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German Pages 384 Year 2012
Marcus Hartner Perspektivische Interaktion im Roman
Narratologia Contributions to Narrative Theory
Edited by Fotis Jannidis, Matı´as Martı´nez, John Pier Wolf Schmid (executive editor) Editorial Board Catherine Emmott, Monika Fludernik ´ Jose´ Angel Garcı´a Landa, Peter Hühn, Manfred Jahn Andreas Kablitz, Uri Margolin, Jan Christoph Meister Ansgar Nünning, Marie-Laure Ryan Jean-Marie Schaeffer, Michael Scheffel Sabine Schlickers, Jörg Schönert
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De Gruyter
Marcus Hartner
Perspektivische Interaktion im Roman Kognition, Rezeption, Interpretation
De Gruyter
ISBN 978-3-11-028983-1 e-ISBN 978-3-11-029007-3 ISSN 1612-8427 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. 쑔 2012 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist eine leicht gekürzte und editorisch überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im März 2011 unter dem Titel Kognition und Perspektive: Zur Theorie und Analyse der Perspektiveninteraktion am Beispiel des englischsprachigen Romans an der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld eingereicht wurde. Die Disputation fand am 19. Juli 2011 statt. Für die Entstehung dieses Buches war eine Reihe von Personen besonders wichtig, bei denen ich mich hier ausdrücklich bedanken möchte. An erster Stelle steht dabei mein Betreuer Prof. Dr. Ralf Schneider, der die Arbeit durch alle Entstehungsphasen hindurch in hervorragender Weise kritisch und konstruktiv begleitet hat. Seinem kompetenten Rat in allen fachlichen und methodischen Fragen sowie seiner steten Unterstützung ist es maßgeblich zu verdanken, dass sich aus einem Interesse an erzähltheoretischen Fragen ein eigenständiger Forschungsbeitrag entwickeln konnte. Bedanken möchte ich mich außerdem bei meiner Zweitgutachterin Prof. Dr. Hillary Dannenberg sowie den Herausgebern der „Narratologia“ für die Aufnahme in ihre Reihe. Besonders verbunden bin ich ferner meinen Kolleginnen und Kollegen im Fachbereich Anglistik/Amerikanistik der Universität Bielefeld für die angenehme Arbeitsatmosphäre, die die Promotionszeit fachlich wie menschlich zu einer besonders positiven Erfahrung gemacht hat. Stellvertretend erwähnt seien in diesem Kontext Dr. Stephen Joyce, Dr. Betsy van Schlun, Dr. Bond Love, Dr. Angela Stock, Julia Andres, Prof. Dr. Wilfried Raussert sowie Cornelia Wächter, der ich zudem für ihr hilfreiches und kritisches Feedback dankbar bin. Mein mit Abstand größter Dank aber gilt meinen Eltern Fritz und Doris Hartner, die mich stets bedingungslos auf meinem Weg unterstützt haben, sowie Christina, die mir auf so vielfältige Art und Weise beim Verfassen dieses Buches zur Seite gestanden hat, dass es ohne sie in dieser Form sicher nicht entstanden wäre. Ihnen bin ich in so tiefer Weise verbunden, dass ich ihnen diese Arbeit widmen möchte.
Inhaltsverzeichnis I. Perspektive und Perspektiveninteraktion: Einleitende Überlegungen zu einem kognitiven und literarischen Phänomen ........................................................
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Zur Definition und Bedeutung des Perspektivenbegriffs 2 – Die Analyse perspektivischen Zusammenspiels 6 – Aufbau der Arbeit: Eine Skizze 8
II. Vorüberlegungen zu den Rahmenbedingungen einer kognitiven Literaturwissenschaft: Über Sinn und Unsinn eines Forschungsparadigmas ....................................................... II.1 Die Idee einer kognitiven Literaturwissenschaft ......... II.1.1 Zu den Einwänden und Grenzen kognitiver Ansätze .. II.1.2 Die Rhetorik kognitiver Literaturwissenschaft ............ II.1.3 Reichweite und Angemessenheit kognitivnaturwissenschaftlicher Ansätze ....................................
13 13 21 23 27
Störvariablen, Dualismus und ‚Explanatory Gap‘ 28 – Zur semantischen ‚Blindheit’ naturwissenschaftlicher Daten 31 – Reduktionistische Ansätze: Zunshines Why We Read Fiction (2006) 33
II.1.4 Interdisziplinarität als Problem und Herausforderung
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Die unterschiedliche Ausrichtung von Literatur- und Naturwissenschaft 40
II.2
Konsequenzen für das Konzept einer kognitiven Literaturwissenschaft ............................................................. 45 Die Ebenen wissenschaftlichen Erklärens 47 – Leitlinien für eine kognitive Literaturwissenschaft 50
III. Der narratologische Kontext: Zur Forschungslage von Figurenperspektive, Perspektivenstruktur und Multiperspektivität ............................................................................ 57 (Erzähl)Perspektive und Figurenperspektive 58 – Perspektivenstruktur und Multiperspektivität 64 – Defizite der bisherigen Forschung 69 – Alternative Ansätze: Polyphonie und ‚mögliche Welten‘ 70
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Inhaltsverzeichnis
IV. Zur Konstruktion von Perspektiven: Bausteine eines kognitiven Ansatzes ....................................................................... 75 Zum Aufbau des Kapitels 77
IV.1 Basismodell des Textverstehens ....................................... 80 Oberflächenstruktur, Textbasis und Situationsmodell 81 – Inferenzbildung und die Dimensionen des Situationsmodells 85
IV.2 Kognitive Schemata und mentale Figurenmodelle ........ 89 Literarische Figuren als mentale Modelle 94 – Kategorisierung, Individualisierung und Personalisierung 98
IV.3 Exkurs: Personen- und Figurenwahrnehmung .............. 103 IV.4 Basisoperationen der Figuren- und Perspektivenkonstruktion ................................................. 109 ‚Theory of Mind‘ 111 – Metarepräsentation 115 – Ebenen der Metarepräsentation: Brontës Wuthering Heights (1847) 117 – ‚Preference Rules‘, ‚Continuing Consciousness‘ und Grenzen der Anwendung 121
IV.5 ‚Conceptual Integration Networks‘ (‚Blending‘) ............ 125 ‚Mental Spaces‘ 127 – ‚Blending Theory‘ 131 – ‚Blending‘ am Beispiel von Mansfields „Miss Brill“ (1922) 138 – Stärken und Schwächen der Theorie 143
IV.6 Zusammenfassung und Zwischenergebnis ..................... 149 V. Zur Interaktion von Perspektiven (1): Eine Synthese kognitiver und narratologischer Ansätze ................................... 153 V.1 Narratologischer Ausgangspunkt: Die Perspektivenstruktur narrativer Texte ..................... 156 Figurenperspektive und Perspektivenstruktur bei Pfister und Nünning 157 – Perspektiveninteraktion als Netzwerkstruktur 159 – Erzählerperspektiven 163 – Konzeptuelle Grenzen der Dichotomie von Kongruenz und Differenz 169
V.2 ‚Blending‘ als kognitiver Rahmen der Perspektiveninteraktion ..................................................... 174 Mentale Modelle als ‚Mental Spaces‘ 174 – Das Zusammenspiel von ‚Input-‘, ‚Generic-‘ und ‚Blended Spaces‘ 176 – ‚Selective-‘ und ‚Backward Projection‘ 180 – ‚Composition‘, ‚Completion‘ und ‚Elaboration‘ 182 – ‚Blending‘ und die Analyse automatisierter vs. bewusster Rezeption 188
V.3
Zusammenfassung und Zwischenfazit ............................. 192
Inhaltsverzeichnis
IX
VI. Zur Interaktion von Perspektiven (2): Beispielanalysen und Theorievertiefung ................................................................ 195 VI.1 Die Bedeutung und Rekonstruktion ‚abwesender‘ Perspektiven in Mark Haddons The Curious Incident of the Dog in the Night-Time (2003) ....................................... 199 Die literarische Evokation von Autismus 202 – Perspektiveninteraktion und ‚Backward Projection‘ 207
VI.2 Perspektiveninteraktion um ein ‚leeres‘ Zentrum in Jackie Kays Trumpet (1998) .............................................. 211 ‚Race‘, Jazz und Gender 212 – Identitätskonstruktion als kollektives Produkt 216 – ‚Generic Space‘ und die Projektion von Emotionen 218
VI.3 Die Gegenüberstellung inkompatibler Perspektiven in Will Selfs Great Apes (1997) ........................................ 222 Great Apes als Satire 223 – Perspektivenstruktur und Postmoderne 226 – Bezugsrelationen und emergente Charakteristika 230
VI.4 Kohärenzbildung und konzeptuelle Integration in Penelope Livelys Moon Tiger (1987) ............................... 237 Historiographische Metafiktion und erzählerische Gestaltung 238 – Kohärenzbildung und ‚Conceptual Integration‘ in Moon Tiger 242 – Der thematische und strukturelle ‚Kern‘ des Romans 247
VI.5 Die Dialektik der Aufmerksamkeitslenkung in Zadie Smiths On Beauty (2005) ....................................... 252 Das Figurenensemble in Smiths On Beauty 254 – Heterogenität und binäre Oppositionspaare 257 – ‚Only Connect!‘ – Die Etablierung von Bezugspunkten zwischen disparaten Figurenmodellen 260 – Dialektik und Emergenz in On Beauty 265
VI.6 Perspektivität und Multiperspektivität als 270 Rezeptionseffekte ............................................................. Multiperspektivität: Strukturelle und funktionelle Definitionen 270 – Multiperspektivität als Rezeptionseffekt 275
VI.7 Zusammenfassung ............................................................ 280 VII. Résumé und Ausblick ................................................................. 283 Das ‚Blending‘-Netzwerk als Modell der Perspektiveninteraktion 285 – Ausblick und Anknüpfungspunkte 290
X
Inhaltsverzeichnis
VIII. Literaturverzeichnis ................................................................... 295 VIII.1 Primärliteratur und Filme ............................................. 295 VIII.2 Sekundärliteratur ............................................................ 298 IX. Verzeichnis der Abbildungen ................................................... 357 X.
Glossar ......................................................................................... 359
XI. Register ........................................................................................ 367 XI.1 Personenregister ................................................................ 367 XI.2 Sachregister ........................................................................ 370
I. Perspektive und Perspektiveninteraktion: Einleitende Überlegungen zu einem kognitiven und literarischen Phänomen “We never know for certain what another person is really thinking. Even if they choose to tell us, we can never know whether they’re telling the truth, or the whole truth. And by the same token nobody can know our thoughts as we know them.” […] He looks directly into Helen’s eyes as he says this, as if speculating about her thoughts on this occasion. She colours slightly. “I suppose that’s why people read novels,” she says. “To find out what goes on in other people’s heads.” (David Lodge, Thinks …: A Novel, 41f.)
Erzählliteratur ist nach einer weitverbreiteten Ansicht in der privilegierten Lage, einzigartige Einblicke in die Denkvorgänge und Erfahrungswelten von Menschen zu gewähren. Diese besondere Position wird dadurch akzentuiert, dass Bewusstsein und Bewusstseinsvorgänge traditionell als Phänomenbereiche betrachtet werden, die den Naturwissenschaften grundsätzlich verschlossen sind. Doch angesichts der stetig fortschreitenden Forschung in den Neuro- und Kognitionswissenschaften wird es zunehmend schwierig, diese Einstellung unverändert zu bewahren, und so scheint mit dem menschlichen Denken auch eine der letzten Bastionen literarischer ‚Vorherrschaft‘ in ernstzunehmender Gefahr zu sein. In seinem Roman Thinks …: A Novel (2001) thematisiert der britische Schriftsteller David Lodge diesen Wandel der Verhältnisse und den entbrannten Streit um Deutungshoheit anhand einer amourösen Beziehungsgeschichte um die Figuren Ralph Messenger und Helen Reed, die unterschiedliche Positionen in dieser Kontroverse verkörpern. Ralph, ein Kognitionswissenschaftler, dient dabei gemäß seinem Beruf als Repräsentant einer streng (natur)wissenschaftlichen Erkundung menschlicher Denkmechanismen, während die Schriftstellerin Helen diesen Zugang mit eher skeptischem Blick betrachtet (vgl. 61). Ihr Interesse gilt weniger den Funktionsmechanismen des Gehirns als den (subjektiven) Qualitäten von Gedanken und Bewusstseinsphänomenen, deren Erkundung ihrer Meinung nach zu den ureigenen Gegenstandsbereichen von Kunst und Literatur gehört (vgl. 42–43, 61).
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Perspektive und Perspektiveninteraktion: Einleitung
Indem Lodge diese Standpunkte nicht abstrakt verhandelt, sondern an seine Protagonisten bindet, inszeniert er die aufgeworfenen erkenntnistheoretischen und bewusstseinsphilosophischen Fragen in Form des Aufeinandertreffens individueller Figurenperspektiven. Dies geschieht in Thinks … auf eine Weise, die die Frage nach dem Verstehen fremder Anschauungen und Gedankenwelten in den thematischen Kernbereich der Erzählung rückt. Neben der Gegenüberstellung der Hauptfiguren und ihrer intellektuellen Positionen kommt in jener Hinsicht insbesondere der literarischen Einarbeitung von Thomas Nagels berühmtem Aufsatz „What Is It Like to Be a Bat?“ (1974) eine wichtige Rolle zu. Die Bezugnahme vollzieht sich dabei nicht nur in Form einer Erläuterung jenes philosophischen Gedankenexperimentes (vgl. Thinks …, 50), sondern gipfelt im Roman in vier humoristischen Kurzerzählungen aus der Perspektive verschiedener Fledermäuse (90–96). Auf diese Weise geraten – neben kognitionswissenschaftlichen Fragestellungen – auch drei perspektivenbezogene Themen ins besondere Blickfeld der Erzählung, die wichtige allgemeine Orientierungspunkte einer konzeptuellen Annäherung an die Kategorie der Perspektive thematisieren: Einerseits verweist der Text durch die Diskussion von Nagels Aufsatz auf dessen These der erkenntnistheoretischen Gebundenheit an die eigene Perspektive beziehungsweise der Unmöglichkeit, die Erfahrungshaftigkeit eines fremden Bewusstseins authentisch nachzuvollziehen. Andererseits wird diese Einsicht durch die fiktiven Erzählungen aus der Fledermausperspektive humoristisch unterlaufen und damit gleichzeitig das Potential von Literatur zur erzählerischen Imagination selbst der fremdartigsten Erfahrungswelten spielerisch in Szene gesetzt. Da diese Aspekte zudem einen integralen Bestandteil des intellektuellen und persönlichen Zwiegesprächs der Protagonisten darstellen, verhandelt der Roman schließlich abseits von philosophischen Erwägungen die dialektische Dimension des Erkennens und Inszenierens von Standpunkten und Meinungen im zwischenmenschlichen – und zwischengeschlechtlichen – Miteinander. Zur Definition und Bedeutung des Perspektivenbegriffs David Lodges Thinks … erweist sich somit als ausgezeichnetes Beispiel für einen von kognitionswissenschaftlichen Fragen sowie perspektivischen Inhalten und Aspekten zutiefst durchdrungenen Text. Doch die hier angeschnittenen Fragen, wie nach den vom eigenen Standpunkt gesetzten kognitiven Grenzen der Wahrnehmung, der narrativen Erzeugung fremder Bewusstseinswelten oder der erzählerischen Inszenierung interagierender Figurenperspektiven, sind nicht nur für die Diskussion von Lodges Ro-
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man relevant. Zwar werden derartige Fragen nicht in allen literarischen Werken gleichermaßen in den Vordergrund gerückt, dennoch kann mit Wolf Schmid allgemein festgestellt werden: Any representation of reality presupposes the selection, naming, and evaluation of certain elements of the events that take place; and this inherently entails the presence of perspective. In other words, every representation of reality has its own particular perceptual, spatial, temporal, axiomatic, and linguistic point of view. (2003: 20)
Die hier zum Ausdruck kommende Überzeugung, die an die philosophische Position des Perspektivismus angelehnt ist (vgl. König 1989; Gerhardt 1989), bestimmt nicht nur die Welt selbst, sondern auch ihre narrative Darstellung sowie deren Rezeption als grundsätzlich perspektivisch gebunden. In Übereinstimmung mit David Hermans These, „narrative […] relies fundamentally on perspective taking“ (2002: 301; passim), ist daher die vorliegende Arbeit von der Bedeutung der Kategorie der Perspektive für das Verständnis und die Analyse von Literatur überzeugt. Doch in Schmids weit angelegtem Begriffsverständnis wird eine grundsätzliche Problematik der Perspektivendiskussion deutlich. Wie bei der alltagssprachlichen Verwendung des Begriffs so ist auch seine Diskussion in der Literaturwissenschaft von einer verwirrenden Vielzahl konkurrierender Verwendungsweisen geprägt. Angesichts des „reichliche[n]“ aber „diffuse[n] Gebrauchs“ des Ausdrucks (Schmitz-Emans 1999: 14) stellt beispielsweise schon Genettes konzeptuelle Trennung zwischen narration und focalization (1980 [1972]: 185–194) eine Reaktion auf die terminologische Unschärfe des Perspektivenbegriffs dar. Dessen Vagheit gibt, in der Tat, auch heute noch Anlass zu berechtigter Skepsis bezüglich der Brauchbarkeit einer entsprechenden narratologischen Kategorie. So rät unter anderen Alan Palmer (2007a: 471) dazu, von der Verwendung dieser semantisch vagen Begrifflichkeit Abstand zu nehmen oder sie zumindest definitorisch strikt einzugrenzen. Eine solche Begrenzungsmöglichkeit besteht in der Koppelung des Perspektivenbegriffs mit dem subjektiven Wahrnehmungsstandpunkt von Figuren oder Erzählern – eine Konzeption, die in der deutschen Narratologie insbesondere in Arbeiten von Ansgar und Vera Nünning und deren Umfeld vertreten wird (z. B. Nünning 1989a; Nünning/Nünning 2000a; Surkamp 2003). Das hierbei zugrundeliegende Begriffsverständnis kann in Anlehnung an Thomas Metzinger (1999: 9) als eine „metaphorische Anleihe aus der Phänomenologie des visuellen Sehens“ beschrieben werden, die unter einer Perspektive den „unhintergehbare[n] Mittelpunkt unseres inneren Erlebnisraums“ versteht, um den herum Wahrnehmung und (Un)Bewusstsein aufgebaut sind. Eine solche Definition, die sich auf die (gesamte) Bewusstseinswelt einer Person beziehungsweise einer Figur be-
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Perspektive und Perspektiveninteraktion: Einleitung
zieht, erweist sich als außerordentlich vielversprechend, da sie durch Indizien im Forschungsfeld der Kognitionswissenschaft gestützt wird. Solche Hinweise für eine besondere Rolle der Rekonstruktion von fiktionalen Perspektiven beim Textverstehen sind vielschichtiger Art und werden speziell im vierten Kapitel der Arbeit ausführlich diskutiert. Eines der zentralen Argumente wird dabei aus der lebensweltlichen Bedeutung der menschlichen Fähigkeit abgeleitet, anderen Personen mentale Zustände zuzuschreiben und ihre Standpunkte imaginativ einzunehmen (vgl. Goldman 2006; Sodian 2007; Slingerland 2008). Wie Studien mit Kindern und Patienten, die unter einer pathologischen Störung dieser Befähigung leiden, zeigen, stellen solche Zuschreibungsoperationen keine kognitive Trivialität dar. Es handelt sich dabei vielmehr um komplexe (wahrnehmungs)psychologische Dispositionen, die eine unverzichtbare Komponente verschiedener Kernbereiche der (Alltags)Kognition darstellen (vgl. Baron-Cohen 1995; Förstl 2007a), zu denen u. a. die Verarbeitung fiktionaler Welten gehört. So haben verschiedene Autoren argumentiert, dass nicht nur bei der Verarbeitung realer Personen, sondern auch bei der Konstruktion literarischer Figuren Mechanismen wie beispielsweise attribution theory oder theory of mind zum Tragen kommen, mit deren Hilfe fiktiven ‚Wesen‘ mentale Zustände inferentiell zugeschrieben werden können (z. B. Zunshine 2006; Palmer 2004; Bortolussi/Dixon 2003; Jannidis 2004b, 2009a). Auf der Basis dieser Überlegungen kann eine grundsätzliche Affinität zwischen den mentalen Mechanismen der Personen- und der Figurenwahrnehmung konstatiert werden, die eine Ausrichtung des Perspektivenbegriffs auf den Wahrnehmungs-, Denk- und Erfahrungsstandpunkt fiktionaler Entitäten in narrativen Texten konzeptuell stützt: Wenn das gedankliche Einnehmen multipler Standpunkte kein marginales kognitives Phänomen darstellt, sondern als grundlegendes „Designprinzip unseres Geistes“ (Mausfeld 2006: 1) zu verstehen ist, dann kann die These vertreten werden, dass es sich beim Verhandeln von Figurenperspektiven um ein rezeptionstheoretisches Basisphänomen handelt, das in der anthropologischen Verfasstheit des Menschen wurzelt; denn wie schon in David Lodges Roman angedeutet, stellt einerseits das Übernehmen, Nachvollziehen oder Simulieren von Perspektiven eine wesentliche Reflexionsbefähigung des Menschen und einen realitätskonstituierenden Modus der Erschließung von Welt und Literatur dar. Andererseits bleiben Subjekt beziehungsweise Rezipient erkenntnistheoretisch stets an den eigenen Standpunkt gebunden, der nie vollständig abgelegt oder überwunden werden kann. Gerade diese Unüberwindbarkeit führt nach Hogan (2004) jedoch zu einer „solitude of consciousness“, die er als eine der wesentlichen Triebfedern zur Erschaffung und Rezeption fiktionaler Figuren interpre-
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tiert. Literatur verkörpert seiner Meinung nach den Versuch, die existenzielle Isolation des Individuums zu bewältigen beziehungsweise imaginativ zu transzendieren. Zusammenfassend soll in Abwandlung eines bekannten Nietzsche Zitats auf der Basis dieser Überlegungen das ‚Perspektivische‘ hiermit in zweierlei Hinsicht als eine ‚Grundbedingung aller Literatur‘ begriffen werden.1 Erstens stellt – wie die vorliegende Arbeit zeigen wird – das Hineindenken in die Gedankenwelt fiktionaler Entitäten, d. h. die (Re)Konstruktion individueller Figuren- und Erzählerperspektiven, eine notwendige Rezeptionstätigkeit bei der Verarbeitung literarischer Texte dar. Gleichzeitig wird gerade in der lebensweltlichen Unmöglichkeit, fremde Gedankenwelten in ihrem subjektiven Erlebnischarakter vollständig einzuholen, ein maßgebliches Movens der Inszenierung von Perspektiven begriffen. Ähnlich wie bei Isers (1991) ‚Kardinalpunkten‘ menschlicher Existenz (Geburt, Tod usw.) ist der Nachvollzug fremder Perspektiven damit ein Gegenstandsbereich, der dem Menschen gleichermaßen am Herzen liegt wie er ihm verschlossen bleibt. Da „Wissen und Erfahrung als Weisen der Welterschließung [hier] an ihre Grenzen stoßen“, fungiert stattdessen die Inszenierung als „anthropologische[r] Modus“, der sich „auf Sachverhalte [bezieht], die niemals vollständig gegenwärtig zu werden vermögen“ (508). So kann, zweitens, mit Iser und Hogan gemutmaßt werden, dass einer der Reize von Literatur in der immer wieder neuen literarischen Inszenierung der Erlebnishaftigkeit (im Sinne Fluderniks 1996) subjektiver Perspektiven in der Form holistischer Repräsentationen individuellen menschlichen Denkens und Fühlens begründet liegt. Dazu Palmer (2004: 5): [N]arrative fiction is, in essence, the presentation of fictional mental functioning. […] If I am right, then it follows that the study of the novel is the study of fictional mental functioning and also that the task of theorists is to make explicit the various means by which this phenomenon is studied and analyzed.
Akzeptiert man Palmers These sowie die rezeptionstheoretische Verknüpfung des literarischen Verhandelns von Bewusstseinsvorgängen mit der mentalen (Re)Konstruktion der Perspektive fiktionaler Akteure, so ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer rezeptionsorientierten Theorie literarischer Perspektivität getan. Gleichwohl sind damit keineswegs alle Fragen dieses literaturwissenschaftlichen Phänomenbereichs geklärt. Aus diesem Grund setzt sich die vorliegende Arbeit zum Ziel, die bereits existierende narratologische Diskussion der Inszenierung und Rezeption von Figurenund Erzählerperspektiven innovativ fortzusetzen. Wie in David Lodges ––––––––––––– 1 Vgl. hierzu Nietzsches vielzitierte ‚Vorrede‘ zu Jenseits von Gut und Böse (1886), in der er „das Perspektivische“ als „die Grundbedingung alles Lebens“ charakterisiert (1999, Bd. 5: 12).
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Roman soll dies durch die Annäherung zweier ursprünglich fundamental getrennter Wissenschaftsbereiche geschehen: Kognitionswissenschaftliche Theorien und Forschungsergebnisse werden zur Erhellung literarischer Rezeptionsvorgänge herangezogen und mit bestehendem narratologischen Wissen verbunden. Auf diese Weise können einerseits die Rezeptionsmechanismen der Konstitution einzelner Perspektiven erhellt werden, während sich dabei andererseits vor allem das Phänomen der Perspektiveninteraktion als ein weiteres konstituierendes Element narrativer Texte erweist. Die Analyse perspektivischen Zusammenspiels Betrachtet man den Begriff der (Figuren)Perspektive, so zeigt sich, dass dieser einen konzeptuellen Vorteil gegenüber theoretisch verwandten Termini wie beispielsweise Alan Palmers (2004) fictional minds aufweist, der maßgeblich in der relationalen Bedeutungsschattierung des Ausdrucks begründet liegt. Schon rein sprachlich klingt beim Begriff der Perspektive dessen individuelle und relative Natur an, die nicht nur in der spezifischen Beziehung zwischen der Figur, ihrem fiktionalen Bewusstsein und den wahrgenommenen Objekten, sondern auch ihrem notwendigen Kontrast zu anderen subjektiven points of view besteht. Da Figuren selten alleine auf der ‚Bühne‘ fiktionaler Erzählungen ‚auftreten‘ (vgl. Doležel 1998: 96), kann eine narratologische Diskussion der Perspektive literarischer Akteure nicht ohne explizite Berücksichtigung von deren Zusammenwirken vollzogen werden. Helens Figurenperspektive in Thinks … kann, mit anderen Worten, nicht auf sinnvolle Weise isoliert von der Ralphs betrachtet werden, sondern die Einzelperspektiven einer Erzählung fungieren vielmehr als „Orientierungszentren“ im Textgeschehen, „die es aufeinander zu beziehen gilt“ (Iser 1976: 62). Dieser Sachverhalt stellt – wie das Zitat Isers von 1976 zeigt – keine neue Erkenntnis dar, sondern hat Beachtung in einer Reihe wichtiger Arbeiten gefunden, die sich mit der Analyse von Figuren- und Perspektivenkonstellationen beschäftigen (vgl. z. B. Evans 1960; Pfister 1977; Nünning/Nünning 2000a; Eder 2008). Doch trotz des offensichtlichen thematischen Zusammenhangs muss überraschenderweise festgestellt werden, dass sich die Analysen der Konfiguration von Perspektiven einerseits und die Ergründung von Rezeptionsmechanismen andererseits bisher überwiegend in einander nur oberflächlich berührenden Forschungszweigen vollzogen haben. So sind beispielsweise diejenigen Arbeiten, die versuchen, die Anordnung und Konfiguration von Figuren(Perspektiven) strukturell zu erfassen, von der jüngeren narratologischen Erforschung der kognitiven Mechanismen von
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Text- und Figurenrezeption weitgehend unbeachtet geblieben (z. B. Schneider 2000; Jannidis 2004a; Strasen 2008a). Jens Eders umfassende Monographie Die Figur im Film (2008) ist eine der wenigen Ausnahmen, die sich in ausführlicher Weise sowohl mit der mentalen Verarbeitung als auch der Konstellation fiktionaler Akteure beschäftigen. Doch auch bei Eder wird lediglich die Rekonstruktion von Figuren ausführlich auf ihre kognitiven Grundlagen untersucht; die Frage nach den kognitiven Mechanismen, die bei der Rezeption der inszenierten Interaktion von Figuren bzw. Perspektiven zum Tragen kommen, bleibt hingegen unbeantwortet. Da somit selbst in dezidiert rezeptionstheoretisch ausgerichteten Arbeiten der Aspekt der mentalen Verarbeitung des vom Text präsentierten Zusammenspiels fiktionaler Entitäten und ihrer Perspektiven bisher nahezu unbeachtet geblieben ist, muss ein signifikantes Forschungsdefizit in dieser Hinsicht konstatiert werden. Ob diese Situation historisch auf einen Mangel an geeignet scheinenden kognitiven Konzepten zurückzuführen ist, kann an dieser Stelle nicht entschieden werden; angesichts der festgestellten Bedeutung von Figuren- und Perspektiveninteraktion in literarischen Texten gilt es jedoch, die Forschungslücke zu schließen. Dabei ist zu erwarten, dass eine bessere Kenntnis der involvierten kognitiven Mechanismen zu einem veränderten Blick auf die Analyse figuralen und perspektivischen Zusammenspiels führen wird. Spätestens seit der Entwicklung der blending theory von Gilles Fauconnier und Mark Turner (1998, 2002) liegt zudem, nach Meinung des Verfassers, ein geeigneter Kandidat für ein solches Unternehmen vor. Die Theorie, die ein allgemeines kognitives Modell der mentalen Integration von Bedeutung aus verschiedenen Informationsquellen darstellt, eignet sich in idealer Weise zur Analyse des hier untersuchten narratologischen Gegenstandsbereichs. Im Gegensatz zu älteren Modellen ist blending in der Lage, sowohl die dynamische und wechselseitige Natur des Zusammenspiels verschiedener semantischer Räume zu erfassen als auch die aus dieser Interaktion entstehenden emergenten Bedeutungsstrukturen zu beschreiben. Die Identifikation verschiedener dabei involvierter Teilprozesse ermöglicht es der Theorie von Fauconnier und Turner daher, ein differenziertes Bild der Integration von Perspektiven zu zeichnen, das über die traditionell angewandte Dialektik von Ähnlichkeit und Differenz beziehungsweise von Kontiguität und Korrespondenz (Pfister 1977; Jakobson 2000 [1956]; Nünning 1989a) weit hinausgeht. Eine der wichtigsten Eigenschaften von blending liegt jedoch in der konzeptuellen Flexibilität der Theorie begründet. Diese kann nicht nur in unterschiedlichsten Kontexten angewandt werden, sondern erweist sich zudem als kompatibel mit zahlreichen weiteren literaturwissenschaftlichen Konzepten. Blending theory wird daher in dieser Arbeit als ein in doppelter
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Weise komplementäres Theoriemodul zur Analyse des Zusammenspiels von Perspektiven verwendet. Dieser komplementäre Charakter zeigt sich zum einen darin, dass Fauconnier und Turners Überlegungen mit einer Reihe von anderen Konzepten – wie etwa dem ‚mentalen Figurenmodell‘ (Schneider 2000) oder der ‚Perspektivenstruktur narrativer Texte‘ (Nünning 1989a) – zu einer Synthese kognitiver und narratologischer Ansätze verschmolzen werden. Zum anderen tragen die vorliegenden Überlegungen der Tatsache Rechnung, dass Literatur sich trotz des hier gewählten narratologischen Untersuchungsgegenstandes selbstverständlich nicht im mentalen Nachvollzug fiktionaler Akteure und ihrer Perspektiven erschöpft. Die Figur und ihre Weltsicht wird zwar auf der Basis eines mentalen Modells verarbeitet, doch jenseits dieser rezeptionstheoretischen Dimension ist nach Jens Eder grundsätzlich ebenso eine Deutung der Figur als ‚Symbol‘, ‚Symptom‘, ‚Kulturphänomen‘ oder ‚Artefakt ästhetischer Reflexion‘ möglich (vgl. 2008: 134–138; vgl. Eder/Jannidis/Schneider 2010b). Auch über die unterschiedlichen Gesichtspunkte hinaus ist die Rolle von Perspektiven notwendigerweise mit einer Vielzahl weiterer Analyseebenen wie der erzählerischen Vermittlung, der Struktur von Handlung und Plot oder den Aspekten Genre oder Gender untrennbar verknüpft. David Lodges Roman ist beispielsweise nicht nur ein semantischer Datensatz zur (Re)Konstruktion mentaler Perspektivenmodelle, sondern auch eine Komödie, die sich des Beziehungsplots zwischen Helen und Ralph zur ironisch-sozialkritischen Beleuchtung akademischen Lebens bedient: mit anderen Worten, ein Universitätsroman (campus novel), der als Vertreter dieses (Sub)Genres bestimmte generische Merkmale aufweist und darüber hinaus in einem spezifischen literaturhistorischen Kontext steht (vgl. Womack 2005). Angesichts dieser Pluralität literaturwissenschaftlicher Betrachtungsebenen stellt die hier entwickelte Perspektiventheorie nicht nur eine Synthese kognitiver und narratologischer Überlegungen dar, sondern versteht sich zudem als grundsätzlich komplementäres Analysewerkzeug, das in heuristischer Weise mit anderen literaturwissenschaftlichen Untersuchungs- und Interpretationsansätzen kombiniert werden kann und muss. Aufbau der Arbeit: Eine Skizze Wie in den vorhergehenden Ausführungen deutlich wird, verfolgt diese Arbeit mehrere miteinander verwobene Ziele. Da die vorliegende Annäherung an Fragen der Konstruktion von Perspektiven und ihrem Zusammenspiel maßgeblich von Ideen und Konzepten aus dem Feld der Kognitionswissenschaft geprägt ist, widmet sich Kapitel II zunächst einleitend
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einer allgemeinen Diskussion von Sinn, Potential und Grenzen einer kognitiven Literaturwissenschaft. Der Bedarf für solche Grundsatzüberlegungen ist dem Umstand geschuldet, dass trotz der steigenden Anzahl von Literaturwissenschaftlern, die auf kognitionswissenschaftliche Konzepte zurückgreifen, die Verwendung dieser Theorien häufig unreflektiert vorgenommen wird. In Anbetracht der berechtigten Fragen, die sich zur Verbindung von Inhalten aus so unterschiedlichen Bereichen stellen, ist der in den letzten Jahren häufig verkündete ‚cognitive turn‘ auf diese Weise weitgehend untertheoretisiert und metatheoretisch vage geblieben – ein Umstand, der Kritikern des Feldes Tür und Tor geöffnet hat. Aus diesem Grund wird in dieser Arbeit nicht nur eine kurze, einleitende Apologie vorgelegt, sondern eine umfangreiche, detaillierte und an Beispielen illustrierte Untersuchung der Rhetorik, Reichweite und Angemessenheit kognitiver Ansätze sowie der Probleme interdisziplinären Arbeitens in der Literaturwissenschaft vorgenommen. In diesem Kontext wird die These entwickelt, dass einerseits eine zeitgemäße Narratologie trotz methodologischer und wissenschaftstheoretischer Einwände nicht auf die Berücksichtigung kognitiver Aspekte verzichten kann; andererseits müssen der Übertragung von Inhalten aus so unterschiedlichen Disziplinen jedoch Beschränkungen auferlegt werden. Entsprechend mündet Kapitel II in der Identifikation einer Reihe allgemeiner Leitlinien für eine kognitive Literaturwissenschaft, die auch als konzeptueller metatheoretischer Rahmen für die anschließende Untersuchung fungieren. Kapitel II stellt somit zwar das maßgebliche gedankliche Fundament des hier vertretenen Ansatzes dar, ist argumentativ jedoch in sich geschlossen und kann als methodische und wissenschaftstheoretische Grundsatzdiskussion losgelöst vom Rest der Arbeit stehen. Im Anschluss an diese allgemeinen Überlegungen wendet sich die Untersuchung der Betrachtung von Perspektivenkonstruktion und -interaktion, d. h. ihrem spezifischen Thema zu. Bevor jedoch eine kognitionswissenschaftlich inspirierte Überarbeitung dieser Kategorien vorgenommen werden kann, müssen zunächst die notwendigen narratologischen Wissenskontexte geschaffen werden. Die hier unternommene Perspektivendiskussion nimmt daher in Kapitel III ihren Ausgangspunkt in einer Bestandsaufnahme der literaturwissenschaftlichen Perspektivenforschung. Dabei erweist sich insbesondere Nünnings (1989a) Vorschlag, den Perspektivenbegriff an die fiktionale Weltsicht, d. h. das Voraussetzungssystem (Schmidt 1991 [1980]), einer Figur zu knüpfen, als vielversprechender Ansatz, der in eine Vielzahl unterschiedlicher Forschungsrichtungen integriert werden kann. Tatsächlich zeigt sich die Idee, bei der Textanalyse von holistischen und vom Rezipienten (re)konstruierten Figurenperspektiven auszugehen,
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im folgenden Kapitel IV auch aus kognitionswissenschaftlicher Perspektive als stimmiges Konzept. Anhand einer intensiven Untersuchung kognitiver Bausteine der Textrezeption wird in diesem ersten theoretischen Kernstück der Arbeit auf der Basis zahlreicher Indizien die These aufgestellt, dass die Verarbeitung narrativer Texte tatsächlich nahezu ausnahmslos die mentale Repräsentation von Figuren und ihrem fiktionalen Bewusstsein, d. h. von individuellen Perspektiven, impliziert. Um die eingangs aufgestellte These, das ‚Perspektivische‘ sei eine ‚Grundbedingung aller Literatur‘, argumentativ zu untermauern, wird in diesem Kontext eine Untersuchung der kognitiven Bausteine der Perspektivenrezeption vorgelegt, die sowohl grundlegende Mechanismen des Textverstehens (discourse processing) als auch allgemeine kognitive Mechanismen der Bedeutungsbildung (z. B. theory of mind, metarepresentation, blending) berücksichtigt. Durch ein besseres Verständnis der Verarbeitungsmechanismen fiktionaler Texte wird so einerseits die Entscheidung für ein an die Figur angelehntes Perspektivenverständnis sozusagen kognitionswissenschaftlich motiviert; andererseits wird in diesem Zusammenhang deutlich, dass die (Re)Konstruktion solcher individuellen Figurenperspektiven der mentalen Verknüpfung verschiedenster semantischer Strukturen bedarf. Informationen aus disparaten Kontexten, verschiedenen Situationen und bezüglich unterschiedlicher Figuren fließen in vielfältiger Weise zusammen, wobei besonders Bezugs- bzw. Konfigurationsverhältnisse zwischen den Einzelperspektiven eines Textes eine zentrale Rolle spielen. Mit dieser Beobachtung sind zwei theoretische Aspekte der Perspektivenrezeption identifiziert, deren Untersuchung den maßgeblichen thematischen Kern der verbleibenden Arbeit darstellt: Erstens, die Notwendigkeit, eine übergreifende Theorie semantischer Bedeutungsintegration in die rezeptionsorientierte Perspektivenanalyse einzubeziehen; zweitens, die Tatsache, dass die mentale Verarbeitung perspektivischen Zusammenspiels eine integrale Komponente der Text- und Figurenrezeption an sich darstellt. Unter Rückgriff auf Schneiders (2000) Überlegungen zum mentalen Modell als Grundlage der kognitiven Figurenverarbeitung, Nünnings (1989a) Idee einer Perspektivenstruktur narrativer Texte sowie Fauconnier und Turners (1998, 2002) blending theory als allgemeinem Konzept der Bedeutungsbildung beschäftigt sich Kapitel V mit der Entwicklung und Illustration einer umfassenden Theorie der perspektivischen Interaktion in Erzähltexten. Die individuellen Perspektiven anthropomorphisierbarer fiktionaler Entitäten werden dabei als mentale Modelle konzeptualisiert, deren Zusammenwirken als Interaktionsprozess innerhalb einer netzwerkartig organisierten Gesamtperspektivenstruktur modelliert werden kann. Um die sich dabei vollziehende dynamische und wechselseitige Projektion semantischer Strukturen in adäquater Weise zu berücksichtigen, werden
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die Einzelperspektiven, d. h. die mentalen Perspektivenmodelle, als input spaces eines blending-Netzwerks begriffen. Auf diese Weise wird die vereinfachende Dichotomie von Differenz und Kongruenz als dem traditionellen Beschreibungsmuster von Perspektivenkonstellationen (vgl. Pfister 1977; Nünning 1989a; Nünning/Nünning 2000a) zugunsten eines hochkomplexen conceptual integration network überwunden. Mit dessen Hilfe können nicht nur das Phänomen neu entstehender (emergenter) Bedeutung und die dynamisch verlaufenden semantischen Interaktionsprozesse zwischen einzelnen inputs bzw. Perspektiven präzise erfasst werden; darüber hinaus repräsentiert das entstehende Modell ein exemplarisches Beispiel für die Verbindung kognitions- und literaturwissenschaftlicher Theorien. Ferner beschränkt sich der hier entwickelte Ansatz nicht nur auf eine rein deskriptive, narratologisch-rezeptionstheoretische Beschreibung perspektivischen Zusammenspiels, sondern kann auch zur praktischen Analyse und Interpretation von Erzähltexten herangezogen werden. Um den Anspruch der Theorie als einer analytischen Orientierungsmatrix zur Untersuchung literarischer Texte zu untermauern und den heuristischen Nutzen des Modells zu illustrieren, werden in Kapitel VI eine Reihe von Beispielanalysen an einer Auswahl englischer Gegenwartsromane vorgenommen. Deren Ziel ist es einerseits, die theoretische Diskussion der Kapitel IV & V fortzuführen und anhand der Beleuchtung von Aspekten wie Kohärenzbildung oder Aufmerksamkeitslenkung sowie einer abschließenden Neubestimmung des Begriffs der Multiperspektivität (VI.6) inhaltlich zu vertiefen. Primär soll in diesem Teil der Arbeit jedoch der Werkzeugcharakter der Theorie unter Beweis gestellt werden; dazu wird die auf blending basierende Analyse der Perspektiveninteraktion in bereits bestehende analytische und interpretatorische Diskussionskontexte eingebettet, um auf diese Weise ergänzend zu anderen Untersuchungsstrategien hinzuzutreten. Mit diesem programmatisch komplementären Charakter trägt die vorliegende Arbeit der Tatsache Rechnung, dass Literatur ein vielgestaltiges Phänomen darstellt, das sich nicht im Rahmen eines einzelnen Ansatzes erschöpfend erfassen lässt. So sieht sich die Arbeit einerseits lediglich als bescheidener Beitrag im Gesamtfeld der Literaturwissenschaft; andererseits formuliert sie ein allgemeines Modell der Perspektiveninteraktion, das vom prinzipiellen, heuristischen Anspruch her auf das gesamte Feld moderner Erzähltexte angewendet werden kann. Angesichts dieses weiten Geltungsbereichs sind die in Kapitel VI vorgenommenen Literaturanalysen lediglich als Beispiele zu verstehen, die das analytische Potential der entwickelten Theorie exemplarisch und stellvertretend für weitere Texte und Perspektivenkonfigurationen illustrieren. Es geht, mit anderen Worten, nicht darum, die Kreativität perspektivischen Zusammenspiels im Erzähltext typologisch zu bannen, sondern die prinzi-
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piellen Interaktionsmechanismen zu erhellen und auf diese Weise eine flexible konzeptuelle Matrix zur Analyse der Perspektivenrezeption im Allgemeinen zu entwickeln. Im Hinblick auf diesen Anspruch sind auch die zahlreichen narrativen Texte, auf die bereits in Kapitel IV und V zurückgegriffen wird, als Beispiele zu verstehen, deren Aufgabe in der Illustration und Exemplifikation der theoretischen Inhalte sowie der Demonstration der literarischen Relevanz der diskutierten kognitionswissenschaftlichen Theorien liegt. Durch diese Kombination aus Theorie und Analyse hofft die vorliegende Arbeit, einen fundierten Beitrag zum Projekt einer kognitiven Narratologie zu leisten, die trotz Inkorporation fremddisziplinärer Theorien einen genuin literaturwissenschaftlichen Charakter behält. Um einer solchen Zielsetzung auf fundierte Weise gerecht zu werden, ist jedoch zunächst eine allgemeine Reflexion der wissenschaftstheoretischen Grundlagen und Anforderungen an eine kognitive Literaturwissenschaft notwendig. Das folgende Kapitel stellt sich dieser Aufgabe.
*** Hinweis zur Gestaltung des Textes: Das Verhältnis von Fließtext und Fußnoten ist im Folgenden so gestaltet, dass die Argumentation i. d. R. vollständig ohne Fußnotenapparat nachvollzogen werden kann. Fußnoten hingegen erfüllen die Funktion, relevante, weiterführende Informationen, Überlegungen und Literaturhinweise zu präsentieren, und können je nach Interesse des Lesers ergänzend wahrgenommen werden. Ferner werden Begriffe wie ‚Leser‘, ‚Autor‘, ‚Wissenschaftler‘, usw. als generisch neutral begriffen und beziehen sich grundsätzlich sowohl auf weibliche als auch männliche Leser, Autoren usw. Außerdem wird aus Gründen der Übersichtlichkeit keine Unterscheidung bei der Übersetzung/Verwendung von Fachtermini wie ‚Literaturwissenschaft‘ (literary criticism/studies), ‚Kognitionswissenschaften‘ (cognitive sciences) usw. vorgenommen. Der Verfasser ist sich der zum Teil unterschiedlichen Begriffskonnotationen und Wissenschaftstraditionen bewusst (vgl. z. B. Wellek 1963: 1–36; Nünning 1997a: 25f.). Um inhaltliche Konfusion zu vermeiden, werden Begriffe und ihre Übersetzung in der Regel synonym verwendet. Im Bedarfsfall wird explizit auf den jeweils relevanten Unterschied in der Semantik und Tradition der Begrifflichkeit hingewiesen.
II. Vorüberlegungen zu den Rahmenbedingungen einer kognitiven Literaturwissenschaft: Über Sinn und Unsinn eines Forschungsparadigmas II.1 Die Idee einer kognitiven Literaturwissenschaft Alexander von Humboldt […] observed that there are three stages of scientific discovery: first, people deny that it is true; then they deny that it is important; finally they credit the wrong person. (Bryson 2004: 508)
Bill Brysons humoristisches Humboldt-Zitat macht spielerisch darauf aufmerksam, dass die Entwicklung von Wissenschaft und Theorien keineswegs von ausschließlich rationalen und inhaltlichen Gesichtspunkten bestimmt wird. Wissenschaft muss stattdessen als dynamischer Prozess verstanden werden, in welchen eine Vielzahl institutioneller, kultureller und individualbiographischer Aspekte einfließen.1 Die dabei wirksame Verstrickung wissenschaftlicher Diskurse in gesellschaftliche Kontexte ist zwar auch in den Naturwissenschaften gegeben (vgl. Peckhaus/Thiel 1999: 18f.), erhält jedoch in all den Fällen eine besondere Bedeutsamkeit, in denen der Untersuchungsgegenstand selbst ein kulturelles Artefakt darstellt, das innerhalb gesellschaftlich-historischer Kontexte konstituiert wurde. So ist ein Gemeinplatz, dass weder die akademische Betrachtung einzelner Texte, noch die Diskussion größerer literarischer Zusammenhänge im konzeptuell luftleeren Raum stattfindet, sondern stets in zeitgenössische gesellschaftliche und wissenschaftliche Kontexte eingebettet ist. Verändern sich diese Zusammenhänge, so verändern sich nicht nur die Themen literarischer Werke, sondern auch die Literaturwissenschaft sieht sich neuen Einflüssen und Herausforderungen ausgesetzt.2 Auf pragmatischer Ebene stellt sich für den Literatur- und Kulturwissenschaftler damit stets ––––––––––––– 1 Vgl. hierzu Uwe Dahtes Unterteilung kontextueller Einflussfaktoren in der Wissenschaft in Makroebene, Mikroebene und persönlich-individuelle Ebene (Dahte 1999). Zur Entwicklung und der Dynamik von Wissenschaft siehe ferner Poser (2001, 2002), Maasen/Winterhagen (2001) sowie die Klassiker der Wissenschaftstheorie von Kuhn (1970 [1962]) und Feyerabend (1975). 2 Siehe in diesem Kontext Oliver Jahraus, der die systemtheoretische These der strukturellen Koppelung von Literatur und Literaturtheorie vertritt (vgl. 1999: 268; passim).
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die Frage, ob es solche Veränderungstendenzen zu ignorieren oder zur kritischen Inspektion in den eigenen Elfenbeinturm hineinzutragen gilt. Doch gerade angesichts des Legitimationszwangs in Zeiten leerer öffentlicher Kassen sowie der vielbeschworenen drohenden Abkopplung gesellschaftlicher Diskurse von literatur- und kulturwissenschaftlicher Theorie und Praxis scheint das Ignorieren gesellschaftlicher Transformationen weder einen inhaltlich noch einen strategisch klugen Schachzug darzustellen.3 Andererseits kann jedoch auch ein vorschnelles und naives Umarmen kurzlebiger gesellschaftlicher oder wissenschaftlicher Moden nicht im langfristigen Interesse einer fundierten Wissenschaft liegen. Es ist daher ein Mittelweg gefragt, der tiefgreifende und dauerhafte Transformationen von Denk- und Wissensstrukturen erkennt und kritisch reflektiert, ohne dabei in eine reduktionistische Ablehnung bewährter Methoden, Traditionen und Erkenntnisse zu verfallen. Eine besondere Herausforderung für die Literatur- und Kulturwissenschaften stellt in diesem Kontext die Erfolgsgeschichte der sog. cognitive sciences dar, die – vor allem in den vergangenen zwei Jahrzehnten – tiefgreifende institutionelle und inhaltliche Veränderungen in weiten Bereichen akademischer Forschung und Wissenschaft bewirkt haben.4 Neben der zunehmenden Bedeutung dieser Forschungsrichtung, die von vielen Stimmen längst unter dem Begriff der ‚cognitive revolution‘ geführt wird (vgl. Miller 2003), liegt das Außergewöhnliche hier vor allem darin, dass die Kognitionswissenschaften sich mit dem menschlichen Denken einem Untersuchungsgegenstand zuwenden, der traditionell als das Hoheitsgebiet der Geisteswissenschaften betrachtet wurde. Angesichts der Flut neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse über Natur und Funktion des menschlichen Geistes stellt sich damit für die Literatur- und Kulturwissenschaft die ernstzunehmende Frage nach dem Umgang mit dieser neuen akademischen Konkurrenz. Unter Kognitionswissenschaften versteht man im Allgemeinen einen interdisziplinären Zusammenschluss verschiedener Wissenschaften mit dem Ziel „to explain the workings of human intelligence“ (Pinker 1994: 17). Dieser Zusammenschluss umfasst eine Vielzahl verschiedener Fachbereiche „including psychology, neuroscience, linguistics, philosophy, anthropology and the social sciences more generally, evolutionary biology, education, computer science, artificial intelligence, and ethology“ (Wilson ––––––––––––– 3 Stephen Greenblatt (2003: 8) bemerkt zur Abkoppelung von Literaturwissenschaft und Gesellschaft: „[…] in the public perception, it is as if we were cut off from the rest of the world, locked in our own special, self-regarding realm.“ Vgl. dazu auch Miall (2006: 1, 24, 40) oder Waugh (2006: 9). 4 Vgl. Kolak (2006: 1) sowie Schandry (1996: 80) und Roth (2001: 584).
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1999: xv).5 Diese bunte Interdisziplinarität wird entscheidend von der Tatsache motiviert, dass keine Einzeldisziplin in der Lage ist, der Komplexität des Kognitiven auch nur näherungsweise gerecht zu werden (vgl. Gallagher/Zahavi 2008: 1). Nach Harnish (2002: 1–9) kann ferner prinzipiell zwischen einer ‚engen‘ und einer ‚weiten‘ Definitionen der cognitive sciences unterschieden werden. Dem engen Verständnis zufolge ist das menschliche Gehirn (in Analogie zum Computer) grundsätzlich als „computational device“ (9) zu begreifen: „Construed narrowly, cognitive science is not an area but a doctrine, and the doctrine is basically that of the computational theory of mind (CTM) î the mind/brain is a type of computer.“ (4; meine Herv.) Diesem Verständnis nach ist Kognition eine „species of computation“ (6) und muss von dieser zentralen Grundvoraussetzung her untersucht werden. Die weite Definition, die dieser Arbeit im Folgenden zugrunde gelegt wird, basiert dagegen nicht auf einer inhaltlichen Prämisse, sondern dem gemeinsamen Gegenstandsbereich der cognitive studies: der Suche nach einem allgemeinen Verständnis von Kognition – „be it real or abstract, human or machine“ (Norman 1981: 1). Das Ziel kognitionswissenschaftlicher Forschung wird von dieser Warte daher allgemeiner als die Erhellung der „principles of intelligent, cognitive behavior“ verstanden, die von der Erwartung geleitet ist, „that this will lead to better understanding of the human mind, of teaching and learning, of mental abilities, and of the development of intelligent devices that can augment human capabilities in important and constructive ways.“ (ebd.; vgl. Harnish 2002: 2ff.) Besonders für die weite Definition gilt ferner, dass die einzelnen Forschungsbereiche weniger durch gemeinsame Ansätze oder Methoden als durch ein geteiltes Interesse an mentalen Prozessen zusammengehalten werden (Alan Richardson 2004: 1f.).6 Obgleich die Anfänge der ‚kognitiven Revolution‘ bereits auf die 50er und 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts datiert werden können (vgl. ––––––––––––– 5 Für eine kurze Einführung in diese traditionellen Kerndisziplinen siehe Wilson (1999: xv– cxxxii). 6 Zur Einführung aus der Sicht eines ‚engeren‘ CTM basierten Ansatzes siehe z. B. JohnsonLaird (1993) oder Thagart (2005); zu einer allgemeiner und interdisziplinärer angelegten Einführung siehe Dawson (1998), Kolak (2006) oder Baars/Gage (2010). Einführungen mit Fokus auf das menschliche Bewusstsein finden sich bei Dietrich (2007), Ramachandran (2004) oder Cattell (2006). Historisch vorgehende Einführungen haben Harnish (2002), Boden (2006), Dellarosa (1988) oder Gardner (1985) vorgelegt, während Gallagher/Zahavi (2008), Clark (2001) oder Flanagan (1991) sich den cognitive sciences von unterschiedlichen, primär philosophischen Standpunkten nähern. Gazzaniga/Ivry/Mangun (2009) bieten einen Überblick über die Themen und Erkenntnisse der Neurowissenschaften, während Bennett/ Hacker (2004) eine philosophische Auseinandersetzung mit den Ansprüchen und Methoden der Hirnwissenschaft vorlegen. Als Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit den Kognitionswissenschaften empfiehlt sich ferner noch immer die Einleitung sowie die Beiträge in der MIT Encyclopedia of the Cognitive Sciences (Wilson 1999).
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Miller 2003: 141), fanden die cognitive sciences lange Zeit tendenziell weniger öffentliche Beachtung als z. B. die Gentechnologie oder die Fortschritte in der elektronischen Datenverarbeitung.7 Doch spätestens mit der Ausrufung der 90er Jahre zur ‚Dekade des Gehirns‘ durch den amerikanischen Kongress avancierte die Beschäftigung mit menschlicher Kognition und ihrer biologischen Grundlage zunehmend zum Gegenstand öffentlicher Aufmerksamkeit.8 Getragen von ihren beachtlichen Erfolgen hat diese relativ junge Wissenschaftsbranche längst den Bereich fachwissenschaftlicher Relevanz überschritten und Einzug in die unterschiedlichsten akademischen und gesellschaftlichen Diskurse genommen (vgl. Monyer et al. 2004). Versteht man mit Jürgen Link (1988) Literatur als einen gesellschaftlichen Interdiskurs, in dessen Rahmen die Gesamtheit aller Spezialdiskurse potentiell einfließen kann, so überrascht es in diesem Kontext nicht, dass kognitive und neurologische Themen auch in der zeitgenössischen Literatur bereits seit einiger Zeit ‚angekommen‘ sind. „Brain Plots“, wie Gesa Stedman (2008) solche literarischen Texte nicht unkritisch bezeichnet, sind längst aus der Obskurität eines thematischen Randphänomens ins Licht der literarischen und akademischen Öffentlichkeit getreten.9 Als solche geben sie ein beredtes Zeugnis dafür ab, dass die von den Autoren des ‚Manifests‘ der Hirnforschung (Monyer et al. 2004: 37) geforderte gesellschaftliche Diskussion um ein neues Menschenbild auf der Ebene internationaler Literatur längst begonnen hat.10 Spielfilme wie Christopher ––––––––––––– 7 Harnish (2002) sieht die Geburtsstunde der Kognitionswissenschaften als eigenständiger Disziplin erst in den späten 70er und frühen 80er Jahren und nennt als Meilensteine dieser Entwicklung z. B. die Gründung der Zeitschrift Cognitive Science (1977). 8 Die US Regierung initiierte eine zehnjährige institutsübergreifende Initiative zur Förderung der Neurowissenschaften und erklärte in diesem Kontext die 1990er Jahre zur „Decade of the Brain“ mit dem Ziel, „to enhance public awareness of the benefits to be derived from brain research“ (Bush 1990). 9 Wie Gesa Stedman (2008:114–116) betont sind Texte, die sich mit mentalen bzw. Bewusstseinsphänomenen auseinandersetzen, keine Erfindung des zeitgenössischen Romans und auch die literarische Verarbeitung geistiger Behinderungen und Krankheiten beschränkt sich nicht auf die jüngste Vergangenheit: vgl. z. B. Faulkners The Sound and the Fury (1929) oder Borges Kurzgeschichte „Funes, the Memorious“ (1942). Dennoch konstatiert sie einen zeitgenössischen Trend zu sog. „Brain Plots“, d. h. zu „plots revolving around mental illness, the workings of the mind and how experts and victims deal with these issues“ (Stedman 2008: 113). Als Beispiel hierfür führt Stedman Romane wie David Lodges Thinks …(2001), Powers’ The Echo Maker (2006), McEwans Enduring Love (1997) und Saturday (2005), Krauss’ Man Walks into a Room (2002), Hustvedts The Sorrows of an American (2008) sowie die psychologischen Thriller von Barbara Vine und Martin Suter an. Auch Freißmann (2011) bestätigt den thematischen Einfluss der Kognitionswissenschaft auf die Erzählliteratur in seiner einschlägigen Studie, die sich u. a. mit Texten wie Haddons The Curious Incident of the Dog in the Night-Time (2003) oder Powers’ Galatea 2.2 (1995) auseinandersetzt. 10 Führende deutsche Neurowissenschaftler veröffentlichten 2004 ein vielbeachtetes ‚Manifest‘ zu „Gegenwart und Zukunft der Hirnforschung“, in dem sie das Potential und die Tragweite
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Nolans Memento (2000), die Bestseller von Oliver Sacks (z. B. 1973, 1985, 1995) oder autobiographische Berichte wie Jean-Dominique Baubys Le scaphandre et le papillon (1997; verfilmt 2008) demonstrieren darüber hinaus, dass diese Diskussion nicht auf literarische Fiktion beschränkt ist, sondern sich auf verschiedensten Ebenen künstlerischer und unterhaltungsindustrieller Produktion angesiedelt hat. Zusammen mit zahllosen, durchaus kontroversen, Beiträgen von Hirn- und Kognitionswissenschaftlern in Feuilletons, Talkshows und populärwissenschaftlichen Publikationen (vgl. Laucken 2003: 152f.) verdeutlichen sie, wie fest moderne neurologischpsychologische Annäherungen an das Gehirn und den Menschen mittlerweile in der Gegenwartskultur verankert sind. Doch nicht nur die künstlerische und mediale Öffentlichkeit, sondern auch die institutionalisierten Literatur-, Kultur- und Sozialwissenschaften haben sich in den vergangenen Jahren verstärkt (natur)wissenschaftlichen,11 insbesondere kognitiven, Erkenntnissen und Themen zugewandt. So sind die historischen Arbeiten Michael Hagners zur Hirnforschung (2000, 2006), die Versuche einer Etablierung empirischer Literaturwissenschaft (Schmidt 1991 [1980]; Bortolussi/Dixon 2003; Miall 2006) und die Bemühungen Wolfgang Welschs (2011, 2007a, 2007b) um eine zeitgemäße philosophische Anthropologie Indizien für Wilhelm Kamlahs schon 1973 getroffene Beobachtung, dass die Entwicklung der Geisteswissenschaften sich immer wieder in der Auseinandersetzung mit der Naturwissenschaft vollzieht (10, 22).12 Trotz erstarkender Öffnungstendenzen zeigt sich allerdings eine große Zahl von Literaturwissenschaftlern weiterhin skeptisch und zurückhaltend gegenüber Diskussionen und Anregungen aus fremden Disziplinen. Historisch betrachtet reiht sich diese Reaktion nach Patricia Waugh (2006: 24) in eine lange Tradition von Abgrenzungsängsten ein.13 Ihrer Meinung nach ist die Sorge um „infiltration and contamination by other disciplines“ (ebd.) so alt wie die Literaturwissenschaft selbst und lässt sich zu so frühen Beispielen wie dem des italienischen Philosophen und Kritikers ––––––––––––– der Neurologie selbstbewusst skizzieren und eine nachhaltige Veränderung des Menschenbildes prognostizieren (vgl. Monyer et al. 2004). Für kritische Repliken zum ‚Manifest‘ siehe die Beiträge von Prinz (2004), Rösler (2004) oder Janich (2009: 102–105). 11 Klammern in Begriffen wie ‚(natur)wissenschaftlich‘ werden im Sinn eines ‚bzw.‘ verwendet, d. h. ein Ausdruck wie ‚(Re)Konstruktion‘ ist als ‚Konstruktion bzw. Rekonstruktion‘ zu lesen. 12 Vgl. hierzu Adler (2006), der Kamlahs These im spezifischen Kontext der Entwicklungsgeschichte der Literatur vertritt. 13 Laut Jackson (2000: 321f.) gibt es allerdings deutliche Unterschiede in der literaturwissenschaftlichen Reaktion auf andere Disziplinen. Neben ‚normalen‘ interdisziplinären Abgrenzungsängsten zeigt sich die Literaturtheorie seiner Meinung nach besonders zurückhaltend gegenüber Wissen naturwissenschaftlichen Ursprungs. Dies führt er auf die unterschiedliche methodologische Ausrichtung der Naturwissenschaften (Empirie) zurück.
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Bernadetto Croce zurückverfolgen, der sich bereits vor über hundert Jahren besorgt um die „purity of literary criticism“ (ebd.) zeigte. Solche Widerstände können sicherlich teilweise im Kontext des von Thomas Kuhn beschriebenen Widerstandes der sog. ‚Normalwissenschaft‘ gegenüber einem drohenden Paradigmenwechsel gedeutet werden.14 Eine solche Einreihung in ein derart allgemeines und vereinfachendes Transformationsschema von Wissenschaft sollte jedoch nicht über die besondere Mischnatur der akademischen Beschäftigung mit Literatur hinwegtäuschen: „Historically, literary studies has always been a somewhat hybrid mix of practices“, stellt Waugh (2006: 24) fest und wird dabei von Herman (2005: 22) unterstützt, der Literaturtheorie als einen Knotenpunkt „within a network of discourses and intersecting historical trends“ versteht.15 Angesichts dieser Hybridität und Dentiths Diagnose, dass außerdisziplinäre Einflüsse auch für „recent changes and transformations in intellectual life“ (1995: 88; meine Herv.) verantwortlich zeichnen, sind Reaktionen der Literaturwissenschaft auf den Erfolg der Neuro- und Kognitionswissenschaften zu erwarten: [A]s new explanations of mind become sufficiently persuasive, we may expect new explanations of cultural artefacts and activities to come along that take into account what has been discovered about culture and psychology. (Jackson 2000: 337)16 Doch ungeachtet der Frage nach den langfristigen Konsequenzen für Kultur und Gesellschaft im Allgemeinen muss eine Auseinandersetzung der Literaturwissenschaft mit den Kognitionswissenschaften nicht zwingend als drohendes Damoklesschwert verstanden, sondern kann durchaus als Chance begriffen werden. So sieht z. B. Peter Stockwell im Aufgreifen kognitiver Themen die Möglichkeit, das Auseinanderdriften von Literaturwissenschaft und Gesellschaft aufzuhalten und die akademische Beschäfti––––––––––––– 14 Vgl. Kuhn (1970 [1962]; insbes. Kap. XII: 144–160) bzw. Poser (2001: 141–156). Zum Wettstreit von Forschungsparadigmen gehört jedoch nicht nur der Widerstand gegen neue Entwicklungen, sondern auch oft polemische Kritik der Vertreter neuer Ansätze an ihren Vorgängern (vgl. Adler/Gross 2002: 197). Zur Kritik des Paradigmenbegriffs bei Kuhn siehe ferner Masterman (1970); zur Kritik am Kuhnschen Ansatz vgl. Weinberg (1998). 15 Herman knüpft damit an die Überzeugung an, dass die Literaturkritik und -theorie immer in einen spezifischen historischen Kontext eingebettet ist; vgl. dazu Wellek (1963: 37–53), Eagleton (1996: 169f.) und Waugh (2006: 11). 16 Wie tiefgreifend solche Veränderungen sein werden ist kaum abzuschätzen. Während die Autoren des ‚Manifests‘ eine profunde Transformation unseres Menschenbildes prognostizieren (vgl. Monyer 2004: 37), rät Michael Hagner in dieser Frage zur Gelassenheit. Er erinnert daran, dass in der langen Geschichte der Hirnforschung „vieles von den Versprechungen der Neurowissenschaften nicht eingelöst wurde, […] manches uns heute so fremd erscheint, dass wir nur noch Kopfschütteln dafür übrig haben, und anderes kaum so revolutionär war wie anfänglich dargestellt.“ (2006: 25) Vgl. dazu auch Pauen (2007) und Janich (2009), die zu einer ähnlichen Einschätzung gelangen.
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gung mit Texten wieder stärker an die Welt außerhalb der Universität anzubinden (vgl. 2002: 11). Gottschall (2008b) glaubt, auf diese Weise einen Teil der ‚intellektuellen Dynamik‘ und des ‚Markwertes‘ zurückgewinnen zu können, der an die Naturwissenschaften verloren wurde, und Aaron Cicourel vertritt die Meinung, dass nur durch solch interdisziplinären Austausch das Übersehen wichtiger Details auf allen Analyseebenen verhindert werden kann (2006: 28). Auch Hogan empfiehlt der Literaturwissenschaft, die kognitive Revolution als wichtigen wissenschaftlichen Trend nicht zu verschlafen, will sie nicht Gefahr laufen „[to] be left on the dustheap of history“ (2003a: 1ff.), während Porter Abbott diese Entwicklung weniger als Notwendigkeit, denn als Bereicherung versteht, durch die der gesamte Bereich von Analyse und Interpretation auf wünschenswerte Weise an Komplexität gewinnt (vgl. 2006: 717). Entscheidender als die beredten Apologien der Befürworter kognitiver Ansätze ist jedoch die Tatsache, dass nach Abzug (oft irrationaler) Ängste nur wenige prinzipielle Einwände gegen ein kritisches Herantragen kognitiver Fragestellungen und Theorien an Literatur bestehen bleiben. Auch wenn – wie im Folgenden dargestellt werden wird – einige Fragen bezüglich Reichweite, Methodik und Anwendung keineswegs unproblematisch sind, so zeigt Jens Eder (2003: 285ff.), dass zumindest ebenso viele der vorgebrachten Argumente gegen eine grundsätzliche Einbeziehung kognitiver Aspekte in die Literaturwissenschaft einer soliden Basis entbehren.17 Denn idealerweise verhalten sich kognitive Ansätze komplementär und nicht antithetisch zu traditionelleren Herangehensweisen. Es geht einer nicht-reduktionistischen Variante der cognitive literary studies damit nicht um eine radikale Reform der Literaturwissenschaft, sondern um das undogmatische Erschließen neuer Horizonte. Diesem offenen Verständnis gemäß definiert Alan Richardson das Projekt einer kognitiven Literaturwissenschaft als „the work of literary critics and theorists vitally interested in cognitive sciences and neuroscience, and therefore with a good deal to say to one another“ (2004: 2). Anstelle einer Schnittmenge verbindlicher Hypothesen und Methoden soll unter kognitiver Literaturwissenschaft, ähnlich wie bei den Begriffen der ‚Kulturwissenschaft‘ oder ‚Gender Studies‘, eine allgemeine Haltung verstanden werden. Cognitive literary studies zeichnen sich damit nicht durch einen essentiellen Kern, sondern durch ein gemeinsames Interesse an kognitiven Fragestellungen und der Suche nach interdisziplinärer Inspiration aus.18 ––––––––––––– 17 Eder identifiziert und entkräftet vier Hauptargumente (superfluity, independence, flexibilityof application, incompatibility) und skizziert ferner exemplarisch sieben mögliche Beziehungen einer kognitiven Rezeptionstheorie und der Narratologie (vgl. 2003: 285ff.; 284, FN 14). 18 Die Mehrheit der Vertreter kognitiver Literaturansätze teilt dieses Verständnis (vgl. Zunshine 2006: 5, Herman 2003b: 11, Hogan 2003a: 2ff., Richardson/Steen 2002: 6, Porter Abbott
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Entscheidend für die Vertreter dieses Ansatzes ist dabei jedoch das Festhalten an der Bedeutung traditioneller textanalytischer Expertise. Die profunde „familiarity with complex texts and sophisticated interpretive practice“ des ausgebildeten Literaturwissenschaftlers wird weiterhin als unverzichtbar für die kritische Reflexion von neuen Thesen und Modellen verstanden (Spolsky 1993: 2). Wie Hogan betont sind „humanists who have studied the arts intensively for a long period of time“ (2003a: 3) am besten geeignet, um der Komplexität und den spezifischen Fragen kulturell-künstlerischer Phänomene auch aus einer kognitiven Perspektive gerecht zu werden: „A neurobiologist who turns briefly to literature as a side issue is unlikely to do it justice“ (ebd.).19 Für den interessierten Literaturwissenschaftler stellen die Ergebnisse und Ideen der cognitive sciences dagegen ein in seiner Tiefe noch nicht ausgelotetes Inspirationsreservoir dar. Als neue wissenschaftliche Perspektive hat die kognitive Literaturwissenschaft daher das Potential, die Diskussion älterer Diskurse über Kultur, Sprache und Literatur zu beleben und fruchtbare Synergien zu schaffen (vgl. Herman 2003b: 11), die im günstigsten Fall gänzlich neue Aspekte in das Verständnis und die Analyse von Literatur einzubringen vermögen (vgl. Alan Richardson 2004: 23; Richardson/ Steen 2002: 6).20 ––––––––––––– 2006: 714). Eine negative Beurteilung findet sich dagegen bei Strasen (2008b: 199), der im Fehlen eines gemeinsamen theoretischen Rahmens eine Schwäche des Feldes sieht. 19 Wissenschaftler, die mit naturwissenschaftlichem Gültigkeitsgestus Thesen aufstellen, die ihre eigene Disziplin und Kompetenz weit überschreiten, und dabei zu fragwürdigen Aussagen gelangen, sind ein bekanntes Phänomen (vgl. Tallis 2008). Die in diesem Sinne wohl ausführlichste kritische Analyse der „Sprache der Hirnforschung“ hat Peter Janich (2009) vorgelegt. Zur Metaphorik neuro- und kognitionswissenschaftlicher Forschung vgl. ferner auch Cunningham (2008), Hagner (2006: 21) sowie Semino (2008: 125–167), Martin/Harré (1982) und Ortony (1993) zur allgemeinen Rolle von Metaphern in Wissenschaft und Theorie. 20 Für einen Überblick über das Feld der cognitive literary studies siehe Alan Richardsons (2004) provisorische ‚field map‘, die sechs Forschungsrichtungen identifiziert. Schneiders einfachere Unterteilung unterscheidet hingegen lediglich zwischen dem sog. information processing paradigm und dem mental dispositions paradigm (vgl. 2006a: 3; passim). Weitere allgemeine Einführungen finden sich z. B. bei Zymner (2009), Herman (2007b, 2007c, 2003b), Hogan (2003a), Eder (2003) oder Zerweck (2002). Die Frage nach kognitiven Universalien in der Literaturrezeption stellen u. a. Turner (1992, 1996), Hogan (2003b) und Zunshine (2006, 2008), während Gerrig (1993), Gerrig/Egidi (2003) oder Zwaan/Singer (2003) in die Grundlagen kognitiver Textverarbeitung einführen. Zur literarischen Figur aus kognitiver Sicht haben Schneider (2000), Culpeper (2001), Jannidis (2004a) und Margolin (2005, 2007) wichtige Beiträge geleistet; Palmer (2004) hat sich mit fictional minds auseinandergesetzt. Als komplementäre Einführung in die cognitive poetics sind Stockwell (2002) und Gavins/Steen (2003) konzipiert, während sich eine evolutionär-biologische Perspektive auf Literatur bei Carroll (1995), Eibl (2004a) oder Gottschall (2005, 2008a) findet. Zur kognitiven Narratologie vgl. ferner Jahn (1997, 1999a, 2003) und Herman (2003a, 2009b, 2009c). Einen alternativen Ansatz stellt Fluderniks Natural Narratology (1996) dar. Zur Diskussion diverser Themen der cognitive literary studies siehe ferner auch Richardson/Spolsky (2004), Stierstorfer (2008), Schlaeger/Stedman (2008), Brône/Vandaele (2009) und Huber/Winko (2009).
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Doch trotz aller Chancen, die der Zuwachs an neuen Erkenntnissen über die Natur und Funktion des menschlichen Denkens potentiell verspricht, darf nicht über die Probleme hinweggetäuscht werden, die mit einem solchen Unterfangen einhergehen. Genau wie für den Kognitionspsychologen ist auch für den Literaturwissenschaftler der interdisziplinäre Ausflug in fremde Wissenschaftsgebiete nicht unproblematisch. Ein Ansatz, der sich nachdrücklich für eine kognitive Literaturwissenschaft ausspricht, muss sich daher den Einwänden gegen eine solche stellen. Aus diesem Grund ist es für die vorliegende Untersuchung geboten, sich den epistemologischen und methodischen Schwierigkeiten einer Zusammenführung beider Bereiche detailliert zu widmen.21
II.1.1 Zu den Einwänden und Grenzen kognitiver Ansätze „The literary critic as neuroscience groupie is part of a growing trend“, schreibt Raymond Tallis im April 2008 im Times Literary Supplement (online). „A generation of academic literary critics has now arisen who invoke ‚neuroscience‘ to assist them in their work of explication, interpretation and appreciation“, stellt er fest, um in der Folge den dramatischen Reduktionismus anzuprangern, den die Vertreter einer solchen ‚Neuroästhetik‘ seiner Meinung nach zu verkörpern scheinen (ebd.).22 Die von ihm konstatierte „neuroscience delusion“ solcher „neuro-lit-crits“ demonstriert Tallis exemplarisch am Beispiel eines ebenfalls im TLS erschienenen Artikels von A. S. Byatt (2006) zu den Gedichten John Donnes. In einer ebenso scharfen wie scharfsinnigen Kritik zeigt er, dass die Überlegungen der Autorin in zweierlei Hinsicht unzulässig vereinfachend sind. Zum einen werden die interdisziplinären Anleihen Byatts der tatsächlichen neurologischen Forschung nicht gerecht und verkommen zu reiner „neurospeculation“ (ebd.). Gleichzeitig scheint sie dem verführerischen Irrglauben zu erliegen, komplexe kulturelle Phänomene wie Literatur mittels extrem breitpinseliger wissenschaftlicher Deutungsversuche objektiv klären zu können. So zieht die Autorin z. B. die Existenz von Spiegelneuronen als scheinbar ausreichende und adäquate Erklärung der (emotionalen) Wir––––––––––––– 21 Sinn und Unsinn einer kognitiven Literaturwissenschaft wurden bereits in einer Reihe von Arbeiten diskutiert, die in die nachfolgenden Ausführungen z. T. eingeflossen sind. Besonders hervorzuheben sind in diesem Kontext die Themenhefte der Zeitschrift Poetics Today 23.1 (2002) & 24.2 (2003). An Einzelbeiträgen sei ferner verwiesen auf Jackson (2000, 2002, 2003, 2005), Adler/Gross (2002) sowie Richardson/Steen (2002), Holland (2002), Sternberg (2003), Eder (2003), Abbott (2006), Tallis (2008), Zymner (2009) und Mansour (2009). 22 Tallis’ Kritik wendet sich vordringlich gegen neurologische Ansätze in der Literaturanalyse, kann jedoch auf die cognitive literary studies an sich übertragen werden (vgl. 1999: 127–154).
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Vorüberlegungen
kung von Gedichten heran. Auf diese Weise entwirft sie einen Erklärungsansatz, der nicht nur neurologisch äußerst fraglich ist,23 sondern zudem eine Vielzahl wirkungsästhetischer Differenzierungskategorien ignoriert: […] by adopting a neurophysiological approach, Byatt loses a rather large number of important distinctions: between reading one poem by John Donne and another; between successive readings of a particular poem; between reading Donne and other Metaphysical poets; between reading the Metaphysicals and reading William Carlos Williams […]; between reading and a vast number of other activities – such as getting cross over missing toilet paper. That is an impressive number of distinctions for a literary critic to lose. (Tallis 2008)
Das Zitat zeigt, dass ein neuroästhetischer Reduktionismus Gefahr läuft, wichtige Unterschiede sowie die charakteristischen Besonderheiten von Literatur zu übersehen. Anstelle einer Bereicherung für die Literaturanalyse droht eine mit methodischer Blindheit geschlagene Literatursimplifikation, die darüber hinaus mittels selektiver Reduktion ihre eigenen Ergebnisse rundweg fabriziert. „Like hypochondriacs“, warnt Tallis vor allen reduktiven Theorieansätzen, „theory-led critics find what they seek“ (ebd.). Die Kritik des emeritierten Mediziners wiegt nicht nur besonders schwer da er, im Kontrast zu vielen Vertretern eines interdisziplinärkognitiven Ansatzes, über eine naturwissenschaftliche Ausbildung verfügt. Vielmehr finden sich in seinem kurzen Beitrag im TLS einige der wichtigsten Einwände aus der Apologie- und Methodendiskussion der cognitive literary studies.24 Seine Beurteilung kann daher als Ausgangspunkt für eine umfassende Untersuchung der Grenzen und Reichweite kognitiver Ansätze fungieren, bei der das Feld der Kritik in drei Hauptbedenken geteilt und detailliert analysiert werden soll: Zunächst werden dabei die rhetorische ––––––––––––– 23 Spiegelneuronen sind spezielle Hirnzellen, die erstmals 1996 bei Affen nachgewiesen wurden, und deren definierende Eigenschaft darin besteht, dass sie aktiv werden „both when the monkey makes a particular action and when it observes another individual (monkey or human) making a similar action“ (Rizzolatti/Craighero 2004: 169). Seit der Endeckung dieser Nervenzellen spekulieren Forscher enthusiastisch, dass mirror neurons für verschiedenste Bereiche menschlicher Kognition (z. B. Empathie, Sprache, Autismus, usw.) verantwortlich sein könnten (vgl. z. B. Bauer 2006; Rizzolatti/Sinigaglia 2008). Die Funktion von Spiegelneuronen wurde allerdings bisher weder empirisch geklärt noch liegt ein Modell vor, das die Verbindung zwischen diesen Neuronen und ‚höheren‘ kognitiven Funktionen (z. B. Sprache) überzeugend herstellt. Besonders prägnant ist dabei der Umstand, dass die wissenschaftlichen Ergebnisse zu Spiegelneuronen primär auf Studien mit Affen beruhen, gleichzeitig jedoch zur Erklärung von Phänomenen wie Sprache, Moral, Empathie oder Kunst herangezogen werden, die bei Affen nicht (in vergleichbarer Weise) auftreten (vgl. Lehnen-Beyel 2007). Zur massiven Kritik an Spiegelneuronen siehe daher Churchland (2011: 135–156), Hickok (2009), Dinstein et al. (2007), Borg (2007), Gaschler (2006) sowie den vielbeachteten Artikel der renommierten Psychologin Alison Gopnik (2007). 24 Tallis’ (2008) Kritik ist allerdings insofern problematisch als sie sich auf alle theoriegeleiteten Ansätze bezieht, er jedoch keine Alternative zur Literaturtheorie aufzeigt (vgl. dazu auch Tallis 2000). Die Validität seiner kritischen Beobachtungen zur Neuroästhetik wird davon jedoch nicht entscheidend beeinträchtigt.
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Verfasstheit bzw. die ‚Erkenntnisversprechen‘ kognitionswissenschaftlicher Herangehensweisen untersucht; im Anschluss daran soll erörtert werden, ob naturwissenschaftliche Ansätze den Gegenstandsbereich Literatur grundsätzlich in angemessener Weise thematisieren können, bevor drittens die inhärente Problematik einer interdisziplinären Annäherung von literary studies und cognitive sciences kritisch beleuchtet wird. Aus der Reflexion der Bedenken und Einwände werden dann in einem letzten Schritt die theoretisch-methodischen Leitlinien generiert, die einesteils den konzeptuellen Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit darstellen, gleichzeitig jedoch einen eigenständigen Vorschlag für die theoretische und praktische Grundlegung einer kognitiven Literaturwissenschaft darstellen.
II.1.2 Die Rhetorik kognitiver Literaturwissenschaft Es gibt viele Gründe für einen Akademiker, sich interdisziplinär zu orientieren. Neben positiven Begriffskonnotationen und gefühlten Vorteilen bei der Bewilligung von Forschungsanträgen bedeuten neue Ansätze gewöhnlich „lots of conferences and papers, and other ways of enhancing the path to professional advancement“ (Tallis 2008). Zudem fungiert interdisziplinäre Neuorientierung häufig als Lösungsstrategie für innerdisziplinäre Krisen. So können auch in den literary studies neue Ansätze dabei behilflich sein, Vertrauenskrisen in Sinn und Status des eigenen Tuns zu bewältigen (vgl. ebd.). Und gerade dies scheint für viele Stimmen in der Literaturwissenschaft dringend von Nöten. Schenkt man den CassandraRufen, die vor allem aus den USA über den Ozean schallen, Gehör, so entsteht ein düsteres Bild der gegenwärtigen Situation: „The real story of academic literary criticism today is that the profession is, however slowly, dying“, konstatiert William Deresiewicz in The Nation (2008). Auch Gottschall (2008c) sieht die Disziplin als zunehmend moribund, ziellos und irrelevant: „Class enrolments and funding are down, morale is sagging, huge numbers of PhDs can’t find jobs, and books languish unpublished or unpurchased because no one, not even other literary scholars, want to read them.“25 Angesichts dieser wenig optimistischen Lage scheinen der intellektuelle Optimismus und die unangefochtene Existenzberechtigung der Naturwissenschaften eine attraktive Kontrastfolie zu bieten. „Instead of philosophical despair about the possibility of knowledge“, so Gottschalls Schlussfolgerung, sollte die Literaturwissenschaft sich daher inhaltlich und ––––––––––––– 25 Zu weiteren Lamentationen über den Niedergang von Literatur und Literaturwissenschaft siehe u. a. Green (2001), Berkowitz (2006), Steiner (1999), Scholes (1998) oder Ellis (1997).
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Vorüberlegungen
methodisch den Naturwissenschaften annähern, um auf diese Weise von deren positivem Selbstbewusstsein und Image zu profitieren (vgl. ebd.). Insbesondere Vertreter empirischer Literaturansätze betonen in diesem Kontext die zentrale Bedeutung eines Anknüpfens der Literaturwissenschaft an die Realität des Lesers und der Literatur. An die Stelle hypothetischer Leser oder Rezeptionskonstrukte muss ihrer Meinung nach die Untersuchung ‚wirklicher‘ Leser und Lesevorgänge treten, um auf diese Weise ‚endlich‘ zu soliden Ergebnissen zu gelangen und einen Weg aus dem endlosen Spiel hypothetischer Literaturspekulation zu finden.26 Rufe nach ‚einfachen‘ oder radikal ‚anderen‘ Lösungen in Krisensituationen sind ein bekanntes Phänomen. So scheint auch eine Annäherung an die „reality-driven enterprise“ (Gross/Levitt 1994: 234) der Naturwissenschaft ein zunächst vielversprechendes Konzept für die Rückeroberung gesellschaftlicher Relevanz darzustellen. Der potentielle Rückgriff auf ‚harte‘ wissenschaftliche Fakten im notorisch ‚weichen‘ Feld der humanities verspricht einen Ausweg aus der unattraktiven Unentscheidbarkeit literaturwissenschaftlicher Diskussionen (vgl. Adler/Gross 2002: 209). Realität als unhinterfragbare Entität wird im Anschluss an das Selbstverständnis vieler Naturwissenschaftler zum Maßstab von Relevanz und methodischer Dignität erklärt: „Reality is the overseer at one’s shoulder, ready to rap one’s knuckles or to spring the trap into which one has been led […] by a too-complacent reliance on mere surmise.“ (Gross/Levitt 1994: 234) Abgesehen von der Fragwürdigkeit eines solchen Realitäts- und Wissenschaftsverständnisses (vgl. Lewontin 1991)27 wird hier deutlich, dass die Attraktivität empirischer Daten weniger auf einer geprüften methodischen Anwendbarkeit als den ideologisch aufgeladenen Heilsversprechen der Apologeten der Empirie zu beruhen scheint. „Reality is the unrelenting angel with whom scientists have agreed to wrestle“, verkünden Gross/Levitt in entsprechend metaphysisch-theologischem Duktus (1994: 234; meine Herv.) und machen sich damit zum exemplarischen Sprachrohr einer Mentalität, „bei der die im kulturellen Gedächtnis verankerten Sehnsuchtsphantasien in der technologischen Zuversicht aufgehen“ (Hagner 2006: 23). Insbesondere in der gegenwärtigen Euphorie um die Hirn- und Kognitionswissenschaften spielen metaphorische Erkenntnisversprechungen ––––––––––––– 26 Für solche Positionen siehe z. B. Miall (2006: 11ff.) oder de Beaugrande (1989: 10). 27 Lewontin (1991) diskutiert die Konstruktion von Fakten in scheinbar objektiven wissenschaftlichen Untersuchungen und vertritt die Meinung, dass wissenschaftliche Theorien oft weit weniger methodisch und empirisch abgesichert sind als sie vorzugeben scheinen (vgl. 142f; passim). Generell steht die hier aufgeworfene Diskussion ferner im größeren Kontext allgemeiner wissenschaftsphilosophischer Fragestellungen, deren weitere Diskussion allerdings den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde; zur Einführung in die Wissenschafts- und Erkenntnistheorie siehe stattdessen z. B. Musgrave (1993) oder Poser (2001).
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eine nicht zu unterschätzende Rolle.28 In Grundfragen menschlicher Existenz scheint das Gehirn zu einer der letzten einheitsstiftenden Größen in Forschung und Philosophie avanciert zu sein (27). Bewusstsein, Wille und Intelligenz aber auch Liebe, Ästhetik und Aggression werden in zunehmender Ausschließlichkeit als Manifestationen kognitiv-neurologischer Prozesse verhandelt. Das Gehirn stellt dabei die letzte Instanz dar, in der solche Phänomene scheinbar noch gemeinsam verortet werden können. Dabei ist das Gehirn als wissenschaftliches Konzept – gerade aufgrund der Masse an Forschungsergebnissen und -richtungen – nicht einmal mehr innerhalb der Kognitionswissenschaften selbst in der Lage, diese verbindende Rolle zu erfüllen (vgl. 26ff.).29 Es drängt sich mit Mary Midgley daher der Verdacht auf, dass der Rückgriff auf kognitive Ansätze in vielen Fällen weniger von inhaltlichen Gesichtspunkten als von den Erfolgen der Hirnwissenschaften auf anderen Gebieten motiviert ist (vgl. 2006: 3). Im akademischen und öffentlichen Hype um die cognitive revolution scheinen Enthusiasmus ansteckend und der Begriff des Kognitiven besonders attraktiv zu sein.30 In Anbetracht dieser Situation ist es wichtig sich zu vergegenwärtigen, dass keine apriorische Evidenz für die zwingende Relevanz kognitionswissenschaftlicher Erkenntnisse für die Literaturwissenschaft vorliegt. Wie Jackson (2002: 166) betont könnte sich biologisches und kognitives Wissen im Kontext psychologischer und kultureller Fragen als ebenso wenig relevant erweisen wie die Quantentheorie im Newtonschen Alltagsuniversum. In diesem Kontext sei auch an den Physiker und Nobelpreisträger Steven Weinberg erinnert, der bemerkte, dass hochspezifische Fortschritte in der Wissenschaft oft keine Auswirkungen auf das kulturelle Selbstverständnis der Menschen haben (vgl. 1996: 12; bzw. Hagner 2006: 26). Am Beispiel der modernen Physik stellt er fest, dass fachwissenschaftliche Entdeckungen nicht automatisch oder notwendigerweise legitime Implikationen für Kultur, Politik oder Philosophie nach sich ziehen: „as far as cul––––––––––––– 28 Vgl. Hagners Diagnose der Rhetorik der Hirnwissenschaften (2006: 21): „Immerhin erfreuen sich die uralten Metaphern des Abenteuers und der Eroberung des unbekannten Landes nach wie vor einer großen Beliebtheit; und auch die Ankündigungen tief greifender epistemologischer und psychologischer, klinischer und den gewöhnlichen Alltag betreffender Umwälzungen sind nicht neu. Sie eilen der Verbreitung neuer empirischer Befunde, Konzepte oder Theorien typischerweise voraus und lassen sich nicht unbedingt trennen von der Deutung der Befunde und den Theorien.“ Zur Sprache der Hirnwissenschaft siehe auch Janich (2009). 29 Innerhalb der Neuro- oder Kognitionswissenschaften besteht kein Konsens über die Definition des Gehirns. Vertreter verschiedener Forschungsrichtungen arbeiten vielmehr mit z. T. völlig unterschiedlichen Konzeptionen von Gehirn und Kognition (vgl. Hagner 2006: 26). 30 Im Klima erfolgreicher und neuer Konzepte finden sich unerklärte Daten, methodische Probleme und konzeptuelle Aporien häufig „pushed to the back of the collective scientific consciousness“, was wiederum verstärkend auf den Geltungsanspruch und die Faszination der jeweiligen naturwissenschaftlichen Modelle zurückwirkt (vgl. Lewontin 1991: 148f.).
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Vorüberlegungen
ture or philosophy are concerned the difference […] between classical and quantum mechanics is immaterial“ (Weinberg 1996: 12).31 Die Attraktivität kognitionswissenschaftlicher Ergebnisse und Modelle scheint somit nur unzureichend sachlich begründet und wurzelt zumindest partiell in außerrationalen Beweggründen. Es muss allerdings betont werden, dass dies im Umkehrschluss noch kein objektives Argument gegen die Sinnhaftigkeit einer interdisziplinären Annäherung darstellt. Dennoch lässt sich feststellen, dass überschwängliche Versprechungen von Wissenschaftlern generell mit Vorsicht zu genießen sind und eine Motivation, die auf Enthusiasmus gegründet ist, sich methodisch zumindest als fraglich erweist. Metaphorisch überspitzt lässt sich die Situation für die Literaturwissenschaft damit in Anlehnung an Mary Midgley folgendermaßen skizzieren: The reason for preferring these studies seems to be much more because of their success in other fields than from any likelihood that they will help us here. This is essentially the approach well described of late by the story of the man who is found looking for his keys under a street-lamp and is asked whether that is where he dropped them. ‘No,’ he says, ‘but it’s much the easiest place to look.’ (Midgley 2006: 3)
Doch auch wenn der Mann aus Midgleys Geschichte seinen Schlüssel nicht wieder findet – so könnte man einwenden – lässt sich nicht vorhersagen, was er stattdessen im Lichtkegel der Straßenlaterne entdecken wird. Erinnert man sich an den Enthusiasmus um die moderne Physik in den ersten zwei Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts, so wurde auch hier mit den Erfolgsprognosen teilweise „über das Ziel hinausgeschossen“ (Grössing 2007: 222). Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass die Physik der letzten achtzig Jahre mit keinerlei neuen und vielleicht unerwarteten Ergebnissen aufwarten konnte. Die rhetorische Verfasstheit und die damit verbundene Außenwirkung und Attraktivität der Kognitionswissenschaften mahnt somit zwar zur Vorsicht, stellt jedoch noch kein inhaltliches Argument gegen das Projekt einer kognitiven Literaturwissenschaft dar. Aus diesem Grund widmet sich das nächste Kapitel den wichtigsten inhaltlichen Einwänden, welche die Angemessenheit einer naturwissenschaftlich-kognitiven Herangehensweise an Literatur in Frage stellen.
––––––––––––– 31 Weinberg bezieht sich auf die ‚direkten‘ Implikationen physikalischer Theorien: „I am not talking here about the technological applications of physics, which of course do have a huge effect on our culture, or about its use as metaphor, but about the direct implications of purely scientific discoveries themselves.“ (1996: 12)
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II.1.3 Reichweite und Angemessenheit kognitiv-naturwissenschaftlicher Ansätze ‚Wo waren die Neurowissenschaftler nach dem elften September 2001?‘, fragt der Psychologe Uwe Laucken im Journal für Psychologie im Jahr 2003 und stellt auf den folgenden Seiten die prinzipielle Frage nach dem Erklärungspotential der cognitive sciences in Bezug auf komplexe, in sozialen, ideologischen und politischen Kontexten verhaftete Phänomene (154f.). Lauckens Frage spiegelt dabei den Unmut des Psychologen über die Forschungssituation in seiner Disziplin wider. Diese ist, seiner Meinung nach, einerseits von einem geradezu universellen Erklärungsanspruch der Neuropsychologie und andererseits von einer fundamentalen Unfähigkeit derselben gekennzeichnet, komplexe, bedeutende Ereignisse wie den Terrorismus auch nur ansatzweise psychologisch zu durchleuchten.32 Überträgt man Lauckens neuropsychologische Bedenken von der Psychologie auf das Verhältnis zwischen Literatur und Kognitionswissenschaft, so lassen sich hier ähnliche Fragen stellen: Welche Aussagen könnten Kognitionswissenschaftler z. B. über die soziale Situation der Frau in den Romanen von Jane Austen treffen? Anhand welches kognitiven Modells ließe sich die Rezeptionsgeschichte Shakespeares erhellen und wie würde ein Neurologe die persönliche Faszination des Verfassers an bestimmten (wohlgemerkt: nicht allen!) Sonetten von Elizabeth BarrettBrowning begründen? Sowohl Lauckens Feststellung als auch diesen hypothetischen Fragen liegt eine berechtigte fundamentale Skepsis zugrunde, die sich auf die prinzipielle Eignung kognitionswissenschaftlicher Ansätze für den Gegenstandsbereich Literatur (bzw. Psychologie) richtet. Die Zweifel an der Angemessenheit solcher Herangehensweisen betreffen die Möglichkeit, die für Literatur relevanten Aspekte und Prozesse prinzipiell in ausreichender Weise kognitiv erklären zu können. Literatur und Kultur, so die Weiterführung des Einwandes, sei ‚mehr‘ als die kognitive Verarbeitung textueller Informationen in einzelnen, voneinander isolierten Gehirnen; oder mit ––––––––––––– 32 Nach Lauckens Dafürhalten wurde, entgegen dem universellen Erklärungsanspruch der Neurowissenschaften, der suggeriere, „dass die personale Eigenart eines Menschen, dass all sein Handeln, Denken, Fühlen und Wollen ein Reflex jeweils bestimmter neurobiologischer Zustände und Vorgänge“ sei, die Diskussion um die Hintergründe der Anschläge vollständig ohne die Vertreter dieses neuen Erklärungsparadigmas geführt (Laucken 2003: 154). Stattdessen hätten Historiker, Kulturwissenschaftler und Orientalisten mit Schriftstellern und Politikern über die Beweggründe und Motive der Attentäter diskutiert und die öffentliche „Erklärungsarbeit“ damit anhand (naturwissenschaftlich vager) semantischer Zusammenhänge wie Motiven, Glaubensinhalten und Weltanschauungen, vollzogen (ebd.). Laucken interpretiert diese Tatsache als Indiz dafür, dass die Neurowissenschaften zu komplexen kontextrelevanten Problemen „nichts Aufschlussreiches zu sagen haben!“ (155) und benutzt das Beispiel als Ausgangspunkt für eine Kritik am Neuroreduktionismus in der Psychologie.
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anderen Worten: kulturelle Phänomene sind nicht auf kognitiv-biologische Prozesse reduzierbar. Diese inhaltlichen Bedenken gilt es im Folgenden auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen. Störvariablen, Dualismus und ‚Explanatory Gap‘ Eines der offensichtlichen Probleme jeder naturwissenschaftlichen Annäherung an Literatur oder das Phänomen des Lesens liegt in der empirischen Überprüfung aufgestellter Hypothesen. Die vielleicht entscheidende Schwierigkeit besteht dabei in der Abgrenzung und Isolation einzelner zu untersuchender Aspekte der Literaturrezeption. Der Versuch, Störvariablen und -faktoren auszuschließen, ist zwar eine zentrale methodische Notwendigkeit aller empirischen Wissenschaften, zeigt sich jedoch bei ‚höheren‘ kognitiven Funktionen wie der Verarbeitung von Text als besonders brisant. Aufgrund der verflochtenen Vielschichtigkeit der involvierten Prozesse und Faktoren ist es nahezu unmöglich, Ursache und Wirkung gezielt zu isolieren, um auf diese Weise eine kausale Beziehung zwischen spezifischen Beobachtungselementen überzeugend herzustellen. Die Komplexität des Gehirns ist laut Hogan so ‚atemberaubend‘, dass „tracing paths for particular thoughts and actions is not something we can do“ (2003a: 33). Das Problem unbeachteter Einfluss- oder Störgrößen und die damit einhergehende Gefahr der Verfälschung der experimentellen Beobachtung gehört daher nach Bortolussi/Dixon (2003: 53) zu den zentralsten Schwierigkeiten der Analyse literarischer Diskurse und steht im Zentrum ihrer Überlegungen zum Design von Textexperimenten (vgl. 51– 59).33 Ursächlich ist die undurchdringbar scheinende Komplexität kognitiver Prozesse wesentlich mit der Tatsache verbunden, dass den Kognitionswissenschaften keine übergreifende Rahmentheorie zur Funktion und Natur von Bewusstsein und Gehirn zur Verfügung steht. Stattdessen befinden sie sich in einem Stadium, in dem selbst bezüglich der Grundelemente ––––––––––––– 33 Zwar halten Bortolussi/Dixon Experimente prinzipiell für durchführbar und sinnvoll, gestehen jedoch zu, dass die epistemologische und konzeptuelle Basis solcher Untersuchungen den problematischsten Aspekt eines empirischen Ansatzes darstellt (2003: 35). Zu den Problemen einer empirischen Literaturwissenschaft vgl. auch Graesser/Pearson/Johnston (1996), Rusch (1995: 225ff.). Zur allgemeinen theoretischen, methodischen und praktischen Grundlegung empirischer Literaturansätze sei hingegen auf Schmidt (1991 [1980]), Bortolussi/Dixon (2003) und Auracher/van Peer (2008) verwiesen. Weiterführend siehe Miall (2006) sowie die Beiträge in Zyngier et al. (2008). Ein einführendes Lehrbuch in Selbstverständnis und Methodik empirischer Literaturforschung haben van Peer/Hakemulder/ Zyngier (2007) vorgelegt. Siehe dazu auch die Homepage der Internationalen Gesellschaft für empirische Literaturwissenschaft (IGEL): [http://www.psych.ualberta.ca/IGEL/index.php].
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kognitiver Innenarchitektur keinerlei Einigkeit herrscht und in dem „tinkering“ als legitime Forschungsstrategie empfohlen wird (vgl. Ramachandran/Blakeslee 1998: 4f.).34 Das daraus resultierende Nebeneinander inkompatibler und konkurrierender Rahmentheorien der Kognition ist besonders prekär, da in den Kognitionswissenschaften globale Theorien dazu tendieren, sich bis auf die einfachsten Konzepte auszuwirken (vgl. Dietrich 2007: 5). Nach Rainer Mausfelds Einschätzung verfügen wir daher „trotz aller beeindruckenden Fortschritte in Detail- und Faktenfragen […] nur über ein höchst rudimentäres theoretisches Vorverständnis der fundamentalen Kernfragen des Faches […]“ (2007: 25). Dies schlägt sich nicht nur in der Diagnose von Norman Holland nieder, nach der wir auf der Basis naturwissenschaftlicher Erkenntnisse in absehbarer Zeit nicht in der Lage sein werden „to say useful things about particular texts or particular readings of particular texts“ (2002: 30), sondern verweist auf ein tiefer liegendes Problem, das sich als salient für alle Diskussionen mentaler Zustände und Aktivitäten erweist. Gemeint ist die Grundproblematik des Verhältnisses von Physikalischem und Mentalem, die aus der konzeptuellen Trennung des menschlichen Geistes in eine Außenperspektive und eine Innenperspektive resultiert und für die Joseph Levine den Begriff der explanatory gap (1983) geprägt hat. Seine These der Existenz einer metaphysischen Lücke zwischen physikalischen Phänomenen und bewusstem Erleben knüpft an die cartesianische Unterscheidung zwischen dem innerperspektivischen Phänomen des denkenden, wahrnehmenden und fühlenden ‚Ich‘ (res cogitans) und der biologisch-körperlichen Grundlage desselben (res extensa) an.35 Im Unterschied zur Arbeit in anderen Disziplinen erweist sich Descartes’ dualistische ‚Spaltung‘ von Geist und Materie für den Kognitionswissenschaftler, und insbesondere für den Neurologen, nicht als irrelevante philosophische Spielerei, sondern als unvermeidbare und ureigene Schwierigkeit des Untersuchungsgegenstandes. Die cognitive sciences bemühen sich ––––––––––––– 34 Beispiele für solche konzeptuell ungelösten Grundprobleme sind das sog. Bindungsproblem, d. h. „the problem of how the unity of conscious perception is brought about by the distributed activities of the central nervous system“ (Revonsuo/Newman 1999: 123), sowie die Frage, ob das Gehirn als „general-purpose problem solver“ oder als Arrangement von „special-purpose modules“ zu verstehen ist (Karmiloff-Smith 1999: 558). Zu fundamentalen Problemen der cognitive sciences siehe auch Fodor (1998, 2000, 2006) sowie Dreyfus (1992). 35 Diese Unterscheidung wurde in der Philosophiegeschichte unter den Schlagworten des ‚Dualismus‘ und des ‚Leib-Seele Problems‘ diskutiert. Vgl. zu dessen Grundlegung Descartes (1994 [1641]) sowie Rentsch (1980) für einen über Descartes hinausgehenden Überblick. Einführungen in die Relevanz des Dualismus für die Kognitionswissenschaft bieten Dietrich (2007: 9–20, 37–59) und Roth (2003a: 241–255); eine noch immer hilfreiche Anthologie grundlegender Texte zum mind-body Problem hat Rosenthal (1991) vorgelegt. Zur explanatory gap siehe ferner Levine (1983, 1999), Schlicht (2007) sowie den vielbeachteten Beitrag von Papineau (1998), der die Existenz dieser Lücke bestreitet und sie als Illusion klassifiziert.
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Vorüberlegungen
mittels empirischer Beobachtung der menschlichen Biologie (res extensa) zu einem Verständnis immaterieller Bewusstseinsakte (res cogitans) zu gelangen. Dabei ist jedoch unklar, auf welche Weise die physikalisch messbaren Größen und Gesetze der naturwissenschaftlichen Herangehensweise mit nicht-messbaren, mentalen Phänomenen überzeugend kausal korreliert werden können. Der Versuch, „Aspekte des Mentalen zum Objekt einer naturwissenschaftlichen Zugangsweise [zu] machen“ (Mausfeld 2007: 21f.), sieht sich aus diesem Grund mit der charakteristischen Problematik der von Descartes aufgespannten ‚Erklärungslücke‘ zwischen dem Physikalischen und dem Mentalen konfrontiert. „Physical processes are those which are subject to mathematically formulated laws; the mental is unique among natural phenomena in resisting such explanation“, stellt Rosenthal (1991: 15) fest und betont damit, dass es nur schwer vorstellbar ist, wie naturwissenschaftlich-mathematische Gesetze auch nur ansatzweise die phänomenologische Qualität mentaler Akte und Zustände beschreiben könnten (vgl. ebd.). Zwar wird eine innige kausale Beziehung zwischen biologischem Gehirn und menschlichem Bewusstsein allgemein als Minimalkonsens akzeptiert, doch vom Subjekt erlebte mentale Phänomene (z. B. Qualia) präsentieren sich nicht als physikalische Objekte, sondern als Emergenzen, d. h. als eigenständige Erscheinungen, die nicht auf ihre materielle Basis reduzierbar sind. Gedanken und Emotionen existieren zwar nur aufgrund biologischer Hirnprozesse, lassen sich jedoch mittels naturwissenschaftlicher Mittel wie z. B. neuronaler Aktivitätsmuster nicht, oder noch nicht, adäquat beschreiben.36 Either way you look at it, there is an apparent gap that separates mental phenomena from solid matter. Consciousness does not seem to fit naturally into the scientific framework that explains the physical universe. […] A rich literature has sprung up characterizing the nature of this apparent gap and all philosophical theories take a clear stand with respect to it. For some the gap is an ontological one. In this view, consciousness has a mode of existence different in kind to that of matter. For others the gap is merely an epistemological one. (Dietrich 2007: 13)37
––––––––––––– 36 Vgl. hierzu Tallis (2008), der neuroästhetischen Literaturinterpretationen den Denkfehler des Verwechselns notwendiger und hinreichender Bedingungen attestiert: „The appeal to brain science as an explain-all has at its heart a myth that results from confusing necessary with sufficient conditions.“ (ebd.) 37 Mausfeld vertritt in diesem Kontext die Position, dass wir noch nicht über Descartes Annahme einer semantischen Beziehung zwischen Leib und Seele ‚hinausgekommen sind‘ (2007: 25, FN 9; 30ff.), während z. B. Chalmers (1996) und Levine (1983, 1999) das Problem für grundsätzlich unüberbrückbar halten. Churchland (1985, 1995) und Crick (1994) sind hingegen der Meinung, das Geist-Gehirn-Problem sei im Prinzip bereits gelöst. Vgl. hierzu Roth (2003a: 241ff.), der einen Überblick über die verschiedenen Positionen liefert; für eine allgemeine Einführung in die Problematik siehe ferner Pauen (2001) und Dietrich (2007).
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Zur semantischen ‚Blindheit‘ naturwissenschaftlicher Daten Die äußerst umfangreiche philosophische Debatte zwischen den Vertretern dieser unterschiedlichen Positionen ist selbstverständlich nicht in allen Details von entscheidender Bedeutsamkeit für die Diskussion kognitiver Herangehensweisen an Literatur. Dennoch erweisen sich eine Reihe von Thesen, die von der explanatory gap direkt oder indirekt abgeleitet sind, als relevant. So stellt z. B. Lauckens eingangs zitierter Aufsatz „Über die semantische Blindheit einer neurowissenschaftlichen Psychologie“ (2003) die These auf, dass die konzeptuelle Modellierung der „physisch-naturwissenschaftliche[n] Denkform“ prinzipiell keine Aussagen über semantische Aspekte der Kognition zulässt (vgl. 155–163). Seiner Meinung nach gilt innerhalb des physischen Kosmos: Man darf angesichts eines jeden beliebigen physisch-naturwissenschaftlichen Forschungsobjekts (egal in welcher Modellierung) die klassischen ‚Cm, g, sek‘-Fragen stellen. So etwa die Frage nach den Raumverhältnissen, den Ausdehnungen, den Abständen, die Frage nach der Masse, der Energie, der elektrischen Ladung, […] und so weiter. Und es macht stets Sinn, diese Fragen zu stellen. Es handelt sich bei ihnen stets um Fragen nach kausal potentiell relevanten Eigenschaften physischer Größen. (157)
Laucken schlägt vor, diese Fragen als einen ‚Identifikationstest‘ zu nutzen, um über die Zugehörigkeit eines Untersuchungsgegenstandes zum ‚Kosmos‘ der Naturwissenschaft zu entscheiden. Auf diese Weise werde deutlich, dass der Gegenstandsentwurf der Naturwissenschaften als kausal geschlossenes System physikalischer Größen wichtige Untersuchungsbereiche prinzipiell ausschließt. So mache es zum Beispiel keinen Sinn, „nach der elektrischen Ladung einer Primzahl“, dem „Beschleunigungszustand“ einer religiösen Überzeugung oder der „räumlichen Abmessung eines Gedanken“ zu fragen (157). Auf Erwin Schrödinger zurückgreifend folgert er daraus, dass ‚Bedeutung‘ in das Universum empirischer Datenauswertung strenggenommen nicht organisch ‚eingebaut‘ werden kann. Schon Schrödinger hatte den Standpunkt vertreten, dass das naturwissenschaftliche Konzept der materiellen Welt „bloß konstituiert werden [konnte] um den Preis, dass das Selbst, der Geist, daraus entfernt wurde“ (1989 [1958]: 60). Seiner Meinung nach gehören ‚Geist‘ bzw. ‚mind‘ demnach nicht in die Sphäre der Naturwissenschaft (vgl. ebd.); denn selbst im hypothetischen Fall, dass alle neuronalen Prozesse einer Person vollständig erfasst werden könnten, wäre es nicht möglich, eine semantische Aussage über die Erfahrungs- oder Emotionszustände dieses Individuums zu treffen (vgl. auch Libet 1987: 272).38 ––––––––––––– 38 Vgl hierzu auch Cassirer (1980: 75) sowie Libet (2005: 181f.): „[…] mental subjective phenomena cannot a priori be described by any knowledge of physical events and structures; and,
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Vorüberlegungen
Auf Literatur übertragen impliziert Lauckens bzw. Schrödingers Position, dass durch naturwissenschaftliche Methoden per se keine Erkenntnis über semantische Fragen bezüglich Inhalt, Kontext oder Wertung eines Textes gewonnen werden kann. Innerhalb eines kausal geschlossenen Systems von Materie macht es nach diesem Verständnis weder Sinn, nach solchen Aspekten zu fragen, noch kann irgendein Erkenntniszuwachs von der Beschäftigung mit derartigen Fragestellungen erwartet werden. Akzeptiert man diese Schlussfolgerung, so ist jede interdisziplinäre, Natur- und Literaturwissenschaft verbindende Forschung grundsätzlich verfehlt und zwingend zum Scheitern verurteilt. Doch wie bei allen wissenschaftsphilosophischen Positionen ist auch die von Laucken und Schrödinger nicht frei von Schwachstellen. Auch wenn noch „völlig ungeklärt ist, wie Neuronen semantische Gehalte repräsentieren bzw. verarbeiten“ (Schlicht 2007: 198), so bleibt fraglich, ob sich hieraus tatsächlich ableiten lässt, dass die Naturwissenschaft generell keine Aussagen zu semantischen Phänomenen treffen kann. Zumindest epistemologisch ist der von Laucken vertretene Dualismus problematisch, da er nicht auf den Ergebnissen einer Untersuchung beruht, sondern letztlich axiomatisch gesetzt ist. Die unüberbrückbare dualistische Polarität zwischen der wissenschaftlichen Diskursform des Beschreibens von (physikalischer) Welt und des semantischen Deutens derselben lässt sich in letzter Instanz nicht begründen.39 Ferner geht seine Position an der tatsächlichen Forschungspraxis von Wissenschaften jeglicher Couleur vorbei, in denen epistemologische Probleme oft auf produktive Weise methodisch ignoriert werden (vgl. Hagner 2006: 251ff.). Im selben pragmatischen Kontext vergisst sie außerdem, dass bis dato kein Ansatz in Natur-, Sozial- oder Kulturwissenschaft entwickelt wurde, der ohne epistemologisch problematische Setzungen oder Aporien ausgekommen wäre.40 Doch auch wenn aus diesen ––––––––––––– conversely, physical events (including the neuronal ones in the brain) cannot be described by knowledge of the accompanying mental subjective events. Only the correlative relationship between the two categories of events can be studied and described.“ Die von Libet hier thematisierte Korrelation von neurologischer Aktivität und mentalen Phänomenen ‚erhöht‘ für Rainer Mausfeld gar den Erklärungsbedarf (2007: 28): „Zwar lassen sich heute Entsprechungen von mentalen Phänomenen zu neurobiologischen Prozessen finden. […] Es wäre aber ein Missverständnis, die Befunde als Erklärungen für psychologische Phänomene zu betrachten. Sie vergrößern im Gegenteil den Erklärungsbedarf, denn nun müssen wir neben den psychologischen Phänomenen auch noch erklären, warum sie gerade mit diesen oder jenen neurobiologischen Vorgängen korrelieren.“ 39 Zu den Problemen dualistischer Positionen siehe Dietrich (2007: 39f., 43–45). 40 Als Beispiel für eine fundamentale epistemologische Aporie kann das von Hume beschriebene Induktionsproblem gelten; siehe dazu Hume (1999 [1748]: 108–118), Russel (1971 [1946]: 637–647) oder Musgrave (1993: 155–160 bzw. 161–179 zu den wichtigsten Einwänden); vgl. ferner Alberts sog. „Münchhausen Trilemma“, nach dem jeder Versuch, auf epistemologisch sichere Gründe zu rekurrieren, unweigerlich zu drei gleichermaßen problematischen Alternativen führt: infiniter Regress, logische Zirkularität oder Abbruch des Verfahrens (1969: 8–15).
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Gründen die These einer semantischen ‚Blindheit‘ der Naturwissenschaften in ihrer radikalen Version mit einem deutlichen Fragezeichen versehen werden muss, so stellt sie dennoch eine wichtige Erinnerung an die konzeptuelle Verfasstheit des naturwissenschaftlichen Weltbilds dar. Auch wenn Laucken letztendlich über das Ziel hinausschießt, so verdeutlicht sein Aufsatz, in welche Schwierigkeiten materialistische und reduktionistische Erklärungsansätze nahezu zwangsweise zu laufen scheinen. Reduktionistische Ansätze: Zunshines Why We Read Fiction (2006) Um diese bisher theoretisch diskutierten Sachverhalte anhand eines Beispiels zu veranschaulichen, soll im Folgenden auf Lisa Zunshines 2006 erschienenes Buch Why We Read Fiction zurückgegriffen werden. In dieser intensiv rezipierten Veröffentlichung versucht die Autorin der Frage ‚Why do we read fiction?‘ mithilfe kognitionswissenschaftlicher Konzepte auf den Grund zu gehen. In ihrer Argumentation distanziert sich Zunshine von didaktischen, ästhetischen oder kulturellen Erklärungsansätzen und wendet sich stattdessen einer argumentativen Mischung aus kognitions- und evolutionspsychologischen Überlegungen zu.41 Dabei versteht sie kognitive Mechanismen als evolutionsbedingte Anpassungen, die adaptiver Natur sind, d. h. die sich im ‚Evolutionskampf‘ positiv auswirken.42 Im Rückgriff auf Reuven Tsurs (1989) Thesen zur kognitiven Verarbeitung von Witzen spekuliert sie, dass die eigentliche Ursache für unser Interesse an kulturel––––––––––––– 41 Die Evolutionspsychologie entstand als ‚Hilfsdisziplin‘ der Kognitionswissenschaften mit der Zielsetzung, eine konzeptuelle Basis für die Entwicklung von empirischen Forschungsprogrammen bereitzustellen und die psychologische instinct blindness von Wissenschaftlern zu überwinden (vgl. Cosmides/Tooby 1994). Inzwischen hat sie sich jedoch zu einem umfassenden Erklärungsparadigma entwickelt, dessen umstrittener Deutungsanspruch sich auf nahezu alle Gebiete menschlichen Seins ausgedehnt hat. Einschlägige Einführungen aus der Sicht ihrer Vertreter finden sich in den grundlegenden Aufsätzen von Cosmides/Tooby (1994) und Tooby/Cosmides (1992, 2005), in den Beiträgen in Barkow/Cosmides/Tooby (1992) sowie in Pinker (1997), Buss (1995, 2005), Dunbar (2007) oder Gottschall (2008b). Gegner der Evolutionspsychologie weisen zumeist auf die spekulative Methodik (mangelnde Falsifizierbarkeit) und die unzureichende empirische Datenlage bezüglich der vorgelegten Thesen hin (zur Kritik siehe Fußnote 46). Zur Rolle der Evolution in Kunst und Kultur siehe ferner Cooke/Turner (1999), Voland/Grammer (2003), Donald (2006), Eibl (2009) sowie Feige (2009) für eine Kritik solcher Ansätze. Speziell zum Verhältnis von Evolution und Literatur siehe Carroll (1995), Eibl (2004a), Mellmann (2006), Boyd (2005), Gottschall (2005, 2008a) sowie die Themenhefte der Zeitschrift Style 42.2 & 42.3 (2008). 42 Evolutionstheoretisch ist eine ‚Adaption‘ eine aus zufälliger Mutation herrührende genetische Veränderung des Organismus, die sich positiv auf dessen Reproduktion auswirkt. ‚Adaptiv’ bedeutet also nichts anderes als „yielding a reproduction advantage“ (Hogan 2003a: 192f.). Zu den Begriffen ‚Adaption‘ und ‚Adaptionismus‘ siehe auch Okasha (2006), Griffiths (1999) sowie Sterelny/Griffiths (1999: 217–252) und Sober (2000: 121–145).
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Vorüberlegungen
len Artefakten (wie z. B. Literatur) in „the pleasure attendant upon our awareness of our cognitive functioning“ (Zunshine 2006: 17) begründet sei. Ihre Argumentation baut in der Folge auf dem Postulat eines „cognitive reward“ (ebd.) auf, welcher durch die Stimulation der fürs Lesen notwendigen kognitiven Mechanismen ausgelöst wird. Dieser cognitive reward stellt, ihrer Meinung nach, eine evolutionäre Adaption dar, die das Training überlebensnotwendiger kognitiver Mechanismen durch Auslösung eines ‚angenehmen‘ Gefühls ‚belohnt‘ und damit zu weiterem Training anregt. Das Lesen fiktionaler Texte, z. B. von Kriminalromanen, kann daher mit „lifting weights at the gym“ (123) verglichen werden, da beide Tätigkeiten verschiedene Ausprägungen der Übung und Ausbildung evolutionsrelevanter menschlicher Fähigkeiten (Muskulatur, Kognition) darstellen. „[T]he more you train a certain muscle, the more you feel that muscle and the more you want to train that muscle“ (124), expliziert Zunshine ihren metaphorischen Vergleich zwischen Lesen und Bodybuilding. Sie schließt damit den explanatorischen Kreis zu ihrer Ausgangsthese, nach der fiktionale Texte das ‚Mahlgut‘ für die ‚Mühlen‘ unserer evolutionären Adaptionen darstellen, die sich eigentlich in Bezug auf den Umgang mit realen Personen entwickelt haben (vgl. 16).43 Literatur stellt, mit anderen Worten, das mentale Datenmaterial zur Verfügung, das die kognitiven Mechanismen des Gehirns zu ihrem eigenen Training verwenden, wobei der Anreiz für dieses Training in einem evolutionär als adaptiv vorgestellten Belohnungsmechanismus liegt. Von den möglichen Einwänden, die mit Zunshines Konzeption einhergehen, soll das Augenmerk hier vor allem auf dem unterschwellig impliziten materialistischen Reduktionismus dieses Erklärungsansatzes liegen.44 Obgleich von Zunshine nicht explizit thematisiert, folgt aus ihren Thesen, dass es sich bei ihrem kognitiven Belohnungseffekt um einen genetisch (da evolutionär) verankerten Mechanismus handelt. Das ‚gute Gefühl‘, das ihrer Meinung nach sowohl den Akt des Lesens als auch das Stemmen von Gewichten begleitet, ist eine evolutionäre Adaption und kann demzufolge nicht im Rahmen einer traditionellen Psychologie semantisch gedeutet, sondern muss als biologisch verankerter Schaltmechanismus verstanden werden. Es handelt sich also nicht um die (bewussten ––––––––––––– 43 Zunshine hat dabei vor allem zwei kognitive Mechanismen im Auge (‚theory of mind‘ und ‚Metarepräsentation‘), auf die in Kapitel IV.4 dieser Arbeit ausführlich eingegangen wird. 44 Als weiterer Einwand gegen Zunshines Arbeit kann z. B. die spekulative Natur ihrer Thesen vorgebracht werden. Ferner kann kritisiert werden, dass die von ihr beschriebenen Mechanismen einerseits als automatisierte Prozesse konzipiert sind, derer wir uns nicht bewusst sind (vgl. Zunshine 2006: 85); gleichzeitig stellt sie jedoch die These der „awareness of our cognitive functioning“ (17) auf, die ein Kernstück ihrer Argumentation darstellt. Auf diese Weise verwickelt sie sich in einen argumentativen Widerspruch, denn sie behauptet eine ‚unbewusste‘ awareness bzw. die ‚Bewusstheit‘ eines ‚unbewussten Mechanismus‘.
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oder unbewussten) psychologischen Reaktionen des lesenden bzw. gewichthebenden Individuums, das sich z. B. an seinem schön gebildeten Körper bzw. Geist erfreut und vielleicht auf erhöhte Chancen beim anderen Geschlecht spekuliert. Solche Erklärungen auf der Ebene des individuellen Subjekts implizieren mentale Prozesse, die nicht ohne weiteres mit evolutionären Vorgängen auf der Ebene der Gene identifiziert werden können. Ferner dürfen psychologische Inhalte nicht vollständig losgelöst von sozialen Faktoren – z. B. von Konventionen wie ‚Muskeln bei Frauen/ Männern sind/sind nicht attraktiv‘ î gedacht werden, sondern sind zumindest partiell gesellschaftlich bedingt. Im Rahmen einer evolutionären Perspektive können gesellschaftlich wandelbare Faktoren jedoch kaum biologisch adaptiver Natur sein, da solche Adaptionen per definitionem ins Genom eingeschrieben und damit invariabel sind. Hier erweist sich Zunshines Vergleich mit dem Bodybuilding als besonders erhellend. Eine neurologischkognitive Erklärung für die Attraktivität von Muskeltraining würde nicht mit psychologischen Erwägungen argumentieren, sondern einen genetisch bedingten, adaptiven Wirkungsmechanismus postulieren, bei dem das Gehirn auf Muskelbetätigung mit physiologisch messbaren Endorphin- und Adrenalinausschüttungen reagiert. Zunshines cognitive reward ist parallel zu dieser Vorstellung konzipiert und stellt damit konzeptuell einen universellen, genetisch verankerten Mechanismus dar, der streng genommen physiologisch oder genetisch nachweisbar sein müsste.45 Abgesehen davon, dass ihre evolutionspsychologischen Thesen äußerst spekulativ sind,46 ist Zunshines Ansatz damit prinzipiell von ele––––––––––––– 45 Zunshine scheint sich der skizzierten Problematik entweder nicht bewusst zu sein oder sie für vernachlässigbar zu halten. Ihre Argumentation verbindet wiederholt die Idee eines adaptiven cognitive reward mit Erklärungsmustern, die diesen Belohnungseffekt auf klassisch psychologische Weise auf eine bewusste semantische awareness zurückführen: „[…] we may see the pleasure afforded by fictional narratives as grounded in our awareness of the successful testing of our mind-reading adaptations, in the respite that such a testing offers us from our everyday mind-reading uncertainties, or in some combination of the two“ (2006: 20; meine Herv.). Reformuliert bedeutet dies, dass der Leser sich des erfolgreich ablaufenden „testing of [his] mind-reading adaptation“ bewusst (aware) ist und „the pleasure afforded by fictional narrative“ psychologisch von diesem Wissen motiviert ist. Eine solch bewusste Freude bezüglich einer kognitiven Erkenntnis lässt sich jedoch nur schwer auf sinnvolle Weise mit einem genetisch bedingten kognitiven Automatismus argumentativ verbinden. 46 Die Evolutionspsychologie unterscheidet sich durch ihren spekulativen Charakter deutlich von der biologischen Evolutionslehre. „[W]e have no fossil record tracing the evolution of behavioral or mental capacities“, stellt Joseph LeDoux (1996: 6) fest und bringt damit zum Ausdruck, dass die evolutionary psychology sich nicht auf positiv vorliegende biologische oder paläontologische Daten stützen kann, sondern sich auf immaterielle mentale Phänomene bezieht, die zudem meist selbst schlecht verstanden sind (vgl. Hogan 2003a: 196). Die schwierige Datenlage sollte uns daher dazu veranlassen „to exercise particular caution in developing hypotheses in evolutionary psychology“ (197). Doch obgleich die Grundannahme, dass „[natural] selection has been one of the forces that has transformed our cognitive system“ (Sterelny/Griffiths 1999: 328), innerhalb eines naturwissenschaftlichen Weltbilds durchaus
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mentar biologistischer Natur. Erinnert man sich an die oben skizzierte wissenschaftstheoretische Differenz zwischen naturwissenschaftlicher Datenlage und semantisch psychologischen Aussagen, so wird klar, dass eine solch biologisch-evolutionäre Position in ihrer Erklärungsreichweite jedoch massiv eingeschränkt ist. Selbst wenn Zunshines Spekulationen ausnahmslos zuträfen, wäre sie lediglich in der Lage einen für alle Menschen und alle fiktionalen Genres gleichermaßen gültigen Grundmechanismus zu beschreiben, der keinerlei weitere semantische Differenzierung zulässt. Individuelle Besonderheiten oder Unterschiede zwischen Textsorten, Autoren, Inhalten sowie alle anderen denkbaren Motivations- und Demotivationsgründe können innerhalb dieses Argumentationsparadigmas kaum sinnvoll angesprochen bzw. berücksichtigt werden; denn Zunshines monokausaler Erklärungsversuch ist letztendlich inkompatibel mit solchen semantischen Kategorien. So bleiben zahlreiche Probleme ungelöst: Wie könnten im Rahmen eines universellen neurologischen Belohnungsmechanismus z. B. individuelle Rezeptionspräferenzen erklärt werden oder wie ließe sich kulturhistorischer Wandel betreffend der Beliebtheit von Genres oder Medienformen erfassen? Ferner kann man mit Timothy Roberts (2007) danach fragen, warum hochkomplexe, literarische Texte oft unbeliebter sind als Werke der Populärliteratur, obgleich schwierige Texte, nach Zunshines explizitem Dafürhalten, unsere mentalen Mechanismen weitaus nachhaltiger stimulieren. Lesen wir literarische Texte tatsächlich nur deshalb, weil diese gewisse kognitive Mechanismen stimulieren und trainieren (vgl. 212)? Das entscheidende Problem hierbei ist nicht, dass Zunshines Ansatz nicht alle relevanten Fragen beantworten kann, sondern dass es innerhalb des Bezugsystems ihrer Thesen kaum möglich scheint, viele dieser Fragen überhaupt sinnvoll zu stellen. Ihr auf ein einziges (biologisches) Erklärungsmuster gegründeter Ansatz ist zu vereinfachend, um der Frage nach den vielschichtigen Gründen für das Phänomen Literatur gerecht zu werden; denn wie Paulson (1991: 45) feststellt: „In the pragmatics of knowing there must be different kinds of descriptions for different levels of phenomena, and often reductionism is simply not a practical or interesting ––––––––––––– plausibel ist, erweisen sich viele publizierte Arbeiten als durchsetzt von fraglichen Spekulationen: „They [evolutionary psychological analyses] fabricate just-so stories that provide pseudo-explanations for conclusions that are typically based more on dominant ideology than on rigorous empirical study“ (Hogan 2003a: 202; vgl. Lumsden 1999: 160). Auch Sterelny/Griffith sind der Meinung, dass „the practical and theoretical problems that infest this project are far from being overcome“ (1999: 353). Weitere kritische Stellungnahmen liefern ferner Buller (2005), Gould (1997a, 1997b, 2002: 1263–1266), Wilson/Dietrich/Clark (2003), Rose/Rose (2000), Lewontin (1998) oder Panksepp/Panksepp (2000). Für Gegendarstellungen vgl. z. B. Curry (2006), Geher (2006), Hagen (2005) oder Kurzban (2002). Zur Evolutionslehre selbst siehe u. a. Kutschera (2006) und nochmals Gould (2002).
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option.“ Tatsächlich gibt auch Zunshine schließlich angesichts der vielen offenen Fragen gegen Ende ihres Buches zu: „Is this why we read fiction? Surely, there is more to it!“ (Zunshine 2006: 162) Damit gesteht sie jedoch indirekt das (zumindest teilweise) Scheitern ihrer Argumentation ein, denn Zunshines Erklärungsansatz umreißt bestenfalls eine notwendige Grundlage der Rezeption von Literatur, ist jedoch noch weit davon entfernt, eine hinreichende Antwort auf die Frage ‚Why do we read fiction?‘ zu geben. Es drängt sich daher der Verdacht auf, dass auch in ihren Thesen zumindest Spuren eines naturwissenschaftlich reduktionistischen ‚Traums‘ zum Ausdruck kommen, „[which] is primarily a dream of taming and simplifying our inner life so that it will somehow conform to the known laws of matter and will stop setting us problems of our own“ (Midgley 2006: 3). Zunshines Beispiel legt nahe, dass reduktionistische Herangehensweisen an Literatur – die häufig auf einem Verwechseln von notwendigen und hinreichenden Bedingungen aufgebaut zu sein scheinen (vgl. Tallis 2008) – kaum geeignet sind, um der Komplexität von Literatur vollständig gerecht zu werden. Die eingangs gestellte Frage nach der Angemessenheit kognitionswissenschaftlicher Ansätze für den Gegenstandsbereich Literatur kann damit für radikal reduktionistische Ansätze klar verneint werden. Projekte, die eine grundsätzliche (wenn auch nur implizite) Rückführung des Literaturverstehens auf naturwissenschaftliche Kategorien anstreben, scheitern epistemologisch an der Existenz der Erklärungslücke zwischen Mentalem und Physikalischem und praktisch an der Komplexität der Kontexte textueller Phänomene.47 Doch die Alternative zu solchen monistischen Ansätzen muss nicht in der völligen Ablehnung von kognitionswissenschaftlichen Herangehensweisen gesucht werden, sondern kann in einer nicht-reduktionistischen kognitiven Literaturwissenschaft liegen. Wird Wissen aus den cognitive sciences lediglich heuristisch bzw. unterstützend an den Methoden- und Theoriekanon der Literaturwissenschaft herangetragen, so verlieren viele der hier skizzierten Bedenken und Einwände gegen einen reduktiven Materialismus entscheidend an Relevanz. Solange die Übernahme (auch versteckter) naturwissenschaftlicher Totalitätsansprüche vermieden und kognitionswissenschaftliche Erklärungsmodelle mit vorsichtiger, Kontexte beachtender Skepsis behandelt werden, greifen die vorgebrachten Bedenken gegen Reduktionismus und Monismus größtenteils ins Leere. Das Pro––––––––––––– 47 Eine weitere harsche Kritik an Zunshine findet sich in Brian Boyds Rezension (2006); auch Mansour (2009) sowie Wübben (2009) äußern sich kritisch gegenüber ihren Thesen; für eine positive Kritik siehe dagegen Jackson (2009). Trotz der hier vorgetragenen Einwände muss allerdings betont werden, dass Zunshines Buch – dort wo es nicht biologisch-reduktiv argumentiert – einige interessante und wertvolle Gedanken zur literarischen Empathie, theory of mind und der mentalen Repräsentation von Textinhalten enthält.
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blem der explanatory gap bleibt zwar weiterhin philosophisch brisant, wird jedoch für die kognitive Literaturwissenschaft sekundär, wenn kognitive Universalien lediglich als notwendige Grundlage und nicht als ausreichende Erklärung verstanden werden. Stattdessen rückt bei einer gleichberechtigten Kombination von Ansätzen aus Literatur- und Naturwissenschaft die Art und Weise dieser Kombination ins Zentrum des skeptischen Interesses. Damit verlagert sich die Problematik von der Frage nach den Grenzen und Aporien der Kognitionswissenschaften auf das interdisziplinäre Zusammenspiel von cognitive sciences und literary studies. Aus diesem Grund sollen im Folgenden die theoretischen und praktischen Schwierigkeiten der Kooperation von ‚harten‘ und ‚weichen‘ Wissenschaften ausführlicher beleuchtet werden.
II.1.4 Interdisziplinarität als Problem und Herausforderung48 Seit Charles P. Snow 1959 die berühmte These der ‚zwei Kulturen‘ aufstellte, scheint sich wenig am Verhältnis von science und humanities geändert zu haben. Auch fast ein halbes Jahrhundert später diagnostiziert der Sozialpsychologe Harald Welzer (2006) unverändert die kulturellen Differenzen zwischen beiden Disziplinbereichen und stellt fest, dass sich ihre Vertreter – trotz ritueller Beschwörung von Interdisziplinarität – noch immer in getrennten Welten bewegen.49 Zusammen mit den teils heftigen Schlagabtäuschen der sogenannten science wars stellt dies ein Indiz für die tatsächliche Existenz eines tiefen konzeptuellen Grabens zwischen den ‚harten‘ und ‚weichen‘ Wissenschaften dar und legt nahe, dass es sich bei dieser Kluft nicht allein um das Produkt akademischer Eitelkeiten handelt.50 Da––––––––––––– 48 Das Konzept der Interdisziplinarität zeichnet sich durch beträchtliche definitorische Unsicherheit und eine hohe semantische Breite aus (vgl. Klein 1990: 11ff.). Im Folgenden ist damit jedoch nur die Kooperation von Literatur- und Naturwissenschaften gemeint. Darüber hinaus sei auf die umfangreiche Literatur zum Thema Interdisziplinarität hingewiesen, z. B. Klein (1990, 1996, 2001), Weingart (2000), Kocka (1987), Mittelstraß (2003) oder Zima (2000); zur Interdisziplinarität narratologischer Ansätze siehe ferner Heinen/Sommer (2009) sowie die Diskussion der Chancen interdisziplinären Vorgehens bei Strasen (2008a: 13ff.). 49 In einem Erfahrungsbericht über seine Zusammenarbeit mit dem Bielefelder Neurophysiologen Hans Markowitsch (in einem Projekt zum ‚autobiographischen Gedächtnis‘) spricht Welzer über die Probleme interdisziplinärer Kooperation. Dabei kommt er zu der Schlussfolgerung: „Nie über Grundsätzliches sprechen – keine erkenntnistheoretischen, begrifflichen, keine im weitesten Sinn philosophischen Probleme aufwerfen. Interdisziplinarität funktioniert nur pragmatisch, in der exakten Definition eines gemeinsam erschließbaren Gegenstandsbereichs und in der Abstimmung erprobter Instrumente und Methoden.“ (2006) 50 Unter den science wars versteht man eine in den 1990er Jahren geführte Reihe öffentlicher Auseinandersetzungen, bei denen sich Naturwissenschaftler auf der einen Seite und Wissenssoziologen bzw. Vertreter der Postmoderne auf der anderen Seite um die ‚Realität‘ bzw. die
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bei scheinen nicht unbedingt verschiedene Sachinteressen oder Theorieansätze die zentrale Ursache für die manifesten Differenzen darzustellen. Nach Jackson (2002: 177) sind es vielmehr „the epistemological foundations and the nature of the formalized method“, die den ausschlaggebenden Unterschied markieren. Zusammen mit den praktischen Problemen, die generell mit der Annäherung an einen fremden Fachbereich einhergehen, stellen sie einen Fundus von Schwierigkeiten dar, dem sich das Projekt einer kognitiven Literaturwissenschaft kritisch zu stellen hat. Das offensichtlichste Problem beim Überschreiten fachlicher Grenzen liegt im tendenziellen Mangel fremddisziplinärer Expertise. „I cannot write intelligently about cholecystokinin, 6-hydroxy dopamine, or the hippocampus“, erklärt Norman Holland (1988: 13) und weist damit auf die praktische Unmöglichkeit hin, inner- und außerdisziplinäres Expertenwissen in gleicher Weise versiert zu beherrschen. Der inhaltliche Umfang, die Komplexität und die spezifischen Denkweisen akademischer Felder, deren Aneignung nicht grundlos jahrelange Ausbildung voraussetzt, stellen ein kaum zu überwindendes Hindernis für eine Spezialisierung sowohl in Literaturwissenschaft als auch in den cognitive sciences dar: Adequate scientific knowledge is simply outside the expertise of all but a minority of literary scholars. The literary in literary study is simply outside the expertise of all but a minority of cognitive scientists and evolutionary psychologists. Few scholars will have time or inclination to learn the other field sufficiently to challenge what is most scientific about the one or most literary about the other. (Jackson 2000: 340)
Es ergibt sich, mit anderen Worten, eine Situation, die durch einen substanziellen Mangel an (relevantem) Spezialwissen auf beiden Seiten gekennzeichnet ist und die zu einer Reihe von Fehlern einlädt. So sieht Spolsky (1993: 41) einen der häufigsten Fehlgriffe interdisziplinärer Studien in der Annahme, Hypothesen aus anderen Fachgebieten seien ‚irgendwie‘ zuverlässiger als „the more familiar, but embattled assertions“ der eigenen Disziplin. Diese „illusion of certainty“ verbindet sich nach Klein (1990: 88) häufig mit einer „overreliance on one particular theory or perspective“ und führt dazu, dass die kritische Diskussion, der eben diese Phänomene in ihren Ursprungsdisziplinen ausgesetzt sind, vielfach ignoriert wird. Dabei erweisen sich interdisziplinär genutzte Konzepte oft als weniger deutlich bestätigt denn erhofft – ein Problem, das aufgrund der zahlreichen offenen Grundfragen gerade in den Kognitionswissenschaften nicht unterschätzt werden sollte. ––––––––––––– ‚soziale Konstruiertheit‘ wissenschaftlicher Ergebnisse stritten. Zur Einführung in die Positionen der Kontroverse siehe z. B. Ashman (2001), Parsons (2003), Bammé (2004), Latour (1999), Sokal (2008), Sokal/Bricmont (1998) oder Gross/Levitt (1994).
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Weitere Fehlerquellen bei interdisziplinären Transfers liegen laut Klein im Missverstehen übernommener Ideen sowie einem Gebrauch von Daten, Methoden und Konzepten, der diese auf entstellende Weise aus ihrem Zusammenhang reißt (vgl. ebd.). Leider sind nach Adler/ Gross solche Kontextentfremdung und Missachtung naturwissenschaftlicher Standards kein marginales, sondern ein häufiges Problem interdisziplinär arbeitender Literaturwissenschaftler: „literary scholars succumb to the seductiveness of scientific terms and import them into literary analysis with little consideration for their actual scientific use, treating them in effect with poetic licence and happily engaging in creative analogies“ (2002: 211). Die unterschiedliche Ausrichtung von Literatur- und Naturwissenschaft Tatsächlich sind solche Fehler nicht (nur) Ausdruck schlampigen Arbeitens, sondern ihr Vermeiden erfordert konstante und erhöhte Wachsamkeit auf der Seite des Wissenschaftlers. Nicht ohne Grund bedingt daher, wie Midgley feststellt, interdisziplinäre Arbeit einen ‚endlosen Lernprozess‘ und stellt „some of the hardest thinking in the trade“ dar (1989: 70).51 Diese Situation wird dadurch verschärft, dass neben den praktischen Transferproblemen zusätzlich eine theoretisch-epistemologische Demarkationslinie zwischen den Feldern der Literatur- und der Kognitionswissenschaft verläuft. Während Jackson diese Grenzlinie an der jeweiligen Verknüpfung von Theorie und Praxis festmacht (vgl. 2002: 176ff.), manifestiert sich der essentielle Kontrast für Adler/Gross in den fundamental divergierenden Konzepten von ‚Erkenntnis‘ (2002: 214ff.).52 So geht es in der Kognitionswissenschaft um ein (möglichst endgültiges) theoretisches Festzurren allgemein gültiger kognitiver Funktionen mittels empirischer Experimente; oder mit anderen Worten: um das Lösen von Problemen beim Verständnis des menschlichen Denkens: „Cognitivism aims to explain, to generalize, to lay out mechanisms, to disambiguate and come to conclusive insights.“ (216) Um bei diesem Unterfangen die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen, haben sich in den cognitive sciences – wie in allen em––––––––––––– 51 Häufig münden interdisziplinäre Vorhaben in einer Diskursform, die Midgley als „Chinese metaphysics“ bezeichnet (1989: 70). Gemeint ist damit ein Vorgehen, bei dem anstelle von akribischem Begriffstransfer eine eigenwillige Mischform aus Elementen der eigenen und der fremden Disziplin verwendet wird. Die Folge davon ist Unverständnis bei Vertretern beider Fachbereiche, als hätte man auf Chinesisch mit Metaphysikern und in der Sprache der Metaphysik mit den Bewohnern Chinas gesprochen. 52 Vgl. dazu auch Welzer (2006), der kritisch feststellt, dass in verschiedenen Fächern nicht nur unterschiedliche Auffassungen darüber existieren, „was als wissenschaftliche […] Veröffentlichung gelten kann, sondern auch darüber, was Forschungsergebnisse überhaupt sind“.
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pirischen Wissenschaften – die Leitprinzipien der ‚Falsifikation‘ und der ‚Vorhersage‘ bewährt. So ist es nach Popper die Aufgabe des Naturwissenschaftlers, „to search for laws which will enable him to deduce predictions“ (1972: 246; meine Herv.). Dabei gilt, dass auch diese Vorhersagen wiederum intensiven Falsifikationsversuchen unterzogen werden müssen, bevor eine Theorie (zumindest vorläufig) als bewährt gelten kann (vgl. 33).53 Dem Streben nach einem möglichst definitiven ‚Schließen‘ von Verständnislücken steht in den Literatur- und Kulturwissenschaften ein Gestus des ‚Öffnens‘ von Verstehenshorizonten gegenüber. Auch wenn die Ziele der Analyse literarischer und kultureller Phänomene mitunter sehr unterschiedlich sind, so sind Literatur- und Kulturwissenschaften nicht nur auf die Erkenntnis ihres Gegenstandes ausgerichtet, sondern stellen immer zugleich Diskursformen der Selbstverständigung dar, die sich in einem dialektischen Bezugsverhältnis mit ihrem eigenen Untersuchungsgegenstand befinden. Mit der interpretierten und nicht der kausal determinierten Welt als Objekt der Untersuchung (vgl. Seel 2004) ist die hier eingenommene Position immer die der „Perspektive des verstehenden Involviertseins“ (ebd.). Von dieser Warte aus wird die „Reflexivität des Verstehens“ in höherem Maße betrieben „als es im Alltag [und der Naturwissenschaft; meine Anm.] nötig und möglich ist“ (ebd.). Auf diese Weise geht es stets auch um ein Verstehen des Verstehens in seinen jeweiligen Kontexten. Dabei vollzieht sich ein kontinuierlicher Prozess des Auslotens und der Neusituierung sowohl der eigenen Position als auch der des Untersuchungsobjekts. Die Unabschließbarkeit dieses Vorgangs wird besonders deutlich bei der Interpretation literarischer Texte, die nach Adler/ Gross (2002: 215) ebenfalls nicht auf das Schließen, sondern auf ein Erweitern semantischer Interpretationsräume zielt. Der ‚Erfolg‘ einer Interpretation basiert daher auf […] such parameters as originality, appropriateness, inventiveness, or ‘insight value’: it may be measured by our degree of satisfaction with what is revealed or illuminated about a text. Most of all, literary interpretation generally does not aspire to the once-and-for-all-ness implied in the term solution. (214)54
––––––––––––– 53 Zu den Prinzipien wissenschaftlicher Forschung siehe die wissenschaftstheoretischen ‚Klassiker‘ von Popper (1972), Carnap (1995) und Nagel (1961); vgl. dazu Chalmers (1976, 1990). 54 Die zentrale Rolle der Interpretation in der Literaturwissenschaft (vgl. dazu Fish 1980: 355) ist nicht ohne Gegenstimmen geblieben. So wendet sich z. B. Miall gegen die Vorherrschaft des interpretierenden Auslegens von Texten und macht diese akademische Praxis zumindest indirekt für sinkendes Interesse an Literatur und Literaturwissenschaft verantwortlich (2006: 24; passim). Auch Turner (1991: 7) hält die Produktion einer Flut von Interpretationen für verfehlt. Susan Sontag spricht sich in ihrem Essay „Against Interpretation“ (1983: 95–104) in scharfer Weise gegen eine intellektuelle, hermeneutische Literaturkritik aus, fordert im Gegensatz zu Miall und Turner jedoch keinen wissenschaftlichen, sondern einen sinnlich, eroti-
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Auch Wolfgang Iser schließt sich in How to Do Theory (2006: 5ff.) dieser Diagnose an. Bei seiner Unterscheidung zwischen ‚harten‘ und ‚weichen‘ Wissenschaften sieht er die definierenden Momente der Naturwissenschaft ebenfalls im Modus der Vorhersage sowie der Motivation, Probleme zu lösen, wobei das gesamte Projekt seiner Meinung nach letztendlich auf die ‚Beherrschung‘ des Gegenstandsbereichs abzielt (vgl. 7, 5). Für literaturwissenschaftliche Theorien dagegen macht es nach Iser keinen Sinn, Vorhersagen treffen zu wollen: „Art and literature can be assessed, but not predicted, and one cannot even anticipate the multiple relationships they contain.“ (5) Aus eben jenem Grund könne es keine Testprozeduren für die ‚weichen‘ Theorien der humanities geben, da diese lediglich ein kartierendes Erfassen der Phänomene (mapping) anstrebten. Dieses sei im Unterschied zur Vorhersage (prediction) jedoch nicht falsifizierbar, da keine objektiven oder messbaren Referenzpunkte bestimmbar seien (vgl. 6). So steht, nach Isers Verständnis, der Prognose natürlicher Phänomene auf der einen Seite die vermittelnde Erkundung des unerschöpflichen Potentials von Kunst und Literatur auf der anderen Seite gegenüber. Beim Erfassen dieses unbegrenzten Reservoirs an künstlerischen, literarischen und kulturellen Diskursformen geht es ihm also nicht um die Entdeckung neues Wissens; stattdessen steht die Entwicklung überzeugender semantischer Kategorien im Vordergrund, mit deren Hilfe sich sowohl die Gegenstände kultureller und literarischer Phänomene als auch der Betrachter und die Interaktion zwischen diesen beiden Seiten erfassen, beschreiben und interpretieren lassen.55 Wie schon bei den Thesen Lauckens im vorhergehenden Kapitel muss jedoch Isers kategorische Generalabsage an empirisches Vorgehen in der Literatur (vgl. Culler 1981: 52f.) ebenfalls mit Vorsicht genossen werden. Zweifelsfrei haben Vertreter empirischer Ansätze inzwischen demonstriert, dass empirische Untersuchungen von Literatur prinzipiell möglich sind und zu durchaus fruchtbaren Erkenntnissen bzw. interessanten The––––––––––––– schen Zugang zu Texten. Zur Diskussion der Interpretation in der Literaturwissenschaft siehe ferner Schmidt (2000), Jahraus (1999), Brenner (1998), Spree (1995), Eco (1992), Lecercle (1999) oder die Anthologie Moderne Interpretationstheorien von Kindt/Köppe (2008). 55 Zum hier skizzierten Unterschied des ‚Öffnens semantischer Räume‘ in der Literaturwissenschaft und des ‚Schließens von Erklärungslücken‘ in der Naturwissenschaft vgl. Whitworths und Grössings Ausführungen zur Funktion von Metaphern. Whitworth (2001: 10) hatte in Bezug auf naturwissenschaftliches Sprechen vorgeschlagen „to define metaphor as the definition of the unfamiliar in terms of the familiar“ und in diesem Kontext auf die metaphorische Natur z. B. des Atommodells hingewiesen, bei dem das (damals unbekannte) Zusammenspiel von Kern und Elektronen in Analogie zur (damals schon bekannten) Form eines Planetensystems konzeptualisiert wurde. Auf dieser Überlegung aufbauend schlägt Grössing vor, „die Funktion der Metapher in der Naturwissenschaft als eine [zu] verstehen, die einen Möglichkeitsraum mittels Sprache einengt, während sie in Literatur und Dichtung einen Möglichkeitsraum erweitert“ (2007: 220).
Die Idee einer kognitiven Literaturwissenschaft
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sen führen können.56 Doch trotz der z. T. aufschlussreichen Ergebnisse dieser Arbeiten bleibt die grundsätzliche Divergenz zwischen einem Schließen von Verständnislücken und einem diskursiven Sondieren von Erkenntnisräumen prinzipiell erhalten. Dies ist für die Literaturwissenschaft von entscheidender Bedeutung, da sich der Gegensatz auf die unterschiedliche Gewichtung des individuellen Textes auswirkt. Während empirische Ansätze auf das Erschließen allgemein gültiger Gesetzmäßigkeiten ausgerichtet sind, fühlt sich die aus der Tradition der Hermeneutik hervorgegangene Literaturwissenschaft sowohl übergreifenden Phänomenen als auch den individuellen Repräsentanten derselben gleichermaßen verpflichtet. Eine solche von Turner (1991: 7) als quasi religiöse Haltung gegenüber dem einzelnen Text kritisierte Einstellung kann im Konzept empirischer Methodik jedoch ebenso wenig einen Platz finden wie das Interesse am einzelnen lesenden Subjekt. Zwar sind in empirischen Literaturexperimenten individuelle Texte bzw. Testpersonen involviert, doch das Interesse an diesen ist instrumenteller Natur und richtet sich auf das Destillieren allgemeiner Gesetze und Prinzipien. Eine solche auf Reproduzierbarkeit, Verallgemeinerung und die Abstraktion vom Kontingenten und Individuellen gerichtete Orientierung schlägt sich ferner nicht nur im Interesse, sondern auch im Aussagepotential der damit erzielbaren Ergebnisse nieder. So zeichnen sich empirisch ‚bewährte‘ Theorien – also auch die der cognitive sciences – idealerweise durch allgemeine Anwendbarkeit und einen hohen Gültigkeitsanspruch aus. Diese zweifellose Stärke in Bezug auf Grundsätzliches wird jedoch von einer relativen Schwäche bei der Deutung von Einzelphänomenen begleitet, die in komplexen Kontexten situiert sind. Dieser von Malewski (1972 [1965]) für die Sozialwissenschaft beschriebene Zusammenhang besagt, dass je allgemeiner und fundamentaler eine Theorie (bzw. der Mechanismus den sie beschreibt), desto ungeeigneter ist ihre Anwendbarkeit auf ein konkretes einzelnes Ereignis bzw. Beispiel.57 Obgleich sich durch höhere Allgemeinheit die Wahrscheinlichkeit auf theoretische Gültigkeit eines Konzepts (statistisch) erhöht, sinkt paradoxerweise gleichzeitig die ––––––––––––– 56 So weisen z. B. Vipond/Hunt (1984) verschiedene Aufmerksamkeitsorientierungen beim Lesen nach und Bergman/Roediger (1999) legen Daten zur Erinnerung an Details einer gelesenen Geschichte vor. Zu weiteren Ergebnissen siehe ferner die Arbeiten von Miall/Kuiken (1994b, 1998, 1999, 2001), Hoorn (2001), Gerrig/McKoon (2001), Hoorn/Konijn (2003), Bortolussi/Dixon (2003), Miall (2006), Auracher/van Peer (2008) und Zyngier et al. (2008). 57 Man beachte in diesem Kontext die verschiedenen Konzepte von wissenschaftlicher Validität: So besteht epistemologisch und forschungspragmatisch ein fundamentaler Unterschied zwischen sog. ‚interner Validität‘ (betreffend die Kausalzusammenhänge zwischen untersuchten Phänomenen) und ‚externer Validität‘ (bezüglich der Möglichkeit, die beobachteten Kausalzusammenhänge zu verallgemeinern, d. h. Gesetzmäßigkeiten zu formulieren). Vgl. dazu Campbell/Stanley (1963) und Cook/Campbell (1979).
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Erklärungskraft des Konzepts für den konkreten Einzelfall (vgl. 372ff.). Im Umkehrschluss bedeutet dies in Malewskis Worten: Je weniger allgemein eine theoretische Aussage ist, desto öfter werden die verwendeten Begriffe irgendwelche direkt beobachtbaren Ereignisse oder Eigenschaften bezeichnen und desto mehr eignet sie sich für konkrete Voraussagen, während es gleichzeitig mehr Grund gibt zu glauben, dass sie nur teilweise wahr ist. (374)
Von der Sozial- in die Literaturwissenschaft übersetzt bedeutet dies, dass spezifische Aussagen (z. B. über einzelne Autoren) zwar nur eine geringe (allgemeine) Gültigkeit (‚Wahrheit‘) in Bezug auf das Gesamtphänomen Literatur aufweisen, sich jedoch gleichzeitig als aussagekräftiger für konkrete benachbarte Phänomene (z. B. die Texte des Autors) darstellen. Frei nach Karl Eibls (1976: 47) Diskussion von Malewski kann damit abgeleitet werden, dass jede Rückführung eines individuellen Textes auf ein allgemeines Gesetz notwendigerweise die ergänzende Berücksichtigung kontingenter kontextueller Faktoren zu dessen adäquater Beschreibung erfordert. Die Schlussfolgerung aus diesem Zusammenhang scheint klar. Eine Literaturwissenschaft, die ausschließlich an der Erforschung allgemeiner intersubjektiv gültiger Produktions- und Rezeptionsmechanismen bei ‚realen‘ Lesern interessiert wäre, fände ihren Königsweg – trotz aller methodischen Probleme – in einem radikal empirischen Ansatz auf der Basis strikt naturwissenschaftlicher Interdisziplinarität. Sobald das Interesse des Literaturwissenschaftlers diesen engen Rahmen jedoch verlässt, werden empirisch eruierte Gesetzmäßigkeiten zwar nicht irrelevant, bedürfen aber der Einbettung in ein hermeneutisch vermittelndes und kontextsensitives Denken: „If we are not to stay entirely with arguments from the empirical sciences, then we will necessarily come back around to culture – that is, language, ideology, politics, history – if we are to account for difference.“ (Jackson 2000: 341) Eine strikte Empirisierung der Literaturwissenschaft würde ferner eine absolute Unterordnung unter die Standards, die Methoden und Prinzipien der Naturwissenschaft fordern (vgl. Schmidt 2000: 621); ein Vermittlungsversuch zwischen traditionellen literaturwissenschaftlichen Interessen und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen dagegen schließt eine solch rigorose Subordination unter naturwissenschaftliche Methodik ebenso kategorisch aus. Konkret für das Projekt einer kognitiven Literaturwissenschaft bedeutet dies eine klare Absage an eine hybride, gleichberechtigte Kreuzung beider Wissenschaftsbereiche. Das Hereinholen von naturwissenschaftlichen Theorien und Erkenntnissen in die Literaturanalyse muss komplementär erfolgen. Die cognitive literary studies dürfen weder ihre genuin literaturwissenschaftliche Verwurzelung und Methodik vergessen noch den Versuch unternehmen, mittels Pseudo-
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Empirie nach naturwissenschaftlicher Dignität zu streben. Einen kognitiven Ansatz zu verfolgen sollte ferner ebenso wenig bedeuten, über die Grenzen der eigenen Expertise hinaus „im […] anderen Fach zu dilettieren“ (Welzer 2006), oder kognitionswissenschaftliche Konzepte kontextentfremdet und unkritisch als Grundbaustein eigener Theoriebildung zu verwenden. Das Projekt der cognitive literary studies stellt damit als Gratwanderung zwischen den zwei akademischen Kulturen hohe Ansprüche der methodischen Aufmerksamkeit und inhaltlichen Redlichkeit an den Literaturwissenschaftler. In den vorhergehenden drei Kapiteln wurden die wichtigsten Bedenken und Probleme skizziert, die sich im Kontext dieses Projekts als relevant erwiesen haben. Im Anschluss sollen nun die vorgebrachten Einwände zusammengefasst und dem Konzept der Beziehungsstruktur wissenschaftlicher Erklärungsebenen gegenübergestellt werden. Auf der Grundlage der thematisierten Schwierigkeiten wird sich dieses Modell als geeignetes heuristisches Instrument zur Veranschaulichung und ‚Lösung‘ der skizzierten Probleme erweisen. Abschließend werden im folgenden Kapitel die notwendigen Konsequenzen aus den diskutierten Problemen gezogen und in Form von Leitlinien für das Projekt einer kognitiven Literaturwissenschaft entwickelt und skizziert.
II.2 Konsequenzen für das Konzept einer kognitiven Literaturwissenschaft Bereits 1990 rief Elrud Ibsch, inspiriert von der kognitiven Wende in der Linguistik und den Erfolgen der Kognitionswissenschaften, den „cognitive turn“ in der Erzählwissenschaft aus (Ibsch 1990). Wie auf den vorhergehenden Seiten jedoch gezeigt wurde, sieht sich ein solch revolutionäres Vorhaben sowohl bezüglich der Theorie als auch der literaturwissenschaftlichen Praxis mit zahlreichen Bedenken konfrontiert. Insbesondere die hier skizzierten Einwände bezüglich der Möglichkeit von Interdisziplinarität und der Reichweite kognitionswissenschaftlichen Erklärens stellen in der Tat ernstzunehmende Einwände gegen eine Annäherung der Literaturwissenschaft an die cognitive sciences dar. Andererseits wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass diesen Einwänden ihrerseits wiederum gewichtige Gegenargumente gegenüberstehen. So sieht sich die hier vorgetragene Skepsis einer kaum zu leugnenden intuitiven Relevanz kognitiver Forschungsergebnisse gegenüber, die Jackson folgendermaßen charakterisiert: [Cognitive science] will be in some ways irresistible in the way that scientific explanation is so often irresistible. How can empirically established, scientific claims about the biology and psychology of reading, writing, and responding have no
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bearing on the discipline whose meat and potatoes is reading, writing, and responding? (2000: 340)
Wie er damit zum Ausdruck bringt ist es im Kontext eines zeitgemäßen wissenschaftlichen Weltbildes kaum noch möglich, die menschliche Natur in radikaler Weise als „empty vessel, waiting to be filled by social processes“ zu konzipieren (Tooby/Cosmides 1992: 29). Weder eine extreme Position Lockscher tabula rasa noch ein Standpunkt, der dogmatisch auf der alleinigen Bedeutung biologisch-neurologischer Verfasstheit beharrt, scheint angesichts der vielen Argumente, die beide Seiten vorgelegt haben, haltbar zu sein (vgl. Richerson/Boyd 2001: 160). Dieser Befund impliziert jedoch, dass Literatur – ungeachtet der methodischen Schwierigkeiten – nicht mehr als kategorisch unabhängig von kognitiven Prozessen vorgestellt werden kann. Vielmehr muss innerhalb eines nicht-metaphysischen Weltbildes geradezu davon ausgegangen werden, dass die Produktion und Rezeption von literarischen Texten auf kognitiven Mechanismen der Sprach- und Diskursverarbeitung aufbaut. Bereits 1979 hatte van Dijk auf diesen Umstand hingewiesen und dabei festgestellt, dass unser Verständnis kognitiver Prozesse keine fundamental oder ontologisch verschiedenen Mechanismen für die Verarbeitung von Literatur zulässt (vgl. 1979: 151). „The literary mind“ ist daher in der eingängigen Formulierung Mark Turners „not a separate kind of mind. It is our mind.“ (1996: v)58 Die Verankerung von Literatur in kognitiv-psychologischen Prozessen führt jedoch zu einer wichtigen Schlussfolgerung. Da kognitive Verarbeitungsvorgänge vornehmlich unbewusst ablaufen (vgl. Fauconnier 1999: 96ff.), entziehen sie sich weitgehend der Aktivität bewusster Introspektion.59 Dementsprechend stellen Gerrig/Egidi (2003: 48f.) nach einer Reihe von Experimenten mit Lesern fest: „We cannot know, just by generating intuitions from texts, what the cognitive psychological reality will be.“ Mit dieser Beobachtung untermauern sie den Anspruch experimenteller und naturwissenschaftlicher Herangehensweisen an literarische und kulturelle Phänomene; denn die psychologische Realität der kognitiven Grundlagen von Literatur und Kultur verschließt sich weitgehend den
––––––––––––– 58 Vgl. dazu Stockwell (2002: 94): „It is a principle of cognitive poetics that the same cognitive mechanisms apply to literary reading as to all other interaction.“ Zu einer Gegenposition vgl. Stierle, der die Rezeption von Literatur als eine der komplexesten Betätigungsformen des Intellekts versteht, die über ‚normale‘ Denkvorgänge weit hinausgeht; vgl. dazu Stierle (1975), bzw. Schutte (2005: 183). 59 Fauconnier prägt hierfür den Begriff der „backstage cognition“ und stellt fest: „Language is only the tip of a spectacular cognitive iceberg, and when we engage in any language activity […] we draw unconsciously on vast cognitive resources […]. Crucially, we have no awareness of this amazing chain of cognitive events that take place as we talk and listen.“ (1999: 96, 99)
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Modi (subjektiver) Reflexion und Intuition.60 Eine an ihren eigenen Fundamenten interessierte Literaturwissenschaft ist daher gezwungen, sich auf eine interdisziplinäre Annäherung an die Kognitionswissenschaften einzulassen. Wie dies angesichts der in den letzten Kapiteln umrissenen Einwände auf eine sinnvolle und redliche Weise geschehen kann, gilt es im Folgenden zu skizzieren. Die Ebenen wissenschaftlichen Erklärens Eine Schlüsselrolle beim Arbeiten über disziplinäre Grenzen hinweg kommt der Beachtung der verschiedenen Ebenen wissenschaftlichen Erklärens zu. Vergegenwärtigt man sich die Beziehungen, die prinzipiell zwischen diesen Ebenen bestehen, so werden sowohl theoretisch als auch praktisch die Reichweite und Grenzen einer kognitiven Literaturwissenschaft greif- und handhabbarer. Die Existenz und Relevanz solcher Ebenen lässt sich einführend an Douglas Hofstadters Beispiel eines Verkehrsstaus veranschaulichen: „A traffic jam is just not on the level of an individual car. It is a pattern composed of cars, a pattern that moreover has a deep repercussion on the cars it is composed of.“ (1987: 787) Wie Hofstadters Beispiel verdeutlicht lässt sich ein Stau nicht auf sinnvolle Weise auf der Ebene einzelner Autos oder deren Bauteile erfassen, obgleich defekte Ersatzteile im Einzelfall durchaus für stockenden Verkehr verantwortlich sein können. Demnach sind fehlerhafte Zündkerzen – bezogen auf das Gesamtphänomen Stau – „not a very illuminating level of analysis“ (Calvin 1998: 391). Zumindest in der Wissenschaft scheint es daher dringend geboten, zwischen verschiedenen „levels of explanation“ und deren Beziehungen untereinander zu unterscheiden (Hogan 2003a: 202ff.).61 So muss z. B. die Ebene anorganischer Materie (traditionell untersucht in Physik und Chemie) von der Ebene organischen Lebens (untersucht in der Biologie) differenziert werden. Dabei treten die einzelnen Beschreibungsebenen in ein klares hierarchisches Verhältnis zueinander: „[T]he existence of each level depends on the existence of the level from which it emerges.“ (Paulson 1991: 44) Dieses von Wilden als „dependant hierarchy“ (1987: 73) bezeichnete Abhängigkeits––––––––––––– 60 Vgl. Cosmides/Tooby (1994: 41): „[…] intuition systematically blinds us to the full universe of problems our minds spontaneously solve, restricting our attention instead to a minute class of unrepresentative ‚high-level‘ problems.“ 61 Für eine ausführliche Beschreibung der Interaktion verschiedener wissenschaftlicher Erklärungsebenen siehe die ausgezeichnete Darstellung in Hogan (2003a: 202–210), an der sich der Verfasser im Folgenden orientiert. Vgl. jedoch zur Bedeutung verschiedener Erklärungsebenen auch Wilden (1987: 73ff.) sowie Paulson (1991: 44ff.).
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verhältnis schlägt sich jedoch nicht nur in der Anordnung einzelner Erklärungsebenen nieder, sondern wirkt sich auch auf das gegenseitige Verhältnis jener Ebenen aus. So gilt nach Hogan: „[L]aws are conserved in the conceptual or explanatory movement from lower or more basic levels to higher levels“, wobei jede Ebene definiert ist „by the emergence of some structure that is not accounted for by laws at the lower level“ (2003a: 202f.; kursiv i. Orig.). Dies bedeutet, dass die Gesetze der Beschreibungsebene der Physik und Chemie auch für andere Ebenen wie z. B. der Pflanzenphysiologie (Biologie) oder dem Fluchtverhalten von Tieren (Verhaltensbiologie) gültig sind; gleichzeitig lässt sich weder das Wachstum von Bäumen noch das Verhalten von Tieren vollständig mittels physikalischer und chemischer Gesetze beschreiben. Stattdessen kommt es auf jeder Ebene zur Emergenz von Strukturen, die mittels neuer Gesetze und Theorien erfasst werden müssen: Emergent qualities, which are found in every corner of complexity in the universe, are qualities not included in, and generally not predictable from knowledge of, the qualities of the systems in which they arise. The emergent qualities of the simple chemical combination H2O, for example, are not found in the two gases taken separately or mixed together. Similarly, complete physical and chemical knowledge of the DNA molecule would not predict its function in reproduction. (Wilden 1987: 170)62
Trotz der hier zitierten Beispiele beschränkt sich das Phänomen der Emergenz nicht auf die (naturwissenschaftliche) Beschreibung von Materie, Biologie oder Zoologie. Auch für genuin menschliche Sphären wie z. B. die Darstellung gesellschaftlicher Strukturen oder die Beschreibung mentaler Phänomene gilt dieselbe Beziehungsstruktur. So bleiben einerseits die Prinzipien der jeweils ‚tiefer‘ liegenden Erklärungsebene wirksam: tierisches Verhalten steht im Einklang mit allgemeinbiologischen Gesetzen, gesellschaftliche Strukturen stehen nicht im Widerspruch mit individualpsychologischen Gesetzmäßigkeiten und mentale Phänomene beruhen auf neurochemischen Vorgängen. Andererseits zeichnet sich jedoch jede dieser Ebenen durch charakteristische Qualitäten aus, die nicht auf den Beschreibungskontext der ‚darunterliegenden‘ Ebene reduziert werden können. In Bezug auf mentale Phänomene beschreibt der Nobelpreisträger Roger Sperry dies folgendermaßen: The events of inner experience, as emergent properties of brain processes, become themselves explanatory causal constructs in their own right, interacting at their own level with their own laws and dynamics. […] The qualitative, holistic properties at all different levels become causally real in their own form and have to be included in the causal account. (Sperry 1982: 1226)
––––––––––––– 62 Zur Kritik am Konzept der Emergenz siehe Kim (1999), Nagel (1961) oder einführend Garson (2006: 233f.).
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Mentale Prozesse, z. B. die Rezeption von Literatur, können somit nicht auf naturwissenschaftliche Beschreibungsformen wie die Biologie oder Neurologie reduziert werden, vollziehen sich aber auf deren Grundlage und stehen mit ihnen in Wechselwirkung. Mit Wechselwirkung ist dabei nicht gemeint, dass sich biologische oder physikalische Gesetze aufgrund mentaler Aktivität verändern, sondern dass mentale Ereignisse, z. B. Wünsche oder Entscheidungen, kausale Auswirkungen auf neurologischer, biologischer und physikalischer Ebene nach sich ziehen. So kann z. B. die Entscheidung, im Lieblingsrestaurant essen zu gehen, zur Ausschüttung eines chemischen Cocktails von Glückshormonen (Neurologie), zur Anregung der Magensaftproduktion (Biologie) und zur Bewegung des Körpers in die Straßenbahn (Physik) führen. Für das menschliche Denken lässt sich damit mit Sperry festhalten: „[…] the whole, besides ‚being different from and greater than the sum of its parts,‘ also causally determines the fate of its parts, without interfering with the physical and chemical laws of the subentities at their own level“ (1982: 1226).63 Aufgrund dieser gegenseitigen kausalen Beziehung ist die Untersuchung von mentalen Phänomenen inklusive ihrer kulturellen Produkte nach Hogan (2003a: 207) nicht kompatibel mit reduktionistischen naturwissenschaftlichen Erklärungsversuchen; stattdessen erweisen sich mentale, soziale oder kulturelle Strukturen aufgrund ihrer emergenten Natur als partiell ‚autonom‘ (vgl. ebd.). Dies bedeutet, dass sinnvollerweise für jede Erklärungsebene eine eigenständige Beschreibungssprache und Methodik entwickelt werden muss. Gleichzeitig – wie im Begriff der ‚partiellen Autonomie‘ bereits zum Ausdruck kommt – sind emergente Phänomene und ihre Beschreibung nicht völlig unabhängig, sondern werden von den Gesetzen der ‚darunterliegenden‘ Ebenen durchdrungen und begrenzt: „The laws that govern elements on level one constrain the possible patterns that can emerge on level two.“ (203) Für mentale Phänomene und ihre Produkte bedeutet dies, dass naturwissenschaftliche Aspekte auch im Bereich der Literatur- und Kulturwissenschaft wirksam und relevant bleiben. Unsere kognitive Innenarchitektur wirkt sich grundlegend und beeinflussend auf das individuelle menschliche Bewusstsein, die Strukturen sozialer Interaktion sowie die Produktion und Rezeption kultureller Phänomene aus. Die angesprochenen epistemologischen Grenzen können in diesem Kontext nicht mehr als Gegenargument verstanden werden, sondern sind wesentlicher Bestandteil der Beziehungsmatrix wissenschaftlicher Erklärungsebenen. Die fundamentale konzeptuelle Verkopplung jener Ebenen legt außerdem die inter––––––––––––– 63 Vgl. hierzu Paulson (1991: 45), für den Reduktionismus weniger ein theoretisches als ein pragmatisches Problem darstellt, das er aus Gründen von „economy and pertinence“ zurückweist (vgl. ebd.).
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disziplinäre Verbindung der mit ihnen assoziierten wissenschaftlichen Disziplinen für die Erforschung des Mentalen, Sozialen oder Kulturellen nahe. Dementsprechend müssen z. B. bei der Untersuchung der Rezeption literarischer Texte sowohl Aspekte genuin literaturwissenschaftlicher Expertise als auch allgemein psychologischer Natur sowie grundlegender kognitiver Textverarbeitungsmechanismen berücksichtigt werden.64 Leitlinien für eine kognitive Literaturwissenschaft Die Beziehungsverhältnisse wissenschaftlicher Erklärungsebenen verdeutlichen nochmals, dass die Grenzziehungen zwischen einzelnen akademischen Disziplinen keinen absoluten Charakter besitzen. Sie legen vielmehr nahe, dass verschiedene Fachbereiche letztlich nicht sinnvoll in Isolation voneinander betrachtet werden können, und skizzieren den Grundmodus gegenseitiger Bezugnahme. Auf diese Art liefern sie Anhaltspunkte für die Entwicklung von Leitlinien für den Umgang mit Konzepten, die über Disziplingrenzen hinweg entlehnt werden. So folgt beispielsweise aus der oben skizzierten dependant hierarchy, dass literaturwissenschaftliche Thesen nicht im Widerspruch zu etablierten Befunden der empirischen Wissenschaften stehen sollten. Diese Vorgabe lässt sich als minimalistisches ‚Kriterium der Kohärenz‘ formulieren, nach welchem literaturwissenschaftliche Konzepte in Übereinstimmung mit gesicherten psychologischen und kognitionswissenschaftlichen Befunden stehen sollten: „the solution should cohere with the best psychological theorizing, and should not postulate any mechanisms or causal pathways that are not sanctioned by that theorizing.“ (Currie 1997: 63f.)65 Von entscheidender Bedeutung hierbei ist, dass nicht alle kognitiven Thesen automatisch für eine Übertragung in die Literaturwissenschaft in Frage kommen. Es ergibt sich vielmehr die Notwendigkeit zwischen (relativ) bewährten („the best psychological theorizing“) und vorwiegend hypothetischen Thesen zu unterscheiden, da nur auf diese Weise der Gefahr von spekulativem Theoriewildwuchs Einhalt geboten werden kann. Während beispielsweise über die gut erforschten kognitiven Basisprozesse der Textverarbeitung weitgehende Einigkeit herrscht (vgl. Schneider 2006a: 4), ––––––––––––– 64 Der Philosoph Bernhard Waldenfels macht darauf aufmerksam, dass unser Verständnis von Kognition letztendlich immer nur eine „Zwischeninstanz“ darstellt, da es bei biologischen oder neuronalen Erklärungen immer um ein Verstehen (oft auch das Behandeln) eines Phänomens geht (z. B. ADS bei Kindern). Von einem phänomenologischen Standpunkt stellt er daher fest: „Auch das Gehirn […] ist als Zwischeninstanz zu denken.“ (2004: 10) 65 Currie stellt diese Forderung im Kontext der Diskussion von Emotion und Fiktion. Sie kann jedoch generell auf alle rezeptionstheoretisch ausgerichteten Ansätze übertragen werden.
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ist die Rolle von Spiegelneuronen in Bewusstseinsvorgängen dagegen weitgehend ungeklärt. Trotz der enthusiastischen Begeisterung für das mögliche Erklärungspotential dieser Nervenzellen basieren die Aussagen über deren Auswirkung und Funktion bezüglich menschlicher Sprache oder Empathie auf einem für naturwissenschaftliche Verhältnisse vergleichsweise hohen Grad an Spekulation. Es ist damit fraglich, ob es sich hierbei um kognitionswissenschaftlich akzeptiertes Grundwissen handelt, das uneingeschränkt auf die ‚darüberliegende‘ Ebene der Literatur angewendet werden kann.66 Angesichts der ungesicherten Sachlage sollten daher Sätze wie der folgende ein berechtigtes Runzeln auf der Stirn des kritischen Lesers auslösen: „Neuroscientists have already declared that people scoring high on empathy tests have especially busy mirror neuron systems in their brains. Fiction writers are likely to be among these high empathy individuals.“ (Keen 2006: 207)67 Neben einer solchen Projektion umstrittener Thesen „from lower or more basic levels to higher levels“ (Hogan 2003a: 202) verbietet die Beziehungsmatrix explanatorischer Ebenen auch vereinfachende Erklärungsbewegungen, die in umgekehrter Richtung verlaufen. Gemeint ist damit die Gleichsetzung emergenter Phänomene mit ihrer konzeptuell untergeordneten Basis wie sie z. B. in der folgenden Aussage von Joseph Carroll zum Ausdruck kommt: „knowledge is a biological phenomenon, […] literature is a form of knowledge, and […] literature is thus itself a biological phenomenon.“ (1995: 1) Carroll macht sich mit dieser syllogistisch anmutenden Behauptung eines materialistischen Reduktionismus schuldig, der klar auf dem Vermischen wissenschaftlicher Erklärungsebenen fußt; denn Literatur ist als emergentes Phänomen nicht auf dem Beschreibungslevel der Biologie angesiedelt. Dieses Missverstehen setzt sich fort in Statements wie „[…] all human experience is ultimately reducible to neurochemical terms“ (104). Auch hier wird das Gebot der Autonomie der einzelnen Ebenen missachtet, was in einer unzulässigen Vereinfachung mündet, die sich bis ins Absurde weiterspinnen lässt. Dies wird deutlich, wenn man ––––––––––––– 66 Vgl. dazu das weiter oben am Beispiel von A. S. Byatt (2006) thematisierte Erklärungspotential von Spiegelneuronen. Weitere Beispiele für eine fragliche Anwendung dieses Konzepts finden sich zudem bei Lauer (2007: 137), der mittels Spiegelneuronen Literatur als „Nahrung für unseren Nachahmungsinstinkt“ definiert, und bei Cook (2007), die das Konzept auf das Verhältnis von Schauspieler und Zuschauer im Drama anwendet. 67 Keens Aussage verletzt das Kriterium der Kohärenz gleich doppelt. Zunächst koppelt sie einen strittigen und unzureichend verstandenen neurologischen Mechanismus (man erinnere sich daran, dass die Funktion von Spiegelneuronen beim Menschen eben nicht einmal ansatzweise empirisch geklärt ist; vgl. Churchland 2011: 135–156) mit einem psychologischen Phänomen auf kausal suggestive Weise; dann wird dieses psychologische Phänomen mit dem Gestus der Selbstverständlichkeit und ohne weitere (empirische) Begründung auf eine spezifische Bevölkerungsgruppe (Schriftsteller) angewandt.
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Carrolls Argumentation im gleichen Stil fortführt; so ließe sich beispielsweise die Argumentationskette aufstellen, dass Nervenzellen im Gehirn aus Molekülen und diese Moleküle aus Atomen aufgebaut sind und dass das menschliches Bewusstsein folglich identisch mit der Atomstruktur der Materie sei und trefflich mittels quantenmechanischer Modelle des Zusammenspiels von Down-Quarks und Up-Quarks analysiert werden könne. Zusammenfassend lassen sich aus diesen Überlegungen zum System explanativer Ebenen drei allgemeine Leitlinien für eine kognitive Literaturwissenschaft destillieren: (1) das Kriterium der Kohärenz, (2) das Kriterium der Autonomie und (3) das Kriterium der Moderation (Sparsamkeit), wobei diese drei Aspekte als eine Art moralisch-wissenschaftliche Richtschnur für interdisziplinäre Theoriebildung verstanden werden können. Das Kriterium der Kohärenz besagt, dass literaturwissenschaftliche Theorien in Übereinstimmung mit den Grundprinzipien psychologischer und kognitionswissenschaftlicher Forschung stehen sollten (vgl. Currie 1997: 63f.; Holland 1988: 13). Auf diese Weise kann nicht nur ein gewisser Grad empirischer Bestätigung in den Bereich der humanities übertragen werden, sondern die Richtlinie impliziert eine Verengung des Möglichkeitsraums bei der Auswahl interdisziplinär kombinationsfähiger Ansätze (vgl. Gottschall 2008b: 7ff.). Derart eröffnet sich die Gelegenheit, eine externe Bewertungsskala an das hermeneutische Nebeneinander unzähliger Theorieoptionen heranzutragen und auf diese Weise eine Vorauswahl bei diesen Konzepten zu treffen. Zusätzlich zur Forderung nach Kohärenz muss, zweitens, die Autonomie der Beschäftigung mit Literatur und Kultur als eine eigenständige Beschreibungsebene gewahrt bleiben. Der emergente Charakter dieser Phänomenbereiche verbietet reduktionistisches Vorgehen und wendet sich gegen naturwissenschaftliche Allmachtsphantasien. Das Kriterium der Autonomie erinnert auf diese Weise daran, dass nicht nur die Methodik, sondern auch die Erkenntnisinteressen der Literaturwissenschaft sich von denen empirischer Forschungsgebiete unterscheiden: „the humanities are not a problem solving undertaking. Instead their prime concern is to achieve understanding, to assess context-relatedness, to investigate meaning and function […].“ (Iser 2006: 7) Die Berücksichtigung kognitiver Forschungsergebnisse kann aufgrund dieser unterschiedlichen Orientierung nicht mit einer generellen Übernahme naturwissenschaftlicher Methodik und den Kriterien beziehungsweise Anforderungen empirischer Forschung einhergehen. „It is only when literary theory overreaches itself and aspires to the condition of the definitive, of a scientific theory,“ warnt Patricia Waugh (2006: 16), „that it loses all contact with the detailed materiality of the text […]“. Eine solche von ihren eigenen Ursprüngen radikal abrückende Theorie verliert mit ihrer Autonomie ihren genuin literatur-
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wissenschaftlichen Charakter sowie den Status eines vermittelnden, interpretierenden Verstehens; sie wird in Waughs Worten „inauthentic“ (ebd.).68 Um die notwendige Eigenständigkeit von Theorie und Methodik in der Literatur- und Kulturwissenschaft zu gewährleisten, hat der Import außerdisziplinärer Thesen auf moderate Weise oder, mit Julia Mansour, ‚zurückhaltend‘ und ‚sparsam‘ (2009: 156) zu erfolgen. Das Kriterium der Moderation stellt dementsprechend nicht nur die Forderung, interdisziplinären Konzepttransfer auf gut bewährte Prinzipien und Ergebnisse der jeweiligen Wissenschaft zu beschränken, sondern den Import fremder Konzepte und Methoden auf solche Fälle zu begrenzen, aus denen ein Erkenntnis- oder Innovationsgewinn resultiert.69 Angesichts der Vielzahl bestens bewährter literaturwissenschaftlicher Methoden kann es kognitiven Ansätzen im Sinne dieses Kriteriums nicht um ein allgemeines Ersetzen traditionellerer Herangehensweisen gehen; Ziel ist vielmehr die Entwicklung komplementärer Konzepte zur Erschließung zusätzlicher Dimensionen und der Revision alter Diskussionen. Das Festhalten an einer derartigen Methodenvielfalt ist dabei letztlich auch durch das Untersuchungsobjekt selbst begründet. Versteht man Literatur mit Jürgen Link als ‚Interdiskurs‘, in dessen Rahmen sich eine gesellschaftliche Verhandlung potentiell unendlich vieler Spezialdiskurse vollzieht (vgl. Link 1988; Link/Link-Heer 1990), so wird deutlich, dass sich die Literaturwissenschaft eines Arsenals unterschiedlicher Methoden bedienen muss, um der heterogenen Natur literarischer Texte gerecht zu werden. Statt monistischer Empirie empfiehlt sich daher eine analytische Fülle von Methoden, die gemäß ihrer eigenen wissenschaftlichen Tradition zugleich grenzüberschreitend, integrativ und dialogisch organisiert ist (vgl. Jauß 1994: 402–428). Literaturwissenschaftliche Modelle, inklusive die der kognitiven Narratologie, lassen sich damit nur auf hermeneutische Weise sinnvoll miteinander verhandeln, wodurch sie sich von den empirischen oder mathematisch-rationalen Verstehensoperationen anderer Disziplinen signifikant unterscheiden. Mit dem Begriff der Hermeneutik ist an dieser Stelle weder eine bestimmte philosophische Schule (wie z. B. nach Gadamer oder Habermas) ––––––––––––– 68 Einer anderen Meinung sind z. B. Eward Slingerland (2008) und Thomas Gottschall (2008b), die sich für eine radikale ‚Verwissenschaftlichung‘ der humanities aussprechen und eine dezidierte Zurückweisung insbesondere von poststrukturalistischen Ansätzen propagieren. 69 Mansour schlägt als Strategie für eine erfolgreiche Übertragung von Konzepten aus der Kognitionspsychologie die Prinzipien der ‚methodischen Redlichkeit‘ sowie der ‚Sparsamkeit der Übertragung‘ vor. Darunter versteht sie zum einen eine Form der Zurückhaltung bei denjenigen Fragestellungen, „die mit dem Methodeninventar der Literaturwissenschaft nicht angemessen beantwortet werden können“, und zum anderen eine nur sparsame Übertragung von Konzepten: „Einzelne Konzepte und Annahmen sollten nur dann übertragen werden, wenn Innovation nicht ohne diese Übertragung erreicht werden kann.“ (2009: 156)
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noch eine spezifische Interpretationstradition (Bibelauslegung, Literaturanalyse) gemeint. Losgelöst von traditionellen Geltungsansprüchen soll unter dem Ausdruck ‚hermeneutisch‘ hier lediglich die allgemeine Bewegung des vermittelnden gedanklichen Hin- und Herschreitens zwischen Partikulärem und Allgemeinem (hermeneutischer Zirkel) verstanden werden. In dieser weiten Definition bezeichnet die Hermeneutik somit einen generellen Modus des Verstehens, der jeder Interpretation von Texten, gesprochener Rede, Filmen, Gemälden (usw.) notwendigerweise zugrundeliegt, und in welchen nahezu alle literaturwissenschaftlichen Theorien oder Analysestrategien eingebettet sind. Dies schließt viele literaturtheoretische Schulen ein, die sich explizit gegen die klassische Hermeneutik ausgesprochen haben, wie z. B. der Strukturalismus oder die Dekonstruktion; denn auch diese Paradigmen gehen weder analytisch deduktiv noch strikt empirisch vor und rekurrieren pragmatisch letztendlich ebenfalls auf einem vermittelnden Verstehen, das auf Aspekten der Nachvollziehbarkeit und der argumentativen Evidenz fußt.70 Aufgrund des Kriteriums der Autonomie bleibt der Denkmodus der Hermeneutik auch für eine kognitive Literaturwissenschaft grundlegend. Die Tatsache, dass ihre Konzepte dadurch notwendigerweise in Spannungsverhältnisse mit anderen Ansätzen geraten, ist in diesem Kontext nicht als Gegenargument zu verstehen, sondern stellt eine immanente Komponente der Literaturwissenschaft dar. Das hermeneutische Abwägen von Methoden, Theorien, (Kon)Texten und Interpretationen bleibt in dieser Hinsicht ein unhintergehbarer Grundmodus eines Denkens, das sich sowohl für das Verständnis von übergreifenden Zusammenhängen als auch für die einzelnen Phänomene (Texte) der Kultur oder Literatur interessiert. Kognitive Literaturwissenschaft bleibt primär Literaturwissenschaft und bedient sich des Wissens um kognitive Mechanismen lediglich auf unterstützende und komplementäre Weise. Angesichts dieses ergänzenden Charakters ist es sinnvoll, kognitive Literaturtheorien als Orientierungskonzepte mit Werkzeugcharakter zu verstehen, die sich losgelöst von ontologischen Geltungsambitionen in den ––––––––––––– 70 Zur Grundsätzlichkeit des Hermeneutischen siehe Seiffert (1992: 205–230). Weiterführende Literatur zur Geschichte und Rolle der Hermeneutik findet sich zudem bei Weinsheimer (1991), Jauß (1994) und Jahraus (2004: 246–268). Vgl. hierzu auch Welsch (1996: 210–227), für den Kunst bzw. das Ästhetische aus philosophischer Sicht eine an sich hermeneutische Struktur aufweist, was sich konstitutiv auf die hermeneutische Form der Interpretation und Reflektion von Kunst auswirkt. Zum Streit zwischen Hermeneutik und Dekonstruktion vgl. Tholen (1991); zur These der „Unhintergehbarkeit der Interpretation“ in der Literaturwissenschaft siehe Jahraus (1999) und zum Konzept einer „Analytischen Hermeneutik“ in der Literaturwissenschaft vgl. Jannidis (2006b). Zur einschlägigen Kritik der Hermeneutik und des hermeneutischen Zirkels siehe ferner Hörisch (1988), Schmidt (1975) sowie den Aufsatz von Stegmüller (1974).
Konsequenzen für eine kognitive Literaturwissenschaft
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pluralistischen Methodenkanon einer postklassischen Literaturtheorie einreihen (vgl. Nünning/Nünning 2002c).71 Aus diesem Grund kann es nicht darum gehen, wissenschaftsphilosophisch unangreifbare Theorieverbindungen zwischen empirischen und hermeneutischen Ansätzen herzustellen; das Ziel besteht vielmehr in der Entfaltung kognitiv inspirierter Konzepte, die eine potentiell produktive Änderung des Blicks auf einzelne Texte und übergreifende Phänomene ermöglichen und sich dennoch harmonisch in ein breiteres psychologisches Verständnis von Text- und Literaturrezeption einfügen. In diesem hermeneutischen Interesse sowohl am übergreifenden Zusammenhang als auch am konkreten Einzelphänomen liegt eine weitere Anforderung an das Projekt einer kognitiven Literaturwissenschaft, die idealiter einen Brückenschlag zwischen dem deskriptiven und taxonomischen Charakter narratologischer Modelle (vgl. Herman 2005: 28) und der interpretierenden Analyse literarischer Texte vollzieht. Es geht, mit anderen Worten, nicht allein um ein besseres Verständnis mentaler Verarbeitungsprozesse im Akt des Lesens, sondern ebenso um die Erweiterung assoziativer Interpretationsräume, die zu neuen und erhellenden Lesarten literarischer Werke führen können: „[The] point of interpretation is not only to gain reflective understanding of the work but also to increase the associative complexity of our response to that work – thereby, one hopes, enriching our aesthetic experience.“ (Hogan 2008 [1996]: 193)72 Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass das Projekt einer kognitiven Literaturwissenschaft mit zahlreichen Schwierigkeiten konfrontiert ist. Gleichzeitig wird deutlich, dass ein Beitrag zum Verständnis der Rezeption narrativer Strukturen zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts nicht mehr sinnvoll ohne Berücksichtigung kognitiver Erkenntnisse auskommen kann (vgl. Margolin 2003: 276). Um den daraus entstehenden interdisziplinären Herausforderungen auf adäquate Weise zu begegnen, wurden drei Kriterien im Sinne allgemeiner Richtlinien für die Entwicklung von kognitiven Literaturtheorien vorgeschlagen. Diese Leitlinien erinnern daran, dass die Erneuerungsbestrebungen der cognitive literary studies rhetorisch nüchtern, graduell und umsichtig erfolgen sollten. Die ––––––––––––– 71 Zu Methodenpluralismus und Theoriebildung vgl. Jahraus (2004), Bonheim (1995), Flaschka (1981) oder Pasternack (1975). 72 Nicht für alle Stimmen in der Erzählforschung gehört das Interpretieren von Texten allerdings zwingend zum Aufgabenbereich der Narratologie. David Herman versteht Erzählforschung z. B. als eine rein taxonomische und deskriptive Modellierung der narrativen Kompetenz des Menschen: „[…] the raison d’être of narratological analysis is to develop an explicit characterization of the model underlying people’s intuitive knowledge about stories, in effect providing an account of what constitutes humans’ narrative competence.“ (2005: 29, vgl. 2002: 2–5) Zur Geschichte sowie alternativen Konzeptionen von Narratologie siehe auch McHale (2005) und Fludernik (2005a).
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Vorüberlegungen
Platzierung dieses Forschungsparadigmas innerhalb des Horizonts der Literaturwissenschaft sollte sich daher in Form einer graduellen Erweiterung der bestehenden Theorielandschaft vollziehen. Wie in Neuraths berühmter Metapher vom Schiff, das auf offener See umgebaut werden muss, gilt es, bildlich gesprochen, das ‚Schiff‘ der kognitiven Literaturtheorie nicht durch naiven Reduktionismus oder unlautere Theorietransfers methodisch zu ‚versenken‘.73 Werden diese wissenschaftlichen ‚Klippen‘ jedoch erfolgreich umschifft, so verheißt das hier vertretene Projekt eine vielversprechende Möglichkeit, unbekannte Horizonte zu erschließen und alte Phänomene neu zu kartieren. Zu diesem Unterfangen möchte die vorliegende Arbeit einen exemplarischen Beitrag leisten, indem sie eine kognitive Theorie der Konstruktion und Interaktion von Perspektiven in Erzähltexten entwickelt. Um dieses Vorhaben umzusetzen, müssen jedoch zunächst die notwendigen narratologischen Wissenskontexte geschaffen werden, um dann durch relevante kognitionswissenschaftliche Überlegungen überdacht und erweitert zu werden. Die hier unternommene Perspektivendiskussion nimmt daher ihren Ausgangspunkt in einer Bestandsaufnahme der literaturwissenschaftlichen Perspektivenforschung. So beschäftigt sich das folgende Kapitel dementsprechend mit der Darstellung der Forschungslage in diesem Bereich. Auf diese Weise wird der narratologische Kontext skizziert, der die Grundlage für die darauffolgenden Kapitel bildet, in denen eine Synthese kognitiver und narratologischer Konzepte angestrebt wird.
––––––––––––– 73 Vgl. Neurath (1932: 206): „Wie Schiffer sind wir, die ihr Schiff auf offener See umbauen müssen, ohne es jemals in einem Dock zerlegen und aus besten Bestandteilen neu errichten zu können.“
III. Der narratologische Kontext: Zur Forschungslage von Figurenperspektive, Perspektivenstruktur und Multiperspektivität […] wir [sind] wie Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen, so dass wir mehr und weiter sehen können als diese – doch nicht aufgrund der Schärfe unseres Auges oder unseres höheren Wuchses, sondern weil wir durch die Größe der Riesen emporgehoben werden. (Johannes von Salisbury, Metalogicon 3, 4)1
Ein kognitiver Ansatz, der sich mit der Interaktion von Perspektiven in Erzähltexten beschäftigt, ist am Schnittpunkt mehrerer literaturwissenschaftlicher Forschungsrichtungen situiert, auf die er sich notwendigerweise stützen muss. Hierzu gehören sowohl die grundlegenden Arbeiten und Entwicklungslinien der Narratologie als auch die in der Tradition der Rezeptionsästhetik stehende Frage nach der mentalen Verarbeitung narrativer Texte, in welche die Bereiche der kognitiven- und empirischen Literaturwissenschaft einfließen. Von besonderer Relevanz innerhalb dieser Felder wiederum sind die narratologische Beschäftigung mit den Begriffen ‚Perspektive‘ bzw. ‚point of view‘ sowie die rezeptionsorientierte Forschung zur literarischen Figur, die den engeren erzählwissenschaftlichen Kontext für eine kognitiv ausgerichtete Perspektiventheorie bilden. Ferner werden sich für die vorliegende Arbeit die aus der Dramentheorie (Pfister) entlehnten Konzepte der ‚Figurenperspektive‘ sowie der sogenannten ‚Perspektivenstruktur narrativer Texte‘ als zentral erweisen, die selbst wiederum auf semantische, psychologische und konstruktivistische Arbeiten in der Literaturwissenschaft zurückgreifen. Angesichts der sprichwörtlichen Weite des damit skizzierten Forschungsfeldes liegen einleitende Berichte zu jedem einzelnen der Teilge––––––––––––– 1 Übersetzung zitiert nach Wirbelauer (2007: 405). Eigentlich im lat. Original: „Dicebat Bernardus Carnotensis nos esse quasi nanos gigantum umeris insidentes, ut possimus plura eis et remotiora uidere, non utique proprii uisus acumine, aut eminentia corporis, sed quia in altum subuehimur et extollimur magnitudine gigantea.“ (Johannes [Sarisberiensis] 1991: III, 4: 116) Johannes schreibt den Ausdruck somit seinem Lehrer Bernhard von Chartres zu, der damit als eigentlicher Verfasser dieses berühmten und in vielen Variationen vorliegenden Ausspruchs gelten kann. Zur Geschichte desselben vgl. auch Merton (1965).
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biete offenkundig nicht im Rahmen der Möglichkeiten dieser Arbeit. Schon ein Überblick über die Vielzahl rezeptionsorientierter kognitiver und/oder empirischer Ansätze lässt sich aufgrund von deren Zahl und Heterogenität nicht mehr sinnvoll leisten.2 Im Sinne einer übersichtlichen Strukturierung und zur Vermeidung von Redundanzen wird die Vorstellung der grundlegenden Beiträge in den von dieser Arbeit angeschnittenen Forschungsbereichen daher weitgehend in die jeweiligen Theoriekapitel integriert. Dies betrifft insbesondere die rezeptionstheoretischen Ansätze zur literarischen Figur sowie die Theorien und Konzepte aus den Feldern der Kognitionswissenschaften und der kognitiven Literaturwissenschaft, inklusive der (kognitiven) Narratologie, die im Mittelpunkt des hier verfolgten Erkenntnisinteresses liegen. Dennoch scheint es aus Orientierungszwecken an dieser Stelle angebracht, einen zumindest einleitenden Überblick über diejenigen Ansätze zu liefern, die die Grundlage bzw. den narratologischen Kontext für die darauffolgende kognitiv ausgerichtete Beschäftigung mit dem Phänomenbereich literarischer Perspektiven darstellen. Da zur allgemeinen Bedeutung sowie der Metaphorik und Genese des Perspektivenbegriffs inner- und außerhalb der Literaturwissenschaft allerdings bereits zahlreiche Überblicksdarstellungen und Forschungsberichte vorliegen, ist es sinnvoll, das Augenmerk der einführenden Darstellung nach einer kurzen Skizze der zentralen Begriffe nochmals einzuengen. Die nachfolgenden Ausführungen zur Forschungslage konzentrieren sich daher auf eine Auswahl relevanter narratologischer Konzepte; hierzu gehören unter anderem Begriffe wie ‚Figurenperspektive‘, ‚Perspektivenstruktur‘ und ‚Multiperspektivität‘, aber auch die Theorie ‚möglicher Welten‘ sowie Bakhtins Begriff der ‚Polyphonie‘, die als alternative Ansätze zur Erfassung perspektivischer Phänomene am Ende des Kapitels kurz skizziert werden. (Erzähl)Perspektive und Figurenperspektive Der Begriff der ‚Perspektive‘ geht auf das mittellateinische perspectiva (von lat. perspicere: ‚durchsehen‘; ‚beschauen‘; ‚deutlich sehen‘; ‚wahrnehmen‘) zurück,3 das die Wissenschaft der Optik, d. h. der Gesetzmäßigkeiten des ––––––––––––– 2 Bereits im Jahr 2000 gelangt Schneider zu einem ähnlichen Urteil (vgl. 2000: 25). Zwar haben Alan Richardson (2004) sowie Schneider (2006a) den Versuch einer Kartierung des Felds der kognitiven Literaturansätze vorgelegt, doch beide Autoren gestehen ein, dass ihre Kartierungsversuche eine massive Vereinfachung der sich hier vermengenden Forschungstraditionen darstellen. Auch wenn Strasen (2008a) mittlerweile für das Teilgebiet der Rezeptionstheorie eine umfassende Neuvermessung unter kognitiven Vorzeichen vorgelegt hat, hat sich diese generelle Situation seither nicht grundlegend verändert. 3 Vgl. Stowasser/Petschenig/Skutsch (1994: 377).
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Sehens und des Lichtes bezeichnete (vgl. Surkamp 2008: 566). Schon in der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs ist die „Korrelation von visuell-optischen und kognitiven Aspekten“ etymologisch angelegt und maßgeblich an der späteren Erweiterung der Begriffsbedeutung beteiligt, da „visuelle Wahrnehmung als ein Medium der Erkenntnis betrachtet wurde“ (Nünning 1989a: 65). Bei der Übertragung des Begriffs auf andere Gegenstandsfelder, wie z. B. auf die Malerei, die Philosophie und später die Wissenschaftstheorie, Soziologie oder Biologie (vgl. König 1989: 369ff.), kommt es zu mehrschichtigen Begriffsverschiebungen, die sich im Einzelnen hier nicht nachzeichnen lassen und zu äußerst disparaten Verwendungsweisen der Bezeichnung führen (für einen Überblick siehe Wood/ Kubovy 1998 und König 1989). In Bezug auf den alltagssprachlichen Gebrauch des Begriffs dominieren nach Nünning (1989a) jedoch vornehmlich drei Bedeutungen: ‚Perspektive‘ bezeichnet seiner Meinung nach „erstens eine Aussicht für die Zukunft, zweitens den persönlichen Standpunkt eines Menschen und drittens den Gesichtspunkt oder Blickwinkel, unter dem ein Phänomen betrachtet wird“ (65).4 Für die Literaturwissenschaft lässt sich mit Susan Lanser einleitend feststellen, dass die Diskussion des Perspektivenbegriffs in der Literatur dadurch erschwert wird, dass sich auch hier unter dem einheitlichen Begriffsmantel der Perspektive eine Vielzahl unterschiedlicher Konzepte und Theorien drängen (1981: 15). Die verschiedenartigen Ausrichtungen der einzelnen Ansätze verbinden sich dabei nicht nur mit unterschiedlichen analytischen Interessen, sondern ebenso mit divergierenden Vorstellungen von Literatur und Literaturanalyse. So stellt Lanser fest: “The investigation of point of view is inextricably bound up with aesthetic, pragmatic, and ontological concerns; every theory of point of view implies a theory of literature itself.” (ebd.) Trotz der in dieser Aussage angedeuteten semantischen und konzeptuellen Breite des Perspektivenbegriffs hat sich jedoch speziell die Narratologie vorwiegend auf nur einige wenige Aspekte dieses Spektrums konzentriert. Sowohl in der deutschen als auch in der englischsprachigen Philologie stellt insbesondere die Frage nach der Vermittlung von Informationen in narrativen Texten, d. h. die (formale) Ebene der erzählerischen Vermittlung, einen der Kernpunkte narratologischen Interesses bei der Erörterung von point of view dar (vgl. Surkamp 2003: 26; Guillén ––––––––––––– 4 Zum Begriff der Perspektive vgl. Niederhoff (2009), Surkamp (2003: 26–36), Schulte-Sasse (2002), Wilpert (2001: 603f.), Nünning/Nünning (2000b: 7ff.), Wood/Kubovy (1998), Damisch (1994), Nünning (1989a: 65–69), König (1989), Lanser (1981) und Hönnighausen (1980) sowie für eine ausführliche und noch immer wertvolle Darstellung Guillén (1971: 283–374). Zur Diskussion des Begriffs in Computerspielen vgl. ferner Thon (2009); zur Perspektive aus der Sicht der Filmanalyse siehe Eder (2008: 565–646); für eine Annäherung an das Thema im Kontext der Gender Studies vgl. Allrath/Surkamp (2004) und zur Philosophie sowie Psychologie des Perspektivismus siehe Kaulbach (1990) und Graumann (1960).
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1971: 352; Lanser 1981: 17). Die in diesem Kontext geführte umfangreiche Diskussion und der wachsende Grad an theoretischer Durchdringung führt bei genauer Betrachtung jedoch spätestens mit Gérard Genettes (1980 [1972]) bahnbrechenden Überlegungen zur Erzähltheorie zu einer Infragestellung der Leistungsfähigkeit des Perspektivenbegriffs in Bezug auf erzählerische Vermittlung.5 Mit der Einführung leistungsfähigerer Analysekategorien, insbesondere der analytischen Trennung von narration und focalization, d. h. zwischen der Frage „who speaks?“ und der Frage „who sees?“,6 wird der Perspektivenbegriff in diesem Kontext überflüssig: Wie ein Reihe von Arbeiten, die sich kritisch mit den etablierten point of view-Modellen auseinandergesetzt hat, überzeugend dargelegt hat, lässt sich die Struktur der erzählerischen Vermittlung mit den von Genette eingeführten Kategorien […] sehr viel präziser erfassen als mit dem vagen Konzept der Erzählperspektive oder den herkömmlichen point of view-Typologien. Daher erweist sich der Perspektivenbegriff im Zusammenhang mit der Analyse der Struktur der erzählerischen Vermittlung bzw. der Erzählsituation in der Tat als entbehrlich. (Nünning/ Nünning 2000b: 11)7
Ansgar Nünning zieht bereits Ende der achtziger Jahre die narratologische Konsequenz aus dieser Situation, indem er den Begriff der Perspektive von seiner Ausrichtung auf das Wie der erzählerischen Vermittlung ‚befreit‘ und auf das Was der im Text erzählten Inhalte ausrichtet (vgl. 1989a). Der Begriff der Perspektive bezieht sich in diesem Model damit nicht mehr auf die Instanzen narrativer Informationsvermittlung, sondern ––––––––––––– 5 Die Begriffe point of view und Erzählperspektive werden (wie weitgehend üblich) im Folgenden synonym verwendet (vgl. Nünning/Nünning 2000b: 11, FN 19). Zu point of view-Modellen und deren Problematik siehe außerdem Fludernik (1996: 337–347), Nünning (1990), Bonheim (1990: 285–307), Markus (1985:17–39), Kablitz (1988) und Cohan (1986). 6 Zu Genette gibt es eine so hohe Zahl an Arbeiten, dass eine basale Kenntnis seiner Konzepte vorausgesetzt werden kann. Zur Einführung sei exemplarisch auf Schmid (2008: 119– 122), Strasen (2004), Broman (2004), Jahn/Nünning (1994) und Rimmon-Kenan (1983) verwiesen. Für Weiterentwicklungen des Fokalisationsgedankens siehe ferner z. B. Jahn (1996, 1999b), Phelan (2001) sowie die relevanten Beiträge in Hühn/Schmid/Schönert (2009). 7 Diese Einschätzung wird nicht von allen Narratologen geteilt, da Genette nicht ohne Widerspruch und Alternativen geblieben ist. Vor allem Stanzels Typenkreis von Erzählsituationen (1979) und dessen Revisionen (z. B. Cohn 1978) gelten noch immer als alternative Paradigmen der erzählerischen Vermittlung. Weitere einschlägige Arbeiten zur Erzählperspektive haben z. B. Chatman (1978, 1990), Lanser (1981), Bal (1983, 2009 [1985]), Rimmon-Kenan (1983) oder Nünning (1997b) vorgelegt und dabei Genette und Stanzel teils kritisiert, teils modifiziert (zur Einführung in das Thema vgl. Jahn 2005a oder Strasen 2004). Erwähnt seien ferner neuere ‚postklassische‘ Ansätze, in denen u. a. ebenfalls Fragen der erzählerischen Vermittlung diskutiert werden: z. B. Jahn (1996, 1997), Herman (2002) oder die Beiträge in van Peer/Chatman (2001) und Herman (1999a). Insgesamt zeichnet sich die postklassische Narratologie jedoch durch eine solche „profusion of new methodologies and research hypotheses“ (Herman 1999b: 2f.) aus, dass an dieser Stelle kein sinnvoller Forschungsabriss geleistet werden kann. Siehe stattdessen einführend z. B. Olson (2011), Alber/Fludernik (2010), Petry (2004), Sommer (2004) und Nünning/Nünning (2002a, 2002b).
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auf das subjektive Wirklichkeitsmodell fiktionaler Figuren und betont damit die analytische Unterscheidung zwischen dem Modus der Darstellung und den dargestellten fiktionalen Inhalten. Konzeptuell greift Nünning bei dieser Revision auf Manfred Pfisters Arbeiten zur Dramentheorie (1974, 1977) zurück. Pfister hatte die individuelle Weltsicht dramatischer Figuren als eine Verquickung situativer, psychologischer und ideologischer Komponenten begriffen und die Perspektive einer Figur als eine Kombination aus deren Informationsstand, psychischer Disposition und ideologischer Ausrichtung definiert.8 Nünning (1989a: 69–76) übernimmt diese Anbindung des Perspektivenbegriffs an individuelle literarische Figuren, geht jedoch in seiner Adaption der sog. Figurenperspektive über Pfisters „Drei-Faktoren-Modell“ (Surkamp 2003: 38) hinaus. Indem er die Wirklichkeitssicht von Figuren im Sinne von S.J. Schmidts ‚Voraussetzungssystem‘ versteht (vgl. Schmidt 1991 [1980]: 47), weitet er seinen Ansatz nicht nur konzeptuell gegenüber Pfister aus, sondern erreicht auch eine Präzisierung des Perspektivenbegriffs. Analog zu Schmidt bezeichnet Nünning mit dem Begriff der Figurenperspektive „das System aller Voraussetzungen“ (Nünning 1989a: 71; meine Herv.), die potentiell in den individuellen Weltentwurf einer Figur einfließen können. Dieses Voraussetzungssystem umfasst nach Hauptmeier/Schmidt (1985: 63) das gesamte „Wirklichkeitsmodell eines Aktanten“, d. h. „die von ihm internalisierten Werte, Normen und Konventionen, sprachliche und enzyklopädische Kenntnisse ebenso wie Handlungsbeschränkungen politischer, ökonomischer, sozialer und kultureller Natur“. Mit der Anlehnung an die Schmidtsche Konzeption akzentuiert Nünning den konstruktivistischen Charakter von Figurenperspektiven und betont gleichzeitig mit der Übernahme von Pfisters Begriff der ‚Perspektivenstruktur‘ die Bedeutung der kompositorischen Kombination von Einzelperspektiven.9 Ferner weitet er seinen Ansatz sowohl inhaltlich als auch konzeptuell aus, indem er seinen Begriff der Figurenperspektive komplementär zu den Analysekategorien der erzählerischen Vermittlung in der Tradition Genettes konzipiert. Auf diese Weise wirkt Nünning einer zu engen und einseitigen Ausrichtung seines Theorieentwurfs entgegen. Er beherzigt damit diejenigen Stimmen, die sich mahnend dagegen aus––––––––––––– 8 Vgl. Pfister (1977: 90–102, 1974: 18–27). Auch Klotz (1969: 87–89, 165–172) verbindet die Weltsicht dramatischer Figuren mit dem Perspektivenbegriff. Ihm geht es dabei jedoch um die „syntaktische Realisierung der Weltsicht einzelner Dramenfiguren“ (Pfister 1974: 17). 9 Indem Nünning den Perspektivenbegriff an die jeweilige spezifische und individuelle ‚Sicht‘ einer Figur auf die Welt bindet, unterstreicht er die subjektive und konstruierte Natur desselben, da Wahrnehmung und Erkenntnis im Verständnis des Konstruktivismus keine unmittelbaren Zugänge zu Welt bzw. Wirklichkeit darstellen, sondern als Konstrukte unseres Gehirns zu begreifen sind (vgl. Schmidt 2005 [1985]: 151)
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sprechen, die Komplexität des Perspektivenbegriffs durch eine reduktive Ausrichtung auf Erzähltechnik unzulässig zu beschneiden.10 Eines der wohl wichtigsten Plädoyers für eine solche mehrdimensionale Betrachtung des Perspektivenphänomens hat Boris Uspenskij in seiner einflussreichen Poetik der Komposition (1975 [1970]) vorgelegt (vgl. Schmid 2008: 123ff.). Für den russischen Philologen und Semiotiker manifestiert sich das Phänomen der Perspektive nicht nur auf einer einzelnen, sondern gleichzeitig auf verschiedenen Betrachtungsebenen. Als Konsequenz wendet sich Uspenskij gegen eine eindimensionale und verkürzende Analyse von Perspektiven und entwickelt alternativ ein Modell, das vier Ebenen der Perspektivenmanifestation berücksichtigt. So unterscheidet er zwischen den Ebenen der ‚Ideologie‘, ‚Phraseologie‘, ‚Raum-Zeit-Charakteristik‘ und ‚Psychologie‘, wobei auf jeder dieser Ebenen selbst wiederum eine generelle Unterscheidung zwischen ‚inneren‘ und ‚äußeren‘ Standpunkten vorgenommen werden kann (vgl. Uspenskij 1975: 149–157).11 Auf diese Weise wird eine komplexe Matrix zur Positionierung und Beschreibung der „möglichen spezifischen Erscheinungsformen des point-ofview“ (149) geschaffen, die die Analyse von Wechselbeziehungen zwischen einzelnen Standpunkten auf verschiedenen Ebenen ermöglicht. Uspenskijs Modell erweist sich so nicht nur als mehrdimensional, sondern verdeutlicht ferner die fundamentale Bedeutung der Interaktion verschiedener Beschreibungsebenen bei der Analyse von Perspektiven. Uspenskijs Theorie stellt eine entscheidende Innovation gegenüber der Modellierung von Perspektiven auf nur einer Ebene dar, auch wenn Die Poetik der Komposition in ihrer Ausführung einige „Inkonsistenzen“ und problematische Interpretationen (Schmid 2008: 127) aufweist.12 Es ist daher nicht überraschend, dass seine Forderung nach leistungsfähigen multidimensionalen Analysemodellen von point of view einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung späterer Mehrschichtenmodelle genommen hat. So entwickelt z. B. Lintvelt (1981) ebenfalls ein vierdimensionales Perspektivenmodell, Fowler (1986) nimmt eine weitere Differenzierung ––––––––––––– 10 Vgl. z. B. Lanser (1981: 14ff.), McIntyre (2006: 55) und Weimann (1962: 370ff.). 11 Dazu Uspenskij: „Im einen Fall [Außenstandpunkt] nimmt der Autor [= Erzähler] beim Erzählen den dargestellten Ereignissen gegenüber eine bewußt außen lokalisierte Stellung ein, indem er sie sozusagen aus der Distanz beschreibt; im zweiten Fall dagegen [Innenstandpunkt] versetzt er sich bewußt in seine Erzählung hinein: er übernimmt dabei entweder den Standpunkt eines direkt an den erzählten Ereignissen Beteiligten oder er begibt sich in die Lage eines Menschen, der am Ort des Geschehens zwar anwesend ist, jedoch nicht selber in die Vorgänge eingreift.“ (1975: 149; meine Anm.) 12 Als problematisch zeigt sich bei Uspenskij u. a. die Opposition von Innen- und Außenstandpunkten. Vom Anspruch her anwendbar auf jede der vier Betrachtungsebenen stellt sich diese Opposition, wie Schmid (2008: 124ff.) demonstriert, z. B. bei der Kategorie des psychologischen Innenstandpunkts als nicht eindeutig genug definiert heraus.
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von Uspenskijs Innen- und Außenstandpunkt vor13 und Shlomith Rimmon-Kenan trifft bei ihrer Adaption von Genette eine an Uspenskij angelehnte Unterscheidung zwischen drei „facets of focalization“ (1983: 77–85).14 Eine ebenfalls auf dem Uspenskijschen Grundgedanken aufbauende Weiterentwicklung der Perspektivenanalyse legt Wolf Schmid in Elemente der Narratologie (2008 [2005]) vor. Hier definiert Schmid das Phänomen der Perspektive als den „von inneren und äußeren Faktoren gebildeten Komplex von Bedingungen für das Erfassen und Darstellen eines Geschehens“ (129). Dabei wird unterstellt, dass die Akte des Erfassens und Darstellens durch verschiedene Faktoren bedingt sind, die unterschiedlichen Parametern zugeordnet werden können. Insgesamt unterscheidet er fünf „Parameter der Perspektive“, die sich in variabler Weise als bedeutsam für die Konstituierung von Perspektiven erweisen und die in die Kategorien „Perzeption“, „Ideologie“, „Raum“, „Zeit“ und „Sprache“ eingeteilt werden können (vgl. 130– 137, 142–151). Diese Kategorien korreliert er mit der binären Opposition von „narratorialen“ und „figuralen“ Erzählstandpunkten, in denen er die beiden grundsätzlichen Möglichkeiten des Darstellens im Erzähltext sieht (137ff.).15 Mit der dabei entstehenden Matrix stellt Schmid ein analytisches Werkzeug bereit, das er zur Untersuchung der Manifestations- und Gestaltungsformen von Erzählperspektiven heranzieht. Ähnlich wie schon bei Uspenskij besteht ein entscheidender Vorteil dieses Modells darin, dass die potentiell unterschiedlichen Distributionen von Perspektivenparametern klar und übersichtlich modelliert bzw. erfasst werden können (vgl. 152f.). Die „wohltuend“ einfache und doch präzise Terminologie (Kocher 2006) eignet sich besonders zur Analyse der Beziehung von Erzähler- und Figurenperspektiven, verliert jedoch durch ihre konzeptuelle Geradlinigkeit in einigen wenigen Punkten an analytischen Differenzierungsmöglichkeiten (ebd.).16 ––––––––––––– 13 Vgl. dazu auch Simpsons (1993) Revision von Fowlers und damit Uspenskijs Überlegungen. 14 Zur Beurteilung des Einflusses von Uspenskij auf die Narratologie gibt es unterschiedliche Meinungen. Während Schmid (2008: 123) dessen „starke Wirkung auf die internationale Narratologie“ betont, spricht sich laut Surkamp (2003: 29) die Mehrheit der Narratologen „bis heute“ gegen mehrdimensionale Perspektivenmodelle im Sinne von Uspenskij aus. 15 Für Schmid stellen Erzähler und Figur die beiden einzigen „wahrnehmende[n], wertende[n], sprechende[n] und handelnde[n] Instanzen“ in einem Erzählwerk dar (vgl. 2008: 137ff.). In seinem Modell ist damit „kein Platz“ für Formen einer „neutrale[n] Perspektive“ (ebd.) oder ‚Nullfokalisierung‘ (wie etwa bei Genette 1980 [1972], Stanzel 1955 oder Broich 1983). 16 Schmids Ansatz ist laut Koch (2006) dem von Genette unterlegen, da „letztlich kein alternatives Analysemodell“ für eine kleinteilige Schritt-für-Schritt-Analyse vorgeschlagen wird. Lahn/Meister (2008: 114f.) hingegen sehen Schmids und Genettes Ansätze eher als komplementäre Analysemodi. Insgesamt dominiert laut Surkamp (2003: 29) in der Narratologie jedoch die Auffassung, dass das Einbeziehen zu vieler Faktoren (Sprache, Stil, Ideologie, Psychologie, Raum und Zeit) zu einem kontraproduktiven Verlust analytischer Präzision führt
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Obgleich Schmids Modell sich ferner explizit mit der Entstehung von Divergenzen und Konvergenzen beim Arrangement von Perspektivenparametern beschäftigt (vgl. Schmid 2008: 151–153), lässt seine Arbeit jedoch eine eingehende Beschäftigung mit der Kombination semantischer Perspektiveninhalte und den potentiell dabei entstehenden Reibungskräften weitgehend vermissen. Dies ist einerseits überraschend, da semantische Phänomene perspektivischer Pluralität, wie sie z. B. durch wiederholtes Erzählen eines Geschehens aus unterschiedlichen Perspektiven entstehen können, thematisch mit einem Modell divergierender Perspektivenparameter verwandt zu sein scheinen;17 andererseits schließt sich eine solche Nichtbeachtung von poly- oder multiperspektivischen Effekten in der Literatur an einen großen Teil der Schriften in der Erzählforschung an, die das Phänomen der Multiperspektivität lange Zeit „arg stiefmütterlich“ (Nünning/Nünning 2000b: 14) behandelt haben.18 Perspektivenstruktur und Multiperspektivität Wie bereits beim Perspektivenbegriff zeigt sich auch bei der Diskussion multiperspektivischer Effekte die Polyvalenz und definitorische Unklarheit des Begriffs als charakteristisch für die bisherige literaturwissenschaftliche Forschung.19 Dieser Situation mag es geschuldet sein, dass das Phänomen der Multiperspektivität in der Narratologie lange Zeit wenig eigenständige Beachtung fand.20 So bleibt Volker Neuhaus’ Pionierstudie Typen multiperspektivischen Erzählens (1971) bis in die späten Neunziger die ––––––––––––– 17
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und damit keine sinnvolle Strategie darstellt. Wie bei Uspenskij kann so auch hier die mehrdimensionale Herangehensweise des Ansatzes als Einwand angeführt werden. Dieses Fehlen mag auch mit Schmids Perspektivenverständnis verbunden sein, das nicht zwischen (erzähltem) Geschehen und einer Perspektive (darauf) unterscheidet. Schmid versteht vielmehr unter Perspektive bzw. dem Vollzug von Perspektivierung eine „Transformation der Geschichte“, die es ‚als solche‘ ohne diesen Akt überhaupt nicht gibt: „Eine ‚Geschichte an sich‘, d. h. eine Geschichte ohne Perspektive kann es nicht geben. […] Frei von erzählerischer Perspektivierung ist lediglich das unbegrenzte amorphe Geschehen.“ (vgl. 2008: 256) Für eine verwandte Position vgl. Herman (2002: 302) und Meister/Schönert (2009). Zu einer ähnlichen Einschätzung vgl. Surkamp (2003: 1f., 9) oder Lindemann (1999: 52ff.). Vgl. Nünning/Nünning (2000b: 14ff.) sowie Surkamp (2003: 26–30) für einen Überblick über die Verwendungsweisen des Perspektivenbegriffs in der Literaturwissenschaft. Vgl. Surkamp (2003: 9) und Nünning/Nünning (2000b: 6), die in diesem Kontext von einem „großen Unbehagen in der Narratologie gegenüber dem Perspektivenbegriff“ sprechen. Weitere Gründe für die mangelnde Beachtung mögen darin liegen, dass Multiperspektivität häufig nicht als eigenständiges Phänomen verstanden, sondern unter andere Schlagwörter (z. B. Polyphonie, Mehrsträngigkeit, Schlussgebung, Brief- oder Detektivroman) subsumiert und in angrenzenden Themenfeldern bzw. nur in Bezug auf einzelne Autoren diskutiert wird (z. B. Brian Richardson 1994, 2005, 2002; Aczel 1998; Korte 1985; Bakhtin 1981, 1984; Nischik 1981; Hartmann 1979; Iser 1972: 94–131).
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einzige einschlägige monographische Untersuchung des Phänomens.21 Erst 1996 beklagt Matthias Buschmann diese „defizitäre Forschungssituation“ (259) und spricht sich für eine Klärung der Definition von Multiperspektivität aus. Dabei wendet er sich gegen Neuhaus’ Bestimmung des Begriffs, der mit ‚multiperspektivischem‘ Erzählen nur solche Texte bezeichnet, „in denen sich ein Autor nebeneinander mehrerer Erzählperspektiven bedient, um ein Geschehen wiederzugeben, einen Menschen zu schildern, eine bestimmte Epoche darzustellen, oder dergleichen“ (1971: 1; meine Herv.).22 Buschmann beanstandet diese recht vage Definition und die darin vollzogene alleinige Fokussierung auf die Erzählperspektive, wodurch Multiperspektivität lediglich als ein Stand- oder Blickpunktwechsel zwischen der Ich- oder Er/Sie-Form des Erzählens konzipiert wird. Anstelle eines solch eingeengten Blickwinkels fordert er die zusätzliche Berücksichtigung von Figuren als Perspektiventrägern. Alternativ schlägt er vor, von multiperspektivischem Erzählen zu sprechen, „wenn aus dem ‚point of view‘ verschiedener narrativer Instanzen (Erzähler und Figuren) ein zentraler ‚point of attention‘ dargestellt wird“ (Buschmann 1996: 260; kursiv i. Orig.). Durch diese Kopplung eines „deskriptiven“ point of view mit einem „normativen“ point of attention betont Buschmann, dass das Phänomen der Multiperspektivität die rein kommunikationstheoretische Frage nach Erzähler- und Fokalisationsinstanzen transzendiert: Von Multiperspektivität soll im folgenden nur dann die Rede sein, wenn aus verschiedenen Blickpunkten auch verschiedene Ansichten der Dinge und Erzählhaltungen folgen, wenn also auch im normativen Sinn mehrere points of view vorliegen. Wird eine einheitliche Erzählhaltung lediglich auf mehrere narrative Instanzen verteilt, liegt Polyphonie vor. (ebd.)23
Aus dieser Definition wird deutlich, dass Buschmann versucht, die Frage nach dem Perspektiventräger mit dem semantischen Aspekt des Perspektiveninhalts zu koppeln. Er erkennt, dass es unsinnig wäre, die reine ‚Anwesenheit‘ mehrerer figuraler und erzählerischer Perspektiventräger in einem Text als hinreichendes Kriterium für Multiperspektivität zu betrachten, da ––––––––––––– 21 Neben Neuhaus (1971) gehören zu den wenigen frühen Überlegungen zu mehrperspektivischem Erzählen z. B. Mandelkow (1960), Hanlin (1987), Schönert/Segeberg (1988), Finke (1983: 35–40, 337–384), Duyfhuizen (1992: 45–74), Moravetz (1990), Frank/Mölk (1991). 22 Auf der Basis dieser Definition entwickelt Neuhaus (1971) eine Typologie, die sechs typische Formen multiperspektivischen Erzählens unterscheidet: (1) das Symposium, (2) den Briefroman, (3) den Archivroman, (4) den multiperspektivischen Detektivroman, (5) den Roman ‚vielpersoniger Bewußtseinsdarstellung‘ und (6) den ‚multiperspektivischen Romanzyklus‘. Zur Kritik an Neuhausens Analyse des Briefromans siehe ferner auch Bauer (2005: 97). 23 Zur Abgrenzung von Multiperspektivität und Polyphonie siehe Lindemann (1999: 55, FN 23), Nünning/Nünning (2000c: 61), Surkamp (2003: 13, FN 34; 124ff.) sowie die später in diesem Kapitel folgende Diskussion von Bakhtin.
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auf diese Weise nahezu jeder Text als multiperspektivisch zu klassifizieren wäre. Zur selben Einsicht kommt auch Uwe Lindemann, der in Bezug auf den Briefroman feststellt, dass „Polyperspektivität“ erst dann an „epistemologischer Relevanz“ gewinnt, „wenn de facto mindestens zwei unterschiedliche Perspektiven miteinander konfrontiert werden“ (1999: 51; meine Herv.). Entscheidend für eine narratologische Analyse von Multiperspektivität ist seiner Meinung nach daher „die inhaltliche Seite der durch die Perspektivenkonfrontation generierten Reibungseffekte“ bzw. „der Grad der Dissonanz zwischen den verschiedenen Perspektiven“ (54). Trotz dieser Einsichten bleiben die Beiträge von Buschmann und Lindemann jedoch hinter ihren Möglichkeiten zurück. So verharrt Buschmanns Aufsatz in einer sehr vagen Terminologie, da weder point of view noch point of attention hinreichend exakt bestimmt und voneinander abgegrenzt werden, wodurch er letztlich nicht in der Lage ist, entscheidend zu der von ihm selbst geforderten Klärung des Begriffs beizutragen. Auch Lindemanns rezeptionsorientierte Betonung von Dissonanz als Effekt stellt ebenfalls eine nur grob die Richtung weisende Weiterentwicklung des Multiperspektivitätskonzepts dar. Zwar findet sich in seinem ambitionierten Aufsatz eine Herausarbeitung von Dissonanzeffekten, der Versuch einer diachronen Katalogisierung von Multiperspektivität sowie eine Typologie der grundlegenden Konstellationen von Perspektiven;24 doch auch bei ihm bleibt der Begriff der ‚Perspektive‘ und damit der ‚Polyperspektive‘ letztendlich mehrdeutig und konzeptuell unscharf.25 Um der Problematik eines solch vagen Perspektivenbegriffs zu begegnen, greifen Vera und Ansgar Nünning (2000b, 2000c) bei ihrer theoretischen Bestimmung von Multiperspektivität auf die von Nünning (1989a) für den Erzähltext adaptierten Konzepte der ‚Figurenperspektive‘ und der ––––––––––––– 24 Lindemanns (1999) in eine Fußnote verbannte Typologie bestimmt die Interaktion von Perspektiven als einen Effekt, der zwischen den Polen der Erzeugung von Dissonanz und der (scheinbaren) Steigerung der Objektivität einer Darstellung (vgl. 52) situiert ist: „In dieser Typologie der iterativen Perspektivenkonfrontation lassen sich drei grundlegende Formen der Wiederholung ausmachen: a) ergänzend (es werden Details hinzugefügt, ohne dass die Perspektive verändert wird, b) kontrastiv (es werden bestimmte für die Deutung eines Geschehens relevante Elemente anders wahrgenommen, ohne dass es allerdings zu einer grundlegenden Infragestellung der zentralen Perspektive kommt) und c) inkompatibel (es werden die wesentlichen Elemente eines Geschehens so unterschiedlich wahrgenommen bzw. gedeutet, daß sich für den Leser nicht mehr entscheiden läßt, wie sich das Geschehen ‚in Wahrheit‘ abgespielt hat).“ (72, FN 77) 25 Ebenfalls unzureichend ist das Modell, das Pätzold (2000) vorschlägt: „Multiperspektivität liegt dann vor, wenn der narrative Diskurs durch unterschiedliche Fokalisierungen und durch verschiedene narrative Instanzen vollzogen wird. […] Multiperspektivisches Erzählen ist die Kombination von Multifokalisierung und Polyphonie.“ (35f.) Dieses Verständnis vernachlässigt die von Buschmann (1996) und Lindemann (1999) herausgearbeitete Bedeutung des semantischen Inhalts von Perspektiven (siehe oben) und bleibt damit hinter diesen früheren Beiträgen zurück. Vgl. zu dieser Einschätzung auch Surkamp (2003: 13, FN 34).
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‚Perspektivenstruktur narrativer Texte‘ zurück. Dabei bezieht sich der Begriff der Figurenperspektive auf das Voraussetzungssystem einer literarischen Figur (siehe oben) und das Konzept der Perspektivenstruktur dient zur Erfassung der Beziehungen zwischen den Figuren und dem Erzähler bzw. den Erzählern eines Textes untereinander. Die Perspektivenstruktur ergibt sich hierbei „aus dem übergeordneten System von Kontrast- und Korrespondenzrelationen zwischen allen Einzelperspektiven eines Textes“ und stellt eine heuristische Modellierung des „Ensemble[s] der Einzelperspektiven“ dar (Nünning 1989a: 76; Nünning/Nünning 2000b: 13). Wie schon in Nünning (1989a) werden diese mit dem Voraussetzungssystem literarischer Figuren verbundenen Konzepte nicht alternativ, sondern komplementär zu den Analysekategorien der erzählerischen Vermittlung verstanden.26 Dadurch gewinnt das Nünning’sche Modell der Perspektivenanalyse eine Leistungsfähigkeit, die über das Potential früherer Ansätze hinausgeht (vgl. Surkamp 2003: 17). Von dieser sicheren konzeptuellen Grundlage aus legen Vera und Ansgar Nünning nun eine Definition und dreigliedrige Typologie von Multiperspektivität vor, die sowohl inhaltlich-semantische Aspekte als auch die Ebenen der erzählerischen Vermittlung berücksichtigt: Multiperspektivisches Erzählen liegt in solchen narrativen Texten vor, in denen das auf der Figurenebene dargestellte oder erzählte Geschehen dadurch facettenartig in mehrere Versionen oder Sichtweisen aufgefächert wird, dass sie mindestens eines der folgenden drei Merkmale […] aufweisen: (1) Erzählungen, in denen es zwei oder mehrere Erzählinstanzen auf der extradiegetischen und/oder der intradiegetischen Erzählebene gibt, die dasselbe Geschehen jeweils von ihrem Standpunkt aus in unterschiedlicher Weise schildern; (2) Erzählungen, in denen dasselbe Geschehen alternierend oder nacheinander aus der Sicht bzw. dem Blickwinkel von zwei oder mehreren Fokalisierungsinstanzen bzw. Reflektorfiguren wiedergegeben wird; (3) Erzählungen mit einer montage- bzw. collagenhaften Erzählstruktur, bei der personale Perspektivierungen desselben Geschehens aus der Sicht unterschiedlicher Erzähl- und/oder Fokalisierungsinstanzen durch andere Textsorten ergänzt oder ersetzt werden. (Nünning/Nünning 2000a: 18; kursiv i. Orig.)
Die Stärken dieser Definition sind zum einen die analytische Klarheit der zugrundeliegenden Konzepte sowie die hohe Kompatibilität mit anderen literaturwissenschaftlichen Ansätzen.27 Hervorzuheben sind ferner die interdisziplinäre und intermediale Relevanz sowie die Anknüpfbarkeit der ––––––––––––– 26 Die „schwierige Frage nach dem Zusammenhang des ‚Wie‘ der erzählerischen Vermittlung der Perspektiven und des ‚Was‘ der erzählten Inhalte“ ist nach Nünning/Nünning (2000b: 34) noch nicht „erschöpfend“ beantwortet und bedarf weiterer Forschung. 27 Diese wird von den Beiträgen in Nünning/Nünning (2000a) unter Beweis gestellt. So wendet z. B. Wolf (2000) das Konzept auf Rahmungen in Erzähltexten an; Reinfandt (2000) nähert sich ihm aus systemtheoretischer Sicht und Surkamp (2000) untersucht es aus dem Blickwinkel der possible worlds theory (vgl. dazu auch Surkamp 2003: 53–64). Zu einer Skizze der literaturwissenschaftlichen Anknüpfungspunkte, dem Anwendungspotential aber auch den Grenzen der Untersuchbarkeit siehe ferner Nünning/Nünning (2000b: 20–38).
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Nünning’schen Theorie an (literatur)historische Fragestellungen. Trotz dieser Vorzüge sieht Christoph Bode jedoch „zwei potentielle Stolpersteine“ bezüglich des Modells (2005: 250f.). Dies betrifft einerseits das definitorische Kriterium „in unterschiedlicher Weise schildern“, das er für kaum präzisierbar hält, „ohne normativ-präskriptiv zu werden“ (251). Zum anderen gibt Bode zu bedenken, dass das Insistieren der Definition auf der Schilderung ‚desselben Geschehens‘ unnötig eng aufgefasst sei, und er erinnert an „gerade jene literarästhetisch höchst reizvollen Fälle […], bei denen sich der Leser mit Recht fragt, in welchem Sinne hier eigentlich noch ‚dasselbe‘ Geschehen geschildert wird“ (ebd.). Ungeachtet seiner Bedenken gegenüber dem Multiperspektivitätsbegriff hält er jedoch das Konzept der Perspektivenstruktur für einen „begrifflich-analytische[n] Durchbruch“, der es ermöglicht, „Fragen der Identifikationsangebote, der Subversionspotentiale, Fragen von Kontrast- und Korrespondenzrelationen, von Offenheit und Geschlossenheit des textlichen Kosmos eines gegebenen Romans erfolgversprechend an[zu]gehen“ (255). Dieser Meinung ist auch Carola Surkamp, die sich in ihrer Dissertation (2003) an die Ausarbeitung des von Nünning/Nünning (2000b, 2000c) entwickelten Modells macht. Zentraler Ausgangspunkt ist bei ihr ebenfalls die Perspektivenstruktur narrativer Texte, die sie unter Berücksichtigung semantischer, kognitiver und kulturwissenschaftlicher Aspekte konsequent weiterentwickelt. Dabei greift sie sowohl auf die possible-worlds theory (Ryan 1991) als auch auf Überlegungen zur pragmatischen und kognitiven Dimension von Rezeptionsprozessen zurück. Auf diese Weise gelingt es ihr, die Kriterien quantitativer und qualitativer Art zur Erfassung von multiperspektivischen Perspektivenangeboten zu präzisieren und die Überlegungen zum funktionalen Potential unterschiedlicher Perspektivenstrukturen zu differenzieren. Die entscheidende Leistung ihrer Arbeit besteht jedoch darin, eine gelungene exemplarische Anwendung dieses narratologischen Konzepts auf eine diachrone Fragestellung vorzulegen. Mittels des von ihr ausdifferenzierten Modells, insbesondere durch die Unterscheidung zwischen offenen und geschlossenen Perspektivenstrukturen (vgl. Pfister 1977: 99-103), ist Surkamps Instrumentarium in der Lage, den literaturhistorischen Wandel präferierter Perspektivenstrukturen zu modellieren und auf diese Weise Rückschlüsse kultur- und mentalitätsgeschichtlicher Art zu ermöglichen. Mit der Anwendung der entwickelten Untersuchungskategorien auf die Geschichte des englischen Romans stellt Surkamps Arbeit damit die eindrückliche, monographische Bestätigung der schon im Sammelband von Nünning/Nünning (2000a) demonstrierten Applikabilität der Perspekti-
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venstruktur narrativer Texte auf diachrone Phänomene sowie kulturwissenschaftliche Fragestellungen dar.28 Defizite der bisherigen Forschung Mit der Fokussierung auf die diachrone Dimension der Perspektivenstruktur narrativer Texte ist jedoch weder das Anwendungspotential dieses Modells ausgeschöpft29 noch sind alle theoretischen Aspekte bezüglich der Modellierung von Multiperspektivität abschließend geklärt. Dies wird z. B. von Felicitas Menhard (2009) demonstriert, die die enge Beziehung von Multiperspektivität und unzuverlässigem Erzählen aufzeigt und dabei u. a. ebenfalls auf die Überlegungen von Nünning/Nünning (2000a, 2000b) und Surkamp (2003) zurückgreift.30 Doch trotz solcher weiterführender Anstrengungen bleiben noch immer viele Fragen, insbesondere bezüglich der Konstitution von Perspektiven und Perspektivenstrukturen im Rezeptionsprozess, unzureichend beantwortet. Dabei hatte schon Buschmann (1996) auf die Bedeutung einer Diskussion der Rolle des Lesers hingewiesen und auch Nünning/Nünning (2000c: 70) betonen, dass es für eine „viable Theorie der Perspektivenstruktur […] einer Ergänzung der bislang im Vordergrund stehenden textorientierten Beschreibungsweise durch einen rezeptionsorientierten pragmatischen oder kognitiven Theorierahmen“ bedarf. Zwar wird die Dimension der Rezeption sowohl in den Arbeiten von Buschmann (1996), Lindemann (1999), Nünning/Nünning (2000b, 2000c), Surkamp (2003) und Menhard (2009) ansatzweise berücksichtigt, doch keine der Untersuchungen lässt sich auf eine wirklich nachhaltige und theoretisch folgenreiche Auseinandersetzung mit den kognitivrezeptionstheoretischen Grundlagen der Perspektivenverarbeitung ein.31 Es kann damit festgehalten werden, dass sich gerade die Forschung zur kognitiven Verarbeitung multipler Perspektiven allgemein noch in ihren Kinderschuhen befindet. ––––––––––––– 28 Surkamp (2003) beschränkt sich auf eine Analyse des englischen Romans zwischen Viktorianismus und Moderne. Der Anwendung des entwickelten Untersuchungsmodells auf andere Zeiträume oder Textkorpora sind jedoch keine prinzipiellen Grenzen gesetzt (vgl. dazu die Beiträge in Nünning/Nünning 2000a). 29 Zur Möglichkeit einer Ausweitung des Konzepts der Perspektivenstruktur auf Film und Geschichtsschreibung vgl. die Aufsätze von Griem (2000) und Jaeger (2000) sowie den Beitrag von Wolf (2000) zur Beziehung von Multiperspektivität und literarischer Rahmung. 30 Die Monographie Menhards (2009) stellt eine Ausarbeitung des z. T. innigen Bezugsverhältnisses dar, das Multiperspektivität und unreliable narration in zahlreichen Romanen eingehen. Dazu entwickelt sie ein Typenmodell, mit dem die Kombinationsmöglichkeiten beider Aspekte differenziert und analysiert werden können. 31 Vgl. Nünning/Nünning (2000c: 70–74), Surkamp (2003: 65–83), Menhard (2009: 102–115).
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Dieses Defizit der Perspektivenforschung wird erst dadurch offenkundig bzw. erhält seine Brisanz durch die Tatsache, dass sich der Bereich kognitiver Erklärungsansätze in der Literaturwissenschaft in den letzten Jahren konsequent weiterentwickelt hat. Auch ohne dabei notwendigerweise von einem cognitive turn in der Erzählwissenschaft zu sprechen (Ibsch 1990, Zerweck 2002), kann seit einiger Zeit ein deutlicher narratologischer Zuwachs an kognitiven Modellen und Einsichten konstatiert werden. In einer Fruchtbarmachung dieses erhöhten narratologischen Kenntnisstands für die Diskussion von Perspektive und Multiperspektivität liegt damit ein vielversprechendes und bisher kaum realisiertes Potential literaturwissenschaftlicher Perspektivenforschung. Die vorliegende Arbeit setzt sich zum Ziel, diese Forschungslücke zu schließen, indem sie eine dezidiert kognitionswissenschaftlich ausgerichtete Theorie der Perspektivenkonstruktion und -interaktion entwickelt. Die damit vollzogene Entscheidung, sich dem Phänomen der Perspektive vom Aspekt seiner mentalen Verarbeitung her anzunähern, impliziert jedoch automatisch die Entscheidung gegen eine Reihe alternativer und ebenfalls naheliegender Ansätze. Dies betrifft insbesondere zwei Theoriekomplexe, die ebenso zur Ausarbeitung einer postklassischen Perspektiventheorie in der Erzählforschung herangezogen werden könnten (vgl. Nünning/ Nünning 2000b: 24f.) und gegen die sich der hier entwickelte Ansatz daher abzugrenzen hat: (1.) die ‚Theorie möglicher Welten‘ (possible worlds theory) sowie (2.) Bakhtins Konzepte der ‚Polyphonie‘ und des ‚Dialogismus‘. Alternative Ansätze: Polyphonie und ‚mögliche Welten‘ Die literaturwissenschaftliche Bedeutung des russischen Theoretikers Michail M. Bakhtin, der sich als einer der ersten Gedanken über das Zusammenspiel von Stimmen im (modernen) Roman macht (z. B. 1981, 1984), ist heute nahezu unbestritten (vgl. Sasse 2009). Seine zutiefst vagen und metaphorischen, aber gleichzeitig außerordentlich anregenden Konzepte haben seit den siebziger Jahren massiven Einfluss auf die literaturwissenschaftliche Theoriebildung genommen und Bakhtins Ruf als eine der wichtigsten theoretischen Inspirationsquellen des späten zwanzigsten Jahrhunderts begründet (ebd.).32 Als Pionierarbeiten, die maßgeblich zur ––––––––––––– 32 Allgemeine Einführungen in Leben und Werk Bakhtins finden sich z. B. bei Sasse (2009), Dentith (1995) und Clark/Holquist (1984). Für Überblicksdarstellungen von ‚Polyphonie‘ und ‚Dialogismus‘ siehe Shepherd (2009) und Aczel (2005); zur intensiven Auseinandersetzung mit Bakhtins Konzepten siehe zudem Todorov (1984), Emerson (1997) und Shepherd (1998). Zur Anwendungen des Polyphoniekonzepts auf konkrete literarische Werke vgl. ferner exemplarisch Townsend (2003), der die Romane Samuel Richardsons untersucht.
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„Dynamisierung des Strukturalismus“ beigetragen haben (Kristeva 1978: 389), sind seine Überlegungen auch für die Diskussion multipler Perspektiven von Bedeutung, da sie die Aufmerksamkeit auf die dynamische, dialogische und kreative Qualität der Perspektiveninteraktion eines Textes lenken. In dieser Funktion sind seine Gedanken zur Polyphonie als einer „plurality of independent and equally valid voices“ (Aczel 2005: 443) u. a. an verschiedenen Stellen in Carola Surkamps Arbeit zur Perspektivenstruktur eingegangen (vgl. z. B. 2003: 124f.; passim). Gleichzeitig muss jedoch festgestellt werden, dass sich Bakhtins Ideen in ihrer konzeptionellen Verfasstheit generell gegen eine Integration in eine systematisch ausgearbeitete narratologische Theorie sperren. Aufgrund der metaphorischen und oft unterschiedlichen Verwendungsweise seiner Begriffe, des Fehlens expliziter Definitionen und des mangelnden inhaltlichen Zusammenhangs zwischen seinen Schriften (vgl. Todorov 1984: xi–xii; Dentith 1995: 41, 88) eignen sich Bakhtins Konzepte daher nur bedingt im Kontext der Entwicklung einer von der Kognitionswissenschaft inspirierten Perspektiventheorie. Ferner unterscheiden sich seine Theorieentwürfe von der vorliegenden Arbeit durch ihre explizite Integration einer ästhetisch und moralisch wertenden Dimension (vgl. Dentith 1995: 44ff.). Der PolyphonieBegriff zeigt sich somit nicht nur als semantisch vage, sondern impliziert zudem die erkenntnistheoretisch fragwürdige Vermischung einer deskriptiven und einer normativen Funktion.33 Angesichts dieser theoretischen Charakteristika eignen sich Bakhtins Konzepte, nach Meinung des Verfassers, nicht als geeignete Grundlage für eine kognitionswissenschaftlich ausgerichtete Arbeit und sollen nur peripher berücksichtigt werden. Einen weiteren relevanten Ansatz stellt die sogenannte Theorie möglicher Welten oder possible worlds theory (PWT) dar, auf die in der jüngeren narratologischen Perspektivendiskussion besonders häufig zurückgegriffen wurde.34 Speziell Surkamp (2003) und McIntyre (2006) demonstrieren in diesem Kontext, dass die ursprünglich in der (analytischen) Philosophie wurzelnde Theorie sich gewinnbringend in die Analyse multipler Perspektiven einbringen lässt. In beiden Arbeiten wird (in Anlehnung an Ryan 1991) davon ausgegangen, dass auch das Bewusstsein bzw. die Gedankenwelt von Figuren sich in Form einer ‚möglichen Welt‘ konzipiert lässt: ––––––––––––– 33 Zum Unterschied zwischen deskriptiven und normativen Aussagen vgl. Poser (2001: 33–36). 34 Beispiele hierfür sind Pätzold (2000), Surkamp (2003, 2000), McIntyre (2006) und Menhard (2009: 121ff.). Für grundlegende Beiträge zur possible worlds theory siehe ferner Ryan (1991, 1992, 2005), Ronen (1994) und Doležel (1988, 1998). Weitere Arbeiten, die im Hinblick auf verschiedene Themen auf die PWT zurückgreifen und ihre hohe Konjunktur in der Literaturwissenschaft unter Beweis stellen, finden sich u. a. bei Herman (2009a: 120ff.), Stiebritz (2009), Dannenberg (2008, 1998), Martin (2004), Semino (2003) oder Gutenberg (2000).
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[I]n fiction there is an equivalent of the ‘actual world’ of everyday discourse, referred to as the textual reference world (TRW), around which there are various alternative possible worlds (APWs), which are mental constructs of the fictional characters. (McIntyre 2006: 126; vgl. Ryan 1991: 22)
Die fiktionale Weltsicht, d. h. die individuelle Perspektive einer Figur, kann mit anderen Worten als eine eigene ‚Welt‘ vorgestellt werden, die gegenüber der eigentlichen Textwelt den Status einer ‚möglichen Welt‘ einnimmt (vgl. Surkamp 2003: 56). Das Zusammenspiel multipler Figurenperspektiven stellt somit eine „plurality of represented worlds“ (Ryan 1991: 4) dar, d. h. ein komplexes semantisches Gefüge möglicher Figurenund Erzählerwelten, die um die textual actual world angeordnet sind: “A fictional world, like any possible world, is analogous to the actual world in that it has its own set of facts and its own subworlds and counter-worlds.” (Ronen 1994: 29)35 Während McIntyre (2006) die Überlegungen der PWT mit der deictic shift theory (Duchan/Bruder/Hewittt 1995) koppelt, verknüpft Carola Surkamp die Semantik möglicher Welten mit dem erzähltheoretischen Konzept der Perspektivenstruktur. Von dieser Verbindung verspricht sie sich ein leistungsfähigeres Instrumentarium zur Beschreibung der Relationen zwischen den Einzelperspektiven eines Textes: Die PWT geht über […] eine Feststellung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den verschiedenen Perspektiven in einem Text hinaus, indem sie auf der Basis des Konzepts der ‚Modalität‘ semantische Oppositionen zwischen den entworfenen Welten nach ihrem ontologischen Status bemißt und die Frage danach stellt, ob und inwiefern die Einzelwelten hierarchisiert oder homogenisiert sind. (2003: 61)
Durch die Möglichkeit, individuelle Figurenwelten nach „ihrem ontologischen Status im Textgefüge“ (ebd.) zu unterscheiden, gewinnt das Konzept der Perspektivenstrukur in der Arbeit Surkamps an semantischer Leistungsfähigkeit. Doch gerade die explizite semantisch-ontologische Ausrichtung der PWT unterscheidet sich grundlegend von der eines kognitiven Ansatzes. Während sich letztgenannter mit der mentalen Verarbeitung und Repräsentation von Informationen beschäftigt, besteht der konzeptuelle Ausgangspunkt der PWT nach Elena Semino letztendlich darin, einen theoretischen Rahmen zur Verfügung zu stellen, „within which it is possible to determine the truth-values of propositions […] beyond the constraints of the actual world“ (1997: 58). Auch wenn der philosophischtheoretische Unterbau der PWT in der Literaturwissenschaft häufig igno––––––––––––– 35 Vgl. Herman (2009a: 120): “[N]arrative universes are recognizable because of a shared modal structure; this structure consists of a central world that counts as actual and various satellite worlds that can be accessed through counterfactual constructions voiced by a narrator or by the characters, and also through what the characters think, dream, read, etc.”
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riert wird, so liegt dieses Fundament den literaturtheoretischen Adaptionen der possible worlds theory grundsätzlich zugrunde. PWT und kognitive Ansätze zielen somit, wie Uri Margolin betont, auf grundverschiedene Untersuchungsaspekte: Possible-worlds approaches to the study of literary narrative […] are truth-functional or semantic in nature and stress the gap between fictional and actual, based on the different ontological status of the two domains. […] The cognitive approach, on the other hand, focuses on mental constructs and the internal representation of content or information. In this area our cognitive processing of a fictional narrative may not be all that different in its fundamentals from our processing of a fact-based one. (2003: 281)36
Kognitive Ansätze und die PWT sind in ihrem Kern unterschiedlich ausgerichtet. Die semantische Theorie möglicher Welten ist zwar nicht zwingend inkompatibel mit einer kognitiv ausgerichteten Theorie (vgl. dazu Herman 2002: 374f., FN 12; Palmer 2004: 35f.); sie liefert jedoch eine Beschreibungsmatrix, die aufgrund ihrer divergierenden theoretischen Ausrichtung nach Meinung des Verfassers keinen idealen Ausgangspunkt für eine dezidiert rezeptionstheoretisch orientierte Untersuchung der Funktion und Interaktion mentaler Prozesse und Repräsentationen darstellt. Wie ein solcher Ansatzpunkt für einen kognitiv-narratologischen Ansatz aussehen kann hat hingegen Schneider (2000) in seiner grundlegenden Arbeit zur mentalen Verarbeitung der literarischen Figur vorgeführt.37 Schneider folgt der kognitionswissenschaftlichen Forderung, die zugrundeliegende Fragestellung zunächst als ein Problem der Informationsverarbeitung zu konzeptualisieren, um in einem zweiten Schritt die notwendige kognitive Architektur zu identifizieren (vgl. Hogan 2003a: 30); erst auf der Basis dieser Überlegungen entwickelt er dann seine Figurentheorie. In Anlehnung an dieses Vorgehen nimmt auch die folgende Untersuchung ihren ––––––––––––– 36 Vgl. Dannenberg (2008: 48, 57ff.), die ebenfalls darauf aufmerksam macht, dass die Auffächerung fiktionalen Geschehens in eine Matrix möglicher Welten mit (onto)logisch starren Grenzen an der kognitiven Dynamik des Lesevorgangs vorbeigeht. 37 Für einen weiteren kognitiven Ansatz siehe Hermans (2009d, 2002) Neubestimmung von ‚Fokalisation‘ als einem mentalen und narrativen Akt des „perspective-taking“ (2002: 302), die Genettes Unterscheidung zwischen Narration und Fokalisation zurücknimmt, da sich die Fragen ‚who sees‘ und ‚who speaks‘ nach Herman nicht trennen lassen. Die Untersuchung von Fokalisation bzw. Perspektive beschäftigt sich bei ihm stattdessen mit der linguistischsemantischen Konstruktion und Dekodierung der narrativen „vantage points on situations and events in the storyworld“ (122). Dabei werden die Operationen des ‚perspective taking‘ im Duktus der kognitiven Semantik als ‚conceptualization‘ oder ‚construal‘ bezeichnet (vgl. 2009d: 128). Die Überzeugungskraft dieses Ansatzes ist u. a. wieder mit der bereits diskutierten Bewertung von Genettes Konzepten im Hinblick auf die Perspekivendiskussion verbunden. So liegen die Schwachstellen auch hier in der mangelnden Berücksichtigung der emergenten und holistischen Qualität von Figurenperspektiven, die z. T. auf kognitiven Mechanismen beruhen, die der mentalen Verarbeitung von Sprache ‚vorausgehen‘. Gerade diese werden sich jedoch für die vorliegende Arbeit als zentral erweisen (vgl. Kapitel IV).
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Ausgang in der Frage nach der mentalen Repräsentation von Perspektiven. Darauf aufbauend werden eine Reihe allgemeiner kognitiver Dispositionen identifiziert, die bei der Formierung solcher Repräsentationen eine wichtige Funktion einnehmen (z. B. theory of mind, Metarepräsentation, continuing consciousness frame, blending theory). Das Ziel besteht zunächst darin, ein fundiertes Verständnis der mentalen Mechanismen der Perspektivenkonstruktion zu schaffen; auf der Grundlage dieses Wissens wird dann ein weiterführendes Modell der Perspektiveninteraktion entwickelt, wobei insbesondere der von Fauconnier und Turner (1998, 2002) entwickelten blending theory eine wichtige Rolle zukommt. Diese wird mit der Nünning’schen Idee einer Perspektivenstruktur narrativer Texte zusammengeführt, die nicht nur zu den bislang leistungsfähigsten Konzeptualisierungen der Interaktion von Perspektiven in der (nicht-kognitiven) Erzähltheorie gehört, sondern sich zudem als weitgehend kompatibel mit dem im Folgenden entwickelten kognitiven Perspektivenverständnis erweisen wird.
IV. Zur Konstruktion von Perspektiven: Bausteine eines kognitiven Ansatzes Mens videt, mens audit: Cetera sunt surda et caeca. (Epicharmos)1
Die Fähigkeit, unterschiedliche Perspektiven imaginativ einzunehmen und eine Sache auf diese Weise zugleich von mehreren Standpunkten aus zu betrachten, gehört zu den charakteristischen Eigenschaften des menschlichen Geistes (vgl. Mausfeld 2006; Buckner/Caroll 2007). „[T]he mind is at every stage a theatre of simultaneous possibilities“, stellt schon William James im Jahre 1890 fest und verweist damit auf die grundlegende Natur dieser Befähigung, die eine extreme Bandweite aufweist (vgl. James 1950 [1890], Bd.1: 288; Mausfeld 2006). Sie reicht vom Nachvollzug optischer Perspektiven über die Einnahme alternativer raum-zeitlicher Standpunkte bis hin zum Einfühlen in fremde ideologische Positionen und lässt sich aufgrund ihrer phänomenologischen Vielfalt nur schwer auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Die daraus resultierende Fülle unterschiedlicher Gebrauchsarten sowie die in mehreren Linien verlaufende Etymologie verhindern derart eine alle Aspekte umfassende, konzise Definition des Perspektivenbegriffs (vgl. Guillén 1971: 283–374; Nünning 1989a: 65ff.). Im vorhergehenden Kapitel wurde gezeigt, dass diese Situation zu höchst unterschiedlichen konkurrierenden Begriffsverwendungen in der Literaturwissenschaft geführt hat. Eine davon besteht in der Ausrichtung auf den individuellen Wahrnehmungsstandpunkt fiktionaler Akteure im Sinne einer Figuren- oder Erzählerperspektive nach Pfister und Nünning, die sich auf die subjektive Weltsicht, d. h. auf den mentalen Voraussetzungsund Erlebnisraum dieser literarischen Gestalten bezieht.2 Es wird, mit anderen Worten, davon ausgegangen, dass für alle anthropomorphisierbaren
––––––––––––– 1 „[Nur] der Geist sieht, [nur] der Geist hört; alles andere ist blind und taub“; vgl. Diels (1972 [1903]); Mausfeld (2005: 47). 2 Der Begriff des ‚fiktionalen Akteurs‘ wird in dieser Arbeit im Sinne der Bedeutung ‚fiktionale Entität‘ verwendet und impliziert keine spezielle Referenz zu Greimas’ Konzept des ‚Aktanten‘ (vgl. 1983 [1966]); zur Diskussion dieses Begriffs vgl. Herman (2002: 121–133).
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Instanzen eines literarischen Textes eine individuelle, holistische Perspektive im Rezeptionsakt konstruiert wird bzw. konstruiert werden kann. In den einführenden Bemerkungen von Kapitel I wurde bereits angedeutet, dass nicht nur narratologische Beweggründe für eine solche Definition sprechen. Die Wahl dieses Begriffsverständnisses wird auch durch Erwägungen aus dem Feld der Kognitionswissenschaft gestützt, die über die klassischen Ansätze des (radikalen) Konstruktivismus oder des philosophischen Perspektivismus hinausgehen, welche in der bisherigen Forschung zur Unterstützung der hier gewählten Begriffsbestimmung herangezogen wurden (z. B. Nünning 2001, 1989b).3 So liegt eine Reihe neuerer, kognitiv inspirierter Arbeiten vor, die nahelegen, dass der Nachvollzug narrativer Texte stets mit der (Re)Konstruktion fiktionalen Bewusstseins verbunden ist, wobei die ins Feld geführten Argumente zwei unterschiedlichen, grundsätzlichen Forschungsparadigmen zugeordnet werden können. Diese Einteilung ist jedoch nicht nur für die Perspektivendiskussion relevant. Vielmehr lässt sich nach Schneider/Fludernik (2008: 182ff.) das gesamte Feld der kognitiven Literaturwissenschaft grob in Arbeiten unterteilen, die entweder dem sogenannten ‚information processing paradigm‘ oder dem ‚mental dispositions paradigm‘ zugeordnet werden können: Approaches belonging to the ‘information processing paradigm’ include all textprocessing (or more generally, discourse processing) studies which investigate the mechanisms and operations of bottom-up and top-down processing in the acts of understanding. […] The second paradigm within the cognitive approaches could be termed ‘mental dispositions paradigm’: Here, the role of more general mental operations and the dispositions of the mental apparatus in the construction of meaning are considered. (182, 183)4
Obgleich in beiden Bereichen eine Reihe verstreuter Indizien für die Bedeutung der Perspektive fiktionaler Akteure bei der kognitiven Rezeption ––––––––––––– 3 Der Perspektivismus ist eine philosophische Auffassung, die davon ausgeht, dass Erkenntnis an die Perspektive des Erkennenden gebunden ist. Ebenso basiert der (radikale) Konstruktivismus auf der Prämisse, dass Wahrnehmung immer eine Konstruktionsleistung darstellt. Ein unmittelbarer Zugang zur Welt ist damit nicht möglich, sondern es existieren lediglich individuelle Weltentwürfe (vgl. Schmidt 2005 [1985]). Zum Perspektivismus vgl. z. B. König (1989), Kaulbach (1990) und Graumann (1960); zum (radikalen) Konstruktivismus siehe von Glaserfeld (1984), Schmidt (1984, 1987, 1992), Rusch (1987) und Watzlawick (1984). 4 Die Unterscheidung zwischen den Paradigmen ist selbstverständlich lediglich heuristischer Art, da beide Aspekte beim Rezeptionsvorgang kontinuierlich ineinandergreifen. Zum information processing paradigm rechnen Schneider/Fludernik (2008) insbesondere Arbeiten aus dem Kontext der Textverstehensforschung (z. B. Kintsch/Rawson 2006). Zum mental dispositions paradigm zählen sie hingegen Untersuchungen, die sich mit generellen kognitiven Dispositionen beschäftigen, die bei der Rezeption von Literatur jedoch eine wichtige Rolle spielen (z. B. theory of mind, metarepresentation oder blending (vgl. Kapitel IV.4 und IV.5).
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fiktionaler Texte vorliegen, wurden bei der bisherigen Perspektivendiskussion nur Teilbereiche dieses kognitionswissenschaftlichen Spektrums berücksichtigt. Da sich die verschiedenen Mechanismen beider Bereiche bei der Textverarbeitung jedoch untrennbar miteinander verschränken, kann sich eine fundierte rezeptionstheoretische Erörterung nicht auf Teilaspekte einer der Forschungsrichtungen beschränken. Das vorliegende Kapitel legt dementsprechend erstmalig eine Untersuchung der kognitiven Bausteine der Perspektivenrezeption vor, die Überlegungen aus dem Umfeld beider Paradigmen in ausführlicher Weise in ihre Betrachtung einbezieht. Ziel ist dabei natürlich einerseits ein besseres Verständnis der Verarbeitungsmechanismen fiktionaler Texte; aus diesem Grund wird eine ausführliche Darstellung dieser Mechanismen vorgenommen. Allerdings geht es andererseits ebenso darum, bestehende Indizien zu sammeln, um ein Plädoyer für die Überzeugung zusammenzustellen, dass Textrezeption tatsächlich nahezu ausnahmslos die mentale Repräsentation von Figuren und ihrem fiktionalen Bewusstsein, d. h. von individuellen, holistischen Perspektiven, impliziert. Die eingangs aufgestellte These, das ‚Perspektivische‘ sei eine ‚Grundbedingung aller Literatur‘, wird damit auf den folgenden Seiten durch einen interdisziplinären Rückgriff auf Arbeiten der Kognitions- und Textverstehensforschung inhaltlich gestützt. Auf diese Weise wird auch die Entscheidung, den Perspektivenbegriff auf die individuelle Bewusstseinswelt von Figuren und Erzählern auszurichten, in den folgenden Ausführungen gewissermaßen kognitionswissenschaftlich motiviert. Diese Motivation lässt sich ferner auf die in dieser Arbeit vertretene Bedeutung der Interaktion von Perspektiven ausdehnen, da das im Folgenden entstehende Gesamtbild der mentalen Perspektivenbildung die Notwendigkeit verdeutlicht, die Standpunkte fiktionaler Akteure in ihrem gegenseitigen Zusammenspiel zu betrachten. So bildet das vorliegende Kapitel die strukturelle Basis und die thematische Hinführung zur darauffolgenden Entwicklung einer Theorie der Perspektiveninteraktion. Zum Aufbau des Kapitels Aufgrund von Umfang und Dichte der in diesem Kapitel betrachteten theoretischen Ansätze soll hier ein kurzer Überblick über den Aufbau der folgenden Ausführungen gegeben werden. Zunächst sei dabei festgestellt, dass sich die vorliegende Arbeit lose an einer Abfolge von Argumentationsschritten orientiert, die laut Hogan (2003a: 29ff.) charakteristisch für kognitionswissenschaftliche Forschungsarbeiten ist. So besteht in der Kognitionswissenschaft ein wichtiger Untersuchungsschritt üblicherweise
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darin, die anstehende Fragestellung strikt als Problem der Informationsverarbeitung zu konzeptualisieren. Auf dieser Basis muss nun die spezifische kognitive Architektur identifiziert werden,5 die zur Durchführung der entsprechenden Informationsverarbeitungsprozesse benötigt wird; erst dann kann der gesamte Vorgang konzeptuell modelliert werden.6 In einer ähnlichen Weise geht auch die hier durchgeführte Untersuchung vor. Ausgangspunkt ist die axiomatische These, dass der Leseprozess einen Akt kognitiver Datenverarbeitung darstellt, dessen Komponenten und Mechanismen es zu durchleuchten gilt. Dazu wird zunächst auf Arbeiten der psychologischen Textverstehensforschung zurückgegriffen, welche die mentale Repräsentation und Verarbeitung gelesener Informationen untersuchen. In diesem Kontext wird gezeigt (Kapitel IV.1), dass der Nachvollzug des Textgeschehens mit der Bildung sogenannter Situationsmodelle einhergeht, die aus mehreren situativen Dimensionen und mentalen (Teil)Modellen aufgebaut sind, zu denen u. a. holistische Repräsentationen der involvierten Figuren gehören. Eine eingehende Analyse dieser mentalen Figurenmodelle identifiziert diese als den konzeptuellen Ort, an dem alle figurenrelevanten Informationen, einschließlich der Repräsentationen des fiktionalen Bewusstseins einer Figur, abgelegt werden (Kapitel IV.2). Gleichzeitig wird jedoch deutlich, dass bei der Bildung solcher Figuren- und damit auch Perspektivenrepräsentationen nicht nur Textverarbeitungsmechanismen involviert sein können. Die Untersuchung der mentalen Modelle fiktionaler Akteure führt vielmehr zu dem Schluss, dass allgemeinere kognitive Dispositionen, die ihren Ursprung im lebensweltlichen psychologischen Umgang mit anderen Menschen haben, hierbei ebenso eine wichtige Rolle spielen (vgl. Kapitel IV.3). Während solche Überlegungen aus dem Umfeld des information processing paradigm veranschaulichen, dass Textverstehen stets mit der mentalen Repräsentation von Figuren einhergeht, widmen sich die anschließenden Teilkapitel der Beschreibung allgemeinerer Komponenten der kognitiven Architektur (mental dispositions paradigm). Dabei wird gezeigt, dass Figuren nicht nur mental repräsentiert, sondern dass ihnen kontinuierlich mentale Zustände und individuelle Perspektiven zugeschrieben werden. So machen beispielsweise die Ausführungen zu theory of mind (Kapitel IV.4) deutlich, dass der Nachvollzug der epistemischen und emotionalen Stand-
––––––––––––– 5 Der Begriff ‚kognitive Architektur‘ umfasst alle Strukturen, Prozesse und Inhalte menschlicher Kognition und wird verwendet, um die Gesamtheit der strukturellen Komponenten zu bezeichnen, die den menschlichen Geist aus kognitiver Sicht ausmachen (Hogan 2003a: 30). 6 Vgl. Hogan (2003a: 29ff.), der seinerseits auf Dawson (1998) verweist, bei dem der dritte Schritt jedoch in der Identifikation der relevanten ‚hardware‘ des Gehirns besteht (vgl. 9).
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punkte von Personen und Figuren zu den elementarsten Voraussetzungen einer ‚erfolgreichen‘ kognitiven Navigation realer und fiktiver Welten gehört. Weitere in jenem Kontext diskutierte Mechanismen wie metarepresentation oder preference rules sind einerseits in der Lage die hier vertretene Auffassung zu bekräftigen; sie illustrieren darüber hinaus jedoch auch, dass ein umfassendes kognitives Perspektivenmodell in der Lage sein sollte, die von verschiedenen Theorien beschriebenen Informationsverarbeitungsvorgänge konzeptuell miteinander zu verbinden. Es bedarf, mit anderen Worten, einer allgemeinen Theorie der Bedeutungserzeugung, die in der Lage ist, die in der Textrezeption allgegenwärtige kreative Integration und Vermischung (perspektivenbezogener) Informationen auf verschiedensten Ebenen zu modellieren. Eine solche Theorie wird im letzten Teil des vorliegenden Kapitels (IV.5) in Gestalt von Fauconnier und Turners blending theory vorgestellt. Blending versteht sich dabei nicht nur als Grundmechanismus der menschlichen Kognition schlechthin, sondern erweist sich als überaus leistungsfähige Theorie zur Erfassung der dynamischen, kreativen und grenzüberschreitenden Aspekte der Figuren- und Perspektivenkonstruktion. Das Konzept trägt auf diese Weise nicht nur zum Verständnis der Verarbeitung individueller Standpunkte bei, sondern präsentiert sich als geeigneter Kandidat für die nachfolgende Diskussion perspektivischen Zusammenspiels. So stellt das von blending bereitgestellte Modell zur allgemeinen Beschreibung der Integration von Bedeutung aus verschiedenen Informationsquellen einen leistungsfähigen Rahmen für die Analyse der Interaktion von Perspektiven bereit. Aufgrund seiner Bedeutung für die nachfolgenden Kapitel wird das Konzept daher zunächst gründlich auf seine Stärken und Schwächen untersucht, bevor sich die Arbeit im darauffolgenden Kapitel schließlich der theoretischen Erfassung perspektivischen Zusammenspiels zuwendet. Über die allgemeinen Stärken von blending hinaus erweist sich dabei als besonders vorteilhaft, dass sich die Theorie mit der Nünning’schen Idee der Perspektivenstruktur narrativer Texte heuristisch verknüpfen lässt. Auf diese Weise trägt blending theory zu einer beispielhaften Synthese kognitionswissenschaftlicher und narratologischer Ansätze bei, wie sie im Rahmen der allgemeinen Diskussion einer kognitiven Literaturwissenschaft gefordert wurde (vgl. Kapitel II). Zunächst widmet sich das vorliegende Kapitel jedoch einer ausführlichen Diskussion und Darstellung der kognitiven Grundlagen der Perspektivenrezeption, die ihren Ausgangspunkt bei den Basismechanismen des Textverstehens nimmt. Dies geschieht Schritt für Schritt argumentativ aufeinander aufbauend und mit Rückgriff auf verschiedene literarische Textbeispiele, um eine bessere Illustration und Exemplifikation der theoretischen Inhalte zu gewährleisten. Entsprechend beginnen die einleiten-
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den Ausführungen zum Basismodell des Textverstehens mit einer Passage aus A. S. Byatts Roman Possession (1990).
IV.1 Basismodell des Textverstehens The book was old and black and covered with dust. Its boards were bowed and creaking; it had been maltreated in its own time. Its spine was missing; or rather protruded from amongst the leaves like a bulky marker. It was bandaged about and about with dirty white tape, tied in a neat bow. The librarian handed it to Roland Mitchell, who was sitting waiting for it in the Reading Room of the London Library. […] It was ten in the morning, one day in September 1986. Roland had the small single table he liked best, behind a square pillar, with the clock over the fireplace nevertheless in full view. (Byatt, Possession, 1)
Am Anfang des Romans Possession der englischen Autorin A. S. Byatt steht eine Entdeckung: Der Literaturwissenschaftler Roland Mitchell findet in einem alten Buch zwei handgeschriebene Briefe, die sein persönliches und akademisches Leben verändern und als Auslöser der erzählten Ereignisse fungieren. Die Aufmerksamkeit der vorliegenden Arbeit soll an dieser Stelle jedoch nicht dem erzählten Geschehen oder den zahlreichen literaturwissenschaftlich interessanten Gesichtspunkten des Romans gelten.7 Stattdessen widmet sich dieses Kapitel einem zunächst banal erscheinenden Sachverhalt: Der Befähigung des Lesers, dem Protagonisten Robert Mitchell mit geradezu spielerischer Leichtigkeit durch die Zeilen dieser einleitenden Passagen zu folgen.8 Diese Tatsache ist bemerkenswert, da die Geschwindigkeit und scheinbare Mühelosigkeit bei der Verarbeitung der Textpassage in einem markanten Gegensatz zur Komplexität der beim ––––––––––––– 7 Siehe hierfür exemplarisch Heinz (2007: 295–400), Schneider (2007), Hadley (2008: 48–64). 8 Wie jeder rezeptionstheoretische Ansatz arbeitet auch diese Arbeit mit der Hilfskonstruktion eines modellhaften Lesers (‚Modell-Leser‘), welchem kognitive Prozesse sowie die Realisierung von „Textstrategie[n]“ (Jannidis 2004a: 31) stellvertretend und beispielhaft zugeschrieben werden. Da eine umfangreiche Diskussion der Problematik und Notwendigkeit eines solchen Konstrukts vorliegt, soll hier lediglich auf eine Auswahl weiterführender Texte verwiesen werden: Zum Begriff und Problem des Lesers im Allgemeinen und in der Rezeptionsanalyse siehe die Einführungen von Prince (2009) und Jahraus (2004: 290–314). Einen Überblick über die wichtigsten Leser-Modelle liefert Schneider (2005) und zum „ModellLeser“ bei der Figurenkonstruktion siehe Jannidis (2004a: 28–34). Vgl. ferner Reichl (2009: 114–148), Strasen (2008a: 61–81), Schmid (2008: 64–72) sowie Bortolussi/Dixon (2003: 43– ‚49), die das Konzept des ‚statistischen Lesers‘ entwickeln. Ferner erwähnt seien klassische Konzepte wie der ‚implizite Leser‘ (Iser 1972), der ‚informierte Leser‘ (Culler 1975) oder der superreader‘ (Riffaterre 1978); vgl. dazu Cuddon (1991: 770–772) und Jahraus (2004: 298ff.).
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Lesen dieses Abschnitts involvierten kognitiven Prozesse steht. Tatsächlich bedarf es einer konstanten und größtenteils unbewussten Interpretations- und Konstruktionsleistung des Rezipienten, bevor die Figur, die Handlung oder irgendwelche thematischen, ästhetischen oder metatheoretischen Aspekte des Romans bewusst erfasst oder diskutiert werden können. Selbst der Nachvollzug der einleitenden, kurzen und syntaktisch einfachen Beschreibung eines alten Buches erweist sich somit als ein hochkomplizierter Akt kognitiver Informationsverarbeitung, der zu den komplexesten mentalen Operationen des Gehirns gehört. Die dabei wirksamen Mechanismen und Prozesse sollen im Folgenden näher betrachtet werden.9 Oberflächenstruktur, Textbasis und Situationsmodell Die grundlegendste Annahme der Textverstehensforschung besteht in der axiomatischen Überzeugung, dass es sich beim Erfassen von Text um einen Akt kognitiver Informationsverarbeitung handelt, der sich in Übereinstimmung mit den allgemeinen Prinzipien der Kognition vollzieht (vgl. Zwaan/Singer 2003: 84; van Dijk 1979: 151). Literarisches Textverstehen unterscheidet sich von dieser Warte aus nicht grundsätzlich vom Verstehen nichtliterarischer Texte, sondern basiert auf denselben, prinzipiell identischen mentalen Verarbeitungsoperationen. Die in diesem Kontext entwickelten und hier referierten Theorien zielen daher nicht auf ein Erfassen literarischer Besonderheiten (literariness),10 sondern versuchen ein konzeptuelles Gerüst zu entwickeln, das sich den Aspekten des Textver-
––––––––––––– 9 Zu einer über die folgende Darstellung hinausreichenden Einführung in die zentralen Aspekte des Textverstehens siehe Strasen (2008a: 27–41), Kintsch/Rawson (2006), Gerrig (2005, 1993), Gerrig/Egidi (2003) und Christmann/Schreier (2003). Beachte für eine Übersicht über das Forschungsfeld auch die Anthologie von Teun van Dijk (2007), Snowling/ Hulme (2006) sowie das Handbook of Discourse Studies (Graesser et al. 2003), insbesondere das ausgezeichnete Kapitel zu „Text Comprehension“ (Zwaan/Singer 2003), das u. a. eine Zusammenfassung der wichtigsten empirischen Untersuchungsmethoden vorlegt. Darüber hinaus muss festgehalten werden, dass sich die bisherige Forschung experimentell meist mit kurzen und nichtliterarischen Texten beschäftigt hat. Beim Übertragen solcher Ergebnisse auf Literatur ist daher Vorsicht geboten (vgl. Gerrig/Egidi 2003: 39; Strasen 2008a: 223f.). Insgesamt sind die Grundprinzipien der Textverarbeitung jedoch vergleichsweise gut untersucht und werden (im Gegensatz anderen Aspekten) von den meisten Forschern in weitgehender Übereinstimmung akzeptiert (vgl. Zwaan/Singer 2003: 84; Schneider 2006a: 12). 10 Zum Thema literariness siehe Miall (2006) und Miall/Kuiken (1998, 1999).
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stehens widmet, die als „the backbone of literary experiences“ begriffen werden können (Gerrig/Egidi 2003: 34).11 In Übereinstimmung mit der allgemeinen Diskussion kognitiver Datenverarbeitung stellt sich in diesem Kontext damit auch für Literatur zunächst die Frage der mentalen Repräsentation von Text. Dabei wird allgemein davon ausgegangen, dass beim Leseprozess sowohl eine mentale Repräsentation des Textes als auch eine Repräsentation der darin beschriebenen Inhalte vorgenommen wird. Beim Lesen eines Romans wie Possession muss, mit anderen Worten, zunächst eine Vielzahl visueller Daten im Gehirn des Rezipienten zu einer kohärenten Folge von Buchstaben und Wörtern zusammengesetzt werden (vgl. Rastle 2007). Erst auf der Basis dieser als ‚Oberflächenstruktur‘ (surface strucure) bezeichneten Repräsentation von Zeichen wird eine semantische Analyse des Gelesenen vollzogen und in der sogenannten ‚Textbasis‘ (textbase) in der Form von Propositionen semantisch festgehalten. Während die Oberflächenstruktur damit „im wesentlichen aus einer Abbildung des physischen Textes im kognitiven System“ besteht, verkörpert die Textbasis „das Produkt einer semantisch syntaktischen Analyse“ der abgebildeten Zeichen (Strasen 2008a: 30f.). Dabei wird davon ausgegangen, „dass sowohl Mikropropositionen zu Textabschnitten von etwa der Länge von Sätzen gebildet werden als auch Makropropositionen, die übergeordnete semantische Strukturen des Textes repräsentieren“ (Schneider 2000: 36; vgl. dazu auch Schmidt 1991: 304–308; Tapiero 2007: 3–5).12 Empirische Studien legen jedoch nahe, dass präzise Inhalte auf beiden Ebenen (Oberflächenstruktur und Textbasis) tendenziell schnell vergessen werden (vgl. Zwaan/Singer 2003: 111–113). Besonders dramatisch ist dabei der Verfall von Informationen auf der Stufe der Oberflächenstruktur. Aus Gründen der Verarbeitungsökonomie scheinen hier die Inhalte zumeist nur bis zu ihrer semantischen Überführung in die Textbasis gespeichert zu werden (vgl. Culpeper 2001: 29; Strasen 2008a: 30). Dementsprechend ist der exakte Wortlaut einer Passage im Regelfall nur wenige ––––––––––––– 11 Grundlage der folgenden Ausführungen bilden Zwaan/Singer (2003) sowie das von Strasen (2008a) aufgegriffene Modell von van Dijk/Kintsch (1983; vgl. dazu Meutsch 1986), das in seinen Grundzügen noch immer aktuell ist (vgl. Strasen 2008a: 28; Culpeper 2001: 28). 12 Zum Konzept der mentalen Representation siehe von Eckhardt (1999) und Oostendorp/ Goldman (1999) sowie Green (2000) für eine kritische Position. Zur Rolle von Proposition bei der Verarbeitung von Text siehe Kintsch/Rawson (2006: 214–219), Zwaan/Singer (2003: 84), Christmann/Schreier (2003), Schneider (2000: 36f.) und van Dijk/Kintsch (1983: 37–43, 109–134). Beachte in diesem Kontext Schneiders Hinweis, dass es sich beim Propositionsbegriff im Kontext des Textverstehens nur um ein „Hilfsmittel für empirische Untersuchungen“ handelt (2000: 37). Zur Kritik an der empirischen Validität des Propositionskonzepts siehe ferner z. B. Barsalou (1999) oder Zwaan/Stanfield/Yaxley (2002).
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Sekunden abrufbar, auch wenn die ‚Halbwertszeit‘ der Oberflächenstruktur durch stilistische und kontextuelle Faktoren signifikant verlängert werden kann (vgl. Zwaan/Singer 2003: 91f.; Long 1994).13 Doch die Textbasis ist ebenfalls von einem Verlust an Daten betroffen. Wie bereits Bartletts Pionierstudie (1932) nahelegt, tritt auch hier üblicherweise schon nach kurzer Zeit ein rapider Verfall des Erinnerungsvermögens an die inhaltlichen Propositionen eines Textes ein (vgl. M. Singer 1982).14 Da es offensichtlich dennoch möglich ist, sich bei einem Roman auch nach einiger Zeit noch an eine Vielzahl von Aspekten, z. B. betreffend der Handlung, zu erinnern, postulieren van Dijk/Kintsch (1983) neben Oberflächenstruktur und Textbasis eine weitere Textverstehenskomponente: das sog. ‚Situationsmodell‘ (situation model): A major feature of our model is the assumption that discourse understanding involves not only the representation of a textbase in episodic memory, but at the same time, the activation, updating, and other uses of a so-called situation model in episodic memory: this is the cognitive representation of the events, actions, persons, and in general the situation a text is about […]. A situation model may incorporate previous experiences, and hence also previous textbases, regarding the same or similar situations. At the same time, the model may incorporate instantiations from more general knowledge from semantic memory about such situations. (11f.)15
Bei einem Situationsmodell handelt es sich damit um eine semantisch-episodische Repräsentation des erzählten Geschehens, in die sowohl textuelle Informationen als auch außertextuelles Wissen des Rezipienten einfließen. Leser konstruieren, mit anderen Worten, eine Art „microworld of what is conveyed in the story“, wobei die linguistische Struktur des Textes als „set of processing cues on how to construct such a world“ fungiert (Zwaan/
––––––––––––– 13 Insbesondere Reim und Rhythmus (Versmaß) führen bei Liedern und Gedichten zu einer verbesserten Erinnerung an den Wortlaut bzw. die Oberflächenstruktur eines Textes. Doch auch der pragmatische Kontext eines Satzes, die Genrezuordnung des Lesers, stilistische und rhetorische Eigentümlichkeiten sowie der Prozessaufwand bei der Datenverarbeitung können die ‚Verfügbarkeit‘ der Oberflächenstruktur beeinflussen (vgl. Zwaan/Singer 2003: 92; Strasen 2008a: 30). Selbst wenn der Wortlaut vergessen wird, verbleibt häufig ein Bewusstsein der stilistischen Charakteristika des Gelesenen im Gedächtnis (vgl. Emmott 1997: 41). 14 Zu Bartletts Studie vgl. Bergman/Roediger (1999). 15 Zum Situationsmodell siehe auch Strasen (2008a: 33ff.), Kintsch/Rawson (2006: 219ff.), Zwaan (2005, 1999), Zwaan/Radvansky (1998), Schnotz (1988) und Tapiero (2007). Eine vielrezipierte Alternative zum Modell von van Dijk/Kintsch (1983) stellt außerdem die Arbeit von Johnson-Laird (1983) dar, der anstelle des Begriffs ‚situation model‘ die Bezeichnung ‚mental model‘ verwendet. Auch Catherine Emmotts (1997) contextual frames weisen eine starke Affinität zum Situationsmodell auf: sie werden definiert als „mental store[s] of information about the current context“ (121), in denen kontextuelle und episodische Informationen bezüglich „characters, locations, and time“ organisiert sind (104, vgl. 121–132).
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Langston/Graesser 1995: 292). Entscheidend ist, dass es sich dabei nicht um einen einmaligen, sondern einen kontinuierlich fortschreitenden Prozess handelt, da Situationsmodelle während des Lesevorgangs ständiger Modifikation unterworfen sind: When we read a story, we combine ideas derived from the text with our background knowledge and experience into a coherent mental representation of the described situation. The construction of a situation model is an iterative process in which the reader continuously updates the representation with each incoming clause. (Zwaan 2005: 534)
Während der exakte Wortlaut der Oberflächenstruktur rasch vergessen wird und die Textbasis primär als „stepping stone toward the situation model“ fungiert (van Dijk/Kintsch 1983: 341), stellt das Situationsmodell die wichtigste der drei Verstehensebenen bei der Speicherung narrativer Informationen dar (vgl. Zwaan 2005: 534; Zwaan/Singer 2003: 112f.). Angesichts der „Begrenztheit der menschlichen kognitiven Ressourcen“ als einer der wichtigsten Rahmenbedingungen bei allen Fragen menschlicher Datenverarbeitung (Strasen 2008a: 28; van Dijk/Kintsch 1983: 333f.) werden auch die Ursachen für die bessere Langzeitverfügbarkeit des Situationsmodells in einem effektiveren Umgang mit kognitiven Ressourcen vermutet.16 Um diese Ressourceneffizienz und Leistungsfähigkeit erklären zu können, entwickeln Zwaan/Langston/Graesser (1995) das sog. ‚event-indexing model‘, das davon ausgeht, dass Situationsmodelle aus einer Aneinanderreihung von einzelnen events aufgebaut sind, die durch eine Reihe situativer Aspekte verknüpft werden: [E]vents are the building blocks of integrated situation models. When people read a clause, they construct a model of the situation denoted by that clause. Each event can be indexed on each of five dimensions: time, space, causation, motivation, and protagonist. […] Incoming events can be more easily integrated into the evolving situation model to the extent that they share indexes with the current state of the model. For example, an event that is temporally and spatially contiguous with the previous event, and thus shares indexes with the previous event, is relatively easy to integrate, whereas a temporally and spatially noncontinguous event is relatively difficult to process, all other things being equal. (Zwaan/ Radvansky 1998: 166f.; 178)17
––––––––––––– 16 Vgl. Zwaan/Radvansky (1995: 162), Strasen (2008a: 34f.) und Zwaan (2005: 534). 17 Zum event-indexing model vgl. auch Tapiero (2007: 183–188) sowie Zwaan/Radvansky (1998), die zwischen verschiedenen Stadien bei der Bildung von Situationsmodellen unterscheiden, um die Prozesshaftigkeit des Lesevorgangs abzubilden: (1.) das ‚current model‘, (2.) das ‚integrated model‘ und (3). das ‚completed model‘ (ausführlicher dazu vgl. 165f.).
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Situationsmodelle stellen damit zusammenfassend mehrschichtige, auf der Grundlage von Oberflächenstruktur und Textbasis konstruierte, integrative mentale Repräsentationen erzählter events dar, die auf der fortlaufenden Verschmelzung von ‚hereinkommenden‘ linguistischen Informationen und bereits gespeichertem Wissen beruhen und entlang mehrerer situativer Dimensionen, wie z. B. Raum, Zeit und Kausalität – aber auch Figur und Motivation – entworfen und aktualisiert werden. Inferenzbildung und die Dimensionen des Situationsmodells Das oben umrissene, drei Verstehensebenen umfassende Basismodell des Textverstehens lässt jedoch noch viele Fragen offen. Dies wird deutlich, versucht man die auf den letzten Seiten nachgezeichneten Überlegungen auf die eingangs zitierte Passage aus Possession anzuwenden. Hierbei zeigt sich beispielsweise, dass die Interaktion von textuellen Informationen und bereits vorhandenen Wissensstrukturen im Gedächtnis nicht auf die Ebene des Situationsmodells beschränkt ist. Schon das Erfassen der Nominalphrase „The book was old“ lässt sich nicht als linearer Datenverarbeitungsprozess modellieren, sondern impliziert sowohl datengesteuertes Zusammensetzen linguistischer Zeichen (bottom-up-processes) als auch konzeptgesteuerte Wort- und Satzerkennungsoperationen (top-down-processes).18 Tatsächlich kann das Zusammenspiel von bottom-up- und top-down-Prozessen auf allen (drei) Ebenen des Textverstehens „als gesichert gelten“, da beim kontinuierlichen Verarbeiten von neu eintreffenden Informationen stets alle „bestehenden Wissensbestände zu Sinnstiftung herangezogen werden“ (Schneider 2000: 38; vgl. Zwaan/Singer 2003: 102f.). So erfordert z. B. das Verstehen des semantisch-propositionalen Inhalts von „The book was old and black and covered with dust“ beim Rezipienten die Aktivierung der Konzepte ‚Buch‘, ‚alt‘, ‚schwarz‘ und ‚Staub‘ bzw. das Heranziehen vorhandenen Wissens über (alte) Bücher. An diesem Beispiel wird somit ferner deutlich, dass ein beträchtlicher Anteil der verarbeiteten und im Situationsmodell integrierten Informatio––––––––––––– 18 Die Begriffe bottom-up-processing (‚datengesteuerte Informationsverarbeitung‘) und top-downprocessing (‚konzeptgesteuerte Informationsverarbeitung‘) bezeichnen in der Kognitionspsychologie zwei grundsätzliche Modi der Datenverarbeitung. Während bottom-up-Prozesse die Bewegung des Zusammensetzens einzelner Informationen zu komplexeren Strukturen umfassen, versteht man unter top-down die umgekehrte Richtung, bei der Daten durch Aktivierung bereits gespeicherter Wissensstrukturen erkannt bzw. zugeordnet und verarbeitet werden. Siehe dazu ausführlicher Kintsch (2005), Schneider (2000:37–39) und Matlin (2005: 44f.).
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nen nicht explizit in den Propositionen des Textes enthalten ist, sondern durch ein breites Spektrum an Inferenzen und Hypothesen im Rezeptionsprozess gebildet wird. Dieses Spektrum rangiert zwischen hoch „elaborativen Inferenzen“, wie z. B. detaillierten optischen oder olfaktorischen Vorstellung eines alten Buches, und „enge[n] oder minimale[n] Inferenzen“ (Christmann/Schreier 2003: 255), wie den sog. ‚bridging inferences‘, die für lokale Kohärenz sorgen, indem sie anaphorische Bezüge zwischen dem aktuell gelesenen Satz und dem vorausgegangenen Text herstellen. Zwar herrscht in der Forschung ein grundlegender Streit um die Art und Zahl notwendiger Inferenzen, doch es besteht weitgehendes Einvernehmen darüber, dass nahezu jede Facette des Textverstehens als „at least partly inferential“ zu verstehen ist (Zwaan/Singer 2003: 100).19 Versucht man, die von Inferenzen durchdrungene Konstruktion und Integration neuer Informationen in das Situationsmodell am Beispiel von Possession zu illustrieren, so bestätigt sich die zentrale Bedeutung der verschiedenen situativen Dimensionen für das Textverstehen. Das Erfassen der Textpassage scheint z. B. geradezu vorauszusetzten, dass eine räumliche Vorstellung des Ortes der Handlung in das Situationsmodell integriert wird (vgl. Ryan 2003: 215f.; Herman 2001). Diese kann zwar sehr rudimentärer Natur sein, da für das Verständnis der Szene nur ein vages Bild der Örtlichkeit notwendig ist; andererseits können verschiedene Faktoren, wie z. B. persönliche Kenntnis des settings, zu einer hochdetaillierten Repräsentation der Räumlichkeiten führen.20 ––––––––––––– 19 Der tatsächliche Umfang der Inferenzbildung ist jedoch umstitten. In der Forschung hat sich ein minimalistisches und ein maximalistisches Theorielager gebildet, die entsprechend von einer minimalen bzw. einer maximalen (d. h. hohen) Anzahl notwendiger Inferenzen ausgehen (vgl. Gerrig/Egidi 2003: 41–43; Graesser/Singer/Trabasso 1994). Christmann/Schreier (2003: 255f.) halten die Kontroverse zwischen beiden Lagern allerdings für „überzogen“ und propagieren stattdessen die Vorstellung einer „flexiblen Textrezeption“. Für eine Übersicht über verschiedene Inferenztypen im Allgemeinen siehe ferner Singer (2007), für die Literaturrezeption im Speziellen siehe Magliano et al. (1996). Weiterführende Literatur findet sich außerdem u. a. bei Tapiero (2007: 149–168), Jannidis (2004a: 44–52), Zwaan/Singer (2003: 95–107), Graesser et al. (2001b), Schneider (2000: 51–55) und Gerrig (1993: 28–40). 20 Vgl. Zwaan/Singer (2003: 94): „[…] readers spontaneously construct spatial representations of some sort, but these spatial representations are often not detailed unless at least one of the following holds: (a) The reader has detailed prior knowledge about the spatial layout of the environment in which a story takes place, or (b) the reader is instructed, constrained, or intrinsically motivated to construct a detailed spatial representation.“ Ergänzend zum textpsychologischen Verständnis siehe die narratologische Diskussion von Raum z. B. bei Haupt (2004), Ryan (2009), Herman (2002) und, aus der Perspektive der Gender Studies, Würzbach (2004). Die wohl umfassendste Auseinandersetzung mit narrative space hat Dennerlein (2009) vorgelegt. Ihr Analysemodell konzipiert Raum als „mentales Modell eines Modell-Lesers“ (2009: 8), dessen Grundstruktur die Form eines „Container[s] mit einer Unterscheidung von innen und außen“ (9) annimmt (vgl. dazu Lakoff/Johnson 1980; Johnson 1987).
Basismodell des Textverstehens
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Ähnliches gilt für die temporale Dimension des Situationsmodells. Auch hier ist ein zumindest grobes zeitliches Verständnis des Erzählten notwendig, um die geschilderten Ereignisse in eine sinnvolle Struktur zu ordnen (Zwaan/Singer 2003: 95); gleichzeitig besteht jedoch ein immenser Möglichkeitsraum für zusätzliche, ‚ausschmückende‘ Inferenzen bzw. Hypothesen zum weiteren Handlungsverlauf (vgl. Schneider 2000: 54), die zu einer drastischen Komplexitätssteigerung des Situationsmodells führen können. Eng verflochten mit der temporalen Dimension ist ferner die Integration kausaler Zusammenhänge in die mentale Repräsentation des Textverstehens (vgl. Trabasso/Wiley 2005).21 Da Ursache und Wirkung üblicherweise in einem unidirektionalen temporalen Verhältnis zueinander stehen, sind kausale Inferenzen zumeist auch temporaler Natur.22 Entsprechend liegt z. B. beim vorliegenden Textbeispiel der Schluss nahe, dass der Einband des Buches schwer beschädigt ist, weil es zuvor unsachgemäß behandelt wurde. Man beachte, dass dieser Zusammenhang nicht explizit vom Text hergestellt wird, sondern dass es sich dabei um eine Inferenz handelt, die Kohärenz zwischen dem Satz „it had been maltreated in its own time“ und der nachfolgenden Beschreibung des Buches („Its spine was missing […]“) herstellt. Kausale Inferenzen sind in Erzähltexten darüber hinaus zwar nicht in allen, aber in sehr vielen Fällen eng mit den Handlungen bzw. den Handlungsmotivationen der involvierten fiktionalen Aktanten verbunden (vgl. Zwaan/Radvansky 1998). So lässt sich z. B. für die kurze Szene in der London Library eine ganze Reihe (automatischer) personenbezogener Schlussfolgerungen ableiten, die nicht vom Text expliziert werden: (1) Der Bibliothekar gibt Robert Mitchell das Buch, weil dieser (ihn) darum ersucht hatte; (2) Robert Mitchell muss auf das Buch warten, weil der Bibliothekar bzw. ein anderer Bibliotheksangestellter einige Zeit benötigt, um dieses aus den Magazinbeständen herbeizuschaffen; (3) Robert Mitchell nimmt das Buch entgegen, weil er die Absicht hat es zu ––––––––––––– 21 Zeit stellt die linguistisch am explizitesten kodierte Dimension des Situationsmodells dar (vgl. Zwaan/Singer (2003: 94f.). Zur Kategorie bzw. der Verarbeitung von Zeit vgl. ferner Therriault/Raney (2007), Zwaan/Madden/Stanfield (2001) und, aus literaturwissenschaftlicher Sicht, Currie (2007), Fludernik (2005b), Rossholm (2004b), Herman (2002: 211–262) sowie die klassischen Beiträge von Genette (1980 [1972]) oder Sternberg (1990). Daneben vgl. Kilians (2004b) Einführung zu einer Gender orientierten Analyse der Zeitdarstellung und Dannenberg (2008), die die Bedeutung von räumlichen Metaphern und Konzepten bei der Darstellung abstrakter temporaler Verhältnisse aufzeigt. 22 Die Dimensionen des Situationsmodells sind prinzipiell nicht als isoliert zu betrachten, sondern stehen in einem engen Bezugsverhältnis. Zur Kausalität im Kontext des Textverstehens siehe ferner u. a. Tapiero (2007: 149–168), Trabasso/Sperry (1985) und van den Broek (1990). Für eine darüber hinausgehende Diskussion von Kausalität beachte z. B. Turner (1987: 139–183), Brian Richardson (1997: 13–107) sowie Kafalenos (2006).
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lesen (und nicht etwa es zu verbrennen); (4) Robert Mitchells Lieblingsplatz ist der kleine runde Tisch, weil dieser (4a) etwas hinter einer Säule versteckt ist und (4b) ihm dennoch gleichzeitig einen guten Blick auf die Uhr erlaubt. Die in diesen Beispielen anklingende Vielfalt möglicher und z. T. notwendiger personenbezogener Inferenzen legt die Bedeutsamkeit dieses Aspekts im Prozess des Textverstehens nahe – eine Schlussfolgerung, die in der Forschung von einer Reihe von Stimmen gestützt wird (vgl. Schneider 2000: 67). So bezieht z. B. das event-indexing model von Zwaan/ Langston/Graesser (1995) gleich zwei der darin postulierten fünf situativen Dimensionen (Figur und Intentionalität) auf die Handlungen und Intentionen von Charakteren. In anderen Arbeiten wird ebenfalls die besondere Bedeutung der im Text impliziten Motivationen und Ziele (goals) von Figuren für den Nachvollzug des Textgeschehens hervorgehoben (vgl. z. B. Currie/Jureidini 2004: 417ff.).23 Auch hier steht die Figur damit indirekt im Zentrum der Textrezeption. Zwar werden in der Forschung zum hier umrissenen Basismodell des Textverstehens noch zu vielen Details kontroverse Diskussionen geführt; dennoch scheint sich insgesamt ein Trend abzuzeichnen, dem zufolge bei narrativen Texten schon auf der Basisebene des Textverstehens neben einem konzeptuellen Gerüst von situativen Raum/Zeit-Koordinaten insbesondere die mentale Repräsentation von fiktionalen Figuren einen der entscheidenden Bausteine des Rezeptionsprozesses darstellt. Die unbewusste Ebene der kognitiven Informationsverarbeitung scheint damit das bewusste und meist überaus starke Interesse zu spiegeln, das die meisten Romanleser der literarischen Figur entgegenbringen (vgl. Schneider 2000: 5; Jannidis 2004a: 1ff.). Textrezeption impliziert, mit anderen Worten, Figurenkonstruktion in privilegierter Weise (vgl. Hogan 2010: 152f.) – ein Umstand der sich im weiteren Verlauf der Arbeit als wichtiges Argument für die Bedeutung von Figurenperspektiven erweisen wird.24 ––––––––––––– 23 Die Bedeutung von goals wird insbesondere im Umkreis der explanation-based theory vertreten. Einen alternativen Ansatz stellen sog. memory-based theories dar, die davon ausgehen, dass nicht goals, sondern Gedächtnisprozesse wie z. B. resonance die treibende Kraft beim Textverstehen darstellen. Zu diesen Ansätzen siehe u. a. Gerrig/Egidi (2003: 42–46), Egidi/Gerrig (2006), Gerrig/O’Brien (2005), Trabasso/Wiley (2005), Magliano/Radvansky (2001). 24 Es muss jedoch angemerkt werden, dass das event-indexing model mit den situativen Dimensionen der ‚Zeit‘ und ‚Kausalität‘ ebenso die Rolle der temporalen und kausalen Abfolge von Ereignissen betont. Das Situationsmodell legt, mit anderen Worten, nahe, dass beide Erzählkomponenten – Figur und Handlung – vom Blickwinkel der Textverarbeitung die zentralen Dimensionen des Textverstehens darstellen. Dies stützt die verbreitete These, dass Handlung/Plot und Figur untrennbar miteinander verbundene Aspekte des Erzählens bezeichnen (Abrams 2009: 265) und als die beiden Seiten der sprichwörtlich gleichen Medaille verstanden werden können: Figuren übernehmen wichtige Plot-Funktionen, während Handlungs-
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Mit dieser wichtigen Einsicht sind die kognitiven Grundlagen der Textrezeption jedoch noch keineswegs ausgelotet. Vielmehr bedürfen eine Reihe wichtiger Fragen, z. B. zum Verhältnis von Situationsmodell und Gedächtnis oder den Details der mentalen Figurenrepräsentation, zunächst weiterer Klärung. Zur Erhellung der kognitiven Mechanismen, die der mentalen Konstruktion von Figur und Figurenperspektive zugrundeliegen, gilt es daher, sich einer Reihe weiterer grundlegender Textverstehensaspekte zuzuwenden. Dazu gehört die im folgenden Kapitel diskutierte Frage des Gedächtnisspeicherformats der im Situationsmodell enthaltenen Komponenten sowie die auf Schneider (2000) zurückgreifende Analyse mentaler Figurenmodelle.
IV.2 Kognitive Schemata und mentale Figurenmodelle Im vorhergehenden Kapitel wurde Textverstehen als ein komplexer und vielschichtiger Prozess charakterisiert, bei dem der Rezipient kontinuierlich neue sprachliche Informationen mit bereits vorhandenen Wissensstrukturen in Bezug setzt.25 Dies impliziert die gleichzeitige mentale Konstruktion dreier Verstehensebenen, von denen das Situationsmodell eine zentrale Rolle bei der mentalen Repräsentation des Gelesenen einnimmt (vgl. Schneider 2000: 55; Zwaan/Singer 2003: 113). Diese Schlüsselstellung wurde mit der höheren Effizienz bzw. Sparsamkeit des Situationsmodells beim Umgang mit kognitiven Ressourcen begründet und anhand einer Diskussion der situativen Dimensionen desselben illustriert; dabei wurde einerseits die inferenzenlenkende und anknüpfungsschaffende Funktion dieser Dimensionen deutlich, sowie andererseits die Tatsache, dass beim Textverstehen wichtige Komponenten des Situationsmodells ––––––––––––– verläufe eine unabdingbare Rolle bei der Charakterisierung von Figuren spielen (vgl. James 1957 [1884]: 34). Daraus folgt, dass eine analytische Annäherung an Erzählliteratur von beiden Seiten her gleichermaßen möglich ist. Da jedoch keine Einigkeit über die Beziehung beider Aspekte besteht (Hogan 2010: 134), führt dies in der Praxis meist dazu, dass entweder eine plot- oder eine figurenorientierte Herangehensweise gewählt wird, wodurch es notwendigerweise zu einer Einengung des Blickwinkels kommt. Auch die vorliegende Arbeit stellt hierbei keine Ausnahme dar, sondern situiert sich klar im Feld figurenorientierter Ansätze. Zu Handlung/Plot sei daher ausführlicher auf Dannenberg (2005, 1995), Abbott (2007), Herman (2002: 115–169) sowie Gutenberg (2000, 2004) verwiesen, die sich dem Thema aus der Perspektive der Gender Studies nähert. Speziell zur Beziehung von Figur und Handlung vgl. ferner Eder/Jannidis/Schneider (2010b: 20–26) und Hogan (2010). 25 ‚Textverstehen‘ impliziert nicht, dass Textverarbeitung zwingend in der „Konstruktion einer einzigen Bedeutung“ mündet, sondern es kommt vielmehr häufig zu einem „kognitive[n] Nebeneinander“ verschiedener Bedeutungen (Christmann/Schreier 2003: 261, 263).
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wie z. B. Raum und Zeit nicht notwendigerweise in hochdetaillierter Form mental repräsentiert sein müssen. Diese Überlegungen allein sind jedoch noch nicht ausreichend, um die bessere Ressourcenverwertung des Situationsmodells in hinreichender Weise zu erklären. Da das Situationsmodell den Ort darstellt, an dem die semantischen Propositionen der Textbasis mit dem individuellen Wissen des Rezipienten verschränkt werden (vgl. Strasen 2008a: 35f.), ist die Frage nach der Organisations- und Zugriffsstruktur von und auf dieses Wissen im Gedächtnis von entscheidender Bedeutung. Aufgrund der Einsicht, dass die ungeordnete Ablage von „Informationsbrocken“ angesichts begrenzter kognitiver Kapazitäten keine effiziente und plausible Form der Gedächtnisorganisation darstellt (36), wurde die sog. Schematheorie entwickelt, nach der Wissen in netzwerkartig miteinander verbundenen ‚Blöcken‘ organisiert ist. Diese Blöcke mit der Bezeichnung script, frame oder schema stellen Datenstrukturen zur Repräsentation stereotyper Situationen oder Sachverhalte dar, auf deren Basis die Verarbeitung neuer Informationen vollzogen wird: Schema theory’s basic assertion is that all new experiences are understood by means of comparison to a stereotypical model, based on similar experiences and held in memory. New experience is evaluated in terms of its conformity to, or deviation from, that model or ‘schema’. (Gavins 2005: 521)
Leider herrscht in der Schematheorie, wie Strasen (2008a: 37, FN 23) treffend feststellt, „eine geradezu babylonische Begriffsvielfalt“, wobei die unterschiedlichen Bezeichnungen (script, frame, schema usw.) zwar unterschiedliche Nuancen und Schwerpunkte aufweisen, letztlich jedoch weitgehend Variationen derselben Grundannahme darstellen. Nach dieser sind Schemata skelett- oder gerüstartige Konzeptstrukturen von stereotypen Situationen, wie z. B. dem Besuch eines Restaurants oder einer Bibliothek, die eine Reihe von Informationen unterschiedlicher Art enthalten. Marvin Minsky hat dies auf besonders präzise und konzise Art beschrieben; daher an dieser Stelle ein besonders ausführliches Zitat: A frame [= Schema; meine Anm.] is a data-structure for representing a stereotyped situation like being in a certain kind of living room going to a child’s birthday party. Attached to each frame are several kinds of information. Some of this information is about how to use the frame. Some is about what one can expect to happen next. Some is about what to do if these expectations are not confirmed. We can think of a frame as a network of nodes and relations. The ‘top levels’ of a frame are fixed, and represent things that are always true about the supposed situation. The lower levels have many terminals – ‘slots’ that must be filled by specific instances or data. Each terminal can specify conditions its assignments must meet. (The assignments themselves are usually smaller ‘sub frames’) […] Much of the phenomenological power of the theory hinges on the inclusion of expectations and other kinds of presumptions. A frame’s terminals are normally already
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filled with ‘default’ assignments. Thus a frame may contain a great many details whose supposition is not specifically warranted by the situation. (1979: 1f.)26
Das von Minsky umrissene Konzept eines frames bzw. Schemas lässt sich gut am Beispiel der im letzten Kapitel verwendeten Textpassage aus Byatts Possession verdeutlichen. Im fünften Satz der Passage wird deutlich, dass eine Person namens Robert Mitchell sich in der London Library befindet. Selbst ohne persönliche Kenntnis dieser Lokalität am St. James Square in London genügt die Referenz auf eine Bibliothek zur Aktivierung des entsprechenden Schemas. Dieses enthält nun Informationen zur generellen Funktion, zur Benutzung und zum Verhalten in Bibliotheken. Ein Teil dieser Informationen ist zentraler und unverrückbarer Bestandteil des Schemas; dazu gehört z. B. die Tatsache, dass in einer Bibliothek Bücher zu finden sind. Gleichzeitig gibt es jedoch eine Reihe von variablen terminals, z. B. zum Benutzerausweis, der Art der Bücherrecherche oder dem Leihvorgang, die zwar mit einer Art Standard- oder ‚default‘-Annahme versehen sind, im Bedarfsfall aber individuell ersetzt bzw. aktualisiert werden können.27 Die Passage aus Possession macht ferner deutlich, dass zum Erfassen des Textes das Schema ‚Bibliothek‘ allein nicht ausreichend ist. Zum Verständnis jedes längeren Textabschnitts bedarf es vielmehr einer Vielzahl von Wissensstrukturen unterschiedlicher Art, die wiederum in Form von Schemata im Gedächtnis organisiert sind (vgl. Schneider 2000: 39ff.). Das Situationsmodell eines Textes stellt somit eine übergeordnete Rahmenstruktur dar, in die eine Fülle von Schemata einfließt bzw. integriert wird. Diese beziehen sich auf Ereignisse, Personen, Objekte, Handlungen (usw.), wobei jedes einzelne dieser Schemata nicht als „passive data structure from which expectations are hung“ missverstanden werden darf, sondern vielmehr als aktive Gedächtnisstruktur zu begreifen ist, die sich angesichts neuen Inputs verändert bzw. verändern kann (Schank 1982: 82).28 ––––––––––––– 26 Im Folgenden soll der Begriff des Schemas als allgemeiner Oberbegriff verwendet werden. Unter frames und scripts werden mit Strasen (2008a: 200) lediglich solche Schemata verstanden, die „ganz spezifische, stereotypische Situationen“ bezeichnen (vgl. dazu Schank/ Abelson 1977; Semino 1997: 128, 140f.). Für einen (historischen) Abriss zu verschiedenen Schematheorien siehe nochmals Semino (1997: 119–159); Einführungen finden sich daneben außerdem bei Emmott/Alexander (2009), Gavins (2005) und Schneider (2000: 39–59). 27 Durch die Vorselektion und Hierarchisierung relevanter Informationen sowie das Bereitstellen von default-Werten stellen Schemata eine effizientere Form der kognitiven Verarbeitung von Informationen dar als andere Speicherformate. Dies äußert sich z. B. darin, dass Details nur dann gespeichert werden müssen, „wenn sie besonders relevant sind oder den vom Schema nahegelegten Besetzungen widersprechen“ (Strasen 2008a: 37). 28 Vgl. hierzu z. B. Schank/Abelson (1977: 61–66), die allgemein zwischen situational scripts, personal scripts und instrumental scripts unterscheiden (vgl. Gavins 2005: 521). Auch beim Aspekt
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Konzeptuell ergibt sich damit ein hierarchischer Unterschied zwischen dem Begriff des mentalen (Situations)Modells und dem des Schemas. Während der Schemabegriff sich auf im Gedächtnis archivierte Datenstrukturen wie z. B. das Schema Bibliothek bezieht, bezeichnet das Situationsmodell die mentale Repräsentation einer komplexen Begebenheit, wie der Bibliotheksszene in Byatts Possession. Situationsmodelle können damit als spezifische mentale Repräsentationen von Situationen begriffen werden, Schemata hingegen als die im Gedächtnis archivierten Grundbausteine dieser Konstruktionen: „schemas are precompiled knowledge structures, while mental models are specific knowledge structures that are constructed to represent a new situation through the use of generic knowledge […].“ (Brewer 1988: 189) Mentale Modelle stellen somit die „dynamische Nutzung“ von Schemastrukturen „im Moment der Verarbeitung“ dar (Schneider 2000: 62), wobei grundsätzlich davon auszugehen ist, dass aus Gründen kognitiver Kapazitätsbeschränkung ‚innerhalb‘ eines Situationsmodells weitere Teilmodelle gebildet und integriert werden können (vgl. 68; Schnotz 1988: 321f.).29 Bei längeren Erzählungen erweist sich die Konstruktion solcher Teilmodelle besonders für die mentale Repräsentation von Erzählfiguren als zentral. Da in Romanen, wie Ralf Schneider feststellt, „die Informationen über Figuren häufig einen Großteil der Textmenge ausmachen, ist der Schluss zulässig, dass Leser mentale Teilmodelle konstruieren können, welche die Figur zum Gegenstand haben“ (2000: 68). Es kann daher: […] in Übereinstimmung mit der Theorie mentaler Modelle die Hypothese aufgestellt werden, dass im Modell von einer Figur sowohl konkrete, physische und handlungsbezogene als auch abstrakte Vorstellungen von der Figur (z. B. von ihren psychischen Dispositionen, motivationalen und emotionalen Eigenschaften)
––––––––––––– der Schemaveränderung können ferner drei prinzipielle Modi differenziert werden: Zuwachs, Anpassung und Restrukturierung (accretion, tuning, restructuring); siehe dazu im Detail Strasen (2008a: 212–216), Schneider (2000: 45, 77f.) und Rumelhart/Norman (1978). 29 Während die Begriffe ‚Schema‘ und ‚mentales Modell‘ unterschiedlich ausgerichtet sind, beziehen sich ‚Situationsmodell‘ und ‚mentales Modell‘ im Wesentlichen auf dieselbe Grundannahme, nach der beim Textverstehen „eine mentale Repräsentation gebildet [wird], die von vornherein ganzheitlichen Charakter hat und im Lauf des Verarbeitungsprozesses zunehmend differenziert und elaboriert wird“ (Schnotz 1988: 308). Der Begriff des Situationsmodells suggeriert jedoch, dass es sich um die Repräsentation einer konkreten Situation bzw. eines Szenarios handelt (ebd.), während der Terminus ‚mentales Modell‘ keine thematische Konnotation aufweist. Im Folgenden soll daher der Begriff des Situationsmodells für die Repräsentation von Textgeschehen reserviert werden, während der Begriff des mentalen Modells als Bezeichnung des Speicherformats ‚kleinerer‘ Einheiten (z. B. Figuren und Erzählern) dient. Ferner sei angemerkt, dass beide Konzepte prinzipiell als Modelle kognitiver Wissensorganisation zu verstehen sind, die keine Aussage über spezifische neurologische Mechanismen implizieren (vgl. Emmott 1997: 122; Rumelhart et al. 1986: 20).
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integriert werden können. Das mentale Teilmodell von der Figur stellt somit die Einheit dar, der jegliche Informationen über eine Figur zugeordnet werden können, ohne dass die Wortwahl des Textes dabei gespeichert werden müßte. (69)
Im Kontext kognitiver Textverarbeitung kann das mentale Figurenmodell damit als der konzeptuelle Ort identifiziert werden, an dem alle figurenrelevanten Informationen abgelegt, verarbeitet und in ein dynamisches Netzwerk von Verbindungslinien zu weiteren mentalen Modellen und Schemata integriert werden. Die Informationsstruktur des Figurenmodells muss aus diesem Grund auch als die Grundlage der kognitiven Konstruktion jeglicher Art von (Figuren)perspektive verstanden werden. Eine rezeptionstheoretische Perspektivendiskussion kann daher auf eine Berücksichtigung dieses konzeptuellen Bausteins nicht verzichten. Für die vorliegende Arbeit ergibt sich damit vielmehr die Aufgabe, die spezifischen Charakteristika und Funktionsweisen mentaler Figurenmodelle in die vorgenommene Analyse zu integrieren. Da die mentale Konstruktion solcher Repräsentationseinheiten jedoch ein vielschichtiges Phänomen darstellt, überrascht es nicht, dass für ein Verständnis der Bildung dieser kognitiven (Teil)Modelle eine Reihe weiterer Faktoren berücksichtigt werden muss.30 Es ist aus diesem Grund für die angestrebte kognitive Diskussion von Perspektiven unerlässlich, sich einer Reihe weiterer grundsätzlicher Aspekte bei der Verarbeitung mentaler Figurenmodelle zumindest skizzenhaft zu vergegenwärtigen. Als Grundlage der folgenden Darstellung soll Ralf Schneiders Grundriss zur kognitiven Theorie der Figurenrezeption am Beispiel des viktorianischen Romans (2000) dienen, der noch immer als ausführlichste Beschreibung der psychologischen Verarbeitungsoperationen bei der Rezeption literarischer Figuren gelten kann (vgl. dazu auch Schneider 2001, 2006a).31 ––––––––––––– 30 Aus stilistischen Gründen wird im Folgenden auch für mentale Teilmodelle der Begriff ‚mentales Modell‘ verwendet (vgl. dazu Schneider 2000: 71). 31 Für einen (kritischen) Blick auf Schneiders Ansatz siehe Jannidis (2004a: 177–185), Zerweck (2002: 231ff.) sowie Gerrig (2010: 359). Weitere kognitive Ansätze zur Figurenrezeption finden sich bei Culpeper (2000, 2001, 2002, 2009) und Jannidis (2004a, 2004b) sowie in den Arbeiten von Palmer (2002, 2003, 2004, 2005a, 2005b, 2007b), die sich mit verschiedenen Gesichtspunkten fiktionalen Bewusstseins beschäftigen. Zur literarischen Figur als mentalem Leserkonstrukt siehe ergänzend Margolin (2007: 76–79), Bortolussi/Dixon (2003: 139ff.) und Zerweck (2002: 231ff.). Zu mentalen Figurenmodellen bei der Filmrezeption sei außerdem ein Blick auf Eder (2008: 168–232) empfohlen und einen Überblick über Figurentheorien im Allgemeinen bieten nochmals Margolin (1990, 2005, 2007) sowie Jannidis (2009b), Koch (1991), Ludwig (1998: 106–144) und Phelan (1989); zu weiteren Aspekten bezüglich literarischer Figuren siehe Nieragden (1995), Fokkema (1991), Currie (2010: 186–218), Leschke/Heidbrink (2010) sowie die Sonderhefte New Literary History 42.2 (2011) sowie Style 24.3 (1990) und 7.1 (1986). Eine Einführung in das Thema aus der Perspektive der Gender Studies findet sich bei Gymnich (2004) und abschließend sei auf den Sammelband Eder/
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Literarische Figuren als mentale Modelle Zur Illustration der Fülle von Aspekten bei der Figurenrezeption soll im Folgenden eine Szene aus Jane Austens Pride and Prejudice (1813) herangezogen werden. In dieser Szene befindet sich die Protagonistin Elizabeth Bennet auf der ‚touristischen‘ Besichtigung von Mr. Darcys Landsitz Pemberley, zu der sie von Verwandten überredet wurde. Im Gegensatz zu ihrem Onkel und ihrer Tante ist dieser Besuch für Elizabeth jedoch von gemischten Gefühlen begleitet, da sie zuvor einen Heiratsantrag von Mr. Darcy zurückgewiesen hat. Anders als ihre Begleiter nimmt sie daher die Führung durch das luxuriös eingerichtete Herrenhaus Pemberley Hall aus einer ganz besonderen Perspektive wahr: The rooms were lofty and handsome, and their furniture suitable to the fortune of their proprietor; but Elizabeth saw, with admiration of his taste, that it was neither gaudy nor uselessly fine; with less of splendor, and more real elegance, than the furniture of Rosings. “And of this place,” thought she, “I might have been mistress! With these rooms I might now have been familiarly acquainted! Instead of viewing them as a stranger, I might have rejoiced in them as my own and welcomed to them as visitors my uncle and aunt.” (Pride and Prejudice, 159)
Auf der Ebene der Romaninterpretation stellt der Ausflug nach Pemberley für viele Leser einen Wendepunkt in Elizabeths Verhältnis zu Mr. Darcy und damit der Entwicklung der Handlung dar. Auf der Ebene des Textverstehens vollzieht sich jedoch auch hier zunächst einmal eine mentale Repräsentation der erzählten Szene im Gehirn des Rezipienten. Dies geschieht auf der Basis mehrerer miteinander verbundener mentaler Informationsstrukturen, zu denen primär die Repräsentation der Situation sowie die der involvierten Figuren zu rechnen sind. Die kognitive Verarbeitung literarischer Figuren kann dabei als komplexer, mehrere Ebenen durchlaufender Prozess der Informationsverarbeitung verstanden werden, bei dem mentale Datenstrukturen angelegt werden, die im weiteren Leseverlauf sukzessive angereichert oder modifiziert werden (können). Uri Margolin beschreibt dies folgendermaßen: Reading for character is triggered or initiated by the reader identifying in the text a referring expression and opening a mental file bearing this name in which all further information about the corresponding individual will be continuously accumulated, structured, and updated as one reads on […]. (2007: 76)
––––––––––––– Jannidis/Schneider (2010a) hingewiesen, der eine Vielzahl hochkarätiger Beiträge sowie eine ausführliche Bibliographie zum Thema „Characters in Fictional Worlds“ (571–596) enthält.
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Genau wie beim Situationsmodell, das eine Reihe verschiedener situativer Komponenten vereinigt, lassen sich auch solche „mental files“ zu analytischen Zwecken in mehrere Komponenten teilen. Gruppiert man mit Schneider (2000: 170) die konstituierenden Aspekte mentaler Figurenmodelle heuristisch in eine textorientierte und eine auf die Informationsbestände des Rezipienten verweisende Seite des Textverstehen (vgl. dazu Culpeper 2001: 28; Palmer 2004: 176), so zeigen sich beide Seiten als äußerst komplex und vielschichtig. Es gilt einerseits: On the textual side, all direct or indirect sources of characterizing information can lead to the integration of new aspects into the model or to the modification of existing ones: (1) descriptions and presentations of a character’s traits, verbal and nonverbal behavior, outer appearance, physiognomy and body language made by the narrator, by the character him- or herself or by other characters; (2) the presentation of consciousness and a character’s mind-style; and (3) inferred character traits mapped metonymically from the presentation of fictional space to the character […]. (Schneider 2001: 611)
Andererseits gründet das mentale Figurenmodell auf seiner Interaktion mit einer Vielzahl von Wissensstrukturen des Rezipienten, „die dieser in seiner literarischen und nicht-literarischen Sozialisation erworben hat (Schneider 2000: 97).32 Vergegenwärtigt man sich die involvierten Wissensbestände bei der Konstruktion der Charaktere in Pride and Prejudice, so wird schnell die Vielschichtigkeit dieses Rezeptionsaspekts deutlich. Es bedarf z. B. sozialen, kulturellen und historischen Wissens, um ein Verständnis von Elizabeths gesellschaftlichem Status in der Romanwelt zu gewinnen und diesen mit dem sozialen Rang ihrer Verwandten oder Mr. Darcys abzugleichen. Ferner spielen Persönlichkeitstheorien und Personenkategorien eine wichtige Rolle, auf die bei der Charakterisierung von Elizabeth oder der schnellen und kognitiv unaufwendigen Kategorisierung von Nebenfiguren zurückgegriffen werden kann. Auch literarisches Wissen zum Genre der Erzählung oder die Kenntnis anderer Romane Jane Austens kann z. B. als Grundlage von Inferenzbildungen oder der Aufstellung von Handlungshypothesen dienen. In diesem Kontext spielen desgleichen literarische Konventionen und formale Strukturen eine wichtige Rolle: Formal elements and patterns are also conventionally assumed to yield information about the individuals involved. Prominent here are character groupings and the parallels or contrasts implied, embedded stories, and how their characters (implicitly) reflect on the characters of the main story, and of course intertextual
––––––––––––– 32 Ausführlicher dazu siehe Schneider (2000: 81–90) und Culpeper (2001: 47–155).
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echoes and allusions, calling to our minds same-named or similar characters in other literary works. (Margolin 2007: 77)33
Grundsätzlich lässt sich damit festhalten, dass praktisch das gesamte Weltwissen des Lesers potentiell in die Figurenrezeption einfließen kann (Schneider 2000: 81).34 Doch allein mit der Berücksichtigung der Gesamtheit der Wissensstrukturen des Rezipienten sind die Konstituenten der kognitiven Figurenverarbeitung noch nicht vollständig erfasst. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass neben mentalen Wissensstrukturen auch Emotionen einen fundamentalen Bestandteil der kognitiven Verarbeitung von literarischen Texten darstellen (vgl. Kneepkens/Zwaan 1994). Dabei lässt sich allgemein zum Verhältnis von Kognition und Emotion feststellen: Far from being the opposite of thought, emotion is now viewed as intimately bound up with thought to such an extent that one cannot fully understand cognition without understanding emotion, and one cannot fully understand emotion without understanding cognition. (Hogan 2003a: 140)35
Für die Figurenrezeption bedeutet dies, dass neben kognitiven Prozessen auch emotionale Vorgänge bei der Konstruktion fiktionaler Figuren beteiligt sind und sich in der mentalen Repräsentation derselben niederschlagen können (vgl. Tapiero 2007: 163). Dabei kann der Rezeptionsvorgang einerseits selbst als Gegenstand und Auslöser von Emotionen wie z. B. ästhetischem Genuss oder Missfallen über die Textgestaltung fungieren (vgl. Schneider 2000: 103, 133). Andererseits können Rezipienten „affektiv auf die Geschehnisse und Werteinstellungen in der fiktionalen Welt reagieren“ (103), d. h. sie können z. B. mittels Empathie oder Identifikation Anteil an Elizabeths Schicksal nehmen und sich über ihr Verhalten ärgern bzw. über den Ausgang des Romans freuen. Das Ausmaß und die Bereitwilligkeit des Lesers zu solch empathischen Emotionen werden, wie Schneider betont, maßgeblich vom Gefühl der Sympathie oder Antipathie bestimmt, das der Rezipient während bzw. durch seine Bewertung der jeweiligen Figur entwickelt: ––––––––––––– 33 Hierzu gehören insbesondere Genre-Konventionen (vgl. Hallet 2007; Frow 2006), die z. B. schon während der Lektüre von Pride and Prejudice die Vermutung nahelegen, dass die Protagonistin Elizabeth am Ende der Erzählung verheiratet sein wird (vgl. z. B. Hinnant 2006). 34 Dies bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass alle im Text angelegten Wissensbezüge prinzipiell vom Rezipienten erkannt werden bzw. zum Verständnis eines Textes erkannt werden müssen, oder dass die Aktivierung von Wissensstrukturen nur auf der Basis textueller Information geschieht. Gleiches gilt für die Bildung von Inferenzen: „[A]ny individual inference is not a logical necessity: it is merely probable to some degree in the given particular context […], given this set of data and using this particular rule of inference.“ (Margolin 2007: 78) 35 Zur Bedeutung von Emotionen in der menschlichen Kognition siehe u. a. die Arbeiten von Damasio (1994, 2001, 2003), LeDoux (1996) oder die Beiträge in Dalgleish (1999).
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Zur Bewertung der Figuren greift der Rezipient auf seine in der Sozialisation erworbenen Werteinstellungen zurück und setzt diese mit den Informationen in Bezug, die im Text über die Figur vergeben werden und zur Etablierung von Sympathie und Antipathie beitragen können. Textuelle Bewertungen einer Figur durch andere Figuren, die Erzählinstanz oder den Handlungsverlauf werden im Kontext vorheriger Wertungen und unter Berücksichtigung der beurteilenden Instanz rezipiert und können daher die Einstellung des Rezipienten gegenüber der Figur mit unterschiedlichem Erfolg beeinflussen. (Schneider 2000: 133f.)
Entscheidend ist, dass Wertungen, ästhetisches Vergnügen und empathische Involviertheit nicht nur das phänomenologische Beiwerk des eigentlichen, informationsgeleiteten Leseprozesses darstellen, sondern sich auf verschiedenen Ebenen der kognitiven Textverarbeitung als bedeutsam erweisen. Rezeptionsemotionen können z. B. starken Einfluss auf die Verfügbarkeit von Informationen im Langzeit- oder Arbeitsgedächtnis ausüben. Dies bezieht sich zum einen auf Wortlaut, Textbasis und Situationsmodell, zum anderen aber auch auf die mentale Repräsentation von Figuren, d. h. die Organisationsstruktur des mentalen Figurenmodells. In jenes fließt während der Rezeption folglich nicht nur „incoming textual information on the one hand and the contents of our heads on the other“ ein (Culpeper 2002: 251), sondern es kommt zusätzlich zur Verarbeitung und Speicherung von emotionalen Gehalten und Wertungen. Dabei kann sich die emotionale Haltung des Lesers gegenüber literarischen Figuren, wie z. B. Mr. Darcy, potentiell als rezeptionslenkend beim ‚Füllen‘ textueller Leerstellen oder bei der Aufstellung von ‚predictive-inferences‘ erweisen (Tapiero 2007: 162–167).36 Emotionen finden somit ebenfalls Eingang in das mentale Figurenmodell, das auf diese Weise als konzeptueller Angelpunkt aller figurenrelevanten Textverstehensaspekte bestimmt werden kann.37
––––––––––––– 36 Zu predictive inferences siehe Rapp/Gerrig (2006), die zeigen, dass sich die Wünsche und Präferenzen von Lesern in Bezug auf Handlung und Handlungsausgang spürbar auf Inferenzbildung und die mentale Repräsentation von Situationsmodellen auswirken. 37 Für eine umfassende Aufarbeitung des Themas Rezeptionsemotionen siehe Schneider (2000: 99–134). Ein Überblick über die Forschung zu Emotion und Textverständnis findet sich bei Tapiero (2007: 162–182). Man beachte zudem Hogan (2003b), der eine Diskussion narrativer und emotionaler Universalien vorlegt, oder Mellmann (2006), die Emotionen und Literatur von einer evolutionspsychologischen Warte aus analysiert, sowie Keen (2007, 2006), die sich mit ‚narrativer Empathie‘ auseinandersetzt. Hervorzuheben sind ferner Untersuchungen, die auf empirischen Studien basieren, wie z. B. Miall (2006, 2004, 1995, 1990), Miall/Kuiken (2001, 1994a, 1994b), Gerrig/Rapp (2004), Kneepkens/Zwaan (1994) oder das Kapitel zu „Participatory Responses“ in Gerrig (1993: 65–93). Zur emotionalen Anteilnahme an Figuren im Film vgl. außerdem Eder (2008: 647–706) und Smith (1995). Für eine Auswahl weiterer relevanter Publikationen siehe ferner Hogan (2011), van Holt/Groeben (2006), Keith
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Zur Konstruktion von Perspektiven
Kategorisierung, Individualisierung und Personalisierung Ein Blick in einen beliebigen Roman zeigt, dass die Figurenrezeption sich gewöhnlich nicht auf die Konstitution einzelner mentaler Figurenmodelle beschränkt. Literarische Texte können den Leser nicht nur dazu bewegen, mentale Repräsentationen für die Charaktere eines Textes zu bilden, sondern sie implizieren in der Regel die Konstruktion einer Vielzahl weiterer ‚eingebetteter‘ Repräsentationen, z. B. die Vorstellung, die eine Figur von der subjektiven Perspektive einer anderen Figur hat (vgl. Culpeper 2002: 273). Zudem handelt es sich bei der Textrezeption nicht um einen statischen, sondern um einen dynamischen Prozess, bei dem das sukzessive Fortschreiten des Lesevorgangs die fortwährende Aktualisierung der involvierten mentalen Modelle erfordert. Es entsteht, mit anderen Worten, ein Netzwerk aus Figurenmodellen und -perspektiven, bei dessen Konstruktion es zum kontinuierlichen Abgleichen von neuen Informationen mit dem bisher rezipierten Text und den entsprechenden mentalen Modellen kommt. Dies hat die Formung unterschiedlich elaborierter Figurenvorstellungen zur Folge, wobei insbesondere die mentale Repräsentation von Nebenfiguren aus verarbeitungsökonomischen Gründen stark auf bereits vorhandene schematische Figuren- bzw. Personenvorstellungen rekurriert: We are predisposed, for obvious reasons of cognitive economy, towards trying to fit textual information about people or characters into pre-formed social schemata, rather than trying to add-up individual (and possibly unrelated) pieces of information. (Culpeper 2002: 266)
Solche schematischen Kategorisierungsprozesse betreffen nicht nur Nebenfiguren, sondern sind laut Margolin (2007: 78) grundsätzlich charakteristisch für die Figurenkonstitution an sich. Generell findet bei dieser üblicherweise zunächst der Versuch einer Integration textueller Informationen in bestehende Wissensstrukturen und Kategorien statt (vgl. Gerrig/ Allbritton 1990: 386). Nach der erfolgreichen Zuordnung stehen dem Rezipienten dann die Wissens- und Assoziationsstruktur dieser Kategorie für den konzeptgesteuerten Ausbau des Figurenmodells zur Verfügung.38 Gleichzeitig können neue textuelle Informationen u. a. zur „schema dis––––––––––––– Oatley (1995, 1999, 2008), die Beiträge in Hjort/Laver (1997) sowie die Themenhefte Journal of Literary Theory 1.2 (2007) und Journal of Narrative Theory 34.3 (2004). 38 Vgl. Margolin (2007: 78): „Once a fit between data and category has been established, categorization takes place, and the reader may now proceed top down, integrating all the information available to this point, filling in the mental model, formulating expectations and explaining stored information, for example by relating an individual’s action to intentions, beliefs, or dispositions associated with this category.“
Kognitive Schemata und mentale Figurenmodelle
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ruption“ und „decategorization“ der mentalen Figurenrepräsentation führen (Margolin 2007: 78). Diese dynamischen Mechanismen der Figureneinordnung und ihre Interaktion können präzise erfasst werden, unterteilt man sie mit Schneider (2000) in die Prozesse (1) der ‚Kategorisierung‘, (2) der ‚Individualisierung‘ und (3) der ‚Personalisierung‘ einer literarischen Figur bzw. eines mentalen Figurenmodells.39 Bei der ‚Kategorisierung‘ einer Figur handelt es sich um die primär topdown, d. h. konzeptgesteuert verlaufende „Zuordnung der Figur zu einer bekannten literarischen oder sozialen Kategorie“ (Jannidis 2004a: 181). Solche in ‚soziale‘, ‚literarische‘ und ‚textspezifische Kategorisierung‘ unterteilbaren Zuordnungsprozesse „zeichnen sich durch hohe Verarbeitungsökonomie aus und führen zu relativ starren Verhaltenserwartungen“ (Schneider 2000: 144, 169). Stellt der Text neue Informationen zur Verfügung, die diesen Erwartungen widersprechen, so vermag dies die Entkategorisierung der Figur nach sich zu ziehen. Bei nur geringfügigen Abweichungen von bestehenden Kategorien kann es auf diese Weise zur ‚Individualisierung‘ der Figur kommen, wobei das mentale Modell zwar mit individuell-spezifischen Daten angereichert bzw. modifiziert wird, seine „Kategorienorientierung“ jedoch erhalten bleibt (169). Darüber hinaus können nach Schneider „die mangelnde Verfügbarkeit von Wissensstrukturen beim Rezipienten und/oder qualitative wie quantitative textuelle Verfahren der Informationsvergabe“ zu einer ‚personalisierten‘ Wahrnehmung der Figur führen (169). Dies betrifft häufig die Protagonisten einer Erzählung und geht gewöhnlich mit einer gesteigerten Aufmerksamkeit des Lesers gegenüber diesen Figuren sowie einer erhöhten Bereitschaft zur Revision der entsprechenden mentalen Modelle einher (vgl. ebd.). Wendet man Schneiders Klassifizierung auf den als Beispiel angeführten Roman Pride and Prejudice an, so kann die Protagonistin Elizabeth als Beispiel für eine personalisierte Figur dienen, während es sich bei der Bediensteten, die Elizabeth und ihre Verwandten durch Pemberley führt, um eine kategorisierte Figur handelt.40 Von zentraler Bedeutung für die vorliegende Arbeit ist jedoch nicht allein die klassifikatorische Beurteilung individueller Charaktere. Entscheidend im Kontext der vorliegenden Arbeit ist vielmehr, dass die hier skizzierten Prozesse und Mechanismen nicht nur für die mentale Konstruktion bzw. Repräsentation von Figuren, son-
––––––––––––– 39 Siehe hierzu im Detail Schneider (2000: 137–170, 2001, 2008). Vgl. dazu Culpeper (2001: 86– 99), Jannidis (2004a: 181f.), Eder (2008: 228–232) und Wintermantel/Christmann (1983). 40 Weitere Beispiele finden sich in der Monographie von Schneider (2000), in der die Figurenkonstitution in zehn viktorianischen Beispielromanen analysiert wird (212–340).
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Zur Konstruktion von Perspektiven
dern auch für die von Figurenperspektiven von konstitutiver Bedeutung sind. Vergegenwärtigt man sich die angesprochene Romanszene, so wird deutlich, dass der Leseprozess sich nicht in einer ‚äußerlichen‘ mentalen Repräsentation der Situation und der involvierten Figuren erschöpft, sondern dass das Verstehen und die Beurteilung der Handlung und Figuren eng mit der vom Leser vollzogenen (Re)Konstruktion von Elizabeths individueller Perspektive auf Pemberley verbunden sind. Alle für diesen kognitiven und emotionalen Nachvollzug relevanten Informationen sind aus der Sicht der Textverstehensforschung jedoch im Konzept des mentalen Modells organisiert, da dieses den Angelpunkt figuraler Verarbeitungsprozesse darstellt. Beim Leseprozess werden somit zusätzlich zu mentalen Situations- und Figurenmodellen auch Repräsentationen individueller Perspektiven entworfen, die direkt an die Verarbeitungsstruktur des mentalen Figurenmodells geknüpft sind. Figurenperspektiven stellen, mit anderen Worten, eine immanente Komponente des mentalen Nachvollzugs von Figuren dar und können, in Analogie zum Verhältnis von Situations- und Figurenmodell, als mentales (Teil)Modell des Figurenmodells konzipiert werden. Aus dieser systemischen Verknüpfung beider Konzepte folgt, dass alle auf die allgemeine Figurenkonstitution einwirkenden Faktoren (z. B. Inferenzbildung, Kategorisierung, affektive Bewertung) potentiell auch bei der Konstruktion von Figurenperspektiven eine wichtige Rolle spielen. Die in diesem Teilkapitel angesprochenen und von Schneider (2000) skizzierten Aspekte der Figurenkonstruktion erweisen sich auf diese Weise als ebenso relevant für die rezeptionstheoretische Analyse von Perspektiven wie für die von Figuren.41 Beide sind ein Produkt verschiedener bottom-up und topdown-Prozesse und basieren sowohl auf genuinen Mechanismen des Textverstehens wie auch auf der Integration kognitiv-emotionaler Informationsbestände und Verarbeitungsstrukturen, die ihren Ursprung nicht direkt im Akt des Lesens nehmen (vgl. Abb.1).
––––––––––––– 41 Dies bedeutet nicht, dass alle in Schneiders Modell erfassten Komponenten notwendigerweise bei allen Texten und Perspektiven zum Tragen kommen. Ferner werden während des Leseprozesses konstant Informationen vergessen und ‚verfälscht‘, d. h. individuell gefärbt, sodass es durchaus möglich ist, dass Leser mentale Modelle konstruieren, die mit dem Text nicht kompatibel sind (vgl. Bortolussi/Dixon 2003: 153; Bergman/Roedinger 1999). Diese Beobachtung wird von der Tatsache gestützt, dass Leser in unterschiedlichem Maß dazu neigen, Details und einzelne Informationen zu überlesen, d. h. gar nicht erst wahrzunehmen. Laut einer Studie von Hannon/Daneman (2004) scheint dies besonders gehäuft aufzutreten, wenn die entsprechenden Informationen kohärenzstörende Qualitäten besitzen. Zudem stellen die Autoren einen Unterschied zwischen geübten und ungeübten Lesern fest (vgl. ebd.).
Kognitive Schemata und mentale Figurenmodelle
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Abb. 1: Die Konstituenten der Figurenrezeption nach Schneider (2000: 170)
Durch den Einbezug von Rezeptionsemotionen und psychologischen Kategorisierungsprozessen integriert Schneiders Modell psychologische Aspekte, die über die Beschreibungsebene der reinen textuellen Informationsverarbeitung hinausweisen. So bauen beispielsweise die Überlegungen zu Kategorisierung, Individualisierung und Personalisierung letztlich auf einem Modell (personalen) Fremdverstehens nach Brewer (1988) auf – ein schon von Gerrig/Allbritton (1990) auf die Figurenrezeption angewandtes Konzept, das in der psychologischen Forschung zur Wahrnehmung und Beurteilung (realer) Personen wurzelt. Schneiders Figurentheorie bestätigt so die einleitend geäußerte Vermutung, dass bei der Perspektivenkonstruktion neben Theorien aus dem Umfeld des information processing paradigm auch solche weiterführende Erwägungen aus dem Kontext des mental dispositions paradigm berücksichtigt werden müssen, die der alltagskognitiven Erfassung, Verarbeitung und Beurteilung von Personen zugrundeliegen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die vorausgehenden Überlegungen zu den kognitiven Verarbeitungsformaten des Textund Figurenverstehens die grundsätzliche systemische Koppelung mentaler Figuren- und Perspektivenmodelle nahelegen: Perspektivenrezeption basiert auf Figurenrezeption; Figurenrezeption ist ein wesentlicher Teil der Textrezeption.
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Zur Konstruktion von Perspektiven
Doch obwohl damit der konzeptuelle ‚Ort‘ der Perspektivenverarbeitung lokalisiert ist, ist mit den bisherigen Ausführungen noch keine endgültige Aussage über die relative Bedeutung der Perspektivenkonstruktion innerhalb der Verarbeitungsmechanismen von Text und Figur getätigt. Um zu einer besseren Einschätzung der Bedeutsamkeit dieses Aspekts bei der Textrezeption zu gelangen und die Frage zu beantworten, ob seine Rolle eine eigenständige rezeptionstheoretische Betrachtung rechtfertigt, gilt es über die Mechanismen des information processing paradigm hinauszusehen und die in diesem Kontext ebenfalls relevanten Bereiche der allgemeinen kognitiven Architektur des Menschen zu berücksichtigen. Bevor sich die folgenden Kapitel aus diesem Grund mit der Diskussion entsprechender Theorien aus dem Kontext des mental dispositions paradigm beschäftigen, soll zuvor jedoch die Aufmerksamkeit der prinzipiellen Frage gewidmet werden, welche Domänen des menschlichen Denkens hierbei überhaupt in Frage kommen. Die in diesem Kontext relevante und bisher unkommentierte Prämisse in Schneiders Figurentheorie und anderen Ansätzen aus der Textverstehensforschung besteht in der These, dass die Rezeption literarischer Figuren weitgehend mittels derselben Mechanismen und Prozesse vollzogen wird, mit denen auch „real-life experiences of people“ verarbeitet werden (Culpeper 2001: 10; vgl. Gerrig 2010: 358). Eine solche Annahme steht jedoch in diametralem Gegensatz zur in der Literaturwissenschaft weit verbreiteten Vorstellung von Figuren als ‚paper beings‘ (Barthes), die besonders im Umfeld strukturalistischer und semiotischer Ansätze vertreten wird. Angesichts des offensichtlich ungleichen ontologischen Status und der Unmöglichkeit einer lebensweltlichen Interaktion zwischen Leser und fiktionaler Gestalt betonen solche Theorien traditionell den Unterschied zwischen menschlichen Wesen und Figuren, wobei letztgenannte lediglich als Zeichen(strukturen) betrachtet werden (Eder/Jannidis/Schneider 2010b: 5). Kognitive Ansätze dagegen gehen davon aus, dass fiktive Wesen mentale Repräsentationen darstellen, die trotz ontologischer Differenzen so verarbeitet werden, als ob es sich dabei um reale Personen handeln würde (vgl. Bortolussi/Dixon 2003: 139ff.): […] even though literary characters and real people are ontologically distinct, they are processed in much the same way. In other words, literary characters are processed as if they were real people, and real people are processed in terms analogous to the categories brought to bear on the interpretation of literary characters. (Bortolussi/Dixon 2003: 140)
Akzeptiert man die von Bortolussi/Dixon artikulierte Hypothese so bedeutet dies, dass die Perspektivendiskussion sich genau den kognitiven Mechanismen zuwenden muss, die dem Phänomen der lebensweltlichen Erfassung, Verarbeitung und Beurteilung von Personen zugrundeliegen.
Exkurs
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Doch die dieser Ansicht entgegengesetzte Auffassung von Figuren als dem Menschen grundsätzlich verschiedene Textwesen ist in der Literaturwissenschaft zu weit verbreitet, um einfach ignoriert zu werden; zudem besteht tatsächlich eine Reihe unleugbarer Unterschiede zwischen Personen und Figuren, sodass es geboten scheint die postulierte Affinität zwischen Personen- und Figurenwahrnehmung in einem Exkurs auf ausführlichere Weise zu legitimieren und dergestalt Einwänden gegen die aus Schneiders Modell übernommene Prämisse zu begegnen, die sich im weiteren Verlauf der Arbeit als wichtiger theoretischer Baustein der vorliegenden Theorie erweisen wird. Erst im Anschluss an die Klärung dieses Gesichtspunktes soll daher mit der Untersuchung der kognitiven Mechanismen der Perspektivenkonstruktion fortgefahren werden.
IV.3 Exkurs: Personen- und Figurenwahrnehmung „A character in a novel differs from a historical figure or a figure in real life“, stellen René Wellek und Austin Warren in ihrer einflussreichen Theory of Literature (1966 [1949]: 25) fest. Sie umreißen damit eine figurentheoretische Prämisse, nach der davon ausgegangen wird, dass es sich bei literarischen Figuren primär um Satz- und Textprodukte handelt, denen weder eine Zukunft, eine Vergangenheit noch ein Eigenleben zugeschrieben werden könne (vgl. ebd.).42 Zwar hat sich die Literaturwissenschaft seit Wellek und Warrens Beitrag nicht auf eine bestimmte einheitliche theoretische Konzeption der Figur geeinigt, dennoch kann festgestellt werden, dass die überwiegende Mehrheit strukturalistisch sowie poststrukturalistisch geprägter Ansätze diese bei ihnen formulierte Prämisse teilt (vgl. Jannidis 2004b: 155f.). Figuren als Personen zu verstehen bedeutet nach üblicher Lehrmeinung daher, einen ‚Kategorienfehler‘ zu begehen (Lamarque 1996: 36), denn gleichgültig, ob diese von unterschiedlichen Theorien „als thematisches Zentrum, als Merkmalparadigma oder als Spiel
––––––––––––– 42 Wissenschaftshistorisch ist die Arbeit von Wellek/Warren (1966 [1949]) als Reaktion auf die Literaturkritik der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zu sehen, in der Figuren häufig in unkritischer Weise analog zu realen Menschen behandelt wurden (vgl. Grabes 2008: 125). Solche Ansätze gerieten durch ihr exzessives ‚Psychologisieren‘ sowie ihren dezidiert lebensweltlichen Umgang mit literarischen Figuren ins Schussfeld der Kritik (Bortolussi/ Dixon 2003: 134f.) und bilden den antithetischen Referenzpunkt für Warren und Welleks Definition literarischer Figuren (vgl. 1966 [1949]: 274). Berühmt geworden ist in diesem Diskussionskontext Lionel C. Knights Polemik How Many Children Had Lady Macbeth? (1973 [1933]), die sich scharf gegen einen allzu realistischen Umgang mit Figuren wendet (vgl. dazu Britton 1961 sowie Chatman 1978: 134–145).
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der Codes gedeutet werden, stets wird ihr Status als Textprodukt hervorgehoben“ (Jannidis 2004b: 156).43 Trotz der Dominanz dieser Haltung innerhalb der Literaturtheorie stößt die strikte konzeptuelle Trennung von Figur und Person außerhalb der Literaturwissenschaften jedoch auf wenig Resonanz. Jenseits des Hörsaals und der „kleinen Insel feuilletontauglicher Literatur“ überwiegt, wie Jannidis ironisch konstatiert, stattdessen die „vertrackte Neigung“ des „naiven Lesers“, Literatur und Lebenswelt hartnäckig miteinander in Bezug setzen zu wollen (ebd.). In ähnlicher Weise stellt auch Michael Toolan fest: The fact is, whatever theorists keep telling us, most readers do unshakably continue to apprehend most novel characters as individuals (whether seen dimly or sharply, whether recognizable, comprehensible, lisible or impenetrable, alien, unfathomable), and as those apprehensions are build up, revised, and articulated, all sorts of extra-textual knowledge, including our knowledge of characters in the real world, is brought to bear. (1988: 92)44
Während die übliche Reaktion auf diese Lesehaltung in einer Art literaturwissenschaftlichem Belehrungsreflex besteht, distanziert sich Jannidis von einer solchen Praxis, die die enge Anbindung von Figuren an Personen ausschließlich als zu korrigierende Irrmeinung verwirft (2004b: 156f.). Damit zieht er die Konsequenz aus der Tatsache, dass spätestens seit den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine wachsende Zahl von Literaturwissenschaftlern dazu auffordert, die Tendenz zur lebensweltlichen Interpretation von Figuren gerade wegen ihrer phänomenologischen Persistenz auch theoretisch ernst zu nehmen. Uri Margolin formuliert dies folgendermaßen: Plainly speaking, I suspect that the scholars who expressed the dissatisfaction with the current state of affairs feel, like Wallace Martin, that “our sense that [many] fictional characters are uncannily similar to people is not something to be dismissed or ridiculed, but a crucial feature of narration that requires explanation”. (Margolin 1989: 10; Martin 1986: 120)
Akzeptiert man die hier angelegte grundsätzliche rezeptionstheoretische Vergleichbarkeit von fiktionalen und realen Gestalten, so eröffnet sich eine zusätzliche Dimension der Figurenanalyse, die die Aufmerksamkeit auf die psychologischen und kognitiven Dispositionen des Lesers lenkt, ohne dabei in ein naives vorstrukturalistisches Anthropomorphisieren zu––––––––––––– 43 Für einen ausführlichen theoriegeschichtlichen Überblick über die Aspekte und Formen der literarischen Darstellung von Menschen siehe Koch (1991). 44 Tatsächlich verschwand selbst während der Hochzeiten von Strukturalismus und Poststrukturalismus die enge Anbindung von Figuren an Personen nie vollständig aus der theoretischen Diskussion (z. B. Chatman 1972: 78; vgl. dazu Bortolussi/Dixon 2003: 136f.).
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rückzufallen. Denn auch wenn literarische Figuren aus logischen und ontologischen Gründen offensichtlich nicht mit Personen gleichgesetzt werden können, so sind die Unterschiede in Bezug auf die Wahrnehmung von Figuren und Personen in signifikanter Weise weniger deutlich markiert (vgl. Bortolussi/Dixon 2003: 139). Nicht nur die kognitive Form der Repräsentation und das Speicherformat, sondern auch die Mechanismen und Kriterien der Wahrnehmung sowie der Urteilsbildung in Bezug auf Figuren bzw. Personen demonstrieren nach psychologischen Studien ein inniges Verwandtschaftsverhältnis. Dies zeigt sich zum einen darin, dass die kognitive Verarbeitung von Informationen in beiden Fällen auf demselben Kernmechanismus beruht. Sowohl beim Verstehen literarischer wie auch nicht-literarischer Texte vollzieht sich die kognitive Repräsentation der involvierten Figuren und Personen mittels der Bildung mentaler Modelle. Zeitungsberichte oder Fernsehdokumentationen über Barak Obama, den Dalai Lama bzw. historische Abhandlungen über Winston Churchill oder George Washington führen ebenso zur Neukonstruktion, Elaboration oder Modifikation entsprechender kognitiver Figurenmodelle wie die Lektüre eines fiktionalen Textes.45 Doch die rezeptionsrelevanten Übereinstimmungen erschöpfen sich nicht im Informationsverarbeitungsformat des mentalen Modells. Eine Reihe von Befunden weist zum anderen darauf hin, dass die Einschätzung und Bewertung literarischer Figuren auf kognitive Mechanismen der Sinnerzeugung zurückgreift, die ebenso beim Umgang mit realen Personen zum Tragen kommen, sodass sich auch hier die Grenze zwischen den Kategorien Figur und Person verwischt: If we consider how real people actually perceive and interpret individuals in the world around them, the distinction between real people and literary characters is less apparent. […] Research in the field of social psychology known as ‘people perception’ provides evidence that, from the perspective of human perception, literary characters and real people are processed in terms of similar sense-making strategies. (Bortolussi/Dixon 2003: 139, 141)
––––––––––––– 45 Es ist davon auszugehen, dass die Art der in das Modell eingegliederten Informationen stark von Faktoren wie z. B. der medialen Form des Inputs abhängig ist. So wird z. B. eine Bildreportage zu einer höheren Eingliederung visueller Informationen in die zu konstruierenden Personen- bzw. Figurenmodelle führen als eine reine Textlektüre. Weitere Unterschiede sind von mentalen Modellen zu erwarten, die aufgrund persönlichen Kontakts mit realen Personen konstruiert werden. Dies stellt jedoch keinen grundsätzlichen Einwand gegen die Annahme eines gemeinsamen Repräsentationsformats dar, sondern es kann auch hier die Grundprämisse der Textverstehensforschung angeführt werden, nach der für die Verarbeitung von Literatur und Fiktion prinzipiell keine spezifischen kognitiven Mechanismen angenommen werden (vgl. van Dijk 1979: 151).
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Bereits 1978 weist Herbert Grabes auf die Existenz zahlreicher psychologischer Experimente zur impression formation hin, die sich als unmittelbar relevant für das Verständnis (literarischer) Texte erweisen, da in ihnen Personenvorstellungen bei (realen) Personen untersucht werden, die von Probanden aufgrund textueller Informationen gebildet wurden (vgl. Grabes 1978: 415).46 Ausgehend von diesen Arbeiten (z. B. Anderson/Barrios 1972) gelingt es ihm in seiner lange Zeit wenig beachteten Pionierarbeit die Wirksamkeit bestimmter allgemeinpsychologischer Mechanismen bei der Figurenrezeption am Beispiel des primacy- und recency-effect exemplarisch zu plausibilisieren.47 Auch Gerrig/Allbritton (1990) können in einem ebenfalls grundlegenden Aufsatz anhand psychologischer Forschung veranschaulichen, dass Rezipienten bei der Bildung sowohl von personen- als auch figurenbezogenen Handlungshypothesen auf die selbe Unterscheidung zwischen kategorie- und personenbasierten Persönlichkeitsvorstellungen zurückgreifen (vgl. 384ff.). Ähnliche Befunde, die wichtige Übereinstimmungen bei der Bildung von Personen- und Figurenvorstellungen empirisch stützen, hat ferner die jüngere Forschung, z. B. Rapp et al. (2001) und Gerrig/Rapp (2004), vorgelegt. Hier kann u. a. demonstriert werden, dass die lebensweltliche psychologische Tendenz „[to] rely rather heavily on trait assessments to make behavioral predictions“ (Gerrig/Rapp 2004: 272) auch im Bereich der Literaturrezeption wirksam ist. Dieser Befund ist besonders interessant, da jene Strategie zur Aufstellung von Vorhersagen sich in empirischen Studien (in Bezug auf Personen) als nur mäßig erfolgreich erweist. Im direkten Vergleich mit situationsbasierten Prognosen muss nach Richard Gerrig und David Rapp vielmehr festgestellt werden: „[…] personality psychologists have produced ample evidence that traits do not predict behavior“ (ebd.; meine Herv.).48 Dennoch scheinen Menschen tendenziell nicht nur zu dieser weniger effektiven Art von personenbezogener Inferenzbildung zu neigen, sondern dieses Verhalten unbewusst vom Alltag auch auf die Rezeption (literarischer) Texte auszudehnen (vgl. 273; Rapp et al. 2001).49 ––––––––––––– 46 Zur selben Feststellung gelangen lange nach Grabes (1978) auch Bortolussi/Dixon (2003: 145) bei einer Sichtung psychologischer empirischer Experimente (z. B. Uleman et al. 1996). 47 Primär- und Rezenzeffekte bezeichnen das gedächtnispsychologische Phänomen, nach dem aus einem Fluss von Daten die zuerst und zuletzt eingehenden Informationen vom Gedächtnis bevorzugt behandelt werden. Auf die Figurenrezeption bezogen bedeutet dies beispielsweise, dass der erste Eindruck einer Figur nachhaltige Wirkung auf die weitere Rezeption ausübt (vgl. Zerweck 2002: 222f., Grabes 1978). 48 Siehe dazu z. B. Shoda/Mischel (2000), Cervone/Shoda (1999) und Fiske/Taylor (1991). 49 Gerrig/Rapp (2004) sehen dies als Indikator dafür, „[that] people bring to their experiences of narratives well-practiced processes that derive dispositional explanations for characters’ behavior“ (272), und stellen die Hypothese auf, dass literarische Leseerfahrung dazu beitra-
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Ein unumstößlicher empirischer Nachweis für die (tendenzielle) Übereinstimmung von Personen- und Figurenwahrnehmung ist angesichts der Komplexität der involvierten Prozesse schwierig zu leisten und bisher nicht endgültig erbracht. Aufgrund der skizzierten Befunde kann es jedoch als relativ gesichert gelten, dass die mentale Konstruktion von Figurenvorstellungen nicht nur auf der Interaktion von textuellen Informationen mit den literarischen bzw. nicht-literarischen Weltwissensbeständen des Lesers beruht. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass sich dieses dynamische Zusammenspiel unter Einwirkung psychologischer Prozesse vollzieht, deren Ursprung und primäre Funktion in der kognitiven Verarbeitung und Beurteilung realer Personen zu suchen ist.50 Gleichzeitig ist es wichtig, trotz dieser Sachlage nicht zu vergessen, dass sich die Figurenrezeption in literarischen Texten nicht in der mentalen Repräsentation jener Entitäten und ihrer fiktionalen Psyche erschöpft. Der kognitive Nachvollzug von Figuren als holistischen Repräsentationen fiktionaler Wesen, die mit Hilfe von alltagspsychologischen Verarbeitungsstrategien gebildet werden, beschreibt nur eine Dimension der Figurenbetrachtung: Viewers, readers, listeners or users do not only grasp a character’s corporeality, mind and sociality in the (fictional) world. They are building on those processes to understand the character’s meanings as sign or symbol, and to reflect on the character’s connections to its creators, textual structures, ludic functions, etc. The latter processes diverge from the social perception of real persons, and it would be unusual (to say the least) to think about human beings in those ways. (Eder/ Jannidis/Schneider 2010b: 15)
Figuren weisen, mit anderen Worten, verschiedene Dimensionen auf, die bei einer narratologischen Betrachtung berücksichtigt werden müssen (vgl. Eder 2008).51 Auch wenn ein rezeptionstheoretisch ausgerichteter kognitiver Ansatz sich verständlicherweise primär mit der Ebene des mentalen
––––––––––––– gen könnte „[to] help bolster readers’ expectations about personality consistency“ (273). Bortolussi/Dixon (2003) erklären die Ursache für diese Neigung im notwendigen Prozess des inferenziellen Schließens figurenbezogener Leerstellen (vgl. 152f.), der partiell auch im rapiden Vergessen bzw. Überlesen von (figurenbezogenen) Informationen wurzelt, das charakteristisch für jeden Rezeptionsvorgang ist (vgl. 152f.; Emmott 1997: 63–66). 50 Vgl. Jannidis (2004a), der ebenfalls die Meinung vertritt, dass Figuren eine Reihe basaler Eigenschaften teilen, die aus dem lebensweltlichen Verständnis von Personen abgeleitet sind (185–195). Daneben geht auch Fludernik (1996: 248f.) davon aus, dass die Konzepte „personhood“ und „identity“ als „fundamental presuppositions about the real world“ den konzeptuellen kognitiven Rahmen für die Rezeption von Literatur darstellen. 51 Eder (2008) schlägt in diesem Kontext vor, bei der Figurenanalyse zwischen vier grundsätzlichen Ebenen zu unterscheiden: (1.) die Figur als fiktives Wesen, (2.) die Figur als Symbol, (3.) die Figur als Symptom und (4.) die Figur als ästhetisches Artefakt (vgl. 134ff.; passim).
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Nachvollzugs von Figuren und den Auswirkung der sich dort vollziehenden Vorgänge auf das Textverstehen beschäftigt, dürfen die verschiedenen Facetten fiktiver Wesen in der hier unternommenen Perspektivendiskussion nicht ignoriert werden. Selbst in einer sehr spezifisch ausgerichteten narratologischen Arbeit sollte, anders ausgedrückt, versucht werden, der thematischen und phänomenologischen Vielgestaltigkeit von Literatur Rechnung zu tragen. Die vorliegende Arbeit versucht, dieser Forderung gerecht zu werden, indem die kognitionswissenschaftlich Thesen – auch diejenigen zur Figur – als komplementäre Betrachtungsebene verstanden werden. Dies äußert sich zum einen in der exemplarischen Synthese kognitiver und narratologischer Konzepte zur Bildung eines Modells der Perspektiveninteraktion (vgl. Kapitel V). Zum anderen wird diese Theorie in einer Reihe von Beispielanalysen explizit in unterschiedliche literaturwissenschaftliche Diskussionskontexte integriert und auf diese Weise mit alternativen Betrachtungsebenen (auch auf die Figur) konfrontiert (vgl. Kapitel VI). Dadurch kann einerseits dem Vorwurf einer zu einseitigen Betrachtung des Gegenstandsbereichs exemplarisch entgegengewirkt werden, während andererseits der in Kapitel II gestellten Forderung nach der Anschließbarkeit kognitiver Literaturtheorien an traditionelle Untersuchungsmethoden entsprochen wird. Bevor jedoch die angesprochenen Textanalysen durchgeführt beziehungsweise eine Theorie der Perspektiveninteraktion entwickelt werden kann, soll zunächst, die in diesem Kapitel unternommene Untersuchung der Perspektivenkonstruktion zu Ende zu geführt werden. Dies bedeutet, dass die in den vorausgehenden Kapiteln dargelegten Ausführungen zum Situations- und Figurenmodell durch eine Reihe weiterführender Theorien ergänzt werden müssen. Der verbleibende Teil des Kapitels beschäftigt sich daher mit einer Reihe grundlegender mentaler Dispositionen, die das Rückgrat der kognitiven Auseinandersetzung mit der (sozialen) Umwelt darstellen und die damit nach Schneider/Fludernik (2008) dem mental dispositions paradigm zugeordnet werden können. Bei dieser Untersuchung der Basisoperationen von Figuren- und Personenwahrnehmung (theory of mind, metarepresentation, preference rules) wird sich auf eindrückliche Weise zeigen, dass der Bildung mentaler Perspektivenmodelle tatsächlich eine wichtige Funktion bei der Verarbeitung fiktionaler Texte zukommt.
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IV.4 Basisoperationen der Figuren- und Perspektivenkonstruktion Als Daniel Defoes Robinson Crusoe im fünfzehnten Jahr seines Inseldaseins einen menschlichen Fußabdruck am Sandstrand entdeckt, entfacht dies in ihm einen Wirbelsturm an Gefühlen. „I stood like one thunderstruck“ lässt ihn der Autor aus der Retrospektive berichten und trotz der relativen Kürze der Passage vollzieht hier nicht nur die Handlung einen Wendepunkt, sondern die Szene ist eine der eindrucksvollsten und bekanntesten des Romans (Robinson Crusoe, 129). Zahlreiche Verfilmungen haben versucht, die Dramatik dieses Momentes in Bilder zu bannen, und Defoes Text lässt ebenfalls keinen Zweifel an der Intensität des Schocks aufkommen, den der Protagonist gerade erlebt hat: „[…] terrify’d to the last degree, looking behind me at every two or three steps, mistaking every bush and tree, and fancying every stump at a distance to be a man“ (ebd.) stolpert Robinson zurück in seine Behausung und hinterlässt den Leser mit einer lebhaften Vorstellung seiner ersten panischen Reaktion. Gerade in der psychologischen Dramatik dieser Situation für den Protagonisten liegt die markante und einprägsame Qualität jener literarischen Entdeckung eines Fußabdrucks.52 Nähert man sich auch diesem Roman von der Seite der Textverstehensforschung, so wird aus den vorhergehenden Ausführungen deutlich, dass die Rezeption dieser Szene elementar auf der Bildung mentaler Situations- und Figurenmodelle basiert. Gleichzeitig wird offensichtlich, dass eine vom Rezipienten konstruierte Repräsentation von Strand, Fußabdruck und Robinson noch keine ausreichende rezeptionstheoretische Erklärung für die von (vielen) Lesern empfundene Dramatik des bezeichneten Moments darstellt. Die Schwierigkeit, das beim Lesen phänomenologisch unproblematische Nachempfinden von Robinsons Entsetzen im Sinne des discourse processing zu erfassen, liegt unter anderem in der damit einhergehenden inhaltlichen und emotionalen Aufladung der textuellen und inferierten Informationen. Allgemeine Modelle der Informationsverarbeitung weisen jedoch tendenziell Schwierigkeiten auf, Aspekte des semantischen Gehalts oder des gefühlsbezogenen Gewichts einer Information adäquat innerhalb ihres theoretischen Rahmens zu berücksichtigen. Dementsprechend ist auch das bisher skizzierte Konzept mentaler Figu-
––––––––––––– 52 Der Roman wurde mehrfach verfilmt, wobei die Nähe zu Defoes Text stark variiert. Für einen Überblick über die zahlreichen Verfilmungen und Bearbeitungen des Stoffes siehe die Internet Movie Database unter [http://www.imdb.com/find?s=all&q=robinson+crusoe].
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renmodelle nur unzureichend geeignet, den speziellen Akt der semantischen und emotionalen Bewertung von Informationen und Inferenzen beim Nachvollzug einer Figurenperspektive zufriedenstellend zu beschreiben. Als Beispiel hierfür kann der Bereich empathischer Leseemotionen dienen. Diese werden zwar in Schneiders Figurentheorie berücksichtigt (vgl. 2000: 106ff.), in seinem Modell jedoch als Teil der Rezeptionsemotionen in den Informationsbeständen des Rezipienten situiert und damit parallel zum sozialen, kulturellen und literarischen Wissen desselben gestellt (vgl. Schneider 2000: 170). Die Nebeneinanderordnung ist im Kontext von Schneiders Arbeit aus Gründen der Übersichtlichkeit sinnvoll; sie suggeriert jedoch eine Affinität der Kognitionsbereiche ‚Wissen‘ und ‚Empathie‘, die mit einer (älteren) kognitionswissenschaftlichen Vorstellung korrespondiert, nach der das Gehirn als ein general-purpose problem solver zu verstehen ist (vgl. Newell/Simon 1972; Piaget 1971). Diese Auffassung ist jedoch deutlich schwerer mit aktuelleren Forschungsergebnissen zu vereinbaren, die die Bedeutung der individuellen Charakteristika spezifischer Kognitionsbereiche und Hirnareale betonen. Während der „general purpose view of the brain“ daher zunehmend als inadäquat bewerten wird (Karmiloff-Smith 1999: 559), gehen viele Wissenschaftler mittlerweile davon aus, dass sich die Verstehens- und Inferenzbildungsprozesse in verschiedenen Bereichen deutlich voneinander unterscheiden. Nimmt man an, dass das Gehirn eine Art Zentralprozessor darstellt, an den alle Rechenprozesse in gleicher Weise herangetragen werden, so müssten alle mentalen Prozesse, z. B. Inferenzen, bei steigender Komplexität mit einem proportional steigenden kognitiven Verarbeitungsaufwand einhergehen. Dies scheint jedoch in dieser einfachen, linearen Beziehung nicht der Fall zu sein, wie insbesondere am Beispiel von Patienten mit Hirnverletzungen oder pathologischen Störungen, z. B. Autismus, deutlich wird (vgl. Baron-Cohen 1995; Frith 2001). In solchen Fällen kommt es immer wieder zu einem erstaunlichen Nebeneinander von hohen und massiv eingeschränkten kognitiven Leistungen. Ein noch wichtigeres Indiz ist die kognitive Entwicklung von Kindern, die sich in verschiedenen markanten Phasen vollzieht; dies legt nahe, dass die kognitive Architektur des Menschen in spezifische und z. T. voneinander unabhängige Module organisiert ist, die in unterschiedlichen Abschnitten der Kindheitsentwicklung (aus)gebildet werden und z. T. bestimmten Hirnregionen zugeordnet werden können (vgl. Sodian 2007): [W]ork in cognitive science, particularly in developmental psychology, suggests the existence of a wide range of innate human assumptions and learning strategies that are both universal and strongly domain-specific. These findings are mo-
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tivating a move away from viewing the mind as a general-purpose processor […] toward a view of the mind as a ‘Swiss Army knife’: a bundle of semi-independent ‘modules’ with proprietary and dedicated functions […]. (Slingerland 2008: 119)53
Trotz ihrer großen Anhängerschaft ist die modulare Organisation von Geist und Gehirn, insbesondere ihr Ausmaß und ihre tatsächliche Rolle bei mentalen Erkrankungen, in der Fachwelt jedoch umstritten (vgl. Barrett/Kurzban 2006; Buller 2005: 127–200; Fodor 2000).54 Da eine einfache Rückkehr zum general-purpose model allerdings ebenfalls nicht mehr möglich oder erstrebenswert scheint, liegt die attraktivste Alternative in einer Kombination beider Mechanismen (vgl. Slingerland 2008: 183). Auf der Basis eines solchen Kompromisses ist es möglich, spezifische Dispositionen weiterhin gesondert und heuristisch als solche zu untersuchen, ohne sich in die Aporien eines strikt modularen Ansatzes zu verstricken. Dies betrifft insbesondere ein Phänomen, das seit Ende der siebziger Jahre zum Gegenstand einer wahren Flut von Untersuchungen avanciert ist und schon aus diesem Grund eine eigenständige Betrachtung rechtfertigt. Gemeint ist „die Fähigkeit bzw. [der] Versuch eines Individuums, sich in andere hineinzuversetzen, um deren Wahrnehmungen, Gedanken und Absichten zu verstehen“ (Förstl 2007b: 4). Diese in der wissenschaftlichen Diskussion häufig mit dem Begriff der theory of mind (ToM) bezeichnete Fähigkeit kann nicht ohne weiteres mit anderen Verstehensprozessen gleichgesetzt oder unter diese subsumiert werden. Sie soll daher im Folgenden genauer betrachtet werden. ‚Theory of Mind‘ „Does the chimpanzee have a theory of mind?“, fragen die Primatologen David Premack und John Woodruff in ihrem gleichnamigen Aufsatz (1978) und läuten damit die jüngste Phase des wissenschaftlichen Nachdenkens über die Fähigkeit, „[sich] selbst und anderen mentale Zustände zuzuschreiben“, ein (Sodian 2007: 44). Die Frage der Primatologen, die
––––––––––––– 53 Zur Swiss-Army-knife Metapher des Geistes vgl. Cosmides/Tooby (1994: 60). Zur Modularität des Geistes siehe auch Fodor (1989), Cosmides/Tooby (1994, 1995), Karmiloff-Smith (1999), Barrett/Kurzban (2006) und Carruthers (2006). 54 Zu den Problemen eines strikt modularen Ansatzes gehört u. a. die exakte Lokalisierung der propagierten Module im Gehirn und die genaue Bestimmung ihrer Funktion (vgl. Uttal 2001). Noch grundlegender geht es im sog. binding problem um die bisher vollständig ungelöste Frage, wie die Interaktion dieser Module koordiniert wird bzw. auf welche Weise sich die Integration dieser Komponenten zur phänomenologischen Einheit kognitiver Prozesse, z. B. der Wahrnehmung, vollzieht (vgl. dazu Fodor 2006; Dietrich 2007: 68ff.).
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seitdem unter den Begriffen theory of mind (ToM), mindreading oder mentalizing diskutiert wird,55 hat dazu geführt, dass Psychologen heute verstärkt darüber nachdenken, „what it is to possess a conception of the mind of another creature“ (Carruthers/Smith 1996b: 1). Auch wenn die Frage zunächst banal zu sein scheint, so wird bei genauem Hinsehen schnell deutlich, dass es sich bei mindreading um eine fundamentale soziale Fertigkeit und einen hochkomplexen kognitiven Prozess handeln muss: People attribute to self and others a host of mental states, ranging from beliefs and aspirations to headaches, disappointments, and fits of anger. Other creatures undoubtedly have pains, expectations, and emotions. But having a mental state and representing another individual as having such a state are entirely different matters. The latter activity, mentalizing or mindreading, is a second-order activity: It is mind thinking about minds. It is the activity of conceptualizing other creatures (and oneself) as loci of mental life. (Goldman 2006: 3)56
Evolutionspsychologen spekulieren, dass die Entwicklung dieser Fähigkeiten eine adaptive Anpassungsstrategie an komplexer werdende Sozialstrukturen in der frühmenschlichen Entwicklungsgeschichte darstellt (vgl. Brüne 2007). Dabei vermuten sie, dass „attributing mental states to a complex system (such as human being) is by far the easiest way of understanding it“ (Baron-Cohen 1995: 21), und postulieren in diesem Kontext zwei evolutionäre Vorteile, die die Adaption des mindreading ihrer Meinung nach mit sich führt: „First, reading another person’s mind can help one anticipate that person’s future behavior. Second, knowing how to induce false belief in the other can advance one’s self-interest.“ (Goldman 2006: 217) Weniger spekulative Indizien für die Existenz einer theory of mind finden sich ferner in der großen Zahl von Arbeiten zur kognitiven Entwicklung von (Klein)Kindern (vgl. Gopnik 1999; Sodian 2007). Wegbereitend war hier insbesondere die Entwicklung der sog. false-belief task (Wimmer/
––––––––––––– 55 Diese Begriffe werden im Folgenden als synonym und austauschbar verwendet. 56 Zu theory of mind siehe Gopnik (1999), Benz-Schwarzburg et al. (2008) sowie die Beiträge in Förstl (2007a). Zur weiterführenden Diskussion sei ferner verwiesen auf Goldman (2006: 5– 22), Carruthers/Smith (1996b), Stueber (2006: 5–19), Nichols/Stich (2003) und Chenari (2009). Erwähnt sei ferner, dass die Theorie sich mit einer Reihe von Konzepten überschneidet, zu denen laut Förstl ‚Empathie‘, ‚Mimesis‘, ‚Hermeneutik‘, ‚Soziale Intelligenz‘ und ‚Alltagspsychologie‘ (folk psychology) zählen (vgl. 2007b: 4f.). Ergänzend dazu kann die Diskussion von Spiegelneuronen (Rizzolatti/Sinigaglia 2008), der attribution theory (Bortolussi/Dixon 2003: 142–146), der Machiavellian intelligence hypothesis (Whiten 1999), Dennetts (1987) Konzept der intentional stance und Mausfelds Bedeutungskategorie ‚Meinesgleichen‘ (2005) genannt werden. Eine Diskussion der Beziehung zwischen diesen Theorien würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen; vgl. dazu die Beitäge der erwähnten Autoren.
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Perner 1983), die noch heute eine entscheidende Komponente bei der empirischen Untersuchung von ToM darstellt: The original false-belief task involved a character, Maxi, who places some chocolate in a particular location and then leaves the room; in his absence the chocolate is then moved to another location. The child is then asked where Maxi will look for the chocolate on his return. In order to succeed in this task, the child must understand that Maxi still thinks that the chocolate is where he left it – the child must understand that Maxi has a false belief, in fact. (Carruthers/Smith 1996b: 2)
Um den Test erfolgreich abzuschließen bedarf das Kind der Fähigkeit, konzeptuell zwischen seiner eigenen Wahrnehmung der (realen) Situation und der ‚falschen‘ Überzeugung von Maxi zu differenzieren. Es muss, mit anderen Worten, nicht nur in der Lage sein, den tatsächlichen Sachverhalt, sondern auch „Maxi’s representation of the world“ mental zu repräsentieren (ebd.). Auf der Basis dieser Versuchsanordnung wurde eine Vielzahl empirischer Studien durchgeführt (vgl. Wellmann et al. 2001), die darauf hindeuten, dass sich die Ausbildung einer theory of mind in einem begrenzten Entwicklungszeitraum vollzieht. Es gilt mittlerweile als relativ gesichert, dass Kinder „im Altersbereich zwischen etwa drei und vier Jahren […] das Konzept der Überzeugung (belief)“ erwerben, womit die Fähigkeit einhergeht, „mentale Zustände unabhängig von der Realität zu repräsentieren und Handlungsvorhersagen aus Zuschreibungen mentaler Zustände abzuleiten“ (Sodian 2007: 54).57 Während die neurologische Basis der theory of mind mittels bildgebender Verfahren bisher nur ansatzweise lokalisiert werden konnte (vgl. Frith/Frith 2006; Sodian 2007: 49f.; Wübben 2009: 35), stellt die Untersuchung psychopathologischer Störungen (z. B. Autismus) ein weiteres produktives Hauptgebiet der theory of mind-Forschung dar.58 Hier wurde u. a. die äußerst einflussreiche These aufgestellt, dass das Krankheitsbild des Autismus auf ein Fehlen oder eine Fehlfunktion der Fähigkeit des mindreading zurückzuführen sei (vgl. Baron-Cohen 1995). Diese Meinung vertretend urteilt z. B. Uta Frith (2001: 969), „[that] the inability to attribute mental states, such as desires and beliefs, to self and others (mentalizing) explains the social and communication impairments of individuals with autism.“59 Auch wenn dieser monokausale Erklärungsansatz inzwischen von vielen Stimmen skeptisch beurteilt wird (vgl. Dose 2007; Belmonte 2008: ––––––––––––– 57 Zur Kritik der Aussagekraft von false-belief tasks sowie einer modularen Vorstellung der theory of mind vgl. Belmonte (2008). 58 Für einen Überblick über verschiedene mit mindreading-Defiziten assoziierte psychopathologische Störungen siehe die Beiträge im Sammelband von Förstl (2007a). 59 Einführend zum Autismus siehe Baron-Cohen (2008) und Frith (1999).
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196ff.; Wübben 2009: 36f.),60 so hat sich bestätigt, dass Autismus und andere psychopathologische Störungen mit theory of mind-Defiziten zumindest einhergehen. Obgleich damit wahrscheinlich nicht die (alleinige) Ursache für jene Krankheiten bezeichnet ist, so hat die intensive Diskussion dieser Fragestellung dennoch zu einer plastischen Illustration der grundlegenden Bedeutung einer ‚funktionierenden‘ theory of mind für die gesunde Alltagskognition und deren Entwicklung geführt: […] severe deficiencies in our ability to read others’ minds such as is exemplified in autism not only diminish our ability to pursue our individual interests in a social context; they also have been shown to be associated with fundamental restrictions in our ability to form basic social bonds and to be initiated into social practices such as the speaking of a common language. (Stueber 2006: 1f.)
Vergegenwärtigt man sich die hier umrissene Bedeutung der theory of mind für die menschliche Kognition, so kann nicht überraschen, dass beträchtliche wissenschaftliche (und philosophische) Energie darauf verwendet worden ist, die Funktionsweisen von ToM im Detail zu erhellen. Dabei haben sich verschiedene miteinander konkurrierende Ansätze entwickelt. Dazu zählen insbesondere die sog. simulation theory und die theory theory, die auf grundverschiedenen kognitiven Vorstellungen aufgebaut sind: Während nach der älteren theory theory „ein theorieähnliches System begrifflichen Wissens […] unsere alltagspsychologischen Interpretationen eigenen und fremden Verhaltens“ leitet, geht die Simulationstheorie davon aus, dass solche Interpretationen nicht auf begriffsähnlichen Konstruktionen, sondern auf einem mentalen Akt der Simulation bzw. der Selbstprojektion beruhen (Sodian 2007: 51).61 In der Literaturwissenschaft hat insbesondere Lisa Zunshine (2006) die Aufmerksamkeit auf das Phänomen der Theory of Mind gelenkt und sich dabei einer theory theory-Version des mindreading bedient.62 Ferner haben verschiedene Autoren bei ihrer Diskussion von Emotionen Anleihen beim Konzept der simulation theory vorgenommen.63 Jedoch unabhängig davon, ––––––––––––– 60 Vgl. z. B. Roths (2007) Arbeit über kreatives und imaginatives Verhalten bei Autisten. 61 Die theory theory postuliert, mit anderen Worten, die Existenz eines kognitiv verankerten „body of lawlike generalizations, with propositional attitudes, especially beliefs and desires“ (Gordon 1999: 765). Die simulation theory dagegen behauptet, „[that] human beings are able to use the resources of their own minds to simulate the psychological etiology of the behavior of others, typically by making decisions within a ‚pretend‘ context. A common method is role-taking or ‚putting oneself in the other’s context‘“ (ebd.). 62 Zum Phänomen des mindreading aus Sicht der Literaturwissenschaft siehe außerdem Palmer (2004: 143–147), Zunshine (2008), Wübben (2009), Mansour (2009), Jannidis (2009a), Vermeule (2010) sowie den Sammelband von Leverage et al. (2010). 63 Vgl. z. B. Currie (1997), Oatley (1995) sowie Walton (1997) und Feagin (1997), die im Konzept der mentalen Simulation den Schlüssel zum Verhältnis von Kunst und Emotion sehen.
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welches der Erklärungsparadigmen im Detail angesetzt wird, legen beide Ansätze nahe, dass das Zuschreiben und Nachvollziehen von mental states generell eine entscheidende Rolle bei der mentalen Konstruktion von Figurenmodellen und Figurenperspektiven einnimmt. Besonders deutlich wird dies bei literarischen Texten wie Hemingways „The Killers“ (1927), in denen interne Fokalisation, d. h. ein direkter Einblick in die Gedanken und Emotionen der involvierten Figuren, vollständig vermieden wird (vgl. Rimmon-Kenan 1983: 81). Die Konsequenz dieser Darstellungsstrategie besteht jedoch nicht – wie zunächst naheliegend – in einem Verzicht der mentalen Konstruktion des Innenlebens jener Figuren; vielmehr akzentuiert die fehlende Darstellung zum einen eben dieses Fehlen von Beschreibung auf deutliche Weise und führt zum anderen dazu, dass die mentale Konstruktion des Innenlebens der Figuren auf Basis der theory of mind umso intensiver angeregt wird (vgl. Margolin 2003: 284).64 Doch auch erzählerisch deutlich konventionellere Szenen wie die oben erwähnte Romanpassage aus Robinson Crusoe verdeutlichen, dass es für ein adäquates Modell der Figurenrezeption notwendig ist, neben den Prozessen der Textverarbeitung die mentale Disposition der theory of mind konzeptuell zu integrieren.65 Dies soll im Folgenden an einem weiteren literarischen Beispiel ausführlicher illustriert werden. Dazu muss zunächst jedoch noch ein weiteres kognitionswissenschaftliches Konzept vorgestellt werden. Metarepräsentation In den vorhergehenden Ausführungen wurde mindreading als die Fähigkeit des Individuums begriffen, anderen mentale Zustände zuzuschreiben. Ein solches Zuschreiben, z. B. in der Form x glaubt, dass y Kaffee trinken möchte, ist unter anderem dadurch markiert, dass es sich dabei nicht um eine direkte mentale Repräsentation jenes Wunsches handelt. Man hat es vielmehr mit einer Art Repräsentation zweiter Ordnung, einer „representation of a representation“ (Zunshine 2006: 47) zu tun. Die Fähigkeit der theory of mind setzt damit die mentale Disposition voraus, mentale Repräsentatio-
––––––––––––– 64 Zur narratologischen Diskussion von Hemingways „The Killers“ (1927) siehe u. a. Chatman (1990: 115f., 119–123), Lanser (1981: 264–276) und Fowler (1977: 48–55). 65 Siehe Belmonte (2008) für eine Kritik an einer solchen Übertragung des ToM-Konzepts im Sinne einer nicht näher differenzierten „general agency“ von der Kognitions- in die Literaturwissenschaft.
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nen als eigenständige ‚Objekte‘ erkennen und verarbeiten zu können. Dazu Sperber (2000b: 3): „Representations, whether mental or public, are themselves objects in the world; they are found inside cognizers and in the vicinity of communicators; they are potential objects of second-order representations or ‚metarepresentations‘.“66 Grundsätzlich besteht eine Metarepräsentation damit strukturell aus zwei Komponenten: der eigentlichen Repräsentation (z. B. der Beobachtung ‚das Wasser kocht‘) und der Einbettung dieser Repräsentation in eine oder mehrere Metaebenen (wie z. B. in der Aussage ‚Tom denkt, dass das Wasser kocht‘): By a ‘metarepresentation’, is meant a representation whose content includes: (1) a first-order representation, such as ‘it is raining’ and (2) the representation of an epistemic or a conative attitude directed at that content, such as, ‘I believe (I perceive, I regret) that it is raining.’ (Proust 2007: 273)
Der Begriff der Metarepräsentation bezeichnet somit eine basale Form des hierarchischen Ineinanderfügens von Aussagen oder Gedanken, die nicht nur die kognitive Vorrausetzung für ToM darstellt, sondern u. a. als Bedingung der Möglichkeit von Intelligenz oder Selbstbewusstsein gehandelt wird (vgl. Sperber 1999, 2000b: 6).67 Wie das Konzept der theory of mind hat auch die Metarepräsentation mittlerweile Einzug in die Literaturwissenschaft gehalten. Wieder ist es Lisa Zunshine (2006), die, inspiriert von Cosmides/Tooby (2000), den Gedanken der Metarepräsentation aufgreift und ihn unter der einleitenden Kapitelüberschrift „Whose Thought Is It, Anyway“ mit der Fähigkeit des mindreading verknüpft (vgl. 47–54; passim). Gemäß ihrer Leitfrage konzentriert Zunshine sich dabei auf das Verhältnis von ‚Inhalt‘ und ‚Informationsquelle‘. Ihr Konzept der Metarepräsentation wird auf diese Weise auf die Beziehung zwischen Information und Informationsquelle fokussiert. Es geht ihr, mit anderen Worten, um die Fähigkeit, den Ursprung von Datenstrukturen mental zu berücksichtigen, d. h. eine Repräsentation erster Ordnung gewissermaßen mit einer Herkunftsangabe zu versehen bzw. sie ––––––––––––– 66 Der Begriff der Metarepräsentation beschränkt sich nach diesem Verständnis nicht nur auf theory of mind-ähnliche Phänomene, d. h. mentale Repräsentationen von mentalen Repräsentationen, sondern umfasst auch die Repräsentation von Aussagen oder von Aussagen über mentale Repräsentationen. Dazu gehören „Mental representations of mental representations (e. g., the thought ‚John believes that it will rain‘), mental representations of public representations (e. g., the thought ‚John said that it will rain‘), public representations of mental representations (e. g., the utterance ‚John believes that it will rain‘), and public representations of public representations (e. g., the utterance ‚John said that it will rain‘).“ (Sperber 2000b: 3) 67 An welchen kognitiven Prozessen Metarepräsentationen tatsächlich beteiligt sind und in welcher Form dies geschieht ist (wie bei ToM) allerdings umstritten. Zur Theorie siehe ferner u. a. Zunshine (2006: 47–54), Sperber (2000a), Wildgen/Heusden (2009) und Proust (2007).
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zu ‚metarepräsentieren‘ (vgl. 47; passim). Der ‚meta‘-Aspekt der Repräsentation reduziert sich bei Zunshine auf diese Weise auf ein „little ‚tag‘ that specifies the source of the information“ (50). Wie die Beiträge in Sperber (2000a) demonstrieren ist ein solches Begriffsverständnis leicht verkürzt, scheint an dieser Stelle jedoch sinnvoll. So erschöpft sich der mentale Akt des Zuschreibens von Aussagen, Gedanken oder Emotionen zwar nicht im Zuordnen derselben zu einer Informationsquelle; dennoch kann mit Zunshine festgehalten werden, dass die mentale Verknüpfung von Repräsentationen und ihren Quellen eine überaus wichtige kognitive Informationsverarbeitungsstrategie darstellt und daher eine eigenständige Betrachtung rechtfertigt (vgl. Cosmides/ Tooby 2000).68 Die Bedeutung derselben für die Figuren- und Perspektivenkonstruktion sowie eine Reihe daran anschließender Phänomene lässt sich eindrücklich anhand einer Szene aus Brontës Roman Wuthering Heights [1847] veranschaulichen. Wie bei den vorherigen Textbeispielen soll auch hier keine erschöpfende literaturwissenschaftliche Interpretation angestrebt, sondern eine analytische Darlegung relevanter Mechanismen der Textrezeption vorgenommen werden. Ebenen der Metarepräsentation: Brontës Wuthering Heights (1847) Zunächst zum Kontext der Szene: In den ersten Kapiteln von Charlotte Brontës Wuthering Heights wird der homodiegetische Rahmenerzähler Mr. Lockwood von einem Schneesturm überrascht und dazu gezwungen, die Nacht auf Wuthering Heights zu verbringen – einem dreihundert Jahre ––––––––––––– 68 Zur Diskussion der Funktion von source tags siehe Zunshine (2006: 48ff.) sowie Cosmides/ Tooby (2000): „Source tags are very useful, because often, with contingent information, one may not have direct evidence about its truth, but may acquire information about the reliability of a source. If the sources of pieces of information are maintained with the information, then subsequent information about the source can be used to change the assigned truthstatus of the information […].“ (69) Angesichts der „massively inferential architecture“ der menschlichen Kognition, bei der jede Inferenz als Basis neuer Inferenzen dienen kann (ebd.), ist das Aufrechterhalten solcher tags allerdings mit hohem kognitivem Aufwand verbunden. Aufgrund begrenzter Kapazitäten muss daher davon ausgegangen werden, dass source-tags sowohl verloren gehen als auch gelöscht werden können, wobei dieses Löschen einen Mechanismus der Effizienzsteigerung darstellt. Auf diese Weise wird die Aktivierung und Repräsentation gut bestätigten Wissens nicht durch unnötige Zusatzinformationen belastet und verlangsamt (cf. 70). Es ist ferner davon auszugehen, dass dieser variable Umgang mit source tags im Rezeptionsprozess von literarischen Texten antizipiert und produktiv genutzt wird. Durch verschiedene Strategien der Informationsvergabe können tags z. B. als relevant markiert werden; aber auch ihr Verlorengehen kann effektiv genutzt werden, z. B. um den Leser in die Irre zu führen oder (vorübergehend) im Dunkeln tappen zu lassen.
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alten Anwesen, das sich im Besitz des enigmatischen und unfreundlichen Mr. Heathcliff befindet. Hier wird er von der Haushälterin heimlich in einem Zimmer untergebracht, das Heathcliff eigentlich Fremden gegenüber verschlossen hält. Beim Zubettgehen entdeckt Lockwood das fünfundzwanzig Jahre alte Tagebuch einer gewissen Catherine Earnshaw, welches er zu lesen beginnt, nicht ohne vorher bemerkt zu haben, dass die Namen Catherine Earnshaw, Catherine Heathcliff und Catherine Linton in vielfacher Wiederholung in den Fenstersims beim Bett gekratzt sind. Unter dem Eindruck der Namen und des Gelesenen fällt er wenig später in einen unruhigen und von Albträumen geplagten Schlaf, in dem ihm der Geist eines jungen Mädchens erscheint; dieses versucht, durch das zerbrochene Fenster herein in den Raum zu gelangen, und ergreift ihn dabei mit eiskalter Hand am Arm: The intense horror of nightmare came over me; I tried to draw back my arm, but the hand clung to it, and a most melancholy voice sobbed – ‘Let me in – let me in!’ ‘Who are you?’ I asked, struggling meanwhile to disengage myself. ‘Catherine Linton,’ it replied, shiveringly (why did I think of Linton? I had read Earnshaw twenty times for Linton). ‘I’m come home, I’d lost my way on the moor!’ As it spoke, I discerned, obscurely, a child’s face looking through the window. Terror made me cruel; and, finding it useless to attempt shaking the creature off, I pulled its wrist on to the broken pane, and rubbed it to and fro till the blood ran down and soaked the bed-clothes: still it wailed, ‘Let me in!’ and maintained its tenacious grip, almost maddening me with fear. ‘How can I?’ I said at length. ‘Let me go, if you want me to let you in!’ The fingers relaxed, I snatched mine through the hole, hurriedly piled the books up in a pyramid against it, and stopped my ears to exclude the lamentable prayer. (Wuthering Heights: 20)
Ähnlich wie beim vorhergehenden Beispiel aus Robinson Crusoe zeichnen sich auch diese Zeilen durch eine hohe emotionale Dramatik sowie die rezeptionstheoretische Notwendigkeit, eine Reihe verschiedener personenbezogener Inferenzen zu bilden, aus. Neben diesen Aspekten ist es jedoch insbesondere die gegenüber der Szene aus Defoes Roman erhöhte Komplexität der Informationsvergabe, die die obenstehende Passage zu einem geeigneten Beispiel für die Illustration metarepräsentationaler Aspekte macht. Dies liegt primär darin begründet, dass es sich bei den geschilderten Ereignissen, inklusive der darin vorkommenden Figuren und deren Gedanken, nicht nur um die Darstellung vergangener Begebenheiten, sondern zudem um die Wiedergabe einer Traumsequenz handelt. Die darin erzählten Inhalte befinden sich somit auf einer gesonderten Erzählebene, die in die retrospektive Darstellung der Rahmenhandlung eingebettet ist. Tatsächlich stellt sich heraus, dass in der Szene mindestens fünf Repräsentationsebenen kognitiv voneinander unterschieden werden müssen, um den Text in seiner gesamten Komplexität erfassen zu können. Die Passage erweist sich als exemplarische Ineinanderschachtelung mehrerer metare-
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präsentationaler Schichten, deren Struktur folgendermaßen konzeptualisiert werden kann: [(EBENE 1:) Der Roman(text) verlautet, dass [(EBENE 2:) Lookwood erzählt, [(EBENE 3:) dass er träumte, [(EBENE 4:) dass er dem Geist Catherines begegnet, [(EBENE 5:) welcher zu ihm ins Haus möchte]]]].]
Betrachtet man die vorgenommene heuristische Einteilung im Einzelnen, so soll die Kennzeichnung der äußersten Rahmenebene (EBENE 1) darauf verweisen, dass es sich bei den repräsentierten Ereignissen um fiktionale Romanbegebenheiten handelt. Diese Information (die auch als source tag konzeptualisiert werden kann, das den mental repräsentierten Inhalten angehängt wird; vgl. Cosmides/Tooby 2000; Zunshine 2006) ist unverzichtbar für die Rezeption der Textpassage; denn ohne das dadurch vorgenommene ontologische decoupling der mental zu verarbeitenden Informationen würden diese als ‚reale‘ Begebenheiten mental repräsentiert und abgespeichert (Cosmides/Tooby 2000: 91).69 Die Bedeutung dieser mentalen Kennzeichnung wird auch von Gerrig/Rapp (2004: 267ff.) bestätigt, nach deren Meinung fiktionale Inhalte generell durch kognitive Mechanismen und Markierungen davon abgehalten werden müssen direkt in nichtfiktionale Wissensbestände integriert zu werden. Sie stellen in diesem Kontext die aus der Sozialpsychologie inspirierte These der „willing construction of disbelief“ (ebd.) auf, die in direktem Kontrast zu Coleridges „willing suspension of disbelief“ (Coleridge 1967 [1817]: 6) steht.70 Innerhalb dieser äußersten Markierung indiziert die als (EBENE 2) gekennzeichnete Klammer, dass alle Informationen ferner dem Erzähler Lockwood zugewiesen bzw. mit dem entsprechenden source tag versehen werden müssen. Damit wird der Erzählung konzeptuell die figurale Perspektive Lookwoods als Rahmen gesetzt, durch den die Ereignisse wahrgenommen, gefiltert und geschildert werden. Der Übergang von (EBENE 2) auf (EBENE 3) macht ferner darauf aufmerksam, dass die Figur Lockwoods nicht als absolute Einheit zu konzipieren ist, sondern sich in
––––––––––––– 69 Unter decoupling wird die Loslösung metarepräsentationaler Propositionen von den als ‚gültig‘ oder ‚wahr‘ repräsentierten Wissensstrukturen des semantischen Gedächtnisses verstanden: „By virtue of being in an M-Representation, a proposition is ‚decoupled‘ from semantic memory. That is, it is not stored as ‚true‘.“ (Cosmides/Tooby 2000: 76) 70 Gerrig/Rapp (2004) vertreten die Ansicht, dass Prozesse des Textverstehens bzw. Nachvollziehens mit einer psychologischen Tendenz zur Akzeptanz des Gelesenen einhergehen und stellen die These auf, „[that] people must engage in effortful processing to disbelieve the information they encounter in literary narratives (as well as other types of narratives); otherwise, that information will have an impact in the real world“ (2004: 268). Zu Coleridges Ausspruch siehe dagegen Cuddon (1991: 1044) oder Carroll (1990: 64ff.).
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ein erzählendes Ich und ein erlebendes Ich aufspaltet.71 Beide sind zwar durch die Annahme eines continuing consciousness (Palmer 2004) miteinander verbunden, können allerdings nicht als vollkommen identisch begriffen werden.72 Im vorliegenden Beispiel wird dies besonders deutlich, da sich das erlebende Ich nochmals ausdifferenziert. Während es sich in der retrospektiven Rahmenerzählung (EBENE 3) primär in Bezug auf Zeitpunkt und Informationsstand vom erzählenden Ich (EBENE 2) unterscheidet, ist das erlebende Ich der zitierten Passage zudem durch einen deutlich veränderten Bewusstseinszustand gekennzeichnet; es handelt sich damit gewissermaßen ein ‚träumendes‘ Ich (EBENE 4). Wie explizit der Text diese Veränderung markiert, zeigt die Parenthese „(why did I think of Linton? I had read Earnshaw twenty times for Linton)“ (Wuthering Heights, 20). Dieser Einschub zeigt den Rahmenerzähler (EBENE 2), der innerhalb seiner Erzählung (EBENE 3) versucht, die erlebten Traumbilder (EBENE 4) bewusst als solche retrospektiv zu deuten, wobei er gleichzeitig indirekt die Aufmerksamkeit auf die ontologische und psychologische Differenz der geträumten Inhalte und Figuren lenkt. Die der Traumsequenz zugeschriebenen Repräsentationen implizieren damit einen weiteren Akt des decoupling, wobei dieses Mal das Geträumte von der ‚Realität‘ der Romanwelt entkoppelt werden muss. Diese Entkoppelung hat wie bereits zuvor massive Auswirkungen auf die Bildung von Inferenzen und geht mit der Veränderung zahlreicher semantischer und kontextueller Annahmen einher. So kommt es z. B. weder Lockwoods Traum-Ich noch dem Rezipienten in den Sinn, über die Verletzung physikalischer Gesetze nachzudenken, die ein vor dem Fenster schwebendes Kind darstellt.73 Während eine solche Begebenheit außerhalb des Traumes höchstwahrscheinlich die Aktivierung eines Erklärungsversuches, z. B. eine Revision des Textgenres, zur Folge hätte, werden schwebende Kinder innerhalb einer Traumwelt weit selbstverständlicher akzeptiert.74 Der Rezipient wird folglich nicht zur Veränderung bestehender mentaler Modelle gezwungen, sondern aktiviert in Bezug auf die Traumse-
––––––––––––– 71 Zur Diskussion dieser Begriffe siehe z. B. Basseler/Birke (2005: 134ff.). 72 Zum Konzept des continuing consciousness ausführlicher im weiteren Verlauf des Kapitels. 73 Auch das Schweben des Kindes stellt letztendlich eine Inferenz ausgehend vom Situationsmodell der Szene dar, welches u. a. auf der textuellen Information gründet, dass sich das Zimmer „upstairs“, also zumindest im ersten Stock, befindet (vgl. Wuthering Heights, 15). 74 Für mögliche Revisionen bieten sich insbesondere diejenigen Ebenen der Metarepräsentation an, in die die Traumsequenz eingebettet ist. Denkbar wäre z. B. eine Modifikation des Textgenres in Richtung des phantastischen Romans (EBENE 1), das Hinterfragen der Person, Motivation oder ‚Zuverlässigkeit‘ des Erzählers (EBENE 2) oder die Veränderung der für den Roman gültigen Vorstellung vom Akt des Träumens an sich (EBENE 3).
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quenz lediglich ein verändertes Set an Informationsstrukturen (z. B. persönliche Traumerfahrungen und/oder gelerntes Wissen) zur Integration in die Konstruktion des entsprechenden Situations- und Figurenmodells. Weiterhin demonstriert das Beispiel aus Wuthering Heights, dass personenbezogene Mechanismen der Sinnkonstitution, wie z. B. theory of mind, trotz decoupling auf einer ‚höheren‘ metarepräsentationalen Ebene weitgehend unverändert wirksam sein können. So deuten wir z. B. Lockwoods „‚Let me go, if you want me to let you in!‘“ (20) ohne Probleme als einen Täuschungsversuch seines Traum-Ichs, das sich aus dem stählernen Griff Catherines befreien möchte; auch das darauffolgende „The fingers relaxed“ (ebd.) verstehen wir nicht nur als Tatsachenbeschreibung, sondern inferieren mittels mindreading, dass das Geistermädchen auf den Täuschungsversuch hereinfällt, Lockwoods Worten Glauben schenkt und aus diesem Grund seinen Griff löst. Für das Kind im Alptraum wird damit ebenfalls ein zumindest rudimentäres aber eigenständiges mentales Modell gebildet, dem mittels metarepresentation und theory of mind mentale Zustände zugeschrieben werden können (EBENE 5), die nicht unmittelbar auf die Figur Catherines außerhalb des Traums zu übertragen sind. ‚Preference Rules‘, ‚Continuing Consciousness‘ und Grenzen der Anwendung Aus den vorherigen Ausführungen ergibt sich, dass die mentale Repräsentation des Traumes nicht getrennt von der Konstruktion ihrer Einbettung vollzogen werden kann. Sie beruht dabei zunächst auf der Genese mentaler Modelle des Rahmengeschehens und der involvierten Figuren und ihrer Perspektiven. Zusätzlich hierzu müssen dann ein separates Situationsmodell des Traumes sowie eigenständige Traumversionen der mentalen Figurenmodelle von Lockwood und Catherine gebildet werden. Möglich wird das u. a. durch die menschliche Befähigung, verschiedene Grade der Metarepräsentation kognitiv verarbeiten und als Matrix der exakten Zuordnung mentaler Zustände (theory of mind) bei der Bildung individueller Perspektiven nutzen zu können.75 Zusätzlich zu den basalen kognitiven Dispositionen der Metarepräsentation und theory of mind wird bei der Rezeption ferner eine weite Reihe von Standard- oder Präferenzannahmen (preference rules) wirksam, die der Rezipient im Leseprozess an den Text heranträgt, und von denen sich eine ––––––––––––– 75 Vgl. hierzu die Studien von Graesser et al. (1999a, 1999b, 2001a), die demonstrieren, dass Leser überlicherweise in der Lage sind, die Aussagen und Informationsstände von Figuren souverän nachzuverfolgen und richtig zuzuordnen.
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bemerkenswerte Zahl auf die Bewusstseinsperspektive fiktionaler Wesen bezieht.76 Dazu gehört z. B., dass einer Figur üblicherweise eine eindeutige Identität (vgl. Fludernik 1996: 248), ein individuelles ‚durchgängiges‘ Bewusstsein (vgl. Palmer 2004, 2007b), das Vorhandensein von Intentionalität (Jannidis 2004b: 169) und Emotionen (vgl. Herman 2007c: 321ff.; Palmer 2007b) sowie ein raumzeitlich positionierter Körper (vgl. Herman 2007c: 317ff.) zugeschrieben wird.77 In all diesen Punkten nimmt die Bildung von Figurenmodellen weitreichende Anleihen bei den Konzepten und Kategorien der Personenwahrnehmung – eine Strategie, die angesichts begrenzter kognitiver Kapazitäten auch zur Kompensation fehlender figurenbezogener Informationen dient (vgl. Palmer 2004: 176). Mittels „frames, scripts, and preference rules“ werden die Leerstellen des Textes auf diese Weise aufgefüllt und die Bedingungen dafür geschaffen kohärente Figuren und insbesondere deren individuelle Perspektive selbst dann zu konstruieren, wenn nur ein Minimum an Informationen zur Verfügung steht (vgl. ebd.). Insbesondere die Annahme eines continuing consciousness frame spielt nach Palmer dabei eine entscheidende Rolle: In order to comprehend novels, readers construct fictional minds that continue to exist within the reality of the storyworld between all the various mentions of them in the text. The reader collects together all of the isolated references to a specific proper name and constructs a consciousness that continues in the spaces between the explicit references to the existence of the character with that name. The reader strategy is to join up the dots. […] The everyday work that we put into constructing other real minds prepares us, as readers, for the work of constructing continually conscious minds from the text. This work necessitates the assumption that our perception of the consciousness of a character will continue throughout the text until interrupted, as in life, by death or permanent absence. (Palmer 2007b: 211f.)
Palmers continuing consciousness frame ist nicht nur für ein holistisches Verständnis von Figuren von Bedeutung, sondern dient auch dem Nachvollzug der Handlung, da jene meist zutiefst mit den Handlungen der Figuren
––––––––––––– 76 Preference rules stellen keine ehernen kognitiven Regeln dar, sondern sind vielmehr als „graded set of options“ (Alan Richardson 2004: 16) zu verstehen; sie können bei widersprüchlicher Textlage verworfen bzw. ersetzt werden: „prefer a, then prefer b, then prefer c …“ (ebd.). Vgl. ausführlicher Jackendoff (1983, 1987), Herman (2009a: 141f.) und Jahn (1997, 1999a). 77 Vgl. hierzu Palmer (2007b), der eine Liste von zwölf narrativen Universalien in Bezug auf die Konstruktion literarischer Figuren aufstellt, sowie die Ausführungen von Jannidis zum ‚Basistypus‘ der Figur (2004a: 185–195, 2004b: 169–172). Zur Orientierung figurenbezogener Inferenzen am Vorbild realer Personen sei ferner auf das ‚principle of minimal departure‘ (vgl. Ryan 1991) verwiesen, nach dem fiktionale Welten grundsätzlich so eng wie möglich am Vorbild der realen Welt konstruiert werden (zur Diskussion des Konzepts vgl. Zipfel 2001: 84–90).
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verknüpft ist. Aus diesem Grund spricht Palmer von einem „thoughtaction continuum“ (215), da die Handlungen einer Figur seiner Meinung nach nicht von der Konstruktion fiktionalen Bewusstseins getrennt werden können: „the mental and physical side of action and behavior coexist and interpenetrate to the point where they are difficult to disentangle. Ultimately, it is impossible to separate physical actions from the mental life that lies behind them“ (214).78 Palmers continuing consciousness frame als Lesestrategie „to join up the dots“ (212) stellt damit ein wichtiges Konzept zum Verständnis der Figuren- und Perspektivenrezeption dar. So ist die Annahme, dass Lockwoods erzählendes-Ich, erlebendes-Ich und träumendes-Ich verschiedene Stadien eines durchgängig identischen Bewusstseins darstellen, eine notwendige Voraussetzung für die Dechiffrierung und Kontextualisierung der zitierten Textpassage. Gleichzeitig lassen sich an der Traumsequenz jedoch auch die konzeptuellen Grenzen von continuing consciousness frames und metarepresentation aufzeigen. In den vorhergehenden Ausführungen wurde festgestellt, dass Inferenzen in Bezug auf das Mädchen im Traum nicht direkt auf die Figur Catherines im restlichen Verlauf des Romans übertragen werden können. Beide ‚Versionen‘ stehen in einem weitaus weniger klaren Verhältnis zueinander als dies z. B. bei Lockwood der Fall ist. Es kann kein continuing consciousness angenommen werden, da das Mädchen vor dem Fenster strenggenommen ein Geschöpf der Traumphantasie des Rahmenerzählers darstellt und keine darüber hinaus führende Existenz in der Romanwelt von Wuthering Heights besitzt.79 In diesem Sinne werden die wenigsten Rezipienten erwarten, im weiteren Verlauf der Rahmenhandlung einer am Handgelenk verletzten Catherine zu begegnen, die einen wachen Lockwood wegen seines nächtlichen Verhaltens am Fenster zur Rede stellt. Gleichzeitig kann jedoch mitnichten von zwei vollständig voneinander getrennten Figurenmodellen ausgegangen werden, die in keinerlei Beziehung zueinander stehen. Die alptraumhafte Atmosphäre, die Worte des Mädchens sowie die Brutalität Lockwoods verbinden sich trotz der Entkopplung des Traums in vielfältiger Weise mit der düsteren und enigmatischen Stimmung des Anwesens und seiner Bewohner. In ihrer Kombination bleiben das seit Jahren ‚verbotene‘ Zimmer, das fünfundzwanzig
––––––––––––– 78 Ausführlicher dazu Palmer (2004, 2005a). Zur „enge[n] Interdependenz von Figur und Handlung“ vgl. auch Nünning (1989a: 73), Jannidis (2009b: 19f.) sowie Hogan (2010). 79 Dass Lookwood dies selbst ebenso sieht und den Ursprung der Trauminhalte seiner eignen Person zuschreibt, zeigt der bereits erwähnte parenthetische Einschub.
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Jahre alte Tagebuch Catherines, ihr wiederholt eingekratzter Name und ihre Behauptung (im Traum) schon seit zwanzig Jahren übers Moor zu irren nicht ohne Folgen für die Rezeption.80 Sie verdichten sich vielmehr zur Vorahnung eines düsteren, mindestens zwanzig Jahre zurückreichenden Geheimnisses um das Mädchen und die auf ‚Wuthering Heights‘ lebenden Personen. Rezeptionstheoretisch bedeutet dies, dass auch die Trauminhalte zumindest partiell a) zur Bildung und Modifikation von Handlungs- und Figurenhypothesen herangezogen, b) mit den bisherigen Informationen und mentalen Modellen (z. B. aus dem gefundenen Tagebuch) korreliert und c) zur kognitiven Verarbeitung nachfolgender Szenen (z. B. der Reaktion Heathcliffs) eingesetzt werden (vgl. Wuthering Heights, 21ff.). Erst auf diese übergreifende Weise ist die Traumszene in der Lage, Inferenzen und Erwartungen hinsichtlich der Handlung und Figuren, aber auch in Bezug auf Thema, Symbolik oder Gattung des Romans zu wecken.81 Die Passage aus Wuthering Heights ist somit ein plastisches Beispiel für die in der Textrezeption allgegenwärtige Notwendigkeit, Informationen über verschiedene semantische und kategoriale Felder hinweg auf vielfältigste Weise miteinander in Bezug zu setzen. So werden schon bei der Bildung einzelner mentaler Modelle immer wieder Informationen mit unterschiedlichsten source tags miteinander abgeglichen oder mit Inferenzen verschmolzen, die mittels preference rules oder theory of mind gebildet wurden. Darüber hinaus müssen in nahezu jedem Erzähltext zahlreiche Situationsmodelle miteinander vernetzt und mit einer Fülle verschiedener Figurenmodelle korreliert werden, die wiederum selbst in vielfältige Beziehung zueinander zu treten vermögen. Die mentale (Re)Konstruktion dieser Komponenten vollzieht sich dabei nicht Isolation, sondern geschieht unter gegenseitiger Einflussnahme, sodass auch eine Analyse der Konstruktion von Figuren oder ihren Perspektiven sich mit dieser wechselseitigen Beeinflussung auseinandersetzen muss. Die bisher betrachteten theoretischen Modelle liefern dazu jedoch keinen geeigneten Rahmen. Die betrachteten Konzepte des information processing paradigm (Situationsmodell, Figurenmodell) sowie des mental dispositions paradigm (theory of mind, metare––––––––––––– 80 Vgl. Wuthering Heights, 20: „‚Begone!‘ I shouted, ‚I’ll never let you in, not if you beg for twenty years!‘ ‚It’s twenty years,‘ mourned the voice, […] I’ve been a waif for twenty years!‘“ 81 Ermöglicht wird dies u. a. durch die Fähigkeit, Informationen und Repräsentationen als provisorisch zu markieren und bis zur späteren Klärung oder Bestätigung, in Zunshines Worten, „under advisement“ (2006: 50) abzuspeichern (vgl. dazu Cosmides/Tooby 2000: 59f.). Ein solches ‚in der Schwebe halten‘ von Informationen erklärt außerdem wie es möglich ist, verschiedene Figuren- und Handlungshypothesen gleichzeitig mental zu realisieren und über einen längeren Rezeptionszeitraum aufrecht zu erhalten (vgl. ebd.).
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presentation, continuing consciousness frame) beschreiben allgemeine Verarbeitungsformate oder wichtige inferentielle Mechanismen der Bedeutungserzeugung; sie liefern jedoch z. B. keinen Anhaltspunkt dafür, auf welche Weise Informationen aus verschiedenen Quellen und Inferenzprozessen zu einer kohärenten, holistischen Repräsentation eines fiktiven Wesens synthetisiert werden. Ebenso offen bleibt die Frage, wie verschiedene mentale Figuren- oder Perspektivenmodelle kognitiv miteinander verhandelt werden. Theory of mind kann zwar zeigen, dass dem Mädchen im Traum mentale Zustände zugeschrieben werden. Die Art und Weise, in der die Repräsentation dieses ‚Traummädchens‘ auf das im Verlauf der weiteren Erzählung entstehende Figurenmodell Catherines einwirkt, kann mit diesem Theorieapparat jedoch nicht beschrieben werden. Es bedarf daher zusätzlich zu den bislang skizzierten Mechanismen der Text- und Perspektivenkonstruktion einer allgemeinen kognitiven Theorie, die sich mit der Integration von Bedeutung auseinandersetzt; mit anderen Worten, ein Konzept, das die Mechanismen beschreibt, mittels welcher Informationen aus verschiedenen Quellen oder Kontexten bei ihrer Zusammenführung bzw. Konfrontation miteinander verhandelt, gekoppelt und zu etwas semantisch Neuem verschmolzen werden. Der potentielle Nutzen einer entsprechenden Theorie beschränkt sich dabei nicht nur auf die Möglichkeit, verschiedene Komponenten der Text und Figurenkonstitution besser analytisch zu verbinden; insbesondere für die Frage nach der Interaktion von Figurenperspektiven und den sich dabei vollziehenden semantischen Projektionen und Verknüpfungen verspricht ein solches Modell zudem, einen geeigneten konzeptuellen Rahmen zur Beschreibung und Analyse bereitzustellen. Eine solche Theorie haben Gilles Fauconnier und Mark Turner (1998, 2002) vorgelegt. Sie soll im folgenden Kapitel illustriert werden.
IV.5 ‚Conceptual Integration Networks‘ (‚Blending‘) Eine grundsätzliche Eigenschaft menschlichen Denkens und Sprechens besteht darin, Elemente aus verschiedenen Diskursen, Kategorien und Kontexten gedanklich und linguistisch zusammenführen zu können. Zahlreiche Stimmen haben unabhängig voneinander nahe gelegt, dass die Befähigung zur selektiven und neuartigen Rekombination konzeptueller Einheiten eine der elementarsten Eigenschaften des Gehirns darstellt und als Grundlage zentraler menschlicher Fähigkeiten, z. B. von Kreativität, zu verstehen ist (vgl. Slingerland 2008: 180). Die wissenschaftliche Erfassung der „combinatorial power of the brain“ (ebd.) ist daher eine der Herausforderungen der Erforschung von Geist und Sprache. Insbesondere die
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Fälle, in denen konzeptuelle Zusammenführungen logische, ontologische und kategoriale Grenzen überschreiten, sperren sich jedoch gegen einfache formal semantische oder philosophisch-logische Analysen. „The tools of formal logic fail when confronted with the full range of natural language phenomena“, diagnostizieren Lakoff/Sweetser (1994: v) im Kontext linguistischer Forschung und fordern dazu auf, die wissenschaftliche Aufmerksamkeit stattdessen den Mechanismen des Gehirns zuzuwenden (ebd.). Im Zuge dieser linguistischen Neuorientierung wendet sich Gilles Fauconnier in zwei einflussreichen Arbeiten (1994 [1985], 1997) gegen das „truth conditional model of sentence meaning adopted in formal semantics“ (Evans/Green 2006: 364) und entwirft die linguistische Theorie der mental spaces, die er später in Kollaboration mit Mark Turner zum Konzept der conceptual integration networks, kurz blending, weiterentwickelt (Fauconnier/Turner 1998, 2002).82 Beide Theorien entfalten sich in der Folge trotz ihres Ursprungs in der linguistischen Semantik rasch zu allgemeinen kognitiven Theorien der Bedeutungserzeugung „across diverse domains of human activity“ (Hougaard/Oakley 2008: 1). Besonders blending, das die gegenseitige Verknüpfung und Vermischung von mental spaces modelliert, avanciert dabei zu einem vielversprechenden Kandidaten für die theoretische Beschreibung der obengenannten kognitiven Fähigkeit, verschiedenste Elemente auf unterschiedlichen Ebenen selektiv zu rekrutieren und mittels Kombination in neue konzeptuelle Strukturen zu überführen (vgl. Slingerland 2008: 181). Die Anwendungsmöglichkeiten von blending als „framework for exploring human information integration“ (Coulson/Oakley 2000: 176) gehen dementsprechend weit über die (kognitive) Linguistik hinaus und machen die Theorie auch für andere Disziplinen, wie z. B. die Psychologie (vgl. Gibbs 2000: 348f.), zu einem attraktiven theoretischen Paradigma für die Untersuchung einer Vielzahl von Phänomenen. Auch zur Verknüpfung der in den vorhergehenden Kapiteln skizzierten psychologischkognitiven Mechanismen der Text- und Perspektivenrezeption stellt das Konzept der conceptual integration networks einen geeigneten theoretischen ––––––––––––– 82 In der Forschungsliteratur finden sich verschiedene Bezeichnungen und Abkürzungen. Die am häufigsten verwendeten Begriffe conceptual integration (networks), conceptual blending (theory) oder einfach blending werden im Folgenden als synonym verstanden und gebraucht. Deutsche Alternativen für diese Begriffe sind in der Literatur unüblich und werden an dieser Stelle nicht entwickelt. Zur Einführung in die Theorie siehe neben den grundlegenden Arbeiten von Fauconnier/Turner (1998, 2001) auch die Darstellungen von Coulson/Oakley (2000, 2003), Hogan (2003a: 107–114), Ungerer/Schmid (2006: 257–299), Evans/Green (2006: 400–444), Dancygier (2006), Turner (2007) und Slingerland (2008: 176–180).
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Rahmen zur Verfügung. Es wird sich zeigen, dass der dynamische, kontextorientierte und grenzüberschreitende Charakter der Theorie in der Lage ist, einen entscheidenden Beitrag zum Verständnis der mentalen Konstruktion von Figurenperspektiven und insbesondere ihrer Interaktion zu leisten. Bevor dies demonstriert werden kann, gilt es jedoch zunächst Fauconnier und Turners Ideen näher zu betrachten. Zunächst soll dazu ein detaillierter Blick auf das Konzept des mental space geworfen werden, das die unabdingbare theoretische Grundlage der blending theory darstellt. Dabei geht es insbesondere um das Vermögen von mental spaces, semantische Bezüge – selbst über (onto)logische oder kategoriale Grenzen hinweg – zu modellieren. ‚Mental Spaces‘ Einer der wichtigsten theoretischen Bausteine von blending besteht in Gilles Fauconniers Theoriekonzept des mental space. Wie in der psychologischen Textverstehensforschung geht Fauconnier dabei grundsätzlich davon aus, dass der bewusste Teil der Verstehensprozesse nur ‚die Spitze des Eisbergs‘ der ansonsten hauptsächlich „backstage“ verlaufenden Kognitionsoperationen darstellt (1999: 96; passim). Auch sein Ziel ist darum, diese Prozesse modellhaft sichtbar zu machen. Anders als die bereits diskutierten Begriffe ‚Schema‘ oder ‚mentales Modell‘ geht es in seinem alternativen Konzept jedoch nicht primär um die kognitive Repräsentation und Speicherung von Informationen, obgleich diese den theoretischen Rahmen seiner Überlegungen bilden. Stattdessen fokussiert Fauconnier seine Überlegungen auf die temporären Prozessaspekte und Strategien der Konstruktion von Bedeutung:83 Mental spaces are very partial assemblies constructed as we think and talk for purposes of local understanding and action. They contain elements and are structured by frames and cognitive models. Mental spaces are connected to long-term schematic knowledge, such as the frame for walking along a path, and to longterm specific knowledge, such as a memory of the time when you climbed Mount Rainier in 2001. (Fauconnier 2007: 351)
Mental spaces stellen damit, mit den Worten von Evans/Green (2006: 369), „unique and temporary ‚packets‘ of conceptual structure“ dar, die spezifi––––––––––––– 83 Das Augenmerk der hier skizzierten Darstellung von mental spaces liegt auf einer Heranführung an das Konzept im Kontext der blending Theorie (vgl. Fauconnier/Turner 2002: 102–106). Auf eine detaillierte Darstellung des Konzepts als einem Werkzeug der linguistischen Semantikanalyse soll daher verzichtet werden. Siehe hierzu Fauconnier (1994 [1985], 1996, 1997, 2007) sowie Evans/Green (2006: 363–399) und Coulson (2001: 21–30).
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sche Informationen enthalten und auf der Basis von „generalized linguistic, pragmatic and cultural strategies for recruiting information“ konstruiert werden (ebd.). Damit integriert die Theorie einerseits den Aspekt der mentalen Organisation und Repräsentation von Wissen auf der Basis der Interaktion von Arbeits- und Langzeitgedächtnis; andererseits modelliert sie die Konstruktion von Bedeutung als einen kontext- und situationsgebundenen Verstehensakt „for purposes specific to the ongoing discourse“ (ebd.). Für die Bedeutungskonstitution bedeutet dies, dass mental spaces als Produkt eines fortlaufenden Rezeptionsprozesses zu verstehen sind, bei dem selbst in einfachen Fällen eine Vielzahl sich dynamisch verändernder mental spaces involviert sind. „Mental spaces are constructed and modified as thought and discourse unfolds and are connected to each other by various kinds of mappings […].“ (Fauconnier 2007: 351) Dieser Aspekt der Verbindung ist von zentraler Bedeutung in Fauconniers Theorie. Mental spaces können nicht nur jederzeit als Basis zur Bildung weiterer mental spaces fungieren (vgl. Evans/Green 2006: 374), sondern die Konstruktion von Bedeutung beruht nach Fauconniers Verständnis wesentlich auf der Herstellung von Bezügen zwischen den Inhalten verschiedener mental spaces: […] an important component of mental space theory involves establishing mappings between elements and relations in different spaces. These mappings can be based on a number of different sorts of relations, including identity, similarity, analogy, and pragmatic functions based on metonymy, synecdoche, and representation. (Coulson/Oakley 2000: 177)
In der Möglichkeit, mental spaces auf vielfältige Arten miteinander zu verbinden, liegt eine der Stärken der Theorie, die sie für die vorliegende Arbeit besonders interessant macht. Sie erlaubt, Aspekte miteinander in Bezug zu setzen, die kategorial verschieden, logisch disparat oder inhaltlich und raumzeitlich voneinander distanziert sind. Dies lässt sich an einem Dialog aus dem Film The Naked Lie (1989) veranschaulichen, der sich bei Fauconnier als Beispiel für counterfactual reasoning, d. h. für die in der Logik und Linguistik vieldiskutierte theoretische Erfassung von kontrafaktischen ‚als-ob‘ bzw. ‚wenn-dann Szenarien‘, findet:84 In the movie, a prostitute has been found murdered. Webster, an unpleasant, selfcentered character, shows no sympathy, and Victoria disagrees with Webster.
––––––––––––– 84 Zur philosophischen Diskussion von counterfactuals siehe Collins et al. (2004) und Lewis (1973). Für eine sozialpsychologische Annäherung vgl. die Beiträge in Roese/Olson (1995), während Analysen aus der Perspektive der kognitiven Linguistik von Coulson (2001: 203– 219) oder Fauconnier (1996, 1997: 99–130) vorgelegt werden. Zu counterfactuals und blending siehe außerdem Fauconnier/Turner (2002: 217–247) und Dannenberg (2008), die counterfactuality als Plot-Element untersucht.
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VICTORIA: What if it were your sister? WEBSTER: I don’t have a sister, but if I did, she wouldn’t be a hooker. Later in the movie, Victoria is talking to someone else: VICTORIA: You know that sister Webster doesn’t have? Well she doesn’t know how lucky she is. (1996: 76)
Fauconnier nutzt den Dialog aus The Naked Lie für eine ausführliche Demonstration der Funktionsweise von mental spaces. Doch auch ohne seine umfassende Analyse im Detail nachzuzeichnen (siehe hierfür 1996: 76–80 sowie 1997: 120–126) kann argumentiert werden, dass jede der drei verbalen Aussagen des Beispiels einen mental space konstruiert, der auf Websters hypothetische Schwester referiert. Gemäß dem access principle, nachdem „an expression that names or describes an element in one mental space can be used to access a counterpart of that element in another mental space“ (Fauconnier 1997: 41), fungieren die verschiedenen Referenzen auf die ‚Schwester‘ als gegenseitige Bezugspunkte, die die Dialoge semantisch zusammenhalten. Obgleich diese identity connectors in logisch voneinander gelösten und zudem noch kontrafaktischen mental spaces situiert sind, ermöglicht erst ihre kontextuelle Verbindung die volle Bedeutungsentfaltung der gesprochenen Worte. Insbesondere bei Victorias zweiter Bemerkung führt dies zu einer logisch-ontologisch geradezu grotesken Semantik. Diese entsteht dadurch, dass der mental space von Websters hypothetischer Schwester (der seinen Ursprung in den spaces des vorhergehenden Dialoges innehat) sich mit einer stereotypen Redensart verbindet, die ihrerseits einen mental space aufbaut, in welchem einer Person die Eigenschaft zugeschrieben wird, nicht zu wissen ‚wie glücklich sie sich eigentlich schätzen kann‘. Das Resultat der konzeptuellen Projektion der Redensart auf die Schwester führt zu einer eigentlich absurden Beschreibung einer Figur: eine Frau, die Websters Schwester ist, gleichzeitig die Eigenschaft besitzt, nicht zu existieren, und ferner die Eigenschaft hat, sich nicht bewusst zu sein, dass sie in einer glücklichen Situation ist, die darin begründet liegt, dass sie nicht Websters Schwester ist, weil sie nicht existiert. Es liegt auf der Hand, dass Websters Schwester einen Alptraum für jeden formallogischen Verständnisversuch darstellt. Zudem deutet das Beispiel auf mögliche Grenzen der Leistungsfähigkeit des weiter oben eingeführten Konzepts des mentalen Figurenmodells. So stellt sich angesichts des Dialogs die Frage, ob es sich bei Websters Schwester aus kognitiver Sicht tatsächlich um eine Figur im eigentlichen Wortsinn handelt, d. h. ob sie mittels eines eigenen mentalen Modells verarbeitet wird.85 Doch der ––––––––––––– 85 Websters Schwester, die nur innerhalb des zitierten Wortspiels in Erscheinung tritt, wirft die Frage auf, ob diese spielerisch paradoxe Figur in gleicher Weise mental verhandelt wird wie
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entscheidende Aspekt des Beispiels für die hier angestellten Überlegungen betrifft die Verweisstruktur der involvierten mental spaces. Insbesondere Victorias zweite Aussage bezieht sich zwar zunächst (grammatisch) auf die Schwester bzw. ihre Eigenschaften, trifft jedoch aus sprachpragmatischer Sicht tatsächlich eine (ab)wertende Aussage über Webster (vgl. Fauconnier 1996: 80). Erst durch die Erzeugung dieser bewertenden Implikatur erhält jene kontrafaktische Figur nach Fauconnier ihre eigentliche Bedeutung, die lediglich in einer negativen Bewertung Websters besteht (vgl. ebd.). Die kognitive Verarbeitung der Schwester steht damit, anders ausgedrückt, in einer direkten und notwendigen Beziehung zum Figurenmodell ihres Bruders; denn das Wortspiel um Websters Schwester ist nur auf der Basis des situativen und sprachpragmatischen Kontexts überhaupt verständlich – wozu insbesondere die Verknüpfung der mental spaces von Schwester, Webster und Victoria gehört. Fauconniers Beispiel illustriert auf diese Weise die Notwendigkeit, semantische Einheiten in ihrer Bedeutungskonstitution zu verknüpfen, und präsentiert das Konzept des mental space als geeigneten Baustein zur Modellierung solcher Prozesse der Bedeutungsbildung. Mit der Idee des crossspace mapping entwickelt er dabei einen Weg, um konzeptuelle Beziehungen
––––––––––––– etwa die Protagonisten des Films. In diesem Fall würde auch für sie ein Figurenmodell gebildet und im Gedächtnis verankert werden. Nach Schneiders Theorie wäre in einem solchen Fall ein Konstrukt zu erwarten, das stark bis ausschließlich von top-down Prozessen (d. h. durch Aktivierung von Kategorien) bestimmt wird (vgl. 2000: 164–169). Wie auch bei anderen Nebenfiguren, denen nur eine sehr beiläufige Bedeutung zukommt, besteht aus verarbeitungsökonomischer Sicht jedoch berechtigter Zweifel daran, ob es sich hierbei um ein geeignetes Modell zur Beschreibung des Repräsentationsformats handelt, da die Bildung eines eigenständigen mentalen Modells keine verarbeitungseffiziente Strategie darstellt. Eine ressourcenschonendere Alternative bestünde darin, die Repräsentation derartiger Nebenfiguren analog zur Vorstellung von mental spaces zu bereifen. Diese vollziehen sich ebenfalls im Rückgriff auf kognitive frames und Schemas, stellen jedoch nur ein temporäres kognitives Konstrukt zum Verständnis der ‚lokalen‘ Textstelle dar und beanspruchen auf diese Weise geringere Verarbeitungskapazitäten. Derart ließe sich erklären, warum beiläufig auftauchende Nebenfiguren häufig schnell vergessen werden und später nur selten gesondert vom Rezipienten ‚abgerufen‘ werden können. Eines der zahllosen Beispiele für eine solche Figur stellt der Nachtportier im fünften Kapitel des dritten Buches von Dickens’ Great Expectations [1861] dar, dessen einzige Funktion darin zu bestehen scheint, Pip einen Zettel zu überreichen (334). Zwar ist der Leser zweifellos in der Lage, die Figur qua Imagination individuell auszuschmücken und sie ggf. im Langzeitgedächtnis zu verankertern. Die meisten Leser werden sich jedoch schon wenige Seiten später kaum aktiv an den Nachtwächter erinnern, sondern diesen bestenfalls als Element der Plotstruktur im passiven Gedächtnis ‚bewahren‘. Dieser Umstand legt nahe, dass für marginale Nebenfiguren lediglich lokale mental spaces geformt werden, für die nicht automatisch eine eigene Wissensstruktur im Gedächtnis anlegt wird. (Für einen alternativen Vorschlag, der Nebenfiguren als „scenario dependent characters“ bestimmt, siehe außerdem Emmott/Sandford/Alexander 2010: 381ff.)
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nicht nur zwischen semantischen Feldern oder Einheiten, sondern auch zwischen einzelnen Komponenten derselben erfassen und beschreiben zu können. Begreift man mental spaces dazu definitorisch weit als „small conceptual packets“, die verschiedenste Elemente, Inhalte und Bezugsrelationen aufweisen und auf der Basis mannigfaltiger Quellen gebildet werden können (Fauconnier/Turner 2002: 102ff.), so stellt das Konzept einen flexiblen theoretischen Rahmen zur Verfügung, um Situationen, Figuren und Perspektiven analytisch miteinander in Bezug zu setzen: „Mental spaces are interconnected in working memory, can be modified dynamically as thought and discourse unfold, and can be used generally to model dynamic mappings in thought and language.“ (Fauconnier/Turner 2002: 102; meine Herv.) Ein solches Begriffsverständnis von mental spaces besitzt eine besondere Attraktivität für die vorliegende Untersuchung. Diese besteht darin, dass andere Konzepte der Textverstehensforschung und der Inferenzbildung nicht obsolet werden, sondern zur Beschreibung der internen Struktur bzw. der textuellen oder inferenziellen Basis von mental spaces herangezogen werden können. So können beispielsweise Konzepte wie theory of mind oder preference rules zur Erhellung der semantischer Operationen bei der Bildung und Verarbeitung von mental spaces beitragen; zudem bietet sich die Möglichkeit, Figuren- und Situationsmodelle heuristisch als mental spaces zu konzeptualisieren und auf diese Weise mittels cross space mapping in wechselseitigen Bezug zu setzen. Insbesondere dieser Aspekt wird sich als von entscheidender Bedeutung für die Analyse des Zusammenspiels von Perspektiven erweisen.86 Doch ihre volle Leistungsfähigkeit zur Beschreibung der kognitiven Verarbeitung von Literatur erreicht die Idee des mental space erst durch Fauconniers Kollaboration mit Mark Turner und ihrer gemeinsamen Wieterentwicklung des Konzepts zur blending theory. Innerhalb dieses theoretischen Rahmens können eine Vielzahl dynamischer Rezeptionsphänomene, insbesondere die Entstehung neuer, ‚emergenter‘ Bedeutungsstrukturen, präzise erfasst werden. ‚Blending Theory‘ Einer der Grundbausteine von Fauconnier und Turners blending liegt in der Überzeugung der Autoren, dass die Entstehung von Bedeutung in ihren mannigfaltigen Erscheinungsformen auf einige wenige kognitive Me––––––––––––– 86 Für eine Gegenposition hierzu siehe Harder (2003), der sich gegen eine zu breite Anwendung des Konzepts ausspricht.
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chanismen zurückzuführen ist. Einer dieser Mechanismen besteht in der oben skizzierten Bildung von mental spaces sowie im Herstellen von Verbindungen zwischen diesen durch verschiedene Formen von cross-space mapping. In ihren Überlegungen zur Funktion von conceptual integration networks übernehmen die Autoren den Ansatz Fauconniers, geben ihm jedoch eine neue Richtung. Dabei geht es weniger um das Konzept des mental space als einer bedeutungstragenden Einheit, sondern um den Vorgang und die Mechanismen der konzeptuellen Verbindung und Vermischung solcher spaces (blending). Bei dieser Neuorientierung verknüpft sich Fauconniers mental space theory mit der Forschungstradition der Untersuchung von Metaphern, die sich traditionell mit der Verbindung (disparater) semantischer Felder und der dabei entstehenden Bedeutungstransformation beschäftigt (vgl. Evans/Green 2006: 401).87 Eine der zentralen aus diesem Kontext übernommenen Aspekte besteht in der Einsicht, dass die Zusammenfügung verschiedener Bedeutungseinheiten oft über einen rein additiven Ausbau der Ausgangsbedeutungen hinausgeht und zum Entstehen neuartiger Bedeutungsaspekte führt. Dies wird in Form eines zusätzlichen mental space konzeptualisiert, der zwar mit den einzelnen Bedeutungseinheiten (den input spaces) verbunden, aber nicht mit ihnen identisch ist: [Any] particular process of meaning construction has particular input representations; during the process, inferences, emotions, and event-integrations emerge which cannot reside in any of the inputs; they have been constructed dynamically in a new mental space – the blended space – linked to the inputs in systematic ways. (Fauconnier/Turner 1998: 135)
Die Möglichkeit der Entstehung von emergenter Bedeutung aus dem Zusammenspiel von bedeutungstragenden Elementen ist im Kern keine neue Erkenntnis.88 Der entscheidende Schritt, den blending jedoch über andere Theorien hinausgeht, besteht darin, das Phänomen nicht nur allgemein zu beschreiben, sondern die dabei wirksamen kognitiven Mechanismen detailliert aufzuschlüsseln und zu einem einheitlichen theoretischen Modell zusammenzufassen. Nach diesem Modell stellt die Entstehung komplexer Bedeutungszusammenhänge keinen linearen Ableitungsprozess dar. Vielmehr lässt sich die konzeptuelle Zusammenführung verschiedener Elemente als dynamisch interagierendes Netzwerk von mental spaces oder, all––––––––––––– 87 Vgl. hierzu insbesondere die conceptual metaphor theory (Lakoff/Johnson 1980) sowie die früheren Arbeiten von Turner, die sich intensiv mit metaphorischer Sprache, Alltagskognition und Literatur auseinandersetzen (Turner 1987, 1991, 1996). Zum Phänomen der Metapher siehe ferner exemplarisch die Überblicksdarstellungen in Schneider (2008), Grady (2007), Evans/Green (2006: 286–327), Croft (2004: 193–221) und Fludernik (1999). 88 Vorläufer dieser Idee lassen sich bis zu Aristoteles zurückverfolgen (vgl. Corning 2002).
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gemeiner, „conceputal arrays“ (Turner 2008: 15) modellieren. Solche Netzwerke weisen trotz ihrer oberflächlichen Unterschiede eine gemeinsame, spezifische interne Architektur auf, die in ihrer einfachsten Version aus vier mental spaces besteht: zwei input spaces, einem generic space und einem blended space. Die Funktionsweise eines solchen Netzwerkes lässt sich besonders anschaulich am Beispiel einer Metapher illustrieren, da dieser rhetorischen Figur vom Standpunkt der blending-Theorie aus die Verbindung unterschiedlicher Elemente und das Entstehen einer darüber hinausgehenden Bedeutung gewissermaßen definitorisch eingeschrieben ist.89 Nach dieser Sichtweise gründet ein metaphorischer Ausdruck wie „This surgeon is a butcher“ auf zwei verschiedenen Ausgangskomponenten (‚surgeon‘ und ‚butcher‘), die als input spaces konzeptualisiert werden können.90 Diese input spaces treten in eine Beziehung zueinander, die (wie in Fauconniers mental space theory) als ein cross-space mapping begriffen werden kann, bei dem es zur Etablierung selektiver und spezifischer couterpart connections zwischen den input spaces kommt (vgl. Abb. 2). ‚Chirurg‘ und ‚Metzger‘ weisen dementsprechend eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf, z. B. das Benutzen scharfer Messer oder das Schneiden von Fleisch, ohne dass diese Bezüge die offensichtlichen und weiterbestehenden Unterschiede zwischen beiden Berufen verwischen würden.
Abb. 2: Cross-Space Mapping
Ein entscheidendes Charakteristikum der conceptual blending theory liegt in eben diesem Weiterbestehen der input spaces als eigenständigen, bedeutungstragenden Einheiten des Netzwerks. Anstatt eines linear gerichteten Vorgangs, bei dem Bedeutung von einer Komponente auf die andere übertragen wird, begreift das blending Netzwerk die Bedeutungsfelder sur––––––––––––– 89 Die Untersuchung von Metaphern mittels conceptual integration networks stellt aus diesem Grund eines der produktivsten Felder der blending-Forschung dar. Siehe dazu exemplarisch Fauconnier (1997: 168–171), Grady/Oakley/Coulson (1999), Fludernik (1999: 387–392), Coulson (2001: 165–177), Coulson/Oakley (2003) und Evans/Green (2006: 435–440). 90 Zur Diskussion der Metapher „This surgeon is a butcher“ im Kontext von blending siehe u. a. Gibbs (2001: 322f.), Crisp (2003: 110f.) und Evans/Green (2006: 401ff.).
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geon, butcher auch weiterhin als jeweils individuelle mental spaces. Zu diesen tritt nun nach Fauconnier und Turner ein weiterer mental space, der sogenannte generic space, in dem die Gemeinsamkeiten der input spaces, d. h. ihre conceptual counterparts, während der Informationsverarbeitung abgelegt werden: As conceptual projection unfolds, whatever structure is recognized as belonging to both of the input spaces constitutes a generic space. At any moment in the construction, the generic space maps onto each of the inputs. It defines the current cross-space mapping between then. A given element in the generic space maps onto paired counterparts in the two input spaces. (Fauconnier/Turner 1998: 143)
Der generic space stellt damit eine Verbindung zwischen den input spaces dar (vgl. Abb. 3), indem er Informationen zur Verfügung stellt, die ausreichend abstrakt sind, um auf beide (oder alle) input spaces zuzutreffen (vgl. Evans/Green 2006: 404): Solch „highly schematic information“ dient als Basis zur Etablierung weiterer cross-space mappings und zur Identifikation gegenseitiger Bezugselemente in den input spaces „by serving as a ‚template‘ for shared structure“ (406).
Abb. 3: Der Generic Space
Die Annahme eines generic space und zwei getrennter input spaces erlaubt Fauconnier und Turners Modell die theoretische Berücksichtigung eines weiteren wichtigen Aspekts. Wie am Beispiel von surgeon und butcher deutlich wird, spielen nicht nur die übereinstimmenden Elemente beider mental spaces eine Rolle, sondern es ist ebenso zentral für das Verstehen der Metapher, dass Vertreter beider Berufsstände entscheidende Differenzen aufweisen: Während z. B. ein Chirurg sorgfältige Schnitte an lebendem Gewebe vornimmt, zerlegt ein Metzger totes Fleisch zur kommerziellen Verwertung. Wo der Chirurg präzise abgestimmten Druck auf feinste Skalpelle ausübt, zerteilen massive Fleischerklingen dagegen Sehnen und Gewebe auf kräftige und endgültige Weise ohne dabei an Heilung zu denken.
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Conceptual blending entwirft daher keine einfache Synthese der input spaces. Stattdessen finden sich im conceptual integration network der Aspekt der ‚Übereinstimmung‘ (in der Gestalt des generic space) aber auch der Gesichtspunkt der ‚Differenz‘ (in Form des Fortbestehens getrennter input spaces) als simultan repräsentierte Bedeutungseinheiten wieder. Die Koexistenz beider Aspekte stellt den notwendigen Hintergrund für die Projektion des vierten und komplexesten mental space dar: dem blended space. Dazu Mark Turner: Certain conceptual arrays [= mental spaces; meine Anm.] provide inputs to the network. Selective projection from the input conceptual arrays and from the relations between them carries elements and relations to a blended conceptual array that often has emergent structure of its own. This blended conceptual array is often referred to as “the blend.” (2008: 15)
Der Blend stellt die selektive und partielle Integration der input spaces dar – ein Prozess, der konzeptuell auf dem „skeletal construct“ des generic space aufbaut und dessen Funktion darin besteht, dem neu formierten mental space Kohärenz zu verleihen (Dancygier 2006: 5).91 Durch das dabei entstehende Arrangement bedeutungstragender Elemente kommt es zur Herausbildung neuer Semantik, wobei der Tatsache Rechnung getragen wird, dass das Endprodukt von conceptual integration-Prozessen häufig Komponenten enthält, die in keinem der input spaces zu finden sind. So ist z. B. die negative Beurteilung des Chirurgen in der Beispielmetapher kein Bestandteil der Ausgangsbegriffe surgeon und butcher, sondern sie entsteht erst durch die Kombination der Begriffe. Diese werden metaphorisch zusammengeführt, indem eine partielle Projektion der input spaces in den blended space vorgenommen wird, bei der sowohl Kontraste als auch counterpart relations selektiv in den Blend übertragen werden. Als Ergebnis des Prozesses entsteht neue, emergente Bedeutung, die Evans/Green (2006) in ihrer Diskussion der surgeon/butcher-Metapher folgendermaßen beschreiben: The emergent structure provided by the blend includes the structure copied from the input spaces, together with the emergent structure relating to a surgeon who performs an operation using the skills of butchery and is therefore incompetent. This individual does not exist in either of the input spaces. The structure in the
––––––––––––– 91 Fauconnier und Turner unterstreichen die Bedeutung des generic space als „resource to be drawn on in attempts to build new cross-space mappings in new integration networks“ (1998: 138) und versuchen dies mit Beispielen zu illustrieren (146–149). Nach Ritchie (2004: 42) bleibt jedoch unklar, was genau ein generic space eigentlich ist. Ferner stellt sich die Frage, ob blending die Annahme eines separaten generic space tatsächlich notwendig voraussetzt. Verschiedene Autoren scheinen der Meinung, dass conceptual integration auch ohne diese Komponente konzipiert werden kann, und verwenden in ihrer Darstellung ein aus drei spaces bestehendes blending-Modell (vgl. z. B. Slingerland 2008 und Ungerer/Schmid 2006).
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blend is ‘emergent’ because it emerges from ‘adding together’ structure from the inputs to produce an entity unique to the blend. Furthermore, it is precisely by virtue of the mismatch between goal (healing) and means (butchery), which exists only in the blend, that the inference of incompetence arises. (405f.)
Allgemein ausgedrückt stellt der blend den ‚Ort‘ des Netzwerkes dar, an dem neue Bedeutung mittels der selektiven Projektion und Zusammenführung der input spaces vor dem Hintergrund des generic space entsteht. Die Projektion von Elementen und Bezügen verläuft dabei nicht nur selektiv, sondern es kommt zur dynamischen Kommunikation aller beteiligten Komponenten, die zwar interagieren, dabei aber als eigenständige conceptual packets weiterbestehen. Die involvierten Prozesse, wie z. B. das crossspace mapping, die selektive Projektion von Strukturen oder der Aufbau des blended space, dürfen ferner nicht als nacheinander durchlaufene Stationen einer linearen Verstehensoperation missverstanden werden. Es handelt sich dabei vielmehr um Prozesse, die simultan, rekursiv und iterativ ablaufen: „Any of them can run at any time and [...] they can run simultaneously“ (Fauconnier/Turner 2002: 44). Die graphisch-statische Darstellung des Netzwerks in Abb. 4 stellt aus diesem Grund nur eine Momentaufnahme des kreativen und dynamischen Prozesses in einem conceptual integration network dar, bei dem sich in Wirklichkeit Verbindungen und mental spaces konstant verändern und immer wieder auf-, um- oder abgebaut werden (vgl. 46).
Abb. 4: Das Blending-Netzwerk: Grundform (nach Fauconnier/Turner 2002: 46)
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Das Diagramm in Abb. 4 illustriert die wichtigsten Bestandteile des conceptual integration network in vereinfachter Form. Die Kreise versinnbildlichen die verschiedenen mental spaces; die Punkte innerhalb der Kreise stehen für individuelle inhaltliche Elemente oder Aspekte. Die gepunkteten Linien stellen Verbindungen, Projektionen und cross-space mappings zwischen den jeweiligen spaces und ihren Elementen dar und das abgerundete Rechteck innerhalb des blends symbolisiert die emergente Struktur und Qualität der Inhalte des blended space (vgl. Fauconnier/Turner 2002: 46ff.).92 Die Grafik umreißt die grundlegende Architektur und die wichtigsten Mechanismen der blending-Theorie. Wie am Beispiel von „This surgeon is a butcher“ ersichtlich, eignet sich das Modell ausgezeichnet zur Illustration der komplexen Vorgänge beim Verstehen metaphorischen Sprechens. Doch obwohl sich blending besonders gut auf Metaphern anwenden lässt, stellt das Konzept nach Fauconnier und Turner nicht (nur) eine Metapherntheorie dar, sondern beschreibt einen kognitiven Mechanismus, der auf nahezu allen Ebenen menschlichen Denkens und Sprechens zu finden ist. Metaphern und Analogien bilden zwar einen höchst eindrücklichen, insgesamt jedoch nur kleinen Teil des relevanten Phänomenbereichs, denn den Autoren geht es mit blending um nichts Geringeres als die Grundlagen menschlicher Kognition. Entsprechend versprechen sie zu Anfang ihres Buches The Way We Think (2002): „we will see it [blending] at work as a basic mental operation in language, art, action, planning, reason, choice, judgment, decision, humor, mathematics, science, magic and ritual, and the simplest mental events in everyday life“ (15). Als kognitiver Grundmechanismus ist blending damit nicht nur in mentalen Operationen der Alltagskognition involviert, sondern das conceptual integration network ist von seinem Anspruch her auch bei der Verarbeitung literarischer Texte wirksam. Dass die Theorie tatsächlich auch für Fragen literarischen Textverstehens (insbesondere für die Konstruktion von Figuren und Perspektiven) erhellend sein kann, wird im Folgenden anhand einer Kurzgeschichte von Katherine Mansfield demonstriert. Durch den Rückgriff auf diesen Text sollen zum einen die wichtigsten Mechanismen von conceptual integration in ihrer Wirkungsweise veranschaulicht werden; dabei wird insbesondere versucht, die Entstehung emergenter Bedeutung zu illustrieren und die Funktionsweise einiger wichtiger Aspekte, die bisher nur oberflächlich betrachtet werden konnten, intensiver zu beleuchten. Doch das Ziel des Beispiels liegt nicht nur in der Veranschaulichung ––––––––––––– 92 Zur Funktionsweise von blending-Netzwerken siehe auführlicher Fauconnier/Turner (1998, 2002) sowie die Arbeiten von Turner (2002, 2003, 2006a, 2008) oder die hervorragende Einführung von Evans/Green (2006: 400–444).
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einer abstrakten Theorie. Mit der Kurzgeschichte soll bereits an dieser Stelle ein exemplarischer Eindruck davon vermittelt werden, dass blending zum besseren narratologischen Verständnis von Literatur, insbesondere der Konstruktion von Figuren und Perspektiven, gewinnbringend herangezogen werden kann. Zudem verweist die Analyse auf die im nächsten Kapitel folgende Diskussion perspektivischen Zusammenspiels, da sich schon bei „Miss Brill“ beobachten lässt, dass die Bildung einzelner Figurenmodelle häufig auf dem Zusammenwirken verschiedener Perspektiven beruht.93 ‚Blending‘ am Beispiel von Mansfields „Miss Brill“ (1922) Die Kurzgeschichte „Miss Brill“ (1922) ist eine der bekanntesten Geschichten der neuseeländischen Autorin Katherine Mansfield. Sie schildert den sonntäglichen Ausflug einer Englischlehrerin mittleren Alters, Miss Brill, in den örtlichen Stadtpark. In der typisch modernistischen Erzählung Mansfields (vgl. Dunbar 1997: xiv, 67) wird der Leser im Stil des stream of consciousness von einem sich nahezu vollkommen im Hintergrund haltenden (heterodiegetischen) Erzähler unmittelbar an die Perspektive der Protagonistin herangeführt; der Leser erlebt die erzählten Ereignisse gewissermaßen ‚durch‘ die Gedanken und Bewusstseinsprozesse von Miss Brill.94 Auf diese Weise erhält er Einblick in die Gefühle und das Selbstbild der Protagonistin, für die der allsonntägliche Ausflug in den Park den persönlichen Höhepunkt der Woche darstellt, zu dem sie sich mit ihrem heißgeliebten Umhängeschaal aus Pelz festlich herausputzt. Die Hochstimmung, mit der Miss Brill das Treiben im Park von ihrer Lieblingsbank aus beobachtet, erfährt jedoch ein jähes Ende als sie in gewohnter Manier das
––––––––––––– 93 Darüber hinaus sei auf die stetig wachsende Zahl von Autoren verwiesen, die die vielfältigen Applikationsmöglichkeiten von blending im Kontext der Literaturwissenschaft demonstrieren. Hierzu gehört an erster Stelle Barbara Dancygier (2004, 2005, 2006, 2007, 2008, 2012), die sich mit verschiedenen Aspekten von blending am Schnittpunkt von Literaturwissenschaft und Linguistik beschäftigt. Darüber hinaus greift Dannenberg (2008) bei ihrer Untersuchung von counterfactuals auf die Theorie zurück, während Sinding (2005a) sich mit blending in Bezug auf die Vermischung von Genres beschäftigt und Fludernik (2010) das Konzept verwendet, um zu erklären „how we are able to understand naturally impossible storytelling scenarios“ (15). Zu blending und Literatur siehe ferner Turners Klassiker The Literary Mind (1991) sowie McAlister (2006), Schneider (2006b), Semino (2006), Tobin (2006), Hartner (2008) und Copland (2008). Eine Sammlung neuerer Beiträge zum Schnittpunkt von Narratologie und blending findet sich außerdem in Schneider/Hartner (i. Erscheinen). 94 Zur Analyse der (modernistischen) Erzähltechnik in „Miss Brill“ siehe Dada-Büchel (1995: 89–93) und insbesondere Buchholz (2003: 283ff.).
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Gespräch eines jungen Pärchens belauscht, das sich zu ihr auf die Bank setzt: ‘No, not now,’ said the girl. ‘Not here, I can’t.’ ‘But why? Because of that stupid old thing at the end there?’ asked the boy. ‘Why does she come here at all – who wants her? Why doesn’t she keep her silly old mug at home?’ ‘It’s her fu-fur which is so funny,’ giggled the girl. ‘It’s exactly like a fried whiting.’ ‘Ah, be off with you!’ said the boy in an angry whisper. Then: ‘Tell me, ma petite chère–’ ‘No, not here,’ said the girl. ‘Not yet.’ (“Miss Brill”, 190)
Die Worte des Pärchens werden weder von Miss Brill noch dem Erzähler in irgendeiner Weise erklärt oder kommentiert. Sie verleihen dennoch einer Sichtweise auf Miss Brill Ausdruck, die dem mittels stream of consciousness vermittelten Selbstbild der Protagonistin auf fundamentale Weise entgegensteht. Es ist jedoch nicht so, dass dieser neue Blickwinkel den älteren einfach ersetzt. Vielmehr entfaltet der Text sein volles Bedeutungspotential erst durch die kontrastierende Zusammenführung beider Perspektiven, die vom Standpunkt der blending Theorie aus als input spaces begriffen werden können. In diesem Kontext lassen die Worte der jungen Menschen Miss Brills Innenperspektive (input space 1) dadurch in einem neuen Licht erscheinen, dass sie dem bisherigen stream of consciousness in Form eines zweiten input space entgegentreten: Zwischen beiden spaces werden über Kontext und cross-space mapping Verbindungen hergestellt, wobei situative und thematische Bezugspunkte zwischen beiden semantischen Feldern identifiziert werden (z. B. der Ort, die Gründe für Miss Brills Anwesenheit, die Bewertung des Pelzes, usw.). Auf diese Weise entsteht auch ein generic space, der das Setting der Geschichte sowie ihren thematischen Fokus umfasst. Auf der Basis dieser semantischen Struktur bildet sich ferner der blended space als Produkt einer selektiven und partiellen Projektion der input spaces. Diese Selektivität zeigt sich darin, dass weder Miss Brills Einschätzung der im Park spielenden Kapelle, noch die offensichtliche Liebesbeziehung des Pärchens für den Blend eine Rolle spielen. Der blended space widmet sich stattdessen ganz einem Entwurf des Bildes der Protagonistin. Deren Person und Persönlichkeit ist zwar qua Erzähltechnik schon zuvor impliziter Gegenstand der Geschichte (vgl. Dunbar 1997: 66), erfährt durch die schonungslose Außenperspektive jedoch eine deutlich veränderte und erweiterte inhaltliche Dimension. Zum einen wird das Bild der Figur um zusätzliche Aspekte, z. B. die Einschätzung ihres Alters, ergänzt. Zum anderen modifiziert die Bemerkung des jungen Mädchens die Bewertung des Kleidungsstils der Frau und schafft einen diametralen Gegenpol zu deren eigener Meinung. So mutiert der Umhängeschaal Miss Brills vom heißgeliebten „Dear little thing!“ in input
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space 1 zum lächerlichen „fried withing“ in den Augen des Mädchens (input space 2). Die aus diesem Kontrast entstehenden Inferenzen führen jedoch nicht zu einer neutralen Einschätzung des Kleidungsstücks in der ‚arithmetischen Mitte‘ zwischen beiden Meinungen. Die lächerlich groteske Wirkung des Schals überträgt sich stattdessen pars pro toto auf seine Trägerin. Miss Brill erscheint im Blend als ebenso tragikomisch, alt und fehlplatziert wie ihr Pelz – eine Einschätzung, die der Text zwar schon zuvor teilweise antizipiert, die in ihrer letztlichen Ausführung jedoch eine eindeutig emergente Dimension des blended space darstellt.95 Die der emergenten Bedeutung zugrundeliegende Fusion der aus den input spaces projizierten Elemente wird in Fauconnier und Turners Theorie als Prozess der ‚Komposition‘ (composition) bezeichnet und stellt in ihrem Modell einen der zentralen kognitiven Konstruktionsmechanismen emergenter Bedeutung dar: „Blending composes elements from the input spaces, providing relations that do not exist in the separate inputs.“ (Fauconnier/ Turner 1998: 144; meine Herv.) Composition als Herstellung neuer Bezugsrelationen mittels der Fusion von mental spaces ist jedoch kein hermetisch verlaufender und selbstgenügsamer kognitiver Vorgang, sondern geht gewöhnlich mit der Aktivierung zusätzlichen Hintergrundwissens und der Bildung ergänzender Inferenzen einher. Dieser Aspekt wird von Fauconnier und Turner unter dem Begriff completion in ihre Theorie integriert und stellt für die Autoren neben composition den wichtigsten Baustein emergenter Bedeutung dar: We rarely realize the extent of background knowledge and structure that we bring into a blend unconsciously. Blends recruit great ranges of such background meaning. Pattern completion is the most basic kind of recruitment: We see some parts of a familiar frame of meaning and much more of the frame is recruited silently but effectively to the blend. (Fauconnier/Turner 2002: 48)
Die Bedeutung solch ergänzender Inferenzen für die Entstehung emergenter Bedeutung kann kaum überschätzt werden und stellt auch in Mansfields Geschichte einen wichtigen Aspekt des blends von Miss Brill dar. Als zentrales Beispiel hierfür kann die psychologische Wirkung der Worte des Pärchens auf die Protagonistin angeführt werden. Diese wird ––––––––––––– 95 Gemeint ist hiermit, dass die Tragik in Mansfields Portrait von Miss Brill selbstverständlich nicht allein auf der Wirkung der Worte des Pärchens beruht, sondern dass schon im Text zuvor eine Reihe von Details zu Inferenzen anregen, die den tragischen Effekt des blended space vorbereiten bzw. sich mit ihm verbinden. Erst durch die Gesamtkomposition der Geschichte, die bei Mansfield bis in den Klang der gewählten Worte reicht, entwickelt sich das vollständige Bedeutungsgefüge des Textes und damit die Charakterisierung der Figur. Zur Rolle des Pelzes als Symbol für Miss Brill siehe ferner Dunbar (1997: 65f.), Dada-Büchel (1995: 81f.) und Buchholz (2003: 284).
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vom Text mit keinem Wort explizit thematisiert, bildet jedoch den entscheidenden Verständnisrahmen für die verbleibenden Paragraphen der Erzählung. Mittels psychologischem Weltwissen und theory of mind ist der Leser – selbst ohne direkte textuelle Informationen – nicht nur in der Lage, sich den verheerenden Effekt solcher Worte auf eine Person wie Miss Brill vorzustellen, sondern das Wissen um ihr emotionales Potential wirkt sich zudem rezeptionslenkend auf die weitere Lektüre aus. Der Schluss, dass die Bemerkungen des Pärchens vermutlich verletzend für die alte Frau sind, lenkt bei den nachfolgenden Textpassagen die Aufmerksamkeit auf mögliche Hinweise und Indizien, die diese Vermutung bestätigen, präzisieren oder modifizieren könnten. Mentale Operationen wie completion und composition implizieren damit indirekt eine Reihe weiterer kognitiver Prozesse. Andere Theoriekonzepte, wie z. B. theory of mind oder Überlegungen zur textuellen Inferenzbildung, werden von Fauconnier und Turner zwar nicht explizit in die blendingTheorie integriert, lassen sich aber mit dieser konzeptuell koppeln. Dies gilt auch für die menschliche Fähigkeit, geschilderte Szenarien nicht nur auszuschmücken, sondern sie als Basis für weitreichende eigene Überlegungen und Simulationen zu nutzen. Grundsätzlich können die emergenten Inhalte eines blended space nicht nur durch composition und completion ausgebaut werden, sondern es besteht stetsfort die Möglichkeit (und in manchen Fällen die Notwendigkeit), sie durch eine mentale Simulation imaginativ anzureichern. Fauconnier und Turner (2002) bezeichnen dies als elaboration: We elaborate blends by treating them as simulations and running them imaginatively according to the principles that have been established for the blend. Some of these principles for running the blend will have been brought to the blend by completion. […] We can run the blend as much and as long and in as many alternative directions as we choose. (48f.)
Ein Beispiel für elaboration bestände darin, Miss Brills Geschichte über den Text hinaus mental ‚weiterlaufen‘ zu lassen und die kurz- und langfristigen Folgen der belauschten Worte szenisch zu simulieren: Miss Brill, die mit Tränen in den Augen nach Hause eilt; die nie wieder einen sonntäglichen Ausflug in den Park unternimmt; oder vielleicht doch schon in der nächsten Woche alles vergessen und verdrängt hat. Die unterschiedlichen Möglichkeiten für running the blend sind, genau wie bei der Aktivierung von Hintergrundwissen, prinzipiell grenzenlos und lassen sich weder determinieren noch vorausberechnen. So rührt ein Großteil des kreativen Potentials von blending aus der „openended nature of completion and elaboration“ (49), wobei die emergente
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Bedeutung eines blends zwar von den Komponenten der input spaces angeregt und teilweise gelenkt, aber nicht von diesen bestimmt wird.96 Da blending-Operationen zudem iterativ auf sich selbst angewandt werden können, ist die grundsätzliche Möglichkeit zur kontinuierlichen Modifikation ein integraler Bestandteil von conceptual integration networks und gilt nicht nur für den Blend, sondern für alle beteiligten mental spaces. Ein wichtiger Aspekt der Bedeutungserzeugung besteht mithin darin, dass die emergenten Inhalte des blended space auf die input spaces zurückprojiziert werden können: „Importantly, the blend remains hooked up to the Inputs, so that […] properties of the blend can be mapped back onto the Inputs“ (Fauconnier/Turner 1998: 140). Ein Beispiel hierfür aus Mansfields Geschichte besteht darin, dass die Kommentare des Pärchens in der Form einer backward projection auf das Pärchen selbst zurückfallen. Wie in jeder lebensweltlichen Kommunikation können auch in Mansfields Geschichte Äußerungen generell zur Charakterisierung ihres Sprechers herangezogen werden. Wichtig in diesem Kontext ist, dass im vorliegenden Beispiel eine solche Bewertung nicht direkt, sondern auf der Basis des blended space, d. h. der verletzenden Wirkung der Worte, vorgenommen wird. Beurteilt man also z. B. den jungen Mann und das junge Mädchen aufgrund ihres Dialogs als unsensibel und rücksichtslos, so gründet diese Einschätzung nicht allein auf dem input space, sondern sie gewinnt ihre besondere Schärfe vor allem im Kontrast mit Miss Brills Perspektive und der verheerenden Wirkung, die diese Worte auf sie ausüben. Es handelt sich damit um ein Beispiel für backward projection, welches verdeutlicht, dass die bei blending entstehende Bedeutung weder allein im blended space noch in einem einzelnen input zu suchen ist: „[M]eaning is not constructed in any single space, but resides in the entire array and its connections.“ (158) Es sind somit das gesamte Netzwerk und seine Verbindungen, die für das volle Spektrum an entstehender Bedeutung verantwortlich zeichnen. Aufgrund dieser Konzeption ist Fauconnier und Turners blending-Theorie in der Lage die dynamische Qualität von Verstehensprozessen besonders detailliert zu erfassen und die Entstehung emergenter Bedeutungsaspekte zu beschreiben. Wie die Kurzgeschichte „Miss Brill“ nahelegt, charakterisieren Emergenz und Dynamik nicht nur die Textrezeption im Allgemei-
––––––––––––– 96 Blending weist somit dieselbe kreative Offenheit und Unvorhersagbarkeit auf, die schon Iser (1976) als integralen Bestandteil des literarischen Rezeptionsaktes identifiziert hatte. Sowohl für die Rezeptionsästhetik als auch für die Textverstehensforschung gilt daher allgemein, dass kognitive Akte des Textverstehens vom textuellen Input zwar initiiert, jedoch nicht determiniert werden, sondern letztlich vom Leser auf zumindest teilweise kreative und individuelle Weise vollzogen werden (vgl. Schutte 2005: 180–223).
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nen, sondern spielen auch bei der Konstitution von Figuren und ihren Perspektiven eine entscheidende Rolle. In diesem Kontext liefert der Kontrast zwischen dem Selbstbild von Miss Brill und der Einschätzung des jungen Pärchens zudem einen ersten Anhaltspunkt dafür, dass Perspektivenkonstruktion und -interaktion interdependente Aspekte des Textverstehens darstellen. Einzelperspektiven scheinen nicht nur die notwendige Voraussetzung für perspektivisches Zusammenspiel zu sein, sondern dieses Zusammenwirken ist in der Lage, Einfluss auf die Bildung der jeweiligen Einzelstandpunkte zu nehmen. Durch das Aufeinanderprallen verschiedener Sichtweisen kommt es so beispielsweise zu semantischen Spannungen, die zur Bildung eines blended space führen, der mit der Bildung emergenter Bedeutung einhergeht. Diese neuen semantischen Aspekte können dann wiederum potentiell auf die input spaces, d. h. die zugrundeliegenden Perspektiven, zurückwirken. Fauconnier und Turners Theorie wird aus diesem Grund im folgenden Kapitel zur Analyse der Interaktion von Perspektiven herangezogen. Um ihr volles Potential in Hinsicht auf dieses Thema zu entfalten, ist es nach Meinung des Verfassers allerdings notwendig, das Konzept mit bereits bestehenden narratologischen Modellen zur Figuren- und Perspektiveninteraktion zusammenzuführen. Auf diese Weise kann eine genuine Synthese aus kognitionswissenschaftlichen und narratologischen Forschungskontexten geleistet werden, die die Stärken beider Seiten kombiniert. Dazu ist es jedoch hilfreich, sich nicht nur die Vorzüge, sondern auch die Schwächen von conceptual integration networks zu vergegenwärtigen. Dies soll auf den folgenden Seiten geschehen. Stärken und Schwächen der Theorie Die Ausdifferenzierung semantischer Integrationsoperationen in ein mindestens viergliedriges Netzwerk bietet den Vorteil, phänomenologisch einheitliche Verstehensprozesse als dynamisches Bündel interagierender kognitiver Einzeloperationen zu begreifen. Trotz der dadurch erhöhten theoretischen und analytischen Präzision bleibt blending dabei in seiner Grundidee (die Aufteilung in vier interagierende semantische Felder) leicht zu verstehen und von plastischer Anschaulichkeit. Dieser Aspekt trägt nicht nur zur metatheoretischen Überzeugungskraft des Konzepts als einer „general theory of meaning construction“ bei (Coulson/Oakley 2000: 184), sondern spiegelt sich auch in der postulierten internen Funktion von conceptual integration als einem Instrument zur „provision of global insight“ (Evans/Green 2006: 418). Eine der wichtigsten Funktionen von blending besteht danach darin, komplexe Zusammenhänge imaginativ zu
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vereinfachen bzw. in ein intuitiv einleuchtendes oder suggestives mentales Bild oder Szenario zu überführen (vgl. ebd.): „Achieve human scale“ lautet dementsprechend nach Fauconnier und Turner die wichtigste interne Funktionsmaxime eines blending networks (2002: 322ff.; passim).97 Ihr Konzept versucht also, explanative Leistungsfähigkeit mit konzeptueller Anschaulichkeit auf verschiedenen theoretischen Ebenen zu kombinieren. Hinzu kommt die weite Anwendbarkeit des Netzwerkmodells, das in seiner Applikation äußerst flexibel ist und in einer Vielzahl individueller Erscheinungsformen auftritt. Von einfachen single-scope networks bis zu hochkomplexen multiple blends kann die Theorie eine beeindruckende Bandbreite von kognitiven Phänomenen erfassen.98 Doch gerade in der breiten Anwendbarkeit von blending liegt auch einer der am häufigsten thematisierten Einwände gegen das Konzept (vgl. Cienki 2008: 235; Ungerer/ Schmid 2006: 295; Coulson 2000: 186f.; Gibbs 2000). Dieser besteht in der Feststellung, dass eine Theorie, die alles erklären will, Gefahr läuft nichts zu erklären. Um diesem Vorwurf zu begegnen, postulieren Fauconnier und Turner das Vorhandensein von Leitprinzipien, die verhindern (sollen), dass blending-Prozesse vollkommen willkürlich verlaufen.99 Dieser theoretische Schachzug kann allerdings nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass es sich bei mental spaces und blending um kognitive Konzepte handelt, die zumindest empirisch nur schwer zu bestätigen sind. Die Vermutung, dass es sich bei den involvierten mentalen Operationen auf neurologischer Ebene um die Aktivierung von „neuronal assemblies“ und das Herstellen von „coactivation-bindings“ zwischen diesen handelt (vgl. Fauconnier/Turner 2002: 40), bezeichnet zwar eine nicht unplausible theoretische Möglichkeit, wird jedoch, wie Ritchie (2004: 39) her-
––––––––––––– 97 Dazu Fauconnier/Turner (2002): „Human beings are evolved and culturally supported to deal with reality at human scale – that is, through direct action and perception inside familiar frames, typically involving few participants and direct intentionality.“ (322) Eine wichtige kognitive Strategie besteht darum in der imaginativen Reduktion von Komplexität im blended space mit dem Ziel „[to] achieve human scale“ (ebd.). Diese Strategie spielt eine entscheidende Rolle bei der Verarbeitung neuer Bedeutung: „What blending achieves through such a formation of new mental spaces is a degree of clarity and simplicity […] needed for new meanings to naturally arise and be easily manipulated.“ (Dancygier 2006: 6) 98 Für eine Taxonomie verschiedener conceptual integration networks sowie zu multiple blends, d. h. der wiederholten Anwendung von blending auf die Ergebnisse früherer blending-Prozesse, siehe Fauconnier/Turner (2002: 120–137, 279–298) und Evans/Green (2006: 426–432). 99 Diese Leitprinzipien werden von Fauconnier und Turner als ‚governing principles‘ bzw. ‚optimality principles‘ bezeichnet und stellen gewissermaßen ein kognitives Regelwerk dar, das die Willkür von blending-Prozessen eingrenzen und kanalisieren soll. Zur Diskussion dieser Prinzipien siehe Fauconnier/Turner (1998: 162–181, 2002: 309–352), Coulson/Oakley (2003: 58–61), Evans/Green (2006: 433–437) und Turner (2007: 382ff.).
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vorhebt, von den Autoren weder weiter begründet noch durch Untersuchungsergebnisse explizit gestützt. In diesem Kontext diagnostiziert Barbara Dancygier daher nicht unerwartet: „Blending proposes a view of meaning construction which attempts to model unconscious cognitive processes. […] But it cannot yet make specific claims about the realities of neural activity which underlies those processes“ (2006: 11f.). Auch Hougaard/Oakley stellen in ähnlicher Weise fest: [W]e can hardly postulate that we have much more than a useful model. The claim by Fauconnier and Turner that mental spaces are human cognition at work still fails to be supported by definitions and empirical investigations which concern themselves with what mental spaces really are […]. (2008: 12)
Die Ursachen für diese Situation liegen aber nicht nur in der mangelnden neuronalen Grundlegung des Konzepts begründet. Blending ist in der Ausführung von Fauconnier und Turner weder falsifizierbar noch taugt es als Basis konkreter Vorhersagen und wird stattdessen meist nur rückwirkend zur Erklärung semantischer Phänomene herangezogen.100 „[A]n attractive posthoc interpretation“ ist jedoch, wie Harder (2003: 92) betont, keine ausreichend robuste Grundlage „for a theory of actual mental processing (whether productive or receptive)“. Ohne Möglichkeit zur (empirischen) Überprüfung ist das Modell damit nicht nur „an abstraction which may not be real“ (Hougaard 2008: 199), sondern die Theorie läuft ferner Gefahr, in einen Abgrund unbestätigter Hypothesen zu fallen und dort im Sumpf der Spekulation zu versinken (vgl. 198). Trotz einer Reihe von Anstrengungen, blending auf wissenschaftstheoretisch stabilere Füße zu stellen und in Zusammenhang mit psychologischer bzw. neurologischer Forschung zu bringen (vgl. Gibbs 2000), erweist sich die hypothetische Natur des Konzepts als hartnäckiges Problem der blending-Theorie. Dies liegt jedoch nach Meinung des Verfassers nicht an unsauberer oder mangelhafter grundlagentheoretischer Ausarbeitung des Konzepts, sondern ist vielmehr in dessen Aufbau selbst begründet. So bemühen sich Fauconnier und Turner, blending als Grundlage kreativen Denkens per se zu konstruieren (vgl. u. a. Turner/Fauconnier 1999) und die emergente Qualität von blended spaces in dezidierter Weiser als nicht vorhersag- bzw. determinierbar zu bestimmen: „Conceptual blending is not a compositional algorithmic process and cannot be modeled as such for even the most rudimentary cases. Blends are not predictable solely from the structure of their inputs.“ (Fauconnier/Turner 1998: 136) ––––––––––––– 100 Zum Vorwurf mangelnder Falsifizierbarkeit siehe die Gegenrede von Fauconnier/Turner (2002: 55f.) sowie Ritchie (2004: 35f.), der die Argumente der Autoren kritisch bewertet.
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Der Aspekt der kreativen Offenheit von blending sperrt sich auf diese Weise gewissermaßen per definitionem gegen bestimmte Theorieanforderungen, wie z. B. das Aufstellen und die Falsifizierbarkeit experimentell überprüfbarer Vorhersagen (vgl. Popper 1972; Poser 2001: 119–125). Ferner weisen schon die Begrifflichkeiten der Theorie eine Vagheit auf, die der notwendigen Präzision für eine experimentelle Operationalisierbarkeit entgegensteht. In diesem Kontext hat David Ritchie auf die Metaphorizität der von Fauconnier und Turner verwendeten Begriffe aufmerksam gemacht. In seinem Aufsatz „Lost in Conceptual Space“ (2004) argumentiert er auf überzeugende Weise, dass mental spaces konzeptuell nicht scharf abgegrenzt werden können, sondern einen eher metaphorischen Sprachgebrauch darstellen: Fauconnier and Turner’s use of circular diagrams to illustrate mental spaces and their description of the process through which relevant “contents” of two “input spaces” are copied into a separate “blended mental space,” suggests more of a “conduit” or “container” metaphor (Reddy 1993), in which meanings are conceptualized as objects that can be “put into” words and phrases and “conveyed” to a reader or listener who “gets the meaning out” of them. (Ritchie 2004: 39)
Die Metaphorizität der Begriffe verschleiert die Tatsache, dass letztlich unklar bleibt, was genau unter einem blended space zu verstehen ist (vgl. 42). Metaphern wie ‚space‘, ‚packets‘ und ‚blending‘ erweisen sich nach Ritchie in ihrem räumlichen und anschaulichen Charakter nicht nur als inhaltlich irreführend, sondern zudem als tendenziell inkompatibel mit dem konnektionistischen Grundgedanken der conceptual integration networks (vgl. 39, 47): „[T]he authors’ reliance on the metaphorical language of ‚space‘ and ‚blending‘ obscures as much of the underlying logic of the process as it illuminates and leads to entailments that are ambiguous and even contradictory […].“ (47) Die metaphorische Flexibilität des Konzepts täuscht ferner über den relativ hohen kognitiven Aufwand hinweg, den die mentale Repräsentation eines conceptual integration network selbst in den einfachsten Fällen darstellt. Schon die Annahme, dass die Informationen der input spaces nicht nur erhalten, sondern partiell dupliziert und in zwei zusätzliche mental spaces projiziert werden, bedeutet eine deutliche Erhöhung der kognitiven Repräsentationsleistung. Dient der blended space gar als Basis weiterer blending-Operationen oder folgen verschiedene conceptual integration networks, z. B. bei der Textrezeption, rasch aufeinander, so erhöht sich die Anzahl der zu repräsentierenden mental spaces dramatisch: „Unless these independent mental spaces are dissolved as new ones are generated, the load on cognitive capacity must expand quite rapidly“ (40). Peter Harder schlägt aus diesem Grund eine Überprüfung mit dem Ockhamschen Rasiermesser vor. In diesem Sinne gilt es zu prüfen, in welchen Fällen ein vollständiges conceptual integration network tatsächlich zur Erklärung des jeweiligen Phäno-
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mens notwendig ist und in welchen Fällen alternative Hypothesen existieren, die mit geringerem theoretischem Aufwand auskommen: „If there is a theory that can account for the same data with less heavy theoretical artillery, that theory should be preferred“ (2003: 92).101 Angesichts der hier skizzierten Einwände, die sich aus der metaphorischen Natur von blending ergeben, scheinen sich die Stärken der Theorie – umfassendes Erklärungspotential und weite Applikationsmöglichkeiten – in Schwächen zu verkehren. Doch ein vorschnelles Verwerfen des Konzepts ist ebenso unangebracht wie ein allzu naives Umarmen der Ideen von Fauconnier und Turner. So darf beispielsweise nicht vergessen werden, dass der Wissensstand in den Kognitionswissenschaften noch immer derart lückenhaft ist, dass der Gebrauch von erklärenden Metaphern nicht zwingend eine Schwäche darstellt, sondern in manchen Fällen unverzichtbar bleibt. Selbst ein Kritiker wie Ritchie gibt zu: Until we have detailed knowledge of these processes at the neuronal level, we will almost certainly have to rely on evocative metaphors to help us understand and reason about cognitive processes. Rigorous criticism of our own metaphors will be required if we are not to become enmeshed in their unintended but seductive entailments. (2004: 48)
Die Konsequenz aus den vorangehenden Überlegungen besteht darin, dass der Umgang mit Fauconnier und Turners Modell einer reflektierenden Distanz bedarf, die sich kritisch mit der Reichweite und dem Status der Theorie auseinandersetzt (vgl. Hougaard/Oakley 2008: 12). Konkret bedeutet dies unter anderem, dass conceptual integration networks und ihre Funktionsmechanismen nicht als exakte Abbildung realer Kognitionsprozesse verstanden werden dürfen, sondern lediglich eine modellhafte Annäherung an jene Operationen darstellen. Als heuristische Idee ist blending je––––––––––––– 101 Laut Harder (2003) sollten mental spaces und blending-Prozesse nur für komplexere Fälle der Bedeutungsintegration reserviert und nicht auf simplere Phänomene wie z. B. grammatische Prozesse angewendet werden (vgl. z. B. Coulson 2001 für einen solchen Ansatz). Wo genau Harder die Trennlinie zwischen ‚einfach‘ und ‚komplex‘ sieht wird jedoch nicht restlos klar. Ritchie (2004: 41ff.) greift Harders Überlegungen dennoch auf und zeigt, dass zahlreiche Beispiele von Fauconnier und Turner auch ohne blending theory erklärt werden können. Für weitere kritische Stellungnahmen zu conceptual integration siehe Ungerer/ Schmid (2006: 294f.), Hougaard (2008), Hougaard/Oakley (2008) und Cienki (2008), der mit der Frage „Whose blend is it that we are looking at on paper?“ (2008: 236) einen weiteren wichtigen Aspekt der blending-Debatte aufwirft, da in vielen blending-Analysen unklar bleibt um wessen konzeptuelle Operationen es sich bei den Diagrammen auf dem Papier eigentlich handelt (ebd.). Eine abschließende Frage betrifft den Status von conceptual integration als einem unbewussten Prozess der Informationsverarbeitung. Zwar ist unbestritten, dass blending als Teil der backstage cognition zumeist automatisch und ohne bewusste Steuerung abläuft, doch bleibt es zunächst offen, ob es sich dabei um eine definitorisch zwingende Eigenschaft handelt (vgl. hierzu Kap. V.2, in welchem diese Frage explizit diskutiert wird).
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doch ein theoretisch inspirierendes Konzept, das kognitive Vorgänge trotz aller Metaphorizität in einer beeindruckend differenzierten Weise modelliert: The results of blending in thought can be modeled and coherently explained, and are thus far factually revealing as well as theoretically inspiring. Even if we never obtain any solid evidence of whether blending occurs in predictable ways in our ‘wetware’ (another blend), we will still profit from the clarity with which meaning construction […] can now be described. (Dancygier 2006: 12)
Der eigentliche Verdienst der Theorie besteht nicht darin, eine empirisch solide Brücke zwischen den verschiedenen Untersuchungsebenen der Kognition (Neurologie, Textverstehensforschung, kognitive Literaturwissenschaft) zu schlagen. Stattdessen liegt die eigentliche Leistungsfähigkeit des Konzepts im modellhaften Erfassen der kreativen und dynamischen Aspekte menschlicher Kognition (vgl. Turner/Fauconnier 1999).102 Diesen nur schwer theoretisch zu greifenden Grundaspekten des Denkens verleihen conceptual integration networks eine theoretische Gestalt, die eine differenzierte und gleichzeitig anschauliche Annäherung an das Phänomen des Entstehens von emergenter und kreativer Bedeutung erlaubt. So ist blending zwar „more hazy and intuitive“, gleichzeitig aber auch „much richer and multi-faceted“ als andere Theorien der Kognition (Ungerer/ Schmid 2006: 295). Seine Stärken spielt das Konzept dabei vor allem in Bezug auf komplexe Kontexte und semantisch komplizierte Situationen aus (vgl. Harder 2003), da es Anhaltpunkte dafür liefert wie stark unterschiedliche oder gar inkompatible input spaces in verständliche und kohärente blends überführt werden können (vgl. Dancygier 2006: 10f.). Die dabei geleistete Ausdifferenzierung phänomenologisch einheitlicher Kognitionsvorgänge in die klar bestimmbaren Komponenten einer Netzwerkstruktur birgt ein beträchtliches analytisches Potential. Besonders im Hinblick auf die Ebene der literarischen Textrezeption ist der empirische Nachweis der Bestandteile von conceptual blending dagegen nur von untergeordneter Bedeutung. Wichtig ist vielmehr die Möglichkeit, komplexe kreative Vorgänge schematisch zu erschließen und entlang der Verbindungslinien des Modells zu studieren. Die Überlegungen von Fauconnier und Turner dienen dabei weniger als Quellen abschließender Antworten, sondern bilden eine theoretische Orientierungsmatrix, die zur Ergründung komplexer kognitiver Phänomene herangezogen werden kann. Mit der heuristischen Kartierung der dabei involvierten Mechanismen und Aspekte liefert blending einen Ausgangspunkt für weiterführende Untersuchungen, indem es einerseits die interne Komplexität der Entstehung neuer Be––––––––––––– 102 Für einen Überblick über verschiedene Annäherungsversuche an das Phänomen der Kreativität siehe exemplarisch Runco (2007), Pope (2008) und die Beiträge in Sternberg (1999).
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deutung offenlegt und andererseits die wissenschaftliche Aufmerksamkeit auf das ganzheitliche Zusammenspiel kognitiver Verstehensprozesse lenkt (vgl. Ungerer/Schmid 2006: 295). In dieser doppelten Funktion bietet sich conceptual integration auch in Fragen der Figuren- und Perspektivenrezeption als vielversprechende theoretische Ergänzung der weiter oben skizzierten Modelle des Textverstehens und der Personenwahrnehmung an. Inferenzen, die auf Mechanismen wie theory of mind basieren, können beispielsweise mittels blending miteinander in Bezug gesetzt und in Verarbeitungsformate wie Situationsund Figurenmodell integriert werden; denn wie anhand von Fauconniers Beispiel von ‚Websters Schwester‘ gezeigt wurde, werden bei der Textrezeption semantische Felder unterschiedlichster Art miteinander verknüpft. Um diese Bezüge theoretisch zu beschreiben, eignen sich mental spaces auf hervorragende Weise. Da auch mentale (Figuren/Perspektiven)Modelle generell als solche spaces modelliert werden können, kann blending theory somit grundsätzlich auch auf die Konstruktion dieser zentralen Textkomponenten angewandt werden. In diesem Kontext illustriert das Beispiel von „Miss Brill“, dass eine besondere Stärke des Konzepts darin besteht, die involvierten semantischen Prozesse in Form eines dynamischen und flexibel interagierenden Netzwerks zu modellieren. Auf diese Weise ist Fauconnier und Turners blending-Theorie in der Lage, die dynamische Qualität der Figuren- und Perspektivenkonstruktion detailliert zu erfassen und die Entstehung emergenter Bedeutungsaspekte besser zu beschreiben als andere Theorien der Bedeutungserzeugung. Zusammen mit den zuvor in diesem Kapitel erörterten Konzepten schließt blending damit den Kreis der zentralen kognitiven Mechanismen und Dispositionen, die die Grundlage der mentalen Bildung und Verarbeitung von Figurenperspektiven darstellen. Als nächsten Schritt gilt es, die damit gewonnene Einsicht in die Perspektivenkonstruktion als Untersuchungsgrundlage für die Analyse der Perspektiveninteraktion fruchtbar zu machen. Nach einer kurzen Zusammenfassung der in diesem Kapitel gewonnenen Einsichten zu den Bausteinen der Perspektivenrezeption soll dies im folgenden Kapitel in Angriff genommen werden.
IV.6 Zusammenfassung und Zwischenergebnis Versucht man, die wichtigsten Schlussfolgerungen aus diesem Kapitel für die weitere Untersuchung zu kondensieren, so ergibt sich folgendes Zwischenergebnis: Textrezeption impliziert die (Re)Konstruktion von Figuren und ihren Perspektiven. Solche Figurenperspektiven stellen strukturell gesehen eine immanente Komponente der jeweiligen mentalen Figurenre-
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präsentation dar, deren Verarbeitung sich auf der Basis sogenannter mentaler Modelle vollzieht (vgl. Schneider 2000). Dabei handelt es sich um ein leistungsfähiges analytisches Repräsentations- und Speicherformat, das gewissermaßen den konzeptuellen Ort bezeichnet, der aus der Integration aller figurenrelevanten Informationen (bottom-up & top-down) entsteht. Hier verschränken sich textuelle Daten mit Rezeptionsemotionen und dem Weltwissen des Rezipienten und bilden die Grundlage für alle weiteren figurenbezogenen kognitiven Operationen. Eine Figurenperspektive ist in diesem Kontext als integraler, aber heuristisch isolierbarer Teil der mentalen Gesamtrepräsentation einer literarischer Figur zu begreifen. Sie stellt ein holistisch semantisches Verständnis der spezifischen Weltsicht eines fiktionalen Akteurs dar und lässt sich kognitionspsychologisch als eigenständiges mentales (Teil)Modell des jeweiligen Figurenmodells konzeptualisieren. Aus dieser Zuordnung folgt, dass alle auf die allgemeine Figurenkonstitution einwirkenden Faktoren (z. B. Inferenzbildung, Kategorisierung, affektive Bewertung, theory of mind) potentiell ebenso bei der Konstruktion figuraler Perspektiven wirksam sein können. So müssen auch hier die vom Text gelieferten Informationen mit den Details und kognitiven Schemata des Rezipientenwissens verschmolzen, kontextualisiert und durch Inferenzen verschiedenster Art unterfüttert werden. Das Verhältnis zwischen Figuren- und Perspektivenmodell ist dabei in ähnlicher Weise zu verstehen wie das Verhältnis von Situations- und Figurenmodell. Wie die Figur eine der wichtigsten Dimensionen des Situationsmodells darstellt (neben Raum, Zeit, Kausalität), so konstituiert die Figurenperspektive den, nach Meinung des Verfassers, grundlegendsten Aspekt der Gesamtfigurenverarbeitung (vgl. Palmer 2004). Diese immense Bedeutung von Perspektiven für die Figuren- und damit die Textrezeption wird von der Untersuchung psychologischer Mechanismen der Personen- und Figurenwahrnehmung auf eindrückliche Weise gestützt. Arbeiten in diesem Kontext zeigen, dass der konstante Nachvollzug der epistemischen und emotionalen Standpunkte sowohl von Personen als auch von Figuren zu den elementarsten Voraussetzungen einer ‚erfolgreichen‘ kognitiven Navigation realer und fiktiver Welten gehört. Die fundamentale Notwendigkeit, bei der Textrezeption die Perspektive von Figuren, inklusive deren Wissen, Wünsche und Emotionen kontinuierlich nachzuvollziehen, motiviert damit gewissermaßen kognitionspsychologisch die Entscheidung, den Begriff der Perspektive figurengebunden zu konstruieren. Während raumzeitliche oder visuelle Aspekte oft nur rudimentär mental repräsentiert sein müssen, um situatives Textverständnis zu gewährleisten, erweist sich der Nachvollzug des mentalen Innenlebens, d. h. der Bewusstseinsperspektive von Figuren, als essentiell für die Literaturrezeption.
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Die im ersten Kapitel formulierte These, das ‚Perspektivische‘ sei eine ‚Grundbedingung aller Literatur‘, kann damit nachhaltig bekräftigt werden. Die umfassende Analyse der kognitiven Bausteine der Perspektivenkonstitution bestätigt, dass der Akt des Lesens üblicherweise nicht nur die mentale Repräsentation des erzählten Geschehens, sondern auch die von Figuren und ihrem fiktionalen Bewusstsein, d. h. von individuellen und (unterschiedlich detailliert ausgestalteten) holistischen Perspektiven, impliziert. Die Bildung solcher Repräsentationen beruht dabei grundsätzlich sowohl auf genuinen Mechanismen und Verarbeitungsformaten des Textverstehens als auch auf kognitiven Dispositionen, die ihren Ursprung im alltagspsychologischen Umgang mit anderen Menschen nehmen (z. B. theory of mind, metarepresentation). Eine weitere wichtige Eigenschaft der Textrezeption besteht zudem in der Notwendigkeit, unablässig inhaltliche Verknüpfungen mannigfaltigster Art zwischen unterschiedlichen semantischen Einheiten und Feldern herzustellen. Auch der Nachvollzug literarischer Texte stellt in diesem Kontext keine Ausnahme dar, sondern geht mit der Bildung vielfältiger konzeptueller Beziehungen zwischen den involvierten Situationen, Figuren und Perspektiven einher, wobei diese Bezugnahme sich auf einzelne Komponenten oder Aspekte der entsprechenden mentalen Modelle beschränken kann. Eine wichtige Schlussfolgerung aus diesem Sachverhalt besteht darin, dass die Herausbildung einzelner Figurenperspektiven sich meist nicht in Isolation vollzieht, sondern von den mentalen Repräsentationen anderer Figuren und deren Gedankenwelt beeinflusst wird, wodurch die involvierten mentalen Modelle im Rezeptionsakt untereinander in Beziehung treten. Auf der Basis dieser Beobachtung lässt sich daher die Vermutung formulieren, dass Perspektivenkonstruktion und -interaktion als interdependente Aspekte der Textverarbeitung zu verstehen sind. Das Vorhandensein von Einzelperspektiven scheint, mit anderen Worten, nicht nur die notwendige Voraussetzung für die Möglichkeit perspektivischen Zusammenspiels darzustellen; dieses Zusammenwirken führt vielmehr zur Entstehung neuer (emergenter) Bedeutung, welche sich potentiell auf die zugrundeliegenden individuellen Perspektiven zurückprojizieren lässt – eine Dynamik, die im nächsten Kapitel genauer untersucht werden soll. Figuren und ihre Standpunkte, so der provisorische Zwischenstand, interagieren damit scheinbar nicht nur auf der Handlungsebene, sondern schon die Bildung und Verarbeitung ihrer mentalen Modelle vollzieht sich unter gegenseitiger Bezugnahme. Die Rekonstruktion perspektivischer Interaktion muss daher als dynamischer Prozess vorgestellt werden, der sowohl zur Entstehung neuer semantischer Strukturen als auch zur Modifikation der Einzelperspektiven führen kann. Fauconnier und Turners blending theory stellt in diesem Kontext einen geeigneten theoretischen Rah-
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men zur Verfügung, mit dem solche Interaktionsprozesse auf detaillierte Weise untersucht werden können. Durch die Ausdifferenzierung semantischer Integrationsoperationen in ein mindestens viergliedriges Netzwerk ist das Konzept in der Lage, phänomenologisch einheitliche Verstehensprozesse als dynamisches Bündel interagierender kognitiver Einzeloperationen zu modellieren. Die Theorie birgt damit beträchtliches analytisches Potential, da die Aufgliederung der beteiligten Kognitionsprozesse in die klar bestimmbaren Komponenten einer Netzwerkstruktur eine gezielte Untersuchung spezifischer Einzelaspekte des Zusammenspiels von Perspektiven aus rezeptionstheoretischer Sicht ermöglicht. Eine weitere Attraktivität von blending besteht zudem in der Tatsache, dass andere kognitive Bausteine der Perspektivenkonstruktion nicht obsolet werden, sondern sich in ein gemeinsames Theoriegebäude integrieren lassen. So können beispielsweise Mechanismen der Bedeutungszuweisung wie theory of mind oder preference rules zur Erhellung der semantischen Operationen innerhalb eines conceptual integration networks herangezogen werden; zudem bietet sich die Möglichkeit, Figuren- und Situationsmodelle heuristisch als mental spaces zu konzeptualisieren und auf diese Weise mittels cross space mapping in gegenseitigen Bezug zu setzen. Aufgrund der flexiblen und kompatiblen Natur von Fauconnier und Turners Idee soll blending theory daher im folgenden Kapitel zusammen mit den hier identifizierten Bausteinen der Perspektivenkonstruktion in die bereits bestehende narratologische Diskussion von Figuren- und Perspektivenkonstellationen integriert werden. Denn Figuren implizieren Figurenperspektiven nicht nur auf einer rein rezeptionstheoretischen, sondern auch auf einer breiteren narratologischen Betrachtungsebene, auf der sie bereits eindrückliche Betrachtung erfahren haben. Dieses literaturwissenschaftliche Wissen gilt es produktiv zu nutzen und mit Fauconnier und Turners allgemeiner Theorie der Bedeutungsbildung zusammenzuführen. Eine solche Synthese, bei der die konzeptuellen Stärken beider Felder vereint werden, verspricht eine signifikante Schärfung des analytischen Blicks auf die zu untersuchenden Interaktionsprozesse. Den narratologischen Ausgangspunkt dieser Bemühungen soll im Folgenden die Idee der Perspektivenstruktur narrativer Texte (Nünning 1989a) darstellen. Durch diese Wahl erhält blending einerseits einen thematischen Fokus, während Fauconnier und Turners Theorie umgekehrt der narratologischen Perspektivendiskussion zusätzliche analytische Präzision bei der Erfassung dynamischer und emergenter Aspekte perspektivischen Zusammenspiels zu verleihen verheißt. Auf diese Weise wird eine Synthese kognitionswissenschaftlicher und narratologischer Ansätze angestrebt, die den in Kapitel II formulierten Leitlinien einer kognitiven Literaturwissenschaft entspricht und sich als heuristisches Analysemodell mit anderen literaturwissenschaftlichen Konzepten kombinieren lässt.
V. Zur Interaktion von Perspektiven (1): Eine Synthese kognitiver und narratologischer Ansätze The semantics of narrative is, at its core, the semantics of interaction. (Doležel 1998: 97)
Am Anfang von T. C. Boyles The Tortilla Curtain (1995) steht ein Autounfall. Delaney Mossbacher, ein für ein Umweltmagazin schreibender Schriftsteller mittleren Alters, erfasst mit seinem Wagen den die Straße überquerenden illegalen mexikanischen Einwanderer Cándido Rincón und verletzt ihn ernsthaft. Dieses Ereignis stellt den Auftakt einer Geschichte dar, in der nicht nur Mossbachers teures japanisches Automobil und der Körper des mittel- und obdachlosen Mexikaners schmerzhaft zusammenstoßen. Der Unfall setzt vielmehr eine Erzählung in Gang, die durch das Verweben der Schicksale beider Männer stellvertretend auch deren soziale und kulturelle Welten aufeinanderprallen lässt. Von einem rezeptionstheoretischen Blickpunkt aus beruht die sich entfaltende Inszenierung des Konflikts zwischen „worried rich Anglos“ und „illegal poor Chicanos“ (Freese 2000: 222) zu einem wichtigen Teil auf der mentalen Repräsentation und Verarbeitung der individuellen Perspektiven der Protagonisten. In den mentalen Perspektivenmodellen von Mossbacher und Rincón verschränken sich die textuellen Informationen zu diesen fiktionalen Akteuren mit dem gesamten Welt- und Literaturwissen des Rezipienten (bottom-up & top-down), wodurch die Basis für eine Vielzahl von Rezeptionsemotionen sowie alle weiteren figurenbezogenen kognitiven Operationen gebildet wird. Das mentale Modell ist somit auch in The Tortilla Curtain der Ausgangs- und Anknüpfungspunkt für (die Inszenierung von) mindreading, die Zuordnung von Aussagen und Gedanken zu bestimmten Figuren (Metarepräsentation) oder die Anwendung von kognitiven preference rules (vgl. Kapitel IV.4). Gleichzeitig stellt Boyles Roman jedoch ein eindrückliches Beispiel dafür dar, dass die Frage nach der Perspektive der Hauptfiguren sich nicht ausschließlich mit den bisher erörterten Konzepten erfassen lässt. Schon auf den ersten Seiten fällt auf, dass beide Männer den Unfall auf sehr unterschiedliche Weise erleben: Während der Mexikaner sich, aus der Sicht
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Mossbachers, einem wilden selbstmörderischen Tier gleich unmittelbar vor seinen Wagen wirft (vgl. The Tortilla Curtain, 3f.), fühlt sich Rincón wie von einem erbarmungslosen, gleichmütigen Panzer aus Chrom und Stahl überrollt, während er die Straße mit Einkäufen vom Supermarkt überquert (vgl. 17). Der Kontrast zwischen beiden Schilderungen generiert den für den Roman typischen Reibungseffekt zwischen den individuellen Perspektiven der involvierten Figuren und demonstriert gleichzeitig einen blinden Fleck in den bisher skizzierten Überlegungen zur kognitiven Verarbeitung von Perspektiven. Die Ursache hierfür liegt in der Natur des Reibungseffekts als einem relationalen Phänomen: Der Kontrasteffekt entsteht erst aus der Gegenüberstellung beider Blickwinkel und lässt sich daher nicht in einem einzelnen mentalen Modell bzw. einer individuellen Figurenperspektive verorten. Tatsächlich ist diese relationale Dimension schon in der Semantik des Perspektivenbegriffs angelegt.1 Bereits auf rein sprachlicher Ebene erinnert die Metaphorik des Terminus daran, dass Perspektiven immer eine spezifische Relation zu ihrem ‚Inhalt‘ implizieren beziehungsweise im Kontrast zu anderen Perspektiven stehen. Sie sind damit stets relativ, individuell und unterscheiden sich im Objekt ihrer Bezugnahme oder in der Spezifik ihres Bezugs: „Ein Perspektivträger“, so Jens Eder, „repräsentiert einen bestimmten Gegenstand in bestimmter Weise (in einer bestimmten Perspektive) und steht damit in einem bestimmten Verhältnis zu anderen Perspektivträgern (und deren Perspektiven).“ (2008: 592; kursiv i. Orig.) Der Begriff umfasst nach dieser Definition (mindestens) drei untrennbar miteinander verschränkte Komponenten: (1.) den perspektivischen Gehalt, d. h. die spezifische Repräsentation bestimmter Gegenstände oder Inhalte; (2.) den Perspektiventräger, dessen Wahrnehmungs- und Dispositionsmatrix den Perspektiveninhalt wesentlich bestimmt; und (3.) das Bezugsverhältnis zwischen verschiedenen Perspektiventrägern und ihren Perspektiven untereinander.2 Obwohl es sich bei allen drei Punkten um geradezu offensichtliche Beobachtungen handelt, hat sich die bisherige kognitive Figuren- und Perspektivendiskussion jedoch nahezu ausschließlich auf die Untersuchung ––––––––––––– 1 Vgl. Surkamp (2003: 46) und Lanser (1981: 13): „Unlike such textual elements as character, plot, or imagery, point of view is essentially a relationship rather than a concrete entity.“ 2 Schon die Begrifflichkeit der Figurenperspektive weist einen relationalen Charakter auf, durch den sie anderen verwandten Konzepten, wie z. B. Alan Palmers (2004) fictional minds, im Kontext dieser Untersuchung überlegen ist. Obgleich sich Palmers Begriff in gewisser Weise ebenfalls auf die Bewusstseinsperspektive von Figuren bezieht, fehlt ihm die implizite Relation zu anderen Perspektiven, die im hier gewählten Terminus bereits sprachlich anklingt. Auch wenn Palmer auf die Notwendigkeit aufmerksam macht, Figuren in ihrem Zusammenspiel zu betrachten, so mangelt Begriffen, wie z. B. „intermental thought“ (2005b) oder „social minds“ (2010), der dem Perspektivenbegriff inhärente Verweischarakter. Seine Terminologie ist daher für die hier angestrebte Untersuchung weniger gut geeignet.
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der ersten beiden Aspekte konzentriert. Der dritte Gesichtspunkt, d. h. die daran anknüpfende Frage nach den kognitiven Repräsentationsmechanismen der Interaktion von Perspektiven, wurde von der Forschung bisher bis weitgehend vernachlässigt.3 Dies ist umso verwunderlicher als in der Literaturwissenschaft bereits eine reiche und einflussreiche Tradition des Nachdenkens über Figuren- und Perspektivenkonstellationen vorliegt. Doch gerade neue kognitive Ansätze zur Figur scheinen häufig die Tatsache aus den Augen zu verlieren, dass Figuren in narrativen Texten selten allein auftreten. Geleitet von der Idee des „mental file“ (Margolin 2007: 76) beschäftigen sie sich dementsprechend meist primär mit der Untersuchung der mentalen Repräsentation individueller Figuren und der dabei involvierten kognitiven Operationen.4 Wie jedoch schon der relationale Charakter des Perspektivenbegriffs nahelegt bedarf eine sinnvolle, zeitgemäße Betrachtung fiktionaler Akteure sowohl einer Untersuchung der psychologischen Rezeptionsgrundlagen als auch der Berücksichtigung der Aspekte der Figurenkonstellation und des Verhältnisses einzelner Perspektiven miteinander.5 Trotz dieses Befundes hat sich in der Narratologie bisher jedoch kein ausgeprägter Dialog zwischen diesen verschiedenen Forschungsfeldern entwickelt. Während einerseits Arbeiten aus dem Blickwinkel des „cognitive-psychological approach“ (Margolin 2007: 76) die Bedeutung der Interaktion von Figuren mehrheitlich übersehen, vernachlässigen andererseits Ansätze zur Figurenkonstellation üblicherweise die kognitionspsychologische Dimension der Rezeption solcher Arrangements. Dieses Defizit gilt es zu überwinden und eine Brücke zwischen den kognitiv-psychologischen Entwürfen zur Text-, Figuren- und Perspektivenkonstruktion ––––––––––––– 3 Beachtenswerte Ausnahmen sind die Arbeiten Palmers (2008, 2005b, 2004: 218ff.) sowie Eder (2008), der Figurenkonstellationen ausführlich diskutiert (2008: 464–520). Jenseits dieser Arbeiten wird zwar die Bedeutung der Rezeptionstätigkeit des Lesers häufig betont, jedoch zumeist nur in Form einleitender Überlegungen, die einzelne kognitive Mechanismen (z. B. primacy- und recency effect) berücksichtigen (vgl. Nünning/Nünning 2000c: 70–74; Surkamp 2003: 65–83; Menhard 2009: 102–115). Dabei wird noch immer häufig auf Überlegungen der klassischen Rezeptionsästhetik und der empirischen Literaturwissenschaft bzw. dem radikalen Konstruktivismus zurückgegriffen (zu diesen Feldern vgl. Warning 1975; Schmidt 1991 [1980]; Watzlawick 1984). Ohne die historische Bedeutung dieser Ansätze in Frage stellen zu wollen kann jedoch konstatiert werden, dass es sich dabei eher um die Vorläufer heutiger kognitiver Literaturtheorien handelt (vgl. Strasen 2008a; Schneider 2006a: 5). 4 Diese Beobachtung gilt tendenziell selbst für Texte, die die soziale Dimension der Figurenkonstruktion explizit thematisieren (z. B. Zunshine 2006; Emmott 2003; Bortolussi/Dixon 2003: 133–165). Zwar werden in diesen Arbeiten Theorien aus der Sozialpsychologie adaptiert (z. B. metarepresentation, contextual frames oder attribution theory); doch diese Theorien werden primär dazu eingesetzt, individuelle Figuren sowie die Konstruktion ihrer fictional minds zu erhellen, und widmen sich selten direkt deren interfiguralem Zusammenspiel. 5 Eders Figur im Film (2008) entspricht als eine der wenigen Arbeiten diesen Anforderungen und widmet jedem der Aspekte ein eigenes Kapitel (2008: 168–232, 464–520, 561–646).
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und den Arbeiten zur Interaktion fiktionaler Akteure und ihrer Weltsicht zu schlagen. Nachdem die kognitiven Mechanismen der Perspektivenrezeption im vorhergehenden Teil der Arbeit gründlich untersucht wurden, soll daher nun zunächst ein genauer Blick auf die bereits bestehenden Modelle geworfen werden, die sich mit dem Arrangement und der Wechselwirkung von Einzelperspektiven in der Literatur beschäftigen. Dabei liegt das besondere Augenmerk auf den Ansätzen zur Perspektivenstruktur in der Nachfolge Pfisters (1974, 1977) und Nünnings (1989a), die ebenfalls auf einem anthropozentrisch ausgerichteten Perspektivenbegriff beruhen und sich auf diese Weise organisch an die im vorherigen Kapitel herausgearbeiteten kognitiven Bausteine der Perspektivenkonstruktion anschließen lassen.6 Nach einer Diskussion der Stärken und Schwächen dieses narratologischen Ausgangspunkts wird blending theory als Beschreibungsmatrix zur Überwindung der aufgezeigten Schwachstellen herangezogen und anhand zahlreicher Beispiele in seiner Funktion als kognitiver Rahmen der Perspektiveninteraktion illustriert.
V.1 Narratologischer Ausgangspunkt: Die Perspektivenstruktur narrativer Texte Es ist kein Geheimnis, dass dem Kontrastieren von Perspektiven ein ungeheures ästhetisches Wirkungspotential innewohnt. Seit jeher bedienen sich Texte dieses Kunstgriffs, um eine weite Bandbreite von Effekten auszulösen. Die dramatische Spannung, die beispielsweise mit Romeos Selbstmord in Shakespeares Romeo and Juliet (1597) einhergeht, ist zu einem großen Teil der Tatsache geschuldet, dass Romeo im Gegensatz zum Publikum nicht weiß, dass Julia eigentlich noch am Leben ist (vgl. Richmond 2004: 153). Unzählige Autoren haben sich ähnlicher Mittel bedient und das Potential divergierender Blickwinkel dabei auf mannigfaltige Weise ausgelotet. ––––––––––––– 6 Untersuchung zu Perspektiven- bzw. Figurenkonstellationen basieren nicht notwendigerweise auf einem anthropologisch ausgerichteten Begriffsverständnis. So kann figurales Zusammenspiel z. B. als Zusammenwirken von ‚Aktanten‘, d. h. Trägern einer Handlungsrolle im Sinne von Propp (1968 [1928]) bzw. Greimas (1983 [1966]) betrachtet werden. Zudem darf nicht vergessen werden, dass auch das Arrangement fiktiver Wesen und ihrer Perspektiven nicht nur eine Frage der mentalen Repräsentation darstellt. So bezieht sich das Thema von Figurenkonstellationen nach Eder/Jannidis/Schneider (2010: 27) u. a. auf: „social relationships (conflicts and bonds), their values and norms (moral and otherwise), their diegetic and aesthetic similarities and differences (parallel and foil characters), the hierarchies of relevance (main vs. minor characters), and their dramaturgical and thematic functions.“ Vgl. zu diesem Thema auch die Darstellung in Eder (2008: 464–520) und Platz-Waury (1997).
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Einer der Literaturwissenschaftler, der die Bedeutung dieses Phänomens nicht nur erkennt, sondern auch in den Fokus akademischer Aufmerksamkeit rückt, ist der Shakespeare-Forscher Bertrand Evans. In seiner vielbeachteten Monographie Shakespeare’s Comedies (1960) prägt er den einflussreichen Begriff discrepant awareness, mit dem er die unterschiedliche Distribution von Wissen und Informationsstand bei Figuren und Zuschauern beschreibt. Dramatische Texte, so Evans, zeichnen sich durch eine unterschiedliche Verteilung von Informationen aus. So verfügen in einem Stück nicht alle Figuren über dasselbe Wissen bezüglich des fiktionalen Geschehens und auch die Zuschauer haben häufig entweder einen Informationsvorsprung gegenüber den Figuren oder werden bezüglich wichtiger Aspekte (vorerst) im Dunkeln gelassen. Es kommt – mit Evans Worten – zu einem Arrangement von ‚discrepant awareness‘, d. h. zur Schaffung von „exploitable gaps both between audience and participant and between participant and participant“ (1960: viii); oder, anders ausgedrückt: zu einer perspektivischen Diskrepanz, die nicht nur eine charakteristische Eigenschaft der Texte Shakespeares darstellt, sondern die Grundlage einer Vielzahl unterschiedlicher dramatischer Effekte bildet (cf. vii–xi). Figurenperspektive und Perspektivenstruktur bei Pfister und Nünning Evans Einsicht in das grundlegende Wirkungspotential der ästhetischen Kontrastierung individueller Standpunkte wurde von zahlreichen Literaturwissenschaftlern aufgegriffen, unter anderem auch von Manfred Pfister, der die Idee in seine einflussreichen dramentheoretischen Schriften (1974, 1977) einarbeitet und in zweierlei Hinsicht weiterentwickelt. Zunächst präzisiert Pfister das vage Konzept der ‚awareness‘ indem er es durch einen Perspektivenbegriff ersetzt, den er – in Anlehnung an den philosophischen und psychologischen Perspektivismus – an die spezifische Weltsicht fiktiver Individuen knüpft. Pfister begründet damit das literaturwissenschaftliche Konzept einer holistischen Figurenperspektive, das deutlich über die von Evans thematisierten Dimensionen von Informationsstand und Wissen hinausgeht.7 Sein Begriff bezeichnet vielmehr die gesamte individuelle Weltsicht einer Figur, oder, mit Nünnings Worten, „den Merkmalsatz, der eine Figur konstituiert und ihre Sicht der fiktionalen Welt bestimmt“ (Nünning 1989a: 72; meine Herv.). Zweitens legt auch Pfister seinen Überlegungen die Einsicht zugrunde, dass gerade die Diskrepanz zwischen einzelnen Perspektiven ein be––––––––––––– 7 Die Verwendung des Perspektivenbegriffs im Sinne der ‚Weltsicht‘ einer dramatischen Figur findet sich zwar schon zuvor (z. B. bei Klotz 1969: 87–89, 165–172), erfährt jedoch erst bei Pfister (1974, 1977) eine ausführliche Diskussion und theoretische Grundlegung.
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trächtliches dramatisches Potential birgt. Er erkennt, dass es sich hierbei nicht nur um einen nutzbaren Effekt, sondern zudem um eine allgemeine Grundstruktur (dramatischer) Texte handelt, die es theoretisch zu erfassen gilt. Dazu entwickelt er das Konzept der ‚Perspektivenstruktur dramatischer Texte‘, mit dem er das Gesamtspektrum des Perspektivenangebots eines Stücks, inklusive der jeweiligen Positionierung der Einzelperspektiven zueinander, zu beschreiben versucht. Indem er die Konstellation der individuellen Weltsichten als ein Bedeutungsgefüge bzw. Netzwerk beschreibt, dessen Verbindungspunkte von den einzelnen Figurenperspektiven des dramatischen Textes gebildet werden, gelingt es ihm, zwei wichtige Dimensionen der Interaktion von Perspektiven zu erfassen. Einerseits ist das Konzept in der Lage, das spezifische Arrangement individueller Perspektiven eines literarisches Werkes zu beschreiben; gleichzeitig kann durch den strukturellen Vergleich der dabei auftretenden Konstellationsformen eine allgemeine Klassifikation typischer dramatischer Perspektivenstrukturen entworfen werden (vgl. Pfister 1974: 22–27).8 Obgleich Pfisters Arbeiten im Kontext der Dramenanalyse situiert sind, erkennt Ansgar Nünning (1989a) einige Jahre später die Relevanz der Überlegungen auch für den Kontext narrativer Texte und adaptiert Pfisters Theorie für die Erzählforschung. Indem er einige wichtige Modifikationen und Erweiterungen vornimmt, gelingt es Nünning zu demonstrieren, dass gerade die Konzepte der Figurenperspektive und der Perspektivenstruktur in der Narratologie ein hohes analytisches Potential aufweisen.9 Dabei erkennt er deutlicher als Pfister die entscheidende Bedeutung der kognitiven Konstruktionstätigkeit des Rezipienten und bettet seinen Ansatz als Konsequenz in den Kontext des (radikalen) Konstruktivismus ein. Von dieser Warte aus sind Figurenperspektiven als vom Rezipienten mental konstruierte Vorstellungsgegenstände zu begreifen, die mit Siegfried Schmidts Begriff des „Voraussetzungssystems“ (1991 [1980]: 47) neu bestimmt werden können: Dieses System umfasst das jeweilige Wirklichkeitsmodell eines Aktanten, die von ihm internalisierten Werte, Normen und Konventionen, sprachliche und enzyklopädische Kenntnisse ebenso wie Handlungsbeschränkungen politischer, ökonomischer, sozialer Natur. (Hauptmeier/Schmidt 1985: 63)10
––––––––––––– 8 Pfister geht es nicht allein um die theoretische Beschreibung dramatischer Formen, sondern er wendet sein Konzept der Perspektivenstrukur auch auf die Dimension der Literaturgeschichte an, indem er versucht „mit Hilfe idealtypischer Strukturmodelle einen wichtigen Aspekt der Formgeschichte“ des englischen Dramas zu erhellen (vgl. 1974: 27). 9 Zur Nünning’schen Perspektivendiskussion siehe Nünning (1989a, 2001) und Nünning/ Nünning (2000b, 2000c) sowie die Darstellungen in Bode (2005: 249–261), Surkamp (2008, 2003: 36–52) und Niederhoff (2009: 392f.); vgl. dazu auch Kapitel III. 10 Vgl. hierzu Menhard (2009: 21), die Figurenperspektiven als die „innerhalb der Figur selbst verortete Grundlage ihrer Wirklichkeitsapperzeption“ beschreibt.
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Durch den Rückgriff auf Schmidts Konzept kann die Figurenperspektive präziser bestimmt werden als noch bei Pfister (vgl. Jahn 1995: 46). Während sie dort von drei Faktoren determiniert ist, zu denen (1) der Informationsstand, (2) die psychologische Disposition und (3) die ideologische Ausrichtung einer Figur gehören (vgl. Pfister 1977: 91ff.), versteht Nünning die Perspektive einer Figur als Gesamtheit aller Voraussetzungen, die potentiell in den individuellen Weltentwurf dieser Figur einfließen. Damit ist er in der Lage, das „Drei-Faktoren-Modell“ Pfisters (Surkamp 2003: 38) erheblich zu erweitern und zu präzisieren. Berücksichtigt werden nun neben Informationsstand, Werten und Normen auch die kognitiven und emotionalen Dispositionen und Bedürfnisse einer Figur, sowie „die ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Bedingungen […], die Aktanten von außen her Bedingungen auferlegen“ (Nünning 1989a: 72).11 Die Figurenperspektive wird so zu einem holistisch-semantischen Sammelbegriff, der alle Aspekte umfasst, die mit dem mentalen und individuellen Standpunkt einer Erzähltextfigur in Beziehung stehen; sie umfasst, kurz gesagt, „everything that exists in the mind of a character“ (Nünning 2001: 211).12 Wie schon bei Pfister ist jedoch auch Nünning letztendlich nicht an der Analyse einzelner Perspektiven, sondern primär an der Beschreibung deren Zusammenspiels interessiert. Perspektiveninteraktion als Netzwerkstruktur Bereits Wolfgang Iser stellte fest, dass einzelne Perspektiven „in der Regel unterschiedliche Orientierungszentren im Text [darstellen], die es aufeinander zu beziehen gilt, damit der ihnen gemeinsame Verweisungszusammenhang konkret zu werden vermag“ (1976: 62). Auch Nünning (1989a) geht es in ähnlicher Weise „nicht primär um einzelne Perspektiven, sondern um das Verhältnis der Perspektiven […] zueinander“ (76). Sein Konzept der Perspektivenstruktur narrativer Texte zielt daher „nicht auf die Einzelperspektiven selbst, sondern auf deren komplexe Wechselbeziehungen ab“, die sich im „übergeordneten System von Kontrast- und Korres––––––––––––– 11 Weitere Veränderungen bei Nünning sind u. a. die Substitution des problematischen Begriffs der ‚Ideologie‘ durch das Konzept ‚Werte und Normen‘ (vgl. 1989a: 70) sowie der bewusste Verzicht auf eine Diskussion der „autorial intendierten Rezeptionsperspektive“, die in Pfisters Modell eine zentrale Rolle einnimmt (vgl. Pfister 1977: 90ff.; Nünning 1989a: 76). 12 Vgl. hierzu Surkamps Definition: „Die Figurenperspektive umfaßt das Wirklichkeitsmodell einer literarischen Figur, d. h. die Gesamtheit aller inneren Faktoren (z. B. psychische Disposition, Werte, Deutungsschemata) und äußeren Bedingungen (z. B. biographischer Hintergrund, kulturelles Umfeld, situativer Kontext), die in die von dieser Figur entworfenen subjektiven Ansichten von der fiktionalen Welt und in jede ihrer Handlungen eingehen und die die Motivationsstruktur, Bedürfnisse und Intentionen dieser Figur wesentlich bestimmen.“ (2003: 40f.; kursiv i. Orig.)
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pondenzrelationen zwischen allen Einzelperspektiven eines Textes“ konstituieren (ebd.). Das Konzept der Perspektivenstruktur narrativer Texte trägt der Tatsache Rechnung, dass das Ganze mehr ist als nur die Summe aller Teile. Die Merkmale der Einzelperspektiven determinieren nicht die Eigenschaften der übergeordneten strukturierten Organisation. Vielmehr entspricht die Perspektivenstruktur einem Netzwerk, das durch Relationen zwischen den Bestandteilen geschaffen wird. (Nünning/Nünning 2000c: 51)
Die Perspektivenstruktur ist somit als strukturelle und relationale Beschreibungskategorie zu verstehen, die dazu dient, die Beziehungen zwischen den Figurenperspektiven eines Textes in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Das Konzept ist damit zwar „auf der Ebene der Gesamtstruktur des Textes angesiedelt“ (Surkamp 2008: 567), basiert jedoch gleichzeitig auf der Rekonstruktion ihrer individuellen Komponenten. Figurenperspektiven bilden ein semantisches Beziehungsgeflecht, welches sich als Netzwerk konzeptualisieren lässt, das sich gewissermaßen zwischen der „paradigmatische[n] Achse der Selektion“ sowie der „syntagmatische[n] Achse der Kombination“ (Nünning/Nünning 2000c: 52, 55) aufspannt. Inhaltlich stehen die einzelnen Perspektiven dabei in einem Kongruenz- bzw. Differenzverhältnis, das sich idealtypisch entweder als additiv, korrelativ oder kontradiktorisch zeigt (58).13 Nünnings Konzept der Perspektivenstruktur stellt auf diese Weise einen leistungsfähigen theoretischen Rahmen zur Beschreibung der Interaktion von Perspektiven dar. Diese bietet – wie schon bei Pfister – die Möglichkeit, verschiedene Perspektivenstrukturen zu klassifizieren und auf einer stufenlosen Skala, zwischen den Extrempunkten einer radikal ‚offenen‘ und einer konsequent ‚geschlossenen‘ Perspektivenstruktur typologisch anzuordnen. Dabei wird eine Struktur als geschlossen bezeichnet, wenn sich „die Einzelperspektiven in einem gemeinsamen Fluchtpunkt vereinigen lassen (Surkamp 2008: 567), während eine offene Perspektivenstruktur sich durch Dissonanz und Unvereinbarkeit der Einzelperspektiven auszeichnet (vgl. Nünning/Nünning 2000c: 60ff.; Surkamp 2003: 115–119).14 ––––––––––––– 13 Tatsächlich weist die „Skala zwischen den Polen der Kongruenz bzw. Differenz“ laut Nünning/Nünning (2000c: 58) „potentiell unendlich viele Abstufungen“ auf, kann jedoch vereinfachend in die drei obengenannten idealtypischen Ausprägungen eingeteilt werden. Vgl. hierzu die unabhängig entwickelte Typologie Lindemanns, der ebenfalls drei grundlegende Formen der „Perspektivenkonfrontation“ beschreibt: ergänzend, kontrastiv, inkompatibel (1999: 72, vgl. Kapitel III, FN 24). 14 Die Unterscheidung von offenen und geschlossenen Perspektivenstrukturen hat sich insbesondere bei literaturgeschichtlichen Untersuchungen zur Darstellung von Perspektiven bewährt. Siehe dazu Pfister (1974) sowie Surkamp (2003), die sich mit dem Wandel dominanter Perspektivenstrukturen in Erzähltexten vom Viktorianismus bis zur Moderne beschäftigt.
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Ein weiterer literaturtheoretischer Vorteil der Theorie Nünnings besteht darin, dass sein Perspektivenverständnis sich klar vom Aspekt der erzählerischen Vermittlung abgrenzt. Damit wird der Frage nach dem Modus der Erzählung, d. h. dem Wie der erzählerischen Perspektivendarstellung, die Frage nach dem Was des erzählten Perspektiveninhalts komplementär zur Seite gestellt (vgl. Nünning 1989a: 71). Hierzu Niederhoff (2009: 393): […] perspective structure provides us with a chart of the potential perspectival reference points of a text, whereas the more traditional narratological accounts of perspective analyze where the narrator situates the representation of the story in relation to these points or how he or she makes it move between them.15
Durch die Unterscheidung zwischen diesen beiden Analysebereichen gewinnt Nünnings Perspektivenbegriff seine besondere terminologische Eindeutigkeit und analytische Trennschärfe, ohne dabei die Bedeutung der Ebene der erzählerischen Vermittlung zu entwerten oder die Frage zu ignorieren, wie beide Aspekte letztendlich zusammenhängen (vgl. Nünning/ Nünning 2000b: 34). Durch die präzise Bestimmung des Konzepts als semantisch-konstruktivistische Analysekategorie erweist sich die Perspektivenstruktur narrativer Texte zudem als besonders flexibles Theoriekonstrukt, das sich hervorragend zur Kombination mit anderen Theoriebausteinen und Ansätzen eignet. So verknüpft z. B. Surkamp (2003) das Konzept mit der ‚Theorie möglicher Welten‘, Wolf (2000) appliziert es auf Rahmungen im Erzähltext und Menhard (2009) verbindet es mit den Theorien zum unzuverlässigen Erzählen.16 Trotz der unterschiedlichen Ausrichtung dieser Arbeiten bleibt jedoch auch hier die konzeptuelle Essenz der Perspektivenstruktur unverändert. Die Theorie gründet fest auf dem Verständnis der perspektivischen Struktur eines Textes als einem semantischen Spannungsfeld kontrastierender und korrespondierender Einzelperspektiven und basiert somit letztendlich auf dem im Strukturalismus beliebten Leitgedanken einer prinzipiellen Dichotomie von Ähnlichkeit und Differenz bezüglich der paradigmatischen Achse aller sprachlichen Äußerungen (vgl. Jakobson 2000 [1956]).17 Die Leistungsfähigkeit einer solchen Analyse perspektivischer Strukturen entlang der Dimensionen von Kontrast und Differenz, lässt sich an ––––––––––––– 15 Vgl. Nünning/Nünning (2000b: 13): „Während sich die strukturalistische Narratologie primär für die Struktur der erzählerischen Vermittlung interessiert, geht es in der Theorie der Perspektivenstruktur narrativer Texte […] um die semantische Ausgestaltung der Perspektiventräger sowie um die Relationierung und Hierarchisierung der Einzelperspektiven.“ 16 In Nünning/Nünning (2000a) wird die Perspektivenstruktur außerdem als Schlüsselkonzept zur Analyse von Multiperspektivität bestimmt. Zur Bewertung des Potentials von Nünnings Theorieentwurf vgl. ferner Jahn (1995: 46), Bode (2005: 255ff.) und Niederhoff (392f.). 17 Mehr zu Jakobsons stukturalistischen Kernkonzepten im weiteren Verlauf des Kapitels.
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einer Vielzahl von Texten demonstrieren. Besonders offensichtlich eignen sich dazu klassische Briefromane wie z. B. Richardsons Clarissa (1748), Smolletts The Expedition of Humphry Clinker (1771) oder Burneys Evelina (1778). In diesen Texten werden sowohl die Figuren als auch ihre Sicht auf die erzählten Ereignisse ausschließlich über eine klar zuordenbare Abfolge von Briefen aus der persönlichen Perspektive des jeweiligen Verfassers vermittelt. So beruht z. B. Richardsons Inszenierung der Beziehung von Clarissa und Lovelace zu einem bedeutenden Teil auf der spezifischen Anordnung und Reihenfolge der Briefe (syntagmatische Dimension) sowie auf den Übereinstimmungen bzw. den Differenzen zwischen ihren Schilderungen (paradigmatische Dimension); hierbei können sich ihre Darstellungen entweder widersprechen, bestätigen oder ergänzen und auf diese Weise zur Schaffung von Ambiguitäten oder der Bekräftigung von Beurteilungen beitragen.18 Doch die Perspektivenstruktur narrativer Texte erweist sich nicht nur bei Briefromanen des achtzehnten Jahrhunderts als leistungsfähiges Konzept. Stellvertretend für eine Vielzahl von Texten kann Nünnings Theorie z. B. auf George Eliots Middlemarch (1871/72) gewinnbringend angewandt werden, da die Figurenkonstellation auch dieses Romans ein spezifisches Muster bildet, das entlang der Achsen von Selektion und Arrangement untersucht werden kann.19 Betrachtet man hier beispielsweise die beiden (unglücklichen) Ehepaare Dorothea/Casaubon und Lydgate/Rosamond, so wird deutlich, dass die Spannungen zwischen den Ehepartnern in beiden Fällen von drastisch divergierenden Vorstellungen über das Leben im Allgemeinen und den ehelichen Lebensstil im Besonderen motiviert sind. Auf diese Weise präsentiert der Roman nicht nur eine doppelte Illustration ehelicher Missverständnisse und divergierender Weltanschauungen (Differenz), sondern schafft zudem eine strukturelle Analogie zwischen den Ehepaaren (Kongruenz): Each voice in the novel sounds against the background of all the other voices of which the text is comprised. It expresses not only a particular world view but also the relations of similarity and difference between that world view and alternative perspectives. (Clark-Beattie 1985: 200)
Durch seine spezifische Anordnung von Figurenperspektiven schafft Middlemarch ein Perspektivengefüge, das sich weder vollständig übereinstimmend, noch gänzlich disharmonisch zeigt. Obgleich der Roman Eliots den Sachverhalt thematisiert „[that] there are no facts or truths which are ––––––––––––– 18 Zur Perspektivenstruktur in Briefromanen des achtzehnten Jahrhunderts siehe Nieragden (2000). Zum Aspekt der Polyphonie in den Romanen Richardsons vgl. Townsend (2003). 19 Vgl. hierzu Spady (1978: 72), der für den Roman eine „structural unity achieved by analogy and contrast“ konstatiert. Für eine Analyse von Middlemarch basierend auf den Konzepten Nünnings siehe außerdem Surkamp (2003: 136–158).
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independent of human perception or thought“ (Newton 1981: 144), werden die einzelnen Perspektiven nicht als essentiell inkommensurabel in Szene gesetzt. Anders als in zahlreichen Texten der Moderne oder Postmoderne scheint es der Autorin in Middlemarch nicht darum zu gehen, eine fundamentale Skepsis gegenüber der Stabilität von Bedeutung an sich zum Ausdruck zu bringen: „George Eliot is anxious to show that an awareness of the relative nature of point of view need not lead […] to skepticism.“ (167) Die Perspektivenstruktur stellt somit nicht nur eine der semantischen Grundstrukturen des Textes dar, sondern kann in diesem Fall zudem als Indiz dafür gewertet werden, dass der Roman zwar epistemologische Fragen aufwirft, diese jedoch nicht zu einer Inszenierung der Auflösung von Realität und Bedeutung vorantreibt (vgl. Surkamp 2003: 157). Erzählerperspektiven Das Beispiel von Middlemarch macht deutlich, dass das Konzept der Perspektivenstruktur die axiomatische Annahme einer grundsätzlichen Dichotomie von Kontrast und Korrespondenz im perspektivischen Spannungsgeflecht eines Textes impliziert. Doch bereits die dieser Vorstellung zugrundeliegende Konzeption der Figurenperspektive setzt eine weitere theoretische Grundannahme mit signifikanten analytischen Folgen voraus. Ausgangspunkt hierbei ist die axiomatische Verknüpfung des Perspektivenverständnisses mit dem fiktiven Bewusstsein von Figuren, die auf diese Weise zum „Orientierungszentrum der perspektivischen Darstellung“ (Nünning 1989a: 68) avancieren. Die „anthropozentrische Ausrichtung des Perspektivenbegriffs […] d. h. seine enge Bindung an die Wirklichkeitssicht eines wahrnehmenden Subjekts“ (Surkamp 2003: 36) wirft bei genauer Betrachtung die prinzipielle Frage auf, ob in literarischen Texten neben Figuren weitere potentielle Subjekte als Perspektiventräger identifiziert werden können. Die Beantwortung dieser Frage ist von weitreichender Konsequenz. Können auch andere ‚Instanzen‘ oder ‚Gestalten‘ eines narrativen Textes als Perspektiventräger fungieren, so muss sich das bisher in dieser Arbeit entwickelte Perspektivenverständnis von seiner geradlinigen Ausrichtung auf die Figur lösen. Die Diskussion von Perspektivenkonstellationen erhielte auf diese Weise eine zusätzliche Dimension, durch die sie sich von einer reinen Erörterung von Figurenkonstellationen deutlich entfernt. Auf diese Weise würde auch das Konzept der Perspektivenstruktur eine massive strukturelle Ausweitung erfahren, da potentiell nun weitere anthropomorphisierbare ‚Wesen‘ in das Gesamtnetzwerk des perspektivischen Zusammenspiels integriert werden müssen. Vor dem Hintergrund dieser
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potentiellen Ausdehnung des Analysespektrums gilt es, dieses Thema genauer zu beleuchten. Dabei bieten sich insbesondere Erzählinstanzen als offensichtliche Kandidaten für ein solches Zuschreiben einer eigenständigen (fiktionalen) Psyche an, da sie häufig kommentierende und bewertende Funktionen einnehmen, die über eine reine Darstellung der fiktionalen Ereignisse hinausgehen.20 Wieder kann auch in diesem Kontext George Eliots Middlemarch als ausgezeichnetes Beispiel dienen. Wie Nünning (1989a: 242ff.) demonstriert, entwirft dieser Text in seinem Fortschreiten ein Arrangement individueller Perspektiven, deren erzählerische Ausgestaltung eine „plurality of personal worlds“ (Hardy 1982: 104) entstehen lässt, zu denen nicht nur Figurenperspektiven, sondern auch eine distinkt vernehmbare Erzählerstimme gehört.21 Die folgenden Beispielpassagen, in denen sich diese Erzählinstanz zu einer der Romanfiguren (Mr. Casaubon) äußert, illustrieren diesen Befund: (1) For my part I am very sorry for him [Mr. Casaubon]. It is an uneasy lot at best, to be what we call highly taught and yet not to enjoy; to be present at this great spectacle of life and never to be liberated from a small hungry shivering self […]. (2) Instead of wondering at this result of misery in Mr. Casaubon, I think it quite ordinary. Will not a tiny speck very close to our vision blot out the glory of the world, and leave only a margin by which we see the blot? I know of no speck so troublesome as self. (3) One morning some weeks after her arrival at Lowick, Dorothea – but why always Dorothea? Was her point of view the only possible one with regard to this marriage? I protest against all our interests, all our effort at understanding being given to the young skins that look blooming in spite of trouble […]. In spite of the white moles objectionable to Celia […] Mr. Casaubon hat an intense consciousness within him, and was spiritually a-hungered like the rest of us. (Middlemarch, 314, 456, 312, meine Herv.)
Wie diese Passagen veranschaulichen handelt es sich bei George Eliots Roman nicht um einen Text, der von einer neutralen, nicht-evaluativen Warte aus erzählt wird. Vielmehr werden die Ereignisse in Middlemarch von einer Erzählstimme vermittelt, die sich immer wieder durch Bewertungen, ––––––––––––– 20 Die Möglichkeit der Konstruktion individueller Erzählerperspektiven wird auch von der Kommunikationsstruktur narrativer Texte gestützt. So bekundet das narratologische Kommunikationsmodell (vgl. Wenzel 2004b), dass Figuren in literarischen Erzählungen anders als im Drama stets durch die Sprechinstanz eines (fiktionalen) Erzählers vermittelt werden, dessen Stimme es ebenfalls zu berücksichtigen gilt (vgl. Nünning1989a: 74ff.). 21 Der Begriff der Erzählerperspektive ist nicht mit dem der Erzählperspektive zu verwechseln, die üblicherweise synonym mit ‚Erzählsituation‘ gebraucht wird. Angemerkt sei ferner, dass die folgenden Analysen der Erzählinstanz in Middlemarch sowie einige Beispiele z. T. auf Nünning (1989a: 242–265) basieren; zur Funktion der Perspektivenstruktur in Eliots Roman vgl. ferner Surkamp (2003: 136–158).
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Kommentare und philosophische Reflektionen in den Vordergrund drängt. Der Erzähler situiert sich damit „at the structural as well as the ethical center of the novel“ (Spady 1978: 72) und nimmt einen wesentlichen Einfluss auf das Arrangement, die Evaluation und die inhaltliche Ergänzung der Figurenperspektiven.22 Signalisiert wird die Einflussnahme der Erzählinstanz dabei nicht nur von Bewertungen, (moralischen) Urteilen und (metafiktionalen) Kommentaren, sondern auch von einer Fülle weiterer Ausdrücke, deren Funktion primär darin zu bestehen scheint auf die Subjektivität und individuelle Persönlichkeit des Sprechers hinzuweisen.23 Gemeint ist damit die häufige Verwendung von Formulierungen wie „I think“, „I imagine“, „I am not sure“ oder „I am sorry to say“, die den Roman von Anfang bis Ende durchziehen. Zusammen mit Einschüben wie „perhaps“, „possibly“ oder „probably“ (vgl. Nünning 1989a: 247; Surkamp 2003: 147) tragen sie maßgeblich dazu bei, dass die Erzählstimme zu einer individualisiert erscheinenden Sprecherfigur kristallisiert, obgleich diese nicht als konkrete Person in der Textwelt des Romans auftaucht. Obwohl die Instanz der erzählerischen Vermittlung in Middlemarch extradiegetisch bleibt,24 kann ihre Stimme damit als Ausdruck eines individuellen und fiktionalen Bewusstseins mit eigenständiger Weltsicht begriffen und rezipiert werden. Diese Beobachtung korrespondiert mit Nünnings These, dass neben den Figuren auch für den (bzw. die) Erzähler eines narrativen Textes eine personalisierte Perspektive konstruiert werden kann. Es gilt daher, die Ebene der erzählerischen Vermittlung bei der Frage nach den potentiellen individuellen Perspektiven eines Textes grundsätzlich zu berücksichtigen. Any attempt to apply the concept of perspective structure to the theory and analysis of narrative texts would, of course, be incomplete if it did not take into consideration the existence of an additional communicative level of narrative transmission. It can be argued that the proposed concept of perspective can also be applied to narrators, because narrators may also be endowed with a range of individuating features. […] Just as for each character, the reader can construct an individual perspective for the narrator, by attributing to the voice that utters the psychological idiosyncrasies, attitudes, norms and values, a set of mental properties, and a world-model. (Nünning 2001: 212f.)
Die Passagen aus Middlemarch stützen Nünnings Argumentation, dass ein narrativer Text auch zur Konstruktion einer spezifischen Perspektive des fiktionalen Bewusstseins des Erzählers anregen kann. Dabei ist die Ausbil––––––––––––– 22 Vgl. im Gegensatz hierzu die Beiträge von Lodge (1982) oder Clark-Beattie (1985), in denen der dialogische Charakter von Middlemarch betont wird. 23 Zu den verschiedenen Funktionen von Erzählinstanzen vgl. Nünning (1989a und 1997b). 24 Extradiegetische Erzähler sind auf der Ebene der erzählerischen Vermittlung situiert und im Gegensatz zu intradiegetischen Erzählern kein (ontologischer) Bestandteil der erzählten Welt (Genette 1980 [1972]). Vgl. hierzu z. B. Rimmon-Kenan (1983) und Herman (2009a: 64–68).
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dung einer Erzählerperspektive generell mit der Art und Weise korreliert, in der diese als „explizite[r] und personalisierbare[r] Sprecher“ (Nünning 1989a: 75) auftritt. Während für homodiegetische Ich-Erzähler, die als Figuren am Textgeschehen beteiligt sind, nahezu ausnahmslos eine individuelle Perspektive konstruiert werden kann, ist dies bei abstrakt bleibenden heterodiegetischen (auktorialen) Erzählinstanzen nicht automatisch der Fall. Während overt narrators wie der Erzähler in Middlemarch den Leser dazu anregen, ein individualisiertes Verständnis desselben zu entwickeln (vgl. Neumann/Nünning 2008: 94), entzieht sich die Stimme eines covert narrators gewöhnlich einer Personalisierung und verbleibt, mit den Worten Chatmans, „hidden in the discursive shadows“ (1978: 197).25 Bei einem solchen „neutralen Erzählmedium“ kann daher häufig „nur die mangelnde Konturierung einer eigenständigen Perspektive konstatiert werden“ (Nünning 1989a: 75) und der Rezipient neigt dazu, keine individuelle mentale Repräsentation der Erzählinstanz anzulegen: „Since anonymous speakers are deprived of human dimension, and cannot express subjective opinions […], the reader may dispense with the reconstruction of their personality, beliefs, and judgments.“ (Ryan 1991: 71)26 Auch wenn die hier angeschnittene Frage der angemessenen Klassifizierung von Erzählinstanzen und deren anthropomorpher Natur noch immer kontrovers in der Literaturwissenschaft diskutiert wird,27 so muss die Möglichkeit der Konstruktion einer individualisierten Erzählerperspektive aus rezeptionspsychologischer Sicht als gesichert gelten (vgl. dazu Bortolussi/Dixon 2003: 72ff.). Ein Blick auf die kognitiven Grundlagen der Textrezeption legt dabei mangels sinnvoller Alternativen nahe, dass distinkt wahrgenommene, personalisierte Erzählstimmen (genau wie Figuren) in Form mentaler Modelle kognitiv repräsentiert und verarbeitet werden. Ähnliches gilt für sozialpsychologische Operationen wie zum Beispiel mindreading und metarepresentation, die auch in Bezug auf Erzählinstanzen Anwendung finden können. In Analogie zur literarischen Figur kann damit die These aufgestellt werden, dass nicht nur die mentale Repräsenta––––––––––––– 25 Zur Klassifikation von Erzählern als overt bzw. covert siehe Chatman (1978: 196–260); Rimmon-Kenan (1983: 96ff.) und Neumann/Nünning (2008: 94). 26 Vgl. Eder (2008: 464, FN 23): „Entscheidend für die Zugehörigkeit einer Erzählinstanz zur Figurenkonstellation ist, dass sie […] als wiedererkennbares fiktives Wesen erscheint.“ Zur Individualisierung bzw. Perspektive von Erzählern siehe auch Margolin (2009b: 355–358), Surkamp (2003: 42f.) und Schmid (2008: 75–82). 27 Dies schließt die Frage ein, ob es Erzähltexte ohne Erzähler(figur) geben kann (vgl. Fludernik 1993: 443) oder ob jeder narrative Text ein erzählendes Subjekt impliziert (vgl. Bal 2009 [1985]: 18–35). Zur narratologischen Diskussion des ‚Wesens‘ von Erzählern siehe ferner in Auswahl: Schmid (2008: 72–99), Jannidis (2006a), Phelan/Booth (2005), Bortolussi/ Dixon (2003: 60–96), Nünning (1997b), Fludernik (1993: 61–65; 448–453), Chatman (1990: 109–123), Rimmon-Kenan (1983: 86ff.), Banfield (1982: 183ff.).
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tion von Figuren, sondern auch von personalisierten Erzählerstimmen sich psychologischer Sinnbildungsstrategien bedient, deren Ursprünge im Bereich der kognitiven Verarbeitung von Informationen zu realen Personen angesiedelt sind. So setzt beispielsweise das Erkennen erzählerischer Ironie in Middlemarch sowohl eine eindeutige Zuordnung von Sprechakt und Erzählfigur als auch die Interpretation der Aussage als einen Akt ‚uneigentlichen‘ Sprechens voraus. Diese Operationen, die unter anderem zur Dekodierung der (teilweise) tiefironischen Darstellung von Mr. Casaubon benötigt werden, basieren jedoch zumindest teilweise auf den obengenannten Mechanismen: Der Rezipient muss die gelesenen Aussagen einerseits mittels source tag einer bestimmte Quelle (= dem Erzähler) zuordnen (metarepresentation) und andererseits dieser Quelle – in Analogie zur Verarbeitung lebensweltlicher Sprechsituationen – eine von der wörtlichen Aussage abweichende semantische Intention unterstellen (mindreading).28 Zusammenfassend lässt sich demzufolge feststellen, dass der Perspektivenbegriff nicht auf Figuren beschränkt bleiben kann, sondern ausgeweitet werden muss. Als Konsequenz aus der hier entwickelten Argumentation ergibt sich dabei die potentielle Bedeutung aller individualisierten und mittels mentaler Modelle kognitiv verarbeiteten fictional minds eines narrativen Textes. Erzählliteratur wohnt, mit anderen Worten, das generelle Vermögen inne, Leser zur Konstruktion individueller Perspektiven für fiktionale Akteure unterschiedlichster Art auf der Basis derselben psychologischen Grundmechanismen anzuregen.29 Dazu gehören in erster Linie Figuren und bestimmte Erzählertypen, wie beispielsweise die Erzählinstanz in Middlemarch; doch es gibt auch Texte, die den Leser z. B. dazu auffordern, dem „Pendant der Erzählinstanz auf der Empfängerseite“, d. h. dem „fiktiven Adressaten“, eine eigene Perspektive zuschreiben (Nünning/ Nünning 2000c: 50).30 Selbst für Kategorien wie den (impliziten) Autor ––––––––––––– 28 Das Verstehen von Ironie umfasst nicht nur die Dechiffrierung der Semantik der ironischen Aussage, sondern auch die Rekonstruktion der Einstellung (Intention) des Sprechers: „[…] irony […] crucially involves the evocation of an attitude – that of the speaker to the proposition mentioned.“ (Sperber/Wilson 1981: 316) Eine Darstellung bisheriger Forschung zur Ironie aus kognitiver Sicht findet sich bei Colston/Gibbs (2007), eine literaturwissenschaftliche Einführung bei Korthals Altes (2005); vgl. auch Honegger/Ort/Schwabe (2007). 29 Fiktionale Perspektiventräger müssen nicht notwendigerweise menschlicher oder menschenähnlicher Natur sein. Neben übernatürlichen Gestalten oder Fabelwesen kann z. B. auch die Perspektive von Tieren erzählerisch evoziert werden; vgl. Nelles (2001) und Burns (2002). 30 Von der Perspektive des fiktiven Lesers kann allerdings nur gesprochen werden, wenn „einer personalisierten Erzählinstanz auf der Senderseite eine gleichermaßen personalisierbare fiktive Adressateninstanz auf der Empfängerseite gegenübersteht“ (Surkamp 2003: 45). Zum fiktiven Leser (narratee) vgl. auch Nünning/Nünning (2000c: 50) und Goetsch (2004), für den der fiktive Leser ein Instrument der Rezeptionslenkung darstellt. Zum narratee vgl. ferner Prince (1981 [1973]), Chatman (1978: 253ff.) und Rimmon-Kenan (1983: 86–9, 103–105).
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könnte auf diese Weise eine individuelle Perspektive konstruiert werden. Entscheidend für die vorliegende Arbeit ist jedoch weder eine vollständige Erfassung aller potentiellen Perspektiventräger noch soll an dieser Stelle eine erschöpfende narratologische Diskussion der verschiedenen Theoriekonstrukte für Autor, Erzähler und Leser vorgenommen werden.31 Wichtig ist vielmehr, dass individualisierte Perspektiven auf der Basis strukturell ähnlicher mentaler Modelle gebildet werden, was bedeutet, dass auch grundverschiedene Perspektiventräger grundsätzlich in Beziehung zueinander treten können. Individuelle Perspektiven sind weder semantisch noch rezeptionstheoretisch voneinander isoliert, sondern korrigieren, ergänzen und relativieren sich potentiell auch über die Grenzen der verschiedenen Ebenen des Kommunikationsmodells narrativer Texte hinweg.32 Nünnings Modell der Perspektivenstruktur versteht individualisierte Perspektiven daher als fundamental relationale Konstrukte, die ihr volles Bedeutungspotential erst im wechselseitigen Zusammenspiel miteinander entfalten. Die Theorie gründet dabei auf der impliziten strukturalistischen Dialektik von Ähnlichkeit und Kontiguität, mit deren Hilfe alle möglichen Perspektivenkonstellationen innerhalb eines einzigen Theoriekonstrukts erfassbar gemacht werden sollen. Trotz der unbestrittenen analytischen Leistungsfähigkeit der Idee der Perspektivenstruktur im Allgemeinen, erweist sich diese Dichotomie bei genauer Betrachtung jedoch als konzeptueller Schwachpunkt, da der strukturalistische Ursprung dieser Komponente zu entsprechenden Schwierigkeiten bei der theoretischen Grundlegung der dynamischen Aspekte der Perspektiveninteraktion führt (vgl. Menhard 2009: 66). Da der Verweis auf diese Problematik einen wichtigen Einwand gegen die Theorie darstellt, gilt es, diesen Aspekt genauer zu betrachten. Die strukturalistischen Komponenten in Nünnings Konzept sollen daher im Folgenden am Beispiel eines Romans von Tobias Smollett detailliert analysiert werden, um auf diese Weise den theoretischen Boden für die Revision des Perspektivenkonzepts mittels der kognitiven Bedeutungstheorien von Gilles Fauconnier und Mark Turner zu bereiten.
––––––––––––– 31 Zum ‚impliziten Autor‘ sei auf Booth (1961), Nünning (2005) sowie Kindt/Müller (2006) verwiesen. Zu verschiedenen Konstrukten des Autors bzw. Lesers vgl. Schmid (2008: 45– 72), Jannidis et al. (1999), Schönert (2009), Jahraus (2004: 290–314), Schneider (2005) und Prince (2009). Zur Diskussion von literarischen Rahmungen als potentiellen Perspektiventrägern siehe ferner Wolf (2000) und Surkamp (2003: 112–114). 32 Aus Gründen der Einfachheit ist mit dem Begriff der Figur bzw. des fiktionalen Akteurs in der Folge immer die gesamte Bandbreite möglicher Perspektiventräger gemeint.
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Konzeptuelle Grenzen der Dichotomie von Kongruenz und Differenz Wie schon bei Manfred Pfister impliziert Nünnings Konzeption der Perspektivenstruktur den strukturalistischen Leitgedanken, dass sowohl Sprache als auch alle anderen semiotischen Systeme eine fundamental bipolare Struktur aufweisen.33 Dieser letztendlich auf Ferdinand de Saussure (1966 [1916]: 122–127) zurückgehende Grundgedanke wird von Jakobson als die Dichotomie von Ähnlichkeit (similarity) und Kontiguität (contiguity) beschrieben, der er eine konstitutive Relevanz „for all verbal behavior and for human behavior in general“ bescheinigt (2000 [1956]: 58). Aussagen, Texte (und damit auch Figurenperspektiven) erhalten ihre individuelle Struktur nach Jakobson erst durch die Manipulation „[of] these two kinds of connection (similarity and contiguity) in both their aspects (positional and semantic)“, womit den Operationen der Selektion, Kombination und Hierarchisierung der Einzelbausteine eine entscheidende Rolle beim Aufbau von Textstrukturen zukommt (57).34 Die besondere Attraktivität des Konzepts besteht nicht allein in der Beschreibung von Beziehungsrelationen, sondern auch im Potential dieser Dichotomie als theoretisches Leitprinzip der (Literatur-)Analyse zu fungieren (vgl. Lodge 1977: 123f.). Da die Beziehungsrelationen von Ähnlichkeit und Kontiguität alle Ebenen sprachlicher Kommunikation durchziehen, ist die Theorie nicht nur in der Lage, zahlreiche mögliche Beziehungskonfigurationen konzeptuell zu erfassen (vgl. Jakobson 2000 [1956]: 56), sondern kann darüber hinaus als analytisches Werkzeug zur Orientierung in komplexen sprachlichen Kontexten, wie z. B. der Diskussion von Perspektiven, herangezogen werden. Aufgrund dieser Doppelfunktion paart sich in Jakobsons Konzept theoretische Erklärungskraft mit schematischer Anwendbarkeit. Literarische Texte können so in zwei Analyseebenen geteilt werden: erstens, die paradigmatische Achse, d. h. die Ähnlichkeits- bzw. Differenzverhältnisse zwischen einzelnen Elementen; zweitens, die syntagmatische Achse, d. h. die (zeitliche) Abfolge bzw. An-
––––––––––––– 33 Vgl. Pfister (1977: 96–99), Nünning (1989a: 79) sowie Nünning/Nünning (2000c: 52–69), die ihre Analyse von Perspektiven explizit auf die paradigmatische Achse der Selektion sowie die syntagmatische Achse der Kombination ausrichten. 34 Ähnlichkeits- und Kontiguitätsbeziehungen entsprechen terminologisch der paradigmatischen und syntagmatischen Beziehungsachse sprachlicher Elemente sowie Jakobsons Rede von metaphorischen bzw. metonymischen Diskursformen und gehen in ihrer Herausbildung auf Selektions- bzw. Kombinationsoperationen zurück: „The metaphoric and metonymic modes of discourse correspond to de Saussure’s ‚vertical‘ axis of selection […], and the ‚horizontal‘ axis of combination“ (Nänny 1980: 397, FN 3). Ausführlicher dazu Jakobson (2000 [1956] und 2000 [1960]) sowie zur Einführung Lodge (1977: 73–81).
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ordnung dieser Elemente.35 Historisch führt dies dazu, dass insbesondere die Dichotomie von similarity und difference auf der Ebene semantischen (nicht positionellen) Bezugs zu einem beliebten Theoriebaustein während der Phase strukturalistischer Literaturtheorie avanciert. Diese Theoriemode schlägt sich auch in Pfisters und Nünnings Verständnis der Perspektivenstruktur nieder, die sich nach diesen Autoren entsprechend „aus dem System der Kontrast- und Korrespondenzrelationen zwischen allen Einzelperspektiven eines Textes“ ergibt (Nünning 1989a: 76; vgl. Pfister 1977: 224). Die allgemeine Vorliebe für diese Dichotomie ändert sich jedoch mit der poststrukturalistischen Kritik an den Prinzipien des Strukturalismus, die Monika Fludernik schon (1999: 385) dazu veranlassen festzustellen: „Roman Jakobson’s fundamental linguistic separation of […] similarity and contiguity, or the paradigmatic and the syntagmatic axis respectively, […] have now all but collapsed.“36 Obgleich sich Fluderniks Urteil auf den Kontext der MetaphernTheorie Jakobsons bezieht, kann ihre Beurteilung auch für die Interaktion von Figurenperspektiven geltend gemacht werden. Die Ursache hierfür liegt insbesondere in der Tatsache, dass die starre Beziehungsmatrix von Kongruenz und Differenz zur Beschreibung inhaltlicher Bezugsverhältnisse nicht in der Lage ist, bestimmte Effekte des Arrangements von Perspektiven theoretisch zu beschreiben. Dazu gehört u. a. das Phänomen emergenter Bedeutung, d. h. das Entstehen ‚neuer‘ semantischer Gehalte, die ihren Ursprung in der Perspektivenkorrelation selbst haben. Solche emergenten Informationen lassen sich nicht in den einzelnen, konstitutiven Perspektiven einer Konstellation verorten und können daher nicht als Ähnlichkeits- oder Differenzbeziehung derselben konzeptualisiert werden. Dies ist insofern problematisch als es sich bei der Emergenz von Bedeutung aus der Interaktion individueller points of view nicht um ein marginales Phänomen der Textrezeption handelt.37 Wie in der folgenden Analyse von Tobias Smolletts The Expedition of Humphry Clinker (1771) beispielhaft deutlich werden wird, stellen Inferenzen, die über die ihnen zugrunde liegenden Perspektiven auf dynamische Weise hinausgehen, vielmehr einen ––––––––––––– 35 Vgl. Grabes (1978), der als einer der ersten auf die Bedeutung der temporalen Dimension der Informationsvergabe bei der Bildung von Figurenvorstellungen hinweist. Zur syntagmatischen Relationierung von Perspektiven vgl. auch Nünning/Nünning (2000c: 56). 36 Zur Kritik am Strukturalismus und den Konsequenzen für eine post-strukturalistische Narratologie siehe in Auswahl Herman (1999b, 2009a: 26–36), Fludernik (2000), Nünning/ Nünning (2002b), Petry (2004) und Neumann/Nünning (2008: 144–162). 37 Tatsächlich entgeht dieser Sachverhalt weder Pfister (1977, 1974), Nünning (1989a) noch den auf ihren Konzepten aufbauenden Arbeiten (z. B. Surkamp 2003; Menhard 2009) und wird in den Analysen stets implizit berücksichtigt. Die praktische Beachtung von Emergenz ändert jedoch nichts an den konzeptuellen Schwierigkeiten der zugrundeliegenden strukturalistischen Dichotomien bei der theoretischen Erfassung und Beschreibung des Phänomens.
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integralen Bestandteil der kognitiven Perspektivenverarbeitung dar – ein Sachverhalt, den es auch theoretisch zu berücksichtigen gilt. Smolletts Roman aus dem späten achtzehnten Jahrhundert eignet sich besonders gut zu einer Analyse der Interaktion von Perspektiven, da es sich um einen multiperspektivisch erzählen Briefroman handelt, der die Briefe von fünf unterschiedlichen Figuren kombiniert und damit auf den ersten Blick die Bedeutung von Kontrast und Korrespondenzrelationen zu bekräftigen scheint. Der Roman schildert die Reisen des Landadeligen Mathew Bramble und seiner Familie durch das England des achtzehnten Jahrhunderts anhand der Briefe verschiedener Familienmitglieder, die aus ihrem jeweils individuellen Blickwinkel über die Ereignisse der Reise berichten.38 Dabei kommt es nicht nur zu einer komplementären Ergänzung der einzelnen Berichte, sondern der Roman inszeniert sich bewusst als polyperspektivisch, indem er teilweise diametral entgegengesetzte Erlebnisberichte nebeneinander stellt (vgl. Iser 1972: 107ff.; Boucé 1976: 199). So werden z. B. die Stadt London oder der Kurort Bath in den Briefen der Familienmitglieder sehr unterschiedlich wahrgenommen, wobei insbesondere die Ansichten des alten Mathew Bramble und seiner jungen Nichte Lydia deutlich divergieren. So schreibt die junge Frau beispielsweise in einem Brief an eine Freundin: Bath is to me a new world – All is gayety, good-humour, and diversion. The eye is continually entertained with the splendor of dress and equipage; and the ear with the sound of coaches, chairs, and other carriages. The merry bells ring round, from morn till night. […] we have music in the Pump-room every morning, cotillions every forenoon in the rooms, balls twice a week, and concerts every other night, besides private assemblies and parties without number […]. (Humphry Clinker, 68)
Für Lydia ist der Kurort ein geradezu magischer Ort. Ein „earthly paradise“ voller Musik und Unterhaltung, dessen Architektur sie bewundernd als „palaces“ und „enchanted castles“ beschreibt (ebd.), wobei sie besonders vom scheinbar zwanglosen Umgang verschiedener sozialer Schichten miteinander fasziniert zu sein scheint: „there [in the pump-room] you see the highest quality, and the lowest trades folks, jostling each other, without ceremony, hail-fellow well-met“ (ebd.). Ihr Onkel dagegen ist in jeder Hinsicht entsetzt von der Stadt und ihrer ‚feinen‘ Gesellschaft. In seinen Augen ist der Kurort „the very centre of racket and dissipation“ (63) – ein lauter, hektischer und vergnügungssüchtiger Ort (vgl. ebd.). Jeder Emporkömmling, so klagt Bramble, verschleudere hier sein Geld ohne Geschmack und Verstand (65), so dass die wenigen vornehmen Menschen aus gutem Haus sich in einem „mob of ––––––––––––– 38 Zum Zusammenspiel der Perspektiven in Smolletts Roman siehe auch Nieragden (2000: 159–161), zum Roman selbst vgl. Rosenblum (1996).
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impudent plebeians“ verlieren, „who have neither understanding nor judgment, nor the least idea of propriety and decorum“ (66). Dieser soziale Missstand spiegelt sich nach seiner Meinung selbst im Stadtbild in Form einer zügel- und planlosen Architektur vieler neuer Gebäude wider, welche auf Bramble wirken „as if some Gothic devil had stuffed them altogether in a bag“ (ebd.). Angesichts der unterschiedlichen Ansichten von Lydia und Bramble zu Bath ist leicht ersichtlich, dass die Besonderheit des Textes aus strukturalistischer Perspektive als darin bestehend beschrieben werden kann, dass der gleiche Gegenstand (similarity) aus zwei entgegengesetzten Blickwinkeln (difference) geschildert wird.39 Obgleich diese Beobachtung zweifellos richtig ist, stellt sie sich von einer kognitiv-psychologische Warte aus als unvollständig heraus, da wichtige Rezeptionsaspekte nicht mittels Differenz und Kongruenz theoretisch erklärt werden können. So wird z. B. deutlich, dass die Perspektiven von Bramble und Lydia sich weder einfach ergänzen noch in eine hierarchische Anordnung bezüglich ihrer Glaubwürdigkeit gebracht werden können. Keine der beiden Figurenperspektiven eignet sich dazu, zugunsten der anderen gänzlich verworfen oder als unzuverlässig eingeschätzt zu werden. Auch stellt die Gegenüberstellung keinen Ausdruck eines epistemologischen Skeptizismus dar (vgl. Iserhagen 1977: 194). Stattdessen ist die Bewertung der Berichte untrennbar sowohl mit ihrer inhaltlichen (Re)Konstruktion als auch dem allgemeinen Situationsmodell des Textgeschehens – speziell der Repräsentation von Bath – verbunden: Die Briefe bringen nicht nur zwei individuelle Sichtweisen des Kurorts zum Ausdruck, sondern charakterisieren gleichzeitig ihre Verfasser. Lydias jugendliche Naivität und Begeisterungsfähigkeit sowie Brambles misanthropisch reaktionäre Haltung ergeben sich nicht (allein) aus dem direkten Vergleich ihrer Perspektiven, sondern die Formation beider mentaler Modelle vollzieht sich auch in Relation zum entstehenden imaginären Bild von Bath. Die mentale Konstruktion von Figur, Perspektive und Situationsmodell vollzieht sich, mit anderen Worten, in einem dynamischen Zusammenspiel. Aus der Wechselwirkung der widersprüchlichen Darstellungen setzt sich dabei – unter Rückgriff auf das Weltwissen des Rezipienten – nicht nur das lebhafte Portrait der Protagonisten, sondern auch das einer sich rasch verändernden Stadt voller Menschen, Amüsement und Musik zusammen: ein Ort reich an Faszination, Vielfalt und Vergnügung für junge oder nach Zerstreuung suchende Menschen, dessen Attraktionen sich jedoch gleichzeitig als kommerzialisiert, aufgeblasen und oberflächlich ent––––––––––––– 39 Lange vor dem Strukturalismus trifft bereits 1821 Walter Scott die Feststellung, es gehe in Smolletts Roman u. a. um „the ingenious scheme of describing the various effects produced upon different members of the same family by the same objects“ (1968: 62).
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puppen und dessen ambivalentes Bild von entscheidender Bedeutung für die Bewertung der Figurenperspektiven von Lydia und Bramble ist.40 Beide individuellen Figurenmodelle, ihre Beziehungsverhältnis zueinander sowie ihr gemeinsames Betrachtungsobjekt (Bath) stehen damit in einem innigen, dialektischen Beziehungs- und Konstruktionsverhältnis, wobei sich die einzelnen Elemente nicht in eine strikte kausale oder temporale Ableitungsfolge ordnen lassen. Die Gleichzeitigkeit der Projektion von Bedeutung in unterschiedliche ‚Richtungen‘ sowie das Entstehen emergenter Bedeutung stellen vielmehr zentrale Charakteristika der Perspektivenverarbeitung dar, die von einem mit binären Oppositionen arbeitenden strukturalistischen Modell nur schwer erfasst werden können. Auch wenn Literaturwissenschaftler und Kritiker sich schon lange Zeit bewusst sind, dass das aus der Überlagerung von Einzelperspektiven entstehende Bedeutungsganze größer ist als die Summe seiner Teile, so handelte es sich dabei eher um eine intuitive Einsicht. Viele aufmerksam beobachtenden Analysen überschreiten daher ihren eigenen konzeptuellen Unterbau, da bisher kein Theoriemodul zur Verfügung stand, das in der Lage gewesen wäre, die Vielfalt der involvierten semantischen Prozesse innerhalb eines einzigen Rahmenkonzepts zu vereinigen. Diese Situation ändert sich mit Gilles Fauconnier und Mark Turners conceptual integration networks. Wie in Kapitel IV gezeigt stellt blending als dynamisches, flexibles und allgemeines Konzept der Bedeutungserzeugung einen leistungsfähigen theoretischen Rahmen zur Verhandlung der Interaktion komplexer semantischer Strukturen jeglicher Art dar. Der Ansatz bietet sich somit als vielversprechende Alternative für eine rezeptionstheoretisch orientierte Modellierung der Beziehungsverhältnisse zwischen Figurenperspektiven an. Nachdem die Funktionsweise und die allgemeinen theoretischen Grundlagen der Konzepts bereits in Kapitel IV.5 ausführlich erörtert wurden, soll Fauconnier und Turners Modell im Folgenden speziell auf das Zusammenspiel von Perspektiven angewandt werden. Wie sich dabei zeigen wird, eignet sich blending hervorragend dazu, das veraltete strukturalistische Begriffspaar von Differenz und Kongruenz zu ersetzen und die Idee der Perspektivenstruktur auf diese Weise neu zu denken.
––––––––––––– 40 Bei der Konstitution von Perspektivenstrukturen darf neben der „unabdingbare[n] Rolle“ des Lesers (Menhard 2009: 26) auch die Bedeutung der erzählerischen Vermittlung nicht unterschätzt werden. Rezeptionslenkenden Textstrategien kommt eine wichtige Funktion zu, da „nicht nur das Was der erzählten Welt, sondern vor allem das Wie der erzählerischen Vermittlung“ sich entscheidend auf die Hierarchisierung von Perspektiven auswirkt (ebd.).
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V.2 ‚Blending‘ als kognitiver Rahmen der Perspektiveninteraktion Blending (conceptual integration networks) ist eine allgemeine Theorie der kognitiven Verarbeitung und ‚Erzeugung‘ von Bedeutung (vgl. Coulson/Oakley 2000: 184). Ihr Ziel ist die Erfassung und Beschreibung der weitgehend unbewusst ablaufenden Kernmechanismen der mentalen Kombination und Integration von Informationen – nach Fauconnier und Turner eine der Grundlagen des gesamten Spektrums menschlichen Sprechens und Denkens. Die besondere Leistungsfähigkeit des Konzepts besteht dabei darin, die Komplexität und Vielfalt der involvierten kognitiven Prozesse einerseits sichtbar zu machen und sie andererseits in einen einzigen theoretischen Beschreibungsrahmen zu integrieren (vgl. Kapitel IV.5). Während die Theorie der Perspektivenstruktur bei Pfister und Nünning eher auf eine Untersuchung der perspektivischen Gesamtstruktur des Textes abzielt (vgl. Nünning 1989a: 76), erfährt dieser Fokus durch conceptual integration eine Erweiterung. Als komplementäre Analysestrategie zur Bewertung der Gesamtstruktur des Perspektivenangebots (vgl. Nünning/ Nünning 2000c: 41) eignet sich das Konzept, mit anderen Worten, sowohl zur Mikro- als auch zur Makroanalyse perspektivenbezogener Phänomene. Mentale Modelle als ‚Mental Spaces‘ Grundlegend für die Applikation von blending auf die Interaktion von Figurenperspektiven ist Turner und Fauconniers weites Verständnis von mental spaces als „small conceptual packets“ (2002: 102) bzw. „conceptual arrays“ (Turner 2008: 15) unterschiedlichster Form und verschiedenartigsten Inhalts. In ihrer Theorie kann jedes mentale Bedeutungsgefüge als mental space verstanden werden, das mehrere Elemente enthält und von „frames and cognitive models“ strukturiert wird (Fauconnier/Turner 2002: 102). Auf der Basis dieser Definition können somit auch Figuren und Figurenperspektiven bzw. die ihnen zugrunde liegenden mentalen Repräsentationsstrukturen als input spaces eines blending-Netzwerks dienen. Alle Textkomponenten, die auf mentalen Modellen basieren, sind somit grundsätzlich als mental spaces konzeptualisierbar. Für die vorliegende Arbeit wird es derart möglich, die Figurenperspektiven und Situationsmodelle eines Textes (inklusive den mit ihnen verbundenen Wissens- und Emotionsstrukturen) als Komponenten eines conceptual integration networks miteinander in Bezug zu setzen. Da die Anzahl von mental spaces in Fauconnier und Turners Theorie nach oben nicht begrenzt ist, kann mittels dieses konzeptuellen Schach-
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zugs jede mögliche Konstellation personalisierter Figuren- und Erzählerperspektiven in der Form eines blending-Netzwerk modelliert werden. Die konzeptuellen Vorteile dieses Ansatzes sind jedoch nicht auf komplexe und vielteilige Interaktionsformen beschränkt, sondern zeigen sich schon bei den rudimentärsten Varianten, z. B. beim Aufeinandertreffen zweier Perspektiven. Bereits eine solche scheinbar nur zweigliedrige Beziehung nimmt die Form eines voll ausgestalteten conceputal integration networks mit vier spaces und allen dazugehörigen Basisoperation an (vgl. Abb. 5):
Abb. 5: Das Blending-Netzwerk: Grundform und Basisoperationen
Abb. 5 skizziert eine solche Basisversion des blending-Modells. Sie besteht aus einem generic space, einem blended space und zwei input spaces und eignet sich dementsprechend hervorragend zur Analyse der Beziehung zwischen zwei Figurenperspektiven. Anstatt beispielsweise die individuellen Blickpunkte von Lydia und Bramble in Humphry Clinker als Instanzen auf der paradigmatischen Achse eines strukturalistisch verstandenen Perspektivenspektrums zu verstehen, können ihre individuellen Einzelperspektiven als die input spaces eines conceptual integration networks konzeptualisiert werden. Das gleiche gilt theoretisch für jedes Paar literarischer Figuren und deren Perspektiven: So lässt sich die Beziehung zwischen Lydgate und sei-
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ner Frau Rosamond in Middlemarch ebenso anhand des Basismodells erfassen wie das Verhältnis von Clarissa und Peter Walsh in Woolfs Mrs. Dalloway (1925) oder das der Erzrivalen Saleem Sinai und Shiva in Rushdies Midnight’s Children (1980). Doch nicht nur die Beziehung von menschlichen Liebespaaren oder Antagonisten kann auf diese Weise modelliert werden. Prinzipiell ist jede Korrelation individualisierter Perspektiven, inklusive die von personalisierten Erzählern und nichtmenschlichen Bewusstseinsträgern, in ein conceptual integration network integrierbar: Sherlock Holmes und Dr. Watson in den Kriminalromanen Sir Arthur Conan Doyles, John Thornton und sein Hund Buck in Londons Call of the Wild (1903) oder die Freunde Maulwurf und Ratte in Kenneth Grahams Kinderbuch The Wind in the Willows (1908) sind nur wenige Beispiele für das analytische Herausgreifen wichtiger Beziehungsrelationen verschiedener Art aus dem Gesamtspektrum eines literarischen Textes.41 Selbstverständlich ist die Analyse von Perspektivenanordnungen mittels blending nicht auf zwei input spaces begrenzt, sodass auch die Beziehung mehrerer Figuren untereinander mithilfe der Theorie von Fauconnier und Turner untersucht werden kann. Der besondere Vorteil, den blending theory aufweist, hängt jedoch nicht mit der Höhe der Zahl berücksichtigter Einzelperspektiven zusammen, sondern liegt in der internen Ausdifferenzierung des blending-Modells in verschiedenartige mental spaces und kognitive Operationen begründet. Die Aufgliederung der Theorie in input-, genericund blended spaces sowie die damit verbundenen mentalen Prozesse (crossspace mapping, backward projection usw.) ermöglichen nicht nur eine detaillierte Beschreibung der Interaktion von Perspektiven; das Modell stellt zudem ein heuristisches Raster zur Analyse von Perspektivenstrukturen bereit, da die verschiedenen Theoriekomponenten des Konzepts und ihre internen Zusammenhänge als analytische Ansatzpunkte fungieren können, entlang derer das perspektivische Zusammenspiel eines Textes untersucht zu werden vermag. Das Potential der Ausdifferenzierung von conceptual integration soll im Folgenden anhand kurzer Beispiele skizziert werden. Das Zusammenspiel von ‚Input-‘, ‚Generic-‘ und ‚Blended Spaces‘ Werden verschiedene Figurenperspektiven als input spaces in ein conceptual integration network integriert, so kommt es zwischen diesen inputs nach Fauconnier und Turners stets zu einem cross-space mapping (Fauconnier/ ––––––––––––– 41 Vgl. hierzu Turner (1996: 136ff.). Siehe ferner Tobin (2006) für eine Analyse (historischer) blends in literarischen Interpretationen von Doyles Sherlock Holmes Geschichten.
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Turner 2002: 47). Dabei werden identische bzw. vergleichbare Elemente variabler Art in den entsprechenden mentalen Perspektivenmodellen lokalisiert und als gegenseitige Bezugspunkte identifiziert. So kann der Leser z. B. die gemeinsam besuchten Orte und die zusammen durchlebten Begebenheiten in Smolletts Humphry Clinker als gemeinsame Referenzpunkte in den brieflichen Darstellungen der Romanfiguren bestimmen und jene in dieser Form miteinander in Verbindung setzen. Zu einer ähnlichen Etablierung verwandter Elemente in verschiedenen aufeinanderfolgenden Schilderungen eines Ereignisses kommt es auch in der Eröffnungsszene von Nick Hornbys A Long Way Down (2005). Der multiperspektivisch erzählte Roman beginnt mit dem Aufeinandertreffen von vier Selbstmordaspiranten, die unabhängig voneinander beschließen, sich in der Silvesternacht vom Dach desselben Gebäudes zu stürzen, und als Folge dort überraschenderweise aufeinandertreffen. Setting und Ablauf, d. h. das Situationsmodell dieser Zusammenkunft, sowie das gemeinsame Motiv (Selbstmord) und die Irritation über die unerwartete Begegnung können per cross-space mapping in jeder der vier verschiedenen Darstellungen dieser Begegnung lokalisiert werden. Sie führen zur Bildung eines sogenannten generic space. Dieser enthält, laut blending-Theorie, „information that is abstract enough to be common to both (or all) the inputs“ (Evans/Green 2006: 404) und fungiert damit gewissermaßen als semantisches Bezugsfeld, in dem die Gemeinsamkeiten der input spaces, d. h. die Produkte des cross-space mapping abgebildet werden (vgl. Fauconnier/Turner 1998: 143). Im Kontext der Interaktion von Perspektiven können generic spaces in sehr unterschiedlicher Form und mit radikal verschieden Inhalten auftreten. Während beim direkten Vergleich zweier Figuren mitunter sehr spezifische Eigenschaften oder Überzeugungen in einen generic space eingehen, sind die gemeinsamen Bezugspunkte einer Gruppe von Figurenperspektiven tendenziell eher allgemeiner Natur. So gehören zum generic space der reisenden Familie in Humphry Clinker neben den Ereignissen und kollektiv besuchten Orten der Reise (Situationsmodell) vor allem Aspekte wie Familienzugehörigkeit, der ‚Akt des Reisens‘ oder der gehobene soziale Status der Briefschreiber. Des Weiteren erweist eine Betrachtung von generic space und cross-space mapping, dass das blending-Modell keinen radikalen Bruch mit älteren Konzepten der Bedeutungsintegration darstellt, sondern diese auf fruchtbare Weise zu integrieren versucht. Auf einer metatheoretischen Betrachtungsebene kann dementsprechend festgestellt werden, dass die Etablierung von „counterpart connections“ (Fauconnier/Turner 1998: 137) und ihre Projektion in einen generic space in ihrer Funktion an die strukturalistische
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Beziehungsrelation der Kongruenz (similarity) erinnert.42 Wie bereits von den Vertretern der Gestaltpsychologie des vorigen Jahrhunderts erkannt wurde, kann Differenz nur vor einem Hintergrund der Ähnlichkeit inszeniert werden (vice versa).43 Daher sind auch die Unterschiede zwischen verschiedenen Figurenperspektiven untrennbar mit der Bedeutungsebene ihrer Gemeinsamkeiten verbunden. Während der Gesichtspunkt der Ähnlichkeit sich derart in der Projektion eines generic space manifestiert, drückt sich der Aspekt der Differenz in Fauconnier und Turners Modell im Fortbestehen der inputs als eigenständiger mental spaces aus. Bekanntlich führt das Entstehen von Bedeutung laut blending-Theorie nicht zu einer einseitigen Verwandlung der bestehenden input spaces in eine neue gemeinsame Bedeutungsstruktur. Inputs werden allgemein nicht einfach miteinander verschmolzen und auf diese Weise in ihrer bestehenden Form aufgelöst, sondern bleiben als individuelle, eigenständige Einheiten bestehen. Die aus der Integration von inputs neu erwachsenden semantischen Strukturen werden in zusätzliche Bedeutungsräume (emergent spaces) projiziert. Dies gilt ebenso für Figurenperspektiven. Das Figurenensemble, das dem Leser beispielsweise am Anfang von A Long Way Down präsentiert wird, besteht trotz Übereinstimmungen zwischen den Figuren aus distinkten Charakteren, deren individuelle Persönlichkeiten sich aus der Überlagerung der verschiedenen perspektivisch gebrochenen Darstellungen der Ereignisse sukzessive herauskristallisieren. Ihre Lebensgeschichten, psychologischen Dispositionen und Selbstmordgründe erweisen sich dabei als höchst unterschiedlich und bereiten die Grundlage für die vielschichte literarische Erkundung von Depression und Selbstmord, die der Roman vorlegt. Das gleiche gilt auch für Graham Swifts Roman Last Orders (1996), in dem eine Gruppe langjähriger Freunde einen Ausflug ans Meer unternimmt, um dort die Asche eines kürzlich verstorbenen Freundes zu verstreuen. Die abwechselnd aus dem Blickwinkel verschiedener Protagonisten erzählte Geschichte entwickelt dabei einen gemeinsamen semantischen Raum um die Figur des verstorbenen Metzgers Jack Dodd und die zusammen (mit ihm) verlebte Zeit. Trotz dieser Übereinstimmungen sind die Erinnerungen an die Vergangenheit mit dem Toten – sowohl in Bezug auf ihren Inhalt als auch ihre emotionalen Färbung – von höchst unter––––––––––––– 42 Siehe hierzu Barbara Dancygiers Betonung der kohärenzstiftenden Funktion des generic space angesichts der Differenzen zwischen verschiedenen inputs: „Input spaces may have enough shared structure to allow for cross-space mappings, but the degree of similarity may vary significantly. […] the [blending] process relies on a skeletal construct, called a generic space, which gives coherence to the newly formed [blended] space.“ (2006: 5) 43 Vgl. Rubin (1921), Iser (1976: 159ff.). Zu Strategien des foregrounding als „Manifestation der gestaltpsychologischen Figur-Grund-Wahrnehmung“ vgl. auch van Holt/Groeben (2005).
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schiedlicher Natur, wodurch ein vielseitiges Portrait des verstorbenen Freundes gezeichnet wird. Die strukturalistische Analysedichotomie von Kongruenz und Differenz wird, wie an diesen Beispielen deutlich wird, von blending nicht verneint, sondern in die eigene theoretische Analysematrix integriert. Ein entscheidender Vorteil von conceptual integration besteht jedoch darin, dass die Theorie über ein bipolares Modell hinausgeht und die grundsätzliche Projektion weiterer mental spaces postuliert (blended space). Zusammen mit der Einsicht, dass Prozesse der Bedeutungsformation weder linear sind noch eine unidirektionale Verschmelzung aller Informationen der beteiligten inputs vollziehen, stellt dies einen konzeptuellen Quantensprung gegenüber strukturalistischen Theorien der Bedeutungserzeugung dar.44 Blending zeigt sich dadurch als besonders relevant für die Untersuchung der Konstruktion von Figurenperspektiven, denn auch hier findet häufig eine nur partielle Projektion semantischer Strukturen in den entstehenden blended space statt. Wie sich am Beispiel von Jack Dodd exemplarisch beobachten lässt, vollzieht sich in der Regel kein simples Addieren aller bereitgestellten Informationen. Stattdessen führt die Kombination individueller Figurenperspektiven zur Konstruktion eines mentalen Modells des Metzgers, das inhaltlich über die Summe seiner Teile hinausgeht, indem es neben einer Vielzahl ergänzender Inferenzen und kognitiver Sinnbildungsmechanismen auch die interne Spannung zwischen den verschiedenen inputs bewahrt und abbildet. Ähnlich wie bei Addie Bundren in Faulkners As I Lay Dying (1930) oder Kath Peters in Livelys The Photograph (2003) konstituiert der tote – und damit gewissermaßen ‚abwesende‘ – Jack das eigentliche Zentrum des Romans (vgl. Cooper 2002: 23f.).45 Er ist der Verbindungsknoten im Kern des Figuren- und Beziehungsnetzwerks von Last Orders (vgl. Bedggood 2005: 210); gleichzeitig bleibt das Bild seiner Persönlichkeit leicht verschwommen und kann aufgrund der Perspektivenstruktur des Textes nicht fixiert werden: [T]he ‚real‘ Jack remains elusive and outside the definition of any of his friends or family. His multiple interpellative roles – soldier, butcher, drinking companion, husband and (adopted) father – have produced a form of kaleidoscopic subjectivity that alters depending upon the position of observation. (Lea 2005: 175)
––––––––––––– 44 Vgl. hierzu die Diskussion der Stärken und Schwächen von blending in Kapitel IV.5. 45 Als weiteres Beispiel für einen Roman mit ähnlicher Perspektivenkonstellation kann Jackie Kays Trumpet (1998) dienen, der in Kapitel VI.2 ausführlich analysiert wird.
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‚Selective-‘ und ‚Backward Projection‘ Die Beobachtung, dass nicht alle Informationen über Jack Dodd in Last Orders (gleichermaßen) in die Konstruktion seiner Persönlichkeit eingehen, spiegelt ein wichtiges Detail von conceptual integration theory im Allgemeinen und der mentalen Konstruktion von Figurenperspektiven im Besonderen. Tatsächlich basiert das Erklärungspotential und die flexible Anwendbarkeit von blending unter anderem maßgeblich auf der Prämisse „[that] not all the structure from the inputs is projected to the blend“ (Evans/Green 2006: 409). Eine Konsequenz daraus ist, dass blended spaces sich in jeglicher Hinsicht von ihren inputs unterscheiden können. Da die semantischen Inhalte nur in Teilen projiziert werden, vermag eine Gegenüberstellung von Figurenperspektiven vielmehr zur Konstruktion einer wahren Vielfalt unterschiedlicher blends anregen. Diese können beträchtliche semantische, strukturelle und ontologische Differenzen aufweisen und so ungleiche Inhalte, wie beispielsweise die Konstruktion einer noch nicht realisierten Perspektive, die Spezifikation eines Situationsmodells oder die Entwicklung einer gemeinsamen Symbolik umfassen.46 Dabei lässt sich ferner folgende Tendenz aufzeigen: Je markanter der Unterschied zwischen blend und input, desto zahlreicher die Elemente im input space, die sich als „irrelevant to, or even inconsistent with, the emergent meaning under construction“ erweisen (Evans/Green 2006: 409). So tragen zum Beispiel nicht alle Details der Szenen am Krankenbett in Michael Ondaatjes The English Patient (1992) zur Klärung der Identität des zur Unkenntlichkeit verbrannten Mannes bei. Auch wenn die Passagen, in denen die junge Krankenschwester Hana als focalizer fungiert, maßgeblich an der mentalen (Re)Konstruktion des englischen Patienten beteiligt sind, so richtet sich ihre individuelle Perspektive doch auch auf andere Dinge und Personen und beteiligt sich beispielsweise an der Konstruktion der Figur ihres indischen Liebhabers Kip. Zugleich ist die Projektion ausgewählter Perspektiveninhalte (selective projection) untrennbar mit der Bewertung und Hierarchisierung von Informationen durch den Rezipienten verbunden (vgl. Menhard 2009: 26). Der Leser wird zum Beispiel die klagenden Berichte Matthew Brambles über London und Bath in Humphry Clinker nicht unmodifiziert in sein mentales Modell der Städte übernehmen, sondern im Hinblick auf die griesgrämige Person Brambles relativieren. Gleichzeitig trägt die Beurteilung der Aussa––––––––––––– 46 Ein hervorragendes Beispiel für das Entstehen und Zusammenspiel verschiedener blends findet sich bei Harding (i. Erscheinen). In ihrem Aufsatz, der sich der komplexen Metaphorik von Charles Chesnutts Kurzgeschichte „Dave’s Neckliss“ (1889) widmet, gelingt es Harding auf äußerst anschauliche Weise, das Zusammenwirken mehrerer emergenter Bedeutungsebenen zu illustrieren, die auf einer gemeinsamen Basis weniger input-Elemente gründen.
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gen des Landadligen in umgekehrter Richtung zur weiteren Verfestigung des Bildes bei, das der Rezipient auf der Grundlage des Textes über ihn bildet. In ähnlicher Weise müssen ebenso die Aussagen des alten Dieners Gabriel Betteredge in Wilkie Collins The Moonstone (1868) mit den Darstellungen der anderen Erzähler des Romans abgeglichen werden und können nicht unhinterfragt in das Situationsmodell des Textgeschehens eingehen. Auch hier dient die individuelle Sicht der Figur des Bediensteten nicht allein zur Rekonstruktion des Tathergangs. Vielmehr tragen Betteredges charakteristische Bemerkungen über das weibliche Geschlecht oder seine Angewohnheit aus Defoes Robinson Crusoe zu zitieren zur Bildung des mentalen Modells des alten Mannes bei (vgl. Miller 1998: 216; Menhard 2009: 179–183). Beide Beispiele entsprechen Fauconnier und Turners These, dass bei conceptual integration eine dynamische Verbindung zwischen dem blended space und den input spaces erhalten bleibt. Die emergenten Strukturen des blend sind stets „hooked up to the Inputs“ (1998: 140), da die Projektion semantischer Gehalte innerhalb eines blending-Netzwerks grundsätzlich in mehrere Richtungen erfolgt (vgl. 183). Fauconnier und Turner entwickeln auf diese Weise ein zutiefst dynamisches Verständnis kognitiver Bedeutungserzeugung, nach welchem die Verarbeitung unterschiedlicher semantischer Strukturen sich nicht in linear gerichteten Ableitungsprozessen vollzieht, sondern in allen Stationen des Netzwerks und „in different ways and different directions“ (183) ablaufen kann: „During blending, conceptual work may be performed at any site in the conceptual array.“ (178) Für die mentale Verarbeitung der Perspektivenstruktur eines Romans bedeutet dies, dass die aus der Interaktion von Perspektiven entstehenden blends grundsätzlich auf die als input dienenden Figurenperspektiven zurückprojiziert werden können (backward projection).47 Besonders häufig in den Vordergrund gerückt wird dieser Vorgang beispielsweise in Texten, die eine unzuverlässige Erzählfigur entwerfen, oder in Kriminalgeschichten, in denen die Suche nach der Identität des Verbrechers mit der allmählichen Rekonstruktion des Tathergangs einhergeht. Solche Erzählungen zwingen den Leser zu einem kontinuierlichen Abgleichen des Situationsmodells mit den mentalen Figurenmodellen des Textes. Als Beispiele hierfür können nochmals Collins’ The Moonstone oder Ian Pears historischer Kriminalroman An Instance of the Fingerpost (1997) dienen, in denen Verbrechen und Täter auf der Basis homodiegetischer Erzählberichte unterschiedlich ‚zuverlässiger‘ Figuren sukzessive rekonstruiert werden müssen (vgl. Mullan 2006: 55f.; Menhard 2009: 186).48 Auch Detektivgeschichten ––––––––––––– 47 Vgl. Turner (1996: 136). 48 Zum Phänomen unzuverlässigen Erzählens (Booth 1961) siehe einleitend Bode (2005: 261– 277) oder Martinez/Scheffel (2002: 95–107). Vgl. ferner Olson (2003) sowie die Beiträge in
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wie Agatha Christies Murder on the Orient Express (1934) illustrieren die Interdependenz von Handlungs- und Figurenkonstruktion auf geradezu prototypische Weise: Durch die Ermittlung in Form aufeinanderfolgender Dialoge zwischen Hercule Poirot und den Fahrgästen des Zuges wird der Leser hier dazu angehalten, sein mentales Bilder der Verdächtigen und ihrer jeweiligen Bezugsverhältnisse kontinuierlich anhand des Gesprächsverlaufs zu aktualisieren und als entscheidenden Faktor in die Rekonstruktion des Verbrechens zu integrieren. Obgleich sich solche semantischen Rückkopplungseffekte in klassischen Detektivgeschichten oder Formen unzuverlässigen Erzählens häufig besonders deutlich beobachten lassen, kann die rezeptionstheoretische Bedeutung der Projektion semantischer Gehalte auch in anderen narrativen Texten als gegeben gelten. Wiederum kann in diesem Kontext auf das Beispiel von Smolletts Humphry Clinker verwiesen werden. Die Zusammenstellung des Romans von Briefen aus verschiedenen individuellen Perspektiven regt nicht nur zur Schaffung von lebhaften blended spaces der besuchten Orte an, sondern führt darüber hinaus z. B. zur Konstruktion eines mentalen Modells der Titelfigur des Romans: Humphry Clinker, die pikareske Figur eines mittellosen Stallknechts, die erst nach einem guten Drittel der Handlung in Erscheinung tritt, ist nicht unter den Briefschreibern und muss vollständig aus den Berichten Brambles und seiner Familie entworfen werden (vgl. Price 1973: 22). Bei der (Re)konstruktion dieses blends werden die eingehenden Informationen kontinuierlich mit ihrer Quelle (dem jeweiligen Verfasser des Briefes) in Bezug gebracht und bewertet: „In order to assess Humphry’s character, we first have to judge that of the writers who observe and comment on his activities.“ (23) Das Beispiel der Figur Clinkers betont damit nochmals, dass semantische Projektionen zwischen den spaces des blending-Netzwerks nicht auf einen bestimmten Texttyp, eine spezifische Erzählsituation oder eine plot-Konfiguration begrenzt sind, sondern in verschiedensten Formen auftreten und derart ein allgemeines literarisches Phänomen darstellen. ‚Composition‘, ‚Completion‘ und ‚Elaboration‘ Neben dem interaktiven Zusammenspiel der mental spaces eines blendingNetzwerks besteht die wohl wichtigste Komponente der Theorie von Fauconnier und Turner in der Beschreibung emergenter Bedeutungsstruk––––––––––––– Nünning (1998a), Liptay/Wolf (2005) und D’hoker/Martens (2008). Verwiesen sei außerdem auf Allrath (2005) und Allrath/Surkamp (2004), die sich dem Thema aus Sicht der Gender Studies nähern, sowie auf Menhard (2009), die eine ausführliche Studie zum Zusammenspiel von Unzuverlässigkeit und Multiperspektivität vorlegt.
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turen. Conceptual integration networks sind demnach in der Lage, über die Informationen der inputs hinauszugehen und zur Konstruktion von blended spaces anzuregen, welche Elemente enthalten, die in keinem der input spaces des Netzwerks zu finden sind. Bei der Entstehung solcher emergenter Strukturen identifiziert die Theorie drei kognitive Operationen der Inferenzbildung (composition, completion und elaboration), welchen laut Fauconnier und Tuner eine unabdingbare Rolle bei der Bildung und Ausgestaltung von blended spaces jeglicher Art zukommt. Composition, die elementarste der drei Operationen, sorgt für das Erstellen einer Verbindung zwischen den zu projizierender Strukturen in den input spaces. Während selbstevidente Beziehungsrelationen zwischen den dort vorhandenen Informationen mittels cross-space mapping erfasst werden, müssen andere semantische Bezüge erst durch die Bildung von Inferenzen hergestellt werden. Ein solcher Vorgang des Erschließens von Zusammenhängen vollzieht sich in unterschiedlichem Umfang bei der Bildung nahezu jedes blended space und findet sich daher auch in unzähligen literarischen Texten. Ein Beispiel ist David Mitchells in neun Episoden gegliederter Roman Ghostwritten (1999), dessen Kapitel nicht nur im Stil unterschiedlicher Genre verfasst sind, sondern darüber hinaus einen jeweils anderen Erzähler, ein unterschiedliches Setting und eine scheinbar unabhängige Handlung aufweisen. Die in der Tradition postmoderner metahistorischer Romane stehende Erzählung (vgl. Griffiths 2004: 80)49 präsentiert auf diese Weise eine bunte Vielfalt homodiegetischer und auf den ersten Blick autonomer Erzählstimmen. Dennoch findet sich in den einzelnen Erzählungen eine Vielzahl gegenseitiger Referenzen und zufällig wirkender Berührungspunkte, die es für den Rezipienten aufgrund von Indizien und beiläufig erwähnten Details zu erschließen gilt. So beobachtet beispielsweise der Erzähler des dritten Kapitels, ein überarbeiteter und in illegale Geldgeschäfte involvierter Hongkonger Finanzanwalt namens Neil Brose, ein junges Pärchen in einem Café: She was Chinese, I could tell that, but they spoke in Japanese. He had a saxophone case, and a small backpack with airline tags still attached. They could barely have been out of high school. He needed a good long sleep. They didn’t hug or cloy over each other […]. They just held hands over the table. Of course, I didn’t
––––––––––––– 49 Für Griffiths trägt der Roman zur Diskussion der Möglichkeit historischer Repräsentation bei, indem er sich gegen „linear chronology and the truth-value of historical representation“ (2004: 80) ausspricht und als alternative Darstellungsform eine Vielzahl „of petites histoires documenting the personal histories of ‚common‘ people“ anbietet (2004: 81). Als Beispiele für ähnliche Texte verweist er auf Barnes’ History of the World in 10 ½ Chapters (1989) oder Swifts Waterland (1983). Zum Verhältnis historischer Fiktion und historiographischer Metafiktion siehe ferner Nünning (1995) und Hutcheon (1988); zu Metafiktion vgl. Waugh (1984), Currie (1995), Wolf (1996) sowie Schneider (2007) zum Phänomen hybrider Genres.
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understand a single word, but I guessed they were discussing possibilities. They were so happy. (Ghostwritten, 78)
Das frisch verliebte Pärchen bildet eine Kontrastfolie zu Neil und seinem aus den Fugen geratenen Leben (vgl. Schoene 2010: 103), ohne dass die Identität der beiden jungen Menschen explizit geklärt oder von der Figur des Geschäftsmanns als bedeutsam erkannt wird. Dennoch begreift der Leser sofort, dass es sich bei dem japanischen Jugendlichen und seiner chinesischen Freundin um den Erzähler der vorhergehen Episode in Tokyo handelt. Aufgrund einer Reihe von Indizien – das Saxofon, die Nationalität und das Alter der Verliebten sowie die syntagmatische Nähe der Szene im Restaurant zum vorhergehenden Kapitel – bereitet es keine Schwierigkeiten die notwendige Verbindung zwischen den Inhalten beider Episoden und ihrer Erzählerperspektiven herzustellen. Obgleich die Verbindung weder explizit artikuliert wird noch logisch notwendig ist, wird sie vom Leser kreativ inferiert. Auf diese Weise wird eine Verbindung zwischen beiden Kapiteln und ihren Figurenperspektiven etabliert, ohne dass diese von den Erzählfiguren selbst realisiert wird. Ein ähnlicher Fall von composition lässt sich in Mathew Kneales English Passengers (2000) beobachten. Der Roman – eine literarische Verarbeitung des Genozids an den Ureinwohner Tasmaniens – präsentiert eine Kollage aus den Berichten unterschiedlichster Figuren über einen Zeitraum von mehr als hundert Jahren. Unter den homodiegetischen Erzählern befindet sich auch der entflohene Sträfling Jack Harp sowie ein Junge namens Peevay: ein bei den Aborigines aufwachsendes Mischlingskind, das darunter leidet, von seiner Mutter ignoriert und emotional zurückgewiesen zu werden. Wieder etabliert der Text keine explizite oder logisch notwendige Verbindung zwischen den Erinnerungen Harps und dem Erzählbericht des jungen Peevay: Weder der Sträfling, der auf brutale Weise eine junge eingeborene Frau entführt und sie vor ihrer Fluch wiederholt vergewaltigt, noch der Junge, der nicht versteht, warum sein Aussehen sich von dem seiner Stammesmitglieder unterscheidet und der keine Erklärung für den brennenden Hass seiner Mutter gegenüber den ‚Weißen‘ besitzt, ist sich der Existenz des jeweils anderen überhaupt bewusst. Dennoch bereitet es keine Schwierigkeiten, die offensichtliche Verbindung zwischen der Geschichte Jacks und Peevays herzustellen. Durch das Bilden von Inferenzen, die Fauconnier und Turner der Operation der composition zuordnen (vgl. 2002: 48), entsteht auf diese Weise ein blended space, der nicht nur eine Deutung des Verhaltens der Mutter anbietet, sondern zudem eine plasti-
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sche Illustration des gedankenlosen und menschenverachtenden Umgangs der Europäer mit der einheimischen Bevölkerung darstellt.50 Der dabei entstehende blended space gründet jedoch nicht allein auf den Inferenzprozessen der composition oder den Inhalten der involvierten input spaces. Wie bei allen Textverstehensprozessen bedarf es der zusätzlichen Aktivierung von Wissensstrukturen, die über die vom Text gelieferten Informationen hinausgehen. Wissen über die koloniale Geschichte Australiens bzw. Tasmaniens oder über die psychologischen Auswirkungen einer Vergewaltigung spielt daher auch bei der Rezeption von English Passengers eine entscheidende Rolle für die Entstehung emergenter semantischer Strukturen. Die Aktivierung solchen Hintergrundwissens wird von Fauconnier und Turner unter dem Begriff der completion diskutiert und neben composition als weiterer wichtiger Aspekt des blending-Vorgangs bestimmt: „We rarely realize the extent of background knowledge and structure that we bring into a blend unconsciously. Blends recruit great ranges of such background information.“ (2002: 48) Die Bedeutung und der Umfang ergänzender Inferenzen sowohl für das Textverstehen als auch für die Bildung von blended spaces können kaum überschätzt werden. Unterschiedliche Formen von completion sind damit auf allen Ebenen der Rezeption narrativer Texte anzutreffen (vgl. Zwaan/ Singer 2003: 100) und reichen von der anaphorischen Verbindung von Satzteilen bis zur Ergänzung und Erweiterung der semantischen Repräsentation der Textbasis um symbolische oder ästhetische Bedeutungsebenen (vgl. Miall 2008: 189; Christmann/Schreier 2003: 255ff.).51 Blending theory inkorporiert auf diese Weise nicht nur literaturwissenschaftliche Einsichten zur Natur und Funktion textueller ‚Leerstellen‘ (Iser 1976; Ingarden 1994 [1968]), sondern erweist sich auch als kompatibel mit der (psycho)linguistischen Erforschung dieses Themenbereichs (z. B. Gerrig 1993; Magliano et al. 1996; van den Broek et al. 1996). Zusammen mit dem Aspekt der selektiven Projektion semantischer Strukturen zeichnet completion auf diese Weise verantwortlich für einen Großteil des kreativen Potentials bei der individuellen Kombination von inputs. Rezipienten können nicht nur unterschiedliche Elemente zur Pro––––––––––––– 50 Die Selbstverständlichkeit, mit der die europäischen Figuren die eingeborene Bevölkerung im Roman als Menschen zweiter Klasse behandeln, wird u. a. am Beispiel von Jack Harp deutlich. Als entflohener Sträfling bewegt sich Jack auf der untersten sozialen Stufe der Kolonie Tasmanien. Dennoch hinterfragt er in keinem Moment sein Recht, eingeborene Frauen zur sexuellen Befriedigung zu missbrauchen, und verschwendet keinen Gedanken an deren Befindlichkeit oder die ihrer Angehörigen. Zur literarischen Darstellung der kolonialen Politik gegenüber den tasmanischen Aborigines in English Passengers vgl. auch Barrett (2007). 51 Fauconnier/Turner (2002: 48) führen das Vervollständigen von Mustern und Formen (pattern completion) als einen der grundlegendsten Inferenzmechanismen von completion an. Zahlreiche Beispiele für Inferenzen bei der Literaturrezeption finden sich ferner in Turner (1996).
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jektion in den entstehenden blended space selegieren, sondern besitzen unterschiedliche Wissensstrukturen, auf die bei der Bildung emergenter Strukturen zurückgegriffen werden kann. Dies erklärt (zumindest teilweise), warum verschiedene Leser häufig unterschiedliche mentale Modelle von Figuren und ihren Perspektiven konstruieren.52 Die Vorstellungen, die Rezipienten von den Figuren in so unterschiedlichen Texten wie beispielsweise Scotts Ivanhoe (1820), Stokers Dracula (1897) oder Rhys’ Wide Sargasso Sea (1966) entwerfen, werden sich dementsprechend nicht nur zu einem gewissen Grad voneinander unterscheiden; in allen drei Fällen werden die mentalen Figurenmodelle des Rezipienten vielmehr maßgeblich von dessen literarischem, historischem oder multimedialen Vorwissen bestimmt sein. Die Vorstellung der Ritterfiguren in Ivanhoe wird z. B. in besonderer Weise durch das historische Vorwissen des Rezipienten bestimmt sein. Im Fall von Rhys’ Roman ist zusätzlich davon auszugehen, dass bei vorheriger Lektüre von Brontës Jane Eyre der intertextuelle Bezug zwischen beiden Texten die Bildung mentaler Modelle beim Lesen von Wide Sargasso Sea beeinflussen dürfte. Auch mediale Grenzen werden bei einer solchen Inkorporation von Vorwissen problemlos überschritten und demonstrieren u. a. die historische Kontingenz derartiger Aktivierungsbezüge. So wird z. B. Christopher Lees markante filmische Verkörperung des Grafen Dracula prägend auf die Imagination vieler Leser des gleichnamigen Romans in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gewirkt haben – eine Einflussnahme, die logischerweise nicht existieren konnte bevor Lees Darstellung über die Kinoleinwände und Fernsehbildschirme der Welt flimmerte bzw. die durch die schwindende Vertrautheit jüngerer Generationen mit seinen Filmen an Gewicht verlieren wird. Trotz der Bedeutung der Aktivierung von Hintergrundinformationen und der kreativen Etablierung semantischer Beziehungen zwischen den input spaces reichen diese Prozesse jedoch nicht aus, um die durch blending entstehenden emergenten Strukturen vollständig zu beschreiben. Nach Fauconnier und Turner wird ein Großteil der emergenten Strukturen eines blends durch „imaginative mental simulation“ (1998: 144) gebildet. Neben composition und completion sind es solche als elaboration bezeichneten Akte, die es dem Rezipienten ermöglichen, eine Reihe weiterer Inferenzen zu bilden. Dazu gehören einerseits Akte imaginativer Ausschmückung. So ––––––––––––– 52 Andere relevante Faktoren bei der individuellen Konstitution von Textverständnis sind nach Schutte (2005: 182) die allgemeine „Rezeptionskompetenz“ und die „vorab gegebene psychische Disposition“ des Lesers sowie seine (unbewussten) Wünsche und Erwartungshaltungen. Zur empirischen Diskussion des Einflusses der Wünsche und Präferenzen von Lesern auf die mentale Repräsentation von Texten siehe außerdem Rapp/Gerrig (2006) und Miall (1995). Beachte ferner die klassischen Arbeiten zur Bedeutung der Psyche des Rezipienten von Bleich (1978) und Holland (1968, 1975).
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kann zum Beispiel das überraschte Entsetzen Robinson Crusoes beim plötzlichen Entdecken des Fußabdrucks im Sand in weit detaillierterer Weise als im Text beschrieben vorgestellt werden. Andere durch elaboration gebildete Inferenzen hingegen sind wichtig für das Textverständnis oder den Nachvollzug größerer Zusammenhänge. Tatsächlich zwingen zahlreiche Texte den Leser durch das Zurückhalten notwendiger Informationen zur imaginativen Ergänzung semantischer Strukturen. In Richardsons Clarissa etwa bleibt die zentrale Szene der Vergewaltigung der Protagonistin erzählerisch ausgespart und wird im Text nicht direkt geschildert. Es wird dem Leser überlassen, die verschiedenen Briefe und Darstellungen vor und nach dem schrecklichen Ereignis mental zusammenzufügen, um eine genaue Vorstellungen von den Geschehnissen zu erhalten. Da selbst die Kombination aller Referenzen und Anspielungen jedoch nur ein vages Bild des Verbrechens liefert, ist der Rezipient dazu gezwungen, den Übergriff und seine direkten Auswirkungen auf Clarissa teilweise auf der Basis imaginativer Inferenzen zu rekonstruieren.53 Das strategische Weglassen der Szene – eine häufig verwendete Erzähltechnik – führt zur Notwendigkeit, diese mental zu rekonstruieren, da die Vorstellung des Rezipienten von der Tat unter anderem einen direkten Einfluss auf die mentalen Modelle der involvierten Figuren und deren Bewertung ausübt. Elaboration wird in solchen Fällen zur unverzichtbaren Komponente kognitiver Textverarbeitung, die sich gewöhnlich in Kombination mit composition und completion, d. h. der Aktivierung von Hintergrundwissen und der kreativen Kombination von inputs spaces, vollzieht. Neben solch ‚notwendigen‘ semantischen Ergänzungen ermöglicht elaboration jedoch auch Formen der mentalen Simulationen gelesener Begebenheiten, die weit über die Textbasis hinausgehen. Die kognitiven Repräsentationen von Szenarien oder Figuren können, mit anderen Worten, imaginativ weitergeführt oder ausgebaut werden „by treating them as simulations and running them imaginatively according to the principles that have been established for the blend“ (Fauconnier/Turner 2002: 48). Der Leser ist somit in der Lage, eine Erzählung durch „running of the blend“ (44) jederzeit auf unterschiedlichste Weise kreativ über die Grenzen des Textes hinaus auszudehnen. Derart wird es möglich, sich Dr. Frankensteins Jagd nach dem Monster über das arktische Packeis in aller Ausführlichkeit vorzustellen oder sich auszumalen, mit welchen Schrecken Winstons Freundin Julia im berüchtigten Zimmer 101 von Orwells Ro––––––––––––– 53 Das Fehlen der Vergewaltigungsszene in Richardsons Erzählung steht offensichtlich im Zusammenhang mit den moralischen und literarischen Konventionen des achtzehnten Jahrhunderts. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die Aussparung des Verbrechens die Notwendigkeit zu dessen mentaler Rekonstruktion auslöst.
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man Nineteen Eighty-Four (1949) dazu gezwungen wird, ihren Geliebten zu verraten.54 ‚Blending‘ und die Analyse automatisierter vs. bewusster Rezeption Es ist offensichtlich, dass die oben verwendeten literarischen Texte lediglich exemplarischen Charakter aufweisen und stellvertretend für zahllose andere Erzählwerke stehen, anhand derer dieselben internen Operationen eines conceptual integration networks diskutiert werden könnten. Ziel der vorausgehenden Ausführungen war keine erschöpfende Aufzählung narrativer Perspektivenphänomene, sondern es sollte mithilfe von Beispieltexten illustrieren werden, dass blending sich als theoretischer Rahmen auf hervorragende Weise zur Modellierung der vielfältigen Interaktionsmechanismen der mentalen Modelle von Figuren und Perspektiven eignet. Es wurde gezeigt, dass sich der Rezipient bei der semantischen (Re)Konstruktion von Figuren und Perspektiven der von Fauconnier und Turner beschriebenen kognitiven Operationen bedient. Dabei kommt insbesondere der Möglichkeit der kontinuierlichen Modifikation aller Elemente in den involvierten Netzwerken eine entscheidende Rolle zu. Das dynamische Zusammenspiel von cross space mapping, selective- und backward projection sowie construction, completion und running the blend (elaboration) ist integraler Bestandteil jeder kognitiven Verarbeitung von fiktionalen Akteuren. Es ermöglicht uns einen theoretischen Einblick in die komplexen Funktionsmechanismen der Perspektiveninteraktion auf einem weit höheren Niveau als andere literaturwissenschaftliche Modelle. Dabei spielen die hier skizzierten blending-Operationen nicht nur während der Rezeption narrativer Texte eine wichtige Rolle, sondern stellen nach der Theorie von Fauconnier und Turner grundlegende Charakteristika des menschlichen Denkens dar. Mechanismen wie composition, completion und elaboration werden dabei als Prozesse verstanden, die nicht bewusst, sondern sozusagen „backstage“ ablaufen (vgl. Fauconnier/Turner 2002: 18; Fauconnier 1999: 96). Wie andere kognitive Basisoperationen bleibt blending ihrer Meinung nach ‚unsichtbar‘, da sich die Vorgänge mit einer ungeheuren Geschwindigkeit vollziehen, welche von bewusster Aufmerksamkeit nur beeinträchtigt werden könnte: „[…] the operations we are talking about occur at lightning speed, presumably because they involve distributed spreading activation in the nervous system, and conscious ––––––––––––– 54 Eine weitere Möglichkeit besteht in der Fähigkeit, eine literarische Figur in andere Kontexte jenseits des Textgeschehens zu projizieren: „Once we have a notion of an actor’s character, we can try to use it to project that actor into roles in new stories. We can try to predict what she will do in this story.“ (Turner 1996: 136f.)
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attention would interrupt that flow.“ (Fauconnier/Turner 2002: 18) Was ins Rampenlicht der bewussten Aufmerksamkeit tritt sind dementsprechend die Effekte eines blending-Vorgangs, nicht jedoch die dabei involvierten kognitiven Teiloperationen (vgl. 57). Eine geradezu exemplarische literarische Darstellung dieser Vorstellung von blending findet sich im Roman The Space Between Us (2006) der indischamerikanischen Schriftstellerin Thrity Umrigar. Hier kommt es gegen Ende der Erzählung auf den Straßen Bombays zu einem zufälligen Aufeinandertreffen der alten Haushälterin Bhima und ihrer wohlhabenden Arbeitgeberin Sera, die von einem Teil ihrer Familie begleitet wird. Bhima, die als Reflektorfigur der Passage dient und zusammen mit ihrer Enkeltochter Maya unterwegs ist, registriert mit nichtsahnender Verwunderung, dass sich sowohl ihre Enkelin als auch Viraf, der Schwiegersohn Seras, bei diesem Treffen auf ungewöhnlich seltsame Weise verhalten. Zunächst reagiert sie überrascht und irritiert, doch dann klärt sich in einer einzigen Sekunde eine der zentralen Fragen des Romans, die die Protagonistin von der ersten Szene des Buches an umtreibt: It was strange how she found out. One moment she didn’t know; the next minute she did. One moment her mind was as blank as the desert; the next minute the snake of suspicion had slithered into her thoughts and raised its poisonous head. And now she must live with the earth-shattering knowledge that Viraf Davar was the father of Maya’s dead child. (The Space Between Us, 267)
In der Schilderung Umrigars offenbart sich die Identität des bis dahin unbekannten Mannes – der Bhimas Enkeltochter schwängert, sie dann allein lässt und damit letztendlich zur Abtreibung des Kindes zwingt – als eine völlig überraschende Einsicht, ausgelöst durch die Beobachtung des emotionalen Aufruhrs auf den Gesichtern von Maya und Viraf. Der Roman stellt diese Erkenntnis als eine spontane Inferenz auf der Basis dieser Gesichtsausdrücke dar, die beide Personen und die gewaltsam beendete Schwangerschaft auf eine völlig neuartige und dennoch unmittelbar stimmige Weise miteinander verbindet. Aus der mentalen Integrationen jener input spaces entsteht für die Protagonistin so eine Gewissheit, deren emergente Qualität in ihren Dimensionen und Implikationen weit über die Semantik der ursprünglichen Beobachtung hinausgeht und in ihrer literarischen Darbietung eine geradezu prototypische Illustration von Fauconnier und Turners Beobachtungen darstellt: „The moment of tangible, global understanding comes when a network has been elaborated in such a way that it contains a solution that is delivered to consciousness. That delivery in nonroutine cases can produce the ‚Eureka!‘ or ‚aha!‘ effect […].“ (2002: 57) Der Roman The Space Between Us veranschaulicht auf literarische Weise das Entstehen einer solchen ‚globalen Einsicht‘ als scheinbar spontanem Akt der Erkenntnis, dessen innere Mechanismen sich wie der Großteil kog-
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nitiver Rezeptionsprozesse unter der Oberfläche der mentalen Aufmerksamkeit vollziehen, und die nicht durch bewusste Introspektion entschlüsselt werden können.55 Obgleich diese Einsicht in die größtenteils unbewusste Natur kognitiver Textverarbeitung in der vorliegenden Arbeit nicht grundsätzlich angezweifelt wird (vgl. Fauconnier 1999: 96ff.), so stellt sich dennoch die Frage, ob blending-Prozesse tatsächlich notwendigerweise und ausschließlich im Unbewussten situiert sind. Sarah Copland vertritt entgegen dieser Lehrmeinung beispielsweise die These, dass blending sich auf unterschiedlichen Bewusstheitsebenen vollziehen kann. Ihrer Meinung nach kann es beim Umgang mit komplexen narrativen Strukturen (wie Figuren und Erzählern) neben den unbemerkt und automatisch ablaufenden blendingOperationen auch zu einem Bewusstwerden dieser Prozesse kommen: I theorize our cognitive operations when engaging with character or narrator blends as a ‘higher-level’ form or reading in the blend. By ‘higher-level,’ I simply mean that these cognitive operations (unlike the vast majority of the mind’s blends) are capable of being brought to and controlled by our conscious awareness. (2008: 141)
Auch Jennifer Harding (i. Erscheinen) verweist in diesem Kontext auf die Bedeutung von bewusster Reflektion und close reading für die auf blending basierte Entfaltung semantischer Strukturen bei der Rezeption narrativer Texte. Anhand einer Analyse der komplexen Metaphorik in Charles Chesnutts Kurzgeschichte „Dave’s Neckliss“ (1889) betont sie, dass die Realisierung des in Texten angelegten ‚blending-Potentials‘ auch von der Bereitschaft der Leser abhängt, sich nachhaltig mit einem Text auseinanderzusetzen. […] blends can lead to a moment of insight, but sometimes that insight is expost-facto. Also, the insight may arise for some people (who are willing to dig in and dedicate themselves to the process of analysis from an informed position of cognitive distance), while the figurativity [of the story] and its implications may be lost on others – others who nonetheless read and enjoy the story. (i. Erscheinen)
Selbst wenn die Phasen einer blending-Operationen in der Psyche des Lesers weitgehend automatisch ablaufen, so können erweitertes Hintergrundwissen, erhöhte Aufmerksamkeit, Textkenntnis und Motivation Ein––––––––––––– 55 Umrigars Erzählung erweist sich in dieser Hinsicht als besonders interessant, da der ‚AhaEffekt‘ des Lesers nicht mit der Beschreibung der Einsicht Bhimas zusammenfällt. Zwischen der Schilderung des merkwürdigen Verhaltens von Maya und Viraf (vgl. 265f.) und der zitierten Passage (267) liegen mehrere Paragraphen Text, in denen der Verlauf des Zusammentreffens geschildert wird – genügend Zeit für den vom vorhergehenden Text sensibilisierten Leser, selbstständig und vor Bhima zur Lösung der Vaterschaftsfrage zu gelangen. Der Roman regt auf diese Weise beim Rezipienten den Vollzug einer ‚realen‘ blending-Operation an, bevor er dieselbe Operation in ihrem Verlauf am Beispiel Bhimas veranschaulicht und auf diese Weise aus dem Unbewussten in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt.
‚Blending‘ als kognitives Rahmenkonzept
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fluss auf die Textrezeption nehmen (vgl. Hunt/Vipond 1985; Hunt 1999) und damit das Spektrum möglicher blends entscheidend verändern. Dabei gilt allgemein: Während Inferenzprozesse im Bereich von „shallow comprehension“ sich größtenteils automatisiert und ohne bewusste Aufmerksamkeit vollziehen, bedürfen Formen von „deeper comprehension“ einer intentionalen Anstrengung des Lesers (King 2007: 268ff.): „This kind of inferencing requires effort on the part of the reader, and it is not only effortfull, and thus intentional, but it is also often strategic.“ (269) Verschiedene Studien legen zudem nahe, dass das wiederholte Lesen eines Textes zur Bildung einer komplexeren bzw. verfeinerten mentalen Repräsentation des Textes führt: „the literariness of reading is more likely to appear during a second reading […]. In other words, readers tend to move beyond a story-based understanding towards one focussed on stylistic and evaluative components […].“ (Miall 2006: 105f.)56 Im Anschluss an diese Überlegungen wird daher in dieser Arbeit ein Verständnis von blending vertreten, das nicht auf unbewusst ablaufende Prozesse beschränkt ist. Conceptual integration, als übergreifende Theorie der Bedeutungserzeugung, wird vielmehr als kognitive Basisoperation verstanden, die auch bei ‚höheren‘ oder ‚bewussten‘ Rezeptionsprozessen zum Tragen kommt. Das Modell eignet sich damit nicht allein zur Beschreibung basaler Operationen des Textverstehens (van Dijk/Kintsch 1983), sondern ebenso zur Erfassung komplexer Akte literaturwissenschaftlichen bzw. ‚professionellen‘ Lesens (vgl. Reichl 2009: 139ff.).57 Geht man mit Moses/Baird (1999: 534) ferner davon aus, dass Formen von Metakognition generell eine tendenziell positive Auswirkung auf kognitive Performanz haben,58 so stellt dies ein weiteres Indiz für die Stimmigkeit von Hardings oben ausgeführten Überlegungen dar: Gerade die intensive und theoretisch ‚informierte‘ Auseinandersetzung mit vielschichtigen (literari––––––––––––– 56 Vgl. Dixon et al. (1993); Cupchik et al. (1998). 57 Der Begriff des ‚professionellen Lesers‘ sowie die Unterschiede zwischen verschiedenen Lesertypen oder die Auswirkungen unterschiedlicher Lesekompetenz sind nicht abschließend geklärt (vgl. Nardocchino 1992: 273; Reichl 2009: 139–148). Dennoch scheint unstrittig, dass sich Formen literarischen bzw. literaturwissenschaftlichen Lesens von anderen Modi des Lesens unterscheiden und durch ein hohes Maß an Komplexität und Selbstreflexivität auszeichnen (vgl. Graves/Frederiksen 1996: 398). Siehe in diesem Kontext Douglas Vipond und Russel A. Hunts (1984) einflussreiche Differenzierung zwischen „story-driven reading“, „information-driven reading“ und „point-driven reading“, bei der literarisches Lesen als typischerweise „point driven“ bestimmt wird (vgl. Miall 2006: 25). 58 Der Begriff der ‚Metakognition‘ umfasst alle Formen des Nachdenkens, Kontrollierens und Beobachtens des eigenen Denkens. Moses/Baird (1999) definieren metakognitives Wissen dementsprechend als „information that individuals posses about their own cognition or cognition in general“ (533). Zur Definition und Rolle von Metakognition beim Textverstehen siehe ferner Baker/Beall (2009) und die Beiträge in Hacker (2009).
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schen) Texten kann zur Ausbildung und dem Nachvollzug besonders interessanter und komplexer blends anregen. Der kognitionswissenschaftliche bzw. empirische Status von Fauconnier und Turners Theorie ist dabei für die hier verhandelte Frage nach dem literaturwissenschaftlichen Potential des Konzepts eher zweitrangig. Bereits in Kapitel IV.5 wurden die wissenschaftstheoretischen Probleme von conceptual integration thematisiert, wobei unter anderem auf die Metaphorizität des Modells und die schwierige empirische Überprüfbarkeit der (Teil)Operationen hingewiesen wurde. Was jedoch im Kontext einer empirischen Wissenschaft als ernstzunehmende Schwäche der Theorie verstanden werden könnte, erweist sich im Kontext der Literaturwissenschaft hingegen geradezu als ein Vorteil. Die enorme heuristische Leistungsfähigkeit des Konzepts bei der Erfassung semantischer Integrationsoperationen unterschiedlichster Komplexität gründet mit auf der Tatsache, dass die detaillierte Aufschlüsselung kognitiver Prozesse in eine Reihe verständlicher Einzeloperationen (vgl. Dancygier 2006: 12) sich im Modus metaphorischer Anschaulichkeit und konzeptueller Flexibilität vollzieht.
V.3 Zusammenfassung und Zwischenfazit In den vorausgehenden Überlegungen (Kapitel IV) wurde die These entwickelt, dass Figurenperspektiven eine immanente Komponente der Textrezeption darstellen und auf der Basis mentaler Modelle verarbeitet werden. Darauf aufbauend wurde in diesem Kapitel gezeigt, dass die Konstruktion einzelner Perspektiven nicht isoliert verläuft, sondern die Bildung und Verarbeitung der involvierten mentalen Repräsentationen sich üblicherweise unter deren gegenseitiger Bezugnahme vollzieht. Figuren und ihre Standpunkte interagieren, mit anderen Worten, nicht nur auf der Handlungsebene miteinander; auch rezeptionstheoretisch lässt sich die Konstitution von Perspektiven nicht von ihrem wechselseitigen Zusammenspiel trennen. Ähnlich wie beispielsweise eine Figur nicht sinnvoll losgelöst von ihren Handlungen betrachtet werden kann (vgl. Palmer 2004: 210–214), müssen auch die Aspekte der Perspektivenkonstruktion und -interaktion daher als interdependente Komponenten der Textverarbeitung verstanden werden, deren dynamisches Zusammenwirken zu semantischen Interaktionsstrukturen führt, die über die Summe ihrer Teile hinausgehen. Dieses Zusammenspiel wird auf treffende Weise von der Idee der Perspektivenstruktur beschrieben, die als netzwerkartiges Beziehungsgeflecht der Einzelperspektiven eines Textes vorgestellt werden kann, wobei prin-
Zusammenfassung und Zwischenfazit
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zipiell alle anthropomorphisierbaren Instanzen eines literarischen Textes als potentielle Perspektiventräger fungieren können. Verbindet man diesen Grundgedanken aus der Perspektivenanalyse Pfisters (1974, 1977) und Nünnings (1989a) mit Fauconnier und Turners (1998, 2002) blending theory, so kommt es zu einer fruchtbaren Synthese kognitions- und literaturwissenschaftlicher Ansätze, bei der die Stärken beider Seiten kombiniert werden. Während das Konzept der Perspektivenstruktur narrativer Texte beispielsweise einerseits auf die Bewertung und Klassifikation des Gesamtnetzwerks abzielt (geschlossene vs. offene Perspektivenstruktur), ermöglicht blending mit seiner Aufschlüsselung der beteiligten Kognitionsoperationen andererseits eine detaillierte Erfassung des Zusammenspiels von Perspektiven aus rezeptionstheoretischer Sicht.59 Das Konzept überwindet damit die vereinfachende Dichotomie von Differenz und Kongruenz als Beschreibungsspektrum der Bezugsverhältnisse von Perspektiven und setzt an deren Stelle ein hochkomplexes conceptual integration network. Durch die damit vollzogene konzeptuelle Ausdifferenzierung semantischer Integrationsoperationen ist die Theorie in der Lage, sowohl das Phänomen neu entstehender (emergenter) Bedeutung als auch die dynamisch verlaufenden semantischen Projektions- und Interaktionsprozesse zwischen einzelnen inputs bzw. Perspektiven präzise zu erfassen. Zudem sprechen neben diesen theoretischen Aspekten auch pragmatische Gründe für die Wahl von Fauconnier und Turners Modell als rezeptionstheoretischem Schlüsselkonzept perspektivischen Zusammenspiels. Blending ist in seiner Grundstruktur einfach zu verstehen und anpassungsfähig in der Anwendung. Dennoch ist das Modell in der Lage, Netzwerke von ungeheurer Komplexität zu modellieren, und erweist sich ferner als kompatibel sowohl mit rezeptionstheoretischen als auch narratologischen Theorien und Ansätzen. So lässt sich beispielsweise das Konzept einerseits an die Überlegungen zur mentalen Perspektivenkonstruktion (vgl. Kapitel IV) anschließen, indem mentale (Perspektiven)Modelle als mental spaces bzw. inputs eines blending-Netzwerks begriffen werden. Dadurch kann blending andererseits in die Idee der Perspektivenstruktur integriert werden, wobei der Theorie die zentrale Funktion zukommt, die konzeptuellen Kernmechanismen der Perspektiveninteraktion zu beschreiben. Auf diese ––––––––––––– 59 Ein weiterer wichtiger Aspekt, den die Theorie der Perspektivenstruktur in den vorliegenden Ansatz einbringt, besteht in der Betonung der syntagmatischen Dimension der Textrezeption, auf die bereits Perry (1979) und Grabes (1978) aufmerksam machen. Das Konzept erinnert daran, dass der Anordnung von Perspektiven in der linear fortschreitenden Erzählung eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zukommt. Dieser hochrelevante positionelle Aspekt der Textrezeption kann von Fauconnier und Turners semantisch ausgerichteter Theorie nicht hinreichend erfasst werden; er stellt damit einen der Punkte dar, an dem der notwendigerweise heuristische Charakter des blending-Modells evident wird, welches durch zusätzliche Analysewerkzeuge ergänzt werden kann und muss.
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Weise kann das narrative Verhandeln von Figuren- und Perspektivenkonstellationen erstmals aus rezeptionstheoretischer Sicht adäquat beschrieben werden. Blending fungiert dabei gewissermaßen als Bindeglied zwischen der kognitionspsychologischen Analysedimension der Figuren- und Perspektivenrezeption auf der einen Seite und der narratologischen Untersuchung von Figuren- und Perspektivenkonstellationen auf der anderen Seite und überbrückt so den bisher mangelnden Dialog zwischen diesen beiden Forschungsfeldern. Doch Fauconnier und Turners Theorie verspricht mehr als nur eine narratologisch-rezeptionstheoretische Beschreibung perspektivischen Zusammenspiels. Da blending prinzipiell sowohl auf unbewusst ablaufende Kognitionsprozesse als auch auf bewusste Akte des Lesens anwendbar ist, birgt das Modell ein ungeheures textanalytisches Potential. Der hier entwickelte Ansatz eignet sich daher nicht nur zur deskriptiven Erfassung der generellen Mechanismen der Perspektiveninteraktion, sondern ist ferner in der Lage als analytische Orientierungsmatrix bei der aktiven literaturwissenschaftlichen Untersuchung spezifischer Texte zu fungieren. Nachdem im vorliegenden Kapitel die theoretisch-deskriptive Seite des Modells illustriert wurde, soll in den nachfolgenden Ausführungen nun die analytische Leistungsfähigkeit des Ansatzes exemplarisch unter Beweis gestellt werden.
VI. Zur Interaktion von Perspektiven (2): Beispielanalysen und Theorievertiefung Der Text ist ein Gebilde der Perspektivität, denn es wird nicht kontinuierlich aus einer Perspektive erzählt, vielmehr springen die Perspektiven fortgesetzt um. […] Dabei nehmen [Leser] das jeweils Neue auf dem Horizont der vorangegangenen Darstellungsperspektiven wahr. Als perspektivisches Gebilde macht also der Text eine ständige Beziehung seiner Darstellungsperspektiven aufeinander erforderlich. (Paepcke 1986 [1979]: 103)
Wie in den vorhergehenden Kapiteln gezeigt wurde, stellt die Konstitution und Interaktion von Figuren- und Erzählerperspektiven einen wichtigen Aspekt beim Nachvollzug von Erzähltexten dar. Die Perspektiven fiktionaler Entitäten werden nicht isoliert gebildet, sondern vor dem Hintergrund des Textgeschehens und ihrer Beziehung zu den übrigen Perspektiventrägern der Erzählung (re)konstruiert und wahrgenommen. Da der Nachvollzug eines Textes damit eine ständige Bezugnahme seiner Einzelperspektiven aufeinander notwendig macht, wurde ein auf blending basierendes Modell entwickelt, mit dem das komplexe perspektivische Zusammenspiel eines Textes präzise erfasst und beschrieben werden kann. Doch weder das Interesse der vorliegenden Untersuchung noch das Potential des hier entwickelten Ansatzes beschränken sich auf eine deskriptive Erfassung narratologischer Zusammenhänge. Stattdessen sieht die Arbeit in Übereinstimmung mit den in Kapitel II angestellten Grundsatzüberlegungen ihre Aufgabe in einer Verbindung theoretisch-beschreibender und analytisch-interpretierender Bestrebungen. Im Folgenden soll daher demonstriert werden, dass das hier entwickelte Modell nicht nur zur konzeptuellen Erhellung von Perspektiveninteraktionen, sondern auch zur konkreten Textanalyse und Interpretation herangetragen werden kann. Dabei dient die interne Struktur des blending-Netzwerks als Analysematrix, mit deren Hilfe der Blick auf die zentralen und zusammenwirkenden semantischen Einzeloperationen der Perspektiveninteraktion gelenkt wird. (Zur Illustration vgl. Abb. 6, die nochmals ein Basis-Netzwerk zeigt, dessen Darstellung jedoch die darin wirksamen Prozesse hervorhebt.) Auf diese Weise kann nicht nur das interne Zusammenspiel von Perspektivenstrukturen generell in detaillierter Form erfasst werden, sondern die theoreti-
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sche Ausdifferenzierung semantischer Integrationsvorgänge erfüllt auch eine praktische Funktion.
Abb. 6: Semantische Operationen im Blending-Netzwerk1
Im vorhergehenden Kapitel wurde argumentiert, dass zahlreiche der in einer Erzählung angelegten semantischen Strukturen erst durch die bewusste Auseinandersetzung mit Text und Textrezeption vom Rezipienten realisiert werden können. Dies bezieht sich einerseits darauf, dass manche blends die bewusste Reflektion des Gelesenen „from an informed position of cognitive distance“ (Harding, i. Erscheinen) voraussetzen, um überhaupt vollzogen werden zu können. Anderseits kann ein profundes Wissen um die bei der Perspektiveninteraktion beteiligten Operationen auch dazu führen, dass die Aufmerksamkeit auf sich bereits automatisch bzw. unbemerkt vollziehende oder einfach übersehene Aspekte der Bedeutungsbildung gelenkt wird. Das vorgelegte Modell kann von seinem Anspruch her ––––––––––––– 1 Die schematische Darstellung des Aspekts der Emergenz in Form eines Pfeils betont lediglich, dass neue, emergente Bedeutung aus dem Zusammenspiel des gesamten Netzwerks resultiert. Damit soll weder angedeutet werden, dass die ganze semantische Struktur des blended space emergenter Natur ist, noch dass Emergenz sich in irgendeiner Weise ‚zwischen‘ den mental spaces manifestiert.
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auf beide Arten produktiv zur Analyse perspektivischer Aspekte und auf diese Weise zu einem umfassenderen Verständnis von Erzähltexten beitragen. Da die literarische Darstellung von Figuren und ihren Perspektiven jedoch stets mit der Inszenierung anderer Gesichtspunkte verwoben ist, entfaltet der Ansatz sein volles Potential vor allem durch sein Hinzutreten zu weiteren, bewährten Analysemethoden und -strategien. Auf blending basierende Untersuchungen von Perspektiven in Erzähltexten sollten daher nicht im luftleeren Raum vollzogen werden, sondern idealerweise in darüber hinausgehende, ggf. bereits bestehende Interpretations- und Diskussionskontexte eingebunden werden – ein Umstand den es in den folgenden Textanalysen zu berücksichtigen gilt. Kapitel VI verfolgt somit drei miteinander verbundene Ziele: Das primäre Interesse der nachfolgenden Ausführungen besteht darin, die analytische Leistungsfähigkeit des in den vorausgehenden Kapiteln entwickelten Ansatzes exemplarisch unter Beweis zu stellen. Im gleichen Zug geht es jedoch zweitens auch darum, die Anschlussfähigkeit des Konzepts an andere literaturwissenschaftliche Methoden, Inhalte und Fragestellungen zu demonstrieren. Dazu werden fünf in sich geschlossene Untersuchungen englischer Gegenwartsromane vorgelegt, die jeweils vor dem Hintergrund ihrer literaturwissenschaftlichen Diskussion betrachtet und auf diese Weise mit anderen kritischen Ansätzen in Bezug gesetzt werden. Darüber hinaus wird drittens auch in diesem analytischen Teil der Arbeit nicht auf eine Fortführung der theoretischen Überlegungen der vorausgehenden Kapitel verzichtet. Die Beispielromane werden folglich ferner dazu genutzt, die theoretische Erörterung der Perspektiveninteraktion inhaltlich weiterzuverfolgen und an einigen Stellen zu vertiefen, bzw. Aspekte zu thematisieren, die in der bisherigen Diskussion nicht, oder nicht in ausreichender Weise berücksichtigt oder geklärt werden konnten. So wendet sich die erste Textanalyse beispielsweise gegen den möglicherweise entstandenen Eindruck, dass die Relevanz des hier entwickelten Konzepts sich lediglich auf dezidiert multiperspektivisch oder polyphon organisierte Erzählwerke beschränkt. Tatsächlich wurden in den vorhergehenden Kapiteln zahlreiche Beispieltexte verwendet, in denen erzählerisch deutlich ausgestaltete Figuren- oder Erzählerperspektiven in ein explizit mehrperspektivisches Beziehungsverhältnis zueinander treten. Als Perspektiventräger fungieren dabei zumeist homodiegetische Erzähler oder ausführlich intern fokalisierte Reflektorfiguren, deren emphatisch nebeneinander gestellte individuelle Perspektiven als input spaces eines blendingNetzwerks konzeptualisiert werden. Diese Wahl ist jedoch allein Gründen der besseren Anschaulichkeit im Theorieteil geschuldet und impliziert keineswegs, dass der hier entwickelte Ansatz sich nur als konzeptueller Rah-
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Beispielanalysen und Theorievertiefung
men für die Untersuchung bestimmter Perspektivenstrukturen eignet. Wie im Folgenden anhand zweier so unterschiedlicher Texte wie Jackie Kays Trumpet (1998) und Mark Haddons The Curious Incident of the Dog in the Night-Time (2003) illustriert werden soll, beschränkt sich die Interaktion von Perspektiventrägern nicht allein auf das Zusammenspiel erzählerisch ausgestalteter Perspektiven, die sich mittels Fokalisation, Kollage oder homodiegetischem Erzählen im Text explizit manifestieren. Auch textuell sozusagen ‚abwesende‘ oder ‚stumme‘ (Figuren)Perspektiven nehmen mitunter eine wichtige Position in der Perspektivenstrukur eines narratives Textes ein, indem sie in eine relevante Beziehung mit einer oder mehrerer der übrigen Perspektiven treten. Wie Haddons Roman zeigt kann es selbst in monoperspektivisch erzählten Texten zu einer rezeptionstheoretisch und analytisch hochrelevanten Interaktion zwischen verschiedenen individuellen Perspektiven kommen. Ein anderes Beispiel sind literarische Werke wie Trumpet, in denen sich das multiperspektivische Erzählen in Bezug auf eine ‚abwesende‘ Figur konstituiert und sich gewissermaßen um das leere „(Sinn-)Zentrum“ eines Textes (Walz 2005: 133) herum anordnet. Jenseits dieses Gesichtspunkts werden auch in den übrigen Romananalysen eine Vielzahl weiterer Aspekte der Perspektivenkonstruktion und -interaktion beispielhaft thematisiert und dabei gleichzeitig mit bestehenden Interpretationsansätzen in Bezug gesetzt. Gerade dieser komplementäre Aspekt wird besonders deutlich bei der Untersuchung von Will Selfs Great Apes (1997), bei der die Überlegungen zur Konfrontation der inkompatiblen Figurenperspektiven des Textes mit satirischen und postmodernen Lesarten sowie Rolf Lohses „Überlegungen zu einer Theorie des Komischen“ (1998) verbunden werden. In Penelope Livelys Moon Tiger (1987) hingegen steht zum einen die Rolle kognitiver Mechanismen der Kohärenzbildung im Mittelpunkt des Interesses, die vor dem Hintergrund der emphatisch multiperspektivischen und a-chronologischen Erzählstruktur des Romans diskutiert wird. Zum anderen werden die dabei gewonnen Einsichten zu einer Neubewertung des Textes im Kontext historiographischer Metafiktion verwendet und auf diese Weise mit der literaturwissenschaftlichen Diskussion des Romans verknüpft. Die abschließende Analyse von Zadie Smiths On Beauty (2005) interessiert sich indessen für die temporale Dimension bei der Konstitution von Perspektivenstrukturen, die sich in Smiths Roman in Form eines dialektischen Dreischritts der Aufmerksamkeitslenkung vollzieht. Hierbei werden zunächst die Differenzen, dann die Parallelen zwischen den Figurenperspektiven des Romans in Szene gesetzt und führen auf diese Weise zu einem blend, der beide Aspekte in sich vereint, ohne ihren Widerspruch aufzulösen. Die in diesem Zusammenhang thematisierte Frage der Aufmerksamkeitslenkung wird schließlich auch in Kapitel VI.6 aufgegriffen, in dem
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eine abschließende Diskussion der Begriffe ‚Perspektivität‘ und ‚Multiperspektivität‘ vorgenommen wird. Auf der Basis der in dieser Arbeit entwickelten theoretischen und analytischen Überlegungen werden dabei die herkömmlichen, auf Textstrukturen basierenden Definitionen zurückgewiesen und durch ein Verständnis von Multiperspektivität als einem Rezeptionseffekt ersetzt. Mit diesen Überlegungen findet der theoretische und analytische Teil der Arbeit seinen Ausklang; ihm folgen die abschließende Zusammenfassung und Schlussbetrachtung von Kapitel VII.
VI.1 Die Bedeutung und Rekonstruktion ‚abwesender‘ Perspektiven in Mark Haddons The Curious Incident of the Dog in the Night-Time (2003) Mark Haddons The Curious Incident of the Dog in the Night-Time (2003) (in der Folge Curious Incident) ist ein in verschiedener Hinsicht interessanter Text. Einerseits stellt der Roman einen kommerziellen Überraschungserfolg dar – einen preisgekrönten „runaway best-seller“ (Greenwell 2004: 279), der dem Thema von Autismus bei Kindern in den vergangenen Jahren zu einer nie zuvor dagewesenen Popularität im Bereich von Jugendliteratur und Literaturunterricht verhelfen konnte (vgl. Ciocia 2009: 323f.; Walsh 2007: 106). Gleichzeitig hat der Text als geradezu exemplarisches Beispiel von crossover fiction, d. h. als Erzählung, die sowohl inhaltlich als auch marketing-strategisch auf Kinder und Erwachsene ausgerichtet ist, nachhaltiges literaturwissenschaftliches Interesse auf sich gezogen (vgl. Falconer 2009; Sandra Beckett 2009; Walsh 2007).2 Als „postmodern blend of realist autopathography, coming-of-age story and detective novel“ (Falconer 2009: 2) wurde der Roman zudem im Kontext weiterer Themen wie zum Beispiel dem Phänomen unzuverlässigen Erzählens (Freißmann 2008), der Kriminalgeschichte in der Jugendliteratur (Gilbert 2005) oder der Kombination postmoderner und moderner Elemente und Charakteristika (Ciocia 2009) diskutiert. Unabhängig von diesen Analysen lässt sich bei einer Betrachtung des Romans zunächst feststellen, dass er in Bezug auf seine Erzählsituation in einem scharfen Kontrast zu den bisher in dieser Arbeit betrachteten litera––––––––––––– 2 Haddons Roman gilt laut Stefania Ciocia als „the first self-consciously marketed crossover novel on the British market“ (2009: 323). Anders als z. B. bei Rowlings Harry Potter oder Pullmans His Dark Materials entschied sich Random House bei Curious Incident von Anfang an dazu, gleichzeitig eine Ausgabe für Kinder und eine für Erwachsene zu publizieren. Zudem entkräftete der kommerzielle Erfolg des Romans die vor dessen Publikation weitverbreitete Meinung, dass sich ausschließlich phantastische Stoffe als Thema erfolgreicher crossover Romane eignen würden (vgl. Falconer 2009: 2).
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rischen Texten zu stehen scheint. Anstatt mehrere Erzähler oder Reflektorfiguren aufzuweisen, bedient sich der Text einer einzigen homodiegetischen Erzählinstanz: dem fünfzehn Jahre alten Teenager Christopher Boone. Diese im Grunde wenig experimentelle Erzählsituation wird dadurch interessant, dass Christopher kein normaler Teenager ist, sondern an einer Variante von Autismus leidet: Aspergers Syndrom – einer tiefgreifenden Entwicklungs- und Persönlichkeitsstörung, die in unterschiedlichen Formen auftritt und typischerweise mit großen Problemen in Bezug auf soziale Interaktion und Kommunikation einhergeht (vgl. Frith 1999; Greenwell 2004: 273f., 279). Entsprechend dem Krankheitsbild betrifft ein wichtiger Teil von Haddons literarischer Verarbeitung von Autismus die Darstellung der Probleme autistischer Menschen beim Verstehen von Emotionen und anderen mentalen ‚Zuständen‘, kurz: der pathologischen Störung der Fähigkeit des mindreading, die nach der einflussreichen Theorie Baron-Cohens (1995) sogar die eigentliche Ursache der Persönlichkeitsstörung darstellt. Auch wenn diese These wissenschaftlich nicht gesichert ist (vgl. Dose 2007; Roth 2007), so scheint doch unstrittig, dass massive Einschränkungen bei der Fähigkeit „to attribute mental states, such as desires and beliefs, to self and others“ (Frith 2001: 969) mit autistischem Verhalten einhergehen.3 Entsprechend dieser Beobachtung nimmt auch in Haddons Portrait von Christopher die Darstellung von theory of mind-Defiziten eine wichtige Stellung ein. Der autistische Erzähler und Protagonist offenbart sich dem Leser als ein Jugendlicher, der weder in der Lage noch daran interessiert ist, die Gefühle und Intentionen seiner Mitmenschen einzuschätzen, nachzuvollziehen oder zu bewerten – kurz: sich in die Perspektive eines anderen hineinzuversetzen. Dabei mangelt es Christopher keineswegs an Intelligenz. Außerordentlich begabt in Naturwissenschaft und Mathematik überträgt er wissenschaftliche Prinzipien wie die Regelhaftigkeit von Naturgesetzen auf seinen Umgang mit anderen und entwickelt einen Katalog von Verhaltensregeln, da ihn die vielschichtigen Ebenen zwischenmenschlicher Kommunikation überfordern. Verwirrt von Gesichtsausdrücken, Stimmlagen oder metaphorischen Begriffen ist er der Meinung, sich auch in diesem Bereich an emotionsfreie, logische Deduktion und die wörtliche Bedeutung von Aussagen halten zu können (vgl. Curious Incident, 3, 14–16, 24–26).4 ––––––––––––– 3 Vgl. dazu die Ausführungen zu Autismus und theory of mind in Kapitel IV.4. 4 Jede literarische Darstellung einer so massiven Persönlichkeitsstörung wie Autismus kann nur eine künstlerisch verformte Annäherung an die tatsächliche Krankheit darstellen. Rachel Falconer (2009: 107ff.) demonstriert in diesem Kontext überzeugend, dass einige der Stilmittel, die Christopher als Erzähler verwendet, klar außerhalb der Möglichkeiten seiner eigenen autistischen Persönlichkeit liegen. So bedient er sich etwa hochmetaphorischer Bilder, um
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Diese mit seiner Krankheit einhergehenden (psychischen) Eigenheiten des Jungen, werden von der Art und Weise seines Erzählens reflektiert. In Übereinstimmung mit seinen mindreading-Defiziten beschränkt sich seine Schilderung anderer Menschen auf die unkommentierte Wiedergabe von Worten und Handlungen und verbleibt so trotz der Aufzählung vieler unwichtiger Details bei einer oberflächlichen Wiedergabe der Geschehnisse: „As a first-person narrator, he never speculates about the cognitions of the people he is confronted with and actually seems to avoid going beyond the surface of visible behavior and action.“ (Freißmann 2008: 399) Da der Rekonstruktion von Gedanken, Beweggründen und Emotionen jedoch eine wichtige Rolle bei der Bildung mentaler Figuren- und Situationsmodelle zukommt, ist es der Leser, der die fehlenden Informationen ergänzen muss, um der Geschichte Sinn zu verleihen (vgl. Zunshine 2006: 12). Der erzählerische Schachzug Haddons zwingt den Rezipienten dabei nicht nur zur verstärkten Bildung von Inferenzen, sondern akzentuiert zudem die eingeschränkte Natur von Christophers autistischer Wahrnehmung und Perspektive und verleiht dem Leser das Gefühl, die Geschehnisse besser zu verstehen als der Erzähler selbst (vgl. Falconer 2009: 105). Obgleich Christopher keine unlauteren erzählerischen Motive unterstellt werden können (an keiner Stelle versucht er den Leser bewusst zu täuschen), entsteht auf diese Weise eine Spielart des Effekts erzählerischer Unzuverlässigkeit. Diese führt dazu, „[that] both child and adult reader […] possess what Bakhtin would call an essential surplus of vision and meaning vis-á-vis Christopher Boone“ (Falconer 2009: 105).5 Angesichts dieser Erzählsituation liegt der Schwerpunkt der (narratologischen) Aufmerksamkeit in den meisten literaturwissenschaftlichen Analysen des Romans primär auf der Beschreibung der autistischen Perspektive des Protagonisten (vgl. Mullan 2006: 50–52) sowie der erhöhten Notwendigkeit zur Bildung interpretierender Inferenzen (vgl. Freißmann 2008: 414; Zunshine 2006: 12). Dabei wird Christophers mentales Figurenmodell sozusagen in Isolation betrachtet, als ob sich dessen Herausbildung völlig getrennt von der Verarbeitung der übrigen Figuren des Romans vollziehen würde. Eine solche Beurteilung unterschätzt jedoch die ––––––––––––– sein autistisches Denkens zu veranschaulichen, welches aber u. a. gerade dadurch gekennzeichnet ist, dass er figuratives Sprechen nicht verstehen kann (vgl. Greenwell 2004: 279ff.). 5 Im Kontext der Diskussion unzuverlässigen Erzählens schlägt Mullan (2006) vor, Christopher, zusammen mit anderen Erzählern der Weltliteratur, wie z. B. Huckleberry Finn in Mark Twains (1884) gleichnamigen Roman, als „inadequate narrator“ zu klassifizieren: „The ‚inadequate narrator‘ is not an established critical term. Yet the more usual ‚unreliable narrator‘ seems inaccurate for a narrator who, however uncomprehending, is entirely trustworthy.“ (50) Zu einer ähnlichen Schlussfolgerung kommt auch Freißmann (2008: 401), der aufbauend auf Nünnings (1999) und Phelans (2005) Diskussion von unreliable narration vorschlägt, den autistischen Jugendlichen als „limited narrator“ zu bezeichnen.
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grundlegende Bedeutung der Interaktion von (Figuren)Perspektiven, der selbst in Fällen scheinbar monoperspektivischen Erzählens eine wichtige Rolle bei der mentalen Verarbeitung eines Textes zukommt. Im Folgenden soll dargelegt werden, dass der Leser während des Rezeptionsprozesses nicht nur die Perspektive des autistischen Jugendlichen konstruiert, sondern dass dieser Prozess sich in einem dialektischen Zusammenspiel mit der Entstehung der übrigen mentalen Modelle vollzieht. Die literarische Evokation von Autismus Haddons Roman beginnt als Detektivgeschichte in der kleinen Stadt Swindon. Hier entdeckt der fünfzehnjährige Christopher im Nachbarsgarten den toten, mit einer Gartenforke aufgespießten Hund der Nachbarin Mrs. Shears. Da sich der Junge aufgrund seines analytisch-mathematischen Verstandes für einen ausgezeichneten Detektiv in der Nachfolge von Sherlock Holmes hält (vgl. Curious Incident, 73f.), entschließt er sich den Schuldigen auf eigene Faust zu enttarnen, obgleich sein Vater ihm jede Art von Nachforschungen explizit verbietet. Ohne jedoch auf diese Ermahnung zu achten, beginnt Christopher mit seinen ‚Ermittlungen‘, wobei dem Leser sehr schnell klar wird, dass die Ursache für den gewaltsamen Tod des Hundes genau in dem Bereich zu suchen ist, den der autistische Fünfzehnjährige weder versteht noch als besonders relevant betrachtet: dem Feld zwischenmenschlicher Beziehungen. Ohne dass der Fünfzehnjährige dies selbst bemerkt, wird rasch deutlich, dass die Lösung des Rätsels im Verhältnis zwischen seinem Vater, seiner anscheinend verstorbenen Mutter und dem Nachbarsehepaar Mr. und Mrs. Shears liegt: „Even the most unsuspicious of readers – but tellingly, not Christopher himself – is likely to begin to speculate […] about whether there might not be more than meets the eye in these neighbourly relationships.“ (Ciocia 2009: 329f.) Tatsächlich ist die ursprüngliche Detektivgeschichte für den Leser längst zu einer realistischen Erzählung „about a dysfunctional family“ geworden (Falconer 2009: 104), als auch Christopher schließlich durch einen Zufall herausfindet, dass seine Mutter nicht tot ist, sondern die Familie zwei Jahre zuvor verlassen hat, da sie sich unter anderem mit der Aufgabe der Erziehung eines autistischen Kindes überfordert fühlte (vgl. Curious Incident, 102–113). Christopher, der einen Stapel versteckter Briefe findet, aus denen deutlich wird, dass Mrs. Boone zusammen mit Mr. Shears in London ein neues Leben begonnen hat, reagiert auf diese Situation mit einem heftigen Anfall. Seine autistische Persönlichkeit ist nicht in der Lage, die Information und ihre möglichen Implikationen zu verarbeiten, und
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lässt den Jungen in einen tiefen Schockzustand verfallen. Als Mr. Boone seinen völlig verstörten und im eigenen Erbrochenen liegenden Sohn auffindet, ist dieser nicht mehr ansprechbar und hat sich auf autistische Weise völlig in selbst zurückgezogen. Von tiefen Schuldgefühlen geplagt, versucht sein Vater, sich zu rechtfertigen und sein Verhalten zwei Jahre zuvor nach dem Verschwinden der Mutter zu erklären: Then he said: “I did not know what to say … I was in such a mess … she left a note and … Then she rang … I said she was in a hospital because … because I didn’t know how to explain. It was so complicated. So difficult … and I know it wasn’t true. But once I’d said that … I couldn’t … I couldn’t change it. Do you understand … Christopher … ? Christopher …? […].” (Curious Incident, 114)
Doch sein Sohn ist nicht in der Lage, die Erklärung seines Vaters nachzuvollziehen oder zu akzeptieren. Konzepte wie ‚Gewissenskonflikte‘, ‚Schuld‘, ‚Reue‘ oder ‚Vergebung‘ befinden sich jenseits seiner autistischen Persönlichkeit und können von ihm nicht verstandesmäßig erfasst und verarbeitet werden. Christopher ist infolgedessen wie paralysiert, während Mr. Boone in einem so impulsiven wie verzweifelten Versuch, das Vertrauen seines Sohnes wieder herzustellen, einen verhängnisvollen Fehler begeht. Obwohl es ihm eigentlich bewusst ist, dass sein Sohn unfähig ist, mit emotionalen Beweggründen und der psychologischen Dimension zwischenmenschlicher Beziehungen umzugehen, versucht er, den Jungen von seiner Liebe und Loyalität zu überzeugen, indem er ihm offen und wahrheitsgemäß von allen geschehenen Ereignissen berichtet. Um zu zeigen, dass es ihm wirklich ernst ist, gesteht er seinem Sohn, dass er nicht nur die Briefe versteckt hat, sondern auch verantwortlich für den Tod des Nachbarhundes ist. Er erklärt, dass Mrs. Shears und er ein Verhältnis miteinander begonnen hatten, nachdem ihre beiden Ehepartner zusammen durchgebrannt waren; doch diese Beziehung war nach zwei Jahren zerbrochen und gipfelte in einer heftigen Auseinandersetzung, an deren Ende Mrs. Shears ihn aus dem Haus warf: “So when she slams the door behind me the bugger’s [the dog; meine Anm.] waiting for me. And … I know, I know. Maybe if I’d just given it a kick it would probably have backed off. But, shit, when that red mist comes down … Christ, you know how it is. I mean, we’re not that different, me and you. And all I could think was that she cared more about this bloody dog than she did about you or me. And it was like everything I’d been bottling up for two years just …” Then Father was silent for a bit. Then he said: “I am sorry, Christopher. I never meant for it to turn out like this. […] We all make mistakes, Christopher. You, me, your mum, everyone. And sometimes they’re really big mistakes. We are only human.” (121f.)
Für den Leser klären sich mit diesem Geständnis die letzten bisher noch offenen Fragen des Rätsels um Wellington (den toten Nachbarshund) und auch das mentale Modell von Mr. Boone kann aufgrund der Szene weiter
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Beispielanalysen und Theorievertiefung
ausgebaut werden. Dabei verkehrt sich das Bild der Persönlichkeit von Christophers Vater nicht etwa in sein Gegenteil, sondern die bereits zuvor gewonnenen Eindrücke werden auf plastische Weise in Szene gesetzt und elaboriert. Derart offenbart sich Mr. Boone einerseits als impulsiver und cholerischer Mann, anderseits aber als ein fürsorglicher und liebevoller Vater, der jedoch zuweilen nicht mit der Doppelbelastung von Arbeitsleben und der Rolle des alleinerziehenden Elternteils zurechtkommt. Auch wenn der Rezipient Mr. Boones brutales Vergehen am Nachbarshund kaum gutheißen kann, so ist er dennoch in der Lage, die Gründe für dieses Verhalten nachzufühlen. Für Christopher hingegen bleibt es aufgrund seiner mangelnden Fähigkeit des mindreading unmöglich, die Tat seines Vaters mit dessen Persönlichkeit und seiner schwierigen Lebenssituation zu kontextualisieren. Mr. Boones irrationale Hoffnung, sein Sohn könne die Beichte als eine solche erkennen und sein Fehlverhalten als einen Moment menschlicher Schwäche entschuldigen, ist nicht nur unangebracht, sondern stellt angesichts der bekannten autistischen Behinderung von Christopher einen weiteren Akt des Fehlverhaltens und der menschlichen Schwäche dar. Anstatt das Vertrauen seines Sohnes durch eine offene Aussprache wieder herzustellen, erreicht er nichts anderes als diesen ein weiteres Mal psychologisch zu überfordern. Gemäß seiner autistischen Disposition reagiert Christopher daher auf eine eigentlich vorhersehbare, für seinen Vater dennoch völlig überraschende Weise, die eine dramatische Wende der Ereignisse herbeiführt. Unfähig, eigene oder fremde Handlungen psychologisch zu bewerten, analysiert der Junge die Situation stattdessen mit der ihm eigenen regel- und logikbasierten Form des Denkens. Derart kommt er zu einem fatalen Schluss: I had to get out of the house. Father had murdered Wellington. That meant that he could murder me, because I couldn’t trust him, even though he had said “Trust me,” because he had told a lie about a big thing. (122)
Christophers Deduktion, die innerhalb seiner verqueren Logik durchaus in sich stimmig ist, stellt eine plastische Demonstration der Andersheit autistischen Denkens dar: Der Junge ist weder enttäuscht noch wütend über das Verhalten seines Vaters; er macht ihm keine moralischen Vorwürfe und verschwendet keinen einzigen Gedanken an dessen Gefühle, Beweggründe oder Schwächen, noch an seine eigene Rolle in diesem häuslichen Drama.6 Die einzige Reaktion des Fünfzehnjährigen besteht in der irrigen ––––––––––––– 6 Der Text deutet an, dass es beim Streit zwischen Mr. Boone und Mrs. Shears auch um Christopher geht (vgl. Curious Incident, 121). Die Situation spiegelt damit die vorausgehende Trennung seiner Eltern sowie das später im Text folgende Ende der Beziehung zwischen seiner Mutter und Mr. Shears wider. In allen drei Fällen wirkt der Junge dabei zumindest als Kataly-
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aber todernsten Schlussfolgerung, dass eine tödliche Gefahr von seinem Vater ausgeht, der es unbedingt aus dem Weg zu gehen gilt.7 Überzeugt, sich im Haus eines lügnerischen Mörders zu befinden, der ihm und seinem Haustier – einer Ratte namens Toby – nach dem Leben trachten könnte, flieht Christopher und macht sich auf den Weg ins unbekannte London, um dort bei seiner Mutter Unterschlupf zu finden.8 Diese aus der Perspektive des Rezipienten völlig verfehlte Einschätzung Mr. Boones transformiert nicht nur die Erzählung von einer Detektivgeschichte in einen Quest-Plot (vgl. Walsh 2007: 115), sondern demonstriert zudem die rezeptionstheoretische Relevanz der Interaktion von Figurenperspektiven: Die Inszenierung der autistischen Persönlichkeit des Protagonisten entfaltet sich in ihrer vollen Dramatik erst in ihrer Gegenüberstellung mit der Perspektive des Vaters. Das Wissen um die tiefe Zuneigung und ehrliche Sorge, die Mr. Boones gegenüber seinem Sohn empfindet, betont Christophers Fehlschluss, akzentuiert die Befremdlichkeit seiner Deduktion und illustriert die tiefgreifende Differenz zwischen autistischem und ‚normalem‘ Denken auf schmerzhafte Weise. Dieser Differenzeffekt wird in einer kurz darauf folgenden Szene, in der der Junge sich auf seiner Flucht in einem Gartenhäuschen versteckt und dort fast von seinem Vater gefunden wird, nochmals gesteigert. Hier wird das Bild des von Sorge getriebenen und verzweifelt suchenden Elternteils dem mentalen Model Christophers gegenüber gestellt, der fest entschlossen ist im Falle einer Entdeckung physische Gewalt gegen seinen Vater anzuwenden: „And then I heard Father coming down the garden and I took my Swiss Army knife out of my pocket and got out the saw blade and held it in case he found us.“ (127) Der Junge ist fest entschlossen, das Messer zu benutzen, sollte sein Vater ihm zu nahe kommen. Doch Haddon lässt es nicht zu einer blutigen Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn kommen. Stattdessen bleibt der Fünfzehnjährige unentdeckt und kann seine abenteuerliche Rei––––––––––––– sator für das Zerbrechen der Beziehungen, die beide Elternteile eingehen. Christopher ist sich jedoch der Rolle, die er bei diesen Ereignissen spielt, in keiner Weise bewusst. 7 Auf einer Metaebene können Christophers Fehlschlüsse nach Ciocia (2009) nicht nur als Ausdruck seiner autistischen Persönlichkeit, sondern auch als postmoderner Kommentar auf die Möglichkeit ‚erfolgreicher‘ Kommunikation und ‚gesicherter‘ Erkenntnis gelesen werden. Dasselbe gilt ihrer Meinung nach auch für die Art und Weise, in der der Roman das Motiv des Detektivromans – „the epistemological genre par excellence“ (325) – aufgreift und ins Leere laufen lässt. Zur Interpretation des Romans siehe auch Richards (2008: 62f.). 8 Bei seiner Entscheidung, nach London zu gehen, um fortan mit seiner Mutter zu leben, zieht Christopher deren mögliche Reaktion in keinerlei Weise in Erwägung. Dabei hatte sie die Familie zuvor immerhin u. a. deshalb verlassen, weil sie sich mit der Betreuung des Jungen überfordert fühlte (vgl. Curious Incident, 128–132). Obwohl dieser Umstand aus den von ihm gelesenen Briefen klar hervorgeht, sind ihre Motive und Gefühle für ihn kognitiv nicht erfassbar und damit im Kontext seiner Schlussfolgerungen geradezu inexistent.
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se nach London fortsetzen, wo er schließlich nach erfolgreicher Überwindung zahlreicher Hindernisse sowie einer guten Portion Glück seiner überraschten Mutter gegenübersteht (vgl. Curious Incident, 128–191). Da Christopher sich weigert, mit seinem Vater auch nur zu sprechen, willigt Mrs. Boone ein ihren Sohn vorerst bei sich zu behalten. Christopher ist jedoch kein pflegeleichtes Kind und seine zahlreichen Bedürfnisse und Eigenheiten stellen das Leben von Mrs. Boone in Windeseile auf den Kopf.9 Innerhalb kürzester Zeit verliert sie nicht nur ihren Job, sondern auch ihr Lebensgefährte Mr. Shears kann sich nicht mit der neuen Situation arrangieren (vgl. 191–211). Auf diese Weise entwirft der Roman erneut eine Konstellation, bei der die Eigenheiten von Christophers autistischer Persönlichkeit mit der Perspektive eines Elternteils zusammengeführt und kontrastiert werden. Während seine Mutter vor den Trümmern ihres Londoner Lebens steht und mit einer Vielzahl praktischer Probleme konfrontiert ist, dreht sich Christopher ganzes Denken sofort nach seiner erfolgreichen Ankunft in London um ein anstehendes Mathematikexamen an seiner alten Schule, an dem er glaubt unbedingt teilnehmen zu müssen. […] “I have to go to Swindon to take my A level.” And she [his mother] said, “Christopher, not now. I am getting phone calls from your father threatening to take me to court. I’m getting it in the neck from Roger [= Mr. Shears]. It’s not a good time.” And I said, “But I have to go because it’s been arranged […].” And she said, “Look. It’s only an exam. I can ring the school. We can get it postponed. You can take it some other time.” And I said, “I can’t take it another time. It’s been arranged. And I’ve done lots of revision. And Mrs. Gascoyne said we could use a room at school.” And Mother said, “Christopher, I am just about holding this together. But I am this close to losing it, all right? So just give me some - -” Then she stopped talking and she put her hand over her mouth and she stood up and went out of the room. And I started feeling a pain in my chest […] because I thought I wasn’t going to be able to go back to Swindon and take my A level. (205)
Wie bereits bei der Interaktion mit seinem Vater manifestiert sich Christophers pathologische Selbstbezogenheit durch die Gegenüberstellung der explizit artikulierten Beobachtungen des Jungen mit der implizierten, vom Leser inferierten Perspektive seines Gegenübers. Gerade die Problematik der Lage, in der sich Mrs. Boone befindet, macht emotional greifbar, was es für seine Eltern bedeutet, dass Christopher nicht in der Lage ist, den Bedürfnissen seiner Mitmenschen irgendeine Beachtung einzuräumen. Als Resultat entsteht so nicht nur ein Einblick in die Denkweise des Jungen, sondern der Rezipient gewinnt daneben einen plastischen ––––––––––––– 9 Für eine Liste von Christophers „behavioral problems“ siehe Curious Incident (46f.).
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Eindruck der Schwierigkeiten mit denen die Familien autistischer Menschen tagtäglich konfrontiert werden: „The grown-ups aren’t excused for their grievous decisions, but Haddon doesn’t downplay the enormous challenges involved in raising an autistic child. […] Christopher isn’t wired to receive affection, let alone return it.“ (Lim 2003) Dennoch läuft der Junge zu keinem Zeitpunkt Gefahr, vom Leser als unmoralischer und egoistischer Opportunist verurteilt zu werden. Der Fünfzehnjährige ist kein schlechter oder bösartiger Mensch, sondern findet sich durch seine geistige Behinderung in eine beängstigende und verwirrende Welt geworfen, für die er kognitiv nicht gerüstet ist. Als offenherziger und aufrichtiger, aber auch kindlich naiver Erzähler, der sich auf eine für ihn ungeheuer schwierige Reise begibt, gelingt es Christopher vielmehr, schnell die Sympathie des Lesers zu gewinnen. Dabei verdeutlicht der Blick durch die autistische Perspektive des Jungen auch den Schrecken und die furchtbare Überforderung, die die Interaktion mit Welt und Mitmenschen für Menschen mit dieser Entwicklungsstörung bedeutet.10 Durch diese Kombination einer Innen- und Außenansicht auf das autistischen Verhalten Christophers gelingt es dem Roman, den Rezipienten auf einzigartige Weise dazu anzuhalten, „to empathize with a character whose condition means that he has a chronic inability to empathize with others“ (Walsh 2007: 114).11 Perspektiveninteraktion und ‚Backward Projection‘ Im Kontext der narratologischen Fragestellung der Arbeit demonstrieren die Szenen aus Mark Haddons Roman eindrücklich, dass mentale Figurenund Perspektivenmodelle nicht in Isolation voneinander gebildet, sondern in gegenseitigem Zusammenspiel und in Abgrenzung voneinander konstruiert werden. Dies zeigt sich deutlich an den Figurenperspektiven von Christopher und seinen Eltern. Einerseits sind alle Informationen, die der Leser zu Mr. und Mrs. Boone erhält, durch die autistische Perspektive des Jungen gefiltert; die Daten müssen dementsprechend mit dem mentalen ––––––––––––– 10 Die gefühlte Bedrohung, die andere Menschen für Christopher darstellen, kommt in seinem selbsterklärten Lieblingstraum zum Ausdruck (vgl. Curious Incident, 198–200). In diesem (Wunsch)Traum wird die Weltbevölkerung nahezu von einem Virus ausgerottet, der nur wenige andere (autistische) Menschen verschont: „and these people are special people like me and they like being on their own and I hardly ever see them […] and I know that no one is going to talk to me or touch me or ask me a question.“ (198f.) 11 Das Teilhaben an der Perspektive einer Figur bzw. „das Ausmaß, in dem der Autor uns Einblick in die Innenwelt einer Figur gewährt“ (Schulz-Buschhaus 1993: 243), stellt in vielen Fällen ein wichtiges Instrument zur textuellen Lenkung von Sympathie dar (vgl. Surkamp 2003: 95; Lanser 1981: 214ff.). Zur Sympathielenkung siehe auch Schneider (2000: 116–127).
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Modell Christophers korreliert werden, in dem das Wissen zu den pathologischen Eigenheiten seines Blickwinkels abgelegt ist. Andererseits wird die überaus besondere Persönlichkeit des Jugendlichen erst durch die Kontextualisierung mit den Gedanken und Gefühlen der ihn umgebenden Personen verständlich und greifbar. Im Rezeptionsprozess bedarf es folglich der gegenseitigen Bezugnahme der mentalen Figurenmodelle, um die individuellen Perspektiven von Christopher und seinen beiden Eltern in ihrer vollen ‚Erfahrungshaftigkeit‘ zu rekonstruieren. Nur auf diese Weise kommt es zu einem literarischen Einblick sowohl in die Denkweise des autistischen Jugendlichen als auch in die Erfahrung seiner Betreuung. Diese doppelte Evokation von experientiality (Fludernik 1996, 2003) wird in diesem konkreten Fall erst dadurch möglich, dass der Leser bei der Konstruktion des mentalen Modells des Protagonisten auf die mentalen Modelle von Mr. Boone und Mrs. Boone zurückgreift und sich umgekehrt bei der Bildung der Elternperspektiven der Informationen im mentalen Modell von Christopher bedient.12 Genau wie in explizit multiperspektivisch organisierten Texten sind somit auch in Haddons Roman alle involvierten Perspektiven rezeptionstheoretisch in einer netzwerkartigen Struktur dynamisch miteinander verbunden. Die Tatsache, dass der Text aus der Sicht einer einzigen Figur erzählt wird, ändert nichts am Entstehen einer Perspektivenstruktur mit multiplen Einzelperspektiven, sondern akzentuiert lediglich die mannigfaltigen Akte von completion und elaboration, mittels derer die übrigen Figuren inferiert und projiziert werden. Genau wie bei den in Kapitel III besprochenen literarischen Beispielen eignet sich blending theory daher hervorragend zur narratologischen Modellierung der Perspektiveninteraktion in Curious Incident. Wie in Texten mit multiplen Erzählern oder Reflektorfiguren basiert die Rezeption des Romans auf der mentalen Interaktion diverser Figurenperspektiven, die als input spaces eines conceptual integration networks konzeptualisiert werden können. Eine Analyse, die die Erzählerperspektive Christophers in Isolation von den Blickwinkeln der anderen Perspektiventräger betrachtet, ist dagegen nicht in der Lage, die plastische Evokation von Christophers autistischer Persönlichkeit ausreichend narratologisch zu klären, geschweige denn die emergente lebendige Darstellung seiner Eltern zu veranschaulichen. Doch besteht gerade in der plastischen und greifbaren Art und Weise, in der Christophers Eltern vor dem geistigen Auge des Rezipienten Gestalt annehmen, eine der beeindruckenden emergenten Qualitäten des Romans: „His [= Christopher’s] narration is uniformly uninflected, but it’s ––––––––––––– 12 Zu Fluderniks Konzept von experientiality siehe u. a. Zerweck (2002) oder Herman (2009a: 139–145).
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remarkable how fully the other characters emerge, how palpably their pain registers despite Christopher’s obliviousness.“ (Lim 2003) Obgleich Mr. und Mrs. Boone in der Erzählung nur perspektivisch gebrochen in Erscheinung treten, stellen sie doch in Schneiders Klassifikation „individualisierte“, wenn nicht gar „personalisierte“ Figuren dar, die nicht in vorab bestehende Kategorisierungsschablonen gepresst werden können. Rezeptionstheoretisch bedeutet dies, dass die entsprechenden mentalen Modelle durch individuell-spezifische Daten angereichert bzw. modifiziert werden – ein Vorgang, der im Kontext von blending theory als backward projection konzeptualisiert werden kann: „[…] character can be conceived by backward inference from behavior, on the logic that people do what they do because they are a particular kind of person.“ (Turner 1996: 136) Die detaillierten emotionslosen Schilderungen Christophers stellen dabei einen reichhaltigen Fundus zur Projektion mentaler Zustände dar – sei es in Bezug auf die mentalen Modelle seiner Eltern oder anderer in Erscheinung tretender Figuren.13 Das Zusammenspiel der Einzelperspektiven in Form von input spaces führt damit nicht nur zur Emergenz ‚neuer‘ semantischer Strukturen, sondern das Entstehen von blended spaces geht vielmehr häufig Hand in Hand mit einer kontinuierlichen Justierung der inputs: „[m]any blends […] have the purpose of modifying the structure of an input“ (Fauconnier/Turner 1998: 178). Dementsprechend ist es nicht ungewöhnlich, dass auch in zahlreichen literarischen Werken die emergenten Strukturen der blended spaces oftmals zur Umbildung von inputs beitragen können. Im Falle von Haddons Roman führt der autistisch eingeschränkte Blickwinkel Christophers in diesem Kontext zu einem deutlich höheren Grad an backward projection als dies bei konventionelleren Texten der Fall ist. Die Erzählung kann aus diesem Grund geradezu als prototypisches Beispiel dieser Theoriekomponente von conceptual integration gelten. Anhand der Beziehung zwischen dem autistischen Jungen und seinen Eltern wird ferner deutlich, dass die kognitive Beziehung der mentalen Modelle nicht von den aus ihrer Interaktion entstehenden blended spaces getrennt werden kann. Einerseits bildet Christophers persönlich gefärbter Erzählbericht beispielsweise die Grundlage der Konstruktion der Geschehnisse im Haus der Boones; andererseits bedarf es für eine konkrete (Re)Konstruktion der entsprechenden Situationsmodelle jedoch auch einer konstanten Folge ergänzender Inferenzen zu Mr. und Mrs. Boones Emotionen und Reaktionen, da das Verständnis und die konkrete Vorstellung von Handlungen stets mit einer Einschätzung von deren psychologischer Motivation verbunden ist (vgl. Palmer ––––––––––––– 13 Dazu gehören z. B. Christophers Lehrerin Siobhan, Mr. und Mrs. Shears oder die Figuren, denen der Junge auf dem Weg nach London begegnet.
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2007b: 214; Jannidis 2009: 19f.). Die involvierten mental spaces des Perspektivennetzwerks von Curious Incident können daher nicht getrennt beobachtet werden, sondern stehen in einer fortwährenden, dynamischen Wechselwirkung, die mit einer vielschichtigen Emergenz neuer Bedeutungsstrukturen einhergeht. So führt zum Beispiel die wiederholte Illustration von Christophers „inability to empathize with others“ (Walsh 2007: 114) zur Betonung der textuellen Manifestationen dieses Charakterzugs. Hierbei wird deutlich, dass der Protagonist sich in Bezug auf diesen Gesichtspunkt, trotz aller neuen Erfahrungen und überwundener Hindernisse auf dem Weg nach London, nicht verändert (vgl. 116). Während Christopher angesichts seiner ‚erfolgreichen‘ Reise im letzten Satz des Romans selbstbewusst verkündet „I can do anything“ (Curious Incident, 221) und ernsthafte Pläne schmiedet, Astronaut zu werden, ist der Leser in der Lage die Situation des Jugendlichen von einer distanzierteren Warte her zu beurteilen. Von dieser Position aus kann auch das eher versöhnliche Endes des Romans14 nicht über die massiven Schwächen Christophers hinwegtäuschen. Auf diese Weise klingt Haddons Erzählung mit einem abschließenden blend kontrastierender Perspektiven aus: Einerseits erfährt der Leser das Ausmaß der von Christopher zu bewältigenden Herausforderung und teilt die überwältigenden Freude über seine ermutigende Erfolge (vgl. Lim 2003; Walsh 2007: 115). Andererseits ist dem Rezipienten aufgrund seines Einblicks in das Bewusstsein der anderen Figurenperspektiven klar, dass Christopher ohne Hilfe von außen nicht überlebensfähig ist.15 Trotz seines autistischen Sehnens nach Einsamkeit und Isolation (vgl. Curious Incident, 50–51, 198–200) bedarf der Junge gerade aufgrund seines Krankheitsbildes der ständigen Fürsorge und Betreuung. Sein selbstbewusster und ehrgeiziger Plan, Astronaut zu werden, erscheint daher in einem skeptischen Licht und mischt im Schlussakkord des Romans freudige mit traurigen Klängen.
––––––––––––– 14 Christopher kehrt gegen Ende des Romans nicht nur mit seiner Mutter zurück nach Swindon und besteht seine Mathematikprüfung mit Bravour, sondern es deutet sich zudem eine Normalisierung der Beziehung zu seinem Vater an (vgl. Walsh 2007: 116). 15 Die Abhängigkeit des Jungen von der Hilfe anderer wird in einer Szene auf einem Bahnsteig der Londoner U-Bahn auf die Spitze getrieben. Christopher, der in selbstmörderischer Fehleinschätzung der Situation auf der Suche nach seiner Ratte Toby auf die tieferliegenden Gleise springt, überlebt diese Episode nur, weil ein Passant ihn unter Aufbietung aller Kräfte im letzten Moment zurück auf den Bahnstein zerrt (vgl. Curious Incident, 182f.). Bezeichnend für Haddons Darstellung von Autismus ist, dass Christopher auch in dieser Situation kein Konzept für Dankbarkeit besitzt und selbst im Moment höchster Lebensgefahr vor einer (rettenden) Berührung schreiend zurückschreckt (vgl. 183).
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VI.2 Perspektiveninteraktion um ein ‚leeres‘ Zentrum in Jackie Kays Trumpet (1998) Nach einer gängigen narratologischen Vorstellung setzt laut Wolf Schmid „[d]ie Darstellung der Welt, wie sie von einer Figur aus wahrgenommen wird, […] die Introspektion des Erzählers in das Bewusstsein der Figur voraus“ (2008: 136). In der vorausgehenden Diskussion von Mark Haddons Curious Incident wurde demonstriert, dass diese These nur bedingt aufrechterhalten werden kann. Einblick in die individuelle Perspektive einer Figur, d. h. die Bildung eines mentalen Perspektivenmodells, ist nicht notwendigerweise an homodiegetische Erzählinstanzen oder interne Fokalisation gebunden, sondern kann zudem über verschiedene Inferenzprozesse vollzogen werden. Mit anderen Worten: Figurenperspektiven müssen in einem Text nicht unbedingt in erzählerisch ausgestalteter Form vorliegen; sie können auch das Produkt der internen Interaktion der Perspektivenstruktur einer Erzählung darstellen. Eine weitere Spielart einer solchen (Re)Konstruktion ‚abwesender‘ Perspektiven findet sich in Jackie Kays Trumpet (1998). In dieser Erzählung kommt es – anders als in Haddons Roman – nicht zur Bildung multipler Figurenmodelle auf der Basis der Rede eines einzigen homodiegetischen Erzählers, sondern der Text präsentiert vielmehr eine multiperspektivische Kollage von Erzählstimmen, die sich alle in thematischem Bezug zu einer einzigen ‚abwesenden‘ Figur – dem verstorbenen Jazz Musiker Joss Moody – positionieren. Ähnlich wie in Swifts Last Orders kreist das polyphone Stimmengewirr in Kays Erzählung damit sozusagen „um ein leeres (Sinn-)Zentrum“ (Walz 2005: 133), welches vom Leser mit Bedeutung zu füllen versucht wird. Trotz der von Haddons Roman deutlich verschiedenen narrativen Grundkonfiguration, basiert damit auch die Rezeption von Trumpet zu einem erheblichen Grad auf der Projektion figurenrelevanter semantischer Inhalte. In Kays Roman zielen diese Projektionen auf die Figur des Protagonisten, die selbst „largely extra-textual“ bleibt und bis auf zwei kurze Ausnahmen weder als Erzähler noch als Reflektorfigur auftritt (Mergenthal 2008: 298).16 Genau wie in Haddons Erzählung verlaufen jedoch diese semantischen Projektionsprozesse nicht unilateral: der Versuch, Joss als Figur zu rekonstruieren, geht vielmehr mit der simultanen Modifikation der auf ihn gerichteten Figurenperspektiven einher. Trumpet erweist sich daher als weiteres Beispiel für einen literari––––––––––––– 16 Ausnahmen sind das kurze Kapitel „Music“ (Trumpet 131–136), in dem der bereits verstorbene Joss Moody als gespenstische metaphysische Reflektorfigur auftritt (vgl. Walz 2005: 163), sowie das Kapitel „Last Words“ (Trumpet 271–277), in welchem er in Form eines kurzen Briefes an seinen Adoptivsohn zu Wort kommt.
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schen Text, bei dem blending theory – mit ihrem Fokus auf dem Zusammenspiel von input spaces und blends – als idealer Theorierahmen für das Verständnis und die Analyse der Perspektivenrezeption gelten kann. Zunächst jedoch eine kurze Einführung in die Thematik, Kontexte und Erzählsituation des Romans. ‚Race‘, Jazz und Gender Jackie Kays Trumpet wurde inspiriert vom Leben des amerikanischen Musikers Billy Tipton – einem bekannter Jazzpianisten und Saxophonisten, der sich (vom biologisch-anatomischen Standpunkt aus) nach seinem Tod als Frau herausstellte.17 Aufbauend auf diesem Vorbild erzählt der Roman die Geschichte des erfolgreichen Jazztrompeters Joss Moody, der als Mädchen geboren und erzogen wird, sein späteres Leben jedoch als Mann verbringt. Ähnlich wie Tipton lebt auch der fiktionale Joss ein nach außen hin ‚normales‘ Musikerleben, ist verheiratet und Vater eines nichtsahnenden Adoptivsohns, der genau wie Kollegen, Freunde und die Öffentlichkeit erst nach dem Tod seines ‚Vaters‘ von dessen ‚wahrem‘ biologischen Geschlecht erfährt. Doch neben diesen Übereinstimmungen weicht Kays Geschichte in einigen Gesichtspunkten von Tiptons Vorbild ab, wodurch der Roman um eine Reihe von Aspekten erweitert wird, die deutliche Bezüge zur Biographie der Autorin selbst aufweisen: Joss ist „black Scottish“ (Jones 2004: 191) und stellt mit seiner ‚weißen‘ Ehefrau Millicent und seinem ebenfalls ‚schwarzen‘ Adoptivsohn Colman eine Figur dar, die an der Schnittstelle verschiedener persönlicher, kultureller und ethnischer Identitätsdiskurse platziert ist.18 Die in dieser Wahl des Protagonisten anklingende Vorstellung von Identität als einer vielschichtigen und disparaten Kategorie wird von Kay erzähltechnisch betont, indem sie sich für eine fragmentarisch, multiperspektivische Erzählweise entscheidet. Dabei wird die (erst nach dem Tod des Protagonisten einsetzende) Handlung in der Form eines Kaleidoskops bruchstückartiger Sichtweisen präsentiert, die um die zentrale Frage nach der Identität und Persönlichkeit des Jazzmusikers kreisen: „Almost completely absent in person in the text, his existence can only be partially reconstructed by a plurality of voices who try to make sense of the contra––––––––––––– 17 Vgl. Mergenthal (2008: 298) sowie Billy Tiptons Biographie von Diana Middlebrook (1998). 18 Vgl. Eckstein (2006: 52). Wie Joss hat auch Jackie Kay selbst teil „an Überlagerungen verschiedener [gesellschaftlicher] ‚Rand‘bereiche“ (Walz 2005: 132). Als Tochter eines Nigerianers und einer Schottin wurde sie als Kind von einer weißen Familie aus Glasgow adoptiert. Sie ist zudem alleinerziehende, lesbische Mutter und damit nach Lumsden (2000: 79) „uniquely placed to comment on the interface between personal and cultural identity“.
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dictions of a female body living under a masculine identity.“ (Roríguez González 2007: 89) Trumpet ist folglich nicht primär eine Schilderung von Moodys Leben als einem literarischen Beispiel von (gender) passing.19 Vielmehr geht es der Erzählung um den Versuch der Nachwelt, sich mit der ambivalenten Identität des Musikers nach dessen Tod – und damit ohne die Möglichkeit des Nachfragens und der persönlichen ‚Verifikation‘ – auseinanderzusetzen. In einem Versuch, sich gegen traditionelle Versionen des „Identitätsbegriff[s] und [die] damit einhergehenden typischen – teleologischen – narrativen [Muster]“ zu wenden, gliedert Kay den Roman dementsprechend in fünfunddreißig a-chronologisch angeordnete Kapitel unterschiedlicher Länge (Walz 2005: 138). In dieser Kollage aus Dialogen, Erinnerungen, Reflektionen, Auszügen aus Briefen, Nachrufen und Zeitungsartikeln treten verschiedene Figuren als Erzählinstanzen auf und/ oder werden intern fokalisiert. Auf diese Weise erhält die Erzählung eine Form, die nach Kays eigenem Bekunden eine literarische Annäherung an die musikalische Grundstruktur von Jazz darstellt: I wanted to tell a story, the same story, from several points of view. I was interested in how a story can work like music and […] I wanted to write a novel whose structure was very close to jazz itself. So the registrar, the drummer, the cleaner all interested me because they gave the same story a different note.20
Die verschiedenen Kapitel von Trumpet können, mit anderen Worten, als Variationen des ‚Themas‘ Joss Moody verstanden werden (vgl. Mergenthal 2008: 300), wobei race und Gender gewissermaßen als Leitmotive fungieren (vgl. Williams 2005: 47; Jones 2004: 194f.).21 Durch diesen Versuch, die Erzählweise des Romans an die Struktur von Jazz anzugleichen, stellt der Text für viele Kritiker zahlreiche assoziative Querverbindungen zwischen der Ebene der erzählerischen Vermittlung und dem Inhalt des Romans her. Als eine „transcultural negotiation of European, Caribbean, African and American musical elements“ spiegelt Jazz beispielsweise nach Eckstein (2006: 53) sowohl die ethnische Diversität als auch die daran gekoppelte mehrdimensionale Identität der Hauptfiguren des Romans: „[J]azz is, above all things, paradigmatically ‚hybrid‘ in nature“ (ebd.)22 und ––––––––––––– 19 Unter passing wird nach Kilian „die Leistung eines Individuums bezeichnet, sich unerkannt als Mitglied des ‚anderen‘ Geschlechts zu bewegen und auch als solches anerkannt zu werden“ (2004a: 285, FN 49). Vgl. dazu auch Walz (2005: 132, FN 306). 20 Kay in einem Interview für den Verlag Random House (Bold Type 1999). 21 Beachte hierzu Eckstein (2006: 56): „To speak of a ‚musical‘ structure […] requires some metaphorical abstraction. Trumpet does not provide us with a musical form in the clear-cut way that for instance Patrick Neate’s Twelve Bar Blues does […]. On a metaphorical level, however, […] the novel may indeed be read as a kind of collective improvisation elaborating on a common theme, which is ‚Joss Moody‘.“ 22 Eckstein (2006) bezieht sich in der zitierten Passage auf Schullers Studie Early Jazz (1986). Zur Rolle von Jazz in Trumpet vgl. auch Jones (2004), Walters (2007) und González (2007).
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dient aus diesem Grund als eine beliebte Metapher für ‚instabile‘ Identitätskonstruktionen – eine These, der sich Carla Roríguez González anschließt: „Since the last decades of the twentieth century, jazz music has often been appropriated by postmodern critics in order to represent unconventional constructions of identity based on the fusion of elements from different traditions.“ (2007: 88) Diesem Trend folgend fungiert Jazz, nach der Meinung von Tracy Walters (2007: 102), auch in Trumpet nicht nur als strukturelles Organisationsprinzip, sondern als literarisches Motiv und Metapher für die „indeterminacy“ von Gender und Identität. In den Worten von Alison Lumsden erlaubt die polyphone Architektur des Textes, der Joss aus völlig unterschiedlichen Blickwinkeln präsentiert, dem Text: […] to enact in the story’s telling the evasive fluidity of the inscribed subject, since the multiple narratives allow the reader no fixed position by which Joss’s constructed identity may be contained; rather, the at times competing perspectives imply that his/her life and death can never be safely delimited through standard teleological narrative modes. (2000: 87)
Das Arrangement unterschiedlicher Perspektiven auf den Protagonisten führt nach dieser Interpretation zu einem „regelrechten Stimmenwirrwarr“ (Walz 2005: 158), in dem sich Gender und Identität von Joss einer endgültigen Klärung – und damit einer Definition – wirkungsvoll zu entziehen scheinen. Die Jazz-Metapher, zu deren wichtigsten Assoziationen die Aspekte von ‚Variation‘ und ‚Improvisation‘ gehören (vgl. Jones 2004: 195), betont nach dieser Lesart, dass weder Rasse noch Gender als objektivierbare Begriffe verstanden werden können. Sie suggeriert in Kombination mit der Erzählsituation des Textes statt eines essentialistischen, ein eher performatives Verständnis dieser Kategorien (vgl. King 2001: 105; Eckstein 2006), das von der Figur des Protagonisten verkörpert wird.23 Interessanterweise transportiert die Jazz/Identität-Metapher jedoch nicht nur das Bild einer essentiellen Fluidität von Gender, sondern versieht diese bei genauer Betrachtung gleichzeitig mit einem tentativen Fragezeichen. Während die Jazz/Identität-Analogie sich einerseits gegen die Vorstellung einer klar umrissenen Definierbarkeit dieser Kategorien wendet, stellt sie gleichzeitig die Möglichkeit einer vollständig freien Variation und grenzenlosen Improvisation bei der Konstruktion von Identität in Frage. Wie bei jeder Form von Musik wird das individuelle Musikstück im Jazz zwar erst durch seine performance existent, doch Improvisation und ––––––––––––– 23 Butler vertritt in ihrer einflussreichen Monographie Gender Trouble (1990) die These, dass Gender weder den direkten Ausdruck noch die kulturell konstruierte Überformung einer ‚natürlichen‘ Geschlechtsidentität darstellt, sondern sich erst über ihr „enactment“ konstituiert (177). Vgl. dazu Kilian (2004a: 202ff.) und Williams (2005: 42). Zum Aspekt von ‚doing gender‘ in Trumpet siehe auch Mergenthal (2008: 302ff.).
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Variation bewegen sich auch hier innerhalb von Grenzen und Bezugspunkten: The spontaneity and creativity […] must be set within the context of a musical culture with its own conventions and constraints. […] Improvisation is revealed as collaborative and collectively organized, a social matter as well as a psychological one, in which the impulses and aspirations of the individuals must somehow be reconciled with the configuration of normative conventions that confronts them. (Martin 2002: 140)24
Die hier angerissene Frage nach den Rahmenbedingungen von Jazz führt in der Argumentationslogik zu mindestens drei Anschlussüberlegungen: (1.) Sie bekräftigt die Bedeutung sozialer (Musik)Konventionen; (2.) sie betont die Notwendigkeit des Zusammenspiels von improvisierendem Solisten und den übrigen Instrumenten; (3.) sie lenkt die Aufmerksamkeit auf die potentiell bedeutungsvolle Existenz definierbarer Bezugspunkte (z. B. Tonleiter, Klangspektrum von Instrumenten, Harmoniebezüge zwischen Tönen, usw.). Überträgt man diese Beobachtungen metaphorisch auf die Untersuchung der Figurenkonstitution in Trumpet, so bedeutet dies einerseits, dass Joss Moodys gender performance als Teil des Gesamtarrangements von Figuren betrachtet werden muss; andererseits wird klar, dass die Frage nach der Perspektivenstrukur des Textes auch die Frage nach den gemeinsamen und (eventuell) fixierbaren Bezugspunkten der Einzelperspektiven umfasst, die möglicherweise in einem Spannungsverhältnis zur Figur des Protagonisten stehen. Zwar scheint die Figur von Joss Moody sich tatsächlich nicht nur auf einer metaphorischen, sondern auch auf rezeptionstheoretischer Ebene einer vollständigen Erfassung erfolgreich zu entziehen; die Gründe dafür erweisen sich jedoch bei genauer Betrachtung als deutlich komplexer als in den bisherigen Ausführungen skizziert. So einleuchtend der oben nachgezeichnete Zusammenhang zwischen multiplen Perspektiven und performativer Identitätskonzeption auf den ersten Blick scheint, so wenig selbstevident und aussagekräftig ist er von der Warte einer kognitiv inspirierten Rezeptionstheorie. Multiperspektivität – wie aus narratologischen Untersuchungen bekannt – geht keineswegs automatisch mit einem Effekt epistemologischer Verunsicherung bzw. einer Infragestellung der dargestellten Gegenstände einher (vgl. Buschmann 1996: 268; Nünning/Nünning 2000b: 28f.). Blending theory demonstriert vielmehr, dass die Kombination von Perspektiven zu einer Vielzahl höchst unterschiedlicher emergenter Effekte führen kann. Die (Re)Konstruktion des mentalen Figurenmodells von Joss und die damit verbundene Konzeption von Identität und Gender bedarf daher einer detaillierteren Analyse. ––––––––––––– 24 Vgl. dazu Jones (2004: 195ff.).
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Identitätskonstruktion als kollektives Produkt Nähert man sich der Figur Joss Moody entlang der in Kapitel IV skizzierten kognitiv-rezeptionstheoretischen Überlegungen, so lässt sich zunächst festhalten, dass auch die mentale Repräsentation des Protagonisten in Trumpet sich nur in Form eines mentalen Modells vollziehen kann. Aufgrund der tendenziellen Affinität zwischen Personen- und Figurenwahrnehmung werden dabei standardmäßig zunächst eine Reihe kognitiver Präferenzregeln angewendet, zu denen z. B. die Zuschreibung einer ‚eindeutigen‘ Identität, eines ‚kohärenten‘ Bewusstseins (continuing consciousness) sowie die Existenz von Emotionen und Intentionen gehören (vgl. Palmer 2007b; Herman 2007c; Jannidis 2004b). Aufgrund dieser Annahmen (und der schon früh erkennbaren zentralen Stellung des Jazzmusikers im Roman) kommt es zu Bildung gewisser Erwartungshaltungen auf der Seite des Rezipienten hinsichtlich der vom Text zu erwartenden Informationen über Joss Moody. Angesichts von Trumpets Kollage aus perspektivisch gebundenen Erzählfragmenten wird der Leseprozess so zu einer Art semantischem Puzzlespiel, bei dem es gilt, die erhaltenen Informationen zusammenzusetzen, um auf diese Weise ein kohärentes Bild des Protagonisten und seiner Geschichte zu gewinnen. Diese Rekonstruktion wird jedoch entscheidend dadurch behindert, dass dem Leser wiederholt essentielle Informationen, vor allem zu den Beweggründen und Emotionen von Joss, vorenthalten werden. Es ist somit nicht die multiperspektivische Erzählweise an sich, die verantwortlich zeichnet für die Schwierigkeiten bei der Formierung eines mentalen Modells des Protagonisten. Obgleich sich die verschiedenen Perspektiven auf den Musiker in ihrer impliziten Bewertung teilweise deutlich unterscheiden, sind die gelieferten Informationen zu seinem Leben und seiner Persönlichkeit eher komplementär als kontradiktorisch angelegt.25 Die Perspektivenstruktur des Romans zeichnet sich damit nicht durch ein Arrangement unvereinbar diskrepanter Inhalte aus, sondern erst im Zusammenspiel der verschiedenen Blickrichtungen gewinnt die Figur des Musikers an Kontur. Dass die Perspektivenstruktur von Trumpet sich dennoch nicht ‚schließt‘ und in eine semantisch stabile Repräsentation des Protagonisten mündet, liegt vielmehr in der Tatsache begründet, dass insbesondere die Emotionen und Intentionen von Joss in vielerlei Hinsicht im Dunkeln bleiben. Die vorhandenen Puzzlestücke passen, metaphorisch gesprochen, durchaus zusammen, doch es fehlen wich––––––––––––– 25 Hier liegt ein fundamentaler Unterschied zwischen der Musik bei Jazz und dem Medium Sprache, bei welchem ‚Variationen‘ eines Themas notwendigerweise in semantische Beziehungen zueinander treten. Die Jazz-Metapher lässt sich aus diesem Grund nur bedingt auf das Zusammenspiel sprachlich wiedergegebener Figurenperspektiven anwenden.
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tige Teile für ein vollständiges Portrait der Figur. Wie Angela Walz feststellt, bleibt so die Frage, […] wer Joss Moody war, ein Geheimnis, das in Trumpet aus verschiedenen Perspektiven umkreist, nicht aber aufgelöst wird. Damit wird die Suche nach ‚Wahrheit‘ im Text enttäuscht, werden weder Joss’ Ursprünge geklärt noch wird die für das Verstehen von Passing zentrale Frage, warum jemand sich als jemand anderes ausgibt, eindeutig beantwortet – eine endgültige Bedeutungsfestlegung wird dadurch unmöglich gemacht. (2005: 153)26
Dieses vage Identitätsbild geht mit einem Mangel an Einblick in die Bewusstseinsinhalte des Protagonisten einher. Während die übrigen Figuren von Jackie Kays Erzählung als homodiegetische Erzähler zu Wort kommen oder intern fokalisiert werden, bleiben intime Einblicke in Joss Moodys Gefühle und Gedankengänge weitgehend verwehrt. Diese opake Qualität des Jazzmusikers wirkt sich zwar nicht negativ auf die Komplexität und Faszination der Figur aus, bleibt jedoch rezeptionstheoretisch nicht ohne Konsequenzen. Da die Fähigkeit des Zuschreibens und Nachempfindens von mentalen Zuständen (theory of mind) einen essentiellen Bestandteil der Bildung und Bewertung von Figuren- und Perspektivenmodellen darstellt, bildet ihr weitgehendes Ausbleiben in Trumpet eine wirkungsvolle Erzählstrategie zur Erzeugung von Distanz. Diese führt dazu, dass der Text stattdessen eine teilweise größere Nähe zu den anderen Perspektiventrägern des Figurenensembles generiert – eine Beobachtung, die von Jackie Kays eigenen Aussagen gestützt wird: „I was interested more in the people around Joss and their response to his life, than just in his life itself, the way one life affects another.“27 Interessanterweise führt gerade das kognitive Puzzlespiel um die Figur des Jazzmusikers rezeptionstheoretisch dazu, dass diese auf besonders innige Weise mit den übrigen Perspektiventrägern des Romans verbunden wird. Dies liegt darin begründet, dass der Großteil der Informationen, die der Leser über Joss erhält, ostentativ durch die persönliche Perspektive anderen Figuren gefiltert wird und dieses Wissen damit als ‚vermittelt‘ mental repräsentiert wird. Da Datenstrukturen nicht nur im Gedächtnis abgelegt, sondern zunächst per source tag mit einem Hinweis auf die jeweili––––––––––––– 26 Die Frage nach dem Geschlecht von Joss Moody muss als das Zusammenspiel dreier miteinander verwobener Aspekte betrachtet werden (vgl. Kilian 2004a: 20–29): (1) das biologische Geschlecht; (2) die Art und Weise in der Gender-Rollen gelebt werden; und (3) die sexuelle Orientierung des Individuums. Während Aspekte (1) und (2) im Verlauf des Romans aus verschiedenen Perspektiven sukzessive beantwortet werden, verbleibt Gesichtspunkt (3), d. h. Sexualität und Intimleben von Joss, weitgehend im Dunkeln (vgl. King 2001: 104). 27 Jackie Kay zitiert nach Jaggy (1999: 53). Die Erzeugung von Nähe betrifft insbesondere die Figuren Milli(cent) und Colman (Joss Moodys Ehefrau und Adoptivsohn), die sich nicht nur durch besonders hohe Textanteile auszeichnen, sondern vom Text auch in differenzierterer Weise dargestellt werden als alle anderen Perspektiventräger des Romans.
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ge Quelle der Information versehen werden (metarepresentation), fällt potentiell jeder perspektivisch gebrochene Blick auf Joss auf den jeweiligen Perspektiventräger zurück und führt damit automatisch zur semantischen Ausdifferenzierung des Figurenensembles. Das kognitive Puzzlespiel mündet in einer (Re)Konstruktion des Protagonisten, die in einem erhöhten Maße mit dem in Trumpet entstehenden Gesamtnetzwerk von Figuren verknüpft ist: Trumpet is an exploration of perspectives and an example of how different subject positions are irremediably connected when the subject spoken of can no longer participate in the transmission of its own experience. The fragmentary structure of the text allows the exploration of the central conflict in the novel from the standpoint of the many voices speaking […]. (Rodríguez González 2007: 88; meine Herv.)
Die Identität von Joss stellt in Trumpet somit eher ein kollektives Produkt als ein individuelles Phänomen dar (vgl. 92). Die persönliche Perspektive des Protagonisten kann dementsprechend als blended space eines conceptual integration networks konzeptualisiert werden, bei dem die übrigen Figurenperspektiven als input spaces dienen. Analysiert man nun die Perspektivenstruktur des Romans unter besonderer Berücksichtigung der internen Basisoperationen von blending, so zeigt sich, dass insbesondere das Zusammenspiel von generic space und input space im vorliegenden Fall von besonderer Bedeutung ist. ‚Generic Space‘ und die Projektion von Emotionen Obgleich phänomenologisch dem Leser zunächst eher die unterschiedlichen Reaktionen auf Joss’ Enttarnung auffallen mögen, liegt diesem Phänomen laut blending theory erst einmal der kontinuierliche Abgleich der inputs auf gegenseitige Bezugspunkte zugrunde (cross-space mapping). Während des Fortschreitens der Lektüre kommt diesem Aspekt – wie im Folgenden deutlich werden wird – eine zunehmende Bedeutung zu, da der Text dem Leser notwendige Bausteine für eine kohärente Identitätskonstruktion von Joss kontinuierlich verweigert. So bleiben beispielsweise die Gründe (und der Zeitpunkt) für Joss’ ‚Verwandlung‘ in einen Mann trotz ihrer zentralen Bedeutung für den Roman und seine Figuren unspezifisch und spekulativ (vgl. Mergenthal 2008: 299f.).28 Da die Herausbildung einer detaillierten und psychologisch stimmigen Vorstellung des Jazzmusikers auf diese Weise behindert wird, bedient sich die Bildung des mentalen Figurenmodells des Protagonisten verstärkt einer alternativen Strategie. Während die verschiedenen Figurenperspektiven des Romans bei unvollständigen bzw. wi––––––––––––– 28 Vgl. dazu Williams (2005: 49): „This transitional moment in Joss’s life remains obscure, even to Millie, and despite all the attempts by her and others to reconstitute that life.“
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dersprüchlichen psychologischen Deutungen von Joss Moody verbleiben, gewinnt die emotionale Bewertung des Protagonisten zunehmend an Bedeutung. Es ist an dieser Stelle wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, dass Emotionen einen wichtigen Bestandteil der mentalen Repräsentation von Figuren – sowie deren Repräsentation anderer Figuren – darstellen. Genau wie das Wissen und die psychologische Einschätzung von Joss ist damit auch die emotionale Haltung gegenüber dem Jazzmusiker ein prinzipieller Bestandteil der verschiedenen Figurenperspektiven in Kays Roman. Während sich alle Figuren jedoch letztlich vergeblich um eine umfassende Rekonstruktion seiner Geschichte und Motive bemühen, zeichnen sich dagegen mit fortschreitender Handlung signifikante Übereinstimmungen bei der emotionalen Bewertung des Protagonisten ab, die konzeptuell in einem gemeinsamen generic space verortet werden können. Dies geht einher mit der Herausbildung differenzierter mentaler Figurenmodelle für einige der fiktionalen Akteure um Joss Moody, deren intensive persönliche Auseinandersetzung mit dem Verstorbenen die vorwärtstreibende Kraft der Geschichte darstellt. Dies betrifft insbesondere Millie und Colman, deren detailliertes Portrait sie in der Klassifikation Schneiders zu ‚personalisierten‘ Figuren avancieren lässt (vgl. Kapitel IV.2).29 Während der blend somit vorerst unterspezifiziert bleibt, kommt es, mit anderen Worten, zu einer Ausgestaltung der zentralen inputs, deren Affinität jedoch weniger im Detailwissen der entsprechenden Figuren über Joss liegt, sondern eher in den Grundmodi ihrer Beziehung zu ihm. Betrachtet man das Figurenensemble unter diesem Gesichtspunkt, so kristallisieren sich heuristisch vereinfacht zwei Gruppen heraus: Figuren, die in einer persönlichen Beziehung zum Verstorbenen stehen, und Figuren, die ihn nicht persönlich kennen. Während die emotionale Einstellung der Vertreter der zweiten Gruppe von überraschter Indifferenz (die Ärztin) bis zu journalistischer Sensationslust (Sophie Stones) variiert, weist die erste Gruppe überraschende Übereinstimmungen zwischen den Beziehungen ihrer Mitglieder zu Joss Moody auf. Die scheinbare Ausnahme in dieser Gruppe wird von Colman verkörpert, der mit Unverständnis und heftiger Wut auf die Enthüllung des biologischen Geschlechts seines Vaters reagiert – eine Reaktion, die es noch genauer zu betrachten gilt. Neben Colman zeichnet sich jedoch nicht nur seine Mutter Millie durch eine „unverbrüchliche Treue zu Joss“ aus, die über das Grab hinausgeht und nach Angela Walz durch ihre Intensität „Zustimmung“ vom Zuschauer fordert (2005: 143). Auch alle anderen ––––––––––––– 29 In gewisser Weise stellen Millie und Colman damit die eigentlichen Protagonisten oder zumindest gleichberechtigte Hauptfiguren des Romans dar: „Trumpet is not only Joss’s story but also one of how Millie and Colman de- and re-construct themselves, finding ways to exist after his death.“ (Lumsden 2000: 89)
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Vertreter dieser Gruppe weisen eine durchgehend positive Einstellung zur Person des Verstorbenen auf, die mit zahlreichen angenehmen Erinnerungen einhergeht. Aus der konzeptuellen Integration dieser Blickwinkel auf den Protagonisten Joss entwirft der Roman verschiedene Facetten eines Bildes, das weniger durch Gender und Geschlechtszugehörigkeit als durch emotionale Bewertungen bestimmt ist: Joss Moody als großartiger Musiker und sympathischer Bandleader (Big Red), liebender Ehemann (Millie), angenehmer Arbeitgeber (Maggie) oder unvergessene Jugendliebe (May Hart). Dieses positive Portrait spiegelt sich auch in der Haltung der entsprechenden Figuren gegenüber der sensationslüsternen Öffentlichkeit. Konfrontiert mit der geldgierigen Sensationsjournalistin Sophie Stones, die als unsympathische Kontrastfolie fungiert,30 weigern sich trotz der angebotenen hohen Geldsummen sowohl Big Red, May Hart als auch die Haushälterin Maggie in irgendeiner anderen Weise als positiv über Joss zu reden und empfinden direkt im Anschluss unmittelbare Schuldgefühle überhaupt mit der Journalistin gesprochen zu haben (vgl. 148f., 174–179, 246– 253). Ihr Verhalten zeugt damit – genau wie bei Millie – von einer tiefen emotionalen Loyalität gegenüber dem Verstorbenen, die von der Enthüllungsgeschichte nicht berührt, sondern eher bestärkt wird: The last time he saw Moody he was looking a bit jaded, but no’ bad. Just tired. He didn’t look like he was dying. If Big Red had realized he would have said different things. […] If he’d known, if he’d been able to tell him, ‘Look, Moody, don’t worry about me because I don’t give a fuck.’ Moody was just the same in Big Red’s head, except Moody was dead. That was the fucking awful thing. Moody was dead. (151)
Die Frage nach dem (biologischen) Geschlecht von Joss erweist sich so für die zentralen Figuren im Leben des Musikers von eher untergeordneter Bedeutung, wobei der Text allerdings eine offensichtliche Ausnahme aufweist. Diese wird von der Figur Colman verkörpert, die über beträchtliche Textanteile die Aufmerksamkeit des Lesers auf sich zieht und die in einer völlig anderen Weise reagiert. Ihm ist das sexuelle Geschlecht seines Vaters nicht gleichgültig, sondern seine Welt wird von der Enthüllung in ihren Grundfesten erschüttert, worauf er sich zutiefst verletzt und voller Wut gegen das Andenken seines Vaters wendet. Zum Entsetzen seiner Mutter beginnt er, mit Sophie Stones zu kollaborieren, mit dem Ziel, eine Biographie für die sensationslüsterne Öffentlichkeit auf den Markt zu bringen. Doch mit fortschreitendem Einblick in die Figurenperspektive Colmans lässt sich auch an seinen Reaktionen und Gedanken „die (uneingestandene) Liebe und Treue zu seinem Vater ablesen, die ihn mit seiner ––––––––––––– 30 Zur Diskussion der Figur Sophie Stones’ siehe z. B. Rodríguez González (2007: 94ff.), Walz (2005: 154ff.), Clandfield (2002: 18) und Mergenthal (2008: 299f.).
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Mutter verbindet“ (Walz 2005: 148). Seine heftige Reaktion, so wird zunehmend deutlich, ist primär Ausdruck einer tiefen Verunsicherung in Bezug auf seine eigene Person (vgl. Clandfield 2002: 17) und auch sie beginnt sich gegen Ende des Romans in eine zögernde Akzeptanz der Situation zu verwandeln: Nach seinem Besuch bei Edith Moore, der noch lebenden Mutter seines Adoptivvaters, verändern sich seine Gefühle. Colman distanziert sich von Sophie Stones und dem Projekt einer Enthüllungsbiographie und macht sich am Ende des Romans auf den symbolisch signifikanten Weg zu seiner Mutter, die er seit dem Tod seines Vaters gemieden hatte. Auch seine Figurenperspektive wird damit vom Text zur Inszenierung der „ganz und gar erstaunliche[n] Wirkungskraft der Liebe angesichts von Destabilisierungen und Revisionen von Lebensgeschichten“ (Walz 2005: 157) herangezogen und trägt auf diese Weise zur einer Re-Fokussierung der Frage nach Identität bei. Nach wie vor symbolisieren Jazz und Musik in Kays Roman die hybride und performative Qualität von Identität.31 Die in der Gesamtkombination aller Figurenperspektiven unbeantwortet bleibenden Fragen zu seiner Person lassen jedoch Identität und Gender nicht nur als letztlich unbestimmbar erscheinen, sondern lenken die Aufmerksamkeit auf die im generic space versammelten Affinitäten zwischen den zentralen fiktiven Perspektiven des Textes. Vor dem Hintergrund des dabei entstehenden generic space kommt es zu einer semantischen Teilprojektion, bei der nicht allein das Wissen, sondern maßgeblich die emotionale Haltung der als input dienenden Figuren gegenüber dem Protagonisten in den blend projiziert werden. Derart entsteht ein emergentes Figurenmodell, das Joss Moody nicht primär in Bezug auf Gender und Geschlecht, sondern vordringlich als einen durchweg sympathischen und liebenswerten Menschen bestimmt. Auch in Trumpet vollzieht sich die Rekonstruktion ‚abwesender‘ Figurenperspektiven damit primär über das Zusammenspiel der input spaces, wobei die Inferenzbildung in Bezug auf generic und blended space, genau wie in Mark Haddons Erzählung, untrennbar mit der inhaltlichen Ausdifferenzierung der als input dienenden anderen Romanfiguren verknüpft ist. Indem der Roman so eine Reihe unterschiedlichster Perspektiven entwirft, die sich inhaltlich einzig in ihrer ehrlichen Zuneigung zu Joss berühren, lässt er ein emergentes Bedeutungsbild entstehen, „which completely undermines the importance of gender difference“ (King 2001: 105). Während einerseits die Jazz-Metapher in Kays Roman die binäre Differenz der Kategorien Mann und Frau negiert und die Möglichkeit in den Raum stellt, Gender performativ zu transzendieren, suggeriert das ––––––––––––– 31 Beachte hierzu insbesondere die Diskussion des Kapitels „Music“ in Kays Roman (Trumpet, 131–136), das von Kilian (2004a: 70) als „das Herzstück des […] Romans“ bezeichnet wird (vgl. auch Eckstein 2006: 59f.; Walz 2005: 163ff.; Jones 2004: 198; Mergenthal 2008: 304).
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durch blending entstehende Bild des Protagonisten die romantische Vorstellung einer gemeinsamen Essenz – einer auf Zuneigung und Liebe gegründeten Menschlichkeit, die unseren wandelbaren äußeren Identitäten zugrundeliegt: „I think that we are all not that different really; […] So I always write from the knowledge that we share a very common humanity with other people“, stellt die Autorin in einem Interview dementsprechend fest (Nasta 2004: 241). Als abschließendes Fazit kann so mit Linda Anderson die Differenzen bezwingende Kraft der Liebe als einer der zentralen Aspekte von Kays Roman festgehalten werden: „The final risk that Kay has taken may be to have written this novel as a love story and by doing so to have brought us back to think about the place of love – its surprising meaning – within a narrative where so much is destabilised and reconfigured.“ (2000: 79)
VI.3 Die Gegenüberstellung inkompatibler Perspektiven in Will Selfs Great Apes (1997) „[W]hat would it be like to lose your sense of perspective?“ fragt sich Simon Dykes, der Protagonist in Will Selfs Roman im ersten Paragraph der Erzählung (Great Apes, 1). Er benennt damit eines der zentralen Themen des sich entfaltenden Textes, der sich, ähnlich wie Kays Trumpet, auf diese Weise programmatisch mit dem Fraglich-Werden von Identitätskonzepten auseinanderzusetzen verspricht. Während dies in Kays Roman anhand des Themenbereichs Gender geschieht, verhandelt Great Apes hingegen das phantastische Thema eines Verlusts der spezifisch menschlichen Perspektive. In einer utopisch anmutenden Erzählung, die eine Art thematische Kreuzung von Kafkas Verwandlung, Schaffners Planet of the Apes und einer Fallstudie von Oliver Sacks darstellt,32 entspinnt sich im Roman des (ehemaligen) „enfant terrible der englischen Literaturszene“ (Zerweck 2000: 269) eine ungewöhnliche Geschichte um den Künstlers Simon Dykes.33 Dieser erwacht nach einer Nacht voller Drogen und unruhiger Träume im heimatlichen London, das jedoch nicht mehr von Menschen, sondern von intelligenten Schimpansen bewohnt wird. Die gesamte Weltbevölkerung, ––––––––––––– 32 Schaffners Science Fiction Klassiker Planet of the Apes (1967), der auf Pierre Boulles Roman La planète des singes (1963) beruht, stellt die häufigste filmische Referenz des Romans dar (vgl. Vallorani 2001: 174, FN 6). 33 Self gestand im April 1997, kurz vor der Publikation von Great Apes, im Wahlkampf-Jet John Majors Heroin geschnupft zu haben. Dort hatte er als Reporter für den Observer über die Wahlkampagne des Politikers berichtet. Es entstand ein Skandal, der kurzfristig für eine hohe Medienaufmerksamkeit und Selfs Stigmatisierung als literarisches enfant terrible sorgte. Für eine ausführlichere Biographie des Schriftstellers siehe Hayes (2007: 7–20).
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einschließlich seiner Bekannten und seiner Freundin Sarah, haben sich über Nacht in große haarige Menschenaffen verwandelt. Sie stehen Simons tiefer Überzeugung, ein Mensch zu sein, verständnis- und hilflos gegenüber und eröffnen damit einen interessanten perspektivischen Kontrast. Während Simon seine Umgebung weiterhin durch ‚menschliche‘ Augen sieht und an der verkehrten Welt eines von Affen bevölkerten London geradezu verzweifelt, nehmen die übrigen Figuren ihn als einen psychisch verwirrten Schimpansen wahr, den es von seinen Wahnvorstellungen zu heilen gilt. In Selfs Roman wird damit eine utopische, auf den Kopf gestellte Welt entworfen, in der beispielsweise mit Gesten ‚gesprochen‘ und mit Lauten ‚gestikuliert‘ wird oder in der das Präsentieren des nackten Hinterteils eine formale Begrüßung darstellt. Die detaillierte, in sich weitgehend stimmige und dabei herrlich komische Verkehrung lebenswirklicher Gegebenheiten trägt deutliche satirische Züge in der Tradition Swifts. Ein aufmerksamer Blick auf Inhalt und Erzählstruktur verdeutlicht jedoch, dass eine Reduktion des Romans auf eine „straight social satire“ (Finney 1999) der inhärenten Komplexität des Textes nicht gerecht wird (vgl. Griem 2010: 295ff.). Wie in den bereits analysierten Romanen von Haddon und Kay erweist sich die Untersuchung des perspektivischen Zusammenspiels auch hier als hilfreicher Schritt zur Erfassung der komplexen und vielschichtigen Natur entstehender Bedeutungsräume. Die nachfolgenden Ausführungen werden zeigen, dass, anders als in Curious Incident und Trumpet, hier jedoch nicht die verschiedenen Spielarten der (Re)Konstruktion ‚abwesender‘ Perspektiven im Mittelpunkt stehen. In Great Apes geht es vielmehr um das Gegenüber wesentlich verschiedener bzw. inkompatibler Perspektiven und ihr spielerisches Verhältnis zueinander. In der hier vorgenommenen Analyse wird zudem besonders deutlich, dass es sich bei blending um eine dezidiert komplementäre Untersuchungsmethode handelt. So muss die Analyse der Integration von Affen- und Menschenperspektive zur Ausschöpfung ihres vollen Potentials zunächst in den Interpretationsdiskurs der Satire und der Postmoderne eingebunden werden. Great Apes als Satire Der Affe ist laut Hartmut Böhme „eines der polysemantisch aufgeladensten Tiersymbole überhaupt“ (2001: 115f.). Seit der Antike dient er als gleichermaßen faszinierendes wie beängstigendes „Zerrbild des Menschen“ (Krüger/Mayer/Sommer 2008: 9), das auf unterschiedlichste Wei-
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se gedeutet und immer wieder zu satirischen Zwecken genutzt wurde.34 Die in der Geschichte von Affendarstellungen zentrale Frage, die auch im Zentrum von Will Selfs Überlegungen steht, bezieht sich dabei auf die Grenzziehung zwischen beiden Spezies: „People understood intuitively“, stellt Will Self in Bezug auf die Geschichte der Affendarstellung fest, „that to have an animal that was close to human but not human threw into turmoil a whole set of categories about cosmology and the chain of being.“35 Während das menschliche Selbstbild laut John Gray (vgl. 2002: 38; passim) auch heutzutage noch immer maßgeblich auf dem Glauben zu beruht, dass Selbstbewusstsein und freier Wille allein der Gattung Homo Sapiens zu eigen sind, scheint Great Apes diese privilegierte Position zu unterminieren und den Leser an seine essentiell animalische Natur zu erinnern (vgl. Hayes 2007: 126). Doch es ist nicht nur die auf den Kopf gestellte Welt des Romans, die den Roman in die assoziative Nähe der Textgattung der Satire rückt. Auch der Autor selbst thematisiert seine Bezugnahme auf die satirische Tradition und sein Vorbild Jonathan Swift, den Self laut Chris Mitchell bewundernd als „the satirist’s Shakespeare“ bezeichnet (2010: 461). Darüber hinaus arbeitet er eine Reihe impliziter und expliziter Anspielungen auf (satirische) Texte wie beispielsweise Swifts Gulliver’s Travels (1726), Thomas L. Peacocks Melincourt (1817) oder die Planet of the ApesFilme (1968–2001) in seinen Roman ein (cf. Hayes 2007: 125ff.). Die Erzählung enthält jedoch nicht nur intertextuelle Verweise. Auch auf der diegetischen Ebene des Romans bringt Simons Arzt Dr. Zack Busner gegen Ende der Erzählung den Gedanken ins Spiel, dass die mittlerweile geheilte Wahnvorstellung des Protagonisten als satirisches Element begriffen werden könnte: ‘You know, Simon. […] It’s occurred to me for some time now that your human delusion really was not at all an ordinary psychosis “chup-chup”.’ ‘Really “huu”?’ ‘Yes, […]. Given your preoccupation before your breakdown with the very essence of corporeality and its relation to our basic sense of chimpunity, it crossed my mind […] that your conviction that you were human and that the evolutionary successful primate was the human was more in the manner of a satirical trope “huu”?’ Simon mused for some time before countersigning, then simply flicked, ‘It’s an image.’ (Great Apes, 404)
Die exponierte Position dieses Dialogs wenige Zeilen vor dem Ende des Romans stützt Deutungsansätze, die wie M. Hunter Hayes (2007) Great Apes als eine „satiric trope of an invented parallel world“ begreifen, deren ––––––––––––– 34 Vgl. Krüger/Meyer/Sommer (2008), Gerigk (1989), Janson (1952) sowie Griem (2010), die die wohl umfassendste Untersuchung von Affen als kulturellen und literarischen Spiegelfiguren des Menschen vorgelegt hat. 35 Zitiert nach Mitchell (2010: 461).
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Funktion darin bestehe, das Versagen anthropozentrischer Denkansätze zu illustrieren und den Leser an die tierische Natur des Menschen zu erinnern (126). Doch obgleich Hayes selbst darauf hinweist, dass die Funktion einer Satire maßgeblich auf der Fähigkeit des Lesers beruht, Ziel und Intention des satirischen Angriffs klar zu identifizieren (134), übersieht er, dass Selfs Roman eindeutige Zuordnungsoperationen dieser Art erschwert, wenn nicht gar teilweise verhindert. Wie im weiteren Verlauf des Kapitels demonstriert wird präsentiert Great Apes nicht einfach die Darstellung einer Affenwelt, deren satirischer Bezug sich klar bestimmen lässt, sondern inszeniert auf der diegetischen Ebene des Romans eine Konfrontation menschlicher und utopisch-tierischer Perspektiven, deren semantische Implikationen in verschiedene Richtungen auseinanderstreben.36 Dieser scheinbare Mangel an (satirischer) Kohärenz – oder, im blending-Vokabular, an logisch eindeutig zuordenbaren Bezugspunkten zwischen beiden input spaces – hat kritische Stimmen zu negativen Bewertungen des Romans verleitet. „[T]he main difference between the chimp world and the human consists in an abundance of puns“, urteilt ein Rezensent im Observer abwertend (Leith 1997: 16); zwar sei die adoleszente Mischung aus „self-estranging Swiftian satire and groaningly cheap jokes“ an keiner Stelle langweilig, doch insgesamt ließe sich feststellen: „Great Apes doesn’t seem to go anywhere much“ (ebd.). Anstatt das Fehlen einer eindeutigen satirischen Botschaft automatisch als Ausdruck mangelnder schriftstellerischer Qualität zu werten, kann das Auftreten uneindeutiger semantischer Bezüge jedoch alternativ als charakteristisches poststrukturalistisches Stilmittel gedeutet werden. Gestützt wird diese Diagnose unter anderem von Brian Finney, der Selfs Erzählwerk eine generelle Tendenz zu „excess and transgression“ (1999) attestiert – eine Diagnose, die trefflich sowohl auf die Thematik und Handlung von Great Apes, sowie auch die Sprache, Metaphorik und Erzählstruktur des Romans übertragen werden kann. So lässt sich nicht nur Selfs idiosynkratrischer Stil als Ausdruck eines postmodern angehauchten Spielens mit Sprache deuten (vgl. Rospide 2007: 182),37 sondern auch das ––––––––––––– 36 Auch Griem (2010: 295) ist der Meinung, „dass Self eine Form der Satire entwirft, die nicht auf eindeutige gesellschaftskritische Positionen zu reduzieren ist“, und Lars Heiler (2004: 220) stellt fest: „Dadurch, dass die verkehrte Welt in Great Apes keine einfache Inversion der herrschenden Verhältnisse ist, sondern eine polyvalente, mit mehrfachen Brechungen ausgestatte Struktur aufweist, wird der Rezipient zu multiplen Umwertungsoperationen animiert, bei denen er ebenso wie Simon die Freiheit der Multiperspektivität aushalten muss und sich nicht in vorschnelle Differenzierungen […] flüchten kann.“ 37 Rospide (2007: 182ff.) sieht Selfs Stil als postmodernes Sprachspiel, dessen Funktion darin besteht, die Aufmerksamkeit des Lesers auf das Medium Sprache selbst zu lenken. Ihre Beobachtung bezieht sich zwar auf andere Texte aus Selfs Erzählwerk, kann jedoch problemlos auf Great Apes übertragen werden.
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narrative Arrangement individueller Perspektiven rückt die Erzählung in den Assoziationskontext der Postmoderne. Perspektivenstruktur und Postmoderne Betrachtet man die Erzählsituation des Romans, so zeigt sich dieser als explizit multiperspektivisch organisierter Text, der mit einem Vorwort des fiktionalen impliziten Autors – eines Schimpansen – versehen ist.38 Die danach einsetzende Handlung wird von einer heterodiegetischen Erzählinstanz widergegeben, die dem Leser mittels interner Fokalisation Einblick in eine Vielzahl unterschiedlicher Figurenperspektiven gewährt, welche „aufgrund des fehlenden expliziten Erzählers […] weitgehend unvermittelt nebeneinander stehen“ (Zerweck 2000: 269). Auf diese Weise entsteht ein heterogenes Spektrum individueller Perspektiven, das sich aufgrund der gegenseitigen Bezugsverhältnisse in zwei Gruppen teilen lässt. Im Zentrum der ersten steht der menschliche Protagonist Simon Dykes, zusammen mit einigen wenigen anderen menschlichen Figuren, die in den ersten Kapiteln des Romans als menschliche Reflektorfiguren dienen, zum Beispiel seine Freundin Sarah. Bei den Perspektiventrägern der zweiten und weit größeren Gruppe, die sich um den Psychologen Dr. Zack Busner gruppieren, handelt es sich dagegen um Schimpansen. Die mentalen Modelle, die der Leser von diesen Figuren bildet, unterscheiden sich fundamental von denen der ersten Gruppe, deren grundlegende Wahrnehmungs- und Denkschemata nach dem Vorbild zeitgenössischer realer Personen konstruiert werden. Die Perspektiven der zweiten Gruppe hingegen spiegeln „in ihrer psychologischen Disposition, ihrem Informationsstand und ihren Werten und Normen [das] Voraussetzungssystem der ‚Schimpansenwelt‘“ (Zerweck 2000: 270f.). Dieses liegt dem Leser selbstverständlich nicht in Form lebensweltlicher, außertextueller Schemata vor, sondern ist vielmehr bereits Produkt einer komplexen blending-Operation, bei der Wissen über reale Affen, die Kenntnis literarischer und filmischer Affendarstellungen sowie die textuellen Informationen des Romans sich zu einem holistischen Bild verbinden. Die Funktion des umfangreichen Perspektivenensembles von Schimpansen liegt in dieser Hinsicht in der Ausdifferenzierung und Plausibilisierung „der konstituierenden Parameter [dieser] Schimpansenperspektive“ (2000: 272, FN 23). Entscheidend für das Verständnis der Perspektivenstruktur in Great Apes ist jedoch nicht allein das interne Zusammenspiel innerhalb der bei––––––––––––– 38 Die nachfolgende Einführung in die Perspektivenarchitektur von Great Apes folgt weitgehend Zerweck (2000), der eine detaillierte Analyse des Romans auf der Basis der Nünning’schen Theorie der Perspektivenstruktur vorlegt.
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den Figurengruppen, sondern die fundamental kontradiktorische Natur der Wahrnehmungs- und Denkstrukturen von Mensch und Affe, die den entsprechenden Gruppen zugrundeliegen. In Korrespondenz zu diesen beiden Sichtweisen werden dem Leser zwei vollständig inkompatible Lesarten der Geschehnisse angeboten: Einerseits deutet der Text, insbesondere am Anfang des Romans, die Möglichkeit an, dass es sich bei den späteren Ereignissen um eine Art Delirium handelt, in das der psychisch labile Protagonist aufgrund exzessiven Drogenkonsums fällt. Die Ereignisse der Affenwelt wären in diesem Kontext als eine Art elaborierte, drogeninduzierte Wahnvorstellung zu lesen. Andererseits legt der weitere Handlungsverlauf eine andere Deutungsmöglichkeit nahe: Während zu Beginn des Romans zunächst die Menschenperspektiven dominieren, verkehrt sich dieses Verhältnis mit dem siebten Kapitel schlagartig in sein Gegenteil. Spätestens mit Simons Erwachen im Bett bzw. ‚Nest‘ seiner Freundin Sarah – jetzt einer Schimpansin mit entsprechend ausgestalteter Perspektive – ist nur noch der Blickwinkel des Protagonisten der eines Menschen. Auf der Basis dieser Umgewichtung gewinnt die Affenwelt mit fortschreitender Handlung kontinuierlich an Kohärenz und interner Logik. Parallel zu dieser Umkehrung verliert Simons Psyche nach und nach ihren spezifisch menschlichen Charakter, bis der Roman an seinem Ende in der scheinbar erfolgreichen Therapie des Protagonisten mündet: Simon überwindet seine vermeintliche Wahnvorstellung und akzeptiert seine ‚wahre‘ Natur als Schimpanse. Auf diese Weise offeriert der Text eine alternative Deutungsmöglichkeit, die das Schimpansenuniversum als die eigentliche Romanwelt identifiziert und die menschlichen Perspektive Simons als psychisch krankhafte Illusion begreift.39 Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die skizzierten Alternativen nicht kompatibel sind und daher nicht komplementär nebeneinander stehen können. Versucht der Rezipient, die widersprüchlichen Sichtweisen auf die Welt und Handlung des Romans zu ‚naturalisieren‘ (vgl. Culler 1975: 134–160), so muss er sich für eine der beiden Versionen entscheiden. ––––––––––––– 39 Für erstere Version spricht die Dominanz der menschlichen Sichtweise in den ersten Kapiteln (primacy effect), das höhere Identifikationspotential der menschlichen Perspektive (vgl. Zerweck 2000: 272) sowie einige Passagen in der Menschenwelt, in denen sich Simon auf leicht schizophren anmutende Weise gedanklich mit Affen und Drogen beschäftigt (z. B. Great Apes, 12, 26f.). Die zweite Version wird hingegen von der Gesamtdominanz der Affenperspektiven motiviert sowie dadurch, dass Simon zunehmend die Sprech-, Verhaltens- und Denkmuster eines Schimpansen annimmt – ein Umstand, der sich auch auf die Erzählstimme und die Darstellung von Simons Perspektive mittels interner Fokalisation auswirkt (vgl. Moreton 1997: 29). Darüber hinaus wird auch auf der Handlungsebene eine mögliche Erklärung ins Spiel gebracht: Es stellt sich heraus, dass Simons Psychose möglicherweise auf zwielichtige Experimente mit pharmazeutischen Drogen zurückzuführen ist, in die Busner einst verwickelt war, und bei denen Simon unwissend als Proband diente (vgl. 253f., 317f.).
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Wie Zerwecks sorgfältige Analyse von Great Apes jedoch überzeugend demonstriert, weisen beide Deutungsversuche Schwachstellen auf, die nicht in einen zufriedenstellenden Einklang mit der Gesamtheit des Textes gebracht werden können (vgl. Zerweck 2000: 273ff.).40 Diese Gegenüberstellung zweier Realitätsversionen, von denen jedoch keine vollständige Plausibilität beanspruchen kann, führt zu einer signifikanten Destabilisierung der fiktiven Realität des Romans: Es zeigt sich, dass in Great Apes zwar verschiedene Plausibilisierungsmöglichkeiten zur Auflösung der widersprüchlichen Perspektivenstruktur angeboten werden, diese jedoch ebenso wieder zerstört werden. Dieses Spiel mit Sympathielenkung, Wirkung und Lesererwartungen deutet letztlich in Richtung einer dritten Möglichkeit der Naturalisierung multiperspektivischer Dissonanzen: die Möglichkeit einer metafiktionalen und intertextuellen Plausibilisierung, welche die kontrastierenden und nicht aufzulösenden Perspektiven nicht zu synthetisieren sucht […]. Statt dessen werden im Falle solch einer metafiktionalen und intertextuellen Plausibilisierung die Widersprüche in der Perspektivenstruktur auf einer Metaebene naturalisiert […]. (275)
Der scheiternde Versuch, die diskrepanten Sichtweisen auf der Handlungsebene in ein kohärentes mentales Handlungsmodell zu integrieren, führt nach Zerweck damit zur metafiktionalen Interpretation des Textes im Kontext der Postmoderne. Die Gegenüberstellung inkompatibler Perspektiven stellt für ihn eine programmatische Verunsicherungsstrategie dar, die den Leser „zu einer denkwürdigen Auseinandersetzung mit den Werten, dem Zustand und der Selbstwahrnehmung der westlichen Gesellschaft in postmodernen Zeiten [zwingt]“ (261). So bleibt der Roman auch für Zerweck einerseits in der sozialkritischen Tradition der Satire verhaftet, löst sich jedoch andererseits von deren klassischer Form und nimmt eine dezidiert postmoderne Gestalt an. Brian Finney vertritt eine ähnliche Interpretation und argumentiert, dass die thematische Grundform der Erzähltexte von Will Self im Aufzeigen der verstörenden Komplexität von Mensch und zeitgenössischer Gesellschaft besteht (vgl. 1999): „Self is more concerned to offer us a vivid image of our contemporary world in its heterogeneous complexity than to satirize its pretensions to homogeneity.“ Dieser Deutung schließen sich auch Girard (2009) und Vallorani (2001) an, für die eines der zentralen Anliegen von Selfs Werk in der Er––––––––––––– 40 Gegen die erste Interpretation spricht neben dem Vorwort besonders die Handlung des Romans, in dessen Verlauf Simon sich „immer mehr an die Affenwelt anpasst, langsam deren Gestensprache und Sichtweise internalisiert und am Ende sogar die physischen Merkmale eines Schimpansen besitzt“ (Zerweck 2000: 274). Gegen die zweite Interpretation spricht unter anderem, dass Röntgenaufnahmen von Simon unerklärliche Merkmale menschlicher Anatomie aufweisen, die nur schwer kausal in die angebotene Deutungsversion integriert werden können (vgl. Great Apes, 200f.).
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kundung von Phänomenbereichen liegt, deren Komplexität und/oder Widersprüchlichkeit rational nicht (mehr) zu erfassen ist. Für Nicoletta Vallorani (2001) wird dies beispielsweise besonders evident anhand der Darstellung Londons, das in Great Apes in zwei parallelen, sich aufeinander beziehenden und doch widersprüchlichen Versionen erscheint: Zunächst als ein apokalyptische Assoziationen weckender Großstadtdschungel,41 dann als eine ins Komische verkehrte Schimpansenversion dieses bedrohlichen Raumes: koexistierende Varianten ein und desselben konzeptuellen Ortes, deren Inszenierung für Vallorani eine radikale Dekonstruktion von Raum und Identität impliziert.42 So können Selfs Erzählwelten mit Didier Girard als eine Art postmoderner Zerrspiegel verstanden werden, mit dessen Hilfe ein Blick auf einen Ausschnitt der Realität geworfen werden kann: With Will Self, we are entering a strange / foreign / idiotic world in which complexity and singularity are given full rein […]. This kind of complexity is no mere provocation or cop-out; it is to be understood as a writer’s fissure / dark hole through which to pry into the world. (2009: 12)43
Die hier zitierten Beiträge verdeutlichen, dass Great Apes neben eindeutigen Bezügen zur Tradition der Satire ein genuines Interesse an postmodernen Themen, wie zum Beispiel an Auflösungserscheinungen unterschiedlicher Art, aufweist (vgl. Baker 2000: 156). Simons inszenierter Perspektivenverlust mit seiner fundamentalen Destabilisierung der gesamten Wahrnehmung von Wirklichkeit stellt die Ontologie der fiktionalen Wirklichkeit zur Disposition und kann derart als geradezu prototypisches Beispiel von Brian McHales Definition der Postmoderne gelesen werden.44 Doch wie bereits die Interpretation des Romans als „straight social satire“ (Finney 1999) weist auch eine primär postmodern ausgerichtete Deutung Schwachstellen auf. Konzentriert sich der poststrukturalistisch geschulte Blick allein auf die perspektivischen Widersprüche des Romans, so birgt ––––––––––––– 41 Zum Aspekt des Apokalyptischen in Great Apes vgl. auch Heiler (2004: 204–211). 42 Vgl. Vallorani (2001: 176): „Even when Simon ‚goes ape‘, the city keeps on appearing as a set of contradictions peacefully sharing the same space, an effective version of Foucault’s heterotopia, juxtaposing in a single place several spaces, several sites that are in themselves incompatible (Foucault 1986: 23).“ 43 Ein weiteres postmodernes Element bei Self besteht im dezidiert selbstreferentiellen Charakter seines Werkes. Wichtige Figuren und Schauplätze tauchen wiederholt in verschiedenen seiner Texte auf und stellen auf diese Weise z. T. kontroverse intertextuelle Bezüge her. Zu diesen Figuren gehören z. B. Simon und Busner, die sich in mehreren Kurzgeschichten finden: z. B. The Quantum Theory of Insanity (1991), „Inclusion®“ (1994), „Chest“ (1994) oder „Return to the Planet of the Humans“ (2004). Vgl. dazu auch Hayes (2007: 127–128,168). 44 Vgl. McHale (2002: 284): „The dominant of Postmodernist writing is ontological. That is, Postmodernist writing is designed to raise such questions as: what is a world? what kinds of world are there, how are they constituted, and how do they differ? what happens […] when boundaries between worlds are violated? […] and so on.“
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diese Herangehensweise die Gefahr einer zu einseitigen Betrachtung der Erzählung. Erinnert man sich mit Fauconnier und Turner (2002) an die komplexe Dialektik von Differenz und Ähnlichkeit, die geradezu notwendigerweise jedem blending-Prozess innewohnt, so lenkt dies die Betrachtung von Selfs Roman in eine weitere, bisher weitgehend unbeachtet gebliebene Richtung. Im Folgenden soll unter Rückgriff auf die Denkfigur von conceptual integration aufgezeigt werden, dass die literarische Infragestellung von Perspektive und damit Identität in Great Apes mit einer gleichzeitigen Re-Affirmation von klar definierten Identitätskonzepten einhergeht. Die postmoderne Destabilisierung von Perspektive wird, mit anderen Worten, in einer Doppelbewegung gleichzeitig inszeniert und in Frage gestellt. Bezugsrelationen und emergente Charakteristika Um zu dieser Schlussfolgerung zu gelangen, ist es hilfreich, nicht nur die Affenperspektive selbst als blending-Produkt zu begreifen, sondern auch ihr Bezugsverhältnis zur menschlichen Perspektive in dieser Form zu analysieren. Wie bereits erwähnt ist die Schimpansenperspektive selbst die emergente Synthese einer komplexen blending-Operation. Der entstehende blended space beschreibt dabei die spezifischen Charakteristika der Affenperspektive, eignet sich jedoch nicht, um das direkte Bezugsverhältnis zwischen Mensch und Affe in Selfs Roman abzubilden. Hierzu bedarf es eines weiteren blends, bei dem die Voraussetzungssysteme beider Spezies als input spaces dienen, und der auf diese Weise das direkte Bezugsverhältnis ihrer Denk- und Wahrnehmungsmatrix zum Thema hat. Selbstredend müssen beide blending-Netzwerke im Rahmen einer Analyse der Gesamtperspektivenstruktur des Romans berücksichtigt werden. Dies führt zu einer Gesamtstruktur, die nahe legt, dass es bei der Ergründung der konzeptuellen Konfrontation von Mensch und Affe in Great Apes zwei Aspekte zunächst heuristisch zu differenzieren und dann in Bezug zu setzen gilt: einerseits die spezifischen Charakteristika der emergenten Affenperspektive und andererseits die Art und Weise, in der die Ähnlichkeits- und Differenzverhältnisse zwischen beiden Spezies verhandelt werden. Betrachtet man zunächst das entstehende Bild der intelligenten Bewohner der Affenwelt, so fällt auf, dass in nahezu allen Darstellungsbereichen die Körperlichkeit der Schimpansen eine explizit in den Vordergrund gerückte Bedeutung einnimmt. Dies wird bereits im Vorwort des impliziten Schimpansenautors deutlich, der in seiner Diskussion der wesentlichen Unterschiede zwischen Affe und Mensch vordringlich auf die verschie-
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denartige Einstellung der beiden Spezies zur körperlichen Berührungen verweist: But perhaps most significant of all is the human attitude to touch. It is this that appears so acutely inchimp. Humans, because of their lack of a protective coat, have not evolved the complex rituals of grooming and touch that so define chimpanzee social organization and gesticulation. Imagine not being groomed! It is almost unthinkable to a chimpanzee that a significant portion of the day should not be given over to this most cohering and sensual of activities. (Great Apes, ix)
Bezeichnenderweise sind die soziale Folgen („complex rituals of grooming“), an denen der Schimpansenautor die essentielle Differenz zwischen beiden Arten festmacht, auf der physischen Ausstattung des Menschen („lack of protective coat“) gegründet. Mit dieser Argumentationslogik wird im Vorwort der thematische Ton für die nachfolgende Erzählung angegeben; tatsächlich verwendet diese einen signifikanten Teil ihres Umfangs darauf zu illustrieren, wie die individuellen und sozialen Charakteristika der Affenwelt maßgeblich mit der körperlichen Verfasstheit ihrer Bewohner korrespondieren. Insbesondere das dabei entstehende Bild ihrer Sozialstruktur erweist sich, angefangen von der Art gegenseitigen Begrüßens über die Etablierung sozialer Hierarchien bis hin zur Natur partnerschaftlicher und familiärer Beziehungen, als „rigorously chimp“ (Leith 1997), d. h. als gegründet und durchdrungen von der spezifischen ‚schimpansischen‘ Körperlichkeit. Der Umstand, dass der Roman sich bei der Illustration des Affenuniversums insbesondere auf die Darstellung von polygamer Sexualität, physischer Gewalt und hierarchischer Hackordnung konzentriert, scheint daher die bereits bekannte These zu stützen, dass das körperbetonte Auftreten der Schimpansen in Great Apes einen satirischen Hinweis auf die latente Existenz eben derselben Phänomene in der ‚zivilisierten‘ menschlichen Gesellschaft darstellt. Für Hayes enttarnt der Roman in dieser Hinsicht den ‚intellektuellen Narzissmus‘ der – trotz Darwin und Evolutionstheorie – gängigen Überzeugung, dass die Welt des Menschen sich fundamental von der des Tieres unterscheidet (2007: 136). Selfs Roman kann derart als ernüchternde Erinnerung an die in öffentlichen Diskursen oft verschwiegene Bedeutung der animalischen Komponente nicht nur persönlicher, sondern auch sozialer menschlicher Existenz gelesen werden: das Schaffen von Hierarchien auf der Basis brutalen Verhaltens, verschiedenste Formen körperlichen Imponiergehabes oder die weite Verbreitung polygamen Sexualverhaltens trotz allseits propagierter Ideale von Treue und Partnerschaft werden auf satirische Weise derart als zutiefst menschliche Sozialphänomene enttarnt. Dies wird besonders deutlich am letztgenannten Thema der Sexualität, das wie auch das Motiv der Satire direkten Eingang in die Handlungsebene findet und von Simon und Busner explizit diskutiert wird:
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‘But Simon “gru-unnn”, do all human consortships last a lifetime “huu”?’ ‘By no means, no, no. Humans will bond with one another for all sorts of periods of time. There are unions that may last many years and consortships with are over in days or weeks.’ ‘And the organising principle of these couples remains “huh-huh” fidelity “huuu”? Exclusive mating rights?’ ‘Yes.’ ‘And is it adhered to “huu”?’ ‘Not exactly. […] both males and females find themselves mating outside the relationship … it happens all the time […]. The human impulse towards inconstancy seems as strong as the drive to consort.’ […] ‘But, Simon, […] you sign of numerous consortships, and of consistent exogamous mating despite their existence. Mark me if I’m wrong, but it looks to me much the same as what chimpanzees get up to “huuu”?’ […] He [Simon] had to admit it. The old ape did have a point. (Great Apes, 294f.)
Die Funktion des Gesprächs über Sexualität scheint an dieser Stelle eindeutig. Selbst für Simon, der sich zum entsprechenden Zeitpunkt der Handlung von den polygamen Sexualpraktiken der Affenwelt abgestoßen fühlt, wird die wesentliche Verwandtschaft der Sexualität beider Spezies deutlich. Doch trotz des expliziten Bezugs, der an dieser Stelle zwischen Schimpansen und Menschen hergestellt wird, wäre es vorschnell, das hier inszenierte Bezugsverhältnis zwischen Affenperspektive und menschlicher Realität auf den gesamten Roman auszudehnen. Betrachtet man vielmehr das zweite angesprochene blending-Netzwerk zwischen Schimpansen- und Menschenperspektive, so zeigt sich, dass die textuellen und thematischen Aspekte, anhand derer die Ähnlichkeits- und Differenzverhältnisse zwischen beiden Spezies verhandelt werden, in mindestens drei unterschiedlichen Bezugsformen auftreten. Zunächst stellt die Affenperspektive in vielerlei Hinsicht eine satirische Inversion ihres menschlichen Gegenübers dar, deren Details teils der fiktionalen Ausgestaltung der entworfenen Textwelt und teils einer Anspielung auf die reale Welt dienen. Im Kontext der blending-Theorie vollzieht sich der Prozess der mentalen Verarbeitung hierbei in Form von Differenzen zwischen den input spaces, die jedoch als gegenseitige Bezugspunkte identifiziert und im generic space als solche festgehalten werden. Beispiel hierfür sind die bereits thematisierte Polygamie der Schimpansen sowie ihr durch Körpersprache geregeltes Sozialverhalten oder die strikt hierarchisch und patriarchalisch organisierte Struktur ihrer Gesellschaft, in der körperliche Gewalt sowohl im häuslichen als auch im öffentlichen Bereich eine entscheidende Rolle spielt.45 In all diesen Punkten unterscheidet ––––––––––––– 45 Die besondere Rolle von Sexualität und physischer Gewalt offenbart sich neben dem Verhalten der Affen auch in der Theraphie Simons: „Busner imagined […] that what would bring the former artist most forcefully back to his physical being would be those most
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sich die Affenwelt durch ein explizites und exzessives Ausleben dieser Charakteristika, die jedoch mittels satirischer Inversion problemlos als Kritik menschlichen Verhaltens interpretiert werden. Eine andere Form der Bezugnahme findet sich in einer Vielzahl weiterer Aspekte, die im utopisch verkehrten Teil von Great Apes gerade dadurch auffallen, dass sie eine überraschend deutliche Ähnlichkeit mit der Lebenswelt des Lesers aufweisen: die Architektur Londons, die organisatorische Struktur psychiatrischer Einrichtungen, die zerstörerische Kraft von Neid und Intrigen, die Existenz von Rassismus (im Roman ‚Bonoboismus‘) aber auch die Liebe von Eltern gegenüber ihren Kindern unterscheiden sich in Selfs Darstellung der Affenperspektive praktisch nicht von den uns bekannten Varianten dieser Phänomene.46 Mittels solcher direkter counterpart relations zwischen den inputs, die nicht in irgendeiner Weise umgedeutet werden müssen, werden derart die Unterschiede zwischen menschlichem und tierischem Blickwinkel im Text weiter eingeebnet und das Kontinuum perspektivischer Gemeinsamkeiten spielerisch ausgebaut. Doch neben diesen ähnlichkeitsbetonenden Bezugsformen findet sich in der Schimpansenperspektive eine dritte Klasse von Merkmalen, die nicht problemlos übertragen werden können, sondern in eine genuine Opposition zum menschlichen Voraussetzungssystem treten. Ein eindrückliches Beispiel hierfür findet sich im Thema des Kindesmissbrauchs, das im Roman anhand der Figur von Simons Freundin Sarah Peasenhulme inszeniert wird. Die ‚Logik‘ sexueller Kindesmisshandlung wird von Will Self dabei analog zu den übrigen Inversionen der Erzählung auf den Kopf gestellt: Im Affenuniversum, in dem radikale Polygamie die Norm darstellt, besteht sexuelle Misshandlung gerade darin, als Kind nicht in ausreichender Weise vom Familienoberhaupt sexuell begehrt zu werden. Sarah ist Opfer einer solch folgenschweren Missachtung, wird sich aber erst als Erwachsene im Gespräch mit ihrem Therapeuten Tom Hansen dieses Umstands vollständig bewusst: Up until this interview Sarah would have been incredulous and even angry to learn that she was what was denoted ‘an abused infant’, but once Tom Hansen began inparting her [sic!] quite how potentially damaging her alpha’s neglect had been, other pieces of the jigsaw began to fall into place. Her mother’s chronic diffidence […] that surely was a function of her own guilt over the way Harold Peasenhulme had neglected his eldest daughter, refused to give her the good mating every female requires from an alpha if she’s to grow up happy, well adjusted, comfortable with her very sense of femininity and simiousness. (Great Apes, 142)
––––––––––––– chimpmane activities, sex and violence.“ (Great Apes, 379) Tatsächlich wird diese Erwartung nicht enttäuscht: „[I]n a parody of Freudian transference, the breakthrough in Simon’s treatment comes when he and his therapist come to blows.“ (Armstrong 2008: 216) 46 Vgl. z. B. Great Apes (189, 207, 218, 354–355, 360–361, 379–382).
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Sarahs Versuch, mit ihren traumatischen Kindheitserfahrungen umzugehen, spiegelt die Probleme vieler menschlicher Betroffener, denn auch bei ihr gehen Missbrauch und Gewalt Hand in Hand: ‚Why, „hoo“ why, „hoo“ why can’t he beat me the way an alpha should‘, beklagt sie sich bei einem befreundeten Geistlichen, der sie darauf mehrfach begattet um sie zu trösten (146). Obwohl auch in dieser Situation eine für Great Apes geradezu ‚normale‘ Inversion von Normen vorliegt, besitzt die Szene dennoch eine andere (emotionale) Qualität. Dieser Umstand hat damit zu tun, dass die hier vorgenommene Verkehrung verbrecherischen Verhaltens gegenüber Kindern durch das Raster der bisher diskutierten Bezugsvarianten zwischen Affenund Menschenperspektive fällt. Die angesichts des Leids echter Missbrauchsopfer geradezu geschmacklos anmutende Darstellung von Gewalt und Vergewaltigung als einer erziehungsfördernden Maßnahme kann weder direkt auf das menschliche Voraussetzungssystem übertragen werden noch lässt sich darin eine klar ausgerichtete satirische Gesellschaftskritik erkennen. Anders als beim Thema der animalischen Komponenten im Sozialverhalten des Menschen stehen hier weder die moralische Verwerflichkeit von Kindesmissbrauch noch der Ablauf solcher Übergriffe zur Diskussion. Es geht auch nicht darum, unsere Vorstellungen von Kindesmissbrauch zu hinterfragen, oder darum, auf ein totgeschwiegenes Phänomen aufmerksam zu machen. Self inszeniert an dieser Stelle vielmehr einen Tabubruch, der auch bei der Rückprojektion auf die Menschenperspektive den Charakter eines Tabubruchs behält. Auf diese Weise kann für die Passage eine andere Wirkung auf die Rezeptionsemotionen des Lesers angenommen werden als bei den zuvor geschilderten Inversionsspielarten. Diese Meinung vertritt auch Cole Moreton in seiner Rezension des Romans: When Dykes wakes up to find a giant, furry beast in his bed, we are frightened with him. Later, that same chimp reveals to her psychoanalyst that she was abused as a child. The reader realises slowly, and with revulsion, that in the chimp world this means that she was not mated by her alpha (or father) on a regular enough basis. It is a nasty moment that pulls us back from the personified chimps and leaves us between worlds. (1997: 29)
Ob man sich mit Moreton von der Passage abgestoßen fühlt oder mit einer adoleszenten Freude am Überschreiten von Tabus reagiert, mag von der Persönlichkeit des Lesers abhängig sein. Unabhängig davon jedoch gehört das Thema des Kindesmissbrauchs – zusammen, beispielsweise, mit dem genüsslichen Verzehren von Fäkalien47 – zu denjenigen wenigen Gegebenheiten in Great Apes, die sich durch ihre klare Unvereinbarkeit mit ––––––––––––– 47 Vgl. z. B. Great Apes (307ff.).
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dem (gewöhnlichen) menschlichen Voraussetzungssystem auszeichnen; durch diese Besonderheit kommt ihnen rezeptionstheoretisch ein distinkter Status zu, der die entsprechenden Passagen in das Aufmerksamkeitsfeld des Lesers rückt. Auffällig ist hierbei ferner, dass die genannten Themen – (krankhaftes) Sexualverhalten und (perverse) Formen der Nahrungsaufnahme – wieder Bezug auf körperliche Charakteristika der Affenexistenz nehmen, sodass der Körper und seine Auswirkungen auf das Sozialverhalten als einziges thematisches Element in allen drei genannten Bezugsformen auftritt. Der Text inszeniert auf diese Weise den Aspekt des spezifisch Körperlichen mittels einer markanten Gleichzeitigkeit von Ähnlichkeit und Differenz zwischen den inputs der Menschen- und Schimpansenperspektive. So können zahlreiche Gemeinsamkeiten und satirische Referenzen im generic space verortet werden, während zugleich die partielle Inkompatibilität beider semantischen Räume als emergente Eigenschaft in den blend eingeschrieben wird. Dieses Zusammenspiel führt dazu, dass einerseits ein tiefes Verwandtschaftsverhältnis zwischen beiden Spezies suggeriert und andererseits die Existenz wesentlicher Unterschiede affirmiert wird. Durch das besondere Augenmerk, das der Roman auf die Illustration der individuellen und sozialen Bedeutung des Körpers richtet, wird die menschliche Perspektive ferner an ihre spezifische physische Grundlage geknüpft. Durch die Projektion der emergenten Bedeutung der Körperlichkeit im Affenuniversum auf die Denk- und Wahrnehmungsmatrix des Menschen entsteht ein besonders körperbetontes Bild des menschlichen Voraussetzungssystems. Dadurch, dass diese Projektion jedoch in die Inszenierung verschiedenartiger Bezugsformen zwischen Mensch und Affe eingebettet ist, werden beide Perspektiven gleichzeitig als idiosynkratrisch und voneinander isoliert dargestellt. Der in Great Apes vollzogene blend zwischen Affen- und Menschenperspektive kann damit als Versuch einer literarischen Ergründung menschlichen Denkens und Wahrnehmens verstanden werden, der sich in Anlehnung an Rolf Lohses „Überlegungen zu einer Theorie des Komischen“ (Lohse 1998) in Form eines spielerisches Auslotens und Sichtbarmachens von Grenzen vollzieht.48 Die blending operation führt nicht zur Emergenz eines stabilen Bildes. Stattdessen unterzieht sie das Konzept des menschlichen Voraussetzungssystems mittels verschiedener Inversionen und Transgressionen einer Art Überprüfung, wobei der utopisch-komische Charakter der Erzählung eventuelle Grenzübertritte verharmlost. Dies lässt sich anhand von Lohses Überlegungen zur Natur des Komischen als einer Transgressionsbewegung veranschaulichen: ––––––––––––– 48 Vgl. Julika Griem (2010: 300), die feststellt, dass „die allzu menschlich anmutenden Schimpansen [in Great Apes] Kippfiguren [bleiben], die uns immer wieder zwingen, unsere im Lektüreprozess mitgeführten anthropologischen Maßstäbe zu überprüfen“.
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Durch die Darstellung des nicht Normgemäßen wird die Grenze zum Normgemäßen immer wieder sichtbar. […] In diesem Sinne bezeichnet das Komische eine Art des lokalisierenden und korrigierenden Umgangs mit kollektiven individuellen Grenzziehungen. […] Das Komische macht Grenzen punktuell überschreitbar, greift sie ‚spielerisch‘ an, hebt sie aber nicht vollständig auf, sondern macht sie sichtbar und läßt ihren Verlauf erkennen. (Lohse 1998: 39f.)
Der „Funktionsmechanismus des Komischen“ besteht für Lohse damit in „einer transgressiven Grundstruktur“ (34), die als von Sanktionen befreiter sprachlicher Akt (vgl. 35) typische soziale „Werthaltungen und Geltungsansprüche umspielt“, und auf diese Weise die „Festigkeit von Grenzziehungen [erprobt], ohne die Grenzen nachhaltig zu verletzten“ (38). Ob Lohses Theorie das Phänomen des Komischen tatsächlich allgemeingültig erfasst, kann an dieser Stelle nicht entschieden werden.49 Zumindest für Selfs humoristisch-utopische Hinterfragung der menschlichen Perspektive sind seine Überlegungen jedoch erhellend. Zum einen weist die beschriebene Doppelfunktion des Komischen als einem simultanen Akt von Transgression und Bestätigung deutliche Übereinstimmungen mit der oben diskutierten Struktur des zentralen blends in Great Apes auf. Andererseits ergänzt Lohses Theorie die Analyse des Textes um den bisher kaum beachteten Aspekt der Funktion der komischen Elemente in Selfs Roman. Die auf Fauconnier und Turners blending theory gestützte Untersuchung der Interaktion von Affen- und Menschenperspektive erweist sich damit als kompatibel mit und komplementär zu einer Reihe anderer Herangehensweisen. Neben Loses Konzept stellen dabei insbesondere die im ersten Teil des Kapitels skizzierten Überlegungen zu Satire und Postmoderne einen unverzichtbaren Kontext für die literaturwissenschaftliche Betrachtung des Romans bereit. Hierauf aufbauend unterstreicht die vorgenommene Untersuchung die Bedeutung des Zusammenspiels von Ähnlichkeit und Differenz bei der konzeptuellen Integration verschiedener Vorstellungsräume. Zudem wird am Beispiel von Great Apes deutlich, dass bei der Verarbeitung komplexer Erzählungen verschiedene blending-Operationen nicht nur simultan ablaufen, sondern gegenseitig aufeinander Bezug nehmen. Auf diese Weise entstehen komplexe Netzwerkstrukturen, die es in einer gründlichen Literaturanalyse zu berücksichtigen gilt.
––––––––––––– 49 Vgl. dazu Preisendanz (1976: 156), der es angesichts der komplexen situativen, historischen und kulturellen Dimension des Komischen für unmöglich hält, eine verbindliche Theorie dieses Phänomens zu entwickeln.
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VI.4 Kohärenzbildung und konzeptuelle Integration in Penelope Livelys Moon Tiger (1987) Ähnlich wie Great Apes beschäftigt sich auch der im Folgenden betrachtete Roman der Schriftstellerin Penelope Lively mit der literarischen Verhandlung philosophisch-existenzieller Fragen, wobei auch hier die zentralen Figuren in einer multiperspektivisch gebrochenen Weise präsentiert und der Text programmatisch im Assoziationsbereich postmoderner Fragestellungen verortet wird. Anders als Selfs Erzählung stellt sich der Booker-PreisGewinner Moon Tiger dabei jedoch weder in die Tradition der Satire noch arbeitet er mit der Kontrastfolie nichtmenschlicher Perspektiven. Während der Fokus von Great Apes auf der spezifischen anthropologischen Verfasstheit des Menschen und ihren Grenzen liegt, widmet sich Livelys Roman stattdessen einer Inszenierung von historiographischer Metafiktion. Anhand der (Lebens)Geschichte seiner Protagonistin Claudia Hampton erkundet die Erzählung dabei die miteinander verwobenen Themen von Geschichte, Biographie, Erinnerung und Identität, wobei es zu einer scheinbaren Infragestellung dieser Kategorien kommt, die den Roman in einen postmodernen Kontext rücken.50 Wirft man jedoch einen genauen Blick auf das Zusammenspiel der Perspektiven in Moon Tiger, so zeigt sich, dass, wie in Great Apes, die mit ––––––––––––– 50 Der Begriff der Postmoderne zeichnet sich durch eine problematische Bandbreite divergierender Bedeutungen aus, die sich z. T. auf völlig unterschiedliche Gesichtspunkte beziehen. So sieht z. B. Lyotard (1984) die Essenz der Postmoderne in einer (epistemologischen) Skepsis gegenüber übergreifenden Metaerzählungen, während Jencks (1986) den (ästhetischen) Kern des Phänomens in der Kombination widersprüchlicher Stilelemente begreift. Jameson (1991) hingegen betrachtet die Postmoderne als eine (politisch-gesellschaftliche) Manifestation des Spätkapitalismus und für McHale (1992, 2002 [1986]) besteht das Kennzeichen postmoderner Literatur in der (thematischen) Dominanz ontologischer Fragestellungen. Eine weitere – und für dieses Kapitel wichtige – Begriffsbestimmung hat ferner Hutcheon (1988) vorgenommen, die historiographische Metafiktion als thematischen Kern postmoderner Werke bestimmt. Demnach verursachen postmoderne Texte mittels Betonung der konstruierten Natur von Geschichte und Fiktion eine Verwischung der Grenzen zwischen diesen Diskursformen und führen so zur Problematisierung von Konzepten wie ‚Geschichte‘, ‚Realität‘, ‚Fiktionalität‘, ‚Historiographie‘ und ‚Biographie‘ (zur Kritik dieses Ansatzes siehe z. B. Kotte 2001: 43–46 oder Nünning 1995, Bd. I: 285). Schon dieser Ausschnitt aus dem Spektrum theoretischer Positionen (für einen Überblick siehe Cahoone 2003; Nicol 2009 & 2002) wirft die Frage auf, ob eine einheitliche Begriffsbestimmung überhaupt möglich ist. Nach Meinung des Verfassers lässt sich jedoch, zumindest für den Kontext dieses Kapitels, das Leitmotiv der Destabilisierung von Bedeutung (mittels der Inszenierung von ‚Gegensätzlichkeit‘ und ‚Widersprüchlichkeit‘) als kleinster gemeinsamer Nenner extrahieren: „[P]ostmodernism is a contradictory cultural enterprise […]. It uses and abuses the very structures and values it takes to task.” (Hutcheon 1988: 106) Ohne einen generellen Gültigkeitsanspruch zu behaupten, soll diese an Hutcheon angelehnte Begriffsbestimmung im Folgenden angelegt werden.
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dem postmodernen Charakter des Textes verbundene Desintegration von Identität von einem gegenläufigen Prozess der Re-Affirmation unterlaufen wird. Der hier entwickelte Ansatz erweist sich dabei als hilfreicher Schritt zur Erkundung der entstehenden semantischen Räume und Projektionsprozesse bei der Textrezeption, da er in der Lage ist, die Aufmerksamkeit auf die sich im Hintergrund vollziehenden Bedeutungsoperationen zu lenken. In den vorhergehenden Romanbetrachtungen standen dabei insbesondere die Rekonstruktion abwesender sowie das Zusammenspiel inkompatibler Perspektiven im Brennpunkt der blending-Analyse. Bei der folgenden Untersuchung von Moon Tiger wird hingegen das Phänomen der Kohärenzbildung und die damit verbundene konzeptuelle Integration von Bedeutungsaspekten aus unterschiedlichen inputs besondere Beachtung erfahren. Dabei soll auch hier die Perspektivenanalyse nicht im ‚luftleeren‘ Raum vollzogen, sondern in bereits bestehende analytische und interpretatorische Kontexte integriert werden. Aus diesem Grund gilt es, zunächst einen Blick auf die Erzählstruktur sowie die Rolle historiographischer Metafiktion in Livelys Roman zu werfen. Historiographische Metafiktion und erzählerische Gestaltung Das thematische Zentrum des in kurzen, fragmentartigen Passagen erzählten Romans ist das Leben der 76 Jahre alten Protagonistin Claudia Hampton, die, tödlich an Krebs erkrankt, auf ein ereignisreiches Leben zurückblickt. Schon auf den ersten Seiten wird dabei deutlich, dass Moon Tiger sich bewusst im Kontext historiographischer Metafiktion situiert (vgl. Nünning 1995, Bd. 2: 306ff.). So erklärt die auf ihrem Sterbebett liegende Claudia schon im zweiten Paragraphen ihr Vorhaben eine ‚Weltgeschichte‘ zu verfassen: A history of the world. To round things off. […] The whole triumphant murderous unstoppable chute – from the mud to the stars, universal and particular, your story and mine. […] A history of the world, yes. And in the process, my own. The Life and Times of Claudia H. The bit of twentieth century to which I’ve been shackled, willy-nilly, like it or not. Let me contemplate myself, within my context: everything and nothing. […] fact and fiction, myth and evidence, images and documents. (Moon Tiger, 1)
Diese geradezu programmatischen Ankündigungen auf den ersten Seiten des Romans rücken die Erzählung nicht nur in den thematischen Kontext von Geschichte und Geschichtsschreibung, sondern es wird zudem die Vermutung geweckt, dass auf den nachfolgenden Seiten eine Revision der traditionellen Auffassung dieser Begriffe angestrebt wird. Dabei kommt
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insbesondere der Auflistung binärer Gegensatzpaare („fact and fiction“, „myth and evidence“, „images and documents“) eine deutliche Signalwirkung zu. Sie verweisen assoziativ auf das poststrukturalistische Projekt der Dekonstruktion, welches davon ausgeht, dass die (westliche) Kultur durch eine Einteilung in Gegensatzpaare konzeptuell geprägt ist, wobei jedem Paar eine interne Bewertungshierarchie zukommt (vgl. Klages 2006: 54f.).51 Indem Claudia verspricht, solch binäre Konzepte wie ‚Fakt‘ und ‚Fiktion‘ in gleicher Weise in ihre Weltgeschichte zu integrieren, spielt sie auf die dekonstruktivistische Praxis der Infragestellung solch verborgener kultureller Wertzuordnungen an, die auch im Kontext historiographischer Metafiktion eine wichtige Rolle spielen (vgl. Hutcheon 1988). Die „Zusammenstellung von Oppositionspaaren“ in Moon Tiger weist, mit den Worten Nünnings, damit „auf den hybriden Charakter der Geschichtsdarstellung in diesem Roman voraus, in dem die disparaten Elemente, die Claudia aufzählt, gleichberechtigt nebeneinander stehen“ (1995, Bd. 2: 307).52 Die besondere Aufmerksamkeit von Livelys Roman gilt dabei einerseits der Verknüpfung (individueller) Biographie und (allgemeiner) Geschichte sowie andererseits der In-Bezug-Setzung verschiedener subjektiver (Geschichts)Erfahrungen zueinander: „The collective past […] is public property, but it is also deeply private. We all look differently at it. […] The signals of my own past come from the received past. The lives of others slot into my own life […].“ (Moon Tiger, 2) Diese inhaltliche Ausrichtung wird nicht nur von einer Vielzahl daran anschließender metahistorischer Reflexionen begleitet, sondern zeigt sich auch in Form zweier Leitmetaphern, die nicht nur die zentralen Thesen von Claudias Überlegungen versinnbildlichen, sondern sich auch in der Erzählstruktur des Textes niederschlagen. Das erste dieser Sprachbilder – die Metapher des ‚Stapels ständig neu gemischter Karten‘ – bezieht sich auf den zeitlichen Ablauf geschichtlicher Begebenheiten und motiviert die a-chronologisch vorgehende Darstellung der Romanereignisse in Moon Tiger. ––––––––––––– 51 Zur Theorie und Praxis der Dekonstruktion vgl. Norris (2002) und Tyson (2006: 249–280). 52 Der Beginn von Moon Tiger erinnert außerdem entfernt an Rushdies postmodernen Klassiker Midnight’s Children (1981), der sechs Jahre zuvor den Booker Preis gewonnen hatte. Auch am Anfang dieses Romans blickt ein Protagonist – im Stadium (körperlichen) Zerfalls – auf eine bewegte Lebensgeschichte zurück, wobei Biographie und (offizielle) Geschichte programmatisch miteinander verwoben werden. Während Saleem, der Erzähler in Midnight’s Children, dabei als inoffizieller Chronist der Geschichte Indiens fungiert, scheint es in Moon Tiger, als würde Claudia mittels zahlreicher Bezüge auf historische Ereignisse (vgl. Nünning 1995, Bd. 2: 309) eine ähnliche Rolle für die (westliche) Geschichte des 20. Jahrhunderts übernehmen. Es wird sich jedoch zeigen, dass in Moon Tiger die Verschmelzung von Biographie und Geschichte – wie auch andere postmoderne Elemente des Romans – deutlich weniger konsequent inszeniert ist als in Rushdies Erzählung.
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There is no chronology inside my head. I am composed of a myriad Claudias who spin and mix and part like sparks of sunlight on water. The pack of cards I carry around is forever shuffled and re-shuffled; there is no sequence, everything happens at once. (Moon Tiger, 2)
Die zweite Leitmetapher besteht im mehrfach wiederkehrenden Bild des ‚Kaleidoskops‘ (vgl. 2, 3, 80). Dabei handelt es sich um eine Beschreibung der historiographischen Erzählstruktur von Claudias Weltgeschichte, die sowohl die Koexistenz von Erinnerungsfragmenten im Bewusstsein des erinnernden Subjekts (vgl. 10) als auch die polyphone Natur von Geschichte versinnbildlicht: „The voice of history, of course, is composite. Many voices; all the voices that have managed to get themselves heard. Some louder than others, naturally. My story is tangled with the stories of others […]; their voices must be heard also […].“ (5f.) Zusammen stellen ‚Kaleidoskop‘ und ‚Kartenspiel‘ die traditionelle Vorstellung von Geschichte als einer einzigen objektivierbaren Linie aufeinanderfolgender Ereignisse in Frage; sie illustrieren metaphorisch, dass Geschichtsschreibung maßgeblich vom Betrachtungsstandpunkt sowie der retrospektiven Auswahl und Anordnung von Begebenheiten determiniert ist (vgl. Nünning 1995, Bd. 2: 308).53 Um diese Leitgedanken historiographischer Reflexion nicht nur inhaltlich zu diskutieren, sondern sie auch stilistisch zu veranschaulichen, überträgt Moon Tiger beide Metaphern auf die Ebene der Erzählstruktur des Textes. Livelys Roman präsentiert sich als eine Folge von kurzen, teils fragmentähnlichen Passagen, die in a-chronologischer Anordnung erscheinen, und dabei nicht nur in unterschiedliche Erzählsituationen eingebettet sind, sondern auch aus der Sicht wechselnder Figurenperspektiven wiedergeben werden: „The text is divided into almost 200 passages, varying in length from a few lines to several pages, and nearly every passage contains a different point of view.“ (Ebel 2004: 301f.) Etwa ein Drittel der eher assoziativ als kausal verbundenen Szenen wird dabei von Claudia als homodiegetischer Erzählfigur wiedergegeben; im übrigen Roman hingegen fokalisiert ein ansonsten im Hintergrund verbleibender, heterodiegetischer Erzähler abwechselnd eine Reihe von Figurenperspektiven, zu denen sowohl Claudia als auch die übrigen Hauptfiguren des Romans gehören.54 Der daraus entstehende Effekt der Gebundenheit von Wahrnehmung und Erinnerung an den perspektivischen Standpunkt des Subjekts wird von einer weiteren Erzähltechnik zusätzlich intensiviert. So werden verschiedene Episoden mehrfach hintereinander geschildert, wobei sie jedes Mal aus der Sicht einer anderen Figur wiedergegeben werden (z. B. Moon Tiger, 9–12, 17–20, 43–46, 135–136, ––––––––––––– 53 Zur den Metaphern von Kartenspiel und Kaleidoskop bei Lively siehe Yvard (1989). 54 Für eine detailliertere Darstellung der Erzählstruktur in Moon Tiger sei auf Reinfandt (1997: 310–316) und, ergänzend, Ebel (2004: 302–307) verwiesen.
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190–193). Auf diese Weise entsteht ein distinkter Eindruck von Multiperspektivität, der zu den einprägsamsten erzählerischen Effekten des Romans gehört (vgl. Ebel 2004: 306f.), da er die Diskrepanzen zwischen einzelnen Figurenperspektiven auf markante Weise akzentuiert. Die experimentell anmutende formale Gestaltung des Romans verstärkt auf diese Weise die inhaltlichen und metaphorischen Reflexionen zur Geschichte und Geschichtsschreibung. Zusammen führen sie zu einer scheinbar demonstrativen Infragestellung traditioneller Konzeptionen von Begriffen wie ‚Subjekt‘, ‚Erinnerung‘, ‚Historiographie‘ und ‚Biographie‘. Angesichts dieser kunstreichen Verknüpfung experimenteller narrativer Form und historiographischer Metafiktion ist es daher nicht verwunderlich, dass zahlreiche literaturwissenschaftliche Stimmen sich für Interpretationen des Romans entschieden haben, die auf dessen postmoderne Gesichtspunkte abzielen. Ein typisches Beispiel hierfür ist Mary Moran, die feststellt: „Lively’s kaleidoscope technique effects an impression of the subjective, solipsistic way each human being encounters the world and suggests the lack of an objective meaning to reality.“ (1997: 104f.) Zu einer artverwandten Schlussfolgerung kommt ebenso Jackson (1999), der in der a-chronologischen Handlung des Romans eine ‚zumindest provisorische Zurückweisung‘ der konventionellen Vorstellung von Ursache und Wirkung sieht (vgl. 174). Schließlich spricht auch Raschke in diesem Kontext von einem „poststructuralist decentring“ und sieht Text und Leser als zerrissen „between a multitude of perspectives and a multitude of Claudias“ (1995: 125) – eine Situation, die der Protagonistin ihrer Meinung nach eine ‚polymorphe Identität‘ verleiht (ebd.). Claudia wird damit von Raschke gewissermaßen zu einer prototypischen postmodernen Figur erklärt, der eine stabile Identität vom Text verweigert wird.55 Diesem Urteil schließt sich auch Nünning (1995, Bd. 2: 311) an, der feststellt, dass die Hauptfiguren „nicht als einheitliche und feste Persönlichkeiten dargestellt [werden], sondern in einer facettenhaften, fragmentarischen und diskontinuierlichen Weise, die die These der Auflösung des festen Charakters im postmodernen Roman stützt“.56 ––––––––––––– 55 Raschke (1995) sieht in der polymorphen Inszenierung Claudias auch ein Mittel zur Überwindung traditioneller weiblicher Rollenmuster (vgl. 125) und reiht sich damit in den Chor von Stimmen (z. B. Burton 1996, Nünning 1995, Moran 1993), die Moon Tiger in einen feministischen Kontext rücken: „Moon Tiger […] not only provides a space for a woman in a discourse from which she has been previously excluded, but also confronts through its use of language and narrative frame the ideological structures that have made such an exclusion possible. […] The myth that relegates women to a place ‚outside history‘ because of women’s connection to the personal will simply not stand.“ (Raschke 1995: 117f.) 56 Vgl. zu dieser These Docherty (2002 [1991]). Zur Figur in der Postmoderne siehe ferner auch die einschlägige Monographie von Fokkema (1991).
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Solche Interpretationen werden von zahlreichen Kommentaren und Reflexionen im Text motiviert. So erklärt beispielsweise Claudia in Bezug auf ihren Liebhaber Jaspers und ihren Bruder Gordon: „In my head, Jaspers is fragmented: there are many Jaspers, disordered, without chronology. As there are many Gordons, many Claudias.“ (Moon Tiger, 10) Dennoch sind sowohl Claudias Aussage wie auch postmoderne Interpretationen, die der Protagonistin eine stabile Identität absprechen, bei einem genauen Blick auf den Text mit Vorsicht zu genießen. Dies wird besonders deutlich, nähert man sich dem Roman von einer rezeptionstheoretischen Seite her. Insbesondere eine die kognitiven Mechanismen der Textund Figurenrezeption beachtende Analyse ist dabei in der Lage, die Aufmerksamkeit auf den Umstand zu lenken, dass die hier in Szene gesetzten semantischen Destabilisierungsbewegungen nur eine Seite der sprichwörtlichen Medaille darstellen. Im Folgenden soll demonstriert werden, dass Moon Tiger, trotz allem postmodernen Gebaren, im Kern auf recht konventionellen Vorstellungen von Geschichte und Identität beruht. Dies macht Livelys Roman zu einem hervorragenden Beispiel, an dem sich illustrieren lässt, wie es bestimmten Texten rezeptionstheoretisch gelingt, den Eindruck semantischer Disparität zu inszenieren und dabei gleichzeitig zur Bildung konsistenter mentaler Modelle anzuregen. Dazu ist es jedoch notwendig, sich einige der in Kapitel IV und V diskutierten Mechanismen der Perspektivenrezeption und -interaktion nochmals detailliert in Erinnerung zu rufen. Kohärenzbildung und ‚Conceptual Integration‘ in Moon Tiger In Kapitel IV wurde gezeigt, dass Textrezeption prinzipiell mit der Bildung kohärenter mentaler Repräsentationen der geschilderten Begebenheiten und involvierten Figuren einhergeht (Situationsmodell, Figurenmodell). Diese mentalen Modelle beruhen nicht allein auf textuellen Informationen, sondern bedürfen der hinzutretenden Wissensstrukturen des Rezipienten sowie zahlreicher Inferenzen, wobei für das Textverstehen unmittelbar relevante semantische Lücken bevorzugt inferentiell ‚gefüllt‘ werden. Eine wichtige kognitive Disposition in diesem Kontext besteht darin, dass Aspekte oder Teilbereiche mentaler Repräsentation, zu denen (noch) keine Daten vorliegen, provisorisch mit Vermutungen angereichert oder bewusst vorläufig offen gehalten werden können (vgl. Cosmides/Tooby 2000: 59f.). Ein solches vorläufiges Abspeichern „under advisement“ (Zunshine 2006: 50) ist nicht nur ein allgegenwärtiges Phänomen der Textrezeption, sondern wird üblicherweise von der Erwartungshaltung begleitet, dass diese offenen Fragen im weiteren Verlauf der Lek-
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türe beantwortet werden. Bis zu diesem Zeitpunkt ist es jedoch prinzipiell möglich, verschiedene Figuren- und Handlungshypothesen gleichzeitig mental zu realisieren und über einen längeren Rezeptionszeitraum aufrecht zu erhalten (vgl. Cosmides/Tooby 2000: 59). Grundlegendes Prinzip bei der Verarbeitung von Erzähltexten ist dabei das automatisierte kognitive Bestreben, kausal und temporal stimmige Handlungsabläufe sowie kohärente Persönlichkeitsrepräsentationen zu bilden. „While expectations may be continually modified, and images continually expanded,“ so bereits Iser (1980: 58), „the reader will still strive, even if unconsciously, to fit everything together in a consistent pattern.“ Der ‚Drang‘ zur Kohärenzbildung charakterisiert das Textverstehen damit nicht nur auf der Satzebene, sondern gilt auch für übergreifende Textstrukturen wie mentale Modelle (vgl. Schnotz 2001: 159–161; Tapiero 2007). Werden vom Text neue Informationen geliefert, so müssen diese in die bestehenden Strukturen integriert, oder diese Strukturen modifiziert bzw. verworfen und neu (re)konstruiert werden. Dies bedeutet, dass selbst angesichts deutlicher textueller Inkonsistenzen oder Widersprüche dem Rezipienten eine Reihe von Mechanismen zur potentiellen Auflösung dieser Widersprüchlichkeiten zur Verfügung stehen. Es können beispielsweise zusätzliche erklärende Inferenzen gebildet, bestehende mentale Repräsentationen an neue Informationen angepasst oder gänzlich neue Interpretationen entworfen werden (vgl. Strasen 2008a: 212–216).57 Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass Kohärenzbildung in allen Fällen möglich ist. Es existieren zahlreiche Texte, die sich erfolgreich gegen die Auflösung von Widersprüchlichkeiten bzw. die Bildung stimmiger Zusammenhänge oder Figurenvorstellungen sperren. Die Informationsvergabe eines fiktionalen Textes kann zum Beispiel so organisiert sein, dass die Chronologie von Ereignissen, die Ursache und Wirkung von Begebenheiten oder die Motivation und Persönlichkeit fiktionaler Akteure sich nicht in eine konsistente mentale Repräsentation übertragen lassen.58 Tatsächlich stellt die bewusste Frustration solcher Repräsentationsversuche eine wirksame Textstrategie zur Offenlegung bzw. Betonung von ––––––––––––– 57 Der ‚Drang‘ zur Kohärenzbildung beschränkt sich selbstverständlich nicht auf automatisierte kognitive Prozesse der Bedeutungsbildung, sondern charakterisiert auch das darüber hinausgehende Rezeptionsverhalten des Lesers bzw. seine Erwartungshaltungen. Vgl. dazu etwa Dannenberg (2004): „The reader devours a narrative with the desire of being able to trace a causal-linear sequence of events through fictional time.“ (159; meine Herv.) 58 Man denke in diesem Zusammenhang z. B. an die Figurendarstellung in Pychons V. (1963) (vgl. dazu Fokkema 1991: 182). Ein weiteres Beispiel ist Coovers Kurzgeschichte „The Babysitter“ (1970). Hier wird die Aufmerksamkeit auf die Unmöglichkeit einer einheitlichen mentalen Repräsentation der Handlung (Situationsmodell) gelenkt, indem die Geschichte um eine Babysitterin in einer Folge derart widersprüchlicher Fragmente inszeniert wird „[that] no coherent storyline can liberate the bewildered reader“ (Dannenberg 2008: 216).
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Rezeptions- oder Sinnbildungsmechanismen dar: „Nur wenn Verstehensprobleme auftauchen, die mit automatisierten Prozessen nicht bewältigt werden können, wird sie [die Textverarbeitung] zum Gegenstand bewusster Reflexion und Kontrolle […].“ (Schnotz 2001: 160f.) Texte, bei denen es nicht gelingt, einen überzeugenden zeitlichen Ablauf, stimmige Kausalitätsbeziehungen oder holistische Figuren(Perspektiven) herzustellen, betonen damit die kognitiven Mechanismen der Bedeutungserzeugung, anstatt sie zu widerlegen.59 Zusammenfassend kann für die Rezeption von Texten jeglicher Art somit ein generelles kognitives ‚Streben‘ nach Kohärenz festgehalten werden, das von einer Reihe von Sinnbildungsstrategien funktionell umgesetzt wird. Dies bedeutet, dass auch disparate und widersprüchliche Informationen in einer Erzählung durchaus zur Bildung kohärenter mentaler Situations-, Figuren-, oder Perspektivenmodelle führen können – ein Sachverhalt, der sich hervorragend am Beispiel von Moon Tiger illustrieren lässt. Tatsächlich stellt der Roman aus rezeptionstheoretischer Sicht einen besonders interessanten Fall dar, da es hier sowohl zur Inszenierung von Disparität als auch zur Bildung kohärenter mentaler Modelle kommt. Wendet man sich zunächst dem Aspekt der Destabilisierung von Chronologie, Identität und Geschichte zu, dann zeigt sich, dass dieser Gesichtspunkt besonders anschaulich unter Rückgriff auf Fauconnier und Turners blending theory illustriert werden kann. Konzeptualisiert man die einzelnen Passagen in Moon Tiger als input spaces eines blending-Netzwerks, so wird deutlich, dass die Schwierigkeiten bei der Bedeutungsbildung mit dem Fehlen gegenseitiger Bezugspunkte zusammenhängen. Wie bekannt, geht conceptual integration mit dem automatischen Versuch einher, counterpart connections zwischen den inputs zu lokalisieren und in einen gemeinsamen generic space zu projizieren. Diese gewöhnlich automatisch ablaufenden Mechanismen werden durch den fragmentarischen Charakter, die a-chronologische Anordnung und insbesondere die verschiedenen Erzählsituationen der Einzelpassagen erheblich erschwert und damit aus dem Unbewussten in den Aufmerksamkeitsfokus des Lesers gerückt. Hinzu kommt, dass die entsprechenden Szenen und die Gedankenwelten der involvierten Figuren ebenfalls nur unvollständig vorliegen. Vor allem durch den sprunghaften Wechsel zwischen verschiedenen Orten und Zeitebenen führt dies beson––––––––––––– 59 Kann Konsistenz nicht auf der Handlungsebene bzw. innerhalb der fiktionalen Welt hergestellt werden, so besteht die Möglichkeit, die rezipierten Widersprüche auf einer Metaebene aufzulösen und dort als Metapher, Symbol, Gattungskonvention usw. zu deuten. Kohärenzbestrebungen beschränken sich, mit anderen Worten, nicht auf Text- und Handlungsverstehen, sondern es existieren darüber hinausgehende Sinnbildungsstrategien: „Even deconstructive readings, which widen rather than bridge textual gaps, often find some overarching theme or philosophical point in terms of which the discontinuities make sense.“ (Rabinowitz 1987: 45)
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ders am Anfang des Romans zu einer Situation, in der häufig nur wenige counterpart connections zwischen zwei aufeinanderfolgenden input spaces hergestellt werden können. Das Resultat besteht in der mentalen Repräsentation einer wachsenden Ansammlung bruchstückhafter semantischer Strukturen, die zunächst kaum Bezüge zueinander aufweisen und nur durch die Erwartung weiterer Informationen lose zusammengehalten werden. Damit kommt es zu einem Nebeneinander ‚unvollständiger‘ Figurenperspektiven, die mit Situationsmodellen verknüpft sind, welche keine unmittelbar erkennbaren kausalen oder chronologischen Beziehungen zueinander aufweisen. Indem der Prozess der Kohärenzbildung auf diese Weise erschwert wird, tritt der fragmentarische und a-chronologische Charakter des Textes in den Vordergrund der Leseerfahrung und trägt so zu der oben skizzierten Destabilisierung von Identität und Geschichtsdarstellung auf der inhaltlichen und metaphorischen Ebene des Romans bei. Gleichzeitig verweisen die metafiktionalen und historiographischen Reflexionen zusammen mit den Leitmetaphern des Kaleidoskops und des Kartenspiels auf die disparate und experimentell anmutende Erzählstruktur Moon Tigers. Form und Inhalt stützen sich auf diese Weise gegenseitig und betonen scheinbar die experimentelle Gestalt und revisionistische Thematik des Erzähltextes. Doch wie bereits erwähnt handelt es sich bei mentalen Modellen um grundsätzlicherweise ‚offene‘ Strukturen, deren semantischer Gehalt nicht nach einer gewissen Anzahl gelesener Seiten fixiert und für die übrige Lektüre unveränderlich festgehalten wird. Eine mentale Repräsentation von Situationen, Figuren und Perspektiven bleibt vielmehr während des gesamten Rezeptionsvorgangs prinzipiell modifizierbar und kann aufgrund eingehender Informationen beständig erweitert, verändert oder verworfen werden (vgl. Margolin 2007: 76; Schneider 2000). Dies führt in Moon Tiger beispielsweise zu einer kontinuierlichen inhaltlichen Anreicherung der involvierten mentalen Modelle. Mit jeder neuen Passage erhält der Rezipient ein weiteres semantisches Puzzlestück, mit dessen Hilfe eine Lücke im Persönlichkeitsbild einer der Hauptfiguren oder der zeitlichen Abfolge der erzählten Ereignisse geschlossen werden kann. Ein wesentlicher Faktor in Moon Tiger besteht dabei darin, dass die in den einzelnen inputs enthaltenen Informationen nahezu ausnahmslos einer der individuellen Figurenperspektiven des Romans zugeordnet werden können. Auf diese Weise treten unterschiedliche Darstellungen derselben Ereignisse nicht notwendigerweise in Widerspruch zueinander, sondern können mit den Persönlichkeitsstrukturen der involvierten Figuren korreliert und auf diese Weise wechselseitig relativiert werden.
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Ein Beispiel für diese Vorgänge stellt Claudias Beziehung zu ihrem Bruder Gordon dar, die sich wie ein roter Faden durch den Roman zieht. Zunächst nur undeutlich und schemenhaft erkennbar, werden Persönlichkeit und Beziehung der beiden Geschwister mit jeder weiteren relevanten Passage nach und nach deutlicher. Obgleich der Text nur Schnappschüsse aus dem langen Leben beider Figuren präsentiert, ist der Leser mittels Inferenzen und psychologischen Wissens (theory of mind, preference rules) zunehmend in der Lage, stimmige Figurenperspektiven zu entwerfen. Die ständigen Auseinandersetzungen zwischen den Geschwistern (vgl. Moon Tiger, 4, 5, 19, 184ff.) können auf diese Weise zum Beispiel als Ausdruck gegenseitiger Zuneigung enttarnt werden – eine Einsicht, die anderen Romanfiguren, wie beispielsweise Gordons Ehefrau Silvia, verschlossen bleibt. Selbst die zunächst so experimentell wirkenden Szenen des Romans, in denen eine Situation wiederholt aus verschiedenen Perspektiven wiedergegeben wird, wirken in diesem Kontext weniger verwirrend als vielmehr erhellend. Dies wird am Beispiel einer Taxifahrt gegen Ende des Romans deutlich, in der nacheinander Silvia, Claudia und der tödlich erkrankte Gordon intern fokalisiert werden: How can Claudia! Coming back at him like that when he’s so ill. Interrupting. Raising her voice. Typical Claudia. It’s appalling. When he’s … when he’s going to die. And the tears come welling up, spilling over, so that she [Silvia] has to turn to the window again and rummage for her hankie […]. “Rubbish!” says Claudia. It sounds vehement enough; it sounds almost as though she means it. Her eyes meet Gordon’s, and she sees that he is not fooled, but he goes on talking and she goes on talking and interrupting and beneath what is said they tell each other something entirely different. I love you, she thinks. Always have. More than I’ve loved anyone, bar one. […] I do not need to tell you, any more than you need to tell me. I have seldom even thought it. You have been my alter ego, and I have been yours. And soon there will be only me, and I shall not know what to do. […] His eyes meet Claudia’s. “Rubbish,” she says. […] And as she speaks he hears and sees a hundred other Claudias, going back and back, woman and girl and child. You, he thinks. You. There has always been you. And soon there will no longer be. He feels, beside him, Sylvia’s turned head, her shuddering shoulders. He reaches out and puts a hand on hers. It is the least he can do. And the most. (185f.)
Die Szene demonstriert, dass Multiperspektivität nicht notwendigerweise zu „erkenntnisskeptischen Positionen“ (Buschmann 1996: 268) führt. Die drei intern fokalisierten Perspektiven der wiedergegebenen Taxifahrt tragen vielmehr zur Ausgestaltung einer psychologisch realistischen Figurenvorstellungen von Claudia, Gordon und Silvia sowie der Bekräftigung der
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schon zuvor angedeuteten innigen Beziehung zwischen den Geschwistern bei.60 Silvias diskrepante Sicht der Ereignisse wird dabei als Fehlinterpretation diskreditiert und auf ihr Persönlichkeitsbild rückprojiziert. Der disparate Blick auf das Geschehen führt nicht zu semantischer Antinomie, sondern lässt sich organisch in bestehende mentale Repräsentationen integrieren. Gerade in Bezug auf die Figurenperspektiven des Romans mündet die multiperspektivische Erzählstruktur Moon Tigers so nicht in einem Nebeneinander inkompatibler Informationen. Vielmehr entstehen holistische Figuren- und Perspektivenvorstellungen in verschiedenen blends gerade durch die Kombination der input spaces, d. h. durch die selektive Projektion semantischer Strukturen aus einer Vielzahl disparater perspektivisch gefärbter Einzelpassagen. Wie schon in Jackie Kays Trumpet stützen sich auch in Livelys Erzählung die verschiedenen Perspektiven gegenseitig ab, anstatt sich zu relativieren.61 Obgleich zunächst der Eindruck erweckt wird, als würde die formale Gestaltung des Textes die Inhalte der metafiktionalen und historiographischen Reflexionen in Moon Tiger ästhetisch bekräftigen, so stellt sich dieser zunächst wirkungsvolle primacy effect allmählich als oberflächlicher Scheineffekt heraus. Anstatt revisionistischer Tendenzen kommt es nicht nur zur Entwicklung realistischer Handlungs- und Figurenkonzeptionen, sondern die Persönlichkeit der Protagonistin bildet zudem einen interpretatorischen Schlüssel, mit dessen Hilfe die Erzählung semantisch aufgeschlossen werden kann. Ist dieses Kernelement der Erzählung erst einmal enttarnt so entwirrt sich die Multiperspektivität und AChronologie Moon Tigers zu einem homogenen Werkganzen, das auf einem zentralen und eher konventionellen Leitthema gegründet ist: Die Macht der Liebe. Der thematische und strukturelle ‚Kern‘ des Romans Durch die Akkumulation von Informationen aus unterschiedlichsten Figurenperspektiven, die eher komplementär als widersprüchlich gestaltet sind, fügen sich die fast 200 Passagen in Moon Tiger wie Puzzlestücke zu einem vollständigen und realistischen Bild zusammen. Den zentralen An––––––––––––– 60 Passagen im Text deuten darauf hin, dass es in der Jugend von Claudia und Gordon zu einer inzestuösen Beziehung zwischen den Geschwistern kommt (vgl. Moon Tiger, 136–142, 187). 61 Damit soll nicht angedeutet werden, dass das Arrangement multipler Perspektiven automatisch zur Bildung kohärenter mentaler Repräsentationen führt. Es soll nur der weit verbreiteten Ansicht entgegengetreten werden, dass perspektivisch gebrochene Darstellungen automatisch zu einer Infragestellung des Dargestellten führen (vgl. Nünning/Nünning 2000b: 28f.). Zur Diskussion von Multiperspektivität siehe ferner Kapitel VI.6.
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satzpunkt für die Rekonstruktion des Gesamtbilds bildet dabei eine entscheidende Begebenheit in Claudias Biographie, die in Kapitel sechs bis zehn verhandelt wird. Diese Kapitel stellen nicht nur in etwa die Mitte des Romans dar, sondern zeigen sich auch in Bezug auf ihre perspektivische Gestaltung als auffällig. In einem deutlich wahrnehmbaren Kontrast zur Organisation des übrigen Textes kommt hier nahezu ausschließlich Claudias Perspektive zum Ausdruck (vgl. Ebel 2004: 304) – eine strukturelle und stilistische Besonderheit, die den außergewöhnlichen Status dieses Abschnitts signalisiert. So ist es nicht überraschend, dass sich in diesen Kapiteln, die Claudia als Kriegskorrespondentin im Ägypten des zweiten Weltkriegs zeigen, der thematische Kern ihrer Biographie und damit des Romans verbirgt. „Not even the most maverick historian would deny that the past rests upon certain central and undisputable facts. So does life; it has its core, its centre.“ (Moon Tiger, 70; meine Herv.) Das thematische ‚Herzstück‘ der Erzählung besteht in der tragischen Liebesgeschichte zwischen der Protagonistin und dem Soldaten Tom Southern. Unter der ägyptischen Sonne verlieben sich beide ‚unsterblich‘ ineinander und verbringen eine sehr intensive Zeit zusammen. Doch dann fällt Tom bei Kampfhandlungen in der Wüste und lässt eine schwangere und am Boden zerstörte Claudia zurück, die zu allem Unglück auch noch ihr Kind verliert. Der traumatische Verlust der Liebe ihres Lebens und des gewünschten Kindes hinterlassen tiefe Wunden in der Psyche der Protagonistin, der es danach nicht mehr gelingt, sich in gleicher Weise emotional auf andere Menschen einzulassen. Ihr gesamtes späteres Verhalten sowie die Beziehung zu ihren Liebhabern oder ihrer später geborenen Tochter Lisa sind vielmehr von den Erlebnissen in Ägypten bestimmt, obgleich keiner der Menschen um Claudia etwas von dieser Episode ihres Lebens ahnt.62 Dies führt zu Missverständnissen, Fehlinterpretationen sowie dem Eindruck unmotivierten Verhaltens bei der Protagonistin. Ein typisches Beispiel hierfür ist eine Szene, in der Lisa als kleines Mädchen einen Ring findet, damit zu spielen beginnt und auf diese Weise eine heftige Reaktion ihrer Mutter auslöst. Während das Kind diese Reaktion nicht versteht, ist dem Leser hingegen aus vorhergehenden Passagen bewusst, dass der Ring ein Geschenk Toms darstellt und Claudia schmerzhaft an ihren Verlust erinnert (vgl. 110, 124f.). Auch an weiteren Stellen reagiert die Protagonistin anderen gegenüber verschlossen und enigmatisch. Als Lazo, eine Art Ziehsohn Claudias, sie an ihrem siebzigsten Geburtstag auf ein altes Kriegsfoto anspricht, löst er eine solche Reaktion aus: ––––––––––––– 62 Vgl. Moon Tiger (70): „I arrived in Egypt alone in 1940; I was alone when I left in 1944. When I look at those years I look at them alone. What happened there happens now only inside my head – no one else […] knows the sequence of events. There is another voice, but it is one that only I hear. Mine – ours – is the only evidence.“
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“So who took the photograph?” he says. “Which of the handsome officers? Who is it you are smiling at so beautifully?” She is smiling now, she has the look of the girl in the photograph, now in the dim warm light of the restaurant, but as he speaks the smile is switched off and she becomes another Claudia – oh, a Claudia he knows all too well – tart dismissive Claudia, and she says, “I forget,” and turns to Lisa to ask about the grandsons […]. (192)
Wie diese Szene exemplarisch illustriert, wirkt Claudias Verhalten auf die anderen Figuren des Romans oft hochmütig, launig und unnahbar. Insbesondere die Beziehung zu ihrer Tochter Lisa zeichnet sich durch einen auffälligen Mangel an Wärme und Nähe aus. Während dieser Charakterzug auf die übrigen Figuren verletzend oder irritierend wirkt, ist der Leser aufgrund seiner privilegierten Einsicht in die Gesamtheit der Figurenperspektiven in der Lage, Claudias Verhalten als psychologischen Schutzmechanismus zu deuten. Aus zahlreichen input spaces entsteht so ein emergentes Gesamtbild ihrer Persönlichkeit, dessen wesentlicher Kern im unwiederbringlichen Verlust der einzigen wirklichen Liebe ihres Lebens besteht. Nahezu der gesamte Roman vor und nach den Szenen in Ägypten bezieht sich vorausdeutend oder rückblickend in direkter oder indirekter Weise auf dieses Erlebnis und seine Folgen. Der Text entwirft damit ein tiefromantisches Bild von der zentralen Bedeutung ‚wahrer‘ Liebe im Leben eines Menschen. Moon Tiger, erklärt Margaretta Jolly (2000: 67), „turn[s] out to be, underneath, the same old romance.“ Angesichts eines solchen thematischen Kerns im Wesen der Protagonistin und ihrer Biographie relativiert sich der scheinbar postmoderne Charakter der Erzählung und untergräbt damit auch die historiographischmetafiktionalen Aspekte des Romans (vgl. Jolly 2000: 71f.).63 Nachdem die Erzählstruktur zunächst die verbale Infragestellung traditioneller Konzepte der Geschichtsschreibung formal zu inszenieren scheint, fügen sich die verschiedenen Erzählfäden jedoch gegen Ende zu einem geordneten Bild der Abfolge kausal miteinander verknüpfter historischer und persönlicher Ereignisse im Geist des Rezipienten zusammen. Anders als anfangs angedeutet nimmt die Erzählung dabei ferner keine Dekonstruktion der Dualität von öffentlicher und privater Geschichte vor. Weder die weltpolitischen Ereignisse, in die Claudia während ihres Lebens verwickelt wird, noch deren offizielle Darstellung wird im Roman in Frage gestellt. Stattdessen werden diese Aspekte zugunsten der individuellen Erlebnis––––––––––––– 63 Vgl. hierzu Heinen (2002: 254), nach der von der Warte einer poststrukturalistischen Narratologie aus „die Vorstellung einer festen Struktur und einer übergeordneten, zentrierten Bedeutung […] eine konservative Denkfigur“ darstellt. Zum postmodernen Charakter von Moon Tiger vgl. ferner Reinfandt (1997: 326ff.), der den Roman nicht im Kontext einer postmodernen Unterminierung der erzählten Wirklichkeit, sondern in „der Tradition ‚modernistischer‘ Erzählmodelle“ sieht.
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dimension des Subjekts im Strudel geschichtlicher Ereignisse ausgeblendet. Anstelle einer Hinterfragung historiographischer Prozesse oder der offiziellen Version wichtiger Ereignisse inszeniert Moon Tiger vielmehr ein profundes Desinteresse an solchen Fragestellungen: […] So far as public matters go – history – there is plenty. Most of it is in print now; all those accounts of which general comes out of it best, who had how many tanks, who advanced where at which point and why. I’ve read them all; they seem to have little to do with anything I remember. From time to time I quarrel with a fact – a name or a date; mostly they just don’t seem relevant. (Moon Tiger, 70; meine Herv.)
Geprägt von ihrem privaten Verlust, der das Zentrum ihrer eigenen Biographie darstellt, avanciert Claudia zur Vertreterin eines Geschichtsverständnisses, das sich einzig für die private Dimension geschichtlicher Ereignisse und ihrer persönlichen Relevanz interessiert: This, you see, is the point of all this. Egocentric Claudia is once again subordinating history to her own puny existence. Well – don’t we all? […] what I am doing is to slot myself into the historical process, hitch myself to its coat-tails, see where I come in. (29)
Diese historiographische Wende zum Persönlichen in Livelys Roman impliziert jedoch keine postmoderne Destabilisierung von Geschichte oder Geschichtsschreibung. Wie schon zuvor in Bezug auf die Identität und Biographie der Protagonistin besteht eine deutliche Diskrepanz zwischen dem emphatisch vertretenen Gestus des Romans und der entstehenden mentalen Repräsentation von Handlung und Figuren.64 Diese bleiben weder fragmentarisch noch zeitlich ungeordnet und stellen eine semantische Gegenbewegung dar, die jedoch von der kunstvollen Kombination aus historiographischen Kommentaren, multiperspektivischer Erzählstruktur und eindrucksvollen Leitmetaphern weitgehend überspielt wird. Eine rezeptionstheoretisch ausgerichtete Analyse, die das Augenmerk auch angesichts inszenierter Disparität auf die kognitiven Prozesse der Kohärenzbildung richtet, ist gleichwohl in der Lage, die Aufmerksamkeit auf diese sich ‚im Hintergrund‘ vollziehenden Vorgänge der Bedeutungsintegration zu ––––––––––––– 64 Ein ähnliches Urteil kann auch zu den feministischen Aspekten Moon Tigers abgegeben werden, die von Autoren wie Raschke (1995), Nünning (1995: 315) oder Moran (1993: 125–127) betont werden. So stellt Jolly (2000: 71) treffend fest: „[Moon Tiger] is thus only superficially allied to the feminist politicising both of the personal and of historiography. It serves instead to conflate the public with the life of an outstanding individual [Claudia] in the most traditional terms of liberal individualism.“ Auch in Bezug auf das Verhältnis der Geschlechter selbst bemerkt Jolly: „[…] the opposition between feminine and masculine [is] never really attacked.“ (ebd.) Stattdessen funktionalisiere der Roman die Liebe als Antwort auf postmoderne Fragmentation (72) und suggeriere angesichts der tiefen Verbundenheit von Tom und Claudia „heterosexual love between enlightened individuals“ als Lösung „to the conundrums of the binary of gender“ (ebd.). Vgl. zu diesem Thema auch Reinfandt (1997: 318; 320f.).
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lenken. Auf diese Weise können vereinfachende postmoderne Lesarten des Romans zugunsten eines komplexeren Bildes überwunden werden. Zusammenfassend kann Moon Tiger auf der Basis der vorausgehenden Überlegungen als eine nachdrückliche Inszenierung geschichts- und identitätsphilosophischer Fragen bestimmt werden, deren kritischer Charakter jedoch durch die implizite Projektion romantischer Lebensvorstellungen und kohärenter Identitätskonzepte unterminiert wird. Livelys Roman ist damit nicht nur in seiner Bedeutungsstruktur zweigeteilt oder gar zwiespältig, sondern kann ferner als Beispiel dafür dienen, dass der Eindruck von Multiperspektivität weniger mit der tatsächlichen semantischen Funktion der jeweiligen Darstellungstechnik zu tun hat als mit dem rezeptionsbezogenen Bewusstwerden der Notwendigkeit, Informationen perspektivenbezogen zuordnen zu müssen. Das multiperspektivische Erzählen in Moon Tiger ist, mit anderen Worten, aus einer rezeptionstheoretischen Perspektive nicht primär an die Frage geknüpft, ob die verschiedenen Versionen der wiederholt dargestellten Szenen semantisch komplementär oder kontradiktorisch zu einander stehen. Entscheidend scheint vielmehr, dass der perspektivisch gebrochene Status der gelesenen Inhalte aus der sich automatisch vollziehenden Ebene der Textverarbeitung heraus ins Aufmerksamkeitsfeld des Rezipienten tritt. Überlegungen wie diese rechtfertigen eine kritische Überprüfung bestehender Definitionen von Multiperspektivität, die üblicherweise weniger auf rezeptionstheoretischen Überlegungen, sondern der Festlegung textueller Kriterien basieren. Bevor sich die vorliegende Arbeit jedoch genau dieser Aufgabe in Kapitel VI.6 zuwendet, soll die Aufmerksamkeit zunächst einem weiteren Roman, Zadie Smiths On Beauty (2005), gelten. Auch dieser Text wird sich als Anschauungsbeispiel dafür erweisen, dass der Eindruck einer mehrperspektivischen Darstellung aufs engste mit der Frage textueller Aufmerksamkeitslenkung verbunden ist. Diese vollzieht sich in Smiths Roman in Form einer Doppelbewegung, bei der zunächst Differenzen zwischen den Figurenperspektiven etabliert und dann durch das Hinzutreten von Parallelen zwischen denselben Perspektiven in Frage gestellt werden. Da On Beauty eine völlig andere Erzählsituation aufweist als Moon Tiger, veranschaulicht die folgende Analyse ferner, dass die Strategien der Hervorhebung perspektivischer Aspekte unterschiedlichste Formen und Funktionen annehmen können. Eine Klassifizierung typischer Perspektivenstrukturen, wie dies z. B. von Nünning/Nünning (2000c: 66ff.) vorgenommen wird, ist daher im Kontext dieser Untersuchung nur bedingt hilfreich, da die Frage der Semantik der jeweiligen Konfiguration stark von Aspekten wie der Aufmerksamkeitslenkung abhängt. Ähnliche Anordnungen von Figurenperspektiven besitzen damit das Potential, multiple per-
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spektivenbezogene Funktionen zu übernehmen. Diese an sich wenig überraschende Einsicht scheint jedoch einigen allgemeinen Assoziationen und Präferenzen zum Thema ‚Perspektivität‘ zu widersprechen. Dies wird sich auf den folgenden Seiten in den einleitenden Bemerkungen zur Analyse von On Beauty zeigen, die aus Gründen der thematischen Kontextualisierung der Romanuntersuchung mit einer (längeren) Reflexion der allgemeinen Funktionszuschreibung mehrperspektivischer Darstellungen beginnt.
VI.5 Die Dialektik der Aufmerksamkeitslenkung in Zadie Smiths On Beauty (2005) Es gibt nur ein perspektivisches Sehen, nur ein perspektivisches ‚Erkennen‘; und je mehr Affekte wir über eine Sache zu Worte kommen lassen, je mehr Augen, verschiedne Augen wir uns für dieselbe Sache einzusetzen wissen, umso vollständiger wird unser ‚Begriff‘ von dieser Sache, unsre ‚Objektivität‘ sein. (Nietzsche 1988, Bd. 5: 365)
Spätestens seit die Philosophie des Perspektivismus die erkenntnistheoretische Gebundenheit des Menschen an seine eigene Position in der Welt nachhaltig in das philosophische und kulturelle Bewusstsein gerückt hat, neigen wir dazu, einseitigen Darstellungen oder Annäherungen an einen Sachverhalt mit einem erhöhten Maß an Skepsis zu begegnen. Auch wenn die meisten von uns akzeptieren, dass der Traum absolut objektiver Erkenntnis wissenschaftsphilosophisch längst ausgeträumt ist, so scheint uns doch tendenziell ein Untersuchungsgegenstand als umso ‚zuverlässiger‘ erfasst, „je mehr Augen“ wir für „dieselbe Sache einzusetzen wissen“. Dieser Gedanke manifestiert sich in zahllosen Bereichen der Gesellschaft vom wissenschaftlichen Ideal fächerübergreifenden Forschens über die journalistische Aufarbeitung von Fernsehdokumentationen bis hin zur juristischen Praxis, in strittigen Fällen möglichst viele Zeugenaussagen einzuholen. Die einzelne Stimme oder Perspektive hingegen gerät in solchen Kontexten aufgrund ihrer Subjektivität gewissermaßen unter den Generalverdacht potentieller Eingeschränktheit oder Unzuverlässigkeit. Nur durch die Kombination verschiedener Sichtweisen scheint es zumindest näherungsweise möglich, die unumgängliche Begrenztheit jeder einzelnen Perspektive zu überwinden bzw. die perspektivische Einfärbung ihrer Inhalte zu enttarnen und damit in einer Objektivierungsbewegung zu überschreiten. Dementsprechend kann es nicht überraschen, dass auch in der Literatur multiperspektivische Erzählungen häufig dazu dienen, den begrenzten, subjektiven Charakter individueller Perspektiven hervorzuheben oder den
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Eindruck der umfassenden Darstellung eines erzählerischen Gegenstandes eben dadurch zu vermitteln, dass dieser von unterschiedlichen Seiten aus beleuchtet wird. Der dabei zum Ausdruck kommende erkenntnistheoretische Skeptizismus gegenüber der perspektivischen Begrenztheit des Menschen wird so häufig zum literarischen Authentizitätssignal einer ‚wahrhaftigen‘ Darstellung,65 während auf der anderen Seite „der Typus des IchErzählers“ sich nach Menhard (2009: 50) besonders gut zur Inszenierung von „unreliability [eignet], da er immer aus seiner notwendigerweise limitierten, mitunter auch stark subjektiv eingefärbten Perspektive erzählt“.66 Die bisher analysierten Beispieltexte bestätigen einerseits diese Beobachtungen, indem sie sich weitgehend jenen basalen Denkbewegungen bzw. Inszenierungstendenzen zuordnen lassen;67 gleichzeitig verdeutlichen sie jedoch auch, dass die textuelle Betonung von Perspektivität das Potential besitzt, mehr als jene Grundfunktionen zu erfüllen. Gestützt wird diese Beobachtung von der allgemeinen theoretischen Einsicht, dass spezifische Textstrukturen nicht an eine (einzige) Funktion oder semantische ‚Botschaft‘ geknüpft sein können, da es in Texten keine festen „eins-zueins Korrelationen von Formen und Funktionen im Sinne eines form-tofunction mapping“ gibt (vgl. Nünning/Nünning 2000b: 31). Auch für die Akzentuierung einzelner oder mehrerer Figurenperspektiven gilt damit Meir Sternbergs ‚Proteus-Prinzip‘, nachdem „[…] in different contexts […] the same form may fulfil different functions and different forms the same function“ (1982: 148). 68 Vergegenwärtigt man sich außerdem die Dynamik und Kreativität von blending-Operationen, so wird deutlich, dass eine Perspektivenkonstellation nicht nur in der Lage ist in verschiedenen Kontexten unterschiedliche Funktionen einzunehmen, sondern dass es schon innerhalb eines einzigen Kontexts zur Entstehung mehrerer (divergierender) Bedeutungslinien mit jeweils distinkten Funktionen kommen kann. In den bisherigen Textbeispielen wurde z. B. deutlich, dass die Inszenierung ––––––––––––– 65 Dies gilt (mit Einschränkung) auch für postmoderne Darstellungskontexte, in welchen der inszenierte Zerfall klarer Bedeutungsstrukturen häufig als eine der modernen Welt angemessenere, d. h. gewissermaßen ‚authentischere‘ Form des Erzählens verstanden wird. 66 Vgl. dazu Allrath (2005: 104), die feststellt, „[that] most unreliable narratives are narrated monoperspectively“. Ein solcher Trend impliziert jedoch nicht, dass in multiperspektivischen Romanen nie unzuverlässige Erzähler auftreten. Vgl. dazu auch Allrath/Surkamp (2004). 67 Haddon nutzt z. B. eine homodiegetische Erzählsituation, um Christophers autistische und gewissermaßen unzuverlässige Perspektive zu porträtieren; Kay verwendet eine dezidiert mehrperspektivische Erzählstruktur für ihre differenzierte Darstellung von (gender) passing; und Livelys Moon Tiger verbindet beide Aspekte mithilfe eines konstanten Wechsels von homo- und heterodiegetischer Erzählsituation; dadurch akzentuiert sie einerseits die Begrenztheit der einzelnen Figurenperspektiven und entwirft andererseits durch deren Kombination ein umfassenderes, authentisch wirkendes Gesamtbild von Handlung und Figuren. 68 Zu den Funktionen mehrperspektivischen Erzählens vgl. Nünning/Nünning (2000b: 29ff.).
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von Divergenz häufig von einem gleichzeitigen Auftreten gegenläufiger semantischer Integrationsoperationen begleitet wird. Geraten jedoch bei der Rezeption zwei derartig entgegengesetzte semantische Prozesse simultan in den Aufmerksamkeitsbereich des Lesers, so kommt es zu außerordentlich komplexen und kreativen konzeptuellen Integrationsoperationen, in denen die dynamische Vielschichtigkeit der Perspektiveninteraktion auf besonders markante Weise zum Ausdruck kommt. Ein literarischer Text, an dem sich eine semantische Doppelbewegung dieser Art sowie die Multifunktionalität einer mehrperspektivischen Erzählstruktur besonders anschaulich demonstrieren lässt, ist Zadie Smiths On Beauty (2005). Wie sich zeigen wird, kommt es in diesem Roman zur gleichzeitigen Akzentuierung von widersprüchlichen Differenz- und Analogiebeziehungen innerhalb der Perspektivenstruktur, die auf solche Weise zu einer Art dialektischem Prozess der Bedeutungsbildung führen. Der entstehende Widerspruch wird dabei weder ignoriert noch aufgelöst, sondern auf einer ‚höheren‘ Ebene im blended space zu einer emergenten Struktur verknüpft, die semantisch über die Summe ihrer Einzelteile hinausgeht. Die Inszenierung multipler Figurenperspektiven in On Beauty (2005) wird so zu einer besonders interessanten Variante perspektivischen Zusammenspiels, die sich zudem in einem überraschend konventionellen Stil erzählerischer Vermittlung vollzieht. Anders als in den vorhergehenden Analysebeispielen wird der Eindruck von Multiperspektivität in Smiths Roman weder auf der Basis wechselnder oder experimentell wirkender Erzählsituationen noch auf einer sonst irgendwie strukturell außergewöhnlich erscheinenden Erzählweise gegründet. On Beauty weist stattdessen mit einer realistischen Handlung und einer einzigen heterodiegetischen, ‚allwissenden‘ Erzählinstanz, von deren Standpunkt aus die verschiedenen Figuren intern fokalisiert werden, eine eher traditionell anmutende Erzählsituation auf.69 Dennoch wird sich zeigen, dass auch diesem Text eine dialektische Inszenierung von Differenzund Analogiebeziehungen zwischen den Figurenperspektiven gelingt, deren emergenter semantischer Gehalt die zugrundeliegenden inputs weit übersteigt und dabei diverse semantische Funktionen erfüllt. Das Figurenensemble in Smiths On Beauty Wie bereits in ihrem Debütroman White Teeth (2000) legt Smith mit On Beauty einen Text vor, dessen erzählerische Aufmerksamkeit weniger einer stringenten Kette von Ereignissen gilt als einem bunt gemischten Ensem––––––––––––– 69 Vgl. Paproth (2008: 10, 24) und Sommer (2007: 185ff.).
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ble (ethnisch) diverser Figuren, die versuchen, mit sich und der Welt zurecht zu kommen (vgl. Paproth 2008: 14ff.). Im Zentrum dieses Figurenspektrums stehen zwei verfeindete Familien, die Belseys und die Kipps, deren komplexes Aufeinandertreffen die Handlung des Romans entscheidend vorantreibt. Mit dieser Grundstruktur lehnt sich die Erzählung in intertextueller Weise an Forsters Howards End (1910) an.70 Dessen thematischer Mittelpunkt wird ebenfalls von zwei sich ideologisch und moralisch diametral gegenüberstehenden Familien gebildet, wobei beide Romane die mannigfaltigen Schwierigkeiten thematisieren, die sowohl Individuen als auch soziale Verbände wie Familien auf der Identitätssuche zu überwinden haben (vgl. Karschay 2007: 212): “[B]oth narratives examine the vexed issue of establishing identities in an ever more complex world. Forster’s novel is concerned with the formation of a new English, i.e. national, identity, whereas On Beauty is about the negotiation of individual identities in a multicultural society.” (201)
Smith verlagert die auf dieser Grundthematik aufbauende Handlung des Romans in die fiktive Universitätsstadt Wellington im Großraum Boston, wobei die erzählerische Aufmerksamkeit abwechselnd den wichtigsten Mitgliedern der genannten Familien gilt. Auf diese Weise entspinnt sich ein mehrsträngiger, in sich verwobener Handlungsverlauf, der von einem ‚allwissenden‘ heterodiegetischen Erzähler vermittelt wird. Hierbei wird dem Rezipienten durch die Präsentation der unterschiedlichen Persönlichkeiten und Weltbilder der fokalisierten Figuren eine Fülle verschiedener Blickrichtungen und Einstellungen zu den erzählten Ereignissen angeboten. Derart kommt es zu einer effektiven Ausdifferenzierung der Erzählwelt in ein breites Spektrum von Figurenperspektiven, die sich vor allem in ihren impliziten Voraussetzungssystemen massiv voneinander unterscheiden – ein Umstand, der geradezu programmatisch in den Mitgliedern der Familie Belsey zum Ausdruck kommt. Die Belseys, bestehend aus Vater Howard, Mutter Kiki, der Tochter Zora und den Söhnen Jerome und Levi, bilden eine ethnisch gemischte, liberale und gebildete Mittelklassefamilie, deren Mitglieder sich trotz ihrer engen Verwandtschaft in ihrer Persönlichkeit deutlich voneinander unterscheiden.71 Howard ist ein intellektueller und von post-strukturalistischen ––––––––––––– 70 Neben Parallelen im Text der Romane signalisiert Smith den intertextuellen Bezug zu Howards End sowohl in der On Beauty vorausgehenden Danksagung als auch im ersten Satz des Romans, der eine wiedererkennbare Adaption des Eröffnungssatzes bei Forster darstellt. Zum Verhältnis beider Texte vgl. auch Heinen (2009), Tynan (2008) und Karschay (2007). 71 Die interne Heterogenität der Belseys kommt signalhaft bereits in der ethnischen Vielfalt der Familienmitglieder zum Ausdruck: Howard, der Familienvater, ist ‚weiß‘ und von englischer Herkunft, während die Hautfarbe seiner Frau Kiki, einer gebürtigen Amerikanerin, ‚schwarz‘ ist und ihre gemeinsamen Kinder dementsprechend eine gemischte ethnische Herkunft aufweisen. Die Bedeutung der Hautfarbe der Belseys wird dadurch untermauert, dass die Dis-
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Thesen überzeugter ‚weißer‘ Universitätsprofessor englischer Herkunft, dem es nicht gelingt seine skeptischen akademisch-theoretischen Überzeugungen mit seinen privaten Handlungen und Wünschen in Einklang zu bringen (vgl. Anjaria 2008: 38). Kurz vor Einsetzen der Handlung wird er von seiner Frau Kiki bei einer außerehelichen Affäre erwischt und sieht sich so zu Beginn des Romans mit dem potentiellen Zerbrechen seiner Ehe konfrontiert. Kiki, eine forsche Afro-Amerikanerin „from […] Florida country stock“ (On Beauty, 8), die angesichts der Untreue ihres Mannes damit beginnt, ihr Leben und ihre Ehe zu hinterfragen, ist eine völlig andere Persönlichkeit. Sie ist eher praktisch als intellektuell veranlagt und ihr Problem liegt nicht in einem Widerstreit von Theorie und Praxis, sondern sie gerät in eine emotionale Krise, da sie nicht sicher ist, wie sie sich angesichts der Affäre ihres Mannes verhalten soll, und inwiefern diese im Zusammenhang mit ihrem fortschreitenden Alter und zunehmendem Übergewicht steht. Doch nicht nur das Leben der beiden Ehepartner befindet sich in einer Phase der schmerzhaften Reorientierung: „Meanwhile, their […] kids have to struggle through all the illusions, delusions, and obstacles which Smith, a true expert in sympathetic […] portrayals of the sad experience of growing up, throws at them […].“ (Sommer 2007: 184) Dabei weisen auch die Kinder der Belseys radikal verschiedene Persönlichkeiten auf und ermöglichen es dem Text dadurch, ein breites Spektrum an adoleszenten Identitätsfindungsversuchen zu porträtieren. So verbirgt beispielsweise die intelligente aber mit ihrem Aussehen unzufriedene Zora ihre jugendlichen Komplexe hinter einer aggressiven Intellektualität und studentischen Strebsamkeit, während das Verhalten ihrer Brüder eher von dem Bestreben geprägt ist, sich von den Eltern abzugrenzen. Jerome, der älteste der Geschwister, wendet sich in diesem Kontext der Religion zu, wodurch er als ‚neugeborener‘ Christ den Status eines religiösen Außenseiters in der ansonsten atheistischen Familie einnimmt, während die Rebellion seines fünfzehnjährigen Bruders Levi eine ganz andere Richtung einschlägt. Er fühlt sich am stärksten durch seine gemischte ethnische Herkunft verunsichert und begehrt gegen das ‚weiße‘ akademische Mittelschichtmilieu seines Elternhauses auf. Seine jugendliche Emanzipationsstrategie besteht darin, sich der ‚schwarzen‘ Unterschicht zuzuwenden und sich als „hip hop activist“ (Sommer 2007: 184) neu zu erfinden, indem er sich seinen Freunden gegenüber als arm ausgibt, einen falschen Akzent zulegt und sich für die po––––––––––––– kussion von Multikulturalität und (ethnischer) Identität einen zentralen Aspekt des Romans darstellt: „Much of the ongoing debate concerning the theme of identity in Smith’s On Beauty can be read as a confrontation between different epistemologies that inform conflicting ways of understanding the self in relation to concepts such as ‚blackness‘.“ (Tynan 2008: 84) Vgl. zu dieser Thematik auch Karschay (2007), Nunius (2008) oder Anjaria (2008).
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litischen Aktivitäten haitianischer Einwanderer in Boston begeistert (vgl. Tynan 2008: 86). Jeder der Belseys wird von der Erzählung damit als distinkte Persönlichkeit mit ihren eigenen Problemen, Lösungsstrategien und Überzeugungen präsentiert und trägt so zum Entstehen einer heterogenen Gruppe bei, die durch Hinzutreten der ebenso unterschiedlichen Mitglieder der Familie Kipps und einiger weiterer Figuren zu einer auffallend bunt gemischten Gesamtperspektivenstruktur ergänzt wird. Wie schon in White Teeth führt dies zu einem Eindruck der Perspektivenvielfalt, da dieselbe fiktive Welt aus dem Blickwinkel verschiedener Perspektiventräger auf deutlich voneinander unterschiedene Weise wahrgenommen und gedeutet wird. „In both novels, Smith is concerned with the overly definitive world-views held by her characters, demonstrating the problems caused as a result of these clashing perspectives.“ (Paproth 2008: 14)72 In ihrer Gesamtheit formen alle diese Figuren damit ein Perspektivengebilde, dessen Vielgestaltigkeit nicht von der Erzählsituation, d. h. beispielsweise durch radikale Wechsel der Erzählinstanz, wiederholte Darstellungen derselben Szene oder die Präsentation verschiedener Bewusstseinsströme, hervorgehoben wird. Es ist vielmehr der zunächst unbewusste und automatisierte Versuch, Bezüge zwischen den inputs des Perspektivennetzwerks herzustellen (cross-space-mapping), durch den die Vielzahl weltanschaulicher Positionen und Persönlichkeitsstrukturen ins Bewusstsein gehoben wird. Dabei spielt allerdings nicht nur die Zahl ungleicher Perspektiven eine Rolle, sondern vor allem der Umstand, dass der Vergleich der inputs zu einer Gruppierung der Figuren in binäre Oppositionspaare führt. Heterogenität und binäre Oppositionspaare Wirft man einen aufmerksamen Blick auf On Beauty, so zeigt sich, dass der Roman genau wie E. M. Forsters Howards End zutiefst durchdrungen ist von binären Gegensätzen, die einerseits die Figuren voneinander trennen und andererseits die Handlungsstränge miteinander verknüpfen (vgl. Karschay 2007: 205; Anjaria 2008: 38ff.): Underlying [the] individual and often interacting strands of plot is a deeper narrative structure made up of competing terms along a series of aesthetic binaries, which gives meaning to each element of plot beyond its immediate, causal signifi-
––––––––––––– 72 Vgl. hierzu Menhard (2009: 22), nach deren Meinung „jede Darstellung der […] Wahrnehmung derselben fiktiven Welt aus dem Blickwinkel verschiedener Perspektiventräger [als] eine Form von Multiperspektivität“ verstanden werden kann. Vgl. dazu Bode (2005: 251) sowie die nachfolgende Diskussion von Multiperspektivität (Kapitel VI.6).
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cance within the narrative. Binary pairs include black/white, thin/fat, Mozart/ hip-hop, Rembrandt/Haitian art, and beautiful/ugly. (Anjaria 2008: 38)
Wie schon im Titel des Romans anklingt ist On Beauty durchzogen von ästhetischen Fragestellungen unterschiedlichster Natur. Diese werden laut Anjaria primär in Form binärer Begriffspaare verhandelt, welche permanent vom Text aufgegriffen werden und auf diese Weise die verschiedenen Handlungslinien miteinander verknüpfen, wodurch dem erzählten Geschehen trotz seiner Vielschichtigkeit eine thematische Kohärenz verliehen wird. Auch die Konstitution der einzelnen Figurenperspektiven ist untrennbar in diese erzählerische Verhandlung ästhetischer Fragen wie z. B. nach dem richtigen Zugang zu (bildender) Kunst, der Natur weiblicher Schönheit oder dem Unterschied von Lyrik und Rap eingewoben. Dennoch ist dieser Aspekt des Romans im Bezug auf die Konstitution seiner Perspektivenstruktur von lediglich untergeordneter Bedeutung. Entscheidend für den angesprochenen Leseeindruck einer mehrperspektivischen Darstellung ist vielmehr die Hervorhebung des Aspekts der Differenz innerhalb des Figurenensembles, welche maßgeblich auf dem Umstand beruht, dass sich nicht nur die von Anjaria angesprochenen ästhetische Fragenstellungen, sondern auch die zentralen Figuren der Erzählung in eindeutige binäre Oppositionspaare gruppieren lassen. Diese Zuordnung ist ebenfalls das Produkt des automatisierten kognitiven Versuchs des Rezipienten, semantische Verbindungen zwischen den involvierten mentalen Perspektivenmodellen herzustellen, der zur Identifikation eindeutiger Differenzbezüge innerhalb des Perspektivenensembles von On Beauty führt. Die zentralen Figuren des Romans schließen sich, mit anderen Worten, zu Gegensatzpaaren zusammen, deren offensichtlichstes Beispiel die akademische und persönliche Feindschaft zwischen Howard und dem karibischen Gelehrten Monty Kipps dargestellt: Beide Figuren verkörpern nicht nur diametral entgegengesetzte wissenschaftliche und politische Positionen, sondern auch ihre Persönlichkeiten sind das genaue Gegenteil voneinander: Monty ist selbstbewusst, erfolgreich und konservativ – der unangetastete Patriarch seiner traditionellen und völlig intakt scheinenden Familie. Howard hingegen begegnet dem Leser als ein linksliberaler und wissenschaftlich mäßig erfolgreicher Professor mit wenig Durchsetzungsvermögen, der schon am Anfang des Romans vor den Scherben seiner einst glücklichen Ehe steht und den ‚Draht‘ zu seinen Kindern verloren hat. Ein weiteres Beispiel für eines der Kontrastpaare des Romans wird von Levi Belsey und Carl, einem begabten jungen Rapper aus ärmlichen Verhältnissen, gebildet. Dabei wird der jüngste Sohn der Belseys, der sich seiner bürgerlichen Wurzeln schämt und sich zur ‚schwarzen‘ Unterschicht Bostons sowie zu deren Rap-Musik hingezogen fühlt, Carl ge-
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genübergeordnet, welcher viele der von Levi ersehnten Eigenschaften verkörpert. Der junge Mann stammt nicht nur aus prekären sozialen Verhältnissen und besitzt die Levi mangelnde ‚street credibility‘, sondern ist zudem überaus talentiert – ein „Spoken Word poet“ (Fischer 2008: 117), der jedoch keine romantischen Gefühle für die ‚Straße‘ hegt und sie gerne mit einem Teilzeitjob an der Universität eintauscht (vgl. On Beauty, 374).73 Auch Levis Mutter Kiki und Montys kranke Ehefrau Carlene bilden ein deutlich identifizierbares Kontrastpaar, wobei die Gegensätzlichkeit beider Figuren bereits in ihrer physischen Verfasstheit zum Ausdruck kommt: Kiki ist eine Frau von großer körperlicher Präsenz, die ihr beeindruckendes Gewicht auf eine starke, kraftvolle und gesunde Art trägt (vgl. 14f.). Carlene hingegen wird dem Leser als eine von Krankheit geschwächte und abgemagerte Frau präsentiert, die sich kaum ohne fremde Hilfe auf den Beinen halten kann und auch jenseits körperlicher Unterschiede nicht viele Gemeinsamkeiten mit Kiki aufweist. Während diese als moderne Frau Beruf und Familie verbindet und wie ihr Mann atheistische und liberale Ansichten vertritt, verkörpert Carlene, eine gläubige Christin, die traditionelle Rolle der Hausfrau und Mutter; sie entscheidet sich bewusst dafür, ihr Leben in den Dienst ihrer Familie zu stellen, und weist Gedanken wie Selbstverwirklichung von sich: ‘I don’t ask myself what did I live for,’ said Carlene strongly. ‘That’s a man’s question. I ask whom did I live for.’ ‘Oh, I don’t believe you believe that.’ But looking into her grave eyes, Kiki saw clearly that this was exactly what the woman opposite her did believe, and she felt suddenly vexed by the waste and stupidity of it. ‘I have to say, Carlene, you know … I’m afraid I just don’t believe that. I know I didn’t live for anybody – and it just seems to me, it’s like taking us all, all women […] three hundred years backwards, if you really –‘ ‘Oh, dear, we’re arguing,’ said Carlene, distressed at the prospect. (On Beauty, 176)
Das Zitat verdeutlicht den tiefgehenden Zwiespalt zwischen den Weltanschauungen der beiden Frauen. Wie bei den übrigen Kontrastpaaren verkörpern Kiki und Carlene dabei nicht nur unterschiedliche, sondern genau gegensätzliche Positionen, was zu einer besonders starken Betonung ihrer Verschiedenheit führt. Rezeptionstheoretisch liegt dies u. a. daran, dass der Aspekt der expliziten Gegensätzlichkeit als ein beide mentale Modelle verbindendes Charakteristikum in den generic space projiziert und dort festgehalten wird. Da der Roman ferner nicht nur ein Gegensatzpaar aufweist, sondern nahezu alle zentralen Figuren in einem binären Oppositionsverhältnis zu einer anderen wichtigen Figur des Romans stehen, werden die ––––––––––––– 73 Vgl. Sommer (2007: 185): „Carl, the gifted but self-conscious spoken word poet, longs for the recognition associated with being part of the academic community at Wellington. Significantly, when he is finally admitted to the university (though not as a student) […], the poetturned-librarian loses his interest in and talent for lyrical rap: street culture has been appropriated by the academic institution.“
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Unterschiede zwischen den jeweiligen Figurenperspektiven stärker akzentuiert als dies bei der gleichen Anzahl von divergenten aber nicht in direkten Kontrastverhältnissen stehenden Einzelperspektiven der Fall wäre. Der entstehende Lektüreeindruck von Pluralität und Differenz ist somit nicht nur vom Umfang des Angebots verschiedener perspektivischer Voraussetzungssysteme bestimmt, sondern wird maßgeblich von deren wechselseitiger Positionierung beeinflusst. Doch gerade die Beziehung von Kiki und Carlene kann nicht nur als Beispiel für den Gesichtspunkt der Differenz dienen; stattdessen demonstrieren die beiden Figuren darüber hinaus, dass der Roman sich nicht in einer Inszenierung von Gegensätzlichkeiten erschöpft: Die Frauen schließen nicht nur eine tiefe, ehrliche Freundschaft, die ihre grundverschiedenen Ansichten sowie die Feindschaft ihrer Ehemänner überwindet und damit eine starke moralische Botschaft impliziert, sondern durch diese Bewegung aufeinander zu wird eine Rezeptionsbewegung initiiert, die die Aufmerksamkeit auf die latenten Parallelen zwischen den mentalen Modellen der Oppositionspaare lenkt. ‚Only Connect!‘ – Die Etablierung von Bezugspunkten zwischen disparaten Figurenmodellen Die Beziehung zwischen Kiki und Carlene nimmt ihren Anfang in der Einsicht, dass es trotz der akademischen Feindschaft ihrer Männer keinen Grund dafür gibt, diesen Konflikt auf die übrigen Familienmitglieder auszudehnen: „Whatever problems our husbands may have, it’s no quarrel of ours“, erklärt Carlene Kiki bei ihrer ersten Begegnung (On Beauty, 91). Sie ebnet damit den Weg zu einer gegenseitigen Freundschaft, die trotz weltanschaulicher Differenzen von einer ehrlichen Zuneigung geprägt ist und auf diese Weise eine Möglichkeit aufzeigt, die zahlreichen vom Roman thematisierten Gegensätze zu überwinden: „As in Forster’s original, it is the women in the families – Kiki and Carlene – who develop a deep connection that breaks the ‚binary‘ paradigm of their husbands’ ideological differences […].“ (Fischer 2008: 107) Indem sich die beiden Frauen einander emotional annähern, unterlaufen sie die Zwistigkeiten ihrer Ehemänner sowie ihren eigenen Status als Gegensatzpaar. Sie tragen auf diese Weise das berühmte Motto aus Howards End, „Only connect!“ (147), auf performative Weise in die Romanwelt von On Beauty und versinnbildlichen den (Leit)Gedanken einer Aussöhnung inkompatibel scheinender gesellschaftlicher Anschauungen und Positionen, der nach Stephan Karschay sowohl im Zentrum von Forsters als auch von Smiths Roman steht (vgl. 2007: 205f., 209ff.).
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Nach Karschays Lesart fungiert die brückenbauende Beziehung von Kiki und Carlene dementsprechend als ein literarisches Plädoyer „[for] a peaceful and considerate cohabitation of individuals who have managed to overcome their differences in their quest for identity“ (211). Diese Interpretation wird dadurch gestützt, dass mit fortschreitender Handlung neben Differenzbezügen zunehmend auch Parallelen innerhalb der Perspektivenstruktur die Aufmerksamkeit des Lesers auf sich ziehen. So beginnt sich ungeachtet des anfänglichen Differenzeindrucks allmählich ein Bewusstsein der zahlreichen Übereinstimmungen zwischen den Figurenperspektiven zu entwickeln, was z. B. Sabine Nunius (2008) dazu veranlasst, auf die Bedeutung der Kategorie von ‚sameness‘ in On Beauty hinzuweisen und darauf aufmerksam zu machen, welchen hohen Stellenwert alle Figuren ihrer Zugehörigkeit zu einer ‚echten‘ oder ‚metaphorischen‘ Familie (z. B. der ‚black community‘) beimessen. Doch solche Familienbeziehungen sind nicht die einzige Form von counterpart connections, die sich im Verlauf des Textes innerhalb der Gesamtperspektivenstruktur herauskristallisieren. Eine wichtigere Rolle bei der Perspektivenrezeption stellt vielmehr das graduelle Entstehen eindeutiger Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen einzelnen Mitgliedern des zunächst so heterogen scheinenden Figurenensembles dar. Besonders markant an dieser Entwicklung ist dabei der Umstand, dass sich die zusätzlichen Verbindungslinien überraschenderweise gerade zwischen denjenigen Figuren bilden, die zuvor als Gegensatzpaare identifiziert wurden. Wieder sind es Howard und Monty, die auch in diesem Kontext als das offensichtlichste Beispiel für ein solches Kontrastverhältnis dienen können, das im Verlauf des Textes durch Hinzutreten expliziter Parallelen ergänzt und in seiner Semantik verändert wird. Nachdem zuvor die akademische und persönliche Differenz zwischen den Gelehrten etabliert wurde, ist es von geradezu signalhafter Wirkung, dass beide Widersacher das beinahe selbe Schicksal erleiden. Trotz ihrer in nahezu jeglicher Hinsicht grundverschiedenen Persönlichkeiten betrügen beide – im Widerspruch zu den von ihnen lautstark vertretenen Werten – ihre Ehefrauen. Während Howard theoretisch alle Schönheitsideale als rein kulturelle Konstruktionen ohne tatsächliche Relevanz verwirft und sich Monty in selbstgerechter Weise als christlich-moralische Instanz, d. h. als einen Verteidiger traditioneller Werte und Institutionen stilisiert, erliegen sie doch beide auf überaus typische Weise den Reizen schlankerer bzw. jüngerer Frauen. Auf ebenso stereotype Art versuchen sie im Anschluss daran, ihre Affären erfolglos zu vertuschen, beschädigen dadurch ihre Glaubwürdigkeit und ihre akademische Karriere.74 Auch die Kontrastfiguren Carlene und Kiki weisen auf diese Weise – neben demselben ––––––––––––– 74 Zum Vorwurf stereotyper Figurenzeichnung in Smiths Romanen vgl. Walters (2008: 127).
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Kunstgeschmack und der Liebe zu einem Gemälde Hector Hippolytes – eine deutliche Gemeinsamkeit als betrogene Ehefrauen auf, die als figurenbezogene Information Eingang in ihre mentale Modelle und dadurch in die Perspektivenstruktur findet.75 Darüber hinaus wird Kiki im Verlauf des Romans klar, dass auch sie, trotz ihrer anderslautenden Überzeugungen, ihr Leben genau wie Carlene auf ihren Ehemann ausgerichtet hatte: „I staked my whole life on you“, bricht es in einem Streit mit Howard aus ihr hervor; und ein paar Zeilen später: „I gave up my life for you. I don’t even know who I am any more.“ (On Beauty, 206) Wie auch Kiki mehrmals von ihrem Mann betrogen und angelogen wird, so geht ferner auch Montys Verrat an seiner Frau über seine Affäre hinaus. Mit der bequemen Ausrede, Carlene sei aufgrund ihrer Krankheit verwirrt und nicht mehr sie selbst gewesen, beschließt er nach ihrem Tod das wertvolle Gemälde der Göttin Erzulie, welches Carlene Kiki handschriftlich vermacht hatte, selbst zu behalten und vernichtet die testamentarische Notiz seiner Gattin (vgl. 280); so betrügt er sie gewissermaßen noch nach ihrem Tod um ihren letzten Willen. Die beiden Beispiele verdeutlichen, dass das Kontrastverhältnis von Carlene und Kiki oder das von Howard und Monty durch die neu hinzutretenden Parallelen eine qualitative Veränderung erfährt. Nachdem die Figuren zunächst aufgrund ihrer Gegensätzlichkeit als binäre Oppositionspaare identifiziert werden konnten, wird diese Zuordnung vom fortschreitenden Text destabilisiert und in Frage gestellt. Dabei kommt es allerdings nicht zu einer direkten Zurücknahme der jeweiligen Differenzen, sondern zu einer inhaltlichen Erweiterung der zugrundeliegenden mentalen Modelle, auf deren Basis nun zusätzliche Bezugspunkte etabliert werden können. Die spezifischen Unterschiede zwischen Howard und Monty oder Kiki und Carlene bleiben dabei in vollem Umfang erhalten, werden allerdings durch Parallelen zwischen diesen Figuren und ihrem Schicksal bzw. ihren Erlebnissen ergänzt. Dieses gleichzeitige Festhalten von Differenzen und Ähnlichkeitsbezügen in den mental spaces des Figurennetzwerks vollzieht sich in derselben Weise auch bei den übrigen Oppositionspaaren des Romans. So erweist sich beispielsweise Montys gutaussehende Tochter Victoria im Text zunächst als Kontrastfigur von Zora Belsey, die dieser genau an ihrem wundesten Punkt, ihrem Aussehen, entgegengesetzt wird. Auch Zora fühlt sich wie ihr Bruder durch ihre gemischte Herkunft in der Frage ihrer ethnischen Zugehörigkeit verunsichert (vgl. Stuckey 2008: 166f.) und dieses Gefühl geht bei ihr mit einer allgemeinen Unzufriedenheit in Bezug auf ihre physische Erscheinung einher, die sie mit Makeup ––––––––––––– 75 Zur (symbolischen) Signifikanz von Hector Hippolytes Gemäld der Voodoo Göttin Erzulie in On Beauty vgl. Fischer (2008: 113ff.), Tolan (2006: 133f.) und King (2009).
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und einem intellektuellen Wesen zu überspielen versucht. Der etwa gleichaltrigen Victoria hingegen sind Zweifel an ihrem Aussehen oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit fremd. Als eine wenig intellektuelle junge Frau verkörpert sie in diesen Punkten das genaue Gegenteil von Zora. Sie besitzt ein selbstbewusstes Wissen um ihre außerordentliche Attraktivität, die sie bewusst auszuspielen weiß, und im Verlauf des Romans dazu benutzt sowohl Jerome, Howard als auch Carl zu verführen.76 Doch obgleich diese Unterschiede vom Text nicht aufgelöst werden und Zora und Victoria ihre Interessen durchgängig auf gegensätzliche Weise verfolgen, werden dennoch beide in ihren amourösen Bestrebungen am Ende auf emotional schmerzhafte Weise enttäuscht. Während Zora vergeblich versucht, Carls Interesse dadurch zu gewinnen, dass sie sich hochschulpolitisch für seinen Zugang zu den Lyrikkursen der Universität engagiert, setzt Victoria ebenso erfolglos all ihre sexuellen Reize ein, um eine dauerhafte Affäre mit Howard zu beginnen.77 Trotz ihrer unterschiedlichen Persönlichkeiten und Bemühungen, sind beide Frauen so letztendlich über den Handlungsaspekt der Zurückweisung und Enttäuschung miteinander verbunden; sie tragen derart zu dem Gesamteindruck bei, dass zwischen den Figuren des Romans zwar einerseits unüberbrückbare Unterschiede, andererseits jedoch auch fundamentale Übereinstimmungen bestehen. Wie schon in Forsters Howards End wird auch in On Beauty auf solche Weise der Lektüreeindruck geschaffen, „that people are not only different from each other, but that humans are largely alike in the needs they feel as well as the blunders they commit“ (vgl. Karschay 2007: 208–212; hier: 208). Dieser Effekt wird am Beispiel von Zora und Victoria zudem von der Beobachtung untermauert, dass beide in entscheidenden Punkten ihren Vätern gleichen, wodurch sich nicht nur eine weitere Gemeinsamkeit zwischen den jungen Frauen ergibt, sondern sich auch die Väter-Töchter Beziehungen des Romans als enger miteinander verbunden zeigen als zunächst erkennbar. So erweisen sich Zoras Bemühungen, ihre romantischen Gefühle in Form von hochschulpolitischem Aktivismus zu befördern, nicht nur als kurzsichtig, sondern verbinden ihre Persönlichkeit mit der ihres Vaters, der ebenfalls nicht in der Lage ist, sein privates und akademisches Leben voneinander zu trennen.78 Auf parallele, jedoch deutlich schwerer erkennbare Weise lassen auch Victorias und Montys Persönlichkeiten deutliche Affinitäten zwischen der Selbstinszenierung Victorias ––––––––––––– 76 Zur Diskussion von Victorias Sexualität sowie ihrer (potentiellen) Interpretation als einer stereotypen „hyper-sexualized black woman“ (Fischer 2008: 114) siehe u. a. Walters (2008) und Mesa (2009: 234–241). 77 Es bleibt bei einem einzigen überstürzten sexuellen Zusammentreffen; bereits beim zweiten Mal ergreift Howard die Flucht (vgl. On Beauty, 318, 381). 78 Zur Ähnlichkeit zwischen Zora und ihrem Vater siehe auch Fischer (2008: 116f.).
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als erotischer Verführerin und der offensiven Zurschaustellung christlichmoralischer Überlegenheit ihres Vaters erkennen. Diese Parallele mag zunächst abwegig erscheinen; doch genau wie sich Montys moralische Integrität angesichts seiner Affäre lediglich als ein hohles, nach außen projiziertes Bild erweist, beschränken sich auch Victorias Verführungsversuche auf ein stereotypes In-Szene-Setzen sexueller Posen (nach literarischen und pornographischen Vorbildern), dem jegliche authentische und genuine erotische Substanz fehlt: She jumped off the bed and into his lap. His erection was blatant, but first she coolly drank the rest of his wine, pressing down on him as Lolita did on Humpert, as if he were just a chair she happened to sit on. No doubt she had read Lolita. And then her arm went round the back of his neck and Lolita turned into a temptress (maybe she had learned from Mrs. Robinson too), lasciviously sucking his ear, and then from temptress she moved to affectionate high-school girlfriend, sweetly kissing the corner of his mouth. But what kind of sweetheart was this? He had barely started to return her kiss when she commenced groaning in a disconcertingly enthusiastic manner […] (On Beauty, 315).
Kaum sind beide ausgezogen, so beginnt sie in einer an pornographische Filme erinnenden Weise zu stöhnen, sich zu winden und Howard verbal lautstark anzufeuern, ohne dabei den Eindruck wirklicher Erregung zu vermitteln: „At the slightest touch of him to her, she wailed and seemed to quiver with preorgasmic passion, and yet she was, as Howard discovered at his second attempt, completely dry.“ (316) Ihre enthusiastischen Versicherungen wie „Oh, I love it when you fuck me!“ (317) oder „That was delicious“ (318) wirken angesichts dieses Inszenierungscharakters und dem Umstand, dass der Liebesakt nach nur wenigen Augenblicken von Howards Seite aus ein verfrühtes Ende findet, unaufrichtig und gekünstelt.79 Sie erinnern – wenn auch Victorias Motive weniger klar und vielleicht weniger verwerflich sind – an die unehrliche Verstellung, mit der sich ihr Vater Monty an späterer Stelle gegenüber Kiki über das unverschämte Verhalten einer jungen Frau namens Chantelle beklagt: ‘And so this girl comes to me – into my house, this morning, without warning – to ask me to recommend to the board that she be kept in a class that she is illegally attending. She thinks because she is in my church, because she has helped
––––––––––––– 79 Stimmen in der Sekundärliteratur haben eingewendet, dass Victoria keine realistisch ausgestaltete Figur, sondern eher ein Mittel der Handlungsgestaltung darstellt (vgl. Mesa 2009: 240). Tatsächlich ist ihre Figurenperspektive weniger detailliert gezeichnet als z. B. die von Zora und auch ihre Motive bleiben (ähnlich wie die ihrer Mutter) z. T. im Dunkeln. Dieser Umstand ändert jedoch nichts daran, dass ein mentales Modell ihrer Perspektive gebildet wird, das in eine Beziehung zu anderen Perspektivenmodellen tritt (blending), wobei es zur Etablierung für den Roman relevanter Bezüge kommt. Es besteht ferner kein Widerspruch zwischen diesem Aspekt der Bedeutungsbildung und der hinzutretenden Beobachtung, dass die Figur darüber hinaus auch als Strukturelement des Plots oder als metaphorisches ‚Sprachrohr‘ der Autorin dient.
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with our charity work, that I will bend the rules for her. Because I am, as they say here, her ‘brother’? I told her that I was unwilling to do that. And we see the result. A tantrum!’ (366)
Natürlich stellt sich später heraus, dass gerade Chantelle die Frau ist, mit der Monty eine Affäre hatte. Zudem wird deutlich, dass er den Ausschluss nicht zugelassener Gasthörer nicht nur befürwortet, sondern vielmehr die treibende Kraft hinter diesen Bestrebungen darstellt, um auf diese Weise den lebenden Beweis für seine Untreue aus seinem näheren Umfeld zu entfernen (vgl. 418). Trotz seiner eigenen unlauteren Motive ist Monty dennoch in der Lage, sich ohne mit der Wimper zu zucken bei Kiki über Chantelle zu beklagen, und erweist sich damit wie seine Tochter als ein Meister der Verstellung. Dialektik und Emergenz in On Beauty Die vorausgehenden Beispiele demonstrieren, dass sich die Etablierung von Bezugspunkten zwischen den Figuren in On Beauty sukzessive über den Verlauf der gesamten Erzählung vollzieht. Dabei kommt es zunächst primär zur Ausbildung von Differenzbezügen, die später allmählich durch die Identifikation von Kongruenzverhältnissen innerhalb der Perspektivenstruktur überlagert werden. Auf diese Weise erinnern die Beispiele in deutlicher Weise daran, dass die Konstruktion von Figurenperspektiven sowie der Vollzug ihrer Interaktion kein a-temporales Phänomen darstellen: „Sprachtexte [sind] als materielle Gebilde linear strukturiert“ (Grabes 1978: 413) und der Prozess der Sinnbildung vollzieht sich auch bei der Perspektiveninteraktion „im Sinne eines gerichteten Ablaufs in der Zeit“ (ebd.). Die damit gegebene enge Verzahnung von Handlung und Figurenkonstitution (vgl. Hogan 2010) sowie die Bedeutung der graduellen Vergabe von Informationen führt in Smiths Roman dazu, dass sich über die Etablierung von Gegensatzpaaren innerhalb des Figurenensembles zunächst ein Eindruck von Heterogenität in Bezug auf das Perspektivenangebot des Textes manifestiert. Auf dieser Basis werden dann jedoch Parallelen zwischen den Kontrastfiguren deutlich, die in ihrer hohen Zahl gewissermaßen als Kritik an der zuvor etablierten Struktur binärer Gegensätze gelesen werden können: [T]he movement of [the novel] is to consistently undermine these seeming contradictions, dwelling on their various points of intersection, rejecting the hollowness of a dualistic view of the universe, and embracing complexity and hybridity – connecting. Through a series of encounters, these discrete worlds internalized within various family members collide and break through, altering subjectivities in the process. (Tynan 2008: 75)
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Die von Kiki und Carlenes Freundschaft auf der Handlungsebene exemplarisch vollzogene Überwindung persönlicher Antagonismen kann anhand der sich herauskristallisierenden Affinitäten zwischen den Figurenperspektiven auch als Leitmotiv der mentalen (Re)Konstruktion des Perspektivennetzwerks festgehalten werden. Darüber hinaus haben Kritiker wie Karschay (2007) oder Fischer (2008) Interpretationen des Romans vorgelegt, die sinngemäß die These vertreten, dass sich das Motto aus Forsters Howards End – „Only connect!“ – auch auf die ethische Dimension von Smiths Roman übertragen lässt: „Smith sets her characters upon the mined landscape of human relations, as she urges us to reject binary paradigms and to connect across socially constructed differences so that we can see the full beauty of humanity.“ (Fischer 2008: 107) Doch trotz des versöhnlichen Tones, den der Roman u. a. am Beispiel Kikis und Carlenes anschlägt, greift eine allzu einseitige Interpretation, die den Text lediglich als gutherziges Plädoyer einer Verbrüderungsbewegung deutet, zu kurz. In Bezug auf die Perspektivenstruktur von On Beauty zeigt sich dies daran, dass alle etablierten figuralen Gegensätzlichkeiten trotz der Identifikation so zahlreicher zusätzlicher counterpart connections in vollem Umfang erhalten bleiben. Weder die weltanschaulichen Zwistigkeiten Montys und Howards noch die charakterliche Verschiedenheit von Zora und Victoria oder die Unterschiede betreffend Kikis und Carlenes Vorstellungen von der Rolle der Frau sind in irgendeiner Weise aufgelöst oder entschärft. Auch in Bezug auf das Schicksal verschiedener Figuren zeigt sich der Roman wenig versöhnlich. So stirbt z. B. Carlene bevor sie und Kiki ihre freundschaftliche Beziehung substantiell vertiefen können und auch Carls Versuch, sich auf der gesellschaftlichen Stufenleiter emporzuarbeiten endet in einem Fiasko. Speziell das von Carl und Levi gebildete Oppositionspaar illustriert in diesem Kontext trotz – oder gerade wegen – der sich manifestierenden Parallelen zwischen beiden Figuren die ernüchternde Realität sozialer Standesunterschiede. Den Ausgangspunkt dieser Beobachtung stellt auch hier zunächst das Erkennen von Gemeinsamkeiten zwischen den als Kontrastfiguren markierten jungen Männern dar: Sowohl Carl als auch Levi versuchen im Verlauf des Romans aus ihrer eigenen Schicht in eine andere soziale Sphäre einzudringen, wobei diese Bemühungen in beiden Fällen zunächst scheinbar von Erfolg gekrönt werden. Carl erhält eine Stelle als Archivist im Black Studies Department, die ihm zum ersten Mal in seinem Leben das Gefühl gibt, eine wichtige Arbeit zu tun, für die er sich aufgrund seines musikalischen Wissens besonders gut eignet. Levi hingegen gelingt es, das Vertrauen seiner haitianischen Bekannten zu erlagen, und er glaubt, auf diese Weise endlich in einer ‚wahrhaftigen‘ Gemeinschaft von Menschen seiner Hautfarbe angekommen zu sein. Doch sobald sein neuer
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Freund Choo von seiner wahren Herkunft erfährt, wird er von diesem dazu benutzt, um im Namen der verarmten Bevölkerung Haitis das Gemälde der Göttin Erzulie aus Montys Büro an der Universität zu stehlen. Als das Vorhaben an Levis Mutter scheitert, die ihren Sohn wie ein Kind bei einem dummen Streich ertappt und ihm ob seiner unbedarften Naivität den Kopf gehörig ‚wäscht‘, findet Levis Traum von einer Verbrüderung mit der ‚black community‘ wider das ungerechte System ein jähes Ende. Sein jugendlicher Ausbruchsversuch aus dem sozialen Umfeld seines Elternhauses stellt in seinem abrupten Ende ein recht harmloses Spiegelbild des weit ernsteren und tragischen Ausgangs von Carls Versuch dar, in der akademisch-bürgerlichen Welt als Angestellter Fuß zu fassen. Sein zunächst scheinbarer Erfolg, die Stelle im Black Studies Department, auf die er sehr stolz ist, beruht auf einer für den Leser klar erkennbaren bewussten Täuschung des jungen Mannes. Tatsächlich erhält Carl seine Beschäftigung als Archivist nicht aufgrund seiner musikalischen Qualifikation. Die Stelle wird von den Verantwortlichen lediglich ins Leben gerufen, um Zora ‚ruhigzustellen‘, die aus den bekannten amourösen Gründen mit hartnäckiger Ausdauer eine studentische Kampagne für irreguläre Studenten wie Carl anführt. Seine Tätigkeit hat damit nicht nur keinen Bezug zu seinen persönlichen Talenten, sondern besitzt für seine Vorgesetzten keinerlei akademischen Wert, da seine Arbeitsstelle lediglich geschaffen wird, um ihn irgendwie (vorübergehend) beschäftigen zu können. Während Levis temporäre Verbrüderung mit kriminellen Elementen der Unterschicht Bostons aufgrund des Einschreitens seiner Mutter folgen- und harmlos bleibt, ist Carls Versuch, sich aus seinen sozialen Verhältnissen emporzuarbeiten, von Anfang an zum tragischen Scheitern, mit den entsprechenden fiskalischen Konsequenzen, verurteilt. Wie wenig er das Stigma seiner sozialen Herkunft abzustreifen vermag wird auch daran deutlich, dass nach dem Diebstahl von Hector Hippolytes Gemälde der Verdacht sofort auf ihn fällt. Der Grund dafür liegt einzig und allein in seinem Status als junger ‚schwarzer‘ Mann aus ärmlichen Verhältnissen, der ihn in der akademischen Welt Wellingtons ungeachtet seiner Persönlichkeit automatisch zum (bestenfalls exotischen) Außenseiter abstempelt. Damit bleibt ihm der Zugang zu dieser Sphäre trotz allen Talents grundsätzlich verwehrt – eine Situation, die Carl am Ende des Romans schmerzhaft erkennen muss: „‚I am just trying to get a stage higher with my life.‘ Carl laughed bitterly. ‚But that’s a joke around here, man. People like me are just toys to people like you … I am just some experiment for you to play with.‘“ (On Beauty, 418) Zusammenfassend kann Zadie Smiths On Beauty als ein Roman bestimmt werden, dem es trotz seiner durchgängig traditionellen Erzählsituation gelingt, durch Präsentation einer heterogenen Perspektivenstruktur
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den Rezeptionseffekt einer mehrperspektivischen Darstellung zu erzeugen. Die internen Differenzen innerhalb des Figurenensembles werden dabei einerseits durch die Identifikation binärer Gegensatzpaare akzentuiert, andererseits durch die anschließende Etablierung deutlicher Parallelen zwischen diesen Kontrastfiguren qualitativ relativiert. Im Netzwerk der Figurenperspektiven von On Beauty kommt es, anders ausgedrückt, zum Entstehen von blended spaces, in deren emergenter Struktur die Koexistenz von Ähnlichkeit und Differenz zum Ausdruck kommt: „[The] novel urges its readers to focus on humanity’s ‚sameness‘ – without flattening out people’s undeniably existing differences […].“ (Karschay 2007: 210) Durch die Integration beider Aspekte im blend vollzieht On Beauty auf diese Weise eine semantische Bewegung, die an die Grundstruktur des Dreischritts der Dialektik von Hegel erinnert (vgl. 1969 [1830]). So wird in Smiths Roman über die Etablierung von Oppositionspaaren (1.) die Heterogenität als Merkmal der Perspektivenstruktur bestimmt; sodann wird (2.) aufgrund neuer textueller Informationen die unzulässige Einseitigkeit dieser Bestimmung erkannt, wodurch die ursprüngliche Einschätzung aufgehoben wird und in ihr Gegenteil übergeht.80 Doch aufgrund der damit entstehende Widersprüchlichkeit erweist sich auch diese Neubestimmung als unhaltbar und einseitig, wodurch es zur einer „Negation der Negation“ (Hegel 1969 [1830]: 121, §111) kommt, die (3.) zu einer emergenten semantischen Struktur führt, in der beide Gegensatzaspekte inklusive ihrer Diskrepanz als eine „Einheit unterschiedener Bestimmungen“ (103, §82; kursiv i. Orig.) ‚aufbewahrt‘ bzw. auf eine ‚höhere‘ semantische Ebene ‚gehoben‘ werden.81 Auf diese dialektische Weise inszeniert der Roman die Pluralität und Inkommensurabilität individueller Zugänge zur Welt, während er gleichzeitig den Blick auf die inhärenten Parallelen zwischen den zugrundeliegenden Voraussetzungssystemen jener subjektiven und idiosynkratischen Perspektiven lenkt. Diese emergente dialektische Struktur trägt so dazu bei zu verhindern, dass die Erzählung in den Tonfall einer bitteren Anklage menschlicher Zwietracht verfällt oder in eine kitschig-harmonische Verbrüderungsphantasie abdriftet. Stattdessen wird das Motiv einer Darstellung der ‚Gleichheit des Ungleichen‘ mit einer Vielzahl ästhetischer, intertextueller und identitätsphilosophischer Fragestellungen zu einem bunten Portrait einer zeitgenössischen multikulturellen Gesellschaft verwoben (vgl. Tynan 2008: 73ff.).82 Auf diese Weise dient die perspektivische Viel––––––––––––– 80 Vgl. Hegel (1969 [1830]: 102, § 81): „Das dialektische Moment ist das eigene Sichaufheben solcher […] Bestimmungen und ihr Übergehen in ihre entgegengesetzten.“ 81 Vgl. Schischkoff (1991: 50) zum dreifachen Sinn von Hegels Begriff des ‚Aufhebens‘ („bewahren“, „negieren“ und „emporheben“). 82 Zur Präsentation von Multikulturalität in Smiths Erzählwerk siehe auch Stuckey (2008).
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falt auch in On Beauty einerseits der anfangs angesprochenen Grundfunktion einer ‚wahrhaftigen‘ oder der Realität ‚angemessenen‘ Darstellung von Welt, übernimmt darüber hinaus jedoch eine Vielzahl diverser Spezialfunktionen wie z. B. die Vergegenwärtigung sozialer Unterschiede (Carl), die Diskussion weiblichen Rollenverhaltens (Kiki und Carlene) oder die Illustration adoleszenter Identitätsfindungsversuche (Jerome, Zora, Levi). Das Beispiel von Smiths Roman bestätigt damit die Multifunktionalität perspektivischer Interaktionsstrukturen und betont die Rolle der sukzessiven Vergabe von Informationen; dadurch erinnert der Text im weiteren Sinne nochmals an die Interdependenz von Handlung und Figurencharakterisierung sowie den Aspekt der narrativen Aufmerksamkeitslenkung. Die Erlebnisse, die Figuren wie Howard, Kiki oder Carl widerfahren, und die Schicksalsschläge, denen sie ausgesetzt sind, spielen eine entscheidende Rolle bei der Figuren- und Perspektiveninteraktion; sie stellen als die „life trajectories of characters“ (Dannenberg 2008: 1) einen ebenso wichtigen Bestandteil der entsprechenden mentalen Figurenmodelle wie der kognitiven Repräsentationsstrukturen von Handlung bzw. Plot dar (vgl. Kapitel IV). Zudem fungiert das erzählte Geschehen, oder präziser, die Anordnung der Informationsvergabe, als eines der zahlreichen Mittel der Aufmerksamkeitslenkung, die in der vorliegenden Arbeit bisher nur ansatzweise gewürdigt wurden. Ein weiterer bislang vernachlässigter aber im Kontext der Perspektiveninteraktion relevanter Aspekt besteht darüber hinaus in einer expliziten Untersuchung des Multiperspektivitätsbegriffs, der zwar im Forschungsstand (Kapitel III) kurz thematisiert, danach jedoch ohne nähere theoretische Explikation verwendet wurde. Wie die Diskussion von Moon Tiger und On Beauty jedoch zeigt ist der Begriff nicht nur auf Texte mit deutlich verschiedenen Erzählstrukturen anwendbar, sondern scheint eng mit dem Aspekt der Aufmerksamkeitslenkung verbunden zu sein. Diese Beobachtungen rechtfertigen eine kritische Überprüfung bisheriger Definitionen dieses Phänomens, die primär auf Erzähl(Strukturen) zurückgreifen. Das vorliegende Kapitel zur Perspektiveninteraktion soll daher im Folgenden mit einer kritischen Diskussion des Begriffs der Multiperspektivität abgeschlossen werden, in die auch (nochmals) die Frage nach den Funktionen polyperspektivischen Erzählens einfließt.
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VI.6 Perspektivität und Multiperspektivität als Rezeptionseffekte Eine Arbeit, die sich mit der Interaktion multipler Perspektiven in Texten wie On Beauty, Trumpet oder Moon Tiger beschäftigt und dabei zudem auf Überlegungen zur Perspektivenstruktur narrativer Texte zurückgreift, muss sich früher oder später mit dem narratologischen Begriff der Multiperspektivität auseinandersetzen.83 Obgleich der Begriff in den vorhergehenden Kapiteln mehrfach Verwendung fand, wurde bisher lediglich in den Ausführungen zum Forschungsstand (Kapitel III) näher auf dieses intuitiv so verständliche, theoretisch jedoch umstrittene Konzept eingegangen. Im Folgenden soll daher eine kritische Überprüfung des Begriffs der Multiperspektivität vorgenommen werden, bei der insbesondere die Arbeiten von Nünning/Nünning (2000a, 2000b), Bode (2005) und Menhard (2009) berücksichtigt werden. Aufbauend auf einer Kritik dieser Ansätze sowie dem in dieser Arbeit entwickelten Ansatz der Perspektiveninteraktion kommt es bei dieser Untersuchung zu einer theoretischen Neuausrichtung des Konzepts im Sinne eines Rezeptionseffekts. Während die vorhergehenden Literaturanalysen eine exemplarische Demonstration der analytischen Leistungsfähigkeit und komplementären Ausrichtung der in Kapitel IV und V entwickelten Überlegungen anstreben, zeigt der abschließende Teil von Kapitel VI somit nochmals ein primär theoretisch ausgerichtetes Interesse. Multiperspektivität: Strukturelle und funktionelle Definitionen Der Versuch, Multiperspektivität als narratologische Kategorie zu bestimmen, steht vor einem grundsätzlichen Problem. Erzähltexte handeln fast immer von mehreren Figuren und weisen häufig diverse Erzähler auf, so dass es in den allermeisten Fällen zu einem Nebeneinander multipler Figuren- bzw. Erzählerperspektiven kommt. Bezieht man den Multiperspektivitätsbegriff nun einfach auf das bloße Vorhandensein mehrerer Perspektiven, so ergibt sich eine terminologische Situation, in der praktisch jeder narrative Text in die Kategorie mehrperspektivischen Erzählens fällt.84 Ein solches Begriffsverständnis ist aus literaturwissenschaftli––––––––––––– 83 Dies gilt insbesondere, da die gegenwärtig vielleicht einflussreichste Theorie zu multiperspektivischem Erzählen genau aus den Überlegungen zur Perspektivenstruktur narrativer Texte hervorgegangen ist, die auch in die Entwicklung des vorliegenden Ansatzes eingeflossen sind (Nünning 1989a; Nünning/Nünning 2000a, 2000b, 2000c). 84 Diese Situation ergibt sich nicht nur bei einer Koppelung des Begriffs an die individuelle Weltsicht fiktiver Wesen. Man denke z. B. an Bakhtins Überlegungen zur Polyphonie im Ro-
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cher Sicht jedoch unsinnig, da das Konzept auf diese Weise jede Trennschärfe verliert und analytisch wertlos wird (vgl. Menhard 2009: 24). Um eine derartige Entwertung zu verhindern, nehmen Vera und Ansgar Nünning in ihrem einflussreichen Ansatz daher eine deutlich engere Begriffsbestimmung vor, nach der sich Multiperspektivität nur auf eine Darstellung „mehrere[r] Versionen desselben Geschehens“ bezieht (2000b: 18).85 Mit dieser Definition begegnen sie nicht nur der Gefahr einer Verwässerung des Konzepts, sondern weichen ferner einer weiteren Problematik aus, die sich aus dem Umstand ergibt, dass Multiperspektivität nach Lindemann (1999) immer auf einem semantischen „Reibungseffekt“ (1999: 49) beruht.86 Der Eindruck einer mehrperspektivischen Darstellung wird nach diesem Verständnis allgemein dadurch ausgelöst, dass ein gemeinsamer Bezugspunkt ‚auf unterschiedliche Weise‘ geschildert wird (vgl. Nünning/ Nünning 2000b: 19). Ein solches Verständnis von Multiperspektivität als einer Manifestation von Dissonanz steht allerdings vor der Schwierigkeit, dass sich allgemeingültige Kriterien für ein Schildern auf unterschiedliche Weise nur sehr schwer definitorisch bestimmen lassen, ohne dass diese Bestimmungsversuche einen allzu offensichtlich normativen bzw. präskriptiven Charakter erhalten (vgl. Bode 2005: 251). Das Besondere an der Nünning’schen Konzeption ist jedoch, dass über eine normative Definition von Multiperspektivität (die Darstellung verschiedener Versionen desselben Geschehens) die Notwendigkeit einer normativen Bestimmung der Kriterien unterschiedlichen Schilderns umgangen wird: Bei einer ––––––––––––– man (vgl. 1981, 1984) oder an Iser, der „Erzähler, Figuren, Handlung und Leserfiktion“ als die unterschiedlichen und dennoch miteinander verbundenen ‚Träger‘ von Textperspektiven bestimmt (1976: 164), durch welche sich der Leser als „wandernder Blickpunkt“ gewissermaßen ‚hindurchbewegt‘ (178). Auch in diesen Ansätzen ist das Vorhandensein multipler Perspektiven sozusagen in die Definition von Erzähltexten eingeschrieben. 85 Klassische Beispiele für die Darstellung verschiedener Versionen einer Szene bzw. eines Sachverhalts sind, neben Humphry Clinker (vgl. Kapitel V.1), z. B. Brownings The Ring and the Book (1868–69) oder der Filmklassiker Rashomon (1950). Weitere Beispiele sind etwa B. S. Johnsons Roman House Mother Normal (1971), der einen Tag in einem Altenheim nacheinander aus der Sicht verschiedener Heimbewohner wiedergibt, oder Barnes Talking it Over (1991), in dem die Geschichte einer Dreiecksbeziehung im Wechsel aus Sicht der Beteiligten erzählt wird. 86 Unterschiedliche Versionen desselben Geschehens können z. B. auf den Einsatz multipler Erzähl- und/oder Fokalisierungsinstanzen zurückgehen. Als weitere Variante nennen Nünning/Nünning „Erzählungen mit einer montage- bzw. collagehaften Erzählstruktur“ (2000b: 18) und Wolf (2000) argumentiert, dass auch literarische Rahmungen zur Entstehung von Multiperspektivität führen können. Ferner existieren Misch- oder Sonderfälle wie z. B. die „perspektivische Brechung einer Erzählstimme“ in unterschiedliche Erzählsituationen (vgl. Menhard 2009: 84). Beispiele für eine derartige Aufspaltung einer Erzählstimme sind McGraths Spider (1990) oder Nuruddin Farahs Maps (1986) (zur Diskussion des Phänomens siehe neben Menhard auch Richardson 1994 und Sims 1998: 113–116).
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Präsentation mehrerer Versionen eines Geschehens führt der Wiederholungscharakter der Darstellung zwangsläufig zur Semantisierung dieser Darstellungsform und lenkt die Aufmerksamkeit automatisch auf die Unterschiede zwischen den geschilderten Versionen, ohne dass zuvor Kriterien für diese bestimmt werden müssten.87 Eine weitere auffällige Eigenheit dieses Ansatzes besteht in der semantischen Entkoppelung des Konzepts der Multiperspektivität vom zugrundeliegenden Perspektivenbegriff. Multiperspektivisches Erzählen ist nach dem Verständnis von Vera und Ansgar Nünning nicht mehr ursächlich mit dem Vorhandensein mehrerer Perspektiven verknüpft, sondern wird im Prinzip als „repetitive Erzählung“ in Genettes Terminologie definiert, d. h. als „n mal erzählen was ein Mal passiert ist“ (1994: 83, 82; vgl. Bode 2005: 250f.). Diese Begriffsbestimmung von Multiperspektivität entfernt sich jedoch nicht nur auf fragliche Weise von der impliziten morphologischen Semantik des zugrundeliegenden Terminus, sondern birgt nach Christoph Bode vor allem die Gefahr, relevante literarische Phänomene auszuschließen: Muss wirklich ‚dasselbe Geschehen‘ […] geschildert werden, ehe man von multiperspektivischem Erzählen sprechen darf? […] Das ist m. E. unnötig eng aufgefasst. Der Leser nimmt doch verschiedene Erzählperspektiven auch dann schon wahr, wenn sie sich generell auf eine gemeinsame erzählte Welt beziehen und nicht erst, wenn ein und dasselbe Geschehen oder Ereignis […] wiederholt aus verschiedenen Blickwinkeln gezeigt wird. Eine zu enge Auffassung von ‚dasselbe Geschehen‘ würde ohne Not definitorisch gerade jene literarästhetisch höchst reizvollen Fälle ausschließen, bei denen sich der Leser mit Recht fragt, in welchem Sinne hier eigentlich noch ‚dasselbe‘ Geschehen geschildert wird […]. Es kann aber nicht Aufgabe der Literaturwissenschaft sein, gerade die interessantesten Fälle definitorisch auszuschließen – die Frage ist eher, ob unsere Definitionen weit genug sind, die Wirklichkeit des Romans zu erfassen. (2005: 250f.)
Bode fordert mit seinem durchaus berechtigten Einwand folglich eine Ausweitung der Nünning’schen Begriffsdefinition und wird dabei von Felicitas Menhard (2009) argumentativ unterstützt. Wie Bode geht auch sie davon aus, dass „jede Darstellung der visuellen, perzeptiven und kognitiven Wahrnehmung derselben fiktiven Welt aus dem Blickwindel verschiedener Perspektiventräger eine Form von Multiperspektivität“ darstellen kann, „ganz unabhängig davon, ob die Perspektiventräger dasselbe ––––––––––––– 87 Wiederholte Darstellungen eines Sachverhalts sind eine derart ‚markierte‘ Erzählform, dass sie geradezu notwendigerweise zur Identifikation von Differenzen führen – eine Beobachtung, die nicht nur für stark divergierende Schilderungen gilt. Gerade in Versionen, die sich kaum voneinander unterscheiden, wird die Aufmerksamkeit oft umso stärker auf die wenigen bestehenden Unterschiede gelenkt. Nur durch wörtliche Reproduktion der vorausgehenden Schilderung könnte dies verhindert werden; diese Variante stellt jedoch eine noch ‚markiertere‘ Form des Erzählens dar und würde noch mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
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oder gänzlich verschiedene Geschehen wahrnehmen“ (2009: 22). Doch mit dieser Erweiterung des Begriffs bewegen sich Bode und Menhard im Grunde wieder genau auf die numerische Bestimmung von Multiperspektivität zu, die Nünning/Nünning (2000b: 18) aufgrund der „grenzenlosen Ausweitung“ des Konzepts zuvor bewusst zurückgewiesen hatten. Vereinfacht ausgedrückt scheint die Diskussion zwischen zwei verschiedenen und kaum zu vereinbarenden Polen zu oszillieren. Wird die Definition zu eng gefasst, so ist sie nicht in der Lage, den relevant scheinenden Phänomenbereich abzudecken, und erweckt den Eindruck von Unvollständigkeit. Wird sie hingegen direkt an den Perspektivenbegriff gekoppelt und bezeichnet nach der wörtlichen Bedeutung lediglich das Auftreten mehrerer Perspektiventräger in einem Text, so verliert das Konzept durch eine übermäßige Ausweitung seinen analytischen Nutzen. Obwohl Menhard (2009) diesen Widerspruch nicht explizit thematisiert, gleicht ihr Ansatz am ehesten einem Mittelweg, der danach strebt, beiden Aspekten gleichermaßen gerecht zu werden. In ihrem Versuch einer Synthese von Nünning und Bode sieht sie Multiperspektivität immer dann gegeben, „wenn ein Text mehrere (und idealiter auch unterschiedliche) Darstellungen und Deutungen des fiktiven Raumes vorführt, deren Vermittlungsinstanzen ihre Erzähl- und Wahrnehmungsvorgänge perspektivisch gebrochen präsentieren“ (26; meine Herv.). Mit dieser intuitiv einleuchtenden, aber bei genauem Hinsehen vagen Begriffsbestimmung betont Menhard, dass ‚im Idealfall‘ sowohl mehrere als auch unterschiedlich wahrgenommene Perspektiven inszeniert werden müssen, um eine multiperspektivische Erzählsituation zu schaffen. Abgesehen von der Frage, welche Begriffsbestimmung in nicht ‚idealen‘ Fällen angelegt werden soll, entsteht hier wieder die bereits bekannte Schwierigkeit der Definition textueller Kriterien einer unterschiedlichen Darstellung (vgl. Bode 2005: 251). Um diese Problematik zu entschärfen, wendet sich Menhard über den Umweg der possible worlds theory u. a. verstärkt rezeptionstheoretischen Überlegungen zu (z. B. 2009: 32f., 102–114) und bewegt sich damit von einer mit Textstrukturen arbeitenden Argumentation in Richtung einer leserorientierten Begründung.88 Das Problem der unterschiedlichen Schilderung wird auf den Rezipienten verlagert, dem eine „unabdingbare Rolle“ (2009: 26) bei der Herausarbeitung und Relationierung der Einzelperspektiven, d. h. bei der ––––––––––––– 88 Menhard bestimmt mit Bode (2005) die Notwendigkeit der Bezugnahme aller Perspektiven auf eine ‚gemeinsame‘ fiktionale Welt „als kleinsten gemeinsamen Nenner für die Zuweisung von Multiperspektivität“ (Menhard 2009: 23). Als Referenzpunkt für die Frage, ob Perspektiven eine solche gemeinsame „Schnittmenge“ aufweisen, verweist sie auf das „innerhalb der Gesamtperspektivenstruktur etablierte Wirklichkeitsmodell, das unter dem Begriff der textual actual world subsumiert werden kann“ (ebd.). Bei genauem Hinsehen bestimmt sie damit allerdings nur die Minimalbedingung für eine multiperspektivische Darstellung, legt aber keine Kriterien für eine hinreichende Definition des Phänomens fest.
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Bestimmung ihrer jeweiligen Unterschiedlichkeit, zugewiesen wird. Doch wie schon in früheren Ansätzen (vgl. Surkamp 2003: 66–83) wird diese Gedankenbewegung zwar angedacht, aber nicht konsequent zu Ende geführt, wodurch die Arbeit hinter ihrem rezeptionstheoretischen Potential zurückbleibt.89 Entsprechend der Forderung Reinfandts (2000: 150), dem zufolge „die Analyse von Perspektivenstrukturen in narrativen Texten rezeptionsorientiert erfolgen sollte“, wird im Folgenden eine konsequentere Ausrichtung des analytischen Blicks auf die rezeptionstheoretische Seite der mentalen Perspektivenkonstruktion vorgenommen. Anstatt nach den spezifischen (strukturellen) Eigenschaften eines multiperspektivischen Textes an sich zu suchen, soll stattdessen der Blick auf die Frage gelenkt werden, in welcher Weise Perspektiven und ihr Zusammenspiel in das Aufmerksamkeitsfeld des Rezipienten geraten. Dabei wird deutlich, dass die Schwierigkeiten der oben skizzierten Ansätze zum Teil darin begründet liegen, dass versucht wird, das Lesephänomen der Multiperspektivität mittels klar definierbarer textueller Kriterien zu beschreiben. Wie sich zeigen wird, ist dies jedoch nur mit Einschränkung möglich, da bei der Interaktion multipler Perspektiven gerade die „literarästhetisch höchst reizvollen Fälle“ (Bode 2005: 251) ein hohes Maß an semantischer und struktureller Kreativität aufweisen und sich nicht auf ein allgemein und eindeutig festlegbares Kontingent von Text- und Perspektivenkonfigurationen eingrenzen lassen. Diesem Umstand ist es geschuldet, dass Multiperspektivität kein einheitliches Phänomen darstellt, sondern in so unterschiedlichen Formen auftritt, dass sich aus struktureller Sicht sogar die Frage stellt, ob es sich dabei überhaupt um ein einheitliches Phänomen handelt (vgl. Bode 2005: 252).90 Um solch fundamentalen Einwänden begegnen zu können, scheint es notwendig, die Untersuchung von einer mit Textstrukturen arbeitenden Begriffsbestimmung auf einen rezeptionsorientierten Erklärungsansatz zu verlagern.
––––––––––––– 89 Dies liegt sicher auch daran, dass Menhards Arbeit nicht das Ziel verfolgt, Multiperspektivität rezeptionstheoretisch neu zu denken, sondern primär versucht, die Bezüge zwischen multiperspektivischem und unzuverlässigem Erzählen aufzuzeigen. 90 Dass Multiperspektivität in den unterschiedlichsten Formen auftreten kann, wird von einem Blick auf die Analysen der Texte bestätigt, die als multiperspektivisch behandelt werden. So unterscheiden sich z. B. die untersuchten Romane in Menhard (2009), Surkamp (2003), Nünning/Nünning (2000a), Lindemann (1999), Frank/Mölk (1991) oder Neuhaus (1971) sowohl inhaltlich als auch strukturell z. T. auf massive Weise voneinander.
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Multiperspektivität als Rezeptionseffekt Wendet man sich Multiperspektivität von einer rezeptionstheoretischen Seite aus zu, so scheint es sinnvoll, mit dem vielbeschworenen ‚Reibungseffekt‘ dieser Darstellungsform zu beginnen. In den vorhergehenden Kapiteln wurde gezeigt, dass Rezipienten sich textueller Strukturen u. a. dann verstärkt bewusst werden, wenn die darin enthaltenen Informationen nicht automatisch, d. h. ohne gesteigerten Verarbeitungsaufwand, in die bestehenden Repräsentationsstrukturen integriert werden können. Ein Text wie z. B. Livelys Moon Tiger stellt besonders hohe Anforderungen an den Leser, da hier nicht nur verschiedene Erzähl- und Fokalisierungsinstanzen auftreten, sondern Szenen (im Sinn der Nünning’schen Definition) zudem wiederholt, d. h. repetitiv aus verschiedenen Blickwinkeln dargestellt werden. Versucht man, sich die dabei maßgeblich beteiligten mentalen Prozesse zu vergegenwärtigen, so fällt zunächst die entscheidende Rolle metarepräsentationaler source tags auf (vgl. Kapitel IV.4). In der Tat wird der mentale Nachvollzug eines Textes mit einer so komplexen Erzählstruktur wie Moon Tiger nur dadurch möglich, dass Aussagen sowie geschilderte Wahrnehmungs- und Bewusstseinsinhalte als Metarepräsentationen gekennzeichnet und den entsprechenden Erzählern oder Reflektorfiguren zugeordnet werden können. Dieser Mechanismus stellt, mit anderen Worten, eine Bedingung der Möglichkeit der Rekonstruktion der Gesamtperspektivenstruktur eines Textes dar. Dabei gilt: Je stärker die Erzählung auf verschiedenen perspektivisch gebrochenen Darstellungen von Inhalten beruht, je mehr Figuren- und Erzählerperspektiven dabei insgesamt berücksichtigt werden müssen oder je uneindeutiger die Zuordnung von Gedanken, Aussagen und Wahrnehmungen zu einer bestimmten Perspektive inszeniert ist, desto mehr Informationen müssen kontinuierlich mit source tags versehen und nachverfolgt werden und desto höher ist folglich die notwendige kognitive Verarbeitungsleistung. Die Wahrscheinlichkeit, dass der mentale Konstitutionsprozess von Perspektiven dem Leser bewusst wird, erhöht sich, allgemeiner ausgedrückt, mit steigendem kognitiven Verarbeitungsaufwand: Generell lässt sich wohl sagen, dass die Multiplizierung von Erzählperspektiven die Ansprüche an den Leser und seine Lektüreleistung steigen lässt – wenn die einzelnen Perspektiven hinreichend dissonant oder diskrepant sind und wenn eine integrative Schließung durch eine übergeordnete Perspektive vorenthalten bleibt oder keinerlei Hierarchisierung und Privilegierung einer solchen überhaupt auszumachen ist. Fehlen nämlich solche expliziten Verknüpfungen oder hierarchischen ‚Aufhebungen‘, so muss die Vervielfältigung von Perspektiven unweigerlich zu einem Ansteigen der so genannten ‚Leerstellen‘ des Textes führen und damit zu
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einer gesteigerten Aktivierung des Lesers, der dazu provoziert wird, das integrativ zusammenzufügen, was sich nicht von sich aus fügt. (Bode 2005: 253)91
Wie Bodes Zitat verdeutlicht, stellt die Behinderung von Kohärenzbildung die vielleicht markanteste Strategie der Aufmerksamkeitslenkung in der Debatte von Multiperspektivität dar. Allerdings ist es mehr oder weniger auch die einzige Strategie, die gewöhnlich thematisiert wird. Doch Prozesse der Metarepräsentation oder eine erhöhte Integrationsleistung allein generieren weder automatisch einen Eindruck von Multiperspektivität, noch beschränken sich die Mechanismen der Aufmerksamkeitslenkung auf ein festes Repertoire von Inszenierungsformen zur Erzeugung von Dissonanz. Gerade an dezidiert multiperspektivisch wirkenden Texten wie z. B. Moon Tiger zeigt sich, dass üblicherweise stattdessen eine Kombination verschiedener Inszenierungsstrategien zum Einsatz kommt (repetitives Erzählen, wechselnde Erzählinstanz, fragmentarische Erzählstruktur). Tatsächlich können Erzähltexte sich prinzipiell einer Fülle unterschiedlichster Strategien der Betonung inhaltlicher und formaler Aspekte bedienen, die nicht notwendigerweise kohärenzerschwerend wirken. Doch obgleich von der uralten Kunst der Rhetorik bis hin zu neueren (empirischen) Studien zum Thema foregrounding ein gewaltiges Korpus an kritischer Erkundung dieses potentiellen Spielraums der literarischen Aufmerksamkeitslenkung im Allgemeinen vorliegt, wurde die Breite des Feldes in der bisherigen Debatte kaum in angemessener Weise berücksichtigt.92 Untersuchungen der „Varianten multiperspektivischer Vermittlung“ (Menhard 2009: 79) konzentrieren sich stattdessen vorwiegend auf Aspekte wie die Rolle „[der] Positionierung der einzelnen Sprecher innerhalb der diegetischen Textstruktur“ (80), d. h. auf die strukturelle Gestaltung von ––––––––––––– 91 Diese Aufgabe erweist sich freilich in manchen literarischen Texten als nicht durchführbar. Die Dissonanz zwischen individuellen Perspektiven eines Textes kann einen so hohen Grad erreichen, „dass die polyperspektivische Darstellung in kakophonisches Stimmengewirr einmündet“ (Lindemann 1999: 55), was üblicherweise „den Zusammenbruch einer eindeutig interpretierbaren Wirklichkeit“ (ebd.) signalisiert (vgl. Surkamp 2003: 67). Gerade solche Fälle lenken die Aufmerksamkeit jedoch besonders wirksam auf die Verfasstheit des Textes, da sie die Erwartungshaltung des Rezipienten durchkreuzen und eine stark illusionsdurchbrechende Wirkung ausüben. Zum wichtigen Thema des Bildens und Brechens von Illusionen siehe ferner Wolf (1993, 1990) sowie Bauer/Sander (2004). 92 Der Begriff des foregrounding bezieht sich auf Abweichungen von einer Erwartungsnorm, die auf diese Weise in den Vordergrund der Aufmerksamkeit des Rezipienten tritt. Das Konzept wurde zunächst von den russischen Formalisten unter dem Begriff der defamiliarization diskutiert (vgl. Schmid 2005) und später z. B. von Roman Jakobson aufgegriffen; in jüngerer Zeit beschäftigt sich insbesonders die Textverstehensforschung mit den Mechanismen von foregrounding. (Siehe dazu ausführlicher Sinding 2005b, van Peer/Hakemulder 2006 sowie van Holt/Groeben 2005). Eine Übersicht über spezifisch literarische Strategien der Aufmerksamkeitslenkung findet sich ferner bei Rabinowitz (1987: 47–75); zu literarischem Stil und foregrounding aus linguistischer Sicht vgl. Leech (2008) und zur besonderen Bedeutung von Anfang und Schlussgebung im Roman siehe u. a. Brian Richardson (2008) und Korte (1985).
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Erzählsituationen (z. B. die Zahl oder Art der Anordnung bzw. Einbettung von Erzähl- und Fokalisierungsinstanzen).93 Zweifellos kommt einem so zentralen Gesichtspunkt wie der Erzählsituation eines narrativen Textes eine wichtige Rolle bei der jeweiligen „Ordnung und Gewichtung der Einzelperspektiven untereinander“ (ebd.) zu. Doch das Spektrum potentieller Strategien der Aufmerksamkeitslenkung ist damit nicht annähernd ausgeschöpft: Von den metafiktionalen Kommentaren von Erzählern oder Figuren über metaphorisch suggestive Bilder (z. B. das ‚Kaleidoskop‘ in Moon Tiger, das ‚Jazz‘-Motiv in Trumpet), bis hin zu intertextuellen Referenzen bestehen zahlreiche Möglichkeiten der erzählerischen Betonung von Perspektivität, die mit der Struktur von Erzählsituationen im engeren Sinne nichts zu tun haben. Schon diese unvollständige Liste verdeutlicht vielmehr, dass eine erschöpfende Erfassung von foregrounding-Strategien zur Erzeugung von Multiperspektivität mittels einer Typologie von Erzählstrukturen kaum möglich ist. Darüber hinaus verdeutlicht der in dieser Arbeit entwickelte Ansatz, dass auf der Ebene der Interaktion und des Arrangements von Perspektiven derart vielschichtige Kombinationsmöglichkeiten vorliegen, dass schon allein in dieser Hinsicht ein kaum eingrenzbares Potential der Perspektivenbetonung vorliegt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die hier entwickelte Theorie der Perspektiveninteraktion auch im Kontext der Debatte von Multiperspektivität eine wichtige Rolle spielt. Wie in den vorhergehenden Kapiteln gezeigt, vollzieht sich die mentale Verhandlung des Zusammenspiels von Perspektiven in Form von blending-Netzwerken, bei denen es zu vielfältigen dynamischen Projektionen semantischer Gehalte kommt, die eine Vielzahl von Wegen zur Betonung spezifischer Aspekte und Inhalte ermöglichen. Dabei verhindert die dynamische Natur von conceptual integration zusammen mit dem Umstand, dass die Elemente der inputs nur selektiv in den blended space projiziert und dort mental weiterbearbeitet werden (composition, completion, elaboration), dass die semantischen ‚Produkte‘ selbst typischer Perspektivenkombinationen allgemeingültig vorhergesagt bzw. typologisch bestimmt werden können.94 Die dem blending-Modell inhärente kreative Offenheit spiegelt somit nicht nur das geradezu grenzenlose Potential von Literatur, ‚neue‘ semantische Strukturen zu erzeugen, sondern illustriert auch den gewaltigen Möglichkeitsraum der perspektivischen Aufmerksamkeitsbetonung. ––––––––––––– 93 Vgl. Menhard (2009: 79–101), Surkamp (2003: 103ff.) oder Nünning/Nünning (2000c: 43ff.). 94 Vgl. Fauconnier/Turner (1998: 136): „Conceptual blending is not a compositional algorithmic process and cannot be modeled as such even for the most rudimentary cases. Blends are not predictable solely from the structure of the inputs.“
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Blending unterstreicht damit den Umstand, dass es unzählige Erzählstrategien gibt, um die Aufmerksamkeit des Lesers auf die perspektivische Verfasstheit einer Erzählung oder das Wechselspiel ihrer multiplen Einzelperspektiven zu lenken. Multiperspektivität ist daher sinnvollerweise nicht als strukturelle Komponente oder Merkmal der Gesamtperspektivenstruktur zu begreifen, sondern lässt sich besser als emergenter Rezeptionseffekt definieren, d. h. als ein sich erst im Rezeptionsakt manifestierendes Leseprodukt der mentalen Text- bzw. Perspektivenverarbeitung. Ein solches Verständnis ist beispielsweise in der Lage, den weiter oben thematisierten Umstand zu erklären, dass das Phänomen zwar einige geradezu prototypische Formen aufweist, sich aber dennoch nicht auf ein definierbares Korpus an Spielvarianten eingrenzen lässt. So führt etwa die repetitive Darstellung eines Sachverhalts aus unterschiedlich gefärbten Perspektiven aus Gründen der Kohärenzbildung in nahezu allen Fällen zur Entstehung eines Eindrucks von Multiperspektivität; doch dies bedeutet nicht, dass das erzählerische Relevant-Werden von Einzelperspektiven bzw. ihres Zusammenspiels nur auf diese eine Weise inszeniert werden kann. In den Textanalysen der vorausgehenden Kapitel wurde vielmehr deutlich, dass das Zusammenwirken von Perspektiven sich in verschiedenen Texten auf unterschiedliche Weise und in idiosynkratrischer Form vollzieht, wobei die Grenzen zwischen der Akzentuierung einzelner und mehrerer Perspektiven beim Erzählen fließend sind. Vergleicht man etwa die Gegenüberstellung von grundverschiedenen Voraussetzungssystemen in Great Apes mit dem Perspektivenensemble in Trumpet oder der Betonung der autistischen Bewusstseinsperspektive Christophers in Haddons Curious Incident, so scheinen diese Texte grundverschieden und in ihrer Perspektivenstruktur kaum vergleichbar. Doch auch wenn sich diese Beispiele in Aufbau und Thematik deutlich voneinander unterscheiden, so kommt es doch in allen zu einer expliziten Betonung der perspektivischen Verfasstheit und Gebundenheit der involvierten Figuren. Obwohl Haddons Roman mit einer durchgängigen homodiegetischen Erzählsituation nach den Definitionen Menhards (2009: 26) oder Nünning/ Nünnings (2000b: 18) eigentlich keine multiperspektivische Erzählung darstellt, wurde gezeigt, dass auch hier die (Re)Konstruktion zusätzlicher Figurenperspektiven vom Text angeregt wird, die zur Ausdifferenzierung des Blicks auf die erzählten Ereignisse führen. Auf diese Art erweist sich der Effekt der Perspektivenbetonung in Curious Incident vom Standpunkt der Perspektivenrezeption als ‚verwandt‘ mit der Akzentuierung multipler Figurenperspektiven, wie sie in Erzählungen wie Great Apes oder auch Moon Tiger vorgenommen wird. Ohne definitorisch auf vereinfachende Kriterien wie diejenigen der Nünnings zurückzufallen oder eine (willkürliche) normative Taxonomie
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anzulegen, dürfte es faktisch kaum möglich sein, eindeutige Kriterien dafür bereitzustellen, wann genau ein Text als perspektivisch oder multiperspektivisch zu gelten hat. Anstatt an immer feineren Definitionen zu feilen und die unzähligen in literarischen Erzählungen vorliegenden Manifestationen der Betonung einzelner oder mehrerer Perspektiven in verschiedene narratologische Kategorien einzuteilen, scheint es aus diesem Grund sinnvoller, sie als Spielvarianten des im Grunde selben Rezeptionsphänomens zu deuten. Sowohl Perspektivität, d. h. die Betonung der subjektiven Gebundenheit bzw. Einfärbung einer Einzelperspektive, als auch Multiperspektivität, d. h. das Relevant-Werden verschiedener bzw. unterschiedlicher Perspektiven, sollen daher als Varianten eines übergreifenden Rezeptionseffekts verstanden werden. (Multi)Perspektivität ist, mit anderen Worten, ein Lesephänomen, das sich aus der (Re)Konstruktion von Perspektivenstrukturen ergibt, das allerdings nur in solchen Fällen auftritt, in denen entweder eine einzelne Perspektive oder das perspektivische Zusammenspiel in einem Text in das besondere Aufmerksamkeitsfeld des Rezipienten tritt. (Multi)Perspektivität ist damit keine Textstruktur, sondern ein vom Leser realisiertes Produkt textueller Strategien der Aufmerksamkeitslenkung. Diese können prinzipiell auf unterschiedlichsten Ebenen der Textverarbeitung ansetzen und sich einer großen Bandbreite von Mitteln bedienen; dazu gehören z. B. das Auftreten multipler Erzähl- und Fokalisierungsinstanzen, die Verwendung entsprechender metafiktionaler Kommentare, die Inszenierung markanter Differenzen bzw. Gemeinsamkeiten in der Gedankenwelt verschiedener Figuren oder der Einsatz (wechselnder) innerer Monologe bzw. Bewusstseinsströme zur Betonung der Individualität spezifischer Einzelperspektiven. Doch trotz der Möglichkeit, häufige und außergewöhnlich ‚bewährte‘ Inszenierungsstrategien (z. B. repetitives Erzählen) bestimmen zu können, lässt sich das kreative Potential der Aufmerksamkeitslenkung nicht in präzise festgelegte Kategorien bannen. Das Spektrum möglicher Wege der Akzentuierung (multi)perspektivischer Gesichtspunkte in einer Erzählung weist eine kaum eingrenzbare Breite auf, insbesondere da sich Texte üblicherweise einer Kombination unterschiedlicher Strategien bedienen. Zudem hängt die tatsächliche Realisierung eines Effekts der (Multi)Perspektivität nicht zuletzt vom (individuellen) Leser, d. h. von Aspekten wie etwa Wissensstrukturen, Lektüreerwartungen, Lesekompetenz oder emotionaler Anteilnahme, ab.95 Selbst wenn man, wie in einer rezeptionstheoretischen ––––––––––––– 95 Zum Problemfeld der Reaktionen von Lesern siehe einführend Eder/Jannidis/Schneider (2010b: 47–56) und Eder (2008: 565–644) sowie Bortolussi/Dixon (2003: 43–49) zu den Schwierigkeiten der Untersuchung empirischer Leser. Vor allem Eder macht in diesem Kontext darauf aufmerksam, dass Figurenperspektiven vom Rezipienten nicht nur untereinander in Bezug gesetzt werden, sondern immer auch in ein zusätzliches Verhältnis zur Perspektive
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Arbeit üblich, von einer Art ‚Modell-Leser‘ ausgeht (vgl. Kapitel IV, FN 8), so stellt sich in diesem Kontext die Frage, ob und inwiefern das historische Auftreten neuer Darstellungsstrategien bzw. die Vertrautheit mit kanonisch gewordenen Formen einen Einfluss auf die Entstehung perspektivischer Lektüreeffekte ausübt. Die Beantwortung einer so speziellen Frage geht jedoch über den eigentlichen Gegenstand der vorliegenden Arbeit hinaus, dessen thematischer Kern in der kognitionswissenschaftlich inspirierten Untersuchung der Konstitution und Interaktion von Figurenperspektiven besteht, aus der sich letztlich auch die hier vorgenommene Neuausrichtung des Begriffs der Multiperspektivität motiviert. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass dieser im Sinne eines übergreifenden Rezeptionseffekts bestimmt wird, der sowohl die erzählerische Betonung von Perspektivität als auch von Multiperspektivität einschließt, da sich die Grenzen zwischen der Akzentuierung einzelner und mehrerer Perspektiven aus rezeptionstheoretischer Sicht als nicht sinnvoll bestimmbar erweisen. Ein solches Verständnis hat nicht nur den Vorteil, die zentralen Schwierigkeiten vorhergehender Ansätze zu umgehen, sondern lenkt die analytische Aufmerksamkeit von der Diskussion der spezifischen Kriterien eines multiperspektivischen Textes auf die Frage der Inszenierung perspektivischer Merkmale. Anstatt eine Typologie zu entwerfen und dieser dann Erzählungen zuzuordnen bzw. sie auszuschließen, besteht der hier beschrittene Weg darin, eine allgemeine Theorie bereitzustellen, die im perspektivisch interessant wirkenden Bedarfsfall als heuristische Analysematrix verwendet werden kann.
VI.7 Zusammenfassung Der in dieser Arbeit entwickelte Ansatz versteht sich als ein komplementäres Analyse- und Interpretationswerkzeug, das seine volle Leistungsfähigkeit erst in Kombination mit anderen analytischen Instrumentarien zur vollen Entfaltung bringt. Neben einer Fortführung der zuvor entwickelten Theoriediskussion bestand das vordringliche Ziel des vorliegenden Kapitels VI aus diesem Grund darin, das Anwendungspotential des Ansatzes sowie seine Kombinierbarkeit mit anderen literaturwissenschaftlichen Theorien und Herangehensweisen beispielhaft unter Beweis zu stellen. ––––––––––––– des Rezipienten selbst treten: „Unsere imaginative und emotionale Anteilnahme an Figuren ist in doppelter Hinsicht perspektivisch: Wir haben durch unser Wahrnehmen, Wissen, Bewerten, Wünschen und Fühlen nicht nur bestimmte Perspektiven auf Figuren, ihre äußeren Erlebnisse und ihr Innenleben. Unsere Perspektive auf die dargestellte Welt – einschließlich der Figuren selbst – steht auch in bestimmten Verhältnissen zu ihrer eigenen.“ (2008: 595)
Zusammenfassung
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Dazu wurden fünf Erzähltexte der Gegenwartsliteratur gewählt, die sich sowohl inhaltlich als auch in ihrer Perspektivenstrukur deutlich voneinander unterscheiden. Anhand dieser Romane wurde exemplarisch gezeigt, dass eine auf blending gestützte Analyse perspektivischen Zusammenspiels an unterschiedlichste Erzählungen herangetragen werden kann und das Potential besitzt, dort auf fruchtbare Weise zu Erhellung oder Revision der Analyse und Interpretation dieser Texte beizutragen. So wurden die hier angestellten rezeptionsorientierten Überlegungen in so verschiedene Diskussionskontexte wie die erzählerische Evokation von Autismus (Curious Incident), die Thematik von gender passing (Trumpet), die satirische Präsentation utopisch verkehrter Welten (Great Apes), die erzählerische Verhandlung historiographischer Metafiktion (Moon Tiger) und die Problematik der Identitätsfindung in einer multikulturellen Gesellschaft (On Beauty) integriert. In jedem dieser Fälle führt der hier entwickelte Ansatz unter Einbezug bereits bestehender literaturwissenschaftlicher Diskussionen zu einer neuen und eigenständigen Lesart des Romans und stellt auf diese Weise seine breite und komplementäre Anwendbarkeit exemplarisch unter Beweis. Indem jede der Romanuntersuchungen sich als eine in sich geschlossene und vom Rest der Arbeit loslösbare Textanalyse präsentiert, soll zudem das Interesse am einzelnen literarischen Werk betont werden, das dem Verständnis von Literaturwissenschaft zugrunde liegt, in das die vorliegende Arbeit eingebettet ist. In dieser Hinsicht exemplifiziert Kapitel VI nicht nur die Einbindung der eigenen Theorie in die Methodenvielfalt der Erzähltextanalyse, sondern verkörpert auch das dem hier entwickelten Ansatz innewohnende doppelte Erkenntnisinteresse an individuellen Texten und übergreifenden theoretischen Kontexten. Die Romananalysen stehen daher nicht nur einerseits thematisch unabhängig voneinander, sondern werden andererseits durch ein gemeinsames Interesse an der theoretischen Weiterentwicklung und Veranschaulichung der in den vorhergehenden Kapiteln entworfenen Perspektiventheorie verbunden. In diesem Kontext gelingt es jeder der vorgenommenen Analysen, einen Beitrag zur weiteren Ausdifferenzierung und Exemplifizierung der hier entwickelten Theorie zu leisten. So kann beispielsweise anhand von Haddons Curious Incident gezeigt werden, dass auch monoperspektivisch erzählte Texte zur Ausprägung von Perspektivenstrukturen mit mehreren ausgestalteten Figurenperspektiven anzuregen vermögen, deren Konstitution sich in gegenseitiger Wechselwirkung vollzieht. Während Haddons Roman dergestalt die potentielle Bedeutung von Perspektiveninteraktion in homodiegetischen Erzählsituationen illustriert, wurde anhand des Protagonisten in Kays Trumpet u. a. die Bedeutung der von fiktionalen Akteuren vorgenommenen emotionalen Bewertungen für
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die Rekonstruktion mentaler Figuren- und Perspektivenmodelle deutlich. In der Analyse von Selfs Great Apes und Livelys Moon Tiger wurde darüber hinaus veranschaulicht, dass die literarische Destabilisierung von Perspektive bzw. Identität häufig mit einer simultanen (impliziten oder expliziten) Re-Affirmation derselben Kategorien einhergeht. Dabei konnte insbesondere an Moon Tiger die zentrale Rolle der kognitiven Mechanismen der Kohärenzbildung sowie die damit verbundene konzeptuelle Integration von Bedeutungsaspekten aus unterschiedlichen inputs bei der Perspektivenund Textrezeption verdeutlicht werden. In daran anknüpfender Weise wurde schließlich auch Smiths On Beauty dazu genutzt, die Bedeutung der graduellen Vergabe von Informationen für den Prozess der perspektivischen Aufmerksamkeitslenkung zu beleuchten. In diesem Zusammenhang wurde u. a. demonstriert, dass eine Perspektivenkonstellation schon innerhalb eines einzigen Kontexts zur Entstehung mehrerer (divergierender) Bedeutungslinien mit jeweils distinkten Funktionen anregen kann – ein Gedanke, der in der nachfolgenden Neuausrichtung des Multiperspektivitätsbegriffs aufgegriffen wurde. Mit der dort vollzogenen Bestimmung von Multiperspektivität, bei der das Phänomen nicht als eine Textstruktur, sondern als ein Rezeptionseffekt begriffen wird, sowie mit dem hier vorgenommenen Rückblick auf das Kapitel beschließt die Arbeit ihren theoretisch und analytisch argumentierenden Teil. Im nachfolgenden Kapitel wird ein abschließendes Résumé vorgenommen. Dabei werden die zentralen Aspekte der hier entwickelten Theorie nochmals in ihrem Zusammenspiel und ihrer Relevanz beleuchtet und in einem Ausblick mit möglichen theoretischen Weiterführungen der vorgelegten Ideen in Zusammenhang gebracht.
VII. Résumé und Ausblick Wie weit der perspektivische Charakter des Daseins reicht […] – das kann […] selbst durch die […] peinlich-gewissenhafteste […] Selbstprüfung des Intellekts nicht ausgemacht werden […]. Wir können nicht um unsere Ecke sehn: es ist eine hoffnungslose Neugierde, wissen zu wollen, was es noch für andre Arten Intellekt und Perspektive geben könnte […]. (Nietzsche 1999, Bd. 3: 626f.)
Für Friedrich Nietzsche besitzt das „Perspektivische […] den Charakter einer unhintergehbaren Lebensbedingung“ (Hofmann 1994: 45). Die Gebundenheit an den eigenen Standpunkt stellt für ihn aus epistemologischer, identitäts- und handlungsphilosophischer Sicht „die Grundbedingung allen Lebens“ dar: Eine Verfasstheit, die sich seiner Meinung nach nicht überwinden lässt und den „unhintergehbare[n] und nicht überschreitbare[n] Horizont“ (ebd.) des menschlichen Bezugs zu Welt und Wahrheit bildet. Doch schon das Beispiel von David Lodges Roman Thinks…, das in der Einleitung dieser Arbeit thematisiert wurde, legt nahe, dass Literatur entgegen all solcher erkenntnistheoretischer Beschränkungen das Bestreben innewohnt, ein imaginatives Überschreiten dieser Grenzen gleichwohl zu ermöglichen. Lodge verdeutlicht durch seinen spielerisch-amüsanten Umgang mit Nagels philosophischem ‚Fledermaus‘Argument, dass Erzählliteratur, trotz – oder gerade aufgrund – der perspektivischen Position des Menschen, den unermüdlichen Versuch darstellt, uns doch ‚um unsere Ecke‘ sehen zu lassen. Wie Lodges Roman jedoch ebenfalls nahelegt, beginnt dies nicht erst mit phantastischer Literatur, der Schaffung alternativer Universen und übernatürlicher Begebenheiten, sondern bereits der Einblick in die Erfahrungshaftigkeit fremder Bewusstseinswelten stellt im Prinzip eine solche Überschreitung unserer anthropologischen Verfasstheit dar (vgl. Hogan 2004). Doch genau wie wir die Gedanken, Gefühle und Positionen unserer Mitmenschen ‚indirekt‘ über die Interpretation ihrer Handlungen und Aussagen erschließen müssen, so beruht auch der Nachvollzug literarischer Bewusstseinsperspektiven auf einer Kombination zusammenwirkender Verstehensoperationen. In dieser Arbeit wurde deutlich, dass die imaginative Konstitution von Figuren und ihren Perspektiven aus rezeptionstheoretischer Sicht nicht nur mit der Ebene ihrer sprachlichen bzw.
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erzählerischen Vermittlung verknüpft ist, sondern sich als ebenso untrennbar mit der mentalen (Re)Konstruktion von Aspekten wie Handlung, situativem Kontext, Kausalbezügen und den Bezugsverhältnissen zu anderen Figuren verbunden zeigt. Schon allein um die häufig thematisierte radikale ‚Unvollständigkeit‘ fiktionaler Akteure zu kompensieren,1 bedarf es im Rezeptionsprozess nicht nur der konzeptuellen Integration all dieser Gesichtspunkte, sondern auch des Hinzutretens einer wahren Flut von Inferenzen. Während allerdings Aspekte wie z. B. die (Re)Konstruktion des fiktionalen Raums, die Interdependenz von Figur und Handlung oder die Bedeutung der erzählerischen Vermittlung in diesem Kontext zu den wohlbekannten und häufig thematisierten Elementen der Figurenzeichnung gehören, hat die zentrale Rolle perspektivischen Zusammenspiels bei der Rekonstruktion individueller Einzelperspektiven bisher nur unzureichend Beachtung gefunden. Figurenkonstellationen haben zwar Eingang in verschiedene narratologische Diskussionen genommen, jedoch zumeist nicht im direkten Kontext der kognitiven Mechanismen von Figuren- bzw. Textrezeption. So findet sich beispielsweise bei Eder (2008: 506ff.) eine Aufzählung der Zusammenhänge, in denen die Beziehungsverhältnisse zwischen Figuren untersucht werden können, wozu er u. a. die Abbildung von Konfliktkonstellationen, die Identifikation von Aufmerksamkeitshierarchien sowie die Untersuchung der Verteilung von Handlungsrollen oder dramaturgischen Funktionen rechnet (vgl. 464–520). Auch Pfister (1977), Nünning (1989a) oder Surkamp (2003) geht es bei der Analyse des Arrangements von Einzelperspektiven weniger um die rezeptionstheoretische Interdependenz verschiedener mentaler Figuren-/Perspektivenmodelle als um die übergreifenden Eigenschaften der Gesamtperspektivenstruktur (offene vs. geschlossene Perspektivenstruktur) und deren Funktion in Bezug auf die Wirkung des Werkganzen. Eine solche Herangehensweise unterschlägt jedoch die Bedeutung, die spezifischen Charakteristika individueller Figuren und einzelner Aspekte ihres Zusammenwirkens bei der Textrezeption zukommen kann, und erweist sich damit als zu grobmaschig für einen detaillierten Nachvollzug von Textverstehen. Der Versuch, Rezeptionsprozesse präzise zu durchleuchten zeigt indessen, dass die (Re)Konstruktion der individuellen Weltsicht fiktionaler Akteure nicht in Isolation verläuft, sondern dass sich dieser Vorgang auf semantische Interaktionsprozesse stützt, die neben der ––––––––––––– 1 Gemeint ist damit der Umstand, dass eine Erzählung aufgrund ihrer Endlichkeit dem Leser nur eine begrenzte Auswahl von Informationen bezüglich ihrer Figuren präsentieren kann; vgl. Margolin (2007: 68): „All texts are finite, while each entity can be specified with respect to an indefinite number of aspects. Consequently, textually created characters are radically incomplete as regards the number and nature of the properties ascribed to them.“
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betreffenden individuellen Perspektive auch die mentalen Modelle weiterer Perspektiventräger des Textes einbeziehen. Da die überwiegende Mehrzahl literarischer Erzählungen mehrere Figuren entwirft, stellt die kognitive Notwendigkeit, Figuren- und Perspektivenmodelle zu korrelieren, kein marginales Phänomen der Textrezeption dar. Aufgrund der zentralen Bedeutung, die die Inszenierung von fictional minds in der Erzählliteratur einnimmt (vgl. Palmer 2004), muss die Konstitution und Interaktion von Einzelperspektiven aus rezeptionstheoretischer Sicht vielmehr als einer der Grundbausteine des Text- und Literaturverstehens begriffen werden und bedarf einer eingehenden und eigenständigen Analyse. Das ‚Blending‘-Netzwerk als Modell der Perspektiveninteraktion Betrachtet man die literarischen Beispiele, die in den vorhergehenden Kapiteln Anwendung fanden, so wird deutlich, dass das Zusammenwirken von Figurenperspektiven nicht nur eine wichtige Rolle im Lektürevorgang einnimmt; es zeigt sich ebenso, dass Perspektivenkonstellationen mannigfaltige semantische Funktionen übernehmen können bzw. Texte in der Lage sind, die Rezeption ihres perspektivischen Zusammenspiels auf unterschiedlichste Weise zu orchestrieren. Da die mentalen Modelle involvierter Perspektiventräger nicht nur auf der Ebene der erzählerischen Vermittlung, sondern u. a. auch auf der des Inhalts, der Symbolik oder des Handlungsverlaufs potentiell in Bezug zueinander treten, entsteht ein gewaltiger Spielraum möglicher Interaktionsformen.2 Das Zusammenspiel individueller Perspektiven im Roman erweist sich, mit anderen Worten, als zu vielschichtig und multifunktional, um mittels Typologien oder einer Auflistung häufig auftretender Interaktionsformate befriedigend erfasst zu werden; hinzu kommt, dass gerade ungewöhnliche Fälle perspektivischen Zusammenspiels sich literarisch und narratologisch häufig als besonders reizvoll zeigen.3 Es bedarf aus diesem Grund eines Analysemodells, das flexibel genug ist, um mit der ungeheuren Bandbreite möglicher semantischer Interaktionsformen zurechtzukommen, und das gleichzeitig die notwendige Präzision aufweist, um nicht aufgrund allgemeinplatzartiger Vagheit jeden analytischen Nutzens zu entbehren. In der vorliegenden Arbeit wurde aus diesem Grund Gilles Fauconnier und Mark Turners blending theory (1998, 2002) als das konzeptuelle Rückgrat des hier entwickelten ––––––––––––– 2 Die textuelle Inszenierung von Perspektiven besitzt selbstverständlich nicht nur eine inhaltliche (semantische) Dimension, sondern auch die ästhetische (sprachliche) Verfasstheit des Textes wirkt sich maßgeblich auf den entstehenden perspektivischen Gesamteindruck aus. 3 Vgl. Bode (2005: 251) für ein ähnliches Argument in Bezug auf die Diskussion von Multiperspektivität.
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Ansatzes ausgewählt, da die Theorie beiden Anforderungen auf hervorragende Weise entspricht. Als allgemeines Konzept menschlicher Bedeutungsverarbeitung besitzt blending die geforderte semantische Flexibilität, während die Ausdifferenzierung der Theorie in mehrere Netzwerkkomponenten und semantische Projektionsprozesse ihr die notwendige analytische Präzision verleiht. Wird die Perspektivenstruktur eines Textes, d. h. das Arrangement der Einzelperspektiven, als blending-Netzwerk verstanden, dessen input spaces von den mentalen Modellen der involvierten Perspektiven gebildet werden, so entsteht eine allgemeine Matrix zur Beschreibung und Analyse literarischer Erzähltexte. Die Leistungsfähigkeit dieser Matrix liegt neben der Idee der Perspektivenstruktur (Pfister 1977; Nünning 1989a) und dem Rückgriff auf blending vor allem im hier entwickelten Konzept des mentalen Perspektivenmodells begründet, welches analog zu Scheiders (2000) mentalem Figurenmodell konzipiert ist. Es beschreibt eine holistische kognitive Repräsentationsstruktur, in der alle relevanten Informationen textueller oder inferentieller Art abgelegt werden, und die netzwerkartig mit anderen mentalen Repräsentationseinheiten wie Situationsmodellen oder weiteren Perspektiven- bzw. Figurenmodellen verknüpft ist. Das Konzept veranschaulicht durch seine gemeinsame Speicherstruktur, wie semantische Gehalte verschiedenster Art (z. B. Inferenzen, Lektüreerwartungen, literarisches Rezipientenwissen, textuelle Informationen zu Inhalt, Symbolik, Thema, etc.) sowohl innerhalb eines einzigen als auch zwischen verschiedenen mentalen Modellen in Verbindung miteinander treten können.4 Auf der Basis dieses Konzepts stellt nun die Theorie von Fauconnier und Turner den konzeptuellen Rahmen bereit, mit dessen Hilfe die semantischen Bezüge bzw. Interaktionen zwischen den individuellen Perspektiven fiktionaler Akteure modelliert werden können (vgl. Abb. 7).
––––––––––––– 4 Auf einer neuronalen Ebene könnten solche Informationsstrukturen nach dem Vorbild von Fauconnier/Turner (2002: 40) als „sets of activated neuronal assemblies“ und ihre Bezugsverhältnisse zueinander als „coactivation-bindings of a certain kind“ gedacht werden. Ohne dass die Autoren dies thematisieren, basiert diese Vorstellung auf der basalen These, dass sich Nervenzellen durch wiederholte gleichzeitige Aktivierung zu komplexen Gruppierungen zusammenschließen und auf diese Weise Gedächtnis- und Wissensstrukturen bilden: „[…] memories form when the strength of synaptic connections rises among neurons that are active at the same time – a state of affairs summed up by the slogan ‚Neurons that fire together wire together.‘“ (Schacter 2001: 38) Es muss jedoch zugeben werden, dass, obgleich dieser neuronale Vorgang bei der Gedächtnisbildung in seinen Grundzügen allgemein anerkannt wird (vgl. Baars/Gage 2010: 83ff.), die These in Bezug auf so spezifische semantische Strukturen wie blending-Netzwerke oder mentale Modelle derzeit kaum empirisch prüfbar ist und daher rein spekulativer Natur bleibt.
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Abb. 7: Perspektivisches Beispielnetzwerk bestehend aus drei Figurenperspektiven5
Abb. 7 zeigt eine schematische und aus Gründen der Übersichtlichkeit stark vereinfachte Darstellung eines aus drei Einzelperspektiven bestehenden Beispielnetzwerks. Ihr Ziel ist die Verdeutlichung der dem vorliegenden Ansatz innewohnenden Eigenschaft, individuelle Perspektiven gleichzeitig als eigenständige, in sich geschlossene Entitäten und als integrale Komponenten übergeordneter Bezugsstrukturen zu begreifen. Auf diese Weise wird dem Umstand Rechnung getragen, dass Figuren und ihre Perspektiven einerseits im Lektüreprozess als holistische und autonome fiktive Wesenheiten imaginiert werden, sich die Bildung ihrer mentalen Repräsentationen andererseits jedoch als semantischer Integrationsprozess im Sinne eines blending-Netzwerks vollzieht. Dies zeigt sich nicht nur darin, dass die inputs der Struktur ihre Eigenständigkeit als individuelle mentale Modelle bewahren, sondern auch dadurch, dass sie untereinander in dis––––––––––––– 5 Die Grafik zeigt das schematische Modell eines übergreifenden Perspektivennetzwerks (A/B/C) sowie die Bezugsverhältnisse der inputs A/B & B/C, die eigenständige blendingNetzwerke bilden. Alle drei Strukturen sind damit einerseits verbunden, stellen jedoch andererseits in sich geschlossene Bezugssysteme dar. Um die Illustration übersichtlich zu halten, wurde auf die Darstellung des ebenfalls möglichen Teil-Netzwerks A/C verzichtet. Wie bereits in der gesamten Arbeit bezieht sich der Begriff des Figurenmodells dabei auf alle anthropomorphisierbaren fiktiven Entitäten einer Erzählung.
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tinkte Beziehungsverhältnisse zueinander treten (können), die sich isoliert betrachten lassen und dabei die Form (vollständiger) blending-Netzwerke mit eigenen generic- und blended spaces (A/B und B/C) annehmen. Gleichzeitig sind jedoch alle Komponenten direkt oder indirekt mit dem Gesamtnetzwerk verbunden, dessen blended space als Perspektivenstruktur (A/ B/C) modellhaft die emergenten Eigenschaften der Gesamtstruktur verkörpert. Wie an dieser vereinfachten und mit drei inputs recht übersichtlichen Illustration eines perspektivischen Beispielnetzwerks deutlich wird, kann es innerhalb einer textuellen Interaktionsstruktur zu verschiedenen blends (A/B/C, A/B, B/C) sowie zur wechselseitigen semantischen Beeinflussung aller Teilstrukturen entlang der Verbindungslinien des Gesamtgeflechts kommen. Doch der analytische Nutzen des hier entwickelten Ansatzes beschränkt sich nicht nur auf eine solche Modellierung des ‚globalen‘ Netzwerkzusammenhangs der Perspektivenstruktur eines narrativen Textes. Seine besondere Qualität besteht speziell in der Möglichkeit, nicht nur Makro-, sondern auch Mikrostrukturen der Perspektiveninteraktion zu erfassen und analytisch zu erhellen. Möglich wird dies durch die von Fauconnier und Turners Theorie vollzogene konzeptuelle Auffächerung einheitlich wirkender Vorgänge der Bedeutungsbildung in eine differenzierte blending-Struktur interagierender aber distinkter Prozesse und Projektionsverläufe. Durch diese interne Interaktionsstruktur von blendingNetzwerken wird es möglich, einzelne Aspekte im perspektivischen Zusammenspiel zu identifizieren und daraufhin isoliert oder in ihrem Zusammenwirken zu betrachten. Eine solche Ausdifferenzierung in Einzeloperationen erlaubt das theoretische Erfassen von Bezugsverhältnissen in einer Weise, die weit über die Feststellung von Kontrast- und Korrespondenzverhältnissen hinausgeht und sich damit alternativen Konzepten als überlegen erweist (vgl. Abb. 8). Durch seine modellhafte Ausdifferenzierung des Phänomens perspektivischer Bedeutungsintegration gewährt der Ansatz einen besseren Einblick in die grundlegenden Mechanismen der Perspektivenrezeption, was zur Folge hat, dass auch auf der Ebene der Textanalyse das Zusammenwirken individueller Perspektiven in seinen Teilaspekten erfassbar wird und damit in den Fokus der analytischen Aufmerksamkeit gerät. Als heuristische Orientierungsmatrix für die Untersuchung von Erzählungen hält das Modell so dazu an, verschiedene Fragen an die Inszenierung perspektivischer Interaktion in einem Text zu richten. Beispiele für solche Fragestellungen, die sich an den Operationen des blending-Netzwerks orientieren, könnten lauten: Was sind die Gemeinsamkeiten, durch welche Einzelperspektiven (inputs) miteinander verbunden werden (cross-space mapping), und welche ihrer Aspekte und Inhalte gehen überhaupt in das entstehende
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Bezugsverhältnis (blend) ein bzw. spielen dort eine Rolle (selective projection)? In welcher Form enthält diese Beziehung ferner Bedeutungselemente, die nicht aus den konstituierenden Perspektiven abgeleitet werden können (Emergenz)? Zu welchen weiterführenden Inferenzen regt die entstehende Struktur an (elaboration) und wie wirkt sich der heraufbeschworene Gesamteindruck im Sinne eines Rückkoppelungseffekts auf die Vorstellung der input-Perspektiven aus (backward projection)?
Abb. 8: Blending-Operationen in einem Netzwerk bestehend aus zwei Figurenperspektiven
Neben derartigen analytischen Leitfragen ermöglicht der hier entwickelte Ansatz desweiteren durch seine detailliertere Aufschlüsselung der Perspektivenrezeption eine generell stärkere Berücksichtigung von sich unbewusst oder im erzählerischen Hintergrund vollziehenden Aspekten und Prozessen der Bedeutungsbildung. So wurde im Verlauf der Arbeit z. B. wiederholt deutlich, dass die Inszenierung perspektivischer Gegensätze oft von gegenläufigen semantischen Integrations- und Kohärenzbildungsprozessen begleitet wird (z. B. Moon Tiger). Während literaturwissenschaftliche Untersuchungen – gerade bei postmodernen Texten – ihren Fokus häufig allein auf Aspekte wie Differenz und Divergenz richten, erinnern cross-space mapping und generic space an die unabdingbare Rolle der kohä-
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renzschaffenden Herstellung von Ähnlichkeitsbezügen in jeder (textuellen) Verstehensoperation. Dementsprechend zeigt sich die erzählerische Akzentuierung von Kontrast oder Ähnlichkeit als häufig an die explizite oder implizite Evokation ihres Gegenteils geknüpft, sodass sich beispielsweise die Betonung von Gemeinsamkeiten besonders effektiv nach einer vorhergehenden Akzentuierung von Unterschieden in Szene setzen lässt (z. B. On Beauty). Der hier vorgelegte Ansatz ist allerdings nicht nur in der Lage, als derartige heuristische Analysematrix produktiv an eine Vielzahl literarischer Erzähltexte herangetragen zu werden, sondern die Aufschlüsselung der Mechanismen von Perspektivenkonstitution und -interaktion kann darüber hinaus zur kritischen Überprüfung weiterer narratologischer Konzepte genutzt werden. Eine solche Rekonzeptualisierung bestehender Ansätze wurde am Beispiel des Begriffs der Multiperspektivität durchgeführt. Dieser wurde von einer an Textstrukturen geknüpften Definition gelöst und als ein Rezeptionseffekt bestimmt, der sich aus der (Re)Konstruktion von Perspektivenstrukturen ergibt, allerdings nur in solchen Fällen auftritt, in denen das perspektivische Zusammenspiel aufgrund textueller Strategien der Aufmerksamkeitslenkung in den besonderen Fokus der Lektüre gerückt wird. Ausblick und Anknüpfungspunkte Die Begriffsbestimmung von Multiperspektivität ist jedoch nicht der einzige weitere narratologische Diskussionsgegenstand, an den der hier entwickelte Ansatz herangetragen werden kann. Die Reflexion von Perspektivenkonstruktion und -interaktion stellt keine Beschäftigung mit einem randständigen literarischen Phänomen dar, sondern widmet sich narratologisch-rezeptionstheoretischen Basismechanismen der Textrezeption, die sich auch in Bezug auf andere Fragestellungen von Relevanz oder möglichem Interesse erweisen können. Aufgrund des breiten Anwendungsspektrums von blending theory sowie der grundlegenden Rolle mentaler Modelle beim Textverstehen besitzt der hier entwickelte Ansatz das Potential, einen Beitrag zu allen (narratologischen) Debatten zu leisten, in denen die Perspektiven verschiedener Figuren direkt oder indirekt eine Rolle spielen. Dem Ansatz wohnt, mit anderen Worten, nicht nur der prinzipielle Anspruch inne, als komplementäres Analysewerkzeug auf Erzähltexte unterschiedlichster Art anwendbar zu sein, sondern er sieht sich zudem im theoretischen Bereich als konzeptueller Baustein der allgemeinen Ergründung von Textrezeption, der sich im Idealfall in verschiedene weitere Theoriegebäude einfügen lässt.
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Ein Beispiel für ein narratologisches Thema, in dem sich ein blendingbasiertes Modell perspektivischen Zusammenspiels als nützlich erweisen könnte, stellt etwa die Erörterung von unreliable narration dar. Ohne dass dieser Theorieaspekt explizit diskutiert wurde, zeigt die in Kapitel VI.1 vorgenommene Analyse von Haddons Curious Incident, dass zumindest in bestimmten Varianten unzuverlässigen Erzählens der entstehende Misstrauenseffekt mit dem Zusammenwirken von Einzelperspektiven zusammenhängt. Ein weiteres spannendes Thema besteht in der Fragestellung, in wie weit der hier entwickelte Ansatz auf gewinnbringende Weise auch bei hochexperimentellen literarischen Werken zum Tragen kommen kann, deren illusionsdurchbrechende Darstellungsstrategien die Vorstellung personenähnlicher Figuren- und Erzählerperspektiven vereiteln. Einerseits argumentieren Nünning/Nünning (2000c: 73f.) mit Rückgriff auf Fludernik (1996: 337f.) in diesem Zusammenhang durchaus überzeugend, dass Konzepte wie Figuren- und Erzählerperspektiven nur so lange sinnvoll verwendet werden können, wie Erzählungen „im Kontext eines im weitesten Sinne ‚realistischen Bezugsrahmens‘ […] rezipierbar, die Perspektiventräger anthropomorphisierbar und die Perspektiven […] nach lebensweltlichen Bezugsrahmen rekonstruierbar sind“ (73). Andererseits sind die zentralen Konzepte des hier vorgelegten Ansatzes (blending, mentale Modelle) von derart grundlegender Natur in Bezug auf die kognitive Textverarbeitung, dass es schwierig ist sich vorzustellen, wie die mentale Repräsentation einer Figur – solange sie noch irgendwie im entferntesten als eine solche identifizierbar ist – sich ohne Rückgriff auf diese Basismechanismen vollziehen sollte. Zumindest das blending-Netzwerk könnte sich, nach der Vermutung des Verfassers, als ein vielversprechendes Analyseraster auch in solchen experimentellen Texten erweisen, da es eine Möglichkeit aufzeigt, die mentale Verarbeitung illusionszerstörender und dissonanzerzeugender Textstrategien aus einer kognitiven Perspektive der Bedeutungsbildung zu durchleuchten. Doch neben solchen narratologischen Detailfragen bestehen die vielleicht größten Herausforderungen für eine Weiterentwicklung des hier entworfenen Ansatzes – neben einer Übertragung auf andere Gattungsbzw. Medienformen wie z. B. Drama und Film – in (1.) der Nutzbarmachung des Konzepts für diachrone narratologische Untersuchungen sowie (2.) der stärkeren theoretischen Integration von Handlungs- bzw. PlotElementen. So lässt sich beispielsweise in Bezug auf die Beziehung von Figur und Handlung mit Hogan (2010: 134) feststellen, dass beide Aspekte zwar allgemein als interdependente Konstituenten von Erzählliteratur akzeptiert werden, jedoch keinerlei Einigkeit darüber herrscht, wie sich der Bezug zwischen ihnen im Detail gestaltet. In der literaturtheoretischen Praxis äußert sich dies zumeist dahingehend, dass der Zusammenhang bei-
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der Gesichtspunkte entweder nicht diskutiert, oder der eine dem anderen hierarchisch untergeordnet wird. Dementsprechend entscheiden sich die meisten Ansätze für eine entweder plot- oder figurenorientierte Herangehensweise, im Lichte derer dann – wenn überhaupt – der Versuch unternommen wird, das Gegenüber als Teilaspekt in die Überlegungen zu integrieren. Auch die vorliegende Arbeit stellt mit ihrem an die Figur geknüpften Perspektivenverständnis in dieser Hinsicht keine Ausnahme dar. Doch trotz der vollkommen legitimen Praxis, Untersuchungsaspekte und -zusammenhänge in hochkomplexen Phänomenbereichen wie der Erzählliteratur heuristisch zu isolieren, unterstreicht bereits die zentrale Rolle des Situationsmodells bei der Textverarbeitung, dass Handlung (bzw. Plot) sowie auch Kausalität auf so untrennbare Weise mit der mentalen Verarbeitung von Figuren verwoben sind, dass der Versuch, diese Aspekte enger miteinander zu verknüpfen, im Kontext der hier entwickelten Theorie ein schwieriges aber lohnenswertes Unterfangen darstellen könnte. Ähnliches gilt für die Frage nach der diachronen Nutzung des vorgelegten Ansatzes. Die generelle theoretische Hürde, die es in diesem Zusammenhang zu überwinden gilt, besteht darin, dass der entwickelte Theorieentwurf als solcher weitgehend ahistorischer Natur ist. Die zentralen integrierten Konzepte (blending, mentale Modelle, theory of mind usw.) stellen derart basale Komponenten der menschlichen kognitiven Architektur dar, dass nicht davon auszugehen ist, dass sie in den letzten Jahrhunderten signifikante Veränderungen erfahren haben.6 Aus diesem Grund kann das Modell nicht direkt zur Untersuchung diachroner narratologischer bzw. literarischer Phänomene verwendet werden. Um es dennoch für historisch angelegte Untersuchungen nutzbar zu machen, müssen Analysekategorien entwickelt werden, die an die vorgelegte Theoriestruktur anknüpfen, um auf diese Weise z. B. eventuellen Veränderungen in präferierten oder dominanten Modi perspektivischen Zusammenspiels nachzuspüren. Überlegungen dieser Art skizzieren jedoch nur zukünftige oder potentielle Weiterführungen des hier entwickelten Theoriemodells. Die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit bestand indessen weder in einer Erkundung literaturhistorischer Verläufe noch in der Erforschung der (kleinen) Klasse hochexperimenteller Erzähltexte, sondern in der Entwicklung einer allgemeinen Theorie der Perspektivenkonstitution und -interaktion. Ein solcher Ansatz befindet sich aufgrund der zentralen Rolle, die Perspektiven bei der Textrezeption einnehmen, an der Schnittstelle zahlreicher literaturtheoretischer Diskurse. Anstatt den Versuch zu unternehmen, alle dabei ––––––––––––– 6 Zu den Phasen der Evolution der kognitiven Architektur des modernen Menschen siehe Donald (1991, 2006).
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möglicherweise relevanten Aspekte zu katalogisieren und das gesamte bestehende Anwendungspotential typologisch zu kartieren, lag das Bestreben der vorhergehenden Seiten darin, die Mechanismen der Perspektivenrezeption in ihren grundlegendsten Funktionsweisen zu erhellen und auf der Basis der gewonnenen Einsichten eine möglichst vielseitig anwendbare Analysematrix zur Untersuchung von Erzähltexten zu schaffen. Bei der Entwicklung der Theorie wurde zudem Wert auf den komplementären Charakter des Modells als einem zusätzlichen analytischen Werkzeug im Methodenensemble der Narratologie gelegt, um auf diese Weise der Tatsache Rechnung zu tragen, dass Literatur sich nicht im mentalen Nachvollzug fiktionaler Akteure und ihrer Perspektiven erschöpft. Vor allem stellt der hier entwickelte Ansatz jedoch ein Beispiel für eine konzeptuell fruchtbare Inkorporation kognitionswissenschaftlicher Gedanken in einen narratologischen Kontext dar. Die Arbeit versteht sich in diesem Zusammenhang daher nicht zuletzt auch als ein Plädoyer für einen kognitiv inspirierten Zugang zu Literatur und Erzählforschung. So wie Literatur – frei nach Nietzsche – den kontinuierlichen Versuch darstellt, uns ‚um unsere Ecke‘ sehen zu lassen, sollte auch die Literaturwissenschaft sich nicht ausschließlich in etablierten Theoriekontexten bewegen, sondern neuen Impulsen gegenüber aufgeschlossen sein. Auf den vorhergehenden Seiten wurde versucht zu demonstrieren, dass entgegen den Bedenken vieler Stimmen eine kognitiv ausgerichtete Herangehensweise an Literatur zu einem produktiven Beitrag im Bereich von Theorie und Analyse führen kann. In der Illustration einer interdisziplinären Synthese von kognitions- und literaturwissenschaftlichen Konzepten liegt dementsprechend der übergeordnete Sinn der vorliegenden Arbeit.
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IX. Verzeichnis der Abbildungen Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4 Abb. 5 Abb. 6 Abb. 7 Abb. 8
Die Konstituenten der Figurenrezeption ............................................. 101 Cross-Space Mapping ................................................................................... 133 Der Generic Space ....................................................................................... 134 Das Blending-Netzwerk: Grundform ...................................................... 136 Das Blending-Netzwerk: Grundform und Basisoperationen ............... 175 Semantische Operationen im Blending-Netzwerk ................................ 196 Perspektivisches Beispielnetzwerk bestehend aus drei Figurenperspektiven ................................................................................ 287 Blending-Operationen in einem Netzwerk bestehend aus zwei Figurenperspektiven ................................................................ 289
X. Glossar backward projection selektive Übertragung von neu entstandenen semantischen Strukturen aus dem Æblended space eines Æblending-Netzwerks auf einen der Æinput spaces; trägt der Tatsache Rechnung, dass blending-Operationen üblicherweise zum Entstehen neuer Bedeutungsstrukturen führen (ÆEmergenz), die in der Folge auf die Inhalte der zugrundeliegenden inputs zurückwirken (so kann z. B. der Vergleich zwischen zwei ÆFigurenperspektiven die ursprüngliche Vorstellung dieser Einzelperspektiven verändern). blended space (blend) Æmental space, der die semantischen bzw. konzeptuellen Strukturen enthält, die als Ergebnis bzw. Produkt einer Æblending-Operation entstehen; bildet sich aus der Projektion selektiver Inhalte (Æselective projection) der Æinput spaces, die dann durch weitere Inferenzen zu einem kohärenten Bedeutungsgefüge (ÆKohärenzbildung) verknüpft, ergänzt und ausgeschmückt werden (Æcomposition, Æcompletion, Æelaboration); geht auf diese Weise über die semantische Summe seiner inputs hinaus (ÆEmergenz) und kann sich signifikant vom Inhalt der input spaces unterscheiden; blending-Netzwerke verfügen über mindestens einen blend, der wiederum als input space eines weiteren blending-Netzwerks fungieren kann. blending (conceptual integration) allgemeiner kognitiver Mechanismus der Bedeutungsbildung bei der Zusammenführung von konzeptuellen Strukturen aus unterschiedlichen Quellen oder semantischen Feldern (Æinput spaces); wird in Form einer Netzwerkstruktur modelliert (Blending-Netzwerk/conceptual integration network), das der Beschreibung und Analyse von blending-Prozessen dient und sich in miteinander verbundene Æmental spaces aufgliedert, zwischen welchen es zu verschiedenen kognitiven Operationen bzw. Formen semantischer Projektion kommt (Æcross-space mapping, Æselective projection, Æbackward projection); blending geht üblicherweise mit der Entstehung neuer Bedeutung einher (ÆEmergenz) und liegt Prozessen der Informationsverarbeitung auf unterschiedlichsten Ebenen menschlicher Kognition zugrunde; verschiedene blending-Operationen können ferner parallel verlaufen und auf vielfältige Weise miteinander verknüpft sein, sodass konzeptuelle
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Glossar
Netzwerke großer Komplexität entstehen (megablend); bei der Textrezeption eignet sich blending u. a. zur Beschreibung des dynamischen Charakters der ÆPerspektiveninteraktion. completion Inferentielle Ergänzung des Inhalts eines blended space durch das Hinzuziehen von Hintergrundwissen (ÆInferenz); üblicherweise in Kombination mit Æcomposition und Æelaboration. composition Vorgang des Zusammenfügens der aus verschiedenen Æinput spaces eines Æblending-Netzwerks projizierten semantischen Strukturen zu einem einheitlichen und kohärenten Bedeutungsgefüge im Æblended space mittels verknüpfender ÆInferenzen; wird üblicherweise ergänzt durch Æcompletion und Æelaboration. cross-space mapping das Etablieren von gegenseitigen Referenzpunkten (counterpart connections) zwischen den Æinput spaces eines Æblending-Netzwerks (z. B. die Identifikation von Gemeinsamkeiten zwischen zwei unterschiedlichen Figurenperspektiven); Mechanismus der ÆKohärenzbildung, automatisch ausgelöst durch das Nebeneinanderstellen bzw. In-Bezug-Setzen verschiedener input spaces. elaboration Bildung von ÆInferenzen zur individuellen imaginativen Ausschmückung der Inhalte eines Æblended space; Fähigkeit, die Inhalte des blend mittels mentaler Simulation weiterzudenken bzw. durchzuspielen (running the blend); tritt üblicherweise in Kombination mit Æcomposition und Æcompletion auf. Emergenz – allgemein: ein Auftreten von Eigenschaften oder Qualitäten, die kausal nicht (hinreichend) aus den zugrundeliegenden Bausteinen bzw. Komponenten derselben erklärt werden können (‚das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile‘); – in Bezug auf Textrezeption: das Entstehen semantischer Inhalte bei der Kombination bzw. dem Zusammenfügen von Informationsstrukturen, die über die in diesen Strukturen enthaltenen Gehalte hinausgehen bzw. nicht auf sie reduziert werden können; zentraler Bestandteil von Æblending-Vorgängen, bei denen es aufgrund verschiedener inferentieller Prozesse (ÆInferenz) zu emergenten Strukuren im Æblended space kommt.
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Erzählerperspektive Konstrukt der individuellen Welt- und Wirklichkeitssicht eines fiktionalen Erzählers (analog zur ÆFigurenperspektive); wird nur für Erzähler gebildet, die als individuelle und personalisierbare Erzählfiguren auftreten (overt narrator), nicht jedoch für neutrale bzw. nicht näher spezifizierbare Sprechinstanzen, die sich einer Personalisierung entziehen (covert narrator). Erzählperspektive (ÆErzählsituation) Erzählsituation Organisation bzw. Struktur der erzählerischen Vermittlung in narrativen Texten; bezieht sich auf die diskursive Verfasstheit des Erzählten, die eine entscheidende Rolle bei der Bildung von Situations-, Figuren- und Perspektivenmodellen spielt, da Aspekte wie Narration und Fokalisation die pragmatische Zuordnung von Informationen zu Erzählern und Figuren lenkt; bildet daher bei konkreten Textanalysen eine wichtige, komplementäre Analyseebene zu der in dieser Arbeit untersuchten rezeptionstheoretischen Frage der semantischen Konstruktion von Figuren und ÆFigurenperspektiven. Figurenperspektive Konstrukt der individuellen Welt- und Wirklichkeitssicht einer Figur, die sich auf der Basis des Textgeschehens und im Zusammenspiel mit anderen Figurenperspektiven (ÆPerspektiveninteraktion) herausbildet und damit eine zentrale Stellung bei der Figuren- und Handlungsverarbeitung einnimmt (Æmentales Figurenmodell, ÆSituationsmodell); wird in Form eines ÆPerspektivenmodells mental repräsentiert und umfasst den gesamten Wirklichkeitsentwurf einer Figur, d. h. alle ihre individuellen Erfahrungen, Kenntnisse, Überzeugungen, Dispositionen und Werteinstellungen (Voraussetzungssystem); basiert u. a. auf der maßgeblichen Reflexionsbefähigung des Menschen, fremde Perspektiven mental zu simulieren bzw. nachzuvollziehen und ggf. imaginativ einzunehmen (ÆPersonenwahrnehmung). generic space Æmental space, in welchem Inhalte festgehalten werden, die (allen) Æinput spaces gemeinsam sind; bildet eigenständige Bedeutungsstruktur, in welcher die mittels Æcross-space mapping ermittelten Gemeinsamkeiten (z. B. Übereinstimmungen zwischen verschiedenen ÆFigurenperspektiven) abstrahiert und autonom repräsentiert werden; dient als Basis für weitere ÆInferenzen.
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Glossar
Inferenz Semantische Ergänzung oder Modifikation der im Text kodierten Informationen durch bereits vorhandenes (Welt)Wissen oder spontan bzw. neu erschlossene Inhalte und Einsichten (Kreativität); stellt einen integralen Bestandteil kognitiver Informationsverarbeitung dar und ist an allen Prozessen des Textverstehens maßgeblich beteiligt; findet (gleichzeitig) auf verschiedenen Verstehensebenen statt und nimmt unterschiedlichste quantitative und qualitative Formen an (von notwendigen Inferenzen zur Rekonstruktion minimalen Textsinns bis hin zu elaborierten und fakultativen Ausschmückungen individueller Leser); wichtiger Bestandteil von Æblending-Operationen, in denen es typischerweise zu charakteristischen Mechanismen der Inferenzbildung in Bezug auf den Æblended space kommt (Æcomposition, Æcompletion, Æelaboration), die dort zum Entstehen emergenter Strukturen (ÆEmergenz) führen. input space Æmental space, der eine der semantischen bzw. konzeptuellen Strukturen enthält, die als Ausgangspunkte bzw. Basis (inputs) einer Æblending-Operation dienen (z. B. ein ÆPerspektiven- oder ÆFigurenmodell); blendingNetzwerke verfügen über mindestens zwei, potentiell jedoch mehrere Æinput spaces. Interdependenz von Handlung und Figur wechselseitige Abhängigkeit der (Re)Konstruktion von Handlung und Figuren(perspektiven); basiert auf dem Umstand, dass das im Textgeschehen beschriebene Figurenverhalten stets zur Charakterisierung der entsprechenden Figuren beiträgt, während umgekehrt die mentale Verarbeitung einer Figur nicht ohne ein Wissen um deren Handlungen auskommt. Kognitive Literaturwissenschaft (cognitive literary studies) Sammelbegriff für literaturwissenschaftliche Ansätze, die sich durch ein Interesse an Theorien und Erkenntnissen der modernen Erforschung menschlicher Kognition auszeichnen und versuchen, diese zur Erhellung des eigenen Gegenstandsbereichs fruchtbar zu machen; das Forschungsfeld lässt sich dabei grob in Ansätze unterteilen, die sich (A) mit einer Untersuchung der spezifischen Mechanismen des Textverstehens auseinandersetzen (information processing paradigm) und (B), die sich mit darüber hinausgehenden und für das Literaturverstehen wichtigen, allgemeineren mentalen Dispositionen und Operationen der menschlichen Kognition beschäftigen (mental dispositions paradigm). [Leistungsfähige kognitive Ansätze sollten idealerweise Einsichten aus der Forschung zu beiden Paradigmen berücksichtigen und methodologisch als Analyse- und Verstehens-
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werkzeuge begriffen werden, die komplementär und nicht in Konkurrenz zum etablierten Methoden- und Theorierepertoire der Literaturwissenschaft zu sehen sind.] Kohärenzbildung automatischer und meist unbewusst verlaufender Versuch, gelesene Informationen in kohärente Bedeutungsgefüge zu ordnen; ist auf allen Ebenen menschlicher Wahrnehmung und Kognition einschließlich des Textverstehens wirksam und bedient sich häufig Mechanismen der Inferenzbildung (ÆInferenz); kognitive Basis zahlreicher Strategien textueller Aufmerksamkeitslenkung, bei denen durch Erschweren oder Verhindern automatischer Kohärenzbildung spezifische Aspekte einer Erzählung in den bewussten Fokus des Lesers gehoben werden (z. B. ÆReibungseffekt, ÆMultiperspektivität). mental space Rahmenkonzept zur Beschreibung der verschiedenen semantischen ‚Räume‘ eines Æblending-Netzwerks, die mit Bedeutungsgefügen unterschiedlichster Art gefüllt werden können und die zur Repräsentation und Verarbeitung dieser konzeptuellen Strukturen während eines blending-Prozesses dienen; werden unter Rückgriff auf im Gedächtnis verankerte Inhalte (z. B. ÆSchema und Æmentale Modelle) konstruiert bzw. modifiziert und treten in drei unterschiedlichen Typen mit jeweils spezifischen Funktionen und Positionen im blending-Modell auf (Æinput space, Ægeneric space, Æblended space). Mentales Figurenmodell holistisches Konstrukt (Æmentales Modell) zur kognitiven Verarbeitung und Gedächtnisverankerung einer spezifischen Figur, das die Grundlage für die imaginative Vorstellung derselben darstellt; bildet die rezeptionstheoretische Instanz der Datenverarbeitung, in/mit der alle figurenrelevanten Informationen abgelegt/verknüpft werden, und in die neben textuellen semantischen Gehalten auch kulturelle, soziale und literarische Wissensbestände sowie Rezeptionsemotionen und Bewertungen einfließen; greift bei seiner Herausbildung neben allgemeinen Mechanismen der Informationsverarbeitung (z. B. ÆKohärenzbildung, ÆMetarepräsentation) maßgeblich auch auf mentale Dispositionen und Strategien der ÆPersonenwahrnehmung zurück (z. B. Ætheory of mind). Mentales Modell kognitives Konstrukt zur mentalen Repräsentation, Verarbeitung und Gedächtnisverankerung einer holistisch oder episodisch organisierten Informationsstruktur wie beispielsweise einer Figur, ÆFigurenperspektive oder
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situativen Begebenheit (ÆFigurenmodell, ÆPerspektivenmodell, ÆSituationsmodell); kann während des Rezeptionsprozesses durch Integration neuer Informationen und ÆInferenzen kontinuierlich aktualisiert bzw. verändert werden (Dynamik) und zeichnet sich dementsprechend durch einen (potentiell) hohen Komplexitätsgrad aus. Mentales Perspektivenmodell holistisches Konstrukt (Æmentales Modell) zur kognitiven Verarbeitung und Gedächtnisverankerung einer individuellen ÆFigurenperspektive; bildet die rezeptionstheoretische Instanz der Datenverarbeitung, in/mit der alle perspektivenrelevanten Informationen abgelegt/verknüpft werden, und bildet als (eigenständiges) Teilmodell des Æmentalen Figurenmodells dessen wichtigste Komponente sowie die Grundlage der Verarbeitung jeder Form von ÆPerspektiveninteraktion. Metarepräsentation Fähigkeit, die Quelle einer Information bei ihrer Verarbeitung mental zu berücksichtigen, d. h. eine Repräsentation erster Ordnung (z. B. eine Aussage) gewissermaßen mit einer Herkunftsangabe zu versehen; kann heuristisch als ‚source tag‘ konzeptualisiert werden, das Informationsstrukturen in relevanten Fällen gewissermaßen angeheftet und ggf. wieder entfernt wird; spielt eine wichtige Rolle bei der Zuordnung von semantischen Gehalten während der Bildung und Interaktion von ÆFiguren- und ÆErzählerperspektiven (ÆPerspektiveninteraktion). Multiperspektivität Lektüreeffekt, bei dem das perspektivische Zusammenspiel einer Erzählung (ÆPerspektiveninteraktion) in das besondere Aufmerksamkeitsfeld des Rezipienten tritt (z. B. durch auffällige Parallelen oder ÆReibungseffekte); basiert auf verschiedensten im Text angelegten Strategien der Aufmerksamkeitslenkung (z. B. eine Erschwerung textueller ÆKohärenzbildung durch das Nebeneinanderstellen inkompatibler figuraler Sichtweisen auf ein und dasselbe Geschehen). Personenwahrnehmung sozial- und wahrnehmungspsychologische Vorgänge bzw. Strategien des Erkennens, Verarbeitens und Bewertens von Personen (z. B. Ætheory of mind; Æpreference rules); vollzieht sich in weitgehend eigenständigen kognitiven Modulen, die strukturell nicht an die spezifische Verarbeitung lebensweltlicher Wahrnehmung geknüpft sind und daher auch im Umgang mit anthropomorphisierbaren Figuren und Erzählern in fiktionalen Welten weitgehend zum Tragen kommen.
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Perspektive (ÆFigurenperspektive) Perspektiveninteraktion Vorgang des dynamischen und rekursiven In-Bezug-Setzens verschiedener individueller ÆFigurenperspektiven durch den Leser; wichtiger Bestandteil der Text- und Figurenrezeption, da Æmentale Perspektivenmodelle nicht isoliert voneinander gebildet werden, sondern es dabei zu unterschiedlichen Formen gegenseitiger Bezugnahme bzw. der Projektion semantischer Gehalte kommt; kann mittels Æblending modelliert und analysiert werden; führt typischerweise zur ÆEmergenz semantischer Strukturen, d. h. neuen Einsichten z. B. in die Handlung und/oder die individuellen Perspektiven der beteiligten Figuren (ÆInterdependenz von Handlung und Figur), was auf der Ebene der Textverarbeitung mit einer Modifikation der entsprechenden Æmentalen Modelle einhergeht. Perspektivenstruktur übergeordnetes, netzwerkartiges System der Beziehungen zwischen allen Einzelperspektiven einer Erzählung (ÆFigurenperspektive, ÆErzählerperspektive); verkörpert die schematische Gesamtstruktur der Figurenkonstellationen und ÆPerspektiveninteraktionen; kann während der Textrezeption modifiziert werden. Perspektivismus philosophische Position, die davon ausgeht, dass Gedanken, Erkenntnisse oder Handlungen nicht objektiv bzw. unabhängig vorliegen, sondern grundsätzlich an die spezifische Perspektive des denkenden, erkennenden oder handelnden Individuums gebunden sind. preference rules Hypothesen zu bestimmten Sachverhalten, die vom Rezipienten automatisch und standardgemäß angenommen werden, so lange bis sie explizit durch textuelle Informationen entkräftet werden (im Kontext der ÆPersonenwahrnehmung gehört dazu beispielsweise, dass Personen/Figuren u. a. eine eindeutige Identität, das Vorhandensein von Intentionalität sowie ein raumzeitlich-positionierter Körper zugeschrieben wird). Projektion hier: Übertragung semantischer Strukturen zwischen den Æmental spaces eines Æblending-Netzwerks (z. B. Æselective projection, Æbackward projection). Reibungseffekt durch Anordnung semantisch dissonanter Einzelperspektiven entstehender Lektüreeffekt in mehrperspektivisch angelegten Erzählungen; beliebte
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Strategie zur Erzeugung eines Eindrucks von ÆMultiperspektivität; wird ausgelöst durch eine Erschwerung bzw. das Durchkreuzen automatisch verlaufender Prozesse der ÆKohärenzbildung bei der Perspektivenkonstruktion. Schema eine Wissensstruktur, in der ein stereotyper Sachverhalt oder eine typische Situation (z. B. ein Restaurantbesuch, eine literarische Konvention) auf skelett- oder gerüstartige Weise im Gedächtnis verankert wird; fungiert als kognitive Orientierungshilfe, die abstrakte und generalisierte Informationen zur Verfügung stellt, mit deren Hilfe neue Erlebnisse, Wahrnehmungen oder textuelle Daten auf effiziente Weise zugeordnet und verarbeitet werden können; wird oft auch als script oder frame bezeichnet. selective projection selektive Übertragung von semantischen Strukturen aus den Æinput spaces eines Æblending-Netzwerks in dessen Æblended space; trägt der Tatsache Rechnung, dass nicht alle in den inputs enthaltenen Informationen eine Rolle bei deren konzeptueller Integration spielen (werden z. B. die Persönlichkeiten zweier Figuren verglichen, so sind dabei nicht notwendigerweise alle im Gedächtnis abgelegten Informationen zu diesen Figuren von Relevanz); ist ferner maßgeblich dafür verantwortlich, dass sich der blended space erheblich von seinen input spaces unterscheiden kann. Situationsmodell kognitives Konstrukt (Æmentales Modell), in welchem die erzählte Handlung repräsentiert und im Gedächtnis verankert wird; zentrale Komponente des Textverstehens, die hereinkommende Informationen während des Lesevorgangs aus Gründen kognitiver Verarbeitungsökonomie holistischepisodisch organisiert und entlang verschiedener situativer Dimensionen (Raum, Zeit, Figur, Kausalität, Motivation) fortlaufend aktualisiert und durch ÆInferenzen ergänzt (Situationsmodelle stehen bei der Konstruktion dadurch in wechselseitiger Abhängigkeit mit der Bildung von ÆFiguren- und ÆPerspektivenmodellen; ÆInterdependenz von Handlung und Figur). theory of mind (ToM) Fähigkeit, (anderen) Personen eigeständige mentale Zustände wie Intentionen, Emotionen, Überzeugungen zuzuschreiben; zentrale kognitive Fertigkeit der ÆPersonenwahrnehmung, die sich bei Kindern im Alter von drei bis vier Jahren entwickelt; wichtige Grundlage für die Bildung von ÆInferenzen bei der mentalen (Re)Konstruktion von Figuren und ÆFigurenperspektiven.
XI. Register XI.1 Personenregister Adler, Hans & Sabine Gross 18, 21, 24, 40f. Austen, Jane 27 Pride and Prejudice 94ff., 99 Bakhtin, Michail M. 58, 64f., 70f., 201, 270 Bal, Mieke 60, 166 Barnes, Julian History of the World in 10 ½ Chapters 183 Talking It Over 271 Baron-Cohen, Simon 4, 110, 112f., 200 Bartlett, Frederic C. 83 Belmonte, Matthew K. 113, 115 Bode, Christoph 68, 158, 161, 168, 181, 248, 257, 270–274, 276, 285 Bortolussi, Marisa & Peter Dixon 4, 17, 28, 43, 80, 93, 100, 102–107, 112, 155, 166, 279 Boyle, Thomas C. The Tortilla Curtain 253f. Brontë, Charlotte Jane Eyre 186 Brontë, Emily Wuthering Heights 117–121, 123ff. Browning, Robert The Ring and the Book 271 Bryson, Bill 13 Buchholz, Sabine 138, 140 Buschmann, Matthias 65f., 69, 215, 146 Butler, Judith 214 Byatt, A. S. 21f., 51 Possession: A Romance 80, 91f. Chatman, Seymour 60, 103f., 115, 166f. Chesnutt, Charles W. „Dave’s Neckliss“ 180, 190 Christie, Agatha Murder on the Orient Express 182 Coleridge, Samuel T. 119
Colla, Richard A. The Naked Lie 128ff., 149 Collins, Wilkie The Moonstone 181 Coover, Robert „The Babysitter“ 243 Cosmides, Leda & John Tooby 33, 46f., 111, 116f., 119, 124, 242f. Culler, Jonathan D. 42, 80, 227 Culpeper, Jonathan 20, 82, 93, 95, 97ff., 102 Dancygier, Barbara 126, 135, 138, 144f., 148, 178, 192 Dannenberg, Hillary 71, 73, 87, 89, 128, 138, 243, 269 Defoe, Daniel Robinson Crusoe 109, 115, 118, 181, 187 Dennerlein, Kathrin 86 Dickens, Charles Great Expectations 130 Dietrich, Arne 15, 29f., 32, 111 Eckstein, Lars 212ff., 221 Eder, Jens & Fotis Jannidis & Ralf Schneider 8, 89, 93f., 102, 107, 156, 279 Eder, Jens 6ff., 19ff., 59, 93, 97, 99, 107, 154ff., 166, 279, 284 Eibl, Karl 20, 33, 44 Eliot, George Middlemarch 162–167, 175f. Emmott, Catherine 83, 91f., 107, 130, 155 Evans, Bertrand 157 Evans, Vyvyan & Melanie Green 126ff., 132–135, 137, 143f., 177, 180
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Register
Fauconnier, Gilles & Mark Turner 7f., 10, 74, 79, 125ff., 131–149, 151f., 168, 173f., 176ff., 181, 183–194, 209, 230, 236, 244, 277, 285f., 288 Fauconnier, Gilles 46, 126–130, 132f., 149 Faulkner, William As I Lay Dying 179 The Sound and the Fury 16 Fludernik, Monika 5, 20, 55, 60, 87, 107, 122, 132f., 138, 166, 170, 208, 291 Fokkema, Aleid 93, 241, 243 Forster, Edward M. Howards End 255, 257, 260, 263, 266
Jackson, Tony E. 17f., 21, 25, 37, 39f. 44f., 241 Jahn, Manfred 20, 60, 122, 159, 161 Jahraus, Oliver 1, 42, 54f., 80, 168 Jakobson, Roman 7, 161, 169f., 276 James, Henry 89 James, William 75 Janich, Peter 17f., 20, 25 Jannidis, Fotis 80, 86, 88, 93, 99, 103f., 107, 114, 122f., 166, 168, 210, 216 Johnson, Bryan S. House Mother Normal: A Geriatric Comedy 271
Genette, Gérard 3, 60f., 63, 73, 87, 165, 272 Gerrig, Richard 20, 43, 46, 81f., 86, 88, 93, 97f., 101f., 106, 119, 185f. Gopnik, Alison 22, 112 Grabes, Herbert 103, 106, 170, 193, 265 Grady, Joseph 132f. Graesser, Arthur C. 28, 81, 84, 86, 88, 121 Greimas, Algirdas J. 75, 156 Griem, Julika 69, 223ff., 235
Kay, Jackie Trumpet 179, 211–222, 223, 247, 270, 277f., 281 Kneale, Matthew English Passengers 184f. Kuhn, Thomas 13, 18 Kurosawa, Akira Rashomon 271
Haddon, Mark The Curious Incident of the Dog in the Night-Time 16, 199–210, 211, 223, 278, 281, 291 Hagner, Michael 17f., 20, 24f., 32 Hallet, Wolfgang 96 Harding, Jennifer 180, 190f., 196 Harnish, Robert 15f. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 268 Hemingway, Ernest „The Killers“ 115 Herman, David 3, 18ff., 55, 60, 64, 71ff., 75, 86f., 89, 122, 165, 170, 208, 216 Hofstadter, Douglas 47 Hogan, Patrick C. 4f., 19f., 28, 33, 35f., 47ff., 51, 55, 73, 77f., 88f., 96f., 123, 126, 265, 283, 292 Holland, Norman 21, 29, 39, 52, 186 Hornby, Nick A Long Way Down 177f. Hutcheon, Linda 183, 237, 239 Iser, Wolfgang 5f., 42, 52, 64, 80, 142, 159, 171, 178, 185, 243, 271
Lakoff, George & Mark Johnson 86, 132 Laucken, Uwe 17, 27, 31ff., 42 Levine, Joseph 29f. Lewontin, Richard 24f., 36 Lindemann, Uwe 64ff., 69, 160, 271, 274, 276 Lively, Penelope Moon Tiger 198, 237–252, 253, 269f., 275–278, 281f., 290 The Photograph 179 Lodge, David 165, 169 Thinks…: A Novel 1ff., 16, 283 Lohse, Rolf 198, 235f. Malewski, Andrzej 43f. Mansfield, Katherine „Miss Brill“ 138–142, 149 Margolin, Uri 20, 55, 73, 93f., 96, 98f., 104, 115, 155, 166, 245, 184 Mausfeld, Rainer 4, 29f., 32, 75, 112 McHale, Brian 55, 229, 237 McIntyre, Dan 62, 71f. Menhard, Felicitas 69, 71, 155, 158, 161, 168, 170, 173, 180ff., 253, 257, 270– 278 Miall, David S. 14, 17, 24, 28, 41, 43, 81, 97, 185f., 191
Personenregister Midgley, Mary 25f., 37, 40 Mitchell, David Ghostwritten 183f. Neuhaus, Volker 64f., 274 Nietzsche, Friedrich 5, 252, 283, 293 Nolan, Christopher Memento 17 Nünning, Ansgar & Vera Nünning 3, 6, 11, 55, 59f., 64–70, 155, 158, 160f., 167, 169f., 174, 215, 247, 251, 253, 270–278, 291 Nünning, Ansgar 3, 7–12, 59ff., 67, 75f., 79, 123, 152, 156–170, 174, 182f., 193, 201, 226, 237–241, 250, 270f., 284, 286 Ondaatje, Michael The English Patient 180 Orwell, George Nineteen Eigthy-Four 187f. Palmer, Alan 3–6, 20, 73, 93, 95, 114, 120, 122f., 150, 154f., 192, 209, 216, 285 Pears, Iain An Instance of the Fingerpost 181 Pfister, Manfred 6f., 11, 57, 61, 68, 75, 156–160, 169f., 174, 193, 284, 286 Popper, Karl R. 41, 146 Reinfandt, Christoph 67, 240, 249f., 274 Rhys, Jean Wide Sargasso Sea 186, Richardson, Alan 15, 19f., 58, 122 Richardson, Brian 64, 87, 276 Richardson, Samuel Clarissa: Or, The History of a Young Lady 70, 162, 187, Rushdie, Salman Midnight’s Children 176, 239 Ryan, Marie-Laure 68, 71f., 86, 122, 166 Schmid, Wolf 3, 60, 62ff., 80, 166, 168, 211, 276, Schmidt, Siegfried J. 9, 17, 28, 42, 44, 54, 61, 76, 82, 155, 158f. Schneider, Ralf & Marcus Hartner 138
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Schneider, Ralf 7f., 10, 20, 50, 58, 73, 76, 80ff., 85–103, 108, 110, 130, 132, 138, 150, 155, 168, 183, 207, 209, 219, 245 Scott, Walter 172 Ivanhoe 186 Self, Will Great Apes 198, 222–236, 237, 278, 281f. Semino, Elena 20, 71f., 91, 138 Shakespeare, William Romeo and Juliet 156 Shelley, Mary Frankenstein 187 Slingerland, Edward 4, 53, 111, 125f., 135 Smith, Zadie White Teeth 254 On Beauty 198, 251, 252–269, 270, 281f., 290 Smollett, Tobias The Expedition of Humphry Clinker 162, 170–173, 175, 177, 180, 182, 271 Snow, Charles P. 38 Sperber, Dan 116f., 167 Stanzel, Franz K. 60, 63 Stockwell, Peter 18, 20, 46 Strasen, Sven 7, 20, 38, 58, 60, 80–84, 90ff., 155, 243 Surkamp, Carola 3, 59, 61, 63–72, 154f., 158–168, 170, 182, 207, 253, 274, 276f., 284 Swift, Graham Last Orders 178ff., 211 Swift, Jonathan 223, 224 Tallis, Raymond 20–23, 30, 37 Turner, Mark 20, 41, 43, 46, 87, 126, 132f., 135, 137f., 144, 174, 176, 181, 185, 188, 209 Umrigar, Thrity The Space between Us 189f. Uspenskij, Boris 62ff. van Dijk, Teun A. & Walter Kintsch 82ff., 105, 191 Vipond, Douglas & Russell A. Hunt 43, 191 Waugh, Patricia 14, 17f., 52f., 183
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Register
Wellek, René 12, 18, 103 Wolf, Werner 67, 69, 161, 168, 183, 271, 276 Woolf, Virginia Mrs. Dalloway 176
Zerweck, Bruno 20, 70, 93, 106, 208, 222, 226ff. Zunshine, Lisa 4, 19f., 33–37, 114–117, 119, 124, 155, 201, 242 Zwaan, Rolf 20, 81–89, 96f., 185
XI.2 Sachregister Affen als Spiegelfiguren 223f. Aktant (s. auch Figur) 75, 156 attribution theory 4, 112, 155 (s. auch theory of mind) Autismus 110, 113ff., 199ff. Autonomie (s. Leitlinien) backward projection (s. blending-Operationen) Bewusstsein 1ff. fiktionales Bewusstsein (s. auch fictional mind) 5, 10, 76f., 93, 122f. 151, 165f., 285 Gehirn & Bewusstsein 25, 28, 30, 49 solitude of consciousness 4 blending 7, 10, 125–152, 174–194, 285ff. Aha-Effekt 189 blended space, blend (s. mental spaces) heuristischer Charakter 147ff., 152, 176 Kompatibilität mit anderen Theorien 7, 131, 152 konzeptuelle Stärken 143f., 147ff., 152 Kritik 131, 135, 144–147 literaturwissenschaftliche Applikationen 138 Metaphorizität von blending 146 neurologische Basis 144, 145, 286 universeller Erklärungsanspruch 126f., 137, 146, 174 blending-Netzwerk 11, 132f., 136f., 174f., 193, 196, 277, 286f. single-scope networks 144 multiple blends 144 blending-Operationen 175, 196, 288f. backward projection 142, 180ff., 209 composition 140f., 182–185 completion 140f., 185f. elaboration 141f., 186f. counterpart connections 129, 133ff., 177, 244
cross-space mapping 132–137, 139, 176ff., 289 selective projection 135, 139, 180ff., 289 bottom-up (s. Informationsverarbeitung) Briefroman 64ff., 162 Chinese metaphysics 40 cognitive poetics 20, 46 cognitive turn/revolution 9, 14f., 19, 25, 45, 70 computational theory of mind (CMT) 15 conceptual integration (s. blending) contextual frames 83, 155 continuing consciousness frame 74, 120, 121ff., counterfactuals 128f., 138 crossover fiction 199 Dekonstruktion 54, 239 Detektivroman 64, 65, 181f., 202, 205 diachrone Fragestellungen 68f., 158, 292 Dialektik 268 discrepant awareness (s. auch Perspektivenstruktur) 157 Dissonanz (s. Reibungseffekt) Dualismus 28ff., 32 Dynamik und Textverstehen 92f., 98f., 107, 172 Dynamik der Perspektiveninteraktion 10, 11, 151, 168, 170 Dynamik & blending 7, 10f., 128, 131f., 136, 142f., 148f., 181, 277, Ebenen wissenschaftlichen Erklärens 47– 50 dependant hierarchy 47, 50 Emergenz 30, 48, 49, 51, 52, 151, 170, 173 Emergenz & blending 7, 11, 132, 135f., 140–143, 148f., 173, 186–193, 196, 278
Sachregister Emotionen 96f.112, 114, 200 Rezeptionsemotionen 96f., 100f., 109f., 150, 174, 279f. Empirie empirische Literaturwissenschaft 17, 24, 28, 44, 57, 155 empirische Methodik 28, 31, 40–44 Erkenntnistheorie, Wissenschaftstheorie 2, 4, 9, 13, 24, 28, 30, 32, 40f., 49, 55, 59, 145, 252f., 283 Induktionsproblem 32 Inszenierung epistemologischer Fragen 66, 215, 237 Münchhausen Trilemma 32 unterschiedliche Ausrichtungen von Natur- und Literaturwissenschaft 41ff., 52 Validität (intern & extern) 43 Erlebnishaftigkeit (experientiality) 5, 208 Erzähler (s. auch Perspektive) Erzählerfiguren als mentale Modelle 166f. overt & covert narrators 166 erzählerische Vermittlung (s. Erzählsituation) Erzählinstanz (s. Erzähler) Erzählsituation 58–64, 67, 161 evolutionäre Literaturtheorie 20, 33, 97 Evolutionspsychologie 14, 33ff., 39, 112, 292 explanatory gap 28ff., 30, 37f. fictional minds 6, 20, 122, 154 Figur (s. auch Perspektive) Figur als mentales Modell 92f., 94– 101 Figur als Symbol/Symptom/ Artefakt 107f. Figuren und Personenwahrnehmung 4, 101–108, 122 Figurenkonstellation (s. Perspektivenstruktur) Interdependenz von Figuren & Perspektiven 149f. Kategorisierung, Individualisierung & Personalisierung 98ff., 101 klassische Ansätze zur Figur 93f., 102–104 kognitive Ansätze zur Figur 93, 94– 103 Nebenfiguren 98, 129f.
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Universalien der Figurenkonstitution 122 Unvollständigkeit v. Figuren 284 Figur-Grund-Wahrnehmung 178 fiktiver Leser 167f. Film 59, 69, 93, 97, 109, 271 Fokalisation 60, 63, 65, 67, 73, 115, 211, 271 folk psychology (s. auch theory of mind) 112 foregrounding 178, 276f., 276 Bewusstwerden automatisierter Prozesse 243f., 275 frame (s. auch Schema) 90f. Gedächtnis 90ff. 97, 106, 130, 286 Wissensstrukturen 89, 91, 95f. 98f. 119, 242, 286 Welt- & Hintergrundwissen 95f., 101, 107, 140f. 150, 185, 190 provisorische Speicherstrukturen 124, 242f. Gehirn 15, 25, 28ff., 110f. Dekade des Gehirns 16 Gehirn als Zwischeninstanz 50 Gender 8, 217, 221 Gender Studies 19, 89 Gender Passing 213 Performativität v. Gender 214 general purpose model (s. auch Modularität) 29, 110f. generic space (s. mental space) Genre 8, 36, 83, 95f., 120, 138 Handlung (Plot) 83, 86f. 89, 97, 243f. Handlung & Figur 8, 86, 89, 122f. 159, 182, 192, 284, 292 Brain Plots 16 Handlungsrollen 156, 284 thought-action continuum 122f. Hermeneutik 41, 43f., 52ff., 55, 112 historiographische Metafiktion 183, 237ff. human scale (s. auch blending) 144 Identität Jazz als Metapher für Identität 213f., 221, Identitätsverlust 222 Illusionsbildung & -brechung 276, 291 Individualisierung (s. Figur)
372 Inferenzen 85–89, 96f., 100, 110, 117, 120, 140ff., 150, 182–188 bridging inferences 86 composition (s. blending-Operationen) completion (s. blending-Operationen) elaboration (s. blending-Operationen) Inferenztypen 86f. predictive inferences 97 information processing paradigm (s. kognitive Literaturwissenschaft) Informationsverarbeitung top down 85, 99, 100, 150 bottom up 85, 100, 150 Begrenztheit kognitiver Ressourcen 84, 90, 92, 117, 122 input space (s. mental spaces) Intentionalität 122 Interdiskurs 16, 53 Interdisziplinarität 17, 19, 21, 23, 26, 38– 56, 67 Interpretation Beispielanalysen 195–269 als literaturwissenschaftliche Aufgabe 41f., 53–55 Ironie 167 Kardinalpunkte 5 Kategorisierung (s. Figur) Kausalität (s. auch situative Dimensionen) 49, 84, 87f., 150, 243f., 292 Kognition backstage cognition 46, 127, 188, bewusste & unbewusste Prozesse 34, 46, 188–192, kognitive Architektur 29, 49, 78, 110, 117, 292 kognitiver Belohnungseffekt 34ff. kognitive Ontogenese 110f., 112f., 292 Kognitionswissenschaften (cognitive sciences) 1, 13ff. Erklärungsanspruch der Kognitionswissenschaft 27 Kognitive Literaturwissenschaft (cognitive literary studies) 19ff., 57f., 73f. information processing- & mental dispositions paradigm 20, 76, 78, 101f., 108, 124 Kritik 9, 21–47, 55f. Sinn und Unsinn 13–56 Kohärenz (s. Leitlinien)
Register Kohärenzbildung 82, 86f., 198, 242–245, 276, 290 Meta-Strategien der Kohärenzbildung 244 Streben nach Kohärenz 243f. Komik (Theorie des Komischen) 235f. komplementäre Konzeption des vorliegenden Ansatzes 8,11, 44, 53f., 108, 161, 193f. Ansatz als analytische Orientierungsmatrix 11, 148, 156, 194, 289 Diverse Erklärungsebenen 151, 155, 193f. Kombination von Theorie & Analyse 11, 195f. Synthese von Narratologie & Kognitionswissenschaft 8, 79, 108, 152, 155, 193, 293 Werkzeugcharakter der Theorie 11, 54, 193, 280, 293ff. Konstruktivismus 61, 76, 155 Kontrast- und Korrespondenzrelationen im blending-Netzwerk 135, 178ff., 193, 288, 290 im Ansatz v. Nünning 67f., 160ff., 169–173 Konventionen 35, 61, 95f., 158, 187, 244 Kreativität 79, 125f, 136, 142f., 145f., 148, 185ff., 253f., 277, 279 Leerstellen 97, 107, 122, 185, 275 Leitlinien (kognitiver Literaturwissenschaft) 9, 23, 50–56 Kriterium der Autonomie 52, 54, 55 Kriterium der Kohärenz 50ff., 55 Kriterium der Moderation 52f., 55 Leser 24, 69, 80f., 101, 142, 155, 168, 186f., 243, 275f., 279 fiktiver Leser 167f. Leser & Figuren 104 Leserreaktionen 279f. Modell-Leser 80, 86, 280 professioneller Leser 191 Rezeptionskompetenz & -motivation 100, 104, 186, 190ff., 279 Literarizität 81, 191 literary mind 46, 138 Literaturwissenschaft als ‚sterbende‘ Disziplin 23 Abkoppelung von der Gesellschaft 14
Sachregister Manifest der Hirnforschung 16f. Medien 36, 67, 105, 186 Mehrsträngigkeit 64 mental dispositions paradigm (s. kognitive Literaturwissenschaft) mental spaces 126–134, 146 access principle 129 blended space (blend) 133, 135f., 139– 143, 146, 176–179 generic space 133–136, 176–179, input space 11, 132–136, 139–143, 176–179 mentale Modelle als mental spaces 131, 174ff., 286 Mentale Modelle 78, 83ff., 92f., 150f. mentales Figurenmodell 8, 10, 78, 89–103, 151, mentales Perspektivenmodell 10f., 60f., 66f. , 99–102, 150f., 286 Integration neuer Informationen 84, 92, 245 Metakognition 191 Metapher Metaphern und Wissenschaft 20, 24ff., 26, 42, 56, 111, Metapher und blending 132f., 135ff., 146ff.,180 conceptual metaphor theory 132 Swiss-Army-knife Metapher 111 Metarepräsentation 10, 115–121, 275 decoupling 119, 120f. Ebenen der MR 117–121 MR & theory of mind 116 source tags 117, 119, 124, 275 mind reading, mentalizing (s. theory of mind) Moderation (s. Leitlinien) Modularität (des Gehirns) 29, 110f. Bindungsproblem 29, 111 Multiperspektivität 11, 64–72, 270–280 als Authentizitätsstrategie 252 als ‚Designprinzip‘ des Geistes 4 als wiederholte Darstellung 67f., 271f. als Rezeptionseffekt (s. auch Reibungseffekt) 251, 274–280 Formenvielfalt von MP 274, 278 Oberflächenstruktur (s. auch Textverstehen) 81–85 optimality principles (s. auch blending) 144
373
pattern completion 185 Personalisierung (s. Figur) Perspektive (point of view) Alltagsverständnis 59 Begriff/Konzept 2–6, 57–64, 75ff., 154 Figurenperspektive (s. auch mentales Modell) 2ff., 9f., 58–64, 66f., 72, 75f., 157ff. Erzählperspektive (s. Erzählsituation) Erzählerperspektive 5, 63, 75, 163– 168 Interdependenz von Figuren & Perspektiven 149f. mentales Perspektivenmodell (s. mentales Modell) Perspektiven als relationales Phänomen 154, 168 Perspektiven als ‚Grundbedingung‘ von Literatur 5, 10, 77, 151, 283 Perspektiveninteraktion 6–12, 153–194 Beispielanalysen 195–269 blending als konzeptueller Rahmen 7, 151f., 173, 174–194, 285–290 Konstruktion & Interaktion 192 Interaktion & Multiperspektivität 277ff. Multifunktionalität perspektivischer Interaktion 269 Relevanz 6, 170–173, 195, 197f. Perspektivenstruktur (s. auch Perspektiveninteraktion) 10, 64–69, 156–173, 275, 278, 284 als Netzwerkstruktur 158–163 als blending-Netzerk 192f., 285f. Figuren & Perspektivenkonstellationen 6ff., 155ff. offene vs. geschlossene Perspektivenstruktur 68, 160, 193, 284 Perspektivismus 59, 76, 157, 252f. Plot (s. Handlung) Polyperspektivität (s. Multiperspektivität) Polyphonie 58, 64, 65, 66, 70, 71, 270f. possible worlds theory (PWT) 67f., 70–73 postklassische Theorie 55, 60, 70 Postmoderne 229, 237, 253 postmoderne Figuren 241 Poststrukturalismus 53, 103f., 170, 239, 249 preference rules 79, 108, 121f., 124 primacy & recency effect 106, 155, 227
374 principle of minimal departure (s. auch possible worlds theory) 122 Propositionen 82f. Proteus-Prinzip 253 Qualia 30
Register solitude of consciousness 4 source tags (s. Metarepräsentation) Spiegelneuronen 22, 51, 112 Störvariablen 28 Strukturalismus 54, 71, 102–104, 161, 169f. Symbolik 180, 185, 285f.
Rahmungen (literarische) 271 Raum (s. auch Situationsmodell/situative Dimensionen) 62f., 75, 86ff., 90, 122, 150 Reduktionismus 22, 27, 33–37, 49, 51f., 56 Reibungseffekt (s. auch Multiperspektivität) 66, 154, 271, 275 Dissonanz als Textstrategie 243f., 275f., 291 Repräsentation (mentale) 82 Rezeption Rezeptionskompetenz (s. Leser) Rezipient (s. Leser) Rezeptionsästhetik (klassische) 57, 155 Rezeptionstheorie 5f., 19, 58, 77 Rezeptionslenkung 89, 97, 117, 141, 173, 187, 238, 243f., 269, 272 Aufmerksamkeitslenkung & Multiperspektivität 278f. Strategien der Aufmerksamkeitslenkung 276, 277 Rhetorik in der Wissenschaft 9, 23–26,
Textbasis (s. auch Textverstehen) 81–85 Textverstehen Textverstehen als Informationsverarbeitung 46, 81 Basismodell des Textverstehens 80– 89 theory of mind (ToM) 4, 10, 111–115, 121, 124f., 141, 150f. ToM & Autismus 113f., 200f. false-belief task 112f. simulation theory & theory theory 114 top-down (s. Informationsverarbeitung) Typologien Multiperspektivität 65, 66, 67, 160 nicht-typologisches Vorgehen des Ansatzes 11, 277, 280, 285, 293
sameness 261 Satire 223f. Schema 90ff. Schlussgebung 64 science wars 38f. script (s. Schema) selective projection (s. blending-Operationen) similarity & contiguity 169f. Simulation (s. elaboration) Situationsmodell 78, 81–92 event-indexing modell 84, 88 situative Dimensionen 84–89
What Is It Like to Be a Bat? 2 willing construction of disbelief 119
unzuverlässiges Erzählen 69, 201, 253, 291 Vergessen 82, 100, 117 Voraussetzungssystem 9, 61, 67, 158
Zeit (s. auch situative Dimensionen) 62f., 84f., 87f. 90, 122, 128, 150 temporale Dimension der Textrezeption 169, 243f., 265, 269