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German Pages 259 [260] Year 2013
Michael Jungert Personen und ihre Vergangenheit
Quellen und Studien zur Philosophie
Herausgegeben von Jens Halfwassen, Dominik Perler und Michael Quante
Band 117
Michael Jungert
Personen und ihre Vergangenheit Gedächtnis, Erinnerung und personale Identität
DE GRUYTER
Gedruckt mit finanzieller Unterstützung des Graduiertenkollegs „Bioethik“ (DFG GRK 889) der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
ISBN 978-3-11-033387-9 e-ISBN 978-3-11-033389-3 ISSN 0344-8142 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2013 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Meiner Familie
As I travel down life’s pathway, Know not what the years may hold. As I ponder, hopes grow fonder, Precious memories flood my soul. Precious memories, how they linger How they ever flood my soul. In the stillness of the midnight, Precious sacred scenes unfold. – Bob Dylan, Precious Memories Erinnerungen sind aus wundersamem Stoff gemacht – trügerisch und dennoch zwingend, mächtig und schattenhaft. Es ist kein Verlaß auf die Erinnerung, und dennoch gibt es keine Wirklichkeit außer der, die wir im Gedächtnis tragen. – Klaus Mann, Der Wendepunkt
Vorwort Die vorliegende Arbeit stellt die überarbeitete Fassung meiner Dissertationsschrift dar, die 2012 von der Philosophischen Fakultät der Universität Tübingen angenommen wurde. Mein Dank gilt an erster Stelle meinem Doktorvater Michael Heidelberger. Seine umsichtige Betreuung und die zahlreichen Gespräche zu den Thesen der Arbeit waren von unschätzbarem Wert. Friedrike Schick danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens und die darin enthaltenen Hinweise, die in die Überarbeitung eingeflossen sind. Thomas Potthast hat nicht nur das dritte Gutachten zur Arbeit verfasst, sondern deren gesamte Entstehung mit konstruktiver Kritik, hilfreichen Anregungen und fruchtbaren Diskussionen begleitet. Der Großteil dieser Arbeit entstand im Rahmen eines dreijährigen Promotionsstipendiums des DFG-Graduiertenkollegs „Bioethik“ der Universität Tübingen. Seiner Sprecherin Eve-Marie Engels danke ich für zahlreiche wichtige Hinweise und kritische Diskussionen, ebenso allen Teilnehmern der Doktorandenkolloquien, deren Beiträge und Anregungen meinen Blick für Chancen wie auch Herausforderungen eines interdisziplinären Forschungsdialogs geschärft haben. Hanspeter Mallot gab mir wichtige Hinweise auf für die Arbeit relevante Ergebnisse der Neuro- und Kognitionswissenschaften, ermunterte zum Blick über den disziplinären Tellerrand und wirkte zudem als Prüfer im Promotionskolloquium mit. Für die Mitwirkung an diesem Promotionskolloquium und für hilfreiche Hinweise und Fragen bedanke ich mich auch bei Klaus Sachs-Hombach und Ulrich Schlösser. Rüdiger Pohl und Tilmann Habermas trugen durch die kritische Lektüre und Diskussion der psychologiebezogenen Kapitel maßgeblich zu meinem Verständnis gedächtnispsychologischer Theorien und Forschungsergebnisse und zu deren Integration in die philosophische Theoriebildung bei. Einige zentrale Kapitel dieser Arbeit entstanden 2009/10 während eines Forschungsaufenthalts als Visiting Fellow am Department of Philosophy der Harvard University. Das inspirierende Forschungsumfeld, die intensiven Diskussionen mit den Teilnehmern des „Harvard Philosophical Psychology Lab“ und insbesondere die Gespräche mit Sean Kelly und Daniel Schacter, der sich als empirischer Psychologe furchtlos auf philosophische Fragen und Diskussionen einließ, haben enorm zur Entwicklung der Arbeit und der Ausgestaltung wichtiger Thesen beigetragen. Zahlreiche Freunde und Kollegen haben die Entstehung der Arbeit auf unterschiedlichste Art begleitet und unterstützt. Christoph Mocker, Elsa Romfeld, Thomas Sukopp, Markus Brandstetter und Thomas Würtz waren als kritische Diskussionspartner, Motivatoren und Korrekturleser unersetzlich. Für Sylvia Brockstiegers liebevolle Unterstützung und Fürsorge gibt es keine angemessenen
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Vorwort
Worte. Meinen Eltern und meiner Großmutter danke ich für die Förderung und Begleitung von Anfang an, ohne die diese Arbeit so nicht hätte entstehen können. Nicht zuletzt gilt mein Dank Michael Hampe, dessen Bamberger Vorlesungen und Seminare meine philosophische Neugier und Begeisterung zu allererst geweckt und mich auch von der Wichtigkeit disziplinübergreifenden Denkens überzeugt haben. Für die finanzielle Unterstützung danke ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie insbesondere der Köhler-Stiftung (Essen), die durch die großzügige Gewährung eines Abschlussstipendiums entscheidend zur erfolgreichen Fertigstellung dieser Arbeit beigetragen hat. Schließlich gilt mein Dank den Herausgebern Jens Halfwassen, Dominik Perler und Michael Quante für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe „Quellen und Studien zur Philosophie“ sowie Gertrud Grünkorn für die umsichtige Betreuung von Seiten des Verlages. Bonn und München, im Juni 2013
Michael Jungert
Inhalt . . .. .. . . .. .. ... ... ... ... ... ...
Prolegomena 1 1 Aufbau und Fragestellung der Arbeit (Inter‐)Disziplinäre Grenzen und Möglichkeiten von Philosophie und 6 Gedächtnisforschung Zum Verhältnis von Philosophie und empirischer 7 Wissenschaft Der methodische Ansatz der Arbeit 11 Gedächtnis und Erinnerung: Philosophische Analyse zentraler Begriffe 16 und Konzepte 17 Die Gedächtnissystematik bei Aristoteles 22 Die Mannigfaltigkeit von Gedächtnis und Erinnerung Formen des Erinnerns 22 Gedächtnissysteme und Kategorien der 27 Gedächtnisforschung 29 Deklaratives Gedächtnis 33 Nichtdeklaratives Gedächtnis Wittgenstein und die Frage nach dem impliziten Gedächtnis 35 Semantisches und episodisches Gedächtnis 40 43 Autobiographisches Gedächtnis Die Dynamik und Konnektivität von Gedächtnis und 50 Erinnerung
52 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung . Facetten personaler Identität 52 .. Personalitätskriterien 53 55 .. Synchrone Identität .. Diachrone Identität 56 56 ... Physis, Psyche und „Simple View“ 58 ... John Lockes Theorie personaler Identität .. Biographische Identität 62 . Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung .. Narrativität und biographische Identität 75 89 .. Narrativität und Erinnerung .. Erinnerung als roter Faden personalen Lebens 91 .. Autobiographisches Gedächtnis und biographische 105 Identität ... Psychologischer Input I: Das „Self-Memory System“
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105
XII
... ... ... ... ... ... .. ..
Inhalt
Psychologischer Input II: Das „Life Story Schema“ 113 126 Autobiographie, Narration und Emotion Identifikation und biographische Kohärenz 139 John Locke und die biographische Identität von Personen – 149 Ein Zwischenfazit Erinnerung im Kontext – Die soziale Dimension autobiographischen 157 Erinnerns 162 Autobiographisches Vergessen Unbewusste Identität? Implizites Gedächtnis und biographische Identität 174 In Memory We Trust? Biographische Identität und die Wahrheit 186 von Erinnerungen
Personen und ihre Vergangenheit – Résumé und Ausblick
Literaturverzeichnis
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Personen- und Sachregister
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1 Prolegomena 1.1 Aufbau und Fragestellung der Arbeit Gedächtnis und Erinnerung zählen ohne Frage zu den bemerkenswertesten Eigenschaften des Menschen. Dementsprechend sind sie seit jeher zentrale Gegenstände philosophischer Reflexion; angefangen bei der systematischen Analyse in Aristoteles’ „Über Gedächtnis und Erinnerung“¹ über John Lockes „Gedächtniskriterium“² personaler Identität in seinem „Versuch über den menschlichen Verstand“³ bis hin zu Paul Ricœurs phänomenologischer Studie „Gedächtnis, Geschichte,Vergessen“⁴. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Beschäftigung mit Gedächtnis und Erinnerung jedoch mehr und mehr in den Bereich der empirischen Wissenschaften verlagert, vornehmlich in die Psychologie, Biologie und Kognitionswissenschaft⁵, die eine immense Menge an Erkenntnissen über Funktionen und Fehlfunktionen, Systeme, Leistungen und Grenzen des Gedächtnisses hervorgebracht haben. Eher selten sind dagegen bis dato die Versuche geblieben, diese empirischen Ergebnisse mit philosophischen Fragestellungen und Problemen zu verknüpfen und sie dadurch beispielsweise für die Erhellung anthropologischer und erkenntnistheoretischer Aspekte von Gedächtnis und Erinnerung fruchtbar zu machen.⁶ Dies ist umso erstaunlicher, als beispielsweise mit der Frage nach der Bedeutung von Gedächtnis und Erinnerung für die personale Identität und nach der Wahrheit von Erinnerungen zentrale philosophische Themen in den Fokus der empirischen Wissenschaften gerückt sind. Dadurch stellen sich wichtige Fragen nach der Art und dem Zusammenhang von Erklärungsebenen sowie nach einer angemessenen Begrifflichkeit und Methodik. Ähnlich wie in der teils sehr aufgeregten Debatte über die Freiheit des menschlichen Willens⁷ bedarf es auch
„Peri mnēmēs kai anamnēsēos“ (Aristoteles 1997/330 – 322 v.Chr.; genaue Datierung unklar, zur Frage der Datierung vgl. Shields 2010/2000). Bei zwei angegebenen Jahreszahlen verweist die zweite stets auf das Jahr der Erstausgabe in der Originalsprache bzw. auf das Entstehungsjahr oder den Entstehungszeitraum des Werkes. Zur Diskussion der Schwierigkeiten, die mit der Zuschreibung dieses Kriteriums zu Lockes Position sowie mit seiner Definition verbunden sind, vgl. Kapitel 3.1.3.2 und 3.2.4.5 dieser Arbeit. „An Essay Concerning Human Understanding“ (Locke 2006a/1694 und 2006b/1694). „La mémoire, l’histoire, l’oubli“ (Ricœur 2004/2000). Diese noch junge Disziplin ist selbst bereits mehr ein interdisziplinäres Fach als eine klassische Einzelwissenschaft (vgl. Strube 2003, S. 56). Dies setzt freilich voraus, dass eine solche Bezugnahme und Verknüpfung erstens möglich und zweitens auch wünschenswert ist. Beides wird in Kapitel 1.2 begründet und genauer ausgeführt. Vgl. dazu etwa Geyer 2004 und Keil 2007.
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1 Prolegomena
auf dem Gebiet der Gedächtnisforschung einer soliden terminologischen und wissenschaftstheoretischen Basis, um dem komplexen und vielschichtigen Phänomen sowie dem in der heutigen Wissenschaftslandschaft häufig erhobenen Anspruch gelingender Interdisziplinarität⁸ gerecht werden zu können. In der vorliegenden Arbeit soll diesen inhaltlichen und methodischen Desideraten begegnet werden, indem zunächst einige grundsätzliche begriffliche und theoretische Fragen untersucht werden, welche die Unterscheidung und Charakterisierung verschiedener Formen von Gedächtnis und Erinnerung betreffen. Dabei wird gezeigt, dass und inwiefern sich Philosophie und empirische Gedächtnisforschung hinsichtlich des Ziels einer differenzierten Phänomenbeschreibung gegenseitig befruchten und einander ergänzen können. Auf der einen Seite lassen sich durch die philosophische Analyse beispielsweise wichtige Probleme und Hintergrundannahmen explizieren, die mit der Unterscheidung bzw. Unterscheidbarkeit von Erinnern und Wissen, der Unterteilung des Gedächtnisses in verschiedene Systeme sowie mit der Rede von einem „impliziten Gedächtnis“ bzw. von „impliziten Erinnerungen“ zusammenhängen. Auf der anderen Seite lässt sich zum Beispiel die philosophische Beschreibung unterschiedlicher Arten von Gedächtnis und Erinnerung durch die Ergebnisse der empirischen Gedächtnisforschung sowohl stützen als auch erweitern. Dies gilt vor allem für das „autobiographische Gedächtnis“, das zwar bei philosophischen Differenzierungen – etwa unter dem Begriff „personal memory“ oder „direct memory“⁹ – berücksichtigt wird, sich jedoch durch den Rückgriff auf die aktuelle gedächtnispsychologische Forschung wesentlich genauer beschreiben lässt. Eine solche genauere Beschreibung ist wiederum philosophisch relevant, weil durch sie wesentliche Elemente des Zugangs von Personen zu ihrer Vergangenheit sowie des personenspezifischen Umgangs mit dieser Vergangenheit erkennbar werden, die für die philosophische Debatte um die personale Identität und für die philosophische Theoriebildung nutzbar gemacht werden können. Diese Debatte bildet dann auch den Ausgangspunkt des Hauptteils der Arbeit. Zwar wird die grundsätzliche Bedeutung des Gedächtnisses in zahlreichen Theorien personaler Identität betont, jedoch bleiben Fragen nach dem Wie und Warum dieser Bedeutung, wie auch die Philosophin Marya Schechtman feststellt, zumeist unbeantwortet: „Analysis of identity has more or less stopped at the fact that it is constituted by memory, and we are left with no account of why memory
Zum Thema der Interdisziplinarität in der Gedächtnisforschung vgl. Welzer/Markowitsch 2006 sowie Sutton 2010/2003. Zu den mit interdisziplinärer Forschung im Allgemeinen verbundenen wissenschaftstheoretischen Aspekten und Problemen vgl. Jungert 2010, Löffler 2010, Voigt 2010 und Vollmer 2010. Vgl. dazu Kapitel 2.2.1 dieser Arbeit.
1.1 Aufbau und Fragestellung der Arbeit
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connections are so important.“¹⁰ In der vorliegenden Untersuchung wird argumentiert, dass diese Leerstelle auf die mangelnde Differenzierung zwischen unterschiedlichen Teilfragen personaler Identität und auf die Fokussierung der philosophischen Forschungsdiskussion auf den Aspekt der diachronen Identität von Personen zurückzuführen ist: Betrachtet man Gedächtnis bzw. Erinnerungen primär als formale Kriterien für die Zuschreibung von zeitlich zurückliegenden Episoden zu einer Person, wie es in Theorien diachroner personaler Identität zumeist geschieht, bleibt ihre inhaltliche Bestimmung und mithin die Frage, wie Gedächtnis und Erinnerung personales Leben zuallererst ermöglichen und konstituieren, zwangsläufig offen. Die skizzierte Forschungslücke soll – zumindest partiell – geschlossen werden, indem die Bedeutung von Gedächtnis und Erinnerung für die Konstituierung und Aufrechterhaltung der biographischen Identität von Personen untersucht wird. Bei diesem Teilaspekt der personalen Identität geht es nicht, wie im Fall der diachronen Identität, um die Identifikation von Personen im Sinne einer Antwort auf die Fragen, was eine Person zu einem Zeitpunkt t2 zu derselben Person macht wie zu einem früheren Zeitpunkt t1 und welche Kriterien oder Bedingungen für das Gegebensein zeitübergreifender Identität angeführt werden können. Vielmehr steht die Frage im Mittelpunkt, wie Menschen überhaupt zu Personen mit einer individuellen Biographie werden, ein reflexives Selbstverhältnis entwickeln und auf dieser Grundlage ein Leben als Person führen können. Es wird gezeigt, dass die Rolle von Gedächtnis und Erinnerung als „transmitter of influence“¹¹ diesbezüglich von entscheidender Bedeutung ist. Indem autobiographische Erinnerungen in den narrativen Gesamtkontext des Lebens integriert werden, entstehen bedeutungsvolle Strukturen, welche die Wahrnehmung des Lebens als Kontinuum und damit die für Personen charakteristische Gestaltbarkeit der eigenen Biographie zuallererst ermöglichen. Zur Erklärung eines auf autobiographischen Erinnerungen basierenden narrativen personalen Selbstverhältnisses, als das die biographische Identität von Personen hier konzipiert wird, bedarf es mehr als der bloßen Verfügbarkeit von Erinnerungen, die – etwa bei Derek Parfit¹² – als zählbare Einheiten betrachtet werden, von denen eine gewisse kritische Menge vorhanden sein muss, um die identitätskonstituierende Verbindung zur Vergangenheit einer Person zu ermöglichen. Zudem wird das Erinnerungsmodell, das psychischen Kontinuitätstheorien wie der von Parfit zugrunde liegt, der komplexen Struktur des Verhältnisses
Schechtman 1994, S. 3. Wollheim 1984, S. 101. Parfit 1984, S. 206. Vgl. dazu die Diskussion in Kapitel 3.2.4.5 dieser Arbeit.
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1 Prolegomena
und Zugangs von Personen zu ihrer Vergangenheit nicht gerecht. Ausgehend von der Kritik an diesem Modell wird eine Konzeption entwickelt, die unter Einbeziehung psychologischer Theorien zur Organisations- und Funktionsweise des autobiographischen Gedächtnisses verdeutlicht, inwiefern autobiographische Erinnerungen an der Konstituierung und Aufrechterhaltung biographischer Identität beteiligt sind. Dabei wird auch gezeigt, dass rationalistischen Theorien personaler Identität wichtige Bedingungsfaktoren biographischer Identität, wie die emotionale Komponente autobiographischer Erinnerungen, der Zusammenhang von impliziter und expliziter Erinnerung sowie die Bedeutung des Vergessens, nahezu gänzlich entgehen. Der Aufbau der Arbeit trägt diesem Argumentationsgang wie folgt Rechnung: In diesem Kapitel werden einige grundsätzliche wissenschaftstheoretische Vorüberlegungen zum Verhältnis von Philosophie und empirischer Wissenschaft angestellt (1.2.1), auf deren Grundlage der methodische Ansatz der Arbeit entwickelt wird, der die Möglichkeit einer gewinnbringenden Integration empirischer Ergebnisse in die philosophische Theoriebildung begründet und mit einschließt (1.2.2). Kapitel 2 beginnt mit einer kurzen Analyse des Gedächtnis- und Erinnerungsbegriffs, den Aristoteles in „Über Gedächtnis und Erinnerung“ entwirft und aus dem sich wichtige systematische Anhaltspunkte für die weitere Untersuchung ergeben (2.1). Daran schließt sich eine Diskussion verschiedener Gedächtnisbegriffe und Erinnerungsformen aus Philosophie und empirischer Gedächtnisforschung an, durch welche die Heterogenität der unterschiedlichen Phänomene deutlich wird, die sich hinter den Sammelbegriffen „Gedächtnis“ und „Erinnerung“ verbergen (2.2.1). Die dort vorgenommenen Differenzierungen werden durch die kritische Analyse der Aufteilung des Gedächtnisses in verschiedene „Systeme“ erweitert (2.2.2). Dabei wird insbesondere das autobiographische Gedächtnis thematisiert, dem hinsichtlich des Zusammenhangs von Gedächtnis und personaler Identität entscheidende Bedeutung zukommt (2.2.2.5). Am Anfang von Kapitel 3 steht die Unterscheidung verschiedener Teilfragen personaler Identität (3.1). In Abgrenzung zu der Debatte um Persönlichkeitskriterien (3.1.1) sowie zu den Problemen synchroner (3.1.2) und diachroner Identität (3.1.3) wird die biographische Identität von Personen als diejenige Dimension personaler Identität charakterisiert, die in der philosophischen Diskussion bis dato vergleichsweise wenig beachtet wurde, obwohl sie hinsichtlich der Untersuchung der Rolle und Bedeutung von Gedächtnis und Erinnerung am ergiebigsten ist, weil beide hier nicht als formale Kriterien zur Bestimmung von Identitätsrelationen, sondern als Ermöglichungsbedingungen personalen Lebens von Interesse sind (3.1.4). In Kapitel 3.2 wird die These von der inneren Beziehung zwischen Gedächtnis, Erinnerung und biographischer Identität im Detail entwi-
1.1 Aufbau und Fragestellung der Arbeit
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ckelt. Dazu wird zunächst ein im Kontext biographischer Identität plausibler Narrationsbegriff skizziert (3.2.1) sowie anschließend der Zusammenhang von Erinnerungen und Narrationen bzw. Narrativität verdeutlicht (3.2.2). Darauf folgt durch die Analyse und Erweiterung von Überlegungen Richard Wollheims die Explikation der Art und Weise, in der die Vergangenheit von Personen durch Erinnerungen Einfluss auf deren Gegenwart und Zukunft zu nehmen vermag (3.2.3). In Kapitel 3.2.4 wird dann der spezifische Zusammenhang von autobiographischen Erinnerungen und biographischer Identität in den Blick genommen. Zunächst werden zwei psychologische Theorien zur Organisations- und Funktionsweise des autobiographischen Gedächtnisses – das „Self-Memory System“ (Conway/Pleydell-Pearce) und das „Life Story Schema“ (Bluck/Habermas) – vorgestellt und diskutiert. Durch sie lassen sich die Mechanismen aufzeigen, welche die Selektion und Modifikation autobiographischer Erinnerungen sowie deren Integration in den Kontext des Lebens der Person als Ganzes mitbedingen (3.2.4.1 und 3.2.4.2). Auf dieser Grundlage werden im Anschluss der Zusammenhang von Narration und autobiographischen Erinnerungen sowie die Rolle von Emotionen und emotional konnotierten Erinnerungen für die biographische Identität genauer analysiert (3.2.4.3) und die Bedeutung der Konzepte der (biographischen) Kohärenz und der Identifikation eruiert (3.2.4.4). In Kapitel 3.2.4.5 wird ein Zwischenfazit gezogen: Im Ausgang von John Lockes Theorie personaler Identität und den zuvor in der Arbeit angestellten Überlegungen wird gezeigt, dass psychische Kontinuitätstheorien personaler Identität zu einer Auffassung von Erinnerungen als Verbindungen zwischen diskreten Bewusstseinszuständen verpflichtet sind, die sowohl in Anbetracht der gedächtnispsychologischen Ergebnisse als auch der philosophischen Analyse des Zugangs und Verhältnisses von Personen zu ihrer eigenen Vergangenheit unplausibel ist. Ein angemessenes Verständnis dieses Verhältnisses, so wird argumentiert, muss die narrative Struktur biographischer Identität, deren aktiven Charakter sowie die Verknüpfung und Organisation autobiographischer Erinnerungen berücksichtigen. In den beiden folgenden Kapiteln wird dies durch die Einbeziehung der sozialen Dimension autobiographischer Erinnerungen und biographischer Identität (3.2.4.6) sowie durch die Untersuchung der Bedeutung des Vergessens für die biographische Identität (3.2.4.7) weiter ausgeführt. Nachdem in Kapitel 3.2.4 und den dazugehörigen Unterkapiteln vor allem die Rolle expliziter autobiographischer Erinnerungen verdeutlicht wurde, wird in Kapitel 3.2.5 der Frage nachgegangen, was unter „impliziten Erinnerungen“ zu verstehen ist und inwiefern diese an der Konstituierung und Aufrechterhaltung biographischer Identität beteiligt sind. Zuletzt wird in Kapitel 3.2.6 gezeigt, was aus der im Hauptteil der Arbeit thematisierten Selektivität und Konstruktivität von Erinnerungen für die Frage nach
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1 Prolegomena
der Wahrheit autobiographischer Erinnerungen und für die Grenzen narrativer Theorien biographischer Identität folgt. Kapitel 4 beschließt die Arbeit mit einem Résumé und einem kurzen Ausblick auf Anschlussfragen und Forschungsperspektiven.
1.2 (Inter‐)Disziplinäre Grenzen und Möglichkeiten von Philosophie und Gedächtnisforschung Gedächtnis und Erinnerungen haben physische Grundlagen bzw. Korrelate, die von den Naturwissenschaften gegenwärtig intensiv erforscht werden. So unstrittig diese Feststellung an sich ist, so umstritten ist die Frage, was daraus methodisch und inhaltlich für eine adäquate wissenschaftliche Untersuchung dieser Forschungsgegenstände und für die mit ihnen befassten Disziplinen folgt.¹³ Eine Antwort auf diese grundsätzliche Frage ist im Kontext der vorliegenden philosophischen Arbeit wichtig, da ihr methodisch ein integrativer Zugang zugrunde liegen soll, der Erkenntnisse aus Psychologie, Neuro- und Kognitionswissenschaften berücksichtigt. Es stellt sich daher zunächst die Aufgabe, das Untersuchungsgebiet methodisch so abzustecken, dass die Möglichkeiten und Grenzen der philosophischen Bezugnahme auf empirische Erkenntnisse sichtbar werden. Diese Aufgabe wirft zahlreiche fundamentale wissenschaftstheoretische und metaphilosophische Fragen über den Status der Philosophie als Wissenschaft, ihre Methode(n) und die Art des durch sie generierten Wissens auf. Auch wenn man dem bekannten Diktum nicht zustimmt, die Zahl der Antworten auf solch grundlegende Fragen sei (mindestens) genauso groß wie die Zahl der an der Diskussion beteiligten Philosophen, muss in Anbetracht der Breite und Tiefe der Thematik im Rahmen dieser Arbeit doch eine Beschränkung auf wenige wesentliche Aspekte erfolgen. Im Folgenden sollen daher zunächst einige Überlegungen angestellt werden, die den methodisch-theoretischen Rahmen für die spätere Behandlung inhaltlicher Fragen bilden.
Diese Frage ist freilich nur eine Facette der umfassenden Diskussion über den Deutungs- und Erklärungsanspruch der Naturwissenschaften, die gegenwärtig vor allem im Kontext der Neurowissenschaften geführt wird (vgl. dazu beispielsweise Pauen/Roth 2001 und Sturma 2006). Für eine Darstellung verschiedener methodischer Ansätze zur Erklärung von Gedächtnis und Erinnerung in Neurowissenschaften und (Neuro‐)Philosophie vgl. Bickle 2011.
1.2 (Inter‐)Disziplinäre Grenzen und Möglichkeiten
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1.2.1 Zum Verhältnis von Philosophie und empirischer Wissenschaft Gibt es distinkte Grenzen zwischen Philosophie und den empirischen Wissenschaften und inwieweit bestehen Möglichkeiten der wechselseitigen Bezugnahme zwischen beiden? Zwar sind diese Fragen seit jeher Gegenstand (meta‐)philosophischer Reflexion, sie gewinnen jedoch in letzter Zeit zunehmend an Brisanz. So finden sich beispielsweise im Kontext der neurowissenschaftlichen Forschung Aussagen, die vom Postulat notwendiger und gewinnbringender Zusammenarbeit bis hin zu (gegenseitigen) Irrelevanzerklärungen reichen.¹⁴ Eine klassisch-neuzeitliche, unter anderem auf Kant zurückgehende Antwort auf die Frage nach dem Unterschied zwischen Philosophie und empirischer Wissenschaft basiert auf der Differenzierung von A priori- und A posteriori-Wissen sowie auf der mit ihr verwandten (jedoch nicht identischen) Distinktion von analytischen und synthetischen Wahrheiten:¹⁵ Während Philosophie sich mit erfahrungsunabhängigen, begrifflich-logischen Fragen befasse und auf notwendige Erkenntnis ziele, könnten empirische Wissenschaften aufgrund ihres erfahrungsbasierten Vorgehens zu bloß kontingenter Erkenntnis gelangen. Diese Vorstellung und die mit ihr verbundene Annahme, philosophische Analysen bedürften keiner Bezugnahme auf empirisches Wissen bzw. eine solche Bezugnahme sei aufgrund dieses fundamentalen Unterschiedes gar nicht sinnvoll möglich,¹⁶ repräsentiert eine immer noch anzutreffende Auffassung, die Kant selbst allerdings, z. B. in Bezug auf die Anthropologie, nicht vertreten hat.¹⁷ So schreibt etwa Mark Siebel in seinem Buch „Erinnerung, Wahrnehmung, Wissen“: Wenn in philosophischen Kontexten überlegt wird, was X ist, […] geht [es] nicht um die kontingenten Fakten, sondern um das, was (unbedingt, prinzipiell, „metaphysisch“) notwendig ist. Es geht um das, was in jeder möglichen Welt der Fall ist, weil es sich schon aus unseren Begriffen ergibt.¹⁸
Mit Bezug auf seinen konkreten Untersuchungsgegenstand schreibt er weiter:
Beispiele für solche Positionen geben Bennett/Hacker 2003, S. 398 f. Vgl. dazu auch Bickle 2011. Zur Diskussion dieser Unterscheidung mit Fokus auf dem Zusammenhang zwischen philosophischen und neurowissenschaftlichen Fragestellungen vgl. Hirstein 2004, S. 37– 42. Ein entschiedener Widerspruch zu dieser Annahme findet sich in Gendler 2010, S. 13 f. Zur Diskussion dieser Problematik mit spezifischem Bezug auf das Verhältnis von Philosophie und Psychologie vgl. Davies/Guttenplan 1986, Hamlyn 1986, Kitcher 1986, McGinn 1986 und Valentine 1986. Vgl. Schulz 2001/1972, S. 357 f. Siebel 2000, S. 8.
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1 Prolegomena
Wenn man auf diese Weise an die Frage „Was sind Gedächtnisspuren?“ herangeht, dann hilft einem die Neurophysiologie des Gedächtnisses nicht weiter,weil sie ein kontingentes Faktum ist. Man muß sich dann ansehen, was sich unabhängig von naturwissenschaftlichen Überlegungen über die Erinnerung, die Wahrnehmung und Gedächtnisspuren sagen läßt. […] Was ist für sie wesentlich und unwesentlich? Was für Eigenschaften haben sie schon aus begrifflich-notwendigen Gründen, also unabhängig davon, wie sie in bestimmten Organismen realisiert sein mögen? […] Diese Fragen sind genuin philosophisch. Sie lassen sich nicht dadurch beantworten, daß man das menschliche Gehirn untersucht, weil es kohärent denkbar ist, daß Gedächtnisleistungen in anderen Lebewesen eine ganz andere physische Basis haben.¹⁹
Siebels Überlegungen verweisen auf wichtige methodische und methodologische Fragen: Zunächst ist die seinen Ausführungen zugrunde liegende Annahme einer klaren Trennung bzw. Trennbarkeit von (reinen) Begriffen und (empirischen) Tatsachen spätestens seit Quines vieldiskutiertem Artikel „Two Dogmas of Empiricism“²⁰ in der Gegenwartsphilosophie äußerst umstritten.²¹ Quine versucht darin zu zeigen, dass die Analytisch/Synthetisch-Unterscheidung, deren Ursprung er bei Hume, Leibniz und Kant sieht, ein unhaltbares Dogma darstellt. Seine Argumentation nimmt ihren Ausgang von der Kantischen Konzeption analytischer Wahrheit: Kant’s intent, evident more from the use he makes of the notion of analyticity than from his definition of it, can be restated thus: a statement is analytic when it is true by virtue of meanings and independently of fact.²²
Quine schließt nachfolgend eine ausführliche Ex-Negativo-Definition analytischer Wahrheit an, in deren Verlauf er jeweils Widerlegungen gängiger Fundierungsversuche von Analytizität durch Definition, Austauschbarkeit, semantische Regeln, Verifikationismus und Reduktionismus anführt. Seinen „dogmenfreien“ Gegenentwurf skizziert er anhand der explanatorischen Metapher eines kugelförmigen Netzes von Wissenssätzen. Nach diesem Modell bilden die verschiedenen Arten von Sätzen bzw. Wissensaussagen ein eng miteinander verwobenes Netzwerk, „which impinges on experience only along the edges.“²³ Tritt ein Konflikt innerhalb dieses Netzwerks auf, etwa aufgrund eines Widerspruchs mit einem empirischen Satz an der Peripherie, so betrifft dies, aufgrund der Verbundenheit des ganzen Systems durch logische Beziehungen, auch die (schein-
Siebel 2000, S. 8 f. Quine 1951, S. 20 – 43. Zur aktuellen Diskussion vgl. exemplarisch Sober 2000, S. 237– 280. Quine 1951, S. 21. Quine 1951, S. 39.
1.2 (Inter‐)Disziplinäre Grenzen und Möglichkeiten
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bar) analytischen Kernsätze im Inneren. Der Clou von Quines Ausführungen liegt nun darin, dass ihm zufolge völlig unklar ist, welche Sätze in einem solchen Fall revidiert bzw. modifiziert werden: But the total field is so underdetermined by its boundary conditions, experience, that there is much latitude of choice as to what statements to reevaluate in the light of any single contrary experience.²⁴
Damit lösen sich auch die Grenzen zwischen analytischen und synthetischen Sätzen auf: Furthermore it becomes folly to seek a boundary between synthetic statements, which hold contingently on experience, and analytic statements, which hold come what may. Any statement can be held true come what may, if we make drastic enough adjustments elsewhere in the system. […] Conversely, by the same token, no statement is immune to revision. Revision even of the logical law of the excluded middle has been proposed as a means of simplifying quantum mechanics […].²⁵
Quines Schlussfolgerung lautet also, dass wir aus wissenschafts- und erkenntnistheoretischer Sicht keine guten Gründe dafür haben, an der Analytisch/Synthetisch-Unterscheidung festzuhalten. Vielmehr zeigt ihm zufolge auch der Blick auf die Wissenschaftsgeschichte – Quine nennt stellvertretend die Umbrüche von Ptolemäus zu Kepler, Aristoteles zu Darwin sowie von Newton zu Einstein²⁶ – dass Paradigmenwechsel auch solche Sätze oder „Wahrheiten“ betreffen können, die zuvor als analytisch wahr betrachtet wurden.²⁷ Quines Überlegungen können an dieser Stelle freilich nicht vertieft werden. Es gibt eine anhaltende Diskussion über die Richtigkeit seiner These, welche die (analytische) Philosophie in den letzten gut 50 Jahren immens befruchtet hat.²⁸ Auch wenn die Korrektheit seiner Annahmen umstritten ist, so zeigen sie doch zumindest, dass die Analytisch/Synthetisch-Unterscheidung als ein Fundament des oben genannten allgemeinen Philosophieverständnisses, demzufolge empi-
Quine 1951, S. 39 – 40. Quine 1951, S. 40. Vgl. Quine 1951, S. 40. Hierzu lohnt sich auch ein genauerer Blick in Thomas Kuhns „Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“ („The Structure of Scientific Revolution“; 2007/1962), weil in den von Kuhn geschilderten Fällen wissenschaftlicher Umbrüche deutlich wird, was Quine mit Änderungen von Kernüberzeugungen abseits der „empirischen Peripherie“ meint. Vgl. dazu auch Lakatos 1977, der diesen Aspekt im Rahmen seines Syntheseversuchs der Ansätze von Popper und Kuhn verdeutlicht. Vgl. dazu beispielsweise Sober 2000, Nimtz 2004 sowie Kompa/Nimtz/Suhm 2009.
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rische Erkenntnisse irrelevant für philosophische Fragen seien, keinesfalls so klar und selbstverständlich ist, wie es etwa bei Siebel den Anschein hat.²⁹ Ein zweiter und stärkerer Einwand lässt sich unabhängig von der Frage der Richtigkeit von Quines These erörtern: Das Spektrum philosophischer Untersuchungsgegenstände und Methoden geht deutlich über das hinaus, was Siebel und andere unter „Begriffsanalyse“ verstehen. Neben der Bedeutungsanalyse sprachlicher bzw. im weiteren Sinn symbolischer Ausdrücke, etwa in der Form von „Was ist Wissen/Wahrheit/Gedächtnis?“, lassen sich mit den gleichen Mitteln auch die Vorannahmen, Methoden und Ergebnisse empirischer Wissenschaft untersuchen. Dazu schreibt Peter Janich: Die Philosophie behandelt Bedeutung und Geltung sprachlicher Äußerungen in allen Formen ihres Auftretens, Verfahren und Strukturen von Begriffs- und Theoriebildung, den (empirischen oder apriorischen) Status von Ergebnissen, kurz, die wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Mittel der Diskussion von Wissenschaft.³⁰
Abgesehen von der oben diskutierten Frage nach dem (sprach‐)logischen Status philosophischer Aussagen lässt sich daher argumentieren, dass eine Beschränkung philosophischer Reflexion auf reine Sprach- bzw. Begriffsanalyse die Möglichkeit und Notwendigkeit des Ansetzens auf der Ebene empirischer Ergebnisse und einzelwissenschaftlicher Theoriebildung außer Acht lässt. Obwohl also das beispielsweise von Siebel postulierte sprachanalytische Programm einen wichtigen Bestandteil der Analyse philosophischer Probleme darstellt, ist im Fall unseres Untersuchungsgegenstandes eine Erweiterung um empirische Aspekte, wie sie in Kapitel 1.2.2 skizziert wird, möglich und sinnvoll. Ein dritter, mit den vorangegangenen Überlegungen eng zusammenhängender methodischer Aspekt soll abschließend kurz thematisiert werden: Siebel und andere Autoren stellen Common-Sense-Begriffe und alltagspsychologische Annahmen („folk psychology“³¹) in das Zentrum ihrer Analysen, wohingegen wissenschaftliche Begriffe kaum berücksichtigt werden. Dabei ist unklar, in welchem Verhältnis die Verwendung von Common-Sense-Begriffen zu der Forderung nach
Peter Baumann (2002, S. 309) nennt in seiner Rezension zu Siebels Buch unter Bezug auf neuere Theorien der direkten Referenz einen weiteren denkbaren Einwand: „Wenn Erinnerung eine natürliche Art darstellt (was nicht ganz unplausibel ist), dann könnte man dafür argumentieren, daß unser Wort ‚Erinnerung‘ eben auf Erinnerung referiert – und zwar ganz unabhängig davon, was wir für wesentliche Eigenschaften von Erinnerung halten.“ Janich 2008, S. 35. Zur philosophisch-psychologischen Debatte um den Begriff und das Konzept der „folk psychology“ vgl. die Beiträge in Greenwood 1991 und Hutto/Ratcliffe 2007. Für einen kritischen Überblick über verschiedene theoretische Ansätze vgl. Churchland 1991.
1.2 (Inter‐)Disziplinäre Grenzen und Möglichkeiten
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dem Absehen von kontingenten Fakten und dem postulierten Ideal der Einsicht in das notwendige Wesen der Dinge steht. Schließlich sind Alltagsbegriffe mindestens ebenso fehleranfällig wie wissenschaftliche Begriffe, dazu kommen die verstärkt uneinheitliche Verwendung sowie häufige Unschärfen und Bedeutungsvermischungen. Zu Recht fragt Peter Baumann daher: Was gibt eigentlich Anlaß zu der Annahme, daß unsere alltagspsychologischen Begriffe nicht in ähnlicher Weise radikal verfehlt sind? Warum sollte eine Analyse von common-sensepsychologischen Begriffen vor völliger Irrelevanz (angesichts divergierender wissenschaftlicher Ergebnisse) sicher sein?³²
Plausibler scheint vor diesem Hintergrund ein Ansatz, der sowohl alltagssprachliche und alltagspsychologische Intuitionen und Begriffe berücksichtigt als auch wissenschaftliche Begriffe und empirische Erkenntnisse, in unserem Fall Gedächtnis und Erinnerungen betreffende Ergebnisse aus Psychologie, Neuround Kognitionswissenschaften, in verschiedener Weise miteinbezieht.³³ Es lässt sich somit festhalten, dass die analytisch-begriffliche Arbeit, wie sie etwa Siebel in seinem Buch leistet, für die Philosophie zwar große Relevanz besitzt, (natur‐) wissenschaftliche Erkenntnisse jedoch nicht unberücksichtigt bleiben dürfen, um als Philosoph dem Risiko zu entgehen, dass die „begriffliche[n] Untersuchungen ins Leere laufen.“³⁴ Nachfolgend wird skizziert, wie die Bezugnahme auf empirische Ergebnisse im Kontext der konkreten Fragestellung dieser Arbeit geschieht.
1.2.2 Der methodische Ansatz der Arbeit Was bedeuten die bis hierhin entwickelten Gedanken für das methodische Vorgehen in der vorliegenden Arbeit? Die vorangegangenen Überlegungen implizieren keine Nivellierung der Verschiedenartigkeit empirisch-naturwissenschaftlicher und philosophischer Forschung.Vielmehr soll im Folgenden ein integrativer Ansatz verfolgt werden. „Integrativ“ meint dabei, dass empirische Erkenntnisse an einigen (jedoch
Baumann 2002, S. 309. Auf dieser Feststellung basiert auch der methodische Ansatz der aktuellen philosophischen Strömung „Experimental Philosophy“, der zufolge Intuitionen und Common-Sense-Begriffe einen unzureichenden Ausgangspunkt philosophischer Überlegungen bilden. Dieser Ansatz geht allerdings weit über das hier geforderte Einbeziehen bestimmter empirischer Erkenntnisse hinaus, da „Experimentalphilosophen“ postulieren, dass von Philosophen selbst durchgeführte Experimente zur weiteren Fundierung philosophischer Theoriebildung nötig seien (vgl. dazu Schroeter 2008, S. 433 – 445 sowie Knobe/Nichols 2008). Baumann 2002, S. 309.
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1 Prolegomena
nicht an allen) Stellen philosophischer Analyse und Theoriebildung berücksichtigt werden, ohne damit eine Angleichung oder gar Gleichsetzung der Untersuchungsgegenstände und Methoden nahezulegen, wie auf den folgenden Seiten gezeigt wird. Dies bedeutet eine Positionierung zwischen solchen Ansätzen, die empirischen Ergebnissen keinerlei Relevanz für philosophische Untersuchungen zuschreiben, und solchen, die z. B. unter Berufung auf Quine keine prinzipiellen Unterschiede zwischen empirischen und nicht-empirischen Vorgehensweisen sehen und Philosophie folglich höchstens noch als Kontinuumsbestandteil ohne spezifisches Aufgabengebiet und Themenrepertoire erachten.³⁵ Die Analyse von Begriffen, Konzepten³⁶ und Theorien ist und bleibt ein zentraler und charakteristischer Bestandteil philosophischer Untersuchungen. Die Philosophie verfügt über keinen klar umrissenen Gegenstandsbereich, wie es bei den Einzelwissenschaften tendenziell der Fall ist. Dies hat unter anderem den Grund, dass sie sich nicht mit einem bestimmten Teilbereich der Wirklichkeit, etwa dem Sozialen, dem Biologischen etc. befasst. Vielmehr setzen philosophische Betrachtungen auf einer Metaebene an: Wie bereits gezeigt, können solche Untersuchungen sowohl auf der Ebene wissenschaftlicher Begriffe, Konzepte und Theorien als auch auf der Ebene des Common-Sense stattfinden. Diese Aufgabe ist von zentraler Bedeutung, weil wir es in unserer alltäglichen und – entgegen anders lautenden szientistischen Behauptungen – auch in unserer wissenschaftlichen Praxis stets mit unterschiedlichen Diskursmustern zu tun haben, in denen Begriffen eine entscheidende Rolle zukommt.³⁷ Wir kommen an dieser Stelle noch einmal auf Quine zurück, dessen „zweipoliges“³⁸ erkenntnistheoretisches System häufig die Basis für Positionen bildet, die Philosophie bestenfalls noch als rudimentäre Vorform „echter“, d. h. empirischer Wissenschaft ansehen. Quine schreibt: „Eine Trias – Begriffsnetz, Sprache und Welt – ist nicht das, was mir vorschwebt, sondern ich denke […] in den Begriffen Sprache und Welt.“³⁹ Dieses Modell ist jedoch, wie unter anderem Arno Ros⁴⁰ gezeigt hat, bei genauerer Betrachtung nicht besonders plausibel. Wirft man einen näheren Blick auf die menschliche Erfahrungs- und Erkenntnisgewinnung,wie dies etwa Thomas Kuhn⁴¹ und Paul Feyerabend⁴² für den Als Beispiel für die letztgenannte Position vgl. z. B. Churchland 1986, S. 3. Zur kritischen Diskussion vgl. Hacker 2007, S. 17– 21. Mit „Konzepten“ sind hierbei Vorstufen von Theorien, im Sinne einer Zusammenfassung von Ideen zu einem Themenkomplex ohne die systematischen Merkmale von Theorien, gemeint. Für eine ähnliche Argumentation vgl. Janich 2008, S. 48 f. Ros 1999, S. 39. Quine 1981, S. 41. Deutsche Übersetzung des Zitats von Arno Ros (1999, S. 39). Vgl. Ros 1999, S. 39 – 41. Vgl. Kuhn 2007/1962. Vgl. Feyerabend 2007/1975.
1.2 (Inter‐)Disziplinäre Grenzen und Möglichkeiten
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Bereich wissenschaftlicher Erfahrung getan haben, so wird klar, dass „wir unsere Erfahrungen nicht ganz voraussetzungsfrei gewinnen.“⁴³ Quines Modell berücksichtigt nicht, dass auch das Machen von Erfahrungen verschiedenartige begriffliche Operationen beinhaltet: Wenn wir bei zoologischen Bestimmungsübungen Eintagsfliegen von Steinfliegen unterscheiden, uns fragen, ob eine Argumentationsstrategie angemessen war, oder ob der Gegenstand vor uns ein Buch ist, geschieht dies jeweils unter Bezugnahme auf bestimmte Maßstäbe in Form von Begriffen, oder, wie Ros es nennt, „Unterscheidungsfähigkeiten“⁴⁴. Solche Maßstäbe und Begriffe liegen offenkundig nicht in der natürlichen Welt, aus der sie lediglich detektiert und aufgenommen werden müssen. Vielmehr bedarf es dafür eines menschengemachten Begriffssystems und Begründungsraums, in dem Begriffe generiert, modifiziert oder verworfen werden, wie es seit jeher Gegenstand philosophischer Reflexion ist.⁴⁵ Philosophische Fragen sind somit keine reinen Faktenfragen, sondern solche, die die Kohärenz von Begriffen innerhalb eines Begriffsnetzes betreffen, nach der (allgemeinen) Bedeutung von Begriffen fragen, die theoretische Angemessenheit vorgeschlagener Lösungen auf die Probe stellen, begriffliche Missverständnisse aufzeigen und auflösen, implizite Annahmen aufdecken etc. Dieser Aufgabenbereich der Philosophie ist gemeint, wenn John Hyman schreibt: „A major part of the philosopher’s business is to distangle conceptual puzzles that have been woven into the fabric of empirical research.“⁴⁶ Weil auch Wissenschaft in einem starken Maße begriffsbasiert ist, erstrecken sich diese Aufgaben auf sie ebenso wie auf jedes andere menschliche Tätigkeitsgebiet. Da ein guter Teil des einer jeden Wissenschaft zugrunde liegenden „Gerüsts“ begrifflicher Natur ist, verfehlt eine Unterscheidung von „bloßen Worten“ und „harten Fakten“ ganz grundlegend den komplexen und vielschichtigen Charakter von Wissenschaft. So schreiben Bennett und Hacker im Kontext ihrer Methodenkritik der Neurowissenschaften mit deutlichen Anklängen an Wittgenstein: It is, of course, tempting to be dismissive about „mere words“, and to contrast the apparent superficiality of a concern with mere words with the significance of a concern with facts. But that is foolish. For facts can be stated only by the use of words. Scientific thought is possible only because of the availability of words by means of which it can be articulated.⁴⁷
Ros 1999, S. 40. Ros 1999, S. 41. Ros (1999, S. 47) weist zu Recht darauf hin, dass hier zwischen „logischen“ und „institutionssoziologischen“ Fragen unterschieden werden muss. Die oben gemachten Aussagen beziehen sich zunächst nur auf erstere, wohingegen die Frage, in welchen Disziplinen bzw. von welchen Personen solche Fragen faktisch verhandelt werden, eine ganz andere ist. Hyman 1989, XIV. Bennett/Hacker 2003, S. 401. Vgl. dazu auch Hacker 2007, S. 14– 17.
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1 Prolegomena
Aufgrund der notwendigen Verwobenheit von Begriffen – als sinnkonstituierender Grundlage und heuristischer Basis – und Fakten erscheint eine Geringschätzung begrifflicher Arbeit höchst unangebracht: It would be absurd to be dismissive about the spectacles by means of which we view the world on the grounds that they are merely glass and that only lens grinders should be interested in that (as if only lexicographers should be interested in mere words). It would be even more absurd to disregard flaws in the lenses as unimportant, on the grounds that one is not interested in lenses and their defects, but only in what one can see.⁴⁸
Aus dieser Einsicht in die wechselseitige Bedingtheit empirischer und genuin philosophischer Fragen und Erkenntnisse lässt sich die Notwendigkeit einer integrativen Vorgehensweise erkennen, wie sie dieser Arbeit zugrunde liegen soll: Am Anfang steht eine grundlegende Klärung von Begriffen wie „Gedächtnis“ und „Erinnerung“, ohne die keine Heuristik im Sinne einer begrifflichen Vorverständigung über den Untersuchungsgegenstand möglich wäre. Aspekte der empirischen Forschung kommen anschließend vor allem an zwei Punkten zur Sprache: Zum einen, wenn es um die Erhellung von Begriffen und Konzepten geht, die in der empirischen Gedächtnisforschung von Bedeutung sind bzw. aus ihr stammen. So lässt sich beispielsweise fragen, auf welchen Annahmen das Postulat unterschiedlicher „Gedächtnissysteme“ basiert und ob die Charakterisierung sowie die Abgrenzung dieser Systeme hinsichtlich der angewandten Unterscheidungskriterien sinnvoll sind. Ähnliche Fragen stellen sich auch bei der Differenzierung zwischen impliziten und expliziten Erinnerungen bzw. Gedächtnisinhalten. Diese Art von Fragen betrifft primär die Konsistenz und Reichweite von Begriffen der Gedächtnisforschung. Ihre Untersuchung kann zum Beispiel zur Schärfung, Einengung oder Ausweitung von Begriffen führen oder ihren Bedeutungshorizont überhaupt erst erhellen. Zum anderen können empirische Erkenntnisse auch auf die philosophische Theoriebildung rückwirken, insofern es sich um Theorien handelt, die Annahmen über die tatsächliche, „empirische“ Beschaffenheit (einiger) ihrer Elemente enthalten. Beispielsweise umfasst John Lockes Theorie des Gedächtnisses und der personalen Identität solche Bestandteile, etwa in Form der explanatorischen Metapher des Gedächtnisses als „Warenhaus“, aus dem fertig lagernde Inhalte abgerufen werden, hinter der sich Annahmen über das faktische Funktionieren des Gedächtnisses verbergen, die wiederum Auswirkungen auf Elemente der Theorie haben. Marya Schechtman hat diesbezüglich gezeigt, inwiefern empirische Erkenntnisse über die Organisations- und Funktionsprinzipien des autobiographi-
Bennett/Hacker 2003, S. 401.
1.2 (Inter‐)Disziplinäre Grenzen und Möglichkeiten
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schen Gedächtnisses korrigierenden bzw. erweiternden Einfluss auf philosophische Theorien personaler Identität haben können.⁴⁹ Natürlich kann diese korrigierende Einflussnahme auch in der „Gegenrichtung“ funktionieren: Durch die philosophische Analyse kann an vielen Stellen gezeigt werden, dass und inwiefern bestimmte Schlussfolgerungen oder Interpretationen, etwa bezüglich der „Konstruktivität“ des Gedächtnisses, die ihnen zugrunde liegenden empirischen Befunde unbegründet übersteigen, sich in inkonsistenten Argumentationen verfangen oder die begriffliche Schärfe vermissen lassen, die für eine plausible Bewertung vonnöten wäre.⁵⁰ Bennett und Hacker weisen darauf hin, dass durch die philosophische Analyse bei zahlreichen Experimenten, etwa im Fall des „Messens“ der Freiwilligkeit von Entscheidungen oder bei Studien zu „mentalen Bildern“, gezeigt werden konnte, dass Experimentalanordnungen oder Resultate sich nicht mit den zugrunde liegenden Fragestellungen bzw. den auf ihrer Basis gezogenen Schlussfolgerungen deckten.⁵¹ In solchen Fällen können philosophische Untersuchungen auch zum Verwerfen von Ergebnissen oder zur grundlegenden Umgestaltung von Experimenten führen. Durch den integrativen Zugang dieser Arbeit sollen zum einen die in der empirischen Forschung hinsichtlich ihrer begrifflichen Grundlagen und der Interpretation ihrer Ergebnisse wenig beachteten philosophischen Instrumente der Begriffsund Bedeutungsanalyse adäquat zum Einsatz kommen, zum anderen die bis dato in der philosophischen Forschung wenig beachteten Ergebnisse der empirischen Gedächtnisforschung angemessen berücksichtigt werden. Ersteres geschieht vor allem in Kapitel 2, in dem die Unterscheidung verschiedener Erinnerungsformen und Gedächtnissysteme kritisch analysiert sowie Unklarheiten und Probleme diskutiert werden, die sich aus dem Begriffssystem und einigen theoretischen Annahmen der empirischen Gedächtnisforschung ergeben. Zweiteres findet vornehmlich in Kapitel 3.2.4 Anwendung, in dem die Elemente einer Theorie biographischer Identität, die auf die faktische Funktionsweise des Gedächtnisses rekurrieren, durch die Integration gedächtnispsychologischer Theorien und Forschungsresultate fundierter und genauer beschrieben werden können.
Schechtman 1996. Vgl. dazu die kritische Diskussion der Rede von „falschen Erinnerungen“ und der „Konstruktivität“ des Gedächtnisses in Kapitel 3.2.6 dieser Arbeit. Vgl. Bennett/Hacker 2003, S. 408.
2 Gedächtnis und Erinnerung: Philosophische Analyse zentraler Begriffe und Konzepte Am Ende seines Kapitels zur Erinnerungs- und Gedächtnisthematik schreibt Bertrand Russell in „Die Analyse des Geistes“: „Diese Analyse der Erinnerung ist wahrscheinlich außerordentlich fehlerhaft, aber ich weiß nicht, wie ich sie verbessern soll.“¹ Woher rührt Russells demütige Feststellung? Ein Grund für die große Zahl philosophischer Fragen und Probleme, die sich im Kontext des Gedächtnis- und Erinnerungsbegriffs stellen, und für die Schwierigkeit, diesen adäquat zu erfassen, besteht in der Tatsache, dass sich hinter den mit „Gedächtnis“ und „Erinnerung“ bezeichneten Phänomenen eine Vielzahl einzelner Aspekte bzw. Fähigkeiten verbirgt.² Auf diese Heterogenität und Vielschichtigkeit verweist auch Ludwig Wittgenstein: „Wenn ich mit Recht sage, ‚ich erinnere mich daran‘, kann das Verschiedenste vorgehen und auch bloß das, daß ich es sage.“³ Für unser Vorhaben ist es daher wichtig, zunächst einen Überblick über die Bedeutungsvielfalt von „Erinnerung“ und „Gedächtnis“ zu bekommen. Dabei werden wir aus der Philosophiegeschichte bekannte Unterscheidungen und Charakterisierungen herausgreifen, diese kritisch analysieren und ihnen Gedächtnis- und Erinnerungsbegriffe aus Psychologie und Kognitionswissenschaft gegenüberstellen. Das erste integrative Moment dieser Arbeit, wie es im Methodenteil (Kapitel 1.2.2) skizziert wurde, besteht also darin, dass die philosophische Begriffs- und Begründungsanalyse über den Bereich alltagssprachlicher und common-sensepsychologischer Begriffe, den sie freilich berücksichtigt, hinausgeht und Begriffe, Konzepte und Theorien der empirischen Gedächtnisforschung miteinschließt. In diesem Kapitel sollen die begrifflichen und theoretischen Grundlagen für die Analyse der Beziehung zwischen Gedächtnis und personaler bzw. biographischer Identität erarbeitet werden, die Gegenstand des Hauptteils der Arbeit (Kapitel 3) ist.
Russell 2000/1921, S. 236. McNally (2003, S. 30) spricht daher auch vom Gedächtnis als einer „multifaceted mental ability“. Wittgenstein 1989b/1932– 1935, S. 84.
2.1 Die Gedächtnissystematik bei Aristoteles
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2.1 Die Gedächtnissystematik bei Aristoteles Aristoteles unternimmt in seiner kleinen Schrift „Über Gedächtnis und Erinnerung“ („De memoria et reminiscentia“/„Peri mnēmēs kai anamnēsēos“)⁴ den Versuch, Gedächtnis und Erinnerung eingehend zu charakterisieren und von anderen Formen der Geistestätigkeit zu unterscheiden. Da seine Analyse bis in die Gegenwart wirkmächtig geblieben ist und einige der Aspekte beinhaltet, die uns später ausführlicher beschäftigen werden, ziehen wir sie nachfolgend als eine erste begrifflich-systematische Ausgangbasis heran. Aristoteles beginnt seine Typologie mit einer Bestimmung der Gegenstände des Gedächtnisses: Weder das Zukünftige vermag Gegenstand des Gedächtnisses zu sein (dieses ist vielmehr Gegenstand der Vermutung und Erwartung […]), noch das Gegenwärtige. Dieses ist Gegenstand der Wahrnehmung.⁵
Aristoteles’ Ausschluss des Zukünftigen aus dem Gegenstandsbereich des Gedächtnisses bedeutet dabei freilich nicht, dass sich x in Sätzen der Form „Ich erinnere mich, dass x“ nicht auf Zukünftiges beziehen kann. Im Beispiel des Satzes „Ich erinnere mich, dass ich den Vorsatz habe, morgen schwimmen zu gehen“ bezieht sich mein Vorhaben natürlich auf Zukünftiges („morgen“).⁶ Der Gedächtnisgegenstand ist jedoch meine Absicht, die ich in der Vergangenheit mit Blick auf einen späteren Zeitpunkt gefasst habe und an die ich mich nun mit dem Bewusstsein um ihren Vergangenheitscharakter erinnere.⁷ Aus der scheinbar trivialen Feststellung, dass sich das Gedächtnis auf Vergangenes bezieht, resultiert eines der grundlegendsten philosophischen Rätsel des Gedächtnisses: Wie kann es sein, dass wir uns im gegenwärtigen Erinnern auf nicht mehr gegenwärtige Gedanken, Objekte etc. beziehen, dass wir also Vergangenes im Gedächtnis vergegenwärtigen können? Worin besteht die Beziehung zwischen Erinnerung und
Aristoteles 1997/330 – 322 v.Chr. Aristoteles 1997/330 – 322 v.Chr., S. 87. Darüber hinaus ist zu bemerken, dass Zukünftiges zwar nicht in dem („semantischen“) Sinn Gegenstand des Gedächtnisses sein kann, in dem Aristoteles dies ausschließt. Jedoch ist das Gedächtnis in vielerlei Hinsicht Grundlage des auf die Zukunft bezogenen Planens, Denkens und Handelns (vgl. dazu Kapitel 3.2.3). Allerdings kann es passieren, dass ich mich nicht mehr an das vergangene Fassen dieser Absicht erinnere, jedoch – zum Beispiel durch einen Kalendereintrag – daran, dass ich morgen etwas vorhabe. In solchen Fällen wird der Vergangenheitsbezug – im Sinne des Wissens um die früher gefasste Absicht – implizit (vgl. dazu die Unterscheidung zwischen impliziten und expliziten Erinnerungen in den Kapiteln 2.2.2.1 bis 2.2.2.3).
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2 Gedächtnis und Erinnerung: Philosophische Analyse
Erinnertem oder, wie Aristoteles fragt: „Der Eindruck ist vorhanden, aber das Objekt ist nicht vorhanden?“⁸ Sein Versuch, diese Problematik zu illustrieren und einen Erklärungsansatz zu liefern, beginnt mit einer berühmt gewordenen Metapher: „[D]ie mit der Wahrnehmung auftretende Bewegung läßt gleichsam einen Abdruck des Wahrnehmungsbildes zurück, wie wenn man mit einem Ring siegelt.“⁹ Erfahrungen hinterlassen demnach im Gedächtnis einen „Eindruck“ im wahrsten Sinne des Wortes. Dieser Eindruck tritt als „Vorstellungsbild“¹⁰ in uns auf. Wie erkennen wir aber, dass solch ein Vorstellungsbild unserem Gedächtnis entspringt und nicht unserem Denken oder einer phantastischen Vorstellung? Nach Aristoteles ist das entscheidende Kriterium die Wahrnehmung des betreffenden Gedächtnisgegenstands als ein Abbild. Betrachten wir ein Objekt als ein unabhängiges, so erscheint es uns als Gegenstand des Denkens. Betrachten wir es hingegen als Abbild, so werden wir dadurch seines Charakters als in einem früheren Kontext bereits Gekannten gewahr.¹¹ Dies ist die Beschreibung des Aristoteles für das Gefühl der Vertrautheit, das sich bei Erinnerungen (im Gegensatz z. B. zu Operationen des Denkens) einstellt. Es entgeht ihm jedoch nicht, dass uns dieses Gefühl in beide Richtungen zu täuschen vermag.¹² So gibt es einerseits Fälle, in denen wir etwas Unbekanntes irrtümlich für einen Gegenstand des Gedächtnisses halten. Dieses Phänomen kennen wir beispielsweise vom vermeintlichen Wiedererkennen bekannt anmutender Gesichter, die sich jedoch – spätestens beim Ansprechen der dazugehörigen Person – als unbekannt herausstellen. Andererseits gibt es Fälle, in denen Bekanntes nicht als solches erkannt wird, etwa wenn wir glauben, eine Geschichte erfunden zu haben, die tatsächlich bereits „im Gedächtnis war“, jedoch nicht als Abbild erkannt wurde. Die oben angesprochene Abgrenzung des Gedächtnisses von Vermutung und Erwartung auf der einen sowie von Wahrnehmung auf der anderen Seite verdeutlicht auch, dass das Zeitempfinden eine notwendige Bedingung für Gedächtnis bzw. Erinnerung (zu dieser Differenzierung vgl. den nächsten Absatz) zu sein scheint: „Daher ist jede Art von Gedächtnis mit Zeit verbunden, und nur diejenigen Lebewesen, die Zeitempfinden besitzen, haben Gedächtnis, und zwar mittels dieses Zeitempfindens.“¹³ Wenn das Gedächtnis ermöglicht, sich an Vergangenes als Vergangenes (und nicht z. B. als Phantasterei) erinnern zu können,
Aristoteles 1997/330 – 322 v.Chr., S. 89. Aristoteles 1997/330 – 322 v.Chr., S. 90. Aristoteles 1997/330 – 322 v.Chr., S. 92. Vgl. Aristoteles 1997/330 – 322 v.Chr., S. 92. Vgl. Aristoteles 1997/330 – 322 v.Chr., S. 87. Aristoteles 1997/330 – 322 v.Chr., S. 88.
2.1 Die Gedächtnissystematik bei Aristoteles
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dann ist es dafür notwendig, eine Vorstellung von Zeit und Zeitverlauf zu haben,¹⁴ um erlebte Episoden in eine subjektiv-phänomenale Zeitleiste integrieren zu können.¹⁵ Erst dadurch, dass der Erinnernde zwischen dem „Jetzt“ seines gegenwärtigen Erinnerns und dem erinnerten „Jetzt“ unterscheiden und beides zueinander in ein Verhältnis setzen kann, wird die für erinnerte Gedächtnisinhalte charakteristische Empfindung eines „Vorher“ und „Nachher“ möglich.¹⁶ Wir haben bis dato den Begriff des „Gedächtnisses“ bei Aristoteles skizziert. Wie der Titel seiner Abhandlung bereits andeutet, unterscheidet er davon den Begriff der „Erinnerung“ als separate Kategorie.¹⁷ Worin besteht dieser Unterschied? Während das Gedächtnis, so Aristotelesʼ Antwort, uns passiv gegeben ist, handelt es bei der Erinnerung um eine komplexe aktive Fähigkeit: Erinnerung ist nämlich gleichsam eine Art Schluß: Denn derjenige, der sich erinnert, vollzieht den Schluß, daß er schon früher das und das gesehen, bzw. gehört hat […] und es handelt sich gleichsam um eine Art Forschung. Dies kommt von Natur aus nur denjenigen Lebewesen zu, die auch die Fähigkeit zur Überlegung besitzen. Auch das Überlegen ist ja eine Art Schluß.¹⁸
Diese Unterscheidung nimmt ihren Ausgang von der Feststellung, dass einige Merkmale menschlichen Erinnerns nicht durch das passive „Erleiden“ bzw. „Affiziertwerden“ – Ricœur spricht vom „Gedächtnis als Passion“¹⁹ – erklärt werden können, weshalb Erinnerung (in solchen Fällen) als aktives „In-Erinnerung-Rufen“²⁰ konzipiert wird, was Aristoteles durch die Metapher der „Jagd“²¹ veran-
Hier stellt sich jedoch die Frage, welcher Art diese Vorstellung ist bzw. sein muss, ob dazu ein spezifisches Bewusstsein vonnöten ist oder ob es sich auch um eine implizit-unbewusste Fähigkeit handeln kann. Es ist allerdings wichtig, an dieser Stelle zu verdeutlichen, dass Aristoteles mit dieser Charakterisierung primär eine bestimmte Art des Erinnerns bzw. Gedächtnisses im Sinn hat (namentlich das episodisch-autobiographische Gedächtnis bzw. Erinnern). In Kapitel 2.2 wird gezeigt, dass sich andere Gedächtnis- bzw. Erinnerungsarten davon grundlegend unterscheiden. Vgl. dazu Campbell 1997, S. 105 – 118 sowie für einen Überblick zum Zusammenhang von Zeit, Zeitbewusstsein und Gedächtnis die Beiträge in Hoerl/McCormack 2001. Zu dieser Unterscheidung vgl. Bloch 2007, S. 74– 78. Aristotelesʼ Differenzierung zwischen Gedächtnis und Erinnerung muss auch im Kontext seiner (in „De anima“ entwickelten) Seelenlehre gesehen werden, in deren Rahmen Aristoteles das Gedächtnis dem sensitiven Seelenvermögen zuordnet – daher auch die Nähe von Gedächtnis und Wahrnehmung in seiner Theorie –, die Erinnerung jedoch dem intellektuellen Seelenvermögen und damit dem Denken und der Vernunft zuschreibt (vgl. Bloch 2007, S. 75). Aristoteles 1997/330 – 322 v.Chr., S. 99. Ricœur 2004/2000, S. 42. Ricœur 2004/2000, S. 42. Aristoteles 1997/330 – 322 v.Chr., S. 99.
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2 Gedächtnis und Erinnerung: Philosophische Analyse
schaulicht. Diese Auffassung berücksichtigt, dass viele Erinnerungsvorgänge bewusst in Gang gesetzt und beeinflusst werden können, indem wir Verknüpfungen zwischen Erinnerungsgegenständen herstellen und uns auf die „Suche nach dem Vorstellungsbild im Körper“²² machen. Während „einfache Erinnerungen“, oder, wie Ricœur sie nennt, „einfache Evokationen“²³ uns „einfach so in den Sinn“²⁴ kommen, fängt das In-Erinnerung-Rufen das Moment der Fähigkeit ein, eine „Bewegung aus der eigenen Person heraus und aus den eigenen Bewegungsmöglichkeiten“²⁵ in Gang zu setzen. Aristoteles’ Überlegungen verweisen also auf wichtige Kernelemente von Gedächtnis und Erinnerung, sind jedoch auch mit einigen Problemen versehen. Eines dieser Probleme, das mit Aristoteles’ starker Betonung der Bildhaftigkeit des Erinnerns zusammenhängt, wollen wir kurz in den Blick nehmen. Aristoteles beschreibt im Lauf seiner Untersuchung eine Reihe verschiedener Erinnerungsarten bzw. Gedächtnisgegenstände, wie etwa das Erinnern von Namen, Gesichtern, wissenschaftlichen Fakten, Gegenständen der Mathematik, Ereignissen, Gefühlen etc.²⁶ All diesen Formen von Erinnerung ist ihm zufolge gemeinsam, dass sie wesentlich auf die Präsenz mentaler Bilder zurückzuführen sind: „Das Gedächtnis, auch das auf geistige Objekte bezogene, ist nur durch ein Vorstellungsbild möglich […].“²⁷ Diese Feststellung scheint in ihrer Allgemeinheit jedoch nicht selbstverständlich. Zwar kennen wir alle Paradefälle solch bildhaften Erinnerns, wenn wir etwa versuchen, uns ein bestimmtes Gesicht wieder vor unser „inneres Auge“ zu rufen.²⁸ Wenn wir jedoch, um ein anderes Beispiel der oben genannten Reihe herauszugreifen, den Fall des Erinnerns an ein gelerntes Faktum, etwa an die Jahreszahl der Schlacht von Salamis, betrachten, so scheint sich dieser grundlegend vom ersten zu unterscheiden. Fakten, wie etwa Jahreszahlen oder Bezeichnungen, scheinen uns im Erinnern – zumindest gemäß unserer Alltagsphänomenologie – auf eine andere Art gegeben zu sein, die keiner Bilder bedarf. Erschwerend kommt hinzu, dass Aristoteles nicht von irgendwelchen Bildern spricht, sondern von Abbildern („eikones“). Ein „eikon“ wird dabei gedacht als „an Aristoteles 1997/330 – 322 v.Chr., S. 99. Ricœur 2004/2000, S. 45. Ricœur 2004/2000, S. 45. Aristoteles 1997/330 – 322 v.Chr., S. 95. Vgl. Sorabji 1972, S. 1. Aristoteles 1997/330 – 322 v.Chr., S. 89. Auch in solch scheinbar klaren Fällen wäre allerdings weiterhin zu fragen, um was für eine Art Bild es sich hier handelt, inwiefern z. B. der im Bereich der bildenden Kunst verwendete Bildbegriff analog dazu gedacht wird, etc. Für einen Überblick über die sogenannte „ImageryDebatte“ vgl. Gottschling 2003 sowie Gibbs 2006, S. 124– 142, für eine Zusammenfassung der kognitionswissenschaftlichen Diskussion zu „mental images“.
2.1 Die Gedächtnissystematik bei Aristoteles
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image that is a likeness or copy […] of the thing remembered.“²⁹ Dies führt dazu, dass neben die Frage, ob in allen Fällen von Erinnerung Bilder eine Rolle spielen, die Frage tritt, ob Bilder in den Fällen, in denen sie auftreten, immer als „eikones“ gedacht werden können: „Insofar as images are used at all in remembering, they need not necessarily be likenesses of what is remembered. They can be in varying degrees symbolic and unlike.“³⁰ Die damit angestoßene Debatte wird bis in die Gegenwart – hier zumeist unter der Bezeichnung „mental images“ oder „mental imagery“ – geführt.³¹ Neben der Problematik der Bildhaftigkeit des Erinnerns ist durch Aristotelesʼ Abbild-These jedoch auch die wichtige Frage angesprochen, wie ähnlich die Inhalte der Erinnerung den vergangenen Episoden bzw. den ursprünglichen Wahrnehmungen, auf die sie sich beziehen, sein können bzw. müssen. Diese Frage wird uns in Kapitel 3.2.6 wieder begegnen, wenn es um die Wahrheit bzw. Wahrheitsfähigkeit von Gedächtnis und Erinnerung geht. Auch wenn Aristoteles’ Konzeption, deren weitere Details wir an dieser Stelle nicht betrachten können,³² also mit einigen Problemen und Unklarheiten versehen ist, werden durch seine Analysen und Differenzierungen folgende für den Fortgang der Arbeit relevante Aspekte ersichtlich: Erstens zeigt Aristoteles die fundamentale Rolle des inneren Zeitbewusstseins für Gedächtnis und Erinnerung auf.³³ Zweitens widmet er sich ausführlich der Bildhaftigkeit des Erinnerns,³⁴ die auch auf die Frage verweist, inwiefern das Verhältnis von Erinnerung und Erinnertem als Abbild- oder Ähnlichkeitsverhältnis gedacht werden muss und was daraus für die Frage nach der Wahrheit von Erinnerungen folgt.³⁵ Drittens verdeutlicht er schließlich, dass Erinnerung in ihrer phänomenalen Vielfalt durch ein einfaches, passives Speicher- und Wiedergabemodell des Gedächtnisses nicht adäquat beschrieben bzw. erklärt werden kann.³⁶
Sorabji 1972, S. 2. Sorabji 1972, S. 3. Zu dieser aktuellen Debatte vgl. Hannay 2002/1971, Gottschling 2003 und Kosslyn/Thompson/Ganis 2006. Für eine ausführliche Analyse vgl. Ricœur 2004/2000, S. 38 – 46, sowie Sorabji 1972, S. 1– 21 und S. 35 – 46. Vgl. dazu Kapitel 2.2.2.5 dieser Arbeit. Für eine eingehende philosophische Untersuchung der Bildhaftigkeit von Erinnerungen vgl. Otto 2007. Vgl. dazu die Diskussion zur „Wahrheit“ von Erinnerungen in Kapitel 3.2.6. Dieser Gedanke wird in Kapitel 3.2.4 im Kontext des Zusammenhangs von autobiographischem Gedächtnis und biographischer Identität wieder aufgegriffen.
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2 Gedächtnis und Erinnerung: Philosophische Analyse
Nach dieser kurzen philosophiegeschichtlichen Annäherung³⁷ widmen wir uns im Folgenden in systematischer Weise zentralen Begriffen im Kontext von Gedächtnis und Erinnerung aus Philosophie, Psychologie und Kognitionswissenschaft, anhand derer die Vielfalt von Erinnerungs- und Gedächtnisbegriffen verdeutlicht und auf einige wissenschaftstheoretische Probleme verschiedener Differenzierungsansätze hingewiesen werden soll.
2.2 Die Mannigfaltigkeit von Gedächtnis und Erinnerung Bereits ein kurzer Blick auf Alltagssprache und Wissenschaftsterminologie genügt, um den Eindruck zu bekommen, dass es sich bei Gedächtnis und Erinnerung keinesfalls um homogene Phänomene handelt. Der Wissenschaftshistoriker Kurt Danziger nennt den Gedächtnisbegriff daher auch „an abstraction, a convenient but rather loose way of referring to a large array of activities that are felt to have something in common.“³⁸ Machen wir uns deshalb zunächst auf die Suche nach wichtigen Bestandteilen dieser Abstraktion. Wir beginnen mit einigen klassischen und neueren philosophischen Differenzierungen, die anschließend mit Klassifizierungen der Psychologie und Kognitionswissenschaft kontrastiert werden.³⁹ Dabei muss vorausgeschickt werden, dass aufgrund der Fragestellung der Arbeit das individuelle Gedächtnis im Mittelpunkt steht und das Phänomen des kulturellen bzw. kollektiven Gedächtnisses, das gegenwärtig vor allem in der sozial- und kulturwissenschaftlichen Forschungsdiskussion ein wichtiges Thema darstellt,⁴⁰ nicht behandelt werden kann.
2.2.1 Formen des Erinnerns Ausgangspunkt vieler philosophischer Differenzierungen des Erinnerungsbegriffs ist die Analyse seiner (normal‐)sprachlichen Ausprägungen. Betrachten wir daher
Aufgrund der systematischen Ausrichtung der Arbeit muss von der Beschäftigung mit weiteren – fraglos für die Gedächtnis- und Erinnerungsthematik wichtigen – philosophiegeschichtlichen Positionen, etwa von Augustinus, Thomas von Aquin oder Descartes, leider abgesehen werden. Im folgenden Kapitel werden jedoch Erinnerungsbegriffe aus der neueren Philosophiegeschichte (u. a. Bergson, Russell) mit in die systematische Analyse einbezogen. Danziger 2008, S. 156. Brewer 1996 gibt einen ausführlichen Überblick über die philosophische und psychologische Gedächtnisforschung und skizziert deren Entwicklung und Zusammenhänge. Vgl. dazu Assmann 1999 und 2006, Wertsch 2009 sowie die Beiträge in Schmid 2009.
2.2 Die Mannigfaltigkeit von Gedächtnis und Erinnerung
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zunächst verschiedene Verwendungsweisen von „Erinnern“ an einem Beispiel, in dem eine Person P als Erinnernder und das Autofahren als „Erinnerungsgegenstand“ enthalten sind, sowie die daran anknüpfenden Gedächtnisbegriffe aus Philosophie und empirischer Gedächtnisforschung.⁴¹ Im Anschluss an eine wirkmächtige Studie zum Erinnerungsbegriff von Charles Martin und Max Deutscher⁴² lassen sich drei unterschiedliche Arten von Erinnerungssätzen unterscheiden: Die erste lautet für unser Beispiel: „P erinnert sich, wie man Auto fährt.“ Martin und Deutscher nennen diese „Form“⁴³ des Erinnerns „remembering how“ ⁴⁴, Don Locke „Practical Memory“⁴⁵, Henri Bergson und Bertrand Russell fassen sie unter dem Begriff des „habit memory“ („la mémoire-habitude“) zusammen.⁴⁶ In der empirischen Gedächtnisforschung schließlich findet sich häufig der Terminus „prozedurales Gedächtnis“⁴⁷ („procedural memory“). Allen diesen Begriffen ist gemein, dass sie sich auf im Gedächtnis gespeicherte Informationen beziehen, die komplexes menschliches Handeln – etwa Autofahren, Schwimmen, Lesen oder Sprechen – ermöglichen, häufig ohne dass diese Informationen dazu bewusst gemacht werden müssen.⁴⁸ In diesem Sinne von jemandem zu sagen, er erinnere sich an etwas, beinhaltet demnach, dass er die betreffende Fähigkeit zu einem
Mit „empirischer Gedächtnisforschung“ sind hier und im Folgenden vor allem die mit der Erforschung des Gedächtnisses befassten Teilgebiete von Psychologie und Neurowissenschaften (im weiteren Sinne einschließlich einiger Teildisziplinen der Medizin, Physik und Biologie) gemeint. Vgl. Martin/Deutscher 1966. Die Verwendung von „Form“ oder „Art“ ist hier rein deskriptiv gemeint und auf die sprachliche Verschiedenartigkeit von Erinnerungssätzen bezogen. Vgl. dazu die Unterscheidung zwischen „knowing that“ und „knowing how“ bei Gilbert Ryle (2000/1949, S. 26 – 60). Locke 1971, S. 48. Allerdings ist diese sprachliche Unterscheidung vor allem bei Bergson mit starken metaphysischen Annahmen verbunden, denen zufolge „habit memory“ („mémoire habitude“) als eine Art automatisierte Körperfunktion betrachtet wird, wohingegen „pure memory“ („mémoire souvenir“) – das Erinnern spezifischer Ereignisse – eine Funktion des Geistes darstellt (vgl. Locke 1971, S. 43 f. sowie Rölli 2004, S. 65 – 69). Obgleich Russell und Bergson hinsichtlich ihrer theoretischen Standpunkte weit voneinander entfernt sind und Russell Bergson in einer kurzen Schrift von 1914 inhaltlich stark kritisiert (vgl. Russell 1971/1914), stimmen sie in diesem Punkt zumindest terminologisch überein. Vgl. beispielsweise Pohl 2007, S. 19 f. Der bei solchen Handlungen involvierte Bewusstseinsgrad kann, etwa in Abhängigkeit von Lernfortschritt und Anwendungshäufigkeit, verschieden stark bzw. schwach ausgeprägt sein.
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vergangenen Zeitpunkt (zumeist bewusst) gelernt hat und zu einem späteren Zeitpunkt potentiell oder aktuell über sie verfügt.⁴⁹ Die zweite Form von Erinnerung lautet in unserem Beispiel: „P erinnert sich, dass er letzte Woche jeden Tag Auto fuhr.“ Auch für diese Art der Erinnerung bzw. des Gedächtnisses existieren mehrere Bezeichnungen. Bei Bergson und Russell fällt sie unter den Begriff „recollective memory“, Charlie Broad und Edward Furlong sprechen von „propositional memory“ und reservieren „recollective memory“ für den später zu charakterisierenden dritten Typus,⁵⁰ bei Don Locke findet sich die Bezeichnung „factual memory“⁵¹. Die empirische Gedächtnisforschung verwendet weitgehend den Begriff „semantic memory“⁵². Solche Erinnerungen sind charakterisiert durch ihren propositionalen Gehalt, der typischerweise durch Sätze nach dem Schema „X erinnert sich, dass p“ ausgedrückt wird. Ich kann mich in dieser Weise etwa erinnern, dass Sokrates 399 v.Chr. durch den Schierlingsbecher starb, dass Ouagadougou der (schwer zu merkende) Name der Hauptstadt Burkina Fasos ist, dass die Summe der Innenwinkel eines Dreiecks 180° beträgt, oder dass ich vorhabe, morgen ausgiebig essen zu gehen. Was hier in der Vergangenheit liegt, ist nicht notwendig der Gegenstand der Erinnerung – wir haben dies in ähnlicher Weise bereits bei Aristoteles gesehen – sondern der Erwerb des Wissens, das sich nun als Erinnerung zeigt. Auch die Erinnerung an meine morgige Verabredung ist daher eine faktische Erinnerung, die sich auf Vergangenes (das Verabreden vor einigen Tagen) bezieht, gegenwärtig (etwa durch meinen Terminkalender) repräsentiert wird und auf Zukünftiges (das morgige Treffen im Restaurant) verweist. Lässt sich faktisches Erinnern demnach als Aktualisierung in der Vergangenheit erworbenen (faktischen) Wissens definieren? Dies ist, ohne diese Frage hier im Detail diskutieren zu können, mit einigen Schwierigkeiten versehen:⁵³ Zum einen gibt es Fälle, in denen man in der Vergangenheit erworbenes faktisches Wissen zu haben scheint, ohne sich gegenwärtig daran erinnern zu können, etwa wenn uns der Name eines Bekannten „auf der Zunge liegt“.⁵⁴ Die Definition muss daher dahingehend verfeinert werden, dass sie auf gegenwärtig nicht abrufbares, jedoch po Allerdings stellt sich hierbei die Frage nach verschiedenen Formen des Lernens und deren Zusammenhang mit dem Erinnern (vgl. dazu Kapitel 2.2.2.2 und 2.2.2.3 dieser Arbeit). Vgl. zu diesen Typologien Sutton 2010/2003, Danziger 2008, S. 164– 171, sowie Locke 1971, S. 42– 50. Locke 1971, S. 51– 63. Vgl. Pohl 2007, S. 18 f. und Danziger 2008, S. 172. Bernecker (2001 und 2007) argumentiert beispielsweise ausführlich gegen die „epistemic theory of memory“, derzufolge „erinnern, dass“ stets „wissen, dass“ beinhaltet. Bei Siebel (2000, S. 179 – 207) findet sich eine detailierte Analyse des Zusammenhangs von propositionaler Erinnerung und Wissen. Zu solchen „Tip-of-the-Tongue“-Zuständen vgl. S. 95 f. dieser Arbeit.
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tentiell vorhandenes Wissen beschränkt wird. Für Fälle von aktuell abgerufenem Wissen müsste sie dementsprechend um die Fähigkeit, dieses potentiell vorhandene Wissen abzurufen und gegebenenfalls sprachlich zu äußern, ergänzt werden.⁵⁵ Zum anderen stellt sich die Frage nach Fällen, in denen eine Person sich korrekt erinnert, jedoch nicht weiß, dass dies der Fall ist. Nachdem dabei zwar die Wahrheitsbedingung für Wissen erfüllt ist, jedoch nicht die Bedingung, dass die Person über eine begründete Überzeugung verfügen muss, die diese Wahrheit enthält, scheinen wir es mit Erinnern ohne Wissen zu tun zu haben.⁵⁶ Malcolm nennt das Beispiel eines Mannes, der die regelmäßige wiederkehrende Vorstellung einer Entführung im Kindesalter für reine Fantasie hält. Tatsächlich stellt sich aber heraus, dass diese Entführung wirklich stattgefunden hat, die Eltern jedoch alles unternommen haben, um die Erinnerung daran von ihrem Kind fernzuhalten.⁵⁷ In solchen Fällen, so Malcolm, würden wir sagen, dass der Mann sich an die Entführung erinnert, obwohl er nicht weiß, dass sie sich ereignet hat. Die Erinnerung ist in diesem Fall wahr, die Überzeugung, dass es sich tatsächlich um eine Erinnerung handelt, die sich auf faktisch Geschehenes bezieht, fehlt jedoch. Malcolm hält dies für einen unklaren bzw. unentscheidbaren Fall: „There are opposing inclinations here, and I believe it is neither clearly right to say he remembers it nor clearly right to say that he does not.“⁵⁸ Eine offene Frage ist, ob man dieser Problematik entgehen kann, indem man das Beispiel nicht als einen Fall von faktischer, sondern von personaler bzw. episodischer Erinnerung auffasst.⁵⁹ Dies bringt uns zur dritten und letzten Form von Erinnerungen in dieser Typologie. Auch die dritte „Erinnerungsart“ firmiert unter verschiedenen Bezeichnungen. In unserem Beispiel wird sie sprachlich durch „P erinnert sich an seine gestrige Autofahrt“ ausgedrückt. Bei Broad und Furlong finden wir sie als „recollective memory“⁶⁰, bei Don Locke als „personal memory“, manchmal auch unter dem Label „direct memory“.⁶¹ In der Gedächtnisforschung hat sich der Begriff
Vgl. Locke 1971, S. 52 f. Hier liegt die – freilich nicht unstrittige – philosophische „Standardauffassung“ von Wissen als „justified true belief“ zugrunde. Zu ihrer Analyse und den mit ihr verbundenen Schwierigkeiten sowie für die Darstellung alternativer Ansätze vgl. Steup/Ichikawa 2012/2001 und Baumann 2006, S. 27– 86. Vgl. Malcolm 1975, S. 213. Malcolm 1975, S. 213. Vgl. Locke 1971, S. 55. Daneben findet sich bei Broad auch der noch spezifischere Begriff „perceptual memory“, da Broad von dieser Form der Erinnerung annimmt, sie sei „the one and only kind of memory which can plausibly be regarded as closely analogous to perception“ (Broad 2001/1925, S. 222). Vgl. Locke 1971, S. 70 – 77 und Sutton 2010/2003. Brewer 1996, S. 21 gibt einen Überblick über weitere Begriffsbestimmungen.
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„episodisches Gedächtnis“ („episodic memory“) durchgesetzt.⁶² Die spezifische Eigenschaft dieser Art von Erinnerung besteht darin, dass sie mit eigenen, in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen verbunden ist und diese Erfahrungen in einem über das rein faktische Erinnerungswissen hinausgehenden Sinn im gegenwärtigen Erinnern präsent sind. Dieses qualitative Präsent-Sein ist ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal, weil es natürlich auch faktische Erinnerungen gibt, die mit Inhalten der eigenen Biographie verbunden sind, etwa wenn man sich in Form des korrekten Datums an den Tag seiner Abschlussprüfung erinnert. Zu dieser faktischen Erinnerung muss nun, um von einem Fall von episodischem Erinnern sprechen zu können, die Erinnerung an das damalige Erleben bzw. an Details der Erinnerung hinzukommen: „[I]t seems that personal memory consists in bringing some previously experienced thing to mind, thinking about it again, and going over what it was like […].“⁶³ In Anlehnung an Thomas Nagels bekanntes Diktum im Kontext des phänomenalen Bewusstseins⁶⁴ könnte man hier vom „What it is like to“-Aspekt des Erinnerns sprechen, um den erstpersonalen Erlebnisaspekt episodischer Erinnerungen zu charakterisieren. Martin und Deutscher beschreiben die Besonderheit dieser Form des Erinnerns wie folgt: If someone is asked whether he remembers what he did last Friday at lunchtime, he may be able to say that he went down the street. Yet he may feel scarcely in a position to say that he remembers actually going down the street. What he needs in order to be able to say that he does remember going down the street is at least more detailed remembering that […] certain things happened when he went down the street.⁶⁵
Wenn dies aber der Fall ist, worin genau besteht dann der Unterschied zwischen einer faktischen Erinnerung an den Tag meiner Abschlussprüfung, verbunden mit der Erinnerung an zahlreiche Details wie den Namen des Prüfers, das Wetter an diesem Tag, den Prüfungsinhalt oder die Note, und einer episodischen Erinnerung an dasselbe Ereignis?⁶⁶ Diese und ähnliche Fragen, die auf das Problem der Abgrenzbarkeit und präzisen Charakterisierung verschiedener Erinnerungstypen verweisen, haben in der empirischen Gedächtnisforschung zur Ausbildung einer Systematik von Gedächtnissystemen geführt, die wir nachfolgend einer wissenschaftstheoretischen Analyse unterziehen werden.
Vgl. Tulving 1983 und 2002, Pohl 2007, S. 18 f. sowie Foster 2009, S. 39 – 41. Locke 1971, S. 76. „What it is like to be a bat?“ (Nagel 1974). Martin/Deutscher 1966, S. 162 f. Zu den Schwierigkeiten dieser Abgrenzung vgl. auch Byrne 2010, S. 17.
2.2 Die Mannigfaltigkeit von Gedächtnis und Erinnerung
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2.2.2 Gedächtnissysteme und Kategorien der Gedächtnisforschung Anhand der vorangegangenen Untersuchung verschiedener Erinnerungsbegriffe wurde deutlich, dass sich mit ihrer Hilfe zwar eine grobe Typologie erstellen lässt, die intuitiv plausibel und für den Common-Sense anschlussfähig zu sein scheint, diese jedoch auch einige wichtige Fragen offen lässt bzw. aufwirft, wie etwa: Wie ist das Verhältnis zwischen den Erinnerungsarten bzw. zwischen Erinnerung und Wissen zu deuten? Welche Rolle spielt das Bewusstsein bei Erinnerungsprozessen? Worauf beruht die Differenzierung zwischen unterschiedlichen Gedächtnisund Erinnerungsformen? Lassen sich die sprachlichen Unterscheidungen durch mit ihnen korrespondierende empirische Ergebnisse stützen? Solche und ähnliche Fragen bilden den Ausgangpunkt für die Unterteilung des Gedächtnisses in verschiedene „Systeme“⁶⁷, die eines der Paradigmen moderner Gedächtnisforschung darstellt.⁶⁸ Sie stützt sich primär auf die Abgrenzung von Gehirnarealen mit spezifischen gedächtnisbezogenen Funktionen, häufig unter Berufung auf Fallstudien mit Patienten, bei denen selektive Gedächtnisausfälle mit dem Ausfall bestimmter neuronaler Areale einhergehen.⁶⁹ Allerdings besteht weder hinsichtlich der Definition von „Gedächtnissystemen“ noch bezüglich der empirischen Evidenz, ihres ontologischen Status oder der richtigen Abgrenzung ein übergreifender Konsens.⁷⁰
Freilich hat der hier verwendete Systembegriff nichts mit dem klassischen philosophischen Systembegriff, wie er sich etwa im Kontext von Kants Transzendentalphilosophie findet, gemein (vgl. Zöller 2001). Für eine wissenschaftstheoretische Analyse des Gedächtnissystembegriffs vgl. Michaelian 2011b. Wissenschaftshistorisch betrachtet ist dies allerdings ein sehr junges Paradigma, da die (empirische) Psychologie das Gedächtnis lange Zeit als weitgehend homogenes Phänomen ansah und experimentell einseitig auf das „Testen“ von Erinnerung im Sinne des Merkens und Wiedererkennens bestimmter „items“ unter verschiedenen Bedingungen zielte (vgl. Danziger 2008, S. 171). Einer dieser Fälle ist der des Patienten „H.M.“ (= Henry Gustav Molaison), der es in der Literatur zu einiger Berühmtheit gebracht hat (vgl. Scoville/Milner 1957; Corkin 2002). Zu den aus seinem Fall gezogenen Schlussfolgerungen hinsichtlich der Unterscheidung von Gedächtnissystemen und diesbezüglichen Kritikpunkten vgl. Churchland 1986, S. 370 – 373, Gaffan 2001 und 2002 sowie Bermúdez 2005, S. 66. Obgleich dies wissenschaftstheoretisch lohnenswert wäre, muss, aufgrund der inhaltlichen Fokussierung der Arbeit, auf eine Analyse der Konsistenz und explanatorischen Relevanz verschiedener Gedächtnissystemtheorien sowie auf eine Kritik des Systembegriffs im Kontext der empirischen Gedächtnisforschung verzichtet werden. Für einen Überblick über die verschiedenen Ansätze vgl. Foster/Jelicic 1999, Willingham/Goedert 2001, S. 252 f., Danziger 2008, S. 157 f. und 174 f., sowie Gaffan 2001 und 2002 für einige Kritikpunkte. Zur Diskussion der Frage, ob es sich beim Gedächtnis um eine „natürliche Art“ („natural kind“) handelt, vgl. Michaelian 2011b.
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2 Gedächtnis und Erinnerung: Philosophische Analyse
Das nachfolgende Schaubild gibt einen Überblick über die Einteilung des Gedächtnisses, wie sie der Psychologe Larry Squire vorgeschlagen und seit den 1980er Jahren mehrfach geändert bzw. weiter differenziert hat. Da diese Taxonomie in der empirischen Gedächtnisforschung verhältnismäßig stark akzeptiert ist und an die meisten der im vorhergehenden Kapitel besprochenen philosophischen Erinnerungsbegriffe anschließt, bildet sie die Grundlage unserer wissenschaftstheoretischen Untersuchung. Dabei ist anzumerken, dass wir uns – wie auch durch die nachfolgende Grafik deutlich wird – im Kontext dieser Arbeit überwiegend mit dem für die Frage nach dem Zusammenhang von personaler Identität und Gedächtnis besonders relevanten Langzeitgedächtnis befassen und daher auf das sogenannte „Ultrakurzzeitgedächtnis“ („sensorisches Gedächtnis“) sowie auf das „Kurzzeitgedächtnis“ („Arbeitsgedächtnis“)⁷¹ nicht weiter eingehen werden.
Abb. 1: Taxonomie von Gedächtnissystemen im Langzeitgedächtnis nach Squire 2004, modifiziert und erweitert. In Klammern finden sich alternative (jedoch nicht immer vollständig bedeutungsgleiche) Bezeichnungen des jeweiligen Gedächtnissystems. Die mit einem Fragezeichen versehene Verbindung von episodischem und autobiographischem Gedächtnis verweist auf die Frage, ob das autobiographische mit dem episodischen Gedächtnis gleichzusetzen oder von diesem zu unterscheiden ist, die uns in Kapitel 2.2.2.5 beschäftigen wird. Die Verbindungslinie zwischen deklarativem und nichtdeklarativem Gedächtnis verweist auf die zahlreichen Übergänge und Mischformen zwischen beiden, die im Text thematisiert werden.
Für einen Überblick zu diesen Kurzzeitgedächtnissystemen vgl. Atkinson/Shiffrin 1968 sowie Baddeley 1990 und 2000. Auch hier gibt es eine anhaltende Debatte über die begriffliche Angemessenheit und die empirische Richtigkeit der Unterteilungen (vgl. Pohl 2007, S. 17).
2.2 Die Mannigfaltigkeit von Gedächtnis und Erinnerung
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Wir beginnen unsere Analyse mit der unterscheidungslogisch höchsten Kategorie, der Dichotomie von deklarativem und nichtdeklarativem Gedächtnis.⁷²
2.2.2.1 Deklaratives Gedächtnis Squire schreibt zur Charakterisierung des deklarativen Gedächtnisses: Declarative memory is the kind of memory that is meant when the term ,memoryʻ is used in everyday language. It refers to the capacity for conscious re-collection about facts and events and is the kind of memory that is impaired in amnesia and dependent on structures in the medial temporal lobe and midline diencephalon. […] Declarative memory is representational. It provides a way to model the external world, and as model of the world it is either true or false.⁷³
Schon in dieser kurzen Definition verbirgt sich eine ganze Reihe gehaltvoller Annahmen. Bereits die Feststellung, dass es sich bei der „recollection about facts and events“⁷⁴ um das handelt, was alltagssprachlich mit „Gedächtnis“ bezeichnet wird, ist zumindest unvollständig. Denn neben semantischer und episodischer Erinnerung fallen alltagssprachlich auch viele fertigkeitsbezogene (prozedurale) Erinnerungen unter diesen Begriff, etwa das Erinnern (und Ausführen) des richtigen Knüpfens eines doppelten Windsorknotens.⁷⁵ Während sich die Unvollständigkeit dieser Annahme schnell aufzeigen und durch Ergänzungen beheben lässt, stellen sich bezüglich des Bewusstseinskriteriums, das Squire zur Abgrenzung von deklarativem und nichtdeklarativem Gedächtnis anführt, schwerwiegendere Probleme.⁷⁶ Zunächst können mit der Rede von „conscious recollection“ verschiedene Dinge gemeint sein: Eine erste Lesart besteht darin, dass deklaratives Erinnern stets das Bewusstsein der Situation beinhaltet, in der das jeweilige Erinnerungswissen erworben wurde. Diese – von Squire wohl auch nicht intendierte – Deutung kann rasch verworfen werden, da wir uns sehr häufig an Dinge bzw. Inhalte erinnern, ohne uns dabei auch deren Ursprungs – etwa der Schulstunde, in der das nun erinnerte geographische Wissen
Häufig findet sich – weitgehend als Synonym für deklarativ/nichtdeklarativ, wie aus Abbildung 1 ersichtlich – auch das Begriffspaar implizit/explizit (vgl. Goldenberg 2007, S. 23). Squire 2004, S. 173. Squire 2004, S. 173. Dieses Beispiel verdeutlicht abermals die Schwierigkeit einer klaren Abgrenzung von „wissen“ und „erinnern“, genauer von „wissen/sich erinnern, dass man einen Windsorknoten so und so knüpft“ („remembering that“) und „wissen/sich erinnern, wie man einen Windsorknoten knüpft“ („remembering how“), vgl. S. 27 f. Vgl. dazu auch Bennett/Hacker 2003, S. 156 f.
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2 Gedächtnis und Erinnerung: Philosophische Analyse
vermittelt wurde – entsinnen zu können. Die zweite Lesart besagt dagegen, dass wir uns, wenn wir im deklarativen Sinne erinnern, bewusst sind, dass es sich um eine Erinnerung handelt, also um etwas in der Vergangenheit Erlebtes oder Gelerntes, das sich gegenwärtig mit dem Wissen um diesen Vergangenheitsbezug zeigt. Diese Auffassung, die der von Squire weitgehend entsprechen dürfte, ist jedoch ebenfalls nicht plausibel, wenn Bewusstsein, wie es den Anschein hat, als notwendige Bedingung für das deklarative Gedächtnis erachtet wird. Wie aus Abbildung 1 ersichtlich, fallen unter den Begriff des deklarativen Erinnerns auch Erinnerungen an Fakten und Ereignisse, die demnach stets vom Bewusstsein um ihren Erinnerungscharakter begleitet sein müssten. Dies ist jedoch realiter nicht der Fall.Wenn wir etwa spontan auf Fragen antworten oder einem Freund von den Erlebnissen des Tages berichten, so mag dies zwar in einigen oder gar vielen Fällen mit dem Bewusstsein einhergehen, dass wir gerade auf erinnertes Wissen in Form von Antworten oder Erzählungen rekurrieren, Voraussetzung dafür ist es jedoch nicht. Vor allem der Fall spontaner Antworten auf Fragen wie etwa „Was war nochmal die Hauptstadt von Österreich?“ oder „In welchem Jahr endete der Zweite Weltkrieg?“ macht dies deutlich, da es sich dabei um Faktenerinnerungen handelt, die oftmals sehr schnell und ohne das Bewusstsein um ihren spezifischen Erinnerungscharakter produziert werden können. Natürlich kann, falls einem die Antwort auf solche Fragen nicht spontan in den Sinn kommt, die „Jagd“ – wie Aristoteles es nennt – nach Erinnerungen beginnen, die dann auch bewusst als solche wahrgenommen werden. Zu einem späteren Zeitpunkt können diese Erinnerungen wieder in Form spontaner Antworten Ausdruck finden, was auf die zahlreichen Formen, Übergangsformen und Ausdrucksmöglichkeiten von Erinnerungen verweist.⁷⁷ Die Charakterisierung von nichtdeklarativen Erinnerungen als „expressed through performance rather than recollection“⁷⁸ scheint ebenfalls nicht zwingend, wenn darunter auch „skills and habits“⁷⁹ gefasst werden.⁸⁰ Zwar trifft es im Fall der häufig angeführten Paradebeispiele, wie etwa dem Autofahren (bei routinierten Fahrern), sicher zumeist zu, dass diese unbewusst und ohne Erinnerungsbezug – etwa auf die Fahrstunden, in denen die zugrunde liegenden Fähigkeiten erworben wurden – ablaufen. Es sind jedoch auch andere Fälle denkbar,
Vgl. dazu die Diskussion der Übergänge zwischen verschiedenen Erinnerungsarten in Kapitel 2.2.2.6 dieser Arbeit. Squire 2004, S. 173. Damit ist gemeint, dass diese Prozesse ohne das Bewusstsein um ihren Erinnerungscharakter ablaufen, da „recollection“ als Gegensatz zu „performance“ durch das Bewusstseinskriterium charakterisiert wird. Squire 2004, S. 173. Zu diesem Kritikpunkt vgl. Cubelli 2010, S. 39.
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in denen bei der Ausübung von Fähigkeiten („remembering how“) bewusste Erinnerungsmomente eine Rolle spielen, etwa wenn ein routinierter Fußballspieler, dem die meisten Fähigkeiten und Techniken „in Fleisch und Blut“ übergegangen sind, vor der Ausführung eines Freistoßes bewusst an die zuvor im Training erlernten Abläufe zurückdenkt. Bennett und Hacker schreiben dazu: For if nondeclarative memory includes remembering how to do something, then one very often remembers how to do something by calling to mind the episode in which one was taught to do so, and one might well, in exercising oneʼs memory of how to do something, be aware of the fact that one is trying to do so.⁸¹
Werfen wir nun einen Blick auf weitere Eigenschaften des deklarativen Gedächtnisses nach Squire: „Declarative Memory is representational. It provides a way to model the external world⁸², and as model of the world it is either true or false.“⁸³ Zunächst kurz zum Begriff der „Repräsentation“: Wie Squire ihn hier verwendet, impliziert er die generelle Behauptung, das deklarative Gedächtnis stehe in irgendeiner Weise für etwas, genauer für unsere Vorstellung der Außenwelt. Ohne hier näher darauf eingehen zu können, sei angemerkt, dass es zu der Frage, was genau unter Repräsentationen zu verstehen ist, ob bzw. in welchem Sinn sie existieren, worin ihr Inhalt besteht usw., eine ausführliche Diskussion sowohl in den Neuro- und Kognitionswissenschaften als auch in der Philosophie gibt.⁸⁴ So geht es beispielsweise bei der Debatte zwischen repräsentativem und direktem Realismus um die Frage, ob wir der erinnerten Vergangenheit direkt oder nur mittels gegenwärtiger Repräsentationen und damit indirekt gewahr werden.⁸⁵ Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Frage nach der Existenz und Beschaffenheit von Gedächtnisspuren, die häufig als Grundlage von Repräsentationstheorien dienen.⁸⁶ Uns geht es an dieser Stelle, ebenso wie Squire, jedoch nicht um die Details dieser Diskussion, sondern um die grundlegende Charakterisierung der Eigenschaften des deklarativen Gedächtnisses und der auf ihm basierenden Erinnerungen. Bezüglich dieser Eigenschaften ist Squires Aussage, deklarative Erinnerungen seien als „Modell der Welt“ entweder „wahr oder falsch“⁸⁷, für uns
Bennett/Hacker 2003, S. 157. Wie Bennet und Hacker (2003, S. 156) zu Recht bemerken, handelt es sich hierbei um eine unklare bzw. irreführende Formulierung, insofern „ordinary people do not go in for ,modeling the external world‘, unless they are sculptors […].“ Squire 2004, S. 173. Für einen Überblick über die verschiedenen Diskussionsstränge vgl. Sutton 2010/2003. Vgl. dazu etwa Malcolm 1970 und Fodor 1981. Vgl. dazu die ausführlichen Studien in Sutton 1998. Squire 2004, S. 173 f.
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2 Gedächtnis und Erinnerung: Philosophische Analyse
von Interesse. Obwohl wir die Frage, was es bedeutet, sich wahr bzw. richtig oder falsch zu erinnern, an späterer Stelle noch eingehender betrachten werden, sind hier bereits einige Anmerkungen angebracht.⁸⁸ „Wahrheit“ wird von Squire und anderen Gedächtnisforschern zunächst als Übereinstimmung mit Tatsachen in der Welt verstanden. Gibt eine Erinnerung ein vergangenes Ereignis oder in der Vergangenheit erworbenes Wissen so wieder, wie es sich „tatsächlich“ abgespielt hat bzw. korrekt erlernt wurde, so die (vereinfachte) Idee, handelt es sich um eine wahre Erinnerung. Ist dies nicht der Fall, haben wir es mit einer falschen Erinnerung zu tun. Diese Konzeption wirft jedoch Fragen wie die folgenden auf: Was ist der erforderliche Grad an Übereinstimmung, der eine Erinnerung im Abgleich mit Tatsachen zu einer wahren bzw. „mehr oder weniger wahren“ Erinnerung macht und ab wann könnte man berechtigt von einer „falschen Erinnerung“ sprechen? Gelten diesbezüglich für propositionale semantische Erinnerungen andere Maßstäbe als für autobiographische Erinnerungen? Wenn man, wie bei Wahrnehmung und Aufmerksamkeit, auch bei Erinnerungen von einem hohen Maß an Selektivität ausgehen kann, was bedeutet das für die Wahrheitsfrage? Gesetzt den Fall, die Rede von der „Konstruktivität des Gedächtnisses“⁸⁹ ist zutreffend, lässt sich dennoch ein Wahrheitskonzept von Erinnerungen aufrechterhalten und wie müsste es beschaffen sein? Sind falsche Erinnerungen überhaupt Erinnerungen? Wir werden diesen Fragen in Kapitel 3.2.6 wieder begegnen. Sie verweisen auf die Komplexität und auf die Schwierigkeiten der Wahr/Falsch-Unterscheidung, die bei Squire im Kontext des deklarativen Gedächtnisses angeführt wird. Der Blick auf die Differenzierung zwischen Faktenerinnerungen und Ereigniserinnerungen, die autobiographisch-episodische Erinnerungen umfassen, macht dies deutlich.Während es im Fall der meisten Faktenerinnerungen („Ich erinnere mich, dass Watson und Crick die Entdecker der DNA-Doppelhelixstruktur sind“) vergleichsweise einfach scheint, die Frage zu beantworten, unter welchen Bedingungen diese wahr sind und wie sich dies evaluieren lässt – im oben genannten Fall ist die Erinnerung dann wahr, wenn Watson und Crick de facto die Doppelhelixstruktur entdeckt haben, was sich durch Nachschlagen, Expertenbefragung oder Ähnliches herausfinden lässt⁹⁰ –, stellt sich dies bei autobiographischen
Interessant ist hierbei, dass Squire von „wahr oder falsch“, nicht von „richtig oder falsch“ spricht. Die damit zusammenhängende Frage, ob bzw. inwiefern überhaupt von der „Wahrheit“ von Erinnerungen gesprochen werden kann, wird in Kapitel 3.2.6 erörtert. Vgl. dazu Welzer 2008, S. 20 f. und Kühnel/Markowitsch 2009, S. 124. Was genau mit der Rede von der „Konstruktivität“ im Kontext von Gedächtnis und Erinnerung gemeint ist, wird in Kapitel 3.2.6 verdeutlicht und kritisch diskutiert. Wobei natürlich auch hier epistemische Vorsicht bezüglich der Verlässlichkeit von Quellen, Experten, Zeugen etc. geboten ist. Zudem stellt sich erneut die Frage, ob statt von „Erinnerung“
2.2 Die Mannigfaltigkeit von Gedächtnis und Erinnerung
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Erinnerungen sehr viel komplizierter dar. Dies liegt, wie wir später sehen werden, unter anderem daran, dass wir es hier mit Phänomenen wie Perspektivität, emotionaler Färbung, Selektion und dem erstpersonalen Aspekt solcher Erinnerungen zu tun haben, die es deutlich erschweren, einen adäquaten Wahrheitsbegriff bzw. Methoden der Wahrheitsfindung zu konzipieren.
2.2.2.2 Nichtdeklaratives Gedächtnis Auch die Charakterisierung und Typisierung des nichtdeklarativen Gedächtnisses wirft einige Fragen auf: In contrast, nondeclarative memory is neither true nor false. It is dispositional and is expressed through performance rather than recollection. Nondeclarative forms of memory occur as modifications within specialized performance systems. The memories are revealed through reactivation of the systems within which the learning originally occurred.⁹¹
Zunächst fällt das breite Spektrum von Phänomenen auf – von Fertigkeiten und Gewohnheiten über Priming und klassische Konditionierung bis hin zu nichtassoziativem Lernen –, die alle unter den Begriff des nichtdeklarativen Gedächtnisses fallen sollen. Squire schreibt daher auch, dass dieses „System“ eher als „umbrella term“⁹² aufgefasst werden muss, der sich auf „several additional memory systems“⁹³ bezieht. Es stellt sich dann jedoch die Frage, was all diese vielfältigen Erscheinungen überhaupt zu Formen des Gedächtnisses macht. Intuitiv scheinen etwa Priming und klassische Konditionierung wenig mit unserem Common-Sense-Verständnis von Gedächtnis zu tun zu haben. Um herauszufinden, ob diese Intuition auch begründet ist, sehen wir uns zunächst kurz an, wie die verschiedenen Ausprägungen des nichtdeklarativen Gedächtnisses in der Lernforschung definiert werden. Beginnen wir mit dem Priming. ⁹⁴ Dieses bildet bei Squire eine eigene Unterkategorie des nichtdeklarativen Gedächtnisses, wird jedoch bei anderen Autoren als eine Form des sogenannten „nicht-assoziativen Lernens“ angesehen.⁹⁵ Die
nicht von „Wissen“ gesprochen werden kann oder muss, womit die Problematik der Definition von „Wissen“ und der Feststellung des Vorliegens von Fällen von Wissen ins Spiel käme (vgl. Baumann 2006, S. 27– 86). Squire 2004, S. 173 f. Squire 2004, S. 173 f. Squire 2004, S. 173 f. Für einen allgemeinen Überblick über Priming-Theorien und zur Frage der kognitiven Funktion des Priming vgl. Marsolek 2003. Etwa bei Winkler/Petermann/Petermann 2006, S. 69.
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Lernpsychologie erachtet Priming als „eine wichtige Form subliminalen Lernens“⁹⁶. Mit „subliminal“ ist gemeint, dass Lernvorgänge dieser Art unterhalb der Bewusstseinsschwelle ablaufen. Durch die Wahrnehmung eines Reizes wird die Reaktion auf spätere Reize beeinflusst. Ein klassisches Beispiel dafür sind Versuchsreihen, in denen Probanden für einen kurzen Moment, der nicht für die bewusste Wahrnehmung ausreicht, Bilderreihen präsentiert werden. Wird eines dieser Bilder später erneut gezeigt – etwa das Bild eines Stuhles – so wird es deutlich schneller erkannt als „neue“ Objekte, ebenso wie Bilder „verwandter“ Gegenstände, etwa eines Tisches.⁹⁷ Dies ist zugleich ein Beispiel für das sogenannte perzeptuelle Lernen, worunter die „Veränderung von Wahrnehmungsleistungen durch wiederholten Kontakt mit einem Objekt und die Erleichterung zukünftiger Lernprozesse in Zusammenhang mit einem Objekt“⁹⁸ verstanden wird. Die nächste Kategorie in Squires Schema ist die klassische Konditionierung, die auf Iwan Pawlow (1849 – 1936) zurückgeht. Hierbei geht es, wie aus Pawlows berühmten Hundeexperimenten bekannt, darum, durch die Verknüpfung bestimmter Reize Lernprozesse bzw.Verhaltensänderungen herbeizuführen. So kann z. B. beim Menschen durch die gleichzeitige Darbietung von zwei Reizen, etwa einem akustischen Signal und einem einsetzenden Luftstrom, der Blinzeln hervorruft, das Blinzeln bei bloßem Hören des Signals ohne gleichzeitigen Luftstrom konditioniert werden.⁹⁹ Als weitere Ausprägung des nichtdeklarativen Gedächtnisses findet sich das nicht-assoziative Lernen. Im Gegensatz zu den oben genannten Lernarten, bei denen Verknüpfungen zwischen verschiedenen Reizen geschehen, findet die Verhaltensänderung hierbei alleine durch den wiederholten Kontakt mit einem gleichartigen Reiz statt.¹⁰⁰ Zu den verschiedenen Formen nicht-assoziativen Lernens zählen unter anderem Habituation, Sensitivierung und der sogenannte MereExposure-Effekt. Unter Habituation versteht man das Schwächerwerden der Reaktion auf einen Reiz, wenn dieser mehrfach dargeboten wird. So wird beispielsweise die sogenannte „Orientierungsreaktion“¹⁰¹, das Hinwenden zu unerwarteten bzw. neuartigen Reizen, immer schwächer, wenn ein Reiz mehrfach und ohne größere Bedeutung für den Wahrnehmenden wiederkehrt, etwa im Fall der sukzessiven Gewöhnung an neue Umgebungsgeräusche nach einem Umzug. Mit
Winkler/Petermann/Petermann 2006, S. 85. Vgl. Winkler/Petermann/Petermann 2006, S. 85 – 87. Winkler/Petermann/Petermann 2006, S. 83. Vgl. Pritzel/Brand/Markowitsch 2009, S. 405, sowie Winkler/Petermann/Petermann 2006, S. 92. Vgl. Pritzel/Brand/Markowitsch 2009, S. 405. Winkler/Petermann/Petermann 2006, S. 70.
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Sensitivierung bezeichnet man den gegenteiligen Effekt, also die Verstärkung einer Reaktion bei besonders intensiver, als verhaltensrelevant (d. h. meist als gefährlich) wahrgenommener Reizdarbietung. So kann etwa der mittlerweile eigentlich gewohnte Hintergrundlärm in einer neuen Wohnumgebung nach einem Verkehrsunfall wieder verstärkt wahrgenommen werden.¹⁰² Habituation und Sensitivierung gelten als einfache und grundlegende Arten des Lernens und finden sich nicht nur beim Menschen, sondern bereits bei sogenannten „niederen Lebewesen“. Dem Neurowissenschaftler Eric Kandel gelang beispielsweise der Nachweis dieser Lernformen bei der Meeresschnecke „Aplysia californica“.¹⁰³ Der MereExposure-Effekt bezeichnet schließlich das Phänomen, dass der bloße wiederholte Kontakt mit bestimmen Objekten zu einer positiven Bewertung dieser Objekte führt. In den 60er Jahren konnte der Psychologe Robert Zajonc beispielsweise zeigen, dass Probanden, denen ihnen völlig unbekannte chinesische Schriftzeichen präsentiert wurden, diejenigen Symbole als in ihrer Bedeutung besonders positiv charakterisierten, die ihnen am häufigsten gezeigt wurden.¹⁰⁴ Zur Beantwortung der philosophisch naheliegenden Frage, ob all diese Phänomene sinnvoll als „Gedächtnis“ oder „Erinnerung“ bezeichnet werden können, betrachten wir nachfolgend einige Überlegungen Ludwig Wittgensteins zum Gedächtnis- und Erinnerungsbegriff.
2.2.2.3 Wittgenstein und die Frage nach dem impliziten Gedächtnis Im Rahmen unserer Analyse der Kategorien empirischer Gedächtnisforschung stellt sich die Frage, welche Gründe es für bzw. gegen die Einordnung all der im vorangegangenen Kapitel genannten Lernprozesse als Ausprägungen von Gedächtnis bzw. Erinnerung gibt. Vor ihrer Beantwortung gilt es freilich zunächst zu klären, welche Kriterien für die Charakterisierung von Gedächtnisphänomenen genutzt werden können. Squire und zahlreiche Gedächtnisforscher, die seine Taxonomie teilen, scheinen als Kriterien für die Rede vom impliziten/prozeduralen Gedächtnis anzulegen, dass a) ein Lernprozess bzw. Informationserwerb, der b) in der Vergangenheit stattgefunden hat, zu c) einer Verhaltensänderung bzw. -disposition führt. Kurz gesprochen: „[T]he faculty to use any type of acquired information.“¹⁰⁵ Nachfolgend soll unter Rückgriff auf einige von Ludwig Wittgenstein in „Über Gewißheit“ angestellte Überlegungen gezeigt werden, dass diese Definition zu einer Überdehnung des Gedächtnis- und Erinnerungsbegriffs führt
Vgl. Schmidt/Lang 2007, S. 224. Vgl. Kandel/Schwartz/Jessell 2000, S. 1249 f. Vgl. Winkler/Petermann/Petermann 2006, S. 82 f. Dalla Barba 2002, S. 1.
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und daher weitere Differenzierungen sowie vor allem ein Bewusstsein für die Dynamik und die zahlreichen Übergänge und Übergangsformen von bzw. zwischen verschiedenen Gedächtnis- und Erinnerungsarten und anderen kognitiven Prozessen vonnöten sind, was durch die Rede von „Gedächtnissystemen“ oftmals verdeckt wird. Betrachten wir ein Paradebeispiel dessen, was von vielen Gedächtnisforschern als Instantiierung impliziter Erinnerungen angesehen wird, nämlich „our abilities to carry out effortlessly such tasks as riding a bicycle or playing a piano, without having to direct each movement consciously every time we attempt the task.“¹⁰⁶ Zunächst gilt es bei Fähigkeiten dieser Art zwei Fälle zu unterscheiden: Im ersten Fall erlernen wir die betreffende Fähigkeit erstmals – etwa durch den Fahrradunterricht der Eltern – oder erneut, etwa nach einer schweren Erkrankung. Im zweiten Fall wenden wir eine bereits erlernte Fähigkeit an, wenn wir beispielsweise 20 Jahre nach dem Fahrradunterricht täglich per Rad zur Arbeit fahren. Im ersten Fall scheint es unstrittig, dass Erinnerungen dabei eine Rolle spielen, rufen wir uns doch immer wieder bewusst und absichtlich vor Augen, in welcher Reihenfolge uns die Teilschritte des Fahrradfahrens erklärt wurden, wie also der Lenker zu halten, die Bremse zu betätigen und die Vorfahrt zu achten ist. Im zweiten Fall, der mit Aussagen wie der vorausgehenden von Schacter gemeint ist, ist weit weniger klar, inwiefern hier von Erinnerung oder Gedächtnis gesprochen werden kann. Mutet es nicht seltsam an, bezüglich routiniert ausgeführter Bewegungsmuster Sätze zu hören wie „Ich erinnere mich daran, wie man läuft“ oder „Ich erinnere mich, wie man sich an den Frühstückstisch setzt“, und gilt dies nicht auch für mein tägliches Fahrradfahren? Solche Sätze erscheinen offenkundig nur unter pathologischen Bedingungen nicht sonderbar, wenn jemand etwa nach einer schweren neurologischen Erkrankung ehemals vertraute motorische Prozesse mühevoll rekonstruieren muss. Das ist jedoch nicht verwunderlich, da es sich in solchen Fällen eben gerade nicht um routiniert-implizites Ausüben von Fähigkeiten, sondern um erneutes, bewusstes Erlernen oder Wiedereinüben ebenjener Fähigkeiten handelt. Zwischen beiden Fällen scheint ein signifikanter Unterschied zu bestehen, der darauf verweist, dass die schiere Tatsache, dass jemand eine Information oder Fähigkeit in der Vergangenheit erworben hat und diese gegenwärtig in irgendeinem Sinn Auswirkungen auf sein Verhalten hat, nicht hinreichend ist, um sinnvoll von „Erinnerung“ sprechen zu können. Wittgenstein verdeutlicht dies in „Über Gewißheit“ anhand eines Beispiels: „Wie, wenn ein Mensch sich nicht erinnern könnte, ob er immer fünf Finger oder
Schacter 1996, S. 5.
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zwei Hände gehabt hat? Würden wir ihn verstehen? Könnten wir sicher sein, daß wir ihn verstehen?“¹⁰⁷ Ihm zufolge können wir bezüglich basaler Informationen, in seinem Beispiel sind es Informationen über konstitutive Merkmale des eigenen Körpers, nicht sinnvoll von „Erinnerung“ und – im Gegensatz zu George Edward Moores Behauptung¹⁰⁸ – auch nicht von „Wissen“ sprechen. Vielmehr handelt es sich bei solchen Überzeugungen oder Fähigkeiten um grundlegende Gewissheiten, die er auch als „Angeln“¹⁰⁹ bezeichnet, welche, wie Moyal-Sharrock es ausdrückt, „logically underpin our cognitive inquiries.“¹¹⁰ Auch bei einigen Gedächtnisforschern finden sich Zweifel, die in diese Richtung gehen. So schreiben etwa Roediger, Buckner und McDermott: The non-declarative memory systems begin stretching our usual notion of memory. If you get up from your chair to leave the room, do you ,rememberʻ how to walk? When you reach down to tie your shoelaces, do you have to remember how? When you streak across the court to execute a forehand volley, do you have to remember how to do so? Using the word ,rememberʻ seems strange in these contexts […].¹¹¹
Natürlich ist die hier festgestellte Tatsache, dass die Verwendung des Gedächtnisbegriffs für solche Phänomene ungebräuchlich ist und seltsam anmutet, an sich noch kein Argument gegen ihre Angemessenheit, zumindest aber ein Anlass für weitere Analysen. Gibt es, so lässt sich etwa fragen, Merkmale von Erinnerungen, die über das Kriterium des Erwerbs von Informationen in der Vergangenheit hinausgehen und die diese gegenüber anderen kognitiven Prozessen auszeichnen? Mit Wittgenstein ließe sich wie folgt argumentieren: Zwischen Erinnern, Lernen und aktuellem Verhalten bestehen zahlreiche Verbindungen. Die Lernformen des nichtdeklarativen Gedächtnisses sind essentielle Bestandteile unseres Verhaltensrepertoires. Dies alleine rechtfertigt aber noch nicht die Rede von „Erinnerung“. Obwohl bei vielen – sicherlich jedoch nicht allen¹¹² – der Phänomene, auf die mit der Beschreibung „implizite Erinnerungen“ Bezug genommen wird, ur Wittgenstein 1989d/1949 – 1951, §157. Wittgensteins Überlegungen, die hier für eine Kritik an einem zu weiten Gedächtnis- und Erinnerungsbegriff genutzt werden, resultieren aus seiner Diskussion mit George Edward Moore über dessen Behauptung, anhand von Sätzen wie den oben genannten Fälle von sicherem Wissen demonstrieren zu können, die keiner weiteren Begründung bedürfen (vgl. zu dieser Diskussion Krebs 2007, S. 18 – 21). Wittgenstein 1989d/1949 – 1951, §343. Moyal-Sharrock 2009, S. 222 f. Roediger/Buckner/McDermott 1999, S. 39. Vgl. dazu die Diskussion um die Existenz und Bedeutung bzw. Definition von „angeborenem Wissen“ bei Popper 1988, S. 36, Heschl 1998, S. 24 f. sowie bei Mahner/Bunge 2000, S. 61.
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sprünglich Gedächtnis und Erinnerung involviert waren, etwa in der Phase des Erlernens, genügt dies nicht, um auch bei ihren späteren automatisierten oder reflexartigen Ausprägungen von „Erinnerungen“ sprechen zu können.¹¹³ Eine Ausdehnung des Gedächtnis- bzw. Erinnerungsbegriffs auf beinahe jeden Verhaltens- oder Kognitionsakt würde „Gedächtnis“ und „Erinnerung“ zu solch maximal ausgeweiteten Begriffen machen, dass sie als wissenschaftliche Kategorien an Nutzen verlören, weil eine große Menge heterogener Phänomene alleine aufgrund der Tatsache, dass die ihnen zugrunde liegenden Informationen in der Vergangenheit erworben wurden, begrifflich „in einen Topf geworfen“ würden. Signifikante Unterschiede und die spezifischen Merkmale der jeweiligen Phänomene wären dadurch nicht mehr angemessen zu fassen. So schreibt auch MoyalSharrock, dass „defining memory as ,the use of prior experience to guide current thought and behaviourʻ (Laboe personal communication, 2007) […] suggests that we use memory for just about everything we think and do, making memory so pervasive a concept as to be useless or meaningless.“¹¹⁴ Um dieser Problematik zu begegnen, kann man für eine Beschränkung des Bereichs der mit „Erinnerung“ bezeichneten Phänomene plädieren, die neben dem bloßen Vorliegen von in der Vergangenheit erworbenen Informationen einen speziellen Umgang mit diesen Informationen bzw. deren Gewahrsein als für die Rede von „Erinnerung“ notwendige Merkmale anführt. Moyal-Sharrock nimmt eine solche Einschränkung durch die Kriterien des „mnemonic effort“¹¹⁵ und der „mnemonic attention“¹¹⁶ vor: Um von „Erinnerung“ sprechen zu können, muss ihr zufolge zusätzlich zum in der Vergangenheit erfolgten Informationserwerb, der in der Gegenwart für Verhalten (im weitesten Sinne) relevant wird, eine dieser beiden kognitiven Bedingungen gegeben sein: Im Falle des „mnemonic effort“ handelt es sich um „Anstrengungen“ (im Sinne von Konzentration, Fokussierung oder „Tricks“, mit deren Hilfe etwas erinnert wird¹¹⁷), die der Erinnernde bzw. ErinnernWollende unternimmt, etwa wenn wir solange „angestrengt“ nachdenken, bis uns etwas wieder einfällt, also aktiv auf die „Jagd“ gehen (auch hier trifft wieder Aristoteles Bild des „Erinnerungsjägers“ zu). In Fällen, in denen nicht in dieser Weise intentional nach Erinnerungen gesucht wird, sondern diese uns „unaufgefordert“ in den Sinn kommen (diese Art von „unfreiwilligen“ Erinnerungen wird uns in Kapitel 3.2.4.7 noch beschäftigen), findet der Begriff der „mnemonic attention“ Anwendung, der sich auf das Bewusstsein der Tatsache bezieht, dass es
Vgl. Moyal-Sharrock 2009, S. 226. Moyal-Sharrock 2009, S. 226. Moyal-Sharrock 2009, S. 213. Moyal-Sharrock 2009, S. 213. Moyal-Sharrock 2009, S. 226.
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sich bei der vorliegenden Erinnerung um eine solche handelt und nicht etwa um eine Fantasievorstellung oder einen gerade erst entstandenen Gedanken.¹¹⁸ Durch die Anwendung dieser Kriterien ließe sich eine Grenze zwischen Erinnerungen und anderen kognitiven und nonkognitiven Prozessen ziehen, die deren Unterschiede und Gemeinsamkeiten deutlicher werden lässt. „Implizite Erinnerungen“ können dann – je nach Fall – als Gewissheiten im Sinne Wittgensteins, als automatisierte Verhaltensweisen oder als Reflexe verstanden werden. Es ist an dieser Stelle wichtig, nochmals auf den Unterschied zwischen Gedächtnis und Erinnerung hinzuweisen, den, wie wir gesehen haben, bereits Aristoteles thematisiert. Ein Teil der geschilderten begrifflichen und konzeptuellen Unklarheiten beruht darauf, dass diese Differenz nicht hinreichend verdeutlicht bzw. berücksichtigt wird. Wenn etwa in der Gedächtnisforschung mit Blick auf Lernprozesse von „Gedächtnis“ gesprochen wird, so ist damit zunächst primär eine Form der Speicherung von Informationen im weitesten Sinne gemeint.Von den Feinheiten der Konzeptualisierung dieser Speicherung einmal abgesehen¹¹⁹ ist die Annahme nachvollziehbar, dass es sich daher auch bei der Speicherung von Informationen, die die Grundlage für Fertigkeiten und Lernprozesse bilden, um „Gedächtnis“ in diesem (extrem weiten) Sinn handelt. Allerdings muss dann der Abruf von bzw. Umgang mit diesen Informationen, also das Erinnern, klar davon unterschieden werden. Auch wenn es aus neurobiologischer und psychologischer Sicht gute Gründe gibt, hinsichtlich der beteiligten neuronalen Strukturen und der Informationsspeicherung von vielen Gemeinsamkeiten auszugehen, so muss doch auf der Ebene des Erinnerns die phänomenologische Vielfalt der Abrufprozesse adäquat berücksichtigt und begrifflich differenziert werden. Diese hier angestellten Überlegungen sollten vor allem der begrifflichen Klarheit und der Differenzierung von unterschiedlichen Phänomenen dienen, deren Verschiedenheit durch terminologische Konfusionen aus dem Blick geraten kann. Daher richtet sich die vorangegangene Argumentation auch nicht primär auf rein terminologischer Ebene gegen bestimmte Begriffe der Gedächtnisforschung oder fordert deren Ersetzung. Vielmehr soll durch sie der Blick für teils unter Begriffen bzw. Sammelbegriffen „verborgene“ Bedeutungsfacetten geschärft werden. Unter Beachtung der oben betonten Unterscheidung zwischen Gedächtnis und Erinnerung wird der Begriff des nondeklarativen bzw. impliziten Gedächtnisses im weiteren Verlauf der Arbeit daher, speziell im Kontext der Analyse des Zusammenhangs von Erinnerung und personaler Identität, weiterhin verwendet.
Vgl. Moyal-Sharrock 2009, S. 226. Zu dieser Debatte vgl. Sutton 1998.
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2 Gedächtnis und Erinnerung: Philosophische Analyse
Bevor wir jedoch zu diesem Thema und damit zu Kapitel 3 der Arbeit gelangen, soll abschließend ein Blick auf die für diese Arbeit ebenfalls wichtige Unterscheidung zwischen episodischem und semantischem Gedächtnis geworfen werden.
2.2.2.4 Semantisches und episodisches Gedächtnis Die Unterscheidung zwischen semantischem und episodischem Gedächtnis ist uns bereits in Kapitel 2.2.1 bei der sprachanalytischen Differenzierung von Erinnerungsarten begegnet. Sie wird in diesem Kapitel im Kontext der empirischen Gedächtnisforschung nochmals eingehender thematisiert, da ihr dort zwar ein hoher konzeptioneller Stellenwert zukommt, sie jedoch nicht frei von begrifflichen und theoretischen Problemen ist.¹²⁰ Squire schreibt zur Charakterisierung beider Gedächtnisformen: „Declarative memory can be divided into semantic memory (facts about the world) and episodic memory (the capacity to re-experience an event in the context in which it originally occurred).“¹²¹ Diese Distinktionsmerkmale beziehen sich zunächst auf den jeweiligen Erinnerungsinhalt bzw. Erinnerungsgegenstand. Das semantische Gedächtnis beinhaltet Faktenerinnerungen, die von der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke über das Wissen um Naturgesetzmäßigkeiten bis hin zum Kennen der Jahreszahlen historischer Ereignisse reichen.¹²² Insofern ist die Bezeichnung „semantisch“ auch nicht ganz glücklich, da neben der Bedeutung und dem Inhalt sprachlicher Ausdrücke auch (bzw. sogar zumeist) Tatsachenwissen verschiedenster Art Gegenstand semantischen Erinnerns ist.¹²³ Das episodische Gedächtnis charakterisiert Tulving dagegen als „the kind of memory that allows one to remember past happenings from one’s life.“¹²⁴ Bereits hier zeigt sich ein erstes Abgrenzungsproblem. Wenn ich mich – im Sinne der reinen Tatsache – an mein Geburtsdatum oder den Zeitpunkt meiner Einschulung erinnere, handelt es sich dann um eine semantische Erinnerung, weil ich mich an ein Faktum erinnere bzw. Faktenwissen abrufe, oder, weil ich mich an ein Faktum aus meiner persönlichen Lebensgeschichte erinnere, um einen Fall von episodi-
Vgl. Naylor 2011. Squire 2004, S. 174. Vgl. Schermer 2001, S. 533 f. Dies bemerkt auch der Psychologiehistoriker Danziger (2008, S. 173), der bezüglich der Gründe für diese Begriffswahl der Gedächtnisforscher von „historical reasons beyond their control“ spricht. Tulving 2001, S. 1505.
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scher bzw. autobiographischer Erinnerung?¹²⁵ Um die Unterschiede zwischen beiden zu verdeutlichen, postuliert Tulving verschiedene Arten von Bewusstsein, die den jeweiligen Typus von Gedächtnis und Erinnerung begleiten und charakterisieren: anoetisches, noetisches und autonoetisches Bewusstsein. Anoetisches Bewusstsein wird impliziten Erinnerungen zugeschrieben. Es äußert sich nicht durch das Sich-Bewusstsein bestimmter mentaler Inhalte, sondern durch „alterations in performance, caused by changes in speed and efficiency of perceptual, cognitive, and motor operations mediated by neocortical and subcortical regions concerned with perception, cognition, and action.“¹²⁶ Wir haben bereits in den Kapiteln 2.2.2.2 und 2.2.2.3 gesehen, mit welchen Problemen die Bezeichnung solcher Phänomene als „Gedächtnis“ bzw. „Erinnerung“ versehen ist. Hinzu kommt, dass hier so etwas wie ein „unbewusstes Bewusstsein“ postuliert wird, was begrifflich problematisch und explanativ von unklarem Wert zu sein scheint. Noetisches Bewusstsein ist dagegen die dem semantischen Gedächtnis zugerechnete Bewusstseinsform. Es bezieht sich auf das Bewusstsein des erinnerten Wissens als solchem, etwa wenn jemandem wieder einfällt, welche Namen die vier häufigsten DNA-Basen tragen, sobald er danach gefragt wird. Autonoetisches Bewusstsein, das mit dem episodischen Gedächtnis assoziiert wird, zeichnet sich im Unterschied dazu aus durch „the capacity that allows adult humans to mentally represent and to become aware of their protracted existence across subjective time“¹²⁷ sowie durch „a feeling of reexperiencing or reliving the past.“¹²⁸ Entscheidend ist hier, dass der betreffende Gedächtnisinhalt nicht nur gewusst, sondern vielmehr als in der eigenen Lebensgeschichte raum-zeitlich verortet erinnert und vom Gefühl des mentalen Wiedererlebens des betreffenden Ereignisses begleitet wird.¹²⁹ So plausibel die Unterteilung in semantisches und episodisches Gedächtnis zunächst klingen mag, so ist sie doch – neben den oben genannten begrifflichen Unklarheiten – auch mit einigen konzeptuellen Problemen behaftet. Beispielsweise stellt sich die Frage, ob mit Blick auf das semantische Gedächtnis bzw. seine „Produkte“, also semantische Erinnerungen, nicht vielmehr von „Wissen“ ge Eine mögliche Antwort besteht darin, in solchen Fällen von semantischen Erinnerungen mit autobiographischem Inhalt zu sprechen. Die Frage nach einem etwaigen Unterschied zwischen episodischen und autobiographischen Erinnerungen wird uns in Kapitel 2.2.2.5 dieser Arbeit noch beschäftigen. Moscovitch 2000, S. 611. Wheeler/Stuss/Tulving 1997, S. 335. Wheeler/Stuss/Tulving 1997, S. 335. Zu der von Tulving selbst aufgeworfenen Frage nach der Existenz eines episodischen Gedächtnisses bei nicht-menschlichen Primaten vgl. Menzel 2005, Schwartz 2005 sowie Tulving 2005.
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sprochen werden sollte, wenn damit auf „knowledge of a world that exists independently of the knower“¹³⁰ Bezug genommen werden soll, weil ansonsten jeder Fall von allgemeinem Faktenwissen auch zu einem Fall von Erinnerung gemacht wird. Faktenwissen kann natürlich zum Gegenstand von Erinnerungen oder, anders formuliert, in Erinnerungen aktualisiert werden, etwa wenn der Hörer einer Vorlesung bei deren Nachbereitung versucht, möglichst viele der dort neugelernten Begriffe und Erkenntnisse, die zwischenzeitlich in der großen Menge neuer Informationen „verloren“ gegangen waren, durch gezieltes Erinnern „zurückzuholen“. In vielen anderen Situationen jedoch wird mit Faktenwissen, auch mit semantischem Wissen im engeren Sinne, in einer ganz anderer Weise verfahren, wie etwa das folgende Beispiel Wittgensteins zeigt: Wir sagen: Wenn das Kind die Sprache – und also ihre Anwendung – beherrscht, muß es die Bedeutung der Worte wissen. Es muß z. B. einem weißen, schwarzen, roten, blauen Dinge seinen Farbnamen, in der Abwesenheit jedes Zweifels, beilegen können.¹³¹
Wittgenstein will mit diesem Beispiel demonstrieren, dass es eine grundlegende Form von Gewissheit gibt, die insofern keines Erinnerns bedarf, als sie in quasireflexhafter Weise vorliegt und keiner Form von Reflexion bedarf. Dies gilt sowohl für grundlegende Begriffe unserer Muttersprache wie „Haus“, „Tier“, „grün“ und „gelb“ als auch für fundamentale Gewissheiten über die Dinge in der Welt oder über uns selbst.¹³² Als Beispiele für Letzteres nennt er unter anderem die Gewissheit über die Existenz der Erde¹³³, die Gewissheit, dass feste Körper nicht plötzlich verschwinden,¹³⁴ und die Gewissheit, dass abgehackte Gliedmaßen bei Menschen nicht wieder nachwachsen.¹³⁵ Wittgenstein schreibt über Gewissheiten dieser Art weiterhin: „Manches scheint uns festzustehen, und es scheidet aus dem Verkehr aus. Es wird sozusagen auf ein totes Geleise verschoben.“¹³⁶ Natürlich können solche Gewissheiten später erneut zum Gegenstand der Reflexion werden und freilich waren zumeist irgendwann Gedächtnis und Erinnerung involviert. Dies genügt jedoch nicht, um auch in Fällen, in denen sie als ebensolche Gewissheiten vorliegen, von „Erinnerungen“ zu sprechen. Ähnliches gilt im Fall vieler episodischer „Erinnerungen“. Bestimmte grundlegende Informationen über das eigene Erleben und die eigene Person sind
Danziger 2008, S. 173. Wittgenstein 1989d/1949 – 1951, §522. Vgl. Moyal-Sharrock 2009, S. 223. Vgl. Wittgenstein 1989d/1949 – 1951, §209. Vgl. Wittgenstein 1989d/1949 – 1951, §234. Vgl. Wittgenstein 1989d/1949 – 1951, §274. Wittgenstein 1989d/1949 – 1951, §210.
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in einer Weise verfasst, die ohne „cognitive rapport“¹³⁷ und ohne den Rückgriff auf Reflexion oder Erinnerung auskommt. Gemeint ist etwa das „Wissen“ um den eigenen Namen und Wohnort, bei dem Fälle von „Vergessen“ (oder bereits längerem Zögern) eben nicht als Vergessen, sondern vielmehr als pathologische Störung angesehen werden, wie ein Beispiel Wittgensteins verdeutlicht: Ich habe seit Monaten an der Adresse A gewohnt, den Straßennamen und die Hausnummer unzählige Male gelesen, unzählige Briefe hier erhalten und unzähligen Leuten die Adresse gegeben. Irre ich mich darin, so ist dieser Irrtum kaum geringer, als wenn ich (fälschlich) glaubte, ich schriebe Chinesisch und nicht Deutsch.¹³⁸
Obwohl die Unterscheidung zwischen semantischen und episodischen Erinnerungen sicherlich von heuristischem Wert ist und einige phänomenologische Differenzen einzufangen vermag,¹³⁹ so ist doch, wie gesehen, bei ihrer Anwendung Vorsicht geboten. Diese Vorsicht betrifft sowohl den Status von Gedächtnissystemen als feststehend und distinkt¹⁴⁰ als auch die Fokussierung auf die Inhalte verschiedener „Gedächtnisarten“, durch die häufig nicht angemessen berücksichtigt wird, dass die Art und Weise des Umgangs mit Informationen, mithin also die Betrachtung von Erinnerung als dynamische Tätigkeit bzw. als Prozess mit unterschiedlichen Erscheinungsformen, eine essentielle Rolle spielt. Diese letztgenannte Einsicht wird uns im weiteren Verlauf der Arbeit wieder begegnen, wenn es um die Bedeutung von autobiographischen und impliziten Erinnerungen für die Konstituierung biographischer Identität und dabei auch um ihr Zusammenspiel und ihre Verlaufsformen geht.¹⁴¹ Als letzte Kategorie betrachten wir nun das Konzept des autobiographischen Gedächtnisses, dem bei der Analyse des Zusammenhangs von personaler Identität, Gedächtnis und Erinnerung im Hauptteil der Arbeit eine zentrale Rolle zukommen wird.
2.2.2.5 Autobiographisches Gedächtnis Der in der Gedächtnisforschung populäre Begriff des autobiographischen Gedächtnisses ist konzeptuell nicht leicht zu fassen. Wie wir in Kapitel 2.2.2.1 bereits gesehen haben, handelt es sich dabei um eine Form des deklarativen Gedächt-
Moyal-Sharrock 2009, S. 224. Wittgenstein 1989d/1949 – 1951, §70. Vgl. Danziger 2008, S. 174. Vgl. McKoon/Ratcliff/Dell 1986. Vgl. Kapitel 3.2.3, 3.2.4 und 3.2.5 dieser Arbeit.
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nisses, für die der Bezug zur eigenen, personalen Vergangenheit charakteristisch ist: „Autobiographical memory is memory for the events of one’s life.“¹⁴² In der psychologischen Forschungsdiskussion ist umstritten, ob das autobiographische mit dem episodischen Gedächtnis gleichgesetzt werden kann.¹⁴³ Dass alle (im strengen Wortsinn) autobiographischen Erinnerungen episodische Erinnerungen sind, scheint nicht plausibel, da viele Erinnerungen, die im Wortsinn von „autobiographisch“ einen Bezug zur eigenen Lebensgeschichte haben, auch in semantischer Form auftreten können (etwa die Erinnerungen an den eigenen Geburtstag oder Namen). Fasst man solche Erinnerungen jedoch als Fälle semantischen Erinnerns mit autobiographischem Inhalt auf, stellt sich die Frage nach der Episodisch/Autobiographisch-Unterscheidung erneut. Tatsächlich werden beide Konzepte häufig als deckungsgleich angesehen, wobei der Selbstbezug als Charakteristikum autobiographischer Erinnerungen in das Konzept episodischen Erinnerns integriert wird.¹⁴⁴ Jedoch bezweifeln einige Forscher, dass alle episodischen Erinnerungen autobiographische Erinnerungen sind. So hält etwa die Entwicklungspsychologin Melissa Welch-Ross eine Differenzierung zwischen beiden Gedächtnisarten auf der Grundlage von Entwicklungsstudien bei Kleinkindern für angemessen.¹⁴⁵ Autobiographische Erinnerungen werden von ihr als eine Untergruppe episodischer Erinnerungen angesehen, die sich ontogenetisch später entwickelt.¹⁴⁶ Als Distinktionsmerkmal wird von Befürwortern einer Differenzierung wie Alan Baddeley der Unterschied zwischen „dem Selbst als Erfahrendem und dem Selbst als Gegenstand der Erfahrung“¹⁴⁷ genannt: Zwar weisen demzufolge beide „Erinnerungsarten“ einen Bezug zum Selbst im weiteren Sinn¹⁴⁸ auf. Während dieser Bezug im Fall episodischer Erinnerungen jedoch nur
Conway/Rubin 1993. Vgl. Sutton 2010/2003 und Hirstein 2009c, S. 1. Beispielsweise bei Tulving 2002. Zur Diskussion über die Gleichheit bzw. Verschiedenheit beider Begriffe/Konzepte vgl. auch Weber 1993, S. 24– 30, Hoerl 2007, S. 637 sowie Pohl 2007, S. 43 – 47. Welch-Ross 1995, S. 339. Vgl. dazu auch Williams/Conway/Cohen 2008, S. 21 f., sowie Sutton 2010/2003. Vgl. dazu auch Bogdan 2010, S. 22– 25, der ebenfalls zwischen episodischen und autobiographischen Erinnerungen unterscheidet und letztere als in der Ontogenese später auftretende Form erachtet. Baddeley 1992, S. 19 (deutsche Übersetzung von Pohl 2007, S. 45). Der Begriff des „Selbst“, wie er im Kontext der Gedächtnisforschung und allgemein in Psychologie, Neuro- und Kognitionswissenschaften häufig (und noch dazu uneinheitlich) verwendet wird, ist alles andere als unproblematisch (vgl. dazu Barresi/Martin 2011, S. 51 f.). Im obigen Kontext bezieht er sich auf die unterschiedlichen Formen der Referenz auf die eigene Person. Im ersten Fall geht es dabei um die Zuordnung einer Erfahrung zur eigenen Person (dem
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in der Tatsache besteht, dass der Betreffende sich an etwas selbst Erlebtes bzw. Wahrgenommenes erinnert, haben autobiographische Erinnerungen eine spezifische Signifikanz für den Erinnernden. So wird beispielsweise der tägliche Besuch beim Bäcker ohne besondere Vorkommnisse als selbst erlebtes Ereignis mit Ortsund Zeitbewusstsein erinnert. Ein Einkauf beim Bäcker, in dessen Rahmen man den späteren Partner kennengelernt hat, wird dagegen als für die eigene Biographie relevant und daher detailliert, langanhaltend und emotional konnotiert erinnert. Da diese Kriterien zur Unterscheidung von episodischen und autobiographischen Erinnerungen den für die Frage nach der Rolle des Erinnerns im Kontext personaler Identität wichtigen Aspekt der subjektiven Bedeutsamkeit einzufangen vermögen, folgen wir einer Definition von Angelika Weber: Als autobiographische Erinnerungen werden […] alle Erinnerungen bezeichnet, die sich auf komplexe, subjektiv bedeutsame Ereignisse beziehen, die in einem bestimmten raum-zeitlichen Kontext erlebt wurden.¹⁴⁹
Diese Bestimmung durch die „drei Dimensionen Selbstbezug, Komplexität und raum-zeitlicher Kontext“¹⁵⁰ ermöglicht es weiterhin, je nach Ausprägung dieser Merkmale eine graduelle Zuschreibung des autobiographischen Charakters von Erinnerungen vorzunehmen, vom idealtypischen Vorliegen aller drei Eigenschaften in starker Ausprägung über weniger klare „Mischformen“ bis hin zum Nichtvorliegen aller drei Merkmale.¹⁵¹ Zwar bietet diese Bestimmung keine präzise Definition im Sinne der Nennung notwendiger und hinreichender Bedingungen bzw. Eigenschaften, jedoch erfasst sie die Dynamik und den Kontinuumscharakter vieler Erinnerungen.¹⁵² Davon ausgehend betrachten wir nachfolgend verschiedene Ebenen, durch deren Unterscheidung und Analyse autobiographische Erinnerungen detaillierter beschrieben werden können. Auf der Inhaltsebene sind autobiographische Erinnerungen dadurch ausgezeichnet, dass ihre Objekte keine bloßen Fakten im Sinne „neutralen“¹⁵³ Wissens
„Selbst“), im zweiten Fall darüber hinaus um die Einordnung einer Erfahrung in das SelbstKonzept der Person (zum psychologischen Begriff des „Selbst-Konzepts“ vgl. Neisser 1997). Weber 1993, S. 40. Vgl. dazu auch Weber 2001. Pohl 2007, S. 46. Vgl. dazu auch Pohl 2010, S. 75 – 77. Vgl. Pohl 2007, S. 46. Hier wird klar, dass die Unschärfe der Definition mindestens zum Teil der Unschärfe des Phänomens geschuldet ist, das durch sie eingefangen werden soll. Mit „neutral“ ist dabei gemeint, dass dieses Wissen als Faktum ohne weitere phänomenale Eigenschaften, wie etwa dem Gefühl der Wiedererlebens oder emotionalen Konnotationen, erinnert bzw. gewusst wird.
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darstellen (wie im Fall semantischer Erinnerungen), sondern auf die persönliche Lebens- und Erlebensgeschichte des erinnernden Subjekts bezogen sind. Dabei lassen sich mit Conway drei Arten autobiographischer Episoden als Erinnerungsgegenstände unterscheiden:¹⁵⁴ Erinnerungen an Lebensabschnitte („lifetime periods“¹⁵⁵/„extended-event time lines“¹⁵⁶) sind die allgemeinsten und zeitlich umfassendsten. Sie betreffen Zeitspannen von vielen Monaten bis Jahren und beinhalten beispielsweise die Erinnerung an Kindheit, Jugend- oder Studienzeit in einem allgemeinen Sinn, etwa in Form von erinnerungsbasierten Aussagen wie: „In meiner Zeit bei Firma X“, „Während des Aufwachsens meiner Kinder“ oder „Nach meiner Heirat mit Y“. Sie beziehen sich auf generelle, nicht auf spezifische Einzelereignisse beschränkte Absichten, Gefühle oder Präferenzen während dieser Zeitspanne, wie zum Beispiel: „Es ging mir damals primär darum, möglichst viel Geld zu verdienen“, „In der Zeit mit Z war ich zumeist glücklich“ oder „Damals wählte ich stets die riskanteren Handlungsalternativen“. Dabei können verschiedene erinnerte Lebensabschnitte zeitlich überlappen oder parallel liegen, sich jedoch bezüglich des jeweiligen Erinnerungsfokus unterscheiden, wenn etwa der eine erinnerte Lebensabschnitt die Zeit in einer Beziehung mit den damit verbundenen Emotionen und partnerbezogenen Erlebnissen, der andere hingegen die zeitlich parallel verlaufende berufliche Entwicklung in einer neuen Firma mit dem Zuwachs an Fähigkeiten, Kontakten und Kenntnissen beinhaltet.¹⁵⁷ Spezifischere Erinnerungsgegenstände sind hingegen im Fall der „general events“ („summarised events“¹⁵⁸) gegeben. Die Zeiträume umfassen hierbei Tage bis Monate, bei den „events“ handelt es sich um solche Ereignisse, die wiederholt und/oder über längere Zeit stattgefunden haben und die nun in zusammengefasster Form („Die regelmäßigen Abendspaziergänge mit S“, „Der wunderbare Urlaub in C“) erinnert werden. Auch die Erinnerung an besondere Einzelereignisse – etwa an den ersten Kuss oder an das erste Rendezvous –, die wiederum eine Zusammenfassung verschiedener „kleinerer“ respektive unbedeutenderer Ereignisse (etwa Details des vorangegangenen Kennenlernens) beinhalten, gehört in diese Kategorie.¹⁵⁹ Schließlich findet sich als Drittes „event specific knowledge“, das auf kurze Zeiträume (Sekunden bis Minuten) und spezifische Details bezogen ist, wie beispielsweise die Erinnerung an einen bestimmten Satz in einem längeren Gespräch,
Vgl. Conway 1996, S. 67– 72. Conway/Rubin 1993, S. 104. Barsalou 1988, S. 194 und Lancaster/Barsalou 1997, S. 572– 575. Vgl. Conway 1996, S. 69. Barsalou 1988, S. 203. Vgl. Conway 1996, S. 69 – 72.
2.2 Die Mannigfaltigkeit von Gedächtnis und Erinnerung
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also an einen Ausschnitt aus einem „general event“, der z. B. durch seinen emotionalen Kontext (etwa Streit, Glücksempfindung etc.) aus dem Ganzen des Gesprächs, dessen andere Inhalte möglicherweise gar nicht mehr erinnert werden können, herausragt.¹⁶⁰ Darüber hinaus lassen sich einige Merkmale autobiographischer Erinnerungen auf einer phänomenologischen ¹⁶¹ Ebene beschreiben. Der Psychologe William Brewer hat diesbezüglich einen hilfreichen Differenzierungsvorschlag gemacht, durch den verschiedene Phänomene, die sich unter dem Begriff des autobiographischen Erinnerns im weiteren Sinne verbergen, unterschieden werden können:¹⁶² Mit „autobiographical facts“ bezeichnet er das Wissen über Ereignisse in der eigenen personalen Vergangenheit, wie etwa „Ich war 1995 zum ersten Mal in Spanien“, das als Tatsachenwissen erinnert wird. Davon grenzt Brewer „personal memories“ ab, die, vergleichbar mit der oben genannten Unterscheidung von Conway, in Form ereignisspezifischer („personal memories“) oder genereller („generic personal memories“) Erinnerungen an vergangene Ereignisse in der eigenen Biographie vorliegen können. Diese Form des Erinnerns, für die Brewer in späteren Arbeiten den Begriff „recollective memory“ einführt, charakterisiert er bezüglich ihrer phänomenalen Eigenschaften wie folgt: Recollective memory […] typically appears to be a ,relivingʻ of the individual’s phenomenal experience during the earlier moment. Thus these memories typically contain information about place, actions, persons, objects, thoughts, and affect. […] They are accompanied by a belief that the remembered episode was personally experienced. […] Recollective memories give rise to high confidence in the accuracy of their content.¹⁶³
Betrachten wir diese Merkmale im Einzelnen, beginnend mit dem Aspekt des Wiedererlebens („reliving“): Erinnerungen scheinen der Paradefall eines erstpersonalen Phänomens zu sein.¹⁶⁴ Zwar können sie durch Verhalten und Sprache „geäußert“ und so auch zum Gegenstand der 3.-Person-Perspektive werden. Jedoch sind sie zu allererst als subjektive mentale Zustände, als „Qualia“¹⁶⁵, der Vgl. Conway 1996, S. 70. Mit „phänomenologisch“ ist hier die Dimension der Erscheinung, genauer gesagt des Erscheinens für den Erinnernden in dessen erstpersonaler Wahrnehmung, nicht die philosophische Strömung bzw. Methode der Phänomenologie gemeint. Vgl. Brewer 1986, S. 26. Brewer 1996, S. 60 f. Eine ausführliche Analyse von Subjektivität, 1.-Person-Perspektive und deren Zusammenhang mit dem Konzept des „Selbst“ findet sich bei Zahavi 2005. Interessant ist hier jedoch die Frage, inwiefern sich subjektiv-mentale Wahrnehmungen von subjektiv-mentalen Erinnerungen unterscheiden und ob Erinnerungen Qualia zugeschrieben werden können oder nicht (vgl. dazu die Diskussion der Frage, welchen mentalen Zuständen
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2 Gedächtnis und Erinnerung: Philosophische Analyse
erinnernden Person durch Introspektion zugänglich. Der Aspekt des Wiedererlebens autobiographischer Erinnerungen bezieht sich insofern auf diesen erstpersonalen Charakter, als diese nicht einfach gewusst, sondern vielmehr erlebt werden, ja für den Erinnernden sogar oftmals die Qualität eines „mentalen Films“ haben, inklusive bildhafter und detailreicher Wahrnehmung (Ort und Zeit, beteiligte Personen, Handlungen, Gedanken etc.) sowie emotionaler Färbung.¹⁶⁶ Um diese Aspekte autobiographischen Erinnerns einzufangen, führte Tulving den Begriff „mental time travel“¹⁶⁷ ein. Damit bezeichnet er die Fähigkeit, verschiedenste Episoden der eigenen Vergangenheit, seien sie Tage, Jahre oder Jahrzehnte alt, durch das mentale „Zurückreisen“ vergegenwärtigen zu können. Dies befähigt den Erinnernden insofern zur Entgegenwärtigung, als es dadurch erst möglich wird, Handlungen, Planungen, Überlegungen etc. nicht alleine auf gegenwärtige Wahrnehmungen zu gründen, sondern unter Rückgriff auf Erfahrungen, Überzeugungen, Handlungspräferenzen und Ähnliches abwägen, strategisch planen und entscheiden zu können. Dies verweist auch auf die zentrale Rolle des Erinnerns für zukünftiges Handeln¹⁶⁸, die wir an späterer Stelle noch genauer untersuchen werden.¹⁶⁹ Ein weiteres wichtiges Merkmal autobiographischer Erinnerungen ist die Existenz verschiedener Wahrnehmungsperspektiven. Wie die Psychologen Georgia Nigro und Ulric Neisser im Rahmen empirischer Studien zeigen konnten, lässt sich
Qualia zukommen, in Tye 2013/1997). Northoff nutzt zur Unterscheidung den Begriff der „nonphenomenal qualia“, unter den autobiographische Erinnerungen fallen und die im Gegensatz zu „Qualia“, die auf Wahrnehmungen bezogen sind, bestimmte Eigenschaften, wie etwa das Gefühl der Unmittelbarkeit oder Vollständigkeit, nicht besitzen (Northoff 2004a, S. 156 f.). Es ist allerdings eine offene Frage, ob diese Eigenschaften (Bildhaftigkeit, emotionaler Index, hoher Detailgrad) notwendige oder (zusammengenommen) hinreichende Bedingungen für autobiographisches Erinnern darstellen. Besonders hinsichtlich mentaler Bilder ist dies umstritten (vgl. Le Poidevin 2007, S. 125 – 140 sowie die ausführlichen Studien von Gottschling 2003 und Otto 2007). Hinzu kommt, dass bereits der Bildbegriff problematisch ist, wie bei Aristoteles’ Behandlung dieses Themas in Kapitel 2.1 gezeigt wurde. Tulving 1983, S. 127. Zum möglichen Zusammenhang von Tulvings Konzept der „mental time travel“ und der Entwicklung von Sprache vgl. Corballis 2009. Die Metapher der „mentalen Zeitreise“ ist jedoch in einer Hinsicht nicht ganz korrekt: Im hypothetischen Fall einer Zeitreise erfährt der Betreffende seine Wahrnehmung und sein Erleben als gegenwärtig, während die Vergangenheit im Fall episodischen Erinnerns zwar in einem gewissen Sinn wiedererlebt wird, die Gegenstände dieses Erlebens aber zugleich auch als vergangene wahrgenommen werden (vgl. Byrne 2010, S. 25 und Matthen 2010, S. 8 f.). In der empirischen Gedächtnisforschung wird unter dem Begriff der „Janus hypothesis“ die Frage diskutiert, ob bzw. inwiefern mentale Zeitreisen in Vergangenheit und Zukunft miteinander verbunden sind (vgl. Suddendorf/Corballis 2008, S. 33). Vgl. Kapitel 3.2.3 dieser Arbeit.
2.2 Die Mannigfaltigkeit von Gedächtnis und Erinnerung
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bezüglich des Standpunktes, den das erinnernde Subjekt einnimmt, zwischen „field perspective“ und „observer perspective“ unterscheiden.¹⁷⁰ Das Erste bezeichnet die Perspektive des direkt in die erinnerte Episode Involvierten, vergleichbar mit der Perspektive der ursprünglichen Wahrnehmung. Das Zweite meint eine Art Zuschauerperspektive, aus der man sich selbst beim Handeln aus der Distanz (zu‐)sieht. Obwohl solche Beobachter-Erinnerungen bezüglich der phänomenalen Wahrnehmung insofern erstpersonal sind, als sie als subjektiv erfahrene Episoden nur dem Erinnernden selbst direkt zugänglich sind, ist die darin eingenommene Perspektive drittpersonal, wobei jedoch für den Betroffenen, ähnlich wie bei der Außenbeobachtung des eigenen Körpers in sogenannten „Outof-body experiences“ (OBE)¹⁷¹, klar ist, dass der Beobachtete mit dem Beobachtenden identisch ist. Im autobiographischen Erinnern können beide Perspektiven abwechselnd eingenommen werden. Das nachfolgende Beispiel aus einer Studie von Berntsen und Rubin zeigt, dass dies sogar innerhalb einer Erinnerung der Fall sein kann: I see myself dancing at the university. I remember my clothes and my legs (the way they moved). Suddenly, I am „inside my own body“ looking out. A guy I know a little walks by me and says as he passes: „You look good today“.¹⁷²
In zahlreichen Studien konnte außerdem gezeigt werden, dass beide Perspektiven überdurchschnittlich häufig mit bestimmten Eigenschaften versehen bzw. mit spezifischen Kontextvariablen korreliert sind. Zwar sind Erinnerungen aus der unmittelbaren Ich-Perspektive („field perspective“) insgesamt häufiger. Jedoch nimmt die Zahl von Erinnerungen aus der Beobachterperspektive („observer perspective“) signifikant zu, je größer der zeitliche Abstand zwischen dem ursprünglichen Ereignis und der Erinnerung daran ist. Zudem beinhalten letztere zumeist weniger sensorische und gefühlsbezogene Details (bzw. eine geringere Intensität) und treten mit größerer Wahrscheinlichkeit auf, wenn beim Wahrnehmen des später Erinnerten oder im Prozess des Erinnerungsabrufs ein hoher Grad an Aufmerksamkeit bzw. Selbstbewusstsein vorhanden war.¹⁷³ Schließlich inkludiert autobiographisches Erinnern die Überzeugung, dass es sich um eine Erinnerung an die eigene Vergangenheit (und nicht etwa an die einer anderen Person oder die Geschichte eines Films) sowie um eine wirkliche Erin-
Nigro/Neisser 1983, S. 467. Zu dieser Unterscheidung vgl. auch Goller 2009, S. 96 – 98. Vgl. Brugger 2002. Berntsen/Rubin 2006, S. 1193. Vgl. Nigro/Neisser 1983, Robinson/Swanson 1993, Schacter 1996, S. 18 – 22 sowie Rice/Rubin 2009.
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2 Gedächtnis und Erinnerung: Philosophische Analyse
nerung (und nicht beispielsweise um eine Erzählung oder Fantasievorstellung) handelt. Auf dieses Merkmal des (Wieder‐)Erkennens von Erinnerungen als Erinnerungen weist bereits John Locke hin, wenn er schreibt „daß der Verstand die Kraft besitzt, in zahlreichen Fällen Wahrnehmungen, die er einmal gehabt hat, wieder aufleben zu lassen, wobei er die zusätzliche Wahrnehmung mit ihnen verbindet, daß er sie früher gehabt hat.“¹⁷⁴ Die Konzeption autobiographischer Erinnerung als Wiedererleben früher wahrgenommener Ereignisse wirft freilich einige gewichtige Fragen auf. Ist der intuitiv zumeist starke Glaube an die Zuverlässigkeit und Exaktheit solcher Erinnerungen gerechtfertigt? Falls nicht, warum existiert dieser Glaube dennoch? Wenn Erinnerungen, wie Georg Northoff schreibt, „simulated state experiences“¹⁷⁵ sind, deren Inhalt und Erfahrenwerden vom aktuellen Zustand des Erinnernden beeinflusst werden, was bedeutet dies hinsichtlich der Wahrheit unserer Erinnerungen und deren Einfluss auf unser Selbstbild? Mit Blick auf die Möglichkeit des Wechselns der Erinnerungsperspektive und des Sich-Versetzens in eine Außensicht auf das erstpersonal Erlebte stellt sich weiterhin die Frage, ob bzw. inwiefern sich der epistemische Status dieser Perspektiven unterscheidet und welche Rolle die häufig postulierte Konstruktivität von Erinnerungen hierbei spielt. Dies sind einige der Fragen, denen in Kapitel 3 dieser Arbeit im Rahmen der Untersuchung des Zusammenhangs von Gedächtnis, Erinnerung und personaler bzw. biographischer Identität nachgegangen werden soll. Bevor dies geschehen kann, sind jedoch abschließend noch einige kurze Anmerkungen zu den Zusammenhängen zwischen den bis dato analysierten Erinnerungsformen vonnöten.
2.2.2.6 Die Dynamik und Konnektivität von Gedächtnis und Erinnerung Die Analysen in den vorangegangen Kapiteln haben gezeigt, dass die Unterscheidung verschiedener Erinnerungsbegriffe und Gedächtnissysteme von heuristischem Wert ist, weil sie die Heterogenität der sich hinter der Rede von „Gedächtnis“ und „Erinnerung“ verbergenden Phänomene verdeutlicht und einige ihrer Spezifika aufzuzeigen vermag. Es ist jedoch wichtig, bei all diesen Grenzziehungen und Differenzierungen nicht die Übergänge, Zusammenhänge und die Veränderlichkeit von Gedächtnis und Erinnerung aus den Augen zu verlieren, wozu vor allem die trennbare Entitäten suggerierende Rede von den „Gedächtnissys-
Locke 2006b/1694, S. 168. Northoff 2004a, S. 152.
2.2 Die Mannigfaltigkeit von Gedächtnis und Erinnerung
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temen“ verführen könnte.¹⁷⁶ Erinnerungen sind dynamische Prozesse, deren Erscheinungsformen und Inhalte sich – durchaus auch mehrfach – ändern können.¹⁷⁷ Episodische Erinnerungen an Gelerntes, die beispielsweise der Fahrradfahranfänger zu Beginn noch bemühen muss, um sich die Abläufe und einzelnen Bewegungen zu vergegenwärtigen und dadurch tatsächlich fahren zu können, werden mit zunehmender Übung zu Bestandteilen des „Leibgedächtnisses“¹⁷⁸, wo sie als implizite Grundlage der Fertigkeitsausübung dienen.¹⁷⁹ Ähnliches gilt für die Transformation von episodischen in semantische Erinnerungen, wenn etwa der Name der finnischen Hauptstadt bei einem Schüler zunächst stets mit dem Kontext einer konkreten Lernsituation, in der der Lehrer nach wiederholtem Vergessen die Stimme erhob und auf den Tisch schlug, einhergeht, mit wachsendem zeitlichen Abstand zur Lernsituation jedoch mehr und mehr als „reines“ Faktum erinnert wird. Dabei ist auch die umgekehrte Richtung möglich, wenn beispielsweise im Gespräch mit einem früheren Klassenkameraden durch das Sprechen über das Faktenwissen auch der von beiden erlebte Kontext der Lernsituation wieder in episodischer Form zu Tage tritt.¹⁸⁰ Dieses Beispiel verweist neben der internen Dynamik und Wandelbarkeit auch auf die Dimension der externen Dynamikfaktoren des Erinnerns, das nicht isoliert im Kopf des erinnernden Subjekts abläuft, sondern eine starke soziale Komponente beinhaltet. Erinnerungen können durch Erzählen und soziales Feedback bestätigt, verworfen, verstärkt, abgeschwächt oder modifiziert werden.¹⁸¹ Die Dynamik, Verwobenheit und soziale (Mit‐)Bedingtheit von Erinnerungen gilt es für den nachfolgenden Hauptteil im Kopf zu behalten, in dem die bis hierher skizzierten Formen und Eigenschaften des Erinnerns mit der Frage nach der Rolle von Erinnerungen bei der Bildung und Aufrechterhaltung personaler bzw. biographischer Identität verknüpft werden.
Vgl. Danziger 2008, S. 174 f. Vgl. Sutton 2009b. Fuchs 2008b, S. 52– 54. Vgl. dazu die Überlegungen in Kapitel 3.2.5 dieser Arbeit. Vgl. dazu die Diskussion in Kapitel 3.2.5 dieser Arbeit. Welzer (2008, S. 25) schreibt zu diesem Zusammenhang, „daß es ohne ein semantisches Gedächtnis ein episodisches nicht geben könnte. Ohne die Möglichkeit, Erfahrungen in ein konventionelles, d. h. sozial geteiltes System von Regeln und Rahmen einbetten zu können, nähme ein Erlebnis keine Gestalt im Bewußtsein an und würde nicht zu einer Erfahrung, die bewußt zu erinnern wäre.“ Vgl. Welzer 2008, S. 98 f. und S. 233 – 237, sowie Neumann 2005, S. 53 – 58.
3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung 3.1 Facetten personaler Identität Die Idee einer engen Verbindung zwischen Gedächtnis, Erinnerung und personaler Identität ist für die Philosophie alles andere als neu. Bereits in den „Confessiones“ des Augustinus finden sich hierzu einige Überlegungen¹ und John Lockes Gedächtniskriterium personaler Identität ist bis heute Gegenstand zahlreicher Forschungsdebatten², um nur zwei philosophiegeschichtlich besonders bedeutsame Beispiele zu nennen. Wie zu Beginn dieses Kapitels gezeigt werden soll, gibt es allerdings die personale Identität im Sinne eines einheitlichen Phänomens genauso wenig wie das Gedächtnis.³ Vielmehr verbergen sich auch hier sehr unterschiedliche Verwendungsweisen und Teilaspekte unter einem Sammelbegriff.⁴ Bevor wir also der Frage nach den Zusammenhängen zwischen beidem sinnvoll nachgehen können, müssen zunächst einige Differenzierungen vorgenommen sowie diejenigen Teilaspekte identifiziert werden, die im Mittelpunkt unserer Untersuchung stehen sollen. Bereits der Begriff der „Identität“ ist problematisch. In seiner ursprünglichen logisch-mathematischen Bedeutung bezeichnet er „eine zweistellige Relation, in der jede Entität […] ausschließlich mit sich selbst steht.“⁵ Zwei Entitäten A und B sind in diesem Sinne nur dann miteinander identisch, wenn alle Eigenschaften der einen Entität auch der anderen zukommen und vice versa. Wir werden sogleich sehen, dass diese Bedeutung von „Identität“ (numerische Identität) in unserem Kontext nicht gemeint sein kann. Um Klarheit darüber zu erlangen, welcher Identitätsbegriff stattdessen nachfolgend verhandelt werden soll, unterscheiden
Augustinus 1989/um 400 n.Chr., X. Buch. Zur Forschungsdiskussion vgl. Horn 1995, S. 71– 76, und Teichert 1999, S. 102– 105. Locke 2006a/1694, II/27/9. Zur Forschungsdiskussion vgl. OʼDaly 1987, S. 148 – 151, Teichert 1999, S. 136 – 142, Quante 2008, S. 556 – 559, Snowdon 2009, S. 128 – 133, sowie Brand 2010, S. 55 – 88. Einen Überblick über die vielfältigen Phänomene, die unter dem Begriff „Gedächtnis“ verhandelt werden, haben wir bereits in Kapitel 2.2 gewonnen. Rorty (1976) verweist mit dem Titel ihres klassischen Sammelbandes zum Thema personale Identität („The Identities of Persons“) auf die Vielschichtigkeit des Begriffs. Vgl. dazu auch Olson 2010/2002 sowie Quante 2007a, S. 6. Quante 2007a, S. 7.
3.1 Facetten personaler Identität
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wir zunächst zwischen vier Teilfragen personaler Identität.⁶ Da die ersten drei Teilfragen nicht im Zentrum dieser Untersuchung stehen, werden sie zum Zweck der Abgrenzung nur knapp umrissen, auch um dadurch eine Ex-Negativo-Charakterisierung der für uns entscheidenden vierten Teilfrage zu ermöglichen.
3.1.1 Personalitätskriterien Bei der Frage nach den Kriterien von Personalität geht es um die Eigenschaften und Fähigkeiten, die jemanden zu einer Person machen, ihn also als solche auszeichnen und von Nicht-Personen unterscheiden. Es gibt dazu eine kaum überschaubare Diskussion mit zahlreichen Vorschlägen solcher „person making characteristics“⁷, wie Selbstbewusstsein, Rationalität, Autonomie, Sprachfähigkeit, Moralfähigkeit und vielen anderen.⁸ Je nach theoretischem Ansatz werden einige dieser Fähigkeiten oder Eigenschaften als einzeln notwendig und gemeinsam hinreichend für die Zuschreibung des Personenstatus erachtet.⁹ Auch wenn de facto ein Großteil der mit diesem Thema befassten Debatte aus einer ethisch-normativen Perspektive geführt wird,¹⁰ also gezeigt werden soll, dass und warum (bzw. dass und warum nicht) die Zuerkennung des Personenstatus auch die Zuerkennung moralischer Rechte und/oder Pflichten mit sich bringt bzw. mit sich bringen muss, kann sie prinzipiell auch ohne solche Implikationen in deskriptiver Absicht geführt werden.¹¹ In letzterem Fall geht es um die klassifikatorische Frage, wem aufgrund welcher Eigenschaften der Status einer Person zukommt.¹² Wenn wir beispielsweise fragen, ob alle Menschen Personen sind, oder wissen möchten, ob auch nicht-menschliche Wesen zum Kreis der Personen ge-
Gunnarsson (2010, S. 17– 26) unterscheidet im Kontext seiner Analyse multipler Persönlichkeit sogar acht Teilfragen personaler Identität, indem er einige der hier als Teilfragen vorgestellten Aspekte nochmals in Subaspekte untergliedert. Vgl. Knell/Weber 2009, S. 30. Für eine vieldiskutierte Liste von Personalitätsbedingungen vgl. Dennett 1997/1981, S. 305. Für eine Darstellung und Diskussion verschiedener Kriterien vgl. Birnbacher 1997 und 2001. Vgl. dazu exemplarisch die Beiträge der Sektion „Praktische Philosophie“ in Sturma 2001 sowie die Diskussion der Personalitätskriterien Peter Singers in Schaler 2009. Zur kritischen Diskussion der Verwendung des Personenbegriffs im Kontext der Angewandten Ethik vgl. Quante 2010, S. 97 f. Gunnarsson (2010, S. 25 f.) unterscheidet dementsprechend zwischen den Fragen „What is a person in a descriptive sense?“ und „How is the moral status person to be understood, and what gives an entity this status?“. Der Frage nach einer deskriptiven Bestimmung von Personalitätskriterien („Personalitätsbedingungen“) widmet sich etwa Quante 2007a, S. 23 – 30.
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3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
hören bzw. gehören könnten, so kann dies in beiderlei Absicht geschehen.¹³ Im Unterschied zu den nachfolgenden Teilfragen erfolgt bei der Frage nach den Personalitätsbedingungen der Zugang zum Phänomen primär aus der Perspektive der 3. Person, da es in der Debatte hauptsächlich um das Definieren, Erkennen und Zuschreiben von Bedingungen des Person-Seins „von außen“ geht. Gedächtnis und Erinnerung können im Rahmen dieser Teilfrage personaler Identität dann von Relevanz sein, wenn sie entweder als eine personalitätskonstituierende Eigenschaft gedacht oder als notwendige Bedingung für die Konstituierung solcher Eigenschaften angesehen werden. Letzteres ist beispielsweise bei Michael Quantes Kriterium der Fähigkeit von Personen, sich als Subjekt propositionaler Einstellungen verstehen zu können, der Fall.¹⁴ Um sich, so Quante, als Person mit bestimmten Eigenschaften begreifen und bewertend dazu Stellung nehmen zu können (etwa bejahend, selbstkritisch etc.), muss diese ein gewisses Maß an Konsistenz und Kohärenz aufweisen und ihre eigenen proportionalen Einstellungen unter den Maßstäben der für propositionale Einstellungen konstitutiven Prinzipien der Rationalität und der Sinnhaftigkeit prüfen bzw. bei Aufforderung oder nach Kritik rechtfertigen können.¹⁵
Diese Fähigkeit ist nur auf Grundlage des impliziten und expliziten, speziell des autobiographischen Gedächtnisses möglich, das die Basis der unbewussten bzw. bewussten Konsistenz und Kohärenz von personalen Eigenschaften und Überzeugungen und die notwendige Bedingung der Möglichkeit eines Rückgriffs auf propositionale Einstellungen darstellt, die gemäß Quantes Kriterium dann in einem zweiten Schritt geprüft bzw. gerechtfertigt werden können. Im Rahmen dieser Arbeit wird diese Rolle des Gedächtnisses zwar thematisiert werden, jedoch nicht primär als Kriterium von Personalität bzw. als dessen notwendige Bedingung, sondern hinsichtlich der Konstituierung und Aufrechterhaltung personaler Selbstverhältnisse im Sinne biographischer Identität. Die Details dieser hier im Zentrum stehenden Dimension personaler Identität werden nach einem kurzen Blick auf die Teilfragen 2 und 3 in Kapitel 3.1.4 verdeutlicht.
Für eine grafische Übersicht zu den normativen und deskriptiven Dimensionen der Teilaspekte von Personenbegriff und personaler Identität vgl. Brand 2010, S. 38. Vgl. Quante 2007a, S. 29 f. Quante 2007a, S. 29.
3.1 Facetten personaler Identität
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3.1.2 Synchrone Identität Ein zweiter Aspekt im Kontext personaler Identität ist die Frage, was eine Person zu einem bestimmten Zeitpunkt zu genau einer Person macht, worin also die synchronen Einheitsbedingungen ¹⁶ bzw. Individuationsbedingungen für Personen bestehen. Diese Frage scheint zwar zunächst vielleicht seltsam oder gar überflüssig, weil wir in unserer Alltagspraxis fast ausnahmslos und zumeist implizit davon ausgehen, dass Menschen stets mit jeweils einer Person gleichzusetzen sind. Jedoch ist es ein berechtigtes philosophisches Anliegen, nach den Gründen und der Rechtfertigung für diese Praxis zu fragen. Dass es Situationen gibt, in denen sie an Grenzen stößt und bei denen wir genau nach solchen Einheitsbedingungen als Kriterien zur Beurteilung der Einheit oder Nicht-Einheit von Personen fragen müssen, zeigen etwa Fälle von Persönlichkeitsstörungen, bei denen möglicherweise nicht mehr sinnvoll von einer Person gesprochen werden kann.¹⁷ Im Gegensatz zur Debatte um die Kriterien von Personalität wird diese Diskussion zumeist in deskriptiver Absicht geführt. Es sind jedoch auch normative Kontexte denkbar, etwa wenn es um die Frage der Verantwortungszuschreibung bei Menschen mit multipler Persönlichkeitsstörung geht.¹⁸ Die Frage nach den Individuationsbedingungen von Personen im Sinne synchroner personaler Identität kann dabei sowohl aus der Perspektive der ersten als auch aus der der dritten Person gestellt werden. Im zweiten Fall wird aus der Beobachterperspektive gefragt, ob eine Entität zum gegebenen Zeitpunkt genau eine bzw. genau diese ist. Es handelt sich hierbei also um ein „numerisches Verfahren zur Beurteilung von Objekten.“¹⁹ Aus der Ich-Perspektive der 1. Person stehen hingegen die Einheitsbedingungen des Selbstbewusstseins, das verschiedenste Wahrnehmungen zu einem Zeitpunkt in einem personalen Bewusstsein bündelt, im Zentrum des Interesses und damit die Frage, was die Vielfalt von Eindrücken und Wahrnehmungen zu den Eindrücken und den Wahrnehmungen eines Bewusstseins macht.²⁰ William James führte zur Erklärung dieser „Vereinheitlichung“ beispielsweise den Begriff des „co-consciousness“ ein, mit dem er eine spezifische Art der Relation von mentalen Zuständen bezeichnet, die
Vgl. Gallois 2011/2005 und Quante 2007b, S. 59 – 61. Vgl. dazu Glover 1988, S. 21– 31 sowie Hacking 1995 und Gunnarsson 2010, die das Thema multiple Persönlichkeit einer ausführlichen philosophischen Analyse unterziehen. Vgl. Braude 1996 und Gunnarsson 2011. Brand 2010, S. 32. Beispiele für synchrone Heterogenität bei Personen und eine Darstellung ihrer verschiedenen Grade finden sich bei Radden 1996, S. 15 – 18.
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3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
im Fall synchroner Identitätszustände vorliegt.²¹ Obgleich die Frage nach den synchronen Einheitsbedingungen vor allem im Kontext der Philosophie der Psychiatrie und Psychologie von großer Relevanz ist, wird sie im Fortgang dieser Untersuchung keine Rolle spielen, da ihr Gegenstand, wie in den nachfolgenden Kapiteln deutlich werden wird, derjenige Aspekt personaler Identität ist, der sich mit den Bedingungen der Konstituierung sowie mit der diachronen Entwicklung und Aufrechterhaltung einer Person bzw. Persönlichkeit im Sinne biographischer Identität befasst.
3.1.3 Diachrone Identität Das philosophisch wohl prominenteste der unter dem Schlagwort der personalen Identität verhandelten Probleme ist das der diachronen Identität (alternativ häufig auch Persistenz ²² oder Survival ²³) von Personen. Hier geht es um die Frage, was die zeitübergreifende Identität von Personen konstituiert, was also eine Person zu einem späteren Zeitpunkt t2 zu derselben Person macht wie zu einem früheren Zeitpunkt t1 und damit ihre Identität über die Zeit hinweg garantiert.²⁴ Die Zahl möglicher Antworten darauf ist kaum überschaubar. Sie lassen sich grob in drei Gruppen²⁵ unterteilen, die nachfolgend kurz skizziert werden, bevor mit John Lockes Theorie personaler Identität ein Ansatz genauer untersucht wird, bei dem Gedächtnis und Erinnerung eine zentrale Rolle spielen.
3.1.3.1 Physis, Psyche und „Simple View“ Vertreter der ersten Theorie-Gruppe, von Eric Olson als „Anticriterialism“²⁶ (alternativ auch häufig als „The Simple View“²⁷) bezeichnet, verneinen – im Ge-
James 1996/1909, S. 132. Allerdings wird der Begriff bei James und anderen Theoretikern, die später auf ihn zurückgreifen (etwa Parfit und Hurley) nicht genauer definiert und als intuitiv plausibel vorausgesetzt (vgl. Brook/Raymont 2010/2001). Zum Verhältnis von Persistenz- und Identitätsbegriff vgl. Brand 2010, S. 170 – 175. Für einen Überblick über die aktuelle Debatte zum Verhältnis von Zeit und Identität vgl. die Beiträge in Campbell/OʼRourke/Silverstein 2010. Vgl. Quante 2007b, S. 61. Es existieren unterschiedliche Formulierungen bzw. Charakterisierungen dieser Frage, die mit jeweils spezifischen Problemen verbunden sind (vgl. Markosian 2010). Olson 2010/2002. Daneben existieren auch einige „gemischte“ oder „multi-kriteriale“ Ansätze (vgl. Brand 2010, S. 146 – 155). Ein Beispiel für einen solchen multi-kriterialen Ansatz findet sich in Northoff 2001. Olson 2010/2002.
3.1 Facetten personaler Identität
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gensatz zu den beiden anderen Theoriegruppen –, dass die diachrone Identität von Personen aus etwas anderem besteht als aus dem reinen Faktum der Identität. Ihnen zufolge handelt es sich bei der diachronen Identität um eine basale Relation. Zwar mag es Kriterien geben, die als epistemische Indikatoren auf dieses Faktum bzw. auf diese Relation verweisen. Diese sind jedoch nicht dasjenige, was Identität konstituiert. Vielmehr ist die einzig korrekte Antwort auf die Frage nach der diachronen Identität „the trivial statement that a person existing at one time is identical with a being existing at another if and only [sic!] they are identical.“²⁸ Diese Position, die etwa von Roderick Chisholm und Richard Swinburne vertreten wird, spielt in der aktuellen Debatte allerdings keine große Rolle.²⁹ In einigen Fällen, wie etwa bei Swinburne, ist sie zudem an dualistische Auffassungen gekoppelt, deren Plausibilität in der gegenwärtigen Diskussion vielfach heftig bestritten wird.³⁰ Die zweite große Theoriengruppe postuliert physische Kriterien als konstitutiv für personale Identität über die Zeit hinweg. Sie wird häufig unter den Bezeichnungen „biologischer Ansatz“ oder „Körperkriterium“ geführt. Vertreter dieser Position gehen davon aus, dass der Körper und dessen Fortbestehen das (zentrale) Kriterium diachroner Identität darstellen, so dass die Frage, ob jemand zu einem späteren Zeitpunkt dieselbe Person ist wie jemand zu einem frühen Zeitpunkt, durch den Bezug auf physische Merkmale geklärt werden soll.³¹ Weil physische Identität im strikten (numerischen) Sinne kein geeignetes Kriterium zu sein scheint, da allein aufgrund von Alterungsprozessen oder Verletzungen nie von physischer Identität im Sinne der numerischen Identität aller Körperbestandteile und -strukturen gesprochen werden könnte, existieren zahlreiche Ansätze, die von der Graduierung körperlicher Identität bis hin zur Reduzierung des Körperkriteriums auf das Gehirn reichen.³² Die dritte und gegenwärtig wohl prominenteste Gruppe von Theorien schließlich erachtet psychische Kriterien ³³ als die Grundlage diachroner personaler Identität. Diese wird hierbei gedacht als ein Kontinuum von psychischen Zuständen wie Überzeugungen, Absichten, Charakterzügen, Wünschen, Erinnerun-
Vgl. Korfmacher 2006. Olson 2010/2002. Allerdings wurde diese Position, wie Olson (2010/2002) bemerkt, bis dato auch kaum weitergehend untersucht, worin Olsen ein Desiderat für die zukünftige Forschung sieht. Vgl. dazu etwa Robinson 2011/2003. Für eine bekannte Variante dieses Ansatzes vgl. Williams 1999/1970. Vgl. Korfmacher 2006. Es finden sich manchmal auch die gleichbedeutenden Bezeichnungen „psychologische Kriterien“ bzw. „psychologische Kontinuität“.
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3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
gen etc. Die Idee, dass speziell Erinnerungen eine grundlegende Rolle bei der so verstandenen personalen Identität spielen, findet sich bereits in John Lockes „An Essay Concerning Human Understanding“ von 1690/1694.³⁴ Da seine Ausführungen die Diskussion bis heute beeinflussen³⁵ und eine wichtige Ausgangsbasis für die weiteren Überlegungen in dieser Arbeit bilden,³⁶ werden wir sie nachfolgend einer knappen Analyse unterziehen, die sich nur den für uns relevanten Grundgedanken widmet und philosophiegeschichtliche Aspekte sowie den weiteren Kontext, in dem diese Überlegungen bei Locke stehen, weitestgehend außen vor lässt.³⁷
3.1.3.2 John Lockes Theorie personaler Identität John Locke beginnt in § 9 im 27. Kapitel des II. Buchs seines Essays mit einer Definition der Bedeutung von „Person“: Meiner Meinung nach bezeichnet dieses Wort ein denkendes, verständiges Wesen, das Vernunft und Überlegung besitzt und sich selbst als sich selbst betrachten kann. Das heißt, es erfaßt sich als dasselbe Ding, das zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten denkt.³⁸
Locke nennt also zunächst Denken und Vernunft als Merkmale von Personen und knüpft damit an die Definition von Boethius („Persona est naturae rationabilis individua substantia“³⁹) an.⁴⁰ Hinzu kommt die Fähigkeit, sich selbst als sich selbst zu begreifen, also zu wissen, dass man eine bestimmte Person mit einer spezifischen kontinuierlichen Lebensgeschichte und distinkten charakterlichen Eigenschaften ist und auch zu früheren Zeitpunkten diese Person war, dass man also trotz räumlicher und zeitlicher Änderungen und Wandlungen in einem be Das Kapitel über Identität und Verschiedenheit, das Lockes Überlegungen zur diachronen Identität von Personen enthält, fügte dieser erst in der zweiten Auflage des „Essay“ 1694 hinzu. John L. Mackie (1976, S. 1) schreibt hinsichtlich dieser bis heute andauernden starken Bezugnahme auf Lockes Überlegungen: „Why take the problems from Locke, since none of them in fact originated with him, and all of them have been discussed by many philosophers both before and after Locke? Well, his treatment gave a fresh impetus to these controversies, and much of the later discussion takes his views as its starting point.“ Vgl. dazu die Diskussion in Kapitel 3.2.4.5 dieser Arbeit. Ausführliche Untersuchungen zu diesen Aspekten bieten etwa Teichert 1999, S. 130 – 151 und Noonan 2003, S. 24– 46. Locke 2006a/1694, S. 419. Boethius 1891/um 512 n.Chr., Kapitel 3, MPL 64, 1343C. Für einen Überblick über die an Boethius anknüpfende Diskussion des Personenbegriffs vgl. Schlapkohl 1999.
3.1 Facetten personaler Identität
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stimmten Sinn derselbe ist bzw. bleibt und sich dieser Tatsache erstpersönlich, aus der Ich-Perspektive, gewahr ist. Damit formuliert Locke zunächst seine Personalitätskriterien, die wir in Kapitel 3.1.1 als einen Teilbereich des philosophischen Problems der personalen Identität skizziert haben. Anschließend verknüpft er diese mit seiner Antwort auf die Frage nach der diachronen Identität von Personen: Das [zeitübergreifende Erkennenkönnen seiner selbst als sich selbst, M.J.] geschieht lediglich durch das Bewußtsein, das vom Denken untrennbar ist und, wie mir scheint, zu dessen Wesen gehört. Denn unmöglich kann jemand wahrnehmen, ohne wahrzunehmen, daß er es tut. Wenn wir etwas sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen, überlegen oder wollen, so wissen wir, daß wir das tun. Das gilt jederzeit hinsichtlich unserer gegenwärtigen Sensationen und Wahrnehmungen; jeder wird dadurch für sich selbst zu dem, was er sein eigenes Ich nennt. Denn da das Bewußtsein das Denken immer begleitet und macht, dass Jeder das ist, was er sein Selbst nennt, und wodurch man sich von anderen denkenden Dingen unterscheidet, so besteht hierin allein die Identität der Person, daß heißt das Sich-Selbst-GleichBleiben eines vernünftigen Wesens. Soweit nun dieses Bewußtsein rückwärts auf vergangene Taten oder Gedanken ausgedehnt werden kann, so weit reicht die Identität dieser Person; sie ist jetzt dasselbe Selbst wie damals; jene Handlung wurde von demselben Selbst ausgeführt, das jetzt über sie nachdenkt.⁴¹
Locke zufolge bildet also die Tatsache, dass wir unsere vergangenen Erlebnisse, Handlungen und Gedanken derselben Entität zuschreiben können, als die wir uns gegenwärtig erleben, die Grundlage für die Rede von personaler Identität über die Zeit hinweg. Unter dem zeitlich rückwärts ausgedehnten Bewusstsein ist demnach das Gedächtnis, genauer die Fähigkeit zur Erinnerung an die personale Vergangenheit, zu verstehen, durch welche die Verknüpfung verschiedener, zeitlich auseinander liegender Ereignisse und damit die Zuschreibung von Vergangenem zu einer gegenwärtigen Person möglich wird. Es gibt allerdings eine Debatte darüber, ob das, was Locke mit „Selbstbewusstsein“ bezogen auf Vergangenes meint, mit Erinnerung gleichgesetzt werden kann, etwa weil das Moment der Selbstidentifikation neben dem Erinnern auch den Abgleich des Vergangenen mit dem Gegenwärtigen umfasst.⁴² Solche Einwände legen es nahe, Erinnerung zwar als das Kernelement, nicht jedoch als den einzigen Bestandteil des Lockeschen Selbstbewusstseinsbegriffs anzusehen. Im Umkehrschluss impliziert Lockes Konzeption, dass wir, wenn wir uns beispielsweise als Erwachsene nicht daran erinnern können, dass wir heute dieselbe Person sind wie diejenige, die mit sechs Jahren eine große Schultüte in
Locke 2006a/1694, S. 420. Vgl. Ausborn-Brinker 1999, S. 229.
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Händen hielt und die wir heute auf einem Foto sehen⁴³, nicht von derselben Person, mithin nicht von der (personalen) Identität unseres heutigen „Ich“ mit dem der Vergangenheit sprechen können. Personale Identität endet nach Locke also dort, wo die Erinnerung endet.⁴⁴ Dementsprechend unterscheidet er auch zwischen „derselbe Mensch“ („same man“) und dieselbe Person („same person“).⁴⁵ Beiden liegen unterschiedliche Persistenzbedingungen zugrunde: Wir können ihm zufolge im Fall der nicht erinnerten Einschulung zwar von demselben Menschen im Sinne des selben körperlichen Wesens sprechen, nicht jedoch von derselben Person, da die dazu nötigen Erinnerungen als verknüpfendes Element fehlen, ohne die der Bezug der aktuellen Person zur Vergangenheit und die personale Identifikation mit dieser Vergangenheit nicht zustande zu kommen vermag. Lockes Vorschlag gibt Anlass zu zahlreichen kritischen Fragen und scheint bereits intuitiv mit einigen Problemen behaftet zu sein. Beispielsweise sind Erinnerungen nicht als 0/1-Zustände zu denken, wie es bei ihm den Anschein hat.⁴⁶ Sie können im Gegenteil mehr oder weniger (klar) vorhanden sein, partiell oder ganz verschwinden und wieder auftauchen. Vergessen ist oft kein irreversibler Prozess.⁴⁷ Für Lockes Position ergibt sich dadurch die Frage, wie mit der Dynamik von Erinnerungen und dem Wechselspiel von Erinnern und Vergessen hinsichtlich deren Bedeutung für die personale Identität umzugehen ist.⁴⁸ Viele weitere Kritikpunkte wurden bereits von zeitgenössischen Philosophen, allen voran Reid, Butler und Leibniz, vorgebracht.⁴⁹ Einer der bekanntesten ist der Vorwurf der Zirkularität, der in einer seiner Spielarten besagt, dass Lockes Gedächtnis- bzw. Selbstbewusstseinskriterium personale Identität nicht erklärt, sondern vielmehr bereits voraussetzt, dass also das Explanandum bereits im Explanans enthalten ist
Gemeint ist damit genauer, dass wir uns (bzw. dass wir uns nicht) erinnern, dieses Schulkind gewesen zu sein, seine Erlebnisse und Empfindungen bei der Einschulung gehabt zu haben etc. Vgl. Quante 2007a, S. 47. Locke 2006a/1694, S. 416. Es gibt jedoch einige Passagen im „Essay“, die darauf hindeuten, dass Locke diese Schwierigkeit zumindest bewusst war. Für deren Diskussion vgl. Whitehead 2009, S. 56 – 59, sowie Kapitel 3.2.4.5 dieser Arbeit. Vgl. dazu Harris/Sutton/Barnier 2010 sowie Kapitel 3.2.4.7 dieser Arbeit. Es gibt jedoch alternative Deutungen von Lockes Überlegungen, die argumentieren, dass ihm dies bewusst war und dem Gedächtnis, entgegen der Standardinterpretation, gar keine konstitutive Rolle in der Lockeschen Theorie personaler Identität zukommt (vgl. Hauser 1994, S. 49 – 51). Für eine ausführliche Übersicht zu zeitgenössischen und aktuellen Kritikern und deren Argumenten vgl. Noonan 2003, S. 46 – 62, und Brand 2010, S. 63 – 88. Eine aktuelle Verteidigung von Lockes Position gegen einige dieser Kritiken findet sich in Strawson 2011a.
3.1 Facetten personaler Identität
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und seine Theorie daher schon aus logischen Gründen scheitern muss.⁵⁰ So schreibt Butler: And one should really think it self-evident, that consciousness of personal identity presupposes, and therefore cannot constitute personal identity, any more than knowledge, in any other case, can constitute truth, which it presupposes.⁵¹
Butlers Argument zielt darauf, dass Erinnerung im Sinne eines zeitlich zurückreichenden Selbstbewusstseins personale Identität nicht zu erklären vermag, weil das sichere Wissen um die Identität des aktuell Erinnerten mit dem in der Vergangenheit liegenden Gegenstand nicht im Erinnern enthalten ist. Dies zeigt sich daran, dass unser Erinnern uns häufig täuscht und in Fällen von falschen Erinnerungen, die wir nicht oder nur mit externer Hilfe als solche erkennen, offenkundig kein Identitätswissen inkludiert ist. Daher, so folgert neben Butler auch Reid, müsse personale Identität in etwas anderem bestehen als der Erinnerung.⁵² Um diesem Einwand zu entgehen, wurde in der neueren Debatte zur personalen Identität unter anderem das Konzept der so genannten „Quasi-Erinnerungen“⁵³ (oft auch abgekürzt als „Q-Erinnerungen“) entwickelt. Dabei handelt es sich um solche Erinnerungen, die die Identität des aktuell erinnernden Subjekts mit dem erinnerten Subjekt nicht immer schon voraussetzen und mit deren Hilfe der Zirkularitätseinwand umgangen werden soll. Q-Erinnerungen müssen nicht notwendig auf Erfahrungen des (q‐)erinnernden Subjekts zurückgehen, sondern können auch auf den Erfahrungen anderer basieren. Aufgrund dieser Möglichkeit enthalten sie nicht von vornherein das durch das Zirkularitätsargument angegriffene Identitätswissen, sondern lassen die Option von Fehlzuschreibungen offen. Es gibt jedoch auch an diesem Ansatz zahlreiche Kritikpunkte, die in der aktuellen Diskussion en détail verhandelt werden, an dieser Stelle aber nicht weiter besprochen werden können.⁵⁴ Die genannten und einige weitere Einwände⁵⁵ verweisen auf die schwerwiegenden Probleme einer hauptsächlich oder ausschließlich erinnerungszentrierten
Zur Darstellung und Diskussion der Zirkularitätsproblematik vgl. Perry 2002, S. 84– 102. Butler 1860/1736, S. 324. Zur Diskussion dieses Einwands vgl. Quante 2007a, S. 51 und Forstrom 2010, S. 124– 131. Vgl. etwa Shoemaker 1999/1970, Parfit 1999 und Slors 2001a sowie Buford 2009 für einen Überblick zur gegenwärtigen Diskussion. Der Begriff geht auf Shoemaker (1999/1970) zurück. Vgl. Wollheim 1984, S. 111– 119, Teichert 1999, S. 254– 258, Hartmann/Galert 2007, S. 236 – 241, Bernecker 2010, S. 51– 61, Brand 2010, S. 90 – 93 und S. 249 – 257 sowie Klein/Nichols 2012, S. 690 – 695. Für eine Darstellung der diversen Einwände gegen Lockes Theorie vgl. Shoemaker 1959, Teichert 1999, S. 130 – 151, Jolley 1999, S. 100 – 122, sowie Quante 2007a, S. 46 – 55.
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Theorie diachroner personaler Identität. Lockes Ansatz – bei dem in der Forschung, wie oben bereits angedeutet, bis heute strittig ist, ob bzw. inwiefern er überhaupt eine solche Theorie darstellt⁵⁶ – und die weiter andauernde Debatte darüber zeigen jedoch auch, dass Erinnerung und Gedächtnis ohne Frage einen wichtigen Aspekt in der Diskussion personaler Identität mit ihren verschiedenen Teilfragen darstellen. Lockes Verdienst besteht vor allem darin, die Bedeutung des Selbstbewusstseins herausgearbeitet zu haben, das sich als „Spezifikum der Person […] in der temporalen Dimension einerseits in Form der Erinnerung an eigene Erfahrungen entfaltet, andererseits als Planen und Sorge um die eigene Zukunft bestimmt [wird].“⁵⁷ Nachfolgend soll gezeigt werden, dass und warum diese Bestimmung – abseits der zumeist in diesem Zusammenhang diskutierten diachronen Identitätsfrage – besonders für den vierten Teilaspekt personaler Identität, die sogenannte „biographische Identität“ von Personen, zutrifft. Es soll dafür argumentiert werden, dass sich Lockes Idee der zentralen Bedeutung des Gedächtnisses für die personale Identität dadurch plausibel weiterentwickeln und ausgestalten lässt, dass der Anwendungsbereich dieser Idee von der Ebene diachroner Identität auf die der biographischen Identität von Personen verlagert wird.⁵⁸
3.1.4 Biographische Identität Bisher haben wir diejenigen Teilbereiche personaler Identität betrachtet, bei denen Fragen danach im Mittelpunkt stehen, was jemanden überhaupt zu einer Person macht (im Gegensatz zu Nicht-Personen), was ihn (synchron) zu einer Person macht (und nicht etwa gleichzeitig zu mehreren) und was ihn über die Zeit hinweg (diachron) dieselbe Person sein lässt. Diese Fragen bilden den Schwerpunkt der gegenwärtigen philosophischen Debatte. Ein in der Diskussion vergleichsweise wenig beachteter Aspekt ist hingegen die Frage, was es Entitäten ermöglicht, zu einer bestimmten Person werden und ein Leben als diese bestimmte Person führen zu können, was sie also befähigt, ein Selbstverhältnis, mehr noch ein spezifisches personales Selbstverständnis zu entwickeln und aufrechtzuerhalten.⁵⁹ Diese Dimension personaler Identität ist mit Begriffen wie „Persönlich-
Vgl. dazu Kapitel 3.1.3.2 dieser Arbeit sowie exemplarisch Perry 1972, S. 463 – 488, Kienzle 1985, S. 52– 65, McCann 1987, S. 70, Yaffe 2007, S. 220 – 230, und Gustafsson 2010. Teichert 1999, S. 195. Vgl. Kapitel 3.2.4.5 dieser Arbeit. Vgl. Sturma 1992 (S. 131– 134), der den Zusammenhang von Personalität und praktischen Selbstverhältnissen thematisiert.
3.1 Facetten personaler Identität
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keit“, „narrative Identität“⁶⁰ und „biographisches Selbstverhältnis“ verbunden. Sie wird von Michael Quante als das „Structure-of-Personality-Problem“⁶¹ (SPP) personaler Identität bezeichnet und durch die Frage „What is the basic structure of leading the life of a person?“⁶² charakterisiert.⁶³ Im Gegensatz zur Analyse der Kontinuität von Personen im Sinne der Zurechenbarkeit verschiedener Ereignisse und temporaler Episoden zu ein und derselben Person steht hier die Erklärung personalen Lebens im Sinne der für Personen spezifischen Art der Lebensführung und deren Ermöglichungsbedingungen im Zentrum. Die geringe philosophische Beachtung dieses Aspekts steht im starken Gegensatz zu seiner Bedeutung für die menschliche Lebenspraxis: When philosophers address personal identity, they usually explore numerical identity: What are the criteria for a person’s continuing existence? When nonphilosophers address personal identity, they often have in mind narrative identity: Which characteristics of a particular person are especially salient to her self-conception? […] Narrative identity […] is the sense of human identity that most concerns people in everyday life […].⁶⁴
Der hier von David DeGrazia benutzte Begriff der „narrativen Identität“ deckt sich dabei größtenteils mit dem der „biographischen Identität“, wie er in dieser Arbeit herangezogen wird. Die Verwendung dieses Begriffs macht einen terminologischen Hinweis erforderlich: Viele der Phänomene, auf die im Verlauf dieser Arbeit mit der Beschreibung „biographisch“ bzw. „Biographie“ Bezug genommen wird, sind bei genauerer Betrachtung „autobiographisch“, insofern sie sich auf das retrospektive Erzählen oder Reflektieren der Lebensgeschichte einer Person durch diese Person selbst beziehen. Dass in der vorliegenden Untersuchung dennoch von „biographischer Identität“ gesprochen wird, hat zwei Gründe. Der erste Grund liegt darin, dass der Begriff der „biographischen Identität“ verglichen mit dem der „autobiographischen Identität“ in der Forschungsdiskussion besser etabliert ist.⁶⁵ Der zweite Grund ist, dass der Begriff der „biographischen Identität“ für unsere Zwecke besser geeignet scheint, weil diese Identität, wie gezeigt werden soll, in unterschiedlicher Weise durch äußere Faktoren mitbedingt bzw. „mitgeschrieben“ Für einen Überblick über Theorien narrativer Identität vgl. Schechtman 2011. Quante 2007a, S. 62. Quante 2007a, S. 62. Vgl. Quante 2007a, S. 10 f. DeGrazia 2005, S. I und S. 113. Vgl. dazu beispielsweise Quante 2002a, S. 32, Quante 2010, S. 109, Abels 2010, S. 391 und Hahn 2010, S. 30. Für den Begriff des „autobiographischen Gedächtnisses“ gilt das genaue Gegenteil. Er ist in der Forschungsliteratur als Standardbegriff etabliert, wohingegen der Begriff des „biographischen Gedächtnisses“ kaum verwendet wird (für eine Ausnahme vgl. SteinhagenThiessen/Hanke 2003, S. 304).
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wird, was durch die Bezeichnung „biographisch“ besser erfasst wird als durch „autobiographisch“. Die Tatsache, dass dieser „lebenspraktische“ Aspekt personaler Identität im Gegensatz zu den anderen Teilfragen, vor allem verglichen mit dem Thema der diachronen Identität von Personen, verhältnismäßig wenig untersucht wird, verweist auf die mangelnde Differenzierung zwischen zwei Fragen, die Marya Schechtman als „reidentification question“ und „characterization question“ bezeichnet hat.⁶⁶ Während mit „reidentification“ das gemeint ist, was wir oben als Problem der diachronen Identität von Personen skizziert haben, also die Frage, was eine Person zu einem Zeitpunkt zu derselben Person macht wie zu einem anderen Zeitpunkt und für deren Beantwortung Kriterien gefunden werden sollen, die in diesem Sinne die Identifikation von Personen über die Zeit hinweg ermöglichen, liegt der Fokus bei der „characterization question“ auf den Überzeugungen, Werten, Wünschen und anderen psychischen Merkmalen bzw. Charaktereigenschaften – Schechtman benutzt dafür den Sammelbegriff „characteristics“ –, die jemanden zu der spezifischen Person machen, die er ist.⁶⁷ Dabei geht es allerdings nicht um die inhaltliche Bestimmung dieser „characteristics“ für bestimmte Personen (etwa „X ist als Person wesentlich von Nächstenliebe und Selbstlosigkeit geprägt“), sondern um die Strukturen und Mechanismen, die deren Auswahl, Anordnung, Gewichtung und Stabilität bedingen bzw. ermöglichen. Dieser Aspekt personaler Identität hat, wie bereits angedeutet, einiges mit unserem Alltagverständnis von Personen zu tun, demzufolge sich diese durch spezielle Konstellationen solcher „characteristics“ auszeichnen und, wie Quante es formuliert, „nicht nur ein Leben haben, sondern ihr Leben führen.“⁶⁸ Diese Fähigkeit zum Führen und Gestalten eines Lebens als Person beinhaltet die SelbstZuschreibung von Eigenschaften sowie die Möglichkeit, einen Lebensplan zu entwerfen – der freilich auch wieder in Frage gestellt, modifiziert oder verworfen werden kann und auf dessen Grundlage eine Beurteilung der eigenen personalen Existenz möglich wird. Charles Taylor und Alasdair MacIntyre heben diese Dimension personaler Identität in ihren jeweiligen Hauptwerken „Quellen des Selbst“ („Sources of the Self“⁶⁹) und „Der Verlust der Tugend“ („After Virtue“⁷⁰) als zentralen Aspekt der menschlichen Lebensform hervor, weshalb wir die Kerngedanken beider Kon-
Schechtman 1996, S. 1. Zu dieser Unterscheidung vgl. auch Hardcastle 2008, S. 10 – 20. Schechtman 1996, S. 73 – 78. Quante 2007a, S. 136. Ganz ähnlich Charles Taylor: „Was wir erklären müssen, sind Menschen, die ihr Leben führen“ (Taylor 1996/1989, S. 115). Taylor 1996/1989. MacIntyre 1995/1981.
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zeptionen zur Verdeutlichung dessen,was mit biographischer Identität gemeint ist bzw. was diese beinhaltet, nachfolgend herausarbeiten.⁷¹ Es sei jedoch vorausgeschickt, dass diese Überlegungen bei beiden Autoren im Kontext (neo‐)aristotelischer tugendethischer Theorien des guten Lebens stehen. Für uns ist hingegen nur der deskriptive Gehalt biographischer Identität im Sinne einer Strukturbeschreibung personalen Lebens relevant, so dass auf den ethischen Kontext im Folgenden nicht eingegangen wird.⁷² Die von Taylor und MacIntyre postulierten Strukturmerkmale werden zunächst nur kurz skizziert, bevor sie in den folgenden Kapiteln ausführlich untersucht, ergänzt, und durch die Analyse der Rolle des Gedächtnisses und Erinnerns für ihr Zustandekommen und Funktionieren genauer expliziert werden. Für Charles Taylor liegt in einer Theorie der biographischen Identität von Personen der Schlüssel zur Beantwortung der „Wer bin ich?“-Frage, die erst dann gelingen kann, wenn man begreift, was für den Betreffenden von ausschlaggebender Bedeutung ist.Wissen, wer ich bin, ist eine Unterart des Wissens, wo ich mich befinde. Definiert wird meine Identität durch die Bindungen und Identifikationen, die den Rahmen oder Horizont abgeben, innerhalb dessen ich von Fall zu Fall zu bestimmen versuchen kann, was gut oder wertvoll ist oder was getan werden sollte bzw. was ich billige oder ablehne.⁷³
Personen zeichnen sich demnach dadurch aus, dass sie Elementen ihrer Biographie Bedeutung beimessen und sich – je nach Bedeutungsgrad – für Dinge interessieren, sie für wichtig oder unwichtig erachten und ihre Handlungen auf dieser Grundlage planen und gewichten. Es ist dieser Aspekt personalen Lebens, den Harry Frankfurt in einem Aufsatz mit „The Importance of What We Care About“⁷⁴ überschreibt. Der komplexen Fähigkeit der Bedeutungsbeimessung liegt zum einen das Vermögen zugrunde, reflexive Selbstverhältnisse eingehen zu
Als weiterer wichtiger Autor ist in diesem Zusammenhang Paul Ricœur zu nennen, dessen komplexe und voraussetzungsreiche Position im Rahmen dieser Arbeit nicht expliziert werden kann. Seine Theorie der narrativen Identität steht in engem Zusammenhang mit dem hier skizzierten Begriff der biographischen Identität (vgl. dazu vor allem Ricœur 1987 und 1996/1990, S. 173 – 206, sowie zu seinen Überlegungen zu Gedächtnis und Erinnerung Ricœur 2004/2000 und die Beiträge in Breitling/Orth 2004). Wenn im Folgenden dennoch von „starken Wertungen“ („strong evaluations“, Taylor 1996/ 1989, S. 17) und anderen moralisch konnotierten Begriffen die Rede ist, so ist damit nicht die ethisch-normative, sondern die subjektiv-evaluative Dimension angesprochen, also die Praxis des Für-Gut-Haltens und der internen Beurteilung von Handlungen, Handlungsoptionen, Lebensentwürfen etc. durch das Subjekt biographischer Identität. Taylor 1996/1989, S. 55. Zum Begriff der „Identifikation“ vgl. Kapitel 3.2.4.4 dieser Arbeit. Frankfurt 2007/1988c, S. 80.
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können. Zum anderen bedarf es zu ihrer Realisierung der Wahrnehmung des eigenen personalen Lebens als Einheit und Kontinuum. Dies ermöglicht die Ausbildung eines biographischen „Rahmens“⁷⁵, in dem ein „Gefühl für das Leben als Ganzes und die Richtung, die es nimmt, während wir dieses Leben führen“⁷⁶, zu entstehen vermag, das als Grundlage der Beurteilung der Erstrebenswertheit von Handlungsoptionen, Eigenschaften etc. dienen kann. Es ist diese Fähigkeit zur qualitativen Unterscheidung und Bewertung von Widerfahrnissen, Charaktereigenschaften, Absichten und Handlungen durch „starke Wertungen“⁷⁷ („strong evaluations“), die für Taylor den Kern biographischer Identität ausmacht: „Unsere Identität ist das, wodurch wir zu bestimmen vermögen, was für uns wichtig ist und was nicht.“⁷⁸ Identitätskrisen sind folglich solche Situationen im Leben einer Person, in denen sie die Orientierung und qualitative Unterscheidungsfähigkeit bezüglich der wichtigen (und weniger wichtigen) Elemente ihrer Biographie – partiell oder ganz, temporär oder dauerhaft – verloren hat und der Sinn gegebener Möglichkeiten daher unbestimmt bleibt.⁷⁹ Krisen dieser Art finden sich beispielsweise im Kontext von Beruf und Berufswahl, wenn etwa Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Arbeit unter dem Aspekt der Passung mit bestimmten Werten, Eigenschaften und Fähigkeiten bestehen und in Konflikt mit anderen Motiven, etwa materieller Art, sowie mit eigenen und fremden Erwartungen hinsichtlich der Kriterien für ein erfolgreiches oder „gutes“ Leben treten. Der Fall des Arztsohns, der aufgrund familiärer Einflussnahme das Studium der Medizin gewählt hat, in dessen Verlauf jedoch feststellt, dass eine erhebliche Diskrepanz zwischen den eigenen Vorstellungen vom gelingenden Leben und den Idealen der aus ihrer Sicht das Beste für ihren Sohn wollenden Eltern besteht, ist ein Beispiel für solch eine Konstellation, aus der Identitätskrisen entstehen können. Alasdair MacIntyre nimmt, ähnlich wie Taylor, das Leben von Personen als Ganzes in den Blick. Ihm zufolge kann nur durch eine solche „Weitwinkelbetrachtung“⁸⁰ die biographische Identität von Personen angemessen erfasst werden.⁸¹ Damit richtet er sich zum einen gegen Positionen aus der analytischen
Taylor 1996/1989, S. 59. Taylor 1996/1989, S. 82. Taylor 1996/1989, S. 60. Taylor 1996/1989, S. 60. Vgl. Taylor 1996/1989, S. 60. Crone 2009, S. 153. Diesen Blick sieht er durch die gesellschaftliche Unterteilung des Lebens in als diskret erachtete Phasen (Kindheit/Jugend/Erwachsensein/Alter, Arbeit/Freizeit, privat/öffentlich) verstellt (vgl. MacIntyre 1995/1981, S. 273).
3.1 Facetten personaler Identität
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Philosophie, die versuchen, personales Leben im Sinne komplexer „Handlungen und Interaktionen“⁸² durch die Zerlegung in und Rückführung auf einfache Bestandteile, sogenannte „Basis-Handlungen“ (Danto, von Wright), zu erklären.⁸³ Zum anderen argumentiert er gegen existentialistische (Sartre) und soziologische (Dahrendorf, Goffman) Strömungen, die das Dasein von Individuen in verschiedene Rollen zerlegen, „so daß das Leben nur noch als Aneinanderreihung unzusammenhängender Episoden erscheint, als eine Liquidierung des Selbst […].“⁸⁴ Die Problematik beider Ansätze besteht nach MacIntyre darin, dass das Moment der Bedeutsamkeit mitsamt der zeitlichen Verfasstheit und Verwobenheit von Handlungen und Intuitionen nicht erfasst oder gar erklärt werden kann. Dies ist nur möglich, wenn man das historische Gewordensein von Personen und dessen Einfluss auf deren Gegenwart und Zukunft adäquat miteinbezieht. MacIntyre betont daher, ebenso wie Taylor, die narrative Struktur biographischer Identität im Sinne eines „Begriff[s] des Selbst, dessen Einheit in der Einheit einer Erzählung ruht […].“⁸⁵ Die historische Einbettung des eigenen Lebens und deren Wahrnehmung durch das Subjekt ist beiden Theoretikern zufolge fundamentale Voraussetzung für die Konstituierung biographischer Identität. So schreibt Taylor: „Um zu empfinden, wer wir sind, brauchen wir eine Vorstellung davon, wie wir es geworden sind und wohin wir unterwegs sind.“⁸⁶ Er verweist damit auf die von Heidegger in „Sein und Zeit“⁸⁷ beschriebene „unentrinnbare zeitliche Struktur des In-der-Welt-Seins.“⁸⁸ Die Grundidee ist dabei, dass Personen sich in biographischen Geschichten verorten können, die zeitlich strukturiert sind oder, wie Bieri es nennt, eine „explanatorische Geschichte“⁸⁹ über die eigene Vergangenheit zu erzählen vermögen und dadurch erst dazu befähigt werden, ihr Leben in seiner kausalen, zeitlichen und intentionalen Dimension wahrzunehmen und so zu personalem Denken und Handeln in der Lage zu sein. Bevor wir uns im nächsten Kapitel mit den Details dieser Narrativitätsthese befassen, ihre Plausibilität untersuchen und schließlich unter Rückgriff auf Aspekte von Gedächtnis und Erinnerung einige Modifikationen geläufiger Ansätze vorschlagen, müssen wir uns noch mit mehreren Fragen und Problemen befassen, die der Rekurs auf das Konzept der biographischen Identität mit sich bringt. Dabei
MacIntyre 1995/1981, S. 273. Vgl. MacIntyre 1995/1981, S. 273. MacIntyre 1995/1981, S. 274. MacIntyre 1995/1981, S. 275. Für eine kritische Analyse dieses Gedankens vgl. Williams 2007. Taylor 1996/1989, S. 94. Vgl. Heidegger 2006/1927, 2. Abschnitt, Kapitel 3 und 4 (S. 301– 371). Taylor 1996/1989, S. 94. Bieri 1986, S. 274.
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betrachten wir zunächst Reichweite und Grenzen dessen, was mit einer Theorie biographischer Identität hinsichtlich der oben skizzierten vier Teilfragen personaler Identität erklärt werden kann. Danach folgt eine Analyse von Einwänden gegen das Konzept der biographischen Identität sowie schließlich eine Erwiderung dieser Kritik. In welchem Verhältnis steht die biographische Identität von Personen zu den oben skizzierten anderen Dimensionen personaler Identität und was vermag eine Theorie biographischer Identität explanativ zu leisten? Zunächst muss betont werden, dass die in Kapitel 3.1 vorgenommene Unterscheidung von vier Teilfragen personaler Identität keineswegs nahelegen soll, es handele sich bei jeder davon um eine Frage, die von den jeweils anderen unabhängig ist. Vielmehr zeigen sich bei näherer Betrachtung eine Vielzahl von Verbindungen und Abhängigkeitsverhältnissen zwischen diesen Fragen, die beachtet werden müssen, um die Potentiale und Grenzen des Ansatzes dieser Arbeit erkennen zu können.⁹⁰ Eine mögliche Beziehung biographischer Identität zur Frage nach den Personalitätskriterien besteht, knapp formuliert, darin, dass biographische Identität – in Form eines Datums oder einer Disposition – entweder selbst als ein solches Kriterium oder als notwendige Bedingung eines oder mehrerer anderer Kriterien angesehen werden kann.⁹¹ Da die Beantwortung der Frage nach den Personalitätskriterien keine Voraussetzung für die Beantwortung der Frage nach den Strukturen und Merkmalen biographischer Identität darstellt, weil sich die Statuszuschreibung – ob normativ oder deskriptiv – auf einer anderen Ebene bewegt als die hier beabsichtigte Strukturbeschreibung, können wir jedoch von einer eingehenden Betrachtung dieses Zusammenhangs absehen. Diffiziler wird es hinsichtlich synchroner und diachroner Identität. Beide scheinen in einem fundamentalen Sinn Voraussetzung für die Möglichkeit biographischer Identität zu sein. Wenn mit synchroner Identität drittpersonal die Einheitsfeststellung und erstpersonal die Einheitswahrnehmung zu einem bestimmten Zeitpunkt gemeint ist, so ist diese Einheit Voraussetzung für die Einheit über die Zeit hinweg. Zunächst muss die Einheit eines personalen Bewusstseins in Anbetracht der Vielheit gleichzeitiger Wahrnehmungen und Gedanken gegeben sein, bevor auf deren Grundlage über diachrone Identität gesprochen werden kann. Diese diachrone Identität ist wiederum Bedingung für biographische Identität.⁹² Wie bereits gezeigt, handelt es sich bei letzterer um die Fähigkeit von Personen, sich über die Zeit hinweg als Individuen mit Persönlichkeitsmerkmalen Für eine Analyse dieser Zusammenhänge vgl. auch Quante 2007b, S. 59 – 63. So führt etwa Quante als sechste Personalitätsbedingung das „aktivische und evaluative Selbstverhältnis“ im Sinne biographischer Identität ein (Quante 2007a, S. 24 und S. 29 f.). Vgl. Quante 2007a, S. 140, Bernecker 2010, S. 64 und Gunnarsson 2010, S. 72.
3.1 Facetten personaler Identität
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und biographischer Geschichte zu erfahren. Dies setzt bereits voraus, dass das betreffende Subjekt, selbst wenn es sich in einer schweren Identitätskrise im biographischen Sinn befindet, doch stets in einem fundamentalen Sinn weiß, dass es dieselbe Entität ist wie zu früheren Zeitpunkten seiner Existenz. Im Fall der Identitätskrise weiß die Person trotz aller Zweifel über ihr „wahres Ich“ stets, dass sie dieselbe ist, die diese Zweifel seit Langem bewegen und deren verschiedene Lebensphasen und Identitätsentwürfe gegenwärtig im Widerstreit stehen.⁹³ Identität in diesem grundlegenden diachronen Sinn ist demnach notwendige Voraussetzung für die in dieser Arbeit im Zentrum stehende biographische Identität von Personen.⁹⁴ Freilich kann in diesem Rahmen keine Antwort auf die Frage gegebenen werden, welche der oben skizzierten Theorien diachroner Identität die richtige ist, geschweige denn eine eigene entworfen werden. Dies ist allerdings auch nicht nötig, da sich unsere Untersuchung unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des zugrunde liegenden diachronen Identitätskonzepts durchführen lässt. Es genügt der Hinweis, dass sich erst dann sinnvoll über biographische Identität sprechen lässt, wenn ein in diesem Sinn fundamentalerer Identitätsbegriff zugrundegelegt wird.⁹⁵ Genauso wenig wie jedoch Theorien biographischer Identität eine Lösung für das Problem diachroner Identität bieten können, kann das Problem der biographischen Identität durch eine Theorie diachroner Identität gelöst werden. Die Annahme diachroner Identität ist zwar notwendige Voraussetzung für die Möglichkeit biographischer Identität, enthält aber über diesen logischen Status hinaus keine inhaltlichen Elemente, die zur Beantwortung der „characterization question“ vonnöten wären. Freilich ist dies auch nicht das Ziel der meisten mit diachroner Identität befassten Theoretiker, welche „do not see themselves as being concerned with the explanation of a person’s life. Their goal is […] an account of what makes a sequence of events
Wäre dies nicht der Fall, würden wir nicht mehr von einer Identitätskrise, sondern vielmehr von einer pathologischen psychischen Störung sprechen, wie sie etwa im Kontext schizophrener Erkrankungen und dissoziativer Identitätsstörungen vorkommt (vgl. Butcher/Mineka/Hooley 2009, S. 357– 373 und S. 457– 459, Mackenzie/Poltera 2010 sowie Oshana 2010, S. 95 – 101). Vgl. DeGrazia 2005, S. 113 f. und Crone 2009, S. 158 – 162. Quante (2007a, S. 156) schreibt mit Blick auf den von ihm weitestgehend deckungsgleich mit biographischer Identität verwendeten Begriff der Persönlichkeit: „Die Vorstellung einer Persönlichkeitsveränderung im Sinne des Wechsels von einer bestimmten Persönlichkeit zu einer anderen Persönlichkeit unterstellt, dass es einen persistierenden ‚Träger‘ dieser beiden Persönlichkeiten gibt. […] Aus dem Konzept der Persönlichkeit lassen sich keine Persistenzbedingungen ermitteln.“ Für zwei sehr unterschiedliche Ansätze vgl. Quante 2007a, S. 103 – 114, und Crone 2009, S. 158 – 164. Während Crone diachrone Identität als „Identitätsbewusstsein“ konzipiert, schlägt Quante einen „biologischen Ansatz“ menschlicher Persistenz vor.
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3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
belong to the same person.“⁹⁶ Und exakt diese Leerstelle – die Erklärung personalen Lebens bzw. seiner Strukturen und Voraussetzungen – soll mit dieser Arbeit zumindest partiell, nämlich hinsichtlich einer Antwort auf die Frage nach dem Anteil von Gedächtnis und Erinnerung an einer solchen Erklärung, gefüllt werden. Das Verhältnis von biographischer zu diachroner Identität ist daher das eines ergänzenden „friendly amendment“⁹⁷ auf einer verwandten, aber zu unterscheidenden Problemebene, nicht das einer konkurrierenden alternativen Position. Das Konzept biographischer Identität mit seiner Betonung individueller Biographien und der Ausprägung einer Persönlichkeit wird von verschiedenen Seiten kritisiert. Mit diesen Kritikpunkten müssen wir uns vor der weiteren Ausarbeitung befassen. Geschehen soll dies, indem faktisch geäußerte und potentielle Kritikpunkte in drei Kategorien zusammengefasst und jeweils kurze Entgegnungen vorgebracht werden: 1.) Kulturrelativität und Normativismus Der Kulturrelativitätseinwand lautet in knapper Form: Biographische Identität verkörpert ein kulturabhängiges Konstrukt, das den individualistischen Tendenzen moderner westlicher Kulturen entsprungen ist. Als solches spiegelt es lediglich die spezifischen Personalitäts- und Individualitätsauffassungen eines bestimmten Kulturraums wieder, die nicht verallgemeinert oder gar als eine Art Naturkonstante personalen Daseins angesehen werden können. Eng damit zusammen hängt der Normativismusvorwurf, der sich vor allem im Kontext postmoderner Positionen findet.⁹⁸ Biographische Identität als postuliertes Ideal gilt diesen Kritikern „als unzulässiges Vorschreiben einer traditionalen und durch die gesellschaftliche Entwicklung mittlerweile überholten Lebensform.“⁹⁹ An ihre Stelle, so etwa Pazzini, müsse eine „Struktur ohne Zwang zur Identifikation, ohne abschließenden Prädikationszwang“¹⁰⁰ treten, die dem Patchwork-Lebensgefühl der Gegenwart Rechnung trägt.¹⁰¹ Die Pluralität und Dynamik der Lebenswelt hinsichtlich sozialer Rollen, Bildungs- und Berufswege etc., so das Argument, lässt das Konzept biographischer Identität als deskriptiv unpassend und zugleich unangemessen normativ erscheinen:
Bernecker 2010, S. 62. Bernecker 2010, S. 64. Für einen Überblick zu postmodernen Kritiken vgl. Nunner-Winkler 2002, S. 59 f. Quante 2002a, S. 32. Quante gibt hier freilich nur eine Beschreibung dieser Kritik, er selbst hält das Konzept biographischer Identität hinsichtlich des Verstehen- und Erklären-Könnens der personalen Lebensform für zentral (vgl. ebd.). Pazzini 1986, S. 75. Pazzini spricht in diesem Sinne von Identität als „Collage“ (Pazzini 1986, S. 75).
3.1 Facetten personaler Identität
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Das Erlebnis einer widersprüchlichen und segmentierten Alltagswelt, die sich nicht mehr in einen umfassenden Weltentwurf integrieren lässt […], erzwingt eine Haltung, die Widersprüchliches nebeneinander stehen lassen kann, die nicht mehr von einem „Identitätszwang“ beherrscht wird.¹⁰²
Dass sich die Vorstellung von Personen als Wesen mit biographischen Identitäten weiterhin hartnäckig hält, so die Kritiker weiter, zeige nur, dass ein falsches Bild, ein „Identitätswunsch“¹⁰³, sich in den Köpfen halte, obgleich doch längst gezeigt sei, dass diesem Wunsch „keinerlei anthropologische[] Notwendigkeit entspräche.“¹⁰⁴ Die postmoderne Entlarvung dieses Wunsches als irrige, überflüssige Vorstellung gleiche demnach einem kathartischen Prozess, an dessen Ende die Einsicht stehe, dass der Verzicht auf Konzepte personaler und speziell biographischer Identität eine Befreiung von „Herrschaftsvernunft und Machtwillen“¹⁰⁵ bedeutet. Der „Abschied von der Identität“¹⁰⁶ wird folglich von einigen Autoren nicht nur deskriptiv festgestellt, sondern darüber hinaus auch als normatives Postulat ausgegeben.¹⁰⁷ Der vorgeblich normativen Forderung nach (biographischer) Identität wird so die eindeutig normative Forderung nach ihrer Abschaffung entgegengestellt. Was ist hierauf zu erwidern? Hinsichtlich des Vorwurfs der Kulturrelativität lässt sich konzedieren, dass er im Fall der biographischen Identität sicherlich in einem gewissen Sinn berechtigt ist. Der Blick auf andere Kulturkreise bzw. Religionen zeigt, dass die den Theorien biographischer Identität zugrunde liegende starke Individualitätsauffassung keine anthropologische Konstante darstellt. Als Beispiel kann etwa die Ablehnung starker Individualitäts- und Personalitätskonzepte im Buddhismus dienen.¹⁰⁸ Es fragt sich jedoch, inwiefern diese Feststellung einen berechtigten Kritikpunkt an unserem Unterfangen darstellt. Biographische Identität wird, und dies kann als Antwort auf beide Kritikpunkte gesehen werden, in der vorliegenden Arbeit weder als kulturunabhängige anthropologische Notwendigkeit, noch ihre Ausbildung als normativ geboten angesehen.Vielmehr dient sie als Beschreibungsmuster der personalen Struktur von Individuen. Wichtig ist dabei die Betonung der Gradualität biographischer Identität, die durch vielfältige Einflussfaktoren (Erziehung, Gruppendynamik, religiöse Überzeugungen und vieles mehr) bedingt ist. Die Rahmenbedingungen moderner
Keupp 1997, S. 17. Straub 2002, S. 86. Straub 2002, S. 86. Kamper 1980, S. 80. Straub 2002, S. 89. Vgl. Straub 2002, S. 89. Vgl. Martin 1998, S. 140 f., und Kellner 2005, S. 177.
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3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
westlicher Gesellschaften sind in dieser Hinsicht die Grundlage einer tendenziell starken Individualitäts- und Identitätsbetonung, während beispielsweise in buddhistisch geprägten Gemeinschaften weitaus schwächere Konzeptionen beider Vorstellungen (Individualität und personale bzw. biographische Identität) zu finden sind.¹⁰⁹ Auf die oben geschilderte postmoderne Kritik an der vorgeblichen Normativität biographischer Identität ist daher mehrerlei zu erwidern: Zunächst beinhaltet das Konzept biographischer Identität keinen „Identitätszwang“, wie er von den oben genannten Kritikern attestiert wird. Vielmehr bietet es einen Erklärungsrahmen für den Umgang von Individuen mit der postulierten „widersprüchlichen und segmentierten Alltagswelt“¹¹⁰, für biographische Brüche und deren Ursachen. Der ihm zugrunde liegende Identitäts- und Personenbegriff ist kein starres Korsett, sondern ein Beschreibungsrahmen, der (personale) Einheit und Identität nur in einem minimalen, die Orientierung und das grundsätzliche Sich-Wiedererkennen von Individuen ermöglichenden Sinne versteht. Darüber hinaus lassen sich schwerwiegende Probleme der postmodernen Alternativangebote aufzeigen. So führt etwa der proklamierte vollständige Einheits- und Identitätsverzicht¹¹¹ zu einer Auffassung, die dem Bild „von in ihren Orientierungs-, Handlungs- und Beziehungsfähigkeiten beeinträchtigten, vielleicht sogar von schwer kranken Menschen ähnelt.“¹¹² Um dieser Konsequenz zu entgehen, führen einige postmoderne Denker „durch die Hintertür das Postulat von Einheit wieder ein“¹¹³ und damit ihre eigene Kritik ad absurdum.¹¹⁴ 2.) Individualismus und Rationalität Der Individualismusvorwurf richtet sich gegen die Überbetonung der Rolle und Wichtigkeit von Individualität bei der Konstituierung und Entwicklung biographischer Identität. Dabei werde, so seine Proponenten, übersehen, wie sehr In-
Vgl. dazu die Diskussion der kulturellen Einflüsse auf das autobiographische Gedächtnis und Erinnern und deren Zusammenhang mit der Konstituierung biographischer Identität in Kapitel 3.2.4.2. Keupp 1997, S. 17. Quante (2002a, S. 32) argumentiert, dass dieser Verzicht auf biographische Identität eine plausible Konzeption von Autonomie und deren Bestimmung im konkreten Fall unmöglich macht. Dies sei vor allem deshalb bemerkenswert, weil die postmodernen Kritiker ein Mehr an Autonomie als Resultat des geforderten Identitätsverzichts proklamierten. Straub 2000, S. 150. Nunner-Winkler 2002, S. 59. Straub (2000, S. 151 f.) führt als Beispiel das Konzept „transversaler Subjektivität“ von Welsch an, Nunner-Winkler (2002, S. 59 f.) nennt Keupps Konzept der „Verknüpfungskompetenz“.
3.1 Facetten personaler Identität
73
dividuen von sozialen Einflüssen, durch die Interaktion mit anderen, durch die Gesellschaft und viele weitere Einflussfaktoren außerhalb des Subjekts geprägt werden. Hinzu kommt die Überschätzung der Rationalität von Subjekten im Kontext biographischer Identität. Sie ignoriert, so der Einwand, den Einfluss von Emotionen und die Rolle von Umweltfaktoren (Gesellschaft, Erziehung etc.) bei der Ausbildung und Entwicklung biographischer Identität, durch die scheinbar autonom-rationale personale Entscheidungen wesentlich mitbestimmt werden. Beide Einwände müssen ernst genommen und bei der Ausgestaltung einer Theorie biographischer Identität berücksichtigt werden. Dies geschieht in dieser Arbeit mit Blick auf den Vorwurf der einseitigen bzw. zu starken Fokussierung auf Individualität dadurch, dass die soziale Dimension biographischer Identität, speziell durch eine Analyse der sozialen Einflussgrößen autobiographischen Erinnerns, angemessen berücksichtigt wird (Kapitel 3.2.4.6). Ähnliches gilt für die emotionalen Aspekte biographischer Identität. Hier soll gezeigt werden, welche Rolle der emotionale Kontext von Erinnerungen für deren Gewichtung und Intensität sowie für die Integration in die biographische Identität spielt (Kapitel 3.2.4.3). Hinzu kommt eine Betrachtung unfreiwilliger und impliziter Erinnerungen, denen abseits der rational-bewussten Dimension des Erinnerns eine wichtige Funktion bei der Konstitution biographischer Identität zukommt (Kapitel 3.2.4.7 und 3.2.5). 3.) Willensfreiheit Das Konzept der biographischen Identität, so der Freiheitseinwand, beruhe auf der irrigen Annahme, personales Leben sei durch die betreffenden Subjekte – zumindest partiell – frei gestaltbar. Der Idee, auf der Grundlage personaler Präferenzen über den Fortgang der eigenen Biographie entscheiden zu können, liege ein falscher Freiheitsglaube zugrunde. Unter der inkompatibilistisch-deterministischen Annahme vollständiger Determiniertheit und der daraus folgenden zwangsläufigen Unfreiheit des (personalen) Willens verliere das Konzept biographischer Identität daher seine Basis und Rechtfertigung. Eine eingehende Beschäftigung mit den diesem Einwand zugrunde liegenden philosophischen Argumenten und Debatten ist an dieser Stelle nicht möglich.¹¹⁵ Sie ist allerdings auch nicht nötig, da für unsere Zwecke zwei Hinweise bzw. Einschränkungen genügen: Zunächst basiert dieser Einwand auf einer strittigen Position innerhalb der Willensfreiheitsdebatte, die erstens von der Unvereinbar-
Diese Debatte wird seit den 1980er Jahren in großem Umfang und mit nicht immer sachdienlicher Vehemenz geführt. Für einen Überblick vgl. Keil 2007 sowie die Beiträge in Geyer 2004 und Kane 2005.
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3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
keit von Willensfreiheit und Determinismus sowie zweitens von der Wahrheit des Determinismus in unserer Welt ausgeht. Aus beiden Prämissen zusammen folgt, dass willensfreie Handlungen nicht existieren. Dieser „harte“ Determinismus sieht sich mit zahlreichen Einwänden von Vertretern libertarischer und kompatibilistischer Theorien konfrontiert.¹¹⁶ Aus diesen alternativen libertarischen und kompatibilistischen Theorien ergeben sich keine grundsätzlichen Einwände gegen biographische Identität, da sie von der zumindest partiellen Möglichkeit freier Willensentscheidungen ausgehen. Zur Beantwortung der Frage nach der Zulässigkeit des Freiheitseinwandes auf dieser Ebene müsste also zunächst die Plausibilität der dahinter stehenden metaphysischen und wissenschaftstheoretischen Annahmen überprüft werden. Während dies eher einen Hinweis denn eine Erwiderung darstellt, kann dem Einwand inhaltlich so begegnet werden: Biographische Identität, wie sie in dieser Arbeit verstanden wird, ist als Strukturbeschreibung unabhängig von der Antwort auf die Frage nach der Möglichkeit von Willensfreiheit und lässt sich auch unter der Annahme vollständiger Determiniertheit menschlichen Handelns sinnvoll analysieren, da sie zwar Handlungsfreiheit, nicht aber Willensfreiheit voraussetzt.¹¹⁷ Sie trifft Aussagen über die Motive, Präferenzen und Gründe, auf deren Grundlage personale Biographien entstehen, nicht jedoch darüber, ob diese auf einer höheren Ebene determiniert sind. Solange sich eine Analyse biographischer Identität auf diese deskriptive Ebene beschränkt und normative Aspekte wie den der Verantwortlichkeit außen vor lässt, wie es in dieser Arbeit der Fall ist, bleibt sie deshalb vom Freiheitseinwand unberührt. Nach der Beschäftigung mit diesen Einwänden können wir uns im folgenden Kapitel nun eingehend mit dem Zusammenhang von Gedächtnis, Erinnerung und biographischer Identität befassen.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung Die biographische Identität von Personen ist ein komplexes Phänomen. Die Fähigkeit, eine kohärente Biographie sowie ein personales Selbstverhältnis zu entwickeln, dies über die Zeit hinweg und trotz zahlreicher Veränderungen zu erhalten und dadurch ein Leben als Person führen zu können, basiert auf einer Vielzahl von Merkmalen. Viele dieser Merkmale sind – zumindest bezüglich ihrer Zur Diskussion des harten Determinismus und seiner Alternativen sowie als Beispiel für eine kompatibilistische Position vgl. Dennett 1984. Für die Darstellung eines libertarianischen Ansatzes vgl. Suhm 2010. Insofern ist auch eine deterministisch begrenzte biographische Identität denkbar.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
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spezifischen Rolle im Kontext biographischer Identität – in der philosophischen Diskussion bis dato nur wenig beachtet worden. In den nun folgenden Kapiteln 3.2.1 bis 3.2.6 soll diesem Defizit begegnet werden. Dazu wird zunächst die Bedeutung von Narrationen und Narrativität für die Konstituierung und Aufrechterhaltung biographischer Identität analysiert und mit der Frage verbunden, inwiefern Erinnerungen an der Ausbildung narrativer Strukturen beteiligt sind, welche wiederum eine Voraussetzung für die Etablierung biographischer Identität darstellen. Unter Rückgriff auf Überlegungen Richard Wollheims wird dann verdeutlicht, wie Erinnerungen auf das Leben von Personen Einfluss nehmen und als „roter Faden des Lebens“ die grundlegende Funktion erfüllen, das eigene Leben mit seinen Zusammenhängen und Bedingungsgefügen zuallererst in den Blick zu bekommen. Diese philosophischen Reflexionen werden durch die Analyse und Einbeziehung zweier psychologischer Theorien zur Organisations- und Funktionsweise des autobiographischen Gedächtnisses ergänzt, durch die verdeutlicht wird, welche Mechanismen an der Entstehung einer Autobiographie aus einzelnen Erinnerungen beteiligt sind. Dabei wird unter anderem argumentiert, dass die emotionale Dimension von Erinnerungen eine wichtige Rolle für deren Integration in die Lebensgeschichte einer Person spielt. Die Ergebnisse der Analyse beider Theorien werden anschließend im Rahmen der philosophischen Untersuchung aufgegriffen. Es wird gezeigt, inwiefern grundsätzliche Einsichten John Lockes zum Zusammenhang von Gedächtnis und personaler Identität dadurch fruchtbar gemacht werden können, dass sie nicht, wie in der Diskussion zumeist geschehen, als Antwort auf die Frage nach der diachronen Identität von Personen betrachtet, sondern als Ausgangspunkt für die Herausarbeitung wichtiger Elemente biographischer Identität herangezogen werden. Dies geschieht in den weiteren Kapiteln durch das Einbeziehen der sozialen Dimension von autobiographischem Erinnern und biographischer Identität, die Erhellung der Bedeutung des (autobiographischen) Vergessens sowie durch die Analyse des Einflusses impliziter Erinnerungen und die Beschäftigung mit der Frage nach der Wahrheit von Erinnerungen und deren Zusammenhang mit den Grenzen der biographischen Identität.
3.2.1 Narrativität und biographische Identität Der Begriff der „Narration“ bzw. „Narrativität“ ist in den letzten Jahrzehnten zu einer Art Modewort avanciert und findet sich gegenwärtig in den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen, beginnend bei einer „narrativen Psy-
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3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
chologie“¹¹⁸ über zahlreiche Debatten in den Literatur- und Kulturwissenschaften¹¹⁹ bis hin zur sogenannten „narrativen Ethik“¹²⁰, so dass mitunter sogar von einem „narrative turn“¹²¹ gesprochen wird. Besonders im Kontext der Diskussion personaler Identität erfreuen sich narrative Ansätze seit einiger Zeit großer Beliebtheit.¹²² Die Verwendungsweisen und Definitionen von „Narration“ bzw. „Narrativität“ sind dabei uneinheitlich und häufig unklar¹²³, weshalb in einem ersten Schritt – auch in Auseinandersetzung mit Kritik an narrativen Ansätzen – einige Konturen eines im Kontext biographischer Identität plausiblen Narrationsbegriffs herausgearbeitet werden. In einem zweiten Schritt wird dann in Kapitel 3.2.2 gezeigt, dass und wie (autobiographische) Erinnerungen mit den zuvor skizzierten narrativen Elementen biographischer Identität zusammenhängen. Die These, dass Narrationen bei der Entstehung und Entwicklung biographischer Identität eine wesentliche Bedeutung zukommt, findet sich in literarischer Form bereits bei Max Frisch. In seinem Essay „Unsere Gier nach Geschichten“ schreibt er: Jeder Mensch, nicht nur der Dichter, erfindet seine Geschichten – nur daß er sie, im Gegensatz zum Dichter, für sein Leben hält – anders bekommen wir unsere Erlebnismuster, unsere IchErfahrung, nicht zu Gesicht. […] Die Erfahrung will sich lesbar machen. Sie erfindet sich ihren Anlaß. Und daher erfindet sie mit Vorliebe eine Vergangenheit. Es war einmal. […] Geschichten sind Entwürfe in die Vergangenheit zurück, Spiele der Einbildung, die wir als Wirklichkeit ausgeben. Jeder Mensch erfindet sich eine Geschichte, die er […] für sein Leben hält.¹²⁴
Frisch betont hier nicht nur den zentralen Stellenwert von Geschichten für die Konstituierung und Kontinuität personalen Lebens, sondern verbindet damit zugleich eine bestimmte Auffassung über deren Zustandekommen durch „Erfindung“ oder „Konstruktion“. Die damit angesprochene Frage nach dem Verhältnis von Narration und Erinnerung zur Wahrheit bzw. nach der Bedeutung von Wahrheit und Konstruktivität im Kontext biographischer Identität wird uns an
Vgl. Sarbin 1986. Für einen Überblick vgl. Cobley 2001 und Herman/Jahn/Ryan 2007. Vgl. die Beiträge in Joisten 2007 sowie speziell für den Bereich der Bio- und Medizinethik Lindemann Nelson 1997. Ryan 2007, S. 22. Zur Diskussion vgl. Atkinson 1997. Vgl. exemplarisch Hutto 2007 sowie Strawson 2004, der seinen systematischen Überblick über narrative Identitätstheorien mit einer umfassenden Kritik daran verbindet, mit der wir uns in Kapitel 3.2.1 dieser Arbeit eingehend befassen werden. Vgl. Ryan 2007, S. 22. Frisch 1975/1960, S. 263.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
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späterer Stelle noch beschäftigen.¹²⁵ Zunächst betrachten wir jedoch genauer, was gemeinhin unter einer „Narration“ verstanden wird und was in unserem Kontext darunter verstanden werden soll. Das lateinische „narratio“ bedeutet schlicht „Erzählung“, also das Wiedergeben einer Geschichte. Geschichten beinhalten – gemäß gängigen Definitionen – als Grundstrukturen Akteure/Beteiligte, Ereignisse/Episoden, Schauplätze sowie einen oder mehrere Erzähler. ¹²⁶ Diese Strukturen sind darüber hinaus innerhalb der Narration in spezifischer Weise miteinander verknüpft. Onega und Landa verdeutlichen die Art dieser Verknüpfung, indem sie „Narration“ definieren als „semiotic representation of a sequence of events, meaningfully connected in a temporal and causal way.“¹²⁷ Die erzählten Ereignisse liegen demnach nicht einfach nur faktisch als Aufzählung vor. Sie sind vielmehr so angeordnet und miteinander verbunden, dass die Bedingungsgefüge und Bedeutungsinhalte sowie der zeitliche Ablauf der geschilderten Ereignisse (mehr oder weniger deutlich) erkennbar werden.¹²⁸ Inwiefern spielen Narrationen nun eine Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung biographischer Identität? Die nachfolgend auszuführende These lautet, dass Narrationen – in einem bestimmten, von vielen gegenwärtigen Definitionen abweichenden Sinn – eine notwendige Bedingung der Konstituierung biographischer Identität darstellen. Genauer: Biographische Identität entsteht, manifestiert und verändert sich auch durch die „Erzählung“¹²⁹ wichtiger Ereignisse, Handlungen, Begegnungen, Gedanken, Wünsche, Überzeugungen etc. Um diese These im Detail zu entwickeln, beginnen wir zunächst mit der Analyse des „narrative self-constitution view“ von Marya Schechtman. Anhand der Kritik Galen Strawsons an diesem Ansatz sollen dann Unklarheiten und Lücken aufgezeigt und Vorschläge zur Verdeutlichung und Behebung gemacht werden, bevor schließlich, auch unter Rückgriff auf Ergebnisse der empirischen Gedächtnisforschung, einige zentrale Elemente biographischer Identität durch die Analyse ihres Zusammenhangs mit autobiographischen Erinnerungen detaillierter beschrieben werden können.
Vgl. Kapitel 3.2.6 dieser Arbeit. Vgl. etwa McAdams 1993, S. 25 f. Onega/Landa 1996, S. 3. Für einen detaillierten Vorschlag bezüglich notwendiger und hinreichender Bedingungen von Narrativität sowie für deren logische Analyse vgl. Henning 2009, S. 167– 233. „Erzählung“ steht hier in Anführungszeichen, weil der nachfolgend zu entwickelnde Narrations- bzw. Erzählungsbegriff sowohl vom alltagssprachlichen als auch vom literaturwissenschaftlichen Narrations- bzw. Erzählbegriff deutlich abweicht (Kapitel 3.2.1).
78
3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
In Marya Schechtmans Buch „The Constitution of Selves“ findet sich ein vieldiskutiertes Beispiel für eine Form narrativer Theorien personaler Identität, deren Kern in folgendem Zitat zum Ausdruck kommt: According to the narrative self-constitution view, the difference between persons and other individuals […] lies in how they organize their experience, and hence their lives. At the core of this view is the assertion that individuals constitute themselves as persons by coming to think of themselves as persisting subjects who have had experience in the past and will continue to have experience in the future, taking certain experiences as theirs. Some, but not all individuals weave stories of their lives, and it is their doing so which makes them persons. On this view a personʼs identity (in the sense at issue in the characterization question) is constituted by the content of her self-narrative, and the traits, actions, and experiences included in it are, by virtue of that inclusion, hers.¹³⁰
Die Kernidee dieses Ansatzes besteht darin, dass das Ausbilden und „Besitzen“ von Narrationen eine wichtige Grundlage personalen Daseins bildet, wie wir es unter dem Begriff biographischer Identität skizziert haben. Narrativität verkörpert demnach eine psychische Organisationsform, auf deren Basis personale Orientierung im Sinne des Wissens um die eigene Vergangenheit, um personenspezifische Eigenschaften, Präferenzen und Absichten und daraus folgend die Fähigkeit zur Reflexion und Gestaltung personalen Lebens möglich werden. Freilich lässt diese grobe Beschreibung wichtige Fragen offen, vor allem die nach einer Präzisierung des Begriffs der „Narration“ sowie nach der Art und Weise, wie Narrationen zur Ermöglichung und Gestaltung biographischer Identität beitragen. Die notwendigen Differenzierungen werden nachfolgend als Ergebnis der Auseinandersetzung mit der Kritik am Begriff der Narrativität und an narrativen Theorien personaler und speziell biographischer Identität entwickelt. Theorien narrativer Identität, wie sie am Beispiel von Schechtmans Ansatz vorgestellt wurden, sehen sich mit einer Vielzahl von Einwänden konfrontiert. Galen Strawson gilt diesbezüglich als der wohl vehementeste zeitgenössische Kritiker. In seinem Artikel „Against Narrativity“¹³¹ werden die wichtigsten Einwände prägnant zusammengefasst, weshalb wir diesen als Grundlage für die Auseinandersetzung mit der Kritik an narrativen Theorien heranziehen. Strawson nimmt zunächst eine hilfreiche Differenzierung verschiedener Erklärungsebenen und -ansprüche im Kontext narrativitätsbasierter Theorien personaler Identität
Schechtman 1996, S. 94. Strawson 2004. Für eine neuere, knappere Darstellung seiner Position vgl. Strawson 2010. Eine Verdeutlichung wichtiger Aspekte der Theorie findet sich in Strawson 2011b, einer Erwiderung auf die Kierkegaard-basierte Kritik an Strawson in Stokes 2010. Eine ausführliche Kritik an Strawson findet sich in Mackenzie/Poltera 2010.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
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vor und unterscheidet zwischen deskriptiven („psychological Narrativity thesis“) und normativen („ethical Narrativity thesis“) Narrativitätstheorien.¹³² Theorien der ersten Art charakterisiert Strawson als „straightforwardly empirical, descriptive thesis about the way ordinary human beings actually experience their lives.“¹³³ Narrativität wird in solchen Theorien als adäquate Beschreibungskategorie für das zentrale oder zumindest ein zentrales Strukturmerkmal personaler Existenz erachtet. Es handelt sich insofern um eine deskriptive Aussage über einen Aspekt der menschlichen, genauer der personalen Natur. Normative Narrativitätstheorien gehen hingegen deutlich über diesen Anspruch hinaus, indem sie Narrativität als Voraussetzung eines im moralischen Sinn guten Lebens, teils sogar als Bedingung für „true or full personhood“¹³⁴ ansehen. Weist man nun beiden (Teil‐)Theorien Wahrheitswerte zu, so ergeben sich hinsichtlich möglicher Positionen zur Narrativität vier Varianten: Das Fürwahrhalten der deskriptiven und der normativen Komponente, das Fürwahrhalten der deskriptiven bei gleichzeitiger Ablehnung der normativen Komponente bzw. vice versa, sowie schließlich die Ablehnung beider Thesen.¹³⁵ Strawson verortet sich selbst in der letztgenannten Position und lehnt beide Thesen als falsch, im Fall der normativen Narrativitätsthese darüber hinaus auch als „schädlich“ („pernicious“¹³⁶) ab. Betrachten wir zunächst seine Argumentation gegen die deskriptive Narrativitätsthese, die wiederum mit einer Differenzierung beginnt, nämlich der zwischen verschiedenen Arten der Selbsterfahrung („self-experience“¹³⁷) und, darauf basierend, zwischen hinsichtlich der jeweils vorrangigen Art von Selbsterfahrung zu unterscheidenden Personentypen. Diachrone Selbsterfahrung ist charakterisiert durch die Auffassung des erfahrenden Subjekts, dass es als distinktes Selbst im Sinne einer „inner mental entity“¹³⁸ in der Vergangenheit existiert hat und auch zukünftig als dieses Selbst existieren wird.¹³⁹ Strawson verdeutlicht diese Art der Selbsterfahrung durch den Verweis auf eine Aussage Henry James’ über eines seiner Frühwerke: When Henry James says, of one of his early books, „I think of […] the masterpiece in question […] as the work of quite another person than myself […] a rich […] relation, say, who […] suffers
Strawson 2004, S. 428. Strawson 2004, S. 428. Strawson 2004, S. 428. Zur logischen Unabhängigkeit und Charakterisierung beider Arten von Theorien vgl. Henning 2009, S. 3 – 10. Strawson 2004, S. 447. Strawson 2004, S. 430. Strawson 2004, S. 429. Strawson 2004, S. 430.
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3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
me still to claim a shy fourth cousinship“, he has no doubt that he is the same human being as the author of that book, but he does not feel he is the same self or person as the author of that book.¹⁴⁰
Wir begegnen hier erneut einer Unterscheidung, die uns bereits in Kapitel 3.1.4 beschäftigt hat. Dort wurde gezeigt, dass sich nur dann sinnvoll über biographische Identität sprechen lässt, wenn ein fundamentalerer Identitätsbegriff zugrundegelegt wird. Dieser fundamentalere Begriff ist es, auf den Strawson hinaus will, wenn er schreibt „he has no doubt that he is the same human being as the author of that book.“¹⁴¹ Der Betreffende, in seinem Beispiel Henry James, weiß in einem grundlegenden, formalen ¹⁴² Sinn, dass ein zeitlich früher existierender Akteur, im Beispielfall der Autor des Jamesschen Frühwerks, mit Henry James zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt insofern identisch ist, als es sich um dasselbe menschliche Wesen handelt, das über Erinnerungen an das früher Getane und Erlebte verfügt und diese als derselben transtemporalen Entität zugehörig erfährt. Dies ist der basale Identitätssinn, bei dessen Fehlen oder Ausfall nicht mehr von einer Identitätskrise, sondern von einer ernsthaften Gedächtnis- und/ oder Persönlichkeitsstörung gesprochen werden müsste, etwa wenn James bestreiten würde, zumindest in diesem grundlegenden Sinn dasselbe menschliche Wesen zu sein, das auch sein Frühwerk verfasst hat.¹⁴³ Über das formale Identitätswissen hinaus fehlt James laut Strawson jedoch das qualitative Identitätswissen ¹⁴⁴, das die diachrone Selbsterfahrung auszeichnet. Er fällt somit unter die zweite Selbsterfahrungskategorie, die Strawson als episodische Selbsterfahrung ¹⁴⁵
Strawson 2004, S. 430. Das Henry James-Zitat stammt aus James 1999/1915, S. 562 f. Strawson 2004, S. 430. „Formal“ deshalb, weil es um das faktische Wissen um die Identität der Form im Sinne des menschlichen Wesens, nicht um die qualitative Bestimmung bzw. qualitative Identität von Personen geht. Vgl. dazu auch Damasios Unterscheidung von „core self“ und „autobiographical self“ (1999, S. 16 f.). Das „core self“ umfasst den oben skizzierten basalen Identitätssinn, während das „autobiographical self“ als phylo- und ontogenetisch höhere bzw. später entwickelte Form ein „erweitertes Selbstbewusstsein“ („extended consciousness“) beinhaltet, das wiederum Voraussetzung für den oben genannten qualitativen Identitätssinn ist. Mit „qualitativem Identitätswissen“ ist hier in Abgrenzung zum „formalen Identitätswissen“ das Wissen um die inhaltliche Kontinuität der Person gemeint. Es beinhaltet das Wissen, dass man zu einem früheren Zeitpunkt nicht nur dieselbe Person im formalen Sinn war, sondern dieser Person auch dieselbe oder zumindest eine „ähnliche“ Persönlichkeit, die sich nicht kategorial von der jetzigen unterscheidet, zugeschrieben werden kann. „Episodisch“ hat hier allerdings eine andere Bedeutung als im Kontext des „episodischen Gedächtnisses“ (vgl. Kapitel 2.2.2.4). Bei Strawson zielt der Begriff darauf, dass sich Personen mit dieser Art von Selbsterfahrung als qualitativ unterschiedliche Selbste hinsichtlich ver-
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
81
(„Episodic self-experience“¹⁴⁶) bezeichnet: „If one is Episodic, by contrast […] one does not figure oneself, considered as a self, as something that was there in the (further) past and will be there in the (further) future.“¹⁴⁷ „Episodics“¹⁴⁸, wie Strawson Wesen mit dieser Art von Selbsterfahrungsstruktur nennt, besitzen zwar ein vollkommen intaktes Identitätswissen im basalen, formalen Sinn, haben jedoch eine nur wenig bis gar nicht ausgeprägte Wahrnehmung der Kontinuität ihres Selbst im qualitativen Sinn. An diese Unterscheidung schließt Strawson die Vermutung an, dass hinsichtlich der faktischen Verteilung in der realen Bevölkerung der diachrone Typus häufiger anzutreffen ist.¹⁴⁹ Zudem handelt es sich nicht zwingend um einander ausschließende Strukturen. Vielmehr können beide Elemente in Individuen vorhanden sein, im Wechsel auftreten und sich über die Zeit hinweg signifikant ändern, so dass von einem dynamischen Spektrum zwischen „reinen Diachronics“ und „reinen Episodics“ gesprochen werden kann.¹⁵⁰ Durch das Unterscheiden dieser beiden Selbsterfahrungstypen, genauer gesagt durch den Aufweis, dass realiter tatsächlich beide Typen existieren, will Strawson die deskriptive Narrativitätsthese im Sinne einer universalen, allgemeingültigen Beschreibung der Selbsterfahrung von Personen widerlegt haben. Dies hängt mit seiner zusätzlichen Annahme zusammen, dass „Episodics are likely to have no particular tendency to see their life in Narrative terms.“¹⁵¹ Die Prämissen lauten also: 1.) Es gilt, „Diachronics“ und „Episodics“ hinsichtlich ihrer Selbsterfahrung zu unterscheiden. 2.) Zumindest einige „Episodics“ verfügen nicht über narrative Selbsterfahrung. 3.) Mindestens einer dieser „Episodics“ ohne narrative Selbsterfahrung existiert auch faktisch. Die Prämisse, die nachfolgend angegriffen wird, ist Prämisse 2. Es wird gezeigt, dass auch Strawsons „Episodics“ über narrative Selbsterfahrungsstrukturen in einem bestimmten Sinn verfügen. Dadurch wird auch Prämisse 3 hinfällig: Zwar existieren „Episodics“ faktisch, jedoch verfügen auch sie über narrative Selbstwahrnehmungsstrukturen und können daher Strawsons Argument nicht „empirisch“ belegen. Als bestätigendes Beispiel für die dritte Prämisse führt Strawson sich selbst an:
schiedener Abschnitte (Episoden) ihres Lebens wahrnehmen bzw. zumindest kein ausgeprägtes Bewusstsein ihrer personalen Kontinuität im qualitativen Sinn haben. Strawson 2004, S. 430. Strawson 2004, S. 430. Strawson 2004, S. 430. Vgl. Strawson 2004, S. 431. Strawson 2004, S. 430 f. Strawson 2004, S. 430.
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3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
[S]ince I find myself to be relatively Episodic, I′ll use myself as an example. I have a past, like any human being, and I know perfectly well that I have a past. I have a respectable amount of factual knowledge about it, and I also remember some of my past experiences „from the inside“, as philosophers say. And yet I have absolutely no sense of my life as a narrative […]. Absolutely none.¹⁵²
Strawsons Argumentation lautet also: Es gibt zwei Arten menschlicher Selbsterfahrung – episodische und diachrone – wobei der episodische Typus nicht als defizitär gegenüber dem diachronen angesehen werden kann, wenngleich er keinerlei narrative Strukturen aufweist, wie das Beispiel seiner eigenen Person zeigen soll. Daraus folgt, dass deskriptive Narrativitätstheorien, insofern sie als Strukturbeschreibung menschlicher Selbsterfahrung mit universalem Erklärungsanspruch verstanden werden, falsifiziert sind. Nach Strawson liegen die Gründe für die nichtsdestotrotz große Popularität solcher Theorien – er nennt als Vertreter u. a. Dennett, MacIntyre, Taylor, Ricœur und Schechtman – zum einen in einer „intellektuellen Mode“ („intellectual fashion“¹⁵³), die eine gewisse Eigendynamik entwickelt habe, zum anderen in der Tatsache, dass die Vertreter solcher Theorien ihre eigene diachrone Verfasstheit fälschlich verallgemeinerten.¹⁵⁴ Mit Blick auf normative Narrativitätstheorien wird die Zurückweisung als falsch um die Kritik erweitert, es handele sich bei solchen Theorien um „gefährliche“, d. h. moralisch verwerfliche Ansätze, da sie das normative Konzept eines guten Lebens mit Narrativität als dessen notwendiger Bedingung verknüpfen.¹⁵⁵ Das Leben episodisch strukturierter Personen wird aus dieser Perspektive als „chilling, empty and deficient“¹⁵⁶ erachtet. Strawson hält diese Sichtweise, wie auch im Fall der deskriptiven Theorien, für das Ergebnis einer ungerechtfertigten Verallgemeinerung. Aus der Tatsache, dass die diachrone Lebensform aus Sicht vieler, die sie praktizieren, als Voraussetzung eines erfüllten Lebens oder gar als Voraussetzung für „properly moral beings“¹⁵⁷ erscheint, wird ohne adäquate Begründung dieses Schrittes auf das Zutreffen dieser Annahmen für alle menschlichen Personen geschlossen, woraus so etwas wie ein „Narrativitätszwang“ resultiert.¹⁵⁸
Strawson 2004, S. 433. Strawson 2004, S. 439. Vgl. Strawson 2004, S. 437 und S. 439. Zur Diskussion dieser Problematik vgl. auch Thomä 2007, S. 77– 93. Strawson 2004, S. 431. Strawson 2004, S. 450. Dieser Kritikpunkt besitzt strukturelle Ähnlichkeit mit dem Normativismusvorwurf, der im Kontext von Einwänden gegen das Konzept biographischer Identität in Kapitel 3.1.4 behandelt wurde.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
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Anhand dieser Kritik lassen sich nun sowohl einige wichtige Einschränkungen und Präzisierungen der Idee einer narrativen Struktur biographischer Identität vornehmen als auch im Anschluss (in Kapitel 3.2.2) Erkenntnisse über die Rolle von Erinnerungen bei der Ausbildung dieser Struktur gewinnen. Strawsons Kritikpunkte verweisen auf Mängel, die bestimmten Typen narrativer Theorien biographischer Identität tatsächlich attestiert werden können. Im nächsten Schritt ist daher zu zeigen, dass diese Einwände auf den in dieser Arbeit vorgestellten Ansatz nicht zutreffen, da hier ein in einem bestimmten, nachfolgend näher zu erläuternden Sinn „mittlerer“ Narrativitätsbegriff zugrunde gelegt wird. Bei der Verdeutlichung dieses Ansatzes hilft die von Marya Schechtman vorgeschlagene Unterscheidung dreier zentraler Fragen, die durch narrative Theorien beantwortet werden müssen.¹⁵⁹ Die Analyse und Bewertung möglicher Antworten auf diese Fragen erlaubt die Verortung der hier vertretenen Auffassung in einem vielfältigen Spektrum zwischen starken und schwachen narrativen Theorien:¹⁶⁰ 1.) Was wird unter einer „Narration“ verstanden? Die erste, grundlegende Frage im Kontext narrativer Theorien betrifft das Verständnis davon, was überhaupt als Narration gilt, wie dieser Begriff also definitorisch gefasst werden kann. Die schwächste Position versteht Narration dabei als sequenziell-chronologische Auflistung von Ereignissen, vergleichbar einem Protokoll lebensgeschichtlicher Geschehnisse. Diese Auffassung liegt etwa der Rede von Narrationen bezogen auf ärztliche Diagnoseverfahren zugrunde, bei der die verschiedenen Schritte (Aufnahmegespräch, Anamnese, Untersuchungen, (Differential‐)Diagnose) in ihrer Reihenfolge und inklusive aller Teilschritte festgehalten werden. Am entgegengesetzten Ende des Spektrums finden sich Positionen, die einen Narrationsbegriff zugrundelegen, der Narration als „a story created by a gifted author and edited by a talented editor“¹⁶¹ versteht, gleich einer drehbuchbasierten Geschichte mit durchgehendem Motiv und klarer Erzählrichtung.
Vgl. Schechtman 2007, S. 159. Als Kriterium für die Einordung der Ansätze als „schwach“ bzw. „stark“ dient dabei der Erfassungsgrad der zugrunde liegenden Kriterien. Schwache Ansätze nutzen Kriterien, die auf eine große Zahl von Phänomenen bzw. Fällen zutreffen und den Begriff damit sehr weit fassen. Im Fall starker Ansätze verhält es sich genau umgekehrt: Hier fallen Phänomene aufgrund strenger Kriterien aus dem Anwendungsbereich heraus. Schechtman 2007, S. 160. Schechtman selbst vertritt jedoch keine solch starke Theorie.
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3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
Schwache Positionen scheinen den Begriff der Narration zu überdehnen. Zwar ist ein grundlegendes, in vielen Fällen implizites Wissen¹⁶² um die sequenziell-chronologische Struktur von Prozessen und Handlungen ohne Zweifel eine notwendige Bedingung vieler kognitiver Funktionen.¹⁶³ Jedoch beinhaltet ein solch schwacher Begriff keinerlei Wissen über Relationen und Kausalitäten zwischen verschiedenen Ereignissen, das für deren Verortung im Kontext zeitlich größerer Abschnitte und für ein Verständnis von kausaler Genese nötig ist. Starke Positionen kranken dagegen an einem zu engen Verständnis von Narration, das sich an literaturwissenschaftlichen Definitionen orientiert. Dies zeigt sich sowohl durch die Existenz und Vielzahl impliziter narrativer Strukturen, bei denen nicht literaturanalog von (bewusster) Autorenschaft gesprochen werden kann, als auch am häufigen Fehlen klarer Erzählrichtungen und durchgängiger Themen. Lebensgeschichtliche Narrationen können wesentlich kleinteiliger und hinsichtlich ihrer Entstehung und Erscheinungsformen diverser sein, als es die Analogie zum literaturwissenschaftlichen Erzählungsbegriff nahelegt.¹⁶⁴ In der vorliegenden Arbeit soll daher ein mittlerer Narrationsbegriff skizziert und verwendet werden, der die Problemstellen starker und schwacher Ansätze umgeht und hinsichtlich der Gedächtnis- und Erinnerungsthematik anschlussfähig ist. Narrationen im für uns relevanten Sinn müssen nicht in explizitsprachlicher Form vorliegen. Sie können sowohl sich selbst als auch anderen „erzählt“ werden. Im Fall von „Selbsterzählungen“ können sie nichtsprachlicher Natur sein und beispielsweise in Form von mentalen Bildsequenzen vorliegen, etwa wenn wir uns „bildhaft“ an unsere ersten Begegnungen mit einem für unser späteres Leben bedeutsamen Menschen und an die damit verbundenen Empfindungen erinnern. Gegenstand solcher Narrationen können sowohl Geschehnisse in der Außenwelt als auch „innenweltliche Ereignisse“ wie Gedanken, Wünsche, Überzeugungen und Absichten sein.¹⁶⁵ Narrationen werden hier als mentale Prozesse aufgefasst, die Informationen über vergangene Ereignisse, genauer über Strukturen des eigenen Lebens und die damit zusammenhängenden bzw. diesen zugrunde liegenden Erfahrungen enthalten. Zudem wird auf ihrer Basis das Antizipieren künftiger Situationen und Handlungen möglich. Die Informationen sind dabei so angeordnet, dass Zu-
Zur Problematik der Rede vom „impliziten Wissen“ („tacit knowledge“) vgl. Polanyi 1985/ 1966 und Dummett 1998, S. 322– 324. Vgl. dazu exemplarisch Kihlstrom 1996 sowie die Beiträge in Underwood 1996 und in Gawronski/Payne 2010. Vgl. dazu auch die Kritik an zu eng an den literaturwissenschaftlichen Erzählungsbegriff angelehnten Narrativitätskonzeptionen in Christman 2004 und 2009, S. 66 – 85. Zur Idee des „narrative thinking“ vgl. Goldie 2003.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
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sammenhänge und Bedingungsgefüge erkennbar werden. Narrationen können sich auf kürzere oder längere Zeitabschnitte beziehen und sich über die Zeit hinweg erheblich verändern. Dies entkräftet Strawsons Argument, er als „Episodic“ habe keine narrative Vorstellung seines (gesamten) Lebens, sondern erfahre vielmehr verschiedene „Selbste“ („selves“) innerhalb seiner Existenz als dasselbe menschliche Wesen.¹⁶⁶ Diese lebensweltlich bekannte Erfahrung verschiedener, jeweils distinkter Lebensabschnitte, die man wie Strawson rückblickend als jeweils unterschiedliche „Selbste“ repräsentierende Episoden wahrnimmt, kann durch die Annahme zeitlich kürzerer Narrationen erklärt werden. Die Existenz verschiedener „Selbste“ (freilich nicht in einem starken ontologischen Sinn¹⁶⁷) spricht damit nicht gegen die narrative Struktur der Selbsterfahrung, sondern nur gegen die Annahme der Koextension einer Narration mit einem (gesamten) menschlichen Leben.¹⁶⁸ Wenn etwa Daniel Dennett schreibt „We try to make all of our material cohere into a single good story“¹⁶⁹, so bezieht sich „single story“ dementsprechend nicht auf das gesamte menschliche Leben, sondern auf eben jene „Selbste“, also auf die „single story“, die einen Lebensabschnitt (ein „Selbst“) umfasst und diesen für die Person erklär- und verstehbar macht.¹⁷⁰ Die laut Strawson auch bei „Episodics“ vorhandenen Relationen zwischen verschiedenen Abschnitten einer menschlichen Existenz, die zu dem Bewusstsein führen, dass auch frühere Ereignisse und Handlungen die desselben menschlichen Wesens waren, dass diese durchaus von emotionaler Bedeutung für seine Gegenwart sind und bestimmte Verantwortlichkeiten mit sich bringen¹⁷¹, basieren auf Narrationen im oben beschriebenen „mittleren“ Sinn.¹⁷² Strawsons „Diachronics“ bewegen sich, betrachtet man Narrativität als Spektrum mit verschie-
Dieses „Entkräften“ bedarf einer Erläuterung: Es geht bei der Kritik an Strawson nicht darum, eine deskriptive Theorie zu widerlegen – wofür es freilich psychologischer Argumente bedürfte –, sondern vielmehr darum aufzuzeigen, dass seine Kritikpunkte auf einen modifizierten Narrationsbegriff, wie er hier entwickelt wird, nicht zutreffen, sondern mit diesem vereinbar sind. Mit „Selbsten“ sind natürlich keine distinkten ontologischen Entitäten gemeint, sondern Lebensabschnitte, die in der subjektiven Rückschau der Person auf ihre Biographie als qualitative bzw. thematische Einheiten wahrgenommen und von anderen Lebensphasen abgegrenzt und unterschieden werden. Für eine ähnliche Replik auf Strawson vgl. Schechtman 2007, S. 168. Dennett 1992, S. 114. Dennett geht dementsprechend auch von der Möglichkeit der Existenz mehrerer „selves“ in einem Körper aus (vgl. Dennett 1992, S. 114). Vgl. Strawson 2004, S. 432 f. und S. 438. Eine ähnliche Argumentation findet sich bei Hardcastle 2008, S. 27 f.
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3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
denen Intensitätsgraden, am schwachen Ende dieses Spektrums¹⁷³, an dem der bewusste Umgang mit Narrationen im Sinne des Sich-Beschäftigens mit der (eigenen) Vergangenheit als Vergangenheit einen sehr geringen Stellenwert hat: „The way I am now is profoundly shaped by my past, but it is only the present shaping consequences of the past that matter, not the past as such.“¹⁷⁴ Strawsons Position und die Existenz episodischer Selbsterfahrung illustrieren also die Vielfalt der Ausprägungen von Narrativität, belegen damit aber zugleich auch deren Vorhandensein im Sinne des oben entwickelten Verständnisses.¹⁷⁵ Darüber hinaus können Narrationen im hier skizierten Sinn häufig implizit vorliegen und zwischen implizitem und explizitem Gegebensein, zwischen aktivem Umgang und passivem Hintergrundwirken changieren, was uns zur Frage nach der Art des Vorliegens und Wirkens von Narrationen führt. 2.) Was bedeutet es, eine Narration zu haben? Wie „wirken“ Narrationen? Bei der Frage, was unter dem „Haben“ einer Narration bzw. unter deren „Wirken“ zu verstehen ist, in welcher Form Narrationen bei einer Person also gegeben sind bzw. sein können und auf welche Weise sie auf Denken und Handeln einzuwirken vermögen, zeigt sich ein ähnliches Spektrum an möglichen Positionen. Nach einem schwachen Verständnis genügt es, wenn eine Narration unbewusst das gegenwärtige Denken und Verhalten einer Person beeinflusst, um von deren „Haben“ bzw. „Wirken“ sprechen zu können. Am anderen Ende der Skala findet sich das starke Postulat, dass „a person must actively and consciously undertake to understand and live her life in narrative form.“¹⁷⁶ Narrationen wirken solchen Konzeptionen zufolge, indem Personen bewusst und aktiv mit ihnen umgehen und diese gestalten. Schwache Positionen betonen zwar zu Recht die Wichtigkeit impliziter Narrationen, lassen jedoch die Möglichkeit des wenigstens partiellen und temporären bewussten Zugangs zu zumindest einigen Narrationen einer Person außer Acht. Starke Positionen überschätzen dagegen den Einfluss expliziter Narrationen und zeichnen das Bild von personaler Narrativität als ausschließlich oder überwiegend bewusstem, aktivem und kontrolliertem Unternehmen, was der empirischen
Für die Diskussion von Grenzfällen am schwachen Ende dieses Spektrums vgl. Hardcastle 2008, S. 28 – 33. Strawson 2004, S. 438. Hartmann/Galert (2007, S. 260 f.) geben Beispiele für Änderungen im „narrative style“ einer Person, welche die Gradualität und Dynamik narrativer Selbsterfahrung illustrieren. Schechtman 2007, S. 160.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
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Evidenz hinsichtlich der Rolle unbewusster bzw. vorbewusster oder nur teilweise bewusster Einflussgrößen nicht gerecht wird.¹⁷⁷ Wie bei der Behandlung der ersten Frage bereits angedeutet, soll in dieser Arbeit auch bezüglich der Frage nach den Formen des Vorliegens und Wirkens von Narrationen eine Mittelposition vertreten werden: Weder wirken Narrationen ausschließlich implizit, noch sind sie exklusiv oder größtenteils Gegenstand des bewussten, aktiven Umgangs durch das Subjekt. Vielmehr sind sie Teil eines Wechselspiels von Lernen, Erinnern, Vergessen, Artikulierbarkeit und implizitem Wirken, wie wir es in Kapitel 2.2.2.6 auch als charakteristisch für die Übergänge und Zusammenhänge der verschiedenen Formen von Erinnerung beschrieben haben.¹⁷⁸ Mal treten sie spontan ins Bewusstsein, mal werden sie intentional durch Nachdenken bewusst gemacht oder durch spezifische Methoden (beispielsweise Tiefenpsychologie, Psychoanalyse oder bestimmte Meditationsformen) „hervorgeholt“. Durch die Berücksichtigung dieser vielfältigen Erscheinungsformen können auch die von Strawson zu Recht als unplausibel kritisierten Annahmen und Konsequenzen eines zu stark an den literaturwissenschaftlichen Erzählungsbegriff angelehnten Narrationsverständnisses korrigiert werden.¹⁷⁹ Dies geschieht, wie bereits angedeutet, durch die Erweiterung des Narrationsbegriffs um implizite Narrationen, narratives Denken und die Verlaufsformen zwischen impliziten und expliziten Narrationen.¹⁸⁰ 3.) Was sind die praktischen Folgen des Habens bzw. Nichthabens von Narrationen? Auch hinsichtlich der Folgen des Habens und Wirkens von Narrationen, also der Frage, was diese in (lebens‐)praktischer Hinsicht bedeuten und mit welchen Fähigkeiten und Möglichkeiten personalen Lebens sie verknüpft sind, lässt sich ein weites Spektrum konstatieren. Es reicht von der Annahme, Narrationen seien die Grundlage jedweden basalen menschlichen „Funktionierens“, bis hin zur Position, Narrationen seien „essential to leading a good or meaningful life.“¹⁸¹ Während Positionen der ersten Art sehr allgemein auf menschliches „Funktionieren“ zielen und die Frage nach der speziellen Relevanz von Narrationen für
Vgl. exemplarisch Schacter 1993, S. 416 – 422, Maybery/O′Brien-Malone 1998 sowie Richardson-Klavehn 2010. Zu diesen Zusammenhängen von Gedächtnis, Erinnern, Vergessen, Wahrnehmen, Lernen, Sprache und Handeln vgl. Kölbl/Straub 2010, S. 37– 40. Vgl. dazu auch Lamarque 2004, S. 402– 406, sowie Lamarque 2007. Die Rede von „impliziten Narrationen“ ist begrifflich und konzeptuell nicht unproblematisch. Sie wird in Kapitel 3.2.5 dieser Arbeit nochmals thematisiert. Schechtman 2007, S. 160.
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personenspezifische „höhere“ Fähigkeiten außer Acht lassen, trifft auf Theorien der zweiten Art der u. a. von Strawson vorgebrachte Vorwurf eines ungerechtfertigten normativen Postulats zu. Auch Schechtman gibt Strawson in diesem Punkt Recht: „I see no reason to believe that one must see one’s life as a ,questʻ or as having an ,overall ethical characterʻ or a grand telos or unifying theme to be fully a person.“¹⁸² Weder dürfte, wie am Beispiel Strawsons ersichtlich, die deskriptive Annahme zutreffen, dass sich bei allen Personen „such a clear sense of the structure or direction of their lives“¹⁸³ findet. Noch wird eine plausible Begründung dafür geliefert, wieso es sich bei dieser Art von Narrativität bzw. Narrativitätsstreben um ein universelles, normativ einzuforderndes Ideal handeln sollte, warum also Strawsons „Episodics“ allein aufgrund ihrer episodischen Selbsterfahrungsstruktur ein in normativer Hinsicht weniger gutes Leben führen können sollten.¹⁸⁴ Plausibler ist auch hier eine mittlere Position, die sowohl Strawsons Vorwurf der Trivialität als auch dem der ungerechtfertigten Normativität entgeht. Zum ersten Punkt hatte Strawson angemerkt, dass die Behauptung der narrativen Struktur personalen Handelns und Daseins zwar in einer Hinsicht wahr, jedoch zugleich auch trivial sei: [I]f someone says, as some do, that making coffee is a narrative that involves Narrativity, because you have to think ahead, do things in the right order, and so on, and that everyday life involves many such narratives, then I take it the claim is trivial.¹⁸⁵
Wie bereits bei der ersten Frage skizziert, geht der in dieser Arbeit verwendete Narrationsbegriff jedoch über diese „triviale“ Form hinaus. Dem Vorwurf des Normativismus entgeht diese Position, da sie keine Forderungen im Sinne des normativen Postulats narrativ strukturierter Selbsterfahrung als Voraussetzung eines guten oder gelingenden Lebens enthält. Ihr Anspruch ist es vielmehr, eine adäquate Beschreibung (in Strawsons Sinn einer „psychological Narrativity thesis“¹⁸⁶) von Narrationen als für die Ausbildung biographischer Identität und damit für einige personenspezifische Fähigkeiten – etwa für planvolles Handeln auf der Grundlage von Erfahrungen oder die Ausbildung reflexiver Selbstverhältnisse – notwendige Bedingung zu geben. Die weitere Ausgestaltung dieser These ge-
Schechtman 2007, S. 161. Schechtman 2007, S. 161. Diese Problematik ist uns bereits bei der Diskussion von Einwänden gegen das Konzept der biographischen Identität begegnet (vgl. Kapitel 3.1.4). Strawson 2004, S. 439. Strawson 2004, S. 428.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
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schieht nachfolgend durch die Analyse des Zusammenhangs von Narrationen und verschiedenen Formen und Aspekten des Erinnerns.
3.2.2 Narrativität und Erinnerung Dass Narrationen im oben skizzierten Sinn in einem engen Zusammenhang mit Gedächtnis und Erinnerung stehen, dürfte offenkundig sein, sind sie doch wesentlich durch ihren Bezug auf Vergangenes, speziell auf Relationen und Bedingungsgefüge zwischen vergangenen Ereignissen charakterisiert. Die Frage nach dem Wie dieses Zusammenhangs stellt uns jedoch vor einige Probleme: Sind Narrationen Erinnerungen oder beinhalten bzw. organisieren sie diese und wenn ja, auf welche Weise? Wie wirken Narrationen und die mit ihnen zusammenhängenden Erinnerungen in Personen und was ist ihr Beitrag zur Konstituierung und Aufrechterhaltung biographischer Identität? Beginnen wir mit der Frage, ob Narrationen mit Erinnerungen gleichzusetzen sind, ob also Narrationen aus nicht mehr als einer bzw. einer Reihe von Erinnerungen bestehen. Die Antwort auf diese Frage fällt für die in Kapitel 2.2 differenzierten Erinnerungsformen unterschiedlich aus. Zunächst spielen, wie bereits deutlich geworden sein dürfte, bei der Entstehung von Narrationen sowohl implizite als auch semantische, episodische und autobiographische Erinnerungen eine Rolle. Der begrifflich und theoretisch besonders schwierige Zusammenhang zwischen impliziten Narrationen und impliziten Erinnerungen wird uns an späterer Stelle in Kapitel 3.2.5 beschäftigen. Semantische und episodische Erinnerungen können insofern als notwendige Voraussetzung von Narrationen angesehen werden, als sie faktenbezogenes bzw. autobiographisches Erinnerungsmaterial zur Verfügung stellen, das zum Bestandteil und Gegenstand dieser Narrationen werden kann. Die Eigenschaften bzw. „Leistungen“ einer Narration übersteigen jedoch die der ihr zugrunde liegenden Erinnerungen: Die oben skizzierten Merkmale der subjektiven Sinnhaftigkeit und temporalen Verortbarkeit sowie das damit zusammenhängende Wissen um Kausalitäten und Bedingungsgefüge sind keine Eigenschaften einzelner Erinnerungen. Erst durch die spezifisch narrative Anordnung geschieht die Einbettung und Verknüpfung einzelner Erinnerungen, die in Leistungen resultiert, die alleine durch einzelne Erinnerungen oder bloße Erinnerungssequenzen nicht zu erreichen sind. Dazu zählt die bereits erwähnte Fähigkeit, Sinnzusammenhänge erinnerter Ereignisse erschließen zu können. Zudem ermöglichen personale Narrationen auf der Grundlage von Erinnerungen den Zugang zu vergangenen Episoden, die nicht mehr direkt erinnert werden können:
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For example, I may have no recollection at all of what I did on the 13th of February, 1984, but if I know where to place that date within the larger frame of „my story“, I will nevertheless have a pretty good idea about what kind of guy I was back then: what my temper, goals, opinions and talents were ‒ even what I used to think of myself.¹⁸⁷
In Abwesenheit konkreter Erinnerungen ermöglichen Narrationen demnach die Einschätzung vergangener Situationen vor dem Hintergrund allgemeinen Wissens um personale Eigenschaften und die Entwicklungslinien der eigenen Biographie. Dieser Hintergrund ist als „Rohmaterial“¹⁸⁸ in Form von Erinnerungen gegeben, aus denen durch die spezifisch narrative temporale und kausale Anordnung und Verortung die Grundlage für die Ausbildung reflexiver personaler Selbstverhältnisse und damit auch für die Ausbildung biographischer Identität entsteht: „If I were unable to form memories of my life history, or were unable to access such memories, then I have nothing to interpret, nothing to narrate sufficient for the formation of self-identity.“¹⁸⁹ Über das reine Vorhandensein hinaus müssen semantische und episodische Erinnerungen, die für die Konstituierung biographischer Identität als Rohmaterial in Frage kommen, freilich auch in gewissem Maß und Umfang abrufbar sein. Wie bei der Analyse der verschiedenen Erinnerungsformen und ihrer Dynamik und Verwobenheit gezeigt wurde, ist Abrufbarkeit im Sinne des Zugangs zu und Umgangs mit Erinnerungen allerdings ein graduelles Phänomen. Erinnerungen müssen nicht stets bewusst, zugänglich oder willentlich hervorgebracht sein, um Relevanz für die Ausbildung und Aufrechterhaltung biographischer Identität zu besitzen, wie an späterer Stelle im Kontext der Diskussion leiblich verankerter impliziter und unfreiwilliger bewusster Erinnerungen gezeigt wird.¹⁹⁰ Autobiographische Erinnerungen mit ihren in Kapitel 2.2.2.5 skizzierten Eigenschaften der subjektiven Bedeutsamkeit, der Komplexität und des raumzeitlichen Kontexts¹⁹¹ sind bereits selbst strukturell narrativ. Diese Annahme wird durch die Ergebnisse der empirischen Gedächtnisforschung der letzten zwei Jahrzehnte gestützt.¹⁹² So schreibt etwa der Psychologe David Rubin: „Language and especially narrative structure are necessary components of autobiographical memory. Autobiographical memories are usually recalled as narrative.“¹⁹³ Dabei Hartmann/Galert 2007, S. 265. Hartmann/Galert 2007, S. 259. Vgl. auch Addis/Tippett 2008, S. 72. Gallagher 2007, S. 209. Dies geschieht in den Kapiteln 3.2.4.7 und 3.2.5 dieser Arbeit. Vgl dazu auch Pohl 2007, S. 46. Vgl. exemplarisch Barclay 1996, Fitzgerald 1996 und Bluck/Habermas 2000 sowie Kapitel 3.2.4.1 und 3.2.4.2 dieser Arbeit. Rubin 1998, S. 53.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
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bedeutet „narrativ“, wie bereits gezeigt, nicht notwendig auch „sprachlich geäußert“.¹⁹⁴ Im Fall von Narrationen, die man gewissermaßen sich selbst „erzählt“, nimmt das „Erzählen“ die Form narrativen Denkens („narrative thinking“¹⁹⁵/ „narrative reasoning“¹⁹⁶) an, das auf autobiographischen Erinnerungen mit temporaler und kausaler Struktur basiert.¹⁹⁷ Die für unsere Fragestellung zentrale Frage, wie narrativ strukturierte autobiographische Erinnerungen im Rahmen biographischer Identität selektiert, modifiziert und integriert werden, wird uns in den Kapiteln 3.2.4.1 und 3.2.4.2 beschäftigen. Bevor wir uns jedoch mit der detaillierten Analyse des Zusammenhangs zwischen autobiographischen Erinnerungen und der biographischen Identität von Personen befassen, sollen anhand von Richard Wollheims Metapher von Erinnerungen als rotem Faden des Lebens („thread of life“¹⁹⁸) einige grundsätzliche philosophische Überlegungen zur Bedeutung des Erinnerns für das Leben von Personen, wie es im Kontext biographischer Identität skizziert wurde, angestellt werden.
3.2.3 Erinnerung als roter Faden personalen Lebens Erinnerungen und die Fähigkeit, ein Leben als Person zu führen, sind – so dürfte bis hierher bereits deutlich geworden sein – eng miteinander verknüpft. Durch die Analyse und Erweiterung einiger von Richard Wollheim – vor allem in seinem Buch „The Thread of Life“¹⁹⁹ – vorgebrachter Überlegungen soll nachfolgend genauer beschrieben werden, wie Vergangenes durch Erinnerungen auf die Gegenwart und Zukunft von Personen einzuwirken vermag. Wollheim erachtet drei Relationen als Bedingungen der Möglichkeit, ein Leben als Person – im Sinne biographischer Identität – führen zu können:
Vgl. auch Rubin/Greenberg 2003, S. 62. Goldie 2003. Rubin/Greenberg 2003, S. 60 – 62. Vgl. Rubin/Greenberg 2003, S. 61. So auch der Titel von Wollheim 1984. Wollheim 1984. Als zweites Werk wird Wollheims „On the Emotions“ („Emotionen“, 2001/ 1999) an einigen Stellen ergänzend herangezogen. Da es (im Gegensatz zu „The Thread of Life“) in einer deutschen Übersetzung vorliegt, durch die sich die zusätzliche Explanation einiger Begriffe erübrigt, werden die Zitate aus diesem Werk in deutscher Übersetzung wiedergegeben.
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[O]ne between the person’s past and his present, and between his present and his future; two, between his mental dispositions and his mental states; and, three, between the conscious, preconscious, and unconscious systems of his mind.²⁰⁰
Bei allen drei Relationen spielen Gedächtnis und Erinnerung eine wichtige Rolle. Wir beginnen mit dem Verhältnis von mentalen Dispositionen zu mentalen Zuständen, da dessen Verständnis das der beiden anderen Relationen erleichtert:²⁰¹ An event, a mental or partly mental event, occurs in a person’s life. It affects him. It affects him in a variety of ways, but one way in which it affects him is that it establishes a mental disposition, more specifically a mnemic disposition.²⁰²
Ereignisse im Leben einer Person verursachen demnach zunächst eine „mnemic disposition“, also eine Disposition, die das spätere Erinnern des Ereignisses ermöglicht.²⁰³ Eine Art von mentalen Zuständen, deren Gesamtheit das konstituiert, was William James als „stream of consciousness“²⁰⁴ bezeichnet, und die aus einer solchen Disposition resultieren können, sind „experiential memories“²⁰⁵. Diese Form von Erinnerungen ist dadurch charakterisiert, dass sie nicht nur das „erinnern, dass“ (etwa: „Ich erinnere mich, dass ich im letzten Sommer eine Bootstour unternommen habe“), sondern darüber hinaus das Erinnern des Ereignisses selbst umfasst (etwa: „Ich erinnere mich an die Bootstour im letzten Sommer“/„Ich erinnere mich, wie die Bootstour im letzten Sommer war“). Sie zeichnet sich durch die phänomenalen Qualitäten „plenitude“, „cogency“ und „egocentricity“ aus.²⁰⁶ Während mit „plenitude“ („Fülle“) das Erfassen der gesamten phänomenalen Fülle (Gefühle, Erfahrungen, Denken) gemeint ist, die dem
Wollheim 1984, S. 130. Zur Unterscheidung und genaueren Charakterisierung von „mental states“ und „mental dispositions“ vgl. auch Wollheim 2001/1999, S. 15 – 20. Wollheim 1984, S. 130. Zum Begriff der „Disposition“ und seinen metaphysischen und erkenntnistheoretischen Implikationen gibt es gegenwärtig vor allem im angelsächsischen Raum eine lebhafte Debatte (vgl. dazu die Beiträge in Damschen/Schnepf/Stüber 2009 sowie in Handfield 2009). James 2008/1899, S. 17– 20. Dieser Begriff ist auch in der Literaturwissenschaft prominent. Dort bezeichnet er eine Erzähltechnik, durch die der (ungeordnete) Strom der Gedanken und Gefühle einer Figur abgebildet werden soll (vgl. Allkemper/Eke 2006, S. 103). Diese Bedeutung ist hier nicht intendiert. Wollheim 1984, S. 101. „Experiential memories“ sind wiederum eine Form von „event memories“, die sich dadurch auszeichnen, dass sie aus der 1.-Person-Perspektive („centred event-memory“) erinnert werden. Zur Charakterisierung dieser Form von Erinnerungen vgl. auch Wollheim 1980, S. 306 – 310. Wollheim 1984, S. 105.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
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erinnerten Ereignis innewohnt, bezieht sich „cogency“ („Stichhaltigkeit“/„Überzeugungskraft“) darauf, „that a person in remembering an event […] always remembers it as the person who lived through it ‒ that is, himself ‒ experienced it.“²⁰⁷ „Egocentricity“ („Ich-Bezogenheit“) schließlich bezeichnet die Tatsache, dass solche Erinnerungen immer aus der Perspektive des Erinnernden erlebt werden. Nach Wollheim ist das Verhältnis zwischen Ereignis, Disposition und Erinnerung ein kausales. Dispositionen und Erinnerungen sind insofern „dependent phenomena“²⁰⁸, als ihnen notwendig Ereignisse (im Fall von Dispositionen) bzw. Dispositionen (im Fall von Erinnerungen bzw. allgemein im Fall von „mental states“) vorausgehen, die sie verursachen. Erinnerungen beziehen sich demnach nie direkt auf die Vergangenheit, sondern sind stets vermittelt durch Dispositionen, die der „preservation and transmission of the causal influence of the original event“²⁰⁹ dienen. Die Beziehung zwischen Dispositionen und Erinnerungen (als einer Form von „mental states“) ist dabei wechselseitig und dynamisch: „For such is the nature of these mental states […] that they can have the effect of modifying or refashioning the dispositions that they manifest as well as the more standard effect of reinforcing them.“²¹⁰ Durch den Akt des Erinnerns können Inhalt und Stärke der ihm zugrunde liegenden Disposition verändert werden. Dieses Rückwirken von mentalen Zuständen auf mentale Dispositionen (und vice versa) ist ein „essential element in the way in which we try to control the lives that we lead“²¹¹ und damit eine Voraussetzung dafür, ein Leben als Person führen zu können, wie es im Kontext biographischer Identität skizziert wurde. Wichtige Spielarten dieser Rückwirkung sind: 1.) Mentale Zustände als Ausgangspunkte mentaler Dispositionen. 2.) Beenden mentaler Dispositionen durch mentale Zustände. 3.) Verstärken oder Abschwächen mentaler Dispositionen durch mentale Zustände. 4.) Ausprägung mentaler Dispositionen in Form von mentalen Zuständen. 5.) Dispositionen als Filter zwischen äußeren Anlässen und den durch diese Anlässe verursachten mentalen Zuständen.²¹² Welche Relevanz haben diese Interaktionsformen für unsere Überlegungen zur Rolle von Gedächtnis und Erinnerung im Leben von Personen und genauer für die Ermöglichung biographischer Identität? Auf den ersten Blick überraschend führt Wollheim Erinnerungen sowohl als ein Beispiel für mentale Zustände als
Wollheim 1984, S. 105. Wollheim 1984, S. 97. Wollheim 1984. S. 98. Wollheim 1984, S. 99. Wollheim 1984, S. 100. Vgl. Wollheim 2001/1999, S. 16 – 18. Diese Liste lässt sich nach Wollheim noch um (nicht näher spezifizierte) weitere Interaktionsformen verlängern.
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auch als eine Erscheinungsform mentaler Dispositionen an.²¹³ Betrachtet man seine Charakterisierung mentaler Zustände und Dispositionen jedoch genauer, so finden sich darin Hinweise auf Ähnlichkeiten mit der Unterscheidung von Gedächtnis und Erinnerung, wie sie uns bereits bei Aristoteles und der Analyse von Erinnerungsbegriffen und Gedächtnissystemen begegnet ist.²¹⁴ Wenn Wollheim von „Erinnerungen“ im Kontext mentaler Dispositionen spricht, bezeichnet er damit die „mehr oder weniger dauerhaften Prägungen des Geistes, auf deren Grundlage sich die mentalen Zustände ausbilden.“²¹⁵ Führt er sie dagegen als Beispiel für mentale Zustände an, werden sie als „Lebensäußerungen des Geistes“²¹⁶ charakterisiert, die auf mentalen Dispositionen basieren und zu bestimmten Zeitpunkten auftreten. Erinnerungen sind demnach als mentale Dispositionen Teil des potentiell zur Verfügung stehenden Erfahrungs- und Verhaltensrepertoires von Personen. Die Gesamtheit dieser Erinnerungsdispositionen bildet das Gedächtnis im Sinne der Quelle von Erinnerungen, die in Form mentaler Zustände als konkrete Ausformungen („Lebensäußerungen“) – metaphorisch gesprochen – aus dem dispositionalen Hintergrund auf die Bühne des Geistes treten. Ausgehend von dieser Konzeption lassen sich die oben genannten fünf Formen der Interaktion zwischen mentalen Dispositionen und mentalen Zuständen für den speziellen Fall von Gedächtnis und Erinnerung konkretisieren, was bei Wollheim selbst nicht geschieht, jedoch für unsere Zwecke wichtige Erkenntnisse über die Mechanismen des Zusammenspiels von Gedächtnis, Erinnerung und biographischer Identität liefert. Seine allgemeine Theorie der Psychologie von Personen lässt sich dadurch für unsere spezifische Fragestellung nutzbar machen: 1.) Mentale Zustände als Ausgangspunkt mentaler Dispositionen: Hierbei handelt es sich gewissermaßen um den Standardfall der Konstituierung von Erinnerungen, wenn die resultierende Disposition eine „mnemic disposition“ ist. Ein mentaler Zustand, etwa die Wahrnehmung eines lange nicht gesehenen Menschen, schlägt sich dabei in einer mentalen Disposition nieder, die im Generieren des Gedächtnisinhalts besteht, der das Wahrnehmungsereignis umfasst. Darüber hinaus kann diese Erinnerung als mentaler Zustand aber auch auf andersartige,
Vgl. Wollheim 2001/1999, S. 15 f. Dabei sind Erinnerungen nur eine von vielen Ausprägungen mentaler Zustände bzw. mentaler Dispositionen. Wollheim nennt als weitere Formen mentaler Zustände unter anderem Sinnes- und Schmerzwahrnehmungen, Träume und Tagträume sowie Geistesblitze und Gedanken. In die Reihe mentaler Dispositionen gehören etwa Überzeugungen, Wünsche, Fähigkeiten und Gewohnheiten (vgl. ebd.). Vgl. Kapitel 2.1 und 2.2 dieser Arbeit. Wollheim 2001/1999, S. 16. Wollheim 2001/1999, S. 15.
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bereits bestehende Dispositionen der Personen wirken, etwa auf Wünsche, Ängste und Überzeugungen, oder neue Dispositionen, etwa den Wunsch nach einem baldigen Wiedersehen mit diesem Menschen, bewirken. 2.) Beenden mentaler Dispositionen durch mentale Zustände: Hierbei sind drei Fälle²¹⁷ zu unterscheiden: a) bei der betreffenden Disposition handelt es sich um eine „mnemic disposition“, bei dem mentalen Zustand um eine Erinnerung; b) bei der betreffenden Disposition handelt es sich nicht um eine „mnemic disposition“, bei dem mentalen Zustand um eine Erinnerung; c) bei der betreffenden Disposition handelt es sich um eine „mnemic disposition“, bei dem mentalen Zustand nicht um eine Erinnerung. Im ersten Fall beendet eine Erinnerung eine Erinnerungsdisposition. Unter „Beenden“ ist dabei nicht zwingend deren völliges Verschwinden zu verstehen. Vielmehr kann beispielsweise die Überlagerung einer Erinnerungsdisposition durch eine Erinnerung die Abrufbarkeit bzw. Verfügbarkeit dieser Disposition temporär oder dauerhaft einschränken oder blockieren. Ein Beispiel für die temporäre Nichtzugänglichkeit einer „mnemic disposition“ durch das Auftreten einer „konkurrierenden“ Erinnerung sind Fälle des sogenannten „tip-of-the-tongue state“²¹⁸ („TOT“). Hierbei handelt es sich um eine Erscheinungsform von Erinnerungsblockaden („Blocking“²¹⁹), die der Gedächtnispsychologe Daniel Schacter zu den „seven sins of memory“²²⁰ zählt. Diese Blockaden sind zumeist zeitlich begrenzt und können sich sowohl auf semantische als auch auf episodische respektive autobiographische Erinnerungen bzw. Erinnerungsdispositionen beziehen.²²¹ Zudem sind sie dem Betreffenden während ihres Auftretens als solche bewusst. Im Fall eines „TOT“-Zustands hat der Erinnernde aktuell keinen Zugriff auf die gesuchte Erinnerungsdisposition, zugleich aber die feste Überzeugung, dass diese „in ihm“ vorhanden ist. Dieses Gefühl, etwas zu wissen („feeling of knowing“²²²) führt häufig zu einer als unangenehm und enervierend empfundenen Form der aristotelischen „Jagd“ nach der betreffenden Erinnerung („Das muss mir doch wieder einfallen!“). Der Zugriff auf die Disposition wird dabei in vielen Fällen durch das mit dem Abrufversuch gleichzeitig auftretende Erinnern
Der vierte Fall – die mentale Disposition ist keine „mnemic disposition“ und der mentale Zustand keine Erinnerung – existiert freilich auch, ist aber für unsere Fragestellung nicht relevant. Vgl. Schwartz 2002. Schacter 1999, S. 187. Schacter 1999 und ausführlicher Schacter 2001. Mit diesen „Sünden“ des Gedächtnisses bzw. Erinnerns werden wir uns in Kapitel 3.2.4.3 dieser Arbeit eingehender beschäftigen. Vgl. Schacter 1999, S. 187. Cohen 1989, S. 145.
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eines anderen, meist ähnlichen Inhalts verhindert: „TOT blocks appear to be partly attributable to the retrieval of similar but incorrect items that interfere with access to the target.“²²³ Das Auftreten solcher „ugly sisters“²²⁴ und ihr Interferieren mit Erinnerungsdispositionen illustrieren folglich den Fall des temporären Beendens einer „mnemic disposition“ durch einen mentalen Zustand in Form einer Erinnerung. Im Fall b) geht es um das Beenden von Dispositionen, die keine „mnemic dispositions“ sind, durch mentale Zustände, die Erinnerungen sind. Zu den Dispositionen, die keine „mnemic dispositions“ sind, gehören, wie oben gezeigt, unter anderem Überzeugungen und Wünsche, erlerntes Wissen, Fähigkeiten und Gewohnheiten. Dabei zeigt sich eine Abgrenzungs- und Unterscheidungsproblematik, die uns bereits in den Kapiteln 2.2.2.3 und 2.2.2.4 begegnet ist. Erlerntes Wissen, Fähigkeiten und Gewohnheiten fallen in der dort analysierten Einteilung des Gedächtnisses in Systeme in die Kategorien des semantischen respektive impliziten Gedächtnisses. Dass sie bei Wollheim von Erinnerungen im engeren Sinn („experiential memories“/„event memories“) unterschieden werden, liegt an deren oben erörterten phänomenalen Qualitäten. Ähnliche Überlegungen hatten in den Kapiteln 2.2.2.3 und 2.2.2.6 dazu geführt, das Konzept des impliziten Gedächtnisses bzw. vor allem des impliziten Erinnerns als begrifflich problematisch zu erachten und auf die vielfältigen Verknüpfungen und Interaktionen von Wissen, explizitem und implizitem Erinnern hinzuweisen, die auch durch Wollheims Theorie verdeutlicht werden. Mit diesem Caveat im Hinterkopf können wir als Beispiel die Interaktion zwischen einer Erinnerung und einer Gewohnheit heranziehen: Die Erinnerung an einen Film, der eingehend und nachdrücklich vor den gesundheitlichen Folgen schlechter Ernährung warnt, kann bestimmte Ernährungsgewohnheiten (Ernährungsdispositionen) temporär oder dauerhaft beenden. In ähnlicher Weise kann die Erinnerung an den Beinahe-Absturz eines Freundes beim Klettern den eigenen Wunsch beenden, eine Klettertour zu unternehmen, oder umgekehrt die Erinnerung an den davon schwärmenden Freund den Wunsch hervorbringen, es ihm gleich zu tun. Dadurch besteht die Möglichkeit, durch Erinnerungen zu einem späteren Zeitpunkt auf Dispositionen zu wirken, wenn das ursprüngliche, der Erinnerung zugrunde liegende Ereignis diese Wirkung, etwa aufgrund fehlender Kontextinformationen oder mangels Reflexion, noch nicht hatte bzw. haben konnte. Dieser Mechanismus stellt eine Ausprägung der anthropologisch zentralen Fähigkeit dar, durch Gedächtnis und Erinnerung nicht stets direkt und unmittelbar auf Erfahrungen und Reize reagieren zu müs-
Schacter 1999, S. 187. Schacter 1999, S. 187.
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sen, sondern diese „aufbewahren“ und auch für zukünftige Überlegungen, Handlungen und Strategien verfüg- und nutzbar machen zu können. Der dritte Fall c) schließlich bezieht sich auf das Beenden von Dispositionen, die „mnemic dispositions“ sind, durch mentale Zustände, die keine Erinnerungen sind. Er ist damit der Umkehrfall von b). Unter mentale Zustände, die keine Erinnerungen sind, fallen für Wollheim, wie bereits gesehen, etwa Sinneswahrnehmungen, Träume, Tagträume und Gedanken.²²⁵ Die Blockade von „mnemic dispositions“ durch angestrengtes Nachdenken dient dafür ebenso als Beispiel wie die (temporäre) Nichtzugänglichkeit solcher Dispositionen durch von ihnen ablenkende Sinneswahrnehmungen. 3.) Verstärken oder Abschwächen mentaler Dispositionen durch mentale Zustände: Dieser dritte Modus ähnelt dem zuvor betrachteten. An die Stelle des (temporären) Beendens von Erinnerungsdispositionen durch mentale Zustände tritt deren Verstärkung bzw. Abschwächung. Auch hier lassen sich analog die drei oben genannten Konstellationen a), b) und c) unterscheiden, die wir nicht nochmals im Detail betrachten müssen. Ein Beispiel für den Fall a) wäre das Verstärken von „verblassten“ Erinnerungsdispositionen durch eine mit diesen Dispositionen verknüpfte neue Erinnerung. Die Erinnerung an das kürzliche zufällige Treffen eines Freundes aus Jugendtagen vermag etwa die Erinnerungsdispositionen zu stärken und folglich Erinnerungen zu evozieren, die mit gemeinsamen Erlebnissen in dieser Zeit in Verbindung stehen. Fall b) lässt sich illustrieren durch das Verstärken eines Wunsches durch eine Erinnerung. Die Erinnerung an die eigenen sportlichen Erfolge beim Betrachten eines Fotoalbums kann den Wunsch verstärken, endlich wieder Sport zu treiben. Die Erinnerung an das subjektiv hohe Wohlbefinden zu Zeiten mit niedrigerem Körpergewicht mag den Wunsch nach exzessiven kulinarischen Erfahrungen abschwächen. Fall c) schließlich kann anhand der Verstärkung bzw. Abschwächung von „mnemic dispositions“ durch Sinneswahrnehmungen oder Gedanken veranschaulicht werden. Der Anblick oder Geruch von Speisen etwa kann zur Verstärkung solcher Dispositionen und zum „Ausbruch“ einer ganzen Kette von Erinnerungen führen, die aus diesen Dispositionen resultieren. Das wohl berühmteste und eindrücklichste literarische Beispiel eines solchen Vorgangs findet sich in Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verloren Zeit“²²⁶: In der Sekunde nun, da dieser mit den Gebäckkrümeln gemischte Schluck Tee meinen Gaumen berührte, zuckte ich zusammen und war gebannt durch etwas Ungewöhnliches, das sich vollzog. Ein unerhörtes Glücksgefühl, das ganz für sich allein bestand und dessen Grund
Vgl. Wollheim 2001/1999, S. 15. Für eine Studie zum affektiven Erinnern bei Proust vgl. Schürmann 2004.
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mir unbekannt blieb, hatte mich durchströmt. […] Sicherlich muss das, was auf dem Grund meines Ich in Bewegung geraten ist, das Bild, die visuelle Erinnerung sein, die zu diesem Gebäck gehört und die nun versucht, mit jenem bis zu mir zu gelangen. […] Und mit einem Mal war die Erinnerung da. Der Geschmack war der jenes kleinen Stücks Madeleine, das mir am Sonntagmorgen in Combray […], sobald ich ihr in ihrem Zimmer guten Morgen sagte, meine Tante Leonie anbot, nachdem sie sie in ihren schwarzen oder Lindenblütentee getaucht hatte.²²⁷
4.) Die Ausprägung mentaler Dispositionen in Form von mentalen Zuständen: Diese vierte Interaktionsform besteht darin, dass sich mentale Dispositionen „in Form eines mentalen Zustands äußern.“²²⁸ Wollheim nennt als Beispiel die Rachegedanken eines Mannes gegenüber einem Rivalen, die zur Ausprägung von mentalen Bildern führen, in welchen sich dieser unterlegen vor ihm auf dem Boden windet sowie den Neid eines Kindes gegenüber seinen Geschwistern, der sich von Zeit zu Zeit in Zornesausbrüchen manifestiert.²²⁹ Auf den Fall von Gedächtnis und Erinnerung gewendet, müssen wiederum die Konstellationen a), b) und c) unterschieden werden. Im Fall von a) führt eine „mnemic disposition“ zu einer Erinnerung in Form eines mentalen Zustandes. Dies ist gewissermaßen der Standardfall des Erinnerns, der seinerseits auf der oben skizzierten Interaktionsform von mentalen Zuständen als Ausgangspunkt mentaler Dispositionen, also dem Standardfall der Etablierung von Erinnerungsdispositionen, basiert. Mentale Zustände führen zur Ausbildung mentaler Dispositionen, die wiederum, aufgrund bestimmter äußerer Reize, bewusster Anstrengung oder spontan in den Sinn kommend, zur Ausbildung mentaler Zustände führen. Konstellation b) besteht hingegen in der Ausprägung von Dispositionen, die keine „mnemic dispositions“ sind, in Form von Erinnerungen. So vermag etwa die Angst vor einem baldigen Vorstellungsgespräch die schauderhafte Erinnerung an die letzte unerfreuliche Bewerbungssituation hervorzurufen oder der Wunsch nach einem baldigen Urlaub seinen Ausdruck in häufigen Erinnerungen an den letzten Urlaub finden. Im Fall von c) schließlich findet eine „mnemic disposition“ ihren Ausdruck in einem mentalen Zustand, der keine Erinnerung ist. Träume, deren Inhalte auf Erinnerungsdispositionen basieren, können hier ebenso also Beispiel dienen wie Geistesblitze, die als spontane Einfälle in das Bewusstsein gelangen und als das Ergebnis eines Zusammenspiels von unbewusst wirkenden Erinnerungsdispositionen mit Überlegungsprozessen aufgefasst werden können.
Proust 2004/1913 – 1922, S. 66 – 68. Eine ausführliche Studie zur Gedächtnis- und Erinnerungsthematik bei Proust findet sich in Bartsch 2005. Wollheim 2001/1999, S. 16. Wollheim 2001/1999, S. 17.
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5.) Dispositionen als Filter zwischen äußeren Anlässen und den durch diese Anlässe verursachten mentalen Zuständen: Wollheim schreibt zu dieser letzten zu betrachtenden Interaktionsform: Wenn, wie es oft der Fall ist, ein äußerer Anlaß einen mentalen Zustand hervorruft, muß das durch diesen Anlaß erzeugte Signal eine Reihe von Zwischendispositionen durchlaufen, die wie Filter wirken. Wenn der äußere Anlaß schließlich tatsächlich dazu führt, einen bestimmten mentalen Zustand hervorzurufen, dann war dies nur dadurch möglich, daß er diese Filter der Zwischendispositionen erfolgreich passiert hat.²³⁰
Für unsere Thematik ist dabei wichtig, dass Erinnerungen bei diesem Prozess sowohl in Form von „mnemic dispositions“ als Filter fungieren, als auch in Form mentaler Zustände das Ergebnis solcher Filtervorgänge darstellen können. Wiederum sind drei Konstellationen möglich:²³¹ a) Sowohl bei den Zwischendispositionen als auch bei dem am Ende resultierenden mentalen Zustand handelt es sich um „mnemic dispositions“ bzw. um eine Erinnerung; b) Die Zwischendispositionen sind keine „mnemic dispositions“, der resultierende mentale Zustand aber ist eine Erinnerung; c) Die Zwischendispositionen (oder zumindest ein Teil der beteiligten Zwischendispositionen) sind „mnemic dispositions“, der resultierende mentale Zustand ist jedoch keine Erinnerung. Im Fall von a) durchläuft die (spätere) Erinnerung eine Reihe von Erinnerungsfiltern. Die Begegnung mit einem alten Schulfreund kann als äußerer Anlass beispielsweise eine Erinnerung hervorrufen, vor deren Konstituierung „filternde“ Schul- und Kindheitserinnerungen an gemeinsame Unternehmungen und Kindheitsabenteuer durchlaufen werden, die die resultierende Erinnerung mit einer positiven emotionalen Wertung versehen. Die filternden Erinnerungen können dabei sowohl implizit als auch explizit bzw. in Misch- und Übergangsformen vorliegen, wie in Kapitel 2.2 anhand der Analyse verschiedener Gedächtnisarten, Erinnerungsformen und deren Zusammenspiel und Übergangsformen gezeigt wurde. Im Fall b) durchläuft die (spätere) Erinnerung eine Reihe von andersartigen filternden Dispositionen, wie etwa Ängste, Wünsche, Überzeugungen oder Wissen.²³² Die Wahrnehmung eines
Wollheim 2001/1999, S. 17. Für die vierte Konstellation, bei der Erinnerungen bzw. „mnemic dispositions“ keine Rolle spielen, führt Wollheim das Beispiel einer Frau an, die beim Tennisspielen auf ihre Hand fällt. Der Schmerz, den sie dabei erfährt, kann durch Zwischendispositionen wie Ehrgeiz gedämpft, oder durch solche wie die Angst, bald zu alt für den Sport zu sein, noch verstärkt werden (vgl. Wollheim 2001/1999, S. 17). Solche „Zwischendispositionen“ sind zwar selbst keine Erinnerungen, aber aufgrund ihres Einwirkens auf die Entstehung von Erinnerungen, die für die biographische Identität bedeutsam werden, wichtige Einflussgrößen der biographischen Identität von Personen.
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Schattens kann etwa durch Ängstlichkeitsdispositionen zu späteren Erinnerungen führen, die den harmlosen Schattenwurf eines Baumes als potentielle Bedrohung memorieren. Bei der dritten Konstellation c) wird ein äußerer Reiz durch „mnemic dispositions“ gefiltert und äußert sich schließlich in einem mentalen Zustand, der keine Erinnerung ist, sondern beispielsweise eine Schmerzempfindung. Die subjektive Wahrnehmung einer eher harmlosen Verletzung beim Fußball kann durch die Erinnerung an eine frühere schwere Verletzung und die damit verbundenen Rehabilitationsmaßnahmen zu einer verstärkten Schmerzwahrnehmung oder gar zu schierer Verzweiflung führen, obgleich dies angesichts der tatsächlichen Art und Schwere der Verletzung nicht begründet ist. Durch die Analyse der Details dieser Interaktionen von mentalen Dispositionen und mentalen Zuständen haben wir schon einiges über Wollheims zweite zentrale Relation zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einer Person erfahren, welche wir nachfolgend genauer betrachten. Anhand des Dreischritts von Ereignis, Disposition und Erinnerung wurde bereits angedeutet, wie die mentale Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart bei Personen geschieht. Die Informationen über ein Ereignis finden ihren Niederschlag in einer Disposition, auf deren Grundlage sich Erinnerungen als eine Form von „mental states“ manifestieren. Daraus könnte man nun folgern, dass es sich bei den Prozessen zwischen diesen drei „Instanzen“ um Prozesse der reinen Informationsweitergabe – also um die Speicherung von Informationen in Dispositionen und deren Abruf durch mentale Zustände – handelt. Tatsächlich ist es genau diese Annahme, die Wollheim dem Großteil der philosophischen Gedächtnistheoretiker als einseitige und lückenhafte Interpretation anlastet. Durch die starke Fokussierung auf Erinnerungen als Informationsträger gerät deren wichtige Rolle als „transmitter of influence“²³³ aus dem Blick. Gemeint sind damit das Faktum und die Art und Weise des Einflusses der Vergangenheit auf gegenwärtiges Denken und Handeln einer Person sowie auf deren Antizipation von Zukünftigem. Konzipiert man Erinnerungen exklusiv oder primär als Mechanismen der Informationsweitergabe, so ist unklar, wie diese Informationen für personales Leben relevant werden können, weil die Wirkmechanismen, also die Art des Umgangs mit diesen Informationen und deren Einflussnahme, verborgen bleiben. Eng mit dieser Konzeption zusammen hängt die Auffassung von Erinnerung als primär rückwärtsgerichtetem Vorgang, die den Blick auf ihre Rolle für die Zukunft von Personen verstellt. Dies hat wiederum mit der in den Kapiteln 3.1.3 und 3.2.4.5 aufgezeigten einseitigen Konzentration der philosophischen Diskussion auf den Aspekt diachroner Identität zu tun: Fasst man Gedächtnis bzw. Er-
Wollheim 1984, S. 101.
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innerungen vor allem als formale Kriterien der Zuschreibung von temporal unterschiedlichen Sequenzen zu einer Person auf, bleibt ihre inhaltliche Bestimmung und mithin die Frage, wie diese personales Leben zuallererst ermöglichen und hervorbringen, zwangsläufig offen. Zwar können sich die Vertreter diachroner psychologischer Kontinuitätstheorien, auf die diese Diagnose vor allem zutrifft, mit gewissem Recht auf ihre Nichtzuständigkeit berufen: Presumably proponents of the psychological criterion of personal identity do not see themselves as being concerned with the explanation of a person’s life. Their goal is […] consisting in an account of what makes a sequence of events belong to the same person.²³⁴
Jedoch verweist Wollheims Kritik nochmals eindringlich auf die Notwendigkeit einer genaueren philosophischen Analyse der Entstehung und Aufrechterhaltung biographischer Identität und speziell der Rolle von Erinnerungen in diesem Prozess, die durch die starke Diachronitätsfokussierung der Identitätsdebatte in den Hintergrund gerückt ist. Wollheims Ansatz, der diese Leerstelle beheben und aufzeigen soll, wie Personen zu „creatures with a past“²³⁵ werden und wie Erinnerungen personales Leben konstituieren, lässt sich wie folgt beschreiben: Erinnerungen besitzen zusätzlich zu ihrem Informationsgehalt eine spezifische „Psychologie“²³⁶, eine „psychic force“²³⁷. Diese Macht („force“) basiert auf der emotionalen Dimension von Erinnerungen. Indem Erinnerungen, konzipiert als mentale Zustände mit den oben skizzierten phänomenalen Qualitäten, Personen emotional affizieren, bringen sie diese unter den Einfluss der Vergangenheit. ²³⁸ Dieser Einfluss besteht demnach nicht nur im bloßen Gewahrsein der Vergangenheit, sondern darüber hinaus auch darin, dass die Vergangenheit sich im Erinnern der Gegenwart der Person aufdrängt („obtrudes“): „The effect is not simply that we live under the influence of the past ‒ how could we not, if we have one? – but it is that the past influences our lives through obtruding itself into the present.“²³⁹ Was Wollheim hier „Sich-Aufdrängen“ („obtruding“) nennt, bezeichnet die Tatsache, dass Erinnerungen Aspekte der Vergangenheit in das Jetzt einer Person transportieren und diesen Aspekten dabei Bedeutung für deren Gegenwart und Zukunft verlei Bernecker 2010, S. 62. Wollheim 1979, S. 224. Wollheim 1984, S. 55. „Psychologie“ meint hier eine spezifische psychische Verfasstheit, die im Fall von Erinnerungen die Möglichkeit der Einflussnahme auf andere mentale Prozesse der Person als ihre „Macht“ („force“) miteinschließt. Wollheim 1984, S. 99. Vgl. Wollheim 1980, S. 309 f. Wollheim 1984, S. 131.
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hen. Sie erhalten die Vergangenheit nicht nur im Sinne der Vergegenwärtigung von Wissen über Vergangenes, sondern manifestieren sich als Teil der Gegenwart, als welcher sie zudem, etwa in Form von Erwartungen und Antizipationen, für die Zukunft der betreffenden Person relevant werden. Diese Vergegenwärtigung des Vergangenen definiert die Möglichkeitsräume des Zukünftigen mit: „A person leads his life at a crossroads: at the point where a past that has affected him and a future that lies open meet in the present.“²⁴⁰ Erinnerungen ermöglichen dieses personale Leben an der Schnittstelle von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, indem sie es als Kontinuum erkennbar und als Ganzes begreifbar werden lassen. Von dieser Feststellung rührt auch die titelgebende Metapher des „thread of life“ her: Erinnerungen sind nicht nur rote Fäden in unserem Leben, sondern erfüllen die viel fundamentalere Funktion des roten Fadens des Lebens.²⁴¹ Erst durch sie entsteht die Möglichkeit der Wahrnehmung, „that our life, even as we lead it, is of a piece.“²⁴² Dadurch werden Erinnerungen zu einem nicht bloß indikativen („indicative“), sondern darüber hinaus auch zu einem konstitutiven („creative“) Kriterium personaler Identität.²⁴³ Gedächtnis und Erinnerung sind nicht nur – wie in vielen Theorien diachroner Identität – ein Hilfsmittel zur Überprüfung der Kontinuität personalen Lebens, sondern konstitutive Grundlage des Lebens von Personen, die durch sie zu Wesen mit einer Vergangenheit werden. Am Entstehen und Fortbestehen dieses „roten Fadens“ wirken neben expliziten Erinnerungen auch solchen Prozesse mit, die wir in Kapitel 2.2.2.2 unter dem Begriff der „impliziten Erinnerungen“ kennengelernt haben, was uns zur dritten und letzten Relation führt, dem Verhältnis von bewussten, vorbewussten und unbewussten mentalen Prozessen. Wollheims Überlegungen nehmen ihren Ausgang bei Freuds klassischer Unterteilung mentaler Prozesse in diese drei Kategorien: Das Bewußtsein kann meiner Ansicht nach genau drei Bewußtseinsgrade annehmen: Bewußtsein (being conscious), Vorbewußtes (being pre-conscious) und Unbewußtes (being unconscious). Diese Eigenschaften können sich sowohl auf mentale Zustände wie auf mentale Dispositionen beziehen.²⁴⁴
Bewusste Zustände/Dispositionen sind solche, die zu einem bestimmten Zeitpunkt im Bewusstsein gegeben sind. Vorbewusste Zustände/Dispositionen sind
Wollheim 1984, S. 31. Vgl. Bernecker 2010, S. 62. Wollheim 1984, S. 110. Vgl. Wollheim 1984, S. 108 f. Wollheim 2001/1999, S. 23.
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dagegen „die Elemente, die zwar prinzipiell bewußtseinsfähig sind, aber zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht im Bewußtsein vorhanden sind […].“²⁴⁵ Durch Aufmerksamkeitsfokussierung sind sie jedoch zumeist einfach wieder ins Bewusstsein zu holen.²⁴⁶ Unbewusste Zustände/Dispositionen sind schließlich solche, die „auch unter noch so großen seelischen Anstrengungen zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht ins Bewußtsein gehoben werden können.“²⁴⁷ Während das Attribut „unbewusst“ einzelnen mentalen Inhalten bzw. Zuständen zugeschrieben wird, bezeichnet der Begriff „das Unbewusste“ in der Psychoanalyse „das psychische System, das die […] unbewußten seelischen Elemente enthält […].“²⁴⁸ Ist die Zuschreibung unterschiedlicher Bewusstseinsgrade bei mentalen Zuständen als aktuellen Ausprägungen des Geistes noch geläufig (beispielsweise bewusste/ unbewusste Sinneswahrnehmung), muss sie hinsichtlich mentaler Dispositionen verdeutlicht werden: Unter vorbewußten Dispositionen stellt man sich am besten solche vor, die sich nur mit Mühe in bewußten mentalen Zuständen äußern, während dies unbewußten Dispositionen gänzlich verwehrt ist, es sei denn stark verhüllt.²⁴⁹
Mit „Mühen“ kann dabei sowohl die Anstrengung der betreffenden Person bei der „Übersetzung“ der jeweiligen Disposition in einen mentalen Zustand als auch die strukturelle Unzugänglichkeit der Disposition selbst gemeint sein. Einige Fragen und Probleme, die mit der Anwendung der Kategorien „bewusst“/„unbewusst“ auf Gedächtnis und Erinnerung verbunden sind, wurden bereits in den Kapiteln 2.2.2.1 und 2.2.2.2 diskutiert. Wollheims „experiential memories“ verkörpern eine Erscheinungsform expliziter Erinnerungen im Sinne bewusster mentaler Zustände, deren Inhalte dem erinnernden Subjekt mitsamt dem Wissen um ihr Erinnerungssein gegeben sind. Vorbewusste Erinnerungen sind dagegen solche, die prinzipiell abrufbar, aber zu einem gegebenen Zeitpunkt nicht unmittelbar verfügbar sind. Durch das Richten der Aufmerksamkeit auf den gesuchten Gedächtnisinhalt bzw. durch Hinweisreize von außen, wie etwa durch gezieltes Fragen, können solche Erinnerungen oft rasch ins Bewußtsein gerufen werden. Im Fall unbewusster Erinnerungen (im Sinne mentaler Zustände) lässt sich, wie im Kontext der Analyse von „impliziten Erinnerungen“ in Kapitel 2.2.2.3
Schuster/Springer-Kremser 1997, S. 13. Vgl. Schuster/Springer-Kremser 1997, S. 13. Schuster/Springer-Kremser 1997, S. 13. Schuster/Springer-Kremser 1997, S. 13. Zu Freuds Theorie des Bewusstseins vgl. auch Redding 2000. Wollheim 2001/1999, S. 23.
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geschehen, fragen, ob dieses Konzept begrifflich und theoretisch sinnvoll ist. Ohne diese Überlegungen zu wiederholen, wird hier vorgeschlagen, solche Fälle, wie etwa das Beherrschen grammatikalischer Regeln im Akt des Sprechens, unter Anwendung von Wollheims Kategorien als vorbewusste bzw. unbewusste mentale Dispositionen aufzufassen, die ihren Ausdruck in vorbewussten oder bewussten mentalen Zuständen finden. Im Fall des Sprechens sind die zugrunde liegenden grammatikbezogenen Dispositionen zumeist vorbewusst, da sie implizit funktionieren, wir sie auf Nachfrage oder durch Nachdenken jedoch bewusst machen und explizieren können. Die Untersuchung von Wollheims drei Relationen erweist sich hinsichtlich unserer Frage nach dem Zusammenhang von Gedächtnis, Erinnerung und biographischer Identität als äußerst fruchtbar. Durch die Anwendung der von Wollheim allgemein für mentale Zustände bzw. Dispositionen vorgenommenen Relationsanalyse auf den speziellen Fall von Gedächtnis und Erinnerung lassen sich, wie oben bereits geschehen, die verschiedenen Arten der Einflussnahme von Gedächtnis und Erinnerung auf das Leben von Personen genauer fassen und beschreiben. Zudem verdeutlicht Wollheim die fundamentale Rolle von Gedächtnis und Erinnerung nicht nur für die inhaltliche Gestaltung dieses personalen Lebens, sondern darüber hinaus als Bedingung der Möglichkeit des Führens eines solchen Lebens im Sinne des „roten Fadens des Lebens“, der als notwendige Organisationsstruktur das – um im Bild zu bleiben – Aufreihen und Anordnen von Ereignissen und Erfahrungen der eigenen Biographie und folglich das Erleben und Gestalten der personalen Lebensgeschichte zuallererst möglich macht. Die Analyse der mannigfaltigen Interaktionsformen zwischen mentalen Dispositionen und mentalen Zuständen zeigt, dass Gedächtnis und Erinnerung auf vielfältige Art und Weise zwischen sämtlichen Konstellationen aller drei Relationen zu changieren vermögen. Die durch die Anwendung von Wollheims Modell ermöglichten Differenzierungen verdeutlichen dadurch die bereits angesprochene Dynamik und Komplexität von Gedächtnis und Erinnerung und vertiefen deren Verständnis.²⁵⁰ Zudem wurden mit den Aspekten der Bedeutsamkeit sowie der emotionalen Signifikanz von Erinnerungen und deren Relevanz für die Konstituierung und das Führen personalen Lebens zwei zentrale Bedingungsfaktoren biographischer Identität herausgestellt. Auf dieser Grundlage lässt sich nun die spezifische Funktion autobiographischer Erinnerungen bei der Ausbildung und Aufrechterhaltung biographischer Identität untersuchen.
Vgl. Kapitel 2.2.2.6 dieser Arbeit.
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3.2.4 Autobiographisches Gedächtnis und biographische Identität Autobiographische Erinnerungen tragen ihre mutmaßliche Bedeutung für die biographische Identität von Personen bereits im Namen. Schon bei ihrer knappen Charakterisierung im Kontext der Unterscheidung verschiedener Gedächtnissysteme wurde deutlich, dass diese Form von Erinnerungen aufgrund ihres Bezugs auf die personale Vergangenheit des Erinnernden sowie wegen ihrer speziellen Phänomenologie, die das mentale Wiedererleben und Vergegenwärtigen von Vergangenem sowie häufig eine emotionale Komponente beinhaltet, von besonderer Relevanz für die Fragestellung der Arbeit ist.²⁵¹ Nachfolgend wird durch die eingehende Analyse von Eigenschaften des autobiographischen Gedächtnisses und autobiographischer Erinnerungen gezeigt, wie diese mit der Ermöglichung und mit einzelnen Merkmalen biographischer Identität zusammenhängen und wie durch die Untersuchung dieser Zusammenhänge eine genauere Beschreibung biographischer Identität möglich wird. Zu diesem Zweck werden in den beiden folgenden Kapiteln zunächst zwei psychologische Theorien zur Organisationsund Funktionsweise des autobiographischen Gedächtnisses analysiert.
3.2.4.1 Psychologischer Input I: Das „Self-Memory System“ Anhand der Untersuchung von Eigenschaften autobiographischer Erinnerungen in Kapitel 2.2.2.5 sowie durch die vorausgegangene Analyse von Wollheims Theorie über den Zusammenhang von Gedächtnis, Erinnerung²⁵² und personalem Leben wurden bereits einige Grundzüge des Verhältnisses von autobiographischem Gedächtnis und Erinnern und der biographischen Identität von Personen erkennbar. Dabei blieb bisher jedoch die Frage offen, wie einzelne autobiographische Erinnerungen zu Bestandteilen einer Autobiographie im Sinne eines längere Zeiträume umfassenden Bewusstseins zentraler Elemente und Entwicklungslinien des eigenen Lebens und damit zu einer wichtigen Grundlage biographischer Identität werden können. Durch die Einbeziehung zweier aktueller Theorien aus der psychologischen Gedächtnisforschung, des „Self-Memory System“²⁵³ von Martin Conway und Christopher Pleydell-Pearce in diesem sowie des
Vgl. Kapitel 2.2.2.5 dieser Arbeit. Wollheims „experiential memories“ bzw. „event memories“, die in seiner Theorie hinsichtlich ihrer Bedeutung für das Leben von Personen als die wichtigste Form von Erinnerungen erachtet werden, sind mit autobiographischen Erinnerungen weitgehend bedeutungsgleich. Conway/Pleydell-Pearce 2000. Vgl. Conway/Singer/Tagini 2004 für eine partiell modifizierte Version dieser Theorie.
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„Life Story Schema“²⁵⁴ von Susan Bluck und Tilmann Habermas im nächsten Kapitel, lassen sich diese Mechanismen nachfolgend genauer beschreiben. Durch das theoretische Postulat des „Self-Memory System“ (SMS) wollen Conway und Pleydell-Pearce die Bedeutung des autobiographischen Gedächtnisses „for the self, for emotions, and for the experience of personhood, that is, for the experience of enduring as an individual, in a culture, over time“²⁵⁵ erhellen. Die hier angesprochene Dimension des Personseins, von den Autoren als „experience of personhood“²⁵⁶ bezeichnet, ist dabei die der biographischen Identität von Personen im Sinne eines diachronen qualitativen Identitätsbewusstseins.²⁵⁷ Kernbestandteil der SMS-Theorie ist die Annahme eines „working self“, das als „Kontrollinstanz“ („control process“²⁵⁸) vor dem Hintergrund von zum Zeitpunkt des Abrufs autobiographischer Erinnerungen aktuellen Zielsetzungen („goals“²⁵⁹) diese Erinnerungen hinsichtlich der Auswahl und Form mitbestimmt. Diese Zielsetzungen basieren wiederum auf autobiographischen Erinnerungen, welche den Spielraum und die Kriterien der Zielauswahl definieren. Dabei stehen die Zielfindungsprozesse des „working self“, in Anlehnung an die Theorie der SelbstDiskrepanz von Edward Higgins²⁶⁰, im Spannungsfeld dreier verschiedener Bereiche („domains“²⁶¹) des „Selbst“, wobei mit „Bereichen des Selbst“ bei genauerer Betrachtung die unterschiedlichen Quellen der auf das Selbst bezogenen Wahrnehmungen, Überzeugungen und Absichten gemeint sind. Als „actual self“²⁶² bezeichnet Higgins die gegenwärtige Selbstwahrnehmung des Subjekts im Sinne der Wahrnehmung eines Selbstbildes und der damit verbundenen Eigenschaften („Ich bin erfolgreich, selbstsicher, überzeugungsstark“²⁶³), wobei es sich auch um ein Selbstbild handeln kann, das dem Betreffenden von Anderen zugeschrieben wird („X ist erfolgreich, selbstsicher etc.“).²⁶⁴ Unter „ideal self“²⁶⁵ fasst er die Wahrnehmung der Eigenschaften, die man selbst idealerweise besitzen
Bluck/Habermas 2000. Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 261. Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 261. Vgl. Kapitel 3.1.4 dieser Arbeit. Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 264. Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 265. Higgins 1987. Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 266. Higgins 1987, S. 320. Bei diesem und den weiteren in Klammern genannten Beispielen zu Higgins’ Unterscheidungen handelt es sich um eigene Beispiele, die jedoch in Anführungszeichen stehen, da sie als wörtliche Aussagen formuliert sind. Vgl. Higgins 1987, S. 320 und Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 266. Higgins 1989, S. 320.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
107
möchte („Ich wäre gerne erfolgreich, selbstsicher etc.“) bzw. die Dritte dem Betreffenden auf der Grundlage von dessen Hoffnungen, Erwartungen und Bestrebungen wünschen („X wünscht sich bzw. ich wünsche ihm selbstsicher, erfolgreich etc. zu sein.“).²⁶⁶ Mit der Idee eines „ought self“²⁶⁷ bezieht er sich schließlich auf die von Gesellschaft, Eltern, Schule etc. an den Betreffenden als im normativen Sinne wünschenswert herangetragenen Eigenschaften („X sollte erfolgreich, selbstsicher etc. sein“ bzw. „Nach Meinung meiner Eltern/Lehrer sollte ich erfolgreich, selbstsicher etc. sein“). Aus der Diskrepanz zwischen diesen drei Bereichen hinsichtlich bestimmter Eigenschaften, Überzeugungen, Wünsche etc. entsteht eine „psychologische Spannung“ („psychological tension“²⁶⁸), die eine wichtige kognitiv-motivationale Antriebskraft von Personen darstellt. Eine Konsequenz dieser Selbst-Diskrepanzen ist, dass sie die Ziele des „working self“ und die zum Erreichen dieser Ziele nötigen Strategien und Pläne mitbestimmen, wodurch eine Reduzierung der Diskrepanzen erreicht werden soll.²⁶⁹ Auf die für uns relevante Erinnerungsthematik bezogen, legt beispielsweise eine empirische Studie von Beike und Landoll, auf die sich auch Conway und Pleydell-Pearce stützen, nahe, dass die Fähigkeit, angemessene kognitive Reaktionen auf „dissonante“ Erinnerungen zeigen zu können, eine wichtige Rolle für das Wohlbefinden („well-being“²⁷⁰) von Personen spielt.²⁷¹ Dissonante Erinnerungen sind dabei solche, die inhaltlich, also etwa hinsichtlich bestimmter Handlungen, Charaktereigenschaften oder Einstellungen, nicht mit dem erinnerten Selbstbild zusammenpassen und daher als inkohärent wahrgenommen werden, etwa im Fall der Erinnerung an einen Wutausbruch bei einer Person, die sich als stets ausgeglichen wahrnimmt und einen solchen Ausbruch als nicht zu sich passend empfindet. Angemessene kognitive Reaktionen auf solche Erinnerungen können beispielsweise darin bestehen, diese als Ausnahme herauszustellen („So etwas kam sonst nie vor“), und/oder „Gegenbeispiele“, also konsonante Erinnerungen aus demselben Zeitraum („Im Gegensatz dazu habe ich damals aber in den Situationen x, y und z gemäß meiner Vorsätze gehandelt“), in das Gedächtnis zu rufen und sich so selbst der Richtigkeit seines Selbstbildes zu versichern oder anderen als „Beweis“ davon zu erzählen.²⁷² Die Fähigkeit, solche Reaktionen hervorbringend zu können, ist, wie Beike und
Vgl. Higgins 1987, S. 320 f. und Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 266. Higgins 1987, S. 321. Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 266. Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 266. Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 266. Beike/Landoll 2000. Vgl. Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 266.
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3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
Landoll in ihrer Studie zeigen, positiv mit der subjektiven Wahrnehmung psychischen Wohlergehens verbunden. Es handelt sich demnach bei diesem Umgang mit dissonanten Erinnerungen um einen Mechanismus, der die Stabilität des Selbstbildes gegen widersprüchliche Erinnerungen verteidigt und schützt. Autobiographische Erinnerungen, die in diesem Sinn der Aufrechterhaltung des Selbstbildes dienen, werden daher von einigen Autoren auch als „self-protective memories“ bezeichnet.²⁷³ Conway und Pleydell-Pearce schreiben der zielbasierten Struktur des „working self“ eine fundamentale Bedeutung sowohl für die Enkodierung als auch für den Abruf autobiographischer Erinnerungen zu.²⁷⁴ Demzufolge bestimmen die Persönlichkeitsmerkmale und Überzeugungen einer Person zum einen die Auswahl und Art der Speicherung autobiographischer Erinnerungen, zum anderen aber auch ihre Abrufbarkeit bzw. Abrufhäufigkeit und deren qualitative Wahrnehmung mit. Das theoretische Postulat solcher „self-memory effects“²⁷⁵ wird dabei durch experimentelle persönlichkeitspsychologische Studien gestützt, die etwa die Abhängigkeit der Erinnerungsauswahl bzw. der Strukturierung²⁷⁶ der Erinnerungen von Persönlichkeitseigenschaften wie beispielsweise Machtstreben und Geborgenheitsbedürfnis belegen.²⁷⁷ Diesen Effekten liegen sowohl explizite Motive, um die der Betreffende bezüglich ihres Einflusses weiß und die teils auch intentional zur „Gestaltung“ und der Darstellung von Erinnerungen gegenüber Anderen eingesetzt werden können, als auch implizite Motive, die ohne das Bewusstsein des Betreffenden Einfluss auf die Form und Auswahl von Erinnerungen nehmen, zugrunde.²⁷⁸ Unter den verschiedenen Zielen des „working self“ befinden sich solche, die für die Autobiographie einer Person von besonderer, übergeordneter Bedeutung sind („superordinate life goals“²⁷⁹). Sie sind häufig mit Erinnerungen an spezifi-
Vgl. Sedikides/Green/Pinter 2004, Sedikides/Green 2009 und Skowronski 2011. Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 266. Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 267. Gemeint ist damit die Anwendung bestimmter Kategorien und Motive bei der Anordnung, Auswahl und qualitativen Art des Abrufs von Erinnerungen, wie sie beispielsweise in der Studie von Woike et al. hinsichtlich des Abhängigkeitsverhältnisses zwischen autobiographischen Erinnerungen und zwei Persönlichkeitstypen („agentic“/„communal“) untersucht wird (Woike/ Gershkovich/Piorkowski/Polo 1999). Vgl. Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 267. Die Autoren beziehen sich dabei unter anderem auf die Studien von McClelland/Koestner/Weinberger 1989, McAdams/Diamond/de St. Aubin/ Mansfield 1997 und Holmes/Conway 1999. Vgl. McClelland/Koestner/Weinberger 1989 und Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 267 sowie zur allgemeinen Diskussion impliziter Motive die Beiträge in Schultheiss/Brunstein 2010. Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 267.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
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sche Ereignisse oder Lebensabschnitte verknüpft, die als „self-defining moments“²⁸⁰ im Sinne von prägenden Erfahrungen oder Wendepunkten („turning points“²⁸¹) empfunden und erinnert werden. Autobiographische Erinnerungen, die mit für das spätere Leben entscheidenden Erfahrungen oder Ereignissen und der Genese von langfristigen Zielen („long-term goals“²⁸²) verknüpft sind, werden häufig besonders detailliert und lebhaft wahrgenommen. Pillemer und Kollegen konnten diesen Zusammenhang durch die Analyse von Erinnerungen an lebensgeschichtlich bedeutsame Ausbildungs- und Studienabschnitte, die mit weitreichenden Entscheidungen, etwa für den künftigen Beruf oder ein Studienfach, verbunden waren, bestätigen.²⁸³ Die Fähigkeit, solche Erinnerungen zu generieren, ermöglicht den Zugang zu und die Vergegenwärtigung von existentiellen Entscheidungen, Problemen und Lösungswegen in konkreten Fällen und dadurch auch das Verstehen bzw. Nachvollziehen genereller Präferenzen und Motive sowie sich über längere Zeiträume erstreckender Persönlichkeitsentwicklungen, die anhand der spezifischen Erinnerung in abstrakter Form als „context-free ideas“²⁸⁴ konzeptualisiert werden können.²⁸⁵ Singer und Salovey postulieren, dass jedes Individuum über ein spezifisches Set an „self-defining memories“²⁸⁶ verfügt, also über solche Erinnerungen, die auf für die jeweilige Person wesentliche Ziele und deren Erreichen bzw. Nicht-Erreichen bezogen sind.²⁸⁷ Viele dieser konstitutiven personalen Ziele, etwa das Streben nach Unabhängigkeit, Macht oder Zuneigung, entstehen als Produkte der Auseinandersetzung mit Selbst-Diskrepanzen im Kindes- und Jugendalter.²⁸⁸ Eine zentrale Hypothese von Singer und Salovey lautet dabei, dass die emotionale Bewertung von Erinnerungen, die mit solchen Zielen einer Person in Verbindung stehen, stark davon abhängt, ob diese Ziele als erreicht oder verfehlt angesehen werden: „What we continue to feel about events long after they have occurred may be a function of how relevant these remembered events are to the attainment of long-term goals.“²⁸⁹ Erinnerungen, die mit positiven Emotionen wie Glück und Stolz verbunden sind, stehen demnach im Zusam-
Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 267. Vgl. dazu auch das Kapitel zu „Self-defining memories“ in Singer/Salovey 1993, S. 9 – 46. Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 267. Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 267. Pillemer/Picariello/Law/Reichmann 1996. Vgl. dazu auch Pillemer 1998 und Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 267. Singer/Salovey 1993, S. 55. Vgl. Conway 1996 und Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 268. Singer/Salovey 1993, S. 9. Singer/Salovey 1993, S. 3 f., S. 60 f. und S. 171– 183. Vgl. Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 268. Singer/Salovey 1993, S. 51.
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3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
menhang mit dem Erreichen langfristiger Ziele und dem Gelingen personaler Pläne, wohingegen Trauer und Wut als emotionaler Index von Erinnerungen auf das Scheitern solcher Pläne und das Nicht-Erreichen von Zielen verweisen. Diese Hypothese konnte sowohl durch experimentelle Untersuchungen von Singer und Salovey selbst als auch durch weitere Studien gestützt werden.²⁹⁰ Conway und Pleydell Pearce, die diesen Mechanismus für einen zentralen Bestandteil des „SelfMemory Systems“ halten, heben allerdings hervor, dass dieser häufig „im Verborgenen“, also ohne das aktuelle Bewusstsein der Pläne und Ziele der Person wirkt: What is retained is knowledge of experiences in which plans were executed, but the plans and their goals may not themselves be explicitly represented in the knowledge base or […] may not be represented in a form accessible to conscious recollection.²⁹¹
Die Ziele des „working self“ können demnach zwar insofern mit autobiographischen – und damit per definitionem expliziten – Erinnerungen in Verbindung stehen, als sie Geschehnisse und Handlungen beinhalten, die mit diesen Zielen und daraus resultierenden Handlungsmotivationen in Verbindung stehen. Jedoch muss das Wissen um diese Ziele selbst nicht Teil der bewussten Erinnerungen sein.²⁹² Basierend auf diesen Überlegungen konzipieren Conway und Pleydell-Pearce das „Self-Memory System“ als übergeordnete Organisationsstruktur für die Zusammenhänge und Interaktionen zwischen „working self“ und „autobiographical knowledge base“.²⁹³ Letzteres bezeichnet die Gesamtheit des auf die eigene Biographie bezogenen Wissens, das in verschiedenen Formen („lifetime periods“/ „general events“/„event-specific knowledge“²⁹⁴) vorliegen und sich sowohl in semantischen als auch in autobiographischen Erinnerungen manifestieren kann.²⁹⁵ Das Verhältnis von „working self“ und „autobiographical knowledge base“ ist ein reziprokes: Autobiographisches Wissen erfüllt die Funktion, das „working-self“ zu „erden“ („ground“²⁹⁶). Durch die Zusammenführung beider
Vgl. Singer/Salovey 1993, S. 47– 81 und das „Self-Concordance Model“ von Sheldon/Elliot 1999. Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 269. Dies verweist auf die Diskussion impliziter Erinnerungen bzw. impliziter Bestandteile von Erinnerungen in den Kapiteln 2.2.2.2 und 2.2.2.3 dieser Arbeit. Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 271. Conway 1996, S. 67– 72. Zu diesen Formen vgl. die Diskussion in Kapitel 2.2.2.5 dieser Arbeit. Conway/Tacchi 1996, S. 332 sowie Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 262– 264. Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 271.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
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Komponenten im „Self-Memory System“ wird verhindert, dass eine beliebige Setzung von Zielen durch das „working self“ erfolgt. Nur solche Ziele, die in ausreichendem Maß mit dem autobiographischen Wissen des betreffenden Individuums verknüpft bzw. diesem nicht entgegengesetzt sind und die damit eine Entsprechung in der Geschichte der Person haben, können tatsächlich zum Gegenstand des „working self“ werden. Durch diese „consistency and plausibility constraints“²⁹⁷ kann der Erwerb falscher Überzeugungen verhindert werden.²⁹⁸ Die Überzeugung, sich auf dem Weg zu einem ersten Bildungsabschluss zu befinden, kann etwa nicht erworben werden, wenn das autobiographische Wissen oder die semantische bzw. autobiographische Erinnerung zugänglich ist, dass bzw. wie man vor einigen Jahren die Hochschulreife erlangt hat. In ähnlicher Weise kann die Überzeugung, in der Gymnasialzeit stets ein guter Schüler gewesen zu sein, nicht Bestandteil des „working self“ werden, wenn die Erinnerung an durchgehend schlechte Schulnoten durch die „autobiographical memory base“ zugänglich ist.²⁹⁹ Freilich ist dieser Mechanismus nicht immer in gleichem Maße wirksam: When the current goals and plans or possible selves of the working self are in opposition to autobiographical knowledge, then there has been a breakdown in the normal functioning of the SMS, and depending on severity the system may enter a pathological state.³⁰⁰
Zu solchen pathologischen Konstellationen zählen unter anderen verschiedene Formen von Selbst-Täuschungen, wie sie sich etwa in zahlreichen Untersuchungen von Patienten mit Schädigungen des Frontallappens zeigen.³⁰¹ Hier äußert sich das Ausbleiben oder Fehlschlagen des Abgleichs von „working self“ und „autobiographical knowledge base“ in Konfabulationen, also Überzeugungen, die nicht der historischen Realität und dem selbstbezogenen Wissen der Patienten entsprechen.³⁰² In einigen Fällen konfabulieren Patienten dabei autobiographisches Wissen und autobiographische Erinnerungen, die nicht nur von ihnen selbst für wahr gehalten werden, sondern auch Außenstehenden ohne genauere Prüfung
Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 271. Vgl. dazu auch die Überlegungen zur Wahrheit von Erinnerungen und zu den Grenzen biographischer Identität in Kapitel 3.2.6 dieser Arbeit. Vgl. Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 271. Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 271. Für einen Überblick über diese Studien vgl. Conway/Pleydell-Pearce, S. 271. Für eine philosophisch-interdisziplinäre Analyse von Selbsttäuschung und Konfabulation vgl. Hamlyn 1983, Hirstein 2004, 2009b und 2011 sowie die Beiträge in Hirstein 2009a. Konfabulationen werden uns im Kontext der „Wahrheit“ von Erinnerungen in Kapitel 3.2.6 nochmals begegnen.
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3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
äußerst plausibel erscheinen.³⁰³ Auch bei Schizophrenie-Patienten gründen viele zentrale Überzeugungen nicht in autobiographischem Wissen oder Erinnern.³⁰⁴ Abgesehen von solchen pathologischen Störungen ist das Funktionieren des SMS auch im Normalfall von der Verfügbarkeit, dem Detailgrad und der Richtigkeit autobiographischen Wissens bzw. autobiographischer Erinnerungen abhängig. Umgekehrt besteht der Einfluss des „working self“ auf die „autobiographical knowledge base“ darin, dass es mitbestimmt, auf welches autobiographische Wissen zugegriffen werden kann und wie dieses Wissen Erinnerungen „konstruiert“.³⁰⁵ Autobiographisches Wissen, das signifikant vom aktuellen Selbstbild abweicht bzw. den Zielen des „working self“ widerspricht, kann als Einflussgröße ausgeschlossen werden oder bei der Integration in das Selbstbild und bei der Entstehung autobiographischer Erinnerungen maßgeblich verändert oder angepasst werden. So können etwa Erinnerungen an psychisch belastende Ereignisse durch das „working self“ blockiert oder modifiziert werden. Studien mit Opfern sexueller Gewalt in Kindheit oder Jugend zeigen beispielsweise, dass deren Erinnerungen an Übergriffe im Erwachsenenalter häufig entweder blockiert oder derart abgerufen wurden, dass die psychischen Belastungen durch das Erinnern vergleichsweise gering waren. Letzteres geschieht zumeist in Form faktischer, semantischer Erinnerungen ohne mentales Wiedererleben und mit geringem Detailgrad.³⁰⁶ Die Kernidee der Theorie von Conway und Pleydell-Pearce, so lässt sich zusammenfassend festhalten, besteht im Postulat eines übergeordneten Gedächtnissystems, des „Self-Memory System“, das den Zugang zu und den Abruf von Erinnerungen aus untergeordneten Systemen koordiniert und beeinflusst.³⁰⁷ Hinsichtlich autobiographischer Erinnerungen besteht dieser Einfluss in der Auswahl derjenigen Informationen, die in diese Erinnerungen einfließen. Diese Auswahl erfolgt auf dem Hintergrund der Inhalte des „working self“, gedacht als Gesamtheit der aktuell für die Person zentralen Motive, Überzeugungen, Absichten und Pläne, und mit dem Ziel, eine stabile Repräsentation von abgerufenem Wissen und Erinnerungen zu erreichen, die nicht im signifikanten Widerspruch zum „working self“ steht.³⁰⁸ Das SMS gibt dem gespeicherten Wissen dabei durch das Verknüpfen von Informationen mit den Inhalten des „working self“ eine Form,
Vgl. Dalla Barba 1993, Conway/Tacchi 1996 und Moscovitch/Melo 1997. Vgl. Baddeley/Thornton/Chua/McKenna 1996 und Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 272. Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 272. Zur „Konstruktivität“ von Gedächtnis und Erinnerungen vgl. auch die Diskussion in Kapitel 3.2.6 dieser Arbeit. Vgl. Schooler/Bendiksen/Ambadar 1997 und Geraerts et al. 2009. Vgl. dazu auch die Studien in Conway/Holmes 2004. Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 272.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
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in der sie als Erinnerungen abrufbar sind und durch die ihr Bezug auf die personale Vergangenheit erst erkennbar wird.³⁰⁹ Im nächsten Kapitel skizzieren wir die Grundzüge des „Life Story Schema“ von Bluck und Habermas, das von den Autoren auch als Erweiterung der Theorie des autobiographischen Gedächtnisses und Erinnerns von Conway und PleydellPearce angesehen wird.³¹⁰
3.2.4.2 Psychologischer Input II: Das „Life Story Schema“ Ausgangspunkt der Theorie von Bluck und Habermas ist die Feststellung, dass der Begriff „autobiographisch“ in der Forschung zum autobiographischen Gedächtnis zumeist nicht ernst genug genommen wird. Ihn angemessen ernst zu nehmen bedeutet ihnen zufolge, die Frage in den Mittelpunkt zu rücken, wie aus einzelnen autobiographischen Erinnerungen eine Autobiographie im Sinne einer das Leben dieser Person als Ganzes, als kohärente Einheit umfassenden mentalen Repräsentation, zu entstehen vermag. Obgleich Individuen über zigtausende Erinnerungen an die eigene personale Vergangenheit verfügen, werden doch nur einige davon zu Bestandteilen der eigenen Lebensgeschichte.³¹¹ Erinnerungen, auf die dies zutrifft, weisen häufig einen hohen Grad an Bedeutung für die jeweilige Person auf. Diese Bedeutung entsteht durch die emotionale und/oder motivationale Relevanz der Erinnerungen und sorgt für die Verknüpfung dieser im engeren Sinne autobiographischen Erinnerungen mit dem Selbstkonzept der Person.³¹² Die Bedeutsamkeit von Erinnerungen kann dabei bereits bei deren Enkodierung gegeben sein, wenn Ereignisse etwa als angsteinflößend oder glücklich machend erlebt und mitsamt diesem emotionalen Index enkodiert werden. Sie kann jedoch auch erst beim Abruf der Erinnerung entstehen, wenn ein erinnertes Ereignis retrospektiv, also in der Rückschau der Person auf seine Lebensgeschichte, in einem größeren Kontext als (besonders) bedeutsam erscheint. Die Bedeutsamkeit kann folglich insofern „historisch“ sein, als sie zwar vor dem Hintergrund früherer Ziele und Motivationen bestand, ihre Relevanz aber – beispielsweise durch das zwischenzeitliche Ändern, Verfehlen oder Erreichen von Zielen – mit der Zeit verloren hat. Studien, wie etwa die von Conway und Holmes³¹³, zeigen, dass sich solche Erinnerungen durch besonders gute Verfügbarkeit und Detailliertheit auszeichnen, darin allerdings noch von Erinnerungen über-
Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 272. Bluck/Habermas 2000, S. 128. Vgl. Bluck/Habermas 2000, S. 122. Vgl. Bluck/Habermas 2000, S. 122. Vgl. Conway/Holmes 2004.
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troffen werden, die für aktuelle Ziele und Motive relevant sind und damit Bedeutsamkeit für das gegenwärtige Planen und Handeln von Personen besitzen.³¹⁴ Bluck und Habermas begreifen ihre Theorie als den Versuch, diesen Aspekt der Bedeutsamkeit spezifischer Erinnerungen mit der Perspektive auf das Leben einer Person als Ganzes zu kombinieren und damit den Zusammenhang von autobiographischen Erinnerungen und der Autobiographie im Sinne einer zeitlich umfassenden Lebensgeschichte, der „life story“, zu erhellen. Das „Life Story Schema“ (LSS) stellt demnach eine Theorie über die Art und Weise dar, wie Lebensgeschichten mental repräsentiert und durch Personen im Rahmen von Erinnerungen erlebt werden.³¹⁵ Die Betonung des Begriffs der mentalen Repräsentation im Gegensatz zu dem der kognitiven Repräsentation bzw. Organisation soll dabei verdeutlichen, dass die Repräsentation der Lebensgeschichte neben kognitiven auch mentale Aspekte wie Emotionalität und motivationale Verfasstheit beinhaltet.³¹⁶ Das „Life Story Schema“ bezeichnet also genauer die mentale Organisationsstruktur, auf deren Basis „autobiographical reasoning“, das Nachdenken über oder Erzählen von Episoden und Ereignissen des eigenen Lebens und deren Verknüpfung mit anderen Episoden und Ereignissen oder mit dem aktuellen Selbstbild („present self“), möglich wird.³¹⁷ Die Verwendung des Begriffs der „Narration“ („life narrative“) wird in diesem Kontext von den Autoren auf erzählte oder geschriebene Erzählungen als eine Erscheinungsform des „autobiographical reasoning“ beschränkt.³¹⁸ Welchen explanativen Mehrwert aber besitzt das Konstrukt des „Life Story Schema“ als Organisationsschema höherer Ordnung gegenüber „single memories of important events“³¹⁹? Erstens lässt sich die Auswahl bestimmter Erinnerungen, die dauerhaft oder zumindest über einen längeren Zeitraum behalten werden können, nur durch Mechanismen bzw. Eigenschaften (Lebhaftigkeit, Emotionalität, Folgen des erinnerten Ereignisses) erklären, die die Verortung und Evaluierung dieser Erinnerungen im Kontext der biographischen Geschichte der betreffenden Person zur Bedingung haben: „In short, the basic memory mechanisms Vgl. Conway/Holmes 2004, S. 462. Vgl. Bluck/Habermas 2000, S. 122 f. Diese Gegenüberstellung von „kognitiv“ und „mental“ ist insofern irritierend, als das Kognitive zumeist als ein Unteraspekt des Mentalen angesehen wird. Bei den Autoren wird „mental“ in Abgrenzung von „kognitiv“ benutzt, um speziell auf die Kategorien von Emotion und Motivation zu verweisen, die als nicht-kognitive Phänomene aufgefasst werden. Diese terminologischen Probleme verweisen auf die äußerst uneinheitliche Definition von „Kognition“ in Psychologie und Kognitionswissenschaft (vgl. Strube 2003, S. 56). Vgl. Bluck/Habermas 2000, S. 123. Vgl. Bluck/Habermas 2000, S. 123. Bluck/Habermas 2000, S. 123.
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that are known to increase the memorability of events are ones that rely on its interpretation in the context of a life.“³²⁰ Um autobiographische Erinnerungen überhaupt als emotional, lebhaft oder mit Folgen verbunden wahrnehmen zu können, bedarf es deren kontextueller Einordnung vor dem Hintergrund der „life story“, die die dazu nötigen Wertmaßstäbe, Zusammenhänge und Handlungspräferenzen zuallererst verfüg- und erkennbar macht. Zweitens lässt sich nur durch eine übergeordnete Organisationsstruktur erklären, dass Personen ihre Lebensgeschichte nicht als bloße Aneinanderreihung von Erinnerungseinheiten empfinden, sondern kohärente Verbindungen zwischen den selektierten Erinnerungen und dem Selbst bestehen, die zur Wahrnehmung eines zeitliche geordneten und kausal strukturierten Ablaufs der erinnerten „life story“ führen.³²¹ Bluck und Habermas argumentieren nun, dass das „Life Story Schema“ vier Arten von Kohärenz bereitstellt, welche die Struktur von Lebensgeschichten prägen und deren Zustandekommen möglich machen: Zeitliche Kohärenz („temporal coherence“), kulturelle Kohärenz/internalisierte kulturelle Normen („cultural concept of biography“), thematische Kohärenz („thematic coherence“) und kausale Kohärenz („causal coherence“).³²² Die ersten beiden Kohärenztypen formen ein Grundgerüst („skeletal template“³²³) für die sequentielle Anordnung von Ereignissen und Erfahrungen innerhalb der „life story“ sowie für die Auswahl von Ereignissen bzw. von Erinnerungen an Ereignisse, die Eingang in die Lebensgeschichte finden. Mit „zeitlicher Kohärenz“ ist dabei eine zeitliche Ordnung der „life story“ gemeint, die sich am natürlichen Zeitverlauf orientiert. Ereignisse werden innerhalb der Lebensgeschichte in zeitlicher Relation zu anderen Ereignissen erinnert und dadurch verortet, wobei es sich jedoch nicht immer um eine vollständig lineare Chronologie handelt.³²⁴ „Kulturelle Kohärenz“ bezieht sich auf die Bedeutung internalisierter kultureller Normen bei Entscheidungen über die Einbeziehung von Ereignissen in die Lebensgeschichte. Bei solchen Normen handelt es sich beispielsweise um gesellschaftlich verankerte Vorstellungen von als zentral erachteten „Stationen“ eines Lebens, wie etwa Geburt, Berufswahl, Heirat, Scheidung, Tod etc., die zur Wahrnehmung von mit diesen Stationen verbundenen distinkten Lebensabschnitten führen.
Bluck/Habermas 2000, S. 123. Für eine ausführliche linguistische Studie zur Erzeugung und Aufrechterhaltung von Kohärenz in Lebensgeschichten vgl. Linde 1993. Bluck/Habermas 2000, S. 124 f. Bluck/Habermas 2000, S. 124. Vgl. Bluck/Habermas 2000, S. 124.
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3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
Thematische und kausale Kohärenz ermöglichen dagegen als „forms of meaning making“³²⁵ die Genese von „unique explanations and themes for understanding a life.“³²⁶ Durch kausale Kohärenz werden Zusammenhänge zwischen Ereignissen bzw. Lebensabschnitten für die Person erkennbar: „Events, life periods, and the self are linked in terms of motivations, causes, or explanations.“³²⁷ Dies umfasst sowohl physikalische also auch motivationale oder im weiteren Sinne psychologische Kausalitäten, die mit Mitteln der Logik, aber auch durch implizite Theorien über Antriebsgründe und Motive von Personen erfasst werden können.³²⁸ Thematische Kohärenz schließlich bezieht sich auf übergreifende „Themen“, beispielsweise Wertvorstellungen, Lebensweisheiten oder Metaphern, die zur Beschreibung des Verlaufs des eigenen Lebens herangezogen werden und die Ein- und Zuordnung von Ereignissen in die Lebensgeschichte ermöglichen oder erleichtern.³²⁹ Diese vier Formen von Kohärenz zeigen, so Bluck und Habermas, dass einzelne Erinnerungen zur Erklärung der Genese einer „life story“ nicht ausreichen, sondern ihre Integration und Interpretation im Kontext eines größeren Rahmens, eines „sense of the life lived up until now“³³⁰,vonnöten ist. Die Wahrnehmung des eigenen Lebens als Ganzes ist demnach als Produkt des „Life Story Schema“ anzusehen, das mithilfe der genannten Kohärenztypen die Integration und Interpretation autobiographischer Erinnerungen möglich macht. Das „Life Story Schema“ ist nach Bluck und Habermas Teil der Wissensstruktur von Personen und bildet die höchste Organisationsebene des autobiographischen Gedächtnisses. Der Begriff „Schema“ wird dabei unter Rückgriff auf die klassische Definition des Psychologen Frederic Bartlett als „active organization of past reactions and past experiences“³³¹ bestimmt. Als mentale Organisationsstruktur beinhaltet es das Nutzen früher erworbener Informationen für die Integration neuer Informationen, die vorrangige Berücksichtigung emotional konnotierter Ereignisse, die Reproduktion, Konstruktion und Rekonstruktion von Informationen sowie die kulturelle Spezifität des Inhalts und der Bedeutung von Wissen und Erinnerungen.³³² Die Inhalte und das Nutzen des LSS können der Person in unterschiedlichem Maße bewusst oder auch nicht bewusst sein. Es gilt
Bluck/Habermas 2000, S. 124. Bluck/Habermas 2000, S. 124. Vgl. Bluck/Habermas 2000, S. 125. Bluck/Habermas 2000, S. 125. Für einen Überblick über die aktuelle psychologische Forschung zur Rolle von Kausalität für menschliches Denken und Handeln vgl. Waldmann 2010. Bluck/Habermas 2000, S. 125. Bluck/Habermas 2000, S. 125. Bartlett 1932, S. 201. Vgl. Bluck/Habermas 2000, S. 125. Vgl. Bluck/Habermas 2000, S. 126.
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zudem, das LSS von seinen Produkten zu unterscheiden. Als mentale Organisationstruktur bringt es sprachliche Erscheinungsformen wie Narrationen im Sinne erzählter Geschichten sowie autobiographisches Denken („autobiographical reasoning“) hervor, ohne dabei selbst die Form von Gedanken oder sprachlichen Strukturen zu haben.³³³ Es entspricht dem Prinzip der „mentalen Wirtschaftlichkeit“ („mental economy“), indem es als Matrize („template“) die grobe Form und den Rahmen für das Wissen um das eigene Leben bildet. Wenn eine Person autobiographische Narrationen oder Gedanken generiert, dient das LSS dabei als biographische Wissensbasis, auf deren Grundlage neue Informationen oder Gedanken interpretiert und selektiert werden. Dadurch wird vermieden, dass bei jedem dieser Denk- oder Erzählakte die enorme Menge an auf das eigene Leben bezogenen Wissensbeständen von Neuem durchsucht und geordnet werden muss, was angesichts von Datenflut und Zeitaufwand den effizienten Umgang mit biographischem Wissen unmöglich machen würde.³³⁴ Dabei beeinflusst auch der situative Kontext, etwa die Absicht, unter der eine Narration entsteht, oder die gegenwärtige emotionale Verfasstheit der Person, welche Informationen im speziellen Fall aus dem LSS selektiert und wie diese interpretiert werden.³³⁵ Das „Life Story Schema“ entsteht und entwickelt sich sukzessiv im Lauf von Kindheit und Jugend. Bluck und Habermas stützen diese These durch den Rückgriff auf entwicklungspsychologische Studien, die nahe legen, dass Erinnerungen und deren Interpretation und Verknüpfung im Kindheits- und Jugendalter durch wiederholtes Bewusstwerden in Form von Reflexion und Erzählung verstärkt werden und so längerfristig erhalten bleiben.³³⁶ Je häufiger Erinnerungen erzählt werden, desto mehr werden sie zu Bestandteilen der „life story“ einer Person.³³⁷ Das LSS stellt das Residuum („residue“) solcher Prozesse des Sprechens, Denkens und Urteilens über Geschehnisse der eigenen personalen Vergangenheit dar, als welches es bestimmte Ereignisse mit anderen Ereignissen oder Lebensabschnitten („life periods“) und dem Selbstkonzept der Person verknüpft. Durch das wiederholte Reflektieren dieser Ereignisse und Lebensabschnitte („autobiographical reasoning“) geschieht dabei eine zunehmende Abstraktion und Integration. ³³⁸ Was zunächst Erinnerungen an einzelne biographische bedeutsame Ereignisse waren, wird später zu allgemeinen Einsichten oder „Lebensweisheiten“. Im Erwachsenenalter wird das LSS zu einer relativ stabilen Repräsentation
Vgl. Bluck/Habermas 2000, S. 126. Bluck/Habermas 2000, S. 126. Bluck/Habermas 2000, S. 126. Greenwald 1980. Schank/Abelson 1995. Bluck/Habermas 2000, S. 127.
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der eigenen Vergangenheit und des aktuellen Selbstbildes. Freilich gibt es auch dann noch Potential für Wandlungen und Änderungen, die aber zumeist gradueller bzw. punktueller Natur sind. Persönlichkeits- und entwicklungspsychologische Studien zur Dynamik autobiographischer Erinnerungen zeigen, dass solche Wandlungen durch das wiederholte Reflektieren und Erzählen der eigenen Lebensgeschichte³³⁹, die Veränderung der emotionalen Bedeutung von Erinnerungen über die Zeit hinweg³⁴⁰ sowie durch deren Neu- und Re-Interpretation vor dem Hintergrund neuer oder modifizierter Werte und Ziele der Person³⁴¹ bedingt sein können.³⁴² Bluck und Habermas knüpfen hinsichtlich ihrer Konzeption des autobiographischen Gedächtnisses an die Theorie des „Self-Memory System“ von Conway und Pleydell-Pearce an, erweitern diese jedoch durch die Einbeziehung des „Life Story Schema“ um fünf Aspekte, die aufzeigen und verdeutlichen sollen, dass und wie dieses als Ordnungsstruktur autobiographisches Gedächtnis und Selbstkonzept verbindet.³⁴³ Der erste Aspekt betrifft die Unterscheidung verschiedener Organisationsebenen des autobiographischen Gedächtnisses. Zwar halten Bluck und Habermas die von Conway und Pleydell-Pearce vertretene Auffassung für richtig, dass auf spezifische Ereignisse bezogene Erinnerungen „bei Bedarf“, also im Kontext ihres Abrufs, rekonstruiert werden. Allerdings argumentieren sie, dass dies nicht für die globalste Organisationsebene autobiographischer Erinnerungen gilt, die das Wissen um das eigene Leben als Ganzes umfasst. Würde dieses Wissen auf ähnliche Weise bei jedem Abruf „rekonstruiert“, wäre dies aufgrund der hohen Komplexität und des großen Zeitraums mit einem faktisch nicht zu leistenden kognitiven und zeitlichen Aufwand verbunden.³⁴⁴ Hinzu kommt die „psychological and social necessity for the story of one’s life to maintain consistency across repeated recountings […].“³⁴⁵ Wenn die Geschichte des eigenen Lebens über die Zeit hinweg und im Rahmen wiederholten Nachdenkens und Erzählens zumeist weitgehend konsistent bleibt und diese Konsistenz bzw. das Konsistenzstreben als Vgl. Hirst/Manier 1996. Vgl. Linde 1993, Levine 1997, Karney/Coombs 2000. Vgl. Ross 1989, Wilson/Ross 2001 und Ross/Wilson 2002. Vgl. Bluck/Habermas 2000, S. 127. Vgl. Bluck/Habermas 2000, S. 128. Vgl. Bluck/Habermas 2000, S. 128. Die Autoren beziehen sich dabei auf Studien zu den Prinzipien „mentaler Wirtschaftlichkeit“ („mental economy“) und mentaler Effizienz, etwa von Stroh 1995 und Spears/Haslam 1997. Für einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand zur „mental economy“ des Gedächtnisses vgl. Galotti et al. 2010, S. 203 – 212. Zur philosophischen Diskussion dieses Prinzips vgl. Rescher 2006, S. 47– 66. Bluck/Habermas 2000, S. 128.
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wichtig für die psychologische Verfasstheit und Stabilität einer Person angesehen werden kann, müssen Strukturen existieren, die diese Kohärenz im zeitlichen Wandel im Normalfall gewährleisten. Das „Life Story Schema“ stellt als „storage of a skeletal version of one’s life“³⁴⁶ genau diese Strukturen zur Verfügung. Es beinhaltet eine Art kondensiertes Überblicks- oder Umrisswissen über das eigene Leben und kombiniert semantische Erinnerungen autobiographischen Inhalts („autobiographical facts“) mit episodischen, speziell autobiographischen Erinnerungen.³⁴⁷ Dabei strukturiert es autobiographische Erinnerungen durch die Einordnung in den Gesamtzusammenhang des eigenen Lebens als höchster Organisationsebene des Gedächtnisses derart, dass die Wahrnehmung der „life story“ als „structured, coherent, evaluative, and based on actual events and transitions“³⁴⁸ möglich wird. Die Theorie von Conway und Pleydell-Pearce wird also um eine übergeordnete Organisationsebene des autobiographischen Gedächtnisses, die das Leben einer Person als Ganzes umfasst, erweitert. Dieses „Life Story Schema“ ermöglicht es Bluck und Habermas zufolge auch, durch die Nutzung abstrakter Kategorien, womit verallgemeinerte Einsichten und generelles Wissen über das eigene Leben und dessen Verlauf gemeint sind, auf konkretere Erinnerungen zugreifen zu können.³⁴⁹ Der zweite Aspekt betrifft die Auswirkungen des LSS auf die Motivation gegenwärtigen und zukünftigen Denkens und Handelns. Im Zentrum steht dabei die Annahme, dass Personen vor allem in Situationen, die mit Wendepunkten des eigenen Lebens und mit grundsätzlichen Fragen zur eigenen biographischen Identität in Verbindung stehen, zur Beurteilung und eventuellen Neuorientierung nicht nur auf spezifische Erinnerungen zurückgreifen, sondern darüber hinaus auf ihr Leben als Ganzes Bezug nehmen.³⁵⁰ Eine solche Rückschau auf das eigene Leben erfolgt insbesondere in „kritischen“ Phasen, in denen Aspekte der Identität einer Person in Frage stehen oder Umbrüche zu erwarten sind. Durch diese retrospektive Reflexion der personalen Vergangenheit bietet sich die Möglichkeit, „to look at the past in order to plan one’s future.“³⁵¹ Aktuelle Situationen lassen sich durch die Einordnung in den Bezugsrahmen des eigenen Lebens evaluieren, Bluck/Habermas 2000, S. 128. Vgl. Bluck/Habermas 2000, S. 128. Bluck/Habermas 2000, S. 128. Bluck und Habermas (2000, S. 129) fügen jedoch hinzu, dass es sich dabei nicht um die einzige und auch nicht um die effizienteste Methode handelt, um das autobiographische Gedächtnis zu durchsuchen und auf gesuchte Informationen zuzugreifen. Vor allem solche Erinnerungen, die keine besondere Bedeutung für die personale Geschichte besitzen, können auf andere Art schneller bzw. mit weniger Aufwand erinnert werden. Vgl. Bluck/Habermas 2000, S. 130. Bluck/Habermas 2000, S. 130.
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woraus sich wiederum Konsequenzen für Gegenwart und Zukunft ziehen lassen.³⁵² Diese Verflechtung des Gegenwärtigen mit der eigenen personalen Vergangenheit und Zukunft ist, wie Bluck und Habermas unter Bezug auf entwicklungs- und persönlichkeitspsychologische Studien³⁵³ zeigen, eine wichtige Grundlage für die Aufrechterhaltung der biographischen Identität, besonders in Phasen des Wandels oder Umbruchs von Lebensumständen.³⁵⁴ Zudem entsteht durch die temporale Verortung der Gegenwart in der Lebensgeschichte ein „sense of self across time“³⁵⁵ im Sinne der Wahrnehmung des eigenen Lebenszyklus. Die Verortung der gegenwärtigen Existenz in einer Phase dieses Lebenszyklus hat wiederum Auswirkungen auf die Selbstwahrnehmung und Handlungsmotivation von Personen. Während die (frühe) Kindheit noch von einer Art biologischem Takt („biological clock“) bestimmt wird, nimmt in Adoleszenz und Erwachsenenalter der Einfluss einer sozial geprägten Wahrnehmung von Lebensphasen („social clock“) zu.³⁵⁶ So beschreibt etwa die Entwicklungspsychologin Bernice Neugarten den Zeitraum des mittleren Alters („midlife“) als eine Phase, in der Selbstwahrnehmung und Handlungsmotivation sich dadurch – teils drastisch und in der Ausdrucksform der „midlife crisis“ – ändern, dass die betreffende Person sich der Tatsache bewusst wird, dass der (mutmaßlich) größere Teil des Lebens bereits gelebt wurde und die verbleibende Zeit erstmals oder verstärkt als kostbar und knapp erscheint.³⁵⁷ Der durch das LSS erfahrbare zeitliche Verlauf („temporal trajectory“³⁵⁸) des bisherigen Lebens wird demnach, so die Quintessenz dieser Überlegungen, auf unterschiedliche Art und Weise für die Auswahl zukünftiger Ziele und Handlungsabsichten einer Person relevant.³⁵⁹ Der dritte Aspekt bezieht sich auf die Kulturabhängigkeit bzw. Kulturrelativität des LSS. Wie auch im Fall des Konzepts der biographischen Identität³⁶⁰ legt die starke Betonung der Individualität von Personen und des Suchens nach Sinn und Bedeutung des eigenen Lebens die Frage nahe, ob es sich beim LSS um eine psychologische Konstante, oder – zumindest partiell – um ein kulturrelatives
Für einen Überblick über die philosophische Diskussion der „Self-Evaluation“ vgl. die Beiträge in Konzelmann Ziv/Lehrer/Schmid 2011. Vgl. Taylor 1983, Taylor/Schneider 1989, Melges 1990, Fingerman/Perlmutter 1995, Wethington/Cooper/Holmes 1997. Vgl. Bluck/Habermas 2000, S. 130. Bluck/Habermas 2000, S. 130. Vgl. Bluck/Habermas 2000, S. 130 f. Vgl. Neugarten 1996 und Neugarten/Datan 1996. Bluck/Habermas 2000, S. 131. Vgl. Bluck/Habermas 2000, S. 130 f. Vgl. dazu die Diskussion des Kulturrelativitätseinwandes gegen das Konzept biographischer Identität in Kapitel 3.1.4 dieser Arbeit.
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Konstrukt handelt. Bluck und Habermas beginnen die Behandlung dieser Frage mit der Feststellung, dass die Existenz deutlicher kultureller Unterschiede hinsichtlich für das „Life Story Schema“ wichtiger Faktoren unstrittig ist und durch die aktuelle psychologische Forschung gestützt wird. Dies betrifft etwa die Determinanten subjektiven Wohlergehens³⁶¹, Auffassungen über die fundamentalen Einflussfaktoren personalen Handelns und Verhaltens³⁶² sowie das Bedürfnis nach „positiver Selbst-Einschätzung“³⁶³ („positive self-regard“).³⁶⁴ Dies hat Folgen für das von Bluck und Habermas postulierte „cultural concept of biography“, das, wie oben gezeigt, einen der kohärenzbildenden Faktoren für das „Life Story Schema“ darstellt. Es bezieht sich auf den Einfluss kulturabhängiger Normen auf die Ausbildung der „life story“, etwa hinsichtlich eines „idealtypischen“ Lebensverlaufs oder der Maßstäbe, nach denen die Signifikanz von Ereignissen für das Leben einer Person beurteilt wird. Speziell in westlichen Gesellschaften besteht beispielsweise die Erwartungshaltung, dass erwachsene Personen in der Lage sein sollten, ihr Leben in Form einer individuellen Biographie darlegen bzw. erklären und sich dadurch von anderen abgrenzen zu können.³⁶⁵ Solche Erwartungshaltungen führen in vielen Fällen dazu, dass die Lebensgeschichte entlang dieser Vorgaben strukturiert wird. Dieses Strukturieren wiederum beinhaltet auch
Vgl. Diener/Suh/Lucas/Smith 1999. Der Artikel diskutiert verschiedene Arbeiten, welche die Abhängigkeit subjektiven Wohlbefindens vom jeweiligen kulturellen Kontext belegen. Beispielsweise zeigen Studien, die individualistisch geprägte mit kollektivistisch geprägten Kulturen vergleichen, dass sich die als für das subjektive Wohlbefinden zentral angesehenen Determinanten deutlich unterscheiden. Während in individualistischen Gesellschaften Gefühle, die als Indikator einer spezifischen Persönlichkeit erachtet werden (etwa betreffend das Selbstwertgefühl des Einzelnen) im Zentrum stehen, treten diese in kollektiven Gesellschaften tendenziell hinter Absichten und Gefühle zurück, die nicht auf die Abgrenzung von, sondern auf Harmonie und Miteinander mit anderen gerichtet sind (vgl. dazu auch Diener/Diener 1995 und Suh/Diener/Oishi/Triandis 1998). Vgl. Choi/Nisbett/Norenzayan 1999. Die Autoren zeigen in dieser Metastudie, dass im ostasiatischen Kulturraum die sogenannte „correspondence bias“, eine Präferenz für das Erklären von Verhalten und Handlungen durch „interne“ Faktoren – also Persönlichkeitseigenschaften und Verhaltensdispositionen –, weniger verbreitet bzw. ausgeprägt ist als im westlichen Kulturraum. Vgl. Heine/Lehman/Markus/Kitayama 1999. Am Beispiel Japans zeigt diese Metastudie, dass die verbreitete Annahme, Personen wären wesentlich durch das Streben nach einer positiven Selbst-Einschätzung bestimmt, nicht uneingeschränkt gilt. Im Vergleich zu Nordamerika ist dieses Streben im japanischen Kulturraum gering ausgeprägt, ein „self-critical focus“ dagegen in starkem Maße vorhanden. Bluck/Habermas 2000, S. 131. Bluck/Habermas 2000, S. 131.
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eine gewisse „Formung“ des autobiographischen Gedächtnisses und Erinnerns, für die es entwicklungspsychologische Belege gibt.³⁶⁶ Der vierte Aspekt betrifft den von Bluck und Habermas als zentral erachteten Begriff der „life themes“³⁶⁷. Er verknüpft zwei von Conway eingeführte Konzepte miteinander: „Themes“³⁶⁸ und „lifetime periods“³⁶⁹. Während Ersteres Themenbereiche des Lebens – etwa Arbeit, Beziehung, Freundschaft oder Familie – bezeichnet, bezieht sich Zweiteres auf längere Zeiträume (Monate, Jahre), die zum Gegenstand von generellen autobiographischen Erinnerungen werden (etwa „In meiner frühen Kindheit“/„Als Student in X“). Mit dem Konzept der „life themes“ wollen Bluck und Habermas den Zeitraum von „lifetime periods“ auf das Leben als Ganzes erweitern und mit Themen kombinieren, die sich auf dieses gesamte Leben erstrecken. Das LSS dient dabei als Rahmen, um verschiedene Themen über den Zeitraum von „life periods“ hinaus in den Kontext des eigenen Lebens als Ganzen zu setzen und Personen so einen „subjective sense of their own life span“³⁷⁰ zu ermöglichen. Anhand des dem LSS inhärenten Prinzips der „thematischen Kohärenz“ („thematic coherence“) wird die Verbindung und Gruppierung ähnlicher Ereignisse aus verschiedenen Abschnitten des Lebens vorgenommen. Damit ist beispielsweise die Kategorisierung von Erlebnissen und Ereignissen in solche, die das Leben lebenswert, und solche, die es hart oder gar schwer erträglich machen, gemeint.³⁷¹ Vor dem Hintergrund solcher Themen im Sinne von Mustern und Strukturen, die als für das eigene Leben charakteristisch angesehen werden, können Personen evaluierende Aussagen über ihr gesamtes Leben treffen (etwa „Mein ganzes Leben ist ein einziges Auf und Ab“).³⁷² Durch diese evaluative Interpretation des eigenen Lebens werden aus Sicht der betreffenden Person dessen grundlegende Strukturen und Tendenzen und damit eine Art subjektiver Sinn oder Bedeutung erkennbar. Bluck und Habermas nehmen an, dass solche „Lebensthemen“ im Gedächtnis gespeichert³⁷³ werden und als evaluativer Filter („evaluative filter“) bei der Enkodierung und dem Abruf von Informationen dienen.
Vgl. dazu die Studien von Merriam 1994 und Webster 2002. Bluck/Habermas 2000, S. 132. Der Begriff stammt ursprünglich von Csikszentmihalyi und Beattie (1979). Conway 1996, S. 72. Conway 1996, S. 69. Bluck/Habermas 2000, S. 132. Bluck und Habermas (2000, S. 132) verweisen auf die Studie von Ruth/Birren/Polkinghorne 1996, die solche Kategorisierungen im Kontext autobiographischer Erzählungen älterer Personen beschreibt. Vgl. Bluck/Habermas 2000, S. 132. Dabei sind diese „Lebensthemen“ nicht immer bewusst abrufbar (Bluck/Habermas 2000, S. 132; vgl. dazu auch Csikszentmihalyi/Beattie 1979, S. 48). Die Fragen, was „gespeichert“ in
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Der fünfte und letzte Aspekt betrifft schließlich die Rolle von Kausalität und Bedeutung für die Struktur des autobiographischen Gedächtnisses und des „Life Story Schema“. Kausale Kohärenz („causal coherence“) generiert Bluck und Habermas zufolge die fundamentale Struktur der Lebensgeschichte. Erst durch das diachrone kausale Verknüpfen von Ereignissen aus verschiedenen Lebensphasen wird es überhaupt möglich, die Kontinuität des Lebens als solche zu verstehen, Erklärungen für Ereignisse und Entwicklungen im größeren zeitlichen Kontext zu finden, und aus Zusammenhängen und Kausalitäten Bedeutung zu gewinnen.³⁷⁴ Ohne kausale Kohärenz erschiene das Leben einer Person als Ansammlung unzusammenhängender Ereignisse, die von ihr weder verstanden noch (zumindest partiell) beeinflusst werden könnten.³⁷⁵ Studien zur Organisation des autobiographischen Gedächtnisses legen dementsprechend nahe, dass Ereignisse aus der eigenen personalen Vergangenheit häufig als Teil sogenannter „event cluster“ gespeichert werden, die nach thematischer Ähnlichkeit der enthaltenen Ereignisse sowie nach ihrer temporalen und kausalen Verbindung geordnet sind.³⁷⁶ Die Arbeiten des Kognitionspsychologen Tom Trabasso verweisen auf die Abhängigkeit der Einprägsamkeit einzelner biographischer Erlebnisse und Ereignisse von ihrer Bedeutung für die Erzeugung kausaler Kohärenz.³⁷⁷ Bluck und Habermas erweitern daher das „autobiographical knowledge“ von Conway und Pleydell-Pearce um den Zusatz „causal“. Ihnen zufolge sind bestimmte kausale Verbindungen, welche „major turning points, transitions between life periods, or unexpected parts of oneʼs life trajectory“³⁷⁸ erklären, aus Gründen „mentaler Ökonomie“ („mental economy“) im autobiographischen Gedächtnis gespeichert. Diese kausalen Verknüpfungen im Gedächtnis sind, wie oben gezeigt, die Voraussetzung für das Erzeugen von bedeutungsvollen Zusammenhängen innerhalb der personalen Biographie. Sie dienen so als Grundlage der Erfüllung des individualpsychischen Bedürfnisses, das eigene Leben als zweckhaft zu begreifen und sich dadurch Ziele setzen, Handlungen und Werte rechtfertigen, das Gefühl eines gewissen Maßes an Kontrolle und Wirkmächtigkeit besitzen und das Selbstwertgefühl stärken zu können.³⁷⁹
diesem Zusammenhang genau bedeutet und wovon die bewusste Zugänglichkeit dieser Themen abhängt, bleiben hier allerdings offen. Zu dieser anthropologisch grundlegenden „Fähigkeit, die Welt in intentionalen und kausalen Begriffen zu verstehen“ vgl. Heidelberger 2007, S. 175 f. Vgl. Bluck/Habermas 2000, S. 133. Vgl. dazu auch Bruner 1994. Vgl. Brown/Schopflocher 1998 und Brown 2005. Vgl. Trabasso/van den Broek 1985 und Trabasso/Sperry 1985. Bluck/Habermas 2000, S. 133. Vgl. Bluck/Habermas 2000, S. 133.
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Aus diesen fünf Aspekten des „Life Story Schema“ ziehen Bluck und Habermas den Schluss, dass dieses als „interface between AM and the self“³⁸⁰ (AM = autobiographical memory) fungiert. Die im LSS enthaltenen Arten von Kohärenz garantieren die Kontinuität personalen Lebens, indem sie zum einen die Vergangenheit einer Person mit ihrer Gegenwart verknüpfen, zum anderen aber auch die Möglichkeit schaffen, Gründe für Diskontinuitäten zwischen personaler Vergangenheit und Gegenwart erkennen und verstehen zu können.³⁸¹ Durch den Bezug auf das Leben als Ganzes gerät die Person als „diachronic self“ mit „enduring values, obligations, and commitments“³⁸² in den Blick, vor deren Hintergrund das eigene Leben erklärt, zukünftiges Handeln geplant und Einstellungen oder Werte gegebenenfalls auch modifiziert werden können. Um zu verdeutlichen, dass im Kontext des LSS weniger der Abruf einzelner autobiographischer Erinnerungen interessiert, sondern vielmehr die Einordnung neuer Erfahrungen in ein zeitlich weit zurückreichendes „Schema“ mit dem Ziel der Aufrechterhaltung der personalen Kontinuität im Zentrum steht, sprechen Bluck und Habermas von „autobiographical reasoning“ statt von „autobiographical remembering“. Damit bezeichnen sie das Reflektieren und/oder Erzählen der eigenen Lebensgeschichte mit dem Ziel der Einordnung neuer Erfahrungen und Erinnerungen, denen Bedeutung innerhalb dieser Geschichte gegeben und so deren grundlegende Kontinuität gewahrt werden soll.³⁸³ Der Verlust der Fähigkeit, das eigene Leben als kontinuierlich zu erfahren, wird in der psychologischen Forschung mit verschiedenen Krankheitsbildern bzw. Symptomen in Verbindung gebracht, etwa mit der „Borderline Identitätsstörung“³⁸⁴ und dem Phänomen der „Selbstentfremdung“³⁸⁵ („self-estrangement“). Um den Unterschied zwischen dem Rückgriff auf spezifische Erinnerungen und dem Rückgriff auf das „Life Story Schema“ hinsichtlich deren jeweiliger Relevanz für Personen zu verdeutlichen, schlagen Bluck und Habermas eine funktionale Differenzierung vor, die sich bezüglich der Funktionen des Abrufs spezifischer Erinnerungen an Studien von Pillemer³⁸⁶ und Cohen³⁸⁷ orientiert. Die erste Unterscheidung betrifft die Rolle spezifischer Erinnerungen bzw. des LSS für das aktuelle Selbstbild einer Person: Das Abrufen und Reflektieren einzelner
Bluck/Habermas 2000, S. 133. Vgl. Bluck/Habermas 2000, S. 134. Bluck/Habermas 2000, S. 135. Vgl. Bluck/Habermas 2000, S. 136. Vgl. Kernberg 1983/1975. Vgl. Melges 1990. Vgl. Pillemer 1992. Vgl. Cohen 1998.
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Erinnerungen dient demnach vornehmlich der Beeinflussung der gegenwärtigen Gemütslage, etwa wenn Erinnerungen an freudige Ereignisse die aktuell schlechte Laune verbessern oder gute Laune erhalten sollen. Der Rückgriff auf das LSS dient hingegen primär dem Erhalt von Kontinuität bzw. der Erklärung von Diskontinuität durch die kohärente Einordnung neuer Erlebnisse in die Lebensgeschichte bzw. durch das Angeben von Gründen für inkohärente Bestandteile.³⁸⁸ Die zweite Differenzierung betrifft die soziale Funktion: Spezifische Erinnerungen werden anderen häufig mit der Absicht erzählt, zu unterhalten oder sich selbst bzw. eigene Handlungen in einem bestimmten Licht erscheinen zu lassen, etwa wenn Erzählungen von Akten der Nächstenliebe und Fürsorge den (wahren oder falschen) Eindruck einer altruistischen Person erzeugen sollen. Das Erzählen der Lebensgeschichte dient demgegenüber primär dem Vorstellen der eigenen Person, indem beispielsweise ein Abriss über wichtige Lebensstationen gegeben wird.³⁸⁹ Drittens werden schließlich die Funktionen hinsichtlich zukünftiger Handlungen unterschieden. Der Abruf spezifischer Erinnerungen dient diesbezüglich der Erzeugung von Wissen oder Motiven, die für gegenwärtiges oder baldiges Handeln von Nutzen sind, beispielsweise im Fall von Situationen à la „Wie habe ich mich das letzte Mal im Fall der erfolgreich durchgeführten Handlung X verhalten?“. Dagegen wird das LSS wichtig, wenn es um die Identifikation allgemeiner zeitübergreifender Verhaltensmuster oder Präferenzen geht, die für komplexere Entscheidungen über zukünftiges Handeln relevant sind, beispielsweise bei Fragen der Berufswahl, der Familienplanung, oder bei weitreichenden finanziellen Entscheidungen.³⁹⁰ Die von Bluck und Habermas entwickelte Theorie des „Life Story Schema“ sowie das im vorangegangenen Kapitel analysierte „Self-Memory System“ von Conway und Pleydell-Pearce stellen durch das detaillierte Aufzeigen der Zusammenhänge von autobiographischem Gedächtnis, Autobiographie und Selbstkonzept sowie durch den Fokus auf das Leben einer Person als Ganzes und auf das Zustandekommen einer „life story“ durch spezifische Anordnungen autobiographischer Erinnerungen eine wichtige Ausgangsbasis für die weitere Untersuchung dar. Im folgenden Kapitel werden die Bezüge zwischen diesen und weiteren psychologischen Theorien und Befunden und den philosophischen Fragestellungen dieser Arbeit aufgezeigt, so dass die „Mechanismen“ der Konstituierung biographischer Identität verdeutlicht werden können.
Vgl. Bluck/Habermas 2000, S. 138. Vgl. Bluck/Habermas 2000, S. 138. Vgl. Bluck/Habermas 2000, S. 138.
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3.2.4.3 Autobiographie, Narration und Emotion Personen haben nicht nur eine Vergangenheit, sondern können mit dieser Vergangenheit auch in besonderer Weise umgehen und dadurch ein reflexives Selbstverständnis entwickeln. Die Analyse der psychologischen Theorien des „Self-Memory System“ und des „Life Story Schema“ in den beiden vorangegangenen Kapiteln hat zentrale Ermöglichungsbedingungen und Bestandteile dieses Umgangs mit der eigenen Vergangenheit erkennbar werden lassen. Diese empirisch gestützten Einsichten werden im Folgenden für die weitere philosophische Analyse des Zusammenhangs von autobiographischer Erinnerung und biographischer Identität nutzbar gemacht. Beginnen wir mit der Bedeutung von Narrationen bzw. Narrativität für die Konstituierung und Aufrechterhaltung biographischer Identität. Die Analyse der „Life Story Schema“-Theorie von Bluck und Habermas stützt die These, dass sich biographische Identität als „narrativ strukturiertes praktisches Bewusstsein“³⁹¹ fassen lässt, wobei unter „Narration“ die „möglichst kohärente[] Repräsentation von Handlungs- und Ereignisfolgen“³⁹² verstanden wird.³⁹³ Das Bewusstsein und die Gestaltbarkeit der eigenen Biographie basieren demnach auf einer Repräsentation des eigenen Lebens, wodurch autobiographische Erinnerungen in einen größeren Kontext gestellt und die temporalen und kausalen biographischen Verläufe und Bedingungsgefüge ersichtlich werden. Bluck und Habermas verdeutlichen die Rolle verschiedener Formen von Kohärenz für die Persistenz dieser Repräsentation und zeigen unter Rückgriff auf eine Vielzahl persönlichkeits- und entwicklungspsychologischer Studien, dass diese Kohärenzmechanismen sowohl für die Ausbildung eines fundamentalen biographischen Identitätssinns als auch für die psychologisch grundlegende Kontinuitätserfahrung von Personen im Verlauf der Ontogenese von immenser Bedeutung sind. Die kohärente narrative Repräsentation von Erinnerungen bildet die Grundlage der Erfahrung eines kontinuierlichen biographischen Selbst im Sinne einer Autobiographie und damit auch die Voraussetzung der Ausbildung biographischer Identität: Memory establishes lifeʼs continuity; it gives meaning to the present, as each moment is constituted by the past. As the means by which we remember who we are, memory provides the very core of identity.³⁹⁴
Crone 2009, S. 155. Crone 2009, S. 155. Vgl. dazu die Diskussion des Narrationsbegriffs in Kapitel 3.2.1 dieser Arbeit. Sturken 1997, S. 1.
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Wird der Zugriff auf diese Autobiographie unterbrochen, oder, wie im Fall dauerhafter Amnesien, unmöglich, wird der „Erinnerungsverlust […] zum Identitätsverlust.“³⁹⁵ Ohne die Fähigkeit, sich die eigene Vergangenheit vergegenwärtigen und zuschreiben zu können, fehlten sowohl das Bewusstsein,wer wir sind und wie wir es geworden sind, als auch die Möglichkeit, biographisch begründete Präferenzen und Wünsche entwickeln bzw. erkennen zu können.³⁹⁶ Bluck und Habermas verdeutlichen durch ihre Theorie des „Life Story Schema“, dass Narrativität im oben skizzierten Sinn als „ein universeller Modus der Strukturierung von Erfahrung und Wissen sowie von Kommunikation und Handeln“³⁹⁷ verstanden werden kann. Diese Auffassung von Narrativität als mentalem Ordnungsprinzip entspricht den in Kapitel 3.2.1 dieser Arbeit angestellten Überlegungen.³⁹⁸ Sie vermeidet zudem unplausible Konsequenzen eines starken Narrationsbegriffs, der die Strukturmerkmale einer literarischen Erzählung und die sprachliche Äußerung bzw. Äußerbarkeit als definitorische Merkmale enthält. Sie stimmt mit gängigen Definitionen des Narrations- bzw. Narrativitätsbegriffs insofern überein, als sie die Wichtigkeit der Verknüpfung einzelner Elemente und Episoden zu einem sinngebenden Ganzen ebenso betont wie das „Formen“ von Geschichten, etwa durch die Auslassung oder Betonung von als besonders signifikant erachteten Elementen.³⁹⁹ Allerdings geht sie insofern über diesen Narrationsbegriff hinaus bzw. schränkt diesen ein, als Narrationen nicht geschrieben oder mündlich erzählt werden müssen. Die Analyse der Theorie des „Life Story Schema“ hat gezeigt, dass auch das „interne“ Reflektieren der Lebensgeschichte narrativ strukturiert ist und eine wichtige Rolle bei der Konstituierung und Aufrechterhaltung biographischer Identität spielt. Dieses „narrative reasoning“ (Bluck/Habermas) oder „narrative thinking“ (Goldie) beschränkt den Kreis der Zuhörer auf
Neumann 2005, S. 30. Für einen interdisziplinären Überblick zum Thema Selbst- und Identitätsverlust vgl. die Beiträge in Quadflieg 2008. Vgl. Neumann 2005, S. 30, sowie für Fallbeispiele und die Analyse amnestischer Störungen Schacter 1996, S. 218 – 236. Neumann 2005, S. 34. Über diese Betonung von Narrativität als mentalem Ordnungsprinzip darf allerdings nicht übersehen werden, dass das „Life Story Schema“ von den Autoren als „kognitive Sedimentierung narrativer Tätigkeiten, ursprünglich und primär sozial-kommunikative[n], später auch selbstkommunikativen Erzählens“ konzipiert wird (Tilmann Habermas 2011, persönliche Korrespondenz mit dem Autor). Vgl. dazu Polkinghorne 1997, S. 25: „Im Zuge der narrativen Gestaltung einer ,Lebensepisodeʻ lassen Erzählungen häufig Details aus und verdichten Teile (Kondensierung, flattening), andere elaborieren und übertreiben sie (Überhöhung, Detaillierung, sharpening), wieder andere Teile machen sie kompakter und konsistenter (Rationalisierung), um eine kohärente und verständliche Erklärung zu liefern.“
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den Erzähler selbst und wird anstelle von expliziter verbaler Kommunikation in Denkakten vollzogen: [N]arrative thinking involves not text or discourse, but another kind of representation: thoughts. So, on this wider notion of narrative, a narrative can be thought through, but there need be no communicative event […].⁴⁰⁰
Narratives Denken beruht auf der Anordnung, Verknüpfung und Interpretation autobiographischer Erinnerungen, was wiederum durch das „Life Story Schema“ als höchste Ordnungsebene von Erinnerungen und die von ihm erzeugte narrative Struktur möglich wird: What makes the autobiographical recollection important to the self is not the memories per se, but the interpretation of the memories, or more specifically, the narrative told around the memories.⁴⁰¹
Einzelne Erinnerungen bilden zwar in ihrer Gesamtheit als autobiographischer „Datenpool“ gewissermaßen das Rohmaterial biographischer Identität, jedoch kommt der Selbstbezug im Sinne der Einbindung dieses Materials in die Biographie der Person, wie anhand des „Self-Memory System“ und des „Life Story Schema“ demonstriert wurde, erst durch die temporal-narrative Strukturierung und Interpretation dieser Erinnerungen zustande. Einige Voraussetzungen und Bestandteile des daraus resultierenden „narrative sense of self“⁴⁰² gilt es nachfolgend genauer in den Blick zu nehmen. Die hier vertretene und durch das „Self-Memory System“, das „Life Story Schema“ und die damit zusammenhängenden empirischen Befunde⁴⁰³ zur Funktion und Organisation autobiographischer Erinnerungen gestützte Konzeption von Narrativität im Kontext biographischer Identität betont die psychologisch wichtige Funktion von Narrationen, „dem eigenen Leben eine – mehr oder minder – dauerhafte und kommunizierbare Gestalt zu verleihen.“⁴⁰⁴ Neben der Kontinuitätserzeugung spielt dabei die Reduktion von Kontingenz ⁴⁰⁵ eine wichtige Rolle. Goldie 2003, S. 301. Hirst/Manier/Apetroaia 1997, S. 164. Goldie 2003, S. 301. Für die Diskussion weiterer, die Annahme der narrativen Struktur biographischer Identität stützender empirischer Daten aus kognitionspsychologischen und neurowissenschaftlichen Studien vgl. Bickle 2003. Neumann 2005, S. 38. Gemeint ist damit freilich nicht die Reduktion tatsächlicher Kontingenz, sondern die subjektiv-interpretative Minderung von Kontingenzerfahrungen in der erstpersonalen Wahrnehmung.
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Durch die Einbindung von Erinnerungen in narrative Strukturen erscheinen die Elemente und Ereignisse des eigenen Lebens nicht (oder zumindest weniger) als zufällige Geschehnisse, sondern als (mehr oder weniger) „logische“ Bestandteile der Biographie, durch die sie – zumindest partiell – erklärt werden.⁴⁰⁶ Aus diesen Strukturen ergibt sich eine subjektiv-retrospektive Teleologie, die kennzeichnend ist für die erstpersonale Wahrnehmung der Lebensgeschichte von Personen.⁴⁰⁷ Diese Teleologie ist insofern retrospektiv, als Ziele, Motive und Entwicklungslinien in der Rückschau auf die eigene Biographie erkannt und durch sie erklärt werden.⁴⁰⁸ Subjektiv ist sie insofern, als diese Ziele, Motive und Zusammenhänge nicht unbedingt auch „wirklich“, also zu dem Zeitpunkt in der Vergangenheit, an dem sie vermeintlich handlungswirksam waren, existiert haben müssen.Vielmehr erscheinen die darauf basierenden Erklärungen dem Subjekt häufig erst im Nachhinein und aus der Jetzt-Sicht plausibel oder gar zwingend. Oftmals wird diese Erklärung jedoch fälschlich als auch zum damaligen Zeitpunkt bereits existierend erinnert.⁴⁰⁹ Diese teleologische Interpretation gründet ebenfalls auf Mechanismen der Gedächtnisorganisation, genauer auf dem von Conway und Pleydell-Pearce beschriebenen Abgleich der aktuellen Selbstwahrnehmung mit dem autobiographischen Wissens- und Erinnerungsbestand. Die personale Gegenwart gewinnt Einfluss über die personale Vergangenheit, indem sie diese vor dem Hintergrund aktueller Motivation und Erfahrung selektiert, deutet und strukturiert und dabei Entwicklungen und Motive sichtbar macht bzw. retrospektiv (re‐)konstruiert, die sich wie ein roter Faden durch das Leben ziehen. Hier lässt sich nochmals an Wollheims Überlegungen zum „thread of life“ anschließen: Erinnerungen sind nicht nur der rote Faden im Leben von Personen, insofern sie die spezifischen Inhalte der Biographie transportieren und Informationen „über die Zeit retten“. Sie erfüllen in narrativ strukturierter Gestalt durch das Erzeugen von Kausalität und Bedeutsamkeit die für das Führen eines Lebens als Person noch grundlegendere Funktion, das eigene Leben mit seinen Zusammenhängen und Bedingungsgefügen zuallererst in den Blick zu bekommen und nicht nur erkennbar, sondern darüber hinaus auch gestaltbar zu machen. In diesem Sinn geben Erinnerungen personalem Leben seine charakteristische Form. Sie fungieren als der rote Faden des Lebens. Wollheim betont zudem, wie gezeigt, die Bedeutung der affektiven Dimension von Erinnerungen für die Konstituierung biographischer Identität und die Er-
Vgl. Neumann 2005, S. 38 f. Der Begriff „retrospektive Teleologie“ findet sich auch bei Brockmeier 1999, S. 35. Zu den Besonderheiten narrativer Erklärungen vgl. Velleman 2003. Freilich gibt es auch Fälle, bei denen die subjektive Einschätzung und die tatsächlichen Motive und Ziele der Vergangenheit überwiegend oder sogar vollständig übereinstimmen.
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möglichung personalen Lebens. Sein Postulat der „psychic force“ von Erinnerungen beruht auf der Annahme, dass diese erst durch ihre emotionale Kraft für die Gegenwart und Zukunft einer Person wirksam werden. Diese Feststellung wird durch die Ergebnisse der Analyse des „Self-Memory System“ und des „Life Story Schema“ untermauert und spezifiziert. Emotionen sind, so wurde dabei deutlich, an verschiedenen Stellen an der Genese und Veränderung von Erinnerungen beteiligt und erfüllen unterschiedliche Funktionen hinsichtlich der Rolle von Erinnerungen für die biographische Identität von Personen. Ihr Einfluss beginnt bereits auf der Ebene der Wahrnehmung potentieller Erinnerungsgegenstände: „The emotional boost begins at the moment that a memory is born, when attention and elaboration strongly influence whether an experience will be subsequently remembered or forgotten.“⁴¹⁰ Wahrnehmungspsychologische Experimente zeigen, dass bereits bei der Wahrnehmung von emotional konnotierten Worten („traurig“/„fröhlich“) eine Art automatische Aufmerksamkeit existiert, was bei der Wahrnehmung emotional neutraler Worte („trocken“/„nass“) nicht der Fall ist.⁴¹¹ Neben diese automatische Fokussierung bestimmter Wahrnehmungen tritt ein Mechanismus, den Conway und Pleydell-Pearce durch ihr Modell des „Self-Memory System“ veranschaulichen und der von Daniel Schacter als „elaborative encoding“⁴¹² bezeichnet wird: Neue Informationen werden evaluiert, indem ihre Relevanz für kurz- oder langfristige Ziele und Motive ermittelt wird.⁴¹³ Fällt diese Evaluation positiv aus, führt sie zur Ausbildung einer Erinnerung.⁴¹⁴ Diese Ziele und Motive sind Bestandteil des „working self“ und wirken häufig, wie bereits gesehen, ohne dass sich das Subjekt ihres Einflusses bewusst ist.⁴¹⁵ Dass Erinnerungen schon beim Enkodieren mit einem bestimmten emotionalen Index versehen werden, bedeutet jedoch nicht, dass dieser in späteren Abrufsituationen unverändert bleibt. Vielmehr besteht ein komplexes Wechselwirkungsverhältnis zwischen emotional konnotierten autobiographischen Erinnerungen und der aktuellen biographischen Identität einer Person, das sich pointiert wie folgt beschreiben lässt: Autobiographische Erinnerungen werden aufgrund ihrer emotionalen Bedeutung zu Bestandteilen der Biographie einer Person und gestalten dadurch deren Inhalt mit. Der Inhalt dieser Erinnerungen kann wiederum durch Veränderungen der biographischen Identität, etwa durch die Ausbildung neuer Präferenzen und das Verwerfen von Überzeugungen, mo-
Schacter 2001, S. 163. Vgl. Schacter 2001, S. 163. Schacter 2001, S. 163. Zur Rolle von Emotionen bei der Evaluation von Informationen vgl. Zinck 2011, S. 72 f. Vgl. Schacter 2001, S. 163. Vgl. S. 106 – 110 dieser Arbeit.
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difiziert werden. Anders formuliert: Es besteht ein dynamisches Wechselspiel und Bedingungsverhältnis zwischen autobiographischen Erinnerungen, Autobiographie und gegenwärtiger Selbsteinschätzung:⁴¹⁶ „Not only is our sense of self based on memories of past experiences, […] but our retrieval, recollection, and reconstruction of the past is, reciprocally, influenced by the self.“⁴¹⁷ Schacters „Gedächtnissünde“ der „Verzerrung“ („The Sin of Bias“⁴¹⁸) vermag die mit biographischen Veränderungen einhergehende Modifikation autobiographischer Erinnerungen auf Grundlage des aktuellen Selbstbildes zu illustrieren: Unter „Verzerrung“ fallen dabei die verschiedenen Weisen, „in which our current knowledge and beliefs can distort our memories for the past.“⁴¹⁹ Erinnerungen werden demnach durch Wissensbestände, Überzeugungen und Emotionen⁴²⁰, die zum Zeitpunkt des Abrufs aktuell sind, insofern verzerrt, als sowohl ihr inhaltlicher Gehalt wie auch ihre emotionale Bewertung in der erinnernden Rückschau teils erheblich vom ursprünglichen, also dem zum Zeitpunkt der Enkodierung aktuellen Inhalt und emotionalen Gehalt, abweichen kann.⁴²¹ Schacter unterteilt solche Erinnerungsverzerrungen in fünf Kategorien: „[C]onsistency, change, egocentric, hindsight and stereotypic biases.“⁴²² Konsistenz- und Veränderungsverzerrungen stellen zwei Arten des Umgangs mit kognitiven Dissonanzen dar, in unserem Fall im Sinne von psychisch als negativ empfundenen Widersprüchen zwischen vergangenen und gegenwärtigen Gedanken und Gefühlen. Eine Möglichkeit, diese psychische Spannung abzubauen, besteht im Angleichen von Erinnerungen an aktuelle Überzeugungen, Gedanken und Gefühle mit dem Ziel, eine konsistente „Geschichte“ zu denken bzw. zu erzählen, welche die Kontinuität und Stabilität des Denkens und Handelns einer Person betont („consistency bias“). Die subjektive Wahrnehmung von Wandel und Veränderung über die Zeit hinweg, welche oft nach interner oder externer Erklärung oder Rechtfertigung verlangt, wird so zugunsten eines „Im Großen und Ganzen habe ich schon immer so empfunden/gehandelt“-Gefühls gemindert bzw.
Vgl. dazu die Studie von Levine (1997, S. 165), welche die Annahme stützt, „that memories for emotional responses are partially reconstructed or inferred on the basis of current appraisals of events.“ Schacter/Chiao/Mitchell 2003, S. 227. Schacter 2001, S. 138. Schacter/Chiao/Mitchell 2003, S. 229. Emotionen spielen neben Wissen und Überzeugungen eine wichtige Rolle bei der von Schacter beschriebenen Verzerrung von Erinnerungen: „Likewise, memories of past experiences may be colored by present mood and emotional state.“ (Schacter 1999, S. 193). Für eine ausführliche Diskussion der epistemologischen Konsequenzen solcher kognitiver Verzerrungen („cognitive biases“) vgl. Gendler 2011. Schacter/Chiao/Mitchell 2003, S. 233.
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durch dieses ersetzt. Die Tendenz zu solchen Konsistenzverzerrungen konnte durch Studien in verschiedenen Kontexten belegt werden. So zeigt sich beispielsweise bei Patienten mit chronischen Schmerzen eine Abhängigkeit zwischen der erinnerten Intensität von Schmerzen in der Vergangenheit und dem gegenwärtigen Schmerzempfinden. Je stärker bzw. schwächer die aktuell empfundenen Schmerzen, umso stärker bzw. schwächer wird die Intensität vergangener Schmerzempfindungen eingeschätzt.⁴²³Auch bezüglich politischer Überzeugungen konnte nachgewiesen werden, dass Meinungsänderungen, die im Experiment festgestellt und dokumentiert wurden, im Nachhinein häufig negiert und die aktuelle auch als die in der Vergangenheit vermeintlich bereits besessene Überzeugung erinnert wurde.⁴²⁴ Ähnliches gilt für die Erinnerung an die gemeinsam verbrachte Zeit in festen Partnerschaften. Hier findet sich häufig die Tendenz, bei veränderter Gefühlslage hinsichtlich des Partners und der Beziehung die aktuellen Gefühle als auch in der Vergangenheit gleichwertig vorhanden zu erfahren, obgleich sich im Rahmen der Studien erhebliche Unterschiede zwischen der dokumentierten vergangenen Einschätzung und der gegenwärtigen Einschätzung der vergangenen Meinung zeigten.⁴²⁵ Allerdings geschieht in vielen dieser Fälle kein bewusster Abgleich von autobiographischen Erinnerungen und gegenwärtigen Einstellungen. Der Sozialpsychologe Michael Ross konnte beispielsweise in Studien zeigen, dass in Abwesenheit konkreter Erinnerungen häufig eine „implizite Stabilitätstheorie“ („implicit theory of stability“⁴²⁶) zum Einsatz kommt, die zu Verzerrungen der Vergangenheit führt, wenn die Stabilität der fraglichen Einstellungen oder Überzeugungen faktisch nicht gegeben ist, sondern diese implizite Theorie tatsächliche Veränderungen abschwächt oder gänzlich überlagert.⁴²⁷ Auf diese „Nachgiebigkeit“ des Gedächtnisses hat bereits Friedrich Nietzsche hingewiesen: „,Das habe ich gethanʻ, sagt mein Gedächtniss. ,Das kann ich nicht getan habenʻ – sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich – giebt das Gedächtniss nach.“⁴²⁸ Während man bei Konsistenzverzerrungen fälschlich annimmt, sich hinsichtlich der in Frage stehenden Erinnerungen nicht verändert zu haben, ist bei Veränderungsverzerrungen („change biases“) das Gegenteil der Fall. Hierbei werden rückblickend Veränderungen angenommen, die nicht der historischen
Vgl. Schacter 2001, S. 139. Ein Überblick über diese Studien findet sich in Ross 1989. Vgl. Kirkpatrick/Hazan 1994 und Scharfe/Bartholomew 1998. Vgl. dazu auch Schacter 2001, S. 142– 144. Ross 1989, S. 341. Vgl. Ross 1989. Nietzsche 1988/1886, IV 68.
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Realität entsprechen, sondern auf deren Vorliegen aufgrund der gegenwärtigen Situation fälschlicherweise geschlossen wird. Als Beispiel nennt Schacter Studien mit Paaren, die rückblickend eine über die Jahre zunehmende emotionale Intensität ihrer Beziehung im Sinne einer immer stärker werdenden Zuneigung zum Partner angaben. Im Vergleich dieser retrospektiven Einschätzung mit den im Rahmen der Studie zu den damaligen Zeitpunkten gemachten Angaben zur Intensität der Beziehung zeigte sich, dass diese Wahrnehmung in der Rückschau nicht der Wahrnehmung zum Zeitpunkt der damaligen Befragung entsprach. In der Erinnerung stellte sich der Eindruck einer Entwicklung dar, der die Gegenwart in einem angenehmen, weil hinsichtlich der Partnerschaft noch positiverem Licht erscheinen lässt, als die gemeinsame Vergangenheit.⁴²⁹ Rückschauverzerrungen („hindsight biases“) beziehen sich auf die irrige Überzeugung, „es ja immer schon gewusst zu haben“. In der subjektiven Rückschau werden Verläufe und Ausgänge von Ereignissen oft so erinnert, als ob der betreffenden Person der jeweilige Verlauf oder Ausgang bereits vorher („schon immer“) klar war, obgleich dies nachweislich nicht der Fall war. Erklärungen, die nach einem Ereignis plausibel dessen Verlauf begründen, werden häufig fälschlich für Erklärungen gehalten, die man selbst bereits vor dem Ereignis hatte. Zahlreiche Studien belegen diesen Effekt, etwa bezüglich der Einschätzung des Ausgangs von Sportereignissen⁴³⁰, Wahlen⁴³¹ oder Gerichtsprozessen⁴³². In allen Kontexten zeigten sich bei einem Teil der Probanden signifikante Rückschauverzerrungen. Nach dem jeweiligen Ereignis bzw. nach dem Angeben von Erklärungen und Fakten, die den Personen vorher nicht bekannt waren, änderte sich nicht nur die eigene Meinung oder Einschätzung des Ereignisses. Vielmehr wurde diese geänderte Einschätzung auch als schon immer vorhanden erinnert. Schacter sieht hinter diesem Phänomen die generelle Tendenz, die erinnerte Vergangenheit dem aktuellen Wissen weitgehend anzupassen.⁴³³ Die Überzeugung, bereits vorher zu wissen oder gewusst zu haben, wie sich die Dinge entwickeln, vermittelt ein Gefühl der Kontrolle bzw. Planbarkeit und vermindert aus subjektiver Sicht die Unsicherheit unvorhersehbarer Kontingenz und die damit verbundenen Unwägbarkeiten. Die mit solchen Überzeugungen einhergehende Stärkung des Selbstgefühls ist für Schacter die Hauptursache für die Häufigkeit und Wirksamkeit solcher Verzerrungen:
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
Karney/Coombs 2000. Vgl. auch Schacter 2001, S. 227 f. Roese/Maniar 1997. Leary 1982. Bryant/Brockway 1997 und Hastie/Schkade/Payne 1999. Schacter 2001, S. 147.
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[T]he comforting sense that we always knew the way things would turn out makes us feel good about ourselves, inflating estimates of our own wisdom and prescience. This feature of hindsight bias no doubt contributes to its potency, because self-enhancing biases are pervasive features of attempts to reconstruct the personal past.⁴³⁴
Die vierte Form der Erinnerungsverzerrung bilden nach Schacter stereotype Verzerrungen („stereotypic biases“). Die Verzerrung von Erinnerungen geschieht hier durch den Einfluss stereotyper Annahmen, etwa über bestimmte Personengruppen, Ethnien oder Namen, und zumeist ohne das Bewusstsein der Wirksamkeit und des Inhalts der Stereotype.Verzerrungen dieser Art treten besonders dann auf, wenn bei der Enkodierung von Gedächtnisinhalten, etwa wegen mangelnder Aufmerksamkeit, nur wenige Details Eingang in das Langzeitgedächtnis finden.⁴³⁵ Bei einem späteren Abruf werden die so entstandenen „Lücken“ der Erinnerung durch Stereotype gefüllt. Hat man sich beispielsweise nur den Beruf eines Menschen gemerkt, können bei einer späteren Erinnerung an diesen Menschen Details „erinnert“ werden, die von stereotypen Vorstellungen über diesen Beruf herrühren.⁴³⁶ Der Einfluss solcher stereotyper Vorstellungen kann so weit gehen, dass Ereignisse, die bestimmten Stereotypen einer Person signifikant widersprechen, in der Erinnerung „umkonstruiert“ werden, um diesen Widerspruch aufzulösen. In verschiedenen Studien zeigte sich dies etwa bei Geschichten, deren Handlung oder Ausgang aus Sicht der Probanden bezüglich ihrer stereotypen Erwartungshaltung inkongruent war. In vielen Fällen wurden Teile dieser Geschichte in der Erinnerung derart verändert, dass sich eine Gestalt ergab, die den stereotypen Vorstellungen entsprach oder zumindest näher kam.⁴³⁷ Der fünfte und letzte Verzerrungstypus, die egozentrische Verzerrung („egocentric bias“), ist der für unsere Thematik relevanteste: „Egocentric bias reflects, in part, the strong role played by the self in the encoding and retrieval of episodic memories.“⁴³⁸ Dieser Einfluss des „Selbst“ zeigt sich auf verschiedenen Ebenen: Zunächst können Erinnerungen, die mit der eigenen Person und Biographie verknüpft sind, länger im Gedächtnis behalten und besser erinnert werden als „neutrale“ Erinnerungen oder Erinnerungen an Handlungen und Aussagen Anderer, was häufig als „self-reference effect“⁴³⁹ bezeichnet wird. Schacter hält dies Schacter 2001, S. 149. Vgl. Macrae/Milne/Bodenhausen 1994. Vgl. Schacter 2001, S. 149. Für einen Überblick über diese Studien vgl. Alba/Hasher 1984. Vgl. dazu auch Schacter 2001, S. 156 f. Schacter/Chiao/Mitchell 2003, S. 233. Eine ausführliche Meta-Studie zum „self-reference effect“ findet sich in Symons/Johnson 1997.
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für einen der Gründe, warum beispielsweise der eigene Beitrag bei gemeinsamen Entscheidungen und Handlungen, etwa im Rahmen von Partnerschaften, sehr häufig überschätzt wird.⁴⁴⁰ Zu diesem Einfluss des Selbstbezugs auf die Auswahl, Intensität und Behaltensdauer von Erinnerungen kommt die Tendenz hinzu, vergangene Episoden so zu erinnern, dass sie das gegenwärtige Selbst in einem positiven Licht erscheinen lassen. Belege dafür finden sich beispielsweise in Studien, die zeigen, dass gute Schulnoten sehr viel länger und besser erinnert werden konnten als schlechte.⁴⁴¹ Eine andere Studie demonstriert die Abhängigkeit selbstbezogener Erinnerungen von als wünschenswert und positiv deklarierten Persönlichkeitsmerkmalen: Nachdem Probanden die soziale Erwünschtheit introvertierten Verhaltens suggeriert wurde, zeigte sich eine deutliche Zunahme selektiver Erinnerungen an introvertiertes Verhalten im Vergleich zu Kontrollgruppen.⁴⁴² Das Generieren solcher „positiver Illusionen“ ⁴⁴³ und die Positivfärbung der eigenen Vergangenheit und Persönlichkeit scheinen ein Konstituens psychischen Wohlbefindens zu sein.⁴⁴⁴ Die Sozialpsychologen Richard Walker, John Skowronski und Charles Thompson überschreiben eine MetaStudie, die diese Annahme stützt, dementsprechend programmatisch mit: „Life is Pleasant – and Memory Helps to Keep It That Way!“⁴⁴⁵ Der für die „Vorherrschaft“⁴⁴⁶ emotional positiv konnotierter autobiographischer Erinnerungen verantwortliche Gedächtnismechanismus ist das sogenannte „fading affect bias“⁴⁴⁷. Es bezieht sich auf die Tatsache, dass die emotionale Intensität positiver Erinnerungen über die Zeit hinweg stabiler bleibt als im Fall negativer Erinnerungen,
Vgl. Schacter 2001, S. 150. Vgl. Bahrick/Hall/Berger 1996. Vgl. Sanitioso/Kunda/Fong 1990. Taylor/Brown 1988, Taylor/Brown 1994 und Taylor 1989. Vgl. Skowronski 2011. Walker/Skowronski/Thompson 2003. Diese „Vorherrschaft“ im Sinne des Überwiegens emotional positiv konnotierter Erinnerungen und einer überwiegend positiven Wahrnehmung des eigenen Lebens ist häufig, aber nicht immer der Fall. Ausnahmen finden sich etwa im Kontext extremer Armut in Entwicklungsländern und bei bestimmten psychischen Krankheitsbildern, beispielsweise bei „milder Depression“ (Walker/Skowronski/Thompson 2003, S. 203; vgl. dazu auch Williams 1992 und 1996). Dagegen existieren bezüglich der Wahrnehmung des eigenen Lebens als überwiegend positiv und glücklich kaum Unterschiede zwischen ethnischen Gruppen, Minderheiten, NichtBehinderten und Behinderten oder hinsichtlich Einkommensunterschieden (vgl. Walker/Skowronski/Thompson 2003, S. 203 f.). Vgl. Walker/Skowronski/Thompson 2003, S. 205 – 207, Ritchie et al. 2009 und Skowronski 2011.
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deren emotionaler Gehalt im Durchschnitt schneller „verblasst“ („fades“).⁴⁴⁸ Aus den analysierten Studien ziehen die Autoren den Schluss: „Autobiographical Memory is generally biased in favor of pleasantness […].“⁴⁴⁹ Zudem stellt die Tatsache, dass emotional positive autobiographische Erinnerungen zumeist stabiler sind als negative, eine bemerkenswerte Ausnahme von der für viele Bereiche der Psychologie geltenden Regel dar, dass negative Stimuli stabiler und/oder stärker sind, als positive („bad is stronger than good“⁴⁵⁰). Die Wahrnehmung des eigenen Lebens als überwiegend positiv und die Dominanz positiver Erinnerungen erfüllen eine grundlegende Funktion für die psychische Stabilität, Motivation und Handlungsfähigkeit von Personen: Sie erlauben oder erleichtern die Bewältigung auch schwieriger Situationen und Lebensphasen, indem die Beschäftigung bzw. das Sich-Beschäftigen-Müssen mit negativen Erlebnissen durch das diachrone Schwächerwerden ihrer emotionalen Intensität verringert und damit die Zuwendung zur Gegenwart und Zukunft und das Finden neuer Motivation vereinfacht wird: „Together, these biases allow people to cope with tragedies, celebrate joyful moments, and look forward to tomorrow.“⁴⁵¹ Anhand dieser Befunde lässt sich nun auch die Bedeutung von Emotionen für die Rolle von Erinnerungen bei der Konstituierung und Aufrechterhaltung der biographischen Identität von Personen verdeutlichen. Das Bewusstsein der eigenen biographischen Identität beruht, wie wir bereits gesehen haben, auf der Wahrnehmung des eigenen Lebens als narrativ strukturiert und kohärent. Wie die Analyse der empirischen Studien zeigt, spielen Emotionen bei der Erzeugung dieser Strukturen an verschiedenen Stellen eine entscheidende Rolle. Zunächst bedarf es dazu der Aneignung der eigenen Vergangenheit: Es genügt nicht, […] daß ich vis-à-vis meiner Vergangenheit einfach feststelle, daß mir gewisse Dinge zugestoßen sind. Als Person soll ich versuchen, sie in Besitz zu nehmen und als Teile von mir aufzufassen, so daß sie mir nicht als fremd erscheinen.⁴⁵²
Diese Inbesitznahme der eigenen Vergangenheit in Form autobiographischer Erinnerungen geschieht durch den Einfluss von Emotionen. Dieser Einfluss besteht zum einen im Kontext der erstmaligen Enkodierung von Erinnerungen. Emotionen bilden hier eine Art Filter, der unter Berücksichtigung aktueller Prioritäten und Dies bedeutet freilich nicht zwingend, dass die Erinnerung als Ganzes verblasst oder verschwindet. Vielmehr kann ihr Informationsgehalt fortbestehen, während die damit verbundenen Emotionen schwinden. Walker/Skowronski/Thompson 2003, S. 208. Baumeister et al. 2001. Vgl. auch Walker/Skowronski/Thompson 2003, S. 208 f. Walker/Skowronski/Thompson 2003, S. 209. Bieri 1986, S. 273.
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Motive über das Behalten oder Verwerfen von Informationen und über die Art ihrer Speicherung entscheidet. Zum anderen werden bestehende autobiographische Erinnerungen insofern fortlaufend aktualisiert, als ihre Bedeutung vor dem Hintergrund neuer Entwicklungen und der damit verbundenen Emotionen evaluiert und gegebenenfalls neu bewertet wird. Die Rolle, die solche auf vergangene autobiographische Ereignisse bezogenen Emotionen („autobiographically pastdirected emotions“⁴⁵³/APD-Emotionen) für Personen und speziell für die Entwicklung eines reflexiven Selbstverhältnisses spielen, lässt sich unter Rückgriff auf die Unterscheidung zweier Erscheinungsformen solcher Emotionen von Dorothea Debus präziser fassen: Zum einen gibt es APD-Emotionen, die das betreffende vergangene Ereignis vom heutigen Standpunkt aus beurteilen. Wenn sich Paul etwa an seine immense Furcht vor Hunden als kleines Kind erinnert und diese Furcht aus der Sicht des Erwachsenen betrachtet, der diese Furcht verloren hat und Hunde heute sehr schätzt, mag er seine früheren Emotionen gegenüber Hunden für unangemessen, übertrieben oder gar albern halten. Es handelt sich bei APD-Emotionen dieser Art, bei denen die Beurteilung der Vergangenheit aus Sicht der Gegenwart erfolgt, um „nicht-empathische APD-Emotionen“ („non-empathetic APD-emotions“⁴⁵⁴). Erinnert sich Paul dagegen dergestalt an seine frühere Furcht vor Hunden, dass er sich in sein damaliges „Kinder-Selbst“ hineinversetzt und dadurch seine vergangenen Emotionen nachzuempfinden vermag, handelt es sich um eine „empathische APD-Emotion“ („empathetic APD-emotion“⁴⁵⁵). Beide Formen des bewussten emotionalen Bezugs auf die personale Vergangenheit stellen wichtige Mittel dafür dar, diese Vergangenheit interpretieren,verstehen und als die eigene begreifen zu können.⁴⁵⁶ Wenn Paul sich beispielsweise an einen heftigen Streit mit einem guten Jugendfreund erinnert, bei dem es um die Wahl eines Studienfachs und im weiteren Sinn auch um die Wahl des „richtigen“ Lebensentwurfs ging, kann das empathische Hineinversetzen in die erinnerte Situation ihm wichtige Aufschlüsse über seine biographische Entwicklung geben.⁴⁵⁷ Durch das Einnehmen der früheren emotionalen Perspektive vermag er zu verstehen, warum seine Reaktion damals in einer bestimmten Weise erfolgte und was seine damaligen Überzeugungen waren, selbst wenn sich diese im Vergleich zu heute grundlegend verändert haben. Betrachtet Paul dieselbe erinnerte Situation „von außen“, also vom Standpunkt seiner aktuellen Ansichten,Werte und emotionalen
Debus 2007, S. 758. Debus 2007, S. 773. Debus 2007, S. 774. Vgl. Debus 2007, S. 774. Zur Diskussion des „empathic access“ zu den eigenen Erinnerungen und zur eigenen Biographie vgl. Schechtman 2001 und 2007 sowie Goldie 2011.
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Verfasstheit aus, erlaubt ihm dies, eine wertende Haltung gegenüber seiner Vergangenheit einzunehmen, indem frühere und heutige Emotionen miteinander verglichen und etwaige Veränderungen oder Kontinuitäten erkannt und beurteilt werden.⁴⁵⁸ Empathische und nicht-empathische APD-Emotionen ermöglichen es Personen, durch die nachvollziehende bzw. evaluativ-vergleichende Rückschau auf die eigene Vergangenheit wichtige Entwicklungen in ihrer Biographie verstehen und einordnen zu können. Die Fähigkeit, diese beiden emotionalen Perspektiven einnehmen zu können, beruht auf der bereits erwähnten Eigenschaft autobiographischer Erinnerungen, zwei unterschiedliche Perspektiven des Erinnerns zu ermöglichen.⁴⁵⁹ Die Innenperspektive („field perspective“⁴⁶⁰) bezeichnet dabei die Perspektive der 1. Person, die der ursprünglichen Wahrnehmung ähnelt. Erinnerungen dieser Art beinhalten eine Art mentales Wiedererleben der betreffenden vergangenen Episode, wobei die Perspektiven des Erinnerns und der damaligen Wahrnehmung übereinstimmen. Die Beobachterperspektive („observer perspective“⁴⁶¹) ist dagegen eine Perspektive von außen, aus welcher der Erinnernde sich selbst als Handelndem „zusieht“ und die von der Perspektive der ursprünglichen Wahrnehmung abweicht.⁴⁶² Während das Einnehmen der Innenperspektive mit der Ermöglichung empathischer APD-Emotionen in Verbindung steht, korreliert die Beobachterperspektive mit dem Auftreten nicht-empathischer APD-Emotionen. Autobiographisches Erinnern aus der Beobachterperspektive versetzt den Erinnernden in die Lage, eine Außensicht auf Handlungen und Ereignisse in der eigenen Biographie einzunehmen. Diese Sicht ermöglicht die Beurteilung der personalen Vergangenheit aus der Distanz.⁴⁶³ Durch das Einnehmen des Beobachterstandpunktes gewinnt die Person im Erinnern Abstand zur Unmittelbarkeit der 1. Person-Wahrnehmung und -Erinnerung und erlangt dadurch die Fähigkeit, unter Einbeziehung des aktuellen Wissens und gegenwärtiger Emotionen zu einer Einschätzung und Beurteilung ihrer Vergangenheit zu gelangen. Autobiographische Erinnerungen werden demnach zu Bestandteilen der Autobiographie, indem sie durch Einordnung und Evaluation zu Elementen des „narrative sense of self“⁴⁶⁴ werden und sich aus Sicht der Person sinnvoll in die Geschichte des ei-
Vgl. Debus 2007, S. 774. Vgl. S. 48 f. dieser Arbeit. Nigro/Neisser 1983, S. 467. Nigro/Neisser 1983, S. 467. Vgl. zu dieser Unterscheidung auch Goller 2009, S. 96 – 98. Goldie spricht in diesem Zusammenhang von der „ironic distance“ einer Person zu ihrer erinnerten Vergangenheit (Goldie 2003, S. 312; vgl. dazu auch Goldie 2007). Goldie 2003, S. 313.
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genen Lebens integrieren lassen. Solch eine Integration setzt voraus, eine subjektiv als adäquat empfundene emotionale Reaktion auf die fragliche Episode der eigenen Vergangenheit zeigen zu können, was Peter Goldie als „desire for emotional closure“⁴⁶⁵ bezeichnet: [T]he desire is to be able to look back in the right way on oneʼs past life from oneʼs present external perspective: not just seeing the causal connections, and making sense of why one then thought, felt and acted as one then did, but also seeing oneʼs own external emotional response as the appropriate one.⁴⁶⁶
Eine spezifische Funktion von Emotionen im Kontext autobiographischen Erinnerns besteht demzufolge darin, retrospektiv zu einer Beurteilung vergangener Ereignisse und Handlungen zu gelangen, die aus der Beobachterperspektive erfolgt und von der Person als adäquate emotionale Reaktion angesehen werden kann. Adäquat ist eine solche Reaktion dann, wenn durch sie für das erinnernde Subjekt der Eindruck entsteht, die Frage, wie man über ein Ereignis oder Handeln heute denkt und fühlt, sei durch sie beantwortet.⁴⁶⁷ Wenn Paul etwa aus heutiger Sicht beim Gedanken an eine frühere Missetat tiefe Reue empfindet oder stolz auf sein damaliges Abschneiden im Abitur zurückblickt, liegt eine derartige Reaktion vor, die sich in den Gesamtrahmen der Biographie einfügt. Ein Beispiel für das Ausbleiben solcher emotionaler Reaktionen bieten traumatische Erfahrungen respektive die Erinnerungen an solche Erfahrungen, bei denen der Versuch, eine adäquate emotionale Reaktion zu zeigen, scheitert. Die traumatische Erfahrung ist zwar als Erinnerung verfügbar, bleibt aber einem Fremdkörper gleich neben der eigenen Biographie stehen, da die subjektiv plausible Einordung durch eine adäquate emotionale Bewertung nicht gelingt und ihr Platz in der Lebensgeschichte so unbestimmt bleibt.⁴⁶⁸
3.2.4.4 Identifikation und biographische Kohärenz Das Evaluieren und Anpassen der emotionalen Qualität von Erinnerungen, das im letzten Kapitel untersucht wurde, hängt auch mit der Entwicklung bzw. Aufrechterhaltung einer weiteren wichtigen Ermöglichungsbedingung biographi-
Goldie 2003, S. 314. Goldie 2003, S. 314. Vgl. Goldie 2003, S. 314. Vgl. Goldie 2003, S. 313 – 315. Traumatische Erinnerungen werden auf S. 202 f. noch einmal thematisiert.
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scher Identität zusammen, der biographischen Kohärenz ⁴⁶⁹. Diese steht wiederum in einem engen Verhältnis zum Begriff der Identifikation. Beide sollen nachfolgend hinsichtlich ihrer Rolle, die sie für den Zusammenhang von Erinnerung und biographischer Identität spielen, analysiert werden. Zunächst zur Identifikation: Hier gilt es, im Kontext biographischer Identität zwei verschiedene Formen zu unterscheiden: Identifikation als und Identifikation mit. ⁴⁷⁰ Identifikation als meint dabei im deskriptiven Sinne das retro- oder prospektive Identifizieren im Sinne der Zuordnung einer Referenz zur eigenen Person. Sie bezieht sich auf das Wissen um die formale Identität von aktuellem und vergangenem bzw. antizipiertem zukünftigem Selbst.⁴⁷¹ Erkennt der erwachsene Paul den achtjährigen Jungen im Fußballvideo seiner Eltern als sich selbst, identifiziert er diesen als die eigene Person. Diese Form der Identifikation ist auch prospektiv möglich, etwa wenn Petra in Klausʼ Planung und Schilderung des morgigen Tages sich selbst und die ihr aufgetragenen Aufgaben als die ihren identifiziert. Bei der Identifikation mit tritt neben dieses formale Wiedererkennen eine bewertende Stellungnahme gegenüber den erinnerten oder antizipierten Ereignissen und Handlungen, die sich auf die eigene Person beziehen. Paul kann beim Anblick des Videos beschämt über sein unsportliches Verhalten oder stolz auf die vier erzielten Tore sein. Petra mag Ärger über die Art der von Klaus verteilten Aufgaben empfinden oder Vorfreude beim Gedanken an den spannenden morgigen Tag verspüren. Wie diese Beispiele zeigen, muss die Identifikation mit keineswegs positiv sein, obgleich die umgangssprachliche Verwendung von „sich mit etwas identifizieren“ dies nahezulegen scheint.⁴⁷² Sie kann sich zudem – ebenso wie die Identifikation als – auch auf zukünftige Situationen beziehen, etwa im Fall des ängstlichen Antizipierens eines bevorstehenden Zahnarztbesuchs. Die Identifikation mit stellt insofern eine notwendige Bedingung biographischer Identität dar, als sie die bewertende Stellungnahme gegenüber der eigenen Vergangenheit und der aus dieser Vergangenheit resultierenden Antizipation und Planung der personalen Zukunft ermöglicht.⁴⁷³ Diese evaluative Stellungnahme muss dabei, wie im vorangegangenen Kapitel am Beispiel emotionalen Erinnerns
Zum Begriff der biographischen Kohärenz und seiner Analyse vgl. Quante 2007a, S. 158 – 177. Vgl. Quante 2007a, S. 142– 148 sowie Runkel 2010, S. 77 f. Vgl. hierzu die Unterscheidung zwischen formalem und qualitativem Identitätswissen auf S. 80 dieser Arbeit. Vgl. Quante 2007a, S. 143 f. und Runkel 2010, S. 77. Für eine Analyse des damit in Verbindung stehenden Zusammenhangs der Identifikation mit und der Selbstsorge („self-concern“) und dem Selbstinteresse („self-interest“) von Personen vgl. Martin 1998, S. 93 – 129.
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demonstriert wurde, nicht die Form eines Urteils annehmen, sondern kann „auch im Modus einer Emotion oder eines Affekts realisiert sein [..].“⁴⁷⁴ Ohne die Möglichkeit solcher Stellungnahmen gegenüber der eigenen Biographie fehlten einer Person die Maßstäbe und Motive, um sich zu ihrem Leben „aktiv gestaltend [zu] verhalten.“⁴⁷⁵ Im Kontext von Harry Frankfurts vieldiskutierter Theorie über die hierarchische Struktur des menschlichen Willens („Higher Order Theory“⁴⁷⁶/„HOT-Theory“) spielt das Konzept der Identifikation mit eine wichtige Rolle. Ein kurzer Blick auf seine Theorie ist hinsichtlich unserer Frage nach der Rolle von Erinnerungen für die Entstehung und Aufrechterhaltung biographischer Identität hilfreich. Für uns ist Frankfurts Theorie dabei ausschließlich als Strukturbeschreibung menschlicher Volitionen und ihrer Voraussetzungen von Interesse, weshalb die zahlreichen Einwände dagegen, die sich auf die Inadäquatheit seines Konzepts der Willensfreiheit beziehen, außen vor bleiben können.⁴⁷⁷ Eine spezifische Fähigkeit von Personen, so lautet einer der Grundgedanken Frankfurts, besteht darin, zu Absichten und Wünschen, seien sie intern entstanden oder beispielsweise in Form einer Bitte von außen an den Betreffenden herangetragen, kritisch-reflexiv Stellung nehmen zu können. Unter solche „Wünsche erster Ordnung“ („first-order desires“⁴⁷⁸) fällt beispielsweise der Wunsch nach mehr Geld, einer üppigen Mahlzeit oder nach einer neuen Beziehung. Unter diesen Wünschen gibt es solche, die aus unterschiedlichen Gründen nicht handlungswirksam werden, etwa wenn die Absicht, für eine bevorstehende Prüfung zu lernen, durch einen gerade laufenden Spielfilm, der die Aufmerksamkeit des Betreffenden absorbiert, unterbunden wird. Nur solche Wünsche, die tatsächlich handlungswirksam werden, fallen bei Frankfurt unter den Begriff des Willens („will“): But the notion of the will […] is not coextensive with the notion of first-order desires. It is not the notion of something that merely inclines an agent in some degree to act in a certain way. Rather, it is the notion of an effective desire – one that moves (or will or would move) a person all the way to action.⁴⁷⁹
Quante 2007a, S. 145. Quante weist darüber hinaus darauf hin, dass die Identifikation mit als „Sonderfall einer empathischen Einstellung“ angesehen werden kann, bei dem der empathisch Beurteilte mit dem Beurteilenden zusammenfällt. Quante 2007a, S. 147. Frankfurt 1988a. Für einen Überblick zur kritischen Diskussion von Frankfurts Theorie vgl. Betzler 2001, Guckes 2001 und Velleman 2008. Frankfurt 1988a, S. 12. Frankfurt 1988a, S. 14.
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Neben solchen Wünschen erster Ordnung existieren nach Frankfurt auch Wünsche zweiter Ordnung („second-order desires“⁴⁸⁰). Sie ermöglichen die für Personen charakteristische Fähigkeit, sich zu Wünschen erster Ordnung zu verhalten, indem die Person deren Wünschbarkeit reflektiert und schließlich in Form eines Wunsches zweiter Ordnung zu einer Bewertung gelangt. So kann der Wunsch erster Ordnung nach einem kühlen Bier beispielweise durch den Wunsch zweiter Ordnung, endlich ein bestehendes Alkoholproblem in den Griff zu bekommen, „überstimmt“ werden. Während in diesem Fall eine Diskrepanz zwischen beiden Stufen besteht, können diese freilich auch übereinstimmen, etwa wenn eine Person den Wunsch zweiter Stufe hat, für eine Prüfung zu lernen und diesen Wunsch auch auf der ersten Stufe besitzt. Bezüglich der hierarchisch höheren Wünsche zweiter Ordnung führt Frankfurt analog zur Differenzierung der beiden Formen von Wünschen erster Ordnung eine weitere Unterscheidung ein.⁴⁸¹ Auch hier ist das Kriterium der Handlungswirksamkeit entscheidend. So sind zum einen Wünsche zweiter Ordnung denkbar, die sich primär oder ausschließlich auf das Habenwollen von Wünschen erster Ordnung beziehen. Ich kann etwa den Wunsch zweiter Ordnung haben, den Wunsch erster Ordnung zu haben, das ausschweifende Leben eines Rockstars zu führen, um zu erfahren, wie sich solch ein Wunsch erster Ordnung anfühlt. Zugleich kann ich mir aber sicher sein, diesen Wunsch erster Ordnung niemals handlungswirksam werden lassen zu wollen, etwa weil er meinen Vorstellungen von einem gelingenden Leben diametral entgegengesetzt ist. Davon zu unterscheiden sind Wünsche zweiter Ordnung, die sich darauf beziehen, dass Wünsche erster Ordnung handlungswirksam werden. Ich kann diesbezüglich den Wunsch zweiter Ordnung haben, dass mein Wunsch erster Ordnung, endlich mehr Sport zu treiben, sich gegen konkurrierende Wünsche erster Ordnung, etwa nach Ruhe, Erholung oder exzessiver Faulheit, durchsetzt und im tatsächlichen Ausüben sportlicher Betätigung resultiert. Wünsche zweiter Ordnung, die das Kriterium erfüllen, dass der Betreffende nicht nur das Haben von Wünschen erster Ordnung wünscht, sondern zudem auch deren tatsächliches Wirksamwerden, nennt Frankfurt „Volitionen zweiter Ordnung“ („second-order volitions“⁴⁸²). An dieser Stelle kommt nun der Begriff der Identifikation im Sinne der „Identifikation mit“ ins Spiel: Eine Person identifiziert sich, so Frankfurt, genau dann mit ihren Wünschen, wenn sie eine Volition zweiter Ordnung hat, die das Haben und Wirksamwerden eines Wunsches erster Ordnung bejaht. Erst durch
Frankfurt 1988a, S. 14. Vgl. Frankfurt 1988a, S. 14– 19. Frankfurt 1988a, S. 16.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
143
diese Identifikation geschieht die Inbesitznahme, das Sich-Zueigenmachen der fraglichen Wünsche: The decision determines what the person really wants by making the desire on which he decides fully his own. To this extent the person, in making a decision by which he identifies with a desire, constitutes himself. The pertinent desire is no longer in any way external to him. It is not a desire that he “has” merely as a subject in whose history it happens to occur, as a person may ,haveʻ an involuntary spasm that happens to occur in the history of his body. It comes to be a desire that is incorporated into him by virtue of the fact that he has it by his own will. ⁴⁸³
Die hier von Frankfurt beschriebene Aneignung von Wünschen durch Identifikation stellt eine Form der Aneignung der personalen Vergangenheit dar, wie wir sie als zentral für die Entstehung und Aufrechterhaltung biographischer Identität postuliert haben.⁴⁸⁴ Durch den reflektierenden Bezug auf Wünsche zweiter Ordnung, die wiederum unter Rekurs auf Werte, Erlebnisse und Erinnerungen zustande kommen, die den biographischen Orientierungsrahmen einer Person bilden, werden die betreffenden Wünsche erster Ordnung zum Bestandteil der biographischen Identität. Mit dem Akt der Identifikation entstehen so „willentlich“ herbeigeführte personale Entscheidungen.⁴⁸⁵ Die Identifikation dient als evaluativer Prozess, durch den Wünsche bestätigt bzw. verworfen werden können. Wünsche, die durch Identifikation bestätigt wurden, können als mittel- oder langfristig stabile Einstellungen über längere Zeit aktuell bleiben und durch ihr diachrones Bewusstbleiben auch für die personale Zukunft von Bedeutung sein. Eng mit dem Konzept der Identifikation verbunden ist bei Frankfurt der Begriff des „caring“.⁴⁸⁶ Personen, so die Idee, „sorgen“ sich um bestimmte Aspekte ihres Lebens, Handelns und Personseins, denen sie sich in besonderer Weise verpflichtet fühlen und mit denen sie sich in starkem Maße identifizieren: A Person who cares about something is […] invested in it. He identifies himself with what he cares about in the sense that he makes himself vulnerable to losses and susceptible to benefits depending upon whether what he cares about is diminished or enhanced. Thus he con-
Frankfurt 1988b, S. 170. Vgl. Kapitel 3.2.4.3 dieser Arbeit. Frankfurts Überlegungen zur Identifikation und willentlichen Aneignung von Wünschen stehen in engem Zusammenhang mit Fragen der Autonomie, Verantwortung und Willensfreiheit von Personen und werden auch in diesen Kontexten kritisch diskutiert (vgl. dazu etwa Quante 2002a und Velleman 2008). Frankfurt 1988c.
144
3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
cerns himself with what concerns it, giving particular attention to such things and directing his behavior accordingly.⁴⁸⁷
Die „Sorge“ um bestimmte Aspekte ihres personalen Lebens impliziert demnach eine spezifische, ausnehmend starke Bindung im Sinne eines „investments“, das die Aufmerksamkeit und das Verhalten entsprechend zu lenken vermag. „Caring“ ist dabei als ein „nicht notwendigerweise bewußter dispositionaler Zustand“⁴⁸⁸ aufzufassen, der sich auf die Wünsche einer Person bezieht und rationalen Urteilen durchaus entgegenstehen kann.⁴⁸⁹ Der für uns wichtige Aspekt⁴⁹⁰ an Frankfurts „caring“-Konzeption besteht in deren Verknüpfung mit der Fähigkeit, die eigene personale Biographie aktiv zu gestalten: „Insofar as the personʼs life is in whole or in part devoted to anything, rather than being merely a sequence of events whose themes and structures he makes no effort to fashion, it is devoted to this.“⁴⁹¹ Erst dadurch, dass einer Person bestimmte Aspekte ihres Lebens und Handelns wichtig sind, sie ihnen also Bedeutsamkeit beimisst, entsteht nach Frankfurt das Bedürfnis, „eine thematische Kontinuität in unserem volitionalen Leben zu etablieren.“⁴⁹² Dieses Bestreben wäre ohne die mittel- und langfristige psychische Motivation des „caring“, also nur aufgrund von Wünschen erster und Volitionen höherer Ordnung, nicht realisierbar, weil beide an sich noch keine zeitübergreifend stabile Orientierung an spezifischen Motiven, Werten oder Überzeugungen zu konstituieren vermögen: Desires and beliefs can occur in a life which consists merely of a succession of separate moments, none of which the subject recognizes – either when it occurs or in anticipation or in memory – as an element integrated with others in his own personal history. When this recognition is entirely absent, there is no continuing subject.⁴⁹³
Frankfurt 1988c, S. 83. Betzler 2001, S. 36. Betzler 2001, S. 36. Es ist demnach möglich, dass einer Person etwas wichtig ist (im Sinne von Frankfurts „caring“), obgleich sie es vom rationalen Standpunkt aus für „dumm oder sogar irrational“ (ebd.) hält. Im Kontext dieser Arbeit ist der deskriptive Gehalt von Frankfurts Theorie im Sinne einer Strukturbeschreibung bestimmter Aspekte der psychischen Verfasstheit von Personen von Interesse. Das Konzept des „caring“ wird allerdings, ebenso wie Frankfurts hierarchisches Willensmodell, in der aktuellen Debatte vor allem im Kontext normativer Fragen – insbesondere hinsichtlich des Autonomiebegriffs – diskutiert (vgl. Betzler 2000 und 2001 sowie Wallace 2000). Frankfurt 1988c, S. 83. Betzler 2001, S. 36 f. Frankfurt 1988c, S. 83.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
145
Hier begegnen wir erneut einem bereits bekannten Gedankengang: Erst durch die bedeutungstransportierende Verknüpfung einzelner Episoden und die Integration in den Kontext der Lebensgeschichte wird die Wahrnehmung einer zusammenhängenden, kontinuierlichen personalen Biographie überhaupt möglich.⁴⁹⁴ Diese Überlegungen Frankfurts lassen sich mit der vorausgegangenen Untersuchung zur Organisation autobiographischer Erinnerungen und ihrer Funktion für das Entstehen und Fortbestehen biographischer Identität verbinden: Die Analyse des „Life Story Schema“, die mit ihm zusammenhängenden empirischen Befunde zur Struktur und Funktionsweise des autobiographischen Gedächtnisses sowie die philosophischen Reflexionen zur biographischen Identität von Personen haben bereits allesamt auf den von Frankfurt als zentral erachteten Aspekt der Bedeutsamkeit und der spezifischen Verknüpfung von Elementen der Biographie einer Person verwiesen.⁴⁹⁵ Die dem „caring“ notwendig zugrunde liegende Verknüpfung von Geschehnissen in der Geschichte einer Person verkörpert demnach den auf den Bereich der Volitionen bezogenen Sonderfall der allgemeinen Fähigkeit von Personen, die eigene Biographie als zusammenhängend, bedeutungsvoll und kohärent zu erleben. Das autobiographische Gedächtnis ist für das Zustandekommen dieser Fähigkeit, wie wir gesehen haben, von fundamentaler Bedeutung. Durch seine Organisationsprinzipien, wie sie von den Theorien des „Life Story Schema“ und des „Self-Memory System“ beschrieben werden, ermöglicht es die Verknüpfung einzelner Erinnerungen und deren Einordnung in das Ganze der Lebensgeschichte einer Person. Aus autobiographischen Erinnerungen entsteht durch diese Organisationsleistung eine Autobiographie, die dem erinnernden Subjekt zugänglich ist und den Ermöglichungsrahmen für personales Denken, Planen und Handeln konstituiert. Ein zentrales Merkmal solcher Autobiographien, das nachfolgend genauer untersucht werden soll, ist ihre Kohärenz. Die Idee der Kohärenz der Lebensgeschichte und der Kohärenzerzeugung durch das autobiographische Gedächtnis ist uns im Verlauf der Arbeit bereits begegnet, jedoch ohne dass ihre Bedeutung und ihre Rolle bei der Konstituierung und Aufrechterhaltung biographischer Identität näher analysiert wurde.⁴⁹⁶ Dies kann nun auf der Grundlage der vorangegangenen Überlegungen zu Funktionsweise und wichtigen Merkmalen des autobiographischen Erinnerns geschehen. Zunächst stellen sich zwei grundsätzliche Fragen. Erstens: Was soll im Kontext unserer Fragestellung unter „Kohärenz“ verstanden werden? Und zweitens: Worauf ist diese Kohärenz bezogen, was also ist es, das im Rahmen der biogra-
Vgl. Kapitel 3.2.4.2 dieser Arbeit. Vgl. Kapitel 3.2.3, 3.2.4.1, 3.2.4.2 und 3.2.4.3 dieser Arbeit. Vgl. insbesondere Kapitel 3.2.4.2 dieser Arbeit.
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3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
phischen Identität von Personen und bezüglich des personalen, autobiographischen Erinnerns kohärent ist bzw. bleibt oder kohärent gemacht wird? Bei der Beantwortung der ersten Frage hilft ein Blick auf das lebensweltliche Verständnis von Personalität und Persönlichkeit. Es beinhaltet hinsichtlich des personenspezifischen Umgangs mit Erfahrungen die Bemühung von Personen, „ihre mentalen Zustände als Sinneinheit zu deuten, indem sie einzelne dieser Zustände in das Gesamtnetz ihres Selbstkonzepts integrieren.“⁴⁹⁷ Gemeint ist damit die Einordnung mentaler Zustände, wie etwa Überzeugungen oder Erinnerungen, in den Kontext der eigenen Biographie und der aktuellen Selbstwahrnehmung, mit dem Ziel, diese Zustände durch das Erkennen ihres Ortes im Gesamt des Erfahrungs- und Überzeugungsnetzes verstehbar und annehmbar zu machen. Durch diese Form der Verortung, so die Idee, wird für die Person ersichtlich, dass und inwiefern die betreffenden mentalen Zustände zu ihr gehören. Dabei spielt der zuvor behandelte Prozess der „Identifikation mit“ eine wichtige Rolle, insofern es durch ihn gelingt, den mentalen Zustand als etwas anzusehen, „das einem selbst entspricht“⁴⁹⁸, das also als zur eigenen Person zugehörig akzeptiert werden kann. Dabei bedeutet „akzeptieren“ freilich nicht zwingend „gutheißen“. Vielmehr impliziert es das Verstehen, wie es zu etwas kommen konnte. So können wir uns beispielsweise in höchstem Maß für eine vergangene Handlung schämen, gleichzeitig aber in diesem Sinne akzeptieren, dass auch diese Handlung zu uns gehört, indem wir uns etwa die damaligen Motive vor Augen führen, ihren „Ort“ in unserer (damaligen) biographischen Identität und in dem dazugehörigen Wertesystem eruieren, und uns dabei auch unseren Wandel hinsichtlich dieser Motive bzw. die gesamte Entwicklung unseres Selbstkonzepts bewusst machen. Damit wird auch klar, dass der hier relevante Begriff der „Kohärenz“ nicht an Widerspruchsfreiheit geknüpft ist. Biographische Kohärenz beinhaltet vielmehr auch den Umgang mit Widersprüchen durch die Person. Entscheidend ist, dass durch die Deutung und Interpretation einzelner Elemente und deren Integration in den personal-biographischen Gesamtrahmen für die betreffende Person der Eindruck einer „sinnhaften Einheit“⁴⁹⁹ entsteht. Insofern handelt es sich bei dem hier beschriebenen Phänomen genaugenommen um die erstpersonale Wahrnehmung, um das subjektive Erfahren von Kohärenz. Damit ist auch schon angedeutet, wie die Antwort auf die zweite Frage ausfallen wird. Was im Kontext biographischer Identität kohärent ist bzw. bleibt, ist die Wahrnehmung des
Quante 2007a, S. 147. Henning 2009, S. 33. Henning geht es speziell um den Zusammenhang von Identifikation und Autonomie, dem hier nicht weiter nachgegangen werden kann (vgl. dazu Henning 2009, S. 56 – 79 sowie Christman 2008, S. 157– 159). Quante 2007a, S. 147.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
147
Selbstkonzepts und der Biographie durch die Person und zwar trotz der diachronen Dynamik von Überzeugungen und Einstellungen. Wenn Quante also diesbezüglich von der „Kohärenz im Wandel“⁵⁰⁰ und einer damit verbundenen „Einheitsarbeit“⁵⁰¹ spricht, so ist damit das Bemühen von Personen gemeint, Zusammenhänge zwischen Elementen ihrer Biographie herzustellen und diese trotz allen Wandels als sinnhaft zu erfahren. Im Rahmen der Analyse der Eigenschaften des autobiographischen Gedächtnisses und autobiographischer Erinnerungen haben wir bereits einige Mechanismen kennengelernt, die mit der Etablierung biographischer Kohärenz in Zusammenhang stehen und die philosophisch-lebensweltliche Feststellung der Bedeutung kohärenter Selbsterfahrung verdeutlichen und untermauern können. Insbesondere durch die Analyse des Zusammenhangs von Emotionen und autobiographischen Erinnerungen sowie anhand der Theorien des „Self-Memory System“ und des „Life Story Schema“ wurde deutlich, dass autobiographische Erinnerungen nicht ausschließlich auf die reproduzierende Wiedergabe personal erlebter Vergangenheit gerichtet sind und daher „nicht einfach nur Abbildungen oder Protokolle vergangener Episoden“⁵⁰² darstellen. Vielmehr stehen sie als aktuelle und aktuale mentale Zustände in einem vielfältigen, dynamischen und wechselseitigen Verhältnis mit gegenwärtigen Absichten,Werten, Motiven und der Selbstwahrnehmung einer Person. Ein wichtiges kognitives Ziel dieses Wechselspiels besteht in der Erzeugung biographischer Kohärenz, die auf verschiedene Art und unter Einbeziehung der unterschiedlichen Dimensionen autobiographischer Erinnerungen geschehen kann. Mit dem Bestreben nach biographischer Kohärenz korrespondiert die bereits angesprochene Tendenz des autobiographischen Gedächtnisses, kognitive Diskrepanzen, etwa zwischen erinnertem Handeln und dem darin zum Ausdruck kommenden Selbstkonzept und dem gegenwärtigen Selbstbild, zu minimieren.⁵⁰³ Diese Tendenz kann jedoch in unterschiedlicher Form verwirklicht werden. Eine Person kann beispielsweise Dissonanzen in ihrer Entwicklung, wie etwa eine signifikante Veränderung ihrer Persönlichkeit im Vergleich zu einem erinnerten früheren Zeitraum, bewusst als solche herausstellen und kommunizieren, um dadurch zu zeigen, „dass diese Veränderung das Resultat ihrer eigenen Entscheidungen und Selbstentwürfe ist.“⁵⁰⁴ Eine andere Form des Umgangs mit solchen Dissonanzen ist die Deutung bzw. Umdeutung der eigenen Vergangenheit bzw. bestimmter Aspekte dieser Vergangenheit auf der Basis der
Quante 2007a, S. 160. Quante 2007a, S. 160. Quante 2007a, S. 165. Vgl. S. 106 – 108 dieser Arbeit. Quante 2007a, S. 165.
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3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
gegenwärtigen Selbstwahrnehmung. Hierbei werden Dissonanzen nicht herausgestellt, sondern im Gegenteil durch das Angleichen der erinnerten Vergangenheit an das aktuelle Selbstbild „eingeebnet“. Die Umdeutung der Vergangenheit kann dabei verschiedenste Grade annehmen und sich sowohl auf den Inhalt der zur Disposition stehenden Erinnerungen als auch auf deren emotionale Bewertung, den sie umgebenden Kontext oder auf die zeitliche Dimension beziehen. Die Umdeutung bzw. Veränderung des Inhalts kann etwa in der Auslassung oder Ergänzung bestimmter Bestandteile der Erinnerung oder in der Zuschreibung von Attributen an Personen und Handlungen bestehen, die im Nachhinein Sinn ergeben oder den bei anderen oder sich selbst erwünschten Charakterzügen und Handlungspräferenzen entsprechen. Im Fall der Umdeutung der emotionalen Bedeutung kann zwar der erinnerte Inhalt bestehen bleiben, die ursprüngliche emotionale Bewertung der Erinnerung aber durch die aus heutiger Sicht angemessenere Bewertung ersetzt werden. Ähnliches gilt für Umdeutungen des Zeitpunkts von Erinnerungen oder für den Kontext, in dem das erinnerte bzw. umgedeutete Ereignis stattgefunden hat. Das von Daniel Schacter beschriebene Phänomen der Gedächtnisverzerrung („The Sin of Bias“⁵⁰⁵), das wir in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen bereits analysiert haben⁵⁰⁶, verdeutlicht und untermauert die Bedeutung und Art der Kohärenzerzeugung durch das autobiographische Gedächtnis. Das Bemühen von Personen, ihr Leben als kohärentes Ganzes zu erleben, stützt auch die Annahme einer narrativen Struktur der biographischen Identität von Personen, wie wir sie in Kapitel 3.2.1 skizziert haben. Um die biographische Kontinuität über die Zeit hinweg zu bewahren, bedarf es keiner vollständigen Reproduktion der personalen Vergangenheit. Entscheidend ist vielmehr, dass Erfahrungen und Erlebnisse nach ihrer Relevanz für die Biographie und für das Selbstbild einer Person selektiert und in den Rahmen der Wahrnehmung des Lebens als Ganzes integriert werden. Hierfür ist eine narrative Struktur vonnöten, die die Verknüpfung einzelner Episoden und deren Verortung im Leben der Person ebenso ermöglicht wie das Zuschreiben von kontextueller und emotionaler Bedeutung und darauf basierend die Selbstinterpretation des Subjekts im Rahmen seiner Biographie.⁵⁰⁷ Ein wichtiges Ergebnis dieser Interpretation des eigenen Lebens ist das Erfahren der Biographie als kohärente Einheit, die MacIntyre als „narrative unity“⁵⁰⁸ bezeichnet. Diese Einheit kommt darin zum Ausdruck, dass
711.
Schacter 2001, S. 138 – 160. Vgl. S. 131– 136. Zum Zusammenhang von Narrativität und Selbstinterpretation vgl. Christman 2004, S. 707– MacIntyre 1995/1981, S. 226.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
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die betreffende Person sich selbst und anderen gegenüber eine Beschreibung ihrer selbst zu geben vermag, die aus der Vielzahl erlebter Episoden, Eigenschaften und Überzeugungen eine subjektiv bzw. intersubjektiv stimmige Geschichte im Sinne eines „life narrative“⁵⁰⁹ formt.
3.2.4.5 John Locke und die biographische Identität von Personen – Ein Zwischenfazit Wir sind mit unserer Untersuchung an einem Punkt angelangt, an dem die bisherigen Ergebnisse des dritten Kapitels systematisch auf die Ausgangsfragen bezogen werden müssen, um den Zusammenhang der einzelnen Schritte und deren philosophische Bedeutung im Gesamtrahmen der Arbeit zu verdeutlichen. Dafür kehren wir noch einmal zu John Lockes Theorie personaler Identität zurück. Abgesehen von den in Kapitel 3.1.3.2 skizzierten Problemen, mit denen sich einfache Gedächtnistheorien („simple memory theories“⁵¹⁰) konfrontiert sehen, die an Lockes Konzeption anknüpfen⁵¹¹, verweisen Lockes grundsätzliche Einsichten zur Identität von Personen auf wichtige Aspekte. Einige dieser Aspekte werden allerdings erst dann deutlich, wenn man sie im Kontext biographischer Identität als mögliche Bestandteile einer Antwort auf die „characterization question“⁵¹² betrachtet und nicht, wie es zumeist im Rahmen diachroner psychologischer Kontinuitätstheorien („psychological continuity theories“⁵¹³) geschieht, primär oder ausschließlich als Mittel zur Beantwortung der „reidentification question“⁵¹⁴ ansieht.⁵¹⁵ Im Folgenden soll entgegen dieser Tendenz, Lockes Theorie vor allem als Kontinuitätstheorie aufzufassen, dafür argumentiert werden, dass Locke auch die praktisch-alltagsnahe Dimension personaler Identität⁵¹⁶ im Sinne einer Konstitutionstheorie personaler Identität vor Augen hat, die mit der in dieser Arbeit im Zentrum stehenden biographischen Identität von Personen in enger Verbindung
Neisser 1994, S. 1. Schechtman 2005, S. 9. Dabei muss nochmals betont werden, dass unklar und umstritten ist, ob Locke selbst überhaupt eine solche Theorie vertritt oder ob seine Ausführungen im „Essay“ eine solche Interpretation zumindest nahe legen (vgl. Hauser 1994, S. 44– 51, Teichert 1999, S. 140 – 142, Quante 2008, S. 256 f. und Weinberg 2011). Schechtman 1996, S. 1. Schechtman 2005, S. 9. Schechtman 1996, S. 1. Vgl. dazu die Charakterisierung beider Fragen auf S. 64. Zur Beschreibung dieser „alltagsnahen“ Dimension personaler Identität vgl. S. 62– 64 dieser Arbeit.
150
3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
steht.⁵¹⁷ Die Betrachtung dieses vernachlässigten Aspekts ermöglicht auch eine Neubestimmung der Rolle von Gedächtnis und Erinnerung für die Konstituierung personaler Identität, die sich wiederum an die in den vorangegangenen Kapiteln durchgeführten philosophischen Analysen und die dort vorgestellten psychologischen Theorien anschließen lässt. Lockes fundamentaler Schritt besteht darin, die diachrone Identität von Personen nicht durch das Gleichbleiben irgendeiner Art von Substanz zu bestimmen, sondern durch die Kontinuität des Bewusstseins: Das Ich ist das bewußt denkende Wesen, gleichviel aus welcher Substanz es besteht (ob aus geistiger oder materieller, einfacher oder zusammengesetzter), das für Freude und Schmerz empfindlich und sich seiner bewußt ist, das für Glück und Unglück empfänglich ist und sich deshalb soweit um sich selber kümmert, wie jenes Bewußtsein sich erstreckt. […] Das mag uns zeigen, worin die Identität der Person besteht. Sie besteht nämlich nicht in der Identität der Substanz, sondern, wie ich sagte, in der Identität des Bewußtseins.⁵¹⁸
Diese grundlegende Idee wird durch eine ganze Reihe neuerer Theorien personaler Identität, etwa von John Perry⁵¹⁹, Sidney Shoemaker⁵²⁰ und Derek Parfit⁵²¹, unter anderem dergestalt aufgegriffen, dass anstatt eines einfachen Gedächtniskriteriums das Konzept sich überlappender psychischer Verbindungen – bei Parfit als Verbindungen zwischen „experience-memories“⁵²² („overlapping chain of experience-memories“⁵²³) spezifiziert – eingeführt wird. Dadurch soll dem Problem begegnet werden, dass Personen häufig nicht mehr über Erinnerungen an – zumeist lange zurückliegende – Erfahrungen verfügen, die nichtsdestotrotz immer noch zu ihrer Identität zu gehören scheinen. Mit überlappenden Verbindungen ist dabei gemeint, dass anstatt direkter Erinnerungen an frühere Ereignisse lediglich Verbindungen zwischen sich überschneidenden Strängen direkter Erinnerungen bestehen müssen.⁵²⁴ Um von einer älteren Dame sagen zu können, sie sei dieselbe Person wie das kleine Mädchen, das diese auf einem Foto als sich selbst im Alter von 7 Jahren identifiziert, muss sie sich nicht direkt an ihre Erlebnisse als Sie Das ähnliche Anliegen, Lockes Ansatz für Theorien narrativer Identität fruchtbar zu machen, verfolgen Atkins (2008, S. 13 – 17) und Schechtman (2005, S. 18 – 22). Locke 2006a/1694, S. 428 f. Vgl. Perry 1976. Vgl. Shoemaker 1984. Vgl. Parfit 1984. Parfits „experience-memories“ – definiert als Erinnerungen an „particular past experiences“ (Parfit 1984, S. 205) – decken sich dabei weitestgehend mit den in dieser Arbeit als „autobiographisch“ bezeichneten Erinnerungen. Parfit 1984, S. 205. Vgl. Schechtman 2005, S. 13 f.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
151
benjährige erinnern. Es genügt vielmehr, dass die ältere Dame zumindest einige Erinnerungen an frühere Zeiten, etwa an die Zeit als junge Erwachsene, hat, und dass sie als junge Erwachsene wiederum zumindest einige Erinnerungen an ihre frühere Kindheit, inklusive ihres siebten Lebensjahres, hatte. Durch solche sich überschneidenden Erinnerungsketten wird, so die Idee, auch in Abwesenheit direkter Erinnerungen die diachrone Identität der Person bewahrt. Bei Parfit findet sich zudem der Versuch, eine Antwort auf die naheliegende Frage zu geben, was unter „zumindest einige Erinnerungen“ zu verstehen ist, wie viele Erinnerungen an die Vergangenheit bzw. wie viele psychische Verbindungen also vonnöten sind, um vom diachronen Fortbestehen der Identität einer Person sprechen zu können: For X and Y to be the same person, there must be over every day enough direct psychological connections. Since connectedness is a matter of degree, we cannot plausibly define precisely what counts as enough. But we can claim that there is enough connectedness, if the number of direct connections, over any day, is at least half the number that hold, over every day, in the lives of nearly every actual person. When there are enough direct connections, there is what I call strong connectedness.⁵²⁵
Diese Art der Verknüpfung zwischen psychischen Verbindungen ist, so bemerkt Parfit, allerdings nicht transitiv. Viele solcher starker Verknüpfungen werden schwächer oder verschwinden mit zunehmendem zeitlichem Abstand,weshalb sie kein Kriterium personaler Identität darstellen können, sondern als solches durch die bereits erwähnten überlappenden psychischen Stränge ersetzt werden: „There is psychological continuity if and only if there are overlapping chains of strong connectedness.“⁵²⁶ Davon abgesehen, dass diese und andere Annahmen psychischer Kontinuitätstheorien, durch die die Probleme einfacher Erinnerungstheorien vermieden werden sollen, wiederum schwerwiegende Probleme aufwerfen⁵²⁷, entgeht diesen Theorien zudem eine andere fruchtbare Deutungsmöglichkeit der Lockeschen Überlegungen. Betrachten wir dazu zwei weitere zentrale Passagen aus Lockes „Essay“. Zunächst bestimmt dieser den Begriff der „Person“ durch Rekurs auf die für Personen spezifischen Eigenschaften und Fähigkeiten: Meiner Meinung nach bezeichnet dieses Wort ein denkendes, verständiges Wesen, das Vernunft und Überlegung besitzt und sich selbst als sich selbst betrachten kann. Das heißt, es erfasst sich als dasselbe Ding, das zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten
Parfit 1984, S. 206. Parfit 1984, S. 207. Vgl. Schechtman 2005, S. 14– 18. Vgl. dazu auch Slors 1998.
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denkt. Das geschieht lediglich durch das Bewußtsein, das vom Denken untrennbar ist und, wie mir scheint, zu dessen Wesen gehört.⁵²⁸
Locke charakterisiert Personen hier als Wesen mit Selbstbewusstsein, Vernunft und Reflexionsfähigkeit, die sich über die Zeit hinweg als persistierende Entitäten zu erkennen vermögen. Dieser Definition durch kognitive Merkmale folgt an späterer Stelle der Hinweis auf die praktische Bedeutung und Verwendung des Personenbegriffs: Es ist ein juristischer Ausdruck, der sich auf Handlungen und ihren Lohn bezieht; er findet also nur bei vernunftbegabten Wesen Anwendung, für die es Gesetze geben kann und die glücklich und unglücklich sein können. Diese Persönlichkeit erstreckt sich vom gegenwärtigen Dasein in die Vergangenheit zurück nur durch das Bewußtsein, durch das sie beteiligt und verantwortlich wird und sich vergangene Handlungen mit derselben Begründung und aus derselben Ursache zueignet und zurechnet wie die gegenwärtigen. […] Deshalb kann es an allen vergangenen Handlungen, die es nicht mit Hilfe des Bewußtseins mit dem gegenwärtigen Ich vereinigen oder ihm zueignen kann, nicht mehr interessiert sein als an Handlungen, die überhaupt nicht stattgefunden haben.⁵²⁹
Locke erweitert damit die Beschreibung der in der ersten Passage angedeuteten Rolle des Selbstbewusstseins für die Identität von Personen: Personen sind in der Lage, Interessen auszubilden, auf der Grundlage dieser Interessen zu handeln und sich um die Weiterentwicklung ihres Lebens zu sorgen. Dafür bedarf es eines Konzepts des eigenen Lebens, durch das der Person das eigene Leben als zeitüberdauernde Einheit bewusst wird. Marya Schechtman hat gezeigt, dass das Zustandekommen und die Natur dieses Selbstkonzepts („self-conception“⁵³⁰) bei Locke selbst unklar bleiben und von Theorien personaler Identität, die an seine Überlegungen anschließen, nicht adäquat erklärt werden können.⁵³¹ Dies, so soll nachfolgend gezeigt werden, hängt wiederum mit der Art und Weise zusammen, wie Gedächtnis und Erinnerung in diesen Theorien konzipiert werden. Wie wir oben am Beispiel Parfits gesehen haben, werden Erinnerungen als zählbare Einheiten betrachtet, von denen eine gewisse kritische Menge vorhanden sein muss, um die identitätskonstituierende Verbindung zur Vergangenheit einer Person zu ermöglichen. Im Kontext der Identifikation von Personen im Sinne einer Antwort
Locke 2006a/1694, S. 419 f. Locke 2006a/1694, S. 436. Der Übersetzung „juristischer Ausdruck“ entspricht im englischen Originaltext der Ausdruck „forensick term“. Zur Diskussion dieser Formulierung vgl. Noonan 2003, S. 39 – 46. Schechtman 2005, S. 18. Vgl. Schechtman 2005, S. 18 – 21.
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auf die Frage, wie sich „von außen“ deren Identität zu verschiedenen Zeitpunkten überprüfen lässt, ist dies eine nachvollziehbare, wenn auch nicht unproblematische Strategie. Als Antwort auf die Frage, wie Personen zuallererst zu einem Konzept ihrer selbst als einer bestimmten Person und Persönlichkeit gelangen und wie Erinnerungen an der Entstehung dieses Selbstkonzepts beteiligt sind, taugt sie hingegen nicht: „It is enough, on this view, just to have access to a certain number of memories. There is no further requirement on how these memories are to cohere or to be associated with present states.“⁵³² Es ist genau diese Reduktion auf ein Modell einfachen Wiedererinnerns („simple recollection“⁵³³) und die damit verknüpfte Annahme, dass die Verfügbarkeit einer ausreichenden Zahl von Erinnerungen dieser Art im Verbund mit basalem Selbstbewusstsein („brute self-consciousness“⁵³⁴) für die Etablierung eines identitätsgarantierenden Selbstkonzepts ausreichend ist, die vielen der oben genannten Theorien personaler Identität gemein ist.⁵³⁵ Sie ist der Grund dafür, dass Analysen der Rolle von Gedächtnis und Erinnerung für die Konstituierung personaler Identität zumeist mit der Feststellung enden, dass die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Erinnerungen die dafür entscheidenden Faktoren sind. Wie jedoch sowohl Schechtmans Studie als auch die bisher in dieser Arbeit angestellten Überlegungen zeigen, genügt dies nicht, um die für Personen spezifische Art des Umgangs mit ihrer Vergangenheit sowie die Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verständlich zu machen und dadurch auch die Konstituierung personaler Selbstverhältnisse im Sinne biographischer Identität zu veranschaulichen. Um Lockes fundamentaler Einsicht gerecht zu werden, dass Personen sich aufgrund eines zeitlich zurückreichenden Bewusstseins zeitübergreifend als solche wahrnehmen, bedarf es neben dem Postulat von Erinnerungen als „Rohstoff“ diachronen Selbsterkennens auch einer Erklärung dafür, wie durch den Umgang mit diesen Erinnerungen und deren spezifische Anordnung die Wahrnehmung entsteht, dass und wie personale Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verwoben sind. Wie anhand der in den vorangegangenen Kapiteln durchgeführten Analysen zur biographischen Identität sowie zur Struktur autobiographischen Erinnerns deutlich geworden ist, beruht diese Wahrnehmung auf der narrativen Struktur autobiographischen Erinnerns, die es Personen ermöglicht, ihr Leben als „unfolding according to an intelligible trajectory“⁵³⁶ aufzufassen und Entwicklungen und Ereignissen Bedeutung im
Schechtman 2005, S. 18. Schechtman 2005, S. 16. Schechtman 2005, S. 18. Vgl. Schechtman 2005, S. 14– 21. Schechtman 2005, S. 18.
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Kontext ihres Lebens zuschreiben zu können. Ein derartiges autobiographisches Selbstbewusstsein ist das Ergebnis eines andauernden (nicht unbedingt bewussten) Bemühens um das Verstehen der eigenen Erfahrungen. Dabei geht es nicht primär um das passive Wissen über vergangene Erfahrungen, sondern vor allem um das aktive Suchen nach einer sinngebenden Interpretation dieser Erfahrungen und ihrer Implikationen.⁵³⁷ Die so verstehbar gemachten vergangenen Erlebnisse und Handlungen dienen als eine zentrale Quelle des Selbstwissens von Personen.⁵³⁸ Um diesen Zweck erfüllen zu können, müssen sie nicht nur in Form des Wissens um die betreffenden Episoden der Vergangenheit repräsentiert, sondern darüber hinaus im Kontext des gesamten Lebens einer Person verstehbar gemacht werden. Die Organisation und Arbeitsweise des autobiographischen Gedächtnisses stützt diese These in mehrerlei Hinsicht. Autobiographische Erinnerungen im engeren Sinn – wie wir sie von episodischen Erinnerungen unterschieden haben⁵³⁹ – werden erst durch ihre kontextuelle Einordnung in eine Lebensgeschichte zu deren für die Person verstehbarem Bestandteil. Neben den gedächtnispsychologischen Befunden und Theorien, wie wir sie am Beispiel des „Life Story Schema“ und des „Self-Memory System“ analysiert haben, legt dabei auch die Interpretation von bildgebenden Studien – unter anderem zur „inneren Sprache“ („inner speech“⁵⁴⁰) – nahe, dass narrative Strukturen von fundamentaler Bedeutung für die Kontinuität der Selbstwahrnehmung und deren Verbindung mit Erinnerungen sind.⁵⁴¹ Insofern narrativ eingebettete autobiographische Erinnerungen Personen den Zugang zu ihrer Vergangenheit in einer Art Weitwinkelperspektive ermöglichen, bilden sie eine basale Voraussetzung für die Konstituierung biographischer Identität. Auf ihrer Grundlage lässt sich auch eine Antwort auf die philosophisch zentrale Frage geben, warum und inwiefern Erinnerungen von solch grundlegender Bedeutung für die Konstituierung der Identität von Personen sind. Genau diese Frage bleibt bei vielen der durch Lockes Theorie inspirierten Ansätze zwangsläufig offen:
Vgl. Schechtman 2005, S. 18. Vgl. Schechtman 1994, S. 9. Zu dieser Unterscheidung vgl. Kapitel 2.2.2.5 dieser Arbeit. Gemeint ist damit sprachliches Denken ohne Sprechen (vgl. Lamb 1999, S. 181 f. und Byrne 2011, S. 114 f.). Vgl. Bickle 2003. Für einen Überblick über ähnliche neurowissenschaftliche Studien vgl. Addis/Tippett 2008.
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As long as memory is viewed as a simple connection between discrete moments of consciousness it is mysterious how it could provide a powerful enough connection to underlie identity, and this has caused much second-guessing of Lockeʼs original insight.⁵⁴²
Wie Schechtman zeigt, verpflichtet die Struktur psychischer Kontinuitätstheorien ihre Vertreter zu einer solchen Konzeption von Erinnerungen, die jedoch nicht zu stützen vermag, was diese Theorien aufzeigen sollen. Die reine Reproduktion von Erfahrungen in Form von Erinnerungen generiert in Verbindung mit dem Bewusstsein, dass es sich um die eigenen vergangenen Erfahrungen handelt, die erinnert werden, zwar die Wahrnehmung eines „Sammelsuriums“ von Versatzstücken der Vergangenheit der Person. Dies genügt jedoch nicht, um die für die Etablierung personaler Kontinuität nötigen Verbindungen zwischen Gegenwart und Vergangenheit einer Person zu schaffen. Damit diese Etablierung gelingen kann, bedarf es eines narrativ strukturierten Bewusstseins der eigenen Biographie, das die Wahrnehmung der Bedingungsgefüge und Zusammenhänge des Lebens einer Person ermöglicht. Die dafür nötigen Verbindungen zwischen Gegenwart und Vergangenheit sind wesentlich komplexer, als es das Erinnerungsmodell psychischer Kontinuitätstheorien erlaubt. Schechtman illustriert die zur Etablierung solcher Verbindungen nötigen Mechanismen durch die Analogie des Unterschieds von Archiv und Biographie. Um das Leben einer Person in den Blick bekommen zu können, genügt kein noch so vollständiges Archiv der Ereignisse und Bestandteile dieses Lebens. Erst durch das aktive Eingreifen eines Biographen, der die riesige Menge an Vorkommnissen sortiert, nach bestimmten Mustern und charakteristischen Verläufen, Entscheidungen,Wendepunkten etc. sucht und kausale Verbindungen aufzeigt, wird die Gestalt dieses spezifischen Lebens aus dem Meer an Informationen herausgearbeitet und erkennbar.⁵⁴³ Wie die Analyse der Organisation und Funktionsweise des autobiographischen Gedächtnisses in dieser Arbeit gezeigt hat, übernimmt dieses, um in Schechtmans Bild zu bleiben, die Aufgabe eines internen Biographen. ⁵⁴⁴ Indem Informationen über die eigene
Schechtman 1994, S. 11. Vgl. Schechtman 1994, S. 13. Die metaphorische Rede von einem „internen Biographen“ muss freilich mit einigen Einschränkungen versehen werden: Zum einen stellt Schechtman selbst fest, dass ein wichtiger Unterschied zwischen einem Biographen und dem Subjekt, das sich biographisch interpretiert, darin besteht, dass der Biograph auf der Grundlage „fertiger“ Fakten arbeitet, wohingegen die Biographiebildung des erinnernden Subjekts ein dynamisches, nicht abgeschlossenes Geschehen zum Gegenstand hat, das sich im und mit dem Lauf des Lebens vielfach ändert und das auf Grundlage der jeweiligen Gegenwart modifiziert werden kann. Zum anderen gilt es zu beachten, dass die Rede vom „internen Biographen“ freilich keine homunculus-verdächtige Entität im
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3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
Vergangenheit selektiert, mit gegenwärtigen Motiven und antizipierten Handlungen abgeglichen und gegebenenfalls auch modifiziert werden, entsteht eine versteh- und interpretierbare Repräsentation der eigenen Vergangenheit und die Basis für das Verstehen ihrer Bedeutung für die Gegenwart. Dies ist wiederum die Grundlage für die von Locke beschriebenen personenspezifischen Fähigkeiten wie das Ausbilden von Interessen, das Empfinden von Glück und Unglück und das Planen und Antizipieren: „Only when the facts have been interpreted and presented as part of a smooth and continuing narrative does a picture of the character underneath and of the life of a person emerge.“⁵⁴⁵ Die bis hierher vorgenommene Charakterisierung der Konstituierung biographischer Identität durch die Etablierung eines narrativ strukturierten Selbstverhältnisses wirft freilich weitere philosophisch relevante Fragen auf, von denen in den nächsten Kapiteln vier untersucht werden sollen. Zunächst geht es um die soziale Dimension autobiographischen Erinnerns und der biographischen Identität, also um die Frage, inwiefern beides durch die Interaktion mit anderen Personen und der Umwelt beeinflusst wird und ob diesbezüglich von einer „social nature of personal identity“⁵⁴⁶ gesprochen werden kann. Daran schließt sich eine Untersuchung der Rolle des Vergessens für die Entstehung und vor allem Aufrechterhaltung biographischer Identität an. Danach soll die implizite Dimension von Erinnerungen und ihr Zusammenhang mit impliziten Elementen biographischer Identität in den Blick genommen werden, deren Bedeutung in den vorangegangenen Kapiteln bereits angedeutet wurde.Viertens und abschließend geht es um Fragen, die durch die Verwendung von Begriffen wie „Konstruktion“, „Selektion“ und „Interpretation“ und die damit verknüpften empirischen Befunde der Gedächtnisforschung nahegelegt werden: Geben die Ergebnisse dieser Arbeit Anlass dazu, einen grundlegenden Skeptizismus⁵⁴⁷ bezüglich der Wahrheitsfähigkeit von Erinnerungen zu vertreten und eine konstruktivistische Position⁵⁴⁸ hinsichtlich des Konzepts biographischer Identität einzunehmen? Wie lässt sich
erinnernden Subjekt impliziert. Sie bezieht sich vielmehr auf eine Tätigkeit dieses Subjekts, die auf der Grundlage autobiographischen Erinnerns möglich wird. Schechtman 1994, S. 13. Quante 2007b, S. 56. Zur Frage nach der Berechtigung eines Skeptizismus gegenüber Gedächtnis und Erinnerung vgl. Nelson 1963 und Saunders 1963. Dabei geht es um die grundlegende erkenntnistheoretische Frage, ob man erinnerungsbasierte Überzeugungen („memory beliefs“) überprüfen kann, ohne sich bei dieser Überprüfung wiederum immer schon auf Erinnerungen verlassen zu müssen (vgl. dazu auch Owens 1999). Hauptelement einer solchen Position ist ein gedächtnis- und erinnerungsbasierter Nonkognitivismus, der sich auf die (vermeintliche) Konstruktivität von Gedächtnis und Erinnerung stützt (vgl. dazu Kapitel 3.2.6).
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
157
die Wahrheitsfrage in diesem Kontext (um‐)formulieren bzw. ein plausibler Begriff der „Wahrheit“ oder „Angemessenheit“ von Erinnerungen entwickeln?
3.2.4.6 Erinnerung im Kontext – Die soziale Dimension autobiographischen Erinnerns In den vorausgegangenen Kapiteln lag der Fokus auf der Analyse der subjektinternen Dimension des Erinnerns und auf der erinnerungsbasierten Konstituierung biographischer Identität. Obgleich der dort beschriebene subjektimmanente Umgang mit Erinnerungen eine zentrale Rolle für die biographische Identität von Personen spielt, verdienen auch die externe Dimension des Erinnerns, ihre Abhängigkeit von Sprache, sozialer Umwelt, Kultur und anderen äußeren Faktoren sowie die wechselseitige Bedingtheit beider Dimensionen Beachtung. Dies gilt im Kontext unserer Fragestellung vor allem für die soziale Dimension autobiographischer Erinnerungen und deren Zusammenhang mit der Entstehung und Aufrechterhaltung biographischer Identität. Im Folgenden werden wir daher einige Aspekte betrachten, die der Idee des autobiographischen Gedächtnisses als „biokulturelle[m] Relais zwischen Individuum und Umwelt“⁵⁴⁹ zugrunde liegen. Autobiographische Erinnerungsprozesse sind keine isolierten, rein innerlichen Vorgänge. Sie stehen vielmehr in komplexen Wechselwirkungsverhältnissen mit ihren sprachlichen Äußerungen, mit den Erinnerungen, Einschätzungen und Erzählungen Anderer, und mit kulturellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Erwartungshaltungen.⁵⁵⁰ Dies gilt sowohl für einzelne autobiographische Erinnerungen als auch für das „Life Story Schema“ als Repräsentation des Weitwinkelblicks auf die eigene Biographie. Das Erzählen von Erinnerungen („memory telling“⁵⁵¹) stellt dabei eine wichtige Möglichkeit dar, diesen Erinnerungen eine bestimmte Bedeutung im Kontext der „life story“ zu geben. Die Entwicklungspsychologin Kate McLean verweist beispielsweise auf die große Bedeutung, die das Erzählen autobiographischer Erinnerungen und das soziale Feedback auf diese Erzählungen für die Identitätsentwicklung bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen haben. Durch das Erzählen von Erinnerungen können Informationen über die eigene Vergangenheit narrativ strukturiert, Zusammen-
Markowitsch/Welzer 2005, S. 259. Für eine Darstellung dieser verschiedenen Interaktionsformen vgl. Engel 1999, S. 24– 51, Welzer 2008, S. 7– 18, Freeman 2010, S. 263 f., und Sutton/Harris/Barnier 2010, S. 220 – 223. Zum Begriff des „sozialen Gedächtnisses“ bzw. des „social remembering“ vgl. Olick 2010 resp. Misztal 2003. Für ein theoretisches Modell der sozialen Funktionen autobiographischen Erinnerns vgl. Alea/Bluck 2003. McLean 2005, S. 683.
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3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
hänge zwischen verschiedenen Ereignissen, Handlungen und Einstellungen erkannt und Bedeutung innerhalb eines umfassenderen Kontexts des eigenen Lebens konstituiert werden.⁵⁵² Das Feedback, das Eltern oder Freunde zu diesen Erzählungen geben, dient dabei als mögliches Korrektiv bzw. als Bestätigung bestimmter Selbstzuschreibungen. Die in diesem Prozess von Erzählung und Rückmeldung entstehenden Narrationen können in komprimierter Form wichtige Einsichten („lessons“) über die eigene Persönlichkeit und Bestandteile der biographischen Identität vermitteln und bestärken bzw. zum Überdenken oder Revidieren bestimmter Überzeugungen oder Handlungspräferenzen führen.⁵⁵³ Wenngleich solch identitätskonstituierende Erinnerungserzählungen aufgrund der sich erst entwickelnden bzw. verfestigenden Persönlichkeit bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen von besonderer Relevanz sind⁵⁵⁴, treten sie auch später und über die gesamte Lebensspanne hinweg auf.⁵⁵⁵ Dass, wie und wem eine auf autobiographischen Erinnerungen basierende Geschichte erzählt wird, hat Einfluss auf die der Erzählung zugrunde liegenden Erinnerungen. Durch das Erzählen können bestimmte Aspekte der erinnerten Episode dem Erzählenden erst bewusst, andere Aspekte durch Nachfragen des Gesprächspartners betont, oder Elemente der Handlung vom Rezipienten positiv oder negativ beurteilt werden. Diese Rückmeldungen, Fokussierungen oder Evaluationen können den Inhalt, die Gewichtung, den emotionalen Gehalt oder die Stellung der betreffenden Erinnerungen im Rahmen der „life story“ verändern.⁵⁵⁶ Das im Rahmen von Erinnerungserzählungen stattfindende Wechselspiel von erzählter Vergangenheit, Rezeption und sozialem Kontext beeinflusst auf verschiedene Weise die Entstehung und Veränderung biographischer Identität. Die Entwicklungspsychologin Monisha Pasupathi hält diesbezüglich zwei Prinzipien für zentral: Das Prinzip der „Co-Konstruktion“ („principle of coconstruction“⁵⁵⁷) bezeichnet die Tatsache, dass das Erinnern im Gespräch mit anderen als das gemeinsame Produkt von Erzählendem und Zuhörer angesehen werden kann. Die vom Erinnernden geschilderte Erfahrung wird bereits vor Beginn der Erzählung insofern vom Zuhörenden beeinflusst, als dessen persönlicher Hintergrund, seine Expertise, Überzeugungen und Werte in die Darstellungsweise eingehen und etwaige Betonungen oder Auslassungen bedingen. Im Laufe der Erzählung können zusätzlich verbale und nonverbale Reaktionen, Bekräftigung oder Tadel, Amusement oder Langeweile,
Vgl. McLean 2005, S. 684. Vgl. McLean 2005, S. 688. Vgl. Miller 1994. Vgl. Thorne 2000. Vgl. dazu die Studien in Anderson/Cohen/Taylor 2000 und Pasupathi 2001. Pasupathi 2001, S. 652.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
159
die Inhalte und die Form der Erzählung beeinflussen.⁵⁵⁸ Diese Einflüsse betreffen nicht nur die aktuelle Erzählung der Vergangenheit, sondern auch spätere Erinnerungen an die im Gespräch geschilderten und modifizierten Erfahrungen, womit das „Prinzip der Konsistenz“ („principle of consistency“⁵⁵⁹) ins Spiel kommt. Es beschreibt die Tatsache, dass zeitlich spätere Erinnerungen zumeist mit früheren Erinnerungen an dasselbe Ereignis konsistent sind.⁵⁶⁰ Durch die Formulierung einer Erzählung und deren Entwicklung im Dialog bildet sich eine Art schematischer Rahmen, der die für die Person bedeutenden Aspekte betont und weniger wichtige ausklammert, wobei neben dem Einfluss des Zuhörers bzw. Gesprächspartners auch kulturelle Spezifika bezüglich der Gestaltung von Narrationen eine Rolle spielen.⁵⁶¹ Kulturelle Faktoren stellen eine weitere wichtige Quelle der Beeinflussung autobiographischer Erinnerungen und ihrer Integration in die biographische Identität von Personen dar. Im Rahmen neuerer psychologischer Studien zur Interdependenz von autobiographischem Gedächtnis, Identität und Kultur konnte die Bedeutung solcher Einflüsse belegt und ihre Mechanismen genauer analysiert werden.⁵⁶² Das Zusammenspiel aller drei Instanzen ist dynamisch und findet in unterschiedlicher Form seinen gesellschaftlich-kulturellen Niederschlag: The dynamic relationship between memory and self is thus built into the larger fabric of a culture, a fabric in which conceptions of the self are institutionalized in various material and symbolic ways (including law, education, religion, philosophy, literature and the arts) that create and reconsolidate different genres of its autobiographically remembered past. In turn, autobiographical memories reflect, and further substantiate, culture-specific conceptions of selfhood.⁵⁶³
Bei vergleichenden Studien zum Zusammenhang von Erinnern und Selbstkonzept zeigte sich, dass Kinder aus westlichen, stark individualistisch geprägten Kulturen in ihren autobiographischen Erinnerungen die Abgrenzung von anderen und die Individualität ihrer Persönlichkeit stark betonten und vor allem ihre eigene Rolle und Meinung sowie das eigene Erleben heraushoben. Asiatische Kinder hingegen
Vgl. Pasupathi 2001, S. 652– 656. Pasupathi 2001, S. 656 – 660. Pasupathi (2001, S. 656 f.) betont dabei, dass „Konsistenz“ in diesem Kontext ein vielfältiger Begriff ist, bei dem verschiedene Ebenen (Kerninhalt, Details, Interpretation des Erinnerten/ Erzählten) unterschieden werden müssen. Vgl. Pasupathi 2001, S. 658. Vgl. dazu auch die Diskussion kultureller Schemata in Habermas/Bluck 2000, S. 131 f., sowie in Kapitel 3.2.4.2 dieser Arbeit. Vgl. für einen Überblick exemplarisch Triandis 1989, Mullen/Yi 1995 und Wang/Ross 2007. Wang/Brockmeier 2002, S. 52.
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beschrieben ihre Erinnerungen neutraler und knapper, nahmen häufiger Bezug auf Autoritäten und gesellschaftlich erwünschtes bzw. unerwünschtes Verhalten und hoben die Interaktion mit anderen und die Bedeutung Dritter hervor.⁵⁶⁴ Die Merkmale dieser Erinnerungsschilderungen korrespondieren mit den jeweiligen gesellschaftlichen Erwartungen und Normen hinsichtlich als angemessen erachteter Persönlichkeitsmodelle und des Stellenwerts autobiographischer Erinnerungen.⁵⁶⁵ Dieser kurze Abriss der entwicklungspsychologischen Forschung zur sozialen Dimension autobiographischen Erinnerns genügt, um einige Implikationen für die philosophische Frage nach der sozialen Mitbedingtheit biographischer Identität erkennen zu können. Die Ausbildung eines evaluativen Selbstverhältnisses, als welches wir die biographische Identität von Personen charakterisiert haben, lässt sich nur unter Berücksichtigung sozialer Interaktionen und Kontexte angemessen beschreiben. Dies gilt sowohl für die Entstehung biographischer Identität in der frühen Ontogenese⁵⁶⁶ als auch für ihre spätere Entwicklung. Die Studien zur Gedächtnisentwicklung bei Kindern und Jugendlichen zeigen, dass autobiographische Erinnerungen, die das inhaltliche Rohmaterial für die erstmalige Konstituierung biographischer Identität darstellen, nicht als fertige Produkte des privaten erstpersonalen Umgangs mit der Vergangenheit betrachtet werden können: „Recollections arise not from the depths of a storehouse in the head, but from a desire to communicate with others about the personal past.“⁵⁶⁷ Zwar muss einschränkend erwähnt werden, dass dies in Fällen narrativen Nachdenkens über die eigene Vergangenheit nicht zutrifft, da hier die Kommunikation (zunächst) nicht mit anderen, sondern mit sich selbst erfolgt und aus diesem Reflektieren narrativ strukturierte Erinnerungen entstehen können.⁵⁶⁸ Davon abgesehen sind die kommunikative Interaktion mit anderen und der soziale Kontext, in dem Erinnerungen generiert und modifiziert werden, wichtige Einflussfaktoren biographischer Identität: „Wenn sich eine Person zu erinnerten und antizipierten Episoden in ein evaluatives und interpretierendes Verhältnis setzt, dann findet dies in der Regel in einem sozialen Raum statt.“⁵⁶⁹ Wie unsere Analyse des autobiogra Vgl. Triandis 1989, Han/Leichtman/Wang 1998, Wang/Leichtman 2000 und Wang 2001. Wang/Brockmeier 2002, S. 53 f. Zur Ontogenese des „kommunikativen Gedächtnisses“ und ihres Zusammenhangs mit der Gehirnentwicklung vgl. Welzer 2008, S. 46 – 82. Hirst/Manier 1996, S. 271. Vgl. dazu die Diskussion narrativen Denkens auf S. 127 f. dieser Arbeit. Allerdings gilt diese Einschränkung nur hinsichtlich des fehlenden Dialogpartners. Die soziale Mitbedingtheit ist freilich auch hier gegeben, etwa hinsichtlich der in die narrative Reflexion eingehenden Erwartungshaltungen Dritter oder gesellschaftlicher Normen. Crone 2009, S. 157.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
161
phischen Gedächtnisses gezeigt hat, dient es in mehrerlei Hinsicht dazu, die Ergebnisse des Agierens in diesem sozialen Raum in die biographische Identität zu integrieren. Autobiographische Erinnerungen werden durch ihre narrativ strukturierte Form erzähl- und verstehbar. Sie können so gewissermaßen in den sozialen Raum gestellt und dort der Rückmeldung, Bestätigung, Kritik oder Ergänzung ausgesetzt werden. Auf diese Weise werden die eigenen Erinnerungen auch zum möglichen Bestandteil der Erinnerungen und Erzählungen Anderer. In Abhängigkeit von der Situation, in der erinnert und erzählt wird, und vom jeweiligen Gegenüber können Erinnerungen und ihre Darstellung dabei höchst unterschiedlich ausfallen.⁵⁷⁰ Das autobiographische Gedächtnis eröffnet durch diese Merkmale und Funktionen die Möglichkeit des für Personen charakteristischen komplexen Abgleichens von Selbstkonzept und sozialer Umwelt. Es formt „eine Abgleichmatrix zu den Zuschreibungen, Einschätzungen und Beurteilungen unserer Person, die unser soziales Umfeld unablässig praktisch vornimmt […].“⁵⁷¹ Der Vergleich dieser Außenzuschreibungen mit dem eigenen Selbstbild ermöglicht es auch, Selbstchecks durchzuführen und mögliche Divergenzen zwischen beiden aufzudecken und gegebenenfalls korrigierend einzugreifen.⁵⁷² So wie Zuschreibungen, Handlungen und Erzählungen Anderer Auswirkungen auf die eigene Selbstwahrnehmung haben und die autobiographischen Erinnerungen einer Person mitformen können, können die eigenen lebensgeschichtlichen Narrationen zum Bestandteil der Biographie Anderer werden. Die Erinnerungen verschiedener Personen treffen in narrativer Form im sozialen Raum aufeinander und bilden, wie MacIntyre es formuliert, eine „ineinandergreifende[] Reihe von Erzählungen“⁵⁷³, die sich wechselseitig beeinflussen. Die soziale Verfasstheit biographischer Identität verweist zudem abermals auf deren Gradualität. Wie im Rahmen der Darstellung kultureller Einflüsse auf die Identitätsbildung deutlich geworden sein dürfte, variiert die Stärke der Ausprägung einzelner Elemente mit dem im jeweiligen kulturellen Kontext vorherrschenden Personen- und Individualitätskonzept.⁵⁷⁴ Biographische Identität muss angesichts des faktisch gegebenen weiten Spektrums an Ausprägungsformen so
Vgl. dazu Hirst/Manier 1996, S. 271 sowie die dort genannten Studien, die beispielsweise die Unterschiede zwischen dem Erinnern mit Fremden und dem Erinnern mit Freunden thematisieren. Markowitsch/Welzer 2005, S. 260. Vgl. Stier 2006, S. 80 f. MacIntyre 1995/1981, S. 291. Hinzu kommen neben den genannten Faktoren auch der Einfluss des (sozialen) Geschlechts (vgl. Herlitz/Nilsson/Bäckman 1997, Fivush 2011 und Wang 2013) sowie die Zugehörigkeit zur sozialen Schicht (vgl. Richardson 1998 und McLean/Breen/Fournier 2010).
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3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
konzipiert werden, dass sie dieser Vielfalt gerecht wird, indem es keinen starken, beispielsweise den westlich geprägten Individualitätsbegriff als Maßstab anlegt, sondern vielmehr einen theoretischen Rahmen bietet, der eine graduelle Abstufung und die Berücksichtigung kultureller Unterschiede erlaubt.⁵⁷⁵
3.2.4.7 Autobiographisches Vergessen Ein weiterer, für den Zusammenhang von Erinnerung und biographischer Identität wichtiger Aspekt wurde bisher nur im Kontext der Rede von der Selektivität und Dynamik von Erinnerungen gestreift: das Vergessen. In diesem Kapitel sollen zunächst verschiedene Formen dessen, was häufig unter den Begriff des „Vergessens“ fällt, unterschieden werden. Im Anschluss daran wird die Bedeutung dieser verschiedenen Formen des Vergessens für die Konstituierung und Aufrechterhaltung biographischer Identität untersucht. In unserer alltäglichen Lebenspraxis hat das Vergessen keinen guten Ruf. Es lässt uns Dinge verlegen, sorgt für Beziehungskrisen, wenn dem Partner partout nicht mehr der gemeinsame Jahrestag einfallen will, und ist der Grund für unzählige verpasste Termine und nicht eingehaltene Versprechen. Erkrankungen wie Alzheimer oder unfallbedingte Amnesien, bei denen das Vergessen teils Jahrzehnte der eigenen Lebensgeschichte gleichsam verschwinden lässt, stellen für viele Menschen eines der denkbar schlimmsten Szenarien dar und werden häufig mit dem partiellen oder vollständigen Verlust der Identität oder Persönlichkeit gleichgesetzt.⁵⁷⁶ Es gibt jedoch auch Situationen, in denen wir das Vergessen förmlich herbeisehnen, etwa wenn uns traumatische Erinnerungen verfolgen und keine Ruhe mehr lassen. In bestimmten Fällen, wie beispielsweise bei der im Kontext vieler Kriegsveteranen bekannt gewordenen posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD⁵⁷⁷), verbinden wir die Unfähigkeit zu vergessen ebenfalls mit einer Bedrohung der Identität oder Persönlichkeit der Betroffenen. Die genannten Beispiele verweisen bereits darauf, dass es sich beim Vergessen, ebenso wie bei Gedächtnis und Erinnerung, um kein homogenes Phänomen handelt, sondern verschiedene Formen unterschieden werden müssen. Der Kognitionspsychologe Roberto Cubelli bemerkt diesbezüglich, dass das Vergessen in der psychologi-
Vgl. dazu die Diskussion des Kulturrelativitäts- sowie des Normativismuseinwands gegen das Konzept der biographischen Identität in Kapitel 3.1.4 dieser Arbeit. Für eingehende Analysen des Zusammenhangs von Demenz, Persönlichkeit und personaler Identität vgl. Hughes 2011 (insbesondere S. 223 – 271) sowie Schmidhuber 2013. PTSD = Post-Traumatic Stress Disorder. Für einen Überblick vgl. Young 1995. Diese psychische Störung wird auf S. 202 f. im Kontext der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Erinnerungswahrheit und biographischer Identität nochmals thematisiert.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
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schen Forschung häufig als „unitary phenomenon“ behandelt werde, obwohl die Differenzierung des Gedächtnisses auch die Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen verschiedenen Arten des Vergessens nahe lege.⁵⁷⁸ Dieser Notwendigkeit soll mit den nachfolgend in Abbildung 2 illustrierten Unterscheidungen Rechnung getragen werden.
Abb. 2: Taxonomie des Vergessens. Die Grafik illustriert einige Formen des Vergessens, die aus der in Kapitel 2.2.2 analysierten Unterteilung des Gedächtnisses in verschiedene Systeme resultieren. Sie beansprucht keine Vollständigkeit. Ausgespart bleibt aufgrund des Themas der Arbeit beispielsweise der Aspekt des kollektiven bzw. sozialen Vergessens (vgl. dazu Harris/ Barnier/Sutton 2010, S. 265 – 271). Zudem fehlen aus Gründen der Übersichtlichkeit die Kategorien „reversibel“/„irreversibel“ sowie „temporär“/„dauerhaft“, die aber in der nachfolgenden Analyse berücksichtigt werden.
Die in dieser Grafik vorgenommene Differenzierung zwischen verschiedenen Formen des Vergessens orientiert sich an den Formen von Gedächtnis und Erinnerung, wie wir sie im Kontext der Unterscheidung verschiedener „Gedächtnissysteme“ in Kapitel 2.2.2 kennengelernt haben. Obgleich das autobiographische Vergessen hinsichtlich der Frage nach der Bedeutung des Vergessens für die biographische Identität die wichtigste Erscheinungsform darstellt, sollen auch das semantische sowie das prozedurale Vergessen kurz thematisiert werden. Das prozedurale Vergessen bezieht sich auf die Inhalte des sogenannten „prozeduralen Gedächtnisses“⁵⁷⁹ bzw. auf die darauf basierenden Fähigkeiten. Als Beispiel kann der Verlust bzw. die Verminderung bestimmter Fertigkeiten dienen, wie etwa Gehen, Radfahren, Autofahren, Tanzen oder das Beherrschen einer Fremd- oder
Cubelli 2010, S. 36. Dieser Notwendigkeit soll mit den hier vorgeschlagenen und in Abbildung 2 illustrierten Unterscheidungen Rechnung getragen werden. Auf die Problematik der Rede von einem „prozeduralen“ oder „impliziten“ Gedächtnis wurde bereits hingewiesen (vgl. Kapitel 2.2.2.2 und 2.2.2.3 dieser Arbeit).
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der Muttersprache. Diese Beispielreihe macht bereits deutlich, wie problematisch die Rede vom „Vergessen“ hinsichtlich prozeduraler Erinnerungen ist. Erstens ist, wie wir bereits gesehen haben, die Unterscheidung zwischen Wissen, automatisiertem Können und Erinnerungen bezüglich der unter den Begriff des prozeduralen Gedächtnisses fallenden Phänomene schwierig und unklar.⁵⁸⁰ Zweitens scheint zwischen dem „Vergessen“ von Fertigkeiten wie Tanzen und Schachspielen auf der einen und von Fertigkeiten wie dem Sprechen der Muttersprachen oder der Fähigkeit zu gehen auf der anderen Seite ein Unterschied zu bestehen, der darin resultiert, dass Ersteres als ein Fall des Verlernens, Zweiteres hingegen als Fall einer pathologischen Störungen angesehen wird. Zudem handelt es sich beim prozeduralen Vergessen um ein graduelles Phänomen. Vergessen zu haben, wie einzelne Schritte einer komplizierten Sonderform des Tango ausgeführt werden, ist als Erscheinungsform von Vergessen auf einer qualitativ anderen Ebene anzusiedeln als nicht mehr zu wissen, wie die grammatikalischen Grundstrukturen der eigenen Muttersprache beschaffen sind. Außerdem gilt es, temporäres von dauerhaftem Vergessen zu unterscheiden. Semantisches Vergessen bezieht sich auf Faktenwissen als Inhalt des semantischen Gedächtnisses. Die zumeist als ärgerlich empfundenen Standardfälle alltäglichen Vergessens, etwa das Nichtwiederfinden von Gegenständen oder das Vergessen von Namen oder Geburtstagen, zählen zu dieser Kategorie. Während beim prozeduralen Vergessen unklar ist, ob man von Fällen intentionalen Vergessens sprechen kann, ob sich also Fertigkeiten absichtlich vergessen lassen⁵⁸¹, scheint dies beim semantischen Vergessen der Fall zu sein, beispielsweise wenn wir veraltete Telefonnummern vergessen, um neuen Platz zu machen.⁵⁸² Auch bei emotional konnotierten Erinnerungen kann semantisches Vergessen beteiligt sein, wenn wir zum Beispiel das Geburtsdatum eines ehemaligen Partners vergessen wollen, weil die Erinnerung daran uns zu sehr schmerzt. Dieser Fall verweist allerdings auch auf die bereits angesprochene enge Verschränkung von
Vgl. Kapitel 2.2.2.2 und 2.2.2.3 dieser Arbeit. Dieses Problem rührt unter anderem daher, dass Vergessen häufig im Sinne des Löschens oder Verschwindens einer Information oder Fertigkeit verstanden wird und dann unklar ist, was unter dem intentionalen Verschwindenlassen einer Fertigkeit zu verstehen ist bzw. ob es solche Fälle gibt oder geben kann. Dies ändert sich, wenn man den Begriff weiter fasst, so dass auch das absichtliche Verkümmernlassen einer Fertigkeit – etwa das Einstellen des Übens von Klavierspiel oder Tanz, weil dies nicht mehr zum Lebensstil passt – darunter fallen. Allerdings könnte man einwenden, dass es sich auch hier nicht um „echtes“ intentionales Vergessen handelt, sondern um Versuche, auf indirektem Weg – etwa indem man die Aufmerksamkeit mehr auf die einen als auf die anderen Erinnerungen lenkt oder Ablenkung und Zerstreuung sucht – auf ein Vergessen hinzuwirken.
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semantischen und autobiographischen Erinnerungen.⁵⁸³ Die semantische Erinnerung an das Geburtsdatum ist hier derart mit einer komplexen, emotional gefärbten autobiographischen Erinnerung an den ehemaligen Partner verbunden, dass die Erinnerung an das Faktum des Geburtsdatums als Auslöser für das autobiographische Erinnern der Beziehung dient, das vom Erinnernden als schmerzhaft und daher unerwünscht erlebt wird, woraus wiederum der Wunsch nach dem Vergessen der „nur“ semantischen Erinnerung an das Datum resultiert. Wir sind damit bei der für unsere Überlegungen zentralen Form des Vergessens angelangt, dem autobiographischen Vergessen. Während klar ist, dass die Bezugsgröße des Vergessens in diesem Fall autobiographische Erinnerungen sind, deren Natur und Relevanz für die biographische Identität uns in den vorausgegangenen Kapiteln beschäftigt hat, ist weit weniger klar, was „Vergessen“ in diesem Kontext bedeuten kann. Eine erste hilfreiche Differenzierung besteht darin, Fälle von Vergessen durch den Zeitpunkt zu klassifizieren, zu dem sie im Prozess der Erinnerungsbildung auftreten. Im Kontext des Enkodierens von Erinnerungen von „Vergessen“ zu sprechen, würde demnach bedeuten, dass Informationen, die dergestalt gegeben sind, dass sie potentiell enkodiert werden könnten, erst gar nicht zum Bestandteil von Erinnerungen werden.⁵⁸⁴ Bei der Analyse des „Self-Memory System“ und des „Life Story Schema“ wurde deutlich, dass Informationen auf der Grundlage gegenwärtiger Ziele und Motive und in der Vergangenheit erworbenen Wissens evaluiert und gegebenenfalls enkodiert oder verworfen werden.⁵⁸⁵ Diesem rekonstruktiven⁵⁸⁶ Verständnis des Erinnerns nach können Informationen auch dann „vergessen“ werden, wenn sie noch gar nicht enkodiert wurden, weil sie im Prozess der Verarbeitung von Informationen durch das Gedächtnis bereits „gesichtet“, dann aber wieder verworfen wurden: If […] we describe memory as reconstructive, then forgetting should occur even in the encoding phase when information is being interpreted on the basis of the previous knowledge and current aims.⁵⁸⁷
Auch auf der Ebene der „Speicherung“⁵⁸⁸ und des Abrufs von Erinnerungen spielt dieser rekonstruktive Charakter eine wichtige Rolle für das Verständnis autobio Vgl. dazu die Diskussion in Kapitel 2.2.1 und 2.2.2.6 dieser Arbeit. Vgl. Cubelli 2010, S. 38. Vgl. Kapitel 3.2.4.1 und 3.2.4.2 dieser Arbeit. Die Bedeutung und mögliche Implikationen des rekonstruktiven Charakters von Gedächtnis und Erinnerung werden in Kapitel 3.2.6 analysiert. Cubelli 2010, S. 38. Der Begriff steht hier in Anführungszeichen, weil er zu der Annahme verleitet, dass das Gedächtnis als reproduktive Instanz Informationen „lagert“, die dann zu einem späteren Zeit-
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graphischen Vergessens. Conway und Pleydell-Pearce heben die rekonstruktive Dimension des Erinnerns, wie wir gesehen haben, im Rahmen der Theorie des „Self-Memory System“ durch die Annahme hervor, dass die Kontrollprozesse des „working self“ die Verfügbarkeit und Abrufbarkeit von Erinnerungen in Abhängigkeit von gegenwärtigen Zielen und Motiven ermöglichen bzw. hemmen.⁵⁸⁹ Autobiographische Erinnerungen, die hinsichtlich dieser Ziele konsistent sind, werden dementsprechend zugänglich gehalten und leichter wiedererinnert, wohingegen solche Erinnerungen, die im Widerspruch dazu stehen, deren Auftreten emotional negative Folgen hat, oder die schlicht als irrelevant erachtet werden, gehemmt oder blockiert werden.⁵⁹⁰ Wird eine Erinnerung auf diese Art blockiert, handelt es sich um eine Form des sogenannten „directed forgetting“⁵⁹¹ oder „goaldirected forgetting“⁵⁹². Beide Begriffe beziehen sich auf Situationen, in denen „forgetting serves some implicit or explicit personal need.“⁵⁹³ Was bedeutet „implizit“/„explizit“ bzw. „personales Bedürfnis“ („personal need“) in diesem Kontext? „Personales Bedürfnis“ bezieht sich zunächst auf eine ganze Reihe verschiedener Dinge: Auf das Gelingen von Plänen, die Umsetzung von Absichten, die Bestätigung von Selbsteinschätzungen oder auf die positive Außendarstellung der eigenen Person. Wenn diese Ziele implizit wirksam sind, ist dem Betreffenden nicht bewusst, dass sie sein gegenwärtiges Denken oder Handeln in Richtung des Erreichens der Ziele beeinflussen. Das Vergessen bestimmter Erfahrungen oder Erlebnisse kann in diesem Sinne zum Erreichen nicht-bewusster Ziele beizutragen. Ein Beispiel dafür ist die Selektion von Erinnerungen vor dem Hintergrund eines impliziten Selbstbildes, dessen Aufrechterhaltung durch das Filtern der Erinnerungen das implizite Ziel des Auswahlprozesses darstellt.⁵⁹⁴ Im Fall ex-
punkt wieder hervorgeholt werden können. Diese Vorstellung vom Gedächtnis als einer Art „Lagerhalle“ („storehouse“) – bzw. in moderner Form als analog zum Speichermodell von Computern gedacht („computer metaphor“) – liegt vielen Theorien implizit oder explizit zugrunde (vgl. Sutton 1998, S. 167 f. und S. 244 sowie Harris/Sutton/Barnier 2010, S. 254). Die vorausgegangenen Analysen haben jedoch gezeigt, dass vor allem hinsichtlich des autobiographischen Gedächtnisses die Annahme deutlich plausibler ist, dass es sich nicht um ein statisch-reproduktives, sondern vielmehr um ein dynamisch-rekonstruktives Phänomen handelt (vgl. Harris/Sutton/Barnier 2010, S. 254 und Cubelli 2010, S. 38 – 41). Vgl. Conway/Pleydell-Pearce 2000, S. 261– 266, und Conway 2005, S. 597. Vgl. dazu auch Harris/Sutton/Barnier 2010, S. 256 und die Diskussion des Konzepts des „working self“ in Kapitel 3.2.4.1 dieser Arbeit. Vgl. Conway 2005, S. 605 – 607. Bjork 1972. Vgl. dazu auch Harris/Sutton/Barnier 2010, S. 260 – 262. Harris/Sutton/Barnier 2010, S. 257. Bjork/Bjork/Anderson 1998, S. 103. Vgl. dazu S. 130 f. dieser Arbeit.
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pliziter personaler Bedürfnisse sind diese der Person hingegen als solche bewusst. Das intentionale Hervorheben bestimmter Erinnerungen, die einen selbst in einem guten Licht erscheinen lassen und das oftmals mit dem intentionalen Vergessen solcher Erinnerungen verknüpft ist, die diesem Ziel entgegen stehen, dient dafür als Beispiel. Die empirischen Erkenntnisse über die Natur und Funktion des Vergessens haben auch wichtige philosophische Implikationen, die jedoch, vor allem in der diesbezüglich besonders relevanten erkenntnistheoretischen und anthropologischen Forschungsdiskussion, kaum thematisiert werden. Ein Grund dafür besteht in der weitverbreiteten Annahme, dass das Vergessen lediglich Ausdruck eines „Defekts“ des Erinnerns bzw. der unzulänglichen Beschaffenheit des menschlichen Gedächtnisses sei.⁵⁹⁵ Vor dem Hintergrund der Auffassung, das Vergessen sei eine Fehlfunktion des menschlichen Geistes, die dem Erreichen eines epistemischen bzw. epistemologischen Ideals entgegensteht, ist diese Vernachlässigung freilich nachvollziehbar. Gegen diese Annahme soll im Folgenden im Anschluss an Überlegungen von Kourken Michaelian⁵⁹⁶ argumentiert werden, dass eine bestimme Form des Vergessens, die Michaelian unter Bezug auf die aristotelische Mesotes-Lehre als „tugendhaftes Vergessen“ („virtuous forgetting“⁵⁹⁷) bezeichnet, sowohl eine notwendige Bedingung für das richtige Funktionieren des Gedächtnisses als auch einen wichtigen Bedingungsfaktor biographischer Identität darstellt. Beides lässt sich anhand eines aktuellen Fallbeispiels aus der psychologischen Forschung verdeutlichen: 2006 beschrieben die Psychologen Elizabeth Parker, Larry Cahill und James McGaugh in einem Artikel mit dem Titel „A Case of Unusual Autobiographical Remembering“⁵⁹⁸ den Fall einer Patientin mit dem Pseudonym „AJ“, die sich später unter ihrem echten Namen Jill Price in die (Medien‐)Öffentlichkeit begab. Er gilt als erster wissenschaftlich beschriebener Fall des sogenannten „hyperthymestischen Syndroms“ („hyperthymestic syndrome“⁵⁹⁹), also einer Art „Überfunktion“ des Gedächtnisses. Bei Price betrifft dies vor allem das autobiographische Gedächtnis. Während sie über kein überdurchschnittliches Gedächtnis für das Behalten und Reproduzieren bedeutungsloser,
Vgl. Michaelian 2011c, S. 399 f. Michaelian 2011c. Michaelian 2011c, S. 399. Dieses „tugendhafte Vergessen“ steht als Mittleres zwischen den Extremen des Zuviel-Vergessens und des Zuwenig-Vergessens. Parker/Cahill/McGaugh 2006. Parker/Cahill/McGaugh 2006, S. 35. Der Begriff – gebildet aus dem altgriechischen „hypér“ („über“/„übermäßig“) und „thӯmesis“ („Erinnern“) – wurde von den Autoren angesichts der erstmaligen wissenschaftlichen Beschreibung des Phänomens eingeführt.
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abstrakter Fakten verfügt, wie es bei sogenannten „Gedächtniskünstlern“⁶⁰⁰ der Fall ist, ist ihr autobiographisches Erinnerungsvermögen außergewöhnlich beschaffen. Sie vermag sich detailliert an jeden Tag ihres Lebens ab dem Alter von sieben Jahren zu erinnern. Diese Erinnerungen beinhalten nicht nur Fakten, etwa die zu spontan genannten Daten zugehörigen Wochentage, Ereignisse dieses Tages und Namen von Personen, die Price an diesem Tag getroffen hat. Sie sind darüber hinaus auch mit dem mentalen Wiedererleben der betreffenden Episode ihrer personalen Vergangenheit verknüpft und treten unablässig, unwillkürlich und in durch die Erinnernde kaum kontrollierbarer Form auf: I think about the past all the time […]. Itʼs like a running movie that never stops. Itʼs like a split screen. Iʼll be talking to someone and seeing something else. […] I run my entire life through my head every day and it drives me crazy!!!⁶⁰¹
Priceʼ autobiographisches Gedächtnis weist demzufolge mehrere Merkmale auf, die es signifikant vom „Normalgedächtnis“ unterscheiden: Zum einen zeichnen sich ihre Erinnerungen durch (relative) Vollständigkeit, Akkuratesse ⁶⁰² und zeitübergreifende Stabilität aus. Sie reichen bis in die frühe Jugend zurück, umfassen so gut wie jeden Tag ihres Lebens mitsamt einer Fülle von Details und scheinen auch mit langem zeitlichem Abstand zu den ursprünglichen Erfahrungen nicht zu verblassen. Das Nicht-Verblassen bezieht sich dabei sowohl auf den Inhalt der Erinnerungen als auch auf deren emotionalen Gehalt, so dass diese bei jedem Erscheinen „wie frisch“ erlebt werden.⁶⁰³ Zum anderen sind ihre autobiographischen Erinnerungen in hohem Maße autonom und automatisch.⁶⁰⁴ Ihr Auftreten lässt sich auch durch bewusste kognitive Anstrengung nicht vermeiden oder abschwächen, die Aufmerksamkeit wird ungewollt und unablässig auf die über Price förmlich hereinbrechenden Erinnerungen gelenkt, so dass die Beschäftigung mit der personalen Gegenwart und die Planung der personalen Zukunft erheblich erschwert wird: „Normally people do not dwell on their past but they are oriented to the present, the here and now. Yet AJ is bound by recollections of her past.“⁶⁰⁵
Für eine klassische Fallstudie zu einem solchen „Gedächtniskünstler“ vgl. Luria 2000/1968 sowie Neisser 1982b und Wilding/Valentine 1997 für Studien zu weiteren Fällen. Parker/Cahill/McGaugh 2006, S. 35. Die Korrektheit vieler von Price geschilderter Erinnerungen konnten Parker und Kollegen unter anderem durch den Abgleich mit ihren Tagebüchern belegen (vgl. Parker/Cahill/McGaugh 2006, S. 37 und S. 46). Parker/Cahill/McGaugh 2006, S. 39. Zu den psychologischen Aspekten solcher „involuntary memories“ vgl. die Beiträge in Mace 2007. Parker/Cahill/McGaugh 2006, S. 46.
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Entgegen der ihr gegenüber häufig geäußerten Auffassung, solch ein Gedächtnis sei als besonderes Geschenk oder gar als Segen anzusehen, hält Price selbst es für das Gegenteil: „Most have called it a gift but I call it a burden.“⁶⁰⁶ Die Bürde besteht darin, dass ihr außergewöhnlich gutes autobiographisches Gedächtnis sie durch das ungewollte und nicht unterdrückbare Auftauchen von Erinnerungen ihrer erinnerten Vergangenheit gegenüber in einen passiven Zustand versetzt. Sie ist häufig nicht in der Lage, mit dieser Vergangenheit aktiv umzugehen, bestimmte Aspekte hervorzuheben und andere dem Vergessen preiszugeben. Vielmehr erleidet sie ihre Erinnerungen, deren Autonomie den Spielraum ihrer eigenen Autonomie bezüglich der Gestaltung der Gegenwart und Zukunft einschränkt: „My memory has ruled my life.“⁶⁰⁷ Price wird durch die Unfähigkeit zu vergessen und die Unkontrollierbarkeit ihrer Erinnerungen zur „Gefangene[n] des ,Es warʻ“⁶⁰⁸ Durch die Allgegenwart und das fehlende Verblassen emotional konnotierter autobiographischer Erinnerungen sind einige Handlungsoptionen „normalerinnernder“ Personen für sie gar nicht oder nur eingeschränkt verfügbar. Dies betrifft etwa die Möglichkeit des sprichwörtlichen „Vergebens und Vergessens“, das unter anderem auf dem diachronen Schwächerwerden von Erinnerungen und dem weniger starken Erleben der mit ihnen verbundenen Emotionen basiert. Da in Priceʼ Fall jedoch die Qualität der meisten Erinnerungen auch mit weitem zeitlichem Abstand zum ursprünglichen Ereignis beinahe unverändert bleibt, ist diese Grundlage nicht gegeben. Auch der Versuch, über bestimmte, beispielsweise traumatische Erinnerungen gezielt den „Mantel des Vergessens“ zu legen und damit unliebsame Erlebnisse aus der eigenen Biographie auszublenden, wird durch die Unkontrollierbarkeit ihrer Erinnerungen zwecklos. Dies deutet bereits an, dass zwischen der Fähigkeit bzw. Unfähigkeit zu vergessen und bestimmten Bestandteilen bzw. Ermöglichungsbedingungen biographischer Identität ein Zusammenhang besteht. Die Entstehung und das Fortbestehen eines narrativ strukturierten personalen Selbstverhältnisses, als welches wir die biographische Identität von Personen charakterisiert haben, hängen auf unterschiedlichen Ebenen von verschiedenen Erscheinungsformen des Vergessens ab, wie sie oben beschrieben wurden. Dies beginnt bereits auf der basalen Ebene der Auswahl von Informationen, die potentiell zu Erinnerungen werden können. Aufgrund der begrenzten Ressourcen für die Informationsverarbeitung ist die unbewusste Selektion von Informationen
Parker/Cahill/McGaugh 2006, S. 35. Parker/Cahill/McGaugh 2006, S. 35. Schaap 2002, S. 224. Schaap formuliert dies vor dem Hintergrund von Friedrich Nietzsches Überlegungen zur anthropologischen Bedeutung von Erinnerung und Vergessen, die sich unter anderem in dessen Schrift „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ (1874) finden.
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eine wichtige Grundlage für die Funktionsfähigkeit des kognitiven Systems. Zwar geschieht diese Auswahl unbewusst, jedoch beruht sie, wie im Rahmen der Analyse des „Life Story Schema“ und des „Self-Memory System“ deutlich wurde, zumindest partiell auch auf Zielen und Motiven, die der Person zu einem früheren Zeitpunkt bewusst waren bzw. intentional generiert wurden. Die Bedeutung der Auswahl von Erinnerungen setzt sich auf der Ebene der Zugänglichkeit und des Abrufs von Informationen fort, die bereits Eingang in das Gedächtnis gefunden haben. Michaelian postuliert drei Teilfunktionen des Gedächtnisses, die die epistemologische Bedeutung des Vergessen im Sinne der Selektion und des „Aussortierens“ von Erinnerungen verdeutlichen sollen: „[T]he function of memory is to make (1) currently-relevant information acquired in the past available again for present use (2) in manageable quantities and (3) in a timely manner.“⁶⁰⁹ Zu betonen ist dabei, dass es sich hier zunächst um allgemeine epistemologische Kriterien handelt, die für jedes endliche erkennende Wesen mit begrenzten kognitiven Ressourcen („finite cognizer“) gültig sein sollen. Ob und inwiefern das bei Menschen faktisch gegebene Gedächtnis diese Kriterien auch erfüllt, ist eine davon zu unterscheidende Frage, die sich auf die spezifische psychische Verfasstheit des Menschen bezieht. Da für uns beide Ebenen von Interesse sind, befassen wir uns zunächst mit der Plausibilität der allgemeinen Kriterien und darauf folgend mit der Frage nach ihrer konkreten Realisierung im Menschen und ihrer Relevanz für die biographische Identität von Personen. Kriterium (1) ist sogleich mit einer Einschränkung zu versehen: Freilich gibt es auch Erinnerungen, die nicht oder nicht direkt für die aktuellen Interessen der Person relevant sind und die dennoch wiedererinnert werden. Michaelian gesteht diese Möglichkeit zu und konkretisiert das Kriterium durch die Annahme, dass das Gedächtnis sicherlich dann als dysfunktional anzusehen wäre, wenn es vor allem oder ausschließlich solche Informationen als Antwort auf „Erinnerungsanfragen“ des Subjekts generieren würde, die für die gegenwärtigen Interessen einer Person irrelevant sind.⁶¹⁰ Das Erzeugen gegenwärtig relevanter Erinnerungen lässt sich demnach hinsichtlich der Erfordernisse, die die Umwelt an kognitiv komplexe Wesen stellt, als funktional begründen, ohne in diesem Sinne nicht-funktionale Erinnerungen zu exkludieren. Die Kriterien (2) und (3) beziehen sich auf die Menge an Informationen, die angesichts der begrenzten kognitiven Ressourcen im Gedächtnis verarbeitet werden können, bzw. auf die angesichts der Erfordernisse eines zeitnahen Zugriffs auf Erinnerungen nötigen Anforderungen an die Geschwindigkeit des Abrufs. Je mehr Informationen
Michaelian 2011c, S. 416. Michaelian 2011c, S. 416.
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im Prozess des Abrufs von Erinnerungen durchsucht werden müssen, desto aufwendiger gestaltet sich dieser Prozess und desto länger dauert es, bis er abgeschlossen ist: [R]etrieval is computationally costly: search takes time – if more records are tested for relevance, search takes longer; and sorting through accessible relevant records to determine which ones are wanted takes time – if more relevant records are identified, sorting takes longer.⁶¹¹
Eine große Menge an potentiell relevanten Informationen erschwert demzufolge sowohl den Abruf als auch den Abgleich bzw. das Sortieren der Informationen. Zudem ergeben sich „kognitive Folgekosten“: Werden mehr Informationen aus dem Gedächtnis abgerufen, erhöht sich häufig auch der damit verbundenen kognitive Aufwand, weil die Erinnerungen oft andere kognitive Prozesse auslösen, etwa Prozesse des Nachdenkens und Einordnens.⁶¹² Das Vergessen kann nun sowohl die Geschwindigkeit des Abrufs erhöhen als auch den Zeitaufwand für das Sortieren potentiell relevanter Informationen verringern: Zum einen wird die Zahl der der Erinnerung zugänglichen Informationen verringert, was die zu durchsuchende Menge verkleinert und die Suchgeschwindigkeit erhöht. Zum anderen nimmt die Zahl der Informationen ab, die bezüglich ihrer Relevanz sortiert werden müssen.⁶¹³ Das Ausbleiben von Vergessen würde dazu führen, dass mit zunehmender Informationsmenge der Abruf so lange dauert, dass er in vielen Fällen nicht mehr von Nutzen für das Subjekt ist. Darüber hinaus würden durch das Sortieren einer großen Menge an Erinnerungen und durch die Vielzahl kognitiver und emotionaler Prozesse, die diese begleiten, die Aufmerksamkeit und die kognitiven Ressourcen des erinnernden Subjekts in einem Maß absorbiert, das je nach Menge der zu bewältigenden Informationen zur Verminderung der Handlungs- und Orientierungsfähigkeit in der Gegenwart führen kann. Ein, wie Michaelian es nennt, „tugendhaftes Gedächtnis“, also ein Gedächtnis, das seine Funktion angemessen erfüllen kann, bedarf daher notwendig eines gewissen Maßes an Vergessen.⁶¹⁴ Dies evoziert freilich sogleich die Frage, welche Erinnerungen bei einem solchen Gedächtnis dem Vergessen anheimfallen, nach welchen Kriterien also „vergessenswerte“ Erinnerungen selektiert werden und was unter dem „rechten“ bzw. „gewissen Maß“ an Vergessen zu verstehen ist. Neben die formale Voraussetzung der angemessen schnellen Verarbeitung einer angemessen
Michaelian 2011c, S. 411. Vgl. Michaelian 2011c, S. 411. Vgl. Michaelian 2011c, S. 414. Vgl. Michaelian 2011c, S. 415.
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großen Menge an Informationen tritt ein qualitatives Kriterium, demzufolge „a virtuous memory system will preferentially forget (render inaccessible⁶¹⁵) records that are irrelevant to the subjectʼs interests.“⁶¹⁶ Michaelians These lautet demnach, dass die Interessen des erinnernden Subjekts darüber entscheiden, welche Erinnerungen vergessen werden. Dies hängt wiederum mit seiner Annahme zusammen, dass die Abrufhistorie („retrieval history“⁶¹⁷) die Interessen des Subjekts reflektiert. Solche Erinnerungen, die für das Subjekt von Interesse sind, sind (häufiger) Bestandteil dieser Historie, solche, die nicht von Interesse sind, hingegen nicht. Da die Abrufhistorie die Bemessungsgrundlage des Vergessens darstellt, richtet sich dieses folglich indirekt auch nach dem Interessen-Kriterium.⁶¹⁸ Michaelians Überlegungen verweisen zwar auf wichtige Aspekte und Bedingungen des Vergessens, müssen jedoch an einigen Stellen ergänzt bzw. erweitert werden, um den Besonderheiten autobiographischen Erinnerns gerecht werden und die Rolle des Vergessens für die biographische Identität von Personen verdeutlichen zu können. Wie die Analyse in den vorausgegangenen Kapiteln gezeigt hat, bildet das autobiographische Gedächtnis die Grundlage für die Entstehung, Wahrnehmung und Gestaltbarkeit der Lebensgeschichte des Subjekts. Diese Dimension entgeht Michaelians funktionaler Charakterisierung des Gedächtnisses und der sich daraus ergebenden Bedeutung des Vergessens. Inkludiert man diese Dimension in die Analyse der Bedeutung des Vergessens für Personen, muss zunächst Michaelians Bestimmung der Funktion des Gedächtnisses um ein viertes Kriterium erweitert werden, das die kontinuitätsbildende Funktion des autobiographischen Gedächtnisses umfasst.⁶¹⁹ Dies beinhaltet die Wahrnehmung der grundlegenden Strukturen des eigenen Lebens im Sinne von Wollheims „thread of life“ und die Fähigkeit, mit autobiographischen Erinnerungen im Kontext der eigenen Biographie umzugehen. Damit hängen wiederum, wie gesehen, die Erzeugung der Bedeutung von Erinnerungen durch deren narrative Einordnung sowie die emotionale Qualität autobiographischer Erinnerungen zusammen. Dieser Einschub bezieht sich auf die Annahme, dass wir es in den meisten Fällen von „Vergessen“ nicht mit der tatsächlichen Elimination von Erinnerungen, sondern mit deren (temporärer oder dauerhafter) Nicht-Zugänglichkeit zu tun haben (vgl. Michaelian 2011c, S. 403 f.). Michaelian 2011c, S. 416. Michaelian 2011c, S. 412. Vgl. Michaelian 2011c, S. 417. Michaelian (2011c, S. 416) spricht zwar in einer Fußnote davon, dass zusätzliche Modifikationen seiner Funktionsbestimmung „might be necessary to take into account the role of episodic memory in ,mental time travelʻ“. Es bleibt jedoch unklar, ob und inwiefern sich dies auf die hier vorgeschlagene Erweiterung bezieht.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
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Durch die Berücksichtigung dieser Aspekte werden Michaelians Kriterien, die vor allem auf die informationstransportierende Rolle des Gedächtnisses zielen, um die bedeutungstransportierende und kontinuitätsbildende Funktion des autobiographischen Gedächtnisses ergänzt. Dies hat wiederum Folgen für die Frage nach der Bedeutung des Vergessens für die biographische Identität von Personen, die sich durch einen erneuten Blick auf den Fall von Jill Price verdeutlichen lassen. Sie stellt in ihrer Autobiographie hinsichtlich ihrer Einschätzung des Wertes des Vergessenkönnens fest: Whereas people generally create narratives of their lives that are fashioned by a process of selective remembering and an enormous amount of forgetting and continuously re-crafting that narrative through the course of life, I have not been able to do so.⁶²⁰
An späterer Stelle ergänzt sie: Though people tend to think of forgetting as an affliction and are disturbed by the loss of so much memory as they age, I’ve come to understand that there is real value in being able to forget a good deal about our lives.⁶²¹
Priceʼ Aussagen stützen und illustrieren den Stellenwert des bereits thematisierten selektiven Zugangs von Personen zu bzw. des Umgangs mit ihrer Vergangenheit. Wie gezeigt, bedarf es zur Entstehung der Wahrnehmung einer kohärenten Lebensgeschichte der Auswahl von Erinnerungen nach ihrer aktuellen, lebensgeschichtlichen und emotionalen Bedeutsamkeit.⁶²² Das Vergessen erleichtert bzw. ermöglicht nicht nur, wie Michaelian argumentiert, durch die Reduzierung der (potentiell) verfügbaren Erinnerungsmenge den zeitnahen Abruf aktuell benötigter Informationen. Es vermag darüber hinaus durch die (wiederum auch biographisch fundierte) Auswahl bestimmter Erinnerungen den Rahmen für das Herausarbeiten von Konturen der eigenen Biographie zu schaffen, unter anderem, indem die emotionale Qualität und/oder der Inhalt mancher Erinnerungen abgeschwächt bzw. verringert wird. Das in Kapitel 3.2.4.3 thematisierte Phänomen der „fading affect bias“ illustriert diesen Zusammenhang. Durch das durchschnittlich raschere Vergessen emotional negativ konnotierter Erinnerungen wird vermieden, dass diese die Aufmerksamkeit des Subjekts zu stark in der Vergangenheit halten. Zugleich wird ein stabiler und motivierender psychischer Gesamtzustand begünstigt.⁶²³ Der Fall von Price macht deutlich, dass ein Übermaß
Price/Davis 2008, S. 6. Price/Davis 2008, S. 42. Vgl. Kapitel 3.2.4.1 dieser Arbeit. Vgl. S. 135 f. dieser Arbeit.
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autobiographischer Erinnerungen die biographische Orientierung erheblich erschweren kann. Hinzu kommt, dass ohne selektives Vergessen bzw. bei stark vermindertem selektivem Vergessen nicht nur die Interpretation der Vergangenheit, sondern auch das darauf gestützte Agieren in der Gegenwart sowie das Antizipieren und Planen der personalen Zukunft erschwert bzw. stark eingeschränkt werden. Das „tugendhafte“ autobiographische Gedächtnis bewegt sich demnach zwischen einem Zuviel an Vergessen bzw. Zuwenig an Erinnerung, wie es sich in extremer Form in Fällen von Amnesie zeigt⁶²⁴, und einem Zuviel an Erinnerung bzw. Zuwenig an Vergessen,wie es das hyperthymestische Syndrom von Jill Price veranschaulicht.⁶²⁵
3.2.5 Unbewusste Identität? Implizites Gedächtnis und biographische Identität Im bisherigen Verlauf dieser Arbeit ist uns die Idee unbewusster oder impliziter Erinnerungen und ihrer mutmaßlichen Bedeutung für die biographische Identität von Personen bereits mehrfach kurz begegnet.⁶²⁶ Obgleich explizite, vor allem autobiographische Erinnerungen im Zentrum unserer Untersuchung stehen, kann auf einen Exkurs zur impliziten Dimension des Erinnerns nicht verzichtet werden, weil Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen impliziten und autobiographischen Erinnerungen bestehen, die hinsichtlich der Konstituierung und Aufrechterhaltung biographischer Identität von Bedeutung sind. In den Kapiteln 2.2.2.2 und 2.2.2.3 wurden bereits einige grundlegende begriffliche und konzeptuelle Probleme diskutiert, die mit der Annahme eines impliziten Gedächtnisses bzw. impliziter Erinnerungen verbunden sind.⁶²⁷ Ohne an dieser Stelle nochmals auf jene Probleme eingehen zu können, nehmen die nachfolgenden Überlegungen ihren Ausgang von der Charakterisierung des impliziten oder nichtdeklarativen Gedächtnisses als „System, das an all unseren
Die Auswirkungen von Amnesien auf die biographische Identität wurden bereits auf S. 127 und S. 162 thematisiert. Vgl. dazu auch Oshana 2010, S. 88 – 95. Allerdings darf, wie oben gezeigt, über diese quantitative Rede vom „Zuviel“ bzw. „Zuwenig“ nicht vergessen werden, dass nicht nur die Menge, sondern vor allem auch der Inhalt und die Qualität behaltener bzw. vergessener Erinnerungen für die „Tugendhaftigkeit“ ausschlaggebend ist. Vgl. dazu beispielsweise Kapitel 3.2.4.1 und 3.2.4.2 dieser Arbeit. Für eine eingehendere philosophische Diskussion einiger dieser fundamentalen Probleme, die mit der Vorstellung eines impliziten Gedächtnisses verbunden sind, vgl. Hardcastle 2008, S. 91– 109. Zur psychologischen Diskussion vgl. Schacter 1987, Schacter 1993 und die Beiträge in Bowers/Marsolek 2003 sowie Fuchs 2008d und Kennedy 2010 für einen Überblick zu psychoanalytischen Aspekten des Zusammenhangs von Gedächtnis und Unbewusstem.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
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Handlungen beteiligt ist, ohne dass wir dabei den Eindruck haben, uns bewusst zu erinnern.“⁶²⁸ Im Gegensatz zu autobiographischen Erinnerungen, die in expliziter, bewusster Form gegeben sind, ist das „Produkt“ des impliziten Gedächtnisses ein „Erinnern im Verhalten“⁶²⁹, das dem Bewusstsein des Subjekts verborgen bleibt. Während autobiographische Erinnerungen, wie wir gesehen haben, Teile der personalen Vergangenheit repräsentieren und vergegenwärtigen, enthalten implizite Erinnerungen die Vergangenheit „latent, als gegenwärtig wirksame Erfahrung in sich.“⁶³⁰ Implizite oder prozedurale Erinnerungen stellen nicht nur die Grundlage der quasi-automatisierten Ausführung verschiedener Fähigkeiten dar, wie etwa Radfahren, Tanzen oder Klavierspielen. Sie stehen darüber hinaus im Zusammenhang mit der biographischen Identität von Personen, insofern sie Erfahrungen der Vergangenheit inkorporieren und Aspekte der Lebensgeschichte in nicht-expliziter Weise verinnerlichen. Die Vergangenheit bleibt so wirksam, obwohl sie dem bewussten Erinnern entzogen und in diesem Sinne „vergessen“ wurde. Der Philosoph und Psychiater Thomas Fuchs beschreibt den Prozess der Entstehung impliziter Erinnerungen als „Sedimentation“, als „Absinken des bewusst Getan und Erlebten in einen Untergrund, aus dem sich das Bewusstsein zurückgezogen hat, und der doch unser alltägliches In-der-Welt-Sein trägt.“⁶³¹ Explizite Erinnerungen werden (beispielsweise durch häufige Wiederholung⁶³²) in diesem Prozess zu impliziten Gewohnheiten, die die Vertrautheit der Person mit ihrer Umwelt mitkonstituieren, die Menge an Informationen, welche die bewusste Aufmerksamkeit der Person beanspruchen, reduzieren und den „unreflektierten Lebensvollzug“⁶³³ ermöglichen. Anstelle expliziter Repräsentation finden solche Erinnerungen ihren Ausdruck in „leiblichen Haltungen und Verhaltensweisen“⁶³⁴, die der Person sprichwörtlich in Fleisch und Blut übergegangen und, wie Fuchs es bezeichnet, zum Bestandteil einer „leiblichen Persönlichkeitsstruktur“⁶³⁵ geworden sind. Körpersprache, Haltung, insgesamt das Auftreten gegenüber anderen reflektieren Persönlichkeitsmerkmale im praktischen Lebens- und Handlungsvollzug, ohne dass dies der Person währenddessen bewusst ist. Der Psychiater und Entwicklungspsychologe Daniel Stern geht auf der Basis von Beobachtungsstudien zur Interaktion von Kleinkindern mit ihren Eltern davon aus, dass „implizites
Mertens 2010, S. 49. Mertens 2010, S. 50. Fuchs 2008c, S. 11. Vgl. dazu auch Sutton 2009b, S. 71. Fuchs 2008c, S. 15. Vgl. Kandel 2007, S. 151. Fuchs 2008c, S. 14. Fuchs 2008c, S. 18. Fuchs 2007c, S. 75 und Fuchs 2008c, S. 15 – 21.
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Beziehungswissen“ („implicit relational knowing“⁶³⁶), also das implizite Wissen darüber, wie man sich in bestimmten Situationen verhält, auf andere reagiert und sich Dritten gegenüber verständlich macht und darstellt, zu einem guten Teil auf der implizit gewordenen Abstraktion wiederholter Erfahrungen basiert, die Kleinkinder mit ihren Eltern und anderen Bezugspersonen machen. Dieses Erlernen von Beziehungsmustern und Verhaltensweisen ist dem Erlernen motorischer Fähigkeiten sehr ähnlich.⁶³⁷ Auf der Grundlage frühkindlicher Erfahrungen entstehen „implizite Beziehungsstile“⁶³⁸, die das spätere soziale Interagieren einer Person mitbestimmen.⁶³⁹ Die erlernten Beziehungsmuster werden dabei im Handeln wirksam, ohne dass eine bewusste Referenz zu den Ereignissen der Vergangenheit besteht, die in ihrer Gesamtheit zu der betreffenden impliziten Erinnerung geführt haben. Implizite Erinnerungen können sich nicht nur im praktischen Handeln und Interagieren, sondern auch durch das emotionale Affizieren einer Person ausdrücken. In solchen Fällen lösen Erinnerungen emotionale Zustände in Personen aus, ohne dass ihnen der dazugehörige Inhalt der Erinnerung und damit der Bezug auf konkrete Erfahrungen in der Vergangenheit bewusst wird. Beispiele dafür sind Gerüche, Räume oder Stimmen, die Gefühle der Vertrautheit, des Unbehagens oder der Freude evozieren, ohne dass (zunächst oder dauerhaft) der Grund dieses emotionalen Affiziertseins ersichtlich wird. Prousts berühmte Madelaine-Passage, der wir bereits begegnet sind⁶⁴⁰, veranschaulicht den Paradefall einer solchen Erinnerung: In der Sekunde nun, da dieser mit den Gebäckkrümeln gemischte Schluck Tee meinen Gaumen berührte, zuckte ich zusammen und war gebannt durch etwas Ungewöhnliches, das sich vollzog. Ein unerhörtes Glücksgefühl, das ganz für sich allein bestand und dessen Grund mir unbekannt blieb, hatte mich durchströmt.⁶⁴¹
Die Erinnerung des Protagonisten zeigt sich hier zunächst nur in Form des Glücksgefühls, ohne dessen Grund und damit den Inhalt der Erinnerung preiszugeben. Das Gefühl des Durchströmtwerdens, die körperliche Auswirkung auf den Erinnernden, verweist auf den besonderen leiblich-emotionalen Charakter
Stern 1998, S. 302. Vgl. dazu auch Stern 1992/1986. Vgl. Fuchs 2008c, S. 19. Fuchs 2008c, S. 20. Vgl. Fuchs 2008c, S. 19 f. Vgl. S. 97 f. dieser Arbeit. Proust 2004/1913 – 1922, S. 66.
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solcher Erinnerungen. Erst später zeigt sich auch der Inhalt der Erinnerung, der dem Bewusstsein von Prousts Protagonisten bis dahin verborgen blieb: Und mit einem Mal war die Erinnerung da. Der Geschmack war der jenes kleinen Stücks Madeleine, das mir am Sonntagmorgen in Combray […], sobald ich ihr in ihrem Zimmer guten Morgen sagte, meine Tante Leonie anbot, nachdem sie sie in ihren schwarzen oder Lindenblütentee getaucht hatte.⁶⁴²
Die Passage zeigt, dass zwischen impliziten und autobiographischen Erinnerungen Zusammenhänge bestehen, die durch die Rede von zwei getrennten Gedächtnissystemen (deklarativ/explizit vs. nondeklarativ/implizit) aus dem Blick geraten können. Die autobiographische Erinnerung an eine Episode der Kindheit wird durch eine Situation ausgelöst, in der zunächst sensorische Reize (Geruch und Geschmack) eine implizite emotionale Erinnerung hervorrufen, auf welche schließlich die explizite Erinnerung folgt.⁶⁴³ Die explizite Erinnerung scheint gleichsam „eingeschlossen“ in einen „Komplex aus leiblicher Empfindung und impliziten, nur erahnten Sinngehalten“⁶⁴⁴, aus dem sie schließlich in bewusster Form hervortritt. In anderen Fällen bleibt es beim impliziten Ahnen, dem kein explizites Erinnern folgt, etwa wenn wir das (berechtigte) Gefühl haben, jemanden oder etwas zu kennen, aber der Grund bzw. Ursprung dieses Gefühls nicht bewusst erinnert werden kann.⁶⁴⁵ Zwischen expliziten und impliziten Erinnerungen besteht demnach die Möglichkeit des wechselseitigen, auch mehrmaligen Ineinanderübergehens. Explizite Erinnerungen können im Lauf der Lebensgeschichte zu impliziten Erinnerungen werden („Implikation“⁶⁴⁶), die sich nicht mehr im Bewusstsein konkreter Episoden der Vergangenheit äußern, sondern sich in Form impliziten Wissens, emotionalen Affiziertseins oder praktischen Handelns und Verhaltens manifestieren. Umgekehrt können implizite Erinnerungen, beispielsweise situativ ausgelöst, zu expliziten autobiographischen Erinnerungen werden („Explikation“⁶⁴⁷), die konkrete Vergangenheitsaspekte bewusst vergegenwärtigen.
Proust 2004/1913 – 1922, S. 68. Genau genommen ist hier die emotionale Reaktion als solche explizit, ihre Referenz in der Vergangenheit jedoch implizit. Fuchs 2009, S. 52. Bei dem sogenannten „Déjà-vu-Phänomen“, das psychologisch als qualitative Gedächtnisstörung klassifiziert wird, handelt es sich hingegen um Fälle, in denen wir fälschlich eine neue bzw. unbekannte Situation/Umgebung/Person für vertraut bzw. bekannt halten (vgl. dazu Brown 2004). Fuchs 2008b, S. 41. Fuchs 2008b, S. 42.
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3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
Wie hängen implizite Erinnerungen und die wechselseitigen Übergänge von expliziten und impliziten Erinnerungen nun mit der Konstituierung und Aufrechterhaltung der biographischen Identität von Personen zusammen? Rufen wir uns zur Beantwortung dieser Frage nochmals die Charakterisierung biographischer Identität vor Augen: Wir haben diese beschrieben als die Fähigkeit von Personen, sich über die Zeit hinweg als Individuen mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen und einer (mehr oder weniger kohärenten) biographischen Geschichte zu erfahren und auf dieser Grundlage die personale Gegenwart und Zukunft gestalten zu können. Es stellt sich folglich die Frage, ob bzw. wie und in welchem Umfang Persönlichkeitsmerkmale und biographische Narrationen und damit verbunden eine Vielzahl autobiographischer Erinnerungen, die das betreffende Wissen und die betreffenden Erfahrungen beinhalten, einer Person bewusst sein müssen, um biographische Identität konstituieren zu können. Beginnen wir die Beantwortung dieser Frage im Ausgang von der stärksten möglichen Position, der zufolge das Haben autobiographischer Narrationen an die Bedingung geknüpft ist, dass die Person die betreffende Narration sich selbst oder anderen gegenüber auch stets artikulieren können muss.⁶⁴⁸ Die Möglichkeit narrativen Denkens widerlegt, wie wir bereits gesehen haben, die Notwendigkeit des Versprachlichens, da es als „private“ Form narrativen Reflektierens ohne sprachlichen Ausdruck auszukommen vermag.⁶⁴⁹ Jedoch ist auch das nichtsprachliche, bewusste narrative Denken keine Voraussetzung für das Wirksamsein von narrativen Strukturen in Personen. Wie die Analyse der Theorien des „SelfMemory System“ und des „Life Story Schema“ gezeigt hat, kann narrativ strukturiertes Wissen über die eigene Vergangenheit, über eigene Werte und Präferenzen, mithin eine Form der eigenen Antwort auf die „Wer bin ich?“-Frage in Personen wirksam sein, ohne dass dieses Wissen in expliziter Form gegeben sein muss.⁶⁵⁰ Die Vergangenheit vermag auf diese Weise einen impliziten Beurteilungsrahmen für die Wahrnehmung und Interpretation der Gegenwart sowie für die Antizipation der Zukunft einer Person zu bilden, der ohne die bewusste reflexive Rückschau auf diese Vergangenheit in Form konkreter autobiographischer Erinnerungen auskommt. Als kondensiertes oder schematisches implizites biographisches Orientierungsmuster beeinflusst ein solcher Beurteilungsrahmen generelle Richtungen personalen Denkens und Handelns.
Vgl. dazu auch die Diskussion unterschiedlicher Narrationsbegriffe und Narrativitätstheorien in Kapitel 3.2.1 dieser Arbeit. Vgl. dazu S. 127 f. dieser Arbeit. Vgl. dazu die Besprechung impliziter Einflussfaktoren in Kapitel 3.2.4.1 und 3.2.4.2 dieser Arbeit.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
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Zur Veranschaulichung dieser Art des Vergangenheitseinflusses kann etwa das Menschenbild einer Person herangezogen werden, das sich häufig als implizit wirksames Muster aus einer Vielzahl biographischer Erfahrungen entwickelt. Wenn Hans von jüngster Kindheit an die Erfahrung gemacht hat, dass Menschen sich ihm gegenüber in den meisten Fällen hilfsbereit, freundlich oder gar völlig altruistisch verhalten, dass man sich auf das Wort der meisten Menschen verlassen und ihnen vertrauen kann, so kann sich aus der Menge dieser einzelnen Erfahrungen ein generalisiertes positives Menschenbild ergeben. Dieses Menschenbild kann Hans’ Denken und Handeln grundlegend bestimmen, ohne dass dieser sich dessen bewusst ist. Es mag sich im offenen Zugehen auf Fremde, dem vertrauensvollen Umgang mit Freunden und Bekannten oder auch in der Bereitschaft zeigen, Geld zu verleihen und Versprechungen zu glauben. Dergestalt prägt die Vergangenheit sein aktuelles Denken und Handeln in einer Art und Weise, die nicht der Rückversicherung durch explizite Erinnerungen bedarf, sondern zu einem selbstverständlichen und vertrauten Teil seiner personalen Seinsweise und Lebensgeschichte geworden ist. Von einem neuen Freund verblüfft nach dem Grund seines ungewöhnlich großen Vertrauens gegenüber Fremden und seines Glaubens an das Gute im Menschen gefragt, vermag Hans sicherlich viele dieser Einzelerfahrungen zu erinnern und als Grund oder Illustration seiner allgemeinen Haltung anzuführen oder diese in einem Streitgespräch zu reflektieren und zu verteidigen. Zumeist aber zeigen sich das Vorhandensein und die Wirksamkeit seiner Haltung im konkreten Handlungsvollzug, der auf einem impliziten personalen Selbstverständnis gründet. Auch dieser Fall verweist auf die Verwobenheit expliziten und impliziten Erinnerns: Aus einer Vielzahl von Erfahrungen, von denen viele als autobiographische Erinnerungen ihren Niederschlag fanden, wurde im Lauf der Zeit ein „impliziter Beziehungsstil“⁶⁵¹. Dieser Stil oder zumindest einige seiner Bestandteile und Ursachen lassen sich, evoziert etwa durch die Reflexion über das eigene Leben und die eigene Persönlichkeit oder durch gezieltes Nachfragen Dritter, auch wieder explizieren, indem beispielsweise dafür ausschlaggebende Erfahrungen autobiographisch erinnert und sich selbst oder anderen als Erklärung gegeben oder als Rechtfertigung angeführt werden. Reflexives autobiographisches Erinnern und implizit gewordene, im praktischen Lebensvollzug geäußerte Erinnerungen bilden so im Wechselspiel eine Grundlage der Konstituierung, Aufrechterhaltung und Veränderung biographischer Identität. Der Hinweis auf die Bedeutung impliziter Erinnerungen bzw. impliziter Narrationen findet sich auch in Marya Schechtmans Theorie narrativer Identität
Fuchs 2008c, S. 20. Genauer könnte man in solchen Fällen von einem implizit verankerten, jedoch explizit gelebten Beziehungsstil sprechen.
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(„narrative self-constitution view“).⁶⁵² Sie schreibt diesbezüglich: „Having an autobiographical narrative does not involve actually articulating the story of oneʼs life to oneself or anyone else, but only organizing experience according to an implicit narrative.“⁶⁵³ Um über eine autobiographische Narration zu verfügen, ist es nicht nötig, im Moment ihrer Wirksamkeit auch zu wissen, dass bzw. wie dies der Fall ist. Wäre das Bewusstsein der aktuellen Wirksamkeit einer solchen Narration eine notwendige Bedingung oder notwendige Begleiterscheinung ihrer Instantiierung, hätte dies die unplausible Konsequenz, dass in jedem Fall, in dem Aspekte der personalen Vergangenheit für das Denken oder Handeln relevant werden, dies der betreffenden Person auch klar sein müsste, so dass eine vollständige Transparenz bezüglich der eigenen biographischen Identität und der aus ihr situativ resultierenden Gedanken oder Handlungsgründe die Folge wäre. Offenkundig ist eine solch vollständige Transparenz im Leben von Personen jedoch nicht gegeben. Vielmehr wissen wir in vielen Fällen zum Zeitpunkt der Wirksamkeit autobiographischer Narrationen nicht oder nur unvollständig von ebenjener Wirksamkeit, täuschen uns diesbezüglich, oder verdrängen die einer Überlegung oder Handlung tatsächlich zugrunde liegenden biographischen Motive. Schechtman illustriert dies am Beispiel eines Mannes, der vollkommen davon überzeugt ist, für seinen Bruder ausschließlich Liebe und Zuneigung zu empfinden. Die zahlreichen Fälle, in denen er seinen Bruder verletzt oder ihm anderweitig Unrecht getan hat, interpretiert er ausnahmslos als unglückliche Missgeschicke oder nicht-intendierte Fehler, obwohl seinen Handlungen tatsächlich eine verdrängte, tiefsitzende Feindseligkeit zugrunde liegt. Obgleich die feindseligen Einstellungen des Mannes gegenüber seinem Bruder nicht Bestandteil der expliziten Lebensgeschichte sind, die er sich selbst oder anderen erzählt, so sind sie doch ein Bestandteil seiner biographischen Identität, da seine Erfahrungen, Interaktionen, Emotionen und Handlungen – zumindest insofern sie direkt oder indirekt mit seinem Bruder in Verbindung stehen – durch sie in nicht unwesentlichem Maß beeinflusst werden.⁶⁵⁴ Implizite Narrationen konstituieren die biographische Identität insofern mit, als sie als psychische Organisationsstrukturen der Person eine Orientierung im Sinne des impliziten Verstehens ihrer Selbst und der Welt ermöglichen, auch wenn ihr die Gründe für dieses „Verstehen“ (zumindest partiell oder temporär) verborgen bleiben.⁶⁵⁵ Die in den Kapiteln 3.2.4.1 und 3.2.4.2 dargestellten Theorien des „Self-Memory System“ und des „Life Story
Diese Theorie hat uns bereits in Kapitel 3.2.1 im Kontext narrativer Theorien personaler bzw. biographischer Identität beschäftigt. Schechtman 1996, S. 114. Vgl. Schechtman 1996, S. 115 f. Vgl. Schechtman 1996, S. 115 f.
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Schema“ und die mit ihnen verknüpften empirischen Studien zur Organisation und Wirkungsweise von Erinnerungen stützen die Annahme solcher impliziter Narrationen und ihrer Bedeutung für die biographische Identität von Personen. Dort wurde gezeigt, dass Erinnerungen neben ihren expliziten Erscheinungsformen in vielfältiger Weise auch implizit auf das Denken und Handeln von Person einwirken, beispielsweise in Gestalt von „Lebensthemen“. Diese stellen verallgemeinerte Muster oder Strukturen dar, die von einer Person als für das eigenen Leben charakteristisch angesehen werden und als eine Art „Filter“⁶⁵⁶ für die Wahrnehmung und Einordnung von Erfahrungen fungieren. Neben Fällen, in denen solche „Lebensthemen“ explizit reflektiert oder angewendet werden, gibt es auch solche, in denen sie als implizites Erinnerungskondensat ohne das Bewusstsein der Person deren Interpretation und die Selektion von Erfahrungen beeinflussen.⁶⁵⁷ In ähnlicher Weise postulieren Conway und Pleydell-Pearce im Kontext ihrer Theorie des „Self-Memory System“, dass viele der Motive und Ziele, die das Handeln und Denken von Personen mitbestimmen, dem Betreffenden im Moment ihres Wirkens bzw. auch in der Rückschau nicht als solche bewusst sind.⁶⁵⁸ In beiden Fällen handelt es sich um implizite Elemente der psychischen Struktur von Personen, die zumindest partiell auf autobiographischen Erinnerungen basieren, welche gewissermaßen ihre Ausdrucksform verändert haben und als Bestandteil impliziter Strukturen das personale Leben im praktischen Vollzug (mit‐)prägen. Zwar betont Schechtman, wie gezeigt, die prinzipielle Rolle und Bedeutung impliziter Narrationen bzw. impliziter Erinnerungen für die Konstituierung biographischer Identität, jedoch nimmt sie bezüglich des Umfangs, in dem explizite bzw. implizite Narrationen zur biographischen Identität einer Person gehören, eine Unterscheidung vor, die einer kritischen Analyse bedarf. Diejenigen Elemente der biographischen Identität einer Person, die diese nicht artikulieren kann, sind Schechtman zufolge „only partially his – attributable to him to a lesser degree than those aspects of the narrative he can articulate.“⁶⁵⁹ Implizite Bestandteile gehören demzufolge in einem schwächeren Sinne zu einer Person als explizite Elemente der narrativen, biographischen Identität, weil sie als nicht reflektierbarer bzw. nicht erzählbarer Teil der Lebensgeschichte vom Subjekt nicht überprüft und daher auch nicht in gleicher Weise in die Biographie integriert werden können. Da im Fall impliziter Narrationen die Motive und Antriebsgründe des eigenen Den-
Vgl. dazu die Diskussion von Erinnerungen bzw. Dispositionen als „Filter“ von Wahrnehmung bzw. Erinnerung im Kontext der Theorie von Wollheim in Kapitel 3.2.3. Vgl. S. 131– 136 dieser Arbeit. Vgl. Kapitel 3.2.4.1. Schechtman 1996, S. 117.
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kens und Handelns nicht intelligibel sind, besteht zwischen ihnen und der Person eine Fremdheit („alienation“), die verhindert, dass diese als zu ihr gehörig erlebt werden können: „When a person is unable to explicate part of her narrative, some set of her actions and experiences are incomprehensible to her and, hence, not properly under her control.“⁶⁶⁰ Dies lässt bereits erahnen, dass Schechtman hier eigentlich zwei unterschiedliche Fragen aufwirft und beantworten will. Während die erste lautet, ob es auch unbewusste, implizit wirksame Bestandteile der narrativen Identität von Personen gibt und inwiefern diese identitätskonstituierend sind, zielt die zweite auf den Aspekt der Kontrollierbarkeit bzw. Erwünschtheit solcher impliziter Elemente. Hinsichtlich der zweiten Frage konstatiert Schechtman, dass implizite Narrationen dem bewussten, reflektierenden Zugriff der Person entzogen und damit durch die Person weder versteh-, noch kontrollierbar seien. Mit Blick auf das von Schechtman gewählte Beispiel des Mannes, der eine verdrängte und daher unbewusste Feindseligkeit gegenüber seinem Bruder hegt, ist diese Annahme plausibel. Die verdrängte Narration bestimmt sein Verhalten in nicht erwünschter Weise, ohne dass dem Mann dies bewusst und sein diesbezügliches Handeln von ihm steuerbar wäre. Allerdings schildert dieses Beispiel einen Spezialfall. Verdrängte Erinnerungen bzw. Narrationen sind schließlich nur eine Erscheinungsform impliziter Erinnerungen bzw. Narrationen.⁶⁶¹ Der Einfluss verdrängter Vergangenheitsaspekte ist in Schechtmans Fall ungewollt und setzt die Wirksamkeit von Motiven, Gedanken oder Empfindungen gegen bewusste Absichten der Person durch. Allerdings gibt es auch Formen impliziter Narrationen, die das Produkt einer erwünschten biographischen Entwicklung darstellen. Wenn Peter sich vornimmt, Menschen grundsätzlich freundlich, offen und wohlwollend zu begegnen und dies über einen längeren Zeitraum „trainiert“, sich häufig an seinen Vorsatz erinnert und diesen bewusst umsetzt, so kann sich die erwünschte Verhaltensweise zu einem impliziten Muster entwickeln, das sich im praktischen Handeln niederschlägt, ohne dass die zugrunde liegende Absicht währenddessen bewusst oder das explizite Erinnern an den einstmals gefassten Vorsatz nötig ist. Zwar ist auch die Wirkung solcher impliziten Narrationen insofern unkontrolliert, als vor ihrem Wirksam-
Schechtman 1996, S. 118. Freuds Konzept der „Deckerinnerungen“ verweist auf eine weitere Form des Umgangs mit verdrängten Erfahrungen bzw. Erinnerungen. Freud bezieht sich mit diesem Begriff auf solche Erinnerungen, die andere Erinnerungen überlagern („decken“), „deren direkte Reproduktion […] durch einen Widerstand gehindert ist.“ (Freud 1941/1904, S. 51). Mehr oder weniger belanglose Erinnerungen überdecken andere, „affektreiche“ Erinnerungen, zu denen sie in einer indirekten, „assoziativen Beziehung“ stehen (Freud 1941/1904, S. 51). Vgl. dazu auch Freud 1977/1899 sowie zur Diskussion Hampe 2008, S. 260 – 264.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
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werden im Einzelfall keine bewusste Entscheidung getroffen wird. Ihr Implizitwerden und dauerhaftes Fortbestehen ist jedoch von der Person gewollt kann daher nicht im gleichen Sinn als unkontrolliert bezeichnet werden wie das Verhalten des Mannes in Schechtmans Beispiel. Auch hinsichtlich der Antwort auf die Frage, ob bzw. inwiefern implizite Narrationen Bestandteile der biographischen Identität sind bzw. sein können, ist Schechtmans Position problematisch. Ihr zufolge sind diese zwar ein Bestandteil, jedoch in geringerem Umfang („less fully“) als solche Narrationen, die explizit und artikulierbar sind.⁶⁶² Dahinter scheint sich die Annahme zu verbergen, dass implizite Narrationen, weil sie für das Subjekt intransparent sind und diesem die Inhalte der Narrationen sowie die daraus resultierenden Motive und Gründe daher nicht zugänglich sind, im geringerem Maße zur Identität einer Person beitragen als explizite, transparente Narrationen. Hier lässt sich entgegnen, dass Schechtmans Argumentation zwar insofern korrekt ist als zumindest in einigen Fällen die Selbstbestimmung des Subjekts dadurch eingeschränkt ist, dass Handlungsmotive in impliziten Narrationen „verborgen“ und daher dem Zugriff und der Gestaltbarkeit durch die Person entzogen sind. In ihrem Beispiel trifft es sicherlich zu, dass der Mann, dessen Handlungen durch eine implizite Feindseligkeit gegenüber seinem Bruder geprägt sind, hinsichtlich der diesen Handlungen zugrunde liegenden Gefühle und Motive nicht oder nur eingeschränkt selbstbestimmt ist. Auch hier ist jedoch darauf hinzuweisen, dass das von Schechtman gewählte Beispiel einen Spezialfall darstellt, der bezüglich des Selbstbestimmtheitsaspekts zu ihrer Schlussfolgerung passt. Wie oben bereits angedeutet, sind allerdings auch Fälle denkbar, in denen die Implizitheit einer Narration nicht mit einer Beeinträchtigung des Grades an Selbstbestimmtheit einhergeht. Stellt eine solche Narration nämlich den Ausdruck einer biographisch gewachsenen, (partiell) bewusst und selbstbestimmt generierten Menge an Überzeugungen dar, so kann alleine das Implizitwerden dieser Überzeugungen nicht dazu führen, dass ihr Inhalt bzw. ihre Auswirkungen als weniger selbstbestimmt anzusehen wären. Selbst wenn man diese Überlegung ausblendet und das in Schechtmans Beispiel demonstrierte Implizitwerden durch Verdrängung⁶⁶³ als Standardfall erachtet, bleibt unklar, wie aus verminderter oder fehlender Selbstbestimmung darauf geschlossen werden kann, dass die betreffenden impliziten Narrationen nur in einem eingeschränkten Maß zur Identität der Person gehören bzw. diese in geringerem Umfang konstituieren können sollen. Vielmehr scheint sogar Schecht-
Vgl. Schechtman 1996, S. 118. Für eine Diskussion von Freuds Theorie der Verdrängung und seiner Konzeption unbewusster Erinnerungen vgl. Kennedy 2010.
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mans eigenes Beispiel eher das Gegenteil nahezulegen: Insofern die implizite Feindseligkeit des Mannes gegenüber dem Bruder zu einem integralen Bestandteil seiner Wahrnehmung anderer Personen, seiner Deutung von Geschehnissen und seines Handelns in sozialen Kontexten wird, müssen die aus der impliziten Narration resultierenden Emotionen, Charakterzüge oder Handlungspräferenzen des Mannes unabhängig von ihrer fehlenden Selbstbestimmtheit als Teil seiner biographischen Identität angesehen werden. Darüber hinaus erweist sich die Unterscheidung von impliziten und expliziten Narrationen bei genauerer Betrachtung als weniger trennscharf, als Schechtmans Überlegungen es nahelegen. Dies zeigt sich sowohl daran, dass Narrationen – verstanden als Organisationsprinzip, das die Elemente der personalen Vergangenheit in eine Form bringt, die Zusammenhänge und Verläufe sichtbar, interpretierbar und verstehbar macht⁶⁶⁴ – ihre Ausdrucksform über die Zeit hinweg zu ändern vermögen, als auch durch die Tatsache, dass sie explizite und implizite Komponenten beinhalten können. Zu den Übergängen zwischen beiden Formen wurde oben bereits einiges gesagt. Narrativ strukturierte autobiographische Erinnerungen können im Lauf der Zeit zu impliziten Narrationen werden, die beispielsweise den Umgang mit bestimmten Personen oder das Verhalten in bestimmten Situationen beeinflussen, ohne die ursprünglich damit zusammenhängenden Erinnerungen bewusst zu repräsentieren. In manchen Fällen geschieht dies – wie in Schechtmans Beispiel – durch das Verdrängen von Erfahrungen. In solchen Fällen können die implizit gewordenen Episoden der eigenen Vergangenheit dauerhaft dem bewussten Zugriff entzogen bleiben oder nur unter bestimmten Umständen, etwa im Rahmen einer Therapie, wieder bewusst gemacht werden. Narrativ strukturierte Erinnerungen, die nicht durch Verdrängung implizit werden, sondern die beispielsweise in Handlungsstrukturen ihren impliziten Niederschlag finden, können oft situativ oder durch bewusste Reflexion wieder (partiell) explizit werden. Die Möglichkeit des partiellen Explizitwerdens verweist darauf, dass Narrationen komplexe Gebilde darstellen, die oft implizite und explizite Elemente vereinen. Betrachten wir das Beispiel einer expliziten Narration, die das Verhältnis von Petra zu einer guten Freundin, die sie seit Kindheitstagen kennt, umfasst. Sie beinhaltet unter anderem das explizite Wissen, aufgrund welcher Eigenschaften Petra ihre Freundin schätzt, und zahlreiche autobiographische Erinnerungen an konkrete gemeinsame Erlebnisse. Zugleich bestehen im Verhältnis beider jedoch auch Spannungen, die sich in gelegentlichen
Vgl. dazu Mackenzies (2009, S. 107) Charakterisierung von Narration als „organizing principle or […] structure that makes for interpreting the events and characters that makes sense of what happens, and makes the sayings and doings of the characters intelligible.“
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
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Streitigkeiten äußern, ohne dass Petra bewusst ist, dass der Auslöser dafür ihr impliziter Neid gegenüber ihrer Freundin ist, die bei Männern zumeist die besseren Karten hat. Dieser Neid erklärt Petras Verhalten gegenüber ihrer Freundin in Situationen, in denen beide einem Mann begegnen, an dem Petra Interesse hat.Von außen mag der Grund für Petras Verhalten für manchen ersichtlich sein, ihr selbst bleibt er aber aufgrund der motivationalen Intransparenz dieses Teils ihrer Narration unbewusst. In diesem Fall sind also explizite und implizite Bestandteile innerhalb einer Narration miteinander verwoben. Die Explizitheit bzw. Implizitheit von Narrationen sollte folglich als ein graduelles und dynamisches Phänomen, nicht als ein statischer 0/1-Zustand aufgefasst werden, was auch durch die vorangegangenen Überlegungen zum Wechselspiel von impliziten und expliziten Erinnerungen als „Rohstoff“ biographischer Narrationen sowie zur Dynamik und Wandelbarkeit von Erinnerungen gestützt wird.⁶⁶⁵ Die bis hierhin skizzierte Bedeutung des impliziten Gedächtnisses bzw. impliziter Erinnerungen und impliziter Narrationen wird in philosophischen Theorien personaler Identität kaum thematisiert. Wenn Erinnerungen jenseits der allgemeinen Feststellung ihrer grundsätzlichen Bedeutsamkeit⁶⁶⁶ überhaupt weitergehend behandelt werden, dann zumeist nur in ihrer expliziten Form. Dies hängt auch mit der Wirkmächtigkeit rationalistischer Theorien personaler Identität zusammen, wie sie in Kapitel 3.2.4.5 am Beispiel des bis heute einflussreichen Ansatzes von John Locke und seiner Rezeption und Weiterentwicklung bei Derek Parfit dargestellt wurden. Dort wurde gezeigt, welche Probleme durch die Konzeption von Erinnerungen als zählbare Einheiten entstehen, die die für Personen spezifische Verknüpfung und narrative Anordnung autobiographischer Erinnerungen ignoriert. Diese Kritik kann nun um den Aspekt der fehlenden Berücksichtigung impliziter Erinnerungen erweitert werden. Bei Locke und Parfit werden explizite Erinnerungen als Garant der diachronen personalen Identität erachtet, weil sie das Bewusstsein der zeitübergreifenden Kontinuität und die Zuschreibung vergangener Ereignisse und Überzeugungen zum gegenwärtigen Selbst ermöglichen. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass implizite Erinnerungen und das Wechselspiel zwischen expliziten autobiographischen und impliziten Erinnerungen für die Etablierung diachroner Selbstverhältnisse ebenfalls eine zentrale Rolle spielen. Der Einfluss der Vergangenheit zeigt sich im Fall impliziter Erinnerungen nicht im Bewusstsein ebenjener Vergangenheit, sondern im praktischen
Vgl. dazu die Analyse des Zusammenhangs von Erinnerungen und Narrationen bzw. Narrativität in Kapitel 3.2.2 sowie zum Aspekt der Dynamik und Wandelbarkeit von Erinnerungen Kapitel 2.2.2.6. Vgl. dazu die Diskussion der „Leerstellen“ vieler Theorien personaler Identität hinsichtlich der Rolle und Bedeutung von Gedächtnis- und Erinnerung in Kapitel 3.2.4.5 dieser Arbeit.
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Handlungs- und Seinsvollzug. Aspekte der biographischen Geschichte schmelzen sich in Form impliziter Vertrautheit und als Gewohnheiten in den Körper der Person ein und werden auf diese Art „zum Träger personaler Kontinuität, einer mehr gefühlten als gewussten Erinnerung, einem sprachlosen, aber treuen Gedächtnis […].“⁶⁶⁷ Implizite Erinnerungen tragen so einen wichtigen Teil dazu bei, dass sich Personen als bestimmte Personen erleben und verhalten und als solche handeln können, indem Bestandteile der Biographie und Elemente der Persönlichkeit auch ohne ständiges bewusstes Gewahrsein wirksam bleiben und dadurch implizit das zur Aufrechterhaltung biographischer Identität notwendige Kohärenzempfinden generieren. Im nächsten Kapitel werden uns implizite Erinnerungen bzw. Narrationen noch einmal begegnen, wenn es um die Frage der Wahrheit bzw. Wahrheitsfähigkeit von Erinnerungen und um den Zusammenhang von Erinnerungswahrheit und biographischer Identität geht.
3.2.6 In Memory We Trust? Biographische Identität und die Wahrheit von Erinnerungen Die in den vorangegangenen Kapiteln angestellten Überlegungen legen es nahe, autobiographisches Erinnern und die erinnerungsbasierte Konstituierung biographischer Identität als dynamische, (re‐)konstruktive Prozesse aufzufassen. Nachfolgend soll der Frage nachgegangen werden, in welchem Verhältnis diese Idee der „Konstruktion“ bzw. „Rekonstruktion“ zur Frage nach der Wahrheit und Wahrheitsfähigkeit von Erinnerungen steht und was sie hinsichtlich des Konzepts biographischer Identität impliziert. Das Wahrsein unserer eigenen Erinnerungen nehmen wir im Alltag zumeist intuitiv als gegeben an. Zwar ärgern wir uns über Fälle, in denen uns das Gedächtnis im Stich lässt, uns also Erinnerungen nicht mehr zugänglich sind. Jedoch zweifeln wir vergleichsweise selten an denjenigen Erinnerungen, die uns zugänglich sind: „Everyone knows that we forget things, but what people do not appear to appreciate is that we also misremember. We think we remember accurately, but our memories do not mirror reality.“⁶⁶⁸ Während unserer Alltagserfahrung eine Art naiver Realismus hinsichtlich der Wahrheit von Erinnerungen zugrunde liegt, besteht in der Gedächtnisforschung ein weitgehender Konsens Fuchs 2008b, S. 58. Payne/Blackwell 1998, S. 34. Vgl. dazu auch die Studie von Magnussen et al. 2006, in der die Ergebnisse einer großangelegten Befragung zur Einschätzung der Zuverlässigkeit und Täuschungsanfälligkeit des Gedächtnisses kritisch diskutiert werden.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
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bezüglich des konstruktiven bzw. rekonstruktiven Charakters des Erinnerns. ⁶⁶⁹ Diese Annahme wirft zahlreiche philosophische Fragen auf, die uns im Kontext dieser Arbeit interessieren müssen. Dies beginnt bei der basalen Frage, auf welche Eigenschaften von Erinnerungen bzw. des Erinnerungsprozesses mit der Auszeichnung als „rekonstruktiv“ überhaupt Bezug genommen wird.⁶⁷⁰ In der psychologischen Forschung wird mit dieser Beschreibung zumeist auf die Tatsache verwiesen, dass Erinnerungen nicht das Ergebnis eines simplen Abrufs vergangener Ereignisse und Erlebnisse sind.Vielmehr beeinflussen, wie im Verlauf dieser Arbeit bereits deutlich wurde, zahlreiche Faktoren – etwa veränderte Überzeugungen, die emotionale Situation zum Zeitpunkt des Abrufs oder Aspekte des gegenwärtigen Selbstbildes – zum Teil ganz maßgeblich, wie etwas zu einem späteren Zeitpunkt erinnert wird.⁶⁷¹ Daher bezieht sich „Rekonstruktion“ zunächst als Gegensatz zu „Reproduktion“ auf die allgemeine Erkenntnis, dass Erinnerungen als Bestandteil eines komplexen und dynamischen mentalen Prozesses von zahlreichen anderen Elementen dieses Prozesses mit beeinflusst werden und keine 1:1-Kopien von zwischenzeitlich nur „aufbewahrten“ Elementen der Vergangenheit darstellen. Der Begriff der „Rekonstruktion“ bzw. „Rekonstruktivität“ erscheint daher angemessener als der der „Konstruktion“ bzw. „Konstruktivität“, weil er aufgrund der zumindest umgangssprachlich im Konstruktionsbegriff enthaltenen Idee der „Erfindung“ und dessen begrifflicher Nähe zum Konstruktivismus neutraler ist und vor allem den Umgang mit (in der ein oder anderen Form) bereits Bestehendem im Sinne des Re-Konstruierens hervorhebt. Was folgt aus der Einsicht in die rekonstruktive Natur von Erinnerungen für die Frage nach deren Wahrheit bzw. Wahrheitsfähigkeit? Zunächst einmal wenig: To contend that memory is reconstructive is not to disparage the human memory system. Rather, it is to recognize that reconstruction is the natural process for the creation of true memories as well as for false memories.⁶⁷²
Der rekonstruktive Charakter von Erinnerungen bietet an sich noch keinerlei Anlass für einen allgemeinen Skeptizismus hinsichtlich der Wahrheit bzw. Wahrheitsfähigkeit von Erinnerungen, weil er zunächst nur auf bestimmte an Erinnerungsprozessen beteiligte Mechanismen verweist, ohne dass auf dieser Grundlage Aussagen über den Wahrheitsstatus von Erinnerungen getroffen wer-
Vgl. Lynn/McConkey 1998, ix. Eine eingehende philosophische Analyse der Bedeutung von „Konstruktion“ und „Rekonstruktion“ im Kontext von Gedächtnis und Erinnerung findet sich in Michaelian 2011a. Vgl. Ross/Wilson 2000, Schacter 2001, Schacter/Addis 2007 und Hirstein 2009c. Lynn/McConkey 1998, ix.
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den können.⁶⁷³ Insofern sprechen die der Rede vom „rekonstruktiven Gedächtnis“ zugrunde liegenden Befunde fürs Erste nur gegen einen naiv-realistischen Wahrheitsbegriff, der Erinnerungen als exakte Kopien, als Reproduktionen von Teilen der Vergangenheit erachtet und die Wahrheit von Erinnerungen dementsprechend an die exakte Übereinstimmung mit der erinnerten Vergangenheit bindet. Um jenseits eines solchen Wahrheitsverständnisses einen Ansatz für eine plausible Konzeption der „Wahrheit“ von Erinnerungen finden zu können, muss zwischen verschiedenen Ebenen und Kontexten von Erinnerungen sowie zwischen unterschiedlichen Auffassungen, worin die Wahrheit von Erinnerungen bestehen kann, differenziert werden. Autobiographische Erinnerungen entziehen sich schon alleine deshalb einer „einfachen“ Antwort auf die Frage nach ihrem Wahrheitsgehalt, weil sie, wie wir im Verlauf dieser Untersuchung gesehen haben, als komplexe, narrativ strukturierte Gebilde aus verschiedenen Elementen bestehen, deren „Wahrheit“ unterschiedlich definiert und separat beurteilt werden muss. Zu diesen Elementen zählen sowohl Fakten (Orte, Zeitpunkte, Ereignisse, Personen, Handlungen etc.) als auch die subjektive Bedeutung, die eine Erinnerung für die betreffende Person besitzt, sowie der emotionale Aspekt, der mit ihr verknüpft ist. Nehmen wir Peters Erinnerung an sein erstes Rendezvous mit 16 Jahren als Beispiel. Die autobiographische Erinnerung an dieses Ereignis beinhaltet zahlreiche Fakten: Den Namen des betreffenden Mädchens, das Datum, den Wochentag und den Ort, an dem die Verabredung stattfand. Darüber hinaus ist diese Erinnerung für Peter jedoch auch von großer subjektiver Bedeutung, da sie für ihn den Beginn des Erwachsenwerdens symbolisiert und mit dem erstmaligen Erleben des Gefühls des Verliebtseins verbunden ist. Betrachten wir diese unterschiedlichen Elemente genauer, beginnend mit den Fakten- oder Wissensbestandteilen autobiographischer Erinnerungen, bei denen die Antwort auf die Wahrheitsfrage scheinbar leicht zu geben ist. Diese vermeintlich einfache Antwort lautet: Die Faktenbestandteile einer Erinnerung sind dann wahr, wenn ihr Inhalt mit dem fraglichen Ausschnitt der objektiven Realität⁶⁷⁴ übereinstimmt, auf den er sich bezieht. In unserem Beispiel wären die Faktenbestandteile von Peters Erinnerung wahr, wenn der erinnerte Name des Mädchens ihrem echten Namen entspricht, das erinnerte Café tatsächlich der Ort der damaligen Begegnung war, der erinnerte mit dem tatsächlichen Wochentag übereinstimmt etc. Tatsächlich liegt die Annahme, dass wahre Erinnerungen exakte Kopien der betreffenden Dinge oder Ereignisse sein Vgl. dazu auch Sutton 2009a, S. 219 – 222. Die Annahme einer „objektiven Realität“ ist freilich an sich bereits problematisch und höchst umstritten (vgl. dazu den Überblick über die Realismus/Antirealismus-Debatte in Miller 2010/2002).
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müssen, einer ganzen Reihe philosophischer Gedächtnistheorien zugrunde. Sven Bernecker fasst solche Theorien unter der Bezeichnung „Identitätstheorie des Gedächtnisses“ („identity theory of memory“⁶⁷⁵) zusammen. Ihnen ist gemein, dass das Gedächtnis als passiver Speicher- und Reproduktionsapparat gedacht wird und Erinnerungen exakte Kopien des ursprünglichen Geschehens oder Wissens darstellen. Der „Erfolg“ des Erinnerns bzw. die „Wahrheit“ von Erinnerungen besteht folglich in der 1:1-Übereinstimmung mit den in der Vergangenheit im Gedächtnis abgelegten Gegenständen. Solche Erinnerungen, die von der ursprünglichen historischen Wahrheit abweichen, wären demnach als fehlerhaft, mithin sogar überhaupt nicht als Erinnerung anzusehen. Die im Verlauf dieser Arbeit angeführten empirischen Studien zur Funktionsweise des Gedächtnisses und zur Entstehung von Erinnerungen zeigen, dass die Grundannahmen solcher Identitätstheorien, die sich auf die tatsächliche Funktions- und Arbeitsweise von Gedächtnis und Erinnerung beziehen, als allgemeingültige Prinzipien nicht haltbar sind.⁶⁷⁶ Erinnerungen entstehen, wie wir gesehen haben, in einem komplexen Prozess, der in vielen Fällen auch Elemente der nachträglichen Interpretation und Rekonstruktion beinhaltet und die Annahme, dass die exakte Reproduktion und damit das Erzeugen von Abbildern⁶⁷⁷ den Standardfall von Erinnerung verkörpern, widerlegt. Die Tatsache, dass Erinnerungen in vielen Fällen nicht nur aufbewahrt und später „unversehrt“ abgerufen, sondern auf vielfältige Weise verarbeitet und dabei auch modifiziert werden können, sollte daher nicht als Ausfallerscheinung oder Fehler erachtet werden, sondern als „part of the very function of memory“⁶⁷⁸. Was aus dieser Einsicht für die Frage nach der Wahrheit der Faktenbestandteile autobiographischer Erinnerungen folgt, lässt sich durch eine Fallstudie des Kognitionspsychologen Ulric Neisser verdeutlichen.⁶⁷⁹ Neisser untersucht in dieser Studie den Fall von John Dean, einem hochrangigen juristischen Berater des ehemaligen US-Präsidenten Richard Nixon, der im Prozess um die Watergate-Affäre eine entscheidende Rolle spielte. Dean war im Verfahren gegen Nixon der Hauptbelastungszeuge der Staatsanwaltschaft und Bernecker 2010, S. 217. Es existieren einige alternative Bezeichnungen für solche Theorien, die das Gedächtnis als passive Kopier- und Reproduktionsinstanz konzipieren, unter anderem „xerox model of memory“, „copy theory of memory“, „reappearance hypothesis“ und „passivism“ (vgl. ebd.). Vgl. Bernecker 2010, S. 218 f. Vgl. dazu auch die Diskussion zur Problematik des Abbildgedankens bei Aristoteles in Kapitel 2.1 dieser Arbeit. Bernecker 2010, S. 219. Neisser 1982a. Zur kritischen Diskussion von Neissers Studie und seinen Schlussfolgerungen vgl. Edwards/Potter 1992, Hirst/Gluck 1999 und Kaposi 2011.
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verblüffte bei seinen Vernehmungen im Jahr 1973 durch äußerst detailreiche und überzeugende Gedächtnisprotokolle, von deren Richtigkeit er felsenfest überzeugt war und die ihm die Bezeichnung als „human tape recorder“ einbrachten.⁶⁸⁰ Er vermochte Auskunft über Gespräche zu geben, die mehrere Monate zurücklagen, und dabei Zeitpunkte, Orte, beteiligte Personen und Gesprächsinhalte exakt anzugeben. Er konnte die Gespräche mit Nixon und einigen seiner engsten Mitarbeiter nicht nur bezüglich ihrer wichtigsten Inhalte nachzeichnen, sondern auch zahlreiche Einzelheiten schildern und in einigen Fällen wörtliche Zitate wiedergeben, was seinen Ausführungen große Glaubwürdigkeit verlieh. Neisser hatte das Glück, dass nach Deans Aussagen vor Gericht Tonbandaufnahmen der betreffenden Gespräche im Weißen Haus freigegeben wurden und er deren Inhalt mit Deans Gedächtnisprotokollen vergleichen konnte.⁶⁸¹ Der Vergleich ergab, dass Deans Erinnerungen insofern hochgradig fehlerhaft waren, als die meisten Detailangaben in seinen Schilderungen nicht stimmten. Zahlreiche Angaben zu Aussagen einzelner Personen, ihrem Platz am Konferenztisch oder zur Dauer der Gespräche waren falsch. In einigen Fällen stimmte die Zuordnung von Gesprächsinhalten und Daten nicht. Zudem zeigte sich, dass Dean seine eigene Rolle in den Gesprächen und hinsichtlich der darauf basierenden Entscheidungen systematisch überschätzte. Trotz dieser zahlreichen offenkundigen Fehler⁶⁸² in Deans Erinnerung sind seine Gedächtnisprotokolle auf einer anderen Ebene korrekt: He remembered how he had felt himself and what he had wanted, together with the general state of affairs; he didn’t remember what anyone had actually said. His testimony had much truth in it, but not at the level of „gist“. It was true at a deeper level. Nixon was the kind of man Dean described, he had the knowledge Dean attributed to him, there was a cover-up. Dean remembered all of that; he just didn’t recall the actual conversation he was testifying about.⁶⁸³
Während also die Schilderungen konkreter Situationen und einzelner Aussagen zumeist falsch waren und Dean seinen eigenen Einfluss deutlich überbewertete, waren seine Erinnerung auf der Ebene der allgemeinen Aussage („themes“⁶⁸⁴) richtig. Die grundlegenden Absichten und Motive der beteiligten Personen wurden trotz aller Detailfehler korrekt erinnert, was schließlich auch zur Verurteilung
Neisser 1982a, S. 140. Vgl. Neisser 1982a, S. 144– 157. Neisser (1982a, S. 148) geht davon aus, dass es sich tatsächlich um Erinnerungsfehler und nicht um intentionale Falschaussagen bzw. Lügen handelte. Neisser 1982a, S. 151. Neisser 1982a, S. 159.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
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einiger Beteiligter und zu Nixons Rücktritt führte, den dieser durch die freiwillige Veröffentlichung der Gesprächsmitschnitte eigentlich hatte verhindern wollen. Die Strategie, Dean durch die Transkripte zu diskreditieren, schlug wohl auch deshalb fehl, weil Nixon und seinen Beratern nicht klar war, dass die aufgedeckten Fehler in Deans Erinnerung seine für das Gerichtsverfahren relevanten Kernaussagen nicht widerlegten. Im Glauben, durch den Aufweis der Unkorrektheit vieler einzelner Fakten in Deans Erinnerungen ihre eigene Sichtweise stützen zu können, übersahen sie die „tiefere Ebene“⁶⁸⁵ („deeper level“⁶⁸⁶), auf der Dean durchweg richtig lag. Neisser führt für Deans Erinnerungen in Anlehnung an den etablierten Begriff der „episodic memories“⁶⁸⁷ den Terminus „repisodic memories“⁶⁸⁸ ein. Er bezieht sich auf solche Erinnerungen, die keine Einzelereignisse (Episoden) repräsentieren, sondern die allgemeinen Einsichten oder Charakteristika einer ganzen Reihe von Episoden in zusammengefasster Form beinhalten. Deans vor dem Untersuchungsausschuss wiedergegebene Gedächtnisprotokolle basierten zu großen Teilen auf Erinnerungen dieser Art, die auf der Ebene genereller Aussagen über Motive, Absichten und Beteiligte korrekt, hinsichtlich deren Zuordnung zu einzelnen Episoden aber falsch waren. Zwar stellen Deans Erinnerungen in mancherlei Hinsicht einen Spezialfall dar: Der Kontext des von großem Medieninteresse begleiteten Prozesses und Deans Persönlichkeitsstruktur, so vermutet Neisser, hatten ihren Anteil am Ausmaß der Erinnerungsverzerrungen und speziell an dessen übertriebener Einschätzung seines eigenen Einflusses.⁶⁸⁹ Dennoch erlaubt sein Fall auch allgemeine Rückschlüsse. So schreibt Neisser in Bezug auf Deans partiell falsche Erinnerungen: „He is not alone in making this mistake. I believe that this aspect of Deanʼs testimony illustrates a very common process.“⁶⁹⁰
Bei dieser Redeweise ist freilich Vorsicht geboten. Was von Neisser als „tiefere Ebene“ bezeichnet wird, muss nicht in jedem Fall die „tiefere“, wichtigere Ebene sein. In manchen Fällen ist das Erinnern einzelner, entscheidender Fakten ausschlaggebend, beispielsweise bei einer auf Zeugenaussagen basierenden Tätersuche. Neisser 1982a, S. 151. Vgl. dazu die Analyse des Begriffs der „episodischen Erinnerung“ und seiner Abgrenzung von anderen „Erinnerungsformen“ in Kapitel 2.2.2.4 dieser Arbeit. Neisser 1982a, S. 158. Das „re“ bezieht sich auf „repetition“, weil repisodische Erinnerungen nach Neisser das Ergebnis wiederholten Nachdenkens über Geschehnisse bzw. des wiederholten Auftauchens von Themen oder Mustern zu unterschiedlichen Zeitpunkten darstellen, das sich nicht in Form des Erinnerns einer spezifischen Episode, sondern als Abstraktion oder „Destillat“ des Kerngehalts im Sinne der „common characteristics of a whole series of events“ (Neisser 1982a, S. 158) zeigt. Vgl. Neisser 1982a, S. 157. Neisser 1982a, S. 158.
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3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
Der Fall Dean verdeutlicht die Einsicht, dass die „Wahrheit“ von Erinnerungen ein vielschichtiges und komplexes Phänomen ist: Deanʼs testimony was by no means always accurate. Yet even when he was wrong, there was a sense in which he was telling the truth; even when he was right, it was not necessarily because he remembered a particular conversation well.⁶⁹¹
Um der Frage nach der Wahrheit von Erinnerungen sinnvoll nachgehen zu können, ist es nötig, diese unterschiedlichen und scheinbar widersprüchlichen Ebenen und ihre Zusammenhänge zu analysieren und damit dem Umstand Rechnung zu tragen, „that ,truthʻ, ,accuracyʻ, and ,memoryʻ are not simple notions.“⁶⁹² Zudem zeigt das Beispiel Deans, dass die rekonstruktive Natur von Erinnerungen nicht zwingend zur Suspendierung jedweden Wahrheitsanspruchs führt. Deans Erinnerungen sind insofern rekonstruktiv, als sie keine detailgenaue Abbildung der fraglichen Episoden der Vergangenheit darstellen. Vielmehr rekonstruiert Dean im Erinnern Elemente aus unterschiedlichen Quellen derart, dass viele einzelne Aspekte verzerrt oder fälschlich erinnert werden. Das irrige Erinnern nimmt dabei sowohl die Form der falschen Zuweisung von Ort, Zeit oder situativem Kontext zu korrekt erinnerten Ereignissen oder Aussagen an, als auch die Form des tatsächlichen „Erfindens“ von Erlebnissen oder Aussagen, die überhaupt nicht Bestandteil der vergangenen Episode waren. Trotz dieser unterschiedlichen Formen des Fehlgehens seiner Erinnerungen sind diese auf einer anderen Ebene korrekt. Hinsichtlich der in diesem Fall auch für die juristische Beurteilung entscheidenden grundlegenden Aussagen über Vorgänge, Absichten, Konstellationen und Beteiligte erwiesen sich seine Erinnerungen als zutreffend. Konfrontiert mit dem Vorwurf, falsche Erinnerungen wiedergegeben zu haben, könnte Dean so reagieren, dass er die Wahrheitsbehauptung der aus seinen Erinnerungen resultierenden Aussagen auf die „tiefere Ebene“ („deeper level“) beschränkt und damit den als wahr postulierten Informationsgehalt der Erinnerungen reduziert. Diese Strategie ist eine Form der Korrektur (partiell) falscher Erinnerungen durch die Reduzierung ihres Informationsgehalts. Eine andere Form besteht darin, eine reproduktive Erinnerung („Ich erinnere mich, dass p“), die sich als inkorrekt erwiesen hat, durch eine meta-repräsentationale Erinnerung („Ich erinnere mich, den Eindruck gehabt zu haben, dass p“) zu ersetzen.⁶⁹³ Nehmen wir an, Peter erinnert sich, dass er vor 15 Jahren mit seinem Freund Paul im Urlaub in Mexiko war. Als er Paul dies erzählt, erfährt er, dass Paul tatsächlich noch nie in
Neisser 1982a, S. 141. Neisser 1982a, S. 141. Vgl. Bernecker 2008, S. 164 f.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
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Mexiko war. Peters reproduktive Erinnerung „Ich erinnere mich, dass ich vor 15 Jahren mit Paul in Mexiko war“, wird dadurch falsifiziert. Mittels eines Rückzugs auf die meta-repräsentationale Ebene, also durch das Ersetzen einer für wahr gehaltenen erinnerungsbasierten Überzeugung durch die Wiedergabe des subjektiven erinnerungsbasierten Eindrucks („Ich erinnere mich, den Eindruck gehabt zu haben, mit Paul vor 15 Jahren in Mexiko gewesen zu sein“), wird der Informationsgehalt reduziert und der Wahrheitsgehalt von Peters Erinnerung auf einer „schwächeren“ Ebene bewahrt. Die Frage nach der Wahrheit von Deans Erinnerungen lässt sich also nicht pauschal, sondern nur anhand der Unterscheidung dieser unterschiedlichen Ebenen beantworten. Da es, wie erwähnt, gute Gründe dafür gibt, die aus der Analyse dieses Falls resultierenden Einsichten hinsichtlich verschiedener Wahrheitsebenen von Erinnerungen zu verallgemeinern, ist ein diese Ebenen differenzierender Ansatz unabdingbar dafür, der komplexen Frage nach der Wahrheit von Erinnerungen angemessen begegnen zu können. Die vorangegangene Fallstudie thematisiert zwar primär die Wahrheit der Faktenbestandteile autobiographischer Erinnerungen, deutet jedoch bereits an, dass auch die Interpretation der autobiographischen Vergangenheit für die Wahrheitsfrage relevant ist. Was mit „Interpretation“ im Kontext autobiographischer Erinnerungen gemeint ist, verdeutlicht ein Beispiel von Marya Schechtman: Sie schildert den Fall eines Mannes mit Paranoia, der berichtet, beim Einkaufen am Vortag von mehreren Männern in blauen Anzügen beobachtet worden zu sein, die sich Notizen über ihn machten. Er schließt daraus, dass ihn, wie er bereits seit Langem vermutet, der amerikanische Geheimdienst CIA auf Schritt und Tritt verfolgt und detaillierte Bewegungsprotokolle über ihn anfertigt.⁶⁹⁴ Unter der Annahme, dass die von diesem Mann geschilderte Situation keine Halluzination darstellt, sondern seinen tatsächlichen Wahrnehmungen und Erinnerungen entspricht, handelt es sich um eine faktisch korrekte autobiographische Erinnerung. Die Männer in den blauen Anzügen waren am beschriebenen Ort, sie beobachteten den Mann und machten sich wirklich Notizen über sein Verhalten. Was von der Wahrheit abweicht, sind nicht die Fakten, sondern es ist die Interpretation dieser Fakten, die aus der Verschwörungstheorie resultiert, die der Mann verinnerlicht hat und von deren Richtigkeit er zutiefst überzeugt ist. In Wirklichkeit handelte es sich aber um Marktforscher, die die Zahl der Kunden protokollierten und notierten, mit wie vielen Einkaufstüten der Mann das Einkaufszentrum wieder verließ. Auch diese Erinnerung könnte theoretisch korrigiert werden, falls der Mann, was im Fall schwerer Paranoia freilich unwahrscheinlich ist, sich durch
Vgl. Schechtman 1996, S. 126.
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3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
Beweise von der Falschheit seiner Deutung überzeugen ließe und damit den unzutreffenden Teil des Informationsgehalts seiner Erinnerung revidierte.⁶⁹⁵ Natürlich stellt dies einen extremen, weil pathologisch bedingten Fall der falschen Interpretation faktisch korrekter Erinnerungen dar. Jedoch lassen sich auch „alltäglichere“ Beispiele dafür anführen.⁶⁹⁶ So können allgemeine Annahmen über die Welt, implizite Vorurteile oder persönlichkeitsimmanente Faktoren die Interpretation autobiographischer Erinnerungen maßgeblich beeinflussen und zur falschen Interpretation faktisch korrekt erinnerter Episoden führen. In depressiver Stimmung vermag sich Fritz beispielsweise zwar korrekt an ein Familientreffen im letzten Jahr zu erinnern und dabei Datum, Beteiligte, Ort etc. richtig wiederzugeben. Seine Erinnerung daran, dass eine belastende Stimmung über dem Treffen gelegen habe, die Gespräche ausschließlich um Todesfälle und Schicksalsschläge kreisten und schließlich alle betrübt wieder gegangen seien, spiegelt jedoch nicht den damaligen situativen Kontext wieder, sondern basiert auf der emotionalen Angleichung der erinnerten Vergangenheit an seine gegenwärtige Verfasstheit.⁶⁹⁷ Dieses Beispiel weist darauf hin, dass auch die emotionale Dimension autobiographischen Erinnerns für die Wahrheitsfrage relevant ist.Wie in Kapitel 2.2.2.5 gezeigt, zeichnen sich viele autobiographische Erinnerungen dadurch aus, dass sie mit einer emotionalen Bewertung verknüpft sind und aufgrund dieser Bewertung eine biographische Bedeutung für den Erinnernden besitzen. Nun sind Fälle denkbar, in denen diese emotionale Bedeutung sich über die Zeit hinweg verändert. Dies kann insofern geschehen, als die Person zwar die ursprünglich mit einer Erinnerung verknüpfte Emotion korrekt erinnert, diese jedoch rückblickend als unangemessen oder falsch erachtet. In solch einem Fall stimmt zwar der erinnerte emotionale Gehalt mit dem ursprünglichen überein, wird jedoch aus der gegenwärtigen Sicht neu bewertet. Die erinnerte steht mit der gegenwärtigen Bedeutung im Widerstreit. Dieser Widerstreit kann zu einer zweiten Form der Bedeutungsänderung führen, bei der die einer Erinnerung aktuell zugeschriebene Bedeutung fälschlich auch für die „historische“ Bedeutung gehalten wird. Handelt es sich dabei um eine autobiographische Erinnerung, deren faktischer Gehalt richtig erinnert wird, entsteht der Fall einer faktisch korrekten Erinnerung mit modifizierter Bedeutung. Denkbar ist auch das Gegenteil: In manchen Fällen vermag eine Person sich korrekt an die emotionale Bedeutung eines vergangenen Ereignisses zu erinnern, irrt jedoch hinsichtlich des faktischen Inhalts der be Vgl. Bernecker 2008, S. 165. Vgl. Schechtman 1996, S. 127– 129. Vgl. dazu die in Kapitel 3.2.4.3 diskutierten psychologischen Studien zum Einfluss der gegenwärtigen emotionalen Verfasstheit einer Person auf die Qualität von Erinnerungen.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
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treffenden Erinnerung. Fritz mag sich zutreffend daran erinnern, an seinem zehnten Geburtstag übermäßig glücklich gewesen zu sein. Jedoch hält er fälschlich ein Geschenk für den Grund außergewöhnlichen Glücksgefühls, das tatsächlich aus dem erstmaligen Gewinnen eines Fußballturniers an diesem Tag resultierte. „Fritz erinnert sich, an seinem zehnten Geburtstag außerordentlich glücklich gewesen zu sein“, wäre demnach wahr, „Fritz erinnert sich, an seinem zehnten Geburtstag außerordentlich glücklich gewesen zu sein, weil er ein besonderes Geschenk erhielt“, dagegen partiell falsch.⁶⁹⁸ Das Beispiel verdeutlicht, dass die Frage nach der „Wahrheit“ autobiographischer Erinnerungen oftmals nicht mit „ja“ oder „nein“ beantwortet werden kann. Vielmehr ist es nötig, die Möglichkeit eines graduellen Mehr-oder-Weniger-Wahrseins einzuräumen und die unterschiedlichen Ebenen zu unterscheiden, auf denen die Frage nach der Wahrheit einer Erinnerung gestellt und (möglicherweise) beantwortet werden kann. Auf dieser Grundlage lässt sich eine Position skizzieren, die zum einen die unplausiblen Annahmen von Theorien vermeidet, die Erinnerungen als exakte Abbilder der historischen Wirklichkeit und die Wahrheit von Erinnerungen als genaue Übereinstimmung mit dieser Wirklichkeit konzipieren. Erinnerungen können partiell mit der historischen Wirklichkeit übereinstimmen bzw., wie der Fall John Dean zeigt, in kondensierter Form wahre Aspekte der Vergangenheit beinhalten. Die Übereinstimmung muss nicht die Form der Identität des Inhalts der Erinnerung mit dem Inhalt der vergangenen Episode annehmen, sondern kann in unterschiedlichen Graden vorliegen. Zum anderen lässt sich zeigen, dass konstruktivistische Ansätze, die die (re‐)konstruktive Natur von Erinnerungen zu stark betonen, die Maßstäbe zur Unterscheidung von Erinnerungen und Konfabulationen verlieren.⁶⁹⁹ Diese Überbetonung resultiert unter anderem aus der mangelhaften Unterscheidung zwischen „falschen Erinnerungen“ („false memories“⁷⁰⁰) und graduellen Erinnerungsfehlern. In den 1990er Jahren entbrannte vor allem in den USA sowohl unter Psychologen als auch in der breiten Öffentlichkeit eine Debatte um das sogenannte „false memory syndrome“⁷⁰¹. Dabei ging es um die Frage, ob falsche Erinnerungen, etwa an die Erfahrung sexueller Gewalt im Jugendalter, durch Fragen oder Suggestion eines Therapeuten entstehen
Als Satz ist das zweite Beispiel natürlich im Ganzen falsch, jedoch ist ein Teil des Satzes hinsichtlich der Erinnerung, auf die er verweist, korrekt. Vgl. Bernecker 2010, S. 219. Zur Diskussion der Definition von Konfabulationen und der Unterscheidung von Erinnerungen und Konfabulationen vgl. Hirstein 2009b. Zur psychologischen Definition und Diskussion von „false memories“ vgl. die Beiträge in Conway 1997 sowie Brainerd/Reyna 2005. Vgl. Kihlstrom 1998, S. 12– 18.
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3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
können. Die Gedächtnispsychologin Elizabeth Loftus bejaht diese Frage. Sie konnte in mehreren Studien zeigen, dass bei Probanden, vor allem bei Kindern, unter bestimmten Bedingungen „falsche Erinnerungen“, also vermeintliche Erinnerungen an Ereignisse, die im Leben der betreffenden Person tatsächlich niemals stattgefunden haben, evoziert werden können. Eine dieser Studien behandelt das sogenannte „Lost in a shopping mall“-Szenario⁷⁰². Dabei wurden jugendlichen Probanden schriftliche Erzählungen über Ereignisse in ihrer Kindheit vorgelegt, die von Verwandten der Probanden stammten. Neben drei Berichten, die sich auf tatsächliche Ereignisse im Leben der betreffenden Personen bezogen, fand sich bei jedem Probanden auch eine Geschichte, die von den Studienleitern erfunden worden war und keinerlei Entsprechung in dessen historischer Realität hatte. Diese Geschichte enthielt die Schilderung eines Tages, an dem der Proband als Kind in einem Einkaufszentrum seine Eltern verloren hatte, verzweifelt und weinend nach ihnen suchte und nach einiger Zeit durch Passanten wieder zu den Eltern gebracht wurde. Die Probanden sollten diese Geschichten lesen und schriftlich festhalten, ob sie sich an die geschilderten Erlebnisse erinnerten und falls ja, an was genau sie sich erinnern konnten. Einige Wochen später wurden sie dann zu einem Interview eingeladen, bei dem sie gebeten wurden, mündlich alle Erinnerungen wiederzugeben, die sie an jene Erlebnisse hatten, die Bestandteil der schriftlichen Erzählungen waren. Es stellte sich heraus, dass ein Viertel der Probanden sich an die erfundene Geschichte „erinnern“ konnte.⁷⁰³ Diese Probanden waren überzeugt, tatsächlich im Einkaufszentrum verloren gegangen zu sein. Einige konnten sogar zahlreiche Details dieser scheinbaren Erinnerung angeben, die nicht Bestandteil der Geschichte waren, die sie zu lesen bekommen hatten. In einer späteren Studie, die manipulierte Bilder statt Geschichten nutze, um bei Probanden falsche autobiographische Erinnerungen zu evozieren, lag die Erfolgsquote sogar bei 50 %.⁷⁰⁴ „False memories“,wie sie in solchen Studien unter Experimentalbedingungen erzeugt wurden, sind Pseudo-Erinnerungen an Ereignisse, die weder so wie geschildert noch in ähnlicher Form im Leben der betreffenden Personen stattgefunden haben. Sie sind das Produkt gezielter Suggestion durch manipulierte Erzählungen und Bilder sowie geschicktes Nachfragen auf der Grundlage eines durchdachten Experimentaldesigns. So erstaunlich solche „implantierten“ Pseudo-Erinnerungen jedoch auch sein mögen – ihre Existenz liefert keinen Grund zur Annahme, dass auch alltägliche Erinnerungen in ähnlicher Weise
Loftus/Pickrell 1995. Vgl. Loftus/Pickrell 1995, S. 722 f. Vgl. Wade et al. 2002.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
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verfehlt oder „falsch“ sind. Erinnerungen, die graduell von der erlebten Wirklichkeit abweichen, partiell selektiv sind oder kondensiertes Wissen über Situationen beinhalten, die faktisch nicht korrekt erinnert werden, besitzen hinsichtlich ihrer Wahrheitsfähigkeit einen anderen Status als experimentell „erzeugte“ Pseudo-Erinnerungen. Die Verwechslung von erzählten Geschichten Dritter, von Bildern, Filmen oder auch Träumen mit persönlichen, autobiographischen Erinnerungen und damit das Sich-Täuschen über den Ursprung einer kompletten Episode, die eine Person fälschlich für ihre Erinnerung hält, ist kein Fall fehlerhafter Erinnerung, sondern erfüllt den Tatbestand der Konfabulation. Wenn also beispielsweise Loftus und Kollegen „verzerrte Erinnerungen“ („distorted memories“⁷⁰⁵), die graduelle bzw. partielle Veränderungen gegenüber den ursprünglichen Ereignissen aufweisen (etwa Abweichungen bezüglich Zeitpunkten, Orten oder Häufigkeiten), als eine Unterart von „false memories“ fassen⁷⁰⁶, so ist dies eine wenig hilfreiche Vermischung der Kategorien „Falsche Erinnerungen“/ „Konfabulationen“ und „Erinnerungsverzerrungen“/„Normale Gedächtnisfehler“ („ordinary memory errors“⁷⁰⁷), die zum Verwischen der signifikanten Unterschiede zwischen beiden führt und einen unangemessen starken bzw. umfassenden Skeptizismus hinsichtlich der Zuverlässigkeit und Wahrheitsfähigkeit autobiographischer Erinnerungen nahelegt. Plausibler scheint eine Konzeption der „Wahrheit“ autobiographischer Erinnerungen, die sich zwischen den Extremen – der vielen philosophischen Gedächtnistheorien zumindest implizit zugrunde liegenden Vorstellung von Erinnerungen als „Kopien“⁷⁰⁸ und der bei vielen Psychologen und Neurowissenschaftlern anzutreffenden Rede von Erinnerungen als „Konstrukten“⁷⁰⁹ – verorten lässt.Wie in den Kapiteln 3.2.4.1 und 3.2.4.2 gezeigt, können die Informationen, die den Inhalt autobiographischer Erinnerungen bilden, im Verlauf der Verarbeitung durch das kognitive System auf unterschiedliche Weise modifiziert und geformt werden. Es sind Fälle denkbar, in denen diese Modifikation so stark ist, dass die modifizierte Erinnerung nicht mehr als solche bezeichnet werden kann, weil sie in keiner Beziehung mehr zu den Informationen steht, aus denen sie ursprünglich resultierte.⁷¹⁰ Wenn beispielsweise Suggestivfragen eines Therapeuten dazu führen, dass aus der Verarbeitung der Informationen aus einem solchen Therapiegespräch falsche Erinnerungen an traumatische Ereignisse in der Kindheit ent-
French/Garry/Loftus 2009, S. 35. Vgl. French/Garry/Loftus 2009, S. 35. Hamilton 1998a, S. 293. Vgl. Bernecker 2008, S. 145 f. Vgl. Hamilton 1998a, S. 293 f. und Bernecker 2008, S. 153 f. Vgl. Bernecker 2008, S. 146 f.
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3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
stehen, die tatsächlich nie stattgefunden haben, ist die Rede von „false memories“ oder einem „Konstrukt“ freilich nachvollziehbar. Allerdings sind die Modifikationen, die den psychologischen „Normalfall“ der Verarbeitung autobiographischer Erinnerungen darstellen, weit von solchen Extremen entfernt. Das „Kondensieren“ von Erinnerungen ist beispielsweise eine sehr häufige Form der „normalen“ Modifizierung von Erinnerungen. Gemeint ist damit, dass viele Inhalte autobiographischer Erinnerungen nicht auf einzelne Episoden der Vergangenheit Bezug nehmen, sondern eine Vielzahl solcher Episoden bündeln. Der Kognitionspsychologe Lawrence Barsalou kommt auf der Grundlage mehrerer Studien zu dem Schluss, dass diese Art autobiographischen Erinnerns eine sehr häufige und für die Verarbeitung autobiographischer Informationen wichtige Form der Modifikation, in vielen Fällen sogar den „normal mode of recalling the past“⁷¹¹, darstellt: We originally believed that the primary content of autobiographical memory was supposed to be memories of specific events. Yet subjects, when asked to describe „events“ from their summer vacation, spent only 21 % of their time recalling specific events. […] The retrieval of summarized and extended events, along with other kinds of information, appears to play an important role in accessing information about periods of oneʼs life.⁷¹²
Erinnerungen dieser Art zeigen, dass das Erinnern oftmals nicht in einem einfachen Rückgriff auf einzelne Episoden besteht, sondern verschiedene Bestandteile der personalen Vergangenheit im Erinnern als thematische Einheit zusammengefasst und nicht hinsichtlich ihres episodenspezifischen Inhalts erinnert werden. Trotz dieser Abweichung von der historischen Wirklichkeit sind solche Erinnerungen „compatible with the truth condition of memory“⁷¹³. Die sich daraus ergebende Frage, welches Ausmaß solche Abweichungen haben dürfen, um den epistemologischen Status der sie beinhaltenden Erinnerung als Erinnerung – im Gegensatz zu verschiedenen Formen der Selbst-Täuschung oder Konfabulation – nicht zu gefährden, führt tief in grundlegende erkenntnistheoretische Probleme und Diskussionen, die hier nicht von Grund auf behandelt werden können.⁷¹⁴ Einige mit dieser Problematik zusammenhängende Aspekte sollen jedoch nachfolgend thematisiert werden, indem die vorangegangenen Überlegungen zur Wahrheit von Erinnerungen hinsichtlich ihrer Implikationen für die biographische
Barsalou 1988, S. 201. Zur philosophischen Diskussion dieser Studie vgl. Schechtman 1994, S. 8 f., und Bernecker 2008, S. 148 f. Barsalou 1988, S. 201. Bernecker 2008, S. 152. Ausführliche erkenntnistheoretische Analysen zu dieser Thematik finden sich in Bernecker 2008, S. 155 – 175, und Bernecker 2010, S. 213 – 239.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
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Identität und ihres Zusammenhangs mit autobiographischen Erinnerungen untersucht werden. Die in dieser Arbeit vertretene Auffassung, dass die biographische Identität von Personen wesentlich auf narrativ strukturierten autobiographischen Erinnerungen basiert, führt in Kombination mit der Einsicht in den rekonstruktiven und dynamischen Charakter autobiographischen Erinnerns zu der Frage, ob sich im Kontext biographischer Identität überhaupt ein Wahrheitsbegriff etablieren lässt. Gibt es so etwas wie eine „narrative Wahrheit“ („narrative truth“⁷¹⁵), die im Gegensatz zur Idee „historischer Wahrheit“ („historical truth“⁷¹⁶) als Beurteilungsmaßstab für die biographische Identität dienen kann? Beginnen wir die Annäherung an diese Frage, indem wir uns wichtige Merkmale der biographischen Identität von Personen nochmals vergegenwärtigen. Als mentale Repräsentation des roten Fadens der Lebensgeschichte ermöglicht sie es, die eigene Biographie als zusammenhängend, bedeutungsvoll und kohärent zu erleben. Um diese Funktion erfüllen zu können, ist die Selektion und narrative Organisation autobiographischer Erinnerungen, wie wir gesehen haben, unabdingbar.⁷¹⁷ Während die vollständige Reproduktion der personalen Vergangenheit daher freilich keine Voraussetzung für die Konstituierung und Aufrechterhaltung biographischer Identität sein kann, stellt sich die Frage, ob diejenigen erinnerten Teile der personalen Vergangenheit, die zu Bestandteilen der biographischen Identität einer Person geworden sind, Reproduktionen der vergangenen Wirklichkeit sein müssen, oder ob bzw. in welchem Umfang sie Abweichungen beinhalten dürfen. Marya Schechtman gibt auf diese Frage folgende Antwort: Memory […] is not always or only a reproduction of past experiences or a simple connection between two discrete moments of consciousness. It is also a way of weaving the facts about ourselves and our histories into a coherent and intelligible story, expressive of the overall contours of our characters and our lives; our autobiographical memory is […] more like a biography than a photo album. Like a scientist who creates a continuous graph by drawing a line close to, but not necessarily in contact with, all the data points, our autobiographical memories draw a smooth storyline among the various experiences we have had – a storyline which is constrained by the bulk of those experiences, but which need not contain them exactly, and which gives our lives a narrative unity.⁷¹⁸
Spence 1982. Vgl. zu diesem Begriff auch Kerby 1991, S. 89 – 91, und Payne/Blackwell 1998, S. 32 f. Payne/Blackwell 1998, S. 32. Vgl. Kapitel 3.2.4.1 und 3.2.4.2 dieser Arbeit. Schechtman 1994, S. 13.
200
3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
Die Gestaltungsräume für die Lebensgeschichte einer Person sind demnach, so Schechtmans Idee, durch deren tatsächliche Erfahrungen begrenzt. Nicht beliebige „Geschichten“ können zum Bestandteil der Autobiographie werden, sondern nur solche, die eine gewisse Entsprechung in der historischen Realität der Person haben. Dabei müssen die aus autobiographischen Erinnerungen resultierenden Narrationen nicht exakt, sondern, wie die Metapher des Graphen verdeutlicht, nur näherungsweise mit den „Datenpunkten“ übereinstimmen. Hieraus ergibt sich freilich die nächste Frage: Wann sind Narrationen in diesem Sinne ausreichend nah („close to“) an der Wirklichkeit? Schechtman führt zu ihrer Beantwortung einen „Realitätsvorbehalt“ („reality constraint“⁷¹⁹) ein. Dahinter verbirgt sich die Idee, nur solche Narrationen als identitätskonstituierend anzusehen, die „fundamentally cohere with reality“⁷²⁰. Um zu verdeutlichen, welche Art von Realitätsabweichungen so schwerwiegend ist, dass sie gegen dieses Kriterium verstößt, unterscheidet Schechtman zunächst zwei Arten von Fakten: Solche, die sich auf beobachtbare Tatsachen beziehen („basic observational facts“⁷²¹), also auf Informationen, die direkt durch die Sinne wahrgenommen werden können, und solche, die sich auf die Schlussfolgerungen bezüglich der Bedeutung oder der Implikationen von Fakten im ersten Sinn beziehen („interpretative facts“ ⁷²²). Im Fall der beobachtbaren Tatsachen äußern sich Realitätsabweichungen dadurch, dass die biographische Narration einer Person Überzeugungen enthält, die vor dem Hintergrund des als gesichert geltenden Wissens über die Welt als unmöglich bzw. falsch erachtet werden müssen. Psychotische Störungen, bei denen sich Patienten fälschlicherweise für historische Persönlichkeiten halten, sind extreme Fälle solcher Abweichungen. Wenn Peter sich aufgrund einer solchen Störung für Elvis Presley hält, dessen Biographie als seine eigene erachtet und dies anderen gegenüber überzeugt vertritt, so enthält seine Lebensgeschichte Elemente, die im klaren Widerspruch zu beobachtbaren Tatsachen stehen. Obgleich die Überzeugung, Elvis Presley zu sein, Bestandteil von Peters biographischer Narration ist, kann sie aufgrund dieses Widerspruchs nicht Bestandteil seiner biographischen Identität sein. Diese Einschränkung durch den Realitätsvorbehalt bewahrt Theorien narrativer bzw. biographischer Identität vor dem Kritikpunkt, dass beliebige Elemente zum Bestandteil der biographischen Identität von Personen werden können und die Grenzen zwischen Biographie, Imagination, Täuschung und sogar Wahnvorstellung dadurch aufgelöst werden.⁷²³ Allerdings ist sie mit
Schechtman 1996, S. 119. Schechtman 1996, S. 119. Schechtman 1996, S. 120. Schechtman 1996, S. 120. Vgl. Schechtman 1996, S. 121.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
201
dem Problem versehen, dass Realitätsabweichungen in den seltensten, zumeist wie im oben genannten Beispiel pathologischen Fällen, klar zu fassen sind und unstrittig einen „clearly inaccurate view of the world“⁷²⁴ darstellen. Hier zeigt sich bezüglich des Realitätsgehalts biographischer Narrationen ein ähnliches Problem wie bei der oben diskutierten „Wahrheit“ autobiographischer Erinnerungen. Während Extremfälle sowohl „falscher Narrationen“ als auch „falscher Erinnerungen“ – die häufig auf pathologischen Umständen oder der intentionalen Einflussnahme Dritter beruhen – den Eindruck erwecken, dass die Anwendung des Realitätsvorbehalts unproblematisch sei, zeigt sich bei der Mehrheit denkbarer Fälle ein weites Spektrum von Graustufen. So wie viele Erinnerungen nur graduell bzw. partiell falsch sind („false-in-detail“⁷²⁵), sind die Fehler in vielen biographischen Narrationen wenig dramatischer Natur. Sie betreffen häufig einzelne Aspekte vergangener Episoden oder die Zuordnung von Personen und Kontexten. Nehmen wir an, Herr Müller erzählt einem Freund im Rahmen eines Gesprächs über die Arbeit, dass sein Kollege Meier ihn vor einigen Jahren hintergangen hat, als es um seine Beförderung ging. Tatsächlich aber war es nicht Meier, sondern Huber, der ihn damals hinterging, und es geschah zwei Jahre später als Müller berichtet. Die Erinnerung an den Zeitpunkt und die beteiligte Person ist demnach nicht korrekt und Müllers Narration hinsichtlich dieser beobachtbaren Fakten falsch. Der Unterschied zwischen solch einem Fall und dem des „falschen Elvis“ liegt nach Schechtman nun darin, dass Fehler der ersten Sorte von der betreffenden Person leicht korrigiert werden können, wenn sie – im Fall von Herrn Müller etwa durch einen Blick in seine Personalakte – durch Beweise über ihren Irrtum aufgeklärt wird und dass diese Korrektur zumeist bereitwillig geschieht.⁷²⁶ Im Fall des vermeintlichen Elvis ist beides nicht der Fall. Auch wenn man ihn mit Beweisen konfrontiert, die seine Annahme wiederlegen, würde dies nicht zur einfachen und bereitwilligen Korrektur seiner Überzeugung führen. Während sich aus der Überzeugung, Elvis zu sein, zahlreiche und schwerwiegende Implikationen für die biographische Identität des Betreffenden sowie hinsichtlich seines Umgangs mit anderen ergeben, ist dies hinsichtlich Müllers fehlerhafter Narration nicht im selben Umfang der Fall. Die Erinnerung an das Hintergangenwerden durch Herrn Meier ist zwar falsch, die allgemeine Einsicht, die aus der mit dieser Erinnerung verknüpften Narration resultiert („Ich wurde bei der Beförderung hintergangen“, „Ich bin das Opfer einer Intrige“ etc.) ist jedoch im Sinne eines „general view of the person that does not conflict with any facts“⁷²⁷ korrekt.
Schechtman 1996, S. 122. Hamilton 1998a, S. 283. Vgl. Schechtman 1996, S. 123. Schechtman 1996, S. 125.
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3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
Auf der Ebene des allgemeinen, abstrahierten Wissens über die eigene Person und Biographie verstößt eine solche Narration nicht gegen den Realitätsvorbehalt und kann daher als Bestandteil der biographischen Identität aufgefasst werden. An dieser Stelle ist ein kurzer Exkurs angebracht: Freilich gibt es auch Fälle, in denen wahre Erinnerungen, also solche, die sich innerhalb der Grenzen des Realitätsvorbehalts befinden, zur Bedrohung für die biographische Identität einer Person werden, weil deren narrative Integration temporär oder dauerhaft nicht gelingt. Anschaulich illustrieren lässt sich dies am Beispiel der sogenannten „Posttraumatischen Belastungsstörung“ („Post-Traumatic Stress Disorder“/ PTSD). Bekannt wurde diese psychische Erkrankung vor allem im Kontext von aus Kriegseinsätzen zurückgekehrten Soldaten.⁷²⁸ Die Betroffenen werden dabei von unwillkürlichen Erinnerungen an Gewalttaten und Kriegsgeschehnisse, die sie in ihrem Einsatz begangen bzw. erlebt haben, verfolgt.⁷²⁹ Diese Erinnerungen, beispielsweise an die Tötung Unschuldiger oder an das Foltern von Feinden, weichen in so starkem Maß von der Identitäts- und Persönlichkeitswahrnehmung der Person ab, dass sie nicht in die biographische Narration integriert und folglich nicht als Bestandteil der biographischen Identität akzeptiert werden können. Dabei steht für den Betroffenen nicht die Wahrheit des erinnerten Ereignisses selbst in Frage. Vielmehr gelingt es nicht, diese Erinnerungen als kohärenten Teil der eigenen Biographie anzusehen. Die Person weiß, dass das fragliche Geschehen Teil ihrer historischen Realität ist, kann aber zugleich nicht wahrhaben, dass sie es ist, der so etwas widerfahren ist bzw. die so etwas getan hat, weil dies im Kontext ihrer narrativen Realität keinen Sinn ergibt. Während es in anderen Fällen oftmals gelingt, biographisch widersprüchliche Erfahrungen zu verarbeiten und zu integrieren oder zu verdrängen, bleiben solche traumatischen Erinnerungen ungewollt aktuell. Die Psychologen Pitman und Orr bezeichnen unwillkürliche traumatische Erinnerungen als „schwarze Löcher“ („black holes“⁷³⁰) in der Psyche einer Person. Sie ziehen ungewollt und in Form von „flashbacks“ immer wieder die Aufmerksamkeit der Person auf sich, die diese Erinnerungen nicht kontrollieren kann, sondern passiv erleidet. ⁷³¹ Die Ereignisse, die Gegenstand dieser Erinnerungen sind, werden zu „Fremdkörpern“⁷³² in der Biographie einer Person. Ihre Existenz lässt sich nicht leugnen, aber auch nicht zum verstehbaren Teil der
Vgl. Shay 1994 und Hampe 2008, S. 264– 266. Zur psychologischen Diskussion der Rolle unfreiwilliger Erinnerungen im Kontext von PTSD vgl. Krans et al. 2010 und Verwoerd/Wessel 2010. Für einen allgemeinen Überblick zum Thema „involuntary memory“ vgl. Berntsen 2009. Pitman/Orr 1990. Vgl. Hampe 2007, S. 91. Hampe 2007, S. 92.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
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Lebensgeschichte, der biographischen Narration dieser Person machen. Fälle von PTSD belegen, dass der narrative Umgang mit autobiographischen Erinnerungen von entscheidender Bedeutung für die Entstehung und Aufrechterhaltung biographischer Identität ist. Erst dadurch, dass neue Erfahrungen in den Kontext älterer Erfahrungen und in die aus diesen Erfahrungen entstandene „life story“ eingegliedert werden, können sie zum integralen Bestandteil der biographischen Identität werden.⁷³³ Auch hinsichtlich der Schlussfolgerungen, die Personen auf der Grundlage von beobachtbaren Tatsachen im Rahmen biographischer Narrationen treffen („interpretative facts“), greift nach Schechtman der Realitätsvorbehalt. Es gibt Fälle, in denen der faktenbezogene Inhalt einer Narration wahr ist, die Person jedoch auf der Basis dieser korrekten Fakten zu Interpretationen oder Schlussfolgerungen gelangt, die gegen den Realitätsvorbehalt verstoßen. Hier genügt der nochmalige Verweis auf das oben ausgeführte Beispiel des Mannes, der aufgrund seines Verfolgungswahns aus faktisch korrekten Wahrnehmungen und Erinnerungen Schlüsse zieht, die durch diese Fakten in keiner Weise gestützt werden, sondern von außen betrachtet „absurdly unwarranted“⁷³⁴ erscheinen. Allerdings ist die Beurteilung „falscher“ Interpretationen korrekter Fakten in weniger dramatischen Fällen oft schwierig oder unsicher. Zwar scheint hinsichtlich des Paranoikers unstrittig, dass dieser in umfassendem und gravierendem Maß nicht in Bezug zur Realität steht. Betrachtet man jedoch alltäglichere Fälle, so zeigt sich, dass Interpretationen aus der 1. Person-Perspektive zwar häufig aus der Sicht Anderer unplausibel oder unangemessen erscheinen, bei genauerer Betrachtung aber nicht eindeutig entscheidbar ist, ob diese Interpretation nicht doch angemessen oder zumindest partiell angemessen ist, weil auch die Beurteilung der Interpretation Anderer durch einen oder mehrere Dritte unvollständig oder falsch sein kann. Schechtman führt das Beispiel eines Mannes an, der sich andauernd durch Andere diskriminiert und ungerecht behandelt fühlt. Wenn ein Außenstehender diese Interpretation des Mannes kennt, jedoch in keiner der Situationen, in denen dieser sich diskriminiert fühlt, erkennt, dass dies wirklich der Fall ist, wird er vermutlich zu der Einschätzung gelangen, dass die Interpretation des Mannes aus einer verzerrten Weltsicht resultiert und der „Fehler“ dort zu suchen ist. Obwohl dies eine naheliegende und vermutlich häufig auch zutreffende Bewertung ist, kann es auch sein, dass der Mann tatsächlich richtig liegt, weil er im Gegensatz zu anderen sensibel für bestimmte Subtexte ist und eine soziale Realität
Vgl. Hampe 2007, S. 93. Schechtman 1996, S. 126.
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3 Personale Identität, Gedächtnis und Erinnerung
wahrzunehmen vermag, die sich anderen nicht erschließt.⁷³⁵ Interpretationen dieser Art, die aus unterschiedlichen Perspektiven unterschiedlich beurteilt werden können, jedoch grundsätzlich nachvollziehbar sind und nicht im Widerspruch zu grundlegenden Tatsachen stehen, verstoßen nicht gegen den Realitätsvorbehalt und gehören zur biographischen Identität der betreffenden Person. Insofern sie charakteristische Wahrnehmungsmuster, Haltungen und Einstellungen der Person beinhalten und zum Ausdruck bringen, verweisen solche Interpretationen auf wichtige Elemente der individuellen Persönlichkeit: The perspective according to which a particular narrative interprets a series of commonly agreed-upon events is what gives it its individual style. The angry person is an angry person because her narrative is constructed through the lens of an angry eye – whereas the goodhearted person is a good-hearted person because his narrative and consequent actions flow from a good-hearted view.⁷³⁶
Schechtmans Überlegungen verdeutlichen, wie dem gegen narrative Theorien personaler Identität häufig vorgebrachten Vorwurf begegnet werden kann, dass beliebige Elemente zum Inhalt biographischer Narrationen und damit zum Bestandteil der Identität der Person werden können und mithin im Rahmen solcher Theorien nicht zwischen Fiktion, Imagination und Realität unterschieden werden kann. Die Differenzierung und Charakterisierung unterschiedlicher Ebenen, auf denen autobiographische Erinnerungen „wahr“ oder „falsch“ sein können, und die Feststellungen, dass aufgrund dieser Vielschichtigkeit ein einfacher Wahrheitsbegriff zwangsläufig scheitern und in vielen Fällen von „mehr oder weniger wahr bzw. falsch“ gesprochen werden muss,verweisen darauf, dass die „Wahrheit“ autobiographischer Erinnerungen sich in einem diffizilen, im Einzelfall häufig nur schwer zu beurteilenden Spektrum bewegt, das zwischen den Extremen der exakten Reproduktion und der Konstruktion angesiedelt ist. Für Theorien biographischer Identität bedeutet dies zum einen, dass dem oben genannten Einwand durch die Beachtung und Integration der verschiedenen Ebenen, auf denen die „Wahrheit“ autobiographischer Erinnerungen – und damit zusammenhängend auch biographischer Narrationen – (partiell) gegeben sein kann, erwidert werden kann. Es bedeutet zum anderen jedoch auch, wie die Diskussion „falscher“ Erinnerungen und des Realitätsvorbehalts gezeigt hat, dass Grenzziehungen aufgrund der Komplexität autobiographischer Erinnerungen und der dynamischen Verwobenheit von Gegenwart und Vergangenheit im Erinnern notorisch schwierig sind.
Vgl. Schechtman 1996, S. 128 f. Schechtman 1996, S. 128.
3.2 Biographische Identität, Gedächtnis und Erinnerung
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Mit diesen Überlegungen sind wir am Ende der vorliegenden Untersuchung angekommen. Im folgenden Schlusskapitel werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst und einige Anschlussfragen skizziert, die sich daraus für die zukünftige Forschungsdiskussion ergeben.
4 Personen und ihre Vergangenheit – Résumé und Ausblick Unsere Untersuchung nahm ihren Ausgang bei der Feststellung, dass das Verhältnis von Gedächtnis, Erinnerung und personaler Identität philosophisch unterbestimmt ist. Es wurde in einem ersten Schritt gezeigt, dass dies mit der mangelnden Differenzierung verschiedener Formen von Gedächtnis und Erinnerungen zusammenhängt. Durch die Auszeichnung und Charakterisierung autobiographischer Erinnerungen als derjenigen Form von Erinnerungen, der hinsichtlich des Zusammenhangs mit der personalen Identität besondere Bedeutung zukommt, konnte diesem Desiderat abgeholfen werden. Indem begriffsanalytische Untersuchungen mit einer kritischen Analyse zentraler Konzepte und Befunde der empirischen Gedächtnisforschung kombiniert wurden, konnten wichtige Aspekte der faktischen Beschaffenheit autobiographischer Erinnerungen verdeutlicht werden, die für die philosophische Diskussion der Bedeutung von Gedächtnis und Erinnerung hinsichtlich der personalen Identität fruchtbar gemacht werden können. In einem zweiten Schritt wurde dann gezeigt, dass die unbefriedigende Behandlung der Gedächtnis- und Erinnerungsthematik in der philosophischen Debatte um die personale Identität der Konzentration auf die diachrone Identität von Personen geschuldet ist. Sofern Gedächtnis bzw. Erinnerungen in Theorien diachroner Identität nur als formale Kriterien der Zuschreibung von temporal unterschiedlichen Sequenzen zu einer Person von Interesse sind, bleibt ihre inhaltliche Bestimmung und mithin die Frage, inwiefern Gedächtnis und Erinnerung die für Personen charakteristische Form der Lebensführung und Lebensgestaltung überhaupt erst ermöglichen, zwangsläufig offen. Diesem Desiderat kann begegnet werden, indem die biographische Identität von Personen – ein philosophisch vergleichsweise wenig bearbeiteter Teilaspekt der Identitätsdebatte – und ihr Zusammenhang mit Gedächtnis und Erinnerungen in den Blick genommen werden. Bei diesem Teilaspekt personaler Identität geht es unter anderem um die Frage, wie Menschen zu Personen mit spezifischer Biographie und individueller Persönlichkeit werden. Da die Art des Zugangs von Personen zu ihrer Vergangenheit und der Umgang mit der eigenen Vergangenheit für die Konstituierung und Aufrechterhaltung biographischer Identität wesentlich sind, kann die Untersuchung der Frage, wie Gedächtnis und Erinnerung diesen Zugang und Umgang ermöglichen und durch welche anderen Faktoren er beeinflusst wird, wichtige Aufschlüsse über Strukturen und Bedingungen biographischer Identität liefern.
4 Personen und ihre Vergangenheit – Résumé und Ausblick
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Diese Strukturen und Bedingungen wurden in einem dritten Schritt auf der Grundlage der vorangegangenen Differenzierung des Gedächtnisbegriffs sowie der Teilfragen personaler Identität eingehend untersucht. Dabei wurde deutlich, dass die Einordnung autobiographischer Erinnerungen in den narrativ strukturierten Rahmen des Lebens einer Person als Ganzes eine notwendige Bedingung biographischer Identität darstellt, da erst durch sie die Wahrnehmung biographischer Kontinuität und die Interpretation von Erinnerungen im Kontext der Lebensgeschichte möglich werden. In Auseinandersetzung mit der Kritik an narrativen Theorien personaler bzw. biographischer Identität ließ sich eine Auffassung von Narrativität als mentalem Ordnungsprinzip entwickeln, die dieser Kritik entgeht, indem die unplausiblen Konsequenzen eines zu starken, eng am literaturwissenschaftlichen Erzählungsbegriff angelehnten Narrationsbegriffs vermieden werden. Im Anschluss daran konnte anhand der Diskussion von Richard Wollheims „The Thread of Life“ und durch die Anwendung seiner allgemeinen Beschreibung der psychischen Struktur von Personen auf die Kategorien von Gedächtnis und Erinnerung gezeigt werden, dass der Einfluss der Vergangenheit auf die Gegenwart und Zukunft von Personen sich erst dann adäquat erfassen lässt, wenn die Rolle von Erinnerungen als „transmitter of influence“¹ berücksichtigt wird. Durch die starke Fokussierung auf Erinnerungen als Informationstransporteure, wie sie vor allem für psychologische Kontinuitätstheorien als typisch beschrieben wurde, bleibt diese Rolle in der philosophischen Diskussion zumeist unberücksichtigt. Betrachtet man Erinnerung ausschließlich als Mechanismus der Informationsweitergabe, so bleibt offen, wie diese Informationen für das Leben von Personen relevant werden können, weil die Art des Umgangs mit diesen Informationen und ihre Einflussnahme auf Personen nicht thematisiert werden. Bezieht man dagegen mit ein, dass und wie Erinnerungen Emotionen und Bedeutung „über die Zeit retten“ und durch das Ausbilden narrativer Strukturen die Wahrnehmung ermöglichen, dass unser Leben, während wir es führen, ein kohärentes Ganzes ist,² erweisen sich Erinnerungen nicht nur als indikatives, sondern darüber hinaus auch als konstitutives Kriterium personaler Identität. Gedächtnis und Erinnerung sind nicht nur – wie in vielen Theorien diachroner Identität – ein Hilfsmittel zur Überprüfung der Kontinuität personalen Lebens, sondern eine konstitutive Grundlage des Lebens von Personen, die durch sie erst zu Personen mit einer erkennbaren und (zumindest partiell) gestaltbaren Biographie werden.
Wollheim 1984, S. 101. Wollheim 1984, S. 110: „that our life, even as we lead it, is of a piece“.
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In den anschließenden Kapiteln wurden Merkmale und Einflussfaktoren des autobiographischen Gedächtnisses und autobiographischer Erinnerungen expliziert, die näheren Aufschluss über die Konstituierung personaler Selbstverhältnisse im Sinne biographischer Identität gaben. Mit dem Einfluss von Emotionen, der sozialen Mitbedingtheit autobiographischen Erinnerns und der erinnerungsbasierten Konstituierung biographischer Identität sowie der Bedeutung des Vergessens wurden dabei wichtige Elemente thematisiert, die in rationalistischen Theorien personaler Identität zumeist außen vor bleiben. Hinsichtlich des Einflusses von Emotionen wurde gezeigt, dass empathische und nicht-empathische APD-Emotionen („autobiographically past-directed emotions“³) es Personen ermöglichen, durch die nachvollziehende bzw. evaluativ-vergleichende Rückschau auf die eigene Vergangenheit wichtige Entwicklungen in ihrer Biographie zu verstehen und einzuordnen. Die Möglichkeit, diese beiden emotionalen Perspektiven einnehmen zu können, beruht auf der Eigenschaft autobiographischer Erinnerungen, zwei unterschiedliche Perspektiven – die Beobachterperspektive und die Ich-Perspektive – im Erinnern zu ermöglichen. Eine spezifische Funktion von Emotionen im Kontext autobiographischen Erinnerns besteht darin, retrospektiv zu einer Beurteilung vergangener Ereignisse und Handlungen zu gelangen, die aus der Beobachterperspektive erfolgt und von der Person als adäquate emotionale Reaktion angesehen werden kann, so dass für den Erinnernden der Eindruck entsteht, die Frage, wie man über ein Ereignis oder Handeln heute denkt und fühlt, könne durch diese Reaktion als beantwortet gelten. Hinsichtlich der sozialen Dimension autobiographischen Erinnerns und der sozialen Mitbedingtheit biographischer Identität wurde dargelegt, dass sich die Ausbildung eines evaluativen Selbstverhältnisses, als welches die biographische Identität von Personen charakterisiert wurde, nur unter Berücksichtigung sozialer Interaktionen und Kontexte angemessen beschreiben lässt. Wie die Analyse des autobiographischen Gedächtnisses gezeigt hat, dient dieses in mehrerlei Hinsicht dazu, die Erfahrungen und Handlungen einer Person im sozialen Raum in ihre biographische Identität zu integrieren. Autobiographische Erinnerungen werden durch ihre narrativ strukturierte Form erzähl- und verstehbar. Die Erinnerungen verschiedener Personen treffen in narrativer Gestalt im sozialen Raum aufeinander und bilden, wie MacIntyre es formuliert, eine „ineinandergreifende[] Reihe von Erzählungen“⁴, die sich wechselseitig beeinflussen. Sie können im sozialen Kontext zum Gegenstand der Rückmeldung, Bestätigung, Kritik oder Ergänzung Anderer werden. Das autobiographische Gedächtnis eröffnet durch diese Ein-
Debus 2007, S. 758. MacIntyre 1995/1981, S. 291.
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bettung in soziale Interaktionen die Möglichkeit des für Personen charakteristischen komplexen Abgleichens von Selbstkonzept und sozialer Umwelt. Der Vergleich von Außenzuschreibungen mit dem eigenen Selbstbild ermöglicht es auch, Selbstchecks durchzuführen und potentielle Divergenzen zwischen beiden aufzudecken und gegebenenfalls auf die Verminderung oder Auflösung dieser Divergenzen hinzuwirken, sofern dies möglich bzw. erwünscht ist. Bezüglich der Bedeutung des Vergessens konnte auf der Basis einer Differenzierung zwischen unterschiedlichen Formen des Vergessens gezeigt werden, dass zur Aufrechterhaltung der kontinuitätsbildenden Funktion des autobiographischen Gedächtnisses ein gewisses Maß an Vergessen vonnöten ist. Wie im Verlauf der Arbeit dargelegt, bedarf es zur Entstehung einer kohärenten Lebensgeschichte der Auswahl von Erinnerungen nach ihrer aktuellen, lebensgeschichtlichen und emotionalen Bedeutsamkeit. Das Vergessen erleichtert bzw. ermöglicht nicht nur durch die Reduzierung der (potentiell) verfügbaren Erinnerungsmenge den zeitnahen Abruf aktuell benötigter Informationen. Es schafft darüber hinaus durch die (wiederum auch biographisch fundierte) Auswahl bestimmter Erinnerungen den Rahmen für das Herausarbeiten von Konturen der eigenen Biographie. Dies geschieht unter anderem, indem die emotionale Qualität und/oder der Inhalt mancher Erinnerungen abgeschwächt bzw. verringert wird. Anhand eines Fallbeispiels aus der psychologischen Forschung – des Falls von Jill Price – wurde deutlich, dass ein Übermaß emotional bedeutsamer autobiographischer Erinnerungen die biographische Orientierung erheblich erschweren kann. Dazu kommt, dass ohne selektives Vergessen bzw. bei stark vermindertem selektiven Vergessen nicht nur die Interpretation der Vergangenheit, sondern auch das darauf gestützte Handeln und Verhalten in der Gegenwart sowie das Antizipieren und Planen der personalen Zukunft erschwert bzw. stark eingeschränkt werden. Ein „tugendhaftes“⁵ autobiographisches Gedächtnis, so wurde gezeigt, bewegt sich zwischen einem Zuviel an Vergessen bzw. Zuwenig an Erinnerung, wie es sich in extremer Form in Fällen von Amnesie zeigt, und einem Zuviel an Erinnerung bzw. Zuwenig an Vergessen, wie es das hyperthymestische Syndrom von Jill Price veranschaulicht. Nach dieser eingehenden Untersuchung des Zusammenhangs von explizitem, autobiographischem Gedächtnis und Erinnern und der biographischen Identität von Personen wurde weiterhin auch die Rolle des impliziten Gedächtnisses bzw. impliziter Erinnerungen analysiert. Implizite oder prozedurale Erinnerungen, so wurde argumentiert, stellen nicht nur die Grundlage verschiedener Fähigkeiten dar, sondern stehen darüber hinaus im Zusammenhang mit der biographischen
Michaelian 2011c, S. 399.
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Identität von Personen, insofern sie Erfahrungen aus der Vergangenheit inkorporieren und Aspekte der Lebensgeschichte in nicht-expliziter Weise verinnerlichen. Die Vergangenheit bleibt auf diese Weise wirksam, obwohl sie dem bewussten Erinnern entzogen und in diesem Sinne „vergessen“ wurde. Implizite Erinnerungen können sich nicht nur im praktischen Handeln und Interagieren, sondern auch durch das emotionale Affizieren einer Person ausdrücken. In solchen Fällen lösen Erinnerungen emotionale Zustände in Personen aus, ohne dass der dazugehörige Inhalt der Erinnerung und damit der Bezug auf konkrete Erfahrungen in der Vergangenheit bewusst werden. Beispiele dafür sind Gerüche, Düfte oder Gesichter, die Gefühle der Vertrautheit, des Unbehagens oder der Freude evozieren, ohne dass (zunächst oder dauerhaft) der Grund dieses emotionalen Affiziertseins ersichtlich wird, wie unter anderem mit Verweis auf Prousts berühmte Madelaine-Passage demonstriert wurde. Zudem wurde gezeigt, dass auf impliziten Erinnerungen basierende implizite Narrationen die biographische Identität mitkonstituieren, insofern sie als psychische Organisationsstrukturen eine Orientierung der Person im Sinne des impliziten Verstehens ihrer selbst und der Welt ermöglichen, obgleich ihr die Gründe für dieses Verstehen (zumindest partiell oder temporär) verborgen bleiben. Anschließend wurde mit der Frage nach der Wahrheit von Erinnerungen ein Thema aufgegriffen, dessen Relevanz sich bereits in den vorangegangenen Kapiteln angedeutet hatte, in denen immer wieder von der „Selektivität“ und „Konstruktivität“ von Gedächtnis und Erinnerung die Rede war. Es wurde dargelegt, dass aus der von der empirischen Gedächtnisforschung attestierten „Konstruktivität“ bzw. „Rekonstruktivität“ des Gedächtnisses für die Frage nach der Wahrheit von Erinnerungen erst einmal wenig folgt: Diese Begriffe beziehen sich zunächst nur auf die Tatsache, dass Erinnerungen als Bestandteile eines komplexen und dynamischen mentalen Prozesses von zahlreichen anderen Elementen dieses Prozesses mit beeinflusst werden und keine exakten Kopien der Vergangenheit darstellen. Insofern sprechen, so wurde gezeigt, die der Rede vom „rekonstruktiven Gedächtnis“ zugrunde liegenden empirischen Befunde nur gegen einen naiv-realistischen Wahrheitsbegriff. Um der Frage nach der Wahrheit von Erinnerungen näher zu kommen, musste zwischen verschiedenen Ebenen und Kontexten von Erinnerungen sowie zwischen unterschiedlichen Auffassungen davon, worin die Wahrheit von Erinnerungen bestehen kann, differenziert werden. Autobiographische Erinnerungen entziehen sich schon alleine deshalb einer „einfachen“ Antwort auf die Frage nach ihrem Wahrheitsgehalt, weil sie als komplexe, narrativ strukturierte Gebilde aus verschiedenen Elementen – wie Fakten, subjektiver Bedeutung und emotionalem Index – bestehen, deren „Wahrheit“ unterschiedlich definiert und beurteilt werden muss. Das Fallbeispiel des ehemaligen Nixon-Beraters John Dean illustrierte diese Einsicht. Seine Erin-
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nerungen waren hinsichtlich der meisten Details und Fakten falsch, zugleich jedoch auf der Ebene grundlegender Aussagen über Vorgänge, Absichten, Konstellationen und Beteiligte zutreffend. Erinnerungen können demnach partiell mit der historischen Wirklichkeit übereinstimmen bzw. in nicht abbildgetreuer Form wahre Aspekte der Vergangenheit beinhalten. Die Übereinstimmung muss nicht die Form der Identität des Erinnerungsinhalts mit dem Inhalt der vergangenen Episode annehmen, sondern kann in unterschiedlichen Graden vorliegen. Weiterhin wurde argumentiert, dass konstruktivistische Ansätze, welche die (re‐) konstruktive Natur von Erinnerungen zu stark betonen, die Maßstäbe zur Unterscheidung von Erinnerungen und Konfabulationen verlieren. Schließlich wurde dargelegt, wie narrative Theorien personaler bzw. biographischer Identität gegen den Vorwurf verteidigt werden können, dass beliebige Elemente zum Inhalt biographischer Narrationen und damit zum Bestandteil der Identität der Person werden können, und dass solche Theorien daher keine Maßstäbe zur Unterscheidung von Fiktion, Imagination und Realität anzugeben vermögen. Die Differenzierung und Charakterisierung unterschiedlicher Ebenen, auf denen autobiographische Erinnerungen wahr oder falsch sein können, und die Feststellung, dass aufgrund dieser Vielschichtigkeit ein einfacher Wahrheitsbegriff zwangsläufig scheitern und in vielen Fällen von „mehr oder weniger wahr bzw. falsch“ gesprochen werden muss, verweisen darauf, dass die Wahrheit autobiographischer Erinnerungen sich in einem diffizilen, nur im Einzelfall und zum Teil schwer zu beurteilenden Spektrum bewegt, das zwischen den Extremen der exakten Reproduktion und der Konstruktion angesiedelt ist. Für Theorien biographischer Identität bedeutet dies, dass sie dem oben genannten Vorwurf durch die Beachtung und Integration der verschiedenen Ebenen, auf denen Wahrheit autobiographischer Erinnerungen (partiell) gegeben sein kann, begegnen können. Abschließend soll noch ein kurzer Blick auf einige weiterführende Fragen geworfen werden, die sich aus den in dieser Arbeit angestellten Überlegungen ergeben. Da die vorliegende Untersuchung sich als deskriptive, systematischanalytische Studie über das Verhältnis von Gedächtnis, Erinnerung und biographischer Identität versteht, konnten normative Anschlussfragen und Probleme nicht thematisiert werden. Dies betrifft unter anderem mögliche Folgen des Einsatzes gedächtnismodifizierender Substanzen für die personale bzw. biographische Identität und deren ethische Bewertung, die gegenwärtig sowohl im Rahmen der allgemeinen (Neuro‐)Enhancement-Debatte⁶ als auch im speziellen Kontext
Für einen Überblick zu dieser Debatte vgl. die Beiträge in Schöne-Seifert/Talbot/Opolka/Ach 2009 und in Schöne-Seifert/Talbot 2009 sowie Kipke 2011, S. 23 – 36. Zum Zusammenhang von Enhancement und personaler Identität vgl. Runkel 2010.
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des Einsatzes von erinnerungslöschenden bzw. -hemmenden Medikamenten bei traumatisierten Patienten⁷ („therapeutic forgetting“⁸) diskutiert werden. Die Beantwortung der Frage, ob der Einsatz solcher Mittel moralisch verboten, erlaubt oder sogar geboten ist, erfordert zahlreiche Klärungen. Zunächst wäre deskriptiv zu klären, ob bzw. inwiefern die Konstituierung und Aufrechterhaltung biographischer Identität durch den Einsatz gedächtnismodifizierender Substanzen überhaupt berührt wird. Dabei wäre beispielsweise zu ergründen, welche „Mechanismen“ – etwa die Bildung biographisch basierter Wünsche zweiter Ordnung und die narrative Einordnung signifikanter Erinnerungen in die Lebensgeschichte – von deren Wirkungsweise⁹ betroffen sein können. Damit zusammen hängt die Klärung der Frage, was mit der „Modifikation“ von Erinnerungen im konkreten Fall gemeint ist, wobei etwa zwischen dem (hypothetischen) Fall der vollständigen Löschung einer Erinnerung, dem Mindern ihrer emotionalen Kraft, oder der Reduzierung ihres Bewusstwerdens unterschieden werden müsste. Hinzu kommt die Diskussion über die Abschätzbarkeit und Akzeptabilität potentieller Risiken sowie die Enhancement/Therapie-Debatte. Im Anschluss müsste weiterhin gezeigt werden, inwiefern die jeweilige „Modifikation“ Auswirkungen etwa auf die Autonomie, Authentizität oder das „gute Leben“ von Personen hätte und inwiefern diese Konzepte selbst normativ begründbar sind.¹⁰ Darüber hinaus spielt hier auch die Diskussion darüber eine Rolle, ob es so etwas wie eine „Pflicht zur Erinnerung“ gibt, die möglicherweise der Veränderung oder Löschung von bestimmten Erinnerungen entgegensteht.¹¹ Durch die detaillierte Beschreibung des Zusammenhangs von autobiographischen Erinnerungen und biographischer Identität wurden in dieser Arbeit einige wichtige Aspekte verdeutlicht, die auch für die ethische Analyse relevant sind. Insbesondere betrifft dies zum einen die Feststellung, dass Erinnerungen
Vgl. Bell 2007, Henry/Fishman/Youngner 2007, Kabasenche 2007, Liao/Wasserman 2007 und Donovan 2010. Kolber 2007. Hierbei müsste die spezifische Wirkungsweise des jeweiligen Wirkstoffes eingehend berücksichtigt werden, da unterschiedliche Mittel mit verschiedenen Wirkungsweisen denkbar sind bzw. bereits entwickelt und diskutiert werden. Der Zusammenhang von Gedächtnis, Erinnerung, Glück und „gutem Leben“ sowie die Frage, inwiefern gedächtnismodifizierende Technologien („memory modification technologies“, MMTs) vor diesem Hintergrund moralisch zu bewerten sind, werden in einer Stellungnahme des USamerikanischen „Presidentʼs Council on Bioethics“ (2003, S. 214– 234) eingehend behandelt. Zur Frage des Einflusses von MMTs auf die Authentizität von Personen und zu den damit einhergehenden moralischen Aspekten vgl. Erler 2011. Zur Diskussion der Idee und möglicher Begründungen von „memory as obligation“ vgl. Blustein 2008, S. 29 – 34.
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komplexe und dynamische Gebilde sind, die in unterschiedlicher Weise mit anderen Erinnerungen und kognitiven Fähigkeiten (etwa Aufmerksamkeit, Lernen und Planen) verbunden sind. Aufgrund dieser engen Verwobenheit scheint es sowohl schwierig als auch problematisch, Erinnerungen als isolierte Elemente zum Gegenstand von medikamentösen oder technologischen Eingriffen zu machen. Die Auswirkungen, die solche Eingriffe möglicherweise auf andere Fähigkeiten und Erinnerungen haben, die nicht das Ziel des erinnerungsmodifizierenden Eingreifens sind, müssen daher in besonderer Weise beachtet und gegebenenfalls in die ethische Bewertung einbezogen werden. Zum anderen verdient im Kontext der ethischen Debatte über Gedächtnis- und Erinnerungsmodifikation der Hinweis Beachtung, dass Erinnerungen als Dispositionen mitbestimmen, wie Personen auf bestimmte Ereignisse reagieren und welche Wertung sie ihnen gegenüber einnehmen. Solche Erinnerungen können wichtige Elemente historisch gewachsener biographischer Überzeugungen und personaler Gründe sein. Bei von außen herbeigeführten Veränderungen dieser Erinnerungen besteht die Möglichkeit, dass Personen sich aufgrund dieser Veränderungen nicht so verhalten, wie es ihren „eigentlichen“, biographisch gewachsenen Überzeugungen und in diesem Sinne ihrer biographischen Identität entspricht. Dieser Gedanke könnte schließlich auch hinsichtlich der Frage nach dem Zusammenhang von Erinnerungen, Identität und Authentizität nutzbar gemacht werden.
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Personen- und Sachregister Abbild 18, 21, 195 Analytisch/Synthetisch-Unterscheidung 8 f. APD-Emotion 137 f., 208 Aristoteles 1, 4, 9, 17 – 21, 24, 30, 38 f., 48, 94, 189 Assmann, Aleida 22 Aufmerksamkeit 32, 49, 103, 130, 134, 141, 144, 164, 168, 171, 173, 175, 202, 213 – automatische 130 – bewusste 31, 34, 36, 54, 73, 84, 86 f., 90, 98, 102 – 104, 110, 123, 132, 137, 154, 166, 168, 175 – 178, 182 – 184, 186, 210 Augustinus 22, 52 Authentizität 212 f. Autobiographie 75, 105, 108, 113 f., 125 – 127, 131, 138, 145, 173, 200 Autonomie 53, 72, 143, 146, 169, 212 Begriffsanalyse 10 Bergson, Henri 22 – 24 Bernecker, Sven 24, 61, 68, 70, 101 f., 189, 192, 194 f., 197 f. Betzler, Monika 141, 144 Bewusstsein 17, 19, 26 f., 29 f., 36, 38, 41, 55, 59, 68, 81, 85, 87, 98, 102 f., 105, 108, 110, 126 f., 134, 136, 150, 153, 155, 175, 177, 180 f., 185 – anoetisches 41 – autonoetisches 41 – noetisches 41 Biographie 3, 26, 45, 47, 63, 65 f., 70, 73 f., 85, 90, 104, 110, 121, 123, 126, 128 – 130, 134, 137 – 139, 141, 144 – 148, 155, 157, 161, 169, 172 f., 181, 186, 199 f., 202, 206 – 209 Birnbacher, Dieter 53 Bluck, Susan 5, 90, 106, 113 – 127, 157, 159 Boethius 58 Brewer, William 22, 25, 47 Broad, Charlie 24 f. Byrne, Alex 26, 48, 154 Caring 143 – 145 Characterization question 64, 69, 78, 149
Christman, John 84, 146, 148 Common-Sense-Begriffe 10 f. Conway, Martin 5, 44, 46 f., 105 – 114, 118 f., 122 f., 125, 129 f., 166, 181, 195 Damasio, Antonio 80 Danziger, Kurt 22, 24, 27, 40, 42 f., 51 Dean, John 189 – 193, 195, 210 Debus, Dorothea 137 f., 208 DeGrazia, David 63, 69 Denken 17 – 19, 58 f., 67, 86 f., 91 f., 100, 116 f., 119, 128, 131, 145, 152, 154, 160, 166, 178 – 182 – autobiographisches 43, 48 f., 89, 105, 110 – 112, 117 f., 154, 162, 168 f., 179, 209 – narratives 87 f., 128, 173 – personales 3, 62, 67, 73 f., 100 f., 145, 166 Dennett, Daniel 53, 74, 82, 85 Depression 135 Determinismus 74 Deutscher, Max 23, 26 Disposition 68, 92 – 100, 102 – 104, 148, 181, 213 – mentale 15, 20, 41, 47 f., 55, 84, 92 – 105, 112 – 114, 116 – 118, 123, 127, 138, 146 f., 168, 187, 199, 207, 210 Emotion 5, 46, 73, 91, 109, 114, 126, 130 f., 136 – 139, 141, 147, 169, 180, 184, 194, 207 f. Erinnerung/Erinnerungen – Bildhaftigkeit der 20 f., 48 – episodische 25 f., 28 f., 32, 40 – 45, 48, 51, 80, 82, 86, 88 – 90, 95, 119, 154, 191 – falsche 15, 32, 61, 71, 73, 111, 125, 191 f., 194 – 197, 201, 203 f. – Gegenstand der 7, 13, 16 – 18, 24, 40, 42, 44, 47, 52, 56, 61, 84, 87, 89, 111, 122, 155, 202, 208, 213 – implizite 2, 4 f., 13 f., 17, 35 – 37, 39, 41, 43, 51, 54, 73, 75, 84, 86 f., 89 f., 96, 102 f., 108, 110, 116, 132, 156, 163, 166, 174 – 186, 194, 209 f.
Personen- und Sachregister
– personale 1 – 5, 14 – 16, 25, 28, 39, 43 – 45, 47, 50 – 68, 70 – 76, 78 f., 81, 86 – 91, 102, 104 f., 109 f., 113, 117, 119 – 121, 123 f., 129 f., 137 f., 140, 143 – 146, 148 – 153, 155, 162, 167 – 169, 174 f., 178 – 181, 184 – 186, 198 f., 204, 206 – 209, 211, 213 – Perspektivität der 33 – traumatische 139, 162, 169, 197, 202 – unfreiwillige 38, 73, 90, 202 Erinnerungsdisposition 94 – 98 Evaluation 65 f., 130, 138, 158 Feyerabend, Paul 12 Frankfurt, Harry 65, 141 – 145 Freiheitseinwand 73 f. Freud, Sigmund 102 f., 150, 176, 182 f., 210 Frisch, Max 76 Fuchs, Thomas 51, 174 – 177, 179, 186 Furlong, Edward 24 f. Galert, Thorsten 61, 86, 90 Gedächtnis 1 – 4, 6, 10 f., 14, 16 – 23, 26 – 33, 35 – 44, 50 – 52, 54, 56, 59 f., 62, 65, 67, 70, 72, 74 f., 80, 84, 87, 89, 92 – 94, 96, 98, 100, 102 – 105, 107, 112 f., 118 f., 122 f., 125, 131 f., 134, 145, 148, 150, 152 f., 156, 159, 161 – 163, 165 – 172, 174, 185 – 189, 206 – 213 – autobiographisches 43, 48 f., 89, 105, 110 – 112, 117 f., 154, 162, 168 f., 179, 209 – deklaratives 29 – episodisches 26, 40 f., 51 – Heterogenität des 4, 16 – implizites 36, 84, 174 f., 178, 181 – kollektives 22 – Kurzzeit- 28 – Langzeit- 28, 134 – nichtdeklaratives 33 – prozedurales 23 – rekonstruktives 166 – selektives 174, 209 – semantisches 40 f., 51, 164 Gedächtnisfehler 197 Gedächtnisforschung 2, 4, 6, 14 – 16, 22 – 28, 35, 39 f., 43 f., 48, 77, 90, 105, 156, 186, 206, 210 Gedächtniskriterium 1, 52, 150
243
Gedächtnisstörung 177 Gedächtnissystem 14 f., 26 – 28, 36, 43, 50 f., 94, 105, 112, 163, 177 Gedächtnisverzerrung 148 Gefühl 18, 20, 41, 45 f., 48, 66, 92, 95, 121, 123, 131 – 133, 176 f., 183, 188, 210 Gendler, Tamar 7, 131 Goldie, Peter 84, 91, 127 f., 137 – 139 Gunnarsson, Logi 53, 55, 68 Habermas, Tilmann 5, 90, 106, 113 – 127, 159 Habituation 34 f. Hacker, Peter 7, 12 – 15, 29, 31 Hacking, Ian 55 Hamilton, Andy 197, 201 Hamlyn, David 7, 111 Hampe, Michael 182, 202 f. Handlungsfreiheit 74 Hartmann, Dirk 61, 86, 90 Heidegger, Martin 67 Heidelberger, Michael 123 Henning, Tim 77, 79, 146 Hirst, William 118, 128, 160 f., 189 Hirstein, William 7, 44, 111, 187, 195 Hoerl, Christoph 19, 44 Hutto, Daniel 10, 76 Hyperthymestisches Syndrom 167, 174, 209 Identifikation 3, 5, 60, 64 f., 70, 125, 139 – 143, 146, 152 Identität 1 – 6, 14 – 16, 21, 28, 39, 43, 45, 50 – 78, 80, 82 f., 88 – 91, 93 f., 99 – 102, 104 – 106, 111, 119 f., 125 – 130, 136, 140 f., 143, 145 f., 148 – 154, 156 – 163, 165, 167, 169 f., 172 – 175, 178 – 186, 195, 199 – 204, 206 – 213 – biographische 3 – 6, 15 f., 21, 43 f., 50 f., 54, 56, 62 f., 65 – 78, 80, 82 f., 88 – 91, 93 f., 99, 101, 104 – 106, 111, 114, 117, 119 f., 123, 125 – 131, 136 f., 139 – 141, 143, 145 – 149, 153 f., 156 – 163, 165, 167, 169 f., 172 – 175, 178 – 186, 194, 198 – 204, 206 – 213 – diachrone 3 f., 56 – 59, 62, 64, 68 – 70, 75, 79 – 82, 100 – 102, 106, 123, 136, 143, 147, 149 – 151, 153, 169, 185, 206 f. – formale 3 f., 80 f., 101, 140, 171, 206
244
Personen- und Sachregister
– narrative 3, 5 f., 63, 65, 67, 75 – 78, 81 – 86, 88 – 91, 114, 126 – 129, 138, 148 – 150, 153 f., 156, 160 f., 172 f., 178 – 182, 185, 199 f., 202 – 204, 207 f., 211 f. – numerische 52, 55, 57 – synchrone 4, 55 f., 68 – unbewusste 19, 41, 54, 87, 102 – 104, 169, 174, 182 f. Identitätskrise 66, 69, 80 Identitätssinn 80, 126 Individualismusvorwurf 72 Individualität 71 – 73, 120, 159 Interdisziplinarität 2 Interpretation 15, 100, 116 – 118, 122, 128 f., 146, 148 f., 154, 156, 159, 174, 178, 181, 189, 193 f., 203 f., 207, 209 Introspektion 48 James, Henry 79 f. James, William 55 f., 80, 92 Kandel, Eric 35, 175 Kant, Immanuel 7 f., 27 Kihlstrom, John 84, 195 Kognitionswissenschaft/kognitionswissenschaftlich 1, 6, 11, 114 Kohärenz 5, 13, 54, 115 f., 119, 122 – 124, 126, 139 f., 145 – 147 – biographische 3 – 6, 15 f., 21, 43 f., 50 f., 54, 56, 62 f., 65 – 78, 80, 82 f., 88 – 91, 93 f., 99, 101, 104 – 106, 111, 114, 117, 119 f., 123, 125 – 131, 136 f., 139 – 141, 143, 145 – 149, 153 f., 156 – 163, 165, 167, 169 f., 172 – 175, 178 – 186, 194, 198 – 204, 206 – 213 – kausale 67, 84, 90 f., 93, 115 f., 123, 126, 155 – kulturelle 22, 72, 115 f., 121, 157, 159, 161 f. – thematische 85, 115 f., 122 f., 144, 198 – zeitliche 45, 49, 51, 58, 67, 77, 90, 115, 118 – 120, 123, 148, 151, 168 f. Konditionierung, klassische 33 f. Konfabulation 111, 195, 197 f., 211 Konstruktivität/konstruktiv (Erinnerung, Gedächtnis) 5, 15, 32, 187, 210 Kontinuitätstheorie, psychische/psychologische 3, 5, 101, 149, 151, 155, 207 Körperkriterium 57
Kuhn, Thomas 9, 12 Kulturrelativitätseinwand 70, 120 Lakatos, Imre 9 Lamarque, Peter 87 Leben 3 – 5, 46, 62 – 67, 70, 73 – 76, 78 f., 81 f., 84 f., 87 f., 91 – 94, 100 – 102, 104 f., 109, 113 – 126, 128 – 130, 135 f., 139, 141 – 144, 148, 152 – 155, 158, 168 f., 172, 175, 179 – 181, 196, 207, 212 – Kontext des 5, 16, 21, 26, 32, 80, 122, 124, 154, 158, 165, 191, 212 – personales 3, 62, 67, 73 f., 100 f., 145, 166 Lebensführung 63, 206 Lebensgeschichte 40 f., 44, 58, 63, 75, 104, 113 – 116, 118, 120 f., 123 – 125, 127, 129, 139, 145, 154, 162, 172 f., 175, 177, 179 – 181, 199 f., 203, 207, 209 f., 212 Lebenspraxis 63, 162 Leibgedächtnis 51 Lernen 24, 33 – 35, 37, 87, 213 – nicht-assoziatives 33 f. – perzeptuelles 34 – subliminales 34 Life Story Schema 5, 106, 113 – 119, 121, 123 – 128, 130, 145, 147, 154, 157, 165, 170, 178, 181 Locke, John 1, 5, 14, 23 – 26, 50, 52, 56, 58 – 62, 75, 149 – 156, 185 Loftus, Elizabeth 196 f. MacIntyre, Alasdair 64 – 67, 82, 148, 161, 208 Mackenzie, Catriona 69, 78, 184 Malcolm, Norman 25, 31 Markowitsch, Hans 2, 32, 34, 157, 161 Martin, Charles B. 23, 26 Martin, Raymond 44, 71, 140 McAdams, Dan 77, 108 Mentale Prozesse 84, 101 Mentale Zeitreise 48 Mentale Zustände 93 f., 98 Meta-repräsentational 192 f. Michaelian, Kourken 27, 167, 170 – 173, 187, 209 Moscovitch, Morris 41, 112
Personen- und Sachregister
Motivation 113 f., 119, 129, 136, 144 Moyal-Sharrock, Danièle 37 – 39, 42 f. Nagel, Thomas 26 Narration 5, 75 – 78, 83 – 91, 114, 117, 126 – 128, 158 f., 161, 178 – 186, 200 – 204, 210 f. – autobiographische 2 – 6, 15, 19, 21, 28, 32, 41, 43 – 50, 54, 63, 72 f., 75 – 77, 89 – 91, 95, 104 – 106, 108 – 119, 122 – 126, 128 – 132, 135 – 139, 145 – 148, 153 – 161, 163, 165 – 169, 172 – 175, 177 – 181, 184 f., 188 f., 193 – 201, 203 f., 206 – 212 – biographische 3 – 6, 15 f., 21, 43 f., 50 f., 54, 56, 62 f., 65 – 78, 80, 82 f., 88 – 91, 93 f., 99, 101, 104 – 106, 111, 114, 117, 119 f., 123, 125 – 131, 136 f., 139 – 141, 143, 145 – 149, 153 f., 156 – 163, 165, 167, 169 f., 172 – 175, 178 – 186, 194, 198 – 204, 206 – 213 – falsche 15, 32, 61, 71, 73, 111, 125, 191 f., 194 – 197, 201, 203 f. Narrative Self-Constitution View 77 f., 180 Narrativität 5, 75 – 79, 82, 85 f., 88 f., 126 – 128, 148, 185, 207 Neisser, Ulric 45, 48 f., 138, 149, 168, 189 – 192 Neugarten, Bernice 120 Neumann, Birgit 51, 127 – 129 Nietzsche, Friedrich 132, 169 Normativismus 70, 88 Normativismusvorwurf 70, 82 Northoff, Georg 48, 50, 56 Parfit, Derek 3, 56, 61, 150 – 152, 185 Pawlow, Iwan 34 Perry, John 61 f., 150 Persistenz 56, 69, 126 Person 2 – 5, 13, 18, 20, 23, 25, 42, 44 f., 47 – 49, 52 – 60, 62 – 69, 71, 74 f., 80 – 82, 85 f., 88 f., 91 – 95, 99 – 126, 128 – 131, 133 f., 136 – 157, 159 – 161, 166 – 170, 172 – 186, 188, 190, 194, 196 f., 199 – 204, 206 – 213 Personalitätskriterien 53, 59, 68 Persönlichkeit 53, 55 f., 63, 69 f., 80, 118, 121, 135, 146 f., 152 f., 158 f., 162, 179, 186, 200, 204, 206
245
Persönlichkeitsstörung 55, 80 Pillemer, David 109, 124 Pleydell-Pearce, Christopher 5, 105 – 113, 118 f., 123, 125, 129 f., 166, 181 Pohl, Rüdiger 23 f., 26, 28, 44 f., 90 Polanyi, Michael 84 Popper, Karl 9, 37 Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) 162, 202 f. Price, Jill 167 – 169, 173 f., 209 Priming 33 f. Proust, Marcel 97 f., 176 f., 210 Qualia 47 f. Quante, Michael 52 – 56, 60 f., 63 f., 68 – 70, 72, 140 f., 143, 146 f., 149, 156 Quasi-Erinnerung/Q-Erinnerung 61 Quine, Willard Van Orman 8 – 10, 12 f. Rationalität 53 f., 72 f. Realismus 31, 186, 188 Realität 111, 133, 188, 196, 200, 202 – 204, 211 – narrative 3, 5 f., 63, 65, 67, 75 – 78, 81 – 86, 88 – 91, 114, 126 – 129, 138, 148 – 150, 153 f., 156, 160 f., 172 f., 178 – 182, 185, 199 f., 202 – 204, 207 f., 211 f. – soziale 5, 12, 51, 70, 73, 75, 125, 135, 156 – 158, 160 f., 163, 176, 184, 203, 208 f. Realitätsvorbehalt 200 – 204 Reidentification question 64, 149 Repräsentation 31, 112 – 114, 117, 126, 156 f., 175, 199 – kognitive 33, 36 – 39, 84, 107, 114, 118, 127, 131, 147, 152, 168, 170 f., 197, 213 – mentale 15, 20, 41, 47 f., 55, 84, 92 – 105, 112 – 114, 116 – 118, 123, 127, 138, 146 f., 168, 187, 199, 207, 210 Ricœur, Paul 1, 19 – 21, 65 Roediger, Henry 37 Ross, Michael 44, 118, 132, 159, 187 Rubin, David 44, 46, 49, 90 f. Russell, Bertrand 16, 22 – 24 Schacter, Daniel 36, 49, 87, 95 f., 127, 130 – 135, 148, 174, 187
246
Personen- und Sachregister
Schechtman, Marya 2 f., 14 f., 63 f., 77 f., 82 f., 85 – 88, 137, 149 – 156, 179 – 184, 193 f., 198 – 201, 203 f. Schizophrenie 112 Schöne-Seifert, Bettina 211 Selbst 44 f., 47, 59, 64, 67, 79 – 81, 85, 106 f., 109, 111, 115, 121, 126 f., 134 f., 137, 140, 180, 183, 185, 198 Selbstbewusstsein 49, 53, 55, 59, 61 f., 80, 152 – 154 – autobiographisches 43, 48 f., 89, 105, 110 – 112, 117 f., 154, 162, 168 f., 179, 209 Selbstbezug 44 f., 128, 135 Selbstbild 50, 106 – 108, 112, 114, 118, 124, 131, 147 f., 161, 166, 187, 209 Selbsterfahrung 79 – 82, 85 f., 88, 147 – diachrone 3 f., 56 – 59, 62, 64, 68 – 70, 75, 79 – 82, 100 – 102, 106, 123, 136, 143, 147, 149 – 151, 153, 169, 185, 206 f. – episodische 25 f., 28 f., 32, 40 – 45, 48, 51, 80, 82, 86, 88 – 90, 95, 119, 154, 191 – narrative 3, 5 f., 63, 65, 67, 75 – 78, 81 – 86, 88 – 91, 114, 126 – 129, 138, 148 – 150, 153 f., 156, 160 f., 172 f., 178 – 182, 185, 199 f., 202 – 204, 207 f., 211 f. Selbsterfahrungsstruktur 81, 88 Selbstgefühl 133 Selbstinterpretation 148 Selbstverhältnis 3, 62 f., 68, 74 – biographisches 63, 138, 178, 186 – personales 3, 62, 67, 73 f., 100 f., 145, 166 – praktisches 126 – reflexives 3, 126, 179 Selektivität (Erinnerung, Gedächtnis) 5, 32, 162, 210 Self-Memory System 5, 105 f., 110 – 112, 118, 125 f., 128, 130, 145, 147, 154, 165 f., 170, 178, 180 f. Sensitivierung 34 f. Shoemaker, Sidney 61, 150 Simple View 56 Singer, Jefferson 53, 105, 109 f. Slors, Marc 61, 151 Sozial (Dimension, Kontext, Umwelt) 132, 156 – 162, 184, 208 f. Squire, Larry 28 – 35, 40 Stern, Daniel 175 f.
Straub, Jürgen 71 f., 87 Strawson, Galen 60, 76 – 83, 85 – 88 Sturma, Dieter 6, 53, 62 Sutton, John 2, 24 f., 31, 39, 44, 51, 60, 157, 163, 166, 175, 188 Taylor, Charles 64 – 67, 82 Taylor, Shelley 120, 135, 158 Teichert, Dieter 52, 58, 61 f., 149 Teleologie 129 Tip-of-the-Tongue-Zustände 95 f. Tulving, Endel 26, 40 f., 44, 48 Überzeugung/Überzeugungen 25, 37, 49, 57, 96, 108, 111 f., 132 f., 144, 146 f., 156, 185, 187, 193, 200 f., 213 Velleman, James 129, 141, 143 Vergangenheit 2 – 5, 17, 24, 26, 30 – 32, 35 – 38, 44, 47 – 49, 59 – 61, 67, 76, 78 f., 86, 93, 100 – 102, 105, 113, 117 – 120, 123 f., 126 f., 129, 132 f., 135 – 140, 143, 147 f., 151 – 160, 165, 168 f., 173 – 180, 184 f., 187 – 189, 192 – 195, 198 f., 204, 206 – 211 – Inbesitznahme der 136 – personale 1 – 5, 14 – 16, 25, 28, 39, 43 – 45, 47, 50 – 68, 70 – 76, 78 f., 81, 86 – 91, 102, 104 f., 109 f., 113, 117, 119 – 121, 123 f., 129 f., 137 f., 140, 143 – 146, 148 – 153, 155, 162, 167 – 169, 174 f., 178 – 181, 184 – 186, 198 f., 204, 206 – 209, 211, 213 Vergegenwärtigung 102, 109 Vergessen 1, 4 f., 43, 51, 60, 75, 87, 156, 162 – 167, 169 – 174, 208 f. – autobiographisches 43, 48 f., 89, 105, 110 – 112, 117 f., 154, 162, 168 f., 179, 209 – intentionales 164 – kollektives 163 – nicht-intentionales 163 – partielles 60, 163 – prozedurales 23 – reversibles 163 – selektives 174, 209 – semantisches 40 f., 51, 164 – soziales 51, 161 – totales 163
Personen- und Sachregister
Vernunft 19, 58, 151 f. Verzerrung 131 – 134 Volition 141 f., 144 f. Wahrheit 1, 6 – 10, 21, 25, 32, 50, 74 – 76, 111, 157, 186 – 189, 192 f., 195, 197 – 199, 201 f., 204, 210 f. – analytische 7 – 9, 66, 211 – historische 40, 67, 111, 132, 189, 194 – 196, 198 – 200, 202, 211 – narrative 3, 5 f., 63, 65, 67, 75 – 78, 81 – 86, 88 – 91, 114, 126 – 129, 138, 148 – 150, 153 f., 156, 160 f., 172 f., 178 – 182, 185, 199 f., 202 – 204, 207 f., 211 f. – synthetische 7, 9 Wahrheitsbegriff 33, 188, 199, 204, 210 f. Wang, Qi 159 – 161 Weber, Angelika 44 f., 53 Welzer, Harald 2, 32, 51, 157, 160 f. Wiedererleben 41, 45, 47 f., 50, 105, 112, 138, 168 Willensfreiheit 73 f., 141, 143 Williams, Bernard 44, 57, 67, 135
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Wissen 2, 6 f., 10, 17, 24 f., 27, 29 f., 32 f., 37, 40 – 43, 45, 47, 61, 65, 78, 80, 84, 89 f., 96, 99, 102 f., 110 – 112, 116 – 119, 125, 127, 129, 131, 133, 138, 140, 154, 164 f., 176 – 178, 184, 189, 197, 200, 202 – autobiographisches 43, 48 f., 89, 105, 110 – 112, 117 f., 154, 162, 168 f., 179, 209 – erlerntes 96 – explizites 177 – implizites 36, 84, 174 f., 178, 181 Wittgenstein, Ludwig 13, 16, 35 – 37, 39, 42 f. Wollheim, Richard 3, 5, 61, 75, 91 – 94, 96 – 105, 129, 172, 181, 207 Wunsch/Wünsche – erster Ordnung 141 – 143 – zweiter Ordnung 142 f., 212 Zeitbewusstsein 19, 21, 45 Zeitempfinden 18 Zirkularitätsargument 61 Zukunft/Zukünftiges 17, 48, 62, 67, 91, 100, 102, 119 f., 125, 130, 143, 153, 168 f., 174, 207, 209