jedenfalls nicht aus, zumal der durch eine inzidente Normenkontrolle gewährte Rechtsschutz deutlich hinter dem einer prinzipalen Normenkontrolle zurückbleibt. Schließlich bestehen auch unter Kompetenzgesichtspunkten keine durchschlagenden Einwände gegenüber der hier befürworteten Analogie55. Eine Analogie scheidet selbst im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit nicht aus, sondern wird auch hier durch den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz geboten. Sie ist umso unbedenklicher, als im Fall der oberverwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle der Bundesgesetzgeber in § 47 Abs. 1 VwGO selbst den Rahmen möglicher oberverwaltungsgerichtlicher Normenkontrollen vorgibt und die Länder zu deren Regelung ohne die bundesgesetzliche Ermächtigung nicht befugt wären. Da der Bundesgesetzgeber es unbestrittenermaßen in der Hand hätte, Flächennutzungspläne mit Konzentrationsflächen durch eine ausdrückliche Regelung in den Anwendungsbereich des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO einzubeziehen, kann es auch nicht beanstandet
54 55
So Herrmann, NVwZ 2009, 1187. A. A. Hermann, NVwZ 2009, 1189.
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werden, wenn die Rechtsprechung den Anwendungsbereich dieser Vorschrift mittels einer durch den Gleichheitssatz gebotenen Analogie erweitert. c) Keine allgemeine analoge Anwendung des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO auf Flächennutzungspläne In der neueren Literatur wird in Fortführung dieser neuen Auffassung nunmehr z. T. sogar die Ansicht vertreten, auch ein „gewöhnlicher“ Flächennutzungsplan müsse wegen seiner gleichfalls erheblichen faktischen und rechtlichen Wirkungen der Normenkontrolle analog § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO unterliegen56. Weshalb für solche Flächennutzungspläne etwas anderes gelten solle, bleibe „weiterhin unerfindlich“57. Dieser Ansicht ist jedoch nicht zu folgen. Anders als im Sonderfall des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB kommt nämlich einem „gewöhnlichen“ Flächennutzungsplan keine normative Wirkung zu. Er stellt sich damit nicht als ein materielles Gesetz dar. Das gilt selbst im Fall des § 35 Abs. 3 Nr. 1 BauGB, nach dem eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange insbesondere dann vorliegt, wenn ein Bauvorhaben im Außenbereich den Darstellungen eines Flächennutzungsplans widerspricht. Auch hier entfaltet ein Flächennutzungsplan keine normgleiche Wirkung. Vielmehr ist § 35 Abs. 3 Nr. 1 BauGB dahingehend zu verstehen, dass ein Flächennutzungsplan wesentliche Anhaltspunkte für die Bestimmung öffentlicher Belange bildet. Die im Flächennutzungsplan diesbezüglich enthaltenen Vorgaben können deshalb im Wege einer „nachvollziehenden Abwägung“ überwunden werden58. Da der Flächennutzungsplan auch nicht formell als Rechtsnorm erlassen wird, scheidet damit bei einem „gewöhnlichen“ Flächennutzungsplan eine Normenkontrolle sowohl in Analogie zu § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO wie auch nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO aus. 2. Rechtsschutz gegen Flächennutzungspläne außerhalb des § 47 VwGO Allerdings ist mit der grundsätzlichen Ablehnung einer oberverwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle gegen Flächennutzungspläne – ausgenommen in den Fällen des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB – die Frage nach der Möglichkeit eines Rechtsschutzes gegen Flächennutzungspläne noch nicht endgültig beantwortet. Selbst wenn nämlich eine oberverwaltungsgerichtliche Normenkontrolle wegen grundsätzlichen Fehlens des Normcharakters eines Flächennutzungsplans nicht statthaft ist, kommen doch anderweitige Rechtsschutzmöglichkeiten in Betracht. 56
Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 8. Aufl 2010, § 19 Rdnr. 12; für Flächennutzungspläne im Außenbereich auch Hug, Gemeindenachbarklagen im Baurecht, 2009, S. 274 ff. (305 ff.). 57 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 19 Rdnr. 12. 58 Dazu BVerwG, NVwZ 2002, 476 (477); NVwZ 2003, 733 (734); Guckelberger, DÖV 2006, 973 (975).
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a) Ansätze eines Rechtsschutzes für Nachbargemeinden Der Rechtsschutz einer Nachbargemeinde gegen einen Flächennutzungsplan ist für eine besondere Fallkonstellation durch die Rechtsprechung schon lange anerkannt. So spricht einiges dafür, dass die sog. Krabbenkamp-Entscheidung des BVerwG59 so zu verstehen ist, dass nach ihr einer Gemeinde, die eine Verletzung des früher in § 2 Abs. 4 BauGB (nunmehr § 2 Abs. 2 BauGB) enthaltenen Abstimmungsgebots der Bauleitplanung durch eine Nachbargemeinde geltend machen kann, ein Unterlassungsanspruch zusteht. Dieser Anspruch kann – Rechtsschutzbedürfnis vorausgesetzt – durch die Gemeinde im Wege vorbeugenden Rechtsschutzes prozessual geltend gemacht werden. Nicht geäußert hat sich das BVerwG allerdings zur Frage, ob gegen einen unter Verletzung des Abstimmungsgebots bereits erlassenen Flächennutzungsplan Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen. Der Umstand, dass in diesem Fall nur ein vorbeugender Rechtsschutz gegen einen Bebauungsplan diskutiert wird60, scheint freilich zu indizieren, dass das Gericht einen unmittelbar gegen den erlassenen Flächennutzungsplan gerichteten Rechtsschutz – möglicherweise im Hinblick auf die Nichtigkeit eines rechtswidrigen Flächennutzungsplans – verneint. b) Die grundsätzliche Ablehnung eines Rechtsschutzes gegen Flächennutzungspläne durch die h. M. Abgesehen von den eben erwähnten Ansätzen für einen Rechtsschutz von Nachbargemeinden wird ein Rechtsschutz gegen Flächennutzungspläne von der h. M. abgelehnt. Das gilt insbesondere für einen Rechtsschutz Privater gegen einen Flächennutzungsplan. Der Grund hierfür dürfte darin zu suchen sein, dass ein Bebauungsplan – vom Fall des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB abgesehen – keine unmittelbare rechtliche Verbindlichkeit gegenüber Privaten entfaltet. Damit scheint ein subjektivrechtliches Betroffensein Privater auszuscheiden. Freilich ist eine solche Argumentation kurzschlüssig, falls ein Träger privater Belange aus dem Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB subjektive Rechte auf Berücksichtigung seiner privaten Belange auch bei Erlass eines Flächennutzungsplans ableiten kann. Dann kommt nämlich sehr wohl eine durch den Flächennutzungsplan verursachte, auf einem Abwägungsfehler beruhende Verletzung seiner Rechte in Betracht. Wegen Art. 19 Abs. 4 GG muss dann auch die Möglichkeit eines gerichtlichen Rechtsschutzes bestehen. Allerdings konnte ein aus diesem Grund gebotener gerichtlicher Rechtsschutz nicht in das Blickfeld von Rechtsprechung und Rechtslehre gelangen, solange das bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot (s. § 1 Abs. 7 BauGB), auch soweit es um die Berücksichtigung privater Belange ging, als nicht subjektiviert angesehen wurde. Das war die Auffassung der Rechtsprechung und der wohl h. L. bis vor ca. zehn Jahren. 59
BVerwGE 40, 323 ff. BVerwGE 40, 323 (326 ff.); krit. hierzu Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 1089 ff. 60
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Eine Kehrtwende in der Rechtsprechung brachte hier erst die Entscheidung des BVerwG vom 24. 09. 199861. Zwar betraf diese Entscheidung unmittelbar nur den Rechtsschutz gegen Bebauungspläne. Es liegt aber zumindest nahe, die hier vom BVerwG befürworteten Subjektivierung des Abwägungsgebots auch auf Flächennutzungspläne zu erstrecken. Das gilt umso mehr, als sich das BVerwG62 allgemein zu einer Subjektivierung des Abwägungsgebots des § 1 Abs. 6 BauGB a. F. (heute § 1 Abs. 7 BauGB) in Bezug auf Bauleitpläne äußerte, seine Ausführung sich also nicht nur auf Bebauungspläne bezogen. Merkwürdigerweise wurde aber die Bedeutung, die der neueren Rechtsprechung des BVerwG für die Frage eines Rechtsschutzes gegen Flächennutzungspläne zukommt, zunächst nicht weiter thematisiert. Ein Grund hierfür dürfte sicher darin zu finden sein, dass der Rechtsschutz gegen einen Flächennutzungsplan zunächst ganz im Schatten des ausdrücklich durch § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO gewährten Rechtsschutzes gegen dessen größeren Bruder, den Bebauungsplan, stand. Dem Rechtsschutz gegen Bebauungspläne kam in der Praxis schon allein wegen deren unmittelbarer Verbindlichkeit eine ungleich größere Bedeutung zu als dem gerichtlichen Schutz gegen Flächennutzungspläne. Zu dieser Vernachlässigung dürfte vermutlich aber auch das Nichtigkeitsdogma beigetragen haben. Danach kam einem rechtswidrigen Flächennutzungsplan grundsätzlich keine Rechtswirksamkeit zu. Ein Rechtsschutz gegen etwas ohnehin Nichtiges schien jedenfalls vielen – wenn überhaupt möglich – wenig sinnvoll und überflüssig. Sofern man die Frage eines Rechtsschutzes gegen Flächennutzungspläne außerhalb der Fälle des § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB überhaupt erörterte, wurde darauf verwiesen, dass in bestimmten Konstellationen ein Rechtsschutz gegen Flächennutzungspläne in Form von Feststellungsklagen in Betracht komme63. Freilich wurden diese Konstellationen meist nicht näher konkretisiert. Überdies blieb in der Regel unklar, welchen Gegenstand eine solche Feststellungsklage nun genau haben sollte. c) Ansätze zu einer Neuorientierung In meiner Anfang 2007 erschienenen Abhandlung „Rechtsschutz gegen Flächennutzungspläne“64 unternahm ich den Versuch, hier bestehende Rechtsschutzdefizite abzubauen. Wurden beim Erlass eines (nicht normativ wirkenden) Flächennutzungsplans die Belange von Nachbargemeinden, aber auch von Privaten nicht in der durch § 2 Abs. 2 BauGB bzw. § 1 Abs. 7 BauGB gebotenen Weise abgewogen, bejahte ich dort grundsätzlich einen Anspruch der Verletzten auf Beseitigung eines solchen Flä61 BVerwG, DVBl 1999, 100 (102) mit zust. Anmerkung von Schmidt-Preuß; s. auch schon früher Schenke, DVBl 1997, 853 ff. in krit. Auseinandersetzung mit der gegenteiligen Auffassung des OVG Münster, DVBl 1997, S. 675 ff. 62 BVerwG, DVBl 1999, 100 (102). 63 s. hierzu die Nachw. bei Schenke, NVwZ 2007, 134 (137 ff.); dem prinzipiell folgend Hug, Gemeindenachbarklagen im öffentlichen Baurecht, 2009, S. 313 ff. 64 Schenke, NVwZ 2007, 134 (137 ff.).
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chennutzungsplans in dem Umfang, in dem dieser subjektive Rechte Privater verletzt. Durchzusetzen ist dieser Anspruch m. E. mittels einer allgemeinen Leistungsklage. Soweit es um die Verletzung der durch § 2 Abs. 2 BauGB begründeten Rechte einer Nachbargemeinde geht, hat dieser neue Versuch zur Lösung der Rechtsschutzproblematik im inzwischen erschienenen neueren Schrifttum teilweise Zustimmung gefunden. So bejaht Löhr in der neuesten Auflage des Kommentars von Battis/ Krautzberger/Löhr zum Baugesetzbuch65 unter Hinweis auf meine Überlegungen nunmehr ebenfalls einen auf die Verletzung des § 2 Abs. 2 BauGB gestützten Rechtsschutz der Nachbargemeinde gegen einen Flächennutzungsplan mittels einer auf Beseitigung des Flächennutzungsplans gerichteten allgemeinen Leistungsklage. Gleichzeitig lehnt er aber den m. E. auf dieselbe Weise zu bewerkstelligenden Rechtsschutz Privater gegen einen Flächennutzungsplan ab66. Private würden nämlich durch einen Flächennutzungsplan – vom Sonderfall des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB abgesehen – nicht in ihrer subjektiven Rechtsstellung betroffen. Das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB gewähre dem Grundstückseigentümer nur in Bezug auf Bebauungspläne subjektive Rechte, nicht hingegen in Bezug auf Flächennutzungspläne. Damit fehle es aber bei einer auf Beseitigung eines rechtswidrigen Flächennutzungsplans gerichteten Leistungsklage an der analog § 42 Abs. 2 VwGO zu fordernden Klagebefugnis. Andere Stimmen in der Literatur lehnen meinen neuen Lösungsansatz ohne nähere Begründung generell ab, konzedieren aber immerhin teilweise dafür sprechende „gewichtige Gründe“67. d) Die Subjektivierung des Abwägungsgebots Von grundlegender Bedeutung für das Bestehen und die Lösung der Rechtsschutzproblematik ist in der Tat die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit dem Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB auch bei einem Flächennutzungsplan subjektive Rechte Privater korrespondieren. Verneint man dies, so kann sich das Problem eines Rechtsschutzes gegen Flächennutzungspläne – vom Sonderfall des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB abgesehen – schon aus logischen Gründen nicht stellen. Bejaht man allerdings solche subjektiven Rechte und befürwortet überdies mit Löhr eine Leistungsklage der Gemeinde, die auf Beseitigung eines Flächennutzungsplans einer Nachbargemeinde gerichtet ist, soweit dieser sie in ihren Rechten aus § 2 Abs. 2 BauGB verletzt, so liegt es nahe, einen entsprechenden Rechtsschutz auch für einen Privaten zu bejahen, dessen Belange bei Aufstellung eines Flächennutzungsplans nicht in der durch § 1 Abs. 7 BauGB gebotenen Weise berücksichtigt wur65 s. Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 11. Aufl. 2009, § 5 Rdnr. 46b; ebenso Hug, Gemeindenachbarklagen im öffentlichen Baurecht, 2009, S. 313 ff. 66 Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, § 5 Rdnr. 46a; Hug, Gemeindenachbarklagen im öffentlichen Baurecht, äußert sich zu Klagen Privater nicht, da sie außerhalb seines Themas liegen. 67 Muckel, Öffentliches Baurecht, 2010, § 5 Rdnr. 9.
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den. Damit wird die Frage nach dem Umfang der Subjektivierung des Abwägungsgebots zu einem Schlüsselproblem der hier untersuchten Thematik. Nachdem heute allgemein anerkannt ist, dass ein Träger privater Belange, die bei Erlass eines Bebauungsplans zu beachten sind, ein diesbezügliches subjektives Recht besitzt, drängt es sich auf, dasselbe auch in Bezug auf einen Flächennutzungsplan anzunehmen, aus dem nach § 8 Abs. 2 S. 1 BauGB Bebauungspläne zu entwickeln sind. Das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB bezieht sich schon nach seinem Wortlaut nicht nur auf Bebauungspläne, sondern allgemein auf Bauleitpläne und damit auch auf Flächennutzungspläne. Anhaltspunkte dafür, dass § 1 Abs. 7 BauGB hinsichtlich der Subjektivierung des Abwägungsgebots zwischen Bebauungsplänen und Flächennutzungsplänen differenzieren will, lassen sich dieser Vorschrift mithin nicht entnehmen. Auf dem Boden der heute herrschenden Schutznormtheorie68 spricht vielmehr die ausdrückliche Erwähnung privater Belange, die bei der Aufstellung eines Flächennutzungsplans im Rahmen der gebotenen Abwägung einzustellen sind, dafür, dass auch diese Belange rechtlich geschützte Interessen darstellen und damit subjektive Rechte konstituieren. Auch in Bezug auf Flächennutzungspläne würde es dem Abwägungsgebot nicht gerecht, wenn man den Bürger in Bezug auf seine abwägungsrelevanten privaten Belange zum reinen Objekt der gemeindlichen Planung machte und diesem nicht die Stellung eines Subjekts zubilligte, das zur Wahrnehmung und Verteidigung seiner eigenen Belange berufen ist. Wie Werner Hoppe69 zu Recht betonte, handelt es sich bei dem Abwägungsgebot und der ihm immanenten Subjektivierung privater Belange, um einen allgemeinen Grundsatz des Planungsrechts, der nicht nur in Verbindung mit der Bauleitplanung, sondern allgemein bei hoheitlicher Planung zu beachten ist. Der Umstand, dass Flächennutzungspläne, vom Sonderfall des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB abgesehen, noch keine unmittelbare normative Verbindlichkeit für den Bürger erlangen, spricht damit nicht gegen die Subjektivierung des § 1 Abs. 7 BauGB. Es macht durchaus Sinn, private Belange des Bürgers auch dann planungsrechtlich zu schützen, wenn die Planungsakte selbst noch keine unmittelbaren Pflichten für Bürger begründen, sondern – wie Flächennutzungspläne – nur eine Weichenstellung, die noch näherer Konkretisierung durch einen Bebauungsplan bedarf, in Bezug auf solche Akte vornehmen, die dem Bürger gegenüber rechtliche Verbindlichkeit entfalten. Das wird nicht zuletzt am Beispiel von Raumordnungsplänen deutlich. Diese entfalten gegenüber dem Bürger in der Regel ebenfalls noch keine unmittelbare Verbindlichkeit, sondern sind genauso wie Flächennutzungspläne auf eine Konkretisierung durch Bebauungspläne angewiesen. Dennoch wird nach § 7 Abs. 2 S. 1 ROG vom Bestehen subjektiver Rechte Privater ausgegangen70, wenn bei der Aufstellung 68 Zu dieser näher Pietzcker, in: Festschrift für Isensee, 2007, S. 577 ff.; s. auch Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 497. 69 s. zuletzt Hoppe, in: Hoppe/Bönker/Grotefels, Öffentliches Baurecht, 4. Aufl. 2010, S. 166 ff. 70 s. dazu Runkel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 93. Ergänzungslieferung 2009, § 1 Rdnr. 95.
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eines Raumordnungsplans die Belange Privater auf der jeweiligen Planungsebene erkennbar und von Bedeutung sind. Im Übrigen begründen Flächennutzungspläne selbst für die Nachbargemeinden keine unmittelbare Verbindlichkeit, sondern sind nach § 2 Abs. 2 BauGB nur bei deren eigener Bauleitplanung zu berücksichtigen. Dennoch wird hier allgemein davon ausgegangen, dass ein Flächennutzungsplan eine Nachbargemeinde sehr wohl in ihren Rechten verletzt, wenn er nicht in der nach § 2 Abs. 2 BauGB gebotenen Weise mit ihr abgestimmt wurde. Eine mit der Beeinträchtigung einer Nachbargemeinde vergleichbare mittelbare Relevanz für einen Privaten entfaltet auch ein Flächennutzungsplan gem. § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BauGB, dem zwar keine normative Verbindlichkeit zukommt, der aber einen gewichtigen, bei der Entscheidung über eine Baugenehmigung im Außenbereich zu beachtenden öffentlichen Belang beinhaltet und der überdies gem. § 8 Abs. 2 S. 1 BauGB die Grundlage für aus ihm zu entwickelnde Bebauungspläne darstellt. Auch die Entscheidung des BVerwG vom 07. 03. 200771, auf die sich Löhr72 zur Begründung seiner Ansicht, § 1 Abs. 7 BauGB begründe keine subjektiven Rechte, beruft, gibt für diese Auffassung nichts her. Sie indiziert vielmehr das Gegenteil, wenn es dort heißt: „Das Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG) gehört auch auf der Ebene der Flächennutzungsplanung in hervorgehobener Weise zu den abwägungserheblichen Belangen“73. Dass der Flächennutzungsplan noch nicht den Konkretisierungsgrad eines Bebauungsplans aufweist und wegen seiner größeren Abstraktheit private Belange nicht in derselben Weise betrifft, steht – wie sich auch am Beispiel der Raumordnungspläne zeigt, die einen wesentlich höheren Abstraktionsgrund als Flächennutzungsplan aufweisen – der Subjektivierung des Abwägungsgebots in jenen Fällen, bei denen der Flächennutzungsplan bereits private Belange betrifft, nicht im Wege. Solche privaten Belange werden z. B. betroffen, wenn ein Flächennutzungsplan für ein Grundstück, das der Eigentümer als allgemeines oder reines Wohngebiet ausgewiesen haben möchte, nur ein Gewerbegebiet ausweist. e) Der Anspruch auf Beseitigung eines subjektive Rechte verletzenden Flächennutzungsplans als Unterfall des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Beseitigungsanspruchs Weist ein Flächennutzungsplan demnach nicht nur in Bezug auf Gemeinden gem. § 2 Abs. 2 BauGB subjektivrechtliche Relevanz auf, sondern gleichermaßen auch gegenüber Privaten, deren private Belange durch den Flächennutzungsplan betroffen werden, so ist beide Male eine Klage Betroffener auf Beseitigung des Flächennut-
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BVerwG, ZfBR 2007, 473 f. Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 5 Rdnr. 46a. BVerwG, ZfBR 2007, 473 (474).
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zungsplans, soweit dieser sie in ihren Rechten verletzt, zu befürworten74. In beiden Fällen entsteht bei einem unter Verletzung des Abstimmungsgebots zustande gekommenen Flächennutzungsplan ein öffentlich-rechtlicher Beseitigungsanspruch, der mittels einer allgemeinen Leistungsklage geltend zu machen ist. Die Existenz eines solchen Beseitigungsanspruchs entspricht einem sonst allgemein anerkannten Grundsatz. Demzufolge entstehen immer dann, wenn durch einen Hoheitsakt der Verwaltung Rechte eines Privaten verletzt werden und sich daraus für diesen eine fortdauernde Beeinträchtigung ergibt, öffentlich-rechtliche Beseitigungsansprüche75. Diese öffentlich-rechtlichen Beseitigungsansprüche sind nach heute h. M. grundrechtlich fundiert. Ein wirksamer Rechtsschutz des Bürgers vor einem rechtswidrigen Verwaltungshandeln, das in seine grundrechtlich umfassend geschützte Rechtssphäre eingreift, ist demnach prinzipiell nur durch die Anerkennung sekundärer Rechte in Form von Beseitigungsansprüchen zu realisieren. Solche sekundären Rechte dienen einem wirksamen Schutz des verletzten primären Rechts und konstituieren damit die für jenes essentielle Rechtsmacht. Beseitigungsansprüche entstehen nicht nur bei der Verletzung von Rechten Privater durch Realakte, sondern auch bei der Rechtsverletzung durch einen Verwaltungsakt. So stellt die Anfechtungsklage gegen einen den Kläger in seinen Rechten verletzenden Verwaltungsakt eine prozessuale Gestaltungsklage dar, mit deren Hilfe ein dem Verletzten zustehender Anspruch auf Beseitigung (Rücknahme) eines Verwaltungsakts durchgesetzt wird76. Beseitigungsansprüche kommen auch bei anderem hoheitlichen Verwaltungshandeln in Betracht, durch das ein Privater in seinen Rechten verletzt wird. Sie müssen deshalb auch in Bezug auf einen Flächennutzungsplan, der einen Privaten in seinen Rechten verletzt, bejaht werden. Der Umstand, dass ein den Bürger in seinen Rechten verletzender Flächennutzungsplan grundsätzlich nichtig ist, steht dem nicht entgegen. Das zeigt bereits ein Seitenblick auf eine sich in Bezug auf Verwaltungsakte stellende entsprechende Problematik. Auch ein nichtiger Verwaltungsakt ist kein Nullum und kann deshalb – wie sich u. a. aus § 43 Abs. 2 S. 2 VwGO ergibt – zum Gegenstand einer Anfechtungsklage gemacht und durch das Verwaltungsgericht aufgehoben werden. Eine solche Beseitigung bzw. Aufhebung ist auch im hier untersuchten Zusammenhang durchaus sinnvoll, weil hierdurch der Rechtsschein, der von einem nichtigen Flächennutzungsplan ausgeht und diesem zu einer tatsächlichen Steuerungskraft verhilft, beseitigt wird. Auch gegenüber rechtswidrigen Normen bestehen deshalb – wie an anderer Stelle näher dargelegt77 – ungeachtet von deren Nichtigkeit sekundäre 74
s. hierzu Schenke, in: Dolzer/Graßhof/Kahl/Waldhoff, Bonner Kommentar zum Grundgesetz (Drittbearb.), Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 473 ff. 75 s. dazu Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 507 f.; ders., Der Folgebeseitigungsanspruch bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung, DVBl 1990, 328 (330 f.). 76 Dazu Schenke, in: Festschrift für Maurer, 2001, S. 723 (725 ff.) sowie eingehend Baumeister, Der Beseitigungsanspruch als Fehlerfolge des rechtswidrigen Verwaltungsakts, 2006, passim. 77 s. hierzu näher Schenke, Rechtsschutz bei normativem Unrecht, 1979, S. 147 ff. und ders., in: Dolzer/Graßhof/Kahl/Waldhoff, Bonner Kommentar zum Grundgesetz (Drittbearb.),
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Ansprüche, die auf eine Beseitigung der sich aus einer rechtswidrigen Norm für den Verletzten ergebenden Beeinträchtigungen gerichtet sind. Ist ein wirksamer Schutz des Verletzten nur durch eine generelle Beseitigung der Norm möglich, ist der Anspruch sogar auf eine generelle Beseitigung der Rechtsnorm gerichtet78. f) Die Durchsetzung des Beseitigungsanspruchs mittels einer allgemeinen Leistungsklage Mit der Anerkennung solcher Beseitigungsansprüche ist noch keine endgültige Aussage über die prozessuale Form getroffen, in welcher sie geltend zu machen sind. Eine oberverwaltungsgerichtliche Normenkontrolle gem. § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, die bei einem Bebauungsplan, der den Antragsteller in seinen Rechten verletzt, der Durchsetzung von Beseitigungsansprüchen dient, scheidet in Bezug auf Flächennutzungspläne grundsätzlich aus, da sie nur gegenüber Rechtsnormen in Betracht zu ziehen ist. Flächennutzungsplänen kommt hingegen – wie schon erwähnt – außerhalb des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB nicht jene strikte Verbindlichkeit zu, wie sie für Rechtsnormen charakteristisch ist. Zwar sind sie insoweit bedeutsam, als gem. § 8 Abs. 2 S. 1 BauGB Bebauungspläne aus dem Flächennutzungsplan zu entwickeln sind. Das impliziert aber keine strikte Bindungswirkung des Flächennutzungsplans für einen späteren Bebauungsplan79. Von einer Entwicklung des Bebauungsplans aus dem Flächennutzungsplan ist demgemäß selbst dann noch auszugehen, wenn die Festsetzungen von den räumlichen oder inhaltlichen Festsetzungen des Flächennutzungsplans abweichen, sofern sich diese Abweichungen „aus dem Übergang in eine konkrete Planungsstufe rechtfertigen und die Grundkonzeptionen des Flächennutzungsplans unberührt lassen“80. Aus der grundsätzlichen Unanwendbarkeit des § 47 VwGO auf Flächennutzungspläne folgt zugleich, dass sich – anders als bei Bebauungsplänen und bebauungsplangleichen Flächennutzungsplänen im Falle des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB – aus § 47 VwGO keine Einwände gegenüber einer allgemeinen Leistungsklage ergeben, die auf die (teilweise) Beseitigung eines Flächennutzungsplans gerichtet ist, der den Kläger in seinen Rechten verletzt. Da gegenüber Flächennutzungsplänen auch keine
Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 480 ff.; ebenso Baumeister, Das Rechtswidrigwerden von Rechtsnormen, 1996, S. 81 ff.; v. Engelhardt, Der Rechtsschutz gegen Rechtsnormen, 1971, S. 111; Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, 2. Aufl. 2006, Rdnr. 220; Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, 1973, S. 278; Rupp, DÖV 1974, 193 (195); Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 197 ff.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, 1988, S. 677 ff. 78 Dazu näher Schenke, Rechtsschutz bei normativem Unrecht, S. 159 ff. 79 Vgl. statt vieler Schrödter, in: Schrödter, Baugesetzbuch, Kommentar, 7. Aufl. 2006, § 8 Rdnr. 7. 80 BVerwGE 48, 70 (71).
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Nichtigkeitsklage gem. § 43 VwGO statthaft ist81, ergeben sich auch von hierher keine Gründe, die es rechtfertigen, von dem sonst allgemein anerkannten Grundsatz abzuweichen, dass die Durchsetzung eines öffentlich-rechtlichen Beseitigungsanspruchs mittels einer nach den §§ 40, 43 Abs. 2 S. 2 VwGO statthaften allgemeinen Leistungsklage82 zu bewerkstelligen ist. Ohnehin würde selbst dann, wenn man eine analoge Anwendung des § 43 VwGO auf Flächennutzungspläne befürwortete, hierdurch wegen § 43 Abs. 2 S. 2 VwGO eine allgemeine Leistungsklage nicht ausgeschlossen. Freilich ist dabei zu beachten, dass die allgemeine Leistungsklage nur auf die Beseitigung solcher Festsetzungen eines Flächennutzungsplans gerichtet ist, die den Kläger in seinen Rechten verletzen. Bei einem unter Nichtberücksichtigung abwägungsrelevanter Belange eines Privaten erlassenen Bebauungsplan wird dies in der Regel nur einen relativ kleinen Ausschnitt aus dem gemeindlichen Flächennutzungsplan betreffen. Den Interessen anderer Personen, die durch eine partielle gemeindliche Aufhebung des Flächennutzungsplans in ihrer subjektiven Rechtsstellung tangiert werden, ist durch ihre Beiladung zum Klageverfahren Rechnung zu tragen (§ 65 Abs. 2 VwGO). § 65 Abs. 3 VwGO bietet eine normative Handhabe, die es ermöglicht, auch solchen Fällen gerecht zu werden und sie praktisch zu bewältigen, in denen eine große Zahl von Personen durch die angegriffene Regelung betroffen ist. Trotz einer auf dem Flächennutzungsplan beruhenden subjektiven Rechtsverletzung kann eine Leistungsklage aber nur dann Erfolg haben, wenn diese Verletzung unter Beachtung der §§ 214 f. BauGB für die Gültigkeit des Flächennutzungsplans beachtlich ist. Zwar ändern die §§ 214 f. BauGB in den Fällen, in denen die Rechtswidrigkeit eines Flächennutzungsplans nicht sanktioniert wird, nichts an einer durch den Flächennutzungsplan begründeten Verletzung subjektiver Rechte Privater, deren Belange nicht oder nicht in der durch § 1 Abs. 7 BauGB geboten Weise bei der planerischen Abwägung berücksichtigt wurden. Wohl aber werden durch die entsprechenden Regelungen Beseitigungsansprüche ausgeschlossen, wobei hier freilich – ebenso wie bei Bebauungsplänen – die in diesem Zusammenhang nicht näher zu erörternde Frage aufgeworfen wird, ob solche Ausschlüsse von Beseitigungsansprüchen, die mit dem vor allem von Werner Hoppe entwickelten Grundsatz der Planerhaltung gerechtfertigt werden, in dem vom Gesetzgeber vorgesehenen Maße verfassungsrechtlich hinnehmbar sind. Erheblich entschärft wird diese Problematik ohnehin durch eine im Wege der verfassungskonformen Auslegung des § 214 Abs. 3 BauGB befürwortete restriktive Interpretation dieser Bestimmung durch das
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In Betracht käme hier ohnehin nur eine analoge Anwendung, die aber daran scheitern dürfte, dass im Hinblick auf die hier bestehende Möglichkeit eines Rechtsschutzes durch eine allgemeine Leistungsklage keine Rechtsschutzlücke besteht, die eine analoge Anwendung des § 43 VwGO rechtfertigen könnte. 82 Zur Statthaftigkeit einer allgemeinen Leistungsklage näher Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 345.
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BVerwG und die ihm folgende h. M.83. Werden Beseitigungsansprüche durch den Gesetzgeber danach ausgeschlossen, kann eine allgemeine Leistungsklage keinen Erfolg haben. Sie ist zumindest unbegründet. Nicht ausgeschlossen wird hierdurch allerdings eine Feststellungsklage Betroffener, mit der diese geltend machen, dass die Gemeinde nicht berechtigt war, den Flächennutzungsplan (in der von ihr vorgenommen Weise) zu erlassen84. Sind die einem Flächennutzungsplan anhaftenden Abwägungsfehler beachtlich, so ist die allgemeine Leistungsklage begründet. Die Gemeinde wird dann zur Beseitigung der Teile des Flächennutzungsplans verpflichtet, durch die der Kläger in seinen Rechten verletzt wird. Für die Aufhebung des Flächennutzungsplans bedarf es keiner Beteiligung anderer Personen gem. § 3 ff. BauGB. Deren Beteiligung machte nur dann Sinn, wenn sie auf das Ergebnis des auf die Aufhebung des Flächennutzungsplans gerichteten gemeindlichen Verfahrens noch Einfluss ausüben könnte. Das trifft aber dann nicht zu, wenn die Gemeinde aufgrund der gerichtlichen Entscheidung zum Schutz des Verletzten und aus Gründen der Rechtssicherheit zu einer (deklaratorischen) Aufhebung des nichtigen Flächennutzungsplans verpflichtet wird. Der Anwendungsbereich der §§ 3 ff. BauGB ist insoweit teleologisch zu reduzieren85. Eine Verkürzung der Rechte Dritter ist mit dieser teleologischen Reduktion nicht verbunden, da die durch die Aufhebung des Flächennutzungsplans Betroffenen an der auf die gemeindliche Aufhebung gerichteten Klage zu beteiligen sind. Insoweit vermögen sie ihre durch die deklaratorische Aufhebung des nichtigen Flächennutzungsplans betroffenen Rechte wahrzunehmen. Auch wird ihr Recht auf eine Beteiligung an neuen Festsetzungen in einem Flächennutzungsplan durch dessen Aufhebung in keiner Weise in Frage gestellt. Ihre Nichtbeteiligung an der Aufhebung des nichtigen Flächennutzungsplans ist damit genauso wenig zu beanstanden wie die gerichtliche Feststellung der Nichtigkeit eines Bebauungsplans, die ebenfalls nicht an die vorherige Durchführung eines sonst für die Aufhebung eines Bebauungsplans notwendigen Beteiligungsverfahrens gem. §§ 3 ff. BauGB gebunden ist. g) Die Untauglichkeit anderer Versuche zur Gewährung eines Rechtsschutzes gegen Flächennutzungspläne Erkennt man, dass über die allgemeine, auf Beseitigung des rechtswidrigen Flächennutzungsplans gerichtete Leistungsklage Rechtsschutz möglich ist, so erledigen 83 BVerwG, NJW 1983, 591; s. auch BVerwG, NVwZ 1992, 662; NVwZ 1992, 663; 1995, 692; s. hierzu Kopp/Schenke, VwGO, § 47 Rdnr. 130 ff. 84 Zur Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens subjektiver Rechte des Staates s. Kopp/ Schenke, VwGO, § 43 Rdnr. 11; vgl. auch Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 388. 85 Aus diesem Grund wurden die Einwände, die von einzelnen Symposiumsteilnehmern unter dem Aspekt der §§ 3 ff. BauGB gegen die hier vorgetragene Lösung geltend gemacht wurden (s. Stüer/Stüer, Planungsrecht in der gerichtlichen Kontrolle – Kolloquium zum Gedenken an Werner Hoppe, DVBl 2011, 217 [219]) von mir schon im Rahmen der sich an meinen Vortrag anschließenden Diskussion zurückgewiesen.
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sich zugleich auch die z. T. noch in neuester Zeit unternommenen Versuche, den Rechtsschutz gegen Flächennutzungspläne auf andere Weise zu realisieren. Sie gehen u. a. dahin, den Rechtsschutz einer Nachbargemeinde mittels einer Feststellungsklage sicherzustellen, mit der diese eine Verletzung des § 2 Abs. 2 BauGB i. V. mit § 4 BauGB rügt86. Erwogen wird ferner ein vorbeugender Rechtsschutz gegen einen in Aufstellung befindlichen, mit der Nachbargemeinde nicht abgestimmten Flächennutzungsplan, wenn und insoweit dessen Inkrafttreten Präjudizien zu Lasten der Nachbargemeinde begründet87. Schließlich wird auch darauf verwiesen, dass u. U. im Rahmen einer auf die Erteilung einer Baugenehmigung gerichteten Verpflichtungsklage die Unwirksamkeit des Flächennutzungsplans wegen eines ihm anhaftenden Abwägungsfehlers geltend gemacht werden könne88. Gemeinsam ist diesen Versuchen, dass sie im Hinblick auf die Nichtigkeit eines rechtswidrigen Flächennutzungsplans offenbar von der Unzulässigkeit einer allgemeinen Leistungsklage ausgehen, da etwas Nichtiges nicht beseitigt werden könne. Die materiellrechtliche Nichtigkeit einer Regelung erweist sich damit paradoxerweise als Hemmschuh für die Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes. Das steht in der Tradition einer in der Vergangenheit allgemein vertretenen Ansicht, welche sich genötigt sah, die verschiedensten Klagen zu konstruieren89, um trotz der Nichtigkeit eines Flächennutzungsplans Rechtsschutz gewähren zu können. All diese Lösungsansätze vermögen sich damit nicht von einer dem Recht unangemessenen naturalistischen Betrachtungsweise der Nichtigkeit von Hoheitsakten zu befreien. Dabei ist dem Zivilrecht schon seit hundert Jahren90 geläufig, dass nichtige Rechtsakte im Hinblick auf den von ihnen ausgehenden Rechtsschein und die hiermit verbundenen faktischen Wirkungen sehr wohl einer Aufhebung zugänglich sind. Im Verwaltungsprozessrecht hat dieser Rechtsgedanke sogar in § 43 Abs. 2 VwGO eine ausdrückliche gesetzgeberische Anerkennung gefunden91. Davon ganz abgesehen, vermögen die anderweitig unternommenen Versuche zur Lösung der Rechtsschutzproblematik aber auch aus anderen Gründen nicht zu überzeugen. Eine Feststellungsklage, mit welcher der Kläger die Verletzung eines Rechts durch einen Hoheitsakt (der kein Verwaltungsakt ist) geltend machen kann, ist dem Verwaltungsprozessrecht nicht bekannt. Sie liefe damit auf eine atypische Feststellungsklage hinaus. Eine solche kommt aber nach sonst allgemein anerkannten Grundsätzen allenfalls dann in Betracht, wenn mit den in der VwGO anerkannten Klagearten kein Rechtsschutz möglich ist92. Zudem sind verwaltungsprozessuale Feststel86
Bönker, in: Hoppe/Bönker/Grotefels, Öffentliches Baurecht, 4. Aufl. 2010, § 17 Rdnr. 6. Bönker, in: Hoppe/Bönker/Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 17 Rdnr. 6. 88 Bönker, in: Hoppe/Bönker/Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 17 Rdnr. 7. 89 Vgl. zu den hier vertretenen Lösungen Schenke, NVwZ 2007, 137 ff. m.w.N. 90 Kipp, Doppelwirkungen im Recht, in: Festschrift für Martitz, 1911, S. 211 ff. 91 s. zur gerichtlichen Aufhebung eines nichtigen Verwaltungsakts aufgrund einer Anfechtungsklage Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 183. 92 Vgl. hierzu auch Kopp/Schenke, VwGO, § 43 Rdnr. 8 g ff. 87
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lungsklagen ohnehin gegenüber den einen weiterreichenden Rechtsschutz gewährenden allgemeinen Leistungsklagen subsidiär (s. § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO). Überdies würde eine Feststellungsklage, mit welcher die Verletzung eines durch § 2 Abs. 2 BauGB und § 1 Abs. 7 BauGB begründeten Rechts geltend gemacht wird, den Kläger nicht davor schützen, dass nach wie vor von der Rechtswirksamkeit des Flächennutzungsplans ausgegangen wird. Wie schon oben erwähnt, impliziert nämlich die Feststellung einer solchen Rechtsverletzung keineswegs notwendigerweise die Nichtigkeit des Flächennutzungsplans (s. § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 2 BauGB)93. Dagegen schafft eine allgemeine Leistungsklage diesbezüglich Klarheit, da sie nur dann begründet ist, wenn die fehlende oder ungenügende Berücksichtigung nachbargemeindlicher oder privater Belange bei Erstellung des Flächennutzungsplans nicht wegen § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 2 BauGB ohne Einfluss auf dessen Wirksamkeit ist. Ebensowenig überzeugend ist schließlich die Verweisung auf die Möglichkeit eines vorbeugenden Rechtsschutzes gegen einen Flächennutzungsplan. Sie geht daran vorbei, dass der Rechtsschutz gegen Verwaltungshandeln nach dem Klagesystem der VwGO grundsätzlich repressiver Art ist. Das wird nicht zuletzt durch das Prinzip der Gewaltenteilung nahegelegt, denn ein solcher vorbeugender Rechtsschutz durch eine Unterlassungsklage greift in der Regel ohne Not in eine noch nicht abgeschlossene Willensbildung der Verwaltung ein. Eine derartige Vorverlegung des Rechtsschutzes gerät nicht zuletzt auch in ein Spannungsverhältnis zum § 44a VwGO, der einen verallgemeinerungsfähigen Rechtsgedanken dahingehend enthält, dass ein auf Verfahrensfehler gegründeter Rechtsschutz aus Gründen der Verfahrensökonomie grundsätzlich erst durch ein Vorgehen gegen eine das Verfahren abschließende Entscheidung der Verwaltung möglich sein soll. Bejahte man dennoch einen auf einen Abwägungsfehler gestützten, gegen den Erlass eines Flächennutzungsplans gerichteten vorbeugenden Rechtsschutz, so wäre es überdies auch nur folgerichtig, diesen nach Ergehen eines Flächennutzungsplans in eine auf dessen Beseitigung gerichtete allgemeine Leistungsklage einmünden zu lassen. Es wäre jedenfalls seltsam und stünde in Widerspruch zu sonst allgemein anerkannten Grundsätzen, wenn zwar gegenüber einer drohenden Rechtsverletzung, nicht mehr jedoch gegenüber einer bereits eingetretenen Rechtsverletzung ein Rechtsschutz bestünde. Auch die Verweisung auf die Möglichkeit eines inzidenten Rechtsschutzes vermag die Rechtsschutzdefizite nicht auszugleichen, die sich ohne die Anerkennung einer auf Beseitigung gerichteten Leistungsklage ergäben. Ein inzidenter Rechtsschutz in Verbindung mit einem Baugenehmigungsverfahren kommt ohnehin nur dann in Betracht, wenn bei dem Kläger bereits konkrete Bauabsichten bestehen und er deshalb einen Antrag auf eine Baugenehmigung stellt. Selbst hier scheidet 93 Dazu, dass die Frage einer Rechtsverletzung durch einen Hoheitsakt nicht mit den Rechtsfolgen einer solchen Rechtsverletzung gleichgesetzt werden darf, s. in ähnlichem Zusammenhang Schenke, in: Gedenkschrift für Kopp, 2007, S. 114 ff.
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ein solcher inzidenter Rechtsschutz aber dann aus, wenn das Bauvorhaben nicht im Außenbereich, sondern im Geltungsbereich eines Bebauungsplans oder im unbeplanten Innenbereich verwirklicht werden soll. In Fällen dieser Art kommt es nämlich für die Erteilung einer Baugenehmigung nicht auf die Rechtmäßigkeit bzw. Wirksamkeit eines Flächennutzungsplans an. Insoweit vermag die Verweisung auf einen inzidenten Rechtsschutz gegen einen Flächennutzungsplan weit weniger zu befriedigen als in Bezug auf einen abwägungsfehlerhaft zustande gekommenen Bebauungsplan. Während bei letzterem im Rahmen einer auf die Erteilung einer Baugenehmigung gerichteten Klage die Gültigkeit des das Bauvorhaben zulassenden Bebauungsplans zu überprüfen und damit die Nichtigkeit eines abwägungsfehlerhaft zustande gekommenen Bebauungsplans inzidenter festzustellen ist, scheidet diese Möglichkeit bei Flächennutzungsplänen grundsätzlich aus. Bei ihnen besteht auch – anders als bei Bebauungsplänen – nicht die Möglichkeit, die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines noch nicht näher konkretisierten Bauvorhabens im Rahmen einer Bebauungsgenehmigung94 feststellen zu lassen. Selbst bei Bauvorhaben im Außenbereich, bei denen der Flächennutzungsplan gem. § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BauGB mittelbare Bedeutung für die planungsrechtliche Beurteilung eines Bauvorhabens besitzt, wird die Möglichkeit zur inzidenten Überprüfung im Rahmen einer auf Erteilung einer Bebauungsgenehmigung gerichteten Klage häufig dadurch eingeschränkt sein, dass eine solche Klage eine nähere Konkretisierung des Bauvorhabens verlangt, da ohne eine solche Konkretisierung eine über die Zulässigkeit des Bauvorhabens entscheidende „nachvollziehende Abwägung“ – anders als bei den bindenden normativen Festsetzungen eines Bebauungsplans – nicht möglich erscheint. Zudem wäre auch ein bei Außenbereichsvorhaben in Betracht zu ziehender inzidenter Rechtsschutz gegen einen Flächennutzungsplan – anders als der durch eine allgemeine Leistungsklage ermöglichte prinzipale Rechtsschutz – immer nur punktueller Art und damit weniger effektiv. Als Fazit ist damit festzuhalten: Im Gegensatz zu einem abwägungsfehlerhaften Bebauungsplan, bei dem dem Verletzten sowohl prinzipaler Rechtsschutz durch eine Normenkontrolle gem. § 47 VwGO wie auch inzidente Rechtsschutzmöglichkeiten eröffnet sind, fehlte es bei einer Rechtsverletzung durch einen Flächennutzungsplan ohne die Zulässigkeit der hier befürworteten, der Durchsetzung eines Beseitigungsanspruchs dienenden allgemeinen Leistungsklage für den Verletzten i. d. R. an jeder Rechtsschutzmöglichkeit. Die Subjektivierung des § 1 Abs. 7 BauGB in Bezug auf private Belange bliebe damit bei Flächennutzungsplänen sowohl materiellrechtlich wie auch prozessual folgenlos. Das stünde mit der verfassungsgesetzlichen Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht im Einklang. Darüber hinaus bedeutete es nichts anderes, als dass damit die Existenz subjektiver, auf § 1 Abs. 7 BauGB gestützter Rechte des Bürgers überhaupt infrage gestellt würde. Subjektive Rechte, deren Verletzung nicht zu gerichtlich durchsetzbaren Beseitigungsansprüche führt und 94 Zu der Bebauungsgenehmigung als einem die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit einer Bebauung feststellenden Bauvorbescheid s. Grotefels, in: Hoppe/Bönker/Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 16 Rdnr. 65 ff.
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deren Schutz auch nicht anderweitig sichergestellt ist, sind jedenfalls in Wahrheit keine echten subjektiven Rechte.
IV. Resümee Die vorstehenden Überlegungen dürften gezeigt haben, dass sich aus der Subjektivierung des Abwägungsgebots, dem das besondere Interesse Werner Hoppes galt, weitreichende Auswirkungen für den gerichtlichen Rechtsschutz gegen Raumordnungspläne wie auch gegen Flächennutzungspläne ergeben. Erst bei der Gewährung dieses Rechtsschutzes kann das Abwägungsgebot, in dessen Anerkennung ein bedeutsamer rechtsstaatlicher Fortschritt liegt, die in ihm angelegte Subjektivierung entfalten.
Die planerische Abwägung und ihre Kontrolle – aus rechtsstaatlicher Sicht* Von Wilfried Erbguth
I. Einleitung Ein zentrales Anliegen der rechtswissenschaftlichen Beschäftigung im Werk von Werner Hoppe war die rechtsystematische wie -dogmatische Erfassung und Durchdringung der planerischen Abwägung. Dem widmet sich die nachfolgende Betrachtung – aus rechtstaatlichem Blickwinkel. Nicht auf den ersten Blick, wohl aber bei näherer Betrachtung des vorgegebenen Themas stellen sich durchaus Ungewissheiten ein, deren Klärung nicht ohne weiteres auf der Hand liegt bzw. noch keineswegs abschließend geleistet worden ist. So fragt sich, welche Qualität dem „Wesensmerkmal“ Abwägung für die (rechtsstaatliche) Planung innewohnt: Abwägung als Spezifikum „planulistischen“ Agierens, also als Besonderheit des Planungsauftrags, genauer seiner Wahrnehmung – oder Abwägung als rechtliche Grenzziehung jenes planerischen Handelns? In diesem Zusammenhang dürfte auch unter kundigen Thebanern durchaus unterschiedlich beurteilt werden, ob zumindest in letzterem Sinne anstelle von bloßer „Abwägung“ nicht von Abwägungsgebot oder Abwägungsfehlerlehre die Rede sein müsste, wobei das „Gebot“ sich ggfls. nur an die handelnde, eben planende Verwaltung richtete, während die „Fehlerlehre“ möglicherweise allein als gerichtlicher Kontrollmaßstab fungierte. Darüber hinaus hat das EAG Bau 2004 hinsichtlich der Abwägung, dies ggf. in einer Vorreiterrolle, die Frage ihres Verhältnisses zum Verfahren aufgeworfen, die gerade wegen des gesetzgeberischen Zugriffs und trotz manchÏ saloppen Umgangs aus Praxissicht1 weiterhin der insbesondere rechtsdogmatischen Behandlung harrt,2 nicht zuletzt mit Blick auf die Radizierung der Abwägung bzw. Planung im Rechtsstaatsprinzip.
* Leicht überarbeitete Fassung eines Vortrags am 23. 03. 2010 an der Technische Universität Kaiserslautern, vgl. Spannowsky/Hofmeister (Hrsg.), Die Abwägung – das Herzstück der städtebaulichen Planung, 2010, S. 1; Werner Hoppe gewidmet, vgl. UPR 2010, 281. 1 Uechtritz, ZfBR 2005, 11 (16) m. Fn. 52; anders Erbguth, JZ 2006, 484 (492) m. Fn. 167; wie Uechtritz zunächst BVerwG, Urt. v. 22. 03. 2007, 4 CN 2/06, BVerwGE 128, 238 (245); nunmehr BVerwG, Urt. v. 09. 04. 2008, 4 CN 1/07, BVerwGE 131, 131 – juris; dazu noch nach Fn. 65. 2 Dazu Erbguth, JZ 2006, 484 (490 ff.).
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In Anbetracht dessen erscheint es sehr wohl sinnvoll, ja dringlich, sich dem allgemeinen rechtsstaatlichen Hintergrund der Planung zuzuwenden (dazu nachfolgend II.), um auf dieser Grundlage das Verhältnis von Planung, (planerischem) Gestaltungsspielraum und Abwägung rechtssystematisch näher zu bestimmen und daraus Folgerungen für alte und neue Problemlagen abzuleiten (dazu unter III.).
II. Allgemeiner rechtsstaatlicher Hintergrund der Planung Dass Planung im Staat des Grundgesetzes sich nicht frei, sondern in verfassungsrechtlicher Verantwortung vollzieht, versteht sich von selbst – und betrifft damit auch und gerade die Bauleitplanung, anhand derer, gleichsam als „Mutter aller Planungen“, die Topoi von Planung, planerischem Gestaltungsspielraum und Abwägung entwickelt worden sind3. Als zentrale verfassungsrechtliche Anbindung erweist sich insoweit nach ganz überwiegender Auffassung das Rechtsstaatsprinzip.4 Demgegenüber haben sich rechtswissenschaftliche Strategien, den Geltungsbereich dieses objektiv-rechtlichen Grundsatzes zugunsten grundrechtlicher (Ver-)Subjektivierungen resp. Institutionalisierungen, gerade mit Blick auf das vorliegend maßgebliche Unterprinzip der Verhältnismäßigkeit5, zu kupieren, schon allgemein nicht durchgesetzt6; im hier interessierenden Zusammenhang griffe eine derartige Grundrechtsfixiertheit ohnehin zu kurz, geht es doch bei der im Vordergrund stehenden räumlichen Planung zugleich um die Bewältigung nicht nur einer Vielzahl, sondern auch regelmäßig konfligierender öffentlicher Belange. 3
Näher Durner, Konflikte räumlicher Planung, 2005, S. 269 ff.; Hofmann, Abwägung im Recht, 2007, S. 107 ff.; Hoppe, Planung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, Aufgaben des Staates, 3. Aufl. 2006, § 77; Kloepfer, Planung und prospektive Rechtswissenschaft, in: Erbguth/Oebbecke/Rengeling/Schulte (Hrsg.), Planung, Festschrift für Werner Hoppe, 2000, S. 111. 4 Durner (Fn. 3), S. 315 anhand des rechtsstaatlichen Abwägungsgebots; Hofmann (Fn. 3), S. 269; Hoppe, in: Hoppe/Bönker/Grotefels, Öffentliches Baurecht, 4. Aufl. 2010, § 7 Rdnr. 1; ders. (Fn. 3), § 77 Rdnr. 4, 71 ff.; Erbguth, Öffentliches Baurecht, 5. Aufl. 2009, § 5 Rdnr. 127, 136; Bartlsperger, Das Abwägungsgebot in der Verwaltung als objektives und individualrechtliches Erfordernis konkreter Verhältnismäßigkeit, in: Erbguth/Oebbecke/Rengeling/ Schulte (Hrsg.), Abwägung im Recht, Symposium zur Verabschiedung von Werner Hoppe am 30. Juni 1995 in Münster aus Anlass seiner Emeritierung, 1996, S. 79 (98), allerdings beschränkt auf eindimensionale rechtsstaatliche Abwägung. 5 Allgemein dazu Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981; Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1985. 6 Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 117 ff. (229 ff.); zu der davon zu unterscheidenden verfassungsrechtlichen Abwägungslehre bei kollidierenden Prinzipien im Gegensatz zur verbindlichen Kraft von (Rechts-)Regeln in Auseinandersetzung mit der „Kieler Schule“ um Robert Alexy vgl. Jestaedt, Die Abwägungslehre – ihre Stärken und ihre Schwächen, in: Depenheuer/Heintzen/Jestaedt/Axer (Hrsg.), Staat im Wort, Festschrift für Josef Isensee, 2007, S. 253; kritisch im hier verfolgten Sinne Hoppe (Fn. 3), § 77 Rdnr. 80.
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Für die planende Verwaltung gilt folglich wie für jeglichen Exekutivbereich die Bindung an Recht und Gesetz nach Art. 20 Abs. 3 GG. Wenn der dort vorgehaltenen „Rechts“-Bindung als Bindung an die materielle Idee der Gerechtigkeit aufgrund der gesetzlichen Regelungsdichte wenig oder gar keine Bedeutung beigemessen wird7, so kann dies jedenfalls in Aufgabenfeldern der Verwaltung mit geringer gesetzlicher Dezision, wie es für die Planung paradigmatisch der Fall ist8, nicht gelten. In Relation zur Rückläufigkeit ausdrücklicher normativer (Vor-)Programmierung der vollziehenden Gewalt muss vielmehr die auch im „normalen“ Verwaltungsalltag nach überwiegender Meinung neben der Gesetzesbindung bestehende Verpflichtung auf gerechtes Handeln9 an Bedeutung zunehmen. Hieraus kann wiederum entnommen werden, dass Planung rechtsstaatlicher Prägung nicht zuletzt wegen ihrer schwachen Rückbindung durch gesetzgeberische Normierungen betont dem „Recht“ und damit der Gerechtigkeit zu dienen bestimmt ist. Das erstreckt sich unschwer auf die planerische Entscheidungsfindung als materiell-rechtlichen Vorgang, weil die Gerechtigkeitsidee ihrerseits per definitionem inhaltliche Ausrichtung aufweist. Nicht ganz so eindeutig ist indes, ob sich die(se) rechtsstaatliche Orientierung auf das „Recht“ auch dem Verfahren der Planaufstellung mitteilt, ob also das Gerechtigkeitspostulat über seine materielle Ingerenz hinaus die prozedurale Seite der Planung erfasst. Dem widerstreitet auf den ersten Blick die Dominanz ausdrücklicher und dezidierter Regelungen zum Verfahrensablauf, wie es das BauGB erneut paradigmatisch mit seinen §§ 2 ff. illustriert, so dass im Sinne der vorgenannten Bindung der Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 Alt. 2 GG das Pendel in Richtung „Gesetz“, also der administrativen Gesetzesbindung auszuschlagen scheint. Dabei bleibt nach obigen allgemeinen Grundsätzen das Gerechtigkeitspostulat für das exekutive Handeln immerhin ergänzend beachtlich. Schon insoweit, gleichsam lückenfüllend10, erfasst mithin das „Recht“ auch die prozedurale Seite der Planung – und wirkt damit gegenüber der Verwaltung. Bedeutsamer ist angesichts der Normierungsfülle, die beispielhaft ein Blick in §§ 214 f. BauGB mit ihrer Entwertung des Verfahrensrechts durch die Fallstricke der Planerhaltung deutlich(st) belegt, die Rechts- und (damit) Gerechtigkeitsbindung des Verfahrensgesetzgebers. Diese folgt in der Sache, was näher zu behandeln sein 7 Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber, GG, 2009, Art. 20 Rdnr. 156, 156.1; kritisch auch Schlink, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. II: Klärung und Fortbildung des Verfassungsrechts, 2001, S. 445 (455 ff.); Jestaedt (Fn. 6); anders bereits aus historischer Sicht Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., 2009, § 2 Rdnr. 7 a.E.; die der h.M. zugrunde liegende Annahme einer Dichotomie zwischen „Gesetz“ und „Recht“ ist ohnehin verfehlt, vgl. instruktiv http:// de.wikipedia.org/wiki/Gerechtigkeit, unter 6. Zu den Kriterien der Gerechtigkeit Kluth, in: ders. (Hrsg.), Facetten der Gerechtigkeit, 2010, S. 122. 8 Vgl. grundlegend Wahl, VVDStRL 41 (1983), S. 151 (170). 9 Sachs, in: ders., GG, 5. Aufl. 2009, Art. 20 Rdnr. 104 10 Zum grundsätzlichen Gleichklang von Gesetzesbindung und Gerechtigkeit Sachs (Fn. 9), Art. 20 Rdnr. 103 ff.
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wird, daraus, dass das Verfahren wegen seiner vorbereitenden Bedeutung für die (Planungs-)Entscheidung hiervon und damit von deren Gerechtigkeitsbindung nicht strikt gesondert werden kann. Aber auch verfassungsrechtlich gilt nach der Rechtsprechung11 ganz allgemein, dass der Gesetzgeber wegen Art. 20 Abs. 3 Alt. 1 GG auf gerechtes (legislatives) Handeln verpflichtet ist12. Als Zwischenergebnis einer ersten Annäherung an den rechtsstaatlichen Hintergrund der Planung kann demzufolge festgehalten werden: Für die Entscheidungsfindung in der Planung kommt der Gerechtigkeit als rechtstaatlicher Leitlinie vorrangige Bedeutung zu. Hinsichtlich des Planungsverfahrens und damit gegenüber der Verwaltung gilt dies ergänzend, nämlich soweit das gesetzte Recht dafür Raum lässt; ansonsten wirkt die verfassungsrechtliche Anforderung gerechten Handelns gegenüber der legislativen Regulierung des Verfahrens.
III. Planungsfreiraum und -grenzen: planerischer Gestaltungsspielraum und Abwägungsgebot Steht Planung demzufolge nicht nur materiell, sondern nach obigen Maßgaben auch prozedural unter dem rechtsstaatlichen Gerechtigkeitsgebot, bedarf es näherer Bestimmung, unter welchen Voraussetzungen dergestalt verfassungsrechtlich rückgebundenes Planungshandeln, also Planung, anzunehmen ist bzw. wie sich dies zur Statuierung von planerischem Gestaltungsspielraum verhält (dazu unter 1.), ferner, in welchem Verhältnis hierzu wiederum die Abwägung, genauer: das Gebot ordnungsgemäßer Abwägung steht – und welche Folgerungen daraus abzuleiten sind (dazu unter 2.). 1. Planung und planerischer Gestaltungsspielraum Ersteres, d. h. die begriffliche Bestimmung von Planung, kann kaum auf Hilfestellung des Gesetzgebers bauen, schon deswegen nicht, weil es an legislativen Beschreibungen zur Planung fehlt. Allenfalls finden sich Anordnungen gerechter Abwägung, wie in § 1 Abs. 7 BauGB, die indes nicht die begriffliche Frage klären, sondern die Rechtmäßigkeit von Planungen betreffen; auch Rückfolgerungen auf den planerischen Auftrag lassen sich hieraus nicht, zumindest nicht allein ableiten, ist doch eine ordnungsgemäße Abwägung Auftrag jeglichen rechtsstaatlichen Handelns, weit über planerische Agenden hinaus.13 Wo Instrumente des Verwaltungshandelns 11
BVerfG, Beschl. v. 25. 10. 1966, 2 BvR 506/63, BVerwGE 20. 323 (331) – std. Rspr. Sachs (Fn. 9), Art. 20 Rdnr. 78, 101; auch Kunig (Fn. 6), S. 303: Gleichheit/Ausschluss von Willkür, der dies dann aber – kaum überzeugend – spezieller in den Grundrechten verankert sieht, a.a.O., S. 339. 13 Vgl. dazu Erbguth, DVBl 1992, 398 (401). 12
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als „Plan“ oder „Planung“ bezeichnet werden,14 erweist das zwar den gesetzgeberischen Willen, eine entsprechende Zuweisung zu schaffen; ob das Ziel indes treffsicher erreicht wird, erscheint keineswegs durchweg gesichert, wie der Streit um die diesbzgl. Einordnung der „Plan“feststellung erweist.15 Ebenso wenig führt der Hinweis auf das geflügelte Wort des BVerwG von der denknotwendigen Implikation eines Gestaltungsspielraums bei Vorliegen einer Planungsaufgabe16 weiter, schon deshalb nicht, weil dabei die Annahme von Planung vorausgesetzt, hingegen gerade nicht begründet wird. Unzureichend dürfte ferner der Hinweis auf die Komplexität bzw. Multipolarität der Entscheidungsfindung17 zur Begründung von planerischem Handeln sein,18 (eben) weil die Berücksichtigung einer Vielfalt von Belangen, auch deren Verflochtenheit, kein Reservat der Planung bildet; deshalb stellt auch die Kompensation von Belangen als Element der Entscheidungsfindung allein kein planerisches Spezifikum dar19. Momente der Komplexität und der Kompensation können aber zur Annahme von Planung beitragen, freilich nur dann, wenn das fragliche Handeln über die abstrakten Definitionen von Planung20 hinaus funktional planerisch im Sinne der Entwicklung eines eigenen Konzepts ausgerichtet ist, das zwar rechtlichen Bindungen unterliegt, sich aber nicht lediglich darauf beschränkt, den Gesetzesbefehl konkretisierend zu Ende zu schreiben.21 Daraus erschließt sich zugleich das Verhältnis der Planung zum planerischen Gestaltungsspielraum, was in dieser Perspektive besagte Annahme des BVerwG von einer zwingenden Wechselbezüglichkeit22 belegt: Indem Planung solcherart konzep-
14 Dazu anhand des Umwelt(planungs)bereichs näher Erbguth/Schlacke, Umweltrecht, 3. Aufl. 2010, § 5 Rdnr. 16 f. 15 Dazu bereits Erbguth, DVBl 1992, 398 m.w.N. 16 BVerwG, Urt. v. 12. 12. 1969, IV C 105.66, BVerwGE 34, 301 (304); weit. Nachw. bei Erbguth, JZ 2006, 484 (485) m. Fn. 12. 17 Etwa Durner (Fn. 3), S. 320 f. m.w.N.; eindrücklich auch Hoppe (Fn. 3), § 77 Rdnr. 21: Ziel- und Mittelkonflikte/„…Einflussgrößen und Faktoren unterschiedlichster Provenienz, die untereinander verschränkt, verflochten und vermascht sind“. 18 Ähnlich mit Blick auf die Geltung des Abwägungsgebots Durner (Fn. 3) S. 304 f. 19 Dazu Erbguth, DVBl 1992, 398 (401 f.). 20 Eingehend Hoppe (Fn. 3), § 77 Rdnr. 2 ff. 21 Näher m.w.N. Erbguth, DVBl 1992, 398 (402 f.); das muss sich als Vorfrage folglich funktional-normativ herleiten; deshalb auch auf Verfassungsebene kaum überzeugende Kritik an der fehlenden Dezision der Abwägungslehre zum Vorliegen eines Prinzipienkollision bei Jestaedt (Fn. 6), S. 261, auch 267: Abwägung als bloße (Entscheidungs-)Technik, sowie S. 273: als bloße Rechtserkenntnis; vom gegenteiligen Standpunkt (Konditionales Modell der Abwägung) dann im Ergebnis doch im hier vertretenen Sinne Di Fabio, Die Struktur von Planungsnormen, in: Festschrift Hoppe (Fn. 3), S. 75 (86 ff.); zutreffend Hoppe (Fn. 3), § 77 Rdnr. 23. 22 Vgl. bei Fn. 16.
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tionelle Gestaltung bedingt, impliziert das notwendigerweise einen entsprechenden Spielraum: Gestaltungsspielraum als Konsequenz planerischen Handlungsauftrags23. Der Begriff Abwägung beschreibt seinerseits die Ausfüllung dieses Freiraums, um zur Planungsentscheidung zu gelangen.24 Er steht für die Vorgehensweise bei der Konzeptionierung, also der diesbezüglichen Entscheidungsfindung. Damit besagt Abwägung aber nicht mehr als die Selbstverständlichkeit, dass komplexe Entscheidungslagen nur durch wägende Berücksichtigung der Belange in ihrer Multipolarität und wechselseitigen Verflochtenheit bewältigt werden können. Ein deutliches Mehr an Aussagekraft und rechtlicher Relevanz erwächst hingegen dem Abwägungsgebot als Verpflichtung auf ordnungsgemäße Abwägung; denn hierin kommen Grenzziehungen für jeglichen planungsimmanten Gestaltungsspielraum zum Ausdruck:25 2. Abwägungsgebot als rechtsstaatliche Grenzziehung des planerischen Gestaltungsspielraums Derartige Maßgaben müssen vor dem Hintergrund der vorangestellten verfassungsrechtlichen Annäherung solche der Gerechtigkeit sein26, also Anforderungen an die Planung und die sie vollziehende Abwägung stellen und damit den Gestaltungsspielraum begrenzen, die sicher stellen, dass die Entscheidungsfindung und ggf. ihr Ergebnis den Belangen in ihrer Eigenart und Bedeutung gerecht wird.
23 Nicht aber als Voraussetzung für das Vorliegen einer Planungsentscheidung, insoweit zutreffend Durner (Fn. 3), S. 314; ähnlich im Ergebnis wie hier Hoppe (Fn. 3), § 77 Rdnr. 21; aber auch ders., a.a.O., § 77 Rdnr. 22: als Konsequenz der planungsspezifischen Finalprogrammiertheit. 24 Ähnlich Hoppe (Fn. 3), § 77 Rdnr. 24; eingehend ders., Planen und Abwägen, in: Geutke/ Rauschning/Robra/Schreiber (Hrsg.) Vertrauen in den Rechtsstaat, Festschrift für Walter Remmers, 1995, S. 231; in Abgrenzung zur Subsumtion Stück, ARSP 84 (1998), 405; kritisch gegenüber einer ubiquitären Abwägung Leisner, NJW 1997, 636: Gefahr für den Rechtsstaat; aus Sicht der Rechtstheorie Sieckmann, ARSP 81 (1995), 164; zur Abwägung im Verfassungsrecht Ossenbühl, DVBl 1995, 904; zur Abwägung durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung Hwang, AöR 133 (2008), 606. 25 Deutlich BVerwG, Urt. v. 28. 06. 2000, 11 C 13/99 – juris, Rdnr. 35; anders im Ausgangspunkt und mit Blick auf das Verhältnis von begrifflicher Einordnung der Planung und von Anforderungen an ihre Rechtmäßigkeit hingegen Durner (Fn. 3), S. 314: Bindung an das Abwägungsgebot als Merkmal für die Annahme einer Planungsentscheidung; wie hier etwa Koch, Die normtheoretische Basis der Abwägung, in: Erbguth/Oebbecke/Rengeling/Schulte (Hrsg.), Abwägung im Recht, Symposium zur Verabschiedung von Werner Hoppe am 30. Juni 1995 in Münster aus Anlass seiner Emeritierung, 1996, S. 9 (22); zu den rechtlichen Geltungsbereichen des Abwägungsgebots näher Hofmann (Fn. 3), S. 175 ff.; auf Verfassungsebene auch Jestaedt (Fn. 6), S. 265: Zugewinn an Rationalität des Diskurses; zur Begründung von Abwägungsurteilen aus rechtstheoretischer Sicht Sieckmann, Rechtstheorie 26 (1995), 45; zur Struktur rationaler Abwäungen allgemein Jansen, ARSP, Beiheft 66 (1997), 152. 26 Vorstehend unter II.
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Solcherart erweist sich das Abwägungsgebot als Ausdruck der Gerechtigkeit, wie es § 1 Abs. 7 BauGB mit seiner Pflicht, „gerecht“ abzuwägen, paradigmatisch aufnimmt; dies bedarf weiterer Überprüfung und etwaiger Konkretisierung anhand des gleichermaßen rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (dazu unter a)). Alsdann wird zu untersuchen sein, ob und, wenn ja, welche Folgerungen sich daraus für Einzelfragen, insbesondere mit Blick auf die Abwägungsfehlerlehre und das Planungsverfahren ableiten lassen (dazu unter b)). a) Abwägungsgebot als Ausdruck und Konkretisierung rechtsstaatlicher Verhältnismäßigkeit Das allgemeine rechtsstaatliche Gerechtigkeitspostulat27 findet seine quasi prinzipinterne Konkretisierung in der Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns als Untergrundsatz des Rechtsstaatsprinzips28. Dessen Maßstäben, und sei es auch nur partiell, müssen daher die in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Anforderungen des Abwägungsgebots29 entsprechen, um auch im Lichte der Verfassung eine gerechte Abwägung zu gewährleisten. Sofern und soweit das Abwägungsgebot den Aussagegehalt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes überschreiten sollte, ist ggf. auf die Gerechtigkeitsidee als allgemeinen Maßstab der Rechtsstaatlichkeit zu rekurrieren. Die Verhältnismäßigkeit verlangt nicht zuletzt von Verwaltungsmaßnahmen30 bekanntlich dreierlei, nämlich dass diese geeignet, erforderlich und angemessen zu sein haben. Die beiden ersteren Erfordernisse finden in näheren Ausformungen des planerischen Abwägungsgebots ihre spezielle Entsprechung, nämlich die Geeignetheit im Verdikt funktionsloser Planungen31 und die Erforderlichkeit in der rechtsprechungsbedingt freilich relativ großzügig gehandhabten Pflicht zur Alternativenprüfung32. Demgegenüber richtet sich beim Abwägungsgebot allgemein das Hauptaugenmerk auf die dritte Ebene des Verhältnismäßigkeitprinzips, die Angemessenheit 27
Dazu vorstehend unter II. Dazu nur Sachs (Fn. 9), Art. 20 Rdnr. 145 ff.; dazu anhand des Abwägungsgebots auch Hoppe (Fn. 3), § 77 Rdnr. 24. 29 Vgl. nur Hoppe (Fn. 4), § 7 Rdnr. 39 ff.; zum Abwägungsgebot als Begrenzung planerischer Ge-staltungsfreiheit deutlich BVerwG, Urt. v. 28. 06. 2000, 11 C 13/99 – juris, Rdnr. 35 m.w.N.; auch OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 27. 03. 2009, 2 B 10.08 – juris, Rdnr. 40. 30 Zum weiteren Geltungsbereich des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur Sachs (Fn. 9), Art. 20 Rdnr. 146 ff.; eingehend allgemein Kloepfer, Die Entfaltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips, in: Schmidt-Aßmann/Sellner/Hirsch/Kemper/Lehmann-Grube (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 2003, 329, auch zur Geltung in multipolaren Verwaltungsrechtsbeziehungen und unterhalb der Eingriffschwelle; zur Geltung im Bereich der Leistungsverwaltung allgemein bereits Dahlinger, DÖV 1966, 818; auch Gern, DÖV 1986, 462, zu den Maßstäben der Güterabwägung im öffentlichen Recht. 31 Dazu etwa Erbguth (Fn. 4), § 5 Rdnr. 175. 32 Vgl. etwa Hoppe (Fn. 4), § 5 Rdnr. 42 f. 28
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staatlichen Handelns.33 Wenn dem von vorneherein entgegen gehalten wird, diese Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erfasse lediglich monopolare Abwägungen, nicht aber solche im multipolaren Verhältnis der Planung,34 so ließe sich solches allenfalls bei einer allein grundrechtlichen Verankerung der Verhältnismäßigkeit annehmen, der hier nicht gefolgt wird35 ; überdies können auch im (dann) abwehrrechtlichen Kontext der Grundrechte solche von Dritten schrankenbestimmend oder im Bereich der Schranken-Schranken abwägungsrelevant sein.36 Bleibt es damit bei der Geltung des Angemessenheitsprinzips, so entspricht der daraus entnommenen Verpflichtung auf eine ordnungsgemäße Abwägung beim planerischen Abwägungsgebot die Pflicht zu einem entsprechenden Ausgleich nach Maßgabe der Gewichtsrelation der konfligierenden Belange. Die planungsrechtliche Sicherung der Angemessenheit setzt prima facie sogar früher an, zum einen, um über das Ermittlungs- und ggf.37 Einstellungsgebot die relevanten Belange zu erkennen und in den Entscheidungsprozess einzubinden, zum anderen über die nachfolgende Gewichtung der jeweiligen (Einzel-)Belange38, weil nur dann eine objektive Gewichtungsrelation für die abschließende Ausgleichsphase hergestellt werden kann39. Nach vorstehender Kategorisierung haben die planerische Ermittlung und Gewichtung dem allgemeinen Gerechtigkeitspostulat des Rechtsstaatsprinzips zu genügen40 – was selbstredend der Fall ist und worauf noch konkretisierend zurückzukommen sein wird41. Vertretbar erscheint aber auch ein Verständnis der Angemessenheit dahingehend, dass diese eine vorherige Feststellung und Bewertung der einzelnen Belange impliziert, weil nur dann die anschließende Entscheidung in deren Relation
33 Ossenbühl, Abwägung im Verfassungsrecht, in: Erbguth/Oebbecke/Rengeling/Schulte (Hrsg.), Abwägung im Recht, Symposium zur Verabschiedung von Werner Hoppe am 30. Juni 1995 in Münster aus Anlass seiner Emeritierung, 1996, S. 25 (26, 29). 34 In diese Richtung Bartlsperger (Fn. 4), S. 102 ff. 35 Vgl. vor und bei Fn. 6. 36 Dazu etwa Sodan, in: ders., GG, 2009, Vorb. Art. 1 Rdnr. 51 ff.; allgemeiner Ossenbühl (Fn. 33), S. 30: Spannungslage. 37 Dazu Erbguth, JZ 2006, 484 (489); vor und nach Fn. 62. 38 Dazu etwa Rieger, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl. 2006, § 1 Rdnr. 200 anhand der Abwägungsfehlerlehre: Abwägungsfehleinschätzung. 39 Vgl. in Auseinandersetzung mit gegenteiligen Auffassungen, denen zufolge die (Einzel-) Gewichtung der Belange als Bestandteil der Ausgleichsentscheidung zu verstehen sein soll, Erbguth, JZ 2006, 484 (489); dazu noch nach Fn. 60; dabei geht es freilich nicht nur um verfassungsrechtlich geschützte Belange im Gegensatz zur einfach-gesetzlichen, etwa fachgesetzlichen Abwägung (so aber Durner (Fn. 3), S. 330); dem steht bereits im Ausgangspunkt die Rückbezogenheit auf das Gerechtigkeitspostulat des Rechtsstaatsprinzips (s. o.) entgegen, das selbstredend nicht nur für Grundrechte und ähnliches gilt, sondern (eben) allgemein und damit auch mit Blick auf Belange im Kontext des einfachen Rechts. 40 Vgl. nach Fn. 29. 41 Vgl. bei und nach Fn. 60.
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wortwörtlich „angemessen“ sein kann;42 dann entsprächen die abwägungsbedingten Phasen der Ermittlung und Gewichtung dem Verhältnismäßigkeitsprinzip selbst. In Anbetracht dessen gilt gegenüber dem Abwägungsgebot als solchem rechtsstaatlich nichts zu erinnern. Es entspricht den Grundanforderungen der Verhältnismäßigkeit in Konkretisierung der Gerechtigkeitsidee der Rechtsstaatlichkeit und sichert die insoweit im Wege der Angemessenheit erforderliche gerechte Abwägung durch die ordnungsgemäße Ermittlung/Einstellung der Belange und deren Einzelgewichtung als zwingende Vorstufen der abschließenden Ausgleichsentscheidung ab. In all das ordnen sich an speziellen Anforderungen solche der Sachgerechtigkeit bzw. Prinzipientreue, des Willkürverbots, des Vertrauensschutzes und der Berechenbarkeit43 sowie, hiermit eng verwandt, diejenige der Plangewährleistung44 ein: Es handelt sich sämtlichst um keine strikten Vorgaben für die Planung, sondern um spezifische Belange, die nach Maßgabe des Einzelfalls relevant werden können und durch ordnungsgemäße, mithin angemessene Abwägung zu bewältigen sind.45 In einem allgemeinen Sinne kann daher beim planerischen Abwägungsgebot auch aus verfassungsrechtlicher Sicht von „einer der großen Leistungen des Richterrechts“ bzw. von einer “wohl bestgelungenen Rechtsschöpfung“46 gesprochen werden.47 Fraglich bleibt allerdings, wie es um die Wahrung des Abwägungsgebots in seiner Qualität als derartige rechtsstaatliche Messlatte für die planerische Abwägung bestellt ist, und zwar im einschlägigen rechtlichen Diskurs, vor allem aber mit Blick auf die diesbzgl. einfach-gesetzliche Ausgestaltung. b) Einhaltung des Abwägungsgebots: gerichtliche Kontrolle und verfahrensrechtliche Sicherung Im Vordergrund steht insoweit nach herkömmlichem Verständnis die Kontrolle vor und durch Gericht – und damit die Abwägungsfehlerlehre. Hierauf und auf die damit zusammenhängenden, vornehmlich materiell-rechtlichen Fragen soll zunächst eingegangen werden (nachfolgend aa)). Anschließend geht es um das Verfahrensrecht zur Aufstellung von Plänen, dessen Gerechtigkeitsgewähr im vorliegenden Kontext meist vernachlässigt wird (nachfolgend bb)).
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Dazu Erbguth, JZ 2008, 1038 (1042). Näher Hoppe (Fn. 3), § 77 Rdnr. 75 f. 44 Dazu Hoppe, wie vor, § 77 Rdnr. 119 ff., 120. 45 Hoppe (Fn. 3), § 77 Rdnr. 76, 120. 46 Hoppe (Fn. 4), § 5 Rdnr. 1 m.w.N. 47 Dazu auch Erbguth, JZ 2006, 484 (486); dort auch zur Kritik von Di Fabio (Fn. 21), S. 87 f., a.a.O., 486; partiell abweichend Durner (Fn. 3), S. 301 ff., 303: Abwägungsdogmatik geht über Verhältnismäßigkeit/Rechtsstaatsprinzip hinaus. 43
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aa) Abwägungsfehlerlehre als Spiegelbild des Abwägungsgebots Was zunächst die gerichtliche Überprüfung von Plänen, etwa von Bauleitplänen, anbelangt, so verfährt sie nach den Maßstäben der Abwägungsfehlerlehre, die aus der Kontrollperspektive spiegelbildlich denjenigen des Abwägungsgebots entsprechen: Das beginnt schon mit dem Gebot, im Rahmen der Planung (überhaupt) abwägend tätig zu werden; unterbleibt dies, liegt der Fehler des Abwägungsausfalls vor. Im Rahmen der Abwägung selbst verpflichtet das Ermittlungs- resp. Einstellungsgebot zur vollständigen Eruierung und Einbindung der abwägungsrelevanten Belange; anderenfalls kommt es zum Ermittlungs- bzw. Einstellungsausfall oder -defizit. Indem der Gewichtungsschritt es gebietet, den einzelnen Belangen das ihnen zukommende Gewicht beizumessen, zieht eine Nichtbeachtung den Mangel der Fehlgewichtung nach sich. Und ein Verstoß gegen das Gebot, einen (gewichts-)proportionalen Ausgleich zwischen den Belangen herzustellen, führt zum Fehler der Abwägungsdisproportionalität. Abwägungsgebot als Handlungsnorm und Abwägungsfehler(lehre) in der Kontrollperspektive stellen damit die beiden Seiten derselben Medaille dar. Sie entsprechen sich, weil sie letztlich dieselbe verfassungsrechtliche, eben rechtsstaatliche Quelle speist, nämlich die Gerechtigkeit und daraus abgeleitet die Verhältnismäßigkeit48. Wenn demgegenüber einerseits ein Mehr an Anforderungen der Handlungsnorm postuliert wird, andererseits ein diesbzgl. Weniger an Kontrollnorm, also eine geringere Kontrolldichte, und sich solches exemplarisch anhand des Ausgleichs der Belange mit der sich auf eine Evidenzkontrolle der (Dis-)Proportionalität beschränkenden Rechtsprechung belegt findet,49 widerstreitet dem schon die vorstehend umrissene gemeinsame höherrangige „Quellnorm“50. Im Übrigen bringt die Gerichtsbarkeit mit ihrer Zurückhaltung nur zum Ausdruck, dass bei aller Abwägungskontrolle der Gestaltungsspielraum des Planungsträgers, zumal ein selbstverwaltungsrechtlich geschützter wie derjenige der Gemeinde, gebührend zu wahren ist. Das gilt in besonderem Maße für den Ausgleich der Belange, der infolge der hiermit verbundenen Durchsetzung oder Zurückstellung von Belangen geradezu im Zentrum der Planungsentscheidung und der hiermit verbundenen Eigenständigkeit51 steht. Angesichts dessen betont die Rechtsprechung mit ihrer zurückhaltenden Kontrolle nur, was sich aus der spezifischen Verfasstheit von Planung52 ohnehin ergibt, m.a.W.: Auch aus dem Abwägungsgebot als Handlungsnorm ergeben sich über die Anforderung eines nicht evident ungleichgewichtigen Ausgleichs hinaus keine Maßgaben für die planerische Entscheidung. 48 Näher dazu vorstehend bei II. und nach Fn. 27; eingehen(st)d zur Abwägungsfehlerlehre anhand der Rechtsprechung Hoppe (Fn. 4), § 5 Rdnr. 94 ff. 49 Hoppe (Fn. 4) § 5 Rdnr. 94. 50 Begriff nach Kunig (Fn. 6), S. 258. 51 Vgl. vor und nach Fn. 21. 52 Dazu vor und nach Fn. 21.
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Damit (ver)bleibt es bei der spiegelbildlichen Kongruenz von Abwägungsgebot und Abwägungsfehlerlehre. Hieran ändern die im Städtebaurecht modellierten53, inzwischen andere Rechtsgebiete infizierenden Vorschriften über die Planerhaltung54, die auch Abwägungsfehler erfassen, nichts: Als Unbeachtlichkeitsvorschriften55 beseitigen sie keineswegs die Fehlerhaftigkeit der Planung, sondern nur die diesbzgl. gerichtliche Aufhebbarkeit; mithin wird nicht die Kontrolldichte reduziert, sondern die gerichtliche Kassationsmöglichkeit.56 Wenn demnach keine Unterschiede struktureller Art im Verhältnis von Handlungsnorm und Kontrollnorm ausgemacht werden können, stellen sich die näheren Fragen zur Wahrung ihrer rechtsstaatlich radizierten Anforderungen für eine ordnungsgemäße Abwägung beim Abwägungsgebot wie bei den Abwägungsfehlern prinzipiell gleichermaßen, mögen sie auch überwiegend in ihrer streitbefangenen, eben gerichtlichen (Kontroll-)Seite hervorgetreten sein. Exemplarisch sei insoweit auf die Diskussion über die Ebenen der Abwägung als Anknüpfungspunkt für Handlungs- wie Kontrollnorm (dazu (1)), die bereits angesprochene legislative Prozeduralisierung des Abwägungsvorgangs bzw. wesentlicher Teile desselben57 (dazu (2)) eingegangen, immer unter dem Aspekt, welche Konsequenzen sich hieraus für die auf Gerechtigkeit, insonderheit auf Angemessenheit verpflichtete Abwägung ergeben – etwa, ob dieser verfassungsrechtlich gebotene Auftrag hierdurch gesichert, geschmälert oder gar konterkariert wird.58 Aus einem solchen Blickwinkel muss auch das Recht der Planerhaltung erneut59 auf den Prüfstand (dazu unter (3)). (1) Ebenen der Abwägung. Gegenüber dem zuvor umrissenen „Dreiklang“ der Ebenen von Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis, wie ihn die ständige Rechtsprechung verfolgt, finden sich abweichende Vorstellungen, welche die Stufen teilweise auf derer zwei reduzieren, zum Teil aber auch auf vier Ebenen erweitern wollen.60 Ersterem Modell liegt die Annahme einer fehlenden Abgrenzbarkeit zwischen der Einzelgewichtung der Belange auf zweiter Stufe der Abwägung und dem Ausgleich in Relation der gewichteten Belange als dritter Ebene zugrunde. Dem wird schon im Ansatz,61 jedenfalls aber unter dem hier maßgeblichen Kriterium einer den Belangen angemessenen Berücksichtigung nicht zu folgen sein. Denn Letzteres erfordert, dass das Gewicht des jeweiligen Interesses zunächst isoliert festgestellt wird; nur so kann 53
§§ 214, 215 BauGB; zur Entwicklung Erbguth, NVwZ 2007, 985 (987 f.). Vgl. etwa § 12 ROG; davor noch allgemein warnend Erbguth, wie vor, 989 f. 55 Vgl. § 214 Abs. 1, 3 S. 2 BauGB. 56 Vgl. Erbgut (Fn. 4), § 5 Rdnr. 79; auch Maurer (Fn. 7), § 4 Rdnr. 48 f., zugleich kritisch unter rechtsstaatlichen und rechtspolitischen Gesichtspunkten. 57 Vgl. bei Fn. 1. 58 Allgemeiner Erbguth, JZ 2008, 484 (486 ff.). 59 Vgl. bei und nach Fn. 54. 60 Näher Erbguth, JZ 2006, 484 (488 f.). 61 Vgl. wie vor, 489. 54
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die Bedeutung des Belangs für sich erkannt und damit gewährleistet werden, dass sich der nachfolgende belangübergreifende (Gewichts-)Vergleich nicht nur transparent und nachvollziehbar, sondern auch gewichtsadäquat vollzieht – was dem auf Gerechtigkeit verpflichteten Handlungsgebot ordnungsgemäßer Abwägung wie der entsprechenden Anforderung an die Kontrolle der Planung allein entspricht. Eine sogleich einsetzende proportionale Ausgleichsentscheidung würde hingegen das Gewicht der jeweiligen Belange lediglich in Relation zu konfligierenden Interessen bemessen – und vice versa. Das zöge ganz unterschiedliche Gewichtungen nach sich und überginge damit den Eigenwert, der den jeweiligen Belangen zukommt – und den zu berücksichtigen gerade Gebot der Angemessenheit ist. Dem das andere Extrem ausmachenden Modell einer vierstufigen Abwägung, die den ersten Schritt der Abwägung in zwei selbstständige Stufen, nämlich diejenige der Ermittlung und jene der Einstellung aufteilt,62 stehen solche Bedenken aus Gründen eines rechtsstaatlich rückgebundenen Abwägungsgebots und einer entsprechenden Abwägungskontrolle nicht entgegen; denn auf diesem Weg wird eine genauere Betrachtung und Beurteilung der Abwägungserheblichkeit der (jeweiligen) Belange ermöglicht, was ihrer angemessenen Berücksichtigung und der hierauf gerichteten gerichtlichen Überprüfung gerade entgegen kommt. Ob die zugrunde liegende Unterscheidung zwischen abstrakt abwägungserheblichen Belangen (für die Ermittlung) und solchen konkret relevanter Art (für die Einstellung) auch praktikabel ist, steht freilich auf einem anderen Blatt.63 (2) Abwägungsvorgang als Gegenstand materieller Entscheidungsfindung oder als Verfahren. Eine Abwertung gegenüber dem rechtsstaatlichen (Gerechtigkeits-) Auftrag kann ferner in dem durch das EAG Bau mit § 2 Abs. 3 BauGB bewirkten Transfer der bislang materiell-rechtlich verstandenen Anforderungen des Abwägungsvorgangs in den Bereich des Verfahrensrechts64 bedeuten,65 dies schon, weil dem Verfahrensrecht nach national immer noch h.M. eine lediglich dienende Funktion gegenüber dem materiellen Recht zukommen soll66 – ferner, weil § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB das neue „Abwägungsverfahren“ den Sanktionsbeschränkungen 62
Dazu Hoppe, NVwZ 2004, 903 (906 f.). Dazu Erbguth, JZ 2006, 484 (489). 64 Verfahrensgrundnorm, BT-Drs. 15/2250, S. 42; dies vehement verteidigend Labrenz, DV 42 (2010), 63 (67 ff.), der dabei aber einerseits die (materielle) Unterscheidung zwischen Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis übergeht, vielmehr beides zur Abwägungsentscheidung vermengt (etwa wie vor, 68 f.) – und andererseits zu Unrecht die Parallele zum VwVfG bemüht, um den Verfahrenscharakter des § 2 Abs. 3 BauGB zu begründen (wie vor, 72 ff.), dabei aber verkennt, dass das VwVfG durchaus auch materiell-rechtlichen Regelungsgehalt aufweist, vgl. nur §§ 37, 40, §§ 48, 49, 49a VwVfG. 65 Gänzlich, nicht nur partiell, vgl. Erbguth (Fn. 4), § 15 Rdnr. 94, § 5 Rdnr. 147; zur Untauglichkeit von Versuchen, Reste des materiellen Abwägungsvorgangs über das EAG Bau hinaus zu retten, näher Erbguth, JZ 2006, 484 (491); etwas unklar insoweit BVerwG, Urt. v. 09.04.2008, 4 CN 1/07, BVerwGE 131, 131 – juris, Rdnr. 20 einerseits, Rdnr. 23 andererseits; bereits bei und in Fn. 1. 66 Dazu etwa Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 12. Aufl. 2007, § 58 Rdnr. 13. 63
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des Planerhaltungsrechts unterwirft67.68 Aber auch allgemein widerstreitet jene Prozeduralisierung der nach Verfassungsrecht gebotenen „angemessenen“ Berücksichtigung der Belange, weil diese selbstredend von materieller, also inhaltlicher Natur und gerade kein Bestandteil des Verwaltungs- resp. (Plan-)Aufstellungsverfahrens mit seinen Beteiligungsvorschriften u. ä. ist. Anders gewendet: Verfahrensrecht kann und wird regelmäßig, worauf noch einzugehen ist, für die hinreichende Ermittlung wie Gewichtung von Belangen von nicht zu unterschätzender, ja ausschlaggebender Bedeutung sein, weil über die Einbeziehung der Öffentlichkeit und von Behörden etc. das für die Abwägung als Entscheidungsfindung wesentliche Material größtenteils eingebracht werden wird; das zeigt aber zugleich, dass das Verfahren niemals an die Stelle der inhaltlichen Dezision selbst treten, sie also auch nicht kompensieren kann. Die „Erklärung“ des Abwägungsvorgangs zum Verfahren bedeutet daher einen Verlust seiner kognitiven Substanz, was nach Vorstehendem rechtsstaatlich nicht vereinbar ist und, weil das EAG Bau hierfür die causa gesetzt hat, der Bindung des Gesetzgebers an das Gerechtigkeitspostulat69 zuwiderläuft. Schon deshalb verfängt der Hinweis nicht, letztlich sei die Problematik irrelevant, weil die (Un-)Beachtlichkeitsregeln des § 214 I 1 Nr. 1 BauGB denjenigen des § 214 III 2 BauGB a.F. (resp. des § 214 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 BauGB) entsprächen70. Überdies kann damit dem Zugriff allenfalls aus der Kontrollperspektive abgeholfen sein, nicht aber demjenigen auf das Abwägungsgebot als Handlungsnorm. Aber selbst im Rahmen des § 214 BauGB vermag die Gedankenführung mit den materiell (§ 214 Abs. 3 Satz 2 a.F. BauGB) wie formell (§ 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB) inhaltsgleichen Unbeachtlichkeitsregeln nicht zu überzeugen – schon weil die Annahme nicht trägt. Denn § 214 Abs. 1 Satz 1 BauGB spricht von „Verfahrensergebnis“, nicht wie § 214 Abs. 3 Satz 2 a.F. BauGB vom Ergebnis der Abwägung. Wenn nun nach ersterer Vorschrift die Ermittlung und Bewertung als Verfahren zu verstehen sind, dann kann dessen „Verfahrensergebnis“ nicht das (materielle) Abwägungsergebnis nach § 214 III 2 a.F. BauGB sein; Verfahren finden nämlich einen „Abschluss“, etwa durch Bekanntmachung des Bebauungsplans, nicht aber handelt es sich dabei um das (materielle) Ergebnis der Entscheidungsfindung, das zudem weiter und ge67
BVerwG (Fn. 65), Rdnr. 22. Dazu eingehend und mit ähnlichem Ergebnis, zugleich für eine terminologische Unterscheidung zwischen formellen „Abwägungsfehlern“ i.S.d. §§ 2 Abs. 3, 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BauGB ( Ermittlungsdefizit, Fehlbewertung/Bewertungsdefizit) und solchen – übrig gebliebener – herkömmlicher Art: Abwägungsausfall, Abwägungsdisproportionalität (§ 1 Abs. 7, § 214 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BauGB) Özdemir, Die Behandlung von Mängeln der Abwägung bei der Aufstellung von Bauleitplänen im Planerhaltungssystem des EAG Bau, 2009, S. 75 ff., zusammenfassend S. 116 f.; grds. anders Labrenz (Fn. 64). 69 Dazu vor Fn. 12, bei und nach Fn. 96. 70 So Uechtritz, ZfBR 2005, 11 (16) m. Fn. 52; Özdemir (Fn. 68), S. 107 f.; BVerwG, Urt. v. 22. 03. 2007, 4 CN 2/06, BVerwGE 128, 238 (245); bereits in Fn. 1; ähnliche Grundannahme bei BVerwG (Fn. 65), Rdnr. 20, 22. 68
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sondert materiell erfasst wird (§ 214 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 BauGB). Orientiert man die Folgenhaftigkeit, was nach jenem Wortlaut des § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB allein konsequent ist, am Abschluss des Verfahrens, geht dies ins Leere; denn eine Kausalität zwischen fehlerhafter Ermittlung/Bewertung und Bekanntmachung des Plans als solcher kann ersichtlich nicht bestehen. Selbst wenn unterstellt werden sollte, dass der Gesetzgeber trotz abweichender Begrifflichkeit („Verfahrensergebnis“) als Gegenstand der Kausalitätsprüfung das Abwägungsergebnis meint, wofür der materielle Gehalt des Kausalitätsbegriffs spricht und wie es offensichtlich auch vom BVerwG verstanden worden ist71, so gebricht es diesem Vorgehen daran, dass das Verfahren keine die Entscheidung unmittelbar dirigierende und ausfüllende Wirkung hat72, folglich insoweit auch keine gleichsam automatischen Folgen zeitigen kann. Vielmehr bedarf es dafür zunächst besagter gedanklichen Aufnahme und Bewertung des aus der Öffentlichkeitsbeteiligung gewonnenen Materials73, das zugleich, wie am Beispiel der Gewichtung gezeigt werden konnte, als Ausdruck der Angemessenheit, also einer gerechten Abwägung.74 Diese materiellen Vorgänge der Ermittlung und Gewichtung stehen aus Gegensicht aber nicht zur Verfügung, weil sie ja in das Verfahrensrecht abgewandert sind. Es fehlen also die für ein – sehr vermitteltes75 – kausales Durchschlagen auf das Abwägungsergebnis nötigen Schritte der Entscheidungsfindung. In Anbetracht dessen hilft auch eine mit dem Wortlaut des § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB ohnehin kaum zu vereinbarende inhaltliche Aufladung des „Ergebnis“-Begriffs nicht weiter.76 Besagte Prozeduralisierung des Abwägungsvorgangs wahrt also gerade nicht die verfassungsrechtlichen Maßgaben für eine gerechte Abwägung. (3) Abwägungsfehlerlehre und Planerhaltung. Nimmt man des Weiteren bei der (materiell-rechtlichen77) Kontrolle auf ordnungsgemäße Abwägung die hierauf zugeschnittenen Vorschriften der Planerhaltung in § 214 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 und § 215 Abs. 1 Nr. 3 BauGB mit in den Blick, so ergänzt zunächst der das verfahrensrechtliche Los des Abwägungsvorgangs besiegelnde § 214 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 BauGB78 die 71
BVerwG (Fn. 65), Rdnr. 23 ff. Vgl. vorstehend im Text. 73 Vgl. vor Fn. 69; i.d.S. auch Ekardt, Schutzpflichten, Abwägungsregeln, Mindeststandards und Drittschutz. Eine Kritik der Judikatur sowie der transnationalen UmweltgrundrechtsDiskussion, in: Schlacke (Hrsg.), Umwelt- und Planungsrecht im Wandel. System, Funktionen, Perspektiven, DV Beiheft 11, 2010, S. 27 (48): Tatsachen als Subsumtionsmaterial besagen aus sich heraus nichts Normatives. 74 Vgl. nach Fn. 60. 75 Verfahrensfehler – Ermittlungsfehler – Gewichtungsfehler – Disproportionalität. 76 In diese Richtung BVerwG (Fn. 65), Rdnr. 23 ff.: keine Kausalität trotz wesentlichen Mangels. 77 Zur Verfahrensseite insoweit noch nachfolgend unter bb). 78 Etwa Erbguth, in: Tettinger/Erbguth/Mann, Besonderes Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 2009, Rdnr. 1003; ders. (Fn. 4), § 5 Rdnr. 94. 72
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vorstehende Kritik79 an der mangelnden Einhaltung der rechtsstaatlichen Maßstäbe für eine angemessene Abwägung. Die nachfolgende „Angstklausel“ des § 214 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 BauGB80 dürfte angesichts des den Abwägungsvorgang ganz oder doch ganz überwiegend abdeckenden § 2 Abs. 3 BauGB keinerlei substanziellen Raum für eine Revitalisierung des Abwägungsvorgangs in seinem rechtsstaatlich gebotenen materiellen Gehalt eröffnen.81 Deshalb und weil Vorschläge zu einer differenzierten Zuordnung der Einzelfehler des Abwägungsvorgangs82 oder ihrer Einbindung in die Überprüfung auf Abwägungsdisproportionalität als deren Vorstufen83 nur Notlösungen darstellen und demzufolge lediglich Übergangscharakter aufweisen, verstärkt die Planerhaltungsvorschrift des § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB ebenfalls die zuvor an der Wahrung einer den verfassungsrechtlichen Vorgaben genügenden Abwägung aufgedeckten Bedenken84. Weiteres in diese Richtung folgt aus der Möglichkeit des ergänzenden Verfahrens nach § 214 Abs. 4 BauGB, das auch zur Bereinigung von Mängeln im Abwägungsvorgang eingesetzt werden kann.85 Die aus dem Fachplanungsrecht übernommene Rechtsfigur unterstellt, dass, solange die Grundzüge der Planung nicht berührt werden, derartige Fehler durch nachträgliche Bereinigung im Stadium ihres Eintritts, in das zurückzugehen ist, geheilt werden können.86 Beiderlei Annahmen erscheinen mit den Anforderungen an eine angemessene, (eben) gerechte87 und damit auch den Sachgesetzlichkeiten der Planung verpflichtete planerische Abwägung nicht vereinbar. Wie erinnerlich, kennzeichnet Planung und damit auch Abwägung in der Rechtsprechung des BVerwG die Notwendigkeit „des Ausgleichs mehr oder weniger zahlreicher, in ihrem Verhältnis zueinander komplexer Interessen, die überdies meist in eigentümlicher Weise miteinander verschränkt sind, so dass einem Interesse nichts zu79
Vor und nach Fn. 71. Vgl. dazu Quaas/Kukk, BauR 2004, 1541. 81 Nicht gefolgt werden kann Labrenz (Fn. 64), 64, 79 ff., der wegen §§ 214 Abs. 3 S. 2 Hs. 1, Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BauGB der (materiellen) Überprüfung auf einen ordnungsgemäßen Abwägungsvorgang (nur) solche Mängel für zugänglich hält, zu denen es trotz fehlerfreier Ermittlung und Bewertung im „Verfahren“ nach § 2 Abs. 3 BauGB kommt. Dabei bleibt schon unberücksichtigt, dass im Abwägungsvorgang (eben) auch zu ermitteln und zu gewichten bzw. zu bewerten ist; zudem wird § 214 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BauGB mit Gewalt ein praktisch nicht vorstellbarer Anwendungsfall unterstellt, nämlich derjenige eklatanter Willkür. Schließlich führt diese Sicht die dem EAG Bau ohnehin missratene verfahrensbezogene Europäisierung endgültig ad absurdum, weil danach Fehler im Abwägungs„verfahren“ des § 2 Abs. 3 BauGB nicht als Mängel des (materiellen) Abwägungsvorgangs gerügt werden können, also eine diesbzgl. Auswirkung gänzlich negiert wird, vielmehr als Verfahrensfehler auch noch dem Planerhaltungsregime des § 214 (Abs. 1 S. 1 Nr. 1) BauGB unterworfen werden; nach Fn. 66. 82 Kraft, UPR 2004, 331 (335). 83 Vgl. insgesamt dazu Erbguth, JZ 2006, 484 (490 f.); ders., DVBl 2004, 802 (808). 84 Vor und nach Fn. 71. 85 Allgemeine Meinung, vgl. nur Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 11. Aufl. 2009, § 214 Rdnr. 23. 86 Vgl. nur Quaas/Kukk, in: Schrödter, BauGB (Fn. 38), § 214 Rdnr. 64. 87 Vgl. vorstehend unter II. 80
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gestanden werden kann, ohne in einer Kettenreaktion zahlreiche andere Interessen zu berühren.“88 Jene Interdependenz aller Planungselemente steht nun aber einer Unterscheidbarkeit von Grundzügen und nicht grundlegenden Elementen der Planung ebenso entgegen wie der das ergänzende Verfahren charakterisierenden Vorstellung einer Nachbesserung, weil der in besagter Komplexität abgeschlossene Abwägungsvorgang keiner nachträglichen und zugleich isolierten Fehlerbehebung mehr zugänglich ist, ohne dass die Abwägung als solche in Frage gestellt wäre.89 Und schließlich führt die ursprünglich unbekannte, später auf sieben, dann auf zwei und inzwischen auf ein Jahr reduzierte Rügefrist bei Abwägungsmängeln nach § 215 Abs. 1 Nr. 3 resp. Nr. 1 BauGB90 aufgrund ihres prozessualen Pendants in § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO und wegen ihrer zugleich auf die Inzidentkontrolle gerichteten Wirkung zu einer weit reichenden Beschneidung des Rechtsschutzes bei unangemessener Abwägung. Auch darin, zumindest im Kontext der zuvor angemeldeten Bedenken, wird eine fehlende einfachgesetzliche Einhaltung der höherrangigen Vorgaben an das Abwägungsgebot, hier aus der Kontrollperspektive, erkennbar. bb) Planungsverfahren und Vorwirkung des rechtsstaatlichen Abwägungsgebots Indem das Planaufstellungsverfahren eine entscheidungsvorbereitende Zielrichtung aufweist, weil es über Beteiligungen Dritter und von Behörden, im Wege der Erarbeitung eines Umweltberichts etc. ganz wesentlich dazu beiträgt, dass dem Planungsträger das für die Beurteilung der Abwägungsrelevanz von Belangen und deren Gewichtung erforderliche Material bereit gestellt wird,91 ist es von unverzichtbarer Bedeutung für die Angemessenheit und damit für die grundlegend rechtsstaatlich gebotene Gerechtigkeit der planerischen Entscheidungsfindung und deren Ergebnis.92 Auch deshalb93 nimmt es an den (Vor-)Wirkungen dieses verfassungsrechtlichen Schutzes94 teil. In Anbetracht dessen sind die §§ 2 ff. BauGB als gesetzliche Regelungen95 für die Sicherstellung einer den Belangen adäquat Rechnung tragenden Abwägung von ganz wesentlicher Bedeutung, so dass sie sich aus verfassungsrecht-
88 BVerwG, Urt. v. 30. 04. 1969, IV C 6.68, BRS 22 Nr. 3; näher dazu Hoppe (Fn. 4), § 7 Rdnr. 10; anschaulich auch ders. (Fn. 3), § 77 Rdnr. 21. 89 Auch Erbguth, NVwZ 2007, 985 (988). 90 Zur Abgrenzung zwischen Nr. 1 und 3 des § 215 Abs. 1 BauGB im Gefolge von § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 2 Hs. 2 resp. 1 BauGB insoweit Erbguth (Fn. 4), § 15 Rdnr. 98. 91 Vgl. bereits vor Fn. 11, nach Fn. 68; deutlich § 4a Abs. 1 BauGB. 92 Deutlich(st) in diesem Sinne OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 27. 03. 2009, 2 B 10.08 – juris, Rdnr. 40, 45; ähnlich, jedenfalls im Ergebnis, Kunig (Fn. 6), S. 363, 364 ff.: bei Verfahrensgerechtigkeit fallen Rechtssicherheit und materielle Gerechtigkeit zusammen. 93 Vgl. ferner allgemein bereits vor und nach Fn. 10. 94 Vgl. vorstehend vor Fn. 11 und nach Fn. 27. 95 Dazu aus allgemein verfassungsrechtlicher Sicht vor und nach Fn. 11.
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lichen Gründen gegenüber Einengungen ihrer Geltungskraft und Durchsetzbarkeit, dies vornehmlich durch den Gesetzgeber96, als besonders sensibel erweisen. Durchmustert man nun am Beispiel des Städtebaurechts die Bestimmungen zum Planaufstellungsverfahren, insbesondere die Beteiligungsregelungen, auf derartige Einengungen, so werden sich aus vorschrifteninternen Begrenzungen der Belangeinbringung, wie sie etwa in Form von Präklusionsanordnungen in § 4a Abs. 6 BauGB bzw. § 47 Abs. 2a VwGO vorfindlich sind, keine Bedenken der angesprochenen Art ableiten lassen. Denn die bezeichnete städtebaurechtliche Präklusion von Stellungnahmen der Öffentlichkeit oder der Träger öffentlicher Belange ist eine dreifach fakultative und zugleich eine solche, die im Zweifels-, genauer: Kollisionsfall die Präklusion hinter die Rechtmäßigkeit der Planung zurücktreten lässt.97 § 47 Abs. 2a VwGO erweist sich trotz seines scheinbar weit reichenden Einwendungsausschlusses bei näherer Betrachtung als zahnloser (Präklusions-)Tiger, weil schon eine nicht verfristete Stellungnahme als Türöffner für die Beachtlichkeit auch der bereits verfristeten wirkt.98 Was ferner die Rückführung an Intensität der Beteiligungen (und ähnlich) im vereinfachten und beschleunigten Verfahren der §§ 13, 13a BauGB anbelangt, so reduzieren die einengenden Maßgaben für deren Einsatz99 deutlich das Konfliktpotential betroffener Belange und damit die Gefahr einer diesen nicht adäquaten Einbringungsmöglichkeit.100 Kritikwürdig sind vor dem thematischen Hintergrund allerdings die Planerhaltungsvorschriften, insbesondere jene über die Unbeachtlichkeit von Verstößen gegen Form- und Verfahrensregelungen der Planaufstellung nach § 214 BauGB. Auch wenn hierdurch die betroffenen Verfahrensanordnungen nicht aufgehoben werden, ändert dies doch nichts daran, dass sanktionslos gestellte Verstöße gegen jene Bestimmungen natürlich Rückschlüsse auf ihren (schon) gesetzgeberisch geminderten Stellenwert und infolge dessen eine entsprechend reduzierte Beachtung im Planungsverfahren nach sich ziehen. Damit aber werden die für eine angemessene Abwägung erforderlichen umfassenden Entscheidungsgrundlagen101 latent geschmälert.102 Diesem Befund lässt sich schwerlich damit begegnen, § 214 BauGB schließe cum grano salis nicht die Einhaltung von Verfahrensschritten als solche von der Beachtlichkeit aus, sondern nur von Teilelementen derselben – etwa nicht die der Öffentlichkeitsbeteiligung, §§ 3, 4a BauGB, insgesamt, sondern nur die ihres vorgezogenen Teils nach § 3 Abs. 1 BauGB, vgl. § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB. Denn auch dar96
Dazu wie vor; bereits allgemein vor Fn. 12. Näher etwa Erbguth (Fn. 4), § 5 Rdnr. 29. 98 Dazu näher Ziekow, BauR 2007, 1169 (1176 f.). 99 Vgl. § 13 Abs. 1 Hs. 1 BauGB; § 13a Abs. 1 BauGB. 100 Zur Inkonsequenz angesichts des gesetzgeberischen Willens zu einer mehr als 1:1Umsetzung des Europarechts (SUP-Richtlinie) Erbguth (Fn. 4), § 5 Rdnr. 63. 101 Vgl. vor Fn. 69. 102 Allgemein warnend vor dem Hintergrund des Rechtsstaatsprinzips auch Sachs (Fn. 9), Art. 20 Rdnr. 165: Sanktionslosigkeit nicht unbeschränkt zulässig. 97
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über, dies erweist das Beispiel, und vor allem kumulativ aufgrund des „Durchzeichnens“ in dem nur eklatante Verfahrensverstöße einer gerichtlichen Kassation freigebenden § 214 BauGB103 kann (und wird) es zu unangemessenen Verkürzungen des Abwägungsmaterials kommen – was wiederum mit den rechtsstaatlichen Anforderungen im vorstehenden Sinne nicht zu vereinbaren sein dürfte.
IV. Ergebnisse in Thesen Damit ergibt sich in Thesenform Folgendes: 1.
Planung muss sachlich geboten und gesetzgeberisch zugewiesen sein; Letzteres ist ggf. funktional zu bestimmen.
2.
Planung impliziert Gestaltungsspielräume, freilich nicht schrankenlos.
3.
Vielmehr verpflichtet das Rechtsstaatsprinzip schon allgemein auf gerechtes Handeln.
4.
Der rechtsstaatliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet in Konkretisierung des Gerechtigkeitspostulats Planung durch angemessene Abwägung.
5.
Das Abwägungsgebot stellt sich als Ausdruck dergestalt rechtsstaatlicher Planung dar.
6.
Bei der Abwägungsfehlerlehre handelt es sich um das (prozessuale) Spiegelbild des Abwägungsgebots.
7.
Die dem Grunde nach konsistente Rückbindung der anerkannten Ausprägungen des Abwägungsgebots an besagte Anforderungen der Rechtsstaatlichkeit wird durch jüngere Entwicklungen, vornehmlich, aber nicht allein, in der Gesetzgebung, vielfach nicht bzw. nicht hinreichend beachtet.
8.
So bedarf es aus Gründen gerechter Belangverarbeitung der Unterscheidung zwischen der Ebene der Gewichtung der einzelnen Belange und der – nachfolgenden – Stufe des (gewichts-)proportionalen Ausgleichs zwischen ihnen.
9.
Die durch das EAG Bau bewirkte Verschiebung des Abwägungsvorgangs in das Verfahren(srecht) widerspricht den Anforderungen rechtsstaatlicher Planung.
10. Entsprechendes gilt gegenüber den auf die Abwägungskontrolle bezogenen Planerhaltungsvorschriften. 11. Das Recht der Planaufstellung hat als Verfahrensrecht keineswegs nur eine Ordnungsfunktion. Vielmehr kommt ihm schon nach nationalem Recht die ganz wesentliche Aufgabe der Entscheidungsvorbereitung zu, und zwar im Wege der Einbringung und Aufbereitung des Abwägungsmaterials. Deshalb wird es auch von den Anforderungen der rechtsstaatsbedingt gerechten, nämlich angemessenen Abwägung erfasst und insoweit verfassungsrechtlich immunisiert. 103
Komprimiert dazu Erbguth (Fn. 4), § 15 Rdnr. 85 ff.
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Hiermit steht die weit reichende Sanktionsfreistellung durch das Planerhaltungsrecht nicht in Einklang.
Planfeststellung zwischen Zulassungsverfahren und Planung Steht die Zukunft der Planfeststellung auf dem Spiel? Von Martin Beckmann
I. Einführung Raumbedeutsame Vorhaben werden öffentlich-rechtlich durch Genehmigungen oder Planfeststellungsbeschlüsse zugelassen. Bei den Genehmigungen werden herkömmlich präventive Verbote mit Erlaubnisvorbehalt und repressive Verbote mit Befreiungsvorbehalt unterschieden. Einfacher ausgedrückt lässt sich das präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt auch als Kontrollerlaubnis und das repressive Verbot mit Befreiungsvorbehalt als Ausnahmebewilligung bezeichnen.1 Mit dem Erfordernis einer Kontrollerlaubnis soll eine präventive Prüfung ermöglicht werden, ob ein grundsätzlich erwünschtes Vorhaben im Einzelfall ausnahmsweise gegen materiellrechtliche Vorschriften verstößt. Formell ist die Kontrollerlaubnis ein begünstigender Verwaltungsakt, weil sie das Verbot, das Vorhaben ohne Erlaubnis durchzuführen, aufhebt. Materiell gewährt die Kontrollerlaubnis dem Antragsteller nach der jedenfalls in der Vergangenheit herrschenden Meinung nur das, was ihm grundrechtlich ohnehin zusteht. Soweit die Kontrollerlaubnis lediglich einen verfassungsrechtlichen Anspruch des Antragstellers bestätigt, hat der Antragsteller einen gebundenen Anspruch, wenn die gesetzlich abschließend geregelten Zulassungsvoraussetzungen erfüllt sind.2 Typische Beispiele für Kontrollerlaubnisse sind Baugenehmigungen und immissionsschutzrechtliche Genehmigungen. Im Gegensatz zu Kontrollerlaubnissen berühren Ausnahmebewilligungen den Rechtskreis des Antragstellers auch materiell, indem sie das beantragte Vorhaben, das grundsätzlich nicht gewünscht ist, in besonderen Fällen ausnahmsweise für zulässig erklären. Dementsprechend besteht kein grundrechtlicher Anspruch auf Erteilung der Ausnahmebewilligung. Die Entscheidung über den Antrag des Vorhabenträgers kann deshalb auch in das Ermessen der zuständigen Behörde gestellt werden. Beispiele solcher Ausnahmebewilligungen sind wasserrechtliche Erlaubnisse und Bewilligungen, naturschutzrechtliche Befrei1 Hoppe/Beckmann/Kauch, Umweltrecht, 2. Aufl. 2000, § 8 Rdnr. 34; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl. 2009, § 9 Rdnr. 51; Beckmann, Die integrative immissionsschutzrechtliche Genehmigung, NuR 2003, 715 (716). 2 Hoppe/Beckmann/Kauch (Fn. 1), § 8 Rdnr. 34; Maurer (Fn. 1), § 9 Rdnr. 51; BVerfG, Beschl. v. 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 –, BVerfGE 49, 89 (144 ff.).
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ungen und Befreiungen von Festsetzungen eines Bebauungsplans. Die Unterscheidung von Kontrollerlaubnissen und Ausnahmebewilligungen ist allerdings weder eindeutig noch zwingend. Die verfassungsrechtliche Begründung des Genehmigungsanspruchs bei Kontrollerlaubnissen wird zunehmend in Zweifel gezogen. Ohnehin gibt es unterschiedliche Mischformen von Kontrollerlaubnissen und Ausnahmebewilligungen. Neben Kontrollerlaubnissen und Ausnahmebewilligungen werden zahlreiche umweltrelevante Vorhaben durch Planfeststellungsbeschlüsse zugelassen. 1. Vorzüge des Planfeststellungsverfahrens Gegenstand des Planfeststellungsverfahrens ist der Plan eines Vorhabenträgers für ein raumbezogenes Vorhaben. Planfeststellungsbedürftig sind überörtliche Streckenvorhaben, etwa Straßen, Wasserstraßen und Eisenbahnlinien, und räumlich begrenzte Punktvorhaben, wie z. B. Flughäfen, Abfalldeponien oder Endlager für radioaktive Abfälle. Die Planfeststellung dient dazu, ein Vorhaben und seine Auswirkungen in einem Verfahren durch eine Behörde mit einer einheitlichen Sachentscheidung mit umfassenden Rechtswirkungen und weitgehender Problembewältigung öffentlichrechtlich zuzulassen. Das Planfeststellungsverfahren gilt wegen seiner Konzentrationswirkung und wegen der von der Planfeststellungsbehörde zu treffenden Abwägungsentscheidung als besonders geeignet, komplexe Vorhaben, von deren Verwirklichung unterschiedliche Interessen und Belange berührt werden, zu planen und zu genehmigen.3 Nach allgemeiner Ansicht sind Planfeststellungsverfahren im Vergleich zu Kontrollerlaubnissen und Ausnahmebewilligungen besonders geeignet für eine Berücksichtigung des medienübergreifenden und integrativen Prüfungsansatzes der Umweltverträglichkeitsprüfung. Das war der Grund, für die Zulassung obligatorischer und UVPpflichtiger Rahmenbetriebspläne ein bergrechtliches Planfeststellungsverfahren einzuführen. Die besondere UVP-Tauglichkeit der Planfeststellung soll ebenfalls aus der Konzentrationswirkung des Planfeststellungsbeschlusses und dem der Planfeststellungsbehörde eingeräumten Planungsermessen folgen.4 Ein wesentlicher Unterschied zwischen Planfeststellungsbeschlüssen und Genehmigungsentscheidungen liegt darin, dass der Planfeststellungsbeschluss dazu dient, ein raumbedeutsames Vorhaben nicht nur öffentlich-rechtlich zuzulassen, sondern auch das für das Vorhaben notwendige Planungsrecht zu schaffen. Der Planfeststel3
Dazu Blümel, Die Entwicklung der Planfeststellung, in: Erbguth/Oebbecke/Rengeling/ Schulte (Hrsg.), Planung Festschrift für Werner Hoppe, 2000, S. 4; Ronellenfitsch, Die Planfeststellung, VerwArch. 1989, 92 (123); Gaentzsch, Die Planfeststellung als Anlagenzulassung und Entscheidung über die Zulässigkeit der Enteignung, in: Berkemann, u. a. (Hrsg.), Planung und Plankontrolle, Festschrift für Otto Schlichter zum 65. Geburtstag, 1995, S. 517. 4 Beckmann, in: Hoppe, UVPG, 3. Aufl. 2007, § 12 Rdnr. 83; Erbguth/Schink, Kommentar zum UVPG; 2. Aufl. 1996, § 12 Rdnr. 33; auf die Einräumung eines Planungsermessens hat der Gesetzgeber allerdings bei der Einführung des bergrechtlichen Planfeststellungsverfahrens verzichtet.
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lungsbeschluss hat insoweit eine doppelte, nämlich eine raumplanerische und eine vorhabenzulassende Funktion. Darin liegt im Vergleich zu umweltrechtlichen Genehmigungen sein besonderer Wert. Der planerische Anteil an der Planfeststellung fällt – abhängig von der jeweiligen fachgesetzlichen Ausgestaltung – allerdings sehr unterschiedlich aus. 2. Kritik an der Planfeststellung Die hohe Wertschätzung, welche die Planfeststellung in der Planungsrechtswissenschaft erfährt, gilt allerdings nicht uneingeschränkt. Die Planfeststellung steht vielmehr vor allem bei politischen Entscheidungsträgern und wohl auch in der Öffentlichkeit in dem (berechtigten) Ruf, im Vergleich zu Kontrollerlaubnissen fehlerund damit auch rechtsmittelanfälliger zu sein. Außerdem wird ständig die lange Dauer der Planfeststellungsverfahren und der hohe Verfahrensaufwand mit manchmal Tausenden von Einwendungen, tage- und wochenlangen Erörterungsterminen und Aktenschränke füllenden Wortprotokollen beanstandet.5 Die Flächenwidmung der Planfeststellung gilt zudem für Nachfolgenutzungen als „Projekthindernis“.6 3. Reaktionen des Gesetzgebers Der Gesetzgeber hat auf diese Kritik mit einem Verzicht auf Planfeststellungsverfahren für zahlreiche Vorhabensarten, mit Verfahrenserleichterungen, mit kurzen Verfahrensfristen und mit der Einschränkung des Verwaltungsrechtsschutzes gegen Planfeststellungsbeschlüsse reagiert. a) Verzicht auf Planfeststellungsverfahren Zu Beginn der 1990er Jahre hat der Gesetzgeber für die meisten Abfallentsorgungsanlagen, insbesondere für die damals hoch umstrittenen Müllverbrennungsanlagen, das abfallrechtliche Planfeststellungsverfahren zugunsten der immissionsschutzrechtlichen Kontrollerlaubnis abgeschafft. Mit dem Wechsel zum immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren sollte insbesondere auf eine Bedarfsprüfung, auf Alternativenprüfungen und auf eine planerische Abwägung verzichtet werden.7 Neben den technischen Verbesserungen der Rauchgasreinigung von Müllverbrennungsanlagen zur Vermeidung und Verringerung von Dioxin- und Furanbelas5 Siehe z. B. Schirmer, Das Gesetz zur Beschleunigung des Ausbaus der Höchstspannungsnetze, DVBl 2010, 1349 mit Verweis auf Genehmigungsdauern von 15 Jahren für den Bau einer Stromleitung in Hessen; zur Verfahrensbeschleunigung nach dem EnLAG; Holznagel/ Nagel, Verfahrensbeschleunigung nach dem Energieleitungsausbaugesetz, DVBl 2010, 669. 6 Dziallas, „Projekthindernis“ Planfeststellung, NZBau 2010, 362. 7 Paetow, Zur Struktur der abfallrechtlichen Planfeststellung, in: Franßen/Redeker/ Schlichter/Wilke (Hrsg.), Bürger – Richter – Staat, Festschrift für Horst Sendler, 1991, S. 501.
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tungen dürfte der Wechsel zur immissionsschutzrechtlichen Kontrollerlaubnis entscheidend zur Durchsetzung der zur ordnungsgemäßen Abfallvorbehandlung dringend erforderlichen Müllverbrennungsanlagen beigetragen haben. Der weitgehende Verzicht auf die abfallrechtlichen Planfeststellungen war – gemessen an dem gesetzgeberischen Ziel einer Entscheidungserleichterung zur Durchsetzung umstrittener Anlagen – ein voller Erfolg und belegt die Erkenntnis, dass die Gefahr einer gerichtlichen Aufhebung bei den gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Planfeststellungsbeschlüssen höher ist als bei gerichtlich voll überprüfbaren Kontrollerlaubnissen. Das könnte sich allerdings in dem Maße ändern, in dem das europäische Recht den Umweltverbänden eine verwaltungsgerichtliche Vollkontrolle immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen ermöglicht. In einfacher gelagerten Fällen, in denen Rechte anderer nicht beeinträchtigt werden und das Benehmen mit den betroffenen Trägern öffentlicher Belange hergestellt ist, kann mittlerweile aufgrund verschiedener Gesetzesänderungen in weitem Umfang auf eine Planfeststellung zugunsten einer Plangenehmigung verzichtet werden, die bei Beachtung derselben materiellrechtlichen Entscheidungsmaßstäbe mit Ausnahme der enteignungsrechtlichen Vorwirkungen die Rechtswirkungen einer Planfeststellung entfaltet. Die Plangenehmigung war ursprünglich nur in wenigen Fachplanungsgesetzen, etwa im Wasserrecht, im Wasserstraßenrecht, im Flurbereinigungsrecht und im Abfallrecht vorgesehen. § 4 VerkPBG hat die Möglichkeit einer Plangenehmigung auf bestimmte Verkehrsvorhaben ausgedehnt. Wegen der dabei nach Auffassung des Gesetzgebers gesammelten positiven Erfahrungen ist die Möglichkeit einer Plangenehmigung dann durch das PlanVereinfG auf weitere Fachplanungsvorhaben übertragen worden (z. B. für das Fernstraßenrecht, das Luftverkehrsrecht und das Personenbeförderungsrecht). Das GenBeschlG hat die Plangenehmigung dann in das VwVfG übernommen und damit zu einem allgemeinen Rechtsinstitut des Genehmigungsrechts entwickelt, das lückenschließend und subsidiär gilt, soweit nicht inhaltsgleiche oder entgegenstehende Rechtsvorschriften etwas anderes bestimmen.8 Nicht zuletzt sollte im Zusammenhang mit der beabsichtigten Einführung eines UGB die Planfeststellung für eine Reihe von Vorhaben zugunsten einer integrierten planerischen Genehmigung aufgegeben werden, auf die allerdings Vorschriften des Planfeststellungsrechts zur Anwendung kommen sollten.9 Die planerische Genehmigung sollte einen Sonderfall der Vorhabengenehmigung bilden. Für die Zulassung sollten grundsätzlich die gleichen Regelungen gelten wie bei der integrierten Vorha8 Zur Rechtsentwicklung siehe Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Kommentar zum VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 74 Rdnr. 222. 9 Dazu Erbguth/Schubert, UGB 09: Die integrierte Vorhabengenehmigung im Referentenentwurf eines Umweltgesetzbuches, NuR 2008, 474; Calliess, Integrierte Vorhabengenehmigung und Rechtsschutz im aktuellen Entwurf des UGB I, ZUR 2008, 343; Guckelberger, Die planerische Vorhabengenehmigung nach dem UGB-Referentenentwurf, NuR 2008, 369; siehe auch Kahl/Weilke, Über die unveränderte Notwendigkeit einer integrierten Vorhabengenehmigung und deren Regelungsstandort, DVBl 2010, 1414.
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bengenehmigung im Übrigen; die Abwägung der verschiedenen Belange sollte bei der planerischen Genehmigung lediglich hinzukommen. Dementsprechend wurde angenommen, dass man sich von dem herkömmlichen Verständnis der Planungsentscheidungen als ein aliud gegenüber den Kontrollerlaubnissen verabschieden müsse.10 Mit verschiedenen Investitionsmaßnahmegesetzen hat der Gesetzgeber schließlich zur beschleunigten Realisierung von Verkehrsprojekten im Zusammenhang mit der deutschen Einheit die Planung sogar in eigene Hände genommen und auf die Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens verzichtet. Das BVerfG hat eine solche Planung durch den Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht beanstandet.11 Die Beispiele mögen belegen, dass der Gesetzgeber auf die Durchführung von Planfeststellungsverfahren gerne verzichtet, wenn der Widerstand gegen ungeliebte, jedoch für notwendig gehaltene Projekte zu groß wird (siehe das Beispiel der Müllverbrennungsanlagen) oder die Realisierung der Projekte besonders dringlich erscheint (siehe die vom Gesetzgeber selbst geplanten Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“). Das ist wahrlich kein Eignungsnachweis für, sondern eher ein Misstrauensvotum gegen das Planfeststellungsverfahren von demokratisch höchst legitimierter Stelle. b) Verfahrensvereinfachungen Mit zahlreichen Gesetzen hat sich der Gesetzgeber in den letzten zwanzig Jahren außerdem angesichts der beanstandeten Verfahrensdauer und des hohen Verfahrensaufwandes um eine Vereinfachung und um eine Beschleunigung des Planfeststellungsverfahrens bemüht. Durch das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz, das Planungsvereinfachungsgesetz und das Genehmigungsbeschleunigungsgesetz sind insbesondere Fristen für das Anhörungsverfahren, die Behördenbeteiligung und den Abschluss des Erörterungstermins eingeführt und die Möglichkeiten der Planfeststellungsbehörde erweitert worden, Verfahrens- und Abwägungsmängel durch Planergänzung und ergänzendes Verfahren zu heilen. Nach Maßgabe einzelner Fachplanungsgesetze ist der Erörterungstermin nicht mehr obligatorisch; vielmehr steht seine Durchführung im Ermessen der zuständigen Behörde. c) Rechtsschutzverkürzungen Nicht zuletzt wurden die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Planfeststellungsbeschlüsse durch die Einführung eines materiellen Einwendungsausschlusses und Son10 Guckelberger (Fn. 9), S. 370; für die Beibehaltung der Unterscheidung von Planung und Kontrollerlaubnis Hoppe/Schlarmann, Die planerische Vorhabengenehmigung, Schriften zum deutschen und europäischen Umweltrecht, Bd. 20, 2000, S. 180 ff. 11 BVerfG, Urt. v. 17.07.1996 – 2 BvF 2/93 –, NJW 1997, 383; Zur Planung durch den Gesetzgeber siehe Badura, Vorhabenplanung im Rechtsstaat, in: Erbguth/Oebbecke/Rengeling/Schulte (Hrsg.), Planung Festschrift für Werner Hoppe, 2000, S. 167 ff.; Blümel, Fachplanung durch Bundesgesetz (Legalplanung), DVBl 1997, 205.
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dervorschriften für das verwaltungsgerichtliche Verfahren eingeschränkt. Dazu gehören die erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit des BVerwG für zahlreiche planfeststellungsbedürftige Vorhaben. Verschiedene Fachplanungsgesetze sind durch verwaltungsprozessuale Regelungen ergänzt worden, die Fristen zur Klagebegründung verbunden mit weiteren Präklusionswirkungen und den Wegfall der aufschiebenden Wirkung von Klagen gegen Planfeststellungsbeschlüssen vorsehen.
4. Akzeptanzprobleme der Planfeststellung Willi Blümel warnte in der Werner Hoppe zum 70. Geburtstag gewidmeten Festschrift, Gefährdungen des modernen und bewährten Instituts der Planfeststellung seien unübersehbar. Seine Zukunft stehe auf dem Spiel.12 Diese Warnung bezog sich vor allem auf politische Absichten, auf das Planfeststellungsverfahren für zahlreiche bislang planfeststellungsbedürftige Vorhabensarten zugunsten anderer Zulassungsarten, insbesondere zugunsten gebundener Kontrollerlaubnisse oder einer planerischen Vorhabengenehmigung im Rahmen des zwischenzeitlich aufgegebenen Umweltgesetzbuchs zu verzichten. Neben dem möglichen Verzicht auf Planfeststellungsverfahren für weitere Vorhabensarten besteht aber vor allem die Gefahr, dass die Akzeptanz und damit die Realisierungschancen bestandskräftiger Planfeststellungsbeschlüsse schwinden. Dass sich der Bürgerprotest gegen einzelne, spektakuläre Vorhaben neben dem Planfeststellungsverfahren oder gar erst nach Eintreten der Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses formiert, kann viele Gründe haben. Angesichts langer Verfahrenszeiten können sich Erkenntnisse, Anschauungen und politische Grundüberzeugungen zu einem konkreten Projekt oder aber auch zu einer bestimmten Politik, sei es die Verkehrspolitik, sei es die Energiepolitik, ändern. Wesentlicher Grund für die mangelnde Akzeptanz von Planfeststellungsbeschlüssen, dem hier nachgegangen werden soll, kann allerdings auch im Planfeststellungsverfahren selbst wurzeln, nämlich in seiner nahezu ausschließlichen Orientierung auf eine Entscheidungsvorbereitung der Planfeststellungsbehörde, die keine Überzeugungsarbeit hinsichtlich der Richtigkeit dieser Entscheidung gegenüber der Öffentlichkeit umfasst. Hinzu kommt eine rechtlich nicht zufriedenstellend geklärte Aufgabenverteilung zwischen Vorhabenträger und Planfeststellungsbehörde, die dazu beiträgt, dass die Planfeststellungsbehörde ihre Entscheidung über die Feststellung des Plans nicht frei und ungebunden trifft und dass bei Drittbetroffenen und der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht oder entstehen kann, die Planfeststellungsbehörde sei nicht (mehr) bereit oder in der Lage, das Vorhaben in grundsätzlicher Weise in Frage zu stellen. Nicht zuletzt werden die Entscheidungsmöglichkeiten der Planfeststellungsbehörde durch gesetzliche Bedarfsfeststellungen einschließlich gesetzlicher geregelter Vorgaben für die räumliche Zuordnung und Dimensionierung von Vorhaben und durch immer strengere materiellrechtliche Vorgaben eingeengt, wodurch die Möglichkeiten der Planfest12
Blümel (Fn. 3), S. 18 ff.
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stellungsbehörde zur planerisch abwägenden Berücksichtigung der Ergebnisse des Planfeststellungsverfahrens und insbesondere der Öffentlichkeitsbeteiligung sinken. Und schließlich lassen es die bereits erwähnten Rechtsschutzverkürzungen Projektgegnern geraten erscheinen, nicht oder jedenfalls nicht allein auf die Möglichkeiten gerichtlicher Anfechtung, sondern eher auf den Bürgerprotest auf der Straße zu setzen. Der Bürgerprotest gegen das Bahnprojekt in Stuttgart kann vielleicht in einigen Jahren aus der Rückschau einen Wendepunkt des Planfeststellungsrechts markieren, weil an diesem Beispiel deutlich wird, dass immer weitergehende Regelungen zur Beschleunigung von Planfeststellungsverfahren und zur Verringerung ihrer gerichtlichen Aufhebungsrisiken nur um den Preis zu haben sind, dass die Akzeptanz- und Befriedungsfunktion des Planfeststellungsbeschlusses für umstrittene Großvorhaben abnimmt und sich dementsprechend der Widerstand gegen solche Vorhaben auf anderen, nicht an förmlichen Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren orientierten Ebenen verstärkt. Bürgerproteste und Anwohnerklagen sowie Verbandsklagen gegen umstrittene Großvorhaben gehören zwar bereits seit Jahrzehnten zur deutschen Wirklichkeit. Neu ist aber, dass sich der Widerstand nicht mehr nur aus überwiegend existenziellen Sorgen und Ängsten um Leib und Leben, wie etwa in der Auseinandersetzung um Atomkraftwerke, atomare Endlager oder um Müllverbrennungsanlagen, motiviert, sondern auch oder sogar „nur“ auf einer ganz unterschiedlichen Bewertung der Vernünftigkeit und Finanzierbarkeit eines Großvorhabens beruht. Und neu ist vielleicht auch, dass der Protest nicht mehr auf Minderheiten und unmittelbar vor Ort Betroffene beschränkt bleibt, sondern in der Mitte der Mehrheitsgesellschaft angekommen zu sein scheint. Das wirft für alle, aber insbesondere für um politische Mehrheiten ringende Parteien und Politiker die Frage auf, ob Planungsvorhaben unter Verweis auf die Bestandskraft der für sie erteilten Planfeststellungsbeschlüsse wegen des fachplanerisch festgestellten Bedarfs und trotz einer damit vielleicht noch nicht zur Überzeugung der Öffentlichkeit feststehenden Notwendigkeit auch gegen breitere Mehrheiten der Bevölkerung realisiert werden können und müssen. Damit sind auch Fragen der Rechtsstaatlichkeit, insbesondere auch des Schutzes von Rechten privater Vorhabenträger einerseits und des Umfangs der abzuwägenden Interessen und Belange andererseits angesprochen. Inwieweit ermöglicht die bei der Planfeststellung erforderliche Abwägung eine Berücksichtigung eines zu erwartenden oder bereits etablierten breiten Bürgerprotestes? Könnte eine Planfeststellungsbehörde die Feststellung des Planes mit der Begründung ablehnen, der in der Bevölkerung zu erwartende Widerstand sei zu groß, der Einsatz der zur Überwindung eines solchen Widerstandes notwendigen staatlichen Zwangsmittel unverhältnismäßig? Und könnte die Planfeststellungsbehörde am Ende sogar den bereits erteilten und vielleicht schon bestandskräftig gewordenen Planfeststellungsbeschluss wegen des zwischenzeitlich entstandenen Widerstandes möglicherweise entschädigungspflichtig widerrufen? Wäre das die Kapitulation des Rechtsstaats vor einem möglicherweise sogar illegalen, weil Straftatbestände erfüllenden, Widerstand auf der Straße oder nur die Befolgung eines Opportunitätsprinzips oder eher ein Akt politischer Klugheit?
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Angesichts der vielfältigen Kritik am Planfeststellungsverfahren und der zahlreichen Maßnahmen des Gesetzgebers zur Vermeidung eines Planfeststellungsverfahrens bzw. zu seiner Beschleunigung stellt sich die Frage, ob und inwieweit Kontrollerlaubnisse gegenüber der Planfeststellung vorzugswürdig sind, ob in noch weiterem Umfang auf die Durchführung von Planfeststellungsverfahren verzichtet werden kann oder ob Gründe für die gerügten Defizite des Planfeststellungsverfahrens doch eher im unzureichenden Planvollzug, in zunehmenden materiellrechtlichen Vorgaben und vielleicht auch in einer unbefriedigenden Öffentlichkeits- und Überzeugungsarbeit der Vorhabenträger und der Planfeststellungsbehörde zu suchen sind.13
II. Planungscharakter der Planfeststellung Das Planfeststellungsverfahren ist auf den Erlass eines Planfeststellungsbeschlusses gerichtet, mit dem die Planfeststellungsbehörde gem. § 74 Abs. 1 Satz 1 VwVfG den Plan eines Vorhabenträgers feststellt. Es hat insoweit – wie bereits erwähnt – eine doppelte, eine raumplanerische und eine das Vorhaben zulassende Funktion. Dass Planfeststellungsverfahren die Funktion eines Zulassungsverfahrens übernehmen, ergibt sich unproblematisch aus dem Gesetz. Nach § 75 Abs. 1 Satz 1 VwVfG wird durch die Planfeststellung die Zulässigkeit des Vorhabens einschließlich der notwendigen Folgemaßnahmen an anderen Anlagen im Hinblick auf alle von ihm berührten öffentlichen Belange festgestellt. Der Planfeststellungsbeschluss ist insoweit ein Verwaltungsakt, mit dem ein Verwaltungsverfahren abgeschlossen wird, in dem verbindlich für alle Beteiligten über die Zulässigkeit eines raumbedeutsamen Vorhabens entschieden wird. Ein wesentlicher Unterschied besteht von dieser Aufgabenstellung her zwischen Planfeststellungsbeschlüssen und Genehmigungsentscheidungen nicht. Umstritten ist dagegen die Einordnung der Planfeststellung als Planungsentscheidung. Sie ist nicht nur akademischer Natur. Denn von ihr sollen der Entscheidungsspielraum der Planfeststellungsbehörde, insbesondere die Pflicht zur planerischen Alternativenprüfung14 und die Notwendigkeit einer Planrechtfertigung sowie Umfang und Kontrolldichte der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung abhängen. Auch zur Beantwortung der Frage, warum sich der Widerstand gegen planfestgestellte Vorhaben bei besonders umstrittenen Vorhaben erst nach Abschluss des Planfeststellungsverfahrens entwickelt, ist es hifreich, sich die Entscheidungskompetenzen 13
Grundlegend zum rechtssystematischen Verhältnis von Genehmigungen und Planungsentscheidungen Wahl, Genehmigung und Planungsentscheidung, DVBl 1982, 51; Jarass, Die materiellen Vorausetzungen der Planfeststellung in neuerer Sicht, DVBl 1998, 1202. 14 OVG Lüneburg, Urt. v. 08.03.2006 – 7 KS 145/02 –, ZUR 2006, 489; Ramsauer, Planfeststellung ohne Abwägung?, NVwZ 2008, 944 (946); das BVerwG hat allerdings ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die FFH-Alternativenprüfung anders als die fachplanerische Alternativenprüfung nicht Teil der planerischen Abwägung ist. Der Planfeststellungsbehörde ist insoweit kein irgendwie gearteter Gestaltungsspielraum eingeräumt, vgl. BVerwG, Urt. v. 09.07.2009 – 4 C 12/07 –, juris, Rdnr. 33.
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und die Entscheidungspraxis der Planfeststellungsbehörde in Abgrenzung zu denen des Vorhabenträgers vor Augen zu führen. Denn es erweist sich, dass die Planfeststellungsbehörde sich nicht in einer tatsächlich offenen Entscheidungssituation auf der Grundlage von Einwendungen, Stellungnahmen der Träger öffentlicher Belange oder sonstigem Gegenvorbringen aus der Öffentlichkeit für oder gegen das Vorhaben entscheidet, sondern dass der Vorhabenträger ganz wesentliche Weichen bereits vor jeglicher Betroffenen-, Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung stellt und auch stellen muss, so dass trotz des enormen Verfahrensaufwandes mancher Planfeststellungsverfahren maximal das Vorhaben einschränkende Schutzvorkehrungen, kaum je doch die offene Entscheidung zwischen einer Ablehnung oder Feststellung des eingereichten Plans ansteht. Aus der Aufgabenverteilung zwischen Vorhabenträger und Planfeststellungsbehörde – Sendler spricht insoweit von einer Planung der „gesamten Hand“ kann sich auch eine Verantwortung des Vorhabenträgers für die Schaffung von Akzeptanz für sein Vorhaben in der Öffentlichkeit und damit auch für die Durchsetzbarkeit des von ihm begehrten Planfeststellungsbeschlusses ergeben. Zur Beantwortung der Frage, ob es sich bei Planfeststellungsbeschlüssen um eine Planungsentscheidung handelt, kann darauf verwiesen werden, dass der Planfeststellungsbeschluss Planungsrecht im Sinne der planungsrechtlichen Zulässigkeit von Bauvorhaben originär schafft. Zum anderen kann sich der Planungscharakter des Planfeststellungsbeschlusses auch daraus ergeben, dass der Gesetzgeber der Planfeststellungsbehörde und/oder dem Vorhabenträger einen Entscheidungsfreiraum einräumt, der zur Bewältigung der vor der Planung vorgefundenen oder durch sie ausgelösten Probleme eine Abwägung aller betroffenen und privaten Belange ermöglicht und insoweit die Einordnung als Planungsentscheidung rechtfertigt. 1. Die Planfeststellung als Raumnutzungsentscheidung Der Planfeststellungsbeschluss ist anders als die Kontrollerlaubnis nicht nur eine Vorhabenzulassung, sondern zugleich eine planerische Raumnutzungsentscheidung. Bei gebundenen Entscheidungen findet diese Raumnutzungsentscheidung auf einer vorgelagerten Stufe, entweder im Bebauungsplan oder planersetzend durch den Gesetzgeber mit den §§ 34, 35 BauGB statt. Weder die Bauleitplanung noch privilegierte Fachplanungen können auf die Beachtung des Abwägungsgebots verzichten. Denn nur das Abwägungsgebot kann sicherstellen, dass die mit jeder Planung verbundenen Beeinträchtigungen von grundrechtlich geschützten Rechtspositionen zu einem dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hinreichend Rechnung tragenden Ausgleich gebracht werden. Die Zulassung von Vorhaben kommt insoweit nicht ohne Planung, die Planung nicht ohne Abwägung aus.15 Das gilt für die Zulassung von Vorhaben durch
15 Stüer, Querschnitte zwischen Bau- und Fachplanungsrecht, in: Grupp/Ronellenfitsch, Planung – Recht – Rechtsschutz, Festschrift für Willi Blümel zum 70. Geburtstag, Berlin 1999, S. 565 (575).
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Kontrollerlaubnisse und Ausnahmebewilligungen nicht anders als für die Zulassung von Vorhaben durch die Planfeststellung. Die Planfeststellungsbehörde schafft mit dem Planfeststellungsbeschluss originäres Planungsrecht; sie ist für die Zulassung des Vorhabens nicht auf dessen Übereinstimmung mit dem bestehenden Planungsrecht der §§ 29 ff. BauGB angewiesen. Als privilegierte Fachplanung kann sich die Planfeststellungsbehörde über entgegenstehendes Bauplanungsrecht hinwegsetzen. Diese Privilegierung setzt aus besagtem Grund nach § 38 Satz 1 BauGB eine Berücksichtigung der städtebaulichen Belange und eine Beteiligung der betroffenen Gemeinde voraus. Die Ermächtigung der Planfeststellungsbehörde, Planungsrecht originär zu schaffen, rechtfertigt es, den Planfeststellungsbeschluss als Planungsentscheidung einzuordnen. § 38 BauGB privilegiert allerdings nicht nur Planfeststellungsverfahren, sondern auch Plangenehmigungsverfahren sowie immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren für die Errichtung und den Betrieb öffentlich zugänglicher Abfallbeseitigungsanlagen. Der Gesetzgeber geht insoweit offenbar davon aus, dass eine hinreichende Berücksichtigung der städtebaulichen Belange nicht nur im Wege eines Planfeststellungsbeschlusses, sondern auch durch Genehmigungsentscheidungen möglich ist, die eine Abwägung mit städtebaulichen Belangen eröffnen. Dementsprechend sind auch Plangenehmigungen und sogar immissionsschutzrechtliche Genehmigungen, bei denen die städtebaulichen Belange durch eine Abwägungsentscheidung hinreichend berücksichtigt werden, Planungsentscheidungen. Insoweit besteht zwischen Planfeststellungen, Plangenehmigungen und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen mit Abwägungsspielraum kein qualitativer Unterschied.16 Denn die zuständigen Behörden können sich bei Beachtung der in § 38 BauGB genannten Voraussetzungen (Anhörung der Gemeinde und Berücksichtigung der städtebaulichen Belange) über das geltende Planungsrecht der §§ 29 ff. BauGB mit einer eigenen Planungsentscheidung hinwegsetzen. 2. Planerischer Gestaltungsfreiraum Stellt man für die Einordnung der Planfeststellung als Planungsentscheidung nicht auf die Berechtigung der Planfeststellungsbehörde ab, Planungsrecht originär zu schaffen, sondern fragt stattdessen nach dem Umfang der planerischen Gestaltungsmöglichkeiten, die der Planfeststellungsbehörde zustehen, dann wird die Einordnung des Planfeststellungsbeschlusses als Planungsentscheidung zweifelhaft.17 16 Siehe dazu Weidemann, Kontrollerlaubnis unter Abwägungsvorbehalt?, DVBl 1994, 263; Paetow (Fn. 7), S. 441; Paetow, Genehmigung statt Planfeststellung, in: Berkemann, u. a. (Hrsg.), Planung und Plankontrolle, Festschrift für Otto Schlichter zum 65. Geburtstag, 1995, S. 499 (511), der von einer systemfremden und fragwürdigen Einbeziehung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen für Abfallentsorgungsanlagen in den Kreis der privilegierten Vorhaben spricht. 17 Dazu grundlegend Erbguth, Abwägung als Wesensmerkmal rechtsstaatlicher Planung – die Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips, UPR 2010, 281.
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a) Planung und planerische Gestaltung Der Planfeststellungsbeschluss soll sich nach wohl immer noch überwiegender Ansicht als Planungsentscheidung in grundsätzlicher Weise von einer Genehmigung unterscheiden. Die Einordnung der Planfeststellung als Planungsentscheidung zieht danach die Zuweisung planerischen Gestaltungsspielraums nach sich, der sich qualitativ von herkömmlichen Entscheidungsfreiräumen der Verwaltung unterscheiden soll, was wiederum auch Auswirkungen auf die verwaltungsgerichtliche Kontrolldichte haben soll.18 Ausgangspunkt dieser Sichtweise ist die Rechtsprechung des BVerwG zur Bauleitplanung, wonach die der Gemeinde eingeräumte Planungshoheit ein Planungsrecht voraussetzt, das sich denknotwendig auf einen mehr oder weniger großen Gestaltungsfreiraum erstreckt. Das BVerwG hat diesen planerischen Gestaltungsfreiraum der Gemeinden auf das Planfeststellungsrecht übertragen. Mit der materiellen Ermächtigung der Planfeststellungsbehörde zur Fachplanung sei zwangsläufig die Einräumung von Planungsermessen im Sinne planerischer Gestaltungsfreiheit verbunden. Das Gericht beschreibt den Entscheidungsfreiraum als planerische Gestaltungsfreiheit und knüpfte insoweit für die Fachplanung an die hoheitliche Planung in anderen Bereichen, insbesondere der Bauleitplanung an.19 Die Befugnis der Planfeststellungsbehörde schließt nach der Rechtsprechung regelmäßig einen mehr oder weniger weiten Gestaltungsspielraum über das Ob und Wie der Realisierung eines Vorhabens ein, weil – so die eingängige, aber auch verführerische oder sogar irreführende Formulierung der Rechtsprechung – Planung ohne Gestaltungsfreiheit ein Widerspruch in sich wäre.20 Die Übertragung der Planungsdogmatik der Bauleitplanung auf die Fachplanung durch die Rechtsprechung ist auf ein sehr unterschiedliches Echo gestoßen. Ein Teil der Literatur – nicht zuletzt Werner Hoppe – folgt dem BVerwG in der Einordnung der Planfeststellung als Planungsentscheidung.21 Anhänger dieser Ansicht betonen den Zusammenhang zwischen Planung, Abwägung und Rechtsgestaltung. Die Planungsbehörde sei zu Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums Planungsbetroffener nur befugt, wenn sie durch eine weitreichende Interessabwägung legitimiert werde.22 Eine einseitige, ausschließlich an Genehmigungsansprüchen ausgerichtete Zulassungsentscheidung werde diesen verfassungsrechtlichen Notwendigkeiten
18 Erbguth, Zum System der Fachplanungen, in: Erbguth/Oebbecke/Rengeling/Schulte (Hrsg.), Planung Festschrift für Werner Hoppe zum 70. Geburtstag, 2000, S. 644. 19 Bonk/Neumann (Fn. 8), § 72 Rdnr. 10; BVerwG, Urt. v. 11.04.1986 – 4 C 51/83 –, BVerwGE 74, 124 (133). 20 BVerwG, Urt. v. 12. 12. 1969 – IV C 105/66 –, BVerwGE 34, 301 (304); BVerwG, Urt. v. 07. 07. 1978 – IV C 79,76 –, BVerwGE 56, 110 (116). 21 Siehe dazu im Einzelnen Hoppe/Schlarmann/Buchner, Rechtsschutz bei der Planung von Straßen und anderen Verkehrsanlagen, 3. Aufl. 2001, S. 190 ff. 22 Stüer (Fn. 15), S. 575.
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nicht gerecht. Die Gestaltungsfreiheit der Planfeststellungsbehörde sei mit dem Begriff Planungsermessen nur unzureichend erfasst.23 Andere – so z. B. Erbguth – sind dem beharrlich entgegengetreten. Eine Abwägung nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, die zur Rechtfertigung eines Grundrechtseingriffs erforderlich sei, sei keine Abwägung im planerischen Sinne. Selbst eine wertende Berücksichtigung vielfältiger Interessen sei keine Planung mit spezifischem Gestaltungsspielraum.24 Auch nach Auffassung von Gaentzsch ist die Planfeststellung nicht mehr als ein qualifiziertes Anlagengenehmigungsverfahren.25 Di Fabio spricht davon, dass der Entscheidungsfreiraum der Planfeststellungsbehörde nicht als planerischer Gestaltungsfreiraum, sondern als ein davon qualitativ zu unterscheidendes Planungsermessen einzuordnen sei, der Projektbezug der Planfeststellung rücke diese in die Nähe einer Standortgenehmigung.26 Nach Schmidt-Aßmann stehen vor allem die weniger raum- als anlagenbezogenen Planfeststellungen nicht nur vom Regelungsgegenstand, sondern auch von der Planungsverantwortung her dem Anlagenzulassungsrecht näher als planerische Konzeptentscheidungen.27 b) Maßgeblichkeit der gesetzlichen Regelungen Für den Umfang der Entscheidungsbefugnisse der Planfeststellungsbehörde kommt es nur auf die maßgeblichen Regelungen in den jeweiligen Fachplanungsgesetzen und Verwaltungsverfahrensgesetzen, nicht jedoch auf dogmatische Zuordnungen als Planungsentscheidung oder auf die gesetzgeberische Bezeichnung der Zulassung als Planfeststellung an.28 Die Rechtsprechung des BVerwG, wonach die gesetzliche Ermächtigung zur Führung von Planfeststellungsverfahren notwendigerweise die Einräumung von planerischer Gestaltungsfreiheit zur Folge habe, weil Planung ohne Gestaltungsfreiheit ein Widerspruch in sich sei, ist insoweit irreführend.
23 Breuer, Die wasserrechtliche Planfeststellung, in: Erbguth/Oebbecke/Rengeling/Schulte (Hrsg.), Planung, Festschrift für Werner Hoppe zum 70. Geburtstag, 2000, S. 669. 24 Erbguth (Fn. 18), S. 647; Erbguth, Anmerkungen zum administrativem Entscheidungsfreiraum, DVBl 1992, 401 f.; Erbguth, Bauleitplanung und private Investitionen, VerwArch 89 (1998), 189 (208). 25 Gaentzsch, in: Erbguth (Hrsg.), Abwägung im Recht, 1996, S. 116 f.; Battis, Das System der räumlchen Gesamtplanung, in: Erbguth/Oebbecke/Rengeling/Schulte (Hrsg.), Planung Festschrift für Werner Hoppe, 2000, S. 312. 26 Di Fabio, Die Struktur von Planungsnormen, in: Erbguth/Oebbecke/Rengeling/Schulte (Hrsg.), Planung Festschrift für Werner Hoppe zum 70. Geburtstag, 2000, S. 75. 27 Schmidt-Aßmann, Planung als administrative Handlungsform, in: Berkemann, u. a. (Hrsg.), Planung und Plankontrolle, Festschrift für Otto Schlichter zum 65. Geburtstag, 1995, S 14; Hoppe/Beckmann/Kauch (Fn. 1), § 7 Rdnr. 6; Beckmann, Die Umweltverträglichkeitsprüfung und das rechtssystematische Verhältnis von Genehmigungen und Planfeststellungsbeschlüssen DÖV 1987, 944 (947). 28 BVerwG, Beschl. v. 26. 03. 2007 – 7 B 74/06 – , NVwZ 2007, 833; OVG Lüneburg, Urt. v. 08. 03. 2006 – 7 KS 145/02 –, ZUR 2006, 489.
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Der Gesetzgeber hat einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Frage, in welchem Verfahren über die Zulassung eines raumbedeutsamen Verfahrens entschieden werden soll, in welcher Weise dieses Verfahren gestuft wird, von welchen materiellrechtlichen Voraussetzungen die Zulassung abhängen soll, ob und inwieweit der Planfeststellungsbehörde ein planerischer Gestaltungsspielraum zustehen soll, welche Rechtswirkungen von der Planfeststellung ausgehen sollen und wie weit insbesondere die Konzentrationswirkung des Planfeststellungsbeschlusses reichen soll.29 Der Gesetzgeber kann die Zulassung eines Vorhabens durch einen Planfeststellungsbeschluss als Planungsentscheidung mit planerischem Abwägungsspielraum über das Ob und Wie der Realisierung des Vorhabens oder als gebundene Entscheidung vorsehen, auf deren Erteilung der Vorhabenträger einen Rechtsanspruch hat, wenn die gesetzlich geregelten Zulassungsvoraussetzungen erfüllt sind. Dementsprechend hat das BVerwG zutreffend entschieden, dass es sich angesichts der gesetzlichen Formulierung des Genehmigungstatbestandes bei der bergrechtlichen Planfeststellung nicht um eine planerische Gestaltungsfreiheit vermittelnde Planungsentscheidung, sondern um eine gebundene Kontrollerlaubnis handelt, auf deren Erteilung der Unternehmen einen Anspruch hat, wenn die Zulassungsvoraussetzungen vorliegen.30 Auch die atomrechtliche Planfeststellung ist nach der Rechtsprechung des BVerwG keine Planungsentscheidung, sondern ebenfalls eine gebundene Kontrollerlaubnis.31 Das ist allerdings umstritten.32 Gleichwohl ist einzuräumen, dass sich mit dem Begriff der Planfeststellung herkömmlich keine gebundene Entscheidung im Sinne einer Kontrollerlaubnis verbindet. Es wäre deshalb vorzugswürdig, wenn der Begriff der Planfeststellung auch vom Gesetzgeber für solche Vorhaben reserviert würde, deren Träger bei Beachtung bestimmter Zulassungsvoraussetzungen einen Anspruch auf Erteilung der Zulassung haben. Die Auffassung, dass allein mit der gesetzlichen Anordnung eines Planfeststellungsverfahrens zugleich eine planerische Gestaltungsfreiheit eingeräumt wird, ist insoweit unzutreffend. Richtig ist dagegen, dass eine planerische Gestaltungsfreiheit durch die Zuweisung einer materiellen Planungsaufgabe begründet wird, bei der der Gesetzgeber die Gesetzesbindung lockert, um dem Planungsträger einen eigenständigen, gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Gestaltungsfreiraum einzuräumen.33
29
Bonk/Neumann (Fn. 8), § 72 Rdnr. 9. BVerwG, Urt. v. 14. 04. 2005 – 7 C 26.03 –, NVwZ 2005, 954 (955); Gaentzsch, Die bergrechtliche Planfeststellung, in: Franßen u. a. (Hrsg.), Bürger – Richter – Staat – Festschrift für Horst Sendler, 1991, S. 403 (412); Beckmann, Oberflächeneigentum und Bergbau, DVBl 1992, 741 (748). 31 BVerwG, Beschl. v. 26. 03. 2007 – 7 B 74/06 –, NVwZ 2007, 837; dazu auch Ramsauer (Fn. 14), S. 944. 32 Ramsauer (Fn. 14), S. 947. 33 Hoppe/Schlarmann/Buchner (Fn. 21), Rdnr. 556. 30
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c) Maß der materiellen Bindung Die materiellrechtlichen Anforderungen an die Planfeststellung ergeben sich aus dem Erfordernis einer vor Art. 14 GG standhaltenden Planrechtfertigung, aus Planungsleitsätzen sowie aus den Anforderungen des den Abwägungsvorgang und das Abwägungsergebnis steuernden Abwägungsgebots. Nach der Rechtsprechung des BVerwG enthalten diejenigen gesetzlichen Vorschriften einen Planungsleitsatz, die bei der öffentlichen Planung strikte Beachtung verlangen und deswegen nicht durch die planerische Abwägung überwunden werden können.34 Neben der Beachtung des Erfordernisses einer Planrechtfertigung und der zwingenden Planungsleitsätze bedarf es zur Beachtung des Abwägungsgebots einer gerechten Abwägung aller betroffenen privaten und öffentlichen Belange untereinander und gegeneinander. Das Abwägungsgebot verlangt, dass eine Abwägung überhaupt stattfindet, dass in die Abwägung alle Belange eingestellt werden, die nach Lage der Dinge in sie einzustellen sind, dass weder die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt noch der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit dieser Belange außer Verhältnis steht. Unter Beachtung dieser Grundsätze kann die Planungsbehörde sich bei der Kollision verschiedener Belange für die Bevorzugung des einen und damit notwendigerweise für die Zurückstellung eines anderen Belangs entscheiden. In dieser Abwägungskompetenz liegt der eigentliche und charakteristische Gehalt einer Planungsentscheidung. Zur Bewältigung situativer Konflikte überlässt der Gesetzgeber dem Planungsträger einen Freiraum, innerhalb dessen er sich für unterschiedliche Planungsergebnisse entscheiden kann. Planerische Gestaltungsfreiheit ist durch die fehlende gesetzliche Rangbestimmung der Interessen gekennzeichnet, die den Planungsträger zur eigenen Interessenordnung mit der Möglichkeit der Kompensation im Rahmen eines planerischen Konzepts ermächtigt.35 Deshalb wird die Einordnung von Planfeststellungen als Planungsentscheidungen in dem Maße zweifelhaft, in dem diese Planungsfreiheit durch zwingende gesetzliche Vorgaben und durch Optimierungsgebote eingeschränkt wird. Offensichtlich ist dies am unteren Ende einer weiten Skala variierender gesetzlicher Vorgaben zum Entscheidungsfreiraum für bergrechtliche Planfeststellungsbeschlüsse, bei deren Erteilung ein solcher Freiraum nach allgemeiner Ansicht und der Rechtsprechung des BVerwG nicht besteht. Aber auch bei Planfeststellungen, bei denen der Gesetzgeber einen gesetzlichen Zulassungstatbestand formuliert, der für eine Abwägung der betroffenen Belange kaum Raum lässt, bestehen erhebliche Zweifel, ob tatsächlich noch von einer planerischen Abwägung gesprochen werden kann. Für die atomrechtliche Planfeststellung hat das BVerwG auch dies anerkannt. Es hat dem Vorhabenträger einen Anspruch auf Erteilung der Planfeststellung eingeräumt, wenn die Voraussetzungen des § 9b Abs. 4 AtG vorliegen, obwohl der Zulas34 35
BVerwG, Urt. v. 22.03.1985 – 4 C 73.82 –, DVBl 1985, 899. Schmidt-Aßmann (Fn. 27), S. 11.
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sungstatbestand auf der Rechtsfolgenseite mit einer – regelmäßig ein Ermessen anzeigenden – „Kann-Regelung“ kombiniert worden ist. Als weiteres Beispiel für eine Planfeststellung, bei der der Planungscharakter angesichts des detaillierten Zulassungstatbestands zweifelhaft ist, eignet sich das abfallrechtliche Planfeststellungsverfahren. § 32 KrW-/AbfG regelt die Voraussetzungen für die Zulassung einer Deponie. Danach darf der Planfeststellungsbeschluss nur erteilt werden, wenn sichergestellt ist, dass das Wohl der Allgemeinheit nicht beeinträchtigt wird, insbesondere Gefahren für die in § 10 Abs. 4 KrW-/AbfG genannten Schutzgüter nicht hervorgerufen werden können und Vorsorge gegen die Beeinträchtigung der Schutzgüter, insbesondere durch bauliche, betriebliche oder organisatorische Maßnahmen entsprechend dem Stand der Technik getroffen werden, keine Tatsachen vorliegen, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit der für die Errichtung, Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebs der Deponie verantwortlichen Personen ergeben, keine nachteiligen Wirkungen auf das Recht eines anderen zu erwarten sind und dem Vorhaben die für verbindlich erklärten Festsetzungen eines Abfallwirtschaftsplanes nicht entgegenstehen. Nach überwiegender Ansicht sind bei Fehlen gesetzlicher Versagungsgründe die Anforderungen des Abwägungsgebots zu beachten; dementsprechend hat der Vorhabenträger auch bei Fehlen von Versagungsgründen keinen Anspruch auf die Feststellung seines Plans.36 Geht man davon aus, dass die Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Allgemeinwohl und mit Rechten Drittbetroffener bereits bei den Zulassungsvoraussetzungen zu prüfen ist und für den Fall, dass diese Vereinbarkeit festgestellt wird, kaum noch im Rahmen der sich anschließenden planerischen Abwägung eine Ablehnung rechtfertigen kann, dann wird ersichtlich, dass jedenfalls für eine umfassende Abwägung betroffener Belange im Rahmen einer planerischen Abwägung kaum noch Raum bleibt. Das BVerwG hat deshalb in einer älteren Entscheidung die Frage, ob bei Vorliegen der Zulassungsvoraussetzungen ein Anspruch auf Erteilung der abfallrechtlichen Planfeststellung besteht, ausdrücklich offen gelassen. Im Übrigen bleibt bei einem umfassend konditional gefassten Zulassungstatbestand für die Abwägungsentscheidung nur noch die negative, auf Ablehnung gerichtete Funktion des Abwägungsgebots im Sinne eines Versagungsermessens. Die positive, auf abwägende Kompensation unterschiedlich betroffener Interessen und Belange gerichtete Ausgleichsfunktion einer Planungsentscheidung fehlt nahezu vollständig.37 Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass die bergrechtliche und wohl auch die atomrechtliche Planfeststellung keine Planungsentscheidungen sind und dass bei Planfeststellungen, für die der Gesetzgeber – wie bei der abfallrechtlichen Planfeststellung – einen konditional formulierten, weit gefassten Zulassungstatbestand vorsieht, allenfalls von einem planerischen Einschlag, keineswegs aber von einer echten 36 Offen gelassen vom BVerwG, Beschl. v. 20. 12. 1988 – 7 NB 2.88 –, DVBl 1989, 512 (514); einen Anspruch des Vorhabenträgers bejahend Hoppe/Beckmann, Planfeststellung und Plangenehmigung im Abfallrecht, 1990, S. 80 f. 37 Siehe dazu Schlarmann (Fn. 7), S. 844; Spoerr, Der Vorhaben-Zulassungstatbestand im Umweltgesetzbuch (UGB) und die Planfeststellung, DVBl 1999, 1463 (1467).
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Planungsentscheidung gesprochen werden kann, wenn man für diese Einordnung auf den Entscheidungsfreiraum und nicht darauf abstellt, dass mit der Planfeststellung Planungsrecht geschaffen werden kann. d) Verteilung der Planungskompetenz Neben der zunehmenden Einengung planerischer Abwägungsprozesse durch Planungsleitsätze ergeben sich vor allem aus der gesetzlichen Aufgabenverteilung zwischen dem Vorhabenträger und der Planfeststellungsbehörde Zweifel am Planungscharakter der Planfeststellung. Nach Auffassung von Sendler liegt der gewichtigste Unterschied zwischen Bauleitplanung und Fachplanung mit Auswirkungen auf die planerische Gestaltungsfreiheit in der Frage, wer eigentlich plant.38 Umstritten ist bis heute, wem die Planungskompetenz zustehen soll, dem Vorhabenträger, der Planfeststellungsbehörde oder – in den Worten von Horst Sendler – beiden zur „gesamten Hand“. Paetow sprach noch vor einiger Zeit davon, dass die Planfeststellungsbehörde in einer komplizierten und rechtsdogmatisch noch nicht befriedigend durchdrungenen Weise in die Planungsvorstellungen des Vorhabenträgers eingebunden sei.39 Angesichts einer bald zweihundert Jahre alten historischen Entwicklung der Planfeststellung40 ist die nicht zufriedenstellend beantwortete Frage, wer bei der Planfeststellung überhaupt plant, bzw. die von Paetow beklagte unzureichende dogmatische Durchdringung des Zusammenwirkens von Vorhabenträger und Planfeststellungsbehörde höchst erstaunlich. Man sollte meinen, dass die eher schlicht daher kommende Frage, wer plant bei der Planfeststellung, nach so langer Zeit nicht ernsthaft umstritten sein kann. Denn würde sich die Planfeststellungsbehörde rechtsirrig an Planungsvorstellungen des Vorhabenträgers gebunden sehen, dann käme es zu einem Abwägungsmangel im Sinne eines Abwägungsausfalls, der zur Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses führen würde.41 Bei der Planfeststellung geht es um die Feststellung eines Planes eines öffentlichen oder privaten Vorhabenträgers durch die Planfeststellungsbehörde. Im Planfeststellungsverfahren ist insoweit – was die Planungskompetenz angeht – zwischen dem Träger des Vorhabens und der Planfeststellungsbehörde zu differenzieren. Der Vorhabenträger initiiert das Vorhaben. Dazu muss er den Bedarf feststellen, den Standort 38 Sendler, (Un-)Erhebliches zur planerischen Gestaltungsfreiheit, in: Berkemann u. a. (Hrsg.), Planung und Plankontrolle, Festschrift für Otto Schlichter zum 65. Geburtstag, 1995, S. 55 (81 ff.). 39 Paetow, Genehmigung statt Planfeststellung, in: Berkemann u. a. (Hrsg.), Planung und Plankontrolle, Festschrift für Otto Schlichter zum 65. Geburtstag, S. 499 (505); Gaentzsch, Die bergrechtliche Planfeststellung, in: Franßen/Redeker/Schlichter/Wilke (Hrsg.), Bürger – Richter – Staat, Festschrift für Horst Sendler, 1991, S. 403 (420). 40 Dazu Blümel (Fn. 3), S. 3 ff. 41 BVerwG, Urt. v. 09. 11. 2006 – 4 A 2001/06 –, NVwZ 2007, 445 (450); Bonk/Neumann (Fn. 8), § 74 Rdnr. 74.
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auswählen und die räumliche Dimension seines Vorhabens festlegen sowie nicht vorzugswürdige, räumliche und sachliche Planungsalternativen ausscheiden. Die Planfeststellungsbehörde dagegen kann eine Planung weder einleiten noch kann sie die Planung des Vorhabenträgers verwerfen und an ihre Stelle eine eigene Planung setzen. Der Planfeststellungsbeschluss ist ein mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt und setzt dementsprechend eine Planeinreichung durch den Vorhabenträger voraus.42 Soweit die Planfeststellungsbehörde den Bedarf für das Vorhaben hinterfragt oder naheliegende bzw. sich aufdrängende Planungsalternativen prüft, dient dies ihrer Entscheidung, ob der Plan – wie beantragt oder mit einschränkenden Nebenbestimmungen – festgestellt werden kann oder versagt werden muss. Dementsprechend handelt es sich bei der Entscheidung der Planfeststellungsbehörde um eine (planerische) Abwägungsentscheidung, nicht aber um eine planerische Gestaltung. Die Planfeststellungsbehörde schafft Planungsrecht und wägt zur Entscheidung über den vorgelegten Plan die betroffenen Belange untereinander und gegeneinander ab; insoweit mag man diese Entscheidung als Ausübung von Planungsermessen ansehen. Planerische Gestaltung, wie sie in der Bauleitplanung stattfindet, ist das nicht oder allenfalls in Randbereichen, etwa bei kleinräumigen Trassenverschiebungen oder bei der Anordnung bestimmter Schutzvorkehrungen. e) Nachvollziehende oder gestaltende Abwägung Die Planfeststellungsbehörde überprüft den Plan des Vorhabenträgers. Fraglich ist deshalb, ob sie bei ihrer Überprüfung des Plans die planerische Abwägung des Vorhabenträgers lediglich nachvollzieht und für den Fall, dass dem Vorhabenträger kein Planungsfehler vorzuwerfen ist, den Plan feststellt, oder ob sie eigenständig abwägt und für den Fall, dass sie zu einem anderen Abwägungsergebnis kommt, den Plan verwerfen darf, obwohl auch das Abwägungsergebnis des Vorhabenträgers nicht abwägungsfehlerhaft ist. Teilweise wird die Ansicht vertreten, die Planungsfreiheit liege ausschließlich beim Vorhabenträger und nicht bei der Planfeststellungsbehörde.43 Nach Ansicht des BVerwG muss die Planfeststellungsbehörde den Plan feststellen, wenn der Vorhabenträger einen Plan vorlegt, bei dem alle bindenden Vorgaben erfüllt und bei dem alle von dem Vorhaben betroffenen öffentlichen und privaten Belange den Anforderungen des Abwägungsgebots entsprechend vom Vorhabenträger zutreffend abgewogen seien. Der Behörde stehe in diesem Fall nicht die Kompetenz zu, etwa durch eine andere Gewichtung der betroffenen Belange zu einer von der abwägungsfehlerfrei getroffenen Entscheidung des Vorhabenträgers abweichenden Abwägung zu kommen.44 Nach Auffassung des BVerwG markiert der an die Planfeststellungsbehörde gerichtete Antrag den Schlusspunkt der Planung des Vorhabenträgers, der das Ergeb42 43 44
Hoppe/Schlarmann/Buchner (Fn. 21), Rdnr. 561; Jarass (Fn. 13), S. 1203. Ule/Laubinger, Kommentar zum VwVfG, 4. Aufl., 1995, § 41 Rdnr. 16. BVerwG, Urt. v. 24. 11. 1994 – 7 C 25.93 –, DVBl 1995, 238 (241).
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nis von Alternativenprüfungen einschließt. Die Planfeststellungsbehörde könne die planerischen Erwägungen des Planungsträgers nicht durch eigene abweichende Überlegungen ersetzen. Sie kontrolliere nur, ob die vom Vorhabenträger getroffene Entscheidung rechtmäßig sei. Darüber hinaus stehe ihr allerdings die Befugnis zu, bisher noch nicht berücksichtigten abwägungsrelevanten Gesichtspunkten Rechnung zu tragen. Es sei gerade das Ziel des formalisierten Planfeststellungsverfahrens, das Abwägungsmaterial gegebenenfalls zu vervollständigen. Diesem Zweck diene die Beteiligung von Trägern öffentlicher Belange, das Anhörungsverfahren und nicht zuletzt die Umweltverträglichkeitsprüfung. Gerade das Ergebnis der UVP könne Anlass dafür sein, vom Vorhabenträger noch nicht geprüfte Alternativen in die Abwägung einzubeziehen und bei der abschließenden Planungsentscheidung, für die nach außen hin die Planfeststellungsbehörde die Verantwortung zu übernehmen habe, zu berücksichtigen.45 Dementsprechend liegt die Planungskompetenz in erster Linie beim Vorhabenträger; der Planfeststellungsbehörde kommt lediglich eine Ergänzungsfunktion zu. Ihre Planungskompetenz erstreckt sich auf die Veränderung des Plans, etwa durch Schutzauflagen oder durch begrenzte Trassenverlegungen, soweit dies zur Herbeiführung eines abwägungsfehlerfreien Ergebnisses erforderlich ist. Lässt sich der Plan nach Abwägung aller betroffenen Belange durch die Planfeststellungsbehörde auch unter Berücksichtigung von Schutzauflagen oder Detailänderungen nicht feststellen, dann muss die Planfeststellungsbehörde ihn ablehnen. Die Planfeststellungsbehörde kann jedoch den Plan des Vorhabenträgers nicht durch einen eigenen Plan ersetzen. Sie kann den Vorhabenträger ohnehin nur verpflichten, den festgestellten Plan nur so zu realisieren, wie sie ihn feststellt. Der Verzicht auf den Vollzug bleibt dem Vorhabenträger unbenommen. f) Übernahme der Planungsverantwortung Das BVerwG hat allerdings auch betont, dass die Planfeststellungsbehörde mit der Feststellung des vom Vorhabenträger eingereichten Plans verbindlich über die Zulässigkeit des Vorhabens entscheide und damit die rechtliche Verantwortung für die Planung übernehme. Mit dem Planfeststellungsbeschluss werde die für die Zulässigkeit der Realisierung des Vorhabens notwendige Außenwirkung der Entscheidung des Vorhabenträgers begründet. Die Planungskompetenz stehe insoweit allein der Planfeststellungsbehörde zu.46 Auch Wahl ist der Ansicht, dass der den Plan ausarbeitenden Stelle keine Planungsfreiheit zustehe.47 Und Schmidt-Preuß meint, die Planfeststellungsbehörde übernehme die Letztverantwortung; sie könne sich die planerischen Überlegungen des Vorhabenträgers zu eigen machen oder sich davon distanzieren: 45
BVerwG, Urt. v. 27. 10. 2010 – 4 A 18/99 –, NVwZ 1991, 673 (676). BVerwG, Urt. v. 24. 11. 1994 – 7 C 25.93 –, DVBl 1995, 238 (240); Urt. v. 29. 01. 1991 – 4 C 51.8 –, DVBl 1991, 1142 (1143); Urt. v. 14. 02. 1975 – IV C 21.74 –, BVerwGE 48, 56 (59). 47 Wahl (Fn. 13), 53. 46
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Planerische Gestaltungsfreiheit umschließe sowohl Offenheit für selbstregulative Beiträge des Projektträgers wie aber auch die staatliche Zugriffsoption bei defizitärer Primärplanung.48 Hoppe hält dem entgegen, allein daraus, dass nur die Planfeststellungsbehörde und nicht der Vorhabenträger eine nach außen verbindliche Raumnutzungsentscheidung treffe, könne nicht hergeleitet werden, dass auch nur sie planerisch tätig werde. Ebenso wenig könne aus einer begrenzten Anzahl der Entscheidungsvarianten, die der Planfeststellungsbehörde zur Verfügung stünden, geschlossen werden, dass nur dem Vorhabenträger die Ausübung der planerischen Gestaltungsfreiheit obliege und sie darauf beschränkt sei, den Plan festzustellen, dies abzulehnen oder Auflagen zu erteilen. Maßgeblich sei vielmehr, inwieweit die Planfeststellungsbehörde an die in der Entscheidung des Vorhabenträgers über den Planentwurf zum Ausdruck kommenden Entwicklungsvorstellungen gebunden sei und inwieweit sie davon aufgrund einer eigenen Zuweisung einer Planungsaufgabe abweichen dürfe.49 Hoppe geht insoweit von eine phasenspezifischen Verteilung der Planungsverantwortung aus. In der Phase der Planerarbeitung hat danach der Planungsträger die primäre Gestaltungsfreiheit, zum Zeitpunkt der Planfeststellungsentscheidung bleibe der Planfeststellungsbehörde jedoch ein eigener Gestaltungsfreiraum.50 In ähnlichem Sinne spricht – wie erwähnt – Sendler von einer Planung zur gesamten Hand.51
3. Zwischenergebnis Ob man angesichts dieser Aufgabenverteilung tatsächlich von einer Planungsentscheidung der Planfeststellungsbehörde sprechen kann, erscheint zweifelhaft und hängt letztlich davon ab, was man als konstitutiv für eine Planungsentscheidung definiert, die Möglichkeit zur umfassenden, wenn auch in Teilen nur nachvollziehenden Abwägung aller betroffenen Belange, die eigenverantwortliche, umfassende und nicht auf Nachvollzug angelegte planerische Gestaltung vergleichbar der Bauleitplanung oder die eigenverantwortliche Schaffung von Planungsrecht auf der Grundlage einer nachvollziehenden oder eigenverantwortlichen Abwägung der betroffenen Belange. Unabhängig von der Einordnung des Planfeststellungsbeschlusses als Planungsentscheidung wird jedoch deutlich, dass der Entscheidungsspielraum der Planfeststellungsbehörde nicht nur durch vorgelagerte Planungen, etwa durch Ziele der Raumordnung und zwingende Planungsleitsätze, sondern in sehr weitem Umfang auch durch die Verteilung der Planungskompetenzen zwischen Vorhabenträger und 48
Schmidt-Preuß, Fachplanung und subjektiv-rechtliche Konfliktschlichtung, in: Erbguth/ Oebbecke/Rengeling/Schulte (Hrsg.), Planung Festschrift für Werner Hoppe, 2000, S. 1075. 49 Hoppe/Schlarmann/Buchner (Fn. 21), Rdnr. 560. 50 Hoppe/Just, Zur Ausübung der planerischen Gestaltungsfreiheit bei der Planfeststellung und Plangenehmigung, DVBl 1997, 789. 51 Sendler (Fn. 38), S. 55.
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Planfeststellungsbehörde beschränkt ist. Die Planfeststellungsbehörde kann insbesondere nur den Plan des Vorhabenträgers und keinen anderen feststellen. Ihr Entscheidungsspielraum entspricht insoweit mehr einem Versagungsermessen als planerischer Gestaltung. Diese Aufgabenverteilung wirkt sich faktisch regelmäßig so aus, dass die Planung des Vorhabenträgers von der Planfeststellungsbehörde nicht grundsätzlich hinsichtlich des „Ob“ der Planung, sondern nur hinsichtlich der konkreten Ausführung, der Notwendigkeit von Schutzvorkehrungen, kleinräumigerer Alternativen etc. hinterfragt wird. Verstärkt wird dieser Effekt dadurch, dass der Vorhabenträger gehalten ist, einen vollständigen Plan einzureichen, so dass seine Planungsvorstellungen bereits zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens weitgehend abschließend entwickelt worden sind. Hinzu kommt, dass die Planerarbeitung häufig bereits erhebliche Vorlaufkosten verursacht, die bei einer Ablehnung des Plans vergeblich gewesen wären. Das trägt dazu bei, dass die Planfeststellungsbehörde eine Versagung der Planfeststellung scheut. Nicht zuletzt hat der Vorhabenträger mit Hilfe der von ihm bestellten Gutachter und Planer regelmäßig eine erheblich höhere Planungskompetenz als die Planfeststellungsbehörde, die es der Behörde schwer macht, den Plan des Vorhabenträgers grundsätzlich in Zweifel zu stellen. Schließlich ist es kein Geheimnis, dass Vorhabenträger und Planfeststellungsbehörde sich formell, etwa im Rahmen von Scoping-Verfahren zur Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes der UVP oder bei der Antragsberatung, und informell abstimmen. Sendler hat zutreffend darauf hingewiesen, dass es aus Sicht des Vorhabenträgers dafür legitime Gründe gibt, etwa die Vermeidung einer Ablehnung oder – bei entsprechender Umplanung – die Abwendung belastender Nebenbestimmung. Aus Sicht der Kritiker und Drittbetroffenen kann angesichts einer solch engen Praxis der Kooperation der Eindruck entstehen, dass grundsätzliche Kritik am Vorhaben, insbesondere an seiner Erforderlichkeit, im Planfeststellungsverfahren kaum gehört wird und sich deshalb außerhalb oder sogar erst nach Abschluss des Planfeststellungsverfahrens Gehör verschafft. Das Planfeststellungsverfahren, die Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung setzen spät, wenn nicht zu spät ein, um die Ergebnisse der Beteiligungsverfahren noch in einer offenen Entscheidungssituation berücksichtigen zu können. Deshalb ist die Frage berechtigt, ob nicht obligatorisch oder fakultativ jedenfalls für besonders umstrittene und besonderes planungsaufwendige Vorhaben eine frühe Bürger- und Behördenbeteiligung zu einem Rahmenkonzept und möglicherweise auch zur Bedarfsfeststellung hilfreich sein kann. Das dürfte zwar nicht dem aktuellen Trend zur Verfahrensverkürzung entsprechen, ist m. E. aber in jedem Fall vorzugswürdig gegenüber konturen- und rechtsgrundlagenlosen Schlichtungsbemühungen nach Eintritt der Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses.
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III. Zukunft der Planfeststellung Trotz aller Kritik und trotz oder wegen zahlreicher Reformanstrengungen zur Beschleunigung sind Planfeststellungsverfahren grundsätzlich geeignete Planungs- und Zulassungsverfahren für raumbedeutsame Großvorhaben, bei deren Realisierung es darauf ankommt, vom geltenden Städtebaurecht abzuweichen oder für die eine Inanspruchnahme von Fremdeigentum notwendig wird. Die Kombination von Zulassung und Planung ist unverzichtbar für Vorhaben, die als privilegierte Fachplanung nötigenfalls auch unter Abweichung von dem geltenden Bauplanungsrecht realisiert werden müssen. Das betrifft insbesondere Trassenvorhaben von überörtlicher Bedeutung, die gemeindegebietsüberschreitend geplant werden müssen. Nicht entbehrlich ist auch die Funktion der Planfeststellungsverfahren mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung für solche Vorhaben, die nicht auf eigenen Flächen des Vorhabenträgers realisiert werden können. Die Vorteile der privilegierten Fachplanung und einer enteignungsrechtlichen Vorwirkung lassen sich nur mit zusätzlichen Anforderungen an die materiellrechtlichen Entscheidungsmaßstäbe rechtfertigen. Wer zur Realisierung eines Vorhabens von der Privilegierung des § 38 BauGB Gebrauch machen und sich über geltendes Städtebaurecht hinwegsetzen möchte, muss sein Vorhaben einer Abwägung mit städtebaulichen Belangen aussetzen, die auch zur Versagung der begehrten Zulassung führen kann. Wer fremde Grundstücke in Anspruch nehmen will, muss auf eine Planrechtfertigung verweisen und die Allgemeinwohldienlichkeit seines Vorhabens begründen können. Insoweit ist auch nicht zu beanstanden, dass auf die Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung kein Anspruch besteht, wenn für Abfallbeseitigungsanlagen die Privilegierung des § 38 BauGB in Anspruch genommen werden soll. Die Planfeststellung kann deshalb auch auf weitere Vorhaben ausgedehnt werden, soweit diese spezifische Kombination aus Planungs- und Zulassungsentscheidung sinnvoll ist. Die Privilegierung der Fachplanung bedeutet allerdings zugleich immer auch eine Beeinträchtigung der kommunalen Planungshoheit. Sie muss deshalb durch wichtige Allgemeinwohlbelange gerechtfertigt werden. Einer Einführung des Planfeststellungsvorhabens für andere privatnützige Vorhaben stehen Grundrechte der Vorhabenträger wohl nicht zwingend entgegen. Es wird zunehmend bezweifelt, ob die verfassungsrechtliche Begründung eines grundrechtlich verbürgten Anspruchs auf Erteilung von immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen bei Vorliegen der Zulassungsvoraussetzungen dauerhaften Bestand haben wird. Zwar hat sich nach der Rechtsprechung des BVerfG bei Verwendung des Rechtsinstituts eines präventiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt aus der Rechtsvorschrift selbst zu ergeben, welche Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung erfüllt sein müssen oder aus welchen Gründen die Genehmigung versagt werden darf. Der Gesetzgeber ist danach verpflichtet, die der staatlichen Eingriffsmöglichkeit offenliegende Rechtssphäre selbst abzugrenzen. Er darf dies nicht dem Ermessen der Verwaltungsbehörden überlassen. Der Bürger, dessen Grundrechte durch einen Genehmigungsvorbehalt berührt würden, muss auf der Basis dieser Rechtsprechung einen Rechtsanspruch auf Geneh-
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migungserteilung haben, wenn ein gesetzlicher Versagungsgrund nicht vorliege.52 Allerdings ist die Unterscheidung von Kontrollerlaubnis und Ausnahmebewilligung weder eindeutig noch zwingend. Schon die Differenzierung zwischen sozial erwünschten und sozial unerwünschten Vorhaben erscheint eher willkürlich. Luftverschmutzung durch Industrieanlagen oder Strahlenbelastung durch Kernenergienutzung ist natürlich nicht erwünschter als eine Gewässerbelastung durch Gewässerbenutzungen.53 Deshalb ist auch ein Wechsel von einer Kontrollerlaubnis hin zu einer Planfeststellung durch den Gesetzgeber grundsätzlich möglich.54 Entsprechende Forderungen werden z. B. für die bergrechtliche Planfeststellung erhoben, die trotz ihrer Bezeichnung als Planfeststellung nach der geltenden Rechtslage als Kontrollerlaubnis einzuordnen ist. Für Vorhaben dagegen, die auf der Grundlage der §§ 29 ff. BauGB auf eigenem Grund zugelassen werden können, bedarf es keiner privilegierten Planfeststellung mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung; Kontrollerlaubnisse und Ausnahmebewilligungen sind für solche Vorhaben das geeignetere Zulassungsinstrument. Der Wechsel vom abfallrechtlichen Planfeststellungsverfahren zum immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren ist dafür ein gutes Beispiel. Es steht deshalb nicht in Zweifel, dass Planfeststellung und Genehmigung auch in Zukunft nebeneinander ihre Existenzberechtigung behalten, die Planfeststellung als Verfahrenstyp, der Planung und Zulassung kombiniert dort, wo das Städtebaurecht das Vorhaben nicht ermöglichen würde, die Genehmigung für Vorhaben, die sich an der planungsrechtlichen Zulässigkeit nach den §§ 29 ff. BauGB orientieren. Allerdings werden zunehmend Unzulänglichkeiten des Planfeststellungsrechts erkennbar, die aus einer ablehnenden Planungs- und Entscheidungskompetenz der Planfeststellungsbehörde, aus der fehlenden Akzeptanz planfestgestellter Vorhaben und den daraus folgenden Problemen der Projektrealisierung sowie aus der Verringerung des Bestandsschutzes erteilter Planfeststellungsbeschlüsse resultieren.
1. Abnehmender Entscheidungsfreiraum Unabhängig davon, ob und inwieweit sich die Planfeststellung als Planungsentscheidung einordnen lässt, ob und inwieweit der Planfeststellungsbehörde, dem Vorhabenträger oder beiden „zur gesamten Hand“ eine Planungskompetenz zusteht, hängt die Effizienz und Überzeugungskraft der Planfeststellung davon ab, dass die Inanspruchnahme einer fachplanerischen Privilegierung durch eine eigenverantwortliche Abwägungsentscheidung gerechtfertigt werden kann, mit der die von der Planung vorgefundenen oder durch das Planungsvorhaben ausgelösten Probleme ange52
BVerfG, E. v. 05. 08. 1966 – 1 BvF 1/61 –, BVerfGE 20, 150 (158). Hoppe/Beckmann/Kauch (Fn. 1), § 8 Rdnr. 43; Beckmann (Fn. 2), S. 715; Jarass/Pieroth, Kommentar zum GG, 10. Aufl. 2009, Art. 14 Rdnr. 13. 54 Beckmann (Fn. 1), 718; Sendler, Wer gefährdet wen? Eigentum und Bestandsschutz den Umweltschutz oder umgekehrt?, UPR 1983, 33 ff. 53
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messen gelöst werden. Dazu dient bekanntlich die Finalstruktur von Planungsnormen, die der Planungsbehörde kein bestimmtes Ergebnis bei Beachtung bestimmter Voraussetzungen vorschreiben, sondern Raum für eigenständig entwickelte Lösungen im konkreten Einzelfall lassen soll. Eine solche Finalstruktur gibt der Gesetzgeber für planfeststellungsbedürftige Fachplanungsvorhaben vor, wenn er sich darauf beschränkt, der Planfeststellungsbehörde vorzuschreiben, dass bei der Planfeststellung die von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange zu berücksichtigen sind. Mit einer solchen ergebnisoffenen Abwägungsmöglichkeit hat die Planfeststellungsbehörde einen weitgehenden Entscheidungsfreiraum, den sie auch dazu nutzen kann, Vorhaben zuzulassen, die nach den §§ 29 ff. BauGB planungsrechtlich unzulässig wären. Allerdings hat der Gesetzgeber diese Planungsfreiheit durch ständig zunehmende materiellrechtliche Vorgaben weitgehend eingeengt.55 Das beginnt bei der gesetzlichen Bedarfsfeststellung zahlreicher Fachplanungsvorhaben, geht über die Zurückdrängung final strukturierter Planungsnormen zugunsten konditional formulierter Planungsleitsätze und folgt nicht zuletzt aus dem früher erheblich umstrittenen Verständnis der Konzentrationswirkung als einer rein Verfahrenskonzentration, die keine abwägende Überwindung materiellrechtlicher Anforderungen an ersetzte Genehmigungsentscheidungen ermöglicht.56 a) Gesetzliche Bedarfsfeststellung Planfeststellungsbedürftige Vorhaben bedürfen nach Ansicht des BVerwG auch ohne eine entsprechende gesetzliche Regelung regelmäßig einer Planrechtfertigung. Sie dient der Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, dem jedes staatliche Handeln unterworfen ist, das mit Eingriffen in Rechte Dritter verbunden ist. Da der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz seine spezifische Ausprägung in der Planung durch das Abwägungsgebot erfährt, ist die eigenständige Bedeutung der Planrechtfertigung neben dem Abwägungsgebot umstritten.57 Jedenfalls für solche Vorhaben, deren Verwirklichung die Inanspruchnahme fremden Eigentums erfordert, ist mit Blick auf Art. 14 Abs. 3 GG eine Planrechtfertigung erforderlich. Das Vorhaben muss insoweit gemessen an den generellen Planungszielen des jeweiligen Fachplanungsgesetzes objektiv erforderlich sein. Für die Planrechtfertigung soll die Verfolgung eines vernünftigen Zwecks genügen, die Planung soll unter Beachtung der allgemeinen Ziele des Gesetzgebers vernünftigerweise geboten sein. Ob für ein bestimmtes Vorhaben ein Bedarf in diesem Sinne besteht, kann entweder administrativ im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens oder unmittelbar durch den 55
Spoerr (Fn. 37), S. 1464. BVerwG, Urt. v. 09. 03. 1990 – 7 C 21/89 –, NVwZ 1990, 969. 57 Die Notwendigkeit einer Planrechtfertigung für Vorhaben, die auf eigenen Flächen des Vorhabenträgers verwirklicht werden sollen, ist vom BVerwG verschiedentlich offen gelassen worden (siehe z. B. BVerwG, Urt. v. 09. 03. 1990 – 7 C 21/89 –, NVwZ 1990, 969; BVerwG, Beschl. v. 19. 05. 2005 – 4 VR 2000/05 –, NVwZ 2005, 940 [941]), teilweise aber auch bejaht worden, siehe z. B. BVerwG, Urt. v. 09. 11. 2006 – 4 A 2001/06 –, NVwZ 2007, 445 (447). 56
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Gesetzgeber entschieden werden. Die Bedarfsfeststellung durch die Planfeststellungsbehörde bedarf einer Prognose, die nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist. Wird der Bedarf von der Planfeststellungsbehörde festgestellt, können Einwender und Betroffene den Bedarf in Frage stellen; die Frage des Bedarfs ist zumeist ein wichtiges Thema der Erörterung. Zunehmend ist der Gesetzgeber in den vergangenen Jahren dazu übergegangen, den Bedarf für ein Vorhaben gesetzlich festzustellen. Mit der Aufnahme eines Vorhabens in einen gesetzlich geregelten Bedarfsplan entscheidet der Gesetzgeber verbindlich, dass für das Vorhaben ein Bedarf und damit eine Planrechtfertigung besteht. Der Gesetzgeber kann auch die Art und Weise, wie ein von ihm festgestellter Bedarf zu befriedigen ist, und die Dimensionierung eines Vorhabens festlegen.58 Der Bedarfsplan kann sich insoweit z. B. auf konkrete Trassenplanungen erstrecken. Der Gesetzgeber hat diesbezüglich einen weiten Gestaltungs- und Prognosefreiraum. Dieser schließt Leitentscheidungen zur Verkehrspolitik ein, die sich auch auf Prognosedaten und Bedarfsschätzungen stützen können. Die Gerichte sind regelmäßig nicht berechtigt, diese Daten auf Plausibilität und Wahrscheinlichkeit zu hinterfragen.59 Die gesetzliche Bedarfsfeststellung ist für die Planfeststellungsbehörde und auch für ein nachfolgendes gerichtliches Verfahren verbindlich. Das gilt sowohl für die Planrechtfertigung als auch für die Abwägung, in die der Bedarf für das Vorhaben als Belang einzustellen ist. Eine gesetzliche Bedarfsfestlegung entspricht einer sachgerechten staatlichen Funktionenteilung. Öffentliche, überörtliche Aufgaben zu bestimmen und einen Bedarf für Verkehrsvorhaben, Energieleitungen, etc. festzulegen, ist eine eminent politische Entscheidung, die dem Gesetzgeber und der Regierung zukommt.60 Allerdings entwertet eine gesetzliche Bedarfsfestlegung das Planfeststellungsverfahren erheblich. Was nämlich von der Planfeststellungsbehörde nicht entschieden werden kann, taugt nicht zur ernsthaften, ergebnisoffenen Erörterung im Verfahren. Insoweit kann es nicht verwundern, dass sich Bürgerprotest und Widerstand, der auf Zweifeln an dem Bedarf an einem Vorhaben gründet, jedenfalls in den Verfahren, in denen über den Bedarf gar nicht entschieden werden kann, außerhalb des Planfeststellungsverfahrens organisiert. Hinzu kommt, dass es, solange der Gesetzgeber an der von ihm getroffenen Bedarfsfeststellung festhält, das heißt sein Gesetz nicht aufhebt oder ändert, regelmäßig ausgeschlossen ist, den Bedarf in Frage zu stellen, selbst wenn die Entscheidung des Gesetzgebers bereits viele Jahre zurückliegt.61 Während bei der administrativen Bedarfsfeststellung die Planfeststellungsbehörde am Ende des Verfahrens unter Berücksichtigung dazu vorgebrachter Bedenken entscheidet, kann die gesetzliche Bedarfsfeststellung bereits Jahre zurückliegen. Lediglich dann, wenn sich die Verhältnisse seit der gesetzlichen Bedarfsfeststellung in der Zwi58
BVerwG, Beschl. v. 17. 02. 1997 – 4 VR 17/96 –, NuR 1998, 305 (309). BVerfG, Urt. v. 17. 07. 1996 – 2 BvF 2/93 –, NJW 1997, 383. 60 Dazu Bonk/Neumann (Fn. 8), § 74 VwVfG Rdnr. 41. 61 Bonk/Neumann (Fn. 8), § 74 VwVfG Rdnr. 48; BVerwG, Urt. v. 18. 06. 1997 – 4 C 3/ 95 –, NVwZ-RR 1998, 292; BVerwG, Urt. v. 22. 01. 2004 – 4 A 32/02 –, NVwZ 2004, 722 (725). 59
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schenzeit so grundlegend gewandelt haben, dass sich die ursprüngliche Bedarfsentscheidung nicht mehr rechtfertigen lässt, soll diese nach der Rechtsprechung des BVerwG keine Geltung mehr beanspruchen.62 Aber wer soll das feststellen? Die Planfeststellungsbehörde wird sich angesichts des ihr nicht zustehenden Verwerfungsrechts kaum in der Lage sehen, die gesetzgeberische Entscheidung unberücksichtigt zu lassen. b) Einengung durch zunehmende materiellrechtliche Vorgaben Weitere Einengungen des Entscheidungsfreiraums von Planfeststellungsbehörden folgen aus zwingend von der Planfeststellungsbehörde zu beachtenden Vorschriften, die sich aus unterschiedlichen Gesetzen, insbesondere solchen des Naturschutzrechts und des Wasserrechts ergeben können. Der Verlust an planerischer Gestaltungsmöglichkeit wird durch verbindliche materiellrechtliche Anforderungen verstärkt. Die zunehmende Einführung konditional formulierter, weit gefasster Zulassungsvoraussetzungen und die damit einhergehende Zurückdrängung finalstrukturierter Planungsnormen reduziert den „planerischen“ Anteil an der Planfeststellungsentscheidung mit der Folge dass – wie Di Fabio zutreffend angemerkt hat – der Planfeststellungsbeschluss weiter in die Nähe einer Genehmigungsentscheidung „mit planerischem Einschlag“ rückt. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an die Planfeststellungen, die nur unter Beachtung eines Zulassungstatbestands erteilt werden können, der sich nicht von einem Genehmigungstatbestand unterscheidet. c) Konzentrationswirkung Eine ganz wesentliche Beschränkung der Planungskompetenz ergibt sich schließlich auch daraus, dass die Konzentrationswirkung des Planfeststellungsbeschlusses als eine rein formelle Verfahrenskonzentration verstanden wird.63 Die Konzentrationswirkung verdrängt danach nicht die materiellrechtlichen Vorschriften, die für die ersetzten Entscheidungen gelten. Sie bleiben vielmehr für die Planfeststellungsbehörde beachtlich. Das wurde in der Vergangenheit durchaus anders gesehen. Nach der Auffassung von der beschränkt materiellen Konzentrationswirkung sind Bindungen des sekundären Fachrechts nur als abwägungserhebliche Belange zu beachten.64 In Kombination mit einem konditional formulierten Zulassungstatbestand erweitert diese Sichtweise das Arsenal möglicher Ablehnungsgründe. Eine abwägende Kompensation von Beeinträchtigungen einzelner Belange wird damit zunehmend unmöglich. 62
BVerwG, Urt. v. 22. 01. 2004 – 4 A 32/02 –, NVwZ 2004, 722 (725). BVerwG, Urt. v. 16. 03. 2006 – 4 A 1075/04 –, BVerwGE 125, 116 (278); BVerwG, Urt.v. 13. 12. 2006 – 4 B 73/06 –, NVwZ 2007, 459 (460). 64 Dazu Laubinger, Der Umfang der Konzentrationswirkung der Planfeststellung, VerwArch 77 (1986), 77 ff.; Kügel, Der Planfeststellungsbeschluss und seine Anfechtbarkeit, 1985, S. 551 ff.; Spoerr (Fn. 37), S. 1464 f. 63
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2. Mangelnde Akzeptanz einzelner planfestgestellter Vorhaben Die Effektivität der Planfeststellung hängt nicht nur davon ab, in möglichst kurzer Frist einen Planfeststellungsbeschluss zu erwirken. Vielmehr muss das Vorhaben auf der Grundlage des Planfeststellungsbeschlusses auch realisiert werden können. Die Genehmigungswirkung der Planfeststellung räumt dem Vorhabenträger das Recht ein, das planfestgestellte Vorhaben zu errichten und gegebenenfalls auch zu betreiben. Die aktuellen Beispiele des Castor-Transports und des Stuttgarter Hauptbahnhofs, aber genauso die Auseinandersetzungen um zahlreiche kerntechnische Anlagen zeigen, dass die Durchsetzung rechtswirksamer Zulassungen schwer fallen kann, möglicherweise den Einsatz von Hunderten, Tausenden oder sogar Zehntausenden von Polizisten erfordert. Der Widerstand weiter Teile der Bevölkerung, die in manchen Fällen nicht mehr nur eine Minderheit, sondern eine Mehrheit der Bevölkerung repräsentieren könnten, macht deutlich, dass es aus Sicht der Gegner möglicherweise nicht ausreichend ist, sich im Planfeststellungsverfahren hinreichend Gehör zu schaffen oder den Planfeststellungsbeschluss gerichtlich anzufechten. Offensichtlich führt das Planfeststellungsverfahren in einzelnen Fällen nicht zu einer akzeptierten Problemlösung. Das ist grundsätzlich angesichts der Interessenkonflikte, die zum Ausgleich gebracht werden sollen, aber nicht ohne Zurückstellung von Interessen und Belangen entschieden werden können, nicht verwunderlich. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob der Widerstand gegen ein Vorhaben nach Abschluss des Planfeststellungsverfahrens und nach rechtskräftigen Beendigung der gegen den Planfeststellungsbeschluss gerichteten Verfahren nicht auch darin seinen Grund hat, dass das Planfeststellungsverfahren kaum noch als Möglichkeit wahrgenommen wird, in einem geordneten Kommunikationsprozess Einfluss auf das Entscheidungsergebnis, insbesondere natürlich auf die Frage zu nehmen, ob das Vorhaben überhaupt erforderlich ist und ob die mit ihm verbundenen Nachteile nicht doch dessen Vorzüge überwiegen. Ein Grund für die mangelnde Akzeptanz der Planfeststellung einzelner Vorhaben kann sich aus der engen Zusammenarbeit zwischen Vorhabenträger und Planfeststellungsbehörde im Planfeststellungsverfahren ergeben, die den Eindruck vermitteln kann, dass die Planfeststellungsbehörde nicht ergebnisoffen prüft, sondern in aller Regel lediglich den eingereichten Plan feststellt. Ein weiterer Grund könnte sich aus der im Wesentlichen darauf beschränkten Funktion des Planfeststellungsverfahrens ergeben, eine Entscheidung der Planfeststellungsbehörde vorzubereiten. Das Planfeststellungsverfahren ist nicht dazu gedacht, vielleicht auch nicht wirklich dazu geeignet, eine öffentliche, politische Diskussion über die Sinnhaftigkeit einer bestimmten Verkehrspolitik oder der Verlängerung der Kernenergienutzung zu führen.
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a) Kooperation von Vorhabenträger und Planfeststellungsbehörde Eine Identität von Vorhabenträger und Planfeststellungsbehörde wird allgemein für problematisch gehalten. Die Planfeststellungsbehörde würde bei einer solchen Identität gleichsam in eigener Sache entscheiden. Ihre rechtstaatlich gebotene Distanz und Neutralität sei nicht mehr gewährleistet.65 Das widerspreche einem allgemeinen Verbot (§§ 20, 21) und sollte deshalb tunlichst vermieden werden.66 Die Bedenken an einer Identität von Vorhabenträgern und Planfeststellungsbehörde ergeben sich offensichtlich daraus, dass der Planfeststellungsbeschluss nicht nur Planungsentscheidung, sondern zugleich und möglicherweise in erster Linie Zulassungsentscheidung ist und deshalb bei einer Identität von Vorhabenträgern und Planfeststellungsbehörde das vergleichbare Problem einer Identität von Gemeinde als Baugenehmigungsbehörde und Bauherrin auftreten würde.67 Das BVerwG hat allerdings auch insoweit eine Identität verfassungsrechtlich nicht beanstandet, sondern sich darauf beschränkt, auf die Vorzugswürdigkeit einer Trennung der genannten Funktionen hinzuweisen. Auch wenn keine Identität zwischen Vorhabenträger und Planfeststellungsbehörde besteht, gibt es eine intensive Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Akteuren der Planfeststellung. Die Kooperation zwischen Vorhabenträger beginnt zumeist bereits vor Einreichung der Planunterlagen nach § 73 Abs. 1 Satz 1 VwVfG bei der Anhörungsbehörde. Die Anhörungsbehörde ist berechtigt und verpflichtet, für vollständige Planunterlagen zu sorgen. Der Plan besteht nach § 71 Abs. 1 Satz 2 VwVfG aus den Zeichnungen und Erläuterungen, die das Vorhaben, seinen Anlass und die von dem Vorhaben betroffenen Grundstücke und Anlagen erkennen lassen. Stellt ein Vorhaben einen Eingriff in Natur und Landschaft dar, hat der Vorhabenträger die erforderlichen Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zur Kompensation des Eingriffs in dem Plan oder in einem landschaftspflegerischen Begleitplan darzustellen. Berührt ein Vorhaben ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung, muss der Vorhabenträger auch die Daten beibringen, die für die Verträglichkeitsprüfung erforderlich sind. Handelt es sich um ein UVP-pflichtiges Vorhaben, muss der Vorhabenträger Unterlagen über die Umweltauswirkungen des Vorhabens einreichen. Soweit Mängel behebbar sind, hat sie den Vorhabenträger zur Ergänzung aufzufordern. Strukturell kommt die Öffentlichkeitsbeteiligung spät, nämlich nachdem der Plan vom Vorhabenträger aufgestellt und bei der zuständigen Anhörungsbehörde eingereicht ist. Mit der Einreichung des Plans hat der Vorhabenträger wesentliche Vorentscheidungen bereits getroffen, die von der Planfeststellungsbehörde nur noch in Grenzen 65 BVerwG, Beschl. v. 09. 04. 1987 – 4 B 73/87 – , NVwZ 1987, 886; Urt. v. 27. 07. 1990 – 4 C 26/87 –, NVwZ 1991, 781 (782). 66 Bonk/Neumann (Fn. 8), § 74 Rdnr. 6. 67 Siehe dazu BVerwG, Beschl. v. 17. 03. 1998 – 4 B 25/98 –, NVwZ 1998, 737.
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beeinflusst werden. Hinzu kommt, dass der Vorhabenträger und die von ihm beauftragten Gutachter und Planer mit den Planunterlagen die Abwägungsentscheidung der Planfeststellungsbehörde maßgeblich beeinflussen. Das gilt auch für den Umgang mit den erhobenen Einwendungen. Die Anhörungsbehörde gibt dem Vorhabenträger regelmäßig Gelegenheit zur Stellungnahme. Sie wird möglicherweise aufgrund der eingegangenen Einwendungen ergänzende Unterlagen, Stellungnahmen oder Gutachten fordern. Nur selten kommt es deshalb zu einer Versagung der Planfeststellung. Regelmäßig nimmt die Planfeststellungsbehörde die Stellungnahmen aus der Behördenbeteiligung und erhobene Einwendungen zum Anlass für einschränkende Nebenbestimmungen. Von einer offenen Entscheidungssituation, in der sich die Planfeststellungsbehörde für das Vorhaben oder dagegen entscheiden könnte, kann man in aller Regel nicht sprechen. b) Funktion des Planfeststellungsverfahrens Das Planfeststellungsverfahren ist ein einheitliches Verfahren mit zwei Verfahrensabschnitten, dem Anhörungsverfahren und der eigentlichen Planfeststellung. Das Anhörungsverfahren ist ein strukturierter Kommunikationsprozess zur Vorbereitung der Behördenentscheidung.68 Es dient dem öffentlichen Interesse an einer möglichst umfassenden Sammlung von Erkenntnissen über den maßgeblichen Sachverhalt und damit der Entscheidungsvorbereitung der Planfeststellungsbehörde und soll außerdem diejenigen einbinden, deren Belange durch das Vorhaben berührt sein können. Im Sinne eines Grundrechtsschutzes durch Verfahren ermöglicht das Anhörungsverfahren zugleich einen vorgezogenen Rechtsschutz. Der Erörterungstermin dient dazu, die rechtzeitig erhobenen Einwendungen und Stellungnahmen der Behörden zu erörtern (§ 73 Abs. 6 Satz 1 VwVfG). Teilnahmeberechtigt am Erörterungstermin sind der Träger des Vorhabens, die Behörden, die Betroffenen und die Personen, die Einwendungen erhoben haben sowie die anerkannten Naturschutzverbände. Eher mittelbar übernimmt das Anhörungsverfahren auch die Funktion bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit. Mit der Einreichung seines Planes legt der Vorhabenträger seine Planungsabsichten offen. Die öffentliche Auslegung der Antragsunterlagen dient der Publizität des Vorhabens durch Information der interessierten Öffentlichkeit. Das Anhörungsverfahren und der Erörterungstermin sind allerdings auf eine Beteiligung der Betroffenen und nicht der Öffentlichkeit insgesamt ausgerichtet. Das Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren insgesamt zielt nicht darauf ab, der Öffentlichkeit ein Projekt, seinen Bedarf und seine Dimensionierung plausibel und den Entscheidungsgang transparent zu machen. Insoweit bedarf das Planfeststellungsverfahren bei umstrittenen Großvorhaben entweder einer Ergänzung oder die Öffentlichkeit muss außerhalb dieses Verfahrens beteiligt werden.
68 Dazu Beckmann, Rechtswahrung durch Verwaltungsverfahren, in: Erbguth (Hrsg.), Verwaltungsrechtsschutz in der Krise: Vom Rechtsschutz zum Schutz der Verwaltung, S. 101.
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c) Wirkung der Beschleunigungsbemühungen Die zahlreichen Beschleunigungsbemühungen, die Einführung von Einwendungsausschlüssen und nicht zuletzt der Verzicht auf die obligatorische Durchführung eines Erörterungstermins in verschiedenen Fachplanungsgesetzen könnten – sicher nicht allein, aber doch gemeinsam mit anderen Ursachen – Grund dafür sein, dass die Akzeptanz bestandskräftig erteilter Planfeststellungen für umstrittene Großvorhaben weiter abnimmt. Ob eine weitere Beschleunigung von Planfeststellungsverfahren durch gesetzliche Regelungen erforderlich oder möglich wäre, ist zweifelhaft. Zutreffend wird hingewiesen, dass die als zu lang empfundene Dauer zahlreicher Verfahren weniger auf verfahrensrechtliche Mängel als auf eine zunehmende Dichte materiell-rechtlicher Anforderungen zurückzuführen ist. Nicht zuletzt das Gemeinschaftsrecht hat mit seinen umwelt- und insbesondere naturschutzrechtlichen Regelungen die Anforderungen an planfeststellungsbedürftige Vorhaben erhöht. Umweltverträglichkeitsprüfungen und FFH-Verträglichkeitsprüfungen setzen langwierige, fachwissenschaftliche Untersuchungen voraus. Auch die Berechnung des Ausgleichsbedarfs im Rahmen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung kann mit erheblichem Aufwand und nicht zuletzt auch mit prozessualen Risiken verbunden sein. Schließlich können erhebliche Zeitverzögerungen bereits planfestgestellter Vorhaben auf Finanzierungsprobleme oder auf einen zunehmenden Widerstand gegen das Projekt zurückgehen. Zahlreiche Fachplanungsgesetze sehen mittlerweile vor, dass der Planfeststellungsbeschluss erst außer Kraft tritt, wenn seit dem Eintritt seiner Bestandskraft zehn Jahre verstrichen sind, ohne dass mit dem Vorhaben begonnen worden ist. Die Verlängerung dieser Frist von fünf auf zehn Jahre in verschiedenen Fachplanungsgesetzen zeigt, dass der Gesetzgeber mit erheblichen Verzögerungen nach Wirksamwerden des Planfeststellungsbeschlusses rechnet. 3. Gefährdungen des Bestandsschutzes Vorhabenträger dürften mit Sorge nicht nur auf durch Akzeptanzprobleme verursachte und dadurch sinkende Realisierungschancen der von ihnen erteilten Planfeststellungsbeschlüsse für umstrittene Großvorhaben, sondern auch auf feststellbare Auflösungserscheinungen hinsichtlich des Bestandsschutzes von Planfeststellungsbeschlüssen schauen. a) Erforderliche Anpassung an späteres Gemeinschaftsrecht Eine den Bestandsschutz von Planfeststellungen betreffende Entwicklung ergibt sich aus der Rechtsprechung des EuGH. Der EuGH vertritt in einem die Emsmündung betreffenden Urteil vom 14. 01. 2010 die Auffassung, dass die Bestandskraft eines Planfeststellungsbeschlusses die Verwirklichung nachträglich erlassenen Unionsrechts nicht generell ausschließen darf. Zwar geht der EuGH nicht davon aus, dass bestandskräftige Planfeststellungsbeschlüsse durch nachträglich ergehendes Unions-
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recht unmittelbar modifiziert werden. Das wäre schon wegen der regelmäßig fehlenden unmittelbaren Verbindlichkeit europäischer Richtlinien nicht möglich. Der EuGH nimmt im konkreten Fall der Ausweisung der Emsmündung als FFH-Gebiet an, dass sich auch ein planfestgestelltes Vorhaben am Verschlechterungs- und Störungsverbot des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL messen lassen muss. Das kann im äußersten Fall einen Widerruf der Planfeststellung zur Folge haben. Unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes müssen allerdings mildere Mittel, etwa nachträgliche Schutzauflagen, vorrangig in Erwägung gezogen werden.69 Dass sich Inhaber von Planfeststellungsbeschlüssen nicht pauschal gegen eine Anpassung an das sich weiter entwickelnde Umweltrecht mit Verweis auf die Bestandskraft ihres Planfeststellungsbeschlusses wenden können, ist nicht wirklich neu. Denn das Instrument der nachträglichen Auflage und letztlich auch die Möglichkeit eines Widerrufs schränken die Bestandsschutzwirkung eines Planfeststellungsbeschlusses seit jeher ein. Der Bestandsschutz hindert insoweit nicht die Erforderlichkeit einer Anpassung an das neue Recht; Verhältnismäßigkeitsanforderungen an nachträgliche Anordnungen und Entschädigungsverpflichtungen bei Widerruf bestandskräftiger Planfeststellungsbeschlüsse sichern jedoch die Beachtung eines Mindeststandards an Vertrauensschutz. b) Modifikation von Planfeststellungsbeschlüssen Problematischer ist deshalb im Hinblick auf den Bestandsschutz die Rechsprechung des BVerwG. Nach Auffassung des BVerwG können nachträglich ergehende Verordnungen die Pflichten von Inhabern einer Planfeststellung unmittelbar gestalten. Auf eine sich nach Bestandskraft einer Planfeststellung ändernde Rechtslage müsse nicht mit einer Anpassung des Planfeststellungsbeschlusses durch nachträgliche Anordnungen oder durch einen Änderungsantrag des Vorhabenträgers reagiert werden. Vielmehr würden die Regelungen des Planfeststellungsbeschlusses durch die Verordnung unmittelbar modifiziert. Die Modifizierung bestandskräftiger Planfeststellungen durch den Vorrang der unmittelbar geltenden Verordnungsregelungen sei auch mit höherrangigem Recht vereinbar.70 Diese Rechtsprechung führt zu erheblichen Rechtsunsicherheiten für Inhaber der Planfeststellung. Sie können sich nicht mehr darauf verlassen, dass der Anlagenbetrieb, der sich an dem bestandskräftigen Planfeststellungsbeschluss orientiert, rechtmäßig und zulassungskonform ist. Der Inhaber der Planfeststellung muss nach dieser Rechtsprechung vielmehr davon ausgehen, dass der Planfeststellungsbeschluss durch nach Erlass des Planfeststellungsbeschluss ergehende oder sich ändernde Verordnungen „modifiziert“ wird, ohne dass es eines Federstrichs der zuständigen Planfeststellungsbehörde bedürfte. Geht man davon aus, dass grundsätzlich auch rechtswidrige 69 EuGH, Urt. v. 14. 01. 2010 – C-226/08 –, DVBl 2010, 242; siehe dazu Würtenberger, Schutzgebietsausweisungen vs. Rechtsschutzsicherheit und Vertrauensschutz, NuR 2010, 316. 70 BVerwG, Beschl. v. 03. 06. 2004 – 7 B 14/04 –, DVBl 2004, 1544; kritisch dazu Beckmann, Rechtsfragen des Vollzugs der Deponieverordnung und der Abfallablagerungsverordnung, DVBl 2003, 821 ff. (830).
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Planfeststellungsbeschlüsse, die bereits bei ihrem Erlass gegen geltendes Recht verstoßen, gleichwohl wirksam sind, dann leuchtet wenig ein, dass eine sich nach Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses ändernde Rechtslage ohne eine entsprechende Anpassung des Planfeststellungsbeschlusses durch einen Teilwiderruf oder eine nachträgliche Auflage zu einer Modifikation des Verwaltungsakts führen soll. Allerdings hat das BVerfG erst jüngst für immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Anlagen klargestellt, dass deren Anpassung an nachträgliche Rechtsänderungen nicht nur im Wege einer konkretisierenden behördlichen Anordnung, sondern auch durch eine unmittelbar anwendbare, hinreichend konkrete Rechtsvorschrift erfolgen kann.71 Das BVerwG hat entschieden, dass es bei nachträglichen Rechtsänderungen weder auf den Genehmigungsinhalt noch darauf ankommt, ob der Genehmigung Nebenbestimmungen zur Einhaltung der im Genehmigungszeitpunkt geltenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften beigefügt waren. Maßgeblich ist allein, ob die Verpflichtung, die Anlage nachträglichen Rechtsänderungen anzupassen, auf einer gesetzlichen Grundlage beruht und in ihrer konkreten Ausgestaltung verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt.72 c) Widerrufbarkeit der Planfeststellung Der Verzicht auf eine Umsetzung des vollziehbaren Planfeststellungsbeschlusses aus Gründen fehlender Akzeptanz des Vorhabens mag bei einem öffentlichen Planungsträger oder bei einem öffentlich beherrschten privaten Vorhabenträger in Frage kommen. Die mangelnde Durchsetzbarkeit eines Planfeststellungsbeschlusses zugunsten eines privaten Vorhabenträgers könnte allerdings unübersehbare Folgen für die Kalkulierbarkeit und Verlässlichkeit des Staates und der rechtlich verfassten Wirtschaftsordnung haben. Umgekehrt fragt sich, ob und inwieweit Polizeieinsätze mit Zehntausenden von Polizisten – wie zuletzt bei den Castor-Transporten nach Gorleben – das Allgemeinwohl beeinträchtigen, einen gesellschaftlichen Grundkonsens, das Vertrauen in die Politik und ihre politischen Repräsentanten zerstören und damit einen hohen, einen vielleicht neben den finanziellen Belastungen zu hohen Preis kosten. Der Planfeststellungsbeschluss hat nach § 75 Abs. 1 Satz 1 VwVfG Genehmigungswirkung. Der Planfeststellungsbeschluss stellt die öffentlich-rechtliche Zulässigkeit des Vorhabens fest und gibt dessen Errichtung und Inbetriebnahme frei. Der Vorhabenträger leitet aus dem wirksamen Planfeststellungsbeschluss das Recht ab, sein Vorhaben zu realisieren. Nach § 75 Abs. 1 Satz 2 VwVfG regelt der Planfeststellungsbeschluss rechtsgestaltend alle öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen dem Vorhabenträger und den durch den Plan Betroffenen. Diese Gestaltungswirkung 71
BVerfG, Beschl. v. 14. 01. 2010 – 1 BvR 1627/09 –, juris, Rdnr. 55; BVerwG, Urt. v. 23. 10. 2008 – 7 C 48.07 –, ZUR 2009, 83 f.; BVerwG, Urt. v. 30. 04. 2009 – C 14/08 –, NVwZ 2009, 501. 72 BVerwG, Urt. v. 30. 04. 2009 – C 14/08 –, NVwZ 2009, 501= juris, Rdnr. 22.
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des Planfeststellungsbeschlusses bindet den Vorhabenträger an den festgestellten Plan und bildet gegenüber Betroffenen die alleinige und ausreichende Rechtsgrundlage für Einwirkungen auf ihre Rechte. Muss der Vorhabenträger fremdes Eigentum in Anspruch nehmen, bedarf es eines Enteignungsverfahrens und gegebenenfalls eines Verfahrens zur sofortigen Besitzeinweisung. Wird der Vorhabenträger von Drittbetroffenen oder von Demonstranten gehindert, von dem ihm durch den Planfeststellungsbeschluss erteilten Rechten Gebrauch zu machen, dann kann er gerichtliche Hilfe zur Durchsetzung seiner Rechte aus dem Planfeststellungsbeschluss in Anspruch nehmen. Ist gerichtlicher Rechtsschutz nicht rechtzeitig zu erlangen und würde ohne polizeiliche Hilfe die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert, dann obliegt nach den Polizeigesetzen der Länder der Schutz der Rechte des Vorhabenträgers der Polizei. Dass die Durchsetzung von Rechten aus dem Planfeststellungsbeschluss zu den Aufgaben der Polizeibehörden gehören kann, bedeutet allerdings noch nicht, dass die Polizei auch zum Einschreiten verpflichtet wäre. Grundsätzlich steht das polizeiliche Einschreiten im Ermessen der Polizeibehörden. Nur ausnahmsweise verdichtet sich der Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Einschreiten zu einem Anspruch auf ein polizeiliches Tätigwerden. Dem Vorhabenträger steht ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Behörde hinsichtlich eines Einschreitens gegen rechtswidrige Beeinträchtigungen der Vorhabenrealisierung zu.73 Da der Anspruch eines privaten Vorhabenträgers darauf, von der Genehmigungswirkung seines Planfeststellungsbeschlusses Gebrauch machen zu dürfen, grundrechtlich geschützt ist, kann sich der Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Einschreiten zu einem Anspruch des Vorhabenträgers auf ein polizeiliches Tätigwerden verdichten.74 Neben dem im Polizeirecht geltenden Opportunitätsprinzip hat die Polizei das im Strafverfahrensrecht geltende Legalitätsprinzip zu beachten, das sie zur Verfolgung von Straftaten verpflichtet. Die rechtsstaatlich gebotene Notwendigkeit, dem Vorhabenträger zur Durchsetzung seines wirksam planfestgestellten Vorhabens verhelfen zu müssen, kann die zuständigen Behörden angesichts des teilweise erheblichen Widerstands in eine missliche, sie an die Grenze der Überforderung bringende Lage bringen. Gleichwohl ist zweifelhaft, ob die Planfeststellungsbehörde Probleme bei der Durchsetzung der Genehmigungswirkung der Planfeststellung zum Anlass nehmen dürfte, die Planfeststellung zu widerrufen. Nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG kann die Behörde den Planfeststellungsbeschluss widerrufen, wenn sie auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde. Eine Gefährdung des öffentlichen Interesses ist gegeben, wenn ein Schaden für wichtige Gemeinschaftsgüter droht. Das mag bei einer Abwägung der negativen Folgen, die sich aus der Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses ergeben, feststellbar sein. Kann aber nach73 74
BVerwG, Urt. v. 22. 01. 1971 – VII 48.69 –, BVerwGE 37, 112 (113). BVerwG, Beschl. v. 09. 02. 2000 – 4 B 1/00 –, BauR 2000, 1318.
Planfeststellung zwischen Zulassungsverfahren und Planung
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träglicher Bürgerprotest eine Tatsache sein, die, wenn sie von der Behörde hätte vorausgesehen werden können, zur Versagung der Planfeststellung berechtigt hätte? Nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG kann ein Planfeststellungsbeschluss auch widerrufen werden, um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zur verhüten oder zu beseitigen. Das BVerwG hat solche schweren Nachteile für das Gemeinwohl z. B. im Zusammenhang mit dem Betrieb einer kerntechnischen Einrichtung bei Ereignissen für möglich gehalten, die zu nicht mehr beherrschbaren Gefahrensituationen im Sinne eines Unfalls führen könnten.75 Ob mit Demonstrationen, Blockaden und sonstigen Formen des Bürgerprotestes und den zur Überwindung eines solchen Protestes für den Fall der Vorhabenrealisierung schwere Nachteile im vorgenannten Sinne eintreten können, ist zweifelhaft. Immerhin verlangt § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG nicht, dass die schweren Nachteile unmittelbar von dem Vorhaben ausgehen müssen. Entscheidend ist vielmehr, dass der Widerruf der Planfeststellung erforderlich ist, um solche schweren Nacheile zu verhüten oder zu beseitigen. Ein Widerruf aus vorgenannten Gründen wäre nach § 49 Abs. 6 Satz 1 VwVfG grundsätzlich entschädigungspflichtig. Zu entschädigen ist der Vermögensnachteil, den der Vorhabenträger dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen schutzwürdig ist.
IV. Resümee Das Planfeststellungsverfahren ist nach wie vor ein geeignetes Verfahren zur Planung und Zulassung komplexer Vorhaben. Am besten kommt es bei Streckenvorhaben öffentlicher Planungsträger zur Wirkung, die auf eine städtebauliche Privilegierung und eine enteignungsrechtliche Vorwirkung angewiesen sind. Für anlagenbezogene Punktvorhaben privater Vorhabenträger, die auf eigenem Grund und Boden realisiert werden, ist im Zweifel ein Genehmigungsverfahren vorzugswürdig. Es ist zweifelhaft, ob die Planfeststellungsbehörde angesichts zahlreicher Vorfestlegungen, zunehmender Determinierung durch konditional formulierte Planungsleitsätze, gesetzlicher Bedarfsfestlegungen und nicht zuletzt aufgrund der Vorentscheidungen des Vorhabenträgers noch hinreichenden Entscheidungsspielraum besitzt, um tatsächlich in einer offenen Entscheidungssituation angemessen auf die Ergebnisse der Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung reagieren zu können. Fraglich ist, ob und inwieweit, mit den an der Enteignungsvorschrift des Art. 14 Abs. 3 GG orientierten Maßstäben der Planrechtfertigung und dem Abwägungsgebot der verbreiteten Kritik an einem Vorhaben aus der Mitte der Bevölkerung hinreichend Rechnung getragen werden. Die Planrechtfertigung darf nicht als umfassende Befürwortung des Projektes missverstanden werden. Sie bescheinigt lediglich die Vernünftigkeit eines Vorhabens gemessen an dem jeweiligen Fachplanungsziel.76 Es stellt sich deshalb die 75 76
BVerwG, Urt. v. 21. 05. 1997 – 11 C 1/96 –, BVerwGE 105, 6. Jarass (Fn. 13), 1204.
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Frage, ob und inwieweit neben einer zweifellos hohen Legitimation durch Entscheidungen des Gesetzgebers, eine frühe Bürgerbeteiligung jedenfalls bei solchen Vorhaben sinnvoll ist, deren Realisierung besonders umstritten ist oder werden könnte. In jedem Fall dürfte es dem Vorhabenträger bei absehbar politisch hochumstrittenen Vorhaben angeraten sein, nicht ausschließlich auf einen möglichst schnellen Abschluss des Planfeststellungsverfahrens zu setzen, sondern die gesellschaftspolitische Debatte rechtzeitig aufzunehmen und über eine verbesserte Beteiligung und Einbindung der Öffentlichkeit eine größere gesellschaftliche Akzeptanz herbeizuführen.
Standort und rechtlicher Stellenwert des zentralörtlichen Gliederungsprinzips im Recht der Raumordnung Von Winfried Kluth
I. Entwicklung und aktuelle Herausforderungen des Raumordnungsrechts 1. Raumordnung als Siedlungspolitik Wenn sich die Rechtswissenschaft mit dem Raum und der Raumordnung beschäftigt, so geschieht dies nach wie vor aus einer primär durch das Mensch-Raum-Verhältnis bestimmten Perspektive.1 Daran hat auch die stärkere Betonung des Umwelt- und Naturschutzes sowie die Orientierung am Grundsatz der Nachhaltigkeit2 in den letzten Novellierungen des Raumordnungsgesetzes des Bundes3 nichts geändert. Raumordnungspolitik ist und bleibt in erster Linie Siedlungspolitik.4 Es geht darum, eine leitbildhafte, normative Vorstellung davon zu entwickeln, wie eine den gesellschaftlichen Bedürfnissen entsprechende Ordnung in den verschiedenen Regionen und Lebensräumen (Städte und Ballungsräume einerseits, ländliche Bereiche andererseits) verwirklicht werden kann.5 Entgegen dem ersten Eindruck ist Raumordnung damit weniger ein objekt- sondern vielmehr ein subjektbezogenes Politikfeld, in dem gesellschaftliche Erwartungen und Lebenseinstellungen6 den Ton angeben. Sie ist mithin jenseits ihrer technokratischen und planungswissenschaftlichen Verhüllungen ein 1 Zur Entwicklung des Raumverständnisses siehe näher Blotevogel, Stichwort „Raum“, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.), Handwörterbuch der Raumordnung, 4. Aufl. 2005, S. 831 ff. 2 Zu Genese und Bedeutung dieses Grundsatzes siehe die Beiträge in Kahl (Hrsg.), Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, 2008 und dort die Beiträge von Goppel/Maier sowie Kersten zu den planungsrechtlichen Aspekten; weiter Beaucamp, Das Konzept der zukunftsfähigen Entwicklung im Recht, 2002. 3 Dies betrifft die Novellierungen der Jahre 1998 und 2004, die durch eine Stärkung der umwelt- und naturschutzbezogenen Vorgaben gekennzeichnet waren. 4 Sinz, Stichwort „Raumordnung/Raumordnungspolitik“, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.), Handwörterbuch der Raumordnung, 4. Aufl. 2005, S. 863. 5 Sinz, (Fn. 4), S. 864 ff. 6 Dazu vertiefend Dangschat/Hamedinger (Hrsg.), Lebensstile, soziale Lagen und Siedlungsstrukturen, Forschungs- und Sitzungsberichte der ARL, Bd. 230, 2007.
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zentrales Element moderner Gesellschaftspolitik und verdient auch und vor allem aus diesem Blickwinkel eine große (bzw. größere) Aufmerksamkeit seitens der Rechtswissenschaft.7 Werner Hoppe ist hier mit gutem Beispiel vorangegangen und hat sich in zahlreichen Beiträgen dem Recht der Raumordnung und Landesplanung gewidmet.8 Dabei hat vor allem das zentralörtliche Gliederungsprinzip immer wieder sein (kritisches) Interesse geweckt.9 Dies gibt Anlass, dieser Thematik auch im Rahmen des planungsrechtlichen Kolloquiums besondere Aufmerksamkeit zu schenken. 2. Die Entwicklung des Raumordnungsrechts in Deutschland Um den Standort und rechtliche Stellenwert des zentralörtlichen Gliederungsprinzips herauszuarbeiten, bedarf es zunächst einer Vermessung seines Umfeldes, insbesondere des Raumordnungsrechts und seiner Entwicklung. Als Ausgangspunkt der deutschen Rechtsentwicklung werden die zur Bewältigung der Stadt-Umland-Problematik erlassenen Rechtsakte zur Gründung des Zweckverbandes Groß-Berlin aus dem Jahr 1991 sowie zum Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk aus dem Jahr 1920 angesehen, die zahlreiche Folgeinitiativen ausgelöst haben und zur Gründung der Arbeitsgemeinschaft der Landesplanungsstellen führten.10 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde zunächst wegen der zentralistischen Tendenzen auch im Bereich der Raumordnung während des Nationalsozialismus auf Gesetzgebungsakte zur Raumordnung auf Bundes- und Länderebene „verzichtet“, obwohl das Grundgesetz dem Bund in Art. 75 Nr. 4 GG eine Rahmengesetzgebungskompetenz zugewiesen und die Materie insoweit „vorurteilsfrei“ anerkannt hatte.11
7 Grundlegend aus jüngerer Zeit: Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005. Aus der bedeutsamer werdenden unionsrechtlichen Perspektive: Battis/Kersten, Europäische Politik des territorialen Zusammenhalts – Europäischer Rechtsrahmen und nationale Umsetzung, 2008; Gärditz, Europäisches Planungsrecht, 2009. 8 Hervorzuheben ist die systematische Gesamtdarstellung Hoppe (Hrsg.), Das Recht der Raumordnung und Landesplanung in der Bundesrepublik Deutschland, 1986 ff. 9 Grundlegend: Hoppe/Bunse, Zentralörtliches Gliederungsprinzip und Bauleitplanung, WiVerw 1984, 151 ff.; es folgten mehrfach kritische Auseinandersetzungen mit der Gesetzgebung und Rechtsprechung: Hoppe, NVwZ 2004, 282 ff.; ders., NVwZ 2005, 1141 ff.; ders., NVwZ 2006, 1345 ff. 10 Hendler, Stichwort „Raumordnungsrecht“, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.), Handwörterbuch der Raumordnung, 4. Aufl. 2005, S. 878. 11 v. Mangoldt/Klein/Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 8, 3. Aufl. 1996, Art. 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Rdnr. 475 ff. Danach wurde die Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes für die Raumordnung durch den Parlamentarischen Rat eingefügt und zwar mit dem Zweck, die Raumordnungspolitik der Länder zu koordinieren und übergebietliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen.
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Der Bundesgesetzgeber hat von der neuen Gesetzgebungskompetenz erstmalig 1965 Gebrauch gemacht und das Raumordnungsgesetz erlassen.12 Eine grundlegende Novellierung mit dem Ziel der stärkeren Berücksichtigung des Umweltschutzes erfolgte 1997.13 Nach weiteren Änderung u. a. im Jahr 200414 die z. T. unionsrechtlich veranlasst waren15, wurde im Rahmen der Föderalismusreform I im Zuge der Abschaffung der Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes eine konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für das Recht der Raumordnung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG begründet.16 Von den auf dieser Grundlage getroffenen Regelungen können die Länder jedoch nach Art. 72 Abs. 3 Nr. 4 GG abweichen, wobei umstritten ist, wie weit dieses Abweichungsrecht reicht.17 Auf der Grundlage der neuen Vollgesetzgebungskompetenz hat der Bundesgesetzgeber am 13. 11. 2008 ein neues Raumordnungsgesetz erlassen18, das jedoch in seinen verbindlichen Vorgaben für die Landesplanung kaum über die bisherigen Regelungen hinausgeht und weiterhin als durchsetzungsschwach charakterisiert und kritisiert wird.19 Der Schwerpunkt der Gesetzgebung und Planung liegt deshalb – ungeachtet der wachsenden unionsrechtlichen Vorgaben20 – bei den Ländern, die gem. § 8 Abs. 1 ROG 2009 durch den Erlass von landesweiten Raumordnungsplänen und Regionalplänen verbindliche Vorgaben erlassen, die auch bei der Fachplanung und der örtlichen Bauleitplanung zu beachten sind.21 Das Raumordnungsrecht der Länder ist durch z. T. nicht unerhebliche Unterschiede gekennzeichnet und zwar sowohl bei der inhaltlichen Ausgestaltung als auch bei den Details in der Verwendung der Steuerungsinstrumente. So haben einige Bundesländer auf Landesebene zwei Planungsebenen eingeführt, während die übrigen sich mit einer Planungsebene begnügen. Unterschiede gibt es auch bei der Handlungsform, da die Pläne sowohl als Landesgesetz (so z. B. in Sachsen-Anhalt) als auch in der Form einer Rechtsverordnung (so z. B. in Baden-Württemberg) erlassen werden.22 Hinzu kommen die Regionalpläne, die einen nochmals größeren Variantenreichtum aufweisen, was jedoch vor allem durch die un12
G. v. 08. 04. 1965, BGBl. I S. 306. G. v. 18. 08. 1997, BGBl. I S. 2081. 14 Dazu Kment, NVwZ 2004, 155 ff.; Hoppe, in: Hoppe/Bönker/Grotefels, Öffentliches Baurecht, 4. Aufl. 2010, § 3 Rdnr. 3. 15 U.a. durch die Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme, ABl. EG Nr. L 197 S. 30. 16 Kluth, in: ders. (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2008, Art. 74 Rdnr. 24. 17 Zu dieser Frage Hoppe, DVBl 2007, 144 ff.; Kluth, (Fn. 14), Art. 74 Rdnr. 24; Runkel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, ROG, 2010, § 1 Rdnr. 20 ff. 18 G. v. 13. 11. 2008, BGBl. I S. 2986. 19 So unter anderem Durner, NuR 2009, 373 ff. 20 Siehe dazu neben den Nachweisen in Fn. 7 auch Erbguth, NVwZ 2007, 985 ff.; Kadelbach, in: FS Hoppe, 2000, S. 897 ff. 21 Zu den Bindungswirkungen im Einzelnen Durner (Fn. 7), S. 228 ff. 22 Übersicht bei Hendler (Fn. 10), S. 881 f. 13
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terschiedlichen Gegebenheiten in den Regionen bedingt ist. Diese Pläne werden in den meisten Fällen entsprechend § 8 Abs. 4 ROG 2009 von kommunalen Planungsverbänden erlassen.23 In diesen Fällen kann ein Regionalplan zugleich die Funktion eines gemeinsamen Flächennutzungsplans nach § 204 BauGB übernehmen. In den Raumordnungsplänen sollen nach § 8 Abs. 5 ROG 2008 Festlegungen zur Raumstruktur enthalten sein, die insbesondere die anzustrebende Siedlungsstruktur bestimmen und zu diesem Zweck neben den Raumkategorien auch die Zentralen Orte, die besonderen Gemeindefunktionen, die Siedlungsentwicklungen und die Achsen ausweisen.24 3. Die Veränderung der Leitbilder – die „neue Unübersichtlichkeit“ Das Raumordnungsrecht und die Siedlungspolitik werden insgesamt durch sog. Leitbilder gesteuert, die einen entscheidenden Einfluss auf die Schwerpunktsetzung vor allem bei den Fördermaßnahmen besitzen. Die Entwicklung der Leitbilder spiegelt dabei nicht nur Veränderungen des rechtlichen Umfeldes der Raumordnung, sondern auch und vor allem die Dynamik bei den Lebensgewohnheiten der Bevölkerung und den Handlungstypiken der Wirtschaftsakteure wider, deren Bedeutung nicht unterschätzt werden darf, da Raumentwicklungen ohne maßgebliche Berücksichtigung der freien Entscheidungen der Bewohner und Unternehmen sowie ihrer Handlungslogik ihren Zweck verfehlen würde. Dieser Zusammenhang kann an dieser Stelle nur knapp angedeutet werden.25 Die Leitbilder der räumlichen Entwicklung fungieren als übergeordnete Zielvorstellung für einen Raum, die von der Mehrheit der angesprochenen Akteure (Personen und Institutionen) mitgetragen werden und so das raumbedeutsame Handeln leiten und die räumliche Entwicklung lenken soll.26 Bei der Entwicklung der Leitbilder kommt deshalb der Wechselwirkung zwischen den faktisch bestehenden Interessen und Motiven einerseits und den normativen Vorgaben u. a. des Umweltschutzes andererseits eine besondere Bedeutung zu. Die Leitbilder der räumlichen Entwicklung werden seit 1955 durch einen Sachverständigenausschuss erstellt und wurden zuletzt 2006 aktualisiert.27 Inzwischen werden die nationalen Leitbilder durch das Europäische Raumentwicklungskonzept 23
Hendler (Fn. 10), S. 882 f. Zu Einzelheiten Goppel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, ROG, 2010, § 8 Rdnr. 55 ff. 25 Aus diesem Grunde wird auch dem Vertrag als kooperativem Instrument im Raumordnungsrecht eine wachsende Bedeutung zugemessen; vgl. dazu näher Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Raumordnerische Verträge zielorientiert und aufgabengerecht einsetzen, Positionspapier aus der ARL Nr. 85, 2011. 26 Dehne, Stichwort „Leitbilder in der räumlichen Entwicklung“, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.), Handwörterbuch der Raumordnung, 4. Aufl. 2005, S. 608. 27 Die Leitbilder sind abrufbar unter: http://www.bbsr.bund.de. 24
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EUREK (1999) ergänzt, das seinerseits die Förderpolitik und Rechtsetzung der Europäischen Union beeinflusst. Auch wenn die Leitbilder auf den ersten Blick keine harte normative Steuerung bewirken, kommt ihnen für die Ausarbeitung der einzelnen Pläne eine erhebliche Bedeutung zu, da sie die Grundorientierung der Planung maßgeblich beeinflussen und somit als strategisches Planungsinstrument wirken.28 Dabei wird ihnen eine Orientierungs-, Koordinierungs- und Aktivierungsfunktion zugeschrieben.29 Die in den letzten Jahrzehnten zu beobachtende Diversifizierung der Lebensstile, die Habermas einprägsam als die „Neue Unübersichtlichkeit“ bezeichnet hat30, wirkt sich auch auf die Leitbilder der Raumordnung aus. Vor allem im ländlichen Raum sind nicht mehr alleine die Interessen der Landwirtschaft zu berücksichtigen. Auch das Interesse an naturnahen Wohnstätten und der Ausstieg aus dem Fluidum städtischer Geschäftigkeit prägen heute ländliche Räume. Die Leitbildentwicklung musste zudem den demographischen Wandel und die gewachsenen Anforderungen an die nachhaltige Raumentwicklung berücksichtigen. In der aktuellen Fassung werden drei Leitbilder ergänzend zueinander verwendet.31 Mit dem Leitbild 1 „Wachstum und Innovation“ möchte die Raumentwicklungspolitik ihren Beitrag leisten, das wirtschaftliche Wachstum stärker zu fördern – insbesondere durch eine Weiterentwicklung der Wissensgesellschaft. Alle Räume sollen befähigt werden, ihren Beitrag hierbei zu leisten, indem die spezifischen Stärken in den jeweiligen Regionen unterstützt werden. Das Leitbild 2 „Daseinsvorsorge sichern“ dient der Umsetzung des Zieles der gleichwertigen Lebensbedingungen und begegnet der Gefährdung der Leistungen und Einrichtungen der Daseinsvorsorge durch die Folgen des demographischen Wandels und knapper werdender öffentlicher Mittel. Mit dem Leitbild 3 „Ressourcen bewahren, Kulturlandschaften gestalten“ wird der Grundauftrag der Raumordnung, für eine nachhaltige Raumentwicklung zu sorgen, in die neuen Leitbilder integriert. Unter nachhaltiger Raumentwicklung wird im Sinne dieses Leitbildes auch künftig vor allem die Sicherung der vielfältigen Raumfunktionen durch aktives Management räumlicher Ressourcen und Entwicklungspotenziale im Spannungsfeld zunehmender Nutzungskonflikte und vor dem Hintergrund der Notwendigkeit eines sparsamen Umgangs mit der Ressource Boden verstanden. Die Raumordnung soll in dieser Aufgabe vor allem in der Befähigung zur überörtlichen und überfachlichen Koordination der verschiedenen Fach- und Regionalplanungen gestärkt werden.
28
Dehne (Fn. 26), S. 613 f. Dehne (Fn. 26), S. 610 f. 30 Habermas, Die Neue Unübersichtlichkeit, 1985, S. 141 ff. Siehe auch Dangschat/ Hamedinger (Hrsg.), Lebensstile, soziale Lagen und Siedlungsstrukturen, 2007. 31 Siehe zu Einzelheiten Schmitz, Rechtliche Einordnung des Zentrale-Orte-Konzeptes unter dem Gesichtspunkt der Leitvorstellung einer nachhaltigen Raumentwicklung, in: Blotevogel (Hrsg.), Fortentwicklung des Zentrale-Orte-Konzept, 2002, S. 55 ff. 29
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II. Gleichwertige Lebensbedingungen als Kern aller Grundsätze der Raumordnung und das zentralörtliche Gliederungsprinzip als Umsetzungsinstrument 1. Das sozialstaatliche Fundament und Ziel der Raumordnungspolitik Raumordnungs- und Siedlungspolitik wurde in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg konsequent als Modernisierungspolitik betrieben, insbesondere in den strukturell schwächer entwickelten Räumen. Die zahlreichen Förderprogramme zielten vor allem darauf ab, die soziale Infrastruktur in den ländlichen Räumen zu verbessern und damit die Lebensbedingungen an das Niveau der höher entwickelten städtischen Siedlungsräume anzunähern. Bei der Stadtentwicklung stand die Verbesserung der Wohn- und Arbeitsbedingungen im Vordergrund, die durch die Instrumente des Städtebaurechts, vor allem des Sanierungsrechts, umgesetzt wurde. Als Leitbild fungierte dabei mit zunehmender Stärke das Postulat der gleichwertigen Lebensbedingungen, das sowohl schichten- als auch raumbezogen kräftige Impulse aussandte. 2. Rechtliche Verankerung des Postulats der gleichwertigen Lebensbedingungen Die rechtliche Ableitung und Verankerung dieses Postulats ist umstritten, vor allem hinsichtlich seiner verfassungsrechtlichen Valenz.32 Zurückhaltung ist vor allem deshalb geboten, weil das Grundgesetz die gleichwertigen Lebensbedingungen lediglich in Art. 72 Abs. 2 GG im Zusammenhang mit der Ausübung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz durch den Bund und in Art. 106 Abs. 3 GG (dort unter Verwendung der Formulierung „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“) als Maßstab für die Umsatzsteueranteile zwischen dem Bund und den Ländern anspricht.33 Eine darüber hinausgehende zwingende verfassungsrechtliche Maßgabe lässt sich jenseits des aus dem Sozialstaatsprinzip ableitbaren Gestaltungsauftrags der sozialen Gerechtigkeit nicht begründen. Verfassungspolitisch ist indes das Gewicht des Postulats als Maßstab der raumund siedlungsbezogenen Politikfelder trotz kritischer Hinweise weiterhin unbestritten. Zwar wird mit guten Gründen immer wieder darauf hingewiesen, dass Gleichwertigkeit nicht mit Gleichartigkeit zu verwechseln ist und deshalb in den einzelnen Lebens- und Versorgungsbereichen Unterschiede hinzunehmen sind. Das war aber nie anders. Die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen richtete sich immer nach den zur Verfügung stehenden Finanzierungsmöglichkeiten. In Zeiten von Wachstum 32
Dazu näher und mit weiteren Nachweisen Hebeler, ZG 2006, 301 ff. Siehe auch Reichel, Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse: Verfassungsauftrag und Raumordnungsrecht, 2009. 33
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und vollen Kassen bewirkte dies eine umfangreiche Modernisierungspolitik.34 Vor dem Hintergrund schrumpfender Bevölkerung und Einnahmen muss das Konzept deshalb in seinen praktischen Auswirkungen neu gedacht und ausformuliert werden.35 3. Umsetzung im ROG 2008 Für das Raumordnungsrecht im Allgemeinen und das ROG 2008 im Besonderen ist die lediglich periphere verfassungsrechtliche Absicherung des Grundsatzes der gleichwertigen Lebensverhältnisse aber auch deshalb nebensächlich, weil er mehrfach einfachgesetzlich abgesichert ist und das Raumordnungsrecht weiterhin maßgeblich prägt. Bereits der erste in § 2 Abs. 2 ROG 2008 verankerte Grundsatz zielt auf gleichwertige Lebensbedingungen ab, wenn es dort heißt: „Im Gesamtraum der Bundesrepublik Deutschland und in seinen Teilräumen sind ausgeglichene soziale, infrastrukturelle, wirtschaftliche, ökologische und kulturelle Verhältnisse anzustreben. … Diese Aufgaben sind gleichermaßen in Ballungsräumen wie in ländlichen Räumen, in strukturschwachen wie in strukturstarken Regionen zu erfüllen. … Auf einen Ausgleich räumlicher und struktureller Ungleichgewichte zwischen den Regionen ist hinzuwirken.“ Noch deutlicher und konkreter formuliert der dritte Grundsatz: „Die Versorgung mit Dienstleistungen und Infrastrukturen der Daseinsvorsorge, insbesondere der Erreichbarkeit von Einrichtungen und Angeboten der Grundversorgung für alle Bevölkerungsgruppen, ist zur Sicherung von Chancengerechtigkeit in den Teilräumen in angemessener Weise zu gewährleisten; dies gilt auch in dünn besiedelten Regionen.“ Für die von § 2 Abs. 1 ROG 2008 geforderte Umsetzung dieser Grundsätze der Raumordnung wird an die sog. Zentralen Orte angeknüpft. Dazu heißt es im dritten Grundsatz: „Die soziale Infrastruktur ist vorrangig in Zentralen Orten zu bündeln; die Erreichbarkeits- und Tragfähigkeitskriterien des Zentrale-Orte-Konzepts sind flexibel an regionalen Erfordernissen auszurichten. Es sind die räumlichen Voraussetzungen für die Erhaltung der Innenstädte und örtlichen Zentren als zentrale Versorgungsbereiche zu schaffen.“ Etwas weniger strikt heißt es zudem im zweiten Grundsatz: „Die Siedlungstätigkeit ist räumlich zu konzentrieren, sie ist vorrangig auf vorhandene Siedlungen mit ausreichender Infrastruktur und auf Zentrale Orte auszurichten.“
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Dies gilt vor allem für die sechziger und siebziger Jahre, in denen die Infrastruktur in den ländlichen Räumen einschließlich der privaten Häuser erheblich verbessert wurde. Dazu hat auch das besondere Städtebaurecht mit seiner auch sozialen Ausrichtung beigetragen. 35 Dazu Akademie für Raumforschung und Landeplanung, Gleichwertige Lebensverhältnisse: eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe neu interpretieren, Positionspapier aus der ARL Nr. 69, 2006; Kersten, UPR 2006, 245 ff.
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III. Von der Zentralen-Orte-Theorie zum Zentralen-Orte-Konzept 1. Die Zentrale-Orte-Theorie in der Ökonomie Der damit vom Gesetzgeber begründete enge Zusammenhang zwischen der Gewährleistung gleichwertiger Lebensbedingungen und den Zentralen Orten wirft die Frage nach den wissenschaftlichen Grundlagen und konstruktiven Einzelheiten dieses Modells auf. Sie soll mit einem kurzen Blick auf die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte beantwortet werden. Die Theorie der Zentralen Orte ist zunächst eine wirtschaftswissenschaftliche Konzeption, die durch eine empirisch-deskriptive sowie eine normativ-finale Komponente geprägt ist. Als Ausgangspunkt der Entwicklungen werden die Untersuchungen des Wirtschaftsgeographen Walter Christaller angesehen, der in seiner Dissertation aus dem Jahr 1933 die Verteilung der Versorgung der Bevölkerung mit Dienstleistungen in Süddeutschland untersuchte.36 Die Untersuchung ermittelte die räumliche Verteilung der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen und kam zu dem Ergebnis, dass sich im Untersuchungsraum eine gleichmäßige, netzwerkartige Verteilung von Versorgungszentren herausgebildet hat. Auf der Grundlage des von ihm vertretenen Marktliberalen Wirtschaftsmodells deutete Christaller diesen Befund als Ergebnis der Steuerung durch die unsichtbare Hand im Sinne Adam SmithÏs und folgerte daraus, dass auch eine aktive Raumordnungspolitik dieser Logik zu folgen habe.37 Die Herausbildung des Versorgungsnetzwerks der Zentralen Orte wurde dabei unter Hinweis auf die Optimierung der Kosten für die Bereitstellung und Nachfrage der Güter und Dienstleistungen im Raum erklärt. Auf der Seite der Anbieter muss eine bestimmte Mindestnachfrage erreicht werden, die den Verflechtungsbereich, d. h. das versorgte Gebiet determiniert. Für die Nachfrager ist es wichtig, dass die Wege zu den Anbietern nicht zu groß sind. Dabei müssen die Entfernungen für Güter des täglichen Bedarfs kürzer sein als bei Gütern und Dienstleistungen die nur in größeren zeitlichen Abständen nachgefragt werden. Bei ihnen sind auch wegen der geringeren Nachfrage größere Entfernungen zumutbar. Da zugleich ein Interesse postuliert wurde, die Güter konzentriert an bestimmten Orten, den Zentralen Orten, nachzufragen, um bei den Fahrt- bzw. Transportkosten Verbundvorteile zu erzielen, stellte die Theorie die Forderung nach einer Konzentration wirtschaftlicher, behördlicher und sozial-kulturellen Dienstleistungen auf. Dies führte zu der bekannten Herausbildung von drei bzw. vier Hierarchieebenen, den Unter -, Mittel- und Oberzentren
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Christaller, Die zentralen Orte in Süddeutschland. Eine ökonomisch-geographische Untersuchung über die Gesetzmäßigkeit der Verbreitung und Entwicklung der Siedlungen mit städtischen Funktionen, 1933. 37 Dazu vertiefend Blotevogel, Stichwort „Zentrale Orte“, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.), Handwörterbuch der Raumordnung, 4. Aufl. 2005, S. 1308 f.
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sowie – als neue, 1995 zusätzlich eingeführte Kategorie38 – den Metropolregionen. Unterzentren (auch als Grund- oder Kleinzentren bezeichnet) dienen nach dieser Systematik der Deckung der Grundversorgung, insbesondere des kurzfristigen bzw. täglichen Bedarfs, Mittelzentren des gehobenen oder periodischen Bedarfs und Oberzentren des spezialisierten und höheren Bedarfs, der nur episodisch nachgefragt wird. Als Metropolregion definierte die Ministerkonferenz für Raumordnung „räumliche und funktionale Standorte, deren herausragende Funktionen im internationalen Maßstab über die nationalen Grenzen hinwegstrahlen. Sie sollen als „Motoren der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung … die Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit Deutschlands und Europas erhalten und dazu beitragen, den europäischen Integrationsprozess zu beschleunigen.“39 Es versteht sich dabei von selbst, dass die höheren Stufen die niedrigeren einschließen, also in einem Oberzentrum auch die täglichen und periodischen Bedarfe gedeckt werden können. Die Zentralen Orte erfüllen die so umschriebenen Funktionen für einen bestimmten Einzugsbereich, das sog. Verflechtungsgebiet. Dieses Gebiet ist entsprechend der jeweiligen Funktionen räumlich unterschiedlich weit gefasst. In der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie wurden die Überlegungen von Christaller unter anderem durch die Arbeiten von Lösch40 und später durch zahlreiche weitere Autoren vertieft und als Zentralitätsforschung weiterentwickelt.41 Dabei wurde immer wieder betont, dass die wirtschaftswissenschaftliche Theorie lediglich Zusammenhänge beschreiben, aber keine Ursachen nachweisen kann. Zudem haben sich inzwischen durch die technische Entwicklung (u. a. Internet-Shopping), die dramatischen Veränderungen bei den Transportkosten, die gestiegene Mobilität von Unternehmen usw. die Rahmenbedingungen, unter denen die Theorie entwickelt wurde,
38 Blotevogel, Stichwort „Metropolregionen“, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.), Handwörterbuch der Raumordnung, 4. Aufl. 2005, S. 642 ff. Derzeit werden für Deutschland 11 Metropolregionen ausgewiesen: Rhein-Ruhr, Berlin/Brandenburg, Rhein-Main, Stuttgart, München, Mitteldeutschland, Hamburg, Hannover/Braunschweig/ Göttingen/ Wolfsburg, Nürnberg, Bremen-Oldenburg, Rhein-Neckar. 39 Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Raumordnungspolitischer Handlungsrahmen, 1995, S. 27. Den Metropolregionen werden vor diesem Hintergrund drei zentrale Funktionen zugeordnet (siehe Blotevogel, a.a.O., S. 645): Entscheidungs- und Kontrollfunktion: Hohe Konzentration von politischen und ökonomischen Einrichtungen; die größten Unternehmen eines Landes bzw. der Welt unterhalten Hauptsitze oder wichtige Zweigstellen. Innovations- und Wettbewerbsfunktion: Motor gesellschaftlicher, kultureller und technologischer Entwicklung; hohe Anzahl an Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen; kulturelle Großveranstaltungen können ausgerichtet werden, da die nötige Infrastruktur, wie z. B. Theater oder Stadien vorhanden sind. Gateway-Funktion: „Drehscheibe“ für den Austausch von Wissen und Informationen durchsehr gute Erreichbarkeit; Indikatoren sind internationale Flughäfen, Verkehrsknotenpunkte, Standpunkt von Internet-Servern, Medien, Messen etc. 40 Lösch, Die räumliche Ordnung der Wirtschaft, 1940 (Neuauflage 1962). 41 Isbary, Zentrale Orte und Versorgungsbereiche, 1965; weitere Einzelheiten und Nachweise bei Blotevogel (Fn. 37), S. 1309 f.
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maßgeblich verändert. Das alles führte zu einer Relativierungen der Aussagen der Zentrale-Orte-Theorie. 2. Die Ableitung des zentralörtlichen Gliederungsprinzips im Raumordnungsrecht Von der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion deutlich zu unterscheiden ist die Verwendung des darauf basierenden Zentrale-Orte-Konzepts der Landes- und Regionalplanung. Der Übergang von der „Theorie“ zum „Konzept“ beruht auf der Annahme, dass die Raumordnung die Zentralen Orte als Bezugspunkt für den Erhalt und die weitere Entwicklung regionaler Versorgungsstrukturen zugrunde legen kann. Dabei wird die für die Nachfrage nach wirtschaftlichen Dienstleistungen entwickelte Theorie auf staatlich bereitgestellte Dienstleistungen einschließlich sozialer und kultureller Angebote erweitert.42 Zu beachten ist, dass in der regionalökonomischen Zentrale-Orte-Theorie unter einem Zentralen Ort im allgemeinen Sinn eine Standortagglomeration („Cluster“) von Einrichtungen zu verstehen ist, die Gu¨ ter (Waren und Dienste) fu¨ r – wegen der Distanzempfindlichkeit der Nachfrage – räumlich begrenzte Marktgebiete anbieten. Relevant sind dabei in der Regel nur die von privaten Haushalten nachgefragten Handels- und Dienstleistungsfunktionen.43 In dieser allgemeinen Form ist der Begriff des Zentralen Ortes auf Cluster zentraler Einrichtungen unterschiedlichster Form anwendbar, die von kleinen Nachbarschaftszentren u¨ ber größere Stadtteil- und Stadtzentren bis hin zu Landeszentren und möglicherweise Metropolen reicht. Eine Gleichsetzung von Zentralem Ort und Gemeinde ist dagegen problematisch, zumal die Gemeindestrukturen in den einzelnen Bundesländern erhebliche Unterschiede aufweisen.44 Im Zeitraum von 1965 bis 1975 legten sämtliche Flächenländer in ihren Programmen und Plänen die Gemeinden mit zentralörtlicher Bedeutung fest und führten damit das Zentrale-Orte-Konzept als raumordnungspolitisches Instrument flächendeckend ein. Es wurde Orientierungspunkt einer umfassenden Förder- und Modernisierungspolitik. In den Einzelheiten gab es aber auch erhebliche Unterschiede bei der Anwendung der Zuordnungskriterien und den Ausdifferenzierung der Hierarchieebenen (u. a. mit der Ausweisung von Teilfunktionen). 42
Blotevogel, Zum Verhältnis der regionalökonomischen Zentrale-Orte-Theorie zum Zentrale-Orte-Konzept der Raumordnung, in: ders. (Hrsg.), Fortentwicklung des Zentrale-OrteKonzept, 2002, S. 10 ff. 43 Blotevogel (Fn. 42), S. 10. 44 Siehe auch die Begriffsbestimmung in § 2b Abs. 1 s-anh LPlG: „(1) Zentraler Ort ist ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil als zentrales Siedlungsgebiet einer Gemeinde einschließlich seiner Erweiterungen im Rahmen einer geordneten städtebaulichen Entwicklung. Der Zentrale Ort ist im Raumordnungsplan durch den Träger der Planung festzulegen. Dabei sind insbesondere die wirtschaftliche Tragfähigkeit des Zentralen Ortes und die Erreichbarkeit für die Einwohner seines Verflechtungsbereiches zu berücksichtigen.“
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Nachdem sich das Planungsrecht in den achtziger Jahren stärker inkrementellen Vorgehensweisen zugewandt und dezentralen Koordinations- und Kooperationsprozessen den Vorzug gegenüber zentraler Planung eingeräumt hatte, ließ auch die Orientierungsfunktion des Zentrale-Orte-Konzepts nach. Nach der Wiedervereinigung wurde es jedoch zur Steuerung der Siedlungspolitik in den neuen Bundesländern erneut aufgegriffen.45 Im Zuge der Ausrichtung der Raumordnungspolitik am Grundsatz der Nachhaltigkeit und der damit verbundenen Zielsetzung der Reduktion von Verkehr und Flächenverbrauch gewann das Zentrale-Orte-Konzept allgemein wieder eine größere Bedeutung, da es sich insoweit als anschlussfähig erwies. Vor diesem Hintergrund wurde das Konzept auf der neuen Grundlage weiterentwickelt. In dieser weiterentwickelten Form wird das Zentrale-Orte-Konzept als nützliches Instrument der Raumplanung in drei thematischen Feldern und Zusammenhängen angesehen: „1. Sozial: gerechte Verteilung von Ressourcen Der Auftrag zur Gewährleistung gleichwertiger Lebensverhältnisse in den Teilräumen des Staatsgebiets verpflichtet den Staat zum Eingreifen, wenn die marktliche Ordnung ein ausreichendes Gleichwertigkeitsniveau nicht herzustellen vermag. In den ländlichen Räumen hat das ZOK bereits in der Vergangenheit dazu beigetragen, großräumige Verödungsprozesse und damit eine massive selektive Abwanderung zu verhindern. Vor allem in dünn besiedelten, peripher gelegenen ländlichen Räumen bleibt die Aufgabe, ein Mindestmaß an Versorgungsgerechtigkeit zu gewährleisten, also eine Art „Auffangnetz“ gegenüber einer marktgesteuerten Erosion der wohnungsnahen Versorgung sicherzustellen. Die traditionelle Aufgabenstellung einer Stabilisierung des dezentralen Versorgungsnetzes mit Hilfe des ZOK hat hier einen unverminderten politischen Stellenwert. 2. Ökonomisch: effiziente Nutzung von Ressourcen Mit der wachsenden Internationalisierung der Wirtschaft tritt der Aspekt der regionalen Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit zur Sicherung der materiellen Lebensgrundlagen stärker in den Vordergrund. Die räumliche Konzentration von qualifizierten Forschungs-, Informations- und Kommunikationsfunktionen sowie von hochwertiger Verkehrsinfrastruktur ist eine wichtige Wettbewerbsvoraussetzung. Das ZOK wirkt – in Verbindung mit siedlungsstrukturellen Zielen – auf eine effiziente Nutzung der technisch-materiellen wie sozialen Infrastruktur und unterstützt damit das Nachhaltigkeitsgebot. Bei der Entwicklung von Siedlungs- und Versorgungssystemen gehen einzelbetriebliche Vorteile nicht selten mit erhöhten sozialen Kosten einher. So vermeidet z. B. eine am Zentrale-Orte-System orientierte Standortentwicklung von Einzelhandel und Dienstleistungen tendenziell die mit nichtintegrierten Standorten auf der „grünen Wiese“ verbundenen externen Kosten (Sozial- und Umweltkosten) und dient einer aus gesamtwirtschaftlicher Sicht effizienten Nutzung der bestehenden Infrastruktur und -investitionen, so dass die Entstehung von sog. versunkenen Kosten verhindert wird. Für den öffentlichen Bereich sind zentralörtliche Konzepte bei der Restrukturierung von Leistungsangeboten bedeutsam (u. a. Verwaltungsreformen). Bei dem teilweise anstehenden Rückbau von Infrastruktur hilft eine solche Orientierung, absehbare Versorgungs45
Blotevogel (Fn. 42), S. 11.
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defizite (u. a. in den Bereichen Bildung und Gesundheit) wenn schon nicht zu verhindern, so doch wenigstens zu minimieren. 3. Ökologisch: Begrenzung des Verbrauchs von Ressourcen Neben dem ökonomischen Einsatz finanzieller Ressourcen dient eine Orientierung am ZOK auch der sparsamen Nutzung von Flächenressourcen und trägt insofern zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen bei. Die ökologische Funktion des ZOK wird im Verkehrsbereich besonders deutlich. Das ZOK stellt das idealtypische Modell einer an Verkehrsvermeidung bzw. Verkehrsminimierung orientierten Siedlungsentwicklung dar. Gerade in der Diskussion um die regionale Umsetzung der Agenda 21 kommt ihm dabei eine wesentliche Bedeutung zu. Aus der Zentrale-Orte-Theorie lässt sich dabei die Schlussfolgerung ableiten, dass als Leitlinie für eine „nachhaltige“ Siedlungsentwicklung nicht eine einfache städtebauliche Verdichtung und Konzentration ausreicht, sondern dass die Struktur ganzer Siedlungssysteme auf das Ziel der Verkehrsvermeidung auszurichten ist. Mit dem Prinzip der Nachhaltigkeit als zentralem Leitprinzip des derzeitigen Werte- und Entscheidungssystems unserer Gesellschaft verflochten ist die Frage nach dem Umgang mit der gewachsenen europäischen Kulturlandschaft und der Erhaltung von Urbanität in europäischen Städten. Die europäische Stadtentwicklung ist im Vergleich zur nordamerikanischen bekanntlich durch eine besondere historische Prägung sowie eine daraus resultierende spezifische Stadtgestalt charakterisiert, die sich trotz anhaltender Sub- und Disurbanisierungsprozesse immer noch deutlich vom Typus der nordamerikanischen Stadt unterscheidet. Charakteristische Merkmale sind historisch gewachsene Altstädte, die funktionale Dominanz der Innenstädte und eine polyzentrische Siedlungsstruktur. Es geht in diesem Zusammenhang jedoch weniger um eine Konservierung dieses historischen Erbes, sondern vor allem um den Erhalt einer besonderen urbanen Qualität, die sich nicht zuletzt auf die räumliche Bündelung einer Vielfalt von zentralen Funktionen in den gewachsenen Stadtzentren gründet. Diametral entgegengesetzt zur Stadtentwicklung in den USA steht in Europa die Leitvorstellung der „kompakten und durchmischten Stadt“ im Vordergrund. Sie findet sich in den europäischen und nationalen Programmen zur Stadtpolitik ebenso wie in zahlreichen Stadtentwicklungsplänen und städtebaulichen Konzepten deutscher Großstädte. Zwar sind auch in Deutschland gegenläufige Entwicklungstendenzen wie die Entstehung nichtintegrierter Zentren am Stadtrand unübersehbar, und im Rahmen der aktuellen „Zwischenstadt“-Diskussion wird bekanntlich darüber gestritten, inwieweit auch in Deutschland das Leitbild der kompakten, zentrenorientierten Stadtentwicklung einer Revision bedarf, aber dennoch ist der politische Konsens über den Erhalt der europäischen Stadtkultur bisher grundsätzlich erhalten geblieben.“46
Damit wird erneut die über rein ökonomische und umweltpolitische Zielsetzungen hinausgehende sozialpolitische Bedeutung der Raumplanung deutlich. Vor diesem Hintergrund kann in einem weiteren Schritt der systematische Standort des zentralörtlichen Gliederungsprinzips genauer bestimmt und auf Wechselwirkungen zu anderen Rechts- und Politikfeldern hingewiesen werden.
46 ARL, Empfehlungen zur Fortentwicklung des Zentrale-Orte-Konzepts (Kurzfassung), in: Blotevogel (Fn. 42), S. XIII ff.
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3. Systematischer Standort und Wechselwirkungen Die systematische Stellung der Zentralen Orte im Raumordnungsrecht wird anknüpfend an die bereits vorgestellten allgemein gefassten Vorgaben im ROG 2008 auf der Ebene des Landesraumordnungsrechts vollzogen. Hier finden sich in einigen Landesplanungsgesetzen Legaldefinitionen47, vor allem aber Vorgaben dazu, in welchen Plänen die Zentralen Orte der einzelnen Hierarchiestufen auszuweisen sind. In den meisten Fällen wird vorgegeben, dass in den Landesentwicklungsplänen die Ober- und Mittelzentren und in den regionalen Entwicklungsplänen die Grundzentren ausgewiesen werden.48 An die damit vorgenommenen Zuweisungen knüpfen weitere raumordnungsrechtliche Vorgaben an, indem bestimmte Vorhaben nur im Bereich von zentralen Orten einer bestimmten Stufe (Versorgungsfunktion) zugelassen werden. Das hat in den letzten Jahren vor allem bei der Wahl der Standorte für Projekte des großflächigen Einzelhandels sowie Factory-Outlet-Center (FOC) eine wichtige Rolle gespielt.49 Auf die damit verbundenen Rechtsfragen wird später noch näher eingegangen. Der Qualifikation als Zentraler Ort kommt darüber hinaus aber auch bei zahlreichen weiteren staatlichen Maßnahmen Bedeutung zu. So wird teilweise im kommunalen Finanzausgleich den verschiedenen Versorgungsfunktionen der Zentralen Orte Rechnung getragen.50 Sie werden vorrangig als Standorte von Behörden und Gerichten berücksichtigt. Auch bei Gebietsreformen kommt den Zentralen Orten eine besondere Bedeutung beim Neuzuschnitt der Gemeinden oder Landkreise zu. Aus rechtlicher Perspektive ist indes vor allem von Bedeutung, welche Wirkungen mit der Zuweisung der Funktion eines zentralen Ortes an eine Gemeinde für die Nachbargemeinden verbunden sind, die dem Verflechtungsbereich zuzuordnen sind. Es geht dabei auf abstrakter Ebene um die Frage, ob dem Zentrale-Orte-Konzept insoweit ein Kongruenzgebot oder lediglich ein Beeinträchtigungsverbot zu entnehmen ist, und ob mit der Zuweisung der zentralörtlichen Funktion(en) eine Beschränkung der örtlichen Planungshoheit der Nachbargemeinden verbunden ist.51 Von der Positionierung in dieser Frage hängt die Stärke der Systemfunktionen des zentralörtlichen Gliederungsprinzips ganz entscheidend ab. 47
So in § 2b s-anh LPlG. Eine Übersicht und Synopse der Festlegungen der Bundesländer für Zentrale Orte und die ihnen zugeschriebenen Funktionen findet sich (bezogen auf den damaligen Stand) bei Wahl, Rechtsfragen der Landesplanung und Landesentwicklung, Bd. II, 1978, S. 22 ff. 49 Siehe dazu monografisch El Bureiasi, Landesplanerische Beurteilung des großflächigen Einzelhandels, 2005; weiter: Kuschnerus, ZfBR 2009, 24 ff.; Bunzel, ZfBR 2008, 132 ff.; Uechtritz, DVBl 2006, 799 ff. – jeweils m.w.N. 50 Siehe dazu auch Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Gemeindefinanzreform – Empfehlungen aus raumwissenschaftlicher Sicht, Positionspapier aus der ARL Nr. 83, 2010. 51 Dazu Hoppe, NVwZ 2004, 282 ff. 48
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4. Verstärkung des Zentrale-Orte-Konzepts durch das ROG 2008 Anknüpfend an die Renaissance des Zentrale-Orte-Konzepts in den neuen Bundesländern52 sowie im Zusammenhang mit dem Schutz der Versorgungsfunktionen der Kernstädte, die sich unter anderem in § 2 Abs. 2 S. 253 und § 34 Abs. 3a S. 254 BauGB finden, hat der Bundesgesetzgeber bei der Verabschiedung ROG 2008 die Steuerungsfunktion der Zentralen Orte wieder gestärkt und zugleich teilweise in einen neuen, erweiterten Kontext gestellt. In § 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG 2008 wird zur Steuerung der Siedlungstätigkeit neben den vorhandenen Siedlungsräumen mit ausreichender Infrastruktur eine Ausrichtung auf die Zentralen Orte vorgeschrieben. Diese moderate Vorgabe ist kritisiert worden, weil keine alleinige Konzentration der Siedlungstätigkeit in den Zentralen Orten vorgegeben wird.55 Diese Kritik verkennt aber, dass die Funktion der Zentralen Orte nicht verlangt, dass sich die Siedlungsaktivitäten ausschließlich in ihnen entwickelt. Wichtig ist lediglich, dass neue Siedlungsaktivitäten keine weiteren Infrastrukturmaßnahmen auslösen. Das ist aber auch dann gewährleistet, wenn die neuen Aktivitäten sich auf Siedlungen mit ausreichender Infrastruktur beziehen und diese im Verflechtungsraum von Zentralen Orten liegt. Der Gesetzgeber hat sich deshalb zu Recht für die zurückhaltende Variante entschieden.56 In § 2 Abs. 2 Nr. 3 ROG 2008 wird zweimal auf die Zentralen Orte abgestellt. Zunächst wird in Satz 2 klargestellt, dass die soziale Infrastruktur in den Zentralen Orten zu bündeln ist. Dies ist eine primär an die staatlichen Planungsträger adressierte Vorgabe. Zugleich wird vor dem Hintergrund des demografischen Wandels verdeutlicht, dass „die Erreichbarkeits- und Tragfähigkeitskriterien des Zentrale-Orte-Konzepts 52
Dazu auch Beckmann, LKV 1991, 385 ff. „(2) Die Bauleitpläne benachbarter Gemeinden sind aufeinander abzustimmen. Dabei können sich Gemeinden auch auf die ihnen durch Ziele der Raumordnung zugewiesenen Funktionen sowie auf ihre zentralen Versorgungsbereiche berufen.“ Zu diesen Funktionen Schrödter, BauGB, 7. Aufl. 2006, § 2, Rn. 48 ff. 54 „(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung 1. der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs oder der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken dient, 2. städtebaulich vertretbar ist und 3. auch unter Würdigung nachbarschaftlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Satz 1 findet keine Anwendung auf Einzelhandelsbetriebe, die die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung beeinträchtigen oder schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden haben können.“ 55 Hoppe (Fn. 14), § 3 Rdnr. 9 unter Bezugnahme auf die Kritik des Ad-hoc-Arbeitskreises „Novellierung des ROG“ der ARL, ARL-Nachrichten 2008/4, S. 4. 56 Spannowsky, in: ders./Runkel/Goppel, ROG, 2010, § 2 Rdnr. 63 ff. 53
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… flexibel an den regionalen Erfordernissen auszurichten“ sind. Damit werden die Zentralen Orte als Bezugspunkte der sozialen Infrastruktur herausgestellt und zugleich verdeutlicht, dass nicht in allen Teilräumen von den gleichen Standards ausgegangen werden muss. Vielmehr wird den Überlegungen zur Flexibilisierung des Postulats der gleichwertigen Lebensbedingungen Rechnung getragen.57
IV. Das zentralörtliche Gliederungsprinzip als Schranke gemeindlicher Planungshoheit 1. Die Spannungslage im Überblick Im letzten Abschnitt der Untersuchung soll das zentralörtliche Gliederungsprinzip in seinen beschränkenden Auswirkungen auf das Selbstverwaltungsrecht derjenigen Städte und Gemeinden in den Blick genommen werden, denen die entsprechenden zentralen Funktionen nicht zugewiesen sind. Aus ihrer Perspektive erweisen sich die Funktionszuweisungen an die Zentralen Orte durchaus als Nachteil im Standortwettbewerb. Kommt es aufgrund der Vorgaben der Raumordnung zu den Zentralen Orten dazu, dass die gemeindliche Planungshoheit im Zusammenhang mit der Ansiedlung neuer Unternehmen in einer Gemeinde beschränkt wird, indem z. B. die Ansiedlung eines großen Einzelhandelsbetriebs oder eines FOC untersagt wird, so stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen dies eine zulässige und insbesondere verhältnismäßige gesetzliche Beschränkung des Selbstverwaltungsrechts in Gestalt der Planungshoheit darstellt. Dieser Thematik hat Werner Hoppe wiederholt besondere Aufmerksamkeit geschenkt. 2. Das Beispiel der Steuerung des großflächigen Einzelhandels Die damit angesprochenen Rechtsfragen werden in zugespitzer Form seit einigen Jahren im Zusammenhang mit der Zulassung von Vorhaben des großflächigen Einzelhandels sowie von FOC diskutiert und waren mehrfach Gegenstand verwaltungsund landesverfassungsgerichtlicher Verfahren. Im Zentrum steht dabei die Frage, ob die mit der Qualifikation als zentraler Ort verbundene Funktionszuweisung ausschließender Natur ist mit der Folge, dass der entsprechenden Versorgungsfunktion für den Verflechtungsbereich dienende Einrichtungen nur in den Zentralen Orten genehmigt und verwirklicht werden dürfen oder ob dies lediglich dann der Fall ist, wenn durch eine Genehmigung anderenorts die Versorgungsfunktion des Zentralen Ortes beeinträchtigt wird. Auf kurze Formeln gebracht geht es um den Streit, ob von einem Kongruenzgebot oder einem Beeinträch-
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Spannowsky (Fn. 56), § 2 Rdnr. 83 ff.
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tigungsverbot auszugehen ist und welche Anforderungen im zweiten Falle an die Intensität einer Beeinträchtigung zu stellen sind.58 Formeller Ansatzpunkt für die Kontroverse ist das durch die BauGB-Novelle des Jahres 2004 erweiterte Klagerecht der Gemeinden aus § 2 Abs. 2 S. 2 BauGB.59 Die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung60 führt zur Reichweite der Norm aus, dass sich das interkommunale Abstimmungsgebot auf städtebauliche Belange beziehe und durch den neuen Satz 2 auf raumordnerische Belange erweitert werden solle. Soweit Ziele der Raumordnung einer Gemeinde eine bestimmte, den Standortwettbewerb mit anderen Gemeinden begünstigende Funktion zuweise, solle diese Funktion der gemeindlichen Planungshoheit zugerechnet werden und damit verteidigungsfähig sein. Die Ziele der Raumordnung hätten belastende und begünstigende Wirkung, zum einen für die einzelne Gemeinde, zum anderen aber auch im Verhältnis der Gemeinden untereinander. Dies lege es nahe, neben dem verpflichtenden § 1 Abs. 4 BauGB, nach dem die Bauleitpläne den Zielen der Raumordnung anzupassen sind, auch eine berechtigende Vorschrift zu stellen. Aus der Bindung der Bauleitplanung an ein zentralörtliches Ziel der Raumordnung folge auf diese Weise auch, dass die Gemeinde berechtigt sei, ihre so ausgerichtete Planung gegen eine die zentralörtliche Funktion störende raumordnungswidrige Planung einer anderen Gemeinden zu verteidigen. Entscheidend ist hiernach für die Qualität als Ziel der materielle Gehalt einer Planaussage. Ob eine raumordnerische Vorgabe die Qualität eines verbindlichen Zieles oder nur eines zu berücksichtigenden Grundsatzes hat, hängt demgegenüber nicht von der Bezeichnung oder dem (gegebenen oder fehlenden) Willen des Plangebers ab, eine verbindliche Vorgabe begründen zu wollen.61 Ziele der Raumordnung sind nach § 3 Nr. 2 ROG 2008 verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Landes- oder Regionalplanung abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raumes. Ziele der Raumordnung müssen hinreichend bestimmt, jedenfalls aber bestimmbar, und rechtmäßig sein, um eine Planungspflicht der Gemeinde auf der Grundlage von § 1 Abs. 4 BauGB auslösen zu können.62 Als bestimmendes Merkmal eines Raumordnungszieles ist mithin die Festlegung eines nicht weiter ausfüllungsbedürftigen und im Rahmen der kommunalen Abwägung nicht mehr überwindbaren, verbindlichen Planungssatzes anzusehen. Zugleich ist anerkannt, dass Ziele der Raumordnung als Vorgaben für die Planung auf nachgeordneten Stufen auf eine weitere Konkretisierung angelegt sind. Ein Ziel der Raumordnung entscheidet einen 58 Dazu näher und im Überblick Hoppe, NVwZ 2006, 1345 ff. Siehe im Ansatz bereits Hoppe/Bunse, WiVerw 1984, S. 151 (162 ff.). 59 Zu diesem Hoppe, NVwZ 2004, 282 ff. 60 BT-Drucks. 15/2250, S. 41. 61 OVG Berlin/Brandenburg, LKV 2007, 32 (35). 62 BVerwGE 119, 25 (40 ff.).
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komplexen räumlichen Sachverhalt in der Regel nicht abschließend, sondern gibt lediglich einen verbindlichen Rahmen vor (sog. „Leitplanken“), der den Planungsakt auf nächster Stufe nicht mehr überwindbare Grenzen setzt und deshalb unmittelbar auf die kommunale Planungshoheit einwirkt, im Übrigen aber ausfüllungsbedürftig ist.63 Wegen des lediglich rahmensetzenden Charakters ist eine gewisse Grobmaschigkeit der Festlegungen nur Ausdruck der Zurückhaltung, die auch das Grundgesetz zur Wahrung der gemeindlichen Planungshoheit verlangt.64 Die Zuweisungen von Funktionen als Zentraler Ort wird in der Aufsatz- und Kommentarliteratur als ein solches Ziel der Raumordnung qualifiziert65, wobei z. T. davon ausgegangen wird, dass sich die Gemeinden auch schon vor der Rechtsänderung darauf berufen konnten.66 Die Rechtsprechung ist dem im Ansatz gefolgt, hat aber die weitere und entscheidende Frage aufgeworfen, ob eine Rechtsverletzung bereits bei jeder Abweichung des Einzugsbereichs eines Einzelhandelsvorhabens von der Versorgungsfunktion des Standortes zu bejahen ist (so die weite Interpretation als Kongruenzgebot), oder ob eine solche Abweichung nur dann relevant ist, wenn es darüber hinaus zu einer Beeinträchtigung der Wahrnehmung der Versorgungsfunktionen durch den zentralen Ort kommt (so die engere Interpretation als Beeinträchtigungsverbot). Zudem stellt sich die Frage, ob es auf die Schwere der Beeinträchtigung ankommt. 3. Die Funktionen und Rechtsfolgen des zentralörtlichen Gliederungsprinzips: Kongruenzgebot oder Beeinträchtigungsverbot? Das zentralörtliche Gliederungsprinzip, wie es im ROG 2008 angesprochen und als Konzept vorausgesetzt ist, bedarf der Konkretisierungen durch die Landesplanung um rechtliche Wirkungen zu entfalten. Der Grundsatz der zentralörtlichen Gliederung kann (und muss zur Entfaltung seiner Wirkung) auf der Ebene der Landesplanung bei der Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe durch Vorgaben für die kommunale Planung in unterschiedlicher Art und Weise sowie Intensität gesteuert werden. Häufig wird dabei zwischen bloßen Beeinträchtigungsverboten, die verlangen, dass die Ansiedlung die Funktion benachbarter zentraler Orte nicht oder nicht wesentlich beeinträchtigen darf, Entsprechungs- bzw. Kongruenzgeboten, nach denen eine Ansiedlung der zentralörtlichen Versorgungsfunktion bzw. dem Verflechtungsbereich des jeweiligen zentralen 63
OVG Berlin/Brandenburg, LKV 2007, 32 (35). Dazu die Grundsatzentscheidung des BVerwGE 90, 329; OVG Frankfurt/Oder, DVBl 2001, 1298; Runkel, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky, ROG, § 3 Rdnr. 46. 65 Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 11. Aufl. 2009, § 2 Rdnr. 24; Söfker, in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 97. EGL 2010, § 2 Rdnr. 123; Kment, NVwZ 2007, 996 ff.; OVG Lüneburg, ZfBR 2007, 157. 66 So etwa Söfker (Fn. 61), § 2 Rdnr. 117 unter Bezugnahme auf OVG Münster, DÖV 1988, 843. 64
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Ortes entsprechen muss, Konzentrationsgeboten, die die Ansiedlung auf Zentren, üblicherweise Ober- und Mittelzentren, begrenzen, sowie Integrationsgeboten, die eine Ansiedlung nur im Zusammenhang mit bereits vorhandenen zentralen Einkaufsbereichen der Standortgemeinde zulassen, unterschieden.67 Welchen dieser Planaussagen zur Steuerung der Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe und ob einem als Kongruenzgebot formulierten Plansatz Zielqualität zukommen kann, ist in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht vollständig geklärt und in wichtigen Punkten umstritten. Das BVerwG hat entschieden, dass Konzentrations- und Integrationsgebote Ziele der Raumordnung darstellen können, während es die von ihm so bezeichnete rechtliche Problematik eines Kongruenzgebotes ausdrücklich offen gelassen hat.68 Die obergerichtliche Rechtsprechung ist uneinheitlich, auch weil die Planaussagen der Länder, ungeachtet einer insgesamt in die gleiche Richtung zeigenden Absicht, großflächige Einzelhandelsbetriebe „auf der grünen Wiese“ möglichst zu verhindern, in der Einzelausgestaltung nicht unerhebliche Besonderheiten aufweisen. Mit der Trias: Beeinträchtigungsverbot, Integrationsgebot, Kongruenzgebot verwendet das Raumordnungsrecht der Länder zur Konkretisierung des zentralörtlichen Gliederungsprinzips Steuerungsansätze, die nicht nur unterschiedlich intensiv in die örtliche Planungshoheit der im Verflechtungsbereich liegenden Gemeinden ohne zentralörtlichen Status eingreifen, sondern deren fachwissenschaftliche Begründung durch die Zentrale-Orte-Theorie sowohl im Grundsatz als auch im Hinblick auf Erheblichkeitsschwellen umstritten ist. Bei den Beeinträchtigungsverboten wird die gemeindliche Planungshoheit nur dann begrenzt, wenn nachteilige Auswirkungen auf die Funktionserfüllung durch den Zentralen Ort nachgewiesen sind. Dabei wird in der Regel auf den sog. Kaufkraftabzug abgestellt, der seinerseits eine Indikation für die Erfüllung der Versorgungsfunktionen durch den Zentralen Ort sein soll. Umstritten ist, ab welcher Höhe von nachteiligen Auswirkungen ausgegangen werden kann. Das Integrationsgebot konkretisiert den allgemeinen Grundsatz der Konzentration der Siedlungspolitik auf vorhandene Nutzungen und wirkt sich vor allem auf die Planungshoheit von Gemeinden mit einem geringen Entwicklungsstand aus. Es kann andererseits auch direkt auf den Grundsatz des § 2 Abs. 2 Nr. 3 ROG 2008 zurückgeführt werden. Die stärksten beschränkenden Rechtsfolgen gehen von einem Kongruenzgebot aus, da es nicht nur Neuansiedlungen auf Orte mit zentralörtlichen Funktionen beschränkt und alle anderen Orte unabhängig von den Kaufkraftabflüssen vom Standortwettbewerb ausschließt, sondern auch bei den Zentralen Orten Größen- und Reich67
Vgl. zu diesen Differenzierungen BVerwGE 119, 25 (40 f.); Schmitz/Federwisch, Einzelhandel und Planungsrecht, 2005, S. 68 ff. 68 BVerwG, NVwZ 2004, 220, juris, Rdnrn. 38 ff., insoweit in der amtlichen Sammlung nicht abgedruckt.
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weitenbeschränkungen bewirkt mit der Folge, dass die Planungshoheit auch dieser Gemeinden beschränkt wird. Es wird folglich eine umfassende Standortplanung vorgenommen, deren Begründung indes fraglich ist. 4. Die Kritik von Werner Hoppe Werner Hoppe hat sich in seinen Beiträgen zum zentralörtlichen Gliederungsprinzip vor allem mit dem Kongruenzgebot und dem Beeinträchtigungsverbot mehrfach kritisch auseinandergesetzt, während das Integrationsgebot keine große Rolle in seinen Überlegungen spielte.69 Dem Kongruenzgebot spricht er die Möglichkeit einer tragfähigen Ableitung aus dem Zentrale-Orte-Konzept ab und vermisst deshalb eine ausreichende sachliche Begründung der damit einhergehenden Beschränkungen der gemeindlichen Planungshoheit.70 In Bezug auf das Beeinträchtigungsverbot plädiert Hoppe dagegen lediglich für die Berücksichtigung einer nicht allzu niedrig angesetzte Beeinträchtigungsschwelle.71 Diese Argumentation beruft sich letztlich auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zwei methodische Aspekte der Kritik sollen hier vertieft betrachtet werden: Erstens die Frage nach den Anforderungen an die fachliche Begründung einer gesetzlichen Regelung im Raumordnungsrechts und zweitens die Frage der Bestimmung von Schwellenwerten bei Eingriffen in die kommunale Planungshoheit. In seiner Besprechung des CENTRO-Urteils resümiert Werner Hoppe: „Diese Ausführungen machen es verständlich, dass maßgebliche Stimmen in der sozio-ökonomischen Raumwissenschaft die Auffassung vertreten, das Zentrale-Orte-Konzept sein überholt, zu starr und in seiner traditionellen Form als Steuerungsinstrument heute weitgehend obsolet und auf die Siedlungsstruktur von Verdichtungsräumen nur bedingt anwendbar.“72 Ist aber eine fachliche Begründung von Beschränkungen der gemeindlichen Planungshoheit nicht (mehr) möglich, so verliert auch das Kongruenzgebot seine Rechtfertigungsgrundlage. Denn nur unter der Voraussetzung, dass mit dem Steuerungsinstrument des zentralörtlichen Gliederungsprinzips auch Gemeinwohlbelange verfolgt werden (können), kann dieses zur Rechtfertigung der verfassungsrechtlich geschützten Planungshoheit herangezogen werden. Es besteht jedenfalls insoweit keine beliebige Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Damit stellt sich die Frage, für welche Steuerungsinstrumente der Raumordnung die Zentrale-Orte-Theorie heute noch als tragfähige Begründung herangezogen werden kann. Analysiert man aus diesem Blickwinkel die Diskussion der letzten Jahrzehnte, so erweisen sich zwei Funktionen als nach wie vor tragfähiger Kern des zentralörtlichen Gliederungsprinzips: Erstens die Gewährleistung und Entwicklung 69 70 71 72
Siehe die Nachweise in Fn. 58. Hoppe, NVwZ 2006, 1345 ff. Hoppe, NVwZ 2005, 1141 (1145 ff.). Hoppe, NVwZ 2005, 1141 (1147).
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eines funktionstüchtigen Netzwerks sozialer, kultureller und (privat-)wirtschaftlicher Infrastruktur in den Verflechtungsbereichen und zweitens die Zielsetzung der Reduktion von Verkehr und Flächenverbrauch durch die Konzentration von Siedlungsprojekten auf vorhandene Bereiche mit leistungsfähiger Infrastruktur. Bezogen auf die rechtliche Ausgestaltung des zentralörtlichen Gliederungsprinzips bedeutet das aber, dass nur die Konkretisierungen durch das Beeinträchtigungsverbot und das Integrationsgebot tragfähig sind, während das weit gefasste Kongruenzgebot einer tragfähigen sachlichen Begründung kaum zugänglich ist. Soweit die Landesgesetzgeber gleichwohl entsprechende Vorgaben auf der Ebene der Landes- oder Regionalplanung vorsehen, fehlt es an einer sachlichen Begründung die zur Folge hat, dass es an Gemeinwohlbelangen fehlt, die eine Beschränkung der gemeindlichen Planungshoheit rechtfertigen könnten. 5. Die Kritik von Hoppe im Spiegel der Rechtsprechung Der Kritik von Werner Hoppe wird in der neueren Rechtsprechung teilweise Rechnung getragen. Bereits 2003 hatte das Bundesverwaltungsgericht seine deutliche Zurückhaltung gegenüber dem Kongruenzgebot zum Ausdruck gebracht und ihm eine förmliche Anerkennung als Ziel der Raumordnung verweigert.73 Das hat aber nicht verhindert, dass das OVG Berlin-Brandenburg eine relativ weitreichende Regelung, die das Kongruenzprinzip umsetzt, gebilligt hat.74 Ganz in der Linie der Argumentation von Werner Hoppe liegen das CENTRO-Urteil des OVG NW75 sowie eine von ihm nicht mehr kommentierte Entscheidung des VerfGH NW vom 26. 08. 2009 zu § 24a Abs. 1 S. 4 NWLEPro.76 Während im CENTRO-Urteil dem Ansatz von Hoppe Rechnung getragen wird, dass nur Beeinträchtigungen ab einer bestimmten Erheblichkeitsschwelle (in der Regel mindestens 10 % Kaufkraftminderung) zu einer Beeinträchtigung führen können, geht der VerfGH NW noch einen Schritt weiter, indem er die gesetzliche Regelung in § 24a Abs. 1 S. 4 Landesentwicklungsprogramm, die der räumlichen Steuerung von FOC diente77, für will73
BVerwGE 119, 25 (41). OVG Berlin-Brandenburg, LKV 2007, 32 ff.; dazu kritisch Hoppe, NVwZ 2006, 1345 (1348 f.). 75 OVG NW, NVwZ 2005, 1201 ff.; dazu Hoppe, NVwZ 2005, 1141 ff. 76 VerfGH NW, NVwZ 2009, 1287 ff.; dazu Kaltenborn/Würtenberger, NVwZ 2010, 236 ff. 77 Die Norm hatte folgenden Wortlaut: „(1) 1Kerngebiete sowie Sondergebiete für Vorhaben i.S. des § 11 Abs. 3 Baunutzungsverordnung – BauNVO – (Einkaufszentren, großflächige Einzelhandelsbetriebe und sonstige großflächige Handelsbetriebe) dürfen nur in zentralen Versorgungsbereichen ausgewiesen werden; Absätze 3 bis 6 bleiben unberührt. 2Die in ihnen zulässigen Nutzungen richten sich in Art und Umfang nach der Funktion des zentralen Versorgungsbereichs, in dem ihr Standort liegt. 3Sie dürfen weder die Funktionsfähigkeit zentraler Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in benachbarten Gemeinden noch die wohnungsnahe Versorgung der Bevölkerung in ihrem Einzugsbereich beeinträchtigen. 4Dabei 74
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kürlich und unverhältnismäßig hielt und deshalb für verfassungswidrig erklärte. Dabei stellte der VerfGH NW vor allem darauf ab, dass es an einer tragfähigen und nachvollziehbaren Begründung für die von der Norm ausgehenden Beschränkungen der gemeindlichen Planungshoheit fehle. Wörtlich führt das Gericht aus: „§ 24a Abs. 1 S. 4 NWLEPro greift in die Planungshoheit der Bf. ein, weil sie deren Befugnis, im Rahmen der Bauleitplanung die künftige Entwicklung des Gemeindegebiets zu steuern und zu gestalten, nachhaltig stört. Die angegriffene Rechtsnorm wirkt gegenüber Gemeinden mit nicht mehr als 100000 Einwohnern als unbedingtes Verbot, ein Hersteller-Direktverkaufszentrum mit mehr als 5.000 qm Verkaufsfläche eigenverantwortlich auszuweisen. Der Bf. wird dadurch die Umsetzung ihrer im Wege der Bauleitplanung konkretisierten Erweiterungsplanung für das „Euregio-Outlet-Center“ unmöglich gemacht. Dieser Eingriff in die Planungshoheit der Bf. hält einer Überprüfung am dargelegten Maßstab des Art. 78 Abs. 1 und 2 NWVerf nicht Stand. Die mit der strikten Verbotsregelung in § 24a Abs. 1 S. 4 NWLEPro verbundene Einschränkung der Planungsbefugnis der Bf. verstößt gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip und das Willkürverbot. Sie ist nicht durch überörtliche Interessen von höherem Gewicht gerechtfertigt. Die Einschätzung des Gesetzgebers, es bedürfe zu Gunsten landesplanerischer Interessen der angegriffenen Verbotsnorm mit ihren ausnahmslos wirkenden Schwellenwerten, ist im Ergebnis nicht nachvollziehbar. Darüber hinaus ist das Recht auf kommunale Selbstverwaltung nicht angemessen berücksichtigt worden.“78
Das Gericht stellt hier ein besonderes Begründungserfordernis auf, dessen Nichtbeachtung zur Folge hat, dass der Eingriff willkürlich ist. Darüber hinaus verlangt das Gericht vom Gesetzgeber, dass Beeinträchtigungen der zentralörtlichen Versorgungsfunktionen jeweils konkret nachgewiesen werden und nicht durch typisierende Annahmen abstrakt-generell im Gesetz verankert werden dürfen. Damit wird auf die begrenzte Aussagekraft des zentralörtlichen Gliederungsprinzips abgestellt und die Erforderlichkeit einer genaueren Berücksichtigung der unterschiedlichen räumlichen Gegebenheiten in den einzelnen Landesteilen begründet. Dabei basiert die Argumentation auf dem Beeinträchtigungsverbot und stellt für die Realisierung eines Kongruenzgebotes hohe Anforderungen auf, die deutlich über die Rechtsprechung des OVG Berlin-Brandenburg hinausgehen.
V. Ausblick Die vorstehenden Überlegungen haben gezeigt, dass sich das zentralörtliche Gliederungsprinzip nach einer Phase der Kritik spätestens mit dem ROG 2008 erneut im Raumordnungsrecht etabliert hat. Zurückhaltung ist aber bei seiner rechtlichen Umsetzung vor dem Hintergrund der mit ihm verbundenen Beschränkungen der gemeindlichen Planungshoheit geboten. Während die Ausgestaltung als Beeinträchtidürfen Hersteller-Direktverkaufszentren mit mehr als 5.000 qm Verkaufsfläche nur ausgewiesen werden, wenn sich der Standort in einer Gemeinde mit mehr als 100.000 Einwohnern befindet.“ 78 VerfGH NW, NVwZ 2009, 1287 (1288).
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gungs- und Integrationsverbot vor allem bei der Steuerung des großflächigen Einzelhandels grundsätzlich zulässig ist, erweist sich eine Ausgestaltung als Kongruenzgebot als höchst problematisch. Sie ist zudem nur auf der Grundlage einer die jeweiligen räumlichen Verhältnisse berücksichtigenden Begründung hinnehmbar. Auch wenn die Kritik von Werner Hoppe an der Verwendung des zentralörtlichen Gliederungsprinzips teilweise noch weiter ging und auf seine Abschaffung abzielte, dürfte durch die neuere Rechtsprechung seinem Plädoyer für eine Beschränkung auf ein Beeinträchtigungsverbot Rechnung getragen worden sein.
Ziele der Raumordnung – Entwicklung in Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit Von Stefan Paetow
I. Einleitung Werner Hoppe gehörte zu den ersten Wissenschaftlern, die sich näher mit dem Recht der Raumordnung und Landesplanung befasst haben. Seine frühen Veröffentlichungen hierzu fielen in eine Zeit, in der die verwaltungspolitische und rechtspraktische Bedeutung dieses Aufgabenbereichs eher gering zu sein schien.1 Diese Tatsache war wohl vor allem darauf zurückzuführen, dass Raumordnung und Landesplanung als zusammenfassende, überörtliche und fachübergreifende Planung (so § 1 Abs. 1 Satz 1 ROG 2009) vor allem im Binnenraum der Verwaltung angesiedelt waren und keine unmittelbaren Rechtswirkungen gegenüber dem Bürger entfalteten. Eine Beteiligung der Öffentlichkeit und einzelner gab es lange Zeit nicht. Soweit es Konflikte bei der Erarbeitung oder Durchführung der Planungen gab, etwa zwischen dem Plangeber und betroffenen Kommunen oder anderen Planungsträgern und Verwaltungen, beschäftigte das die Öffentlichkeit kaum. Dasselbe galt für die meisten mit dem Bau- und Planungsrecht befassten Rechtsanwender, seien sie Behördenbedienstete, Rechtsanwälte oder Verwaltungsrichter. So war der Verfasser zwar seit Anfang der siebziger Jahre in verschiedenen richterlichen Funktionen in planungs- und umweltrechtlichen Verfahren mit allen möglichen Aspekten dieser Materien befasst; raumordnungsrechtliche Fragestellungen gehörten dazu jedenfalls in den ersten Jahrzehnten nicht. So erstaunt es nicht, dass sich auch die Gerichte lange Zeit kaum mit dieser Thematik befassen mussten. Nimmt man das Inkrafttreten des Raumordnungsgesetzes des Bundes vom 8. April 19652 als zeitlichen Ausgangpunkt, so hat es bis in die achtziger und neunziger Jahre gedauert, ehe einige wenige Gerichtsentscheidungen mit Äußerungen zur Raumordnung und Landesplanung ergingen oder jedenfalls bekannt wurden. Das hat sich freilich in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren deutlich geändert. Man könnte mittlerweile fast von einem Boom sprechen, der von einer ebensolchen Entwicklung in der Fachliteratur begleitet wird. Das hängt vorwiegend mit dem Phänomen der – wie man in Anlehnung an § 12 BauGB formulieren könnte – „vorhabenbezogenen“ Landes- und Regionalplanung zusammen, also mit der Erschei1 2
Vgl. z. B. Ernst/Hoppe, Das öffentliche Bau- und Bodenrecht, Raumplanungsrecht, 1978. BGBl. I S. 306.
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nung, dass raumordnungsrechtliche Instrumente für die Planung und Zulassung konkreter Vorhaben mit einer bisher nicht gekannten (außen-)rechtlichen Verbindlichkeit herangezogen werden. An dieser Entwicklung sind Gesetzgeber, Planungs- und Verwaltungspraxis, Wissenschaft und die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung in je eigener Weise beteiligt. Die Folge ist, dass die bei vielen Vorhaben unvermeidlichen rechtlichen Konflikte in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren auch auf dem Feld des Raumordnungsrechts ausgetragen werden. Die folgenden Ausführungen befassen sich mit einem thematischen Ausschnitt, nämlich den Zielen der Raumordnung, einer raumordnungsrechtlichen Kategorie, die wegen ihrer rechtlichen Wirkungen in besonderer Weise zu Gerichtsverfahren Anlass gibt. In einem ersten Teil soll kurz auf die Entwicklung der maßgebenden gesetzlichen Grundlagen eingegangen werden. Im Mittelpunkt des zweiten Teils steht der Beitrag der Rechtsprechung zu diesem Fragenkreis, und zwar an Hand der wichtigsten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts. 1. Gesetzliche Grundlagen Auf die vor der ersten bundesrechtlichen Regelung im Raumordnungsgesetz vom 8. April 1965 (ROG 1965) existierenden Landesplanungsgesetze soll hier nicht eingegangen werden; auf diese hatte die schon 1960 in Kraft getretene Ursprungsfassung der gemeindlichen Anpassungspflicht in § 1 Abs. 3 BBauG gezielt. Das im Zuge seiner Rahmengesetzgebungskompetenz nach Art. 75 Abs. 1 Nr. 4 GG a.F. vom Bund erlassene ROG 1965 kannte – ebenso wie seine späteren Novellierungen3 – noch keine klar definierte Unterscheidung zwischen den Grundsätzen und den Zielen der Raumordnung. Vielmehr waren in § 2 des Gesetzes zahlreiche „Grundsätze“ aufgeführt, die gemäß § 3 ROG 1965 unmittelbare Geltung für raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen von Behörden usw. des Bundes sowie für die Landesplanung in den Ländern beanspruchten. Die an die Länder gerichtete Vorschrift des § 5 Abs. 2 Satz 1 ROG 1965 gab diesen auf, in den von ihnen aufzustellenden übergeordneten und zusammenfassenden Programmen und Plänen diejenigen Ziele der Raumordnung und Landesplanung festzulegen, die räumlich und sachlich zur Verwirklichung der Grundsätze nach § 2 erforderlich waren. Die Raumordnungsklausel des § 5 Abs. 4 Satz 1 ROG 1965 begründete sodann die Pflicht der mit raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen befassten, in § 4 Abs. 5 ROG 1965 genannten öffentlichen Stellen zur „Beachtung“ der Ziele. Schon im Zuge der Vorarbeiten für eine grundlegende Novellierung des Raumordnungsgesetzes des Bundes wurde eine Erhöhung der Durchsetzungskraft raumordnerischer Zielsetzungen gegenüber der Bauleitplanung und den Fachplanungen gefor-
3 Vgl. die Fassungen der Bekanntmachung vom 19. 07. 1989. BGBl. I S. 1461; v. 25. 07. 1991, BGBl. I S. 1726 und vom 28. 04. 1993, BGBl. I S. 630.
Ziele der Raumordnung
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dert.4 Im Text des am 1. Januar 1998 in Kraft getretenen Raumordnungsgesetzes vom 18. August 19975 – ROG 1998 – schlug sich dies zum einen in den Begriffsbestimmungen des § 3 nieder: Unter dem Oberbegriff der Erfordernisse der Raumordnung werden die Ziele der Raumordnung als verbindliche, abschließend abgewogene Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums gekennzeichnet, während die Grundsätze der Raumordnung allgemeine raumordnerische Aussagen im Sinne von Vorgaben für nachfolgende Ermessensund Abwägungsentscheidungen sind. Mit diesen Definitionen und Unterscheidungen knüpfte der Gesetzgeber ersichtlich an die Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. August 19926 an, insbesondere mit der Pflicht zur strikten Beachtung der Ziele der Raumordnung, die im Gegensatz zu den Grundsätzen durch Abwägung nicht überwunden werden können. Die Beachtenspflicht richtet sich an alle öffentlichen Stellen bei deren raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen einschließlich bestimmter Genehmigungen und Planfeststellungen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 ROG 1998). Für Privatrechtspersonen, die raumbedeutsame Planungen oder Maßnahmen in Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durchführen, gilt unter bestimmten Voraussetzungen Entsprechendes (§ 4 Abs. 3 ROG 1998). In den Raumordnungsplänen der Länder sind Ziele der Raumordnung als solche zu kennzeichnen (§ 7 Abs. 1 Satz 2 ROG 1998). Das nach dem Übergang des Rechts der Raumordnung in die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 72 Abs. 1, 74 Abs. 1 Nr. 31 GG) geschaffene Raumordnungsgesetz vom 22. Dezember 20087 – ROG 2009 – hat die hier interessierenden Vorschriften in den §§ 3und 4 inhaltlich nahezu unverändert übernommen, insbesondere auch mit der Unterscheidung zwischen der (strikten) Beachtenspflicht bei den abschließend abgewogenen Zielen der Raumordnung und der (bloßen) Berücksichtigungspflicht der Grundsätze im Rahmen der Abwägung. Der neu gefasste § 7 Abs. 2 ROG 2009 verdeutlicht diese Unterscheidung nochmals. Auf der Ebene der Fachgesetze ist es zunächst das Städtebaurecht, insbesondere die Bauleitplanung, in das in Umsetzung der im ROG angeordneten Beachtenspflichten die Ziele der Raumordnung hineinwirken. Zu nennen ist hier die „älteste“ Regelung, nämlich die bereits erwähnte Vorschrift des § 1 Abs. 4 BauGB (§ 1 Abs. 3 BBauG 1960), nach der die Bauleitpläne den Zielen der Raumordnung (und Landesplanung) anzupassen sind. Im Lauf der Zeit sind weitere Schnittstellen zwischen Raumordnungs- und Städtebaurecht hinzugekommen. In § 35 BBauG wurden die Ziele der Raumordnung ausdrücklich als einem Außenbereichsvorhaben möglicherweise entgegenstehende öffentliche Belange aufgeführt, zunächst in einfacherer
4 s. die Nachweise bei Appold, Die historische Entwicklung des Rechts der Raumordnung, in: FS Hoppe, S. 21 (31). 5 BGBl. I S. 2081. 6 BVerwGE 90, 329. 7 BGBl. I S. 2986.
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Form in § 35 Abs. 3 Satz 1 BBauG 1976,8 stärker aufgefächert dann in § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB 19879 (Satz 2 der heutigen Fassung). Danach dürfen raumbedeutsame Vorhaben den Zielen der Raumordnung nicht widersprechen. Eine praktisch sehr bedeutsame und konfliktträchtige Ergänzung erhielt die Vorschrift im Jahr 199610 durch den sog. Planvorbehalt im neu gefassten Absatz 3 Satz 3, der durch Konzentrationsund Ausschlusszonen im Interesse des Außenbereichsschutzes und der Bündelung von Standorten planerische Steuerungsmöglichkeiten u. a. durch die Ziele der Raumordnung schuf.11 Ebenfalls von erheblichen Auswirkungen für die Praxis und streitverursachend ist schließlich die erstmals 1977 eingeführte Vorschrift des § 11 Abs. 3 BauNVO, die die planungsrechtliche Zulässigkeit von großflächigen Einzelhandelsbetrieben und sonstigen großflächigen Handelsbetrieben auf Kerngebiete und Sondergebiete beschränkt, soweit diese Betriebe nachteilige Auswirkungen u. a. auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung haben. Schließlich ist noch die durch das EAG Bau 2004 eingefügte Vorschrift des § 2 Abs. 2 Satz 2 BauGB zu nennen, nach der sich Gemeinden bei der Abstimmung der Bauleitpläne mit Nachbargemeinden auf die ihnen durch Ziele der Raumordnung zugewiesenen Funktionen berufen können; mit diesem raumordnungsrechtlichen Funktionsschutz sollen die Rechtsschutzmöglichkeiten von Gemeinden erweitert werden.12 Für die Verzahnung von Raumordnungszielen und Fachplanung enthalten manche Fachplanungsgesetze eigene Raumordnungsklauseln. Beispielhaft ist hinzuweisen auf § 6 Abs. 2 Satz 1 LuftVG13 ; danach ist vor Erteilung der luftverkehrsrechtlichen Genehmigung u. a. besonders zu prüfen, ob die geplante Maßnahme den Erfordernissen der Raumordnung (und damit auch den Zielen der Raumordnung) entspricht. Fehlt es an einer eigenen fachgesetzlichen Raumordnungsklausel oder sind diese wie oft nur deklaratorisch (vgl. z. B. § 10 Abs. 4 Nr. 5 und § 29 Abs. 5 KrW-/ AbfG, § 47 Abs. 3 Satz 2 BImSchG), stellen nur die entsprechenden Vorschriften des Raumordnungsgesetzes über die Bindungswirkung (jetzt § 4 ROG 2009) die Harmonisierung der beiden Planungsebenen sicher.
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I.d.F. der Bek. v. 18. 08. 1976, BGBl. I S. 2256. I.d.F. der Bek. v. 08. 12. 1986, BGBl. I S. 2253. 10 Gesetz zur Änderung des BauGB v. 30. 07. 1996, BGBl. I S. 1189. 11 Vgl. hierzu Hoppe, Die raumordnungsplanakzessorische Außenbereichsnutzung (§ 35 III 2 – 3 BauGB), NVwZ 1999, 945. 12 So die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 15/2250, 41. 13 I.d.F. der Bek. v. 10. 05. 2007, BGBl. I S. 698. 9
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2. Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zu Grundsatzfragen a) Wesen der Raumordnungsziele Die erste wegweisende, bis heute maßgebende Entscheidung ist der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. August 199214. Durch ihn wurde die bis dahin unsichere Unterscheidung zwischen Zielen und Grundsätzen und das Wesen dieser Erfordernisse der Raumordnung weitgehend geklärt.15 Die Raumordnungsgesetze 1998 und 2009 haben sich mit ihren Begriffsbestimmungen ersichtlich an diesen Ausführungen orientiert. Die Ziele der Raumordnung werden in dem genannten Beschluss als eine übergeordnete, überörtliche und zusammenfassende landesplanerische Letztentscheidung charakterisiert, die anders als die Grundsätze nicht bloß Maßstab, sondern als räumliche und sachliche Konkretisierung der Entwicklung des Planungsraums das Ergebnis landesplanerischer Abwägung sind. Soweit die inhaltliche Konkretisierung reicht, ist die Zielfestlegung für den Adressaten verbindlich und nicht durch Abwägung überwindbar. Voraussetzung der Bindungswirkung, etwa für die Anpassungspflicht des § 1 Abs. 4 BauGB, ist mithin, dass auf der betreffenden raumordnerischen Stufe eine abschließende gesamtplanerische Interessenabwägung und Konfliktklärung stattgefunden hat. Die Bindungswirkung der Ziele fehlt den Grundsätzen der Raumordnung, die, wie es § 3 Abs. 1 Nr. 3 ROG 2009 formuliert, Vorgaben für nachfolgende Abwägungsoder Ermessensentscheidungen sind. Entscheidend für die rechtliche Qualifizierung ist freilich nicht die – allenfalls indizielle – verbale Kennzeichnung als Ziel oder Grundsatz, sondern der materielle Gehalt der Planaussage.16 Zu beachten ist auch, dass landesplanerische Aussagen, die eine Regel-Ausnahmestruktur aufweisen, die Merkmale eines Ziels der Raumordnung erfüllen können, wenn der Planungsträger neben den Regel- auch die Ausnahmevoraussetzungen mit hinreichender tatbestandlicher Bestimmtheit oder doch wenigstens Bestimmbarkeit selbst festlegt.17 Offenbar in Anknüpfung an diese – im Streit um die Zulässigkeit von sog. Soll-Zielen18 eine vermittelnde Position vertretende – Entscheidung sieht nunmehr § 6 Abs. 1 ROG 2009 vor, dass im Raumordnungsplan von Zielen der Raumordnung Ausnahmen festgelegt werden können.
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BVerwGE 90, 329 (333 f.). Zu diesem Problem Hoppe, Zur Abgrenzung der Ziele der Raumordnung (§ 3 Nr. 2 ROG) von Grundsätzen der Raumordnung (§ 3 Nr. 3 ROG) durch § 7 Abs. 1 S. 3 ROG, DVBl 1999, 1457. 16 BVerwGE 119, 54 (59). 17 BVerwGE 119, 54; zu diesem Urteil Hoppe in DVBl 2004, 478. 18 Dazu zusammenfassend und mit zahlreichen Nachweisen Hoppe in: Hoppe/Bönker/ Grotefels, Öffentliches Baurecht, 4. Aufl. 2010, S. 47 f. 15
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b) Konkretisierungsgrad der Zielfestlegungen Die Frage nach dem zulässigen Konkretisierungsgrad der Zielfestlegungen und der daraus folgenden Bindungswirkung für nachgeschaltete Planungs- oder Zulassungsstufen führt zunächst auf das grundlegende Problem, wie die Kompetenzen der jeweiligen Ebenen überhaupt abzugrenzen sind. Maßnahmen der Raumordnung müssen voraussetzungsgemäß auf den „Raum“ bezogen sein und dürfen nicht in den Kompetenzbereich etwa der Bauleit- und der Fachplanung übergreifen. Darf ein Regionalplan für den geplanten Ausbau eines Flughafens ein Nachtflugverbot oder für die Errichtung eines Kraftwerks eine bestimmte Energieeffizienz festsetzen? Eine allgemeine, für alle oder jedenfalls viele Fallgestaltungen geltende Formel hierfür lässt sich dem Raumordnungsgesetz nicht entnehmen und ist bislang auch von der Rechtsprechung nicht entwickelt worden. Vielmehr tastet sich die Entscheidungspraxis hier von Fall zu Fall voran, ein Vorgehen, das vermutlich zweckmäßiger ist als der Versuch, eine schneidige Großformel für den Raumbezug zu finden, die man im nächsten oder übernächsten Streitfall schon wieder modifizieren muss. Ähnliches gilt übrigens für die Frage, welche Instrumente der raumordnerischen Planung zur Verfügung stehen; einen Katalog wie die §§ 5 und 9 kennt das Raumordnungsgesetz bekanntlich nicht. Allgemein lässt sich jedenfalls sagen, dass es für den Konkretisierungsgrad darauf ankommt, auf welche nachfolgenden Planungs- oder Zulassungsschritte die Ziele bezogen sind.19 Grundsätzlich sind die Aussagen der Landes- und Regionalplanung schon wegen ihrer Großräumigkeit abstrakter und genereller als die der unterstufigen Planungen. Geht es um das Verhältnis zur gemeindlichen Bauleitplanung (§ 1 Abs. 4 BauGB), befindet man sich im mehrstufigen System räumlicher Gesamtplanung mit seiner Abfolge von Planungsentscheidungen auf Bundes- und Landesebene mit fortschreitender Verdichtung auf der Ebene der Landes- und Regionalplanung hin zur Bauleitplanung als der nachgeordneten untersten Ebene der Planungshierarchie, auf der die raumordnerischen Ziele meist erst verwirklicht werden.20 In Richtung auf diese örtliche Planung wird die Aussageschärfe von Zielen der Raumordnung tendenziell eher geringer sein und als ausfüllungsbedürftiger Rahmen der Gemeinde mehr oder weniger Raum für Verfeinerungen und Differenzierungen lassen.21 Je nach Situation wird der Plangeber des Raumordnungsrechts von seiner Befugnis zur planerischen Zurückhaltung Gebrauch machen können, solange er dadurch nicht die angestrebte Qualität als echtes Ziel durch zu geringe Regelungsdichte wegen Unbestimmtheit der Regelung in Frage stellt mit der Folge, dass es sich bei der Planaussage nur um einen Grundsatz der Raumordnung handeln würde.22 Andererseits dürfen Zielaussagen im Einzelfall auch gegenüber der Bauleitplanung ohne 19 s. hierzu auch Hoppe, Kritik an der textlichen Fassung und inhaltlichen Gestaltung von Zielen der Raumordnung in der Planungspraxis, DVBl 2001, 81. 20 Vgl. auch die zusammenfassenden Ausführungen in BVerwGE 119, 25 (38 f.). 21 Vgl. BVerwGE 90, 329 (334 f.); 117, 351 (361). 22 Vgl. dazu BVerwGE 119, 54 (60); BVerwG, NVwZ 2010, 1026 (1032) Rdnr. 64.
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Verstoß gegen Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG flächenkonkrete und relativ funktionsscharfe Festlegungen treffen, wenn solche konkreten Bindungen, etwa zu Flächensicherungen oder Standorten im überörtlichen Interesse erforderlich sind.23 Den Gegenpol zur Bauleitplanung hinsichtlich des Konkretisierungsgrades bilden naturgemäß die Fälle, bei denen Ziele ohne konkretisierenden Zwischenschritt unmittelbar auf die Zulassung eines bestimmten Vorhabens durchschlagen sollen und dementsprechend in den Zulassungstatbestand eingebunden sind. Als Beurteilungsmaßstab für die Zulässigkeit kommen sie nur bei hinreichender Konkretheit in Betracht. Dies gilt etwa für den Anwendungsbereich des § 35 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 BauGB. Danach kann die Genehmigung eines raumbedeutsamen Außenbereichsvorhabens wegen eines beeinträchtigten öffentlichen Belangs versagt werden, wenn es Zielen der Raumordnung widerspricht.24 Konkret müssen auch die gebietsbezogenen Zielfestlegungen sein, die die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB herbeiführen, also in bebauungsplanähnlicher Weise die Unzulässigkeit eines raumbedeutsamen privilegierten Außenbereichsvorhabens in den sog. Ausschlusszonen bewirken sollen.25 c) Rechtscharakter der Ziele der Raumordnung Zu den grundlegenden von der Rechtsprechung zu entscheidenden Fragen der letzten Jahre gehört schließlich die Frage nach dem Rechtscharakter der Ziele der Raumordnung und nach den daraus folgenden Rechtsschutzmöglichkeiten. Die Notwendigkeit, hier Klarheit zu schaffen, wurde immer dringlicher, je mehr die Außenrechtswirksamkeit bestimmter Zielfestlegungen in Erscheinung trat, sei es gegenüber Gemeinden mit Blick auf die Anpassungspflicht in § 1 Abs. 4 BauGB, sei es gegenüber Betreibern (großflächiger) Einzelhandelsbetriebe, denen unter Berufung auf Zielfestlegungen eine Baugenehmigung versagt wurde oder etwa gegenüber Bauwilligen, die privilegierte Außenbereichsvorhaben wie Windenergieanlagen oder Abgrabungen gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB nicht errichten durften, weil ihre Grundstücke in einer durch Ziele der Raumordnung festgelegten Ausschlusszone lagen. Zu entscheiden war insbesondere, ob und inwieweit Ziele der Raumordnung als Rechtsvorschriften einer prinzipalen Normenkontrolle im Sinne von § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO unterliegen. Unproblematisch ist dies dann, wenn die Zielfestlegung in einer förmlichen untergesetzlichen Rechtsvorschrift, also einer Rechtsverordnung oder Satzung, enthalten ist. In diesen Fällen ist die Normenkontrolle grundsätzlich eröffnet; erst danach stellt sich bei Prüfung der Antragsbefugnis (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO) die Frage, ob die Zielfestlegung überhaupt in Rechte des Antragstellers eingreifen kann. Das gilt es angesichts der Heterogenität von Zielen der Raumordnung für die Frage zu beachten, 23 Vgl. BVerwGE 115, 17 (21) unter Bezugnahme auf Wahl, in: Hoppe/Kauch (Hrsg.), Raumordnungsziele nach Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 1986, S. 29; ferner BVerwGE 118, 181 (184 ff.) zur Landesmesse Stuttgart. 24 BVerwGE 115, 17 (21) zu § 35 Abs. 3 S. 3 Hs. 1 BauGB 1987. 25 Vgl. BVerwGE 118, 33 im Anschluss an die zum Flächennutzungsplan ergangene Grundsatzentscheidung BVerwGE 117, 287.
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inwieweit Zielfestlegungen, die Regelungsbestandteil von nicht rechtssatzförmig erlassenen raumordnerischen Plänen sind, wegen ihrer Außenrechtsverbindlichkeit gegenüber bestimmten Adressaten als materielle Rechtsvorschriften anzusehen sind und Gegenstand einer Normenkontrolle nach § 47 sein können. So sieht es auch das Bundesverwaltungsgericht in seiner Grundsatzentscheidung vom 20. November 200326, indem es (nur) solche nicht rechtssatzförmig festgelegten Ziele zu Rechtsvorschriften im Sinne von § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO erklärt, die eine zumindest partielle Außenwirksamkeit entfalten.27 3. Ziele der Raumordnung im Städtebaurecht a) Pflicht zur Anpassung der Bauleitplanung (§ 1 Abs. 4 BauGB) Mit der Pflicht der Gemeinden, gemäß § 1 Abs. 4 BauGB ihre Bauleitpläne an die Ziele der Raumordnung anzupassen, soll die materielle Konkordanz zwischen der übergeordneten, überörtlichen und zusammenfassenden raumordnerischen Planung und der örtlichen Bauleitplanung gewährleistet werden.28 Das Bundesverwaltungsgericht muss sich seit etwa zwei Jahrzehnten ebenso wie die Verwaltungsgerichte erster und zweiter Instanz mehr und mehr mit Verfahren befassen, in denen es um die Zulässigkeit von Vorhaben nach den an die raumordnerischen Vorgaben angepassten Festsetzungen eines Bebauungsplans geht. Daraus entwickelten sich je nach Interessenlage und Verfahrenssituation Streitigkeiten etwa über die Gültigkeit von Bebauungsplänen oder über die Rechtmäßigkeit einer Baugenehmigung oder deren Versagung, so dass mal der bauwillige Betreiber eines Vorhabens, mal private Nachbarn des Vorhabens oder auch Nachbargemeinden in der Rolle des Antragstellers einer Normenkontrolle oder des Klägers gegen einen Verwaltungsakt der Bauaufsichtbehörde waren. Zahlenmäßig klar an der Spitze stehen Streitigkeiten um die Planung oder Genehmigung von großflächigen Einzelhandelsbetrieben. Das verwundert angesichts der hier aufeinander stoßenden unterschiedlichen Interessen nicht. Auf Einzelheiten der Rechtsprechung kann hier nicht eingegangen werden. Die grundsätzlichen Fragen, die sich aus dem Spannungsverhältnis der landesplanerischen Befugnisse und der durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten gemeindlichen Selbstverwaltungsgarantie ergeben, sind nach den allgemeinen Maßstäben für die nur im Rahmen der Gesetze gewährleistete Selbstverwaltung geklärt.29 Deshalb ist die gemeindliche Planungshoheit prinzipiell auch einer Bindung durch landesplanerische Ziele unterworfen, freilich nicht einschränkungslos. Die Gemeinde ist, soweit sich für sie An26 27 28 29
BVerwGE 119, 217; vgl. zuletzt BVerwG, DVBl 2010, 1377 Rdnr. 14. Deshalb geht der einschränkungslos formulierte Leitsatz 1 in BVerwGE 119, 217 zu weit. BVerwGE 119, 25 (39). BVerwGE 90, 329 (335); BVerwG, NVwZ 2005, 584; NVwZ 2006, 932.
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passungspflichten ergeben können, selbstverständlich in den überörtlichen Planungsprozess einzubeziehen. Ist gegen diese Mitwirkungsrechte verstoßen, entfällt die Bindungswirkung und damit die Anpassungspflicht.30 In materiellrechtlicher Hinsicht setzt eine zulässige Einschränkung der Planungshoheit voraus, dass der Eingriff durch überörtliche Interessen von höherem Gewicht gerechtfertigt und in diesem Sinne verhältnismäßig ist.31 Die Standortplanung für Einzelhandelsgroßbetriebe kann angesichts der regelmäßig weiträumigen städtebaulichen Auswirkungen dieser Betriebe ein derartiges überörtliches Interesse sein.32 Mit sozusagen umgekehrter Stoßrichtung hatte sich das Bundesverwaltungsgericht in dem Fall der Gemeinde Mülheim-Kärlich mit der Vorschrift des § 1 Abs. 4 BauGB zu beschäftigen, nämlich mit der Frage, ob aus der gemeindlichen Anpassungspflicht an Ziele der Raumordnung eine (Erst-)Planungspflicht zur Aufstellung eines die regionalplanerischen Zielfestlegungen umsetzenden Bebauungsplans folgen kann.33 Auch hier ging es um die – Nachbargemeinden beeinträchtigende – Ansiedlung von Einzelhandelsgroßbetrieben, die in der genannten Gemeinde ohne Bauleitplanung auf der Grundlage von § 34 BauGB erfolgt war und weiter erfolgen sollte. Das Gericht bejaht eine solche Planungspflicht unter der Voraussetzung, dass die Verwirklichung von Zielen der Raumordnung (hier die zentralörtliche Gliederung) bei Fortschreiten einer „planlosen“ städtebaulichen Entwicklung auf unüberwindbare tatsächliche oder rechtliche Hindernisse stoßen oder wesentlich erschwert würde. Das Problem lag hier also nicht wie sonst bei der Frage, ob die übergeordnete Planung zu weit mit ihren Vorgaben für die Bauleitplanung geht, sondern umgekehrt bei der Frage, ob die erforderliche (dauerhafte) Übereinstimmung der beiden Planungsebenen durch eine sich als negative Planungsentscheidung darstellende Untätigkeit der Gemeinde gefährdet würde. Da die Ziele der Raumordnung grundsätzlich keine unmittelbare bodenrechtliche Wirkung haben, muss es in evidenten Fällen auf der Ebene der Gemeinde eine derartige Planungspflicht geben, weil anders das arbeitsteilige System der räumlichen Gesamtplanung nicht funktionieren kann. b) Ziele der Raumordnung bei Vorhaben von Personen des Privatrechts aa) Großflächige Einzelhandelsbetriebe (§ 11 Abs. 3 BauNVO) Die mit Blick auf die Anpassungspflicht des § 1 Abs. 4 BauGB so bedeutsame Problematik der Einzelhandelsgroßbetriebe hat schon 1977 eine spezielle Regelung in Gestalt des § 11 Abs. 3 BauNVO erfahren. Derartige Betriebe haben nicht nur städtebauliche, sondern oft auch raumordnerische Auswirkungen, insbesondere dann, 30 31 32 33
BVerwGE 95, 123 (129 ff.); BVerwG, NVwZ 2002, 869. BVerwGE 118, 181 (185). BVerwGE 119, 25 (41). BVerwGE 119, 25 (38 ff.).
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wenn ihre Ansiedlung an das Zentrale-Orte-System der jeweiligen Landes- oder Regionalplanung anknüpfen soll. Deshalb sind nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 BauNVO großflächige Einzelhandelsbetriebe und sonstige großflächige Handelsbetriebe im Rahmen der Bauleitplanung außer in Kerngebieten nur in für sie festgesetzten Sondergebieten, also insbesondere nicht in Gewerbegebieten zulässig, sofern sich diese Betriebe nicht nur unwesentlich auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung oder auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung auswirken können. Das (eigenständige) Merkmal der Großflächigkeit ist nach neueren Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts bei mehr als 800 qm Verkaufsfläche anzusetzen.34 Für das zusätzlich erforderliche Tatbestandsmerkmal der nachteiligen raumordnerischen oder städtebaulichen Auswirkungen stellt § 11 Abs. 3 Satz 3 und 4 BauNVO eine widerlegliche Vermutungsregel auf. Hierzu hat sich eine umfangreiche Rechtsprechung auch des Bundesverwaltungsgerichts entwickelt, die freilich vorwiegend die Frage der städtebaulichen und nicht der raumordnerischen Auswirkungen betrifft, so dass sie im hier behandelten Zusammenhang nicht näher zu betrachten ist.35 bb) Raumbedeutsame Vorhaben im Außenbereich (§ 35 Abs. 3 BauGB) Die Ziele der Raumordnung bilden in § 35 BauGB einen aus der allgemeinen Gemeinwohlklausel der öffentlichen Belange herausgehobenen benannten Belang, an dem die Zulassung eines Außenbereichsvorhabens scheitern kann. Soweit es um privilegierte Vorhaben im Sinne von Absatz 1 geht, hat das Bundesverwaltungsgericht in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung noch unter der Geltung des Bundesbaugesetzes anerkannt, dass – neben den Darstellungen des Flächennutzungsplans – Ziele der Raumordnung auch einem solchen Vorhaben entgegenstehen können.36 Voraussetzung ist, wie es auch in einem gleichzeitig ergangenen Urteil zu den sonstigen Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 ausgesprochen wurde,37 dass die Ziele sachlich und räumlich hinreichend konkret für die Beurteilung eines Einzelvorhabens sind. Mit diesen beiden Entscheidungen aus dem Jahr 1984 war ein wesentlicher Schritt für den Bedeutungszuwachs der Ziele der Raumordnung als (eingeschränktes) Steuerungsinstrument im planungsrechtlichen Außenbereich getan. Mit Inkrafttreten des Baugesetzbuches am 1. Juli 1987 erfolgte der nächste Schritt, nämlich die ausdrückliche gesetzliche Regelung in § 35 Abs. 3 Satz 3 Hs. 1 (inzwischen Satz 2 Hs. 1), wonach raumbedeutsame Vorhaben den Zielen der Raumordnung nicht widersprechen dürfen („Negativwirkung“ von Zielfestlegungen). 34
BVerwGE 124, 364 und 124, 376. Vgl. neben den in der vorigen Fn. genannten Entscheidungen die Ausgangsentscheidung BVerwG, NVwZ 1987, 1076 sowie BVerwG, BauR 2002, 1825, DVBl 2004, 1308 und BauR 2006, 648. 36 BVerwGE 68, 311 gegen BVerwGE 28, 148; vgl. auch BVerwGE 77, 300. 37 BVerwGE 68, 319. 35
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In der Folgezeit gab es freilich zu dieser Vorschrift kaum höchstrichterliche Entscheidungen. Angestoßen durch eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts38 zu Darstellungen eines Flächennutzungsplans über Konzentrations- und Ausschlusszonen für Kiesabgrabungen im Außenbereich schuf der Gesetzgeber zur Stärkung der Steuerungsmöglichkeiten für bestimmte privilegierte Außenbereichsvorhaben mit Wirkung vom 1. Januar 1997 den sog. Planvorbehalt des § 35 Abs. 3 Satz 4 (jetzt Satz 3).39 Dass die Einbeziehung der Windenergieanlagen in den Katalog der privilegierten Vorhaben nach § 35 Abs. 1 BauGB in demselben BauGB-Änderungsgesetz erfolgte, ist kein Zufall. Vielmehr sollte mit dem Planvorbehalt gewissermaßen als Gegengewicht zur Privilegierung eine Möglichkeit geschaffen werden, die Standorte dieser besonders konfliktträchtigen Anlagen einer Planung zu unterwerfen. Nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB stehen einem (raumbedeutsamen) Vorhaben nach Absatz 1 Nr. 2 bis 6 öffentliche Belange in der Regel auch dann entgegen, soweit hierfür durch Darstellungen (im Flächennutzungsplan oder) als Ziele der Raumordnung eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist. Nach der Zahl der Gerichtsentscheidungen stehen allerdings solche Verfahren im Vordergrund, in denen der Planvorbehalt durch entsprechende Darstellungen in einem Flächennutzungsplan geschaffen wurde. Auch das erste grundlegende und bis heute wegweisende Urteil zu § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB ist zum Flächennutzungsplan ergangen.40 Die wichtigsten – sodann auf die Ziele der Raumordnung übertragenen41 – Aussagen sind: Auf der Grundlage einer schlüssigen gesamträumlichen Planungskonzeption müssen gebietsbezogen sowohl Flächen, auf denen Anlagen im Sinne einer Konzentrationszone grundsätzlich zulässig sind, als auch Flächen, in denen die betreffenden Anlagen in der Regel unzulässig sind, dargestellt werden. Beide Festlegungen bedingen einander; ohne positive Ausweisungen kann eine Ausschlusswirkung nicht eintreten. Eine Planung, die der Windenergienutzung nicht substantiell im Sinne der vom Gesetzgeber gewollten Privilegierung Raum lässt, sondern in der Sache eine Verhinderungsplanung ist, kann gleichfalls nicht die Rechtsfolgen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB auslösen. Andererseits ist eine normative Gewichtungsvorgabe, der zufolge ein Planungsträger der Windenergienutzung im Sinne einer speziellen Förderungspflicht bestmöglich Rechnung zu tragen hätte, dem Gesetz nicht zu entnehmen. Maßgebend sind die Verhältnisse im jeweiligen Planungsgebiet, insbesondere die für die Windenergienutzung geeigneten Flächen einerseits und andererseits die sog. Tabuzonen wie Abstände zu besiedelten Gebieten, Erfordernisse des Naturschutzes u. ä. All dies ist nach den Maßstäben der Erforderlichkeit und des Abwägungsgebots im planerischen Konzept zu berücksichtigen. Eine Feindifferenzierung nach besonderen, auf der Ebene der Zielaufstellung nicht berücksichtigten 38 39 40 41
BVerwGE 77, 300. Durch Gesetz zur Änderung des BauGB v. 30. 07. 1996, BGBl. I S. 1189. BVerwGE 117, 287; ferner BVerwGE 122, 109; BVerwG, NVwZ 2008, 559. BVerwGE 118, 33; BVerwGE 137, 259.
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Umständen ermöglicht der das strikte Zulassungshindernis abmildernde Ausnahmevorbehalt „in der Regel“, der für besondere Fälle eine Art nachvollziehende Abwägung im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB verlangt.42 § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB verleiht den Zielen der Raumordnung unmittelbare rechtliche Außenwirkung auch gegenüber Privaten, nämlich gegenüber demjenigen, der eine privilegierte Anlage in einer Ausschlusszone errichten möchte.43 Das wirft vor dem Hintergrund des Art. 14 Abs. 1 GG die – schon zu § 35 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 BauGB erörterte – Frage auf, inwieweit Betroffene bei der Zielaufstellung beteiligt werden müssen. Eine verfahrensmäßige Beteiligung Privater, wie sie in den früheren bundes- und landesrechtlichen Vorschriften des Raumordnungsrechts kaum je vorgesehen war, hält das Bundesverwaltungsgericht nicht für erforderlich.44 Der Träger der Raumordnungsplanung dürfe das Privatinteresse an der Nutzung der Windenergie auf geeigneten Flächen im Planungsraum verallgemeinernd unterstellen und als typisierte Größe in die Abwägung (§ 7 Abs. 7 Satz 2 ROG 1998, § 7 Abs. 2 Satz 1 ROG 2009) einstellen. Grundstücksspezifische bei der Zielaufstellung unbeachtet gebliebene Umstände könnten bei der Zulassung des Vorhabens abwägend berücksichtigt werden. Der – in § 35 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 BauGB nicht vorhandene – gesetzliche Ausnahmevorbehalt (Unzulässigkeit nur in der Regel) könne in atypischen Fällen die Ausschlusswirkung entfallen lassen und in der Art eines Korrektivs unzumutbaren Beschränkungen des Grundeigentümers vorbeugen. 4. Ziele der Raumordnung im Fachplanungsrecht Über die ihnen zukommenden Bindungswirkungen könnten Zielfestlegungen in Raumordnungsplänen einen erheblichen Einfluss auf die räumliche Verteilung und die Standorte von Infrastrukturplanungen und anderen Großvorhaben ausüben. Das gilt nicht nur für die von der öffentlichen Hand selbst durchgeführten raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen, sondern auch für Planfeststellungen oder Genehmigungen mit der Rechtswirkung der Planfeststellung, die für raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen von Personen des Privatrechts erforderlich sind (vgl. § 4 Abs. 1 ROG 1998 bzw. § 4 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ROG 2009). Damit steht nahezu der gesamte Bereich der Fachplanungen grundsätzlich einer raumordnerischen Planung offen, soweit es sich um raumbedeutsame Vorhaben handelt. Das Bundesverwaltungsgericht hatte sich in zwei Fällen mit derartigen landesplanerischen Standortfestlegungen zu befassen. Im Urteil vom 15. Mai 200345 ging es um den durch einen Regionalplan zielförmig festgelegten Standort für die Erweiterung des Flughafens Stuttgart und für den Bau einer neuen Landesmesse. Die betreffende Planaussage erfolgte in Ausführung des 42 43 44 45
BVerwGE 117, 287 (302). BVerwGE 119, 217 (224). BVerwGE 118, 33, (44); BVerwG, BauR 2010, 1874. BVerwGE 118, 181.
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Landesplanungsgesetzes Baden-Württemberg, das in seinem § 8 Abs. 3 den zuständigen Träger der Regionalplanung berechtigt und verpflichtet, im Regionalplan für die Region Stuttgart Standorte für regional bedeutsame Infrastrukturvorhaben gebietsscharf auszuweisen. Sowohl die gesetzliche Regelung als auch die konkrete Flächenfestlegung erklärte das Gericht auf die Klage der betroffenen Gemeinde wegen höherrangiger überörtlicher Interessen für vereinbar mit der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung und mit den Prinzipien des Raumordnungsrechts. Auch derart konkrete Standortausweisungen für Infrastrukturvorhaben könnten bei entsprechenden raumordnerischen Rahmenbedingungen und raumstrukturellen Erfordernissen, etwa in einem großstädtischen Ballungsraum mit hoher baulicher Verdichtung, bei Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zulässig sein. Das zweite Verfahren betrifft den Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld zum künftig einzigen großen Flughafen in der Hauptstadtregion. Wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 16. März 200646 hervorhebt und mittlerweile wohl auch nicht mehr streitig ist, ist die Wahl des Standorts für einen internationalen Verkehrsflughafen vorrangig eine raumordnerische Entscheidung. Da es keine bundesweite oder gar – was für Großflughäfen angebracht wäre – europaweite Standortplanung für Flughäfen gibt, konnte die Raumordnung im Falle Berlin nur im Sinne einer gewissermaßen isolierten landesplanerischen Aussage zum Standort des Flughafens tätig werden. Dies ist in Gestalt einer Zielfestlegung erfolgt, mit der sich der Träger der Landesplanung nach Abwägung verschiedener Alternativen auf die Entwicklung des vorhandenen Flughafens Schönefeld bei Schließung der beiden anderen Berliner Flughäfen Tegel und Tempelhof entschied. Für die zum Ausbau benötigten Flächen wurde die Freihaltung von entgegenstehenden Nutzungen angeordnet. Die in raumordnungsrechtlicher Hinsicht wohl interessantesten Ausführungen betreffen das Verhältnis der landesplanerischen Standortfestlegung zur nachfolgenden Fachplanung in Form der luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung nach § 8 LuftVG. Die Planfeststellungsbehörde ist einerseits an das Ergebnis des landesplanerischen Standortvergleichs gebunden, ebenso wie der Betreiber des Flughafens. Sie darf also keine eigenen Überlegungen zu Standortalternativen anstellen, weil diese Frage nach dem Modell der Problemabschichtung durch die höherrangige raumordnerische Entscheidung entschieden ist. Andererseits trifft die Planfeststellungsbehörde keine Realisierungspflicht. Sie muss vielmehr auf der Grundlage des vorgegebenen Standorts nach den allgemeinen Maßstäben der Planrechtfertigung und des Abwägungsgebots sowie unter Berücksichtigung des maßgebenden Fachrechts prüfen, ob die beantragte Planfeststellung erteilt werden darf. Mit anderen Worten: Die Planfeststellungsbehörde kann wie auch sonst aus jedem durchgreifenden Grund den Planfeststellungsbeschluss versagen, ausgenommen die Erwägung, die Standortwahl sei wegen eines geeigneteren Standorts abwägungsfehlerhaft. Dass infolge dieser Bindung im Rahmen einer Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss die regionalplanerische Zielfestlegung inzident auf ihre Rechtmäßigkeit muss überprüft werden 46
BVerwGE 125, 116 (130 ff.) Rdnr. 54 ff.
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können, liegt auf der Hand. Ob freilich mit dem Schönefeld-Urteil alle Probleme im Verhältnis von landesplanerischer Standortplanung und nachfolgender Fachplanungsentscheidung bereits gelöst sind, darf angesichts der komplexen Verschränkung zwischen den beiden Planungsebenen bezweifelt werden. 5. Ausblick Es bedarf keiner prophetischen Gaben um vorherzusagen, dass die Ziele der Raumordnung und ihre rechtlichen Wirkungen ein bedeutsames Streitthema in verwaltungsgerichtlichen Verfahren bleiben werden, möglicherweise in noch größerem Maße als bisher. Das Bedürfnis nach einer zusammenfassenden, überörtlichen und fachübergreifenden Planung in der dicht besiedelten Bundesrepublik Deutschland wird eher noch wachsen, ebenso wie das Bedürfnis, bei konfliktträchtigen raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen die notwendigen Festlegungen und Entscheidungen nicht allein den unteren Planungsebenen, etwa der Bauleitplanung oder Fachplanung zu überlassen. Auf diesem so wichtig gewordenen Feld die wissenschaftliche Durchdringung schon vor Jahrzehnten in Angriff genommen und bis heute fortgeführt zu haben, gehört zu den großen Verdiensten von Werner Hoppe.