Phantomgrenzen Räume und Akteure in der Zeit neu denken 9783835316584, 9783835327702, 3835316583


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German Pages 224 S. Ill., Kt. 23 cm [225] Year 2015

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Table of contents :
Umschlag......Page 1
Titel......Page 4
Impressum......Page 5
Inhalt......Page 6
Vorwort......Page 8
Hannes Grandits, Béatrice von Hirschhausen, Claudia Kraft, Dietmar Müller, Thomas Serrier: Phantomgrenzen im östlichen Europa. Eine wissenschaftliche Positionierung......Page 14
Dietmar Müller: Geschichtsregionen und Phantomgrenzen......Page 58
Béatrice von Hirschhausen: Phantomgrenzen zwischen Erfahrungsräumen und Erwartungshorizonten. Konzeptionelle Reflexionen an einem empirischen Beispiel......Page 85
Thomas Serrier: Phantomgrenzen und Erinnerungsräume. Zum Verhältnis von historischen Raumordnungen, sozialen Praktiken und Erinnerungskulturen......Page 108
Hannes Grandits: Gewandelte Wissensordnungen, neu gefasste Nostalgien: Zur Aneignung »vergangener« Raummuster in Ostmittel- und Südosteuropa nach 1989......Page 135
Claudia Kraft: Phantomgrenzen und Zeitschichten im Postsozialismus. Ist der Postsozialismus postkolonial?......Page 167
Literatur......Page 192
Online-Ressourcen......Page 222
Autorinnen und Autoren......Page 224
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Phantomgrenzen Räume und Akteure in der Zeit neu denken
 9783835316584, 9783835327702, 3835316583

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Phantomgrenzen

Phantomgrenzen im östlichen Europa Herausgegeben von Béatrice von Hirschhausen, Hannes Grandits, Claudia Kraft, Dietmar Müller, Thomas Serrier

Band 1

Béatrice von Hirschhausen, Hannes Grandits, Claudia Kraft, Dietmar Müller, Thomas Serrier

PHANTOMGRENZEN Räume und Akteure in der Zeit neu denken

WALLSTEIN VERLAG

Das der Publikation zugrunde liegende Forschungsvorhaben (Phantomgrenzen in Ostmitteleuropa, Centre Marc Bloch, Berlin, HumboldtUniversität zu Berlin, Zentrum Moderner Orient, Berlin und MartinLuther-Universität Halle-Wittenberg) hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 01UC1104A-D von 2011 bis 2015 gefördert.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Wallstein Verlag, Göttingen 2015 www.wallstein-verlag.de Vom Verlag gesetzt aus der Stempel Garamond und der Frutiger Umschlaggestaltung: Susanne Gerhards, Düsseldorf unter Verwendung einer Fotografie von Hubert Lobnig, Wohin verschwinden die Grenzen? Kam mizí hranice? Eine temporäre Installation von Iris Andraschek und Hubert Lobnig am Grenzübergang Fratres/Slavonice, 2009. © Hubert Lobnig Kartenerstellung (S. 14, 87, 95, 154): Lea Bauer, Leipzig Druck und Verarbeitung: Hubert & Co, Göttingen ISBN (Print) 978-3-8353-1658-4 ISBN (E-Book, pdf ) 978-3-8353-2770-2

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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H AN N ES G R AN DI TS , B ÉAT R ICE VON H IR SCHH AUSEN , C LAU DI A K R A F T, D IET M A R M Ü LLER , THOM AS S ER R IER (unter Mitarbeit von Karin Casanova und Michael G. Esch)

Phantomgrenzen im östlichen Europa. Eine wissenschaftliche Positionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D IET M A R M Ü LLER Geschichtsregionen und Phantomgrenzen . . . . . . . . . . . . .

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B ÉAT R ICE

VON

H IR SCHH AUSEN

(unter Mitarbeit von Karin Casanova, Michael G. Esch und Laura Roos)

Phantomgrenzen zwischen Erfahrungsräumen und Erwartungshorizonten. Konzeptionelle Reflexionen an einem empirischen Beispiel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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THOM AS S ER R IER Phantomgrenzen und Erinnerungsräume. Zum Verhältnis von historischen Raumordnungen, sozialen Praktiken und Erinnerungskulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 H AN N ES G R AN DI TS Gewandelte Wissensordnungen, neu gefasste Nostalgien: Zur Aneignung »vergangener« Raummuster in Ostmittelund Südosteuropa nach 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 C LAU DI A K R A F T Phantomgrenzen und Zeitschichten im Postsozialismus. Ist der Postsozialismus postkolonial? . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Online-Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

Vorwort »Eine Metapher«, schreibt der Linguist Peter Finke, »ist eine kreative Metapher, wenn sie die zu erklärende Sache, um die es geht, in neuem, die Forschung inspirierendem Lichte erscheinen lässt.« Weiter führt er zu produktiven Analogien im wissenschaftlichen Denken aus: »Eine kreative Metapher ist wie die Gewinnung eines veränderten Aussichtspunktes auf eine komplexe Landschaft, die man nie vollkommen überblicken kann, die aber vom neuen Aussichtspunkt aus allem Anschein nach besser, vollständiger, weniger verzerrt gesehen werden kann.«1 Das Forschungsprojekt zu den Phantomgrenzen, und damit auch das vorliegende Buch, findet seinen Ursprung in einer inspirierenden Metapher. Bei der Betrachtung von Karten, die aktuelle Wahlergebnisse, demographische Daten oder den Verlauf von Bahntrassen abbilden, fielen uns einmal mehr frappierende Übereinstimmungen regionaler Differenzen mit längst abgeschafften Grenzverläufen auf. Wie Phantome scheinen alte territoriale Gliederungen die aktuellen Gesellschaften in Ostmittel- und Südosteuropa auch heute noch zu prägen. Mit dem neu geschaffenen Wort – bzw. der Metapher – der »Phantomgrenzen« sollte die Frage nach der historischen Bedingtheit regionaler Unterschiede bzw. Spezifika aus einer erneuerten Perspektive gestellt werden. Dabei sollten nicht nur Grenzen, sondern auch Regionen als potenzielle »Phantome« hinterfragt werden. Die Idee, dass (imperiale) Vergangenheiten in aktuellen geographischen Räumen spuken, führte uns zu folgenden Fragestellungen: Wie kann erklärt werden, dass trotz nationalstaatlicher Raumpolitik sowie der grenzüberschreitenden Vernetzung von Menschen und Orten ehemalige territoriale Gliederungen – zum Beispiel habsburgische, osmanische oder sowjetische – die Gesellschaften Ostmittel- und Südosteuropas bis heute prägen? Was verschwindet, bzw. was und in welcher Form überdauert aus vergangenen staatlichen territorialen Körperschaften? Können verschwundene Grenzen weiter wirken und wenn ja, wie konkret und von welchen Akteuren werden diese in der Gegenwart aktualisiert? Welchen »veränderten Aussichtspunkt[ ]«, um mit Finke zu sprechen, kann man als Wissenschaftler/in gewinnen, wenn die Vergangenheit einer Region nicht essentialistisch als abgeschlossen 1 Peter Finke: »Misteln, Wälder und Frösche: Über Metaphern in der Wissenschaft«. in: Metaphorik.de, 2003/04, S. 45-65, hier S. 55.

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VORWORT

und unveränderlich gefasst, sondern als von den Akteuren herbeirufbar und aktualisierbar verstanden wird? Und weiter: Welche wissenschaftlichen Perspektiven eröffnen sich, wenn Regionen nicht als aus einem mehr oder weniger linearen »Wandlungskontinuum« entstandene territoriale Einheiten, sondern als Ergebnisse ständiger Neueinschätzungen historischer Reminiszenzen und materiellem Erbe betrachtet werden? Aus diesen Fragen unseres interdisziplinären Netzwerks von Historikern, Geographen und Kulturwissenschaftlern ist das Verbundprojekt »Phantomgrenzen in Ostmitteleuropa« entstanden, welches seit 2011 vom BMBF finanziert wird.2 Das Kompetenznetz führt insbesondere Forschungsinstitutionen in Deutschland sowie Ostmittelund Südosteuropa zusammen3 und hat sich zum Ziel gesetzt, Räume und Akteure in der Zeit neu zu denken. Nach der ersten intuitiven Idee der Phantomgrenzen-Metapher wurde die Arbeit konsequent im Team geleistet. Wir entschieden uns bewusst für einen interdisziplinären und induktiven, von Fallstudien ausgehenden Forschungsansatz, um die mit dem Phantomgrenzen-Konzept verbundenen Thesen an konkreten empirischen Beispielen zu hinterfragen und zu prüfen. Forscherinnen und Forscher aus dem Projekt haben auf lokalen Terrains das gemeinsam entwickelte Konzept situativ angewendet und damit entscheidend zu seiner Weiterentwicklung beigetragen. Weiter sind die (empirischen) Arbeiten von Forscherkolleginnen und -kollegen aus dem Netzwerk in unsere Reflexionen eingeflossen. Mit dem Wallstein Verlag haben wir einen Partner gefunden, welcher an unseren Forschungsthesen interessiert ist und die Ergebnisse unserer Projektarbeit in der Reihe »Phantomgrenzen im östlichen Europa« einer breiteren Öffentlichkeit vorstellt. Neben den im Projekt entstandenen Monographien und Sammelbänden aus unterschiedlichen 2 3

phantomgrenzen.eu Neben dem Centre Marc Bloch in Berlin, dem Lehrstuhl für Südosteuropäische Geschichte an der Humboldt Universität zu Berlin, dem Zentrum Moderner Orient in Berlin und der Professur für Osteuropäische Geschichte an der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg waren an dem Projekt weitere Forschungseinrichtungen in Deutschland beteiligt (Europa-Universität Viadrina Frankfurt/ Oder, Universität Siegen, Geisteswissenschaftliche Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) an der Universität Leipzig, FU Berlin, Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften), in Ostmittel- und Südosteuropa (Schlesisches Institut Oppeln, Universität Zagreb, Universität Iaşi) sowie in anderen europäischen Länder (CERCEC/ Paris, CETOBAC/ Paris, Universität Basel).

VORWORT

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Disziplinen soll die Reihe für weitere, nicht aus dem PhantomgrenzenProjekt hervorgegangene Forschungsarbeiten offen sein, welche ausgehend von empirischen Fallstudien die Raum- und Zeitbezüge von (historischen) Akteuren hinterfragen und aus deren Perspektive die Wechselwirkungen zwischen Raumimagination, Raumerfahrung und Gestaltung des Raumes analysieren. Die Reihe soll damit einen Beitrag zum besseren Verständnis regionaler Unterschiede in Ostmittel- und Südosteuropa leisten und darüber hinaus innovativ auf die Forschungspraxis in den Kultur- und Sozialwissenschaften zurückwirken. Das vorliegende Buch hat programmatischen Charakter. Im Einführungskapitel definieren wir das Konzept der Phantomgrenzen und präzisieren sein heuristisches Potential. Unser Forschungsansatz positioniert sich zwischen strukturalistischen Zugängen, die stabile soziale sowie kulturelle regionale Strukturen postulieren, und konstruktivistischen Betrachtungsweisen, die erstere ablehnen und sich auf die diskursive Dimension von Strukturen zurückziehen. Ausgehend von einer dezidiert akteurszentrierten Perspektive soll das neue Konzept einen dritten Weg eröffnen: Situativ betrachtet werden Phantomgrenzen weder als unveränderliche Strukturen noch als rein diskursive Konstruktionen verstanden, sondern als Ergebnis der Wechselwirkungen dreier verflochtener Ebenen: Phantomgrenzen werden gleichzeitig in mental maps und Diskursen imaginiert, sie werden von den Akteuren erfahren und wahrgenommen und sie werden durch Alltagspraktiken gestaltet und beständig aktualisiert sowie durch planmäßige politische und administrative Interventionen implementiert. Sie sind kontextabhängig und daher phantomhafter Natur. Die fünf folgenden Kapitel reflektieren das Konzept im Bezug zu etablierten Forschungsansätzen in den Sozial- und Kulturwissenschaften. Der Beitrag von Dietmar Müller diskutiert das Verhältnis zwischen dem Phantomgrenzen-Konzept und dem der Geschichtsregionen. Der Aufsatz baut auf der wissenschaftlichen Kontroverse zwischen Maria Todorova und Holm Sundhaussen in den Jahren 1999-2003 über die »Realität« der Differenzierungskriterien bei der Beschreibung der Balkanregion auf. Er zeigt an der Herausbildung der Rechtskulturen und Institutionen im Rumänien der Zwischenkriegszeit wie regionales historisches Erbe als Erwartungsraum neu konzipiert werden könnte. Béatrice von Hirschhausen analysiert in einer Fallstudie auf der Mikroebene im ländlichen Rumänien, wie anhand des PhantomgrenzenKonzepts Regionalisierungsprozesse neu betrachtet werden können. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass private Investitionen in den Haushalten auf den beiden Seiten einer ehemaligen politischen Grenze

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VORWORT

sehr unterschiedlich priorisiert werden. Indem die Erfahrungsräume der lokalen Akteure sowie ihre immer wieder neu definierten und kontextabhängigen Erfahrungshorizonte in die Analyse aufgenommen werden, kann die zeitliche Dimension von Regionalisierungsprozessen mitanalysiert werden. Anders als in der klassischen Geographie üblich, werden damit Regionen nicht als etwas unabänderlich Gegebenes oder als tradierte Räume gefasst, sondern als wandelbare Konstruktionen. Thomas Serrier reflektiert in seinem Text, wie sich das Erinnerungsparadigma und dessen in unterschiedlichen Disziplinen diskutierte Variationen (Gedächtnisforschung, »Lieux de mémoire«, Erinnerungspolitik und -kultur, Gedächtnistransfer) zum Phantomgrenzen-Konzept verhalten. Serrier zeigt, wie Phantomgrenzen und -räume nicht als vermittelte Zeitschichten, sondern im Bezug zu den selektiven und dynamischen Prozessen des kollektiven Erinnerns untersucht werden können. Hannes Grandits fokussiert in seinem Beitrag auf die Wirkungskräfte ausgewählter Phantomgrenzen in der sich massiv verändernden ostmittel- und südosteuropäischen Raumordnung nach 1989. Die Logiken, die zur »Wiederkehr« bestimmter historischer Raummuster und zur erneuten Etablierung alter Grenzen geführt haben, werden hier in der Perspektive der Wandlung von Wissensordnungen, die das Ende des Kalten Krieges begleitet haben, eingeführt. Grandits interessiert sich dabei insbesondere für die territoriale Entwicklung in Südosteuropa nach den Jugoslawienkriegen. Er setzt das »Auftauchen« von historischen Grenzen in enge Verbindung mit der Entstehung einer »Nostalgie« in der Öffentlichkeit vieler post-sozialistischer Länder sowie mit spezifischen Erfahrungen eines historisch konstituierten »Wissensvorrats« in den jeweiligen Gesellschaften. Claudia Kraft reflektiert in ihrem Beitrag, wie eine auf das postsozialistische Osteuropa gerichtete postkoloniale Perspektive die Verortung dieser Region in räumlichen und zeitlichen Bezügen neu beleuchten kann. Am Beispiel historiographischer und politischer Debatten in Ostmitteleuropa wird aufgezeigt, dass über das Ende des Kalten Krieges hinweg soziale und räumliche Vorstellungen, die die einstige geopolitische Konstellation prägten, auch in einem veränderten Wissen-Macht-System weiter wirksam bleiben. Das Phantomgrenzen-Konzept, das den Raum-Zeit-Komplex in dem Spannungsfeld zwischen Erfahrungen, Imaginativen und Gestaltung des Raum versteht, ermöglicht eine postsozialistische Geschichtsschreibung, die sich von einem »westeuropäischen« Blickwinkel emanzipiert.

VORWORT

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Eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen haben zur Entstehung dieses Buches beigetragen, denen wir im Folgenden herzlich danken möchten. In den Tagen der Fertigstellung des Manuskriptes erreichte uns die Nachricht vom Tod Holm Sundhaussens. Er hat unser Forschungsprojekt von Beginn an begleitet und uns ermutigt, die Idee der Phantomgrenzen und -räume weiterzuverfolgen. Holm Sundhaussen hat auf Jahrestreffen und Konferenzen wichtige und pointierte Hinweise zu unserer Arbeit geliefert und nicht zuletzt eine frühe Version des Einleitungsartikels des vorliegenden Buches auf unserer internationalen Konferenz im Februar 2014 an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften kommentiert. Zu gerne hätten wir auch die nächsten Schritte unserer Forschungsarbeit mit ihm diskutiert. Weiter möchten wir uns bei Christian Giordano, Étienne François und Hans-Joachim Bürkner bedanken, die im Februar 2014 erste Versionen unserer Artikel im Detail diskutiert und uns damit wichtige Anregungen geliefert haben. Weitere wichtige Kommentare haben wir zudem von Ulrike Freitag, Wolfgang Höpken, Bogdan Murgescu und Martin Schulze Wessel erhalten. Ganz herzlich bedanken möchten wir uns bei den Mitgliedern unseres Netzwerkes Michael G. Esch, Nora Lafi, Sabine von Löwis, Jan Musekamp, Florian Riedler, Drago Roksandić, Nenad Stefanov, Kai Struve und Ðorđe Tomić, die in vielen Arbeitstreffen und Konferenzen das Phantomgrenzen-Konzept mitentwickelt haben. Weiter haben – in ganz unterschiedlicher Weise – wertvolle Beiträge zu unserem kollektiven Reflexionsprozess geleistet: Xavier Bougarel, Catherine Gousseff, Octavian Groza, Jarosław Janczak, Yvonne Kleinmann, Bernard Linek, Telmo Menezes, Michael G. Müller, Camille Roth, Frithjof Benjamin Schenk und Gábor Szalkai. Unser Dank gilt ebenfalls Insa Breyer, Carolin Leutloff-Grandits, Sabine Rutar und Michael G. Esch für ihre aufmerksame Lektüre und inhaltliche Kommentierung der Manuskripte. Für die sprachlichen Überarbeitungen danken wir Christian von Hirschhausen und Martin Gontermann sowie unserer Lektorin beim Wallstein Verlag, Ursula Kömen. Lea Bauer hat mit großer Kompetenz und viel Geduld unsere Forschungsergebnisse in Karten und Abbildungen umgewandelt. Nicht zuletzt wollen wir hier Karin Casanova, der wissenschaftlichen Koordinatorin unseres Verbundprojekts, unsere Dankbarkeit ausdrücken. Sie hat die Zusammenarbeit unseres Teams intensiv begleitet und mit der wertvollen Unterstützung von Laura Roos das Manuskript von Anfang an betreut. Ohne ihren kompetenten und engagierten Einsatz als

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VORWORT

Übersetzerin, Mitredakteurin und Vermittlerin wäre dieses Buch ein anderes geworden. Obwohl die Wissenschaftstheorie das metaphorische Denken lange Zeit verbannt hatte, weiß man wohl, dass die Wissenschaft (wie auch die Wissenschaftstheorie) ständig Metaphern nutzt. Von Anfang an haben wir ein kreatives Potential der Phantomgrenzen-Metapher postuliert. Mit dem vorliegenden Buch liefern wir grundlegende Ergebnisse unserer interdisziplinären und aufregenden Auseinandersetzung mit ihr. Diese Überlegungen werfen wir nun in die communities der areas studies wie auch der »allgemeinen« Sozial- und Kulturwissenschaften, in der Hoffnung, dass sie für unsere Leser genauso anregend wie für uns wirken und neue Wege eröffnen, den Zeit-Raum-Komplex weiter zu denken. Berlin/ Leipzig/ Siegen, im Frühjahr 2015 Béatrice von Hirschhausen, Hannes Grandits, Claudia Kraft, Dietmar Müller und Thomas Serrier

Hannes Grandits, Béatrice von Hirschhausen, Claudia Kraft, Dietmar Müller, Thomas Serrier Phantomgrenzen im östlichen Europa Eine wissenschaftliche Positionierung (Unter Mitarbeit von Karin Casanova und Michael G. Esch)

Von Grenzen zu Phantomgrenzen Die postkolonialen, wie mit dem Lineal gezogenen Grenzen in Afrika deuten in eindrücklichster Weise auf einen Umstand hin, der in diesem Band thematisiert wird: Politische Grenzen zwischen Staaten in der Gegenwart, ebenso wie in der Vergangenheit, sind Produkte menschlichen Handelns. Naturräumliche Gegebenheiten wie Flüsse oder Gebirgszüge oder ethnische und kulturelle Eigenheiten der Bevölkerung mögen bei Grenzziehungen eine gewisse Rolle gespielt haben. Die Behauptung aber, Grenzen seien natürlich oder bildeten natürliche Gegebenheiten ab, ist selbst ein Mittel zur Herstellung und Legitimierung von Grenzen. Andererseits sind politische Grenzen keine bedeutungslosen und ephemeren Phänomene, denn sie definieren in territorialer Hinsicht Räume der Zugehörigkeit und verdichteter politischer, wirtschaftlicher, rechtlicher und kultureller Interaktionen. Je länger eine politische Grenze in der Moderne Bestand hatte, umso wirkungsmächtiger, so unsere Vermutung, ist ihr Einfluss auf Prozesse der Vergesellschaftung auf dem Territorium, das sie umschließt. Dabei gilt es zu bedenken, dass manche der heutigen innereuropäischen, zwischenstaatlichen Grenzen recht neu sind, was im Umkehrschluss bedeutet, dass viele heute zu einem Staat gehörende Regionen zum Teil über mehrere Generationen hinweg Bestandteil verschiedener anderer Staaten waren. Wir gehen daher von der Existenz zahlreicher Phantomgrenzen neben den heute existierenden politischen Grenzen in Europa aus. Stellen wir uns die Geschichte der Grenzen dargestellt auf einer Serie von transparenten und übereinanderliegenden Landkarten vor: Jede Grenzziehung – und somit die zeitliche Dimension – wird durch ein eigenes Landkartenblatt dargestellt und reflektiert. Was in diesem Gedankenexperiment ›sichtbar‹ gemacht wird, ist in der Wirklichkeit möglicherweise ein Palimpsest, in dem manche Grenzen über die Zei-

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PHANTOMGRENZEN IM ÖSTLICHEN EUROPA

Palimpsest der Grenzen Europas

ten hinweg stabil bleiben, andere wieder vollständig verschwinden und einige lange Zeit noch als Phantomgrenzen schemenhaft überdauern, nachdem sie ihren Charakter als politische Grenze verloren haben.1 Wir wollen den Charakter und die Wirkungsweise dessen, was wir Phantomgrenzen nennen, zunächst an drei Beispielen aus dem östlichen Europa2 illustrieren: 1 Siehe auch die Karten bei Michel Foucher (Hg.): Fragments d’Europe. Atlas de l’Europe médiane et orientale. Paris 1993, von denen die eine (S. 41) alle historischen Staatsgrenzen im kumulativen Nebeneinander zeigt, die andere (S. 43) das »Alter« der Grenzen je nach Entstehungsepoche differenziert markiert. 2 Wir bedienen uns eines pragmatischen Konzepts von »Osteuropa«: Zu unserer Untersuchungsregion zählen wir alle Gebiete, die im Laufe der Frühen Neuzeit bzw. seit dem späten 18. Jahrhundert Teil eines der großen kontinentaleuropäischen Imperien (Habsburger-Monarchie, Osmanisches Reich, Russländisches Reich und Deutsches Reich bzw. vor 1871 Königreich Preußen) wurden und durch diese imperialen Überschichtungen eine nachhaltige Prägung erhielten. Damit fokussieren wir Regionen in Mittel-, Ostmittel- und Südosteuropa und interessieren uns auch für die nördlichen und westlichen Randgebiete des Russländischen Reiches. Dieser pragmatische Zugang, der zunächst keine expliziten Binnendifferenzierungen unseres Untersuchungsraumes vornimmt, scheint im Hinblick auf das Konzept der »Phantomgrenzen«

EINE WISSENSCHAFTLICHE POSITIONIERUNG

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Postkommunistische Wahlgeographie In mehreren postkommunistischen Staaten sind bezüglich des Wahlverhaltens so deutlich regionale Muster zu beobachten, dass es naheliegt, eine Erklärung weniger in der Tagespolitik, als vielmehr in persistenten Prägungen der Menschen in den einzelnen Regionen zu suchen. Bei den Präsidentschaftswahlen in Polen im Juni und Juli 2010 gewann der Parlamentspräsident und Kandidat der bürgerlich-liberalen Bürgerplattform (Platforma obywatelska, PO ) Bronisław Komorowski vor Jarosław Kaczyński, dem Vorsitzenden der konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS). Ein Blick auf die Wahlkarte der ersten Runde der Präsidentschaftswahl zeigt eine überraschende Verteilung der Zustimmungsquoten für die beiden Kandidaten. Komorowski lag in den Wahlbezirken im Westen des Landes, im nördlichen Ermland und Masuren, mit einem Vorsprung von 10 bis 45 % vorne, während sein Kontrahent in den (ländlichen) Wahlbezirken der sieben östlichen Wojewodschaften mit ebenso deutlichem Abstand gewann. Damit tauchte eine erstaunliche Wahlkonstellation wieder auf: In dem Gebiet, welches bis zur Potsdamer Konferenz 1945 zu Deutschland gehört hatte, und in den Gebieten, die von 1815 bis 1918 dem preußischen Staat unterstanden hatten, stimmte die Bevölkerung erneut überdurchschnittlich pro-liberal, in deutlichem Kontrast zu den Wahlergebnissen in den ehemaligen russischen und österreichischen Teilungsgebieten.3 Besonders frappierend ist dabei, dass sich die Spuren der historischen Grenzen auf der feinsten Ebene der Wahlkreise erkennen lassen. Ähnliche Tendenzen sind auch in der Wahlgeographie der Ukraine, Rumäniens und Serbiens zu beobachten, wo in den ehemals österreichisch-ungarischen Provinzen wie Bukowina und Ostgalizien, Siebenbürgen und Vojvodina stärker westlich orientierte Parteien nahezu konstant bessere Wahlergebnisse erzielen als landesweit. Schließlich deuten Wahlergebnisse von 15-25 % für »Die Linke« in ostdeutschen Bundesländern, bei um die 5 %-Hürde schwankenden Werten in Westdeutschland, eindrücklich das Vorhandensein einer innerdeutschen Phantomgrenze an. sinnvoll zu sein, das ja explizit keine neue Definition fester Geschichtsregionen vornehmen möchte, sondern nach den Prozessen von Regionsbildungen und nach dem Auftauchen und Verschwinden von Grenzen fragt. 3 Tomasz Zarycki: History and regional development. A controversy over the ›right‹ interpretation of the role of history in the development of the Polish regions, in: Geoforum 38 (2007) 3, S. 485-493; Ders.: The new electoral geography of Central Europe. Budapest/Prag 1998.

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PHANTOMGRENZEN IM ÖSTLICHEN EUROPA

Rechtskulturen im östlichen Europa der Zwischenkriegszeit Nach dem Ersten Weltkrieg entstanden in Ostmittel- und Südosteuropa mehrere Staaten, die zum ersten Mal oder nach langer Zeit wieder zu Nationalstaaten vereinigt wurden. Polen, die Tschechoslowakei, Rumänien und Jugoslawien standen vor der riesigen Herausforderung, Gebiete zu vereinigen, deren Bevölkerung über mehrere Generationen – teilweise über mehrere Jahrhunderte – hinweg Bürger anderer Staaten gewesen waren. Ihr alltägliches Handeln war dabei durch Institutionen geprägt worden, die es in den anderen Teilen der neuen Nationalstaaten nicht oder in anderer Form gab. So sind in der Zwischenkriegszeit überall teils erbitterte Auseinandersetzungen zum Beispiel darüber geführt worden, welches System der Verwaltung von Eigentum an Grund und Boden landesweit eingeführt werden sollte. In den ehemals habsburgischen Provinzen Siebenbürgen und der Bukowina, die nach 1918 rumänisch wurden, warben z. B. die Professionen der Landvermesser, Katasterbeamten und öffentlichen Notare für ihre Institutionen mit Argumenten, die sich politisch als nicht mehrheitsfähig herausstellten.4 Ihnen zufolge sei das habsburgische Bodenverwaltungssystem nicht nur effizient, rational und kostengünstig gewesen, es habe ungeachtet der ethnischen Zugehörigkeit der Eigentümer und der Rechts- sowie Verwaltungsexperten Ersteren Rechtssicherheit und Letzteren den Aufstieg im Beruf, insgesamt also soziale Mobilität ermöglicht. Diese »Erfolgsgeschichte« implizierte den massiven Vorwurf an die Eliten Altrumäniens, Rechtssicherheit und soziale Mobilität insbesondere der Bauern habe es dort nicht gegeben. Somit wurde indirekt der Anschluss der habsburgischen Provinzen an Rumänien in Frage gestellt, der in der politisch-historischen Meistererzählung mit der Unterdrückung der rumänischen Bevölkerung im Habsburgerreich begründet wurde.

Wasserinfrastruktur im Rumänien der 2000er Jahre Moderne öffentliche Netzwerke der Wasserversorgung entstehen in ländlichen Gebieten Rumäniens erst seit der Jahrtausendwende, ihr 4 Dietmar Müller: Eigentum verwalten in Rumänien. Advokaten, Geodäten und Notare (1830-1940), in: Dietmar Müller / Hannes Siegrist (Hg.): Professionen, Eigentum und Staat. Europäische Entwicklungen im Vergleich (19. und 20. Jahrhundert). Göttingen 2014, S. 75-132.

EINE WISSENSCHAFTLICHE POSITIONIERUNG

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Ausbau erweist sich als langwierig. Auf einer Karte zum Wohnstandard in Rumänien aus dem Jahr 20025 ist zu sehen, dass die Wasserversorgung der Haushalte in allen Regionen des Landes niedriger ist als im EU -Durchschnitt. In ländlichen Gegenden liegt sie durchschnittlich unter 30 %. Dabei zeigt die Karte starke regionale Unterschiede. Im westrumänischen Siebenbürgen und im Banat haben zwischen 10 und 50 % der Haushalte einen eigenen Wasseranschluss, im Süden und Osten des Landes, in Oltenien und Moldau, hingegen durchschnittlich weniger als 3 %. Diese geographische Konfiguration ist insbesondere deswegen interessant, weil sie neu ist. Die Daten der Wohn- und Volkszählung aus dem Jahr 1994 zeigen einen signifikanten Unterschied zwischen der Wasserversorgung der Haushalte in den urbanen und ruralen Regionen Rumäniens, jedoch noch nicht zwischen den verschiedenen ländlichen Gebieten. In allen ruralen Räumen des Landes – ob in Siebenbürgen oder in Oltenien – war der Ausstattungsgrad sehr niedrig.6 Die Daten aus dem Jahr 2002 verdeutlichen damit ein neu auftauchendes, sich ausdifferenzierendes Verhalten der Haushalte und Akteure in den verschiedenen ländlichen Gebieten, obwohl der Wunsch nach mehr Komfort und Modernisierung des Wohnraums bei der ländlichen Bevölkerung überall in Rumänien weit verbreitet ist. Die Unterschiede zwischen den Regionen im Bereich des Wohnstandards sind umso erstaunlicher, als sie nicht mit der Verteilung von Wohlstand im Land korrelieren. Ein kausaler Zusammenhang zwischen Einkommen und Wasseranschlüssen der Haushalte wird in jeder Hinsicht durch die statistischen Daten widerlegt. Damit stellt sich die Frage, weshalb die Wahrscheinlichkeit des Anschlusses eines bestimmten ländlichen Haushaltes an die öffentliche Wasserversorgung weniger mit dem Einkommen zusammenhängt als mit der lokalen Zugehörigkeit. Ohne einer genaueren Analyse an dieser Stelle bereits vorgreifen zu wollen, kann man doch vor dem Hintergrund der drei genannten Beispiele konstatieren, dass für das Verständnis historischen Wandels oder auch dessen aufscheinender Verzögerung die Raumbezüge der historischen Akteure als relevant erscheinen. Diese Beobachtung regt uns dazu an, das Verhältnis zwischen dem oft als statisch gedachten Raum und dem scheinbar unaufhörlich ablaufenden Wandel in der Zeit neu zu überdenken. 5 6

Violette Rey et al. (Hg.): Atlas de la Roumanie. Paris 2007, 2. Aufl., S. 122. Dies. (Hg.): Atlas de la Roumanie. Paris 2000, 1. Aufl., S. 122.

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PHANTOMGRENZEN IM ÖSTLICHEN EUROPA

Annäherungen: Begriff und heuristische Metapher Arbeitsdefinition Die drei oben angeführten Beispiele erlauben uns eine erste Arbeitsdefinition des Begriffs Phantomgrenzen: Es handelt sich um frühere, zumeist politische Grenzen oder territoriale Gliederungen, die, nachdem sie institutionell abgeschafft wurden, den Raum weiterhin strukturieren. In vielen Fällen wirken historische Räume bzw. die Ergebnisse ihrer Fragmentierung (beispielsweise das Habsburger Reich, das Osmanische Reich oder die Teilung Deutschlands, die Teilungen Polens) fort oder tauchen erneut auf. Trotz der neuen Raumgliederung prägen sie die sozialen Praktiken weiter. Solche Remanenz-Phänomene lassen sich erkennen in Architektur, städtischen und dörflichen Siedlungsstrukturen, aber auch in der Repräsentation empirischer Daten in Statistiken oder Karten zum demographischen Verhalten, zum Wahlverhalten oder anderen sozialen Praktiken. Gerade durch eine mediale Zuspitzung historischer Erklärungsversuche etwa in Landkarten oder Statistiken verfestigen sich diese Phänomene in Diskursen und Klischees und können in kollektiven mental maps fortwirken.7 Unsere Forschungsarbeiten fokussieren weniger die Grenzen selbst als vielmehr die Räume, die durch Vergesellschaftungsprozesse innerhalb der ehemaligen Territorien geschaffen wurden. Die Grenze – d. h. ihre physische Markierung sowie ihre lokalen Auswirkungen entlang der Grenzlinie und in ihrer direkten Nähe – kann binnen kurzer Zeit verschwinden ohne Spuren zu hinterlassen. So können Grenzkontrollen, Zäune, Mauern und Grenzposten mit Schlagbäumen durch eine einzige politische Entscheidung abgeschafft werden bzw. ihre ursprüngliche Bedeutung verlieren. Betrachten wir jedoch Strukturen und Institutionen, die von politischen Akteuren geschaffen worden sind, verändern sich diese mitnichten innerhalb kurzer Zeiträume: Die Morphologie der Infrastrukturnetzwerke oder die durch eine bestimmte Agrarpolitik geschaffene Bodenverwaltung sowie Rechtskulturen und tradierte Normen haben territoriale Strukturen geschaffen

7 Das in einer Zusammenarbeit des Herder-Instituts Marburg, des GeorgEckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung Braunschweig, des Leibniz-Instituts für Länderkunde Leipzig und der Universität Tübingen erarbeitete Projekt DAPRO (Digitaler Atlas Politischer Raumbilder zu Ostmitteleuropa) versucht deshalb im historischen Querschnitt auch einen kognitionspsychologischen Schwerpunkt zu setzen.

EINE WISSENSCHAFTLICHE POSITIONIERUNG

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und dadurch Räume produziert, deren Wirkungsmächtigkeit die Existenz eines Staates lange überdauern können. Der Begriff Phantomgrenzen ist somit eine Metapher: Wie sogenannte Phantomschmerzen in dem doch amputierten Teil eines menschlichen Körpers verspürt werden, hinterlassen Phantomgrenzen – mal flüchtiger, mal über einen längeren Zeitraum hinweg – empirisch greifbare Spuren der nicht mehr existierenden politischen Körperschaften und ihrer Außengrenzen. Der Begriff Phantomgrenzen kann zudem als heuristische Metapher bezeichnet werden, da so eine Reflexion über regionale Unterschiede möglich wird, die über die klassischen Narrative der Regionalgeschichte hinausgeht. Damit wollen wir neue Perspektiven auf die Konstruktions- und Reproduktionsprozesse regionaler Unterschiede eröffnen. Wir grenzen uns von einer Geschichtsschreibung ab, die einer Region (etwa der Vojvodina, der Bukowina oder Schlesien) spezifische Merkmale zuschreibt, ihre Grenzen für »natürlich« erklärt und dadurch zu einer Reifizierung von Regionen als festen Kulturräumen beiträgt. Eine Untersuchung, die Phantomgrenzen und Phantomräume in den Mittelpunkt des Interesses stellt, entscheidet sich gegen diese lineare und ausschließlich auf die vermeintliche Region fixierte Perspektive. Bei der Erforschung von Phantomgrenzen und Phantomräumen steht die Frage im Mittelpunkt, wie und weshalb sich in einem bestimmten Zeitraum unterschiedliches soziales, historisches und imaginiertes Erbe gegenseitig beeinflussen und zu etwas Neuem kombinieren, das wiederum mehr oder weniger lange überdauern kann. Damit unterstreichen wir den temporären und nichtdeterminierten Charakter der untersuchten Regionen – eben ihre »phantomhafte« Natur. Wichtig ist an dieser Stelle zu betonen, dass der Phantomgrenzenbegriff nicht missverstanden werden soll als eine Möglichkeit, imperiale Nostalgien durch Wissenschaft zu rationalisieren oder gar irredentistische Ziele zu rechtfertigen. Auch soll der Begriff der Phantomgrenzen nicht missverstanden werden als Versuch, soziale oder historische Kausalitäten zu (re)konstruieren, um bestimmten mental maps eine physische oder soziale »Realität« bzw. Grundlage zu schaffen. Vielmehr zielt die Beschäftigung mit Phantomgrenzen darauf ab, situativ zu verstehen, wie sich Charakteristika einer Region etablieren und reproduzieren und unter welchen Umständen sie bestimmte historische Epochen überdauern bzw. weshalb sie verschwinden. Durch die Beschäftigung mit Phantomgrenzen und -räumen soll der Eigenwert historischer Regionen herausgearbeitet werden, ohne diese zu essentialisieren und ihre physischen Grenzen zu reifizieren. Es geht

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PHANTOMGRENZEN IM ÖSTLICHEN EUROPA

also nicht um die Beschreibung anscheinend unveränderlicher Räume, sondern vielmehr darum, dass Raumvorstellungen immer relational sind – sowohl in ihrem Abgrenzungscharakter zu anderen Räumen als auch zu ihrer jeweiligen Zeit. Damit rückt die gesellschaftliche Prozesshaftigkeit von Räumen in den Fokus des Interesses.

Diskussionstraditionen Die Idee der Persistenz historischer Spuren in regionalen Eigenheiten ist keineswegs neu. Sie ist spätestens seit dem Ende des Ersten Weltkriegs präsent in wissenschaftlichen, aber auch in öffentlichen Debatten. Die Untersuchung von »Kulturräumen« in Europa geht auf die Zeit unmittelbar nach den Pariser Vorortverträgen (und die damit durchgesetzte Ethnisierung des Nationsbegriffs) zurück. Während der Weimarer Republik schickten sich Gelehrte aus mehreren Disziplinen (Geographie, Volkskunde, Sprachforschung, Geschichte) an, »wissenschaftlich« nachzuweisen, dass die Grenze des »Deutschtums« nicht mit der neuen Grenze des Reichs übereinstimmte, anders gesagt: dass die politische Grenze im Unterschied zu den »eigentlichen« und »realen« Kulturräumen ein künstliches, angreifbares Konstrukt darstellte.8 Unter freilich ganz anderen politischen Vorzeichen ist zur gleichen Zeit das Werk des polnischen Geographen Eugeniusz Romer9 entstanden, in Frankreich erschienen die klassischen Studien Lucien Febvres und der Annales-Schule.10 In der Historiographie wurde und wird der Wahrnehmung von historisch determinierten regionalen Differenzen auf sehr unterschiedliche Weise nachgegangen. Zum einen sind hier Arbeiten zu nennen, die einem strukturalistischen Paradigma zuzuordnen sind. Sie versuchen, die historische Entstehung von gesellschaftlichen, kulturellen oder wirtschaftlichen Strukturen, die als spezifisch für eine Region betrachtet werden, in der longue durée nachzuzeichnen. Zahlreiche

8 Von der Kulturraumforschung der Zwischenkriegszeit, die wissenschaftliche Expertise für politischen Revisionismus lieferte, handeln mehrere Beiträge in Peter Schöttler (Hg.): Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918-1945. Frankfurt a. M. 1997. Zum Irredentismus-Begriff siehe Winson W. Chu: The German Minority in Interwar Poland. Cambridge 2012, S. 30-40. 9 Dobiesław Jędrzejczyk: Geopolitical Essence of Central Europe in Writings of Eugeniusz Romer, in: Miscellanea Geographica 11 (2004), S. 199-206. 10 Lutz Raphael: Die Erben von Bloch und Febvre. Annales-Geschichtsschreibung und nouvelle histoire 1945-1980. Stuttgart 1994.

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klassische Arbeiten zu den Geschichtsregionen des östlichen Europas gehören in diesen theoretischen Rahmen, aber auch darüber hinaus ist eine solche Herangehensweise für regionsbezogen arbeitende Fächer weit verbreitet. Forschungsarbeiten, die einem zweiten Ansatz zuzuordnen sind, versuchen diese Herangehensweisen zu dekonstruieren, indem sowohl Raumkonzepte als auch die Vorstellung autonomer Subjekte als diskursiv hergestellt und Teil einer spezifischen Wissensordnung betrachtet werden. In eine ähnliche Richtung argumentieren die postcolonial studies, die den Prozess der Konstruktion von Wissen über spezifische Regionen kritisiert und dessen Rolle in der Selbstlegitimation des Westens offengelegt haben. Gerade diese Position, die im Zusammenhang mit den großen Herausforderungen zu sehen ist, die der linguistic turn generell an hermeneutisch arbeitende Fächer stellt, hat in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen zu einer Art Selbstblockade geführt. Bezogen auf die in diesem Band vertretenen disziplinären Zugänge könnte man zuspitzend formulieren, dass der Dekonstruktivismus sie manövrierunfähig gemacht zu haben scheint: Historiker können sich nicht außerhalb der Zeit stellen und damit weder zu historisch angemessenen Begriffen oder ihrer zeitgenössischen Übersetzung noch überhaupt zu allgemeingültigen Aussagen über Vergangenes gelangen; Geographen können keine Grenze mehr ziehen, weil sie damit mental maps in unzulässiger Weise rationalisieren, Anthropologen können nur noch über sich selbst und ihre Beziehung zu ihren Objekten reflektieren und die Rechtsgeschichte kann vor dem Hintergrund jeweils historisch kontingenter Normativität zu keinen Werturteilen mehr gelangen. In den nun folgenden Abschnitten möchten wir unser Konzept der Phantomgrenzen in den betreffenden (erkenntnis)theoretischen Debatten positionieren und der Aporie, die aus der scheinbaren Unvereinbarkeit raum- bzw. strukturbezogener, akteurszentrierter oder aber diskursgeschichtlicher Ansätze resultiert, eine Forschungsperspektive entgegensetzen, die diese Ansätze neu aufgreift und kreativ kombiniert.

Kritik am Determinismus: Raum-Zeit-Konstellationen ohne Akteure Der wichtigste Referenzpunkt einer Historiographie, die sich mit der Verschränkung von Raum und Geschichte in der Entstehung und im Fortdauern regionaler Einheiten beschäftigt, ist die französische His-

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torikerschule der Annales. Als Standardwerk gilt Fernand Braudels Buch über den Mittelmeerraum.11 Braudels Anliegen ist es, eine »tiefe«, von den Sozialwissenschaften inspirierte Geschichte (histoire profonde) zu schreiben. Er betont die Bedeutung der »geographische[n] Tatsachen, das sind Verbindungen zwischen Gesellschaft und Raum; dann kulturelle Tatsachen; ethnische Tatsachen; Tatsachen der Sozialstruktur; ökonomische Tatsachen und schließlich politische Tatsachen«.12 Aus dieser Perspektive entstehen die Regionen als Folge der longue durée von Strukturen, die ihre Beständigkeit garantieren.13 Strukturen können greifbar gemacht werden, indem für die spezifische Region eine Géohistoire geschrieben wird, die der historischen Perspektive eine räumliche hinzufügt.14 Braudel erläutert, dass die Akteure von den vorhandenen (geographischen) Strukturen geprägt und damit in ihrem Handeln beschränkt sind. Er lehnt jedoch eine rein deterministische Sicht ab und sucht einen Kompromiss im Spannungsfeld von physischem Raum und Sozialem: »Zwei Pole also: das Soziale und der Raum. Man muss von dem einen zum anderen gehen und anschließend wieder zurück. Die Gesellschaft projiziert sich in den Raum und haftet an ihm. […]. Diese Haftung ist als eine Formung zu begreifen und durch letztere die Gesellschaft zu erklären.«15 Was in Braudels Theorie fehlt, ist die Verbindung zwischen den verschiedenen Zeitschichten und hier insbesondere zwischen der »oberflächlichen« Ereignisgeschichte der Akteure und der tiefen Schicht der Géohistoire. Wie kann nun das Fortwirken historisch geprägter Bündel von Faktoren, die anscheinend anderen Temporalitäten unterliegen als das politische Geschehen, erklärt und theoretisch gefasst werden, ohne auf (mehr oder weniger versteckte) deterministische Erklärungsmuster zurückzugreifen? Wie können solche Phänomene beschrieben werden, ohne sie zu essentialisieren? An zwei Beispielen soll im Folgenden aufgezeigt werden, wo genau die Tücken solcher Vorhaben liegen. 11 Fernand Braudel: La Méditerranée et le monde méditerranéen à l’époque de Philippe II. Paris 1949. 12 Ders.: Geschichte als Schlüssel zur Welt. Vorlesungen in deutscher Kriegsgefangenschaft 1941. Stuttgart 2013, hg. u. übers. v. Peter Schöttler, S. 64. 13 Ders.: Histoire et Sciences Sociales. La longue durée, in: Annales. Économies, Sociétés, Civilisations 13 (1958) 4, S. 725-753. 14 Matthias Middell: Der Spatial Turn und das Interesse an der Globalisierung in der Geschichtswissenschaft, in: Jörg Döring / Tristan Thielman (Hg.): Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Bielefeld 2008, S. 103-123. 15 Braudel: Geschichte als Schlüssel zur Welt, S. 100.

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Eine im Zusammenhang mit der Persistenz historischen Erbes häufig zitierte Forschungsarbeit ist das 1994 publizierte Werk »Making Democracy Work – Civic Traditions in Modern Italy«16 des Politikwissenschaftlers Robert D. Putnam. Dort vergleicht der Autor die administrativen Praktiken und die institutionelle Leistungsfähigkeit der regionalen Verwaltungen in Nord- und Süditalien, die in den 1970er Jahren neu geordnet wurden. Putnam zeichnet das Bild eines zweigeteilten Italiens: Der Norden wird dargestellt als eine Region mit leistungsfähigen Bürokratien und aktiven Bürgergemeinden (civic communities), deren soziale Beziehungen durch Vertrauen, Reziprozität und Gleichbehandlung der Bürger geprägt sind. Den Süden des Landes hingegen skizziert Putnam als Region mit schwachen Bürgergesellschaften, wo gute Beziehungen zu wichtigen Akteuren im bürokratischen System besondere Bedeutung haben und der Klientelismus weit verbreitet ist. Putnam stellt nun einen Zusammenhang her zwischen der Karte der Bürgerlichkeit (civicness) der gegenwärtigen lokalen Gemeinschaften und der Karte der politischen Regime im Mittelalter und leitet daraus die Ursache für diese Unterschiede ab. Die Kernaussage seiner Analyse ist, dass es historische Evidenzen für eine lineare Verbindung gibt zwischen der politischen Geographie Italiens im 14.  Jahrhundert und derjenigen der aktiven Bürgergesellschaften der 1970er und 1980er Jahre. Aus einer vermuteten Homologie – d. h. einer Art evolutionär bedingten Übereinstimmung zwischen beiden politischen Konfigurationen – stellt er eine Kausalität her, so als könne man auf der Karte mit den Strukturen der Bürgergesellschaften Ende des 20. Jahrhunderts das Phantom des durch die Karte aus dem 14. Jahrhundert repräsentierten Phänomens erkennen.17 Einer ähnlichen Argumentationslinie folgt Emmanuel Todd in seinem Werk »L’invention de l’Europe«.18 Wie Putnam konstruiert Todd 16 Robert D. Putnam / Robert Leonardi / Raffaella Nanetti: Making democracy work. Civic traditions in modern Italy. Princeton/Chichester 1994. 17 »The parallel between this pattern and the distribution of civic norms and networks in the 1970s […] is remarkable. The southern territories once ruled by the Norman kings constitute exactly the seven least civic regions in the 1970s. Almost as precisely, the Papal States (minus the communal republics that lay in the northern section of the Pope’s domains) correspond to the next three or four regions up the civic ladder in the 1970s. At the other end of the scale, the heartland of republicanism in 1300 corresponds uncannily to the most civic regions of today, followed closely by the areas still further north in which medieval republican traditions, though real, had proved somewhat weaker.« Ebda., S. 133. 18 Emmanuel Todd: L’invention de l’Europe. Paris 1990.

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anhand von Karten und räumlichen Darstellungen eine Homologie zwischen anthropologischen »Urstrukturen« und den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Westeuropa. Er leitet latente ideologische Veranlagungen von Gesellschaften aus unterschiedlichen Agrarsystemen, den religiösen Strukturen und insbesondere den Familienstrukturen ab. Hierin sieht Todd die ungleichen Entwicklungswege der Regionen Europas in so unterschiedlichen Bereichen wie etwa der Ausbreitung des Protestantismus, der Alphabetisierung in der Moderne, der Säkularisierung, der Geburtenkontrolle ab dem 18. Jahrhundert, der Industrialisierung oder der Entstehung von Arbeiterbewegungen im 19. Jahrhundert begründet. Gerade die Familienmodelle bilden in Todds Theorie eine stabile, unsichtbare und immanente Struktur, welche über Jahrhunderte hinweg das Verhältnis der Menschen zu Autorität, Gleichheit, Religion sowie Politik und nicht zuletzt ihre sozio-ökonomischen Grundeinstellungen determiniert hat. Die Arbeiten von Robert Putnam und Emmanuel Todd sind Beispiele für eine Erklärung der Fortdauer regionaler Unterschiede, die eine Essentialisierung bestimmter Faktoren – bei Todd die Familienstrukturen, bei Putnam die civic communities – als »Ur-Moment« des Unterschieds konzipiert. Diese Strukturen werden als autonome Bestandteile gefasst, die sich zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt der Geschichte ergeben und von da an Wirkungsmacht entfaltet haben. Diese Wirkungsmacht des jeweiligen »Ur-Moments« in der Geschichte, aus dem Putnam und Todd die unterschiedlichen regionalen Entwicklungen ableiten, scheint zu suggerieren, dass diese prägende »Ur-Struktur« weder von historischen Ereignissen und Brüchen noch von den Entscheidungen der Akteure wesentlich beeinflusst wird. Sowohl Putnams als auch Todds eben zitierte Arbeiten haben zu Recht heftige Kritik ausgelöst.19 Sie werden hier als Beispiele für konsequent zu Ende gedachte theoretische Ansätze angeführt, die von einem Primat der Strukturen ausgehen und dabei die Rolle der Akteure marginalisieren. Seit den 1980er Jahren sind solche Sichtweisen 19 Zur Kritik an Robert Putnam siehe Margaret Levi: Social and Unsocial Capital: A Review Essay of Robert Putnam’s Making Democracy Work, in: Politics & Society 24 (1996) 1, S. 45-55; Sidney Tarrow: Making Social Science Work Across Space and Time: A Critical Reflection on Robert Putnam’s Making Democracy Work, in: The American Political Science Review 90 (1996) 2, S. 389-397; Hervé Rayner: Le point de vue aérien de Robert Putnam. À propos de Making Democracy Work, in: Politix 11 (1998) 42, S. 179-204. Zur Kritik an Emmannuel Todd siehe Maria Todorova: Balkan Family Structure and the European Pattern. Demographic Developements in Ottoman Bulgaria. Budapest 2006.

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in unterschiedlichen Disziplinen zunehmend in die Kritik geraten. Daran schlossen sich wichtige Debatten an, wie etwa der Streit zwischen Alltags- und Sozialgeschichte in Deutschland20 oder die Kontroversen, die durch die microstoria21 in Italien oder den tournant critique der Annales-Schule22 in Frankreich ausgelöst wurden. In der historischen Demographie lässt sich Vergleichbares beobachten.23 All diesen Debatten ist gemeinsam, dass sie einen Wechsel hin zu einem Paradigma gesucht haben, welches die Akteure in den Mittelpunkt stellt, ihr Handeln kontextualisiert und Erklärungsansätze bietet, die den Ablauf und die Eigendynamiken der Handlungen selbst einbeziehen. So wird die jeweilige situative Logik in den Vordergrund gestellt und der Agency (Handlungskompetenz) vermeintlich autonomer Subjekte großer Raum gegeben.24 Mit dem Konzept der Phantomgrenzen in Ostmitteleuropa möchten wir die Debatte weiterführen, wie Geschichte im Raum fortwirkt, und sie um einen akteurszentrierten Vorschlag ergänzen. Zugleich sind wir weit davon entfernt, die Geschichtsmächtigkeit von Raum20 Alf Lüdtke: Alltagsgeschichte. Zur Rekonstruktion historischer Erfahrungen und Lebensweisen. Frankfurt  a. M./New York 1989; Winfried Schulze (Hg.): Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie. Eine Diskussion. Göttingen 1994. 21 Carlo Ginzburg: Microstoria, due o tre cose che so di lei, in: Quaderni Storici 86 (1994), S. 511-539; Jacques Revel: Jeux d’échelles. La micro-analyse à l’expérience. Paris 1996. 22 Collectif: Histoire et sciences sociales. Un tournant critique?, in: Annales. Économies, Sociétés, Civilisations 43 (1988) 2, S. 291-293; Bernard Lepetit (Hg.): Les Formes de l’expérience. Une autre histoire sociale. Paris 1995; Ders.: L’histoire prend-elle les acteurs au sérieux?, in: EspaceTemps (1995) 59-61, S. 112-122. 23 Pier Paolo Viazzo / Katherine A. Lynch: Anthropology, Family History, and the Concept of Strategy, in: International Review of Social History 47 (2002), S. 423-452; Theo Engelen / Arthur P. Wolf: Marriage and the Family in Eurasia. Perspectives on the Hajnal Hypothesis. Amsterdam 2005; Sebastian Klüsener / Mikołaj Szoltysek / Joshua R. Goldstein: Towards an integrated understanding of demographic change and its spatio-temporal dimensions: concepts, data needs, and example case studies, in: Die Erde 143 (2012) 1-2, S. 75-105. 24 Étienne François: Die unsichtbare Grenze. Protestanten und Katholiken in Augsburg 1648-1806. Sigmaringen 1991; John W. Cole / Eric R. Wolf: The Hidden Frontier. Ecology and Ethnicity in an Alpine Valley. New York 1974; Christophe Duhamelle: La Frontière au village. Une identitée catholique allemande au temps des lumières. Paris 2010; Ders.: Raum, Grenzerfahrung und konfessionelle Identität im Heiligen Römischen Reich im Barockzeitalter, in: Karin Friedrich (Hg.): Die Erschließung des Raumes. Konstruktion, Imagination und Darstellung von Räumen und Grenzen im Barockzeitalter. Wiesbaden 2014, S. 23-45.

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bezügen gering zu schätzen. Im Folgenden soll daher zunächst auf die Bedeutung von solchen Raumkonzepten gerade für die auf das östliche Europa bezogenen Regionalstudien eingegangen werden, um so das Forschungsfeld, in dem wir uns verorten, noch genauer zu skizzieren.

Die Konstruktion historischer Geschichtsregionen im östlichen Europa Wie die Reflexion über die Modelle Putnams oder Todds verdeutlicht hat, ist der Versuch, historische Regelmäßigkeiten räumlich zu fassen, kein Alleinstellungsmerkmal der Geschichtsschreibung über das östliche Europa. Weltweit haben staatliche Zerfalls- und Einigungsprozesse immer wieder dazu geführt, dass sich Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen in neuen Zusammenhängen wiedergefunden haben, wobei ihr Alltagshandeln über längere Zeiträume von politischen, wirtschaftlichen, rechtlichen und kulturellen Gepflogenheiten des alten Kontextes beeinflusst wurde. Ostmittel- und Südosteuropa sind jedoch Regionen, in denen Prozesse neuer Grenzziehungen (und die weiterwirkende Relevanz vergangener Grenzen) in der jüngsten Geschichte ganz besonders oft und besonders eindringlich das politische und gesellschaftliche Leben prägten. Seit dem späten 18. Jahrhundert sind in diesem Raum Menschen und Regionen wiederholt von veränderten Staatsgrenzen beeinflusst worden. Hier scheint die politische Landkarte bis in die Gegenwart beweglicher als in Westeuropa. Ganz besonders trifft dies noch einmal auf die Zeitenwende von 1989 /91 zu. So sind im östlichen Europa aus ehemaligen Staats- oder Regionengrenzen, die zwischenzeitlich – vor allem seit dem Zweiten Weltkrieg – nur noch Phantomgrenzen waren, erneut politische Grenzen geworden. Nirgendwo sonst sind in den letzten Jahrzehnten so viele neue/alte unabhängige Staaten entstanden wie in Ostmittel- und Südosteuropa: Estland, Lettland, Litauen, Belarus, Ukraine, Tschechien, Slowakei, Slowenien, Kroatien, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Montenegro und Kosovo. Diese neuen Staaten entstanden keineswegs in einem diskursiven Vakuum. Gerade für die historischen Geschichtsregionen im östlichen Europa existierten bereits Raumkonzepte, die nach dem Ende der durch den Kalten Krieg etablierten europäischen Bi-Polarität von Ost und West neue Attraktivität erhielten, nicht zuletzt auch in der Forschung. Raum und Zeit sind in der Geschichtswissenschaft wie generell in den Sozial- und Kulturwissenschaften fundamentale Kategorien. Sie

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sind so selbstverständliche Werkzeuge der Erkenntnis, dass sie selten explizit thematisiert werden. Wenn dies dann dennoch geschieht, dann nicht selten im Zuge methodologischer turns, deren Verfechter Gefahr laufen, das Rad neu erfinden zu wollen, wenn sie frühere theoretische Debatten oder methodische Konzepte gänzlich ignorieren.25 Die Wiederentdeckung des Raumes, der spatial turn in den 1990er Jahren trug solche Züge, indem er die insbesondere in der ostmitteleuropäischen und deutschen Osteuropahistoriographie angestellten Überlegungen zu historischen Geschichtsregionen weitgehend ignorierte. Die Anfänge des Nachdenkens über historische Geschichtsregionen lassen sich im Kontext der Neuentstehung souveräner Staaten in der Zwischenkriegszeit, vor allem im Kontext des Kalten Krieges in den 1950er und 1960er Jahren finden, als der ungarische Mediävist Jenő Szücs sowie der polnisch-amerikanische Mittelalter- und Neuzeithistoriker Oskar Halecki bestrebt waren, die Europäizität ihrer Länder dadurch nachzuweisen, dass sie ein Ostmitteleuropa klar gegenüber einem Osteuropa abgrenzten.26 Die Abgrenzung zwischen Mittel- und Westeuropa konstruierten sie dagegen weniger trennscharf. Weit intensiver war in den 1990er Jahren die Debatte bezüglich Südosteuropas bzw. des Balkans, so zum Beispiel zwischen dem Berliner Historiker Holm Sundhaussen und der bulgarisch-amerikanischen Historikerin Maria Todorova, in der es nicht mehr um die Zugehörigkeit des einen oder anderen Landes zu dem historischen Raumkonstrukt ging, sondern um die Sinnhaftigkeit des Entwurfs von Raumkonzepten an sich.27 Die Debatte ist in einem unbefriedigenden Unentschieden, einem Formelkompromiss ausgegangen, wonach es über Raum und Zeit stabile Geschichtsregionen zwar nicht gibt, der Erfolg solcher Raumkon25 Stefan Troebst: What’s in a Historical Region? A Teutonic Perspective, in: European Review of History: Revue européenne d’histoire 10 (2003) 2, S. 173-188; Ders.: Vom spatial turn zum regional turn? Geschichtsregionale Konzeptionen in den Kulturwissenschaften, in: Matthias Middell (Hg.): Dimensionen der Kultur- und Gesellschaftsgeschichte. Festschrift für Hannes Siegrist zum 60. Geburtstag. Leipzig 2007, S. 143-159. 26 Jenő Szücs: Die drei historischen Regionen Europas. Frankfurt  a. M. 1990; Oskar Halecki: Europa. Grenzen und Gliederung seiner Geschichte. Darmstadt 1957 (Orig. London / New York 1950), übers. v. Gertrud Bayer / Erich Bayer. 27 Maria Todorova: Die Erfindung des Balkans. Europas bequemes Vorurteil. Darmstadt 1999 (Orig. Oxford 1997); Holm Sundhaussen: Europa balcanica. Der Balkan als historischer Raum Europas, in: Geschichte und Gesellschaft 25 (1999) 4, S. 626-653; Maria Todorova: Der Balkan als Analysekategorie: Grenzen, Raum, Zeit, in: Ebda. 28 (2002) 3, S. 470-492; Holm Sundhaussen: Der Balkan: Ein Plädoyer für Differenz, in: Ebda. 29 (2003) 4, S. 608-624.

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strukte aber unverständlich bliebe, würden sie nicht doch zumindest teilweise auf empirischen Daten basieren. Die unbeantwortet gebliebene Frage – um es vorwegzunehmen – ist diejenige nach der zeitlichen Dimension. Wie überdauern kulturelle und soziale Phänomene Epochenbrüche, neue Grenzziehungen, neue politische Konfigurationen, ja, neue Bevölkerungszusammensetzungen und Nachbarschaften, die sich nach der Erfahrung von Völkermord und Zwangsmigration nur langsam stabilisieren?28 Wie werden sie tradiert, wiederbelebt oder reaktualisiert? Welche Akteure verfügen über das dafür nötige Wissen, welche Strategien und Interessen verfolgen sie dabei? Dieses Erkenntnisinteresse lässt sich mit der Gedankenfigur der Phantomgrenzen, respektive mit darin vorgenommenen methodischen Fokussierungen auf Akteure, Institutionen und Praktiken verfolgen. Wenn es stimmt, dass durch ein Bündel von Faktoren konstituierte historische Geschichtsregionen jeweils auch über Epochenbrüche hinweg Bestand haben – nicht als gleichbleibende Essenz, aber als soziale Praxis und daher auch als sinnvolle heuristische Forschungsperspektive –, muss das Überdauern selbst thematisiert werden. Die analytische Auseinandersetzung mit solchen Prozessen des Überdauerns (genauso auch wie mit situativ wirkungsmächtigen Imaginationen von Altem / Neuem) ist zentral für das Konzept der Phantomgrenzen. Daran werden wir weiter unten anknüpfen und genauer zeigen, wie wir das Konzept in diesem Zusammenhang verstanden wissen wollen.29 Bevor dies aber anhand einiger konkreter Forschungsthemen erfolgt, erscheint es uns zunächst sinnvoll, noch zwei besonders wichtige Tendenzen in der Auseinandersetzung mit Räumlichkeit zu thematisieren, die vor allem seit dem Ende des Kalten Kriegs, zum Teil aber auch schon davor, die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit »Region« im Allgemeinen und mit Ost-, Ostmittel- oder Südosteuropa im Speziellen in neue Bezüge gestellt haben: die Diskussionen über die Gegenwart und Zukunft der area studies und jene über die Übernahme von »postkolonialen Perspektiven« in der Auseinandersetzung mit der historischen Gewordenheit von (regionalen) Raumvorstellungen. Diese Diskussionen belegen eindrücklich, dass regionsbezogene Forschungen nicht zwangsläufig in der Determinismusbzw. Diskursfalle gefangen bleiben müssen, sondern dass sie innova-

28 Philipp Ther: Die dunkle Seite der Nationalstaaten. »Ethnische Säuberungen« im modernen Europa. Göttingen 2011. 29 Siehe hierzu den Beitrag von Dietmar Müller in diesem Band.

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tive Beiträge zu fachlichen Selbstverständigungsdebatten leisten können.30

Gegenwart und Zukunft der area studies Die analytische Metapher der Phantomgrenzen hat ihren Ursprung nicht zuletzt im Nachdenken über die Gegenwart und Zukunft der area studies.31 Das zeigte sich besonders eindringlich an den intensiv und auch emotional geführten Diskussionen innerhalb der kultur- und sozialwissenschaftlichen Osteuropaforschung, die sich nach 1989 vor eine doppelte Herausforderung gestellt sah. Das Ende der Blocktrennung und das immer stärkere Durchschlagen der Globalisierung auf Themen und Methoden der Kultur- und Sozialwissenschaften hatten nachhaltige Auswirkungen auf das Selbstverständnis nicht nur der auf den östlichen Teil Europas bezogenen Regionalforschung. Die fortdauernde Notwendigkeit Letzterer wurde vor allem in den Jahren nach 1989 fundamental in Frage gestellt, doch konnte sie sich bislang erstaunlich erfolgreich im Universitätskanon und in zahlreichen außeruniversitären Einrichtungen behaupten. Die auf Osteuropa bezogene Regionalforschung hat – vor allem in den ehemaligen »Frontstaaten« des Kalten Krieges – eine lange Geschichte, ist gut institutionalisiert und besitzt daher das Potential, einen Beitrag zu dieser Neubestimmung des Standortes von Kultur- und Sozialwissenschaften jenseits nationalstaatlicher Verengung bzw. Eurozentrismus zu leisten.32 Sie 30 In dem Zusammenhang sei hingewiesen auf das 2012-2014 am Centre for Advanced Study Sofia laufende Projekt European Regions and Boundaries: A Conceptual History, einsehbar unter: http://regions.cas.bg/ (22. 05. 2015). 31 Area studies wurden nach dem Zweiten Weltkrieg an US-amerikanischen Universitäten mit der finanziellen Unterstützung großer Stiftungen (Ford Foundation, Rockefeller Foundation, Carnegie Corporation) institutionalisiert. Die USA reagierten damit auf die machtpolitischen Herausforderungen, die der Aufstieg der UdSSR und Chinas sowie die Dekolonisierungsprozesse in Afrika und Asien darstellten: David L. Szanton (Hg.): The Politics of Knowledge. Area Studies and the Disciplines. Berkeley 2004; David Engerman: Know your enemy. The rise and fall of America’s Soviet Experts. Oxford 2009. Neuere Forschungen historisieren die enge Verflechtung der area studies mit außerwissenschaftlichen politischen Interessen als Teil einer Wissenschaftsgeschichte des Kalten Krieges: Mark Solovey / Hamilton Cravens (Hg.): Cold War Social Science. Knowledge Production, Liberal Democracy, and Human Nature. Basingstoke 2012; Paul Erickson / Lorraine Daston (Hg.): How Reason Almost Lost Its Mind. The Strange Career of Cold War Rationality. Chicago 2013. 32 Siehe die Beiträge in der Zeitschrift Osteuropa unter dem Titel: Zeit im Spie-

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hat sich, anders als die »allgemeine Geschichte«, die ja im Prinzip ebenso durch die beiden skizzierten Entwicklungen betroffen war, einer selbstkritischen Analyse unterzogen. Blickt man auf die innerfachliche Kontroverse um die Osteuropaforschung, die Ende der 1990er Jahre vor allem in der Zeitschrift »Osteuropa« ausgetragen wurde, fällt u. a. auf, dass der Kritik an einer sich eines unreflektierten Raumbegriffs bedienenden Regionalwissenschaft bereits damals bedenkenswerte Erörterungen von Räumen und Grenzen entgegengehalten wurden. Auf Jörg Baberowskis Diagnose, dass das Behaupten eines distinkten geographischen Raumes eben keine »wissenschaftlich vertretbare Separierung der wissenschaftlichen Gegenstände«33 impliziere, antworteten gerade Vertreter der nicht auf Russland bzw. die Sowjetunion bezogenen Teildisziplinen mit Verweisen auf die Bedeutung von Raumorganisation und historischer Wandelbarkeit von räumlichen Zuordnungen, die übergreifende historiographisch relevante Fragen aufwerfe. So betonte etwa Mathias Niendorf mit Verweis auf die Territorien Polen-Litauens und deren vielfältige binnenregionale Gliederungen, dass Osteuropaforschung mehr sein müsse »als eine Addition von Nationalhistoriographien«;34 Stefan Troebst verknüpfte die Analysekategorien Raum und Zeit, indem er formulierte: »Die Landkarte Ost- wie Gesamteuropas gleicht noch immer einem Palimpsest, also einer mittelalterlichen Pergamenthandschrift, deren ursprünglicher Text beseitigt und durch einen anderen ersetzt worden ist.«35 Offensichtlich ist aus der kritischen Auseinandersetzung mit der anscheinend ahistorischen Fixiertheit auf eine in ihrer disziplinären Abschottung nicht mehr haltbaren Großregion eine Dynamik erwachsen, die eine Forderung erfüllte, welche an die in die Kritik geratenen area studies generell gestellt wurde: Letztere müssten in der Lage sein, eigenständig forschungsleitende Hypothegel. Das Jahrhundert der Osteuropaforschung, Osteuropa 63 (2013) 2-3, insbesondere Stefan Troebst: Sonderweg zur Geschichtsregion. Die Teildisziplin osteuropäische Geschichte, in: Osteuropa 63 (2013) 2-3, S. 55-80. 33 Jörg Baberowski: Das Ende der Osteuropäischen Geschichte. Bemerkungen zur Lage einer geschichtswissenschaftlichen Disziplin, in: Stefan Creuzberger et al. (Hg.): Wohin steuert die Osteuropaforschung. Eine Diskussion. Köln 2000, S. 27-42, hier S. 42. 34 Mathias Niendorf: Mehr als eine Addition von Nationalhistoriographien. Chancen der Osteuropäischen Geschichte als Regionalwissenschaft, in: Ebda., S. 101-106. 35 Stefan Troebst: Ende oder Wende? Historische Osteuropaforschung in Deutschland. Vier Anmerkungen zu Jörg Baberowski, in: Ebda., S. 56-63, hier S. 63.

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sen zu formulieren, die innovativ auf die Forschungspraxis in den Kultur- und Sozialwissenschaften zurückwirkten, anstatt lediglich Experimentierfeld der Theorien der »allgemeinen« Disziplinen zu sein.36 Auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung hatte in seinen »Förderrichtlinien zur Stärkung und Weiterentwicklung der Regionalstudien« im Jahr 2008 vorsichtig kritisch formuliert, dass bis dato die »Zusammenarbeit [der Regionalstudien] mit den systematischen Disziplinen eher punktuell [erfolgt]«37 sei. Verfolgt man die in den 1990er Jahren begonnene fachliche Selbstvergewisserung der auf Osteuropa bezogenen Forschung weiter, so wird deutlich, dass diese Herausforderung zunehmend selbstbewusst angenommen wurde. In einem Schwerpunkt des Themenportals »Europäische Geschichte« zur »Europäizität des östlichen Europas« im Jahr 2006 wurde die »Europäizität« im Prinzip in allen Beiträgen als gegeben vorausgesetzt und vielmehr der heuristische Mehrwert hervorgehoben, den die Beschäftigung mit Osteuropa für die sogenannte allgemeine (europäische, aber auch globale) Geschichte haben könne. Dabei fällt auf, dass Beiträge, die die Bedeutung von Räumen und Grenzen bzw. deren jeweiligen Konstruktionscharakter betonen, überproportional vertreten sind, und dass bereits im Editorial auf den Mehrwert reflektierter Raumkonstruktionen hingewiesen wird, die im Zuge des spatial turn neue Erklärungskraft erhalten hatten.38 36 So lautete bereits Anfang der 1990er Jahre ein Vorwurf an die Osteuropaforschung, Stefan Creuzberger et al.: Osteuropaforschung im Umbruch. Motive, Hintergründe und Verlauf einer Fachdebatte in Deutschland, in: Ebda., S. 13-23, hier S. 15. 37 Bekanntmachung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung von Förderrichtlinien zur Stärkung und Weiterentwicklung der Regionalstudien (area studies), einsehbar unter: http://www.bmbf.de/foerderungen/13101. php (22. 05. 2015). Die Förderrichtlinien bezogen sich auf Empfehlungen des Wissenschaftsrates zu den Regionalstudien (area studies) an den Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen aus dem Jahr 2006 (Köln 2007). Im Hinblick auf die außeruniversitäre historische Forschung zum östlichen Europa wiederholte der Wissenschaftsrat seine Forderung nach Öffnung der Regionalstudien gegenüber den allgemeinen Disziplinen, Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Weiterentwicklung der außeruniversitären historischen Forschung zum östlichen Europa. Drs. 2850-13 (25. Januar 2013). Berlin 2013, hier S. 87. 38 Stefan Troebst: Editorial zum Themenschwerpunkt »Zur Europäizität des östlichen Europa«, in: Themenportal Europäische Geschichte (2006), einsehbar unter: http://www.europa.clio-online.de/2006/Article=174 (22. 05. 2015); Frithjof Benjamin Schenk: Das Paradigma des Raumes in der Osteuropäischen Geschichte, in: zeitenblicke 6 (2007) 2, einsehbar unter: http://www. zeitenblicke.de/2007 /2/schenk/ (22. 05. 2015).

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Neben dem Verschwinden des Systemgegensatzes nach 1989 ist die zunehmende Relevanz außereuropäischer Regionen in den Kulturund Sozialwissenschaften eine weitere Herausforderung, aber durchaus auch eine neue Profilierungschance für die auf Osteuropa bezogenen Regionalwissenschaften. Je deutlicher wird, dass die Globalisierung nicht als eine Ausweitung »europäischer« bzw. »westlicher« Muster auf die gesamte Welt beschrieben werden kann, sondern als eine Geschichte des Austauschs und der Verflechtung, desto wichtiger ist das von den area studies produzierte Wissen. Nimmt man diese Perspektive der Verflechtung ernst, dann ist eine rein »dienende Funktion« der Regionalstudien, die lediglich Anschauungsmaterial für die Bekräftigung oder Widerlegung »allgemeiner« Theorien liefern, nicht mehr zeitgemäß.39 Es mag banal erscheinen darauf hinzuweisen, dass die sogenannten allgemeinen Disziplinen ihre Theorien ja auch an »konkreten« Gegenständen entwickeln und dass die area studies durchaus an Theoriebildung beteiligt sind. Für die Osteuropastudien sind hier Gefahren und Chancen gleichermaßen zu konstatieren: Zum einen werden die von ihnen fokussierten Regionen noch immer durch die Brille des Kalten Krieges oder durch das Prisma der »Rückständigkeit« gegenüber einem wie auch immer definierten europäischen »Zentrum« gesehen. Zum anderen drängt es sich geradezu auf, »Osteuropa« als Region in seinen Austauschbeziehungen und Wechselwirkungen zu »Europa« und selbstverständlich auch zur »Welt« zu betrachten und damit eben auch zur Dekonstruktion eines quasi-universalen Standpunkts beizutragen. Und nicht zuletzt wird bei der Betrachtung Osteuropas auch das zweite große Rahmeninterpretament, das den Blick auf Geschichtsregionen prägte und prägt, herausgefordert: Inwieweit nämlich war Osteuropa ein Raum, der durch asymmetrische Herrschaftsbeziehungen geformt wurde, in dem koloniale und imperiale Strukturen geschichtsmächtig wurden, der durch vielfältige Formen des Mikro- und Binnenkolonialismus gegliedert wurde und für den aufgrund seiner Nähe bzw. Zugehörigkeit zu Europa die Verknüpfungen von Wissens- und Machtbeziehungen besonders zentral waren? Angesichts der Relevanz dieser Fragen für eine reflektierte Inbezugsetzung von area studies und neuer Globalgeschichte sollte die Furcht vor der Herausforderung, dass die Osteuropastudien mate39 Birgit Schäbler: Das Studium der Weltregionen (Area Studies) zwischen Fachdisziplinen und der Öffnung zum Globalen: Eine wissenschaftsgeschichtliche Annäherung, in: Dies. (Hg.): Area Studies und die Welt. Weltregionen und die neue Globalgeschichte. Wien 2007, S. 11-44.

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rielle Einbußen durch den Ausbau dringend benötigter weiterer (außereuropäischer) Regionalkompetenz an deutschen Hochschulen und außeruniversitären Einrichtungen erleiden könnten, nicht allzu mächtig werden. Es gilt, diese Fragen für neue Zugänge zur Region fruchtbar zu machen und damit die Osteuropastudien in einem sich dynamisch entwickelnden Forschungsfeld neu zu verorten.

Postcolonial studies als hilfreiche Perspektive Ein Vorschlag ist hierzu, stärker als bislang auf das Instrumentarium der postcolonial studies zurückzugreifen. Ordnet man diese in einen breiteren Forschungskontext ein, der durch die poststrukturalistische Infragestellung scheinbar universalen und von den jeweiligen sozialen Kontexten seiner Entstehung unabhängigen Wissens gekennzeichnet ist,40 so leuchtet unmittelbar ein, dass sowohl postkoloniale Perspektiven wie etwa Edward Saids »Orientalismus«41 als auch andere sozialkonstruktivistische Konzepte wie das des mental mapping für eine fundamentale Neuperspektivierung der in Rede stehenden Forschungsregion sorgten.42 Eine der großen heuristischen Stärken der postcolonial studies liegt darin, Kolonialismus nicht lediglich als Herrschaftsund Ausbeutungsverhältnis zu sehen, sondern zugleich auch immer die Wissenssysteme mitzudenken, die diese Beziehungen gestalteten und repräsentierten. Diese doppelte Perspektive scheint für die Beschäftigung mit Osteuropa besonders fruchtbar zu sein und es eröffnen sich erstaunliche Parallelen, wenn man auf die Auseinandersetzung der Peripherien mit den Wissen-Macht-Relationen blickt, die kolonial gedachten Abhängigkeitsverhältnissen eigen sind. Seit den 1990er Jahren haben mehrere Studien herausgearbeitet, dass Europa das »Andere« seiner östlichen und südöstlichen Peripherien benutzte, um sich selbst als »Zivilisation« zu beschreiben.43 Dabei erscheint hier 40 Beispielhaft etwa Doris Bachmann-Medick: Cultural turns. Neuorientierung in den Kulturwissenschaften. Reinbek 2006. 41 Edward W. Said: Orientalism. London 1978. Eine erste Problematisierung der Thesen Saids für die Osteuropaforschung, allerdings stark auf die Frage verengt, ob das Russländische Reich eine Kolonialmacht war, nimmt Kerstin S. Jobst vor: Orientalism, E. W. Said und die Osteuropäische Geschichte, in: Saeculum 51 (2000) 2, S. 250-266. 42 Frithjof Benjamin Schenk: Mental Maps. Die Konstruktion von geographischen Räumen in Europa seit der Aufklärung, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002) 3, S. 493-514. 43 Larry Wolff: Inventing Eastern Europe. The map of civilization on the mind

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die jeweilige Stellung Osteuropas, Ostmitteleuropas und Südosteuropas als durchaus problematisch. Man hat es in gewisser Weise mit Semiperipherien zu tun, das heißt mit Regionen, die durchaus – wenn auch marginalisiert und mit Einschränkungen – zum (west-)europäischen/nordatlantischen Zentrum gezählt wurden und werden bzw. sich sehr stark in Relation zu diesem Zentrum definier(t)en. Diese Relationalität ist von großer Bedeutung für die Verortung der Regionen in Raum und auch in der Zeit: Osteuropa ist nicht essentiell anders, sondern kann (und muss) sich nur angleichen, um in den Genuss des Gütesiegels der Europäizität zu gelangen. Damit ist noch nichts über die historische Gewordenheit des Zentrums und dessen historische Spezifik gesagt, aber auf jeden Fall der Topos der Rückständigkeit für die Beschreibung der Semiperipherie festgeschrieben. Einer der Gründungstexte der postcolonial studies, Saids »Orientalism« aus dem Jahr 1978, hat vor allem auf diese Macht-Wissen-Konstellation hingewiesen und den »Orient« als ein Objekt hegemonialer Bezeichnungsstrategien charakterisiert. Solche Dichotomien treten auch in den frühen Werken der auf Osteuropa bezogenen Forschungen zum mental mapping auf, insbesondere etwa in Larry Wolffs »Inventing Eastern Europe«, in dem minuziös die westlichen Blicke auf das östliche Europa nachgezeichnet werden, ohne dass auf die agency osteuropäischer Akteure und auf die Folgen der vielfältigen kulturellen Austauschprozesse und Verflechtungen eingegangen würde. An Saids Darstellung entzündeten sich fruchtbare Debatten und die Auseinandersetzung mit kolonialen Abhängigkeitsverhältnissen veranlasste die Forschenden, ihre Aufmerksamkeit zunehmend auf die Phänomene von Austauschprozessen und kultureller Hybridität zu richten und zu betonen, dass die agency der »unterlegenen Seite« nicht ausgeblendet werden dürfe.44 Die postcolonial studies haben in diesem Sinne verof the enlightenment. Stanford 1994; Todorova: Die Erfindung des Balkans; Iver B. Neumann: Uses of the other. The »East« in European identity formation. Manchester 1999; siehe auch Karl Kaser / Dagmar GramshammerHohl / Robert Pichler (Hg.): Europa und die Grenzen im Kopf (= Wieser Enzyklopädie des europäischen Ostens 11). Klagenfurt 2003; Ezequiel Adamovsky: Euro-Orientalism and the Making of the Concept of Eastern Europe in France, 1810-1880, in: The Journal of Modern History 77 (2005) 3, S. 591-628; Gunther Gebhard / Oliver Geisler / Steffen Schröter (Hg.): Das Prinzip »Osten«. Geschichte und Gegenwart eines symbolischen Raums. Bielefeld 2010. 44 Dazu etwa Monica Juneja: Debatte zum »Postkolonialismus« aus Anlass des Sammelbandes »Jenseits des Eurozentrismus« von Sebastian Conrad und Shalini Randeria, in: WerkstattGeschichte 34 (2003), S. 88-96; David Simo: Subjektposition und Kultur im Zeitalter der Globalisierung. Postkoloniale

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stärkt auf die Entstehung neuer Exklusionssysteme gerade auch im »antikolonialen Befreiungskampf« hingewiesen, ohne dabei zu vernachlässigen, dass die Fokussierung auf kulturelle Hybridisierungen und auf den Kolonialismus als ein System von Repräsentationen nicht selten zu einer unzulässigen Homogenisierung kolonialer Erfahrungen und zu einer Geringschätzung der materiellen Grundlagen langanhaltender Diskriminierungserfahrungen geführt hat. Gerade die geographische Nähe osteuropäischer Peripherien zum europäischen »Zentrum« sensibilisiert für die Bedeutung des Austauschs und der Vermischung und für die Fragwürdigkeit dichotomisch voneinander abzugrenzender Untersuchungsobjekte und unverrückbarer Abhängigkeitsverhältnisse,45 die zum Beispiel Homi Bhabha mit dem Konzept der kulturellen Hybridität problematisiert hat. Für ihn gibt es keinen allmächtigen kolonialen Diskurs, der den Kolonisierten eindeutige Stellungen zuweist, sondern ein dynamisches Beziehungsgeflecht zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten, in dem die jeweiligen Identitäten instabil sind, gerade im Kontakt mit dem »anderen« herausgefordert und dann auf prekäre Weise stabilisiert werden.46 Ein führender Vertreter der postcolonial studies, Dipesh Chakrabarty, hat pointiert auf das Ungleichgewicht zwischen Europa und dem Rest der Welt hingewiesen, das sich auch epistemisch niederschlage: Der Blick, den das sich als Zentrum verstehende Europa bzw. die sich »allgemein« begreifenden Wissenschaftsdisziplinen auf die »Peripherien« werfen, betrachtet Letztere immer nur als »Gegenstand der empirischen Forschung, die einem theoretischen Skelett, welches

Ansätze, in: Comparativ 20 (2010) 6, S. 51-79. Auch aus der Sicht der Ostmitteleuropaforschung wurde Saids allzu statische Darstellung kritisiert, weil er aus einem politischen Kampfbegriff einen Analysebegriff mache und damit einem »methodischen Orientalismus« anheimfalle, siehe: Johannes Feichtinger: Komplexer k.u.k. Orientalismus: Akteure, Institutionen und Diskurse im 19. und 20.  Jahrhundert in Österreich, in: Robert Born / Sarah Lemmen (Hg.): Orientalismen in Ostmitteleuropa. Diskurse, Akteure und Disziplinen vom 19.  Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg. Bielefeld 2014, S. 31-63, hier besonders S. 33-36. 45 Vijay Mishra / Bob Hodge: What is Post(-)Colonialism?, in: Patrick Williams / Laura Chrisman (Hg.): Colonial Discourse and Postcolonial Theory. A Reader. New York 1993, S. 276-290; Maria do Mar Castro Varela / Nikita Dhawan: Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung. Bielefeld 2005, S. 11-27. 46 Homi K. Bhabha: Von Mimikry und Menschen. Die Ambivalenz des kolonialen Diskurses, in: Ders.: Die Verortung der Kultur. Tübingen 2000, S. 125136.

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substantiell ›Europa‹ ist, Fleisch und Blut verleihen«.47 Damit ist zum einen das prekäre Verhältnis der area studies zu den jeweiligen »übergeordneten« Disziplinen beschrieben. Zum anderen impliziert diese Blickrichtung, dass die Peripherien nur im Modus »homogenisierender Übergangserzählungen« gedacht werden können, die einem vom Zentrum vorgegebenen Ideal nachzueifern haben und damit die »Spaltung des kolonialen Subjekts« bedingen, für das die unzulängliche Gegenwart mit einer idealisierten Zukunft kontrastiert wird.48 In dieser kritischen Perspektive wird das östliche Europa durchaus vergleichbar mit den »eigentlichen« Untersuchungsregionen der postcolonial studies, da es ebenfalls in einer Abhängigkeit von einem hegemonialen Europa gedacht wird, die sich auch in einer Verzeitlichung der in Anschlag gebrachten Beschreibungs- und Analysekonzepte niederschlägt, wie etwa in den Begriffen »Rückständigkeit«, »Transformation«, »Rückkehr nach Europa«. Osteuropäische Akteure wurden und werden immer wieder mit dieser Vereinnahmung durch als gesamteuropäisch verstandene Entwicklungswege konfrontiert. Neben der Variante, sich dieser teleologischen Sichtweise unterzuordnen, besteht die Gefahr, eine Essentialisierung Osteuropas vorzunehmen und auf der grundsätzlichen kulturellen Andersartigkeit zu bestehen. In seiner scharfsichtigen Analyse des kolonialen Macht–Wissen-Systems warnt Chakrabarty davor, genau in solche Muster der Essentialisierung des Eigenen zu verfallen; er plädiert vielmehr dafür sich klarzumachen, dass Europa nur als Teil einer globalen Geschichte gedacht werden kann und dass gerade auch die Akteure außerhalb des europäischen Zentrums in ihrer permanenten Auseinandersetzung an der Erschaffung des Konstrukts »modernes Europas« beteiligt waren und sind.49 Die kritische Reflexion von Raumvorstellungen, die mit ihnen verbundenen Zuschreibungen sowie ihre Rückwirkungen auf die Akteure interessieren im Zusammenhang mit dem heuristischen Konzept der Phantomgrenzen, weil dieses Räume adressiert, deren Verortung etwa als »Semiperipherien« nicht eindeutig ist. Die mehrfache imperiale bzw. koloniale Überschichtung des östlichen Europas und die Abstufung kolonialer Herrschaftsformen zum Beispiel im Mikro- oder 47 Dipesh Chakrabarty: Europa provinzialisieren. Postkolonialität und die Kritik der Geschichte, in: Sebastian Conrad / Shalini Randeria (Hg.): Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften. Frankfurt a. M./New York 2002, S. 283-312, hier S. 285. 48 Ebda., S. 295. 49 Ebda., S. 306.

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Binnenkolonialismus, aber auch die komplexe Frage nach den Beziehungen zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten fördert hier interessante Perspektiven zutage. Inzwischen liegen erste Arbeiten vor, die Osteuropa als imperialen bzw. kolonialen Raum perspektivieren50 und nach der Rezeption der postcolonial studies vor allem auch in Osteuropa selbst fragen.51 Doch nicht nur die Werke, die den Begriff postkolonial im Titel tragen, animieren dazu, genauer nach dem heuristischen Wert dieser Perspektive für die Osteuropaforschung zu fragen. Bei näherem Hinschauen erweist sich nämlich, dass das von zahlreichen Herrschaftswechseln und multiplen imperialen Überschichtungen geprägte östliche Europa ein besonders ergiebiger Untersuchungsgegenstand ist. Es stellt sich daher die Frage, ob nicht im Prinzip schon seit Jahren postcolonial studies avant la lettre betrieben wurden und es an der Zeit ist, die hier gewonnenen Ergebnisse in eine breitere Forschungsdiskussion einzuspeisen, indem dekonstruktivistische Perspektiven mit einer akteurs- bzw. prozessbezogenen Sichtweise, wie sie dem Konzept der Phantomgrenzen inhärent ist, gekoppelt werden. Ein Aspekt der postcolonial studies scheint ganz besonders ergiebig für die Erprobung unseres neuen Forschungskonzepts zu sein: Das »post« in postcolonial impliziert kein einfaches zeitliches »später«, sondern lenkt das Forschungsinteresse immer auch auf das Fortwirken des Al-

50 Hier sei nur eine knappe Übersicht dieser Studien angeführt: Johannes Feichtinger / Ursula Prutsch / Moritz Csáky: Habsburg postcolonial. Machtstrukturen und kollektives Gedächtnis (= Gedächtnis, Erinnerung, Identität 2). Innsbruck 2003; Violeta Kelertas (Hg.): Baltic Postcolonialism. Amsterdam / New York 2006; Kerstin S. Jobst /Julia Obertreis / Ricarda Vulpius: Neuere Imperiumsforschung in der Osteuropäischen Geschichte: die Habsburgermonarchie, das Russländische Reich und die Sowjetunion, in: Comparativ 19 (2008) 2, S. 27-56. Siehe auch die Beiträge von Mark Bassin zum Russischen Reich und Veronika Wendland zur Habsburgermonarchie, in: Claudia Kraft / Alf Lüdtke / Jürgen Martschukat: Kolonialgeschichten. Regionale Perspektiven auf ein globales Phänomen. Frankfurt a. M./New York 2010; des Weiteren siehe Klemens Kaps / Jan Surman (Hg.): Postcolonial or Post-colonial? Post(-)colonial Perspectives on Habsburg Galicia, in: Historyka. Studia Metodologiczne 42 (2012), S. 7-35; James Hodkinson et al. (Hg.): Deploying Orientalism in Culture and History. From Germany to East Central Europe. New York 2013; Born / Lemmen (Hg.): Orientalismen in Ostmitteleuropa. 51 Janusz Korek: From Sovietology to Post-Coloniality. Poland and Ukraine from a Postcolonial Perspective (= Södertörn academic studies 32). Södertörn 2007; Alfred Sproede / Mirja Lecke: Der Weg der postcolonial studies nach und in Osteuropa. Polen, Litauen, Russland, in: Dietlind Hüchtker / Alfrun Kliems (Hg.): Überbringen – Überformen – Überblenden. Theorietransfer im 20. Jahrhundert. Wien / Köln / Weimar 2011, S. 28-66.

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ten im Neuen;52 damit gleicht es der Blickrichtung, die mit den Phantomgrenzen eingenommen wird, nämlich jenseits von Determinismus Phänomenen des Überdauerns nachzuspüren. Somit verstehen wir die postcolonial studies nicht bloß als Instrument, um die diskursive Verfasstheit von Räumen zu dekonstruieren, sondern um die Verflochtenheit von Raum- und Zeitkonzepten zu fokussieren. Dabei – so wird im Folgenden zu zeigen sein – soll die agency der historischen Akteure nicht von der angeblichen Übermacht der historischen legacies erdrückt werden.

Zum Innovationspotential des Phantomgrenzen-Konzepts: Jenseits von Determinismus und Dekonstruktivismus In unserem Forschungsansatz begegnen wir räumlich gefassten Determinismen à la Putnam oder Todd, die durch ausgewählte gesellschaftsimmanente Faktoren Räume oder regionale Grenzen immer weiter fortschreiben, mit Skepsis. Gleichzeitig plädieren wir gegen einen Rückzug auf ein dekonstruktivistisches Postulat, das jede analytische Festschreibung (eben auch über das Regionale und seine Grenzen) letztlich nur durch Sprache und Diskurs hergestellt sieht. Das Konzept der Phantomgrenzen sehen wir jenseits dieser beiden im Wissenschaftsbetrieb explizit wie auch implizit noch immer wirkungsmächtigen Erklärungsansätze verortet. Mit ihm sollen »Prozesse des Überdauerns« in den Mittelpunkt der Analyse gerückt werden. So scheint es möglich, das »Wiederauftauchen« von (Phantom-)Grenzen bzw. den Wandel genauso wie die Persistenz historischer (oder neuer) Raumvorstellungen und -praktiken tatsächlich erklären zu können: Das Phantomgrenzen-Konzept ist somit aufs Engste mit einem systematischen Blick auf die gesellschaftliche Prozesshaftigkeit von Räumlichkeit (und ihrer Grenzen) verbunden.

52 David Chioni Moore: Is the Post- in Postcolonial the Post- in Post-Soviet? Towards a Global Postcolonial Critique, in: Gaurav Desai / Supriya Nair (Hg.): Postcolonialism. An Anthology of Cultural Theory and Criticism. New Brunswick 2005, S. 514-538; Alison Stenning / Kathrin Hörschelmann: History, Geography and Difference in the Post-socialist World: Or, Do We Still Need Post-Socialism?, in: Antipode 40 (2008) 2, S. 312-335; Sharad Chari/Katherine Verdery: Thinking between the Posts: Postcolonialism, Postsocialism, and Ethnography after the Cold War, in: Comparative Studies in Society and History 51 (2009) 1, S. 6-31.

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Wir gehen davon aus, dass Vorstellungen regionaler Unterschiede auf verschiedenen Ebenen manifest werden, die aufeinander bezogen sind und sich gegenseitig verstärken oder abschwächen können. Phantomgrenzen und -räume verstehen wir immer als gleichzeitig imaginiert (d. h. diskursiv produziert und weitervermittelt), erfahren (d. h. von den Akteuren und wissenschaftlichen Beobachtern als Erfahrung wahrgenommen und in der Praxis aktualisiert) und gestaltet (d. h. durch Territorialisierungsprozesse). Im Zentrum des Phantomgrenzen-Konzeptes stehen damit die Wechselwirkungen zwischen Raumimagination, Raumerfahrung und Raumgestaltung. Diese drei Ebenen des Phantomgrenzen-Konzeptes sind angelehnt an die Dreiheit des Raumes, wie sie Henri Lefebvre in seinem 1974 erschienenen Werk »La production de l’espace«53 konzipiert hat. Lefebvre fasst den Raum als Einheit, die produziert wird durch den gelebten Raum (espace vécu), den wahrgenommenen Raum (espace perçu) und den konzipierten Raum (espace conçu). Der espace vécu wird definiert als »der gelebte Raum vermittelt durch die Bilder und Symbole«54. Er steht im Mittelpunkt der Forschungsarbeiten der Ethnologen, Anthropologen und der Psychoanalytiker. Der espace perçu, d. h. der wahrgenommene Raum, verweist auf die räumliche Praxis.55 Wie alle anderen sozialen Praktiken wird die räumliche Praxis »gelebt«, bevor sie konzipiert und theoretisiert wird.56 Lefebvre schreibt den Akteuren und Akteursgruppen sowohl »eine gewisse Kompetenz als auch eine bestimmte Performanz«57 zu. Sie sind kompetent in ihrer Praxis des Raums, der ihnen als »Ganzes« zur Verfügung steht, den sie bewohnen und in vielfältiger Weise gestalten. Dies bedeutet, dass die Akteure durch ihr Handeln in dem Sinne performativ sind, als dass sie den Raum aktiv (mit)produzieren. Der dritte Aspekt der Raumproduktion ist bei Lefebvre der konzipierte Raum (espace conçu). Es ist »der Raum der Wissenschaftler, der Raumplaner, der Urbanisten, der Technokraten, die ihn ›zerschneiden‹ und wieder ›zusammensetzen‹«58.

53 Henri Lefebvre: La production de l’espace. Paris 1974. 54 Ebda., S. 49. Hier zitiert aus der dt. Übersetzung in: Jörg Dünne / Stephan Günzel (Hg.): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt a. M. 2006, S. 336. 55 Lefebvre: La production de l’espace, S. 48. 56 Ebda., S. 44. 57 Ebda., S. 42. Übersetzung in: Dünne / Günzel (Hg.): Raumtheorie, S. 333. 58 Lefebvre: La production de l’espace, S. 48; Übersetzung in: Dünne / Günzel (Hg.): Raumtheorie, S. 336.

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Man könnte den konzipierten Raum also auch als durch Macht und Wissen geprägte Territorialitäten beschreiben. Auf diese ineinander verwobenen Ebenen von Räumlichkeit des Phantomgrenzen-Konzepts soll nun im Einzelnen eingegangen werden. Dabei wird beispielhaft die Umbruchszeit nach 1989 in den Blick genommen. Diese war für das gegenwärtige Ostmittel- und Südosteuropa die vorerst letzte und somit besonders relevante Periode zur Strukturierung von Räumlichkeit und ihrer (vielfach neuen) Grenzen.

Raumimagination Als theoretische Annäherung an die Ebene der Raumimagination erscheint uns das Konzept der »imaginierten Geographie« sinnvoll, das in den 1970er Jahren von Edward Said entworfen wurde und das wir in  Anlehnung an Derek Gregory59 umkehren zum »geographischen Imaginativ«60. Wie bereits oben deutlich gemacht wurde, sind symbolische Grenzen wesentliche Bestandteile der mentalen Konstruktionsprozesse geographischer Imaginative. Symbolische Grenzen schaffen und »dramatisieren«61 die Distanz und Differenz zwischen dem, was 59 Derek Gregory: Geographical Imaginations. Cambridge, Mass. 1994. 60 Gregorys Begriff der »geographical imaginations« lässt sich nur schwer ins Deutsche übertragen. Als wichtiger Vertreter einer Wahrnehmungs- bzw. imaginären Geographie zielt der Autor mit diesem Konzept auf Raumvorstellungen, die sich in gesellschaftlichen Prozessen narrativ verfestigt haben und so zu einer Art geistigem Abbild räumlich geformter Phänomene geworden sind. Damit ist viel mehr gemeint, als es die Übersetzung in »geographische Imaginationen« ausdrücken würde. Wir haben es nämlich hier mit einem sehr viel höheren »Wirklichkeitsgehalt« zu tun, als es die Übersetzung in geographische Imagination bzw. Vorstellung wiedergeben würde. Daher verwenden wir an dieser Stelle und auch im Folgenden den im Deutschen seltener gebrauchten Begriff des »geographischen Imaginativs«, der – ähnlich dem französischen imaginaire – auf ein zu einem (geographischen) Abbild bzw. zu einer Karte geronnenes Narrativ verweist. Zu einer ähnlichen Verwendung siehe auch Annette Knaut: Politische Imaginative. Vom Narrativ der Öffentlichkeit zu transnationalen Diskursräumen, in: Frank Gadinger / Sebastian Jarzebski / Taylan Yildiz (Hg.): Politische Narrative. Ein neuer Analysezugang in der Politikwissenschaft. Wiesbaden 2014, S. 93-117. 61 Wir nehmen hier Bezug auf die folgende Aussage Edward Saids: »Space acquires emotional and even rational sense by a kind of poetic process, whereby the vacant or anonymous reaches of distance are converted into meaning for us here. […] [T]here is no doubt that imaginative geography and history help the mind to intensify its own sense of itself by dramatizing the distance and difference between what is close to it and what is far away.« Said: Orientalism, S. 55.

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sie umgrenzen und dem, was sie ausschließen. Maria Todorova zeigt beispielsweise, dass die verschiedenen historischen Grenzverläufe des Osmanischen Reiches seit dem 19.  Jahrhundert dazu dienen, die als »Balkan« benannte Region abzugrenzen und zu charakterisieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg und mit dem Ende des Zergliederungsprozesses der Nationalstaaten auf der Balkanhalbinsel definieren die ehemaligen Grenzverläufe einen Raum »osmanischen Erbes«, der den Zerfall des Reiches als Perzeption / Wahrnehmung und Stigma in den Repräsentationen des Okzidents überdauerte. Sie wurden zu »unbeweglichen und nicht veränderbaren zivilisatorischen Bruchlinien«.62 Man könnte zahlreiche Beispiele anführen, in denen eine längst vergangene politische Grenze im vorherrschenden Diskurs als zivilisatorische Grenze dargestellt wird. In diesem Sinn können die Phantomgrenzen nicht von den Interessen der Mächtigen losgelöst werden. Dies gilt auch in Bezug auf die Vorstellungen über Europa: Wiederholt wurden Grenzen im Laufe der Geschichte instrumentalisiert, um die Zivilisation von der Barbarei zu trennen, die Moderne von der Rückständigkeit oder den Reichtum von der Armut. Unserem Ansatz folgend sind geographische Imaginative nicht nur ein Produkt des vorhandenen Wissens, der herrschenden (Wissens-) Eliten und ihrer Kompetenz, ost- oder südosteuropäische Peripherien zu definieren. Sie gehen auch auf das Vermögen der regionalen Akteure zurück, eine räumliche Ordnung Europas von unten mit zu schaffen. Unser Ziel ist es, anhand von Gregorys Konzept der geographical imaginations die mental maps zu pluralisieren und soziale, kulturelle und regionale Diversität innerhalb der untersuchten Gesellschaften in die Analyse einzubeziehen. In einer solchen Diversität tauchen unter anderem auch Phantomgrenzen auf, und zwar offensichtlich dann, wenn Differenz gleichzeitig räumlich und historisch vermittelt wird, wenn das Gegenüber als ein anderes erscheint, sich identifiziert oder identifiziert wird, weil sein Wohnort einstmals einer anderen staatlich-administrativen Einheit angehört hat. Besondere Aufmerksamkeit muss daher dem Netz der Phantomgrenzen gewidmet werden, die die Darstellungen des Raumes durchziehen und strukturieren sowie der Art und Weise, wie sie die verschiedenen kollektiven Vorstellungen und gegebenenfalls Praktiken räumlich gliedern. Verschiedene nationale Meistererzählungen haben systematisch aus dem immer vorhandenen großen Repertoire vergangener Grenzen geschöpft, um Identität zu konstruieren, neue Grenzverläufe zu legiti62 Todorova: Die Erfindung des Balkans; Dies.: Balkan als Analysekategorie.

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mieren bzw. zu entkräften oder um Überlegenheit zu postulieren. Ebenso können Gemeinschaften wie regionale, sprachliche oder religiöse Minderheiten, die weniger stark an ein staatlich definiertes Territorium gebunden sind, Bilder und Symbole von Phantomgrenzen nutzen, um sich im Raum zu verorten, ihrer Erfahrung, ihrer Situation, ihrer Praxis oder ihren Anerkennungsansprüchen Sinn und Folgerichtigkeit zu verleihen. Da sie in ihrer Bindung an natürlich erscheinende Räumlichkeit und Historizität leicht als selbstverständlich erscheinen und diese Selbstverständlichkeit von vielfältigen Narrativen gespeist werden kann, ermöglichen diese »vertrauten« Phantomgrenzen die Verortung von Identitäten, indem sie den Raum durch als »natürlich« wahrgenommene Grenzen gliedern. Mit anderen Worten: Sie werden nicht nur diskursiv oktroyiert, sondern auch in Praktiken »von unten« (re)produziert. An dieser Stelle unterscheidet sich unsere Definition von imaginiertem Raum von der diskursiven Perspektive der postcolonial studies. Phantomgrenzen sind nicht ausschließlich politische oder intellektuelle Erfindungen, vorsätzlich geschaffen zu ideologischen Zwecken, um Identitäts- oder Hegemoniekonstrukte zu bedienen. Das Konzept der Phantomgrenzen entwickelt seine heuristische Besonderheit, wenn man es auch im sprachlichen Gebrauch und in den impliziten Verwendungen durch lokale Akteure erwägt. Die Narrative regionaler und lokaler Besonderheiten sind verankert in Repräsentationen, in der Sprache oder in Stereotypen und werden (oft auch unreflektiert) weitergegeben. Antje Schlottmann hat am Beispiel des Fortbestehens der innerdeutschen Grenze in den gesellschaftlichen Praktiken in der wiedervereinigten Bundesrepublik besonders überzeugend dargelegt, wie stark sich die soziale Prägung der Teilung in der Sprache widerspiegelt und durch sie wieder erzeugt wird.63 Die sprachliche Verwendung von Raumbegriffen, um über das »hier« und das »drüben« zu sprechen, reicht aus, um zwei gebietsbezogenen sozialen Realitäten – des Westens und des Ostens – Gewicht zu verleihen, die als verschieden wahrgenommen und praktiziert werden. Diese geographische Vorstellung durchdringt den alltäglichen Sprachgebrauch außerhalb jedweder diskursiven Absicht und trägt dazu bei, eine als selbstverständlich erlebte geographische Wirklichkeit zu erschaffen. Aus dieser Perspektive erscheinen die geographischen Imaginationen verflochten mit kollek63 Antje Schlottmann: RaumSprache. Ost-West-Differenzen in der Berichterstattung zur deutschen Einheit. Eine sozialgeographische Theorie. Stuttgart 2005.

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tiven und individuellen Erfahrungen, und die Phantomgrenzen werden ohne ideologische Aufladung in die Dichte der Praktiken eingeschrieben. Im Unterschied zu Arbeiten zum mental mapping, die sich insbesondere auf die Analyse von hegemonialen Diskursen konzentrieren, begreifen wir die Produktion und Reproduktion geographischer Imaginationen als einen in vollem Umfang sozialen bzw. gesellschaftlichen Vorgang, der in je spezifischer Weise auf verschiedenen Ebenen stattfinden kann. Wichtig ist an dieser Stelle zu betonen, dass solche Phantomgrenzen wandelbar sind. In den geographischen Imaginativen verhält es sich mit den Phantomgrenzen wie mit vermeintlich »natürlichen« Grenzen, die durch die klassische Geographie festgelegt wurden, um die Welt zu ordnen. Hans-Dietrich Schultz64 liefert in diesem Zusammenhang eine besonders erhellende kritische Analyse. Grenzen fungieren danach »als räumliche Sinndeponie für soziale Prozesse«. Sie existieren im Raum der Kommunikation. Ein maßgebender politischer Umbruch, der die gegebene soziale Ordnung in Frage stellt und die Kommunikationsräume verändert, kann ausreichen, sie aus den geographischen Vorstellungen und dem gesellschaftlichen Gedächtnis verschwinden oder sie umgekehrt hervorspringen zu lassen, um gelebter Erfahrung einen Sinn zu geben. Das Beispiel der postsozialistischen Zeit veranschaulicht dies: Bis zum Wegfall des »Eisernen Vorhangs« waren die sozialistischen Staaten des europäischen »Ostens« über Jahrzehnte in vielfacher Form u. a. politisch, wirtschaftlich, militärisch und kulturell aufs Engste aufeinander ausgerichtet und wurden von innen wie von außen vielfach als (sozialistisch-systemische) Einheit imaginiert. Die im Zuge des politischen Umbruchs nach 1989 losgetretenen spektakulären Dynamiken stellten diese Vorstellungen einer »sozialistischen Zusammengehörigkeit« der Gesellschaften Ostmittel- und Südosteuropas in der Retrospektive jedoch zutiefst in Frage. Auffallend ist, dass die Idee einer »Rückkehr« zu einer Realität »davor« (vor der sowjetischen Dominanz, vor der sozialistischen Machtübernahme und Diktatur) bei der Gestaltung und Begründung der neuen räumlichen Positionierungen fast in allen Ländern eine wichtige Rolle gespielt hat. Václav Havel prägte wohl am international vernehmbarsten für den tschechoslowakischen Kontext den Begriff einer 64 Hans-Dietrich Schultz: »Natürliche Grenzen« als politisches Programm, in: Claudia Honegger / Stefan Hradil / Franz Traxler (Hg.): Grenzenlose Gesellschaft?, Bd. 1. Opladen 1999, S. 328-343.

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»Rückkehr nach Europa«, der in verschiedenen Ausformulierungen auch in den meisten anderen ehemals sozialistischen Ländern leidenschaftliche Fürsprecher hatte. Ein Rückbezug auf eine »gerechtere« bzw. auch (national) »freiere« Situation in der Vergangenheit wurde dabei meist Teil des einsetzenden historisierenden Sinnstiftungsprozesses für eine »wieder neu« zu schaffende alte/neue Ordnung nach dem Ende des Sozialismus. Eine solche Dynamik kam in allen Ländern des postsozialistischen Ostmittel- und Südosteuropa in vergleichbarer Weise in Gang, wobei die konkreten Imaginative einer solchen »Vergangenheit« von Land zu Land differierten – genauso wie sich auch innerhalb der politischen und weltanschaulichen Lager in den einzelnen Ländern selbst oft große Unterschiede auftaten. Die imaginierten Räume, die in der diskursiven Auseinandersetzung mit der politischen Vergangenheit und Zukunft in den jeweiligen ostmittel- und südosteuropäischen Gesellschaften im Zuge des politischen Systemwechsels der 1990er Jahre in der Regel sehr emotionalisiert öffentlich verhandelt wurden, können für keine der betrachteten Gesellschaften als »uniform« oder teleologisch auf ein wie auch immer geartetes Ziel hinauslaufend gesehen werden. Die Debatten über historische Räume waren Teil eines politischen Wettstreits. Die jeweiligen Versionen hatten Befürworter und Gegner, und wenn auch »diskursive Verfestigungen« auf bestimmte historische räumliche Bezüge im öffentlichen Diskurs beobachtet werden konnten, sind sie in ihrer Vielfalt zu betrachten.65 Der Rückbezug auf (nationale oder staatliche) vorsozialistische Räume ging teilweise einher mit Vorstellungen über die maximale als legitim angesehene Ausdehnung des Staates bzw. der Nation. So wurde es etwa in Ungarn wieder populär, auf das »historische Königreich Ungarn« und die Grenzen Ungarns vor der »Katastrophe von Trianon«, d. h. vor den Friedensverträgen nach dem Ersten Weltkrieg, Bezug zu nehmen.66 Der in einer sich demokratisierenden Öffentlichkeit nun frei mögliche Rückbezug auf vorsozialistische staatliche Räume entzündete Kontroversen – insbesondere auch in Bezug auf die 65 Zu den unterschiedlichen Diskursen und deren Emotionalisierung siehe etwa Maruška Svašek: Postsocialism. Politics and Emotions in Central and Eastern Europe. New York / Oxford 2006. 66 Wolfgang Aschauer: Ceci n’est pas la Hongrie – Grenzen in Realität und Imagination am Beispiel Ungarns. Vortrag im Symposion des Wissenschaftlichen Beirats der Südosteuropa-Gesellschaft zum Thema »Südosteuropa und die alten/neuen Grenzen. Ein analytischer Blick zurück im Jahr 25 nach der Wende«. Berlin 28. Februar 2014.

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räumliche Gestalt der Staaten. Am polnischen Beispiel lässt sich dies besonders gut veranschaulichen. Die sogenannte Westverschiebung Polens, die mit der Wiedererrichtung der Republik Polen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von den Siegermächten vollzogen wurde, ließ das Land nach 1945 in Staatsgrenzen entstehen, die sich deutlich von jenen unterschieden, die den polnischen Staat in der Zwischenkriegszeit umschlossen hatten. Dieses Wiederentstehen des – bald sozialistischen – polnischen Staatswesens ging einher mit massiven Bevölkerungsverschiebungen.67 Es überrascht somit nicht, dass die Erinnerungen an die Grenzverschiebungen im 20. Jahrhundert erneut Gegenstand von leidenschaftlichen Debatten wurden.68 Im Zuge der neuen/alten Grenzziehungen waren nach 1989 in den sich demokratisierenden Gesellschaften Ostmittel- und Südosteuropas auch regionale Unterschiede und ökonomische Entwicklungsunterschiede Thema von politischen Polemiken und öffentlichen Diskussionen. Als Begründung für diese regionalen Unterschiede wurden oft historische bzw. kulturelle Gründe angeführt. Eine solche Auseinandersetzung lässt sich etwa in den frühen 1990er Jahren für die Slowakei beobachten, wo der ökonomische Rückstand des slowakischen Landesteils innerhalb des 1990 von ›Tschechoslowakische Sozialistische Republik‹ (ČSSR ) in ›Tschechische und Slowakische Föderative Republik‹ (ČSFR ) umbenannten Staatswesens von größeren Teilen der slowakischen Eliten immer polemischer beklagt wurde.69 Aber auch in vielen anderen Staaten wurden innere Grenzen, welche oft ehemalige politische Grenzen waren, Gegenstand von Abgrenzungsdiskursen. An dieser Stelle ist es sinnvoll, nicht allein bei einer Betrachtung diskursiv hergestellter bzw. imaginierter Räumlichkeit zu verweilen, sondern auch Kontinuität und Wandel der (historischen) »Erfahrung« von Raum einer genaueren und systematischeren Reflexion zu unter67 Philipp Ther: Deutsche und polnische Vertriebene. Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen 1945-1956. Göttingen 1998. 68 Dieter Bingen / Włodzimierz Borodziej / Stefan Troebst (Hg.): Vertreibungen europäisch erinnern? Historische Erfahrungen, Vergangenheitspolitik, Zukunftskonzeptionen. Wiesbaden 2003; Stefan Troebst (Hg.): Vertreibungsdiskurs und europäische Erinnerungskultur: deutsch-polnische Initiativen zur Institutionalisierung. Eine Dokumentation. Osnabrück 2006; Peter Haslinger / Erik Franzen / Martin Schulze Wessel (Hg.): Diskurse über Zwangsmigrationen in Zentraleuropa. Geschichtspolitik, Fachdebatten, literarisches und lokales Erinnern seit 1989. München 2008. 69 Gil Eyal: The Origins of Postcommunist Elites. From Prague Spring to the Breakup of Czechoslovakia. Minneapolis / London 2003.

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ziehen. Der Bereich der »Erfahrung« ist zwar aufs Engste auch mit diskursiven Konstrukten verbunden, doch geht Erfahrung niemals völlig in den sie umgebenden diskursiven Rahmungen auf, sondern bildet ein kontingentes Element im historischen Prozess, dem es besondere Aufmerksamkeit zu schenken gilt.

Raumerfahrung Mit dem Forschungsansatz der Phantomgrenzen wird Erfahrung von historisch geformtem Raum in einem Spannungsfeld von Kontinuität und Wandel betrachtet. Akteure verinnerlichen die räumlichen Bezüge ihres sozialen Alltags – bewusst wie unbewusst – über immer wieder reproduzierte Routinen. Die räumliche Verortung oder Deutung dieser Routinen wiederum ist stark geprägt von dominanten innergesellschaftlichen Sinnstiftungen. Veränderungen in einem Bereich wirken sich zwangsläufig auch auf den anderen aus. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Ebene der Erfahrung, die man in Anlehnung an Reinhart Koselleck als gleichzeitig individuell und intersubjektiv auffassen kann.70 Auf der Ebene des Individuums handelt es sich um vergegenwärtigte und im Handeln mobilisierbare Vergangenheit, um Gelerntes und bewusstes Knowhow, aber ebenso um Konventionen, die in Alltagspraktiken übergegangen sind. Auf der intersubjektiven Ebene wird Erfahrung gespeichert in formellen und informellen Regelsystemen, die sich im Laufe der Zeit und über mehrere Generationen hinweg etablieren bzw. allmählich verändern. Diese Erfahrung kann wissentlich vergegenwärtigt werden, Gegenstand einer offiziellen Gedenkpolitik sein, aber auch unbewusst in Habitus, Routine und soziale Morphologie eingehen: »Erfahrung ist gegenwärtige Vergangenheit, deren Ereignisse einverleibt worden sind und erinnert werden können. Sowohl rationale Verarbeitung wie unbewusste Verhaltensweisen, die nicht oder nicht mehr im Wissen präsent sein müssen, schließen sich in der Erfahrung zusammen. Ferner ist in der je eigenen Erfahrung, durch Generationen oder Institutionen vermittelt, immer fremde Erfahrung enthalten und aufgehoben.«71

70 Reinhart Koselleck: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt a. M. 1984, 3. Aufl., S. 349 ff. 71 Ebda., S. 354.

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Die demographischen Verhaltensweisen in den neuen Bundesländern geben dafür ein anschauliches Beispiel: Das institutionalisierte Netz der Kinderbetreuung einerseits und spezifische Modelle von Elternschaft andererseits, verinnerlicht und vermittelt von einer Generation zur nächsten, konstituieren einen spezifischen Erfahrungsraum und konstruieren eine Normalität, die persönliche Entscheidungen mehr oder weniger bewusst beeinflussen.72 Nun ist Erfahrung keine in sich stabile oder konstante Gegebenheit, sondern wird immer wieder neu bemessen und definiert. Unterschiedliche Erfahrungen können sich überlagern und gegenseitig beeinflussen. Mehr noch: Neue Hoffnungen, Enttäuschungen oder Erwartungen prägen die Erfahrungen von Akteuren rückwirkend. Die temporale Struktur von Erfahrung schließt also immer auch eine rückwärts wirkende Erwartung ein. Die sich wandelnde Erinnerung an die sozialistische Erfahrung ist ein gutes Beispiel hierfür: War sie Anfang der 1990er Jahre im Zuge der Transformation von der Plan- zur Marktwirtschaft geprägt von Erinnerungen an Warenknappheit und Warteschlangen, so hat sich diese Erinnerung in den letzten 20 Jahren durch die spätere Erfahrung von Arbeitslosigkeit tiefgreifend verändert. Nun ist es häufig die Erinnerung an Sicherheit und die Vorhersehbarkeit beruflicher Wege, die für viele der »Verlierer« des postsozialistischen Wandels überwiegt.73 Dieses Beispiel verdeutlicht, welche Rolle verinnerlichte und räumlich reproduzierte Routinen spielen können und wie gesellschaftliche Erfahrungen und räumliche Bezüge des Alltags aufeinander wirken. Sie können sich über die Zeit »sinnhaft« reproduzieren und unmerklichem Wandel unterliegen, sich aber auch nach historischen Brüchen innerhalb kürzester Zeit verändern. Alte/neue »Erfahrungen« sind also relevant für (sich wandelnde, sich fortschreibende) dominante innergesellschaftliche Sinnstiftungen

72 Joshua R. Goldstein / Michaela Kreyenfeld: Has East Germany overtaken West Germany? Recent trends in order-specific fertility, in: Population and Development Review 37 (2001) 3, S. 453-472. 73 Chris Hann/»Property Relations« Group: The Postsocialist Agrarian Question. Property Relations and the Rural Question. Münster 2003; Hannes Siegrist / Dietmar Müller (Hg.): Property in East Central Europe. Notions, Institutions and Practices of Landownership in the Twentieth Century. New York / Oxford 2015; Ulf Brunnbauer / Stefan Troebst (Hg.): Zwischen Amnesie und Nostalgie. Die Erinnerung an den Kommunismus in Südosteuropa. Wien /Köln / Weimar 2007; Chris Hann: Not the Horse We Wanted. Postsocialism, Neoliberalism and Eurasia. Münster 2006; Mitja Velikonja: Titostalgija: študija nostalgije po Josipu Brozu. Ljubljana 2008.

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für Räume und Grenzen. Sie können aber auch verblassen, wie das folgende Beispiel zeigt. Innerhalb des sozialistischen Jugoslawien durchlebten die Menschen in der Teilrepublik Makedonien (1944 /45 erstmals in der Geschichte als eine national gefasste föderal-staatliche Einheit innerhalb des sozialistischen jugoslawischen Staatswesens etabliert) insbesondere seit der zweiten Hälfte der Nachkriegsgeschichte eine starke Transformation der gesellschaftlichen Verhältnisse. Hier hatte sich durch die sozialistische Industrialisierungs- und Modernisierungspolitik eine Gesellschaftsordnung herausgebildet, die auf dem jugoslawischen Modell des Selbstverwaltungssozialismus beruhte. Dieses prägte die historischen Erfahrungen von mehreren Generationen. Die Abgrenzungen und Besonderheiten dieser jugoslawischen Variante des Sozialismus waren im Vergleich zum hoxhaistischen System im benachbarten Albanien (das sich zunächst an der UdSSR , dann am kommunistischen China orientierte und schließlich in eine selbstgewählte Isolation manövrierte) oder zum stark auf die Sowjetunion ausgerichteten bulgarischen Sozialismus spezifisch. Die Kontraste zum südlichen Nachbarn Griechenland, wo zwar von 1946 bis 1949 im griechischen Bürgerkrieg auch um eine Systemfrage gerungen, schließlich aber eine westorientierte und anti-kommunistische Gesellschaftsform bestimmend wurde, waren ebenfalls erheblich. All dies prägte auch die räumlichen Routinen der Bewohner/innen des jugoslawischen Makedonien. Die im Kalten Krieg etablierten Staatsgrenzen schienen spätestens ab den 1950er Jahren als definitiv. Und die Erfahrung einer spezifischen, eigenen Variante einer makedonisch-jugoslawischen Gesellschaftsentwicklung verlieh diesen Grenzen auch »systemisch« gegenüber den Nachbarstaaten immer mehr Sinn.74 Mit dem Ende des Kalten Kriegs und dem Beginn einer immer umfassenderen postsozialistischen Transformation änderten sich die Realitäten. Sowohl die vormals so evidenten und fast »natürlich« erscheinenden Grenzen als auch die in den jeweils durch spezifische räumliche Konstellationen geprägten Erfahrungswelten der Menschen verloren innerhalb kürzester Zeit ihren Sinn. Anstelle der spezifisch landestypischen Erfahrungen trat in dieser turbulenten Umbruchphase eine gemeinsame, grenzüberschreitende Erfahrung eines mehr oder weniger 74 Paul Shoup: Communism and the Yugoslav National Question. New York / London 1968; Irena Stefoska: Nation, Education and Historiographic Narratives: The Case of the Socialist Republic of Macedonia (1944-1990), in: Ulf Brunnbauer / Hannes Grandits (Hg.): The Ambiguous Nation. Case Studies from Southeastern Europe in the 20th Century. München 2013, S. 195-229.

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ausgeprägten Kollapses der staatlich-gesellschaftlich gesteuerten Wirtschaft, einer massiven De-Industrialisierung, einer umfassenden Privatisierung und der Einführung von neoliberalen bzw. kapitalistischen Wirtschaftsformen. Man könnte also zugespitzt formulieren, dass nun die postsozialistische Transformation eine in gewisser Weise (und natürlich mit Differenzen und Abstufungen) dominante Erfahrung für breite Teile der Gesellschaften über alle einstigen Grenzen hinweg wurde. Der einstige Sinn der Grenzregime vor 1989, als sie sich in der Erfahrungswelt der Menschen als Trennlinien von unterschiedlichen Ausprägungen von Sozialismus bzw. mit Bezug zu Griechenland sogar als eines politisch-ökonomischen Systemgegensatzes im Kalten Krieg etabliert hatten, verblasste seit den 1990er Jahren zunehmend.75 Bezugnahmen auf die neuen gegenwartsprägenden wie auch auf weiter zurückliegende gesellschaftliche Erfahrungen erhielten in einer solchen Situation einen neuen Stellenwert und wurden zu wichtigen Elementen sich neu formierender innergesellschaftlicher Sinnstiftungen. Das betraf auch Vorstellungen der »Legitimität« existenter Grenzen. So hatte etwa der in den 1990er Jahren zeitweise völlige Zusammenbruch von Grenzkontrollen im makedonisch-albanischen Gebiet um den Ohrid-See bzw. die dann später etablierte stark liberalisierte Reisefreiheit über die (einst massiv kontrollierte) Grenze hinweg zur Folge, dass alte (vorsozialistische, osmanische) und neue Bezüge von gesellschaftlicher »Gemeinsamkeit« miteinander zu wirken begannen.76 Gerade das Beispiel Südosteuropa verdeutlicht also, welche Rolle verinnerlichte und räumlich reproduzierte Routinen spielen können, wie gesellschaftliche Erfahrungen und Sinnstiftungen nach bruchhaftem Wandel der Kontexte unter Rückgriff auf räumliche Historizität innerhalb kürzester Zeit neu bestimmt werden können.

75 Keith S. Brown: Political Realities and Cultural Specificities in Contemporary Macedonian Jokes, in: Western Folklore 54 (1995) 3, S. 197-211; Loring M. Danforth: The Macedonian conflict: ethnic nationalism in a transnational world. Princenton 1995; Jane Cowan: Macedonia: The Politics of Identity and Difference. London 2000; Žarko Trajanovski: »National« Flags in the Republic of Macedonia, in: Brunnbauer / Grandits (Hg.): Ambiguous Nation, S. 449-477. 76 Robert Pichler: Makedonische Albaner im Spannungsfeld von Nationsbildung und islamischer Erneuerung, in: Christian Voß / Jordanka TelbizovaSack (Hg.): Islam und Muslime in (Südost)Europa im Kontext von Transformation und EU-Erweiterung. München 2010, S. 195-222.

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Gestaltung des Raums Phantomgrenzen werden nicht nur imaginiert und erfahren, sondern gestalten ihrerseits aktiv den Raum mit. In Anlehnung an das relationale Raumverständnis der Stadtsoziologin Martina Löw verstehen wir den Raum als eine in Handlungsvollzügen entstehende »relationale (An)Ordnung von soziale[n] Gütern und Menschen«.77 Mit dem Begriff der »(An)Ordnung« verweist Löw auf zwei Dimensionen der Konstitution von Raum. Zum einen betont sie die prozesshafte Anordnung, d. h. die Handlungsdimension. Zum anderen verweist sie mit dem Begriff der Ordnung darauf, dass der Raum das Handeln strukturiert. Auch in dieser Perspektive sind Phantomgrenzen nicht als stabile Gegebenheiten zu verstehen, die sozialen Prozessen vorgelagert wären. Vielmehr sind Phantomgrenzen als gewordene und wandelbare Phänomene selber aktive Teile der Konstruktion sozialer Prozesse. Phantomgrenzen werden unaufhörlich aktualisiert, umgedeutet, neu geschaffen oder aufgelöst. Phantomgrenzen werden konstruiert und geprägt durch die kontinuierliche Rekomposition der Gesellschaften, durch ihr Handeln und ihre Imaginationen, und wirken gleichzeitig strukturierend auf diese ein. Sie sind also immer gleichzeitig aktiver und passiver Teil des relational gedachten Raumes.78 Mit dieser dritten Dimension des Phantomgrenzen-Konzeptes wollen wir auf die konkrete Produktion des Raumes hinweisen, die sich auf einer anderen analytischen Ebene abspielt als die Raumimagination (etwa als Produktion von Sinn) und die Raumerfahrung (d. h. die Praktiken der Akteure).79 Wir möchten im Folgenden anhand einiger Beispiele deutlich machen, dass die spezifische Anordnung und Ordnung sozialer Güter und Menschen im Zusammenspiel mit den anderen bei77 Marina Löw: Raumsoziologie. Frankfurt a. M. 2001, S. 224. 78 Diese relationale Konzeption des Raumes – gleichzeitig durch Handeln und Imagination strukturiert und auf das Handeln und die Imagination strukturierend wirkend – führt bei Martina Löw zurück auf die dualistische Konzeption von Struktur bei Anthony Giddens: Die Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie der Strukturierung. Frankfurt  a. M./New York 1988 (Orig. The Constitution of Society, Outline of the Theory of Structuration. Cambridge 1984). Eine ähnliche Konzeption findet sich ebenfalls in der französischen Geographie. Siehe hierzu Augustin Berque: Paysage-empreinte, paysage-matrice: éléments de problématique pour une géographie culturelle, in: Espace géographique 13 (1984) 1, S. 33-34. 79 Die drei Dimensionen werden hier etwas plakativ isoliert voneinander betrachtet. Bei der Analyse von konkreten Phantomgrenzen sind die drei Bereiche des Konzeptes aufs Engste miteinander verwoben.

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den Dimensionen des Phantomgrenzen-Konzeptes den Raum strukturiert.80 Inspiration hierfür findet sich insbesondere bei französischen Theoretikern in den Geschichtswissenschaften und der Geographie, die die longue durée spezifischer Raumkonstellationen analysiert haben. Für unseren Zusammenhang interessant sind die Arbeiten zu »Selbstorganisation«81, »Resilienz«82 und zum »räumlichen Gedächtnis«83. All diese Arbeiten untersuchen – ohne auf deterministische Erklärungen zurückzugreifen – am Beispiel von Fallstudien, weshalb bestimmte Fragmente historischer Raumanordnungen überdauern. Ein klassisches Beispiel für das Fortwirken von historisch gestalteten Räumen ist das der Bodenstrukturen. Diese Strukturen – etwa eine Aufteilung von Grund und Boden in Großgrundbesitz oder kleinbäuerliches Eigentum – verändern sich nur äußerst langsam. So sind teilweise auf aktuellen Liegenschaftskarten Fluraufteilungen zu finden, die sich bis in die Antike zurückverfolgen lassen.84 In Mittel- und Ostmitteleuropa gibt es zahlreiche bekannte Beispiele für diese longue durée im Agrarbereich. 80 Bei Martina Löw werden Räume prozesshaft durch zwei analytisch voneinander zu unterscheidende Prozesse, das Spacing und die »Syntheseleistung« konstituiert. Die »Syntheseleistung« definiert sie als aktive Verknüpfungsleistung, die über »Wahrnehmungsprozesse«, »Vorstellungsprozesse« oder »Erinnerungsprozesse« entsteht und das Begreifen, die Abgrenzung oder die Beschreibung eines Raumes ermöglicht. Raum konstituiert sich bei Löw aber auch durch die Herstellungsakte des Spacing, d. h. des »Plazierens sozialer Güter und Menschen« an Orten (Löw: Raumsoziologie, S. 159-160). Man kann die »Syntheseleistung« mit der oben von uns definierten Raumimagination verbinden und das Spacing mit dem, was wir unter der Gestaltung des Raumes verstehen. 81 Roger Brunet: Systèmes et approche systémique en géographie, in: Bulletin de l’association de géographes français 56 (1979) 465, S. 399-407; Frank Auriac: Système économique et espace. Un exemple en Languedoc. Paris 1982. 82 Christina Aschan-Leygonie: Vers une analyse de la résilience des systèmes spatiaux, in: Espace géographique 29 (2000) 1, S. 64-77. 83 Patrice Bourdelais / Bernard Lepetit: Histoire et espace, in: Frank Auriac / Roger Brunet (Hg.): Espaces, jeux et enjeux. Paris 1986, S. 17-26; Jean-Luc Piveteau: L’épaisseur temporelle de l’organisation de l’espace – »palimpseste« et »coupe transversale«, in: Géopoint 90 (1992), S. 211-220; Ders.: Le territoire est-il un lieu de mémoire?, in: Espace géographique 24 (1992) 2, S. 113-123; François Durand-Dastès: Histoire et mémoire de l’espace, in: Violette Rey / Thérèse Saint-Julien (Hg.): Territoires d’Europe. La différence en partage. Lyon 2005, S. 109-117; Nicolas Verdier: La mémoire des lieux. Entre espaces de l’histoire et territoires de la géographie, in: Ádám Takács (Hg.): Mémoire, Contre mémoire, Pratique historique. Budapest 2009, S. 103-122. 84 Gérard Chouquer: Quels scénarios pour l’histoire du paysage? Orientations de recherche pour l’archéogéographie. Essai. Coimbra / Porto 2007; François Durand-Dastès et al.: Des oppida aux métropoles. Archéologues et géographes en vallée du Rhône. Paris 1998; Lena Sanders: Durability of settlements systems: a long term perspective, in: Cybergéo. European Journal of Geogra-

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So wurde beispielsweise der starke Gegensatz in den Bodenstrukturen Rumäniens – auf der einen Seite große Agrarunternehmen, auf der anderen klein(st)bäuerliche Betriebe – durch die Agrarreformen in den Jahren 1917 /21 und 1945 kaum reduziert. Mit der Kollektivierung wurden die großen Agrarunternehmen verstaatlicht und die kleinbäuerlichen Betriebe in Genossenschaften überführt, so dass die Unterschiede in den Bodenstrukturen des Altreichs während der sozialistischen Zeit keine Rolle spielten. Sowohl die staatlichen Agrarunternehmen als auch die genossenschaftlichen Großbetriebe verfügten nun über große Flurstücke. Nach 1990 jedoch tauchte der Unterschied in den Bodenstrukturen plötzlich wieder auf: Der Boden der Genossenschaften wurde wieder den Familien zurückgegeben, denen das jeweilige Flurstück vor der Kollektivierung gehört hatte. Die staatlichen Agrarunternehmen wurden dagegen privatisiert und in kapitalistische Unternehmen umgewandelt. Dieser Prozess führte zu einem Wiederauftauchen der Verhältnisse der Zwischenkriegszeit: auf der einen Seite die Agrarunternehmen mit großflächigen Flurstücken, auf der anderen Seite die Kleinstparzellen der Kleinbauern. Für die Akteure war die jeweilige Bodenstruktur (kapitalistischer Groß- vs. bäuerlicher Kleinstbetrieb) an sehr unterschiedliche Erfahrungen geknüpft – sowohl in Bezug auf ihre landwirtschaftliche Tätigkeit als auch auf das Dorfleben. Diese Erfahrungen korrespondierten wiederum mit zwei äußerst unterschiedlichen Typen von Landschaften. Mit der Umbruchphase nach 1990 erlebten diese Entwürfe und Erfahrungen in allen Teilen des Landes eine Neubestimmung – jedoch aus sehr unterschiedlichen Perspektiven. Die Rückkehr zu einem dualistischen Agrarsystem im Rumänien der 1990er Jahren und dessen Konsolidierung im aktuellen politischen System war geprägt von längst verschwunden geglaubten Strukturen. So spielten etwa räumliche Anordnungen wieder eine Rolle, die in der Zeit des kommunistischen Regimes verdrängt worden waren und in der post-sozialistischen Zeit direkte Auswirkungen auf die Handlungsräume der Akteure hatten.85 Wichtig scheint uns an dieser Stelle, hervorzuheben, dass wir nicht für eine deterministische Sichtweise plädieren. Bezieht man nämlich in dem Dekollektivierungs-Beispiel die Entscheidungen der nationalen phy [En ligne] 31 (1997), 10ème Colloque Européen de Géographie Théorique et Quantitative, Rostock, Allemagne, 6-11 septembre 1997, einsehbar unter: http://cybergeo.revues.org/1547 (22. 05. 2015). 85 Béatrice v. Hirschhausen: Les nouvelles campagnes Roumaines. Paradoxes d’un »retour« paysan. Paris 1997; Violette Rey (Hg.): Les nouvelles campagnes de l’Europe centre orientale. Paris 1996.

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und lokalen Akteure in die Analyse mit ein, wird deren starke Abhängigkeit von konkreten politischen Konjunkturen deutlich.86 Dieses politische Setting hat beispielsweise dazu geführt, dass die vollständige Auflösung der Kooperativen als alternativlos wahrgenommen wurde. Tatsächlich werden in Umbruchphasen nicht immer alte Strukturen wieder hergestellt. So haben etwa die Gesetze zur Dekollektivierung nach 1990 in Thüringen nicht dazu geführt, die kleinbäuerlichen Bodenstrukturen aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg wieder zu etablieren. Vielmehr gingen aus den Agrargenossenschaften große Privatunternehmen hervor. Die Erklärung für die unterschiedlichen Wirkungen der Dekollektivierung liegt in der politischen Konstellation zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes.87 Am unterschiedlichen Ausgang der beiden Dekollektivierungsprozesse wird deutlich, wie wichtig die Akteursperspektive für das Verständnis dieser Prozesse ist. Die Raumkonstellation muss in der longue durée ins Verhältnis gesetzt werden zu den situierten, konkreten, womöglich eigensinnigen Strategien der Akteure. Es gilt genau darauf zu achten, wer, wann und in welcher Form in solche Prozesse involviert und imstande ist, diese voranzutreiben oder zu bestimmen. Vor dem Hintergrund unserer Fallstudien wird deutlich, dass das Wirken von Akteuren – meist im Rahmen von machtausübenden (innerstaatlichen, aber auch internationalen) Institutionen – in solchen Prozessen in der Regel nicht beliebig ist, sondern stark von der Logik des Moments und vom jeweiligen (sich wandelnden) Kontext bestimmt ist. Nicht alles ist überall möglich. Fortschreibung oder Wandel von (politisch oder sozial) angenommener Räumlichkeit sind immer kontextgebunden. Unsere Forschungsarbeiten zu den früheren Grenzen, die, nachdem sie institutionell abgeschafft wurden, den Raum weiter strukturieren, lenken zudem den Fokus auf die Territorialität von Staaten bzw. Imperien. Von besonderem Interesse ist, inwieweit die Staaten in der Lage sind, nachhaltige räumliche Konstellationen und Konfigurationen zu etablieren. Grenzverläufe und -markierungen, Kommunikationsnetze, die Erschließung der Landschaft, administrative Gliederungen und Regelwerke konstituieren gleichzeitig den Raum und den

86 Nigel Swain: Green Barons, Force-of-Circumstance Entrepreneurs, Impotent Mayors. Rural Change in the Early Years of Post-Socialist Capitalist Democracy. Budapest/New York 2013. 87 Violette Rey : Problématiques de transition. Le renversement de l’ordre des enjeux, in: Dies. (Hg.): Les nouvelles campagnes de l’Europe centre-orientale, S. 9-30

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Staat.88 Sucht man beispielsweise nach Spuren früherer politischer Körperschaften auf Straßen- oder Eisenbahnkarten oder auf Karten dörflicher Siedlungsstrukturen, stellt sich die Frage nach der Modalität von Langzeitwirkungen: Wie geschieht – ganz konkret – die Reproduktion, das Verschwinden oder das Wiederauftauchen von Fragmenten alter räumlicher Anordnungen? Am Beispiel der oben erwähnten Dekollektivierung in Rumänien lässt sich dieser Punkt verdeutlichen. Wie erwähnt, wurden die Unterschiede in den bäuerlichen Bodenrechten in den historischen Regionen Rumäniens zum Zeitpunkt der Dekollektivierung wieder hergestellt, nachdem sie im sozialistischen Rumänien 50 Jahre lang keine Rolle gespielt hatten. Dabei beeinflusste die Frage, ob ein Kataster aus der Zeit vor der Kollektivierung vorhanden war oder nicht, die Modalitäten der Rückgabe von Grund und Boden sowie die Erfahrung der Dekollektivierung in hohem Maße. Hatten die vorhandenen Flurkarten in Siebenbürgen während der sozialistischen Zeit keine Bedeutung gehabt, wurden sie nun von den lokalen Akteuren und landwirtschaftlichen Behörden wieder als sinnvoll angesehen. Durch die Dekollektivierung in den 1990er Jahren tauchten sogar die alten regionsspezifischen Unterschiede in den Bodenstrukturen wieder auf. Solche Prozesse sind besonders eindrücklich in den Praktiken und Normen der Agrarstrukturen zu beobachten, sie treten aber auch in anderen Bereichen auf. Unsere Hypothese ist, dass soziale Morphologien, d. h. die materiellen und symbolischen Formen aller sozialen Gebilde, Räume und regionale Unterschiede produzieren, die ähnlich wie die agrarische Morphologie fortdauern können. Dabei darf nicht übersehen werden, dass alle Karten, auf denen Phantomgrenzen sichtbar werden, eine Materialität vortäuschen, die ihnen nicht zukommt. Die Aufzeichnung in der Karte verleiht ihnen einen ähnlichen physischen Charakter wie den auf klassischen politischen Karten sichtbaren geltenden Grenzen und Territorien. Selbst wenn Phantomgrenzen in der materiellen räumlichen Anordnung 88 Siehe David Blackbourn: The Conquest of Nature. Water, Landscape and the Making of Modern Germany. London 2006. Siehe auch die französischen Historiker, die sich de longue date für die staatliche Konstituierung von Territorien interessierten: Bernard Lepetit: Chemins de terre et voies d’eau. Réseaux de transport et organisation de l’espace en France, 1740-1840. Paris 1984; Ders.: Les Villes dans la France moderne, 1740-1840. Paris 1988; MarieVic Ozouf-Marignier: La formation des départements. La représentation du territoire français à la fin du 18e siècle. Paris 1989; Daniel Nordman: Frontières de France. De l’espace au territoire XVIe-XIXe siècle. Paris 1998.

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festgestellt oder an materielle Phänomene angekoppelt werden können (z. B. in Eisenbahnnetzen in post-imperialen Ländern), haben sie – immer vor dem Hintergrund eines relationalen Raumverständnisses – »keine Materialität im Sinne eines physischen Substrats«.89 Wie bei der Entwicklung der agrarischen Morphologie überdauern einige Elemente, andere verschwinden, wieder andere tauchen auf, befördert durch Sinnstiftungen, die in neuen historischen Kontexten stattfinden. Das Fortdauern von bestimmten sozialen Formen ist von den Erfahrungen und von den Vorstellungswelten der Akteure nicht zu trennen.90 Und umgekehrt sind die Erfahrungen und die Schaffung der jeweiligen Vorstellungswelten von ihren sozialen Kontexten, d. h. von den sozialen Morphologien, geprägt.

Ausblick Der vorliegende Band will ein Arbeitsprogramm skizzieren. Er soll das Konzept der Phantomgrenzen in die wissenschaftliche Debatte einführen und darlegen, dass mit seiner Hilfe eine interdisziplinäre Reflexion über die Konstruktion und Reproduktion regionaler Unterschiede am Beispiel des östlichen Europas angestoßen werden kann. Die Konstruktion geographischer Unterschiede wird als gleichzeitig innerhalb von und durch soziale Imaginative, in und durch individuelle und kollektive Erfahrung sowie als Konstruktion des physischen und sozialen Raums in den Blick genommen. Dabei soll das Beharrungsvermögen von Historischem betont und an die autopoietischen Logiken der Inwertsetzung und Verstärkung bestehender geographischer Konfigurationen erinnert werden – und zwar in der konkreten Lebenswelt ebenso wie in den Vorstellungen der Akteure. Indem Raumwahrnehmung, Raumerfahrung und Raumgestaltung als gleichermaßen relevant für die Beschreibung historischen Wandels begriffen werden, erscheint die Erfassung regionaler Spezifika möglich, ohne dass die Relevanz der Akteure ausgeblendet wird, aber auch 89 Löw: Raumsoziologie, S. 229. 90 Siehe hierzu innovative Forschungsarbeiten aus der Schule der archéogéographie, die durch Gérard Chouquer begründet wurde. Besonders interessant sind hier Studien zu den Formen der Vergangenheit, den morphogènes (wie etwa Kataster und Verkehrsnetze), die sich in einer très longue durée fortschreiben und im Laufe der Zeit neu interpretiert werden: Sandrine Robert: Comment les formes du passé se transmettent-elles?, in: Études rurales 167168 (2003), S. 115-132.

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ohne dass für diese eine völlige Autonomie postuliert würde. Der Beharrungskraft raumbezogener Vorstellungswelten und Praktiken wird Rechnung getragen, ohne dass der Raum zu einem das menschliche Handeln determinierenden Container wird. Und schließlich wird die wahrnehmungsprägende Kraft von Raumvorstellungen – gerade auch im System der Wissenschaft – kritisch reflektiert, jedoch vermieden, dass jeglicher Forschungsarbeit durch ein rein dekonstruktivistisches Paradigma die erkenntnistheoretische Basis entzogen würde.

Dietmar Müller Geschichtsregionen und Phantomgrenzen

Einführung »Im Raume lesen wir die Zeit«, so lautet eine der jüngeren Veröffentlichungen des Historikers Karl Schlögel, und er bezieht damit die beiden grundsätzlichen Kategorien geschichts- und kulturwissenschaftlicher Forschung aufeinander.1 Diese von dem Geographen Friedrich Ratzel entlehnte Sentenz bezieht Schlögel auf die Zeit nach dem Kalten Krieg, in der insbesondere an den Bruchzonen Europas das Individuelle, das Spezifische von klein- und mittelgroßen Räumen wieder zutage tritt und geschichtsmächtig wird: »Auf das Ende des Systems folgt die Wiederkehr des Raums.«2 Doch was bedeutet diese »Wiederkehr des Raumes«?3 Tauchen kulturelle und nationale Spezifika aus dem Schutt des kollabierten kommunistischen Systems in reiner Form einfach wieder auf? Lässt sich aus der Zugehörigkeit eines Landes zu bestimmten europäischen Geschichtsregionen gar eine Entwicklungsprognose ableiten: Ostmitteleuropa – prosperierend; Südosteuropa – sich balkanisierend; Osteuropa – immer autokratisch? Diese zuspitzenden Fragen deuten auf Umstände und Forschungsdebatten, die vor einer unreflektierten Verwendung von Raumbezügen mahnen. Mit Rückgriff auf eine Diskussion zwischen dem Berliner Historiker Holm Sundhaussen und der in Bulgarien gebürtigen US -Historikerin Maria Todorova werden zunächst die für Raumdimensionen relevanten Konzepte der Geschichtsregion sowie des mental mapping vorgestellt. In beiden Zugängen ist jedoch die Problematik nur schwach thematisiert worden, wie strukturelle Gemeinsamkeiten respektive Erbschaften in der Generationenfolge über die Zeit, insbesondere über einschneidende politische und wirtschaftliche Brüche hinweg, tradiert wurden. Das an der Kritik der Zeitvergessen1 Karl Schlögel: Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik. Frankfurt a. M. 2009, 3. Aufl. 2 Ebda., S. 394. 3 Jürgen Osterhammel: Die Wiederkehr des Raumes: Geopolitik, Geohistorie und historische Geographie, in: Neue Politische Literatur 43 (1998) 3, S. 374397.

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heit entwickelte Plädoyer für eine Analyse, die sich auf das Handeln von Akteuren in Institutionen bezieht und damit Prozesse des Wandels wie auch Kontinuitäten in den Blick nimmt, wird abschließend anhand einiger Beispiele aus Rumänien im 20. Jahrhundert umgesetzt.

Die Geschichtsregion »Südosteuropa« und das Konzept des mental mapping Ein meso-regionaler Zugriff bei der Konstruktion von europäischen Räumen gehört zu einer der Besonderheiten der deutschen Osteuropahistoriographie, die weltweite Beachtung erfährt.4 Während das Gepräge und die Grenzen der Geschichtsregion Ostmitteleuropa bereits in der Zwischenkriegszeit und dann insbesondere im Kontext des Kalten Krieges von ungarischen und polnischen (Exil-)Historikern wie Jenő Szücs und Oskar Halecki diskutiert wurden, kann Südosteuropa als meso-regionales Verräumlichungskonzept gar als Hervorbringung der deutschen Historiographie eingeschätzt werden.5 Bis in die späten 1980er Jahre war die von Mathias Bernath geprägte Kompromissformel »Einheit in der Vielfalt«6 die Arbeitsgrundlage der deutschen Südosteuropahistoriographie, mit der er die Vielfalt dieser Region geradezu zu ihrem einenden Band machte. Paradoxerweise war es erst eine methodische Herausforderung seitens Maria Todorovas, die einen der einflussreichsten Südosteuropahistoriker, Holm Sundhaussen, dazu veranlasste, die kohärenteste Bestimmung der Geschichtsregion Südosteuropa vorzulegen. Todorova hatte sich in ihrem vielbeachteten Buch »Imagining the Balkans«7 nicht mit der Diskussion aufgehalten, ob einzelne Länder wie Slowenien, Kroatien oder Rumänien zu »Mitteleuropa« gehörten, zu jenem Sehnsuchtsort, der in ungarischen, polnischen und tschechoslowakischen Kreisen seit den 1980er konstruiert worden war. Vielmehr warf sie Autoren wie 4 Stefan Troebst: What’s in a Historical Region? A Teutonic Perspective, in: European Review of History: Revue européenne d’histoire 10 (2003) 2, S. 173-188. 5 Dietmar Müller: Southeastern Europe as a Historical Meso-region: Constructing Space in Twentieth-Century German Historiography, in: Ebda., S. 393-408. 6 Mathias Bernath: Südosteuropäische Geschichte als gesonderte Disziplin, in: Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 20 (1973), S. 135-144. 7 Maria Todorova: Imagining the Balkans. New York 1997, 2. Aufl. 2009; in sehr schlechter deutscher Übersetzung dies.: Die Erfindung des Balkans. Europas bequemes Vorurteil. Darmstadt 1999 (Orig. Oxford 1997).

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Czesław Miłosz und Milan Kundera, aber auch Historikern wie Jenő Szücs und Peter Hanák vor, sie hätten eingestimmt in jene Denunziation Südosteuropas als Ort der Rückständigkeit, atavistischer Gewalt und unverständlicher politischer Querelen, wie sie seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert im Westen gepflegt worden sei. Insgesamt charakterisiert sie diesen Diskurs über Südosteuropa als »Balkanismus«, als einen »abendländischen« Selbstvergewisserungsdiskurs, in dem die dunklen Momente der eigenen Entwicklung externalisiert worden seien. Damit stellte Todorova zunächst implizit auch jegliche Rede von einer Geschichtsregion Südosteuropa unter Balkanismus-Verdacht. Diesem dekonstruktivistischen Zugriff setzte Holm Sundhaussen einen im Kern strukturalistischen Ansatz entgegen, der auf der Sinnhaftigkeit, ja Notwendigkeit der Konstruktion historischer Strukturund Beziehungsräume beharrte.8 Ein gewisses Maß an Fokussierung und Abstraktion sei dabei unerlässlich, habe jedoch keine auf ewig festschreibende Wirkung, wenn die dabei verwendeten Kriterien und identifizierten Merkmale offen gelegt, mithin auch falsifizierbar seien. Zur Charakterisierung des »Balkan[s] als historischer Raum Europas« stellt Sundhaussen einen Cluster aus acht Merkmalen zusammen. Diese seien 1) die Instabilität der Siedlungsverhältnisse und ethnische Gemengelagen auf kleinstem Raum; 2) Verlust und späte Rezeption des antiken Erbes; 3) das byzantinisch-orthodoxe Erbe; 4) das osmanisch-islamische Erbe; 5) gesellschaftliche und ökonomische »Rückständigkeit« in der Neuzeit; 6) eine Nationalstaats- und Nationsbildung, die von erbitterter Konkurrenz zueinander um die jeweilige Bevölkerung sowie in Vermischung moderner Prinzipien (Selbstbestimmungsrecht) und balkanischer Vergangenheitsmythen (Anciennität, Permanenz) charakterisiert waren; 7) durch patriarchale Mentalitäten und Mythen geprägte politische Kultur sowie 8) der Balkan als Objekt der Großmächte. Bündig zusammengefasst sieht Sundhaussen den Balkan insbesondere durch byzantinisch-orthodoxe und osmanisch-islamische Erbschaften geprägt, die in der Region vom übrigen Europa distinkte geistige, politische und wirtschaftliche Strukturen herausgebildet hätten. Da er die Rolle der Religion bzw. der Kirchen bezüglich der Hervorbringung so wichtiger Institutionen wie Herrschaft und Gewaltenteilung, Familie und Gesellschaft, Formen des Eigentums usw. als besonders geschichtsmächtig einschätzt, verläuft 8 Holm Sundhaussen: Europa balcanica. Der Balkan als historischer Raum Europas, in: Geschichte und Gesellschaft 25 (1999) 4, S. 626-653.

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ihm zufolge die nördliche Grenze der Geschichtsregion entlang der Konfessionsgrenze zwischen orthodoxem Balkan und einem katholisch resp. evangelisch geprägten Übergangsraum zu West- und Ostmitteleuropa. In anderen Texten inkludiert er Staaten und Regionen aus diesem Übergangsbereich, wie etwa Kroatien, Slowenien und Siebenbürgen in einen erweiterten Südosteuropabegriff.9 Insbesondere in diesen habsburgisch geprägten Räumen, ebenso aber auch in stark vom Russischen sowie Osmanischen Reich beeinflussten Räumen sind Phänomene der kulturellen Remanenz, die mithilfe der Gedankenfigur »Phantomgrenzen« analysierbar sind, häufig anzutreffen. Bei der Diskussion der relevanten Cluster betont Sundhaussen, diese seien sowohl durch empirisch vorzufindende Daten als auch durch kognitive Faktoren bestimmt. Gestützt auf umfangreiche Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie zum Nationalismus und der Bildung von Nationalstaaten in Südosteuropa weisen die darauf bezogenen Cluster besondere Kohärenz und Überzeugungskraft auf. Weniger dicht dagegen sind die sogenannten kognitiven Faktoren, wie z. B. die durch Mythen geprägte politische Kultur sowie die altbalkanisch-byzantinischen und osmanischen Erbschaften, beschrieben und analysiert. Insbesondere bleibt bei Sundhaussens ClusterModell unklar, wie Struktur und agency, wie historisch Vorgefundenes und gesellschaftliche Handlungsoptionen miteinander interagieren. Dies scheint der Hauptgrund dafür zu sein, dass das Cluster-Modell auch nach der Debatte mit Maria Todorova, in der Sundhaussen es in seinen Bestandteilen als flexibles und falsifizierbares heuristisches Modell bezeichnet hat, dennoch als bloße Spätform strukturalistischen Denkens verstanden wird. Während Todorova mit der Empirie mancher der Merkmale einverstanden ist, begründet sie ihre Kritik an Sundhaussen insbesondere mit methodisch-theoretischen Überlegungen. Sein strukturalistischer Zugriff tendiere dazu, den Balkan zu exotisieren, zu essentialisieren und als statische Einheit zu verstehen.10 Im Endeffekt – so ihre polemische Kritik in der ersten Entgegnung – sei diese Herangehensweise eine akademische Verlängerung des mental mapping11 der Akteure in Me9 Ders.: Was ist Südosteuropa und warum beschäftigen wir uns (nicht) damit?, in: Südosteuropa Mitteilungen 42 (2002) 5-6, S. 92-105. 10 Maria Todorova: Der Balkan als Analysekategorie: Grenzen, Raum, Zeit, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002) 3, S. 470-492. 11 Zu einem Literaturüberblick dazu Frithjof Benjamin Schenk: Mental Maps. Die Konstruktion von geographischen Räumen in Europa seit der Aufklärung, in: Ebda., S. 493-514.

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dien und Politik im 19. und 20. Jahrhundert, die den »Balkanismus« erfunden hatten. Todorova kann an der »Instabilität der Siedlungsverhältnisse und ethnischen Gemengelagen« und daraus folgend an manchen der von Sundhaussen als »verspätet«, »unvollständig«, »inselhaft« oder »mythenbeladen« charakterisierten Züge der balkanischen Nations- und Nationalstaatsbildung, der Industrialisierung oder der politischen Kultur nichts erkennen, was ein alleiniges Spezifikum dieses Raumes sei. All diese Züge ließen sich in westeuropäischen Gesellschaften ebenso finden – mit Verweis auf den Holocaust und ethnische Säuberungen während und nach dem Zweiten Weltkrieg in Mitteleuropa sogar in gesteigerter Form. Sie stellten demnach gemeineuropäische Phänomene dar, die es in »relativer Synchronität innerhalb eines longue durée-Rahmens«12 zu analysieren gelte. Auf der Ebene der Realia war es Todorova ein besonderes Anliegen, auf die rund 500 Jahre osmanischer Herrschaft hinzuweisen, unter der die Balkangesellschaften in einem Maße geprägt worden waren, dass es nicht übertrieben sei »festzustellen, dass der Balkan tatsächlich das osmanische Erbe ist«.13 Von diesem »osmanischen Erbe als Kontinuität« verschieden sei das »osmanische Erbe als Perzeption«. Bei der Formulierung dieses Modells geht sie – wie mir scheint – über die Maßen dezisionistisch und simplifizierend vor: »Untersucht man das Fortwirken des osmanischen Erbes in den verschiedenen politischen, kulturellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen, in denen es sich unterschiedlich stark behauptete, dann wird deutlich, dass sich der Bruch in allen Bereichen – außer in denen der demographischen Entwicklung und der Alltagskultur fast unmittelbar nach dem Beginn der politischen Unabhängigkeit der Balkanstaaten vollzog. Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs war er vollständig abgeschlossen; danach wirkte das Osmanische Erbe nur noch auf der Ebene der Perzeption weiter.«14

12 Maria Todorova: Die Kategorie Zeit in der Geschichtsschreibung über das östliche Europa (= Oskar-Halecki-Vorlesung am GWZO 2003). Leipzig 2007, S. 21. 13 Dies.: Balkan als Analysekategorie, S. 467. Siehe auch Dies.: The Ottoman legacy in the Balkans, in: Études balkaniques 4 (1994), S. 66-81; sowie das Kapitel »Realia – Qu’est-ce qu-il y a hors de texte?« des Buches Todorova: Die Erfindung des Balkans, S. 229-260. 14 Dies.: Die Erfindung des Balkans, S. 467 f.

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Zunächst wäre zu fragen, wie dies auch Holm Sundhaussen in einer weiteren Replik tat,15 weshalb Todorova die rund tausend Jahre byzantinischer Herrschaft über große Teile des Balkanraumes hinsichtlich seiner Prägung als Kontinuität und als Perzeption praktisch gänzlich ausgeklammert und so ausschließlich auf das Osmanische Reich und dessen Erbe fokussiert. Grundsätzlich stellt sich jedoch die methodische Frage nach dem Verhältnis zwischen einem Erbe als Kontinuität und einem als Perzeption. Sind dies zwei unterschiedliche, also sachlich und zeitlich klar voneinander zu unterscheidende Kategorien? Kann also jeweils von einem altbalkanisch-byzantinischen und einem osmanischen Herrschaftsmodell ausgegangen werden, die nach ihrem politischen Ende eine ebenfalls klar bestimmbare Zeit als Kontinuität wirkten, bevor sie in den Bereich der Perzeption übergingen? Eine umfangreiche Historiographie zur osmanischen Herrschaft in Südosteuropa hat in den letzten Jahrzehnten auf erhebliche Verflechtungen und Kontinuitäten hingewiesen, die es unmöglich erscheinen lassen, von distinkten Einheiten auszugehen. Es ist gut dokumentiert, dass das Osmanische Reich in seinen Balkanprovinzen zahlreiche altbalkanisch-byzantinische Institutionen nicht gänzlich abschaffte, sondern sie überschichtete, das heißt, sie zum Teil an eigene Herrschaftsbedürfnisse anpasste oder sie zum Teil unverändert in das Staatsgefüge einordnete. Die bekannteste Institution ist sicher das millet-System, die kirchlich-kulturelle Selbstverwaltung der Schriftreligionen, die für die balkanischen Nationalbewegungen des 19. Jahrhunderts als Kristallisationspunkte geschichtsmächtig wurden.

Für eine Dynamisierung der Raumbezüge So anregend die Debatte zwischen Holm Sundhaussen und Maria Todorova über Sinn und Unsinn, über Möglichkeiten und Grenzen der Konstruktion von historischen Geschichtsregionen auch war, so sind deren forschungspraktische Folgen doch von begrenzter Reichweite geblieben. Daraus scheint im Wesentlichen hervorgegangen zu sein, dass sich ihre Standpunkte angenähert haben,16 in dem Sinne dass 15 Holm Sundhaussen: Der Balkan: Ein Plädoyer für Differenz, in: Geschichte und Gesellschaft 29 (2003) 4, S. 608-624. 16 Stefan Troebst: Maria Todorova als Balkan-, Osteuropa- und Europahistorikerin, in: Todorova (Hg.): Kategorie Zeit, S. 5-9, hier S. 6 ff.; Ders.: Vom spatial turn zum regional turn? Geschichtsregionale Konzeptionen in den Kulturwissenschaften, in: Matthias Middell (Hg.): Dimensionen der Kultur- und

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einerseits Sundhaussen in seiner Konzeption der »Geschichtsregion Balkan« diese nicht essentiell versteht, sondern als ein Deutungsangebot des Raumes, das ergänzt, modifiziert und falsifiziert werden kann. Andererseits ist klar geworden, dass Todorova sich nicht gegen das heuristische Konzept der Geschichtsregion an sich wendet, jedoch vom »historischen Vermächtnis«17 spricht und damit zuvörderst für die Integration von Mechanismen der Repräsentation bei der Konstruktion von Geschichtsregionen plädiert. Dieser, wie ich finde, unbefriedigende Formelkompromiss ist wesentlich der Tatsache geschuldet, dass der Aspekt der Zeit, der Dauer bei beiden zwar sehr wichtig ist, aber systematisch weder in der Modellbildung, noch in seiner Kritik berücksichtigt worden ist. Im Folgenden wird für eine Dynamisierung der Raumbezüge plädiert, indem Kontinuität und Wandel an konkrete Institutionen und Akteure zurückgebunden werden. Einige Ansatzpunkte für eine dynamisierte Betrachtung von Raumbezügen bietet Maria Todorova in dem Text »Die Kategorie Zeit in der Geschichtsschreibung über das östliche Europa«,18 der unverkennbar von ihrer Debatte mit Holm Sundhaussen geprägt ist. Darin ruft sie die Historikerzunft auf, sich von einem naiven Zeitbegriff – als chronologische Aneinanderreihung von Fakten – zu verabschieden und die Geschichtlichkeit von Zeitbegriffen selbst zu verarbeiten. Sie entwickelt ihr Verständnis der Kategorie Zeit am Beispiel des Nationalismus und des Nationalstaates sowie der Forschung zu diesen Feldern. Es sei ein Kennzeichen der neueren Nationalismusforschung seit den Arbeiten Benedict Andersons und Ernest Gellners in den späten 1980er Jahren, eine feste Verbindung zwischen Nationalismus und Moderne in dem Sinne anzunehmen, dass erst Makroprozesse wie Industrialisierung, Säkularisierung und Printmedien-Kapitalismus neue Kommunikations- und Vergesellschaftungsprozesse ermöglicht hätten. Dies habe dazu geführt, einige Zentren dieses modernen Nationalismus zu identifizieren, der sich in aufeinanderfolgenden Wellen in alle Welt ausgebreitet habe. An diesem Ursprungs- und Verbreitungsmodell stört Todorova insbesondere die Annahme eines »PionierchaGesellschaftsgeschichte. Festschrift für Hannes Siegrist zum 60. Geburtstag. Leipzig 2007, S. 143-159, hier S. 148. 17 Maria Todorova: Historische Vermächtnisse als Analysekategorie. Der Fall Südosteuropa, in: Karl Kaser / Dagmar Gramshammer-Hohl / Robert Pichler (Hg.): Europa und die Grenzen im Kopf (= Wieser Enzyklopädie des europäischen Ostens 11). Klagenfurt 2003, S. 227-252. 18 Todorova: Kategorie Zeit.

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rakters des westeuropäischen Nationalismus«,19 denn dieses lasse sich mit der südosteuropäischen Empirie nicht in Einklang bringen, bedenkt man die Tatsache, dass balkanische Nationalismen lange Zeit ohne Industrialisierung, Massenpresse etc. auskamen, dafür in Griechenland, Serbien vor und in Rumänien etwa zeitgleich mit Italien und Deutschland die Staatlichkeitsschwelle überschritten. Sie plädiert daher, von »grundlegenden Ähnlichkeiten der Nationalismen« auszugehen, sodass »Nationalismus als nahezu synchrones Arrangement von Gruppensolidaritäten menschlicher Gesellschaft gefasst werden [kann, D. M.], als ein globaler sozialer Prozess, der wiederum ein Nebenprodukt von Urbanisierung, Bürokratisierung, der medialen Revolution und ähnlichem ist«.20 Als Reaktion auf die Kritik von geschichtsregionalen Konzeptionen, sie neigten mittels Ontologisierung der Räume in zeitlicher Perspektive zur Essentialisierung, reflektiert auch Holm Sundhaussen über das Verhältnis von Raum und Zeit: »Niemand wird daher ernsthaft behaupten wollen, dass es einen historischen Raum mit festen Grenzen gäbe, dem bestimmte Merkmale von Ewigkeit zu Ewigkeit eingeschrieben wären. […] Die Historizität des historischen Raumes impliziert, dass es sich hierbei nicht um eine unwandelbare, sondern um eine prozessuale Kategorie handelt. Denn Gegenstand der Geschichte ist Wandel in Zeit und Raum.«21 Aufgrund der Logik kontroverser Diskussionen, in denen Argumente nicht selten nur aufeinander bezogen sind bzw. idiosynkratisch zur Stützung des eigenen Anliegens formuliert werden, ist der Mehrwert der Sundhaussen-Todorova Debatte bisher kaum erkannt und ausgeschöpft worden. Er liegt darin, dass beide Autoren Ansätze formulieren, die Analyse von Raumverhältnissen dynamisch zu gestalten. Wenn etwa Sundhaussen konstatiert, dass »[n]icht nur Staatsgrenzen und Raumgrenzen […] mitunter auseinander [fallen] (was wiederum zum Auseinanderfallen von Staaten führen kann) – auch die Raumgrenzen selbst verschieben sich im Laufe der Zeit und können schließ-

19 Ebda., S. 16. 20 Ebda., S. 25 f. 21 Holm Sundhaussen: Die Wiederkehr des Raums. Über Nutzen und Nachteil von Geschichtsregionen, in: Konrad Clewing / Oliver Jens Schmitt (Hg.): Südosteuropa. Von vormoderner Vielfalt und nationalstaatlicher Vereinheitlichung. Festschrift für Edgar Hösch. München 2005, S. 13-33, hier S. 23.

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lich ihre prägende Kraft ganz einbüßen«,22 kann dies als direkter Beitrag zu dem hier vertretenen Konzept der Phantomgrenzen gelesen werden. Auch Todorova verweist auf die Gedankenfigur der »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen«, die – einmal ihres inhärenten Modernisierungsoptimismus entkleidet – geeignet ist, die historische Zeit zu pluralisieren, d. h. »der Bedeutung von Alltagshandeln beim Verstehen spezifischer Reaktionen auf globale wie zugleich lokale Prozesse die notwendige Aufmerksamkeit zu widmen«.23 Die Herausforderung besteht nun darin, so hochaggregierte Konzepte wie das Sundhaussen’sche Merkmalscluster zur Bestimmung der Geschichtsregion Südosteuropa sowie die geschichtsphilosophische Erkenntnis von einer pluralen Zeit in die Forschungspraxis zu übersetzen. Aus der Vielfalt möglicher Anwendungsfelder werden im Folgenden diejenigen des Rechts und in geringerem Maße der Wirtschaft behandelt, wobei vornehmlich nicht die klassischen Ansätze der Wirtschafts- und Rechtsgeschichte Anwendung finden, sondern nach Wandel und Beharrung im räumlichen Kontext gefragt wird. Interessanterweise fand die Dimension des Rechts nicht als gesonderte Kategorie Eingang in das Merkmalscluster von Holm Sundhaussen, allenfalls als eine über byzantinische und osmanische Erbschaften vermittelte Komponente des politischen Systems und der politischen Kultur. Dies ist insofern bedauerlich, als rechtliche Formen, sei es als Gewohnheitsrecht oder als gesatztes Recht, sich in besonderer Weise eignen, Brücken zu anderen Dimensionen menschlicher Gemeinschaften zu schlagen. Am Beispiel des Agrarregimes wird deutlich, dass gewohnheits-, feudal- oder staatsrechtliche Regelungen des Eigentums und der Nutzung sowie später des Kaufs und Verkaufs von landwirtschaftlich genutztem Boden zunächst in wirtschaftlicher Hinsicht die Grundlage eines Gemeinwesens bildeten. Vermittelt über die Inklusion in das politische System, etwa als auf Landeigentum bzw. Einkommen basierendem Wahlrecht, wirkte sich das Agrarregime auch auf Prozesse der Konstitutionalisierung und Parlamentarisierung aus. Wie und in welchem Ausmaß Grundeigentum vererbt wurde, ist von besonderer gesellschaftlicher Bedeutung, denn darin äußern sich Familienbeziehungen – zwischen den Generationen, aber auch zwischen den Geschlechtern – ebenso wie Migrations- und Siedlungsprozesse. All diese Dimensionen eines in rechtliche Formen gegossenen Agrarregimes schlagen sich schließlich als symbolische Verarbeitung in kul22 Ebda. 23 Todorova: Kategorie Zeit, S. 48.

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tureller Hinsicht, beispielsweise in großen Bauernromanen wie in Liviu Rebreanus »Ion« oder Władysław Reymonts »Chlopi« (Die Bauern) nieder.

Phantomgrenzen in Rechts- und Institutionenkulturen im östlichen Europa In der klassischen Rechtsgeschichte wird die Territorialisierung des Rechts überwiegend unter dem Paradigma des Transfers von Normen und Institutionen über politische Grenzen hinweg untersucht.24 Für Ostmittel- und Südosteuropa ist dies insofern auch leicht verständlich, da angefangen bei den Verfassungen und Bürgerlichen Gesetzbüchern, über Prozessordnungen und Vertragsformen bis hin zu Konzepten des Eigentums und der Arbeit Rechtsinstitute sowohl des bürgerlichen Rechtsstaats als auch des sozialistischen Klassenstaates in diese Regionen auf dem Weg des Rechtstransfers kamen. Geleitet von einer stahlharten Normativität und einem ebenso gearteten Gleichartigkeitsgebot wird das Phänomen, dass innerhalb einer territorialen Entität, innerhalb einer Gesellschaft mehrere, zuweilen einander widersprechende Rechtssysteme, mindestens aber verschiedene Normensysteme koexistieren, üblicherweise als Anomalie verstanden. Angesichts der bewegten politischen und territorialen Geschichte Ostmittel- und Südosteuropas im 19. und 20. Jahrhundert scheint es für die Rechtskultur dieser Staaten und Gesellschaften jedoch sinnvoll zu sein, grundsätzlich das Vorhandensein von Rechtspluralismus anzunehmen. Für das Südosteuropa des 19. und 20.  Jahrhunderts ist zum Beispiel von der Koexistenz alten Gewohnheitsrechts, von byzantinischem und osmanischem Recht sowie von sukzessive aus Westeuropa importiertem Recht auszugehen, das seit 1945 dann vom sozialistischen Recht überformt wurde. Wie die jeweiligen Transfers allerdings vonstattengingen, von welchen Akteuren in welchen Phasen und mit welchen Motiven sie vorangetrieben, wie die Rechtsinstitute adaptiert und institutionalisiert wurden und schließlich, welche Ergebnisse dies im politischen Prozess und der Rechtswirklichkeit zeitigte, dies wird in der traditio24 Im Folgenden vgl. Dietmar Müller: Die Institutionalisierung von Eigentumsformen in Ostmittel- und Südosteuropa im 20. Jahrhundert. Für eine Kulturgeschichte des Rechts, in: Wim van Meurs / Dietmar Müller (Hg.): Institutionen und Kultur in Südosteuropa. München / Berlin 2014, S. 119-162.

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nellen Rechtsgeschichte in der Regel nicht analysiert.25 Eine solcherart nominalistische und essentialistische Betrachtung des Transfers sowohl bürgerlicher als auch sozialistischer Rechtsinstitute verfehlt systematisch eine von der historischen und kulturwissenschaftlichen Forschung erschlossene Erkenntnisquelle, nämlich die Analyse des Transfers verstanden als komplexer Prozess.26 Dort wird der Transferprozess eines Begriffs, einer Institution usw. in drei bzw. vier Phasen geteilt – das Kennenlernen des Vorbildes, seine Ankunft im eigenen Land sowie die eigentliche Implementation und seine Wirkungsgeschichte. Während die ersten beiden Phasen sich noch als Elitenprojekt beschreiben lassen, sind in Implementation und Wirkungsgeschichte wesentlich weitere Kreise der Bevölkerung involviert. Der Rechtshistoriker Peter Häberle hat schon früh darauf hingewiesen, dass die dritte Phase des Rechtstransfers kaum als Totalrezeption, sondern besser als »schöpferische Reproduktion«,27 als Anverwandlung eines Rechtsinstituts an lokale Bedürfnisse, Macht- sowie soziale und kulturelle Verhältnisse verstanden werden muss. Bei dieser starken Betonung der Handlungsebene ist zudem in allen Phasen des Rechtstransfers systematisch nach den Erwartungshorizonten und Interessen der verschiedenen Akteure zu fragen sowie nach ihren Ressourcen, diese zu formulieren und zur Geltung zu bringen.

25 Für eine überwiegend traditionell rechtsgeschichtliche Betrachtung der Entwicklung der Juristenausbildung und der Rechtswissenschaft im östlichen Europa: Zoran Pokrovac (Hg.): Juristenausbildung in Osteuropa bis zum Ersten Weltkrieg. Frankfurt  a. M. 2007; Ders. (Hg.): Rechtswissenschaft in Osteuropa. Studien zum 19. und frühen 20.  Jahrhundert. Frankfurt  a. M. 2010. 26 Matthias Middell: Kulturtransfer und historische Komparatistik – Thesen zu ihrem Verhältnis, in: Comparativ 10 (2000) 1 (= Schwerpunktband Kulturtransfer und Vergleich, hg. v. Matthias Middell), S. 7-41; Hartmut Kaelble / Jürgen Schriewer (Hg.): Vergleich und Transfer. Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften. Frankfurt a. M. 2003; Hannes Siegrist: Comparative History of Cultures and Societies. From Cross-societal Analysis to the Study of Intercultural Interdependencies, in: Comparative Education 42 (2006) 3, S. 377-404; Frank Hadler / Matthias Middell (Hg.): Verflochtene Geschichten: Ostmitteleuropa (= Schwerpunktband Comparativ 20 (2010) 1-2). Leipzig 2010. 27 Peter Häberle: Europäische Rechtskultur. Versuch einer Annäherung in zwölf Schritten. Frankfurt a. M. 1997, S. 180.

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Rechtsvereinheitlichung und Institutionentransfer im Rumänien der Zwischenkriegszeit Anhand eines Fallbeispiels über die Verwaltung von Bodeneigentum nach einer Agrarreform im Rumänien der Zwischenkriegszeit werden die bisherigen Überlegungen zu Geschichtsregionen, Phantomgrenzen und Rechtskulturen zusammengeführt und veranschaulicht. Die dabei analysierten Elitendiskurse, Wege der Rechtsvereinheitlichung und administrative Praktiken fördern Erwartungshorizonte und Rechtskulturen bei den Akteuren zutage, die auf Phantomgrenzen innerhalb des nach dem Ersten Weltkrieg um habsburgische Provinzen wie Siebenbürgen und Bukowina erweiterten Großrumäniens hinweisen.28 Dies wiederum ermöglicht die Frage, wie sehr die Zugehörigkeit Siebenbürgens und der Bukowina zu ostmitteleuropäischen, also ungarisch und österreichisch geprägten Staaten die staatlichen Verwaltungen sowie die Alltagspraktiken seiner Einwohner geprägt hatte, wie sehr sie sich von denen des südosteuropäischen Rumäniens unterschieden und schließlich, ob und wie diese vereinheitlicht wurden. Im Rumänien der Zwischenkriegszeit bürgerte sich für die Notwendigkeit der Vereinheitlichung von jeweils drei oder vier verschiedenen Zivil- und Handelsgesetzbüchern, Gerichts- und Notariatsordnungen usw. die Rede von einer »zweiten Vereinigung« ein, nachdem die politische Einigung gelungen war.29 Wie dies aber geschehen sollte, war umstritten. Grundsätzlich wurden in der juristischen Fachliteratur drei Möglichkeiten erwogen, wie eine Rechtsvereinheitlichung vollzogen werden könne: 1) eine legislative »Stunde Null« durch die Neufassung aller grundsätzlichen Gesetzbücher, 2) die vollkommene und sofortige Ausweitung aller altrumänischen Bestimmungen auf die neuen Provinzen sowie 3) die grundsätzliche Ausweitung des altrumänischen Gesetzesbestandes auf die neuen Provinzen unter temporärer und sachlicher Beibehaltung mancher Regelungen aus den neuen Provinzen.30 28 Im Folgenden vgl. Dietmar Müller: Eigentum verwalten in Rumänien. Advokaten, Geodäten und Notare (1830-1940), in: Dietmar Müller / Hannes Siegrist (Hg.): Professionen, Eigentum und Staat. Europäische Entwicklungen im Vergleich (19. und 20. Jahrhundert). Göttingen 2014, S. 75-132. 29 Zu einem zeitgenössischen Überblick vgl. Camill Negrea: Rumänien. Der heutige Rechtszustand, in: Zeitschrift für Osteuropäisches Recht 1 (1925) 3-4, S. 307-322. 30 George P. Docan: Interdependenţa legilor provinciale şi de unificare. Studiu de jurisprudenţă. Bucureşti 1943; Salvator A. Brădeanu: Extinderea legislaţiei

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Bereits früh in den 1920er Jahren hatte sich in der Ministerialbürokratie und der Rechtswissenschaft ein Konsens herausgebildet, wonach die dritte Option der zu verfolgende Weg sei. Interessanterweise wurde für diese Option vornehmlich mit dem Argument geworben, in Siebenbürgen sei ein Verwaltungssystem für Eigentum an Grund und Boden vorhanden, das demjenigen aus dem Altreich so weit überlegen sei, dass es landesweit eingeführt werden sollte.31 Die Umsetzung dieses Konsenses in Juristenkreisen in Gesetze zum Aufbau eines Kataster- und Grundbuchsystems sollte allerdings fast zwei Jahrzehnte auf sich warten lassen und fand erst 1938 statt, als das parlamentarische System durch die Königsdiktatur abgelöst worden war. Erklärt kann dies nur werden, wenn die Interaktion von drei relevanten Akteursgruppen analysiert wird: 1) Geodäten, Kataster- und Grundbuchbeamte sowie Notare, die vor 1918 in habsburgischen Systemen der Bodenevidenz und -verwaltung tätig waren, 2) Juristen aus der Bukarester Ministerialbürokratie, die Gesetze und Verfahren zur Rechtsvereinheitlichung erarbeiteten sowie 3) Rechtsanwälte / Juristen als Abgeordnete in beiden Kammern des rumänischen Parlaments. Die Siebenbürger Angehörigen von eigentumsrelevanten Professionen (Professionals) warben für ihre Institutionen im Wesentlichen mit Effizienzkriterien.32 Das Zusammenwirken des Katasters, des Grundbuchs und des Notariats habe – so ihre Argumentation – ein hohes Maß an Rechts- und Erwartungssicherheit für alle Akteure auf dem Bodenmarkt erzeugt. Die Grundlage dafür war, dass sämtliche Bodentransaktionen wie Kauf und Verkauf, Beleihung, Verpachtung, Vererbung, Zusammenlegung von Grundstücken etc. nur gültig waren, nachdem sie ins Grundbuch eingetragen worden waren. Einmal erstellt, würde das Grundbuch kostengünstig, transparent und effizient sein, einen regen Bodenmarkt zur Folge haben und den Bauern die Aufnahme von Bankkrediten ermöglichen.33 Dieses Bild der Rationalität, Effizienz und Rechtssicherheit beinhaltet aber auch eine stark polemische Note, die man auf den ersten civile şi comerciale a Vechiului Regat în România de peste Carpaţi. Problemele puse prin coexistenţa legilor locale cu cele extinse. Sibiu 1944. 31 Andrei Rădulescu: Publicitatea drepturilor reale imobiliare. Bucureşti 1923. 32 Sie taten dies meist in eigens zu Lobbyzwecken gegründeten Fachzeitschriften wie Ardealul Juridic, Notariatul Public oder Justiţia. 33 Zur Bedeutung des habsburgischen Katastersystems im europäischen Kontext vgl. Kurt Scharr: The Habsburg Cadastral Registration System in the Context of Modernisation, in: Hannes Siegrist / Dietmar Müller (Hg.): Property in East Central Europe. Notions, Institutions and Practices of Landownership in the Twentieth Century. New York / Oxford 2015, S. 100-116.

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Blick nicht erkennt und die auch in der Fachpresse nicht ausgesprochen wurde. Denn der Umkehrschluss kann auch so gelesen werden: All das gab es im habsburgischen Siebenbürgen auch für die ethnischen Rumänen, nicht aber im unabhängigen Rumänien selbst; und dies stand natürlich im starken Kontrast zu der Meistererzählung des »Völkerkerkers Österreich-Ungarn«, der in Öffentlichkeit und Politik die Rolle einer Legitimation Großrumäniens zukam. Nicht wenige der siebenbürgisch-rumänischen Professionals beschrieben mit der genannten Idealvorstellung ihren eigenen Weg der Aufwärtsmobilität.34 Nach der Bauernbefreiung und Verrechtlichung der Eigentumsverhältnisse im Habsburger Reich war es im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zum Aufbau eines Kataster- und Grundbuchsystems gekommen. Diese Reformen verliehen erhebliche Rechtssicherheit, schufen einen signifikanten Bodenmarkt und eröffneten den Bauern den Weg zu einer Agrarmodernisierung. Es entwickelte sich weiterhin ein Netz von Genossenschaften und Banken, die Kapital und Wissen bereit stellten. Dies alles verlieh der rumänisch-siebenbürgischen Nationalbewegung einen ausgesprochen integrativen und emanzipatorischen Charakter. In Siebenbürgen gelang den rumänischen Bauern mithilfe günstiger Bankkredite in beeindruckendem Ausmaß die Übernahme mittels Parzellierung ungarischen Großgrundbesitzes. Weiterhin war eine erhebliche Aufstiegsmobilität der Bauernsöhne zu verzeichnen, sodass eine bürgerliche Schicht, bestehend aus freien Berufen, Intellektuellen und Gewerbetreibenden von unten her gewachsen war.35 Die rumänische Ministerialbürokratie – gut durchsetzt mit Rechtswissenschaftlern, die auch international zu Themen des Rechtsvergleichs und der Rechtsangleichung publizierten – hatte für die Effizienz- und Rationalitätserzählung offene Ohren. So wurden im Verlaufe der 1920er und frühen 1930er Jahre Kommissionen zusammengestellt, die Empfehlungen für die Gestaltung der Systeme der Bodenevidenz 34 Für neuere Forschungen zur Aufwärtsmobilität der Rumänen Siebenbürgens im habsburgischen Kontext vgl. Remus Câmpeanu: Elitele româneşti din Transilvania veacului al XVIII-lea. Cluj-Napoca 2008; Cornel Sigmirean: Formarea elitelor intelectuale româneşti din Transilvania (1701-1918), in: Mihai D. Gheorghiu / Mihăiţă Lupu (Hg.): Mobilitatea elitelor în România secolului XX. Piteşti 2008, S. 109-124. 35 Zur Erfolgsgeschichte dieses dem weit besser bekannten polnischen Weg der »organischen Arbeit« gleichenden Prozess vgl. Mihai D. Drecin: Banca »Albina« din Sibiu. Instituţie naţională a românilor transilvăneni (1871-1918). Cluj-Napoca 1982; Vasile Dobrescu: Sistemul de credit românesc din Transilvania (1872-1918). Târgu Mureş 1999.

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erarbeiten sollten. Darin waren die neuen Provinzen, insbesondere das post-habsburgische Siebenbürgen und die Bukowina gut vertreten. Die Empfehlungen mündeten in Gesetzesvorlagen mehrerer Justizminister, die im Wesentlichen auf die Ausweitung der habsburgischen Systeme auf ganz Rumänien hinausliefen. Aber bereits in den Parlamentsausschüssen scheiterten die Gesetzesprojekte, was eine echte Sensation war, denn in der überwiegenden Zahl aller Fälle passierten die von der Regierung eingebrachten Gesetze die beiden Kammern des Parlamentes ohne allzu große Änderungen.36 Ein Blick auf den beruflichen Hintergrund der Abgeordneten in den beiden Kammern des rumänischen Parlaments ist hilfreich, um diese parlamentarische Besonderheit zu erklären. Im Durchschnitt der Jahre 1922 bis 1937 betrug der Anteil von Advokaten in der Deputiertenkammer 41,9 % und im Senat 25,9 %.37 Das Interesse dieses soliden und parteienübergreifenden Blocks an Advokaten im Parlament, die Einführung österreichisch-ungarischer Institutionen zu verhindern, hing mit der Praxis der juristischen Administration des Eigentums an Grund und Boden im Altreich zusammen. Dort war bis 1918 kein Kataster- und Grundbuchsystem aufgebaut worden; Bodentransaktionen wurden nach dem französischen System vollzogen, wonach diese mit der Unterzeichnung des Kauf-/Verkaufsvertrags gültig wurden.38 Das Aufsetzen solcher Verträge, die Authentifizierung der beteiligten Personen sowie die Bestätigung der Legalität der fraglichen Sachverhalte war seit den späten 1880er Jahren mittels einer nur teilweisen Rezeption des französischen Code Civil vollzogen worden. Was fehlte, war das Notariat, also die Bestätigung von einem Funktionsträger einer öffentlichen Institution, dass ein rechtsgültiger Akt vollzogen worden war. Infolge dieses Versäumnisses entwickelte sich eine Rechtspraxis, die als äußerst ineffizient, intransparent und teuer eingeschätzt werden muss. Von den drei genannten Teilen eines Kauf- und Verkaufsvertrags – seine Aufsetzung, die Authentifizierung der beteiligten Personen sowie die Bestätigung der Legalität der fraglichen Sachverhalte – geschah lediglich die Authentifizierung der beteiligten Personen unter öffentlicher staatlicher Regie. Dies sowie die Tatsache, dass eine Bodentransaktion überhaupt stattfand, wurden auf den beiden untersten 36 Hans-Christian Maner: Parlamentarismus in Rumänien (1930-1940). Demokratie im autoritären Umfeld. München 1997, S. 278 ff. 37 Mattei Dogan: L’origine sociale du personnel parlementaire d’un pays essentiellement agraire: La Roumainie, in: Revue de l’institut de Sociologie de l’Université Libre de Bruxelles 26 (1953) 2-3, S. 165-208, hier S. 170-175. 38 Rădulescu: Publicitatea drepturilor reale imobiliare.

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Ebenen des Gerichtssystems sowie in Polizeipräsidien oder einfachen Polizeistellen bestätigt. Da aber kein Grundbuch zur Verfügung stand, das diese Stellen über die Legalität der fraglichen Sachverhalte informierte, ob z. B. der Verkäufer einer Landparzelle auch tatsächlich deren legaler Eigentümer war, wurde darüber keine Aussage getroffen. Die entsprechenden Personen bei der Polizei und den Gerichten verfügten weder über die notwendige Zeit noch über die Befugnis oder juristische Kenntnisse, um entsprechende Verträge aufzusetzen. Dies wurde den Vertragspartnern überlassen, die sich mit diesem Anliegen überwiegend an Advokaten wandten. Die Advokaten besetzten dieses offenbar äußerst lukrative Geschäft und sicherten es als ausschließlich ihnen zustehendes Recht mittels einer Bestimmung in der Advokatenordnung von 1925.39 Das Interesse der Advokaten, diese juristische Administration des Eigentums an Grund und Boden beizubehalten, liegt auf der Hand, verdienten sie doch einerseits an dem nur ihnen zustehenden Recht, Verträge aufzusetzen. Andererseits eröffnete sich für ihre Profession ein weiteres Geschäftsfeld gerade dadurch, dass die Abwesenheit eines Grundbuchs sowie eines öffentlichen Notariats Kauf- und Verkaufsverträge zur Folge hatte, die keinerlei Rechtssicherheit zu vermitteln in der Lage waren. Daran schloss sich eine Vielzahl von Auseinandersetzungen um Grund und Boden an, die von Advokaten vor Gericht ausgefochten wurden. Da in aller Regel aber keine gerichtsfesten, materiellen Beweise für Eigentumsansprüche der einen oder anderen Seite vorgelegt werden konnten und mit Zeugenaussagen operiert wurde, zogen sich solche Prozesse nicht selten über Jahre hinweg, ohne dass schließlich der Rechtsfrieden wiederhergestellt werden konnte. Abschließend sei darauf eingegangen, wie Phantomgrenzen in den Diskursen zur Rechtsvereinheitlichung und zur Administration von Grund und Boden sichtbar wurden. Diese Diskurse waren strukturiert durch Kategorien wie Effizienz, Rationalität, Nation, Rechtsgewohnheiten/-kultur sowie Rechtsfamilie. Ich habe v. a. rumänische Akteure östlich und westlich der Karpaten ausgesucht, um zu betonen, dass es sich nicht (oder nicht primär) um einen ethnisch strukturierten Konflikt handelt, sondern um regionale Besonderheiten.40 39 Lege pentru organizarea şi unificarea corpului de advocaţi, in: Codul General al României. Legi noui de unificare, Bd. 11 /12, 1922-1926. Bucureşti o. J., S. 165-185. Allgemein zur Geschichte der rumänischen Advokatur vgl. Mircea Duţu: O istorie a Advocaturii române, Bd. 1. Bucureşti 2001. 40 Für eine neuere Analyse des siebenbürgisch-rumänischen Regionalismus: Florian Kührer-Wielach: Siebenbürgen ohne Siebenbürger? Zentralstaatliche

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Neben der sichtbaren und politisch wirkungsmächtigen Gruppe der Advokaten-Abgeordneten in den beiden Kammern des rumänischen Parlaments organisierte sich die Lobby der altrumänischen Juristen in den Rechtsanwaltskammern der Moldau und der Walachei. Dort wurde bereits in den 1920er Jahren, verstärkt dann im Zuge der Weltwirtschaftskrise, für eine Rechtsvereinheitlichung durch eine simple Ausweitung des altrumänischen Gesetzesbestandes auf das gesamte Land plädiert. Dies wurde im Wesentlichen mit zwei Behauptungen begründet: 1) Die Gesetze Altrumäniens seien ein perfekter Ausdruck des rumänischen Rechtsempfindens, da sie aus Frankreich importiert wurden, d. h. aus einem Land der romanischen Rechtsfamilie, zu dem auch Rumänien gehöre, und 2) das habsburgische Rechtssystem andererseits, sei für ein Volk mit anderer Rechtskultur geschaffen worden, das dem rumänischen nicht nur fremd, sondern auch feindlich gegenüberstehe. In einem rechtsvergleichenden Vortrag vor der Bukarester Rechtsanwaltskammer im Januar 1923 zum Thema »Eigentum und Besitz im österreichischen und rumänischen Bürgerlichen Gesetzbuch« drückte diesen Gegensatz George Georgian wie folgt aus: »Der Deutsche, der Ungar, generell die sogenannten Mittelmächte, haben einen uniformeren Lebensrhythmus, eine Disziplin die nach jenem Eins-Zwei des Militärmarsches klingt, während der Lebensrhythmus der romanischen Völker komplexer, unregelmäßiger und variabler ist.«41 Juristen aus Siebenbürgen betonten dagegen, dass auch das habsburgische Rechtssystem auf römischem Recht aufbaue; zudem habe insbesondere die Bodenevidenz in Siebenbürgen hervorragende Ergebnisse gezeitigt. Ich zitiere aus einem Motivenbericht eines Gesetzes aus dem Jahr 1933 für die Einführung eines Katasters und Grundbuchs in Gesamtrumänien, das von der Nationalbäuerlichen Partei eingebracht wurde, die ihren Schwerpunkt in Siebenbürgen hatte: »In den Ländern deutschen Ursprungs ist die Institution des Katasters seit langer Zeit ins Bewusstsein des Volkes eingedrungen. Denn diese Institution stellt die technische Grundlage für den Aufbau der Grundbücher, die als Eigentumsregister im deutschen System des Integration und politischer Regionalismus nach dem Ersten Weltkrieg. München 2014. 41 George Georgian: Proprietatea şi posesiunea în codul civil Austriac şi Romăn. o. O. o. J., S. 42.

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Immobilienrechts die Prinzipien dieses Rechts besser und sicherer gewährleisten. Auch bei uns in Siebenbürgen hat sich die Bedeutung des Katasters und des Grundbuchs in der Praxis von fast 70 Jahren erwiesen.«42 De facto seien diese Institutionen also bereits rumänisiert worden, dadurch dass sie Teil der siebenbürgisch-rumänischen Rechtskultur geworden seien – eine Übertragung auf Gesamtrumänien sei unproblematisch. Ein anderes Thema der Debatte war die national-politische Dimension des habsburgischen Rechtssystems. Die altrumänischen Juristen und Politiker sahen darin eine weitere Institution, die die Rumänen der Bukowina und Siebenbürgens auf einer politisch inferioren Position gehalten hatte. Dagegen argumentierten die siebenbürgischen Professionals (Richter, öffentliche Notare und Rechtsanwälte), sie hätten ihre Position ausschließlich aufgrund ihrer Fähigkeiten erhalten – charakterisierten das habsburgische Rechtssystem also als meritokratisch und indifferent für Ethnizität und Konfession. Als aber sämtliche Anläufe gescheitert waren, habsburgische Elemente der Bodenevidenz in Gesamtrumänien einzuführen, wurden die Interessenkonflikte deutlich geäußert. Tigran Pruncu, ein Notar aus der Bukowina, kommentierte diesen Vorgang voller Erbitterung und in gewisser Hinsicht prophetisch dahingehend, dass der Parlamentarismus der Zwischenkriegszeit dysfunktional geworden war: »In Alt-Rumänien gibt es keine Notariate.« Dort »ist bis heute alles noch beim alten geblieben, bis einmal eine eiserne Hand die Macht der vielen Advokaten (in Bukarest allein sind über 3.000 Advokaten) brechen und im Interesse sowohl der Bevölkerung, als auch des Staates das erwähnte Notariatsprojekt im parlamentarischen Wege einführen wird.«43 Wohl am eindrücklichsten offenbarte sich eine Phantomgrenze, als der Justizminister Constantin Hamangiu 1931 erklärte, er wolle der leidigen Diskussion über das »Wie« der Rechtsvereinheitlichung nun dadurch eine Ende setzen, dass er dies schlicht auf dem Weg der Aus42 »Proect de lege pentru organizarea cadastrului şi pentru introducerea cărţilor funduare în Vechiul Regat şi în Basarabia«, Arhivele Statului Bucureşti Parlament d. II, 2490 /1932-1933, f. 284. Für den Motivenbericht vgl. I. Postulache: Noţiuni de Carte Funduară. Bucureşti 1938, S. 63-79, hier S. 65 f. 43 Tigran Pruncu: Das Notariat in Rumänien, in: Notariats-Zeitung 69 (1927), S. 154.

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dehnung des altrumänischen Gesetzesbestandes zu tun beabsichtige. Während sämtliche Rechtsanwaltskammern des Altreichs dies befürworteten, lehnten es sämtliche Kammern aus Siebenbürgen und der Bukowina ab.44 Die Gründe dafür, dass sich die rechtskulturelle Phantomgrenze zwischen post-habsburgischen Regionen und Altrumänien in der Zwischenkriegszeit nicht auflöste, sondern situativ deutlich wurde und sich zuweilen verhärtete, sind einerseits in konkreten Interessen aller Akteure zu finden, andererseits aber auch in der weiterwirkenden Prägekraft von Institutionen auf das Handeln der Akteure, wie auch auf ihre Erwartungshorizonte. Unter der Oberfläche der Argumente über Rationalität und Effizienz der habsburgischen Bodenevidenz einerseits und ihrer Fremdartigkeit andererseits befanden sich konkrete materielle Interessen. Die ehemals habsburgischen Professionals wollten mit der Ausdehnung des als effizient und emanzipatorisch erfahrenen Systems der Bodenadministration auf das gesamte Rumänien zum Wohlergehen des Landes beitragen, aber auch ihre Position im Gefüge der Professionen und der Verwaltung stärken. Die Vertreter des altrumänischen Bodenverwaltungssystems, vornehmlich die Advokaten, verteidigten den Geschäftsbereich ihrer Profession mit allen Mitteln und nahmen dafür – bewusst oder unbewusst – in Kauf, dass eine ineffiziente Institution den Bodenmarkt mit extrem hohen Transaktionskosten belastete. Die Auseinandersetzung hatte aber auch eine weitreichende politische Dimension. Wenn die Argumentation der siebenbürgischen Professionals richtig war, dass sie als Rumänen in einem für Ethnizität blinden System der Bodenevidenz Karriere gemacht hatten, das den rumänischen Bauern zudem Rechts- und Erwartungssicherheit verliehen habe, stand die Meistererzählung über das Habsburgerreich als Völkerkerker infrage, und somit nicht weniger als die politische Grundlage für die Vereinigung Siebenbürgens und der Bukowina mit Altrumänien.

Institutionen und Erwartungsräume Neben der oben vorgestellten professionellen Dimension von Institutionen können diese auch hinsichtlich ihrer Effizienz und des Vertrauens diskutiert werden, das Akteure ihnen entgegenbringen. Auf dem 44 Unificarea legislativă. Cuvântarea D-lui Profesor Dr. C. Rădulescu. Decanul Baroului Bucovinei, in: Buletinul Uniunii Avocaţiilor 9 (1932) 3-4, S. 61-68.

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Feld des Agrarregimes stellen sich die relevanten Fragen dementsprechend wie folgt: Ist das Institutionengefüge so gestaltet, dass es den Erwartungen und Investitionen bäuerlicher und staatlicher Akteure die nötige Sicherheit verleiht, die Transaktionskosten bezahlbar gestaltet und die Produktionsfaktoren wie Arbeit und Kapital zu mobilisieren in der Lage ist? Die Analyse von Institutionen, respektive von Prozessen der Institutionalisierung stellt einen, mehrere Disziplinen integrierenden Zugang dar, der in der Lage ist, Prozesse des Wandels und der Dauer auch über politische Einschnitte und unterschiedliche territoriale Zugehörigkeiten hinweg zu erfassen. Bezüglich der zeitlichen und territorialen Dimensionen wäre in meinem Fallbeispiel konkret zu fragen, ob Institutionen wie das habsburgische Bodenevidenzsystem bis zum Ersten Weltkrieg so viel Wirkungsmacht entwickelten, dass es das Handeln der Akteure in rechts- und wirtschaftskultureller Hinsicht auch im Rumänien der Zwischenkriegszeit oder gar in der staatssozialistischen Zeit prägte. Die Theoriebildung in den Wirtschaftswissenschaften neigt ebenso wenig wie die Rechtswissenschaft zu solchen historischen Fragestellungen. Gleichwohl liegt mit der Neuen Institutionenökonomik seit den 1970er Jahren ein Theorieangebot vor, das in zeitlicher Hinsicht Wandel erfassen kann und in dem Akteure eine zentrale Rolle spielen. In Kritik am mangelnden Realitätsgehalt der (neo)klassischen Wirtschaftstheorie entwickelte insbesondere Douglass C. North einen gut handhabbaren Institutionenbegriff.45 Institutionen, so North, steuern und regeln als schriftliche oder nicht-schriftliche Normen individuelles Verhalten; soziale, kulturelle und rechtliche Beziehungen werden durch sie normiert, legitimiert und berechenbar gemacht. Als »von Menschen erdachte Beschränkungen menschlicher Interaktion«46 stehen Institutionen in einem Wechselverhältnis mit Organisationen:47 Diese werden geschaffen, um Chancen zu nutzen, die eine Gesell45 Douglass C. North: Theorie des institutionellen Wandels. Tübingen 1988, übers. v. Monika Streissler; Ders.: Institutionen, institutioneller Wandel und Wirtschaftsleistung. Tübingen 1992, übers. v. Monika Streissler; Rudolf Richter / Eirik Grundtvig Furubotn: Neue Institutionenökonomik. Eine Einführung und kritische Würdigung. Tübingen 1996. 46 North: Institutionen, S. 3. 47 Institutionen können als formgebundene Beschränkungen – beispielsweise als Verfassung oder Agrarregime – oder als formlose Beschränkungen – z. B. als Verhaltenskodex oder Flurzwang – auftreten. Ebenso wie Institutionen dienen auch Organisationen, die etwa als öffentliche Körperschaften, Rechtspersonen des Wirtschaftslebens und Bildungsanstalten gefasst werden, dazu, die Verhaltensunsicherheit in menschlichen Interaktionen zu minimieren.

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schaft in Gestalt der Institutionen bietet, und im Zuge ihrer Entwicklung verändern wiederum die Organisationen bzw. die in ihnen agierenden politischen und ökonomischen Unternehmer die Institutionen, da sie sich davon Vorteile und Gewinne versprechen. Aufgrund der zentralen Rolle, die die Institution Eigentum bei North zur Erklärung des »Wachstums der westlichen Welt«48 einnimmt, ist die Neue Institutionenökonomie in Deutschland zuweilen als »Property-RightsAnsatz« bezeichnet worden.49 Mit einem institutionenökonomisch inspirierten Forschungskonzept hat sich kürzlich eine Gruppe von Wirtschaftswissenschaftlern und Historikern mit einer Frage beschäftigt, die der Hypothese der Phantomgrenzen stark ähnelt, nämlich »ob die historische Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Imperien tatsächlich bis heute zu Unterschieden in der Korruption und im Vertrauen in die staatliche Verwaltung führen kann«.50 Aufbauend auf Mikrodaten des in allen Ländern Osteuropas 2006 durchgeführten Life in Transition Survey (LiTS ) formulieren die Autorinnen und Autoren der auch über die Fachgrenzen hinaus rezipierten Studie51 bezüglich der fünf Staaten der Region, die vormals habsburgische Gebiete inkorporiert haben, nämlich Montenegro, Polen, Rumänien, Serbien und Ukraine, die Hypothese, »dass politische und rechtliche Institutionen, die vor langer Zeit existierten, kulturelle Normen beeinflusst haben und durchaus bis heute fortwirken«52. Gegen diesen methodisch bedenklichen Umgang mit dem habsburgischen Erbe können eine Reihe von Einwänden formuliert werden. Zunächst handelt es sich um Daten, die nicht von den Autoren 48 Douglass C. North / Robert P. Thomas: An Economic Theory of the Growth of the Western World, in: The Economic History Review 23 (1970) 1, S. 1-17. 49 Knut Borchardt: Der »Property-Rights-Ansatz« in der Wirtschaftsgeschichte. Zeichen für eine systematische Neuorientierung des Faches?, in: Jürgen Kocka (Hg.): Theorien in der Praxis des Historikers. Forschungsbeispiele und ihre Diskussion. Göttingen 1977, S. 140-156; Clemens Wischermann: Der Property-Rights-Ansatz und die »neue« Wirtschaftsgeschichte, in: Geschichte und Gesellschaft 19 (1993) 2, S. 239-258. 50 Sascha O. Becker et al.: Wie das längst untergegangene Habsburger Reich noch heute in den osteuropäischen Verwaltungen sichtbar ist, in: Ifo-Schnelldienst 64 (2011) 12, S. 20-23, hier S. 20; zur Langfassung der Studie vgl. dies.: The Empire Is Dead, Long Live The Empire! Long-Run Persistence of Trust and Corruption in the Bureaucracy. Bonn 2011. 51 Zum Beispiel Werner Mussler: Die Habsburger wirken bis heute nach. Die ehrbare Bürokratie des Kaiserreichs hemmt die Korruption in vielen Staaten Osteuropas, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 21. 8. 2011, Nr. 33, S. 30. 52 Becker et al.: Wie das längst untergegangene Habsburger Reich, S. 20.

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der Gruppe erhoben wurden und es ist eine gegenwärtige Momentaufnahme, eine einzelne Umfrage, aus der gleichwohl Aussagen destilliert werden, die sich auf eine longue durée-Perspektive beziehen. Seit dem Untergang des Habsburger Reiches nach dem Ersten Weltkrieg waren die fraglichen Regionen von teilweise erheblichem Bevölkerungszuzug betroffen und ihre Zugehörigkeit zu Österreich-Ungarn variierte von wenigen Jahrzehnten bis zu mehreren Jahrhunderten – gleichwohl soll das Vertrauen in die Gerichte und die Polizei in vormals habsburgischen Gebieten signifikant höher ausgeprägt sowie Schmiergeldzahlungen an Beamte dieser Institutionen wesentlich seltener sein als in solchen, die niemals dazu gehört haben. Wie ist das zu erklären? Ist es mit dem Hinweis schon getan, die Habsburger Bürokratie habe ehrlich und hart gearbeitet? Wodurch wird dieses Vertrauen weitergegeben? Und ist tatsächlich die Qualität der Arbeit der Gerichte und der Polizei regional auch unterschiedlich oder handelt es sich bei dieser Bewertung nur um eine Art Vertrauensvorschuss, den man glaubt, diesen Institutionen entgegenbringen zu können? Auf solche Fragen gibt die Studie keine Antwort, die Autoren verweisen lediglich auf zukünftige Forschungen. Es ist zumindest fraglich, ob die Qualität der Verwaltung nach den Vereinheitlichungsbestrebungen der genannten Staaten in der Zwischenkriegszeit, der staatssozialistischen Periode sowie seit 1989 in regionaler Hinsicht erhebliche Unterschiede nach ehemals habsburgischen und nicht-habsburgischen Gebieten aufweist. Vor diesem Hintergrund sind unterschiedliche Vertrauenslevels doch ein recht merkwürdiger Befund: Sind die Einwohner ehemals habsburgischer Regionen schlicht realitätsblind oder vertrauensselig? Meines Erachtens verweisen die Umfrageergebnisse in eine gänzlich andere Richtung. Nämlich in diejenige der Selbstwahrnehmung als Individuen sowie als Gesellschaft(en) in einer Region, die einmal Teil des Habsburgerreiches gewesen war, mithin Teil einer Rechts-, Wirtschaftsund Behördenkultur, in die man glaubte, Vertrauen haben zu können. Darin drückt sich also eher ein auf die Habsburger Behördenkultur projizierte Erwartungshaltung aus, wie die gegenwärtige Praxis der Behördenarbeit in einer Region, besser noch im gesamten Land gestaltet sein sollte. Solche Erwartungshorizonte, die in territorialisierter Form hier als Erwartungsräume gefasst werden, konstituieren sich aus Annahmen, was sich Bürger legitimerweise von der Verwaltung und der Politik versprechen dürfen und was diese dem Gemeinwesen schuldig sind, aber auch aus Meinungen darüber, was ein zivilisiertes

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Miteinander erfordert.53 Historische Bezugnahmen – in unserem Falle auf das Habsburgerreich – erweisen sich als besonders geeignete Mittel dazu, solche Erwartungsräume zu konstruieren und plausibel zu machen. Es ist diese Mischung aus historischen Erfahrungen einerseits und von den Akteuren mobilisierten Imaginationen andererseits, die dazu beiträgt, bestimmte Wahrnehmungen von Raum, in unserem Fall konkreter von Region, zu verfestigen und in wirkungsmächtige Narrative zu überführen. Das Potential einer solchen Perspektive, die Region als Resultat historischer Prozesse – wie etwa dem der Institutionenbildung – und historisch rückgekoppelter Zuschreibungen begreift, wird in der gegenwärtigen Regionalismusforschung nicht ausreichend erkannt. Es soll daher in einem abschließenden Beispiel weiter unten exemplifiziert werden. Dabei steht außer Frage, dass die neuere Regionalismusforschung seit Ende der 1990er Jahre interessante und für die hier besprochene Thematik der Phantomgrenzen relevante Beiträge hervorgebracht hat.54 In Absetzung von der weitgehend essentialistischen Regionalismusliteratur der 1970er und 1980er Jahre, also von der Annahme, Regionen seien natürlichere Bezugsräume als die konstruierten (National-)Staaten, betonen neuere Forschungen, dass regionalistische Identifikationsangebote in Gestalt von regionalen Bewegungen im Wesentlichen vor denselben Integrationsproblemen stehen, wie sie in Prozessen der Nations- und Nationalstaatsbildung analysiert werden. Zur Erfassung von Regionen, die in post-imperialen Kontexten in unterschiedliche und mitunter konkurrierende Projekte der Bildung von Nationalstaaten involviert wurden, schlägt Philipp Ther die Kategorie der »Zwischenräume« vor.55 Dies erinnert an den von Holm Sundhaussen für Südosteuropa formulierten Über53 Angelehnt an Reinhart Koselleck: »Erfahrungsraum« und »Erwartungshorizont« – zwei historische Kategorien, in: Ders.: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt  a. M. 1984, 3. Aufl., S. 349-375. Siehe auch die Analyse von erwarteten Zivilisationsstandards im gegenwärtigen Rumänien durch Béatrice von Hirschhausen in diesem Band. 54 Celia Applegate: A Europe of Regions: Reflections on the Historiography of Sub-National Places in Modern Times, in: American Historical Review 104 (1999) 4, S. 1157-1182; Peter Haslinger (Hg.): Regionale Identitäten und nationale Identitäten. Wechselwirkungen und Spannungsfelder im Zeitalter moderner Staatlichkeit. Würzburg 2000; Philipp Ther / Holm Sundhaussen (Hg.): Regionale Bewegungen und Regionalismen in europäischen Zwischenräumen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Marburg 2003. 55 Philipp Ther: Sprachliche, kulturelle und ethnische »Zwischenräume« als Zugang zu einer transnationalen Geschichte Europas, in: Ther/Sundhaussen (Hg.): Regionale Bewegungen und Regionalismen, S. IV-XXIX.

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gangsbereich von Regionen und Ländern, die nicht zum Balkan gehören, wie Kroatien, Slowenien und Siebenbürgen; für Ostmitteleuropa könnten z. B. Oberschlesien, Galizien, Mähren oder der polnischweißrussische Grenzraum ergänzt werden. Während die Abwendung vom Natürlichkeitsparadigma der Regionen uneingeschränkt zu begrüßen ist, scheint die intellektuelle Abhängigkeit der Regionalismusvon der Nationalismusforschung jedoch mit einer bedeutenden thematischen Verengung einhergegangen zu sein. Ein wichtiger Parameter der Untersuchungen wurde der »Erfolg«, den eine regionale Bewegung bzw. ein Regionalismus in Konkurrenz mit dem nationalen Zentrum gehabt oder nicht gehabt habe.56 In der Tendenz wird die Kategorie des Erfolges als Separation und eigene Staatsbildung ausbuchstabiert. Hinter diesem primär politischen Zugriff auf die Kategorie Region, der für manche Fragestellungen legitim und zielführend ist, bleiben große Teile des Materials regionalistischer Diskurse – mit Ausnahme von ethnischen, subnationalen Identitätserzählungen – blass und diffus. Die unausgeschöpfte Quelle von Material regionalistischer Provenienz – und zwar insbesondere von in politischen Maßstäben nicht erfolgreichen regionalen Bewegungen – besteht aus einer Mischung aus imaginierter Vergangenheit, gegenwärtigen Realia sowie Zukunftserwartungen insbesondere in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kultureller Hinsicht. Mit einem letzten Fallbeispiel, der Wahl Klaus Johannis’ zum rumänischen Präsidenten im Herbst 2014, sei die Wirkmächtigkeit regionalistischer, auf das Habsburgerreich rekurrierender Diskurse exemplifiziert, die auf innerrumänische Phantomgrenzen hindeuten. Die politische Karriere des Siebenbürger Sachsen Klaus Johannis begann im Jahr 2000, als er die Wahl zum Bürgermeister in Hermannstadt / Sibiu in der zweiten Runde mit 69 Prozent völlig überraschend gewann.57 Bis dahin hatte die Partei, auf deren Listen er antrat, das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR ) in Städten und Gemeinden Siebenbürgens im Wesentlichen das rumäniendeut-

56 Peter Haslinger / Klaus Holz: Selbstbild und Territorium. Dimensionen von Identität und Alterität, in: Haslinger (Hg.): Identitäten, S. 15-37, hier S. 24 ff.; Peter Haslinger: Nationalismus und Regionalismus – Konflikt oder Koexistenz, in: Ther / Sundhaussen (Hg.): Regionale Bewegungen und Regionalismen, S. 267-274. 57 Martin Bottesch: Zur Lage der deutschen Minderheit in Rumänien von 1990 bis 2014 unter Verwendung von Daten aus der Geschäftsstelle des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, in: Zugänge. Jahrbuch des Evangelischen Freundeskreises Siebenbürgen 42 (2014), S. 41-59, hier S. 43 ff.

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sche Stimmenpotential ausgeschöpft. Aufgrund eines überparteilichen Politikansatzes, einer professionellen kommunalen Wirtschaftspolitik sowie einer von Korruptionsfällen weitgehend freien ersten Amtszeit gelang Johannis 2004, 2008 und 2012 eine dreimalige Wiederwahl, mit überragenden Wahlergebnissen von 88, 80 sowie 78 Prozent.58 Zu seiner überregionalen Bekanntheit als erfolgreicher Kommunalpolitiker trug wesentlich die erfolgreiche Bewerbung Hermannstadts (zusammen mit Luxemburg) als Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2007 bei. Mittels eines effektiven Stadtmarketings, in dem die Multiethnizität und -sprachlichkeit der siebenbürgischen Metropole als kultureller Schatz sowie eine ebenso weltoffene wie arbeitsame Bevölkerung als Ressource im Wettbewerb um die Ansiedlung von Wirtschaftsunternehmen dargestellt wurde, erlebte Hermannstadt unter Johannis einen touristischen und ökonomischen Boom.59 Seit Ende der 2000er Jahre wurde er von unterschiedlichen Parteien für herausgehobene Ämter auf nationaler Ebene umworben, bevor er 2014 schließlich als Präsidentschaftskandidat für das Parteienbündnis Christlich-Liberale Allianz (ACL ) zur Wahl antrat. Der zentrale Slogan seiner Kampagne lautete »das Rumänien der gut verrichteten Dinge« (România lucrului bine făcut).60 Damit spielte er auf subtile, aber dennoch unmissverständliche Weise auf Qualitäten und Eigenschaften an, die in der mentalen Landkarte Rumäniens vornehmlich der Region Siebenbürgen und insbesondere den Deutschen (als »deutsche Wertarbeit«) zugeschrieben werden: Ehrlichkeit, Fairness, Arbeitsamkeit, Pünktlichkeit, Verlässlichkeit etc. Dieser Ansatz erwies seine Durchschlagskraft 58 Dragoş Dragoman: The success of the German Democratic Forum in Sibiu: Non-ethnic voting, political neutrality and economic performance, in: Transitions 52 (2013) 1-2, S. 97-117. 59 Dieser regionalistische, wesentlich auf habsburgische Elemente aufbauende Diskurs ist in der rumänischen Forschung bisher nicht erkannt worden. Dort ist im Zusammenhang mit Hermannstadt als Kulturhauptstadt Europas insbesondere auf das »Deutschtum« der Siebenbürger Sachsen fokussiert worden. Siehe Ders.: National Identity and Europeanization in post-communist Romania. The meaning of citizenship in Sibiu: European Capital of Culture 2007, in: Communist and Post-Communist Studies 41 (2008) 1, S. 63-78; Ders.: Naţionalism şi multiculturalism într-o comunitate urbană. Sibiu – Capitală Europeană în 2007, in: Studia Politica 8 (2008) 3, S. 623-639. 60 Aus der ungewöhnlichen Flut der Berichterstattung über die rumänische Präsidentschaftswahl in den deutschen Medien sei als pars pro toto die Reflexion des wohl bekanntesten zeitgenössischen Schriftstellers genannt – Mircea Cărtărescu: Rumäniens deutscher Traum. Für die Rumänen ist Deutschland das große Vorbild. Euroskepsis ist ein Luxus, den sie sich nicht erlauben, in: Die Zeit, 30. 12. 2104, Nr. 1, S. 50.

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erst in der zweiten Wahlrunde – Johannis steigerte seinen Stimmenanteil von der ersten zur zweiten Runde um mehr als 20 Prozent –, nachdem das Lager des Gegenkandidaten Victor Ponta sich alle Mühe gegeben hatte, die ihm vom politischen Gegner unterstellten negativen Eigenschaften unter Beweis zu stellen. Insbesondere der Versuch Pontas, die rund drei Millionen zählende rumänische Diaspora möglichst von der Wahl fernzuhalten, erwies sich als zentrale Fehlkalkulation. Dies bekräftigte das implizite Gegenbild zum siebenbürgischen Regionalismus – Ponta stand nun als Trickser und Demagoge da – und führte maßgeblich zu der enormen Mobilisierung zugunsten Johannis’. Wie ist nun der Anteil des Regionalismus und dessen spezifische Ausprägung in der Geschichte des politischen Aufstiegs von Klaus Johannis vom Lokalpolitiker zum Präsidenten – in Rumänien ebenso wie in vielen Staaten Ostmittel- und Südosteuropas galt die Wahl eines Angehörigen einer ethnischen Minderheit bislang als äußerst unwahrscheinlich61 – einzuschätzen? Es gilt hervorzuheben, dass der von Johannis praktizierte Regionalismus explizit nicht-politischer Natur ist, dass er ebenso wie der Diskurs der siebenbürgischen Professionals der Zwischenkriegszeit auf bestimmte Werte, Institutionen und Praktiken abhebt und nicht auf regionale Autonomie oder Sezession. Diese Art des als Transsilvanismus bekannten politischen Regionalismus wurde in Siebenbürgen seit 1918 vornehmlich von ungarischer Seite betrieben und kann als weitgehend gescheitert eingeschätzt werden, wenn man ihn wie oben kritisiert auf das Kriterium des »Erfolges« verengt.62 Ein wertebasierter Regionalismus, dessen Impetus auf die Wirksamkeit von Institutionen und Organisationen in einem bestimmten normativen Geist im gesamten Land abzielt und nicht auf der essentialistischen Behauptung, »ein gutes Leben« sei nur in der eigenen Region möglich, ist ein bisher kaum analysiertes Phänomen.

61 Vgl. jedoch die Wahl des deutschstämmigen Rudolf Schuster 1999 zum Präsidenten der Slowakischen Republik. 62 Zsolt K. Lengyel: Auf der Suche nach dem Kompromiß. Ursprünge und Gestalten des frühen Transsilvanismus 1918-1928. München 1993; Franz Sz. Horváth: Zwischen Ablehnung und Anpassung. Politische Strategien der ungarischen Minderheitselite in Rumänien 1931-1940. München 2007; Zsuzsanna Török: Transsylvanism: A Politics of Wise Balance? Minority Regionalism in Interwar Romania (1918-1940), in: Ther / Sundhaussen (Hg.): Regionale Bewegungen und Regionalismen, S. 127-144.

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Zusammenfassung Mit der heuristischen Metapher der Phantomgrenzen liegt nun ein Interpretationsangebot für Phänomene vor, die auf regionaler Ebene innerhalb eines Staates sowie auf meso-regionaler Ebene quasi als Differenzierungskriterien zwischen angenommenen historischen Geschichtsregionen vorzufinden sind. Der vorgeschlagene Zugang nimmt sowohl empirisch beobachtbare, materielle Erbschaften als auch imaginierte Raum-Zeit-Konstrukte ernst und fragt nach der Interaktion der beiden Komponenten. Erfahrungen und Imaginationen stellen zusammengenommen das Material, aus dem Akteure einen regional ausgeprägten und durch Phantomgrenzen umschlossenen Erwartungsraum konstituieren. Insbesondere am Beispiel der ehemalig habsburgischen Provinz Siebenbürgen ist gezeigt worden, wie im 20. Jahrhundert verschiedene Akteure auf bestehende Institutionen einerseits zurückgriffen, um ihre berufliche Position zu festigen, andererseits aber auch um rechtskulturell und institutionenökonomisch als Rechtsund Planungssicherheit gefasste Erwartungen zu formulieren und durchzusetzen. Mit dem Fokus auf konkrete Akteure und Institutionen, respektive auf die das Handeln der Akteure prägende Wirkung von habsburgischen Institutionen, ist ein Beitrag zur Diskussion über Probleme des Regionalismus und zugleich zum Konzept der Geschichtsregionen geleistet worden. Dabei ist von besonderem Interesse, wie auf der Zeitachse bestimmte Normen und Institutionen tradiert wurden, von denen manche Akteure behaupteten, sie seien charakteristisch nur für »ihre« Region und Geschichtsregion, während andere darauf insistierten, dass die genannten Elemente in ihrer Region aufgrund historischer Erbschaften zwar besonders ausgeprägt, im Grunde jedoch im gesamten Land anwendbar seien.

Béatrice von Hirschhausen Phantomgrenzen zwischen Erfahrungsräumen und Erwartungshorizonten Konzeptionelle Reflexionen an einem empirischen Beispiel (unter Mitarbeit von Karin Casanova, Michael. G. Esch und Laura Roos)

Vorbemerkungen: Ziele und Herangehensweise Das Ziel des folgenden Beitrags ist ein doppeltes: Zum einen will er untersuchen, inwieweit das Konzept Phantomgrenzen so, wie wir es definiert haben,1 einen heuristischen Wert für die Untersuchung geographischer Konstellationen hat. Zum anderen soll betrachtet werden, ob der Weg über einen geographischen Untersuchungsgegenstand geeignet ist, unser Konzept zu vervollständigen und zu präzisieren. Wir werden also immer wieder zwischen der Ebene der theoretischen Reflexion und der des konkreten empirischen Gegenstands wechseln. Meine Fragestellung steht im Kontext einer Debatte über die Erneuerung der Regionalstudien, die in den Geographien deutscher, englischer und französischer Sprache zum Ende der 1980er Jahre eingesetzt hat. Besonders verpflichtet sieht sich mein Ansatz der Perspektive, welche Benno Werlen in seiner theoretischen Neubegründung der Regionalgeographie als »wissenschaftlicher Analyse alltäglicher Prozesse der Regionalisierung« eröffnet hat. Indem er die handelnden Subjekte ins Zentrum der Untersuchung stellt, »soll untersucht werden, wie die Subjekte alltagsweltlich die Konstitutionsleistungen gesellschaftlicher Wirklichkeit unter Einbezug räumlicher Aspekte vollziehen. […] So steh[t] nicht ›Raum‹ […] im Zentrum […] sondern vielmehr jene Handlungen der Subjekte, über welche deren ›Geographien‹ hergestellt und reproduziert werden«.2 Dieser Perspektivenwechsel, der das Hauptgewicht auf das Handeln der Akteure anstelle des Raumes legt, ist hier deshalb von Interesse, weil er nicht – wie die klassische Regionalgeographie – geographische Regionen als festste1 Siehe im vorliegenden Band die Einführung »Phantomgrenzen im östlichen Europa. Eine wissenschaftliche Positionierung«. 2 Benno Werlen (Hg.): Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierung, Bd. 1. (= Zur Ontologie von Gesellschaft und Raum). Stuttgart 1995, S. 5 f.

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hende Einheiten ansieht, deren Identität oder Funktionsweise erklärt werden soll, sondern weil er Dynamiken der Regionalisierung als wandelbare Prozesse betrachtet, die immer wieder neu bestimmt oder in Frage gestellt werden können. Trotz dieses Akzents auf dem Handeln hat diese Forschungsrichtung Arbeiten hervorgebracht, die in ihrer Mehrzahl die diskursive Produktion von Regionen behandeln, die von identitären Diskursen vorangetrieben werden. Dies zeigt auch der dritte Band der bereits zitierten »Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierung«.3 Diese Tendenz verstärkt sich noch in der neuen Kulturgeographie, welche dazu neigt, Repräsentationen und deren performative Funktion in den Vordergrund zu rücken. So schlägt etwa Julia Lossau vor, eine »andere Geographie« zu entwickeln, die »gerade nicht davon aus[geht], dass die vermeintlich natürliche geographische Wirklichkeit per se existiert, sondern […] die Prozesse [untersucht], in deren Verlauf diese Wirklichkeit als repräsentierte Wirklichkeit erst konstruiert wird«.4 Seltener dagegen sind Arbeiten, in denen die »stilleren« Bereiche der Produktion und Reproduktion von Region ausgelotet wurden. Stiller in dem Sinne, dass diese nicht (oder wenigstens weniger direkt) in Diskursen vermittelt werden, sondern stattdessen in mehr oder weniger reflektiertem Alltagshandeln. Die Dynamik des »alltäglichen Geographie-Machens«5 verläuft auch über die konkreten Modalitäten des Handelns, das von einem Diskurs durchdrungen sein kann, der es legitimiert und ihm Sinn verleiht; das also nicht völlig von ihm losgelöst, aber auch nicht vollständig auf ihn reduziert werden kann. Das Konzept der Phantomgrenze erlaubt es uns insofern, eine neue Herangehensweise zu entwickeln, als dieses vernakuläre Handeln als Faktor im Prozess der alltäglichen Regionalisierung verstanden wird. Wir werden dieses Programm ausgehend von einem konkreten Beispiel – der Geographie der Wasserversorgung in ländlichen Haushalten Rumäniens – entwickeln und uns dann den empirischen und theoretischen Problemen widmen, die sich dabei stellen. 3 Benno Werlen (Hg.): Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen, Bd. 3 (= Ausgangspunkte und Befunde empirischer Forschung). Stuttgart 2007. Siehe insbesondere die Beiträge von Markus Schwyn, Michael Hermann und Heiri Leuthold, Guenther Arber, Markus Richner, Antje Schlottmann, Tilo Felgenhauer und Mandy Mihm. 4 Julia Lossau: Geographische Repräsentationen. Skizze einer anderen Geographie, in: Hans Gebhardt / Paul Reuber / Günter Wolkersdorfer (Hg.): Kulturgeographie. Aktuelle Ansätze und Entwicklungen. Heidelberg 2003, S. 101111, hier S. 103. 5 Werlen (Hg.): Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierung, Bd. 1, S. 6.

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Das empirische Beispiel Ein wissenschaftliches Rätsel Im Folgenden wird eine qualitative, dichte Analyse auf lokalem Niveau vorgestellt, in deren Rahmen alltägliche Praktiken im Zusammenhang mit dem Zugang zu Wasser und die dabei zu beobachtenden regionalen Unterschiede untersucht werden. Auf aktuellen Karten zeigen sich nämlich hinsichtlich der Wasserversorgung und -entsorgung starke regionale Unterschiede. Festzustellen ist, dass überall in Rumänien die Wasserversorgung wenig ausgebaut ist, verglichen mit dem Durchschnitt in anderen Staaten der Europäischen Union. Die öffentlichen, modernen Netzwerke der Wasserversorgung und -entsorgung entstehen erst seit der Jahrtausendwende – vor allem mithilfe europäischer Mittel. Das Interessante dabei erschöpft sich nicht im technischen Charakter der abgebildeten Daten; so steht hier nicht eine »bloße ›Geographie‹ der Dinge […] im Zentrum«, sondern die lokalen Handlungen, »über welche deren ›Geographien‹ hergestellt und reproduziert weden«6. Die Entscheidung, das eigene Haus an eine Wasserversorgung anzuschließen, verweist ja auf viel allgemeinere Fragen danach, wie das eigene Zuhause bewohnt und gestaltet wird. Die »Geographie der Wasserhähne« wird hier als ein Indiz verwendet; sie bringt uns auf die Spur einer allgemeineren Geographie der Lebensstandards. Im Kern geht es darum, nach dem Niveau des häuslichen Komforts zu fragen, nach unterschiedlichen Lebensweisen sowie nach alltäglichen Praktiken, die vor allem von Frauen ausgeführt bzw. von ihnen erwartet werden. Es geht darum, wie oft täglich, im Sommer wie im Winter, das Wasser aus dem Brunnen geholt werden muss, um Essen zu kochen, Wäsche zu waschen, das Haus zu reinigen, die Tiere zu tränken, den Garten zu wässern usw. Ohne fließendes Wasser im Haus scheint das Badezimmer ein unerreichbarer Komfort zu sein, ganz zu schweigen von der Waschmaschine. Dieser Zustand prägt auch das Image des ländlichen Raums und führt dazu, dass viele aus der jüngeren Generation diesen verlassen, um einen höheren Lebensstandard und Komfort zu erreichen. Die Migrationsbewegungen aus dem ländlichen Raum sind u. a. auf eine Ablehnung dieser Lebensweise zurückzuführen.7 Der Wunsch nach 6 Ebda. 7 Wilfried Heller: Innenansichten aus dem post-sozialistischen Rumänien. Sozioökonomische Transformation, Migration und Entwicklungsperspektiven im ländlichen Raum. Berlin 1999; Ders.: Who Moves within the Country?

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Kartographie der Wasserhähne im ländlichen Rumänien

Komfort und »Modernisierung« des Wohnraums wird dabei weithin von der ländlichen Bevölkerung geteilt. Die Daten aus dem Zensus von 2011 legen offen, dass im ländlichen Raum Rumäniens eine Minderheit der Haushalte über fließendes Wasser verfügt. Durchschnittlich 65 %der Wohneinheiten sind weder an ein kommunales Wasserwerk angeschlossen noch verfügen sie über ein privat installiertes Pumpsystem. Die Mehrheit der Menschen muss das Trinkwasser also aus den Brunnen auf dem eigenen Grundstück bzw. im Dorf holen. Wie auf der Karte deutlich wird, sind starke UnWho Emigrates? Who Immigrates? Current Migrational Trends in Romania, in: Südosteuropa 61 (2013) 2, S. 244-267; Swanie Potot: Vivre à l’Est, travailler à l’Ouest. Les routes roumaines de l’Europe. Paris 2007.

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terschiede zwischen den ländlichen Regionen auszumachen: In Siebenbürgen und im Banat haben unter 50 % der Wohneinheiten kein fließend Wasser, in den südlichen und östlichen Regionen 76 %. Diese geographische Konfiguration ist umso interessanter, als sie erst bei der Volkszählung 2006 auftauchte. Noch beim vorangegangenen Zensus von 1994 gab es diese Unterschiede zwischen den Regionen nicht. Überall, egal in welcher Region, hatten über 85 % der Wohneinheiten kein fließendes Wasser.8 Somit taucht im Verhalten der einzelnen Haushalte und Akteure hier eine Variante auf, die teilweise mit ihrer (regionalen) Lokalisierung zusammen hängt. Und nun stellt uns die Karte vor ein interessantes Rätsel: Wie lässt es sich erklären, dass diese Lebensstandards offensichtlich weniger eine Frage des Wohlstandsniveaus sind (wie wir es spontan erwarten könnten, was aber durch eine Karte der Einkommensverteilung in jeder Hinsicht widerlegt wird)9, als vielmehr Frage der regionalen Zugehörigkeit? Es geht uns hier nicht darum, Phantomgrenzen, die auf Karten ausgemacht werden können, als »reale« Objekte zu behandeln (wie es beispielsweise die derzeitigen politischen Grenzen wären), deren Entstehung und Geschichte schlicht zu rekonstruieren wären. Wir betrachten sie vielmehr unter dem Blickwinkel des »Indizienparadigmas«, wie Carlo Ginzburg es definiert hat, oder als Spuren.10 Die Karten sind für uns Indizien: Sie signalisieren die Existenz regionaler Unterschiede auf der Ebene des Lebensstandards und der Lebensformen. Es geht uns nicht darum, die Karten selbst in den Blick zu nehmen, sondern die sozialen Phänomene, die sie abzubilden scheinen. Die geographische Verteilung, die wir auf der Karte beobachten, interessiert uns auch insofern, als sie ein geographisches Imaginativ widerspiegelt, die kollektive Vorstellungen über das nationale Territorium Rumäniens bestimmt und in der Geschichte der Herstellung dieses Territoriums selbst verankert ist. Tatsächlich folgt die Bruchlinie, welche auf der Karte die besser ausgestatteten Gegenden von den weniger gut ausgestatteten unterscheidet, der Kammlinie der Karpaten, 8 Violette Rey et al. (Hg.): Atlas de la Roumanie. Paris 2000, 1. Aufl., S. 122. 9 Dies. (Hg.): Atlas de la Roumanie, 2. Aufl., S. 128. 10 Carlo Ginzburg: Spurensicherung, in: Ders. (Hg.): Spurensicherungen. Über verborgene Geschichte, Kunst und soziales Gedächtnis. München 1988, S. 78-125; Jacques Revel: Jeux d’échelles. La micro-analyse à l’expérience. Paris 1996; Jacques Revel: Microanalysis and the Construction of the Social, in: Jacques Revel / Lynn Hunt (Hg.): Histories. French Constructions of the Past. New York 1998, S. 492-502.

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die über lange Zeit Teil der Ostgrenze des Habsburgerreichs war; hier grenzte es sich gegen die Gebiete außerhalb des Karpatenbogens ab, die sich unter dem Einfluss des Osmanischen Reichs befanden. Transsylvanien und der Banat auf der einen, Oltenien, Moldavien und die Große Walachei auf der anderen Seite hatten bis zu den Verträgen, mit denen die Nachkriegsordnung nach dem Ende des Ersten Weltkrieges festgelegt wurde, unterschiedliche politische Schicksale: Die ersten gehörten dem Raum der Doppelmonarchie an, die anderen der nördlichen Peripherie des Balkan. Als der Vertrag von Trianon im Jahre 1919 die Einrichtung eines Großrumänien besiegelte und dem Königreich Rumänien die dem Königreich Ungarn fortgenommenen Regionen Transsylvanien und Banat hinzugefügt hatte, fasste er Räume zusammen, die von völlig unterschiedlichen politischen und sozialen Kontexten geformt worden waren. Ein enges Netz von Städten und Kleinstädten, die Dichte der Straßen und Eisenbahnlinien, aber auch eine größere Verbreitung des Schulbesuchs unterschieden die westlichen Gebiete, die zudem beträchtliche ungarisch- und deutschsprachige Minderheiten beherbergten, von der Ländlichkeit Moldaviens, den oltenischen Hügeln oder der Donauebene; diese Unterschiede nähren seither insbesondere unter »Revisionisten«, die die neuen Grenzen ablehnen, Diskurse über Zivilisationsgrade und balkanische »Rückständigkeit«.11 Die Differenzen, mit denen der neue rumänische Staat umzugehen hatte, waren Gegenstand erbitterter politischer und intellektueller Debatten um konkurrierende Gesellschafts-, Wirtschafts- sowie Rechtsund Staatsmodelle.12 Der Geograph Emmanuel de Martonne, der immerhin ein wichtiger Akteur bei der Neubestimmung der Grenzen und ein glühender Befürworter des neuen Großrumänien gewesen war, verwies im Jahre 1931 darauf, dass die Geschichte »für lange Zeit das Schicksal der zur Donau hin orientierten rumänischen Gruppe, die in ihrer Zivilisation dem byzantinischen Einflusse unterworfen und an 11 Keith Hitchins: Rumania. 1866-1947. Oxford 1994; Katherine Verdery: National Ideology and National Character in Interwar Romania, in: Ivo Banac / Katherine Verdery (Hg.): National Character and National Ideology in Interwar Eastern Europe. New Haven 1995, S. 103-134; Florian KührerWielach: Siebenbürgen ohne Siebenbürger? Zentralstaatliche Integration und politischer Regionalismus nach dem Ersten Weltkrieg. München 2014. 12 Siehe am Beispiel des Bodenrechts: Dietmar Müller: Eigentum verwalten in Rumänien. Advokaten, Geodäten und Notare (1830-1940), in: Dietmar Müller / Hannes Siegrist (Hg.): Professionen, Eigentum und Staat. Europäische Entwicklungen im Vergleich (19. und 20.  Jahrhundert). Göttingen 2014, S. 75-132.

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ihrer Unabhängigkeit durch die türkische Eroberung gehindert war, getrennt hat von dem der transsylvanischen Gruppe, die sich in der Umlaufbahn um eine mitteleuropäische Macht befand und von jenem Strom der westlichen Zivilisation mitgerissen wurde, zu dessen Organisator das Germanentum sich als Erbe der römischen Traditionen aufgeschwungen hat. […] Die sozialen, politischen und ökonomischen Probleme die [die Vereinigung der beiden Gruppen] hervorruft, sind die Frucht langer Jahrhunderte voneinander getrennten Lebens.«13 Die nationale Geschichtsschreibung und die universitäre und schulische Geographie der Zwischenkriegszeit arbeiteten daher unermüdlich an einem Narrativ der linguistischen, kulturellen, territorialen Einheit der Nation, aufbauend auf ihrer karpatischen Bastion, und an der Konstituierung eines vereinheitlichten nationalen Imaginativs.14 Die politischen und intellektuellen Eliten Rumäniens beiderseits der alten Grenze konstruierten ein nationales Projekt, das sich in einem Spannungsfeld zwischen einem auf der Figur des Bauern, des Dorfes und der Latinität aufbauenden identitären Modell und einer obsessiven modernisierenden Aufholjagd ansiedelte, welches das imperiale, multiethnische und urbane Erbe mit in Rechnung stellen sollte.15 Der Staat des rumänischen Königtums wie der der sozialistischen Republik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bewerkstelligten die Vereinheitlichung des nationalen Territoriums konkret in der Weise, dass sie die Verkehrsnetze miteinander verbanden, die Verwaltungsgliederung 13 Emmanuel de Martonne: L’Europe centrale. Deuxième partie (= Géographie universelle 4). Paris 1931. 14 Lucian Boia: Geschichte und Mythos. Über die Gegenwart des Vergangenen in der rumänischen Gesellschaft. Köln 2003 (Orig. Bukarest 1997); Béatrice v. Hirschhausen: Zwischen Lokal und National: Der geographische Blick auf die Erinnerung, in: Kirstin Buchinger / Claire Gantet / Jakob Vogel (Hg.): Europäische Erinnerungsräume. Frankfurt a. M./New York 2009, S. 23-32. 15 Siehe insbesondere Claude Karnoouh: L’invention du peuple. Chronique de Roumanie. Essai. Paris 1990; Hitchins: Rumania; Sorin Antohi: Civitas imaginalis. Istorie şi utopie în cultura română. București 1994; Sorin Antohi: Imaginaire culturel et réalité politique dans la Roumanie moderne. Le stigmate et l’utopie. Paris 1999; Sorin Mitu: Die ethnische Identität der siebenbürger Rumänen. Eine Entstehungsgeschichte. Wien / Köln / Weimar 2003; Antoine Roger: Fascistes, communistes et paysans. Sociologie des mobilisations identitaires roumaines (1921-1989). Brüssel 2002; Dietmar Müller / Angela Harre: Agrarismus als Dritter Weg. Zwischen Faschismus und Kommunismus sowie zwischen Kapitalismus und Kollektivismus, in: Dietmar Müller / Angela Harre (Hg.): Transforming Rural Societies. Agrarian Property and Agrarianism in East Central Europe in the Nineteenth and Twentieth Centuries. Innsbruck 2010, S. 7-22; Bogdan Murgescu: România şi Europa. Acumularea decalajelor economice (1500-2010). București 2010.

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modifizierten, sich bemühten, das Städtenetz diesseits und jenseits der Karpatenlinie in der Weise zu symmetrisieren und schließlich, dass sie bäuerliche Ortschaften der Ost- und Südgebiete in den Rang von Städten erhoben. Zumindest zu einem Teil waren sie bei diesem Unternehmen erfolgreich;16 die geographischen Imaginative Rumäniens weisen aber gleichwohl noch heute Spuren dieser Geschichte auf, und gemäß einer solchen Lesart wird die »Karte der Wasserhähne« noch heute verstanden. Um uns dies deutlich zu machen, brauchen wir nur eine sehr emotional geführte Debatte zu betrachten, die anlässlich der Internet-Veröffentlichung einer Karte der Badezimmer17 auf der Basis der Wohnungszählung von 2011 entbrannt ist. »Das Mittelalter im Rumänien des 21. Jahrhunderts: Der Kreis (Județe), wo nur 29,8 % der Wohnungen eine Innentoilette haben« titelt der Urheber der Karte und betont in seinem knappen Kommentar den großen Abstand zwischen den urbanisierten Kreisen der wichtigsten Großstädte des Landes (Bukarest, aber auch Brașov, Timişoara oder Constanţa) und den ländlichen Kreisen, wo die in den Statistiken erfassten Werte äußerst niedrig sind. Die Karte bildet auf der Ebene der 21 Kreise die Kammlinie der Karpaten ab: Sie trennt die im Osten und Süden gelegenen Kreise Moldawiens und der Walachei (weniger als 58 % Wohnungen mit Innentoilette) von den westlichen Kreisen des Banat und Transsylvaniens (mehr als 64 % der Wohnungen mit Innentoilette). Die Karte löste seit ihrer Veröffentlichung im Netz im Mai 2013 eine Welle polemischer Kommentare aus, die bezeichnend sind für die geographischen Imaginative derer, die sich am Forum beteiligen.18 Beleidigungen werden ohne Hemmungen ausgetauscht und die Analysen bleiben oberflächlich. Es lassen sich bei den Teilnehmern, die sich gerne über ihre regionale Zugehörigkeit definieren, drei grundlegende territoriale Oppo16 Violette Rey: La Roumanie. Essai d’analyse régionale. Paris 1975; Violette Rey: La question régionale dans l’espace roumain, in: Espace géographique 23 (1994) 4, S. 361-376; Wilfried Heller: Regionale Disparitäten und Urbanisierung in Griechenland und Rumänien. Aspekte eines Vergleichs ihrer Formen und Entwicklung in zwei Ländern unterschiedlicher Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung seit dem Ende des 2. Weltkrieges. Göttingen 1979; Roger Brunet / Violette Rey (Hg.): Europes orientales, Russie, Asie centrale (= Géographie universelle 10). Paris 1996. 17 Einsehbar unter: http://www.incont.ro/infografice/evul-mediu-din-romaniasecolului-21-judetul-unde-doar-29-8-dintre-locuinte-au-baie.html (22. 05. 2015). 18 Während die zahlreichen Karten und Grafiken, die auf dieser relativ vertraulichen Webseite veröffentlicht werden, selten mehr als ein knappes Dutzend Kommentare erhalten, gibt es in den zwei Tagen nach der Veröffentlichung dieser Karte am 27. Mai mehr als hundert Kommentare.

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sitionen ausmachen: eine zwischen Stadt und Land, eine weitere zwischen Bukarest und der Provinz, und schließlich – in zunehmendem Maße – die Gegenüberstellung zwischen dem »alten Königtum« und den ehemaligen Gebieten der Doppelmonarchie. In Bezug auf diesen letztgenannten topos, auf den sich immerhin 85 % der Bemerkungen beziehen, fallen die häufige Verwendung des Begriffs »Zivilisation« und die Polarisierung der Debatte unter Verwendung von Klischees auf, die aus Gegensatzpaaren ohne Nuancen bestehen, mit denen die angeblichen Eigenschaften der beiden Regionen und ihrer Bewohnerschaft benannt werden: »modern« gegen »archaisch«, »fleißig« gegen »faul« oder »parasitisch«, »österreichisch-ungarisch« gegen »türkisch«, »Europa« gegen »Balkan«, »ehrlich« gegen »diebisch«, »gebildet« gegen »ungebildet«, »reich« gegen »arm«, »Investition« gegen »Verschwendung«, aber auch »Mischlinge« gegen »Reinblütige«, »Egoismus« gegen »Gastfreundschaft«, »falsche« gegen »echte« Rumänen, »Ungarn« gegen »Rumänen«, »Autonomisten« gegen »Patrioten«, »Materialismus« gegen »Geist« und »Kultur«, »Abhängigkeit« (von Ungarn und den Ungarn) gegen »Nationalstolz«, »Ausbeuter« gegen »Ausgebeutete«. Selten finden sich Beiträge, die für eine pragmatische Lesart der Karte plädieren (kaum 3 % der Diskussionsbeiträge). Diese Stichprobe aus einem banalen Disput in einem Internetforum beansprucht selbstverständlich keine Repräsentativität. Sie hat offensichtlich diejenigen angezogen, die gerne polemisieren und ist umgekehrt geeignet, diejenigen abzustoßen, die reflektiertere oder nuanciertere Beiträge liefern würden. Sie scheint uns aber doch die Bedeutung der Klischees deutlich zu machen, die sich durch die Lektüre unserer Karte ziehen. Im Folgenden sollen diese Klischees mit eigenen empirischen Daten konfrontiert werden.

Zwei Dörfer im Banat und in Oltenien Die Herangehensweise besteht nun nicht mehr darin, von den geographischen Imaginativen und ihrem offensichtlich dualistischen Schema auszugehen, sondern von der Betrachtung konkreter Erfahrungen im Zusammenhang mit der Frage des Zugangs zu Wasser. Die Wahl ist auf zwei benachbarte Regionen gefallen, die sich dies- und jenseits der alten imperialen Grenze befinden, nämlich dem Banat und Oltenien. Auf der Karte der Wasseranschlüsse sieht man starke Unterschiede im Grad der Ausstattung zwischen den beiden Regionen. In

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den ländlichen Gegenden der Banat-Kreise (Timiș und Caraș-Severin) liegt der Anteil der Wohneinheiten ohne fließendes Wasser durchschnittlich bei 40 %. In den Dörfern der oltenischen Kreise (Mehedinți, Gorl, Dolj) liegt dieser durchschnittlich über 80 %. Die Unterschiede, die sich so in den Wohnungszählungen beobachten lassen, stehen im Zusammenhang mit der je unterschiedlichen Konstruktion des Territoriums. Der Banat verdankt die derzeitige Organisation seines Raums einer Besiedlungspolitik, die sich auf ein regelmäßiges Netz kleiner Städte stützt, welche im Abstand von je 50 km die Mobilität und den Zugang zu Dienstleistungen strukturieren. Die landwirtschaftliche Produktion erfolgt in großen, geometrisch angelegten Dörfern mit einigen hundert Einwohnern, die ab dem 18. Jahrhundert in einem imperialen Projekt der Rekolonisierung verlassener Gebiete entstanden sind. Diese Dörfer, in denen vorwiegend deutschsprachige und rumänische Bauernsoldaten angesiedelt wurden, hatten damals die von den Kriegen gegen das Osmanische Reich verwüsteten Militärgrenzen wiederbevölkert und unter den Pflug genommen. Ein dichtes Wege- und später Schienennetz (eines der dichtesten in Europa) und die im 19. Jahrhundert einsetzende Industrialisierung unterscheiden das Gebiet grundlegend vom benachbarten Oltenien. Diese zweite Region, die ebenfalls eine – wenngleich kurze  – Phase (1716-1737) habsburgischer Herrschaft erlebt hatte, ist viel stärker von höher gelegenen Dörfern geprägt, die in den Hügeln und im Schutz bewaldeter Berghänge errichtet wurden. Das Tiefland wurde hier erst besiedelt, als die Grenzsicherung ab dem 19.  Jahrhundert vom Fürstentum Walachei gewährleistet wurde und die Donauebene durch große Landgüter bewirtschaftet werden konnte. Städte waren in der Kontaktzone zwischen den Bergen und dem landwirtschaftlich genutzten Gebiet über lange Zeit selten. Die Mehrzahl der städtischen Siedlungen entstand erst infolge der Industrialisierung und der Entwicklung des Bergbaus in der sozialistischen Zeit. Für Hirten und die lokale Bevölkerung waren die Kammlinie der Karpaten und die Reichsgrenze nie ernsthafte Hindernisse. Mit der Aufhebung der Grenze und der Integration beider Regionen in den rumänischen Staat intensivierten sich die Bewegungen zwischen den beiden Landesteilen weiter. Während der sozialistischen Periode kamen Migrationsbewegungen in die industriellen Zentren des Banat insbesondere aus den ländlichen Gegenden Olteniens hinzu. So findet man in den oltenischen Dörfern nicht selten alte »Banater«, die mit dem Rentenalter, oder weil sie ihre Stelle verloren haben, in ihre Heimatgegend zurückgekehrt sind. Trotz dieses grenz-

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überschreitenden Kontakts, der Öffnung der nationalen Grenzen und der zunehmenden Abwanderung ins Ausland im vergangenen Jahrzehnt schienen die Dorfbewohner der beiden Regionen hinsichtlich der Modernisierung ihrer Wohnstätten unterschiedliche Herangehensweisen entwickelt zu haben. Ich habe für meine Untersuchungen zwei Gemeinden ausgewählt, die sich in zwei benachbarten Kreisen (judeţe) dies- und jenseits der ehemaligen Grenzlinie befinden. In jeder dieser Gemeinden habe ich jeweils zwei Dörfer genauer betrachtet – das eine an das Wassernetzwerk angeschlossen, das andere nicht. Ich konzentriere mich im Folgenden auf die Dörfer der beiden Gemeinden, die noch nicht an das Wassernetzwerk angeschlossen sind. In Caraș-Severin (Banat) fiel die Wahl auf das Dorf Mâtnicu Mare; es liegt zwischen Lugoj und Caransebeş in der Gemeinde Constantin Daicoviciu und hat 438 Einwohner. In Oltenien, auf den Hügeln der Region Motru am Fuße des Mehedinţi-Plateaus in der Gemeinde Sişesti, beschäftige ich mich mit dem Dorf Noapteşa; es hat 800 Einwohner. Man erreicht diese Dörfer, indem man einige Kilometer auf einer bis 2013 nicht asphaltierten Straße fährt. In beiden Fällen drängt sich der Eindruck auf, in einer anderen Welt zu sein, weit weg von modernerer Infrastruktur und der nationalen und internationalen Kommunikation. Aber dieser Eindruck täuscht. Nicht selten findet sich im Wohnzimmer ein großer Flachbildfernseher, Handys sind sehr verbreitet. Jüngere Familien haben Autos, vor allem Gebrauchtwagen. Die ökonomische und soziale Zusammensetzung beider Dörfer ist ähnlich. In beiden Fällen liegt die Hauptbeschäftigung in der Landwirtschaft, aber bereits seit den 1970er Jahren stocken die Familien das Einkommen auf, indem sie in der Industrie oder in den Kohleminen der Nachbarstädte arbeiteten. Für das Dorf Mâtnicu Mare sind die Stellen für die Pendler in Caransebeş oder in Lugoj, zwei kleinen Städten ca. 15 Kilometer vom Dorf entfernt. Die Bewohner von Noapteşa pendeln vor allem zu den zehn Kilometern entfernten Kohleminen von Motru. Auf beiden Seiten lässt sich eine Überalterung der Dorfbewohner sowie eine schrumpfende Bevölkerung feststellen. Auf beiden Seiten verlassen junge Menschen das Dorf, entweder in die regionalen Städte oder ins Ausland, vor allem nach Spanien, Italien und Deutschland. Diese Abwanderung ins Ausland, die vor allem als zirkuläre Migration funktioniert, betrifft ca. 15 % der Bevölkerung. Die Spuren einer divergenten Vergangenheit lassen sich in der dörflichen Morphologie ablesen, die sich deutlich unterscheidet und charakteristisch ist für die jeweilige Region. Mâtnicu Mare hat eine ortho-

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Morphologie der beiden Dörfer Maˆtnicu Mare und Noaptes¸ a (Republica Socialista Romaˆnia: hartaˆ topograficaˆ / Ministerul Apaˆraˆrii Nationale; Direct¸ ia Topograficaˆ Militaraˆ, 1978, Blätter L-34-93-C und L-34-118-D)

gonale Struktur, wie sie für die Dörfer im Banat typisch ist. Noapteşa dagegen weist einen linearen und irregulären Besiedlungsplan auf: Die Häuser sind unregelmäßig auf ihren Parzellen verteilt und befinden sich auf einer der beiden Seiten der zwei Hauptstraßen. Die Bauweise ist ebenfalls sehr unterschiedlich. In Mâtnicu Mare gibt es große Häuser (mit bis zu sieben oder neun Zimmern), die aus Backstein entlang der Straße gebaut sind. Der Hof kann von außen nicht eingesehen werden, da er von der Straßenseite durch ein großes Eingangstor verdeckt wird; dieses Tor muss durchquert werden, um auf den Hof und zu den landwirtschaftlichen Wirtschaftsgebäuden zu gelangen: zum Kuhstall, der Scheune, dem Hühner- und Schweinestall etc. In Noapteşa sind die Häuser deutlich kleiner (zwei bis drei Zimmer). Sie sind aus Holz oder in Lehmbauweise errichtet, nur die ab den 1970er oder 1980er Jahren gebauten Häuser sind aus Backstein. Sie befinden sich in der Mitte des Gartens und des Hofes, offen für alle Personen einsehbar und umgeben von den landwirtschaftlichen Nutzgebäuden. Die Architektur der Kirchen lässt sich auf zwei unterschiedliche religiöse Traditionen zurückführen: den barocken Stil in Mâtnicu Mare (die Kirche wurde 1843 errichtet) und den orthodoxen Stil in der Kommune von Sişeşti.

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Unterschiedliche individuelle Strategien Die vor dem Bau der ersten öffentlichen Wasserwerke erhobenen Daten aus dem Zensus 2011 deuten auf einen spektakulären Unterschied in der Gestaltung der Wasserversorgung auf kommunaler Ebene hin. In der Gemeinde von Constantin Dâicuviciu (Mâtnicu Mare) waren 79 % der Wohneinheiten mit fließendem Wasser ausgestattet. In Sişeşti (Noapteşa) nur 5 %. Ethnographische Erhebungen aus der Feldforschung zeigen, dass die familiären und individuellen Strategien, Zugang zu Wasser zu erhalten, in den beiden Dörfern sehr unterschiedlich sind. Zwar hat keines der beiden Dörfer Zugang zu einem kommunalen Netzwerk, aber einige Familien haben seit den 1980er Jahren versucht, ihre Brunnen mit Pumpen (hidrofori) auszustatten und so fließendes Wasser zu installieren. Trotz dieser Gemeinsamkeiten hat sich gezeigt, dass es starke Unterschiede gibt. In Mâtnicu Mare haben die ersten Familien vor 40 Jahren Pumpen installiert, ein Badezimmer gebaut und eine Waschmaschine angeschafft. Die Situation ist ganz anders in Noapteşa: Die meisten Familien müssen Frischwasser aus dem Brunnen holen. Diejenigen, die fließendes Wasser haben, haben dies vor über zwanzig Jahren zur Zeit des Ceauşescu-Regimes eingerichtet, als die Gehälter der Minenarbeiter diesen Luxus möglich machten, oder es handelt sich um Familien, die in den letzten 10 bis 15 Jahren über ausreichend Einkommen verfügten, sich ein neues Haus zu bauen. Aber solche Fälle sind sehr selten. Diese starken Unterschiede in der häuslichen Ausstattung finden sich auch in den landwirtschaftlichen Betrieben wieder. Die Nutzung von Traktoren ist seit der Jahrtausendwende in Mâtnicu Mare üblich. Im Dorf gibt es 80 Traktoren, praktisch ein Traktor für jeden Agrarbetrieb, der durchschnittlich fünf Hektar umfasst. Pferde werden kaum noch eingesetzt, obwohl es bis in die Mitte der 1990er Jahre noch 120 davon gab. Ganz anders in Noapteşa: Dort wird die landwirtschaftliche Arbeit meist manuell ausgeführt und der Antrieb durch Tiere ist weithin üblich. Unterschiedliche, zum Teil stark abweichende, Einstellungen finden sich auch hinsichtlich des Verhältnisses zum eigenen Haus und im Hinblick auf die Qualität des Wohnens. Wenn man die Einwohner von Mâtnicu Mare über ihre Lebens- und Wohnqualität und ihre Möglichkeiten befragt, diese zu verändern, dann erzählen sie in den meisten Fällen von bereits getätigten Investitionen, die unternommen wurden, um etwa das Dach oder die Außenwände zu renovieren, neue

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Fenster, einen Holzofen, eine Zentralheizung oder ein Badezimmer zu installieren oder die Küche zu erneuern. Die Familien sind je nach Einkommen, Alter oder sonstiger Situation unterschiedlich weit in ihrem Bestreben, dieses Programm zu realisieren, aber alle Befragten folgen dieser Art von Narrativ. Die Konkurrenz unter den Nachbarn scheint sehr stark zu sein. »Seit zehn Jahren ist das Thema thermoplastische Isolierung der Fenster eine Obsession geworden«, erzählte mir eine Dorfbewohnerin und gab mir unterschwellig zu verstehen, dass jeder in moderne Fenster investieren will oder es sollte, will er nicht riskieren, sozial abzusteigen. Diese Distinktionsmechanismen scheinen eine sehr starke Rolle zu spielen. Vor diesem Hintergrund ist auch der Satz einer Dorfbewohnerin im Banat zu verstehen, die sagt: »Hier sind die Leute ehrgeiziger und moderner«. Sie erklärt ihre Entscheidung, ein Badezimmer einzurichten und eine Waschmaschine anzuschaffen, mit den Gepflogenheiten in ihrem direkten sozialen Umfeld. Konkurrenz spielt auch eine Rolle hinsichtlich des Zugangs zu Informations- und Kommunikationstechnologien wie etwa Handys, Fernseher und Computer. Im oltenischen Noapteşa bin ich dieser Art von Erzählung sehr selten begegnet; hier wurde eher das Bedauern ausgedrückt, keine Sanitäranlagen oder Badezimmer zu haben, beziehungsweise Genugtuung, wenn es sie gab. Es kommt vor, dass Familien sich ein brandneues Eingangstor zur Straße errichtet, jedoch kein fließendes Wasser oder Sanitäranlagen im Haus haben. Nichtsdestotrotz achten sie wie in Mâtnicu Mare akribisch auf die Sauberkeit ihrer Wohnräume. Anscheinend ist es keine Frage des Reichstums. Die Menschen sind in Noapteşa weder finanziell schlechter gestellt noch »modernitätsscheuer«. Im Jahr 2011 wurde in der ganzen Gemeinde ein Kabelnetzwerk von einem Privatanbieter installiert, und nur die ältesten oder ärmsten Dorfbewohner haben auf Fernseh- bzw. Internetabonnements verzichtet. Man trifft dort nicht selten Familien, die ein Smartphone oder einen Flachbildfernseher besitzen. Fast alle Schulkinder sind schon ab der vierten Klasse auf Facebook angemeldet (ebenso wie in Mâtnicu Mare), aber von den insgesamt 243 Familienhöfen im Dorf verfügen weniger als 20 über einen Wasseranschluss mit funktionierendem Badezimmer. Prioritäten werden hier anders gesetzt. Auf der breiten Palette der technischen Neuerungen, die schlagartig im letzten Jahrzehnt zur Verfügung standen, spielt die Modernisierung der Wasserversorgung eine geringere Rolle als in Mâtnicu Mare. Die Distinktionsmechanismen scheinen also andere zu sein.

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Die Produktion geographischen Wissens jenseits des dekonstruktivistischen Taumels Die Herausforderung Die Gefahr dieser Darstellungsweise liegt auf der Hand: Das unterschiedliche Niveau der Ausstattung mit Wasserleitungen, das sich zwischen den westlichen (Banat, Siebenbürgen) und den östlichen Regionen (Kleine und Große Walachei, Moldau) erheben lässt, reproduziert auf den ersten Blick eine mental map Europas, auf der einem »zivilisierten« und »entwickelten« Westen die »Rückständigkeit« und Armut des Ostens und Südostens gegenübersteht. Diesem Schema zufolge wären die ehemals habsburgischen Gebiete, dem Okzident zugehörig, bereit, die Möglichkeiten der Moderne zu ergreifen und umzusetzen, während die Gebiete des Alten Königreichs als typische Vertreter eines hinterherhinkenden östlichen und südöstlichen Europas erscheinen. Es wäre in der Tat problematisch, würden wir eine mental map festschreiben, die im geographischen Imaginativ der Europäer (im Westen wie im Osten) entworfen wurde. Wir würden dann mehr oder weniger bewusst die mental maps des »Balkanismus« wissenschaftlich legitimieren und die klassische Haltung des Orientalismus annehmen, in der ein östliches Anderes konstruiert wird, um den westeuropäischen Anspruch zu legitimieren, die Reform und »Modernisierung« eines dazu unfähigen Ostens einzuleiten und anzuführen.19 Die Kritik, die an das akademische Wissen über Ost- und Südosteuropa gerichtet worden ist, hätte sich weitgehend als zutreffend erwiesen. Wir denken aber, dass es nicht ausreicht, die Rückständigkeitsdiskurse, die die Reflexion der Unterschiede auf dem Balkan und im Osten belasten, zu entlarven und zu dekonstruieren. Die Frage nach den Unterschieden in den Praktiken der Akteure bleibt im Raum. Das Wohlstandsgefälle zwischen den Gesellschaften Europas durchzieht auch die existentiellen Erfahrungen der Akteure selbst, leitet ihre ökonomischen Entscheidungen und drängt die Alterskohorten der jungen Erwachsenen zur Migration.

19 Maria Todorova: Die Erfindung des Balkans. Europas bequemes Vorurteil. Darmstadt 1999 (Orig. Oxford 1997); Maria Todorova: Der Balkan als Analysekategorie: Grenzen, Raum, Zeit, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002) 3, S. 470-492.

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Die Aufgabe einer solchen Geographie der Lebensstandards besteht darin, zwischen Skylla und Charybdis zu navigieren: Hüten wir uns auf der einen Seite vor einem »flachen Realismus«20 oder naiven Positivismus, dessen Grenzen und Chimären die postkoloniale Kritik zur Genüge aufgezeigt hat – und auf der anderen vor einem generalisierten Relativismus, der alle geographischen Unterschiede auf die diskursive Ebene zurückführt. Zwischen beiden Ansätzen suchen wir einen Weg zur Produktion eines Wissens, das nicht über die Subjekte hinweggeht, sondern in angemessener Weise die Gesellschaften hinsichtlich der Art und Weise befragt, in denen sie sich selbst verstehen und handeln. Mit dem Phantomgrenzen-Konzept schlagen wir vor, unsere Herangehensweise in den allgemeineren Rahmen einer Untersuchung der Konstruktion und Reproduktion geographischer Unterschiede einzuordnen. Geographische Unterschiede erscheinen dabei gleichzeitig als imaginiert (im Sinne, dass sie in der imaginativen und diskursiven Sphäre produziert und vermittelt werden), erfahren (insofern als Akteure und wissenschaftliche Beobachter sie als Erfahrung wahrnehmen) und konkret gestaltet (im Sinne eines relationalen Raumkonzepts).21 Die Untersuchung der Konstruktion geographischer Unterschiede will diese also gleichzeitig als Konstruktion innerhalb von und durch soziale Imaginative, als Konstruktion in und durch individuelle und kollektive Erfahrung sowie als Gestaltung des Raums in den Blick nehmen.

Diskurse, Akteure und Strukturen jenseits der Reifizierung von Differenz »Hier im Banat sind wir ehrgeiziger und moderner.« Wie kann man diese Aussage einer Dorfbewohnerin, die von den meisten ihrer Nachbarinnen geteilt wird, begreifen und auf den Punkt bringen? Man kann diese, wie die klassische regionale Geographie es getan hat, wörtlich nehmen und prüfen, ob die Strukturen des Banat in der Tat »moderner« und die Bewohner »ambitionierter« sind. Wir wissen, 20 Bernard Lepetit: Séries longues, histoire longue, in: Genèses 9 (1992) 9, S. 102-106, hier S. 103; siehe auch Bernard Lepetit: Histoire des pratiques, pratique de l’histoire, in: Ders. (Hg.): Les Formes de l’expérience. Une autre histoire sociale. Paris 1995, S. 9-22. 21 Siehe im Band den Einführungstext »Phantomgrenzen im östlichen Europa. Eine wissenschaftliche Positionierung«, S. 36 ff.

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dass diese Auffassung durch den postkolonialen Diskurs stark in die Kritik geraten ist. Man kann diese andererseits als primär imaginierte Konstruktion behandeln und versuchen herauszufinden, wie diese genealogisch, auf der Ebene der Diskurse, entstanden oder wie sie in der Sprache gespeichert ist, und sich anschließend für ihre performative Wirksamkeit interessieren. Man würde dann mit Antje Schlottmann die »Prozesse der Generierung und Aneignung von räumlicher Wirklichkeit und deren zeitgenössische Bedeutung als identitätsstiftende Bezüge in den Fokus«22 nehmen, um »nach der ›Herstellung‹ einer territorialen Einheit« zu fragen. Es scheint mir, dass damit ein wichtiger Teil der Geschichte, nämlich die Materialität, aber auch die »unbewussten« oder »stummen« Modalitäten des lokalen Charakters, im Dunklen bleibt. Schlussendlich ist es möglich, einen dritten Forschungsweg zu wählen. Dieser besteht darin, im Anschluss an Reinhart Koselleck23 den Diskurs der Akteure und ihre Handlungsmuster im Spannungsfeld zwischen dem Erfahrungsraum und dem Erwartungshorizont ihrer Aussage situativ zu analysieren. Dabei werden das bewusste Verhältnis zur Geschichte sowie die sozialen Praktiken, Normen, Institutionen und materiellen Räume (alles, was Norbert Elias »Figurationen« nennt)24 nicht als externe Strukturen, sondern als Erfahrungsraum betrachtet. Dieses Konzept kann helfen zu verstehen, wie die Akteure der beiden Dörfer Mâtnicu Mare und Noapteşa ihr Verhältnis zur Vergangenheit, ihre Identität und ihre Zukunft konstruieren und wie sie alltägliche Entscheidungen, etwa die Wahl der Investitionen in ihren Häusern, treffen. Der Erfahrungsraum kann hier definiert werden als die Summe aller konkreten, persönlichen Erfahrungen sowie der Erfahrungen, die von vorherigen Generationen und von Institutionen weitergegeben werden. Diese Summe der Erfahrungen gewährleistet die Gegenwärtigkeit 22 Antje Schlottmann et al.: ›Wir sind Mitteldeutschland!‹ Konstitution und Verwendung territorialer Bezugseinheiten unter raum-zeitlich entankerten Bedingungen, in: Benno Werlen (Hg.): Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen, Bd. 3 = Ausgangspunkte und Befunde empirischer Forschung. Stuttgart 2007, S. 297-334, hier S. 298. 23 Reinhart Koselleck: »Erfahrungsraum« und »Erwartungshorizont« – zwei historische Kategorien, in: Ders. (Hg.): Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt a. M. 1984, 3. Aufl., S. 349-375. 24 Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation. Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes, Bd. 1. Bern / München 1969, hier in der Einleitung S. LXVII; Norbert Elias: Was ist Soziologie? Weinheim / München 1970, S. 142 ff.

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der Vergangenheit oder die Persistenz des Vergangenen in der Gegenwart und konstituiert das Verhältnis der Individuen zu ihrer Geschichte: »Sowohl rationale Verarbeitung wie unbewusste Verhaltensweisen, die nicht oder nicht mehr im Wissen präsent sein müssen, schließen sich in der Erfahrung zusammen.«25 Koselleck betont, dass Erfahrung nicht chronologisch ist: Sie geht weit über das Wissen einer historischen Erzählung hinaus und ist in diesem Sinn auch »räumlich«, sie ballt sich zu »einem Ganzen« zusammen, in dem die Schichten der Vergangenheit in unterschiedlicher Form präsent sind. Es handelt sich um eine Kenntnis, die zu einem Habitus werden kann, sowohl individuell als auch kollektiv. Die Erwartung umfasst alle privaten und kollektiven Äußerungen, die die Zukunft betreffen. Sie ist die Zukunft, wie sie in der Gegenwart imaginiert wird. Sie ist nicht auf einen konkreten Raum zurückzuführen, sondern es handelt sich um Projektionen auf abstraktere Horizonte. Erwartung lässt sich nicht mechanisch von der Erfahrung ableiten, es gibt kein deterministisches Verhältnis, sondern eine Spannung zwischen beiden: Auf der einen Seite wird die Erwartung vor dem Hintergrund der Erfahrung konstruiert. Die Kategorien, in denen die Gesellschaften ihre Zukunft entwerfen, entstammen ihrem Erfahrungsraum. Auf der anderen Seite wird aber Erfahrung erst vor dem Hintergrund des Erwartungshorizontes verstanden und als sinnvoll erachtet. Ich sehe in der theoretischen Konstruktion von Koselleck einen Weg, die strukturellen Daten wieder in die Erfahrung der Akteure einzugliedern und mit der strikten Trennung zwischen den Identitätsdiskursen der Akteure und ihrer historisch geprägten Umwelt zu brechen. Die strukturellen Gegebenheiten (soziale, wirtschaftliche und kulturelle Strukturen) müssen in dieser Perspektive nicht per se untersucht werden, sondern durch das subjektive Auge der Akteure. Es gilt also, die strukturellen Daten zu  »subjektivieren«, indem sie in den Erfahrungsraum der Akteure reintegriert werden.

Erfahrungsraum Um den Erfahrungsraum der Bewohner beider Dörfer zu erforschen, müssen die Dorfbewohner zu ihrer Lebenswelt, ihren individuellen Erfahrungen und ihrem Lebensweg befragt werden – einem Lebens25 Koselleck: Erfahrungsraum / Erwartungshorizont, hier S. 354.

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weg, der zumindest teilweise von sozialen, ökonomischen und religiösen Faktoren geprägt ist. Zu erforschen ist die Art kollektiver Erfahrung, die in Narrativen über die Geschichte der Region präsentiert wird, sich aber auch in der Morphologie der Dörfer (den »schlafenden Werten« von Fernand Braudel26) oder in den Praktiken lokaler Institutionen findet. Dabei kann das von Norbert Elias entwickelte Konzept von »Figuration« helfen, die gesellschaftliche Dimension des Erfahrungsraums methodisch in den Griff zu bekommen. In der Tat sind Individuum und Gesellschaft in der Theorie von Elias Produkte zweier nicht voneinander zu trennender Prozesse. Das Individuum, seine Wahlmöglichkeiten und seine Art zu denken und zu handeln können nur vor dem Hintergrund eines Gewebes von Beziehungen verstanden werden, in die das Individuum integriert ist und die es zugleich mit all seinen Handlungen beeinflusst. Diese soziale Interdependenz nimmt in jeder menschlichen Gruppe eine spezifische Form an. Auf dieser interaktiven Basis kann gesagt werden, dass in beiden Dörfern die Wahl für oder gegen einen Wasseranschluss im Haus mit unterschiedlichen Figurationen erklärt werden kann, also mit unterschiedlichen funktionellen Interdependenzen. Die Individuen, in diesem Fall die Familien in ihren Dörfern, hängen von ihrer Umgebung ab und produzieren diese zugleich, indem sie selbst agieren. Um diese Prozesse zu verstehen, müssen die Interdependenzen untersucht werden, beziehungsweise (wenn man Elias folgt) das »Verhältnis« und die »Verbindungen« der Individuen untereinander und zu ihrer Umgebung. Wichtig ist jedoch auch, zu verstehen, welchen Platz Elias der Beschreibung der Figurationen in der Interdependenz mit Objekten zukommen lässt – also mit dem materiellen und nicht nur mit dem sozialen Umfeld. Dies betrifft auch räumliche Fragen. Die beobachteten Unterschiede in der Bauweise der Häuser in beiden Dörfern können in der Tat ein Teil des Schlüssels für die Analyse sein. So verweist in Mâtnicu Mare das Narrativ über die Strategien der Ausstattung auf die Akkumulationsstrategien vorheriger Generationen, die in ihren massiven, vor etwa 60 Jahren aus Backstein gebauten Häusern lebten. In Noapteşa sind die Häuser kleiner und weniger solide gebaut: somit ist es unmöglich, ein Badezimmer oder eine Heizung oder sogar moderne Fenster zu installieren. Die jungen Familien, die sich für eine Strategie 26 Bernard Lepetit: Espace et histoire. Hommage à Fernand Braudel, in: Annales. Économies, Sociétés, Civilisations 41 (1986) 6, S. 1187-1191, hier S. 1188.

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der Verbesserung ihrer Wohnqualität entscheiden, beschließen daher zumeist, ein neues Haus zu bauen. Das macht die Erhöhung des Wohnkomforts zu einem weitaus langwierigeren Projekt. An diesem Beispiel wird deutlich, wie eng die Reproduktionsdynamik der konkreten Raumgestaltung mit der Erfahrung sowie den Raumimaginationen der Akteure verflochten ist. Die gestalteten Dorfmorphologien werden durch unterschiedliche historische kollektive Erfahrungen und Raumimaginationen entwickelt. Sie sind nach Kosellecks Modell Teilelemente unterschiedlicher lokaler Erfahrungsräume. Sie wirken ermöglichend bzw. einschränkend auf das Handeln der Akteure. Bewusst und konkret meint dies die finanziellen und technischen Bedingungen der Modernisierung, unbewusst ihre symbolische Erreichbarkeit. So erscheint das Bauen eines Badezimmers einem oltenischen Dorfbewohner als Teil einer radikalen und teilweise entfremdenden Transformation seines Wohnens, wohingegen die großzügige Anlage und robuste Bausubstanz der Häuser im Banat eine bruchlose Transformation erlauben. Vor diesem Hintergrund ist auch die Aussage der Dorfbewohnerin des Banat zu verstehen. Wie erwähnt, erklärt sie ihre Entscheidung für ein Badezimmer und eine Waschmaschine mit ihrem direkten sozialen Umfeld. Gleichzeitig prägen ihr neues Badezimmer und ihre Waschmaschine die Umgebung und bestärken lokale Normen. Ihre Wahl ist nicht durch die Strukturen erzwungen worden, sondern sie trägt zur Produktion dieser Strukturen bei. Wir stoßen hier auf eine »Dualität der Strukturen«, wie sie von Anthony Giddens systematisch theoretisiert wurde.27 Mit Antje Schlottmann sehen wir in diesem Dualismus »ein[en] theoretischen Brückenschlag« angelegt, der »eine Verbindung zwischen einer objektiv erfahrbaren Wirklichkeit und ihrer sozialen Herstellung« eröffnet und »einen Mittelweg zwischen radikalem Raumkonstruktivismus und radikalem Raumrealismus« anbietet.28 Der Erfahrungsraum ist in dieser dualen Perspektive gleichzeitig geschaffen und schaffend. Es scheint uns aber notwendig, die zirkuläre Logik der Erfahrungskonstruktion auf der Grundlage der Erwartung nach Koselleck weiter zu öffnen. 27 Anthony Giddens: Die Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie der Strukturierung. Frankfurt  a. M./New York 1988 (Orig. The Constitution of Society, Outline of the Theory of Structuration. Cambridge 1984). 28 Antje Schlottmann: Raumsprache. Ost-West-Differenzen in der Berichterstattung zur deutschen Einheit. Eine sozialgeographische Theorie. Stuttgart 1985. Hier S. 23.

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Erwartungshorizont Neben der Analyse der Erfahrungsräume kommt unsere Untersuchung nicht umhin, den zweiten Flügel des Koselleck’schen Diptychons, den Erwartungshorizont, einzubeziehen. In dieser Sichtweise wird der Erfahrungsraum, der in gewisser Weise in die lokalen Figurationen »eingebettet« ist, ständig an den Erwartungshorizonten der Akteure gemessen. Die Akteure messen ihre Erfahrungen an einer Zukunft, die sie als möglich oder wahrscheinlich für sich selbst oder ihr Umfeld ansehen. Dabei ist es für unsere Analyse von besonderem Interesse, dass diese Erwartung nicht nur auf die spezifische Erfahrung der lokalen Gesellschaft gegründet ist, sondern auch Vorstellungen über die Zukunft enthält, die von regionalen oder nationalen Eliten produziert werden. Mental maps können in dieser Perspektive als verortete und wandelbare Erwartungshorizonte verstanden werden. Dadurch wird es möglich, kollektive geographische Imaginative in unsere Analyse einzubeziehen. Wenn unsere Dorfbewohnerin sagt: »Hier im Banat sind wir ehrgeiziger und moderner«, dann wiederholt und reproduziert sie eine mental map, die in den Diskursen der Gelehrten und durch kollektive Repräsentationen hergestellt worden ist und in der ein zivilisierter Okzident einem rückständigen Orient gegenübersteht. Aber sie kolportiert diese nicht im Rohzustand: Sie hat diejenigen Elemente verinnerlicht, die ihrer Erfahrung und ihren Entscheidungen Sinn verleihen. Es ist aufschlussreich zu beobachten, dass dieser Prozess der Konstruktion von Wirklichkeit einem politischen Gesamtkontext ausgesetzt ist. Dies ist besonders spürbar in dem oltenischen Dorf Noapteşa, dessen Bewohner ihre Identität in den 1970er und 1980er Jahren auf dem Stolz aufgebaut hatten, ein Dorf von ländlichen Bergleuten und Arbeitern zu sein. Bis 1989 hatte es ihnen ihr relativ privilegierter Status ermöglicht, sich trotz des maroden Systems zum Ende des Regimes Ceauşescu in ein Narrativ des Fortschritts der Lebensbedingungen einzuordnen und ihre Bemühungen, den eigenen Lebensraum zu modernisieren, sinnvoll erscheinen zu lassen. Die Strategien, die Zugang zu einem besseren Leben versprachen, waren leicht zu identifizieren: Sie verliefen über die Berufsausbildung der Kinder und deren Eintritt in die Fabrik oder das Bergwerk. Der Zusammenbruch des Systems und damit einhergehend die massenhafte Schließung der Industriebetriebe in der Region haben diese Erfahrung diskreditiert und die Zugangswege zu besseren Lebensbedingungen unlesbar gemacht. Die »Wende« hat die gelebte Erfahrung zu einer abgeschlossenen Episode

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entwertet in einem ländlichen Milieu, das sich nunmehr in einer permanenten »Krise« befindet. Angesichts dieser Schließung der Möglichkeitshorizonte scheint nur die Strategie der Abwanderung zu bleiben. Der Schock der politischen und wirtschaftlichen Neuordnung war sicherlich auf der anderen Seite der Phantomgrenze, im Banat von Mâtnicu Mare, nicht geringer, aber die Möglichkeit, sich zu versichern, dass man zum Banat gehöre, die Verinnerlichung der Vorstellung eigener kultureller Superiorität bildet für die Akteure eine Ressource, die den Investitionsstrategien Sinn verleiht. Sie bezieht den lokalen Ort in allgemeine Narrative des Fortschritts ein und macht diese zugänglich. »Ohne Rumänien wären Siebenbürgen und Banat mindestens auf der [Entwicklungs]stufe Deutschlands«, schreibt ein Teilnehmer in dem bereits erwähnten Internet-Forum. Diese in meinen Interviews oft gehörte Behauptung, die die Einwohner des Banat mit dem Westen identifiziert und speziell ein »deutsches Kulturerbe« betont, scheint mir in die Analyse der Akteursstrategien einbezogen werden zu müssen. Das Verhältnis zum deutschen Erbe hat sich in den letzten Jahrzehnten ins Gegenteil verkehrt. Bei vielen Interviews mit den Einwohnern in Mâtnicu Mare wird eine entsprechende Identifikation im Alltag, in der Architektur, sowie in der lokalen »Mentalität« oder in der wirtschaftlichen Performanz der Region Temesvar immer wieder argumentativ abgerufen und bekräftigt. Dieser Identifikationsprozess könnte für viele lokale Akteure eine quasi verpflichtende Legitimierung ihres Handels sein.29 Dagegen können sich die Akteure in Oltenien nicht auf solche Diskurse stützen. Die von mir interviewten ambitionierten Einwohner, die abweichend von der lokalen »Normalität« in Akkumulations- und Modernisierungsstrategien involviert sind, berufen sich in der Regel auf die Besonderheit ihrer Familientraditionen, auf im Ausland gesammelte Erfahrung oder sogar auf ihre frühere siebenbürgische Sozialisierung, um ihr im Dorf als wunderlich erscheinendes Handeln zu erklären. Die große Mehrheit ihrer Nachbarn sucht die Verbesserung

29 Interessante Identifikations- und Transferprozesse, Praktiken und Diskurse der deutschsprachigen Dorfbevölkerung zu ihren rumänischen Dorfnachbarn wurden von Ethnologen und Soziologen an konkreten lokalen Fallstudien analysiert. Siehe: Liviu Chelcea / Puiu Lățea: România profundă în comunism: dileme identitare, istorie locală și economie secundară la Sântana. București 2000; Vintilă Mihăilecu (Hg.): Vecini si vecinitati in Transilvania. Bucureşti 2003; Anne Schiltz: Entre ruralité et urbanité: les institutions de voisinage en Transylvanie, in: Balkanologie 7 (2003) 2, S. 99-126, einsehbar unter: http://balkanologie.revues.org/498 (22. 05. 2015).

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ihrer alltäglichen Lebensqualität eher in der Anschaffung technischer Erzeugnisse denn in Investitionsplanungen. Die Zukunft scheint zu unlesbar, um langfristigen Planungen Sinn zu verleihen.

Ausblick Auswandern oder im Dorf bleiben, investieren oder konsumieren, sich anpassen oder sich unterscheiden: Die regionalen Differenzen werden mit feinen Strichen im Alltagshandeln der Akteure gezeichnet. Es ist meiner Ansicht nach nicht nur originell, sondern auch heuristisch wertvoll, dieses Handeln situativ in seiner doppelten Abhängigkeit von Erfahrungsräumen und Erwartungshorizonten zu analysieren. Im Licht dieser Spannung zwischen Erfahrungsraum und Erwartungshorizont erscheinen die Phantomgrenzen als das Produkt komplexer Interaktionen zwischen dem gestalteten Raum und der imaginierten Sphäre. Die beiden für gewöhnlich einander entgegengesetzten Herangehensweisen – der Raumrealismus der Analyse der Strukturen oder der Raumkonstruktivismus der Analyse der Diskurse – stehen nicht mehr Rücken an Rücken, sondern können Hand in Hand voranschreiten. Die situierte Analyse der Fallstudien erlaubt es dabei, quasi unter Laborbedingungen zu beobachten, wie Akteure unter ähnlichen Umständen bzw. Lebensbedingungen verschiedene Wirklichkeiten konstruieren können.

Thomas Serrier Phantomgrenzen und Erinnerungsräume Zum Verhältnis von historischen Raumordnungen, sozialen Praktiken und Erinnerungskulturen

In seinen Reflexionen für eine zeitgenössische Historik hat Reinhart Koselleck, sein analytisches Augenmerk freilich primär auf die Geschichte, und nur sekundär auf das Gedächtnis gerichtet, das Problem des Raum-Zeit-Verhältnisses immer wieder aufgegriffen und vertieft: »Zeitliche und räumliche Fragen bleiben immer ineinander verschränkt«, heißt es etwa in seinen treffend genannten »Zeitschichten«, »auch wenn die metaphorische Kraft aller Zeitbilder anfangs den räumlichen Anschauungen entspringt«. Und weiter: »Dass auch ›Geschichte‹ eine räumliche Konnotation zulässt, nämlich die, Schichten zu enthalten, mag als Wortspielerei abgetan werden. Aber die verräumlichende Metapher, die den Zeitbegriff pluralisiert, hat einen Vorteil für sich. ›Zeitschichten‹ verweisen, wie ihr geologisches Vorbild, auf mehrere Zeitebenen verschiedener Dauer und unterschiedlicher Herkunft, die dennoch gleichzeitig vorhanden sind und wirksam sind.«1 Mit oder ohne Wortspiel: Das von Reinhart Koselleck bemühte »geologische Vorbild« der Zeitschichten kommt dem Leser gewiss nicht völlig unbekannt vor. In einem sicherlich weniger differenzierten Verständnis als in Kosellecks »Studien zur Historik« – so der Untertitel seines Bandes – ist gerade dieses didaktisch sprechende Bild in Unterrichtsfächern wie Erdkunde oder Geschichte, nicht zuletzt in den europäischen Nachbarländern (etwa in Frankreich), überaus geläufig. Wichtig ist: Von den räumlich akkumulierten Ablagerungsebenen und ihrer im Querschnitt sichtbaren Aufbereitung in der Gegenwart scheint es nicht weit zur »heuristischen Metapher« der Phantomgrenzen, wie sie die deutsch-französische Geographin Béatrice von Hirschhausen als Forschungsobjekt und Blickübung zugleich für einen interdisziplinären Gebrauch zunächst für Ostmitteleuropa vorgeschlagen hat. Wie verhält sich aber die per definitionem dynamische, ja lebendige Erinnerung mit der bloßen Gegebenheit historisch abgelagerter Schichten, auch wenn diese den heutigen Raum, und zwar 1 Reinhart Koselleck: Zeitschichten. Studien zur Historik. Frankfurt a. M. 2003, S. 9.

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nach den erkennbaren Umrissen früherer Territorialordnungen, fortwirkend strukturieren?

Eine Geschichte »zweiten Grades« für eine Geographie »zweiten Grades«? Wenn mit »Phantomgrenzen« nicht mehr existente (vordergründig, aber nicht ausschließlich politische) Grenzen gemeint sind, die im Zuge mehrfacher Grenzverschiebungen oftmals quer zu den gegenwärtig konsolidierten Staatsgrenzen verlaufen, dann lässt sich das Phänomen durch die in der Einführung dieses Bandes bereits angeführten Wahlkarten sehr gut veranschaulichen. Aber auch kollektive Erinnerungen an »verlorene Gebiete« können die politische Kultur eines Landes in hohem Maße bestimmen. So gehörte bekanntlich die »blutende Grenze« zu den Schlagwörtern fortwirkender »negativer Polenpolitik« (Klaus Zernack) in der Zeit der Weimarer Republik und der ersten Phase des Dritten Reichs. Das Bild der »blutenden Grenze« suggerierte, dass ein lebendiger Staatskörper, vielmehr als nur ein Staatsgebiet, in seinen vitalen Funktionen zerschnitten worden sei.2 Die These der Unhaltbarkeit der territorialen Regelung von Versailles wurde mit diesem grenzrevisionistischen Kampfbegriff ins Hysterische erhoben. Die Zwischenkriegszeit stand in den postimperialen Staaten Ostmitteleuropas vielerorts unter dem Vorzeichen unlösbarer Konflikte um Minderheitenpolitik und Irredentismus, was zu Hetzkampagnen gegen »fünfte Kolonnen« führte. So nimmt es kaum Wunder, wenn in einer neuen Studie zur deutschen Minderheit im Zwischenkriegspolen die »residual citizens« der einstigen Staatsnation als »Phantom Germans« beschrieben werden.3 Auch administrativ wurden nach territorialen Umbrüchen entstandene Rumpfgebiete und andere Phantomräume künstlich am Leben erhalten. Durch das Festhalten an der Bezeichnung der größtenteils an Polen abgetretenen Provinzen Westpreußen und Posen wurde etwa die Nichtanerkennung der Versailler Territorialordnung im offiziellen Gebrauch signalisiert, während der umständliche und tautologische Zusatz »Grenzmark« 2 Zur Verstümmelungsmetaphorik Inge Baxmann: Der Körper der Nation, in: Étienne François / Hannes Siegrist / Jakob Vogel (Hg.): Nation und Emotion. Deutschland und Frankreich im Vergleich. 19. und 20. Jahrhundert. Göttingen 1995, S. 353-365. 3 Winson W. Chu: The German Minority in Interwar Poland. Cambridge 2012, S. 21-59.

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die bedrohte Exponiertheit der Region unterstrich.4 Auch im akademischen Betrieb verfolgte die damals entwickelte interdisziplinäre Beschäftigung mit »Kulturräumen« in der sogenannten deutschen Westforschung und Ostforschung das »wissenschaftliche« Ziel nachzuweisen, dass Regionen und Territorien, die durch den Versailler Vertrag vom deutschen Reich abgetrennt wurden, im kulturellen Sinne trotzdem »deutsch« geblieben waren (und ewig bleiben würden), auch wenn sie sich nunmehr außerhalb der neuen Grenzen befanden, was die politische Grenze als künstliches Konstrukt der Siegermächte zu hinterfragen und diffamieren verhalf.5 Doch zurück zur hier zentralen Zeit nach 1989: Rufen sich ähnliche, vermeintlich verschüttete Zeitschichten als ein noch wirksames, gleichsam »spukendes« Gedächtnis des Raums in die Erinnerung der Gegenwartsakteure zurück? Senden verschwundene Raumordnungen tatsächlich örtliche Schmerzsignale, die mit den neurologischen Phantomschmerzen in amputierten Gliedern vergleichbar, und wegen ihres hochgradigen Anteils an irrationalen Affekten auch vergleichbar instrumentalisierbar wären? Die im Zeichen der heutigen geistigen Krise Europas sicherlich sehr ernst zu nehmende Rückkehr bzw. unmittelbar konfliktbeladene Behauptung solcher chauvinistischer Großraumgedächtnisse soll hier trotz ihrer politischen Brisanz nur eine aktuelle Hintergrundfolie abgeben. Stattdessen soll ein vielseitigeres Verständnis von Erinnerung und dem Fortwirken verschwundener Raumordnungen im Mittelpunkt stehen. Mit ihrer viel gelesenen Studie zu Erinnerungsräumen hat Aleida Assmann eine klassische Interpretation vorgeschlagen, die für die vorliegende Analyse von zentraler Bedeutung ist. Doch obwohl Assmann die Unterscheidungen zwischen »traumatischen Orten«, »Generationen-Orten«, »Gedenkorten«, »Gedächtnisorten« und »Erinnerungsorten« zu schärfen hilft, scheint sie ihren Leitbegriff nicht vordergrün4 Edmund Spevack: Borderland Nationalism, Westward Migration, and AntiPolish Aggression: The Case of the Grenzmark Posen-Westpreußen, 19191939, in: East European Quarterly 30 (1996) 3, S. 301-330. 5 Die vielen, seit Mitte der 1990 Jahre im Zeichen hitziger Debatten entstandenen Recherchen zur Westforschung und Ostforschung sind zu zahlreich, als könnte man sie hier ausführlich zitieren. Beispielhaft Peter Schöttler: Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918-1945. Frankfurt a. M. 1997; Jan M. Piskorski / Jörg Hackmann / Rudolf Jaworski: Deutsche Ostforschung und polnische Westforschung im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik. Disziplinen im Vergleich. Osnabrück 2002; Eduard Mühle: Für Volk und Deutschen Osten. Der Historiker Hermann Aubin und die deutsche Ostforschung. Düsseldorf 2005.

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dig für geschichtsregionale Formen räumlicher Remanenz konzipiert zu haben.6 Dem entgegengesetzt postulieren die hier unterbreiteten Überlegungen eine zentrale und reziproke Bedeutung zwischen Erinnerungsgeschichte, jener »Geschichtsschreibung zweiten Grades« einerseits und der »Geographie zweiten Grades« andrerseits, um hier den Ansatz der Phantomgrenzen mit Pierre Noras bekannter Definition zu parallelisieren. Gerade die Erinnerungskategorie mit dem Fokus auf ihre vordergründig soziale Beschaffenheit, so das Plädoyer dieses Beitrags, verhilft nämlich, historisch gewachsene Raumkoordinaten zu verflüssigen, die gelegentlich allzu deterministisch gehandhabt werden. Zumindest ruft das »Wiederauftauchen« bzw. das »Re-Aktualisieren«, das sowohl in den räumlich verfassten Phantomgrenzen als auch in der zeitlich definierten Erinnerung eine doppelte Verankerung aufweist, ein Bedürfnis nach einer begrifflichen Klärung nach sich. Dem Verhältnis zwischen den Phantomgrenzen einerseits und dem Erinnerungsparadigma im Allgemeinen samt seinen vielen Deklinationen (Erinnerung und Gedächtnis, Erinnerungsort, Erinnerungsraum, Erinnerungskultur, Erinnerungspolitik) im Einzelnen andrerseits sollen die vorliegenden Überlegungen gewidmet sein.7 Als grundsätzliches Postulat liegt diesem Text die Überzeugung zugrunde, dass die Interpretation von dem räumlichen Palimpsest historischer Territorialordnungen zu den vordergründig gesellschaftlich beschaffenen Erinnerungskulturen notwendigerweise über die Analyse sozialer Praxis führt. Im Unterschied zum kumulativen, beinahe unbeweglichen Verständnis der longue durée Braudel’scher Art wird die folgende Analyse das konjunkturabhängige Wiederauftauchen verschwundener Räume stets dahingehend interpretieren, dass sich in ihm immer Gegenwartsinteressen widerspiegeln. Dabei wird das schöpferische Moment diskursiver bzw. nicht diskursiver sozialer Praktiken deutlich zum Ausdruck kommen. Anders auch als bei der »Langzeithaft« jener »unsichtbaren« Grenze, als welche etwa die konfessionelle Trennwand in urbanen Milieus der Frühneuzeit betrachtet werden kann, impliziert das Wiederauftauchen von Phantomgrenzen nicht zuvörderst kontinuierlich weitergeführte soziale und kulturelle Distinktionsmechanismen wie von Bourdieu untersucht, sondern die 6 Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München 1999. 7 Eine Analyse dieses nach drei Jahrzehnten intensiver Forschungsdiskussionen nunmehr sehr differenzierten semantischen Felds liefert Christian Gudehus / Ariane Eichenberg / Harald Welzer (Hg.): Gedächtnis und Erinnerung. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart / Weimar 2010.

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heutige Relevanz alter Raumstrukturen auch nach langen Phasen der Latenz bzw. umwälzenden Zäsuren.8 Diese pluralen Praktiken lassen sich übrigens keinesfalls allein mit einem geschichtswissenschaftlichen Instrumentarium analysieren. Im Gegenteil: Die hohe Interdisziplinarität der Phantomgrenzen-Problematik ergibt sich aus den verschiedentlichen Modi, wie »im Raum die Zeit gelesen« wird, um hier mit Karl Schlögel zu sprechen.9 Diese Modi reichen von der diskursiven Deutung regionaler Unterschiede bis zum Einsatz von Geschichtspolitik auf lokalem bzw. regionalem Niveau. Ein Link zur Erinnerungsproblematik scheint dennoch immer gegeben: Dass sogar Hirsche am früheren Eisernen Vorhang stoppen, anders gesagt: »genau bis zu der Stelle wandern, wo früher Stacheldraht den Sperrbereich vor der Staatsgrenze markierte«10, konnte nur als Ergebnis einer umfangreichen, mehrjährigen Beobachtung im Nationalpark Böhmerwald herausgefunden werden, deren Arbeitshypothese allein schon eines Geschichtsdenkens bedurfte. Vor diesem Hintergrund wundert es also kaum, dass Geschichtswissenschaft, Soziologie, Geographie, Raumsoziologie, Anthropologie und nicht zuletzt Kunst- und Architekturgeschichte mit jeweils anderen Schwerpunkten sich immer intensiver mit dem Phänomen historisch formierter, räumlicher Palimpseste in Ostmitteleuropa beschäftigen. Allen disziplinären Zugängen gemeinsam zu sein scheint, dass der spatial turn sich die theoretischen Erkenntnisse des cultural turn um Aspekte wie Symbole und Diskurse, Praktiken und Wahrnehmungen zunutze machen konnte. Um nur auf einige Beispiele näher einzugehen: Die starken Kontraste im regionalen Wahlverhalten in Polen, der Ukraine und in anderen Ländern Ostmitteleuropas stellen eine regelrechte Herausforderung für die Sozialwissenschaften dar, die über das historische Moment der Interpretation hinaus einen hohen Grad an Transdisziplinarität erfordert.11 Auch in der theoretischen 8 Étienne François: Die unsichtbare Grenze. Protestanten und Katholiken in Augsburg 1648-1806. Sigmaringen 1991, S. 11. Der Studie liegt ein an Bourdieus Begriffen des Habitus und der Distinktion erarbeitetes Grenzkonzept zugrunde. 9 Karl Schlögel: Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik. Frankfurt a. M. 2009, 3. Aufl. 10 Einsehbar unter: http://www.zeit.de/news/2014-01/22/tiere-hirsche-stoppenam-frueheren-eisernen-vorhang-22172807 (22. 05. 2015). 11 Tomasz Zarycki: Region jako kontekst zachowań politycznych. Warszawa 2002; Ders.: Kulturowe-polityczne uwarunkowania modernizacji Polski wschodniej i zachodniej. Geografia polityczna i jej interpretacje, in: Grzegorz Gorzelak / Anna Tucholska (Hg.): Historyczno-kulturowe uwarunko-

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wie praktischen Beschäftigung mit der Denkmalpflege und dem »gemeinsamen Kulturerbe« etwa im deutsch-polnischen Kontaktbereich zeichnen sich deutliche regionale Differenzen ab, die sich einerseits historisch problematisieren lassen, jedoch auch zunehmend durch die Einbeziehung der zivilgesellschaftlichen Akteure von heute interpretiert werden.12 Der in den 1970er Jahren ansetzende Dialog zwischen Polen und Deutschland hat nach der politischen Wende einen unübersehbaren Aufschwung erfahren. Die Aufhebung der staatssozialistischen Deutungshoheit über die Geschichte führte zu einer zunehmenden Beschäftigung vieler Bürger der westpolnischen Gebiete mit den vormals »tabuisierten« Phantomen ihrer Geburtsorte.13 Weil in dieser Renaissance Baudenkmale im öffentlichen Raum eine wichtige Rolle spielen, entstehen um sie herum immer wieder transnationale Interessengemeinschaften, Kooperationen und Erinnerungsdiskurse, die sich der Rettung des gefährdeten baulichen Erbes verschreiben.14 Abschließend seien die ostmitteleuropäischen Literaturwissenschaften erwähnt: Auch hier weist der zunächst von Kenneth White vorgeschlagene Begriff der »Geopoetik« durch seine mögliche Anwendung auf Autoren und kulturelle Trends in der Region ein starkes Innovationspotential auf.15 Die Neugestaltung der politischen Raumordnung Mitteleuropas

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wania rozwoju: Polska i Ukraina. Warszawa 2008, S. 59-92; Ders.: History and regional development. A controversy over the ›right‹ interpretation of the role of history in the development of the Polish regions, in: Geoforum 38 (2007) 3, S. 485-493; beispielhafte lokale Studie bei Jarosław Jańczak / Magdalena Musiał-Karg: Położenie przygraniczne a mapa polityczna Wojewódtzwa Lubuskiego, in: Małgorzata Dajnowicz (Hg.): Oblicze polityczne regionów Polski. Białystok 2007, S. 239-256. Andrzej Tomaszewski: Das gemeinsame Kulturerbe von Deutschen und Polen und seine Erhaltung. Eine gemeinsame Aufgabe, in: Andrzej Tomaszewski / Dethard von Winterfeld (Hg.): Das gemeinsame Kulturerbe. Die deutsch-polnische Zusammenarbeit in der Denkmalpflege 1970-2000. Osnabrück 2001, S. 11-30. Siehe auch die Homepage des 1995 gegründeten Arbeitskreises deutscher und polnischer Kunsthistoriker Gemeinsames Kulturerbe, einsehbar unter: http://www.bkge.de/arbeitskreis/ (22. 05. 2015). Als eine frühe Publikation zu dem inzwischen breit studierten Thema gilt das Buch von Zbigniew Mazur (Hg.): Das deutsche Kulturerbe in den polnischen West- und Nordgebieten. Wiesbaden 2003 (Orig. 1997). Paul Zalewski / Joanna Drejer (Hg.): Deutsch-polnisches Kulturerbe und die Zivilgesellschaft im heutigen Polen. Erfahrungen, Trends, Chancen. Polskoniemieckie dziedzictwo kulturowe a społeczeństwo obywatelskie w dzisiejszej Polsce. Doświadczenia, trendy, szanse. Warszawa 2012. Kenneth White: Streifzüge des Geistes. Nomadenwege zur Geopoetik. Frauenfeld 2007; beispielhafte Anwendung bei Małgorzata Smorąg-Goldberg / Marek Tomaszewski (Hg.): Mémoires des lieux dans la prose centre-européenne après 1989. Lausanne 2013; Magdalena Marszałek / Sylvia Sasse (Hg.): Geo-

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nach der Auflösung des Ostblocks setzte schon vor 1989 eine Lust an essayistisch-fiktiven Entwürfen von (alten und neuen) geographischen Räumen in Gang, mit deren Hilfe die Heterogenität sowie die nicht mehr auszufüllenden Leerstellen der »Nach-Multikulturalität« Ostmitteleuropas neu erschlossen werden.16 Das literarisch besonders wirkungsvolle Nachleben geschichtlicher Räume wie Danzig, Galizien, Schlesien, der Bukowina, Bosnien – Mitteleuropa als Ganzes nicht zu vergessen –, wird auch hier nicht mehr bloß als Fiktion betrachtet, die einer bloßen Textexegese bedürfte. Das imaginative Fortdauern jener Phantomräume in der Literatur wird hermeneutisch zunehmend über das rein Fiktionale hinaus als ein mehrdimensionales Changieren zwischen Mythopoiesis und Performativität, Entwurf und Empirie, Text und »Text-Rand« interpretiert. Lokalität sowie Partizipation von Autor und Rezipienten an einer wandelbaren, gemeinsam definierten Geopoetik sind hier ausschlaggebend.17

Zwei affine Bereiche: Grenzforschung und Gedächtnisforschung Die skizzenhaften Beispiele zeigen, dass es Eulen nach Athen zu tragen hieße, hielte man es für nötig, noch einmal auf die räumliche Komponente eines jeden kollektiven Gedächtnisses verweisen zu wollen. Mehr als dreißig Jahre nach dem senkrechten Start des Erinnerungsparadigmas, scheinen »Räume« und »Orte« zu den Grundprämissen der Erinnerungsforschung gerechnet werden zu können – sind doch deren fruchtbarste Begriffe durch emblematische Publikationen zu »Erinnerungsorten« oder »Erinnerungsräumen« zugleich suggeriert und auf spektakuläre Weise praktiziert worden.18 Dass »der Ort das Gepräge der Gruppe erhalten [habe] und umgekehrt« und dass »alsdann alle Unternehmungen der Gruppe räumlich ausgedrückt werden [könnten], und der Ort, an dem sie lebt, nur die Vereinigung all dieser poetiken. Geographische Entwürfe in den mittel- und osteuropäischen Literaturen. Berlin 2010. 16 Juri Andruchowytsch: Das letzte Territorium. Essays. Frankfurt a. M. 2003, übers. v. Alois Woldan, S. 68. 17 Eine faszinierende Vision des heuristischen Potentials einer räumlich aufbereiteten, postnationalen Philologie liefert Jürgen Joachimsthaler: Text-Ränder. Die kulturelle Vielfalt in Mitteleuropa als Darstellungsproblem deutscher Literatur, 3 Bde. Heidelberg 2011. 18 Pierre Nora (Hg.): Les lieux de mémoire, 7 Bde. Paris 1984-1992; Assmann: Erinnerungsräume.

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Ausdrücke [sei]«, darauf hat der »Erfinder« des kollektiven Gedächtnisses als eines neuen sozialwissenschaftlichen Forschungsgegenstands, der französische Soziologe Maurice Halbwachs, sehr früh aufmerksam gemacht.19 Seit Pierre Noras »Lieux de mémoire« (1984-1992) ist ebenfalls immer wieder betont worden, dass schon in der antiken Mnemotechnik des locus memoriae jede Erinnerung räumlich abgestützt sei. Dass bei Nora Geschichte nicht chronologisch anhand von Jahreszahlen, sondern kaleidoskopisch anhand von »Orten« geschrieben wird, ist ebenfalls hinlänglich kommentiert worden, wobei Noras elastisches Verständnis von Orten bekanntlich auch die Einbeziehung nicht topographischer, gar immaterieller Bezugspunkte kollektiven Erinnerns ermöglichte.20 Neben Noras wegweisendem opus magnum verweisen tatsächlich die Schriften vieler Erinnerungsforscher auf das reichhaltige Potential der Grenzforschung für eine verschärfte Wahrnehmung der Räumlichkeit kollektiver Identitäten. An der Grenze treten die Parallelen, Interaktionen und Abgrenzungen zwischen den (staats-)nationalen wie spezifisch grenzregionalen Narrativen deutlich zum Vorschein – samt allen realen oder imaginierten Rückprojektionen, die das Eigene mit der Ursprungs- und Langzeitrhetorik gegenüber dem Anderen nobilitieren und priorisieren.21 Als Erstes sei hier eine andere zum dekon19 Maurice Halbwachs: Das kollektive Gedächtnis. Frankfurt a. M. 1985 (Orig. La mémoire collective, Paris 1950), S. 130. 20 Pierre Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis: Die Gedächtnisorte, in: Pierre Nora (Hg.): Zwischen Geschichte und Gedächtnis. Berlin 1990, S. 1133, hier S. 30. Zum Verhältnis von Nora und Halbwachs siehe Klaus GroßeKracht: Gedächtnis und Geschichte: Maurice Halbwachs – Pierre Nora, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 47 (1996), S. 21-31. 21 Drei Beispiele seien hier skizziert: Der polnische Initiator und Mitherausgeber des Projekts »Deutsch-Polnische Erinnerungsorte« Robert Traba ist zunächst als Begründer der Allensteiner Kulturgemeinschaft Borussia und durch seine Arbeiten zu den »Tausenden von Grenzen« seiner ermländischmasurischen Heimat einem größeren Publikum bekannt geworden: Robert Traba: Kraina tysiąca granic. Szkice o historii i pamięci. Olsztyn 2003. Der französische Herausgeber der Deutschen Erinnerungsorte Étienne François hatte sich zehn Jahre davor mit einer Studie zur »unsichtbaren Grenze« zwischen den Konfessionsgemeinden in einer deutschen Stadt nach dem Westfälischen Frieden hervorgetan: François: Unsichtbare Grenze. Schließlich sei auf das sehr inspirierende, in Deutschland noch zu wenig rezipierte Werk des Althistorikers François Hartog hingewiesen, der nach anfänglichen Studien zur »erzählten Grenze« bei Odysseus (etwa: Mémoire d’Ulysse. Récits sur la frontière en Grèce ancienne. Paris 1996) mit seinen Begriffen »régime d’historicité« und »présentisme« einen der meistdiskutierten reflexiven Beiträge zur Erinnerungsforschung des letzten Jahrzehnts geliefert hat: François

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struktivistischen Klassiker avancierte Publikation der 1980er Jahre, nämlich der von Eric Hobsbawm und Terence Ranger herausgegebene Band »The Invention of Tradition« genannt. Das bekannte Fallbeispiel der »Erfindung« der schottischen Highlands unterstreicht die Rolle des realen oder imaginierten Langzeitfaktors bei der Etablierung eines unmittelbar räumlichen Abgrenzungsmechanismus.22 Auch Karl Schlögels im Zusammenhang mit dem spatial turn viel diskutiertes Werk weist mit seiner charakteristischen Konstellation aus urban studies und flaneurhaften, kaleidoskopischen Exerzitien, »die Zeit im Raum zu lesen«, auf die wechselseitigen und wandelbaren Interaktionen von Grenze, Raum, Gedächtnis und Erinnerung hin.23 Angelehnt an Walter Benjamins Verständnis von Geschichte als »raumgewordener Vergangenheit« entfaltet Schlögel eine dezidiert räumlich, nicht zeitlich gegliederte Hermeneutik.24 In seinem 2013 veröffentlichten Buch »Grenzland Europa« stehen nicht umsonst Reflexionen zur »Topographie des Verlusts« neben privaten Erinnerungen an den ehemaligen Grenzübergang Helmstedt-Marienborn und einem abschließenden Deutungsversuch der »Asymmetrien der Erfahrung, Asymmetrien der Erinnerung« in Europa. Die Kleinstudien stecken das Feld für die »Beobachtungen eines Europäers von gestern« ab, der jedoch seit 1989 aufmerksam verfolgt, wie das neue Europa, das immer weiter weg gerückt ist von den Jahrzehnten der Teilung, nach neuen »Messungen« verlangt.25 Die Liste ließe sich leicht verlängern. So wie Martin Aust die Verflechtung von Erinnerungskulturen, und somit die heuristische Affinität von Gedächtnisforschung zur histoire croisée beleuchtet hat, wird man wohl eine Affinität von Gedächtnis zur historischen Grenzforschung postulieren können.26 Zur gesamteuropäischen Relevanz des Zusammenspiels von Grenzfrage und Erinnerungsthematik sei zumindest kursorisch auf zwei ambitionierte interpretatorische Versuche hingewiesen, bei denen der ausschlaggebende Umgang mit »Phanto-

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Hartog: Régimes d’historicité. Présentisme et expériences du temps. Paris 2003. (Hartogs Werk liegt in englischer Übersetzung vor.) Eric J. Hobsbawm / Terence Ranger (Hg.): The Invention of Tradition. Cambridge 1983. Schlögel: Im Raume. Walter Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. 5. Frankfurt a. M. 1991, S. 1041. Karl Schlögel: Grenzland Europa. Unterwegs auf einem neuen Kontinent. München 2013. Martin Aust: Verflochtene Erinnerungen. Einleitende Ausführungen zur Affinität von Gedächtnis- und Verflechtungsgeschichte, in: Martin Aust/Krzysztof Ruchniewicz/Stefan Troebst (Hg.): Verflochtene Erinnerungen. Polen und seine Nachbarn im 19. und 20. Jahrhundert. Wien/Köln/Weimar 2009, S. 1-15.

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men« der Geschichte nach räumlichen Kriterien untersucht bzw. interpretiert wird. Mit seinem signifikanten Fokus auf jüngste Erinnerungsschlachten – etwa um öffentliche Denkmäler aus sowjetischem Nachlass in den baltischen Staaten – in den Übergangszonen der Europäischen Union hat zunächst Claus Leggewie eine brisante Studie vorgelegt. Leggewie unterscheidet darin vier Memorialregime (Exklusion, Inklusion, Kontestation, Beschweigen), anhand derer er die Frage nach den europäischen Zugehörigkeiten beantwortet, was seinem Essay einen normativen Charakter verleiht, der sich auch räumlich ausdrückt.27 Zu einer vergleichbaren räumlichen Schlussfolgerung gelangt der Ostmitteleuropa- und Südosteuropa-Historiker Stefan Troebst, wenn er Gedächtnisstreitigkeiten in Europa identifiziert und die erinnerungskulturellen Trennlinien mithilfe von Haleckis bekannter Einteilung in große Geschichtsregionen interpretiert.28

Exkurs: Auf der Spur von Phantomgrenzen in exemplarischen Lieux de mémoire-Projekten Ergänzend zu den vorangegangenen Ausführungen bietet sich ein vertiefender Einstieg in exemplarisch ausgesuchte ErinnerungsortProjekte an, um der Tauglichkeit der Phantomgrenzen-Thematik in der Gedächtnisforschung nachzuspüren. Drei Jahrzehnte nach dem Erscheinen von Noras erstem Band »La République« in dem siebenbändigen Editionsprojekt der Lieux de mémoire zeugen die unzähligen Publikationen, in denen die Kategorien »Gedächtnisort« bzw. »Erinnerungsort« in Bezug auf ihre nationale, regionale, religiöse sowie europäische Relevanz angewendet wurden, von der schöpferischen Kraft des Begriffs. Doch weder die bei aller Bewunderung für Noras Innovation bereits von den ersten Lesern bemängelte konzeptionelle Unschärfe noch die im Rückblick zumindest sehr stimulierende Elastizität des Begriffs, die damit verbunden war, sollen hier noch einmal besprochen werden. Dies würde den Rahmen dieser Überlegungen zweifellos sprengen. Nichtsdestotrotz lohnt es sich, einige jener Großprojekte mit dem Lemma »Erinnerungsorte« ver-

27 Claus Leggewie: Der Kampf um die europäische Erinnerung. Ein Schlachtfeld wird besichtigt. München 2011. 28 Stefan Troebst: Das Jahr 1945 als europäischer Erinnerungsort?, in: Winfried Eberhard / Christian Lübke (Hg.): Die Vielfalt Europas. Identitäten und Räume. Leipzig 2009, S. 337-345.

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gleichend zu untersuchen.29 Weiterführend ist insbesondere ein Blick auf die unterschiedliche Anwendung der Raumkomponente innerhalb dieser Projekte.30 Betrachtet man ausschließlich die nationalen Re-Interpretationen des Nora’schen Ansatzes, so liegen inzwischen italienische, deutsche, österreichische, niederländische, luxemburgische, russische, belgische und schweizerische Adaptionen vor. Diese in den 1990er Jahren kontinuierlich erstarkende Forschungsströmung mündete nach 2010 in erste Versuche, das Konzept auf einer (gesamt-)europäischen Ebene anzuwenden, um zunächst von den unzähligen regionalen Projekten und einem ersten imponierenden, bilateral angelegten Versuch zu einer deutsch-polnischen Verflechtungsgeschichte der Erinnerungskulturen einmal ganz abzusehen.31 Indessen wäre nichts falscher als dem französischen Originalmodell eine Vernachlässigung der Raumkomponente in der Gesamtauswahl der lieux zu unterstellen. Anderes wäre angesichts der nach wie vor 29 Pierre Nora hat nach Abschluss seines siebenbändigen Projekts zunächst dezidiert die Möglichkeit einer europäischen Vergleichsebene abgewiesen und auf die absolute Spezifität der französischen Erinnerungskultur bestanden, bevor er dann selber dieses radikale Alleinstellungsmerkmal zugunsten differenzierterer Ansichten zurückzog. Siehe in kontrastiver Hinsicht den Sonderband »Mémoires comparées« der von ihm mit herausgegebenen französischen Zeitschrift Le Débat 78 (1994) 1-2 (Themenheft »Mémoires comparées«); und sein Vorwort zu Étienne François / Thomas Serrier: Lieux de mémoire européens. Paris 2012. 30 Einen systematischen Vergleich aller bisherigen Editionsprojekte um (nationale) Erinnerungsorte hat die Koordinatorin des seit 2011 erscheinenden, mehrbändigen Projekts »Deutsch-Polnische Erinnerungsorte« Kornelia Kończal unternommen, ohne jedoch die Prämisse des Raums besonders hervorzuheben. Kornelia Kończal: Pierre Noras folgenreiches Konzept von les lieux de mémoires und seine Re-Interpretationen. Eine vergleichende Analyse, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 62 (2011) 1-2, S. 17-36. 31 Mario Isnenghi (Hg.): I luoghi della memoria, 3 Bde. Roma/Bari 1996-1997; Étienne François/Hagen Schulze (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte, 3 Bde. München 2001; Emil Brix/Ernst Bruckmüller/Hannes Stekl (Hg.): Memoria Austriae, 3 Bde. Wien/München 2004-2005; Henk. L. Wesseling (Hg.): Plaatsen von herinnering, 4 Bde. Amsterdam 2005-2007; Sonja Kmec et al. (Hg.): Lieux de mémoires au Luxembourg. Usages du passé et construction nationale  / Erinnerungsorte in Luxemburg. Umgang mit der Vergangenheit und Konstruktion der Nation. Luxembourg 2007; Georges Nivat (Hg.): Les sites de la mémoire russe, Bd. 1. Paris 2007; Jo Tollebeek/Geert Buelens/et al. (Hg.): Belgie. Een parcours van herinnering, 2 Bde. Amsterdam 2008; Georg Kreis: Schweizer Erinnerungsorte. Aus dem Speicher der Swissness. Zürich 2010; Pim den Boer et al. (Hg.): Europäische Erinnerungsorte, 3 Bde. München 2012; François/Serrier: Lieux de mémoire européens. Auch auf außereuropäische Geschichtsprojekte wurde die Kategorie lieu de mémoire angewandt.

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sehr starken geographischen Tradition in der französischen Geschichtsschreibung nur eine knappe Generation nach Braudel und seinem epochalen Mittelmeer-Buch (1949) sicherlich nicht zu erwarten gewesen.32 So finden sich in der Tat in den Erinnerungsorten Frankreichs eine Vielzahl von Beiträgen, die trotz Noras programmatischer Ausdehnung der lieux auf »immaterielle« Kristallisationspunkte des Erinnerns wie reale und mythische Personen, historische Ereignisse, kulturelle Artefakte oder staatliche und gesellschaftliche Institutionen sehr wohl auch primär topographische Orte (Lascaux, Vézelay, die Kathedrale zu Reims, der Sacré-Cœur von Montmartre, die Schlösser an der Loire, etc.) behandeln. Ebenso bildet die Problematik der inneren Grenzen und Räume ein wiederkehrendes, ja strukturierendes Element des gesamten Vorhabens, was sich unmittelbar in den Zwischenrubriken der sieben Bände ausdrückt, die da lauten: Landschaften, Teilungen in Raum und Zeit, Verwurzelungen, symbolträchtige Orte. Allein das Kapitel »Le territoire« mit seinen klassischen Beiträgen zur Formierung der Grenzen Frankreichs33, zur Metapher des Hexagons und zur Nord-Süd-Scheidelinie als Leitmotiv französischer Binnendifferenzierungen spricht Bände für den hohen Stellenwert, den Nora den räumlichen Koordinaten seines Unterfangens zuerkannte. Diese Einsicht sollte dennoch kritischere Nuancierungen nicht verbieten. Für die Überlegungen zum Verhältnis von Erinnerungskultur und Phantomgrenzen scheint Noras ursprüngliches Ziel, eine Bestandsaufnahme des nationalen Gedächtnisses anhand von »Kristallisationspunkten« aus den Gründungsjahren der Dritten Republik vorzulegen, nicht ohne Folgen geblieben zu sein. Nicht zu Unrecht hat man Nora eine »Sakralisierung Frankreichs« vorgeworfen.34 Ein Grund dafür ist zweifelsohne die zentralistische Engführung, die sich in einer auffallend schwachen Berücksichtigung von Minderheiten 32 Fernand Braudels postum erschienenes Werk »L’identité de la France« mit seinem klassischen ersten Teil zu »Raum und Geschichte« erschien bezeichnenderweise 1986, zwei Jahre nach dem ersten Band der »Lieux de mémoire«. Deutsche Fassung: Fernand Braudel: Frankreich, 3 Bde. Stuttgart 2009. 33 Bernard Guénée: Des limites féodales aux frontières politiques, in: Pierre Nora (Hg.): Les lieux de mémoire, Bd. 2,2. Paris 1986, S. 1103-1124; Daniel Nordman: Des limites d’État aux frontières nationales, in: Ebda., S. 11251146; Jean-Marie Mayeur: Une mémoire-frontière: l’Alsace, in: Ebda., S. 1147-1170; Eugen Weber: L’hexagone, in: Ebda., S. 1171-1190; Emmanuel Leroy-Ladurie: Nord-Sud, in: Ebda., S. 1191-1216. 34 Jean-Paul Willaime: De la sacralisation de la France. Lieux de mémoire et imaginaire national, in: Archives de sciences sociales des religions 66 (1988) 1, S. 125-145.

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und der Marginalisierung minoritärer Diskurse ausdrückte. Vergleichbares trifft übrigens auch auf die erste internationale Adaption, die italienischen Luoghi della memoria, zu. Aufgrund ihrer durchaus problematischen Einengung auf die Jahrzehnte nach 1848 und die Entstehung des italienischen Nationalstaates bevorzugen die italienischen Erinnerungsorte auf noch eklatantere Weise als das französische Beispiel die staatsstiftenden Momente italienischer Erinnerungskultur, wobei regionale Referenzen automatisch ausgeblendet werden. Versteht man unter Phantomgrenzen Remanenzphänomene, die sich als das Fortbestehen ehemaliger Grenzen materialisieren, so behandeln im engeren Sinne die Lieux de mémoire nur das Elsass. Diese Grenzregion, die durch ein starkes Regionalbewusstsein gekennzeichnet ist, wird hier durch ihre »mémoire-frontière« charakterisiert, die »gezwungen ist, soll ihre Erinnerungskultur nicht zerbröckeln, das Band zwischen ihrer spezifisch elsässischen und ihres französischen Komponente ständig wiederherzustellen, die in bedeutendsten Orten ihrer Geschichte wie im komplexen Gefüge ihres politischen Gedächtnisses gleichsam präsent sind.«35 Zusätzlich kann sicherlich auch die gleich im Band »La République« durch Jean-Clément Martin kontrapunktisch zum oktroyierten republikanischen Geschichtsbild behandelte westfranzösische Küstenregion Vendée mit dem Attribut der Phantomgrenze analysiert werden.36 Bis heute ist nämlich die Spur dieses Kerngebiets der Vendée-Kriege der Revolutionszeit etwa in der Form eines konservativ-katholischen Wahlverhaltens und einer im Laufe des 19. Jahrhunderts peu à peu ausgeformten regionalen Erinnerungskultur räumlich verfolgbar. Alles in allem hat Nora »the ghost of nation past«37 nicht primär in den Randgebieten Frankreichs bzw. in den durch das Nachwirken von Phantomgrenzen gekennzeichneten »Zwischenräumen« zwischen Frankreich und seinen Nachbarländern gesucht. Umso mehr fällt die Aufwertung von Raum und Grenzen in den europäischen Adaptionen auf. Damit einher ging eine vertiefte Theoretisierung der vielen Formen des »Dazwischen« und ihrer wissenschaftlichen Untersuchung mit den Mitteln transnationaler Mehrperspektivität. Wenn das Format nationaler Erinnerungsorte grundsätzlich hinterfragt wurde, dann mit einem verstärkten Elan aus den Ländern Europas, für welche die Frage 35 Mayeur: l’Alsace. 36 Jean-Clément Martin: La Vendée, région-mémoire, in: Ebda., Bd. 1 1984, S. 595-617. 37 Steven Englund: The Ghost of Nation Past, in: Journal of Modern History 64 (1992) 2, S. 299-320.

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nach einer hypothetischen Deckungsgleichheit zwischen dem gegenwärtigen staatlichen Territorium der Nation und ihren kulturell definierten Erinnerungsräumen sich gar nicht stellte.38 Dass die österreichische Erinnerungskultur ohne Berücksichtigung des territorialen posthabsburgischen Gedächtnisrahmens nicht denkbar ist, bedarf zweifelsohne keiner besonderen Betonung. Es versteht sich daher von selbst, dass das Forschungsprogramm zu »transnationalen Gedächtnisorten in Zentraleuropa«, so wie es etwa Moritz Csáky definierte, sich nicht nur begrifflich sorgfältig von der Analyse nationaler Erinnerungsorte absetzte, sondern programmatisch darauf abzielte, gegenüber einer vorgestellten nationalen Eindeutigkeit die prinzipielle Mehrdeutigkeit solcher Orte zu betonen.39 Interessanterweise haben die Initiatoren des dreibändigen Projekts »Memoria Austriae« nicht wie Nora in auktorialer Fügung ihre Auswahl der Lemmata erstellt, sondern sie aus den Ergebnissen einer öffentlichen Umfrage zu den Erinnerungsorten Österreichs heraus präpariert. Eine Frage sprach ausdrücklich die wechselhafte territoriale Verfasstheit Österreichs in der Geschichte an: »Da sich die österreichischen Grenzen in der Vergangenheit oft verändert haben, [liegen] einige früher österreichische Gebiete/Städte heute außerhalb Österreichs. Gibt es solche Gebiete/Städte außerhalb Österreichs, die Sie persönlich mit Österreich verbinden?« Im Hinblick auf das mentale Weiterwirken historischer Karten ergab die Frage einen nicht uninteressanten Befund, da Italien den Spitzenplatz mit 52 % der Antworten einnahm (Südtirol 43 %, Triest 10 %, Bozen und Meran jeweils 6 % und 5 %), dann Ungarn mit 24 % (Budapest 8 %) und Tschechien mit 16 % (Prag 7 %) folgten.40 38 Siehe den theoretischen Begleitband zum luxemburgischen Projekt: Benoît Majerus et al. (Hg.): Dépasser le cadre national des »Lieux de mémoire«. Nationale Erinnerungsorte hinterfragt: Innovations méthodologiques, approches comparatives, lectures transnationales. Methodologische Innovationen, vergleichende Annäherungen, transnationale Lektüren. Brüssel / Frankfurt a. M. 2009. 39 Moritz Csáky / Christoph Leitgeb (Hg.): Kommunikation – Gedächtnis – Raum. Kulturwissenschaften nach dem »Spatial Turn«. Bielefeld 2009; Moritz Csáky / Elisabeth Großegger (Hg.): Jenseits von Grenzen. Translokales, transnationales Gedächtnis. Wien 2007; Johannes Feichtinger / Ursula Prutsch / Moritz Csáky: Habsburg postcolonial. Machtstrukturen und kollektives Gedächtnis. Innsbruck / Wien / München / Bozen 2003; Moritz Csáky / Klaus Zeyringer (Hg.): Ambivalenz des kulturellen Erbes – Vielfachcodierung des historischen Gedächtnisses (= Paradigma: Zentraleuropa 1). Insbruck 2000. 40 Emil Brix / Ernst Bruckmüller / Hannes Stekl: Das kulturelle Gedächtnis Österreichs. Eine Einführung, in: Dies. (Hg.): Memoria Austriae, Bd. 1. Wien / München 2004, S. 9-26, hier S. 12 und S. 17.

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Ein anderes gutes Beispiel liefert das 2001 erschienene dreibändige Werk »Deutsche Erinnerungsorte«, das sich durch eine breite theoretische wie praktische Einarbeitung der Raum- und Territorialdimension in der Gesamtkonzeption charakterisierte. Dies, argumentierten die Urheber des Projekts Hagen Schulze und Étienne François, ergebe sich quasi von selbst »wegen der dauernden Fluktuationen der Grenzen und der Siedlungsräume« sowie »der Vielfalt der Regionen und Orte, in denen über Jahrhunderte hinweg Deutsche und Nicht-Deutsche miteinander lebten«.41 Es nimmt also kaum wunder, wenn die Herausgeber zum Schluss kamen, dass »Deutschland nicht in sich geschlossen beschrieben werden [kann], wie Nora dies im Falle Frankreichs tut«.42 Das Projekt kennzeichnet sich demnach zum einen durch die Vielzahl von Erinnerungsorten, die jenseits der jetzigen Grenzen liegen, zum anderen durch die Exponiertheit der in den methodologischen Debatten der 1990er Jahre breit rezipierten Kulturtransferforschung. Beides hatte zur Folge, dass insbesondere den sogenannten »geteilten Erinnerungsorten« ein dezidiert wichtiger Platz gewidmet wurde.43 Darüber hinaus wich die zentralistische, wertende und hierarchisierende Narration der freieren Form einer assoziativen und dialogischen Darstellung, die besser geeignet schien, die zeitlichen wie räumlichen, nicht zuletzt demographischen Brüche und Diskontinuitäten in der deutschen Geschichte zu behandeln. In Beiträgen wie »Flucht und Vertreibung«, »Auslandsdeutsche«, »Tannenberg / Grunwald«, »die Hanse« kommen diese Merkmale unmittelbar zur Sprache. Diese Beobachtung findet sich in einem multiplizierten Ausmaß in dem jüngst abgeschlossenen, mehrbändigen Projekt »Deutsch-Polnische Erinnerungsorte« (2011-2015) wieder, insbesondere in den Bänden »Geteilt / Gemeinsam« und einer Reihe von Artikeln zu Breslau, Danzig, Galizien, Günter Grass, Kreisau, Hanse, Oder-Neiße-Grenze, Verlorene Heimat / Wiedergewonnene Gebiete, Preußen etc.44 Letztendlich sollte die Relevanz der Phantomgrenzen-Problematik in den ostmitteleuropäischen Erinnerungskulturen nicht überraschen, 41 Étienne François / Hagen Schulze: Einleitung, in: Dies. (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte, Bd. 1. München 2001, S. 9-24, hier S. 19. 42 Ebda., S. 19. 43 Krzysztof Pomian: Geteiltes Gedächtnis – Europas Erinnerungsorte als politisches und kulturelles Phänomen, in: Burkhard Olschowsky / Europäisches Netzwerk Erinnerung und Solidarität (Hg.): Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa. Erfahrungen der Vergangenheit und Perspektiven. o. O. 2009, S. 12-27. 44 Hans Henning Hahn / Robert Traba (Hg.): Deutsch-Polnische Erinnerungsorte, 5 Bde. Paderborn 2011-2015; Dies. (Hg.): Polsko-Niemieckie Miejsca pamięci, 4 Bde. Warszawa 2011-2015.

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entzündete sich doch die Mitteleuropa-Debatte – und mit gewiss anderen Implikationen auch die Preußen-Debatte – der 1980er Jahre mit ihren Diskussionen über politische und/oder kulturelle Zugehörigkeiten an einem betont räumlichen Unbehagen, das erst dann artikulierbar wurde, als die Sowjetherrschaft über den Ostblock brüchig wurde. Politische Identifikationsentwürfe und Abgrenzungen argumentierten hier mit dem Verweis auf frühere Erfahrungsräume.45

»Tranfers of populations«, Gedächtnistransfer: Ostmitteleuropa als Verschiebebahnhof der Erinnerungen Es darf daher nicht überraschen, wenn neben der nationalen und europäischen Ebene die Kategorie der multikulturellen, im Laufe der Geschichte mehrfach kodierten/umkodierten Grenzregion, innerhalb der Erinnerungsforschung so aufgewertet wurde.46 Denn, so Martin Aust, »die Beziehungsgeschichten zwischen Staaten und Nationen stellen […] nicht den einzig denkbaren Rahmen für die Frage nach Verflechtungen von Gedächtnissen und Erinnerungen dar. Nicht minder ergiebig ist es, das Aufeinandertreffen verschiedener Entwürfe kollektiver Identität in einem regionalen Kontext zu beobachten.«47 Zu Ostpreußen, Masuren, Schlesien und Oberschlesien, zu städtischen Schauplätzen deutsch-polnischer Verflechtungen wie Posen, Danzig, Breslau – die Liste ließe sich ohne Weiteres in Richtung Königsberg, Lemberg, Grodno fortführen48 – liegt nun eine stattliche Reihe von Studien vor, die das Forschungsparadigma transnational verflochtener Erinnerungskulturen resolut in den Vordergrund gestellt haben.49 Dieser historiographische Boom, der bereits vor 1989 von 45 Tony Judt: The rediscovery of Central Europe, in: Daedalus 119 (1990) 1, S. 23-54. 46 Siehe dazu das Themenheft »Regional-Kontexte«, in: Historie. Jahrbuch des Zentrums für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften 5 (2012) (= Themenheft »Regional-Kontexte«). 47 Aust: Verflochtene Erinnerungen, S. 5. 48 Per Brodersen: Die Stadt im Westen. Wie Königsberg Kaliningrad wurde. Göttingen 2008; Christoph Mick: Kriegserfahrungen in einer multiethnischen Stadt. Lemberg 1914-1947. Wiesbaden 2010; Felix Ackermann: Palimpsest Grodno. Nationalisierung, Nivellierung und Sowjetisierung einer mitteleuropäischen Stadt, 1919-1991. Wiesbaden 2011. 49 Robert Traba: Ostpreußen. Die Konstruktion einer deutschen Provinz. Eine Studie zur regionalen und nationalen Identität 1914-1933. Osnabrück 2010, übers. v. Peter Oliver Loew; Andreas Kossert: Masuren. Ostpreußens vergessener Süden. München 2006; Ders.: Ostpreußen. Geschichte und Mythos.

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einer Welle der kulturellen »Aneignung fremder Vergangenheiten« im regionalen Rahmen begleitet wurde, belegt die aktuelle transnationale Bedeutung jener »Zwischenräume«.50 Diese können nicht nur Gebiete sein, die von ein oder zwei oder mehr Sprachgruppen bewohnt und durch die Koexistenz mehrerer Kulturen bzw. Mischkulturen charakterisiert sind, sondern auch und erst gerade nach 1945 Gebiete sein, »deren frühere Einwohner vertrieben wurden und deren neue Bewohner durch Konstruktion bzw. Rekonstruktion des lokalen bzw. regionalen Gedächtnis einen Zwischenraum ex post entstehen lassen«. Letztere erinnern stark an Andruchowytschs »Nach-Multikulturalität«.51 Die Fragwürdigkeit historischer Kontinuitätslinien rührt in Ostmitteleuropa insbesondere im 20.  Jahrhundert allerdings bei Weitem nicht nur von der politischen Umwälzung räumlicher Koordinaten, sondern auch von der Zerstörung allmählich gewachsener demographischer Strukturen.52 Beide Elemente tragen zur Traumatisierung Berlin / München 2005; Juliane Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien. Der Kampf um die Erinnerung in Deutschland und in Polen 1919-1956. Osnabrück 2008; Gregor Thum: Die fremde Stadt. Breslau 1945. Berlin / München 2003; Peter Oliver Loew: Danzig und seine Vergangenheit 1793-1997. Osnabrück 2003; Thomas Serrier: Provinz Posen, Ostmark, Wielkopolska. Eine Grenzregion zwischen Deutschen und Polen 1848-1914. Marburg 2005; Anna Moskal: Im Spannungsfeld von Region und Nation. Die Polonisierung der Stadt Posen nach 1918 und 1945. Wiesbaden 2013. 50 Thomas Serrier (Hg.): Die Aneignung fremder Vergangenheiten in Nordosteuropa am Beispiel plurikultureller Städte (20. Jahrhundert) (= NordostArchiv. Zeitschrift für Regionalgeschichte NF XV) 2006. 51 Der Begriff der »Zwischenräume« ist von Philipp Ther vorgeschlagen worden mit folgender Definition: »Dieses ›zwischen‹ ist nicht nur im geographischen Sinne als eine Lage zwischen den Kerngebieten, also am Rande der jeweiligen Nationen und Staaten zu verstehen. Sämtliche hier näher untersuchten Regionen sind sprachliche, kulturelle und ethnische Übergangsgebiete, in denen sich verschiedene Einflüsse überkreuzten, häufig auch vermischten.« Philipp Ther: Einleitung: Sprachliche, kulturelle und ethnische »Zwischenräume« als Zugang zu einer transnationalen Geschichte Europas, in: Philipp Ther / Holm Sundhaussen (Hg.): Regionale Bewegungen und Regionalismen in europäischen Zwischenräumen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Marburg 2003, S. IX-XXIX, hier S. XI. Als typologische Weiterführung von Ther mit Fokus auf den Umgang mit Geschichte siehe Peter Oliver Loew / Christian Pletzing / Thomas Serrier: Zwischen Enteignung und Aneignung: Geschichte und Geschichten in den »Zwischenräumen Mitteleuropas«, in: Dies. (Hg.): Wiedergewonnene Geschichte. Zur Aneignung von Vergangenheit in den Zwischenräumen Mitteleuropas. Wiesbaden 2006, S. 9-15, S. 10. 52 Aus einer umfangreichen Literatur Philipp Ther: Die dunkle Seite der Nationalstaaten. »Ethnische Säuberungen« im modernen Europa. Göttingen 2011; Detlef Brandes / Holm Sundhaussen / Stefan Troebst (Hg.): Lexikon der

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und langfristigen Verunsicherung lebensweltlicher Zusammenhänge bei. Sowohl für die Alteingesessenen, denen im Zuge von Deportation, Evakuation, Flucht, Vertreibung, Zwangsaussiedlung, manchmal erdrutschartig die eigene »Heimat fremd geworden« war, als auch für die mitunter unter chaotischen Bedingungen angeschleppten Neusiedler, denen die als altes nationales Territorium versprochene Umgebung zunächst bestenfalls eine mit dem Hauch des Unheimlichen versehene Wildnis blieb, war nach 1945 die Fremde das alles beherrschende Gefühl.53 Staat und Gesellschaft produzierten in diesem Kontext stabilisierende Narrative. Diese hatten zur Folge, die Gegenwart zu verabsolutieren und durch anachronistische Kontinuitätslinien die fremde Vergangenheit zu einem Geisterleben zu verdammen. Durch die programmatische »Entdeutschung« des neubesiedelten Raums wurden die Hinterlassenschaften der »Anderen« konsequent verdrängt.54 Nachdrücklich sollte vor der oberflächlichen These gewarnt werden, es habe dabei eine dichotomische Trennung gegeben zwischen einer staatlich verordneten Geschichtspolitik und einem diametral entgegengesetzten gesellschaftlich getragenen Gegengedächtnis. Nach 1945 proklamierte die Regierung der Volksrepublik Polen zwar wider besseren Wissens die Bildung einer national homogenen Gesellschaft und deutete die Angliederung der ehemaligen preußisch-deutschen Ostprovinzen als Rückkehr vermeintlich urpolnischer Gebiete zum »Mutterland«. Damit inszenierte sich die Volksrepublik als Nachfolgerin der mittelalterlichen Piasten-Dynastie. Langfristig verhinderte diese »exkludierende« Aneignung des Raums eine Anknüpfung an die Ressourcen der multikulturellen Vergangenheit.55 Erst nach 1989 konnten die früheren Kapitel der Stadt- und Regionalgeschichten wieder zu einem fruchtbaren Bestandteil lokaler Identität gemacht werden. Die politische Transition wurde von einem Wandel im »Regime Vertreibungen. Deportation, Zwangsaussiedlung und ethnische Säuberung im Europa des 20. Jahrhunderts. Wien / Köln / Weimar 2010. 53 Włodzimierz Borodziej / Hans Lemberg (Hg.): »Unsere Heimat ist uns ein fremdes Land geworden  …«. Die Deutschen östlich von Oder und Neiße 1945-1950. Dokumente aus polnischen Archiven, 4 Bde. Marburg 2000-2004; zur unmöglichen Überwindung des Fremdheitsgefühls und dem damit einhergehenden Leben Beata Halicka: Polens Wilder Westen. Erzwungene Migration und die kulturelle Aneignung des Oderraumes 1945-1948. Padeborn 2013. 54 Bernard Linek: »Odniemczanie« województwa śląskiego w latach 1945-1950 (w świetle materiałów wojewódzkich). Opole 1997. 55 Thomas Serrier: Formen kultureller Aneignung: Städtische Meistererzählungen in Nordosteuropa zwischen Nationalisierung und Pluralisierung, in: Ders. (Hg.): Aneignung fremder Vergangenheiten, S. 13-24, hier S. 20.

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der Territorialität« hin zum postnationalen Paradigma begleitet, während die Verflüssigung der Kommunikationstechniken bald darauf das postterritoriale Zeitalter einzuläuten schien.56 Doch bis in die 1970er, wenn nicht 1980er Jahre hinein war das Angebot einer staatlich gelenkten Meistererzählung wie jener der »wiedergewonnenen Gebiete« auch deshalb glaubwürdig gewesen, weil sie sich als funktional höchst adäquate Antwort für den materiellen und geistigen Zustand der Zeitgenossen während der unmittelbaren Nachkriegsepoche erwiesen hatte. Sie bezog ihre überzeugende Evidenz aus den Kriegserfahrungen und der sozialen Not, so wie der spätere Diskurs vom »post-nationalen Regionalismus« (Kazimierz Brakoniecki) auf die Chancen und Herausforderungen der neuen Freiheit reagierte.57 Wie – und in welchem Raum – wurde in solchem Kontext ein kollektives Gedächtnis tradiert, wenn, wie es eine sehr verbreitete Erscheinung am Ausgang des »Zeitalters der Extreme« in den von Timothy Snyder so beschriebenen Bloodlands war58, die Orte zwar »stehen« blieben, bestimmte Bevölkerungsgruppen während der Kriegsjahre jedoch ermordet worden waren und das, was von ihrer angestammten Einwohnerschaft bei Kriegsende noch übrig blieb, quasi über Nacht gegen komplett neue Siedler ausgetauscht wurde, von ihrer gelegentlich flächendeckenden materiellen Zerstörung wie in Königsberg, Danzig oder Breslau 1945 gar nicht zu sprechen? Der italienische Schriftsteller Italo Calvino hat diese Problematik der restlosen geschichtlichen Zäsur als ein Problem zwischengesellschaftlicher, ja zwischenmenschlicher Kommunikation und Vermittlung gedeutet und in eine markante Formulierung gegossen:

»Hütet euch, ihnen zu sagen, dass zuweilen verschiedene Städte auf demselben Boden und mit denselben Namen aufeinander 56 Charles S. Maier: Transformations of Territoriality 1600-2000, in: GunillaFriederike Budde / Sebastian Conrad / Oliver Janz (Hg.): Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien. Göttingen 2006, S. 32-56. Siehe auch: Thomas Serrier: Geschichtskultur und Territorialität. Historisches und räumliches Bewusstsein im deutsch-polnischen Grenzraum im 19. und 20. Jahrhundert, in: Étienne François / Jörg Seifarth / Bernhard Struck (Hg.): Die Grenzen als Raum, Erfahrung und Konstruktion. Deutschland, Frankreich und Polen vom 17. bis zum 20. Jahrhundert. Frankfurt a. M./New York 2007, S. 243-266. 57 Kazimierz Brakoniecki: Ponowoczesny regionalizm, in: Nowy Nurt 8 (1996), S. 1-11. 58 Eric J. Hobsbawm: The Age of Extremes. The short twentieth Century, 1914-1991. London 1994; Tymothy Snyders: Bloodlands. Europe between Hitler and Stalin. New York 2010.

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folgen, entstehen und vergehen ohne gegenseitige Mittelbarkeit. Manchmal bleiben auch die Namen der Einwohner und der Klang der Stimmen gleich und sogar die Gesichtszüge die gleichen, doch die Götter, die unter den Namen und über den Orten thronen, sind wortlos gegangen, und an ihre Stelle haben sich fremde Götter eingenistet.«59 Sollte für diesen Fall, statt von »sozialen Bedingungen« (Maurice Halbwachs), nicht eher von einem »geographischen Rahmen« und den »geographischen Bedingungen« eines kollektiven Gedächtnisses die Rede sein? Wie weiterführend lässt sich ein Begriff wie »Erinnerungsraum« für die Untersuchung eines solchen Falls verwenden? Wie muss man sich das kommunikative Moment bzw. die kulturelle Konstruktion eines Langzeitgedächtnisses, auf die Harald Welzer oder Jan Assmann hingewiesen haben, vorstellen, wenn man es nicht mit (freilich ex post konstruierten) Kontinuitätslinien wie im französischen Fall, sondern eben mit einem »Land auf Rädern« wie Polen zu tun hat, dessen territoriales Fundament 1945 um Hunderte von Kilometern westwärts verschoben wurde?60 Sicher ist: »Traditionale Identität ergibt sich nicht aus einem abstrakten Prinzip, sondern aus der Konkretheit des lokalen Zusammenhangs, aus einem stabilen und durch Lokalität zusammengehaltenen Kontext. […] Entsprechend schwierig ist es, Traditionalität auf andere Lokalitäten zu übertragen«, wie Bernhard Giesen schreibt.61 Die Radikalität des Umbruchs und die hinterlassenen Leerstellen und Phantome lassen sich sicherlich nirgendwo besser ablesen als im städtischen Umfeld. Königsberg, Stettin, Breslau, Danzig, aber auch Lemberg, Memel und viele andere Metropolen, Kleinstädte, Dörfer und Landstriche Ostmitteleuropas erlebten im Zuge der in Potsdam international sanktionierten neuen Grenzziehungen einen vollständigen Bevölkerungsaustausch, der den Neuanfang nach der programmatischen Destruktion von Bevölkerungsteilen und der kulturellen und materiellen Zerstörung städtischer Zivilisation im Zweiten Weltkrieg zu vervollständigen schien. Dieser Bruch markierte in seiner Radikalität den kompletten Untergang gewachsener Kulturlandschaften. Anstelle der Tradierung alter symbolisch geformter Räume bedurfte es 59 Italo Calvino: Die unsichtbaren Städte. Roman. München 1985, übers. v. Heinz Riedt, S. 37. 60 Włodzimierz Borodziej: Geschichte Polens im 20.  Jahrhundert. München 2010, S. 259; mit Hinweis auf Krystyna Kersten: Repatriacja ludności Polskiej po II wojnie światowej (studium historyczne). Wrocław 1974. 61 Bernhard Giesen: Kollektive Identität. Die Intellektuellen und die Nation, Bd. 2. Frankfurt a. M. 1999, S. 46 f.

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im Laufe der Nachkriegsjahrzehnte einer mühsamen materiellen wie auch mentalen Aneignung des Ortes. Auch der Integrationsprozess der regional heterogenen Bevölkerung in einem »Schmelztiegel der Kulturen« gestaltete sich nur mühsam.62

Von Phantomräumen zu Phantomgrenzen: Zur verräumlichenden Dynamik der Erinnerung Im Hinblick auf die räumliche Komponente der PhantomgrenzenProblematik ist der Fokus auf Lokalität selbstredend erklärungs- bzw. ergänzungsbedürftig. Er versteht sich aus der Tatsache heraus, dass sich in den Städten die konkurrierenden Geschichtspolitiken und Gedächtnisstränge am kompaktesten und anschaulichsten kondensieren, kristallisieren, verkörpern und bekämpfen. Gerade im städtischen Raum lesen wir die Zeit, gerade im städtischen Raum schillern auch Phantome unheimlicher Zeiten durch, die zu lesen wir nicht gewohnt, gewollt oder geschult sind. Teerüberdeckte Gullis und übermalte Schriftspuren auf alten, bröckelnden Fassaden: Der Verweis auf diese Such(t)objekte nostalgischer Stadttouristen hat in der einschlägigen Essayistik und Belletristik einen Kultstatus erreicht.63 Die Stadt ist sicherlich nicht der einzige, sie ist aber der zentrale Ort, in dem politische Regimes ihren Machtanspruch in Raum und Stein symbolisieren, in dem aber auch oppositionelle »Gegenerinnerungen« zum Tragen kommen. Sei es in Klaipeda (Memel) in Litauen, in Olsztyn (Allenstein) im ehemaligen Ostpreußen oder anderswo: Neue regionale Identitätsentwürfe entstehen mittels der Revitalisierung totgesagter örtlicher Traditionen. Deren utopische Pointe – symbolisiert durch die Suche nach einem von der Allensteiner Kulturgemeinschaft Borussia so apostrophierten »Atlantis des Nordens« – richtet sich sowohl gegen den Zentralismus des kommunistischen Regimes wie auch gegen den neuen Nationalismus seit 1989.64 62 Krzysztof Ruchniewicz: Warum Wrocław nicht Breslau ist. Überlegungen zur Nachkriegsgeschichte der Niederschlesischen Hauptstadt, in: Ders. (Hg.): Zögernde Annäherung. Studien zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen im 20. Jahrhundert. Dresden 2005, S. 225-240, hier S. 232. 63 Serrier: Formen kultureller Aneignung, S. 17. 64 Alvydas Nikzentaitis: Gestürzte und neu errichtete Denkmäler: Geschichte im Transformationsprozess Litauens, in: Helmut Altricher (Hg.): GegenErinnerung. Geschichte als politisches Argument. München 2006, S. 67-78, insbesondere S. 72-76; Claudia Kraft: Erinnerung im Zentrum und an der Peripherie: Zwangsmigration als Gegenstand von zentraler Geschichtspoli-

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Obwohl die Stadt also in jeder Hinsicht einen evidenten Zugang zur kulturellen Aneignungsproblematik bietet, wurde interessanterweise die damit einhergehende ästhetische, symbolische wie soziale Einengung des Blickwinkels zunehmend kritisch gesehen bzw. ergänzt durch die bewusste Hinwendung zu international weniger beachteten Städten65, ja zu geradezu Kleinstädtischem, Dörflichem, Ländlichem.66 Die Erfahrung und Einsicht einer notwendigen verräumlichenden Dynamik der Forschungsagenda reflektierte Robert Traba Anfang der 1990er Jahre: »Am Anfang stand die Entdeckung der Kulturlandschaft«, so der Begründer der Allensteiner Kulturgemeinschaft Borussia, sowie die »Aufwühlung unseres Bewusstseins« anlässlich einer »archäologischen« Arbeit im Friedhof von Drwęck (Dröbnitz), in dem deutsche Soldatengräber entdeckt wurden. Das danach einsetzende »Lesen der Landschaft« wurde zur flächendeckenden Praxis bis zur finalen Entwicklung des Projekts, eine »klassische Studienreise (im Stil von Claudio Magris) entlang der nicht mehr existierenden polnisch-preußischen und der existierenden polnisch-russischen Grenze im ehemaligen Ostpreußen« zu organisieren mit dem Ziel, »innerhalb von 12 Tagen die nicht existierende Grenze hin und her zu überschreiten, die Verschiedenheit in der Kulturlandschaft zu beiden Seiten zu ›lesen‹, die bis heute das südliche Masuren und das nördliche Masowien unterscheidet und beide Regionen aufgrund ihrer über fünfzigjährigen gemeinsamen Zugehörigkeit zum polnischen Staat im vergangenen Jahrhundert gegenseitig angleichen«.67

tik und regionalen Initiativen in Polen, in: Peter Haslinger / Erik Franzen / Martin Schulze Wessel (Hg.): Diskurse über Zwangsmigrationen in Zentraleuropa. Geschichtspolitik, Fachdebatten, literarisches und lokales Erinnern seit 1989. München 2008, S. 59-75. 65 Jan Musekamp: Zwischen Stettin und Szczecin. Metamorphosen einer Stadt von 1945 bis 2005. Wiesbaden 2010; Stefan Dyroff: Erinnerungskultur im deutsch-polnischen Kontaktbereich. Bromberg und der Nordosten der Provinz Posen (Wojewodschaft Poznań) 1871-1939. Osnabrück 2007. 66 Robert Piotrowski: Landsbergs geschichtliches Erbe in Gorzów, in: Serrier (Hg.): Aneignung fremder Vergangenheiten, S. 60-89; Andrzej Sakson / Robert Traba (Hg.): Erinnerte Vergangenheit. Erzählungen aus dem Grenzgebiet. Materialien zur Analyse der deutsch-polnischen Beziehungen am Beispiel des ermländischen Dorfes Groß-Purden. Olsztyn 2007; Institut für angewandte Geschichte e. V. (Hg.): Terra transoderana. Zwischen Neumark und Ziemia Lubuska. Berlin 2008. 67 Robert Traba: Angewandte Geschichte. Gedächtnis und Landschaft als Träger historischer Forschung und Bildung, in: Magdalena Kardach / Janusz Pilecki / Elżbieta Traba (Hg.): Purda 1900-2006. Portret wsi. Olsztyn 2008, S. 7-21, hier S. 12-19.

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Das masurisch-masowische bzw. ostpreußisch-polnische Beispiel zeigt, wie eine Vergegenwärtigung verschwundener Spuren im örtlichen Gefüge zu einer Verräumlichung lokaler Identität qua Erinnerung führen kann. Stadt, Land, Grenze: Im Anschluss an die lokale Auseinandersetzung mit fremden Vergangenheiten richtet sich der Blick auf limits und ruft somit die Raumproblematik auf den Plan. Von den örtlichen Phantomen führt somit der Weg über die Wahrnehmung von Phantomräumen zu einem fokussierenden Ausblick auf Phantomgrenzen im engsten Sinne des Wortes. Viele Projekte an der Schnittstelle zwischen zivilgesellschaftlichem Interesse und akademischer Forschung zeugen von der Vitalität dieses Versuchs, regionale Erinnerungskulturen bei aller Beschwörung ihrer Offenheit und Vielschichtigkeit an ihren »Kristallisationslinien« zu verorten. Deshalb handelt es sich nicht nur um die Miniaturisierung eines zunächst auf Highlights erprobten Forschungsdesigns: Dass nach den Erinnerungsmagneten Danzig, Breslau oder Königsberg nun kleinere, grenznahe Orte wie etwa das polnische Zgorzelec direkt gegenüber von Görlitz oder Kleinstädte in der Wojewodschaft Lebus im Hinblick auf die kulturelle Aneignungsthematik untersucht werden, hat unmittelbar mit diesem verräumlichenden Moment zu tun.68 So erschloss und dokumentierte 2011 das internationale Geschichtsprojekt »Polen, Deutsche und Ukrainer auf dem Erinnerungspfad von erzwungenen Migrationen« einen europäischen Erinnerungspfad zum Themenkomplex Heimatverlust, Vertreibung und Deportation unter Hitler und Stalin gerade an einem eher unauffälligen Ort unweit der Oder.69 Mitnichten sind diese Projekte ausschließlich von einem akademischen Impetus getragen. Neben sozialwissenschaftlichen Recherchen sind hier viele Oral History-Projekte zu nennen, bei denen die gesellschaftliche Mobilisierung immer eine wichtige Rolle einnimmt. Schließlich bezeugen Projekte der Memorialisierung und Musealisierung von unmittelbaren ehemaligen Grenzanlagen oder mit der Grenzsymbolik überfrachteten Objekten, die nunmehr mitten in der Landschaft ihrer einstigen

68 Beispielhaft Elżbieta Opiłowska: Kontinuitäten und Brüche deutsch-polnischer Erinnerungskulturen. Görlitz – Zgorzelec 1945-2006. Dresden 2009; Piotrowski: Landsberg; Institut für angewandte Geschichte (Hg.): Terra transoderana; Beata Halicka: Mein Haus an der Oder. Erinnerungen polnischer Siedler nach 1945. Paderborn 2013; Dies.: Polens Wilder Westen. 69 Beata Halicka / Bogusław Mykietów (Hg.): Kozaky – Pyrehne. Polen, Deutsche und Ukrainer auf dem Erinnerungspfad erzwungener Migrationen  / Kozaki – Pyrzany. Polifonia pamięci o przymusowych migracjach we wspomnieniach Polaków, Niemców i Ukraińców. Skórzyn 2011.

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administrativen und repräsentativen Funktion entbehren, von diesem Nachleben jetziger Phantomgrenzen in den Erinnerungspraktiken heutiger Akteure. So dreht sich das gegenwärtige city branding der Stadt Dirschau (heute Tczew) unübersehbar um die gewaltige Weichselbrücke der ehemaligen Preußischen Ostbahn, die von 1851 bis 1857 dort erbaut wurde und deren weitgespannte Balkenkonstruktion im Zeitalter wetteifernder Nationalismen als meisterliche Leistung preußischer Ingenieurtechnik gefeiert wurde – nicht ohne dem zivilisatorischen Vorrangsmythos gegenüber der vermeintlich slawischen Unkultur mit triumphaler Symbolik Vorschub zu leisten. Auch das derzeitig aufwachende kulturgeschichtliche Interesse an dem nunmehr disproportioniert wirkenden Grenzbahnhof Neu Bentschen (Zbąszynek) an der ehemaligen deutsch-polnischen Grenze der Zwischenkriegszeit sollte hier erwähnt werden. Das politische, wissenschaftliche und letztlich zivilgesellschaftliche Engagement in all diesen Fällen signalisiert das verschärfte Sensorium gegenüber der Historizität von Grenzziehungen und Raumordnungen sowie einen offenen, dialogfähigen Umgang mit der Thematik fremder Vergangenheiten in den neuen regionalen Identitäten.

Schlussbemerkung: Nach-multikulturelle Räume zwischen Enteignung und Aneignung »Orte sind verlässliche Zeugen. Erinnerungen sind flexibel. Das geht so weit, daß man sich Vergangenheiten erdichten und erfinden kann. […] Orte machen da nicht mit […]. Sie haben eine Art Vetorecht.«70 Karl Schlögels markiges Diktum muss im Lichte der vorausgegangenen Überlegungen dahingehend nuanciert werden, dass es lebendiger, sprich subjektiver, historisch verorteter, affektgeladener, sozialer Akteure bedarf, welche diese »verlässlichen« Zeugnisse zum Sprechen bringen. Das »Rückwärtslesen von Versteinerungen« (Schlögel) hängt somit genauso viel von den Benutzern wie von dem vermeintlich zur Disposition ruhenden Speichergedächtnis der Orte und Räume ab. Räume des kulturellen Gedächtnisses mögen nach Jan Assmann »Zeitinseln, Inseln völlig anderer Zeitlichkeit bzw. Zeitenthobenheit« bilden, doch suggeriert die Phantomgrenzen-Problematik, dass ein verstärkter Fokus auf die räumliche Aktualisierung der »Erinnerungsfiguren« (Assmann) weiterführen kann.71 70 Schlögel: Im Raume, S. 370. 71 Jan Assmann: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, in: Jan Ass-

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Nichts zeigt besser die selektive, den Zeitgenossen überlassene Umkodierung von Erinnerungsorten als die schlussendlich verworfenen Erwägungen, ähnlich dem telegenen deutsch-französischen Handschlag von Verdun fünf Jahre zuvor im Herbst 1989 auf dem Annaberg in Oberschlesien eine Geste der deutsch-polnischen Versöhnung zu inszenieren. Der Annaberg als katholischer und oberschlesischer Pilgerort zugleich hätte sich sicherlich geeignet, wäre er nicht während des dritten oberschlesischen Aufstands 1921 zum Schauplatz von Kampfhandlungen geworden, die danach scheinbar derartig national überwölbt wurden, dass der polnische Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki das Symbol an dieser Stelle, wo die Geschichte noch allzu lebhaft geisterte, für nicht haltbar hielt. Die »Disparitäten und Diskontinuitäten« im politischen Gedächtnis führten dazu, dass es 1989 auf dem Annaberg nicht zu einer Versöhnungsmesse kommen konnte, wie Bundeskanzler Kohl zunächst vorgeschlagen hatte. Stattdessen wurde sie am 12. November in Krzyżowa (Kreisau) als Hommage an den konsensfähigeren Kreisauer Kreis und den Widerstand gegen die NS -Diktatur gefeiert. Das Zögern im Zusammenhang mit der symbolischen Bedeutung des Erinnerungsortes »Annaberg« und die Angst, Phantome aus der Vergangenheit der deutsch-polnischen Grenzkämpfe aus der Zwischenkriegszeit zur falschen Zeit zu wecken, beleuchten den schwierigen Umgang mit der Mehrfachkodierung eines Ortes in den pluralen Erinnerungskulturen der Gegenwart. »Wie dem auch sei, der Berg hätte dann wohl einen vorderen Platz in den Annalen der deutsch-polnischen Beziehungen eingenommen – als Berg der Versöhnung oder als politischer Vulkan«72, schreibt Piotr Przybyła und bemüht dabei ein anderes Bild für die unkontrollierbare Resurgenz örtlich abgespeicherter Gedächtnisschichten. Die Begegnung mit schwindenden Spuren, Kanten, voids, Schatten und Umrissen zerstörter Lebenswelten ist und bleibt ein Charakteristikum einer räumlichen Erschließung Ostmitteleuropas, wenn nicht ganz Europas.73 Dass das Belassen eines Orts als »traumatischer Ort« mann / Tonio Hölscher (Hg.): Kultur und Gedächtnis. Frankfurt a. M. 1988, S. 9-19, hier S. 12. 72 Piotr Przybyła: Annaberg. Die Heilige und der Vulkan, in: Hans Henning Hahn / Robert Traba (Hg.): Deutsch-Polnische Erinnerungsorte, Bd. 2. Paderborn 2014, S. 467-490, hier S. 482. Siehe auch den Beitrag von Mateusz Hartwych: Kreisau / Krzyżowa. Erinnerung im Entstehen, in: Ebda., Bd. 1, (im Erscheinen). 73 Tony Judt: From the House of the Dead. Essay on Modern European History, in: Ders. (Hg.): Postwar. A history of Europe since 1945. New York 2005, S. 803-835.

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(Aleida Assmann) oder seine Überführung in einen »Gedenkort« sehr wohl des Einsatzes der nachgeborenen Generationen bedarf, zeigt – um ein abschließendes Beispiel anzuführen – die tschechische Bürgervereinigung Antikomplex, die im Jahr 1998 von einer Gruppe Prager Studenten gegründet wurde. Ihr Ziel war, den kritischen Dialog über die eigene Nationalgeschichte durch die Beschäftigung mit den weißen Flecken der Regionalgeschichte, insbesondere durch eine umfassende Reflexion des Schicksals des sogenannten Sudetenlandes nach der Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung nach 1945 zu fördern. In dem Ausstellungsprojekt »Das verschwundene Sudetenland« (2004) dokumentierte Antikomplex die untergegangene sudetendeutsche Welt mithilfe der wirkungsvollen Gegenüberstellung der »heilen« Welt von gestern und den »Phantomen« im heutigen Grenzland.74 Fotos alter Dörfer, Gutshäuser, direkt an der Grenze gelegener Bergbauden im Riesengebirge und der erkennbaren Leerstellen nach Krieg, Vertreibung und Zerstörung regten zur Auseinandersetzung mit diesem kontroversen Thema an. Die so praktizierte Vergegenwärtigung von nicht mehr Vorhandenem zeugt von den vielfältigen regionalen Formen der Selbstorientierung in fremd kodierten Zeichenwelten insbesondere infolge dramatischer Territorialumwälzungen und demographischer Einschnitte. Die Konfrontation mit empty spaces im deutsch-tschechischen Grenzland sowie überhaupt der Umgang mit geerbten, zerstörten Semiosphären vergangener Raumordnungen in vielen Regionen Ostmitteleuropas erzeugt auch oder gerade in der heutigen Situation von »Nach-Multikulturalität« eine neuartige Imagination des »Dazwischen«. Die auf der Anerkennung des Anderen beruhende »Ethik des Grenzlandes« (Krzysztof Czyżewski) sollte an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Sie kann als zeitverschobene Pluralisierung nach der früheren Logik imperialer Überschreibungen grenzregionaler Multikulturalität durch die Hegemonialkultur gelesen werden.75 Durch soziale Praktiken, die zugleich die gewandelte Erinnerungskultur und das gewandelte Territorialitätsregime nach 1989 belegen, wird das Wiederauftauchen historischer Raumordnungen schöpferisch angeeignet, werden Phantomgrenzen der Vergangenheit zu Erinnerungsräumen der Gegenwart.

74 http://www.antikomplex.cz/ (22. 05. 2015). 75 Krzysztof Czyżewski: Die Kultur der Koexistenz auf lange Sicht. Das Ethos des Grenzlandes in der Praxis, einsehbar unter: siesc.eu/de/2011/pl2011/czyzewski_de.doc (22. 05. 2015).

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Wanderausstellung »Das verschwundene Sudetenland« (Antikomplex Prag, 2002, hier in Johanngeorgenstadt 2007). Bildausschnitt oben: Aufnahme von Pressnitz 1920. Bildausschnitt unten: Aufnahme Přísečnice 2003. Das Plakat zeigt den »erinnerten« Ort heute.

Hannes Grandits Gewandelte Wissensordnungen, neu gefasste Nostalgien: Zur Aneignung »vergangener« Raummuster in Ostmittel- und Südosteuropa nach 1989

Der Fall des Eisernen Vorhangs im Jahre 1989 löste eine spektakuläre politische Dynamik aus. Die über die gesamte zweite Hälfte des 20.  Jahrhunderts akzentuierte Ost-West-Polarisierung entgegengesetzter politischer Systeme und Bündnisse im Zeichen des Kalten Krieges schien sich auf einmal erübrigt zu haben. Seit Anfang der 1990er Jahre setzte zugleich eine erstaunliche Veränderung der Staatenwelt ein, die vor allem in Ostmittel- und Südosteuropa ganz besonders umfangreiche Umwälzungen zur Folge hatte. Mit der deutschen Wiedervereinigung endete bereits im Oktober 1990 die Geschichte der DDR als eines gesonderten Staatswesens. Im Laufe der folgenden etwas mehr als eineinhalb Jahrzehnte wurden vom Baltischen Meer im Norden bis ans Mittelmeer im Süden fünfzehn neue Staaten unabhängig: Estland, Lettland, Litauen, Belarus, die Ukraine, Moldawien, Tschechien, die Slowakei, Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Makedonien, Serbien, Montenegro und zuletzt Kosovo. Eng verknüpft damit war auch eine massive Transformation etablierter Grenzverläufe. Bis dahin hochmilitarisierte Grenzregime verloren jegliche Bedeutung, wie dies exemplarisch der Fall der Berliner Mauer wohl am eindringlichsten symbolisiert. Gleichzeitig wurden quer durch Ostmittel- und Südosteuropa neue Staatsgrenzen eingerichtet, die nicht nur den dort lebenden Menschen im ersten Moment oft fremd und ungewohnt waren. Aber wie neu waren diese Staatsgrenzen wirklich? Oder umgekehrt gefragt: Inwieweit tauchten hier nicht ohnehin »alte« Grenzen wieder auf, die schon historisch wichtig gewesen waren und aufs Neue etabliert wurden, nachdem sie in den Jahrzehnten einer sowjetischen bzw. sozialistischen Herrschaft an Bedeutung verloren hatten? Diese Fragen lassen sich nicht so einfach auflösen. Viele der nach 1989 eingerichteten mittel- und südosteuropäischen Staatsgrenzen hatten zuvor nie als wichtige politische oder schon gar nicht als Staatsgrenzen fungiert. Andere Grenzverläufe hingegen hatten schon in der

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ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oder noch früher, manchmal sogar schon im Mittelalter besondere Bedeutung gehabt. In diesem Beitrag soll es nicht um die Fragen gehen, welche der ostmittel- und südosteuropäischen Staatsgrenzen nun älter (und somit legitimer) und welche Grenzen neu (und somit »künstlicher«) sind. Dies ist weder der Anspruch des hier verfolgten Forschungsansatzes noch generell des Projekts »Phantomgrenzen in Ostmitteleuropa«, in dessen Rahmen dieser Artikel entstanden ist. Im vorliegenden Beitrag geht es eher darum, zu verstehen, wie nach 1989 vor allem mit Rückgriffen auf »die Geschichte« (neuen/alten) Grenzen Legitimität in einer internationalen Öffentlichkeit sowie Plausibilität in der jeweiligen Gesellschaft verschafft werden sollte/konnte. Um einem solchen Verständnis näherzukommen, wird in der Folge in mehreren Schritten vorgegangen. In einem ersten Schritt wird einführend rekapituliert werden, über welche Regularien des internationalen Rechts die Grenzen in Ostmittel- und Südosteuropa im 19. und dann in den Umbruchperioden des 20. Jahrhunderts bestanden bzw. wiederholt neu gezogen wurden. Nachfolgend wird die Thematik von »Wissensordnungen« in Umbruchperioden näher reflektiert. Mit der Veränderung von etablierten Wissensordnungen können – so die These – auch Raumordnungen plötzlich grundlegend neu verstanden werden. Zudem sind in Umbruchsituationen – so eine weitere These – Rückgriffe auf vergangene/kulturelle bzw. eben auch Phantomgrenzen eigentlich nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Wie man sich das genauer vorstellen kann, wird anschließend anhand theoretischer Bezugnahmen dargelegt. Zunächst geschieht dies mit Blick auf Wirkungsweisen von politisch forcierten Nostalgien, dann über die Diskussion der Bedeutsamkeit der für jede Gesellschaft spezifischen Wissensvorräte. Gerade eine Aktualisierung von Elementen aus einem solchen Wissensvorrat kann helfen – so eine weitere These – zu verstehen, wie dem Herbeisehnen bzw. der Wiederaneignung »vergangener« Raumordnung in bestimmten Situationen auch breitere gesellschaftliche Akzeptanz zukommen kann. Dass es sich in alledem um Prozesse mit offenem Ausgang und auch mit beträchtlicher Variabilität handelt, soll in weiteren Betrachtungsschritten abschließend anhand von zwei näher analysierten Fallbeispielen gezeigt werden. An diesen beiden Beispielen sollen auch die erwähnten Dynamiken der gegenwartsbedingten »Aktualisierung« von Vergangenheit veranschaulicht werden.

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Legitimierung von staatlichen Grenzen im Wandel Über Jahrhunderte war es vor allem das »dynastische Prinzip« von imperialer Herrschaftsausübung, das in dem hier näher betrachteten ostmittel- und südosteuropäischen Raum Staatlichkeit (und deren Grenzen) bestimmte. Über sehr lange Perioden der neuzeitlichen Geschichte bildeten vor allem die Königliche Republik der polnischen Krone und des Großfürstentums Litauen, das Preußische Staatswesen (später das Deutsche Kaiserreich), das Russische Imperium, die Habsburgermonarchie und das Osmanische Reich die entscheidenden Herrschaftszusammenhänge im genannten Raum. Immer wieder wurden dabei territoriale Neugestaltungen vollzogen, wie etwa in den Teilungen Polens, in denen in der zweiten Hälfte des 18.  Jahrhunderts völlig neue herrschaftliche Machtzonen implementiert wurden. Zu revolutionären Veränderungen kam es auch in der Zeit der Napoleonischen Kriege. Die dynastische Ordnung als zentrales staatliches Organisationsprinzip verlor dadurch aber nichts von ihrer Bedeutung. Mit dem Wiener Kongress wurde das dynastische Prinzip aufs Neue bekräftigt und blieb – obwohl alles andere als unumstritten – bis in das 20. Jahrhundert hinein weiterhin dominant. Nach den traumatischen Zerrüttungen des Ersten Weltkrieges, der mehrere seiner Hauptkriegsschauplätze und großen Frontverläufe »im Osten« gerade in den imperialen Grenzräumen Ostmittel- und Südosteuropas hatte, kam es in den Pariser Friedensverträgen dann allerdings zu einer grundsätzlichen Abkehr vom dynastischen Prinzip als Ordnungsbegründung (dies gilt aber nicht allgemein, vor allem nicht, wenn man einen globaleren Blickwinkel einnimmt1). Eric D. Weitz spricht in diesem Zusammenhang sogar von einem tectonic shift in der Begründung staatlicher Ordnung und bringt diesen wie folgt auf den Punkt:

1 Im Grunde wurde das Selbstbestimmungsrecht der Völker in den Pariser Friedensverträgen nur für die »fortgeschrittenen« europäischen Fälle (und im Grunde in erster Linie auf die hier diskutierten post-imperialen ostmitteleuropäischen Regionen) angewandt. Außereuropäische »Völker« kamen hierbei – trotz vielfacher Erwartungshaltungen – nicht in Betracht. Die großen europäischen Kolonialordnungen dauerten (auch unter dynastischer Herrschaft), wie wir wissen, über die Zäsuren des Ersten und auch Zweiten Weltkrieges weiter fort, hierzu ausführlich Erez Manela: The Wilsonian Moment. Self-Determination and the International Origins of Anticolonial Nationalism. New York 2007.

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»At the international level, this tectonic shift in political conceptions and policies can be described as the move from the Vienna system to the Paris system. Vienna centered on dynastic legitimacy and state sovereignty within clearly defined borders. Paris focused on populations and an ideal of state sovereignty rooted in national homogeneity. The move from one to the other marks the shift from traditional diplomacy to population politics, from mere territorial adjustments to the handling of entire population groups categorized by ethnicity, nationality, or race, or some combination thereof.«2 In der Zeit vor, aber eigentlich viel stärker erst während des Ersten Weltkrieges wurde der hier angesprochene shift ideen- und realpolitisch auf einmal eng verknüpft mit einem neu aufkommenden Diskurs: jenem über das »Selbstbestimmungsrecht der Völker«. Sowohl in der bolschewistischen Rhetorik unter Lenin als auch in den Äußerungen des damaligen amerikanischen Präsidenten Wilson wurde das Selbstbestimmungsrecht als ein anzustrebendes Prinzip staatlicher Ordnung (insbesondere) für den hier diskutierten Raum propagiert, politisch allerdings recht unterschiedlich gerechtfertigt.3 In den Pariser Friedensverträgen war das Prinzip der »Selbstbestimmung« schließlich ein wichtiger Aspekt legitimierender Begründung zu einer radikalen Neugestaltung Ostmittel- und Südosteuropas. Blickt man aber auf die Art der Durchführung dieser territorialen Neugestaltung, so ist es schwer zu erkennen, dass hier tatsächlich einem »Selbstbestimmungsrecht der Völker« Geltung verliehen wurde. Viel eher war es so, dass strategische Überlegungen und Bündnisverpflichtungen der Siegerstaaten eine ganz zentrale Rolle spielten und man während der Pariser Friedensverhandlungen vor allem nicht wirklich wusste, wie man dem »Willen der Völker« denn tatsächlich gerecht werden könne. Jörg Fisch bringt diesen Umstand in seinem Buch »Das Selbstbestimmungsrecht der Völker – Die Domestizierung einer Illusion« für den Fall der Habsburgermonarchie wie folgt auf den Punkt:

2 Eric D. Weitz: From Vienna to the Paris System: International Politics and the Entangled Histories of Human Rights, Forced Deportations, and Civilizing Missions, in: American Historical Review 113 (2008) 5, S. 1313-1343, hier S. 1314. 3 Erez Manela: Dawn of a New Era: The »Wilsonian Moment« in Colonial Contexts and the Transformation of the World Order, 1917-1920, in: Sebastian Conrad / Dominic Sachsenmaier (Hg.): Competing Visions of World Order. Global Moments and Movements, 1880s-1930s. New York, Basingstoke 2007, S. 121-150.

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»[Die] territoriale Neugestaltung Österreich-Ungarns [wurde] nicht aufgrund eines angenommenen Selbstbestimmungsrechts, sondern kraft Siegerrecht durchgeführt. Angesichts der ungewöhnlich komplizierten Nationalitätenverhältnisse und nachdem einmal feststand, dass eine wie auch immer geartete Wiederherstellung der Donaumonarchie nicht in Frage kam und mehrere grundsätzlich als Nationalstaaten konzipierte Staaten an ihre Stelle treten sollten, wäre der Versuch, ein ganzes System von neuen Grenzen mittels Plebisziten herauszuarbeiten, zum Scheitern verurteilt gewesen und hätte zu endlosen Konflikten geführt. […] An die Stelle des Selbstbestimmungsrechts traten objektive Kriterien, insbesondere die Sprachenkarten und -statistiken der Donaumonarchie. […] Sprachgrenzen wurden, soweit sie sich halbwegs vernünftig ziehen ließen, oft zu Staatsgrenzen. Hier bestimmten die Sieger, nicht die betroffenen Menschen, zu denen Angehörige sowohl der Sieger als auch der Verlierer gehörten, den Grenzverlauf.«4 Obwohl man das »Selbstbestimmungsrecht« eher als Form von legitimatorischer Rhetorik denn als tatsächlich angewandtes Prinzip zur Etablierung der Grenzen nach dem Ersten Weltkrieg sehen muss, sollte es im politischen Kampf der Folgezeit dennoch ein immer wichtiger werdender Bezugspunkt werden. Im Laufe der 1920er und 1930er Jahre geschah dies in durchaus auch konflikttreibender Form. Mit der Berufung auf eben dieses Recht forderten u. a. verschiedene nationalistische Eliten (der »Verliererstaaten« des Ersten Weltkrieges, nicht wenige nationale »Minderheiten«-Bewegungen u. a.) eine Revision der jeweiligen Pariser Grenzlösungen. Radikal auf die Spitze getrieben und in eine völkisch-rassische Ideologie transformiert wurde das Selbstbestimmungsversprechen schließlich durch Adolf Hitler und die NS -Propaganda.5 Aber die nationalsozialistischen Ideologen gingen sogar noch um einiges weiter bzw. entwickelten ganz eigene Vorstellungen. Die von ihnen propagierte »Biologisierung des Sozialen« fand letztlich eine Entsprechung in einer eigenen Auffassung von Völkerrecht, dessen Stoßrichtung Dan Diner folgendermaßen formuliert: »Eine nationalsozialistische, rassentheoretisch begründete und mithin antiuniversalistisch gerichtete Verwandlung des Völkerrechts 4 Jörg Fisch: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Die Domestizierung einer Illusion. München 2010, hier S. 175-177. 5 Ders.: Peoples and Nations, in: Bardo Fassbender / Anne Peters (Hg.): The Oxford Handbook of the History of International Law. Oxford 2012, S. 2748, hier S. 42-44.

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musste das gesamte Weltsystem in Trümmer legen, um es biologistisch rekonstruieren zu können.«6 Die in Paris etablierte Staatenordnung in Europa – vor allem auch jene in Ostmittel- und Südosteuropa – sollte entsprechend der nationalsozialistischen Doktrin auf jeden Fall untergehen. Sie tat dies gewaltsam und tragisch begleitet von Vertreibung, Vernichtung und Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. Mit Kriegsende ging es den Hauptsiegermächten, die nach dem Zweiten Weltkrieg über die neue territorialstaatliche Nachkriegsordnung und deren Grenzen entschieden, zuallererst einmal um die Umsetzung einer Strategie, die vermeiden sollte, dass sich ein Krieg um die Revision von Grenzen wiederholt. In diesem Sinne wurden auch die massenhaften Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen, die den ostmittel- und südosteuropäischen Raum nach dem Krieg aufs Neue prägten, als eine für die Zukunft scheinbar friedenssichernde Maßnahme verstanden.7 Zudem gingen die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges daran, die Staaten, wie sie vor der nationalsozialistischen Expansion und Aggression bestanden hatten, wieder zu etablieren. Wie wir wissen, geschah dies in einem sich polarisierenden weltanschaulichen Gegensatz von Ost und West, der immer mehr zu einem »Kalten Krieg« wurde. Der Kampf um Einflusssphären wurde auch für die (Wieder-)Einrichtung der jeweiligen staatlichen Gefüge und bei den neuen Grenzziehungen in Ostmittel- und Südosteuropa hoch relevant. Große Verschiebungen von Grenzen und Territorien (wie die sogenannte »Westverschiebung« Polens, die Umwandlung der sowjetischen Besatzungszone in die DDR oder die Reintegration mehrerer ostmitteleuropäischer Staaten der Zwischenkriegszeit als Republiken in das Staatsgefüge der UdSSR ) fanden genauso eine Umsetzung wie die Wiederherstellung von Staaten in ihren (meist ungefähren aber vielfach auch etwas modi6 Dan Diner: Rassistisches Völkerrecht. Elemente einer nationalsozialistischen Weltordnung, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 37 (1989) 1, S. 23-56, hier S. 23. 7 Detlef Brandes / Holm Sundhaussen / Stefan Troebst (Hg.): Lexikon der Vertreibungen. Deportation, Zwangsaussiedlung und ethnische Säuberung im Europa des 20. Jahrhunderts. Wien / Köln / Weimar 2010; Mathias Beer: Flucht und Vertreibung der Deutschen. Voraussetzungen, Verlauf, Folgen. München 2011; Philipp Ther / Ana Siljak (Hg.): Redrawing Nations. Ethnic Cleansing in East-Central Europe 1944-1948. Lanham 2001; Philipp Ther: Deutsche und polnische Vertriebene. Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen 1945-1956. Göttingen 1998.

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fizierten) Grenzen aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg (um hier exemplarisch etwa das tschechoslowakische oder jugoslawische Staatswesen oder die Grenzen Albaniens oder Griechenlands zu nennen). Es entstand eine Systemgrenze, die von der Ostsee bis zum Mittelmeer reichte und über die folgenden Jahrzehnte den Westen und Osten des europäischen Kontinents voneinander schied. Europa wurde von einer bald militärisch massiv befestigten und bewachten Scheidelinie durchzogen, die mit der Zeit das Gefüge der Grenzen und Staaten – eben auch im sozialistischen Ostmittel- und Südosteuropa – als bleibend und dauerhaft erscheinen ließ. Die europäische Nachkriegsordnung wurde trotz oder gerade wegen dieser Polarisierung im Systemkonflikt immer stabiler – bis zum Jahre 1989. Mit dem Ende der sozialistischen Einparteiensysteme sollte sich jedoch schlagartig herausstellen, dass die über Jahrzehnte währende Stabilität plötzlich immens ins Wanken gekommen war. Blickt man auf die Prinzipien, innerhalb derer in den 1990er Jahren und auch danach viele Staaten unabhängig wurden, wird offenbar, dass Grenzen im eigentlichen Sinne nun nach 1989 nicht groß verändert wurden. Im Grunde wurde nur der Status der Grenzen verändert, und zwar folgend einem zentralen Prinzip internationalen Völkerrechts, des Prinzips uti possidetis, in vollständiger Form uti possidetis, ita possideatis, was so viel heißt wie, »so, wie ihr besitzt, sollt ihr besitzen«.8 Schon in früheren Jahrhunderten war es ein Leitprinzip des Staatenrechts gewesen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es in den 1950er und 1960er Jahren in den asiatischen und afrikanischen Dekolonisierungen zur Anwendung.9 Als die sozialistischen Föderationen des europäischen Ostens und Südostens nach 1989 in einen Zerfallsprozess kamen und immer mehr politische Führungen aus den Teilstaaten staatliche Un8 Helen Ghebrewebet: Identifying Units of Statehood and Determining International Boundaries. A Revised Look at the Doctrine of »Uti Possidetis« and the Principle of Self-Determination. Frankfurt a. M. 2006; Dieter Blumenwitz: Uti possidetis iuris – uti possidetis de facto. Die Grenze im modernen Völkerrecht, in: Horst Dreier / Hans Forkel / Klaus Laubenthal (Hg.): Raum und Recht. Festschrift 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät. Berlin 2002, S. 377389; Santiago Torres Bernárdez: The ›Uti Possidetis Principle‹ in Historical Perspective, in: Konrad Ginther et al. (Hg.): Völkerrecht zwischen normativem Anspruch und politischer Realität. Festschrift für Karl Zemanek zum 65. Geburtstag. Berlin 1994, S. 417-437. 9 Jan Klabbers / René Lefeber: Africa: lost between self-determination and uti possidetis, in: Catherine Brölmann / René Lefeber / Marjoleine Zieck (Hg.): Peoples and minorities in international law. Dordrecht / Boston / London 1993, S. 37-76; Harold S. Johnson / Inis L. Claude: Self-determination within the community of nations. Leyden 1967.

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abhängigkeit anstrebten, wurde das uti possidetis-Prinzip zum Grundprinzip in der Anerkennungspolitik der internationalen Staatengemeinschaft. Trotz aller in den 1990er Jahren in der Öffentlichkeit vielfach sehr dominanten nationalistischen Konfliktbezüge ging es bei der internationalen Anerkennung von neuen Staatswesen bzw. von neuen Staatsgrenzen eigentlich immer um die konsequente Einhaltung des Formalprinzips des uti possidetis. Republikgrenzen wurden aufgewertet und nun zu Grenzen von unabhängigen Staaten.10 Resümiert man die Entwicklung von Staatlichkeit und Grenzziehung in Ostmittel- und Südosteuropa der letzten etwas mehr als hundert Jahre, so ist es offensichtlich, dass nur wenige Gegenden der Welt im 20.  Jahrhundert in vergleichbar starker Weise so umfangreiche Grenzveränderungen erlebten wie eben diese – und zwar, wie versucht wurde zu zeigen, unter Berufung auf sich wandelnde Legitimierungen. Historisch gewachsene dynastische Ordnungsprinzipien wurden anfangs mit dem Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht von Völkern außer Kraft gesetzt, später ging es um die formale Wiedereinrichtung von durch die NS -Politik gewaltsam zerschlagenen Staaten und schließlich um eine Aufwertung von sich von einem Machtzentrum lösenden Subeinheiten zu souveränen Staaten. Immer wieder aufs Neue schuf man dabei neue staatliche Grenzen oder implementierte (scheinbar oder reell) eben auch »historische«.11 Eingebettet waren diese Veränderungen in der politischen Strukturierung des Raumes immer auch in massive Umbrüche der politischen Machtverhältnisse und gingen fast immer mit großen Veränderungen in bis dahin vorherrschenden »Wissensordnungen« einher. Was damit gemeint ist, das soll im Folgenden erläutert werden.

Wissensordnungen in Zeiten des Umbruchs Konventionen des Denkens einer spezifischen Epoche oder Ära schaffen für die jeweils in dieser Zeit lebenden Zeitgenossen so etwas wie epochenspezifische Wahrheiten, um die sich alles dreht. Diese sind 10 Fisch: Selbstbestimmungsrecht, S. 217-248. Im Detail für den jugoslawischen Fall siehe Richard Caplan: Europe and the Recognition of New States in Yugoslavia. Cambridge 2005, S. 68-72. 11 Allerdings blieben »überwundene« oder »alte« Vorstellungen über die Rechtmäßigkeit bestehender Grenzen nicht selten weiterhin Bestandteil von politischen oder gesellschaftlichen Kontroversen, hierzu allgemein etwa James Crawford: The Creation of States in International Law. Oxford 2006.

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somit vor allem ein Resultat dominanter Diskurse und Konventionen. Es geht um Zulässigkeiten und Wertigkeiten in den Interpretationen der Welt, in der man lebt.12 In der philosophischen Diskussion hat dies etwa Michel Foucault als epochenspezifische »Ordnungen des Wissens« beschrieben.13 Nun sind nicht allein seit der poststrukturalistischen Theoriebildung, sondern auch schon zuvor (und danach) in verschiedenen Disziplinen Auffassungen forschungsleitend (gewesen), die festhalten, dass es in gesellschaftlicher Analyse weniger darum gehen kann, zu beschreiben, wie die Welt »an sich ist«, sondern man lediglich zeigen kann, »wie Menschen sie sehen und gesehen haben«.14 Das folgende, oft zitierte wissenschaftliche Credo von Clifford Geertz bringt dies meines Erachtens sehr treffend auf den Punkt: »Ich meine mit Max Weber, dass der Mensch ein Wesen ist, das in selbstgesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist, wobei ich Kultur als dieses Gewebe ansehe.«15 Wie Menschen die Welt in einer gewissen Zeit sehen, das gilt es sich zu erschließen. Nun kann sich dies auch recht umfassend ändern und insbesondere in großen Umbruchphasen haben Ordnungen des Wissens immer wieder grundsätzliche oder besonders beschleunigte Veränderungen durchlaufen. Bis dahin etablierte Wissensordnungen wurden mitunter, wie z. B. in der Zeit der bolschewistischen Revolution ab 1917, sogar ganz plötzlich für völlig überholt und hinfällig erklärt. Gerade in solchen epochalen Umbruchzeiten steht am Beginn der Etablierung von neuen Ordnungen des Wissens vor allem eine dezidierte Zurückweisung jener bisher gültigen. Ähnliches ist für die »WendeZeit« nach 1989 in Ostmittel- und Südosteuropa beobachtbar. Ein konkretes Beispiel soll helfen, dies etwas näher zu veranschaulichen. Es entstammt der frühen postsozialistischen Transition der 1990er Jahre und bezieht sich auf Entwicklungen in der bis 1991 /92 noch jugoslawischen Teil- und danach unabhängigen Republik Kroatien.16 Hier lässt sich besonders anschaulich zeigen, wie von einer nach 12 Hans-Jörg Rheinberger: Historische Epistemologie zur Einführung. Hamburg 2007. 13 Michel Foucault: Archäologie des Wissens. Frankfurt a. M. 1973. 14 Jörg Baberowski: Selbstbilder und Fremdbilder: Repräsentation sozialer Ordnungen im Wandel, in: Jörg Baberowski / Hartmut Kaelble / Jürgen Schriewer (Hg.): Selbstbilder und Fremdbilder. Repräsentation sozialer Ordnungen im Wandel. Frankfurt a. M. 2008, S. 9-13. 15 Clifford Geertz: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt a. M. 1987, S. 9. 16 Für einen Einblick in die Konstellationen dieses Übergangs etwa Holm

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freien Mehrparteienwahlen neu an die Macht gekommenen politischen Elite die bestehenden »sozialistischen« Realitäten verworfen, »historische« Vorstellung von Raum neu ins Spiel gebracht und – in Zeiten eines kriegerischen Konflikts/einer militärischen Aggression gegen das Land – auch innergesellschaftlich und kulturell erstaunlich erfolgreich »vermittelt« wurden. Wenden wir uns zuerst der Zurückweisung bis dahin dominanter »sozialistischer« Sinnzusammenhänge zu. Anlässlich der Verkündung der ersten postsozialistischen Verfassung nach dem Ende des Einparteiensystems in Kroatien hielt Franjo Tuđman am 22.  Dezember 1990 angesichts der großen Wichtigkeit dieses Ereignisses eine lange programmatische Rede. Tuđman war einige Monate zuvor zum Präsidenten der damals noch jugoslawischen Teilrepublik Kroatien gewählt geworden und bestimmte mit seiner Partei HDZ (Hrvatska Demokratska Zajednica) seit dem Frühjahr/Sommer des Jahres 1990 die Politik im neugewählten kroatischen Parlament (Sabor). Tuđman verkündete in dieser Rede, dass es nun mit der neuen Verfassung zu einem großen Bruch mit dem bis dahin bestimmenden »kommunistischen Verständnis von staatlicher und gesellschaftlicher Ordnung« gekommen sei. Es sei unabdingbar gewesen, sich »in Inhalt, Form und Geist« von eben dieser zu lösen. Mit der neuen Verfassung habe man eine solche Loslösung soeben auch in die Tat umgesetzt.17 Danach erklärte er, in welcher historischen Situation sich »die Bürger und das Volk Kroatiens« ebenso wie auch »alle Länder der bisherigen kommunistischen Welt« befinden würden: »Alle Länder der bisherigen, sogenannten kommunistischen oder sozialistischen Welt und besonders jene mehrnationalen, befinden sich in einer ähnlichen Situation. Diese, wie wir auch, suchen einen Weg hinaus aus einem heuchlerischen Paradies auf Erden. Sie nehmen nun die ideologische Maske ab, befreien sich von utopischen Träumen und Verirrungen, aber auch von den entsetzlichen Ängsten und der Gewalt. Über die Schreckensherrschaft und den Terror der totalitären Ideologie kontrollierten die Einparteiensysteme die Sundhaussen: Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten 1943-2011. Eine ungewöhnliche Geschichte des Gewöhnlichen. Wien / Köln / Weimar 2012, S. 282-323. 17 Zdeslav Milas: Govor u prigodi proglašenja Ustava Republike Hrvatske, Zagreb, 22. prosinca 1990, einsehbar unter: http://www.tudjman.hr/govori/ proglasenje-ustava-republike-hrvatske bzw. http://free-zg.t-com.hr/zdeslav-milas / FT/ft-05.htm (22. 05. 2015). (Übersetzung der Zitate aus dem Kroatischen H. G.)

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Gedanken, das Bewusstsein und die Taten von Millionen und hunderten Millionen von Untertanen der kommunistischen Länder, die Gefangene waren in ihrem Geist, ihrem Gewissen und ihrer Moral.«18 Eine Rede wie diese, deren Botschaft wohl in verwandten Formen vielerorts so oder so ähnlich im gerade postsozialistisch gewordenen Ostmittel- und Südosteuropa knapp nach 1989 entscheidende Bedeutung erlangte, stand für die Etablierung einer neuen politischen Ordnung. Sie legitimierte sich in zentraler Weise eben über die Zurückweisung der bisher gültigen und herrschaftlich gestützten sozialistischen Ordnung, auch jener des Wissens. Mit diesem Postulat einer nun nicht mehr als gültig erachteten Wissensordnung überrascht es nicht, dass in gleicher Weise auch die im alten System geschaffene politische Ordnung des Raumes infrage gestellt wurde. In einem entscheidenden Teil der Rede geht es, wie im folgenden Zitat erkennbar wird, um die räumlichen Bezüge von Staatlichkeit. Dies geschieht ein wenig verklausuliert. Implizit wird aber sehr klar, in welcher Art und Weise – im Rahmen des Erreichbaren – über eine zu verändernde staatliche und somit auch räumliche Ordnung (in auch neuen Grenzen) strategisch spekuliert wurde. »Die internationale demokratische Öffentlichkeit ebenso wie die entscheidenden Faktoren der europäischen und globalen Politik akzeptieren kein Programm der Zerschlagung Jugoslawiens und der Veränderung der Grenzen in Europa. Aber sie geben ihre volle Unterstützung den demokratischen Umgestaltungen, wobei sie dabei de facto auch anerkennen, dass die Republik Kroatien eine Tatsache ist, mit der es umzugehen gilt. In ihren Entscheidungen muss die kroatische Spitze aber auch dem Sachverhalt Rechnung tragen, dass das kroatische Volk nicht nur in der Republik Kroatien, sondern eben auch in Bosnien und Herzegowina sowie in Serbien und in Montenegro (in der Bačka, in Syrmien, in der Boka Kotorska) lebt, sodass es einer gesamtheitlichen Lösung Rechnung zu tragen gilt. Obwohl wir auf den Grundlagen unserer allgemeinen Erfahrung gegen einen Erhalt Jugoslawiens in der heutigen oder einer dritten Form sind, schließen wir nichts aus, sondern im Gegenteil bieten wir sogar einen Entwurf eines Planes an, über die Möglichkeit der

18 Ebda.

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Umgestaltung der SFRJ in einen Bund oder vielleicht in mehrere Bünde souveräner jugoslawischer Staaten zu verhandeln.«19 Mehr als offensichtlich wird in diesem Beispiel, dass etablierte Raumordnungen zuerst diskursiv und dann auch politisch grundsätzlich neu interpretiert wurden. Hier ist vor allem wichtig, dass die alte Ordnung als nicht mehr passend gesehen wurde. Eine der Thesen dieses Beitrags ist es, dass Rückgriffe auf historische/kulturelle Grenzen als nächster Schritt eine logische Folge sind. Gerade in einer solchen Situation, in der das Gefüge des etablierten Wissens über die bestehende staatliche und gesellschaftliche Ordnung als in vieler Hinsicht falsch oder nicht mehr zeitgemäß postuliert wird, können – und das betrifft den hier betrachteten ostmittel- bzw. südosteuropäischen Raum nach 1989 ganz besonders – auch frühere Grenzen als »Phantomgrenzen« wieder relevant, ja sogar realitätsbestimmend werden. Auf jeden Fall wird ihre Aktualisierung fast immer »historisch« begründet. Aber welche »historischen Grenzen« genau werden nun wichtig? Wer propagiert das Wiederauftauchen von »Phantomgrenzen« und für wen? Vor allem, wie kann man sich die Dynamiken, die dahinter stehen, konkret vorstellen? Die hier vertretene Auffassung ist, dass man das »Wiederauftauchen« von »historischen Grenzen« nicht als eine Art metaphysische Wiederkehr bestimmter Imaginationen ohne Bezüge zum Sozialen betrachten kann. Im Gegenteil handelt es sich dabei um sehr konkrete politische und soziale Prozesse, die meist ganz zweckrational politisch propagiert und gesellschaftlich breit rezipiert werden. Sinnstiftende nostalgische Inszenierungen und Rückbezüge auf gesellschaftsimmanente Erfahrungskonstellationen spielen dabei, wie im nächsten Abschnitt näher erläutert wird, eine ganz zentrale Rolle.

Nostalgische Inszenierungen und der Wissensvorrat in der Gesellschaft Svetlana Boym begann einen ihrer Essays mit dem Titel »Nostalgia and Its Discontents« mit der folgenden Feststellung: »The twentieth century began with utopia and ended with nostalgia.«20 Hier und noch 19 Ebda. 20 Svetlana Boym: Nostalgia and Its Discontents, in: The Hedgehog Review 9

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viel ausführlicher in ihrem Buch »The Future of Nostalgia«21 reflektiert sie über eine Art nostalgic turn, der für viele europäische Gesellschaften in der Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges charakteristisch geworden sei (ganz besonders akzentuiert beschreibt sie das mit Bezug auf die postsozialistischen Länder im östlichen oder südöstlichen Europa). Solche starken nostalgischen Tendenzen wären aber keine Sondererscheinung der Zeit nach 1989 allein. Auch davor lassen sich vielerorts und immer wieder ausgeprägte nostalgische Phasen in gesellschaftlichen Diskursen konstatieren. Solche »outbreaks of nostalgia« scheinen besonders oft großen Umbrüchen zu folgen, was auf das enge Verhältnis von Umbruch und Nostalgie schließen lässt. Welche Wirkungsweisen Nostalgien im Alltag entfalten, das gilt es nach Boym allerdings zu differenzieren. Sie selbst schlägt etwa vor, »restaurative« und »reflexive« Formen von Nostalgie voneinander getrennt zu verstehen. »Restaurative« Formen der Nostalgie seien aufs Engste verbunden mit nationalen oder religiösen »Revivals«. Diese stellen oft sehr stark politische bzw. »von oben« organisierte Prozesse dar, egal wie »volksnah« solche Revivals auch inszeniert würden. Bei den »reflexiven« Formen handelt es sich hingegen, nach Boym, viel mehr um sehr individuelle, oft melancholische Bezugnahmen auf eine Welt, die »verloren gegangen ist«.22 Konkret versucht die Autorin eine solche Differenzierung auch mit Bezug auf den hier näher untersuchten südosteuropäischen Raum anschaulich zu machen. Sie tut dies etwa über die im Folgenden kurz zitierte Beobachtung über restaurative und reflexive Nostalgien im exjugoslawischen Raum: »Similarly, in the territories of the former Yugoslavia, one finds that old churches and mosques are falling into disrepair, while new huge cathedrals and mosques are built outside urban centers that historically have been ethnically mixed. While global in style and in financing, they assert reconstructed local ethnic and religious identities, often imagined from abroad—examples of restorative nostalgia that go beyond and often against the restoration of surviving mixed urban fabric. In contrast, reflective nostalgics in the realm of architecture cherish a certain kind of ruinophilia in the public realm, a love and tolera(2007) 2, S. 7-18, einsehbar unter: http://www.iasc-culture.org/eNews/ 2007_10/9.2CBoym.pdf (22. 05. 2015). 21 Dies.: The Future of Nostalgia. New York 2001. 22 Dies.: Nostalgia and Its Discontents, S. 10-17.

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tion for modern ruins that keep alive memories of destruction and of multiple contested histories and coexisting temporalities.«23 Restaurative Nostalgien innerhalb verschiedener politischer Projekte zielen auf eine öffentliche Durchsetzung einer bestimmten Vergangenheitsdeutung ab, die nicht selten national oder konfessionell sehr eindeutig (re)konstruiert wird. Die »Ruinophilie« einer reflexiven Nostalgie scheint hingegen viel stärker nach innen gekehrt als eine durchaus ambivalente Auseinandersetzung mit einstigem alltäglichem Leben, was allerdings auch dazu führen kann, eine bestimmte Imagination von z. B. »multikultureller« Vergangenheit zu verklären. Beide hier angesprochenen Dimensionen von Nostalgie können im Zusammenhang mit der »Wiederkehr« von Phantomgrenzen eine wichtige Rolle spielen. Als offensiv angelegte Vorhaben zur »Wiedererlangung« einer etwa viel stärker national ausgelegten Vergangenheit. Oder eben als Idealisierung einer »toleranten Harmonie« oder »zivilisierten Kulturalität«, die in einer untergegangenen, z. B. »imperialen«, Ordnung vorgeherrscht habe, aber dann verloren gegangen sei. Mit der alltäglichen Wirkungsweise von Nostalgien in gesellschaftlichem Leben hat sich auch der Ethnologe Michael Herzfeld intensiv befasst. In seiner Herangehensweise benutzt er zwar eine sich leicht unterscheidende Begrifflichkeit, allerdings in einer Boym sehr verwandten Erklärungsabsicht. In dem Buch »Cultural intimacy. Social poetics in the nation state«24 diskutiert Herzfeld nostalgische politische Diskurse dabei noch viel expliziter als Boym in Verbindung mit Nationalismus. Nationalismus und »strukturelle Nostalgie«, wie Herzfeld dies nennt, seien aufs Engste miteinander verbunden. Vorstellungen von einer verloren gegangenen »perfekten« Situation der Vergangenheit, wo noch (meist nationale) Harmonie bestanden habe und nicht so eine bedauernswerte Situation wie in der Gegenwart, stünden fast immer im Kern von nationalistischen Imaginationen, so Herzfeld. Diese Sehnsucht nach einer angeblich verlorenen Situation von harmonischer und dadurch allen (meist ko-nationalen) zugänglichen Kollektivität in der Vergangenheit würde eben auch die territorialen Grenzen dieser idealisierten Vergangenheit zurück ins Bewusstsein rufen.25

23 Ebda., S. 17. 24 Michael Herzfeld: Cultural intimacy. Social poetics in the nation-state. London / New York 1997. 25 Ebda.

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Egal, ob man diese nun als restaurativ, reflexiv oder strukturell benennen möchte, ging es in der Tat vielen der neuen/alten politischen Eliten in Ostmittel- und Südosteuropa nach 1989 darum, nostalgisch inszenierte Vergangenheits-Imaginationen als Ressourcen im politischen Wettkampf zu nutzen. Bei einer wohl sehr dominanten Mehrheit solcher Bewegungen standen Rückbezüge auf eine idealisierte (im hier untersuchten Raum nach 1989 ganz besonders national verstandene) Vergangenheit absolut im Zentrum des Kampfes für einen politischen Neuanfang. Viele dieser politischen Projekte konnten dabei in der Ablösung der sozialistischen Wissensordnung (und Nomenklatura) besonders viele Wähler/innen für sich und ihre Anliegen mobilisieren. Die nostalgische »Aktualisierung« einer bestimmten Imagination von Vergangenheit scheint historiographisch kundigen Beobachtern dieser Umbruchzeiten allerdings nicht selten sehr irrational. Vieles, was diskursiv in zumeist nationalistisch aufgeheizten Kampagnen vieler postsozialistischer Wahlen als »goldene« (oder auch »traumatische«) nationale Vergangenheit inszeniert und propagandistisch verklärt wurde und z. T. auch immer noch wird, hat meist viel eher mythische denn historiographisch stimmige Züge. Man denke etwa nur an den Kosovo-Mythos in Serbien oder die postsozialistische Antiken-Begeisterung in Makedonien.26 Nichtsdestotrotz kann man bei einer Analyse darüber, wieso manche Nostalgien und die dabei oft mitschwingenden Raumbezüge dennoch extrem starken Anklang in (sogar sehr großen Teilen) der Gesellschaft finden konnten, nicht beim Irrationalitätsvorwurf allein verbleiben. Es stellt sich vielmehr die Frage, wieso überhaupt gewisse historische Aktivierungsstrategien die Menschen bewegen und andere eben nicht. Christian Giordano hat in seinem Buch »Die Betrogenen der Geschichte: Überlagerungsmentalität und Überlagerungsrationalität in mediterranen Gesellschaften« treffend in einer longue durée-Perspektive dargelegt, dass dies in entscheidender Weise damit zu tun hat, welche historischen Erfahrungen sich in Gesellschaften übereinandergeschichtet haben bzw. präsent gehalten wurden (selektiv ausgewählte gesellschaftliche Erfahrungen oder räumliche Bezüge werden eben auch gelehrt bzw. gelernt). Diese gesamtgesellschaftlichen Erfahrungen dürfe man, so Giordano, nicht außer Acht lassen, wenn man versucht zu verstehen, wie Menschen im Umgang mit Umbruchsituatio26 Für eine Auseinandersetzung mit besonders gesellschaftsrelevanten mythologischen Konstruktionen in Südosteuropa etwa Pal Kolstø (Hg.): Myths and Boundaries in South-Eastern Europe. London 2005.

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nen nach Strategien von Alltagsbewältigung und Rationalisierung von Gegenwart und Zukunft suchen. Wichtig seien dabei vor allem die unmittelbaren Erfahrungen der Zeitgenossen. Allerdings wäre es ebenfalls von sehr großer Bedeutung, wie frühere Generationen ihre jeweilige Lebenswelt interpretiert und weiter kommuniziert haben. So können eben auch vergangene Vorstellungen in gegenwärtige Rationalitäten hineinragen, diese sogar überlagern bzw. in einem auch für die Zeitgenossen rational nachvollziehbaren Licht erscheinen lassen.27 In Anlehnung an Alfred Schütz könnte man die allgemeinere Vorstellung eines (gesellschaftsspezifischen) »Wissensvorrats« in die weitere Reflexion miteinbeziehen. Wie Schütz etwa in »Das Problem der sozialen Wirklichkeit« beschreibt, ist ein solcher »Wissensvorrat« zum einen sehr persönlicher Natur. Aber er ist dennoch nur bis zu einem gewissen Grad allein von individueller Beschaffenheit. Ein sehr großer Teil des Wissens werde nämlich sozial abgeleitet, gesellschaftlich entwickelt und weitergegeben.28 Auf jeden Fall sind gesellschaftlich überschichtete Erfahrungen oder eben ein »Wissensvorrat«29 sehr wichtig dafür, was Menschen in Zeiten gesellschaftlicher Veränderung aufgrund ihrer sozialen »Erfahrungen« als »historisch« plausibel erachten.30 Aus den in diesem Abschnitt angestellten theoretischen Überlegungen sollen für unsere weiteren dann exemplarischen Betrachtungen von Fallbeispielen vor allem die folgenden, in gegenseitiger Ergänzung verstandenen Schlussfolgerungen noch einmal auf den Punkt gebracht werden: – Politisch instrumentalisierte (und diskursiv inszenierte) Nostalgien nach einer idealisierten Vergangenheit sind die eine, sehr wichtige

27 Christian Giordano: Die Betrogenen der Geschichte. Überlagerungsmentalität und Überlagerungsrationalität in mediterranen Gesellschaften. Frankfurt a. M. 1992. 28 Alfred Schütz: Das Problem der sozialen Wirklichkeit (= Gesammelte Aufsätze 1). Den Haag 1971, S. 17. 29 Andere Theoretiker sprachen in vergleichbarem Zusammenhang auch von »sozialem Wissen« oder von common sense, siehe hierzu Norbert Elias: Über die Zeit (= Gesammelte Schriften 9). Frankfurt  a. M. 2004, hg. v. Michael Schröter / Holger Fliessbach / Reinhard Blomert. 30 Von großer Relevanz sind hier zudem auch hegemoniale wissenschaftliche Konventionen, u. a. mit Bezug auf die Verortung von Raum. Zum hier näher untersuchten Kontext insbesondere Karl Kaser / Dagmar GramshammerHohl / Robert Pichler (Hg.): Europa und die Grenzen im Kopf (= Wieser Enzyklopädie des europäischen Ostens 11). Klagenfurt 2003.

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Seite der Betrachtung über das »Wiederauftauchen« vergangener Raumbezüge und Grenzen. – Der (eben auch selektive) Umgang mit dem in der Gesellschaft vorhandenen »Wissensvorrat« ist auf jeden Fall mitentscheidend dafür, mit welchen Erfahrungen und Sinnstiftungen die genannten Nostalgien gesellschaftlich kohärent werden können bzw. wie und ob sich Menschen solche Weltsichten selbst aneignen oder für sich rationalisieren wollen.

Zwei Beispiele der »Wiederkehr« historischer Raummuster In den nun folgenden Erörterungen soll an konkreten Beispielen veranschaulicht werden, wie nach 1989 in Südosteuropa nostalgisch aufgeladene »historische« Räume/Grenzen durch (neue) politische Akteure eine Aktualisierung erfuhren. Es soll dabei auch diskutiert werden, wie dies in spezifischen Situationen mit Erfahrungen bzw. dem Wissensvorrat in (Teilen) der Gesellschaft kohärent wurde bzw. gemacht werden sollte. Gleich vorweg kann gesagt werden, dass es situativ bestimmte und dynamische Verbindungen waren, die Grenzen der Vergangenheit aufs Neue sehr große Bedeutung zukommen lassen konnten. Aber um welche Vergangenheit konkret ging es dabei? Warum erlangten gewisse Grenzen wieder Bedeutung und andere nicht? Wenden wir uns dieser Problemstellung gleich am Beginn des ersten untersuchten Beispiels zu.

Die Wiederkehr einer imperialen »Zivilisationsgrenze« in Kroatien Noch ein weiteres und letztes Mal soll dabei auf das schon oben erörterte Beispiel der kroatischen Verfassung im Dezember 1990 Bezug genommen werden. Sieht man sich diese näher an, so erstaunt es, wie stark »historisch« sie eingeführt wird. Der Verfassungstext beginnt mit folgender Präambel: »Die tausendjährige nationale Eigenständigkeit und das staatliche Bestehen des kroatischen Volkes zum Ausdruck bringend, bestätigt durch eine Reihe von historischen Ereignissen in verschiedenen Staatsformen sowie durch die Aufrechterhaltung und die Entwicklung der staatsbildenden Idee des historischen Rechts des kroatischen Volkes auf volle staatliche Souveränität, das sich äußerte:

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– in der Gründung der kroatischen Fürstentümer im VII . Jahrhundert; –  im selbständigen Staat Kroatien des Mittelalters, der im 9.  Jahrhundert begründet wurde; – in dem im 10. Jahrhundert gebildeten Königreich der Kroaten; – in der Bewahrung der kroatischen staatlichen Subjektivität innerhalb der kroatisch-ungarischen Personalunion; –  im selbständigen und souveränen Beschluss des kroatischen Sabors aus dem Jahre 1527 über die Wahl des Königs aus der Habsburg-Dynastie; [usw.]«31 Es folgen hier noch viele weitere historische Bezugnahmen, bis dieser historisch gefasste Teil mit dem Verweis auf Verfassungen aus der sozialistisch-jugoslawischen Ära für die Volksrepublik Kroatien (1947) bzw. die Sozialistische Republik Kroatien (1963-1990) nach dem Zweiten Weltkrieg endet. Die Vergangenheit, auf die zum Zwecke der Legitimationsstiftung hier verwiesen wird, umfasst viele verschiedene (prä)staatliche Formationen aus einer anfangs sehr weit zurückreichenden Geschichte bis zur Gegenwart. Diese Territorien waren in ihren Grenzen über die Epochen immer wieder starkem Wandel unterworfen. Betont wird jedoch in der zitierten Präambel der Verfassung ihre staatsrechtliche bzw. legitimatorische Kontinuität. Nostalgie ist in diesem Fall in Verbindung zu sehen mit Vergangenheiten im Plural, die allerdings allesamt relevant erscheinen. Diese wurden Teil eines politischen, wie auch intellektuellen und öffentlichmedialen Diskurses, der sich in der behandelten Zeit nach 1989 enorm intensivierte. Dabei wurde eine historische Formation bzw. Grenzsituation ganz besonders bedeutsam: jene der Organisation der kroatischen Länder in der habsburgischen Ära. Wie lässt sich dies erklären? Es hat sehr viel mit der innerjugoslawischen Konflikteskalation zu tun, wie sich diese in den beginnenden 1990er Jahren in bald dramatischer Form entwickelte. Die politische Dramatik der frühen 1990er Jahre hatte großen Einfluss darauf, dass es eben eine ganz bestimmte Formation der Vergangenheit war, die für breite Teile der Gesellschaft nun immer wichtiger wurde. Besonders angefacht wurde diese Entwicklung in Kroatien in Reaktion auf die separatistisch-nationalistische Bewegung der sogenannten »Krajina-Serben«, die sich im Som31 Einsehbar unter: http://narodne-novine.nn.hr/clanci/sluzbeni/232289.html (22. 05. 2015).

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mer / Herbst 1990 gegen eine mögliche staatliche Unabhängigkeit Kroatiens organisierte und immer mehr zur realen Bedrohung der öffentlichen Sicherheit wurde. Im Laufe des Jahres 1991 mobilisierte diese von der Stadt Knin koordinierte Bewegung (militärisch unterstützt durch die Jugoslawische Volksarmee und die damalige Belgrader Führung unter Slobodan Milošević) bewaffnete Einheiten, die sich eine Abspaltung eines »serbischen Territoriums« aus der vor der Unabhängigkeit stehenden Republik Kroatien zum Ziel setzten.32 Letztlich wurde daraus ein Eroberungs- und Vertreibungsfeldzug zur Schaffung eines solchen Territoriums, dem der Namen »Republik Serbische Krajina« gegeben wurde. Dieses Territorium wurde über seinen postulierten mehrheitlich serbischen Charakter und über den angeblichen Willen des (serbischen) Volkes, das keine Loslösung von Jugoslawien bzw. kein unabhängiges Kroatien wollte, beansprucht. Nicht zuletzt in der Namensgebung hatte das Projekt starke historische Bezugnahmen. Krajina, die slawische Form von »Grenze«, bezog sich dabei auf ein separates Territorium, das als (habsburgische, kroatisch-slawonische u. a.) Militärgrenze am südlichen Rande des habsburgischen Territoriums zum Osmanischen Reich zwischen dem 16. und der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Bestand hatte. Dieses Territorium wurde jahrhundertelang separat von Militärs verwaltet und unterschied sich in der hier gültigen soldatischen Grenzbauern-Ordnung von den feudalen Gebieten Kroatiens und Slawoniens in vielerlei Hinsicht.33 Beginnend in den 1870er Jahren und dann formal 1883 wurde dieses Gebiet (und seine spezielle Militärgrenzordnung) dann jedoch aufgelöst und innerhalb des transleithanischen (ungarischen) Teils der Habsburgermonarchie mit Kroatien-Slawonien vereinigt. Die Krajina verschwand nach Jahrhunderten ihrer Existenz als separates (Grenz-)Territorium. Mit der Ausrufung einer Republik Serbische Krajina tauchte es als »Phantom« zu Beginn der 1990er Jahre allerdings wieder auf. 32 Für eine Auseinandersetzung mit der frühen Dynamik dieser Entwicklung siehe etwa Hannes Grandits / Carolin Leutloff: Discourses, Actors, Violence. The Organization of War-escalation in the Krajina-region in Croatia 1990 /1991, in: Jan Koehler / Christoph Zürcher (Hg.): Potentials of Disorder. Explaining Conflict and Stability in the Caucasus and in the Former Yugoslavia. Manchester 2003, S. 23-45. Ausführlich zum »Projekt« Serbische Krajina etwa Nikica Barić: Srpska pobuna u Hrvatskoj, 1990-1995. Zagreb 2005. 33 Für eine detaillierte Studie über die Geschichte dieser Militärgrenze siehe vor allem Karl Kaser: Freier Bauer und Soldat. Die Militarisierung der agrarischen Gesellschaft an der kroatisch-slawonischen Militärgrenze (1535-1881). Wien / Köln / Weimar 1997.

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Blickt man auf das Territorium dieses Para-Staates, so hatte dieses durchaus frappante Entsprechungen mit der einstigen Krajina / Militärgrenze. Nach mehr als 100 Jahren seit der Auflösung eines solchen historischen Militärgrenzgebietes waren Anfang der 1990er Jahre von dessen einstiger gesellschaftlicher Ordnung kaum noch Spuren alltagsrelevant. Eine industrialisierte Moderne jugoslawischer Prägung war innerhalb des realsozialistischen Gesellschaftslebens (innerhalb der national gemischten und in dieser Hinsicht kaum bis gar nicht separierten Bevölkerung) wahrscheinlich der dominanteste Zug des Lebens auch in dieser Region geworden. Die neuen nationalistischen Machthaber in der Krajina versuchten aber dennoch – eingebettet in verschiedene Bedrohungsdiskurse und nationalistische Projektionen34 – eine Verbindung zu einer einst »jahrhundertelangen Separatheit« propagandistisch in der Bevölkerung zu etablieren. Mit der Inszenierung von militarisiertem Grenzerkult und Abwehrkampfideologie sollte dem kriegerisch neu geschaffenen »serbischen Territorium« und seinen Grenzen historisch Sinn verliehen und so auch an einen existenten historischen »Wissensvorrat« angeknüpft werden.35 In vielerlei Hinsicht war diesem Anlauf aber in der Krajina trotz immensem Propagandaaufwand nur beschränkter Erfolg beschieden.36 Durchaus anders verhielt sich dies in derselben Zeit in der kroatischen Öffentlichkeit. Der Krieg und die Okkupation von bis zu einem Drittel des Staatsterritoriums, von wo massiv Menschen vertrieben wurden und flüchteten, verstärkte bald auch in breiten Teilen der Gesellschaft die Bereitschaft, eine durch die kroatische politische Führung stark propagandistisch aufgeladene Sichtweise zu übernehmen und den aktuellen Krieg in tiefer reichenden historischen Bezügen zu verstehen. Besondere Relevanz hatten (nebst ganz besonders starken Bezugnahmen auf den Zweiten Weltkrieg) vor allem Verweise auf die

34 Für Prozesse der Aktualisierung des 2. Weltkrieges etwa Hannes Grandits: Über den Gebrauch der Toten der Vergangenheit als Mittel der Deutung der Gegenwart – Betrachtungen zum Krajina-Konflikt 1991-1995, in: Jan Koehler / Sonja Heyer (Hg.): Anthropologie der Gewalt. Chancen und Grenzen der sozialwissenschaftlichen Forschung. Berlin 1998, S. 179-186. 35 Für Prozesse der Inszenierung einer solchen »Krajina«-Vergangenheit etwa Ivo Žanić: Prevarena povijest. Guslarska estrada, kult hajduka i rat u Hrvatskoj i Bosni i Hercegovini 1990-1995. godine. Zagreb 1998. 36 Siehe hier etwa Carolin Leutloff-Grandits: Claiming Ownership in Postwar Croatia. The Dynamics of Property Relations and Ethnic Conflict in the Knin Region. Berlin 2006, S. 69-122.

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Habsburger Militärgrenze zum Osmanischen Reich, Erste Hälfte 19. Jahrhundert

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»Republik Serbische Krajina«, 1991-95

jahrhundertelange Lage Kroatiens als »Grenze des Abendlandes« zu einem feindlichen Orient / Balkan. Im 15. und 16. Jahrhundert waren große Teile des heutigen Kroatiens osmanisch erobert worden. Nur noch »Reste des Rests« (slaw. »ostaci ostataka«, lat. »reliquiae reliquiarum«) waren damals nicht osmanisch geworden und blieben unter habsburgischer Herrschaft. Durch massiven Festungsbau wurde das von der osmanischen Expansion bedrohte habsburgisch gebliebene kroatische Grenzgebiet verteidigt und militarisiert. Am Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts kam es zu habsburgischen Gebietsgewinnen und einer Verschiebung der Grenze weiter nach Süden, wo sich diese dann entlang des Flusses Sava dauerhafter stabilisierte. Bis 1878, also über mehrere Jahrhunderte, war das kroatische Territorium bzw. dann die kroatisch-slawonische Militärgrenze in seinen größten Teilen auch habsburgisches Grenzgebiet gegenüber dem Osmanischen Reich (in ähnlicher Weise gilt dies auch für den venezianischen bzw. dann habsburgischen Raum in Dalmatien).37

37 Für diese grenzübergreifende Konstellation siehe insbesondere die Arbeiten, die aus dem von Drago Roksandić initiierten Forschungsverbund »Triplex Confinium« hervorgegangen sind. Für einen Überblick zu den Ergebnissen des Projekts siehe Triplex Confinium, einsehbar unter: http://www.ffzg. unizg.hr/pov/zavod/triplex/publikacijehrv.htm (22. 05. 2015).

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In der extremen Situation des sich in den 1990er Jahren vollziehenden politischen und immer mehr auch kriegsgeprägten Umbruchs wurde das »Habsburgisch-Sein« und somit auch »Europäisch-Sein« einem »Osmanisch-Sein« oder »Balkanisch-Sein« gegenübergestellt und diskursiv stark aufgeladen. Diese rhetorische Dichotomisierung erhielt in der eskalierten Situation des jugoslawischen Staatszerfalls eine ganz besonders starke Betonung und politisch-propagandistische Inszenierung. Eine solche Form von Nostalgie war in diesem Fall ein Rückbezug auf eine »heldenhafte Zeit«, als es Kroatien immer wieder gelungen sei, standzuhalten und die Grenze Europas bzw. einer »europäischen Zivilisation« gegenüber einer »balkanischen Kultur« zu verteidigen. Nun lässt sich aus historiographischer Sicht diese Dichotomisierung in ihrer historischen Bedeutung relativieren. Forschungen zu diesen »imperial borderlands«38 zwischen Habsburgischem und Osmanischem Reich bzw. zum sogenannten Triplex Confinium zwischen Habsburgischem Reich, Osmanischem Reich sowie der Venezianischen Republik zeigen, wie sich hier auf allen Seiten der imperialen Grenzen spezifische (hier auch multikonfessionelle) Grenzordnungen und -gesellschaften etabliert hatten. Diese funktionierten stark aufeinander bezogen und waren geprägt von vielen Migrationen über die Grenzen hinweg.39 Auch gilt es infrage zu stellen, ob sich eine solche postulierte Dichotomie zwischen »europäischer« und »balkanischer Mentalität« (sofern eine derartige Gegensätzlichkeit real in den »imperial borderlands« etabliert war) auch noch über die Generationen nach der Auflösung dieser imperialen Grenze hinaus weiter »gehalten« hatte. Blickt man etwa – um nur ein Beispiel zu nennen – auf aktuelle Studien über jugoslawische Konsum- und Alltagskultur in den Jahrzehnten der sozialistischen Industrialisierung nach dem Zweiten Weltkrieg, so ist etwa in den »modernen Generationen« und ihren Modestilen oder Konsumbedürfnissen nichts von der genannten Gegensätzlichkeit zu bemerken.40 38 Für eine der neueren vergleichenden Arbeiten hierzu etwa Alfred J. Rieber: The Struggle for the Eurasian Borderlands. From the Rise of the Early Modern Empires to the End of the First World War. Cambridge 2014. 39 Drago Roksandić (Hg.): Microhistory of the Triplex Confinium. International Project Conference Papers (Budimpešta, 21-22. ožujka 1997). Budapest 1998; Ders. / Nataša Štefanec (Hg.): Constructing Border Societies on the Triplex Confinium. International Project Conference Papers (Graz, 9-12. prosinca 1998.). Budapest 2000. 40 Siehe etwa Igor Duda: U potrazi za blogostanjem. O povijesti dokolice i potrošačkog društva u Hrvatskoj 1950-ih i 1960-ih. Zagreb 2005; Ders.: Prona-

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Dennoch war die damals sehr stark von der kroatischen Regierungspropaganda und ihren Medien beförderte Dichotomie in der dramatischen Zeit der 1990er Jahre (und das gilt in mancherlei Hinsicht teilweise noch bis heute) für breite Teile der kroatischen Öffentlichkeit durchaus überzeugend. Um nachzuvollziehen, wieso dem so war, soll noch einmal auf den Geertz’schen Verweis auf das »selbstgesponnene Bedeutungsgewebe« verwiesen werden. Menschen verleihen ihrer sozialen Umgebung Bedeutung, so Geertz, indem sie auf unterschiedliche in ihrer Gesellschaft existente bzw. tief verankerte Sinnzusammenhänge in ihrem Denken und Handeln zurückgreifen. Auch über den oben diskutierten Begriff des »Wissensvorrats« lässt sich noch genauer die Prozesshaftigkeit (aber auch die Wechselhaftigkeit) solcher Sinnzusammenhänge konzeptionell nachvollziehen. Diskurse oder »Propaganda« haben wenig Kraft, wenn diese nicht an so etwas wie einen aktivierbaren bzw. auch emotional besetzbaren »Wissensvorrat« anknüpfen können. Dieses Aktivieren wird dabei in der Regel plausibel gemacht, indem eine Polarisierung von »insidern« und »outsidern« diskursiv forciert und rezipiert wird. Besonders in Krisenzeiten wird dabei eine »outside world« für die gerade schwierige eigene Lage als verantwortlich inszeniert. In der Regel wird diese Außenwelt dann auch als »kulturell anders« verstanden. Am Beispiel einer europäischen/habsburgischen Lebensart und »Zivilisiertheit« vis-à-vis einer diese bedrohenden »balkanischen« bzw. »gewalttätigen« Mentalität ergab eine solche Lesart in den Kriegsjahren der 1990er Jahre für viele Menschen im damaligen Kroatien sehr viel Sinn. Wenn wir nun aber wieder zu der Frage der Grenzen eines kroatischen Staates zurückkehren, so erhielten diese durch die ausgeführten Mechanismen von propagandistisch inszenierter Nostalgie und einer systematischen Aktualisierung einer im gesellschaftlichen Wissensvorrat existenten und nun neu adaptierten bzw. rationalisierten Aufladung von »innen« vs. »außen« neue Bedeutung. Als im Frühjahr / Sommer 1995 nach zwei großen Militäroffensiven die »Republik Serbische đeno blagostanje. Svakodnevni život i potrošačka kultura u Hrvatskoj 1970ih i 1980-ih. Zagreb 2010; Hannes Grandits / Karin Taylor (Hg.): Yugoslavia’s Sunny Side. A History of Tourism in Socialism (1950s–1980s). Budapest / New York 2010; Breda Luthar / Maruša Pušnik (Hg.): Remembering Utopia. The Culture of Everyday Life in Socialist Yugoslavia. Washington 2010; Patrick Hyder Patterson: Bought and Sold. Living and Losing the Good Life in Socialist Yugoslavia. Ithaca / NY/London 2011; Radina Vučetić: Koka-kola socijalizam. Amerikanizacija jugoslovenske popularne kulture šezdesetih godina XX veka. Beograd 2012.

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Krajina« kollabierte (und weit über hunderttausend Menschen, fast die ganze Bewohnerschaft der »Serbischen Krajina«, vor den vorrückenden kroatischen Armeen in Richtung Serbien und Bosnien flüchteten41), erlangte die mittlerweile international als souveräner Staat anerkannte Republik Kroatien unter der Führung von Franjo Tuđman wieder ihre territoriale Integrität. Auch in Kroatien waren die Grenzen des Staates nach dem Prinzip des uti possidetis international anerkannt worden, d. h. die Verwaltungsgrenzen der sozialistischen Teilrepublik Kroatien wurden 1991 /92 zu internationalen Staatsgrenzen. Bei genauer Betrachtung entsprach die südliche Grenze (gegenüber Bosnien) auch eben jener alten Grenze von habsburgischem und osmanischem Imperium. In diesem Sinne wurde sie nun auch weiter im öffentlichen, politischen und intellektuellen Diskurs von vielen Akteuren symbolisch konnotiert. Dass diese »alte Grenze« schon Jahrzehnte vor dem Zweiten Weltkrieg und noch mehr in sozialistischer Zeit in ihrer »historischen« oder alltagskulturellen Relevanz immer mehr an Bedeutung verlor, verblasste in ihrer rezenten historischen Inszenierung wieder. Nun rückte die »imperiale Grenze« wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein. Das Phantom einer (europäischen Zivilisations-)Grenze verband sich – zumindest in der propagandistischen Inszenierung der 1990er Jahre – mit der »Wiederkehr« und kulturellen Aufladung einer neuen, aber eigentlich und zunehmend als »sehr alt« gedachten und somit als »logisch« empfundenen Staatsgrenze, obwohl diese als solche in den Jahrzehnten des jugoslawischen Selbstverwaltungssozialismus in dieser Diktion für die meisten Menschen gar keinen Sinn mehr gemacht hatte.

Epirus vs. Çamëria im griechisch-albanischen Grenzraum Das »Wiederauftauchen« von »Phantomgrenzen« sollte man aber alles andere als eine Entwicklung verstehen, die allein von der historischen Existenz alter imperialer Grenzen abhängig ist. Dies soll an der nun folgenden Fallstudie näher erläutert werden. Die griechisch-albanische Staatsgrenze, der wir uns im zweiten Fallbeispiel zuwenden, war bis 1990 /91 eine der am schärfsten bewachten Grenzen des Kalten Krie41 Für eine Veranschaulichung der damaligen Situation etwa Norbert MappesNiedieck: »Ethnische Selbstsäuberung?« Der Exodus der Serben aus Kroatien vom 4. bis 8. August 1995, in: Südosteuropa. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft 44 (1995) 9-10, S. 585-592.

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ges. Auf albanischer Seite bestand in den Jahrzehnten des Sozialismus ein ausgeklügeltes und immens restriktives System von militärischen Sperrzonen, Kontrollpunkten und administrativen Überwachungsmaßnahmen, die eine Überwindung der Grenze so gut wie unmöglich machten. Das änderte sich schlagartig im Winter 1990 /91, als mit dem albanischen Einparteienregime zugleich auch dessen Grenzkontrolleinrichtungen zusammenbrachen und eine Massenmigration über die Grenze von Albanien nach Griechenland in Gang kam. Die Stimmung dieses Winters schilderte ein Bewohner der südalbanischen Region Kurvelesh mit folgenden Worten: »Unter unseren Leuten gab es damals viel Bewegung: Viele sind auf einmal weggegangen. Wir haben uns dann natürlich überlegt, ob diese Leute, die jetzt weggehen, verrückt sind oder wir.«42 Auch in der Folgezeit war der Weg über diese einst unüberwindliche Grenze ein alltagsbestimmendes Element für zehntausende Menschen aus Albanien, die als Migranten begannen, in Griechenland Arbeit zu suchen. Von Seiten der griechischen Regierung wurde zwar versucht, dem mit einer Verstärkung von Kontrollen zu begegnen. Jedoch fassten die als sehr billige Arbeitskräfte schnell Beschäftigung findenden albanischen Migranten im Laufe der 1990er Jahre in unterschiedlichsten Segmenten des ökonomischen Lebens in Griechenland Fuß.43 In Albanien waren anfangs alle Kontrollsysteme zusammengebrochen und so versuchten die griechischen Behörden ihrerseits, soweit dies möglich war, die Grenze stärker zu sichern. Die illegale Immigration ließ sich aber nicht einmal ansatzweise eindämmen. Daher versuchte der Staat vor allem über die Vergabe von Visa, den Anteil der illegalen Grenzübertritte überschaubarer zu machen.44 Die Grenze an sich blieb allerdings weiter als Staatsgrenze von großer Bedeutung. Sie erhielt aber über die Jahre nicht nur eine neue Qualität, sondern auch eine zunehmend veränderte historisch-kulturelle Codierung.

42 Interview HG mit AK (Fterra, Sommer 1998). Siehe dazu auch: Hannes Grandits: Der Kampf um ein Visum: Alltagshintergründe südalbanischer Arbeitsmigration nach Griechenland, in: Karl Kaser / Robert Pichler / Stephanie Schwandtner-Sievers (Hg.): Die weite Welt und das Dorf. Migration in Albanien am Ende des 20.  Jahrhunderts. Wien / Köln / Weimar 2002, S. 188217. 43 Für unterschiedliche Aspekte der albanischen Migration in den 1990er Jahren vor allem Kaser / Pichler / Schwandtner-Sievers (Hg.): Weite Welt und das Dorf. 44 Grandits: Kampf um ein Visum, S. 201-211.

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Der Blick auf das Zusammenspiel von einer kollabierten Wissensordnung mit dem Aufkommen von diskursiv und politisch forcierten Nostalgien und einer in Gang gekommenen Aktualisierung bestimmter gesellschaftlicher Erfahrungen aus dem Wissensvorrat von Teilen der nordgriechischen bzw. südalbanischen Bevölkerung kann helfen zu verstehen, wie die bestehende Grenze in ein neues »historisches« Gegenwartsverständnis integriert wurde. Auf albanischer Seite verlor die zuvor über Jahrzehnte existente Ordnungsvorstellung des hoxhaistischen Sozialismus, der als »erster atheistischer Staat der Welt« eine kulturell einheitliche Arbeiterklasse etabliert sah, plötzlich jegliche Legitimität. Auch die Systemkonkurrenz des Kalten Krieges entsprach auf griechischer Seite als Orientierungsrahmen gegenüber dem albanischen Nachbarn nicht mehr der Realität. Blickt man darauf, welche Nostalgien in der Umbruchzeit der 1990er Jahre nun im Alltag aufkamen, nachdem die über Jahrzehnte des Kalten Krieges als unveränderlich vorgestellte Grenze plötzlich »offen« war, so lassen sich vor allem zwei Projektionen erkennen. Die erste ist das Projekt eines griechischen Nordepirus (griech. Vóreios Ípeiros), das andere ist die Vorstellung von der Wiederkehr einer albanischen Çamëria. Beide hatten eine Lobby und Fürsprecher und beide wurden durchaus alltagswirksam. Das Projekt Nordepirus war die Vorstellung, dass größere Teile Südalbaniens mit seinem griechischsprachigen und/oder orthodoxen Bevölkerungsanteil eigentlich als nördlicher Bestandteil einer größeren griechischen Region Epirus zu verstehen seien. Eine Region Epirus gab es bereits in der Antike, allerdings war dieser Regionsbezug über die Epochen verblasst. Vor allem in den osmanischen Jahrhunderten (dieses Gebiet zählt zu jenen Teilen des Balkans, die am längsten unter osmanischer Herrschaft standen, d. h. vom 15. Jahrhundert bis zu den Balkankriegen von 1912 /13) war dieser Regionsbezug in der Verwaltungspraxis und in den Raumvorstellungen der Menschen verloren gegangen. Epirus tauchte jedoch im Zuge der griechischen Nationalbewegung im 19. Jahrhundert wieder auf, zunächst als gelehrter und politischer Begriff, schließlich dann auch als irredentistisches Ziel.45 Als 1912 /13 die osmanische Herrschaft auf dem Balkan ein Ende fand, etablierte das Königreich Griechenland nach Gebietseroberungen in den Balkankriegen wieder seine Herrschaft über eine 45 Hier insbesondere die Arbeit von Oliver Jens Schmitt: Epirus, in: Michael Metzeltin / Oliver Jens Schmitt / Thede Kahl (Hg.): Das Südosteuropa der Regionen. Wien 2015 (im Erscheinen), S. 562-612.

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Region Epirus und machte sie auch zu einer regionalen Verwaltungseinheit – allerdings ohne die ebenfalls beanspruchten nördlichen Teile. Diese wurden Bestandteil eines 1912 /13 unabhängig gewordenen Albaniens.46 Die griechischen Ansichten, dass Nordepirus vor allem griechisch und orthodox sei, wurden von den albanischen politischen Eliten nicht geteilt. Für diese handelte es sich vor allem um albanisches Siedlungsgebiet. Ganz im Gegenteil stellten manche albanische politische Aktivisten entschiedene Ansprüche auf die Gebiete südlich der 1912 /13 gezogenen Grenze, die aus der Sicht der albanischen Irredenta einst vor allem von einer südalbanischen Bevölkerung bewohnt gewesen sei, die man als Çamen verstand.47 Aussagen darüber, inwieweit die jeweiligen ethno-nationalen Ansprüche auch vor Ort eine reale Entsprechung hatten, sind nicht einfach. Jens Oliver Schmitt kommt in einem jüngst erarbeiteten Beitrag über die Region Epirus zu folgender Einschätzung: »Die Analyse des Epirus-Diskurses ist zugleich auch die Geschichte der äußerst komplexen Herausbildung nationaler Identitäten in diesem Raum, ein Vorgang, der sich im 19. und 20. Jahrhundert zunehmend verstärkte, im Falle der Albaner seinen Höhepunkt aber erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts erreichte. Akteure in diesem Prozesse waren die beiden Staaten – Griechenland seit 1830, Albanien seit 1912 – parastaatliche Organisationen wie Vereine, Organisationen und Guerillaverbände, Intellektuelle und Diasporagruppen, um nur die wichtigsten zu nennen. Gerade in Epirus verlief die Trennung in konkurrierende nationale Großgruppen aufgrund der starken kulturellen, sozialen und mentalen Nähe der regionalen Bevölkerung alles andere als leicht und eindeutig.«48 Während der beiden Weltkriege bzw. dann im Griechischen Bürgerkrieg wurde die albanisch-griechische Grenze wiederholt verschoben und das Gebiet zu einem militärisch erbittert umkämpften Raum. Im Zweiten Weltkrieg etablierte sich unter der Kuratel des faschistischitalienischen Bündnispartners ein Großalbanien in der Region.49 Zeit46 Zur Formierung dieses albanischen Staatswesens insbesondere Nathalie Clayer: Aux origines du nationalisme albanais. La naissance d’une nation majoritairement musulmane en Europe. Paris 2007. 47 Dies.: L´albanisation de la zone frontière albano-grecque et ses aléas dans l’entre-deux-guerres, in: Südost-Forschungen 68 (2009), S. 328-348. 48 Schmitt: Epirus, S. 2-3. 49 Etwa Hubert Neuwirth: Widerstand und Kollaboration in Albanien zur Zeit

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weise erreichte aber die griechische Armee wiederum militärische Erfolge und kontrollierte übergangsweise Teile des südalbanischen Raums bzw. den Nordepirus. Letztlich war der griechisch-albanische Grenzraum auch einer der Schauplätze des griechischen Bürgerkrieges in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre. Im Zuge der traumatischen Kriegsereignisse kam es damals zu systematischen Vertreibungen. In diesem Zusammenhang mussten auch die meisten Çamen (unter ihnen waren nicht wenige Besitzer größerer Landgüter) den griechischen Epirus bzw. die Çamëria in Richtung Albanien verlassen. Allerdings galten sie dort den nun an die Macht gekommenen albanischen Kommunisten unter Enver Hoxha vielfach als »faschistische Kollaborateure«, blieben vor allem im südlichen Landesteil (nun aber nördlich der Grenze) angesiedelt und wurden vom hoxhaistischen Regime als unzuverlässige Elemente behandelt.50 In den Friedensregelungen nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Grenze genau so wieder gezogen, wie sie 1912 /13 einst eingerichtet worden war. Mit der oben angesprochenen Etablierung des strikten Grenzregimes stabilisierte sich die bis dahin heiß umkämpfte Grenze. Im aufkommenden Kalten Krieg verloren die irredentistischen Projekte Nordepirus bzw. Çamëria immer mehr an öffentlicher Bedeutung. Die griechisch-albanische Grenze wurde zu einer Grenze unterschiedlicher politischer Systeme und – wie schon erwähnt – zu einer der rigidesten Grenzen des Kalten Krieges. Sie galt als unverrückbar. Als dann 1990 /91 diese Systemgrenze plötzlich kollabierte, kehrten die »Phantome« Nordepirus und Çamëria als nostalgische Inszenierungen nach Jahrzehnten plötzlich wieder zurück ins politische und gesellschaftliche Leben. Emotional angefacht wurden die jeweiligen Diskurse von orthodoxen Kirchenleuten, nationalistischen Parteien, Vereinen oder Vertriebenenorganisationen, z. T. auch von verschiedenen Behörden oder diplomatischen Vertretungen Griechenlands, bald auch Albaniens.51 Nostalgische Diskurse (über einen griechischen Epirus, wo nun die Griechen sich nicht mehr einer fremden Macht zu unterwerfen hätten, oder über eine albanische Çamëria, wo die alte der faschistischen Besatzung (1939-1944). Eine historische Analyse des kulturellen Musters von Freund und Feind. Diss. Phil. Graz 1995; Beqir Meta: Greek-Albanian tension 1939-1949. Tirana 2006. 50 Georgia Kretsi: Verfolgung und Gedächtnis in Albanien. Eine Analyse postsozialistischer Erinnerungsstrategien. Wiesbaden 2007, S. 48-68. 51 Gleiches gilt auch für mehr oder weniger nationalistische Plattformen im Netz. Siehe exemplarisch http://www.cameriaime.com/ (20. 10. 2014); http:// www.hellas.org/nepirus/ (22.05.2015).

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Heimat und der einstmalige Wohlstand von »früher« zurückkehren könnten) verknüpften sich mit verschiedenen Phänomenen von neu inszenierter »historischer Erfahrung« eines »früheren Lebens«. Letzteres entwickelte sich z. B. besonders stark in Kreisen der Nachfahren der çamischen Vertriebenen, die so auch Ansprüche auf die Restitution von Eigentum, die Gewährung von Rechten, Visa u. a. m. begründeten. An dieser Stelle kann nicht auf all die verschiedenen Facetten dieses Prozesses eingegangen werden. Zwei Bezugnahmen auf eine wiedergekehrte »Präsenz« eines Nordepirus bzw. einer Çamëria im Alltag vieler Menschen sollen allerdings veranschaulichen, in welcher Hinsicht dies in der Umbruchzeit der 1990er Jahre tatsächlich im Alltag der Menschen vonstattengehen konnte. Die erste Bezugnahme betrifft die Politik der griechischen Steuerung der albanischen Massenimmigration in den 1990er Jahren. Diese bediente sich der Ausstellung von Visa, um Migration und den Aufenthalt in Griechenland legal möglich zu machen bzw. zu kontrollieren. Daneben gab es häufige Razzien, in denen »illegale« Zuwanderer aufgegriffen und wieder zurück nach Albanien abgeschoben wurden. Um dieser Erfahrung zu entgehen, bemühten sich die Migranten/innen aus Albanien, einen durch ein Visum gesicherten legalen Aufenthaltsstatus zu erlangen (insbesondere, wenn sie auch die Familie bereits nach Griechenland nachgeholt, eine Wohnung gemietet oder gar schon Kinder in der Schule in Griechenland hatten). Die Visaausstellung, die man in den griechischen Konsulaten in Albanien zu beantragen hatte, verlief jedoch anfangs nach einer ausdifferenzierten Abstufung, die ein Interviewpartner 1997 für das Konsulat in Gjirokastër folgendermaßen versuchte zu vermitteln: »De jure spielt es keine Rolle, welchen Namen du hast, aber de facto schon. Im Prinzip kannst du das so sehen: Mit einem muslimischen Namen bekommst du hier im Süden ein Visum für vier Monate, wenn überhaupt; mit einem orthodoxen Namen ein Visum für ein Jahr und wenn man von der griechischen Minderheit ist, gleich eines für mehrere Jahre.«52 Die hier beschriebene Bevorzugung von griechischen Minderheitsangehörigen bzw. von orthodoxen Antragstellern war ein alltagsbestimmendes Faktum der 1990er Jahre. Es hatte unter anderem zur Folge, dass selbst sehr viele jener albanischen Antragsteller, die gar 52 Grandits: Kampf um ein Visum, S. 206.

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nicht zur griechischen Minderheit gehörten und/oder orthodox waren, sich bei ihren Standesämtern in Albanien Papiere besorgten, in denen ihre Namen dann griechisch und/oder orthodox (bzw. nichtmuslimisch oder albanisch) verzeichnet waren. Es zirkulierten zudem auch von griechisch-nationalistischen Kreisen akzeptierte »Nordepirus«-Ausweise, die dem jeweiligen Träger eine in dieser Hinsicht »klare« pro-griechische Gesinnung bestätigen sollten. Das Projekt Nordepirus – und das sollte zumindest im Ansatz veranschaulicht werden – war kein diskursives Phänomen allein, sondern hatte auch Wirkung selbst für die persönliche Sphäre der eigenen Namensgebung und einer auch national vorangetriebenen/eingeforderten Identifizierung. Nordepirote war auch jene immer stärker im Alltag benutzte Fremdbezeichnung für albanische Migranten/innen im griechischen Epirus, die allerdings so auch von einer Vielzahl der Migranten/innen selbst benutzt wurde und bis heute noch wird (allerdings nur im griechischen Alltag).53 Vergleichbare Prozesse spielten sich auch mit Bezug auf die Entwicklung einer »Çamëria-Frage« in Albanien ab. Es handelt sich hierbei um das Aufkommen eines Diskurses, der in den 1990er Jahren in erster Linie von jenen Vertriebenen und ihren Nachkommen immer stärker in die Öffentlichkeit getragen wurde, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem heutigen griechischen Epirus bzw. aus ihrer Sicht aus der Çamëria vertrieben worden waren. Mit der Öffnung der Grenze stellten Vertreter von Vertriebenenorganisationen mehr oder weniger offen formulierte Ansprüche auf ihr in Griechenland (in der Çamëria) liegendes Eigentum. Diese Forderungen wurden später auch von einer der großen albanischen Volksparteien, der Demokratischen Partei, in ihre Wahlkampfrhetorik aufgenommen und erhielten somit eine über die Gruppe der çamischen Vertriebenen hinausgehende Bedeutung. Wie Georgia Kretsi in ihrer Forschung über »Verfolgung und Gedächtnis in Albanien – Eine Analyse postsozialistischer Erinnerungsstrategien« über die »Wiederbelebung der çamischen Geschichte« detailliert beschreibt, wurde die Thematik der Vertreibung der Çamen 53 Sarah Green: Notes from the Balkans. Locating Marginality and Ambiguity on the Greek-Albanian Border. Princeton / New Jersey / Oxford 2005, S. 231 ff. Siehe auch Vassilis G. Nitsiakos: On the border. Transborder mobility, ethnic groups and boundaries along the Greek-Albanian frontier. Berlin 2010; Konrad Clewing: Zwischen Instrumentalisierung und Brückenfunktion. Die griechische Minderheit in Südalbanien als Faktor in der Albanienpolitik Athens, in: Südosteuropa. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft 44 (1995) 6-7, S. 413-432.

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aus Griechenland, die in Albanien in der sozialistischen Zeit einer »strukturellen Amnesie« unterlag, in den 1990er Jahren dann jedoch zunehmend zu einer – zumindest in Wahlkampfzeiten – lautstark verhandelten Frage. Dass damit die Frage einer »eigentlich richtigen Grenze« zwischen Griechenland und Albanien auch »historisch« (bzw. neu) imaginiert werden konnte, veranschaulicht auch diese kurze Interviewsequenz aus der Studie von Georgia Kretsi aus ihrem direkt an der Grenze gelegenen Feldforschungsort Konispol: »Die çamische Minderheit – ich komme zu dem Schluss – ist in Griechenland wegen der Grenzänderungen von 1912 geblieben. Denn unsere Grenze lag bei den drei schwarzen Steinen von Preveza. Sie lag nicht am Hügel von Likojanni wie heute …«54

Fazit In diesem Beitrag wurde versucht zu veranschaulichen, wie während des fundamentalen gesellschaftlichen Umbruchs der 1990er Jahre diskursiv inszenierte Nostalgien eine entscheidende Bedeutung im politischen Wettkampf für eine »unvermeidbare Neuausrichtung« nach dem Ende der sozialistischen Herrschafts- und Wissensordnung erlangten. Das hatte von Fall zu Fall eine andere Spezifik und situative Wirkungsmacht. Diese Wirkungsmacht hing eng damit zusammen, welche Situationen Menschen in den jeweiligen Gesellschaften zu bewältigen hatten. Dabei war auch relevant, wie sich die aktuellen Situationen der Gegenwart durch Rückgriffe auf in der Gesellschaft existente historische Erfahrungen erklären ließen. Ein »historischer Wissensvorrat« schien auf einmal mitentscheidend dafür zu sein, wie sich die zum Teil dramatischen Entwicklungen der Umbruchzeit deuten ließen, wie Akteure versuchten, neue Situationen erzählbar zu machen, indem sie diese in historische Sinnzusammenhänge stellten. Im Fallbeispiel Kroatiens erhielt im Abdriften in eine Kriegseskalation etwa die Aufladung einer einst imperialen habsburgisch-osmanischen Grenze zu einer »Zivilisationsgrenze« für viele Menschen wieder eine große Bedeutung. Im griechisch-albanischen Grenzraum engagierten sich in Zeiten einer neuen Massenmigration über eine zuvor fast undurchdringbare Staatsgrenze nicht wenige Menschen für

54 Kretsi: Verfolgung und Gedächtnis, S. 175.

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eine Wiederbelebung einer »historischen« Region Nordepirus oder Çamëria. In beiden Beispielen konnten längst vergangene »historische« Grenzziehungen im Raum wieder zu realen Bezugsgrößen für die Weltsicht vieler Menschen werden – konnten so manche »Phantomgrenzen« wieder »auftauchen«. Rechtlich entscheidend blieben zwar, betrachtet man die Entwicklungen seit den 1990er Jahren, dennoch die zu Beginn des Kalten Krieges etablierten Grenzen, wo über die aufs Neue dominant gewordene Anwendung des staatsrechtlichen Prinzips von uti possidetis allerdings viele innerstaatliche, föderale Grenzen zu Staatsgrenzen aufgewertet wurden. Über den Bezug auf eine reale bzw. z. T. auch imaginierte Vergangenheit entwickelte sich mit Blick auf die Räumlichkeit und Grenzen mit der Zeit jedoch eine neue »post-sozialistische« Wissensordnung. In dieser scheinen Grenzen nun vor allem als »historisch« zu begründende Tatsachen aufgefasst zu werden.

Claudia Kraft Phantomgrenzen und Zeitschichten im Postsozialismus Ist der Postsozialismus postkolonial?

Der vorliegende Beitrag diskutiert die Weiterentwicklung der area studies unter Einbeziehung postkolonialer Forschungsansätze. Zu diesem Zweck sollen Raum- und Zeitvorstellungen kombiniert werden, um zu einem neuen Verständnis der area studies zu kommen. Dabei wird es nicht darum gehen, lediglich diese Forschungsansätze auf das östliche Europa »anzuwenden«, sondern herauszuarbeiten, dass die auf Osteuropa bezogene Regionalforschung zu deren Schärfung beitragen kann.1 Auf das Konzept der Phantomgrenzen bezogen, bedeutet das konkret: Raumkonzepte implizieren auch immer spezifische Vorstellungen historischer Zeiten. So ist etwa der »Postsozialismus« sowohl räumlich als auch zeitlich markiert: Als Zeitraum wird er in Übergangsnarrative vom Sozialismus hin zu »Demokratie und Marktwirtschaft« eingebettet, verortet wird er in einem traditionell und bereits lange vor der Spaltung Europas durch den »Kalten Krieg« als 1 Die Betrachtung des Postsozialismus in postkolonialer Perspektive wird in den Kultur- und Sozialwissenschaften seit einigen Jahren diskutiert, wobei immer wieder vor einer bloßen »Übertragung« postkolonialer Theorien gewarnt und vielmehr auf den Mehrwert der kreativen Anverwandlung postkolonialer Perspektiven für postsozialistische Forschungskontexte hingewiesen wird, so etwa bei Alison Stenning / Kathrin Hörschelmann: History, Geography and Difference in the Post-socialist World: Or, Do We Still Need Post-Socialism?, in: Antipode 40 (2008) 2, S. 312-335; Sharad Chari / Katherine Verdery: Thinking between the Posts: Postcolonialism, Postsocialism, and Ethnography after the Cold War, in: Comparative Studies in Society and History 51 (2009) 1, S. 6-34, hier S. 18; Radim Hladík: A Theory’s Travelogue: Postcolonial Theory in Postsocialist Space, in: Teorie Védy / Theory of Science 33 (2011) 4, S. 561-590; vor übereiltem Theorietransfer warnt auch Anna Veronika Wendland: Imperiale, koloniale und postkoloniale Blicke auf die Peripherien des Habsburgerreiches, in: Claudia Kraft / Alf Lüdtke / Jürgen Martschukat (Hg.): Kolonialgeschichten. Regionale Perspektiven auf ein globales Phänomen. Frankfurt a. M./New York 2010, S. 211-235, hier S. 229-232; grundlegende Überlegungen zum Theorietransfer aus dem, in das sowie innerhalb des östlichen Europas bei Dietlind Hüchtker / Alfrun Kliems (Hg.): Überbringen – Überformen – Überblenden. Theorietransfer im 20. Jahrhundert. Wien / Köln / Weimar 2011.

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»rückständig« wahrgenommenen »Osten«. Dieser unklar definierte, auf den Epochenumbruch von 1989 folgende Zeitraum soll im Text darauf befragt werden, welche raumzeitlichen Verortungen – etwa postimperialer, postsozialistischer oder postnationaler Natur – von den Akteuren vorgenommen wurden und mit welchen Praktiken und Diskursen sie sich auf ältere räumliche Konstellationen bezogen. Einzuordnen sind diese Fragen in eine Debatte der radical geography, die sich gegen eine dichotome Gegenüberstellung von Raum als statisch und Zeit als dynamisch wendet und stattdessen einfordert, diese beiden Kategorien als sich gegenseitig konstituierend zu betrachten, oder wie Doreen Massey formuliert: »Räumliche Formen können die zukünftige Entwicklung jener Geschichte/n verändern, die sie hervorgebracht haben.«2 Im Folgenden soll das östliche Europa als Forschungsgegenstand von area studies und neuer Globalgeschichte in seiner spezifischen räumlichen Verfasstheit in den Blick genommen und daraufhin befragt werden, inwieweit es zu einer Dezentrierung (west-)europazentrischer Sichtweisen beitragen kann. Dabei geraten vor allem konventionelle Raum- und Zeitvorstellungen und der Mehrwert postkolonialer Forschungsperspektiven in den Blick. In Auseinandersetzung nicht nur mit zeithistorischer, sondern vor allem auch neuerer sozialanthropologischer und ethnologischer Forschung wird schließlich der Postsozialismus als ein Handlungs- und Erfahrungsraum betrachtet, für den spezifische Raum- und Zeitvorstellungen charakteristisch sind.

ZeitRäume im östlichen Europa Der spatial turn in den Kulturwissenschaften mag gerade für Regionen wie das östliche Europa, in denen die Idee historischen »Fortschritts« verräumlicht wurde, problematisch erscheinen, weil damit die Gefahr verbunden ist, dass jene Regionen essentialistisch verstanden und als rückständig kategorisiert werden. Zugleich bietet die Auseinandersetzung mit Rückständigkeitsdiskursen in den area studies jedoch einen guten Ansatzpunkt, um die Beziehung von Raum und Zeit genauer zu betrachten. Hellsichtig schreibt etwa Sorin Antohi über die Reisenden, die seit dem 18. Jahrhundert zur Verfestigung der Vorstellungen 2 Doreen Massey: Politik und Raum / Zeit, in: Bernd Belina / Boris Michel (Hg.): Raumproduktionen. Beiträge der Radical Geography. Eine Zwischenbilanz. Münster 2008, 2. Aufl., S. 111-132, hier S. 132.

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von Modernität bzw. Rückständigkeit beitrugen, sie seien »transcultural travelers – who sometimes seem to be time travelers«3. Darüber hinaus bietet die Untersuchung von Grundlagen und Diskursivierung dieses Fortschrittsnarratives eine hervorragende Möglichkeit, Osteuropa als Teil einer Globalgeschichte zu begreifen, worauf etwa Jürgen Osterhammel hinweist, wenn er Zeitvorstellungen als ein besonders geeignetes Beispiel für global angelegte interkulturelle Vergleiche benennt und konstatiert, dass gerade die Zeitvorstellungen der europäischen Geschichtsphilosophie seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts nicht nur asiatische, sondern auch andere »geschichtslose« Völker wie die Slawen aus dem europäischen »Zeitraum«, der durch ein lineares Fortschrittsnarrativ gekennzeichnet war, ausgeschlossen hatten.4 Frank Hadler und Matthias Middell deuten solche Befunde geteilter europäisch–außereuropäischer Problemlagen als Beleg für die wichtige Scharnierfunktion, die die Geschichte des östlichen Europas zwischen »transnationaler Geschichte westlichen Zuschnitts und der Koalition aus Globalgeschichte und area studies« bilden könnte.5 Für eine konsequente Integration des östlichen Europas in die Globalgeschichte spricht auch die räumliche Verfasstheit dieser Region. Erneut sei hier auf Osterhammel verwiesen, der die Beziehung von Peripherien und Zentren als »die wichtigste räumliche Konfiguration« im 19. Jahrhundert bezeichnet und dabei die Aufmerksamkeit auf Imperien als die »größten und wichtigsten Akteure« lenkt.6 Ohne Zweifel sind Imperien für das gesamte östliche Europa bis 1918 der bestimmende territoriale Ordnungsrahmen, der – und das ist für das Forschungskonzept der Phantomgrenzen von Bedeutung – auch nach dem Zusammenbruch des Habsburgischen, des Osmanischen und des Russischen Reiches bzw. dessen Transformation in ein sowjetisches Imperium weiterhin wirkmächtig bleibt. Hier schlägt sich das Palimpsesthafte nieder, die Überlagerung von aufeinanderfolgenden imperialen Herrschaftsbeziehungen: etwa im Falle der Ruthenen bzw. Ukrainer Galiziens die österreichischen, polnischen, sowjetischen oder im Falle des heute weißrussischen Grodno die russischen, 3 Sorin Antohi: Habits of the Mind. Europe’s Post 1989 Symbolic Geographies, in: Sorin Antohi / Vladimir Tismaneanu (Hg.): Between Past and Future. The Revolutions of 1989 and Their Aftermath. Budapest 2000, S. 61-77, hier S. 64. 4 Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. München 2009, S. 118 f. 5 Frank Hadler / Matthias Middell: Auf dem Weg zu einer transnationalen Geschichte Ostmitteleuropas, in: Comparativ 20 (2010) 1-2, S. 8-29, hier S. 25. 6 Osterhammel: Verwandlung, S. 131 und S. 146.

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polnischen und sowjetischen Überlagerungen – und in beiden Fällen die nachhaltige Erfahrung mit deutscher Besatzungsherrschaft in den beiden Weltkriegen.7 Auffällig ist, dass postkoloniale Perspektiven, die vor allem nach den Wechselwirkungen zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten und nach der Aufweichung dichotomer Gegenüberstellungen fragen, bislang vor allem für die Habsburgermonarchie vorliegen. Das »sanfte Imperium« der Habsburger, das seit 1867 zumindest im Hinblick auf die cisleithanische Reichshälfte nach Wegen suchte, um die Vielfalt zu ordnen, stellt augenscheinlich ein ergiebiges Forschungsfeld für die postcolonial studies dar. So verweisen Autoren besonders auf den Aspekt der Interaktionsbeziehungen zwischen Herrschenden und Beherrschten, auf die vielfältigen Aneignungsprozesse, die in diesem Beziehungsgeflecht stattfanden, sowie auf die Ambivalenzen, die aus dem Versuch, die Vielfalt des Imperiums zu regulieren, erwuchsen.8 Auch das Russische und ebenso das Deutsche Reich, das zwar nicht im klassischen Sinne als Imperium bezeichnet werden kann, nichtsdestotrotz aber mit der polnischen Bevölkerung im preußischen Osten über eine demographische Struktur verfügte, die die Vorstellung vom ethnokulturell homogenen Nationalstaat nachhaltig herausforderte, eignen sich für die Erprobung postkolonialer Perspektiven. Es lässt sich die interessante Beobachtung machen, dass ähnlich wie im Falle der auf außereuropäische Regionen bezogenen Forschungen auch hier durchaus unterschiedliche interpretative Rahmungen zutage treten. So fokussiert die US -amerikanische Litera7 Zu Galizien siehe Anna Veronika Wendland: Galizien postkolonial? Imperiales Differenzmanagement, mikrokoloniale Beziehungen und Strategien kultureller Essentialisierung, in: Alexander Kratochvil et al. (Hg.): Kulturgrenzen in postimperialen Räumen. Bosnien und die Westukraine als transkulturelle Regionen. Bielefeld 2013, S. 19-32; Klemens Kaps / Jan Surman (Hg.): Postcolonial or Post-colonial? Post(-)colonial Perspectives on Habsburg Galicia, in: Historyka. Studia Metodologiczne 42 (2012), S. 7-35; zum galizischen Lemberg auch Christoph Mick: Kriegserfahrungen in einer multiethnischen Stadt. Lemberg 1914-1947. Wiesbaden 2010; zu Grodno Felix Ackermann: Palimpsest Grodno. Nationalisierung, Nivellierung und Sowjetisierung einer mitteleuropäischen Stadt, 1919-1991. Wiesbaden 2010. 8 Johannes Feichtinger: Habsburg (post)-colonial. Anmerkungen zur Inneren Kolonisierung in Zentraleuropa, in: Johannes Feichtinger / Ursula Prutsch / Moritz Csáky (Hg.): Habsburg postcolonial. Machtstrukturen und kollektives Gedächtnis. Innsbruck / Wien / München / Bozen 2003, S. 13-31; Clemens Ruthner: K. u.K. Kolonialismus als Befund, Befindlichkeit und Metapher: Versuch einer weiteren Klärung, in: Ebda., S. 111-128; Endre Hárs et al.: Zentren peripher: Vorüberlegungen zu einer Denkfigur, in: Dies. (Hg.): Zentren, Peripherien und kollektive Identitäten in Österreich-Ungarn. Tübingen / Basel 2006, S. 1-15.

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turwissenschaftlerin Ewa Thompson vor allem antagonistische Beziehungen und anscheinend eindeutige Hegemonialverhältnisse, indem sie die russische Herrschaft im Hinblick auf die Stellung der nichtrussischen Bevölkerungsgruppen im Russischen Reich vor allem mit Fokus auf Russifizierung und diskursive Marginalisierung des »Anderen« untersucht.9 In ihrer Forschung entfaltet der postkoloniale Ansatz nicht so sehr sein kritisches Potential, sondern dient eher einer affirmativen und national enggeführten Geschichtspolitik. Die US amerikanische Historikerin Kristin Kopp liefert im Hinblick auf die deutsche Politik gegenüber den Polen im 19. Jahrhundert ein sehr viel differenzierteres Bild und bereichert damit die Forschungsdiskussion in den USA um eine Weltregion, die bis dato nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit der postcolonial studies stand. Doch bleiben bei ihr gewisse orientalisierende Sichtweisen bestehen und Rückwirkungen auf die deutsche Gesellschaft, die sich aus dem Kontakt mit der polnischen Bevölkerung ergaben, ein wenig unterbelichtet.10 Diese Wechselwirkungen untersucht etwa Philipp Ther, der aufzeigt, dass gerade diese Kontakte mit den »Alteritätspartnern« nachhaltig auf die Verfasstheit des Deutschen Reiches und seines Selbstverständnisses als Nationalstaat bzw. Imperium zurückwirkten.11 Die Analyse von Peripherie – Zentrums-Beziehungen gehört zu den zentralen Gegenständen der postcolonial studies, die zugleich aber die Verfestigung der sich in dieser Figur ausdrückenden Hegemonialbeziehungen durch ihre wissenschaftliche Beschreibung kritisieren.12 Eine differenzierte Verwendung des binären Modells von Peripherie und Zentrum und eine Verfeinerung der Forschungsfragen kann möglicherweise durch die Betrachtung des östlichen Europas erreicht wer9 Ewa Thompson: Imperial Knowledge. Russian Literature and Colonialism. Westport, Conn./London 2000. 10 Kristin Kopp: Germany’s Wild East. Constructing Poland as a Colonial Space. Ann Arbor 2012. 11 Philipp Ther: Deutsche Geschichte als imperiale Geschichte. Polen, slawophone Minderheiten und das Kaiserreich als kontinentales Empire, in: Sebastian Conrad / Jürgen Osterhammel (Hg.): Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871-1914. Göttingen 2004, S. 129-148. 12 Siehe das Lemma center/margin (periphery) in: Bill Ashcroft / Gareth Griffiths / Helen Tiffin: Post-Colonial Studies. The Key Concepts. London 2006, S. 36 f.; eine Kritik dichotomer Betrachtungsweisen gerade auch im Hinblick auf die Habsburgermonarchie bei Johannes Feichtinger: Komplexer k.u.k. Orientalismus: Akteure, Institutionen und Diskurse im 19. und 20. Jahrhundert in Österreich, in: Robert Born / Sarah Lemmen (Hg.): Orientalismen in Ostmitteleuropa. Diskurse, Akteure und Disziplinen vom 19.  Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg. Bielefeld 2014, S. 31-63, hier besonders S. 33-36.

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den, widersetzt sich dieses doch durch seine komplexe Struktur dichotomen Betrachtungsweisen. Hier sei auf die Janusköpfigkeit der Peripherie – Zentrums-Beziehungen verwiesen, wenn etwa die Peripherien (zum Beispiel Böhmen, Mähren und Schlesien in der Habsburgermonarchie) als moderner denn das Zentrum beschrieben werden können,13 oder auf die vielfältig gestuften Herrschaftsbeziehungen, die Formen von »Binnenkolonialismen« (wie im Falle der österreichisch-polnisch-ruthenischen Verhältnisse in Galizien) entstehen ließen.14 Eindimensionale Deutungen werden der Komplexität dieser imperialen und binnenkolonialen Gemengelage nicht gerecht. So überzeugt etwa die Analyse der Literaturwissenschaftlerin Ewa Thompson nicht, dass Russland als Kolonialmacht, gerade weil es sich der Überlegenheit der unterworfenen Völker etwa an seinen westlichen Peripherien bewusst war, diese in der russischen Literatur nur negativ verzerrt oder marginalisiert darstellte und damit alles Nichtrussische marginalisierte.15 Zum einen, weil die Autorin »Russland« mit dieser pauschalen Deutung selbst orientalisiert (indem sie immer wieder die Rückständigkeit des kolonialen Aggressors betont, der im Vergleich zu europäischen Kolonialmächten den Unterworfenen keine kulturell attraktiven Angebote machen konnte), zum anderen weil sie die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen russischen und nichtrussischen Bevölkerungsgruppen ausblendet, vor allem aber, weil sie übersieht, dass Russland keineswegs ein unangefochtenes Wissen – Macht-System etablieren konnte, sondern in einer schwachen epistemologischen Position gegenüber »Europa« war, weil auch die Polen, Balten etc. nachdrücklich durch ihre schriftstellerische Tätigkeit das Russlandbild in Europa prägten. Das Beziehungsgeflecht zwischen dem imperial überschichteten Mittel- und Osteuropa war ebenso komplex wie die Positionierung dieses Raums in einem kategorial übermächtigen »Europa«. So beschreibt etwa Joachim v. Puttkamer das Verhältnis des östlichen Europas zu Russland als zwischen »aggressiver Abwehr und emphatischer Zuwendung« pendelnd.16 Und 13 Robert Luft: Machtansprüche und kulturelle Muster nichtperipherer Regionen: Die Kernlande Böhmen, Mähren und Schlesien in der späten Habsburgermonarchie, in: Feichtinger / Prutsch / Csáky (Hg.): Habsburg postcolonial, S. 165-187. 14 Wendland: Blicke, S. 215-221. 15 Thompson: Imperial Knowledge, S. 18 f. und S. 74-81. 16 Joachim v. Puttkamer: Russland und das östliche Europa, in: Włodzimierz Borodziej / Joachim v. Puttkamer (Hg.): Europa und sein Osten. Geschichtskulturelle Herausforderungen. München 2012, S. 147-164, hier S. 151.

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auch literarische Bearbeitungen des Themas Russland – Osteuropa – Europa wie etwa in Joseph Conrads »Under Western Eyes« unterstreichen die Relevanz vielfältiger Verflechtungen. Der polnischbritische Autor Conrad funktionierte als »Übersetzer« russischer Angelegenheiten, die für (West-)Europa schwer zu verstehen waren. Dabei konstatierte er zwar eine europäische Überlegenheit, kritisierte jedoch zugleich die Unfähigkeit, jenseits der eigenen Wahrnehmungen / Kategorien andere Eigenschaften zur Kenntnis zu nehmen.17 Interessant wird das Thema gerade deshalb: Russland ist selbst marginalisiert, wird zum Kolonisator und sieht seit der petrinischen Zeit den Besitz von Kolonien im Osten des Reiches, die durch eine neue Form des mapping als äquivalent zu den überseeischen Kolonien der klassischen europäischen Kolonialmächte betrachtet werden, seine Europäizität bestätigt.18 Die beständigen Versuche der Verortung in Europa gehen einher mit Selbst-Okzidentalisierungen, die sich unter anderem darin niederschlagen, dass es in jedem politischen Gemeinwesen die Tendenz gibt, einen »eigenen Orient« auszudeuten, um für sich selbst Modernität und Europäizität zu reklamieren.19 Noch im Mitteleuropakonzept Milan Kunderas aus den 1980er Jahren zeigt sich, dass jenes sich Einschreiben in Europa mit der Exklusion des benachbarten »nicht-Europäischen« einherging.20 Die Grenze, die Europa in einen Westen und einen Osten teilt, ist somit eine ausgesprochen bewegliche, die Zuschreibungen für die beiden getrennten Territorien erscheinen jedoch erstaunlich stabil. Doch dies auch nur auf den ersten Blick: Folgt man etwa der Lektüre der Literaturwissenschaftlerin Maria Janion, die polnische literarische Texte auf ihre Positionierung des Landes innerhalb Europas befragt, entsteht daraus keineswegs ein eindeutiges Bild, sondern ein verwirrendes Mosaik, in dem die Polonisierung der Ostgebiete (kresy) einerseits als Zeichen der Europäisierung 17 Christiane Bimberg: Dialog mit Hindernissen. Verständnisschwierigkeiten zwischen West- und Osteuropa in Joseph Conrads Under Western Eyes, in: Elmar Schenkel / Hans-Christian Trepte (Hg.): Zwischen Ost und West. Joseph Conrad im europäischen Gespräch. Leipzig 2010, S. 149-162, S. 155 f. 18 Mark Bassin: Geographien imperialer Identität. Russland im 18. und 19. Jahrhundert, in: Kraft / Lüdtke / Martschukat (Hg.): Kolonialgeschichten, S. 236258, hier besonders S. 237-242; Ders.: Imperialer Raum / Nationaler Raum. Sibirien auf der kognitiven Landkarte Russlands im 19. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002) 3, S. 378-403. 19 Clemens Ruthner: Kakaniens kleiner Orient. Post/koloniale Lesarten der Peripherie Bosnien-Herzegowina (1878-1918), in: Endre Hárs et al. (Hg.): Zentren, S. 255-283; Ussama Makdisi: Ottoman Orientalism, in: The American Historical Review 107 (2002) 3, S. 768-796. 20 Antohi: Habits, S. 64 f.

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gedeutet, andererseits die »Kolonisierung« von ukrainischer oder weißrussischer Bevölkerung durchaus selbstkritisch vermerkt und positiv auf »östliche« Spuren in der polnischen Tradition Bezug genommen wird. Janion schlägt vor diesem Hintergrund vor, nicht weiter an der starren Aufteilung in Ost und West festzuhalten, sondern »über unseren Platz in Europa auf alternative Weise nachzudenken«, um auf diese Weise nicht in dem Angleichungsdiskurs an Europa gefangen zu bleiben.21 Sie beginnt ihr Nachdenken über »Polen in Europa« nicht von ungefähr mit der Figur der Grenze und deren permanenter Überschreitung, was sie für eine Abwendung von essentialistischen Kulturbegriffen und starren Raumverortungen plädieren lässt. Diese Interpretation erinnert an Jurij M. Lotman, für den grenznahe bzw. periphere Lagen ebenfalls positiv besetzt sind, da nur die Grenzräume aufgrund permanenter Vermischungen und den damit einhergehenden Notwendigkeiten von Übersetzungen kulturell produktiv seien, während vom »Zentrum« keine Impulse ausgingen.22 Das östliche Europa – und hier vor allem das östliche Mitteleuropa – kann sich über mangelnde »Peripherialität« nicht beklagen. Seit dem Aufstieg Russlands zu einem europäischen Imperium und vor allem seit seiner Umwandlung in das sowjetische Imperium befindet sich die Region in einer Lage der »in-between peripherality«23, in der es gleich zwei Zentren gibt, nämlich sowohl Westeuropa als auch die (ehemalige) UdSSR , von denen es beeinflusst wird, auf die es aber auch zurückwirkt. Ohne Zweifel ist (West-)Europa das dominantere Zentrum, gegenüber dem sich seine östlichen Peripherien beständig zu positionieren gezwungen sehen, wie zwei Beispiele belegen sollen. Eine Kritik der kategorialen Übermächtigung durch Europa hat bereits in den 1920er Jahren der russische Sprachwissenschaftler Nikolaj Trubeckoj (189021 Maria Janion: Polen in Europa, in: Claudia Kraft / Katrin Steffen (Hg.): Europas Platz in Polen. Polnische Europa-Konzeptionen vom Mittelalter bis zum EU-Beitritt. Osnabrück 2007, S. 31-66, hier S. 39; siehe dazu auch Alfred Sproede / Mirja Lecke: Der Weg der postcolonial studies nach und in Osteuropa. Polen, Litauen, Russland, in: Hüchtker / Kliems (Hg.): Überbringen, S. 27-66, hier besonders S. 38-42; Bronisław Bakuła: Kolonialne i postkolonialne aspekty polskiego dyskursu kresoznawczego (zarys problematyki), in: Teksty Drugie 6 (2006), S. 11-33. 22 Jurij Lotman: Der semiotische Raum / Der Begriff der Grenze, in: Ders.: Die Innenwelt des Denkens. Eine semiotische Theorie der Kultur. Berlin 2010, übers. v. Gabriele Leupold / Olga Radetzkaja, S. 163-190. 23 Dieses Konzept entwickelt Steven Tötösy de Zepetnek: Configurations of Postcoloniality and National Identity: Inbetween Peripherality and Narratives of Change, in: The Comparatist: Journal of the Southern Comparative Literature Association 23 (1999), S. 89-110.

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1938) formuliert, indem er den europäischen Blick auf die Welt kritisierte, der vornehmlich darin bestand, die Eigenarten, die nicht ins europäische Erkenntnisschema passten, zu ignorieren bzw. als »nichthistorisch« abzuwerten. Den Eurozentrismus der nichtslawischen Europäer kritisierend formulierte er: »Die europäische Kultur ist nicht die Kultur der Menschheit; sie ist das geschichtliche Erzeugnis einer bestimmten ethnischen Gruppe.«24 Der antikommunistische Emigrant Trubeckoj, der ein Anhänger der eurasischen Denkschule war, argumentierte aus einer kulturrelativistischen bzw. nativistischen Sicht heraus und sparte auch nicht mit biologischen Analogien, um den europäischen Überlegenheitsgestus zu denunzieren und die slawische Eigenständigkeit gegenüber den »Romanogermanen« zu betonen. Zwar weist Trubeckojs Kritik am Eurozentrismus gerade im Hinblick auf die diskursive Überwältigung eine erstaunliche Nähe zu den Konzepten heutiger Vertreter der postcolonial studies auf, doch warnen diese davor, quasi als Gegenreaktion auf jene Überwältigung durch das Zentrum in solche Muster der Essentialisierung des Eigenen bzw. in Nativismus zu verfallen. Vielmehr plädiert etwa Dipesh Chakrabarty als ein maßgeblicher Vertreter der kulturwissenschaftlich arbeitenden postcolonial studies für eine Abwendung von essentialistischen Kulturkonzepten, seien sie auf das Zentrum oder auf die Peripherien bezogen. Stattdessen fordert er, sich klarzumachen, dass Europa nur als Teil einer globalen Geschichte gedacht werden kann und dass gerade auch die Akteure außerhalb des europäischen Zentrums in ihrer permanenten Auseinandersetzung an der Erschaffung des Konstrukts »modernes Europa« beteiligt waren und sind.25 Maria Todorova macht zu Recht darauf aufmerksam, dass der Südost- und Osteuropaforschung bei der von Chakrabarty eingeforderten »Provinzialisierung Europas« eine wichtige Rolle zukomme: Mit der Einbeziehung der osteuropäischen Erfahrungen würde das übermächtige europäische Paradigma ausdifferenziert und in seiner historischen Gewordenheit

24 Nikolaj Trubeckoj: Europa und die Menschheit (1920), in: Ders./ Fedor B. Poljakov (Hg.): Russland, Europa, Eurasien. Ausgewählte Schriften zur Kulturwissenschaft. Wien 2005, S. 31-90, hier S. 37; dazu auch Eva-Maria Stolberg: Russland, Europa und Eurasien: Nikolaj S. Trubeckoj über Russlands »Sonderweg«, in: Themenportal Europäische Geschichte (2008), einsehbar unter: http://www.europa.clio-online.de/2008/Article=309 (22. 05. 2015). 25 Dipesh Chakrabarty: Europa provinzialisieren. Postkolonialität und die Kritik der Geschichte, in: Sebastian Conrad / Shalini Randeria (Hg.): Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften. Frankfurt a. M./New York 2002, S. 283-312, hier S. 306.

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deutlicher werden.26 Man könnte formulieren, dass mit dem postcolonial turn eine Umkehr der traditionellen Peripherie – Zentrum-Beziehungen stattfindet: Während im 19.  Jahrhundert etwa noch sehr oft »Europa« von der Peripherie aus als Einheit imaginiert und als Kommunikationsraum konzeptionalisiert wurde (etwa wenn in polnischen Zeitschriften von Theateraufführungen auf westeuropäischen Opernbühnen berichtet wurde und dies unter der Überschrift »Z Europy« (»Aus Europa«) geschah)27, kann eine postkoloniale Perspektive, die sensibel für die europäischen Binnendifferenzierung ist, zur Dezentrierung Europas beitragen. Das zweite Beispiel für die nachhaltige Definitionsmacht des europäischen »Zentrums«, diesmal aus Ostmitteleuropa, soll untermauern, dass es schwer möglich ist, Osteuropa von Europa oder von einem idealisierten »Westen« abzugrenzen, da diese räumlichen Konstrukte erst in ihrer permanenten Relationalität greifbar werden. In einem essayistischen Schlagabtausch zum »Prager Frühling« diskutierten die beiden Schriftsteller Milan Kundera und Václav Havel bereits kurz nach der Niederschlagung der Reformbewegung an der Jahreswende 1968 /69 über die politische Bedeutung des Reformversuchs. Während Havel darin lediglich eine »Rückkehr« zur demokratischen Realität des »Westens« erblicken wollte, bestand Kundera darauf, den »Prager Frühling« als ein Ereignis von weltgeschichtlicher Tragweite zu begreifen, als den einmaligen Versuch, den Herausforderungen der modernen Gesellschaft ein Programm entgegenzuhalten, das zugleich sozialistisch und demokratisch war.28 Wie in einem Brennglas werden hier die unauflöslichen Verflechtungen des Westens mit Osteuropa deutlich: Während Havel modernisierungstheoretisch eine »nachholende Revolution« erkannte (und damit die Deutung der Ereignisse der Jahre 1989 /90 im Sinne von Jürgen Habermas vorwegnimmt), be26 Maria Todorova: Nostalgia – the reverse side of Balkanism?, in: Borodziej / Puttkamer (Hg.): Europa und sein Osten, S. 61-74, hier S. 74. 27 Philipp Ther: The Transnational Paradigm of Historiography and Its Potential for Ukrainian History, in: Georgiy Kasianov / Philipp Ther (Hg.): A Laboratory of Transnational History. Ukraine and Recent Ukrainian Historiography. Budapest / New York 2009, S. 80-114, hier S. 103. 28 Siehe die Debatte in deutscher Übersetzung: Milan Kundera: Das tschechische Los. Der kritische Geist – oder von großen und kleinen Völkern in der Welt, in: Lettre International 80 (2008), S. 42-44 (Orig. Literární Listy 7-8 (1968)); Václav Havel: Ein tschechisches Los? Die Rückkehr zu Vergangenheit hat nur als Aufruf an die Gegenwart Sinn, in: Ebda., S. 45 f. (Orig. Tvář 4, vom 04. 03. 1969); Milan Kundera: Irrtümer, Hoffnungen. Über echten Kritizismus, Radikalismus und moralischen Exhibitionismus, in: Ebda., S. 47-49 (Orig. Host do domu 15, vom 09. 09. 1969).

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harrte Kundera auf einem eigenständigen Beitrag zur historischen Entwicklung, der aber nur in den Begriffen des »Westens« zu fassen war (und das »hyperreale Europa«29 gerade durch die behauptete Originalität erneut bekräftigte). Diese permanente Relationalität zum europäischen »Allgemeinen« lässt das heuristische Potential aufscheinen, das in den postcolonial studies steckt, die ähnlich wie die gender studies etliche Jahre zuvor zu einer Neukonzeptualisierung von Geschichte durch das Betonen von Relationalität beitragen und damit vielmehr eine spezifische Perspektive als einen festen Forschungsgegenstand bedingen.30

Ist der Postsozialismus postkolonial? Anlässlich der Debatte um die Zukunft der auf Osteuropa bezogenen Regionalforschung hatte Jörg Baberowski bereits im Jahr 1999 konstatiert: »Das Sowjetreich und der Kommunismus sind aus der Gegenwart verschwunden.«31 Diese These hat sich auch 25 Jahre nach dem Zusammenbruch des Kommunismus noch nicht bestätigt, sind doch die Nachwirkungen der vorangegangenen gesellschaftlichen und politischen Konstellation weiterhin in den Gesellschaften des östlichen Europas zu spüren. Doch sie spiegelt eine weit verbreitete Auffassung wider, nach der mit dem Jahr 1989 quasi eine neue Zeitrechnung beginnt bzw. ganz Osteuropa unter ein rigides System der Verzeitlichung gestellt wird, in dessen Rahmen alles Vorangegangene entwertet wird und alle weiteren Entwicklungen auf ein an westeuropäische Maßstäbe angelehntes Gesellschaftsmodell zulaufen. Dagegen hat der Sozialanthropologe Christian Giordano in seiner Kritik der Übertragung eines solchen »Transitions-Paradigmas« auf das östliche Europa bemängelt, dass der Sozialismus als »kollektiver Erfahrungsraum« 29 Chakrabarty: Europa, S. 306. 30 Claudia Kraft: Die Geschlechtergeschichte Osteuropas als doppelte Herausforderung für die »allgemeine Geschichte«, in: Themenportal Europäische Geschichte (2006), einsehbar unter: http://www.europa.clio-online.de/2006/ Article=171 (22. 05. 2015); Janusz Korek: Central and Eastern Europe from a Postcolonial Perspective, in: Postcolonial Europe, 27. 04. 2009, einsehbar unter: http://www.postcolonial-europe.eu/essays/60--central-and-eastern-europe-from-a-postcolonial-perspective.html (03. 12. 2014). 31 Jörg Baberowski: Das Ende der Osteuropäischen Geschichte. Bemerkungen zur Lage einer geschichtswissenschaftlichen Disziplin, in: Stefan Creuzberger et al. (Hg.): Wohin steuert die Osteuropaforschung? Eine Diskussion. Köln 2000, S. 27-42, hier S. 27.

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[kursiv im Original, C. K.] ausgeblendet werde und die Akteure mit ihrer sozialen bzw. lokalen Sinnproduktion keine Rolle mehr spielten.32 Giordano legt dar, dass der Staatssozialismus nicht einfach in einen Kapitalismus westlicher Prägung transformiert werde, sondern dass die Akteure »selbst gebastelte Strategien« entwickelten, um mit den Umbrüchen klarzukommen.33 Doch dieses Fortwirken des Alten im Neuen, das übrigens keineswegs eine statische Übertragung darstellt, wird in der westlichen Wahrnehmung nicht gesehen: Vielmehr wird den Revolutionen von 1989 /90 die Originalität abgesprochen, und die Zeit nach 1989 wird nicht als ein Zeitraum betrachtet, der einen Wert an sich hat, sondern lediglich als Übergangsphase. Mit der Lokalisierung »Osten« als einem Raum, der keine eigene Zeitlichkeit mehr besitzt, dem also nur noch das »Aufholen« gegenüber dem Westen bleibt, wird jegliche historische agency entwertet.34 In diesem Fall wird die Aufeinanderbezogenheit von räumlichen und zeitlichen Vorstellungen besonders deutlich. So hat der Ethnologe Michał Buchowski bei seiner Analyse sozialwissenschaftlicher Beschreibungen von ehemaligen Beschäftigten landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften in Polen, die klar zu den »Wendeverlierern« gezählt werden, herausgearbeitet, dass in der Zeit nach 1989 der »Andere« nicht mehr im »Osten«, also räumlich, sondern zeitlich markiert ist, als ein Überbleibsel der alten Zeit, unfähig sich den neuen Erfordernissen anzupassen bzw. am historischen Prozess teilzunehmen.35 Angesichts der epistemologischen Übermacht des westlichen Europas, das sich in diesem Narrativ der Verzeitlichung niederschlägt und das an koloniale Vorstellungen von einem »hyperrealen« sinnproduzierenden Zentrum und lediglich im Sinne eines »othering« gedachte Peripherien erinnert, liegt es nahe, postkoloniale Perspektiven auf das postsozialistische Osteuropa zu richten und danach zu fragen, inwieweit der Postsozialismus postkolonial ist.36 Wenn man die postkoloni32 Christian Giordano: Die postsozialistische Transition ist beendet, weil sie nie angefangen hat. Zur Archäologie eines gescheiterten Entwicklungsmodells. Braunschweig 2005, S. 16 f. 33 Ebda., S. 19. 34 Boris Buden: Zonen des Übergangs. Vom Ende des Postkommunismus. Frankfurt a. M. 2009, S. 63 f. 35 Michał Buchowski: The Specter of Orientalism in Europe: From Exotic Other to Stigmatized Brother, in: Anthropological Quarterly 79 (2006) 3, S. 463-482, hier S. 476. 36 David Chioni Moore: Is the Post- in Postcolonial the Post- in Post-Soviet? Towards a Global Postcolonial Critique, in: Gaurav Desai / Supriya Nair (Hg.): Postcolonialism. An Anthology of Cultural Theory and Criticism.

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ale Verfassung als eine Spannung zwischen dem Wunsch nach Autonomie bei gleichzeitigem Nachwirken der Abhängigkeitsgeschichte deutet, eine Spannung zwischen dem Wunsch nach Autochthonie und der Tatsache eines hybriden, teilweise kolonialen Ursprungs, zwischen Widerstand und Komplizenschaft und zwischen Imitation (Mimikry) und Originalität, wird deutlich,37 dass weder eine strikte Trennung zwischen der Zeit vor und der Zeit nach 1989 noch zwischen einem kapitalistischen West- und einem (post)sozialistischen Osteuropa sinnvoll ist. Nicht ohne Grund formuliert David Chioni Moore den Titel seines Aufsatzes »Is the Post- in Postcolonial the Post- in Post-Soviet« in Anlehnung an einen programmatischen Text der postcolonial studies, nämlich Kwame Anthony Appiahs Aufsatz: »Is the Post- in Postmodernism the Post- in Postcolonial?«38, in dem der Autor sich mit der Wahrnehmung afrikanischer Kunst durch westliche Betrachter auseinandersetzt und einfordert, jene nicht nur als Produzentin von »otherness« zu sehen, sondern als Trägerin von Bedeutung, welche erst durch den Austausch entsteht. Es ist genau dieses kritische Potential der postcolonial studies, das es ermöglicht, kulturelle Essentialisierungen – seien sie an räumliche (»Osten«) oder zeitliche Verortungen (»ehemals sozialistisch«) gekettet – zu dekonstruieren. Dabei sollte man nicht aus dem Auge verlieren, dass auch die postcolonial studies nicht gegen die Gefahr essentialisierender Sichtweisen gefeit sind. Von Beginn begleitet diese Forschungsrichtung die Kritik, dass durch das Beharren auf dem Eigenwert der kolonialen Peripherien gegenüber den politisch wie diskursiv übermächtigen Zentren europäischer Kolonialmacht einem kulturellen Essentialismus das Wort geredet werde, der deutlich hinter das bereits erreichte Reflexionsniveau in den Kulturwissenschaften zurückfalle.39 Auch im Hinblick auf die Adaption postkolonialer Ansätze in der auf OstNew Brunswick 2005, S. 514-538; Henry F. Carey / Rafal Raciborski: Postcolonialism: A Valid Paradigm for the Former Sovietized States and Yugoslavia?, in: East European Politics and Societies 18 (2004) 2, S. 191-235; Magdalena Kania: »Here comes the Rest«. A Sociological Perspective in Postcolonial Rethinking of the »Second World«, in: Postcolonial Europe, 15. 05. 2009, einsehbar unter: http://www.postcolonial-europe.eu/en/attitudes/85-herecomes-the-rest-a-sociological-perspective-on-postcolonial-rethinking-ofthe-second-world-the-case-of-poland.html (22. 05. 2015). 37 Chioni Moore: Post, S. 514 f. 38 Kwame Anthony Appiah: Is the Post- in Postmodernism the Post- in Postcolonial?, in: Critical Inquiry 17 (1991) 2, S. 336-357. 39 Siehe das Lemma essentialism/strategic essentialism in Ashcroft / Griffiths / Tiffin: Key Concepts, S. 77-80 oder Monica Junejas Kritik in: Debatte zum »Postkolonialismus« aus Anlass des Sammelbandes »Jenseits des Euro-

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europa bezogenen Forschung wurde dieser Vorwurf zuletzt formuliert.40 Diese ernstzunehmende Kritik sollte dennoch nicht davon abhalten, das postsozialistische Europa in eine globalgeschichtliche Betrachtung unter postkolonialen Vorzeichen miteinzubeziehen. Dabei ist es interessant, sich auf die Wege oder besser Abwege einer »metageography«41 oder »Three-Worlds ideology«42 zu begeben, in der die »zweite Welt« eine prekäre Zwischenstellung einnimmt. Bei Stephen Slemon etwa ist sie nicht der Ostblock, sondern es sind die »weißen« Siedlerkolonien wie Australien, Neuseeland, Kanada oder Südafrika.43 Schon im 19. Jahrhundert war das östliche Europa eine Leerstelle in der Beschreibung des imperialen europäischen Ausgreifens in die Welt geblieben.44 Und in jüngerer Vergangenheit scheint die ehemalige »zweite Welt« zur »non-region« geworden zu sein, nachdem der Systemkonflikt beendet wurde und die Prozesse von Demokratisierung und Europäisierung des postsozialistischen Raumes in Gang gekommen sind.45 Betrachtet man die Wahrnehmungen von »Dritter« und ehemaliger »Zweiter Welt« parallel, stellt sich die Frage nach essentialisierenden Betrachtungsweisen ganz neu: In ihrer Analyse der transnationalen Frauenbewegung des späten 20.  Jahrhunderts konstatiert Jennifer Suchland, dass vom Zentrum (das bei ihr ein US -amerikanisches ist) bzw. von der »Ersten Welt« aus eine doppelte Essentialisie-

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zentrismus« von Sebastian Conrad und Shalini Randeria, in: WerkstattGeschichte 34 (2003), S. 88-96, hier besonders S. 95. Stanley Bill: Seeking the Authentic. Polish Culture and the Nature of Postcolonial Theory, in: Postcolonial Europe, 02. 12. 2014, einsehbar unter: http:// www.postcolonial-europe.eu/en/essays/173-seeking-the-authentic-polishculture-and-the-nature-of-postcolonial-theory.html (22. 05. 2015). Martin W. Lewis / Kären E. Wigen: The Myth of Continents: A Critique of Metageography. Berkeley 1997, S. 3-7; von »moralischer Geographie« spricht Wolf Lepenies in seinen Reflexionen über die Verwendung der Himmelsrichtungen, wenn es darum geht, Hegemonialverhältnisse in Europa auf den Punkt zu bringen: Ders.: Ost und West. Nord und Süd. Der europäische Himmelsrichtungsstreit (= Hallesche Universitätsreden 3). Halle/S. 2013, S. 11; zuletzt dazu auch Philipp Ther: Der Süden als neuer Osten, in: Ders.: Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent. Eine Geschichte des neoliberalen Europas. Berlin 2014, S. 253-276. Chari / Verdery: Thinking, S. 18. Stephen Slemon: Unsettling the Empire: Resistance Theory for the Second World, in: World Literature Written in English 30 (1990) 2, S. 30-41. Robert Born / Sarah Lemmen: Einleitende Überlegungen zu Orientalismen in Ostmitteleuropa, in: Dies. (Hg.): Orientalismen, S. 9-28, hier S. 16. Jennifer Suchland: Is Postsocialism Transnational?, in: Signs 36 (2011) 4, S. 837-862, hier S. 837.

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rung vorgenommen werde, und zwar mittels der Exotisierung der Frauen der »Dritten Welt« auf der einen und der Beschreibung der ehemaligen »Zweiten Welt« als einem Ort ohne jegliche Differenz zum »Westen« auf der anderen Seite.46 Indem die »Zweite Welt« als essentiell gleich, weil sich auf dem Weg der Verwestlichung befindlich beschrieben wird, verliert sie ebenso wie die »Dritte Welt« ihre eigene Historizität bzw. wird der Postsozialismus nicht als »a unique place and experience«47 erfasst. Eine solche Verzeitlichung der Perspektive findet sich durchaus auch in sorgfältig recherchierten Forschungsarbeiten, in denen »1989« in der Retrospektive von den Akteuren bereits Jahrzehnte vorher »angesteuert« wird: etwa wenn Agnes Arndts Arbeit zur polnischen Dissidenz damit endet, dass »[…]die Dissidenten links genug [waren], um die Grundfesten des kommunistischen Regimes zu durchdringen […], aber auch liberal und bildungsbürgerlich genug, um die veränderten gesellschaftlichen und politischen Bedingungen nach 1989 mühelos zu adaptieren«.48 Vor diesem Hintergrund stellt sich also weniger die Frage, inwieweit der Postsozialismus als postkoloniale Situation mit anderen weltregionalen Kontexten zu parallelisieren ist; vielmehr erscheint die Spezifik des »post« in postcolonial eine heuristisch wertvolle Ergänzung zu dem vor allem das zeitliche »Danach« fokussierende »post« im »Postsozialismus« zu sein.49 Indem nämlich weniger die neue Zeit nach einer alles überstrahlenden Zäsur (1989), sondern die Phänomene des Überdauerns bzw. die »continuing social and spatial effects of Cold War power and knowledge«50 in den Fokus des Interesses gerückt werden, kann es gelingen, zu einer neuen Betrachtung postsozialistischer Zeiten und Räume zu kommen, die diese weder essentialisiert noch in universalisierende Erzählungen einbaut, in denen dann die ehemals »Zweite Welt« so wird wie »wir«.51 Eine solche Betrachtung fragt also dezidiert nach den Kontinuitäten und Gleichzeitigkeiten, wie es etwa der Anthropologe Chris Hann formuliert: »Ethnologische Untersuchungen zeigen, dass vor dem Hintergrund der

46 Ebda., S. 852. 47 Ebda., S. 855. 48 Agnes Arndt: Rote Bürger. Eine Milieu- und Beziehungsgeschichte linker Dissidenz in Polen (1956-1976). Göttingen 2013, S. 232. 49 Hladík: Travelogue, S. 567-571. 50 So etwa die Forderung bei Chari / Verdery: Thinking, S. 11. 51 Katherine Verdery: Wohin mit dem Postsozialismus?, in: Chris Hann (Hg.): Postsozialismus. Transformationsprozesse in Europa und Asien aus ethnologischer Perspektive. Frankfurt a. M. 2002, S. 31-54.

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gegenwärtigen Veränderungen bestimmte frühere Werte und Verhaltensmuster auch heute noch eine signifikante Rolle spielen. Die Zeit blieb nie stehen und das tat sie auch während der zwei oder drei Generationen andauernden sozialistischen Herrschaft nicht.«52 Der Politikwissenschaftler Klaus von Beyme hatte bereits 1999 im Rahmen der Debatte um die Zukunft der Osteuropaforschung gewarnt: »Wer 1989 vom Ende der Geschichte geträumt hat, gehört schon wieder zu denjenigen, die sich irrten. Es gibt keine posthistoire, und es gibt sie um so weniger, je unkonsolidierter die Systeme Osteuropas sind.«53 Wie schwierig die wissenschaftliche Annäherung an eine Zeit ist, die noch nicht völlig als »Geschichte« zu historisieren ist, und an eine Region, die wie im Kalten Krieg so auch in der heutigen »post Cold War condition« in permanenter Wechselwirkung zum restlichen Europa steht, beschreibt auch Katarzyna Marciniak, indem sie fragt, wie man über die sozialistische Epoche sprechen kann, deren Folgen noch spürbar sind und die entweder als abgeschlossener Totalitarismus verdammt oder (n)ostalgisch verklärt werde.54 Sie beschreibt diesen Zustand als postsozialistische Hybridität, in der Vergangenheit und Gegenwart auseinanderklaffen, die Gegenwart aber nur begriffen werden kann, wenn die darin eingeschriebenen Erfahrungen verstanden werden, was aber dadurch erschwert wird, dass sich zugleich die medialen, institutionellen, politischen Rahmungen verändert haben.55

ZeitRäume des/im Postsozialismus56 Die agency historischer Akteure im Postsozialismus scheint problematisch zu sein, wenn man die an diesen Begriff geknüpften Raumund Zeitvorstellungen betrachtet. Die Geographin Doreen Massey kritisiert (indem sie sich mit Überlegungen Ernesto Laclaus auseinandersetzt), dass Raum und Zeit als sich ausschließende Kategorien ge52 Chris Hann: Vorwort, in: Ebda., S. 7-10, hier S. 9. 53 Klaus v. Beyme: Osteuropaforschung nach dem Systemwechsel. Der Paradigmawandel der »Transitologie«, in: Creuzberger et al. (Hg.): Osteuropaforschung, S. 225-244. 54 Katarzyna Marciniak: Post-socialist hybrids, in: European Journal of Cultural Studies 12 (2009) 2, S. 173-190, hier S. 174. 55 Ebda., S. 177-179. 56 Petra Stykow beschreibt den Postsozialismus als »ebenso temporalen wie spatialen Terminus«, s. Dies.: Postsozialismus, Version: 1.0, in: DocupediaZeitgeschichte, 22. 4. 2013, einsehbar unter: http://docupedia.de/zg / Postsozi alismus?oldid=97433 (22. 05. 2015), hier S. 7.

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genübergestellt werden, wobei nur in der Zeit historische Erzählung möglich sei, während der Raum sich einer Erzählung entziehe bzw. es im Raum nur selbstreferentielle Veränderung und damit keine Möglichkeit zur Politik gäbe.57 Hier ergeben sich Anknüpfungspunkte an die Kritik, die der Philosoph Boris Buden in Bezug auf das Konzept des »Postkommunismus« geäußert hat. Er führt aus, dass die kommunistische Vergangenheit Osteuropas nicht als geschichtliche Epoche wahrgenommen, sondern als Zustand betrachtet werde, der zwangsläufig scheitern musste. Auf diese Weise werde der »Osten« ein geschichtsloser Raum – und er bleibe es auch in der Gegenwart, sei er doch nicht mit historischen Akteuren, die reale soziale und politische Konflikte durchlebten und gestalteten – und somit Geschichte mach(t)en – bevölkert, sondern mit Menschen, denen nichts anderes übrig bleibe, als aufzuholen. Gerade weil der Kommunismus nicht als Ergebnis historischer Prozesse kontextualisiert, sondern kulturell essentialisiert und mit dem »Osten« in eins gesetzt werde, könne er im »Postkommunismus« als fremd abgespalten werden.58 Es lohnt sich in diesem Zusammenhang mit der Anthropologin Katherine Verdery auf die Wahrnehmung von Raum und Zeit in der Spätphase des Kalten Krieges zu blicken. Für die Zeit seit den 1980er Jahren konstatiert sie eine durch mediale und ökonomische Entwicklungen bedingte Raum – ZeitKompression im Westen, die neue Produktionsbedingungen zur Folge gehabt hätte. Die Sowjetunion unter Gorbačev habe mit der im Rahmen der perestroika eingeforderten »Beschleunigung« (uskorenie) versucht (allerdings erfolglos), darauf zu reagieren.59 Wenn man sich die u. a. von Verdery geforderte integrierte Perspektive auf den Kalten Krieg als einer Ost und West verbindenden Wissens- und Machtkonstellation zu eigen macht, wird deutlich, dass konkrete historische Entwicklungen überhaupt erst dazu beitragen, Raum und Zeit in einer bestimmten Weise wahrzunehmen, oder wie Doreen Massey es formuliert: »Die Beziehungen zwischen Objekten werden nicht im Raum und in der Zeit sichtbar, es sind vielmehr diese Beziehungen selbst, die Raum und Zeit schaffen und definieren.«60 Erneut sei hier auf Boris Buden verwiesen, der die (durch neue ökonomische Kontexte bedingte) Krise des Sozialstaats in West und Ost seit den 1970er Jahren als Beispiel für eine veränderte Zeitwahrnehmung verantwortlich 57 Massey: Politik, S. 113-115. 58 Buden: Zonen, S. 63-67. 59 Katherine Verdery: What Was Socialism and What Comes Next? Princeton 1996, S. 35-37. 60 Massey: Politik, S. 123.

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macht, die zugleich bestimmte Raumvorstellungen impliziere. Er konstatiert, dass seit den 1970er Jahren von einem Ende der Politik bzw. einem Ende der Gesellschaft zu sprechen sei, da im Zuge der neoliberalen Wende (zunächst vor allem in Großbritannien und den USA , in der Folge aber auch in den restlichen Teilen Europas) die Gesellschaft nicht mehr als die »Hauptarena des historischen Geschehens« betrachtet wurde. Vielmehr propagierten Anhänger einer neoliberalen Politik, dass der Ausbau der Sozialstaatlichkeit »in der Gegenwart zum Stillstand gekommen sei«. (Historische) Handlungsfähigkeit wurde lediglich jenen Akteuren zugeschrieben, die nicht länger einer ex post als solcher erkannten Fehlentwicklung (die mit dem Ausbau des Sozialstaates seit dem 19. Jahrhundert ihren Ausgang genommen hatte) anhingen, sondern sich durch ihr Handeln in eine historische Erzählung von Modernität einschrieben.61 Den Osteuropäern, die gegen den ebenfalls kriselnden Sozialstaat in ihren Ländern Ende der 1980er Jahre protestiert hatten, blieb nichts anderes übrig, als dieser Meistererzählung zu folgen, schien doch der Osten nicht zu eigenständiger Geschichtsproduktion fähig zu sein. Dabei sind Westen und Osten unauflöslich relational aufeinander bezogen: Der Osten kann nur in die Geschichte eintreten, wenn er der westlichen Entwicklung folgt; der Westen braucht den aus der Geschichte gefallenen Osten, um sich selbst als historischen Akteur zu positionieren. Im Sinne der Geographin Massey, die konstatiert, dass Geschichte erst Räume hervorbringt, die dann ihrerseits wieder den weiteren Verlauf der Geschichte bedingen, kann man hier an die drei Dimensionen anknüpfen, mit denen wir uns Phantomgrenzen und -räumen nähern: diese werden diskursiv produziert bzw. imaginiert, die Akteure erfahren den Raum in der jeweiligen gesellschaftlichen Praxis, und schließlich wird der Raum von jenen durch Praktiken neu- bzw. umgestaltet. Für den Postsozialismus bedeutet dies, dass nach dem Ende des Kalten Krieges räumliche Neuverortungen nötig waren, dass sich die im Kalten Krieg gemachte Erfahrung wandelte, weil sie nun auf einen neuen Erwartungshorizont bezogen wurde, und dass Raumproduktion an Imaginationen und Erwartungen, auch wenn der Umbruch neue Formen der Raumproduktion ermöglichte, gebunden blieb. Im Folgenden sollen diese Aspekte im Rahmen von konkreten Beispielen aus dem postsozialistischen Polen aufeinander bezogen werden, um zu einem dynamisierten Raumverständnis zu kommen.

61 Buden: Zonen, S. 70-72 und S. 90-95.

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Für die politischen und publizistischen Diskussionen im letzten Jahrzehnt in Polen konstatiert der Soziologe Tomasz Zarycki, dass diese sich vornehmlich zwischen zwei Lagern, nämlich dem der »wahren Patrioten« und der »wahren Europäer« abspielten: »Beide Haltungen zeugen davon, dass sich Polen nach wie vor am Rande des Geschehens wähnt. Westeuropa gilt als externe Kraft, an die man sich anpassen muss. Konzepte kann man annehmen oder ablehnen, aber man kommt nicht darauf, eigene Konzepte zu entwickeln.«62 Diese Beobachtung, die in einer postkolonialen Perspektive als Beleg für die Hegemonie des neuen Zentrums Europa (nach dem Abschütteln des alten Zentrums Moskau) gedeutet werden kann,63 soll im Folgenden anhand der Analyse zweier politischer Debatten etwas ausdifferenziert werden. Das Gefühl, am »Rande des Geschehens« zu sein, drückt sich bereits im Titel eines Buches des Soziologen und public intellectual Zdzisław Krasnodębski aus, der in »Demokratie der Peripherie« (»Demokracja peryferii«) einen gewichtigen Debattenbeitrag zur politischen Kultur Polens nach dem Ende des Sozialismus liefert. Er charakterisiert den beim Erscheinen des Buches kurz bevorstehenden EU -Beitritt des Landes nicht als Lösung, sondern als Teil des Problems, weil er die periphere Lage Polens festschreibe; das Land müsse sich jedoch aus dem »Teufelskreis der Ohnmacht und der kolonialen Abhängigkeit« befreien.64 Erst das hegemoniale Selbstverständnis »Europas« mache Polen zu einer Peripherie, indem westliche Modelle selektiv übernommen würden und vor allem weil »die Theorien für die wahre Darstellung der tatsächlichen westlichen Demokratie gehalten werden und einen kategorischen Charakter annehmen«.65 Seine Kritik an der Positionierung des postsozialistischen Polen im sich erweiternden Europa erinnert sehr stark an die Infragestellung der epistemischen Übermacht »Europas« durch postkoloniale Denker wie Chakrabarty, der etwa kritisiert, dass allein »Europa« die Fähigkeit zur Ausbildung von Kategorien zur wissenschaftlichen Beschreibung zugeschrieben werde,

62 Tomasz Zarycki: Imitation oder Substanz. Polen in Europa und die Europäisierung Polens, in: Osteuropa 61 (2011) 5-6, S. 117-123, hier S. 120. 63 Ders.: Polska i jej regiony a debata postkolonialna, in: Małgorzata Dajnowicz (Hg.): Oblicze polityczne regionów Polski. Białystok 2008, S. 31-48; Justine Golanska-Ryan: Strategies of Resistance in the Polish Campaign against EU Membership, in: Maruška Svašek (Hg.): Postsocialism. Politics and emotions in Central and Eastern Europe. New York 2008, S. 159-177. 64 Zdzisław Krasnodębski: Demokracja peryferii. Gdańsk 2003, S. 8 f. 65 Ebda., S. 19.

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der Rest der Welt hingegen nur als empirisches Material für die Anwendung dieser Kategorien wahrgenommen würde.66 Anders als Zarycki vermutet, der Krasnodębski sicher den »wahren Patrioten« zuordnen würde, bleibt dieser jedoch nicht bei der Ablehnung europäischer Konzepte stehen. In einem historisch argumentierenden Kapitel mit dem Titel »An den Peripherien« zeigt er, dass das Schema »Peripherie / Zentrum« zu eindimensional angelegt ist und dass die jeweiligen Positionierungen des östlichen Europas historisch genauer zu kontextualisieren sind. Durch den Transformationsdiskurs werde Polen in scheinbarer historischer Kontinuität an der Peripherie verortet, doch könne dies nur durch eine merkwürdige Renaissance der kulturellen Negativfolie »Osten« gelingen, die zum Beispiel den Eigenwert des Konzepts »Mitteleuropa« osteuropäischer Intellektueller der 1980er Jahre ausblenden müsse, um plausibel zu bleiben.67 Seine Kritik an der gegenwärtigen politischen Kultur Polens richtet sich gegen eine Imitation des Westens, die den genuinen Beitrag der Gewerkschaftsbewegung »Solidarność« zur »westlichen Zivilisation« ausblende.68 Diese Kritik an »Imitation« und das Beharren auf Authentizität entspricht der Beobachtung Giordanos für postsozialistische Gesellschaften, die sich in ihrem Streben nach Ursprünglichkeit bzw. Authentizität in einem »postcolonial process« befänden.69 Interessanterweise wird auch bei Krasnodębski das Nachdenken über die räumliche Verortung mit Reflexionen zum Zeitverständnis gekoppelt, wenn er schreibt: »Die Peripherialisierung beruht darauf, dass polnische Liberale sie unaufhörlich in einen zeitlichen Code einschreiben – Modernisierung gegen bewahrende Tendenzen.«70 Doch der Lösungsvorschlag, den er unterbreitet, um aus diesem verzeitlichenden Denken herauszukommen, bleibt ebenfalls starren Zeitstrukturen verhaftet. Für ihn besteht der Sündenfall des polnischen Liberalismus, den er als eine künstliche Nachahmung westlicher Muster kritisiert, darin, dass das Erbe der »Solidarność« nicht zum festen Bestandteil politischen Denkens in der Dritten Republik geworden sei. Dabei war es doch 66 67 68 69

Chakrabarty: Europa, S. 285. Krasnodębski: Demokracja, S. 195-198. Ebda., S. 218 f. Christian Giordano: Does Postsocialism in Eastern Europe Mirror Postcolonialism? Grand Narratives, Myths and Inventions about the Fall of the Berlin Wall and What Followed, in: Christian Giordano / François Ruegg / Andrea Boscoboinik (Hg.): Does East Go West or Does West Go East? Anthropological Pathways Through Postsocialism. Münster 2014, S. 225-243, hier S. 239 f. 70 Krasnodębski: Demokracja, S. 225.

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seiner Meinung die polnische Gewerkschaftsbewegung, die in den 1980er Jahren dem »roten Jahrhundert« ein Ende gesetzt habe.71 Hier erinnert seine Argumentation stark an die Interpretation der Krise des Sozialstaats als einer Entwicklung, die nach über hundertjähriger Expansion des Sozialen in der Gegenwart an ihr Ende gekommen sei.72 Im Gegensatz zu dieser authentischen Version polnischer politischer agency, die in der kurzen Zeit des legalen Wirkens der »Solidarność« im Jahr 1980 /81 ihren Niederschlag gefunden und Polen damit zu einem Subjekt der Geschichte gemacht habe, setze man seit dem Zusammenbruch des Kommunismus 1989 /90 auf Imitation fremder anstatt auf heimische Politikmuster.73 Was hier erstaunt, ist, dass es »Ideen« im Zusammenhang mit der Suche nach dem »genuin« polnischen Beitrag zur »Zivilisation« nur in essentialistischer Weise gibt, obwohl der Autor zuvor und völlig zu Recht auf der Bedeutung historischer Kontexte bei der Formulierung scheinbar universaler Konzepte beharrt hat. So beklagt er auf der einen Seite die Ausblendung der wegweisenden Mitteleuropa-Konzeptionen osteuropäischer Intellektueller aus der Raumvorstellung des fortschrittlichen Europas, um dann vor einem anderen Erwartungshorizont, der sich nach dem Zusammenbruch des Kommunismus 1989 aufgetan hatte, ein ganzes »rotes Jahrhundert« als historische Sackgasse zu charakterisieren und damit ebenso für obsolet zu erklären. Die Literaturwissenschaftlerin und Publizistin Agnieszka Graff – ebenso wie Krasnodębski eine public intellectual – könnte man sicher nicht zuletzt aufgrund ihres feministischen Engagements als »wahre Europäerin« charakterisieren. Doch auch ihr Beispiel ist komplizierter als zunächst erwartet. Durchaus pro-europäisch eingestellt, reflektiert die Autorin über die Möglichkeit, inwieweit angeblich universale Konzepte wie das der Gleichheit über Räume und Zeiten hinweg transferiert werden können. Dabei zeigt sie eine gehörige Skepsis gegenüber dem Diskurs der EU -Erweiterung und einer damit einhergehenden Universalisierung von Gleichheitskonzepten, die eine einfache Annäherung Polens an den Staatsbürgerschaftsdiskurs der EU suggeriere. Am Beispiel des Zusammenhangs von Geschlechterkonzepten und Nationsvorstellungen macht sie eindrücklich deutlich, dass es nicht ausreicht, anscheinend universale Vorstellungen von »Europa« nach Polen zu übertragen. Es gelte vielmehr, die historischen Kon71 Ebda., S. 226. 72 Siehe die Kritik dieser Lesart bei Buden: Zonen, S. 91 f. 73 Krasnodębski: Demokracja, S. 300.

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texte zu reflektieren, in denen sich Konzepte von Staatsbürgerschaft und damit zusammenhängend von (Geschlechter-)Gleichheit entwickelt haben: Für Polen diagnostiziert sie dabei eine ethnonationale Engführung und die normative Festschreibung einer Geschlechterbipolarität und kommt zu dem Schluss, dass Gleichheit im liberalen Sinne schwer zu verwirklichen sei, wenn die liberale Grundposition fehle, von der aus überhaupt über die Gleichheit von Ungleichen verhandelt werden könne.74 Sie begründet die in Polen dominante »Vergeschlechtlichung der Nation« mit einer Kritik, die durchaus an die Zeitdiagnose des Konservativen Krasnodębski erinnert: Der Grund für die eminente Politisierung und Emotionalisierung von Geschlechterfragen im innenpolitischen Diskurs sei der mangelnde Unterschied zwischen rechten und linken Positionen aufgrund einer »Hegemonie liberaler Ideologie«75. Auch sie konstatiert eine Schwäche der polnischen Position gegenüber Europa und diskutiert diese unter dem Rubrum »postkolonial«. Durchaus selbstkritisch betrachtet sie den polnischen Feminismus, der naiv an die Transition hin zu staatsnationalen und geschlechterneutralen Gleichheitskonzepten geglaubt habe. Vor dem Hintergrund innenpolitischer Debatten in der Ära der rechtskonservativen Regierung Kaczyński (2005-2007) kritisiert die Autorin diese Transitionsgläubigkeit und fordert ein, die spezifischen polnischen Kontexte ernster zu nehmen, anstatt sich erfolglos auf universale »europäische Normen« zu berufen, denn: »Wir leben nicht in Zeiten der ›Systemtransformation‹, sondern in einer Epoche der Wiedergeburt, voll von Ressentiments und der Aggression einer EndecjaMentalität, die gleichzeitig größenwahnsinnig und komplexbehaftet ist.«76 Graffs Analyse zeigt, dass historisch gewachsene Sozialbeziehungen (in diesem Fall die Geschlechterverhältnisse) eng mit spezifischen Raumvorstellungen zusammenhängen. Die Verflochtenheit von historischer Erfahrung und Imagination von Räumlichkeit bedingt die Art und Weise, wie Konzepte wandern und in anderen gesellschaftlichen Kontexten adaptiert werden. Diese Gedanken weiterspinnend, könnte man mit der Ethnologin Anika Keinz fragen, »wie ›Westen‹ und ›Os74 Agnieszka Graff: Rykoszetem. Rzecz o płci, seksualności i narodzie. Warszawa 2008, S. 65 f. 75 Ebda., S. 26. 76 Ebda., S. 68. Der Begriff »Endecja-Mentalität« bezieht sich auf die politische Partei der Nationaldemokratie (Narodowa Demokracja), die in der Zweiten Polnischen Republik (1918-1939) für eine ethnonationale Auffassung polnischer Staatlichkeit stand.

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ten‹ zeiträumlich/raumzeitlich sexualisiert werden«77. Die Autorin diskutiert (auf der Grundlage des Romans »Lubiewo« von Michał Witkowski)78 die Wahrnehmung von Homosexualität in Polen und betrachtet hier sowohl die Lage von Homosexuellen während des Sozialismus als auch die »Globalisierung des homosexuellen Mannes«79 im Postsozialismus. Dabei interessiert sie sich für »an räumlichen Linien entlang organisierte Zeitlichkeit«80. Wie bei Graff spielen hier die Verflechtung von Geschlecht und Nation und die damit zusammenhängende Frage der Modernität eine wichtige Rolle: Geschlechtliche Markierungen und Sexualitätsvorstellungen sind dabei für die Herstellung von »otherness« relevant. Keinz spricht von »Verkörperung von Zeiträumen«81, in deren Zuge der Westen und der Fortschritt parallelisiert werden. In den homophoben Debatten in Polen werden Homosexuelle als Produkt des Westens und der Globalisierung dargestellt. Doch noch eine andere raumzeitliche Lesart ist möglich: die Stigmatisierung der im Sozialismus (trotz Unterdrückung) gelebten Homosexualität, die vor dem Hintergrund eines ökonomisch erfolgreichen, sich an heterosexuelle Beziehungsmuster anpassenden und ästhetisch genormten gay keinen Platz mehr im gegenwärtigen Polen findet. Damit verläuft die Grenze nicht mehr zwischen Ost und West, sondern hat sich in die Gesellschaften hinein verlagert82 – ganz so wie es Don Kalb für die polnischen Arbeiter herausgearbeitet hat, die in der »Transformation« von den liberalen Diskursführern exotisiert werden: »By regularly invoking the homo sovieticus syndrome, liberal intellectuals displaced workers out of the bounds of Europe and into a timeless Asia. At the same moment, they passionately claimed a place for themselves in the New European pantheon, invoking their conscientious and peaceful advocacy of liberal civil society against the communist Goliath and their successful liberalization and privatization of ›the economy‹. More than that, they prided themselves on their successful imposition of Western-type civil society and individualism on backward, populist eastern nations.«83

77 Anika Keinz: Der post-emanzipatorische Klappenverfall oder Queering Poland, in: Berliner Blätter 54 (2010), S. 63-80, hier S. 64. 78 Michał Witkowski: Lubiewo. Kraków 2005 (dt. Frankfurt a. M. 2007). 79 Keinz: Klappenverfall, S. 65. 80 Ebda., S. 66. 81 Ebda., S. 68. 82 Ebda., S. 76. 83 Don Kalb: »History Repeats Itself«: Subversive Insights of a Polish Populist,

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Welche Erkenntnisse kann man daraus ziehen, wenn man den von der neuen Gegenwart enttäuschten ehemaligen »Solidarność«-Aktivisten, für den nur die in den 1980er Jahren geforderte soziale Gleichheit die wahre Gleichheit ist und für den die neuen Gleichheiten wie etwa multikulturelle oder sexuelle nicht unter das anscheinend universale Konzept fallen,84 mit den alten und neuen Homosexuellen Polens vergleicht? Dass die jeweiligen Sozialbeziehungen die Vorstellungen von Raum- und Zeitkonzepten nachhaltig prägen und dass von Universalismen jenseits dieser keine Rede sein kann. Das trifft selbstverständlich nicht nur für die sich in postsozialistischen Umgestaltungsprozessen befindenden Länder des östlichen Europas zu, sondern auch für das sich ebenfalls in einem zeiträumlichen Kontinuum befindliche Zentrum.

Fazit Die Osteuropawissenschaften haben gute Gründe, mit vergleichbarem disziplinären Selbstbewusstsein wie einige ihrer mit Außereuropa befassten Kollegen vorzugehen und nicht mehr länger nur nachholende Modernisierung zu beschreiben, sondern das Innovationspotential herauszuarbeiten, das aus kolonialen Begegnungen hervorgeht und an den Peripherien besonders früh und eindringlich deutlich wird.85 Im Zusammenhang mit dem osteuropäischen Postsozialismus könnte man etwa auf die Beobachtung von Boris Buden hinweisen, dass im »postsozialen Zeitalter«, das das Ende der langen Nachkriegszeit und die Krise des Sozialstaats markiert, das marktliberal eingestellte Osteuropa zum Vorreiter der neuesten Entwicklungen geworden ist.86 Zugleich sind viele Entwicklungen nicht zu verstehen, wenn man nicht auch die historische Konstellation des Kalten Krieges miteinbezieht und auch einmal vom Osten auf den Westen schaut: So konstatieren etwa Sharad Chari und Katherine Verdery, dass der heute omnipräsente flexible »network capitalism« in der Phase der spätindustriellen Gesellschaft u. a. deswegen entstanden ist, weil die soziain: Giordano / Ruegg / Boscoboinik (Hg.): Does East Go West or Does West Go East?, S. 109-129, hier S. 119. 84 Ebda., S. 124. 85 Jean Comaroff / John L. Comaroff: Der Süden als Vorreiter der Globalisierung. Neue postkoloniale Perspektiven. Frankfurt  a. M./New York 2012, übers. v. Thomas Laugstien. 86 Buden: Zonen, S. 70-73.

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listischen Regionen der Welt als Absatzmärkte für kapitalistische Waren des Westens weggefallen waren.87 Möglicherweise gelingt eine für die Historisierung notwendige Verfremdung gerade aktueller zeitgeschichtlicher Entwicklungen eher am osteuropäischen Beispiel: Auf diese Weise könnte klar werden, dass Beschreibungskategorien wie »Transformation« oder »Hochmoderne« Produkte spezifischer historischer Konstellationen und keine überzeitlichen Analysekategorien sind – damit würde die »allgemeine Geschichte« ebenfalls einer grundsätzlichen Historisierung unterworfen, weil klar würde, dass die an ihr entwickelten Begriffe partikulare zeitgebundene Zustandsbeschreibungen, aber keine aus der Zeit zu lösenden Kategorien sind.88

87 Chari / Verdery: Thinking, S. 19-23. 88 Rüdiger Graf / Kim Christian Priemel: Zeitgeschichte in der Welt der Sozialwissenschaften. Legitimität und Originalität einer Disziplin, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 59 (2011) 4, S. 479-508. Ein Musterbeispiel einer solchen neuen Perspektive auf die jüngste Zeitgeschichte ist das Buch von Philipp Ther: Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent. Eine Geschichte des neoliberalen Europa. Berlin 2014.

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Autorinnen und Autoren

B ÉATRICE VON H IRSCHHAUSEN , geb. 1965, ist Forscherin am Forschungszentrum Géographie-cités (CNRS / Université Paris 1 PanthéonSorbonne) in Paris und assoziierte Forscherin am Centre Marc Bloch in Berlin. Sie leitet seit 2011 das BMBF -Verbundprojekt »Phantomgrenzen in Ostmitteleuropa«. Béatrice von Hirschhausen forscht zur Produktion und Aktualisierung regionaler Unterschiede im ländlichen Raum Ostmitteleuropas, die im Zuge der Transformations- und Integrationsprozesse nach 1989 erfolgten. H ANNES G RANDITS , geb. 1966, ist Professor für Südosteuropäische Geschichte am Institut für Geschichtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er forscht und lehrt zur Geschichte Südosteuropas im 19. und 20. Jahrhundert. Zu seinen jüngsten Publikationen gehört die Studie »The Ambiguous Nation – Case Studies from Southeastern Europe in the 20th Century« (München 2013), welche er gemeinsam mit Ulf Brunnbauer herausgegeben hat. C LAUDIA K RAFT , geb. 1968, ist Professorin für Europäische Zeitgeschichte seit 1945 an der Universität Siegen und Inhaberin eines Herder-Chairs des Herder-Instituts für historische Ostmitteleuropaforschung. Sie forscht zur Geschichte Mittel- und Osteuropas im 19. und 20. Jahrhundert (v. a. zur Gesellschaftsgeschichte des Staatssozialismus, zur Geschlechtergeschichte, zur Geschichte von Zwangsmigrationen und zur transnationalen Rechtsgeschichte). D IETMAR M ÜLLER , geb. 1969, ist Co-Leiter des Projekts »Verrechtlichungsprozesse in den internationalen Beziehungen: Prägungen des Völkerrechts durch Konflikte im östlichen Europa seit 1850« am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig. Er forscht zur Geschichte Ostmittel- und Südosteuropas im 19. und 20. Jahrhundert, insbesondere zu transnationalen Rechtskulturen (Staatsbürgerschaft, Eigentum, Völkerrecht); Wirtschaftsgeschichte des ländlichen Raums; Erinnerungskultur und Geschichtspolitik.

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AUTORINNEN UND AUTOREN

T HOMAS S ERRIER , geb. 1971, ist Assistenzprofessor am Institut d’études européennes der Université Paris 8, Gastprofessor an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) und assoziierter Forscher am Centre Marc Bloch in Berlin. Er ist Autor mehrerer Studien zu Kulturtransfers, Grenzen und Grenzregionen sowie transnationalen Erinnerungen im 19. und 20. Jahrhundert in (Ostmittel-)Europa.